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Buch

Ist der Gott der Philosophen identisch mit der »Macht« in den Star-Wars-Fil-
men? Was hat Kants »Ding an sich« mit der männlichen Anatomie zu tun? Und
wie schaffte es Moses, Gott auf nur zehn Gebote herunterzuhandeln? So wie
Philosophie eine überaus amüsante Sache sein kann, gibt es eine erstaunliche
Fülle intelligenter Witze, die beim näheren Hinsehen eine hintergründige phi-
losophische Bedeutung offenbaren. »Piaton und Schnabeltier« lehrt uns Phi-
losophie auf mühelose Art und Weise mittels Humor. Nach der Lektüre des
Buches ist es ein Leichtes, »induktive« von »deduktiver Logik« und »a priori«
von »a posteriori« zu unterscheiden. Wir wissen, warum wir uns in der »besten
aller möglichen Welten« aufhalten, obwohl »Gott« bekanntlich »tot ist« - und
fühlen uns trotz oder gerade wegen der ernsten Thematik bestens unterhalten.

Autoren

Thomas Cathcart und Daniel Klein studierten in Harvard Philosophie. Tho-


mas Cathcart arbeitete mit Straßenkindern in Chicago. Daniel Klein arbeitete
als Gag-Schreiber für Comedians und ist Thriller-Autor. Beide sind verheiratet
und leben in New England.
Thomas Cathcart • Daniel Klein

Platon und Schnabeltier


gehen in eine Bar ...
Philosophie verstehen durch Witze

Aus dem amerikanischen Englisch


von Thomas Pfeiffer und Reinhard Tiffert

GOLDMANN
Inhalt

Eine Einführung in den Witz der Philosophie 9

1 Metaphysik 17

' 2 Logik 41

3 Erkenntnistheorie 69

4 Ethik 101

5 Religionsphilosophie 125

6 Existenzialismus 145

7 Sprachphilosophie 159

8 Sozial-und Staatsphilosophie 179

9 Relativität 209

10 Metaphilosophie 221

Summa summarum: eine Zusammenfassung 227

Sternstunden in der Geschichte der Philosophie 229

Glossar 233

Dank 239
Gewidmet dem Andenken
an unseren philosophischen Großvater

GROUCHO MARX

Er brachte unsere Überzeugungen


in einem Satz auf den Punkt:
Dies sind meine Prinzipien; falls sie Ihnen
nicht gefallen, ich habe auch andere.
Eine Einführung

DIMITRI: »Wenn Atlas die Welt auf seinem Rücken trägt, auf
wem steht dann Atlas?«
TASSO: »Atlas steht auf dem Rücken einer Schildkröte.«
DIMITRI: »Aber worauf steht die Schildkröte?«
TASSO: »Auf einer zweiten Schildkröte.«
DIMITRI: »Und worauf steht diese Schildkröte?«
TASSO : »Mein lieber Dimitri, es sind lauter Schildkröten, bis ganz
nach untenl«

Dieses Häppchen antiker griechischer Dialog illustriert perfekt


die philosophische Idee des unendlichen Regresses, ein Kon-
zept, das im Zusammenhang mit der Frage nach einer ersten Ur-
sache - des Lebens, des Universums, von Zeit u n d Raum und,
vor allem, eines Schöpfers. Da etwas den Schöpfer erschaffen
haben muss, kann die kausale Kette - die Schildkröte - nicht
mit ihm enden. Oder mit dem Schöpfer hinter ihm. Oder dem
hinter dem. Es sind Schöpfer, bis ganz nach unten - oder oben,
falls Sie das für die angemessenere Richtung für die Jagd nach
Schöpfern halten.
1 0— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

GSSD

Falls Sie der Ansicht sind, dass der unendliche Regress


ganz schnell nirgendwohin führt, probieren Sie es doch
mit der Doktrin der Creatio ex nihilo - der Schöpfung aus
dem Nichts oder, wie John Lennon es in einem leicht
anderen Kontext formulierte: »Vor Elvis gab es nichts.«

Aber kehren wir nochmals zum alten Tasso zurück. Seine Er-
w i d e r u n g - »Es sind lauter Schildkröten, bis ganz nach un-
ten!« - ist nicht nur erhellend, sie klingt auch definitiv nach
einer Pointe. Ta-ta-damm!
Uns überrascht das kein bisschen. Die Konstruktion u n d
Auflösung von Witzen u n d die Konstruktion u n d Auflösung
philosophischer Konzepte folgen weitgehend denselben Prin-
zipien, u n d beide necken den Verstand auf ähnliche Weise.
Was daran liegt, dass Philosophen u n d Witzmacher denselben
Impulsen folgen: Die einen wie die anderen wollen unser Ver-
ständnis dafür, wie die Dinge sind, herausfordern, unsere Welt
auf den Kopf stellen u n d verborgene (und oftmals unange-
nehme) Wahrheiten über das Leben aufspüren. Was dem Philo-
sophen die Erkenntnis ist, ist dem Witzmacher der Lacher.
Nehmen wir folgenden klassischen Witz. An der Oberfläche
wirkt er zunächst einfach wie ein typisch dämlicher Witz, bei
näherer Betrachtung zielt er direkt auf den Kern der britischen
empirischen Philosophie ab - die Frage, welcher Art Informa-
tion über die Welt wir vertrauen können.
EINE EINFÜHRUNG — 11

Morty kommt unverhofft nach Hause und erwischt seine Frau und
seinen besten Freund Lou nackt zusammen im Bett. Morty will ge-
rade losbrüllen, da springt Lou aus dem Bett und ruft: »Bevor du was
sagst, alter Knabe, wem glaubst du mehr? Mir oder deinen Augen?«

I n d e m Lou das Primat der S i n n e s w a h r n e h m u n g herausfordert,


stellt er die Frage danach, welche Art Daten zuverlässig ist u n d
w a r u m sie das ist. Ist eine Methode der S a m m l u n g von Infor-
mationen über die Welt - sagen wir, sehen - zuverlässiger als
eine andere, z u m Beispiel ein Glaubensakt, der Lous Beschrei-
b u n g der Realität akzeptiert.
Hier ein weiteres Beispiel für einen Philogag, dieses Mal eine
Variation über das Analogieargument, demzufolge zwei Er-
scheinungen, die sich ähnlich sind, auch eine ähnliche Ursache
aufweisen müssen:

Ein Neunzigjähriger geht zum Arzt und sagt: »Herr Doktor, meine
achtzehnjährige Frau erwartet ein Kind.«
Darauf der Arzt: »Ich will Ihnen mal eine Geschichte erzählen.
Ein Mann ging zur Jagd, aber statt seines Gewehres nahm er einen
Regenschirm mit. Als plötzlich ein Bär auf ihn zu rannte, hob er den
Regenschirm an und erschoss den Bären.«
Der Neunzigjährige: »Unmöglich. Jemand anderes muss den Bä-
ren erschossen haben.«
Darauf der Arzt: »Genau das wollte ich sagen.«

Man k a n n sich keine bessere Illustration des Analogieargu-


m e n t s w ü n s c h e n , ein philosophisches Argument, das derzeit
12 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

(und fälschlicherweise) von den Neokreationisten als Beweis


für Intelligent Design (sprich, w e n n es einen Augapfel gibt,
muss es auch einen himmlischen Augapfel-Designer geben)
angeführt wird.
Wir könnten dieses Spiel noch endlos weitertreiben - u n d in
der Tat haben wir vor, genau das zu tun, u n d zwar vom Agnos-
tizismus bis z u m Zen u n d von der Hermeneutik bis zur Ewig-
keit. Wir werden Ihnen zeigen, dass m a n philosophische Kon-
zepte anhand von Witzen erläutern kann - u n d dass viele Witze
voller philosophischer Konzepte stecken. Einen Moment mal,
sind diese beiden Aussagen nicht identisch? Nun, das k o m m t -
wie wir Ihnen später erklären werden - ganz darauf an.

Wer als Student ein Philosophieseminar belegt, hofft üblicher-


weise darauf, gewisse Einblicke in, sagen wir, den Sinn des Le-
bens zu erhalten. Doch d a n n schlendert irgendein zerknitterter
Kerl in nicht zueinander passenden Tweedsachen auf das Po-
dium u n d fängt an, sich über den Sinn des Begriffes »Sinn«
auszulassen.
Eins nach dem anderen, erklärt er. Bevor wir eine Frage, ob
n u n klein oder groß, beantworten können, müssen wir zuerst
verstehen, was die Frage selbst bedeutet. Nachdem wir anfangs
nur widerwillig zuhören, stellen wir bald fest, dass das, was der
Kerl da erzählt, verdammt interessant ist.
So ist das eben mit der Philosophie - u n d den Philosophen.
Fragen zeugen Fragen, u n d diese Fragen zeugen eine ganze Ge-
neration neuer Fragen. Es sind lauter Fragen, bis ganz nach un-
ten!
EINE EINFÜHRUNG ^— 13

Natürlich können wir mit den ganz grundlegenden Fragen


beginnen, mit Fragen wie »Was ist der Sinn des Lebens?«, »Gibt
es einen Gott?«, »Wie kann ich mich selbst verwirklichen?«
oder »Sitze ich im richtigen Seminarsaal?«, aber wir werden
schnell feststellen, dass wir andere Fragen stellen müssen, wol-
len wir unsere ursprünglichen Fragen beantworten. Dieser Pro-
zess hat zur Entstehung einer ganzen Palette philosophischer
Disziplinen geführt, die sich alle mit ihren ganz eigenen Groß-
fragen beschäftigen, indem sie die ihnen zugrunde liegenden
Fragen zu stellen u n d zu beantworten versuchen. Noch irgend-
' welche Fragen?
So fällt die Frage »Was ist der Sinn des Lebens?« in den Auf-
gabenbereich der als Metaphysik bekannten philosophischen
Disziplin, u n d die Frage »Gibt es einen Gott?« in den einer na-
mens Religionsphilosophie. Mit der Frage »Wie kann ich mich
selbst verwirklichen?« beschäftigt sich der Existenzialismus,
u n d wer sich fragt, ob er im richtigen Seminarsaal sitzt, wird
in der noch jungen philosophischen Schule der Meta-Philoso-
phie fündig, wo es unter anderem um die Frage »Was ist Phi-
losophie?« geht. Und so widmet sich, hübsch aufgeteilt, jede
Sphäre der Philosophie unterschiedlichen Kategorien von Fra-
gen u n d Konzepten.
Wir haben dieses Buch nicht chronologisch organisiert, son-
dern nach den Fragen, die wir im Kopf hatten, als wir den Se-
minarraum betraten, in dem unser erstes Philosophieseminar
stattfand - u n d den philosophischen Disziplinen, die sich mit
diesen Fragen auseinandersetzen. Das Vergnügliche daran ist,
dass es, wie sich zeigt, jede Menge Witze gibt, die dasselbe kon-
14—<?> PLATON UND SCHNABELTIER

zeptionelle Territorium wie diese Disziplinen abdecken. (Purer


Zufall? Oder gibt es doch so etwas wie einen intelligenten
Schöpfer?) U n d es gibt einen sehr wichtigen Grund, warum all
das so vergnüglich ist: Als wir beide diesen Seminarsaal wieder
verließen, waren wir dermaßen verwirrt u n d verunsichert, dass
wir überzeugt waren, dieses hochgeistige Zeug niemals in un-
sere Schädel hineinzubekommen. Just in dem Moment gesellte
sich ein Student aus einem höheren Semester zu uns u n d er-
zählte uns den Witz über Morty, der nach Hause k o m m t u n d
seinen besten Freund mit seiner Frau im Bett erwischt.
»Nun, das ist Philosophie!«, sagte er.
Wir nennen es Philowitzie.
THOMAS CATHCART

DANIEL KLEIN

Im August 2006
(1)
Metaphysik

Die Metaphysik geht die großen Fragen frontal an: Was ist Sein?
Was ist die Natur der Realität? Haben wir einen freien Willen?
Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze tanzen? Und wie
viele braucht man, um eine Glühbirne auszuwechseln?

DIMITRI: »Tasso, es gibt da eine Sache, die mir in letzter Zeit


ziemliches Kopfzerbrechen bereitet.«
TASSO: »Und das wäre?«
DIMITRI : »Was ist der Sinn von allem?«
TASSO: »Was allem?«
DIMITRI: »DU weißt schon, Leben, Tod, Liebe - das ganze ge-
füllte Weinblatt.«
TASSO: »Was bringt dich auf den Gedanken, dass irgendetwas
davon einen Sinn hätte?«
DIMITRI: »Weil es so sein muss. Andernfalls wäre das Leben
doch bloß ...«
TASSO: »Was?«
DIMITRI: »Ich b r a u c h einen Ouzo.«
18 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Teleologie

Hat das U n i v e r s u m einen Sinn?


Laut Aristoteles hat alles ein Telos, sprich ein i h m eigenes
Ziel, das zu w e r d e n es anstrebt. Eine Eichel hat ein Telos: eine
Eiche zu werden. Das ist der »Endzweck« einer Eichel. Vögel
h a b e n ein Telos, u n d Bienen h a b e n eines. U n d u n t e n in Boston,
in Bean City, b e h a u p t e n sie, dass sogar Bohnen einen Endzweck
haben. Ein i m m a n e n t e r Endzweck ist Bestandteil der G r u n d -
struktur der Wirklichkeit.
W e n n Ihnen das ein wenig zu abgehoben erscheint, lesen Sie
die folgende Geschichte: So einfach holt Mrs. Goldstein das Te-
los auf die Erde herunter.

Mrs. Goldstein geht mit ihren Enkelkindern die Straße hinunter und
trifft eine Freundin. Wie alt denn die Kleinen seien, will die Freundin
wissen.
Darauf Mrs. Goldstein: »Der Arzt ist fünf, und der Anwalt wird
sieben.«

Hat das menschliche Leben ein Telos?


Aristoteles war davon überzeugt. Für ihn bestand der End-
zweck des menschlichen Lebens in der Erreichung der Glück-
seligkeit, eine Ansicht, die allerdings nicht von allen Philo-
s o p h e n geteilt wird. Sieben J a h r h u n d e r t e später postulierte
z u m Beispiel Augustinus die Liebe zu Gott als Telos des m e n s c h -
lichen Lebens, u n d für einen Existenzialisten des 20. J a h r h u n -
derts wie Martin Heidegger liegt das Telos des Menschen da-
METAPHYSIK •<I— 19

rin, ein Leben o h n e Verleugnung der w a h r e n Bedingungen des


Menschseins u n d insbesondere des Todes zu führen. Glückselig-
keit? Wie oberflächlich und banal!
Witze ü b e r d e n Sinn des Lebens v e r m e h r e n sich so schnell
wie Theorien über d e n Sinn des Lebens, die sich ihrerseits wie-
d e r u m so schnell v e r m e h r e n wie die Philosophen.

Ein Sinnsuchender hört, dass der weiseste Guru von Indien auf der
Spitze des höchsten Berges des Landes lebt. So wandert der Su-
chende viele Tage und Wochen, bis er schließlich vor dem sagen-
umwobenen Berg steht. Der Berg ist unglaublich steil, und mehr
als einmal verliert er den Halt und fällt. Als er endlich die Spitze er-
reicht, ist er am ganzen Körper zerschunden und zerschlagen, aber
das spürt er kaum, denn da sitzt vor ihm der Guru mit überein-
ander geschlagenen Beinen vor seiner Höhle.
»Oh weiser Guru«, ruft der Suchende, »ich bin den ganzen Weg zu
dir gekommen, um dich nach dem Geheimnis des Lebens zu fragen.«
»Ach ja, das Geheimnis des Lebens«, erwidert der Guru. »Das
Geheimnis des Lebens ist eine Teetasse.«
»Eine Teetasse? Ich habe mich auf der'Suche nach dem Sinn des
Lebens den ganzen Weg hier herauf gemüht, und du sagst mir, der
Sinn des Lebens sei eine Teetasse?«
Der Guru zuckt mit den Achseln. »Nun ja, vielleicht ist er ja auch
keine Teetasse.«

Das Telos des Lebens zu formulieren ist, wie der G u r u offen-


k u n d i g weiß, ein überaus gewagtes Vorhaben - u n d das z u d e m
nicht n a c h j e d e r m a n n s Geschmack.
20 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Allerdings besteht ein Unterschied zwischen d e m Telos des


Lebens - sprich j e n e m d e m Menschen i n n e w o h n e n d e n End-
zweck - u n d d e n Zielen, die ein bestimmter Mensch in seinem
Leben verfolgt - das also, was er sein möchte. Strebt Sam, der
Zahnarzt in der folgenden Geschichte, wirklich das universelle
Telos des Lebens an, oder m a c h t er n u r sein eigenes Ding? Seine
Mutter jedenfalls hat eindeutig ihre ganz eigene Vorstellung
v o m Telos des Lebens ihres Sohnes.

Sam Lipschltz, ein Zahnarzt aus Philadelphia, reist nach Indien,


um dort den Sinn des Lebens zu finden. Monate ziehen ins Land,
ohne dass seine Mutter auch nur ein Wort von ihm hört. Schließ-
lich setzt sie sich in ein Flugzeug und folgt Ihm nach Indien. Dort
angekommen, erkundigt sie sich nach dem weisesten Mann des
Landes, woraufhin man ihr den Namen eines Ashrams nennt. Vor
dem Ashram sagt ihr ein Wächter, dass sie eine Woche auf eine
Audienz mit dem Guru warten müsse und dann, wenn es so weit
sei, nur drei Worte zu ihm sagen dürfe. Sie wartet und überlegt sich
sorgfältig, was sie sagen soll. Als man sie schließlich vor den Guru
führt, sagt sie zu ihm: »Sam, komm heim!«

W e n n Sie »Metaphysik« im W ö r t e r b u c h nachschlagen,


erfahren Sie, dass der Begriff d e m Titel eines Bandes phi-
losophischer Schriften des Aristoteles entstammt u n d die
Disziplin sich mit Dingen auf einem Abstraktionsniveau
jenseits (meto) der wissenschaftlichen Beobachtung be-
fasst. Doch wie sich zeigt, handelt es sich dabei um et-
METAPHYSIK •<I— 21

was, was der Lateiner post hoc locum (nach dieser Stelle;
A. d.Ü.) nennt. Tatsächlich nämlich nannte Aristoteles
seine Schrift gar nicht »Metaphysik«, ganz zu schweigen
davon, dass er sich darin mit jenseits der sinnlich erfahr-
baren Welt liegenden Dingen beschäftigte. In Wahrheit
geht der Begriff auf einen Herausgeber der gesammelten
Werke Aristoteles im ersten Jahrhundert nach Chr. zu-
rück, der diesen Titel wählte, weil das Kapitel »jenseits«
(oder einfach »nach«) Aristoteles' Abhandlung über die
»Physik« kam.

Essentialismus

Welches ist das Wesen der Wirklichkeit? Welche spezifischen


Eigenschaften machen die Dinge zu dem, was sie sind? Oder,
wie Philosophen gerne sagen: Welche Attribute sind dafür ver-
antwortlich, dass die Dinge nicht sind, was sie nicht sind?
Aristoteles unterschied zwischen essentiellen u n d zufälligen
Eigenschaften. Die essentiellen Eigenschaften sind, wie er es
formulierte, diejenigen, ohne die ein Ding nicht das wäre,
was es ist, während die zufälligen Eigenschaften bestimmen,
wie eine Sache ist, nicht aber, was sie ist. Zum Beispiel war
Aristoteles der Meinung, dass die Vernunft essentiell für das
Menschsein sei, u n d da Sokrates ein Mensch war, war Sokrates'
Vernunft essentiell dafür, dass er Sokrates war. Ohne die Ei-
genschaft der Vernunft wäre Sokrates schlicht nicht Sokrates
2 2— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

gewesen. Demgegenüber hielt Aristoteles Sokrates' Eigenschaft


der Stupsnasigkeit f ü r b l o ß zufällig; Stupsnasigkeit war ein Teil
dessen, wie Sokrates war, aber nicht essentiell dafür, was oder
wer er war. Anders ausgedrückt: N i m m Sokrates seine Vernunft
weg, u n d er ist nicht länger Sokrates; schick ihn z u m Schön-
heitschirurgen, u n d er ist Sokrates mit einer Nasen-OE Was
u n s an einen Witz erinnert:

An seinem siebzigsten Geburtstag entscheidet Thompson, sein Le-


ben radikal umzukrempeln. Er will länger leben. Er hält strikt Diät,
fängt an zu joggen, geht regelmäßig schwimmen und nimmt Son-
nenbäder. In nur drei Monaten nimmt er fünfzehn Kilo ab und
reduziert seinen Hüftumfang um achtzehn Zentimeter, während
sein Brustumfang um fünfzehn Zentimeter anschwillt. Durchtrai-
niert und gebräunt, wie er ist, beschließt er, dem Ganzen mit einem
neuen, sportlven Haarschnitt die Krone aufzusetzen. Mit sich zufrie-
den, tritt er aus dem Friseurgeschäft auf die Straße - und wird von
einem Bus überfahren.
Sterbend liegt er auf der Straße und schreit: »Oh mein Gott, wie
konntest du mir das nur antun?«
Da antwortet Ihm eine Stimme aus dem Himmel: »Um ehrlich
zu sein, Thompson, ich habe dich nicht erkannt.«

Ganz offensichtlich hat der arme T h o m p s o n etliche zufällige


Eigenschaften seiner Person geändert, d e n n o c h sehen wir in
i h m , u n d , was das betrifft, er auch in sich, i m m e r n o c h d e n
essentiellen, d e n eigentlichen T h o m p s o n , zwei Bedingungen,
die f ü r das Funktionieren dieses Witzes v o n essentieller Bedeu-
METAPHYSIK •<I— 23

tung sind. Ironischerweise ist die einzige Figur in d e m Witz,


die T h o m p s o n nicht wiedererkennt, Gott, d e m m a n gemeinhin
Allwissenheit unterstellt.
Eine ganze Reihe von Witzen dieses Strickmusters illustriert
u n d n i m m t diesen Unterschied zwischen essentiellen u n d zu-
fälligen Attributen aufs Korn.

Abe: »Sol, ich habe ein Rätsel für dich. Was ist grün, hängt an der
Wand und pfeift?«
Sol: »Keine Ahnung.«
Abe: »Ein Hering.«
Sol: »Aber ein Hering ist nicht grün.«
Abe: »Nun, man kann ihn grün anmalen.«
Sol: »Aber ein Hering hängt nicht an der Wand.«
Abe: »Nimm einen Nagel, und er hängt an der Wand.«
Sol: »Aber ein Hering pfeift nicht.«
Abe: »Ja, und? Dann pfeift er eben nicht.«

Mit der folgenden Version werden Sie in einer Talkshow k a u m


Lacher ernten, aber Sie k ö n n t e n damit auf einem Philosophen-
Kongress Eindruck schinden.

Abe: »Was ist das Objekt >X< mit den folgenden Eigenschaften: Grün-
lichkeit, Wand-Hängigkeit und mit Pfeiffähigkeit ausgestattet?«
Sol: »Ich bin außerstande, mir ein Objekt mit dieser Kombina-
tion von Eigenschaften vorzustellen.«
Abe: »Ein Hering.«
Sol: »Ein Hering weist keine Grünlichkeit auf.«
24 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Abe: »Nicht als essentielle Eigenschaft, Solly. Aber ein Hering


könnte zufällig grün sein. Versuch doch mal, einen anzumalen. Du
wirst schon sehen.«
Sol: »Aber ein Hering hat keine Wand-Hängigkeit.«
Abe: »Aber was, wenn man Ihn zufällig an die Wand nagelte?«
Sol: »Warum sollte man einen Hering an die Wand nageln?«
Abe: »Vertrau mir, alles ist möglich. Wir haben es hier mit Philo-
sophie zu tun.«
Sol: »Gut, aber ein Hering pfeift nicht, nicht einmal zufällig.«
Abe:»Verklag mich doch.«

Sol u n d Abe lassen den Blick über die versammelten Philo-


s o p h e n im Kongress-Center schweifen. Absolutes Schweigen.

Sol: »Was ist das hier, eine Zusammenkunft von Stoikern? Hey,
selbst Nietzsche hat bei seinem Auftritt im Vatikan mehr Lacher
geerntet.«

Manchmal besitzt ein Objekt Eigenschaften, die auf den ersten


Blick zufällig wirken, aber, wie sich im Nachhinein zeigt, n u r
bis zu einem b e s t i m m t e n Grad zufällig sind, wie der folgende
Witz illustriert.

Warum ist der Elefant groß, grau und faltig?


Weil er, wenn er klein, weiß und rund wäre, eine Aspirin wäre.

Wir k ö n n e n u n s einen Elefanten vorstellen, der nicht sonder-


lich groß ist, u n d »kleiner Elefant« zu ihm sagen. Wir k ö n n e n
METAPHYSIK •<I— 25

u n s sogar einen irgendwie s t a u b b r a u n e n Elefanten vorstellen


u n d ihn als einen »irgendwie s t a u b b r a u n e n Elefanten« be-
schreiben. U n d ein Elefant ohne Falten wäre ein »faltenloser
Elefant«. Mit a n d e r n Worten, >Großheit<, >Grauheit< u n d >Fal-
tigkeit< sind Attribute, die Aristoteles' Test der Eigenschaften
nicht bestehen w ü r d e n , was ein Elefant essentiell ist. Stattdes-
sen beschreiben sie, wie Elefanten aussehen, im Allgemeinen
u n d zufällig. Der Witz aber behauptet n u n , dass dies n u r bis
zu einem bestimmten P u n k t zutrifft. Etwas, das so klein, weiß
u n d r u n d wie eine Aspirintablette ist, k a n n kein Elefant sein,
u n d angesichts eines solchen Objekts w ü r d e n wir auch niemals
in Versuchung geraten, unser Gegenüber zu fragen, ob er sich
da gerade eine Aspirin oder einen atypischen Elefanten in den
M u n d schiebt.
Der springende P u n k t ist, dass die Begriffe >Großheit<,
>Grauheit< u n d >Faltigkeit< nicht präzise genug sind, um essen-
tielle Qualitäten eines Elefanten zu beschreiben. Vielmehr sind
es eine bestimmte Größen Ordnung u n d eine bestimmte Farb-
palette, deren Ausprägungen n e b e n anderen Eigenschaften be-
stimmen, ob etwas ein Elefant ist oder nicht. >Faltigkeit< da-
gegen k ö n n t e einen roten Hering oder vielleicht auch einen
pfeifenden Hering bezeichnen.
26 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Rationalismus

Wenden wir uns n u n etwas völlig anderem zu - einer Schule


der Metaphysik, die unzählige satirische Werke hervorgebracht
hat, u n d zwar ohne jede Unterstützung unsererseits. Die Sache
hat n u r einen Haken: Die Witze schießen ausnahmslos am Ziel
vorbei.
Als sich der Mitte des 17. Jahrhunderts geborene Philosoph
u n d Rationalist Gottfried Wilhelm Leibniz zu dem berühmten
Ausspruch hinreißen ließ, die wirkliche Welt sei »die beste aller
möglichen Welten«, machte er sich damit zur Zielscheibe von
nicht enden wollendem Hohn u n d Spott. Das fing Mitte des
18. Jahrhunderts mit Candide an, Voltaires Burleske über einen
gutgläubigen j u n g e n Mann (eben Candide) u n d seinen philo-
sophischen Mentor Mäitre Pangloss (Voltaires Leibniz-Karika-
tur). Auf seinen Reisen durch die Welt lernt Candide Grausam-
keiten, Undank, Vergewaltigungen u n d Krankheiten kennen
u n d erlebt gar das Erdbeben von Lissabon mit, das die Stadt
1755 dem Erdboden gleichmacht. Doch nichts kann Mäitre
Pangloss in der festen Überzeugung erschüttern, dass »alles
z u m Besten steht in dieser besten aller möglichen Welten«. Als
Candide unmittelbar vor Ausbruch des Erdbebens den hollän-
dischen Wiedertäufer Jacques vor d e m Ertrinken retten will,
hält Pangloss ihn zurück u n d beweist ihm, dass die »Reede von
Lissabon ausdrücklich dazu erschaffen worden [sei], dass der
Wiedertäufer daselbst ertrinkt«.
Zwei Jahrhunderte später griff Leonard Bernstein in seinem
1956 uraufgeführten Musical Candide den Witz auf. In »The
METAPHYSIK •<I— 27

Best of All Possible Shows«, dem bekanntesten, von Richard


Wilbur geschriebenen Song der Show, lobpreisen Pangloss u n d
das Ensemble den Krieg als einen verkleideten Segen, da er uns
alle vereint - als Opfer.

CSääD

In dieselbe Kerbe hieben auch Terry Southern u n d Ma-


son Hoffenberg mit ihrer zotigen Persiflage Candy über
ein naives junges Mädchen, das sich, obwohl es von allen
Männern, denen es begegnet, schamlos ausgenutzt wird,
seine Unschuld u n d seinen Optimismus bewahrt. 1968
wurde nach dem Buch ein prominent besetzter Film ge-
dreht, in dem unter anderem Ringo Starr mitspielte [und
der in Deutschland ab 1969 unter dem Titel Sexy Ladies
lief. A.d.Ü],

Alles sehr witzig u n d unterhaltsam, ohne Frage, n u r leider


geht das alles an Leibniz' These vorbei. Leibniz war Rationalist,
ein philosophischer Terminus technicus für jemanden, der der
Vernunft Vorrang vor allen anderen Methoden des Wissens-
erwerbs einräumt (im Gegensatz zum Beispiel zu den Empiris-
ten, die in den Sinnen den primären Weg z u m Wissenserwerb
sehen).
Leibniz entwickelte seine These über diese Welt als die beste
aller möglichen Welten allein durch folgende rationale Argu-
mentationskette:
2 8— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

1. Hätte Gott nicht beschlossen, eine Welt zu erschaffen, gäbe


es keine Welt.

2. Für den Fall, dass es eine Alternative gibt, muss es, so besagt
das »Prinzip des hinreichenden Grundes«, eine Erklärung
dafür geben, warum die Welt so u n d nicht anders ist.

3. Im Falle der Entscheidung Gottes, diese bestimmte Welt zu


erschaffen, muss die Erklärung notwendigerweise in den
Attributen Gottes selbst angelegt sein, da zu der Zeit außer
Gott nichts existierte.

4. Weil Gott sowohl allmächtig als auch moralisch vollkom-


m e n ist, muss er notwendigerweise die beste aller möglichen
Welten erschaffen haben. Mehr noch, unter den gegebenen
Umständen war es die einzige mögliche Welt. Allmächtig u n d
moralisch vollkommen, wie Gott ist, konnte er gar keine
Welt erschaffen, die nicht die beste aller möglichen Welten
gewesen wäre.

Die Spottgesänge von Voltarie, Bernstein, Southern u n d Hof-


fenberg u n d Konsorten reduzieren Leibniz auf die schlichte
Formel »Alles ist bestens!« Aber Leibniz war weit davon ent-
fernt zu glauben, es gebe keine Übel auf der Welt. Er war le-
diglich der Meinung, dass, hätte Gott die Welt auf irgendeine
andere Weise eingerichtet, daraus noch viel mehr Übel gefolgt
wären.
Z u m Glück gibt es einige Witze, die Leibniz' Philosophie
treffender beleuchten.
< I
M E T A P H Y S I K• — 29

Ein Optimist glaubt, dass dies die beste aller möglichen Welten ist.
Ein Pessimist befürchtet, dass dem so sein könnte.

Der Optimist, so die dem Witz implizite Annahme, akzeptiert


die Vorstellung, dies sei die beste aller möglichen Welten, der
Pessimist hingegen nicht. Von Leibniz' rationalistischer Warte
aus betrachtet ist die Welt schlicht, was sie ist; der Witz unter-
streicht die offenkundige Wahrheit, dass O p t i m i s m u s u n d Pes-
simismus lediglich persönliche Einstellungen sind, die nichts
mit Leibniz' neutraler, rationaler Beschreibung der Welt zu tun
•haben.

Der Optimist sagt: »Das Glas ist halb voll.«


Der Pessimist sagt: »Das Glas ist halb leer.«
Der Rationalist sagt: »Das Glas ist doppelt so groß, wie es sein
müsste.«

Womit die Sache wohl glasklar wäre!

Unendlichkeit und Ewigkeit

Egal, wie w u n d e r b a r u n d vollkommen diese Welt ist oder nicht


ist, wir weilen wohl alle n u r zu einem kurzen Besuch auf ihr.
Kurz im Vergleich aber wozu? Zu einer unbegrenzten Zahl von
Jahren?
»Es ist mir ein wenig peinlich, dies zuzugeben, aber alles,
was passiert, passiert nicht aus einem bestimmten Grund.«
< I
M E T A P H Y S I K• — 31

CSO

Leibniz vertritt das gegenüberliegende Extrem des Gottes


links von uns (nicht zu verwechseln mit dem Gott über
uns). Als Rationalist begnügt er sich nicht mit der Aus-
sage, dass irgendetwas »einfach passiert ist«, so, als hätte
stattdessen ebenso gut etwas anderes passieren können.
Seiner Meinung nach muss es einen Grund geben, der
jede Situation notwendig macht. Warum regnet es am Pa-
zifik mehr als in Arizona? Weil es aufgrund der Bedin-
gungen A, B u n d C unmöglich ist, dass es sich anders-
herum verhält. Angesichts der Bedingungen A, B u n d C
kann es nicht anders als genau so sein. So weit würden
wohl die meisten von uns mit ihm übereinstimmen. Aber
Leibniz geht noch weiter u n d behauptet, dass auch diese
vorgängigen Bedingungen (A, B und C) nicht anders hät-
ten sein können - wie auch die Bedingungen, die zu ih-
rer Entstehung führten, die davor, u n d die davor u n d so
weiter u n d so fort. Dies ist, was er das »Prinzip des hin-
reichenden Grundes« nannte. Mit anderen Worten, der
Grund dafür, dass eine tatsächliche Situation tatsächlich
ist, liegt darin, dass sie unmöglich irgendwie anders sein
könnte. Ein Universum ohne eine mit überdurchschnitt-
lich viel Regen gesegneten Pazifikküste und all den Bedin-
gungen, die zu diesem Regen führen, würde er nicht als Uni-
versum qualifizieren. Das Universum hätte kein »Uni«, es
wäre pures Chaos.
32 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Das Konzept der Unendlichkeit bereitet den Metaphysikern seit,


n u n gut, einer Ewigkeit Kopfzerbrechen. Die Nicht-Metaphysi-
ker dagegen zeigen sich davon seit jeher weniger beeindruckt.

Zwei Kühe stehen auf der Weide. Da wendet sich die eine zur ande-
ren und sagt: »Die Zahl Pi wird im Allgemeinen zwar auf fünf Stel-
len hinter dem Komma verkürzt wiedergegeben, tatsächlich aber ist
sie eine unendlich lange Ziffernfolge.«
Die zweite Kuh dreht sich zur ersten und sagt: »Muh.«

Der folgende Witz kombiniert die Vorstellung von der Ewigkeit


mit einem weiteren philosophischen Knallerkonzept, d e m der
Relativität:

Eine Frau bekommt von ihrem Arzt zu hören, dass sie nur noch
sechs Monate zu leben hat. »Cibt es irgendetwas, was ich noch tun
könnte?«, fragt sie.
»ja, das gibt es«, erwidert der Arzt. »Sie könnten einen Buchhal-
ter heiraten?«
»Und das hilft mir, länger zu leben?«, staunt die Frau.
»Oh nein, das wird es nicht«, antwortet der Arzt. »Aber es wird
bewirken, dass Ihnen diese sechs Monate wie eine Ewigkeit vorkom-
men.«

Die - philosophische - Frage, die dieser Witz stellt, lautet: Wie


k a n n etwas Endliches (wie sechs Monate) analog sein zu etwas
U n e n d l i c h e m (wie der Ewigkeit)? N u n , wer sich das fragt, war
offensichtlich n o c h nie mit einem Buchhalter verheiratet.
METAPHYSIK •<I— 33

Determinismus contra Willensfreiheit

Können wir, in dem Hier u n d Jetzt, in dem wir leben, frei über
unser Schicksal bestimmen?
Im Laufe der Jahrhunderte wurde viel philosophische Tinte
auf die Frage verwendet, ob der Mensch in seinen Entschei-
dungen u n d Handlungen frei ist oder ob seine Entscheidungen
u n d Handlungen von externen Faktoren - Vererbung, Umwelt,
Geschichte, den Parzen oder Microsoft - determiniert werden.
Die griechischen Tragiker betonten den bestimmenden Ein-
fluss des menschlichen Charakters u n d seiner unvermeidlichen
Unzulänglichkeiten auf den Lauf der Dinge.
Auf die Frage, ob er an die menschliche Willensfreiheit
glaube, beschied der 1991 gestorbene Schriftsteller Isaac
Bashevis Singer ironisch: »Ich muss - ich habe keine Wahl.«
(Eine Position, die im Übrigen auch von manchen keineswegs
humorvoller Ironie verdächtigen Philosophen vertreten wird:
Wir sind gezwungen, an unseren freien Willen zu glauben, weil
es ansonsten keine Grundlage für unseren Glauben an die mo-
ralische Verantwortung des Individuums gäbe u n d uns sämt-
liche moralischen Entscheidungen aus der Hand genommen
wären.)
In letzter Zeit hat die Vorstellung, psychologische Faktoren
jenseits unserer Kontrolle würden unser Verhalten bestimmen,
das Prinzip der moralischen Verantwortung bis zu dem Punkt
erodiert, dass ein des Doppelmordes Angeklagter behaupten
konnte, der durch übermäßigem Süßigkeitenkonsum hervor-
gerufene Zuckerrausch habe ihn zu der Tat gezwungen, eine
34 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Verteidigungsstrategie, die als »Twinkie Defense« in die ameri-


kanische Rechtsgeschichte einging. Das ist die altbekannte Aus-
flucht: »Der Teufel hat m i c h dazu gezwungen« im Gewand der
Psychologie.
D a n n wieder gibt es Deterministen, die b e h a u p t e n , Gott be-
stimme nicht n u r ihr Verhalten, s o n d e r n alles im Universum
bis h i n u n t e r z u m letzten, winzigen Detail. Baruch de Spinoza,
ein niederländischer Philosoph u n d J u d e , der im 17. J a h r h u n -
dert lebte, u n d , ein J a h r h u n d e r t später, der amerikanische
Theologe J o n a t h a n Edwards zählen zu Vertretern dieses theo-
logischen Determinismus'. Der Adler, der Frosch u n d der
Lastwagenfahrer in der folgenden Geschichte waren wohl alle
überzeugt, sie w ü r d e n ihre H a n d l u n g e n frei b e s t i m m e n u n d
ausführen.

