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FRIE RICH lETZ CH

JENSEIT S
VO N G UT UND BÖSE
VORSPIEL EINER PH!LOSOP.L-UE DER Z UK U FT

Z U R GENE LOGIE
D R MORAL

MCMXXIV

A LFR ED KRÖNER VERLAG I LEIPZIG


INHALT
Seite
Zur Einführung vu
Jenseits von Gttt und Böse
Vorrede . 3
Erstes Hauptstück: Von den Vorurteilen der Philosophen 7
Zweite Hauptstück: Der freie Geist . 33
Drittes Hauptstück: Das religiöse W esen 57
Viertes Hauptstück: prüche und Zwischenspiele 77
Fünftes Hauptstück: Zur Naturgeschichte der Moral 93
Sechstes Hauptstüok: Wir Gelehrten. 118
iebente Hauptstück: Unsere Tugenden 140
Achtes Hauptstlick: Völker und Vaterländer 169
Neuntes Hauptstück: Was i~t vornehm( 197
.Ans hohen Bergen. Nachgesang . 234
Zur Genealogie der Moral
Vonede . 239
Erste Abhandlung: "Gut und Böse", "Gut und Schlecht' 249
Zweite Abhandlung: " cbuld", " chiechte Gewi sen" und
Verwandtes . 2 5
Dritte Abhandlung: Was bedeuten ask tisohe Ideale ? 334
Nachbericht 413
ZUR EINFÜHRU
In den Zeiten zwischen der Entstehung der einzelnen Teile
des ,,Zarathustra" griff de1· utor wieder jene Gedankenreihen
auf, mit welchen er sich in der "Morgem·öte" und der "Fröh-
lichen Wi ensohaft" intensiv beschäftigt hatte. J odirekt hingen
natü:rlich diese tudien gleichfalls mit dem "Zarathustra" auf das
innigste zu. ammen, da diese Werk die Gesamtansch auung seine
Verfas ers in poetisoher Form darstellt. Wie mein Brnder so
richtig bemerkt: "Wu· Philosophen haben kein Recht darauf, irgend
worin einzeln zu .ein: wir dürfen weder einzeln irr n, noch
einzeln die Wahrheit treffen. Yielmebr mit der Notwendigkeit,
mit der ein Baum eine Früchte trägt, wachsen aus un unsere
Gedanken, un ere \Yerte, unsere Ja's und ein's und \Venn's und
Ob's- verwandt und bezüglich allesamt untereinand r tmd Zeug-
nisse Eines Willens, Einer Gesundheit, Eine Erdreichs, Einer
Sonne." In jener Zeit, d. h. in den Jahren 1 3/85 waren diese
Zwischenstudien zu einer besonderen cbrift bestimmt, die ab-
wechselnd den Titel "Moral fi.u· Moralist n" oder "Die o chuld
des \Verdens, ein Wegweiser zu der Erlösung von der Moral"
trug und einen bedeutenden chritt in der Weiterentwicklung de.
Philo ophen bildet. Ein notiertes elb tgespräch gibt un. einige
Auskunft: "Wie lange i' t es nun her, daß ich bei mir selber be-
müht bin die vollkommene nschuld des Werdens zu bewei en!
nd welche eltsamen Wege bin ich dabei schon gegangen! Ein-
mal schien roll' dies die richtige Lö ung, daß ich del.:-retierte:
,Das Dasein i t, als etwas von der rt eines Kunstwerks, gar
nicht tmter der jurisd.iotio der Moral; vielmehr gehö1t die Moral
selber ins Reich der E1 cbeinung.' Ein and rmal sagte ich:
,Alle chuld-Begriffe sind objelrtiv völlig wertlo , subjektiv aber
ist alles Leben notwendig ungerecht und alogisch.' Ein dritte.
Mal gewann ich mir die Leugnung aller Zwecke ab und empfand
die Unerkennbarkeit der Kausal-Verknüpfungen. Und wozu dies
alle ? War es nicht, tlm mir elber das efuhl völliger nver-
VIU Zur Einführung Zur Einführung lX
antwortlichkeit zu chaffen, - mich außerhalb jedes Lob und "Mittel- und Zweck '-Erklärungen: es wird das Wirkliche erst zu-
Tadels, unabhängig von allem Ehedem und lleute hinzru teilen, rechtgema c ht und vereinfacht (gefälscht- -).
um auf meine .Art meinem Ziele nachzulaufen? -" Fünfter Grund atz. Das am m i -ten von uns Geglaubte,
Der ommer 18 4 ist ein äußerst bedeutsamer und !.rocht- alle. Apriori, ist darum n.icht ge w is ·er, daß e o stark geglaubt
bringender in der Entwicklung meine Bruders, wie er auch elb t wird. ondern CL·gibt ich vielleicht als eine Existenz- Be-
empfunden hat. Er schreibt an Peter Gast: "Ich bin überdie. dingung w1srer Gattung- irgend eine Gmndannahme. De halb
mit der llaupt-.Aufgabe diese emmer , \l"ie ich sie mir ge teilt könnten andere We ·en andere Grundannahmen machen, z. B.
hatte, im ganzen fertig geworden - die nächsten 6 Jahre ge- vier Dimen. ionen. Deshalb könnten immer nochalldiese An-
hören der .Ausarbeitung eines Schemas an, mit welchem ich meine nahm n falsch sein - oder vielmehr: inwiefern könnte irgend
Philosophie umrissen habe. Es steht gut und hoffnungsvoll da- etwas "an sich wahr" seini' Dies ist der Grund-Unsinn!
mit. Zarathtll tra bat einstweilen nur den ganz persönlichen iun, Sechster Grund atz. E gehört zm· erlangtenMännli hkcit, \
daß er mein ,Erbauungs- und Ermutigungs-Buch' ist - im daß wiT uns nicht über unsre menschliche telJung beh·ügen:
übrigen dunkel und vßl·borgen und lächerUch für jedermann." wir wollen vielmehr unser Maß treng dw·chführ n und das
Fü:r sich selbst notiert er folgende sh·engen Grundansichten: größte Maß von Macht über die Din ge anstreben. Ein-
"Erster Grundsatz . .Alle bisherigen Wertschätzungen ind :ehen, daß die Gefalu· w1geheuer ist: daß der Zufall bisher ge-
ans falschem, vermeintlichem Wissen um die Dinge entsprungen: herrscht hat.
- sie verpflichten nicht mE:>hr, und selbst wenn sie als Gefühl, ie benter Grundsatz. Die Aufgabe der Erdregierung kommt.
in tinktiv (als Gewissen) arbeiten. Und damit die Frage: wie wir die Zukunft der Men chheit
Zw eiter Grundsatz. Allstatt des Glaubens, der uns nicht wollen! - 'eue Werttafeln nötig. Und Kampf gegen die
mehr möglich ist, stellen wir einen starken W i II e n über uns, Vertreter der alten "ewigen" Vi"!3rte als höch te Angelegen-
der eine vorläufige Reihe von Grundschätzungen festhält, als heit!
hem·istische Prinzip: um zu sehen, wie weit man damit kommt. Achter Grundsatz. Aber woher nehmen wir un ern Im- i
GI ich d m Schiffer auf unbekanntem Meere. In Wahrheit war perativ? - ID i. t kein "du sollst", sondern das , ich muß" de I_
auch all jener "Glaube" nichts anderes: nur war ehemals die Übermächtigen, chaffenden."
Zu cht de Geistes zu gering, um unsre großartige Vor - So war der Autor in den Jahren 1884/88, bei einer dw·ch
sicht anhalten zu können. körperliche und geistige Fri ehe ge teigorten Tätigk it, haup 'i b-
Dritter Grundsatz. Die Tapferke it von Kopf und Herz lich mit seinem großen philosophisch- theoreti eben llauptwerk
i. t e , was uns euTopäi ehe Menschen au zeichnet: erworben beschaftigt. Doch fühlte er sei bst, daß dazu noch mancherlei
im Ringen von vielen Meinungen. Größte Ge chmeidigkeit, im Vorbereitung nötig war, ehe die Leser den mfang seiner Phi-
Kampfe mit pitzfindig gewordenen Religionen, und eine herbe lo. ophie verstehen wü:rd n. \Var doch "Also sprach Zarathu t.ra"
trenge, ja Grausamkeit. Vivisektion ist eine Probe: wer sie auf geradez u unbegreiflich Mißver ständnisse ge toßen, , o daß er
ni cht aushält, gehört nicht zu uns (und gewöhn li ch gibt s auch wohl einsah, daß es da~ Wichtigste wäre, zunä hst ein ausfü.h.r-
onst Zeichen, daß er nicht zu uns g hört, z. B. Zöllner) . liche ErkläTung die er in poeti eher Form dargestellten neuen
Vierter rund atz. Die Mathematik enthält B ·chreibungen Probleme zu geben, wozu er viele der inzwischen niedergeschrie-
(Definitionen) und Folgemugen aus Definitionen. Ihre Gegen- benen tudien benutzen konnte. Er begann im FrühjahT 1 85
stände existieren nicht. Die Wahrheit ihrer Folgerungen be- die Zusammen telJung einer solchen hrift, die zu gleicheT Zeit
ruht auf der Richtigkeit des logischen D en.kens. - Wenn die eine .Arl Glossarium für den, Zarathu ha ', sowie die orbereitung
Mathematik angewendet wiTd, so go chieht dasselbe, wie bei den für eine Gesamtdru tellung einer Philosophie ein . o!Jte. Dieser
Zur Einführung XI
e' no ·h ein skepti ehe Prüfen der Fundamente, auf welchen der
Bau seiner Oesamtaru chauung aufgericbt t werd n ollte; jetzt
ab r war der Plan voll. tändig fertig, die Fundamente waren ge-
legt, und das :Mat rial lag zum •reil .-cbon in herrlichen Blöcken
und Bruchstücken zum Aufbau bereit.
Wir finden ine private ufzeichnung meine Brude1 , die
un gefähr den edankengang von "J nsei von Ont und Bö e"
wiedergibt:
"Von einer Vor. te llung des Leben· au ·gebend (das nicht ein
ich-erhal ten-Wollen, ondern ein Wa chsen-Wollen i t), habe ich
einen Blick über die Grundin tinkte unserer 1 olitisohen, geistigen,
gesell obartli cben Bewegung Europas gog \Jen:
1. daß hinter den grund.-ätzlich ten Verschiedenheiten der Plli -
losophi en eine gewisse Gleichheit des Bekenntnisses steht: die
unbewußte Führung durch moralische Tlint era b si cb ten,
deutlicher: dw·ch volkstümliche Id ea l e;- daß folglich dru
moralische Problem radikaler ist als das t>rkenntnistheoreti ehe;
2. daß einmal eine mkohrung des Blickes not tut, um das
V or ur t eil der Moral und aller volkstüm]j chen Ideale an Li ebt
zu bringen: wozu alle Art freier , d. b. unmoralischer Gei ter ge-
braucht werden kann ;
3. daß das Clu·istentum als pleheji ches Ideal, mi t seiner Mo-
ral auf chädigung der stärkeren, höher gearteten, männlicheren
Typen hinau läuft und eine Tierdenart 1\fensch begünstigt : daß es
eine Vorbereitung der demokratischen Denkwei e i. t;
4. daß die Wissenschaft im Bunde mit der Gleichheits -
Bewegung vorwärts geht, - Demokratie ist, daß alle 'l.'ugenden
des Gelehrten die Rangordnung ablohnen;
5. daß das demokrati ehe Europa nm auf eine sublime Züch-
tung der Sklaverei hinan läuft, welche dur c h eine starke
Ra s e kommand ie rt werden muß , um . ich . elb. t zu er-
tragen;
6. daß ine r i. tokratie nur unter hartem, langem Druck ent-
steht (Herrschaft über die Erde)."
Über die Zeit nach der höpfung de "Zaratbu tra", als , J en-
seits von ut und Bö e" en tand tmd über die ·werk selbst
schreibt der Autor im "E ce homo" im Herb t 1 : ,Die Auf-
gabe für di nunmehr folgenden Jahre war so stTeng als möglich
xn Zur Einfilhrung

vorgezei hnet. Nachdem der jasagendeTeil meiner ufgabe ge-


löst war, kam die nein.~agende, neintuende llälfte derselben an
die ReiJlC: die Umwertung der bisherigen Werte elbst, der große
Krieg, - die Heraufbeschwörung eines Tages der Entscheidung.
Hier ist eingerechnet der lang ame Umblick nach Verwandten,
nach solchen, die aus der tärke heraus zum Vernichten mir
d1e Hand bieten würden. -Von da an sind alle meine Schriften
Angelhaken: vielleicht ver tehe ich mich so gut als jemand auf
.Angeln? .... Wenn nicht: sich fing, so.Jiegt die chuld nicht
an mir. Die Fische fehlten .. .."
"Die Buch i tinallem wesentlichen eine Kritik der Mo-
d erni tä t die modernen 'Wissenschaften, die modernen Kün. te,
selb t die moderne Politik nicht ausgeschlossen, nebst Fingerzeigen
zu einem Gegensa -1'ypus, der so wenig modern als möglich ist,
einem vornehmen, einem jasagonden Typus. Im letzteren inne
ist das Buch eine c,hule des Gentilhomme, der Begriff
geistige1· und ra.dikale1· genommen, alSßr je genommen worJen _
ist. l\Ian muß Mut im Leibe haben, ihn auch nur auszu!Jalten,
man muß das Fürchten nicht gelernt hab n . . . . Alle die Dinge,
worauf das Zeitalter . tolz ist, werden als Widerspruch zu diesem
Typus empfunden, als schlechte Manieren beinahe: die berühmte
,Objektivitiit' zum Beispiel, das ,MitgeflUJ l mit allem Leidenden',
der ,historische inn' mit sein r nterwürfigkeit vor fremdem
Geschmack, mit seinem Auf-dem-Bauch-Liegen vor petits faits,
die ,Wi senschaftlicbkeit'. - Erwägt man, daß das Buch nach
dem Zarathustra folgt, so errät man vielleicht auch das diätetische
Regime, dem es seine Entstehung \'Crdankt. Das Auge, verwöhnt
durch eine ungeheul'e Nötigung fern zu sehen - Zaratbustra
ist weitsichtiger noch als der Zar -, wird hier gezwungen, da~
Nächste, die Zeit, das Um-uns scharf zu fassen ."

Die ,Genealogie der lforal" i t im Sommer 1887 in kaum


zwanzig Tagen ent. tauden und zu dem ansgesprochenen Zweck
verfaßt, das Verständnis ,·on ,Jen eits von Gut und Böse' ·an-
zubahnen und zu erweitern. 'i erschiedene Briefe, die der Autor
über die e chl·ift erhalten hatte, ließ n es ihm als notwendig e1·-
• scheinen, ich ansführlieber über die llerk'1lllft der jetzt ben-
sehenden Moral auszusprechen. hne jede Riicksicht auf . ein
VORREDE

Vorausgesetzt, daß die W ahrheit ein W eib ist-, wie?


ist der Verdacht nicht gegründet, daß alle Philosophen,
sofern sie Dogmatiker waren, sich schlecht auf W eiber
verstanden? daß der schauerliche Ernst, die linkische Zu-
dringlichkeit, mit der sie bisher auf die W ahrheit zu-
zugeh en pflegten, ungeschickte und unschickliche Mittel
waren, um gerade ein Frauenzimmer für sich einzu-
nehmen? Gewiß ist, daß sie sich nicht hat einnehmen
lassen: - und jede Art Dogmatik steht heute mit be-
trübter und mutloser Haltung da. W e nn sie überhaupt
noch steht! D enn es gibt Spötter , welche behaupten, sie
sei gefallen, alle Dogmatik liege zu Bod n, mehr noch ,
alle Dogmatik liege in den letzten Zügen. Ernstlich ge-
redet, es gibt gute Gründe zu der Hoffnung, daß alles (
Dogmatisier en in der Philosophie, so feierlich, so end-
und letztgültig es sich auch gebärdet hat, doch nur eine
edle Kinderei und Anfänger ei gewesen sein möge; und
die Zeit ist vielleicht sehr nahe, wo man wi'eder und
wieder begreifen wird, was eigentlich schon ausgereicht
hat, um den Grundstein zu solchen erha benen und u_n -
bedingten Philosophen-Bauwerken abzugeben, welche die
Dogmatiker bisher aufbauten, -irgend ein Volks-Aber-
glaube aus unvordenklicher Zeit (wie der eelon-Aber-
glaube, der als Subjekt- und Ich-Aberg la ube auch heu te
noch nicht aufgehört hat, Unfug zu stiften), irgend ein
Wortspiel vielleicht, eine Verführung von seiten der
Gra=atik her oder eine verweg ne Verallgemeinerung
von sehr engen, sehr persönlichen , sehr men chlich-allzu-
1.
4 Vorrede

menschlichen 'fal achen. Die Philosophie der Dogma-


tiker war hoffenilich nur in Ver prechen über Jahr-
Lausende hinweg: wie es in noch .früherer .Zeit die Astro-
logie war, für deren Dienst vielleicht mehr Arbeit, Geld,
Scharfsinn, Geduld aufgewendet worden ist als bisher
für irgend eine wirkliche Wi ssenschaft: - man verdankt
ihr und ihren "überirdi chen" Ansprüchen in Asien und
.A.gypten den großen lil der Baukunst. Es scheint, daß
alle großen Dinge, um der Mensc hheit sich mit ewigen
Forderungen in das H erz einzuschreiben, erst als unge-
heure und furchteinflößende Fratzen über die Erde hin-
wandeln müssen: eine solche Fratze war die dogmatische
Philosophie, zum Beispiel die Vedanta-Lehre in Asien,
der Platonismus in Europa. Seien wir nicht undankbar
gegen sie, so gewiß es auch zuges tanden werden muß,
daß der schlimmste, langwierigste und gefährlichsie aller
Irrtümer bishex ein Dogmatiker-Irrtum g ewesen ist, näm-
lich Platos Erfindung vom r einen Geiste und vom Guten
a.n sich. Aber nunmehr, wo er überwunden ist. wo Europa
von diesem Alpdrucke aufatmet und zum mindesten eines
gesunderen - Schlafes genießen darf, sind wir, deren
Aufgab e das Wachsein selbst ist, die Erben von all
der Kraft, welche der Kampf gegen diesen Irrtum groß-
gezüchtet hat. Es hieß allerdings die Wahrheit auf den
Kopf stellen und das Perspektivische, die Grund-
bedingung alles Lebens, selber verleugnen, so vom Geiste
und vom Guten zu r eden, wie Plato getan hat; ja man
darf, als Arzt, fragen : "woher eine solche Krankheit am
schönsten Gewächse des Altertums, an Plato? hat ihn
doch der böse Sokrates verdorben? wäre Sokrates doch
der Verderber der Jugend gewesen? und hätte seinen
Schierling verdient?" - Aber der Kampf gegen Plato,
oder um es verständlicher und fürs "Volk" zu sagen, der
Kampf gegen den christlich-kirchlichen Druck von Jahr-
tausenden - denn lu·isientum ist Platonismus fürs
Von den Vorurteil n der Philosophen 9

dazu aus einem Winkel heraus, vielleicht von unten hin-


auf, Froschperspektiven gleichsam, um einen Ausdruck
zu borgen, der den Malern geläufig ist? Bei allem Werte,
der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem elbstlosen
zukommen mag: es wäre möglich, daß dem cheine, dem
Will en zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde
ein für alles Leben höherer und grundsätzlicherer W er t
zugeschrieben werden müßte. Es wäre sogar noch mög-
lich, daß was den W ert jener guten und verehrten
Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mit jenen schlim-
men, scheinbar entgegengesetzten Dinge n auf verfäng-
liche W eise verwandt, verknüpft, verhäkel t, vielleicht
gar wesensgleich zu sein. Vielleicht 1 - Aber wer ist
willens, sich um solche gefährliche Vielleichts zu küm-
mern! Man m~ß dazu schon die Ankunft einer neuen
Gattung von Philosophen abwarten, so lcher, die irgend
· welchen andern, umgekehrten Geschmack und H ang haben
als die bisherigen, - Philosophen des gefährlichen Viel-
leicht in jedem Verstande. - Und allen Ernstes gespro-
chen: ich sehe solche neue Philosophen heraufkommen.

3
Nachdem ich l ange genug den Philosophen zwischen
die Zeilen und auf die Finger gesehn habe, sage i ch mir:
man muß noch den größten Teil des bewußten Denkens
unter die Instinkt-Tätighiten r echn en, und sogar im Falle
des philosophischen Denkens; man muß hier umlernen,
wie man in betreff der Ver erbung und des "Angeborenen"
umgelernt hat. Sowenig der Ak t der Geburt in dem ganzen
Vor- und Fortgange der Vererbung in Betracht kommt:
ebensow enig ist "Bewußt-sein" in irgend einem entsch i-
denden Sinne dem Instinktiven entgegengesetzt, -
das meiste bew ußte Denken eines Philosophen ist durch
seine I nstinkte heimlich geführt und in bes timmte Bahnen
gezwungen. Auch hinter aller Logik und ihrer anschei-
10 Jenseits von Gut und Böso Von den Vorurteilen der Philosophen 11
nenden elbstherrlichkeit der Bewegung stehen Wert- oft und wie leicht si ich vergreifen und verirren, kurz
schätzungen, deutlicher ge prochen, physiologische For- ihre Kinderei und Kindlichkeit, - sondern daß es bei
derungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben. ihnen nicht redlich genug zugeht: während sie allesamt
Zum Beispiel, daß das Bestimmte mehr wert sei als das einen großen und tugendhaften Lärm machen, sobald das
Unbestimmte, der Schein weniger wert als die "Wahr- Problem der Wahrhaftigkeit auch nur von fern angerührt
heit": dergleichen chiitzungen könnten, bei aller ihrer wird. Sie stellen sich sämtlich, als ob sie ihre eigent-
regulativen Wichtigkeit für uns , doch nur Vordergrunds· lichen Meinungen durch die elbstcntwicklung einer kal-
chätzungen sein, eine bestimmte Art von niaiscri c, wie ten, rein en, göttlich unbekümmerten Dialektik entd ckt
sie gerade zur ErhnJtung von W esen, wie wir sind, not und erreicht hätten (zum Unterschiede von den Mystikern
tun mag. Gesetzt nämlich, daß nicht gerade der Mensch jeden Ranges, die ehrlicher als sie und tölpelhafter sind
das "Maß der Dinge" ist ... -diese r eden von "Inspiration"-): während im Grunde
ein vorweggenommener atz, ein Einfall, eine "Eingebung",
4
zumeist ein abstrakt gemachter und durchgesiebter Her-
} ( Die F alschheit eines Urteils ist uns noch kein Ein·
zenswunsch von ilinen mit hin terhe r gesuchten Gründen
wand gegen ein rteil; darin klingt unsre neue Sprache
verteidigt wird: - sie sind allesamt Advokaten, welche
vielleicht am fremdesten. Die Frage ist, wieweit es leben-
es nicht heißen wollen, und zwar zumeist sogar ver·
fördernd, lebcnerhal ten d, arterhaltend, vielleicht gar art-
schmitzte Fürsprecher ih rcr Vorurteile, die sie "Wahr·
züchtend ist; und wir sind grundsätzlich geneigt zu be-
heiten" taufen,- und sehr fern von der Tapferkeit des
haupten, daß die falschestenUrteile (zu denen die synthe-
Gewissens, das sich dies, eben dies eingesteht, sehr fern
tischen Urteile a priori gehören) uns die unentbehrlich-
von dem guten Geschmack der Tapferkeit, welche dies
sten sind, daß ohne ein Gelten lassen der logischen Fik-
auch zu verstehen gibt, sei es um einen Fein-d oder Freund
tionen, ohne ein Messen der Wirklichkeit an der rein
zu warnen, sei es aus Übermut und um ihrer selbst
erfundenen Welt des Unbedingten, ich-selbst-Gleichen,
zu spotten. Die ebenso steife als sittsame Tartüfferie
ohne eine beständige Fälschung der Welt durch die Zahl
des alten Kant, mit der er uns auf die dialektischen
der 1ensch nicht leben könnte, - daß Verzichtleisten
Schleichwege lockt, welche zu seinem "kategorischen Im-
auf fal ehe rteile ein Verzichtlei ten auf Leben, eine
perativ" führen, richtiger verführen - dies chanspiel
Vorneinung des Lebens wäre. Die nwahrheit als L ebens·
macht uns Verwöhnte lächeln, die wir keine kleine Be-
bedingung zugestehn : das heißt Ir ilich auf eine gefähr-
lustigung darin finden, den leinen Tücken alter Mora-
liche Weise den gewohnten Wertgefühlen Widerstand
listen und Moralprediger auf die Finger zu sehn. Oder
leisten; und eine Philosophie, die das wagt, stellt sich
gar jener Hokuspoku von mathema.tischer Form, mit der
dmnit allein schon jenseits von Gut und Böse.
Spinoza seine Philosophie- "die Liebe zu seiner Weis-
5 heit" zuletzt, das Wort richtig und billig ausgelegt -
Was dazu reizt, auf alle I hilosophen halb mißtrauisch, wie in Erz panzerte und maskierte, um damit von vorn-
halb spöttisch zu blicken, ist nicht, daß man wieder und herein den Mut des Angreifenden einzu chüchtern, der auf
wieder dahin terkommt, wie unschuldig sie sind, - wie diese unüberwindliche Jungfrau und Pallas Athene den
12 Jenseits von Gut und Böse Von den Vorurteil n der Philosophen 13
Blick zu werfen wagen würde: - wieviel eigne Schüch- lieh dabei beteiligt sind. Die eigentlichen "Interes n"
ternheit und Angreifbarkeit verrät diese Maskerade eines des Gelehrten li gen deshalb g ewöhnlich ganz wo and •rs,
einsiedlerischen Kranken ! etwa in der Familie oder im Gelderwerb oder in der Poli-
tik ; ja es ist beinahe gleichgültig, ob seine kleine Ma-
6 schine an diese oder jene teile der Wissenschaft gestellt
Allmählich hat sich mir her ausgestellt, was jede große wird, und ob der "hoffnungsvolle" junge Arbeiter aus
Philosophie bisher war: nämlich das elbstbekenntnis sich einen guten Philologen oder Pilzekenner oder Ch!)-
ihres Urhebers und eine Art ungewollter und unvcr· miker macht: - es bezeichnet ihn nicht, daß er dies
merkter memoires; in sgleichen, daß die moralischen (oder oder jenes wird. Umgekehrt ist an dem Philosophen ganz
unmoralischen) Absichten in jeder Philosophie den eigen t- und gar nichts Unpersönliches; und insbesondere g ibt
lichen Lebenskeim ausmachten, aus dem jedesmal die seine 1oral ein entschiedenes und entscheidendes Zeugnis
ganze Pflanze gewachsen ist. In der Tat, man tut gut dafür ab, we r er ist - das heißt, in welcher Rang-
(und klug), zur Erklärung davon, wie eigentlich die ordnung die inners ten Triebe seiner Natur zueinander
entlegensten metaphysischen Behaup tungen eines Philo- gestellt sind.
sophen zustande gekommen sind, sich immer erst zu
fragen: auf welche Moral will es (will er -) hinaus? 7
Ich glaube demgemäß nicht, daß ein ,,'rrieb zur Erkennt- Wie boshaft Philosophen sein können! Ich k enne nichts
nis " der Vater der Philosophie ist, sondern daß sich ein Giftigeres als den Scherz, den sich E~r ~to
andrer Trieb, hier wie sonst, der Erkenntnis (und der und die Platoniker erlaubte: er nannte sie ~ko­
Verkenntnis I) nur wie eines W erkzeugs bedient hat. Wer lakes. Das bedeutet dem Wortlaute nach und im Vorder·
aber die Grundtriebe des Menschen dar aufhin ansieht, ~de "Schmeichler des Dionysios", also Tyrannenzube-
wiew it sie gerade hier als in s pirier ende Genien (oder hör und Speichellecker; zu alledem will es aber noch
Dämon n und Kobolde -) ih.r Spiel getrieben haben sagen, "das sind alles Schauspieler, daran ist nich ts
mögen, wird finden, daß sie alle schon einmal Philosophie Echtes" (denn Dionysokolax war eine populäre Bezeich·
getrieben h aben, - und daß jeder inzelne von ihnen nung des Schauspielers). Und das letztere ist eigentlich
gera,de sich gar zu gern als letzten Z weck des D aseins die Bosheit, wt>lche Epikur gegen Plato abschoß: ihn ver-
und als ber echtig ten Herrn aller übrigen Triebe dar- droß die großartige Manier, das ich-in-Szene-Se zen, wor-
stellen möchte. D enn jeder Trieb ist herrschsüchtig : und auf sich Plato samt seinen Schülern vers ta nd, - worauf
als so l cher versucht er zu philosophier en. - Freilich: sich Epikur nicht verstan d! er, der alte Schulm eister von
bei den Gelehrten , den eigentlich wissen chaftlichen Men- Samos, der in seinem Gärtchen zu Athen versteckt saß
schen, mag es anders stehn - "besser", wenn man will und dreihundert Bücher schrieb, wer weiß? vielleicht aus
- , da mag es wirklich so etwas wie einen Erkenntnis- Wut und Ehrgeiz gegen Plato? - Es brauchte hundert
trieb geben, irgend ein kleines unabhän giges hrwerk, Jahre, bis Griechenland dahinter kam, wer dieser Garten-
welches, gut aufgezogen, tapfer darauflos arbeitet, ohne gott Epikur g ewesen war.- Kam es dahinter? -
daß di gesamten übrigen 'l'riebe des Gelehr ten wesent-
Jenseits von Out und Böse Von den Vorurt ei l en der Phi l osophen 15
mehr anders zu sehn vermögt, - und irgend ein abgründ-
8
licher H ochmut gibt euch zuletzt noch die Tollhäusler-
In jeder Philosophie gibt es einen Punkt, wo die" · ber- Hoffnung ein, daß, weil ihr euch selbst zu tyrannisieren
zeugung" des Philosophen auf die Bühne tritt: oder um versteht - Stoizismus ist clbst-Tyrann ci - , auch die
es m der Sprache eines alten Myste1·iums zu sagen: Natur sich tyrannisieren läßt: ist denn der Stoiker nicht
:lldventavit asinus - ein Stück Natur? ... Ab r dies ist eine alte ewige
puleher et fortis irnus. Geschichte : was sich damals mit den S toikern begab, be-
gibt sich heute noch, sobald nur eine Philosophie an fängt,
9 an sic.h selbst zu gla uben. ie schafft immer die W elt
"Gemäß der Na tur" wollt ihr leben? 0 ihr edlen nach ihrem Bilde, sie k ann nicht anders; Philosophie ist
toiker, welche Betrüger ei der Worte I Denkt euch ein dieser tyrannische Trieb sel bst, der geistigste Wille znr
W esen, wie es die Natur ist, verschwenderisch ohne Maß, Macht, zur "Schaff ung der W elt", zur causa prima.
gleichgültig ohne Maß, ohne Absichten und Rücksichten,
10
ohne Erbarmen und Gerechtigkeit, fruchtbar und öde und
ungcwiß zugleich, denkt euch die Indifferenz selbst als Der Eifer und die F einheit, ich möchte sogar sagen:
Macht - wie könntet ihr gemäß dieser Indifferenz Schlauheit, mit denen man heute überall in Europa dem
leben? Leben - ist das nicht gerade ein Anders-sein- Probleme "von der wirklichen und der scheinbaren Wel t"
wollen, als diese Natur ist? I st L eben nicht Abschä tzen auf den Leib rückt, gibt zu denken und zu horchen; und
Vorzichn, Ungerecht-sein, Begrenzt-sein, Different-sein: wer hier i!ll Hintergrunde n ur einen "Willen zur Wahr-
wollen? Un d gesetzt, euer Imperativ "gemäß der atur heit" und nichts weiter hört, erfreut sich gewiß nicht
leben" bedeutet im Grunde soviel als "gemäß dem Leb n der schärfsten Ohren. In einzelnen und seltn en F ällen
leben"- wie könntet ihr's denn nicht? Wozu ein Prin- mag wirklich ein solcher Wille zur W ahrheit, irgend
zip aus dem machen, was ihr selbst seid und sein müßt? ein ausschweifender und abenteuernder Mut, ein Meta-
- In Wahrheit steh t es gan z anders: indem ihr entzückt physiker-Ehrgei z des verlernen P ostens dabei beteiligt
den Kanon eures Gesetzes aus der Natur zu lesen vor- sein, der zuletzt eine Handvoll "Gewill heit" immer noch
gebt, wollt ihr etwas Umgekehrtcs, ihr wunderlichen einem ganzen W agcn voll schöner Möglichkeiten vor-
Schauspieler und Selbst-Betrüger! Euer Stolz will der zieht; es mag sogar puritanische Fanatiker des Gewissens
atur, sogar der Natur, eure Moral, euer Ideal vor- geben, welche lieber noch sich a uf ein sicher es ich ts als
schreiben und einverleiben, ihr verlangt, daß sie "der auf ein ungewis ·es Etwas - sterben legen. Aber dies is t
toa gemäß" atur sei, und möchtet alles Dasein nur Nihilismus und Anzeichen ein er verzweifelnden sterbcns-
nach eurem eignen Bilde dasein machen - als ein e un- müdcn Seele : wie tapfer auch die Gebärden einer solchen
geheure ewige Verherrlichung und Verallgemeinerung des Tugend sich ausnehmen mögen. Bei den stärker en, lebens-
toizismus! Mit aller eurer Liebe zur Wahrheit zwingt volleren, nach Leben noch dur ·tigen D enkern scheint es
ihr euch so lange, so beharrlich, so hypnotisch-starr, di aber anders zu steh n: indem sie Partei geg en d n
atur falsch, nämlich stoi eh zu sehn, bis ihr sie nich t Schei n nehmen und das W or t "perspektivisch" bereits
16 Jenseits von Gut und Bös e
---
mit Hochmut ausspr chen, indem sie die Glaubw-ürdig-
keit ihres eignen Leibes ungefähr so gering anschlagen
wie die GlaubwürdigkeiL des Augenscheins, welche r sagt
"die Erde steht still", u nd dermaßen anscheinend gut-
gelaunt den sichersten B sitz aus den IIänden la sen
(denn was glaubt man jetz t sicherer als seinen Leib?) -
wer weiß, ob sie nicht im Grunde etwa.s zurückerobern
wollen, da.s man ehemals noch sicherer besessen hat,
irgend ctwa.s vom alten Grundbesitz des Glaubens von
ehedem, vielleicht " die u nsterbliche Seele", vielleich t "den
alten Gott", kurz Ideen, auf welch en sich bes. er, nämlich
kräftiger und heiterer l eben ließ als auf den "modernen
Ideen" ? Es ist Mißtrauen gegen diese modernen Ideen
darin, es ist Unglauben an alles das, was gestern und
heute gebaut worden ist; es ist vielleicht ein leich ter
überdruß und Hohn eingemischt, der da.s bric-a-brn.c von
Begriffen verschiedenster Abkunft ni cht mehr aushält,
als welches sich heute der sogenannte Positivismu s auf
den Markt bringt, ein Ekel des verwöhnteren Geschmacks
vor der Jahrmarkts-Buntheit und Lappenhaftigkei t aller
dieser Wirklichkei ts-Phi losopha.ster, an denen nichls neu
und echt ist als diese Buntheit. Man soll darin, wie mich
dünkt, di esen skeptischen Anti- Wirklichen und Erkennt-
nis-Mikroskopikern von heute recht geben: ihr I nstinkt,
welcher sie aus der modernen Wirklichkeit hinweg-
treibt, ist unwiderlegt, - was g ehen uns ihre rück-
läufigen Schleichwege an I D as W esentliche an ihn en
ist nicht, daß sie "zurück" wollen: sondern, daß sie -
weg wollen. Etwas Kraft, Fl ug, Mut, Künstlerschaft
mehr: und sie würdc.n hinaus wollen, - und nich t
zurück! -

I I

Es scheint mir, daß man jetzt überall bemüht ist, von


dem eigentlichen Einflusse, den Kaut auf die de utsche
Jense i s v on G ut u n d ßösc Von den V orurte il en der Philosophen 1\J
1
sch auung und kam ua mi t den her zlichsten Gel üs te n seiu 'r hoffe, ihr Anrecht auf 'ä.ns fUßcl1cn? - in gauz .Europu.
im Grunde fr ommgel üsteten Deutschen en tgegen. Man ausgeübt hat, so zweifle man nich t, daß eine gewi so
kann dieser ganzen überm ü tigen und schwär merischen virtus dormitiva dabe i beteiligt war : man wa r· entzück t,
Bewegung, welche Jugend war , so kühn sie sich a uch in unter edlen :M üßiggäng rn, T ugenclhaflen, Mystikern,
g raue und g reisenhaf te Begriffe verkleidete, gar nichL Künstlern, Dreiviertels- 'hri sten u nd pol iti sche n Dunkd-
mehr Unrecht tun, als wenn man sie ernst nimmt und männern aller ationcn, dank der deu tschen Philosophie,
gar etwa mit mor alischer Entrü stung behandelt; genug, ein Gegengift gegen den noch übermäc htigen ensualis-
man wurde älter , - der Traum verflog. Es k am eine mus zu haben, der vom vorig en J uhrhundert in dieses
Zeit, wo man sich die Stirne rieb: man r eibt sie sich heule hinübersirömte, kurz - " ensus assoupire" .. .
noch. Man ha lt e geirä umt: voran und zuer st - der alte
.r ant. "Vermöge eines Vermögens" - h alte er gesagt, 12

mindestens gemeint. Aber is l denn das - ein Antwort ? Was die materialistische Atomis tik betr ifft : so g hörl
Eine Erkl ärung ? Oder nicht vielmehr nur eine Wieder- dieselbe zu den bestwiderlegt n Dingen, die es g ibt; und
holung der Frage ? Wie macht doch das Opium schlafen ? vielleicht ist heute in Europa niemand un ter den Ge-
"Vermöge eines Vermögen.s" , n ämlich der virtus dorrni- lehrten mehr so ungelehrt, ihr außer zum bequ men
tiva - antwortet jener Arzt bei Moliere Hand- und H ausgehrauch (nämlich als einer Abkürz ung
der Ausdrucksmit lel) noch ein e ernstliche Bedeutung zu-
quia est in eo virlus dormitiva,
zumessen - dank vorers t jenem JJ almaiiner Boscov.ich
cujus esl natura sensus assoupire.
der, mitsamt dem Polen K opcrnikus, bi her der größte
Aber dergleichen Antworten gehören in die Komödi , und siegreichste Gegn er des Augenscheins war. W ährend
und es ist endlich an der Zeit, die Kanlische Frage, "wie näilich Kopernikus uns ü berredet ha t zu g lauben, wider
sind synthetische . rteile a p riori möglich?" durch eine alle Sinne, da.ß die Erde ni c h l .fes t steh t, lehrte Boscovich
andre Frage zu er etzcn: ,;warum ist der Glaube an solche demGlauben an das Letzi.e, was von der E r·de "fe tstand",
rteile nötig?''- nämlich zu begreifen , daß zum Zweck abschwören, dem Glauben an den " laff", an die " f a-
der Erhaltung von W esen unsrer Art solche rleile als terie", an das E rdenres t- und Klümpch en-Atom: es war
wahr g egl a ubt werden müssen; weshalb sie natürlich der größte Triumph über die Sinne, der bisher auf Erden
noch falsche Urteile sein k önnten! Oder, deutlicher errungen worden ist. - fanmuß aber noch weiter g ehn
geredet und grob und gründlich: synthetische rleile und auch dem " atomistischen Bedürfnisse", das imm er
a priori sollten gar nicht "möglich sein" : wir haben kein noch ein gef ährliches achleben führt, auf ebieten, wo
Recht auf sie, in unserm Munde sind es lauter falsche · r - es niemand ahnl, gleich jenem berühmteren "metaphysi-
teile. Nur ist allerdings der Gl aube an ihre Wahrheit schen Bedürfnisse", - den Krieg erklären, einen scho-
nötig, als ein Vordergrund -Glaube und Augenschein , der nungslosen Krieg aufs Messer: - man muß zun ächst
in die Perspektiven-Op tik des Lebens gehört. - Um zu- auch jener andcrn und verhängnisvolleren Atomistik den
letzt noch der ungeheuren Wirkung zu gedenken, welche Garaus machen, welche das hristentum am bes ten und
"die deutsche Philosophie" - man versteht, wie ich )ängsten gelehrt hat, der ee l e n-A to mi s tik. :Mit
2.
,J s i t s v o 11 G 11 t u n !I ß ö s e
Von den Vorurteilen der Philosophen 21
20 11
- -- -
u.ioscm \\'ort sei es rlaubt, jenen Ulauben zu bezeichnen,
der dio eele als etwas nvertilgbares, Ewiges, nteil-
bar s, als eine Monade, als ein Atomon nimmt: diesen Es dämmert jetzt vielleicht in fünf, sechs l öpfen, daß (
Glauben soll man aus der Wi sen chart hinausschaffen! Physik auch nur eine WeH-Au legu.ng und Zurecht-
Es i ·t, unter uns gesagt, ganz und gar nichL nötig, "die legung (nach uns! mit Verlaub gesagt) und nicht eine
'e le" selbst dabei loszuwcrd n und auf eine der ältesten W clt-Erklärnng ist: aber, insofern sie sich auf den Glau
und luwürd.igsten Ilypothcs n Verzicht zu leisten: wie ben an die Sinne stellt, gilt sie al mehr und muß auf I
es dem ngcschick der Naturalisten zu begegnen pflegt, lange hinaus noch als mehr, nämlich als Erklärung gel-
welche, kaum daß sie an "die cele" rühren, sie auch ten. Sie hat Augen und l!'inger für sich, sie hat den
verlieren. Aber der \Veg zu neuen Fassungen und Ver- Augenschein und die IIandgreiflrchkeit für sich: das
feinerungen der eelen-liypoth st ht offen: und Be- wirkt auf ein Zeitalter mit plebej i. ehern Grundge chmack
griffe wie "sterblich eelc" und " eele als ubj ckts- bezaubernd, überredend, überzeugend, - es folgt ja
Vielheit" und " eele als Gesellschaftsbau der Triebe und instinktiv dem Wahrheits-Kanon des ewig volkstümlichen
Affekte" wollen fürderhin in der Wissenschaft Bürger - Sensualismus. Was ist klar, was "erklärt"? Erst das,
r echt haben. Indem der neue P ycholog dem Aberglauben was sich sehen und tasten l iißt, - bis so weit muß man
ein Ende bereitet, der bisher um die Seel en-Vorstellung jedes Problem treiben. Umgekehrt: genau im Wider-
mit einer fast tropischen Üppigkeit wucherte, hat er sich streben gegen die Sinnenfälligkeit bestand der Zauber
freilich selbst gleichsam in eine neue öde und ein neues der platonischen Denkweise, welche eine vornehme D nk-
Mißtrauen hinaus gestoßen- es mag sein, daß die älteren weise war, - vielleicht unter Menschen, die sich sogar
Psychologen es bequemer und lustiger hatten - : zuletzt stärkerer und anspruchsvollerer Sinne erfr euten, als unsre
a.ber weiß er ich eben damit a.uch zum Erfinden ~er­ Zeitgenossen sie haben, aber welche ein en höheren 1'rium ph
urteilt - und, wer weiß? vi lleicht zum Finden. - darin zu finden wußten, über diese Sinne Herr zu blei-
ben: und dies mitte1st blasser, kalter, grauer Begriffs-
13 Netze, die sie über clen bunten Sinnen-Wirbel - den
Die Phy iologen sollten sich besinnen, den elbslerhal- Sinnen-Pöbel, wie Plato sagte - warfen. Es war eine
tungstrieb als lcardinalen 'rrieb eines organischen W esens andre Art Genuß in dieser W elt-Überwältig ung und
anzusetzen. Vor allem will etwas Lebendiges seine Kraft Welt-Auslegung nach der Manier des Plato, als der es ist,
a u slassen- Leben selbst ist Wille zur Macht-: die welchen uns die Physiker von heu tc an bieten, insgleichen
elbsterhaltung ist nur eine der indirekten und häufig- die Darwin~sten und Antitelco logen unter den physiologi-
sten Fo l gen davon. -Kurz, hier wie überall, Vorsicht schen Arbe1tern, mit ihrem Prinzip der "kleinstmöglichen
vor überflüssigen -teleologischen Prinzipien I - wie ein Kraft" und der größtmöglichen Dummheit. "Wo der
solches der Selb terhaltungstrieb ist (man dankt ihn der Mensch nichts mehr zu ehen und zu greifen hat, da hat
Inkonsequenz pinozas -). o nämlich gebietet es die er auch nichts mehr zu suchen" - das ist freilich ein
Methode, die wesentlich Prinzipien- pa.rsamkeit s in andrer Imperativ als der Platonische, welcher aber doch
für ein derbes arbeitsames Geschlecht von 1aschinisten
muß.
22 Jenseits von Gut und Böse

und Brückenbaue1·n der Zukunft, die lauter grobe


Arbeit abzut un haben, gerade der rechte Imperativ
sein mag.
15
Um Physiologie mit gutem Gewissen zu treiben, muß
man darauf halten, daß die Sinnesorgane nicht Erschei-
nungen sind im Sinne der idealistischen Philosophie : als
solche könnten sie ja keine Ursu.chen sein! Sensualismus
mindestens somit als regulative HypothPse, um nicht zu
sagen als heuristisches Prinzip. - Wie? und andre sagen
gar, die Außenwelt wäre das W erk unsrer Organ e? Aber
dann wäre ja unser Leib, als ein iüek dieser Außenwelt,
das W erk unsrer Organe I Aber dann wären ja unsre
Organe selbst - das Werk unsrer Organe I Dies ist, wie
mir scheint, eine gründliche r eduetio ad absurdum: ge-
setzt, daß der Begriff causa sui etwas gründlich Ab-
sm·des ist. Folglich ist die Außenwelt nicht das Werk
unsrer Organe -?
16
Es gibt immer noch harmlose Selbst-Beobachter, welche
glauben, daß es "unmittelbare Gcwißheiten" g ebe, zum
Beispiel "ich denke", oder, wie es der Aberglaube Scho-
pcnhauers war, "ich will": gleichsam als ob hier das Er-
kennen rein und nackt seinen Gegenstand zu fassen be-
käme, als "Ding an sich", und weder von seiten des
ubjekts noch von seiten des Objekts eine Fälschung
stattfände. Daß aber "unmittelbare Gewißheit", ebenso
wie "absoluLc.Erkenntnis" und "Ding an sich", eine con-
tradictio in adjecto in sich schließt, werde ich hundert-
mal wiederholen: man sollte sich doch endlich von der
Verführung der Worte losmachen I Mag das Volk glau-
ben, daß Erkennen ein zu Endc-I ennen sei, der Philo-
soph muß sich sagen: wenn ich den Vorgang zerlege, der
in dem atz "ich denke" ausgedrückt ist, so bekomme ich
24 ,Jenseits von Gut und Böse Von den V orurteilen der Philosophen 25
17 penhauer gab zu verstehn, der Wille allein sei un eigent-
W as den herglauben d<>r Logiker betrifl't: so will ich lich bekannt, ganz und gar b kannt, ohne Abzug und
nicht müde werden, eine kleinr ku rze 'l'atsaehe immer Zutat bekannt. Aber s dünkt mich immer wieder, daß
wieder zu unter treiehcn, welche von dif•sen Aborgltiubi- chopenhauer auch in diesem Falle nur getan hat, was
sehen ungern zugestanden wird, - nämlich, daß in Ge- P hilosophen eben zu tun p.fleg n: daß er ein Volks-
danke kommt, wenn "er" will, und nicht wenn "ich " Voru rteil übernommen und übertrieben h at. W oll n
will; so daß es eine l~'älschung des 'l 'atb stau des ist zu scheint mir vor allem etwas Kompliziertes, etwas,
sagen: das Su bj kt "ich" ist die Bedingung d s Prädikats das nur als Wort eine Einheit ist,- und eben im Einen
"denke". Es denkt : aber daß dies "es" gerade jenes alLe Worte steckt das Volks-Vorurteil, das über die allz it
b rühmte "I ch" sei, ist, milde ger det, nur eine Annahme, nur geringe Vorsicht der Philosophen H err geworden ist.
eine Behauptung, vor allem keine "unmittelbar e Gewiß- Seien wir also einmal vorsichtiger, seien wir " unphilo-
heit". Zuletzt ist schon mit diesem "es denkt" zu viel sophisch" -,sagen wir: in jedem Wollen ist er stens eine
getan: schon dies "es" enthält eine Ausl eg ung des Vor- Mehrheit von Gefühlen, ni.Lmlich das Gefühl des Zu-
gangs und gehört nicht zum Vorgange elb t. Man schließt standes, von dem weg, das Gefü hl des Zustandes, zu dem
hier nach der grammatischen Gewo hnheit "Denken ist hin, das Gefühl von diesem "weg" und "hin" selbst, dann
eine Ti.Ltigkeit, zu jeder Tätigkeit g hört ein er, der tätig noch ein begleitendes Muskelgefühl, welches, auch ohne
ist, folglic h -"- Ungefähr nach dem gleichen chema daß wir "Arme und Beine" in Beweg ung se tzen, durch
suchte die ältere Atomistik zu der "Kraft", die wirkt, eine Art Gewohnheit, sobald wir "wollen ", sein Spiel be-
noch jenes Klümpchen Materie, worin sie sitzt, aus der ginnt. Wie al o Fühlen, und zwar vielerlei Fühlen als
heraus sie wirk t, das Atom; strenger e K öpfe ler nten end- Ingredienz des Willens anzuerkennen ist, s~ zweitens
lich ohne diesen "Erdenrest" auskommen, und viell icht auch noch Denken: in 'edem Willensakte gibt es inen
gewöhnt man sich eines Tages noch daran, auch seitens kommandierenden Gedanken ; - und -man soll ja nicht
der Logiker ohne jenes kleine "es" (zu dem sich das ehr- glauben, diesen Gedanken von dem "\Vollen" abscheiden
liche alte Ich verflüchtigt h at) auszukommen. zu können, wie als ob dann noch Wille übrig bliebe! Drit-
!8 tens ist der Wille nicht nur ein Komplex von Fühlen und
Denken, sondern vor allem noch ein Affekt: und zwar
An ein er Theorie ist es wahrhaftig nicht ihr geringster
jener Affekt des Kommandos. Das, was "Freiheit des
Reiz, daß sie widerlegbar ist: gerade damit zieht sie
Willens" genann t wird, ist wesenl.lich der Überlegenheits-
fein ere Köpfe an. Es scheint, daß die hundertfach wider -
Affekt in Hinsicht auf' d n, der gehorchen muß: "ich
legte T heorie vom "freien Wi llen" ihre Fortdauer nur
bin frei, ,er' muß gehorchen " - dies Bjlwußtsein steckt
noch diesem Reize verdankt - : immer wieder kommt
in jedem Willen, und ebenso jene pannung der Aufm erk-
jemand und fühlt sich stark genug, sie zu widerl egen.
samkeit, jener gerade Blick, der ausschließlich eins fixiert
19 jene unbedingte Wertschii.tzung "jetzt tut dies und nich t~
Die Philosophen pflegen vom Willen zu r eden, wie als andres not", jene inner cwißheit darüber, du.ß gehorcht
ob er die bekannteste ache von der W elt sei; ja Scho- werden wird, und was alles noch zum Zu tande des Be-
26 ,Jens e its von Gut und B ö se V o n de n V o r u rt e il e n d e r Ph i l osophe n 27
fehlenden gehört. Ein f ensch, der will - , befiehlt schaftsbau vieler eelr n - zu seint>m Lustgefühle al Be
einem Etwas in sich, das gehorcht od r von dem er glaubt, fehlender hinzu. L' effet c'cst moi: es begibt h hier ,
daß es gehorcht. Nun aber beachte man, was das Wun- was sich in jedem gut gebauten und g lücklichen Gemein-
derlichste am Willen ist, - an diesem so vielfachen wesen begibt, daß die r egicr nd Kla se sich mit den Er-
Dinge, für welches das Volk nur Ein Wort hat: insofern folgen des Gemeinwesen iden tifiziert. Bei allem Wollen
wir im gegebenen Falle zugleich die Befehlenden und handelt es sich schlechterdings um Befehlen und Ge-
Gehorchenden sind, und als Gehorchende die Gefühl e des horchen auf der Grundl age, wie g esagt, eines Gesell-
Zwingens, Drängens, Drückens, Widerstehens, Bewegens schaftsbaues vieler "Seelen" ; weshalb ein Philosoph sich
kennen, .;;.,elche sofort nach d m Akte des Willens zu be- das Recht nehmen sollte, W ollen an sich schon un t r den
ginnen pflegen; insofern wir andrerseits die Gewohnheit Gesichtskreis der Moral zu .fassen: Mor al nämlich als
hab~n, uns über diese Zweiheit vermöge des synthetischen Lehre von den H errschaH -V rhältnissen verstand en, un-
Begriffs "ich" hinwegzusetzen, hinwegzutäuschen, hat ter denen das Phänom en "L eben" entst eht.
sich an das Wollen noch eine ganze K tLc von irrtümlichen
chlüssen und folglich von falschen Wertschätzungen 20

des Willens selbst angehängt, - dergestalt, daß der Daß die reinzeinen philosophischen Begriffe nichts Be-
Wollende mit gutem Glauben g_laubt, Wollen genüge liebiges, nichts Für· sich-Wachsendes sind, sondern in Be-
zur Aktion. Weil in den allermeisten Fällen nur gewollt ziehung und Verwandtschaft zueinander emporwachsen,
worden ist, wo auch die Wirkung des Befehls, also der daß sie, so plötzlich und willkürlich sie auch in der Ge-
Gehorsam, also die Aktion erwartet werden durfte, so schichte des Denkens anscheinend her austret en, doch eben-
h at sich er Anschein in das Gefühl übersetzt, als ob sogut einem System angehör n, als die sämtlichen Glieder
es da eineN otwendigk cit von Wirkung gäbe ; genug, der Fauna eines Erdteils: das verrät sich zuletzt noch
der Wollende gla"ubt, mit einem ziemlichen Grad von d~J.rin, wie sicher die verschiedensten Philosophen ein g e-
icherheit, daß Wille und Aktion irgendwie ein seien-, wisses Grundschema von mögl i chen Philosophien immer
er rechnet das Gelingen, die Ausführung des W ollcns wieder ausfüllen . Unter einem unsichtbar en Banne laufen
noch dem Willen selbst zu und genießt dabei einen Zu- sie immer von neuem noch einmal dieselbe Kreisbahn:
wachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sie mögen sich noch so unabhängig voneinander mit ihrem
sich bringt. "Freiheit des Willens" - das ist das Wort kritischen oder sys iematischen Willen fühlen: irgend
für jenen vielfachen Lust-Zu tand des Wollenden, derbe- etwas in ihnen führt sie, irgend etwas treibt sie in be-
fiehlt und sich zugleich mit dem Ausführenden als eins stimmter Ordnung hintereinander her, eben jene einge-
setzt, - der als. solcher den 'l'riumph über Widerstände borne Systematik und Verwandtschaft der BegriHe. Ihr
mit genießt, aber bei sich urteilt, sein Wille selbst sei es, Denken ist in der T at viel weni ger ein Entdecken als ein
der eigentlich die Widerstände überwinde. Der Wollende Wiedererkenn en, Wieder erinnern , eine R ück- und Heim-
nimmt dergestalt die Lustgefühle der ausführenden, er- kehr in einen fernen uralten Gcsamt·H a ushalt der eele,
folgreichen Werkzeuge, der dienstbaren "Unterwillcn" aus dem jene Beg riffe ein stmals her ausgewachsen sind :
,od.eJ: .Ai.er- elcn - unser J...~b ist ja nur ein Gesell- - Philosophieren ist insofern eine Art von tavismus
STEVEN;,UN oR f:SAHU COLL ü t
Annandale-on-Hudson N.Y. 12504
2 Jenseits von Gut und Böse 2!)

höchsten R anges. Die wunderliche Fal}lilien-Ä..hnlichkeit selbst aus dem Sumpf de Ticht an den Haar n ins Da-
alles i i chen, griechi chcn, drutschen Philosophierens sein zu ziehn. Ge etzt, jemand kommt dergestalt hint 1'
erklärt sich einfach genug. Gerade, wo prach-Verwandt- die bäurische Einfalt dieses berühmten Begriffs "fn•ier
schaft vorliegt, ist es gar nicht zu vermeiden, daß, dank Wille" und streicht ihn aus einem Kopfe, so bitte ich
der gemeinsamen Philosophie der Grammatik- ich mein ihn nunmehr, seine "Aufklärung" noch UDl einen 'cllritt
dank der un bewußten H errschaft und Führung durch weiterzutreiben und auch die mkchrung jcn s nbe-
gleiche grammatische Funktionon - von vornherein alles rrr·iffs " freier Wille" aus seinem Kopfe zu str ich n: ich
I? .
für eine gleichartige Entwicklung und Reihenfolge der meine den "unfreien Willen", der auf einen Mißbrauch
philosophischen Systeme vorbereitet liegt : ebenso wie zu von Ursache und Wirkung hinausläuft. Man soll nicht
gewissen andern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der "Ursache" und "Wirkung" fehlerhaft verdinglichen,
Weg wie abgesperrt erscheint. Philosophen des ural- wie es die IatuTfor eher tun (und wer gl eich ihnen h ute
altaischen Sprachbereichs (in dem der ubjokt-BogriH am im Denken naturalisiert -) gemäß der h errschenden
schlechtesten entwickelt ist) werden mit großer Wahr- mechanistischen Tölpelei, welch die Ursache drücken
scheinlichkeit anders "in die W cl t" blicken und auf und stoßen läßt, bis sie "wirkt"; man soll sich der "Ur-
andcrn Pfaden zu finden sein als Indogermanen oder sache", der "Wirkung" eben nur als reiner Begriffe
1uselmänner: der Bann bestimmter grammatischer Funk- bedienen, das heißt als konventioneller Fiktionen zum
tionen ist im letzten Grunde d r Bann physiologisch r Zweck der Bezeichnung, der Verständigung, nicht der
W eriurteile und Rasse-Bedingungen. - oviel zur Zu- Erklärung. Im "An-sich" gibt es nichts von "Kausal-Ver-
rückweisung von Lockes Oberflächlichkeit in bezug auf bänden", von· "Notwendigkeit", von "psychologischer n-
die Herkunft der Ideen . freiheit", da. folgtnicht .,die Wirkung auf die rsache",
da regiert kein "Gesetz". Wir sind es, die allein die r-
21
sachen, das Nacheinander, das Füreinander, die R la-
Die ca.usa sui ist der beste elbst- Widerspruch, der tivität, den Zwang, die Z ahl, das Gesetz, die Freiheit,
bisher ausgedacht worden ist, ine Art logischer Not- den Grund, den Zweck erdichtet haben; und wenn wir
zucht und nnatur: aber der ausschweifende tol z des diese Zeichen-Welt als "an sich" in die Dinge hinein-
Menschen hat es dahin gebracht, sich tief und schreck- dichten, hineinmischen, so treiben wir es noch einmal, wie
lich gerade mit diesem Unsinn zu verstricken. Das Ver- wir es immer getrieben haben, nämlich my hologi eh.
langen nach "Freiheit des Willens", in jenem metaphy- Der "unfreie Wille" ist 1ythologie: im wirklichen Leben
sischen uperlati v-Verstande, wie er leider noch immer handelt es sich nur um starken undschwachen 'W ill n.
in den Köpfen der Halb-Unterrichteten herrscht, das Ver- -Es ist fast immer schon ein ymptom davon , wo es bei
langen, die ganze und letzte V crantwortlichkeit für seine ihm selber m:mgelt, wenn ein Denker bereits in aller
Handlungen selbst zu tragen und Go t, 'Velt, Vorfahren, "Kausal-Verknüpfung" und, psychologischen Iotwendig-
Zufall, Gesellschaft davon zu entlasten, i t nämlich nichts keit" etwas von Zwang, Tot, Folgen-Müssen, Druck, n-
Geringeres, als eben jene causa sni zu sein und, mit freiheit herausfühlt: es ist verräterisch, gerade so zu
einer mehr als Münchhausenschen V crwegenheit, sich fühlen, - die Person verrät sich. nd überhaupt wird,
Von den V o rurteilen der Philosophen ;H

nicht wahr? Aber, wie ge agt, da i t Interpretation,


nicht Text; und es kj_!!nte iemand komm n, der, mit d r
entgegengesetzten Absicht und Int rprelation ktmst, au.
der O'leichen Natur und im Hin blick auf die gl ichen Er-~
0
scheinungen, gerade die tyrannisch-rücksichtenlose und
uncrbitUichc Durchsatzung von Machtansprüchen heraus-
zulesen verstünde, - ein Interpret, der die Ausnallms-
losigkeit und nbeding heit in allem "Will n zur Macht"
dermaßen euch vor Augen stellte, da ß fa l jedes \Vort
und selbst das Wort "Tyrannei" schließlich unbrauchbar
oder schon als schwächende und mildernde 1elapher -
als zu menschlich - erschiene; uncl der def!noch damil
endete, das gleiche von dieser Welt zu behaupten, was
ihr behauptet, nämlich daß sie einen "notwendigen" und
"berechenbaren" Verlauf habe, aber nicht, weil Gesetze
in ihr herrschen, sondern weil ab olut dle Gesetze fehlen,
und jede Macht in jedem Augenblicke ihre letzte Konse-
,. quenz zieht. Gesetzt, daß auch dies nur Interpretation
ist - und ihr werdet eifrig genug s in, dies einzuwen-/ •
den? - nun, um so besser. -

