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Band 189
Martin Bunte
Erkenntnis
und Funktion
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Meiner Mutter
in Dankbarkeit zugeeignet
Inhalt
Vorwort IX
Literaturverzeichnis 318
Primärliteratur 318
Sekundärliteratur 320
Namenregister 341
Sachregister 345
Vorwort
Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Version meiner Dissertationsschrift
dar. Ursprünglich als Arbeit über Kants transzendentale Dialektik angelegt zeigte
sich alsbald das Potential zur Lösung einer viel umfassenderen Problemstellung.
Obgleich daher der Analyse der dialektischen Vernunft gewissermaßen eine
Schlüsselfunktion zukommt, trat diese hinter dem neuen Anliegen zurück, aus-
gehend von Kants Begriff der Funktion im Zusammenhang mit dem Grundproblem
der Erkenntnis die zwei großen Fragen der kantischen Philosophie zu beant-
worten: Erstens: Ist die Urteilstafel beweisbar vollständig? Zweitens: Gibt es eine
Möglichkeit die Affektion durch das Ding an sich im Rahmen des kritischen
Standpunktes konsistent denken zu können? Bei der Beantwortung beider Fragen
war die Einsicht leitend, dass sie, da sie auf das Herz des kantischen Systems
zielen, nicht en passant beantwortet werden können, sondern nur auf Basis einer
grundständigen Interpretation der Kritik der reinen Vernunft, welche die meta-
physische sowie die transzendentale Deduktion der Kategorien als auch die der
Ideen einschließt.
Dass eine solche Arbeit nicht ohne den Zuspruch und die Hilfe Anderer
entstehen konnte, versteht sich von selbst. An erster Stelle gebührt mein Dank
natürlich meinem Doktorvater Prof. Dr. Walter Mesch sowie dem Zweitgutachter
der Dissertation Prof. Dr. Klaus Blesenkemper. Des Weiteren danke ich meinen
guten Freunden und Mitgliedern des privaten Studienkreises zur kantischen
Philosophie Dr. Carl-Gerhard Crummenerl, Fabian Völker M. A., Dr. Ingo Mar-
thaler, Dr. Antonio Gimenez, Sebastian Konietzko M. A., Jan Tiekenheinrich StR.
und Gerolf Kebernik B. A. Ebenfalls gilt mein Dank den Mitgliedern der „Inter-
nationalen Gesellschaft für Transzendentalphilosophie e. V.“ Dr. Michael Gerten
und Dr. Kai Gregor für die anregenden Gespräche im gemeinsamen Bemühen um
die Philosophie Kants und Fichtes. Einen besonderen Dank schulde ich Herrn
Prof. Dr. Helmut Girndt für sein unterstützendes Interesse an dieser Arbeit sowie
Herrn Martin Wilmer B. A.
Für ihre Geduld während des Schreibprozesses sowie die aufwendige Kor-
rektur des Manuskriptes bin ich nicht zuletzt meiner Frau Nora zu größter
Dankbarkeit verpflichtet.
Dass mein alter Lehrer und Freund Franz-Josef Nettelnbreker die Drucklegung
dieser Schrift nicht mehr erleben konnte, erfüllt mich mit großem Bedauern.
Martin J. F. Bunte
Münster, den 31.03. 2015
Einleitung.
Kants System der Erkenntnis
Die Dualität von Subjekt und Objekt bildet das Grunddatum aller Erkenntnis.¹
Dieses epistemische Grundverhältnis, in welchem sich das Subjekt erkennend auf
das Objekt als Gegenstand bezieht,² ist einerseits in jeder Erkenntnissituation
immer schon vorfindlich, andererseits ist der Philosophie die Einsicht in den
Grund seiner Möglichkeit als Aufgabe gesetzt. Die Erhellung der ursprünglichen,
dualen Erkenntnissituation bildet daher den eigentlichen Inhalt der Epistemo-
logie. Ihre Aufgabe besteht dementsprechend nicht darin, über das Ob der Er-
kenntnis zu befinden, denn dieses setzt sie immer schon voraus, sondern nach
ihrem Wie und Was zu fragen.³
Zwei weitere Bestimmungen sind Gegenstand der wissenschaftlichen Refle-
xion auf das immer schon gegebene duale Erkenntnisverhältnis von Erkennendem
und Erkanntem: Erstens die Relation von Subjekt und Objekt hinsichtlich der
Frage nach Modus und Bedeutung des Erkennens. Dabei sind die zwei Hinsichten
des Begriffes des Erkennens zu berücksichtigen: Zum einen kann Erkennen
passivisch – „etwas wird erkannt“ – zum anderen aktivisch verstanden werden –
„etwas, respektive jemand erkennt“. Diese doppelte Hinsicht des Begriffes ent-
spricht der Amphibolie der Erkenntnisrelation. Einerseits muss sich das Subjekt
als dasjenige, welches zu erkennen sucht, aktiv dem Objekt zuwenden, anderer-
seits muss sich das Objekt, welches sich zu erkennen gibt, dem Subjekt als Gegen-
stand darbieten. Vom Blickwinkel des Objektes aus kehrt sich das Verhältnis von
Aktivität und Passivität im Prozess des Erkennens jedoch um. So muss das von der
Perspektive des Subjekts aus gesehene, passive Sichdarbieten des Objektes als
Dies gilt auch für nicht-duale Erkenntnistheorien, welche die letztliche Identität von Subjekt
und Objekt annehmen, da auch diese ihren Ausgang vom ursprünglichen Befund der Dualität
der Erkenntnissituation nehmen.
Wartenberg liefert eine treffende Beschreibung des epistemischen Grundverhältnisses: „Jede
Erkenntnisthätigkeit richtet sich auf einen Gegenstand; sie ist eine ideale Beziehung zwischen
dem erkennenden Subjekt und einem Objekt, welches dem ersteren als etwas Selbstständiges,
dessen Willkür Entzogenes, d. h. in seiner besonderen Natur von diesem nur Anzuerkennendes,
gegenübersteht, und sie vollendet sich in einem Urteil,welches vom erkennenden Subjekt über die
bestimmte Beschaffenheit des betreffenden Objekts mit dem Bewusstsein der Notwendigkeit und
Allgemeingültigkeit gefällt wird, d. h. mit dem Bewusstsein, dass über den Gegenstand, auf
welchen die Erkenntnis sich jeweilig richtet, nur so und nicht anders geurteilt werden muss, und
dass alle erkennenden Subjekte über den selben Gegenstand in der selben Weise urteilen müs-
sen.“ Wartenberg (), S. f.
Cf. Rickert (), S. .
2 Einleitung. Kants System der Erkenntnis
Gegenstand von diesem her als Aktivität gedacht werden.⁴ Das Objekt muss, um
für das Subjekt Gegenstand werden zu können, auf das Subjekt eine Wirkung
ausüben, d. h. dieses affizieren. Die Tätigkeit des Subjektes, sich auf den Gegen-
stand erkennend zu beziehen, ist ebenso vom Objekt aus gesehen ein Erleiden,
insofern dieses durch das Subjekt als Objekt bestimmt wird. So setzt beispiels-
weise die Tätigkeit des Sehens einerseits die aktive, bewusste Zuwendung des
Betrachters zum Gesehenen voraus. Das Gesehene bildet hier das sich dem Sehen
bloß Darbietende. Andererseits nötigt das Gesehene dem Sehenden seine Ansicht,
qua seiner Eigenschaft Licht zu emittieren oder zu reflektieren, auf. Das Sehen
erscheint so als passive Aufnahme eines gegebenen Eindrucks.
Der zweite epistemologische Grundbegriff bezieht sich auf das Ziel des Er-
kennens, i. e. die Erkenntnis selbst. Erkenntnis im eigentlichen Sinne schließt den
Begriff der Wahrheit mit ein; sowohl in formaler, als auch materialer Hinsicht. Die
formale Seite bezieht sich auf die Bestimmung des Verhältnisses von Subjekt und
Objekt in der wahren Erkenntnis gemäß dem Grundsatz der adaequatio intellectus
ad rem.⁵ Mit dem korrespondenztheoretischen Prinzip der Erkenntnis ist zwar ein
allgemeines und auch notwendiges Kriterium der Wahrheit gefunden, jedoch
qualifiziert sich dieses nicht eo ipso zu einem hinreichenden. So setzt jede Er-
kenntnisbemühung im Prinzip den formalen Grundsatz immer schon voraus, ohne
dass durch diesen schon die Wahrheit einer Erkenntnis ermittelt würde.⁶
Für die Bestimmung einer Erkenntnis ist daher die Angabe eines hinrei-
chenden Kriteriums ihrer Wahrheit weit wesentlicher. Anders als das notwendige
kann dieses jedoch nicht in der Form der Übereinstimmung wahrer Erkenntnis mit
Die Wechselseitigkeit von Aktivität und Passivität findet sich bereits bei Descartes in Rückgriff
auf Aristoteles (Phys, III, ; b; S. ff.): „Et pour commencer, je conſidere que tout ce qui ſe fait
ou qui arrive de nouveau, eſt generalement appellé par les Philoſophes une Paſſion au regard du
ſujet auquel il arrive, & une Action au regard de celuy qui fait qu’il arrive. En forte que, bien que
l’agent & le patient ſoient ſouvent fort differens, l’Action & la Paſſion ne laiſſent pas d’eſtre
tousjours une meſme choſe, qui a ces deux noms, à raiſon des deux divers ſujets auſquels on la
peut raporter.“ „Jedoch, um zu beginnen, stelle ich fest, daß alles, was geschieht oder sich er-
eignet, allgemein von den Philosophen ein Leiden genannt wird in Hinsicht auf dasjenige, das
macht, daß es geschieht; dergestalt daß, obgleich das Tätige und das Leiden nicht aufhören immer
ein und dieselbe Sache zu sein, die diese zwei Namen hat aufgrund der zwei verschiedenen
Gegenstände, auf die man sie beziehen kann.“ LDS, AT, XI, ; S. f.
Dieser Grundsatz ist als formaler aufzufassen, sofern der Erkenntnisgegenstand in der Be-
stimmung durch die von ihm ausgesagte Eigenschaft das Subjekt eines prädikativen Urteils bildet.
Die formale Voraussetzung der wahren Erkenntnis stellt daher die logische Verbindungsmög-
lichkeit, mithin Widerspruchsfreiheit von Prädikat und Subjekt im Begriff des Gegenstandes dar.
Bezüglich des formallogischen Wahrheitskriteriums als notwendiger Bedingung wahrer Er-
kenntnis. Cf. Wagner (), S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
Einleitung. Kants System der Erkenntnis 3
Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstande besteht, so
muß dadurch dieser Gegenstand von andern unterschieden werden; denn eine Erkenntnis ist
falsch, wenn sie mit dem Gegenstande, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, ob sie
gleich etwas enthält, was wohl von andern Gegenständen gelten könnte. Nun würde ein
allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen Erkenntnissen, ohne
Unterschied ihrer Gegenstände, gültig wäre. Es ist aber klar, daß, da man bei demselben von
allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt) abstrahiert, und Wahrheit gerade
diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt sei, nach einem Merkmale der
Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und daß also ein hinreichendes, und
doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden könne.
Da wir oben schon den Inhalt einer Erkenntnis die Materie derselben genannt haben, so wird
man sagen müssen: von der Wahrheit der Erkenntnis der Materie nach läßt sich kein all-
gemeines Kennzeichen verlangen, weil es in sich selbst widersprechend ist.⁸
Zur Diskussion der formalen und materialen Wahrheit in der Kantforschung cf. Natterer (),
S. ff., Zum formalen Kriterium cf. außerdem Scheffer (), S. ff.
Scheffer (op. cit, S. 62) weist zu Recht darauf hin, dass Kant die Kategorien als Kriterien
wahrer Erkenntnis ausweist, sofern diese „zur Wahrheit, d. i. der Übereinstimmung unserer Be-
griffe mit dem Objekte führen“ KrV, A 642 | B 670; S. 708. Dies muss jedoch dahingehend relativiert
werden, dass dieses „führen“ auf die Kategorien nur als Bedingung der Möglichkeit wahrer Er-
kenntnis, d. h. als notwendiges, nicht als hinreichendes Wahrheitskriterium verweist. Da die
Kategorien jedoch gleichzeitig erkenntniskonstitutiv sind, stellen sie keine bloß formal-notwen-
digen, sondern material-notwendigen Bedingungen wahrer Erkenntnis dar.
KrV, A f. | B ; S. f.
4 Einleitung. Kants System der Erkenntnis
Nun ist hieraus klar: 1) daß durch analytische Urteile unsere Erkenntnis gar nicht erweitert
werde, sondern der Begriff, den ich schon habe, aus einander gesetzt, und mir selbst ver-
ständlich gemacht werde. 2) daß bei synthetischen Urteilen ich außer dem Begriffe des
Subjekts noch etwas anderes (X) haben müsse, worauf sich der Verstand stützt, um ein
Prädikat, das in jenem Begriffe nicht liegt, doch als dazugehörig zu erkennen.¹⁰
Dieser schließt nach Kant bekanntlich ebenfalls die „reinen Wissenschaften“, wie beispiels-
weise die Mathematik mit ein. Ob die Mathematik jedoch als apriorische Wissenschaft syntheti-
sche Aussagen enthält, ist Gegenstand einer lebhaften Forschungsdiskussion gewesen, welche bis
heute anhält. Cf. Höffe (), S. f.
KrV, A f.; S. .
KrV, A ; S. .
Einleitung. Kants System der Erkenntnis 5
Aus dem bisher Erörterten ergeben sich für die Bestimmung eines Wahrheitskri-
teriums je zwei Qualifikationen, formal oder material, mit jeweils zwei Möglich-
keiten, hinreichend oder notwendig. Aus dieser vollständigen Disjunktion lassen
sich so vier mögliche Kriterien folgern, welche sich alle in der Kritik der reinen
Vernunft wiederfinden:
Wahrheitskriterium
formal material
Was aber das Erkenntnis der bloßen Form nach (mit Beiseitesetzung alles Inhalts) betrifft, so
ist eben so klar: daß eine Logik, so fern sie die allgemeinen und notwendigen Regeln des
Verstandes vorträgt, eben in diesen Regeln Kriterien der Wahrheit darlegen müsse. Denn,was
diesen widerspricht, ist falsch, weil der Verstand dabei seinen allgemeinen Regeln des
Denkens, mithin sich selbst widerstreitet. Diese Kriterien aber betreffen nur die Form der
Wahrheit, d. i. des Denkens überhaupt, und sind so fern ganz richtig, aber nicht hinreichend.
Denn obgleich eine Erkenntnis der logischen Form völlig gemäß sein möchte, d. i. sich selbst
nicht widerspräche, so kann sie doch noch immer dem Gegenstande widersprechen. Also ist
das bloß logische Kriterium der Wahrheit, nämlich die Übereinstimmung einer Erkenntnis
mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zwar die
conditio sine qua non, mithin die negative Bedingung aller Wahrheit: weiter aber kann die
Logik nicht gehen, und den Irrtum, der nicht die Form, sondern den Inhalt trifft, kann die
Logik durch keinen Probierstein entdecken.¹²
Die Mathematik gibt uns ein glänzendes Beispiel, wie weit wir es, unabhängig von der Er-
fahrung, in der Erkenntnis a priori bringen können.¹⁴
Scheffer ist im Grundsatz durchaus zuzustimmen, wenn er die Kritik der reinen Vernunft als
den Versuch der Aufstellung eines allgemeinen Wahrheitskriteriums und als Beweis von dessen
Gültigkeit interpretiert (cf. Scheffer (), S. .), sofern die Kritik nach den apriorischen Be-
dingungen der Erkenntnis, ihren Grenzen und dem Begriff ihrer Vollständigkeit fragt.
Cf. Kap. ...
Cf. Kap. ...
8 Einleitung. Kants System der Erkenntnis
Nach Kant sind das empirische Subjekt und Objekt (S, O) von ihren trans-
zendentalen Gegenstücken (S’, O’) zu unterscheiden. Letztere sind in dem Sinne
transzendental zu nennen, als dass sie zwar einerseits erfahrungsermöglichend,
jedoch andererseits gleichzeitig erfahrungsübersteigend sind. Der Bereich mög-
licher Erfahrung, welcher in der Idee die systematische Einheit aller Erfah-
rungsmöglichkeiten (Σ) ausmacht, ist daher auf die empirische Sphäre be-
schränkt. Aus dieser Konstellation von Erfahrungsgegenstand und nicht-
erfahrbarem Erfahrungsgrund ergibt sich letztlich das zu klärende Grundproblem
des kritischen Idealismus, welches sich in der Frage zusammenfassen lässt: Wie
kann das Transzendente transzendentale Bedeutung besitzen?¹⁸ Mit diesem ur-
sprünglichen Grundproblem ist ein Aufgabenkomplex verbunden, der eine In-
terpretation, die auf das Ganze des kantischen Systems zielt, der Reihe nach zu
beantworten hat.
Die erste Frage betrifft die Möglichkeit der Erkenntnis eines Gegenstandes
überhaupt. Wie kann das transzendentale Objekt zum Gegenstand der Erkenntnis
werden, wenn dieses außerhalb der Sphäre möglicher Gegenstände liegt? Ist die
Annahme eines transzendentalen Gegenstandes überhaupt notwendig oder stellt
Ein ähnlicher Problemaufriss findet sich bei Rickert (), S. : „Eine Untersuchung, die
sich mit dem Transzendenten in der Weise beschäftigt, daß sie seine Bedeutung für die Objektivität
der Erkenntnis untersucht oder nach den transzendenten Gegenständen als letzten Maßstäben der
Erkenntnis fragt, nennen wir transzendental, und deshalb ist die vom Transzendenzproblem
ausgehende Philosophie des Erkennens am besten als Transzendentalphilosophie zu bezeich-
nen.“
Einleitung. Kants System der Erkenntnis 9
diese nicht vielmehr eine überflüssige Verdopplung der Gegenstände dar? Um sich
der Beantwortung der Frage nach Sinn und Bedeutung des transzendentalen
Gegenstandes annähern zu können, muss zuallererst geklärt werden, was Kant
unter dem Begriff des „Erkennens“ versteht.
Erkennen heißt in erster Linie, Begriff und Anschauung in einem Urteil zu
verbinden. Dieses Urteilen meint in dem Fall jedoch kein bloß logisches Prädi-
zieren von Begriffen, sondern ein reales Bestimmen von Gegenständen und deren
Eigenschaften. Erkennen ist daher nichts anderes als die Synthesis von Wahr-
nehmung zu den Gegenständen der Erfahrung nach den objektiven Gesetzen des
Verstandes. Hierin liegt der Grund, dass Kant im obersten Grundsatz aller syn-
thetischen Urteile die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, i. e. der em-
pirischen Erkenntnis, mit den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der
Erfahrung identifizieren kann.¹⁹ Damit also der transzendentale Gegenstand er-
kannt,²⁰ d. h. durch die Denktätigkeit des Subjekts zur Einheit einer Vorstellung
gebracht werden kann, muss dieser vor aller Denktätigkeit dem Subjekt als er-
kenntnisfunktional bestimmbarer Gegenstand in der Anschauung schon gegeben
sein.²¹ Dass dies der Fall ist, zeigt Kant in der transzendentalen Ästhetik, indem er
feststellt, dass Raum und Zeit als Anschauungsformen vor jeder Anschauung eines
einzelnen Gegenstandes notwendig als Grund derselben vorhergehen müssen.²²
Mit der Situierung des Gegenstandes in Raum und Zeit als Bedingung der
Möglichkeit seiner Erkennbarkeit durch die Bestimmungstätigkeit des Subjektes
ist die zweite Frage verbunden: Worin bestehen die ursprünglichen Handlungen
des Subjektes im Erkenntnisprozess und welches sind ihre Regeln? An diese Frage
schließt sich ein Folgeproblem an: Wie werden aus den bloß subjektiven Regeln,
respektive Funktionen des Denkens (F), objektive Funktionen der Bestimmungen
der Gegenstände? Die Antwort auf diese, für die transzendentale Logik ent-
scheidende Frage, soll die sogenannte metaphysische Deduktion der Paragraphen
9 – 12 der Kritik der reinen Vernunft liefern. Dort stellt Kant die Tafel der subjek-
tiven Funktionen des Denkens und die Tafel der transzendentalen Grundbegriffe,
i. e. die Urteils- und Kategorientafel, einander gegenüber. Obgleich Kant dabei ihre
Konkordanz fordert, zeigt er jedoch nirgends, wie die Kategorien aus den Ur-
teilsformen im Einzelnen zu gewinnen sind. Die Aufgabe der Interpretation muss
dementsprechend darin bestehen zu demonstrieren, wie eine solche Ableitung
gelingen kann.²³ Es wird dabei zu zeigen sein, dass die Kategorien als Funktionen
sowohl einen subjektiven, als auch objektiven Teil besitzen (FS,O), welche dem
Subjekt die Bestimmungsmöglichkeit des Objektes eröffnen.²⁴
Mit der Bestimmung der Funktionen des Denkens ist wiederum eine zwei-
teilige Frage verbunden: Erstens, woher stammen die Funktionen; zweitens, sind
diese aus ihrem Ursprung vollständig ableitbar?²⁵ Dass die Funktionen subjektiven
Ursprungs sein müssen, ist aus der transzendentalphilosophischen Grundper-
spektive unmittelbar klar. Die Regeln, nach denen sich die Wahrnehmungen zur
Erfahrung zusammensetzen, sind Begriffe und haben als solche ihren Ursprung in
der Spontaneität des transzendentalen Subjektes als Wirkung auf das Empirische.
Da die spontane Verstandestätigkeit nur die Verbindungsformen, nicht die
Materie der Erkenntnis liefert, muss zusätzlich zu dieser die rezeptive Sinnlichkeit
hinzukommen. Dies bedeutet für die Interpretation vier weitere zu klärende Ver-
hältnisse:
1. Wie kann das Verhältnis (α) des transzendentalen Objektes zum transzen-
dentalen Subjekt als Affektion gedacht werden?
2. Wie kann das Verhältnis (β) des transzendentalen zum empirischen Subjekt
als Selbstaffektion gedacht werden?
3. Wie kann die notwendige Korrelation von Affektion (α) und Selbstaffektion (β)
plausibel gemacht werden?
4. Wie kann das nicht-orientierte Verhältnis (γ) von transzendentalem und
empirischem Objekt vorgestellt werden?
Im Folgenden wird im losen Durchgang durch die Kritik der reinen Vernunft
versucht werden, Kants System der Erkenntnis zu rekonstruieren.²⁶ Dabei steht die
Es besteht durchaus ein Dissens in der Kantforschung über die Möglichkeit einer solchen
Ableitung. Cf. Schwyzer (), S. ff.
Da die logischen Funktionen in den Urteilen die Basis für die Kategorialität des Verstandes
bilden, stellen diese die eigentliche Tiefenstruktur des Denkens und der Wahrnehmung dar.
Anders als Visser () dies meint, müssen die „organischen und psychischen Bedingungen der
Denkfunktionen“ (op. cit., S. ) daher als empirische Nebenbedingungen betrachtet werden,
was deren Impakt auf die Rationalität jedoch nicht in Abrede stellt.
Cf. KrV, A | B ; S. .
In der Frage der Rekonstruktion der kantischen Philosophie unter dem Gesichtspunkt ihrer
Einheit schließen wir uns der Interpretationshaltung Grayeffs an: „Was wir zugrunde legen, ist nur
die Einheit überhaupt des Kantischen Systems, und dabei stützen wir uns auf Kants oft wieder-
Einleitung. Kants System der Erkenntnis 11
Leitthese im Zentrum, dass sich in den Funktionen des Denkens die dreigliedrige,
epistemische Grundstruktur von Subjekt, Objekt und systematischer Einheit wi-
derspiegelt, aufgrund deren „ihre Tafel vollständig sei, und sie das ganze Feld des
reinen Verstandes gänzlich ausfüllen.“²⁷ Da die Urteils-, respektive Kategorientafel
den gründenden Mittelpunkt der gesamten Architektur von Kants kritischem
System bildet, ist die Frage ihrer Vollständigkeit unmittelbar mit der Rechtferti-
gungsfähigkeit der Transzendentalphilosophie als Wissenschaft verknüpft.²⁸
Folglich muss die Antwort auf das Vollständigkeitsproblem gleichzeitig die
transzendentalen Zusammenhänge des Erkenntnissystems offenbaren.
Nun kann diese Vollständigkeit einer Wissenschaft nicht auf den Überschlag, eines bloß
durch Versuche zu Stande gebrachten Aggregats, mit Zuverlässigkeit angenommen werden;
daher ist sie nur vermittelst einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori und
durch die daraus bestimmte Abteilung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur durch
ihren Zusammenhang in einem System möglich.²⁹
holte eigene Äußerungen wie auf die innere Wahrscheinlichkeit einer solchen Auffassung.“
Grayeff (), S. . „So liegt also jeder Interpretation eine Vorstellung der Vernunft als zu-
sammenhängenden Denkens zugrunde, jedenfalls in einem jeden abgeschlossenen Teile eines
Werkes, jedenfalls dem Streben nach.“ op. cit. S. .
KrV, A | B ; S. .
Gisela Lorenz’ These der konstitutiven Bedeutung der Kategorientafel für Kants Systemar-
chitektur (cf. Lorenz (), S. ) wird sich dementsprechend durch die Aufweisung der in-
härenten Struktur der Tafel bestätigen.
Cf. KrV, A f. | B ; S. .
12 Einleitung. Kants System der Erkenntnis
lichkeit des Gegebenseins selbst diskutiert werden, welche das sogenannte Af-
fektionsproblem betrifft, das es im Sinne Kants zu lösen gilt. Als letztes muss die
Möglichkeit des Gegenstandes selbst thematisiert werden. Hierbei führt das
Problem des offenen Verhältnisses des Dinges an sich zum Erfahrungsgegenstand
zur Frage nach der Einheit der empirischen Erkenntnis. Erst danach kann ent-
schieden werden, ob Kants System der Erkenntnis vollständig, respektive in sich
geschlossen ist.
Kapitel I.
Funktionen der Erkenntnis
Das System der Kategorien bildet gemeinsam mit der Lehre von der Idealität der
Anschauungsformen die Grundlage für Kants gesamte Philosophie der Erkenntnis.
Umso schwerer wiegt es, dass gerade über dieses Kernstück der Transzenden-
talphilosophie innerhalb der Kantforschung größte Uneinigkeit herrscht.¹ Die
Ursache hiervon sind bestimmte Interpretationsschwierigkeiten, welche insbe-
sondere mit der Frage einer adäquaten Auslegung der sogenannten metaphysi-
schen Deduktion verbunden sind. Dort versucht Kant die Kategorien, welche die
Elementarbegriffe des reinen Verstandes darstellen, am Leitfaden der Urteilstafel
aufzufinden. Er spricht in diesem Zusammenhang von der „Entdeckung aller
reinen Verstandesbegriffe“². Entdeckung muss hier im literalen Sinne als „Ent-
Deckung“, d. h. als Aufklärung über die wesentliche Struktur des Verstandes
begriffen werden. Die Auffindung dieser Elementarbegriffe sei bisher allenfalls
zufällig gelungen. Dies gilt beispielsweise für Aristoteles, der nach Kant die Ka-
tegorien bloß „aufraffte“³, d. h. ohne Regel, gleichsam zufällig, auf gewisse
Stammbegriffe des Verstandes gestoßen sei. Das willkürliche Zusammenbringen
verschiedener, für grundlegend gehaltener Prinzipien ist jedoch unverträglich mit
dem wissenschaftlichen Fundierungsanspruch der Philosophie. Die Stammbe-
griffe des Verstandes müssen daher nach einem Prinzip aufgefunden werden.⁴
Dieses Prinzip ist nach Kant in der Verstandeshandlung des Urteilens zu finden.
Um aber ein solches Prinzip auszufinden, sah ich mich nach einer Verstandeshandlung um,
die alle übrigen enthält und sich nur durch verschiedene Modifikationen oder Momente
unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit des Denkens überhaupt zu
bringen, und da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urteilen.⁵
Aus der Verstandeshandlung des Urteilens, welche die Vorstellungen unter die
Einheit des Denkens bringen soll, ist so gleichzeitig das System des Verstandes zu
gewinnen. Die vollständige Tafel aller Kategorien ließe sich also dann finden,
wenn alle Verstandesfunktionen aufgefunden werden können.
Einen Überblick über die Diskussion der kantischen Kategorienlehre liefern Lorenz (),
S. ff. und Natterer (), S. f.
KrV, A | B ; S. .
Cf. KrV, A | B ; S. . cf. Proleg. AA IV, ; S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
Cf. Proleg. AA IV, ; S. .
14 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
Hier lag nun schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker vor
mir, dadurch ich in den Stand gesetzt wurde, eine vollständige Tafel reiner Verstandes-
funktionen, die aber in Ansehung alles Objektes unbestimmt waren, darzustellen.⁶
Zwei große Fragen sind mit dieser Methode Kants verbunden. Die erste Frage, ist
die berühmt-berüchtigte Frage nach der Vollständigkeit der Urteilstafel. Wie kann
Kant sichergehen, dass er alle Funktionen des Verstandes vollständig auflistet? Die
Antwort, welche er im zweiten Teil des Zitates zu geben scheint, nämlich dass die
Tafel der Urteilsfunktionen bereits bei den Logikern seiner Zeit vorfindlich war
und nur gewisser Korrekturen bedurfte, scheint mit dem eigenen Anspruch, die
Kategorien aus einem Prinzip herzuleiten, im Widerspruch zu stehen, wie bereits
früh gesehen wurde. Obgleich der Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel im
Rahmen einer genetischen Deduktion⁷ der Kategorien erst Gegenstand des
nächsten Kapitels sein wird, sei jedoch an dieser Stelle bereits auf zweierlei ver-
wiesen: Erstens bezeichnet die Urteilshandlung nicht selbst das Prinzip, sondern
wird von Kant nur als Mittel der „Ausfindung“ desselben ausgemacht.⁸ So bezieht
sich die Urteilshandlung auf die „Einheit des Denkens“, indem sie Vorstellungen
unter diese bringt. Das Prinzip ist also nicht in der Urteilshandlung selbst zu
suchen, sondern in dem Bezug, den diese auf die Einheit des Denkens hat. Wie
noch zu zeigen sein wird, weist die Einheit des Denkens eine Struktur auf, welche
das Urteilen in Bezug auf dieselbe erst ermöglicht. Die Urteilsfunktionen können
demnach abgeleitet werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Ein-
heitsstruktur des Denkens und die Struktur der Urteilstafel in einem genetischen
Verhältnis zu einander stehen. Der zweite Hinweis auf die Vollständigkeit der
Urteilstafel steckt im Begriff des „Prinzips“ selbst. Kant scheint den Begriff nur im
allgemein gebräuchlichen Sinne zu verwenden, i. e. als Ursprung oder Grund.
Tatsächlich deutet sich jedoch hier bereits eine engere und theoretisch aufgela-
dene Bedeutung des Prinzipienbegriffs an, sofern sich Prinzipien nach Kant als
Metaregeln auf die Einheit des Regelgebrauchs überhaupt beziehen.⁹ Wenn also
nachgewiesen werden kann, dass die Einheit des Denkens eine notwendige
Prinzipieneinheit darstellt, welche identisch ist mit der Tafel der Urteilsfunktio-
nen, dann kann deren Vollständigkeit als bewiesen gelten.¹⁰ Zum Zwecke der
gegenwärtigen Untersuchung muss diese Frage jedoch vorerst zur Seite geschoben
werden.
Der zweiten Frage, deren Beantwortung dieses Kapitel gewidmet ist, wurde
zwar im Laufe der Philosophiegeschichte eine weit geringere Aufmerksamkeit
zuteil, sie ist jedoch von der gleichen systematischen Bedeutsamkeit,¹¹ wie die
Frage der Vollständigkeit der Urteilstafel: Wie werden aus den logischen Funk-
tionen die reinen Begriffe des Verstandes?
Aufgrund der Schwierigkeit dieser Ableitung gab und gibt es eine starke
Strömung in der Kantforschung, welche die Ableitbarkeit der Kategorien aus den
Urteilsformen gänzlich in Abrede stellt.¹² Ehrenberg¹³ unterscheidet in diesem
Zusammenhang drei Standpunkte bezüglich der Möglichkeiten einer Deduktion
der Kategorien: Erstens „die Ableitung aus den Urteilsformen“¹⁴, welche Ehren-
berg zufolge mit der eigentlichen Position Kants identisch sei; zweitens die Ab-
leitung „aus der transzendentalen Apperzeption“¹⁵ als dem Standpunkt Fichtes¹⁶
und drittens „die aus den Grundsätzen“¹⁷, i. e. die Position des Neukantianismus,
Ein solcher Vorgriff auf die Prinzipientheorie findet sich schon in § der Kritik der reinen
Vernunft, wo Kant die „Transzendentalphilosophie der Alten“ (KrV, B ; S. ) diskutiert,
deren Begriffe jedoch „falsch gedolmetscht“ (ibid.) seien. Besondere Bedeutung kommt in diesem
Zusammenhang der Transzendentalie des „unum“ als qualitative Einheit, i. e. „Einheit des Be-
griffes“ (KrV, B ; S. ) zu. Die Bedeutung der Transzendentalien für die Urteilstafel hebt
Baumanns (), S. , richtigerweise hervor: „Die Transzendentalien konstituieren das Lo-
gische, den systematischen Zusammenhang der logischen Funktionen und der logischen Ver-
mögen.“
Tonelli (), S. , bezeichnet sie als eine der „traditionellen Hauptfragen der Kantfor-
schung.“ Ihre Bedeutung im Lichte der Interpretationsgeschichte betont ebenfalls Lorenz (),
S. ff.
Mainzer (), S. , hält diese Frage für „ein typisches Scheinproblem der Kant-Inter-
preten.“ Mit Blick auf das kantische Begründungsprogramm eines Systems der Transzendental-
philosophie handelt es sich jedoch durchaus nicht um ein Scheinproblem, sondern um eine
zentrale Frage.
Cf. Ehrenberg (), S. .
Ehrenberg (), S. .
Ehrenberg (), S. .
Wie in Kapitel .. zu zeigen sein wird, widersprechen sich die Standpunkte eins und zwei
nur hinsichtlich ihrer Ableitungsebene.
Ehrenberg (), S. .
16 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
namentlich die Cohens und Stadlers.¹⁸ Schulthess betont ebenfalls die eminente
Bedeutung der Frage der metaphysischen Deduktion:
Es ist eine der umstrittensten Fragen der Kant-Forschung, ob Kant die Kategorientafel von der
Tafel der Grundsätze oder von der Urteilstafel her aufgefunden habe. Diese Frage ist ent-
scheidend für die Interpretation der Transzendental-Philosophie. Geht man davon aus, daß
etwa die Analogien der Erfahrung die Newtonschen Prinzipien der Mechanik zur Vorlage
haben, so gewinnt der Titel ’Transzendental-Philosophie’ – wie etwa bei Cohen – eine
wissenschaftstheoretische Bedeutung.¹⁹ Geht man hingegen von der Urteilstafel aus bei der
Festlegung der Kategorien, so versucht man die Transzendental-Philosophie als Ontologie
des Subjektes zu verstehen.²⁰
Neben den Versuchen, die Kategorien aus den transzendentalen Grundsätzen und
nicht aus den Urteilsformen abzuleiten, gibt es Interpreten, welche die Argu-
mentationsrichtung Kants umkehren, sodass nicht die Kategorien aus den Ur-
teilsformen zu gewinnen sind, sondern umgekehrt.²¹ Diese Auffassung ist aus
demselben Grund zurückzuweisen, wie die Interpretation Cohens.²² Vuillemin²³
dagegen versucht nicht nur die Urteilstafel, sondern die gesamte Logik Kants von
der Kategorientafel, respektive von der kritischen Philosophie her zu verstehen.²⁴
Heimsoeths historischer Ansatz, nach dem in „Wahrheit [] alle zwölf Kate-
gorien Kants, samt ihren Obertiteln, dem Denker durch sein ganzes Leben ge-
genwärtig [sind] als Prägungen der überlieferten Ontologie, samt den darauf
Diese Aufzählung ließe sich um eine vierte Position ergänzen, i. e. die Ableitung der Kategorien
aus den Reflexionsbegriffen, wie sie Johannes Heinrichs versucht, wobei er jedoch den Boden der
kantischen Philosophie, namentlich den des kantischen Kategoriensystems verlässt, cf. Heinrichs
().
Gurwitsch nimmt in der Frage, ob die Kritik der reinen Vernunft eine „Theorie des Geistes“ oder
eine wissenschaftstheoretische Begründung der Newtonsche Physik sei, eine mittlere Position ein,
welche unserer Ansicht nach die philosophische Absicht der Kritik der reinen Vernunft treffend
zusammenfasst: „Selbst wenn man nicht, wie es die Marburger Neu-Kantische Schule getan hat,
die Kritik der reinen Vernunft ausschließlich als Theorie der mathematischen Naturwissenschaft
auffasst […], sondern in ihr vor allem eine Theorie des Geistes sieht, so kann es doch keinem
Zweifel unterliegen, daß eine der vornehmsten Aufgaben dieser Theorie des Geistes eben darin
besteht, die Newtonsche Naturwissenschaft zu begründen, sie ihrer Möglichkeit nach verständlich
zu machen, und damit eine definite Rechtfertigung ihrer Geltung zu geben.“ Gurwitsch (),
S. f.
Schulthess (), S. . Zu Schulthess cf. Brandt (), S. f.
So beispielsweise Sickenberger (), Steckelmacher (), S. ff., Hauck (),
S. , Tonelli (), S. , Malter (), S. und Freudinger (), S. .
Einen ähnlichen Einwand formuliert Krüger (), S. .
Cf. Vuillemin ().
Op. cit. S. .
Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis 17
den Anfang stellen möchten, lassen Kants eigene Ausführung zur Gewinnung der
Kategorien im Lichte einer Art didaktischer Täuschung erscheinen, welche jedoch
mit Kants strengem Anspruch, was die Bedeutung der eigenen Systemarchitektur
angeht, konfligiert. In den Prolegomena gibt Kant auf die Frage nach dem Ur-
sprung der Kategorien folgende Antwort:
Ich bezog endlich diese Funktionen zu urteilen auf Objekte überhaupt, oder vielmehr auf die
Bedingung, Urteile als objektiv-gültig zu bestimmen, und es entsprangen reine Verstandes-
begriffe, bei denen ich außer Zweifel sein konnte, daß gerade nur diese und ihrer nur soviel,
nicht mehr noch weniger, unsere ganze Erkenntnis der Dinge aus bloßem Verstande aus-
machen können. Ich nannte sie billig nach ihrem alten Namen Kategorien […].³⁰
Die Schwierigkeit der Ableitung resultiert aus zweierlei: Erstens ist der Begriff der
logischen Funktion in Urteilen unklar. Die zweite Schwierigkeit, welche eng mit
der ersten verbunden ist, betrifft die scheinbar unbewiesene Behauptung Kants:
„Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile
Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in
einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedruckt, der reine Verstandes-
begriff heißt.“³¹ Malzkorn weist richtig darauf hin, dass diese „Identitätsbe-
hauptung“³², zumindest in der metaphysischen Deduktion von Kant nur thetisch
versichert ist.³³ Im Prinzip ist der Schlussfolgerung Malzkorns zuzustimmen, dass
der Beweis der Identitätsbehauptung erst mit Nachweis des kategorialen Gegen-
standsbezuges in der transzendentalen Synthesis geleistet wird, jedoch weist auch
dort Kant nicht im Einzelnen nach, wie der Übergang von logischer Funktion zur
Kategorie gelingt. Es müsste eine Art transzendentalen Algorithmus geben, nach
dem jede Kategorie aus der jeweiligen Urteilsfunktion gebildet werden könnte.
Dass ein solcher Algorithmus sehr wohl angegeben werden kann, dafür jedoch
nicht nur die transzendentale Deduktion, sondern auch das Schematismuskapitel
herangezogen werden muss, ist zentrale Aufgabe der Untersuchung innerhalb
dieses Kapitels.
Die Aufgabe der Ableitung der Kategorien aus den logischen Funktionen zu
Urteilen setzt dabei die Beantwortung verschiedener Teilschwierigkeiten voraus:
Obgleich Kant eine Definition des Funktionsbegriffes gibt, ist dessen Einordnung
bis heute strittig, was vornehmlich auf Kants eigene, scheinbar inkonsistente
Verwendung des Begriffes zurückzuführen ist. Aufgabe der Interpretation muss es
daher sein, den Begriff der Funktion in Bezug auf seine Bedeutungsvarietät zu
erläutern und diese in einem System zur Einheit zu bringen.
Die zweite Interpretationsschwierigkeit betrifft die Begriffs- und gleichzeitige
Funktionsnatur der Kategorien. Als Begriffe müssen diese einen Anschauungs-
inhalt aufweisen. Da Anschauungen aber generell auf Affektion beruhen, d. h. der
Rezeptivität der Sinnlichkeit, die Kategorien jedoch ihren Ursprung gänzlich in der
spontanen Tätigkeit des Verstandes haben sollen, konfligiert die Begriffsnatur
zum einen mit der Theorie ihres Ursprungs in der reinen Verstandestätigkeit, zum
anderen mit ihrer Aufgabe als Funktionen, die Verknüpfung der Wahrnehmungen
zu Erfahrungen zu ermöglichen. Dementsprechend betrifft die Interpretations-
aufgabe einerseits die Durchsichtigmachung der Doppelnatur der Kategorien, was
die Angabe einer definitorischen Erklärung derselben erfordert, andererseits führt
sie auf die Frage nach ihrem Anschauungsinhalt. Diese Aufgabe kann in Form
einer Frage auch folgendermaßen formuliert werden:
Da Kant die mit den Kategorien verknüpfte Anschauung mit den transzendentalen
Schemata identifiziert, führt dies unmittelbar auf die Frage der adäquaten In-
terpretation derselben.
Wie gezeigt werden wird, sind die Schemata ebenfalls Funktionen, jedoch keine
logisch-idealen, sondern figural-reale. Trotz dieser Differenz wird darüber hinaus
einsichtig gemacht, dass diese hinsichtlich der Einheit des Verstandes identisch
sind mit den logischen Funktionen.
Die vierte Frage bezieht sich letztlich auf die Verbindung von Ideal- und
Realfunktion in der Kategorie.
Es wird dabei bewiesen werden, dass sich die Kategorien modallogisch aus den
Urteilsformen ableiten lassen. Mit diesem Nachweis ist die Aufgabe der meta-
physischen Deduktion abgeschlossen, sodass als nächstes die Frage zu klären ist,
20 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
ob die logischen Funktionen selbst ableitbar sind. Dies wird den Übergang zum
zweiten Kapitel bilden.
Der Argumentationsgang der Kritik der reinen Vernunft hebt von den äußeren
Bestimmungen des erkenntnisfunktionalen Objektes als transzendental be-
stimmbarem Gegenstand in Raum und Zeit an, um seinen „höchste(n) Punkt“³⁵ in
der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption zu gewinnen.³⁶ Dieser
Gang der Argumentation führt dabei notwendig über die Diskussion des Funkti-
onsinventars des menschlichen Geistes als eines endlichen Verstandes.
Kant weist in der transzendentalen Ästhetik nach, dass Raum und Zeit als
subjektive Anschauungsformen die „Affektibilitätsarten“³⁷ des rezeptiven Er-
kenntnisstammes darstellen. Die Affektion durch das transzendentale Objekt wird
notwendig als raum-zeitliches Affiziertsein des erkenntnisfunktionalen Subjektes
Leiber (), S. , beschreibt das kantische Programm der transzendentalen Logik treffend
als „eine funktionalistische Analyse und Beschreibung der informationsverarbeitenden Prozesse
des kognitiven Systems Mensch.“ Eine ähnliche Ansicht findet sich bereits bei Krausser (),
S. f. Obgleich diese kybernetische Interpretation nicht gänzlich unzutreffend ist, darf die
transzendentalphilosophische Analyse nicht als anthropologische oder gar psychologistische
missverstanden werden. Sie ist im strengen Sinne eine logische, sofern sie eine theoretische
Reflexion auf die Geltungsbedingungen des Denkens selbst darstellt.
KrV, B ; S. .
Zum Interpretationsgang der Kritik der reinen Vernunft cf. Baumanns (), S. ff.
Baumanns (), S. .
1.1 Die Idealfunktionen des reinen Verstandes 21
erwiesen.³⁸ Mit dieser Hereinnahme des Objektes in die Erkenntnis- und Be-
stimmungssphäre des Subjektes wird der transzendentale Gegenstand zum Er-
kenntnisobjekt in der Empfindung. Die Anschauungsformen ermöglichen dabei
als Bedingungen der Möglichkeit infinit limitierbarer spatialer und temporaler
Extensionalität die präkategoriale Empfindung als Mannigfaltigkeit in der An-
schauung.³⁹ Damit aus dem so gewonnenen Empfindungsmaterial, welches durch
Raum und Zeit in seiner ungeordneten Vielheit erst möglich wird, nun Wahr-
nehmung werden kann, ist es notwendig, dieses im empirischen Bewusstsein zu
einer Einheit zu synthetisieren. Die raum-zeitlichen Affektibilitätsformen als
Möglichkeitsbedingungen der Vielheit fordern also gerade durch ihren Ein-
schränkbarkeitscharakter die Einheitsfunktionen als „quantifizierende Ein-
schränkungsarten“⁴⁰ in ihrem ursprünglichen Sinne als „Ur-Teile“⁴¹ zum Kom-
plement.⁴² Es ist daher wesentlich zu sehen, dass die zwei Erkenntnisstämme trotz
ihrer Heteronomie in ihrem Verhältnis auf die Möglichkeitsbedingungen der Er-
kenntnis korreliert sind. Ergo stehen die mit ihnen verbundenen Erkennt-
nisgründe, Affektion und Funktion, in einem Verweisungszusammenhang, in dem
Rezeptivität und Spontaneität durch ihre jeweiligen Formen miteinander ver-
knüpft sind.⁴³ Gleichwohl gilt es, die Möglichkeit der Verbindung im Ganzen sowie
die Notwendigkeit der einzelnen Verknüpfungen von Denk- und Anschauungs-
form im Besonderen transzendental-deduktiv einsichtig zu machen.
Die Doppelnatur der Erkenntnis als Synthese von Anschauung und Begriff
spiegelt sich in der inhärenten Struktur des Subjektes als passives, d. h. selbst- und
fremdaffektibeles Subjekt⁴⁴ auf der einen und spontanes, d. h. autonomes und
Wie Affektion als solche möglich ist, bleibt noch unausgesprochen, sofern die Bezugnahme
auf diese in der transzendentalen Ästhetik bloß in dem Verweis auf ihre Assertion als Erkennt-
nisnotwendigkeit besteht. Unserer Ansicht nach reicht es dennoch nicht aus, die Notwendigkeit
einer primordialen „Empfindungskausalität“ einfach zu postulieren (cf. Baumanns (),
S. ), sondern diese muss zumindest von der Möglichkeit ihres Begriffes her einsichtig gemacht
werden. Dass dies auf Basis des kantischen Textes gelingen kann, wird in Kapitel .. demon-
striert werden.
Cf. Kap. ...
Die Analogie zum Begriffspaar ἄπειρον und πέρας liegt nahe.
Baumanns (), S. .
Die Einheit von transzendentaler Ästhetik und Analytik im System der Transzendentalphi-
losophie betont ebenfalls Grayeff (), S. : „So ist offenbar, daß das Kantische System
einheitlich ist und daß Kant nichts anderes lehrt, als daß das Bewußtsein, indem es sich selbst
bestimmt, zugleich Zeit und Raum bestimmt und somit das geordnete Bild der Erscheinungen
spontan hervorbringt.“
Cf. Baumanns (), S. .
Eine Diskussion der sogenannten Selbstaffektion und ihrer Erklärung wird erst im Kapi-
tel .. geleistet werden können.
22 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
heautonomes Subjekt auf der anderen Seite wider. Beide Vermögen der Rezepti-
vität und Spontaneität, i. e. Sinnlichkeit und Verstand, sind sowohl hinsichtlich
ihres Charakters als Vermögen bestimmter Vorstellungen, nämlich Anschauungen
und Begriffe, als auch hinsichtlich ihres Grundes irreduzibel, obgleich sie sich
komplementär zueinander verhalten.
Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affektionen, die Begriffe also auf Funktio-
nen.⁴⁵
Ich verstehe aber unter Funktion die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter
einer gemeinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gründen sich also auf der Spontaneität des
Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der Rezeptivität der Eindrücke.⁵⁰
Was ist also unter dem Terminus „Einheit der Handlung“ zu verstehen? Schon eine
rein semantische Überlegung lässt drei Möglichkeiten zu: Einmal kann sich der
Begriff der Einheit attributiv auf den der Handlung beziehen.⁵¹ Die Funktion wird
dann als diejenige Einheit verstanden, welche in der Handlung zu finden ist. Als
solche bezeichnet sie die Regel der mentalen Urteilstätigkeit.⁵² Zweitens kann sie
als das Resultat der Urteilshandlung aufgefasst werden.⁵³ Unter dem Begriff der
Funktion wird dann diejenige Einheit gefasst, welche durch die Handlung erst
hervorgebracht wird. Die Funktion kann damit letztlich mit dem Ziel der Handlung
identifiziert werden, i. e. mit der durch sie generierten Ordnung, respektive Form
einer diskursiven Vorstellung. ⁵⁴ Als dritte Möglichkeit kann die Funktion als
Handlungseinheit verstanden,⁵⁵ d. h. als die unter einer Regel stehende Handlung
selbst.⁵⁶
Auf den ersten Blick scheinen die drei Deutungen des Begriffes nicht mit-
einander vereinbar zu sein, so dass es notwendig wäre, sich für eine der drei
Möglichkeiten zu entscheiden. Dagegen spricht jedoch Kants eigene Verwendung
des Funktionsbegriffes. So ist bereits Paton aufgefallen, dass Kant den Begriff der
Funktion in allen drei Bedeutungen in Bezug auf die Urteilshandlung verwendet:
(1) [] functions of unity are to be found in judgements; (2) [] judgements are functions of unity;
and (3) [] a function is the unity of an act which (I believe) is judgement.⁵⁷
Hierbei stehen der Interpretation prinzipiell zwei Wege offen, auf diesen Befund
zu reagieren: Die erste und leichtere Möglichkeit besteht darin, einfach anzu-
nehmen, dass Kant sich selbst über den richtigen Gebrauch seines eigenen Be-
griffes im Unklaren war. Diese Interpretation müsste jedoch in Kauf nehmen, dass
einer der zentralen Begriffe Kants damit eine Ambivalenz aufweist. Die andere
Möglichkeit besteht darin, die scheinbare Ambivalenz des Funktionsbegriffes als
notwendig und sachgerecht zu erweisen; eine ungleich schwerere Aufgabe, deren
Lösung jedoch für die Frage nach der Konsistenz der kantischen Erkenntnistheorie
unentbehrlich ist.
Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt darin, die Art und Weise zu
untersuchen, wie sich die Funktion auf die Handlung beziehen kann, um diese zur
Einheit zu bringen. Diese Beziehung der Funktion auf die Handlung kann nun
keine andere sein als eine Bestimmung der Handlung. Damit ist klar, dass die
Beziehung der Funktion auf die Urteilstätigkeit notwendig auf den dreifachen
Gebrauch des Funktionsbegriffes führt (vgl. Abbildung 2):
1. Die Handlung muss durch die Funktion als bestimmbar gedacht werden.
Die Vorstellung der Bestimmbarkeit der Handlung bedingt notwendig die
Vorstellung, dass die Funktion sich als Regel auf diese bezieht.⁵⁸
2. Die Handlung muss durch die Funktion als bestimmend gedacht werden.
Das Bestimmende der Handlung durch die Funktion verweist auf ihren
Handlungscharakter. Die Funktion ist auch Handlung, sofern sie im Denkakt
als Modus desselben präsent ist.⁵⁹
3. Die Handlung muss durch die Funktion als bestimmt gedacht werden.
Die Funktion als Bestimmung der Handlung bildet notwendig die dritte Dimension
der Funktion, i. e. die durch die Funktion in der Handlung hergestellte Einheit. Alle
drei Dimensionen des Funktionsbegriffes sind bestimmungslogisch notwendig
miteinander verknüpft. Sie können daher auch nicht getrennt werden, da alle drei
Verwendungen sich gegenseitig logisch fordern.⁶⁰ Die Unterscheidung von
Funktion und Form⁶¹, also der im Urteil realisierten Einheit, wie sie beispielsweise
Peter Schulthess⁶² und Michael Wolff⁶³ vorschlagen, aberriert damit den ur-
sprünglichen Sinn des kantischen Funktionsbegriffes.⁶⁴ Die Funktion kann also als
eine Regel definiert werden, (1) welche als Modus einer auf ein gegebenes Vorstel-
Wie Prien richtig sieht, versteht Kant unter dem Begriff der Regel die Gesetzmäßigkeit einer
Handlung, cf. Prien (), S. .
In den Prolegomena bezeichnet Kant die Momente auch als Modifikationen der Urteils-
handlung, cf. Proleg. AA IV, ; S. .
Eine ähnliche Struktur findet sich bereits im Titel der Kritik der reinen Vernunft. So wird die
Vernunft erstens als durch die Kritik bestimmt gedacht, sofern sie Gegenstand der Kritik ist;
zweitens als bestimmend, sofern die Vernunft selbst kritisch ist und drittens muss die Kritik selbst
als das Ergebnis der bestimmenden Selbstkritik der Vernunft gedacht werden.
Von systematischem Interesse ist die bestimmungslogische Triadik ebenfalls für die prak-
tische Philosophie. So lässt sich mit ihr eine Perspektive auf eine adäquate Interpretation des
sogenannten „Faktums der Vernunft“ (KpV, A 56; AA IV, 55; S. 36) entwickeln. Statt, wie in den
bisherigen Interpretationsversuchen, den Genitiv entweder als genitivus objektivus – cf. Beck
(1960/61), S. 279 – oder als genitivus subjetivus – cf. Schöndorf (1995), S. 185 – zu verstehen, lässt
sich dem Problem des „Faktums“ bestimmungslogisch begegnen: Erstens bezeichnet das Faktum
der Vernunft eine Bestimmung des Willens; zweitens muss der Wille als bestimmend durch das
Faktum gedacht werden und drittens bildet das Faktum selbst diese Bestimmung des Willens.
Cf. Malzkorn (), S. .
Cf. Schulthess (), S. .
Cf. Wolff (), S. ff.
Gegen Wolff cf. auch Baumanns (), S. f.
26 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln erklärt wird, so ist Urteilskraft
das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, d. i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer
gegebenen [Hervorhebung, M. B.] Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht. Die allgemeine
Logik enthält gar keine Vorschriften für die Urteilskraft, und kann sie auch nicht enthalten.
Denn da sie von allem Inhalte der Erkenntnis abstrahiert: so bleibt ihr nichts übrig, als das
Geschäfte, die bloße Form der Erkenntnis in Begriffen, Urteilen und Schlüssen analytisch
auseinander zu setzen, und dadurch formale Regeln [=Funktionen, M. B.] alles Verstan-
desgebrauchs zu Stande zu bringen. Wollte sie nun allgemein zeigen, wie man unter diese
Regeln subsumieren, d. i. unterscheiden sollte, ob etwas darunter stehe oder nicht, so könnte
dieses nicht anders, als wieder durch eine Regel geschehen. Diese aber erfordert eben darum,
weil sie eine Regel ist, aufs neue eine Unterweisung der Urteilskraft, und so zeigt sich, daß
zwar der Verstand einer Belehrung und Ausrüstung durch Regeln fähig, Urteilskraft aber ein
besonderes Talent sei, welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will.⁶⁷
Der ähnliche Vorschlag Hoeppners, die Funktion nicht als spezifizierte, sondern
als komplexe Aktivität, entsprechend den Handlungen der Begriffsbildung im
Sinne der drei in der Jäsche-Logik gelisteten Tätigkeiten der Komparation, Re-
flexion und Abstraktion zu verstehen,⁶⁸ verfängt daher in doppelter Hinsicht
nicht: Erstens ignoriert seine exklusivistische Interpretation die zwei anderen stets
mitpräsenten Dimensionen des Funktionsbegriffes. Zweitens ist es gerade die
Spezifikation der Urteils- als Bestimmungshandlung, welche die besondere
Funktion ausmacht.⁶⁹ Die Funktion ist nichts weniger als eine komplexe Hand-
Priens hat daher unrecht, wenn er meint, dass Kant mit dem Begriff der „Einheit der Hand-
lung“ keine allgemeine Definition des Funktionsbegriffes vorlegt, sondern nur eine kontextuelle
Angabe einer „ganz bestimmten Funktion“ (Prien (), S, ).
Prien (), S. .
KrV, A f. | B f.; S. f.
Cf. Hoeppner (), S. .
Hierauf wies bereits Natorp (), S. f. hin: „Übrigens verdient beachtet zu werden, daß
Kant von seiner vielgestaltigen Synthesis als das Ursprünglichere und überhaupt Ursprüngliche
die „synthetische Einheit“ (Einheit der Synthesis, das heißt was ihr Einheit gibt) unterscheidet, die
1.1 Die Idealfunktionen des reinen Verstandes 27
lung.Vielmehr stellen die Funktionen die Elementarmodi des Denkens dar, welche
die komplexen Einheitsbestimmungen der Anschauungsmannigfaltigkeit durch
die Begriffe, respektive auch die Bildung derselben erst ermöglichen. Der § 6 der
Logik nach Jäsche⁷⁰, welchen Hoeppner als Beweis für seine These der Funktion
als komplexer Handlung anführt, belegt daher geradezu das Gegenteil seiner
Annahme. So ist die von ihm gewählte Zuordnung der Tätigkeiten des Verstandes
in der logischen Begriffsbildung – Komparation, Reflexion und Abstraktion – als
Qualität, Quantität und Relation zwar durchaus zutreffend⁷¹, jedoch setzen gerade
diese die Bestimmung der Handlung durch die Elementarfunktionen voraus.
Bereits Vuillemin⁷² weist auf den Umstand hin, dass der Gang der Begriffsbildung
der Jäsche-Logik gemäß den „drei Funktionen der reinen Synthesis“⁷³ bereits
gewisse logische Operationen, beispielsweise die der Implikation und Quantifi-
zierung, voraussetzt.⁷⁴ Vuillemin meint hierin eine „der zahlreichen logischen
Unstimmigkeiten der Lehre Kants“⁷⁵ zu erblicken. In der Tat besteht dann eine
Unstimmigkeit, wenn man, wie Hoeppner, die drei Funktionen der reinen Syn-
thesis mit den logischen Funktionen in den Urteilen identifiziert, da erstere
wiederum Operationen, also logische Handlungen, respektive Funktionen vor-
aussetzen, welche durch sie doch erst begründet werden sollen. Der Widerspruch
lässt sich leicht vermeiden, wenn man auf diese Identifikation verzichtet. Aller-
dings folgt daraus notwendig, dass unklar bleibt, wie die Urteilsfunktionen an der
Einheit der Synthesis beteiligt sind. Dieses Problem kann jedoch erst gelöst
als „Funktion“, als „Handlung“ ihm also erst das Letztbestimmende, Schöpferische des Denkens
eigentlich darstellt.“
Jäsche-Logik, AA IX, .
Cf. Hoeppner (), S. .
Das Problem der drei Synthesen in der Vorstellung des Gegenstandes wird in Kap. 3.1 in Bezug
auf die kategoriale Struktur des empirischen Denkens aufgegriffen werden. Hoeppners Zuordnung
ist zwar prinzipiell zutreffend, jedoch ist sie in Bezug auf die, an der Genesis der Erfahrung be-
teiligten Elementarfunktionen hin zu differenzieren.
Vuillemin (), S. .