Mosesjesus und ein bärtiger alter Mann spielen Golf. A/loses schlägt
einen langen Abschlag, der auf dem Fairway landet und direkt auf
den Teich zurollt. Moses streckt seinen Schläger in die Höhe, teilt das
Wasser, und der Ball rollt ungehindert auf die andere Seite.
Jesus schlägt ebenfalls einen langen Ball in Richtung desselben
Teichs, doch statt ins Wasser zu plumpsen, bleibt der Ball knapp
über der Wasseroberfläche schweben. Jesus spaziert gemächlich auf
den Teich hinaus, nimmt Maß und chippt den Ball aufs Green.
Der Abschlag des bärtigen alten Mannes fliegt über den Zaun
hinaus, hüpft auf der Straße auf, prallt an einem vorbeifahrenden
Lastwagen ab und segelt direkt in Richtung auf den Teich, wo er
auf einem Seerosenblatt landet. Ein Frosch sieht den Ball, reißt sein
Maul auf und schnappt ihn sich. Da stürzt ein Adler vom Himmel,
METAPHYSIK •<I— 35

packt den Frosch und fliegt mit ihm davon. Wie der Adler über das
Green fliegt, lässt der Frosch den Ball los, der direkt zu einem Ass
ins Loch fällt.
Da wendet sich Moses zu Jesus und sagt: »Es kotzt mich an,
gegen deinen Vater zu spielen.«

Prozessphilosophie

Es musste ja so k o m m e n - genauer gesagt ein Philosoph, der


die Vorstellung von einem obwaltenden Gott verwarf, der in
allem seine Finger hat. U n d m e h r noch: Dass Gott, wie der
Philosoph Arthur North W h i t e h e a d zu Beginn des 20. Jahr-
h u n d e r t s argumentierte, nicht n u r nicht in der Lage sei, die Zu-
k u n f t zu bestimmen, sondern selbst von der Z u k u n f t bestimmt
wird. W h i t e h e a d s so genannter Prozessphilosophie zufolge ist
Gott weder allmächtig n o c h allwissend, s o n d e r n wird von den
sich entfaltenden Ereignissen fortlaufend verändert. Oder, wie
die N e w Ager vielleicht sagen w ü r d e n : »Gott ist irgendwie so
p e r m a n e n t , äh, evolviert.«

Alvin arbeitet gerade in seinem Laden, als aus der Höhe eine don-
nernde Stimme zu ihm spricht: »Alvin, verkauf dein Geschäft!« Alvin
ignoriert den Ratschlag, aber die Stimme ertönt jeden Tag wieder.
»Alvin, verkauf dein Geschäft für drei Millionen Dollar.« Nach meh-
reren Wochen gibt Alvin entnervt auf und verkauft seinen Laden.
Die Stimme sagt: »Alvin, geh nach Las Vegas.«
»Warum?«, will Alvin wissen.
36 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

»Alwin, nimm einjach die drei Millionen Dollar, und geh nach
Las Vegas.«
Alwin gehorcht, geht nach Las Vegas und besucht ein Casino.
Die Stimme sagt: »Aluin, geh zum Blackjack-Tisch, und setz all
dein Geld.«
Alwin zögert, aber tut wie ihm geheißen. Er bekommt eine Acht-
zehn. Der Dealer hat eine Sechs.
»Alwin, nimm eine Karte!«
»Was? Der Dealer hat...«
»Nimm eine Karte!«
Aluin bedeutet dem Dealer, ihm eine Karte zu geben. Er bekommt
ein Ass. Neunzehn. Er stößt einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Alwin, nimm noch eine Karte!«
»Was?«
»NIMM NOCH EINE KARTE!«
Alwin lässt sich noch eine Karte geben. Ein zweites Ass. Zwanzig.
»Alwin, nimm noch eine Karte!«, befiehlt die Stimme.
»Ich habe zwanzig!«, protestiert Alwin.
»NIMM NOCH EINE KARTE!«, donnert die Stimme.
Alwin flucht, aber gehorcht. Wieder ein Ass. Einundzwanzig!
Darauf die donnernde Stimme: »Verdammt, das ist doch nicht
zufassen!«

Hey, die Vorstellung eines Gottes, der vor Überraschungen


nicht sicher ist, hat etwas f ü r sich, finden Sie nicht?
METAPHYSIK •<I— 37

Das Prinzip der Sparsamkeit

Die seit jeher in der Philosophie vorhandene antimetaphysische


Strömung beendete ihren Siegeszug in den letzten zwei Jahr-
hunderten mit dem Triumph der wissenschaftlichen Weltsicht.
Rudolf Carnap u n d der Wiener Kreis (keine, wie vielfach ange-
n o m m e n wird, österreichische Kuchenspezialität) gingen sogar
so weit, die Metaphysik als unrationale Spekulation zu ächten
u n d sie durch die Wissenschaft für aufgehoben zu erklären.
Carnap u n d der Wiener Kreis ließen sich dabei von dem im
14. Jahrhundert wirkenden englischen Theologen Wilhelm von
Ockham inspirieren, dem Erfinder des Sparsamkeitsprinzips,
bekannt auch unter der Bezeichnung »Ockhams Rasiermesser«.
Theorien seien, so Ockhams Prinzip, »möglichst einfach zu ge-
stalten«, u n d von mehreren Theorien, die einen Sachverhalt er-
klären, sei stets die einfachste zu wählen. Mit anderen Worten:
Theorien dürfen, wie Ockham selbst sehr metaphysisch formu-
lierte, »Entitäten nicht über das Notwendige hinaus vermehren«.
Einmal angenommen, Isaac Newton hätte seinen berühmten
Apfel fallen gesehen u n d daraufhin ausgerufen: »Ich hab's! Äp-
fel sind gefangen in einer Art Seilziehen zwischen Kobolden,
die nach oben ziehen, u n d Trollen, die nach unten ziehen, u n d
die Trolle sind stärker.«
»Schön u n d gut, Isaac«, hätte Ockham darauf wohl erwidert,
»deine Theorie berücksichtigt zwar alle beobachtbaren Fakten,
aber halte dich doch bitte an das Prinzip: Die Einfachste ist die
beste.«
Und Carnap hätte Ockham Beifall geklatscht.
38 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Nach dem Abendessen fragt der fünfjährige Sohn seinen Vater:


»Wo ist Mami heute Abend?«
»Mami ist auf einer Tupperparty«, erklärt der Vater.
Zunächst scheint der junge mit der Antwort zufrieden, doch
dann fragt er:»Was ist eine Tupperparty, Papa?«
Der Vater hält eine einfache Erklärung für angebracht. »Nun,
Sohn«, sagt er, »auf einer Tupperparty sitzen ein paar Frauen zu-
sammen und verkaufen sich gegenseitig Plastikschüsseln.«
Der junge bricht in lautes Lachen aus. »Komm schon, Papa! Was
ist es wirklich?«

Die schlichte Wahrheit lautet: Eine Tupperparty ist wirklich ein


Treffen von ein paar Frauen, die sich gegenseitig Plastikschüs-
seln verkaufen. Doch die Tupperware-Marketingleute, Meta-
physiker, die sie sind, m ö c h t e n u n s weismachen, dass es um
m e h r als das geht.

DIMITRI: »Ich stelle dir eine einfache Frage u n d b e k o m m e von


dir z e h n verschiedene Antworten darauf. Das ist nicht son-
derlich hilfreich.«
TASSO: »Wenn d u Hilfe brauchst, geh zu einem Sozialarbeiter.
Es gibt d o c h in Sparta jede Menge ...«
DIMITRI: »Nein, ich b r a u c h e keine Hilfe, ich will wissen, wel-
che Antwort w a h r ist.«
TASSO : »Aha! Jetzt k o m m e n wir der Sache schon näher.«
(2)
Logik

Ohne Logik ist Vernunft nutzlos. Mit ihr kann man


Streitgespräche gewinnen und die meisten Menschen befremden.

DIMITRI: »ES gibt so viele einander widersprechende Philoso-


phien. Wie kann ich sicher sein, ob irgendetwas wahr ist.«
TASSO: »Wer sagt, dass irgendetwas wahr ist?«
DIMITRI: »Da, du hast es schon wieder gemacht! Warum be-
antwortest du jede Frage, die ich dir stelle, mit einer Gegen-
frage?«
TASSO: »Hast du ein Problem damit?«
DIMITRI : »Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich überhaupt
frage. Manche Dinge sind einfach wahr. Wie zwei plus zwei
gleich vier. Das ist wahr, Punkt, aus, fertig.«
TASSO: »Warum bist du dir da so sicher?«
DIMITRI: »Weil ich ein unglaublich schlauer Athener bin.«
TASSO: »Das steht auf einem anderen Blatt. Aber du kannst
dir durchaus sicher sein, dass zwei plus zwei vier ist, denn
diese Aussage unterliegt den universal gültigen Gesetzen der
Logik.«
42 —^ PLATON UND SCHNABELTIER

Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch

Tasso hat Recht.


Beginnen wir mit einem klassischen Witz, der sich auf die
aristotelische Logik bezieht.

Ein Rabbi hält in seinem Dorf Gericht. Da steht Schmuel auf und
trägt seinen Fall vor: »Rabbi, Itzhak treibt seine Schafe jeden Tag
über mein Land und verdirbt mir so die Ernte. Es ist mein Land.
Was er tut, ist nicht recht.«
Der Rabbi sagt: »Da hast du Recht!«
Da erhebt sich Itzhak und protestiert: »Aber Rabbi, über sein
Land führt der einzige Weg für meine Schafe zum See, wo sie trin-
ken können. Ohne das Wasser müssten sie elendiglich verdursten.
Seit Jahrhunderten genießen die Schäfer Wegerecht über das Land
um den See herum, und so steht es auch mir zu.«
Und der Rabbi sagt: »Da hast du Recht!«
Da sagt die Putzfrau, die das Gespräch mitgehört hat, zum
Rabbi:»Aber Rabbi, es können nicht beide Recht haben!«
Und der Rabbi sagt: »Da hast du Recht.«

Die Putzfrau weist den Rabbi darauf hin, dass er gegen Aris-
toteles' Prinzip v o m Ausgeschlossenen verstößt, was für einen
Rabbi zwar weniger schlimm als ein Verstoß gegen das Ge-
bot wäre, nicht seines Nächsten Weib zu begehren, i h m aber
ziemlich n a h e k o m m t . Das Kontradiktionsprinzip, wie es auch
heißt, besagt, dass nichts so u n d zugleich nicht so sein kann.
LOGIK ^— 43

Unlogische Argumentation

Unlogisches Argumentieren ist der Tod allen Philosophierens,


k a n n aber w e i ß Gott auch sehr hilfreich sein - was wahrschein-
lich der G r u n d sein dürfte, w a r u m es so überaus beliebt ist.

Ein Ire geht in New York in einen Irish Pub, bestellt drei große Guin-
ness und trinkt nacheinander von jedem Glas einen Schluck. Als
alle drei Gläser leer sind, bestellt er beim Barkeeper drei weitere
Biere, worauf der sagt: »Wenn Sie immer nur eins bestellen, steht
das Bier nicht so schnell ab.«
Darauf der Mann: »Ja, ich weiß, aber ich habe zwei Brüder, ei-
nen drüben in Irland und einen in Australien. Als sich unsere Wege
trennten, gelobten wir, von nun an in Erinnerung an die Tage, als wir
gemeinsam tranken, nur noch auf diese Weise zu trinken. Die ersten
beiden Biere sind für meine Brüder, das dritte ist für mich.«
Der Barkeeper ist schwer gerührt und sagt: »Was für eine groß-
artige Tradition!«
Der Ire wird zum Stammgast in der Bar und bestellt jedes Mal
auf dieselbe Weise.
Eines Tages kommt er herein und bestellt nur zwei Guinness. Die
anderen Stammgäste sehen das, und Schweigen senkt sich über die
Bar. Als der Mann an die Theke kommt, um seine zweite Runde
zu bestellen, sagt der Barkeeper zu ihm: »Mein herzliches Beileid,
Kumpel.«
Darauf der Ire: »Kein Grund zur Trauer, meine Brüder sind beide
bei bester Gesundheit. Aber ich bin getaufter Mormone geworden
und musste mit dem Trinken aufhören.«
4 4— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Mit anderen Worten: Wer sich selbst dienen will, d e m k a n n


eine eigenwillige Logik sehr dienlich sein.

Induktive Logik

Die induktive Logik schließt von k o n k r e t e n Einzelfällen auf


allgemeine Theorien u n d ist die Methode, mittels derer wis-
senschaftliche Theorien bestätigt werden. Hat m a n genug Äpfel
von genug Bäumen fallen sehen, wird m a n daraus den Schluss
ziehen, dass Äpfel stets n a c h u n t e n fallen u n d nicht etwa n a c h
o b e n oder zur Seite. Davon ausgehend k ö n n t e m a n n u n auch
eine allgemeiner gefasste Hypothese formulieren, die andere
fallende Körper - z u m Beispiel Birnen - einschließt. So wird
der Fortschritt der Wissenschaft vorangetrieben!
In den Annalen der Literatur findet sich keine Gestalt, die
für ihre Fähigkeiten zur D e d u k t i o n b e r ü h m t e r ist, als der u n -
erschrockene Sherlock Holmes, u n d d o c h ist die Methode, de-
rer sich Holmes im Allgemeinen bei seinen Spitzfindigkeiten
bedient, keineswegs die der deduktiven Logik. Im Gegenteil,
Sherlock räsoniert auf induktive Weise. Zuerst beobachtet er
sehr sorgfältig die Situation, d a n n generalisiert er auf G r u n d -
lage früherer Erfahrung, u n d dabei arbeitet er, wie in der fol-
g e n d e n Geschichte, mit Analogien u n d Wahrscheinlichkeiten:

Holmes und Watson gehen zelten. Mitten in der Nacht wacht


Holmes auf. Er schaut sich um, er setzt sich auf und rüttelt Dr. Wat-
son wach.
LOGIK ^— 45

»Watson«, sagt er, »blicken Sie nach oben in den Himmel, und
sagen Sie mir, was Sie sehen.«
»Ich sehe zahllose Sterne«, sagt Watson.
»Und was schließen Sie daraus, Watson?«
Watson denkt eine Weile nach. »Nun«, beginnt er schließlich,
»als Astronom schließe ich daraus auf die Existenz vieler Millionen
Galaxien und potenziell vieler Milliarden Planeten. Als Astrologe
sehe ich, dass der Saturn im Löwen steht, und als Horologe kann
ich Ihnen sagen, dass es gegen Viertel nach drei ist. Als Meteorologe
wage ich die Prognose, dass morgen ein schöner Tag sein wird. Als
Theologe sagt mir der Anblick, dass Gott allmächtig und wir klein
und unbedeutend sind. Und Sie, was schließen Sie daraus, Holmes?«
»Dass jemand unser Zelt geklaut hat, Sie Idiot.«

Wir wissen nicht genau, wie Holmes zu dieser Schlussfolge-


r u n g gelangte, aber vielleicht ging er dabei ungefähr so vor:

1. O b w o h l ich m i c h in einem Zelt schlafen gelegt habe, k a n n


ich die Sterne sehen.

2 Meine intuitive, auf Analogien zu vergleichbaren von mir in


der Vergangenheit gemachten Erfahrungen basierende Ar-
beitshypothese lautet: J e m a n d hat unser Zelt geklaut.

3. Ü b e r p r ü f e n wir diese Hypothese, i n d e m wir alternative Er-


klärungsansätze ausschließen:
a) Vielleicht ist das Zelt n o c h da, aber j e m a n d projiziert ein
Bild des Sternenhimmels an das Innere des Zeltdaches.
Basierend auf meiner bisherigen Erfahrung mit d e m Ver-
46 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

halten v o n Menschen u n d der Ausrüstung, die dafür


meiner Erfahrung n a c h in diesem Zelt v o r h a n d e n sein
müsste, dies aber offenkundig nicht ist, ist diese Option
höchst unwahrscheinlich.

b) Vielleicht ist das Zelt weggeblasen w o r d e n . Das ist eben-


falls unwahrscheinlich, da meine bisherigen Erfahrungen
m i c h zu der Schlussfolgerung bewegen, dass die dafür
notwendige Menge an W i n d m i c h geweckt hätte, w e n n
auch nicht u n b e d i n g t diesen Dr. Watson.

c) Etc. pp.

4. Wahrscheinlich ist meine ursprüngliche Hypothese korrekt.


J e m a n d hat unser Zelt gestohlen.

Induktion! Wir h a b e n Holmes Genialität b e i m falschen N a m e n


genannt.

Falsifizierbarkeit

Patient: Gestern Nacht habe ich geträumt, dass Jennifer Lopez und
Angelina Jolie zu mir ins Bett geschlüpft sind und wir es die ganze
Nacht miteinander getrieben haben.«
Psychiater: »Ganz offensichtlich verspüren Sie den tief sitzenden
Wunsch, mit ihrer Mutter zu schlafen.«
Patient: »Was?! Keine der beiden sieht meiner Mutter auch nur
im Entferntesten ähnlich.«
Psychiater: »Aha! Eine typische Reaktionsbildung! Ganz offen-
sichtlich unterdrücken Sie Ihre wahren Bedürfnisse.«
EIN INDUKTIVER SPRUNG?

»Ich meine, welcher Dieb w ü r d e n u r einen Hundenapf klauen?«


48 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Dieses Beispiel ist kein Witz d e n n genau so argumentieren


m a n c h e J ü n g e r Sigmund Freuds tatsächlich. Das Problem mit
dieser Art der Argumentation liegt darin, dass keine wie auch
i m m e r geartete Kombination tatsächlicher U m s t ä n d e ihre The-
orie v o m Ö d i p u s k o m p l e x widerlegen k a n n . Um eine Theorie
bestätigen zu k ö n n e n , postulierte der 1994 gestorbene Philo-
s o p h Karl Popper in seiner Kritik der Induktionslogik, m ü s -
sen U m s t ä n d e d e n k b a r sein, a n h a n d derer die Theorie falsi-
fiziert w e r d e n kann. In d e m obigen Pseudowitz gibt es keine
derartigen U m s t ä n d e , die der freudianische Psychoanalytiker
als Gegenevidenz zulassen würde.
Jetzt ein echter Witz, der Poppers P u n k t n o c h pointierter trifft:

Zwei Männer sitzen beim Frühstück. Wie der eine Butter auf sei-
nen Toast schmiert, sagt er: »Ist dir jemals aufgefallen, dass, wenn
du eine Toastbrotscheibe fallen lässt, sie immer auf der Butterseite
landet?«
Darauf der andere: »Nein, ich wette, dass es einem nur so vor-
kommt, weil es so ein Riesenaufwand ist, die Sauerei aufzuputzen,
wenn der Toast mit der Butter nach unten landet. Ich bin über-
zeugt, dass der Toast ebenso häufig mit der Butterseite nach oben
wie nach unten auf den Boden fällt.«
»Ah ja?«, meint darauf der erste. »Dann pass mal gut auf.« Er
lässt seinen Toast auf den Boden fallen, wo er mit der Butterseite
nach oben landet.
»Siehst du, ich hab's dir ja gesagt«, freut sich der zweite.
»Unsinn«, sagt da der erste, »mir ist vollkommen klar, warum
das passiert ist. Ich habe die Butter auf die falsche Seite geschmiert.«
LOGIK ^— 49

Leute wie dieser Mann lassen sich auch mit e r d r ü c k e n d e n


Beweisen nicht davon überzeugen, dass ihre Theorien falsch
sind.

Deduktive Logik

Die deduktive Logik (oder Methode) schließt v o m Allgemei-


nen auf das Besondere. Das essentielle deduktive Argument ist
der Syllogismus: »Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein
Mensch. Daraus folgt, dass Sokrates sterblich ist.« Man möchte
gar nicht glauben, wie häufig die Leute das auf den Kopf stellen
u n d wie folgt argumentieren:
»Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist sterblich. Daraus
folgt, dass Sokrates ein Mensch ist.«
Was daraus j e d o c h keineswegs logisch folgt. Nach diesem
Modell k ö n n t e m a n auch argumentieren: »Alle Menschen sind
sterblich. Der Hamster meines Sohnes ist sterblich. Daraus
folgt, dass der Hamster meines Sohnes ein Mensch ist.«
Eine weitere Methode, mit einem deduktiven Argument
zu einem Fehlschluass zu k o m m e n , besteht darin, von einer
falschen Prämisse auszugehen.

Ein alter Cowboy betritt eine Bar, bestellt einen Whisky, setzt sich
und nippt an seinem Drink. Kurz darauf kommt eine junge Frau
herein und nimmt auf dem Hocker neben ihm Platz. Sie schaut ihn
eine Weile an, dann fragt sie: »Sind Sie ein echter Cowboy?«
»Nun«, erwidert er, »ich habe mein ganzes Leben auf der Ranch
und das halbe davon auf dem Rücken von Pferden verbracht, ich
50 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

habe Zäune repariert, das Vieh gehütet und Kühe mit dem Brand-
eisen markiert, also bin ich wohl ein Cowboy.«
Sie sagt: »Und ich, ich bin eine Lesbe. Ich denke den ganzen Tag
über an nichts anderes als an Frauen. Wenn ich morgens aufwache,
denke ich an Frauen. Alles, was ich mache, ob duschen oder fern-
sehen, bringt mich dazu, an Frauen zu denken.«
Eine Weile später kommt ein älteres Paar herein, setzt sich neben
den alten Cowboy und fragt:»Sind Sie ein echter Cowboy?«
»Nun«, erwidert er, »ich dachte immer, ich wäre einer, aber ich
habe gerade eben herausgefunden, dass ich eine Lesbe bin.«

Womöglich ist es ganz lustig zu analysieren, wo exakt der Cow-


boy die falsche Abzweigung n a h m . Vielleicht aber auch nicht.
Wie d e m a u c h sei, wir w e r d e n es tun.
Bei seiner ersten Antwort auf die Frage, ob er ein echter
Cowboy ist, stellte er folgende Überlegung an:

1. W e n n j e m a n d seine ganze Zeit damit verbringt, Dinge zu


tun, die ein C o w b o y tut, ist er ein echter Cowboy.

2. Ich verbringe meine ganze Zeit damit, Dinge zu tun, die ein
Cowboy tut.

3. Daraus folgt, dass ich ein echter Cowboy bin.

Die deduktive Gedankenkette der Frau dagegen verlief so:

1. W e n n eine Frau ihre ganze Zeit damit verbringt, an Frauen


zu d e n k e n , ist sie eine Lesbe.

2 Ich bin eine Frau.


LOGIK ^— 51

3. Ich verbringe meine ganze Zeit damit, an Frauen zu denken.

4. Daraus folgt, dass ich eine Lesbe bin.

Wenn der Cowboy anschließend zur selben Schlussfolgerung


gelangt, dann nur, weil er von der Frau eine in seinem Fall
falsche Prämisse übernimmt, nämlich 2.) Ich bin eine Frau.
Okay, wir haben Ihnen niemals versprochen, dass Philoso-
phieren u n d Witze erzählen dasselbe wäre.

Der induktive Analogieschluss

Der Analogieschluss übertrifft alle Methoden, wenn es darum


geht, zu falschen Schlüssen zu gelangen. N a j a , vielleicht einmal
abgesehen von einer Ente. Wie man den Analogieschluss ein-
setzen kann, zeigt sich anhand der Frage danach, wer oder was
das Universum erschaffen hat. So haben manche Philosophen
argumentiert, weil das Universum wie ein Uhrwerk ist, müsse
es einen Uhrmacher geben, ein, wie der im 18. Jahrhundert le-
bende britische Empirist David Hume einwendete, trügerisches
Argument. Da das Universum als Ganzes keine wirklich per-
fekte Analogie haben kann, es sei denn ein anderes Universum,
sollten wir, so Hume, nicht irgendetwas als Analogie verkau-
fen, das nur ein Teil dieses Universums ist. Und warum über-
haupt eine Uhr?, fragte Hume. Warum nicht das Universum mit
einem Känguru gleichsetzen? Schließlich sind beide organisch
miteinander verbundene Systeme. Allerdings würde die Kän-
guru-Analogie uns zu einer gänzlich anderen Schlussfolgerung
52 PLATÓN UND SCHNABELTIER

über den Ursprung des Universums führen. Es müsste dann von


einem anderen Universum geboren worden sein, nachdem sich
dieses Universum mit einem dritten Universum gepaart hatte.
Ein fundamentales Problem aller Analogieschlüsse gründet in
der Annahme, dass, weil A in bestimmten Aspekten Ähnlichkeit
zu B aufweist, auch andere Aspekte von A u n d B Ähnlichkeit
aufweisen. Dem ist jedoch keineswegs zwingend der Fall.

CSSSD

Unlängst hat die Uhrwerk-Analogie ein Comeback im Ge-


wand des Intelligent Design erlebt, einer »Theorie«, derzu-
folge die Superkomplexität von Dingen in der Natur (man
denke an Schneeflocken, Augäpfel, Quarks) ein Beweis
für die Existenz eines superintelligenten Schöpfers sei. Als
die Schulbehörde von Dover im US-Bundesstaat Pennsyl-
vania wegen ihres Beschlusses, Intelligent Design als »al-
ternative Theorie« zur Evolution in den Lehrplan aufzu-
nehmen, vor Gericht zitiert wurde, legte der Vorsitzende
Richter J o h n Jones III. in seinem Urteil den Bildungspoliti-
kern quasi ans Herz, nochmals die Schulbank zu drücken.
Jones konnte sich in seiner häufig sehr witzig zu lesenden
schriftlichen Urteilsbegründung zuweilen Seitenhiebe auf
die von der Verteidigung berufenen »sachverständigen«
Zeugen nicht verkneifen, beispielsweise auf einen Profes-
sor, der zwar zugab, dass der Analogieschluss nicht be-
weiskräftig ist, aber »in Science-Fiction-Filmen trotzdem
funktioniert«. Ach, du lieber Gott, der nächste Zeuge bitte!
L O G I K^ — 53

Aber Analogieschlüsse h a b e n n o c h eine weitere Schwäche: Je


n a c h S t a n d p u n k t k a n n m a n zu höchst unterschiedlichen Ana-
logien gelangen, wie der folgende Witz illustriert:

Drei Ingenieurstudenten unterhalten sich darüber, was für eine Art


Gott den menschlichen Körper entworfen hatte. »Gott«, sagt der
erste, »muss ein Maschinenbauingenieur sein. Schaut euch doch die
Gelenke an.«
Darauf der zweite: »Unser Nervensystem hat Milliarden von
elektrischen Verbindungen, folglich muss Gott ein Elektroingenieur
sein.«
»Nein«, ruft der dritte, »in Wahrheit ist Gott ein Bauingenieur.
Wer sonst würde eine Giftmüllpipeline mitten durch ein Erholungs-
gebiet legen?«

Unter d e m Strich sind Analogieschlüsse wenig befriedigend,


alldieweil sie u n s nicht die Art Gewissheit liefern k ö n n e n , wie
wir sie im Z u s a m m e n h a n g mit grundlegenden Fragen wie der
n a c h der Existenz Gottes Wert finden möchten. Es gibt nichts
Schlimmeres als von Philosophen ausgebrütete schlechte Analo-
gien, a u s g e n o m m e n vielleicht an amerikanischen Highschools
ausgebrütete Analogien, wie die folgenden Beispiele belegen
dürften, die z u m von der Washington Post ausgerufenen Wett-
bewerb um die »Schlechteste jemals in Highschool-Aufsätzen
verwendete Analogie «eingereicht wurden:

• »Nach der langen, bitteren Trennung d u r c h ein grausames


Schicksal rannten die unglücklichen Liebenden über die
54 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Wiese aufeinander zu wie zwei Güterzüge, von denen einer


Cleveland um 18.36 Uhr verlassen hatte u n d mit 55 Meilen
pro Stunde unterwegs war, während der andere um 19.47
Uhr aus Topeka abgefahren war u n d sich mit einer Ge-
schwindigkeit von 35 Meilen fortbewegte.«

• »John u n d Mary hatten sich noch nie getroffen. Sie waren wie
zwei Kolibris, die sich ebenfalls noch nie getroffen hatten.«

• »Das kleine Boot trieb sanft über den Teich, ganz genau so,
wie es eine Bowlingkugel nicht tun würde.«

• »Vom Dachboden drang ein unmenschlicher Schrei her-


unter. Die ganze Szenerie hatte irgendwie etwas Unheim-
liches, Surreales an sich, ungefähr so, wie wenn man Urlaub
in einer anderen Stadt macht u n d Jeopardy um sieben statt
um halb acht im Fernsehen kommt.«

Der »Post hoc ergo propter hoc«-Fehlschluss

Zunächst eine Bemerkung zur gesellschaftlichen Verwendung


dieses Ausdrucks: In gewissen Kreisen kann er Ihnen, mit
ernsthaftem Gesicht in die Runde geworfen, auf einer Party zu
Ihrem Glück verhelfen. Interessanterweise dürfte er jedoch ex-
akt den gegenteiligen Effekt haben, sollten Sie ihn in allgemein-
verständlicher Form - »danach, folglich weil« - an den Mann
beziehungsweise die Frau bringen.
Dieser Ausdruck bezeichnet die irrige Annahme, dass, weil
eine Sache auf eine andere folgt, sie von dieser verursacht wurde.
LOGIK -O— 55

Dieser logische Fehler, der zeitliche Abfolge mit kausaler Wir-


k u n g verwechselt, ist aus auf der H a n d liegenden G r ü n d e n im
soziopolitischen Diskurs sehr beliebt, wo er zu Aussagen wie
»Die meisten Heroinabhängigen haben mit Marihuana ange-
fangen« führt. Das stimmt zwar, aber n o c h m e h r Suchtkranke
h a b e n einst mit Milch angefangen.
In m a n c h e n Kulturen treibt das Post hoc-Prinzip überaus u n -
terhaltsame Blüten, beispielsweise diese: »Die Sonne geht auf,
w e n n der H a h n kräht, also m u s s der Hahnenschrei die Sonne
aufgehen lassen.« Vielen Dank, lieber Hahn! Aber auch eine
Kollegin von u n s ist vor derlei Trugschlüssen offensichtlich
nicht gefeit:

Jeden Morgen trat sie auf die Veranda vor ihrem Haus und rief:
»Schütze und bewahre dieses Haus vor Tigern!« Danach ging sie
wieder nach drinnen.
Irgendwann fragten wir sie: »Was soll der Blödsinn? Im Umkreis
von tausend Kilometern gibt es hier keinen einzigen Tiger.«
Worauf sie antwortete: »Na bitte! Das ist doch der Beweis, dass
es funktioniert!«

Post hoc-Witze sind u m s o beliebter, je m e h r die Menschen zur


Selbsttäuschung neigen.

Ein betagter jüdischer Gentleman heiratet eine jüngere Frau, und


die beiden sind sehr ineinander verliebt. Egal aber, was der Ehe-
mann im Bett unternimmt, die Frau kommt und kommt nicht zum
Orgasmus.
56 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Da eine jüdische Frau aber ein Anrecht auf sexuelle Befriedigung


hat, beschließen die beiden, den Rabbiner um Rat zu fragen. Der
Rabbi hört sich ihre Geschichte an, streicht sich den Bart und erteilt
schließlich folgenden Ratschlag:
»Heuert einen strammen jungen Burschen an. Während ihr euch
liebt, soll der junge Bursche ein Handtuch über euch schwenken.
Das wird die Fantasie der Frau stimulieren und sie zum Höhepunkt
bringen.«
Die beiden gehen heim und befolgen den Ratschlag des Rabbi.
Sie engagieren einen hübschen jungen Mann, der ein Handtuch
über ihnen schwenkt, während sie Liebe machen. Aber so sehr er
auch wedelt, es hilft nichts, sie kommt immer noch nicht zum Or-
gasmus.
Also gehen sie wieder zum Rabbi. »In Ordnung«, sagt der Rabbi
zu dem Mann, »versuchen wir es einmal andersherum. Lassen Sie
den jungen Mann Liebe mit ihrer Frau machen, und schwenken Sie
das Handtuch über den beiden.« Einmal mehr befolgen sie den Rat-
schlag des Rabbi.
Der junge Mann steigt mit der Frau ins Bett, und der Ehemann
wedelt mit dem Handtuch. Der junge Mann macht sich mit Feuer-
eifer an die Arbeit, was die Frau mit freudigem Stöhnen und schon
bald darauf einem gewaltigen Orgasmus quittiert.
Der Ehemann lächelt, schaut den jungen Mann mitleidig an und
meint: »Hast du gesehen, Schmock? So schwenkt man ein Hand-
tuch!«

Okay, n u r n o c h ein Post hoc-Witz. Ehrenwort!


LOGIK ^— 57

Im Altersheim macht sich ein Mann in seinen Achtzigern an eine


ältere Dame heran, die knallrosa Caprihosen trägt. »Heute ist mein
Geburtstag«, sagt er.
»Wie schön«, erwidert sie. »Ich wette, ich kann aufs Jahr genau
sagen, wie alt du bist.«
»Wirklich? Das will ich sehen.«
»Kein Problem«, sagt sie. »Lass die Hose runter.«
Der Mann tut wie ihm geheißen.
»Gut, und jetzt die Unterhose.«
Wiederfolgt der Mann ihren Anweisungen. Sie spielt kurz an ihm
herum, dann verkündet sie: »Du bist 84!«
»Woher weißt du das?«, fragt er erstaunt.
Darauf die Frau: »Weil du es mir gestern gesagt hast.«

Der alte Mann ist auf den ältesten Trick der Welt hereingefallen,
post hoc ergo propter hoc, oder nachdem sie an i h m herumgespielt
hat u n d weil sie an i h m herumgespielt hat ... Es ist dieser Teil
mit d e m propter, auf den die Leute immer hereinfallen.

Ein junge aus New York wird von seinem Cousin aus Louisiana
durch die Sümpfe geführt.
»Stimmt es, dass Alligatoren einen nicht angreifen, wenn man
eine Taschenlampe bei sich trägt?«, will der Stadtjunge wissen.
Darauf sein Cousin: »Das kommt darauf an, wie schnell du die
Taschenlampe von A nach B trägst.«

Der Junge aus der Stadt hielt die Taschenlampe für eine Ursa-
che, w ä h r e n d sie in Wahrheit n u r eine Nebensache war.
58 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Der Monte-Carlo-Effekt

So bekannt der Monte-Carlo-Effekt den meisten Roulettespie-


lern sein dürfte, so überrascht dürften viele sein, wenn sie hö-
ren, dass es sich dabei um einen logischen Fehlschluss han-
delt - u n d nicht um eine, wie sie glauben, Erfolg versprechende
Strategie (übrigens eine, die Casinobetreiber u n d Croupiers
sehr zu schätzen wissen).
Bei einem Rouletterad mit gleich vielen roten wie schwarzen
Zahlen beträgt, wie wir wissen, die Wahrscheinlichkeit, dass
die Kugel auf einem roten Feld landet, 50 Prozent. Wenn wir
das Rad n u n ausreichend oft - sagen wir 1000 Mal - drehen,
u n d es nicht manipuliert oder sonstwie fehlerhaft ist, sollte die
Kugel im Durchschnitt 500 Mal auf Rot landen. Mit anderen
Worten, wenn wir das Rad sechs Mal drehen u n d die Kugel
jedes Mal in einem schwarzen Feld liegen bleibt, neigen wir
zu der Annahme, dass die Chancen zu unseren Gunsten ste-
h e n müssen, wenn wir im siebten Spiel auf Rot setzen. Rot ist
schließlich längst »überfällig«, stimmt's? Falsch! Die Wahr-
scheinlichkeit, dass die Kugel bei diesem Spiel auf Rot zu lie-
gen kommt, beträgt in der siebten wie auch in jeder anderen
Runde 50 Prozent, u n d zwar unabhängig davon, wie oft sie zu-
vor nacheinander auf Schwarz gelandet ist.
Natürlich nur, wenn sie nicht auf der grünen Null gelandet
ist.
Wozu der Monte-Carlo-Effekt führen kann, illustriert dieser
tiefsinnige Ratschlag:
L O G I K^ — 59

Falls Sie demnächst ein Verkehrsflugzeug zu besteigen beabsichti-


gen, nehmen Sie aus Sicherheitsgründen bitte eine Bombe mit...
Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Flugzeug zwei Leute mit einer
Bombe sitzen, beträgt nämlich nahezu Null.

Zirkelschluss

Ein Zirkelschluss ist eine Beweisführung, in welcher der Beweis


für eine A n n a h m e die A n n a h m e selbst enthält. Zirkelschlüsse
k ö n n e n f ü r sich allein g e n o m m e n Witze sein, ohne dass sie
s c h m ü c k e n d e n Beiwerks bedürften.

Zu Beginn des Herbsts wollen die Indianer im Reservat von ihrem


neuen Häuptling wissen, ob sie einen strengen Winter bekommen
würden. Da der Häuptling nach moderner Art erzogen und nie in die
Geheimnisse der Altvorderen eingeweiht wurde, hat er keinen blassen
Schimmer, wie er vorhersagen soll, ob ein strenger oder milder Win-
ter naht. Um ganz sicher zu gehen, rät er seinen Stammesmitgliedern,
Holz zu sammeln und sich auf einen kalten Winter vorzubereiten.
Ein paar Tage später kommt ihm der Gedanke, sicherheitshal-
ber den Nationalen Wetterdienst anzurufen und zu fragen, ob sie
einen strengen Winter erwarten. Ja, meint der Meteorologe, der
kommende Winter dürfte recht kalt werden. Daraufhin befiehlt der
Häuptling seinen Leuten, noch mehr Holz zu sammeln.
Ein paar Wochen später ruft er wieder beim Nationalen Wet-
terdienst an. »Und, sieht es immer noch nach einem kalten Winter
aus?«, fragt er.
60 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

»Das tut es«, erwiderte der Meteorologe. »Und zwar nach einem
sehr kalten Winter.« Besorgt rät der Häuptling seinem Stamm, auch
noch das letzte Zweiglein zu sammeln, das sie auftreiben können.
Ein paar Wochen ziehen ins Land, und wieder ruft der Häuptling
beim Wetterdienst an. Wie sich der kommende Winter denn jetzt
machen würde, will er wissen, worauf der Meteorologe antwortet:
»Laut unserer Prognose steht uns einer der härtesten Winter al-
ler Zeiten ins Haus.«
»Wirklich ?«, ruft der Häuptlingaus. »Warum seid ihr da so sicher?«
»Na ja«, antwortet der Meteorologe, »die Indianer sammeln
Holz wie die Verrückten.«

Der G r u n d , weshalb der Häuptling seinen Leute riet, m e h r


Holz zu sammeln, war, wie sich herausstellt, die Tatsache, dass
seine Leute m e h r Holz sammelten.

Der »Argumentum ad verecundiam«-Fehlschluss

Der Autoritätsverweis, beziehungsweise die Argumentation u n -


ter Berufung auf eine Autorität, ist eine Argumentationsweise,
die unser Boss ü b e r alles liebt. Einen F a c h m e n s c h e n zur Unter-
stützung der eigenen Argumentation zu zitieren, ist für sich ge-
n o m m e n kein logischer Fehlschluss; Expertenmeinungen sind
z u s a m m e n mit anderen Beweisen legitime Argumente. Irrefüh-
rend wird es erst dann, w e n n m a n den Autoritätsverweis unge-
achtet überzeugender Beweise des Gegenteils als einzige Bestä-
tigung für seine Position verwendet.
LOGIK ^— 61

Ted trifft seinen Freund Al und ruft: »Al! Man hat mir gesagt, du
wärst gestorben!«
»Kaum«, erwidert Al lachend. »Wie du siehst, bin ich quick-
lebendig.«
»Unmöglich«, meint Ted. »Der Mann, der mir das gesagt hat, ist
viel glaubwürdiger als du.«

N a t u r g e m ä ß spielt die Frage, wer w e n oder was als legitime


Autorität akzeptiert oder nicht, bei der Argumentation unter
Berufung auf eine Autorität stets eine maßgebliche Rolle.

Ein Mann betritt ein Zoofachgeschäft. Er interessiert sich für Papa-


geien, und der Ladenbesitzer zeigt ihm zwei wunderschöne Exem-
plare. »Der hier kostet 5000 Dollar, der andere 10000«, sagt er.
»Wow!«, meint der Mann. »Was kann der Papagei für 5000?«
»Er kann alle Arien von Mozart singen«, sagt der Ladenbesitzer.
»Und der andere?«
»Der singt Wagners gesamten Ring-Zyklus. Für 30000 Dollar
hätte ich hinten auch noch einen dritten Papagei.«
»Heilige Mutter Gottes! Und was kann der?«
»Ich habe von ihm noch keinen Pieps gehört, aber die anderen
beiden nennen ihn >Maestro<.«

Laut unseren Experten h a b e n m a n c h e Experten bessere Refe-


renzen als andere; zu einem Problem wird das erst, w e n n die
andere Seite diese Referenzen nicht akzeptiert.
6 2— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Es waren einmal vier Rabbiner, die sich regelmäßig trafen, um über


theologische Fragen zu diskutieren, wobei immer drei einer Meinung
gegen den vierten waren.
Frustriert beschloss der vierte Rabbi mit der abweichenden Mei-
nung eines Tages, an eine höhere Autorität zu appellieren.
»Oh mein Gott!«, rief er. »Ich weiß von tiefstem Herzen, dass ich
Recht habe und sie nicht! Bitte gib mir ein Zeichen, um es ihnen zu
beweisen!«
Es war ein wunderschöner, sonniger Tag, aber kaum hatte der
Rabbi sein Gebet zu Ende gesprochen, zog am Himmel über den
vier Rabbinern eine Gewitterwolke auf, donnerte einmal und löste
sich wieder auf.
»Ein Zeichen von Gott!«, rief der vierte Rabbi. »Seht, ich habe
Recht. Ich wusste es!« Die anderen drei aber sahen das nicht so und
verwiesen darauf dass sich an heißen Tagen recht häufig Gewitter-
wolken bilden.
Also betete der Rabbi wieder: »Oh mein Gott, ich brauche ein
mächtigeres Zeichen als Beweis dafür, dass ich Recht habe und sie
nicht. Bitte, Gott, gib mir ein mächtigeres Zeichen!« Dieses Mal er-
schienen vier Gewitterwolken am Himmel, die sich zu einer einzigen,
gewaltigen Wolke zusammenballten, und aus dieser Wolke fuhr
ein mächtiger Blitz in einen unweit der vier Rabbiner stehenden
Baum.
»Ich hab's euch doch gesagt, dass ich Recht habe!«, rief der
Rabbi, aber seine Freunde beharrten darauf, dass nichts vorgefallen
sei, was sich nicht auch auf natürliche Weise erklären lasse.
Der Rabbi war drauf und dran, um ein sehr, sehr, sehr mächtiges
Zeichen zu bitten, aber kaum hatte er »Oh mein Gott...« gesagt,
L O G I K^ — 63

als sich der Himmel mit einem Schlag verdunkelte, die Erde bebte
und eine tiefe, dröhnende Stimme erklang: »ER HAT REEEECHTW.«
Der Rabbi stemmte die Hände in die Seite, dreht sich zu den an-
deren drei um und sagte: »Und?«
»Was und?«, meinte einer der anderen Rabbis. »Es steht immer
noch drei zu zwei.«

Zenons Paradoxa

Ein Paradoxon ist eine offenbar vernünftige Argumentations-


kette, die auf offenbar richtigen A n n a h m e n beruht, aber zu
einem W i d e r s p r u c h oder einer offenbar falschen Schlussfolge-
r u n g führt. In leicht abgewandelter F o r m k ö n n t e dieser Satz
auch als Definition eines Witzes durchgehen, was zumindest
für einige Witze gilt, die in diesem Buch erzählt werden. Dass
offenbare Wahrheiten logisch zwingend zu falschen Resultaten
führen, hat etwas Absurdes an sich, u n d was absurd ist, ist auch
witzig. Gleichzeitig zwei sich gegenseitig ausschließende Ge-
d a n k e n zu denken, macht u n s schwindelig. Viel wichtiger aber
ist: Mit einem skurrilen Paradoxon h a b e n Sie auf jeder Party
garantiert die Lacher auf Ihrer Seite.
Gemessen an der Fähigkeit, zur gleichen Zeit zwei sich ge-
genseitig ausschließende G e d a n k e n zu denken, war Z e n o n v o n
Elea ein begnadeter Witzbold. Kennen Sie seine Geschichte
ü b e r das W e t t r e n n e n zwischen" Achilles u n d der Schildkröte?
Da Achilles natürlich schneller r e n n e n k a n n als die Schild-
kröte, darf die Schildkröte mit einem großen Vorsprung an
d e n Start gehen. N a c h d e m Start des Wettrennens m u s s Achil-
6 4— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

les zunächst an den Punkt gelangen, von dem aus die Schild-
kröte gestartet ist. Bis er dort ankommt, hat sich die Schild-
kröte natürlich ein Stück voranbewegt. Also muss Achilles n u n
zu diesem Punkt gelangen. Aber auch bis er diesen Punkt er-
reicht, hat sich die Schildkröte wieder ein Stück fortbewegt.
Egal wie oft, u n d sei es unendlich oft, immer, wenn Achil-
les den vorherigen Standpunkt der Schildkröte erreicht, ist die
Schildkröte wieder ein kleines Stückchen weiter. Er wird ihr
zwar verdammt nahe k o m m e n , aber ganz einholen kann er sie
nie. Die Schildkröte darf n u r nicht anhalten, d a n n ist ihr der
Sieg gewiss.
Na gut, Zenon! Für einen Philosophen aus dem fünften Jahr-
hundert vor Christus ist das nicht schlecht. Und Zenon hat
weitere drei Paradoxa auf Lager. Neben dem Schildkröten-Pa-
radoxon verdanken wir ihm auch das Teilungsparadoxon. An-
genommen, ein Läufer will eine 100-Meter-Bahn durchmessen,
d a n n muss er dazu eine unendliche Anzahl von Streckenab-
schnitten hinter sich bringen. Zuerst muss er die erste Hälfte
der Strecke absolvieren, von dort wiederum die erste Hälfte des
verbleibenden Weges, also ein Viertel, u n d von dort wieder die
erste Hälfte des verbleibenden Weges (ein Achtel) u n d so weiter
u n d so fort. Theoretisch gesehen kann der Läufer, weil er u n -
endlich oft die Hälfte des verbleibenden Weges erreichen muss,
das Ende der Bahn niemals erreichen. Aber natürlich tut er das.
Das ist wohl auch Zenon nicht entgangen.
Hier ein etwas angejahrter Gag, der direkt aus Zenons Trick-
kiste zu stammen scheint:
L O G I K^ — 65

Vertreter: »Ma'am, mit diesem Staubsauger haben Sie nur noch


halb so viel Arbeit.«
Hausfrau: »Fantastisch! Dann nehme ich gleich zwei...«

Dieser Witz wirkt leicht verstörend. Das Teilungsparadoxon wi-


derspricht d e m gesunden Menschenverstand, u n d selbst w e n n
wir nicht genau wissen, was damit nicht stimmt, sind wir d o c h
ganz sicher, dass irgendetwas nicht stimmt. In d e m Staubsauger-
witz ist Zenons Argumentation keineswegs paradox. W e n n das
Ziel der Frau lautet, ü b e r h a u p t keine Arbeit m e h r zu haben,
wird sie es auch mit n o c h so vielen Staubsaugern ( u n d Leuten,
die sie f ü r sie ü b e r den Teppich schieben) nicht erreichen. Mit
zwei Staubsaugern wird sich ihre Teppichsaugzeit lediglich um
drei Viertel reduzieren, mit drei um sieben Achtel, u n d so wei-
ter u n d so fort, w e n n die Zahl der Staubsauger gegen »unend-
lich« strebt.