23
Die gesamle Psychologie ist bisher an mor alischen Vor-
urteilen und Befürchtungen hängen geblieben : sie hat sich
nicht in die Tiefe gewagt. Dieselbe als Morphologie und
Entwicklungslehre des Will ens zur Macht zu
fass en, wie ich sie fa se - daran hat noch niemand in
seinen Gedank en selbst gestreift: sofern es n1imlich er-
laubt ist, in dem, was bisher geschrieben wurde, ein ym-
ptom von dem, was bisher verschwiegen w11rde, zu er-
kennen. Die Gewalt der morali chen Vorurteile ist tief
in die geistigste, in die anscheinend kälte te und voraus-
setzungsloseste Welt g edrungen - und, wie es sich von
selbst versteht, schädigend, hemmend, blendend, ver-
drehend. E ine eigentliche Phy io-P ychologie hat mit un-
.Jen• its von Gut und Böse

bewußten Wider Hinden im Herz n d s Forschcrs zu


kämpfen, sie hat ,1da Herz " gegen ich: schon ine Lehre
von der gegens itig n Bedingtheit der "guten" und der
"schlimmen" Triebe macht, als feinere Immoralitiit, einem
noch kräftigen und h rzhaften Gewissen Not und übcr-
druß - , noch mehr ine Lehre von der Ableitbarkeil
aller guten Triebe aus den schlimmen. Gesetzt aber,

l jema.nd nimmt gar die Affekte Ilaß, Neid, Habsucht,


Herrschsucht als 1 benbedingende Affekte, als etwas, das
im Gesamt-Hausha lte des Lebens grundsätzlich und
grundw senilich vorhanden sein muß, folglich noch ge-
steigert werden muß, falls das Leben noch gesteigert
werden soll - , der leidet an einer solchen B ichtung
seines rteils wie an einer eekrankheit. nd doch ist
auch diese Hypothese bei weitem nicht die peinlichste
und .fremdeste in diesem ung h ur n , fast noch ncuen
Reiche gefährlicher Erkenntnisse: - und es gibt in der
'rat hund ert gute Gründe dafür, daß jeder von ihm .fern-
bleibt, der es - kann I Andrerseits: ist man einmal mit
einem 'clüffe hierlün ver eh lag n, nun! wohla.n! jetzt
tüchtig die Zähne zusammengebiss en! die Augen aufge-
macht! die Hand fest am teuer! - wir .fahren gerades-
wegs über die Moral weg, wir erdrücken, wir zermalmen
vielleicht dabei unsern eignen Rest Moralität , indem wir
dorthin unsre Fahrt machen und wagen - aber was liegt
an uns I Niemals noch hat sich verwegneu R eisenden und
Abenteurern eine tiefer WeH der Einsicht eröffnet;
und der Psychologe, welcher dergestalt "Opfer bringt"
- es i t nicht das sacrifizio dell' intellctio, im 9-egen-
teill - wird zum mindesten dafür verlangen dürfen, daß
die Psychologie wieder als H errin der Wissenschaften
anerkannt werde, zu deren Dienste und Vorbereitung die
übrigen Wissen chaften da sind. Donn Psycholo<>'ie i i
nunmehr wieder der Weg zu den ntndproblemen.
Der freie Geist 35
werk! Und habt Men chen um euch, di r wie ein Garten
sind, - oder wie Musik über ·wa.ssern, zur Zeit des
Abends, wo der Tag schon zur Erinnerung wird;- wählt
die g ut e Ein a.mkeit, die .freie, mutwillige, leichte Ein-
sa.mkeit, welche euch auch ein Recht gibt, selb t in
irgend einem inn e noch gut zu bleiben! Wie gifti g, wi
listig, wie schlecht macht jeder lange Krieg, der sich
nicht mit offner Gewalt führen läßt! Wie pers ·· nlich
macht eine lange Furcht, ein langes Au genmerk auf
Feinde, auf mögliche F einde! Diese Ausges toßenen der
Gesellschaft, diese Lang-V er folg t en, chlimm-Geh tztcn,
- auch die Zwangs-Einsiedler, die pinozas oder Gior-
dano Brunos - werden zuletzt immer, und sei es unter
der gcistigsten Masker ade, und vielleicht ohne daß sie
selbst e wissen, zu rariiniertcn R achsüchtigen und Gift-
mischern (man grabe doch einmal den Grund der Ethik
und 'l'h eologic p in oza.s auf!) - gar nicht zu r eden von
der Tölpelei der moralischen Entrüstung, welche an einem
Philo ophen das unfehlbare Zeichen dafür ist, daß ihm
der philosophisc4 Humor davonlief . Das Martyrium
des Philosophen, seine "Aufopferung für die Wahrheit"
zwingt ans Licht her aus, was vom Agitator und vom
chauspicler in ihm steckte; und g setzt, daß man ihm
nur mit einer artistischen Neugierde bisher zugeschaut
hat, so k ann in bezug auf manchen Philosopl~en der ge-
fährliche Wunsch fr eilich begreiflich sein, ihn auch ein-
mal in seiner Entartung zu sehn (entartet zum "Mär-
tyrer", ztun Bühnen- und 'l'ribünen- ehr ihals). r ur daß
man sich, mit einem solchen Wunsch e, dar über klar sein
muß, was man jedenfalls dabei zu s hn bekommen wird:
- nur ein atyr picl, nur eine achspiel-Farce, nur den
fortwährenden Beweis dafür, daß die lange eig ntlichc
'Iragödie zu. End e i t: voransgese zt, daß jede Philo-
sophi!il im Ents tehen eine la ng 'Iragödic war. -

3•
36 ~s vo'! Gut und Büse Der freie Gei st 37
sich und ihresgleichen vor Z euge n reden zu müssen:-
20
mitunter wälzen sie sich ogar in Büchern wie auf ihrem
Jeder auserlesene Mensch trachtet instinktiv nach eignen Miste. Cyni m · t die einzige ~orm. in: d r g~­
se~ner 'Burg und Heimlichkeit, wo r von der Menge, den meine SeeJen an das streifen, was R edlichkeit Ist; und
VIelen, den Allermeisten e rl öst ist, wo er die Regel der höhere Mensch hat bei jedem gröberen und feineren
"Mensch" vergessen darf, als deren Ausnahme: - den Cynismus die Ohr~n a ufzumachen und sich jedes~al Glück
ein en Fall ausgenommen, daß er von einem noch stär- zu wünschen, wenn gerade vor ihm der Possenreiß r ohne
k~ren •Instinkte geradeswegs auf diese Regel gestoßen Scham oder der wis enschaftliche Satyr l aut werden.
Wlrd, als Erkenn ender im großen und ausnahmsweisen Es gibt sogar Fälle, wo zum Ekel sich die B ezauberung
_inn~. Wer nicht im Verkehr mit Menschen gelegent- mischt: da ni.Lmlich, wo an einen solchen indiskreten Bock
hch 1n allen Farben der Not, grün und grau vor Ekel, und Affen, durch eine Laune der Natur, das Genie ge-
Überdruß, Mitgefühl, Verdüsterung, Ver einsamung schil- bunden ist, wie bei dem Abbe Galiani , dem tiefs ten,
lert, der ist gewiß kein Mensch höher en Geschmacks; ge- scharfsichtigsten und vielleicht auch schmutzigsten Men-
setzt aber, er nimmt alle diese Last und Unlust nicht schen seines Jahrhunderts - r war viel tiefer als Vol-
freiwillig auf sich, er weicht ih.r immerdar aus und taire und folglich auch ein gut Teil schweigsamer. Iläu-
bleibt, wie gesagt, still und stolz auf seiner Burg ver- fio-er schon geschieht es , daß, wie angedeutet, der wissen-
steckt, nun , so ist eins gewiß : er ist zur Erkenntnis nicht schaftliche Kopf auf einen Affenlcib, ein feiner Aus-
gemacht, nicht vorherbestimmt. Denn als solcher würde nahme-V erstand auf eine gemeine Seele gesetzt ist, -
er eines Tages sich sagen müssen "ho le der Teufel meinen unter Ärzten und Moral-Physiologen namentlich kein
guten Geschmack I aber die R eg el ist interessanter als die seltenes Vorkommnis. Und wo nu r einer ohne Erbitterung,
Ausnahme, - als ich, die Ausnahme!" - und würde vielmehr harmlos vom fenschen r edet als von einem
sich hinab begeben, vor allem "hinein". Das Studium Bauche mit zweierlei Bedürfnissen und einem Kopfe mit
des durchschnittlichen Menschen, lang, er nsthaft und einem; überall wo jeman d immer nur Hunger, Ge-
zu diesem Zwecke viel Verkleidung, elbstüberwiodung, schlechts-Begierde und Eitelkeit sieht, sucht und sehn
Vertrauli9hkei t, schlechter mga ng - jeder mgang i t will, als seien es die eigentlichen und einzigen Trieb-
schlechter mgang außer dem mit seinesgleichen - : das federn der menschlichen Handlungen; kurz, wo man
ma~ht ein notwendiges Stück der L ebensgeschichte jedes schlecht" vom Menschen r edet - und nicht einmal
~Julosophen aus, vielleicht das u nangenehmste, übel- ~ch l imm - ,da soll der Liebhaber der Erkenn tnis fein
nechendsLe, an Enttäuschungen r eichste tück. H a t er und fleißig hinhorchen, er soll seine Ohren überhaupt
aber Glück, wie es einem Glückskiode de r E r kenntnis dort haben, wo ohne Entrü stung geredet wird. Denn der
geziemt, so begegnet er eigentlichen Abkürzern und Er- entrüstete Mensch, und wer immer mit se inen eig nen
leichterern sein er Aufgabe, - ich mein e sogenannten Zähnen sich selbst (oder zum Er atz daf ür, die W elt,
Cynikcrn, also solchen, welche das 'l'ier, die Gemeinheit oder Gott, oder die Gesellschaft) zerreißt und zerfleischt,
die "Regel" an sich einfach anerkennen und dabei noch mag zwar, moralisch gerechnet, höher stehn als der
jenen Grad von Gei tigkeit und Kitzel haben, um über lachende und selbstzufriedne atyr,in jedem anderen inn
Der freie Geist 41
Philo ophen untcr~rhied, bei Indern, wie bei Griechen,
Persern und Muselmännern, kurz überall, wo man eine
Rangordnung undnicht an Gleichheit und gleiche R echi
glaubte, - das hebt sich nicht sowohl dadurch vonein-
ander ab, daß der Exoteriker draußen steht und von
außen her, nichi von innen her, sieht, schätzt, mißt, ur-
ieili: das W e enllic herc ist, daß er von unien hinauf- die
Dinge sieht, - der Esoteriker aber von ob e n h erab !
Es gibt H öhen der eelc, von wo aus gesehn selbst die
Tragödie aufhört, tragisch zu wirk n; und, alles W eh
der W eli in eins genommen, wer dürfte zu entscheiden
wagen ob sein Anbli ck n otwen dig gerade zum Mit-
leiden und dergestalt zur Verdopplung des W ehs ver-
fü hren und zwingen werde? ... W a.s der höhern Art von
Menschen zur Iahrung oder zum Labsal dient, muß einer
sehr un tcrschiedlichcn und geringern Art beinahe Gift
sein. Die Tugenden des gemeinen Mann würden viel-
leicht an einem Philosophen L as ter und Schwächen be-
deuten; es wäre mög lich, daß ein hochgearteter Mensch ,
gese tzt, daß er entartete und zugrunde ginge, erst da-
durch in den Be itz von Eigenschaften käme, der entwegen
man nötig hätte, ihn in der niedern Welt, in welche er
hinabsank, nunmehr wie einen H ei ligen zu verehren. Es
gibt Bü cher, welche für ecle u nd Gesundheit einen um-
gekehrten W ert haben, je nachd m die niedere eele, clie
niedrigere L ebenskraft oder aber die höhere und gewal-
tigere sich ihrer beclienen: im ersten Falle sind e ge-
fä hrli che, anbröckelode, auflö ende Bü cher , im andern
Herol d rufe, welche die T apfer sten zu ihr r Tapferkeit
her ausfordern. llerwelts-Büche{ sind immer übel-
riechende Bücher : der Kleine-Leu te- Geruch klebt daran.
Wo das Volk ißt und trinkt, selbst wo es verehrt, da
pflegt es zu stinken. Man soll nicht in Kirchen g eho,
wenn man r eine Luft atmen will. - -
-!2 Jenseits von Gut uud Bös Der fr eie Geist l3
) I ab geleilet: die Handlung an sich kam dab i bensowcn~g
Man verehrt und veracht t in jungen J ahren noch ohne n.ls ihre H erkunft in Betracht, sondern ungefähr so, w1e
jene Kunst der nuance, welche den besten Gewinn des heute noch in hina eine Auszeichnung oder chande vom
Lebens ausmacht, und muß es billig rweise hart büßen, Kinde auf die EHern zurückgreift, so war es die rück-
Solchergestalt Menschen und Ding mil ja und nein üb r- wirkende Kraft des Erfolgs oder Mißerfolgs, welche d n
h llen zu hab n. E ist alles darauf eingerichtet, daß der Menschen anleitete, g ut oder schlecht von einer H and-
schlechte te aller Geschmäcker, der •schmack für das lung zu denken. Nennen wir diese Periode die vor-
nbcdingte, grau am genarrt und gernißbraucht werde, moralische P eriode der Menschheit: der Imperativ "er-
bis der Mensch lernt, etwas Kunst in seine Gefühl e zu kenne dich selbs t!" war damals noch unbekannt. In
legen und lieber noch mit d m Künstlichen den Versuch den letzten zehn Jahrtausenden ist man hingegen auf
zu wagen: wie es die rechten Artisten des Lebens tun. einigen großen Flächen der Erde Schritt für chritt so
Das Zornige und Ehrfürchtige, das der Jugend eig net, weit gekommen , nicht mehr die F olgen, ond rn die IIcr-
scheint sich keine Ruhe zu geben, bevor es nieh t :l:en- kunft der Handlun "' über ihren \Vcr t cnt chciden zu
chen und Dinge so zurechtgefälscht hat, daß es sich an lassen: ein großes Ereignis als Ganzes, eine rhobliche
ihnen auslassen kann:- Ju gend ist an sich schon etwas Verfeinerung des Blickes und Maßstabes, die unb wußte
Fälschendes und Betrügerisches. piilcr, w nn die junge achwirkung von der H errschaft aristokratischer Werte
Seele, durch lauter Enttäuschung n g martert, sich nd- und des Glaubens an "Herkunft", das Abzeichen einer
li h ~trgwöhni sc h g gen si h sclb t zurückwendet, immer Periode, welche man im engern inne als die moralisch e
noch heiß und wild, auch in ihrem Argwohne und Gc- bezeichnen darf: der erste V ersuch zur Sel bst-Erkenntnis
wÜ;sensbis c : wie zürnt ie sich nunm hr, wie zerr •iß t ist damit gemacht. Statt der Folgen die H erkunft: welche
sie sich ungeduldig, wie nimmt sie Rache für ihre lange mkchrung der Perspektive I Und sicherlich eine erst
Selbst-Verblendun g, wie als ob sie eine willkürliche nach langen K ämpfen und chwankungen erreichte m-
Blindheit gewesen sei! In diesem 'üb rgange bestraft kehrung! Freilich: ein v rhängni voller neuer Aber -
man sich sel ber durch Mißtrauen gegen sein Gefühl; gl aube, eine eigentümliche Engigkeit der Interpretation
man foltert seine Begeisterung durch den Zw eifel, ja kam eben damit zur Herr chaft : man interpretierte die
man fühlt schon das gute Gewissen a ls eine Gefahr, Herkunft einer Handlung im allerbestimm tes ten 1nne
gleichsam als elbst-Verschleierung und Ermüdung der als Herkunft aus einer_ Ab s icht, man wurde eins im
feineren R edlichkeit; und vor allem, man nimmt P art i, Glauben daran, daß der W ert einer Handlung im W ert
g rund ätzlieh P artei gegen " di Jugend" . -Ein J ahr- ihrer Absicht elegen sei. Die bsicht als die ganze H er- 1
z hnt später: und man begreift, daß auch dies alle noch kunft und Vorgeschichte einer Handlung: unter diesem '
- Jugend war! Vorurteile i t fast bis auf die neuste Zeit auf Erden
32 morali eh gelobt, g tadelt, gerichtet, auch philosophiert
Die längs te Zeit der men chlichcn 'eschichte hin- worden. - olltcn wü' aber heute nicht bei der otwcn-
durch - man nennt sie die prähistorische Zei t - wurde digkeit angelang sein, uns nochmals ü be r eine m-
der ·w ert oder nwert ein er Handlung aus ihren Folgen kehrung und Grundver chiebung der W rte schlü sig zu
44 ,Jenseits von Out und Böfte Der rreie Geist 45
machen, dank einer nochmaligen elb tbesinnung und doppelt mißtrauisch zu werden und zu fragen: ,,sind s
Vertiefung de Menschen, - oll ien wir nicht an der nicht vielleicht - Verführungen?" - Daß siege-
' eh welle einer P eriode stehn, welche, negativ, zunächst fallen - dem, der sie h;\t, und dem, der ihre Früchte
als die außermoralische zu bezeichnen wäre: h ute, genießt, auch dem bloßen Z uschauer , - dies gibt noch
wo wenigstens unter uns Immoralisten der Verdacht sich kein Argument für sie ab, sondern fordert gerade zur
r egt, daß gerade in dem, was nicht-absichtlich an Vorsicht auf. Seien wir also vorsichtig!
einer H andlung ist, ihr entscheidender Wert belegen sei,
und daß alle ihre Absichtlichkeit, alles, was von ih.r 34
gesehn, gewußt, "bewußt" werden kann, noch zu ihrer Auf welchen tandpunkt der Philosop hie man sich
Oberfläc he und H au t gehöre, - welche, wie jede H aut, heute auch stellen mag : von jeder Stelle aus gcsehn ist
etwas verrät, aber noch mehr verbirgt? Kurz, wir die It-rtümlichkeit der Welt, in der wir zu leben
glauben, daß die Absicht nur ein Zeichen und Symptom glauben, das Sicherste und Festeste, dc sen unser Auge
ist, das erst der Auslegung bedarf, dazu ein Zeichen, das noch habh aft werden kann: - wir finden Gründe über
zu vielerlei und folglich für sieh allein fast nichts be- Gründe dafür, die uns zu Mutmaßunge n über ein be-
deutet,- daß Moral , im bisherigen inne, also Absichten- tr ügerisches Prinzip im "Wesen der Dinge" verlocken
1oral, ein Vorurteil gewesen i st, eine Vor iligkeit, eine möchten. W er aber unser Denken selbst, also "den Geist"
Vorläufigkeit vielleicht, ein Ding twa vom R ange der für die Falschheit der W elt ver an twortlich macht- ein
Astrologie und Alchymie, aber jedenf alls etwas, das über- ehrenhafter Ausweg, den jeder bewußte oder unbewußte
wunden werden muß. Die Überwindung der Moral, in advocatus dei geht-: wer diese W elt, samt Raum, Zeit,
einem gewissen Vers tande sogar die Selbstüberwindung Gestalt, Bewegung, als f alsch ersc hloss en nimmt: ein
der Moral: mag das der ame für jene lange geheime solcher hätte mindestens guten Anlaß, gegen alles Den-
Arbei t sein, welche den feinsten und r edlich ten, auch ken selbst endlich Mißtrauen zu lernen: hätte es uns
den boshaftesten Gewissen von heu te, als lebendigen Pro- nicht bisher den allergrößten Schabernack gespielt? und
biersteinen der Seele, vorb halten blieb. welche Bürgschaft dafü r g:~hp rs, daß es ni cht fortführe,
zu tun, was es immer getan hat? In allem Ern tc : die
33 Unschuld der Denker hat etwa R ü hrendes und Ehrfurcht
Es hilft _nichts: man muß die Gefühle der Hingebung, Einflößendes, welche ihn en erlaubt, sich auch heute noch
der Aufopferung für den Iächsten, die ganze elbst- vor das Bewußtsein hinzustellen, mit der Bitte, daß es
entäußerungs-Moral erbarmungslos zur Rede stellen und ihnen ehrliche Antworten gebe: zum Beispi el ob es
vor Gericht führen : ebenso wie die Ästhetik der "inter- "real" sei, und warum es eige ntlich die äußere W elt sich
esselosen Anschau ung", u nter welcher sich die Entmänn- so entschlossen vom H alse halte, und was dergleichen
licl1Ung der Kun st verführerisch genug heute ein gutes- Fragen mehr sind. Der Glau be an "unmittelbare Gewiß--
Gewissen zu schaffen sucht. Es ist viel zu viel Zauber heiten" ist eine morali sch e Iaivitä t, welche uns Philo-
und Zucker in jenen Gefühlen des "für ander e", des sophen Ehre macht: aber - wir soll en nun einmal nicht
"n i cht für mich", als daß man nicht nötig hätte, hier nur moralische Menschen sein I Von der hloral abgesehn,
,Jenseits von Out und Bös~ Drr frl'ie Geist Ii
i t jener Glaube ei ne Dummheit, die un wenig Ehre dürfte dem nicht rund geantwortet werden: Warum ?
macht I Mag im bürgerliehen Leben das allzeit berei te Gehört dieses "Gehört" nicht vielleicht mit zur Fiktion?
Mißtrauen als Zeichen des "schlechten harakters" g C'lten Ist es denn nicht erlaubt, gegen ub jekt, wie gegen
und folglich unter die nklugheiten gcl1ören: hier untr r Prädikat und Obj ekt, nachgerade ein wenig ironi eh zu
uns, jen ei ts der bürgerlichen W eH und ihres Jas und - sein? Dürfte sich der Philosoph nicht über die Gläubig-
eins - was sollte uns hindern , unklug zu sein und zu keit a.n die Grammatik erheben? Alle A chtung vor den
sn,gen: der Philosoph hat nachgerade ein R ec ht auf Gouverna.nten: aber wäre es nicht an der Zeit, daß di
"schlechten Charakter", als das Wesen, welches bisher P hilosophie dem Gouvernanten-Glauben a.bsagt.e? -
auf Erden immer am besten genarrt worden ist, - er hat
heute die P.flicht zum Mißtrauen, zum boshaftes ten 35
chielen aus jedem Abg runde des Verdachts heraus. - OVoltaire ! OHumanitiit l OBlöd iun! Mitder"Wahr-
Man vergebe mir den cherz dieser dü ter n Fratze und heit", mit dem uchen der Wahrheit ha t es etwas auf
Wendung: denn ich selbst gerade habe längst über sich ; und wenn der Mensch es dabei gar zu menschlich
Betrügen und Betrogenw erden a.nders denken, a.nders treibt - "il ne eherehe l e vrai qne pour faire le bien" -
schätzen gelernt und halte mindestens ein paar Rippen- ich wette, er findet nicht !
stöße für die blinde Wut bereit, mit der die Philosophen 36
sich dagegen sträuben, betrog n zu werden. \Varum Gesetzt, daß nichts anderes al r eal "gegeben" ist als
nicht? Es ist nicht mehr als ein morali sches Vorurteil, unsre W elt der Begi rdcn und L eidenschaften, daß wir
daß Wahrheit mehr wert ist al s ehein; ist sogar di zn keiner andern "Realität" hinab oder hinauf kö:J?llen
schlechtest bewiesene Anna.h.me, die es in der Welt gibt. als gerade zur Reali ttit unsrer Triebe - d c~nk en ist
Ma.n gestehe sich docl1 so viel in: es bestünde gar kein nur ein Verhalten dieser Triebe zueina.nder - : ist es
Leben, wenn nicht auf dem Grunde perspektivi eher nicht erlaubt, den Versuch zu machen und die Frage zu
chätzungen und cheinbarkeiten; und wollte man, mit fragen, ob die "Gegeben" nicht ausreicht, um aus
der tugendhaften Begeisterung und Tölpelei ma.nche1· einesgleichen auch die ogenannte mechanistische (oder
Philosophen, die "scheinbare W H" ga.nz abschaffen, nun, "materielle") \Velt zu versLehn ? Ich meine nicht als
gesetzt ihr könntet das, - so bliebe mindestens dabei eine 'l.' äuschung, einen " chein", eine "Vor tellung" (im
auch von eurer "Wahrheit" nichts mehr übrig! Ja, was Berkeley chen und chopenll:l,u rischen inne), sondern
zwingt uns überhaupt zur Annahme, daß es einen wesen- als vom gleichen Realitäts-Range, welchen un rr Affekt
haften Gegensatz von "wahr" und "falsch" gibt? Ge- s lbst hat, - als eine primitivere Form der W elt der
nügt s nicht, tufen der Scheinbarkeit anzunehmen und ffekte, in der noch alles in mächtiger Einheit bc-
gleichsam hellere und dunkler e chatten und Gesamttöne chlossen liegt, was si h dann im orga.nischen Prozesse
des cheins, - verschied ne valeurs, um die pr ache der abzweigt und au gestaltet (auch, wie billig, verzärtelt
Maler zu reden? Warum dürfte die Welt, die uns und abschwächt-), als eine Art von Triebleben, in dem
etwa an geht, - nicht eine Fiktion sein? Und wer noch sämtliche organische Funktion en, mit elb t-Regu-
da fragt : "aber zur Fik ion gehört doch ein rheber " lierung, A similation, Ernährung, Au scheidung, Loff-
48 Jt•nseits von Ont und Böse Der treie eist J9
wechsel, synthetisch gebunden ineinander· ind, - als
eine Vorform des Lebens? - Zuletzt ist es nicht nUl' 3i
erlaubt, diesen Versuch zu machen: es ist, vom Gewissen "Wie? II ißt das nicht, populär ger det: Gott i L
der Methode aus, geboten. Nicht mehrere Arten von widerlegt, der Teufel aber nicht -?" Im Gegrnlril!
Kausalität annehmen, solange nicht der Versuch, mit Im Gegenteil, m inc Freunde! nd, zum 'Pt•ufcl auch,
einer einzigen auszureichen, bis a.n seine äußerste Grenze wrr zwingt euch, populär zu reden! -
getrieben ist (-bis zum Unsinn, mit Verlaub zu sag n): 38
das ist eine Moral der Methode, der man sich heute nicht Wi e s zuletzt noch, in aller H elligkeit d r n cueren
entziehen darf; - es folgt "aus ihrer Defin ition", wie Zeiten, mit der franzö is hcn Revolution gegang n ist,
ein Mathematiker sagen würde. Die Frage ist zuletzt, jener schauerlich n und, aus der Nähe beur ilt, über-
ob wir den "Willen wirklich als wirkend anerkennen, IIi.i sigen Posse, in welche aber die dien und schwärme-
ob wir an die Kausalität des Willens glauben: tun ri chen Zu chauer von ganz Europa aus der Ferne her
wir das - und im Grunde ist der Glaube daran eben so lange und so leidenschaH lieh ihre ignen Empörungen
unser Glaube an Kausalität selbst - , so müssen und Begei ·t rung n hin eininterpretiert haben, bis der
wir den Versuch machen, die Willcns-Kausalitii.t hypo- 'l'ext unter der Int e rpr etation verschwand: so
thetisch als die einzige zu setzen. "Wille" kann natür- könnte eine edle Nachwelt noch einmal die ganze Vcr-
lich nur auf "Wille" wirken - und nicht auf "Stoffe" gangcnJJeit mißvcrsLchn und dadurcl1 vielleicht erst ihr n
(nicht auf "Nerven" zum Beispiel-): genug, man muß nblick erträglich macheiL - Oder vielmehr: ist di s
die Hypothese wagen, ob nicht übcr:.tll, wo "Wirkungen" nicht bereits ge eh hcn? 11·aren wir nicht selbst- diese
anerkannt werden, Wille auf Wille wirkt - und ob "<'dle Nachwelt"? nd ist es nicht gerack jetzt, in . ofPrn
nicht alles meehan ische Geschehen, insofern eine Kraft wir di e begreifen, - dami vorbei?
darin tätig wird, eben Willenskraft, Willens-Wirkung
ist - Gese zt endlich, daß es gelänge, unser gesamtes 39
Triebleben als die Ausg staltung und Verzweigung einer icma.nd wird so leieh eine Lehre, bloß weil ie glück-
Grundform des Willens zu erklären - nämlich des Wil- lich macht, oder LugendJ1aft macht, deshalb für wahr
lens zur Macht, wie es mein atz ist - ; gesetzt, daß halten: die lieblich n " Idealist n" etwa ausgenommen.
man alle organischen Funktionen auf diesen Willen zur welche für da ulc, \V ahre, cltöne seh wärm n und
Macht zurückführen könnte und in ihm auch die Lösung in ihrem Teiche alle ArLen. von bunten, plumpen und
des Problems der Zeugung und Ernährung - es ist in g utmütigen \ ün chbarkeiten durcheinand r ehwimmen
Problem - fände, so hätte man damit sich das Recht lassen. lück und Tu gend ind keine rgum nte. 1an
verschafft, alle wirkende Kraft eindeutig zu bestimmen vergißt aber gerne, auch auf eilen beso1111cner Geister,
als: Wille zur Macht. Die Welt von innen gesehen, daß nglüeklich-mach n und Bö e·macl1cn bensowC'nig
die Welt auf ihren "intelligiblen Charakter" hin be- Gegenargumente ind. Etwas dürfte wahr ein : ob c
timmt und bezeichnet ~ sie wät·e eben "Wille zur gleich im höchsten -rade cl1ädlich und gefährlich wiir ;
lacht" und nichts außerdem. - ja rs künn!<> .f'lh I zur :rundl!t':r hnff nhrit dPs Da. rins
,J •
Jenseits vn11 0 ut und DöBu D r Ir ie G ist 51
50
gehören, daß man an sein r vüllig1·n Erkenntnis zugruntll' irgend ein My ·liker schon dergl ·ichcn b i ich g wagi
ginge, - so daß sich tli tärk einr-s eist s dana h hidl . Es gibt Vorgling o zarlc1· Art, daß man gut tut,
hcmäßc, wievi •1 er von der "\Vahrhrit" grradc noch ans sie durch ein GrobheiL zu vcrschiiLLcn und unkrnn!-
hielte, deutli •her, bi zu welch m frn.tle er sie vcrdünnl. lich zu machen; es gibt Handlungen der Licbr und inc·r
verhüllt, ver üßl, verdumpft, verfälscht nötig häLL c. aus ollweifenden roßmul, hinler d non nichts rätlich r
Aber keinem Z weif l unterliegt. es, daß für die Ent- i t, als einen tock zu nehru n und den Aug nzeug n
deckung gewisser T ile drr \VnJu·hPÜ di Bö cn und dm·chzuprügcln: damit LrübL man drss u ediichlni .
nglückl ichen begün tigler sind und inc größDre Wahr- Ma.n!;hcr ver Loht . ich darauf, dn.s eigne dächtnis zu
scheinlichkeit des Gelingcns haben; nicht zu reden von trüb n und zu mißhand ln um wenig !e1ts an diesrm
den Bösen, die glücklich sind, - eine :Pezies, w lche einz igen Mitwisser sein • Rache zu habrn: - di r cham
von den Moraliswn verschwiegen wird. Vielleicht, daß ist rf.inderisch. Es sind nicht die schlimms n Ding ,
Tiärw m1d List günstigere Bedingungen zur Entstehung deren man sich am schlimmsten schämt: ist nicht nm
des starken, unabhängigen istcs und Philosoph n ab- Arglist hinter einer Maske, - es gibt soviel üie in
geben a.ls jene sanfte, fein , nachgebend GutartigkeiL der List. Ich könnte m:u: denken, da..ß in Mensch, d r
und Kunst d s Lcicht-nelun ns, w lche man an einem Ge· r.Lwas Kostbares und Verletzliches zu bergen hätte, grob
lC'hrt.en schiilzL und mit Recht schitizL. Vorausg setzt, und rund wie ein grün . , altes, sehwerbcschlagcMs WeiJJ-
wn.s voran steht, daß mn.n den Begriff "Philosoph" nicht faß durchs Leben rollte: die Feinheit sein r cltam will
n.uf den Philosophen ein ngt, der Bücher schreibt- oder es so. Einem Menschen, der Tie fe in der cham l1aL, b -
gar seine Philosophie in Büch er brjngt! - Einen letzten gegn n auch seine chicksale und zarten Entscheidungen
Zug zum Bilde des freigei torisehen Philosophen bring( :tU f W gen, ZU den n wc:nige je gelangen, und um derOll

Lendhal bei, den ich um d s d u ls h ·n G cschmacks will 11 Vorhandensein seine Nächsten und Vertrau testen nicht
nic11t unterlas cn will zu unierstreichen:- denn er gehL wjs en dürfcl1: seine Lebensgefahr verbirgt sich ihren
wider den deut chen Geschmack. "Pour eire bon philo· ugen und eben o sein e wi der r oberte Lebens- 'ichorheiL
sophe," sagt dieser letz:! großr sycholog "il faut 'tr Ein oieher erborgencr, d r aus Instinkt das R den zum
sec, clair, sans illusion . n ba~quicr, qui a fait fortune, 'chweigcn und Verschw •ig n braucht und uner chöpflich
n. unc pariie du caraciere requis pour fair des d'cou- ist in der Ausflu hL vor 'filtcilung, will e und fördert
Yerics en p1ulosophie, c'est-iJ.-dire pour voir clair dans es, daß eine Maske von ihm an sein r tatL in den liC'r7.rn
cc qui csL." und Köpfen seiner Freunde h rumwa.ndelt; und gcs tzt,
er will es nicht, so w rdcn ihm in s Tag s d i Aug n
40 darüber aufgebn, daß s Lro!zd m dort eine Maske von
Alle , wn.s tief i t, liebt di Maske ; die allertiefsten ihm gibt, - und daß es gut so i i. J der Lief eis t
Dinge h aben sogar einen Haß auf Bild und Gleichnis . braucht eine Iaske: mehr noch, um jeden tiefen Geist
ollie nicht er t der Gegen atz die r echte Verkleidung wächst fortwährend ine 1aske, danJ{ der he tändig fal-
sein, in der die cham ci n s oLLes einherginge? Ein • schen, nämlich .flachen Auslegung jedes Wor tes, jcd s
fragwürcligr Fragi>: r.· wiirr wnnnPrlicll, wrnn nirh1 , c:l1riLLes, jPdes L hrn. 7. i hrn .. cla.: c·r gibt. -
~ .
Der rr ie G ist 53
;:u taufen. •'o wie ich sie errate, so wie ic ich rratcn
lassen - denn · gehört zu ihre r rt, irgend worin
R lit.scl bleiben zu wollen-, möch 'n diese Philo ophrn
drr .7-ukunH ein Recht, viell ichtauch in nr rht darauf
h:tb n, als V e r suche r b zeichnet zu werd n. Dieser
)[ame s lb t ist z uletzt nur ei n Ver ·uch, und, wenn man
will, eine V crsuc hung.

43
Hindes n ue Fr undc d r ,,W ahrheit", dies kommen·
tlrn Philosophen? Wahr cheinlich genug: dt>nn all I hilo·
sop hen lieb en bisher ihre W a.hrh ciLcn. ichorlieh aber
we rd en es kein Dogmatiker s in. Es muß ilwcn wider
den tolz gchn, a uch wider den Geschm ack, wenn ihre
Wahrheit gar noch inc Wahrheit für j dcrmann sein
soll: was bisher der geheime Wun sch und Hinter inn
a ll er dogmatisch en Bcstr bungen war. " fein rteil ist
1n e m r Leil: dazu hat nicht leicht auch ein a,nder r das
R echt:' - sagt vi eHeicht solch in Philosoph der Zukunft. r •
.. ~Ja.n muß den ,chlechten Oe. ·hmack von ich abt un, mit
vielen überein timmen zu wollen. ,Gut' ist nicht meht•
g ut, wenn der achbar es in den {uud nimmt. nrl wir·
kön n Lc e gar ci n , cm cing u t: g ben! D as W ort wid r·
,;prichi sich selbs : was gemein sei n kann , hat imm r
nur wc1lig \VerL. Zuletzt muß es ·o s hn , wi es stehl
LJnu imm er iand: di g roßen ingc bl iben für di e
Uroß n übrig, { Ü C bgrünclc für di e Tiefe n, die Zart·
hciLcn und chtwdet· für die F einen, und, im ga nzt'n und
kurzen, alle 'olLen für die 'l'li n n. " -

!4
Bmucho ich nach alledem no lt eigen · zu ·a.gen, daß
auch ic freie, ehr frei c1 r sein werd n, tli ·
P hilosophen der Zukunf , - . o gewiß sie auch nicht
bloß freie Gei ter sein werden, ondcr c wa · Mehr r ·,
Dns religiöse\\' sen 59
mürben, vielfachen und vielverwöhnten cwissen zuge-
mutet wird: seine Voraussetzung is , daß di nter-
werfung des Geis unbe ehr iblich wehe tut , daß
die ganze Verga.ug nheit und wohnheiL ines solch n
Geistes sich gegen das absurdissimum wehrt, als welches
ihm d r" laubo" ntgegentrit L. Die modernen 1enschen,
miL ihrer Abstumpfung g gen all christliche Nomen-
klatur, fiihl n da,s 'chauerlich- uperlativi ehe ni cht m hr
H <~ch, das für inen antikeu Ges hmack in d r I aradoxi
der J<'orm 1 " oLL am Kreuze" lag. • · hat bish r noch
niemals und .uirg ndswo eine gleiche Kühnheit im rn-
kehr n, ctwa,s g leich Furchtbares, Fragendes und Frag-
würdiges g g bcn wie di sc Formel: sie verhieß eine
mwcrl uo g all r anliken W erte. - Es ist der Orient,
der tiefe Orieut, ist d r orientalische klave, der auf
diese \V eise an R om und seiner vornehm n und frivo len
'l'olcranz, am r ömischen "Katholizismus" des nglauben ·
Hachc nahm: - und immer war es nicht der Glaube,
!;ondcrn die Fr iheit vom Glauben, j ne halb stoische und
lächelnd nbekümm erlheit um den • rnsl des Glaub ns,
1va.s die klaven an ihren R enn, geg n ihre H errn em-
pör t h a t. Die " Aufklärung" empört: der ldave nämlich
will nbodinglcs, er ver te ht nur da.s 'l'y rannisch , a uch
in d r Ioral, r lieb wie r haßl, ohu uanc , his in
chmerz bis zur I ra.ukheiL, - sein
viel · verborgen es L eid~>n mpörL sich gcg n den vor-
H•hmen chma k, der das L id n zu l cugn n schein .
Die 'k p is g gen das Leiden, im Grunde nur in e tti -
Lud der ari.·tokraLi ·cheu Moral , isL nicht am wenigsten
;weh an det• Entstehung des l Lzten großen klaven-Auf-
s taud s bc eilig , welcher mit der Iranzö ischen R evol u-
tion begonnen bal.
47
W o nur auf Etxl.cn bisher die relig iö · • euro ·c auf.
g r l n is , finden wir sio verknüpf miL drei g fäb r-
62 .Jen•oilb" von Gut und Böse Das r·c llgi ösc W son 63
artig fromm sind unserm G ehmack selbst diese let.zt n Menseh, welche so vor d r a.tur und vor d m L bcn \
französi chen , keptiker noch, wf rn rtwns k .l i chcs Blu st ht! - pät r, als der Pöbel in ri ehenland zum
in ihrer AbkunH ist! Wie katholi ·cJt, wie undeutscJ1 Cbcrg wicht komml, übcrwuch rL die Furcht aurh in
riecht uns Auguste omles oziologie mit ihrer römi- der Religion; und da· 'hrist.entum h reitet sich vor. -
schen Logik der Instinkte! Wie j suiti ·eh jener lieb ns-
würdige und kluge ,icerone von Port-Royal, ainte-Bcuve. _;o
trotz all sein r Jesuiten-Feind chnJt! nd gar Ernost Die LeidenschalL für s gibt bäuri eh , treu-
Rcnan: wie unzugänglich klingt um; NordHindern die herzige und zudringlich r n, wie die Luthcrs - d r
prachc solch eines Rcnan, in dem alle Augrnblick ganze Protestantimus entb hrt der südlich n clcli catczza.
irgend ein ich ts von religiöser pannung eine in feim- E gibt ein orien Lalü:'chos uß.cr ichsein darin, wi bei
rem inne wollüstige und b qu m sich b ttende eclc um ein m unverdient b gnadeten oder erhobenen ldaven, zum
ihr lcichgcwicht bringt! Man spreche ihm einmal diese Beispiel bei AugusL.in, der auf eine bel eidigende Weise
schönen ätze nach - und was für Bosheit und Übermut all r Vorn ehmheit der G bärden und l3cgi rden crmang lt.
r gL sich sofort in unsrer wahrscheinlich weniger schönen Es gibt fraucr hafte .Zärtlichkeit und BegehrlichkeiL
und härteren, nämlich deutsch rcn clc als Antwort I - darin, welche schamhaft und unwi send nach iner unio
"di ons clone hnrdiment qu e la r eligion est un produit. dr mysLica ct physica. clrü.ngL: wi be.i }Y.fada.me dc -'uyon .
l 'homme normal, quc l'homme st le plus dans l vrai Tn vielen Fällen er eh int sie wunderlich genug a.ls Ver-
quand il csL lc plus rcligi ux L le plus assure d'une kleidung der Pubertät ein s Mädchens oder Jünglings;
d stin 'c infinic ___ 'sL quand il esL bon qu 'il veut qur hier und da selbst al Hysterie incr alLen Jungfer, auch
Ja vertu corresponde a un ordr et rnel, c'est quand il als d ren letz ter Ehrgeiz: - die Kirche hat das W ib
contemple les choscs d'une manicre desinLcressee qu 'il schon mehrfach in einem solchen Fall h ilig gesproch n.
Lrouve la mort rcvolLantc t absurde. ommcnt ne pa ~
supposcr que c'e t dans ces moments-la, que l'homme voit 51
Je mieux ?" ___ Diese ät.zc sind meinen Ohr n und Ge- Bisher hab n ·icJ1 die mächtigsten Menschen immer
wohnheiten so sehr anLipodi e h , daß, als ich sie fand, noc h verehrend vor dem H eilig n geb ugt, als dem Rät el
mein erster Ing rimm daneben schrieb " Ja niaiseric rcli - der 'clbsLbezwingung und absichtlichen letzten Ent-
gieuse pnr exccllence !" - bis mein letzter Ingrimm sie h hrung: warum beugten sie sich? i al1nten in ihm -
gar n eh h ebgewan:n, diese ätze mit ihrer auf den Kopf und gleichsam hinter dem Fragezei hcn sein s gcb r eh-
gestellten Wahrh iL! Es ist so artig, so ausz ichncnd , liehen und kläglichen n eheins - die überlegne Kraft
s ine eign n Antipoden zu h ab n! welche sich an einer solcJ1 n B zwingung rprob n wollt ,
die Lärke des Willen , in d r sie die eigne Lärke und
49 herr chaftl ich Lust wiedererkann LeJt und zu ehr n
Das, was an der Religiosität der alten Grirchcn tau- wußten: sie ehrten etwa.c; an sich, wenn sie den IIeili g n
, nen macht, ist die unbändige Fülle von Danl.:bark it , ehr ten. · s ham hil17.u, daß der Anblick des II ilig n
w lehr . ie ausströmt: - .s i:t inc sehr vornl"hmP Art. ihnrn c:in n Argwohn inga.b: in sol hcs Ungeheur s
64 Jenseits von ut und Bös Das religiöse Wo so n (jf>

von Verncinung, von \Vider-... ra.tur wird nicht umsonst "Bibel", als "das Buch an sich " : das 1 t vielleicht die
beg hrt worden sein, so sagten und fragten sie sich. Es größte Verwegenheit und " ündc wider d ~n i t",
gibt viel! ichl einen rund da.z u, eine ganz große Ge- welche das literari ehe Eurclpa (Wf dPm <e'.Yi · n hat. /
fahr, üb r w lche der A k ct, dartk s in n g'hclmen Zu-
spr ehern und Besuchern, näher unterriebt t sein möchte? 53
enug, die Mächtigen der \V li lernten vor ihm einen uc Warum heute Atheismn ·? - "Der Vater " in Gott i ·t,
Furcht, sie a.llllt n eine 11 uc Jl.{:wht, inen fl' mclen, 11och gründlich widerlegt; ebenso "der Richter", "d •r Be-
unbezwnngt•ncn F ind: - dl'r "\Villc zur Ma.cht" war c,;, lohn r". Insgl .ichen s iu "rrci r Will ": er hö1·t nicht,
cl r sie nötigte, vor dem li ·iligPn steh nzubl iben. 'ic - und wenn er hörie, wüßte r trotzdem nicht zu helfen.
mlJßlen ihn frag n - - Das cJüimmsic ist: er scheint unfähig, sich deutlich mit-
zuteilen : ist er unklar? - Die ist es, wa. i h, als r-
52 sachen für den Nied rgang des uropäi eben 'l'Jwi. mus,
Tm jüdischen "Alten 'l'e tament", dem Buche von der aus vielerlei Ge präch n, fragend, hinhorchend, au findig
I göttlich n Gerechtigkeit, gibt es Menschen, Dinge und gemacht habe; es scheint mir, daß zwar der r ligiös
Instinkt mächtig im Wachsen ist, - daß er aber g radc
) R ed n in einem o großen til , daß das griechische und
indis h o lu·iftcntum ihm nicht zur eiLe zu stellen hal. die theistische Befriedigung mit Li f m JI.Iißtrau ~ n ab-
Man steht mit ehr cken und Ehrfurcht vor diesen un- lehnt.
gcheurcu ' b rblcibseln d ss n, was der Mensch ein trnals 54
war, und wird dabei üb r das alte Asien und sein vor- Was tut denn im Grunde die ganze neuerc Philo-
ge chobnes H albinselchen Europa, das durchaus gegen sop hie? eiL Dc. carte - und zwar mehr aus '!'rotz
Asien den "Fortschritt des 1en ·eh .n " bedeuten möchte, gegen ihn als auf Grund seines Vorgangs - macht man
ein traurigen G dank n haben. .Freilich: wer sei bsi seitens aller Phil soph n ein Lientat auf den altf.'n
nur ein dünnes zahmes H austie r i t und nur Haustier- eclen-Begriff, unter d 'mAnsch in incr Kritik de ub-
Bedürfnisse kennt (gleich un crn Gebildeten von h u , jeki- und Prädika.i-B griff - das heißt: ein .itenlal
cli hri tcn des "gebi ldete r " hri tentums hinzu- auf die Grundvoraussetzung der christlichen L hr '· DiP
genommen-), der hat unter j •n n Ruin n w der sich n ucre Philo ·ophie, als eine erk nntni theoretische 'krp-
zu verwundern, noch gar sich zu betrüben - der Ge- si, i t, ver tcckt oder offen, an Liehristlieh: ob chou,
s luna.ck am Allen Testament i t ein Prüfst in in Hi n- f ür feinere hren g sagt, keineswegs anlircligiös. Ehr-
sicht auf "groß" und "klein" - : vi lleicht, daß er las mals nämlich glaubte man an "die c lc", wie man an
euc Te tame.nt, das Buch von d r nad , immer noch die 'ra.n1matik und das grammati ehe ,'ubjekt glauiJlr:
eher nach seinem H erz n findet (i n ihm i t viel von dem mau sagte, "ich" i ·t ßcdingu ng, "denke" i t l' riidi kai
rechten, zä.rilichen, dumpf n B tbrüdcr- und Klein n - und bedingt - D nkcn i st. eine 1'ä igkcit, zu dt•r· in
'eelen- - ruch). Dieses neu 'I tarn nt, eine Art Rokoko ,'ubj Jet als lJr ach gedacht wPrdt•n muß. Kur vcr-
de escluna.cks in jedem B ira.chLe, mit d mAlten Testa- uchle man mi einer bewundrrung,;würdigen l'::äl igkeit
ment 7.11 einem Buch e zusnmrnpng leimt zu hab n, als und f,i ·i, ob man ni ht :urs Ji Psi' Ill . efzp IH'l'illl;; lwlllll' ,
J G
66 Jenseits von Ou t un<l Böse Da s r e li g i öse W esen 67
- ob nicht viel! eicht das mgekchrLe wahr sei : "denke''
Bedingung, "ich " bedi ngt,; I "ich " also erst eine ynthe et
w lcho durch das Denken Sl'lb L gemacht, wird. K aut \V er , gl ich mir, mit .irgend ein •r r ä tselhaften Begierde
wolHc im Grunde beweisrn, daß vom ubj ekt a us da sich la nge darum bemü ht haL, den P es imi mus in d.i
u1Jj el<t nicht bewiesen w rdcn könn , - das Obj dd 'J'iefe zu denken und aus der h alb chri tlichcn, halb
auch nicht: die l\löglichkcit in r ch ein e xistenz dl•s deutsc1ren Enge und Einfalt zu rlösen, mit der er sich
ginz el- ubjekLs, al~o " der cr lc", mag ihm nicht imm rr dies m Jahrhundert z uletzt dargesLcllt hat, nämlich .in
frrmd gcwe ·en sein , jener 0 •da nke, welcher als Vcuanta- 'rstalt cler cl101 en hau er.ischcn PJlil o op hic; wer wirk-
Plli.l osophic schon r inm ::tl und in ungeh urr r 1acht auf lich einmal mü incm asiatis hen und überas iati sch n
l~rdcn dagewesen is t. Auge in die weltvcrn inends te all r möglichen D nk-
wrisen llincin und hinunter geblickt hat - j nscit von
55 Out und Bö e, und ni cht mehr, wie Buddha und chop n-
Es g ibt, eine g roße L itrr der rcligiii r n Orau s~m k c it , h auer, im Bann uncl \Vahnc der Ioral - , der hat vi el-
mit, vielen pros en; aber dr l'i davo n sind di wichtigslrn. leicht cbendamit, ohne daß er· es ig ntlich wollte, s icJ1
Eins t opferte ma n se in em ottc Jen chen, viell eicht die Augen für das umgekehrte Ideal aufgemacht: für das
gerade solche, wel hc m a n am bes ten li ebte, - dahin Ideal des übermütigsLen, lebendigst n und w cltbejal1Cnd-
g •hören die Ers tlings- pfer all r Vorzeit-R elig ionen, da- sten M nschen, der sich nic ht nut' mit dem, was war und
hin auch das Opfer d s ] ai ·ers 'fiberius in der 1ithra - ist, abgefunden und vertragen g lernt ha t, sondern es,
g roLLe der In sel Capri, jener chauerl.ichste allr1· r öm i- so wie es war und i s t, wied r haben w.ill, in alle Ewig-
seh en Anachroni men. D ann, in der moralischen Epoclt c ]( it hinaus, unersättlich da capo rufend, nicht nur zu
der Me n ·chheit, opferte man seinem otie die stärksten sich , ondern zum ganzen tücke und chauspiele, und
Instinkte, di man be aß, seine " Iatur"; dies e F est- nicht nur zu ein em chauspiele, sondern im Grund zu
fr ude glänzt im graus:unen Bli ke des Asketen, des bc- dem, der gerad die· chanspiel nötig hat - und nötig
gei terteu "Wider-.!: aLürlichcn". Endlich: was blieb noch macht: weil er immer wi d r ich nötig h at - und
übrig zu opfern? Juß man nicht endlich einmal alle nötig mach t - - Wi ? Und di wäre nicht - circu lus
'l'röstliche, Heilige, H eilende, alle II offnung, allen Glau- viliosus den ? •
b n an verborgen Harmonie, an zukünftige eligkeit n
und -'erechtigkeilen opf rn? muß c man nicht Gott s lbcr 57
opfern und, aus Grausamkeit gegen sich, drn .in , d i Mit der Kraft seines gei tigen Blicks und Einblicks
Dummheit, die chwere, das chicksal, das ichts an- wächst die F erne und gleichsam der R aum um d n Jen-
beten? Für das Jicht Gott opfern - dieses paradoxe sehen: seine W elt wird tief r, immer n eue terne, immer
My ter.ium der letzten Grausamk it bli b d m Geschlecht neue R ätsel und Bilder komm n ihm in icht. Vielleicht
welche jetzt eben heraufkommt, aufgr pa rt: wir all~ war alles, woran das Auge des eistes s inen char.f inn
k enn n chon elwru c1'tvon. - und Tiefsinn geübt hat, eben nur ein Anlaß zu einer
· hung, eine ache d , piel ·, tw für Kinder und
Das r e li g i ös e W ese n 71

ho rcn n Kiin , llPr , wrlc he d n ' nuß dPs L bcns nur noc h
in der Ab icht finden, sein Bild zu f a l sc h e n (gleichsam
in einer lang wierigen R ach am L b n -), a uch noch
ein rdnung des R ang s : man könn te den rad, in dem
ihnen dru L ben verl ideL ist, dar aus a bnehm n, bis wie-
weiL i ·e in Bil d v rfäl cht, verd ünut, verjcnseiLig t, ver -
göUlichL zu sehn wünschen, - ma.n könnte die homines
r cligiosi miL un te r die Künstl r r cchflen, als ihren h öch-
tcn Ran g. E s is t die Liefe arg wöhnisch Furcht vor
ein m unheilbaren rc imi mus, der ganze J ahrtau ende
zwingt, sich mit den Zähn n in eine r eligiöse Inter-
pretation d s D a ein zu verb ißen: die Furcht jenes In-
s tinktes, welcher ahnt, daß man der WaJuheit zu früh
habhaft werden könnte, eh d r M n eh stark gt'nug, harL
g nug, Künstler gcnu "' g eworden ist ... Di e Jt'römmig-
keiL, da.s "Leben in Go t " , miL di sem Blicke betrachtet,
r rschicne dabe i als die f einste und leLzLc Au ".cburt d •r
]?ur cht vor der Wahrheit, als Künstlr-Anbctung und
-T runkenheit vor der konsequent sten all r Fäl chunge11,
a.ls d r Wille zur mkehrun g der \Vahrhcit, zur Un-
wahrheit um jeden Preis. Vielleicht, daß es bis j tzL
kein stärkeres Mittel gab, den I nschcn selbst zu v er-
. chönern, als eben Frömmigkeit: durch sie kann der
Men eh so sehr Kunst, Oberfläche, Farben piel, Güte
werden, daß mau au seinem Anblicke ni cht mehr leidet _-
/
6
l) n Icn ·chen zu li ben um G o tt e s will c n - da
war bi j Lzt das vorn hm stc und ntlegen ic efühl,
das unter l en. chen erreicht word n i t. Daß die Li eb
zum 1Icn cheu ohne irg nd inc heilig 11de Hintcrab icht
in e Dummheit und Tierhcit m e hr i t, daß der H ang
ztt die. er Menschenliebe er t von in m höheren Hange
· in ~I aß , ine F eil1hei t, . ein K öt'Jlchen alz und täub-
chcn Ambra zu bekommen hat : - welcher Mensch es
7 Jensetts von 0 ut und Böse

6
" Das habe ich getan", sagt mein Ge·dächtnis. "D as
kann ich nicht getan haben" - sagt. mein lo lz und
bleibt. \IIJerbiWich. Endlich- gibt. das Uedächlni~ na<'h .

69
Man hat. chlecht. dem Leben zugt>sc.htmL, w nn man
ni cht auch die H and g se hn hat, die auf C'inc schonrnd P
W e i. e - Lölel.

70
Hat man ha rakter, so h at man auch se in typi. hr.
Erl bnis, das immer wied r lwmmt..

71
D e r W e i se :.t.ls Astronom. olang du noch di e
'terne fiihlsL al s ein "Ü ber-d ir", f hlt. dir Jwr lt d r ]Hi <'k
des Erlcenn enclr n.

72
i elü di 'Lärke, ondern d ic D rw r d r hohen gm p-
fin<lung ma cht die ho h n Men sc h n.

73
W er se in I deal errci ht, kommt eben damit über da·-
sel b hinaus.

73 a
Mancher Pfau verd kt vor aller Augen. ein n Pfauen-
schweif - und hißte sein n tolz.

7{
Ein Me.n eh mit nie ist unau stehlich, w enn er ni ch t
mindestens noch zweierl i dazu besitzt: Dankbarhit und
R einli chk i t.
Sp l'fl c h u nd Zwischenspiele '1

90
chwer , schwermütige Men!';ch n wcrdrn gerade durch
da.s, was andre schwer macht, durch IIaß und Liebe,
leichter u nd kommen zeitweilig an ihre Oberflächr.

91
o kalt, so isig, daß man sich an ihm <lie Finger ver-
brennt,! J ede Hand er clnicki, die ihn anfaßt! - Und
gerade darum hal len manche illll für gl ühc11d.

92
W er h at nicht für einen guten Ruf schon inmal -
sich selbst geopfert?-
93
In der L u tseligkeit i t nichts von M nschcnhaß, ah r
eb n darum allzuviel von Mcn chenverochtung.

94
R eife de 1anncs : da.s heißt den Ernst wi dcrg fund n
haben, den man als Kind hatte, beim piel.

95
ich seiner runora.lität schämen: das ist eine t ufe
auf der Treppe, an dert>n End ma.n sich auch seinrr
Mora.liiät schämt. "'
96
Ma.n soll vom Leben scheiden wie dys us von 1 au- \
sikaa schied, - mehr segnend als verli ebt.

97
W ie ? Ein großer I a:nn ? I rh . he imm r r nur den
. rhau pi I r s in s eignr n J dral ..
J G
2 . Jenseits vonGut und Böse 'p r·nchc und Zwischenspiele
3
----
98 106
·w enn ma.n in ewi n drc i rt, o küßt f!' un s zu- Vermö"'e der fu ik geni ßen sich die Leiden ehaften
o-leich, ind m e beißt. sclb L
99 107
D e r Entt ä u sc ht s pri c ht. - "lch horcht e auf W enn d r Ent chluß einmal g faßt ist, das Ohr auch
vVidcrhall, und ich h örLe nur Lob - " fü r den b stcn rr ng t·und zu schließen : Zei h n des

stark en h arald r 1 o ein g l egentlieh l' Will e zur


10
Dummheit.
Vor uns selbst stellen wir un alle infäHiger, als wi.r
10 8
.- iu>Cl: wir ruhen uns o von un crn ' i\fi1men eben aus.
g ibt gar kein morali schen Ph änomene, sond rJl
101 nur ein moralis he . u d utun g von Phänom n n - -
H euLe möchte sich ein Erkenn ndcr leicht a ls 'l.'i r-
wet·dung 'oLLes fühlen. 109

102 Der Verbrecher ist häufig genug seiner 'i'a.t nicht gr-
eg nlieb • enLdeck en sollte igentlich den Liebenelen wachsen: er verklein rt und verl umdet sie.
üb r das g eliebte W esen rnüchtern . "Wie? e is t be-
scheiden genug, sogar dich zu l i bcn? cl r dumm ge- II

nug ? Oder - ocl r - " Die dvokaten eines V rbreeb rs sind selten rtisten
103 genu"', um das schöne ehreckliehe der '[ ai zugun. ten
Di e e fahr im Glücke. - ".rJun ger ich t mir alles ihre. 'J'äter zu wend n.
zum Be Len, nunme hr liebe ich jcd chi cksal: - w r II I
h:J.L Lu L, m ein chi ck a.l zu s in?"
n T Eitelkeit i t gera-d dann a.n1 eh werstf!'n zu v r-
104 lctzen, wenn eben unser Lolz verl tz wurd .
Nicht ihre McnscheJllie be, ndern di hnmacht ihrPr
112
M n cl1 nliebe h ind rt die hri t n von h tttc, un - zu
v rbr nne n. W r sich zum chau n und nicht zum [au.be n vorher-
lOS br timrot fühlt, dem sind alle liiubigen zu lärmend
D em freien G i te, dem "Frommen cl r Erkenntnis" und zuili·in lieh: er rwehrt sich ihT r.
- geht di pia frau noch mehr wider d n chmack
(wider eine "Frömmigkeit") al die impia fraus. Dah r 113

sein ief r Unverstand geg n die Kirche, wie r zum "Du will t ihn für dich einn hmen? tell ili h vor
'f'ypu . "fr i r ei i " o-ehör(, - a]· Cln l'nfrrih ei!. ihm verlegen
6
J nseits YO n Out und BüsP Hpriichr und Zwi :.;c h e nspielr 5

II 'I- 122

Die ungeheure Erwartung in betr ff der Geschlechts- ich über ein Lob freu n i t bei manchem nur ine
liebe, und die cham in di ser Erwartung, verdirbt den J[öflichkrit d s H erzen - und gerade das Gegr nstUck
Frauen von vornhere in alle P er spektiven. einer Eitelkeit d s Geistes.

12'
.)
I 15
Au ch das I onkubin at ist lcorwmpiert worden: -
Wo nic'hL Li be oder Haß milspi lt, spielt das W ei h
durch die Ehe.
mittelmäßig. 124
11 6
\Ver aui dem cheiterhaufen noch fr ohlockt, trium-
Die großen Epochen unsres L b ns lieg n clort, wo wir phiert nicht über den chmer z, sondern darüber , keinen
den Mut g winnen, un ·er Böses als unser Bestes umzu- chm erz zu fühlen, wo er ihn r wartote. Ein Gleichnis.
taufen.
I 17 125

Der Wille, emen Affek t zu überwinden, ist zuletzt W cnn wir über jem;tnden uml rnen müssen, so r chnen
doch nur der W ille eines a.ndern oder mehr rer andr r wir ihm die Unb qnr.mlichkeit hart an, cli e <>r uns damit
Affekte. mach t.
126
r 18
~!}in
Vol k ist der mschweif der atur, um zu sechs,
Es gi bt eine nschuld der Bewunder ung: der hat si ,
dem s noch nicht in den inn g komm n ist, auch er sieben großen Männorn zu komm en. - Ja: und um dltnn
kön ne inmal bewundert werden. um sie herumzukommen.
1 27
119 llen rechten Frauen geht Wissenschaft wider die
Der Ekel vor dem ehrnutze kann so groß sei n, daß cham. Es i t ihnen dabei zu 1ute, als ob man damit
er uns hindert, un zu r einigen, - uns zu "r echtfertigen" . ihnen unter die H aut, - chlimmcr noch! unt r Kleid
und Putz gucken wolle.
12 0
12
Die innlichJ;:ei t ü hereilt oft das Wach ·turn der .Je abstrakter die W ahrhcit ist , di:e cl1 1 lehren wi llst,
Liebe, so daß die Wurzel schwach bleibt und leicht aus- um so mehr mußt du noch die innc zu ihr vcrfifhrcn.
zureißen ist.
121 129

Es ist eine Feinheit, daß Gott griechisch lernte, als Der 'l'cufel hat die weitesten P er p kli ven für Gott,
er ch riftsteller wer dr n wollte, - und daß er s nicht deshalb hält ~r sich von ihm so fern: - der T eufel näm-
b ~s er lernte. lich als der ä lteste Freund der Erkenntnis .