Op. cit., S. .
Nach Vaihinger verwirft Kant die Lehre der dreifachen transzendentalen Synthesis, indem von
ihm die drei Synthesen in Auflage B „wieder in das Gebiet der psychologia communis hinab-
gestossen und aus der Transscendentalphilosophie hinausgewiesen [werden], in die sie sich in
jenem Abschnitt unrechtmäßigerweise gedrängt haben.“ Vaihinger (), S. . Vaihingers
These einer Zurücknahme der Lehre der dreifachen Synthesis zugunsten der transzendentalen
Apperzeption ist sicherlich im Kern richtig. Kant kann diese Lehre auch entsprechend unbe-
schadet revidieren, da die drei transzendentalen Synthesen eben nicht mit den Funktionen der
Urteile zu verwechseln sind, sofern die Urteilsformen als bloße Funktionen der Einheit bezüglich
ihres synthetischen, respektive analytischen Gebrauchs invariant sind.
Op. cit. S. .
28 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
werden, wenn gezeigt werden kann, wie die Funktionen zu Urteilen mit dem Grund
der Einheit der Synthesis, i. e. der Apperzeption zusammenhängen.⁷⁶ Vorerst reicht
es, sich klar zu machen, dass Begriffe nach Kant auf Funktionen, d. h. auf einem
Komplex von (vier) verschiedenen Urteilen beruhen, welche wiederum je drei
Formen besitzen können und nicht bloß auf einer einzelnen komplexen Bestim-
mungshandlung, die diesen Namen trägt. Diese Verbindung von Handlung und
Funktion wird im nächsten Gliederungsabschnitt zu thematisieren sein.
Neben diesen Einwänden gegen Hoeppners Interpretation des Funktionsbe-
griffes sind darüber hinaus Priens Bedenken gegen die Darstellung der Begriffs-
bildung durch Jäsche selbst zu erwähnen, welche wiederum Hoeppner bekannt-
lich zur Interpretationsgrundlage dienen. Nach Prien verwechsele Jäsche „die
Handlungen, durch die eine empirisch vorgegebene Materie zu Begriffen aufge-
funden wird, mit den Handlungen, durch die eine Vorstellung, die als schon ge-
geben betrachtet wird, allgemein gemacht wird.“⁷⁷ Jäsche konfundiert also, Prien
zufolge,⁷⁸ die Handlung, mit der eine Gemeinsamkeit unter Gegenständen ge-
funden wird, mit der Handlung der Begriffsbildung.⁷⁹ Unserer Ansicht nach hat
Prien mit seiner Analyse recht. Diese findet sich in der Unterscheidung von
transzendentaler und empirischer Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft
bestätigt:
Ich nenne daher die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen
können, die transzendentale Deduktion derselben, und unterscheide sie von der empirischen
Deduktion, welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion über
dieselbe erworben worden, und daher nicht die Rechtmäßigkeit, sondern das Faktum betrifft,
wodurch der Besitz entsprungen.⁸⁰
In der Tat ist die Reflexion der „zentrale logische Akt“⁸¹ der Begriffsbildung und
somit nicht gleichwertig mit Komparation und Abstraktion. Dass die Reflexion
sowohl für die Bildung der empirischen Begriffe als auch für die der Kategorien
verantwortlich ist, wird in 1.3.3 bezüglich der einzelnen Kategorien erörtert sowie
in 2.2.5 mit Verweis auf die transzendentale Reflexionsstruktur der Apperzeption
bewiesen.
Funktionen sind als Regeln immer auf ein Regelvermögen angewiesen. Dieses
Vermögen ist das des Verstandes. Dessen erste definitorische Fassung ist bloß
abgrenzend gegenüber seinem komplementären Vermögen:
Der Verstand wurde oben bloß negativ erklärt: durch ein nichtsinnliches Erkenntnisver-
mögen. Nun können wir, unabhängig von der Sinnlichkeit, keiner Anschauung teilhaftig
werden. Also ist der Verstand kein Vermögen der Anschauung.⁸²
Da der Verstand nun kein Vermögen der Anschauungen sein kann, Erkenntnis i. w.
S. für den Menschen jedoch entweder durch Anschauungen oder durch Begriffe
möglich ist, muss der Verstand ein Vermögen der Begriffe sein.⁸³
Es gibt aber, außer der Anschauung, keine andere Art, zu erkennen, als durch Begriffe. Also
ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen, Verstandes eine Erkenntnis
durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv.⁸⁴
Dass der Mensch nur über diese beiden Erkenntnisvermögen verfügt, mag ange-
sichts der Nichtnotwendigkeit seiner spezifischen Natur kontingent sein, inner-
halb des wechselseitigen Bedingungsgefüges von Sinnlichkeit und Verstand ist
dies jedoch keineswegs der Fall. Nur durch ihre Verbindung kann Erkenntnis, in
ihrer spezifisch menschlichen Erkenntnisform, überhaupt zustande kommen. Die
Kontingenz betrifft also nur die transzendentalen Voraussetzungen des Erkennt-
nisapparates als Ganzen, nicht jedoch das notwendige Verhältnis der Erkennt-
nisvermögen untereinander.⁸⁵
Erkenntnis aus Begriffen ist nur möglich, wenn der Verstand die Begriffe
operationalisierbar macht. Dies geschieht dadurch, dass er Begriffe in einem Urteil
gebraucht.
Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen andern Gebrauch machen, als daß er
dadurch urteilt.⁸⁶
Begriffe sind für Kant immer conceptus communes. Sie beziehen sich niemals
direkt auf einen bestimmten Gegenstand, wie eine Anschauung, sondern be-
zeichnen immer eine Vielheit möglicher Objekte, auf die der Begriff Anwendung
findet. Der Begriff etabliert eine Einheit der Vorstellungsmannigfaltigkeit, indem
er deren Vielheit unter sich qua einer Urteilshandlung subsumiert. Urteile sind
demnach Handlungen, durch die mittels Regeln, i. e. Funktionen, die Anschau-
ungsmannigfaltigkeit unter, oder im Falle eines reflektierenden Urteilsgebrauchs,
auf einen Begriff gebracht wird.⁸⁷ Der Begriff selbst stellt dabei die Bedingung der
Anwendung dieser Regel in einem mittel- oder unmittelbaren Urteil dar.⁸⁸ Es ist der
Verstand als Urteilsvermögen, welcher dabei die Bedingung der Möglichkeit des
Unserer Ansicht nach gilt dies ebenfalls von den Kategorien, von denen Kant versichert, dass
ein Grund hinsichtlich ihrer Anzahl und Eigenart nicht gegeben werden kann, cf. KrV, B f.;
S. . Das System der Kategorien mag im Ganzen kontingent sein, ohne dass damit gesagt wäre,
dass die Elemente und die Struktur des Systems in Bezug auf dieses selbst kontingent sind.
KrV A | B ; S. .
Der Fall des reflektierenden Urteilsgebrauchs findet sich erst in der Kritik der Urteilskraft
vollends systematisch entwickelt.
cf. KrV, A | B ; S. .
Es ist Hoeppner daher darin nicht zuzustimmen, dass nach Kant nur Begriffe als Regeln
gebraucht werden können, cf. Hoeppner (2011), S. 200. Sowohl Begriffe als auch Urteile können als
Regel dienen, cf. Malzkorn (1999), S. 28. Dies erklärt sich bereits daraus, dass die Begriffe „Begriff“
und „Urteil“ in einem ’korrelativen Verhältnis’ zueinander stehen, wie Kynast (1925), S. 140
deutlich macht: „[Ein] Begriff ist nichts anderes als ein Geltungszusammenhang von Urteilen, eine
Geltungseinheit von Urteilen, wie das Urteil eine Geltungseinheit von Begriffen ist“. Die Gel-
tungseinheit ist dabei als Abstraktion vom „’lebendigen Denken’ eines die Begriffe erkennenden
Subjektes gedacht.“ (ibid.). Kynast weist damit vollkommen zutreffend darauf hin, dass die
Formen der logischen Geltungseinheiten in einem abstraktiven Verhältnis zu den Funktionen der
kognitiven Operationen des (transzendentalen) Subjektes stehen. An dieser Stelle ist damit bereits
auf die Primordialität der letzteren verwiesen, welche es in Kapitel 2.2 herauszuarbeiten gilt.
1.1 Die Idealfunktionen des reinen Verstandes 31
Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unsern Vorstellungen, da nämlich
statt einer unmittelbaren Vorstellung eine höhere, die diese und mehrere unter sich begreift,
zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht, und viel mögliche Erkenntnisse dadurch in
einer zusammengezogen werden. Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf
Urteile zurückführen, so daß der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt
werden kann.⁸⁹
Urteile sind für Kant im Allgemeinen Aussageweisen. Das einfachste Urteil, auf
welchem letztlich alle anderen basieren, sofern es „die Materie der übrigen Urteile
ausmacht“⁹⁰, ist das kategorische der Form p(x& Alle anderen Urteilsarten sind
Spezifikationen dieser allgemeinen Urteilsform, hinsichtlich des Gültigkeitsum-
fangs des kategorischen Urteils (Quantität)⁹¹, hinsichtlich seiner prädikativen
Form (Qualität), hinsichtlich anderer Urteile in komplexen Urteilen, i. e. Schlüssen
(hypothetische oder disjunktive Urteile), oder letztlich in Bezug auf die Bedingung
des Urteilsvermögens überhaupt (Modalität).⁹² Die Urteilstafel listet nun gemäß
diesen vier Bestimmungshinsichten alle logisch möglichen Konkretionen des
kategorischen Elementarurteils auf. Gleichzeitig liefert damit die Urteilstafel eine
Liste aller vier logischen Bestimmungshandlungen ⁹³ und der Gesetze ihrer Ein-
heit.⁹⁴
Die in der Urteilstafel gelisteten Urteilsformen sind also gleichzeitig die For-
men des reinen Verstandes, welche sich durch die gänzliche Abstraktion von aller
Materie des Urteils gewinnen lassen:⁹⁵
Wenn wir von allem Inhalte eines Urteils überhaupt abstrahieren, und nur auf die bloße
Verstandesform [Hervorhebung, M. B.] darin Acht geben, so finden wir, daß die Funktion des
Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden könne, deren jeder drei Momente
unter sich enthält.⁹⁶
Für Kant sind Urteilsformen immer Verstandesformen, insofern sie dem Verstand
als einem regelsetzenden Vermögen entspringen. Es ist also der Verstand, welcher
die Vorstellungsmannigfaltigkeit informiert, indem er diese in einem Urteil gemäß
seiner eigenen Gesetze zur Einheit bringt.
Die bloße Form des Verstandes bildet die höchste Abstraktionsstufe des
Denkens, da sie weder Begriffe noch Grundsätze enthält. Damit ist jedoch ein
Problem verbunden. Da Kant die Urteilsformen als Verstandesfunktionen fasst,
setzt er voraus, dass der Verstand in Ansehung seiner bloßen Form ein Vermögen
darstellt, welches Funktionen besitzt, die die Verwendung von Begriffen in Ur-
teilen ermöglichen, ohne dass dem Verstand als bloßem Urteilsvermögen bereits
Begriffe gegebenen wären. Dies gilt insbesondere für die Kategorien als die reinen
Verstandesbegriffe, welche nun gerade erst durch die Urteilsfunktionen gefunden
werden sollen.⁹⁷
Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die
Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann.⁹⁸
Aportone scheint dieses Problem im Ansatz erkannt zu haben.⁹⁹ Der Schluss je-
doch, den er hieraus zieht, nämlich dass die Kategorien nicht aus den Urteils-
funktionen gebildet werden,¹⁰⁰ sondern dass diese nur die ratio cognoscendi der
Kategorien darstellen,¹⁰¹ welche selbst die „Tiefengrammatik“¹⁰² des Verstandes
bilden, kehrt den Sinn des kantischen Argumentes in Gänze um. Der Kern der
transzendentalphilosophischen Überlegung besteht, im Gegensatz zur Annahme
Aportones, nun gerade darin, dass Kant zu zeigen versucht, dass die subjektiven
Denkformen in Verbindung mit den gleichursprünglichen subjektiven Anschau-
ungsformen objektive Bestimmungen der Erfahrung und ihrer Gegenstände dar-
stellen.¹⁰³ Bereits im Grund-Folge-Argument („Alle Begriffe beruhen auf Funk-
tionen.“),¹⁰⁴ kommt dies zum Ausdruck. Die Aufgabe der vollständigen Deduktion
besteht nun gerade darin, a priori zu zeigen, dass auf bestimmten Funktionen, den
Elementarbestimmungen der Urteilshandlungen, bestimmte Begriffe beruhen,
welche die grundlegenden Verknüpfungsgesetze der Wahrnehmungen bilden.¹⁰⁵
Der Verstand als Vermögen der Begriffe und der Verstand als Urteilsvermögen
scheinen sich also gegenseitig zu fordern, insofern Begriffe ohne ihre prädikative
Verwendung in einem Urteil in Bezug auf eine Vorstellungsvielheit sinnlos, Urteile
ohne Begriffe jedoch gänzlich leer wären.¹⁰⁶ Innerhalb der formalen Logik stellt
letzteres kein Problem dar, da die wesentliche Eigenschaft der formalen Logik ja
gerade in der Abstraktion der Urteilsformen von konkreten Inhalten besteht,
welche durch Variablen in den formalen Sprachen der Logik substituiert wer-
den.¹⁰⁷ Kants Analyse ist jedoch nicht rein formal-logisch, sondern in erster Linie
transzendental-logisch, da sie die notwendigen Bedingungen des Denkens, re-
spektive des Verstandes aufweisen soll.¹⁰⁸ Kann der Verstand also sinnvoll als ein
Vermögen beschrieben werden, welches bloße Denkfunktionen besitzt,¹⁰⁹ oder ist
der Verstand immer zuerst Begriffsvermögen?¹¹⁰ Für letztere Bestimmung spricht
die Reihenfolge der vermögenstheoretischen Überlegungen Kants, welcher den
Verstand zuerst als Begriffsvermögen und hernach als Vermögen zu urteilen
fasst.¹¹¹ Gegen diese und damit für die erste Interpretation lässt sich jedoch an-
führen, dass die Aufgabe der metaphysischen Deduktion gerade in der Auffindung
der Kategorien, also der reinen Begriffe des Verstandes aus den Funktionen zu
urteilen besteht.¹¹² Dies spräche dafür, dass der Verstand als ein reines Urteils-
Die Frage, ob die formale Logik tatsächlich rein extensional aufzufassen ist, wurde in der
Geschichte der Philosophie kontrovers diskutiert, cf. Buhl (), S. ff. ebenso Schulte
(), S. .
Eley (), S. , weist richtig auf die Fundierungsfunktion der Transzendentalphiloso-
phie in ihrem Verhältnis zur Logik hin: „Logik kann nur durch transzendentale Logik ihren Grund
finden“.
Enskat (), S. , versteht Kants Begriff des Vermögens als „Kompetenz“. So ist „jeder,
der die ermittelten logischen Funktionen korrekt zu benutzen weiß, [] mit dem entsprechenden
Vermögen begabt.“ op. cit., S. . Enskat konfundiert mit dieser Lesart Kants eigentliche, in der
transzendentalen Analytik vorgenommene Analyse des transzendentalen Konstitutionsrahmens
der Möglichkeit des logischen Verstandesgebrauchs mit der Frage seiner korrekten Anwendung.
Letztere ist jedoch nicht mehr Teil der Transzendentalphilosophie im engeren Sinne, sondern der
empirischen Psychologie. „Eine allgemeine Logik heißt aber alsdann angewandt, wenn sie auf die
Regeln des Gebrauchs des Verstandes unter den subjektiven empirischen Bedingungen, die uns
die Psychologie lehrt, gerichtet ist. Sie hat also empirische Prinzipien, ob sie zwar insofern all-
gemein ist, daß sie auf den Verstandesgebrauch ohne Unterschied der Gegenstände geht. Um
deswillen ist sie auch weder ein Kanon des Verstandes überhaupt, noch ein Organon besonderer
Wissenschaften, sondern lediglich ein Kathartikon des gemeinen Verstandes.“ KrV, A | B f.;
S. f.
Ehrenberg formuliert eine ähnliche Kritik an Hegels Gebrauch der Kategorien: „Es frägt sich
also, ob die einzelne Kategorie ohne einen bestimmten ausserhalb der Kategorie liegenden Inhalt
noch philosophische Objektivität (Wahrheit) besitzen kann, zumal wenn die Kategorienlehre am
Anfang des Systems steht und die anderen Begriffe, auf die sich die Kategorien potenziell be-
ziehen, noch gar nicht entwickelt sind. Dieses Bedenken gegen die Logik Hegels führt mich auf den
Gedanken, die Kategorientafel im konkreten Zusammenhang mit den Inhalten der philosophi-
schen Disziplinen zu deduzieren.“ Ehrenberg (), S. .
Malzkorn geht davon aus, dass dem logischen Begriff des Verstandes eine bloß heuristische
Funktion zukommt. Die Bestimmung des Verstandes als ursprüngliches Begriffsvermögen ginge
dementsprechend seiner Bestimmung als Urteilsvermögen voran, cf. Malzkorn (), S. .
Wie Aportone (), S. , Anm. , richtig bemerkt, ist diese Ansicht vor allem in der
englischen, respektive amerikanischen Kantforschung vertreten: Cf. Allison (), S. ; Young
(), S. .
1.1 Die Idealfunktionen des reinen Verstandes 35
„Die Überlegung (reflexio) hat es nicht mit den Gegenständen selbst zu tun, um geradezu von
ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst dazu
anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen
gelangen können.“ KrV, A | B ; S. .
Die Verbindung der Urteilstafel zur Tafel der Reflexionsbegriffe wird im nächsten Kapitel zu
diskutieren sein, indem die Abkünftigkeit der ersteren aus letzterer bewiesen wird, cf. Kap. 2.2.5.
Hoffmann (), S. , weist in seiner Rezension von Brandts Buch über die kantische
Urteilstafel von darauf hin, dass es für eine Erklärung der Urteilstafel nötig wäre, „das
Urteilen als selbsthaften und funktional selbstbestimmenden Prozeß zu denken, dessen auch
formale Instanzen (die Urteilsformen) sich, wenn schon nicht unmittelbar dem Fokus einer
transzendentalen Apperzeption, so doch der eigenen inneren Logik dieses Prozesses verdanken.“
Dass dies gelingen kann, insbesondere mit Blick auf die transzendentale Apperzeption, wird in
Kapitel .., i. e. der bestimmungslogische Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel, gezeigt.
cf. Schulthess (), S. f.
36 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
sollen die Urteilsfunktionen als die bloß logischen Funktionen des Verstandes
daher Idealfunktionen genannt werden.
Der Verstand handelt als Vermögen des Gemüts, indem er denkt. Denken ist aber
nichts anderes als Vorstellungen in Urteilen zu verbinden. Ergo bestehen die
genuinen Handlungen des Verstandes in Urteilen, „so daß der Verstand überhaupt
als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann.“¹¹⁶ Erkenntnis im eigentli-
chen Sinne besteht darin, dass der Verstand über einen Gegenstand in der An-
schauung urteilt, d. h. eine Bestimmung desselben durch einen Begriff vor-
nimmt.¹¹⁷ Diese Bestimmung kann notwendig oder nicht-notwendig im Begriff des
Gegenstandes enthalten sein; im ersten Falle ist das Urteil analytisch, in zweiten
synthetisch.
Entweder das Prädikat B gehört zum Subjekt A als etwas, was in diesem Begriffe A (ver-
steckter Weise) enthalten ist; oder B liegt ganz außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben
in Verknüpfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Urteil analytisch, in dem andern syn-
thetisch. Analytische Urteile (die bejahende) sind also diejenige, in welchen die Verknüpfung
des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, diejenige aber, in denen diese Verknüpfung
ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urteile heißen. Die erstere könnte man auch
Erläuterungs-, die andere Erweiterungsurteile heißen, weil jene durch das Prädikat nichts
zum Begriff des Subjekts hinzutun, sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Teil-
begriffe zerfallen, die in selbigen schon (obgleich verworren) gedacht waren: da hingegen die
letztere zu dem Begriffe des Subjekts ein Prädikat hinzutun, welches in jenem gar nicht
gedacht zwar, und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen wer-
den.¹¹⁸
Diese Differenz ist unabhängig von der Form des Urteils, respektive von der der
Bestimmungshandlungen zugrunde liegenden Funktion.¹¹⁹ So sind die beiden
Urteile „Alle Körper sind ausgedehnt.“¹²⁰ und „Alle Körper sind schwer.“¹²¹ formal
identisch, jedoch ist nach Kant der Begriff der Ausdehnung im Gegensatz zum
Begriff der Schwere bereits durch den Begriff des Körperseins mit ausgesagt.¹²²
Aus der bloßen Form des Urteils lässt sich also der Unterschied analytischer und
synthetischer Urteile nicht ablesen.¹²³
Urteilen oder Denken ist dem menschlichen Verstand nicht nach Belieben
möglich; ihm sind Grenzen in der Bestimmung seines Gegenstandes gesetzt. Diese
Grenzen sind vornehmlich durch die Logik definiert. Über die Frage, wie Kants
Begriff der Logik aufzufassen ist, respektive welchen Status ihre Regeln als Ge-
setze des Verstandes besitzen, besteht in der Kantforschung Uneinigkeit. So ver-
steht Prien Kants Begriff von den Regeln der Logik präskriptiv, d. h. die „Logik
stimmung zu bringen, weitestgehend ignoriert, kommt er zu dem falschen Schluss, dass Kant
unter einem synthetischen Urteil keine Erweiterung eines Begriffes, sondern den Übergang zu
einem neuen Begriff versteht, cf. op. cit. S. 167 f.
Reich (), S. , betont diese Indifferenz der formalen Logik „gegen den Unterschied des
Grundes eines Urteils, ob analytisch […] oder synthetisch“ wider Kiesewetter.
1x K (x& 6 A(x& K: Körper; A: Ausdehnung.
1x K (x& 6 S(x& K: Körper; S: Schwere.
Tuschling () diskutiert in seinem Aufsatz die Frage, ob analytische und synthetische
Urteile ineinander umwandelbar seien. In seiner durch Quine geschulten Kritik am logischen
Empirismus kommt er zu dem Schluss, dass die Unterscheidung analytisch/synthetisch (op. cit.,
S. ) und die von apriori/empirisch (op. cit., S. ) hinfällig sei. Dieser nicht nur für den
logischen Empirismus, sondern auch für den transzendentalen Idealismus verheerenden Kon-
sequenz dieser logisch-begrifflichen Einebnung, versucht Tuschling zugunsten des letzteren
durch eine „Empirisierung“ der transzendentalen Grundsätze zu entgehen (cf. op. cit., S. ),
welche er mit Blick auf das Opus postumum auch im Sinne Kants als gerechtfertigt ansieht. Als
Konsequenz betont Tuschling die bleibende Bedeutung und Aktualität der Frage nach der Mög-
lichkeit synthetischer Urteile a priori als grundlegende Frage einer allgemeinen Wissenschafts-
theorie (cf. op. cit., S. ).
Tuschlings interessanter Vorschlag kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden, sofern er
den interpretierend-rekonstruktiven Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengt. An dieser Stelle sei
jedoch auf die Problemverwandtschaft zwischen dem von Tuschling diskutierten Problem des
Opus postumum, i. e. der „Antizipation des eigentlich Empirischen“ (cf. op. cit., S. 330) und dem
Problem der γ-Relation (cf. Einleitung, S. 8 ff.), i. e. der Beziehung des Dings an sich zum Ding in
der Erscheinung verwiesen (cf. Kap. 3.3.2).
Dass der Begriff der Schwere nicht ebenfalls notwendig für alle Körper gelten kann, ist auch
nach der Unterscheidung Kants keineswegs ausgeschlossen, obgleich er in cartesianischer Tra-
dition die extensio für das konstitutive Merkmal des Körperbegriffes hält. Begriffe sind prinzipiell
bestimmungsoffen für ihre Erweiterung, cf. KrV, A ; S. und B f.; S. .
38 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
cf. dagegen Bird (), S. f. Die Ansicht von Enskat (), S. , dass die subjektive
Deduktion aus diesem Grunde nicht transzendental zu nennen sei, ist dennoch zurückzuweisen.
„Satz der Identität: „Was immer ist, ist“ (identisch mit sich selbst)“. Weissmann (),
S. .
„Satz vom Widerspruch: „Nichts kann“ (gleichzeitig) „ sein und nicht sein““. Weissmann
(), S. .
„Satz vom ausgeschlossen Dritten: „Jedes Ding muß (gleichzeitig) „entweder sein oder nicht
sein“.“ Weissmann (), S. .
cf. Brandt (), S. , weist zu Recht darauf hin, dass der Beweis der Vollständigkeit der
Urteilstafel dementsprechend auch die Ableitung der Logikgesetze mit einschließen müsste.
Bezüglich der Möglichkeit der Ableitung der logischen Axiome cf. Natterer (2003), S. 107.
Die Frage der Vollständigkeit der Urteilstafel ist eminent mit der Frage der Vollständigkeit der
vier Urteilstitel verbunden, cf. Wolff (), S. f.
Cf. Kap. ...
cf. Schulthess (), S. .
40 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
der Handlung innerhalb der Urteilsformen äußert. Mit dieser Aufgabe ist die Frage
verbunden, inwiefern die von Kant aufgestellte Tafel überhaupt einen vollstän-
digen Überblick über die logischen Funktionen liefert.¹⁴¹ So ist auffällig, dass Kant
in der Urteilstafel sowohl die Konjunktion (a + b& als auch die Adjunktion
(a * b& nicht zu den logischen Elementarformen zählt, im Gegensatz zur Kon-
travalenz (a⊻b&,¹⁴² welche heute nicht mehr zu den eigenständigen Aussagefor-
men gezählt wird.¹⁴³ Mit Blick auf die eigentliche Funktion der Urteilsformen,
nämlich als Einheit der Verstandeshandlung die Einheit der Vorstellungsman-
nigfaltigkeit zu etablieren, lässt sich dieser angebliche Mangel jedoch sinnvoll
begründen. Die Urteilsformen beziehen sich auf die Einheit des vorgestellten
Gegenstandes in der Erfahrung. Sie sind also wesentlich logische Gegenstands-
bestimmungen,¹⁴⁴ mithin Protokategorien, ¹⁴⁵ so dass Kant auch mit Fug und Recht
von der Urteilstafel als einer „transzendentalen Tafel [Hervorhebung, M. B.] aller
Momente des Denkens in den Urteilen“¹⁴⁶ sprechen darf. Am Beispiel der Quantität
wird dies deutlich. Kant unterscheidet in der quantitativen Bestimmung eines
Urteils im Gegensatz zur klassischen Syllogistik das singuläre vom allgemeinen
Urteil:¹⁴⁷
Die Logiker sagen mit Recht, daß man beim Gebrauch der Urteile in Vernunftschlüssen die
einzelnen Urteile gleich den allgemeinen behandeln könne. Denn eben darum, weil sie gar
keinen Umfang haben, kann das Prädikat derselben nicht bloß auf einiges dessen, was unter
Die Urteilstafel gehörte zu den schon früh sehr stark kritisierten Elementen der kantischen
Philosophie, cf. Joël (), S. ff.
Das nach Kant sogenannte „disjunktive Urteil“ (a⊻b& kann auch mittels Konjunktion und
Adjunktion dargestellt werden als /(a + b& * (a + /b&.
cf. Tetens (), S. .
Diese Interpretation der Urteilsformen fügt sich nahtlos in die philosophische Grundlinie der
Kritik der reinen Vernunft, deren Grundthema Zöller (), S. als „die apriorische Beziehung
von Vorstellungen auf Gegenstände, oder kurz: die apriorische Gegenstandsbeziehung“ aus-
macht.
Dem Einwand, Kants Urteilstafel sei in sich schon deshalb hinfällig, da sie Prädikaten-,
Aussagen- und Klassenlogik mische (cf.Vuillemin (), S. ), lässt sich demnach erfolgreich
entgegentreten, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Urteilsformen tatsächlich elementare
Bestimmungsfunktionen des reinen Denkens darstellen. Dies gilt auch für Körners Einwurf gegen
Kants Tafel der logischen Grundformen „since Kant’s acceptance of this logic [die aristotelische
Logik, M. B.] plays an important role in his attempt at proving the uniqueness of the Categories and
of the ideas of theoretical reason, its abandonment for a different logic or in favour of a logical
pluralism is bound to undermine Kant’s account of the relationship between the forms of jud-
gement and the Categories and between the forms of inference and the Ideas.“ Körner (),
S. . Zur Kritik der zeitgenössischen Logik an Kants Urteilstafel cf. Mainzer (), S. .
KrV, A | B ; S. .
In klassischer Schreibweise werden beide durch den Ausdruck SaP wiedergegeben.
1.1 Die Idealfunktionen des reinen Verstandes 41
dem Begriff des Subjekts enthalten ist, gezogen, von einigem aber ausgenommen werden. Es
gilt also von jenem Begriffe ohne Ausnahme, gleich als wenn derselbe ein gemeingültiger
Begriff wäre, der einen Umfang hätte, von dessen ganzer Bedeutung das Prädikat gelte.
Vergleichen wir dagegen ein einzelnes Urteil mit einem gemeingültigen, bloß als Erkenntnis,
der Größe nach, so verhält sie sich zu diesem wie Einheit zur Unendlichkeit, und ist also an
sich selbst davon wesentlich unterschieden. Also, wenn ich ein einzelnes Urteil (iudicium
singulare) nicht bloß nach seiner innern Gültigkeit, sondern auch, als Erkenntnis überhaupt
[Hervorhebung, M.B], nach der Größe, die es in Vergleichung mit andern Erkenntnissen hat,
schätze, so ist es allerdings von gemeingültigen Urteilen (iudicia communia) unterschieden,
und verdient in einer vollständigen Tafel der Momente des Denkens überhaupt (obzwar
freilich nicht in der bloß auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschränkten Logik)
eine besondere Stelle.¹⁴⁸
die singulären Urteile im Gegensatz zu den beiden anderen keine Variablen ent-
halten.¹⁵³ Unabhängig davon, dass Kant natürlich noch nicht mit der heute üb-
lichen Formalisierung logischer Ausdrücke arbeitet, kann dieser Vorwurf auch
inhaltlich abgewiesen werden. Die Urteilsformen sind als Erkenntnisfunktionen
wesentlich logische Gegenstandsbestimmungen. Gegenstände sind durch, re-
spektive in der Anschauung gegeben. Da eine Anschauung immer einzeln ist, liegt
in der Bestimmung eines Gegenstandes also genau dann ein singuläres Urteil vor,
wenn durch einen Begriff ein Gegenstand in der Anschauung bezeichnet, re-
spektive die konkrete Anschauung unter diesen Begriff subsumiert wird. Der
Vorstellung des Konkretums als Gegenstand in der Anschauung liegt dabei die
Idee der Totalität einer aktualen, d. h. gegebenen Bestimmungsganzheit, zu-
grunde, welche im Denken durch die potentiell unendliche Begriffsreihe der lo-
gischen Determination abgebildet wird.
Da nur einzelne Dinge oder Individuen durchgängig bestimmt sind, so kann es auch nur
durchgängig bestimmte Erkenntnisse als Anschauungen, nicht aber als Begriffe, geben; in
Ansehung der letzteren kann die logische Bestimmung nie als vollendet angesehen wer-
den.¹⁵⁴
Die Unabgeschlossenheit der Begriffsreihe gilt dabei nur in Rücksicht auf die
logische Determination des Gegenstandes, nicht für dessen Abstraktion. Es lässt
sich also ein allgemeinster Begriff einer Entität vorstellen, nicht jedoch ein Begriff,
welcher die Vorstellung des Gegenstandes in toto zum Inbegriff hätte.¹⁵⁵ Die
Kontinuität des Begriffsgefüges lässt daher weder einen Begriff als niedrigste noch
als nächste Art zu.
Die höchste Gattung ist die, welche keine Art ist (genus summum non est species), sowie die
niedrigste Art die, welche keine Gattung ist (species, quae non est genus, est infima).
Dem Gesetz der Stetigkeit zufolge kann es indessen weder eine niedrigste, noch eine
nächste Art geben.¹⁵⁶
hend erkannt werden.¹⁵⁷ Nun kann der Begriff des Eisens selbst wiederum durch
andere Begriffe bestimmt werden. Ausgehend von der allgemeinsten Bestimmung
eines Körpers überhaupt, i. e. sein Ausgedehntsein, respektive seine Teilbarkeit,
über die Bestimmung seiner Materie im Allgemeinen, im Falle des Eisens als
Metall, bis hin zum Begriff, der konkrete Anschauungen unter sich fasst. In der so
entstehenden Bestimmungshierarchie lässt sich der Gebrauch des allgemeinen
Urteils über das besondere bis hin zu Einzelurteilen, in dem der Verstand sich auf
die Totalität des in der Anschauung vorgestellten Gegenstandes bezieht, anhand
Abbildung 3 nachvollziehen.¹⁵⁸
Die erste Bestimmung des Körpers besteht in der Erfassung seiner wesentli-
chen, nicht abstrahierbaren Eigenschaft, i. e. seine Ausgedehntheit, repektive
Diese Regel ist identisch mit dem Schema des Begriffes, cf. Kap. ...
Die Totalität des im Einzelurteil vorgestellten Gegenstandes kann durch keinen Begriff
vollständig gefasst werden. Nach unten bleibt die Bestimmungsfolge gemäß dem Gesetz der
Kontinuität des Bestimmungsinhaltes (cf. Jäsche-Logik. AA IX, ) unabgeschlossen. Die Un-
auffindbarkeit einer letzten „untersten Spezies (species infimas)“, ist auch schon für Leibniz
einschlägig, cf. Neue Abhandlungen, Buch II, Kap. , S. .
Vuillemin (1960), S. 315, kritisiert das Kontinuitätsgesetz der logischen Determination,
welches aus Kants Differenz der Erkenntnisquellen entspringt. Dabei kommt er zu dem Schluss,
dass Kant „jedes schöpferische Vermögen der Spontaneität des Verstandes leugnet“. Dieser
Vorwurf ist aus kantischer Perspektive natürlich zurückzuweisen, sofern Kant nur die Materie der
Begriffe, nicht jedoch deren Form von der spontanen Verstandesleistung ausnimmt. Dagegen
betont Schorr (1965), S. 518, den gerade positiven Beitrag, den Kants Urteils- und Begriffslehre zum
Begründungsproblem der Logik liefern kann.
44 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
Ein Merkmal ist dasjenige an einem Dinge, was einen Theil der Erkenntnis desselben aus-
macht, oder – welches dasselbe ist – eine Partialvorstellung, sofern sie als Erkenntnisgrund
der ganzen Vorstellung betrachtet wird. Alle unsere Begriffe sind demnach Merkmale und
alles Denken ist nichts anderes als ein Vorstellen durch Merkmale.¹⁵⁹
Als ausgedehnt Teilbares steht der Begriff des Körpers als Artbegriff unter dem
Gattungsbegriff des Teilbaren. Von allen Körpern gilt daher notwendig: Wenn et-
was ein Körper (K) ist, dann ist es auch teilbar (T). Gattung und Art unterscheiden
sich dabei hinsichtlich des Umfanges und Inhaltes ihrer Begriffe. Diese stehen in
einem reziproken Verhältnis zueinander. Das „Reziprozitätsgesetz“¹⁶⁰, wie es Jä-
sche in § 7 seiner Darstellung der kantischen Logik darlegt, besagt, dass mit zu-
nehmender Spezifizierung die Allgemeinheit eines Begriffes abnimmt und um-
gekehrt.
Ein jeder Begriff, a l s T h e i l b e g r i f f , ist in der Vorstellung der Dinge enthalten als E r -
k e n n t n i s g r u n d , d. i. als Merkmal sind diese Dinge unter ihm enthalten. In der ersten
Rücksicht hat jeder Begriff einen I n h a l t , in der anderen einen U m f a n g .
Inhalt und Umfang eines Begriffes stehen gegen einander in umgekehrtem Verhältnisse.
Je mehr nämlich ein Begriff u n t e r sich enthält, desto weniger enthält er i n s i c h und
umgekehrt.¹⁶¹
Aus dem bloß logischen Gebrauch der Begriffe geht jedoch noch nicht hervor, dass
der Begriff der Teilbarkeit in einem Erfahrungsurteil nicht als Subjekt gebraucht
werden kann, sondern nur als Prädikat.
1. Zugestanden: daß die Tafel der Kategorien alle reine Verstandesbegriffe vollständig ent-
halte und eben so alle formale Verstandeshandlungen in Urteilen, von welchen sie abgeleitet
und auch in nichts unterschieden sind, als daß durch den Verstandesbegriff ein Objekt in
Ansehung einer oder der andern Funktion der Urteile als bestimmt gedacht wird (z. B. so wird
in dem kategorischen Urteile: der Stein ist hart, der Stein für Subjekt und hart als Prädikat
gebraucht, so doch, daß es dem Verstande unbenommen bleibt, die logische Funktion dieser
Begriffe umzutauschen und zu sagen: einiges Harte ist ein Stein; dagegen wenn ich es mir im
Objekte als bestimmt vorstelle, daß der Stein in jeder möglichen Bestimmung eines Gegen-
standes, nicht des bloßen Begriffs, nur als Subjekt, die Härte aber nur als Prädikat gedacht
werden müsse, dieselbe logische Funktionen nun reine Verstandesbegriffe von Objekten,
nämlich als Substanz und Akzidens, werden); […] .¹⁶²
Hierin liegt bereits der Grund des Fehlgehens eines nicht auf die Sinnlichkeit
verwiesenen, hypostasierenden Verstandes-, respektive Vernunftgebrauchs der
Begriffe.
2. zugestanden: daß der Verstand durch seine Natur synthetische Grundsätze a priori bei sich
führe, durch die er alle Gegenstände, die ihm gegeben werden mögen, jenen Kategorien
unterwirft, mithin es auch Anschauungen a priori geben müsse, welche die zur Anwendung
jener reinen Verstandesbegriffe erfoderliche Bedingungen enthalten, weil ohne Anschauung
kein Objekt, in Ansehung dessen die logische Funktion als Kategorie bestimmt werden
könnte, mithin auch keine Erkenntnis irgend eines Gegenstandes und also auch ohne reine
Anschauung kein Grundsatz, der sie a priori in dieser Absicht bestimmte, stattfindet;
3. zugestanden: daß diese reine Anschauungen niemals etwas anders, als bloße Formen
der Erscheinungen äußerer oder des innern Sinnes (Raum und Zeit), folglich nur allein der
Gegenstände möglicher Erfahrungen sein können;
so folgt: daß aller Gebrauch der reinen Vernunft niemals worauf anders, als auf Ge-
genstände der Erfahrung gehen könne, und, weil in Grundsätzen a priori nichts Empirisches
die Bedingung sein kann, sie nichts weiter als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung
überhaupt sein können.¹⁶³
System der Begriffe vorläufig bestimmen, nämlich als Anschauung eines metal-
lischen Körpers. Wissenschaftlicher Fortschritt ist identisch mit der inhaltlichen
Fortbestimmung der Begriffe konkreter Anschauungen.¹⁶⁴ Dabei ist das singuläre
Urteil entscheidend für die Verbindung der Anschauung mit ihrem Begriff und so
für das Denken überhaupt.¹⁶⁵
Die Konjunktion gehört aus demselben Grund, weswegen das einzelne Urteil
neben dem allgemeinen zu den elementaren Urteilsfunktionen zu zählen ist, nicht
zu diesen. Die Funktionen in den Urteilen bilden logische Gegenstandsbestim-
mungen, indem sie diese Teilvorstellungen in Begriffen miteinander verbinden.¹⁶⁶
Für die Konjunktion gilt dies nicht. Das konjunktive Urteil verbindet nur Aussagen,
d. h. Urteile über Gegenstände. Die Funktion des konjunktiven Urteils gehört also
nicht zu den elementaren Bestimmungsfunktionen.¹⁶⁷ Ebenso verhält es sich mit
der Adjunktion. Im Unterschied zu den disjunktiven Urteilen, respektive der
Kontravalenz, kann die Adjunktion auch dann wahr sein, wenn beide ihrer Aus-
sagen wahr sind. Im Gegensatz also zur Kontravalenz besitzt die Adjunktion keine
bestimmungstheoretische Eindeutigkeit, weswegen sie auch nicht zu den ele-
mentaren Funktionen gezählt wird.
Der bestimmungstheoretische Hintergrund der Urteilsformen lässt sich
ebenfalls deutlich anhand der Limitation ablesen:¹⁶⁸
Eben so müssen in einer transzendentalen Logik unendliche Urteile von bejahenden noch
unterschieden werden, wenn sie gleich in der allgemeinen Logik jenen mit Recht beigezählt
sind und kein besonderes Glied der Einteilung ausmachen. Diese nämlich abstrahieret von
allem Inhalt des Prädikats (ob es gleich verneinend ist) und sieht nur darauf, ob dasselbe dem
Subjekt beigelegt, oder ihm entgegengesetzt werde. Jene aber betrachtet das Urteil auch nach
dem Werte oder Inhalt dieser logischen Bejahung vermittelst eines bloß verneinenden Prä-
dikats, und was diese in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn ver-
schafft.¹⁶⁹
Die transzendentale Logik listet die Urteilsformen gemäß dem Inhalt der logischen
Verbindung. Dieser Inhalt ist identisch mit dem bestimmungs-, also dem er-
kenntnisfunktionalen Gebrauch der Urteilsform durch den Verstand. Im unend-
Die wesentliche Bedeutung des singulären Urteils für die moderne Naturwissenschaft betont
Joël (), S. .
Cf. Stuhlmann-Laeisz (), S. .
Joël hat daher durchaus recht,wenn er die wesentliche Neuerung durch die kantische Theorie
des Urteils „in seiner Umschaltung aus analytischer Statik in synthetische Dynamik und das heißt
in reine Funktion“ sieht. Joël (), S. .
Ähnlich auch bei Krüger (), S. .
Zur Kontroverse um das „Unendliche Urteil“ cf. Joël (), S. ff.
KrV, A | B ; S. .
1.1 Die Idealfunktionen des reinen Verstandes 47
lichen Urteil wird nun eine Negation affirmierend gebraucht. Mittels der formalen
Logik ist dieser prädikative Gebrauch einer Negation nicht zu beschreiben. Im
Gegensatz zum negativen Urteil wird im unendlichen einem Begriff nicht ein
Prädikat abgesprochen, so dass der Begriff in seinem Umfang verringert wird,
sondern der Begriff wird einer Bestimmungssphäre zugeordnet. Erst die Anwen-
dung des limitierenden Urteils ermöglicht damit den systematischen Gebrauch des
Verstandes, indem diese ihm ermöglicht seine Begriffe einzuteilen und gegen-
einander abzugrenzen. Kant erläutert die Form des unendlichen Urteils anhand
des Begriffes der Seele:
Hätte ich von der Seele gesagt, sie ist nicht sterblich, so hätte ich durch ein verneinendes
Urteil wenigstens einen Irrtum abgehalten. Nun habe ich durch den Satz: die Seele ist nicht
sterblich, zwar der logischen Form nach wirklich bejahet, indem ich die Seele in den un-
beschränkten Umfang der nicht sterbenden Wesen setze.Weil nun von dem ganzen Umfange
möglicher Wesen das Sterbliche einen Teil enthält, das Nichtsterbende aber den andern, so
ist durch meinen Satz nichts anders gesagt, als daß die Seele eines von der unendlichen
Menge Dinge sei, die übrig bleiben, wenn ich das Sterbliche insgesamt wegnehme. Dadurch
aber wird nur die unendliche Sphäre alles Möglichen in so weit beschränkt, daß das
Sterbliche davon abgetrennt, und in dem übrigen Umfang ihres Raums die Seele gesetzt wird.
Dieser Raum bleibt aber bei dieser Ausnahme noch immer unendlich, und können noch
mehrere Teile desselben weggenommen werden, ohne daß darum der Begriff von der Seele
im mindesten wächst, und bejahend bestimmt wird. Diese unendliche Urteile also in An-
sehung des logischen Umfanges sind wirklich bloß beschränkend in Ansehung des Inhalts
der Erkenntnis überhaupt, und in so fern müssen sie in der transzendentalen Tafel aller
Momente des Denkens in den Urteilen nicht übergangen werden, weil die hierbei ausgeübte
Funktion des Verstandes vielleicht in dem Felde seiner reinen Erkenntnis a priori wichtig sein
kann.¹⁷⁰
Die Modalität der Urteile ist eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterschei-
dende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt (denn außer Größe, Qualität
und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte), sondern nur den
Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht.¹⁷¹
Die Modalität bestimmt also, indem sie „den Wert der Kopula“, i. e. die im Urteil
gesetzte Einheit in Bezug auf das Denken ermittelt, als Urteilsfunktion den Wert
anderer Funktionen. Schulthess fasst daher den Sinn der modalen Urteile treffend,
wenn er sie als „Funktionen von Funktionen“ bezeichnet.¹⁷² Der Gebrauch der
Modalität durch den Verstand als Urteilsvermögen ist daher metafunktional. Mit
der Modalität nimmt der Verstand auf den Inhalt seiner Urteile Bezug, indem er sie
reflexiv auf seine eigene Gesetzesstruktur bezieht. Die Modalität setzt daher jedes
Urteil gemäß ihrer Funktion in ein Verhältnis zum Denken selbst.
Problematische Urteile sind solche, wo man das Bejahen oder Verneinen als bloß möglich
(beliebig) annimmt. Assertorische, da es als wirklich (wahr) betrachtet wird. Apodiktische, in
denen man es als notwendig ansieht.¹⁷³
Weil nun hier alles sich gradweise dem Verstande einverleibt, so daß man zuvor etwas
problematisch urteilt, darauf auch wohl es assertorisch als wahr annimmt, endlich als un-
zertrennlich mit dem Verstande verbunden, d. i. als notwendig und apodiktisch behauptet, so
kann man diese drei Funktionen der Modalität auch so viel Momente des Denkens überhaupt
nennen.¹⁷⁴
Dass Kant zwischen die problematischen¹⁷⁵ und apodiktischen Urteile¹⁷⁶ die as-
sertorischen setzt, ist insofern bemerkenswert, als sich die Modallogik gerade
dadurch auszeichnet, nicht-assertorisch zu sein. Ein assertorischer Ausdruck¹⁷⁷
besitzt dementsprechend auch keinen Modaloperator. Dass Kant den bloß as-
sertorischen Urteilen dennoch eine eigene Funktion zuordnet, liegt, ebenso wie
bei den singulären, den unendlichen und den disjunktiven Urteilen, darin be-
gründet, dass Kant die Assertion als eine eigenständige Verstandesform begreift,
welche in der Bestimmungs- und Erkenntnistätigkeit des Verstandes eine eigene,
ursprüngliche Handlung darstellt.
Mit der Bestimmung der Urteilsformen als Protokategorien ist ein wesentlicher
Schritt in Richtung zur Bestimmung der Kategorien getan. Damit die logischen
Funktionen als kategoriale Gegenstandsbestimmungen der Wahrnehmungs-
inhalte ihre transzendentale Funktion jedoch erfüllen können, d. h. als objekti-
vierende nicht nur als reflektierende Funktionen,¹⁷⁸ bedürfen die Idealfunktionen
eines realen Komplements, nicht als Funktionen der Urteils-, sondern der Ein-
bildungskraft.
Die Kategorien bilden die Grundbegriffe des Verstandes. Mit der Festlegung der
Begriffsnatur der Kategorien ist jedoch ein wesentliches Problem verbunden. Alle
Begriffe, also auch die Kategorien, beruhen auf Funktionen. Für die reinen Ver-
standesbegriffe gilt dies jedoch in besonderem Maße, da die Kategorien jeweils auf
den elementaren Funktionen zu Urteilen beruhen, was im Einzelnen noch für
jeden reinen Verstandesbegriff zu zeigen sein wird. Alle Begriffe beziehen sich nun
direkt oder indirekt auf die Anschauung. Nun gilt jedoch für jede (besondere)
Anschauung, dass diese in einer Affektion der Sinnlichkeit gründet. Ergo muss für
jeden Begriff gelten, dass in ihm einerseits ein spontaner Anteil liegt, welcher sich
auf mindestens eine Funktion des Verstandes bezieht, andererseits dass ihm ein
rezeptiver Teil zu eigen ist, auf den diese Tätigkeit ordnend Bezug nimmt. Jeder
Begriff muss daher, sofern er objektive Realität und Gültigkeit besitzen soll, so-
wohl einen Funktions- als auch einen Affektionsanteil besitzen.¹⁷⁹ Diese Überle-
„Die Funktion des Denkens, sofern dasselbe in der Synthesis sich bethätigt, ist sonach eine
doppelte: Das Denken subsumiert die von der Anschauung abgezogenen Begriffe unter den reinen
Verstandesbegriffen und erzeugt Erfahrungsurteile, es verknüpft die Anschauungen nach Mass-
gabe der reinen Verstandesbegriffe und erzeugt Erfahrungsobjekte; im ersten Falle verhält sich das
Denken reflektierend, im letzten objektivierend; dort ist das Denken empirisch, die fertige Erfah-
rungswelt beurteilend, hier ist es transscendental, diese Erfahrungswelt bedingend und schaf-
fend.“ Wartenberg (), S. . Cf. außerdem Wartenberg (), S. .
In der Kontroverse über die Notwendigkeit einer Differenzierung von „objektiver Gültigkeit“
und „objektiver Realität“, wie sie zum Beispiel Meerbote (), S. ff. vertritt, scheint uns
Sandberg () S. f. mit seiner Ansicht recht zu haben, „that no important difference is to be
found between objective validity and objective reality, that they are in fact merely different ways of
thinking about what Kant in other contexts refers as opposed to logical possibility.“ Die Un-
möglichkeit einer präzisen Scheidung beider Begriffe geht schon daraus hervor, dass die objektive
Realität als gegenständlicher Anschauungsinhalt einer Vorstellung konstitutiv von der Gültigkeit
der intuitiven und diskursiven Einheit der Vorstellung dependiert. Objektive Gültigkeit bezeichnet
also diejenige Geltung einer Vorstellung, ohne die eine Empfindungsmannigfaltigkeit nicht zum
Gegenstand einer möglichen Wahrnehmung, d. h. zum Objekt einer Vorstellung werden könnte, cf.
50 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
gung führt im Falle der Kategorien jedoch auf das Problem, dass sie nun gerade
diejenigen Begriffe darstellen sollen, welche gänzlich aus der spontanen Tätigkeit
des Verstandes a priori entspringen und dabei die Verknüpfungsformen aller
Vorstellungsmannigfaltigkeit bilden. Den Kategorien ermangelt es also zum einen
eines solchen Affektionsanteils, wie ihm andere Begriffe zu eigen sind, da ihr
Ursprung gänzlich in der spontanen Tätigkeit des Verstandes gesetzt ist; zum
anderen bilden sie selbst als Verknüpfungsformen Funktionen der synthetischen
Einheit.¹⁸⁰ Wie können die Kategorien jedoch einerseits Begriffe sein, wenn sie
andererseits selber Funktionen sind, auf denen Begriffe bekanntermaßen allein
beruhen sollen?
Aportone unterscheidet vor diesem Hintergrund die Termini „Verstandesbe-
griffe“ und „Kategorien“:
In dieser Hinsicht könnte man die terminologische Unterscheidung von reinen Verstan-
desbegriffen und Kategorien verschärfen, die Kant innerhalb einer eher unbestimmt gelas-
senen Quasi-Synonymierelation zwar anklingen läßt, aber nicht ausdrücklich vollzieht. Auf
diese Weise kann der erste Ausdruck eindeutig auf die Verstandesfunktionen der Synthesis,
und der zweite auf ihre begriffliche Vorstellung, die wiederum im logischen Verstandesge-
brauch als Funktion der Erfahrungsurteilen [sic!] anzuwenden ist, Bezug nehmen.¹⁸¹
Kap. .. und ... Objektive Realität bezeichnet dementsprechend den gegenständlichen In-
halt einer möglichen Wahrnehmung in der Anschauung.
Der „Affektionsanteil“ der Kategorien kann erst wirklich verstanden werden, wenn die die
Kategorien mitbestimmende Affektion als Selbstaffektion eingesehen wird, cf. Kap. .. und
Kap. ...
Aportone (), S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
1.2 Die Realfunktionen des reinen Verstandes 51
funktion sein soll. Diese Frage zu beantworten, ist Aufgabe der sogenannten
metaphysischen Deduktion.
Für die Lösung dieser Aufgabe muss zweierlei erwiesen werden: Erstens, die
Kategorien besitzen einen sinnlichen Anteil, welcher seinen Ursprung jedoch
nicht in der Affektion des rezeptiven Vermögens hat, sondern in der Spontaneität
des Verstandes. Dieser muss daher selbst eine Funktion des Verstandes sein, in
diesem Falle jedoch keine bloß ideale, sondern eine reale, i. e. auf die Sinnlichkeit
bezogene Denk-, respektive Urteilsfunktion. Zweitens, diese Realfunktionen des
Verstandes in Bezug auf die Sinnlichkeit müssen identisch sein mit den Ideal-
funktionen des Denkens.
Glücklicherweise liefert Kant selbst den Schlüssel zur Lösung diese Problems
in Gestalt des transzendentalen Schematismus. Die Ableitung der Kategorien aus
der Urteilsform, welche Kant im Leitfadenkapitel skizziert hat, kann daher nur
unter Einbeziehung des Schematismuskapitels vollends gelingen. Der folgende
Abschnitt wird sich dementsprechend erstens mit den Interpretationsfragen des
Schematismuskapitels beschäftigen, zweitens mit dem Nachweis, dass es sich bei
den Schemata zum einen um Funktionen handelt, zum anderen, dass diese
identisch sind mit den in der Urteilstafel niedergelegten Gesetzen der kognitiven
Handlungen.¹⁸³
Der Hauptgliederungsabschnitt . basiert auf den Vorarbeiten meiner Magisterarbeit.
Schopenhauer (), S. .
Cf. Proleg. § , A , S. .
Zur neueren Rezeption cf. „. Forschungsübersicht“ In: Detel (), S. – .
52 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
daher „in dem Zwang, den die von Kant gewählte Systematik auf die schriftstel-
lerische Darstellung seiner Gedanken ausübte.“¹⁸⁷ Gerhard Seel formuliert in
seinem Kommentar zum Schematismus-Kapitel drei Hauptproblemfelder, die mit
Kants Verwendung des Schemas in der Kritik der reinen Vernunft einhergehen.
1. Ist das Schematismus-Kapitel angesichts der Ergebnisse der transzendentalen
Deduktion überflüssig?
2. Sind die Schemata begrifflicher oder anschaulicher Natur?
3. Wie ist die Verbindung von Schema und Begriff zu rechtfertigen?¹⁸⁸
Die Antwort auf die erste Frage scheint angesichts des § 24, in dem Kant die
transzendentale Deduktion mit der Klärung der Anwendung der Kategorien auf die
Gegenstände der Sinne abschließt, positiv auszufallen. Dort zeigt er, dass die
Mannigfaltigkeit der sinnlichen Anschauung als Repräsentat innerhalb einer
spontan tätigen Einbildungskraft (produktive Einbildungskraft) zur Möglichkeit
einer Erfahrungserkenntnis synthetisiert wird. Die Maßgabe zur Regel einer sol-
chen figürlichen Synthesis a priori (synthesis speciosa) von Anschauungen kann
jedoch nicht aus diesen selbst als Wahrnehmungserkenntnis gemäß bloßer As-
soziativgesetzlichkeit gewonnen werden, sondern muss sich in dem subjektiven
Bestimmungsgrund der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption
innerhalb der kategorialen Verstandesordnung gründen.
Diese Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung, die a priori möglich und
notwendig ist, kann figürlich (synthesis speciosa) genannt werden, zum Unterschiede von
derjenigen, welche, in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der
bloßen Kategorie [Hervorhebung, M. B.] gedacht würde, und Verstandesverbindung (syn-
thesis intellectualis) heißt; beide sind transzendental, nicht bloß weil sie selbst a priori
vorgehen, sondern auch die Möglichkeit anderer Erkenntnis a priori gründen.
Allein die figürliche Synthesis, wenn sie bloß auf die ursprünglich-synthetische Einheit
der Apperzeption, d. i. diese transzendentale Einheit geht, welche in den Kategorien gedacht
wird, muß, zum Unterschiede von der bloß intellektuellen Verbindung, die transzendentale
Synthesis der Einbildungskraft heißen.¹⁸⁹
urteilen. Dass Kant für die Urteilsfunktionen bisweilen den Titel der bloßen Ka-
tegorie, respektive der Notio, verwendet, hat mit ihrer besonderen transzenden-
talen Bedeutung, sofern der „reine[] Begriff allein die Form des Denkens eines
Gegenstandes überhaupt“¹⁹⁰ ausmacht, zu tun. Die letztliche Begründung des
identitären Verhältnisses von Urteilsfunktion und bloßer Kategorie bei ihrer
gleichzeitigen Differenzierbarkeit kann jedoch erst nach der Klärung des Begriffs
eines „Gegenstandes überhaupt“ geliefert werden.¹⁹¹ An dieser Stelle sei jedoch
darauf hingewiesen, dass für Kant die bloße Kategorie nicht Mittel der Gegen-
standserkenntnis sein kann: „Es ist etwas sehr Bemerkungswürdiges, daß wir die
Möglichkeit keines Dinges nach der bloßen Kategorie einsehen können, sondern
immer eine Anschauung bei der Hand haben müssen, um an derselben die ob-
jektive Realität des reinen Verstandesbegriffs darzulegen.“¹⁹²
Da die Rezeptivität der sinnlichen Vorstellungsleistung qua Anschauungs-
form des inneren Sinnes bereits durch die Distinktionsmöglichkeit des Un-
gleichzeitigen – im Gegensatz zur Synopsis des Distinkten als Gleichzeitiges im
Raum – temporal präfiguriert ist,¹⁹³ findet die Determination des inneren Sinnes
durch die Spontaneität der Verstandesleistung notwendig als kategoriale Zeit-
bestimmung statt.¹⁹⁴ Dadurch hat Kant bereits in § 24 der Kritik der reinen Vernunft
die objektive Realität der Kategorien durch den Grund ihrer Anwendung auf Ge-
genstände in der Anschauung als Erscheinungen durch die Modifikation des in-
neren Sinnes demonstriert.
Das, was den inneren Sinn bestimmt, ist der Verstand und dessen ursprüngliches Vermögen,
das Mannigfaltige der Anschauung zu verbinden, d. i. unter eine Apperzeption (als worauf
selbst seine Möglichkeit beruht) zu bringen.¹⁹⁵
Er greift dies in der Einleitung zur transzendentalen Doktrin der Urteilskraft erneut
auf, indem er klar macht, dass ein wesentliches Merkmal des Schemas als Teil der
transzendentalen Logik eben darin besteht, dass der schematisierte Begriff im
Gegensatz zum empirischen keines a posteriorischen Beweisgrundes bedarf noch
einen solchen zulässt.
Es hat aber die Transzendental-Philosophie das Eigentümliche: daß sie außer der Regel (oder
vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die in dem reinen Begriffe des Verstandes
gegeben wird, zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden sollen.
Die Ursache von dem Vorzug, den sie in diesem Stücke vor allen anderen belehrenden
Wissenschaften hat, (außer der Mathematik) liegt eben darin: daß sie von Begriffen handelt,
die sich auf ihre Gegenstände a priori beziehen sollen, mithin kann ihre objektive Gültigkeit
nicht a posteriori dargetan werden;[…].¹⁹⁶
Zur Verifikation der Realität der Kategorien wird also nicht die Ausweisung eines
Anwendungsfalles in der Erscheinung benötigt, da ihnen bereits „die korre-
spondierende Anschauung gegeben“¹⁹⁷ ist. Die unterstellte Doppelung, aus der die
angenommene Redundanz des Schematismuskapitels resultiert, erklärt sich aus
der Annahme, Kant versuche mit der Einleitung zur transzendentalen Doktrin die
Deduktion zum Abschluss zu bringen. Tatsächlich liegt dieser Schluss ausgehend
vom Auftakt des Schematismuskapitels als Erklärungsabsicht nahe.