Logische und semantische Paradoxien

Die Mutter aller logischen u n d semantischen Paradoxien ist


Russeis Paradox, b e n a n n t n a c h d e m im 20. J a h r h u n d e r t leben-
den, britischen Philosophen Bertrand Russell. Sein Paradox
k a n n in etwa so formuliert werden:
»Ist eine Menge, die definiert ist als die Menge aller Mengen,
die sich nicht selbst enthalten, in sich selbst enthalten?«
Das ist ein ganz schöner Brüller - vorausgesetzt natürlich,
Sie h a b e n einen akademischen Abschluss in höherer Mathema-
66 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

tik. Aber geben Sie nicht gleich auf. Glücklicherweise gab es im


20. J a h r h u n d e r t a u c h zwei Logiker n a m e n s Greiling u n d Nel-
son, die der Welt eine eher verständliche Version von, wie m a n
auch dazu sagt, Russeis Antinomie, hinterließen. Dabei handelt
es sich um ein semantisches Paradoxon, das mit A u s d r ü c k e n
operiert, die sich auf sich selbst beziehen.
Soll heißen: Es gibt zwei Arten von Ausdrücken: 1. solche,
die sich auf sich selbst beziehen u n d als autolog oder h o m o -
log bezeichnet werden. U n d 2. solche, die das nicht t u n ( u n d
als heterolog bezeichnet werden). Beispiele für autologische
Ausdrücke sind »kurz« (ein kurzes Wort), »mehrsilbig« (ein
mehrsilbiges Wort) u n d , unser Favorit, »achtzehnbuchstabig«
(eben ein Wort mit achtzehn Buchstaben). Beispiele für hetero-
logische Ausdrücke sind »X-Beine« (das Wort hat keine Beine,
weder k r u m m e n o c h gerade) u n d »einsilbig« (hat m e h r als eine
Silbe). Die Frage n u n lautet: Ist das Wort »heterolog« autolog
oder heterolog? W e n n es autolog ist, ist es heterolog. Ist es aber
heterolog, ist es autolog. Hahaha!
Sie lachen i m m e r n o c h nicht? N u n , wir h a b e n es hier mit
einem weiteren philosophischen Konzept zu tun, das als Witz
verkleidet eher verständlich wird:

In einer Stadt gibt es nur einen Barbier - einen Mann, nebenbei


bemerkt -, und dieser Barbier rasiert ausnahmslos alle Männer der
Stadt, nur die nicht, die sich selbst rasieren. Rasiert der Barbier sich
selbst?
Wenn er es tut, dann tut er es nicht. Tut er es nicht, dann tut
er es.
LOGIK ^— 67

Das ist Russells Paradox für den Partylöwen.


Da Männer eher selten Damentoiletten betreten, k ö n n e n sie
nicht mit Gewissheit sagen, wie dort die W ä n d e aussehen. Aber
wir h a b e n die absolute Gewissheit, dass unseren männlichen
Lesern j e n e Paradoxa vertraut sind, mit denen die W ä n d e von
Männertoiletten vor allem in Schulen u n d Universitäten bekrit-
zelt sind. Dabei handelt es sich üblicherweise um aufgepeppte
logisch-semantische Paradoxa in der Manier von Russell oder
Greiling-Nelson. Wissen Sie noch, wo Sie damals saßen?

Wahr oder falsch: »Dieser Satz ist falsch.«

Oder:

Wenn jemand versucht zu versagen und es schafft, was hat er dann


getan?

Schreiben Sie doch, n u r so z u m Spaß, bei Ihrem nächsten Toi-


lettenbesuch »Ist das Wort >heterolog< autolog oder heterolog?«
an die Toilettenwand.

DIMITRI: »Schön u n d nett. Aber was haben diese Späße mit


den Antworten auf die Großen Fragen zu tun?«
TASSO : »Nun, n e h m e n $rir mal an, du besuchst das Orakel von
Delphi u n d fragst es: >Was ist der Sinn von allem, Delphi?<
U n d das Orakel antwortet: >Das Leben ist ein Picknick, alle
Picknicke m a c h e n Spaß, ergo gilt: das Leben macht Spaß.<
Logik bietet dir j e d e Menge Gesprächsstoff.«
Erkenntnistheorie

Woher weißt du, dass du das weißt, von dem du denkst,


dass du es weißt? Man streiche die Antwortoption »Weil ich es
weiß!«, und was bleibt, ist Erkenntnistheorie.

DIMITRI: »Jetzt geht es mir gut, Tasso. Nachdem ich das mit
der Logik kapiert habe, dürfte der Rest ein Picknick auf der
Akropolis sein.«
TASSO: »Welche Akropolis?«
DIMITRI: »Na diese da! Genau da drüben! Hey, Kumpel, viel-
leicht solltest du dich beim Ouzo ein bisschen zurückhal-
ten.«
TASSO : »Aber ist das die Akropolis oder n u r etwas, von dem du
glaubst, es sei die Akropolis? Woher weißt du, dass sie real
ist? Und wenn wir schon dabei sind: Woher weißt du, dass
überhaupt etwas real ist?«
DIMITRI: »Die nächste Runde Ouzo geht auf mich.«
70 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Vernunft kontra Offenbarung

Wie also k ö n n e n wir ü b e r h a u p t etwas wissen, o b w o h l wir d o c h


in Wahrheit gar nichts wissen?
Im Mittelalter w u r d e diese Frage vor allem erörtert, um zu
klären, ob die göttliche O f f e n b a r u n g der Vernunft als Quelle
menschlichen Wissens überlegen sei oder ob die Vernunft
selbst als Quell dieses Wissens gelten könne.

Ein Mann fällt in einen tiefen Brunnen und stürzt gut dreißig Meter
in die Tiefe, bevor er es schafft, sich an einer dünnen Wurzel fest-
zuhalten. Unter ihm gähnt schwarze Leere, und während sein Griff
schwächer und schwächer wird, ruft er verzweifelt aus: »Ist da oben
irgendjemand?«
Er schaut nach oben, aber alles, was er sieht, ist ein kleiner
Kreis Himmel. Doch plötzlich teilen sich die Wolken, ein Lichtstrahl
scheint hinunter zu ihm in den Brunnen, und eine tiefe Stimme er-
dröhnt: »Ich, der HERR, bin hier. Lass die Wurzel los, und ich werde
dich retten.«
Der Mann überlegt kurz, dann ruft er: »Ist noch jemand anderes
da oben?«

W e n n m a n an einer Wurzel über einem A b g r u n d hängt, trägt


das meist dazu bei, die Waagschale auf der Seite der Vernunft
zu senken.
Im 17. J a h r h u n d e r t gab René Descartes der Vernunft den Vor-
zug vor Gott als Quelle des Wissens, u n d was daraus entstand,
firmiert heute unter der Bezeichnung cartesianischer Zweifel.
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 71

Wahrscheinlich wünscht sich Descartes, er hätte niemals


»Cogito, ergo sum« (»Ich denke, also bin ich«) gesagt, denn das
ist so ziemlich alles, was die meisten Menschen von seinem
Werk kennen - das u n d die Tatsache, dass er den Ausspruch
in einem Brotbackofen weilend tat. Und als ob das noch nicht
schlimm genug wäre, wird Descartes' Cogito ständig falsch aus-
gelegt u n d ihm unterstellt, er hätte damit gemeint, dass das
Denken ein essentielles Charakteristikum des Menschseins sei.
Nun, Descartes sah das zwar in der Tat so, doch hat das rein gar
nichts mit Cogito, ergo sum zu tun. Descartes gelangte zu seinem
Cogito durch ein Experiment mit radikalem Zweifeln. Dieses
unternahm er, um herauszufinden, ob es irgendetwas gibt, des-
sen er sich mit absoluter Gewissheit sicher sein kann, sprich
irgendetwas, das er nicht »wegzweifeln« kann.
Er begann damit, die Existenz der äußeren Welt anzuzwei-
feln, was keinerlei Problem darstellte. Vielleicht träumte er ja
nur oder fantasierte? Dann versuchte er, seine eigene Existenz
anzuzweifeln. Aber so sehr er auch zweifelte, er kam immer
wieder zu dem Ergebnis, dass da ein Zweifelnder war. Und die-
ser Zweifelnde, das musste er selbst sein! Mit anderen Wor-
ten, er konnte nicht daran zweifeln, dass er zweifelte. Descartes
hätte sich einen Haufen Missdeutungen erspart, wenn er da-
mals n u r »Dubito, ergo sum« gesagt hätte: »Ich zweifle, also bin
ich.«
Jeder amerikanische Strafrichter fordert die Jury der Ge-
schworenen auf, Descartes' Methode der Suche nach Gewiss-
heit nachzuahmen u n d die Annahme von der Schuld des An-
geklagten nach einem Maßstab zu testen, der fast so streng ist
72 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

wie der von Descartes. Die Frage, die sich die J u r y stellt, ist
zwar nicht identisch mit der des französischen Philosophen;
der Richter will von der J u r y nicht wissen, ob die Schuld des
Angeklagten ohne jeden Zweifel feststeht, s o n d e r n lediglich, ob
sie ohne vernünftigen Zweifel feststeht. Doch selbst dieser nied-
rigere Standard zwingt die Geschworenen, ein ähnliches - u n d
fast ebenso radikales - Gedankenexperiment d u r c h z u f ü h r e n
wie im 17. J a h r h u n d e r t Descartes.

Ein Mann sitzt wegen Mordes vor dem Schwurgericht. Die Beweis-
last gegen ihn ist erdrückend, aber es gibt keine Leiche. Trotzdem
sieht die Sache schlecht aus für den Mann. Deshalb greift sein Ver-
teidiger im Schlussplädoyer zu einem Trick. »Meine sehr geehrten
Damen und Herren der Jury«, sagt er. »Ich habe eine Überraschung
für Sie alle - binnen der nächsten Minute wird das angebliche
Mordopfer quicklebendig in diesen Gerichtssaal spazieren.«
Der Verteidiger blickt zur Tür des Saals, die Geschworenen, baff
vor Erstaunen, tun es ihm gleich. Eine Minute vergeht, nichts pas-
siert. Da dreht sich der Verteidiger wieder um und sagt: »Um die
Wahrheit zu sagen, ich habe die Sache mit dem Mordopfer, das hier
hereinspaziert, frei erfunden. Aber Sie alle haben mit gespannter
Erwartung zur Tür geschaut. Ich stelle also fest, dass hinsichtlich
der Frage, ob jemand ermordet wurde, vernünftiger Zweifel besteht.
Folglich bestehe ich darauf, dass Sie aufmicht schuldig< befinden.«
Die Geschworenen ziehen sich zur Urteilsfindung zurück. Ein
paar Minuten später kehren sie zurück und verkünden das Urteil:
»Schuldig.«
»Aber das dürfen Sie nicht!«, ruft der Verteidiger. »Sie müssen
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 73

einen gewissen Zweifel gehabt haben. Schließlich haben Sie alle zur
Türe gestarrt!«
»Oh ja«, erwidert darauf der Sprecher der Jury, »wir haben zur
Tür gestarrt. Aber Ihr Mandant nicht.«

Empirismus

»Esse est percipi« - »Sein heißt w a h r n e h m e n « (oder wahrge-


n o m m e n werden) - postulierte der im 18. J a h r h u n d e r t lebende
irische Bischof u n d Empirist George Berkeley, womit gesagt
werden soll, dass die so genannte objektive Welt n u r im Geist
existiert. Unser Wissen über die Welt stammt, argumentierte
Berkeley, ausschließlich aus dem, was wir über unsere Sinne
w a h r n e h m e n . (Philosophen sprechen in diesem Z u s a m m e n -
h a n g von »Sinnesdaten«.) Über diese Sinnesdaten hinaus kann,
so Berkeley, nichts weiter abgeleitet werden, also z u m Beispiel
auch nicht die Existenz von Substanzen in der Außenwelt, die
unsere Sinne stimulierende Vibrationen aussenden. Was den
guten Bischof aber nicht daran hinderte, daraus abzuleiten,
dass diese Sinnesdaten irgendwoher k o m m e n müssen, sprich
dass irgendwo Gott sein muss. Salopp formuliert k ö n n t e m a n
sagen, Berkeley stellt sich irgendwo da oben einen Gott vor, der
eine kosmische Website, in die wir alle an 7 Tagen 24 Stunden
eingeloggt sind, mit Sinnesdaten füttert. (Und wir dachten im-
mer, Gott w ü r d e am 7. Tage ruhen!)
Wie die Geschichte es will, soll der britische Gelehrte Sa-
m u e l J o h n s o n , ein Zeitgenosse Berkeleys, n a c h Vernehmen der
7 4— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

»Esse est percipi«-Theorie mit d e m F u ß gegen einen Zaunpfos-


ten gekickt u n d dabei »Hierdurch widerlege ich Bischof Berke-
ley!« ausgerufen h a b e n .
Berkeley hätte darin wohl einen guten Gag gesehen. Der
Fußtritt u n d der nachfolgend s c h m e r z e n d e Zeh bewiesen nur,
dass Gott sich alle M ü h e gab, koordinierte Sinnesdaten an Dr.
J o h n s o n zu übermitteln: zuerst die E m p f i n d u n g der abrupt u n -
terbrochenen F u ß b e w e g u n g , unmittelbar gefolgt von der E m p -
f i n d u n g v o n Schmerz.
Komplizierter wird die Sache, w e n n es sich bei der Quelle
unserer Sinnesdaten um ein anderes Menschenwesen handelt:

Ein Mann fürchtet, seine Frau würde ihr Gehör verlieren, und so fragt
er einen Arzt um Rat. Der Arzt schlägt ihm vor, mit ihr zu Hause ei-
nen einfachen Test durchführen: Der Mann soll sich hinter sie stellen
und ihr eine Frage stellen, zuerst aus sechs Metern Entfernung, dann
aus drei Metern und schließlich direkt hinter ihr stehend.
Der Mann geht nach Hause, und als er seine Frau mit dem Rü-
cken zur Tür am Herd stehen sieht, fragt er in normaler Lautstärke:
Liebling, was gibt es heute zum Abendessen?«
Keine Antwort.
Drei Meter hinter ihr wiederholt er seine Frage: »Liebling, was
gibt es heute zum Abendessen?«
Wieder keine Antwort.
Schließlich steht er direkt hinter ihr. »Liebling, was gibt es heute
zum Abendessen?«
Da dreht sich seine Frau um und sagt: »Liebling, zum dritten
Mal - es gibt Huhn!«
E R K E N N T N I S T H E O R I E< < 3 — 75

Man k ö n n t e das, womit wir es hier zu tun haben, als schweren


Fall eines Sinnesdaten-Interpretationsproblems beschreiben.

Die wissenschaftliche Methode

Heute m a g es u n s selbstverständlich erscheinen, dass wir alles


Wissen über die Außenwelt d u r c h unsere Sinne erwerben. Doch
das war keineswegs immer so. Viele Philosophen vergangener
Zeiten waren überzeugt, wir k ä m e n mit bestimmten angebore-
n e n geistigen Vorstellungen auf die Welt, Vorstellungen mithin,
die a priori wären - also vor aller Erfahrung stünden. So vertra-
ten einige Denker die Meinung, unsere Gottesvorstellung sei
angeboren, eine Behauptung, die andere auch für unsere Vor-
stellung von der Kausalität aufstellten.
Selbst heute n o c h macht j e m a n d , der Dinge wie »Alles, was
geschieht, geschieht aus einem Grund« oder »Ich glaube an die
Reinkarnation« sagt, damit eine Aussage, die sich d u r c h Erfah-
r u n g weder bestätigen n o c h widerlegen lässt. Doch die meisten
von u n s akzeptieren, dass Sinneserfahrungen d e n besten Be-
weis für die Wahrheit einer Aussage über die Außenwelt lie-
fern, u n d in diesem Sinne sind wir alle Empiristen. Es sei d e n n
natürlich, Sie wären der König von Polen u n d damit die Aus-
n a h m e , welche die Regel bestätigt:

Der König von Polen bricht mit einem Gefolge von Herzögen und
Grafen zur königlichen Elchjagd auf.
Gerade als sie sich den Wäldern nähern, springt ein Diener hin-
76 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

ter einem Baum hervor, wedelt aufgeregt mit den Armen und ruft:
»Ich bin kein Elch!«
Der König hebt die Büchse, zielt und drückt ab. Der Diener fällt,
mitten ins Herz getroffen, tot um.
»Meine Güte, Majestät«, sagt darauf ein Herzog. »Warum habt
Ihr das getan? Der Mann hat doch gerufen, dass er kein Elch ist.«
»Herrjemine«, erwidert darauf der König bestürzt, »und ich
dachte, er hätte gerufen, er sei ein Elch.«

In O r d n u n g , u n d n u n vergleichen wir den König von Polen mit


einem hunderfünfzigprozentigen Wissenschaftler.

Ein Wissenschaftler und seine Frau fahren mit dem Wagen zu einer
Spritztour übers Land.
»Oh, schau mal!«, ruft seine Frau, als sie an einem Bauernhof
vorbeifahren. »Die Schafe da sind frisch geschoren.«
»Ja«, antwortet der Wissenschaftler, »auf unserer Seite.«

Auf den ersten Blick k ö n n t e n wir versucht sein zu glauben,


die Frau brächte lediglich eine allgemeine, unreflektierte Sicht-
weise z u m Ausdruck, w ä h r e n d der Wissenschaftler den vor-
sichtigeren, den wissenschaftlicheren Ansatz wählt. Er weigert
sich nämlich, über das, was seine Sinne i h m melden, hinaus-
gehende Schlussfolgerungen zu ziehen. Doch damit täten wir
der Frau Unrecht. W e n n eine gute wissenschaftliche Hypothese
formuliert w e r d e n soll, d a n n w ü r d e die Mehrheit der Wissen-
schaftler der Aussage der Frau den Vorzug geben. Die »Erfah-
rung« der Empiristen beschränkt sich nämlich nicht allein auf
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 77

unmittelbare Sinneserfahrungen. Wissenschaftler n u t z e n auch


frühere Erfahrungen für die Berechnungen von Wahrschein-
lichkeiten u n d zur Ableitungen allgemeiner Aussagen oder Re-
geln. Die Frau sagt also eigentlich: »Was ich sehe, sind Schafe,
die geschoren sind, zumindest auf dieser Seite. Auf der G r u n d -
lage meiner früheren Erfahrungen weiß ich, dass Schäfer ihre
Schafe im Allgemeinen nicht n u r auf einer Seite scheren, u n d
dass, selbst w e n n dieser Schäfer das gemacht hätte, die Wahr-
scheinlichkeit verschwindend gering ist, dass alle Schafe sich so
auf der Weide arrangieren, dass v o n der Straße aus n u r ihre ge-
schorene Seite zu sehen ist. Deshalb k a n n ich guten Gewissens
schließen: >Diese Schafe sind r u n d u m geschoren. <«
Wir stellen u n s den Wissenschaftler in d e m Witz als über-
gebildeten Eierkopf vor. Im Allgemeinen aber stellen wir u n s
Leute, die nicht imstande sind, von ihren bisherigen Erfah-
rungen zu extrapolieren, als D u m p f b a c k e n vor oder - wie die
Inder solche Leute n e n n e n w ü r d e n - als Sardars.

Ein Polizist in Neu-Delhi soll drei Sardars, die sich in der Ausbildung
zum Detektiv befinden, auf ihre Fähigkeiten zur Identifikation von
Verdächtigen testen. Erzeigt dem ersten Sardar fünf Sekunden lang
die Fotografie eines Manns.
»Das ist dein Verdächtiger«, sagt er zu ihm. »Woran würdest du
ihn wiedererkennen?«
»Das ist einfach«, ruft der Sardar. »Er hat nur ein Auge, den ha-
ben wir gleich!«
»Sardar!«, ruft der Ausbilder. »Das liegt daran, dass du ihn auf
dem Foto im Profil gesehen hast.«
7 8— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Nun hält der Polizist dem zweiten Sardar das Foto fünf Sekunden
lang hin und fragt auch ihn: »Das ist dein Verdächtiger. Woran wür-
dest du ihn wiedererkennen?«
»Ha!«, ruft der zweite Sardar und lächelt. »Der wäre zu leicht zu
schnappen, wo er doch nur ein Ohr hat!«
Der Ausbilder wird wütend. »Was ist mit euch beiden los? Na-
türlich sind nur ein Auge und ein Ohr zu sehen, schließlich ist es ein
Foto seines Profils. Ist das alles, was euch dazu einfällt?«
Frustriert und ohne viel Hoffnung zeigt er das Bild dem dritten
Sardar und fragt ihn mit inzwischen gereizter Stimme: »Das ist dein
Verdächtiger. Woran würdest du ihn wiedererkennen?«
Der Sardar schaut sich das Bild einen Moment lang aufmerksam
an und sagt: »Der Verdächtige trägt Kontaktlinsen.« Der Polizist ist
kurz ratlos, weil er nicht weiß, ob der Mann auf dem Bild Kontakt-
linsen trägt oder nicht.
»Nun, das ist eine interessante Antwort«, sagt er. »Warte hier,
ich überprüfe das in den Akten und komme dann zurück.«
Er verlässt den Raum, geht in sein Büro, checkt im Computer die
Akte des Verdächtigen und kehrt freudig lächelnd zu den Sardars
zurück.
»Wow! Ich kann es gar nicht fassen. Du hast Recht. Der Verdäch-
tige trägt in der Tat Kontaktlinsen. Gute Arbeit! Wie hast du es ge-
schafft, das so gut zu beobachten?«
»Das war leicht«, erwidert da der Sardar. »Der Verdächtige
kann keine Brille tragen, weil er ja nur ein Auge und ein Ohr hat.«

Der Triumph des Empirismus in der westlichen Erkenntnis-


theorie spiegelt sich a u c h darin wider, dass wir automatisch da-
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 79

von ausgehen, die Arbeit mit Erfahrungstatsachen sei die einzig


vernünftige Methode der Verifikation:

In der Umkleide eines Fitnessclubs ziehen sich drei Frauen um, als
die Tür aufgeht und ein bis auf eine über den Kopf gezogene Papier-
tüte splitternackter Mann durch den Raum sprintet. Die erste Frau
schaut auf seinen Schmede! und sagt: »Also, mein Mann ist das
nicht.« Die zweite: »Stimmt, ist er nicht.« Und die dritte:»Wie auch,
der Kerl ist ja nicht mal Mitglied dieses Clubs.«

Ungeachtet des Siegeszuges von Empirismus u n d wissenschaft-


licher Methodik gibt es i m m e r n o c h viele Menschen, die hin-
ter ungewöhnlichen Ereignissen eher W u n d e r vermuten, als
sie auf natürliche Ursachen z u r ü c k z u f ü h r e n . Die Annahme, et-
was sei ein Wunder, ist n u r d a n n rational gerechtfertigt, hat
der britische Empirist u n d Skeptiker David H u m e einmal ge-
sagt, w e n n alle alternativen Erklärungen n o c h unwahrschein-
licher sind. A n g e n o m m e n z u m Beispiel, ein M a n n behauptet,
er hätte eine Topfpalme, die Arien aus Aida singen kann. Was
ist unwahrscheinlicher: Dass seine Topfpalme sämtliche Natur-
gesetze außer Kraft setzt, oder dass er ein Volltrottel, ein Lüg-
ner oder ein Konsument halluzinogener Drogen ist? H u m e s
Antwort: »Oh, meine Güte!« (Wir zitieren hier recht frei.) Da
die Wahrscheinlichkeit dafür, dass j e m a n d , der so haarsträu-
b e n d e Dinge erzählt, entweder selbst hinters Licht geführt wor-
den ist oder versucht, dies mit u n s zu tun, ungleich h ö h e r ist
als die Wahrscheinlichkeit, dass irgendetwas ( u n d sei es eine
Topfpalme) die Naturgesetze aushebelt, k o n n t e H u m e sich
80 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

keine Situation vorstellen, in der die A n n a h m e rational wäre,


ein W u n d e r sei geschehen - ganz abgesehen von der Tatsache,
dass Topfpalmen, wie allgemein b e k a n n t ist, viel lieber Puccini
als Verdi singen.
Interessanterweise j e d o c h sieht sich in der folgenden Ge-
schichte ein gewisser Bill, offenkundig ein Schüler H u m e s , der
ein vermeintliches W u n d e r der P r ü f u n g unterwirft, am Ende
zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass die alternative Erklä-
r u n g noch unwahrscheinlicher ist:

Bills Ellbogen schmerzt seit Wochen. Er erzählt einem Freund da-


von, und der rät ihm, einen Swami aufzusuchen, der in einer Höhle
ganz in der Nähe lebt. »Du musst nur eine Urinprobe vor der Höhle
hinterlassen, und der Swami wird darüber meditieren, auf wunder-
same Weise deine Beschwerden diagnostizieren und dir sagen, was
du dagegen tun kannst. Und das alles für nur zehn Dollar!
Nun, denkt sich Bill, was kann ich schon verlieren? Er pinkelt in
ein Glas und stellt es zusammen mit einer Zehn-Dollar-Note vor die
Höhle des Swami. Als er am nächsten Tag zurückkehrt, liegt ein Zet-
tel für ihn auf dem Boden. »Du hast einen Tennisellbogen. Mache
warme Armwickel, hebe keine schweren Lasten, und in zwei Wo-
chen wird es dir besser gehen.«
Später am selben Abend beschleicht Bill der Verdacht, der
Swami und das »Wunder« seien eine Erfindung seines Freundes,
der ja ohne weiteres selbst die Nachricht verfasst haben und vor
der Höhle hätte deponieren können.
Bill will seinem Freund eine Falle stellen und mischt Leitungswas-
ser, eine Probe vom Kot seines Hundes und Urinproben von sei-
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 81

ner Frau und seinem Sohn zusammen. Als Krönung fügt er dem
Ganzen noch eine Probe einer weiteren Körperflüssigkeit von sich
selbst hinzu, schüttelt das Gebräu kräftig und stellt es zusammen
mit einer weiteren Zehn-Dollar-Note vor die Höhle. Anschließend
ruft er seinen Freund an und sagt ihm, dass es ihm immer noch
nicht besser gehe und er deshalb eine weitere Probe für den Swami
vor die Höhle gestellt habe.
Am nächsten Tag kehrt Bill zur Höhle zurück und findet wiede-
rum eine Nachricht mit seinem Namen darauf. »Dein Leitungswas-
ser ist zu hart. Besorg dir einen Wasserenthärter. Dein Hund hat
Würmer. Gib ihm Vitamine. Dein Sohn ist kokainsüchtig er muss
schleunigst auf Entzug. Deine Frau ist schwanger mit Zwillingsmäd-
chen, aber nicht von dir. Nimm dir einen Anwalt. Und wenn du
nicht aufhörst, es dir dauernd selbst zu besorgen, wird das mit dem
Tennisellbogen niemals besser.«

Aber wie in der Philosophie setzen sich auch in Witzen mei-


stens die Skeptiker durch.

Vor dem Eisenwarenladen des guten alten »Doc Bloom«, der im


Städtchen seit Jahren für sein Wundermittel gegen Arthritis ge-
rühmt wird, steht wie üblich eine lange Schlange von »Patienten«.
Eine kleine alte Dame kommt tief gebeugt daher und stellt sich,
schwer auf ihren Stock lehnend, an.
Endlich ist sie an der Reihe. Sie schleppt sich in das Hinterzimmer
des Ladens, und eine halbe Stunde später kommt sie wieder heraus,
mit geradem Rücken und den Kopf hoch in der Luft.
Eine in der Schlange wartende Frau kann es nicht fassen. »Ein
8 2— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Wunder!«, ruft sie aus. »Sie ist tief über den Stock gebeugt hinein-
gegangen, und seht sie euch nun an! Was hat der Arzt mit Ihnen
gemacht?«
Darauf die Alte: »Er hat mir einen längeren Stock gegeben.«

Blinde k ö n n e n , wie das folgende Beispiel zeigt, ebenso radikale


Empiristen sein wie alle anderen auch, selbst w e n n visuelle Da-
ten in ihrer Erfahrungswelt keine Rolle spielen:

Zur Zeit des Passahfests sitzt ein Jude im Park und verzehrt seinen
Lunch. Ein Blinder setzt sich neben ihn, und der Jude bietet ihm ein
Stück von seinem Matzen (ungesäuertes Fladenbrot) an. Der Blinde
nimmt es, befingert es kurz und meint: »Na, so einen Mist habe ich
schon lange nicht mehr gelesen.«

Der Mann in der folgenden Geschichte begeht den a b s u r d e n


Fehler a n z u n e h m e n , ein Blinder w ü r d e über keine anderen
Mittel der sensorischen Verifikation verfügen:

Ein Mann geht mit seinem Hund in eine Bar und bestellt einen
Drink. Der Barkeeper weist ihn darauf hin, dass Hunde in der Bar
nicht erlaubt sind. Geistesgegenwärtig erwidert der Mann: »Das ist
mein Blindenhund.«
»Oh, das tut mir leid«, entschuldigt sich der Barkeeper. »Hier, der
erste Drink geht auf mich.«
Der Mann nimmt den Drink und geht zu einem Tisch in der
Nähe des Eingangs.
Die Tür geht auf, und noch ein Mann mit einem Hund kommt
E R K E N N T N I S T H E O R I E< < 3 — 83

herein. Der erste Mann winkt ihn zu sich• her und flüstert: »Du
kannst den Hund nur mit hereinbringen, wenn du ihm sagst, es sei
dein Blindenhund.«
Der zweite Mann bedankt sich, geht vor zur Bar und bestellt sich
einen Drink, worauf ihn der Barkeeper sofort auf das Hundeverbot
in der Bar hinweist.
»Aber das ist mein Blindenhund«, erwidert der Mann.
»Das glaube ich nicht«, gibt der Barkeeper zurück. »Chihuahuas
werden nicht als Blindenhunde eingesetzt.«
Der Mann zögert einen Moment, dann ruft er: »Was?!? Diese
Schufte haben mir einen Chihuahua angedreht?!?«

Der Deutsche Idealismus

Also wirklich! An einem Objekt m u s s d o c h m e h r d r a n sein als


n u r Sinnesdaten. Beispielsweise irgendwo dahinter oder so.
Genau das dachte sich im 18. Jahrhundert auch der deut-
sche Philosoph Immanuel Kant. Das Studium der britischen
Empiristen, so Kant, erweckte ihn aus seinem dogmatischen
Schlummer. Zuvor hatte Kant angenommen, unser Geist würde
u n s ausreichend Gewissheit ü b e r die tatsächliche Beschaffenheit
der Welt geben. Doch wie die Empiristen demonstrierten, ist
unser Wissen über die Außenwelt unweigerlich in einem be-
stimmten Sinne ungewiss, weil es durch unsere Sinne zu u n s ge-
langt. Eine Erdbeere ist n u r d a n n rot oder süß, w e n n sie vermit-
tels bestimmter Vorrichtungen - in diesem Falle mit den Augen
beziehungsweise den Geschmacksknospen der Zunge - wahr-
84 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

genommen wird. Mit anderen Worten, für Menschen mit anders


gearteten Geschmacksknospen könnten Erdbeeren ganz anders
als süß schmecken. Was also, fragte Kant, ist eine Erdbeere »an
sich«? Was lässt sie rot u n d süß - oder sonstwie - erscheinen,
wenn wir sie mit unserem Sinnesinstrumentarium erfassen?

CSäO

Wenn schon nicht unsere Sinne, dann, so mögen wir mei-


nen, muss uns doch die Wissenschaft sagen können, was
ein Ding an sich wirklich ist. Aber genau betrachtet bringt
uns die Wissenschaft nicht einen Millimeter näher an die
Erdbeere an sich heran. Dass eine konkrete chemische Zu-
sammensetzung der Erdbeere in Kombination mit der kon-
kreten neurologischen Ausstattung eines Menschen festlegt,
ob die Erdbeere für ihn süß oder sauer schmeckt - u n d dass
diese konkrete chemische Zusammensetzung das ist, was
die Erdbeere an sich »wirklich« ist - hilft uns leider nicht
weiter. Was wir mit einer »bestimmten chemischen Zusam-
mensetzung« meinen, ist lediglich »der Effekt, den wir be-
obachten, wenn wir die Erdbeere durch bestimmte Wahr-
nehmungsvorrichtungen laufen lassen«. Wenn wir eine
Erdbeere durch bestimmte Wahrnehmungsvorrichtungen
laufen lassen, erfahren wir dadurch lediglich, wie eine Erd-
beere erscheint, wenn wir sie durch diese Wahrnehmungs-
vorrichtungen laufen lassen, so, wie uns das Verspeisen
einer Erdbeere lediglich erfahren lässt, wie eine Erdbeere
schmeckt, wenn sie unsere Geschmacksknospen aktiviert.
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 85

Kant schloss daraus, dass wir nichts wissen k ö n n e n über die


Dinge, wie sie an sich selbst sind. Das Ding an sich, sagte er, ist
»gleich x«. Wir k ö n n e n n u r die phänomenale Welt erfassen, die
Welt der Erscheinungen; von der transzendenten, noumenalen
Welt hinter den Erscheinungen k ö n n e n wir nichts wissen.
Mit diesen Worten leitete Kant einen Paradigmenwechsel in
der Philosophie ein. Die Vernunft k a n n u n s nichts ü b e r die
Welt jenseits unserer Sinne berichten. Weder Berkeleys Gott-
der-Datentypist n o c h irgendeine andere metaphysische Erklä-
r u n g der Welt lässt sich vermittels reiner Vernunft erschließen.
Die Philosophie sollte nie m e h r sein, was sie einmal gewesen
war.

Sekretärin: »Herr Doktor, im Wartezimmer sitzt ein unsichtbarer


Mann.«
Doktor: »Sagen Sie ihm, dass ich ihn nicht sehen kann.«

Sollte I h n e n dieser Witz nicht sonderlich hilfreich z u m Ver-


ständnis von Kants Unterscheidung zwischen d e m Phänome-
nalen u n d d e m N o u m e n a l e n erscheinen, d a n n liegt das daran,
dass wir ihn ursprünglich in einem Ratskeller an der Universi-
tät zu Königsberg auf Deutsch gehört h a b e n u n d bei der Über-
setzung ins Englische etwas gekürzt haben. Die Originalversion
lautet:

Sekretärin: »Herr Doktor, im Wartezimmer sitzt ein Ding an sich.«


Urologe: »Nein, nicht noch ein Ding an sich. Noch eins, und ich
drehe durch. Wer ist es?«
86 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Sekretärin: »Woher soll ich das wissen?«


Urologe: »Beschreiben Sie ihn.«
Sekretärin: »Machen Sie keine Witze!«

Das ist er - der original Königsberger An-sich-Witz.


In d e m Witz passiert mehr, als das Auge auf d e n ersten Blick
sieht. Die Sekretärin hat, aus G r ü n d e n , die zu wissen ihr vorbe-
halten bleiben, beschlossen, d e m Arzt vorzuenthalten, woraus
sie schloss, dass da ein Ding an sich im Wartezimmer sitzt. Was
a u c h i m m e r sie zu diesem Schluss bewog, es m u s s p h ä n o m e -
naler Natur gewesen sein! (Folgen Sie u n s noch?) Was war es,
das ihr die Anwesenheit eines Dinges an sich verriet? N u n , ir-
gendetwas im Bereich der Sinne. Vielleicht ein sechster Sinn,
vielleicht irgendeiner der Sinne eins bis fünf, aber in einem
Sinne auf j e d e n Fall ein Sinn.
Als Hintergrund sollte m a n wissen, dass die Sekretärin ihre
Dissertation über Kants Kritik der reinen Vernunft geschrie-
b e n hat, nttr um h e r n a c h festzustellen, dass sie ihre Berufs-
aussichten damit effektiv auf Sekretärin oder Pommes-Frites-
Braterin beschränkt hatte. Aus diesem G r u n d interpretierte sie
die Aufforderung des Arztes, das Ding im Wartezimmer zu be-
schreiben, nicht als »Welche S i n n e s p h ä n o m e n e h a b e n Sie er-
fahren?«, s o n d e r n vielmehr als »Beschreiben Sie es, wie es an
sich selbst, hinter seiner Erscheinung, ist«. Diese Aufforderung
versetzte ihr verständlicherweise einen nicht geringen Schock,
von d e m sie sich aber später erholte. Am Ende ehelichte sie
Helmut, den Cousin des Arztes, u n d zog mit i h m drei entzü-
ckende Kinder groß.
Porträt eines Dinges an sich (um 1781)
88 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Für Kant u n d den Großteil der auf ihn folgenden Erkenntnis-


theorie lassen sich die Fragen danach, was wir wissen können
u n d wie wir es wissen können, im Hinblick darauf analysieren,
was wir sinnvoll darüber sagen können, was wir wissen u n d wie
wir es wissen. Welche Art Aussagen über die Welt enthalten Wissen
über die Welt?
Kant machte sich an die Beantwortung dieser Frage, in-
dem er Aussagen in zwei Kategorien unterteilte: analytische
u n d synthetische. Analytische Aussagen sind per definitionem
wahr. Die Aussage »Alle Schnabeltiere sind Säugetiere« ist ana-
lytisch. Sie verrät uns nichts über das typische Schnabeltier,
was über das hinausgeht, was wir in einem Lexikon unter dem
Eintrag »Schnabeltier« finden.
Der Satz »Manche Schnabeltiere schielen« hingegen ist eine
synthetische Aussage. Da »schielen« nicht Teil der Definition
von »Schnabeltier« ist, liefert sie uns neue Informationen über
die Welt. Der Satz »Manche Schnabeltiere schielen« sagt etwas
über Schnabeltiere aus, das wir nicht erfahren, wenn wir in
einem Lexikon unter »Schnabeltier« nachschlagen.
Als Nächstes unterscheidet Kant zwischen a priori Aussagen
u n d a posteriori Aussagen. Erstere Aussagen sind solche, die wir
allein auf Grundlage der Vernunft zu treffen in der Lage sind,
ohne Rückgriff auf die sinnliche Wahrnehmung. Die oben ge-
troffene Aussage »Alle Schnabeltiere sind Säugetiere« ist a priori
richtig. Wir müssen nicht einen Haufen Schnabeltiere auf den
Rücken drehen, um zu sehen, dass sie wahr ist. Es reicht, wenn
wir einen Blick ins Lexikon werfen. A posteriori Aussagen hin-
gegen basieren auf der sinnlichen W a h r n e h m u n g der Welt. Ob
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 89

die Aussage »Manche Schnabeltiere schielen« wahr ist, kön-


nen wir nur wissen, wenn wir eine Vielzahl von Schnabeltieren
überprüfen - entweder indem wir ihnen selbst in die Augen
schauen oder uns auf das Wort von jemandem verlassen, der
behauptet, er habe das getan.