Hfi Jenseits von Gut und J1ösc

130
W as jemand ist, fängt an, sich zu verraten, wenn s in
'r alen t nachläßt, - wenn er aufhört, zu zeigen, wa · r
kann. D as Talent ist auch in Putz; ein Putz ist auch
eiu Ver steck
131
Die Geschlechter t äuschen sich über einander: das
macht, sie ehrßn und lieben im Grunde nur sich selbst
(oder ihr eignes Ideal , um es gefälliger auszudr ücken-).
o will der Mann das Weib friedlich, - aber gerade das
W eib ist wesentlich unfriedli ch, g leich der K atze, so
gut es sich ~weh auf den Anschein des Frieden cm-
geübt h at.
132
Ma.n wir l am be ·Len Jü r sein e 'J'u gC' nd 11 UE' ·trafl.

1 33

\Ver d en We' w se in em Id al uic ht zu Jiudcn weiß,


lebt l ieM sinni ger und fr eher a l der Mensch ohn e Ideal.

134
Von d n inn n her kommt er t aJle laubwürdigk it,
alles g ute Gewi.- en, aller Augen chein der W aJuh it.

135
D er l harisäismus ist niellL eine Entartung am guten
1en. chen: ein gu tes tüek davon is t vielmehr die Be-
cli ngung von allem Gu ts in.

136
D er eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken,
der andre einen, cl m er helf n kann: so Efu.w;ieht in gutes
espr äeh.


90 Jen citsvo n Gutn ndB iise

160
1an liebt s ine Erk nntuis nich genug m Iu, sobald
man sie mitwilL.
161

Die Dichter sind gegen ihre Erlebnis ·e clta.mlos: si


beuten sie aus.
162
"Unser ächster ist nicht unser Nach bar, ·ond rn
dess n achbar"- o denkt jedes Volk.

163
Die Liebe bringt die hohen und verborgenen Eigen-
schaften eines Liebenden ans Licht, - sein eltcJ1es, Au s-
naJun w i : insofern täuscht ic l ich üb r da , was
R eg l an ihm .d .
16+

J esus sa.gt,c zu ·ein 11 J ud n: "das Gese tz W<Lr für


Kneehl,c, - li bL Gott, wie ich iJu1 lieb , (ds sein 'ohn!
Wa gehL uns ölm Gottes die Moral an! " -

165

An ges ichts jeder Partei. - Ein Hirt hat immer


auch noch einen Leithamm l nötig, - od r er muß sclbs
gcl gentlieh Hammel sein.

lb6

Man lügt wohl mit dem Mtmdc, aber mit dem 1\hulc,
das man dabei macht, sag · man doch noch die Wahr heiL.

167
Bei har n Menschen i t die Innigkeit eine ache der
cham - und etwas I o tbare .
94 Jenseits von Gut und Böse Zur Nnturgesvhi!'!Jtc <lor M o r a l 91)
die Moral begründet zu h aben ; die Moral lbst aber galt 1 cl , immo omnes, quantum potes, ju va - da i t
al "geg bc.n". Wie f erne lag ihrem plumJlen tolzc jen eig n il i eh der atz, w leb n zu begründen alle itten·
unS{)heinbar dünkende und in taub und Mod r belas ne Jrlu r ich abmühen ... clas eig n tlich Fundam ni der
Aufgabe einer Be ehr ibung, obwohl für ie kaum die Ethik, welche man wie den iein d r W ei cn s iL Jahr·
fcinsten Ilände und innc fein g nug ein könnt ·n! c· tau en den sucht."- Die chwi rigk it, clen ang führten
n-d.c dadurch, daß di Ior al-Philo ophcu die moralischen atz zu begründen, mag freili h g roß s in - bekannt-
]<'akta nur gröblich , in ein m willkürlichen uszugc oder lich ist es auch chop nhaucm damit nicht g gliickL - ;
al.· zufällige Abkürzung kannten, twa als MoralitilL und w r einmal grür1cllich nachgefühlt hat, wi abgc·
ihr r mgcbung, ihre iandes, ihrer Kirclt , ihres Z it- schmackt-fal eh uncl s ntim cntal die 1' atz ist, in in r
gcist s, ihres Klimas und Erdstrichcs, - geracl dadur ch, ·w eH, deren E s cnz \ Vill zur Macht ist - , der mag sich
daß sie in liin ·i cht auf Völk r, Zci n, Verg:mo-cnheit n daran erinn rn las ·eu, daß c.hopcnhauer, obschon P r i·
: hl cht un torrichtet und s I bst Wl'nig wißbcgi rig waren , mis L, e i ge ntli ch - die Flö te blies ... 'Iägliclt , nach
b kamen . ie die eigentlichen Prob! me d r Moral gar 1'i eh: man lcs hierüber seinen Biogr aphen. ncl bei·
nicht zu Oe icht: - als welche :llle erst bei einer V r· läufig gefragt: ein P es imisL, ein Gott· und W elt-Ver·
gleichungvieler Moral n auftauchen. In aller bish rig n n incr , cler vor der I01·al Haltma ch t , - cler zur Moral
" \Vis en chaft der Moral " f eh I t , so wunderlich e Ja agt uncl Flöte bl ä.sL, zur laede-nemin cm· foral: wie?
kling n mag, noch das Pro blcm ler Moral sel b L: s ist das eigcntli h - e.iJ P e sinli. L?
f hlie der rgwohn dafür, daß s hier twas Probl ·
mati cl1es gebe . Was die P h ilosoph n "Begründung der 187
Moral" nannten und von sich forderten, war, im r echten Abgesehn noch vom Werte olchcr Behauptungen wi
Lielüc g sehn, nur ein g lcl1rtc Form de guten Glau · "es gibt in un einen kategorischen Im rativ ", kann man
bens an die herr eh ndc I01·al, ein neucs Iittel ihr · immer noch fra gen: was agt eine olche Behauptung
Au drucks, also ein ~l'atbestand selbst innerhalb einer von dem ie Behauptend n aus? Es gibt 1oral n, w !eh e
b stimm n Moralitä t, ja ogar im letz ten Grunde eine ihren rhcber vor ::IJ.1clern rechtf rtigen sollen; andre
rt Lcugnung, claß die e foral als Problem gcfaßt w r· Moralen sollen ihn beruhigen und mit ich zufri d n
den dürf e : - und jed n fall s das gcnstück einer Prü· stimmen; mit andern will er ich selbst ans Kr uz chla·
fung, Zcrlcgung, Anzwei.flu.ng, Vivi ektion eben dieses genund demütigen; mit anclcrn will er Rache üben, mit
· lau bcns! fan hör·e zum Beispiel, mit welch r beinahe andern si h versLeck n, mit andern sich verklären und
verclu·enswürcligen n chulcl noch chopcnhau r sein hinaus in clie Höhe uncl Feme setzen; die Moral
eig 'nc ufgab hinstellt, und man mache seine chlüssc dient ihrem 1·hebcr, um zu verge ·scn, jen , um ich
über die Wi senschaftlichkcit ein r "Wis enschaft", oder etwas von sich verg ssen zu machen; manch r
der n l tzte Mei ter noch wie di Kinder und die alten Moralist möchte an der Mensc hheiL Macht und schöpf ·
Weibchen reden: - "das Prinzip, agt er ( . 137 der rische Laune ausüben; manch andrer, vielleicht g rade
Grundproblem der Ethik), der Grund atz, über d s en auch Kaut, gibt mit seiner Moral zu verstchn: "wa an
Inhalt alle Ethiker eigentlich inig sind: nemin m mir a h bar i. , cla. is , daß ich g horchen kann, - und
9G .Tens Pi t s von Gut und Bü se Zur· Natuq(OijCJrichlc d o r Moral !)7
bei euch soll c nicht anders slchn als bei mir! " - Gc,ta lt u in den Augt' Iihli ckcn dt>r " ln piration",- und
kurz, die MoraJen sind auch nur ine Z eic hensprach e wir ·treng und fein er g r:vl da tausrndfältigt·n • tzen
d r Affekle. gehorcht., die aller :Formuli rung durch Ikgriffe gerade
:~.ur Grund ihrer Jlärlc und Bestimmtheitspott n (:w eh
18
/ der frsl~stc B gri Cf hat, dagrgrn gphn ll n, Lwa . ehwim-
Jede Moral ist im Gegensatz zum laisscr aller ein mendrs, Vielfachr , Vi eldeuli grs ). D as W rs .nllichc,
I I tück 'l'yrannci gegen die" atur", auch g eg n die "Ver-
\ uunft" : das ist aber noch kein Einwand gegen sie, man
"im Himmel und auf Erden" , wie s ·sch inl, isl, noch-
mals gcsngl, daß lange und in in e r Richtung gehorcht
müßte denn selbst chon wied r von irgend einer Moral wcrd : dabei komml und kam :1uf die Dauer immer etwas
I aus dekretieren, daß alle Art 'l'yrannci und nvcrnun fL heraus, d s enlwillen e sich lohnt, auf Erden zu lt> b n,
unerlaubt sei. Das ·wesentliche und Duschätzbare an zum Beispiel Tugeucl, l un .- t, l\fusik, Tanz, Vernunft,
jeder Morn.l ist, daß sie ein lang r .:0wang ist: um d n Geistigkeit, - irgend etwa.s Verklärend s, RaffinicrLes,
toizi mus oder P ort-Royal oder das Puritanerturn zu Tolles und Göttliche . Die lange nfreiheit des Geistes,
verstehn, mag man sich des Zwanges rinnern, unter dem der mißtraui cl1e Zw ang in d r Mitteilbarkeil der e-
bisher jede prache es zur tärke und Fr ihcit gebracht, da.nken, die Zu h t, welc1w sich der Denker auferlegte,
- des metrischen Zwanges, der Tyrannei von R eim und innerhalb einer kirchlichen und höfischen Richtschnm
Rhythmu . Wieviel ot haben sich in j dem Volke die oder unter aristotelischen Vorauss zungen zu denken ,
Dichter und die Redner g emacht! - einig I' rosasehr iber der lange geistige Wille, ·alles, was geschi ht, nach ein m
von b euLe nicht ausgenommen, in deren Ohr ein un- chrisllichen chcma auszu legen und den hrisllich en ott
erbittliches Gewissen wohnt- " um i..nerTorheitwillen", noch in jedem Zufalle wied r zu enLd cken und zu recht-
wie utililarische Tölpel sagen, welch sich damit klug fertig n, - a1l dies ewall amc, Willkürliche, Hart ,
dünke.n,-"aus nLerwür.figkcitgeg n ·W illkür- esetze", chauerliche, Widervernünftige hat sich als da fittel
wie die Anarchisten sagen, die ich damit "frei", selbst l1erau geslellt, durch welches dem europäischen Geiste
.freigei ti eh wähnen. Der wunderliche Tatbe tand ist seine Lärke, seine rücksichtslose eugierde und .feine
aber, daß alles, was e von Freiheit, Feinheit, Kühnheit, Beweglichkeit angezüchtet wurde: zugeg eben , daß dabei
'l'anz und meisterlicher icherheit auf Erden gibt oder ebenfalls unersetzbar viel an Kraft und ei t erdrückt,
gegeben hat, sei es nun in dem Denken selbst, oder im ers tickt und verdorben werden mußte (denn lüer wie
R egieren, oder im R eden u.nd ' berreden, in den Künsten überall zeigt sich "die atur", wie ie ist, in ihrer ganz n \
ebenso wie in d n itLlichkeiten, sich er t vennöge der ver schwenderi ·chen und g l eic hgültig en Großartigkeit,
"Tyrannei solcher Willkür-Gesetze" entwickelt hat; und welche empört, aber vornehm isl). Daß jahrtau ende-
allen Ern stes, die Wahrscheinlichkeit dafür isl nicht ge- lang die europäi chen D nk r nur dachten, um etwas zu
ring, daß gerade die " atur " und "natürlich" sei - bewei en - h eute ist uns umgekehrt jeder Denker ver-
und nicht jenes lai ser aller! J eder Künstler weiß, wie dächtig, der "etwas beweisen will' -, daß ihnen ber its
.fern vom efühl des ich-gehen-las ens sein "natürlich- immer f e Land, was al R sultat ihre strengten rach-
ster" Zu stand i t, das fr ie rdnen, r tz n, Vnfüg n. - denken l1erau kommen oll t , twa wi eh 1aals bei
J 7
Jens~its von Out und Böse Zur N atu r geschichte der Moral 99
der asiati chcn A irolorri oder wie heule noch bei der Gewohnheiten h •tTsch n, haben die rseizgeber dafür zu
harmlo cn chri llich-morali · hen u le!rllng d~>r näch tc11 sorrr n, chaliiagc einzuschieben, an d neu solch in Tri b
persönlichen Ereignis e "zu Ehrrn Galle " und "z um in l elten gelegt wird untl wieder einmal hungern lernt.
H eil der e le" : - die e Tyrannei, diese Willkür, die Von einem höher n rt au ge hn, er chein en ganze
sireng und g r andiose Dummh iL hai d n >ci i e rzog n; Gesellleehier und Zcital Pr, wenn i miL irgend ein m
die klav rei ist, wie s scheint, im gröb r en und fein re11 mo rali. c11Cn Fanaii. mu s behaftet auflrel n, als olche
V r sland c das u neo lhehrliche Mittel auch der gei Ligen ciugelegie Zw angs- und F ast ~zei icn, wiihr nd welch n
~u cllL untl Zü chtung. Ma n mag j dc Moral tlaraufhin ein Tri b sich duck n und ni d •rw rf n, ab r auch s ich
nnsehn: di e" atur" in ihr i ·t s, welche das lais er aller, r inig n und sch ärfe n lernt; auch inzeln e philo-
die allzu gr oße Freih it hassen 1 hri und das Bedürfnis sophische klen (z um ß ispiel die ioainmilten der helle-
nach beschränkten Horizonten, nach näch lcn Aufgab n nistischen Kul ur und ihrer mit aphrodisischen Düf n
pl'lanzt,- welche die V r en ge rung d e r P erspe ktiv , überladenen und g il g wardenen Luft) erlauben ei ne der-
und also in gewis em inne die Dummh eit, als ine artige Ausl eg un g. - H iermit ist auch ein Wink zur Er-
Lebens- und W achsiums-Beding un g lehrt. " Du sollst ldärung jenes Paradoxons geg ben, warum g<' rade in der
gel10rchen, irgend wem, und auf lange : sonst gel1st du chr istlichen P eriode Europas und überhaup t er st untn
zugrunde und verlierst di e letzte Achtung vor dir selbst" dem Dru ck chri Uieher W ertur teil der Geschlechislr ieb
- dies scheint mir der moralische Imperativ der :Natur zu ich bi zur Li ehe (amour-pas ion) sublim~rl hat.
sein, w lcl1er fr eilich weder "lcat gorisch" ist, wi es der
alle Kant von il1m verlangte (daher das "sonst" - ), noch 190
an den einzeln en sic1l wendet (was liegt ihr am ein- Es g ibt etwas in der Ioral Plat.os, das nieh eigentli h
zelnen!), wo]ll aber an Völk r, Rassen, Zeitalter, Lände, zu Plato o-ehört, sond rn sich nur a.n seiner Philosophi e
vor allem aber an das ganze 'l'ier "Mensch", an den Men· vorfindet, man könnt sag n troiz Plato: nämlich der
sehen. 'okrali mu , für den r eigentlich zu vornehm war.
189 "K einer will sieh selbst chaden tun, daher geschi hi
Die arbeitsamen Rassen finden eine große Beschwerde alles chlechte unfreiwillig. Denn der chiechte fü g t
darin, den Müßiggang zu ertragen: es war ein feister· . ich selb. t chaden zu: das würde er nicht tun, falls r
s tück des e nglischen Instinktes, den onntag in dem wüßte, da.ß das chlech chiecht i . D emgemäß ist
Maße zu heiligen und zu langweiligen, daß der Eng- der chl chte nur a us einem Irr um schlecht ; nimmt ma11
länder dabei wieder unverm rk nach seinem \Vochen- ihm s inen lrrLum, so macht man ihn notwendig - gu ·."
und Werktage His ern wird: - als eine Art klug r· - Diese rt zu ·chließen ri cht nach dem P öb e l, d r
fundenen, klug eingeschalleten Fa s t n s, wi dergleichen am chlechthand eln nur die l idigen F olgen in · ugc
auch in der antiken Welt reichlich wahrzunehm en ist faßt und eigentlich ur teilt "es ist dumm, schlecht zu
(wenn auch, wie billig bei südländischen Völkern, nicht handeln " ; während er "gut" mit "nützlich und ange-
gerade in Hin ichi a uf Arbeit -). E muß Fasten von nehm" ohne weitere als id niiseh nimmt. Ian darf bei
yi elerl ei . r l geben ; und üb rall , wo mächtige Tri"be und jecl m tiliiari mu . der Ior al von vornh er ein a uf di s n
7'
100 ,J ns~its von Gut unu Biise Zur Naturgcs!'hichlc d r Mornl 101

g leid1rn llrspruncr ralen und seiner a.s folg n: ID<Ul n•clP c er sirh zu, sich de~dt::t.l b von d n Instinkten
wird. eltrn irrcgehn. - P lalo hal all g lan, um rlwa lös n! Man muß ihnen un l auch der Vernunft zum
fi'einPs un d Vornehmes in d<'n atz seines Lehrcrs llin cin- Hecht v rhelf •n, - mau muß dt>n In stinJden .folgen, aber
zuint.crprciiet·rn , vor :tll<'lll sich sclbsl, - er, der v r- die V er nun ft ü berr den, ihnen dabei mit guten ründen
;:!,eg n ·tc aller Tntcrprcl n, diJ' den gn.nz n okralPs nur nu.ehzu h Jf n. Dis war die eigen llichc F~dschhcit
wie in populär s Th ma und Volkslied von der 'assr jenes großen gehcimnisr icltclt IronikP r ; e1· brachte sein
J)ahm , um es ins nc.ndlirl1e und mnüglichr zu vari irrPn: Gewissen dahin, sich mit einer Arl lbstüb rlistuug zu-
1ülmlich in alle sri ne eignrn Masket unrl Virlfiilligi,Pi! n. frieden zu geben: im Gnwd hatic r das Irratio nale im
Im •'chrrz grsprochen, und JlOC h dazu l10mPri. eh : wa!'l morali ' Ch 11 Urteile durch chau t. - Plato, in sol chen
isl clrun rler plaloni ·ehe okrales, wenn nicht J)iugen unschuldiger und ohne die Vcrsclunilzthc it des
Plebejers, wol! Le mit ufwand aller Kraft - der größleJJ
Kraft, die bi h · r ein Philosop h aufzuwenden hatte! -
sich beweisen, daß Vcrnun.fl und Inslinkt von selbst auf
191
ein Zi 1 zug hcn, a uf das Gu e, auf "Gott" ; uncl seit
Dn.s ::d ie !h eo logi ·ehe Problem von " la ubcn" und Pla.to sind all e Tl1 olog n und Philo ophen auf d r glei-
" vVi ssen"- odrr, deutlicher , von In linkt nnd VPrnuniL r ltcn Bahn, - das h ißt, in Din gen der Moral hal bis-
- also die Frage, ob in Hinsicht auf \Verl chälz ung der her der ln tinkl, oder wie die hristen es nennen " der
Din ge d r Tnslinkt mehr Au Loritä.l verdiene als die V cr- Glaube", oder wie ich es n nnc "cli H erde" g icg!.
nün f! igkei l, welche nach Gründen 11ach ein em \Var um ?" Man müßte denn Dcscarlcs au nehmen, den Vater d s
2also nach Zw eckm äß igkeil und ' Tii lzlich ke/~ gcschii.tz; Rationalismus (und folglich r oßvater der Revolution),
welcher der Vernunft allein utoritii.t zuerkn.nnte: aber
und gehandeli wissen will, - es i t imm er noch j n
alle moralische Problem, wie es zuerst in der P erson des die Vernunft ist nur ein \Vcrkzeug, und D escarles war
okrale auftrat und lange vor dem hri slcntum schon obcr.flächlich.
di e cisler gcspaltet hat. okratcs selbst hatLe s ich zwar
192
mit dem Geschmack eines Ta.lcn Les - dem ines über-
leg neu Dialektik ers - zunii hst auf eiten der Ver- W r der G~ c.hichl einer einzelnen vVisscnschaft nach-
nunft gc i.ellt; und in \Vahrheit, was hat er sein Leben gcgaJJg n ist, der findet in ihrer Enlw icklung einen L eit-
lang gcta n, als über die linkische n fä.higl<eit sei ner l'a.den zum Ver Uindnis der iiltesLen und gemein ll'n Vor-
vorn elun n Athen er zu lac hen, welche Menschen d s In- gänge alle "'V is c ns und Erkennen " : dort wie hi r sind
s tinktes waren gleich aJl n vorn ehm en .Mcn eh 11 und die voreiligen IIypolliesen, die Erdichtunge n, der gule
niemals g nü g ncl über die ründc ihres Handeln Aus- dumme Wille zum "G laub n", der 1a.ngcl an ::.\Jißlrauen
kunft geben Jwnnten? Zul etzt aber, im till cn und ge- und Geduld zuerst enlwick ll, - unsre innc l rucn es
heimen, lachLe er auch über sich elbsL: er fand bei sich späL, und lernen e nie ganz, f ei ne, lr ue, vorsichtige Or-
vor sei nem feinrren Gewi · n und elbslverhör, die gane der Erkenntnis zu ein. ns rm Au ge fällt s b -
gleiche ~'clnvierigkril und Unfä.higkcil. \V zu a.bcr, quem r, a.uf incn g<'gcben n Anlaß hin in chou öfte r
102 Jt'nscits v o n Gut nnd Blls~
zur N atu r gesc hi eht der M o r a l 10~

erzeugtes Bild wi drr ;.:u <'l'Z ugrn, al das Abweiche nde de Augrn-au dntcks muß al o von mir hinzug dichte
und reue ein!'s Einclrucl<s bei sich I slzuhall n : lcizt res sein. W ahrsch inlich machle die P r on ein ganz andres
brauclü mehr KraH, mehr "Moralitä t". Etwas Neue esichi oder gar keins.
hör n i i d m Ohre peinlich und sch wirrig; frrmde Musik L93
hör n wir schlecht. nwillkürl ich ver uchen wir, b rim Quidquid lu ce fuit, ienebris agi : abe r auc h mugr·
llör n einer andren prachc, die gehörten Laut in Worlc Jcch ri. Vv a wir im Traume erleben, vorau g setzt, daß
einzuform en, welche uns vertraut r und hcimischPr wir es oftmals rleben, gehö rt zuletzt so gut zum ·
klingen: so machte ich zum Beispiel der Deutsche h e· samthaus hat unsrer eele, wi irg nd etwas "wirklich "
mals aus dem gehörten arcubali La das \Vori Armbru st Erlebtes : wir sind vermöge de selb n r icher oder ärmer,
zurecht. Das re ue findet auch un r e inne I indlich haben in edürfnis mehr oder wenige1· und wcrd n
und widerwil lig ; und überhaup t h e rr s h en s hon bei schli ßlich am h llen lichten Tag , und s lbst in d n
den "einfach ·tcn" Vorgänge n der innlichke it die Affrkie, heiLersten ugen blick n unsre wachen isies, ein wenig
wie Furcht, Liebe, IIaß, eingeschlossen die passiv n von d n Oewöhnu ngen unsr er 'frlium g gängelt. c·
Affekte der Faulheit. - owenig ein L eser heule di sciz i, d:tß einer in se inen Träum en oftmals g flog n i L
einz ln en W orte (od r gar ilbcn) in er eile säm llich und ndlich, sobald er Lräumi, sich iner Kraft und
abli sL - er nimmt vielmehr aus zwanzig W orten uu· Kunst des Flicgens wie seines Vorrechtes bewußt wir~l ,
gei tihr fünf nach Zufall h eraus und "errät" den zu diesen auch wie s ines ig nsicn b ncidensw erten lüclcs: e1n
fünf W orten mu imaßlich zugehörig en inn - , ebenso· solch r, cle1· jede Art von Bogen und Winkeln mit dem
wenig sel1en wir einen Baum gerrau und volls tändig, in leis sien ] mpuls ver wirklichen zu können glaub~, der
Hinsicht auf Blätter, Zweige, Farbe, Gcs alt; es fällt das efühl einer gewiss n göitlichen LeichifcrtJ gk It
uns so sehr viel leich ter, ein ng fähr von Baum hinzu· kennt, ein "nach oben" ohne pannung und Zwang, ein
J phantasie ren. lb. i inmitten der seltsamst en Erlebnisse "nach unten" ohne H era blassung und Erniedrig ung -
machen wir es noch ebenso : ' ir erdi ch icn uns d n g rößten o1Ule chw ere!- wie sollt der Mons h solcher 'J.'raum·
Teil des Erlcbn i ses m1d sind k aum dazu zu zwingen, Erfahrun gen und Tra um-Oewo hnheiienn i chL endlich aucJ1
nich i als "El'finde r" irgen d einem Vorgange zuzu- für sein n wachen 'fag das ·w or L "Glück" andcr g färbt
schau en . Dies alles will sagen : wir sind vou Grund aus, und bes timmt finden! wie sollte er nicht and r s nach
von alters her - ans Lü ge n gewöhnt . Oder, um Glüclc - v rl angcn? , ufschw ~", so wie dies von
Lugendha rter und heuchl erischer, kurz ang nehmcr au . Dichtern beschrieb n wird, muß ihm, gegen jen •s "Fli e·
zudrücke n : man i. i viel mehr Kün. iler, als man weiß. gen" gehal n, schon zu rdcnh a fi, muskelha fi, gewali·
- In einem lebhaften Gr 1 räch sehe ich oftm al das e- am, chon zu "schwer" sein.
sicht d r P rson, mi der ich r dc, je n h dem danlc en,
den sie äußert od r den ich bei ihr bervorg rufen glaube, l 94
so deu llich und fein bestimmt vor mir, daß die er Grad Die Verschied en hcit der 11enschen zeigt sich nicht
von D euilichlce ii weit über di Kraft meines ehvermö- nur in d r Ver chie'denhe it ihr r üicrtaf ln , al so darin,
gens hinau geht: - die F einhit des Muskel piels und daß sie verschied n üicr für er ·treb nswcrt hallen
7. u r· N a t u r g e c b i c h t P d e ,. ~I o ,. a I 101)

"verdiene", grade nach ihr e r H ilfe v ·rlange, und fur


all Hilfe sich ihnen tief dankbru·, anhänglich, unter-
würfig beweisen werde,- mit die~en Einbildungl'n ver-
fügrn sie über den Bedürftigen wi ülwr ein • igentum,
wie sie aus einem V dangen nach Ei"' ntum überhaupt
wohltäbge und hilfr iche Mcn eh n ·ind. Man findet
sio eifer üchtig, wenn man ·i beim H el frn lu uzt oder
ihnen zu vorkommt. Die EI Lcm ma hcn unwillkürlich
aus dem Kinde etwas ihnen Ähnliche - sie nenn en das
"Erziehung" - , k eine Mu i er zweifelt im runde ihr s
IlerzeJlS drtran, am Kinde sich ein Eige ntum geboren zu
haben, k ein Vater besü eiLet sich das R ech t, es seinoll
Begriffen und W er ischäiz ung n unterwerfen zu dül'fc.n .
Ja, ehemals schien es den V[liern billig, über L eben und
'f'od des eugebornen ('vie unter d n alten D eut ehcn)
nach Gutdünken zu verfügen . nd wie der Vater, :o
s l1en auch jetzt noch der L ehrer, der Land, der Pries t r,
der Fürst in j dem neu cn Mensch en ine unbedenklich e
leg nh eit zu ncuem B sitze. vVoraus folgt ...

f 95
Di Juden - ein Volk, "geboren zur kla ver ei ", Wl'
TaciLu · und die ganze antike \VeH sagt, "da · au erwählte
Volk unter den Völkern", wie. ie elb t agen und glau-
ben, - die Juden haben jene· Wunders tü ck von m·
k ehrung d r Wer Lc .zu ande gebracht, dank welchem da
L eben auf der Erde .für ein paar Jahr ·w ·end einen neu n
und gefährli cll'n R eiz erhaHcn h at : - ihre Propheten
haben "reich ", "gottlos", "bö e", "ge walHäLig"", innlich"
inEin g ·e hmo lzenundzumcrs n (al dasWori"\Velt "
zum ch andwort gemünzi. l n die er mkehrung der
W erie (zu der g hört, das \ Vori für "Arm ' al yu-
ouym miL "Heilig" und "Freund" zu brauchen) liegt die
Bedeutung de jüdi chen Volk : mit ihm begi11nt der
klaven -Auf Land in der l oral.
l06 .Tenseits vonGut und Böa Zur Naturge!fchicht der Moral 107

b haJtet mit dem Wink lgcruch alter Hausmi tel und


196 Altweiber-Wei heil; all 'samt in der Form barock und
Es gibt unzählige dunkle Körper n bcn d r onn zu unvernünftig - w il si sich an "alle" w nden, weil
ersc hli ßen,- solche, di wir ni se hen werden. Da· sie g neralisier n, wo nicht. generalisiert werden darf - ,
ist, unlcr un · gesagt, in lcichni ; und ein Moral- t~llesamt unb dingt. redend, sich unbedingt nehm nd, allr-
.[ sycholog liest die g amte t rnen chrift nur a ls eine samt nicht nur mit e in em I or.ne alz gewürzt, vi 1-
lcichni s- und Zeichensprache, mit der si h vi lcs v r- mchr ers t ertr äglich, und bisw ilcn sogar v riührerisch,
s hwcigen läß t. - w nn sie überwürz t und gefä hrlich zu riech n lernen, vor
allem "nach der anderen W lt.": das ist alles, in toll k -
1 97
tuell gemessen, w nig w rt und nocl1langc nicht "Wisse n-
Man mißvrr teh t das R a ubti r und den Rau bmenschelt s hait", gc chwoigc denn "\Vcishcit", ondern, no ·l1mals
(zum Bei picle e are Borgia) gründlich, man mißver- gesagt und dreimal gesagt, Klughei t, Klugheit, Klug h it.,
steht die " atur", ·olano-c man noch nach einer "Krank- gemi cht mit Dummh it, Dummheit, Dummheit,- sei es
hai igkeit" im runde dieser gesündesten aller tropi- nu n jene loiehgültigkeiL und Bild äu lrnkii.lt.o g<'g n die
chen utier e und ewii.chse st tcht, oder gar nach ein er hitzi ge arrheit der Affekte, w l chc die Laikor anriete n
ihn en eingebarneu " H ölle" - : wie es bis her fast alle und ankur.iertcn; oder auch jenes .riicht-mehr-L ach n und
Moralisten getan haben. Es scheint, daß s bei den Nicht-mehr-Weinen des pinoza, ine so naiv bef ürwor-
Moralist<m einen H aß gegen den rw a l.d und gegen di tete Zer störung der Affekt dur l1 Analysis und Vivisek-
Tropen gibt ? nd daß der " tropi sche Mensch" um jed n ti on derselben; od r jcn H erab iimmung der ff kLe auf
Preis diskreditiert werden muß, sei es a1s Kra nkheit und in unschädliches 11it.iclmaß, bei w lchem sie befriedigt
, Entartung des Menschen, sei es als ign c H ölle und werden dürfen, der Ari. La li. musder Moral ; ll)st Moral
clb t-Marterung? Warum doch? Zugun ·t n der "ge- als Gcnuß der Affekte in einer absichtli hen V rdünnun g
mäßigten Zonen"? Zug unstcn der gemäßigten .[ nschen? und V crgei tigung, durch clie ymbolik der Kun · , twa
D r "Moralischen"? Der Iittelmäßig n ? - Dies zum f~l · Iusik, oder als J_,iebe zu oLL und zum l enschcn um
J apitel " 1oral als Furch samlceit". o ies willen - d nn in der R eligion h aben die L cicl n-
soh aflen wieder Bürg rr ht, vorau ge ctzt daß - - ;
198 zul tzt sellJst jcn nt..,. g nkommcnde und mutwillig
ll. c diese l oralen, die sich ~lll die ciuzelnc _p rso n Ilingebung an ui c ffe k te, wi sie H afis u nd G eth g -
wenden, zum Zwecke ihr s " Hi cke ·", wie s heißt, - lehrt haben, jenes kühne Fallcn.la sen d r Züg l, j ne
was sind si anderes als Verhaltungs- orschläg im V r- geistig-leiblich li ccntia morum in d m Ausnahmefall
hälLnis zum . radc der efährlic hk eit, in wclcl1er di aller weiser Käuze und Trunk .nboldc, bei d neu s "w nirr
inzelnc P er on mit sich s lb t 1 bt; R ezepte g gen ihre efahr mehr ha " . uch die zum Kapitel "Mora l als
Leid n chaften, ihre guten und schlimmen Hängr, ofrrn Fur h t amk it".
sie den Willen zur 1acht haben und den H errn spielen
möchten ; kl in e und große Klughei u und Kün teleien ,
J~nscits von ut und Böse Zur N n turge sc bichte d er M orn l 113
in ein m Willen, in rincr ßrgabunrr liegt, das i t jetzt :Moral mit abge chafit: sie wäre nicht m hr nötig, si
di moralische J> r ·p klivc : die Furcht i i auch hier hielte sich selbst nicht mehr für nötig! - W er das
wieder die Iu iter drr foral. n den hüch len und Gewis n de h utig n Europä r prüft, wird aus tausend
RliirkRtrn Trieben, w nn si , lridcns haftlieh ausbrechend, morali chen Falten und Ver tecken immer den gleichen
drn riozeinen weit iih •r drn Dmchschn iit und die rirdc- Imperativ herau zuziehen hab n, den Imperativ d •r
rung d TI rdeng wis cns hinaus- und hin anHreiben, gdll, Herden-Furchtsamkeit: "wir woll n, daß irgendwann
rla s ' lhstgrfü hl der cm indc zugr unde, ihr Ol::mbe an einmal nichts mehr zu fürchten gibt!" Irg .ndwann
s ich, iJu· Rü ckgrat lci ·hsam, ?.erbric-ht: fo lglich wird einmal - der Wille und W eg dorthin h eißt heul in
mau g radc di e e 'rri b am hcsit>n brandmarken und Europa überall 'der "Fortschritt".
vrrl tunden. Die l10hc unabhilng igc Ooistigk it, der Will e
zum Alleinstehn, die groß Vcrnunit schon werd n als 2 2

cfahr mpfunden; alles, wa den inz lncn über di l' agen wir es sofort noch einmal, was wir schon hun-
H erde hin au hebt und dem rächsten Furcht macht, l1 ißt. dertmal gesagt h abe11: den n die Ohren sind für solche
von nun an böse; die billige, besch idene, ich inord- Wahrheiten - für unsre Wahrheiten - heute nicht gut-
ucnde, gleichsetzende G sinnung, das fit telmaß der willig. Wir wissen es scJwn ge13ug, wie beleidig nd es
Begierden kommt zu moralischen ~tm n m1d Ehr n. End- klingt, wenn einer überhaupt d~n Men chen ung schminkt
li ch, uni r · hr friedfertig n Zu ständen, fehlt die Ge- und ohne Gleichnis zu den Ticr0n rechnet; aber es wird
leg nheii und ütigung immer mehr, sein Gefühl z1.1r beinahe als Schuld uns angercchn t werden, daß wir
•'ll·eng und Härte zu crziehn; und jetzt beginnt jede gerade in bezug auf die Menschen der "modemen Id en"
'lrengc, elbst in der rr chligkc_ii, die Gewissen z11 beständig die Ausdrücke "Herde", "Herden-Instinkte"
türcn; ein e hohe und harte Vorn ehmhei t und elbst- und dergleichen gebrauchen. Was hilft es I Wir kÖnnen
Veraniwortli chkeit beleidigt beinahe und e1'Weckt Miß- nicht anders: denn gerade hier liegt unsre neue Einsicht.
trauen, "das Lamm ", noch mehr "dn. · chaf" gewinnt Wir fanden, daß in allen moralischen Haupturteilen
a.n Achtung. Es gibt einen Punk t von krankhafter Ver- Europa einmütig geworden ist, die Länder noch hinzuge-
mürbung und Verzärtlichung in der Geschichte der Ge- rechnet, wo Europas Einfluß herrscht: ma.n weiß ersicht-
llschait, wo sie selb t für ihren chii.diger, den V e r - lich in Europa., was okrates nicht zu wissen meinte, und
b r echer, Partei nimmt, und zwar rn sthaft und ehrlich. was jene al te berühmte chlangc einst zu lehren verhieß,
trafen: das scheint ihr irgend worin unbillig, -gewiß - ma.n "weiß" heute, was gut und böse ist. Nun muß
ist, daß di e Vorstellung " Lrafe" und " trafen oll n " ihr es hart k lingen und schlecht zu Ohren gehn, wenn wir
we he tut, ihr Furcht macht. ,Gcnü"'t e nicht, ihn un - immer von ncuem darauf bestclm: was hier zu wissen
ge fährlich machen? \Vozu noch tr:.t.fen i' trafenselbst gl:Lu.bt, was hier mit seinem Loben und T adeln sich selbst
i t fürchterlich! " - mit dieser Fra<rc zieht die H erden- verherrlicht, sich selbst gut h eißt, ist der Instinkt des
Ior·al, die 1\Ioral der Furchtsamkeit, ihre letzte Konse- H erdentiers Mensch: als welcher zum Durchbruch, zum
quenz. esetz , man k önnLe überhaupt die Gefahr, den bergewicht, zur Vorherr cltaft über a.ndl·e Instinkte ge-
Grund zum ]ürchten, absrhaff n, o hätt man di e !' ko=en i t und immer mehr kommt, gemäß der wachsen-
J
Zur Naturgeschichte der Moral 115
----------------
strafende Ocr chtigkeit (wie als ob sie eine Vergewalti-
gung am chwäch ren, ein nrecht an der notwendigen
Folge aller früheren Gesell chaft wäre -); a.ber eben o
eins in d r Religion d Mitleid ns, im 1Iiig fühl, soweit
nur gefühlt, gelebt, g litten wird (bis hinab zum Tier,
bis hinauf zu "Gott": - die Ausschweifung inC's "Mit-
leidens mit olL" gehört in in drmokra.ii eh s Zeit.-
n.lter -); ins a.ll samt im chrei und d r ngcduld de
liiiilcidens, im Todha.ß gegen das Leiden überhaupt, in
der fast weiblichen Unfähigkeit, Zuscluwer dabei bleiben
zu können, leiden 1as s e n zu können; ins in der unfrei-
willigen Verdüsterung und Verzlirtlichung, unter deren
Bann Europa. von einem neuen uddhi smus bedroht
scheint; ins im Glauben an die Moral d s gemeinsamen
l\Iitleidcns, wie als ob sie die Moral an sich sei, als die
Höhe, die erreichte Höh e des 1enschen, die alleinige
Hof.fnung der Zukunit, das 'l'rostmittcl der Gegenwärti-
gen, die große Ablö ung aller chuld von ehedem: -
eins a.ll samt im 0 la.uben an di ' meinschaft als di
Erlöserin, an di e Herde also, an "sich" ...

203

Wir, die wir eines andren Glaubens sind, - wi r, denen


die demokratische Bewegung nicht bloß als ine Ver-
falls-Form der politischen Organ isation, sondern als er-
falls-, nämlich Verkleinerungs-Form des lenschen gilt,
als sein Vermittelmäßigung und W rt-Ernicdrigung:
wohin müssen wir mit unsren Hoffnungen gre ifen? -
Nach neuen Phi l osophen, es bleibt keine Walü; nach
eistcrn, stark und ur prünglich gen ug, um die Anstöße
zu entgegengesetzten \Ver hätzungen zu geben und
"ewige W crte" umzuwerten, umzukehren; nach Voraus-
gesandten, nach Menschen der Zukunft, welche in der
egenwart den Zwang und Knoten anknüpfen, der den
Willen von Jahrtausenden auf neu e Bahnen zwingt.

116 Jensei t s von Gut und Böse Zur Naturgeschichte de r Moral 117
Dem Menschen die Zukunft de Menschen als seinen nicht einmal ein "Finger Gottes" miLspielte! - wer das
Will n, al abhängig von incm Menschenwillen zu Verhängnis errät, das in der blöd. innigen Arglosigkeit
lehr n und große \Vagni e und Gesamt-Versuche von und Vertrauen seligkeit der "mod rnen Ideen", noch mehr
Zucht und Züchtung vorz11b r itcn, um damit jene r in der ganzen chri tlich~uropäi ·chen Moral verb rg rt
. chau rlich 11 n rr chafL des . nsinns und ZufalJR, di liegt: der leidet an iner Beängs tigung, mit d('r sioh keine
h1 her "Ge. chichtc" Jtieß, ein Ende zu mach n - der andre vergleicll n läßt,- er faßt es jn. mit einem Blicke,
Unsinn d r , größten Zahl' ist nur seine letzte Form - : was alles noch, bei ein r günstigen Ansammlung und
daz u wird irgendwann einmal ine JWu Art von I hilo- teige rung von Kräften und Aufgaben, aus d em M en-
sophe n und B fehlshabern nötig sein, an der n 'Bilde sich sch en zu züchten wäre, er weiß es mit all m Wiss n
alle , was auf Erde.n an verborgenen, furchtbaren und seines Gewis ·ens, wie der Mensch noch unau geschöpft
wohlwollenden Gei stern dagewesen ist, blaß und ver- fü r die größten Möglichkeiten ist, und wie oft schon der
zwergt ausnehmen möchte. D as Bild solcher Führ r ist Typus Men ·eh an geheimnisvollen Entscheidungen und
es, das vor un sor n ugen schwebt: - darf ich es laut neucn W egen gestanden hat: - er weiß noch be ser,
sagen, il1.r fr ien Geister? Die mstände, w lchc man zu aus seiner schmerzlichsten Erinnerung, an was für r-
ilu:er Ent Lehung teils scha.f.fen, teils ausnu tzcn müßte ; bärmlichen Din gen ein W erdendes höchsten R anges bis-
die mutmaßlichen Weg und Proben, vermöge deren eine her gewöhnlich zerbrach, abbrach, ab ank, erbär~li c h
eele zu einer solchen H öhe und ewalt aufwüchse, um ward. Die Gesamt-Entartung d es Me nscll en , hmab
den Zwan g zu diesen Aufgaben zu empfinden; eine Um- bis zu dem, was heuLe den sozin.listischen rl'ölpeln und
wertung der Werle, unter der n ncuem Druck und Ilanl- Flachköpfen als ihr "Men eh der Zukunft" er ·cheint,
mer ein Gewissen gestählt, ein H erz in Erz verwandelt als ihr Ideal! - diese Entartung und V erkleinerung d s
würde, daß es das Gewi cht einer solchen Verantwort- 1 nschen zum volllcommnen H erdentier e (oder, wie sie
lichkeit ertrüge ; andrerseits die otwendigkeit_ solcher sagen, zum 1 nschcn der "fr eien Gesell cl~afL"), dies
Füllrer, die erschreekliche Gefahr, daß sie ausbleiben Vertierung des 1enschen zum Zwergtiere der gl eichen
oder mißraten und entarten könnten - das sind unsre Rechte und Ansp-üche ist möglich, es ist kein Zweifel!
eige ntlichen orgen und Verdüstcrungcn, ihr wißt s, ihr W er diese 1öglichkcit einmal bis zu Ende gedach t hat,
freien Geister ? das sind die schweren f ernen Geda.nlten ken nt einen Ekel mehr als die übrigen 1cnschen, - und
und ewittcr, welche über den Himmel un s r es Lebens vielleicht auch eine neue Auf gabel--
hingehn. Es gibt wenig so empfindliche chmerzen, als
einmal gesehn, erraten, mitgefühlt zu haben, wie ein
außerordentlicher Mensch aus seiner Bahn geriet und
en tar tete : wer aber das seltne Auge für die Gesam t-
Gefahr hat, daß "der Mensch " selb t en tart et , wer,
gleich uns, ·die ungeheuerliche Zufälligkeit erkannt hat,
welche bisher in Hin icht auf die Zukunft des Manschen
ihr piel ·piel tc, - ein 'piel, an dem k ein e Hand und
Wir G l e hrt e n • 11!1

war, ist sie nun in vollem übermu te und Unver tande


darauf hinau , der Philosop hie Gesetze zu mac hen und
il1rcrsei t einmal den "H errn " - was sage ich! d n
Ph i losonh e n zu spielen. Mein Lted11ch nis - da Ge-
däch tnis eines wissenschaftlichen Mensch en , m it V rlaub 1
SECHSTES IIA UPT. TÜCK - strotz t von aivitä ten des H ochmuts, die ich seitens
junger Naturfor eher und alter Ärzte über Philosophie
WIR GELEHRTE und Philo oph en gehört habe (nich t zu r eden von den ge-
bildetsten und ein g bildeisten aller Gelehrten, d n I hila-
20 4
logen und chulmä nnern , welche beides von Berufs wegen
uf die GefaJu hin , daß 1orali ieren sich auch hier sind -). Bald war es der pezialist und Eckensteh r,
a1 das heraus tcllt, was es immer war- nämlich als ein der sich in stinktiv überhaupt gegen a lle syntheti schen
unverzagtes montrer ses plaics, nach Balzac - , möch te Aufgaben und Fähig keiten zur W ehr set zte ; bald der
ich wagen, einer ungebührlichen und schädlichen R ang- fl eißige Arbeiter, der ein en Geru ch vom otium und der
verschiebung entgegenzutreten, welche sich heute, ganz vornehmen ppigkci t im e Jen-Haushalte · des I hilo-
unvcrmcrkt und wie mit dem bes ten Gewi scn, zwi eben ophen bekomm en hatte und sich dabei be inträc htig t
Wissenschaft und Philosophie herzustellen droht. I ch und verkleinert fühlte. Bald war es jene .Farben-Blind-
meine, man muß von sein er Erfahrung aus - Er- heit des .t: ützlichkeits- 1enschen, der in der Philosophie
fahrung bedeutet, wie mich dünkt, immer schlimme Er- nichls sieht als eine R eihe widerl eg t e r ysteme und
fahrung? - ein Recht haben, über eine solche höher e einen verschwenderischen Aufwand, der niemandem "zu-
. Frage des Range mitzureden: um nicht wie die Blinden g ute kommt". Bald spr ~Ulg die Furch t vor verkappter
von der Far'pe oder wie .Frauen und Künstler g eg en 1ys ti1: und Grenzberichti g ung des Erkennens hervor;
die Wissenschaft zu reden (, ach, diese schlimme Wi. scn- bald die Mißachtung einzeln er Philo ophen, welche sich
schafL I seufzt deren Instinkt und cham, sie kommt unwillkürli ch zur Mißachtung der Philosophie verall-
immer dahin tel'! " - ). Die nabhängigk cits-Erklärung gemeinert hatte. Am häufig ten ndlich fand ich bei
des wissenschaHliehen lenschen, sein e Emanzipation von jun gen Gelehrten hinter der hochmütigen ering-
der Philosophie, ist eine d fein ren achwirkungen schä tzung der Philosophie die schlimme Nachwirkung
des demokratischen \Ve ens und nwcsens : die elbst- eines Philosophen selbst, dem man zwar im ganzen den
verherrlichung und elb tü berh bung des el hrten steht Gehorsam gekündig t hatte, ohn e doch aus dem Banne
heute überall in voller Blüte und in ihrem bes ten Früh- einer wegwed enden \ Vertschätzungcn anderer Philo-
linge, - womit noch nicht g esagt sein soll, daß in diesem ·ophen b rausge treten zu ein: ~ mit dem Erg bnis einer
• Falle Eigenloh lieblich röche. "Lo von allen H erren I" Ge amt-Verstimmun ggegen all e Philosophi e. (D rgcs alt
-so will es auch hier der pöbelmänni ehe Instinkt; und scheint mir zum Bei piel die achwirkun-g chopcn-
nachdem sich die Wis ensehaft mit glücklich tem Erfolge haucrs auf da neue te Deut chland zu in: - er bat
der 'J.heologie el'wehl't ha t, deren " 1agd" sie zu lange es durch eine unin tclligente Wu auf IIeg el dahin ge-
120 J~nsei t s ' 'On G ut und B öse W i r G e l e hrt e n 12 l
bracht, die ganze letzte Generation von Deutschen aus Zuletzt: wie könnte es auch anders ein ! Die Wis en-
dem Zusammen hang mit der deut chen Kultur heraus- schaft blüht heute und hat das g u le Gewi sen reichlich
zubrechen, welche Kultur, alles wohl er wogen, ine H öhe im Gesicht , während das, wozu die ganze n euere Philo-
und divina.tori ehe F einheiL des histor isc h en Sinne s sophie allmählich gesunken ist, dieser Rest Philo ophi
gewe en ist : aber chop nhauer selbst war gerade a n von heu Le, Mißtrauen un d Mißmut, w nn n icht poti
dieser Lellc bis zur Geniali tät arm , unempfäng lich, un- und litleiden gegen sich r gc macht. Philosophie auf
deutsch.) Überhaupt, in s Große ger chnet, mag es vor ,.Erk ~ nntnistl1 eo ri e " reduzi rt, ta.lsächlich nicht mehr als
llem das Menschliche, llzumen chliche, kurz die Arm- eine schüchterne· Epochistik uod Enthaltsamkeitslehre :
eligkeit der neueren Philosophen selbst gewesen s in, eine Philosophie, die gar nicht über die chwelle hinweg-
as am g ründlichsten der Ehrfurcht vor der Philosophi ko= t und sich pei_nlich das R echt zum Eintritt ver-
Abbruch getan und dem pöbelmännischen Ins tinkte di w ei g ert - das ist Philosophie in den letz te n Zügen,
Tore aufgemach t hat. Man gestehe es sich doch ein , bi. ein Ende, eine gonie, etwas das Mi tleiden macltt. Wie
zu welchem Grade unsr r modernen W lt die ganze Art könnte eine solche Philosophie - h e rr s ch en!
der H eraklite, Platos, Empedokles', und wie alle die c
königlichen und prachtvollen Einsiedler des Geis tes g - 2 05
heißen haben, abgeht; und mit wie gutem R echte an- Die Gefahren für die Entwicklung des Philosophen
gesichts solcher Vertreter der Philosophie, die heu tc, sind heute in W ahrheit so vielfach, daß man zweifeln
dank der Mode, eben o obenauf als untendurch sind - in möchte, ob di se Frucht überhaupt noch reif werden kann.
Deutschland zum Beispiel die beiden Löwen von Bcrlin , Der mfa.ng und der 'rurmbau der Wi · n schaften ist
der Anarchist Engen Dühring und der Amalgamist ins Ungeheure gewachsen, und damit auch die Wahr-
Eduard von Hartmann - ,ein braver Men eh der Wiss n- scheinlichkeit, daß der Philosoph schon als L ernender
schaft sich besserer Art und Abkunft fühl en darf. E s müde wird oder sich irgendwo festhalten und ,.speziali-
ist insonderheit der Anblick jener Mischmasch-Philo- sieren" läß : so daß er gar nicht mehr auf seine Höhe,
sophen, die sich ,.Wirklichkeits-Philosophen" od er .,Posi- nämlich zum überblick, mblick, Niederblick kommt.
tivi ten" n ennen, welcher ein gefährliches Mißtrauen in Oder er gelangt zu spät hinauf, dann, wenn seine bes
die eele oine jungen, ehrgeizigen Gelehrten zu werfen Zeit und Kraft schon vorüber ist; oder beschädigt , ver-
imstande is t : das sind ja bestenfalls selbst Gelehrte und gröbert, entartet, so daß sein :Slick, sein . csamt-Wert-
pezialisten, man greift es mit I-l ä nden! - das sind ja urtcil wenig mehr bedeutet. Gerade die F einheit seines
allesamt Überwundene und unter die Bo mäßigkei t der intellektuellen ewissens läßt ihn vielleicht unterwegs
Wissenschaft Zu rückgebrachte, w lche irgendwann zögern und sich verzögern; er fürchtet die V crführung
inmal mehr von sich gewollt haben, ohne ein Recht zu zum Dilet tanten, zum Tausendfuß und 'l au end-Fühlhorn,
die ·em .,mehr" und seiner Verantwortlichkeit zu haben er weiß zu gut, daß einer, der vor ·ich selb t die Ehr-
- und die. jetzt, ehrsam, ing rimmig, rach üchtig, den f urcht verloren hat, auch als Erkennender nicht mehr
Unglaub en an die Herren-Aufgabe und H errschaftlich- befiehlt, nicht mehr führt: r müßte denn chon zum
k eit der Philosophie mit Wort und 'rat repräsentieren. g roßen chau pieler werden wollen, zum philosophischen
122 Jenseite von Gut un d Böse Wir Gelehrten 123
---
agliostro und Rattenfänger der Geister, kurz zum Ver - richiungen des Menschen. In der 'rat, man gesteht ihnen
führer. Die ist zuletzt eine Frage des Geschmacks: beiden, den Gelehrten und den alt n Jungfern, gleichsam
wenn es selbst nicht eine Frage des Gewis ens wäre. E zur Entschädigung die Achtbarkeit zu - man unier-
kommt hinzu , um die chwierigkeit de Philosophen noch sireicht in diesen Fällen die Achtbarkeit- undhainoch
einmal zu verdoppeln, daß er von sich ein Urteil, ein an dem Zw ange dieses Zug stän d niss s den gleichen Bei-
Ja oder Nein nicht über die Wissenschaften, sondern über satz von Verdruß. ehen wir genauer zu: was ist der
das Leben und den W ert des Lebens verlangt, - daß er wissensch::Lftlichc Mensch? Zunächst eine unvorn hrne
ungern daran g lauben lern t, ein R cht oder gnr eine Art 1ensch, mit den Tugenden einer unvorn hmen, das
Pflicht zu die •m rtcil zu h ab n, und sich nur aus dc11 heißt nicht herrschenden, nicht autoritativen und auch
umfän glichsten - vielleicht störendst en, z rs lör endst n nicht Selbstgenugsamen Art Mensc h: er hat Arbeitsam-
- Erlebni se n heraus und oft zögernd, zweifelnd, ver- keit, geduldige Einordnun g in R eih und Glied, Gleich-
stummend, einen Weg zu jenem R echte und jenem Iau- mäßigkeit und {aß im Können und Bedürfen, er h at
ben suchen muß. In der Tat, die f enge hat den Philo- den Instinkt für seinesgleic hen und für das, was seines-
sophen lange Zei t verwechselt und verkannt, sei es mit gleichen nötig hat, zum Beispiel jenes ~ück nabhängig-
dem wissenschaftlichen l\1en schen und idealen Gelehrten, keit und grüner Weide, ohn welches s keine Ruhe det
sei es mit dem r elig iös gehobenen, entsittlichten, "ent- Arbeit gibt, jenen Anspruch auf Ehre und Anerkenn ung
weltlichten" chwärmer und Trunl, enbold Gott es; und (die zuerst und zuoberst Erkennung, ErkennbarkeiL vor-
hört man gar heute jemanden loben, dafü r , daß er "weise" aussetzt-), jenen onnenschein des guten amens, jene
lebe oder "als ein Philosoph", so bedeutet es beinahe be iiindige B siegclung seines W ertes und seiner üiz-
nicht mehr als "klug und absei t ". Weisheit: das scheint lichkcit, mii der das inn erliche Mißtrau en , der Grund
dem P öbel eine Art Flucht zu sein, ein Mittel und Kunst- im H erzen aller abhängigen Men eh n und Herdentiere,
stück, sich gut aus e.inem schlimmen pie le herauszuziehn ; immer wieder überwunden werd n muß. D r Gelehrte
aber der rechte Philosoph - so scheint es uns , mein hat, wie billig, auch die Krankhei ten und
Freunde?- leb t "un philosophisch" und "unwei e", vor unvornehmen Art: er ist r eich am kleinen
allem unklug, und fühlt die Last und Pflicht zu hun- ein Luchsauge für da.s Ijedrige solcher Jaiur n, zu
dert Ver uchen und Versuchungen des L eb ns: - er der en H öhen er nicht hinauf kann. <r isi zutraulich,
ri kiert sich beständig, er spielt das schlimm e picl ... doch nur wie einer, der sich gehen, aber nicht strömen
läßt; und gerade vor dem 1enschen des großen troms
206
steht er um so k iiller und verschlossener da,- sein ~ugc
Im Verhältnisse zu einem Genie, das heißt zu 1nem ist dann wie ein glaiicr widerwilliger ee, in dem sich
W esen, welches entweder zeugt oder gebiert, beide kein Entzücken, kein Mi tgefühl mehr kräu clt. Das
Worte in ihrem höchs te n mfange genommen -, hat chlimrosie UJ:!·d cfährlichs te, dessen ein Gelehrter fähig
der Gelehr e, der wissenschaftliche Durchschnittsmensch, ist, kommt ihm vom Instink te der Mi lelmäßigkeit seiner
immer etwas von der alten Jung fer: denn er versteht Art: von jenem Jesuitismus der 11ittelmiißigkcit, welcher
sich gleich dieser nicht auf die zwei wertvollsten Ver- · an der Vernichtung des ungewöhnlichen Menschen in-
124 Jenseite von Gut und Böse Wir Geleh rten 125
st.inktiv arbei tet und jed g spannten Bog n zu brechen ihm noch übrig i ·t, dünkt ihm zufällig, oft willkürlich,
oder - noch lieber I - abzu pa.nnen sucht. Abspann n noch öf r störend: o ehr ist er ich selb t zum Durch-
nämlich, mi Rücksicht, mit schonender Hand natürlich-, gang und Wiederschein fremder Gestalt nundEr igni e
mit zutraulichem Mitleiden abspannen: das ist. di geworden. Er be innt sieh auf "sieh" zurück, mit An-
eigentliche Kunst des J esuitismus, der es immer ver· strengung, ni r ht selten falsch; er verwechselt. ich lrieht,
standen h at, sich als R eligion des Eileid ns einz u· er vergreift sieh in bezug auf die igncn otdürfte und
führen. - i.· t hier all in. unfein und nachlässig. Vielleichi quüli
ihn die sundheit oder die Kl inlichkeit und tub n-
20 7 luft von Weib und Freund, ode1· d r Mangel an esc llen
Wio dankbar man auch immer dem o bjektivcn Geist und Gesellschaft, - ja, er zwingt sich, über seine Qual ·
entgegen komm n mag - und wer wäre nicht schon ein- nachzudenken: umsonst! hon eh weift sein edanke
mal alle ub jektiven und seiner verflucllten Ipsi . imo ·i- 'eg, zum allgrmeineren Falle, und morgen weiß r
tät. bis zum terben satt gewe cnl - , zuletzt muß man sowenig, als er es gestern wußte, "wie ihm zu h lfen i. t.
aber auch gegen ~eine Dankbarkeit Vorsicht lernen unJ E1· hat den Ern t für sich verloren, auch die Zeit: er ist
der bertreibung Einhalt tun, mit der die Entselb tung h iter, nicht aus Mangel an Not, sondern aus Mangel
und Entp rsönlichttng des Gei ·tcs gleichsam als Ziel an an Fingern und Handhaben für seine ot. Das gewohnte
sich, als Erlösung uru:l Verklär ung neuerdings gefeiert Entgegenkommen gegen jedes Ding und Erlebnis, die
wird: wie es namentlich innerhalb der P essimisten- chul sonnige u1 d unbefangene Gastfreundschaft, mit der r
} ' :w gesch hn pflegt, die auch gute Gründ hat, dem "intc r- n.l1es annimmt, was auf ihn stößt, ~eine Art von rück-
s lo en Erkennen" ihrer eits die höchsten Ehren zu ichtslosem Wohlwollen, von gefährlicher nbekümm rt-
geh n. Der objektive Men eh, d r nicht mehr flucht und heit um Ja und rein: aeh, es gibt genug Fälle, wo er diese
schimpft, gleich dem Pe simist.en, der ideale Gelehrte, eine Tugeuden büßen muß I - und als 1 nsch üb r-
in dem der wi ensch.aftliche Instinkt nach tausendfachem haupt wird er gar zu leicht das caput mortuum dieser
Ganz~ und Halb-Mißraten einmal zum Auf- und Au - 'rugenden. Will man Liebe und Haß von ihm, ich meine
blühen kommt, ist sicherlich eins der kostbar ten Werk- Liebe und Haß, wie Gott, W ib und Tier sie verst hn - :
zeuge, die e gibt: aber · gehört in die Hand eines r wird tun, was er kann, und geben, was er kann. Aber
fiich igeren. Er ist nur ein 'vVerkzeug, sagm1 wir: er ist man soll sieh nicht wundern, wenn es nicht viel ist, -
cm pi gel, - er ist kein " lbstzweck". D r objek- wenn er da gerade sieh unecht, zerbrechlich, fragwürdig
tive . 1en eh ist in der Tat ein pi gel: vor allem, was und morsch zeigt. eine Liebe i t gewollt, sein Ha.ß
e~kannt we1·den will, zur Unterwerfung gewohnt, ohn künstlich. und mehr un tour de force, eine )deine Eit 1-
e1no andre Lu t, als wie sie das Erkennen das Ab· keit und Übertreibung. Er ist eben nur echt, soweit er
\ spiegeln" gibt,- er wartet, bi twas kommt 'und b;~itct objektiv sein darf: allein in einem heitern 'Iotalismus
ich dann zart hin, daß auch leichte Fußt~p,fen und das ist er noch " atur" und ,natürlich ". eine spiegelnde
Vorüber eblüpfen geisterhafter Wesen nicht auf seiner und ewig sich glättende eele weiß nicht mehr zu be-
Fläche und Haut verloren gehn. 'iV as von "P r on" an jahen, nicht mehr zu vernein n; r befi hlt nicht, er zer -
126 Jenseits von Out und Böse '\ir Gelehrten 127
iört auch nicht. "Je De meprise presque rien" - sagt von ferne her irg nd f'in bü es bedrohliches Geräusch
r mit Leibniz: man überhöre und unter chätzo das hürtcn, als ob irgcllllwo ein neuer preng toff versucht
presque nicht I Er ist auch kein Mustermensch; er gchi werde, ein Dyn amit des Geistes, virileicht ein neuent-
niemandem voran, noch nach; r stellt ich überhaupt zu deck les russisches ihilin, ein Pe imismus bonac volun-
ferne, als daß r Grund hiiLtl', zwi eh n ui und Büse lati , dc1· nicht bloß ein sagi, Nein will, sondern -
Partei zu ergreifen. \Venn man illn so lange mit dem schrecklich zu denken! - Tein tut. Grgen diese Art
Philosophen verwechselt hat, mit drm äsariscl1rn von "gut m Willen" - eine111 \Villen zur wirklich n Hit-
Z':üchter und Gewaltmen schen d ·r Kultur: so hat man lieh n Vorneinung des Lebens - gibt es an rkannter-
ihm viel zu hohe Ehren gegeben und das wesentlich ie maßen heuLe kein brsseres ehlaf- undB ruhigungsmittel
an ihm übersel1en, - er ist ein Werlrzeug, ein tück als kep is, den sanften, holden, einlullenden 1o1m
klave, wenn gewiß auch die sublimste Art des klaven, , 'kepsis; und llamlct elb i wird heute von den Ärzten
an sich aber nichts- presque rien I Der objektive Mensch der Zeit gegen den "Geist" und sein Rumoren unter dem
ist ein W erkzeug, ein" kostbares, leichtverl etzliches und Boden verordnet. "Uat man denn nicht. alle Ohren scho.n
-getrübte.<;; Meß-Werkzeug und Spiegel-Kunstwerk, das voll von schlimmen Geräuschen? sagt der Skeptiker, als
man schonen und ehren soll; aber er ist Jwin Ziel, kein ein •reund der Ruhe und b inahe als ein Art von
Ausgang und Aufgang, Jwin komplementärer Iensch, ieherheits-Polizei: dies unterirdische Tein isi fürehtrr-
in dem da übrige Dasein sich r echtfertigt, k ein chluß lich I Stille endlich, ihr pessimistischen Maul wür.fe !"
~ und noch weniger ein Anl:ttng, eine Zeugung und erste D r keptiker niimlicb, dieses zärtliche cschöpf, er-
Ursache, nichts Derbes, Mächtig s, Au.f-sich-Gestelltes, . chricki allzuleicht; ein Gewissen ist darauf einge-
das Herr sein will: vielmehr nur ein zarter, ausgebla- schult, bei jedem Iein, ja schon bei einem entschlossenen
sener, feiner, bewe"'licher Formen-Topf, der auf irgend harten Ja zu zucken und eiwas wie einen Biß zu spüren.
einen Inhalt und Gehalt erst warten muß, um sich nach Ja! und Nein I - das geht ihm wider die Moral; um-
ihm "zu gestal cn", - .für gewöhnlich ein Iensch ohne gekehrt liebt er es, seiner Tugend mit der cdeln Ent-
ehalt und Inhalt, in "selbstloser" Mensch. Folglich hal ung ein ·Fest zu machen, eiwa indem er mit Mon-
auch nichts für Weiber, in parenthesi - taigne spricht: "Was weiß ich?" Oder mit Sokrates:
"Tch weiß, daß ich nichts weiß." Oder: "Hier traue ich
208 mir nicht, hier steht mir keine Tür offen." der: "Ge-
Wenn heute ein Philosoph zu verstehen gibt, er sei setzt sie stünde oiien, wozu gleich intret n ?" Oder:
kein keptikcr, - ich hoffe, man hat das aus der eben "Wozu ni.i tzen alle vor chnellen Hypothesen? ar keine
gegebenen Abschilderung des obj ektiven eistes heraus- Hypothesen machen könnte 1 icht zum guten schmack
gehört? - so hört alle Welt das ungern; man sieht ihn gehören. Müßt ihr denn durchaus etwas Krummes gleich
darauf an, mit einiger cheu, man möchte o vieles fra- gerade biegen? Durchaus jedes Loch mit irgend welchem
gen, fragen ... ja, unter furcht amen Horchern, wie es Werge ausstopfen? Hat das nicht Zeit? Hai die Zeit
deren jetzt in I enge gibt, heißt er von da an gefährlich. nicht Zeit? ihr 'l'eufelskerl , könnt ihr denn gar nicht
Es i t ihnen, als ob sie, Lei einer Ablehnung der kcp is, w a. r ien? uch dru ngewi sc bat seine R ize, auch die
Jenseits von Gut und Böse Wir Gelehrten · 129
ist eine Circe, auch die ine Philo· stehn. - Die Krankheit des Willens ist ungleichmäßig
ophin." - lso tröstet sich ein und e isi über Emopa verbreitet: sie zeigt sich dort am größten
wahr, daß er einigen 'frost nötig kepsis nämlich und vieHälti!rS u, wo die Kultur schon am längsten
ist der gei tigste Ausdruck einer g wis n vi lfache11 heimisch ist; ic verschwindet in dem (aße, als "der
phy io logi chen Beschaf.fenhcit, w lche man in gemein r Barbar" noch - od r wieder - unter dem schlotterichten
prache erven chwäche und Kränklichk it nennt; ic Gewande von westländischer Bildung sein R echt g l tend
en tsteht jedesmal, wem1 sich in entscheidender und plöiz· macht. Im jetzigen Frankreich ist demnach, wi man es
li her Wei e lang von cin :md r abgetrcnJlte Rass n dt> r eb n o J icht erschließen als mit I-Ii.ind n gr ifen kann,
iände kreuzen. In dem ncuen Geschlecht , das gleich· der Wille am schlimm ten erkrank t ; und Frankreich,
sam verschicdne Maße und W erte ins Blut vererbt be· welch s immer eine meisi rhafi eschicldichk ii gehabt
kommt, ist alles m·uhe, törung, Zweifel,~ ersuch; die hat, auch die verh~ingnisvollen W ndungcn seines 'eiste
besten Kräfie wirken h mmend, die 'l'ugenden selbst ins R eizende und Verführ ri hc umzukehren, zeigt heut
lassen einander nicht wachsen und stark w rden, in Leib r cht cigentli<:h als chulc und chaus tellung all r Zau·
und Seele .fehlt GI iehgewicht, Schwergewicht, pcrpen· ber der kepsis · in Kultur-Überg wicht über Europa.
dikuläre Sicherheit. Was aber in solchen Mischlingen am Die Kraft zu wollen, und zwar inen Willen lang zu
tiefsten krank wird und en iar tei, das ist der ·wille: sie wollen, ist etwas stärker schon in D eutschland, und im
kennen das Unabhängige im Entschlusse, das tapfere deu tschen orden wiederum stärker als in der d ulschen
Lustgefühl im Wollen gar nicht mehr, - sie zw ifeln Mitte ; erheblich stärk r in England, panien und Kor·
an der "Freiheit des Will ns" auch noch in ihren Triiu· ika, dort an das Phlegma, hier an harte ch äd l ge·
( men. ns r Europa von heute, der chauplatz ines un· bunden, - um ni h t von Italien zu reden, w t>lche zu
sinnig plötzlichen Versuchs von r adikaler tii.nde· und jung ist, als daß es schon wüßte, was es wollte, und das
folglieh Rassenmischung, ist deshalb skeptisch in allen er t bewei en muß, ob es woll n kann - , abe r am all r·
Höhen und 1iefen, bald mit jener beweglichen kepsis, stärksten und r taunli chsien in jen m ungeheuren Zwi·
welche ungedu ldig undlüstern von einem Ast zum andern · henreiche, wo Euro1)a gleichsam n a h Asien zurück·
springt, bald trübe wie eine mit Frag zeichen ü her ladene fli ßt, in Rußland. Da ist di Kraft zu wollen seit
Wolke, - und seines Willens oft bis zum terben satt! la11 g m zurückgelegt und aufgesp icher t, da wart t der
Willenslähmung: wo findet man nicht heute diesen Will - ungewi ß , ob als Wille der Vcrncinu ng oder drr
Krüppel sitzen! Und oft noch wie geputzt! Wie ver· Bej ahung - in b drohlicher W ei darauf, ausg löst zu
führ arisch h ra usgeputzt! Es gibt die schönsten Prunk· w rd n, um den Physikern von heu te ihr L ibwor t b·
und Lügenldeicler für diese Krankh. it; und daß zum zuborgen. E dürf ten nicht nur indi ehe Kri ege und
Beispiel das meiste von d m, was sich heuLe als "Ob- Verwicklungen in A ien daz u nötig sein, damit Europa
jektivität", "v is ensch afilichkeit", "l'a.rt pour l'art", von einer größ ten Gefahr entlastet wer de, sondern inner
"reines willensfr eies Erkennen" in die chauläden stellt, msiürze, die Zer. prengung des R eiches in kleine K ör·
nur aufgeputzte kepsis und Willenslähmung ist, - für per und vor allem die Einführunrr d s parlamentarischen
diese Diagnose der uropäi chen Krankheit will ich in· Blödsinn , hinzu ge re hn et dir Vr rpfli htung fü r jedrr·
.J 9
130 JenseiLs von Gut und B ö se