Nun sind aber die reinen Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt
sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig, und können niemals in irgend einer An-
schauung angetroffen werden. Wie ist nun die S u b s u m t i o n der letzteren unter die erste,
mithin die Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen möglich […].¹⁹⁸
Baumanns¹⁹⁹ weist jedoch zu Recht darauf hin, dass der Schematismus keines-
wegs den Abschluss der transzendentalen Deduktion der Kategorien zur Aufgabe
habe. Vielmehr ist es so, dass Kant in § 24 die Bedingung zur Möglichkeit der
Anwendung des Kategoriensystems aus der transzendentalen Zeitbestimmung in
toto erklärt, jedoch nicht quo modo die Anwendung der einzelnen Urteilsformen
möglich sein soll. Dementsprechend greift das Schematismuskapitel zwar den
Beweisgegenstand der Deduktion auf und vollendet diese, insofern es die An-
wendungsprinzipien der einzelnen Kategorien aufweist,²⁰⁰ ohne jedoch den Be-
weisgrund aus der transzendentalen Einbildungskraft zu revozieren oder zu
substituieren.²⁰¹
Denn, wenn bewiesen werden kann: daß die Kategorien, deren sich die Vernunft in allem
ihrem Erkenntnis bedienen muß, gar keinen anderen Gebrauch, als bloß in Beziehung auf
Gegenstände der Erfahrung haben können (dadurch daß sie in dieser bloß die Form des
Denkens möglich machen), so ist die Beantwortung der Frage, wie sie solche möglich ma-
chen, zwar wichtig genug, um diese Deduktion, wo möglich, zu vollenden, aber in Beziehung
auf den Hauptzweck des Systems, nämlich die Grenzbestimmung der reinen Vernunft, kei-
neswegs notwendig, sondern bloß verdienstlich. ²⁰³
Ähnlich sieht dies auch Dryer: „In the Transcendental Deduction Kant makes
no mention of specific logical functions of judgement or of specific categories. His
argument does not depend on specifying what they are. In the Deduction he is only
concerned with whether there is any objection to using purely intellectual con-
cepts of any objects that are observed. After setteling this question in the De-
duction, he seeks to set forth in the Schematism conditions under which specific
categorial concepts may be used […].“²¹⁰ Dass es Kant in der transzendentalen
Deduktion nicht um einzelne Kategorien, sondern um den allgemeinen Nachweis
des Verstandes als ratio cognoscendi und essendi der Erfahrungsgegenstände
gegangen ist, lässt sich gegen Hoppes Vorwurf gegen Kant einwenden, dieser gebe
„die reinen Verstandesbegriffe als Kandidaten für Kategorien vor und such[e] nun
[] eine solche Analyse der Gegenstandsbeziehung unserer Erkenntnis zu liefern,
die gerade diese Verstandesbegriffe als Kategorien aufzufassen gestattet.“²¹¹ Kant
geht es in der transzendentalen Deduktion eben nicht um den Nachweis, dass
„gerade diese Verstandesbegriffe“ Kategorien sind. Vielmehr setzt er die Voll-
ständigkeit der Kategorientafel in Beziehung auf die Tafel der logischen Funk-
tionen bereits vor der transzendentalen Deduktion voraus, welche im Anschluss
die Legitimität ihrer Anwendung in genera demonstrieren soll. Hoppe ist zumin-
dest darin recht zu geben, dass dieses Verfahren Kants zu der bekannten
Schwierigkeit führt, dass die Vollständigkeit der Tafel bloße Thesis bleibt, sofern
sie nicht im Rekurs auf den Zielpunkt der transzendentalen Deduktion als be-
wiesen angesehen werden darf.
Zur Beantwortung der zweiten Frage muss Kants verschiedene Verwendung
des Schemabegriffes geklärt werden.²¹² Sein Konzept des Schemas ist zuallererst
von dem des Bildes zu unterscheiden. Da sich ein Bild immer nur auf einen be-
stimmten Begriff, respektive Gegenstand bezieht, dessen Abbild es darstellt, bleibt
es in seiner Singularität als Ektyp immer hinter der Allgemeinheit seines Begriffes
zurück. Kant verdeutlicht diese Differenz von Bild und Schema am Beispiel des
Dreiecks.
Dem Begriffe von einem Triangel überhaupt würde gar kein Bild desselben jemals adäquat
sein. Denn es würde die Allgemeinheit des Begriffes nicht erreichen, welche macht, daß
dieser für alle, recht- oder schiefwinklichte etc. gilt, sondern immer nur auf einen Teil dieser
Sphäre eingeschränkt sein.²¹³
Das bildliche Prototypon eines Begriffes muss daher so beschaffen sein, dass es
von allen distinkten Bestimmungen seines Bildes abstrahiert. Eine solche Ab-
straktion in einem Bilde selbst fassen zu wollen, überfordert jedoch schlichtweg
die Vorstellungskraft. Durch das Schema wird daher dem Begriff kein Bild un-
terlegt, sondern es ermöglicht erst der Einbildungskraft als Konstruktionsvor-
schrift einen Begriff in der Anschauung bildhaft darzustellen.
Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff
sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriff.²¹⁴
Am Beispiel der Zahl „5“ erläutert Kant die Tätigkeit der Einbildungskraft beim
Vorgang des Schematisierens. Das Schema ist zwar „jederzeit nur ein Produkt der
Einbildungskraft“²¹⁵, aber nicht so, dass diese dem Begriff nur eine einzige An-
schauung unterlegte. So bildet das Aneinanderreihen von fünf Punkten (…..) le-
diglich das Bild der Zahl. Die Leistung der Einbildungskraft besteht jedoch viel-
mehr darin, durch die Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung nach
Maßgabe der Verstandesformen die Einheit der Sinnlichkeit herzustellen. So hat
sie nicht das Bild selbst, sondern die Methode seiner Erzeugung zur Aufgabe. Im
Falle der Zahl Fünf ist es also nicht die Punktreihe, sondern die progressive Ad-
dition von distinkten Einheiten, welche das Schema der Zahl ausmacht.²¹⁶ Dieses
kann ad indefinitum für jede denkbare Zahl einer abzählbaren Menge angewandt
werden, also auch für solche Zahlen, die nicht mehr für die Vorstellungskraft in
Im ersten Fall liefert das Schema die „Anschauung reiner Gestalten im Raume“²²⁰,
i. e. solcher der Geometrie. Es stellt sich dabei die Frage, ob diese Leistung der
Einbildungskraft identisch sei mit der geometrischen Konstruktion einer Figur.
Wenn dies der Fall wäre, müsste es mehrere Schemata ein und desselben Begriffes
geben, in Abhängigkeit von den multiplen Erzeugungsmöglichkeiten eines durch
ihn bezeichneten Bildes. Im Falle des Triangels wären dies vier, da ein Dreieck
durch die Angabe der Längen seiner Seiten (SSS), zweier Winkel und einer Seite
(WSW), des Scheitelwinkels und zweier Seiten (SWS) sowie zweier Seiten und des
gegenüberliegenden Winkels konstruiert werden kann.²²¹ Kant scheint jedoch die
Möglichkeit multipler Realisationen eines Bildes durch eine Vielfalt von Schemata
für einen Begriff auszuschließen, da er stets den Singular verwendet („das Schema
des Triangels“²²², „eine Regel der Synthesis“²²³). Das Schema des Dreiecks kann
daher nicht mit einer seiner Konstruktionsregeln äquivalent sein, sondern bezieht
Dies kann als Antwort auf Descartes verstanden werden, der die Einbildungskraft auf die
Möglichkeit bildlicher Vorstellbarkeit beschränkt und so vom Verstand abgrenzt. Kant weist damit
zu Recht darauf hin, dass die Leistung der Einbildungskraft über das bildliche Vorstellungsver-
mögen hinausgeht. Obgleich also die Einbildungskraft nicht in der Lage ist, das Bild einer tau-
sendseitigen Figur vorzustellen, ist es ihr dennoch möglich, das Schema eines solchen Polygons zu
bilden (cf. Med. VI, ; AT VII, f.; S. .):
sich lediglich auf die Topologie dreier Punkte, deren Verbindung durch drei Ge-
raden gedacht wird.
Wenn ich sage: durch drei Linien, deren zwei zusammengenommen größer sind, als die
dritte, läßt sich ein Triangel zeichnen; so habe ich hier die bloße Funktion der produktiven
Einbildungskraft, welche die Linien größer und kleiner ziehen, imgleichen nach allerlei
beliebigen Winkeln kann zusammenstoßen lassen.²²⁴
Wir können uns keine Linie denken, ohne sie in Gedanken zu ziehen, keinen Zirkel denken,
ohne ihn zu beschreiben, […].²²⁷
Das Schema des Zirkels bildet so das hodologische Interpretament seiner Genesis
als Cursus, gemäß der im Begriff des Kreises ausgesagten Konstanz des Halb-
messers. Die Konstruktion reiner Sinnesbegriffe durch ihr Schema geschieht also
durch die Einbildungskraft nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit.²²⁸
Schwieriger scheint da die Lösung der Frage nach der Natur der empirischen
Schemata, da Gegenstände oder Bilder der Erfahrung als Einzelnes, bzw. Be-
sonderes notwendig weit hinter der Allgemeinheit des durch sie bezeichneten
Begriffes bleiben. Das empirische Konzept bezieht sich dabei selbst nie auf den
konkreten Gegenstand einer gemachten Erfahrung, sondern bezeichnet nur im
Allgemeinen die Regel zur Vergegenwärtigung seines Gegenstandes.
Der Begriff vom Hunde bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt
eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere
Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in
concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein.²²⁹
Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen
Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre |
Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen
werden.²³¹
Mit dem Verweis auf das Schema empirischer Begriffe lässt sich jedoch ein anderes
problematisches Konzept, nämlich das der Normalidee, besser verstehen.²³²
Sowohl der Schematismus der Sinnesbegriffe wie auch die Normalidee als
quantitatives Mittelmaß besitzen als Produkte der Einbildungskraft eine mono-
Bussmann (), S. , weist richtig auf die Tatsache hin, dass sich die Konstruktion des
Bildes gemäß dem Schema im Raume mittels der Einbildungskraft vollzieht, indem er den in-
strumentalen Charakter der Einbildungskraft gegenüber der landläufigen Ansicht der Interpreten
betont, welche fälschlich „häufig die Einbildungskraft als ’Heimatort’ der Schemata angeben“
(ibid.).
KrV, A | B ; S. .
Aus dieser Unterscheidung erklärt sich auch die Angemessenheit der kantischen Differenz
von reproduktiver und produktiver Einbildungskraft. Im Gegensatz hierzu cf. Hilmer (),
S. f.
KrV, A | B f.; S. f.
Zum Begriff der Normalidee cf. Bunte (), S. f.
1.2 Die Realfunktionen des reinen Verstandes 61
Cf. Bunte (), S. f.; cf. KrV, A | B ; S. .
Dahlstrom (), S. , hat mit seiner Ansicht recht, dass Kant sich mit seiner Rede von der
’verborgenen Kunst’ nur auf die Bildung empirischer Schemata bezieht. Die Bildungsregeln der
transzendentalen Schemata sind dagegen a priori aufzufinden.
KrV, A | B ; S. .
KrV, A | B ; S. .
Cf.. La Rocca (), S. .
62 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
Kategorien neun Schemata zu (vgl. Anhang B). Der Schematismus generiert dabei
eine Ordnung der Mannigfaltigkeit der sensualen Inhalte, indem er das Punkt-
kontinuum des zeitlichen Nachs gemäß dem Verstand zu einer kategorial be-
stimmten Zeittopologie einschränkt.²⁴⁵
Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle bestimmte Größe der Zeit nur
durch Einschränkungen [Hervorhebung, M. B.] einer einigen zum Grunde liegenden Zeit
möglich sei. Daher muß die ursprüngliche Vorstellung Zeit als uneingeschränkt gegeben
sein. Wovon aber die Teile selbst, und jede Größe eines Gegenstandes, nur durch Ein-
schränkung bestimmt vorgestellt werden können, da muß die ganze Vorstellung nicht durch
Begriffe gegeben sein (denn die enthalten nur Teilvorstellungen), sondern es muß ihnen
unmittelbare Anschauung zum Grunde liegen.²⁴⁶
Dass die einzuschränkende Zeit als Form des inneren Sinnes für Kant nicht selbst
bereits eine Kontinuität der Sukzession darstellt, ist wesentlich für das Ver-
ständnis der Beziehung von Synthesis und Anschauungsform.²⁴⁷ So weist
Zschocke richtig darauf hin, dass die Begriffe von Raum und Zeit der transzen-
dentalen Ästhetik allein „die ’Direktion’ des ’Nach’ und ’Neben’“ angeben.²⁴⁸ Das
„Nach-Einander“²⁴⁹ fordere schon die „Hülfe der Synthesis“²⁵⁰.²⁵¹ Diese spezielle
Dahlstrom (), S. , betont richtigerweise, dass die „Anwendung der Kategorien auf die
reine Mannigfaltigkeit der Zeit (also die durch das transzendentale Schema ausgedrückte Zeit-
bestimmung) [] die Bedingung der Anwendung der Kategorie auf Erfahrung überhaupt (d. h. eben
diese Zeitbestimmung) nicht voraus[setzt].“
KrV, A | B f.; S. .
Dies bestätigt die These Meschs (), S. , demzufolge der transzendentale Schema-
tismus in seinem Bezug zur Unendlichkeit der einschränkbaren Anschauungszeit eine Parallele
zum platonischen Zeitbegriff bildet: „Der scheinbar so rätselhafte Schematismus erweist sich als
kantische Adaption der alten Auffassung Platons, dass Zeit ein nach Zahlen voranschreitendes
Bild der im Einen verharrenden Zeit Ewigkeit sei (Timaios, d).“
Zschocke (), S. .
Zschocke (), S. .
Zschocke (), S. .
Die Bedeutung der Differenzierung der synthesislosen reinen Form der Anschauung und der
bereits unter dem Einheitsaspekt der Spontaneität verstandenen reinen Anschauung kann nicht
genug betont werden, da deren Ineinssetzung zu einer vollständigen Verschiebung der Argu-
mentationslinie der Kritik der reinen Vernunft, speziell der transzendentalen Deduktion führt. So
erklärt beispielsweise Baum () zwar richtig, dass der Grund allen Verbindens gemäß § in
der Apperzeption liegt, diese jedoch, um den Gegenstand zur begrifflichen Einheit zu führen, eine
Einheit voraussetzt, welche durch die Anschauung gegeben ist (op. cit., S. f.). Das Ziel der
transzendentalen Deduktion bestehe daher einerseits darin, die objektive Gültigkeit der Katego-
rien in Bezug auf die synthetische Einheit der Apperzeption nachzuweisen (op. cit., S. – ), als
auch zweitens den Nachweis über die Restriktion dieser Funktion auf Gegenstände möglicher
Erfahrung, d. h. auf die in der Anschauung möglichen Verbindungen (op. cit., S. ), zu erbringen.
64 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
„Hülfe der Synthesis“ kann unserer Ansicht nach in der quantitativen Modifika-
tion der temporalen Anschauungsform zur Zeitreihe gesehen werden. Durch diese
entsteht die „formale Anschauung“²⁵² aus der Form der Anschauung.²⁵³ Dass die
Der erste Teil der Analyse ist durchaus zutreffend, der zweite beruht jedoch auf einem Missver-
ständnis, welches durch die Kritik der reinen Vernunft systematisch bedingt ist und zwei Wurzeln
hat: Die erste liegt in der bekannten Schwierigkeit der transzendentalen Ästhetik, bezüglich der
Begriffe von Raum und Zeit. Im Falle der reinen Form der Anschauung, welche den vornehmlichen
Gegenstand der metaphysischen Erörterung der transzendentalen Ästhetik bildet, ist wesentlich,
dass Raum und Zeit als Formen der Anschauung keine Sukzessions- oder Extensionskontinua
darstellen. Sie bilden eine Ordnung des Neben und Nach. Das Nacheinander und das Neben-
einader sind damit bereits Qualifikationen, welche durch den Verstand in die Anschauung
kommen. Nun ist interessant, dass Baum zwar die Unterscheidung zwischen reiner Anschauung
und reiner Form der Anschauung macht, letzterer jedoch bereits das Neben- und Nacheinander
zuschreibt: „Der Raum (und Zeit) ist also beides: Form der Anschauung als pures Mannigfaltiges
im Nebeneinander und formale Anschauung als synthetische Einheit des Mannigfaltigen.“ (op.
cit., S. ). Dies führt auf die fatale Konsequenz, dass die Apperzeption zwar alleiniger Grund der
Verbindung des Mannigfaltigen sein soll, die Einheit der Anschauungsformen jedoch neben sich
hat. Damit kommt der Interpretation der Restriktionsthese Kants für die Kategoriengültigkeit eine
andere Bedeutung zu. Die Kategorien sind damit nicht mehr auf die Erfahrung restringiert, weil sie
der alleinige Grund der Verknüpfung der Vorstellungsmannigfaltigkeit in der Erfahrung sind,
sofern durch diese Verknüpfung Vorstellungen als Gegenstandsvorstellungen allein möglich sind,
sondern die Kategorien sind auf bestimmte in der Anschauung gegebene Vorstellungsverknüp-
fungen restringiert, welche sie zur Einheit der Erfahrung synthetisieren können. Entsprechend
schreibt Baum S. : „Das heißt umgekehrt nicht, daß beliebige Vorstellungsverbindungen em-
pirisch gegebenen Materials durch den Verstand, weil sie ja alle unter der synthetischen Einheit
der Apperzeption stehen, auch objektiv sind. Sondern nur diejenigen sind es, deren (durch den
Verstand gar nicht gegebenes) Anschauungsmannigfaltiges den durch den Verstand hervorge-
brachten synthetischen Einheiten der Form a priori der Gegenheit [sic!] einer Anschauungs-
mannigfaltigkeit der Art gemäß ist, daß sie in in sie hineinpassen.“ Diese These wurde bekanntlich
ähnlich auch von D. Henrich vertreten, welche jedoch nach unserem Dafürhalten mit Kant nicht zu
rechtfertigen ist, sofern sie die kantischen Theorie der konstitutiven Restriktion der Erfahrungs-
einheit zur restriktive Konstitutionstheorie umwandelt.
Die zweite Wurzel liegt in einem Fehlschluss der transzendentalen Deduktion selbst, welcher
in Kap. 3.3.2 ausgiebig behandelt werden wird.
Zschocke (), S. .
Neben Zschocke kennzeichnet ebenfalls Bussmann (), S. und , Kants Begriff der
Zeit als Anschauungsform richtig: „Vielmehr stellen die Schemata Resultate des Schematisierens
dar, das seinerseits eine Rückwendung des Verstandes auf sich selbst ist, wodurch und wobei
mittelst der produktiven Einbildungskraft dem puren Nach – dem reinen Mannigfaltigen – der Zeit
eine Ordnung gegeben wird, die den jeweiligen Kategorien entspricht.“ Op. cit., S. .
Ferrarin kennzeichnet die Zeit als bloße Anschauung ebenfalls richtig: „Time is given, as the
indeterminate form of our intuition (as the possibility of a serial order): but the order of the
succession (its sense) is the result of our posting a relation among representations.“ Ferrarin
(1995), S. 143.
1.2 Die Realfunktionen des reinen Verstandes 65
Sukzession der Zeit erst durch die Synthesis hervorgebracht wird, bestätigt sich
mit Blick auf § 24:
Bewegung, als Handlung des Subjekts (nicht als Bestimmung eines Objekts), folglich die
Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, wenn wir von diesem abstrahieren und bloß auf die
Handlung Acht haben, dadurch wir den inneren Sinn seiner Form gemäß bestimmen, bringt
so gar den Begriff der Sukzession zuerst hervor.²⁵⁴
Die Einschränkung der Zeit durch die Kategorie der Quantität ermöglicht so aus
der Unendlichkeit der indefiniten Zeit als reiner Anschauungsform die Einheit der
Synthesis homologer Anschauungen, i. e. die Zahl, als Grundlage einer jeden
bestimmten Zeit herzustellen, sofern sie als Folgeordnung an den Erschei-
nungsgegenständen wahrgenommen werden kann.²⁵⁵ Das Schema der Quantität
stellt damit die sequenzielle Ordnung in der Zeittopologie her. Das transzen-
dentale Schema der Qualität schränkt im Gegensatz zu dieser nicht die exten-
sionale, sondern die intensionale Zeitdimension ein. Realität und Negation bilden
so die Zeitbestimmungen der leeren und der erfüllten Zeit.²⁵⁶
Bereits Zschocke²⁵⁷ und Curtius²⁵⁸ weisen auf das Missverhältnis der neun
Schemata in Bezug zur Zwölfzahl der Kategorien hin. Dass Kant sämtliche Sub-
kategorien der Quantität durch das eine Schema der Zahl darstellt, scheint noch
sinnfällig, in Bezug zur Qualität jedoch mutet die Auslassung des Schemas der
Limitation seltsam willkürlich an. Aus der Synthese des Schemas der Realität und
Die Unterscheidung von „Nach“ und „Nach-Einander“ wird in der Diskussion der Erfahrungs-
genese im Übergang von Empfindung zur Wahrnehmung (der Empfindung) eine wichtige Rolle
spielen.
Die Minimalbestimmung des Raumes als spatiales Auseinanderseinkönnen, respektive als
gleichzeitiges „Neben“ ist wesentlich für die abstraktive Beziehung des Raumes als Form der
Anschauung zu den in ihm enthaltenen Gegenständen. Ihren Charakter als „Gegenstände“ er-
halten sie also nicht durch eine raum-zeitliche Vororganisation in der Empfindung, sondern nur
durch ihre Verbindung in der Wahrnehmung. Cf. dagegen Glouberman (1975), S. 318; 329. Zum
Komplex der Wahrnehmung cf. Kap. 3.1.2.
KrV, B ; S. .
Mesch (), S. , betont daher korrekt, „dass die Schemata das einfache Zeitverständnis
der Ästhetik auf entscheidende Weise ergänzen. Zeit ist für Kant nicht nur die strukturlose An-
schauungszeit der Ästhetik, sondern auch die strukturierte Erfahrungszeit der Schemata.“
Die Negation scheint der eigentliche, logische Ort des „Nichts“ zu sein, sofern das Nichts a
priori immer auf ein Seiendes bezogen sein muss, cf. „Prinzip der Positivität“, Cramer (/),
S. f.
Vallenilla (1965), S. 343, plädiert dennoch dafür, dass mit Kant eine „Idee des Nichts […], das
nicht das bloße Ergebnis einer Negation ist“, erfasst werden könne.
Cf. Zschocke (), S. .
Cf. Curtius (), S. .
66 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
der Negation ließe sich jedoch ein Limitationsschema bilden. Die unbestimmte
Zeit würde dabei eingeschränkt, ihr Umfang bliebe jedoch derselbe. Dieses hy-
pothetische Zeitschema einer umschließenden Zeit entspräche damit der Be-
stimmung Kants für die unendlichen Urteile.
stellt damit die zentrale Schwierigkeit des Schematismus selbst dar. Für Kant ist
das Problem der Anwendung der Kategorien auf die Erscheinung eine Frage der
richtigen Subsumtion der letzteren unter die ersteren.²⁶¹ Das Schema bildet dabei
das tertium comparationis, welches mit beiden eine gewisse Homologie besitzt.
Nun ist es klar, daß es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der Kategorie, andererseits
mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muß, und die Anwendung der ersteren auf die
letzte möglich macht. Diese Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einer-
seits i n t e l l e k t u e l l , andererseits s i n n l i c h sein. Eine solche ist das transzendentale
Schema.²⁶²
Es ist von verschiedenen Autoren darauf hingewiesen worden, dass es eine solche
„Gleichartigkeit“ von Verstand und Sinnlichkeit, deren Irreduzibilität Kant nicht
müde wurde in der transzendentalen Analytik zu betonen, nicht geben könne.
Nach Smith gibt es nur zwei Alternativen: Entweder sind Verstandeskategorien
und sinnliche Anschauungen nicht vermittelbar, in diesem Fall wäre Kants System
der Transzendentalphilosophie unhaltbar, oder Verstand und Sinnlichkeit sind
bereits verbunden, was die Frage der Vermittlung redundant machte, aber auch
Kants sorgfältige Trennung von Rezeptivität und Spontaneität revozierte.
if category and sensous intuition are really heterogeneous, no subsumption is possible; and if
they are not really heterogeneous, no such problem as Kant here refers to will exist.²⁶³
Curtius stellt die Schwierigkeit der von Kant vorgelegten Gleichsetzung von An-
wendung und Subsumtion ins Zentrum. So gehorche der von ihm so genannte
Subsumtions-Schematismus nicht der allgemeinen Bestimmung eines subsu-
mierenden Urteils, nämlich der Identität der Ordnungsreihen der im Subsumti-
onsurteil verknüpften Gegenstände. Bei einer vollständigen Distinktion, wie die-
jenige, welche offensichtlich zwischen Begriff und Anschauung besteht, kann es
dementsprechend kein Drittes geben (tertium non datur).²⁶⁴ Die Zeit als ein solches
zu benennen, stellt für Curtius daher eine sophistische Erschleichung dar.²⁶⁵ Im
Gegensatz zu Smith bedeutet die angenommene Inkonsistenz des Schematis-
muskapitels für Curtius jedoch kein vitioses Problem, da der Anspruch des
Schema selbst vice versa als reine Anschauungen deuten,²⁷¹ so stünde man mu-
tatis mutandis vor demselben Problem, in dem das Schema als Anschauung selbst
wiederum ein Schema bräuchte, um mit dem Begriff verbunden zu werden.
Sowohl die Interpretation des Schemas als Begriff wie auch als Anschauung
scheitern daher an derselben Stelle, d. h. am Problem, die Verbindung zwischen
den heteronomen Vermögen des Verstandes und der Sinnlichkeit zu vermitteln.
Bei Curtius ist jedoch ein wichtiger Hinweis zu finden,wie das Schema als Mittleres
zwischen Anschauung und Begriff zu denken sei. So deutet er das Schema treffend
als die Funktion eines Begriffes. ²⁷² Er versteht dies im mathematischen Sinne.²⁷³ So
stellt eine Funktion eine Abbildungsregel²⁷⁴ einer gegebenen Größe x des Argu-
mentbereichs auf eine andere y als Bildmenge gemäß einer Regel in Form eines
mathematischen Terms t(x)=y dar. Die Funktion lässt sich so aus dem Termab-
straktum der Zuordnung x → t(x) als f = [x → t(x)] fassen. Übertragen auf den
Schematismus bedeutet dies, dass das Schema als Funktion zu dem ihm korre-
spondierenden Begriffe, im Falle des transzendentalen also die Kategorie, eine
Projektion des transzendentalen Arguments auf eine Anschauung bildet.²⁷⁵ Das
transzendentale Schema stellt so eine Bijektion der Kategorie auf eine durch diese
bestimmte Zeitform dar. Das Verhältnis von Kategorie und Schema wird im Fol-
genden zu klären sein.
Kant bestimmt in § 20 die Rolle der Kategorie als Einheitsgrund der sensualen
Mannigfaltigkeit im Bewusstsein als logische Urteilsfunktion.
[A] Diejenige Handlung des Verstandes aber, durch die das Mannigfaltige gegebener Vor-
stellungen (sie mögen Anschauungen oder Begriffe sein) unter eine Apperzeption überhaupt
gebracht wird, ist die logische Funktion der Urteile (§ 19). [B] Also ist alles Mannigfaltige, so
fern es in Einer empirischen Anschauung gegeben ist, in Ansehung einer der logischen
Funktionen zu urteilen bestimmt, durch die es nämlich zu einem Bewußtsein überhaupt
gebracht wird. [C] Nun sind aber die Kategorien nichts andres, als eben diese Funktionen zu
urteilen, so fern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt
ist (§ 13).²⁷⁶
objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen.“²⁷⁷ Objektiv ist diese Einheit nur,
sofern der Zusammenhang gegebener Erkenntnisse nicht Ausdruck bloßer phä-
nomenaler Wahrnehmungs-gesetzlichkeit ist, die in Abhängigkeit zur subjektiven
Konstitution steht, sondern wenn gemäß der notwendigen Einheit der Apper-
zeption die Synthesis der Anschauungen hergestellt wird und so objektiven Regeln
gehorcht. Eben diese Urteilshandlung identifiziert Kant mit der logischen Funktion
der Urteile. ²⁷⁸ Teilaussage B bringt zum Ausdruck, dass alle Mannigfaltigkeit der
Sinneserkenntnis, sofern diese Teil der empirischen Anschauung sein soll, bereits
kategorial durch diejenige Verstandesbestimmung geordnet ist, durch welche sie
sich einem Bewusstsein überhaupt zum sinnlichen Referenzpunkt der Verstan-
deshandlung präsentiert. Damit ist auf die objektive Transzendentalität der Ka-
tegorie verwiesen, die sowohl den Realisations- als auch Restriktionsgrund der
empirischen Erkenntnis auf die Gegenstände möglicher Erfahrung darstellt.²⁷⁹ Die
Bestimmung der Kategorie in der Teilaussage C besitzt eminente Bedeutung für die
Interpretation des Schemas. Die Kategorien können nach Kant nun „insgesamt
gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen voll-
ständig darstellen kann.“²⁸⁰ Die Urteilsformen als bloß logische Funktionen vin-
dizieren selbst jedoch noch keinen Anschauungsbezug. Die Kategorien als Begriffe
des reinen Verstandes unterliegen dagegen der Kondition, dass sie sich als Prä-
dikamente der transzendentalen Logik notwendig auf ein Mannigfaltiges der
Sinnlichkeit (a priori) beziehen müssen²⁸¹, respektive dass das Mannigfaltige einer
gegebenen Anschauung, sofern dieses als Erscheinung gegeben ist, eben durch
diesen Bezug, den Kant im Schematismuskapitel explizit macht, unter der kate-
gorialen Bestimmung stehe. Die so genannten unschematisierten Kategorien be-
zeichnen daher keineswegs Gegenstände, sondern befähigen den Verstand als
seine Funktionen in ihrer Anwendung auf die reine Form der Sinnlichkeit, Begriffe
gemäß den Urteilsfunktionen zu bilden.²⁸²
Also sind die Kategorien, ohne Schemate, nur Funktionen des Verstandes zu [Hervorhebung,
M. B.] Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor. Diese Bedeutung kommt ihnen von der
Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert.²⁸³
Das Schematismuskapitel hat dennoch nicht die Aufgabe, aus den reinen Denk-
formen im Sinne der transzendentalen Deduktion die reinen Verstandesbegriffe zu
bilden.²⁸⁴ Dies folgt auch nicht notwendig aus der Zurückweisung der Annahme,
dass es sich bei den unschematisierten Kategorien bereits um Gegenstandsbegriffe
handele; diese sind tatsächlich identisch mit den logischen Funktionen der Ur-
teilstafel.²⁸⁵ Die Kategorie ohne Schema stellt daher nichts anderes vor als das
Vermögen des Verstandes diese zu bilden. Es gibt also keine Kategorien ohne
Schemata, sofern es sich bei diesen um die reinen Verstandesbegriffe handeln
sollte. Aus diesem Grund existiert die Kategorie als Verstandesbegriff niemals
ohne das Gesetz ihrer Anwendung durch die bestimmende (subsumierende) Ur-
teilskraft.
Die bestimmende Urteilskraft unter allgemeinen transzendentalen Gesetzen, die der Ver-
stand gibt, ist nur subsumierend; das Gesetz ist ihr a priori vorgezeichnet, und sie hat also
nicht nötig, für sich selbst auf ein Gesetz zu denken, um das Besondere in der Natur dem
Allgemeinen unterordnen zu können.²⁸⁶
Die notwendige Verbindung von Schema und Kategorie ist daher schon zu Beginn
des Schematismuskapitels vorausgesetzt und wird dort in Bezug auf die Er-
scheinung expliziert.²⁸⁷ Bezogen auf die Fassung des Schemas als (figurale)
Funktion der Kategorie liegt es deshalb nahe, Funktion und Begriff der Sache nach
als untrennbar anzusehen.²⁸⁸
Die Frage nach der Möglichkeit der Subsumtion der Anschauungen unter die
Kategorien, eine der Kernschwierigkeiten des Schematismuskapitels, lässt sich mit
Verweis auf diese Deutung des Schemas lösen. Das Schema liefert als Funktion der
Kategorie die Regel zur transzendentalen Subsumtion als Applikation.²⁸⁹ Die
Subsumtion folgt damit als ein Algorithmus der kategorialen Regel, indem durch
diese das Mannigfaltige mittels der Einbildungskraft permutativ nach Maßgabe
der Verstandesformen geordnet wird.²⁹⁰ Aus dem Zeitchaos der bloßen Distink-
tionsmöglichkeit der Zeitmomente konstruiert der Verstand eine Ordnung, indem
er eine Zeittopologie etabliert. Durch diese Anwendung seiner reinen Begriffe
erweist sich der Verstand als gesetzgebendes Vermögen.²⁹¹
Für die Bildung der Kategorien aus den Verstandesfunktionen ist die eigent-
lich interessante Frage, in welchem Verhältnis nun die idealen Funktionen des
Urteilsvermögens und die Schemata, welche die Funktionen der Einbildungskraft
darstellen, stehen. Die naheliegende Antwort wäre, dass die beiden Typen von
Funktionen zusammen die Kategorien als reine Verstandesbegriffe bilden. Diese
Antwort setzt jedoch voraus, dass es neben dem Verstand als Urteilsvermögen
noch die Einbildungskraft gäbe, welche als gleichberechtigtes Vermögen an der
Bildung der Kategorien beteiligt ist. Dies ist jedoch, zumindest was die B-Auflage
der Kritik der reinen Vernunft angeht, nicht der Fall.²⁹² So weist Baumanns zu Recht
darauf hin, dass es so etwas wie eine selbsttätige Einbildungskraft nicht gebe.²⁹³
Die Einbildungskraft stellt lediglich ein Moment der Urteilskraft dar, sofern diese
sich auf einen Gegenstand als Erscheinung, mithin also auf den Anschauungs-
charakter und nicht den Begriffscharakter des Dings bezieht.²⁹⁴ Das Urteilsver-
mögen, respektive die Urteilskraft und die Einbildungskraft sind demnach nur
zwei Seiten ein und desselben spontanen Vermögens.
Es ist ein und dieselbe Spontaneität, welche dort, unter dem Namen der Einbildungskraft,
hier des Verstandes, Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt.²⁹⁵
Die Schemata als Realfunktionen des Verstandes bilden demnach das sinnliche
Spiegelbild der Idealfunktionen. Bezüglich ihres Funktionscharakters sollte daher
für die Schemata als Realfunktionen des Verstandes dasselbe gelten, wie für die
bloß logischen Funktionen. Auch die Realfunktionen müssen also ebenfalls
Einheiten der Handlungen darstellen. Kant spricht bekanntlich im Zusammenhang
mit dem Schematismus im Allgemeinen von einer Regel zur Produktion eines
Bildes. Der transzendentale Schematismus dient zwar nicht, wie der empirische,
der Produktion eines Bildes, dennoch ist ihnen der Verfahrenscharakter als Pro-
duktionsschema gemein. Spindler unterscheidet in Bezug auf das letztere „das
Verfahren, dessen Produkt das Schema ist, das Schema selbst als allgemeines
Verfahren und endlich das Verfahren, dessen Produkt das Bild ist.“²⁹⁶ Analoges
lässt sich entsprechend vom transzendentalen Schema feststellen: Erstens das
Verfahren, respektive die Regel zur Produktion des Schemas, zweitens die
Handlung, welche unter dem Schema steht und drittens das Schema als Ergebnis
meint, verlegt werden. Malls Parallelisierung von Kants Begriff der Einbildungskraft und Humes
Begriff der „Imagination“ (cf. op. cit., S. .) greift ebenfalls zu kurz. Indem Mall Kants eigene
Beschreibung der Einbildungskraft für seine Parallelisierungsthese heranzieht, ignoriert er, dass
sich Kant mit der Fassung der Einbildungskraft als einer „blinden […] Funktion der Seele“ (KrV, A
| B ; S. .) – ein Gedanke, welchen er im Schematismuskapitel erneut aufgreift („eine
verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele“ cf. KrV, A | B ; S. ) – auf ihre
allgemeine, empirische Funktion bezieht. Dies geht bereits daraus hervor, dass Kant im folgenden
Textabschnitt des von Mall aufgegriffenen Zitates (KrV, A | B ; S. .) die besondere
Beziehung von reiner Synthesis und reinem Begriff als einer Synthesis nach Begriffen themati-
siert.
Rosales (), S. , meint dagegen, dass Kant die Einbildungskraft auch noch in der
Auflage B als eigenständiges Vermögen verstehe. Diese Annahme ist jedoch unserer Ansicht nach
weder vom Text gedeckt, noch scheint sie harmonisierbar mit dem Fokus der B-Deduktion auf den
Verstand, respektive auf die Apperzeption.
Cf. Baumanns (), S. .
KrV, B ; S. .
Spindler (), S. f.
74 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
In den Gliederungsabschnitten 1.1 und 1.2 wurde der Verstand als Formvermögen
diskutiert; zum einen in Bezug auf die Urteilsformen, zum anderen in Bezug auf
die transzendentalen Schemata. Beide wurden als (Einheits‐)Funktionen des
Verstandes ausgewiesen, einerseits hinsichtlich des Verstandes als Urteilsver-
mögen, andererseits als Einbildungskraft, wobei betont wurde, dass die zwei
Vermögen der Urteils- und Einbildungskraft jeweils nur zwei Perspektiven des
Verstandes als Vermögen der Gegenstandserkenntnis darstellen. Sowohl die Ideal-
als auch die Realfunktionen sind für sich genommen jedoch noch keine hinrei-
chenden Erkenntnisfunktionen. Die Anwendung der bloßen Verstandesformen
verstattet keine Erkenntnis darüber, ob von einem Begriff nur ein prädikativer oder
substantiver Gebrauch gemacht werden kann.³⁰⁶ Andererseits ist auch die An-
wendung des bloßen Zeitschemas noch nicht hinreichend, um Erkenntnis zu
konstituieren und perpetuieren. So ist die Wahrnehmung der steten Abfolge
zweier Ereignisse, wie in dem von Kant in den Prolegomena gegebenen Beispiel
des sich durch die Sonne erwärmenden Steines,³⁰⁷ noch keine Erfahrungser-
kenntnis.³⁰⁸ Erst wenn dem Beobachter der Zusammenhang von Erwärmung und
eingehender Wärmestrahlung als kausale, mithin naturgesetzlich notwendige³⁰⁹
Relation bewusst wird, wandelt sich die bloße Wahrnehmungserkenntnis der
Synopsis zweier Ereignisse zur Erfahrungserkenntnis. Damit aus der Wahrneh-
mung einer zeitlichen Sukzession von Ereignissen die Erfahrung ihrer notwen-
digen Verknüpfung wird, bedarf es mehr als der Realisation ihrer Abfolge, nämlich
der Anwendung einer Kategorie, in diesem Fall der der Kausalität. Kategorien sind
für Kant reine Verstandesbegriffe,³¹⁰ welche als diskursive, also begriffliche
Funktionen, d. h. als „Regeln des verknüpfenden Denkens“³¹¹ die Einheit der
Wahrnehmungen als Erfahrung ermöglichen. Es muss also die Frage beantwortet
werden, wie der Verstand von seinen bloßen Funktionen zu seinen Begriffen ge-
langt.
Kategorien beruhen, wie alle Begriffe, auf Funktionen. Bei den reinen Verstan-
desbegriffen handelt es sich um einen speziellen Typus von Begriffen, insofern
diese auf den elementaren Funktionen des Denkens beruhen. Der Verstand besitzt
daher auch kein angeborenes Begriffsinventar, im Sinne der rationalistischen
ideae innatae. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den Kategorien auch nicht um
Gegenstandsbegriffe handelt. Was dem Verstand eignet, ist seine spezielle
denkgesetzliche Form, von der aus er zu begrifflichen, apriorischen Bestimmun-
gen gelangt. In der sogenannten metaphysischen Deduktion der Kategorien ver-
sucht Kant zu zeigen, wie die Kategorien aus den Funktionen des Verstandes zu
Urteilen gewonnen werden können. Dies ist deshalb möglich, weil es sich um
dieselbe Funktion handelt, welche einerseits die Einheit in einem Urteil konsti-
Die Tatsache, dass Ereignisse determiniert sind, heißt noch lange nicht, dass sie kausal
verbunden sein müssen. Ein schönes Beispiel hierfür liefert Max Born (), S. : „Mir scheint,
daß diese Gleichsetzung von Determinismus und Kausalität willkürlich und verwirrend ist. Es gibt
deterministische Beziehungen, die nicht kausal sind – zum Beispiel jeder Fahrplan oder jede
Programmfolge. Um einen ganz banalen Fall zu nehmen: Aufgrund eines Varieté-Programms kann
man wohl die Reihenfolge der Auftritte voraussagen, wird aber schwerlich behaupten, daß die
Akrobaten von Szene Nr. die Liebesszene Nr. verursacht haben.“
Cf. Wartenberg (), S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
Wartenberg (), S. .
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 77
Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die
gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit,
welche, allgemein ausgedruckt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also,
und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der ana-
lytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst
der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vor-
stellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die
a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.³¹³
Nur durch die kategoriale Vindikation des apriorischen Objektbezuges vermag der
Verstand durch die ihm eigenen Denkfunktionen, respektive Formen sich be-
stimmend und damit erkennend auf einen Gegenstand als Vorstellung zu bezie-
hen. Damit antizipiert Kant in der metaphysischen Deduktion bereits das Ergebnis
der transzendentalen Deduktion, nämlich die Notwendigkeit der apperzeptions-
gemäßen Apprehension.³¹⁴ Der Verstand bestimmt die Synthesis der Vorstellun-
gen, indem er die ihm eigenen Einheitsfunktionen im Denken als Einheitsformen
der transzendentalen Einbildungskraft realisiert und damit die temporale Struktur
des inneren Sinnes determiniert. Dass dies überhaupt möglich ist, erklärt sich aus
der Identität des idealen und realen Verstandesgebrauchs, also des Verstandes als
Urteils- und Einbildungskraft.³¹⁵ Weniger auf der vermögenstheoretischen als auf
der begrifflichen Ebene scheint die Frage jedoch nicht hinreichend geklärt zu sein,
wie die zwei protokategorialen Formen des Urteilsvermögens und der Einbil-
dungskraft, die Urteilsformen und Schemata, sich im Begriff der Kategorie ver-
binden, respektive wie aus den bloßen Verstandesformen begriffliche Gegen-
standsbestimmungen werden.
Nach Kant können die „Funktionen des Verstandes […] insgesamt gefunden
werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig dar-
Erst mit Blick auf die synthesis speciosa der produktiven Einbildungskraft wird das Verhältnis
von Einheit und Synthesis als Synthesis gemäß der durch den Begriff als Bedingung gesetzten
Regel transparent. Da Henrich genau dieses produktive Vermögen des Verstandes ignoriert, geht
seine Interpretation einer vor dem Bewusstseinsakt liegenden Synthesis, welche durch den Ver-
stand zu einer apperzeptionsgemäßen Einheit gebracht wird, gänzlich in die Irre, cf. Henrich
(), S. . Ebenso äußern sich Wagner (), S. f. und Baumanns (), S. gegen
Henrich, S. , Anm. .
KrV, A | B f., S. f.
Cf. KrV, B f., S. .
Miles spricht von der „Selbigkeit der einigenden Verstandeshandlungen selbst im logischen
und realen Gebrauch.“ Miles (), S. .
78 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
Der Definitionen dieser Kategorien überhebe ich mich in dieser Abhandlung geflissentlich,
ob ich gleich im Besitz derselben sein möchte. Ich werde diese Begriffe in der Folge bis auf
den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre, die ich bearbeite, hin-
reichend ist. In einem System der reinen Vernunft würde man sie mit Recht von mir fordern
können; aber hier würden sie nur den Hauptpunkt der Untersuchung aus den Augen bringen,
indem sie Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne der wesentlichen Absicht etwas zu
entziehen, gar wohl auf eine andre Beschäftigung verweisen kann. Indessen leuchtet doch
aus dem wenigen, was ich hievon angeführt habe, deutlich hervor, daß ein vollständiges
Wörterbuch mit allen dazu erforderlichen Erklärungen nicht allein möglich, sondern auch
leicht sei zu Stande zu bringen. Die Fächer sind einmal da; es ist nur nötig, sie auszufüllen,
und eine systematische Topik, wie die gegenwärtige, läßt nicht leicht die Stelle verfehlen,
dahin ein jeder Begriff eigentümlich gehört, und zugleich diejenige leicht bemerken, die noch
leer ist.³²⁰
Die von Kant genannten Gründe, dass eine Definition der Kategorien einerseits
eine offene Flanke für den Einfall der Gegner der kritischen Philosophie liefert und
sich andererseits die Kritik angesichts ihrer vorbereitenden Natur für ein System
der Transzendentalphilosophie sowieso der Notwendigkeit einer Definition ent-
heben könne, ist in Ansehung der Zentralität des Begriffs der Kategorie und ihrer
in § 14 gegebenen Erklärung wenig überzeugend. Der tiefere Grund für Kants
Verzicht auf eine Definition an dieser Stelle mag eher darin begründet liegen, dass
die Kategorien neben den Urteilsformen noch die reinen Zeitformen voraussetzen,
welche Kant jedoch erst im Anschluss an die transzendentale Deduktion entwi-
ckelt. Dies gilt insofern, als die Kategorie ohne Schema, wie bereits betont wurde,
nur die Möglichkeit ihrer Begriffsbildung, i. e. eine bloß logische Funktion dar-
stellt. Diese Ansicht findet sich im dritten Hauptstück „Der transzendentalen
Doktrin der Urteilskraft“ in der Ausgabe A bestätigt:
Oben, bei Darstellung der Tafel der Kategorien, überhoben wir uns der Definitionen einer
jeden derselben dadurch: daß unsere Absicht, die lediglich auf den synthetischen Gebrauch
derselben geht, sie nicht nötig mache, und man sich mit unnötigen Unternehmungen keiner
Verantwortung aussetzen müsse, deren man überhoben sein kann. Das war keine Ausrede,
sondern eine nicht unerhebliche Klugheitsregel, sich nicht so fort ans Definieren zu wagen,
und Vollständigkeit oder Präzision in der Bestimmung des Begriffs zu versuchen oder vor-
zugeben, wenn man mit irgend einem oder andern Merkmale desselben auslangen kann,
ohne eben dazu eine vollständige Herzählung aller derselben, die den ganzen Begriff aus-
machen, zu bedürfen. Jetzt aber zeigt sich: daß der Grund dieser Vorsicht noch tiefer liege,
nämlich, daß wir sie nicht definieren konnten, wenn wir auch wollten, sondern, wenn man
alle Bedingungen der Sinnlichkeit wegschafft, die sie als Begriffe eines möglichen empiri-
schen Gebrauchs auszeichnen, und sie vor Begriffe von Dingen überhaupt (mithin vom
transzendentalen Gebrauch) nehmen, bei ihnen gar nichts weiter zu tun sei, als die logische
Funktion in Urteilen, als die Bedingung der Möglichkeit der Sachen selbst anzusehen, ohne
doch im mindesten anzeigen zu können, wo sie denn ihre Anwendung und ihr Objekt, mithin
wie sie im reinen Verstande ohne Sinnlichkeit irgend eine Bedeutung und objektive Gültigkeit
haben könne.³²¹
Technisch gesehen erfüllt sich daher der Anspruch der metaphysischen Deduk-
tion, nämlich die vollständige deduktive Ausweisung aller reinen Verstandesbe-
griffe aus den logischen Funktionen, erst mit dem Verweis auf ihren zeitlichen
Sinn, d. h. mit dem Schematismuskapitel.
Das zweite Hauptproblem der metaphysischen Deduktion besteht darin, dass
Kant nicht wirklich zeigt, wie aus den Urteilsformen die Kategorien werden.³²²
Zwar ist mit der transzendentalen Deduktion in genera gezeigt, wie die Kategorien
und damit die Urteilsformen objektive Bedeutung besitzen, jedoch nicht wie aus
den einzelnen logischen Funktionen in Urteilen die ihnen zugehörigen reinen
Verstandesbegriffe werden. Dieses Problem wird auch nicht gelöst, wenn man das
Schematismuskapitel zum Programm der metaphysischen Deduktion hinzu-
nimmt, respektive das Schematismuskapitel als Wiederaufnahme des deduktiven
Programms der metaphysischen Erörterung des Verstandes begreift. Die
Schwierigkeit wird darüber hinaus umso größer durch die Tatsache, dass Kant den
zwölf logischen Funktionen nur neun temporale gegenüberstellt. Die Aufgabe der
metaphysischen Deduktion kann also nur dann als erfüllt gelten, wenn in der
Perspektive auf ³²³ den höchsten Einheitspunkt der transzendentalen Deduktion,
i. e. die transzendentale Apperzeption, von jeder einzelnen logischen Funktion die
Notwendigkeit ihrer „Verwandlung“³²⁴ zu einem Begriff des reinen Verstandes
gezeigt werden kann.
Kant liefert zwar in der metaphysischen Deduktion keine Definition der Katego-
rien, jedoch gibt er Hinweise, sich dieser anzunähern. Kategorien sind zuallererst
Begriffe. Diese Tatsache mag auf den ersten Blick trivial anmuten, jedoch sind mit
dieser Bestimmung bereits zwei wesentliche Differenzierungen mit ausgespro-
chen. Zum einen sind die Kategorien durch ihre Begriffsnatur von den intuitiven
Vorstellungen zu differenzieren, zum anderen jedoch auch von der bloß logischen
Funktion, auf der sie beruhen. Kategorien bezeichnen also gegenüber den bloßen
Verstandesfunktionen, welche Kant in der Urteilstafel listet, ein „Mehr“. Dieses
Hinzukommende ist ebenfalls durch die Bestimmung der Kategorien als Begriffe
mit ausgesagt, nämlich eine Anschauung als Inhalt des Begriffes, ohne die der
Begriff nichts bezeichnete, mithin also leer wäre.³²⁵
Begriffe sind für Kant immer mit hypotypisierenden Funktionen verbunden,
d. h. Regeln der Verknüpfung von Vorstellungen in der Anschauung.³²⁶ Im Ge-
gensatz nun zu den anderen Begriffen zeichnen die Kategorien sich dadurch aus,
dass sie reine Begriffe sind.³²⁷ Rein sind sie insofern, als dass sie nicht auf einen
Gegenstand in der Erfahrung rekurrieren, sondern die reine Sinnlichkeit selbst zur
Materie haben. Die Kategorien sind daher transzendental im doppelten Wortsinne.
Die transzendentale Apperzeption bildet zwar den höchsten Punkt der transzendentalen
Deduktion, so dass das Ergebnis der metaphischen Deduktion diese antizipiert, jedoch soll der
Beweis der Ableitbarkeit der Kategorien hier von den Urteilsformen her geleistet werden.
Cf. KrV, A | B ; S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
Entweder durch ein Schema oder ein Symbol, cf. KdU, § , B ; AA V, ; S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 81
Sie ermöglichen einerseits die Möglichkeit der Erfahrung, andererseits sind sie
Begriffe, welche die Möglichkeit der Einbildungskraft zur bildhaften Darstellung
übersteigen. Welcher Stoff bietet sich dementsprechend der hypotypotischen
Funktion der Einbildungskraft angesichts der reinen Verstandesbegriffe dar? Die
Antwort wurde im vorherigen Hauptgliederungsabschnitt gegeben, i. e. die Form
des inneren Sinnes, also die Zeit selbst. Jede Kategorie hat also ihr entsprechendes
transzendentales Schema zum Gegenstand, ohne dass dieser ein Bild in der An-
schauung bezeichnen würde. Die Kategorien sind daher Verknüpfungsweisen der
Anschauungsformen.³²⁸
Die vorherige Überlegung führt auf den nächsten Schritt in der Bestimmung
der Kategorien. Die Schemata sind nun selbst wiederum Funktionen des Ver-
standes als Einbildungskraft, nämlich seine Realfunktionen. Die schematisierte
Kategorie verbindet also Ideal- und Realfunktion zu einer dritten, nämlich einer
diskursiven Funktion.³²⁹ Die Tafel der Kategorien liefert daher, wie Höffe richtig
geschrieben hat, kein „transzendentales Vokabular“, sondern eine „transzen-
dentale Grammatik“³³⁰. Als solche sind die Kategorien die Bedingung der Mög-
lichkeit einer Erkenntnis als Erfahrung, i. e. ein regelgeleitetes Erfassen der em-
pirischen Wirklichkeit.³³¹ Im Gegensatz zu den Urteilsformen sind die Kategorien
nicht bloß formale Funktionen, sondern haben die reinen Zeitformen zum Ge-
genstand. Sie sind darüber hinaus auch keine bloßen Wahrnehmungssynthesen,
sondern ihnen kommt zusätzlich ein gesetzmäßiger Charakter zu. Als Ergebnis der
Untersuchung lassen sich die reinen Verstandesbegriffe daher folgendermaßen
allgemein definieren: Die Kategorien sind intensionale, d. h. material-logische
Funktionen des Verstandes, die als Begriffe einen apriorischen Anschauungsbezug
vindizieren. ³³² Die Kategorien sind daher anders als die Urteilsfunktionen nicht nur
Funktionen der Einheit, d. h. Funktionen zur bloß logischen Verknüpfung, son-
Die Anschauungsformen stehen hier durchaus zu Recht im Plural, sofern Raum und Zeit in
einem, wenn auch nur indirekten Darstellungsverhältnis zueinander stehen. „Das reine Bild aller
Größen (quantorum) vor dem äußern Sinne, ist der Raum; das reine Schema der Größe aber
(quantitatis), als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die
sukzessive Addition von Einem zu Einem (Gleichartigen) zusammenbefaßt.“ KrV, A | B ;
S. f. Zum Darstellungsverhältnis der Zeit zum Raum, cf. Exkurs: B) Der Raum als Symbol der
Zeit.
Cf. Miles (), S. .
Höffe (), S. .
Cf. Kap. ..
Krausser (), S. fasst die (unschematisierten) Kategorien als „Regeln der syntheti-
schen Verarbeitung, die aus sinnlich ’gegebenem’ Mannigfaltigen Gegenstände der Wahrnehmung
und Erfahrung konstituiert.“ Kraussners Definitionsvorschlag ist zwar im Grunde richtig, trifft
jedoch erst auf die schematisierte Kategorie zu.
82 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
dern Funktionen der synthetischen Einheit.³³³ Kants eigene Erklärung der Kate-
gorien bestätigt diese Definition:
Sie [die Kategorien, M. B.] sind Begriffe [α] von einem Gegenstande überhaupt [β], dadurch
dessen Anschauung [γ] in Ansehung einer der logischen Funktionen [δ] zu Urteilen als be-
stimmt angesehen wird [ε].³³⁴
Die Kategorien sind also als Begriffe [α] mit den logischen Funktionen identisch
[δ], sofern sie sich auf die Anschauung beziehen [γ] und diese dadurch bestimmen
[ε].³³⁵ Hierdurch sind sie Bestimmungen eines Gegenstandes, sofern dieser
überhaupt zum Objekt einer Erkenntnis als Erfahrung werden kann [β]. Treffend
formuliert es auch Paton:
A pure concept is not merely a concept of the form of thought; it is a concept of the form of
thought as related to and determining an object. ³³⁶
Mit der Definition der Kategorie als diskursiver Verstandesfunktion ist bereits
einiges im Bemühen um Kants Philosophie der Erkenntnis gewonnen.³³⁷ Die Be-
antwortung der wichtigsten Frage der metaphysischen Deduktion steht jedoch
noch aus: Wie können nun die Kategorien aus den bloßen Verstandesfunktionen,
Diese Unterscheidung findet sich in der Differenz von synthesis speciosa und intellectualis:
„Diese Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung, die a priori möglich und not-
wendig ist, kann figürlich (synthesis speciosa) genannt werden, zum Unterschiede von derjenigen,
welche, in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt in der bloßen [Hervor-
hebung, M. B.] Kategorie gedacht würde, und Verstandesverbindung (synthesis intellectualis)
heißt; beide sind transzendental, nicht bloß weil sie selbst a priori vorgehen, sondern auch die
Möglichkeit anderer Erkenntnis a priori gründen.“ Cf. KrV, B ; S. .
Den Funktionscharakter der Kategorien betont ebenfalls Stuhlmann-Laeisz (1987), S. 7, ohne
jedoch den wesentlichen Unterschied zwischen den Funktionen der bloßen und der synthetischen
Einheit zu erwähnen.
KrV, A | B ; S. .
Cf. MAN, AA IV, ; S. .
Paton (), I, .
Ähnlich bestimmt Baumanns die Kategorie in Anschluss an Kants eigene Erklärung:
„Hiernach ist die einzelne „Kategorie“ eine der Funktionen des bestimmungsfunktionalen Be-
dingungsdenkens im Hinblick auf irgendeine Anschauungsform.“ Baumanns (), S. . Die
von Baumanns unternommene Unterscheidung der Nominal- von der Realbedeutung der Kate-
gorie, welche im ersten Sinne „die in zwölf Momenten spezifizierte logisch-funktionale Konsti-
tution der generellen Gegenstandsanschauung“ (ibid.) meint, scheint mit Bezug auf die generell
diskursive und damit apriori anschauungsbezogene Natur der Kategorie als reine Gegenstands-
bestimmung wenig zielführend zu sein, insbesondere was die Rekonstruktion ihrer Entwicklung
von ihrem subjektiven Ursprung als kognitive Form zur objektdeterminativen Funktion betrifft.
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 83
auf denen sie beruhen, im Einzelnen gewonnen werden, d. h. wie kann jede ein-
zelne Kategorie vor dem Hintergrund ihrer allgemeinen Bestimmung definiert
werden? Die Frage kann auch mit Blick auf die Funkionen der Einbildungskraft so
formuliert werden: Wie verbinden sich Ideal- und Realfunktion, respektive wie
bekommt ein formal-logischer Ausdruck einen temporalen Sinn? Der nächste
Gliederungsabschnitt soll diese Frage beantworten.
