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der Religion
Zw Schellings Philosophie der Offenbarung*
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118 Wolf gang T r i l l h a ä s
I.
2
Die Stellennachweise nach Band und Seitenzahl der (Stuttgarter) Erstausgabe, die
bei unterschiedlicher Reihenfolge der Schriften auch von der 2. (Münchener) Ge-
samtausgabe (hg. von Manfred Schröder) übernommen sind.
II.
Gewiß: die Offenbarung ist für Sdielling die Folge eines absolut
freien Willens, sie »setzt einen Actus außer dem Bewußtsein und ein Ver-
hältnis voraus, das die freieste Ursache, Gott, nicht notwendig, sondern
durchaus freiwillig sich zum menschlichen Bewußtsein gibt oder gegeben
hat« (XIV, 3).
Sdielling nähert sich in seiner Philosophie der Offenbarung erklärter-
maßen den »wahren Offenbarungsgläubigen«, also dem biblischen Chri-
stentum, weitaus genauer als der rationalistischen Vorstellung,, als ob es
sich in der Offenbarung um die Vermittlung von Vernunftwahrheiten
handelte. Dennoch liegt seine Philosophie von beidem weitab. Schellings
Philosophie der Offenbarung meint eine »durch Offenbarung erlangte
Wissenschaft unter der allgemeinen Kategorie des durch Erfahrung uns
zu Teil werdenden Wissens«. Aber diese Erfahrung vollzieht sich nun in
einem Prozeß, der — wenn ich mich so ausdrücken darf — aus dem
Dunklen ins Helle führt, aus der Notwendigkeit in das Reich der Frei-
heit, ein Prozeß, der ebenso als theogonisdier wie im menschlichen Be-
wußtsein sich wiederholender Prozeß beschrieben werden kann. 3 Darum
geht der Weg der Philosophie der Offenbarung über die Philosophie der
Mythologie. Mythologie, für Sdielling ein reelles Phänomen, der Natur
vergleidibar4, entsteht in einem theogonisdien Prozeß (XII, 7 f.), zu
dessen Enträtselung erst der Monotheismus den Schlüssel haben wird.
Die Mythologie ist mit und vor der Offenbarung darum ein philosophi-
sches Thema, weil diese das Problem ihrer Wahrheit aufwirft. Sie wird
von der Offenbarung nicht dementiert werden, sondern vielmehr erhellt.
Die Philosophie der Offenbarung — im Klartext also des Christen-
tums — und die Philosophie der Mythologie gehören der Sache nach
zusammen; denn »die Philosophie der Mythologie (ist) die wahre Be-
gründung einer Philosophie der Offenbarung« (XIII, 183). »Das Chri-
stentum hat selbst das Heidentum als seine Voraussetzung erklärt«
(XIII, 184). Drücken wir es auf eigene Verantwortung modern aus, so
kann man sagen: Die Mythologie und die Offenbarung stellen sich als
Phasen der Religionsgesdiidite dar. Diese trat ohnehin in den Jahrzehn-
ten des späten Sdielling zunehmend in den Liditkreis des wissensdiaft-
lidien Interesses: durch Creutzer in Heidelberg, was die indische Mytho-
logie anbelangt durch Schopenhauer. Nun werden Mythologie und Chri-
stentum durch Sdielling vollends auf ihren Wahrheitsgehalt befragt, wo-
bei freilich Sdiellings Grundüberzeugungen der Elastizität des Verstehens
mitunter einiges zumuten: Gewiß ist »das Christentum« gegenüber der
Mythologie die unüberbietbare Steigerung, andererseits aber ist es »vor
Christus in der Welt, ja so alt als die Welt« (XIII, 182 ff. — in ganz
3
Nicht nur das Bewußtsein von Gott, sondern gleichsam Gott selbst wird »heller«
was sich dann in der Formel »der werdende Gott« ausdrückt.
4
Keines Menschen Werk, keine Art von Poesie.
III.
Sie endet tatsächlich nicht; denn diese Geschichte ist »höhere Ge-
schichte«. Und das bedeutet auf der einen Seite wohl eben Geschehnisse
in der »geschichtlichen Zeit«, historische und datierbare Vorgänge und
Ereignisse, aber andererseits Tatsachen, die mit den Kategorien der
Historie nicht zu fassen sind.
IV.