mann, zum Frühstück seine Zeitung zu l s Ich sage


die nicht al Wünschender: mir würde das Entg gen-
gesetzte eher naeh dem Tierzen sein, - ich meine eine
solche Zunahm der Bedrohlichkcit Rußlands, daß Europa
sich enlschli ßen müßte, gleichermaßen b drohlieh zt
werden, nämlich einen Will e n zu bekommen, durch
das Mittel ei ner neuen über Europa. herrschenden Ka te,
einen langen fur chtbaren eignen Willen, der ich üb r
Jahrtausende hin Ziele setzen könnte:- damit ndlich
die langgesponnene I omödie seiner Kl in ·taaterei und
ebenso seine dynas tische wie demokratische Vi lwoller ei
zu einem Abschluß käme. Die Zeit für kleine Politik
ist vorbei: schon das nächste J a.hrhundert bringt den
Kampf um die Erd-Herrschaft,- den Zwan g zur großen
Politik.

209

Inwi efern <las neue kriegeri ehe Zeitalter, in welches


wir Europäer r ichtlich eingetreten sind, vi llcicht auch
der Entwicklung einer anderen und stärkeren Art von
kep is günstig sein mag, darüber möch te ich mich vor-
läufig nur durch ein Gleichnis ausdrücken, welches die
Freunde der deutschen Geschichte schon verstehn wer-
den. J ener unbedenkliche Enthusiast für schöne groß..
gewachsene Grenadier e, welcher, als K önig von Preußen,
einem militäris hen und skeptischen Genie - und damit
im Grunde jenem ncucn, jetzt eben . iegreich herauf-
gekommenen 'l'ypu des D eutschen- das Dasein gab, der
fra-gwürdige tolle Vater Friedrichs des Großen, hatt e
in einem Punkte selbst den Griff und die lücks-Kralle
des Genies : er wußte, woran es damals in D eutschland
fehlte, und welcher Mangel hundertmal ängstlicher und
dringender war als etwa der Mangel an Bildung und
gesellschaftlicher Form , - sein Widerwille gegen den
jungen Friedrioh kam aus der Angst eines tiefen In -
132 Jenseits von Gut und B"se

'rap.ferkeit und Härt uer zerlegenden lland, al zäher


W ille zu gefährlichen Entdeckung rei cn, zu verg •i tig-
Len ordpol-Expeditio nen unter öden und gefährlichen
Himmeln. Es mag ine guten Gründe hab n, wenn ich
wa.rmbliHige und ob r.flä.chlich · 1 n chlichkeits-Me:n,
·chen g rade vor die m ci tc bekre uzigen: cet e prit
frdnJi. te, ironiqu , meplü ·tophel ique nennt ihn, nicht
ohn e ch:1Uder, M ichc let. Ab r will man nachfühlen, wir
~.usze i ch nend die c Furcht vor dem " 1ann" im de u t eben
Geisie i t, durch den Europa aus seinem "dogmati eh n
chlummer" w ckt w urde, o möge man sich d s h -
maligen Begriff erinnern, der mit ihm ü ber wund n wcr-
d n m uß te, - und wie e noch n ich t zu lange her i st,
daß in vermännlichte Wei b i n zügelloser Anmaßung
wa.O'en d urfte, die Deu tsc hen a.ls sanfte, her zensgute,
willens eh wache un d dichieri ehe Tölp 1 der Teiln ahm
E uropas zu empfehlen. Man ver teh doch ndlich das
E rstaunen rapol ons t ief genug, a. ls er Go then zu sehen
bek am: e vrrrät, w as · man sich J ahrhunder te lang un te r
clrm " deu lschen ei tP" edac ht hatlr."Voi la u n homm !"
- das w olll sagen: "das i l ja ein M a nn ! ncl i]
h alte nur ein en Deut hen rwartet! " -

2 10

e LzL al o, daß im Bilde de r } hi lo ·oph n der Zu-


l<un H irgend i n Zug zu r a ten gib t, ob si e nicht viel-
leich t, i n dem zuletzt an deuteten inne, keptiker sei~
mü ·sen, so wäre damit. doch nur ein E t was an i hnen
bezeichnet - und ni c h si e s lb L. Mit dem g leich n
R ech te dürften sie si h Kritiker nenn en lass n ; u.n d
sicherlich werde n s 1cn chen d r E xperimente sein.
Durch den Jam n, au.f welchen ich ie zu t aufen wa t ,
h abe ich das Versuchen und d ie Lu am r uchcn schon
au drü cklieh un ter richen : ge cha.h dies deshalb, '"'eil
: iP, al. Kri ih r an T_,eib un d c l , s ich dc Experim ; nt.
Wir Gelehrten 139

kurz, daß Notwendigkeit. und "Freiheit des Willens"


dann bei ihnen eins sind. Es gibt zuletzt eine Rang-
ordnung seelischer Zustände, welcher die Rangordnung
der Probleme gemäß ist; und die höch ten Problem
stoßen ohne Gnade jeden zurück, der ihnen zu na.hen
wagt, ohne durch llöhe und 1achL seiner Geistigkeit zu
ihrer Lösung vorherbestim mt zu sein. vVas hilft e ·,
wenn gelenkige Allerwelts-K öpfe oder ungelenke brave
Mechaniker und Empiriker sich, wie es h ute so vielfach
geschieht, mit ihrem Plebcjer-Ehr geize in ihre Nähe und
gleichsam an diesen "Hof der Höfe" drängen! Aber auf
solche Teppiche dürfen grobe Füße nimmermehr trct n:
dafür i i im rgcsetz der Dinge schon gesorgt; die
'L'üren bleiben diesen Zudringliche n geschlossen, mögen
sie sich auch dio l öpfe da.ran stoßen und zerstoßen I
Für jed hohe Welt muß man gebor n sein; deutlicher
gesagt, man muß für sie gezüchtet sein: ein Recht
:.~,uf Philo opltie das Vl ort im groß n 'inn gcnomm 11 Z
- hat man nur dank seiner Abkunft, die Vorfahren,
das "Geblüt" ent cheidet auch hier. Viele Geschlechter
müssen der Entstehung des Philosophen vorgearbeite t
haben; jede einer Tugenden muß einzeln erworben, ge-
pflegt, fortgeerbt, einverleibt word n s in, und nicht nur
der kühne, leichte, zarte Gang und Lauf seiner Ge-
clanken, sondern vor allem die B reitwilligkei t zu großen
Verantwortu ngen, die Hoheit herr ehender Blick und
iederblicke, da ich-Abgetren nt-Fühlen von der Menge
und ihren Pflichten und 'l'ugcnden, das lrutselige Be-
schützen und Verteidigen des en, was mißverstande n und
verleumdet wird, sei e Gott, sei es Teufel - die Lust
und bung in der großen Gerechtigkei t, die I unst des
Befehlens, die Weite des 'i illens, das la.ng ame Aug ,
welches selten bewunder t, selten hinaufblicki, selten
liebt ...
Unsere Tugenden lß3
--------------------------------------------
hätte es ja, als Köchin seit J ahrtausendcn, die größten
physiologischen Tat achen finden, insgleichen die Heil-
kunst in seinen Besitz bringen müssen I Durch schlechte
Köchinnen -- durch den vollkommneu Mangel an Ver-
nunft in der Küche ist die Entwicklung des Menschen
am längsten aufgehalten, am schlimmsten beeinträchtigt
worden: es steht heute selbst noch wenig besser. - Eine
Rede an höhere Töchter.

235
Es gibt Wendungen und Wür fc des Geistes, es gibt
enienzen, eine kleine Handvoll Worte, in denen eine
ganze Kultur, eine ganze Ges llschaft. sich plötzlich
kristallisiert. Dahin gehört jenes gelegen Uiche Wort der
Madame de Lambert an ihren Sohn: "mon ami, ne vous
permettcz jamais que de folies, qui vous feront grand
plaisir I " - beiläufig das mütterlichste und klügste Wort,
das je an einen Sohn gerichtet worden ist.

236
Das, was Dante und Goethe vom W eibe geglaubt
haben - jener, indem er sang "ella guardava suso, ed
io in lci", dieser, indem er es übersetzte "das Ewig-Weib-
liche zieht uns hinan" --: ich zweifle nicht, daß jedes
edlere W ci b sich gegen diesen Glauben wehren wird,
denn e glaubt eben das vom Ewig-Männlichen ...

237
Sieben W ei bs-Sprüchlcin.
Wie die längste Weile fleucht, kommt ein Mann zu uns
gekreuchtl
* *
Aller, ach I und Wi senschaftgibt auch schwacher Tugend
Kraft.
11. * *
Völker und Vaterll!nd er 171

Schollenkleberei zu überwinde n und wieder zur Ver-


nunft, will sagen zum "guten Europäertu m" zurück-
zukehren. Und indem ich über diese Möglichke it aus-
schweife, begegnet mir's, daß ich hrenzeuge eines Ge-
sprächs von zwei allen "Patrioten " werde. - sie hörten
beide offenbar schlecht und sprachen darum um so lau
ter. "Der hält und weiß von Philosophi e so viel als ein
Bauer oder Korpsstud ent - sagte der eine - : der ist
noch unschuldig . Aber was liegt heute daran I Es ist
das Zeitalter der Massen: die liegen vor allem Massen-
haften auf dem Bauche. Und so auch in poliLicis. Ein
taatsmann, der ihnen einen neuen Turm von Babel,
irgend ein Ungeheuer von Reich und Macht auftürmt,
heißt ihnen "groß": - was liegt da.ran, daß wir Vor-
sichtigeren und Zurückhalt enderen einstweilen noch nicht
vom alten Glauben lassen, es sei allein der große Ge-
danke, der einer Tat und Sache Größe gibt. Gesetzt,
ein Staatsman n brächte ein Volk in die Lage, fürderhin
"große Politik" treiben zu müssen, für welche es von
Natur schlecht augefegt und vorbereitet ist: so daß es
nötig hätte, einer neuen zweifelhaf ten Mittelmäß igkeit
zuliebe seine alten und sicheren Tugenden zu opfern, -
gesetzt, ein Staatsmann verurteilte sein Volk zum "Poli-
tisieren" überhaupt, während dasselbe bisher Besseres zu
tun und zu denken hatte und im Grunde seiner Seele
einen vorsichtige n Ekel vor der Unruhe, Leere und lär-
menden Zankteufel ei der eigentlich politisieren den Völker
nicht los wurde:- gesetzt, ein solcher Staatsman n stachle
die eingeschla fnen Leidenscha ften und Begehrlich keiten
seines Volkes auf, mache ihm aus seiner bisherigen
Schüchtern heit und Lust am Danebenstehen einen F lecken,
aus seiner Ausländere i und heimlichen Unendlichk eit eine
Verschuldu ng, entwerte ihm seine h erzlicJ1sten Hänge,
drehe sein Gewissen um, mache seinen Geist eng, seinen
Geschmack "national", - wie I ein Staatsmann , der dies
Vl!lke·r und Vaterländer 17f>

und sind damit schon die Verzweiflung de r Franzosen.


Es kennzeichnet die Deutschen, daß bei ihnen die Frage
"was ist deutsch?" niemals ausstirbt. Kotzebne kannte
seine Deutschen gewiß gut genug: "wir sind erkannt"
jubelten sie ihm zu, - aber auch Sand glaubte sie zu
kennen. J ean Paul wußte, was er tat, als er sich er-
grimmt gegen Fichtes verlogne, aber patriotische Schmei-
cheleien und Über trei bungen erklärte, - aber es ist
wahrscheinlich, daß Goethe anders ·über die D eutschen
dachte als Jean I aul, wenn er ihm auch in betreff Fich-
tens recht gab. Was Goethe eigentlich über die Deut-
schen gedacht hat? - Aber er hat über viele Dinge um
sich herum nie deutlich geredet und vorstand sich zeit-
lebens auf das f eine chweigen: - wahrscheinlich hatte
er gute Gründe dazu. Gewiß ist, daß es nicht "die Frei-
heitskriege" waren, die ihn freudiger aufblicken ließen,
sowenig als die französische R evolution, - das Ereignis,
um dessentwillen er seinen Faust, ja das ganze Problem
"Mensch" umgedacht hat, war das Erscheinen Napo-
leons. Es gibt Worte Goethes, in denen er, wie vom
Auslande her, mit einer ungeduldigen H ärte über das ab-
spricht, was die Deutschen sich zu ihrem Stolze rechnen:
das berühmte deutsche Gemüt definiert er einmal als
"Nachsicht mit fremden und eignen Schwächen". Hat
er damit unrecht?- es kennzeichnet die Deutschen, daß
man über sie seHen völlig unrecht hat. Die deutsche
eele hat Gänge und Z wischengänge in sich, es gibt in
ihr H öhlen, Verstecke, Burgverließe ; ihre Unordn ung hat
viel vom Reize des Geheimnisvollen; der Deutsche ver-
steht sich auf die Schleichwege zum haos. nd wie
jeglich Ding sein Gleichnis liebt, so liebt der Deutsche
die \Volkcn und alles, was unklar, werdend, dämmernd,
feucht und verhängt ist: das ngewisse, nausgestaltete,
ich-Versei iebende, Wach ende jeder Art fühlt er als
"tief". Der Deutsche selbst ist nicht, er wird, er "ent-
176 Jenseits von Gut und Böse

wickelt sich". ,.EntwJtklun g·· i t deshalb d r eigentlich


deuLsche] und und Wurf im großen Reich philosophi eher
Form In: - ein regi render Begriff, der, im Bund mil
deutschem Bier und deutscher Musik, dlU'an arbeitet,
ganz Europa zu verdeutschen . Die Au länder iehen er-
staunt und angezogen vor den Rät ·eln, die ihnen di
Widerspruch s-Natur im runde d r d utschen ecl auf-
gibt (welche lieg l in ystem gebracht, Riclla.rd Wagner
zuletzt noch in Musik ge ctzt hat). "Gutmütig und
tückisch" - ein solches Nebeneinand er, widersinnig in
bezug auf jedes a.nder Volk , r clttfcrtigt sich leid r zu
oft in Dcu1 sch land: man leb nur ine Zeitlang unter
chwabcn! Die chwerfälligk it d s deutschen 'elehrtcn,
seine ge cllsc.haJtli ·hc Abg sc.hmacktheit verträgt sich
zum Er.-chrccken gut mit einer inwendigen eiltän.zer i
und leichten Kühnheit, vor der bereits all Götter das
Fürchten gelernt haben. Will man die "dcut ehe celc"
ad oculos demonstriert, o st'he ma.n nur in d n deutschen
Geschmack, in dcu t ehe Künste und iitcn hinein: '"elche
bäurische Olrichgültig keit geg n "Gesclunack" ! Wie
steht da dar Edelste und G mein tc nebeneinande r! Wie
unordentlich und reich i t dieser ga.nze cclen-Ua.ushalt!
D r Deutsche chlcppt an sein r eele: r schleppt an
rdlem , was er erlebt. Er v rdaut seine Ereigni c. chlecht,
er wird nie damit "fertig" ; die deutsch Tiefe ist oft nur
eine . eh wer zögernde "V rdauung". · nd wie alle G -
wohnheiLs-Kra.nkcn, all Dyspeptiker den Hang zum Be-
quemen haben, o liebt der DeuLsche die "Offenheit" und
"Biederkeit" : wie bequem ist es, offen und bieder zu
ein! - Es ist heute vielleicht die gefährlichste und
glücklich te erkleidung, auf die ich der D eut ehe ver-
steht, die Zutrauliche, Entgegenkommende, die Karten
Aufdeckende d r deut chen Redlichkei t: sie i t seine
eigentliche Mephistophe les-Kunst, mit ihr ka.nn er s
"noch weit bringen" I Der Deutsche lä.ßt sich gehen,
Jens e it s von Gut und B öse Völker und V ate rl änder 1 3
1 2 - ---------------
gesuchLesl.en Teil jener Farben piele und Verführungen
24 zum Leben , in d rcn 1ach cllimmer heuLe der llimmel
gibt zwei Ar l.en dc G ni ein , welch vor un rer europäi eh n Kultur, ihr Ab nd-Himmel, glüht,-
allem zeugt und zeugen will, und in ander e , welch s vielleicht vm·glüht. Wir Arli Lcn un r den Z uschaul'l'll
ich gern befruchten läß t und g bicrt. Und eb nso gibt und Philo ophen ind dafür den Juden - dankbar.
es un Lcr d n genialen Völkern solch , denen das W eibs-
251
probl m der chwa.ngerschaft und die geheime ufgabe
d s es taltons, Ausreif ns, Voll nd ns zug fallen ist - Man muß e in den Y auf nehmen, w nn einem Volke,
die Griech en zum Beispi 1 waren ein Volk di eser Art, las a.Dl m~iional n rvcnficber und politisch n Ehrgeize
insgleichen di ]1:a.nzo. n - ; und andere, wPlche be- leidet, leid n will - , mancherlei Wolken und tö rungcn
fruchten mü s n und die Ursach n u er Ordnungen des über den eist zirh n, kurz, kleine nfälle von V r-
L bw worden , - gleich d n Juden, den R ömern und, dummung: zum Beispiel bei d n Deutsch n von h •uie
in ·1ller Bescheidenheit gefragt, d n out chen? - , Völ- bald die antifranzösische Dummheit, bald die anti-
k r, gequält und entzückt von unbckannl.en Fieb rn und jüdisch , b:lld die antipolni ehe, bald di hrisLlich-roman·
UJlwidersl.ehlich aus sich h ra.u s".edrängt, v rliebL und Li ehe, bald clie W agncria nische, bald die teu tonische,
lü tern nach fremden Rassen (na.c h solchen , welche sich bald die preußische (man sehe si ch doch dies, arm en
"befruchten lassen" - ) und dab i hcrr chsüch tig wie Hi storiker, diese ybcl und 'l'rcitschk und ihre dick ver-
alle·, . was sich voller Zeug kräf l.e und folglich "von bunden n K öpfe an - ), und wi ie alle h ißcn mögen,
oLLes Gna-den" weiß. Diese zw.ei Arten des Genies diese kleinen B nebclungen d deui chcn Geis s und
suchen sich wie Mann und Weib ; aber sie mißv rstchen cwissens . Möge ma u mir verzeihen, daß a uch ich, b i
a uch einander - wie Mann und Weib. einem kurzen gewagten uf n LhalL auf s hr infiziertem
ebieLc, nicht völli.,. von d r Krankheit verschont blieb
249 und mir, wie alle Welt, berei Gedank n über Dinge
J ede· Volk hat seine eigne 'l'artü fferie und heißt sie zu machen anfing, die mich nichts angeh n: er Les Zeichen
·eine Tug ndcn. - Das Beste, was man isL, k ennt man der politischen I nfek tion. Zum Beispiel über die Juden :
nic1lt, - kann man nicht kennen. man h ör e. - I ch bin noch kei nem D eut chcn begegnet, (
der den Juden gewogen gew sen wäre ; und o unbedingt
:2 5 0 auch die Ablehnung der ig ntlichen A.nti cmit rei von
/ W as Europa den Juden ver lanJci ? - Vi lerlci, Gut .· seilen all r Vorsichtig n und Politischen sein mag, so
und chl immes , und vor allem Eins, das vom Be ten und ri h t ich do h auch die c Vor icht und P oli Lik nicht
' hlimm ten zugleich ist: den großen Lil in der Moral , rtwa gegen di e attung des Gefü hls selber, sondern nur
di Furcbtbarl(eit und Maj estät un endlicher Forderungen, gegen seine g fü hrliehe nmäßigkeit, in besondere gegen
unendlicher Bedeutungen, die ganze R omantik und Er- den abge ehrnackten und chandbarcn usdruck di ses
habenheit der moralischen Fragwürdigkeiten- und folg- unmäßigen Gefühls, - darüber darf man sich nicht
lich gerade den anziehends ten, verfänglichsten und aus· täusch en . aß Deu schland r eichlich ge nug Juden hat,
,J(~nseits von G11t und Böse V iilkPr und Vnterländer
1. 4 1 5
da.ß der deuL ehe Magen, das d ut ehe Blut ot hat (und tioncn" ollten sich doch vor jeder hitzköpfigen Kon-
noch auf lange Not haben wird), um auch nur mit di srm kurrenz und Feind eligkriL sorgfiLltig in acht nehmen I
Quantum "Jude" fertig zu werdrn- o wie der Jtalirner, Oaß die Juden , wenn sie wollten - oder, wenn ma.n si
der Franzo e, der Engla ndcr fertig geworden ind, in- dazu zwän"'e, wie es die Anti miten zu woll n schei-
folge einer krii.ftig«'ren V rdauung - : das ist die deuL- nen-, jetzt schon das Übcrg wicht, ja ganz wörtlich di
1iehe Aussage und prache eines allg meinen Instinktes, H errschaft über Europa haben könnten , steht fest; daß
a.uJ welchen man hören, n::wh ·welch m man handeln muß. ie ni cht dar·auf hin arbeiten und Plän e machen, eben-
} eine neuen Jud en mehr hin einlassen! Und namentli ch falls. Einstweilen wollen un d wünsch en sie vielmrhr,
::ach dem Osten (auch nach Österreich) zu die Tore zu- sogar· mit einiger Zudringlichkeit, in Europa, von Europa
sperren!" also grbic ! ·L der In slinkt ·in c Volkes, des en ein- und aufgesaugt zu werden, sie dürsten danach, end-
rt noch schw a~h und unbestimmt ist, so dr~ß sie leicht lich irge11dwo fest, erlaubt, grr~chtcL zu in und dem
verwi sch L, leicht durch eine stärk ere B.assc au gelöscht omadenleben, drm" wigen Juden" in Zi 1 zu setzen-;
werden köuutc. Oie Juden sind aber ohn ~~llen Zweifel und man sollte diesen Zug und Drang (der vi lleichL
die lärkste, zäheste uud reinste R assr, di jetzt in Europa tielbst schon ein Milderung der jüdischen In tinkte aus-
lebt; ic vprstehen es, selb t noch unter den sclllimmsle11 drückt) wohl beachten und ihm eutgeg nkomm n: wozu
Redinguugcn sich ün rchzu tzen (bes 'L'r sogar a. l · unter es vielleicht nützlich und billig wi.Lr , di antisemitischeil
günsti gen), vermöge irgend welch r 'J'ugenden , di ' mau ehr ihä.l. e des Land zu verw eisen. Mit aller Vorsicht
l1 eute gern zn l 'a tcl'Jl ·L mpe ln möcht , - dank vor entgegenkommen, mit A ns\1 ahl; ungefilhr so wie der
:lil em ein m IT. oluten Glauben, der sich vor den "mo- englische Adel es tut. • · liegt auf der H and, daß ::uu
derne n Ideen" nicht ztL .-chi.Lmen brau ht; sie verändern unbcd nklichsten noch sich die stä rkeren und bel'eits
sich, wenn sie sich verändern , immer nur so, wie das f ter geprägten Typen d s ncuen Deu tschtums mit ihn '11
ru sischc Reich seine Ero beru ugen macht, - al · m einl assen könnten, zum Beispiel der adelige Offizier a\JS
Reich, da Zeit hat und nicht von g s L•rn i t - : nämlich der fa1·k: es wäre von vielfach •m Inter es e, zu s hen, ou
nach dem rundsaLze "so langsam als möglich!" m ·ich nich zu der erblich en Ku nst des B .fehlen und Gc-
Denker, der die Zukunft Europas auf seinem Gewissen ho rchens - in beid m ist das bezeichnete La.nd h eult>
hat, wird , bei allen Entwürfen, w !ehe er bei ich über kla sisch- das Genie d s Gelde und der Geduld (und
diese ZulntnH macht, mit den J udcn rechnen wie mit vor allem etwas istig keit, woran es reichlich an d r
den R usscn, als den zunächst sichersten und wa.br ehein- bezeichn eten tolle f hlL - )hinzutun, hinzuzücht n li ß .
lieh tcJ •aktoren im großen pi 1 unl Kampf d c rKr~l fl e . Ooch hier ziemt es sich, meine hcit r e D utschtümclei
D t.s, was heute in Europa "Nation" g nannt wird und und Fe ·trede ab zu brechen: denn ich rühr ber eits art
eigentlich mehr eine res .facLa a ls nata ist (ja mitunter meinen Ern · t, an da "europäische Problem", wie ich t' •
rine:· r s ficta t picta zum Verwechseln ähnlich sieht -), verstehe, a.n die Züchtun g in t' n uen über Buropa r egi -
i t Ü\ jedem Falle etwas Werd .ndes, Junges, Leicht-Ver- renden Kaste. -
schiebbare , noch keine Rasse, geschweige denn ein solche
aere per nnius, wie es die Juden-Art ist: diese "Na-
V ö lk e r und V ate r lil nd e r 1 7
Vergeistigu ng. Dir Pngli eh Plumph eit und Bauern-
Ern thafti gkei t wird durch die christliche ebä.rd n-
spra.che und dm h Beten und P almen ingen noch am
erträglichsten varld idct, rich tiger: au g legt und um-
gedeutet; und für jen s Vi .h von 'l' runlcenbolden u11d
Ausschweifenden, w Ich hrma.l · unter d r ewa.lt des
Mcthodi mus und neuerding wieder a.l · "H eil sarmee"
mora.li eh grun ze n lernt, mag wirklich in Bußkrampf
die verhältnismäßig höchste L ei tung von "Humanitä t"
. ein, zu der es g teigcrt w rden k a nn: so viel darf man
billig zugestehen. W a.s aber au h noch a.m humansten
Engländ r beleidi gt, da.s ist sein i\fan l an Mu ik , im
1 ichnis (und ohne Glci hnis -) zu r d n: r hat in
den Beweg ungen seiner celc und seines Leibes keinen
Takt und Tanz, ja noch nicht einmal die Begi erde na.clt
Takt und Tanz, nach " 1usik". Man hör e ihn spr chen ;
man he die schön sten Engländerinn n g hen - s gibt
in keinem Lande d r Erde schöne1·e rl'a.ub n und chwän e,
- nillieh: man höt·e sie singen l Aber ich v rlang zu
viel - -
253
E . gibt W ahrh iten , die a.m bes n von mittelmäßig n
Köpfen erkannt werden , weil sie ihnen a.m gemäßesteil
sind, es gibt Wahrheiten, die nur für mittelmäßige Gei-
ster Reize und Verführung kräf te be. itz n: - auf die en
vielleicht unangenehmen atz wird man g radc jetzt hin-
gestoßen , seitdem der eist achtbarer , aber miLt !mäßiger
Engländer - ich nenne Darwin, John tua.rt 1ill und
Herbert pencer - in d r mittler n Region des euro·
päi chen Geschmacks zum · berg wicht zu g lang n an-
hebt. In der Tat, wer möchte die ützlichkeit davon an-
zweifeln, daß zei Lw ilig so l c h e Geister herrschen? Es
wäre ein Irrtum, gerade die hochgearteten und abseits
fliegend n Geister .für besond rs geschickt zu halten,
vi ele kleine gemein e Tatsachen f stzustellen, zu sammeln
,Jenseits von Out und ßÖSP V ö lk r und Vaterländer

und in chlüs e zu drängen: - ic sind vielmehr, als


Au nahmen, von vornherein in kciuc r gün Ligen tcllung 254
zu den "Regeln". ZulPtzt haben si m hr zu tun als nur Auch jetzt noch ist l<'rankreich der iiz der geistig t n
zu erkennen - nämlich eLwas eucs zu sei n, etwas und raffiniertesten Kultur Europas und di hohe chulc
Neues zu bedeuten, neue W ert e da. rztlste ll en ! Di clc Gescl1macl< : aber man muß dies "Fr ankreich des Gl?-
Kluft zwisch en Wissen und K ömJen ist vielleicht gr ößer, schm acks" zu finden wi. sen. W er zu ihm g •hört, hält
auch unheimlicher, al man denlü: UPr Könnende im ich gut verborgen: - es mag eine kleine Zahl sein, in
großcu til, der chaHende, wird möglicherweise ein Un denen es leibt und 1 bt, dazu vi 11 icht Menschen, welch
wi sclllder sein müssen, - während andrerseits zu wissen- nicht auf den kräftigsten B incn stehen , zum T eil Fata-
schaftlichen E11tdeckungen nach d r Art Darwins ein e listen, V crdüstertc, Y ranke, zum Teil V er zärtelte und
gewisse Enge, Düne und fl ißirrc orglichkeit, kurz Verkünstelie, solch , welche den Ehrgeiz haben, sich zu
etwas Englisches nicht übel disponi r •n mag. - Ver gesse verbergen. Etwas ist allen g mein; sie halten sich di
man e zuletzt cl n EngHindern nicht, daß sie schon ein- hren zu vor der r asend •n Dummheit und dem lärmP nd n
mal mit ihrer tiefen Durchschnittlichkeit eine G samt- Maulwerk de,s demokratischen Bourgeois. In der Tat
Depre sion des •Ul'opä ischen Geistes vcnusacht habe n: wälzt sich heute im Vordergr unde ein verdumm rs und
das, was man "die modernen Ideen" oder " die Ideen des vergröbertes Frankreich, - es hat neu erdings , bei dem
a.chtzehnten J ahrhunclerts" oder auch " die fra.nzösisehen Leichenbegäng nisse Victor Ilugos, ein wahre Orgie d s
Td en" nennt - da · also, wogeg n sich der d eutsche nge
. chma.cks und zugl ich der elb i.bewunderung brrp-
Geist mit tiefem Ekel erhoben hat-, war nglischcn 1'· f e1ert. Auch etwas <lndcres ist ihnen gemeinsam: C'in
: prungs, daran ist nicht zu zwcifelu. Die Franzosen sind guter Wille, sich der geistigen Germanisierung zu er-
nur die Affen und chauspieler dieser Id en gewesen, wehren- und ein noch besseres nvermögen da.zu! Vi I-
auch ihre bes ten oldaten, insgleichen 1 ider ihre ersten leicht ist. jetzt schon chopcnhauer in diesem Frankreich
und gründlichsten Opfer: denn an der verdammliehen des Geiste , welch s auch ein Frankr ich des Pe simi ,.
nglomanie der "modernen Ideen" ist zuletzt die ame mus ist, mehr zu Hause und heimischer gcword n, als er
franQaise so dünn geworden und abgemagert, daß man es je in D eut cl1land war; nicht zu r eden von H einrich
sich ihres sechzehnten und siebz hnten Jahrhunderts, Heine, der den feineren und anspruchsvolleren Lyrikern
ihrer tiefen leidenschaftlichen Kraft, ihr r erfinderischen von Paris lange schon in Fleisch und Blut überg gangen
Vorn hmheit heute fast mit Unglauben erinnert. 1an ist, oder von llegel, der heute in Gestalt T.aines - da
muß aber diesen atz historischer Billigkeit mit den h eißt des ersten leben den IIist.orikcrs- einen beinahe
Zähnen festhalten und gegen den ugenblick und ugc11 tyrannisch en Einfluß ausübt. Was aber Richard W ag n r
eh in verteidigen: die uropäische obles c - d s Ge- betrifft: je mehr sich die Iranzö. ische Mu ik na.ch dr 11
fühls, d · Geschmacks, der itte, kurz das Wort in jedem wirklichen Bedürfnissen der ame moderne gestalten lerni.,
hohen inne genommen - ist Frankr ci chs Werk und um so mehr wird sie "wagneri.sier n", das darf man vor-
Erfindung, die europäische Gemeinheit, der Plebejismus her agen, - sie tu t s jef.zt schon g enug! Es ist dl'nnoch
der modernen Ideen - Englands. - t.lreierl i, was :.l.Uch ltrute noC'h die Franzo en mit , tolz
190 Jenseits von Gut und Böse Völker und V aterlfinder 191
als ihr Erb und Eigen und als unvcrlornc Merkmal einer Frag zeiche.n-M n chen, der Frankreich letzier großer
alten Kultur- berlegenhcit über Europa aufweisen kön- P ycholog war -). Es gibt noch einen dritten Anspruch
nen, trotz all<·r fr iwilligen oder unfrei willigen Ger,.an_i- auf · berlegenhcit: im 'Vesen der Franzosen i t eine halb-
sierung und Verpöbelung des Geschmacks: unna'l d1e wegs gelung ne ynt.he is de ordens .ll!!! üd ns g -
F ähigkeit zu artistischenLeiden chn.ften, zu Hingebungen geben, welche i viele Oing bcgr ifen macht und andre
an die "Form", für welche das Wort l'art pour l'art, Dinge tun heißt, die in Eng länder nie begreif n wird;
neben laus nd anderen, erfunden ist: - d rgleichen hat ihr d m üden periodi ·eh zug wandt s und abg wandil' ·
in Frllnkreich seit drei Jahrhunderten nicht gefehlt und 'l'cmperame:ni, in d m von Z it zu Zeit das provenzalische
immer wieder, dank d r Ehrfurcht vor der "kleinen Zahl ", und ligurische Blut über ehiiumt, bcwa.b.rt ·ie vor dem
eine Art l ammermusik d r Literatur ermöglicht, welche chauerlichen nordi chen rau in rau und d r sonnen-
im übrigen Europa si h suchen läßt -. Das Zweite, losen Bcgriffs-Gcspensicrei und Blutarmut, - un r er
worauf die Franzo en eine · berl g nheit üb r Europa deu tschcn Krankheit dr clunack , geg n deren · b r-
begründen können, ist ihre n,lte vielfachemoral i ti ehe maß man ich augenblicklich mit großer Entschlossenheit
Kultur, wel he macht, daß man im · Durcl} ehnitt selbst Blut und Eisen, will agen: die "große Politik" verordnet
bei kleinen romaneiers der Z itungen und zufälligen hat. (gemäß einer g efährlichen H cilkunst, welche mich
boulevardiers de Paris ine psychologische R eizbarkeit warten und warten, aber bi jetzt noch nicht hoffen
und cugierde findet, von d r man zum B ispiel in lehrt-). Auch jetzt noch gibt es in Fra.nkr ich ein Vor-
Deutschlwd keinen Begriff (gcsch weige denn die ache I~ ver tiindnis und ein Enig genkommen für jene seltnere11
hat. Den Deut chcn fehlen dazu ein paar Jahrhund rte und selten befriedigf..en M nschen, welche zu umHinglich
moralistischer rbeit, welch , wie g sagt, Frankreich sind, um in irge.nd einer Vaterländerei ihr Genüge zu
ich nicht er part hat; wer die Deut chen darum "naiv " finden und im Norden den üden, im üdcn den Iorden
nennt, macht ihnen aus ein m M~gel ein Lob zur cht. zu lieb n ' i sen, - für die geborenen Mittelländler, die
(Als egen atz zu der deutsch n ner.fahrenheit und · n- "guten Europäer ". - Für sie hat Biz et 1usik gemacht,
chuld in volupta e 1 ychologica, die mit der Langweilig- dieses letzte enic, welch s eine neue chönheit und Ver-
keit des deutschen Verkehrs nicht gar zu fern verwandt fü hrung gesehen,- der in lück üdcn d r 1usik
ist, - und als ""elungenster Ausdruck iner echt fra.n- entdeckt hat.
zö ischen eugi de und Erfindungsgabe für dieses Reich
2 55
zarter cha(!der mag H enri Bcyle g lten, jener merk-
würdige vorwegnehmende und vorau la.uf ndc Mcn eh, 'cgcn die deutsche Mu ik halte ich manchcrl i V r-
der mit einem apoleoni chen T empo durchs in Europa, . icht für geboten. Gesetzt, daß iner den üden liebt,
durch mehrere J ahrhunderic der uropäischcn ccle lief, wie ich ihn liebe, als eine g roße chule der enesung,
al in u spürer und Entdeck r dies r rele: - es hat im Gei tigslen und 'innlichsten, als eine unbändige on-
zwcier e hlechicr bedurft, um. ihn irgendwie einzu- nenfülle und onnen-V rldärung, welche sich über ein
holen, um einige der Rät cl nachzuraten, die ihn quälten selbstherrliches, an sich glaubende. Da ein breit t: nun,
und entzückten. diE> en wunderlichrn Epikur er und ein aleher wird ich wa vor der deut chen Musik in
192 .Jpnseils von Gut und ßösc V ö lk e r und Vat e rl ände r 193
acht nehmen lernen, weil sie, indem ie seinen Geschmack jPtzt die unzweideutig t n nz ichen üb r ehenoder will-
zurückverdirbt, ihm die esun d.heii mit zurückverdirbt kürlich und lügenhaf umgedeut t, in d nen sich aus-
E in oieher üdlünder, n ic ht der bkunft, sondern dem ·pricht , daß Europn. Eins w rden will. Bei a lln
GI a u b n nach, muß, fall er von der Zukunft der Mu ik tieferen und umfüngli chPr n Mcn chen di Sl'S Ja.hrhun·
lräumt, auch von einer Erlösung der Mus ik vom orden <lrrls war es ui . igentlich c amt-Richtung in der ge-
träumen und das Vorspiel einer ti fer n, mächtiger n, heimnisvollen rbciL ihr r 'crlc, d n Weg zu jener n ucn
vielleicht böser en und g heimnisvoll ren Musik in se inen ynLhesis vorzubereiten und ver uch swei·c den Euro-
hren haben, einer überdeut eh n Musik, w lche vor dem päer der Zukunft vorwegzun hmcn: nur mit ihr n V order-
nblick des blauen wollüstigen Moores und der mittel- gr ünden , oder in · hwti.cher n Lund n, etwa. im AlLer,
ländischen Himmels-Helle nicht v rldingt, v 'rgilbt, ver- gehörten sie zu den "Vate;rHindern", - si ruhten sich
blaßt, wie es alle deutsche Musik tut, ein r übereuro- nur von ich selber au , wenn si "Patrioten" wurden.
päi chen 1usik, die noch vor den braunen oru1en-1!ntcr- I ch dcnl<c an Mcn chen wie apoleon, orthe, Bcethoven,
gängen der Wüste r echt bchä lL, der en eele mit d r , 'tendhal, H ei nrich Ileiuc, chopenha.uer; man v r arge
Palme v rwan lL ist und unLer groß n, schön n, einsamen mir e nicht, wenn ich auch Richard Wagner zu ihnen
R aubtier en h imisch zu sein und zu schweifen ver- r chne, über den man . ich nicht durch ine eignen .Miß-
steh t - - Ich könnLe mir ein Mu ·ik denken, deren ver Ländnisse verführen lassen dar r, - Geni einer Art I

·el tenster Zaub r darin bestünde, daß sie von Gut un d hab u selten das R echt, sich selbst zu vers t h en. Noch
Böse ni h Ls meh r wüßte, nu r daß vielleich t i rgend in w niger fr ilich du rch d n ung s itteLen Lärm, mit dem
ehiffer-II imweh, irgend welch goldnc chaLten und man sich jetzt in Frankreich geg n Richard W agner
zärtliche chwächen hier und da über sie hinwegli J n: sperrt und wehrt: • - die 'f atsache bleibt nich tsdesto-
eine Kunst, welche von großer F erne her die Fa.rhen einer wenigcr best eh n , daß die Iran zösische p ä trom antik
untergehend n, fast unversLiindlich g werdenen mora- der vierziger J a.hr und l ichard W a.gner auf das eng t e
li. ehen Welt zu sich flü ch ten ähe, und die ga tJreund- und innigste zueinander gehören. ie sind sich in allen
lich und ti f genug zum Empfang solcher spätt' n Flii chL- Höhen und Tiefen ihrer B dürfni se verwandt, grund-
linge wäre. - v rwandt: Europa ist es, das Eine Europa, d sen eele
sich durch ihre vielfäHige und ungestüme Kun ·t hina.us-,
hinauf drängt und hnt - wolli.n? in ein neues Licht?
D anJr der krankhaften Entfremdung welche der Ta- nach einer neuen onne? Ab r wer möchte gcnau aus-
tionalitäts- W ahnsinn zwisch n die Völker Europas gC'legt spr echen, was alle di e 1 ist r neu r prachmi ttel nich L
hat und noch legt, dank ebenfalls den Politikcm des deutlich a.uszusproohen wußten? G-ewiß ist, daß der
kurzen Blickes und de r raschen H and, di heuLe miL gleiche turm und Drang sie quälte, daß sie auf g leich
seiner Hilfe obenauf. incl und gar nicht ahnen,-wie sehr 'i eise suc h t e n , diese letzten großen uehenden! Alle-
die auseinander lösend Poli tik, welche sie treiben, not- ·amt behen· chL von der Literatur bi in ilue Augen u nd
wendig nur Zwi chenakLs-Politik sein kann, - dank allr- hren - die ersten Kün Ll r von wel tlitera.ri eher Bil-
elern und manchem he11Li' anz TTnau. pr chbarrn werden dung - , mei ten ogar el ber chreibend , Dich tende,
J 13
Völker und Vaterländer 195
gerade Paris unentbehrlich war, nach dem ihn in der nt-
scheidendsten Zeit die Tiefe seiner Instinkte verlangen
hieß, und wie die ganze Art seines Auftretens, seines
Selbst-Apostolats erst angesichls des .französischen Sozia-
listen-Vorbilds sich vollenden konnte. Vielleicht wird
man, bei einer feineren Vergleichung, zu Ehren der deut-
schen atur Richard Wagners .finden, daß er es in allem
stärker, verweg ner, härter, höher getrieben hat, als es
ein Franzose des neunzehnten J ahrhunderts treiben
könnte, - dank dem Umstande, daß wir Deutschen der
Barba.rei noch näher stehen als die Franzosen - ; viel-
leicht ist sogar das merkwürdigste, was Richard Wagner
geschaffen hat, der ganzen so späten lateinischen Rasse
für immer und nicht nur für heute unzugänglich, un-
nachfühlbar, unnachah.mbar: die Gestalt des iegfried,
jenes sehr .freien Menschen, der in der 1'at bei weitem
zu frei, zu hart, zu wohlgemut, zu gesund, zu anti-
ka tholiseh für den Geschmack alter und mürber Kultur-
völker sein mag. Er mag sogar ine Sünde wider die
Romantik gewesen sein, dieser antiromanische Siegfried:
nun, Wagner h at diese Sünde reichlich quitt gemacht, in
seinen alten trüben Tagen, als er - einen Geschmack
vorwegnehmend, der inzwischen Politik geworden ist -
mit der ihm eignen r eligiösen Vehemenz den Weg nach
Rom, wenn nicht zu gehen, so doch zu predigen anfing.
- Damit ma.n mich, mit diesen letzten Worten, nicht
mißverstehe, will ich einige kräftige R eime zu Hilfe
nehmen, welche auch weniger feinen Ohren es verraten
werden, was ich will, - was ich gegen den "letzten
Wagner" und seine Pa.rsifal-Musik will
- Ist das noch deutsch? -
Aus deutschem Herzen ka.m dies schwüle Kreischen ?
· nd deutschen Leibs ist dies ich-selbst-Entfleischen?
Deutsch ist dies Priester-Händespreitzen,
Dies weihrauch-düftelnde inne-Reizen?
ts•
200 ,J PnKeits von Gut und JliiR<'

kratio , muß . elber, fall:· er ein lPbPndig ·r und nicht


in abs rl oder Körper i i, all das g('gen andere Kör-
per iun, wos en ·ich die einz Ineo in ihm geg neinander
enlhn.licn: er wird der IC'ibhaflc Will zur Macht ·ein
mü 11 , r wird wach~n , um sich grpi.fcn, an sich ziehen.
· bergewicht g winnen wollen,- nicht aus irgend inPr
Moro.litäi oder Immoralität heraus, sonder·n weil er 1e b ,
uncl weil Leb n ben Will zur Macht is1. Jn l(cinem
Punkte ist aber das emcin · BewußLs in der Europäer
widerwilliger gegen I l('hrung als h.ier; man schwärmt
jetzt üb rall, unter wisRrnschaJüichrn Verklcidun<~en so-
gar, von komme11den Zu Länden der e Pllschaft, d n n
.,der au ·beuterische harakter " abgPhen oll : -das kling(
in meinen hl'Cn, als ob man in Leben zu rr.finden vPr-
spriiche, welches sich aller orga.nisch<'n Funktion n ni-
hielte. Die" usb utung" gehört nicht einer verclerbten
od r unvollkommnen und primitiven ell schafi an: sir
gehört in W en des Lebendigen, als org·lni ·ehe rund-
funktion, sie isi eine Folg cle eig nüich n Willens zur
MacM, der eben der Wille de Lebrn ist. - G s tzt, dies
ist als Theorie eine I uerung, - al. R aliiät ist s da.
· r-Fakium aller ehich ei doch .o wPit
gegen ich ehrlich!