So war die Funktion des kategorischen Urteils die des Verhältnisses des Subjekts zum Prä-
dikat, z. B. alle Körper sind teilbar. Allein in Ansehung des bloß logischen Gebrauchs des
Verstandes blieb es unbestimmt, welcher von beiden Begriffen die Funktion des Subjekts,
und welchem die des Prädikats man geben wolle. Denn man kann auch sagen: Einiges
Teilbare ist ein Körper. Durch die Kategorie der Substanz aber, wenn ich den Begriff eines
Körpers darunter bringe, wird es bestimmt: daß seine empirische Anschauung in der Er-
fahrung immer nur als Subjekt, niemals als bloßes Prädikat betrachtet werden müsse; und so
in allen übrigen Kategorien.³⁴⁰
Erst durch die zeitliche Indizierung der formalen Prädikation wird aus dem bloßen
Urteil – jeder Körper ist ein Teilbares – das Erkenntnisurteil, alle Körper haben die
Eigenschaft teilbar zu sein. Zur Form des kategorischen Urteils kommt damit eine
Bestimmung hinzu, welche nicht in der bloßen Form des Urteils liegt. Dies ist die
Bestimmung der Kopula, welche das Prädikat mit dem Subjekt verbindet. Nun
besteht die zentrale Wendung des transzendentalen Idealismus darin, dass alle
objektiven Bestimmungen des Erfahrungsgegenstandes zuallererst Bestimmun-
gen des Erfahrungssubjektes sind. Der Wert der Kopula wird daher nicht in Bezug
auf das transzendentale Objekt der Erfahrung bestimmt, sondern in Relation zum
Erkenntnisvermögen, respektive zur formalen- und erkenntnislogischen Konsti-
tution des Subjekts. Diese ist nun keine andere als der Verstand selbst. Zu diesem
Zweck gibt es eine eigene Funktion des Verstandes, die Modalität:³⁴¹
Die Modalität der Urteile ist eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterschei-
dende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt (denn außer Größe, Qualität
und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte), sondern nur den
Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken überhaupt angeht.³⁴²
Die Kategorien der Modalität haben das Besondere an sich: daß sie den Begriff, dem sie
als Prädikate beigefüget werden, als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren,
sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken. Wenn der Begriff eines
Dinges schon ganz vollständig ist, so kann ich doch noch von diesem Gegenstande fragen, ob
er bloß möglich, oder auch wirklich, oder, wenn er das letztere ist, ob er gar auch notwendig
sei? Hiedurch werden keine Bestimmungen mehr im Objekte selbst gedacht, sondern es frägt
sich nur, wie es sich (samt allen seinen Bestimmungen) zum Verstande und dessen empi-
rischen Gebrauche, zur empirischen Urteilskraft, und zur Vernunft (in ihrer Anwendung auf
Erfahrung) verhalte?³⁴³
Die beiden Zitate bezeichnen auf den ersten Blick dieselbe Verwendung der Mo-
dalität. Im ersten bezieht sich jedoch die modale Bestimmung des Urteils auf das
Denken als logisches Vermögen zu Urteilen, im zweiten auf das Denken als ma-
teriales Vermögen zu erkennen. Mittels der modalen Prädizierung wird aus der
bloßen Form zu Urteilen die kategoriale Erkenntnisform, da sich die Modalität im
Erkenntnisurteil nicht allein auf die logische Funktion, sondern auch gleichzeitig
auf die temporale Vollzugsform des Denkens beziehen muss. Alle Kategorien
werden sich daher über die Modalprädikation, in ihrem temporalen Sinn, aus den
bloßen Urteilsfunktionen ableiten lassen.
In ihren Schemata spiegelt sich diese besondere Funktion der Modalität wider,
die formale Urteilsfunktion mit der zeitlichen Form des Denkens zu den Kategorien
zu verbinden, indem diese die Bedingung zeitlichen Denkens überhaupt be-
zeichnet. Zur Lösung der gesetzten Aufgabe, alle Kategorien aus den Urteilsformen
abzuleiten, ist es daher notwendig, die temporale Bedeutung der Modalfunktio-
nen zu klären. Die erste und grundlegendste Bedingung des Denkens ist die
Übereinstimmung des Gedachten mit der Form des inneren Sinnes überhaupt.
Dieser Bedingung entspricht das Schema der Möglichkeit:
Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vor-
stellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt (z. B. da das Entgegengesetzte in einem
Dinge nicht zugleich, sondern nur nacheinander sein kann), also die Bestimmung der Vor-
stellung eines Dinges zu irgend einer Zeit.³⁴⁴
Die Modaloperatoren der Möglichkeit (◊) und Unmöglichkeit (¬◊) sollen daher im
Folgenden die Konjunktivität und Disjunktivität einer Vorstellung mit der Form
des inneren Sinnes anzeigen. Der Übergang von der Urteilsform des problemati-
schen Urteils der Form ◊p(x& * /◊p(x& zur Kategorie der Möglichkeit oder Un-
möglichkeit ist in diesem Fall recht simpel, sofern der Term der Urteilsfunktion
nicht um einen Modaloperator ergänzt werden muss. Die Kategorie der Mög-
lichkeit kann daher ebenfalls als ◊p(x& * /◊p(x& dargestellt werden, nur dass der
Möglichkeit oder Unmöglichkeit im Falle der Kategorie ein temporaler Sinn zu-
kommt. Dabei ist es wesentlich zu sehen, dass auch im Fall der Ableitung der
Modalkategorien aus ihrer bloßen Urteilsform, durch die Anwendung der rein
intellektualen Verknüpfung auf die Form des inneren Sinnes, Anschauungs- und
Gedankenformen als jeweils unabhängig, wiewohl gleichursprünglich vorausge-
setzt sind.
Weil in uns aber eine gewisse Form der sinnlichen Anschauung a priori zum Grunde liegt,
welche auf der Rezeptivität der Vorstellungsfähigkeit (Sinnlichkeit) beruht, so kann der
Verstand, als Spontaneität, den inneren Sinn durch das Mannigfaltige gegebener Vorstel-
lungen der synthetischen Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen, und so synthetische
Einheit der Apperzeption des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung a priori denken, als
die Bedingung, unter welcher alle Gegenstände unserer (der menschlichen) Anschauung
notwendiger Weise stehen müssen, dadurch denn die Kategorien, als bloße Gedankenfor-
men, objektive Realität, d. i. Anwendung auf Gegenstände, die uns in der Anschauung ge-
geben werden können, aber nur als Erscheinungen bekommen; denn nur von diesen sind wir
der Anschauung a priori fähig.³⁴⁵
Die Modalkategorien sind also selbst noch einmal Gegenstand einer Ableitung als
Anwendung der reinen Gedankenform der bloß intellektualen Beziehung einer
Vorstellung auf den reinen Verstand, auf die allem Vorstellen zugrundeliegende
Form des Anschauens, i. e. die Zeit.
Mit dem Schema der Notwendigkeit verhält es sich ähnlich, wie mit dem der
Modalität. So sind die Formulare für das apodiktische Urteil &p(x& * /&p(x& und
das der Kategorie identisch. Es ändert sich hier ebenfalls nur der Sinn, welcher der
Modalität im Ausdruck des apodiktischen Urteils zukommt. So ist nach Kant der
temporale Sinn der Notwendigkeit Sein zu aller Zeit.
Das Schema der Notwendigkeit ist das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit.³⁴⁶
Die zweite Kategorie der Modalität, die Wirklichkeit, wurde hier mit einer gewissen
Absicht übersprungen. Die heutige Modallogik kennt nur zwei Modalbegriffe,
nämlich Möglichkeit und Notwendigkeit.³⁴⁷ Die beiden Begriffe können außerdem
durch den jeweilig anderen dargestellt werden, so dass gilt:
&p(x& 3 /◊/p(x&
Das assertorische Urteil p(x&, welches Kant für die zweite Modalfunktion nimmt,
zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es nicht modal bestimmt ist. Auf der Ebene
der Kategorien besitzt jedoch jedes der Momente von Kants dreiwertiger Modal-
logik einen eigenen temporalen und transzendentalen Sinn.³⁴⁸ So hat auch die
Kategorie der Wirklichkeit ein eigenes Schema, respektive existiert für die Ideal-
funktion der Assertion eine eigene Realfunktion:
Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit.³⁴⁹
Die Hereinnahme der Wirklichkeit in die transzendentale Logik als eigene modale
Bestimmung³⁵⁰ führt zu der Konsequenz, dass zwischen der temporalen Bedeu-
tung von Möglichkeit und Notwendigkeit eine dritte Form hinzukommt. In der
transzendentalen Logik ist daher der Ausdruck /◊/p(x& nicht notwendig formal
äquivalent mit ◊p(x&, sondern kann sich auch auf die Kontingenz einer Prädi-
kation angesichts eines tatsächlichen, aber nicht als notwendig vorgestellten
Modalität
Urteilsform Kategorie
Die modalen Zeitschemata bilden die grundlegenden Zeitformen, mit denen alle
anderen Kategorien gebildet werden können, da die Modalität „die Zeit selbst, als
das Correlatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre
enthalte und vorstellig mache.“³⁵²
Da nun jede Kategorie genau ein transzendentales Schema besitzt, welches
jeweils den temporalen Wert ihrer Kopula angibt, d. h. die Bestimmung der
Möglichkeit einer Vorstellung in Bezug auf die zeitliche Form des Denkens, was
nichts anderes ist als ihre modale Bestimmung, sollten sich alle Kategorien aus der
modalen Bestimmung der Urteilsform ableiten lassen. Mit dieser Forderung ist
jedoch ein Problem verbunden. Kant gibt leider nur neun transzendentale Sche-
mata an, so dass eine eindeutige Zuordnung von Kategorien und Schemata un-
möglich scheint. Dieses Problem wäre für die Systematik der transzendentalen
Elementarbegriffe allerdings fatal, sofern diese als diskursive Funktionen des
Verstandes nun gerade die notwendige Verbindung idealer und realer Funktionen
Nach Hartmann (), S. , gilt: „dasjenige, dessen Unwirklichkeit ausgeschlossen ist,
ist eben damit notwendig.“ Diese Einschätzung erweist sich demnach auch mit Blick auf die
kantischen Kategorien als gerechtfertigt.
KrV, | B ; S. .
88 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
darstellen sollen.³⁵³ Diese Schwierigkeit trifft vor allem die Kategorien der
Quantität. Kant gibt für diese nur ein temporales Schema an, i. e. die Zahl als
Zeitreihe.
Das reine Schema der Größe aber (quantitatis), als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl,
welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (Gleichartigen)
zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anders, als die Einheit der Synthesis des Man-
nigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der
Apprehension der Anschauung erzeuge.³⁵⁴
Die Vorstellung der Zahl als Regel der „sukzessiven Addition“ bildet das Schema
der Quantität überhaupt. Wie kann also die Zahlvorstellung als allgemeines
Schema der Quantität zu den besonderen Schemata der einzelnen Kategorien
spezifiziert werden?³⁵⁵ Dieses Problem lässt sich dadurch lösen, dass innerhalb
Die Schemata der Sinnlichkeit realisieren allererst die Kategorien als diskursive Funktionen,
cf. KrV, | B ; S. .
KrV, A f. | B ; S. f.
Die Erklärung des Zahlschemas von Frede/Krüger (), S. , in Bezug auf die Kategorien
der Quantität scheint auf den ersten Blick zutreffend: „Es ist nach dieser Anweisung Kants kaum
mehr anders möglich, als Einheit durch die Eins, Vielheit durch die Vereinigung von Einsen und
Einsen durch eine Zusammenfassung von Einsen zu einer bestimmten Anzahl zu schematisieren.“
Dies scheint sich mit Kants eigener Erklärung in § der Kritik der reinen Vernunft zu decken: „So
ist der Begriff einer Zahl (die zur Kategorie der Allheit gehört) nicht immer möglich, wo die Begriffe
der Menge und der Einheit sind (z. B. in der Vorstellung des Unendlichen) […]“ KrV, B ; S. .
Kant scheint sich selbst in seinen Anmerkungen zu den Kategorien in Widerspruch zu der von ihm
im Schematismuskapitel entwickelten Systematik zu setzen, wo er den Kategorien der Quantität in
toto und nicht bloß der Kategorie der Allheit die Zahl als Schema zur Seite stellt. Vor diesem
Hintergrund ist es schwierig, die von Kant insinuierte Zuordnung von Kategorien und Urteils-
formen der Quantität zu verstehen, stellt er doch dem singulären Urteil die Allheit und dem
allgemeinen Urteil die Einheit entgegen. Man kann daher entweder wie Frede und Krüger in aller
Härte eine widersprüchliche Position in Bezug auf die Zuordnung annehmen oder versuchen,
Kants Position zu plausibilisieren. So ist es wichtig zu sehen, dass es Kant in den Zahlschemata
nicht um die Zuordnung der Kategorien zu bestimmten Zahlen oder gar Zahlbildern geht, sondern
um ihr Produktionsschema in der Zeitreihe. Gegen die Zuordnung der Quantitätsmomente mit
Zahlen sprach sich aus demselben Grund bereits Heimsoeth (), S. , aus. Ausgehend von
dieser allgemeinen Bestimmung der Zahl wird der erkenntnislogische Sinn des Quantitätsschemas
deutlich. So ist mit der Kategorie der Allheit die Vorstellung des Erreichens eines bestimmten
Grenzwertes in der Synthesis gedacht, was mit der völligen Durchbestimmung eines Gegenstandes
im Begriff identisch ist. Für Kant ist es nun wesentlich, dass das Infinitum der aktualen Un-
endlichkeit, welches sich in der Vorstellung der Totalität der Bestimmungsrücksichten eines
Gegenstandes der Erkenntnis findet, nicht im Durchlauf durch die potentielle Unendlichkeit der
Bestimmungen ad indefinitum erreicht werden kann. Letztere hat gleichwohl in Bezug auf erstere
Grenzwertcharakter. Der mit der Kategorie der Allheit vorgestellte Begriff der Totalität, so die
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 89
Pointe der kantischen Theorie, kann daher niemals im Erkennen gegeben, sondern folgerichtig
diesem immer nur aufgegeben sein. Cf. Kap. ...
Die Unterscheidung von computans und computatum findet sich sinngemäß bereits bei
Wolfgang Cramer als „Differenz von zählender und gezählter Zahl. Die Zahl ist einzig. Aber
gleichwohl sind viele en, nämlich viele als gezählte Elemente. Die Zahl kann nicht zu sich
addiert werden, denn Addiertes muß verschieden sein. Aber ein als Gezähltes kann zu einem
anderem als Gezähltem addiert werden.“ Cramer (/), S. .
Der Zusatz „angeschaut“ ist insofern bedeutsam, als dass die modale Prädikation „not-
wendig = allzeitig“ nicht als ewig missverstanden werden darf, sofern zwar ein Urteil notwendig
sein kann, hieraus jedoch nicht auf die Notwendigkeit des Urteils selbst geschlossen werden kann,
da dieses mit der Aufhebung seines Subjekts ebenfalls in toto aufgehoben wird: „Die unbedingte
Notwendigkeit der Urteile aber ist nicht eine absolute Notwendigkeit der Sachen.“ KrV, A f. | B
f.; S. . Dieser Grundsatz bildet bekanntlich den Kern der kantischen Kritik des ontolo-
gischen Gottesbeweises.
90 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
An dieser Stelle kann bemerkt werden, dass die Vielheit auch bei der größtmöglichen Dif-
ferenz ihrer Elemente, wie sie in der bloßen Mannigfaltigkeit vorliegt, dennoch eines Elementes
der Einheit bedarf, sei es ihrer Synopsis im Raum oder ihres Bezuges auf das Vorstellungssubjekt.
Dass es absolute Vielheit ohne Bezug zur Einheit schlechterdings nicht geben kann, ist eine
philosophische Grundeinsicht seit Platon.
KrV, B ; S. . Wesentlich wird diese Bestimmung der Allheit für die Idee des tran-
szendentalen Ideals.
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 91
Quantität
Urteilsform Kategorie
Mit der Ableitung der Kategorien der Qualität sind weniger Schwierigkeiten ver-
bunden als mit denen der Quantität; dennoch ist auch diese nicht unproblema-
tisch. Dies liegt vornehmlich daran, dass Kant auf die Angabe eines eigenen
Zeitschemas für die Limitation verzichtet. Auch wenn das Schema aus der Bil-
dungsregel der kategorialen Trichotomie erschlossen werden kann, scheint kein
systematischer Grund für diese Auslassung vorzuliegen.³⁶²
Die erste Urteilsform der Qualität ist die des bejahenden Urteils: p(x&. Rein
formal unterscheidet es sich weder vom kategorischen noch vom assertorischen
Urteil. Das Spezifische des bejahenden Urteils liegt jedoch in seiner Funktion im
Verstand. Die Funktion des bejahenden Urteils spezifiziert die Verbindung von
Daseins eines Dinges oder einer Eigenschaft in der Zeit nicht die Möglichkeit
seines Seins zu irgendeiner Zeit ausschließt. Im Gegenteil: Realität und Negation
sind zusammengenommen vielmehr Bedingung der Möglichkeit zeitlicher Ver-
änderung.
Daher ist ein Verhältnis und Zusammenhang, oder vielmehr ein Übergang von Realität zur
Negation, welcher jede Realität als ein Quantum vorstellig macht, und das Schema einer
Realität, als der Quantität von etwas, so fern es die Zeit erfüllt, ist eben diese kontinuierliche
und gleichförmige Erzeugung derselben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die
einen gewissen Grad hat, in der Zeit bis zum Verschwinden derselben hinabgeht, oder von
der Negation zu der Größe derselben allmählich aufsteigt.³⁷⁰
Gleichwohl setzen Realität und Negation als Bestimmungen des Zeitinhalts die
Unendlichkeit des Zeitinbegriffs, respektive den inlimitierten Einschränkbar-
keitscharakter der Zeit voraus.³⁷¹
Mit der dritten Kategorie, der Limitation, ist das bereits erwähnte Problem
verbunden, dass Kant kein Zeitschema ihres Begriffes angibt. Mit Blick auf das im
vorherigen Hauptgliederungsabschnitt konstruierte Zeitschema³⁷² lässt sich das
Problem der Ableitung angehen. Im unendlichen Urteil wurde die Negation einer
Bestimmung affirmierend gebraucht. In Bezug auf die Zeit hieß dies, dass einer-
seits auf die zeitliche Erstreckung einer möglichen Empfindung und damit auf die
im Begriffe angezeigte Übereinstimmung der Anschauung mit der Zeit rekurriert
wird, andererseits diese Bestimmung eine generelle Unmöglichkeit zum Ausdruck
bringt. Für die Kategorie der Limitation bedeutet dies, dass sie den Grund einer
Unmöglichkeit im Begriffe anzeigt. Ihre Form entspricht daher der der Unmög-
lichkeit /◊p(x& mit dem bereits in Bezug auf die Differenz von Realität und
Möglichkeit diskutierten Unterschied der Bestimmungshinsicht der Funktionen.
Hieraus ergibt sich für die Qualität folgende Übersicht:
Qualität
Urteilsform Kategorie
Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung
desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also
bleibt, indem alles andre wechselt. (Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich
das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, kor-
respondiert in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d. i. die Substanz, und bloß an
ihr kann die Folge und das Zugleichsein der Erscheinungen der Zeit nach bestimmet wer-
den.)³⁷⁴
Die Idealfunktion der Kategorie der Substanz ist identisch mit der kategorischen
Urteilsform, i. e. die Verbindung von Subjekt und Prädikat in einem Urteil. Die
Realfunktion liefert nun zu dieser das temporale Korrespondat in der Synthesis,
i. e. Persistenz. Persistent ist die Bestimmung des allzeitigen Seins an einem
Empfindungsgegenstand. Dieser Zusatz unterscheidet die Kategorie der Substanz
von der der Notwendigkeit, sofern sich letztere auch nicht notwendig direkt auf
das Empfindungsmaterial beziehen muss, wie im Falle der Notwendigkeit be-
stimmter Naturgesetze. Der Begriff der Substanz ist korreliert mit dem des Akzi-
denz. Das Akzidenz als Eigenschaftsbestimmung ist eben dasjenige, welches nicht
die Eigenschaft der Persistenz aufweist. Das Dasein des Akzidenz ist also im
Die Kategorie der Substanz ist daher auch die Bedingung der Zeitwahrnehmung, cf. KrV, B
f. Zschocke (), S. , vertritt aus diesem Grund die Ansicht, dass die Kategorie der
Substanz direkt aus der Anschauungsform der Zeit abgeleitet werden kann. Dies ist jedoch, wie
sich durch die hier dargelegte Ableitung über die Modalität zeigt, nicht der Fall.
KrV, A | B ; S. f.
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 95
Gegensatz zu dem der Substanz kein zeitlich notwendiges, sondern nur ein
mögliches.
Die temporale Fassung des Substanzbegriffes verweist auf eine weitere,
gleichermaßen wichtige Bestimmung der Substanz und ihres Akzidenz, nämlich
als subsistierende und adhärierende Bestimmungen. Nur durch die zeitliche Be-
stimmung einer Prädikation ist diese Unterscheidung an einem Gegenstand
überhaupt möglich. So setzt Teilbarkeit, als zeitliche Möglichkeit, in der Emp-
findung immer einen Gegenstand als Teilbares, mithin als temporal Notwendiges
voraus.
Im Begriff der Substanz, respektive dem der Substanzialität, wird die kate-
gorische Verbindung von Subjekt und Prädikat – p(x& – durch die zeitliche In-
stantiierung der Prädikation hinsichtlich ihrer Notwendigkeit – &0x – und
Möglichkeit – ◊p(x& – bestimmt: Es existiert notwendig ein x, für welches gilt, x ist
möglicherweise p: &0x◊p(x&.
Die Substanz wird in Bezug auf ihr Akzidenz als das zeitlich durchgehend
Existierende gedacht, wohingegen das Dasein des Akzidenz in Bezug auf die
Substanz als bloß möglich gedacht wird. Es ist an dieser Stelle wichtig, die
Wechselseitigkeit dieser Bestimmung zu betonen, welche nicht als Ontologismus
zu interpretieren ist, sondern sich allein aus der Reflexion über die Verknüpfung
eines Gegenstandes mit seinen Eigenschaften ergibt. Erst durch diese Bestimmung
der Zeitstufen wird aus einem beliebigen kategorischen Urteil ein Erkenntnisurteil.
Die zweite Kategorie der Relation, die der Kausalität, bildet die Zentralkate-
gorie der Physik. Die Physik als Wissenschaft fragt nach den Gesetzmäßigkeiten
der Naturvorgänge und versucht auf deren Basis, Vorhersagen zukünftiger Be-
obachtungen zu machen. Es ist wesentlich für diese Aufgabe, dass die Prozesse in
der Natur eine kausale Verknüpfung aufweisen, mithin Naturereignisse nicht
willkürliche, einmalige Setzungen darstellen.³⁷⁵
Der Kausalität entspricht auf der Ebene der bloßen Verstandesfunktion das
sogenannte hypothetische Urteil der Form p(x&⟶q(x&. Mit dem Schema bekommt
diese Form der Verknüpfung eine zeitliche Bedeutung: Immer wenn x als p gesetzt
ist, dann ist x als q gesetzt; an einem Ding folgen also Bestimmungen notwendig
nacheinander.
Das Schema der Ursache und der Kausalität eines Dinges überhaupt ist das Reale, worauf,
wenn es nach Belieben gesetzt wird, jederzeit etwas anderes folgt. Es besteht also in der
Sukzession des Mannigfaltigen, in so fern sie einer Regel unterworfen ist.³⁷⁶
Dass dies für die Natur als Ganzes zu gelten hat, wird damit nicht gesagt.
KrV, A | B ; S. .
96 Kapitel I. Funktionen der Erkenntnis
Der Zusatz, „in so fern sie einer Regel unterworfen ist“, ist für die Bestimmung
einer kausalen Verknüpfung wesentlich. Am berühmten Beispiel des sich er-
wärmenden Steines lässt sich dies gut verdeutlichen. Die sukzessiven Zustände
des Gegenstandes, kalt und warm, folgen einander dadurch notwendig, dass ein
Körper sich gemäß des Stefan-Boltzmann-Gesetzes bei Sonneneinstrahlung not-
wendigerweise erwärmt.³⁷⁷ Die Änderung der Wärmequalität ist damit als Suk-
zession notwendig durch das Naturgesetz als allgemeine Regel kausal determi-
niert. Die Form der Kausalität kann daher als eine zeitlich verstandene strenge
Implikation wiedergegeben werden: &(p(x&⟶q(x&&.³⁷⁸
Die dritte und letzte Kategorie der Relation ist die der Wechselwirkung, re-
spektive der Gemeinschaft. Ihr entspricht auf der idealen Funktionsebene das
disjunktive Urteil. Diese Zuordnung besitzt auf den ersten Blick nicht dieselbe
Evidenz, wie dies bei den übrigen Kategorien und ihren idealen Verstandesformen
der Fall ist.
Von einer einzigen Kategorie, nämlich der der Gemeinschaft, die unter dem dritten Titel
befindlich ist, ist die Übereinstimmung mit der in der Tafel der logischen Funktionen ihm
korrespondierenden Form eines disjunktiven Urteils nicht so in die Augen fallend, als bei den
übrigen.³⁷⁹
Um sich dieser Übereinstimmung zu versichern, muß man bemerken: daß in allen dis-
junktiven Urteilen die Sphäre (die Menge alles dessen, was unter ihm enthalten ist) als ein
Ganzes in Teile (die untergeordneten Begriffe) geteilt vorgestellt wird, und, weil einer nicht
unter dem andern enthalten sein kann, sie als einander koordiniert, nicht subordiniert, so daß
sie einander nicht einseitig, wie in einer Reihe, sondern wechselseitig, als in einem Aggregat,
Die Kenntnis um die der notwendigen Sukzession zugrundeliegenden Regel unterscheidet
das Wahrnehmungs- vom Erkenntnisurteil.
Der Modaloperator ist daher implizit durch den Verweis auf die Jederzeitigkeit der kausalen
Verknüpfung in Kants Begriff der Kausalität enthalten, cf. Rohs (), S. . Wyller (),
S. , betont zu Recht die Differenz des kantischen Kausalitätsbegriffes gegenüber „anti-mo-
dalen Begriffen der Kausalität.“
KrV, B f.; S. .
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 97
bestimmen (wenn ein Glied der Einteilung gesetzt wird, alle übrige ausgeschlossen werden,
und so umgekehrt), gedacht werden.³⁸⁰
Diese Funktion wechselseitiger Bestimmung ist es, welche Kategorie und bloße
Urteilsform gemein haben.
Nun wird eine ähnliche Verknüpfung in einem Ganzen der Dinge gedacht, da nicht eines, als
Wirkung, dem andern, als Ursache seines Daseins, untergeordnet, sondern zugleich und
wechselseitig als Ursache in Ansehung der Bestimmung der andern beigeordnet wird (z. B. in
einem Körper, dessen Teile einander wechselseitig ziehen, und auch widerstehen), welches
eine ganz andere Art der Verknüpfung ist, als die, so im bloßen Verhältnis der Ursache zur
Wirkung (des Grundes zur Folge) angetroffen wird, in welchem die Folge nicht wechselseitig
wiederum den Grund bestimmt, und darum mit diesem (wie der Weltschöpfer mit der Welt)
nicht ein Ganzes ausmacht. Dasselbe Verfahren des Verstandes, wenn er sich die Sphäre
eines eingeteilten Begriffs vorstellt, beobachtet er auch, wenn er ein Ding als teilbar denkt,
und, wie die Glieder der Einteilung im ersteren einander ausschließen und doch in einer
Sphäre verbunden sind, so stellt er sich die Teile des letzteren als solche, deren Existenz (als
Substanzen) jedem auch ausschließlich von den übrigen zukommt, doch als in einem Ganzen
verbunden vor.³⁸¹
Im Gegensatz zur Kausalität ist die Wechselwirkung keine einseitig, sondern eine
zweiseitig orientierte Verknüpfung, so dass bei Setzung des einen notwendig die
des anderen erfolgt und umgekehrt. Durch die Kategorie der Gemeinschaft ist
dementsprechend nichts anderes als der Begriff einer wechselseitigen Kausalität
bezeichnet.
Das Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung), oder der wechselseitigen Kausalität der
Substanzen in Ansehung ihrer Akzidenzen, ist das Zugleichsein der Bestimmungen der ei-
nen, mit denen der anderen, nach einer allgemeinen Regel.³⁸²
Die formale Darstellung der Kategorie lässt sich daher leicht aus der der Kausalität
ermitteln:
So wie die Kausalität die Zentralkategorie der Physik ist, so ist die Wechselwirkung
die der Biologie, da diese die Grundlage des finalen, respektive teleologischen
Denkens bildet.
Organismen sind als lebende Wesen im Gegensatz zur toten Materie nicht allein
durch den Begriff der Kausalität zu erfassen, da ihre Teile in Bezug auf ihr Ganzes
in einem kausalen Nexus wechselseitig miteinander verbunden sind.
Zu einem Körper also, der an sich und seiner innern Möglichkeit nach als Naturzweck be-
urteilt werden soll, wird erfordert, daß die Teile desselben einander insgesamt, ihrer Form
sowohl als Verbindung nach, wechselseitig, und so ein Ganzes aus eigener Kausalität her-
vorbringen, dessen Begriff wiederum umgekehrt (in einem Wesen,welches die einem solchen
Produkt angemessene Kausalität nach Begriffen besäße) Ursache von demselben nach einem
Prinzip, folglich die Verknüpfung der wirkenden Ursachen zugleich als Wirkung durch End-
ursachen beurteilt werden könnte.
In einem solchen Produkte der Natur wird ein jeder Teil, so, wie er nur durch alle übrige
da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existierend, d. i. als Werkzeug (Organ)
gedacht: welches aber nicht genug ist (denn er könnte auch Werkzeug der Kunst sein, und so
nur als Zweck überhaupt möglich vorgestellt werden); sondern als ein die andern Teile
(folglich jeder den andern wechselseitig) hervorbringendes Organ, dergleichen kein Werkzeug
der Kunst, sondern nur der allen Stoff zu Werkzeugen (selbst denen der Kunst) liefernden
Natur sein kann: und nur dann und darum wird ein solches Produkt, als organisiertes und
sich selbst organisierendes Wesen ein Naturzweck genannt.³⁸³
Leben kann nur als organische Ganzheit erfasst und gedacht werden. Diese we-
sentliche Eigenschaft unserer Reflexion über die Natur der lebendigen Körper steht
der wissenschaftlichen Absicht, Naturvorgänge aus linearen Kausalketten heraus
zu erklären, nach Kant unüberwindlich entgegen, so dass sich schwerlich jemals
ein Newton des Grashalms ³⁸⁴ finden dürfte, dem dies gelänge.
Man kann diese Passage eines kritisch gefassten Begriffes des Naturzwecks als
Entgegnung auf die Kritik Spinozas lesen, in der sich dieser gegen die Vorstellung
einer Naturteleologie wendet:
Nam id, quod revera causa est, ut effectum considerat, et contra. Denique id, quod natura
prius est, facit posterius.³⁸⁵
lediglich heuristisch. Diese soll durch die Erforschung der lebendigen Natur
sukzessive zugunsten linearer Erklärungen aus kausalen Zusammenhängen zu-
rückgedrängt werden. Gleichwohl entspringt die Vorstellung des Naturzwecks der
Reflexionsnatur des menschlichen Verstandes, weshalb ihr in subjektiver Hin-
sicht, d. h. als nicht-konstitutive Regel der Reflexion, transzendentale Notwen-
digkeit zukommt.
Mit der Kategorie der Wechselwirkung ist nun die letzte Kategorie aus der
Urteilstafel gefunden, so dass sich für die Relation im Ganzen folgendes Bild er-
gibt:
Relation
Urteilsform Kategorie
Die Kategorien sind damit im Ganzen abgeleitet. Dass allein die Kategorie der
Modalität für die Ableitung der Kategorien aus den Urteilsformen zu gebrauchen
war, ergab sich daraus, dass die Modalität die Besonderheit besitzt, dass sie
„nichts zum Inhalte des Urteils beiträgt, sondern nur den Wert der Copula in
Beziehung auf das Denken überhaupt angeht.“³⁸⁷ Jeder andere Versuch, die Ka-
tegorien, beispielsweise über die Qualität abzuleiten, hätte daher unweigerlich
den Inhalt derselben verändert.
Gültigkeit. Der Maßstab dieser Bestimmung ist nun für Kant kein dem Verstand
äußerlicher. So zeigt die Modalität den „Wert der Copula in Beziehung auf das
Denken überhaupt“ an. Der Verstand, respektive das Denken ist demnach sich
selbst der Maßstab in der modalen Bestimmung seiner Urteile. Genau hierin
spricht sich seine Eigenart als spontanes Vermögen aus, i. e. die Fähigkeit des
Verstandes, sich bestimmend auf sich selbst zu beziehen. Diese Fähigkeit bildet
den Schlüssel zur Bildung der Kategorien aus den Urteilsformen und, wie sich im
Folgenden zeigen wird, auch zur Ableitung der Urteilsformen selbst. Indem der
Verstand sich selbst bestimmt, hat er natürlich dreierlei Hinsichten: Erstens ist er
selbstbestimmend; zweitens ist er Objekt seiner eigenen Bestimmung, i. e. er ist
sich selbst Bestimmbares, sowie drittens ist er das Ergebnis seiner eigenen Be-
stimmung, i. e. Bestimmtheit, welche Bestimmung und Bestimmbarkeit umfasst.
Alle drei Momente des Verstandes finden sich im kantischen Begriff des Ver-
standes wieder: Der Verstand ist sowohl Urteils- als auch Einbildungskraft und
gleichzeitig bildet er die Verbindung beider Vermögen. Damit ist leicht zu sehen,
dass die Trias der Verstandesfunktionen bestimmungstheoretisch zu deuten ist:
1. Der Verstand muss durch die Funktionen als bestimmend gedacht werden.
Diese Funktionen, durch die der Verstand sich bestimmend denkt, sind diejeni-
gen, welche alle Handlungen des Verstandes bestimmen, i. e. die logischen
„Funktionen der Einheit in den Urteilen“,³⁸⁸ insofern sich „alle Handlungen des
Verstandes auf Urteile zurückführen [lassen], so daß der Verstand überhaupt als
ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann.“³⁸⁹ Für den Verstand als Objekt
seiner Selbstbestimmung muss weiterhin gelten:
2. Der Verstand muss durch die Funktionen als bestimmbar gedacht werden.
Die Vorstellung des Verstandes als Objekt einer Bestimmung zu denken, ist in-
sofern schwieriger, als der Gegenstand der Verstandesbestimmung die Sinnlich-
keit darstellt, der Verstand daher in Bezug zur Sinnlichkeit immer nur als be-
stimmend vorgestellt werden muss. Der Verstand kann sich also nicht selbst in der
Weise zum Gegenstand haben, wie er die Sinnlichkeit zum Inhalte hat. Er muss
daher, auch wenn er Bestimmbares seiner Selbstbestimmung ist, für die Sinn-
lichkeit immer noch bestimmendes sein. Der Schlüssel zur Lösung dieser
Schwierigkeit liegt in der bereits beschriebenen Zweiseitigkeit des Verstandes als
Vermögen der Gegenstandserkenntnis, zum einen in Betonung seiner erkenntnis-,
Es ist ein und dieselbe Spontaneität, welche dort, unter dem Namen der Einbildungskraft,
hier des Verstandes, Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt.³⁹¹
Der Verstand als Einbildungskraft bildet zusammen mit der zeitlichen Form aller
Vorstellungen als Inhalte des inneren Sinnes das gegenstandskonstitutierende
Vermögen des Verstandes. Die Einbildungskraft erweist sich dabei für die Sinn-
lichkeit bestimmend, weil sie selbst bestimmt ist durch die Form des Verstandes.³⁹²
Mit dieser Antwort ist auch die Lösung eines wesentlichen Problems verbunden,
welches sich aus dem veränderten Status der Einbildungskraft in der Auflage B
ergibt. Während in der Auflage A die Einbildungskraft noch ein eigenständiges,
vermittelndes Vermögen zwischen der Sinnlichkeit und dem Verstand darstellt,
fällt die zu erbringende Vermittlungsleistung in Auflage B allein dem Verstand
zu.³⁹³ Das hierdurch zugunsten des Verstandes entstandene Ungleichgewicht
bezüglich der jeweiligen Erkenntnisleistungen der Vermögen kann nur gerecht-
fertigt werden, wenn der Verstand einerseits bestimmend in Bezug auf die Sinn-
lichkeit und andererseits bestimmbar in Bezug auf die reinen Funktionen des
Denkens gedacht wird.
Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjektiven
Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende
Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; so fern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung
der Spontaneität ist, welche bestimmend, und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist,
mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen
kann, so ist die Einbildungskraft so fern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestim-
men, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transzendentale
Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinn-
lichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegen-
stände der uns möglichen Anschauung ist.³⁹⁴
Guyer irrt sich daher, wenn er Kant für die Gleichsetzung der Kategorien und
Urteilsfunktionen kritisiert:
Also ist alles Mannigfaltige, so fern es in Einer empirischen Anschauung gegeben ist, in
Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen bestimmt, durch die es nämlich zu
einem Bewußtsein überhaupt gebracht wird. Nun sind aber die Kategorien nichts andres, als
1.3 Die diskursiven Funktionen des reinen Verstandes 103
eben diese Funktionen zu urteilen, so fern [Hervorhebung, M. B.] das Mannigfaltige einer
gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist (§ 13).³⁹⁵
So sagt Guyer von diesem Zitat: „This, of course, simply violates Kant’s original
constraint that the categories cannot simply be identified with the logical functions
of judgement, though they must stand in some kind of connection with the latter
which may well serve as a clue to their discovery.“³⁹⁶ Ausgehend von dem in
diesem Kapitel Erarbeiteten lässt sich sehr genau sehen, warum Guyers Kantkritk
ins Leere läuft. Erstens kann nicht von einer simplen Identifikation die Rede sein.
Dies ist bereits aus dem angeführten Zitat durch den restriktiven Sinn der Kon-
junktion „so-fern“ ersichtlich. Zweitens ist die Verbindung von Kategorie und
Urteilsform, respektive -funktion nicht derart, dass diese lediglich einen Hinweis
zur Entdeckung der Kategorien liefert. Die logischen Funktionen sind vielmehr
Konstitutiva der Kategorien. Das Identitätsverhältnis von logischer und tran-
szendentaler Funktion ist daher vor dem diskutierten Hintergrund nicht nur ge-
rechtfertigt, sondern nimmt vielmehr eine argumentative Schlüsselstellung in
Kants Erkenntnislogik ein.³⁹⁷
Das kantische Kategoriensystem weist so eine weitaus höhere Komplexität
auf, als es prima facie den Anschein hat: So enthält die Kategorientafel vier Titel
mit je drei Modi, i. e. Funktionen, welche nach dem trichotomischen Bildungs-
gesetz in einem Bedingungszusammenhang stehen, welcher sich bestimmungs-
logisch rekonstruieren lässt, was Kant zur Verteidigung der kategorialen Dreier-
ordnung in der Kritik der Urteilskraft expliziert:
Man hat es bedenklich gefunden, daß meine Einteilungen in der reinen Philosophie fast
immer dreiteilig ausfallen. Das liegt aber in der Natur der Sache. Soll eine Einteilung a priori
geschehen, so wird sie entweder analytisch sein, nach dem Satze des Widerspruchs; und da
ist sie jederzeit zweiteilig (quodlibet ens est aut A aut non A). Oder sie ist synthetisch; und,
wenn sie in diesem Falle aus Begriffen a priori (nicht, wie in der Mathematik, aus der a priori
dem Begriffe korrespondierenden Anschauung) soll gefühlt werden, so muß, nach demje-
nigen, was zu der synthetischen Einheit überhaupt erforderlich ist, nämlich 1) Bedingung, 2)
ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung
entspringt, die Einteilung notwendig Trichotomie sein.³⁹⁸
Die Kategorien teilen sich demnach auf in Bedingung, Bedingtes und den Begriff
aus der Vereinigung beider, welcher das Bedingte unter der Bedingung darstellt.
Besonders erhellend ist in diesem Zusammenhang eine Reflexion Kants, welche
die trichotomische Ordnung der Kategorien mit der des Bewusstseins in Verbin-
dung bringt. Hinsichtlich der genetischen Deduktion der reinen Funktionen des
Denkens wird diese ebenfalls von großer Bedeutung sein.
Es sind darum [nur] drey logische Functionen [von] unter einem gewissen Titel, mithin auch
drey Categorien: Weil [die] zwey derselben die Einheit [des Bewustseyns [der] zweyer op-
positorum] des Bewustseyns an zween oppositis zeigen, die dritte aber beyderseits Be-
wustseyn wiederum verbindet. Mehr arten der Einheit des Bewustseyns lassen sich nicht
denken. Denn es sey a ein Bewustseyn, welches ein mannigfaltiges Verknüpft, b ein anderes,
welches [dasse] auf entgegengesetzte Art verknüpft: so ist c die Verknüpfung von a und b.³⁹⁹
Daß allerwärts eine gleiche Zahl der Kategorien jeder Klasse, nämlich drei sind, welches eben
sowohl zum Nachdenken auffordert, da sonst alle Einteilung a priori durch Begriffe Di-
chotomie sein muß. Dazu kommt aber noch, daß die dritte Kategorie allenthalben aus der
Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt.
So ist die Allheit (Totalität) nichts anders als die Vielheit als Einheit betrachtet, die
Einschränkung nichts anders als Realität mit Negation verbunden, die Gemeinschaft ist die
Kausalität einer Substanz in Bestimmung der andern wechselseitig, endlich die Notwen-
digkeit nichts anders, als die Existenz, die durch die Möglichkeit selbst gegeben ist. Man
denke aber ja nicht, daß darum die dritte Kategorie ein bloß abgeleiteter und kein Stamm-
begriff des reinen Verstandes sei. Denn die Verbindung der ersten und zweiten, um den
dritten Begriff hervorzubringen, erfordert einen besonderen Actus des Verstandes, der nicht
mit dem einerlei ist, der beim ersten und zweiten ausgeübt wird.⁴⁰⁰
In der Quantität wird die Einheit also als bestimmendes Moment auf das ihm
entgegengesetzte Moment der Bestimmbarkeit der Vielheit angewandt, um die
Kategorie der Allheit als die in der Vielheit präsente Einheit zu bilden. Diese tri-
chotomische Struktur fand sich in allen Ableitungen des vorherigen Gliede-
rungsabschnittes. In ein allgemeines Schema gebracht stellt sich dieses folgen-
dermaßen dar:
Die trichotomische Trias bleibt, wie gezeigt wurde, nicht auf die Ebene der
Verstandeshandlungen, die Verstandestitel beschränkt. Sie setzt sich fort auf der
Ebene der einzelnen Kategorien. So weist jede der zwölf kategorialen Funktionen
wiederum eine trichotomisch geordnete Substruktur auf. Bei dieser handelt es sich
zum einen um die beiden Protokategorien, i. e. die Ideal- und Realfunktion, zum
andern um die Kategorie als Begriff, mithin als die eigentliche, erfahrungskon-
stitutive, da begriffliche Transzendentalfunktion selbst. Jede Kategorie für sich
bildet damit eine bestimmungslogisch zusammenhängende Trias von Urteils-
funktion, Schema und Begriff. Da jede der in der Kategorie zusammenhängenden
Funktionen für sich beschrieben werden kann, weisen diese wiederum für sich als
Einheit der Handlung eine Trichotomie auf. Die Kategorientafel besitzt daher mit
ihren vier Titeln zu je drei Momenten als je drei Verstandesfunktionen mit je drei
Dimensionen 108 verschiedene Rücksichten!
Die für den Ursprung der Tafel als Ganzes und damit die für die genetische
Ableitung der Kategorien entscheidende Frage, wie der Verstand selbstbestim-
mend sein kann und wie die Selbstbestimmung des Verstandes letztlich zu ver-
stehen ist, wurde bisher nur für die einzelnen Kategorien, nicht jedoch für den
Verstand selbst gezeigt. Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, die
Ebene der einzelnen Titel zu verlassen und die Handlungen des Verstandes als
Denkakte selbst im Zusammenhang zu begreifen. Der Begriff der unschemati-
sierten Kategorie spielt hierbei die entscheidende Rolle, um die Möglichkeit der
Selbstbezüglichkeit des Verstandes, respektive des selbstdenkenden Denkens
begreiflich zu machen. Es wurde betont, dass die Kategorien ohne ihr Schema, die
sogenannten Notionen, identisch sind mit den bloßen Urteilsfunktionen. Kants
Einführung eines eigenen Begriffes für die unschematisierten Kategorien scheint
dieser Ansicht entgegenzustehen. Diesem möglichen Einwand kann jedoch leicht
entgegen getreten werden, wenn man sich klar macht, dass die Bedeutung der
Modalität ohne ihr zeitliches Schema „nur den Wert der Copula in Beziehung auf
das Denken überhaupt angeht.“⁴⁰¹ Die Kategorien ohne Schema sind daher
identisch mit den Urteilsformen, welche in Beziehung auf das Denken überhaupt
modal qualifiziert werden. Hieraus folgt, dass der Gegenstand der Notionen kein
Objekt einer möglichen Erfahrung sein kann, sofern ein solches die Formen der
Anschauung gleich notwendig mit voraussetzt. Ungeachtet dessen muss es sich
bei einer kategorialen Bestimmung nicht nur um eine bloß logische handeln,
sondern um eine transzendentale. Der gesuchte Bestimmungsgegenstand, re-
spektive die Bestimmungshandlung ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, das
Denken, beziehungsweise dessen reflexive Selbstbestimmung. Deren Erhellung
und der Nachweis, dass diese den Ursprung der Denkfunktionen bildet, ist Auf-
gabe des nächsten Kapitels.
Aus ihrer jeweiligen Haltung zu diesen beiden Fragen lassen sich die jeweiligen
Grundhaltungen der Kantinterpreten klassifizieren. Die erste Fraktion, wie bei-
spielsweise weite Teile der analytischen Schule, beantwortet beide Fragen negativ.
Der Grundtenor dieser Richtung besteht darin, die Urteilstafel als zeitgebundenen
Anachronismus zu betrachten, so dass ihr, in Anbetracht der Entwicklungen in-
nerhalb der modernen Logik, keine Beachtung mehr geschenkt werden müsse.
Diese Ansicht ist mit einer mehr oder minder vollständigen Ablehnung der ge-
samten kantischen Philosophie verknüpft, so dass man hier von einer dekon-
struktiv-kritischen Haltung sprechen könnte.⁵
Die zweite Interpretationshaltung besteht darin, die Frage nach der Voll-
ständigkeit der Urteilstafel zu bejahen – zumindest hinsichtlich ihrer Aufgabe
innerhalb der Kritik der reinen Vernunft – jedoch ihre Beweisbarkeit zu verneinen.
Diese Ansicht, für die Lorenz Krüger⁶ als paradigmengebend bezeichnet werden
kann, könnte man die orthodox-affirmative Haltung nennen.⁷ Für sie spricht, dass
sie scheinbar die größte Nähe zum eigentlichen Textbefund und damit zu Kants
eigener Position aufweist. So nimmt Krüger Kants eigene Aussage zur Zahl und
Ordnung der Kategorien zum Anlass, die Frage ihrer Ableitung als unkritische,
mithin dogmatische abzuweisen:
Von der Eigentümlichkeit unsers Verstandes aber, nur vermittelst der Kategorien und nur
gerade durch diese Art und Zahl derselben Einheit der Apperzeption a priori zu Stande zu
bringen, läßt sich eben so wenig ferner ein Grund angeben, als warum wir gerade diese und
keine andere Funktionen zu Urteilen haben, oder warum Zeit und Raum die einzigen Formen
unserer möglichen Anschauung sind.⁸
Nach diesem Zitat scheint also der Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel von
vornherein ausgeschlossen.⁹ Andererseits scheint der Anspruch der Systematizität
der Transzendentalphilosophie gegen die Ablehnung der Beweisbarkeitsthese zu
Cf. hierzu das Verdikt Carnaps über Kant: „Alle Philosophie im alten Sinne, knüpfe sie nun an
Plato, Thomas, Kant [Hervorhebung, M. B.], Schelling oder Hegel an, oder baue sie eine neue
„Metaphysik des Seins“ oder eine „geisteswissenschaftliche Philosophie“ auf, erweist sich vor
dem unerbittlichen Urteil der neuen Logik nicht etwa nur als inhaltlich falsch, sondern als logisch
unhaltbar, daher sinnlos.“ Carnap (), S. .
Cf. Krüger ().
Baumanns () und Brandt () können beide als prominente Vertreter einer affirmativ-
orthodoxen Lesart angesehen werden, wobei Brandt von der Urteilstafel allein als einer „Haus-
logik für die Kritik der reinen Vernunft“ spricht, Brandt (), S. .
KrV, B ; S. .
Ehrenberg hatte bereits Jahre vor Krüger dieses Kantwort zum Anlass genommen, die Ab-
leitung der Urteilstafel als nicht zum kritischen System der kantischen Philosophie gehörig ab-
zuweisen, cf. Ehrenberg (), S. .
Kapitel II. Transzendentale Subjektivität 109
Krüger (), S. , erhebt den Einwand, dass eine Ableitung der Urteilsfunktionen dem
Grundgedanken der kritischen Philosophie widerspräche. Gegen diese Auffassung Krügers spricht
jedoch, dass die Nichtableitbarkeit des Systems der (transzendentalen) Logik als Ganzes nicht die
Ableitung ihrer Elemente innerhalb des Systems verunmöglicht.
Brandts Arbeit ist hier das beste Beispiel, cf. Brandt ().
Bereits hier sei darauf hingewiesen, dass die Frage nach der Vollständigkeit der Urteilstafel auf
das Problem ihrer systematischen und damit logisch notwendigen Einheit und Abgeschlossenheit
zielt. Die Frage, warum wir überhaupt ein solches System logischer Operationen besitzen und ob
gar ein gänzlich anderes vorstellbar wäre, liegt vollständig außerhalb der Sphäre einer uns
möglichen Erkenntnis. Allein auf diese Überlegungen geht das obige Zitat, deren Beantwor-
tungsmöglichkeit Kant ganz folgerichtig abweist.
Cf. Tetens (), S. f., Driesch (), Zu Driesch cf. Lehmann (), S. f.
Cf. Reich (), S. und Brandt (), S. .
Diese besondere Bedeutung der Kategorientafel für das gesamte System Kants hebt besonders
Ehrenberg (), S. f. hervor.
110 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Mit Bezug auf den Anhang der transzendentalen Dialektik scheint es auf den ersten Blick leicht
zu sein, dies zu zeigen, cf. Baumanns (), S. . Es herrscht in der Kantforschung dennoch
Uneinigkeit darüber, welche Elemente der Dialektik dem kritischen oder dem zu kritisierenden
Standpunkt angehören. Dies betrifft vornehmlich Kants Begriff des obersten Vernunftprinzips, cf.
Pissis (), S. , Anm. .
Cf. Kap. ...
Ähnlich auch bei Malter (), S. .
Cf. Kap. ...
Cf. Kap. ...
Cf. Kap. ...
Cf. Kap. ...
112 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Kants Ideenlehre bildet den zweiten Teil der transzendentalen Logik, i. e. die
transzendentale Dialektik.³² Sie dient in erster Linie der Auseinandersetzung mit
den ewigen Streitigkeiten auf dem „Kampfplatz der Metaphysik“³³ zum Zwecke
ihrer endgültigen Befriedung, so dass endlich „Friede unter den Philosophen
durch die Ohnmacht der theoretischen Beweise“³⁴ herrsche.³⁵ Allein der Titel
„Kampfplatz“ für den Ort des Streites in der Metaphysik suggeriert die Rechtlo-
sigkeit, mithin die Barbarei innerhalb der Auseinandersetzung um ihre zentralen
Themen Seele,Welt und Gott. Dieser Barbarismus in der Metaphysik fordert daher
den Gesetzgeber, i. e. die Vernunft in Gestalt der kritischen Philosophie heraus,
Gleichzeitig betrifft dies natürlich auch die Frage der Vollständigkeit der Ideentafel. Wie noch
zu zeigen sein wird, hängt diese mit der weit populäreren Frage der Vollständigkeit der Urteilstafel
wesentlich zusammen.
Cf. KrV, A | B ; S. .
Nach Strawson (), S. , ist die „logische Systematik [der Dialektik, M. B.] wenig mehr als
eine philosophische Kuriosität.“ Ebenso cf. Bennett (), S. ff.
Cf. Kap. ...
Über die Einteilung der transzendentalen Logik cf. KrV, A | B , S. .
Cf. KrV, A VIII, S. .
Kant, Immanuel:Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktates zum ewigen Frieden in
der Philosophie. In: „Was ist Aufklärung?“, hrsg. v. Horst D. Brandt, Hamburg , S. .
Dieser rein negativen Auffassung der transzendentalen Dialektik (cf. Kalter (), S. und
Grier (), S. .) wird im Folgenden entgegengetreten, insofern die Dialektik nicht nur die
nichterfüllbaren Erkenntnisansprüche zurückweist, sondern darüber hinaus Einblick in Kants
prinzipientheoretische und damit auch systematische Überlegungen gibt. Ähnlich auch Bau-
manns (), S. , und Fischer (), S. , Anm..
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 113
über die Rechtmäßigkeit der Ansprüche der Kombattanten gemäß der Tatsachen
(Quid facti) und gültiger Rechtslage (Quid iuris) zu entscheiden.³⁶
Die transzendentale Dialektik ist von der formalen zu unterscheiden. Als Teil
der allgemeinen reinen Logik³⁷ ist die formale Dialektik materialiter indifferent
bezüglich Apriorität oder Empirizität. Im Gegensatz dazu ist sie formaliter jedoch
notwendig a priori. A fortiori gilt dies auch für die ihr zugehörige Dialektik. Anders
verhält es sich in Bezug auf die transzendentale Dialektik. Hier gilt das Gebot der
Apriorität sowohl formaliter als auch materialiter. Für die Analyse und Interpre-
tation der transzendentalen Paralogismen wird die Frage nach dem Unterschied
der transzendentalen und logischen Fehlschlüsse von grundlegender Bedeutung
sein.
Mit Blick auf das Unterscheidungsmerkmal von formaler und transzenden-
taler Dialektik kann man bereits sehen, dass deren jeweilige Fehlschlüsse sich
hinsichtlich ihres Grundes unterscheiden müssen:
Der logische Paralogismus besteht in der Falschheit eines Vernunftschlusses der Form nach,
sein Inhalt mag übrigens sein, welcher er wolle. Ein transzendentaler Paralogismus aber hat
einen transzendentalen Grund: der Form nach falsch zu schließen. Auf solche Weise wird ein
dergleichen Fehlschluß in der Natur der Menschenvernunft seinen Grund haben, und eine
unvermeidliche, obzwar nicht unauflösliche, Illusion bei sich führen.³⁸
Ad a): Diese Ansicht wird von Alfons Kalter vertreten. Dieser kommt nach seiner
Analyse der logischen Form des vierten Paralogismus zu dem Schluss, dass keine
formale Falschheit vorliege, sondern eine materiale.³⁹ Der vierte Paralogismus
stelle vielmehr einen gültigen Schluss im Modus Barbara dar, dessen Prämisse
allein im minor falsch sei. Dies zeige sich daran, dass Kant nicht den Schluss auf
eine wechselnde Bedeutung des Mittelbegriffs hin untersucht, um so eine mög-
liche quaternio teminorum nachzuweisen, sondern die Prämisse im minor auf ihre
Wahrheit hin überprüft. Nach Kalter kann also ein transzendentaler Paralogismus
vorliegen, ohne dass damit ein logischer Paralogismus einhergehen müsse. Es ist
jedoch bereits an dieser Stelle offensichtlich, dass die These Kalters der Versi-
cherung Kants widerspricht, dass es sich beim transzendentalen Paralogismus um
einen formal falschen Schluss handele, dem eine transzendentale Ursache zu-
grunde liege.
Ad b): Die Ansicht, dass der transzendentale Paralogismus auf einem formalen
beruhe, setzt voraus, dass dieser bloß ein besonderer Fall eines Paralogismus der
allgemeinen reinen Logik sei. Stuhlmann-Laeisz vertritt diese Interpretation.⁴⁰ In
Ansehung des Verhältnisses von transzendentaler und reiner Logik scheint es auf
den ersten Blick sinnvoll, in diese Richtung hin zu argumentieren; besteht doch
augenscheinlich der Unterschied nur darin, dass für die transzendentale Logik die
Einschränkung gilt, dass s o w o h l die Regeln a l s a u c h die Gegenstände a priori
sein müssen. Zwei Dinge sprechen jedoch dagegen. Zum einen bilden die Logik
des allgemeinen und des besonderen Verstandesgebrauchs zwei unterschiedliche
Äste der Logik, so dass in Kants Einteilung der Wissenschaft der Verstandesregeln
kein Hinweis auf eine Hierarchisierung zu finden ist.⁴¹ Zum anderen sind die
Funktionen der allgemeinen reinen Logik nur formal-ideale, die der transzen-
dentalen Logik auch material-reale. Beide beruhen also auf jeweils spezifischen
Handlungen des Verstandes, deren Verbindung ja allererst eine mittels Deduktion
zu zeigende ist. A fortiori kann also auch der transzendentale Paralogismus als Teil
der transzendentalen Dialektik die logischen Paralogismen nicht zum genus
proximum ⁴² haben.
Cf. Kalter (), S. und Klimmek (), S. f., Anm. .
Cf. Stuhlmann-Laeisz (), S. . Die transzendentale Logik ist nicht einfach identisch mit
der formalen Logik, sofern diese zusätzlich um die äußeren Bedingungen von Raum und Zeit
erweitert wird, sondern bezieht sich auf die apriorische Bestimmung der Anschauungsformen
durch die logischen Formen des Denkens.
Cf. Anhang A.
Cf. Stuhlmann-Laeisz (), S. . Gegen Stuhlmann-Laeisz, cf. Klimmek (), S. ,
Anm. .
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 115
Ad c): Klimmeks Vorschlag, dass der formale Paralogismus auf dem transzen-
dentalen basiere, ist hier schon überzeugender als die zwei vorherigen Alterna-
tiven.⁴³ Danach beruhen die v i e r einzelnen Paralogismen, die aufgrund der in
ihnen enthaltenen quaternio terminorum solche der reinen allgemeinen Logik
sind, auf dem e i n e n transzendentalen Paralogismus, welcher identisch sei mit
dem Schluss „von dem transzendentalen Begriffe des Subjekts, der nichts Man-
nigfaltiges enthält, auf die absolute Einheit dieses Subjekts selber, von welchem
ich auf diese Weise gar keinen Begriff habe.“⁴⁴ Diese Interpretation ist jedoch
ebenfalls problematisch. Kant spricht offensichtlich von den Paralogismen der
reinen Vernunft im Plural, dies ist bereits aus dem Titel des ersten Hauptstückes
des zweiten Buches der transzendentalen Dialektik ersichtlich. Zweitens insinu-
iert das obige Zitat, dass die Paralogismen der reinen Vernunft formal falsche
Schlüsse darstellen, die wegen eines transzendentalen Grundes gezogen wer-
den.⁴⁵ Somit kann Klimmek nicht aufzeigen, wie sich formaler und transzen-
dentaler Fehlschluss in den v i e r transzendentalen Paralogismen zueinander
verhalten.⁴⁶
Wenngleich nämlich die eigentliche oder formale Falschheit sich […] nur in Urteilen findet, so
gibt es doch eine gewisse materiale Falschheit in den Ideen, wenn sie ein Nicht-Ding gleich
wie ein Ding darstellen. So sind z. B. die Ideen, die ich von der Wärme und Kälte habe, nur so
wenig klar und deutlich, daß ich aus ihnen lernen kann, ob Kälte nur Abwesenheit der Wärme
oder Wärme nur Abwesenheit der Kälte, oder ob beide reale Qualitäten sind oder keine von
beiden. Nun kann es aber keine Ideen geben, die nicht Dinge darstellen wollen. Wenn es nun
wahr ist, daß Kälte nichts anderes ist als Abwesenheit der Wärme, so wird die Idee, die sie mir
wie etwas Reales und Positives darstellt, nicht mit Unrecht als falsch bezeichnet und das-
selbe gilt für die übrigen Fälle.⁵⁴
Ein material falscher Schluss liegt also dann vor, wenn aus einem Privativum ein
Positivum, also aus einem Nicht-Ding ein Ding gemacht wird. Im Gegensatz zur
materialen Falschheit eines Schlusses liegt der Grund der Ungültigkeit (i. w. S.),
i. e. der formalen Falschheit, nicht in der fehlerhaften Anwendung eines Begriffes
Stuhlmann-Laeisz () erkennt richtig den Grund der formalen Falschheit der transzen-
dentalen Paralogismen in der quaternio terminorum, übersieht jedoch den transzendentalen
Grund, insofern er das notwendige Vorstellungsverhältnis von reinem und schematisiertem Be-
griff als bloße Verwechslung deutet.