— cs-c

Bislang haben wir Beispiele analytischer a priori Aussagen


(»Alle Schnabeltiere sind Säugetiere«) u n d synthetischer
a posteriori Aussagen (»Manche Schnabeltiere schielen«)
gesehen. Kant n u n fragte, ob es noch eine dritte Form von
Aussagen gibt, nämlich synthetische a priori Aussagen?
Dabei müsste es sich um Aussagen handeln, die uns
neues Wissen über die Außenwelt erschließen, zu denen
wir aber zugleich allein durch die Vernunft gelangen. Die
Empiristen hatten ein synthetisches a priori Wissen im-
plizit ausgeschlossen, da unsere sinnliche W a h r n e h m u n g
die einzige Quelle unseres Wissens über die Außenwelt
ist. Kant aber sagte: »Halt, nicht so schnell. Was ist mit ei-
ner Aussage wie >Jedes Ereignis hat eine Ursach.e<?« Sie ist
synthetisch: Sie mehrt unsere Erkenntnisse über die Welt
jenseits dessen, was in den Definitionen von »Ursache«
u n d »Ereignis« enthalten ist. Sie ist aber auch apriorisch,
durch Vernunft allein erfassbar, nicht durch Wahrneh-
mung. Wie das? »Weil«, so Kant, »wir dies als wahr vor-
aussetzen müssen, um überhaupt intelligible Wahrneh-
m u n g e n machen zu können.« Würden wir nicht davon
ausgehen, dass eine gegenwärtige Situation durch eine ihr
90 PLATON UND SCHNABELTIER

vorangehende Ereigniskette verursacht wird, k ö n n t e n wir


in nichts einen Sinn erkennen. Es wäre, als lebten wir in
den Film Mulholland Drive, in d e m die Ereignisse ohne
erkennbare O r d n u n g aufeinanderfolgen. Wir wären au-
ßerstande, auch n u r irgendeine Aussage oder Beurteilung
ü b e r die Welt zu formulieren, da wir nicht darauf ver-
trauen k ö n n t e n , dass die Welt in einer Minute n o c h die-
selbe wäre.

H u n d e r t e von Witzen basieren auf der Verwechslung analy-


tischer a priori Aussagen mit synthetischen a posteriori Aussa-
gen:

Es gibt eine todsichere Methode, ein hohes Alter zu erreichen: Essen


Sie einhundert Jahre lang jeden Tag einen Fleisch klops.

Der Witz liegt darin, dass hier eine analytische a priori Lösung
für ein Problem gegeben wird, das einer synthetischen a poste-
riori Lösung bedarf. Die Frage n a c h einer todsicheren Methode,
ein h o h e s Alter zu erreichen, erfordert eindeutig konkrete In-
formationen über die Welt. »Welche Dinge sind es, die laut Er-
fahrung Langlebigkeit begünstigen?« Als Antwort erwarten wir
Ratschläge wie »Geben Sie das Rauchen auf« oder » N e h m e n Sie
täglich vor d e m Schlafengehen 4 0 0 mg Co-Enzym Q-10«. Die
Antwort hier aber ist eine analytische, ergänzt um eine Prise Ir-
relevanz in F o r m eines Fleischklopses, um u n s e r e n Verstand zu
vernebeln. »Wer ein h o h e s Alter erreichen will, sollte e i n h u n -
ERKENNTNISTHEORIE •O— 91

dert Jahre leben, d e n n einhundert Jahre gelten gemeinhin als


hohes Alter. Essen Sie auch ein paar Fleischklopse. Das k a n n
nicht schaden.« (Nun, vielleicht könnten die in den Fleisch-
klopsen enthaltenen Transfette Ihnen schaden, aber natürlich
nicht, w e n n Sie sie einhundert Jahre lang essen.)

U n d noch ein Witz aus dieser Kategorie:

Joe: »Was für ein begnadeter Sänger?«


Blow: »Ha! Wenn ich seine Stimme hätte, wäre ich genauso gut.«

Dasselbe Spiel. Was wir mit einem »begnadeten Sänger« mei-


nen, ist j e m a n d , der eine fantastische Stimme besitzt - eine
Stimme wie der fragliche Interpret. Blows Aussage, »Wenn ich
seine Stimme hätte, wäre ich genauso gut«, liefert u n s also keine
n e u e n Erkenntnisse über Blows Begabung. Tatsächlich sagt er
damit lediglich: »Wenn ich ein begnadeter Sänger wäre, wäre
ich ein begnadeter Sänger.« U n d w e n n diese Aussage nicht per
definitionem wahr ist, d a n n ist nichts wahr.
Hier eine komplexere Version dessen, was passiert, w e n n
m a n analytische a priori mit synthetischen a posteriori Aussagen
verwechselt:

Ein Mann probiert einen Maßanzug an und sagt zum Schneider:


»Sie müssen den rechten Ärmel kürzen! Er ist fünf Zentimeter zu
lang.«
Der Schneider sagt: »Nein, beugen Sie einfach den Ellbogen so
wie ich. Sehen Sie, dann rutscht der Ärmel nach oben.«
9 2— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Der Mann sagt: »Okay, aber schauen Sie sich mal den Kragen
an! Wenn ich den Ellbogen beuge, rutscht der Kragen nach oben
und erwürgt mich fast.«
Der Schneider sagt: »Das macht gar nichts. Heben Sie einfach
den Kopf an, und legen Sie ihn in den Nacken.«
Der Mann sagt: »Aber jetzt sitzt die linke Schulter sieben Zenti-
meter unter der rechten Schulter.«
Der Schneider sagt: »Kein Problem. Knicken Sie in der Hüfte
leicht nach links, und schon sitzen sie wieder auf gleicher Höhe.«
Der Mann verlässt das Geschäft in dem Anzug, den rechten Ell-
bogen gebeugt und nach außen zeigend, den Kopf in die Höhe ge-
reckt und in den Nacken gelegt und mit stark nach links geneigtem
Oberkörper. Ergeht los, bringt in dieser Haltung aber nur ein unbe-
holfenes, spastisches Staksen zustande.
Just in dem Moment kommen zwei Männer vorbei.
»Schau dir den armen Krüppel an«, sagt der erste. »So etwas zu
sehen tut mir im Herzen weh.«
Darauf der zweite: »Ja, aber sein Schneider muss ein Genie sein!
Der Anzug sitzt perfekt!«

Synthetisch kontra analytisch, stimmt's? (Und wir reden hier


nicht über Anzugstoffe u n d Schneider.) Die implizite A n n a h m e
des zweiten Passanten - »Sein Schneider hat d e m Mann einen
perfekt sitzenden Anzug geschneidert« - ist eine synthetische
a posteriori Aussage, die vorgibt, auf Beobachtung basierende
n e u e Erkenntnisse über d e n Schneider u n d sein offensicht-
liches Talent in der Anfertigung des Anzuges zu liefern. Für d e n
Schneider aber ist die Aussage »Der Anzug, den ich gemacht
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 93

habe, ist ein perfekt sitzender Anzug« eine analytische Aussage.


Er könnte ebenso gut »Der Anzug, den ich gemacht habe, ist
ein Anzug, den ich gemacht habe«, sagen. Warum? Weil jeder
Anzug, den sein Kunde anprobieren wird, perfekt sitzen wird,
schließlich passt dieser Schneider nicht den Anzug dem Kun-
den, sondern den Kunden dem Anzug an.

Kants Uhr
Kants Priorität galt der reinen Vernunft, u n d zwar so sehr,
dass er wenig Anlass dafür sah, zur Lösung von Erkennt-
nisproblemen auf persönliche Erfahrungen zurückzugrei-
fen. Ganz in diesem Sinne reiste er niemals weit über Kö-
nigsberg hinaus u n d führte ein einsiedlerisches Leben, das
stark von Gewohnheiten wie seinem allnachmittäglichen
Verdauungsspaziergang bestimmt war. Angeblich stellten
die Bürger von Königsberg ihre Uhren danach, wann sich
Professor Kant zu seinem täglichen Spaziergang dieselbe
Straße (die noch heute als Philosophengang bekannte Lin-
denallee) hinauf u n d hinunter begab.
Weniger bekannt (vielleicht, weil es womöglich erfun-
den ist) ist, dass auch der Küster des Königsberger Doms
den Gang der Kirchturmuhr anhand von Kants nachmit-
täglicher Promenade überprüfte, während Kant seinerseits
seine alltägliche Promenade nach dem Stand der Kirchturm-
uhr unternahm.
Hat da jemand etwas über die Verwechslung des Analy-
tischen mit dem Synthetischen gesagt? Kant wie auch der
9 4— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Küster glauben, durch das Beobachten des Verhaltens des


anderen (beziehungsweise der Kirchturmuhr) neue Er-
kenntnisse über die Welt zu erlangen. Kant glaubt, durch
das Beobachten der Kirchturmuhr die deutsche Standard-
zeit in Erfahrung zu bringen, welche ihrerseits durch das
Beobachten der Erdrotation bestimmt wird. Der Küster
n u n ist überzeugt, durch das Beobachten von Kants all-
täglichem Spaziergang die deutsche Standardzeit in Erfah-
rung zu bringen, eine Überzeugung, die auf des Küsters
Glauben an Kants inhärente Pünktlichkeit basiert.
In Wahrheit ziehen beide, Kant u n d Küster, schlicht eine
per definitionem richtige analytische Schlussfolgerung.
Folglich kann Kants Schlussfolgerung »Ich trete um halb
vier zu meinem Spaziergang vor die Türe« auf die analy-
tische Aussage »Ich trete meinen Spaziergang an, wenn
ich ihn antrete« reduziert werden - weil Kant die Fest-
stellung, dass es halb vier Uhr ist, anhand einer Uhr trifft,
die nach dem Beginn seines Spaziergangs gestellt ist. Und
die Schlussfolgerung des Küsters »Meine Uhr geht rich-
tig« lässt sich entsprechend auf die Aussage »Meine Uhr
zeigt an, was meine Uhr anzeigt« reduzieren. Warum?
Weil sein Kriterium für die Genauigkeit der Uhr der Mo-
ment ist, da Kant zu seinem Spaziergang vor die Tür tritt,
dieser Moment aber seinerseits davon bestimmt wird, was
die Uhr anzeigt.
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 95

Mathematische Philosophie

Wie sieht es mit Dimitris scharfsinniger Erkenntnis aus, dass


2 + 2 = 4 ist? Handelt es sich dabei um eine analytische, also
eine per definitionem wahre Aussage? Ist Teil dessen, was wir
mit »4« meinen, dass es die S u m m e von 2 u n d 2 ist? Oder ist
die Aussage synthetisch? Erschließt sie uns neues Wissen über
die Welt? Sind wir zu ihr gelangt, i n d e m wir zwei Dinge gezählt
u n d d a n n nochmals zwei Dinge gezählt u n d anschließend alle
zusammengezählt haben? So zumindest scheinen es die Mit-
glieder des in der australischen Wildnis lebenden Voohoona-
Stammes zu halten.

Zwei und zwei ist fünf, sagt ein Voohooni zu einem westlichen An-
thropologen.
Wie er darauf komme, will der Anthropologe wissen.
»Durch Zählen natürlich«, antwortet der Eingeborene. Zuerst
knote ich zwei Knoten in eine Schnur. Dann knote ich zwei Knoten
in eine andere Schnur. Füge ich dann die beiden Schnüre zusam-
men, habe ich fünf Knoten.«

Die Philosophie der Mathematik ist überwiegend ziemlich


technisch u n d schwierig. Das Einzige, was Sie wirklich wissen
müssen, w e n n es um Mathematik geht, ist, dass es drei Arten
von Menschen gibt: solche, die zählen k ö n n e n , u n d solche^ die
das nicht k ö n n e n .
96 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Pragmatismus

Für erkenntnistheoretische Pragmatisten wie den amerikani-


schen Philosophen William James ( 1 8 4 2 - 1 9 1 0 ) liegt die Wahr-
heit einer Aussage in ihren praktischen Konsequenzen. Laut
James wählen wir unsere Wahrheit d a n a c h aus, was sie in der
Lebenswelt bewirken wird.
Dass wir Newtons Gesetz der Schwerkraft als w a h r bezeich-
n e n , liegt nicht daran, dass es beschreibt, wie die Dinge »wirk-
lich sind«, s o n d e r n weil es sich als nützlich zur Vorhersage des
relativen Verhaltens v o n zwei O b j e k t e n zueinander unter vielen
unterschiedlichen U m s t ä n d e n erwiesen hat: »Hey, ich wette,
dass Äpfel selbst in N e w Jersey n a c h u n t e n fallen.«
Der Tag, an d e m eine Theorie aufhört, nützlich zu sein, ist
der Tag, an d e m sie d u r c h eine andere ersetzt wird.

Eine Frau kommt zur Polizei und meldet ihren Mann als vermisst.
Der Polizist bittet sie um eine Personenbeschreibung, und sie sagt:
»7,85 groß, muskulös und mit dichtem, lockigen Haar.«
»Hey«, ruft da ihre Freundin, die sie begleitet hat, »was erzählst
du da? Dein Mann ist höchstens 7.65, hat eine Glatze und einen ge-
waltigen Bierbauch.«
Darauf die Frau: »Ja, aber wer will den schon zurückhaben?«

So weit, so bekannt, u n d vielleicht h a b e n Sie d e n Witz ja selbst


s c h o n einmal gehört. Weniger b e k a n n t dagegen ist der Dialog,
der sich anschließend entspinnt:
ERKENNTNISTHEORIE <<3— 97

»Meine Beste«, meldet sich der Polizist zu Wort, »wir möchten von
Ihnen eine Beschreibung, die mit dem Aussehen Ihres Ehemanns
übereinstimmt.«
Darauf die Frau: »Übereinstimmung! Pah! Die Wahrheit lässt
sich nicht allein anhand erkenntnistheoretischer Kriterien bestim-
men, da die Angemessenheit dieser Kriterien unmöglich unabhän-
gig von den angestrebten Zielen und jeweils vertretenen Werten be-
stimmt werden kann. Mit anderen Worten, wahr ist schlussendlich
das, was einen zufrieden stellt, und das hat mich mein Mann weiß
Gott noch nie.«

Phänomenologie

Nach Ausflügen in die H ö h e n der Abstraktion vermag die Phi-


losophie recht weich in der ganz alltäglichen Erfahrungswelt
zu landen. So geschah es auch der Erkenntnistheorie zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts, als sich die P h ä n o m e n o l o g e n in den
Streit d a r u m einmischten, was es eigentlich bedeutet, etwas zu
wissen. Die Phänomenologie ist freilich m e h r eine Methodolo-
gie d e n n ein Korpus philosophischer Prinzipien. Sie versucht,
die Prozesse der menschlichen Erfahrung eher so zu verstehen,
wie sie gelebt werden, u n d weniger als objektive Daten, ein An-
satz, der eher zu einem Romanautor passt als zu einem Philo-
s o p h e n , der zu Abstraktionen neigt.
Mit d e m Begriff Einfühlung bezeichneten Phänomenologen
wie E d m u n d Husserl einen Erkenntnismodus, mit d e m ein
Mensch versucht, in das Innere der Erfahrung eines anderen
Menschen zu gelangen u n d die Welt auf dieselbe Art u n d Weise
98 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

zu e r k e n n e n u n d zu erfühlen, wie das j e n e r oder j e n e andere


tut. Mit anderen Worten: Er versucht, sich in seine Schuhe -
beziehungsweise in ihr Höschen - hineinzuversetzen.

»Dr.Janet«, windet sich eine Patientin. »Ich habe ein sexuelles Pro-
blem. Mein Ehemann erregt mich überhaupt nicht.«
»Betrüblich«, antwortet Dr.Janet. »Ich werde gleich morgen eine
gründliche Untersuchung vornehmen. Bringen Sie bitte Ihren Mann
mit.«
Am nächsten Tag erscheint die Frau mit ihrem Mann in der Pra-
xis. »Mr. Thomas, ziehen Sie sich bitte komplett aus«, sagt die Ärz-
tin zu ihm. »Okay, und nun drehen Sie sich um. Und nun legen Sie
sich bitte hin. Aha, ich sehe schon. Cut, Sie können sich wieder an-
kleiden.«
Dr. Janet nimmt die Frau zur Seite. »Mit Ihnen ist alles in Ord-
nung«, sagt sie zu ihr. »Mich macht er auch nicht an.«

DIMITRI: »Ich m u s s schon sagen, Tasso, es ist gut, dieses Er-


kenntnistheoriezeugs zu kennen.«
TASSO: »Gut? In welcher Hinsicht? Was meinst du mit >gut<?«
DIMITRI: »Bevor ich das beantworte, m ö c h t e ich dir eine Frage
stellen. Weißt du, was der A u s d r u c k >Korinthenkacker< be-
deutet?«
Ethik

Die Unterscheidung des Guten vom Schlechten ist das Feld


der Ethik - und die Lieblingsbeschäftigung von Priestern,
Pädagogen und Eltern. Leider haben Kinder und Philosophen
eine Lieblingsfrage, mit der sie Priestern, Pädagogen und
Eltern auf den Wecker gehen: »Warum?«

DIMITRI: »Ich habe über deine Frage nach der Bedeutung von
>gut< nachgedacht, u n d ich habe die Antwort gefunden -
>gut< ist es, nach gerechten Prinzipien zu handeln.«
TASSO: »Beim Zeus, Dimitri, du steckst voller Überraschun-
gen - sollte aus dir doch noch ein echter Philosoph werden?
Nur noch eine letzte Frage: Woher weißt du, was gerechte
Prinzipien sind?«
DIMITRI: »Na woher schon? Von meiner Mama, wie alle ande-
ren auch.«
TASSO (zur Seite): »Warum bekommt dieser Sokrates immer alle
Einser-Schüler?«
102 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Absolute Ethik: Das Göttliche Gesetz

Mit dem Göttlichen Gesetz wird die Ethik zum Kinderspiel:


Wenn Gott sagt, etwas ist falsch, dann ist es auch falsch, u n d
zwar durch u n d durch u n d ohne jeden Zweifel. Und damit hat
sich's!
Doch auch hier lauern Komplikationen ... Erstens, woher
k ö n n e n wir wissen, was Gott wirklich denkt? Die Fundamenta-
listen haben natürlich eine Antwort darauf: Weil es so geschrie-
ben steht. Aber woher wussten die Menschen in der Bibel, dass
die Zeichen, die sie empfingen, wirklich von Gott kamen? Ab-
raham war überzeugt, dass Gott ihm befahl, seinen Sohn auf
dem Altar zu opfern. Abraham denkt: »Wenn Gott das sagt,
dann muss ich das wohl tun.« Unsere erste philosophische
Frage an Abraham wäre: »Menschenskind! Bist du meschugge?
Da behauptet irgendeiner, er wäre >Gott< u n d erteilt dir einen
aberwitzigen Befehl, u n d du forderst ihn noch nicht einmal auf,
seinen Personalausweis zu zeigen?«
Ein weiteres Problem mit dem Göttlichen Gesetz besteht in
seiner Auslegung. Was genau erfüllt z u m Beispiel das Gebot,
Vater u n d Mutter zu ehren? Eine Karte z u m Muttertag? Den
todlangweiligen Sohn des Familienzahnarztes heiraten, wie es
die in Ehren zu haltenden Eltern von einem erwarten - was
n u n keineswegs eine Talmud-Übung in Haarspalterei ist, wenn
der Zahnarztsprössling 157 cm groß ist u n d 135 Kilo wiegt.
Es ist eine grundlegende Eigenschaft des Göttlichen Ge-
setzes, dass Gott immer das letzte Wort hat.
ETHIK 103

Moses steigt mit den Gebotstafeln vom Berg Sinai herab, stellt sich
vor das Volk Israel und verkündet: »Ich habe eine gute und eine
schlechte Nachricht für euch. Die gute Nachricht lautet: Ich habe
IHN runtergehandelt auf zehn Gebote. Die schlechte: Der >Ehe-
bruch< ist immer noch drin.«

In seiner Zeit als lüsterner Jüngling wollte der heilige Au-


gustinus offenkundig einmal einen ähnlichen Handel mit
Gott schließen u n d tat den b e r ü h m t gewordenen Aus-
spruch »Herr, gib mir Keuschheit u n d Enthaltsamkeit,
aber n o c h nicht jetzt1.« Ganz offensichtlich versuchte sich
Augustinus hier einmal selbst in typisch talmudischer
Haarspalterei. »Hör mal, schließlich hast du nicht gesagt,
wann genau m a n die Ehe nicht brechen soll, oder irre ich
mich da?« Hört sich an wie ein Witz.

Platonische Tugend

»Der Staat ist ein vergrößertes Abbild der Seele«, schrieb Piaton
in seinem H a u p t w e r k Der Staat. Um die Tugenden des Einzel-
n e n zu diskutieren, schrieb er also einen Dialog ü b e r die Tu-
genden des idealen Staates. Z u m Herrscher dieses Staates setzte
Piaton einen Philosophenkönig ein, was seine große Beliebtheit
bei Philosophen zumindest mit erklären dürfte. Piatons Philo-
s o p h e n k ö n i g regiert den Staat, so wie die Vernunft die mensch-
1 0 4— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

liehe Seele leitet. Die H a u p t t u g e n d - der Philosophenkönige


u n d der Vernunft — ist die Weisheit, welche Piaton als das Wis-
sen um die Idee des Guten beschreibt. Nur: Was ist das? Das
Gute?

Bei einer Versammlung der Geisteswissenschaftlichen Fakultät einer


Universität erscheint plötzlich ein Engel und sagt zum Leiter der Fa-
kultätfür Philosophie: »Ich werde dir einen der drei folgenden Wün-
sche gewähren: Weisheit, Schönheit - oder zehn Millionen Dollar.
Du hast die Wahl.«
Ohne zu zögern, entscheidet sich der Professor für die Weisheit.
Ein greller Blitz zuckt durch den Raum. Der Professor erscheint
zwar irgendwie verändert, sitzt aber nur da und starrt auf den
Tisch. Schließlich flüstert einer seiner Kollegen: »So sagen Sie doch
etwas.«

Darauf der Professor: »Ich hätte das Geld nehmen sollen.«

Stoizismus
Die ethische Frage, die die Stoiker im vierten J a h r h u n d e r t vor
Chr. umtrieb, war, wie sie auf das übermächtige Gefühl des
Fatalismus reagieren sollten, das v o m Leben in einem strikt
kontrollierten Reich ausgelöst wurde. Da sie wenig an d e m än-
d e r n k o n n t e n , was in ihrem täglichen Leben geschah, beschlos-
sen sie, ihre Einstellung z u m Leben selbst zu ändern. Das war
der einzige Bereich, in d e m sie n o c h Macht über ihr eigenes
Leben hatten. Dazu entwickelten die Stoiker eine Strategie der
ETHIK 105

emotionalen E n t k o p p e l u n g v o m Leben. Sie n a n n t e n diese Ein-


stellung apathia (Apathie). Dass die Stoiker darin eine Tugend
sahen, machte sie z u m Gespött der Tavernengänger. Die Sto-
iker enthielten sich gewisser Formen der Glückseligkeit (sie
verzichteten auf Sex, Drogen u n d dionysischen Hip-Hop), um
sich die d u r c h diese Leidenschaften hervorgerufenen Leiden
(Geschlechtskrankheiten, Entzugserscheinungen u n d lausige
Songtexte) zu ersparen. Sie handelten n u r n a c h Maßgabe der
Vernunft, niemals aus Leidenschaft, u n d betrachteten sich des-
halb als die einzig wahrhaft glücklichen - oder besser gesagt
die einzig wahrhaft un-unglücklichen - Menschen.
In der folgenden Geschichte demonstriert u n s Mr. Cooper
eine m o d e r n e Spielart des Stoizismus: den Stoizismus per Ver-
tretung.

Die Coopers werden in das Behandlungszimmer des Zahnarztes ge-


führt. Mr. Cooper hat es, wie er gleich klarstellt, sehr eilig. »Keinen
unnötigen Aufwand, Doktor«, verkündet er. »Keine Spritzen oder
Cas oder was auch immer. Ziehen Sie einfach den Zahn, und basta.«
Der Zahnarzt ist hocherfreut. »Ich wünschte, mehr meiner Pa-
tienten wären ebenso stoisch wie sie«, sagt er. »Nun, um welchen
Zahn handelt es sich denn?«
Da dreht sich Mr. Cooper zu seiner Frau und sagt: »Mach den
Mund auf, Schätzchen.«
106 —<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Der b e k a n n t e britische Schriftsteller G. K. Chesterton


schrieb einmal: »Das Wort >gut< k a n n sehr unterschied-
liche Bedeutungen haben. Z u m Beispiel: Erschösse ein
M a n n seine Mutter auf 5 0 0 Meter Entfernung, w ü r d e ich
ihn wohl als guten Schützen, aber nicht u n b e d i n g t als gu-
ten Menschen bezeichnen.« Das einschränkende Wört-
chen »unbedingt« zeigt, dass Chesterton wirklich ein phi-
losophischer Kopf war.

Utilitarismus

Wie wir alle wissen, war es ein k o m m u n i s t i s c h e r Schurke na-


m e n s Lenin, der zu Beginn des 20. J a h r h u n d e r t s die Maxime
»Der Zweck heiligt die Mittel« verkündete. Ironischerweise
stand er damit gar nicht allzu weit entfernt von der Position
J o h n Stuart Mills, ein Säulenheiliger der fundamentalchrist-
lichen Fraktion der amerikanischen Republikaner. Mill u n d die
so genannten Utilitaristen vertraten eine konsequentialistische
Ethik, derzufolge für die moralische Bewertung einer H a n d -
lung ausschließlich ihre Konsequenzen relevant sind.
Zweifelsohne d e n Utilitaristen z u z u r e c h n e n ist die Protago-
nistin der folgenden Geschichte:

Mrs. O'Callahan instruiert den Maler, der gerade an ihrem Porträt


sitzt, ihr auf dem Bild goldene Armreifen an die Handgelenke, eine
ETHIK 107

Perlenkette um den Hals, Rubinringe an die Ohren und eine Dia-


manttiara auf den Kopf zu malen.
Auf den Einwand des Künstlers, das entstelle doch die Realität
auf maßlose Weise, erwidert sie: »Wissen Sie, mein Mann rennt mit
einem jungen blonden Ding durch die Gegend. Ich möchte nur, dass
sie sich, wenn ich mal tot bin, auf der Suche nach dem Schmuck die
Haare ausrauft.«

Diese Art der Rechtfertigung lässt sich auch dazu verwenden,


über recht drastische Vorbelastungen hinwegzusehen, voraus-
gesetzt, die Folgen erscheinen d e m oder - wie in diesem Fall -
der Betreffenden als hinlänglich »gut«:

Mrs. Brevoort, eine etwas ältere Witwe, liegt am Pool ihres Country-
clubs, als ihr Blick auf einen gut aussehenden Mann fällt, der ein
Sonnenbad nimmt. Kurz entschlossen macht sie sich an ihn heran.
»Hallo«, sagt sie zu ihm. »Kann es sein, dass ich Sie schon einmal
hier gesehen habe?«
»Wohl kaum«, erwidert der Mann. »Ich habe 30 Jahre im Ge-
fängnis gesessen.«
»Tatsächlich? Und weshalb?«
»Ich habe meine Frau ermordet.«
»Ah!«, ruft Mrs. Brevoort aus. »Dann sind Sie also Single.«

Der einflussreiche zeitgenössische Utilitarist Peter Singer zieht


häufig Analogien zwischen Entscheidungen, die n a c h allge-
m e i n e m Dafürhalten furchtbare Konsequenzen h a b e n m ü s -
sen, u n d Entscheidungen, deren Folgen zwar harmlos erschei-
1 0 8— < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

nen, ethisch gesehen aber, so Singer, auch nicht besser sind. In


einem Essay schildert er u n s zunächst, wie j e m a n d Geld z u m
Kauf eines n e u e n Fernsehers verdienen kann, i n d e m er ein
Straßenkind an ein U n t e r n e h m e n verkauft, das dessen Organe
für Transplantationszwecke e n t n i m m t . Unsäglich, abscheulich,
w ü r d e n wir nie tun, w e r d e n wir alle sagen. Aber im Prinzip tun
wir, sagt Singer, jedes Mal genau dasselbe, w e n n wir u n s einen
n e u e n Fernseher kaufen, statt das Geld einer Wohltätigkeits-
organisation zu s p e n d e n , die obdachlose Kinder von der Straße
holt.
Stinkt es I h n e n auch, w e n n Singer einem solche Dinge vor-
hält? Singer zieht dabei einen Analogieschluss, u n d zwar von
einer k o n k r e t e n Entscheidung mit besonders dramatischen
Folgen auf eine Entscheidung allgemein moralischer Natur, so
wie in diesem klassischen Witz:

Er: »Würdest du für eine Million Dollar mit mir schlafen?«


Sie:»Eine Million t Wow! Nun ja, ich denke schon.«
Er:»Und für zwei Dollar?«
Sie: »Verpiss dich, du Depp. Was glaubst du, was ich bin?«
Er: »Das haben wir gerade geklärt. Jetzt wird der Preis ausgehan-
delt.«
ETHIK 109

Der Kategorische Imperativ und die


gute alte Goldene Regel ...

Kants ethische Grundnorm, sein Kriterium für alle anderen


ethischen Maximen, ist sein berühmter »Kategorischer Impera-
tiv« . Auf den ersten Blick könnte man Kants Imperativ für eine
aufgemotzte Variante der alten Goldenen Regel halten:
»Was du nicht willst, dass m a n dir tu, das füg auch keinem
andern zu.«
Kategorischer Imperativ: Handle so, »dass die Maxime dei-
nes Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten könnte«.
Natürlich klingt Kants Version deutlich kühler und distan-
zierter, und in der englischen Übersetzung strahlt der Terminus
»supreme categorical imperative« etwas, nun, zutiefst Deutsches
aus. Aber dafür kann Kant nichts, schließlich war er Deutscher.
Dennoch, sein Kategorischer Imperativ u n d die Goldene Re-
gel beackern viel gemeinsames philosophisches Terrain:

• Keine von beiden ist eine konkrete Handlungsvorschrift wie


»Du sollst Vater u n d Mutter ehren« oder »Iß deinen Spinat!«

• Stattdessen bieten beide ein abstraktes Prinzip dafür an, an-


hand dessen man bestimmen kann, ob eine konkrete Hand-
lung moralisch richtig oder moralisch falsch ist.

• In beiden Fällen impliziert dieses abstrakte Prinzip die Vor-


stellung, dass alle Menschen so viel wert sind wie Sie u n d ich
u n d deshalb alle moralisch so behandelt werden sollten wie
Sie u n d ich ... vor allem natürlich ich!
110 PLATON UND SCHNABELTIER

Aber es gibt einen f u n d a m e n t a l e n Unterschied zwischen d e m


Kategorischen Imperativ u n d der Goldenen Regel, u n d dieser
Einzeller trifft ihn auf d e n Kopf:

Ein Sadist ist ein Masochist, der nach der Goldenen Regel handelt.

I n d e m er anderen Schmerz zufügt, tut der Masochist nur, was


die Goldene Regel in ihrer positiven Formulierung v o n i h m
verlangt: anderen das a n z u t u n , von d e m er gerne hätte, dass
sie es i h m a n t u n (in seinem b e s o n d e r e n Fall vorzugsweise mit
einer Peitsche). Kant dagegen w ü r d e darauf verweisen, dass der
Masochist u n m ö g l i c h allen Ernstes b e h a u p t e n kann, der m o -
ralische Imperativ »füge anderen Schmerz zu« tauge als allge-
meines Gesetz für eine lebenswerte Welt. Sogar ein Masochist
w ü r d e das u n v e r n ü n f t i g finden.
Ähnliche Überlegungen bewogen d e n englischen Dramati-
ker George Bernard Shaw zu einer sarkastischen Umformulie-
r u n g der Goldenen Regel:

Tut nicht anderen das an, von dem ihr gerne hättet, dass sie es euch
antun; sie könnten andere Vorlieben haben.
ETHIK 111

CSC-

Variationen der Goldenen Regel finden sich nicht nur bei


Kant, sondern in religiösen Traditionen aus der ganzen
Welt:

H I N D U I S M U S (ca. 13. J a h r h u n d e r t vor Chr.)

Man soll sich nicht auf eine Weise gegen andere betragen, die
einem selbst zuwider ist. Dies ist der Kern aller Moral.
Mahabharata

J U D A I S M U S (ca. 13. J a h r h u n d e r t vor Chr.)


Was dir verhasst ist, das tu deinem Nächsten nicht. Das ist
die ganze Thora, und alles andere ist nur die Erläuterung, geh
und lerne sie!«
Babylonischer Talmud

Z O R O A S T R I S M U S (ca. 12. J a h r h u n d e r t vor Chr.)


Die menschliche Natur ist nur gut, wenn sie nicht anderen
antut, was ihr nicht selbst bekommt.
Dadistan-i-Dinik

B U D D H I S M U S (ca. 6. J a h r h u n d e r t vor Chr.)

Füge anderen nicht Leid durch Taten zu, die dir selbst Leid
zufügen würden.
Dhammapada
112 PLATON UND SCHNABELTIER

KONFUZI AN ISMUS (ca. 6. Jahrhundert vor Chr.)


Tue anderen nicht, was du nicht möchtest, dass sie dir tun.
Analekten des Konfuzius

ISLAM (ca. 7. Jahrhundert nach Chr.)


Keiner von Euch ist ein Gläubiger, solange er nicht das für sei-
nen Bruder wünscht, was er für sich selbst gewünscht hätte.
Hadithe (Sprüche Mohammeds)

BAHAI (ca. 19. Jahrhundert nach Chr.)


Traue keiner Seele zu, was andere dir nicht zutrauen sollen,
und sprich nicht von dem, was du nicht tust.
Dies ist mein Gebot an dich.
Gehorche ihm!
Bahä'u'lläh, Die Verborgenen Worte

SOPRANISMUS (21. Jahrhundert nach Chr.)


Hau deinem Nächsten mit demselben Respekt eine in die
Fresse, mit dem du willst, dass er dir eine in die Fresse haut,
kapiert?
Anthony (Tony) Soprano, Die Sopranos (12. Episode)
ETHIK 113

Der Wille zur Macht

In der zweiten Hälfte des 19. J a h r h u n d e r t s trat der deutsche


Philosoph Friedrich Nietzsche mit der k ü h n e n Behauptung vor
das Publikum, er werde endlich mal frischen W i n d in die tra-
ditionelle christliche Ethik bringen. Er fing ganz bescheiden an
u n d verkündete erstmal den Tod Gottes. Gott schlug mit der -
vornehmlich an den W ä n d e n von Herrentoiletten in deut-
schen Universitätsstädten proklamierten - Nachricht v o m Tod
Nietzsches zurück. Mit d e m Tod Gottes meinte Nietzsche, dass
die westliche Kultur über die metaphysischen Erklärungen der
Welt samt der dazugehörigen christlichen Ethik hinausgewach-
sen sei. Das Christentum sei, sagte Nietzsche, eine »Herden-
moral« u n d lehre eine »widernatürliche Ethik« - nämlich dass
ein die Herde dominierendes A l p h a m ä n n c h e n ein Schuft u n d
Schurke sein müsse. An die Stelle der christlichen Ethik setzte
er eine lebensbejahende Ethik der Stärke, die er d e n Willen
zur Macht nannte. Das herausragende Individuum, der Über-
mensch, steht über der Herdenmoral u n d hat es verdient, seine
natürliche Stärke u n d Überlegenheit n a c h freier Entscheidung
über die Herde auszuüben. Was die Goldene Regel angeht,
k a n n m a n Friedrich zweifelsohne den Sopranisten zurechnen.
So überrascht es auch wenig, dass m a n Nietzsche v o m deut-
schen Militarismus bis z u m Sauerkraut schon so ziemlich alles
in die Schuhe geschoben hat:

Das Problem mit dem deutschen Essen ist, dass einen, egal wie viel
man davon vertilgt, eine Stunde später der Machthunger überfällt.
114 —^ PLATON UND SCHNABELTIER

Emotivismus

Was Mitte des 20. J a h r h u n d e r t s an ethischer Philosophie be-


trieben wurde, war z u m allergrößten Teil metaethisch. Statt
»Welche H a n d l u n g e n sind gut« zu fragen, beschäftigten sich
die Philosophen mit Fragen wie: »Was bedeutet es zu sagen,
eine H a n d l u n g ist gut? Bedeutet >X ist gut< lediglich >Ich billige
X<? Oder d r ü c k t >X ist gut< vielmehr eine Emotion aus, die ich
empfinde, w e n n ich X beobachte oder ü b e r X nachdenke?« Das
Letztere, eine als Emotivismus bekannte Einstellung, k o m m t in
folgender Geschichte z u m Ausdruck:

Ein reuiger Steuersünder schreibt ans Finanzamt: »Seit ich bei mei-
ner Steuererklärung geschummelt habe, kann ich nicht mehr schla-
fen. Ich habe mein zu versteuerndes Einkommen zu niedrig ange-
setzt und deshalb einen Scheck über 150 Dollar beigelegt. Falls ich
immer noch nicht schlafen kann, schicke ich Ihnen auch noch den
Rest.«

Angewandte Ethik

Just zu d e m Zeitpunkt, als die metaethischen Spekulationen


über die Bedeutung des Wortes »gut« allmählich langweilig
w u r d e n , k a m die praktische Ethik n o c h einmal in Mode. Aller-
orten w i d m e t e n sich Philosophen n u n wieder vermehrt der
Frage, welche k o n k r e t e n H a n d l u n g e n gut sind, u n d allerorten
schössen bereichsspezifische Ethiken wie Bioethik, feministi-
sche Ethik u n d Tierethik ins Kraut.
116 PLATON UND SCHNABELTIER

Eine Spielart der angewandten Ethik, die im 20. J a h r h u n d e r t


besonders kräftig Blüten trieb, waren die Berufsethiken, welche
die Beziehungen zwischen einzelnen Berufsgruppen zu ihren
Klienten u n d Patienten regulieren sollten.

Vier Psychiater, die an einer Konferenz über Medizinische Ethik teil-


nehmen, gehen zusammen aus dem Saal. »Wisst ihr, was?«, schlägt
da einer von ihnen vor. »Die ganze Zeit laden die Leute ihre Schuld-
gefühle und Ängste bei uns ab, wir selbst aber haben niemanden,
zu dem wir mit unseren Problemen gehen könnten. Warum neh-
men wir uns nicht einen Moment Zeit und erzählen uns gegenseitig,
was uns auf dem Herzen liegt?« Eine gute Idee, stimmen die ande-
ren drei zu.
»Ich verspüre«, beginnt der erste Psychiater, »einen fast über-
mächtigen Drang, meine Patienten umzubringen.«
»Ich ziehe meinen Patienten das Geld aus der Tasche, wo ich nur
kann«, sagt der zweite Psychiater.
»Ich verdiene mir«, legt der Dritte nach, »als Drogenhändler et-
was dazu und spanne viele meiner Patienten als Straßendealer für
mich ein.«
»Und ich«, gesteht da der vierte Psychiater, »kann einfach kein
Geheimnis hüten, ganz gleich, wie sehr ich mich auch anstrenge.«

Natürlich hat j e d e medizinische Fachrichtung ihre ganz eige-


n e n ethischen Prinzipien entwickelt.

Vier Ärzte gehen zusammen auf Entenjagd: ein Allgemeinmediziner,


ein Gynäkologe, ein Chirurg und ein Pathologe. Da fliegt ein Vogel
ETHIK 117

über sie hinweg. Der Allgemeinmediziner legt an und zielt, schießt


dann aber doch nicht, weil er sich nicht ganz sicher ist, ob der Vo-
gel eine Ente ist. Der Gynäkologe legt ebenfalls an und zielt, lässt
die Flinte aber wieder sinken, weil er sich nicht ganz sicher ist, ob es
ein Erpel oder eine Ente ist. Der Chirurg unterdessen jagt dem Vieh
eine Ladung Schrot ins Gefieder, dreht sich zum Pathologen um und
sagt: »Geh und sieh nach, ob es eine Ente war.«

Sogar Rechtsanwälte h a b e n ein Berufethos. W e n n ein Klient


einem Anwalt aus Versehen 400 Dollar zur Begleichung einer
Rechnung über 300 Dollar gibt, konfrontiert ihn das natur-
gemäß mit der ethischen Frage, ob er seinem Kanzleipartner
davon erzählen soll.
Dass Kleriker ebenfalls über ein Berufsethos verfügen, u n d
zwar in ihrem Falle ein mit göttlichen Sanktionen bewehrtes,
wird wohl k a u m j e m a n d e n überraschen.