260

Bei einer Wanderung durch die viel n feineren und


gröberen I oralen, welche hi her auf Erden geherrscht
haben oder noch herr. chen, fand ich g wj sse Züge r egel-
mäßig miteinander wi drrk hrend und aneinander ge-
knüpft: bi sich mir endlich zwei rundtypen v rriel. n
und ein rundunter chiPd hPrau prang. Es gibt Herren-
[oral und klaven-J\loral;- ich füge sofort hinzu,
daß in allen höheren und gemi chteren Kulturen au h
Ver uche der V rmii lung b idcr 1oralen zum Vorsch in
kommen, noch öfter das Durcheinander der lben und
212 Jenseits von Gut und Böse

irgeml eine widrige l:nentha.ll amkeit, irgend ein Winkel-


Neid, eine plumpe ich-R echtgeber i - wie diese drei
zusammen zu allen Zeiten den eigentlichen Pöbel-Typus
ausgemacht haben - , dergleichen muß auf das Kind so
sicher übergehen, wie verderbtes Blut ; und mit Hilfe
der besten Erziehung und Bildung wird man eben' mu·
erreichen, über· eine solche Vererbung zu täus ch en. -
Und was will h eute Erziehung und Bildung anderes! In
unsrem sehr volksLümlichen, will sagen pöbelhaften Zeit-
aller muß "Erziehung" und "Bildung" wesentlich di
Kunst zu t äuschen sein, - über die H erkunft, den ver-
erbten Pöbel in Leib und eele hinweg-zu-täuschen . Ein
Erzieher, der heute vor allem Wahrhaftigkeit predigte
und seinen Züchtlingen beständig zuriefe "seid wahr!
seid natürlich! gebt euch, wie ihr seid!" - selbst in
solcher tugendhafte r und treuherziger Esel würde nach
einiger Zeit zu jener fur ca des IIora.z g reifen lernen, um
uatu~·am expellere: mit welchem Erfolge? "Pöbel" u sque
recurret. -
265
Auf die Gefahr hin, unschuldige Ohren mißvergnügt
w machen, stelle ich hin: der Egoismus gehört zum
\Vesen der vorn ehmen eele, ich meine jenen unverrück-
baren Glauben, daß einem \ Vesen, wie "wir sind", ander
W esen von atur untertan sein müs en und sich ihm
zu opfern haben. Die vornehme eele nimmt diesen Talr
bestand ilu·es Egoismus ohne jede Fragezeichen hin,
auch ohne ein Gefühl von Härte, Zwang, \Villkür darin,
vielmelu wie etwas, das im r gesetz der Dinge begründet
sein mag: - suchte sie nach einem r am en dafür, so
würde sie a.ge n "es ist die Gerechtigkeit selbst" . ie
gesteht sich, unter Umständen, die sie anfang zögern
lassen, zu, da ß es mit ihr Gleichberechtigte gibt; sobald
sie über diese Frage des Ranges im reinen ist, bewegt
Rie si hunterd iesen Gl eichrn und lrirhhcrechtiglrn mit
21 .Jenseits von Gut und Böse

möchte glauben, daß Liebe alles vermag, - es i t ein


t eigentlicher Aberglaube. Ach, der Wi ende de H et -
zens errät, wie arm, hilfl s, anmaßlich, frhlgr ifend,
leichter zer ·i.örend al rettend auch die bes e tie.fsle Liebe
ist! -Es ist möglich, daß unter der heiligen Fab l und
Verkleidung von J csu L eb u ein r der schmerzlichsten
Fälle vom Marty rium des Wi ns um di e Li bc ver-
borgen liegt: das Martyrium des unschuldigsten und b -
g hrendsien H er zens, das an k ein r Mensch 'n-Licbc je ge-
nug halLe, das Liebe, Geliebtw erden und nichts auß rdem
verlangte, mit H ärte, mit WaJw sinn , mit furchtbaren
usbrüchen gegen die, welche ihm Liebe v rw eigerten;
die eschichie eine. arm n ng ättigten und ner ätt.-
licllcn in der Liebe , der die Ilöll r.findcn mußte, um die
dorthin zu schicken, welche ihn nicht lieb n \VOll ten,
- und der endlich, wiss nd geworden über lll n·chli ·he
l~iebe, einen OotL erfinden mußtr, der ganz Liebe, ganz
Lieb n-könn c u ist, - der sich d r Menschen-Liebe er-
barmt, weil sie gar so armselig, ·o unwissend i t! W .r
·o fül1lt, wer derges talt um die Liebe w eiß, - · uch~
den 'l'od. - Aber warum solchen schmcrzlicllCn Ding n
nachhängen ? esdzt, da ß man es nicht muß. -

270

Der geistige Hocllmu t und Ekel j d 'S Men. chen, der


tief gelitten hat- es b stimmt b .i.nah die Rangordnung,
wie tief 1enscl1en leiden könn n - , sein schaudernd
ewißheil, von der er ganz durchtränkt und gefärbt ist,
vermöge s in L idens m hr zu wissen, al die Klüg-
sten und Weises ten wis n können, in vielen fernen nt-
etzliehen Vlelten bekannt und einmal "zu H ause" g
wesen zu s in, von denn "ihr ni hl wißt! " - - die er
geistige chweigende Hoehmu t de Leidenden, die er lolz
des Au erwählten der Erk nnlni , des " ' ingeweihten ",
des beinalle eopferien findet alle F ormen von Verklei-
\'orr de
241
alle ·amt. uu tercinander und Zeu6>ni ·se Eiucs Will en~;,
Einer Gesundheit, Eines Erdreich , Einer onnr. - Ob
sie euch schmecken, die e un rc Früchte? -Aber wa
acht. das die Bäume an! Was gPht da uns an, un Philo-
sophen! ...
3
Bei einer mir eignen Bed nklicltkeit, die ich ungern
eingestehe - sie bezieht, sielt nämlich auf die Moral,
auf alle , was bisher auf Erden al Moral gefeiert worden
i t - , einer Bed nklichkeit, welche in meinem L ben so
früh, so unaufgefordert, so unaufhaUsam, so in Wider-
spruch .,. gen Umgebung, AHrr, B i picl, H rkunH auf-
trat, daß ich beinahe das Recht hätte, sie mein ,.Apriori"
zu nenn ·n, - mußte meine ..t eugicrde benso wie mein
Verdacht beiZeiten an derFrage Halt machen, we l chen
r spr un g eigen lieh unser Gut und Bö e habe. Jn der
Ta.t ging mir bereit als dreizehnjährigem Knaben das
Problem vom rsprung des Bösen nach: ihm widmete ich,
in einem Alter, wo man "halb Kinder piele, halb Gott
im H erzen" hat, mein erstes li terari ehe Kinder ·piel,
meine er tc philosophische chreibübung- und was meine
damalige "Lö ung" des lroblcms an betrif.ft, nun, so gab
ich, wie es billig ist, Gott die Ehre und machte ihn zum
Vat er des Bösen. \Vollie es gerade so mein " prion
von mir? jenes neue unmoralische, mindestens immora.-
Listi ehe " priori" und der aus ihm r edende ach I so anti-
Kanti ehe, so r ätselhafte "kategorische Imperativ", dem
ich inzwischen immer mehr ehör und nicht nur ehör
geschenkt habe? . . . lü cklicherw ise lernte ich bei-
zeiten da.s thcologi ehe Vorurteil von dem morali chen
abscheiden und suchte nicht mehr den r prung d s Bösen
hinter der W elt. Etwas historische und philologische
chulung, eingerechnet ein angeborener wähleri eher inn
in Hin icht auf psychologische Fragen überha~pt, ver-
wandelte in Kürze mein Problem in da.s andere: un ter
J 16
\" o r red c 245

(>

, Dies Problem vom Wer t c des Mitleids und d r Mit-


leid -Moral (- ich bin ein Gegner der schiiodliehen
modernen Gcfühls vcr weichlichung -) scheint zunächst
nur etwas Vereinzeltes, ein Fragezeichen für s ich; wer
aber einmal hier hängen bleibt, hier fragen lernt, dem
wird es gehn, wie es mir rgangcn ist: - ine ungeheure
neue Au sieht tut sich ihm auf, ein e JI.Iöglichkcit faßt ihn
wie ein eh wind 1, jede Art Mißtrauen, rgwohn, Furcht
spring t hervor, der Glau bc an die Moral, an alle Moral
wan kt, - ndlich wird eine neue Forderung laut. Spre-
chen wir .sie aus, diese n eu e Forderung: wir haben
eine Kritik der morali ch cn W erte nötig, d er Wert
di ese r W ert e ist sclbs t er st einmal in Frage zu
ste ll e n - und dazu tut eine K enntnis der Bedingungen
und msJiindc not, aus denen sie gewachsen, unter denen
sie sich entwickelt und ver schoben haben (Mor al als
Folge, als ymptom, als Maske, als 'l'artüfferie, als
Krankheit, als 1iß erständnis; a ber auch Loral als Dr-
ache, als Heilmittel, als timulans, als H emmung, als
.. GiH), wie eine solche K enntnis weder bis jetzt da war,
noch auch nur begehrt worden i t. Man nahm den W ert
dieser "·werte" a ls gc.,.eben, als tatsächlich, al jen cit
alle r In-Frage- Lellung; man h at bisher auch nicht im
entferntes ten d:uan gezweifelt und geschwankt, "den
Guten" für höherwertig al " den Bösen" an zu ctzcn,
höherwertig im inn e der Förderung, ützlichkeit, Ge-
deihli chkeit in Hin icht auf d en 1cnsch en überhaupt
(die Zukun ft de Menschen einge rechnet). Wie? wenn
das mgekehrte die W ahrheit wäre? Wie? wenn im
" Guten" auch ein Rü ckgang ymplom l äge, insg leichen
eine Gefahr , ein e Verführung, in iH, ein 'arcotikum,
durch das etwa die Gegenwart auf Kosten d e r Zu-
k unHl eb te ? Yiell eicht behaglicher, ungdährlicher, aber
26fl "(; u f \1 n rl

heit, etwa das tapfere Drauflo gehn, sei es auf di~ Ge-
fa.hr, sei es auf den F eind, oder jene schwärmensehe 11

PlötzlichkeiL von Zorn, Liebe, Ehrfurcht, Dankbark eit GeradE' umg kehrt al o wie b i dem Vornehmen, der
und Rache, an der sich zu allen Zeit n die vornehmen Jen Grundbegriff "gut" voraus und spontan, nämlich von
eclen wi cdrrerka.nni haben. D as Ressentiment des vor- sich aus konzipiert und von da aus rst ein e Vorstellung
nehmen Menschen selbst, wenn es :10 ihm auftritt, voll- von "schlecht" sieh s haffi I Die "schlecht" vornehmen
zieht und er schöpft sich nämlich in ein er sofortigen Heak- Ursprungs und jenes "böse" aus dem Braukessel des un-
iion, es v crgiiL c t darum nicht: andrerseits irili es in gesätti gten H asses - das erste ei ne Nach chöpfung, ein
unzähli.,.cn :Fällen gar nicht auf, wo es bei allen chwa- Iebcnher, eine KomplcmenLärfa1·be, das zweite dag gen
chen und .Ohnm ächtig n unvermeidlich i ·t. ·ine F einde, das Original, der Anfan , die eigen liehe Tat in der Kon-
seine nfällc, seine n Laien selbst nicht lange ernst zeption ein r kla ven- 1oral - wie verschieden siehn
nehmen können - das ist das Z ichcn starker voller die beiden scheinbar demselben Begriff "gut" entgegen-
N aiuren, in denen ein Überschuß plastischer, nachbilden- g ·stell Leu ·w orte "schlecht" und "böse" da! Aber es ist
der , ausheilen der , auch ve rgessen machender Kraft is t (ein nicht derselbe Begriff "gu t": vielmehr fr age man sich
gutes Beispiel dafür aus der mocl:ernen Welt ist Mira- doch, wer eigentlich "böse" ist, im Sinne der Moral des
bcau, welcher kein Gedächtni für ] nsulic und Niedcr- R essen timen t. In aller irengc geantwortet: c b en der
triichiigkeilcn hatte, die man an ihm brging, und der nur "G ute" der and ren Moral, eben der Vornehme, der Mäch-
deshalb nicht vergeben konnte, weil er - vergaß). Ein tige, der H errschende, nur um g färb t, nur um gedeutet,
solcher 1ensch schüileli bcn viel ·ew ürm mit Einem nur um gcschn durch das Giftauge des R essen Limen t.
Ruck von sich, das sich bei anderen eingr äb t; hier allein Hier wollen wir eins am wenigsten leugnen: wer jene
i tauch das möglich, geset zt daß es üb rh aupt auf Erden "Guten" nur als Feinde k enn enlcrnte, lernte auch nichts
möglich ist - die eigen tliche "Liebe zu seinen F ei nden". als b öse F eind e kennen, und dieselben Men schen, welche
\Vieviel Ehrfurcht vor seinem F inde hat schon ein vor- so streng durch Sitte, Vereh rung, Brauch, D ankbarkeit,
nehm er Mensch. - und eine solche Ehrfurcht ist chon noch mehr durch g genseiLige Bewachung, durch Eifer-
ein Brücke zur Liebe ... Er verlangt ja seinen Feind für sucht inter parcs in ehranken gehalten sind, die andrer-
sich, als sein e Auszeichnung, er hält ja keinen anderen seits im Verhalten zueinander so erfind riseh in Rück-
F ind aus, als einen so lch en, an dem nichts zu verachic.n sicht, elb tbcherr chung, Zar tsinn, Treue, iolz und
und se hr vi el zu ehren ist! Dagegen stelle man sich Freund schaft sich bewci ·en, - sie sind nach a uß n hiu ,
) .,den F eind" vor, wie ihn der Mcn~~h des R esse n tim ..nt dort wo das Fremde, die Fremde beginnt, nicht viel
konzipiert - u nd hier gerade 1st se1ne Tat, semc chop- b ser als losgela scne Rau bii.er . io genießen da. die
fun g : er ha "den bösen F eind" konzipi rt, " den B ösen", F rcih it von allem sozialen Zwang, sie halten ich in d r
und Z\\·ar als Grundbegriff, von dem aus er sich als \i' ildni schadlos für die pannung, '" lche eine lange
achbild u nd Gegen tück nun auch noch inen ,.Guten" Einschließung und Einfriedigung in den Frieden der G -
ausdenkt - sich selbst I ... mein chaft gibt, ic tr eten in die n ch uld des R aubiier-
cwi~sens zurü ck, als f rohlockende ngeheuer, welche

26 Zur Genealogie der 1\loral "Gut und ßös ","Gut und chlecbt"
269
vielleicht von einer scheußlichen Abfolge von Mord, .Enlscizcns, mit dem jahrbund rtclang .Europa dem \Vüien
icdcrbrennung, chändung, Folterung mit einem Über- der blonden germani chcn Bestie zugesehn hat (obwohl
mute und s lischen Gleichgewichte davongehcn, wie als zwischen allen Germanen und uns Deutschen kaum in
ob nur ein tudentcnstreich vollbracht sei, überzeugt Begriffs-, g schweirr ein Blutverwandtschaft b tobt).
davon, daß die Diehier für lange nun wieder etwas zu Ich hab inmal auf die Vcrlcgenh it IIesiods aufmerk-
sing n und zu rühmen haben. Auf dem Grunde all r sam gemacht, als er die Abfolge der Kultur-Zeila.Her
di ser vornehmen Rassen ist das Raubtier, die pracht- aussann und sie in Gold, iloor, Erz auszudrücken suchte:
volle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde r wußic mit dem \Vid r pruch, den ihm die herrliche,
B stic nicht zu verkennen; es bedarf für diesen ver- aber ebenfalls so schauerliche, so gewalttätige \Velt IIo-
borgenen Grund von Zeit zu Zeit der Entladung, das mers bot, nicht anders fertig zu werden, als indem er aus
Tier muß wieder heraus, muß wieder in die Wildnis zu- Einem Zeitalter zwei machte, die er nunmehr hinter-
rück: - römischer, arabischer, germanischer, japanesi- einander stellte - einmal das Zeitalter der liclden und
schcr Adel, homerische Held n, skandinavische Wikinger Halbgötter von Troja und 'l'hebcn, so wie jene \Velt im
-in diesem Bedürfnis sind sie sich alle gleich. Die vor- Gedächtnis der vornehmen Geschlechter zurückgeblieben
nehmen R assen sind e , welche den B griff "Barbar" auf war, die in ihr die eigenen Ahnherrn hn.tt n; sodann das
all den puren hinterlassen hab n, wo sie g gangen sind; herne Zeitalter, so wie jene gleiche Welt d n J ach-
noch aus iln r höchsten KnlLur heraus verrät sich ein kommen der icdergetretcncn, Beraubten, Mißhandelten,
BewußLsein davon und ein Stolz selbst darauf (zum Bei- W cggesehleppten, Verlraul'tcn erschien: als ein ZeitalLer
spi l wenn P erik les seinen Athenern sagt, in jener be- von Erz, wie gesagt, hart, kalt, grausam, gefühl- und
rühmten J-'eichcnrede, "zu allem Land und Meer hat unsre g wisscnlos, als zermalmend und mit Blut übertünchend.
Kühnheit sich den Weg gebrochen, unvergängliche D enk- Gesetzt daß es wahr wäre, was jetzt jedenfalls als "Wahr-
male sich überall im utcn und chlimmen aufrich- heit" geglaubt wird, daß es eben der inn aller Kultur
tend"). Diese "Kühnh~it" vornehmer Rassen, toll, ab- sei, aus dem R aubtiere "Mensch" ein zahmes und zivili-
surd, plötzlich, wie sie sich ä.ußert, das n berochen bare, siertes Tier, ein Haustier herauszuzüchten, so müßte man
das nwahrscheinliche ·elbst ihrer nternehmungen - unzwcifelhaf alle jene Reaktions- und R essentiments-In-
P rikl cs h bt die pa up.(a. der Ath ner mit Auszeichnung stinkte, mit deren IIilfe di e vornehmen Geschlechter samt
hervor - , ihre Gleichgültigkeit und Verachtung gegen ihren idealen schließlich zu chanden gernachtund überwäl-
, 'icht•rhcit, Leib, Leben, Behagen, ihre entsetzliche Heiter- tigt worden sind, als die igentlichen Werkzeuge der
keit und 'l'icfe der J;ust in allem Z rsLörcn, in allen \Vol- Ku l tu r betrachten; womit allerdings noch nicht gesagt
/ tüsten des iegcs und d _r Gra~samkei~- alles faßte sie,~ wäre, daß der en Träger zugleich auch selber die Kultur
_;'ür die, welche daran hitcn w das Bild d s "Barbaren , darstellten. Vielmehr wäre das Gegenteil nicht nur wahr-
des "bösen Feindes" cLwa des " oten", des " andalen" scheinlich - nein! es ist heute augenscheinlieh! Diese
zusammen. Das tiefe, eisige ~lißtraucn, das der Deutsche Träger der niederdrückenden und vergeltungslüsternen I n-
erregt, sobald er zur Macht kommt. auch jetzt wieder - stinkte, die achkommen alles europäischen und nicht-
ist immer noch ein achschlag j nes unauslöschlichen curopäi chen lda vrn tums, aJlrr vorarischen 'Bevölkerung
270 Zu•· Genealogio der Moral .,Gut und Uii~e". ,.Gut und Schl!'clJt" 271
.insonderhcit- sie stellen dcnl ückgang der J.\!enschh •iL nicl1L aus von -" ot, .Lutbduuug, Losem \\ ettcr, 'iechtum,
dar l Die e "\ '•rkzeuge der I~ ultur" sind eine chandc 1ühsal, Yerl'insamung? Im runde wird man mit allem
des l\1 nschcn, und eher ein Verdacht, ein 'egcnargum nt übrigen fertig, geboren wie man ist zu CÜH'm unterirdi
gegt•n "Kultur" überhaupt l Man m:tg im besten Rechle sehen und kämpfenden Da ein; man kommt immer wictler
sein, wenn man vor der blonden B stie auf dem Grunde l'inmal ans Licht, man rlcbt immer wieder seine goldene
aller vornehmen Ras ·en die Furcht nicht los wird und •'tunde clcs •'iegcs- und dann st ht man da, wie man ge-
auf der Ilut ist: aber wer möchte ni hl hundertmallieb r boren ist, unzcrbrechbar, gespannt, zu Ncuem, zu noch
sich fürcht n, wenn er zugleich b wundern darf, ~ls sicl1
L
I
'chwcrer m, Fernerem bereit, wie ein Bogen, den all
nicht fürchten, aber dab 1 den kelhafien Anbltck des rot immer nur noch stmffer :tnzieht. - Aber von Zeit
Mißratenen, Verklein rten, V er kümmerten, V er gifteten zu Zeit gönnt mir - gesetzt, daß es himmlische Gönne-
nicht m hr loswerden können? Und ist das nicht unser rinnen gibt, j uscits von ut und Bö - einen Rlick
Verhängnis? Was macht heute unsern Widerwillen gönnt mir Einen Blick nur auf etwas Vollkommen zu-
gegen "den 1enschcn"? - denn wir l eiden am Men- Ende-Geratenes, Glückliches, Mächtiges, Triumphierc~dcs,
schen es ist kein Zweifel. - ich t die Furcht; eher, n.n dem es noch etwas zu fürchten gibt! A f einen Mcn-
daß ~ir nichts mehr am 1enschen zu fürchte~ haben; >;chcn, der den Men chcn rechtfertigt, auf einen komple-
daß das Gewürm "Mensch" im Vordergrunde ist und mentär n und erlösenden lücksfaU des Menschen, um
wimmelt; daß der "zahme Mensch", der H eillos-Mittel- deswillen man den Glauben an d en Menschen
mäßige und Unerquickliche bereits sich als Ziel und festhalLen darf! . .. Denn so steht s: die V rldcinerung
piize, als inn der G schichte, als "höheren Menschen" und Ausgleichung des europäischen Menschen birgt
zu fühlen gelernt hat; - ja daß er ein gewisses Recht unsre größte Gefahr, denn dieser nblick macht müde . ..
darauf hat, sich so zu fühlen, insofern r sich im b- \Vir sehen heute nichts, das größer werden will, wir
standc von der Überfülle des Mißratenen, Kränklichen, ahnen, daß es imm r noch abwärts, abwärts geht, ins
Müden, Verlebten fühlt, nach d m heute Europa zu stin- Dünnere, Gutmütigere, Klügere, Behaglichere, Mittel-
ken beginnt, somit als etwas wenigstens relativ Gerate- mäßigere, Gleichgültigere, hin esi chcre, hri tlichere-
nes, wenigstens noch Lebensfähiges, wenigstens zum d r J\Iensch, e ist kein Zweifel, wird immer "besser" .. .
Leb n Ja-sagendes ... Hier ben liegt das V rhängnis Europas - mit der
Furcht vor dem Mensch n haben wir auch die Liebe zu
12
ihm, die Ehrfurcht vor ihm, die Hoffnung auf ihn, ja
- Ich unterdrücke an di ser Stelle einen Seufzer und den \Villen zu ihm eingebüßt. Der Anblick des Menschen
eine l etzt e Zuversicht nicht. Was ist das gerade mir macht nunmehr müde - was ist beute Jihilismus, wenn
ganz nerträgliche? Das, womit ich allein nicht fertig er nicht das i~t? ... ·wir sind des Mensch e n müde ...
werde, was mich ersticken und ver ehrnachten macht?
chiechte Luft I chiechte Luft I Daß etwas Mißratenes 13
in meine Nähe kommt; daß ich die Eingeweide einer - Doch komm en wir zurück: das Problem vom ande-
mißratenen Seele riechen muß I ... W a.'l hält man sonst ren r sprung des "Guten", vom Guten , wie ihn der
Zur Genoologie der Moral 273
272 ----------------
Mensch des Resst:>ntiment sich a u gctlachL hat, verlangt im Grund e das Tun, wenn e den Blitz l euchten läßt; das
nach seinem Ab chluß. - Daß die Lämmer den großen ist ein Tun-Tun: es setzt das el bc Geschehen einmal als
Raubvögeln gram sind, das befremdet nicht: nur ·cgt Ursache und dann noch einmal als deren Wirkung. Die
darin kein rund, es den groß n R aubvögrln zu verargen, atur.forschcr machen es nicht besser, wenn sie sagen
rlaß sie sich kleine Lämmer holen. Und wenn die Lämro~r "die Kraft bewegt , die K r aft verursacht" und dergleichen,
uni r sich sagen "diese Raubvögel sind böse; und wer - unsre ganze Wissen clw.ft st eht noch, trotz aller ihrer
sowen ig als möglich ein Raubvogel ist, vielmehr d r n Kühle, ihrer .Freiheit vom Af.fekt, unter der Verführung
'egensti.ick, ein L~mm, - sollte der nicht gut sein?" so der prache und ist die unter geschobenen W ech el bälgc,
ist an di scr Aufrichtung eines Ideals nichts auszusetzen, ilie " ubjekte" nicht losgeworden (das Atom ist zum Bei-
sei es auch, daß die R aubvögel dazu ein wenig spöttisch spiel ein solcher W echselbalg, insgleichen das Kautische
blicken werden undvielleic ht sich sagen: "w ir sind ihn en "Ding an ich"): was Wunder, wenn die zurückgetrete-
gar nicht gr am, diesen guten Lämmern, wir lieben sie nen, versteckt glimmenden Affekte R ache und Haß diesen
sogar: nichts isL schmackhafter als ein zartes Lamm." - Glauben für sich ausnützen und im Grunde sogar keinen
Von d r t ätke verlang n, daß sie sich ni cht als tärl\e Glauben inbrünstiger aufrechterhalLen als den, es stehe
äußere, daß sie ni c ht ein "Übcrw-älligen-Wollcn, ein dem tarken fr ei, schwach, und dem Raubvogel, Lamm
i edcrwer.fen-W ollen , ein IIerrwerden-'vVollen, ein Durst zu sein: - damit gewinnen sie ja bei sich das Recht, dem
nach F einden und Widerständ n und Triumphen sei, ist Raubvogel es zuzurechnen, Raubvogel zu sein ...
gerado so widersinnig, als von der chwäch o verlangen, W enn die nterdrückten, Ni dergetretenen, VergewaHig-
daß sie sich als Stärke äußere. Ein uantum Kraft ist t en aus der rachsüchtig n List der Ohnmacht heraus sich
ein ben solches Quantum Trieb, Wille, Wirken - viel- zureden: " laßt uns anders sein als die Bösen, nämlich
mehr, i t gar nichts anderes als eben dieses Treiben, gut! nd gut ist jeder, der nicht vergewaltigt, der nie-
\Vollen, Wirken selbst, und nur unter der Verführung manden verletzt, der nicht angreift, der nicht vergilt,
der prache (und der i n ihr versteinerten Grundirrtümer der die R ache Gott übergibt, der sich wie wir im Ver-
d r V rnunft), welche alles Wirken als bedingt durch ein borgenen hält, der allem Bösen aus dem W ege geht und
Wirkend es, durch ein " ubj ekt" versteht und mißver- wenig überhaupt vom Leben verlangt, g leich uns, den
steht, kann es anders er scheinen. Ebenso näm lich, wie cduldigen, Demü tigen, erechten " - o heiß t das, kalt
das Volk den Blitz von sein m Leuchten trennt und letz- und ohne Voreingenommenheit angehört, eigentlich nichts
t er es als Tun, als Wirkung ein u bj ekts nimmt, das weiter als: "wir chwachen sind nun einmal schw ach; es
Blitz h eißt, so trennt die Volks-Moral auch die tärkc is t gut, wenn wü nichts tun, wozu wir nicht stark
von cl n Äußerungen der tärkc ab, wie als ob es hinter ge nu g sind"; aber dieser herbe 'l' atbestand, diese Klug-
dem t arken ein indifferentes ubsLrat gäbe, dem es fre i - heit niedrigsten R anges, welche selbst Insekten haben
st ünde , tärke zu äußern oder auch nicht. Aber es gibt (die sich wohl tot stellen, um nicht , zu viel" zu tun, bei
kein solches ubstrat; es gibt kein " ein" hinter dem großer Gefahr), hat sich dank jener Falschmünzerei und
'un, V\ irk n, I · erden ; "der Tät r" ist zum Tun bloß elbstverlogenheit der Ohnmacht in den Prunk der ent-
hinzugrdichtet- das 'l'un ist alles. Das Volk vPrdoppclt sagenden stillen abwa r tenden Tugend gekleidet, gleich
J 18
274 Zur Genea l ogie der Moral ,.Gut und Böse", ,.Gut und Schlecht" . 275
~---------------------
als ob die chwachen selbst - das heiß t die ängstliche Niedrigkeit zur "D emut"; die Unterwer-
doch sein Wesen, ein \Virken, seine ganze, einzige, un- fung vor denen, die man haßt, zum "Gehor am" (nämlich
vermeidliche, unablösbarc Wirklichkeit - eine frei- gegen einen, von dem sie sagen, er befehle diese Unter-
willige Leistung, etwas Gewolltes, ewähltes, eine T at, werfung, - sie heißen ihn Gott). Das Unoffensive des
ein V e rdi enst sei. Diese Art 1ensch hat den Glauben ehwachen, die .Feigheit selbst, an der er reich ist, sein
an das indifferent e wahlfreie" ubjekt" nötig aus einem An-der-Tür- iehn, s in unvermeidliches W arlen-müssen
Instinkte d r elbsterhaliung, el bsibejahung heraus, in kommt hier zu g uten Namen, al· "Goould", es heißt
dem jede Lüge sich zu heiligen pflegt. Das ubj ekt (oder, wohl auch di e Tugend; das t:lich-nicht-rächen-Können
l daß wir populärer r eden, di ee l e) isi vielleicht deshalb heißt 'ich-nicht-r ächen-Wollen, viell i cht selbs V er-
l bis je tzt auf Erden der beste Glaub n satz gewes n, weil
r der Überzahl der Sterblichen, den ch wachen und Nie-
zeihung ("denn sie wissen nicht, was sie tun - wir allein
wissen es, was sie tun!"). Auch redet man von der "Liebe
d rgedr ückten jeder Art, jene sublime elbstbetrügcr ei zu seinen Feinden" - und schwitz t dabei."
ermöglichte, die chwäche sclb ·t als Freiheit, ihr o· un d - Weiter!
o-sein als V erdi en st auszulegen. - " ie sind elend, es ist kein Zweifel, alle die e .Munk-
ler und Winkel-Falschmünzer, ob sie schon warm bei-
14
einander hocken - aber sie sagen mir, ihr Elend sei eine
- Will jemand ein wenig in das Geheimnis hinab- Auswahl und Auszeichnung Gotte , man prügele die
. und hinuntersehen, wie man auf Erden Id ea le fabri - Hunde, die man am liebsten habe; vielleicht sei dies
ziert? vVer hat den Mut dazu ? . .. Wohlan! Hier ist Elend auch eine Vorber eitung, eine Prüfung, eine chu-
der Blick offen in diese dunkle W erkstätte. Warten ie lung, vielleicht sei es noch mehr - twas, das einst aus-
noch einen Augenblick , mein H err Vorwitz und Wa e- geglichen und mit ungeh euren Zinsen in old, nein I in
hals: Ihr Auge muß sich erst an dieses falsche schillernde Glück ausgezahlt werde. Das heißen sie "die eligkcit".
Licht gewöhn en . . . o! Genug! R eden ie jetzt! Was - Weiter!
geht da unten vor? prechen 'ie aus , was ie sehen, - " J etzt geben sie mir zu verstehen, daß sie nicht
1ann der gefährlichsten eugierde - jetzt bin i eh der, nur besser seien als die Mächtigen, die Herren der Erde,
welcher zuhört. - deren peichel sie Jecken müssen (n icht aus Furcht,
- "Ich sehe nichts, ich höre um so mehr. Es i t ein ganz und gar nicht aus Furcht! sondern weil s Gott
vorsichtiges, tückisches, leises 1unkeln und Zusammen- g biet et, alle Obrig keit zu ehren) - daß sie nicht nur
flüstern aus allen Ecken und Winkeln. Es scheint mir, besser seien, sondern es auch " besser hätten", jedenfalls
daß man lü gt; eine zuckrige Milde klebt an jedem Klange. einmal besser haben würd n. bcr genug! genug I Ich
Die chw äche soll zum V e rdi enste umgelogen werden, halte es nicht mehr aus. chlcchte Luft! chl cchte Luft!
ist k ein Zweifel - es steht damit so, wie ie es Diese \V erkstätte, wo man Id ea l e fabriziert - mich
agten"- dünkt, sie stinkt vor lauter Lügen."
- Weiter! ein! och einen Augenblick! i e sagten noch
- "und die Ohnmacht, die nicht vergilt, zur "Güte"; nichts von dem Mei ter tücke dieser eh warzküns tler,
18.
"Gut und Böse", "Gut und Schlecht" 277

mal nämlich wollen auch sie die tarken sein, es ist kein
Zweifel, irgendwann soll auch ihr "R eich" kommen -
"das Reich Gottes" heißt es schlech lweg bei ihnen, wie
gesagt: man ist ja in allem so demütig I chon um das
zu erleben, hat man nötig, lange zu leben, über den Tod
hinaus,- ja man hat das ew i ge Leben nötig, damit man
sich auch ewig im "Reiche Gottes" schadlos halten kann
für jenes Erden-Leben "im Glauben, in der Liebe, in der
Hoffnun g". chadlos wofür? chadlos wodurch? .. .
Dante hat sich, wie mich dünkt, gröblich vergriffen, als
er 1 mit einer schreckeneinflöß enden Ingenuität, jene In·
schrift über das Tor zu seiner Hölle setzte "auch mich
schuf die ewige Liebe" : - über dem Tore des christlichen
Paradieses und seiner "ewigen eligkeit" w~.ii·de jeden· '
falls mit besserem R echte die Inschrift stehen dürfen
"auch mich schuf der ewige Haß" - gesetzt, daß eine
Wahrheit über dem Tor zu einer Lüge stehen dürfte!
Denn was ist die Seligkeit jenes Paradieses? ... Wir
würden es vie ll eicht schon erraten; aber besser ist es, daß
es uns eine in solchen Dingen nicht zu unterschätzende
Autorität ausdrücklich bezeugt, Thomas von Aquino, der
große Lehrer und Heilige. "Beati in regno coelesti, sagt
er sanft wie ein Lamm, vielebunt poenas damnatorum, u t
b eatitudo illi s magis eomplaceat." der will man
es in einer stärkeren Tonart hören, etwa aus dem Munde
eines triumphierenden Kirchenvaters, der einen hristen
die grausamen W ollüste der öffentlichen chanspiele
widerriet - warum doch? ,Der Glaube bietet uns ja
viel mehr- sagt er, de spectac . . 29 ss. -,v i el Stär-
keres; dank der Erlösung stehen un ja ganz andere
Freuden zu Gebote; an teile der thleten haben wir
unsre Märtyrer; wollen wir Blut, nun, so haben wir das
Blut Christi ... Aber was erwartet uns erst am Tage
seiner W iederkun ft , seines Triumphes I " - und nun fährt
er fort, der entzückt e Visionär: "At enim supersunt alia
,.Gut und B öse", .,Gut und Schlecht" 279
ha.ec jam hab mu quodammodo per .fideru sviritu imagi-
nante r epraesent ata. Ceterum qualia illa sunt, quae nec
oculus vidit nec auris audivit nec in cor hominis ascen-
derunt? (1. Kor. 2, 9.) redo circo et uiraque cavea (erster
und vierter Rang oder, nach anderen, komische und tra-
gi eh Bühne) et omni siadio gratiora." - Per .fidem:
so sieht' geschrieben. -

16
Kommen wir zum ch luß . Die beiden ent gegen -
gese tzt en W ert e "gut. und schlecht", "gut und böse"
haben einen .furchtbar en, J ahriausende langen Kampf au.f
Erden gekämpft ; und so gewiß auch der zweite W cr t seit
lang m im üb rgcwichtc ist, so fehlt s doch auch jetzt
noch nicht an teilen, wo der Kampf unentschi eden fort-
gek ämpft wird. Man lcönntc ·clbst sagen, daß er in·
zwischen immer höher hinaufge tragen und eben damit
immer ticf er ,immer geistiger geworden sei: so daß es heute
vielleicht kein entschl'idcnder es Abzeichen der "höh e ren
Ja tur", der g istigcrcn N ai ur g ibt, als zwiespält ig in
jenem inne und wirklich noch ein Kampfpl atz für jene
Gegensät ze zu sein . Das ym bol dieses Kampfes, in einer
chrift geschrieben, die über alle M enschengeschichte hin-
w g bisher lesbar blieb, heißt "R om gegen Judäa, Judäa
gegen R om": - es gab bisher kein größeres Er ignis als
diese n Kampf, di ese Frag stellung, di ese n iodfeind-
lichen Widerspr uch . Rom empfand im Juden etwas wie
die Widernat ur selbst, gleichsam sein antipodi sches Mon-
strum; in Rom galt der Jude "des H asses gegen rlas ganze
lenscheng eschlecht übe r führt": mit R echt, sofern man
ein R echt hat, das H eil und die Zukunft des 1enschen-
gcschl chts an die unbeding te H errschaft der aristokrat i-
schen W er te, der römischen W erte an zuknüpfe n . W as da-
gegen die Juden gegen Rom empfunde n haben? Man er-
rät r.s aus tausend Anzeichen; aber es genügt, sich ein-
,.Out und Böse", ,.Gut und Schlecht" 2 1
den Aspekt einer ökumeni chen ynagoge darbot und
"Kirche" hieß: aber sofort triumphie rte wieder Judäa,
dank jener gründlich pöbelhaft en (deutsche n und eng-
lischen) R essentimPnts-Bewegung, welche man die R efor -
mation nennt, hinzu gerechnet , was aus ihr folgen mußte,
die 'Wiederhe rstellung der Kirche - die Wiederherst el-
lung auch der alten Grabesru he des klassische n Rom. In
einem sogar entscheidenderen und tiefer en Sinne als da-
mals kam Judäa noch einmal mit der französischen Revo-
lution zum icge über das klassische Ideal: die letzte
politische Vornehm heit, die es in Europa gab, die des
siebzehnt en und achtzehnt en franz ös ischen J ahrhun-
der ts, brach un ter den volkstüm lichen R essentim ents-
In tinkten zu ammcn - es wurde niemals auf Erden ein
größer er Jubel , eine lärmendere Begeister ung gehört I
Zwar geschah mitten darin das Ungeheue rste, das n-
cr wa rtetste : das antike Ideal selbst trat I e ibhaft und
mit un rhörter Pracht' vor uge und Gewissen der
Menschheit, - und noch einmal , stärker , einfacher, ein-
dringlieb er als j , erscholl, gegenüber der alten Lügen-
Losung des R essentiment vom V orrecht der M eisten ,
gegenübet' dem Will en zur I icdcrung, zur Erniedrigung,
zur Ausgl eichung, zum Abwärts und bendwärt s des
1enschen, die furchtbar e und entzückende Gegenlosung
vom V orrecht d er Wenig s ten I Wie ein letzter Finger-
zeig zum anderen W ege erschien I apolcon, jener cin-
zeln stc und spätestg borcnc Mensch , den es jemals gab,
und in ihm das fleischgewordene Problem des vorne h -
me n Ide a l s ::t n sich- man überlege wohl, w as es für
ein lroblem ist: apoleon, di ese ynthesis von Un -
mPnsc h und b erm ens ch .. .

17
- vVar es damit vorbei? Wurde jener g rößte aller
Id al-Gegens ätze damit für alle Zeiten ad acta gelegt?
2 2
Odor nur vertagt, auf lange vertagt? . ..
irgendwann einmal ein noch viel furchtbareres, viel
länger vorbereitetes Auflodern d s alten Brandes geben
mü sen? Mehr noch: wäre nicht gerade das aus allen
Kräften zu wünschen? selbst zu wollen? selbst zu för-
d rn ? ... Wer an dieser tell anfängt, gleich meinen
Lesern, nachzudenken, weiterzudenken, der wird schwer-
lich bald damit zu Ende kommen, - Grund genug für
mich, selbst zu Ende zu kommen, vorausgesetzt daß es
läng t zm Genüge klar geworden ist, was ich will, was
ich g ntde mit jener gefährlichen Losung will, welche
meinem l tzten Buche auf den Leib geschrieben ist:
"Jenseits von ut und Böse" ... Dies heißt zum
mindesten nicht "Jenseits von ut und Schlecht".- -
\
ZTVEI TE ABHA DL UNG
" CRULD ", " HLECH TE GEWI SEN"
UND VERW ANDT ES

Ein Tier her anz üchten, das v er sprec h en d a rf -


ist das ni ch t ger ade jene par adoxe A ufgabe selbs t, welch e
sich die Natur in Hinsich t a11f den 1:enschen gestellt
hat ? ist es nicht das eigentli che Problem v o m Mensch en ?
. .. Daß dies Problem bis zu einem hohen Gr ad gelös t ist,
muß dem um so erstaun licher erschein en, der die ent-
gegenwirkende I r aft, die der V rge ßlich kc it voll-
auf zu würdigen weiß . Ver geßlichkei t i st l{eine bloße
vis in cr tiae, wie die Oberflächlichen glauben , sie ist viel-
mehr in aktives, im streng ten i nne positives H em-
muugsv ermögen, dem s zuzusch reiben ist, daß w as nur
von uns erlebt, erfahren, in uns hineingenomm en wird,
un s im Zustande der Verdau ung (man dür .fte ihn "Ein-
verseclu n g" nennen) ebensow enig i ns Bewuß tsein t"fltt,'
als der ganze tausend fältige Prozeß , mit dem si ch unsre
leiblich e Ernähr ung, die sogenan n te "Ei nverleib ung" ab-
spielt . Die Türen und J! enst er des Be,,;uß tseins zei tweilig
schließ en ; von dem L ärm und K ampf, mit dem unsr e
Unterw elt von dienstb ar en Organen für- und gegenei n-
ander arbeitet , unbehelligt bleiben ; ein w enig tille, in
wenig tabula rasa des Bewuß tseins, damit wieder Platz
wird für eues, vor allem für die vornehm er en Funk-
tionen und Funktio näre, für R egieren , Vor au sehn , Vor-
ausbest immen (denn unser rganism us i t oligarch isch
2 6 Z ur Ge n ea l ogie der Moral "Schu ld "," cblech t os Gewissen" un d Verwandtes 2 7
eingerichtet) - das ist der Nutzen der, wie gesagt, akti- seine eigene Vorstellung, um endlich dergestalt, wie es
ven V ergcßlichkeit , einer Türwärterin gleichsam, einer ein Versprechender tut, für sich a l s Zukunft gutsagen
AufrechterhalLerin der seelischen Ordnung, der Ruhe, zu können!
der Etikette: womit sofort abzusehn ist, inwiefern es 2
kein Glück, keine Heiterkeit, keine Hoffnung, keinen Eben das i t die lange Geschichte von der H erkunft der
tolz , keine Gegenwart geben könnte ohne Vergcßlich- V erantwortli chk eit. J ene Aufgabe, ein Tier h eran-
keit. Der Mensch, in dem dieser H emmungsapparat b - zuzüchten, das v rsprechen darf, schließ t, wie wir bereits
schädigt wird und aussetzt, ist einem Dy spep ti~;:er z~ begriffen haben, als Beding ung und Vorbereitung die
vergleichen (und nich t nur zu vergleichen) - er w1rd mü näher e Aufgabe in sich, den Mensch en zuerst bis zu
nichts "ferLig" ... Eben dieses notwendig vergeßliche einem gewissen r aue notwen dig, einförmig, gleich unter
'. fier, an dem das Vergessen eine Kraft, eine Form der Gleichen, regelmäßig und folglich berechenbar zu
starken Ge undheit darstellt, ,h at sich nun ein Gegen- machen. Die ungeheure Arbei t dessen, was von mir
vermögen angezüchtet, ein Gedächtnis, mit Hilfe dessen " itilichkeit der Sitte" genannt worden ist (vg l. Morgen-
für gewisse Fälle die V rgeßlichkeit au gehängt wird, röte, . 16 f., 21, 24) - die eigentliche Arbeit des Men-
- für die Fälle nämlich, daß versprochen werden soll: schen an sich selber in der längsten Zeitdauer des Men-
omit keineswegs bloß ein pas ivisches icht-wieder-los- chengeschlechts, seine ganze vor hi s torisehe Arbeit
werdcn-Können des einmal eingeritzten Eindrucks, nicht hat hierin iliren inn, illre g roße R echtfertigung, wieviel
bloß die Indigestion an einem einmal verpfändeten "\Vort, ihr auch von Härte, Tyrannei, tumpfsinn urrd Idiotis-
mit dem man nicht wieder fertig wird, sondern ein akt~­ mus innewohnt: der Mensch wurde mit Hilfe der itt-
ves icht-wieder-los-werd n-W o 11 en, ein. F ort-und-fort- lichkeit der itte und der sozialen Zwangsjacke wirklich
Wollen des einmal Gewollten, in eigentliches Gedäch t- berechenbar ge macht. t eilen wir uns dagegen ans Ende ·
nis des Will ens: so daß zwischen das ursprüngliche des ung heuren Prozesses, dorthin, wo der Baum endlich
ich will" ich werde tun" und die eigentliche Entladung seine Früchte zeitigt, wo die ozietät und ihre ittlich-
des Wille~~. einen Akt, unbedenklich eine W elt von keit der itte endlich zutage bringt, wozu si e nur das
neuen fremden Dingen, mständen, elbst Willensakten Mittel war: so finden wir als r eifste Frucht an ihrem
dazwischengelegt werden darf, ohne daß diese lange Baum das souv eräne Individuum, das nur sich elbst
K ette des Willens spring t. Was setzt das aber alles vor- gleiche, das von der ittlichkeit der itte wieder los-
aus! ·\ Vi muß der Mensch, um dennaß en über die Zu- gekommene, das au tonome ü hersittliche Individuum (denn
kunft voraus zu verfügen, erst gelernt haben, das no t- "autonom" und "sittlich" schließt sich aus), kurz den
wendige vom zufälligen Gesch eh n scheiden, kausal den- Menschen des eigenen, unabhängigen, langen W illen.s, der
ken, das F erne wie gegenwärtig sehn und vorwegnehmen, ve rspr ec h en darf - un d in ihm in stolzes, in allen
was Zweck ist, was Mittel dazu ist, mit icherheit an- Muskeln zuckendes Bewußtsein davon, was da endlich
setzen, überhaupt rechnen, ber echnen können, -wie muß errungen und in ihm leibhart geworden ist, ein eigent-
dazu der Mensch selbst vorerst berec h enbar , reg el - liches Macht- und Freiheits-Bewußtsein ein Vollendungs-
mäßig, notw endig geworden sein, auch sich selbst für Gefühl des Menschen überhaupt. Dieser Freigewordene,
2 Zur Ge'n ea lo gio der Mornl .,Sch uld", .,Schlechtcs .Gcwissen" und \'erwandtos 2 9

der \Virklich ver prechen darf, dieser IIerr des freien


Willens dieser ' uver.;in - wie sollte er nicht'~ 3
welche Überlegenheit er damit vor allem voraus hat, was ein Gewissen i' ... Es läßt sich voraus erraten, daß
nicht verspr echen und für sich selbst gu lsagen darf, wie- der Begriff "Gewi sen", dem wir hier in seiner höchsten
viel Vertrauen, wieviel Fw·cht, wieviel Ehrfurcht er er- fast befremdlichen Ausgestaltung begegnen, bereits ein~
weckt - er "verdie nt" alles Dreies - , und wie ihm, lange Ge chichte und Form -Verwandlung hinter sich h at.
mit dieser Herrschaft über sich, auch die H errschaft über l!'ür sich g utsagen dürl'en und mit tolz, al o auch zu sich
die Umstände, üb r die atur und alle willenskürzer n ja sagen d ür.f cn- das ist, wie g sagt, eine r eife Frucht,
und unzuverlässigeren Kreaturen notwendig in die Hand ab r auch eine s p ä tc .Frucht: - wie lange mußte diese
gegeben ist? Der "fr eie" Mensch, der Inhaber eines l angen Frucht herb und sauer am Baume hängen! Und eine noch
unzerbrechlichen Wille11 , h at in diesem Besitz auch sein vil'llängere Zeit war von einer solchen <rucht gar nichts
W ertm aß: von sich a us nach den anderen hinblickend, zu sehn - niemand hätte sie versprechen dürfen, so ge-
ehrt er oder verachtet er; und benso notwendig als er wiß auch alles am Baume vorbereitet und gerade auf sie
die ihm Gleichen, die tarken uud Zuverlässigen (die, hin im \Vachsen war I - "'\\' ie macht man dem Menschen-
welche versprechen dürf en) ehrt,- also jedermann, der Tier e ein Gedächtnis? Wie prägt man diesem teils
wie ein ouver än verspricht, schw er, selten, l angsam, der iumpfen, teils faseligen Augenblicks-Verstande, dieser
mit seinem Vertrauen geizt, der auszeichnet, wenn lcibhafteu Vergeßlichkcit etwas so ein, daß es gegen-
er vertrant, der sein Wort gibt als twas, auf das Verlaß wärtig bleibt?" ... Dieses uralte Problem ist, wie man
ist, w eil er sich stark genug weiß, es selbst gegen Un- denken kann, nicht gerade mit zarten An two rten und
fälle, selbst ,gegen das chicksal" aufrechtzuhalten - : Iit.teln gelöst. worden; vielleicht ist sogar nichls furcht-
ebenso notwendig wird er seinen Fußtritt für die schmäch- barer und unheimlicher an der ganzen Vorgeschichte des
tigen Windhunde bereit halten, welche versprechen, ohne Menschen, als seine :Mnemotechnik. "Man brennt etwas
es zu dürfen, und seine Zuchtrute für den Lügner, der ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht auf-
sein Wort bricht, im Augenblick schon, wo er es im hört, weh zu tun, bleibt im edächt.nis"- das ist ein
Munde hat. Das stolze ·w issen um das außerordentliche Hauptsatz aus der allerältesten (leider auch allerläng-
Privilegium der erantwortlichkeit, das Bewußtsein st en) Psychologie auf Erden . .Man möchte selb t sagen,
dieser seltenen Freiheit, dieser Macht über sich und das · daß überall, wo es jetzt noch a u.f Erden Feierlichkeit,
Geschick hat sich bei ihm bis in seine unterste Tiefe Ernst, eheimnis, düstere Farben im L eben von Mensch
hinabgesenkt und ist zum Instinkt geworden, zum domi- und olk gib t, etwas von der chrecklichkeit nach -
nier enden Instinkt: - wie wird er ihn heißen, diesen w irkt , mit der ehemals überall auf Erden versprochen,
dominierenden Instinkt, gesetzt, daß er ein -wort dafür verpfändet, gelobt worden ist : die ergangenheit., die
bei sich nötig hat? Aber es ist kein Zweifel: dieser längs!.e, tiefste, härteste ergangenheit, haucht uns an
souveräne Men eh heißt ihn sein Gewissen ... und quillt in uns herauf, wenn wir "ernst" werden. Es
ging niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der
M cnsch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen; die
J 1~
290 Zur GenenJogi der Moral

chauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlings-


opfer gehören), die widerlichsten VerstÜIIllD.elungen (zum
Beispiel die Kastrationen), die grau amstenRitualformeu
aller religiösen Kulte (und alle R eligionen sind a uf dem
untersten Grunde ysteme von Grausamkeiten) - alles
das hat in jenem Instinkte seinen Ur·sprung, welcher im
Schmerz das mächtig t e Hilfsmittel der lvlnemonik erriet.
In einem gewissen inne gehört die ganze Asketik hier-
her : ein paar Ideen sollen unau löschlich, allgegenwärtig,
unvergeßbar, "fix" gemacht werden, zum Zweck der
Hypnolisierung des ganzen nervösen und intellektuellen
ystems durch diese "fixen Ideen" - und die asketischer!
Prozeduren und Lebensformen sind das Mittel daz u, um
jene Ideen aus der Konkurr uz mit allen übrigen Ideen
zu lösen, lun ie "unvergeßlich" zu machen. J e schlechter
die Menschheit "bei Gedächtni " war, um so furchtbarer
ist immer der Aspekt ihrer Brä uche; clic Härte d r traf-
gosetze gi bt insonderheit einen Maßstab dafür ab, wie-
viel Mühe sie hatte, gegen die Vergeßlichkeit zum ieg
zu komm en und ein paar primitive Erfordernisse des
sozialen Zusammenlebens diesen Augenblicks- klaven des
Affektes und der Begierde gegenwä rti g zu erhalten.
Wir Deutschen betrachten uns gewiß nicht als ein beson-
ders gr ausames und har therziges Volk, noch weniger als
besonders leichtfertig und in- den -Tag- hineinleberi eh;
aber man sehe nur unsre alten trafo rdnungcn an, um
dahinter zu kommen, wa es auf Erden für Mühe hat,
ein " olk von Denkern" heranzuzüehlen (will sagen: das
Volk Europas, unter dem auch heu te noch das ifaximum
vou Zutrau en, Ernst, eschmacklosigkeit und achlich-
keit zu find en ist, und das mit diesen Eigenschaften ein
nrecht darauf hat, alle Art von Iandarin en Europas
her auzuzüchten). Diese Deutschen h aben sich mit furc ht-
baren Mitteln ein Gedächtnis gemacht, um über ihre
pöbelhaften Grund-Instinkte und deren brutale Plump-
292 Zur Genealogie der Mor n l 1, ~ c h u 1d " , 11 c h 1 e c h t es 0 e w i R c u " u n d V e r w n n d t es 2!)3

SJ)rödcn V crhälinisse stehn. Haben sich diese bisherigen von chaden und 'chmcrz? Ich l1abe e bereits verraten:
Genealogen der ~fornl n.uch nur von ferne etwa davon in dPm Vertrag·verhältnis zwischen Gläubiger und
träumen lassen, daß zum Boi :piel jener moralische Ilaupt- chuldnn, das o alt ist, als es überhaupt "Rechtssub
begriff" 'chuld" seine llerkunft aus dem sehr materiellen jckte" giht , und seinerseits wieder auf di Grundformen
Begriff " chuldPn" genommen hat? Oder daß die lra.fe von Kauf. Verkauf, Tausch. Handel und Wandel zurück-
al eine V·rgcltuno- sich vollkommen abseits von jeder weist.
Vorn.u ctzung übrr :Fr eiheit oder Unfreiheit des Willens 5
entwickrH hat? - und di s bis zu dem Grade, daß es Die Vergcg nwärtigung dieser Vertragsverhältnisse
vi ]mehr immer erst einer hoh en tufe der Vermensch- weckt allerdings, wie e nach deru Voraus-Bemerkten von
lichung bcdar.f, damit das Tier "Mensch" anfängt, jene viel vornherein zu rwarten steht, gegen die ältere Mensch-
primitiveren Unterscheidung n "absichtlich" "f ahrlässig" heit, die sie schuf oder gestattete, mancherlei Verdach t
"zufällig" "zur echnungsfähig" und deren Gegensätze zu und Widerstand. Hier gerade wird versproc h en; hier
machen und. bei der Zumessung der trafe in Anschlag zu gerade handelt es sich darum, dem, der verspricht, ein
\
bringen. Jen r jetzt so wohlfeile und ch einbar so natür- Gedächtni zu machen; hier gerade, so darf man arg-
liche, so unvrrmeirlliche ed.ank , der wohl gar zur Er- wöbnen, wird eine Fundstätte für Hartes, Grausames,
Jdlirung, wie überhaupt das Gerechtigkeitsgefühl auf Peinliches sein. Der chuldner, um Vertrauen für sein
Erd.cn zust ande g kommen ist, hat herhalten müs en "der V crsprcchen der Zurückbezahlung einzuflößen, um eine
Verbrecher verdient traf , w il er hätte anders handeln Bürgschaft für den l!;rn st und die Heiligkeit seines V cr-
können", ist tatsächlich eine überaus spät erreichte, ja sprechens zu geben, um bei sich selbst die Zurückbezah-
raffinierte Form des menschlichen Urteil ns und Schlie- lung als Pflicht, Verpflichtung seinem Gewissen ein-
ßen ; wer sie in die Anfänge verlegt, vergreift sich mit zuschärfen, v rpfändet kraft ein s Vertrags dem Gläu-
groben l!'ingern an der Psychologie der älteren Mensch- biger für den Fall, daß er nicht zahlt, etwas, das er sonst
heit. Es is die Hing te Zeit der menschlichen Geschichte noch "besitzt", über das er sonst noch Gewalt hat, zum
hindurch durchau · ni ch t gestraft worden , wei l man den Beispiel seinen Leib oder sein W eib oder seine Freiheit
Übelanstifter für seine Tat verantwortlich machte, also oder auch sein Leben (oder , unter bestimmten r eligiösen
n i eh t un trr rler Vorau sctzung, daß nur der chuldige Voraussetzungen, selbst seine Seligkeit, sein Seelen-Heil,
zu strafen sei: - vielmelu·, so wie jetzt noch Eltern ihre zuletzt gar den Frieden im Grabe: so in Ägypten, wo der
Ki nder strafen, aus Zorn über in en erlittenen chaden, Leichnam des chuldners auch im Grabe vor dem Gläu-
der sich am chä.diger ausläßt, - dieser Zorn aber in biger k eine Ruhe fand, - es h atte allerdings gerade
ehranken geh alten und modifiziert durch die Idee, daß bei den Ägy ptern auch etwas auf sich mit dieser Ru he).
jeder chaden irgend worin sein Äq ui va l ent habe und amantlieh aber konnte der Gläubiger dem L eibe des
wirklich abgezahlt werden könne, sei es selbst durch chuldners alle A r ten ehrnach und Folter antun, zum
einen chmerz de chädigers. - Woher die c uralte, Beispiel so viel davon herunter chn eidcn, als der Größe
ticfgewurzelte vielleicht jetzt nicht mehr ausrottbare der chu ld angemessen schien: - und es gab frühz eitig
ldPe ihrr Macht genommen hat , di r ldce einer Äquivalenz und überall von diesem Gesichtspunkte aus genaue, zum
294 Zur G e ne a l oj!:i ~ d<' r 1\l n ral ,,~chu l d" , ,, c bl ec ht os G e w isse n" un d V e r wn n rl t es 2!l5

Teil ent · ·tzli ch ins Kleine und Kleinste g hende b- nfan g i t, wiE> der Anfang alle Großen auf E rden,
schälzungen, zu R ec h t. bestehende b chät.zungen der grundlieh und lange mit. Blu t begos en worden. lTnd
einzelnen Glieder und Körpers tell n. Ich nehme bereits dürfte man nicht. hinzufügen, da ß jene W clt. im Gr undr
al F ortschrit t., als B eweis freierer, größer r echnender, einen g wi sen Geruch von ßlut und F olter niemals wie-
röm isc h e r nRecht au.ffassung , wenn di' Zwölftafol-G - de r ganz eingebüßt habe? ( lb t. b im allrn K ant nicht.:
set.zgebung R oms d k retierte, s sei gleichg ültig, wieviel der k at gori ehe Imper ativ riecht nach Grau aml<eit. .. .)
oder wie wenig die Gläubiger in ein m solchen F alle Ilier ebenfalls ist jene unheimliche und vielleicht unlö .
heruut rschnit.tcn .,si plus minusve sccu crunt, ne fraud e bar gcwordene Ideen-V erhäk clung " chuld und Leid" zu .
esto". Machen wir uns die Logik dieser ganzen Aus- er st eingehäk elt worden. ochmals gefr agt. : i nwiefern
gleichungsform klar: sie ist fremdartig genug. Die Äqui- kann Leiden eine Ausgl i chung von " chuldcn" sein ?
val nz ist. damit gegeben, da.ß an teile eines gegen den Insofern L eiden-m ac h en im höchsten Grade wohltnt, in-
chaden dir k t. aufkommenden Vorteils (also an tolle sofern der Geschädigte f ür den Nachteil, h inzugerechnet
eines Au gl eicl1 in Geld, La,nd, Besitz irgend welcher die nlust über den ach teil, einen a ußerordentlichen
rt.) jem Gläubi er eine Art Wohl ge fühl als Rück- Gegen-Genuß eintauschte: das Leiden - ma ch en, - ein
zahlung und usgleich zugestanden wird - das Wohl- eigentliches Fest, ,etwas, das wie g agt um so höher im
gefühl , seine Macht a,n ein m Machtlosen unbedenklich Preise t.and, je mehr es dem R ange und der gesell cha.ft.-
:tuslasscn zu dürfen, die "Wollust. "de faire l c mal pour le lichen t.ellung des Gläubigers widersprach. Dies ver-
pla.isir do lc faire ", der Gcnuß in . der V crgewaltigung: mutungsweise gesprochen : denn solch n unterirdischen
als welche1· Genuß um so höher eingeschätzt wird, je Dingen ist schwer auf d n rund zu sehn, abgesehn
tief er und niedriger der Glä ubiger in der Ordnung der davon, daß es peinlich ist ; und wer hier den Begriff der
Gesellschaft. steht, undleicht ihm als k ös tlichster Bissen, "R ache" plump dazwischen wirft, ha t sich den Einblick
ja als Vorgeschmack eines höheren Rangs erscheinen kann. eher noch verdeckt. und verdunkelt als leichter gemacht
Vermittels der " trafe" am chuldner nimmt der Gläu- (- Rache selbst f ührt ja eben auf das gleiche Probl m
biger an einem Herr en-R echt e teil: endlich kommt zurück: "wie kann Leiden-machen ein e Genugtuung
auch er einmal zu dem erhebenden Gefühl e, ein Wesen ein?") .. E wider te ht., wie mir scheint, der Delikate se,
als ein "Unter-sich" ver achten und mißhandeln zu dürfen noch mehr der T artüfferie zahmer H austier e (will sagen
- oder wenigstens, im Falle die eigentliche trafgcwalt, mod rner Menschen, will sagen uns), es sich in aller Kraft
der trafvollzug chon an die " Obrigkeit" übergegangen vorstellig zu machen, bi zu welchem Grade die Grau -
ist, es verachtet und mißhandelt. zu seh en. Der us- s amkeit die große F estfreud der älteren Menschheit
gleich bes teht also lll einem Anweis und An recht auf ausmacht, ja als Ingredienz fast. jeder ihrer Freuden zu-
Grausamkeit. - gcmi cht is t ; wie müv andrerseits, wie unschuldig ilu
6 Bedürfnis nach Grausamkeit auftritt., wie grundsätzlich
In d1es e r phäre, im Obligationen-Rechte also, hat die gerade die "uninteressier te Bosheit" (oder mit pinoza
\ moralische Begriffswelt " chuld" "Gewissen" "Pflicht" zu reden, die sympathia, malevolen ) von ihr als nor-
"Heiligkeit der Pflicht" ihren Entstehungsherd - ihr male EigenschaH d I en chen angesetzt wird - : so·
----,

29fi dPr Moral "'chuld",,. chlechtP. GPwios~n" und Yt·rwnndtos 297

mit als Pt waR, zu ~em ~· G ~is~~n herzhaf~ ja agt! '\V ns. er auf ihre mißtöni~;" n und knarrenrlcn Mühlen des
Für ein ticfrrfi"1 J;•' wärP 'Ielleteht :tuch Jetzt noch L ben überdrusse zu verhrlfrn; im Ge!),'enteil soll aus-
genug- von diP~t>r ält••sten und "'riindlichsb•n Fe ·tfreudr drücklich hPzen ,gt. ein, daß damals, als clie Menschheit
rlP Mn chrn wahrzunehm en; im ".Jrn.E>it· von Gut und sich ihrer rau. amkf'it noch nicht schiimt , das Leben
Rö e", . lOHf. (frührr s<>hon in der ,.Mon~ nröte", . 25, heiterer auf Erden war als jetzt, wo P sirnisten gibt.
76, 110 f.) habe icl1 mit vor>:ichl.ig m Fing r auf die immer Die Vcrdüsterun,g des Himm els übrr dem Menschen hat l
wach rndr Ver eistigun~r und .,Vergötilichung" der Grau· immer im Vrrhältni s dnzu übrrhand genommen, als die /·
samkeii. hingezeigt, wrlr·hr f\ic h rlurch rlie ganze Ge- cham r1rs fcns hen vor dem Mcnschrn gewachsen ist.
schic·ht drr höh r ren Kultur hindurchzirht (und, in einem Der müde prssimistische Blick, das iißtrauen zum Rät-
lJedrutenden inn e gr·nomlllrn, sie sogar ausmacht). Jeden- sel des Lebens, das ci ·ige Irin des Ekelsam Leben- das
fall s ist es noch ni cht. zn lange her , daß man sich fürst- sind nicht die 1 bzeirhen rlrr bös esten Zeitalter des
lich r IJochzcit n und VoJk,festP größtrn tils ohn e Hin- lenschengcsrhlerhtR: ie trrto•n vi(>lm Phr er t an das
richtungPn, Folterungen oder etwa ein Autodnfr nicht zu Ta "'C licht als di • um pfpflanzcn, die sie sind, wcm1 der
denken wußte. ins !),'lri chen keinrn vornehmen Haushalt umpf da ist, zu drm sie g hörrn , - ich m<>ine clie krank·
ohnr Wesen, an denen man unbed enklich seine Bosheit haft V rz ä~·tlichun g und V rrmoralisi rung, vermögr / ( (
und grausame NeckP1·ei auslas cn konnte (- man erinnere deren das Cdier .,Mcns h" sich schließlich allrr seiner
sich etwa Don Quixotes am Hofe drr Herzogin: wir Instinkte schämen lernt. Auf dem Wege zum "Engel"
lesen heute den ganzen Don Quixote mit ein m bitteren (um hier nicht ein härteres Wort zu gebrauchen) hat sich
Geschmack auf der Zun!),'C, fast mit einer rrortur, und der le11sch jrnen verdorbt>nen i\fagen und jen belegte
würd n damit seinem Urhcbrr und dc. scn Zeitgenossen Zung angezüchtrt, durch die ihm nicht nur die Freude
sehr fremd , sehr dunkel sein - sie Ja rn ihn mit aller- und nschuld d s Tieres widerlich, ondern da Leben
bestem Gewissen als das heiterste der Bücher. sie lachten selb t unschmacl{haft gewordPn i t : - o daß er mitunter
sich an ihm fast zu 'rod). Leiden-sehen tut wohl. Leiden- vor sich selbst mit zugehaltener Nase da tcht und mit
machen noch wohler - das ist ein harter atz, aber ein Papst Innozenz dem Dritten mißbilligend den Katalog
alter, mächtiger , m nschlich-allzumenschlich er Hauptsatz, seiner \Viderwärti p;keiten macht ("unreine Erzeugung,
den übrigrns virlleicht auch schon die A ff n unterschrei- " rkelhafte Ernährunp; im Mutterleibe, chlechtigkeit des
ben würd en: denn man erzählt, daß sie im Ausdenken toffs, aus dem der Mensch sich entwickelt, scheußlicher
von bizarren Grausamkeiten den Ienschcn bereits reich- .Gestank, Ab onderung von p ichel, rin und Kot").
lich ankündigen und gleichsam "vorspielen". Ohne Gra11- Jetzt, wo das Leid en immer al erstes unter den Argu-
samkeit kein Fest: so lehrt es die ältc t , längste Ge- menten gegen das Dasein aufmarschieren muß, als dc scn
schichte dc 1rm:chen und auch nn der trafe i t so schlimmstes Fra"' zeich n, tut man rrut, ich der Zeiten
vi l Festliches! zu erinnern, wo man umg kehr urteilte, weil man das
7 Leiden-machen nicht entbehren moch e und in ihm einen
1ii di en G danken , nebenbei gesagt, bin ich Zauber r ten Ran".s, einen eigentlichen Verführungs-
durchaus nicht willens, unsern Pessimisten zu neuem Köder zum Leben ah. Vielleicht tat damals - den
29
Zärtling n zum Tro t gr agt - drr clunr.rz noch nicht
·o weh wie heute; w ni ten w·.ird ein Arzt o schließen
dürfen, der ger (diese als R eprä. entanten des vol'ge·
ch.ichLlichen Menschen enommon -) bei schweren innc·
ren Entzündungsfällen b hand lt hat, welche auch den
b storganisierten Europäer fast ZUl' Verzweiflung brin·
n, - bei egcrn tun s.ie dies nicht. (Die Kurve der
menschlich n chmerzfähigk i t scheint .in der Tat außer·
ordentlich und fa.st plötzlich zu sink n, sobald man erst
di oberen Zchn·'l'ausend oder Zehn- fillionen der über·
kultur hinter sich hat; und ich für meine Person zweifle
/ nicht, daß gegen in e scl1m rzhafte acht ine einzigen
hy t r.i rhen Bildungs-Weibchen gchalt n, die Leiden
aller 'riere insgesamt, welch bis jetzt zum Zweck wissen·
chaftli her ntworten mit dem Messer b fragt worden
sind, einfach nicht in Betracht kommen.) Vielleicht ist
sogar erlaubt, die 1ög licllkeit zuzulassen, daß auch
jeno Lust an d r Grausamkeit eig ntlich nicht ausge·
storb n zu sein brauchte: nur bedürfte si , im V rhält·
nis dazu, wie heute der ohmerz m hr w h tut, einer ge·
wis n ublimicrung und ubtilisierung, sie müßte na·
mentlich ins Imaginative und eelische über etzt auf.
treten und geschmückt mi lauter so unbedenklich en .r a·
men, daß von ihnen her auch dem zartesten hypokriti·
sehen ewisseu kein Verdacht kommt (das "tragische
Mitleiden" ist ein solcher Name; ein anderer ist "les
no talgi de la croix"). Was eigentlich gegen da Leiden
empört, ist nicht das Leiden an sich, sondern das ion-
lose des Leidens: aber w der für den. hristen, der in das
Leiden eine ganze geheime Heils-Maschinerie hincininter·
pretiert hat, noch für den naiven 1en chen älterer Zei·
ten, der alles Leiden sich in Binsicht auf Zuschauer oder
auf Leiden·M acher auszulegen verstand, gab es über·
haupt ein solches sinnloses Leiden. D amit das ver·
borg ne, un ntdcckte, z ugenlose Leiden aus der W elt
300 Zur Genealogie der Moral
------ 301
,pieler-Volk etwas "'anz ndenkbares. ollte nicht jene in einem gewi sen inne da Denken ist: hier ist
so verw gene, o verhiingni. voll•· Philosophen-Erfindung, die älteste Art charisinn herangezüchtet worden, hiel'
welche damal· zuPrsl für Europa gemacht wurde, die möchte ebenfall der er ·t nsatz des menschlichen tol-
vom "freien Willen", von der ab olut n pontaneität des ze , seine· Vorrangs-Gefühl in IIinsicht auf anderes e-
Men ,ch n im .uten unJ. im Bö ·en, nicht vor allem ge- tier zu vermuten sein. Vielleicht drückt noch unser \Vort
macht sein, um sich ein Recht zu der Vorstellung zu "Mensch " (mana.) gerade etwas von diesem elb tgefühl
schaffen, daß da Interesse der Götter am Menschen, an "us: der Mensch bczeich.nete ich als da \Vescn, welches
drr menschlichen Tugend sich nie erschöpfen könne? W erte mißt, wertet und mißt al. das "abschätzende Ti r
Auf die ·e r Erden-Bühne sollte c.>s niemals an wirklich an sich". Kauf und Verkauf, samt ihrem p ychologischcn
euem, au wirklich unerhörten pannungcn, V rwick Zubehör, ind älter als selbst die Anfänge irgend w l cher
lungen, Katastrophen gebrechen : eine vollkommen deter- gcs llschaftlichen Organisationsformen und Verbände:
ministisch gedachte \V lt würde für Götter erratbar und au der rudimentär ten Form des Personen-R echts h at
folgli ch in Kürze auch rmüdend gewesen sein, - Grund sich vielmehr das keimende efü hl von Tau eh, Vertrag,
genug für diese Freunde d er Gött er, die Philosophen, chuld, R echt, Verpflichtung, Ausgleich erst auf die
ihren Göttern eine solche det rminisii ehe W elt nicht zu- gröbsten und anfänglichsten emeinschafts-Kompl exe (in
zumuten I Die ganze anLikc Menschheit ist voll von zar- deren Verhältnis zu ähnlichen Kom1'lcxcn) üb e rtra geli,
ten Rücksichten auf den "Zuschauer", als eine wesent- zugleich mit der Gewohnheit, Macht an Mndli zu ver-
lich öffentliche, wesentlich augenfällige Welt, die sich gleichen, zu messen, zu bcr chncn. Das Auge war nun
das Glück nicht ohne chanspiele und Feste zu denken inmal für diese Perspektive · ngestellt: und mit jener
wußte. - nd, wie schon gcsa "'t, auch an der großen plumpen Konsequ enz, die dem schwcrbeweglichen, aber
traf e ist so viel Festliches! dann unerbittlich in gleicher Richtung weitergehenden
Denken der älteren Men chheit eigentümlich ist, langte
8
man alsbald bei der großen Verallgemeinerung an "jedes
Das Gefühl der Schul d, der persönlichen Verpflichtung, Ding hat einen Preis; alles k ann abgezahlt werden" -
um den Gang unsrer Unter uchung wieder aufzunehmen, dem äl te ten und Jlaivstcn Mor al-Kanon der Ger c b tig-
hat, wie wir sahen, seinen Ursprung i.n dem ältesten und keit, dem Anfange aller " utmütigkeit", aller "Billig-
ursprünglichsten Per oncn-Verhältnis, das es gibt, ge- keit", alles "guten Willens", aller "Objektivität" auf
habt, in dem Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer, :Erden. erechtigkcit auf dieser ersten tufe i t der gute
Gläubiger und chuldner: hier trat zuerst Person gegen Wille unter ungefähr Gleichmi.i.chtigen, sich mitein ander
P erson, hier m a ß sich zuerst P erson an Person . Man hat abzufinden, sieh durch einen Ausgleich wieder zu "vcr-
keinen noch so niederen Grad von Zivilisation aufgefun- tändigen" - und, in bezug auf weniger Mächtige, diese
den, in dem nicht schon etwas von diesem Verhältnisse unter ich zu ein m Ausglich zu zw in gen. -
bemerkbar würde. Preise machen, W erte abmessen, Äqui-
valen te ausdenken, tauschen - das hat in einem solchen
Maße das allererste Denken des 1enschcn präokkupiert,
noalogie der Moral

auch da trafrecht; jede Schwächun g und tiefere Ge-


fährdung von jenem bringt dessen härtere .Formen wieder
ans Licht. Der "Gläubiger " ist immer in dem Grade
menschlicher geworden, als e1· reicher geworden ist; zu- .
letzt ist es selbst tlas Maß seines Reichtums , wieviel Be-
einträchtig ung r aushalten kann, ohne daran zu leiden.
Es wiire ein Machtbew ußtsein der Gesellscha ft nicht
undenkbar, bei dem sie sich den vornehmste n Luxus
gönnen dürfte, den es fü1· sie gibt, - ihren chiidiger
straflos zu lassen. "Was gehen mich eigentlich meine
chmarotzer an? dürfte sie dann sprechen. Mögen sie
leben und gedeihen: dazu bin ich noch stark genug!" ...
Die ercchtigkei t, welche damit anhob "alles ist abzahl-
bar, alles muß abgezahlt werden", endet damit, durch die
Finger zu sehn und den Zahlungsu nfähigen laufen zu
lassen, - sie endet wie jedes gute Ding auf •rden, sich
elbst auf heb end.- Diese clbstau.fhebung Jer e-
rechtigkeit : man weiß, mit welch schönem Namen sie sich
nennt- Gnade; sie bleibt, wie sich von selbst versteht,
das Vorrecht des Mächtigste n, besser noch, sein Jenseits
des Rechts.
II