Kalter (), S. , Bennett (), S. , und Ameriks (), S. f. bestreiten dies. Cf.
hierzu auch Grier (), S. .
Cf. Klimmek (), S. , Anm. .
Zum Begriff der formalen Falschheit bei Kant cf. Pissis (), S. .
Grier (), S. .
Med. III, AT VII, ; S. .
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 117
Weil aber die bloße Form des Erkenntnisses, so sehr sie auch mit logischen Gesetzen
übereinstimmen mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (objektive) Wahrheit dem Er-
kenntnisse darum auszumachen, so kann sich niemand bloß mit der Logik wagen, über
Gegenstände zu urteilen, und irgend etwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegründete
Erkundigung außer der Logik eingezogen zu haben, um hernach bloß die Benutzung und die
Verknüpfung derselben in einem zusammenhangenden Ganzen nach logischen Gesetzen zu
versuchen, noch besser aber, sie lediglich darnach zu prüfen. Gleichwohl liegt so etwas
Verleitendes in dem Besitze einer so scheinbaren Kunst, allen unseren Erkenntnissen die
Form des Verstandes zu geben, ob man gleich in Ansehung des Inhalts derselben noch sehr
leer und arm sein mag, daß jene allgemeine Logik, die bloß ein Kanon zur Beurteilung ist,
gleichsam wie ein Organon zur wirklichen Hervorbringung wenigstens zum Blendwerk von
Heute würden wir eher von Aussagen sprechen, cf. Tetens (), S. .
Cf. KrV A | B , S. .
Cf. Einleitung.
Auch die reine Mathematik bezieht sich nach Kant auf eine zumindest mögliche Erfahrung,
insofern sie sich der reinen Anschauungsformen für ihre Sätze bedienen muss.
118 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
objektiven Behauptungen gebraucht, und mithin in der Tat dadurch gemißbraucht worden.
Die allgemeine Logik nun, als vermeintes Organon, heißt Dialektik. ⁵⁹
Allein aus der formalen Logik lassen sich keine Erkenntnisse gewinnen. Eine
characteristica universalis, respektive mathesis universalis, mit der sich, wie
Leibniz es sich vorstellte, philosophische Probleme „ausrechnen“ ließen, kann es
also nicht geben.⁶⁰ Zu einem wirklichen Organon können nur Regeln a priori wie a
posteriori dienen, die zur Anleitung des Erfahrungsgewinns nutzbar sind.⁶¹ Da die
allgemein-reine Logik über die Gesetze des reinen Verstandes hinaus keinen Er-
kenntnisfortschritt generiert, sondern sich in ihrem dialektischen Missbrauch nur
den Anschein eines solchen gibt, handelt es sich bei ihr nur um eine „Logik des
Scheins“.
So verschieden auch die Bedeutung ist, in der die Alten dieser Benennung einer Wissenschaft
oder Kunst sich bedienten, so kann man doch aus dem wirklichen Gebrauche derselben
sicher abnehmen, daß sie bei ihnen nichts anders war, als die Logik des Scheins. Eine so-
phistische Kunst, seiner Unwissenheit, ja auch seinen vorsätzlichen Blendwerken den An-
strich der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gründlichkeit, welche die Logik
überhaupt vorschreibt, nachahmete, und ihre Topik zu Beschönigung jedes leeren Vorgebens
benutzte. Nun kann man es als eine sichere und brauchbare Warnung anmerken: d a ß die
allgemeine Logik, a l s Organon betrachtet, jederzeit eine Logik des Scheins, d. i. dialektisch sei
[Hervorhebung, M. B.]. Denn da sie uns gar nichts über den Inhalt der Erkenntnis lehret,
sondern nur bloß die formalen Bedingungen der Übereinstimmung mit dem Verstande,
welche übrigens in Ansehung der Gegenstände gänzlich gleichgültig sein: so muß die Zu-
mutung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um seine Kenntnisse,
wenigstens dem Vorgeben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwät-
zigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit einigem Schein zu behaupten, oder auch nach
Belieben anzufechten.⁶²
Wie Kant selbst sagt, ist die „allgemeine Logik, als Organon betrachtet, jederzeit
eine Logik des Scheins“. Das Adverb „jederzeit“ deutet darauf hin, dass die Logik
unabhängig davon, ob ihre Schlüsse gültig oder ungültig sind, sofern sie einen
äußeren Gebrauch als Organon erfährt, zu einer Logik des Scheins mutiert.⁶³
Paralogien sind daher k e i n e notwendige Bedingung für den dialektischen Ver-
standes-, respektive Vernunftgebrauch.⁶⁴ Es zeigt sich also, dass Kant für die re-
gelgemäße Anwendung der Logik ein äußeres Kriterium heranzieht. Dieser Be-
dingung entspricht nach Kant der Ort der Dialektik im System der Philosophie,
indem sie der bloßen Kritik zugerechnet und ihr damit sämtlicher konstruktiver
Sinn abgesprochen wird.
Eine solche Unterweisung ist der Würde der Philosophie auf keine Weise gemäß. Um des-
willen hat man diese Benennung der Dialektik lieber, als eine Kritik des dialektischen Scheins,
der Logik beigezählt, und als eine solche wollen wir sie auch hier verstanden wissen.⁶⁵
Der Teil der transzendentalen Logik also, der die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis
vorträgt, und die Prinzipien, ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann, ist
die transzendentale Analytik, und zugleich eine Logik der Wahrheit. Denn ihr kann keine
Erkenntnis widersprechen, ohne daß sie zugleich allen Inhalt verlöre, d. i. alle Beziehung auf
irgend ein Objekt, mithin alle Wahrheit.⁶⁷
Gerade diese Funktion der transzendentalen Logik ist es jedoch, welche ihren
Missbrauch bedingt. Wenn mittels der transzendentalen Logik Gegenstandsbe-
stimmungen a priori möglich sind, so scheint die Vernunft in der Lage zu sein, die
transzendentale Logik um einen Gegenstandsbereich zu erweitern, welcher jen-
seits möglicher Erfahrung liegt. Es ist gerade diese falsche Verwendung der
transzendentalen Logik, welche Kant in der transzendentalen Dialektik zum Ziel
seiner Kritik hat.
Weil es aber sehr anlockend und verleitend ist, sich dieser reinen Verstandeserkenntnisse
und Grundsätze allein, und selbst über die Grenzen der Erfahrung hinaus, zu bedienen,
welche doch einzig und allein uns die Materie (Objekte) an die Hand geben kann, worauf jene
Dies wird schon dadurch bestätigt, dass nicht alle dialektischen Sätze Paralogismen ent-
halten.
KrV, A | B ; S. .
Cf. Einleitung.
KrV, A f. | B ; S. .
120 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
reine Verstandesbegriffe angewandt werden können: so gerät der Verstand in Gefahr, durch
leere Vernünfteleien von den bloßen formalen Prinzipien des reinen Verstandes einen mate-
rialen Gebrauch zu machen [Hervorhebung, M. B.], und über Gegenstände ohne Unterschied
zu urteilen, die uns doch nicht gegeben sind, ja vielleicht auf keinerlei Weise gegeben werden
können. Da sie also eigentlich nur ein Kanon der Beurteilung des empirischen Gebrauchs sein
sollte, so wird sie gemißbraucht, wenn man sie als das Organon eines allgemeinen und
unbeschränkten Gebrauchs gelten läßt, und sich mit dem reinen Verstande allein wagt,
synthetisch über Gegenstände überhaupt zu urteilen, zu behaupten, und zu entscheiden.
Also würde der Gebrauch des reinen Verstandes alsdenn dialektisch sein.⁶⁸
minor. ⁷¹ Die Ausgangsfrage nach der Verbindung von logischem und transzen-
dentalem Paralogismus lässt sich aus dieser falschen Anwendung des Verstandes
ebenfalls erklären. Dieser Zusammenhang lässt sich dementsprechend konkreti-
sieren: Wie entspringt aus dem äußeren Fehlgebrauch des Denkvermögens die
(innere) Ungültigkeit der Vernunftschlüsse? Wie die meisten Interpreten der
transzendentalen Dialektik richtig gesehen haben, handelt es sich bei dem von
Kant insinuierten sophisma figurae dictionis ⁷² um eine quaternio terminorum. ⁷³ Die
doppelte Verwendung des Mittelbegriffs ergibt sich aus dem materialen Gebrauch
der bloß formalen Regeln des bloßen Verstandes. Dies gilt sowohl für den logi-
schen als auch den transzendentallogischen Paralogismus. Beide haben insofern
denselben Ursprung. Der transzendentale Paralogismus borgt jedoch im Gegen-
satz zum logischen seine Überzeugungskraft nicht nur aus dem bloß logischen
Schein seines formal falschen Arguments. Seine scheinbare Validität entspringt
einer Subreption eines transzendentalen Schemas im minor, welche den Grund der
quaternio terminorum darstellt. Die formale Falschheit des Paralogimus ergibt sich
damit zwar einerseits aus der materialen Falschheit des Mittelsatzes, wie Kalter
gesehen hat, bezieht sich jedoch auf die extensionale Verbindung der Wahr-
heitswerte des wahren Ober- und des falschen Untersatzes im hypothetischen
Vernunftschluss.⁷⁴ Die Falschheit der Konklusion ist daher formal bedingt.
Mendus (), S. , hat daher recht mit ihrer Interpretation: „On my interpretation the point
of the chapter on the Paralogisms is to emphasize that the rationalists are wrong in claiming that
the soul is simple, substantial, indestructible, etc. In making such claims they confuse a true trivial
analytic proposition with a more exciting synthetic proposition.“ Die bloß logischen Funktionen,
welche den formalen Hintergrund der Einheit der Apperzeption bilden, werden mit den synthe-
tischen Funktionen der Einheit, i. e. den Kategorien verwechselt. Genau hierdurch entsteht die
Illusion einer erkenntniserweiternden Bestimmung des Apperzeptionssubjekts als eines Gegen-
standes.
KrV, B ; S. .
Cf. Grier (), S. , Horstmann (), S. , Stuhlmann-Laeisz (), S. . Natterer
spricht gar von einer quinternio, Natterer (), S. .
Menzel (), S. , verweist in seiner Interpretation des hypothetischen Urteils als ma-
teriale Implikation mit Bezug auf Jäsche, AA IX, f., richtig auf die von Kant insinuierte, nicht-
traditionelle, bloß extensionale Abhängigkeit der Wahrheitswerte.
122 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Für das Verständnis der Ideen ist die Einsicht in die Natur der Vernunft obligat. Die
Vernunft ist ihrer allgemeinen Bestimmung nach das (mittelbare) Schlussvermögen.⁷⁵
Im Unterschied also zum Verstand bezieht sich die Vernunft nicht auf Gegenstände
einer möglichen Erfahrung, mithin auf Anschauungen als singuläre Vorstellungen,
wie der Verstand, sondern auf die Begriffe derselben, also auf allgemeine Vorstel-
lungen.⁷⁶ Auf Basis dieser medialen Funktion lässt sich die Vernunft durch den
Bezug auf ihre zwei Anwendungsbereiche in zwei verschiedene Vermögen diffe-
renzieren: Die Vernunft als theoretisches und als praktisches Vermögen (cf. Abb. 7).
Als praktische Vernunft nimmt sie unmittelbaren Einfluss auf die Bestimmung
unseres Willens, indem sie diesen einem (formalen) Prinzip unterwirft, dem kate-
gorischen Imperativ: „Handele so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“⁷⁷ Durch die a priori
Bestimmung des Willens nimmt die Vernunft damit mittelbar bestimmenden Bezug
auf die Gestaltung der Maximen, die, selbst subjektiv, empirische Verhaltensregeln
darstellen. Die Vernunft wirkt damit als apriorisches Vermögen in die empirische
Gestaltungsebene praktischen Handelns hinein. Die praktische Vernunft liefert so
ein Prinzip zu einer Willensbestimmung a priori.
Die theoretische Vernunft weist dieselbe mittel- und unmittelbare Bezugs-
struktur auf. Im Gegensatz zur praktischen Vernunft nimmt diese jedoch nicht auf
ein praktisches Vermögen Bezug, sondern auf ein theoretisches. Da die Vernunft
als mittelbares Urteilsvermögen nicht unmittelbar auf den eigentlichen Gegen-
stand aller theoretischen Erkenntnisbemühungen, den Anschauungsgegenstand,
referieren kann, sondern nur auf den allgemeinen Begriff von einem Gegenstand,
bezieht sich die Vernunft unmittelbar auf den Verstand. Die theoretische Vernunft
ist also unmittelbares Bestimmungsvermögen des Verstandes und besitzt dadurch
auch einen mittelbaren Gegenstandsbezug.
Mit dieser Bestimmung des theoretischen Vernunftvermögens sind jedoch
weitere Fragen verbunden: In welchem Verhältnis stehen Verstand und Vernunft
als Erkenntnisvermögen zueinander? Bildet die Vernunft ein vom Verstand un-
abhängiges Erkenntnisvermögen? Mit Bezug auf die Produkte der jeweiligen
Vermögen lässt sich die Frage auch so formulieren: Wie verhalten sich Verstandes-
und Vernunftbegriffe zueinander?
Cf. KrV, A | B ; S. . Ein Schluss im eigentlichen Sinne ist nach Kant ein mittelbares
Urteil.
Cf. KrV, A | B , S. .
KpV, A ; AA IV, ; S. .
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 123
renzthese geboten zu sein, entspringen der Vernunft doch sogar eigene Begriffe.⁸⁷
So spiegelt sich Kants Unterscheidung von Verstand und Vernunft bereits im
Aufbau der Kritik der reinen Vernunft wider: Verstand – Analytik, Vernunft –
Dialektik. Die damit einhergehende epistemologische Depotenzierung der Ver-
nunft zugunsten des Verstandes durch ihren Verweis in den Bereich bloßer Kritik
(im Unterschied beispielsweise zum aristotelischen Verständnis des Begriffs-
paares von νόησις und διάνοια) spricht ebenfalls für eine strikte Differenz beider
Vermögen. Das Hauptunterscheidungmerkmal von Verstand und Vernunft besteht
demnach darin, dass die Vernunft im Gegensatz zum Verstand keine objektiven,
transzendentalen Grundsätze enthält, mit denen sich diese in einem Bezugs- und
Bestimmungsverhältnis auf die Gegenstände der Erfahrung beziehen kann.
Wir nennen diese Vermögen Verstand und Vernunft, vornehmlich wird die letztere ganz ei-
gentlich und vorzüglicher Weise von allen empirisch bedingten Kräften unterschieden, da sie
ihre Gegenstände bloß nach Ideen erwägt und den Verstand darnach bestimmt, der denn von
seinen (zwar auch reinen) Begriffen einen empirischen Gebrauch macht.⁸⁸
Ich verstehe hier aber unter Vernunft das ganze obere Erkenntnisvermögen, und setze also
das Rationale dem Empirischen entgegen.⁹¹
eben so leicht fällt es auch in die Augen, daß Verstand und Vernunft, d. i. das Vermögen,
deutlich zu erkennen, und dasjenige, Vernunftschlüsse zu machen, keine verschiedene
Grundfähigkeiten sein. Beide bestehen im Vermögen zu urteilen; wenn man aber mittelbar
urteilt, so schließt man.⁹⁴
Ebenso gut kann vom Verstand i. w. S. gesprochen werden. So kann das Urteil als unmittelbarer
Schluss aufgefasst werden; vice versa der Schluss als mittelbares Urteil. Vernunft i. w. S. und
Verstand i. w. S. sind daher äquivok, cf. Malzkorn (), S. .
Mit Urteilen im besonderen meint Kant ausschließlich kategorische Urteile der Form p(x&.
Urteile im weiteren Sinne schließen auch die hypothetischen p(x& 6 q(x& und disjunktiven
p(x&⊻q(x& ein, die im strengen Sinne Schlüsse darstellen, da sie als komplexe Urteile das kate-
gorische Elementarurteil voraussetzen. Cf. Kap. ..
Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren, AA II, .
Schulte (), S. , weist ebenfalls auf diese Selbstbezüglichkeit der Vernunft beim logi-
schen Schließen hin.
126 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Die Vernunft bezieht sich niemals geradezu auf einen Gegenstand, sondern lediglich auf den
Verstand, und vermittelst des selben auf ihren eigenen empirischen Gebrauch, schafft also
keine Begriffe (von Objekten), sondern ordnet sie nur, und gibt ihnen diejenige Einheit,
welche sie in ihrer größtmöglichen Ausbreitung haben können, d. i. in Beziehung auf die
Totalität der Reihen, als auf welche der Verstand gar nicht sieht, sondern nur auf diejenige,
dadurch allerwärts R e i h e n der Bedingungen nach Begriffen z u Stande k o m m e n . ⁹⁶
Es wird nun zu zeigen sein,wie sich dieses Verhältnis des Verstandes als Vermögen der
Begriffe⁹⁷ und Regeln⁹⁸ und der Vernunft als das der Prinzipien⁹⁹ in Bezug auf die
Frage nach der Möglichkeit einer Deduktion der reinen Vernunftbegriffe verhält.
Das erstere Vermögen ist nun freilich vorlängst von den Logikern durch das Vermögen
mittelbar zu schließen (zum Unterschiede von den unmittelbaren Schlüssen, consequentiis
immediatis,) erklärt worden; das zweite aber, welches selbst Begriffe erzeugt, wird dadurch
noch nicht eingesehen. Da nun hier eine Einteilung der Vernunft in ein logisches und
transzendentales Vermögen vorkommt, so muß ein höherer Begriff von dieser Erkenntnis-
quelle gesucht werden, welcher beide Begriffe unter sich befaßt, indessen wir nach der
Analogie mit den Verstandesbegriffen erwarten können, daß der logische Begriff zugleich
den Schlüssel zum transzendentalen, und die Tafel der Funktionen der ersteren zugleich die
Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde.¹⁰²
Diesen „höheren Begriff“ der Vernunft findet Kant in der Bestimmung des
obersten Erkenntnisvermögens als Prinzipienvermögen, im Unterschied zum
Verstand als Regel-, respektive Gesetzesvermögen.¹⁰³
Wir erkläreten, im erstern Teile unserer tranzendentalen Logik, den Verstand durch das
Vermögen der Regeln; hier unterscheiden wir die Vernunft von demselben dadurch, daß wir
sie das Vermögen der Prinzipien nennen wollen.¹⁰⁴
Malzkorn (), S. f., weist zu Recht auf die Ambiguität des Ideenbegriffes bei Kant hin,
welcher einerseits den deduzierten Begriff, andererseits den transzendenten Gegenstand (Seele,
Welt, Gott) bezeichnet. Da es uns an dieser Stelle um die Struktur des Begriffes geht,verwenden wir
die Termini Idee und Prinzip synonym.
Cf. KrV, A | B , S. f.
KrV, A | B , S. .
Der transzendentale Verstand ist bekanntlich die gesetzgebende Instanz der natura forma-
liter spectata, cf. KrV, B ; S. .
KrV, A | B ; S. .
128 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Mit Blick auf die Frage nach dem Verhältnis von Verstand und Vernunft war im
letzten Gliederungsabschnitt die Vernunft im ersten Sinne thematisiert worden.
Die gegenwärtige Aufgabe besteht nun darin, auf Basis des zweiten Vernunftbe-
griffes Kants Begriff des Prinzips zu klären und diesen vom Begriff der Regel zu
differenzieren. Die Bestimmungen der Vernunft im dritten und vierten Sinne
werden in den folgenden zwei Abschnitten zu behandeln sein, um die Frage nach
der sogenannten metaphysischen Deduktion der Ideen zu klären. An die De-
duktion der Vernunftbegriffe schließt sich die Frage nach ihrem objektiven Ge-
brauch an, die auf die fünfte Dimension des Vernunftbegriffes verweist:
Das Problem des Unterschiedes von Verstand und Vernunft lässt sich mit Blick auf
ihre Funktionen als Frage nach der Differenz von Regel und Prinzip umformu-
lieren. Sowohl Verstandesregeln als auch Vernunftprinzipien kommen darin
überein, dass sie synthetisierende Funktionen des Denkens sind, welche auf die
Einheit der Erkenntnis, respektive der Erfahrung abzielen. Die Verstandeseinheit
ist die Einheit von Anschauung und Begriff innerhalb einer Erkenntnis. Diese
Synthesis ist das Ergebnis der produktiven Einbildungskraft, welche mittels der
schematischen Realfunktion Anschauungen unter Begriffe subsumiert. Die
transzendentalen, diskursiven Elementarfunktionen bedingen die synthetische
Einheit des Verstandes, welcher damit zugleich ein funktionales Vermögen der
Einheit der Erscheinung darstellt. Die Vernunfteinheit ist von der des Verstandes
wesentlich unterschieden. Im Gegensatz zum Verstand synthetisiert die Vernunft
nicht die Mannigfaltigkeit des Empfindungsmaterials zur Erfahrungs-, i. e. Er-
kenntniseinheit, sondern bezieht sich als Einheitsvermögen auf den Verstand und
seine Regeln selbst. Die Vernunfteinheit ist damit die Einheit der Verstandesre-
geln, also die Einheit der Verstandesfunktionen.
Der Verstand mag ein Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln sein, so
ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht
also niemals zunächst auf Erfahrung, oder auf irgend einen Gegenstand, sondern auf den
Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit a priori durch Begriffe zu
geben, welche Vernunfteinheit heißen mag, und von ganz anderer Art ist, als sie von dem
Verstande geleistet werden kann.¹⁰⁶
In der Tat ist Mannigfaltigkeit der Regeln und Einheit der Prinzipien eine Forderung der
Vernunft, um den Verstand mit sich selbst in durchgängigen Zusammenhang zu bringen, so
wie der Verstand das Mannigfaltige der Anschauung unter Begriffe und dadurch jene in
Verknüpfung bringt.¹⁰⁹
M E ≔ "E 1 ! E2 ! # # # ! E n }
lässt sich durch den funktionalen Zusammenhang mit einer beliebigen Regel R als
R(M E & darstellen. In Bezug auf die kategorialen Elementarbestimmungen gilt
zusätzlich, dass die Regel R mit dem Index m erstens auf die vier Bestimmungs-
handlungen des Verstandes bezogen sein muss, so dass für m gelten muss:
1 2 m 2 4;¹¹⁰ zweitens, dass R in Ansehung eines der drei Momente n einer Ver-
standeshandlung bestimmt sein muss. Daher gilt für die transzendentale Regel:
Rnm 4 1 2 m 2 4! 1 2 n 2 3 ¹¹¹
Am Beispiel der Kausalität mag dies deutlich werden. Gegeben sei eine Menge ME,
welche die Elemente E1 und E2 enthält, so dass gilt: M E ≔ "E 1 ! E2 7. Nun soll zwi-
schen E1 und E2 eine kausale Relation R23 bestehen.¹¹² Die allgemeine Form der
Kausalität ist als strikte Implikation bekannt: □(p(x)→q(x)). Der Funktionszu-
sammenhang kann dementsprechend folgendermaßen geschrieben werden:
Die Vernunfteinheit synthetisiert dagegen eine Menge von Regeln M R . Die Ver-
bindung von Prinzip und Regel kann analog zum Verhältnis von Regel und Er-
scheinung beschrieben werden. Die Menge MR, für die allgemein gilt:
M R ≔ "R1 ! R2 ! # # # ! Rn },
soll in einem Prinzip P vereinigt werden, so dass für P gilt P(MR). Da P in jedem Fall
eine polysyllogistische Schlussfigur supponiert,¹¹³ muss P die Form einer der drei
elementaren Schlussfiguren haben. P hat also entweder einen kategorischen,
hypothetischen oder disjunktiven Vernunftschluss zur Grundlage, so dass gilt:
Pn3 4 1 2 n 2 3.¹¹⁴ In allgemeiner Form kann der Zusammenhang von Prinzip und
Regel also folgendermaßen dargestellt werden:
! !
P $ P n3 Rnm M E ≔ "E 1 ! E2 ! # # # ! E n 74 1 2 m 2 4! 1 2 n 2 3! o 5 ℕ&&
Mit den Bestimmungshandlungen sind die Kategorientitel Quantität, Qualität, Relation und
Modalität gemeint, cf. Kap. ...
Zur kategorialen Dodekas, cf. KrV, A | B ; S. .
Die Kausalität ist das zweite Moment des dritten Titels.
Der Polysyllogismus ist entweder als Pro- oder Episyllogismus möglich, davon abhängig ob
sich das Prinzip im maior oder in der conclusio des Vernunftschlusses findet. Hiervon hängt auch
die Verwendung des Prinzips in konstitutiver oder regulativer Absicht ab.
P hat immer die Form eines Schlusses, so dass P immer auf den Relationstitel bezogen ist.
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 131
Ein gutes Beispiel für diesen abstrakten Zusammenhang von Regel und Prinzip ist
Newtons Entdeckung des allgemeinen Gesetzes der Gravitation.¹¹⁵ Newtons ge-
nuine Leistung bestand darin, dass er die bis dahin als getrennt geglaubten Be-
wegungsgesetze der Gestirne und irdischen Körper auf ein gemeinsames, physi-
kalisches Prinzip zurückgeführt hat.¹¹⁶ Er erwies damit die aristotelische Trennung
von trans- und sublunarer Sphäre als unhaltbar. Prinzipientheoretisch kann
Newtons Mechanik als die Entdeckung des Zusammenhangs zweier Bewegungs-
formen verstanden werden, welche durch ein Prinzip vereinigt werden können.
Newton gelang es nachzuweisen, dass die annähernd kreisförmige Bahnbewe-
gung der Himmelskörper¹¹⁷ nur eine besondere Form des allgemeinen Prinzips
aller Bewegungen darstellt, sofern jede Bewegung eines Körpers unverändert
beibehalten wird, wenn keine äußere Kraft auf diesen wirkt. Die Bahnbewegung
der Planeten ist deswegen elliptisch, weil die zentripedal wirkende Gravitati-
onskraft der Sonne im Brennpunkt auf diese ausgeübt wird und sie zusammen mit
der zentrifugalen Gegenkraft als Trägheitswirkung auf stabilen Bahnen hält. Das
allgemeine Bewegungsprinzip prinzipiiert somit alle besonderen Bewegungsge-
setze: lineare Translation, Wurf- und Kreisbahnen.
In Bezug auf die Ausgangsfrage des Verhältnisses von Verstand und Vernunft
ergibt sich aus der Bestimmung des Prinzips als ideale, respektive diskursive
Metafunktion eine neue Perspektive. Wenn Vernunft und Verstand keine von-
einander getrennten Vermögen darstellen und der Verstand im Allgemeinen das
Ebenso sieht Malzkorn die Newtonsche Mechanik als beispielhaft für die prinzipientheo-
retischen Überlegungen Kants, cf. Malzkorn (), S. .
Hegel nimmt ebenfalls das allgemeine Gravitationsgesetz zum Beispiel für die Vereinigung
bestimmter Gesetze, cf. PdG, GW IX, ; S. .
Die Ellipsenbahn der inneren Planeten ist annähernd kreisförmig.
132 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Vermögen der Regeln ist, Prinzipien jedoch nichts anderes sind als Regeln, die auf
Regeln Bezug nehmen, dann ist die Vernunft nicht nur kein vom Verstand un-
abhängiges Vermögen, sondern eine besondere Fähigkeit des Verstandes selbst.
Mit dem Prinzip bezieht sich der Verstand auf seine eigenen Gesetze. Indem er dies
tut, gibt der Verstand sich selbst Prinzipien zur Subsumierung seiner Regeln.
Dieses rekursive Vermögen des Verstandes ist es, welches Kant Vernunft nennt.¹¹⁸
Wenn diese Interpretation der Vernunft richtig ist, dann sollte die Vernunft als
Vermögen Regeln zu synthetisieren bereits in der Analytik vorkommen. Dies wi-
derspräche jedoch prima facie der landläufigen Interpretation, dass die Analytik
allein vom Verstande, die Dialektik jedoch von der Vernunft handele.¹¹⁹ Dies wird
sich als Scheinwiderspruch herausstellen. Als Vernunft verbindet der Verstand
Regeln zu Prinzipien. Der Verstand übt dabei eine synthetisierende Handlung aus,
indem er transzendentale Elementarfunktionen miteinander verbindet. Genau
dieser spezielle synthetisierende Akt findet sich bereits in der Tafel der Kategorien.
Denn die Verbindung der ersten und zweiten, um den dritten Begriff hervorzubringen, er-
fordert einen besonderen Actus des Verstandes, der nicht mit dem einerlei ist, der beim ersten
und zweiten ausgeübt wird.¹²⁰
Erst durch die Interpretation der Vernunft als Metavermögen¹²¹ des Verstandes
kann begriffen werden, was Kant unter dem „besonderen Actus des Verstandes“
verstanden hat.
Anhand des Beispieles der Newtonschen Bewegungslehre wurde die Prinzi-
pienbildung in der Wissenschaft erläutert. Im Gegensatz zur Naturwissenschaft,
die immer allgemeinere Gesetze der Natur sucht, gewinnt die klassische Meta-
physik ihre Erkenntnisse a u s Prinzipien.
Ich würde daher Erkenntnis aus Prinzipien diejenige nennen, da ich das Besondre im All-
gemeinen durch Begriffe erkenne. So ist denn ein jeder Vernunftschluß eine Form der Ab-
leitung einer Erkenntnis aus einem Prinzip. Denn der Obersatz gibt jederzeit einen Begriff,
der da macht, daß alles, was unter der Bedingung desselben subsumiert wird, aus ihm nach
Ähnlich auch Heimsoeth (/), S. : „Die reine Vernunft […] beschäftigt sich also in
Wahrheit nur mit sich selbst, ihre Einheit ist nicht das System der Gegenstände, sondern unserer
Verstandeserkenntnisse“, und Pissis (), S. : „Die Vernunft ist der Verstand selbst, insofern
er auf seine Bedingungen reflektiert.“
Pissis (), S. , betont dagegen die Bedeutung der Vernunft für das „ganze Unternehmen
der transzendentalen Analytik […] die reine Verstandeserkenntnis „bis zu ihren ersten Keimen und
Anlagen im menschlichen Verstande“ zu verfolgen.“
KrV, B , S. .
Malzkorn (), S. , spricht von einem „meta-erfahrungswissenschaftliche(n) Gebrauch“
der Vernunft.
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 133
einem Prinzip erkannt wird. Da nun jede allgemeine Erkenntnis zum Obersatze in einem
Vernunftschlusse dienen kann, und der Verstand dergleichen allgemeine Sätze a priori
darbietet, so können diese denn auch, in Ansehung ihres möglichen Gebrauchs, Prinzipien
genannt werden.¹²²
Mit dem Bestreben, Erkenntnis des Besonderen aus dem Allgemeinen gewinnen
zu wollen, ist die Möglichkeit der Missbräuchlichkeit der Vernunft in Bezug auf die
Erkenntnis bereits gegeben. Die Vernunft kann unter sich nur die Verstandesregeln
fassen und sich somit nur indirekt auf den Gegenstand der Anschauung beziehen.
Der fehlgeleitete Gebrauch der Vernunft und damit der Ursprung der dialektischen
Selbstverstrickung besteht daher darin, dass das transzendental-subjektive Ver-
mögen der Vernunft als transzendental-objektives, d. h. dass die Vernunft als
Verstand gebraucht wird.¹²³
Nach der Klärung des diskursiven Vernunft- und Verstandesvermögens und
ihres Zusammenhanges ist die Suche nach den Grundfunktionen der Vernunft die
nächste Aufgabe. Diese transzendentalen Prinzipien werden im Sinne einer me-
taphysischen Deduktion als begriffliche Funktionen aus dem ideallogischen Ur-
teilsvermögen zu gewinnen sein. Die Analogie zur Deduktion der reinen Ver-
standesbegriffe weist jedoch eine erhebliche Schwierigkeit auf, was bereits aus
dem eben geschilderten Ursprung der dialektischen Fehlleistung hervorgeht. Es
stehen den Vernunftbegriffen keine Realfunktionen zur Seite. Ob und wie eine
solche metaphysische Deduktion der Vernunftbegriffe gelingen kann, mithin wie
aus dem logischen Vermögen der Vernunft ein transzendentales wird, ist daher
eine in der Kantforschung höchst umstrittene Frage, der in den folgenden Glie-
derungsabschnitten nachgegangen wird.
Der formale Gebrauch der Vernunft als logisches Vermögen ist von dem des
Verstandes zu unterscheiden. Als solches war die Vernunft bereits als Vermögen
mittelbarer Schlüsse im Gegensatz zum Verstand charakterisiert worden.¹²⁴ Es
besteht ein Unterschied zwischen dem, „was unmittelbar erkannt, und dem, was
nur geschlossen wird.“¹²⁵ Trotzdem besteht hierüber eine gewisse Konfusion,
welche nach Kant aus der Gewöhnung unseres Gemütes, beständig Schlüsse zu
ziehen, entspringt.¹²⁶ Das Schlussfolgern wird uns gleichermaßen so zur zweiten
Natur, dass wir uns der Tatsache nicht mehr gewahr sind, dass wir überhaupt
Schlüsse ziehen. So stellt der Satz, dass drei nicht-parallele Geraden drei Winkel
einschließen, einen unmittelbar zu erkennenden Zusammenhang dar. Im Ge-
gensatz dazu ist der Satz, dass die Innenwinkelsumme des durch die Geraden
gebildeten Dreiecks 180° beträgt, geschlossen, obgleich er sich als eine Erkenntnis
eo ictu geriert.¹²⁷
Kant greift mit seiner Unterscheidung von Verstandes- und Vernunftschlüssen
diese Verwirrung über die mittel- und unmittelbaren Schlüsse auf. Der immediate
Schluss unterscheidet sich vom mediaten darin, dass das Konsequenz bereits im
Antecedenz des maior inkludiert ist. Die Vermittlung durch den Begriff im minor ist
daher nur eine scheinbare.
Bei jedem Schlusse ist ein Satz, der zum Grunde liegt, und ein anderer, nämlich die Folgerung,
die aus jenem gezogen wird, und endlich die Schlußfolge (Konsequenz), nach welcher die
Wahrheit des letzteren unausbleiblich mit der Wahrheit des ersteren verknüpft ist. Liegt das
geschlossene Urteil schon so in dem ersten, daß es ohne Vermittelung einer dritten Vor-
stellung daraus abgeleitet werden kann, so heißt der Schluß unmittelbar (consequentia
immediata); ich möchte ihn lieber den Verstandesschluß nennen.¹²⁸
Im Beispielurteil „Alle Menschen sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, also ist
Sokrates sterblich“ beruht die Apodiktizität des Verstandesschlusses nicht auf der
korrekten Anwendung der syllogistischen Form, sondern auf der Unmittelbarkeit
des Schlusses. Negativ formuliert könnte man also sagen, dass es sich bei dem
Verstandesschluss nicht im eigentlichen Sinne um einen Schluss handelt, da die
Konklusion nicht geschlossen wurde.¹²⁹
Im Gegensatz zum Verstandesschluss ist im Vernunftschluss die Konklusion nicht
im Antecedenz enthalten, so dass ein neuer Begriff im minor hinzukommen muss.
In jedem Vernunftschlusse denke ich zuerst eine Regel (maior) durch den Verstand. Zweitens
subsumiere ich ein Erkenntnis unter die Bedingung der Regel (minor) vermittelst der Ur-
teilskraft. Endlich bestimme ich mein Erkenntnis durch das Prädikat der Regel (conclusio),
mithin a priori durch die Vernunft. ¹³⁰
Verstandesschluss: Vernunftschluss:
Alle Menschen sind sterblich. Alle Menschen sind sterblich.
Sokrates ist ein Mensch. Alle Gelehrten sind Menschen.
Ausgehend von der bloßen Form der zwei Syllogismen besteht kein Unterschied
zwischen ihnen. Beide Syllogismen sind Beispiele des Modus Barbara.¹³¹ Es be-
steht jedoch eine wesentliche Differenz bezüglich der Extension des minor in
beiden Urteilen. Im Verstandesschluss besteht der Mittelbegriff in einem Indivi-
dualbegriff, im Vernunftschluss dagegen in einem Artbegriff. Der minor des Ver-
standeschlusses ist daher ein singuläres Urteil, der maior dagegen ein allgemei-
nes. Entgegen der Praxis der Logiker unterscheidet Kant diese beiden Urteile, i. e.
das judicium singulare und die judicia communia. ¹³² In der Gegenüberstellung des
aristotelischen und des modernen prädikatenlogischen Formulars wird die Dif-
ferenz zwischen beiden Urteilen deutlich:
Sokrates ist als ein Element der Menge aller Menschen bereits durch die erste
Prämisse als sterblich ausgewiesen. Im Gegensatz zum Verstandesschluss enthält
der Vernunftschluss eine Prämisse, die nicht bereits im maior vorhanden ist. Die
Menge aller Gelehrten ist kein Element, sondern eine Teilmenge der Menge aller
Menschen. Da Sokrates ein Element der Menge aller Gelehrten ist, ist er damit ein
Element der Menge aller Menschen, für die gilt, dass alle ihre Elemente sterblich
sind.¹³³
Mit der Unterscheidung der Verstandes- und Vernunftschlüsse sind zwei
wichtige Differenzierungen verbunden. Erstens handelt es sich trotz der formalen
Identität der beiden Schlüsse um zwei verschiedene kognitive Handlungen des
denkenden Subjektes, nämlich einer Verstandes- und einer Vernunfthandlung.
Die Verstandeshandlung besteht in der Subsumtion eines Gegenstandes einer
möglichen Erfahrung, hier die Person des Sokrates, unter die „Bedingung der
Regel“, i. e. der terminus medius „Mensch“.¹³⁴
Im Vernunftschluss erfolgt keine Subsumtion eines Objektes der Anschauung
unter die Bedingung einer Regel, i. e. das Subjekt der Regel, in diesem Fall der
Begriff „Mensch“. Die eigentümliche Handlung im Vernunftschluss besteht viel-
mehr darin, dass der Verstand als Urteilskraft¹³⁵ die Regel des Untersatzes unter
die Regel des Obersatzes subsumiert und damit das „Prädikat der Regel“ im maior,
die diskursive Bestimmung des Subjekts, in der Konklusion auf das begriffliche
Subjekt bezieht.¹³⁶ Die Konklusion ist damit Produkt der Handlung des Verstan-
des, welcher sich selbst auf seine Regeln bestimmend bezieht. Dieses Vermögen
des Verstandes hatten wir bereits als Vernunft identifiziert. Mit dieser Tätigkeit des
Verstandes als Vernunft ist die zweite wichtige Unterscheidung der Schlussarten
verbunden. Der Verstandesschluss ist eine Erkenntnis aus Regeln, der Vernunft-
schluss eine aus Prinzipien. Der formale Unterschied zwischen beiden besteht also
in ihrem jeweiligen Gebrauch in Bezug auf eine Subsumtion von Anschauungen
Bazil sieht in dieser Schlussfigur ebenfalls einen Vernunftschluss, cf. Bazil (), S. ,
ebenso Pissis (), S. f. Beide können sich auf A | B berufen,wo Kant den Satz „Cajus
ist sterblich“ offenbar als Vernunftschluss aus dem Satz „Alle Menschen sind sterblich“ entwi-
ckelt: „Den Satz: Cajus ist sterblich, könnte ich auch bloß durch den Verstand aus der Erfahrung
schöpfen. Allein ich suche einen Begriff, der die Bedingung enthält, unter welcher das Prädikat
(Assertion überhaupt) dieses Urteils gegeben wird (d. i. hier den Begriff des Menschen); und
nachdem ich unter diese Bedingung, in ihrem ganzen Umfange genommen (alle Menschen sind
sterblich), subsumiert habe: so bestimme ich darnach die Erkenntnis meines Gegenstandes (Cajus
ist sterblich).“ Der scheinbare Widerspruch zur Unterscheidung von Verstandes- und Vernunft-
schluss lässt sich jedoch leicht auflösen, wenn klar ist, dass es Kant hier um die Fähigkeit des
Schließens, i. e. des Bestimmens aus einer von einem Begriff abgeleiteten Regel und nicht aus der
Erfahrung überhaupt geht. Vuillemin (), S. , macht dies deutlich: „Eine solche Unter-
scheidung [der mittelbaren und unmittelbaren Schlüsse, M. B.] betrifft keineswegs die Natur der
Sätze, deren Wahrheitswert es festzustellen gilt, sondern einzig und allein die Art und Weise, wie
wir dahin gelangen müssen.“
Bazil (), S. , weist zu Recht auf die Identität des Grundes und des termini medii hin.
Zur Identität von Verstand, Urteils- und Einbildungskraft cf. Kap. ...
Die Vernunft tendiert nicht auf die Einheit der Anschauung, sondern auf die der Begriffe, wie
Schmaucke (), S. f., richtig schreibt.
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 137
oder Erkenntnissen, also Regeln, die a posteriori oder a priori geschlossen wurden.
Synoptisch lässt sich das Ergebnis also folgendermaßen festhalten:
Verstandesschluss:
Nach Kant existieren genau drei Arten von Vernunftschlüssen. Diese drei Klassen
leiten sich von den logischen Relationen ab, die durch die Regeln, respektive
Prinzipien vorgestellt werden und die zwischen dem Subjekt, i. e. der Bedingung
der Erkenntnis und der Erkenntnis selbst, also der im Erkenntnisurteil stattfin-
denden Prädikation, vermitteln.
Das Verhältnis also, welches der Obersatz, als die Regel, zwischen einer Erkenntnis und ihrer
Bedingung vorstellt, macht die verschiedenen Arten der Vernunftschlüsse aus. Sie sind also
gerade dreifach, so wie alle Urteile überhaupt, so fern sie sich in der Art unterscheiden, wie
sie das Verhältnis des Erkenntnisses im Verstande ausdrücken, nämlich: kategorische oder
hypothetische oder disjunktive Vernunftschlüsse.¹³⁸
Die Art des Vernunftschlusses ist demnach dadurch bestimmt, welches Urteil im
Obersatz steht.¹³⁹ Die drei Arten des Vernunftschlusses, dies sind die drei ver-
schiedenen Relationen zwischen dem Prinzip und der subsumierten Regel, ent-
sprechen genau eindeutig den Elementarrelationen des Verstandes als reinem
Urteilsvermögen. Dies kann mit Blick auf die Natur der Vernunft als Metavermögen
des Verstandes nicht überraschen. Der Verstand bezieht sich mit eben den Regeln
auf sich selbst, mit denen er sich auf Gegenstände in der Anschauung bezieht. Die
erste Art des Vernunftschlusses, den kategorischen Vernunftschluss, hat Kant
bereits selbst als Beispiel eingeführt. Der Satz „Alle Menschen sind sterblich.“
stellt ein kategorisches Urteil im Obersatz dar, so dass der gesamte Schluss ein
kategorischer Vernunftschluss ist. Entsprechend gilt für den hypothetischen und
den disjunktiven, dass jeweils ein hypothetisches oder disjunktives Urteil die
Regel des Obersatzes bildet. Der hypothetische Vernunftschluss bildet ein Kon-
ditional mit der Bedingung im Obersatz und der Konklusion als Folge:
1. Wenn alle Menschen (M) sterblich (S) sind, dann existiert kein Mensch, der
unsterblich (U) ist.
2. Nun sind alle Gelehrten (G) Menschen.
3. Also existiert kein Gelehrter, der unsterblich ist.
1x(M( x & 6 S( x && 6 /0x(M( x & + U( x && 1x(M( x & 6 S( x &⊻U( x &&
1x(G( x & 6 M( x && 1x(M( x & 6 S( x &&
/0x(G( x & + U( x && /0x(M( x & + U( x &&
Die Vernunft bezweckt die systematische Einheit des Denkens. Sie erreicht dies,
indem sie Regeln daraufhin vergleicht, ob der Wahrheitsgehalt einer Regel ab-
hängig ist von dem einer anderen. Dies ist dann der Fall, wenn die Extension des
Subjektes einer Regel als Prinzip den Umfang der Bedingung einer anderen Regel
inkludiert, so dass die Assertion der durch sie vorgestellten Prädikation durch das
Prinzip mit vorgestellt wird, mithin aus dem Prinzip heraus erkannt werden kann.
So wird die Sterblichkeit der Menge aller Gelehrten erkannt, wenn klar ist, dass die
Menge aller Gelehrten eine Teilmenge aller Menschen darstellt, für die gilt, dass
jedes Element sterblich ist.
Wenn, wie mehrenteils geschieht, die Konklusion als ein Urteil aufgegeben worden, um zu
sehen, ob es nicht aus schon gegebenen Urteilen, durch die nämlich ein ganz anderer Ge-
genstand gedacht wird, fließe: so suche ich im Verstande die Assertion dieses Schlußsatzes
auf, ob sie sich nicht in demselben unter gewissen Bedingungen nach einer allgemeinen
Regel vorfinde. Finde ich nun eine solche Bedingung, und läßt sich das Objekt des
Schlußsatzes unter der gegebenen Bedingung subsumieren, so ist dieser aus der Regel, die
auch für andere Gegenstände der Erkenntnis gilt, gefolgert.¹⁴⁰
Als systematisches Vermögen strebt die Vernunft dabei die größte Einheit ihrer
Sätze an.¹⁴¹
Man sieht daraus: daß die Vernunft im Schließen die große Mannigfaltigkeit der Erkenntnis
des Verstandes auf die kleinste Zahl der Prinzipien (allgemeiner Bedingungen) zu bringen
und dadurch die höchste Einheit derselben zu bewirken suche.¹⁴²
Dieses Bestreben der Vernunft führt auf die drei nicht mehr abzuleitenden Prin-
zipien hin, die sogenannten transzendentalen Ideen. Strittig ist jedoch, ob und
wenn ja, wie diese irreduziblen Prinzipien zu gewinnen, respektive aus dem for-
mal-logischen Vernunftgebrauch, welcher sich in den drei Schlussarten erschöpft,
metaphysisch zu deduzieren sind.Wie werden aus den logischen die begrifflichen
Funktionen der Vernunft? Dies ist die wesentliche Grundfrage, um die Vernunft als
transzendentales Vermögen erweisen zu können.
Kant möchte die Begriffe der reinen Vernunft analog zu denen des Verstandes
auffinden. Er muss also im Rahmen einer „metaphysischen Deduktion der Ideen“
zeigen, wie von den bloß ideal-logischen Funktionen der Vernunft als Schluss-
vermögen zu einem begrifflich-erkenntnisfunktionalen Gebrauch der Vernunft als
transzendentalem Vermögen zu gelangen ist.¹⁴³ Die metaphysische Deduktion der
Kant nennt als Beispiel die Vorstellung eines Rechtsprinzips zur Grundlage der Legitimität
aller bürgerlichen Gesetze: „Es ist ein alter Wunsch, der, wer weiß wie spät, vielleicht einmal in
Erfüllung gehen wird: daß man doch einmal, statt der endlosen Mannigfaltigkeit bürgerlicher
Gesetze, ihre Prinzipien aufsuchen möge; denn darin kann allein das Geheimnis bestehen, die
Gesetzgebung, wie man sagt, zu simplifizieren.“ KrV, A | B ; S. .
KrV, A . | B ; S. .
Dass Kant die Ideen metaphysisch zu deduzieren sucht, wird von vielen Kantinterpreten mit
Blick auf das Leitfadenkapitel der transzendentalen Analytik angenommen, cf. Malzkorn (),
S. ff., Pissis (), S. f., Anm. nennt neben Malzkorn noch Zocher (), S. , Grier
(), und Schmaucke (), ff.
Zocher (1958), S. 56, sieht im Anhang zur transzendentalen Dialektik einen zweiten Anlauf
der metaphysischen Ideendeduktion, für welche „andere logische Formen die Basis der Ableitung
abgeben“, um so zu den drei Systematisierungsformen (Homogenität, Spezifikation und Konti-
nuität; KrV, A 658 | B 686; S. 720) zu gelangen. Neben der Tatsache, dass Zocher nicht zeigt, welche
„anderen logischen Formen“ hier einschlägig sein sollten, ist durchaus nicht zu sehen, warum
Kant im Anhang zur transzendentalen Dialektik, wo es ihm um die transzendentale Deduktion der
Ideen als subjektive Prinzipien geht,welche dort mit Blick auf die Kritik der Urteilskraft Funktionen
der reflektierenden Urteilskraft darstellen, das bereits abgeschlossene Programm der metaphy-
140 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Ideen bildet, so wie die der Kategorien, die Voraussetzung ihrer transzendentalen
Deduktion, sofern erst durch die metaphysische Deduktion gezeigt wird, dass die
Vernunft ein Inventar ursprünglicher Begriffe enthält.¹⁴⁴ Das Wie ihres Gebrauchs,
respektive die Demonstration ihrer Erkenntnisrelevanz dagegen bildet die Auf-
gabe einer transzendentalen Deduktion.¹⁴⁵
An dieser Stelle lohnt es sich, kurz auf die Frage der transzendentalen
Ideendeduktion einzugehen. Ihre Aufgabe besteht darin, die Unentbehrlichkeit
der Ideen für die Erfahrung zu demonstrieren. Damit ist ein Problem verbunden,
welches aus der Nichtdarstellbarkeit der Ideen erwächst. Bondeli bringt dies in ein
treffendes Bild:
Man steht hier, bildlich gesprochen, vor dem Problem, ein Werkzeug vorliegen zu haben, das
den Gegenständen der Erfahrung nie angemessen sein kann und dem dennoch in irgendeiner
Weise eine Funktion mit Bezug auf diese Gegenstände zugebilligt werden muß.¹⁴⁶
Diese Funktion der Ideen besteht in ihrem regulativen Gebrauch. Dass Kant die
Ideen tatsächlich als regulative Prinzipien des Verstandesgebrauchs deduziert,
sischen Deduktion erneut aufgreifen sollte. Im Falle des undialektischen, respektive heuristischen
Ideengebrauchs dienen diese zur Anleitung eines systematischen Erkenntnisgewinns, indem das
oberste Prinzip der Vernunft, spezifiziert durch die drei in den Ideen vorgestellten Totalitäten, zu
den Postulaten des theoretischen Verstandesgebrauchs modifiziert wird. Von einer „Kontamina-
tion verschiedener Begriffe von ’Idee’“ (a.a.O., S. 57), wie sie Zocher annimmt, kann daher nicht die
Rede sein, sondern allenfalls von einer in der Kritik der reinen Vernunft noch nicht in Gänze zu
Ende geführten Lösung des Applikationsproblems der durch die Vernunft vorgestellten Totalität
auf die in der Sinnlichkeit gegebenen Mannigfaltigkeit. Die hierfür notwendige, mittelungsfähige
Realfunktion fasst Kant jedoch erst in der dritten Kritik.
Schmaucke (2002), S. 30, meint, dass die metaphysische Deduktion ausgehend von der Form
der Vernunftschlüsse nur für den hypothetischen Schluss gelingen könne, so dass nur von einer
„partielle[n] Triftigkeit des Programms der metaphysischen Deduktion“ (ibid.) die Rede sein
könne. Da Schmaucke die Zweischrittigkeit der Ideendeduktion ignoriert, verliert dieser Einwand
jedoch seine Gültigkeit.
Pissis (2012), S. 66 f., und Klimmek (2005), S. 7 ff., lehnen dagegen den Begriff der meta-
physischen Deduktion für die Ideen ab, da die Ideen im Gegensatz zu den Kategorien nicht ge-
fundene, sondern geschlossene Begriffe seien. Dieser Einwand ist zwar richtig, er steht jedoch der
Deduktion der Ideen nicht im Weg, da diese zwar als Begriffe einerseits geschlossen sind, an-
dererseits auf einer rein reflektierten Begriffsstruktur des Verstandes selbst gründen. Dieses Pa-
radox wird erst mit dem Nachweis dieser Reflexionsstruktur aufgelöst werden können, cf.
Kap. 2.2.5.
Cf. Grier (), S. .
Zur Konfusion von metaphysischer und transzendentaler Ideendeduktion in Bezug auf ihre
Subjektivität, respektive Objektivität cf. Zocher (), S. und Bondeli (), S. .
Bondeli (), S. .
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 141
stellt Caimi¹⁴⁷ zutreffend mit Bezug auf den Anhang zur transzendentalen Dia-
lektik heraus:
Denn das Gesetz der Vernunft, sie [die prinzipiengemäße, i. e. Systematische Einheit der
Natur, M. B.] zu suchen, ist notwendig, weil wir ohne dasselbe gar keine Vernunft, ohne diese
aber keinen zusammenhangenden Verstandesgebrauch, und in dessen Ermangelung kein
zureichendes Merkmal empirischer Wahrheit haben würden, und wir also in Ansehung des
letzteren die systematische Einheit der Natur durchaus als objektivgültig und notwendig
voraussetzen müssen.¹⁴⁸
Die Ideen als regulative Prinzipien können deshalb als (subjektiv) transzendental
deduziert gelten, da Kant ihre Unentbehrlichkeit für einen systematischen Ver-
standesgebrauch, respektive damit einhergehend der zusammenhängenden Er-
fahrungserkenntnis erweist.¹⁴⁹ Bondeli kritisiert den instrumentalistischen Begriff
der Unentbehrlichkeit, sofern darunter „unentbehrliche Nützlichkeit“ zu verste-
hen sei.¹⁵⁰ Nach ihm ist daher der Begriff der Unentbehrlichkeit, welcher den
Begriff der Notwendigkeit mit sich führt, in Bezug auf die bloß hypothetisch
anzunehmende Notwendigkeit der Ideen zu relativieren.¹⁵¹ Tatsächlich kann erst
mit dem Rekurs auf eine gelungene metaphysische Deduktion und mit dem
Nachweis, welche Relevanz den Ideen in Bezug auf den Kategoriengebrauch zu-
kommt, die Bedeutung der Notwendigkeit der Ideen eingeschätzt werden. Es wird
sich dabei zeigen, dass den Ideen in regulativer Hinsicht zwar eine bloß hypo-
thetische Notwendigkeit zukommt, diese jedoch auf eine Struktur im Denken
verweisen, die der Notwendigkeit der Kategorien in Bezug auf ihre Bedeutung für
die Erkenntnis in nichts nachsteht.¹⁵²
Das Problem der metaphysischen Deduktion der reinen Vernunftbegriffe so-
wie dessen Lösung formuliert Kant analog zu denen der reinen Verstandesbe-
griffe:
Die Form der Urteile (in einen Begriff von der Synthesis der Anschauungen verwandelt)
brachte Kategorien hervor, welche allen Verstandesgebrauch in der Erfahrung leiten. Eben so
können wir erwarten, daß die Form der Vernunftschlüsse, wenn man sie auf die synthetische
Einheit der Anschauungen, nach Maßgebung der Kategorien, anwendet, den Ursprung be-
sonderer Begriffe a priori enthalten werde, welche wir reine Vernunftbegriffe, oder trans-
zendentale Ideen nennen können, und die den Verstandesgebrauch im Ganzen der gesamten
Erfahrung nach Prinzipien bestimmen werden.¹⁵³
Von diesen transzendentalen Ideen ist eigentlich keine objektive Deduktion möglich, so wie
wir sie von den Kategorien liefern konnten. Denn in der Tat haben sie keine Beziehung auf
irgend ein Objekt, was ihnen kongruent gegeben werden könnte, eben darum, weil sie nur
Ideen sind. Aber eine subjektive Anleitung derselben aus der Natur unserer Vernunft konnten
wir unternehmen, und die ist im gegenwärtigen Hauptstücke auch geleistet worden.¹⁵⁶
Bei einer Deduktion der reinen Vernunftbegriffe kann es sich also nicht um eine
objektive, sondern nur um eine subjektive Deduktion handeln, d. h. die Ideen
sollen durch die Deduktion nicht als objektive, erfahrungs- und gegenstands-
konstitutive Funktionen aufgewiesen werden.¹⁵⁷ Die Ideen sind als Bedingungen
der Möglichkeit der Erfahrung also nicht zugleich Bedingungen des Gegenstandes
der Erfahrung, sondern Bedingung der Möglichkeit der Reflexion des Erfah-
rungsgegenstandes. Trotz der Tatsache also, dass die Ideen nicht als objektive
Regeln ausgewiesen werden können, ist ihre Deduktion dennoch transzenden-
tal.¹⁵⁸
Der begrifflich-funktionale Gebrauch der Vernunft bezieht sich daher nicht
unmittelbar auf die Vorstellung des Gegenstandes in der Anschauung. Der kon-
zeptuale Vernunftgebrauch in der Prädikation ist insofern auch nicht determi-
nativ, als dass die Extensionalität des Begriffes durch die Konkretion auf ein
bestimmtes Objekt restringiert würde.Vielmehr setzt die Vernunft hinsichtlich der
Quantität der Bestimmbarkeit ihrer Begriffe (Extension) ihre (größte) Allgemein-
heit (universalitas), hinsichtlich der Qualität der Bestimmung (Intension) ihre
Allheit (universitas) voraus.¹⁵⁹ Der Vernunftbegriff wird daher, wie im Obersatze
des Vernunftschlusses, in seinem größtmöglichen Umfange gedacht. In seinem
logischen Gebrauch als Prinzip stellt der Vernunftbegriff im immediaten Schluss
den Exponenten einer polysyllogistischen Schlusskette dar, welche in Bezug auf
die im Begriff vorgestellte Bedingung als Bedingungsreihe gedacht wird. Diese
Reihe wird transzendental nun so vorgestellt, dass sie als Bedingungstotalität mit
der Position der Bedingung durch den Begriff im Exponenten mitgesetzt wird. Der
Gegenstand im Begriff der Vernunft wird daher als Ursprung seiner Bestim-
mungstotalität selbst als unbedingt vorgestellt, so dass der Vernunftbegriff mit
dem Begriff des Unbedingten identisch ist.
Also ist der transzendentale Vernunftbegriff kein anderer, als der von der Totalität der Be-
dingungen zu einem gegebenen Bedingten. Da nun das Unbedingte allein die Totalität der
Bedingungen möglich macht, und umgekehrt die Totalität der Bedingungen jederzeit selbst
unbedingt ist: so kann ein reiner Vernunftbegriff überhaupt durch den Begriff des Unbe-
dingten, so fern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthält, erklärt werden.¹⁶⁰
Im Unterschied zum rein logischen Gebrauch der Vernunft wird daher der Begriff
also nicht nur bloß als Exponent progressiver oder regressiver Sorites verwendet,
sondern seine Bedingung, welche den Ursprung der durch den Begriff explizierten
Bedingungsreihe bildet, wird als Bestimmungstotalität gedacht. Dass diese To-
tenlehre vollzogen werden kann. Diese stellte demnach „so etwas wie die echte (von der Kritik der
reinen Vernunft nicht lieferbare) „objektive“ Deduktion der Ideen“ dar.
Mit den Ideen als subjektiv-transzendentalen Prinzipien ist bereits die Perspektive auf ihren
symbolisch-regulativen Gebrauch in der Kritik der Urteilskraft vorausgewiesen, cf. KdU § , B
ff; AA V, ff.; S. .
Cf. KrV, A | B , S. .
KrV, A | B , S. .
144 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
talität nur im Begriffe, nicht in der Anschauung¹⁶¹ dargestellt werden kann, sofern
diese nicht Gegenstand einer möglichen Erfahrung sein kann, ist Thema und
Ergebnis der transzendentalen Dialektik. Als subjektiv-transzendentale Prinzipien
sind daher die begrifflichen Vernunftfunktionen von einem objektiven Gebrauch
in erkenntniskonstitutiver Absicht ausgeschlossen.