Ein junger Rabbiner ist so verrückt nach Golf dass er sich selbst an
jom Kippur, dem heiligsten Tag des Jahres, davonstiehlt, um schnelle
neun Löcher zu spielen.
Abschlag am letzten Loch: Der Rabbi zieht den Schläger durch,
der Ball steigt in die Höhe, wird von einer Windböe über das Loch
getragen und fällt direkt hinein. Ein Ass!
Ein Engel, der das Wunder mit angesehen hat, beschwert sich bei
Gott: »Dieser Kerl spielt Golf an Jom Kippur, und du verhilfst ihm zu
einem Hole-in-one? Soll das eine Strafe sein?«
»Aber sicher«, erwidert Gott grinsend. »Vor wem kann er schon
damit angeben?«
118 —^ PLATON UND SCHNABELTIER

Das Interessante, aber auch Verwirrende an der ange-


wandten Ethik ist, dass mit ihr ethische Fragen häufig in
ein Dilemma m ü n d e n , in den Zwang, zwischen zwei rich-
tigen Dingen zu wählen. »Wie viel Loyalität schulde ich
meiner Familie im Gegensatz zu meinem Beruf? Meinen
Kindern im Gegensatz zu mir selbst? Meinem Land im Ge-
gensatz zur Menschheit?« Diese Art praktischer ethischer
Dilemmata war es, die heute Randy Cohen mit Stoff für
»The Ethicist« versorgen, seine wöchentliche Ethikko-
lumne in der New York Times.
Die folgende Frage, schrieb Cohen neulich im Internet auf
slate.com, gehört mit zu den zehn besten Fragen, die m a n
ihm niemals stellen wird:

Wiewohl ich in meiner derzeitigen Betätigung sehr zufrieden


hin, zumal ich unlängst befördert wurde (ich bin jetzt der neue
Baron von Candor), genügt das meiner Frau, die sehr auf mei-
nen weiteren Aufstieg bedacht ist, nicht. Damit will ich nicht
sagen, dass es mir an Ehrgeiz mangelt, aber es widerstrebt mir
doch zu tun, was es erfordert, um noch weiter aufzusteigen -
die vielen Überstunden, die blutigen Morde. Und dennoch,
stehe ich nicht in einer besonderen Pflicht, die Wünsche meiner
Frau zu erfüllen? Schließlich sind wir eine Familie.

Macbeth, Schottland
ETHIK <0— 119

Der Einfluss der Psychoanalyse auf die


philosophische Ethik

Wiewohl kein Philosoph, hatte Sigmund Freud mit seiner u n -


erhörten Behauptung, das menschliche Verhalten sei keines-
wegs das Resultat geordneter rationaler, philosophischer Abwä-
gungen, s o n d e r n in Wahrheit von u n b e w u s s t e n (natürlichen)
Trieben bestimmt, einen gewaltigen Einfluss auf die ethische
Philosophie. Wie sehr wir u n s auch b e m ü h e n , unser Verhal-
ten d e n Maßgaben der Ratio zu unterwerfen, wie es die Mo-
ralphilosophen von uns verlangen, unser Unbewusstes bricht
immer wieder durch. Freudsche Versprecher unterlaufen uns,
w e n n wir »aus Versehen« etwas sagen, das unsere u n b e w u s s t e n
Gedanken ausdrückt, z u m Beispiel w e n n der weiter oben er-
w ä h n t e Dealer/Psychiater bei der Konferenz über Ethik in der
Medizin ankündigt, über seine Erfahrungen mit »Freudschen
Verbrechern« zu sprechen.

Wie der Besuch bei seiner Mutter verlaufen sei, will der Psychothe-
rapeut von seinem Patienten wissen. »Ein einziges Fiasko«, erwidert
der Patient. »Mir ist ein furchtbarer Freudscher Versprecher unter-
laufen.«
»Echt?«, sagt der Therapeut. »Was haben Sie denn gesagt?«
»Nun, eigentlich wollte ich >Kannst du mir bitte das Salz rei-
chen?< sagen, tatsächlich gesagt habe ich jedoch: >Du Nutte! Du
hast mein Leben ruinierte!«
120 —^ PLATON UND SCHNABELTIER

Laut Freud verrät u n s die ganze ethische Philosophie weniger


ü b e r die w a h r e n , u n b e w u s s t e n Mächte, die unser Verhalten
steuern, als ein einziger guter Traum.

Ein Mann stürmt in die Praxis seines Psychiaters und entschuldigt


sich, weil er verschlafen hat.
»Dafür habe ich im Traum einen unglaublichen Durchbruch er-
zielt«, ruft er. »Ich habe mit meiner Mutter gesprochen, und plötz-
lich hat sie sich in Sie verwandelt! In dem Moment bin ich auf-
gewacht, hab mich angezogen, mir eine Cola und einen Donut
geschnappt und bin zu Ihnen In die Praxis geeilt.«
Darauf der Psychiater: »Eine Cola und ein Donut? Und das soll
ein Frühstück sein?«

Andererseits anerkannte selbst Freud, dass die Reduktion des


menschlichen Verhaltens auf unbewusste Triebe hin u n d wie-
der Gefahr läuft, die offensichtliche Wahrheit zu übersehen.
»Manchmal ist«, um einen b e r ü h m t e n Ausspruch Freuds zu
zitieren, »eine Zigarre eben n u r eine Zigarre.«

Ein Mann steht im Bademantel im Bad und rasiert sich. Da rutscht


ihm das Rasiermesser aus der Hand, fällt herunter und trennt ihm
den Penis ab. Er stopft sein gutes Stück in die Bademanteltasche,
rennt auf die Straße hinaus, hält ein Taxi an und ruft dem Fahrer zu,
ihn so schnell wie möglich in die Notaufnahme des Krankenhauses
zu bringen.
Dort angekommen berichtet er dem Arzt, was passiert ist, und
der Arzt sagt:»Jetzt zählt jede Sekunde. Rasch, geben Sie ihn mir.«
ETHIK •O— 121

Der Mann greift in seine Tasche und drückt dem Arzt den Inhalt
in die Hand.
»Aber das ist kein Penis, sondern eine Zigarre«, sagt der Arzt.
»Oh mein Gott!«, ruft der Mann. »Dann hab ich im Taxi meinen
Penis geraucht.«

Situationsethik

In den 1960er Jahren schlug endlich die Stunde der »Situations-


ethik«, deren Vertreter die Entscheidung, welches Verhalten in
einer bestimmten Situation ethisch ist u n d welches nicht, von
der speziellen Faktenlage in dieser Situation abhängig machen.
Wer sind die betroffenen Personen? Welche legitimen Interes-
sen haben sie an den Folgen der Entscheidung? Wie wird sich
die Entscheidung auf zukünftige Situationen auswirken? U n d
wer ist es ü b e r h a u p t , der die Frage stellt? Bei einem E h e b r u c h
z u m Beispiel w ü r d e n sich Situationsethiker unter anderem
auch n a c h d e m Zustand der Ehe erkundigen, u n d je n a c h d e m ,
ob die Beziehung schon ausgelutscht oder n o c h halbwegs intakt
ist, zu unterschiedlichen Urteilen gelangen. Die Situationsethik
stieß auf heftigen Widerspruch, weil m a n , wie viele meinten,
mit einer solchen Argumentationsweise praktisch alles recht-
fertigen kann. Manche Gegner der Situationsethik vertraten
dabei eine absolutistische Position: Ehebruch ist i m m e r falsch,
unabhängig von d e n äußeren U m s t ä n d e n .
Paradoxerweise j e d o c h eröffnet sich u n s m a n c h m a l gerade
d u r c h das Ignorieren der k o n k r e t e n U m s t ä n d e einer Situation
eine Chance auf eigennützliches Handeln.
122 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Schwerbewaffnete Räuber stürmen eine Bank, stellen Kunden und


Bankmitarbeiter an der Wand auf und fangen an, einem nach dem
anderen Brieftaschen, Uhren und Schmuck abzunehmen. Weiter
hinten in der Reihe stehen zwei Bankbuchhalter. Plötzlich drückt der
eine dem anderen etwas in die Hand. »Was ist das?«, flüstert der
zweite Buchhalter. Darauf der erste, ebenfalls im Flüsterton: »Die
fünfzig Dollar, die ich dir schulde.«

DIMITRI: »Ich weiß zwar immer noch nicht recht, was richtig
ist und was falsch, aber eines weiß ich sicher - eine wichtige
Aufgabe im Leben ist es, die Götter glücklich zu machen.«
T A S S O : »Zeus und Apollo zum Beispiel?«
D I M I T R I : »Genau. Oder meine persönliche Favoritin, Aphro-
dite.«
T A S S O : »Sie ist auch eine meiner Favoritinnen - falls es sie
gibt.«
D I M I T R I : »Falls es sie gibt? Du hütest besser deine Zunge,
Tasso. Ich habe schon erwachsene Männer gesehen, die für
derartige Worte vom Blitz erschlagen wurden.«
(5)
Religionsphilosophie
Den Gott, mit dem sich die Religionsphilosophen befassen,
würden die meisten wohl nicht wiedererkennen.
Er ist eher abstrakt nach Art der »Kraft« aus
»Krieg der Sterne« und nicht wie der himmlische Vater,
der nachts wacht und sich Sorgen um uns macht.

DIMITRI: »Neulich habe ich mich mit Zeus unterhalten. Er


meint, du hättest einen schlechten Einfluss auf mich.«
T A S S O : »Interessant. Ich glaube nämlich, er hat einen schlech-
ten Einfluss auf dich.«
D I M I T R I : »Inwiefern?«
T A S S O : »Er macht dich glauben, die Stimmen in deinem Kopf
seien real.«
126 —-<?> P L A T O N UND SCHNABELTIER

Der Glaube an einen Gott


Ein Agnostiker ist jemand, der glaubt, dass die Existenz Gottes
aus unserer menschlichen Erkenntnislage nicht zu beweisen
sei. Dem Agnostiker fehlt also noch ein Schritt zum Atheisten,
für den die Frage nach der Existenz Gottes erledigt ist. Wenn
die beiden auf einen brennenden Dornbusch stießen, aus dem
die Worte »Ich bin, der ich bin« zu hören wären, dann würde
der Agnostiker nach dem versteckten Kassettenrekorder su-
chen, während der Atheist nur ein Achselzucken übrig hätte
und seine Gummibärchen verspeiste.

Zwei irische Saufkumpane sitzen im Pub und trinken. Da fällt ihnen


ein kahlköpfiger Mann ins Auge, der allein am anderen Ende der
Bar sitzt und trinkt.
Pat: »Sag mal, ist das nicht Winnie Churchill da drüben?«
Sean: »Ach was. Winnie würde sich doch nie in einen Pub set-
zen.«
Pat: »Doch, er ist es. Schau mal genau hin. Das ist Winnie Chur-
chill. Ich wette zehn Pfund, dass er es ist.«
Sean: »Die Runde geht an dich!«
Daraufhin geht Pat zu dem Kahlköpfigen und fragt ihn: »Sie sind
doch Winnie Churchill, nicht wahr?«
Worauf der Kahlköpfige dröhnend erwidert: »Verzieh dich, du
Spinner!«
Pat kehrt zu Sean zurück und sagt: »Ich glaube, wir werden es
nie erfahren.«
RELIGIONSPHILOSOPHIE -O— 127

So denkt auch ein Agnostiker.


Mit Atheisten ist das anders. Philosophen sind sich schon
lange darüber einig, dass Dispute zwischen Gläubigen und
Atheisten sinnlos sind, weil sie in allen Punkten verschiedener
Meinung sind. Für ein Streitgespräch muss eine gemeinsame
Grundlage vorhanden sein, sodass einer zum anderen sagen
kann: »Aha«, wenn Sie X zugeben, dann müssen sie auch Y
einräumen!« Aber Atheisten und Gläubige finden kein X, auf
das sie sich verständigen könnten. Zu einem Gespräch kann es
gar nicht kommen, weil zu jeder Sache stets beide ihren Stand-
punkt vertreten.
Das klingt vielleicht ein bisschen abstrakt, aber der folgende
Witz holt den Streit ins praktische Leben zurück, genauer ge-
sagt in die Nachbarschaft.

Eine ältere Christin tritt jeden Morgen vor ihre Haustür und ruft
laut: »Gepriesen sei Gott.«
Und jeden Morgen erwidert ihr atheistischer Nachbar: »Es gibt
keinen Gott!«
So geht es über Wochen. »Gepriesen sei Gott«, ruft die Dame.
»Es gibt keinen Gott«, erwidert der Nachbar.
Unterdessen gerät die Dame in finanzielle Schwierigkeiten und
weiß nicht mehr, womit sie ihr tägliches Brot kaufen soll. Sie geht
vor die Haustür, bittet Gott um ihr täglich Brot und ruft dann »Ge-
priesen sei Gott!«
Am nächsten Morgen tritt sie wie üblich vor die Haustür, und
wirklich liegen da die Lebensmittel, um die sie gebeten hatte. So-
gleich ruft sie wieder »Gepriesen sei Gott!«
128 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Da springt der Atheist hinter dem Gebüsch hervor und sagt: »Ha!
Ich habe die Lebensmittel gekauft. Es gibt nämlich keinen Gott!«
Die Dame schaut ihn lächelnd an und ruft: »Gepriesen sei Gott!
Denn du hast mir nicht nur Speise gegeben, sondern auch noch den
Satan gezwungen, sie zu bezahlen!«

Sam Harris gibt in seinem Bestseller The End of Faith aus


dem Jahr 2005 eine überzeugende Darstellung der Denk-
muster von Gläubigen:
»Behaupten Sie gegenüber einem gläubigen Christen,
dass seine Ehefrau ihn betrüge oder dass tiefgefrorener Jo-
ghurt einen Menschen unsichtbar machen könne. Dann
wird er wie jeder andere Zeitgenosse Beweise für diese Be-
hauptung fordern und sie nur für wahr halten, sofern Sie
ihm diese Beweise dafür liefern. Sagen Sie ihm aber, das
Buch, das er immer auf seinem Nachttisch liegen hat, sei
von einem unsichtbaren Gott geschrieben worden, und
dieser werde ihn mit ewigem Feuer strafen, wenn er nicht
jeden einzelnen bizarren Spruch dieses Gottes für wahr
halte, dann wird derselbe Mann auf alle Beweise pfeifen.«
Harris vergisst aber auf den Nachteil des Atheismus zu
verweisen: Ein Atheist hat keinen Namen, den er auf dem
Höhepunkt sexueller Ekstase hinausschreien könnte.
RELIGIONSPHILOSOPHIE -O— 129

Für den im 17. Jahrhundert lebenden französischen Mathemati-


ker und Philosophen Biaise Pascal lief die Frage, ob man an Gott
glauben solle oder nicht, im Wesentlichen auf eine Wette hin-
aus. Wenn wir uns entschlössen, uns so zu verhalten, als gebe es
einen Gott, und wenn sich dann am Ende unseres Erdenwallens
herausstellen sollte, dass es doch keinen gibt, dann sei das kein
Beinbruch. Vielleicht haben wir damit die Chance, die sieben
Todsünden richtig zu genießen, ein für allemal verpasst, aber
das ist ein Pappenstiel verglichen mit anderen Chancen. Wenn
wir wetten, dass es keinen Gott gibt, und müssen dann am Ende
erkennen, dass Gott eben doch existiert, dann verlieren wir das
große Los: die ewige Glückseligkeit. Daher meint Pascal, sei es
klüger so zu leben, als gebe es einen Gott. Dies ist in gebildeten
Kreisen als die Pascalsche Wette bekannt. Gewöhnliche Sterb-
liche nennen das: auf Nummer Sicher gehen.

Inspiriert von Pascals Pensées und mit 100000 Dollar Bargeld in der
Tasche geht eine ältere Dame in eine Bank und äußert den Wunsch,
ein Konto zu eröffnen. Der pflichtbewusste Bankangestellte fragt,
woher das Geld stamme.
»Bei Wetten gewonnen«, sagt die Dame. »Wetten sind meine
Spezialität.«
Neugierigfragt der Bankier: »Um was wetten Sie denn?«
»Ach, um alles mögliche«, antwortet sie. »Zum Beispiel wette ich
mit Ihnen um 25000 Dollar, dass Sie bis morgen Mittag einen tä-
towierten Schmetterling auf Ihrer rechten Hinterbacke haben wer-
den.«
»Die Wette gilt«, äußert der Bankier, »aber es wäre nicht recht
130—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

von mir, Ihnen Ihr Geld mit einer so verrückten Wette abzuknöp-
fen.«
»Sagen wir mal so«, erwidert die Dame. »Wenn Sie nicht mit mir
wetten wollen, muss ich mir eben eine andere Bank suchen.«
»Moment, Moment«, beeilte sich der Bankier zu sagen. »Topp -
die Wette gilt.«
Am nächsten Tag Schlag zwölf kommt die Dame mit ihrem An-
walt als Zeugen wieder. Der Bankier dreht sich um, lässt die Hosen
herunter und fordert beide auf festzustellen, dass er die Wette ge-
wonnen habe. »Schön«, sagt die Dame, »aber könnten Sie sich zur
Begutachtung noch einmal bücken?«
Der Bankier tut wie geheißen, und die Dame gibt ihm Recht.
Dann holt sie die 25 000 Dollar in Banknoten aus ihrer Tasche.
Der Anwalt, den Kopf in die Hände gestützt, sitzt daneben.
»Was hat er denn?«, fragt der Bankier.
»Ach, er ist einfach nur ein schlechter Verlierer«, sagt die Dame.
»Ich habe mit ihm um 700000 Dollar gewettet, dass Sie uns in der
Bank Ihren Hintern zeigen.«

Zwischen der Haltung auf Nummer Sicher zu gehen und dem


Manipulieren der Gewinnchancen ist oft nur ein schmaler Grat.
Man betrachte dazu folgende Pascalsche Strategie:

Ein Mann mit einem Pagagei auf der Schulter wohnt dem Gottes-
dienst am jüdischen Neujahrstag bei. Er wettet mit mehreren Got-
tesdienstbesuchern, dass der Papagei schöner psalmodieren könne
als der Kantor. Als es dann soweit ist, gibt der Papagei aber keinen
Ton von sich. Wieder daheim, schimpft der Mann mit seinem Papa-
RELIGIONSPHILOSOPHIE -O— 131

gei und beklagt die Wettverluste. Darauf sagt der Papagei: Ȇberleg
doch mal, du Trottel. Was für eine Gewinnmarge könnten wir am
Versöhnungsfest erzielen!«

Dieser Papagei hat vielleicht etwas spitzgekriegt. Vielleicht kön-


nen wir an Pascals Wette ein bisschen drehen, sodass wir Sonn-
tagmorgen Golf spielen können, ohne den lieben Gott zu ver-
ärgern, wenn es ihn denn gibt! Wir haben weiß Gott alles ver-
sucht.

Deismus und traditionelle Religion


Wenn die Philosophen des 18. Jahrhunderts nicht Skeptiker
waren, neigten sie dem Deismus zu, sie glaubten an einen fer-
nen unpersönlichen Philosophengott: ein Schöpfer, der eher ei-
ner Kraft als einer Person, eher einem Uhrmacher als einem
Beichtvater glich. Anhänger traditioneller Religionen wie Juden
und Christen setzten dagegen, dass ihr Gott kein Uhrmacher
sei, sondern der Herr der Geschichte, der beim Auszug aus
Ägypten, bei der Wanderung durch die Wüste und beim Ein-
zug ins Gelobte Land immer dabei gewesen sei. Mit anderen
Worten, er war in allen Nöten immer ansprechbar.

Eine jüdische Großmutter schaut zu, wie ihr Enkelsohn am Strand


spielt. Plötzlich kommt eine große Welle, erfasst das Kind und trägt
es fort ins Meer.
Die Großmutter fleht: »Bitte, Allmächtiger, rette meinen Enkel,
und bring ihn wieder zurück.«
132—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Und sogleich kommt eine große Welle und schwemmt den klei-
nen Jungen - gesund und munter - wieder an den Strand.
Die Großmutter schaut zum Himmel hinauf und sagt: »Und wo
ist seine Mütze?«

Fragen Sie das mal einen Uhrmacher!

Theologische Unterschiede
Während Religionsphilosophen sich mit den großen Fragen be-
fassen - als da sind: »Gibt es einen Gott?«, fangen Theologen,
vor allem in der Fastenzeit, eher kleinere Fische.

Nach Paul Tillich, einem Philosophen und Theologen des


20. Jahrhunderts, unterscheiden sich Religionsphiloso-
phie und Theologie nicht nur in den Fragen. Der Philo-
soph, meint Tillich, sucht so objektiv wie möglich nach
der Wahrheit über Gott und die damit zusammenhän-
genden Probleme, während der Theologe immer schon
»vom Glauben ergriffen«, also engagiert und verpflichtet
ist. Mit anderen Worten, der Religionsphilosoph betrach-
tet Gott und Religion von außen, während der Theologe
das Ganze von innen betrachtet.
»Sie bekommen dann jeden Monat eine neue Ausgabe der Zehn
Gebote. Sie können jederzeit kündigen und dürfen die erste Ausgabe
auf jeden Fall kostenlos behalten.«
134—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

In der Theologie ist es über so brennende Fragen wie »Geht


der Heilige Geist allein vom Vater oder vom Vater und dem
Sohn aus?« schon zu Kirchenspaltungen gekommen. Der Laie
braucht da eine schlichte Wegweisung zu theologischen Unter-
schieden, und Gott sei Dank haben sich die Humoristen der
Sache immer gern angenommen. Offenbar ist der Schlüssel
zur Bestimmung der religiösen Gesinnung eines Menschen die
Frage, wen er anerkennt bzw. nicht anerkennt:

Juden erkennen Jesus nicht an.


Protestanten erkennen den Papst nicht an.
Baptisten erkennen sich gegenseitig nicht, wenn sie sich im
Schnapsladen treffen.

Letzteres ist von praktischem Belang. Wenn Sie angeln gehen


wollen, dann laden Sie niemals nur einen Baptisten ein, denn er
wird Ihnen das ganze Bier wegtrinken. Wenn Sie hingegen zwei
Baptisten einladen, können Sie das ganze Bier allein trinken.
Konfessionelle Unterschiede zeigen sich auch darin, welches
Verhalten eine Standpauke durch den Allmächtigen nach sich
zieht. Für Katholiken gilt das, wenn sie die Messe versäumen.
Für Baptisten, wenn sie tanzen gehen. Für Episkopalisten,
wenn sie Salat mit dem Besteck fürs Dessert essen.
Doch jetzt einmal ernsthaft gesprochen, es gibt wichtige
Glaubensunterschiede zwischen den Konfessionen. So glauben
zum Beispiel nur Katholiken an die unbefleckte Empfängnis,
d. h. dass Maria, um die Mutter Gottes werden zu können,
selbst ohne den Makel der Erbsünde geboren wurde.
R E L I G I O N S P H I L O S O P H I E- O — 135

Jesus geht durch die Straßen, als er eine Menschenmenge erblickt,


die sich anschickt, eine Ehebrecherin zu steinigen. Jesus sagt: »Wer
selbst frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein.« Plötzlich fliegt
ein Stein durch die Luft. Jesus dreht sich um und ruft: »Mama?«

Bei konfessionellen Witzen sind diejenigen über die Gegen-


reformation selbstverständlich besonders beliebt. Zu jeder
Sammlung solcher Witze gehört mit Sicherheit der folgende:

Ein Mann in großen finanziellen Nöten betet zu Gott, er möge ihn


in der Lotterie gewinnen lassen.
Tage und Wochen vergehen, ohne dass der Mann auch nur ein
Gewinnlos zieht. In seinem Elend fleht er zu Gott: »Im Evangelium
heißt es: Klopfet an, und euch wird aufgetan. Suchet, und ihr werdet
finden. Ich stehe auf dem Schlauch und habe immer noch nichts
gewonnen!«
Darauf ertönt eine Stimme von oben: »Du musst mir schon ein
bisschen entgegenkommen, Bubele. Kaufe einen Ablasszettel!«

Der Mann war zweifellos Protestant. Wie Martin Luther dachte


er, dass wir allein durch die göttliche Gnade gerettet werden,
wir selbst können unser Heil nicht durch gute Werke erringen.
Gott dagegen leitet hier Wasser auf die Mühlen der katho-
lischen Gegenreformation. Vielleicht ist dieser Witz sogar wäh-
rend des Tridentinischen Konzils entstanden. Im Jahr 1545
entschieden die in Trient versammelten Bischöfe, dass das Heil
durch Gnade und gute Werke, durch Gebet und den Erwerb
von Ablasszetteln zu erlangen ist.
136 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

Einen Artikel haben freilich alle Konfessionen gemeinsam,


nämlich dass ihr Glaube der schnellste Weg in den Himmel
sei.
Ein Mann kommt an die Himmelspforte. Petrus fragt ihn:
»Religionszugehörigkeit?«
»Methodist«, antwortet der Mann. Petrus schaut auf seine Liste
und weist ihn an: »Gehen Sie in Saal achtundzwanzig, aber seien Sie
bitte möglichst leise, wenn Sie an Saal acht vorbeikommen.«
Ein weiterer Mann kommt an die Himmelspforte. »Religion?«
»Baptist«
»Gehen Sie in Saal achtzehn, aber seien Sie bitte möglichst leise,
wenn Sie an Saal acht vorbeikommen.«
Ein dritter Mann kommt an die Himmelspforte. »Religion?«
»Jude.«
»Gehen Sie in Saal elf, aber seien Sie bitte leise, wenn Sie an Saal
acht vorbeikommen.«
Der Neuankömmling sagt: »Ich verstehe ja, dass es verschiedene
Säle für die verschiedenen Religionen geben muss, aber warum soll
ich leise sein, wenn ich an Saal acht vorbeigehe?«
Darauf Petrus: »Die Zeugen Jehovas sind in Saal acht und glau-
ben, sie seien die Einzigen hier oben.«

Es heißt, der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer habe


im 19. Jahrhundert philosophierend den Buddhismus ent-
deckt. Wie zweitausend Jahre vor ihm Gautama, der Buddha,
war Schopenhauer zu der Ansicht gekommen, alles Leben be-
stehe nur aus Leiden, Qual und Enttäuschung, und die einzige
RELIGIONSPHILOSOPHIE -O— 137

Möglichkeit der Rettung bestehe in der Resignation: der Ver-


zicht auf das Begehren und die Negation des Willens zum Le-
ben. Andererseits dachten beide, dass aus der Resignation ein
Mitleid mit allen Geschöpfen und ein heiligenmäßiges Leben
entspringe. Das wäre dann die Zugabe.
Eine ganze Reihe jüdischer Witze umspielt in der Gestalt des
Kwetschers (Nörgler, Meckerer) den Pessimismus eines Scho-
penhauer.

Zwei Frauen sitzen auf einer Bank. Nach einer Weile sagt die eine:
»OH«
Die andere stimmt ein: »OH«
Daraufsagte die erste: »Schön und gut. Aber jetzt genug von den
Kindern.«

Schopenhauer und Buddha betrachten das Leben als einen


ständigen Kreislauf aus Entbehrung und Langeweile. Wenn wir
nicht haben, was wir begehren, müssen wir entbehren. Wenn
wir aber haben, was wir begehren, langweilen wir uns. Für
beide aber folgt die schlimmste Enttäuschung, wenn die Er-
lösung zum Greifen nahe scheint.

Es war einmal ein Prinz, der wurde, ohne dass er etwas Böses ge-
tan hätte, von einer Hexe mit einem Zauberbann belegt. Wegen
dieses Zaubers konnte er nur ein Wort pro jähr sprechen. Allerdings
konnte er die Worte aufsparen, wenn er also in einem Jahr über-
haupt nicht sprach, durfte er im folgenden Jahr zwei Worte sagen.
Eines Tages begegnete ihm eine schöne Prinzessin, und sofort
138 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

verliebte er sich unsterblich in sie. Er nahm sich vor, zwei Jahre


lang nicht zu sprechen, damit er sie dann »Mein Liebling« nennen
konnte.
Als die zwei Jahre vorüber waren, besann er sich jedoch anders.
Er wollte seiner Angebeteten auch sagen, dass er sie liebe. Also war-
tete er weitere drei Jahre. Am Ende der fünf schweigend verbrachten
Jahre wurde ihm klar, dass er sie auch um ihre Hand bitten musste.
Dafür waren weitere vier Jahre Schweigen erforderlich.
Als schließlich neun lange Jahre des Schweigens vorüber waren,
wusste er sich vor Vorfreude kaum zu halten. Er führte die Prin-
zessin in einen besonders romantischen Winkel des Schlossgar-
tens, kniete vor ihr nieder und sprach sie mit folgenden Worten an:
»Mein Liebling, ich liebe dich. Willst du mich heiraten?«
Die Prinzessin erwiderte nur: »Wie bitte?«

Genau so eine Antwort hätte Schopenhauer erwartet.


Im sechsten und siebten Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich
in China und Japan ein Zweig des Buddhismus, der heutzutage
eine Renaissance erlebt: der Zen. Aus westlicher Sicht ist die
Philosophie des Zen so etwas wie eine Anti-Philosophie. Ein
Zenmeister hält Vernunft, Logik, Sinnesempfindungen - also
all das, worauf die westliche Philosophie aufbaut - für Täu-
schung und Ablenkung von der wahren Erleuchtung. Wie aber
gelangt man zur Erleuchtung?
Man nehme sich folgende beiden Fragen vor:
• Was ist der Unterschied zwischen einer Ente?
• Welches Geräusch entsteht beim Klatschen mit einer Hand?
R E L I G I O N S P H I L O S O P H I E- O — 139

Beide Fragen lösen das aus, was in philosophischen Kreisen


»perplexes Staunen« genannt wird. Man kann sich keinen Reim
darauf machen. Eine sinnvolle Antwort scheint nicht möglich.
Während aber die erste Frage ein Pennälerscherz ist, haben wir
es bei der zweiten mit einem klassischen Zen-Koan zu tun.
Ein Koan ist ein Rätsel oder eine Geschichte, die ein Zen-
meister einem Schüler erzählt, um ihm gleichsam durch einen
intellektuellen Schock zu einem höheren Bewusstsein zu ver-
helfen. In diesem Satori genannten Zustand jäher Erleuchtung
fallen alle Unterschiede und Werturteile der Alltagswelt in eins.
Zurück bleibt das tiefe Bewusstsein der Einheit des Univer-
sums und der Erfahrung dieses Universums. Eine vom Zen in-
spirierte Antwort auf die Frage nach dem Klang des Ein-Hand-
Klatschens käme nicht in literarischer oder wissenschaftlicher
Form daher, etwa »Das Rieseln von Luft, durch die eine glatte
Fläche fährt«. Nein, eine echte Zen-Antwort wäre eher ein Aus-
ruf wie »Wow!« Ein Koan konfrontiert unser Denken mit un-
möglichen Vorstellungen. Wer sie übersteigen kann, der erlebt
sein Satori.
Das wohl beliebteste Koan lautet:

Bevor ich die Erleuchtung suchte, waren die Berge Berge und die
Flüsse Flüsse.
Während ich nach der Erleuchtung suchte, waren die Berge keine
Berge und die Flüsse keine Flüsse mehr.
Nachdem ich mein Satori erlebt habe, sind die Berge wieder
Berge und die Flüsse wieder Flüsse.
140 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

Wir Menschen der westlichen Kultur können uns mit der Idee
anfreunden, dass die Erleuchtung nicht im Erreichen eines
transzendentalen Bewusstseins besteht. Was uns hingegen
Schwierigkeiten bereitet, ist der Gedanke, die Erleuchtung sei
gleichzeitig alltäglich und transzendental. Entweder hat man
einen Sinn für solche Dinge oder man hat ihn nicht, und die
meisten westlichen Menschen haben ihn nicht.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der alte
Schülerwitz, worin sich denn eine Ente unterscheide, nicht
ein westliches Koan sein könnte. Auch hier wird der Ver-
stand durch mangelnde Logik und Absurdität düpiert. Doch
nach den Reaktionen auf die Scherzfrage - und darin besteht
der Lackmustest, ob es sich um ein Koan handelt oder nicht -
kann die Antwort nur nein lauten. Schmunzeln, vielleicht ein
Kichern, aber nie und nimmer ein Satori.
Es mag ein kulturelles Problem sein. Die meisten Menschen
im Westen können sich nicht die östliche Geisteshaltung zu ei-
gen machen, dass man auf dem Weg zur Erleuchtung sei, wenn
man den Geist nicht auf etwas Bestimmtes konzentriert. Wo-
bei wir bei dem folgenden, ein wenig dümmlichen westlichen
Koan wären:

Wenn du Eiscreme hast, gebe ich sie dir.


Wenn du keine Eiscreme hast, nehme ich sie dir weg.
Das ist der Eiscreme-Koan.
RELIGIONSPHILOSOPHIE -O— 141

CÄJD
Die berühmtesten Zen-Rätsel wurden von Generation zu
Generation überliefert und gehören zum festen Bestand
der Zen-Literatur. So soll Hui-ning, der siebte Zen-Patri-
arch einmal gefragt haben: »Wie sah dein ursprüngliches
Gesicht aus, bevor du geboren wurdest?« Phil Jackson,
der Trainer der Los Angeles Lakers, tat seinem Beinamen
»der Zenmeister« alle Ehre, als er den Spruch beisteuerte:
»Wenn du Buddha triffst, spiel ihm den Ball zu.«

Philosophie für Hohlköpfe


Diese Form der Philosophie, die im Wesentlichen aus heißer
Luft besteht, kursierte erstmals Ende der 1960er Jahre. Damals
verkündete der Harvard-Professor Timothy Leary, man könne
auch durch das Verspeisen psychedelisch wirkender Pilze zur
Erleuchtung kommen. Die später New Age genannte Strömung
verbindet traditionelle ostasiatische Weisheitslehren mit mittel-
alterlichen esoterischen Praktiken wie Astrologie und Tarot und
der Mystik der Kabbala. Sprüche wie »Ich bin eins mit meiner
Dualität« oder »Seit ich Vertrauen in die Gerichtsbarkeit ge-
wonnen habe, muss ich keine Waffe mehr tragen« bilden eben-
falls einen wesentlichen Teil der New-Age-Philosophie. Das er-
innert uns an die ältere Dame, die Anfang des 19. Jahrhunderts
nach einem Vortrag des englischen Dichters Samuel Taylor Co-
leridge zu diesem gesagt haben soll: »Mister Coleridge, jetzt ak-
142—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

zeptiere ich das Universum.« Coleridge schaute sie über seine


Brille hinweg an und sagte: »In der Tat, Madam, das sollten sie
auch!«
Zum Glück haben wir Humoristen, die Licht ins Dunkel des
New-Age-Denkens bringen.
Wie viele New-Age-Adepten sind nötig, um eine Glühbirne aus-
zutauschen?
Keiner, denn sie bilden sofort eine Selbsthilfegruppe mit dem Na-
men: »Mit der Dunkelheit leben.«

Wenn es bei diesen Leuten überhaupt etwas Neues gibt, dann


der Glaube an außerirdische Lebewesen, die uns nicht nur auf
der Erde besuchen, sondern uns auch zum Essen und Lieben
in ihre Raumschiffe einladen. Nur ein Satiriker kann den Glau-
ben der New-Age-Adepten bis zur letzten Konsequenz treiben.

Ein Marsmensch macht eine Notlandung in Brooklyn. Er stellt fest,


dass dabei ein wichtiges Teil seiner fliegenden Untertasse beschä-
digt wurde, nämlich der unverzichtbare troover. Er geht in den
nächsten Baumarkt und fragt an der Info-Theke, wo er einen troo-
ver bekommen könne.
Der Verkäufer möchte wissen, wie so etwas aussieht.
»Es ist rund, außen eher hart, innen weich, und in der Mitte hat
es ein Loch«, erläutert der Außerirdische.
»Nach der Beschreibung könnte es ein Bagel sein«, sagte der Ver-
käufer. »Hier, suchen Sie so etwas?«
»Das ist genau richtig. Wofür benutzen Sie die eigentlich?«
R E L I G I O N S P H I L O S O P H I E- O — 143

Der Verkäufer antwortet: »Nun, Sie werden das nur schwer glau-
ben, aber wir essen sie.«
»Wie?«, sagt der Außerirdische. »Sie essen troover?«
»Ja, probieren Sie doch mal einen.«
Der Außerirdische zögert erst, beißt dann aber doch hinein.
»Oh«, meint er, »mit ein bisschen Frischkäse wäre das gar nicht
übel.«

Eine weitere Zutat des New-Age-Gebräus ist die Faszination für


parapsychologische Phänomene wie zum Beispiel Hellsehen.
Viele Vertreter des alten Denkens, also Rationalisten, meinen
nach wie vor, es gebe für solche Phänomene vernünftige Er-
klärungen.

»Mein Großvater wusste auf das Jahr, den Tag und die Stunde
genau, wann ersterben würde.«
»Donnerwetter; was für eine erhabene Seele! Wie ist er dazu
gekommen?«
»Der Richter hat es ihm gesagt.«

Das ist heftig!

DTMITRI: »Ich habe da noch eine Frage. Wenn es Zeus nicht


gibt, ist Poseidon dennoch sein Bruder?«
T A S S O : »Weißt du, Dimitri. Entweder bist du ein erleuchteter
Buddhist, oder dir fehlen noch ein paar Steine zu einem Am-
phitheater.«
Existenzialismus
»Die Existenz geht der Essenz voraus.« Wenn Sie
dieser Behauptung zustimmen, dann sind Sie Existenzialist.
Falls nicht, existieren Sie zwar immer noch,
aber Sie gehören eigentlich nicht mehr dazu.

DIMITRI: »Offen gesagt, Tasso, manchmal wünsche ich mir, ich


wäre mehr wie du.«
T A S S O : »Aber das kannst du doch! Existenzialistisch gespro-
chen bist du ein Wesen, das sich selbst erschafft. Du bist der,
zu dem du dich machst!«
D I M I T R I : »Das ist ja irre! Ich wollte nämlich immer schon so
groß sein wie du.«

Wenn wir uns in den Existenzialismus vertiefen wollen, müssen


wir uns zuvor ein bisschen mit dem deutschen Idealismus He-
gelscher Prägung befassen. Demzufolge kann ein wahres Bild
des Lebens nur von einem Standpunkt außerhalb desselben
gewonnen werden. Stammt die Behauptung »Mit die besten
komödiantischen Stoffe kann man in der Spannung zwischen
146 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

dem Hegeischen absoluten Geist und der existenziellen Ent-


fremdung des Menschen finden« eigentlich von Rodney Dan-
gerfield? Wohl eher nicht. Wenn aber doch, dann ist der fol-
gende, schon klassisch zu nennende Witz vermutlich das, was
Rodney sagen wollte.

Ein Mann liegt mit der Frau seines besten Freundes im Bett, als die
beiden plötzlich hören, wie das Auto des Ehemanns in die Einfahrt
biegt. Der Liebhaber versteckt sich im Wandschrank. Der Ehemann
betritt das Schlafzimmer, geht zum Wandschrank und will gerade
sein Jackett aufhängen, da sieht er seinen Freund nackt im Schrank.
»Lenny«, sagt er zu ihm, »was tust denn du hier?«
Lenny hebt die Schultern und antwortet:»Jeder muss schließlich
irgendwo sein.«

Das ist eine hegelianische Antwort auf eine existenzialistische


Frage. Der Ehemann will wissen, warum von allen Menschen
ausgerechnet Lenny in dieser besonderen existentiellen Lage
ist - nackt und in seinem Wandschrank. Doch Lenny, sein ver-
meintlicher Freund, beantwortet aus Gründen, die er zu ver-
antworten hat, eine ganz andere Frage: »Warum ist irgend-
jemand irgendwo und nicht vielmehr nirgendwo?« Diese Frage
hat nur für einen hochgestochenen deutschen Philosophen wie
Hegel Sinn.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel vertrat die Auffassung, dass
die Geschichte nichts anderes sei als die Verwirklichung des
absoluten Geistes in der Zeit. Der Geist einer Zeit (nehmen
wir das verklemmte Spießertum der 1950er Jahre) bringt seine
EXISTENZIALISMUS <•>— 147

Antithese hervor (die Hippie-Bewegung der 1960er Jahre) und


aus dem Zusammenprall dieser Welten entsteht als Synthese
etwas Neues (die Plastik-Hippies der 1970er Jahre sowie Wall-
Street-Banker mit Beatlesfrisuren).
Und so geht es in der Geschichte immer weiter, als Dialek-
tik von These, Antithese und Synthese (letztere wird die neue
These und so weiter).
Hegel meinte, er habe einen Standpunkt außerhalb der Ge-
schichte erreicht und schaue nun von dort auf »das Ganze«
hinab. Und tatsächlich scheint, von dort aus gesehen, alles
seine Ordnung zu haben. Kriege? Nur ein Schachzug cler Di-
alektik. Seuchen? Auch das nur ein Schachzug. Ängste? Kein
Grund zur Unruhe. Die Dialektik geht ihren Gang, daran ist
nichts zu ändern. Man verfolge nur aufmerksam das Schau-
spiel. Georg Wilhelm Friedrich war der Meinung, er schaue wie
der liebe Gott von oben auf die Geschichte hinab.