- ] lier ein ablehnendes Wort gegen neuerdings hervor-


getretene ersuche, den rsprung der Gerechtigk eit auf
einem ganz anderen Boden zu suchen,- nilmlich auf dem
de,; Ressentime nt. Don Psychologe n voran ins Ohr ge-
sagt, gesetzt daß sie Lust haben sollten, das R essentimen t
selbst einmal aus der ähe zu studieren: diese Pflanze
blüht jetzt :un schönsten unter Anarchiste n und Anti-
semiten, übrigens so wie sie immer geblüht hat, im Ver-
borgenen, dem Veilchen gleich, wenn schon mit anderem
Duft. Und wie aus Gleichem notwendi immer Gleiches
hervorgehn muß, so wird es nicht überrasche n, gerade
wieder au solchen Kreisen ersuche hervorgehe n zu
30G Zur en a l o~ic <.1 r Mo r a l

tives Verh all n), wenn sich lb t unt r dem Ansturz


p rsönlichcr Verletzung, Verhöhnung, rd<ichtigung die
hoh , kla re, ebenso tief- als mildblickende Obj ektivität
des gcr chten, de r ich t nd en Aug · nicht trübt, nun,
so ist da in tück Vollendung und höchster Meister-
cha ft auf Erd n - sogar et wa ·, da· mjln hier kluger-
weise nicht erwarten, woran man jcd nfall nicht g ar zu
l icht g l auben soll. ewiß ist durchschnit lieh, daß
selbst bei den r cchtschaffenst •n P rsoncn schon eine klein
Dosis von Angriff, Bosh iL, Insinuation g n ügt, um ihnm
das Blu L in die Augen und die BilligkeiL aus den Aug n
zu jagen. D er aktive, der angreif nde, übergreifende
I cnsch ist immer noch der Gerechtigkeit hundert chritte
nähr gest lH als der reaktive; es ist eben für ihn durch-
aus nicht nöti g, in der rt, wie s der reaktive Mensch
tut, tun muß, sein bjekt falsch und voreingenommen ab-
zu ·chätz 11. Tatsächlich h:1t deshalb zu allen Zeiten der
agg rl'ssi v c Mensch, als der tärkere, Mutigere, Vorn eh-
m rc, auch das freiere Auge, das be sse r e Gewissen auf
seiner eite gehabt: umgekehrt errät man schon, wer
ü bcrhaupt die Erfindung des "schlechten Gewissens" auf
d m Gewiss n hat, - der Mensch des Ressentiment I Zu-
letzt ehe man sich doch in der Geschichte um: in welcher
phäre i t denn bisher überhaupt die ganze Handhab ung
des R echts, auch das eigentliche Bedürfnis nach R echt
auf Erden heimisch g ewesen? Etwa in der phäre der r e-
aktiven :t-ien chen? Ganz und gar r icht: vielmehr in der
der ktiven, tarken, pontanen, ggr ssiven. Hi to-
. risch bctrach tet, stellt das R echt. n.uf Erden - zum Ver-
druß des gcnn.nnten Agitators sei s g esagt (der selbe]J,
einmal ü bcr sich das Bekenntnis ablegt: "die R achelehre
hat sich als der rote Gerechtigkeitsfaden durch alle meine
Arbeiten und Anstrengungen hindurchgezogen") - den
Kampf ger ade wider die reaktiven Gefühle vor, den
Krieg mit den elben seitens aktiver u nd aggressiver
r wandt es RO!l
chu ld ", ,, ch i ech t es G ew i$Se n und V e
11
Zur Ge n ealog i e d e r Mo r al "
30
Art
zung; R echts zu verwenden : vielmehr gi bt es f ür alle
ni cht , wie D ühring will, von dem A kte der Verlet atz als jenen, der mi t
nrech t r eden en tbehr t alles . Hi torie "'ar k einen wich ti"'e ren
an). n s i ch voll R chl u nd
Mühe errung en ist, abe r au ch wirk lich errun o-en
inn s ; a n s i ch k ann na türlich ein Verle tzen, Verge wal- solche r
tigen, llsbcu ten, Verni chten nich ts " nrccht s" sein , s~ in so_ll t e,- daß näml ich dio rsach der Ents teh:ng
dessen
insofern das L eben esse nti ell, n ämlich in se inen
rund- em es D mgs und dessen schlie ßliehe ü tzli chkeit ,
in ein ys lem
f unktionell verlet zend, ver gewal tigend , ausbe utend
, v er - ta tsächl ich e Verwendung und Einor dnung
n ; daß etwas
nichtend fun g ier t u nd gar nicht g edacht werde n kann ohn e von Zw ck en toto coelo ausein ander li ge
clmmm enes immer
noch etwas Be- Vorha ndenes, irgend wie Zust ande-
diesen h ar akter . Man muß sich sogar e Ab-
denkli ch r cs eingcs t hn: daß, vom höchs ten biolog isch en wieder von einer ihm überlegnon Macht n. uf n eu
n.g genom m en, zu in em
Landp unkte aus, R echtszus tände imm er nur A u!;n a h me- sichten au geleg t, neu in Beschl
und umg richte t wird; daß
Zust ä nd e sein dürfen , als t eilwei se R estrikt ionen
des neu en Nutz en umgeb ildet
organi schen W el t ein üb erwäl -
eige ntlich en L ebens willen s, der auf Macht aus ist, und all s Ocsch hen in der
daß wieder um all es llber- \
sich d ssen esamt zweck c als Einzel mittel untero rdnend
: ti ge n, H e rr -w erd en und
ein ·
nämlic h als Mittel , g röß ere Macht -Einhe iten zu schaffe .n. wällig en und H err - w rden ein eu-Int erpret ieren,
, hen i s t, b i dem d r bisher ige " inn" und
Eine Recht sordnu ng souver än und allgem ein g edacht Zurec htmac
öscht
nicht al~ Mittel im Kamp f von Macht -Komp lexen, son- " Zw ck" notwendig verdun kelt od er g anz ausgel
g - n muß. W nn man die ü tzl ichk ei t von irgend
dern als Mittel geg en allen Kamp f überha upt, elwa werde
echts-
mäß der Komm unisten- chablo n e Dühri ngs, daß
jeder welch em physiologisch en Organ (od er au ch einer R
ittc, eines politi-
Will jeden Willen als gleich zu n ehmen habe, wäre
ein I nstitu tion, einer gesellsch aftli chen
r eli-
leben sf eindl iches Prinzi p, ein e Zerstö rerio und Auf- schen Brauchs, einer Form in den Kün ten oder im
fen h a t, so hat man
ft des giösen Kultu s) noch so gut begrif
löserin des Mensch en, ein Atten tat auf die Zukun fe n:
Menschen, ein Zeichen von Ermüd ung, ein 9hleic hweg damit noch nichts in betref f sein er Entste hung begrif
dies älter en Ohren klinge n
zum Ni chts. - so unbeq u em und unangenehm
h er h a tte man in dem nachw eis-
mag, - denn von alters
12
bar en Zweck e, in der ützlich keit eines Dings, einer
rsprun g und Zweck der Form, in cr Einric htung auch deren Ents tehung sgrun d
Hier noch ein Wort über
ausein ander fall en oder zu begr eifen geglau bt, das uge als gemacht z um chen
traf - zwei Proble me, die
als gemac ht zum Greifen. o hat man sich
fallen sollten : l eider wirft man sie gewöh nlich in eins. die Hand
.
Wie treibe n es doch die bisher igen Moral -Gene aloge n in auch die trafc vorges tellt als erfund en zum trafen
nur An-
aben - : Abe r alle Zweck , alle Nützl ichkei tcn sind
• diesem <alle ? aiv,w iesiee simm ergei ri ebenh etwas
sie mache n irg end ein en " Zw ck " in der trafe aus· ze ich en davon , daß in Wille zur Macht über
und ihm von sich
findi g, zum Beispi el Rache oder bschre ckung , setzen wenige r 1ächti ges H err g cword n ist
präg ha t; und die
dann arglos diesen Zweck an den Anfan g , als c:msa
fiendi aus den inn ein er Funkt ion aufge
R echte" eschichte eines "Ding s" , eines Org ans, eines
der trafe, und - sind f ertig. Der , Zweck im gan ze
ette
i t aher zu allerl tzt für di e En l te hung geschi
r h tc des Brauchs k ann derges talt eine fortgesetzt Zeichen-K
310 Zur G c n c n I o g i <' d ~ r ~I o r a I ,.."cbuld", "Schi r b t~e Ge wi ssen" und Verwandtes 311

von imm er ncurn Interpretationen und Zurechtmachungen 0 runde dem gerade herrschenden In tinkte und Zeit·
sein, deren Ur a.chen selb t. unter sich nicht im Zusamm n· geschmack entgegengeht, welcher lieber sich noch mit
hange zu sein brauchen, vielmehr unter Um Länden sich de r absoluten Zufä lli gkeit, ja mechanistischen U usinnig·
bloß zufällig hintereinander folgen und ablösen. "Ent· keit all Ps Gcscheheoo vertragen würde, als mit der Theorie
wicklung" eines Din gs, eines Brauchs, eine Organs ist eines in allem Geschehen sich abspielenden M ac ht·
demgemäß nichts weniger als sein progres us auf ein Ziel \V i 11 cns. Die dcmokrn tische Idiosynkrasie gegen alles,
hin, noch weniger ein logischer und kürzester , mit dem vvas herrscht und her rschen will, der modern Mi sa r·
kleinsten Au wand von Kraft und Kosten erreichter pro· chismus (um ein schlechtes W or l für eine sclllCchlc
gr css us, - sondern die Aufeinanderfolge von mehr od r ilChe'ZU bilden) ha t sich a llmählich dermaßen in s Gei·
minder tiefgehend en, m hr oder minder voneinander un- stige, Geistigste umgese tzt und verkleidet , daß er heute
abhängigen, an ihm sich abspielenden Überwältigungs· chritl für chritt bcrei t.s in di e strengten, ansch inend
Prozessen, hinzugerechn et di e dagegen jedesmal aufge· objektivsten Wis enschaften eindringt, eindringen darf;
wendeten Widers tände, die versuchten Form-Verwand- ja er cheint mir schon über die ganze Physiolog ie und
lungen zum Zweck der Verteidig un g und I eaktion, auch Lehre vom Leben H err geworden zu sein, zu ihrem cha·
die Resulta te gelungener Gegenaktion cn. Die Form ist den, wie sich von selbst ver t.eht, indem er ihr ein en
flüs sig, der " inn" ist es aber noch mehr . .. 'clbst inner· Grundbegriff, den der eigen tlichen Aktivität, eskamo·
halb j des einzelnen rganismus steht es nicht anders: t.icrt bat. Man stellt dagegen unter dem Druck jener
mit jedem wesentli chen 'W achstum des anzen verschiebt Idiosynkrasie die , npass ung" in den Vordergrund, das
sich auch der " inn" der inzelnen Organe, - unter m· heißt ein AkliviläL zweiten Ranges, ein e bloße Reakti·
ständen kann deren teilweises Zu g runde-gehn , der n vität, ja man hat das L bcn selbst als eine immer zw eck·
Zahl-Verminderung (zum Beispiel durch V rni chtung der m'äßigere inn ere Anpass ung an äußere Umstände defi·
Mittrlglieder) ein Zeichen wachsender Kraft und Voll- niert (Herbert pencer). D amit ist aber das W esen des
kommpnheit sein. I ch wollte sagen: auch das teilwei Lebens verkannt, sein 'Wille zur M ac ht; damit ist der
Unnützlich-werden, das erkü mm ern und Entarten, prinzipielle Vorrang übersehn , den die spontanen, an·
da Vcrlu st.ig·gehn von inn und Zw ckmäßigkeit, kurz gr eifenden, übergr ifenden, neu-auslegenden, neu-richten·
der 1'od gehört zu den Bedingungen· dc wirklichen pro· den und gestallenden Kräfte haben, auf deren Wirkung
gressus: als welcher imm er in Ge ·talt incs Willens und er t d ie "Anpa sung" folg t; da mit i st im Organism us
vYegs zu größerer Macht er cheint und imm er auf n· selbst die herrschaftlich e Rolle der höchsten Funktionäre
kosten za hlreich r klein er er 1ächtc durchgcset.zl wird. o.bgeleugn t , in denen der Lebenswille akt iv und form ·
Die rößc eines ,Fort chri t" bemißt sich sogar nar h gebend er cheint. 1an rinn crt sich, was Huxley pen·
der 1as e d cn, was ihm al les geopfe rt w rd n mußte; ccrn zum VonV1n·f gemacht hat - s in en "admini tra·
die Menschh eit als Masse dem edeih n einer einzelnen Li ven ihili mu " :aber e handelt sich noch um mehr
stärk e r en pczies Mensch g opferl - das w ä r e ein als um "Administrieren" ...
Fortschritt ... I ch hebe die ·cn Il aup i-Gesich punkt d r
histori chen Methodik hervor, um so mehr al er i rr.
" chu l d", " , chlerhtes G w issen" und V erwondt s 313

von " innen" noch lö lieber, auch noch verschiebbar er ;


man kann noch wahrnehmen, wie für jeden einzeln n F all
die E lemen te der ynthcsis ihre 'Wertigkeit verändern
und sich d mgemäß umordnen, so daß bald di rs, bald
jenes E l men t auf Kosten der üb rigen her vortritt un d
dominiert, ja un ter Umstä nden E in Element (etwa der
Zweck der Abschrecku ng) d n ganzen R est vo n Elemen·
t.c n aufzuh eben scheint. m w nigst Pns eine Vors tellun g
davou ~ u geben, wie un ichcr, wie nachträglich, wie
ak zidentiell "der inn" der tra fe is t, un d wie ein und
dieselbe Prozedur auf grundver chioone Absichten hi n
benu t zt, gedeu tet, zurech tgemacht. werden l{ann: so stehe
hier dns chema, das sich mir selb t auf Grund eines v r·
hält.ni smäßig kleinen und zufälligen 1a terials ergeben
hat. trafe als Un schädlichmachen, als V rhindcrung
weiter en ch ädi gens. trafe als Abzahlung des chadens
an den Gesch ädig ten, in irgend ein er Form (auch in der
ein er Affekt-Kompensation). tra fe als I solierung ein er
Gleichgewi chts- törung, wn ein W ei ter r eif n der iö·
r ung zu verhüten. irafe als Furcht- inflößen vor denen,
wel che di e t rafe bestimmen und exeku tieren. trafe als
eine A r t Au sgleich für die Vor teile, welche der V er·
br echer bis dahin genossen hat (zum Beispi 1 wenn er al
Ber g wcrhssklav nutzbar gemacht wird) . tra fc als Aus-
scheidun g eines entar tend n Elementes (unter rn stä nd cn
rin es gn nzen Zweigs, wie nach chin esi ·e hern R echte : so·
mit als fit tel zur R einerh altung der R ass e oder zur F e i.·
ha lt.un g eines sozialen T yp us). t.rafe als F e t, nämlich
als Vergewaltig ung und \ erhöhnu ng eines ndlich nieder·
geworfnen F indes. t.rafe al ein 'edä h lnis-ru achcn, sei
es für den, der die traf c erl eidet - die so enannt
"Besserun g", sei es für die Zen tren der Exekution. iraf
als Zahlun g ein es Honor ar s, au bedungen seitens der
Macht, welche den Übeltäter vo r den Ausschweifungen
der R ache schützt. t r afe als Kompromiß mit dem atur-
314 Zur Genealogie der Mor ol .,Schuld"," chiechteR Gewiesen" und Verw andtes :\15

zu tand der Rache, sofern letzterer durch mächtige Ge- kommt, daß sie di Enl'rgie zrrbricht und eine erbärm-
schlechter noch aufrechterhalten und als Privilegium in liche Prostration und "lb ierniedrigung zuwrge bringl,
Anspruch genommen wird. trafe als Kriegserklärung o ist ein solches Erg bnis sicherlich noch weniger er-
und Kriegsmaßregel gegen einen Feind des Friedens, des q nicklieh als die durch chni tuiche Wirkung der tra.fe:
G ctzes, der Ordnung, der Obrigkeit, den man als ge- als welche sich durch inen Lrocknrn dü leren Ernst
fährlic h für das Gemeinwesen, als vertragsbrüchig in charakterisier t. Denk en wir aber gar an jene J ahrtau-
Hinsicht auf dessen Voraus etzungen, als einen Empörer, sende vor der Gcschich te des Men chen , so darf man
Vorräte r und Friedensbrecher bekämpft, mit Mitteln , wie unbedenk lich urLcilen, daß grrade durch die trafe di
sie eben der Krieg an die IIiwd gibt. - Entwicklung des chuldgefühls am kräftigsten auf ge-
hatten worden ist, - wenigst ns in Hinsicht auf di
14 Opfer, an d nen sich di strafende ewalt ausließ. ntcr-
Dies Li te ist gewiß nicht vollstä nd ig ; rsichtlich ist schiilzen wir namentlich nicht, inwiefern der Verbrecher
di e trafe mit ützlichkciten aller Art überladen. m so ger ade durch den An blick d r gerichtlichen und vollzie-
eher darf man von ihr eine v erme intli c h e Nützlich- hend n Prozeduren sel bst verhindert wird, seine Tat,
keit in Abzug bringen, die allerdings im populären die Art seiner H an dlung an ich , als verwerflich zu
Bewuß tsein als ihre wesentlichste gilt, - der Gl aube empfinden: denn er si •ht genau d:e gleiche Ar t von Iland-
an die trafe, der heute aus mehreren Gründen wackelt, lungen im i cnst der Ocr chtigkeit verüb t und dann gut-
findet gerade an ihr immer noch sein e krä.Hig te tütze. g h ißen, mit gutem Gew i se n verü bt : also pionage,
Di e trafe soll den W er t habe n, das efühl d e r chulcl berlistung, Bes techung, Fa.llenstcllen. die ganze kniff-
im chuldigen aufzuwecken, man sucht in ihr das eigent- liehe und durch triebene P oliz isten- und -A:nklä_gerkun- t,
liche in trumenturn j ner s elischen R eaktion, welche sodann'aas grun d ätzli che, sel bst nicht durch den Aff k t
"schlechtes Gewissen", , Gewissensbiß" genan nt wird. entschuldigte Ber auben, be rwältigen, Beschimpfen, Ge-
Aber damit vergreift man sich selbst für heute noch an fa ngennehmen, F oltern, 1orden, wie es in den verschied-
der Wirklichk eit und der P ychologie; und wieviel mehr neu Arten der tra.fc sich ausprägt, - alles somit von
für die längste Ge chich te de I enschcn, seine Vorge- seinen Richtern keineswegs an i ch verwo rfene und ver-
sc hi chte! D er echte Gewi' enbiß i t gerade unter Ver- urteilte H andlun gen, sonder n n ur in einer gewis ·en Hin-
brechern und räflingen etwa. ä ußer t e ltene~, die Ge- sicht und Nutzanwendung. Das "schlechte Gewissen",
fäng nisse, die Zuchthäuser sind ni cht die Brut tä en, diese unheimlichste und intcr e ant te Pflanze unserer
an denen die c pczies von ag wurm mit Vorliebe ge- irdischen Vegetation, ist nicht auf diesem Boden g -
deiht: - darin kommen a lle gew isse nhaften Beobacht<.r wachsen, - in der Tat drückte sich im Bew ußtsein d r
üherein, die in vi elen F ällen ein derartiges rteil ungem Richtenden, der trafend n se lbst clie läng te Zei t hin-
genug und wider die eigcnsten Wün ehe abgeben. I ns durch nieh ts davon aus, daß man mit einem " chul-
Große gerechnet, härtet und k ä ltet die trafc ab; sie digen" zu tun habe. ondern mit einem chaden-An-
konzentriert; sie verschärft das G fühl der Entfrem- stifter , mit ein em unverantwortlichen tück Verhängnis.
dung; sie stärkt die v; idcrstand k raft. \Yenn es vor- Und der selber, über den nach her die trafe, wiederum
316 Zu r G e n ea l o gi e de r Mo r a l ., cb ul d" , ,. ch i ec ht es Gew i sse n" un d V e rw an dt es 317
wie ein tück Verhängnis, herfi rl, hai.le dabei keine noch die Rus en in d r lland habung des L ebens g gen
an d r "inner e P ein" , als wie beim plötzlichen Eintret eJJ uns W estländer im Vor il ind. W nn es damals eine
von etwas Un ber echnet em, ein s schrecklichen aturcr- Kri tik der TaL gab, so war es die Klug heit, die an der
eignis es, eines her ab tü rzendcn, zer malmende n F els- Ta t Kri tik übte: ohne F rage mü sen wir die eigent-
blocks, gegen den es k einen K ampf mehr gibt. liche Wirkun g der tr afe vor allem in einer Verschäl'·
.fung der Klugheit su chen, in einer Verlängerung d s
15 edächtni ·ses, in einem Willen, fürderhin vorsichtiger,
Dies kam einmal auf in v r rfängli che W eise mißtraui.scher , heimlicher zu W rkc zu gehn, in der Ein-
pinoza zum Bewußtsein (zum Verdruß seiut>r Au sleger , icht, daß man für viel in .für allemal zu schwach sei,
welch sich ordentlich darum b e müh en, ihn an dieser in einer Art Verbes crung der elbstbeurteilung. Das,
telle mißzuver t ehn, zum Beispiel Kuno Fischer), als was durch die trafe im g1·oßcn en-eicht werden kann,
er ein s achmittags, wer weiß, an was für einer Er- bei Mensch und Tier, is t die Vermehrung der Furcht,
innerung sich r eibend, der Frage nachhing, wa · eigent- die Verschärfung der Klugh it, die Bemei t rung der Be-
lich für iJ1n selb t von dem berühm ten morsus consci n- gi erd en: damit zähmt die traf den Mcn chcn, aber
tiae übriggeblieben sei - er, der Gut und Böse unter sie macht ihn nicht "be ser ", - man dürfte mit mehr
dio m n chlichen Einbildungen verwiesen und mit In · recht noch das Gegenteil behaupten. (" chaden macht \
grimm die Elue seines ,freien" ottes gegen jene L äste- klug", sagt das Volk: soweit er klug macht, macht er auch
r er v r teidig t ha Lte, deren Behauptung dahin ging, Gott schlecht. Glücklicherweise macht er oft genug dumm.)
wirke alles sub ratione boni ("das aber hieße Gott dem
chick ale unterwerfen und wäre fürwalll' die größte 16
aller ngereimtheiten" -). Die Welt war für pinoza An dieser teile ist es nun nicht mehr zu umgehn ,
wieder in jene nschuld zurückgetre te n, in der sie vor meiner eignen Hypothese über den Ursprung des "schlech-
der Erfindung des schiechten Gcwi sens dalag : was war ten Gewissens" zu einem ersten vorläufigen Ausdrucke
damit aus dem morsus conscientiae geworden? "Der Ge- zu verhelfen: sie ist nicht leicht zu Gehör zu bringen
ge n atz des gaudium, sagt e er sich endlich, - eine Tra u- und will lange bedacht, bewacht und beschlafen sein.
ri gkeit, begl eitet von d r Vorstellung incr ver gang neu Ich nehme J}as schiechte Gewissen als die tiefe Erkra.n -
ache, die gegen alle Erwa rten ausgefall en i t. " Eth. JII kung, welcher der Mensch unter dem Druck jener gründ-
propos. XVIII schol. I. II. Ii c ht a.nd rs a ls pinoza lichsten aller Veränderungen verfallen mußte, die er über-
haben die von der trafe ereil en bel-Anstif er jahr- haupt erlebt hat, - jener Veränderung, als er sich end-
\tf a.usendcla.ng in betreff. ihres "Vergehen " empfunde11 : gültig in den Bann der Gesell chaft und d s Friedens
~ " hier ist etwas unvermutet schief gegangen", nicht: eingeschlossen fand. icht anders als es den vVassertiercn
"das hätte ich nicht tun sollen" - , sie unterwarfen sich ergangen sein muß, als sie g ezwungen wurden, entweder
der trafe, wie man sich ein er I rankheit oder einem Landti ere zu werden od er zugrunde zu gehn, so ging s
Unglücke od r dem Tode unt rwirft, mit jenem beherzten diese n der Wildnis, dem Kri ege, dem H erum chw ifen
Fatali mus ohne Revolte, durch den zum Bei piel heute dem Abenteuer glücklich auge paßten Halbticren, - mit
31 Zur Genealogie der Moral ,, c hultl'', ,,S c hiP c bl('S (; \ wi ss en'' aand Verwandte s 31!)

Einem Male waren alle ihre In tinkt.e entwertet und sich \Yend nd: das isL der r prung des " chiechten Ge-
.. ' " . 1'e sollten nunm hr auf den Füßen gehn
"au ge h angc wi · cn ·'·. D r Mcn. eh, der sich, :Lu l\Iang •l an ii.ußl'l'en
und "sieh selber tragen" , wo sie bi h r vom Wasser ge- F eind n und Wider ·läntlcn, ing ' Z-wängt in eine drück nd<'
t ragen wurden: eine entsetz liche chwere lag auf i hnen. Enge und RegelmäßigkeiL der iLte, ungeduldig selbst
Zu den einfachsten Verrichtung n .fühlten , ie sich unge- zerriß, vcrfolgLc, annagte, aufsLörLc, mißhandelte, di s
lenk ie haLten für diese neue unbekannte W elt ihr an den GiLtcrsLangen sein s Käfigs sich wund Laßende
alte~ Führer nicht mehr, die regulierend en unbewußl - 'ri r, das ma.n "zähmen" will, di ser Entbehrende und
. icherführenden Triebe, - sie waren auf . Denk en, vom H eimweh der W üste Verzehrte, der a.us sich sc lb~L
chließ n, B r echnen, Kombinier en von r a.chcn und ein Abenteuer, ine F olLersLäLL , eine un ichcre und g'·

\I'\Virkungen r eduziert, diese nglücklichen, auf ihr "Be-


wußtsein", auf ihr ärm lichstes und fehlgreifendsies
Organ I I ch glaube, daß niemals auf Erden ein solches
Elends- cfühl, ein solches bleiernes Miß behagen da -
Iiih rliche Wildnis schaff n mußte, - dieser arr, die er
. clrn üchtigc und verzweifeiLe Gefangne wurde der Er·
finder d s " chlcchten Gewissens". 1it ihm aber war die
gr ößte und unheimlichsie ErkranJmng ei ngeleitet, von
wescn isL, - und dabei hatten j .ne alten In Linkt nich \YClchcr die MenschheiL bis heuLe nicht genesen ist, das
miL Einem Male aufgehört, ilirc Forderungen zu stellen! T_,ciden des Menschen am Menschen, an s i c h: als di
Nur war es chw r und selten möglich, ihnen zu Willen Folge ei.J.1er gewalt.sa.mcn Abtren nung von der tierische11
zu sein: in der Hauptsache mußten sie sich neue und V cr gangenhei t, eines prunges und turzes gleichsam in
gleichsam unterirdi ehe Befri edi gungen suchen. Alle In-

~l
neue L agen und Daseins-Bedingungen, einer Kriegscr·
stinkte, welche sich nicht nach auß n en tladen, wenden 1därung gegen die alLen Instinkte, a.uf denen bis dahin
sich nach inn en - dies ist das, was ich die V erinn er - se in e Kraft, Lust und Furchtbarkeit beruhte. Fügen wir
li c hung des Menschen nenne: da.mit wäch t erst das ·ofort hinzu, daß andrerseits mit der Tatsache einer
an den Menschen heran, was man später · seine " eele" gegen sich selbst gekehrte n, gegen sich selbst Partei neh-
nennt. Die ganze inner e Welt, ur pri.inglich dünn wie menden Tierseele auf Erden etwas so Neues Tiefes
zwischen zwei H äute eingespann t, i t in dem Maße aus- Unerhörtes, R ätselhaitcs, Widerspruchsvolles ~nd Zu :
einander- und aufgegangen, hat Tiefe, Brei te, H öhe be- k unfL svo ll es gegeben war, daß der A peld der Erde
kommen, als die Entladung des Menschen nach außen ich damit wesentlich veränderte. In der Tat, es bra uchte
ge h emmt worden ist. J ene furchtbaren Bollwerke, mit göttlicher Zu schaue r, um das chau piel zu würdigen,
denen sich die staatliche Organisation gegen die alten da.s damit anfing und dessen Ende durchaus noch nicht
InsLinkte dc1· Freiheit schützte - die trafen gehör en abzusehn ist, - ein chauspi l zu fein, zu wundervoll,
vor allem zu <ii cn Bollwerk n - ,' brachten zuwege, daß zu paradox, al daß es sich sinnlos-unvcrmerkt auf irgend
alle jene Instink Lc des wilden, freien, schweifenden Men- einem lächerlich en Gestirn abspielen dürfte ! Der 1ensch
schen sich rückwärt , sich gegen d e n M enschen selb t zählt seiLdem mit unter den uncrwartets ten und auf-
wandte n. Die Feindschaft, die Grausamkeit, die Lu t an regendsten Glückswürfen, die das "große Kind" des Hera-
der Verfolgung, a.m herfall, am W echsel , an der Zer· ldit,_ b.ej.ße es Zens oder Zufall, spiel t,= er erweckt für
törung - alles das gegen die Inhaber solcher In tinkte sich ein Inter esse, eine 'pannung, eine H offnung, beinahe
320 Zur Genealogie der Moral " · ~ h u I d", ., · r hIer h t" 8 G c w i 8 s e n" und V r r wandte s R2l
- - --
eine Gewißheit, als ob mit ihm sich etwas ankündig~, sie sind da, wie der Blitz da ist, zu furchtbar, zu plötz-
etwas vorbereite, als ob uer Mensch kein Ziel, sondern lich, zu überzeugend, zu "anders" , um selbst auch nur
nur ein W eg, ein Zwischenbll, eine Brücke, ein große gehaßt zu werden. Ihr W erk i L ein insLinl,ti ves Formen-
Versprechen sei ... schaffen, Formen-aufdrücken, es sind die unfreiwilligsten,
17 uubew ußLesten Künstler, die es g i bt: :.._in Kürze steht
Zur Vorau seb::ung di s r Hypothese über den r- etwas cues da, wo sie erscheinen, ein llerrschafLs· Ge-
sprung des schlechten Gewi. sens gehört erstens, daß jene bildc, das l ebt, 1n dem 'l'eilc und unklionen abgegrenzt
Ver änderung k eine allmä.hliche, keine freiwillige war und und bezüglich g macht sind, in uem nichts überhaupt
sich nicht als ein or gani ch cs H inein wachsen in neue Be- Pl atz findet, d m nicht er st ein " inn " in Hinsicht auf
dingungen darstellte, sond rn als ein Bruch, ein prung, das Ganze eing legL ist. ie wi ·sen nicht, was chuld,
ein Zwan g, ein unab weisbar es Verhängnis, gegen das es was Verantwortlichkeit, was Ru cksicht i t, die e gebore-
kein n Kampf und nicht einmal ein R essentiment gab. nen Organisatoren ; in ihn e.n walLet jener fur chtbare \
Zweitens aber, daß die Einfügung einer bisher unge- Küns Ller -Egoism us, der wie Erz blickt und sich im
h emmten und ungestalteten Bevölkerung in eine fes te " Werke", wi e die Mutter in ihrem Kinde, in alle Ewig-
Form, wie sie mit einem Gewaltakt ihren Anfang keit voraus ger chLferLigL weiß. Sie sind es nicht, bei
nahm, nur mit lauter Gewaltakten zu Ende geführt den en das "schlechte Gewissen " gewachsen i t, das ver-
wurde, - daß der älteste " ta.at" demgemäß als eine steht sich von vornherein, - a.ber es würde nicht ohne
.furchtbare Tyrannei, als eine zerdrückende und rück- s ie gewachsen sein, dieses hä. ßliche Gewäc hs, es würde
sichtslose 1aschinerie auftrat und forLarbeiLete, bis ein fehlen, wenn nicht unter dem Druck ihrer H ammer-
solcher R ohstoff von Volk und Halbtier endlich nicht nur schläge, ihrer Kün s tler- walLsamk it ein ungeh ur s
durchgekn etet und gefügig, sondern auch geformt war. Quantum FreiheiL aus der vV H, mindestens aus der
Ich gebrauc hte das Wort "Staat": es versteht sich von ichLbarkeit ge chafft und gleichsam lat e nt g macht
elbst, wer damit gemeint ist - irgend ein Rudel blon- worden wäre. Die ·er gewalt am latent ge mach e In -
der Raub tiere, eine Eroberer- und Herren-Rasse, welche, stinkt d er Fr eiheit- wir begriff n es schon-, di er
luiegerisch organisiert und mit der Kraft, zu organi- zurückgedrängte, zurü cl<gctretene, ins Innere eingeker-
sieren, unbedenklich ihre furchtbaren Tatzen auf eine k er te und zuletzt nm an sich selbs t noc h sich entladende
der Zahl nach vieHeicht ungeheuer überlegene, aber noch und auslassende Instinkt der Freiheit: das, nur das i t

2gestaltlose, noch schweifende Bevölkerung legt. Derge-


stalt beginnt ja der " taat" auf Erden: i ch denke, jene
in seinem Anbeginn das schlecht e Gewissen.

chwiirmer ei ist abgetan, welche ihn mit einem "Ver-


trage" begilll1 en ließ. W er befehlen kallll, wer von atur Man hüte sich, von diesem ganzen Phänom en deshalb
"Herr" i t, wer gewalttätig in Werk und Gebärde auf- schon gering zu denken, weil s von Yornherein häßlich
Lr·itt- was hat der mit Verträgen zu schaffen! Mit und schmerzhaft ist. Im Grunde ist es ja diesel be aktive
z/solchen W e en r echnet man nicht, sie kommen wie das
chicksal, ohne Grund, Vernunft, Rücksicht, Vorwand,
Kraft, die in jenen Gewalt-Kün tlcrn und Organi. atorcn
großartiger am W erke i t und taaLen baut, welche hi r,
J 21
324 Z u r 0 c n o o 1o g i e t.l e r bl o r o I "Sc hul d 11 , " ._ c ble c bt es Ge wi ss en " und V rw n n dte s 325
in ihrer l~o rl e xi t.enz al mächli "'e Gei t.e r nicht aufh ören , auch aus der Pi etä t !" dürfte schwerlich damit f ür jene
dem Ge chlcchLe neue Vor teile und Vor chü se seiLen Hings ie Zeit des Menschengeschi chis r echt behalten, für
ihrer Kraft zu gewähren. mson t etwa? Aber es gibt sein Urzeit. Um so mehr .freilich .f ür die mittl e re
k ein "Um onst" für jene r ohen und "scelcnarmen " Zeit- Zeit, in der die vorn ehmen Geschlechter sich heraus-
alter. W as kann man ihnen zurückgeben ? Opfer (an- bilden: - als welche in der Tat ihren Urhebern , den
f änglich zur Nahrung, im g röbli ch ten V crsl.ande), F stc, Ahnherren (Heroen öttern) alle die Eigenschaften mit
Kapellen, Ehrenbezeigungen, vor all em Gehorsam - Zins zurückgegeben haben, die inz wischen in ihn n selbst
denn all Bräu che sind, als W erke der Vorfahren, au cl1 offenbar geworden sind, die vorn ehmen Eigenschaften.
der en a lzungen und Bef ehle - : gibt man ihn en je Wir werden auf die Veradlig ung und Veredelung der
genug? Die er Verdac ht bleibt übrig uncl wächst: von Götter (die fr eilich durchaus nicht der en "Heiligung"
Zeit zu Zeit erzwing t r eine große Ablösung in Bausch ist) später noch einen Blick werfen: führen wir jet zt nur
und Bogen, irgend etwas ngeheures von Gegenzahlung den Gang dieser ganz n chuldbewußtseins-Entwieklung
an den "Gläubiger " (das berü chtig te Erstlingsopfer zum vorläufig zu Ende.
Bei piel , Blut, Menschenblut in jedem Falle). Die Furcht 20
vor dem Ahnherrn und s iner Macht, das Bewußtsein Das Bewußtsein , Schulden gegen die Gottheit zu
von chulden g g en ihn nimmt nach dieser Art von haben , i t, wie die Ge chiehtc lehrt, auch nach dem ie-
Logik notwendi g genau in dem Maße zu , in d m di e dergang der blutverw andtschaftli ch n Organisationsform
Macht des eschlcchts selbst zunimmt, in dem das Ge- der "Gemeinschaft" kein eswegs zum Abschluß gekom-
schiech t s lbst immer si egr eicher, unabhängiger, g ehr- men; die Menschh eit hat, in g l icher W eise, wie sie die
i.er, g efüreht ter da teht. icht etwa. umgekehrt! J cd r Begriffe "gut und schlecht" von dem Geschlcchis-Adel
'chritt zur Verkümm erung des Geschl echts , alle el end en
~· alle Anzeichen von En ta.rtung, von h erau fkom -
mendcr Auflösung ve rmindern vielmehr immer auch
-- (samt dessen psy cholog ischem Grundhange , R angordnun-
gen anzu etzen) geerbt hat, mit der Erb chaft der Ge-
chlech ts- und Lammgottheiten auch die des Drucks von
die Furcht vor dem Geiste seines Begründers und geben noch unbezahlten chulden und des Verlangens nach Ab-
eine immer g ringere Vor tellung von s in er I lugh ei! , lösung derselben hinzu bekommen. (Den Überg ang machen
Vor org li ehkeit tmd Iacht-Gegcnwart. Denkt man sich jene breiten ldaven- und H örigen-Bevölkerungen, welche
diese rohe Art Logik bis an ihr Ende g elangt: so mü s cn sich an den Götter-Kultus ihrer H erren, sei es durch
schli eßlich di e AhnJ1errn dermächtigst en Geschl echt r Zwang, sei es durch nterwür.fig keit und mimicry, a.n-
durch die Phantasie der wachsenden Furcht selbst ins gepa.ßt haben: von ihnen aus fließt dann diese Erbschaft
ngeheurc gewachsen und in das Dunkel einer göttlichen nach allen Seiten über.) Das chuldge.fühl gegen die
nheimlichkeit und nvorstellbarkcit zurückgeschoben Gottheit hat mehrer e J a.hrtau ende nicb t aufgehört zu
worden sein: - der Ahnh err wird zuletzt notwendi"' in wachsen, und zwar immer for t im g leichen Verhältnisse,
einen Gott iransfiguriert Viell eichi ist hier selbst d r wie der Gotte begriff und da ottesgefühl auf Erden
J Ursprung der Götter, ein rsprung also aus derFurcht I. .. gewachsen und in die H öhe getragen worden i t. (Die
Und wem es nötig scheinen solLte hinzuzufügen: " abe r g anze Ge chichl des ethnischen K ämp.f n , i gens, ich-
32ß 7. u c 0 e n e n I o g i e d c ~I o co I

versöhnens ichverschmelzens, alle was der endgültigen •


Rangordnung aller Volks-Elemente in jeder großen Ra~·
se.n- ynthesis vorangeht, spieg lt sich in dem encalo-
gie.n-Wirrwarr ihrer Götter, in den a.,.en von deren
Käm pfe.n, iegen und Ver öhnung n ab; der Fortgang zu
Univer al-R eichen ist immer auch der Fortgang zu Uni-
versal-Gotthcite.n, der D spotismus mit seiner "Überwäl-
tigung des unabhängigen Adels baJ1nt immer auch irgend
welchem Monotheismus den W g.) Die HeraufkunH des
christlichen Gottes, als des Maximal-Oöttes, de~· bisher
erreicht worden i t, hat d halb auch das Maximum d s
chuldgefühl auf Erden zur Er cheinung gebracht. An-
genommen, daß wir nachgerade in die umgekehrte Be-
wegung eingetreten sind, so dürfte man mit keiner klei-
nen W ahr cheinlichkcit au dem unaufhaltsamen Nieder-
gang dc- laubcns an de.n christlichen Gott ableiten, daß
es jeizt b r its auch schon inen rh oblichen Niedergang
des menschlichen chuldbew_u ßtscins gäbe; ja die Aus-
sicht ist nicht abzuweisen, daß dPr vollkommene und end-
gül t.igc 'ieg des Atheismus die ienschheit von di sem
ganzen Gefühl, chuldcn gegen ihren Anfang, ihre cau ·a
prima zu haben, lö en dürfte. Atheismus und eine rt
zweiter n chu ld gehör n zueinander.

21

Dies vorläufig im kurz n und groben über den Zu-


sammenhang der Begriffe " chuld", "Pflicht" mit reli-
giösen Voraussetzungen: ich habe absichtlich die eigent-
liche Moralisierung dieserB griffe (die Zurü ck chiebung
der clben ins Gewi en, noch be timmtcr, die V rwick-
lung des s eh 1echten Gewi sens mit dem ottesbegriffe)
bi her beiseite rrela ·en und am ch luß de vorigen Ab-
schnittes sogarg redet, wie al ob es die e Morali ierung
gar nicht gäbe, folglich, wie als ob es mit jenen Begrif-
fen nunm hr notwendig zu Ende gingr, nachdem dere>n
32 Zur Genenlo~tie der Moral " Sc h u I n ", ,, c h I c c h l c s G c wissen" und Verwandle s 32!1
------------------
selbst bezahlt machend, Gott als der Einzige, der vom verwerflich zu find n bis zur Un ühnbarkeit, sein
Men chen ablösen kann, was für den Menschen selbst un- Wille, sich be traft zu denken, ohne daß die trafe je
ablösbar geworden ist - der Gläubiger sich für seinen der chuld äquivalent werden könne, ein W ille, den

l chuldner opfernd, au Li be (sollte man 's glauben?-),


aus Liebe zu sein em chuldner I . ..
untersten Grund der Dinge mit dem Problem von trafe
und chuld zu infizieren und giftig zu machen, um sich
aus diesem Laby rin th von "fixen Idc n" ein für allemal
22 den Au weg abzuschneiden, sein Will e, ein I deal auf-
Mru1 wird bereits erraten habe n, w as eigentlich mit zurichten - das des "heili gen Gottes" - , um angesichts
dem allen und unt e r dem allen geschehen ist : jener dess lben sein r absolu ten nwürdigkeit handg reiflich
Wille zur elbstpeinigu ng, jene zurückgetretene Grau- gewiß zu sein. 0 über die e wahnsinnige traurige Bestie.
") samkeit des i~n erli ch gemachten, in sich sel bst zurtickge- Mensch I W elche Einfälle kommen ihr, welche Wider-
L J scheucht n T1e.rmen chcn, des zum Z weck der Zähmung natur, welche Paroxysmen des Unsinns, welche B es ti a li-
in den " taat" Eingesperrten, der das schlechte Gewissen tä t d er Id ee bricht sofort h raus, wenn sie nur ein wenig
erfunden hat, um sich wehe zu tun, nac hdem der natür- verhindert wird, Bestie der Tat zu sein! ... Dies alles
lich e r e Ausweg dieses v'i'ehc-tun-wollens verstopft war, ist inter c sant bis zum Übermaß, atler auch von einer
- di ser 1ensch des schiechten Gewissens hat sich der schwarzen, düsteren, entnervenden Trauri gkeit, daß man
r elig iösen Voraussetzung bemächtigt, um seine elbst- es sich gewal am v rbietcn muß, zu lange in diese
marierung bis zu ihrer schau rlichstcn H ärte und chiirfc Abg ründe zu blicken. Hier ist Krankheit, es ist kein
zu treiben. Eine Schuld gegen Gott: diese r Gedanke Zweifel, die furchtbarste Krankheit, die bis jetzt im
wird ihm zum Folterwerkzeug. Er erg reift in "Gott" Menschen gewütet hat: - und wer es noch zu hören ver-
die letzten Gegensätze, die er zu einen ei o-entli chen und mag (aber man hat heute n icht ro hr die Ohren dafür I-),
unal~ösli ch en Tier-Insti nkten zu finden vermag, er deutet wie in dieser acht von Marter u nd "W idersi nn der chrei
diese Tier-In stinkte selbst um als chuld gegen Gott (als Li eb e, der chrei d s sehn üchti o-sten Entzückens, der
Feindschaft, Auflehn ung, Aufruhr geg n den "Herrn", Erlösung in der Liebe geklungen hat, der wendet sich
den "Vater ", den r ahn und Anfang der W elt), er spannt ab, von eine"m unbesiegli chen Grausen erfaßt ... ImMen-
sich in den Wider "pruch "Gott" und "Teufel", er wirft schen ist so viel Entsetzliches! . .. Die Erde war zu lange
alles Nein, das r zu sich selbst, zur at ur, atürlich- schon ein Irrenh aus! . ..
keit, Tat ächliehkeit sein es W esens sagt, aus sich heraus
als ein Ja, als seiend, leibhaft, wirklich, als Gott, al 23
Heiligkeit Gottes, als Richter turn Gottes, ~ls Henkerturn Dies genüge ein für allemal über die Herkunft dc.
Gottes, als J en cit , als Ewigkeit, als Marter ohne "heiligen Gotte ". - D aß an ich die Konzeption von
Ende, al H ölle, als nau meßbarkeit von trafe und ..)-on Göttern nicht notwendig zu dieser Ver chlechterung der
chuld. Di es is t eine Art Willens- Wahnsinn in der see- 'l Phantasie führen muß, deren Ver o-egenwärtig ung wu
lischen Grau amkeit, der schlechterdings nicht sein e- uns für einen Augen blick nicht erl assen durften, da.ß
gleich en hat: der Will e d s 'fensehen, sich schuldig Ulld es vornehmer Arten gibt, sich der Erdichtung von
;{30 Zur Genenlo~rie der Mornl ,, · c h u I d" , ... r h 1er h t ~ s (; e w i s tl' e n" u n ri V er w a n rll PR HR 1

Göttern zu bedi nen, al zu dir er elb. I krcuzi <>'ung und aber die e lörung im I op.fc war ein Problem - "ja,
elbst chä ndung des Menschen, in d r die letzten Jahr- wie i t sie auch nur möglich? woher mag sie igentlich
t.au en de Europas ihre 1ei i rschaft gehabt haben, - gekommen sein, bei K öpfen, wie wir sie haben, wir Men-
da läßt ich zum Glück au j dem Blick noch abnchm n, f:chen der dl n Abkunft, de Glücks, der W ohl craten-
den man auf die g ri ech i ch en Götter wirft, di sc W ie heit, d r be tcn cll·cha.ft, der Vornehmheit, der Tu-
der pieg Iungen vornehmer und clbsth rrlicher l eu chcn, gend?" - so. .fragte sich jahrhundertelang d r vornehme
in denn das Ti er im Mon chen sich vcrgöttlicht fültllc Grieche augesich ts jedes ihm unverständlichen reuels
und nicht sich selbst zerriß, nicht gegen sich selber und Frevels, mit dem sich einer von sein esgl iehen be·
wütete! Di e 0 riechen haben ich die l ä ngste Zeit ihr r Il ekt hatte. "Es muß ihn wohl in G ott b Wr t haben",
.ßötter bedient, gerade um sich das "schlechte G wis en" sagte er sich endlich, den K opf schütt lnd ... Dies r
vom L ei b zu halten, um ihrer Freiheit der eele froh usweg ist typisch für Gri chen ... D ergestalt dienten
bl eib n zu dürfen: al o in einem umgekehrten Ver Lande damals die Götter dazu, den 1ensehen bis zu einem ge-
al das hristontum ehrau ch von· seinem ott gemacht wi sen Grade auch im chlimmen zu r ech tfcrligeo, s~ o /
hat. ie gi ngen darin sehr weit, diese prachtvollen upd dienten als r sachen de Bö en - damals nahmen s1e1
löwenmutig n Kindsköpfe ; und k ein geringer utori- nicht die trafe auf ich, sondern, wie e vornehmer
tät aJ di e d s homerischen Zeus selbst gibt es ihnen hier ist, die chuld ...
und da zu verstehn, daß ·ic s sich zu l eicht mac hen.
21
"Wunder!" sagt er einma l - s han delt ·ich um den Fnll
des Ägislhos, um einen sehr schlimmen Fall - - l ch schließe mit dr·ci Fragezeichen, man ieht s
wohl. "Wird hier eigentl ich ein Ideal aufgerichtet oder
" Wund er , wie sehr doch klagen die torblichen
eins abgebrochen?" so fragt man mich vielleicht ... Abe1
wider die ötter!
h.abi ihr euch selber je g nug gefragt, wie teuer sich auf
"Nur von uns se i Bö ses, vermeinen sie; aber
Erden die Aufrichtung j e d e IdeaJs bezaJllt gemacht
sie selber
hat? Wievi 1 Wirklichkeit imm er dazu verleumdet und
chaffen durch nver land, auch gegc.u Geschick,
verkannt, wieviel Lüge g eheiligt, wieviel Gewissen ver-
ich da · Elend."
stört, wievi el " o t " jede mal g opfert werden mußte?
Doch hört und sieht man hier zugleich, auch die er olym- Damit ein H eiligtum aufgerichtet werden kann, muß
pi ehe Zuschauer und Rich ter i t ferne davon, ihnen des- ein Heili g tum zerbrochen werden: das ist das Ge-
hal b gram zu sein und bö e von ihnen zu denken: "was setz- man zeige mir den Fall, wo s nicht erfüllt ist I ...
ic töricht ind !" o denkt r b i d n ntaten d r Wir modern en 1en chen wir ind die Erben der Ge-
terblichcn, - und , 'l'orh it", " nv rsland", ein wenig wi ens-Vivisektion und elb i-Tierquälerei von J ahrlau-
" örung im Kopfe", o viel haben auch di Grirchen en-den: darin haben wir un ere l ängste bun"', un er
der stärksten , tapfer ten Zeit selbst bei sich zu ge l asse n Kün tlerschaft vielleicht, in jedem F all unser Raffine-
als rund von vielem c hlimm ~n und Verhäng nisvo llen: ment, unser e Geschmacks-Verwöhnung. Der hlensch hat
- Torh eit, ni cht ünde. vrrsleht ihr da.s? . . . rlb. t . llzulange eine naWrlichen H änge mit "bö em Blick"
332 Zur Genealogie der .M oral " • c h u I d ", " c ld echt~ 8 (l c w i 8 s c n" und Verwandte 8 333

betrachtet, so daß sie sich in ihm schließlich mit dem des en Ein amkeii vom Volke mißver tanden wird, wie
"schlechten Gewissen " verschwistert hab n. Ein umrre- als ob sie eine Flucht vor der Wirklichkeit sei
kehricr Ver uch wäre an sich möglich - aber wer ist während sie nur seine Ver cnkung Vergrabung, Verii ·
tark genug dazu? - , nämlich die unnatürlichen fungindie Wirklichkeit isi, damit er einst aus ihr, wenn
Hänge, alle jene A piraiioncn zum J enseiiigen, innen· er wieder ans Licht kommt, die Erlösung di er Wirk-
widrigen, Instinktwidrig n, aturwidrigen, Ticrwidri- lichkeit heimbringe: ihre Erlösung von dem Fluche, den
gen, kurz die bisherigen Ideale, die allesamt lebensfeind- das bisherige Ideal aui sie gelegt hat. Dieser M n eh
liche Ideale, W elt verleumder-Ideale sind, mit dem schlecb- der Zukunft, der uns eben o vom bisherigen Ideal er-
tPn Gewissen zu ver chwist rn. An wen sich heute mit lösen wird als von dem, was aus ihm wachsen mußi ,
solchen Hoffnungen und An prücJ1en wenden? . .. Ge- vom großen Ekel, vom \Vill en zum ichts, vom ihilis-
rade die guten Menschen h ätte man damit gegen sich; mus, dieser Glock enschlag des Ii tiag und der großen ~
daz u, wie billig, die bequ em n, die ver öhnien, die eitlen, Ent ~heidung, d r den Willen wieder frei macht, der der
die schwärmerischen, die müden ... W a.s beleidigt tiefer, Erde ihr Ziel und dem llin ehen se[;iß of nung zurück-
wa.s trennt so gründlich ab, als etwas von der trengc gibt, dieser Antichrist und Antinihilist, dieser B siegel'
und H öhe merken zu las en, mit der man sich selbst be- Gotte d des ichts - er muß e ins t kommen ...
handelt? nd wiederum - wie entgegenkommen d, wie
liebreich zeigt sich all e W elt gegen un ·, sobald wir es 25
machen wie alle ·w elt 'Und uns "gehen lasse n" wie a lle -Aber was r dc ich da? enug! G nug! An dies r
W elt! ... Es bedürfte zu jenem Ziele einer anderen Art 'lelle g ziemt mir nur Eins, zu schweigen : i ch v rgriif
Geister , a.ls gerade in diesem Zei talter wahrscheinlich mich sonst an dem, was einem Jüngeren all ein fr isichl,
sind: Geister , durch Kriege und iege gekräftigt, denen inem "Zukünftiger n", einem tärkeren, al ich bin, -
die Ero-bern g, da.s Abenteuer, die Gefahr, der chm er.z was allein Z arai hu st r a frei teht, Z arathustr·a drm
sogar zum Bedürfnis geworden ist; es bedürfte dazu der oltlosen ...
Gewöhnung an scharfe hohe Luft, an winterliche W ande-
rungen, an Eis und Gebirge in jedem inne, es bedürfte
dazu einer Art sublimer Bo heit selbst, eines letzten
selb tgewi ses ten 1utwillens der Erkenntnis, welcher
r zur g roßen esundheit gehört, es bedürfte, kurz und
~ schlimm genug, eben dieser g roß en Gesundh itl . . .
Ist die e ger ade heute auch nur möglich? . .. Aber irgend-
wann , in iner ärker en Zeit, al die e morsche, seJb t-
zweifleri ehe Gegenwart ist, muß er uns doch kommen,
der e rl ö e nd e Mensch der groß n Li ebe und Verach·
tung, der schöpferische Geist, den seine drängende Kraft
au allem b eits und J ensei t immer wieder wegtreibt,
Wo " bedeul n a. k tlsclte Id eelet 3::35