Wie können nun aus den bloßen Schlussformen der Vernunft erkenntnislei-
tende Begriffe werden, wenn diese nicht durch die Konstruktion eines apriori-
schen Anschauungsbezuges mittels einer Realfunktion in solche „verwandelt“,
d. h. metaphysisch deduziert werden können? Diese Schwierigkeit bildet den
sachlichen Hintergrund, warum die Zweifel an der Homologie der metaphysischen
Deduktionen von Verstandes- und Vernunftbegriffen innerhalb der Kantexegese
Zweifel an dem Gelingen der metaphysischen Ideendeduktion hervorgerufen
haben. Die Skepsis hierüber wird noch dadurch gestärkt, dass Kant scheinbar zwei
alternative Deduktionsstrategien vorlegt. Einmal scheint er die Trias aus den drei
polysyllogistischen Schlussfiguren abzuleiten. Dies trüge auch der geforderten
Entsprechung der Deduktion der Ideen zu der der Kategorien Rechnung:
So viel Arten des Verhältnisses es nun gibt, die der Verstand vermittelst der Kategorien sich
vorstellt, so vielerlei reine Vernunftbegriffe wird es auch geben, und es wird also erstlich ein
Unbedingtes der kategorischen Synthesis in einem Subjekt, zweitens der hypothetischen
Synthesis der Glieder einer Reihe, drittens der disjunktiven Synthesis der Teile in einem
System zu suchen sein.¹⁶²
Von diesem Punkt scheint es jedoch noch nicht einsichtig, wie aus den drei Arten
des Unbedingten der Synthesis die drei transzendentalen Ideen geschlossen
werden. Warum sollte ausgerechnet die Idee der Seele dem Unbedingten in der
kategorischen Synthesis, die Idee des Weltganzen dem hypothetischen und die
Idee Gottes dem Unbedingten in der disjunktiven Synthesis entsprechen? Es muss
also geklärt werden, wie der „subtile Übergang“¹⁶³ von der formalen Logik zur
Metaphysik gelingen kann. Mit dem bloßen Verweis auf drei Arten des Ver-
nunftschlusses scheint dabei jedoch kein konsistenter Übergang von den bloßen
Schlussformen weder als epi-¹⁶⁴ noch als prosyllogistischer¹⁶⁵ Regress zu den
begrifflichen Ideen möglich.
Die Anschauung ist für sich selbst ein Totum, cf. Jäsche-Logik, AA IX, .
KrV, A | B ; S. .
Renaut (), S. .
Malzkorn (), S. , weist darauf hin, dass im Falle der Idee der Seele „einem Aufsteigen
in der Reihe der „Bedingungen“ zu einer gegebenen „bedingten“ Erkenntnis ein Absteigen durch
Episyllogismen in einem Kettenschluß“ entspricht. Die Schwierigkeit, welche Malzkorn richtig
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 145
sieht, ergibt sich jedoch nur aus der einseitigen formallogischen Interpretation der Ideende-
duktion.
Klimmek (), S. ff., geht von einem prosyllogistischen Regress des Untersatzes aus.
Dies wird zu Recht von Pissis (), S. , Anm. , zurückgewiesen. Dieser ist der Meinung, dass
die Vernunft mittels eines prosyllogistischen Regresses des Obersatzes zu den Ideen der Vernunft
gelangt: „Wenn nämlich der Regress bei einem Schlusssatz ’S ist P’ und diesem eine Reihe von
Zwischengliedern, d. h. von Bedingungen, unter denen P gilt, eingeschoben wird: S – X– X –…–
P, so wäre das Unbedingte im Subjekt S des anfänglichen Schlusssatzes zu suchen, als der
obersten Bedingung der Reihe. Den Halt solcher logischen Reihen verbürge ein S, dem die Totalität
der Bedingungen der Prädikation inhäriere. Den Abschluss ermöglicht daher der Gedanke einer
Substanz, welche ’kein Accidens mehr von einem anderen ist’ (V-MP-L/Pölitz, ).“ Pissis
(), S. .
Zwar ist Pissis darin zuzustimmen, dass sich Kants Ideenbildung als ein prosyllogistischer
Regress geriert, jedoch ist bereits das von ihm verwendete Zitat der Logiknachschrift von Pölitz
verräterisch. Kein Einzelgegenstand kann Akzidenz von etwas anderem sein. Ein Stuhl ist nicht
Akzidenz eines Tisches, obgleich beide zur Summe derselben Einrichtungsgenstände gezählt
werden können. Eine beliebige, rein logische und nicht transzendentallogische kategorische
Bestimmungsreihe führt auch nicht zwangsläufig zum Begriff des Ichs als Subjekt all meiner
Vorstellung. So ließe sich die Reihe aus Kapitel 1.1.2 bis zum allgemeinsten Begriff von Gegen-
ständlichkeit, einem Etwas, i. e. ein Ding (cf. Jäsche-Logik, AA IX, 95, 97), fortführen. Der Begriff
des Dinges bildet demnach den obersten Abschnitt der Reihe, nicht der des Ichs, respektive der
Seele. Zur Ableitung der Ideen reichen daher die bloßen Schlussformen, respektive das Prinzip der
Auffindung des Unbedingten noch nicht aus. Die Schlussformen bedürfen daher etwas, worauf sie
angewandt werden können, wobei dieses Etwas nicht ein beliebiger Gegenstand, sondern die
Bedingung für Gegenständlichkeit überhaupt sein muss, i. e. das Denken selbst.
Cf. Natterer (), S. , in Übereinstimmung mit Schmucker (), S. : „Da nun Kant
auf diesem Weg [mittels der aufsteigenden Reihe der Prosyllogismen, M. B.] eine gleichartige oder
gleichsinnige Ableitung der Vernunftideen nicht gewinnen konnte, löst er hier in der Kritik der
reinen Vernunft das Problem gewissermaßen durch einen coup de force, indem er nun formell die
ganze Ableitung der drei Vernunftideen an den Struktur- und Gegenstandsbereichen des Kriti-
zismus ansetzt, womit die Ableitung aus den Syllogismusformen der formalen Logik im Grunde
überflüssig wird.“
Cf. ebenso Bazil (1995), S. 88 f., Pissis (2012), S. 51, und, mit Einschränkung seiner speziellen
Interpretation, auch Klimmek (2005), S. 48.
Bennett (1974), S. 3, vertritt bezüglich der Ideendeduktion die Ansicht, „that is just Kant‘s
undignified attempt to derive his choice of topics from the structure of human reason rather than
the philosophical preoccupations then current in the German universities.“
146 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Nun ist das Allgemeine aller Beziehung, die unsere Vorstellungen haben können, 1) die
Beziehung aufs Subjekt, 2) die Beziehung auf Objekte, und zwar entweder als Erscheinungen,
oder als Gegenstände des Denkens überhaupt. Wenn man diese Untereinteilung mit der
oberen verbindet, so ist alles Verhältnis der Vorstellungen, davon wir uns entweder einen
Begriff, oder Idee machen können, dreifach: 1. das Verhältnis zum Subjekt, 2. zum Man-
nigfaltigen des Objekts in der Erscheinung, 3. zu allen Dingen überhaupt.¹⁶⁷
Nun haben es alle reine Begriffe überhaupt mit der synthetischen Einheit der Vorstellungen,
Begriffe der reinen Vernunft (transzendentale Ideen) aber mit der unbedingten synthetischen
Einheit aller Bedingungen überhaupt zu tun. Folglich werden alle transzendentale Ideen sich
unter drei Klassen bringen lassen, davon die erste die absolute (unbedingte) Einheit des
denkenden Subjekts, die zweite die absolute Einheit der Reihe der Bedingungen der Er-
scheinung, die dritte die absolute Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens
überhaupt enthält.¹⁶⁹
Wenn mit dem Verweis auf die drei möglichen Verhältnisse der Vorstellungen zu
ihren Objekten die Deduktion der Ideen als Klassenbegriffe¹⁷⁰ als abgeschlossen
betrachtet werden darf, ist damit die Absicht der Deduktion der Ideen parallel zu
den Kategorien aus den reinen Urteils-, respektive Schlussformen als gescheitert
anzusehen,¹⁷¹ es sei denn, es bestünde die Möglichkeit, die zwei Ableitungswege als
zwei Schritte derselben Deduktion explizit zu machen.¹⁷² Da die Ableitung der Ideen
parallel zu der der Kategorien laufen soll, scheint eine Gegenüberstellung beider
Deduktionen angebracht. Kernthese der Funktionsanalyse der reinen Verstandes-
begriffe war die Ableitung der begrifflichen Funktionen des Verstandes (Kategorien)
aus seinen idealen Funktionen durch die temporal indizierte Form des Denkens,
Vermögen entsprechen, welche dasselbe leisten, wie die Schemata für die Begriffe
des Verstandes. Diese sind natürlich die durch den Verstand gesetzten Vorstel-
lungsverhältnisse, sofern sich die Vernunft in der gleichen Weise auf den Verstand
bezieht, wie dieser sich auf die Sinnlichkeit.¹⁷⁹ Die Ideen sind dadurch in toto er-
mittelt und abgleitet worden, dass das Unbedingte in Rücksicht auf eine der Vor-
stellungsrelationen aufgefunden wurde: Erstens die ursprüngliche Einheit des
denkenden Subjektes, zweitens die Totalität der Bedingungsreihe des Erfahrungs-
objektes und drittens die Totalität des Gegenstandes einer Vorstellung überhaupt.
Kant legt also mitnichten zwei Ableitungsstrategien vor, sondern führt allein das
Projekt der Ideendeduktion in Analogie zur Deduktion der Kategorien durch. Im
Überblick stellt sich dies folgendermaßen dar:
2.1.6 Die Ideen als Einheitsfunktionen des Verstandes und der Vernunft
(1) Welche Art der Verstandesregeln werden unter die Ideen als Prinzipien gefasst?
(2) Welche Konkordanz besteht zwischen den Ideen und den Verstandesregeln,
d. h. welche Verstandesregeln werden unter welche Ideen subsumiert?
(3) Welchen Bezug hat die aufzuweisende Einheitsstruktur zur metaphysischen
Deduktion?
tio)¹⁸¹ zu den höchsten Einheitsbegriffen des reinen Verstandes und der reinen
Vernunft fortschreitet:
Die Gattung ist Vorstellung überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit
Bewußtsein (perceptio). Eine Perzeption, die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifi-
kation seines Zustandes bezieht, ist Empfindung (sensatio), eine objektive Perzeption ist
Erkenntnis (cognitio). Diese ist entweder Anschauung oder Begriff (intuitus vel conceptus).
Jene bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln; dieser mittelbar, vermit-
telst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann. Der Begriff ist entweder ein
empirischer oder reiner Begriff, und der reine Begriff, so fern er lediglich im Verstande seinen
Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit), heißt Notio. Ein Begriff aus Notionen,
der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die Idee, oder der Vernunftbegriff.¹⁸²
Diese hierarchische Struktur der Vorstellungen lässt sich als Stufenleiter folgen-
dermaßen darstellen:
Die Vorstellung im allgemeinsten Sinne schließt die präreflexive Form der Empfindung als
bloße Affektionswirkung mit ein (cf. Cohen (), S. .) und unterscheidet sich so von der
bewussten Vorstellung im engeren Sinne. Zum sogenannten Affektionsproblem cf. Kap ..
KrV, A | B f.; S. .
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 151
In diesem System der Vorstellungen findet sich der Schlüssel zum Verständnis der
transzendentalen Vernunftbegriffe, genauer in der Beziehung, welche diese zu
denen des Verstandes haben. Kant definiert die Idee als einen „Begriff aus No-
tionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt“. Die Notio bezeichnet den
reinen Verstandesbegriff, „so fern er lediglich im Verstande seinen Ursprung hat
(nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit)“. Er ist also identisch mit der sogenannten
unschematisierten Kategorie, mit deren Begriff ein Interpretationsproblem ver-
bunden ist. Im ersten Kapitel wurde die Kategorie als begriffliche Funktion durch
ihre beiden Elemente charakterisiert, zum einen die reine, respektive bloße
Funktion der Einheit in Urteilen, zum andern das Schema als transzendentale
Determinante der Zeit. Dass die Kategorie aus diesen beiden Teilen zu bestehen
hat, ergibt sich aus ihrer begrifflichen Natur, welche einen Funktions- und einen
Affektionsanteil, im Falle der Kategorie einen realfunktionalen Teil, erfordert. Aus
diesem Grund liefe der Begriff der unschematisierten Kategorie entweder auf ei-
nen Widerspruch hinaus, dadurch dass Kant seine fundamentale Fassung der
Zweiteiligkeit des Begriffes durch die Einführung einer neuen nicht auf die
Sinnlichkeit bezogenen Begriffsart revozieren müsste;¹⁸³ oder aber der Begriff der
Notio bezeichnete schlicht die Urteilsform, so dass die Einführung eines neuen
Begriffes für ein bekanntes Konzept Redundanz in Kants System bedeuten wür-
de.¹⁸⁴ Wie kann also der Begriff der Notio als unschematisierte Kategorie plausibel
gemacht werden, ohne dass eine der beiden negativen Konsequenzen in Kauf
genommen werden müsste? A minori gilt dies natürlich auch für den Begriff der
Idee als Einheitsprinzip, sofern die Idee aus, respektive in der Einheit der Notionen
bestehen soll. Die erste Interpretationsvariante weist fundamentale Schwierig-
keiten auf, durch deren Inkaufnahme das Fundament der kantischen Philosophie,
die Doppelständigkeit der Erkenntnisstämme, in Frage gestellt würde. Mit Blick
auf das Ganze der Transzendentalphilosophie muss diese Variante daher ver-
worfen werden. Die vordringliche Interpretationsaufgabe besteht also darin, zu
zeigen, dass Kant mit dem Begriff der Notio die Urteilsformen meint, auf diese
jedoch in einer Weise referiert, welche die Einführung eines eigenen Begriffes
rechtfertigt. Den Schlüssel zur Antwort liefert Kants zweischrittige Deduktion der
Ideen. Wenn die Ideen als Prinzipien aus Notionen bestehen sollen, dann muss
zwischen den Ideen und den Notionen eine gewisse Homologie vorfindlich sein.
Für die Systeme Lockes und Berkeleys ist dies durch die Einführung des notio-Begriffes
offensichtlich der Fall.
Auch die reinen Begriffe der praktischen Vernunft fordern eine Darstellungsmöglichkeit in
der Sinnlichkeit, wenn auch nur indirekt per analogiam, d. h. mittels symbolischer Hypotypose.
Düsing entgeht damit die systematische Problematik, welche mit der Vorstellung eines reinen,
nicht auf die Sinnlichkeit bezogenen Begriffes mitgegeben ist, cf. Düsing (), S. .
152 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Wenn also die Ideen als Prinzipien mit den Schlussformen bezogen auf die Vor-
stellungsrelationen identisch sind, so werden die Notionen identisch sein mit den
Urteilsformen bezogen auf die Vorstellungsrelationen.¹⁸⁵ Als solche „sind sie bloß
Formen des Verstandesgebrauchs in Ansehung der Gegenstände überhaupt und
des Denkens, ohne doch durch sie allein irgend ein Objekt [in der Anschauung, M.
B.] denken oder bestimmen zu können.“¹⁸⁶ Notionen sind daher, wie die Ideen
reine Einheitsbegriffe, mithin reine (ideale) Funktionen. Sie sind als solche
identisch mit den Funktionen zu Urteilen, insofern sie sich auf das Denken, re-
spektive auf einen Gegenstand überhaupt, d. h. also auf Gegenständlichkeit in
ihrer bloß logischen Möglichkeit beziehen. In den Notionen spiegelt sich das
Denken denkend wieder, indem es sich selbst zum logischen Objekt macht.¹⁸⁷ Da
das Denken sich hier jedoch nicht auf die Anschauung beziehen kann, kann aus
der bloß logischen Bestimmung keine Erkenntnis erwachsen.
Um einem möglichen Missverstand des hier behandelten Ideenbegriffes
entgegenzuwirken, scheint es an dieser Stelle notwendig, den abstrakten Ge-
brauch der Idee als Prinzip von ihrem dialektischen Gebrauch zu unterscheiden.¹⁸⁸
Die Ideen sind als Einheitsprinzipien selbst nicht identisch mit dem dialektischen
Schein! Erst durch ihren (schematischen) Bezug auf die Sinnlichkeit kommt dieser
zustande.
Die Sinnlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Objekt, worauf dieser seine Funktion
anwendet, ist der Quell realer Erkenntnisse. Eben dieselbe aber, so fern sie auf die Ver-
standeshandlung selbst einfließt, und ihn zum Urteilen bestimmt, ist der Grund des Irr-
tums.¹⁸⁹
Der transzendentale Schein entsteht durch den objektiven Gebrauch der Ideen,
indem diese als Bestimmungen der Dinge an sich selbst vorgestellt werden. Die
Ideen lassen einen solchen Gebrauch jedoch nicht zu, da ihrem Begriff, der eine
Dies ist unmittelbar klar, wenn man die temporale Bedeutung der Modaloperatoren ab-
strahiert, über die wir die Kategorien aus den Urteilsformen gebildet haben. Zurück bleibt dann
das Verhältnis, welches „nur den Wert der Copula in Beziehung auf das Denken überhaupt an-
geht.“ KrV, A | B ; S. .
KrV, A | B ; S. .
Damit ist eine wesentliche Forderung des ersten Kapitels bezüglich der Urteilsformen erfüllt,
cf. Kap. ...
Baumanns (), S. , Anm. ., weist darauf hin, dass „dialektischer Mißverstand“ und
„dialektischer Mißbrauch“ zu unterscheiden sind: „Die Ideen als konstitutive Prinzipien mißzu-
verstehen, muß nicht mit einem faulen und perversen Gebrauch derselben in der Naturerkenntnis
einhergehen.“
KrV, A | B , Anm. ; S. .
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 153
Sie [die Ideen, M. B.] sind nicht erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst
aufgegeben, und beziehen sich daher notwendiger Weise auf den ganzen Verstandesge-
brauch.¹⁹³
Worin besteht dieses „Ganze“ des Verstandesgebrauchs, oder besser wie kann der
Verstandesgebrauch überhaupt ein „Ganzes“ ausmachen? Wenn man der Struktur
der Urteils- und Kategorientafel folgt, welche alle Bestimmungsmöglichkeiten und
-weisen eines Gegenstandes listen, ist ein Objekt der Erkenntnis erst dann in Gänze
bestimmt, wenn ihm in Rücksicht aller vier Titel mindestens ein Moment zuge-
ordnet werden kann.¹⁹⁴ Dementsprechend wird das „Ganze“ des Verstandesge-
brauchs in Bezug auf die Ideen ebenfalls in der vollständigen Bestimmung des
Vernunftbegriffes durch alle vier Titel des Verstandes hindurch bestehen. Es ist
daher für die Vollständigkeit der Idee entscheidend, wenn diese durch alle vier
Titel des Verstandes mit jeweils mindestens einem Moment bestimmt wird, im
Falle der Ideen durch je vier Notionen. Die entscheidende Frage liegt nun darin,
welche vier Notionen welcher Idee entsprechen, mithin welche Verbindung sich
aus den Paralogismen, Antinomien und den Gottesbeweisen zwischen der Tafel
der Ideen und der Tafel der Kategorien eruieren lässt.
Die erste transzendentale Idee, die Idee der Seele, fasst unter sich die vier
sogenannten transzendentalen Paralogismen: Erstens den Paralogismus der
Substantialität, zweitens den der Simplizität, drittens den der Identität und
viertens den des Verhältnisses der Seele zu möglichen Gegenständen im Raum.¹⁹⁵
Wenn man die Paralogismen der Reihe nach durchgeht, so stellt man fest, dass
jedem Paralogismus je eine bestimmte Kategorie entspricht. Die Idee der Seele
subsumiert somit der Reihe nach erstens die Kategorie der Substantialität,
zweitens die der Realität, drittens die der Einheit und viertens die der Möglichkeit.
Auffällig ist nun, dass die erste Idee die jeweils ersten Momente der Trichotomie
unter sich fasst. Mit Blick auf das Antinomienkapitel lässt sich von der zweiten
Idee, der Idee des Weltganzen, Analoges feststellen. In den vier Antinomien lässt
sich wiederum der (verfehlte) Gebrauch von vier Kategorien finden, diese sind
Vielheit (1. Antinomie), Negation (2. Antinomie), Kausalität (3. Antinomie) und
Wirklichkeit (4. Antinomie).¹⁹⁶ Es ist leicht zu sehen, dass für die zweite Idee
Gleiches gilt, wie für die erste, nämlich dass diese durch den dialektischen Ge-
brauch der jeweils zweiten Momente bestimmt ist. Die Zuordnung der jeweils
dritten Momente in der Struktur des transzendentalen Ideals besitzt zwar nicht
dieselbe Evidenz, ist jedoch ebenfalls nachweisbar.¹⁹⁷ Im Überblick über die drei
Es ist eine offene Frage, ob Kant für die Bestimmungsvollständigkeit eines Objektes ange-
nommen hat, dass dieses in Rücksicht genau eines Momentes einer jeden Urteilsklasse (cf. Paton
(), I, S. f.) oder mindestens eines Momentes (cf. Wolff (), S. ) gedacht werden
muss. Unserer Ansicht nach kannte Kant bereits die Bestimmungsmöglichkeit in Rücksicht auf
zwei Momente derselben Klasse. Im Falle der Notwendigkeit des ästhetischen Urteils scheint
beispielsweise eine Kombination eines apodiktischen und assertorischen Urteils vorzuliegen.
Gleichwohl mutet es so an, als ob Kant jeweils von genau einem Moment als Leitbestimmung
ausgeht, mit dem ein weiteres Bestimmungsmoment verbunden sein kann.
Die ausführliche Diskussion der Paralogismen erfolgt in Kap. ..
Dies wird ausführlicher in Kap. . diskutiert werden.
Cf. Kap. ...
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 155
transzendentalen Ideen zeigt sich also, dass sich jede auf jeweils ein Quadrupel
reiner Verstandesbegriffe bezieht, von dem jedes Element demselben Moment
zugeordnet ist.¹⁹⁸ So ist die erste transzendentale Idee durch die jeweils vier ersten
Kategorien, bzw. Momente M – I 1SeeleSeele $ "M 11 ! M 12 ! M 13 ! M 14 7–, die zweite durch die
jeweils vier zweiten – I 2Welt $ "M 21 ! M 22 ! M 23 ! M 24 7– und die dritte durch die jeweils vier
dritten Verstandesbegriffe bestimmt –I 3GottGott $ "M 31 ! M 32 ! M 33 ! M 34 7.¹⁹⁹ Hieraus ergibt
sich folgende Ordnung:
Ausgehend von der grundlegenden Definition der Ideen als Begriffe, welche aus
Notionen bestehen, muss der in der transzendentalen Dialektik beschriebene
erkenntniskonstitutive Missbrauch der Ideen auf ihre Schematisierung, i. e. die
Darstellung der Notionen in der Anschauung zurückgeführt werden. Von ihrem
subreptiven Gebrauch lässt sich jedoch durch die Abstraktion der schematischen
Hypotypisierung die ursprüngliche, da logisch frühere Notionsstruktur aus der
vernunftgemäßen Einheitsfunktion der Ideen als Prinzipien rekonstruieren. Mit
dem Nachweis der Prinzipieneinheit der Notionsstruktur durch die bloßen Ideen
sind jedoch zwei wichtige Punkte verbunden: Erstens muss die metaphysische
Deduktion der Ideen ausgehend von der durch sie reflektierten Einheitsstruktur
der Verstandesregeln als durch diese erst ermöglicht begriffen werden. Da die
Vernunft nur ein (in theoretischer Hinsicht) reflektierendes Vermögen darstellt,
muss die durch sie gefundene Einheit auf einen logisch notwendigen Zusam-
Der Grund für diese Ordnung wird im nächsten Gliederungsabschnitt gegeben.
Nikolai Klimmek hat nach Wissen des Autors erst als erster auf die Eindeutigkeit dieser
Zuordnung hingewiesen, cf. Klimmek (), S. .
Die Fichteschen Begriffe Ich, Nicht-Ich und absolutes Ich sind nicht deckungsgleich mit dem
kantischen Begriffsgefüge, sofern es sich bei Kant nur um relative Setzungen im Denken handelt
(cf. Kap. ..).
Die Welt ist dasjenige, welches materialiter dem Ich als Subjekt der Vorstellungen als Re-
ferenzpunkt gegenübersteht, cf. hierzu Kap. ...
Zur Legitmitiät des Absolutheitsbegriffes bei Kant cf. KrV, A f. | B f.; S. f., und
Heimsoeth (), S. .
156 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
menhang verweisen.²⁰³ Die Vernunft kann damit nur diejenigen Regeln zur Einheit
bringen, welche in ihrem logischen Verbund diese erst ermöglichen. Die Einheit
der Regeln wird zwar aus dem Prinzip erkannt, jedoch nicht durch das Prinzip
gesetzt. Als Konsequenz dieser im Folgenden zu diskutierenden Interpretations-
frage wird zweitens zu klären sein, worin der bloße Vernunftbegriff der Seele als
der ersten Idee in seiner reinen Notionsstruktur besteht. Dieser kann indes in
nichts anderem liegen als im Begriff der ideal-funktionalen Subjektivität, i. e. der
Apperzeption.²⁰⁴
Mit dem Bezug auf die reflektierende Urteilskraft rechtfertigt Kant den Gebrauch der Vernunft
in Hinblick auf die besonderen Naturgesetze als Regulativ, cf. KdU, B XXVI; AA V, ; S. .
Natterer betont richtigerweise, dass der Gegenstand der kantischen Kritik nicht die Existenz
des kognitiven Subjektes betrifft, „sondern nur und genau apodiktische Behauptungen zur
Geistseele als ontologisches Subjekt“. Natterer (), S. .
2.1 Die kantische Prinzipienlehre – Die Funktionen der Vernunft 157
Ad (3): Die metaphysische Deduktion der Ideen kann mit dem Verweis auf die
zwei Deduktionsschritte als abgeschlossen betrachtet werden. An der Abge-
schlossenheit der metaphysischen Ideendeduktion ändert sich auch durch die
Frage nach der konkreten Struktur der Notionseinheiten prinzipiell nichts. Analog
wurde durch das Schematismuskapitel ebenfalls nicht das Ergebnis des § 24 der
Kritik der reinen Vernunft revoziert, respektive substituiert.²⁰⁵ Es ist an dieser Stelle
also nicht das Ziel der Interpretation, das Ergebnis der metaphysischen Deduktion
in Frage zu stellen noch ihr Unternehmen von neuem zu beginnen, sondern es gilt,
den Grund, respektive den Ursprung der durch die Ideen gestifteten Einheit vom
Begriff dieser Einheit neu zu fassen. Die Kategorientafel ist in verschiedenen
Hinsichten eingeteilt (s. Abb. 11), bzw. die Kategorien bilden untereinander un-
terschiedliche Einheiten. So umfasst die Viererteilung die Kategorieneinheit der
vier Titel (Quantität, Qualität, Relation, Modalität). Die erste Zweiteilung bildet die
Einheit der Kategorien erstens als Gegenstandsbestimmungen und zweitens als
Bestimmungen der Existenz derselben, entweder in Beziehung auf einander
(Relation) oder im Verhältnis auf die Bedingungen des Verstandes (Modalität).
Kant nennt die eine Kategoriengruppe mathematisch, die andere dynamisch.²⁰⁶
Die zweite Zweiteilung betrifft eher die Urteilsebene der Kategorien, und zwar
zwischen denjenigen Bestimmungen, welche sich auf den Inhalt eines Urteils
beziehen (Quantität, Qualität und Relation) und solche, welche bloß auf seine
Form Bezug nehmen (Modalität).²⁰⁷ Die vierte Einteilung, nämlich die Einheit der
jeweiligen Momente gleichen Indizes, deutet sich zwar schon in der trichotomi-
schen Struktur der logischen und erkenntnisfunktionalen Bestimmungsmomente
an,²⁰⁸ jedoch wird sie erst durch die Einführung der Ideentrias zur begrifflichen
Einheit gebracht. Vordringliche Frage ist also, ob die Einheit der Notionen, re-
spektive die der Kategorien erst durch eine besondere Handlung der Vernunft
zustande kommt, oder ob diese Einheit bereits in der Verstandesstruktur vor-
handen ist. Leitet sich also die Einheit der Verstandesregeln aus der Vernunft-
einheit ab,²⁰⁹ oder setzt die Vernunfteinheit die Einheit der Verstandesregeln
voraus, welche diese nur noch auf Begriffe zu bringen braucht? Es ist leicht zu
sehen, dass beide Lösungen sich wechselseitig zur Konsequenz haben, so dass die
Interpretation notwendig auf einen Zirkel führt: Um die Einheit des Verstandes zu
erzeugen, muss die Vernunft sich der Verstandesregeln – in einem unbedingten
Gebrauch – bedienen.Wenn dies so ist, dann muss die Einheit des Verstandes aber
bereits vor der Vernunfthandlung im Verstand selbst angelegt sein, da die Ein-
heitsfunktion der Vernunft die faktische Einheit der Verstandesfunktionen logisch
präsupponiert. Dieser Zirkel kann auch nicht dadurch aufgelöst werden, dass eine
der Teilannahmen sich entweder als falsch oder aber als subsumierbar unter die
andere erweist. Aufgabe der Interpretation muss also sein zu zeigen, dass es sich
bei diesem Zirkel um einen notwendigen Zirkel handelt. Dies gelingt nur, wenn
einsichtig gemacht werden kann, dass das Prinzip der Einheit des Verstandes und
die reine Vernunfthandlung, respektive als Ergebnis die Vernunfteinheit als ihr
Ergebnis letztlich identisch sind.
Der erste Schritt zur Lösung dieser Schwierigkeit wurde bereits durch die
Bestimmung der Vernunfthandlung als rekursive Verstandestätigkeit gemacht.
Der Verstand als Denkvermögen im Allgemeinen nimmt als Vernunft auf seine
eigenen Regeln Bezug, indem er diese unter allgemeine Regeln subsumiert oder
von besonderen Regeln auf allgemeinere Gesetze reflektiert.²¹⁰ Der Verstand
schafft also Einheit unter den Erscheinungen, indem er diese gemäß den Sche-
mata Begriffen subsumiert, die Vernunft generiert eine Ordnung der Begriffe als
Regeln, indem sie diese unter ein bestimmtes Prinzip stellt, welches im Begriff der
Idee vorgestellt wird. Für die Verstandeshandlungen gilt, dass sie der Form nach
der absoluten Einheit des Verstandes entspringen.²¹¹ Diese Einheit muss sich auf
den Verstand als bloßes, mithin nicht auf die Sinnlichkeit bezogenes Vermögen
beziehen, also den bloßen Verstand als reines Urteilsvermögen. Das Urteilsver-
mögen selbst ist wiederum durch die bloßen, d. h. unschematisierten Kategorien,
die Urteilsfunktionen strukturiert. Die gestellte Aufgabe lässt sich daher nur lösen,
wenn von der logischen Einheit des Verstandes gezeigt werden kann, dass diese
ihren Ursprung in einer reinen, selbstbezüglichen Handlung des Verstandes hat.
Diese gesuchte Handlung kann nun natürlich keine andere sein als die der Ap-
perzeption. Damit ist die Untersuchung zu ihrem Kern gelangt: Der vollständigen
Herleitung aller Urteils- und damit aller Verstandesfunktionen aus der ur-
sprünglichen Struktur der Subjektivität, der Apperzeption.
Mit Blick auf die Problemlage der metaphysischen Deduktion deuten sich
sowohl das Problem als auch die Lösung der Frage nach der Einheit des Ver-
standes bereits an. So wurde der Verstand im Ausgang von Kapitel in 1.3.4 be-
schrieben als das sich bestimmend bestimmt denkende Denken. Galt dies in der
metaphysischen Deduktion der Kategorien aus den logischen Funktionen des
Verstandes nur für die einzelnen Begriffe, so greift die Frage nach der genetischen
Deduktion weiter. Nicht nur die Selbstbestimmung des Denkens mittels seiner
logischen Funktionen, welche für die metaphysische Deduktion noch als gegeben
angesehen wurden, steht zur Disposition, sondern die Herkunft der Funktionen
selbst. Da die Funktionen selbst Modi der vier Bestimmungshandlungen dar-
stellen, welche in den vier Titeln der Kategorientafel ausgedrückt sind, müssen
diese Handlungen als Modi einer ursprünglichen Handlung ausgewiesen werden.
Dass diese ebenfalls nur in der Selbstbestimmung des Denkens zu finden sein
kann, ist Kern der folgenden Untersuchung. Es zeigt sich also, dass die Lösung der
metaphysischen Deduktion bereits einen Vorgriff auf die genetische Deduktion
darstellt.
Die Apperzeption für den Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel zu nutzen,
stellt keine neue Strategie dar. Den hierbei wegweisenden wie paradigmenge-
benden Ansatz bildet natürlich die Dissertation von Klaus Reich aus dem Jahre
1932. Der hier vorgelegte Beweisgang unterscheidet sich jedoch fundamental
sowohl von dem Reichs als auch von den Ableitungsstrategien anderer Inter-
preten, sofern dieser vom Paralogismuskapitel der transzendentalen Dialektik
und nicht von der transzendentalen Deduktion seinen Ausgang nimmt. Für diese
prima facie ungewöhnlich anmutende Strategie gibt es mehrere Gründe: So be-
steht die primäre Aufgabe der transzendentalen Deduktion nicht in der Analyse
des Selbstbewusstseins. In der Deduktion geht es vielmehr darum, die Gültigkeit
der reinen Verstandesbegriffe für die Gegenstände der Erfahrung zu demon-
strieren. Die Deduktion nimmt dabei nicht von der Apperzeption als apriorischer
Struktur des Selbstbewusstseins ihren Anfang, sondern sie läuft in ihrer Be-
weisführung vielmehr auf die Apperzeption als ihren „höchsten Punkt“ zu. Setzt
man also die Apperzeption an den Anfang der Deduktion, kehrte man die Richtung
der kantischen Beweisführung um. Das Paralogismuskapitel dagegen hat den
Vorteil, dass sich Kant in diesem direkt mit der Subjektivität, respektive mit dem
Denken derselben beschäftigt. Er tut dies in der Dialektik primär unter dem Ge-
sichtspunkt der Missbräuchlichkeit des Vernunftvermögens, welche in der Hy-
potypisierung des bloßen Vernunftbegriffs besteht. Bevor es jedoch zu den be-
kannten Fehlschlüssen der Vernunft in Bezug auf die Sinnlichkeit kommen
kann,²¹² muss der „Gegenstand“ des Irrtums, die logische Form der Vernunft-
einheit, idealiter vorhanden sein. Die Apperzeption in ihrer formalen Struktur ist
Die Vernunft irrt für sich genommen nie, sondern nur in Bezug auf die Sinnlichkeit, cf. KrV, A
| B f.; S. .
160 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
daher die logische Voraussetzung für den subreptiven Begriff des Selbstbe-
wusstseins als Seele, i. e. die apperceptionis substantiatae. ²¹³ Von diesem lässt sich
demnach die ursprüngliche Notionsstruktur der Apperzeption selbst ermitteln
und damit auf die Urteilsfunktionen aus den Vollzugsweisen der Form des ap-
perzeptiven Selbstbewusstseins schließen. Der Beweis kann jedoch dann erst als
abgeschlossen betrachtet werden, wenn gezeigt werden kann, dass sich die Ur-
teilsfunktionen aus der Selbstbestimmung des sich apperzipierenden Subjekts
logisch gegenseitig fordern, so dass eine Ableitungsreihe der Urteilsformen er-
kennbar wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Reihenfolge der
Ableitung in der Reihenfolge der Paralogismen der Seelenidee wiederfindet. Die
Deduktion der A und B Auflage wird anschließend diese Folgeordnung der Ver-
standeshandlungen (Relation, Qualität, Quantität und Modalität) geprüft. Es wird
sich zeigen, dass sich diese ursprüngliche Ordnung der Kategorien sowohl in der
transzendentalen Deduktion der Auflage von 1781 als auch in der von 1787
wiederfindet. Darüber hinaus wird diese Reihenfolge, mit Blick auf die Gliede-
rungsabschnitte 3.1 und 3.3, auch in der Genesis der Erfahrung und in Bezug auf
das transzendentale Objekt als Correlatum des Erfahrungsgegenstandes²¹⁴ eine
grundlegende Rolle spielen.
Der Beweis der Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel gilt als eines der zen-
tralen Desiderate der Kantforschung, dessen Bedeutung für die kantische Philo-
sophie, insbesondere die Kritik der reinen Vernunft, in ihrer systematischen Re-
levanz kaum zu unterschätzen ist,²¹⁵ da sich sämtliche Bestimmungen Kants von
der theoretischen über die praktische Philosophie bis hin zur Ästhetik, direkt oder
indirekt auf die Urteilstafel beziehen.²¹⁶ Dass Kant gerade an diesem wichtigen
Punkt der Kritik keinen Beweis für die Abgeschlossenheit der elementaren Ur-
teilsformen vorlegt, wurde daher schon früh als zentrale Leerstelle (neben dem
ungeklärten Begriff der Affektion) empfunden. Der scheinbare Widerspruch zu
Kants eigener Forderung, dass die Kategorien nicht bloß „aufzuraffen“ sind, wie
dies seiner Meinung nach Aristoteles getan habe,²¹⁷ sondern diese aus einem
Prinzip abzuleiten sind,²¹⁸ verstärkte diese kritische Tendenz. Der wirkungs-
mächtigste Kritiker Kants ist sicherlich Hegel. Nach ihm habe Kant sich selbst
dessen schuldig gemacht, was er Aristoteles’ Kategorienlehre vorwirft, nämlich
die Kategorien bloß aufgegriffen zu haben.
Die Vielheit der Kategorien aber auf irgend eine Weise wieder als einen Fund, zum Beyspiel
aus den Urtheilen, aufnehmen, und sich dieselben so gefallen lassen, ist in der That als eine
Schmach der Wissenschaft anzusehen […].²¹⁹
Die Kantische Philosophie begeht hierin eine weitere Inkonsequenz: sie entlehnt für die
transzendentale Logik die Kategorien als sogenannte Stammbegriffe aus der subjektiven
Logik, in welcher sie empirisch aufgenommen worden. Da sie letzteres zugibt, so ist nicht
abzusehen, warum die transzendentale Logik sich zum Entlehnen aus solcher Wissenschaft
entschließt und nicht gleich selbst empirisch zugreift.²²⁰
Glücklicherweise finden sich in der gewöhnlichen Logik die verschiedenen Arten des Urteils
bereits empirisch angegeben vor. Urteilen aber ist Denken eines bestimmten Gegenstandes.
Die verschiedenen schon fertig aufgezählten Urteilsweisen liefern also die verschiedenen
Bestimmungen des Denkens. ²²¹
Diese Kritik Hegels wird an Schärfe noch von Windelband übertroffen. Seiner
Ansicht nach „raffe“ Kant die Urteilsformen nicht einmal aus der Empirie auf,
sondern finde sie in den Logiklehrbüchern seiner Zeit.²²² Damit wäre dem ur-
sprünglichen Anspruch Kants, die Urteilsformen aus einem Prinzip gefunden zu
haben, die größtmögliche Absage erteilt worden.
In summa kommen die Kritiker Kants darin überein, dass Kant keine genetische
Ableitung der Kategorien unternommen habe, in der er deren Bedeutung und
Gültigkeit aus einem Prinzip entwickelte, sondern die Kategorien bloß faktisch
aufweist. Der Kern der kantischen Kritik erweise sich damit selbst als dogmatisch.
Die ersten Kantianer, namentlich Reinhold und Fichte,²²³ versuchten daher dem
Mißstand der fehlenden Ableitung durch die Einführung eines erstens Prinzips
oder Grundsatzes²²⁴ abzuhelfen, von dem aus die Urteilsfunktionen, respektive
Kategorien abgeleitet werden könnten.²²⁵ Dies führte bekanntlich im Laufe des
deutschen Idealismus zu einer kreativen Bewegung, welche jedoch in ihren
Ausgestaltungen mit dem ursprünglichen System des kritischen Idealismus wenig
gemein hatte.
In Anschluss an Hegel können zwei Haupttendenzen der Kantexegese und
-kritik gefunden werden. Die eine, negative, verwirft die Urteilstafel, respektive die
Art und Weise, mit der Kant sie vorlegt, in Gänze und bemüht sich um eine eigene
Strategie zur Auffindung der elementaren Verstandesformen.²²⁶ Die andere, af-
firmierende zweifelt zwar nicht an der Gültigkeit oder Vollständigkeit der Ur-
teilstafel, jedoch an der Möglichkeit ihrer Ableitung, so dass die Urteilsfunktionen
als „’schlichte Voraussetzungen’ neben der Apperzeptionseinheit“²²⁷ stehen.²²⁸
Gerade im Gegensatz zu Fichte, der seine eigene Philosophie bekanntlich als
Fundamentierungsprogramm des kantischen Systems verstand, zeigt sich der
Konflikt um den kritischen Idealismus besonders frappant. So nahmen viele
Kantianer zwar die Lücken im kantischen System, vornehmlich das Vollständig-
keits- und Affektionsproblem, als (fundamentale) Schwierigkeiten wahr, zogen
daraus jedoch nicht die Konsequenz, Fichtes Wissenschaftslehre zu folgen. Vor
diesem Hintergrund wirkte die Dissertation von Klaus Reich aus dem Jahre 1932
geradezu als Befreiungsschlag, mit dem sich die kantische Philosophie gegen die
Einwürfe der Fichtianer einerseits als auch gegen die der Hegelianer andererseits
behaupten konnte.²²⁹
Zu Fichtes Deduktion der Kategorien cf. Janke (), S. ff.
So bei Reinhold der „Satz des Bewusstseins“.
Cf. Fichte () passim und Fichte (), S. .
Fichtes Egologie und Hegels Dialektik sind hier beispielhaft.
Wittek (), S. .
So auch Heidegger: „In der Tat entwickelt Kant die Mannigfaltigkeit der Funktionen im Urteil
nicht aus dem Wesen des Verstandes. Er legt vielmehr eine fertige Tafel vor, die nach den vier
„Hauptmomenten“ Quantität, Qualität, Relation, Modalität gegliedert ist. Ob und inwiefern gerade
diese Momente im Wesen des Verstandes gründen, wird gleichfalls nicht gezeigt.“ Heidegger
(), S. f. Ähnlich in jüngerer Zeit: Baumanns (), S. , Lorenz (), S. ff.
Ein guter Überblick über die Geschichte der Versuche, die Vollständigkeit der Urteilstafel zu
demonstrieren, findet sich bei Brandt (), S. ff., und Baumanns (), S. ff.
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 163
Nahezu alle Arbeiten²³⁰, die in jüngerer Zeit über die Frage der Vollständigkeit
verfasst wurden, orientieren sich daher im positiven wie im negativen Sinne
vornehmlich an der Reichschen Dissertation;²³¹ letzteres gilt für Reinhard
Brandt²³², ersteres trifft auf Michael Wolff²³³ zu.²³⁴ Reichs Grundthese, dass sich die
Titel und Momente der Urteilstafel aus der Einheit der Apperzeption herleiten
ließen, kann dementsprechend als paradigmengebend bezeichnet werden. Brandt
nimmt eine besondere Stellung unter den Kritikern der Reichschen These ein.²³⁵
Die Bedenken gegen diese betreffen sowohl Inhalt als auch Methode. Methodisch
ist Reichs Vorgehen der Rekonstruktion eines von Kant intendierten, jedoch nicht
umgesetzten Beweises der Vollständigkeit²³⁶ anhand von „apokryphen“ Frag-
menten der sogenannten Reflexionen zweifelhaft.²³⁷ Nach Brandt muss sich der
Beweis, wenn er denn zu finden sein sollte, innerhalb der A-Auflage der Kritik der
reinen Vernunft befinden und zwar noch innerhalb des Leitfadenkapitels. Der
Erläuterungstext (A 71– 76) müsse die Gründe für die Vollständigkeit der Momente
geben.²³⁸ Reich stütze sich dagegen auf den Begriff der Apperzeption, welcher
erstens seine prominente Stellung erst in der B-Auflage bekommt und zweitens in
dem für Brandt maßgeblichen Leitfadenkapitel gar nicht vorkomme. Wolff hält
dagegen, dass die Apperzeption mit dem Begriff des Verstandes identisch und als
solche im Leitfadenkapitel zu finden sei.²³⁹ Generell sind die Einwände und Be-
denken Brandts gerechtfertigt. Inwieweit durch diese jedoch ein Vollständig-
keitsbeweis ausgeschlossen ist, wird im Folgenden zu zeigen sein. Auf der Basis
von Brandts Kritik an Reich lässt sich allerdings ein Forderungskatalog erstellen,
welcher die Paradigmen für einen möglichen Beweis liefern kann.
Der interessante aber nichtkantische Ansatz zum Beweis der Vollständigkeit von Ralf Win-
gendorf kann hier leider nicht diskutiert werden, cf. Wingendorf () und Baumanns (),
S. .
Cf. Reich ().
Cf. Brandt ().
Cf. Wolff ().
Cf. Baumanns (), S. ff.
Cf. Baumanns (), S. .
Cf. Reich (), S. f.
Cf. Brandt (), S. .
Cf. Brandt (), S. .
Cf. Wolff (), S. .
164 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Es ist Brandt darin zu folgen, dass angesichts der eminenten Bedeutung der Ur-
teilstafel Kant die Idee ihrer Vollständigkeit bereits in der A-Auflage gehabt haben
müsse. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die B-Auflage für den Vollstän-
digkeitsbeweis in Bezug auf die Klarheit der Beweisstruktur keine Relevanz be-
sitzt.
Mit der zweiten These konkretisiert Brandt die erste und verschärft diese noch:
(2) Die Beweisgründe für die Vollständigkeit müssen im Leitfadenkapitel zu
finden sein.
Es ist evident, dass sich die Beweisgründe an demselben Ort befinden müssen, wie
der Beweisgegenstand. Dies ist ein Gebot wissenschaftlicher Vernunft, welchem
Kant entsprochen haben dürfte. Damit geht jedoch keineswegs einher, dass der
Beweis selbst dort zu finden sein müsse.²⁴⁰ Im Leitfadenkapitel geht es Kant eben
nicht um die genetische Deduktion der Urteilstafel und den Beweis ihrer Voll-
ständigkeit, sondern um die Auffindung der Kategorien. Das zur Bestätigung der
Ableitungsabsicht der Urteilstafel von Wolff herangezogene Zitat²⁴¹ ist dement-
sprechend auch nicht in der von ihm insinuierten Weise zu interpretieren.
Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die
Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann. Daß dies aber sich ganz
wohl bewerkstelligen lasse, wird der folgende Abschnitt vor Augen stellen.²⁴²
Mit dem Ausdruck „vor Augen stellen“ betont Kant die Kongruenz der Urteils- und
Kategorientafel. An dieser Stelle ist noch keine Rede von einer Deduktion der
Baumanns betont den „exzessiven Charakter“ der Bemühungen Brandts, sich gänzlich in
seiner Beweisführung auf das Leitfadenkapitel stützen zu wollen und damit Kants eigenen Hin-
weis, sich der „Idee des Ganzen zu bemächtigen“ (cf. KrV, A | B , S. .), zu ignorieren, cf.
Baumanns (), S. .
Wolff (), S. .
KrV, A | B , S.
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 165
Kategorien als Begriffe aus den elementaren Urteilsformen, sondern es wird nur
auf die synoptische Evidenz ihrer Kongruenz Bezug genommen.²⁴³ Die Interpre-
tation Wolffs, dass Kant aus den Urteilsformen, die Urteilsfunktionen ableiten
wolle, beruht auf einem von Baumanns²⁴⁴ als unkantisch erwiesenen Beweis-
fundament, i. e. seine Unterscheidung zweier „ineinandergeschobener Tafeln“.²⁴⁵
Mit den „Funktionen des Verstandes“ sind die Kategorien gemeint, die als be-
griffliche Funktionen des Verstandes als Denkvermögen aus den logischen
Funktionen des Verstandes als Urteilsvermögen gewonnen werden. Das Zitat ist
daher nicht „änigmatisch“²⁴⁶, sondern greift die vorher von Kant eingeführte
Unterscheidung des Verstandes als Denk- und Urteilsvermögen auf und bezieht
sich damit direkt auf die Absicht der metaphysischen Deduktion.
Zusätzlich zu diesen äußeren Bedingungen müssen zweitens für den Voll-
ständigkeitsbeweis selbst bestimmte systematische Paradigmen erfüllt sein:
So bildet die Ableitung der Urteilsformen aus einem Prinzip sicherlich die
zentrale Forderung. Erst wenn die einzelnen Verstandesfunktionen als Grund-
begriffe der Transzendentalphilosophie „nach einem Prinzip“²⁴⁷ ermittelt werden,
kann der Beweis als geglückt gelten. Dass es sich nicht um eine Vielheit ver-
schiedener Prinzipien handeln kann, ist darüber hinaus durch den logischen
Gebrauch der Vernunft postuliert, welche die Rückführung der Regeln auf die
kleinst mögliche Anzahl an Prinzipien fordert.²⁴⁸ Für den gesuchten Vollstän-
digkeitsbeweis der Urteilstafel gilt also:
(3) Alle Urteilsfunktionen müssen aus einem Prinzip abgeleitet werden.
Die Forderung, dass die Ableitung der Begriffe des reinen Verstandes aus einem
Prinzip zu geschehen hat, stellt Kant selbst.
Die Transzendentalphilosophie hat den Vorteil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe
nach einem Prinzip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit [Her-
vorhebung, M. B.], rein und unvermischt entspringen, und daher selbst nach einem Begriffe,
oder Idee [Hervorhebung, M. B.], unter sich zusammenhängen müssen. Ein solcher Zu-
sammenhang aber gibt eine Regel an die Hand, nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff
seine Stelle und allen insgesamt ihre Vollständigkeit a priori bestimmt werden kann, welches
alles sonst vom Belieben, oder vom Zufall abhängen würde.²⁴⁹
Diese Textstelle ist von ausgesprochener Wichtigkeit für die Frage der Vollstän-
digkeit, da sie die entscheidenden Hinweise darauf gibt, die zum bestimmungs-
logischen Vollständigkeitsbeweis führen werden, nämlich erstens worin das
Prinzip besteht, aus dem die reinen Verstandesbegriffe abzuleiten sind; zweitens
in welchem Zusammenhang die Verstandesbegriffe zueinander stehen; drittens,
wo der Beweis der Vollständigkeit zu lokalisieren ist.²⁵⁰
Aus dem dritten Paradigma lassen sich weitere, direkt mit diesem verbundene
Bedingungen für das Gelingen des Vollständigkeitsbeweises ableiten. Wenn ge-
fordert wird, dass sich der gesuchte Beweis nur erbringen lässt, wenn die Ur-
teilsformen aus einem Prinzip abzuleiten sind, dann scheiden prima facie erstens
solche Versuche aus, welche nicht die begriffliche Einheit des Prinzips berück-
sichtigen, zweitens solche, welche die Transzendentalität des gesuchten Prinzips
missachten. Das Prinzip kann also erstens nicht eine zufällige, aggregative Einheit
bilden, sondern diese muss sich notwendig aus dem Begriff des Prinzips selbst
ergeben. Zweitens kann das Prinzip nicht einfach empirisch aufgefunden werden,
sondern als transzendentales muss es sich notwendig in der Subjektstruktur
finden lassen. Wenn man dies zusammen nimmt, dann kommt als das gesuchte
Prinzip nur die Apperzeption selbst in Frage. Wenn die Urteilstafel also aus einem
Prinzip abgleitet werden soll, dann kann dieses Prinzip nur identisch sein mit der
Apperzeption. Daher ergibt sich aus der Bedingung (3) notwendig:
(3a) Alle Urteilsfunktionen müssen aus der Apperzeption abgeleitet werden.
Mit der Prämisse, die Urteilstafel aus der Apperzeption abzuleiten, sind natürlich
die bereits mit dem Reichschen Versuch verbundenen Probleme und Einwände
verknüpft, die es zu lösen und zu entkräften gilt. Darüber hinaus lassen sich noch
zwei weitere Bedingungen formulieren, die für die Ableitung der Urteilsformen aus
der Apperzeption notwendig erfüllt sein müssen: Eine direkte und eine auf die
Interpretation bezogene.²⁵¹ Wenn die Ableitung gelingen soll, dann muss unmit-
telbar gelten, dass „transzendentales Bewußtsein bzw. Apperzeption einerseits
und die logische Form als das Verhältnis zum transzendentalen Bewußtsein an-
dererseits“²⁵² in einem Ableitungsverhältnis zueinander stehen. Mit Bezug auf die
Reflexivität des transzendentalen Bewusstseins lässt sich dieses Ableitungsver-
hältnis der Urteilsformen als Verbindungsarten der Vorstellungen in einem
Der dritte Punkt betrifft auch die weiteren Bedingungen () und (), nämlich die immanente
Ordnung der Urteilsfunktionen.
Diese wird unter Punkt () diskutiert. Die hier genannten Bedingungen finden sich in
ähnlicher Form bei Brandt, der diese jedoch für unüberwindlich hält, cf. Brandt (), S. f.
Wittek (), S. .
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 167
möglichen Urteil konkretisieren, so dass sich als zweite Folgebedingung von (3)
ergibt:
(3b) Alle Verbindungsarten der Vorstellungen mit der Apperzeption müssen sich
aus der reflexiven Struktur der Apperzeption selbst ergeben.
Für die Binnenstruktur der Ableitung der Urteilsformen lassen sich wiederum zwei
Bedingungen finden. Die erste betrifft das Verhältnis der einzelnen Momente zu
ihren Titeln. Die einzelnen Urteilsformen und Kategorien sind bekanntlich als
Momente vier verschiedenen Titeln untergeordnet. Diese Beziehung der drei
Momente zu ihren Titeln ist wesentlich zum Verständnis der Tafeln überhaupt. Die
vier Titel sind nicht bloße Klassen, welche je drei Elemente enthalten,²⁵³ sondern
ihre Elemente sind darüber hinaus M o m e n t e der Titel. Ein Moment ist immer
wesentlich „Moment von“. Das Moment-sein impliziert also nicht die bloße
Subsumtion unter etwas, sondern Bestimmung von etwas. Die Urteilstitel, welche
die elementaren Bestimmungshandlungen bezeichnen, sind daher bestimmt
durch die Gesetze dieser Handlung, respektive fixiert durch die reinen Verstan-
desfunktionen.²⁵⁴ Die reinen Verstandesbegriffe sind daher Momente der reinen
Verstandeshandlungen, sofern sie die Regeln der Verstandeshandlungen be-
zeichnen. Der Vollständigkeitsbeweis muss also zum einen dieser logischen
Reihenfolge von Handlung und Fixierung der Handlung, d. h. von Titel und Mo-
ment folgen, zum anderen muss er der Trichotomie der Verstandesfunktionen
Rechnung tragen, also ihr Ableitungsverhältnis als Momente innerhalb der Titel
berücksichtigen. Als vierte Bedingung muss dementsprechend folgendes ge-
währleistet sein:
(4) Die trichotomisch geordneten Urteilsformen müssen aus ihrem Titel gewon-
nen werden.
Die vierte Bedingung blieb auf das Ableitungsverhältnis der Momente innerhalb
ihres jeweiligen Titels beschränkt. Ein Vollständigkeitsbeweis, so er denn zu
führen sein sollte, muss jedoch auch zeigen können, wie sich die reinen Ver-
standesbegriffe über ihre jeweiligen Titel, einerseits zum Prinzip der Ableitung,
der Apperzeption, andererseits innerhalb einer Ableitungsreihe zueinander ver-
halten. Es muss also gezeigt werden können, wie erstens die Titel und zweitens die
Momente auseinander zu gewinnen sind. Damit ergibt sich als fünfte Bedingung:
Zum Klassenbegriff der Kategorientitel und Ideen, cf. Klimmek (), S. .
cf. Kap. ... Es findet sich bei Kant ebenfalls eine Theorie freien Schematisierens, welche
wesentlich für das Verständnis seiner Ästhetik ist, cf. Exkurs: F) Das Schöne als Symbol des
Sittlichguten, S. .
168 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Die sechste und letzte Bedingung betrifft sowohl indirekt die Methode als auch
direkt die Systematik des Vollständigkeitsbeweises. Brandt insistiert mit einigem
Recht darauf, dass, wenn „die Urteilstafel aus dem Ich produziert“²⁵⁵, wird, nicht
klar ist, woher die Regeln für diese Ableitung stammen sollen. Kant, so scheint es,
gibt hierzu dem Interpreten keinen Hinweis an die Hand. Es hat also den An-
schein, als dass nur die Möglichkeit bestünde, eine Ableitung im Sinne Reichs „auf
eigene Faust“²⁵⁶ zu versuchen. Dann jedoch, so Brandt, müsse auf jegliche
Kantinterpretation, respektive auf den Anspruch, eine solche geliefert zu haben,
verzichtet werden.²⁵⁷ Wie also einerseits eine Ableitung der Urteilsformen über-
haupt im kantischen Sinne vollständig gelingen kann und dabei andererseits diese
Vollständigkeit unabhängig vom gewünschten Ergebnis, nämlich der Listung aller
Urteilsformen, als bewiesen gelten darf, ist eine zentrale Schwierigkeit der In-
terpretation. Trotz unserer Grundannahme, dass Kant sehr wohl Hinweise auf die
Ableitungsregel der Urteilsformen gegeben hat, ist Brandt darin Recht zu geben,
dass die Versicherung der Vollständigkeit der Ableitung nicht nur davon abhängen
darf, dass das Ziel, die Urteilstafel, erreicht wurde. Es muss für einen tatsächlichen
Vollständigkeitsbeweis ein logisches Kriterium geben, welches die Geschlossen-
heit der Ableitung verifiziert. Daher gilt:
(6) Die Vollständigkeit ist erst dann bewiesen, wenn die Annahme eines weiteren
Momentes einen logischen Widerspruch implizierte.
Mit dieser Forderung muss der Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel
gleichzeitig der Beweis ihrer logischen Geschlossenheit sein. Der Verweis auf die
bloße Assertion aller Momente und Titel reicht nicht aus, um diese Geschlos-
senheit hinreichend zu demonstrieren.
Nach Brandt ist es für eine wirkliche Ableitung der Urteilstafel aus der Ap-
perzeption notwendig, dass neben den bekannten Urteilsformen der Tafel auch
die Grundsätze der Logik aus der ursprünglichen Einheit der Apperzeption zu
gewinnen sind.²⁵⁸ Da Kant nicht explizit auf diese Notwendigkeit hinweist, jedoch
eine solche Herleitung sinnvoll erscheint, wird noch zu zeigen sein, dass der
Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel die Ableitung der logischen Grundsätze
mitliefert. Damit dies überhaupt gelingen kann, muss darüber hinaus gezeigt
Aus dem bisher Gesagten lässt sich für die bisherigen Bemühungen, die Voll-
ständigkeit der Urteilstafel zu beweisen, ein negatives Resümee ziehen. Keiner der
bisherigen Versuche erfüllt alle sieben Bedingungen:
Reichs Versuch ist methodisch zweifelhaft, sofern die Bedingungen (1) und (2)
nicht erfüllt werden. Zwar erfüllt er durch seine Ableitung der Tafel der Urteils-
formen aus der Apperzeption die Bedingung (3), jedoch trägt er weder der tri-
chotomischen Ordnung in Bezug auf die Verhältnisstruktur der Momente in An-
sehung ihrer Titel Rechnung (4), noch weist seine Interpretation eine kohärente
Bedingungsstruktur innerhalb der Urteilstafel selbst auf, so dass die Bedingung
(5) nicht erfüllt sein kann.
Brandt bemüht sich im Gegensatz zu Reich um methodisch-hermeneutische
Einsichtigkeit. Da er jedoch die Urteilstafel nicht aus einem Prinzip ableitet,
sondern vom apophantischen Musterurteil p(x& her entwickelt, bleiben die Be-
dingungen (3) bis (5) unberücksichtigt.
Wolffs elaborierter Ansatz, der eine Reformulierung der Reichschen Grund-
idee auf Basis der Kritik Brandts anstrebt, erfüllt die Bedingungen (1) bis (3).