Denken Sie mal an Bette Midiers Oldie »From a Distance«,


wo die göttliche Miss M sich vorstellt, sie schaue von ganz
oben auf die Welt hinab und finde alles paletti. Aus sol-
cher Ferne schaut auch Hegel auf die Geschichte. Der
Song endet damit, dass kein anderer als Gott über Bettes
Schulter schaut und den Anblick genießt. Wer hätte ge-
dacht, dass Bette Midier eine Hegelianerin war?
148 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Dann kam Hegels Zeitgenosse Sören Kierkegaard, und der er-


boste sich. »Was nützt es, wenn vom Standpunkt des absoluten
Wissens aus betrachtet alles seinen geordneten Gang geht?«,
fragt S0ren sinngemäß. Das ist - und kann nicht - der Stand-
punkt der existierenden Individuen sein. Mit dieser Feststel-
lung war der Existenzialismus geboren. »Ich bin schließlich
nicht Gott«, folgerte Sören fort, »ich bin ein Individuum. Wen
kümmert es schon, ob von oben betrachtet alles friedlich ist?
Ich lebe in irdischen Verhältnissen, und ich habe Angst. Ich bin
dem Verzweifeln nahe. Ich. Und selbst wenn sich das Univer-
sum nach den Gesetzen der Vernunft entfaltet, so droht es doch
über mich hinwegzurollen!«
Wenn also Kierkegaard Sie in seinem Kleiderschrank anträfe
und Sie fragte: »Was machen Sie eigentlich hier?«, sagen Sie
nicht: »Jeder muss schließlich irgendwo sein.« Wir raten Ihnen
zur Improvisation.
Im 20. Jahrhundert nahm der französische Philosoph Jean-
Paul Sartre Kierkegaards Idee der Angst bereitenden Isolation
des Individuums auf und leitete daraus weitreichende Konse-
quenzen für die Freiheit und Verantwortung des Menschen ab.
Sartre formulierte es so: »Die Existenz geht der Essenz voraus.«
Damit meinte er, dass der Mensch keine feste Bestimmung hat
wie zum Beispiel ein Kleiderbügel. Wir haben keine Bestim-
mung, uns steht es frei, uns neu zu erfinden.
EXISTENZIALISMUS <•>— 149

CJÜO
Jean-Paul Sartre schielte und war auch sonst kein schö-
ner Mann. Vielleicht war er deshalb perplex, als sein exis-
tenzialistischer Kamerad Albert Camus Sartres Idee der
menschlichen Freiheit noch weiter ausdehnte und be-
hauptete: »Ab einem bestimmten Alter ist jeder Mann für
sein Gesicht verantwortlich.« Merkwürdigerweise hatte
Camus große Ähnlichkeit mit Humphrey Bogart.

Wenn wir uns selbst lediglich als Wesen mit einer festen Iden-
tität sehen, dann leben wir nicht mehr eigentlich. Eine Art und
Weise, uns selbst wie Objekte zu sehen, besteht darin, uns mit
einer sozialen Rolle zu identifizieren. Das hält Sartre für mau-
vaisefoi oder Unwahrhaftigkeit. Und das ist schlecht.
Sartre beobachtet den Kellner im Café und kommt zu der
Erkenntnis, dass es zum Kellner-Sein gehört, so zu tun, als ob
man ein Kellner sei. Kellner lernen ihr Metier, indem sie den
Eindruck vermitteln, Kellner zu sein. Kellner gehen auf eine
bestimmte Weise, nehmen eine typische Haltung an, legen im
Umgang einen Punkt auf der Skala der Vertrautheit fest usw.
Das ist alles schön und gut, solange der Kellner sich bewusst
ist, dass er nur eine Rolle spielt. Wir kennen aber alle Kellner,
die wirklich glauben, sie seien Kellner, die darin ihr ganzes We-
sen sehen. Das aber ist tres mauvaisefoi!
»Haben Sie schon mal daran gedacht, eine Ente zu werden?«
EXISTENZIALISMUS <•>— 151

: —
Der Cartoon illustriert die Grenzen unserer Freiheit. Ein
Mensch kann zwar erwägen, sich den Zeugen Jehovas an-
zuschließen, aber kann er vernünftigerweise erwägen,
eine Ente zu werden?
Der Cartoon enthält noch ein weiteres existenzialistisches
Rätsel: »Was meinen die Enten wohl, wer sie sind?«

In Witzen wird unsere heimliche Neigung, uns mit den Wert-


vorstellungen unseres sozialen Milieus zu identifizieren, da-
durch lächerlich gemacht, dass diese Haltung bis zum Äu-
ßersten getrieben wird. Das wiederum ist selbst ein philoso-
phisches Argument: die Reductio ad absurdum.

Die Reductio ad absurdum ist ein logisches Argument, das


aus einer Prämisse so absurde Folgerungen zieht, dass im
Grunde das Gegenteil wahr sein müsste. Ein Reductio-
Argument, das in letzter Zeit häufig zu hören war, lautet:
»Wenn wir den Begriff der Ehe auf gleichgeschlechtliche
Partnerschaften ausdehnen, was hält uns dann noch da-
von ab, Ehen zwischen Menschen und Schnabeltieren zu
billigen.«
152 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Im folgenden Witz nach dem Reductio-Argument gibt Sol der


Unwahrhaftigkeit, die in jeder Gruppenidentität liegt, eine
neue Bedeutung.

Abe und sein Freund Sol gehen spazieren. Vor einer katholischen
Kirche sehen sie ein Schild mit der Aufschrift: »1000 Dollar für je-
den, der konvertiert.« Sol will wissen, wie das gemeint ist, und geht
hinein. Abe wartet draußen. Stunden vergehen, bis Sol endlich wie-
der herauskommt
»Und?«, fragt Abe. »Was ist passiert?«
»Ich habe konvertiert«, sagt Sol.
»Mach keine Witze!«, sagt Abe. »Hast du die 1000 Dollar ge-
kriegt?«
Darauf Sol: »Denkt ihr denn immer bloß an Geld?«

(Das ist aber politisch nicht korrekt! Wir sind eben Philosophen.
Sie können uns ja anzeigen ...) Andererseits zeugt es auch von
Unwahrhaftigkeit, wenn wir so tun, als verfügten wir über un-
begrenzte Möglichkeiten bei der Ausübung unserer Freiheit.

Zwei Kühe stehen auf der Weide. Sagt die eine zur anderen: »Wie
denkst du über BSE (Rinderwahnsinn)?«
»Was kümmert mich das?«, sagt die andere. »Ich bin ein Hub-
schrauber.«

Für existenzialistische Philosophen ist die echte Lebensangst


kein psychopathologisches Symptom, das eine Therapie er-
forderlich macht. Vielmehr sehen sie darin die grundlegende
EXISTENZIALISMUS <•>— 153

menschliche Reaktion auf die Bedingungen des Menschseins


überhaupt: auf unsere Sterblichkeit, auf unser Unvermögen,
unser Potenzial ganz auszuschöpfen, und auf die drohende
Sinnlosigkeit. Alles das legt den Wunsch nahe, lieber ein New-
Age-Faselhänschen als ein Existenzialist werden zu wollen.
Die Existenzialisten legen großen Wert darauf zwischen Exis-
tenzangst, wie zum Beispiel die Angst vor dem Tod, und ge-
wöhnlicher neurotischer Angst zu unterscheiden. Todesangst
geht auf die conditio humana zurück, nicht aber Normans Angst:

Norman bekam Herz/Ummern, als er den Arzt sah.


»Ich habe ganz bestimmt einen Leberschaden.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte der Arzt. »Sie können gar nicht
wissen, dass Sie einen Leberschaden haben, weil damit gar keine Be-
schwerden verbunden sind.«
»Eben darum«, widersprach Norman. »Genau das sind meine
Symptome.«

Der deutsche Existenzphilosoph Martin Heidegger würde da-


rauf erwidern. »Das nennen Sie Angst, Norman? Sie haben ei-
gentlich noch gar nicht gelebt. Mit >gelebt< meine ich, die ganze
Zeit über an den Tod zu denken.« Heidegger ging soweit zu be-
haupten, menschliche Existenz sei »Sein zum Tode«. Wenn wir
authentisch leben wollen, müssen wir der Tatsache ins Auge
sehen, dass wir sterblich sind und dass wir Verantwortung für
ein sinnvolles Leben im Schatten des Todes tragen. Wir dürfen
nicht versuchen, diese persönliche Angst und Verantwortung
durch Verdrängung des Todesgedankens zu überwinden.
154—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Drei Freunde kommen bei einem Autounfall ums Leben. Bei der
Orientierungssitzung im Himmel fragt sie der himmlische Organi-
sator, welche Worte sie gern über ihre Person hören würden, wenn
Verwandte und Freunde sie im Sarg liegen sehen.
Der erste Freund: »Ich hoffe, man wird von mir sagen, dass ich
ein großartiger Arzt und ein guter Familienvater war.«
Der zweite Freund: »Ich hoffe, die Leute werden von mir sagen,
dass ich als Lehrer das Leben der Schüler nachhaltig geprägt habe.«
Der dritte Freund: »Ich würde gern hören, dass einer der Hinter-
bliebenen sagt: >Guck mal, der bewegt sich ja noch!<«

Für Heidegger ist leben im Schatten des Todes nicht nur mu-
tiger, sondern sogar die einzig authentische Art zu leben, denn
jederzeit könnte unser letztes Stündlein schlagen.

Ein Mann fragt eine Wahrsagerin, wie es denn im Himmel aussehe.


Die Wahrsagerin schaut in ihre Kristallkugel und verkündet dann:
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Zuerst die
gute: Im Himmel gibt es mehrere wunderschöne Golfplätze.«
»Prima! Und wie lautet die schlechte Nachricht?«
»Sie sollen morgen um 8 Uhr 30 dort spielen.«

Immer noch am Verdrängen? Dann probieren Sie den:

Kunstmaler: »Nun, wie verkaufen sich meine Bilder?«


Galerist: »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für
Sie. Ein Mann kam herein und fragte, ob Sie zu den Malern gehören,
deren Werke nach ihrem Ableben an Wert gewinnen. Als ich ihm
E X I S T E N Z I A L I S M U S< • > — 155

darauf sagte, dass ich Sie für solch einen Maler halte, hat er alle Bil-
der von Ihnen aufgekauft.
Kunstmaler: »Wow! Und die schlechte Nachricht?«
Galerist: »Der Mann war Ihr Arzt.«

Bisweilen hören wir aber auch Geschichten, bei denen der oder
die Betreffende der Existenzangst ins Antlitz zu blicken wagt
und auch noch darüber lacht.
Gilda Radner hatte die Kraft, nachdem bei ihr Krebs im End-
stadium diagnostiziert worden war, vor Publikum folgenden
Witz zu erzählen.

Eine krebskranke Frau geht zu ihrem Tumorspezialisten. Der Arzt


sagt ihr: »Es tut mir leid, aber wir sind mit unserer Weisheit am
Ende. Sie haben nur noch acht Stunden zu leben. Gehen Sie nach
Hause, und machen Sie das Beste daraus.«
Die Frau geht nach Hause, teilt ihrem Mann die Diagnose mit
und sagt dann: »Liebling, wollen wir uns nicht noch einmal die
ganze Nacht lang lieben?«
»Du weißt doch«, entgegnet ihr Mann, »manchmal hat man
Lust auf Sex und manchmal nicht. Ich bin heute Abend nicht in
Stimmung.«
»Ach bitte«, bettelt die Frau, »das ist mein letzter Wunsch.«
»Aber ich bin wirklich nicht in Stimmung.«
»Liebling bitte.«
»Schau«, sagt der Mann, »du hast leicht reden. Du musst mor-
genfrüh nicht aufstehen.«
156—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Die von den Existenzialisten betonte Notwendigkeit, sich mit


der Todesangst auseinanderzusetzen, hat einen neuen Erwerbs-
zweig ins Leben gerufen. Die Hospizbewegung, die auf die Ster-
beforscherin Dr. Elisabeth Kübler-Ross zurückgeht, ermutigt
zur ehrlichen Hinnahme des Todes.

Gast im Restaurant: »Was machen Sie mit Ihren lebenden Hühn-


chen?«
Koch: »Oh, nichts Besonderes. Wir bereiten sie einfach darauf
vor, dass wir sie zubereiten werden.«

TASSO : »Worüber lachst du? Ich rede hier von der Todesangst,
das ist nicht zum Lachen.«
D I M I T R I : » E S gibt Schlimmeres als den Tod.«
T A S S O : »Schlimmeres als den Tod, ja was denn?«
D I M I T R I : »Plast du schon einmal einen Abend mit Pythagoras
verbracht?«
CD
Sprachphilosophie
Als der frühere US-Präsident Bill Clinton auf eine Frage
des Ermittlers in der Lewinsky-Affäre antwortete: »Es hängt
davon ab, wie Sie >ist< definieren«, trieb er Sprachphilosophie.
Womöglich hat er auch noch andere Sachen getrieben.

DIMITRI: »Allmählich durchschaue ich dich, Tasso. Das ganze


philosophische Geschäft ist letztlich nur ein Spiel mit Wor-
ten!«
T A S S O : »Genau! Jetzt kommen wir der Sache endlich näher.«
D I M I T R I : »Dann gibst du also zu, dass es in der Philosophie
bloß um Semantik geht?«
T A S S O : »Bloß um Semantik? Um was soll es in der Philosophie
denn sonst gehen? Um Gegrunze und Gekicher?«
160 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Philosophie der Alltagssprache


Ludwig Wittgenstein und ab der Mitte des 20. Jahrhunderts
auch seine Nachfolger an der Universität Oxford behaupteten,
dass die großen Fragen der Philosophie - die Willensfreiheit,
die Existenz Gottes und so weiter - nur deshalb so schwierig
wären, weil die Sprache, in der sie formuliert wurden, ungenau
und verwirrend sei. Aufgabe der Philosophen sei es, die sprach-
lichen Knoten zu lösen, die Fragen anders zu stellen und, wenn
nicht die Rätsel zu lösen, so doch zum Verschwinden zu brin-
gen, was fast ebenso gut wäre.
Zum Beispiel hatte im 17. Jahrhundert Descartes behauptet,
dass wir Menschen aus Materie und Geist bestehen, wobei
Letzterer wie ein Lebensgeist in einer Maschine hause. Über
Jahrhunderte rätselten die Philosophen, was dieser Lebensgeist
für ein Ding sein könnte. Bis Wittgensteins Oxforder Schüler
Gilbert Ryle sagte: »Falsche Frage! Es handelt sich gar nicht
um ein Ding. Wenn wir nämlich beobachten, wie wir über so
genannte geistige Tätigkeiten sprechen, sehen wir, dass unsere
Begriffe nur eine abkürzende Beschreibung unseres Verhaltens
sind. Nichts geht verloren, wenn wir den Begriff für den >Ort<
streichen, der angeblich dieses Verhalten hervorbringt.« Damit
wäre das Rätsel aus der Welt geschafft.
Die Jungvermählten im folgenden Witz sollten also ebenfalls
ihre Frage anders formulieren:

Ein jung vermähltes Paar zieht in eine neue Wohnung ein und
möchte das Esszimmer neu tapezieren. Sie klopfen beim Nachbarn
S P R A C H P H I L O S O P H I E« O — 161

an, dessen Esszimmer genau die gleichen Maße wie ihres hat, und
fragen ihn. »Wie viele Rollen haben Sie für das Tapezieren Ihres Ess-
zimmers gekauft?«
»Sieben«, ist die Antwort.
Das Paar kauft sieben Rollen teurer Tapete und macht sich so-
gleich ans Tapezieren. Als sie die vierte Rolle aufgebraucht haben, ist
das Zimmer schon fertig tapeziert. Verärgert gehen sie zum Nach-
barn und sagen ihm:»Wir haben Ihren Rat befolgt, und jetzt haben
wir drei Rollen Tapete übrig!«
»Aha«, sagt der Nachbar, »es ist Ihnen also genauso ergangen.«

Au, was für ein fauler Witz!

Als die Dichterin Gertrude Stein auf dem Sterbebett lag,


lehnte sich ihre Lebensgefährtin Alice B. Toklas zu ihr
herab und flüsterte: »Wie lautet die Antwort, Gertrude?«
Darauf Gertrude Stein: »Wie lautet die Frage?«

Nach Wittgenstein beruhen alle Irrtümer der abendländischen


Philosophie auf, wie er es nennt, der »Verhexung durch Spra-
che«. Damit meint er, dass uns Wörter zur falschen Kategori-
sierung der Dinge verleiten können. Wir lassen uns von der
grammatischen Form der Sätze, in denen philosophische Fra-
gen gestellt werden, täuschen. So diskutiert Heidegger in sei-
nem Hauptwerk Sein und Zeit das »Nichts«, so als ob es ein
Ding dieses Namens gäbe.
162 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Hier ein weiteres Beispiel für eine sprachliche Verwirrung:

»Freddy, ich hoffe, du lebst hundert jähre und noch drei Monate
zusätzlich.«
»Danke, Alex. Aber wozu die drei Monate zusätzlich?«
»Ich wünsche dir nicht, Knall und Fall zu sterben.«

Wenn Sie meinen, Alex sei durch Sprache verhext, dann schau-
en Sie sich Garwood in der folgenden Geschichte an:
Garwood geht zum Psychiater und jammert, weil er keine Freundin
findet.
»Das wundert mich nicht«, sagt der Psychiater, »Sie riechen
fürchterlich!«
»Da haben Sie Recht«, erwidert Garwood. »Aber das liegt an
meinem Job. Ich arbeite im Zirkus, wo ich hinter den Elefanten her-
laufe und ihren Kot einsammle. Ich kann mich so oft waschen wie
ich will, ich werde den Gestank nicht los.«
»Dann suchen Sie sich doch einen anderen Job«, schlägt der Psy-
chiater vor.
»Sind Sie verrückt?«, entrüstet sich Garwood. »Ich soll das Show-
business verlassen?«

Garwood hat die Bedeutung des »Showbusiness«, was für ihn


das Einsammeln von Elefantenkot bedeutet, mit der emotio-
nalen Aura des Wortes »Showgeschäft« verwechselt, wo es al-
lein darum geht, im Scheinwerferlicht zu stehen.
Die Philosophen der Alltagssprache lehren, dass Sprache un-
S P R A C H P H I L O S O P H I E« O — 163

terschiedlichen Zwecken dient und je nach Verwendung an-


ders gebraucht wird. Der englische Philosoph John Austin legte
dar, dass der Satz »Ich verspreche« sprachlich etwas ganz an-
deres ist als der Satz »Ich male«. Wenn ich sage: »ich male«, ist
das nicht das Gleiche wie wenn ich male, aber wenn ich sage
»ich verspreche«, dann ist der Satz selbst die Handlung. Wenn
sprachliche Ausdrücke, die in einem bestimmten Zusammen-
hang ihre genaue Bedeutung haben, in einem gänzlich anderen
Zusammenhang verwendet werden, dann können Begriffsver-
wirrungen und Scheinprobleme entstehen, die man auch als
die »Geschichte der Philosophie« bezeichnen könnte.
Die Vertreter der analytischen Sprachphilosophie waren
der Meinung, dass die Jahrhunderte alte philosophische De-
batte über den Glauben an Gott auf dem Versuch beruhte, die
diesbezüglichen Fragen als Fragen zu Tatsachen zu stellen. Die
Sprache der Religion sei aber eine Sprache ganz eigener Art.
Manche behaupteten, in ihr würden Werturteile ausgedrückt
wie dies auch bei Filmjurys geschieht. »Ich glaube an Gott« be-
deute daher nicht viel mehr als »Ich glaube, bestimmte Werte
verdienen zwei Daumen nach oben.« Wieder andere meinten,
religiöse Sprache sei ein Echo großer Gefühle. »Ich glaube an
Gott« bedeute »Wenn ich den gestirnten Himmel betrachte,
bekomme ich eine Gänsehaut!« Mit diesen alternativen Sprach-
verwendungen vermeidet man die philosophische Verwirrung,
die sich sonst mit dem Satz »Ich glaube an Gott« einstellt. Sim-
salabim, Problem gelöst! Und 2500 Jahre Religionsgeschichte
sind damit entsorgt.
164 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

In dem folgenden Witz verheddern sich Goldfinger und Fal-


laux in zwei verschiedenen Sprachspielen. Dass sie auch noch
verschiedene Sprachen sprechen, macht die Sache nicht ein-
facher.

Goldfinger ist auf einer Schiffsreise über den Atlantik. Am ersten


Abend sitzt er mit Monsieur Fallaux am Tisch. Der Franzose hebt
sein Glas und sagt zu Goldfinger: »Bon appétit'.«
Goldfinger hebt ebenfalls sein Glas und erwidert: »Goldfinger!«
Und so geht es bei jeder Mahlzeit fast die ganze Reise über.
Schließlich kann es der Oberkellner nicht mehr länger mit ansehen
und erklärt Goldfinger, dass »bon appétit« die französische Entspre-
chungfür das englische »enjoy your meal« ist.
Goldfinger ist verlegen und kann es gar nicht erwarten, bei der
nächsten Mahlzeit seinen Irrtum zu korrigieren. Bei Tisch, noch ehe
Fallaux irgendetwas sagen kann, hebt Goldfinger sein Glas und
sagt: »Bon appétit!«
Und Fallaux erwidert: »Goldfinger!«

Witze, in denen die Personen jeweils anderes im Sinn haben,


liefern schräge Beispiele für die Tatsache, dass unterschiedli-
cher Sprachgebrauch die Kommunikation stört.

Tommy geht zur Beichte und sagt zum Priester: »Vater, vergebt mir,
ich habe gesündigt. Ich habe mich mit einer liederlichen Frau ein-
gelassen.«
»Bist du es, Tommy?«, fragt der Priester.
»Ja, Vater.«
SPRACHPHILOSOPHIE «O— 165

»Wer ist sie, mit der du gesündigt hast, Tommy?«


»Das möchte ich lieber nicht sagen, Vater.«
»War es Bridget?«
»Nein, Vater.«
»War es Colleen?«
»Nein, Vater.«
»War es Megan?«
»Nein, Vater.«
»Nun denn, Tommy, bete vier Vaterunser und vier Ave Maria.«
Kaum ist Tommy wieder draußen, fragt ihn sein Freund Pat, wie
es gelaufen sei.
»Prima«, sagt Tommy, »ich soll vier Vaterunser und drei Ave
Maria beten, und obendrein habe ich drei heiße Tipps gekriegt!«

Im folgenden Witz ist der Priester in dem Sprachspiel gefan-


gen, das das Gespräch im Beichtstuhl regelt, und sieht nicht
die Möglichkeit, die Situation auch ganz anders zu verstehen.

Ein Mann geht in den Beichtstuhl und sagt zum Priester: »Vater, ich
bin zweiundsiebzig Jahre alt und habe vergangene Nacht Sex mit
zwei zwanzigjährigen Frauen gehabt und das gleichzeitig.«
Darauf erkundigt sich der Priester:»Wann sind Sie das letzte Mal
zur Beichte gegangen?«
Der Mann sagt: »Ich bin vorher noch nie zur Beichte gegangen,
Vater, ich bin Jude.«
Fragt der Priester: »Warum erzählen Sie es mir dann?«
Antwortet der Mann: »Weil ich es allen erzähle!«
166 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Viele Witze dieser Art beruhen auf der Möglichkeit, sie ä double
entente (doppeldeutig) zu lesen, d. h. der Satz hat eine ganz an-
dere Bedeutung, wenn er in einem anderen Sprachspiel situiert
wird. Tatsächlich ist es der frisson zwischen zwei verschiedenen
Sprachspielen, der das Gelächter auslöst.

In einer Bar tritt ein Klavierspieler mit einem Affen auf. Nach je-
der Musiknummer geht der Affe bei den Gästen Geld sammeln.
Während der Pianist spielt, springt der Affe auf den Tresen, geht
zu einem Gast und hockt sich über dessen Glas. Der Mann ist ver-
ärgert, geht zu dem Pianisten hinüber und baut sich vor ihm auf:
»Hey, Ihr Affe hängt seine Eier in meinen Martini! Haben Sie diese
Nummer denn einstudiert?«
Der Pianist antwortet versonnen: »Nein, aber summen Sie mir
mal ein paar Takte vor, dann kann ich es bestimmt nachspielen.«

Viele Scherzfragen sind so angelegt, dass wir glauben sollen,


wir seien in einem ganz bestimmten Kontext, bis sich heraus-
stellt, dass ein ganz anderer Kontext gemeint ist.

»Was gehört nicht in die folgende Aufzählung: Herpes, Tripper oder


eine Eigentumswohnung in Cleveland?«
»Die Eigentumswohnung natürlich.«
»Irrtum. Tripper, nur den wird man wieder los.«
SPRACHPHILOSOPHIE «O— 167

Man hat der analytischen Philosophie vorgeworfen, sie spiele


bloß mit der Sprache, aber Wittgenstein hat mehrfach darauf
hingewiesen, dass falscher Sprachgebrauch zu schweren Irr-
tümern führen kann.

Billingsley besuchte seinen Freund Hatfield, der sterbenskrank im


Krankenhaus lag. Während Billingsley an Hatfields Bett stand, ver-
schlechterte sich dessen Zustand rapide. Sein Freund bat ihn mit
verzweifelten Gesten um Schreibzeug. Billingsley reichte ihm einen
Kugelschreiber und ein Stück Papier, und Hatfield kritzelte mit letz-
ter Kraft ein paar Wörter hin. Kaum war er damit fertig, gab er den
Geist auf. Billingsley war von Kummer und Schmerz so ergriffen,
dass er das Papier ungelesen einsteckte.
Ein paar Tage später machte Billingsley einen Besuch im Trauer-
haus. Als er bemerkte, dass er Hatfields Papier immer noch in der
Tasche seines jacketts trug verkündete er vorder versammelten Fa-
milie: »Der liebe Hatfield hat mir, ehe er starb, diesen Zettel überge-
ben. Ich habe ihn noch nicht gelesen, aber wie ich Hat kenne, hat er
uns bestimmt einen geistreichen Satz hinterlassen.« Und er las laut
vor: »Du stehst auf meinem Beatmungsschlauch!«
»Ich habe nie gesagt >Ich liebe dich<. Ich habe gesagt >Ich liebe Sie*.
Ein gewaltiger Unterschied.«
SPRACHPHILOSOPHIE «O— 169

cssp
Wir haben hier eine betrübliche Diskussion zwischen
Wittgenstein und einer eher konservativen Philosophin,
wie an ihrer klassischen Perlenhalskette zu erkennen ist.
Man beachte, dass für die konservative Denkerin die Be-
deutung der Sätze »Ich liebe Sie« bzw. »Ich liebe dich«
identisch ist.
Wittgenstein hingegen hält es für nötig darauf hinzuwei-
sen, dass die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in
der Sprache sei. Da die Sätze »Ich liebe Sie« und »Ich
liebe dich« in gesprochener Sprache ganz unterschiedlich
gebraucht werden, haben sie auch ganz verschiedene Be-
deutungen und schließen ganz andere soziale Verbind-
lichkeiten ein.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass eine philosophische


Schule, die den genauen Sprachgebrauch zu ihrer Grundlage
macht, ausgerechnet in England zur Blüte kommt, obgleich
sich doch die Engländer oft in der eigenen Sprache verheddern,
was viele Witze beweisen.

Ein Pfarrer der anglikanischen Kirche erhält Besuch von einem Ge-
meindemitglied. »Hochwürden«, sagt der Gast, »ich habe neulich
einen amüsanten Limerick gehört, der Ihnen auch gefallen könnte.
Allerdings muss Ich Sie warnen, er ist ein bisschen frivol.«
»Oh, das macht nichts«, sagt der Pfarrer, »ich habe nichts gegen
ein bisschen Frivolität hin und wieder.«
170 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

»Fein, er geht folgendermaßen:

Ein junger Mann namens Skinner,


Der lud einst ein Mädchen zum Dinner.
Schon um Viertel nach acht,
War es geschafft,
So geschickt war'n die Finger von Skinner.«

»Was war geschafft?«, fragt der Pfarrer. »Das Dinner?«


»Nein, Hochwürden, das Mädchen.«
»Oh, ach Gott, natürlich. Sehr amüsant.«
Ein paar Wochen daraufhat der Pfarrer die Visite seines Bischofs.
»Exzellenz«, sagt der Pfarrer, »ich habe neulich von einem Gemein-
demitglied einen amüsanten Limerick gehört, den ich Ihnen gern
erzählen würde, vorausgesetzt Sie nehmen keinen Anstoß. Er ist ein
bisschen frivol.«
»Erzählen Sie nur«, ermuntert ihn der Bischof.
»Er geht folgendermaßen:

Ein junger Mann namens Plessen,


Der lud einst ein Mädchen zum Essen.
Erst tranken sie Tee,
Dann tat er ihr weh,
Doch nachher war alles vergessen.«

»Was war vergessen?«,fragt der Bischof. »Die Einladungzum Essen?«


»Nein, nein, Exzellenz«, antwortet der Pfarrer. »In Wirklichkeit
war es ein ganz fremder Mann namens Skinner.«

Und solchen Leuten verdanken wir die Philosophie der Alltags-


sprache?
SPRACHPHILOSOPHIE «O— 171

Der linguistische Status von Eigennamen


In den letzten fünfzig Jahren ist die Philosophie immer tech-
nischer geworden, sie befasst sich immer weniger mit großen
Fragen wie der Willensfreiheit oder der Existenz Gottes. Heute
beschäftigt sie sich viel stärker mit Problemen der logischen und
linguistischen Klarheit. Wir wollen hier keine Namen nennen,
aber einige scheinen dabei des Guten zu viel zu tun, wie zum
Beispiel diese neueren Philosophen, die sich den Kopf darüber
zerbrechen, welche Bedeutung Eigennamen haben könnten.
Bertrand Russell war der Auffassung, Namen seien nichts an-
deres als »abgekürzte Kennzeichnungen«. »Michael Jackson«
wäre zum Beispiel der stenographische Ausdruck für »Popsän-
ger mit rosa Haut und ungewöhnlicher Nasenkorrektur«.
Für den zeitgenössischen Philosophen mit dem Namen Saul
Kripke haben Namen hingegen gar keinen deskriptiven Wert.
Vielmehr seien sie »starre Bezeichnungsausdrücke« oder in ge-
wöhnlicher Sprache »Etiketten«. Ihr Bezug zu der von ihnen
bezeichneten Person oder Sache bestehe lediglich im geschicht-
lichen Zusammenhang der Überlieferung, durch die sie weiter-
gegeben wurden.

Mit dem Eintritt ins Showgeschäft änderte Myron Feldstein seinen


Namen in Frank Williamson. Zur Feier seines Erfolgs in einer Star-
rolle am Broadway gab er eine große Party in seiner Penthouse-
wohnung. Er lud auch seine Mutter ein, aber sie erschien nicht auf
der Party.
Am folgenden Morgen sah er seine Mutter in der Eingangshalle
172—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

sitzen. Erfragte sie, was sie hier mache und warum sie nicht zu sei-
ner Party gekommen sei.
»Ich habe deine Wohnung nicht gefunden«, sagte sie.
»Ja, warum hast du nicht den Portier gefragt?«
»Das war auch mein Gedanke«, sagte die Mutter, »aber ehrlich
gesagt, ich habe deinen Namen vergessen.«

Frank, oder wie seine Mutter sagen würde, Myron, hat den
Überlieferungszusammenhang von »Myron« unterbrochen.

QUIZFRAGE
Welche Theorie der Eigennamen (Russells oder Kripke)
liegt folgendem Witz zugrunde?
Ein junger Mann wurde nach einem Schiffbruch auf eine ein-
same Insel verschlagen. Eines Tages schwamm jemand auf
seine Insel zu, und wie sich herausstellte, war es niemand an-
deres als die Filmschauspielerin Halle Berry. Schon nach weni-
gen Stunden waren die beiden ein Paar. Leidenschaftliche Wo-
chen folgten. Dann sagte der junge Mann eines Tages: »Halle,
würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Was du willst«, antwortete die rassige Frau.
»Spitze. Würdest du dir die Haare ganz kurz schneiden, und
dürfte ich dich dann Ted nennen?«
»Oh, das klingt aber irgendwie schräg«, sagte Halle.
»Ach tu mir doch den Gefallen, bitte, bitte.«
»Na gut«, willigte Halle ein.
SPRACHPHILOSOPHIE «O— 173

Als die beiden am Abend Hand in Hand am Strand spazieren


gingen, wandte sich der junge Mann der Frau zu und sagte:
»Ted, du wirst nicht glauben, wen ich gerade bumse.«

Fuzzy-Philosophie
In der Linguistik und in der Computerwissenschaft wird heut-
zutage mit einem Konzept gearbeitet, das den trügerisch ba-
nalen Begriff der »Vagheit« trägt. Unter dem Begriff der Vagheit
verstehen zeitgenössische Philosophen, die sich Fuzzy-Logiker
nennen (ehrlich!), eine Qualität, die, statt eindeutig wahr oder
falsch zu sein, mit einem bestimmten Wahrheitswert auf einer
Skala von eins bis zehn umschrieben werden kann. »Der Mann
ist kahlköpfig« wäre eine Aussage, die auf beliebig viele Per-
sonen, angefangen von Michael Jordan bis Matt Lauer, zutref-
fen könnte. Im Hinblick auf Matt wäre die Aussage vielleicht
zu vage.
Einige Philosophen haben in der Vagheit einen durchgän-
gigen Defekt der natürlichen Sprachen, ganz gleich ob Schwe-
disch oder Suaheli, gesehen und für die Konstruktion einer
künstlichen Sprache nach dem Vorbild der Mathematik plä-
diert. So könnten alle Ungenauigkeiten der Sprache ausgemerzt
werden.
In der folgenden Geschichte verbindet der Museumswärter
die Ungenauigkeit der natürlichen Sprache mit der Präzision
der mathematischen Sprache. Das Ergebnis ist entsprechend:
174 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Im Naturkundemuseum steht eine Gruppe Touristen staunend vor


einem Dinosaurierskelett.
Ein Tourist fragt den Museumswärter: »Können Sie uns sagen,
wie alt diese Knochen sind?«
Der Wärter antwortet: »Die Knochen sind drei Millionen, vier
Jahre und sechs Monate alt.«
»Das ist aber eine exakte Angabe«, sagt der Tourist. »Woher wis-
sen Sie das Alter so genau?«
»Nun«, antwortet der Wärter, »die Dinosaurierknochen waren
drei Millionen Jahre alt, als ich diese Stelle angetreten habe, und das
war vor vier Jahren und sechs Monaten.«

William James charakterisierte einmal das Spektrum der Denk-


stile von »geschmeidig« bis »exakt«. Philosophen, die den
geschmeidigen Denkstil pflegen, behaupten, dass natürliche
Sprachen einen Vorzug vor der Mathematik haben. Sie geben
uns mehr Manövrierfreiheit.

In einem Altersheim rauscht eine achtzig Jahre alte Dame in den


Tagesraum für Männer. Eine Hand hält sie zur Faust geballt in die
Höhe und verkündet: »Wer von Ihnen errät, was ich hier in der
Hand halte, der darf mich heute die ganze Nacht Heben!«
Ein älterer Herr im Hintergrund ruft: »Einen Elefanten?«
Die Dame überlegt kurz und sagt: »Nicht ganz, aber fast!«

Auch auf Exaktheit bedachte Philosophen könnten bei dieser


Dame ein Auge zudrücken, freilich würden sie auf Zusammen-
hänge hinweisen, wo Exaktheit wichtig und die Vagheit der na-
SPRACHPHILOSOPHIE «O— 175

türlichen Sprachen verheerend ist. Mit einer künstlichen Spra-


che hätte die folgende Tragödie vielleicht verhindert werden
können:

Ein Mann in einer Notrufzentrale erhält den aufgeregten Anruf


eines Jägers: »Ich habe hier im Wald einen blutüberströmten Mann
entdeckt, ich glaube er ist tot. Was soll ich tun?«
Der Mann in der Zentrale antwortet mit ruhiger Stimme: »Das
kriegen wir schon hin. Halten Sie sich an meine Anweisungen. Also,
zuerst legen Sie Ihr Handy weg und verschaffen Sie sich Gewissheit,
ob der Mann auch wirklich tot ist.«
Die Leitung ist einen Augenblick still, dann ist ein Schuss zu hö-
ren. Darauf meldet sich der Jäger erneut: »Okay. Was mache ich als
Nächstes?«

VAGHEIT ALLERORTEN!
Eine wahre Begebenheit
Guy Goma saß in einem Wartezimmer der BBC und hielt
sich für ein Bewerbungsgespräch bereit für eine Anstel-
lung in der Abteilung Datenerfassung. Plötzlich kam ein
Fernsehproduzent in den Raum und fragte: »Sind Sie
etwa Guy Kewney!«
Mister Goma, ein gebürtiger Kongolese, war mit den Fein-
heiten der englischen Sprache noch nicht so vertraut und
antwortete: »Ja.«
Der Produzent führte ihn in ein Studio, wo der Moderator
176 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

einer live ausgestrahlten Nachrichtensendung einen Ex-


perten zum Thema Rechtsstreit zwischen dem Computer-
hersteller Apple und dem Aufnahmestudio Apple Corps
erwartete. »Hat Sie das heutige Urteil überrascht?«, fragte
der Moderator.
Nach einem Augenblick der Panik versuchte Mister Goma
das Beste aus der Situation zu machen. »Das Urteil hat
mich sehr überrascht, denn ich habe es nicht erwartet«,
sagte er.
»Also ein wirklich überraschendes Urteil«, sagte der Mo-
derator.
»Allerdings«, bestätigte Mr. Goma.
Dann fragte der Moderator, ob das Urteil mehr Menschen
dazu veranlassen werde, Musik aus dem Internet herun-
terzuladen, und Mr. Goma bestätigte auch hier, dass in
Zukunft immer mehr Menschen Musik herunterladen
würden.
Der Moderator schloss mit einem Wort des Dankes.

D I M I T R I : »Das klärt alles, worüber wir bisher geredet haben.«


T A S S O : »Inwiefern?«
D I M I T R I : »Was du >Philosophie< nennst, nenne ich einen
>Witz<.«
8
Sozial- und Staatsphilosophie
In der Sozial- und Staatsphilosophie geht es um Fragen der Gerechtig-
keit in der Gesellschaft. Warum brauchen wir staatliche Regierungen?
Wie sollen Güter verteilt werden? Wie können wir eine gerechte Ge-
sellschaftsordnung errichten? Solche Fragen wurden früher dadurch
entschieden, dass der Stärkere dem Schwächeren einen Knüppel auf
den Schädel drosch. Doch viele Jahrhunderte der Beschäftigung mit
Sozial- und Staatsphilosophie haben die Menschheit zu der Erkennt-
nis gebracht, dass Raketen viel effizienter sind als Knüppel.

Di M U R I : »Tasso, wir können über Philosophie diskutieren bis


wir schwarz werden, aber im Grunde erwarte ich vom Leben
bloß ein eigenes Häuschen, ein Schaf und dreimal am Tag
satt zu essen.«
(Tasso schubst Dimitri.)
D I M I T R I : »Was soll das?«
T A S S O : »Wer oder was hindert mich, dich - oder jeden ande-
ren - zu schubsen, wenn mir danach ist?«
D I M I T R I : »Die Wächter des Staates, wer denn sonst!«
T A S S O : »Und woher wissen die, was zu tun ist und weshalb?«
D I M I T R I : »Beim Zeus, wir philosophieren schon wieder.«
180 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Der Naturzustand
Die Staatsphilosophen des 17. und 18. Jahrhunderts wie Tho-
mas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau führten
den Anstoß zur Bildung einer staatlichen Lenkung auf die Un-
sicherheit zurück, als die Menschen noch im Naturzustand
lebten. Diese Denker sprachen nicht von den Gefahren des Le-
bens in freier Wildnis, sie sprachen vielmehr von der Gesetz-
losigkeit, also von den Risiken in Straßenverkehr, von Proble-
men mit lauten Nachbarn, von Frauenraub und dergleichen.
Wegen solcher Übelstände schlossen sich Männer und Frauen
zu souveränen Staaten zusammen. Die Einschränkung indivi-
dueller Freiheiten wurde im Austausch für die Vorteile des Le-
bens in staatlicher Gemeinschaft hingenommen.

Ein Wildkaninchen wurde gefangen und in ein Labor des staatli-


chen Gesundheitswesens gebracht. Gleich bei seiner Ankunft freun-
dete es sich mit einem Kaninchen an, das im Labor geboren und
aufgewachsen war.
Eines Abends bemerkte das Wildkaninchen, dass sein Käfig nicht
geschlossen war. Sogleich entschloss es sich zur Flucht in die Frei-
heit und lud das Laborkaninchen ein, sich ihm anzuschließen. Das
andere Kaninchen zögerte, da es noch nie draußen in der Freiheit
gewesen war, aber am Ende ließ es sich vom Wildkaninchen doch
überreden, den Versuch zu wagen.
Kaum waren sie draußen, da sagte das Wildkaninchen: »Jetzt
zeige ich dir erst einmal das drittbeste Feld« und nahm das Labor-
kaninchen zu einem riesigen Salatfeld mit.
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 181

Nachdem sie sich den Bauch mit Salat vollgeschlagen hatten,


sagte das Wildkaninchen: »Und jetzt zeige ich dir das zweitbeste
Feld« und nahm ihn zu seinem Karottenfeld mit.
Nachdem sie sich an den Karotten gütlich getan hatten, sagte
das Wildkaninchen: »Pass auf, jetzt zeige ich dir den besten Platz
überhaupt« und führte es zu einem Kaninchenbau, in dem es vor
wiligen Kaninchendamen nur so wimmelte. Es war wie im Para-
dies - die beiden rammelten die ganze Nacht hindurch.
Bei Morgenanbruch verkündete das Laborkaninchen, dass es
nun aber wieder zurück ins Labor wolle.
»Aber warum denn das?«, fragte das Wildkaninchen. »Ich habe
dir das Feld mit dem Salat, das Feld mit den Karotten und als Krö-
nung den Bau mit den scharfen Schätzchen gezeigt. Warum willst
du jetzt zurück ins Labor?«
Darauf sagte das Laborkaninchen: »Ich kann nicht anders. Ich
brauche unbedingt eine Zigarette!«

Das sind die Vorteile des Lebens in staatlicher Gemeinschaft.