mich? ... Hat man mich verstanden? . .. " chlechter-


ding nicht! mein H e rr !" - Fangen wir al o von
vorne an.
2

Was bedeuten asketi ehe Ideale? - Oder, daß i ch


in n inzelncn FalL nehme, in b tref.f des en ich oft
ge nug um Rat ge.fragt word n bin, was bedeutet es zum
DRITTE ABHANDLUNG Beispi el, w nn ein Künstler wie Richard Wagn er in s i-
W BEDEUTE A KETI HE IDE LE? nen alten Tagen d r K eu chheit eine Huldigung dar-
bringt? In einem gewissen iime freilich hat r die
Unbekümmc t·t, spöttiscb, gcwn ltt ülig - immer g tan; aber er t zu allerletzt in einem a keti eh n
so willuns dio Weisheit: s ie ist ein Weib,
s ie liebt immer nur ei nen Kri egsmann. • .inne. Was bedeutet diese " innes"-Änderung, dieser
Also sprach Znr at hu s tra. radikale Sinnes- mschlag? ~ denn ein solcher war es,
Wagner sprang damit geradeswegs in seinen egensatz
Was bedeut.en asketische Ideale? - Bei Künstlern um. Was bedeutet es, wenn ein Künstler in ·einen egen-
nichts oder zu vielerlei; bei Philo ophen und Gelehrten a.Lz umspringt? ... Hier kommt uns, ge etzt daß wir
etwas wie Witterung und Ins tinkt .für die günstigste n bei dieser Frage ein wenig H alt machen wollen, al bald
Vorbedingungen hoher Geistigkeit; bei Frauen, besten die Erinnerung a.n die beste, stärkst.e, frohmütigste,
Falls, eineLieben würdigkeiLder Ver.führung mehr, ein mutigste Zeit, welche s vielleicht im Leben Wagners
wenig morbidr zza auf .schönem Fleische, die Engelhaftig- gegeben h.at: das war damals, als ihn innerlich und tief
keit eines hüb chen fetten Tiers; b i physiologisch Ver- der Gedanke der Hochzeit Luthers beschäftigte. W er
unglückten und Verstimmten (bei der Mehrzahl der weiß, an welchen Zufällen s eigentlich g hangen hat, daß
te1·blichen) einen Versuch, sich "zu gut" .für diese Welt wir heute an Stelle dieser Hochzeits-Mu ik die Mei ter-
vorzukommen, eine heilige J!orm der Ausschwei.fung, ihr singer besitzen? Und wieviel in diesen vielleicht noch
Hauptmittel im Kampf mit dem langsamen clunerz und von jener fortklingt? Aber keinem Zweifel unierliegt e ,
der Langenweile; btji Priestern den eigentlichen Priester- daß es sich auch bei die er "Hochzeit Luthers " um ein
glauben, ihr b tes Werkzeug der Macht, auch die "aller- Lob der K euschheit gehandelt haben würde. Allerding
höchste" Erlaubnis zur Macht; bei H eiligen endlich einen auch um ein Lob der innliclili:eit: - und ge rade so
Vorwand zum Winterschlaf, ihre novissima gloriae chi ene es mir in Ordnung, gerade so wäre es auch
cupido, ihn Ruhe im Nichts ("Gott"), ihre Form des Irr- " Wagneri eh" gewesen. D enn zwischen Keuschheit und
ions. D aß aber überhaupt da asketische Ideal dem 'innlich.keit gibt es keinen notwendigen Gegen atz; jede
J\len chen oviel bedeut.et hat, darin drückt ich die rund- g ute Ehe, jede eigentliche Herzensliebschaft i t über die-
tatsache des menschlichen Willens aus, sein horror vacui: sen Gegensatz hinaus. Wagner hätte, wie mir scheint,
er braucht ein Zi el, - und eher will er noch das wohlgetan, die e angenehme Tatsäehlichkcit seinen
Nichts wollen als nicht wollen. - Versteht man D 1'1. chen mit Hilfe einer holden und tapferen Luther-
Zur U e n e al og i c d r Mo r a l
---
Komödie wieder einm al zu Gemüie zu führen, denn
gibt und g ab unter den Deutschen immer viele Verleum-
der der innlichkeit; und Luth ers Verdienst i t vielleicht
in nich t gr ößer als g er ade da rin , den l\lu t zu seiner
'innlichk eit g ehabt zu haben (- man hieß sie damals
zart genug, die "evangelische Freiheit" .. .) elbst abe r
in jenem Falle, wo es wirkli ch jenen Gegen atz zwischen
Keuschh eit und innlichkcit gibt, braucht s glü cklicher-
! weise noch lange k ein tragischer Gegensatz zu sein. Die ·
dürfte weni g tens für alle wohlgeraieneren , wohlgernutc-
r en terblichen gelt n, welche f erne davon sind~ · ihr
( labil Ieichgewicht zwischen "Tier und Engel " ohne
weiter es zu den egeng ründcn des D aseins zu r echnen,
- die Feinsten und H ellsten, g leich Goethen, gleich
Hafis, haben darin sogar einen L ebensreiz m e hr gesehn.
olche " Wid r prüche" gerade verführen zum Dasein ...
Andrerseits versteht es sich nur zu gut, daß wenn einmal
die v runglückten chweinc dazu gebracht werden, die
K euschh eit an zu beten -und es gibt solche eh weine I - ,
sie in ihr nur ihren Gegen atz, d n egensatz zum ver-
unglückten chwein e sehn und anbeten wer den - o mit
was für einem tragi chen Gegrunz und Eif r! man kann
es sich denken - : je~ en peinlichen und überflü igen
Gegensatz, den Richard ·w agner unbestreitbar am Ende
sein es Lebens noch hat in Musik setzen und auf die
Bühnest llen wollen. Wozu doch? wie man billig fra-
gen dar.f. Denn was gingen ihn , was gehen uns die
chweine an? -
. . 3
Dabei i st freilich jene andere Frage nicht zu umgehn,
was ihn eigentlich jene männliche (a.ch, so unmännliche)
"Einfalt vom Lande" anging, jener arme Teufel und
aturbursch Parsifal, der von ihm mit so verfänglichen
Mitteln schließlich katholisch gemacht wird - wie? war
dieser Pa.rsifal überhaupt ernst g emeint? Man könnte
Zur Ocncnlogie der Mornl Wns b deuten nskotisoho Ideale? 339

ziger Jahren Wagnern gleich vielen Deu Lschen (- sie Weibe die Wiuerlichkeilen und Wunderlichkeiten der
nannten ich die "jungen Deutschen") wie das \Vo r t chwanger chaft; als welche man, wie gesagt, verges-
der Erlösung. Ha.t er eh ließlieh darübet· umg e lernt? sen muß, um sich d s Kinues zu er freun. Man soll sich
Da es zum mindesten scheint, daß er zuletzt den Will en vor der V rwechslung hüten, in welche ein Künstler
hatte, darüber umzulehren . . . nd nicht nu r mit den nur zu leicht selbst gerät, aus psychologischer conliguity,
Parsifal-Posaunen von der Bühne herab:- in dr r trüben, mit den Engländern zu reden: wie a.ls ob er se lber das
ebenso unfreien als r a ll srn chriftslcllerei seiner l etzten wäre, was er darstellen, ausd nken, ausdrücken kann.
Jahre gib t es hundert tellen, in denen sich ein heimlicher 'rat ächlich sieht es so, daß, w enn er eben das wäre, er es
Wunsch und Wille, ein verzagter, unsicherer, uneinge- sch lechterdings nicht da1·stellen, ausd nken, au drücken
tändl icher Will e verrät, ganz eige ntlich Umkehr, Be- würde; ein H omer hätt e keinen Achill, ein Goethe keinen
kehrung, Verneinung, Christentum, Mittelalter zu pre- Fau t gedichtet, wenn Home r ein Achill und \Yenn Ooethe
di gen und seinen Jüngern zu sagen "es ist nichts! sucht ein Faust gewesen wäre. Ein vollkommner und ganzer
das Heil wo anders!" Sogar das " Blut des Erlösers" Künstler ist in ::dle Ewigkeit von dem "Realen", dem
wiru einmal angerufen Wirkl~c h e n ab geirennt; andrerseits versteht man s, wie
er an dieser ewigen "Unrea.lität" und F alschheit seine
4 innerstcn Daseins mitunter bis zur Verzweiflung müde
Daß ich in einem solchen Falle, der vieles P inliche werden karu1 , - und da.ß er dann wohl den V r uch
hat, meine Meinung sage - und es ist ein typische1· macht, einmal in das gerade ihm Verbotenste, ins Wirk-
Fall - : man tut gewiß am bes ten, einen Künstler inso- liche überzugreifen, wirklich zu sein. Mit welchem Er-
weit von seinem Werke zu trennen, daß man ihn selbst folge? Man wird es erraten ... Es ist das die typische
nicht gleich ernst nimmt wi e sein W erk . Er ist zuletzt V e ll e it ät des Künstlers: dieselbe Velleität, welcher
nur die Vorausbedingung seines W erks, der Mutterschoß, a.uch der aligewordne Wagner verfiel und die er so teuer,
der Boden, unter Umsti.i.nden der Dünger und Mist, au f ~:;o verh ängnisvoll hat büßen müssen (- er verlor durc h
dem, aus dem es wächst, - und somit, in den meiste n sie den wertvollen '~e il seiner Freunde). Zuletzt aber ,
Fällen, etwas, das man vergessen muß, wenn man sich noch ganz abgesehn von dieser Velleität, wer möchte
des W erks selbst erfreuen will. Die E ins icht in die Her- nicht übe rhaupt wünschen, um \Vagners selber willen,
kunft eines Werks geht die Physiologen und Vivisek- daß er anders von uns und seiner Kunst Abschied ge-
tor en des Geistes an: nie und nimmermehr die ästhe- nommen hätte, nicht mit inem Parsifal, sondern sieg-
tischen Menschen , die A r tisten I Dem Dichter und Aus- reicheT, selbstgew isser, \Vagnerischer, - weniger i rre-
gesta lter des Parsifal bl ieb ein tiefes, g ründliches, selbst führend, weniger zweideutig in bezug auf sein ganzes
schr eckliches Hineinleben und Hinabsteigen in mittel- Wollen, weniger chopenhaueri eh, wenig r nihili-
alterliche eelen-Kontraste, ein feindseliges A bseits vo n stisch? ...
alle r H öhe, trenge und Zucht des Geistes, eine rt i ntel- 5
lektueller Perve r sität (wen n man mi r das W ort nach- Was bedeuten al o asketische I deale? Im Falle
sehn wi ll) ebensowenig erspart als einem schwangeren eines K ünstlers, wir begreifen es nachgerade: ga r
22 '
Zur Genealogie der M_o_r_a_l - -- -- WnA b dPuten asketische Ideale?
341
nichts I Oder so vielerlei, daß es so gut i t wie gar da7.ll durch ein•·n Dich r wie man wriß, durch lferwegh),
nichts I ... Zulei :d, wa · li •gt dar an? Die ilel'l' n Kün t- und dies bis zu d m Maße, daß sich damit ein vollkomm-
ler stehen lange uicht unabhängig genug in der W elt und ner th oreti eher Wider pruch zwischen seinem früheren
gege n die W elt, als daß ihre Wertschiitzungen und dere11 und seinem pilieren ästhetiscl1en Glauben aufriß, -
Wandel an sich Teilnahme verdi nio! ie war~n zu allen rsf rrt· zum Bei picl in "Oper uncl Drama" ausgedrückt,
Zeit n K!lllnnerdienrr einer Moral oder Philosophi oder letzter r in den chriften, die er von 1 70 an herausgab.
Religion; ganz a.bgPsclm noch davon, daß sie leider oft Tnsonderh 'it ändrrte \Vagmr, was vielleicht am meisten
genug di all1.u gcsrhmcidigPn H öflinge ihrer Anhänger- befr emdet, von da an rücksichtslos sein Urt il über Wert
und Gönnerschaft und spiirnasige Schmeichler vor alten und tellung .der Musik selbst: was lag ihm da ran,
oder eben neu her::wfkommenden G walten gew sen sind. daß er bishrr aus ihr ein Mittel, in .Medium, ein "Weil)"
Zum mindesten brauchen sie immer eine chutzwehr, einen gemacht hatte, das schiech terdings Pines Zweckes, eines
Rückhalt, einr b r eits begründete Autoritä t: die Künst- Mann bedürfe, um zu gedeihn - nämlich des Drama !
ler ich n 1lie für sieb, das AlleinsLehn geht wider .ihre Er ]) g riff mit Einem Mal e, daß mit der Schopenha uc-
tiefsten Instinkte. o nahm zum B ispiel Richard Wag- rischen T h orie und euerung mehr zu ma chen sei in
ner drn Philo ophen 'chopenhau r, als "die Zeit gekom- mRjor em musicae gloriam, - näm lich mit der Sou v -
men war", zu seinem Vordermann , zu seiner ehutzwe1lr: r ilniLät der Musik, so wie sie chopenhauer begriff:
- wer möchLe es auch nur für denkbar halten, daß er die Musik abseits gestellt gegen alle übrigen Künste, die
den Mut zu einem asketischen Ideal g habt hätte, ohne unabhängige Kun st an sich, ni c ht, wie diese, Abbilder
den Rückhalt, den ihm die Philo ophie cbopcnhauer der Ph änomenalität bietend, vielmehr di e Sprache des
bot, ohn e die in den siebziger Jahren in Europa. zum Willens selbst r edend, unmittelbar aus dem "Abgrunde"
Über gewicht gelangend utoritäi chopenb auers? heraus , als dessen eigcnste, ursprünglichste, unabgelei- \
(dabei noch nicht in Anschlag gebracht, ob im neuen telstc Offenbarung. fit dieser außerordentlichen W crt-
Deut chland ein Künstler ohne die Milch frommer , reichs- steigerung der fusik , wie si aus der chopenhauerischcn
frommer Denkungsart üb rhaupt mögl ich gewesen wäre). Philosophie zu rrwach en schien, stieg mit Einem Male
nd damit sind wir bei der ernsthafteren Frage ange- auch der Mu ikc r elbst unerh ört im Preise : er wurde
langt: was bedeutet es, wenn ein wir klicher Phi losoph nunm"hr ein Orakel, ein Prie ter, ja mehr als ein Prir-
dem ask tischen Id ale huldigt, ein wirklich auf sich ge- ster, eine Art Mun dstück des .,An-sich" der Dinge, ein
sLellter Geist wie chopenhauer, ein fann und Ri tter Telephon de J en eits, - er redet,e fürderhin n icht nur
mit erz nem Blick, der den Mut zu sich selber hat, der Musik, diesrr Bauchredner ..-oltcs, - er redete cta-;
al lein zu stchn weiß und nicht erst auf Vordermänner phy ik: was Wunder, daß er ndlich eines Tages a k e-
und höher e Winke wartet? - Erwägen wir hier ofort tische Ideale r edete? ...
die mer kwürdige und fü r manche rt f ensch selbst fas-
zinier ende tellung chop cnhauers zur K u nst : denn sie 6
ist es er sichtlich gewesen, um derentwillen z un äc h s t chopenhaucr hat ich die Kautische Fass ung des
R ichard W agner zu Schopcnha uern übert rat (überredet ä t hetisch en Problems zunutze gemacht, - obwohl er
ß42 Zur Oent>nlogie der 1\Ioral WnR bedeuten nskelischP lde3le? 343
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es ganz gewiß nicht mit Kantischen Augen ang schaut lnlcrcsse" anschauen könne, so darf man wohl ein wenig
hat. Kant gedachte der Kun t eine Ehre zu erweisen, auf ihre Unkosten lachen: - die Erfahrungen der
als er unt.('r den Prädikaten drs chönen diejenigen be- I ü n tl er sind in bczug auf die cn heilden Punkt "in tcr
vorzugte und in den Vordergrund stellte, welche die Ehr Pssanter ", und Pygmalion war jedenfalls nicht notwen-
d r Erkenntnis ausmachen: Unpersönlichkeit und All- dig ein "unäsLhPtischer 1ensch". D enken wir um so bes-
gemeingültigkeit. Ob dies nicht in der H auptsache eiQ ser von der Unschuld unsr r Ästhetiker, welche sich in
F ehl griff war, ist hier nicht a.m rie zu verhandeln; solchen Argumenten spiegelt, rechnen wir es zum Bei-
was ich allein unierstreichen will, i t, daß K ant, gleich spiel Kan ten zu Ehren an was er über das Eigentümliche
allen Phil osophen, statt von den Erfahrunge n des Künst- des Tastsinn s mit landpfarrcrmiißiger aivitiit zu lehrrn
lers (dr Schaff nden) aus das ästhetische Pl'oblem zu weiß!- nd hi r kommen wir auf Scl10penhauer zurüch,
1vi ier cn, allein vom " Zuschau r" alts über die Kunst und der in ganz anderem Maße als Yant den Künsten nahe-
das chön nachgedacht und dabei unvermerkt den "Zu- stand und doch nicht aus dem Bann der Kautischen D e-
schauer" sel bc1· in den Begriff "schön" hinein bekommen finition her ausgekommen ist: wie kam das? D er rn-
hat. Wäre aber wenigstens nur dieser " Zuschau er" den stand ist wunderlich genug : das Wort "ohn e In ter sse"
Philosophen des Schönen ausreichend bekannt g wesen! interpretier te er sich in der all erpersönlichsten W eise,
- nämlich als eine groß p er sön li ch e Ta tsache und aus einer Erfahrung hrraus, die bei ihm zu den regel-
Erfahrung, als eine Fülle eigensier starker Erlebnis e, mäßigsten gehört ha.b n muß. über wenig Dinge redet
Begi rden, üb rra.schungen, Entzückungen auf dem Gc- ehopenhauer so sicher wie über die Wirkung d r ästhe-
bieto des Schönen! Aber das Gegenteil war, wie ich tischen Kontemplation: er sagt ilu· nach, daß sie gerade
für chte, imm er der F all: und so bekommen wir denn von der geschlechtlichen "Interessiertheit" entgegenwirke,
ihnen glrich von Anfang an Definition n, in denen, wie ähnlich al so wie Lupulin u nd Kampfer; er ist nie müde
in jener berühm ten Definition, die Ka.nt vom Schönen geworden, dieses Loskomm en vom "Willen" als den
gibt, der Mangel an fein er er elbst-Erfahrung in Gestal großen Vorzug und utzen des ästhetischen Zustandes
ein s dicken \Vurms von Gru ndirrtum sitzt. " chön ist zu verherrlichen. Ja man möchte v rsueht sein zu fragen,
hat Kant gesagt, was ohne Intere sc gefällt." Ohne ob nicht seine Grundkonz ption von "\\ illen und Vor-
Inter esse. Man vergleiche mit dieser Defini tion jene stellung" der Gedanke, daß s eine Erlösung vom "Wil-
ander e, die ein wirldichrr "Zuschauer" und Artist ge- len" einzig durch die "Vorstellung" geben könne, aus
macht hat, - Stendhal , der das chöne einmal une pro- ein er Verallgemeinerung jener exua l-Erfahrung ihren
rnesse de bonh ur nennt. Hier ist jedenfalls gerade das rsprung genommen habe. (Bei allen Fragen i.n betreff
a b gele hnt und ausgestricl1en, was Kant allein am der chopenhauerischen Philosophie ist, an bei bemerkt,
äs hetischcn Zustande hervorhebt: le desinteressement. niemals außer acht zu las en, daß si die Konzep tion
W er h at r echt, K aut oder trndhal? - Wenn freilich eines sechsundzwanzigjährig n Jünglings ist; so daß sie
unsre ·· sihetikcr nicht müde werden , zugunsten Kants nicht nur an dem pezifischen chopenhauers, sondern
in die Wag chalc zu werfen, daß man unter dem Zauber auch an dem Spezifi chcn jener J ahreszeit des Lebens
der Schönheit sogar gewandlose w ibliche Statuen "ohne Anteil hat.) H ör en wir zum Beispiel eine der ausdrück-
wn. b' deuten asketi ~be IdcuiE>> 341-1

vor sich selber; ine cheu vor Lärm, Verehrung, Zei-


tung, Einfluß; ein kleines Amt, in lllag, etwas das
mehr verbirgt, als an Licht stellt; ein Umgang ge-
legentlich mit harmlosem lH'it ·rcm Getier und Geflügel,
dessen Anblick erholt; ein cbirge zur Gesellschaft, aber
kein totes, 'ins mit Augen (das heißt mit een); unter
Um tiinden s lb t ein Zimmer in einem vollen Allerwelts-
Gastho.f, wo man sicher ist, verwechselt zu wrrden, und
ungestraft illi t jedermann reden kann, - das ist hie1·
" Wüste": o sie ist einsam genug, glaubt es mir I Weru1
Her aklit sich in die Freihöfe und Säulengänge des unge-
heuren Artemi tempels zurückzog, so war diese "Wüste"
wür diger, ich gebe es zu: weshalb fehlen uns solch•
Tempel ? (- sie feh lrn un vielleicht n i h t: eben gedenkt'
.ich meines schönsten Studi rzimmers, der piazza di a:u
Mar co, Frühling vorausgesetzt, insgleichen Vormittag,
die Zeit zwischen 10 und 12). Das aber, dem Heraklit
' auswi eh, ist das gleiche noch, dem wir jetzt a us dem
W ege gehn: der Lärm und das Demokraten-Geschwätz
der Ephesi r, ihr Politik, ihre euigkeilen vom "R eich"
(Persien, man versteht mich), ih r Ma.rkl-Kram von
"H eute", - denn wir Philosophen brauch n zu allererst
vor Einem Ruhe: vor allem "Heute". Wir verehren da
tille, das Kalte, das Vornehme, das Ferne, das Ver-
gangne, jegliches über haupt, bei dessen Aspekt die Seele
sich nicht z u verteidigen un d zuzuschnüren hat, - etwas,
mit dem man r eden karul, ohne l aut zu reden. Man hör e
doch nur auf den K lang, den ein G ist hat, wenn er redet:
jeder Geis t hat seinen Klang, liebt seinen K lang. D as
dor t zum Beispiel muß wohl ein Agitator sein, will sagen
ein H ohlkopf, Hohltopf : was auch nur in ihn hineingeh t,
jeglich Ding kommt dumpf und dick aus ihm zur ück,
beschwer t mit dem Echo der großen Leere. J ener dort
spricht sel ten anders als heiser: hat er ich vielleich t
heiser ge da c ht ? D as wär e möglich -man fr age di
350 Zur Genealogie c.ler Moral Was bedeuten oek tisch e Ic.leale? 351
Physiologen - , aber wer in Worten denk t, denkt als weil es ihr oberster H err so von ihnen verlangt, klug und
Redner und nicht als Denker (es verrä.t, daß er im Grunde une r bittlich verlangt: als welcher nur für Eins inu hat
nicht 'achen, nicht sachlich denkt, sondern nur in Hin- und alles, Zeit, Kraft, Liebe, Interesse nur dafür sammelt,
sicht auf Sachen, daß er eigentlich sich und seine Zu- uur dafür aufspart. Diese Art Mensch liebt es nichl,
hörer denkt). Dieser Dritte da redet aufdringlich, durch Feindschaften ges'tört zu werden, auch durch
er tritt zu nahe uns an den Leib, sein Atem haucht uns Freundschaften nicht; sie vergißt oder verachtet leicht.
an, - unwillkürlich schließen wir den Mund, obwohl Es dünkt ihr ein schl chtcr Geschmack, den Märtyrer zu
es ein Buch ist, durch das er zu uns spricht: der Klang machen; "für die Wahrheit zu l eiden" - das über-
seines Stils sagt den Grund davon, - daß er keine Z eit läßt sie den Ehrgeizigen und Bühnl' nhelden des Geistes
hat, daß er schlecht an sich selber glaubt, daß er· heu te und wer sonst Zeit genug dazu hat (- sie selbst, die
oder niemals mehr zu \Vorte kommt. Ein Geist aber, der Phi losophen, haben etwas für die Wahrheit zu tun). Sie
seiner selbst gewiß ist, r edet leise; er sucht die Verborgen- mac hen einen sparsamen Verbrauch von großen Worle11;
heit, er läßt auf sich warten. 1au erkennt einen Philo- man sagt, daß ihnen selbst das Wort "Wahrheit" wider-
sophen daran, daß er drei glänzenden und lauten Dingen s tehe : es klinge g roßtuerisch ... Was endlich die "Keusch-
aus dem Wege geht, dem Ruhme, den ]'ürsten und den heil" der Philosop hen anbelangt, so hat diese A r t
F r auen: womit nicht gesagt ist, daß sie nicht zu ihm Geist ih r e Fruchtbarke i t ersichtlich wo anders als in
k ämen . E r scheut allzu helles Licht: deshal b scheu t er Kinder n ; vielleicht wo anders auch das Fortleben ihres
seine Zei t und deren "'l'ag". Darin ist er wie ein chat- Namens, i hre k leine nsterblichkeit (noch u nbescheidner
ten: je mehr i hm die Sonne sink.t, um so größer wi rd er. drückte man sich im alten l ndien unter Philosophen aus:
W as seine "Demut" angeht, so vertr ägt er, wie er das "wozu Nachkommenschaft dem, dessen Seele die Welt
Dunkel verträgt, auch eine gewisse Ab hängigkeit u nd ist?") . Darin ist nichts von Keuschheit aus irgend einem
Verdunkel ung: mehl' noch, er fürchtet sich vor der Stö- asketischen Skrupel u nd Sinnenhaß, so wenig es Keusch-
ru ng durch Blitze, er schreckt vor der Ungeschütztheii heit ist, wenn ein Athlet oder Jockei sich de r Weiber
eines allzu isolierten und pr eisgegebnen Baums zurück, enthält : so will es vielmeh r, zum mindesten fü r die
an dem jedes sch lechte Wetter seine Laune, jede Laune Zeiten der großen eh wangerschaft, ihr dom inierender
ih r sch lechtes W etter ausläßt. Sein "mütterlicher" In- I nsti nkt. J eder A r ti t weiß, wie schädlich i n Z uständen
stinkt, die geheime Liebe zu dem, was in ihm wächs t, großer geistige r Spann ung und Vorbereit ung der Bei-
weist ihn auf Lagen hi n, wo man es ihm abnimmt, a n schl af wi rkt ; für die mäch tigsten und instinktsichersten
si ch zu denken; in gleichem innc, wie der I nstinkt der unte r i hnen gehört da.z u nicht ers t die Erfahru ng, die
.Mu tte r im Wei be die ab hangige Lage des W ei be ü ber- chlimme E r fa hru ng, - sondern eben i hr " mü tterlicher "
hau p t bisher fes tgeh al ten h a t. i e verlangen zuletzt wen ig In linkt ist es, der hier zu m Vor teil des werdenden
gen ug, diese P hilosophen, i hr Wahlspruch ist "wer be- W er kes rück ich tslos ü her alle so nstigen Vorräte und
sitzt, wird besessen" - : n i c h t, wie ich wieder und wie- Zu schüsse von K r aft, von vigo r des animalen Lebens
der sagen muß, aus einer Tugend, a us einem verdienst- verf ügt : die größere K raft ve r b r auc h t dan n di e klei-
lichen Willen zur Genügsamkei t und Ein falt, sondern nere. - Man lege sich ü brigens den oben besprachneu
Wn b e d e u t e n u s k e t i s c h o I d e u 1e Y j55

Pin Frevel, eine Neueru uo- ; s trat mit Gewal t au f, a l s


Uewalt, der man ich n ur mit 'cham vor ich lb r·
füg te. .J cd r klein te chri L a uf d r Erde i L ehedem
mi t g i Ligen lllld k ür pe rliehen f a rtl· rn ers trillen wor-
den: di r r gan ze 'esichispunkL, " da ß nicht nur das Vor-
wiirl chrcit cn, 11 in ! das 'chrciltu, di B w g ung, clie
V r il ndl'run g ihr u nzä hlig n Miid y rr r nötig gehabt
hat" , klin L g radc heule un s so fr emd , - ich habe ihn
in d r "Mot·ge nrüte" . 2fi ff . an · Licht ges fdlL. " iehls
i t t eurct· r rkaufL, heißt e das lbsL . 27 , als das W enigr
von m'Jl S hlich r V rnunfL und vom Ge fühle der J!'rei-
heit, was jl' tzt un crn tolz au smacht. iC' r tolz aber
ist es d sscnLwegr n uns jetzt fas t unm ög lich wird,
mit jenen unge heuren Zeitstrecken der , 'iLtlichkei L der
itl ' zu mpfindcn, welche der ,WclLge chichte' vor-
a.u.lieg n, als die wirkliche und entscheidende Haupt-
ge. chichtr , wel he d n harakter d r Menschheit fe. tge-
stcllL hat: wo da · Leidon al Tug nd, di rausamkeit
a ls 'l'u g nrl, di V r · llung als 'fug nd, di I n,ch al s
'l'u g n l di Verleug nung der Vernunft a ls 'Pttg nd, da-
g g('Jl das W ohlb finden al ,. fahr , die Wißb gi rrd -
al 'cfahr , der Friede al cfahr, da.. Mitleid n al Gr-
fahr , da. ß mitleidetwerden al ehimpf, di Arbeit al
'chimpf, d r \Ya.hnsinn al. öWich I· it, die V r än d -
rung al da ns ittlichc und ~ rdr rbr n. chw angere an /
ichübernllin r l!ung war! " - /

10

In. dem elbcn Buch .47 is au cin and rgc tzt, in wel·
eher chä zung unter welchem Druck von 'chiiLzllllg
das älteste eschleeht kontemplativer Menschen zu leben
hatte, - gcnau o weit v rachtet, als es nicht geftirohlet
wurde! Die Kon te mplation ist in v rmummter Ge tal
in einem zweideutigen An ehn , mit einem bö n H erzen
und oft mit inem geäng iigten t opfe zuerst auf der
23
Was b d uten a slcetio cbe Id aleV 357

dem Philosophen al Erscheinungsform, als Exi tenz-Vor-


au setzun.,. gedient, - r mußte es darstellen, um
Philosoph sein zu können, er mußte an dasselbe glau-
b en um es dar ·teilen zu können. Die eigentümlich weH-
verneinende, leben feindliche, inn en- ungläubige, ent-
sinnlieh te Abscits-Ilaliung der Philosoph n, w elche bis
auf die neuesie Zeit festgehalten worden ist und damit
beinahe als Philosoph e n- ttitüd a n sich Geltung
gewonnCJl h:Lt, - sie ist vor allem eine Folge des Not-
standes von B dingungcn , unt r denen Philosophie über-
haupt ent iand und bestand: inS()fcrn nämlich die längste
Zeit Philosophie auf Erden gar nicht möglich gewesen
wär e ohn eine a ·keti ehe Hülle und Einkleidung, ohne
ein a k ti eh s lbst-Mißvcr ständnis. Anschaulich und
augenscheinlich ausgedrückt: der a sk e tische Priester
hat bis auf die neu sie Zeit die widrige und düslre Rau-
penform ab rgeb n, unter der allein die Philosophie leben
durfte und herum schli ch ... H at sich das wirklich ver-
ä nd rt? I l das bunte und gefährlich e Flügcltier, jener
"Geist", den die e Raupe in si h barg, wirklich, dank
einer sonniger n, wärm ren, aufgeheliieren W elt, zuletzt
doch noch cutkuttet und ins Licht hinau gelassen wor-
den? I st heule schon genug tolz, Wagnis, Tapferkeit,
elbsi.,.ewißh iL, Wille des eiste , Wille zur Verant-
worllichkeit, Fr eih eit d es vVill cns vorhanden , daß
wirklich nunm ehr auf Erden "der Philo op h" - mög-
lich i t? ...
II

.Jetzt erst, nachdem wir d n :1sketiscllen Priester


in icht bekomm en haben, rü cken wir un sr em Probleme:
was bedcu t das asketische Id al? ernsthaft auf den
Leib, - jetzt er t wird es "Ern t": wir haben nunmehr
den eigenllichen R epr äs ent nl cn d es Erns e über-
haupt uns gegenüber. , Was bedeutet aller E~st?" -
diese noch grundsätzlichere F1·a.,.e legt sich vielleicht hier
359

man mit. ihm gehe, er erzwingt, wo r kann, seine W er-


tung des Da ein. W a bed ute das? Eine olche unge-
heuerlich W criungswci e leht. ni ht al· Au nahmefall
und Kuri um in die Ge ·chichtc des Men chen einge-
schrieben: ·i isl ine der br il len und längsten Tat-
sac hen, die e: ibt. Von einem fern n Ges tirn aus ge-
1 sen, würde vicll icht di Maj uskel- chrift. unsres Erden-
Daseins zu d 'lrt 'chluß verführen, die Erde sei der
ig nilich ask t.i ·e h rn , ein Wink 1 mißv rgnüg-
lcr, hochmütiger und widrig r schöpfr, die einen tiefen
Vcrdruß an sic h, an der Erd , an allem Leben gar nicht
loswürden und ·i h lbcr so viel w he täten als möglich,
aus Ver gn ügen am We he-tun: - wa hr ·chcinlich ihrem
einzigen Vcrgn üg n. Erwägen wird eh, wie r gclmäßig,
wie allgemein , wie fast zu allen Zeiten der a ·keti ehe
Pries er in di Erscheinung t ri tt; er ge hör keiner in-
zc ln n R a ··c an; r g edeiht üb r a ll ; r wiic hst aus allen
'Länden heraus. icht daß r etwa ·eine W ertun · wei ·c
durch Vcr ~ rbun g züchtet und w ilcrpflan zte: das gen-
teil i ·l drr Fall, - in tiefer J nstinld v rbiclet ihm viel -
mehr, in. ' roßc gcr chnet., die F orl! flanzung. E muß
eine N ez si äi er sten R angs ein, w lch die e l e b c n s-
feindlich p zie · imm er wi eder wach ·en und g dcihen
macht,- muß wohl ein Int er sc des L eb nsselb t
ein , daß ein olch r Typ us des •ll)s wider pruchs nich
aus tirbt. Denn in a Iretische · L ben is
spruch: hi r herr cht ein R e cntiment sond rgl ichen,
das in un g ü t i ·t n In tinkL s m1d Mac h willens, der
H n wcrd n möch te, nicht üb r Lwa am L eben, sond rn
über da L eben lbst, üb r dc sen tief tc, s ärk te,
uut r te Bedin"'ung n; hier wird ein V r uch gemacht,
tli Kraft zu gebrauchen, um di Qu ll en d r I ra.f zu
ver topfen; hi r richt t ich dr r Bli ck gr ün und hämi eh
gegen das phy. iologi ehe ed ihen elbst, in onderhei
rregcn d 'Sf' ll Ausdruck , di chön heit, die Fr udc; wäh- l
r

360 Zur Ge n ea l ogie de r Mo r a l W as bedeu t n asketisch I dea l e? 361


ren d am Mißr ate n, V rkümm rn, am chmcr z, am nfall, gi b t ein R eich d r W ahrheit und des eins, ab r grade
a.m H äßlichen , an der w illkü rl ichen Einbuße, an der die Vernu nft i t davon ausgesch l os en !" ... (An bei
En tsel bstung, clbsl.gßißclung, elbsLopferung ein W ohl- ge- agt: sel b t noc h in dem Yantischen B gri ff "intell i-
geiall en mpfunden und gc u c h t wird. Dies ist alles gibler harald.cr der Di nge" i t etwa von die er l üster-
im höch ten Grade par adox: wir stehen hi er vor einer nen A sk ten-Zwi pältigkeit rückständig, welche Ver-
Zwiespälli "'keiL, die sich sel bs t zwie pältig will , welche nunft geg en Vernunft zu kehren liebt : "intelligibler
ich selbst in diesem Leiden e ni eß t und in dem Maße har akter " bedeu te t nämlich bei K an t eine ri Beschaf-
sogar imm r sel bstg wiss r und triumphier ender wird, al fenheit der Dinge, von der der In tellekt gerade so viel
ihre eig ne Vorau setzung, die physiologische Lebensfähig- begr eift, daß i für den I n t llekt- ga nz und ga r un ·
k eit, a bnimmt. " Der Triumph gerade in der letzten beg r ei fli ch ist.) - ien wir zuletzt, gerade als Er-
goni e" : unter diesem supcrl aiivi ·chcn Zeichen k ämpfte kennende, nich t undank bar geg n olche r e olu ie m-
von jeher das askcti ehe Ideal; in die cm R ätsel von k ehrungen der g wohnten P er pektiven und W ertungen,
Verführu ng, in di scm Bilde vo n Entzück en und Qual mit denen der eist allzulange cheinbar fr eventlich und
erkannte es sein hellstes L icht, sein Heil, seinen endlich n nutzlos geg en sich el b t gewüt t hat : derges talt einmal
ieg. ru x, nux, lux - das gehört bei ihm in Eins. - ander sehn , ander s hn-wo ll n i t keine klein e Zucht
und Vorber eitung des I niell ck ts zu se iner einstmalig n
12
.,Obj ektivität ", - let ztrr e nicht als "in ier esselo An-
ese tzt, daß ein solcher leibhafter Wille zur K ontra- sch auun g" v r tauden (a ls welche in n begriff und
diktion und Widern atur da zu gebracht wird, zu phi - Wid er sinn ist), sondern als das Vermögen, sein Für und
losophier en: woran wird er ein innerlichsie Willkitr Wid er in d er e wal t zu h a b en und aus- und ein zu-
auslassen ? An dem, was am all rsichcrs ten als wahr, al s hängen: so daß man sich gerade die V cr sc hi e d enl1 ii
r eal empfunden wird: er wird den Irrtum gerade dort der P r spektivcn un d d r Affekt-In Lerpreta.tionen fü r die
suchen, wo der eigentliche Lebens-In Linkt die ·Wahr- Erkcnntni · nutzba.r zu machen weiß. Hliien wir uns
heit am unbcdingtesten an etzt. Er wird zum Beispiel, nämlich , mein H errn Philosoph n, von nun an besser vor
wie s die A ket en der V dania-Philo ophic taten, die der gef ährlicl1en al ten B griffs-Fabelei, welche ein " rei-
Leiblichkeit zur Illu ion her ab etzen, den hm erz ins- nes, willenlo es, schm er zloses, zeitloses ub jek t der Er-
g leichen, die Vielhei t, den ga nzen Begriff ·- egensatz kennini " angesetzt ha t, hüten wir un vor den Fang-
" u bj ekt" und "Obj ekt" - Irr tüm er, nichts als Irr- armen solcher kon tradik Lori chen B griff e wie " reine Ver-
tümer I einem I ch den ·-laubcn ver ·agcn, sich selb 'r nunft", "absolute C+cis li gkeit", "Erkenn tnis a n sich" ;
seine "Realität " vern inen - w lchcr 'Iriumph ! - schon - hier wird imm er ein Auge zu denken verlan t, das
nicht mehr bloß über die iu ne, ü ber den Augenschein, ga.r nicht g edacht werden kann , ein uge, das durchaus
in e viel höher Art Triumph, ein e Verg waltigung und k ein e Rich tung habe n so ll bei dem die al<iiven und
rausamkeit an der V ernunf : als welche W ollu t da- in terpretier enden l r äfic un i rbundcn sein sollen f ehl en
mit auf den Gipfel kommt, daß die asketische elbstver- sollen, durch die doch ehen r t ein E t was-sehen wird,
ac htu ng, el b tverhöhnu ng d r V rnunft dekretier t : s hier wird al o immer in Wider inn und Unb g riff vom
Zur Gcncn l o~:• d r Mo ral Wa s bedeuten ask tiscbe ld enle? 363
uge verlangt. Es gibt nur ein p€'r peldivi hes hen, die Geschichte e lehrt, übet· den Menschen walten und
nur ein pcr pcklivisch "Erk nucu " ; und. je mehr mäch ig werden konnte, in. onderheit überall dort, wo
Aff ktc wir über eine ache zu Worte kommen lasen, je die Zi vili ation und Zähmung dc.- l •nschcn durchgcsetz
m h r Au g u, ver ·chiednc Augen wir un f ür dieselbe wurde, darin drückt sich eine "'roßc 'l'alsachc au ·: die
'a.c he einzusetzen wi cn, um so vollständi er wird un r Kr n.nk h aftigkeit im bi herigcn Typu s d s f cn chcn,
"Beg riff " diese r ach , un -r " bjcktivi ät" sein. D n zum minde ten des zahm gelllach t€'n Menschen, das physio-
Willen aber üb rhaupt elim inier n di e Affekte samt und logische Rin g n des Mensc hen mit dem Tod (gcnauet·:
son<.lcr s au häng n, g ·e tzt, daß wir clic verm öc hte n : mit dem Dbcrclru ·sc am Leb n, mit der Brmüdung, mit
wie? l1i€'ßo da. · nich <.In Tut ll kt ka s tri r e n ? ... dem Wu nsche nach dem "Ende"). D r asketisc he Pri slcr
ist d r fleischgewordne Wunsch nach einem uder · · iu ,
'3 And erswo-sei n, und zwa.1· der höchste rad di ·es Wuu-
Aber k hren wir zurück. Bin ·o l •her 'lbstwider· ·ches, dPsscn eig ntliche Inbrun st und L eidenschaft: aber
ru ch, wi e er ·ich im sketcn Ua.l'ZU!:ltellen . cheint, " Le · ben cli M ac h t s in s W ün ·eh ns ist die F ess l , die ihn
en g g n Leben" i ·t - so viel lien-t zun t~c hst auf der hi r anbindet; ebe n damit wird er zum W erk zeug, das
IIand - , physiologi eh und nicht m hr psychologisch uaran arbeiten muß, g ün tigc r Bedingungen für clas
n:tehgcr echnet, einfac h n ·iun. Er kan n nur sc h e in bar Hi er -sein und Mensch-sein zu schaff n, -eben mit die· r
sein; r muß eine Art vorläufigr n Ausdru cks, eine Aus· Ma cht hält er di gaJJZc H erde der Mißrat ncn, Ver·
leg ung, F orm l, Zurcc htmachun g, in psycholog i eh s stimmten, chlechtw g"' kommncn, Verung lü ck t n, An·
[ißv r ständnis von twas sein , d s: en eigentliche Natur ·ich-L eidend n j dl'r Art am Dasein fest, in<.lem r ihuell
lauge ni cht verstanden, bngc nicht an ·i c h bezeichn t in tinkliv als Hir t vomu geht. Man ver ·teh mich b ·
werd n ko11ntc , - in bloß s 'Wort, ein gckl nuut in eine r eit : dieser ask tischc Priester , dieser an cheincuclc F ind
alte Lü ck e d r m •uschlichcn Erkenntni s. nd daß ich d s L bcn . cli ·er\ e rnein n<.l , - e r ". racl gehör zu
kurz den 'l'atbc.-tand dagcg n stelle : das a. ketisch doll ganz g roßen k on ·e rvi er ell den und J' a-sc h a,ff n ·
Id ca l n t prin g t d m chu tz · u ud H il -In tink c <.l cn cwaltcn des Leb ns ... Woran sie hä ng t, j nc
e in es d eg n eri cr e ndnL b ns, wC'lche:sichmitallcn I"rankhafiigkcit? D enn der l\Jcn eh ist kränker, un·
'Mil cl n zu h alten such · und um ein Dasein kämpft; c. sicher r , w chsclnd r , un fe t,.,.cst llter al irgen d in 'Ii r
d ut t a uf ein partielle physiologi · hc H emmung und ·ons t , dar an ist k ein Zweifel, - r ist da . kranke Ti r:
Ermüdung hin, g rgen w lche cli iief ·t en, intakt g blic- woh r kommt das ? ich rlich ha er auch mehr g •wagt,
bcncn Iu tink de · L eb n. una.u g etzt mit ncuen Mi · ,.,.en u rt, getrotzt, das chicksal hcr ausgeford r als all
ln und ErfiJ1dungcn an kämpf n. Da. a ·k tisehc Ideal übrigen Tiere zu ammrn genommen : er , d r gr ß Ex· \
i t in Ölchc Mi t l: st ht als gcr ad umgekehrt. p rimentator mit . ich, der nbefriedig te, ug ättigt ,
al · es die Ver ehrer di e es Jd al. · m in n, - da · Leben der um die 1 iztc R err ·cha f mi Ti r, Na ur u nd •ötl rn
ringt in ihm und durch da €'lb mit dl'm Tode und g gen ringt, - er, der imm r noch n b zwun ne, d r wi -Zu·
den 'I od, da a ·k ische I deal is in Kun . tgri ff in der künfLi "'e, der vor sein r ignen drängend 11 Kraft keine
Erhaltun g des L eben . Da ß das l br in dem Maß e, wie Ruhe mehr find t,. o <.la ß ihm eine Zukunft uu rbiWich
361 Zur Gen alogic der Mornl Was bedeuten nsk~Lisrhp ltl rnl Y 3fi5
wie ein porn im Fleische jrder Gegenwart wühlt:- wie würde un n rmeidlich sofor t etwas vom Unh imlichsten
sollte ein solches mutiges und r eiches Ti er nicht auch zur W elt kommen, der ,.I tztc W ille'' des :Mcn chen, sein
das am meisten gefährd tc, das am längsten und ti efsten Wille zum ichis, d1-r Nihilismus. lind in d •r 'I at: hierzu
kranke unter allen kranken Tieren sein? .. . Der Mensch ist viel vorbereitet. \V r nicht nur seine a.se zum Rie-
hat es satt, oft genug, es gibt ganze Epidemien dieses ch n hal, ond rn auch eine Aug n trnd hr •n, dPr SlJiirl
atlhabens (- so um 134 herum, zur Zeit des Toten- fast überall, wohin r heule auch nur iritt, et wa wie
tanzes): aber selbst noch dieser Ekel, diese Müdigkeit, Irr-enhaus-, wi Kranken haus-Luft, - ich r ede, wie bil-
dieser Verdruß an sich elbst - alles tritt an ihm so lig, von den Kulturgcbi t cn des Menschen, von jeder Art
mächtig heraus, daß es sofort wied r zu einer neuen Fes- ,,Europa", das es nachger ade auf Erden gibt. Die Krank-
sel wird. ein Nein, da.s er zum L eben spricht, bringt wie haft e n sind des Menschen gr oß Gefahr: nicht die
durch einen Zauber eine Fülle zarterer J a's ans Licht; .Bösen, nicht die "Raubtiere". Die von vornherein Ver-
ja wenn er sich verwundet , dieser feister der Zerstö- unglückten, icdcrgcwor fnen, Zer brochnen - sie sind
rung, elbstz r Lörung, - hinterd rein ist es die Wunde es, die chwächsten sind es, welche am meisten das
elb i, die ihn zwingt, zu l eben ... Leben unter Menschen unterminier n, welche unser Ver-
trauen zum L eben, zum Mensch n, zu uns am gefähr-
14 lichsten ver g iften und in Frage stellen. W o entginge
.Je normaler die Krankhafiigkeit am Mcn chen ist man ihm, jen m verhängten Blick, von dem man eine
- und wir können diese Normalität ni r:ht in Abrede Liefe Trau rigk eit mit fortträgt, jcn m zurückgewendeten
stellen - , um so höher sollte man die seltnen Fälle der l3lick des Mißgeborn en von Anbeginn, der es verrät, wi
·eeli sch-leibliehen Jächtigkeit, die Glücksfiille des ein solcher M cnsch zu sich sclb r pricht, - jenem Blick,
1ensch •n in Ehren halten, um so sirenger die W ohlgc- der ein cufzer i. t I "Möchte ich irgend jemand And r s
ratenrn vor d r schlechtesten Luft, der Kranken-Luft, sein! so seufzt dieser Blick: aber da ist keine Hoffnung.
behüten. 'Iut man das? ... Die Kranken sind die größte Ich bin, der ich bin : wie k ii.me ich von mir selber lo i'
Gefahr für die sunden; nicht von den tärkste u nd doch - habe ich mich sattl" . . . uf solch m
kommt das nheil für die tarke n, sonde rn von den Bod n der elbstverachtuug, einem eigentlichen umpf-
chwächstcn. W eiß man das? ... In Groß ger echnet, boden, wäch st j •des nkrau t, jed s ifigc wächs, und
ist es durchaus nicht di Furcht vor dem Menschen deren ::Jle so kl in , so versteckt, so unehrlich, so süßlich.
Verminderun g man wünschen dürfte: d n diese Furcht Hier wimm ln rlie Würm r d(• r Ra.ch- und achgefühle;
;:wingt die tarken dazu , tark, unter m iändcn furcht- hier stinkt di Luft nac h H cimlichk iten und neing -
bar zu sein, - sie häli den wohlgeratenen 'l'ypus 1ensch . Ländlichkeilen; hier spinn L sich beständig das N etz der
aufrecht. Wa zu fürcht n "ist, was verhängnisvoll hö arligsien Ver chwörung, - der \ erschwörung drr
wirkt wie kein anderes Vcrhäno-ni , das wäre nicht die Leidenden g eg n die \Vohlgeratcnen und iegreichen , hier
große Furcht, .ondern der große Ek e l vor dem 1en- wird der Aspekt des iegrcichen gehaßt. nd welche
chen; insgleichen das große Mitleid mit dem Menschen. Verlogenheit, um diesrn Haß nicht als Haß einzugestehn!
Gesetzt, daß diese beiden eines Tags sich begatteten, so \Vel hrr Aufwand an g roßen \\' ort n und ltiiüd!•n,
Was bedeuten a ketiscb Ideal Y 367

die Gesund n führen, - wo fände er sich nicht, dieser


Wille gcra.cl der chwäch Leu zur Macht! Das krank
W ib in ondcrheit: niemand übertrifft e in Raffine·
mcnl , zu herrschen, zu drücken, zu tyrannisieren. Da
kranke W ib choni dazunicht LebcndigP·, nichlsTotes,
r. gräbt die begrabensten Dinge wieder auf (die Bogo ·
sng n: "clas Weib ist eine IIyän "). l an blicke in die
Hin Lergründc j d r Familie, jeder Körperschaft, jed<'s
'em inwcscn : überall der Kampf der Kranken gegen
die ' unden, - ein stiller Kampf zumeist mit klein n
Giftpul vern, mi i ra delsiichen, mit tücki ehern Duld r·
Mi ncn pi le, mituni r aber auch mit jenem Kranken·
Phari ä.ismus der lau i cn Gebärde, der am liebsten "di
dl Entrüstung" spi. li. Bis in die g weihten R ätune
der \\'i cnschaft hinein möchte e sich hörbar machen,
dar h iserc Enlrüsiungs-Oeb ll der krankhaft n Hunde,
lic bis ig Verlogen heit. und Wut solch r "edlen" Phari·
:äer (- i h erinner L es r, die Ohr n haben, nochmals a11
jenen B rlincr R ache· postel Eug n Dühring, d r im
heutigen D 11 chland den unanständig ten und wider-
lich sten ehr auch vom moralischen Bumbum macht: Dlili-
rin g, das er. l Moral-Großmaul das e j tzt gibt, selbst
noch unter sei nc gleichen, den An Li . cmil n). Das ind
alles 1ensch n des R es entiment, die e physiologisch\ r -
unglüclüen und Wurm stichigrn, ein ganzes zilicrnclcs
Erdreich untcrirdi eher Rache, un r chöpfli ch, unerRtiLt-
lich in u brüchen gegen die ' lü cklichcn und ebenso in
Maskel'n den der .Rac he, in Vorwänden zur Rache: wann
würd n sie eigentlich zu ihrem letz n, feinsten, sublim-
. Len Triumph der Rache komm n? D ann unzweifelhaft,
wenn s ihnen gelänge, ihr eignes Elend, all s Elend über·
hauptden lücklichen ins : wi sen zu schieben: o
daß diese sich eines Tarr. ihr ·· lü k zu schämen be-
gönnen und vielleicht untereina.nder sich sagten "es i t
r in e ha.n l , glücklieh zu <'in! gibt zu v i 1
n asketische ld enleY
36 Zur Genealogie der )!or a l
- - - - Wa s bedout
Elend!" ... Aber es könnte gar kein größeres und v r- aufgespart sein mögen, -gegen den großen Eke l am
hängni volleres Mißver ländni geben, al wenn dcrgl'- Mens ch! gegen das groß ~[iil c id mit de m Men-
stali di lücklichen, die Wohl er atcn n, die Mäch igen chen . . . .
an L eib und e le anfing n, an ihrem Hecht auf Glück 15
zu zweif ln. F ort mit dieser "verke hrten V{ H" ! Fort Hat man in aller Tiefe begriffen - und ich verlange,
mit die er schändlichen V cny ichlichung des · cf ühls! daß man hier gerade tief greift, tief begreift -, in-
Daß dte Kranken n i ch i die sund n krank mache11 wiefern es schlechterdings nieh t die Aufgabe der Ge-
- und dies wäre ine solche Vcrwcichlichung -, da.s sunden sein kann, Kranke zu warten, Kranke gesund zu
sollle doch der oberste G sichtspunkt auf Erden sein: machen, so ist damit auch eine Notwendigkeit mehr be-
- dazu aber g hört vor allen Dingen, daß die Gesunden griffen - die Totwendigkeit von Arzten und rankon-
von den Kranken abgetrennt bl iben, behütet selb L wiirlern, di es lb er kr ank sind: und nunmehr haben
vor dem Anblick der Kranken , daß sie sich nicht mit und halten wir den inn de a ketischen Prie ters mit
den Kranken verwechseln. Oder wäre es etwa ihre Auf- beiden Händen. D er a.skelische Priester muß uns als der
gabe, Krankenwärter oder Ärzte zu sein? .. . Aber ie vorherbes timm te H eiland, llirL und Anwalt der kranken
könn en ihr e Aufgabe gar nicht ·chlimmer verkenn n Herde gel ten : damit er L verstehen wir seine ungeheure
und verl ugnen , - da· H öh r e so ll .·ich nicht zum"' crk- hislorisehe Mission . Die H e rr sc ha ft üb e r L eidende
zrug des 1i dri eren h rabwürdi gen, da. P a tho der Di- ist sein Heich, auf sie weist ihn sein Instinkt an, in ihr
stanz so ll in all e Ewjgkeit au ch di Aufgaben au. ein - hat er seine eigensie Kunst, seine Meister chaft, seine
ander halten! Ihr Hecht, dazus in, das Vorrecht dm Art von Glück. Er muß selber krank sein, er muß den
Glocke mit vollem Klange vor der mißiönigen, zersprun- Kranken und Schlcchtweggckommncn von Grund aus ver-
r,enen, ist ja ein tausendfach größeres: si allein sind wandt sein, um sie zu vers tehen,- um sich mit ihnen zu
di e Bürgen der Zukunft, sie allein sind verpflichtet verstehen; aber er muß auch stark sein, mehr Herr noch
für die Menschen-Zukunft. Wa si e kö1men, wa.s sie sol- über sich als über andere, unverseh rt namentlich in sei-
len das dürften niemal s Kranke können und sollen: ab r nem \Villen zur Macht, damit r das Vertrauen und die
damit sie k önnen, was nur si e sollen, wi stünde e ihnen Furcht der Kranken hat, damit r ihnen Halt, Wider-
noch frei, den Arzt, den Trostbring r, den "Heiland" der stand, tützc, Zwang, Zu chtmeisler, Tyran n, Golt sein
KraJJken zu machen? . . . nd darum gu te Luf ! gute kan n. Er hat sie zu verteidigen, seine Herde - gegen
I Luft I nd weg j denfalls aus der ähe von allen Incn- wen ? Gegen die Ges unden, s ist kein Zweifel, auch gegen
und KraJJkenhäusern der Kultur! nd darum g ute Ge- den .r'ei d auf die Gesunden ; er muß der na türliche Wider-
.'ellschaft, unsre Gesellschaft! Oder Einsamkeit, w enn sacher und V er äch t r aller rohen stürmischen zü ".el-
sein muß! Aber weg jedenfalls von den üblen Düns ten losen, harten, gewalttät: g r au blierh~ftcn GesundheiL ~nd
der innewcndigen Verderbnis und des heimlichen Kran- .Mächtigkeit sein. Der .Prieste r i st die erste Form des
ken-Wurmfraßes I . .. Damit wir uns sei bst nämlich, d elikat er en 'licrs, das leichter noch verachtet als haßt.
meine Freunde, wenigstens eine Weile noch gegen die Es wird ihm nicht erspart bleiben, Krieg zu führ en mit
:~,w i r.hlimm ·ten euchen ver teidigen, die g rade fiir un .. den Haubtierc n, in n Krieg der Li st (des "Geisles") mehr
J 24
370 Zur Genealogie der ~lornl W as bedeut n ask et ische Id eale?
- --- 371
al der cwalt., wie ich von selbsL vtlr tehL, - er wird der Priester ist der R ich Lu n gs- V er iindc r e r de R _.
es da zu uniC'r m tä nden nötig huben, beinahe einen --;nliment. J eder L idende nämlich sucht in LinkL.iv zu
neuen RaubliPr-'l'ypus an sich heraus zubilden, minde- lllem L id eine rsache; genauer noch, einen 'l'äter,
stens zu bedeuten- eine neue Tier-Furchtbarkeit, in noch be limmter , ein en für Leid empfänglichen sc hul -
welcher det· Eisbär, die geschmeidige, kalte, abwartende dig en T äLC'r, - kurz irg nd tw Lebendige , an dem
'[ i"'erkatzc und nicht um wenig ten der Fuch zu einer er , C'in Hcki • tä !liC'h oder in ff.igie auf irgend ein en
eben ·o anziC'hen'd n als furc hteinflöß ndcn Einh it ge- . Vorwa nd hin entladen hllll: d•nn die AHekl-En!ladung
bunden schrinen. Gesetzt, daß die ot ihn zwingt, o isi, der größL ErleichLC'rung -, nümlieh B etäubung s-
tritt er dann wohl bärenhart-em t, ehrwürdig, klug, kalt, Ver such des Leidenden, sein unwillkürlich b ge hrte rar -
Lrügerisch-übt•rl gC'n , al H erol d und Iundstück geheim- koli kum <reg n Qual Ü !rend welcher Art. Hierin allein
nisvollerer '(•walten, milt nunter die und re A rt Raub- ist, mein C'r Vermutung nach, die wirkliche phy .io logisch
tier e lbst, C'nisc hl os ·en, :tuf die em Bod n L id, Zwie- rsäeh liehkeit des R e sentimen t, der R ache und ihrer
palt, elbstwidt•r prnch, wo er kann, auszusäen und, sei- Verwa ndtcn, zu finden, in in m Verlangen al o nach
ner Kun st nur zu gewiß, üb r Leid e nde jederzeit Herr Betä11 bung vou chmerz durch AI:fekt: - man
zu werden. Er bringt albnn und Haisam mit, e i l u ht di elbe gemeinhin , ·ehr irrtümlich, wie mich dünkt.
kein Zweifel; a.bC' r erst hat er nötig, zu verwund •n, um in dem D efens iv- 'egenschlag. ein r bloßen chutzmaß-
Arzt zu ein; ind ·m er dann den ohme rz stillt, den di reg 1 der R eaktion , r iner "Reflex b wegung" im .Falle
iVu nde macht, vergiftet r zugleich die Wund e - irgend C'iner plötzli chen chädigung und cfälndtlllg,
darauf vor allem nämlich ver teht er sich, diPser Za.u- von der Art, wie sie ein Fro eh ohn K opf noch vollzieh .
ber cr und R aubtier-Bü ndiger, in dc sen mkreis alle um eine ätzend ä urr loszuwerden. Aber di e Ver chie-
e undt• not wendig krank und alles Kranke no twendig denheil ist fundamental: im cinC'n Fall e wilL man
zahm wird. Er v r(f'idigt .in der Tat gut genug eine writer es Beschädigtwrrdeu hindern , im anderen Falle will
krank H rdt•, dir>s•·r eltsame Hirt, - er v rteidigL si man einen q uül ndPn, h im lieh n, un erträglich werdenden
auc h gegen s.ieh, gegrn cliP in der H rde selbst glim mende eluncrz durch eine h eftigere Emotio n irgend welcher Art
chlechti gkeiL T ücke, Böswil ligkeiL und was son. t allen betäub e n 1md für dPu ugenbli ck wenigstensau dem
üchtigen und Kranh n un Lere inander zu eigen ist, er Bewußt~ ein sc haff n, - dazu brauclli man inen Affekt.
kämpft klug, hart und heimlich mit der Ana.rchic und drr ein en mÖglich t wild n ff kt und, zu de. en Erregung,
jederzeit beginnenden elbstauflösuug innerhalb der clcn ersten besten Vorwand. "Irg nd jcma.ucl muß chuld
H erde, in welcher jener gefä hrlich ·tc prcng- und Ex- daran ein, daß ich mich ·chl cht bef inde," - di , e rt
plo.'iv. toff, das Re ·s ntiment, sich be ländig häuf zu ·chließcn i t allen Krankh n.fic n e.i"'en, und zwar j
und hiiuft. Diesen prcn<rsioff o zu entla.den, daß er mehr ihn en die wa.h re r ache ihres ich-sch1 eh t- befin-
nich die H erde und nicht den Hirten zer prengt, da· ist den , di(' phy iologischC', ''er borgen bleibt (- sie kann
sein cig nlliclws Kun lsiüek, auch seine ob r te Nützlich- eiwn. in iner Erkranlmng d s nervus sympat hi cus li ege n
k it; wolltr man den IV rt df'r prie,i.erlich n Exi ·lenz in od r in einer übermäßigen allen-Ab onderung oder in
dir kiirzC' \ Form PI fa srn., n wi.ire ge rade w g · zu ng n: iner rmu t de BlutP an sc hw~>fcl- und phosphor ·aur m
24
374 "' dor loral
Zur Genealogie

Auslegung) von bisher nicht xakt zu formulierenden


'J'alb si.iintlcn: somit al etwaS', das vollkommen noch in
der Lufl s ·hwebt und wi scn chaftlich unverbindlich ist,
- ein .fette \Vort eig nLlich nur, an lelle eines sogar
,;pimleldürren :Fragezeichens. W enn jemand mit •incm
., e lischen elunerz" nicht I rtig wird, so liegt das, grob
ger ede t, n i h t an s incr " e le"; wahrscheinlicher noch
nn sein m B<wche (grolJ ger det, wie gesagt: womit noch
kein l:)wegs der Wun eh ausgedrückt ist, auch grob ge-
hört, g rob verstanden zu werden ... ). Ein starker und
wohls-emtn r Me.usch verdaut ·eine Erlebnisse (T aten,
ntaten einger chnct), wie er s ine f ahlzciten verdaut,
selbst w •nn er harte Bissen zu verschlucken hat. Wird
er mit ein m El'l bnisse "nicht .ferlig", so i t diese r t
Indi gestion so gut physiologisch wie j ne a.nder e - un d
vi Hach in der rr at nur ine der Folgen jener anderen.
- 1it eineT sol chen Auffassu ng kann man, unter uns
gesagt, imm r noch cler str ngste egn r alles Materialis-
mus sein ... ]
17
l sL r aber eigentlich ' lll r z t, die ·er a ketische Prie-
sLcr ? - Wü begriffen schon , inwi f rn e kaum erlaubt
i t, ihn einen Arzt zu nennen o g rn er auch selb t
sich als ,Deiland" .fühlt, als "H eiland" verehren läß t.
Nur das Leiden selbst, die nlust de Leid nden wird
vo 11 ihm bcldmpft, ni cht dere11 rsache, ni cht das
cigenLliche Krankscin, - da muß unsr en grundsätz-
lich tcn Einwand g gen die pri sterliehe Medikation ab-
0' bcn. tcllt man sich ab r rst einmal in die P erspak-
ti ve, wi der Pries ler sie allein k nnt und hat, so komm t
man nicht l eicht zu Ende in der Bewunderung, was er
unter ihr alles ge ehn, ge uc.ht und gefunden hat. Die
l ild eru n g cl cs Leiden , das "Tr"s len" jeder Ar t, -
das erw ist sich als sein Genie ·elbst ; wie erfinderisch
hai er seine Tröster· ufgabc ver land n, wie unbedenk-
376 Zur O e n ~a l ogle d e r M o ral