Unabhängig von der kontestabelen Prämisse der ineinander geschobenen For-
men- und Funktionstafel resultiert jedoch aus Wolffs Ablehnung der Idee einer
Deduktion der Urteilsformen²⁵⁹ die Nichterfüllung der Bedingungen (4) bis (5).
A minori erfüllen alle drei Interpretationsstrategien nicht die logische Be-
dingung (6) und auch nicht die Zusatzbedingung (7).
Den ersten Schritt zum Vollständigkeitsbeweis der Urteilsformen bildet die Ana-
lyse ihres Ableitungsprinzips, also der Apperzeption. Da ihr Begriff eng mit Kants
Projekt der transzendentalen Deduktion der Kategorien verbunden ist, stellt es für
das Verständnis der Apperzeption und ihrer Beziehung auf das transzendentale
Subjekt der Erkenntnis eine Notwendigkeit dar, ihre Funktion innerhalb der De-
duktion auf ihre Möglichkeit hin zu bestimmen. Der aus dieser Analyse gewon-
nene Begriff der Apperzeption ist danach auf seine inhärente, kategoriale Struktur
zu untersuchen, um damit seine Verzahnung mit der Tafel der Urteilsformen of-
fenzulegen.²⁶⁰ Erst danach kann versucht werden, die Tafel der Urteilsfunktionen
aus der inhärenten Notionsstruktur der Apperzeption abzuleiten. Damit der Be-
weis dieser Ableitbarkeit der Urteilsformen aus der ursprünglichen Einheit der
Apperzeption jedoch erbracht werden kann, muss von dieser dreierlei gezeigt
werden:
I. Die Einheit der Apperzeption stellt eine Prinzipieneinheit dar und ist damit im
weitesten Sinne aus einer Vernunfttätigkeit gewonnen, wie sie in 2.1 be-
schrieben wurde.²⁶¹
Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, kann die Einheit der Verstandesregeln aus
der Apperzeption als reflexive Denkhandlung einsichtig gemacht werden.
II. Die Einheit der Apperzeption ist identisch mit dem Einheitsprinzip des Ver-
standes.
Von dieser Bedingung hängt die Möglichkeit ab, die von Kant selbst geforderte
Verbindlichkeit der Transzendentalphilosophie einzulösen, „ihre Begriffe nach
einem Prinzip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein
und unvermischt entspringen […].“²⁶² Erst mit der Erfüllung der dritten Bedingung
jedoch ist der Boden für den Vollständigkeitsbeweis der Urteilstafel vollends
bereitet:
III. Diese Einheit der Apperzeption muss als der reine, unschematisierte, d. h.
bloße Verstand selbst erwiesen werden.
Erst vor dem Hintergrund der dritten Bedingung kann die Identität von apper-
zeptiver Notions- und formaler Verstandesstruktur verständlich werden.
Dem Erreichen dieser Zwischenziele auf dem Weg zum Vollständigkeitsbeweis
sind jedoch Widerstände in den Weg gesetzt. Diese betreffen einerseits das Be-
Im Gegensatz zu Guyer (), S. ff., vertreten wir die Ansicht, dass die Apperzeption
keineswegs einen (formal‐)leeren Begriff darstellt, sondern bereits in der transzendentalen De-
duktion ihre Prinzipienstruktur offenbart. Zur Kritik an Guyer, cf. Baumanns (), S. f.
Pissis (), S. , bezeichnet die Apperzeption unumwunden als Begriff eines Unbe-
dingten und damit als Idee.
KrV, A | B , S..
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 171
Das Besondere, welches sich in der Analyse der Apperzeption in Rücksicht auf
diese vier Verhältnismöglichkeiten findet, besteht darin, dass sich durch diese
anscheinend widersprechende Bestimmungen der Apperzeption finden lassen,
wie sich anhand der Analyse des § 16 der transzendentalen Deduktion nachweisen
lässt. So charakterisiert Kant die Apperzeption einerseits in Hinblick auf die
Vorstellung der ursprünglichen Einheit des Subjekts als das „Ich denke“.
Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in
mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches eben so viel heißt, als
die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige
Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. Also hat alles
Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben
Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird.²⁶⁹
Das von Kant hier vorgelegte Argument, dass der Bezug auf die Vorstellung des Ich
denke notwendig sei, da ohne diesen jede Anschauung als Vorstellung unmöglich
wäre, lässt sich folgendermaßen rekonstruieren:
(1) Wenn X eine Vorstellung ist, dann muss X von der Vorstellung „Ich denke“
begleitet werden können.
(2) Wenn X nicht von der Vorstellung „Ich denke“ begleitet werden kann, dann
kann X nicht gedacht werden.
(3) Wenn X nicht gedacht werden kann, dann ist X entweder keine Vorstellung
oder X kann für mich keine Vorstellung sein.²⁷⁰
(4) Also muss jede Vorstellung von der Vorstellung „Ich denke“ begleitet werden
können.²⁷¹
(5) Es existiert eine Vorstellung, welche vor jedem Denken liegt: Anschauung.²⁷²
(6) Nun muss es nach (4) möglich sein, dass jede Vorstellung von dem „Ich
denke“ begleitet wird.
(7) Es ist also nicht möglich, dass eine Anschauung nicht vom „Ich denke“ be-
gleitet werden kann.
(8) Also ist der Bezug jeder Anschauung auf das „Ich denke“ notwendig,²⁷³ (so-
fern sie vom selben Subjekt gedacht wird.)²⁷⁴
Diese Vorstellung aber ist ein Aktus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit
gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die reine Apperzeption, um sie von der empirischen
zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperzeption, weil sie dasjenige Selbstbe-
wußtsein ist, was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß
Kant lässt in diesem Schritt bewusst offen, ob es eine Vorstellung von etwas geben kann, was
von uns niemals vorgestellt werden kann. Klassische Kandidaten für nichtmenschliche Träger
solcher Vorstellungen wären Gott, die Engel, Adam vor dem Sündenfall oder sogar außerirdische
Intelligenzen.
Die Möglichkeit der Begleitvorstellung der Apperzeption im Kontrast zur Wirklichkeit ihres
Begleitens ist von großer Bedeutung für die gesamte Theorieanlage von Kants Lehre des trans-
zendentalen Selbstbewusstseins und wird dementsprechend im Folgenden eine große Rolle
spielen, insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem von Klass problematisierten Rahmen
seiner adäquaten Interpretation am Ende dieses Gliederungsabschnittes.
Das Vorgängige der Anschauung muss in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Synthesis
gelesen werden, welches alles Denken abzweckt. Dies wird im Zusammenhang der Unterschei-
dung der Empfindungsmannigfaltigkeit vor und in der Wahrnehmung wesentlich sein. Cf.
Kap. .. und ...
Aus dem „nicht-möglich, dass nicht“ folgt modallogisch die Notwendigkeit und vice versa.
Die Notwendigkeit des Bezuges muss, um logisch zwingend zu sein, als Notwendigkeit des
Begleitenkönnens und nicht des Begleitens aufgefasst werden.
174 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet
werden kann.²⁷⁵
Bemerkenswert an dieser weiteren Erklärung ist, dass Kant von der Erklärung der
Nichtempirizität der synthetisierenden Ichvorstellung direkt zu ihrem Ursprung in
der Spontaneität überleitet, ohne dabei zwischen dem Gegründetem, i. e. der
hervorgebrachten Vorstellung des „Ich denke“, und seinem Grund, i. e. die sie
hervorbringende Spontaneität als ursprüngliche Apperzeption, zu unterscheiden.
Im Ausdruck „oder auch“ deutet sich dagegen eine Synonymitätsbeziehung an.
Damit liegt es nahe, die Apperzeption mit dem Ich als Subjekt der apperzeptiven
Vorstellung des eigenen Denkaktes zu identifizieren.²⁷⁶ Dies brachte viele Autoren,
wie beispielsweise Heimsoeth,²⁷⁷ dazu, die Vorstellung der ursprünglichen Ap-
perzeption mit der gänzlich unerkennbaren Idee des Ichs an sich selbst zu
identifizieren, woraus sich die Unerkennbarkeit der Apperzeption selbst ergebe.²⁷⁸
„Was ich von mir erkenne, kann immer nur das (auf Grund zeitlicher Anschauung
im inneren Sinne) „bestimmbare“ Ich sein: „empirische“ Apperzeption und nicht
die reine.“²⁷⁹ Ebenso versteht Peter Rohs die transzendentale Apperzeption „als
gleichbedeutend mit „Ich“ oder „Selbst““.²⁸⁰ Eine andere Interpretation, welche
jedoch im Kern der Gleichsetzung von Apperzeption und apperzipierendem
Subjekt folgt, ist die Rolf-Peter Horstmanns. Dieser versucht, die Relation von
Apperzeption und denkendem Subjekt als dynamisch-prozessuale gleichur-
sprünglich zu denken.²⁸¹ In Entgegnung der an Jacobi anschließenden Kantkritik
an der Lehre von der Unerkennbarkeit der Ansichstruktur und der damit ein-
hergehenden Virtualität von Welt- und Selbsterfahrung versucht Horstmann
deutlich zu machen, dass diese auf einer fehlgeleiteten, substantialistischen
Der Akt des Aufnehmens geht einher mit der Konstitution dessen, in das aufgenommen wird,
d. h. die Einheit der Apperzeption wird im Aufnehmen von Mannigfaltigem selbst erst her-
gestellt.²⁸⁴
Horstmanns Ansatz hat den scheinbaren Vorteil, dass sich die Relation (a), i. e. die
Beziehung der Apperzeption auf das Subjekt des transzendentalen Bewusstseins,
auf die Beziehung der Vorstellungseinheit zur Mannigfaltigkeit reduzieren lässt
(d).²⁸⁵ Damit scheint einerseits die Annahme einer logisch vorgängigen Einheit der
Apperzeption, andererseits die Annahme eines transzendenten Grundes des
Transzendentalen überflüssig. Das transzendentale Subjekt der Vorstellung wird
in Horstmanns Interpretation so zum bloßen Adhärens der Verbindung von Ap-
perzeptionseinheit und Vorstellungmannigfaltigkeit degradiert.²⁸⁶ Diese Verbin-
dung illustriert Horstmann durch das Bild der Gravitationsbindung innerhalb
eines Doppelplanetensystems, wie sie beispielsweise zwischen Pluto und seinem
Mond Charon besteht.
Wie es kein Gravitationszentrum ohne gravitierende Körper gäbe, so gibt es auch keine
Einheit der Apperzeption ohne (empirisch gegebene) inhaltsvolle Vorstellungen, und um-
gekehrt: wie es keine gravitierenden Körper ohne ein Gravitationszentrum gäbe, so gibt es
auch für das Subjekt keine Vorstellungsinhalte, ohne dass es zu ihnen eine Einheit der
Apperzeption gibt.²⁸⁷
Ich nenne auch die Einheit derselben die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins, um
die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen. Denn die mannigfaltigen
Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt
meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten
[…].²⁸⁹
…, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin)
müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem all-
gemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir
angehören würden. Aus dieser ursprünglichen Verbindung läßt sich vieles folgern.²⁹⁰
piierter Grund gemäß B 134 f. verbunden ist.“ Das sich aus dieser Konstellation
ergebende (scheinbare) Paradoxon, dass die logische Einheit selbst wiederum nur
in der durch die Synthesis gesetzte präsent ist, wird sich erst auflösen, wenn
erstens der vollständige Begriff der Apperzeption als Vollzugsform der Einheit
begriffen – cf. Kap. 2.2.3 – und zweitens die Beziehung der Apperzeption zu den
Kategorien verstanden wird – cf. Kap. 2.2.4 und 2.2.5. Tatsächlich bleibt die
transzendentale Deduktion dann problematisch, wenn das Verhältnis von Einheit,
Synthesis und deren Verbindung zum kategorialen Verstandesapparat unver-
standen bleibt. Erst wenn gezeigt wird, dass alle Gegenstände der Wahrnehmung
kategorial geordnet sind, weil sie gemäß der Einheit der Apperzeption appre-
hendiert werden, d. h. dass die Synthesis durch die Apperzeption sich notwendig
gemäß der Kategorien vollzieht, kann die transzendentale Deduktion gemäß der
von Guyer ausgemachten zweiten Strategie als geglückt gelten.
In der Auseinandersetzung um den zutreffenden Begriff der Apperzeption
zeigt sich das ganze Dilemma um eine adäquate Interpretation der transzen-
dentalen Deduktion, von der Baumanns die Ansicht vertritt, dass zu dieser „nicht
eine grundlegend neue Einsicht [] innerhalb der jüngeren Diskussion erzielt
worden [sei].“²⁹⁹ Oberstes Desiderat muss es daher sein, eine Interpretation vor-
legen zu können, welche idealerweise sowohl die Diskussion um Kants Begriff der
Apperzeption sinnvoll beenden, als auch Kants Projekt der transzendentalen
Deduktion fundieren kann. Die meisten der bisherigen Interpretationen blenden
jedoch jeweils bestimmte Aspekte der Apperzeption aus, so dass die Erfüllung
dieser Aufgabe auf Basis exklusivistischer Interpretationskonzepte nicht gelingen
kann. Dass es sich hier nicht um eine Frage der richtigen Interpretationsent-
scheidung, sondern im Kern um ein textimmanentes Sachproblem handelt, ist
bereits der kurzen, schon diskutierten Passage des § 16 zu entnehmen. Dort liefert
Kant selbst vier verschiedene Lesarten der Apperzeption, welche verschiedene
Kantinterpreten unterschiedlich gewichten. So definiert Kant die Apperzeption im
ersten Teil des Paragraphen als begleitende Vorstellung des „Ich denke“:
Als Aktus der Spontaneität kann die Apperzeption keine Anschauung sein. Es
muss sich bei ihr also um einen Begriff oder – wobei das „oder“ hier nicht exklusiv
zu verstehen ist – eine Funktion handeln.
Zweitens definiert Kant die Apperzeption als ursprünglich, sofern sie die Vor-
stellung des „Ich denke“, welche gemäß der vorherigen Festlegung als Aktus der
Spontaneität gefasst wurde, hervorbringen soll. Die Apperzeption bringt sich so
scheinbar selbst hervor:
2. Die Apperzeption ist dasjenige Selbstbewusstsein, welches die Vorstellung
des „Ich denke“ erst hervorbringt.
Viertens ergibt sich gleichsam notwendig aus der Bestimmung der Apperzeption
als transzendentales Selbstbewusstsein, dass die Apperzeption die formale Vor-
aussetzung bilden muss, gemäß der sich jeder Erkenntnisakt nur vollziehen kann.
4. Die Apperzeption ist dasjenige Selbstbewusstsein, welches die formale Vor-
aussetzung aller Erkenntnis eines beliebigen, d. h. allgemeinen Selbstbe-
wusstseins bildet.
Nämlich diese durchgängige Identität der Apperzeption, eines in der Anschauung gegebenen
Mannigfaltigen, enthält eine Synthesis der Vorstellungen, und ist nur durch das Bewußtsein
dieser Synthesis möglich.³⁰⁴
Zur besseren Übersicht der kantischen Argumentation soll diese jeweils im An-
schluss analysiert werden.
(1) Identität (= Einheit der Apperzeption)³⁰⁵ in der Vielheit (= der Mannigfaltigkeit
der Anschauung)³⁰⁶ ist nur in der Einheit (= Synthesis) der Vorstellungen
anzutreffen.
(2) Die Einheit der Mannigfaltigkeit ist nur in Bezug auf die Einheit des Be-
wusstseins vorstellbar.
(3) [Also kann die Einheit des Bewusstseins nicht der Einheit der Mannigfaltigkeit
entnommen werden.]
Kant spezifiziert im weiteren diese Einheit des Bewusstseins, indem er das em-
pirische Bewusstsein als Kandidat eines synthesisfähigen Selbstbewusstseins
ausschließt, sofern es als intentionales Bewusstsein (intentio recta) an eine je
besondere Perzeption gebunden ist und damit nicht die Rolle eines aufgrund
seiner nummerischen Einheit sich in allen Vorstellungen durchhaltenden Iden-
titätsbewusstseins einnehmen kann.
Denn das empirische Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich
zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts. Diese Beziehung geschieht also
dadurch noch nicht, daß ich jede Vorstellung mit Bewußtsein begleite, sondern daß ich eine
zu der andern hinzusetze und mir der Synthesis derselben bewußt bin.³⁰⁷
(4) Wenn die Einheit des Bewusstseins aus der Einheit der Mannigfaltigkeit der
Vorstellungen entnommen wäre, so wäre sie empirisch.
(5) Das empirische Bewusstsein begleitet jeweils eine besondere Vorstellung.
(6) Also hat das empirische Bewusstsein einer bestimmten Vorstellung keinen
Bezug zur Identität des Subjekts.
(7) Also kann die Einheit (=Identität) des Bewusstseins nicht aus dem empiri-
schen Bewusstsein je bestimmter Vorstellungen abgeleitet werden, sondern
nur aus dem Bewusstsein der Verbindung derselben zur Einheit.
Das Bewusstsein der Identität ist also noch nicht aus der Vorstellung der bloßen
Begleitung einer Vorstellung mit der Vorstellung ihrer Meinigkeit abzuleiten,
sondern nur aus der Verbindung der Vorstellungen miteinander in Bezug auf die
Vorstellung ihrer Einheit in einem Bewusstsein. Synthesis und Bewusstsein der
Synthesis bzw. der synthetischen Einheit sind also der Sache nach nicht zu
trennen.³⁰⁸ Hieraus folgert Kant, dass die analytische Einheit des Bewusstseins,
also diejenige, welche empirisch in der Vorstellungsmannigfaltigkeit gefunden
werden kann, nur unter der Voraussetzung einer synthetischen Einheit möglich
ist, sofern dieses synthetische Bewusstsein, die Einheit in der Mannigfaltigkeit erst
bewirkt, auf welche sich das Bewusstsein in der Vorstellung seiner analytischen
Einheit bezieht. Ohne die Vorstellung der Identität des Bewusstseins ist die Vor-
stellung der jeweiligen Meinigkeit einer besonderen Vorstellung unmöglich. Die
synthetische Einheit des Bewusstseins erweist sich so als Bedingung der Mög-
lichkeit der analytischen.
Also nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein
verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vor-
stellungen selbst vorstelle, d.i. die analytische Einheit der Apperzeption ist nur unter der
Voraussetzung irgend einer synthetischen möglich.³⁰⁹
(8) Wenn die Identität des Bewusstseins gedacht werden soll, dann setzt dies die
Vorstellung der Verbindung der Vorstellungen voraus (nach 1).
(9) Nun ist die Verbindung der Vorstellungen nicht durch das (empirische) Be-
wusstsein der einzelnen Vorstellungen möglich (nach 7).
(10) Also ist das analytische Bewusstsein der einzelnen Vorstellung als deren
Verbindung mit der Vorstellung der Identität des Bewusstseins nur möglich,
wenn ein synthetisches Bewusstsein vorausgesetzt ist.
Der Gedanke: diese in der Anschauung gegebene Vorstellungen gehören mir insgesamt zu,
heißt demnach so viel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie we-
nigstens darin vereinigen, und ob er gleich selbst noch nicht das Bewußtsein der Synthesis
der Vorstellungen ist, so setzt er doch die Möglichkeit der letzteren voraus, d.i. nur dadurch,
daß ich das Mannigfaltige derselben in einem Bewußtsein begreifen kann [Hervorhebung, M.
B.], nenne ich dieselbe insgesamt meine Vorstellungen; denn sonst würde ich ein so viel-
farbiges verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin.³¹⁰
(11) Eine Vorstellung ist genau dann meine Vorstellung, wenn sie in einem
Selbstbewusstsein vereinigt ist oder werden kann.
(12) Das Bewusstsein der Meinigkeit der Vorstellungen ist noch nicht identisch
mit dem ihrer Verbindung (nach 5 und 9).
(13) Die Vorstellung der Meinigkeit der Vorstellungen setzt jedoch eine Verbin-
dung der Vorstellung mit der Vorstellung ihrer Einheit im Bewusstsein der
Möglichkeit nach voraus (nach 10).
(14) Also setzt die Vorstellung der Meinigkeit die Identität des Selbstbewusstseins
voraus, andernfalls gäbe es keine Identität des Bewusstseins in den einzel-
nen Vorstellungen.
Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen, als a priori gegeben, ist also der
Grund der Identität der Apperzeption selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken
vorhergeht.³¹¹
(15) Ohne die synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen a priori
gäbe es keine Identität der Apperzeption (nach 7).
(16) Ohne die Vorstellung der Identität der Apperzeption gäbe es keine analyti-
sche Vorstellung der Meinigkeit einer bestimmten Vorstellung (nach 14).
(17) Die synthetische Einheit muss daher jedem bestimmten Denken einzelner
Vorstellungen vorausgehen.
Der folgende Abschnitt ist von außerordentlicher Wichtigkeit für die Bestimmung
der Apperzeption hinsichtlich der erfahrungskonstitutiven Funktion des Ver-
standes im Allgemeinen wie seiner Bedeutung als Vermögen, Vorstellungen zu
verknüpfen, d. h. zu urteilen im Besonderen.
Verbindung liegt aber nicht in den Gegenständen, und kann von ihnen nicht etwa durch
Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden,
sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist, als das
Vermögen, a priori zu verbinden, und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter
Einheit der Apperzeption zu bringen,welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen
Erkenntnis ist.³¹²
(19) Also müssen die Verknüpfungen der Wahrnehmungen, bzw. der Empfin-
dungen in der Wahrnehmung eine Leistung des Verstandes sein.
(20) Der Verstand ist das Vermögen, gegebene Vorstellungen a priori zu verbin-
den, d. i. zu urteilen.
(21) (Nun setzt alle Verbindungstätigkeit die Einheit/Identität der Apperzeption
voraus (nach 10).)
(22) Also besteht alles Urteilen darin, das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen
unter die Einheit der Apperzeption zu bringen.³¹³
Der in (22) vorgestellte Grundsatz sei nun nach Kant zwar einerseits selbst ana-
lytisch, erkläre jedoch die Synthesis. Warum der Grundsatz der notwendigen
Einheit analytisch sein soll, ist nicht leicht zu sehen, ergibt sich jedoch aus der
Bedingung der Analytizität eines Satzes, bzw. Urteils, sofern dieser eine Identität
als Erläuterung zum Ausdruck bringt.³¹⁴
Dieser Grundsatz, der notwendigen Einheit der Apperzeption, ist nun zwar selbst identisch,
mithin ein analytischer Satz, erklärt aber doch eine Synthesis des in einer Anschauung
gegebenen Mannigfaltigen als notwendig, ohne welche jene durchgängige Identität des
Selbstbewußtseins nicht gedacht werden kann.³¹⁵
(23) (Ein Satz ist genau dann analytisch, wenn er mit sich selbst identisch ist.)
(24) Ohne Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen kann es
keine Identität des Selbstbewusstseins geben.
(25) Ohne Bezug auf die Identität des Selbstbewusstseins kann es keine Synthesis
des Mannigfaltigen geben.
(26) Die Identität der Apperzeption und die Synthesis des Mannigfaltigen sind
daher bedeutungsgleich.
Dieser Schluss, der im Text selbst nur durch „und“ angehängt und daher nicht demonstriert
wird, scheint auf den ersten Blick durchaus nicht plausibel. Zwar ist es offensichtlich, dass alle
Vorstellungen aufgrund der Tatsache, dass sie Vorstellungen sind, unter der Bedingung der Einheit
des Selbstbewusstseins stehen, es sind jedoch viele Urteile denkbar – wobei es sich dabei wohl um
die meisten handeln dürfte – welche nicht auf diese Verknüpfung einer Vorstellung mit der
Vorstellung der Identität des Selbstbewusstseins zielen. Kant müsste daher zeigen, dass die Art
und Weise, wie der Verstand Vorstellungen miteinander verknüpft, d. h. denkt bzw. urteilt, in
Gänze auf die Einheitsvollzüge der Apperzeption zurückzuführen ist. Das „Wie“ des Denkens,
welches sich in den Kategorien ausdrückt, muss daher in seinem notwendigen Zusammenhang
mit der allgemeinen Bedingung des Denkens überhaupt, i. e. der Zugehörigkeit zum selben Be-
wusstsein, demonstriert werden.
Der Satz „Alle Körper sind ausgedehnt.“ ist bekanntlich deshalb analytisch, weil die Aus-
dehnung zum Begriff des Körpers gehört. Das analytische Urteil muss also nur ein reines Erläu-
terungsurteil des Begriffes sein, auf welchen es sich bezieht.
KrV, B ; S. .
186 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
(27) Wenn also die Mannigfaltigkeit der Anschauung in einem Urteil verknüpft
werden soll, ist dies nicht möglich ohne den Bezug auf die Identität der
Apperzeption.
(28) Also ist die Identität der Apperzeption notwendig für alle Verknüpfungen der
Mannigfaltigkeit in der Anschauung.
In dem darauf folgenden Abschnitt weist Kant die Möglichkeit ab, dass die
Mannigfaltigkeit durch die Vorstellung des Ichs gegeben sein könnte. Der Verstand
bezieht daher das Mannigfaltige in der Anschauung auf das ihm eigene formale
Prinzip der Einheit, welches sich in der Apperzeption ausdrückt, ohne dass ihm
gleichzeitig die Mannigfaltigkeit als Inhalt durch ihn selbst gegeben wäre. Zur
letzteren benötigt der Verstand ein eigenes, ihm fremdes, rezeptives Vermögen.
Denn durch das Ich, als einfache Vorstellung, ist nichts Mannigfaltiges gegeben; in der
Anschauung, die davon unterschieden ist, kann es nur gegeben und durch Verbindung in
einem Bewußtsein gedacht werden. Ein Verstand, in welchem durch das Selbstbewußtsein
zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde, würde anschauen; der unsere kann nur denken
und muß in den Sinnen die Anschauung suchen.³¹⁶
(29) Die Vorstellung des Ich ist einfach, d. h. in ihr ist nichts Mannigfaltiges ge-
geben.
(30) Alle Verbindungen des Verstandes in einem Bewusstsein beziehen sich auf
diese Einheit des Ich (nach 22).
(31) Das Mannigfaltige ist daher nur in der Anschauung gegeben.
(32) Ein Verstand, in dem die Mannigfaltigkeit mit der Vorstellung ihrer Einheit
gegeben wäre, würde daher anschauen.
Am Ende des § 16 fasst Kant seine bisher gewonnenen Ergebnisse zu dem Schluss
zusammen, dass das Bewusstsein unseres mit sich identischen Selbst hinsichtlich
der Vielheit seiner Inhalte nichts anderes ist als die Vorstellung der Einheit aller
Vorstellungen in demselben Bewusstsein, welches daher als Voraussetzung jedes
Bewusstseins einer besonderen Vorstellung nichts anderes zum Inhalt hat als die
notwendige Synthesis a priori, durch welche jene zur Einheit in einem Denk-,
respektive Urteilsakt gebracht werden oder werden können.
Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt, in Ansehung des Mannigfaltigen der mir in
einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesamt meine Vorstellungen
nenne, die eine ausmachen. Das ist aber so viel, als, daß ich mir einer notwendigen Synthesis
derselben a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apper-
zeption heißt, unter der alle mir gegebene Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch
eine Synthesis gebracht werden müssen.³¹⁷
(33) Das Bewusstsein der Identität des Selbst in Bezug auf die Vielheit in der
Anschauung ist als notwendiges möglich, da die Vorstellung der Meinigkeit
der Vorstellungsvielheit nur in Bezug auf die Einheit des Ich möglich ist
(nach 22 und 30). Dies ist gleichbedeutend mit:
(34) Das Bewusstsein der Identität des Selbst ist identisch mit dem Bewusstsein a
priori einer notwendigen Synthesis.
(35) Das Bewusstsein dieser Synthesis heißt: ursprüngliche (nach 10 und 17)
synthetische (nach 28) Einheit (nach 30 und 32) der Apperzeption.
(36) Alle Vorstellungen stehen unter der Bedingung dieser Einheit (nach 14 und
17) und müssen gleichzeitig unter diese Einheit gebracht werden (nach 22).
Die erste Frage, wo sich die von uns bestimmten vier Hinsichten der Apperzeption
finden lassen, lässt sich im Ergebnis des § 16, nämlich dem vollständigen Begriff
der Apperzeption, ausmachen als „ursprüngliche synthetische Einheit der Ap-
perzeption“³¹⁸. Dieser steht im Zusammenhang mit den vier Bestimmungen des
transzendentalen Selbstbewusstseins: Erstens als reine Apperzeption ³¹⁹, welche
identisch ist mit der Vorstellung des „Ich denke“. Zweitens als ursprüngliche
Apperzeption, welche „die Vorstellung des Ich denke hervorbringt“³²⁰. Die Einheit
der ursprünglichen Apperzeption bezeichnet Kant auch als transzendentale Ein-
heit des Selbstbewusstseins ³²¹, welche in Bezug auf die Vorstellungsmannigfal-
tigkeit als vorgängige synthetische Einheit ³²² gedacht werden muss. Die Trennlinie
der zwei gesuchten Hinsichten der Apperzeption als Bedingung der idealen und
realen Grundfunktion des Verstandes verläuft also offenbar zwischen der Ap-
perzeption als ursprünglicher Einheit und der Apperzeption als ursprünglich
synthetischer Vorstellung dieser Einheit, wobei die „Nahtstelle“ zwischen diesen
beiden Aspekten offensichtlich im synthetischen Charakter der Einheit besteht.
Dass die Einheit der Apperzeption von ihrem synthetischen Charakter abstrahiert
werden kann und noch logisch vor dieser liegen soll, mag prima facie unkantisch
erscheinen, wird jedoch klarer, wenn man auf Kants allgemeine Definition der
Synthesis blickt:
Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung der Einbil-
dungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall
gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind. Allein,
diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine Funktion, die dem Verstande zukommt,
und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschaffet.³²³
Die Einheit der Apperzeption und ihre Synthesis sind, wie bei den anderen reinen
Verstandesbegriffen, Korrelate, welche getrennt voneinander entweder bloße
Gedanken- oder reine Anschauungsformen (Synopsen)³²⁴ wären.³²⁵ So bliebe von
der Synthesis der Apperzeption nur die reine Einheit der Handlung, mithin ihre
rein ideale Funktion übrig, durch die sie die Sinnlichkeit bestimmt denkt.
Weil nun der Verstand in uns Menschen selbst kein Vermögen der Anschauungen ist, und
diese, wenn sie auch in der Sinnlichkeit gegeben wäre, doch nicht in sich aufnehmen kann,
um gleichsam das Mannigfaltige seiner eigenen Anschauung zu verbinden, so ist seine
Synthesis, wenn er für sich allein betrachtet [Hervorhebung, M. B.] wird, nichts anders, als die
Einheit der Handlung [=Funktion, M. B.], deren er sich, als einer solchen, auch ohne Sinn-
lichkeit bewußt ist, durch die er aber selbst die Sinnlichkeit innerlich in Ansehung des
Mannigfaltigen, was der Form ihrer Anschauung nach ihm gegeben werden mag, zu be-
stimmen vermögend ist.³²⁶
Dies entspricht exakt dem Begriff der qualitativen Einheit, welchen Kant im wenig
beachteten § 12 entwickelt. Dort macht er klar, dass diesem nur „formale[] Be-
deutung als zur logischen Forderung in Ansehung jeder Erkenntnis gehörig“³²⁷
zukommt. Die qualitative Einheit des Selbstbewusstseins ist damit als die bloß
formale Askriptionsbedingung einer Vorstellung für ein Bewusstsein überhaupt,
d. h. für ein beliebiges Bewusstsein ausgemacht. Erst durch die Korrelation von
Synthesis und Einheit wird diese in Bezug auf das Selbstbewusstsein überhaupt
transzendental, also erkenntniskonstitutiv im eigentlichen Sinne sein.³²⁸ Damit ist
die zweite Frage, wie ideale und reale Funktion in der Apperzeption zusammen-
hängen, konkretisiert, nämlich wie die Einheit der Apperzeption als synthetisch,
respektive synthetisierend gedacht werden kann. Bekanntermaßen löst Kant diese
Einheit als bloße Form der Synthesis sowie die Synthesis als Vollzugsform der
Einheit korrelieren dabei notwendig in der ursprünglichen synthetischen Einheit
der Apperzeption.³³⁶ Wie lässt sich nun mit Blick auf die vier gesuchten Relationen
der Apperzeption – zum Subjekt, zur bloßen Verstandesform, zum reinen Verstand
und zur Vorstellungsmannigfaltigkeit – diese Unterscheidung fruchtbar machen?
Bisher wurde die korrelative Gegensatzpaarung eines formalen und eines dyna-
mischen Aspekts der Apperzeption untersucht. Um jedoch tatsächlich das
transzendentale Selbstbewusstsein in allen vier Bestimmungshinsichten zu fas-
sen, reicht dies noch nicht aus. Neben der Beziehung von Form und Effizienz
innerhalb der Apperzeption ist eine weitere, senkrecht zu dieser Relation stehende
Differenz zu untersuchen, i. e. die Apperzeption in ihrer funktions- und damit
gegenstandsreferentiellen Bedeutung als Bewusstsein der Synthesis der Vorstel-
lungsmannigfaltigkeit sowie in ihrem Bezug zum transzendentalen Subjekt als
Vorstellung der Identität eines durchgängigen Selbstbewusstseins. So kann die
Apperzeption einerseits in erkenntnisfunktionaler Hinsicht als Einheitsgrund der
Erfahrung, andererseits in Hinblick auf die Reflexionsstruktur des transzenden-
talen Subjekts begriffen werden.³³⁷ Dies spiegelt sich in der Zweiteilung der
transzendentalen Deduktion ab § 20 wider. Baumanns macht weitestgehend
einsichtig, dass dort die Argumentation der Deduktion von der Frage nach dem
„Daß“ der Kategoriengültigkeit durch die Versicherung der urteilsförmigen
Struktur der Apperzeption zur Beantwortung der Frage nach ihrem „Wie“ über-
geht.³³⁸ Erst mittels der produktiven Einbildungskraft als logischem Gegen-
standsvermögen des Verstandes lässt sich die Möglichkeit ihres erkenntnis-, re-
spektive realfunktionalen Anschauungsbezuges eruieren. Wie ist nun die
Beziehung der Apperzeption zum Verstand selbst zu deuten? Zwei Möglichkeiten
sind denkbar. Zum einen könnte man von einer Identität von Apperzeption und
Verstand ausgehen. Eine populäre Aussage Kants scheint dies anzudeuten:
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die Einheitsfunktionen innerhalb der Urteile un-
abhängig von der Analytizität, respektive Synthetizität des jeweiligen Urteils sind, cf. Kap. ...
Diese von uns als senkrecht aufgefasste Paarung mag der Grund sein, warum der wissen-
schafts- und bewusstseinstheoretischen Auslegung der Deduktion, welche Baumanns als inter-
pretatorische Grundausrichtungen ausmacht, durch deren jeweilige spezifische Verengung auf
ihre Deutungsperspektive das Ganze des transzendental-philosophischen Konzeptes der Apper-
zeption entgeht, cf. Baumanns (), S. .
Cf. Baumanns (), S. f. An dieser Stelle sei jedoch nochmals betont, dass im Ge-
gensatz zu Baumanns die Ausgestaltung der Urteilsformen aus der Apperzeption als Prinzip nötig
sein muss. Die Urteilstafel ist nicht einfach mit, sondern durch die Apperzeption gegeben.
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 191
Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen
Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie
heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.³³⁹
Das Zitat legt augenscheinlich die These von der Identität von Apperzeption und
Verstand nahe. Es existieren jedoch ebenfalls Stellen, welche gegen eine schlichte
Identifikation sprechen. So sagt Kant von der Apperzeption im Zusammenhang der
Erörterung des Begriffs der Deduktion:
Sie [die Deduktion, M. B.] ist die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe (und mit ihnen
aller theoretischen Erkenntnis a priori) als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, dieser
aber, als Bestimmung der Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt,– endlich dieser aus
dem Prinzip der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption, als der Form des
Verstandes in Beziehung auf Raum und Zeit, als ursprüngliche Formen der Sinnlichkeit.³⁴⁰
Die Apperzeption scheint hier als bloße Form des Verstandes angesprochen zu
werden und nicht als der Verstand selbst. Gestützt wird diese Differenzannahme
durch die Definition des Verstandes in Auflage A:
Die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der
Verstand, und eben dieselbe Einheit, beziehungsweise auf die transzendentale Synthesis der
Einbildungskraft, der reine Verstand.³⁴¹
Wie lässt sich also das Verhältnis von Apperzeption und Verstand konsistent
fassen? Im ersten Zitat spricht Kant nicht einfach davon, dass Apperzeption und
Verstand schlichtweg gleichzusetzen seien, sondern davon, dass die synthetische
Einheit der Apperzeption als Vermögen mit dem Verstand identisch sei. Die Frage
ist natürlich, was die Apperzeption nun als Vermögen bedeutet, respektive worin
ihre Tätigkeit als Vermögen besteht. Mit Blick auf die Absicht der Deduktion ist
dies leicht zu beantworten. Es besteht in der Fähigkeit der Apperzeption, Vor-
stellungen zur synthetischen Einheit gemäß der Ordnung der reinen Verstan-
desbegriffe zu bringen.³⁴² Kant spricht daher in diesem Zusammenhang auch
konsequent von der synthetischen Einheit der Apperzeption. Da, wie gezeigt
wurde, sich der synthetische Charakter der Apperzeption auf ihren Einheitsvollzug
bezieht, ist es klar, dass der Verstand als synthetisierendes Vermögen die Einheit
der Apperzeption als Vollzugsform supponiert.³⁴³
Das zweite Zitat verdeutlicht diesen Zusammenhang von Apperzeption und
Verstand. Wichtig ist hierbei der Nachsatz, welcher sich auf die Prinzip-Prinzipat-
Struktur von Apperzeption und Verstandesbegriff bezieht. Die Gültigkeit der
Verstandesbegriffe wird, nachdem sie als Bestimmungen der raumzeitlichen Er-
scheinungsmannigfaltigkeit erwiesen worden sind, „aus dem Prinzip der ur-
sprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption, als der Form des Verstandes
in Beziehung auf Raum und Zeit, als ursprüngliche Formen der Sinnlichkeit“³⁴⁴
deduziert. Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption ist hierbei
erstens Prinzip der Deduktion, zweitens Form des Verstandes und zwar sofern er
sich bereits als Erkenntnisvermögen auf die ursprünglichen Formen der Sinn-
lichkeit bezieht. Als synthetische Einheit, welche die ursprüngliche Vorstellung
des „Ich denke“ hervorbringt, ist die Apperzeption also Form des schematisierten
Verstandes. Der Zusatz „schematisiert“ ist insofern wichtig, als dadurch deutlich
wird, dass Kant sich hier auf die Frage der Kategoriengültigkeit bezieht.Wenn man
also von der gleichursprünglichen Form der Sinnlichkeit abstrahiert, auf welche
der Verstand als Bestimmungsvermögen a priori Bezug nimmt, um die Apper-
zeption in ihrer bloßen Einheit zu fassen, so wird klar, dass diese in der Form der
Möglichkeit des bloßen Verstandesvollzugs besteht; dies aber ist der bloße Ver-
stand, als reines Urteilsvermögen. Das dritte Zitat bestärkt diese Interpretation.
Obgleich die Einbildungskraft in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft
kein eigenständiges Erkenntnisvermögen mehr bildet,³⁴⁵ ist die Struktur der Ap-
perzeptions-Verstandes-Relation in der Deduktion der Auflage B homolog. Aus-
gehend von unserer These, dass die Apperzeption als bloße Einheit identisch ist
mit der Form des Verstandes, mithin mit dem bloßen Verstand selbst,³⁴⁶ lässt sich
die Definition des Verstandes als die „Einheit der Apperzeption in Beziehung auf
die Synthesis der Einbildungskraft“³⁴⁷ explizieren als die bloße Verstandesform in
Beziehung auf das synthetische Gegenstandsvermögen des Verstandes als Ein-
Nach Schulte (), S. , tritt diese Funktion der Apperzeption an die Stelle der syllo-
gistischen Gründungsfunktion des aristotelischen Logos, „in der die sinnliche Mannigfaltigkeit
durch die Kategorien (als die bestimmten Synthesisweisen) zum Erfahrungsgegenstand wird, der
im Urteil ansprechbar und bestimmbar ist. Die universelle Zeitform, in der dies Seiende erscheint,
ist die synthetische Einheit der Apperzeption, das Ich.“
KrV, B f.; S. .
Cf. KrV, B ; S. .
Der Zusammenhang von Realisierungs- (Funktion/Handlung) und Realisationseinheit
(Form) wurde bereits im ersten Kapitel erörtert.
KrV, A ; S. .
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 193
Die Bestimmung der Apperzeption in horizontaler Linie bezog sich auf die Frage,
ob die Apperzeption als Form der Vorstellungsmannigfaltigkeit vorhergehen
muss, oder ob diese sich mit der Einheit der Mannigfaltigkeit erst konstituiert.³⁵¹ Es
Mall (), S. , betont zu Recht, dass die „Einbildungskraft [] die Quelle aller Synthese
[ist].“
Düsing (), S. , kommt in seiner Analyse der vier grundlegenden Bedeutungen der
Einheit zu einem ähnlichen Schema.
Der Bezug der vierfachen Komplexion zu den Kategorientiteln wird erst im nächsten Glie-
derungsabschnitt erörtert.
Die Überleitung von einem „rein logische[n] Standpunkt“ zu einer „dynamischen Auffas-
sung“ der Apperzeption, welche Rescher (), S. , im Opus postumum erblickt, ist also bereits
in der Bewusstseinstheorie des transzendentalen Subjektes der Kritik der reinen Vernunft angelegt.
194 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
wurde gezeigt, dass auf die Apperzeption notwendig beides zutreffen muss, ei-
nerseits als die Vollzugsform der Apperzeption, andererseits als ihr Vollzug selbst.
Die zweite Bestimmungsrücksicht betraf die Apperzeption in Rücksicht auf das
transzendentale Subjekt. So bildet die Apperzeption einerseits die Form der Re-
flexivität, zum anderen ist sie gleichzeitig Grund der erkenntnisfunktionalen
Einheit des Verstandes.³⁵² Durch die Kombination der zwei Gegensatzpaarungen
lassen sich nun vier Grundaspekte der Apperzeption ermitteln.³⁵³ So ist auf Seiten
der formal-logischen Apperzeption der subjektbezügliche Begriff der ursprüng-
lichen Apperzeption zu finden, i. e. „der formale Satz der Apperzeption: Ich
denke“.³⁵⁴ Dieser Aspekt bezeichnet die bloße Form des reinen, selbstbezüglichen
Natterer weist ebenfalls auf diese Doppelbedeutung der Apperzeption hin: „Kant fasst unter
dem Sachverhalt Ich denke () das transzendentale Subjekt Ich als Subjekt und Bewusstsein der
Akte des Denkens. Dieses Ich denke bedeutet () auch die Akte des Denkens und bezeichnet die
logischen Funktionen.“ Natterer (), S. .
Eine ähnliche Differenzierung findet sich auch bei Rotenstreich: „Self-awareness is not only
in this sense, as the verbal meaning would imply, the awareness of the self of himself, but also
correlate in terms of the manifold and in terms of the dependence of that manifold on the ap-
perception.“ Rotenstreich (1981), S. 337. Cf. ebenfalls op. cit., S. 338 f., 341.
Sturma (a), S. , spricht von einer dreifachen Komplexion: „Damit hat sich aus der
Erkenntniskritik eine Begriffskonstellation ergeben, der zufolge Selbstbewußtsein ein komplexes
Phänomen ist, das sich zusammensetzt aus dem egozentrischen Ursprung der Reflexion, dem
empirischen Gehalt des jeweiligen Bewußtseinszustandes, in Bezug auf den Selbstbewußtsein
vorliegt, und einem intentionalen Korrelat, das sich auf das Verhältnis desjenigen zur raum-
zeitlichen Welt bezieht, der jeweils Selbstbewußtsein hat.“ Sturma spricht damit bereits we-
sentliche Aspekte der tatsächlich vierfachen Komplexion aus: . Den ursprünglichen selbstre-
flexiven Bezug, . Den apperzeptiven Bezug auf eine gegebene Vorstellung im Bewusstsein. . Den
intentionalen Bezug, welchen er jedoch hinsichtlich des Vollzugs des sich beziehenden Denkens
(Synthesis) und dessen Form (Einheit) nicht eigens differenziert.
Auch Choi (1996), S. 26, unterscheidet verschiedene Dimensionen der transzendentalen
Apperzeption, welche sie in drei Gegensatzpaarungen antithetisch gegeneinander stellt. So sei die
Apperzeption (1) die ursprünglich synthetische Einheit der Mannigfaltigkeit, wohingegen sie (2)
gleichzeitig das Bewusstsein der analytischen Einheit des eigenen Selbst darstelle. Diese Ge-
gensatzpaarung entspricht der Entgegensetzung auf der vertikalen Achse von Reflexion und In-
tention. Weiterhin sei die Apperzeption (3) eine rein intellektuelle Vorstellung, wohingegen sie
ebenfalls (4) den empirischen Satz aus „Ich bin“ ausdrücke. Auch diese Unterscheidung Chois
findet sich in der Analyse des transzendentalen Selbstbewusstseins wieder, i. e. einmal als ur-
sprüngliche Reflexivität, zum anderen als im Aktus des Reflektierens produzierte Vorstellung des
Ich. Zwischen der Einheit als bloßer Form und der Synthesis als Vollzug der Form unterscheidet
Choi jedoch ebenfalls wie Sturma nicht. Dagegen weist sie (5) darauf hin, dass die Apperzeption
einerseits der Aktus des Subjekts, sei sein Dasein zu bestimmen, andererseits keine bestimmten
Prädikate des Subjekts enthielte. Dieser Umstand wird im folgenden Gliederungsabschnitt von
Bedeutung sein.
KrV, A ; S. .
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 195
Denkens. Als bloß logische Form des Verstandes, d. h. des Denkens überhaupt,
macht diese Fassung der Apperzeption die Transzendentalphilosophie, welche
diese als höchsten Punkt hat, von vornherein gegen den Einwand des Solipsismus
immun; die Apperzeption ist die transindividuelle, logische Form des je-eigenen
(autoreferentiellen) Denkens.³⁵⁵ Dieser abstraktesten Stufe der Apperzeption
entspricht auf funktionaler Ebene der Verstand als bloßes Urteilsvermögen.³⁵⁶ Es
handelt sich auf dieser Ebene also noch nicht um anschauungsbezogenes Denken,
sondern um die bloße Form des (Selbst‐)Denkens überhaupt.³⁵⁷ Im Gegensatz zu
Kant macht Fichte diese notwendige Stufe der Apperzeption explizit: „es ist zu-
förderst ein reines Denken das sich bestimmt: dieses wird in der Synthesis durch
die Einbildungskraft hindurchgesehen und selbst versinnlicht.“³⁵⁸ Hier ist auch
der Schlüssel zu Kants Lehre von der sogenannten Selbstaffektion zu finden:³⁵⁹
Er [der Verstand, M. B.] also übt, unter der Benennung einer transzendentalen Synthesis der
Einbildungskraft, diejenige Handlung aufs passive Subjekt, dessen Vermögen er ist, aus,
wovon wir mit Recht sagen, daß der innere Sinn dadurch affiziert werde. Die Apperzeption
und [Hervorhebung, M. B.] deren synthetische Einheit ist mit dem inneren Sinne so gar nicht
einerlei, daß jene vielmehr, als der Quell aller Verbindung, auf das Mannigfaltige der An-
schauungen überhaupt unter dem Namen der Kategorien, vor aller sinnlichen Anschauung
auf Objekte überhaupt geht; dagegen der innere Sinn die bloße Form der Anschauung, aber
ohne Verbindung des Mannigfaltigen in derselben, mithin noch gar keine bestimmte An-
schauung enthält, welche nur durch das Bewußtsein der Bestimmung desselben durch die
Thyssen (/), S. , formuliert den Einwand, dass die Auffassung, dass „die Statu-
ierung eines transzendentalen Subjekts stets nur die generelle Fassung, ein allgemeines Sosein,
das sich an den Einzelrealitäten findet“ darstelle, sich notwendig dem Solipsismusvorwurf aus-
setze: „[I]st das einzelne Cogito-Ich die einzige je mir sichere Realität und ist das transzendentale
Subjekt nur etwas, ein Sosein an ihm (ein „Faktor“), so hängen die anderen Iche eben auch von
diesem meinem Sosein ab, sind mein cogito“ (Ibid). Die Apperzeption als Form des Denkens ist
keineswegs ein bloßer Faktor des „Cogito-Ich“, sondern logische Bedingung, dass sich das Denken
als Ich selbst ansprechen kann. Alles Denken als selbst zuschreibendes Denken hat die Form der
Apperzeption, respektive artikuliert sich als Cogito in der Apperzeption. Vice versa ist die Form des
Denkens nur im Denken präsent, so dass sich die Apperzeption als Artikulationsform der
Selbstansprache des „Cogito-Ichs“ erst durch diese realisiert,was jedoch nicht dazu berechtigt, ihr
Verhältnis im Sinne Thyssens umzukehren.
Cf. Natterer (), S. .
Zobrist betont daher richtig, „dass die ursprüngliche Apperzeption eine jeder Zeitlichkeit
überhobene ’transzendentale Vorstellung’ ist.“ Zobrist (), S. .
Fichte (), AA IV, , AA IV, , ; S. .
Affektion und Selbstaffektion sind miteinander in einer bestimmten Weise korreliert, so dass
die Selbstaffektion als Erkenntniskonstitutiv erst mit Blick auf die Affektion verstanden werden
kann, cf. Kap. ..
196 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Der Verstand findet also in diesem nicht etwa schon eine dergleichen Verbindung des
Mannigfaltigen, sondern bringt sie hervor, indem er ihn [den inneren Sinn, M. B.] affiziert. ³⁶¹
Wie ist also der Begriff der Affektion des inneren Sinnes durch den Verstand,
respektive durch die Apperzeption zu verstehen; d. h. wie verbindet sich die Form
der Verbindung mit der Form der Anschauung? Ausgehend von dem bisher Dar-
gelegten kann dies nur bedeuten, dass sich die Form der synthetischen Einheit im
Denkvollzug der Apperzeption als „Aktus“ des transzendentalen Selbstbewusst-
seins aktualisiert, sofern sie a priori auf die Form des inneren Sinnes notwendigen
Bezug nimmt. Selbstaffektion ist daher nichts anderes als die affektionsinduzierte
Aktualisation der formalen Ichstruktur in Bezug auf die temporale Konstitution
des Selbstbewusstseins. Der „synthetische[] Einfluß des Verstandes auf den in-
neren Sinn“ geschieht dabei notwendig gemäß der Form der synthetischen Einheit
der Apperzeption, da die Form der Apperzeption, „die jeder Erfahrung anhängt
und ihr vorhergeht“³⁶², mit der Form des Verstandes identisch ist. Durch die
notwendige Korrelation der Synthesis mit ihrer Einheit als idealer Form versinn-
licht sich die Apperzeption bereits dadurch, dass sie im Denken als Akt vollzogen
wird. Die Identität der Apperzeptionseinheit in ihrem objektiven Bezug als ideale
Einheit der Urteilshandlungen konstituiert also notwendig bereits durch ihren
reinen Vollzug im Denken die Synthesis der Vorstellungen in Ansehung der An-
schauungsform des inneren Sinnes als temporale Information. Da die Apper-
zeption nun selbst nur „in der Tat“, d. h. im Denken existiert,³⁶³ das Denken sich
jedoch nur in Bezug auf die gleichursprüngliche Form des inneren Sinnes voll-
ziehen kann, ist die Apperzeption als synthetische Einheit immer schon als zeit-
liche gedacht.³⁶⁴ Selbstaffektion bedeutet daher den Vollzug der Apperzeption in
Rücksicht auf eine Vorstellung, die als die eigene gedacht wird; ergo ist die Be-
„Nun ist die Einheit des Mannigfaltigen in einem Subjekt synthetisch: also gibt die reine
Apperzeption ein Principium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller möglichen
Anschauung an die Hand.“ KrV, A f.; S. f. Cf. auch KrV, A ; S. .
198 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Die hier vorgelegte integrative Analyse der Apperzeption liefert die Möglichkeit,
bestimmte Schwierigkeiten der Interpretation zu lösen. Dies soll, bevor das
Hauptthema der Untersuchung wieder aufgegriffen wird, anhand der sieben
zentralen Interpretationsfragen, welche Klass als „Framework for Reading Kant on
Apperception“³⁶⁶ ausmacht, demonstriert werden:
„What is apperception: a mere thought, empirical knowledge or a special
nonempirical (Cartesian) knowledge?“³⁶⁷ Diese Frage zielt auf das Problem der
Einordnung der Vorstellung des „Ich denke“. Den Hintergrund des Problems bildet
die Frage der korrekten Zuordnung der apperzeptiven Vorstellung des „Ich denke“
zur Sphäre der Begriffe oder Anschauungen einerseits, andererseits in Bezug zur
Sphäre der empirischen und der apriorischen Vorstellungen. Begrifflich wurde die
Apperzeption als Vorstellung des „Ich denke“ von der bloßen Form des Ausdru-
ckes und seiner transzendentalen Funktion unterschieden. So wurde der Vor-
stellung des Cogito im Schema der vierfachen Komplexion die Stelle einer sub-
jektiv-dynamischen Vorstellung zugewiesen. Das „Ich denke“ bezeichnet in
diesem Zusammenhang eine Vorstellung a priori, welche an allen Vorstellungen
angetroffen werden kann. ³⁶⁸ Insofern wird der Begriff des Selbstbewusstseins in
einer beliebigen Vorstellung durch die Inachtnahme seiner Meinigkeit angetrof-
fen. Die Vorstellung und das Urteil über die Zugehörigkeit der Vorstellung, welche
diese mit dem Index der Meinigkeit versieht, sind demnach gleichursprünglich.
Die maßgebliche Schwierigkeit kommt nun dadurch zustande, dass Kant die
Apperzeption selbst wiederum als Bedingung der Möglichkeit der Meinigkeit der
Vorstellungen bezeichnet. Ein beliebiges x wäre demnach genau dann eine Vor-
stellung, d. h. Gegenstand meines Bewusstseins, wenn x von einer Vorstellung y
begleitet würde, für welche gilt, dass y die Vorstellung der Zugehörigkeit von x zu
selbst nur in der Form des Denkens, welche mit der Apperzeption identisch ist,
bekannt werden können. Kant leugnet also, dass wir durch die Introspektion einen
privilegierten Erkenntniszugang zu unserer An-sich-Natur als denkendes Wesen
besitzen. Auch das sich selbst denkende Denken, ist auf die Möglichkeit des
Denkens, i. e. die logische Form, in der sich Denken überhaupt realisiert, re-
stringiert. Damit verbunden scheint jedoch auch für Kant ein Um-sich-wissen, d. h.
ein Wissen um das Faktum meines denkenden Bezuges auf die Erscheinung.³⁷³
Dagegen bin ich mir meiner selbst in der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der
Vorstellungen überhaupt, mithin in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apper-
zeption, bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur daß
ich bin [Hervorhebung, M. B.].³⁷⁴
Man kann dieses Um-sich-wissen des Denkens durchaus, wie Crone dies tut,³⁷⁵ als
ein „phänomenales Selbstbewusstsein“ bezeichnen, ohne dass hieraus für die
kantische Lehre des transzendentalen Selbstbewusstseins, zumindest wenn man
den von Kant selbst gesetzten kritischen Rahmen seiner Philosophie nicht über-
schreiten möchte, ein theoretischer Gewinn gezogen werden könnte.³⁷⁶
Die vierte Frage greift den Problemgrund der drei vorherigen Fragen direkt auf:
„What is required by the principle: Must there be constant accompaniment by the
’I think,’ the mere possibility of accompaniment or knowledge of that possibili-
ty?“³⁷⁷ Diese Frage lässt sich ebenfalls mit Verweis auf die Unterscheidung von
Form und Vorstellung beantworten: Allen Vorstellungen muss die Form des
Denkens notwendig zu eigen sein, um überhaupt Vorstellung sein zu können,
mutatis mutandis alle Vorstellungen müssen von der Vorstellung des „Ich denke“
als Begriff dieser Form begleitet werden können.
Damit ist gleichzeitig Klass’ fünfte Frage mitbeantwortet: „What is required by
the principle: What is the scope of the ’all’? Which representations must I be able
to apperceive?“³⁷⁸ Sofern ein Gegenstand Objekt einer Vorstellung ist, steht er
unter der Form des ursprünglichen Selbstbewusstseins.
Die sechste Frage Klassens bezieht sich auf den synthetischen Charakter der
Apperzeption: „What is the logical status of the apperception principle: Is it
analytic or synthetic?“³⁷⁹ In der Analyse der „ursprünglich synthetischen Einheit
der Apperzeption“ wurde auf die Beziehung von Synthesis und Einheit Bezug
genommen. Einheit, im Allgemeinen als bloße Form eines Gedankens, wird durch
die logische Funktion zu urteilen erreicht. Diese Funktion des Denkens ist un-
abhängig von der Analytizität oder Synthetizität seines Denkinhaltes, sondern
wird erst im Vollzug des Denkens relevant. Die Form der Apperzeption ist daher
indifferent gegenüber der Synthetizität des Apperzipierens in Gestalt des „Ich
denke“, mit dem die Meinigkeit des Gedachten markiert wird.
Die siebte Frage bezieht sich auf den logischen Status der Apperzeption als
Prinzip der kantischen Philosophie: „What is the logical status of the apperception
principle: Does Kant have (or need) an agrument for it?“³⁸⁰ Wie Klass richtig
anführt, hängt die Antwort auf diese Frage weitestgehend davon ab, welche
Antwort auf die sechs vorherigen Fragen gegeben wurde.³⁸¹ Das Besondere der in
dieser Arbeit vorgelegten, integrativen Interpretation des kantischen Prinzips der
Apperzeption besteht genau darin, gezeigt zu haben, dass erstens die verschie-
denen Interpretationen in ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeit aus der Verab-
solutierung eines bestimmten Aspektes der Apperzeption resultieren; und zwei-
tens, dass die Frage nach dem eigentlichen logischen Status der Apperzeption
deswegen bisher nicht beantwortet werden konnte, da die Aufweisung des sys-
tematischen Zusammenhanges der verschiedenen Aspekte der Apperzeption nicht
gezeigt wurde. Den Grund dieses Zusammenhanges gilt es nun zu durchleuchten.
(A) Diese ursprüngliche und transzendentale Bedingung ist nun keine andere, als die
transzendentale Apperzeption. Das Bewußtsein seiner selbst, nach den Bestimmungen
unseres Zustandes, bei der inneren Wahrnehmung ist bloß empirisch, jederzeit wandelbar, es
kann kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Flusse innerer Erscheinungen geben,
und wird gewöhnlich der innere Sinn genannt, oder die empirische Apperzeption. (B) Das
was notwendig als numerisch identisch [Hervorhebung, M. B.] vorgestellt werden soll, kann
nicht als ein solches durch empirische Data gedacht werden. Es muß eine Bedingung sein,
die vor aller Erfahrung vorhergeht, und diese selbst möglich macht, welche eine solche
transzendentale Voraussetzung geltend machen soll.