Der Begriff der Geschichte erweist sich in der Tat als ein Achsen-
begriff im Denken Schellings. Er meint von Anfang an mehr als das, was
in den sog. historischen Fächern das gelehrte Interesse in Anspruch
nimmt. Auch die Formel, welche bis in die Mitte unseres Jahrhunderts
hinein jedenfalls die evangelische Theologie beschäftigt und verwirrt
hat, »Gott in der Geschichte«, deckt sich nicht mit dem Schellingschen
Geschichtsbegriff. Das Christentum selbst ist »Geschichte« in diesem
Sinne. In ihm vollzieht sich die Offenbarung, nach der wir fragen. »Da
aber Gott die absolute Harmonie der Notwendigkeit und Freiheit ist,
diese aber nur in der Geschichte im Ganzen, nicht im einzelnen aus-
gedrückt sein kann, so ist auch nur die Geschichte im Ganzen — und auch
diese nur eine successiv sich entwickelnde Offenbarung Gottes« (VI, 57);
und gleich anschließend heißt es: »Die Geschichte ist ein Epos, im Geiste
Gottes gedichtet.« Immer wieder nimmt Schelling Anlaß zu betonen, daß
es sich hier um eine »höhere Geschichte« handelt, in der die kleine Indivi-
dualität kaum mehr ein Interesse beanspruchen kann, es sei denn, daß sie
an der großen Gesamtwirkung der Geschichte teilhätte. Diese »höhere
Geschichte« hat ein unmittelbares Verhältnis zu Gott: »In der idealen
Welt, also vornehmlich der Geschichte, legt das Göttliche die Hülle ab,
sie ist das laut gewordene Mysterium des göttlichen Reiches«, so heißt es
1803 in der zukunftsträchtigen 8. Vorlesung über die Methode des aka-
demischen Studiums (V, 289). Diese »höhere Geschichte«, die Schelling
seit dem System des transzendentalen Idealismus in immer neuen
Systementwürfen in drei Perioden gegliedert annimmt, hat nun ihr
stärkstes Echo in der gleichzeitigen Theologie des Biblizismus gefunden,
das geniale Konzept des großen Werkes von J. Chr. K. (von) Hofmann:
Der Schriftbeweis (1852/55) ist ohne die Inspiration durch Schelling un-
denkbar. Zwar spricht Schelling von der »großen historischen Richtung
des Christentums«, von der »Synthese mit der Geschichte, ohne welche
Theologie selbst nicht gedacht werden kann« aber in der dadurch gefor-
derten »höheren christlichen Ansicht der Geschichte« geht dann doch das
Concretum des historischen Stoffes, bis hin zu den despektierlichsten
Äußerungen über die Einfalt der Evangelisten, unter.
Im Sinne dieser »höheren« Betrachtung wird nun der Begriff des
»Christentums« zu einem weiteren Achsenbegriff der »Philosophie der
Offenbarung« Schellings. Denn das »Christentum« ist die eigentliche
lieh zurück. Schelling hält (1802) von der neueren Aufklärerei nichts, die
meint, dem ursprünglichen Sinn des Christentums dadurch näher zu
kommen, daß man es auf seine erste Einfachheit zurückführt, »in welcher
Gestalt sie es auch das Urchristentum nennen« (V, 300). Die Tendenz
dieses Urteils berührt sich mit dem bekannten Spott Hegels über die
vermeintliche Wichtigkeit exegetischer Forschung. Aber das für uns ent-
scheidende ist etwas anderes. Es ist die immerhin erstaunliche Tatsache,
daß der eigentliche Kern des »geschichtlichen« Christentums die Dogmen
sind, oder jedenfalls das, was in ihnen zur Aussage kommt. (Wiewohl
Schelling jede dogmatische Absicht weit von sich weist — XIV, 233).
Die andere Beobachtung ergibt sich in unmittelbarem Anschluß
daran. Die uns so vor Augen geführte, zur »Anschauung« gebrachte
Geschichte wird zum Schauspiel! Schon einmal hat Schelling (im System
des transzendentalen Idealismus, 1800, III, 602) die Geschichte mit
einem Schauspiel verglichen, allerdings unter dem Gesichtspunkt, welcher
Art die Rolle ist, die wir in diesem Schauspiel spielen: nämlich relativ
frei und insofern als Mitdichter des Ganzen, andererseits aber als solche
die ausführen, was der Dichter gedichtet hat. Wenn aber zu Beginn der
33. Vorlesung der Philosophie der Offenbarung von dem rationalistisch
Erzogenen die Rede ist, der unvorbereitet »dem Christentum gegenüber-
gestellt« wird, so ist die Aufgabe, dieses Christentum zu erklären, zu-
nächst der vergleichbar, die Mythologie zu erklären. Aber es gibt da
einen Unterschied. Er liegt zu unserer Überraschung nicht etwa darin,
daß wir angesichts des Christentums zu mehr aufgefordert wären, als
nur zu erklären, sondern lediglich darin, daß die Erscheinung des Chri-
stentums so weit in die Zeit der beglaubigten Geschichte hereinfällt, wo-
bei an der historischen Wahrheit nach Schelling kein Zweifel möglich ist.
Wäre er möglich, so wäre kein Unterschied zwischen Mythologie und
Offenbarung (XIV, 229 f.). »Der Inhalt der Offenbarung ist nichts ande-
res als eine höhere Geschichte, die bis zum Anfang der Dinge zurück und
bis zu deren Ende hinausgeht« (XIV, 30 f.). Ein großes heilsgeschicht-
liches Drama spielt sich vor unseren Augen ab und wir sind gewürdigt,
es anzuschauen und zu verstehen.