In seiner Beschreibung des Menschenlebens ohne staatliche
Ordnung bezeichnete Hobbes das Leben des Menschen im Na-
turzustand bekanntlich als »einsam, kümmerlich, schmutzig,
roh und kurz«. Unseres Wissens nach war Hobbes kein Humo-
rist, obgleich Aufzählungen mit einem Schlenker am Schluss
an den Witz mit der Dame erinnern, die sich über das Essen in
ihrem Urlaubshotel mit den Worten beklagt, es sei »kalt, nicht
richtig gar, ekelhaft und die Portionen allemal zu klein«.
Ein Aspekt der Menschennatur, die Hobbes nicht voraus-
sah, war die Romantik eines naturwüchsigen Lebens, vor allem
182 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

heute, wo viele von uns wieder mit dem wilden Mann bzw. der
wilden Frau in uns in Verbindung treten wollen.

Trudy und Josephine hatten sich für eine Safari im australischen


Busch entschieden. Eines Nachts kam zu später Stunde ein Urein-
wohner im Lendenschurz in ihr Zelt gestürzt, riss Trudy von ihrem
Feldbett und verschleppte sie in die Wildnis, wo er »sein Gelüst an
ihr büßte«. Erst am nächsten Morgen wurde sie ganz erschöpft am
Fuß einer Palme gefunden. Man brachte sie sofort nach Sydney ins
Krankenhaus. Am darauffolgenden Tag kam Josephine zu Besuch
und fand ihre Freundin in trübseliger Stimmung.
Josephine: »Du musst dich ganz schrecklich fühlen.«
Trudy: »Das kannst du laut sagen! Vierundzwanzig Stunden ist
es jetzt her und keine Karte, keine Blumen - nicht einmal angeru-
fen hat er!«

Macht geht vor Recht


Niccolö Machiavelli, ein Mann des 16. Jahrhunderts und Ver-
fasser des Werks »Der Fürst«, gilt als Vater der neuzeitlichen
Staatskunst, weil er den Renaissancefürsten den Rat gab, sich
über die gängigen Tugendideale hinwegzusetzen und »das Böse
zu tun, wenn es sich als notwendig erweist«. Für ihn gab es
keine höhere Autorität als den Staat, deshalb war sein Rat an
die Fürsten - nun ja, machiavellistisch. Er gab schlankweg zu,
er halte nur das für Tugend, was das politische Überleben des
Fürsten sichere. Obwohl es für den Fürsten besser ist, gefürch-
tet als geliebt zu werden, sollte er es doch vermeiden, gehasst
S O Z I A L -U N DS T A A T S P H I L O S O P H I E< 0 — 183

zu werden, denn das könnte seine Machtposition gefährden.


Am Bestem sei es, rücksichtslos nach Macht zu streben und
doch als aufrecht zu gelten. Nämlich:

Eine Frau verklagt einen Mann wegen Beleidigung er soll sie eine
Sau genannt haben. Der Mann wird für schuldig befunden und zu
einer Geldstrafe verurteilt. Nach der Gerichtsverhandlung fragt er
den Richter: »Heißt das nun, dass ich Ms. Harding nicht mehr mit
dem Ausdruck Sau belegen darf?«
»So ist es«, bestätigt der Richter.
»Heißt das auch, dass ich eine Sau nicht Ms. Harding nennen
darf?«
»Nein«, sagt der Richter. »Es steht Ihnen frei, eine Sau Ms. Har-
ding zu nennen. Daran ist nichts Strafbares.«
Daraufhin schaut der Mann Ms. Harding in die Augen und sagt:
»Guten Tag, Ms. Harding.«

Witze sind ein Beleg dafür, dass uns alle machiavellistische


Hinterlist reizt, zumal wenn wir sicher sind, nicht erwischt zu
werden.

Ein Mann gewinnt 100000 Dollar beim Glücksspiel in Las Vegas,


und da er nicht will, dass andere davon erfahren, nimmt er das
Geld mit nach Hause und vergräbt es im Garten hinter seinem
Haus. Am nächsten Morgen geht er nachschauen. Er findet statt
des Geldes nur ein Loch an der Stelle, sieht aber Fußspuren, die zum
Nachbarhaus führen, wo ein Taubstummer wohnt. Der Mann fragt
einen Professor, der in derselben Straße wohnt und die Taubstum-
184 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

mensprache beherrscht, ob er ihm bei der Verständigung mit dem


Nachbarn helfen könne. Dann steckt er seinen Revolver ein und
geht zusammen mit dem Professor zum Haus des Nachbarn. Er
klopft, und als der Nachbar aufmacht, fuchtelt der Mann mit dem
Revolver herum und sagt zu dem Professor: »Sagen Sie dem Kerl,
dass ich ihn auf der Stelle umlege, wenn er mir nicht meine 7 00000
Dollar zurückgibt.«
Der Professor übermittelt die Drohung des Mannes, worauf der
Nachbar zugibt, er habe das Geld in seinem eigenen Garten unter
dem Kirschbaum vergraben.
Darauf wendet sich der Professor an den Mann und sagt: »Ihr
Nachbar sagt, er will lieber sterben.«

Wie zu vermuten, war Machiavelli ein Befürworter der Todes-


strafe, weil es im Interesse des Fürsten lag, als streng und nicht
als barmherzig zu gelten. Mit anderen Worten er stimmte mit
dem Zyniker überein, der sagte: »Todesstrafe bedeutet, niemals
sagen zu müssen: >Schon wieder Sie?<«
Ganz gleich wie rechtschaffen wir uns nach außen geben -
oder es in Gedanken sogar sind -, tief in unserem Herzen, so
glaubte Machiavelli, seien wir alle machiavellistisch.

Mrs. Parker wird dazu aufgefordert, als Geschworene an einem Ge-


richtsverfahren teilzunehmen, lehnt aber mit der Begründung ab,
dass sie nicht an die Legitimität der Todesstrafe glaube. Der Pflicht-
verteidiger versetzt daraufhin: »Aber, Madam, das ist doch kein
Mordprozess, sondern eine Zivilsache. Es geht um eine Frau, die ih-
ren Exmann wegen 25 000 Dollar verklagt, die er verspielt hat, statt
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 185

sie, wie er an ihrem Geburtstag versprochen hat, zur Renovierung


des Bades zu verwenden.«
»Wenn es so ist, dann bin ich dabei«, sagt Mrs. Parker. »Und ich
glaube, ich muss meine Meinung zur Todesstrafe revidieren.«

Doch halt. Könnte es sein, dass wir selbst auf einen Scherz
hereingefallen sind? Einige Historiker meinen nämlich,
Machiavelli habe uns auf den Arm genommen, indem
er vorgab, das Böse zu empfehlen, obwohl er tatsächlich
für die traditionellen Tugenden eintrat. Hat Machiavelli
am Ende nur eine Satire über den Despotismus geschrie-
ben? In seinem Essay »The Prince: Political Science or
Political Satire?« vertritt der Historiker Garrett Mattingly
die These, Machiavelli sei zu Unrecht in Verruf geraten.
Die Behauptung, dieses schmale Buch [Der Fürst] sei als
ernsthafte wissenschaftliche Abhandlung über die Staats-
kunst gedacht, steht im Widerspruch zu allem, was wir
über Machiavellis Leben, über seine sonstigen Schriften
und über die Geschichte seiner Zeit wissen.«
Anders gesagt, Mattingly meint, Machiavelli sei ein Schaf
im Wölfspelz gewesen.
186 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Feminismus
Die folgende Scherzfrage hat jahrzehntelang Menschen ins
Grübeln gebracht:

Ein Mann muss mit anschauen, wie sein Sohn mit dem Fahrrad ver-
unglückt. Er hebt den Jungen von der Straße auf und legt ihn auf die
Rückbank seines Autos. Dann rast er mit ihm in die nächste Not-
aufnahme. Als der Junge in den OP geschoben wird, ruft eine weiß-
bekittelte Gestalt aus: »Um Gottes willen, das ist ja mein Sohn!«
Wie ist das möglich?

Gong! Im weißen Kittel steckt seine Mutter.


Heute würde nicht einmal US-Talkmaster Rush Limbaugh
darüber rätseln. Die Zahl der Ärztinnen in Amerika nähert sich
rasch der Zahl der Ärzte. Und das ist eine Folge des Drucks,
der von der feministischen Philosophie des späten 20. Jahrhun-
derts ausgegangen ist.
es©
Bei einer Hörer-Umfrage der BBC nach den größten Phi-
losophen der Weltgeschichte schaffte es nicht eine einzige
Philosophin unter die ersten zwanzig zu kommen. (Auf
Platz eins landete Karl Marx.) Das brachte weibliche In-
tellektuelle rund um den Globus in Harnisch. Wo blieb
Hypatia, die griechische Philosophin des Neuplatonismus?
Oder die mittelalterliche Gelehrte Hildegard von Bingen.
Warum wird Heloise, die Philosophin des 12. Jahrhun-
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 187

derts und Geliebte Abälards, der von ihr mindestens ge-


nau soviel lernte wie sie von ihm, ausgeschlossen, wäh-
rend Abälard Stimmen einheimst (obwohl auch er es nicht
unter die ersten zwanzig schafft)? Und Mary Astell, eine
Vorläuferin des Feminismus im 17. Jahrhundert? Und
wo bleiben die Denkerinnen der Gegenwart wie Hannah
Arendt, Iris Murdoch und Ayn Rand?
Ist die akademische Welt hoffnungslos chauvinistisch, so
dass auch die Gebildeten nichts von den genannten Philo-
sophinnen wissen? Oder lag es an ihren chauvinistischen
Zeitgenossen, die diese Frauen zu ihren Lebzeiten einfach
nicht ernst nahmen?

Den Anbeginn der eigentlich feministischen Philosophie mar-


kiert Mary Wollstonecraft mit ihrem bahnbrechenden Werk
A Vindication of the Rights ofWomen. Darin greift sie keinen Ge-
ringeren als Jean-Jacques Rousseau an, der eine mindere Bil-
dung für Frauen befürwortete.
Im 20. Jahrhundert bekam der Feminismus eine existenzi-
alistische Neudeutung in Simone de Beauvoirs Werk »Das an-
dere Geschlecht«. Die Autorin (und Geliebte Jean-Paul Sartres)
behauptet, dass es so etwas wie das Wesen des Weiblichen gar
nicht gebe, letzteres sei nur eine Zwangsjacke, die den Frauen
von den Männern verordnet worden sei. Frauen seien aufgeru-
fen, ihr eigenes Bild von der Frau zu erschaffen.
Aber wie dehnbar ist der Begriff der Weiblichkeit? Hat der
Fortpflanzungsapparat, mit dem wir geboren werden, nichts mit
188 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

der geschlechtlichen Identität zu tun? Einige Feministinnen im


Gefolge von Simone de Beauvoir sind dieser Ansicht. Sie meinen,
wir alle seien in sexueller Hinsicht zuerst einmal unbeschrie-
bene Blätter; unsere sexuelle Identität würden wir erst durch
die Gesellschaft und durch unsere Eltern ausbilden. Heutzutage
wird die sexuelle Identitätsfindung auch immer schwieriger.

Zwei Schwule stehen an einer Straßenecke, als eine prachtvolle


Blondine im engen, tief ausgeschnittenen Chiffonkleid an ihnen vo-
rüberspaziert.
Sagt der eine zum anderen: »Manchmal wäre ich am liebsten
lesbisch!«

Sind traditionelle Geschlechtsrollen nur soziale Konstrukti-


onen, die von Männern erfunden wurden, um Frauen in Bot-
mäßigkeit zu halten? Oder sind diese Rollen biologisch be-
stimmt? Die Frage beschäftigt Philosophen und Psychologen
gleichermaßen. Manche Meisterdenker sind entschiedene Ver-
fechter der biologisch bedingten Unterschiede. Wenn zum Bei-
spiel Freud behauptet: »Anatomie ist Schicksal«, verwendet er
ein teleologisches Argument zur Begründung der Aussage, dass
die Beschaffenheit des weiblichen Körpers die Rolle der Frau in
der Gesellschaft festschreibt. Freilich bleibt unklar, an welches
anatomische Merkmal er dachte, als er folgerte, dass Frauen
immer die Wäsche bügeln sollen. Oder man denke an Dave
Barry, einen anderen Verfechter des biologischen Determinis-
mus. Dieser hat darauf hingewiesen, dass eine Frau, vor die
Wahl gestellt, einen Baseball zu fangen oder ein Kind zu ret-
S O Z I A L -U N DS T A A T S P H I L O S O P H I E< 0 — 189

ten, sich immer für die Kindesrettung entscheiden würde, ohne


auch nur zu schauen, ob ein Läufer auf Base steht. (Ein auf Base
stehender Läufer darf so lange spurten, bis der Fänger den Ball
wieder unter Kontrolle hat. A. d.Ü.)
Männerseitig stellt sich die Frage, ob auch Männer biolo-
gisch determiniert sind. Neigen Männer als Folge ihrer ana-
tomischen Beschaffenheit zu eher primitiven Kriterien bei der
Wahl der Ehepartnerin?

Ein Mann hat ein Verhältnis mit drei Frauen und kann sich nicht
entscheiden, welche er heiraten soll. Er gibt jeder 5000 Dollar und
beobachtet, was sie mit dem Geld anfangen.
Die erste verjubelt das Geld munter. Sie geht in einen Schönheits-
salon, lässt sich die Haare und die Fingernägel richten und ein tolles
Make-up auflegen. Dann kauft sie sich diverse neue Kleider. Sie sagt
ihm anschließend, sie habe das nur getan, um attraktiver für ihn zu
sein, weil sie ihn so sehr liebe.
Die zweite kauft dem Mann mehrere Geschenke. Er bekommt
von ihr ein paar neue Golfschläger, ein Accessoire für seinen Com-
puter und ein paar teure Kleidungsstücke. Sie sagt, das ganze Geld
nur für ihn ausgegeben zu haben, weil sie ihn so sehr liebe.
Die dritte investiert das Geld am Aktienmarkt. Sie erzielt ein
Mehrfaches der ursprünglichen Summe. Sie gibt ihm die 5000 Dol-
lar zurück und legt das übrige Geld auf ein gemeinsames Konto. Sie
sagt ihm, sie investiere in eine gemeinsame Zukunft, weil sie ihn so
sehr liebe.
Für welche Frau wird sich der Mann entscheiden?
Antwort: Für die mit den größten Möpsen.
190 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

C30
QUIZFRAGE
Ist das ein anti-feministischer Witz oder ein anti-chauvi-
nistischer Witz? Diskutieren Sie darüber mit ihren Freun-
den und Freundinnen.

Hier ein weiterer Beitrag für einen wesentlichen Unterschied


zwischen Männern und Frauen. Wesentlich muss er sein, denn
der erste Mensch war frei von gesellschaftlichen Zwängen, und
seine spontane Wahl spricht für eine angeborene Disposition.

Gott erscheint Adam und Eva im Paradiesgarten und eröffnet ihnen,


dass er für sie beide jeweils eine Gabe habe. Er sähe es gern, wenn
sie sich untereinander einigen könnten, wer welche erhält. »Die erste
Gabe«, sagt er, »besteht in der Fähigkeit, im Stehen zu pinkeln.«
Spontan meldet sich Adam: »Im Stehen pinkeln? Klingt irre. Das
will ich können.«
»Gut, Adam«, sagt Gott, »das gehört von nun an zu deinen Fä-
higkeiten. Und du, Eva, bekommst die andere - den mehrfachen
Orgasmus.«

Die sozialen und politischen Folgen des Feminismus sind kaum


zu überblicken: Mitbestimmungsrechte, Gesetze zum Schutz
vor Vergewaltigung, bessere Behandlung am Arbeitsplatz und
gerechte Bezahlung. In letzter Zeit haben Männer zum Gegen-
schlag gegen den Feminismus ausgeholt. Daraus ist das Phäno-
men des politisch inkorrekten Witzes entstanden.
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 191

Einen Witz, der sich über Feminismus lustig macht, poli-


tisch inkorrekt zu nennen, fügt ihm eine Nuance hinzu. »Mir
ist klar, dass dieser Witz gegen die herrschende liberale Welt-
sicht verstößt, aber darf man sich denn keinen Spaß mehr er-
lauben?« - wer einen Witz so einführt, pocht auf das Recht auf
Respektlosigkeit. Das kann dem Witz noch mehr Pfeffer geben,
aber auch die Gefahr für den Possenreißer erhöhen, wie am fol-
genden Witz deutlich wird.

Bei einem Atlantikflug gerät die Maschine in einen schweren Sturm.


Die Turbulenzen sind heftig und die Lage spitzt sich zu, als eine
Tragfläche vom Blitz getroffen wird.
Eine Frau ist mit den Nerven am Ende. Sie stellt sich vor die Pas-
sagiere und jammert: »Ich bin noch zu jung zum Sterben!« Dann
erklärt sie mit schriller Stimme: »Wenn ich schon sterben muss,
dann sollen meine letzten Minuten auf dieser Welt denkwürdig
sein! Bis jetzt hat mich noch keiner dazu gebracht, mich wirklich
wie eine Frau zu fühlen. Ja, das ist mein letzter Wunsch. Ist irgend-
jemand an Bord, der mir das Gefühl geben kann, wirklich eine Frau
zu sein?«
Einen Augenblick lang herrscht Stille. Jeder hat die eigenen Sor-
gen vergessen, und alle starren auf die verzweifelte Frau vorn im
Flugzeug. Dann erhebt sich in den hinteren Reihen ein Mann: ein
gebräunter Hüne mit tiefschwarzem Haar. Er kommt langsam den
Mittelgang herauf, knöpft sich dabei das Hemd auf und sagt: »Ich
kann Ihnen das Gefühl verschaffen, wirklich eine Frau zu sein.«
Atemlose Stille ringsum. Die Frau wird immer erregter, je mehr
sich der Mann ihr nähert. Er zieht sein Hemd aus, ein muskelbe-
192 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

packter Oberkörper kommt zum Vorschein. Er streckt den Arm aus


und reicht der bebenden Frau das Hemd mit den Worten: »Bügeln
Sie das.«

Als Antwort auf die Welle der politisch inkorrekten Witze kam
eine neue Generation von Witzen, die wie ein typischer chau-
vinistischer Witz alter Art beginnen, dann aber mit einer Volte
am Schluss der Frau den Sieg bescheren.

Zwei Casinoangestellte warten gelangweilt am Spieltisch auf Kund-


schaft. Da kommt eine sehr attraktive Blondine an ihren Tisch und
kündigt an, 20 000 Dollar auf einen einzigen Wurf der beiden Wür-
fel zu setzen. »Ich hoffe, die Herren haben nichts dagegen, wenn
ich mich ausziehe, ich habe nackt immer mehr Glück.« Daraufhin
entledigt sie sich Ihrer Kleidung schüttelt die Würfel und ruft dabei:
»Na los, ihr lieben Kleinen, Mama braucht neue Klamotten!« Kaum
sind die Würfel gefallen, hüpft sie wild herum und schreit: »Hurrah,
ich habe gewonnen!« Sie umarmt nacheinander beide Angestellten,
rafft den Gewinn ein, schnappt sich ihre Kleider und rauscht davon.
Die beiden Männer schauen sich verdattert an. Schließlich fragt
der eine: »Was hat sie eigentlich gewürfelt?« Darauf der andere:
»Keine Ahnung. Ich dachte, du passt auf.«

Moral: Nicht alle Blondinen sind dumm, aber alle Männer sind
Männer.
Hier ein weiteres Beispiel für das neofeministische Genre:
S O Z I A L -U N DS T A A T S P H I L O S O P H I E< 0 — 193

Eine Blondine und ein Rechtsanwalt sitzen nebeneinander im Flug-


zeug. Der Anwalt möchte unbedingt ein Quiz mit ihr spielen, bei
dem es darum geht, wer die bessere Allgemeinbildung hat. Schließ-
lich bietet er ihr eine 70:7 Chance an. Immer wenn sie die Antwort
auf seine Frage nicht weiß, soll sie ihm fünf Dollar zahlen. Umge-
kehrt, wenn er ihre Frage nicht beantworten könne, werde er ihr
fünfzig Dollar zahlen.
Sie willigt ein, und erfragt sie: »Wie groß ist die Entfernung von
der Erde zum nächsten Stern?«
Sie sagt nichts, sondern reicht ihm nur einen Fünfdollarschein.
Dann fragt sie ihn: »Was geht mit drei Beinen auf einen Berg und
kommt mit vier Beinen wieder herunter?«
Er denkt lange nach, muss aber schließlich zugeben, dass ihm auf
diese Frage keine Antwort einfällt.
Er gibt ihr fünfzig Dollar.
Die Blondine steckt das Geld wortlos in ihre Handtasche.
Darauf der Anwalt: »Augenblick, wie lautet die Antwort auf Ihre
Frage?«
Wortlos reicht sie ihm fünf Dollar.

Wirtschaftsphilosphie
Gleich im ersten Satz seines klassischen Werks über Theoreti-
ker der Wirtschaft The Worldly Philosophers gibt der Verfasser
Robert Heilbroner zu, dieses Buch handele von ein paar Män-
nern mit einem merkwürdigen Anspruch auf Ruhm. In der Tat,
sogar die Nationalökonomie hat ihre Philosophen.
194—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Der schottische Wirtschaftsphilosoph Adam Smith schrieb


sein bahnbrechendes Werk »Untersuchung über die Natur und
die Ursachen des Nationalreichtums« im selben Jahr, in dem
Amerika seine Unabhängigkeit erklärte. Mit diesem Werk lie-
ferte er die Blaupause für den kapitalistischen Freihandel.
Nach Smith gehört es zu den Stärken des Kapitalismus, die
wirtschaftliche Kreativität zu fördern. Offenbar schärft Eigen-
nutz - ebenso wie die Aussicht, gehängt zu werden - den Ver-
stand.

Ein Mann kommt in eine Bank und sagt, er wolle ein Darlehen von
200 Dollar für eine Laufzeit von sechs Monaten. Der Bankange-
stelltefragt ihn nach einer Sicherheit.
Der Mann sagt: »Ich habe einen Rolls Royce. Er steht im Park-
haus Ihrer Bank. Hier ist der Zündschlüssel. Behalten Sie ihn, bis das
Darlehen zurückgezahlt ist.«
Nach sechs Monaten kommt der Mann wieder in die Bank, be-
zahlt die 200 Dollar plus 70 Dollar Zinsen und nimmt die Schlüssel
für seinen Rolls in Empfang.
Der Angestellte kann sich eine Nachfrage nicht verkneifen. »Darf
ich fragen, warum ein Mann, der einen Rolls Royce besitzt, ein Dar-
lehen über 200 Dollar braucht?«
Darauf antwortet der Mann: »Ich musste für ein halbes Jahr
nach Europa, und wo sonst hätte ich meinen Rolls für zehn Dollar
so lange parken können?«
Ja, meine Süße, Mama muss ihre Hände pflegen, falls sie doch mal
wieder als Gehirnchirurgin arbeitet.
196—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Gemäß kapitalistischer Theorie regeln die »Gesetze des Mark-


tes« die Wirtschaft. Eine gute Bestandskontrolle kann zum Bei-
spiel einen Wettbewerbsvorteil bringen.

Interviewer: »Sie haben im Lauf Ihres Lebens ein beträchtliches Ver-


mögen angesammelt. Wie haben Sie Ihr Geld gemacht?«
Millionär: »Ich bin allein durch den Handel mit Brieftauben zu
Geld gekommen.«
Interviewer: »Brieftauben! Tatsächlich? Wie viele haben Sie denn
verkauft?«
Millionär: »Ich habe nur eine verkauft, aber die ist immer wieder
zurückgekommen.«

Mit der Entfaltung des Kapitalismus musste auch die ökono-


mische Theorie Schritt halten. Neuerungen auf dem Markt ha-
ben das Wirtschaftsleben in einer Weise kompliziert gemacht,
wie das Adam Smith und die klassischen Autoren der National-
ökonomie nicht vorausgesehen haben. Bei einer Krankenversi-
cherung ist es zum Beispiel im Interesse des Versicherten, nicht
nur Leistungen, die dem eingezahlten Geldwert entsprechen,
in Anspruch zu nehmen. Termingeschäfte mit Schweinebauch-
Futures sind etwas anderes, als ein Mastschwein zu kaufen.
Eine dieser Neuerungen, die die traditionellen Marktgesetze
aushebeln, ist die Verlosung:

Jean-Paul, ein Gajun, zieht nach Texas um und kauft dort von einem
alten Farmer einen Esel zum Preis von 100 Dollar. Der Farmer ist be-
reit, den Esel am nächsten Tag zu liefern.
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 197

Am nächsten Tag fährt der Farmer auch tatsächlich vor, verkün-


det aber: »Ich habe leider eine traurige Mitteilung zu machen. Der
Esel ist gestorben.«
»Gut, dann geben Sie mir einfach mein Geld zurück.«
»Geht leider nicht. Das habe ich schon ausgegeben.«
»Na, dann laden Sie eben den Esel ab.«
»Was wollen Sie denn mit dem?«
»Ich werde ihn verlosen.«
»Sie können doch nicht einen toten Esel verlosen!«
»Aber selbstverständlich. Ich sage bloß niemandem, dass er
schon tot ist.«
Einen Monat später begegnet der Farmer zufällig dem Cajun
und fragt: »Wie ging es denn mit dem toten Esel?«
»Ich habe ihn verlost. Ich habe 5 0 0 Lose zu 2 Dollar verkauft und
einen Gewinn von 898 Dollar gemacht.«
»Hat sich denn niemand beschwert?«
»Nur der Typ, der das Gewinnlos gezogen hat. Ich habe ihm
seine zwei Dollar zurückgegeben.«

Die traditionellen Nationalökonomen vernachlässigten auch


das, was wir heute »versteckte Wertschöpfung« nennen - zum
Beispiel die unbezahlte Arbeit, die nicht berufstätige Mütter im
Haushalt leisten. Der folgende Witz illustriert den Begriff des
»versteckten Wertes«:

Einem berühmten Kunstsammler fällt bei einem Spaziergang durch


die Stadt eine struppige Katze auf, die vor einem Ladeneingang
Milch von einer Untertasse leckt. Er schaut zweimal hin und er-
198—-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

kennt, dass die Untertasse ein sehr altes, kostbares Stück ist. Da-
raufhin betritt er lässig den Laden und macht das Angebot, die
Katze für zwei Dollar zu kaufen.
Der Ladenbesitzer antwortet: »Tut mir leid, aber die Katze ver-
kaufe ich nicht.«
Der Kunstsammler macht darauf ein neues Angebot. »Bitte, ich
brauche eine hungrige Katze, die mir die Mäuse im Haus fängt. Ich
biete Ihnen zwanzig Dollar für die Katze.«
Der Ladenbesitzer willigt ein. »Abgemacht. Hier haben Sie die
Katze.«
Der Kunstsammler ist damit noch nicht fertig. »Also für die
zwanzig Dollar könnten Sie mir ruhig auch die alte Untertasse über-
lassen. Die Katze ist an sie gewöhnt, und mir würde es die Mühe
ersparen, eine Schüssel zu besorgen.«
Der Ladenbesitzer sagt: »Das geht nicht, mein Herr. Die Un-
tertasse ist nämlich mein Glücksbringer. Bis heute habe ich schon
achtunddreißig Katzen verkauft.«

Zu seiner Ehrenrettung muss man sagen, dass Adam Smith


durchaus auch einige Tücken des entfesselten Kapitalismus vo-
rausgesehen hat, zum Beispiel die Monopolbildung. Aber erst
Karl Marx entwickelte im 19. Jahrhundert eine Wirtschaftsthe-
orie, die die ungleiche Verteilung der Güter im Kapitalismus
einer grundlegenden Kritik unterzog. Wenn erst einmal die Re-
volution und damit die Diktatur des Proletariats gekommen ist,
so Marx, dann wird die Ungleichheit zwischen Reichen und
Armen, die Eigentum und Kredit, ja eigentlich alles betrifft, ein
Ende haben.
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 199

Kürzlich waren wir in Kuba, um nicht für den Verkauf in


Amerika zugelassene Zigarillos zu kaufen. Bei einem Besuch in
einem Kabarett in Havanna haben wir diesen Sketch gehört:

José: »Die Welt ist doch verrückt! Die Reichen, die bar bezahlen
könnten, zahlen mit Kreditkarten. Die Armen, die keinen Cent in der
Tasche haben, müssen bar bezahlen. Müsste das nach Marx nicht
genau anders herum sein? Die Armen sollten das Recht haben, auf
Kredit zu kaufen, und die Reichen sollten bar zahlen.«
Manuel: »Aber dann würden die Ladenbesitzer, die den Armen
Kredit gewähren, ja bald selbst arm werden.«
José: »Umso besser! Dann könnten sie auch auf Kredit kaufen!«

Nach Marx kommt es mit der Diktatur des Proletariats auch


zum allmählichen »Absterben des Staates«. Und Karl Marx hat
immer noch den üblen Ruf eines radikalen Anarchisten.

QUIZFRAGE
Welcher Marx ist der größere Anarchist? Karl, der pro-
phezeit hat: »Es ist unvermeidlich, dass die unterdrückte
Klasse sich erhebt und ihre Ketten abwirft.« Oder Grou-
cho mit seiner Behauptung: »Außer einem Hund ist ein
Buch der beste Freund des Menschen. In einem Hund ist
es zu dunkel zum Lesen.«
2 0 0— - < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Vielleicht fragen Sie sich, worin denn nun der Unterschied


zwischen Kapitalismus und Kommunismus besteht. Vielleicht
auch nicht. Auf jeden Fall ist die Antwort wirklich einfach. Im
Kapitalismus beutet der Mensch seinen Mitmenschen aus. Im
Kommunismus verhält es sich genau umgekehrt.
Dieses Problem hat zu einem Kompromiss zwischen beiden
Systemen geführt, der unter dem Namen Sozialdemokratie be-
kannt ist. Er besteht darin, dass allen, die nicht arbeiten kön-
nen, Vergünstigungen gewährt werden und dass Gesetze die
Tarifautonomie schützen. Dieser Kompromiss ist der Grund
dafür, dass sich manche Linke merkwürdige Bettgenossen su-
chen.

Ein Gewerkschafter ist zu einem Kongress nach Paris gereist und


geht dort in ein Bordell. Dort fragt er die Chefin: »Ist das ein gewerk-
schaftseigenes Haus?«
»Nein«, lautet die Antwort.
»Wie viel verdienen die Mädchen denn?«, fragt der Gewerk-
schafter weiter.
»Der Kunde zahlt 100 Dollar, davon bekommt das Haus 80 Dol-
lar und für das Mädchen bleiben 20 Dollar.«
»Das ist ja schlimme Ausbeutung«, empört sich der Mann und
verlässt umgehend das Bordell.
Nach langer Suche findet er ein Bordell, das laut Auskunft der
Chefin ein gewerkschaftseigenes Haus ist. »Wenn ich Ihnen 100 Dol-
lar zahle, wie viel bekommt dann das Mädchen?«, fragt er.
»Sie bekommt 80 Dollar.«
»Das ist fair!«, sagt er. »Dann nehme ich Colette.«
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 201

»Das kann ich verstehen«, sagt die Chefin, »aber Thérèse arbei-
tet schon viel länger hier. Sie hat Priorität.«

In der Wirtschaftstheorie besteht die Tendenz zu dem Trug-


schluss, dort Unterschiede zu machen, wo gar keine sind. Be-
steht zum Beispiel ein grundlegender Unterschied zwischen
Vergünstigungen für die Armen und Steuersenkungen für die
Reichen?
Im folgenden Witz macht Mr. Fenwood einen wirtschaft-
lichen Unterschied, wo keiner ist.

Mr. Fenwood hat eine Kuh, aber keine Weidefläche. Er geht zu sei-
nem Nachbarn Mr. Potter und bietet ihm zwanzig Dollar monatlich
dafür, dass die Kuh auf Potters Weide bleiben darf. Potter ist einver-
standen. Monate vergehen, die Kuh bleibt auf Mr. Potters Weide,
ohne dass Mr. Fenwood auch nur einen Dollar an Mr. Potter ge-
zahlt hätte. Am Ende besucht Mr. Potter seinen Nachbarn Mr. Fen-
wood und sagt: »Ich weiß, dass Sie finanziell zu kämpfen haben. Ich
schlage Ihnen daher einen Handel vor. Die Kuh ist jetzt zehn Mo-
nate lang auf meiner Weide, also schulden Sie mir 200 Dollar. Das
dürfte der Betrag sein, den die Kuh wert ist. Wie wäre es, ich behalte
sie ganz, und wir sind quitt?«
Fenwood denkt eine Weile nach und sagt dann: »Behalten Sie sie
noch einen Monat auf der Weide, dann schlage ich ein!«
202 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Rechtsphilosophie
In der Rechtsphilosophie wird prinzipiellen Fragen wie »Wel-
chen Zweck haben eigentlich Gesetze?« nachgegangen.
Hierzu sind verschiedene grundlegende Theorien entwickelt
worden. Nach der »Tugendethik«, einem Ableger der Ethik des
Aristoteles, sollen Gesetze die Herausbildung eines tugend-
haften Charakters fördern. Verfechter der Tugendethik könnten
vorbringen, dass der Zweck eines Gesetzes zum Schutz der öf-
fentlichen Sitten (Verbot des Urinierens in der Öffentlichkeit)
darin bestehe, auf einen höheren sittlichen Maßstab in allen
gesellschaftlichen Gruppen, vor allem aber unter den wilden
Pinklern, zu drängen (freilich könnten Letztgenannte darin an-
derer Meinung sein.)
Nach der Pflichtethik, die von Immanuel Kant entwickelt
wurde, besteht der Zweck der Gesetze darin, moralische Pflich-
ten zu definieren. Für die Pflichtethiker betont ein Verbot des
öffentlichen Urinierens die Pflicht jedes einzelnen Bürgers, auf
die Empfindlichkeiten seiner Mitmenschen Rücksicht zu neh-
men.
Jeremy Bentham, ein utilitaristischer Denker des 19. Jahr-
hunderts, war der Meinung, der Zweck der Gesetze bestehe
darin, »das größte Glück für die größte Zahl« zu erreichen. Uti-
litaristen könnten argumentieren, ein Verbot des öffentlichen
Urinierens bringe mehr positive Folgen für die Mehrheit der
Bevölkerung als negative Folgen für die kleine Schar der wilden
Pinkler, die sich eben in ihren angestammten Gewohnheiten
einschränken müssten.
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 203

Doch wie immer in der Philosophie müssen sich Denker


die Frage des gemeinen Mannes gefallen lassen, ob denn in
der Praxis, sagen wir an einem beliebigen Feld-, Wald- und
Wiesengericht, überhaupt ein Unterschied bestehe zwischen
all diesen hochgestochenen Theorien. Mit allen drei Theorien
könnte man nicht nur das Verbot des öffentlichen Urinierens,
sondern auch viele existierende rechtliche Grundsätze rechtfer-
tigen, etwa die Auffassung, dass die Verhängung einer Strafe für
ein Verbrechen die Wage der Justitia wieder ins Gleichgewicht
bringe. Die Rechtfertigung der Strafe kann von allen drei Stand-
punkten erfolgen: der Tugendethiker sieht darin eine erziehe-
rische Maßnahme, der Pflichtethiker legt Wert auf die Verurtei-
lung von Verstößen gegen die Bürgerpflicht, und der Utilitarist
betont die Abschreckung, um künftige negative Folgen zu ver-
meiden.
Ein praktisch veranlagter Mensch könnte fragen: »Wenn ihr
euch über das Ergebnis einig seid, wozu dann noch darüber
diskutieren, warum Strafen zu verhängen sind?« Die einzig
praktische Frage ist vielmehr, wie man zu einer Entsprechung
zwischen einer strafbaren Tat - zum Beispiel der Beleidigung
eines Richters - und einer Strafe - zwanzig Dollar Bußgeld -
kommt. Wie passt das im folgenden Witz zusammen?

Ein Mann wartet im Verkehrsgericht den ganzen Tag lang auf die
Verhandlung seines Falls. Als er endlich an die Reihe kommt, teilt
ihm der Richter lediglich mit, dass der Gerichtstag zu Ende sei und
er morgen wiederkommen solle. Empört bellt ihn der Mann an:
»Was soll das, verdammt noch mal.«
2 0 4— - < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

Der Richter bleibt die Antwort nicht schuldig: »Zwanzig Dollar


Buße wegen Missachtung des Gerichts!«
Der Mann greift nach seiner Brieftasche. Der Richter weist ihn
daraufhin, dass er nicht sofort zahlen muss.
Darauf der Mann: »Ich schaue nur nach, ob ich noch genug Geld
für eine weitere Beleidigung habe.«

Ein weiteres bekanntes Rechtsprinzip ist die mangelnde Be-


weiskraft von Indizien. Auch hier sind sich die Vertreter aller
drei Rechtsschulen einig. Ein Tugendethiker wird sagen, dass
ein hohes Maß an Fairness im Gerichtssaal vorbildlich für die
Bürger im Land ist. Der Pflichtethiker kann argumentieren,
dass ein Urteil allein aufgrund von Indizien, gegen die allge-
meine Pflicht verstoße, dem Mitmenschen mit größter Achtung
zu begegnen. Der Utilitarist schließlich mag zu Bedenken ge-
ben, dass Indizienprozesse die unerwünschte Folge haben kön-
nen, einen Unschuldigen hinter Gitter zu bringen.
Auch hier wird ein praktischer Mensch fragen: »Was zum
Kuckuck bringt uns die Frage, warum wir mit Indizienbe-
weisen vorsichtig umgehen sollen?« Wir brauchen lediglich
deren mangelnde Beweiskraft deutlich machen, wie die Frau
in der folgenden Geschichte (man beachte auch ihre geschickte
Verwendung der reductio ad absurdum).

Ein Ehepaar macht Urlaub an einem See. Während er ein Nicker-


chen macht, nimmt sie sein Ruderboot, fährt auf den See hinaus
und liest. Da kommt der hiesige Sheriff im Boot vorbei und sagt:
»Madam, hier ist angeln verboten. Ich muss Sie verhaften.«
SOZIAL- UND STAATSPHILOSOPHIE <0— 205

Darauf erwidert die Frau: »Aber Sheriff ich angle doch gar
nicht.«
Darauf der Sheriff: »Madam, Sie haben die nötige Ausrüstung
dabei. Ich muss Sie deshalb aufs Revier mitnehmen.«
Die Frau ließ sich nicht beeindrucken:»Wenn Sie das tun, Sheriff,
verklage ich Sie wegen Vergewaltigung.«
»Aber ich habe Sie doch nicht einmal berührt«, protestiert der
Sheriff.
»Stimmt«, sagt die Frau, »aber Sie haben die nötige Ausrüstung
dabei.«

Es gibt aber sehr wohl Rechtsprinzipien, bei denen es eine Rolle


spielt, von welcher Rechtstheorie wir ausgehen, wie folgendes
Beispiel zeigt.

Ein Richter bestellt die Anwälte der beiden Parteien in sein Dienst-
zimmer und sagt:»Der Grund, weshalb ich Sie zu mir gerufen habe,
ist, dass sie mich beide bestochen haben.« Die beiden Rechtsan-
wälte rutschen unruhig auf ihren Stühlen hin und her. »Alan, Sie ha-
ben mir 75 000 Dollar gegeben und Phil, von Ihnen habe ich 10000
Dollar bekommen.«
Der Richter gibt Alan darauf einen Scheck über 5000 Dollar und
sagt: »Jetzt haben wir Gleichstand, und ich kann den Fall ohne je-
den Einfluss von außen entscheiden.«

Wenn der Zweck des Bestechungsverbots nur darin besteht,


jede Verletzung der Pflicht zu unvoreingenommener Behand-
lung zu unterbinden, dann können wir mit dem Richter einig
206 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

gehen, dass die Annahme von exakt gleichen Bestechungssum-


men auf das Gleiche hinausläuft, wie gar keine Bestechungs-
gelder anzunehmen. Das Gleiche gilt, wenn, aus einer utilita-
ristischen Perspektive betrachtet, das Bestechungsverbot da-
rauf abzielt, die gute Folge der Unparteilichkeit zu bewirken.
Schwierig würde es allerdings, wollte man behaupten, die An-
nahme von gleichen Bestechungsgeldern fördere die Tugend
des Richters oder der Anwälte.
Dass wir bis hierher gekommen sind, ohne einen Anwalts-
witz zu erzählen, ist schon allerhand. Aber wir sind auch nur
Menschen.

Ein Anwalt schickt einem Klienten eine Honorarrechnung.


»Lieber Frank, ich glaubte, Sie gestern in der Stadt gesehen zu
haben. Ich bin extra über die Straße gegangen, um sie zu begrüßen,
aber dann waren Sie es doch nicht. Ein Zehntel einer Anwaltstunde:
50 Dollar.«

DIMITRI : »Du hast mich auf Gedanken gebracht, Tasso. Ich be-
werbe mich zum Hüter der öffentlichen Sitten. Kann ich auf
deine Stimme zählen?«
T A S S O : »Selbstverständlich, mein Lieber. Aber nur solange die
Wahl geheim ist.«
Relativität
Was sollen wir dazu sagen?
Mit diesem Begriff verbindet jeder etwas anderes.