Unsinn drr vl'gctarians, welche .freilich die Au to rität des


Junker hri stoph bei llakespcarc für sich haben) ; oder
von Blu Lv •rdcr bni , Mal ~r i a., yp hilis u nd derg leichen
(deu t ehe Dcp r •ss ion nac h dem Dreißigjährig en Kriege,
welcher halb Deut ehland mit schl chtcn K rankheiten
durchseuchte und dam it den Boden .fü r de utsch e crvili-
tät, deutschen Kleinmut vorbereitete). ln einem solchen
Falle wird jedesmal im g rößten til ein Kampf m it
dem nlu s tg c.f ühl ver sucht; unterrichten wir uns
kurz über dessen wichtigs ie Pral<tiken und Formen. (Ich
lasse hi er, wie billig, den eigentlichen Philos ophen - ·
Kampf geg en das nlusLgc.f ühl, der immL' r gleichzeitig
zu sein pfl g t, ganz beiseiLe - er ist inte ressant genug,
aber zu absurd, zu prakLisch-gleichgüliig, zu spinne-
weberisch und eckensteherha.ft, etwa wenn der chmerz
als ein Irrtum bewiesen werden soll, unter der naiven
Voraussetzung, daß der chmerz schwinden müss e , wen n
erst der Irrtum in ihm erkannt ist - aber siehe da!
er hütete sich, zu schwinden ... ) Man bek ämpft erstens
jene dominier ende nlust durch Mi Hel, welche das Le-
bensgefühl überhaupt auf den niedrigsten Punkt herab-
setzen. Womöglich überha upt k ein W ollen , kein Wunsch
mehr; allem, was Affekt macht, was "Blut" macht, aus-
weichen (kein Salz esse n: Hygiene des Fakirs) ; nicht
lieben; nicht hassen; Gleichmut; nicht sich r ächen; nicht
sich ber eichern; nicht arbeiten; betteln; womöglich kein
Weib, oder so wenig W eib al möglich; in g eistiger Hin-
sicht das Prin zip P ascals "il faut s'abetir" . Resultat,
psychologisch-moralisch ausgedrückt, "En tsel bstu ng",
"Heiligung" ; phy siologisch a usgedr ückt, "1-Iypnotisie-
rung" - der V ersuch, etwas für den Menschen ann ähernd
zu erreichen, was d r W in t e rsch la.f für einige Tier-
arten, der Somm e rschlaf für vi lc Pflanzen de_r heißen
Klimate i st, in Minimum von S toffverbrauch und Sloff-
wechsßl, bei dem das L eben ger ade noch besteht, ohne
37 Zur G e n e al og i e d er Mo r n l W as b e d e ut e n as k e ti sc h e Ideale ~ 379
al ei n J cn.eit auch vo n u t und Bö c. "Gute und Ruhe gekommen, daß r kei n Traum bild mehr schaut,
ß o · •s, sag t der Buddlti ·t, - beidP. sind F · eln : ü bcr al dann i t er o •r urer, v r('inigl mit de m eienden, i11
beides wurde der Vollen delP llerr"; " •Clanes un cl Un- sich ~e l b t ist er ·in ··egang ·u, - vo n d •m erkennlni ·-
getane , sagt d r Glä ubig<! ~.t.h• V d[lll la, chafH ihm ;u·Ligcn elb t umschlu ugrn , ha t ·r kein Bcwu ß · in
keinen chmcr z ; do u Lc und tl u Bö f' schü tt lt er als mehr vou d m, wa a ußen oder innen .is t. Dic;;e ßrü ckP
ein W is r von ich; ein- R ich leidet durch keine TaL übersehrei Len nicht 1'ag und .Nacht, nich t das Alt r ,
nlt'hr; li ber Gutes und Bö es, über bei des ging er hinaus" : nicht der 'I od, nicht das L iden, nicht gute 'Werk, noch
- ine gcsall!-t-indische A uffas ·ung also, ebenso brahma- bös s W crk " "Tm Li I u chlaf , sage n i.n ·g leichen die
nislisch als bucldhisti. eh. (W dL•r in der indi ·chen, noch ' l äu bi g u die ·1•r tief ·L n der dr i g roß n R clig ioucu,
in der christlich •n DenJrwci ·e gilt jene "Erlös ung' als hebt sieh die cc lc hera us ::tu diese m Leibe, gehl irt
err ei chb a r durch TU!,'€Dd, durch moralische Besse rung, in da höchste 1-'icht und tritt dadurch hervor .in eigrner
so hoch der Hy pnolisier ungs- W cr l der Tu rend auch vo11 iestalt: da i ·t . ie der höchste Geist sclb L, der herum-
ihn n angese tzt wird: diPs halte man fest,- e ent prichl wn.ndeH, indem er scherz t. und ·pielt und sieh ergötz t,
die übrigen einfach dem Ta t.b stand Hierin w a hr ei s mit W ei bern oder mi t \Va en oder mit ~'r c uud c n ,
gehli eb n zu sein, darf vicllei ·ht als das bes te tück tla denkt sie Jücht mehr zurück an dieses Anhäng el vo11
Realismu s in den drei gr öß ten, so n t · g ründlich ver- Leib. an welches drr pr<i.na (dPr Lebe11 sodcm) a ngespannt
moralisierten R eli gionen bctracht t werden. "Für deu i t wie ein Zu gtier a.n den Karren." Trotzdem wollen
Wi s •ndcn gibt es k eine l flicht" .. . " Durch Zuie g ung wir au ch hier wie im Falle der "Erlösung" w1 s g gen-
von Tugend n k ommt Erlösung nicht zustande : denn sie wi.i..rlig haltc11 , daß damit im · runde, wie ehr auch
b Loht im Eins ein mit dem k l'in r Zulegung von Voll - immer in d •r Pracht rienla lischcr ·· ber treibung, nur
komm enheit fähi gen Brahm a n; und cbPnsowenig durch ui e gleielH' chätzung a u gedrückt ist, welche die dc
A bl eg un g von F ehl rn: d nn das Bra hm an. mit clrm klaren, kühlen, gri chi seh-kühl n, aber leidenden Epilcur '
Eins zu · i.n das ist , was Erlö un g nusmac ht, i. t ewig war: da hy p no ti ·ehe N ichl - ciühl, di Ruh de tiei-
r ein" - diese tcll en aus d m Komment a re des (,:ankara, ·len chlai e·, L cidl os i g k ei t kurzum - das darf L ci-
ziti ert von d m ers ten wirkliclwn Kenn e r der indi schen lendeH tllld ründli<:h-Ver ti mmlen chon als höch trs
Philosophie in Europa, meinem Freunde Paul Deu . cn.) Gut, al W ert dPr Werte gr lte n, daß muß von ihnen
Die "Erlö ung" in den g1·oßen Religiont>n woll en wir al o al · po itiv abgrschitzt, al · d a. P o iLive elb t mpiun-
in Ehren halten; dag gcn wird l'S un : in w ni cr chwcr, den wrrd JJ. ( ~tc h cl r d bcn Log ik des efüh ls h iß in
bei der lüli.z uncr, welchr- schon d1·r tief ch l af durc h all eH p 1m1 ti ·chen R eligionen da Nichls G ott.)
tlie e s lb t für da 1' r äum 11 zu müd g wonln en T-'e bcns-
mü den rfährt, em tha ft zu bl eib n, - der t i fe chlaf 18
nämlich bPr '" ls als Ein ere h n in das Brahma n, al !' - Viel häufi o-er als ein e solche hypnoti lische G am L-
r e i ch te uuio my·tica mit ·ol L " W ·nn er da nn iu gc- dämpiung der rnsibili Ui , der , chm r r zfä higkr-it, welche
sch lal"r n i L g anz und g ar - h ißt . da rüber in der ·chon eltn C'r e KräHe, vor allem 1\Iul, V rac htung d r
iilte te u uucl luwürdigs en " chri ft" - und völlig zu t· 1-IciJJu ng, "intellek t uell en toizi ·mu " vorau ·et.zt, wüd
W as bed e ut e n a e k o tie c bc Idcnl o Y :3 l
~ 0 Z u r Oe n ea l ogl d r Mo r a l
Auszeichnen) ; der asketische Priester verordnet. damit.
gegen Depr essions-Zustände ein an deres t raini ng ver-
daß er "N äch lcnlicbe" verordnet, im Grunde eine Erre:
sucht, welches jedenfalls leichter i·l: di e ma eh i na l e
gung des st är ksten, lebenbejahendsten Triebes, wenn auch
T ät i gke i L Daß mit ihr i n leidendes D asein in einem
in der vorsichtigsten Dosierung, - de Will en s zur
nicht un betr ächtlichen Grade erl ichier l wird, sleht
Ma ch t. D as Glück der "kleinsten Überlege nheit", wie
außer allem Zweifel: man n nnl heule die e Tatsache
es alles Wohltun. uizen, H elfen, Auszeichn en m it sich
etwas unehrlich , "den S gcn der Arbeit". Die Erl eich:
bl:ing t, ist das reichlichst e Tros tmi ttel, dessen sich die
ter un g besteht da rin, daß das In te resse des L eidenden
Physiologisch-Grh cmmlen zu beilipncn pfleg n, gesetzt,
grundsät zlich v om L eiden abgelenkt wird, - daß bestän-
daß s ie g ut. ber aten sind: im andern F alle tun s ie in-
dig ein Tun und wieder nur e!n 'l'un ins B ewußtsein trit t
ander weh, natürlich im horsam gegen den gleichen
und fo lglich wenig P la tz darin lür Leiden blei bt : denn
Grundi nstinkt. W enn man nach den A nfängen des lui-
sie ist e n g , diese K ammer des menschlichen Bewußt-
s lentums in der r ömischen W elt sucht, so findet man
seins'. Di.e machin ale 'l'ä ligkeit und was zu ihr gehö rt
Ver eine zu gegenseitiger Uni rstütz ung, Armen-, Kran-
- Wie d1 e abs?lu te R egularität, der pünktliche besin-
ken-, Bcgr übn is-VPrcine, aufgewac hsen auf dem unter-
nungslose Gehorsam, das E in-für allemal der Lebenswei e
teu Bod n der damaligen Gesellschaft, in denen mit Be-
die Au füllu ng der Zeit, eine gcwi se Erla ubnis, ja ein:
wuß tsein jenes H aup tmittel gegen die Depression, die
Z ucht zur " npersönl ichkeii", zum ich-selbst-Verges-
k leine Freude, die des gcg nsei i ige n Wohltun gepflegt
sen, zur "incuria sui" - : wie gr ündlich, wie f ein hat der
wurde, - vielleicht war dies damals et was eucs, ein e
as keti sche Pr ies ter sie im Kampf mit dem Schmerz zu
eigentliche Entdeckung? In ein em dergestalt hcrvorge-
benutzen gewußt! Ger ade wenn er mit Leidenden der nie-
rufnen "Willen zur Gegenseitigkeit", zur Ilerdcnbil dung,
der en Stände, mit Arbei tssklaven oder Gefa ngenen zu t un
zur " Gemeinde", zum "Cönakel " muß nun wiederu m jener
hatte (od er mit Frauen: die ja meis tens be ides zu"'lcich
da mit, wenn auch im Klein ten, •rregte ·w ille zur Macht,
sind , Ar beitsskla ven und Gefan gene), so bedurfte s
zu ei nem neuen und viel volleren Ausbruch k ommen:
weni g mehr als ein er kleinen Kunst des amenwechselns
die H er d e nbildun g i i. im K ampf mit der D epression
und der m taufung, um si e in verhaßten Din..,.cn für der-
ein wcsenllicher ch ril t un d i g. Im Wachse n der Ge-
hin ein e W ohlta t, ein r elatives Glück sehn : u machen :
meinde erstarkt auc h f ür den E inzelnen ein neucs In ter-
- die nzufr icdenheit des Sklaven mit seinem L os ist
esse, das ihn oft genug über das P ersön lichs te seines
jedenfa lls nicht von den P r iestern erfunden worden. -
Mißmuts, seine Abn eigung gegen s i ch (die "despcclio
~i n n?ch geschätzter es Mittel im Kampf mit der Depres-
sui" des Geulin cx) hi nw cghebt. A lle Kranken, Krank-
sion 1st die Ordinicr ung einer k l ei ne n F r e ud e die
leicht zugänglich ist und zur R egel gemacht w~racn
haften str eben in stinktiv, aus einem Verlan 0.,.eu nach Ab-
schüllelung der dump fen nlus t und des 'chw iich e"'e-
kan n ; man bedient sich dieser Medika tion häu fig i n Vcr-
fühl , nach ein er H erd rn-Orga nisation: der asketi sche "'
~iudun ~ mit der eben besprochnen. D ie häufigste F orm,
P r ies ter errät diesen In tinkt trnd fördert ihn; wo es
rn der dte Freude d rgesta lt als Kurmittel or diniert wird
H erden gibt, i t es der chw äche-I nstin kt, der die II rd e
~st die F r eude des Freude-Ma ch e us (als Wohltun, Be:
gewoll t hat, und die P r iester-K l ug heit. di e sie organisiert
schenken, E rleichtern, H elfen, Zureden, Trös ten, Loben,
3 2 Zur Genealogie der llfornl

hat. Denn man übersehe dies nicht: die larl{en streben


ebenso nn.lurnotw ndig auseinander, al die eh wachen
zueinandrr; wenn erstere sich verbinden, so geschieht
es nur in d rAu ichlauf eine aggressive :re amt-Aldion
und Ge aml-Befriedi gung ihr s Willens zur .Macht, mil
vielem ·widrrslande des Einzel- ewis:;ens; letz tere da-
g gcn ordni'n sich zu amm n, mit Lust gl'rade an dieser
Zusamm enordnung, - ihr I~1. tinkt i st dabei benso be-
friedigt, wie drr Instinkt der g borcn n "Herren" (das
heißt clrr solitü ren R au btier- pezies MPnsch) im Grunde
durch rgn.11i ation gereizt u;:d beunruhigt wird. nlr r
jedrr Oligarchi li gt - d ir ganze Geschichlc l rhrt s -
immer da.s tyrannisch G •lüst versteckt; jede Oligarchie
zittert beständi g von der pannung her , we lche jeder
Einzelne in ihr nötig hat, Herr i.i bcr dies Gel iist zu blei-
ben. ( o war es zum BeispiP-1 griechisch: P lato bezeugt
es an hundert tcllcn, Pla t.o . drr sein gle i c h ~n knnnte
- und sich rlh 1 . .. )

19
Di e liLLcl des askrtisch n P ri e ters, w lche wir bisher
kelillCJl lernten - di Ge amt-D ümpf un rr des Leben ge-
füh ls, die machinale T ütigkeil, diP kl in Freude, vor
n.llem dir der " Iäch, t nlicbe", die Ilerden-Org:m isalion ,
di Erweckung d ~cm inde-Maehtge fühls, demzufo lge
der V crdruß des Einzdncn an sich durch eine Lust am
Gedeihen der cmeindc übertäubt wird - das sind, nach
modernem fa,ße gerne en, eine un c huldi g n Miltel
im Kampfe mit drr "Cnlu. t: wend n wir uns jetzt zu de11
inter anLeren, den " chuldigen· '. Bei ihnen b andoll s
sich um Ein.· : um irgend eine Auss chw eifung d
'cfühls,- die g gen die dumpfe, lähmende, lang
chm rzbafligkrit als w.irksa1nstes fittel der Betäubung
benutzt· w . halb dir pricslerhcbc Erfindsamk il im ns-
denk •n di . er Einen Frage g radezu unersc höpflich ge-
3 4 Zur Genealo ie der Morul
- -- - - - - - - - WnN bedeuten o~ketische Ideale~ 3 5
heule, unsre "Guten" lügen nicht - da ist wahr; aber denken wir noch des komischen Enis'tzens, welches der
es ger eicht, ihnen nicht zur Ehre! Die eigentliche Lüge, katholische Priester Janssen miL seinem über alle Be-
die echt.e r esolute "ehrliche" Lüge (über deren Wert man griffe vier ckig und harmlos geratenen Bilde der deui·
Plato hören möge) wäre für sie eLwas bei weitem zu sehen Reformations-Bewegung in Deutschland erregt hat;
lrengrs, zu tarlces; es würde verlangen, was man von was würde man erst beginnen, wenn uns jemand diese
ihnen nicht, verlangen darf, daß sie die Augen gegen Bewegung einmal anders erzählte, wenn uns einmal ein
sich selbst, aufmachten, daß sie zwischen "wahr" und wirklicher Psycholog einen wirklichen Luthcr erzählte,
".falsch" bei sich selber zu unterscheiden wüßten. Ihnen nicht, mehr mit der moralistischen Einfalt eines Land-
geziemt, all in die unehrliche Lüge; alles, wa sich ereistliehen nicht mehr mit der süßlichen und rücksichts
heute als "guter Meusch" J'üh lt, ist vollkommen unfähig, vollen Schamhaftigkeit protesianLischer Historiker, sou-
zu irgend einer Sache anders zu sLehn als unehrlich- dem etwa mit iner Taineschen Unerschrock nheit, aus
verlogen, abgründlich-verlogen, aber unschuldig-ver- ein r Stärk der celc heraus und nicht aus iner
logen, treuherzig-verlogen, blauäugig-verlogen, tugend- klugen Indulgrnz gegen die Stärke? ... (Die Deutschen,
halt-verlogen. Diese "guten ~fcnschcn", - sie sind alle- an bei gesagt, haben den klas ischen Typus der letzteren
samt jetzt in Grund und Boden vermoralisiert und in zuletzt noch schön genug herausg bracht, - sie dürfen
Hinsicht auf Ehrlichkeit zuschanden gemacht, und ver- ihn sich schon zurechn n, zuguLe rechnen: nämlich in
hunzt für alle EwigkeiL: wer von ihnen hielte noch eine ihrem Leopold Ranke, diesem geborenen klassischen advo-
Wahrlieit "über den Menschen" aus! ... Oder, grei.f- catus jeder causa .fortior, diesem klügsten aller klugen
1 licher gefragt.: wer von ihnen ertrüge eine wahre Bio- ,,Tatsächlichen' '.)
\ graphi e I ... Ein paar Anzeichen: Lord Byron hat einiges
Persönlichstes über sich aufgezeichnet, aberThomas Moore 20
war "zu gut." dafür: er verbrannte die Papiere seines Aber man wird mich schon verstanden haben: -
Freundes. Da selbe soll Dr. Gwinnrr getan haben , der Grund genug, nicht wahr, alles in allem, daß wir Psycho-
Testaments-Voll t r ~ker chopenhauers : denn auch Scho- logen heutzutage einiges fißtrauen gegen uns selbst
penhaucr hatt.e einiges über sich und vielleicht, auch nicht los werden? .. . W aluscheinlieh sind auch wir noch
gegen sieh (, . d~ Ea:dv") aufgezeichnet. Der tüchtige zu gut" für unser Handwerk, wahrscheinlich sind auch
Amerikaner Thayer, der Biograph Beethovcns, hat mit ~ir noch die Opfer, die Beute, die Kranken die es ver·
einem lalc in seiner Arhei t, halt gemacht: an irgend moralisierten Zeitgeschmacks, so sehr wir uns auch als
einem Punkte dieses ehrwürdigen und naiven Lebens an- dessen Ver ächter fühlen, - wahrscheinlich infiziert, er
gelangt, hielt er das elbe nicht mehr aus . . . 1ora1: auch noch uns. Wovor warnie doch jener Diplomat,
welcher kluge Mann schriebe heute noch ein chrlicbs als er zu seinesgleichen redete? ":Mißtrauen wir vor
Wort über sich?- er müßte denn schon zum Orden der allem, meine Herrn, unsren ersten Regungen" I sagte er,
heiligen Tollkühnheit gehören. Man verspr icht uns eine "sie sind fast immer gut," . . . o sollte auch jeder
elb ibiographie Richard \Vagn rs : wer zweifelt daran, Psycholog heute zu seinesgleichen reden ... Und damit
daß es eine kluge elbstbiographie ein wird? • .. Ge- kommen wir zu unserm Problem zurück, da in der Tat
J 25
3!'!0 Zur GenealO!(io der Moral 'Va s bedeuten asketische Ideale? 391
überall, wo der ask lische Priester diese Kranken-Be- anderes geltend zu machen, was dermaßen zerstörarisch
handlung durchgesetzt hat, ist jcdrsmal die Kra..nkhaftig- der Gesundheit und Rassen-Kräitigkeit, namentlich
keit unheimlich schnell in di 'l'iefo und Breite gewach- der Europäer, zugesetzt hat als dies Ideal; man darf es
sen. Was war immer der "Erfolg"? Ein zerrüttetes ohne alle übert.reibung das eigentliche Verhängnis
Nervensystem, hinzu ~u dem, w, s sonst schon krank war; in der G sundheitsgcschichte des europäischen Menschen
und das im Größten wie im Klcinst n, bei Einzelnen wie nennen. Höchstens, daß seinem Einflusse noch der spezi-
bei Massen. Wir finden im G folge des Buß- und Er- fisch-germanische Einfluß gleichzusetzen wäre: ich meine
lö~~ngs-irnining ungc~ cure epileptische Epidemien, die die Alkohol-Vergiftung Europas, welche streng mit dem
{
großten, von drn n dJO Geschichte weiß, wie die der politischen und Rassn-Überg wicht der German n bisher
St. Veit- und St. J ohann-'l'änzer des Mittelaltcrs ; wir chritt gehalten hat (- wo sie ihr Blut einimpften,
- finden als ander e Form seines Nachspiels furchtbare Läh- impften sie auch ihr Laster ein). - Zu dritt in der Reihe
mungen und Daucr-Depressionen, mit denen unter Um- wär e die Syphilis zu nennrn, - magno ed proxima
ständen das Temperament eines Volks oder einer Stadt in tervallo.
(Genf, Basel) ein für allemal in sein Gegenteil umschlägt ; 22

- hicrher gehört auch die Hexen-Hysterie, etwas dem Der asketische Priester hat die seelische Gesundheit
Somnambulismus Verwandtes (acht große epidemisch e ver dorben, wo er auch nur zur Herrschaft gekommen ist,
Ausbrüche derselben allein zwischen 1564 und 1605) - ; er hat folglich auch den Geschmack ver dorben in arti-
wir finden in seinem_ Gefolge insgleichen jene todsüch- bus et litteris, - r verdirbt ihn immer noch. "Folg-
Ligen Ma~~c~-Deliricn, dercn entsetzlicher Schrei "evviva lich"? - Ich hoffe, man gibt mir dies Folglich einfach
Ia morLe I uber ganz Europa weg gehört wurde, unter- zu ; zum mindesten will ich es nicht erst "beweisen. Ein
1brochen bal d von wollüstigen, bald von zerstörungswüti-
einziger Fingerzeig: er gi lt dem Grundbuche der christ-
gen Idiosynkrasien: wie der gleiche Afiektwechsel, mit lichen Liter atur, ihrem eigentlichen Modell,ihrem "Buche
den gleichen Intermittenzen und Umsprü.ngen, auch heu te an sich". Noch inmitten der griechisch-römischen Herr-
noch überall b obachtet wird, in jedem Falle, wo die lichkeit, welche auch eine Bücher-Herrlichkeit war, an-
asketische Sündenlehre es wieder einmal zu einem großen gesichts einer noch nicht verkümmerten und zertrümmer-
Erfolge bringt. (Die religiöse Neurose ersche i nt als ten antiken Schr iften-Welt, zu einer Zeit, da man noch
eine Form des "bösen Wesens": daran ist kein Zweifel. einige Bücher lesen konnte, um deren Besitz man jetzt
Was sie ist? Quaeritur.) Ins Große gerechnet, so hat halbe Liter aturen eintauschen würde, wagte es bereits
sich das asketische I deal und sein sublim-moralischer die Einfalt und Eitelkei t christlicher Agitatoren - man
Kultus, diese geistreichste, unbedenklichste und gefähr- heißt si e Kirchenväter -, zu dekretieren: "auch w i r
lichsie Systematisier ung aller Mittel der Gefühls-Au - haben unsr e klassische Literatur, wir brauchen die
schweifung unter dem chutz heiliger bsichten, auf d er Griechen nicht", - und dabei wies man stolz
eine furchtbare und unvergeßliche Weise in die ganze auf Legenden bücher , Apostelbriefe und apologetische
Geschichte des fenschen eingeschr ieben; und leider n i ch t Traktätlein hin, ungefähr so, wie heute die englische
nu r in seine eschichtc ... Ich wüßte kaum noch etwa "H eilsarmee" mit einer verwandten Literatur ihren
396 Was bedeuten asketische ldoaloY 397

in der Vi'issPnschaft, - s gäbe da gerade o viel •ütz-


liches zu tun. I<;h wider preche nicht; am wenigsten 24
möchte ich diesrn hrlichen Arbeitern ihre Lust am Hand- nd nun sehe man sich dagegen jene seltneren Fälle
werk v rderhen: denn irh .freue mich ihrer rbeit. Aber an, von denen ich sprach, die letzten Idealisten, die es
damit , daß jetzt in der Wi sen chaH sheng gearbeitet heute unter Philosophen und Gelehrten gibt: hat man
wird, und daß es zu.friedn Arbcite1· g ibt, ist schlecht r- in ihnen vielleicht die gesuchten Gegner des asketischen
dings nicht bewiesen, daß die Wi sen chaft als Ganzes I deals, dessen Gegen-Idealisten? In der Tat, sie
heute ein Zi 1, einen Willen, in Ideal , eine Leidenschaft g l a ub en sich als solche, diese "Ungläubigen" (denn das
des großen Glaubens habe. Das 'egenteil, wie gesagt, sind sie allesamt); es scheint ger ade das ihr letztes Stück
ist der Fall: wo sie nicht die jün st Erscheinungsform Glaube, Gegner dieses Iden.ls zu sein, so ernsthaft sind
des asketischen Ideals ist - es handelt sich da um zu sie an dieser Stelle, so leidenschaftlich wird da gerade ihr
seltne, vornehme, au gesuchte Fäll , als daß damit das Wor t, ihre Gebärde: - brauchte es deshalb schon wahr
Gesamturteil um&'ebogen werden könnte - , ist die Wis- zu sein, was sie glauben? _. _ Wir "Erkennenden" sind
senschaft heute ein Versteck für alle Art Mißmut, n- nachgerade mißtrauisch gegen alle Art Gläubige; unser
glauben, Jag wurm, despectio sui, schlechtes Gewi s en, Mißt-rauen hat uns allmähl ich darauf eingeü bt, umgekehrt
-sie ist die Un ruh e der Ideallosigkcit selbst, das L ei- zu schließen, als man ehedem schloß: nämlich überall,
den am Mangel der groß n Lieoe, des ngenügen an wo die Stärke ines Glaubens sehr in den Vordergrund
einer unfr ei willigen Genügsam kcit. 0 was verbirgt tri tt, auf eine gewisse Schwäche der Beweisbarkei t, auf
heute nicht allps Wissenschaft! wieviel so ll sie minde- Unwahr sc heinli chkeit selbst des Geglaubten zu
stens verbergen! Die Tüchtigkeit unsrer besten Gelehr- schließen. Auch wir leugnen nicht, daß der Glaube "selig
ten, ihr besinnungslo er Fleiß, ihr Tag und N n.cht rau- macht": eben deshalb leugnen wir, daß der Glaube
chender Kopf, ihre H andw< rks- ieisterschaft selbst - etwas beweist,- ein starker Glaube, der selig macht,
wie oft hat das alles seinen eigentlichen Sinn darin, sich ist ein Verdacht gegen das, woran er glaubt, er begründet
selbst ir gend etwas nicht mrhr sichtbar werden zu l assen! nicht "Wahrheit", er begründet eine gewisse Wahrschein-
Die Wissenschaft als Mittel der elbst-Betäubung: k ennt lichkeit- der Täuschung. Wi e steht es nun in diesem
ihr das? . -. Man verwundet sie - jeder er.fährt es, der Falle ? - Diese Verneinenden und Abseitigen von heute,
mit Gel ehrt n umgeht - mitunter durch ein harmloses diese Unbedingten in Einem, im Anspruch auf intellek-
Wor t bis au.f den Knochen , man erbittert seine gelehrten tuelle Sauberkeit, diese harten, strengen, enthaltsamen,
Freunde "'egen sich, im Augenblick, wo man sie zu ehren h er oischen Geister, welche die Ehre un srer Zeit aus-
meint, man bringt sie außer Rand und Band, bloß weil machen alle diese blassen Atheisten, Antichri ten, I m-
man zu gr ob war, um zu erraten, mit wem man es eigent- moralis~en, Nihilisten, diese Skeptiker , Ephektiker, Hek-
lich zu tun hat, mit Leid en den, die es sich selbst nicht tiker des Geistes (letzteres sind sie samt und sonders
eingestahn wollen, was sie sind, mit Betäubten und Be- in irgend einem Sinne), diese letzten Ideali ten der Er-
sinnungslosen, die nur ein für ch!R n: zum Bewußtsein kenntnis, in denen allein heute das in tellektuelle Ge-
zu kommen ... wissen wohnt und leibhaft ward, - sie glauben sich in
39 Zur Genealogie der Moral Was bedeuton asketische Ideale? 399

der Tat so losgelöst als möglich vom asketischen Ideale, bietet wie das Ja, jenes tehenbleiben-Wollen vor dem
diese "freien, sehr freien Geister": und doch, daß ich Tatsächlichen, dem faclum brutum, jener Fatalismus
ihnen verrate, was sie selbst nicht sehen können - denn der "petits .fails" (cc pctit faitalisme, wie ich ihn nenne),
sie stehen sich zu nahe-: dies Ideal ist gerade auch ihr worin die französische Wiss nscha.ft jetzt eine Art mora-
Ideal, sie selbst stellen es heute dar und niemand sonst lischen Vorrangs vor der deutschen sucht, jenes Verzicht-
vielleicht, sie selbst sind seine vergcistigtste Ausgeburt, leisten auf Interpretation überhaupt (auf das Vergewal-
seine vorgeschobensie Krieger- und Kundschafter-Schar, tigen, Zurechtschieben, Abkürzen, Weglassen, Ausstop·
seine verfänglichste, zarteste, unfaßlichste Verführungs- fen, Ausdichten, Umfälschen und was sonst zum Wesen
form: - wenn ich irgend worin Rätselrater bin, so will alles Inierpretiercns gehört) - das drü ckt, ins Große
ich es mit diesem Satze sein I ... Das sind noch lange gerechnet, ebensogut Asketismus der 'lugend aus, wie
keine freien Geister: denn sie glauben noch an d i e irgend eine Verneinung der Sinnlichkeit (es ist im Grunde
Wahrheit . . . Als die christlichen Krt•uz.fahrer im Orient nur ein Modus dieser Verneinung). Was aber zu ihm
au.f jenen unbesiegbaren Assassinen-Orden stießen, jenen zwingt, jener unbedingte Wille zur Wahrheit, das ist
Freigeister-Orden par excellence, dessen unterste Grade der Glaube an das asketische Ideal selbst, wenn
in einem G horsame lebten, wie einen gleichen kein auch als sein unbewußter Imperativ, man täusche sich
Mönchsorden erreicht hat, da bekamen sie auf iro-end
o
wel- hierüber nicht, - das ist der Glaube an einen meta·
chem Wege auch einen Wink über jenes Symbol und physischen Wert, einen Wert an sich der Wahrheit,
Ker bholz-Wort, das nur den obersten Graden, als deren wio er allein in jenem Ideal verbürgt und verbr ieft ist
secretum, vorbehalten war: "Nichts ist wahr, alles ist (e.r steht und fällt mit jenem Ideal). Es gibt, streng
erlaubt" ... Wohlan, das war Freiheit des Geistes geurteilt, gar keine "voraussetzungslose" Wissenschaft,
damit war der Wahrheit selbst der Glaube 0a-ekün: der G danke einer solchen ist unausdenkbar, paralogisch:
digt ... Hat wohl je schon ein europäischer, ein christ- eine Philosophie, ein "Glaube" muß immer erst da sein,
licher Freigeist sich in diesen Satz und seine labyrinthi- damit aus ihm die Wissenschaft eine Richtung, einen
schen Folgerungen verirrt? kennt r den Minotauros inn, eine Grenze, eine Methode, ein Recht auf Dasein
~eser Höhle aus Erfahrung? ... Ich zweifle daran, gewinnt. (Wer es umgekehrt versteht, wer zum Beispiel
mehr noch, ich weiß es anders: - nichts ist diesen Un- sich anschickt, die Philosophie "auf streng wissenschaft·
bedingten in Einem, diesen sogenannten "freien Gei- liehe Grundlage" zu stellen, der hat dazu erst nötig,
stern" gerade fremder als Freiheit und Entfesselung in nicht nur die Philosophie, sondern auch die Wahrheit
jenem Sin~e, in keiner Hinsicht sind sie gerade fester selber auf den Kopf zu stellen: die ärgste Anstands-

I
gebunden, 1m Glauben gerade an die ·Wahrheit sind sie,
wie niemand anderes sonst, fest und unbedingt. Ich
kenne dies alles vielleicht zu ehr aus der Iähe: jene
Verletzung, die es in Hinsicht auf zwei so ehrwürdige
Frauenzimmer geben kann!) Ja, es ist kein Zweifel -
und hiermit lasse ich meine "fröhliche Wissen chaft" zu
verehrenswürdige Philosophen-Enthaltsamkeit, zu der Worte kommen, vgl. deren .fünftes Buch Aph. 344: -
ein_solcher laube verpflichtet, jener Stoizismus des In- "der Wahrhaftige, in jenem verwegenen und letzten Sinne,
tellekts, der sich das Tein zuletzt eben o . treng ver· wie ihn der Glaube an die Wissenschaft voraussetzt,
400 :.:ur Gen alogie der Mornl 'V a s b c d e u t c n o s k c ti s c h c I d e o l e ~ 401
beja ht damit eine andere Welt als die des Lebens, Abschnitt der "fröhlichen \VisscnschaH" nachzulesen,
der atur und der Geschichte; und insofern er diese welcher den Titel trägt: "Inwiefern auch wir noch fromm
,andere W elt' bejaht, wie? muß er nicht eben damit ihr sind" Aph. 344, aro bes~n das ganze fünfte Buch des
Gegenstück, diese Welt, unsre \Velt - verneinen? ... gen:mnien ·w cr ks, in gleichen die Vorrede zur "Mor-
Es ist imm er noch ein metaphysischer Glaube, a uf genr öi ".)
d m un s r Glaube an die \Vi senscha.ft ruht,- auch wir 25
Erkenn rnden von heute, wir Gottlosen und Antimeta- ein I Man kom me mir r1i cht mii der Wi ssenscha ft ,
physiker, auch wir nehmen uns er Feuer noch von jenem wenn ich nach dem natürlichen Antagonistrn des aske·
ßrande, den ein J ahr tauscnde alter Glaube entzündet iischcn Id eal suche, w nn ich .frage: "wo is t der geg-
hat, jcnrr Christen-Glaube, der auch der Glaube P l atos nerische Wille, in dem sich sein gegne risch es Id al
war, daß Gott die WahrheiL ist, daß die Wahrheit gött- ausdrücl<t ?" D az u steht die Wis cnschafi l ange nicht
li ch ist ... Aber wie, wenn dies ge rade immer mehr genug auf sich selber, sie bedarf i n jedem Betrachte
unglaubwürdig wird, wenn nichts sich mehr als götllicl1 er t eines \Vcrt-ldeals, einer werteschaffenden Mac ht, iu
erwe ist, s sei denn der Irrtum , die Blindheit, die Lüge, deren Di enste sie an sich sel b r gla ub en darf , -
- w enn Gott sel bst sich als unsr e l ä ngste Lüge er- sie selbst ist niemals wer teschaff end. lhr Verhältnis zum
weist i ' " - - An dieser tolle tut es not, halt zu machen asketischen Ideal ist an sich durchaus noch ni cht antago-
und sich l a nge zu besinnen. Die Wissenschaft selber nisti sch; sie stellt in der lla uptsachc sogar eher noch
lJedarf nunmehr einer Rechtfertigung (womit noch nicht dio vo rwärts treibend Kraft in dessen in ne rer Ausge-
einmal gesagt sein soll, daß es eine solche fü r sie gibt). staltung dar. Ihr W ider spr uch und Kampf bezieht sich,
Man sehe sich auf diese Frage die ältesten und die jü ng- fein er geprüft. gar ni cht auf das ldcal selbst, sondern
sten Philosophien an: in ihnen allen .fehlt ein Bewußt- nur auf dcssPn Außenwerke, Einkleidung, Maskensp iel,
sein darüber, inwiefern der Wille zur Wahrheit selbst auf cless n zeitwei lige V crhäriung, V crholzung, V crdog-
erst einer Rechtfertigung bedar.f, hier ist eine Lücke matisier uug, - sie macht das L eben iu ihm wieder frei,
in jeder Philosophie - woher kommt das? Weil das indem sie das Exoterische an ihm verneint. Diese beiden,
asketische Ideal über alle Philosophie bisher He rr war, \ Visscnschaft und asketisches Ideal, sie stehen ja auf
weil Wahrheit als ein , als Gott, als oberste I nstanz Einem Boden - ich gab dies schon zu vers te hen - :
selbst gesetzt wurde, weil Wahrheit gar nicht Problem nämlich auf der g leichen Überschätzung der Wahrheit
sein du r fte. Versteht man dies "durfte"?- Von dem (r ichtiger: auf dem gleichen Glauben an die n abschätz·
1 Augenblick an, wo der Glaube an den ott des aske- hark i t, nkriiisi erbark eit der W ahrheit), eben damit
L tischen Ideals verneint ist, gibt es auch ein neu es sind sie sich n ot w en di g Bundesgenossen, - so daß
Pr ob lem: das vom W ert e der Wahrheit. - D er Wille sie, gesetzt, daß sie bekämpft werden, auch immer nur
zur Wahrheit bedarf einer Kritik - bestimmen wir grmcinsam bekämpft und in Frage gc teilt werden kön·
hier mit unsre eigene Aufgabe - , der Wert der Wahrheit nen. Eine W crtabschätzung des ask etischen J deals zi hi
ist versuchsweise einmal inFrage zu stellen ... (Wem un verm eid lich auch eine Werlab chätzung der \\ i ·sen-
dies zu kurz g agt scheint, dem sei emJ).fohlen jenen sch uft nach sich: dafür mache man sich bei Zeiten die
J 26
402 Zur Genealogie d e r :Moral was bedeuten asketische IdealeV
- - - 403
ugen lwll, di Ohren spitz! (Die Kunst, vor weg ge- " eburt der Tragödie".) - ein! diese " mod rnc WiR-
flag t, denn irh komm!' irgen dwann de Längeren darauf en chaft" - mach! euch nur da fur die up:en auf! -
zurück.' di 1\un t, in dPr gcrad dieLüg sich heiligt, tRi ci nf;t wl•ilrn dir b s to Ruudc ·g ·no . in <lc · a Ieetischen
d r \Vlllc z ur 'l'äu ·c hu11g das g uU. Gcwis en zu r ciie Ideal , und gerade dc ·halb, weil sie die unhewußl •sh·.
hai, i i Ü<'m a ·hiischrn Idrale vi 1 grund ä tzlicher en t- dir unfreiwilligsLe, die heimlich ic und nnterirdischstr·
gegcngl•: !clli al die Wis nschafi: so emp fancl e der ist! ie habrn bis j tzt Ein picl gespielt, die "Armen
!~stink! J'lalo , diest•s gr ößten Kun Ueinde , den Europa cl s G-eistes" und die wi ·seuschaHlichen Wid rsacher
btsher h r rvorgebra ht hat. Plato gegen Homer: das i t jenes Ideal (man hiite sich, anbei g sagt, zu d nk n, daß
der ganze, der echle An taO'onismus - dort der Jen- ie d r n Gegensatz seien, •twa als die Reichen d ·
eiiig " beste n Willens, det· g roße Verleumder clc" Le- Gei tes: - das ind sie nie h t, ich nannte ie H ektiker
bens hi er dr~ en unfreiwilliger Vergöitlicher, die gol- de Geistes). Diese berühmtcu iege der letzteren: nu-
den a iur.. E ine KünsUcr-Oienslbark it im Diensie zw eifelhaft, es sind icge - aber worüber? Das ask -
des a k etisclwn Ideals i t d halb die eigentlichste Künst- tische Ideal wurde ganz und gar nicht in ihnen besiegt,
ler-Konuption, die es ge oou kann, leider eine der all r- s wurde eher damit stärker, niimlieh unfaßlicher, gei-
crewöhnlichsten: denn nichts ist korruptibler als in stiger, verfänglicher gemacht, daß immer wieder in
Kün tl r.) Auch phy iolor<isch nachgerechnet, ruht die Mauer, ein Außenwerk, das sich an da selbe angebaut
Wis. n chafi auf dem gl eichen Boden wie das asketische hatte und seinen Aspekt vergröberte, seitens der Wis-
Ideal: eine gewisse Verarmung des L e bens ist hier senschaft ·chonungslos abg löst, abgehroch n worden ist.
wie dort die Vorau ·etzung, - die Affekte kühl g wor- Meint man in der Tat, daß etwa die J: icderlage det•
den, das 'J'cmpo verlangsamt, die Dialektik an telJe des theologi chen stronomic eine Niederlage jenes Ideals
bedeute ? . . . ] s t damit vielleicht der Mensch w c n i g e r
'IInstinkte, der Ernst den Gesichtern und Gebiirden auf-
gedrückt (der Ern t, di s unmißverständlich teAbz i-
chen des mühsamer n tofiwechsels, des ringenden,
bedürftig nach einer Jenseitigkeiis-Lö ung eines Rät-
·els von Das in geworden, daß dieses D asein sich eildem
schwerer arbeitenden Leb ns). Man sehe si h die Zeiten noch beliebiger, ck n ·ieherischcr, ntbehrlich r in d r
in es Volkes an, in denen der elehrte in den \' ordcr- sichtbaren Ordnung der Dinge ausnimmt? I s t nicht
grund tritt: es sind Zei n der Ermüdung, oft des Abends, gerade die elb ·tverkleinerung des Men chen, sein Will e
des Niederganges,- die überströmende Kraft, die Lebens- zur elb tverklein rung eiL Koperniku in ein em un-
Gewißheit, die Zukunfts -Gewißheit sind dahin. Das aufhaltsamen Forli ehritte? Ach, der ' laub an sein
bergewicht d s Iandarin en bedeutet niemal etwa Würde, Einzigk ii, · n er tzlichkeit in d r l~ang abfolgc
{ l~ie :.·sowenig als . di~ H eraul'kunft der D mokratic, der W . en ist dahin, - er ist Ti r geworden, 'l'ier , hnc
dc1 Fll den - ch10d genchi an llc der Kriege, der Gleichnis, bzug und Vorb halt, er, der in seinem früh -
1 a ucn-Gleichberechtigung,
r der R eligion des 1itlcids ren Glauben beinah ott ("Kind ' otte ", " Gottmensch")
und was es son t alles für 'ymptome de ab inkend n war . . . eit Kopernikus cheint der 1ensch auf eine
Lebens gibt. (\Vis cnschait al Problem geiaßt; wa be- ·rhicfe Eb ne gerat n, - er rollt imm er schneller nun-
deutet Wissen chaft i' - vgl. darüber die Vorrede zur mehr aus dem Mit! lpunkt weg - wohin? in r ichts ?
26 "
404 Z u r G en a l og i e de r Mo r a l W os b edeu t e n as k e ti sc h e Id ea l e? 405
ins bx-c h b,P.h~Jl d 'cf ii hl seines ' ic.h ls"? . . pricht. einmal von den r avages, welche "l'h abit~ de
\Vohlan! dies eben wär e der gerade \ eg - ins a l t.e d 'a dmir er l'ini11tclligiblr au licu de re ter tou t s1m
ldcal ? . . . All e Wissensc ha ft. (u nd keines wegs nur die plemen t dans l'inconnu" anger ich t habe ; er meint, die
Aslron ic, ü ber deren demü t igende und herunlcrbriu Alten hätten dessen entr aten .) esetzt, daß alles, was
gc nde Wirk ung K aut ein bemerkens wertes Gest ändnis der Mensch .,erkennt", seinen W ünschen n icht genugtu t,
gemac ht. hat., "sie vernich trt mein e W ich tigk cit" . . .), all r ihnen vi elm hr wider spricht u nd chauder macht, welche
Wissenschaft., die n atürliche so wohl, wie die unnatür - gö ttliche Ausflu cht, die Schuld davon nich t im "Wün-
li che - so heiße ich die Erkenntnis-Sclustkritik - , isl schen", sonder n im " • rkcn nc n" suchen zu dürfen ! . . .
hou to darauf aus, d<'m Menschen sein e bisherige Achtung "Es gib t kein Erk •nncn : f ol g li ch - gibt es eine n Gott":
vor si ch ausz urede n, wie als ob dieselbe niehts als welche neue elegan tia sy llog ismi I welcher 'r r i u m p h des
ein bi zan cr Eige nd ünk el g wcscn se i; man könnte sogar ask eti chen I doa ls !
sagen, s ie habe ihren eige neu tolz, ihre eige ne herbe
F orm voa s toischer A ta raxi c darin , di ese mühsam errun - 26
gene S olb s t v r ac htun g des M llSchcn al · dessen l et z- - Oder zeig te vielleicht die gesamte modern e Ge-
ten , ernstes ten An p ru ch auf A chtung bei sich solLst auf- S{!hi ch tsschr ibun g inc lebensgewissere, i dealgewis erc
rech tzuerhal te n (m it R ech t, in d t' 'J'at: denn der Ver - Ilaltun g? Ihr vorn ehm tcr Ans pru ch geht. jetz t dahin ,
achtende ist imm er noch Einer , der "das Achton nicht pi ege l zu sein; sie lehnt. all e Teleolog ie a b; sie will
verl rnt ha t" ... ). Wird dami t dem asketischen Ideal e nichts meh r ,beweisen" ; sio verschmäht es, den Richter
eig n lliah e ntg eg en gearb e it e t ? Meint. man wi rklich zu spiel en, und hat darin ihren guten Gesc hmack, -
all en Ern s tes noch (wi es die T heologen eine ZeiLiang sie bejaht so wenig, als sie vernei nt, sie stellt fest, si
sich einbildeten), daß etwa K a nts ieg über die thoo- beschr eib t" . . . Dies alles i ·t in einem hohen Grade aske-
log i ehe Begriffs-Dogmatik (" Gott" "Seele " "Freih ci " ~isch; es ist aber zugleich i n in em noch höheren Grade
" nstcrblichkcit") jenem Ideale Ab bruch getan ha be? - nihili s is ch , da rüber t äusch man sich nicht! 1lan
wobei es un s einstweilen ni chts angehn soll, ob Kaut sieht einen trau rigen, har ten, a ber entschlos cnen Blick ,
selber e twas Der ar tiges überh aupt a uch nur in Absicht - ein Auge, das hin a u s s eh a u t , wie ein vereinsamter
gehabt hat. Gewiß i st, daß alle Ar t 'l'rauszendeut.alistcn ordpolfahrer hinausschau (vi elleicht um nicht hi nein-
seit K a ut wi eder ge wonn enes piel haben, - sie sind zuschau en? um nicht zur ückz u chaucn? .. .). Hier ist
von d u Theologen emanzipiert: welche Glü ck! - er Schn ee, hi er ist das Leben verstummt; die letzten Krähen,
hat ihn en jenen c11lcichweo- v rraten, a uf dem sie nun · die hier la ut werden, heißen "Wo zu ?", "Umsonst!",
mehr auf eigne Faust und mit dem be ten wiss nschaft- "Nada!"- hier gedeiht und wäch st nich ts mehr, höch-
li chen Anstande den "Wün chen ihres H er zens " nachgchn stens P etersburger Metapolitik und Talstoisches "Mit-
dü. rfen. Tn g leichen: wer dürfte es nunm ehr den A!!llo- leid" . W as aber jene andere Art von Historikern betrifft,
b
stikern ver argen, wenn sie, als die Verehrer des nbe- ein e vielleicht noch "modern ere" Art , eine genüßli che,
Jc ann n und Gehcimui voll en an ich, das F r a geze i - wollüstige, mit dem Leben eben osehr als mit dem aske-
c hen s elbst. jetzt als .,-o ft anbeten ? (Xaver Doudn.n tischen Idealliebäugelnde Art, welche das Wort "Arti "
407
clem askcti ·chen Ideal, ofcrn solang
c · an sich selber glaubt und un · keine Pos en vormacht!
Ab~r ich m< g alle diese koketten ·w anzen nicht, deren
Ehrgeiz un r ätllich darin i t, nach dem Unendlichen zu
riechen, bis zulrt.zt das Unendliche nach '\\Tanzen riecht;
ich ma.g die üb rtünchten räb r nicht, die das Lebt•u
s hau pielcn1; ich mag di Müden und Vernutzten nicht, ,
welche ·ich in W cis h it einwickeln und "objektiv"
blick n; ich ma<> die zu II ld n aufgeputzten gitaioren
nicht, die eine Tarnkappr von Ideal um ihren trohwisch
von Kopf tragen; ich mag die lHgeizigcn I ün tler nicht,
di den skeicn und Priester bedeutPn möchten und im
runde nur tragische H an. würstc sind; ich mag auch
sie nicht, die c n u ·teu pckulant n in Idealismus, die
ntisemitcn, welche heute ihre ugen chri tlich-ari ch-
bi drrmänni eh vcrdr hn und durch einen j cle Geduld
cr:chöpf ndrn 11ißbrauch dP · wohlfeilslrn Agitations-
mitt,ls, drr morali chcn Altiiüdc. al le H on1vi h-Elemente
de Volk •s au fzu r cgeH suchen (- daß j · de Art • chwin -
J l
cl el- i ·Lrr i im heutigen Deu t ·eh land nicht ohM Erfolg t
bl il.Jt, hiingt mit der nachgerade unableugbar n und b ·
reits handgrPiflichen· V r öduncr d s cleulsehen reistes
zu am m n, d('ren Ursache ich in iner all zu ausschließ-
lich •n Ernährung mit. Zeitun"'f'JI, P olitik, Bier und \Va"'·
n ri · ·he r ll l u. ik such . hinzugerech n t, wa die Voraus·
sdz ung für di e Diät abgibt: einmal die nationale Ein-
klemmung und Eitelkeit. das stark , aber enge Prinzip
.,Deutschland. Dcu chland über all es", soclann aber die
I aTalysis agiLan der , modern n Id en"). Enropa i t
h ute r ich und er finderisch vor all m in rregungs·
mi trln, r ·cheint nichts nöti"'C'r zu haben al · stimulanlia.
un cl gebranntP Wa r: daher aurh die unrrehrur .Fäl-
cher i in Icl alrn, die n gebrannte ten Wa crn des 'ei-
tes, dahc•r auch di e widrig , übetri ehcnde, verlogn e,
pscndo-a lkoholi eh r Luft ü brrall. I eh miicht" wis en, wie
40 Zur Genealogie d t' !oral was bedeuten asketisch ldealeV 409
viel chil'I~ladungen von nachgemachtem ldeali mus, von und ohne J!'al ·c.hmünzcrci um W erke ist, entbehrt er j tzt
Helden-Kostümen und Klapperblech großer Worte, wie überhaupt de · Ideal - der populäre Ausdruck fü r diese
viel Tonn en ver zuckerten pirituosen Mitgefühls (Firma: Ab tincnz i t "Atheismus" - : abge r echnet seines
la r eligion de la ouffranc ), wie viel tclzbeine "ed ler Ent- Will ens zu r WahrheiL J)i scr Wille aber, dieser
rü stung" zur rachhilfe gci tig Plattfüßige r, wie viel R est. von Ideal , i t, wenn man mir glauben will, j ncs
Kom ödianten des chri tlich-morali ·chen Ideals heute Ideal selb t in seiner sireng ·tcn, gcist.icr tcn Formulic·
aus Europa expo r tiert w rden müßten, damit seine LuH rung, esoterisch ganz und gar, alles Außenwerks ent-
wieder r einl icher r öc11C ... ErsichLlich steht in Hin sicht kleidet som it nicht sowohl se in R est , als sei n Kern. Der
auf diese Überprodu ktion ein e neu IIand el s- Möglich- unbcdi~gte r ed liche Atheismu (-un d seine Luft allein
lccit offen, er ichtlich isL mit kleinen Ideal·Götzen und atmen wir, wir gei t.i crcn Mensch n die es Zeitallcrs !)
zugehörigen "Idealisten" ein neucs "Geschäft" zu machen steh t demgemäß nic h t im egensat.z zu jenem Id eale,
-man überhör diesen Zaunspfahl nicht! W er haL Mut wie es tlen Anschein hat; er ist viel mehr nur eine seiner
genug dazu? - wir haben es in der Hand, die ganze letz ten Ent.wicklungspha n, ciuc seiner chluß formen
Erde zu "ideali ieren"! ... Aber was rede ich von Mut: und inneren Folgerichligkcitcn, - er i t d ie Ehrfurcht.
hier tut Eins nur not, eben die H and, eine un befangn e, gcbi etcntlc Kat.astrophe ein er zweilausendjährigen
eine sehr unbefangne H and ... Zucht zur W ahrheit, w lche a.m ch lusse sic h die Lü ge
im G l auben an ott verbietet. (Derselbe Entwick-
27
lungsgang in Indien, in vollkommner Unabhängigk it und
- Genug! Genug! Lassen wir diese Kuriositäten deshalb etwas beweisen d ; dasse lb Ideal zum g leichen
und K omplexitäte n des modernsten Geistes, an denen Scl lu ssc zwingend; der en tschcidcnde Punkt fünf Ja hr·
ebensoviel zum Lachen als zum Verd rießen ist: gerade hundcr te vor der eu ropäischen Zeitrechnung erreicht, mit
uns e r Problem k a nn deren (lntraten, das Problem von Buddha, "'enauer: schon mit der an khyam-P hilosophie,
der Be de u tun g des asketischen Ideals, - was hat das- diese dan~ durch Buddha popu larisiert und zur R lig ion
selbe mit
. .
Gestern
.
und Heute zu tun! .Jene Din "'e sollen gem ac ht.) W as, in all r trenge gefragt, h at eigen tli~h
0
von mir m einem anderen Zusamme nhange gründlicher über den chri stl ichen Gott gcs i eg t ? Die Antwort steht 1n
und härter augefaßt werden (u nter dem Titel "Zur Ge- meiner "fröhl ichen W issenschart" Aph . 3~ 7: "Die christ·
schichte des eu r opä i chen ihili mus " ; ich verweise dafür lieh e i or alität selbst, der imm er strenger genommene
auf ein W erk, das ich vorbereite: "Der Wille zur Begr iff der W ahrhaftigkeit, die Beichtväter-Feinheit des
Macht." V ersuc h einer mw c rtung a l ler Werte). chr istlichen Gewi sens, übersetzt uncl subl imiert zum
Wo rauf es mir allein ankommt, hier hingew iesen zu wissenschaftlichen Gewissen, zur in tell ektuellen Saube r-
haben, ist dies : das asketische Ideal hat auch in der kci um jeden Preis. Die a.tur anschn, als ob sie ein
geistig tcn Sphäre ei ns tweilen imm er nur noch Eine Art Beweis für die Güte und Obhut eines Gottes se i; die
von wirklichen Feinelen und chä cli gern : das si nd die Geschichte interp retie ren zu Ehren einer göttlichen Ver-
Komödianten dieses Idea ls, - denn sie wecken Miß· nunft, als beständiges Zeug nis einer sittlichen Wcltord-
trauen. Überall sonst, wo der Geist heute strcn"' o•
mächtig nun"' und sittlicher chlußabsichten; die eignen Erleh-
o
410 Zur G e uealogi e d e r Mor a l W ns b d e uten a s k ti sc he Id ea le ~ 411
nissc auslc•g •n, wie ie f rom me M l'll ·(• hcn la u re genug
a u g~ lcg t h aben , wie als ob alles Fii gun", ::t.lles Wink. 28
a ll e dem H ei l der eel • zu li •ht• a u:wcdacb.L und ge- icht. ma n vom a keti eh n Id a le ab: so hatte der
cllickL sei: das i. nunmehr vo rb e i , das ha t das ~­ fcn. eh, dns Tier .lll ensch b ishrr k ein n i nu . ein Dasein
wisecn g geH ich, das gilt a llen fein r n Gewis en a ls a uf Erden nlhi cli k ein Zi l ; "wozu Mensch üb rhaup ?"
unans tändi g, unehrlich, als Lii gncrei, Fcminini smu , - war eine Frage ohn e An t.wort; der Will e für M nsc.h
chwachh ciL, F cig h i L, - mit dirser Lr ng , wenn irgend und •rde f l'hlic ; hint.cr jedem g roßen Men ch cn- chick-
womit, ind wir eben g ut e Eur op ilc r und Erben von sale klang als R efr ain ein noch g rößeres "Umsons !"
Europas l i.lngs ter und t::tpf rster clbsiüberwindung ." . .. Da s bcn bedr uiet. dns ask etisch Ideal : daß etwas
All e •roßcn Dinge grhen dur h .· ich elbs i zu g runde, r hlt. ' daß in e un geh ur Lü ck den 1ensch D um-
durch r in cn Akt dr r el bs la u fhe bung: will s das stnnd, - er wuß te ir h clbsL nich t zu recht fertig n, zu
ese lz dr L beu s, das Oe ei z d r n ot w e ndi g n crlrl ün• u, zu bejahen, er li L a m ] rohlerne seines inn .
elb ·Lüb rwindun g" im W esen des Lebens, - immpr Er lil L a uch ;;ons l, er wa r in der H a up achc ein krank ·
crgrhi zulclzL a n den eseizgebcr lbst der Ruf: paler e h a fl s Ti er: abr r ni c ht das Leiden s lbs t. wa r sein
l g m, qu am ipse tulisti. Derg i.ali g ing das 'hri tenturu Probl em, sondr rn daß di e Ant.wort f ehlte für den ehr i
11 ls D og ma zug runde, an scin r r ig ncn [or al; dcrg si ali der Frag "w o zu lcidrn !"' Der Men eh, das La pfers t
muß nun au ch das hris tenlum al s M o r a l n ocl1 zug runde und leidgewohntes ie Tier , v rn cint an sich ni c h L das
"'ehn , - wir s t hen an der chwelle di •. • Er igniss s. L iden; er will es, er s ucht s selbst auf, vora n gese tzt,
achdem di e chris tliche Wahrhaftig keiL ein en chluß daß man ihm ein en inn dafür aufzeig t , ein D az u drs
nach dem and rn gezog en haL, zieht. ie a m Ende ihr 11 L eidens. Die innl os igk cil des LeidPn . n ic h da L ei-
s ii.lrk l n chluß , ihr 11 chluß egc n s ich selb·t ; den , war drr Flu ch, d r bi sh r über der 1en chh eit ausge-
di s ab r gc ehieht., wenn ie die Frage. Lell i " wa s b e- hr iiet. l ag, - u nd d a s a k cl i sc h e Id ea l h o L ihr
d e ut Lall rWill e zurW a hJ·h ei L?" . . . TTntlhierriihre 'in ,. n in n ! E s w ar bi her der inzi ge inn; irg •nd ein
ich wi eder a n mein Problem an un er PrulJ! em, m in e inn i t, besser als ~ar kein i nn; das n.·krt i ·e h Tdeal
u n b lr a n o ic n Freu nd e (- dem1 noch w iß ich von war in jedem BeLmehl das .,t'a n tr d e roi eux" pa r exce l-(
kein em l<'r und e) : welchen iuu hiiil un . e r ga11zes ein. leuce , di.LS bi ~< h e r gab. In ihm w ar das L eiden a u g e·
w "un 11ieht. d<'n, daß in un s jener 'W ille zur \Ya hrli eit 1 g ; di P u ngc h ure L ere schien au. cfü1H ; di Tür
·ich sclh L ::t l s Pr o bl e m zum Bewußt in ek omnJCn schloß sich YOr allr m s db im örderisch rn ihilismu zu .
wäre? . . . n di rm i h-hcwußl-werden dc 'i ill cn Die Auslegung - i t k rin Zweifel - bracht nem s
zur \Vahrh it. gr hL von nun an - danw is l k •in Zweifel };eidrn mil si h, tief r , inn rli clw rc . giftige res, a m
-- die Mor al zu rund e : j n r· or roße chau ·piel in hun- L eben n ag ndr rcs: s ie bra hl all . ~r id e n unter die
d ril~kir n. da. den nü hsl rn zwei .Jahrhund rlen Europas P er pekli ve dr r c huld . . . ber Lrolz a lled m - d r
aufg · p ar t bl i hi, da fur ch Lba I'."Ü', frag würdig~<te und 1enscb w:n damit g r e tt e t , er h aLt e einen inn, r w ar
vieHeich au ch hoffnung T ich. il' al !er chau. pie!e .. . fürd rhin nicht mehr wie in Bln.Lt im Wind e. in ' pi r l-
ball des nsinu , de " hn · ' inn " , er konnle nunmehr


412 Zur Genealogie del' Moral

etwas wollen, - gleichgültig zunächst, wohin, wozu,


womit er wollte: der Wille selbst war gerettet.
Ian kann sich schlechtcrding·s nicht verbergen, was
ei"'cnllich jenes ganze Wollen ausdrückt, das vom aske-
tischen Ideale her seine Richtung bekommen hat: dieser
Haß gegen das Menschliche, mehr noch gegen das Tie-
rische, mehr noch gegen das lofiliehe, dieser Abscheu
vor den Sinnen, vor der Vernunft selb ·L, die Furcht vor
dem l üclc und der chönheiL, dieses Verlangen hinweg
aus allem chein, Wechsel, Werden, Tod, Wunsch, Ver-
laugen selbst - das alles bcdeu tet, wagen wi r es, dies
zu begreifen, inen Willen zum nichts, einen Wide r-
willen g rgcn das Leben, eine Auflehnung gegen die grund-
sätzlichsten Vorau setzungen des Lebens, aber es ist un d
bleibt ein Wille! . . . nd, um es noch zum Schluß zu
sagen, was ich anfangs sagte: lieber will noch der fensch
das 1 i eh ts wollen, als nicht wollen . ..

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