V.
Schelling hat es gelegentlich und mehr beiläufig weit von sich ge-
wiesen, seine Philosophie als »religiöse Philosophie«, wir würden sagen:
als »Religionsphilosophie« zu bezeichnen (XIII, 134). Man kann dar-
über hinaus sagen: er ist dem Begriff der Religion förmlich ausgewichen.
Er hat nur an ganz wenigen Stellen seines breit dahinfließenden Philo-
sophierens der Religion einige Aufmerksamkeit gewidmet und trotz
einiger Versuche zu schematisieren und »einzuteilen«, etwa in »wissen-
schaftliche und nichtwissenschaftliche« Religion (XIII, 192 ff.) oder
5
Aus Schellings Leben in Briefen, hg. von G. L. Plitt. Erster Band (1775—1803),
Leipzig 1869, S. 345.
0
Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch. Von Friedrich Schleiermacher. Halle, 1806.
Aus der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung, 1807, Nro. 58. 59. VII 498—510.
7
Rede zum fünfundsiebzigsten Jahrestag der Akademie, IX 463—465.
Aber was kommt nicht alles im Lichte dieser Erfahrung zutage! Ich
möchte in dem begrenzten Rahmen dieser Darlegung nur auf zweierlei
aufmerksam machen. Erstens auf dieses: Alle denkbaren »religiösen
Akte« haben ihre Kehrseite, d. h. sie sind auch im negativen Modus be-
kannt: Das Ruhen in Gott wird zur Gottverlassenheit, die offene Tür
des Gebets verschließt sich im Schweigen Gottes, an die Stelle des Ver-
trauens und der Geborgenheit tritt die Verzweiflung; die Freude an der
Geschöpflichkeit der Schöpfung wandelt sich in die reine Profanität. In
der Erfahrung des Leides finden wir keinen »Sinn« mehr. Und doch ge-
hört auch dieses Bewußtsein von Sinn-Bedürftigkeit in die Phänomene
von »Religion«. Denn in jedem Modus, in dem der positiven Erfahrung
wie in der finsteren Kehrseite der »religiösen Akte« befinden wir uns
nicht außerhalb der menschlichen Vernunft 9 .
Das andere ist dieses: Die Erfahrung der lebendigen und konkreten
Religion ist unsere Religion. Wir erfahren uns selbst in ihr, wir sind in
ihr, oder, um die bekannte Wendung Tillichs in Erinnerung zu rufen:
Religion handelt von dem, was uns unmittelbar angeht. Fremde Religion
und was wir von ihr wissen können, wie sie sich in der Religions-
geschidite manifestiert — das ist ein anderes Kapitel, von dem hier nicht
die Rede ist. Ebenso ist es ein anderes, hier nicht zu verhandelndes Kapi-
tel, wie sich diese »unsere« Religion in unserem Bewußtsein manifestiert.
Denn es gibt da viele Übergänge von der ursprünglichen Erfahrung zur
Kopie, zur Konvention, sowie von der vollen Bewußtheit zur Latenz,
zum Vergessen usw. Wir haben hier keine Religionspsychologie im Sinn.
Aber auf jeden Fall ist die lebendige und konkrete Religion unsere Reli-
gion, anders ausgedrückt: sie ist existentiell10.
Um auf Schelling zurückzukommen: Eine so verstandene Religion
wird zur kritischen Instanz der spekulativen Gotteslehre. Denn diese
»Religion« wird kein Denken ohne Erfahrung ertragen; sie wird nicht
zulassen, daß das konkrete, persönliche Ich ins Absolute entgleitet und
daß wir uns angesichts des Dramas einer spekulativen Heilsgeschichte,
einer »höheren Geschichte«, mit der Rolle von Zuschauern zufrieden
geben.
11
Der unbestechliche und vornehme Adolf Trendelenburg sagt in seiner Akademierede
vom 21. März 1861: Die Akademie der Wissenschaften unter der Regierung des
Königs Friedrich Wilhelm des Vierten (Kleine Schriften von A. Trendelenburg,
Erster Theil. Leipzig 1871): Wahrscheinlich fühlte sich der König selbst durch ihn
angezogen, durch Schellings ideale Anschauung der Kunst, durch die ans Positive
anklingende Betrachtung des Christlichen (sie!), durch die klare Schönheit seiner
Sprache, vielleicht auch durch die klassische Vornehmheit seines persönlichen
Wesens...« Und weiter heißt es dann: »Schellings akademische Abhandlungen, im
Problem spannend, aber immer vor der Lösung abbrechend, meistens von Aristote-
les ausgehend, aber zu Unaristotelischem hinstrebend, liegen jetzt in dem heraus-
gegebenen Nachlaß in einem größeren Zusammenhang vor, in welchem sie sich
ergänzen mögen«, (a. a. O. S. 302 f.)