DIMITRI: »Das Schwierige mit dir ist, dass du zu sehr in hö-


heren Regionen schwebst.«
T A S S O : »Verglichen mit wem?«
D i m i t r i : »Verglichen mit Achilles, dem Athleten.«
T A S S O : »Und im Vergleich mit Sokrates?«
D I M I T R I : »Da hast du auch wieder Recht. Im Vergleich mit
Sokrates bist du ein primitiver Mensch.«
210 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Relative Wahrheit
Ist die Wahrheit relativ oder absolut?
Dem taoistischen Philosophen Chuang Tzu träumte einst, er
sei ein Schmetterling. Als er aufwachte, fragte er sich, ob er ein
Schmetterling sei, der nun träumte, er sei Chuang Tzu.
In der neuzeitlichen westlichen Kultur haben sich die Philo-
sophen ausgiebig mit der Frage der Relativität des Wissens im
Verhältnis zum Wissenden beschäftigt. Wie wir bereits gesehen
haben, verstieg sich George Berkeley zu der Behauptung, »phy-
sische Gegenstände« existierten nur in Bezug auf den mensch-
lichen Geist.
rjägp
Im 20. Jahrhundert experimentierte ein Harvard-Profes-
sor mit bewusstseinserweiternden Drogen und war fas-
ziniert von der Relativität seiner Erkenntnisse. Wir reden
hier nicht von Timothy Leary. Lange vor diesem war es
William James. Nach dem Inhalieren von Lachgas meinte
James, er sehe die Einheit aller Dinge, doch kaum ließ
die Wirkung der Droge nach, konnte er sich nicht mehr
an seine kosmischen Einsichten erinnern. Beim nächsten
Selbstversuch mit Lachgas band er sich einen Bleistift an
die Hand und legte sein Laborbuch offen vor sich hin.
Tatsächlich kam ihm wieder eine geniale Idee, und dies-
mal machte er sich Notizen. Wieder nüchtern, las er, wel-
che bahnbrechende philosophische Einsicht er notiert
hatte: »Alles riecht irgendwie nach Petroleum.«
R E L A T I V I T Ä T• O — 211

Nach anfänglicher Enttäuschung machte sich James einen


philosophischen Reim darauf. Die entscheidende Frage
war, ob 1. Ideen, die ihm unter der Einwirkung von Lach-
gas genial erschienen, in Wirklichkeit banal waren oder
ob 2. die brillante Einsicht »Alles riecht irgendwie nach
Petroleum« nur richtig gewürdigt werden kann, wenn
man unter der Einwirkung von Lachgas steht.
Etwas an James' philosophischer Analyse riecht nach Jux.

Es gibt viele Witze über die Relativität der Zeitwahrnehmung.


Diesen zum Beispiel:
Ein Schnecke ist von zwei Schildkröten überfallen und ausgeraubt
worden. Auf die Frage der Polizei, wie es dazu gekommen sei, sagt sie
nur: »Ich weiß auch nicht, es ging alles so schnell.«

Und hier die Schnecke gleich noch einmal:

Es klopft an der Tür, doch als die Hausfrau aufmacht, ist es nur eine
Schnecke. Sie hebt sie auf und wirft sie in den Garten. Zwei Wochen
später klopft es wieder an der Tür. Die Frau macht auf, und wieder
sieht sie die Schnecke. Diese fragt sie: »Worum ging es eigentlich?«

Eine Grundfrage des philosophischen Denkens ist immer schon


das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit gewesen, und folglich gibt
es auch darüber Witze.
212 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

Ein Mann spricht zu Gott: »Lieber Gott, ich würde dir gern eine
Frage stellen.«
Gott antwortet: »Warum nicht. Stelle nur deine Frage.«
»Ist es eigentlich wahr, dass eine Million Jahre für dich nur eine
Sekunde sind?«
»Ja, das ist wahr.«
»Gut, und was sind dann eine Million Dollar für dich?«
»Eine Million Dollar sind für mich nur ein Cent.«
»Aha«, sagt der Mann, »könnte ich dann einen Cent von dir
haben?«
»Gewiss«, antwortet Gott, »warte eine Sekunde.«

Die Relativität der Weltsichten


Witze über die Relativität verschiedener Standpunkte gibt es
jede Menge.

Ein Franzose tritt in eine Bar. Aufseiner Schulter sitzt ein Papagei In
einem Smoking. Der Barmann ruft erstaunt: »Wow! Das ist ja toll.
Wo kriegt man denn so was?«
Darauf der Papagei: »In Frankreich. Dort gibt es Millionen sol-
cher Typen.«

Im 20. Jahrhundert schrieb der amerikanische Philosoph


W V. O. Quine, dass unsere Weltsicht durch unsere Mutter-
sprache bedingt ist und dass diese ein unübersteigbares Hin-
dernis für eine andere sprachliche Perspektive darstellt. Wir
»Wir können Ihr Buch Das Leben einer Eintagsfliege. Eine Autobio-
graphie nicht publizieren, weil es nur eine Seite lang ist.«
214 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

können keine Gewissheit darüber erlangen, wie ein Ausdruck


einer fremden Sprache in unsere Muttersprache zu übersetzen
ist. Wir können zwar erkennen, dass der Sprecher einer ande-
ren Sprache, wenn er »gavagai« sagt, auf dasselbe Objekt zeigt,
auf das auch wir zeigen, wenn wir »Kaninchen« sagen. Aber
wir wissen nicht, ob er damit »Die Vereinigung von Kaninchen-
Teilen« oder »Die Abfolge von Kaninchen-Zuständen« oder
sonst etwas Kaninchenartiges meint.

Zwei Juden begeben sich zum Abendessen in ein koscheres chine-


sisches Restaurant. Während sie die Karte studieren, plaudert der
chinesische Kellner mit ihnen jiddisch und nimmt auch ihre Bestel-
lung auf Jiddisch auf. Später beim Hinausgehen sagen sie dem jü-
dischen Besitzer; wie angenehm überrascht sie waren, mit dem Kell-
ner jiddisch plaudern zu können.
»Pssst!«, sagt der Besitzer. »Er glaubt, er lernt Englisch.«

Hier haben wir eine schlagende Analogie zu Quines Verständ-


nis der Schwierigkeit einer radikalen Übersetzung. Der chine-
sische Kellner kann alle jiddischen Wörter in gleicher Weise
miteinander verbinden wie die jüdischen Restaurantgäste.
Seine Jiddischkenntnisse als Ganzes sind aber in einer ent-
scheidenden, systematischen Hinsicht falsch, weil er glaubt,
es sei Englisch.
Sogar die Vorstellung, was als Fremdsprache gilt, ist vom je-
weiligen Sprecher abhängig. Man beachte folgenden Witz aus
der Welt des internationalen Handels:
RELATIVITÄT •O— 215

In einem multinationalen Unternehmen muss eine Sekretariats-


stelle neu besetzt werden. Ein Golden Retriever bewirbt sich auf die
Anzeige hin, besteht den Test im Maschinenschreiben und wird zu
einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Der Personalleiter fragt:
»Sprechen Sie Fremdsprachen?«
Prompt macht der Golden Retriever: »Miau.«

Relativität der Werte


In unserer Zeit lenkte der französische Philosoph Michel Fou-
cault die Aufmerksamkeit auf eine andere Art der Relativität -
die Abhängigkeit kultureller Werte von der sozialen Macht. Un-
sere kulturellen Werte, insbesondere das, was wir für normal
halten, sind bedingt durch die Art und Weise, wie die Gesell-
schaft Kontrolle ausübt. Wer gilt als wahnsinnig? Wer befin-
det darüber? Was bedeutet es, als wahnsinnig zu gelten, für
diejeningen, die so bezeichnet werden? Und was bedeutet es
für die, die jene behandeln müssen? Wer sind diese Personen,
die behandeln? Die Antworten auf diese Fragen ändern sich im
Lauf der Zeiten je nachdem, wer die Macht in der Gesellschaft
ausübt. Es gab Zeiten, da übten die Priester diese Kontrolle aus,
in anderen Zeiten waren es die Gelehrten. Das hat Folgen für
die Behandlung der so genannten Geisteskranken. Vereinfacht
gesagt heißt das, dass die Werte, die wir für überzeitlich halten,
in Wirklichkeit dem geschichtlichen Wandel unterworfen sind,
je nachdem, wer die Macht hat und wie sie ausgeübt wird.
216 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

Pat: »Mike, ich rufe dich von der Autobahn mit meinem neuen
Handy an.«
Mike: »Sei vorsichtig Pat. Gerade kam im Radio eine Durchsage,
dass ein Geisterfahrer in der falschen Richtungfährt.«
Pat: »Ein Geisterfahrer? Unsinn, das sind hunderte.«

Vom Standpunkt der reinen Vernunft hat Pat genauso recht wie
der Mann der Radiodurchsage. Aus seiner Sicht fahren alle an-
deren in die falsche Richtung. Warum nehmen wir es aber als
Witz und nicht als Kollision zweier Standpunkte? Wegen Fou-
caults Auffassung, nach der es letztlich der Staat ist, der die
richtige Richtung festlegt.
Ein anderer Punkt, der die Philosophen seit Piaton beschäf-
tigt hat, ist der Unterschied zwischen weltlichen und ewigen
Werten. Und auch hier rückt ein Witz die Dinge zurecht:

Ein reicher Mann war dem Sterben nahe. Das bekümmerte ihn
sehr, denn er hatte hart für sein Geld gearbeitet und hätte nur zu
gern seinen Reichtum mit in den Himmel genommen. Deshalb be-
tete er darum, einen Teil seines Vermögens bei sich zu behalten.
Ein Engel, der sein Gebet gehört hatte, erschien vor ihm. »Es tut
mir leid, aber du kannst deinen Reichtum nicht mitnehmen.«
Der Mann flehte daraufhin den Engel an, doch Gott um eine
Ausnahmeregelung zu bitten.
Bald darauf erschien ihm der Engel wieder und berichtete, Gott
mache tatsächlich eine Ausnahme und erlaube ihm, einen Koffer
mitzubringen. Überglücklich wählte der Mann seinen größten Kof-
fer, füllte ihn mit Goldbarren und stellte ihn neben sein Bett.
RELATIVITÄT •O— 217

Nach seinem Tod kam der Mann an die Himmelspforte. Als Pe-
trus den Koffer erblickte, sagte er: »Halt! Damit kommst du aber
nicht hier herein!«
Doch der Mann erklärte Petrus, dass er eine Erlaubnis erhalten
habe. Wenn er wolle, könne er sich seine Aussage von Gott persön-
lich bestätigen lassen. Tatsächlich kehrte Petrus nach einer Weile
zurück und sagte: »Du hast die Wahrheit gesagt. Du darfst einen
Reisekojfer mitbringen, aber ich soll den Inhalt überprüfen, ehe ich
dich durchlasse.«
Petrus öffnete den Koffer und nahm in Augenschein, was der
Mann für so wertvoll hielt, dass er sich nicht davon trennen wollte.
»Na sowas«, rief Petrus erstaunt: »Du hast Pflastersteine mitge-
bracht?«

Absolute Relativität
Viele philosophische Irrtümer rühren daher, dass subjektive
Wahrheiten für absolute ausgegeben werden. So hielt Thomas
Jefferson, darin eine Idee des englischen Philosophen John Lo-
cke aufgreifend, das Recht zu leben, die Freiheit und das Stre-
ben nach Glück für »selbstverständlich«, vermutlich weil er
dachte, dies wären universelle und überzeitliche Werte. Doch
das ist nicht selbstverständlich für Angehörige einer anderen
Kultur, wie zum Beispiel für einen radikalen Muslim, der der
Auffassung ist, dass gerade das Streben nach Glück charakteris-
tisch für einen Ungläubigen ist.
Auch das Gegenteil kommt vor, also dass eine absolute
Wahrheit fälschlicherweise für eine relative gehalten wird.
218 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

Der Ausguck eines Kriegsschiffes sichtet ein Licht steuerbord voraus.


Der Kapitän gibt Order, dem anderen Schiff zu signalisieren: »Än-
dern Sie unverzüglich Ihren Kurs um zwanzig Grad!«
Die Antwort kommt sogleich. »Ändern Sie Ihren Kurs unverzüg-
lich um zwanzig Grad!«
Der Kapitän ist wütend und signalisiert: »Hier spricht der Kapi-
tän. Wir sind auf Kollisionskurs. Ändern Sie Ihren Kurs um zwanzig
Grad!«
Die Antwort kommt zurück: »Ich bin Steuermannsmaat zweiter
Klasse und fordere Sie dringend auf, Ihren Kurs um zwanzig Grad
zu ändern!«
Der Kapitän schäumt. Er signalisiert: »Ich bin ein Kriegsschiff!«
Darauf kommt die Antwort: »Und ich bin ein Leuchtturm.«

Denken Sie an diese tiefen Einsichten in die Relativität, wenn


Sie das nächste Mal chinesisches Essen bestellen - oder was die
Chinesen Essen nennen.

DIMITRI: »Nun, Tasso, du gehörst wohl zu den Leuten, die


denken, dass es keine absolute Wahrheit gibt, dass alle
Wahrheit relativ ist.«
T A S S O : »Stimmt.«
D I M I T R I : »Bist du dir da sicher?«
T A S S O : »Absolut.«
(10)
Metaphilosophie
Die Philosophie der Philosophie. Nicht zu verwechseln
mit der Philosophie der Philosophie der Philosophie.

D I M I T R I : »Tasso, ich kriege den Dreh jetzt wirklich heraus.«


T A S S O : »Bei was?« '
D I M I T R I : »Beim Philosophieren selbstverständlich!«
T A S S O : » D U nennst das Philosophieren?«

Die Vorsilbe meta bedeutet »nach, jenseits, alles folgende« und


taucht in philosophischer Rede überall auf. So gibt es die Meta-
sprache, eine Sprache zur Beschreibung von Sprache, oder die
Metaethik, einen Zweig der Philosophie, der den Ursprung und
die Bedeutung ethischer Prinzipien untersucht. So war es nur
eine Frage der Zeit, bis auch die Metaphilosophie auf den Plan
trat.
Die Metaphilosophie ringt mit der brennenden Frage: »Was
ist Philosophie?« Man sollte meinen, Philosophen wüssten
durchaus, was Philosophie eigentlich ist. Man wundert sich,
222 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

woher sie immer schon wussten, dass sie Philosophen werden


wollten. Von Friseuren, die sich den Kopf darüber zerbrechen,
was denn die Friseurkunst sei, hören wir eher selten. Und wenn
ein Friseur wirklich nicht weiß, was die Friseurkunst ist, dann
hat er den falschen Beruf gewählt. Gewiss würden wir ihm
nicht die Ehefrau für einen neuen Haarschnitt anvertrauen.
Und doch definieren moderne Philosophen die Philosophie
immer wieder aufs Neue. Im 20. Jahrhundert trennten sich Ru-
dolf Carnap und die logischen Positivisten von einem großen
Teil der traditionellen Philosophie, indem sie behaupteten, Me-
taphysik sei bedeutungslos. Für Carnap bestand die Aufgabe
der Philosophie allein in der Analyse wissenschaftlicher Sätze.
Und Carnaps Zeitgenosse Ludwig Wittgenstein, der Begrün-
der der analytischen Philosophie, ging sogar noch weiter. Er
war der Ansicht, mit seinem ersten Hauptwerk die Geschichte
der Philosophie zu einem Ende gebracht zu haben. Er habe
nämlich bewiesen, dass alle philosophischen Sätze bedeutungs-
los seien - einschließlich seiner eigenen. Er war so überzeugt,
das Buch der Philosophie ein für allemal geschlossen zu haben,
dass er fortan als Volksschullehrer tätig wurde. Ein paar Jahre
später schlug er das Buch der Philosophie erneut auf - diesmal
mit einem neuen Konzept, einem therapeutischen. Wenn wir
alle Verwirrungen aus unserer Sprache ausmerzen, so glaubte
Ludwig, würden wir auch das ganze Leid besiegen, das wir uns
durch unsinnige philosophische Fragen aufgeladen haben.
Heutzutage beschäftigen sich die Modallogiker - also Lo-
giker, die bei Aussagen unterscheiden, ob sie möglicherweise
wahr oder notwenig wahr sind - mit der Frage, in welche Ka-
METAPHILOSOPHIE 223

tegorie ihre eigenen Aussagen fallen. Wohin wir auch blicken,


überall wird die Meta-Frage gestellt.
In diese Tradition der Metaphilosophie gehört auch Seamus.

Seamus sah seinem ersten Rendezvous entgegen und fragte seinen


Bruder, einen Frauenhelden, um Rat. »Gibt mir doch ein paar Tipps,
worüber man mit Frauen redet.«
»Das ist ganz einfach«, erklärte ihm der Bruder. »Irische Mäd-
chen reden gern über drei Dinge: Essen, Familie und Philosophie.
Wenn du ein Mädchen fragst, was sie gerne isst, bedeutet das, dass
du dich für sie interessierst. Wenn du nach ihrer Familie fragst, heißt
das, dass deine Absichten ehrenwert sind. Und wenn du mit ihr phi-
losophische Fragen diskutierst, zeigst du damit, dass du ihren Ver-
stand zu schätzen weißt.«
»Mensch, das ist wirklich nett von dir«, sagte Seamus. »Essen,
Familie und Philosophie. Das kriege ich schon hin.«
Am Abend des Treffens mit der jungen Dame platzte Seamus
heraus: »Essen Sie gerne Kohl?«
»Oh, eigentlich nicht«, antwortete die Dame verwirrt.
»Haben Sie einen Bruder?«, fragte Seamus weiter.
»Nein.«

»Aber wenn Sie einen hätten, würde er wohl gerne Kohl essen?«

Das ist Philosophie.


224 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

—— CSC
Der zeitgenössische Philosoph William Vallicella schreibt:
»Metaphilosophie ist die Philosophie der Philosophie.
Darin ist sie selbst ein Zweig der Philosophie, anders als
die Philosophie der Wissenschaft, die nicht zur Wissen-
schaft gehört, oder die Philosophie der Religion, die kein
Zweig der Religion ist.«
Mit solchen Sätzen hat sich Vallicella zum heißen Tipp für
Stehpartys von Intellektuellen entwickelt.

Die Kernthese des vorliegenden Buchs bestätigt hier einmal


mehr: Wenn es eine Metaphilosophie gibt, muss es auch Meta-
witze geben.

Ein Handlungsreisender hat unterwegs eine Autopanne. Er geht


mehrere Meilen zu Fuß bis zu einer abgelegen Farm, wo er den Far-
mer nach einer Bleibe für die Nacht fragt.
»Aber sicher«, sagt der Farmer, »meine Frau ist vor vielen Jahren
gestorben, meine Töchter sind 27 und 23 und studieren beide auf
dem College. Ich lebe hier ganz allein und kann Ihnen mehrere Zim-
merfür die Nacht anbieten.«
Als der Reisende das hört, macht er auf der Stelle kehrt und mar-
schiert zurück zur Landstraße.
»Hören Sie doch«, ruft ihm der Farmer nach, »ich habe genug
Platz für Sie.«
»Ich habe Sie schon verstanden«, sagt der Reisende, »aber ich
glaube, ich bin im falschen Witz.«
METAPHILOSOPHIE -O— 225

Und selbstverständlich darf der Ur-Metawitz nicht fehlen:

Ein Blinder, eine Lesbe und ein Frosch gehen in eine Bar. Der Bar-
mann schaut sie an und sagt: »Ja, was ist das - ein Witz?«

Und zum Schluss ein politisch nicht korrekter Metawitz. So wie


Metaphilosophie voraussetzt, dass der Metaphilosoph ein Vor-
verständnis von dem haben muss, was als Philosophie gilt, so
setzen Metawitze voraus, was im Allgemeinen als Witz gilt, im
vorliegenden Fall, was ein polnischer Witz ist.

Ein Mann betritt eine gerammelt volle Bar und verkündet, einen
tollen polnischen Witz zu kennen. Ehe er aber mit dem Erzählen
loslegen kann, unterbricht ihn der Barmann: »Moment mal, ich bin
selber Pole.«
Worauf der Mann sagt: »Gut, dann erzähle ich ihn ganz, ganz
langsam.«

DIMITRI: »Jetzt haben wir uns den ganzen Nachmittag über


Philosophie unterhalten, und du weißt immer noch nicht,
was Philosophie ist?«
T A S S O : »Warum fragst du das?«
Summa summarura:
eine Zusammenfassung
Ein stringenter, vollständiger Überblick über alles,
was wir heute gelernt haben.

TASSO (nimmt das Mikrophon im Akropolis-Kabarett): »Mal ehr-


lich, haben Sie schon von dem englischen Empiriker gehört,
der seiner Frau sagte, sie sei nichts weiter als eine Ansammlung
von Sinnesdaten?«
»Ach ja?«, erwiderte sie. »Und was glaubst du, was es heißt,
jeden Abend mit einem Mann ins Bett zu gehen, der kein Ding
an sich hat?«
Ich scherze nicht. Ich habe erst nach zehn Jahren Ehe ge-
merkt, dass meine Frau nur Existenz und nicht Essenz war.
Also bei ihr war esse wirklich nur percipi.
Was ist denn los, Leute? Hier ist es so still, man könnte einen
Baum im Wald umfallen hören ... auch wenn man gar nicht da
wäre! Schopenhauer behauptete, solche Nächte gebe es.
Ach ja, die heutige Jugend. Neulich hat mich mein Sohn
um die Autoschlüssel gebeten, und ich sagte nur: »Mein lieber
Sohn, in der besten aller möglichen Welten hättest du dein ei-
genes Auto.«
228 — P L A T O N UND SCHNABELTIER

Worauf er erwiderte: »Aber Papa, das hier ist nicht die beste
aller möglichen Welten.«
Worauf ich schloss: »Dann solltest du bei deiner Mutter le-
ben!«
Übrigens auf dem Weg hierher ist mir etwas Komisches pas-
siert: ich bin zweimal in denselben Fluss gefallen!
Was anderes. Neulich gingen Piaton und ein Schnabeltier in
eine Bar. Der Barmann sah stirnrunzelnd den Philosophen an,
worauf Piaton sagte: »Was soll ich sagen? In der Höhle hat sie
viel besser ausgesehen.«
DIMITRI (aus dem Publikum): »Nehmt ihm das Mikrophon
weg!«
Sternstunden in der
Geschichte der Philosophie
30 v. Chr. Am dreiundachtzigsten Tag unter dem Bodhi-Baum lächelt
Gautama rätselhaft über eine Scherzfrage für Kinder.
Gautama Buddha, 563 - 4 8 3 v. Chr

Zenon von Elea, 490-425 v. Chr


Sokrates, 469-399 v. Chr

381 v. Chr. Piaton sieht Schatten an der Wand


einer Höhle und deutet sie als Anzeichen für
weitere sechs Wochen Winter.
399 v. Chr. Sokrates trinkt den Schierlingsbecher
mit Soda und twistet dazu.
Piaton, 427-347 v. Chr
Aristoteles, 384-322 v. Chr.
Schule der Stoiker, Beginn im 4. Jahrhundert v. Chr.

399 n. Chr. in einer Buchrezen-


sion in den Alexandria Annalen
wird Hypatias Neuplatonismus
als »Frauenquatsch« verrissen.
Hl. Augustinus, 354-430 n. Chr
Hypatia, 370-415 n. Chr

G.Jahr- 5. Jahr- 4. Jahr- 4. Jahr-


hundert hundert hundert hundert
v. Chr. v. Chr. v. Chr. n. Chr.
1328 Wilhelm von Ockham erfindet den Gillette Mach 3.
Wilhelm von Ockham, 1285-1347

1504 ein Schelm klebt einen Sticker mit der Auf-


schrift »Zufällige Taten der Nächstenliebe« an Nick
Machiavellis Kutsche.
Niccolö Machiavelli, 1469-1527

1650 René Descartes hört eine


Sekunde lang auf zu denken und
stirbt augenblicklich.
1652 Pascal geht auf die Rennbahn
von Longchamp und setzt eine
große Summe auf ein Pferd namens
Mon Dieu. Er verliert.
Thomas Hobbes, 1588-1679
René Descartes, 1596-1650
Biaise Pascal, 1623-1662
Baruch de Spinoza, 1632-1677
John Locke, 1632-1704
Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646-1716

U.Jahr- 16. Jahr- ^.Jahr-


hundert hundert hundert
1731 Bischof Berkeley verbringt dreißig Tage in einem hermetisch abgeschlos-
senen Behälter und kommt geistig unverändert wieder heraus.
1754 Immanuel Kant hat eine Begegnung mit dem Ding an sich und sagt,
er könne nicht darüber sprechen.
1792 in einer Buchrezension des Manchester Guardian wird Mary Wollstone-
crafts A Vindication ofthe Rights of Women als Frauenliteratur verrissen.
George Berkeley, 1685-1753
David Hume, 1711-1776
lean-Jacques Rousseau, 1712-1778
Adam Smith, 1723-1790
Immanuel Kant, 1724-1804
Mary Wollstonecraft, 1759-1797

1818 Die älteren Brüder Chico, Croucho, Gummo, Harpo und


Zeppo heißen Baby Karl willkommen auf dieser Welt.
1844 Aus Überdruss, ständig der »melancholische Däne«
genannt zu werden, versucht Kierkegaard, die Staatsangehörig-
keit zu wechseln.
1900 Nietzsche stirbt; Gott stirbt ein halbes Jahr später an
gebrochenem Herzen.
Jeremy Bentham, 1748-1832
G. W. F. Hegel, 1770-1831
Arthur Schopenhauer, 1788-1860
John Stuart M/7/, 1806-1873
Seren Kierkegaard, 1813-1855
Karl Marx, 1818-1883
William James, 1842-1910
Friedrich Nietzsche, 1844-1900
Edmund Husserl, 1859-1938

18. Jahr- 19. Jahr-


hundert hundert
1954 Jean-Paul Sartre hängt seine Philosophenkarriere an den Nagel und
wird Kellner.
1958 in einer Buchrezension in Le Monde wird Simone de Beauvoirs
Werk »Das andere Geschlecht« als littérature pour nanas verrissen.
1996 bei einem heimlichen Auftritt im World Wrestling Entertainment
hat Kripke seinen Namen offiziell in »Der starre Bezeichnungsausdruck«
geändert.
Alfred North Whitehead, 1 8 6 1 - 1 9 4 7

Bertrand Rüssel, 1 8 7 2 - 1 9 7 0

Ludwig Wittgenstein, 1889-1951

Martin Heidegger, 1 8 8 9 - 1 9 7 6

Rudolf Camap, 1891-1970

Gilbert Ryle, 1 9 0 0 - 1 9 7 6

Karl Popper, 1 9 0 2 - 1 9 9 4

Jean-Paul Sartre, 1 9 0 5 - 1 9 8 0

Simone de Beauvoir, 1 9 0 8 - 1 9 8 6

W. V O. Qulne, 1908-2000
John Austin, 1 9 1 1 - 1 9 6 0

Albert Camus, 1 9 1 3 - 1 9 6 0

Michel Foucault, 1 9 2 6 - 1 9 8 4

Saul Kripke, 1 9 4 0 -

Peter Singer, 1 9 4 6 -

20. Jahr-
hundert
Glossar
analytisches Urteil: Ein Urteil, das per definitionem wahr ist. Zum Beispiel:
»Alle Enten sind Vögel« ist ein analytisches Urteil, weil der Begriff »Ente« be-
inhaltet, dass diese zur Gattung der Vögel gehört. »Alle Vögel sind Enten« ist
dagegen kein analytisches Urteil, denn Entenheit gehört nicht zum Bedeu-
tungsinhalt von »Vogel«. »Alle Enten sind Enten« ist aber ganz offensichtlich
wieder analytisch, genauso wie »Alle Vögel sind Vögel«. Es ist ermutigend zu
sehen, wie hilfreich Philosophie auch in anderen Disziplinen wie der Ornitho-
logie sein kein. Vergleiçhe synthetisches Urteil.

a posteriori: aus der Erfahrung; empirisches Wissen. Wer wissen will, dass
manche Biere gut schmecken, ohne dick zu machen, der muss mindestens
ein Bier ausprobieren, trinken, das gut schmeckt und nicht dick macht. Ver-
gleiche a priori.

a priori: vor aller Erfahrung. Zum Beispiel kann man noch ehe man die Show
gesehen hat, mit Bestimmtheit wissen, dass alle Mitbewerber der Veranstal-
tung American Idol sich für Gesangskünstler halten, da American Idol ein Ge-
sangswettbewerb für Leute ist, die sich - aus welchen Gründen auch immer -
für Gesangskünstler halten. Vergleiche a posteriori.

deduktive Logik: Ein Denken, das von Prämissen ausgeht und zu Aussagen
kommt, die aus den Prämissen logisch gefolgert werden können. Die elemen-
tare Form der deduktiven Logik ist der Syllogismus, z. B. »Alle Komiker sind
Philosophen; Larry, Moe und Curly sind Komiker; also sind Larry, Moe und
Curly Philosophen. Vergleiche induktive Logik.
2 3 4— - < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

deontologische Ethik: eine ethische Theorie, derzufolge moralische Gesetze


auf Pflicht (griech. deon) beruhen, unabhängig von den praktischen Kon-
sequenzen der Handlungen. Zum Beispiel kann ein Staatsmann, der seine
höchste Pflicht darin sieht, die Bevölkerung vor terroristischen Angriffen zu
schützen, zu der Auffassung kommen, er müsse zur Erfüllung dieser Pflicht
jedermanns Schlafzimmer aushorchen lassen, ohne Rücksicht auf die Folgen
für das Sexualleben der Bürger.
Ding an sich: im Gegensatz zur bloßen Erscheinung eines Dinges. Die zu-
grunde liegende Idee besagt, dass ein Gegenstand mehr als nur die Summe sei-
ner empirischen Merkmale ist (z. B. wie er aussieht, klingt, riecht, schmeckt,
sich anfühlt) und dass dahinter eine Wesenheit existiert, die sich von den
Sinnesdaten unterscheidet. Manche Philosophen sind freilich der Meinung,
das Ding an sich gehöre in dieselbe Kategorie wie die Einhörner und der
Weihnachtsmann.
Emotivismus: eine ethische Theorie, wonach moralische Urteile weder wahr
noch falsch sind, sondern lediglich die Zustimmung oder Ablehnung einer
Handlung oder einer Person, die eine solche Handlung ausführt, ausdrü-
cken. Nach dieser Philosophie besagt der Satz: »Saddam ist ein Bösewicht«
nichts weiter als: »Saddam ist einfach nicht mein Typ. Ich weiß nicht recht,
ich konnte ihn noch nie leiden.«

Empirismus: Die Anschauung, wonach die Erfahrung und hier besonders die
sinnliche Erfahrung die erste - oder einzige - Quelle der Erkenntnis ist. »Wo-
her wissen Sie, dass es Einhörner gibt?« »Weil ich gerade eines in meinem
Garten gesehen habe!« Letzteres nennen wir die extreme Form des Empiris-
mus. Vergleiche Rationalismus.
Essentialismus: In dieser Philosophie haben Gegenstände eine Substanz oder
wesentliche Qualitäten, die von ihren nicht wesentlichen oder akzidentiellen
Qualitäten verschieden sind. So ist es eine substantielle Qualität eines Ehe-
manns, ein Ehegespons (und sei es auch männlich) zu haben. Hingegen ist
GLOSSAR 235

es nur eine akzidentielle Qualität des Ehemanns, dass er einen Ehering trägt.
Auch ohne Ehering ist er immer noch Ehemann, wenngleich seine Ehefrau da
anderer Meinung sein könnte.
Existenzialismus: eine philosophische Schule, die die realen Bedingungen
des individuellen menschlichen Daseins beschreibt und nicht abstrakte, uni-
verselle menschliche Wesenszüge. In Sartres Worten: »Die Existenz geht der
Essenz voraus.« Das soll heißen, dass wir zuerst und zuvörderst existieren;
wir schaffen uns unsere Essenz, unser Wesen, selbst. Das wiederum hat weit-
reichende Konsequenzen für die existenzialistische Ethik. Danach sollen wir
uns stets um ein »authentisches« Leben bemühen, uns unserer Sterblichkeit
bewusst sein, uns über unsere Entscheidungen nichts vormachen, kurz An-
liegen, die am besten in einem Pariser Bistro bei Zigaretten und Kaffee unter-
sucht werden und weniger am Fließband einer Autofabrik in Detroit.
induktive Logik: Ein Denken, das von einzelnen Beispielen auf eine allge-
meine Aussage schließt, die umfassender ist, als was logisch aus den Beispie-
len gefolgert werden kann. Aus unserer Beobachtung, dass die Sonne heute,
gestern und an allen Tagen davor, von denen wir Kunde haben, aufgegangen
ist, folgern wir, dass die Sonne immer schon aufgegangen ist und dies auch in
Zukunft tun wird, obwohl dies aus der endlichen Zahl der Beispiele nicht ge-
folgert werden kann. Nota bene: Dieses Beispiel gilt nicht für unsere Leser am
Nordpol. Vergleiche deduktive Logik.

kategorischer Imperativ: Immanuel Kants moralische Leitlinie, wonach man


stets so handeln solle, »dass die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte«. in gewisser Weise
die goldene Regel der Bibel, nur mit deutschen Umlauten.
Koan: Im Zen-Buddhismus ein Rätsel, das uns durch eine Art Schock zur Er-
leuchtung führen soll. Der Satz: »Wie klingt Ein-Hand-Klatschen?« scheint
diese Fähigkeit zu haben. »Wie klingt es, wenn zwei Hände klatschen« hinge-
gen nicht. Siehe auch unter Satori.
236 —-<?> PLATON UND SCHNABELTIER

noumenal: das Wesen eines Dinges betreffend, im Gegensatz zu Art und


Weise seines Erscheinens. Siehe auch Ding an sich ... Können Sie was darüber
aussagen? Vergleiche phänomenal.

Paradox: 1. eine Denkfigur, bei der aus logisch einwandfreien und wahren
Prämissen ein Schluss gezogen wird, der einen Widerspruch darstellt. 2. Mei-
nung zweier beliebiger Ärzte.

phänomenal: die Wahrnehmung der gegenständlichen Welt durch unsere


Sinne. »Das da ist ein roter Hut« ist eine Aussage, die sich auf unsere sinnliche
Wahrnehmung eines Gegenstandes bezieht, der uns rot und einem Hut ähn-
lich erscheint. Andererseits kann der Ausruf: »Wow! Ihr roter Hut ist phäno-
menal!« auch in die Irre führen. Vergleiche noumenal.

Phänomenologie: eine philosophische Methode, die die Wirklichkeit so be-


schreibt, wie sie sich im menschlichen Bewusstsein darstellt, im Gegensatz zur
wissenschaftlichen Beschreibung. Die Phänomenologie beschreibt zum Bei-
spiel die »erlebte Zeit« verglichen mit der »chronometrischen Zeit«. In dem
Film »Manhattan« sagt Woody Allen an einer Stelle: »Wir lieben uns wenig -
nur zweimal die Woche.« Damit drückt er die erlebte Zeit aus; Entsprechendes
gilt für seine Ehefrau im Film, wenn sie behauptet: »Er will ununterbrochen
Sex - zweimal die Woche!«

Philosophie der Alltagssprache: auch analytische Philosophie genannt.


Diese bemüht sich um ein Verständnis philosophischer Begriffe, indem sie den
Gebrauch der Wörter in der Sprache untersucht. Nach der Auffassung einiger
Philosophen dieser Schule sind viele Fragen, die die Denker seit Jahrtausen-
den beschäftigen, in sich mehrdeutig und logisch fehlerhaft formuliert. Damit
ist das Ende des Zeitalters der Verwirrung eingeläutet.

post hoc ergo propter hoc: Ein Trugschluss, wörtlich »nach diesem folglich
deswegen«; weil ein Ereignis A einem Ereignis B vorausgeht, wird fälschlich
angenommen, dass A die Ursache von B sei. In dem Buch Freakonomics finden
GLOSSAR "— 237

sich viele solche Trugschlüsse vor allem aus dem Bereich der Kinderaufzucht.
Ein Elternteil sagt: »Mein Kind ist so schlau, weil ich ihm, als es noch im Mut-
terschoß war, Mozart vorgespielt habe.« Tatsächlich besteht aber keine kausale
Beziehung zwischen diesen beiden Tatsachen. Vieles spricht dafür, dass das
Kind schlau ist, weil es Eltern hat, für die Mozart ein Begriff ist (also gebildet
und deshalb vermutlich intelligent sind).
Pragmatismus: eine philosophische Schule, für die der Bezug von Theorie
und Praxis im Vordergrund steht. So nennt William James eine Theorie dann
wahr, wenn sie nützlich ist oder wenn sie weiteres Wissen ermöglicht. Manche
finden James' Definition nützlich, andere nicht.
Rationalismus: philosophische Auffassung, wonach die Vernunft die erste -
oder einzige - Quelle der Erkenntnis ist. Wird oft im Gegensatz zum Empi-
rismus genannt, für den die sinnliche Erfahrung der einzige Weg zum Wis-
sen ist. Rationalisten geben traditionellerweise der Vernunft den Vorzug, weil
die Sinne bekanntermaßen unzuverlässig arbeiten und das auf sie gegründete
Wissen niemals Gewissheit verschafft. Sie ziehen die Gewissheit von Aussagen
vor, die allein aus Vernunft geboren sind, wie zum Beispiel: »Dies ist die beste
aller möglichen Welten.« Man muss selbst da gewesen sein, um ...
Satori:Im Zen-Buddhismus das Erlebnis der Erleuchtung, in dem wir schlag-
artig uns selbst und die Welt in ihrer wahren Natur sehen. Man denke nur an die
Red Hot Chili Peppers: »Wenn du noch fragen musst, dann weißt du es nicht.«
Satz des Widerspruchs: Auf Aristoteles zurückgehendes Prinzip, dass das-
selbe nicht gleichzeitig und in gleicher Hinsicht A und nicht-A sein kann. Es
wäre ein Widerspruch zu behaupten: »Ihre Hosen brennen und mehr noch,
Ihre Hosen brennen nicht.« (Ungeachtet des Satzes vom Widerspruch könnte
es nichts schaden, wenn Sie selbst Ihre Hosen löschen würden.)
synthetisches Urteil: Ein Urteil, das nicht per definitionem wahr ist. Zum
Beispiel: »Omama trägt Springerstiefel« ist ein synthetisches Urteil; es bietet
2 3 8— - < ? > PLATON UND SCHNABELTIER

eine Information, die nicht in dem Ausdruck »Omama« enthalten ist. Das
Gleiche gilt auch für den Satz: »YoYoMa trägt Springerstiefel.« Vergleiche ana-
lytisches Urteil.

Telos: ursprüngliches Ziel, Endzweck. Das Telos einer Buchecker ist es, eine
Buche zu werden. Entsprechend ist es das Telos eines promovierten Philoso-
phiestudenten, einmal einen Lehrstuhl in Harvard zu bekommen. Das ist sein
ursprüngliches Ziel, auch wenn er mit höherer Wahrscheinlichkeit seine be-
rufliche Laufbahn als Pommes-Frites-Brater beschließen wird.
unendlicher Regress: Ein Argument, dass eine Erklärung unzureichend ist,
weil sie eine unendliche Reihe von weiteren solchen »Erklärungen« nach sich
zieht. Wenn zum Beispiel die Existenz der Welt durch das Vorhandensein
eines »Schöpfers« erklärt wird, so erhebt sich die Frage, wie der Schöpfer zu
erklären ist. Wenn hierfür ein weiterer Schöpfer angenommen wird, so lautet
die Frage »Wer schuf diesen Schöpfer?« und so weiter ad infinitum oder ad
nauseam.

Utilitarismus: Nach dieser Moralphilosophie sind Handlungen gut, wenn sie


für die Betreffenden mehr Gutes bringen als jede andere zur Wahl stehende
Handlung. Der begrenzte Nutzen dieser Philosophie zeigt sich, wenn jemand
zum Erntedankfest seine Mutter und gleichzeitig auch seine Schwiegermutter
mit seinem Besuch beehren will.
Dank
Wir wüssten außer uns niemanden, der bereit wäre, die Verantwortung für
die Idee zu diesem Buch zu übernehmen, aber wir haben uns bei zwei Witze-
erzählern zu bedanken, denen wir einige unserer besten Witze verdanken: Gil
Eisner und Herb Klein.
Professor Robert Wolff, unser philosophischer Mentor in Harvard, verdient An-
erkennung für sein Bemühen, uns ins philosophische Denken einzuführen ...
Den beiden hervorragenden Fotografen Bill Hughes und Stefan Billups verdan-
ken wir, dass wir schlauer und witziger aussehen, als wir in Wirklichkeit sind.
Unser Dank gilt Martha Harrington und Satch Lampron, den Wirten des Nestle
Inn in Conway, Massachusetts, Schauplatz unserer langen Endredaktion.
Eine Liste der Danksagungen wäre nicht vollständig ohne einen dicken Kuss
an unsere Ehefrauen und Töchter. Und um euch namentlich zu erwähnen, ge-
hen diese Küsse an Eloise und Freke, Ester und Samara (deren Hilfe weit über
die Tochterpflichten hinausging).
Wir danken auch unserer Agentin Julia Lord vom Julia Lord Literary Manage-
ment, einer Frau von großer Intelligenz, Geduld und Auffassungskraft.
Wir ziehen den Hut vor unserer Lektorin Ann Treistman, die uns immer wieder
ermutigte, unseren Unkenrufen zum Trotz an unserem Manuskript zu feilen.
David Rosen, der Vizepräsident und Verleger von Abrams Image, hat sich von
Anfang an für dieses Buch engagiert und wurde der Cheerleader des Piaton-
Teams. Allerherzlichsten Dank, David.
Zum Schluss möchten wir uns bei Immanuel Kant dafür entschuldigen, dass
wir ihn nie ganz verstanden haben. Wir können deinen Schmerz nachfühlen,
Manny.
Thomas Cathcart & Daniel Klein

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