(Γ) Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknüpfung und Einheit
derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des Bewußtseins, [Hervorhebung, M. B.]
welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und, worauf in Beziehung, alle Vor-
stellung von Gegenständen allein möglich ist. (Δ) Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare
Bewußtsein will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen. Daß sie diesen Namen
verdiene, erhellt schon daraus: daß selbst die reinste objektive Einheit, nämlich die der
Begriffe a priori (Raum und Zeit) nur durch Beziehung der Anschauungen auf sie möglich
sein. Die numerische Einheit dieser Apperzeption liegt also a priori allen Begriffen eben-
sowohl zum Grunde, als die Mannigfaltigkeit des Raumes und der Zeit den Anschauungen
der Sinnlichkeit.³⁸⁵
Die erste Bestimmung der Apperzeption im Sinnabschnitt (A) wird nur negativ in
Bezug auf ihr empirisches Gegenstück angedeutet. „Das Bewußtsein seiner
selbst“, welches die transzendentale im Gegensatz zur empirischen Apperzeption
auszeichnet, kann nicht aus der Wahrnehmung der inneren Zustände durch den
inneren Sinn abgeleitet werden. Die transzendentale Apperzeption muss also der
empirischen als Bedingung ihrer Möglichkeit vorhergehen. Wie sie dies tut, ist mit
Blick auf die bisherigen Ergebnisse der Analyse leicht zu sagen, nämlich indem sie
die ideale Struktur der empirischen Selbstwahrnehmung als die transzendentale
Form des Verstandes bildet. Die erste genuine Funktion der transzendentalen
Apperzeption besteht in der Bedingung der Möglichkeit des Selbstbewusstseins
als reflexives Selbstverhältnis. Die erste Bestimmung des transzendentalen
Selbstbewusstseins muss demnach eine solche der Relation sein. Diese vollzieht
sich im Denken durch ein kategorisches Urteil.
Nur wenn man die Apperzeption als transzendentales Vermögen konzipiert,
besitzt die Vorstellung der numerischen Identität des Selbst Notwendigkeit. Diese
Notwendigkeit kann hinwiederum aus ersichtlichen Gründen nicht den empiri-
schen Data des Vorstellungsfluxus entnommen werden. Die numerische Identität
des Selbst ist mit der Kategorie der Einheit verknüpft. (B) Es hat also den Anschein,
als ob Kant die quantitative Bestimmung der Apperzeption vor die qualitative
setzt. Diese Reihenfolge wird jedoch im nächsten Absatz (Γ) relativiert, indem Kant
klar macht, dass Erkenntnisse und deren Verknüpfung erst durch den Bezug auf
die qualitative Einheit des Bewusstseins stattfinden können. Dies muss dement-
sprechend auch für die Vorstellung des eigenen Ichs als numerisch identisch
gelten, sodass die Bestimmung gemäß der Qualität logisch der der Quantität
vorhergehen muss.³⁸⁶ Mit der Bestimmung des Selbstbewusstseins hinsichtlich
der Qualität erweist sich das Selbstbewusstsein als die vorstellungsermöglichende
Instanz, d. h. „worauf in Beziehung, alle Vorstellung von Gegenständen allein
möglich ist.“ Gegenstandserkenntnis ist also nur möglich, wenn der Gegenstand
zum Gegenstand einer Vorstellung bestimmt wird. Als Bedingung der Möglichkeit
von Gegenständlichkeit überhaupt ist damit die Apperzeption gleichzeitig Be-
dingung der Möglichkeit der Realität einer Vorstellung.
Die Bestimmung in Ansehung der Modalität zu finden, ist nicht ganz so of-
fensichtlich, wie es bei den drei vorhergegangenen der Fall gewesen ist. Dies liegt
nicht zuletzt an dem besonderen Status, welchen die Modalität als Kategorie
besitzt.³⁸⁷ Dessen ungeachtet findet sich im Sinnabschnitt (Δ) ein Verweis auf die
Bestimmung der Apperzeption in Bezug auf das erste Moment der vierten Kate-
gorie. So macht Kant klar, dass selbst die reinsten Begriffe – dies sind natürlich die
Kategorien – nur an Hinblick auf die Apperzeption möglich sind. Die Kategorien als
Gegenstandsbestimmungen im Erkenntniszusammenhang von Subjekt und Ob-
jekt sind nur in Beziehung auf die Apperzeption möglich. Beachtenswert und für
den zu erbringenden Vollständigkeitsbeweis wichtig ist hier die Perspektivierung,
Die enge Verbindung von Einheit und Identität betont besonders Baumanns (), S. f.
Cf. Kap. ...
204 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
nämlich der Blick von den reinen Verstandesbegriffen auf ihre Möglichkeitsbe-
dingung, die Apperzeption.
Mit der Modalität sind alle vier Kategorientitel in Bezug auf die Apperzeption
gefunden. Außerdem zeigt sich nicht nur, dass in der Bestimmungsstruktur der
Apperzeption das jeweils erste Moment eines jeden Titels ausschlaggebend ge-
wesen ist, sondern dass diese die gesuchte Reihenfolge bilden.
In der Ausgabe B findet sich diese Ordnung der Kategorien im Durchgang der
Bestimmung der Apperzeption ebenfalls. So ist die Apperzeption zuallererst
Selbstbewusstsein, insofern sie als ursprüngliche Apperzeption dasjenige Be-
wusstsein bildet, welches die Vorstellung des „Ich denke“ hervorbringt.³⁸⁸ Diese
Vorstellung ist also das Ergebnis eines selbstreflexiven Aktes, dessen formale
Struktur durch die Form des transzendentalen Selbstbewusstseins gegeben ist. An
die Bestimmung der Apperzeption als Selbstbewusstsein schließt sich unmittelbar
ihre Kategorisierung als (transzendentale) Einheit an.³⁸⁹ Die Apperzeption ist also
die Form eines selbstbezüglichen Vorstellungsaktes, welche alle Vorstellungen als
notwendig zur Einheit des Selbstbewusstseins zugehörig denkt. Aus dieser Cha-
rakterisierung ist die notwendige numerische Einheit zu folgern, i. e. die durch-
gängige Identität der Apperzeption.³⁹⁰ Mit dieser Folgerung kommt ein neues
Element, nämliche temporale Indizierung der Apperzeption als persistente Vor-
stellung. Diese ermöglicht einerseits die Synthesis der Vorstellungen zur Erfah-
rung, andererseits führt sie notwendig zur substantialistischen Ich-Vorstellung,
welche in letzter Konsequenz die Paralogismen der transzendentalen Dialektik
hervorbringt.³⁹¹
Die vierte und letzte Bestimmungsrücksicht der Apperzeption findet sich im
Gegensatz zu den drei ersten nicht unmittelbar in der Exposition des Apperzep-
tionsbegriffes in § 16, sondern erst später in § 26. Dort erklärt Kant die Apper-
zeption hinsichtlich der durch sie ermöglichten naturgesetzlichen Bestimmungen
mittels der Kategorien:
Jetzt soll die Möglichkeit, durch Kategorien die Gegenstände, die nur immer unseren Sinnen
vorkommen mögen, und zwar nicht der Form ihrer Anschauung, sondern den Gesetzen ihrer
Verbindung nach, a priori zu erkennen, also der Natur gleichsam das Gesetz vorzuschreiben
und sie so gar möglich zu machen, erklärt werden.³⁹²
Der Schlüssel zum Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel³⁹³ findet sich im
Begriff des Verstandes „als absoluter Einheit“³⁹⁴, insofern dieser das gesuchte
Prinzip bildet, aus dem die Begriffe und damit a fortiori die Urteilsfunktionen
abzuleiten sind. Den Verstand als Ableitungsprinzip der Urteilstafel zu nehmen,
wurde bereits von Michael Wolff vorgeschlagen. So identifiziert er den reinen
Verstand auf Basis von B 134 mit der Apperzeption selbst. Damit, so Wolff, wäre
das heuristische Kriterium erfüllt, welches wir als Bedingung (2) des Vollstän-
digkeitsbeweises anführten, i. e. dass sich sein Beweisgrund im Leitfadenkapitel
finden müsse, da Kant dort bekanntlich vom Verstand spreche.³⁹⁵ Baumanns
kritisiert diese Gleichsetzung, da die Apperzeption die Bedingung des Verstan-
desgebrauchs als ihren Ursprung darstelle und nicht den Verstand selbst be-
zeichnen würde.³⁹⁶ Diese Kritik Baumanns’ an Wolff ist berechtigt, trifft jedoch
nicht den Kern der Sache. Kant spricht nämlich nicht einfach vom Verstand,
sondern von der absoluten Einheit des Verstandes. Unserer These nach ist diese
tatsächlich identisch mit der Apperzeption, welche wiederum den Ursprung des
Verstandesgebrauchs bildet. Die Apperzeption ist dabei, so wird zu zeigen sein, als
Grund der absoluten Einheit des Verstandes identisch mit der reinen Form des
Verstandes, dem bloßen Verstand als reinem Urteilsvermögen. Dieser Zusam-
menhang kündigt sich bereits im Anfang der transzendentalen Analytik an:
Der reine [=bloße, M. B.] Verstand sondert sich nicht allein von allem Empirischen, sondern
so gar von aller Sinnlichkeit völlig aus. Er ist also eine vor sich selbst beständige, sich selbst
genugsame, und durch keine äußerlich hinzukommende Zusätze zu vermehrende Einheit.
Daher wird der Inbegriff seiner Erkenntnis ein unter einer Idee [Hervorhebung, M. B.] zu
befassendes und zu bestimmendes System ausmachen, dessen Vollständigkeit und Artiku-
lation zugleich einen Probierstein der Richtigkeit und Echtheit aller hineinpassenden Er-
kenntnisstücke abgeben kann.³⁹⁷
Es gilt daher nach Kants eigener Beschreibung, diese absolute Einheit des Ver-
standes als Prinzip, respektive Idee aufzufinden. Als Idee vindiziert die Einheit des
Verstandes einen Gebrauch desselben, wie er in Kapitel 2.1 beschrieben wurde.³⁹⁸
Ausgehend vom obigen Zitat beinhaltet die Aufgabe des zu erbringenden Voll-
ständigkeitsbeweises die Beantwortung zweier Fragen:
1. Worin besteht die reine, unvermischte und absolute Einheit des Verstandes-
begriffs?
2. Wie hängen die Urteilsfunktionen unter sich zusammen?
Mit den Prädikaten „rein“ und „unvermischt“ ist klar, dass es sich hier nicht nur
um reine Begriffe, d. h. um solche a priori handelt; a priori sind die Verstandes-
begriffe als transzendentale auch in Bezug auf die apriorische Form der Sinn-
lichkeit. Durch die Prädizierung ist vielmehr klar, dass hier überhaupt kein Bezug
zur Sinnlichkeit vindiziert wird. Ohne die transzendentale Zeitdetermination
mittels der Schemata als dem Affektionsteil der reinen Verstandesbegriffe bleiben
jedoch von den Kategorien allein ihre bloß logischen Funktionen zurück, die
Urteilsformen.³⁹⁹ Die gesuchte absolute Einheit in der Idee besteht also allein in
der Einheit der Urteilsformen. Im Paralogismuskapitel der transzendentalen
Dialektik findet sich eine solche jedoch auf den ersten Blick nicht. Kant geht es
dort vielmehr darum, den subreptiven Gebrauch der Vernunft als Ursprung der
bloß angemaßten Erkenntnisse der Metaphysik aufzuzeigen und zu dekonstru-
ieren. Den Ursprung des transzendentalen Fehlschlusses in den Paralogismen der
reinen Vernunft bezeichnet Kant als apperceptionis substantiatae. ⁴⁰⁰ Der Fehl-
schluss in Bezug auf die Apperzeption besteht darin, dass diese zu einem zeitli-
chen Bewusstsein der Persistenz einer Ichheit hypostasiert wird. Die Apperzeption
als „der Grund der Möglichkeit der Kategorien“⁴⁰¹ wird so als zeitlich indiziertes
Bewusstsein eines sich bewusst werdenden Gegenstandes, einer Substanz, ge-
dacht. Der Ursprung dieser Versinnlichung der Apperzeption liegt im Denken
selbst, da das Denken in seiner Tätigkeit auf seine doppelständige Natur von
Sinnlichkeit und Urteilsvermögen verwiesen ist. Der subreptive Gebrauch der
Vernunft von der kategorialen Struktur der Apperzeption führt so zur Hyposta-
sierung eines fingierten Gegenstandes.
Man siehet aus allem diesem, daß ein bloßer Mißverstand der rationalen Psychologie ihren
Ursprung gebe. Die Einheit des Bewußtseins, welche den Kategorien zum Grunde liegt, wird
hier für Anschauung des Subjekts als Objekts genommen, und darauf die Kategorie der
Substanz angewandt. Sie ist aber nur die Einheit im Denken, wodurch allein kein Objekt
gegeben wird, worauf also die Kategorie der Substanz, als die jederzeit gegebene Anschauung
voraussetzt, nicht angewandt, mithin dieses Subjekt gar nicht erkannt werden kann.⁴⁰²
das Denken als Tätigkeit des kategorialen Verstandes überhaupt erst ermöglicht.
Da also die Subreption auf der tatsächlichen Apperzeptionsstruktur aufbaut, ließe
sich diese rekonstruieren, wenn man die zeitliche Bestimmung der subreptiv-
temporalen Indizierung vom hypostasierten Bewusstsein abstrahierte, also die
Schematisierung aufhöbe. Im Ergebnis stünde die reine Struktur des transzen-
dentalen Selbstbewusstseins, da die Apperzeption, wie Kant sagt, nur „nackte
Verstandesbegriffe“⁴⁰⁴ enthält, also unschematisierte Kategorien (Notionen),⁴⁰⁵
mithin die bloßen Urteilsfunktionen der reinen Verstandesbegriffe.
An dieser Stelle sind damit bereits zwei Vorbedingungen des Vollständig-
keitsbeweises erfüllt: Erstens konnte gezeigt werden, dass Kant mit dem gesuchten
Prinzip als Ursprung der Urteilsformen tatsächlich die Apperzeption meinte.
Zweitens konnte dargelegt werden, dass die Apperzeption als begleiten könnende
Vorstellung des Ich strukturell durch die jeweils ersten Momente bestimmt ist. Da
das jeweils zweite Moment aus der Negation des ersten und das dritte Moment aus
der Synthesis der ersten beiden gebildet wird, welche jeweils für sich wiederum
begriffliche Einheiten bilden, nämlich Welt und Absolutheit (Gott), ist das logische
Prius der Apperzeption bewiesen.⁴⁰⁶
Dies ist ein wesentlicher Schritt, jedoch noch nicht hinreichend, um die
Vollständigkeit der Urteilstafel und ihre logische Geschlossenheit zu demon-
strieren. Es muss noch geklärt werden, wie die Strukturmomente „rein und un-
vermischt entspringen, und daher selbst nach einem Begriffe, oder einer Idee,
unter sich zusammenhängen“⁴⁰⁷. Hier sind wiederum zwei Fragen zu beantwor-
ten, wenn der Vollständigkeitsbeweis gelingen soll:
1. Wie sind Titel und Momente der Urteilstafel aus der Apperzeption zu ge-
winnen?
2. In welcher logischen Reihenfolge ergeben sich Titel und Momente aus der
Apperzeption?⁴⁰⁸
KrV, A , S. . Die Bedingung der Regel bezeichnet den im Maior stehenden Begriff
(Bspw. „Mensch“, dessen wesentliche Eigenschaft die Sterblichkeit ist.), unter dem im Minor eine
bestimmte Erkenntnis („Alle Gelehrten sind Menschen.“) im Vernunftschluß subsumiert wird. Der
Begriff erfährt so eine Bestimmung durch die im Minor gesetzte Erkenntnis („Einige Menschen
sind Gelehrte.“), aus welcher ein Schluss gezogen werden kann („Alle Gelehrten sind sterblich.“).
Cf. Schwabe (), S. .
Cf. Jäger (), S. .
Cf. KrV, A | B f.; S. f.
Cf. Reich (1948), S. 68.
Dass die Apperzeption den höchsten Punkt darstellt, auf den die Kritik der reinen Vernunft
hinführt und an den sie erst ihre Argumentation aufhängt, ist als Argument gegen die Bemü-
hungen Reichs u. a., die Urteilstafel aus der Apperzeption abzuleiten, angeführt worden, cf.
Baumanns (), S. ff.; Brandt (), S. . Der hier vorgelegte Vollständigkeitsbeweis lässt
diesen Einwand als gerechtfertigt zu. Es wird jedoch darauf verwiesen, dass die Einheitsstruktur
der Apperzeption, auf welche die Kritik der reinen Vernunft in der Deduktion als höchsten Punkt
(cf. KrV, B .) zusteuert, bereits in der Urteilstafel als principium der Einheit des Verstandes
vorausgesetzt ist und in ihrer Struktur ausgehend von ihrer Verwendung als Prinzip transparent
gemacht werden kann. Dass für den Vollständigkeitsbeweis der Begriff des „Exponenten“ zentrale
Bedeutung hat, erkannte bereits Reich (), S. . Sein Beweisversuch schlägt jedoch eine
gänzlich andere Richtung ein als der hier vorgelegte Beweis.
210 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Ist aber eine vollständig (und unbedingt) gegebene Bedingung einmal da, so bedarf es nicht
mehr eines Vernunftbegriffs in Ansehung der Fortsetzung der Reihe; denn der Verstand tut
jeden Schritt abwärts, von der Bedingung zum Bedingten, von selber.⁴¹⁴
Mit der Apperzeption als dem Ursprung der gesuchten Reihe ist bereits ein Pro-
blem verbunden, welches sich aus dem substantialistischen Missverständnis der
Apperzeption ergibt, i. e. ihre problematische Gleichsetzung mit dem transzen-
dentalen Subjekt.⁴¹⁵ Die Apperzeption ist jedoch eben nicht identisch mit dem
„bestimmbaren Ich“. Sie ist nicht das Objekt des (Selbst‐)Bestimmens im Sinne des
Fichteschen Gebrauches des Ichs, sondern die Form dieses Bestimmens selbst.⁴¹⁶
Die Apperzeption kann nach Kant nicht deswegen zum Objekt der Erkenntnis
werden, weil sie gänzlich unerfahrbar wäre. Dies ist in Anbetracht der Vollstän-
digkeit ihrer logischen Durchbestimmung durch die Urteilsmomente auch de facto
nicht der Fall, sondern sie eignet sich deswegen nicht zur Vergegenständlichung,
weil sie selbst das Medium allen Denkens und damit aller Erfahrung ist.⁴¹⁷ Das-
jenige, was durch die reine Apperzeption zum empirischen Selbstbewusstsein
bestimmt wird, „dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denkt“⁴¹⁸, ist das
eigentlich unbekannte des Ichs an sich selbst =X.
Daß aber das Wesen, welches in uns denkt, durch reine [=bloße, M. B.] Kategorien, und zwar
diejenigen, welche die absolute Einheit unter jedem Titel derselben ausdrücken, sich selbst
zu erkennen vermeine, rührt daher. Die Apperzeption ist selbst der Grund der Möglichkeit der
Kategorien, welche ihrerseits nichts anderes vorstellen, als die Synthesis des Mannigfaltigen
der Anschauung, sofern dasselbe in der Apperzeption Einheit hat. Daher ist das Selbstbe-
wußtsein überhaupt die Vorstellung desjenigen, was die Bedingung aller Einheit, und doch
selbst unbedingt ist.⁴¹⁹
die Annahme zu geben, dass mit Kant die Frage nach einem präreflexiven Grund
des Selbstbewusstseins generell abgewiesen werden müsste. Sie übersteigt jedoch
den von Kant gesetzten Rahmen einer kritischen Transzendentalphilosophie.⁴²¹
Die Transzendentalphilosophie Kants ist ihrem Wesen nach nicht-spekulativ, in-
sofern sie ihren Anfang in der (Erkenntnis‐)Logik und nicht in der Evidenzer-
fahrung eines „unmittelbaren Vorhandenseins“⁴²² nimmt. Simon Franks Fest-
stellung, „[d]aß das Seelenleben, eine uns unmittelbar unzugängliche Tiefe hat –
das erfahren wir mindestens mit derselben Evidenz, mit der wir wissen, daß eine
für uns verschlossene Schachtel oder ein verschlossenes Zimmer einen Innenraum
enthält, trotzdem wir nicht imstande sind darin einzudringen.“⁴²³, hätte also
durchaus Kants Zustimmung finden können, ohne dass er dies zwingend zum
Prinzip gemacht hätte. Liebrucks bringt diesen Zusammenhang mit Kant auf die
treffende Formel:⁴²⁴ „Bei Kant ist Selbstbewußtsein nicht Selbsterkenntnis.“⁴²⁵
Aus dem kritischen System Kants, welches die Erkennbarkeit des Dings an
sich selbst und damit auch das des sich selbst denkenden Wesens verneint,⁴²⁶
erwächst die paradox anmutende Schwierigkeit, dass die alles Denken beglei-
tende und bestimmende Form⁴²⁷, nämlich die Apperzeption als die ursprüngliche
und notwendige Einheit des (Selbst‐)bewusstseins,⁴²⁸ eine Bestimmbarkeit vor-
aussetzt, welche gänzlich unerkannt bleibt, da diese durch den diskursiv-trans-
zendentalen Charakter der Apperzeption nicht als bestimmt gedacht werden
kann.⁴²⁹
Nach Heimsoeth bezeichnet der Begriff des „Wesens“ bei Kant „im strengen
Sinne des Arguments: ein Seiendes (Ding, Wesen), welches und insofern es
„denkt“ und sich im Denken seiner selbst bewußt ist.“⁴³⁰ Kaulbach merkt dazu an,
Cf. Choi (), S. : „Und das Bewußtsein meiner selbst ist also das Bewußtsein meines
ursprünglichen Daseins, ohne daß es zur Erkenntnis meiner selbst wird.“
Frank (), S. .
Frank (), S. .
Cf. ebenfalls Sturma (a), S. .
Liebrucks (), S. . Cf. KrV, B ; S. : „Das Bewußtsein seiner selbst ist also noch
lange nicht eine Erkenntnis seiner selbst […].“
Rosefeldt (2000), S. 68 f., sieht in der Unerkennbarkeit des Ich-Grundes einen negativen wie
positiven Sinn: Negativ, da keine Erkenntnis des Ich durch eine (intellektuelle) Anschauung
möglich ist, auf die sich der Begriff „Ich“ beziehen könnte. Positiv, insofern Selbstbewusstsein
nicht auf eine Form der Anschauung angewiesen sei.
Cf. KrV, B , S. f.
Cf. KrV, B f.; S. f.
Cf. KrV, B , S. .
Cf. Heimsoeth (), S. f.
Heimsoeth (), S. .
212 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Verstandesbegriffe werden auch a priori vor der Erfahrung und zum Behuf derselben ge-
dacht; aber sie enthalten nichts weiter, als die Einheit der Reflexion über die Erscheinungen,
in so fern sie notwendig zu einem möglichen empirischen Bewußtsein gehören sollen.⁴⁴⁰
Die Apperzeption als ursprüngliche Einheit, mithin als Grund der Einheit der
Reflexion, ist, wie alle Verstandesbegriffe, ein Reflexionsbegriff. ⁴⁴¹ Als ein solcher
supponiert die Apperzeption die Möglichkeit der Verhältnissetzung von Vorstel-
lungen durch eine relationale Tätigkeit des Denkens, in diesem Fall in Beziehung
auf das Subjekt des Gedankens selbst.⁴⁴² Der Beweis der Vollständigkeit der Ur-
teilsformen aus der Apperzeption muss daher die Reflexionsstruktur des trans-
zendentalen Selbstbewusstseins zugrunde legen, welche in der Tafel der Refle-
xionsbegriffe angelegt ist.⁴⁴³
Die Überlegung (reflexio) hat es nicht mit den Gegenständen selbst zu tun, um geradezu von
ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst
dazu anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu
Begriffen gelangen können. Sie ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstel-
lungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches allein ihr Verhältnis
unter einander richtig bestimmt werden kann.⁴⁴⁴
Kant gebraucht hier den Titel der Reflexion im weiteren Sinne, sofern er ebenfalls
die zeitliche Dimension des Bewusstseins als tätige Einbildungskraft in Bezug auf
dessen Form mit einschließt. Dies ist verständlich, ausgehend von der eigentli-
chen Absicht des Amphiboliekapitels in Anschluss an die Analytik der Grund-
sätze, welche Kant ebenfalls in Bezug auf die Verhältnisbestimmung von reinem
Verstand und innerem Sinn ermittelt.
Man wird aber wohl bemerken: daß ich hier eben so wenig die Grundsätze der Mathematik in
einem Falle, als die Grundsätze der allgemeinen (physischen) Dynamik im andern, sondern
nur die des reinen Verstandes im Verhältnis auf den innern Sinn (ohne Unterschied der darin
gegebenen Vorstellungen) vor Augen habe, dadurch denn jene insgesamt ihre Möglichkeit
bekommen.⁴⁴⁵
Für die Ermittlung der Ableitungsordnung der Urteilsformen aus der Reflexions-
struktur der Apperzeption ist die Konkordanz der Urteilstafel und der Tafel der
Reflexionsbegriffe entscheidend, sofern die Titel der Urteilstafel, i. e. die ele-
mentaren Urteilshandlungen, gleichzeitig als Reflexionen über die Verhältnis-
bestimmungen der Vorstellungen mit den Erkenntniskräften aufgefasst werden
können, da Kant die Tafel der Reflexionsbegriffe parallel zu der Tafel der Ur-
teilshandlungen listet.
Die Handlung, dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Er-
kenntniskraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch ich unterscheide, ob
sie als zum reinen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung gehörend unter einander
verglichen werden, nenne ich die transzendentale Überlegung. Das Verhältnis aber, in wel-
chem die Begriffe in einem Gemütszustande zu einander gehören können, sind die der Ei-
nerleiheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des Widerstreits, des Inneren und des
Äußeren, endlich des Bestimmbaren und der Bestimmung (Materie und Form). Die richtige
Bestimmung dieses Verhältnisses beruhet darauf, in welcher Erkenntniskraft sie subjektiv zu
einander gehören, ob in der Sinnlichkeit oder dem Verstande. Denn der Unterschied der
letzteren macht einen großen Unterschied in der Art, wie man sich die ersten denken solle.⁴⁴⁶
Für den Beweis der Vollständigkeit der Urteilstafel aus der Apperzeption ist jedoch
nur die reine Form der transzendentalen Reflexion entscheidend.⁴⁴⁷ Dement-
sprechend muss zu den Reflexionsbegriffen die entsprechende Form der Refle-
xionshandlung aufgesucht werden, welche wiederum der elementaren Urteils-
handlung der Titel zu entsprechen hat. Die erste Reflexionsform betrifft die
Identität des Gegenstandes einer Vorstellung:
1. Einerleiheit und Verschiedenheit. Wenn uns ein Gegenstand mehrmalen, jedesmal aber mit
eben denselben innern Bestimmungen (qualitas et quantitas), dargestellet wird, so ist der-
selbe,wenn er als Gegenstand des reinen Verstandes gilt, immer eben derselbe und nicht viel,
sondern nur ein Ding (numerica identitas); ist er aber Erscheinung, so kömmt es auf die
Vergleichung der Begriffe gar nicht an, sondern, so sehr auch in Ansehung derselben alles
einerlei sein mag, ist doch die Verschiedenheit der Örter dieser Erscheinung zu gleicher Zeit
ein genügsamer Grund der numerischen Verschiedenheit des Gegenstandes (der Sinne)
selbst.⁴⁴⁸
2. Einstimmung und Widerstreit.Wenn Realität nur durch den reinen Verstand vorgestellt wird
(realitas noumenon), so läßt sich zwischen den Realitäten kein Widerstreit denken, d. i. ein
solches Verhältnis, da sie in einem Subjekt verbunden einander ihre Folgen aufheben […].⁴⁴⁹
Der Vorschlag von Enskat (), S. , die Urteilsformen im Rahmen der subjektiven
Deduktion aus der (empirischen) Konstitution der Vorstellungsvermögen abzuleiten, ist daher
zurückzuweisen.
KrV, A | B ; S. .
KrV, A f. | B ; S. .
216 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Die Reflexion auf die Einstimmung oder den Widerstreit einer Vorstellung zum
Verstand bezeichnet demnach als rein formale Urteilshandlung die qualitative
Bestimmung der Relation des Subjektes zu seinen Prädikaten hinsichtlich deren
Affirmation (S ) P&, respektive Negation (S ) /P&. Der dritte Reflexionstitel be-
stimmt das Verhältnis eines Erkenntnisgegenstandes bezüglich seiner Innerlich-
keit, respektive Äußerlichkeit. Dabei ist vor allem die Frage nach der Innerlichkeit
des Vernunftgegenstandes für die Diskussion des transzendentalen Selbstbe-
wusstseins von Interesse:
3. Das Innere und Äußere. An einem Gegenstande des reinen Verstandes ist nur dasjenige
innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Dasein nach) auf irgend etwas von ihm Ver-
schiedenes hat.⁴⁵⁰
4. Materie und Form. Dieses sind zwei Begriffe, welche aller andern Reflexion zum Grunde
gelegt werden, so sehr sind sie mit jedem Gebrauch des Verstandes unzertrennlich ver-
bunden. Der erstere bedeutet das Bestimmbare überhaupt, der zweite dessen Bestimmung
(beides in transzendentalem Verstande, da man von allem Unterschiede dessen,was gegeben
wird, und der Art, wie es bestimmt wird, abstrahiert). Die Logiker nannten ehedem das
Allgemeine die Materie, den spezifischen Unterschied aber die Form. In jedem Urteile kann
man die gegebenen Begriffe logische Materie (zum Urteile), das Verhältnis derselben (ver-
mittelst der Kopula) die Form des Urteils nennen. In jedem Wesen sind die Bestandstücke
desselben (essentialia) die Materie; die Art, wie sie in einem Dinge verknüpft sind, die we-
sentliche Form. Auch wurde in Ansehung der Dinge überhaupt unbegrenzte Realität als die
Materie aller Möglichkeit, Einschränkung derselben aber (Negation) als diejenige Form
angesehen, wodurch sich ein Ding vom andern nach transzendentalen Begriffen unter-
scheidet. Der Verstand nämlich verlangt zuerst, daß etwas gegeben sei (wenigstens im Be-
griffe), um es auf gewisse Art bestimmen zu können.⁴⁵²
Die Reflexion auf das Verhältnis von Bestimmbarem und Bestimmung bildet so-
wohl den wesentlichen Schlüssel in der Erörterung des Funktionsbegriffes als
auch in der Lösung des Problems der metaphysischen Deduktion. In der Dis-
kussion des Funktionsbegriffes als Einheit der Handlung wurde auf die bestim-
mungslogisch notwendige Dreiheit der Funktion als Handlung, Regel und Form
verwiesen. Kants Auffassung der vierten Reflexion auf das Bestimmbare und die
Bestimmung bestätigt nun diese Interpretation, sofern Bestimmung sowohl die
Handlung des Bestimmens als auch das Ergebnis der Handlung, i. e. die Form
einschließt. Ebenso findet sich hier die metaphysische Ableitung der Kategorien
mittels der Modalität bestätigt.⁴⁵³ So besteht die transzendentale Aufgabe der
Modalität in der Verhältnissetzung der reinen Denkfunktion als das Bestimmende
auf die reine Zeitform als das zu Bestimmende. Das Ergebnis, die Kategorie, kann
daher in gewisser Hinsicht als Bestimmtes aufgefasst werden, insofern sie aus
einer Bestimmung gewonnen wurde. Sie stellt jedoch für sich genommen eine
reine Bestimmung dar, sofern die Kategorie als Ergebnis in der Anschauung nicht
ein Bild durch die Einbildungskraft darstellt, sondern eine (real‐)funktionale
Bestimmung des inneren Sinnes. Für die Bestimmung der apperzeptiven Refle-
xionsstruktur ist die Überlegung von Bestimmbarem und Bestimmung wiederum
von zentraler Bedeutung, da sie dem Reflexionsprogress des Selbstbewusstseins
zugrunde liegt. Für das „Gegebensein“ des transzendentalen Selbstbewusstseins
im Begriffe ist dabei jedoch die wichtige Einschränkung zu machen, dass sich
dieses selbst nur auf ein Verhältnis bezieht und insofern nicht als Objekt dem
Bewusstsein gegeben ist.
Für die reine Form der Modalreflexion lässt sich das Verhältnis von Materie
und Form als das Verhältnis des zu bestimmenden Begriffes zur Möglichkeit ihrer
Verknüpfung durch Kopula bestimmen. Da die Möglichkeit durch das Subjekt der
Prädikation, im Falle der Apperzeption entsprechend das Subjekt der Vorstellung,
gesetzt ist, die Reflexion der Bestimmungsmöglichkeit jedoch das Prädikat be-
trifft, bezieht sich die Modalreflexion auf die Verhältnissetzung des Prädikates
zum Subjekt (P$S&.
Die Konkordanz der Tafel der Reflexionsbegriffe und der der Urteilsfunktio-
nen, respektive der vier Titel der Tafel, stellt sich unter Einbeziehung der Form des
Aus der Analyse der Reflexionsbegriffe lässt sich der Schlüssel der Entwicklung
der kategorialen Formen aus der ursprünglichen Einheit der Apperzeption ent-
nehmen, insofern diese als Form eines Bewusstseins überhaupt mit der Form der
kognitiven Handlung des reflexiven Selbstverhältnisses identifiziert werden kann.
Dabei erscheint es prima facie paradox, aber vom Standpunkt der kritischen
Philosophie unumgänglich, dass Kant in der Bestimmung der Subjektivität nicht
von einem zu Bestimmenden, einer res cogitans im cartesischen Sinne, anfängt,
sondern von einer Bestimmungshandlung. Auf dieser abstraktesten Ebene des
Selbstbewusstseins als Selbstbestimmung des Denkens ist daher von jedem ge-
genständlichen oder gar personalen Sinn des Gedachten abzusehen. Die Apper-
zeption bildet hier allein die Form der selbstbezüglichen Bestimmungshandlung
des Denkens. In diesem ersten Reflexionsakt des Denkens tritt sich das Denken
denkend gegenüber, es wird sich selbst als Denken denkend bewusst. Es nimmt
dabei einerseits die Stelle des Subjekts ein, welches sich im Reflexionsakt als
denkend begreift, zum andern die des Prädikats, welches sich im Selbstdenken als
das Gedachte, d. h. als Vorstellung versteht, wobei es gleichzeitig auf das Ver-
hältnis zwischen beiden als Identität reflektiert. In der Reflexion setzt sich das
Subjekt zu sich selbst, respektive zu seinen Vorstellungen derart in Beziehung,
dass es auf die Innerlichkeit⁴⁵⁴ seiner Bewusstseinsakte Bezug nimmt. In abstracto
ist diese Handlung identisch mit dem Titel der Relation. ⁴⁵⁵ Es ist genau diese ur-
sprüngliche Handlung innerhalb der Apperzeption, welche das erste Element der
Bestimmungskette ausmacht.
Aus der ersten Handlung des apperzipierenden Bewusstseins des sich selbst
als Denken bewusstwerdenden Denkens, i. e. dem ersten sich ins Verhältnis Setzen
Ich, als ein denkend Wesen, bin das a b s o l u t e S u b j e k t aller meiner Urteile.“⁴⁶⁰
Der Begriff absolut weist auf das Fehlen des korrelativen Abhängigkeitsverhält-
nisses von Subjekt und Prädikat hin. „Absolutes Subjekt“ ist dasjenige, welches
formaliter nicht als Prädikat von einem anderen ausgesagt werden kann.⁴⁶¹ Das
absolute Subjekt ist nun identisch mit dem reinen (unschematisierten) Begriff der
Substanz:
Dasjenige, dessen Vorstellung das absolute Subjekt unserer Urteile ist und daher nicht als
Bestimmung eines anderen Dinges gebraucht werden kann, ist Substanz.⁴⁶²
Da der bloße Begriff der Substanz nur auf seine Anwendung in einem Urteil
verweist, welches wesentlich Subjekt und Prädikat beinhaltet, von dem ein formal
austauschbarer Gebrauch gemacht werden kann, muss es eine Bestimmung ge-
ben, welche eine ursprüngliche Subjektivität fordert, die nicht in der rein formalen
Bestimmung des Dinges liegt. Diese Vorstellung transzendiert jedoch den auf eine
mögliche Erfahrung restringierten Gebrauch der Kategorien. Aus der Denknot-
wendigkeit, das Ich als absolutes Subjekt aller Denkhandlungen vorzustellen,
folgt für Kant eben nicht, dass das Ich der Apperzeption als Substanz aufgefasst
werden darf. Die Bestimmung als absolutes Subjekt ist eben nicht identisch mit
einem kategorial bestimmten Begriff, sondern allein eine logisch notwendige
Funktion des Denkens, aus dem keine inhaltliche Bestimmung des Gedachten
gefolgert werden kann.⁴⁶³
Die Bestimmung der Subjektivität als absolute ist wesentlich für das Verstehen der
Apperzeption und ihrer inneren Struktur, sofern „das Selbstbewußtsein über-
haupt die Vorstellung desjenigen [ist, M. B.], was die Bedingung aller Einheit und
doch selbst unbedingt ist“⁴⁶⁴. Nur die Unmöglichkeit, das Subjekt jeder Vorstel-
lung als Prädikat zu denken, bedingt die Ursprünglichkeit der Apperzeption als
logisches Selbstverhältnis und markiert damit den Anfang ihrer Explikationskette
durch die übrigen Titel und Momente des Denkens überhaupt hindurch. Da das
absolute Subjekt die Notion der Substanzkategorie darstellt, mithin deren reine,
unschematisierte Form, ist nicht nur der erste Titel, sondern ebenfalls die erste
Urteilsform gewonnen, i. e. das kategorische Urteil, da, wie bereits erörtert wurde,
die unschematisierte Kategorie und ihre jeweilige Urteilsform identisch sind, mit
der Einschränkung, dass in der unschematisierten Kategorie das Denken selbst
durch die logische Funktion gedacht wird.
Der Titel „Relation“ (die erste Bestimmungshandlung der Apperzeption) und
die „kategorische Urteilsform“ (die Regel der ersten Bestimmungshandlung der
Apperzeption) sind damit als die beiden ersten Elemente der Apperzeptions-
selbst wenn ihm die ganze Natur aufgedeckt wäre, gedacht werden könne; weil die spezifische
Natur unseres Verstandes darin besteht, alles diskursiv, d. i. durch Begriffe, mithin auch durch
lauter Prädikate zu denken, wozu also das absolute Subjekt jederzeit fehlen muß. Daher sind alle
realen Eigenschaften, dadurch wir Körper erkennen, lauter Akzidenzen, sogar die Undurch-
dringlichkeit, die man sich immer nur als die Wirkung einer Kraft vorstellen muß, dazu uns das
Subjekt fehlt.
Nun scheint es, als ob wir in dem Bewußtsein unserer selbst (dem denkenden Subjekt) dieses
Substantiale haben, und zwar in einer unmittelbaren Anschauung; denn alle Prädikate des in-
neren Sinnes beziehen sich auf das Ich, als Subjekt, und dieses kann nicht weiter als Prädikat
irgendeines andern Subjekts gedacht werden. Also scheint hier die Vollständigkeit in der Bezie-
hung der gegebenen Begriffe als Prädikate auf ein Subjekt nicht bloß Idee, sondern der Gegen-
stand, nämlich das absolute Subjekt selbst, in der Erfahrung gegeben zu sein. Allein diese Er-
wartung wird vereitelt. Denn das Ich ist gar kein Begriff, sondern nur Bezeichnung des
Gegenstandes des inneren Sinnes, so fern wir es durch kein Prädikat weiter erkennen, mithin kann
es zwar an sich kein Prädikat von einem andern Dinge sein, aber ebensowenig auch ein be-
stimmter Begriff [Hervorhebung, M. B.] eines absoluten Subjekts, sondern nur, wie in allen
andern Fällen, die Beziehung der inneren Erscheinungen auf das unbekannte Subjekt derselben.
Gleichwohl veranlaßt diese Idee (die gar wohl dazu dient, als regulatives Prinzip alle materia-
listische Erklärungen der inneren Erscheinungen unserer Seele gänzlich zu vernichten) durch
einen ganz natürlichen Mißverstand ein sehr scheinbares Argument, um, aus diesem vermeinten
Erkenntnis von dem Substantiale unseres denkenden Wesens, seine Natur, so fern die Kenntnis
derselben ganz außer den Inbegriff der Erfahrung hinaus fällt, zu schließen.“ Proleg. § 46, 134 ff.;
AA IV, 333 f.; S.111 ff.
KrV, A ; S. .
222 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
struktur aufgewiesen. Das Ich in einem Aktus der Reflexion (Relation) bestimmt
sich als absolutes Subjekt aller seiner Urteile (kategorisches Urteil).⁴⁶⁵
Diese Bestimmung des Ichs als Absolutum ist von wesentlicher Bedeutung für
die Apperzeption als Bewusstsein, eines „Bewusstseins-von“, in Beziehung auf
den grundsätzlichen Einwurf, der gegen jede Reflexionstheorie des Selbstbe-
wusstseins erhoben werden kann, welche Henrich als „Fichtes ursprüngliche
Einsicht“⁴⁶⁶ bezeichnet:
Die Reflexionstheorie des Ich will aber nicht die Deutlichkeit, sondern den Ursprung des
Selbstbewußtseins erklären. Durch diesen Anspruch gerät es in einen Zirkel. Sie kann ihn nur
ignorieren, ihm aber niemals entweichen. Ich soll der sein, der sich reflektierend auf sich
besinnt. Also muß der, welcher die Reflexion in Gang bringt, selbst schon beides sein,
Wissendes und Gewußtes. Das Subjekt der Reflexion erfüllt somit die ganze Gleichung Ich =
Ich. Doch durch Reflexion sollte sie erst zustandekommen.⁴⁶⁷
unterscheiden.⁴⁷² Die Nichtprädizierbarkeit des Subjekts der Form S(s& und die
Identität des Ichs: Ich = Ich besitzen zwar beide ursprüngliche, d. h. irreduzible
Gewissheit und können so zum Anfang einer Deduktion genommen werden, Kants
Begriff des absoluten Subjektes stellt jedoch im Gegensatz zum ersten Grundsatz
der Wissenschaftslehre nur ein logisches und kein spekulatives Prinzip dar.⁴⁷³
Hierin mag der tiefere Grund liegen, warum Kant Fichtes Wissenschaftslehre zu
Anfang als eine bloß formale Logik aufgefasst hat.⁴⁷⁴ Zweitens stellt die Apper-
zeption eine bloße, jedoch in sich strukturierte Leerform dar, obgleich sie den
Ursprung aller anderen Denkformen bildet. Drittens ist der Satz der absoluten
Subjektivität des transzendentalen Bewusstseins ein bloß negativer Satz. Kant
lässt in ihm bewusst, in Übereinstimmung mit der kritischen Anlage seines Sys-
tems, die Frage nach einer positiven Voraussetzung seiner Gültigkeit aus.⁴⁷⁵
Heckmanns Einwand zugunsten der Restituierung einer vorkritischen See-
lenmetaphysik gegen Kants Argument wider die Objektivierungsmöglichkeit des
transzendentalen Selbstbewusstseins verfängt in doppelter Hinsicht nicht. Er
nimmt folgendes Kantwort zum Anlass seiner (Meta‐)Kritik:
Das Subjekt der Kategorien kann also dadurch, daß es diese denkt, nicht von sich selbst als
einem Objekte der Kategorien einen Begriff bekommen; denn, um diese zu denken, muß es
sein reines Selbstbewußtsein, welches doch hat erklärt werden sollen, zum Grunde legen.⁴⁷⁶
Diese Unterscheidung zwischen kritischem und spekulativem Denken ist auch dann zu
beachten, wenn man mit Weidenbach annimmt, „dass die grundlegende Tendenz des Idealismus,
nämlich die Entsubstanzialisierung des einzelnen Subjekts, auch im Pantheon menschlichen
Denkens und Fühlens im weitesten Sinne gebietet.“ Weidenbach (), S. .
Insofern hat Kaulbach in Anschluss an Heimsoeth recht, wenn er sagt: „In Kants Ideenlehre
geschieht die Rechtfertigung des Denkens vom Absoluten, welches gleichwohl nicht die Per-
spektive der endlichen Vernunft menschlicher Subjektivität transzendiert.“ Kaulbach (),
S. .
„Denn reine Wissenschaftslehre ist nichts mehr oder weniger als bloße L o g i k , welche mit
ihren Principien sich nicht zum Materialen des Erkenntnisses versteigt, sondern vom Inhalte
derselben als reine Logik abstrahirt, aus welcher ein reales Object herauszuklauben vergebliche
und daher auch nie versuchte Arbeit ist, sondern wo, wenn es die Transscendental=Philosophie
gilt, allererst zur Metaphysik übergeschritten werden muß.“ AA XII, .
Ein spekulatives Denken, welches begründungstheoretisch noch vor die Transzenden-
talphilosophie gelangen möchte, müsste von eben einer solchen positiven Voraussetzung an-
heben.
KrV, B ; S. f.
Heckmann (), S. .
224 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Es gibt demnach keine erkennende Reflexion, in der ich-qua-Subjekt mich selbst zum Ge-
genstand der Erkenntnis gewinne, denn was ich da, wenn überhaupt, zum Gegenstand ge-
winne, das bin nicht Ich-qua-Subjekt, sondern das Ich-das-Subjekt-qua-Objekt oder Ich-qua-
Subjekt/Objekt.⁴⁷⁸
Das Argument, welches Heckmann dem nun entgegenstellt, besteht darin, dass
Kant keine Antwort darauf gebe, warum „ich (als Subjekt) nicht mit mir selbst (als
Subjekt/Objekt) identisch bin“⁴⁷⁹.
Zwei Gründe lassen sich gegen Heckmann anführen. Der erste betrifft seine
Lesart des Verbotes, der zweite seine Explikation des vermeintlichen Verbots-
grundes. So ist es gerade nicht der intentionale Selbstbezug, den Kant verbietet.
Die Apperzeption bildet vielmehr die reale Form dieses Selbstbezuges als
Selbstbewusstsein. Im Opus postumum macht Kant dies noch einmal deutlich:
Das Bewußtsein meiner Selbst (apperceptio) ist der Act des Subjects sich selbst zum Object zu
machen und bloß logisch (Sum) ohne Bewußtsein des Gegenstandes (apprehensio sim-
plex).⁴⁸⁰
Seine Struktur wiederum stellt die reale, d. h. in ihrer Art an sich selbst bestehende
Form unserer Ich-Vorstellung dar. Damit ist die Identität des Ichs-qua-Subjekt mit
der des Ichs-qua-Objekt – S(s&; Ich = Ich – evident. Wogegen Kant sich jedoch
wendet, ist die Objektivierung dieser Vorstellung, i. e. die Idee, dass aus dieser
Identität eine Erkenntnis des Ichs als die eines Gegenstandes folgt. Gegenstände
werden durch die Kategorien gedacht. Kategorien sind wiederum die Vollzugs-
formen, mit denen Vorstellungen zur Einheit der Apperzeption gebracht wer-
den.⁴⁸¹ Die Apperzeption bildet also den Grund der Einheit unter unseren Vor-
stellungen. Wollte sich also das Ich, welches sich nur durch die Apperzeption
denkt, d. h. zur Vorstellung macht, zum Gegenstand, also zum Objekt einer ka-
tegorialen Bestimmung machen, würde aus dem Ich der Apperzeption ein kate-
gorial zu bestimmender Gegenstand einer Einheit, wobei sie gleichzeitig den
Grund dieser Einheit bildet.⁴⁸² Als bloß formales Prinzip ist dagegen nichts ein-
zuwenden. Die Apperzeption ist Grund der Einheit ihrer eigenen Vorstellung,
sofern sich Vorstellung und Grund der Vorstellung in Bezug auf die Apperzeption
nur als formaler und dynamischer Aspekt des transzendentalen Selbstbewusst-
seins voneinander unterscheiden. Problematisch wird dies erst, wenn die Ap-
perzeption zum Erkenntnisgegenstand gemacht werden soll.⁴⁸³ Die Verdingli-
chung der Apperzeption führt dann dazu, dass sich das reine Selbstbewusstsein
als Erklärungsgrund des Ichs als Gegenstand der Selbsterklärung immer schon
voraussetzt.
Mit dem „Ich denke“ ist dem Bewusstsein eine erste Vorstellung gegeben, auf
deren Verhältnis es hinsichtlich ihrer Einstimmung ⁴⁸⁴, respektive ihres Wider-
streits⁴⁸⁵ der Vorstellungen als Prädikate mit dem Subjekt derselben zu reflektieren
gilt. Die Bestimmung des apperzeptiven Selbstbewusstseins als absolute Sub-
jektivität des Ichs fordert logisch eine weitere Bestimmung. Aus der relationalen
Bestimmung des Ichs als absolutes Subjekt ergibt sich dabei die notwendige
Vorstellung von dessen Einheit in Bezug auf all seine Vorstellungen „so fern sie in
einem Bewußtsein müssen verbunden werden können; denn ohne das kann nichts
dadurch gedacht oder erkannt werden, weil die gegebene Vorstellungen den Actus
der Apperzeption, Ich denke, nicht gemein haben, und dadurch nicht in einem
Selbstbewußtsein zusammengefaßt sein würden.“⁴⁸⁶ Der Grund der Notwendig-
keit dieses bestimmungslogischen Übergangs ist von Heimsoeth in Bezug auf den
ersten und zweiten transzendentalen Paralogismus richtig charakterisiert worden:
Im Gegensatz zum ersten Paralogismus geht es im zweiten nicht um den Bestand,
sondern um die Handlungen der Substanz.⁴⁸⁷ Heimsoeth nennt jedoch nicht den
bestimmungslogischen, respektive den formalen Grund für die Reihenfolge von
Substantialität und qualitativer Einheit in Bezug auf die Reflexionsstruktur der
Apperzeption. So geht die Reflexion logisch von der absoluten Subjektivität aus.
Jede Vorstellung muss demnach als Prädikat dieses einen Subjektes der Vorstel-
the rational psychologist is implicitly assuming that the ’’I’’ is an object which could be subsumed
under the (schematized) category of substance.“ Op. cit. S. .
Koßler verbindet das Problem der Vergegenständlichung mit der Auffassung der Apper-
zeption, i.e. dem „Ich denke“ als Urteil: „Daß hier [A , M. B.] die Apperzeption erstmals als
Urteil formuliert wird, hat allerdings seinen Grund, denn die Urteilsform verleitet dazu, das Ich als
ein denkendes Wesen und Gegenstand des inneren Sinnes vom Körper und von allem Empirischen
überhaupt getrennt zu betrachten.“ Koßler (), S. .
KrV, A f. | B ; S. .
KrV, A f. | B ; S. .
KrV, B f.; S. . Der transzendentale Paralogismus macht aus dieser formalen Be-
stimmung der Apperzeption die Idee der Notwendigkeit der Simplizität der Seelensubstanz, cf.
KrV, A ; S. .
Cf. Heimsoeth (), S. .
226 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
lungen gedacht werden können. Damit eröffnet sich die Notwendigkeit, das
Verhältnis von Subjekt und Prädikat hinsichtlich ihrer Einheit im Denken zu re-
flektieren. Die relationale Bestimmung des Subjekts des Denkens zu sich selbst als
Absolutes in Beziehung zu seinen Vorstellungen als Gedachtes #S(s& ) P&! fordert
daher die qualitative Bestimmungshandlung hinsichtlich der Einstimmung, re-
spektive des Widerstreits des Realen in der Vorstellung, welche die Vorstellungen
eines identischen Subjekts in einem affirmierenden Urteil, i. e. als Bestimmung des
Realen in Einstimmung mit dem Bewusstsein ausweisen. Dies ist leicht zu sehen,
sofern das Denken als Denken, d. h. nicht als eine einem bestimmten Gedachten
bloß anhaftende Bestimmung, jedem konkreten Denkakt notwendigerweise for-
maliter vorausgehen muss. Das Denken bedingt so die qualitative Einheit aller
Vorstellungen, sofern sie als Vorstellungen nur Gedachtes in Bezug auf das
Denken sind. Das Subjekt ist jederzeit Subjekt seiner Vorstellungen, die Vorstel-
lungen sind jederzeit Vorstellungen des (einen) Subjekts.⁴⁸⁸ Die qualitative Einheit
des Denkens, welche wie bereits in 2.2.3 erörtert, die formale Bedingung der
Askription eines bestimmten Denkinhaltes bildet, sofern ihr „formale[] Bedeutung
als zur logischen Forderung in Ansehung jeder Erkenntnis gehörig“⁴⁸⁹ zukommt,
ist damit aus der Bestimmung der absoluten Subjektivität des Denkens abgeleitet.
Mit der qualitativen Bestimmung der Vorstellungen in Bezug auf die Form der
Apperzeption ist der zweite Bestimmungsschritt getan und gleichzeitig ist der Titel
der Qualität, respektive die Reflexion auf die Einstimmung der Vorstellung (die
zweite Bestimmungshandlung der Apperzeption) und das affirmierende Urteil (die
Regel der zweiten Bestimmungshandlung der Apperzeption) gefunden.
Die qualitative Einheit des Denkens fordert notwendig als nächsten Schritt die
Explikation der Einheit in Bezug auf den einzelnen Gedanken. Nachdem sich das
im Denken apperzipierende Subjekt in Bezug auf sich selbst (S ) S& und seine
Prädikate (S ) P& bestimmt hat, folgt als logisch dritter Schritt die Bestimmung des
Verhältnisses des Subjekts zu seinen Prädikaten (S$P&.
Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt, in Ansehung des Mannigfaltigen der mir in
einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesamt meine Vorstellungen
nenne, die eine ausmachen.⁴⁹⁰
Die logische Form des kategorischen Urteils p(x& und des affirmierenden Urteils p(x) sind
identisch. Die eine betont jedoch die logische Relation des Subjekts zu seinem Prädikat, die andere
die (affirmierende) Prädikation des Prädikats von seinem Subjekt.
KrV, B , S. .
KrV, B ; S. .
2.2 Die Apperzeption als Einheitsgrund des Verstandes 227
Die transzendentale und nicht bloß formale Apperzeption bestimmt alles Man-
nigfaltige der Anschauung durch ihre ursprünglich-synthetische Einheit.
Das ist aber so viel, als, daß ich mir einer notwendigen Synthesis derselben a priori bewußt
bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heißt, unter der alle mir
gegebene Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht
werden müssen.⁴⁹¹
Diese begleitet in der Vorstellung des „Ich denke“ alle anderen Vorstellungen. Die
qualitative Einheit des Denkens bedeutet damit in Bezug auf die Inhalte des
Denkens eine quantitative, sofern diese für alle Vorstellungen Bedingung der
Möglichkeit ihres Vorstellungseins, respektive Gedankenseins ist, worin sich die
Notwendigkeit des Bezugs jeder Vorstellung auf die Apperzeption ergibt, „denn
sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden
könnte, welches eben so viel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmög-
lich, oder wenigstens für mich nichts sein.“⁴⁹² In Bezug auf die Quantität (die dritte
Bestimmungshandlung der Apperzeption) sind demnach alle Vorstellungen Prä-
dikate des vorstellenden Subjektes,⁴⁹³ sodass mit dem allgemeinen Urteil (die
dritte Regel der Bestimmungshandlung der Apperzeption) das dritte Struktur-
moment der formalen Apperzeption als Grundlage ihres bestimmungsfunktio-
nalen Gebrauches zur Einheit des Denkens gefunden ist.⁴⁹⁴
Im vierten und letzten logischen Bestimmungsschritt der Apperzeption muss
die im dritten Schritt gewonnene Bestimmung – das Subjekt der Apperzeption ist
das Subjekt aller Vorstellungen als Prädikate – nun durch das notwendige Ver-
hältnis der Prädikate zum Subjekt des Denkens (P$S& neu bestimmt werden. Kant
bestimmt den reinen Verstand als Grund der Möglichkeit der Verknüpfung der
Vorstellungen durch die Kategorien.
In der metaphysischen Deduktion wurde der Ursprung der Kategorien a priori überhaupt
durch ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Den-
kens dargetan, in der transzendentalen aber die Möglichkeit derselben als Erkenntnisse a
priori von Gegenständen einer Anschauung überhaupt (§§ 20, 21) dargestellt. Jetzt soll die
Möglichkeit, durch Kategorien die Gegenstände, die nur immer unseren Sinnen vorkommen
mögen, und zwar nicht der Form ihrer Anschauung, sondern den Gesetzen ihrer Verbindung
nach, a priori zu erkennen, also der Natur gleichsam das Gesetz vorzuschreiben und sie sogar
möglich zu machen, erklärt werden.⁴⁹⁵
Die Vorstellungen müssen also im Grunde ihrer Möglichkeit mit den Gesetzen des
Denkens übereinstimmen.⁴⁹⁶ Jeder Gedanke ist als Gedanke nur möglich in Bezug
auf das Denken, respektive die Apperzeption.⁴⁹⁷ Durch die vierte Bestimmungs-
handlung der Modalität – die Bestimmung der Kopula⁴⁹⁸ des Prädikats in Bezug
auf die Form des Denkens überhaupt – wurde die Apperzeption in Bezug auf die
Möglichkeit der Prädikation einer Vorstellung bestimmt.⁴⁹⁹
Es ist leicht zu sehen, dass damit die Bestimmungsmöglichkeiten erschöpft
sind. Der erste Bestimmungsschritt bestimmte das Subjekt der Apperzeption als
absolutes Subjekt (S$S& mit der Relation und dem kategorischen Urteil als Er-
gebnis. Der zweite bestimmte das Subjekt in Bezug auf seine Prädikate (S ) P&,
sodass die Qualität und das affirmierende Urteil gefunden wurden. Hernach
wurde die Bestimmung des Verhältnisses des Subjekts zu seinen Prädikaten
notwendig (S$P&, welche das allgemeine Urteil als Bestimmung der Quantität
aufwies, und im vierten Schritt wurden die Prädikate in Bezug auf das Subjekt
bestimmt (P$S&, sodass die Modalität und das problematische Urteil gefunden
wurden. Ein weiteres Verhältnis ist logisch nicht mehr denkbar, da Subjekt und
Prädikat als korrelative Begriffe nun in allen möglichen Verhältnissen bestimmt
sind.⁵⁰⁰ Die für Reich⁵⁰¹ zentrale Bestimmung, „daß ein Urteil nichts andres sei, als
die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu brin-
gen“⁵⁰², respektive dass die „logische Form aller Urteile [] in der objektiven Einheit
der Apperzeption [bestehe, M. B]“⁵⁰³ bekommt mit Blick auf die Urteilstafel als
reflexive, respektive logische Explikationsstruktur der Apperzeption einen Sinn
als objektiv-transzendentale Funktion der Subjektivität ausgehend von ihrer
Selbstbestimmung als logisches Absolutum.
Es ergibt sich, dass die Apperzeption hinreichend durch alle vier Titel mit der
Relation im Exponenten und den jeweils ersten Momenten bestimmt ist. Dies
entspricht der in der transzendentalen Deduktion und Dialektik gefundenen
Reihenfolge der Erörterung der Strukturmomente (Relation, Qualität, Quantität,
Modalität). Da nun die jeweils zweiten und dritten Momente aus dem ersten ge-
wonnen werden können und die Bedingungen (4) bis (6) zur Vollständigkeit der
Urteilstafel erfüllt sind, kann diese als erwiesen gelten.⁵⁰⁴ Die Zusatzbedingung
(7)⁵⁰⁵ erweist sich durch den mit dem ersten Schritt mit gesetzten Satz der Identität
des Subjektes mit seiner ursprünglichen Vorstellung ebenfalls als erfüllt, sofern
dieser sowohl den Satz der Identität als auch den Satz des ausgeschlossenen
Widerspruchs impliziert.
Der Ausgang des Beweises der Vollständigkeit führt jedoch auch in eine
scheinbar paradoxe Situation. Dadurch dass in der Ableitung der Urteilsfunk-
tionen die Apperzeption an den Anfang gesetzt wurde, kehrt das Fichtesche
Problem eines präreflexiven Grundes in neuer Gestalt zurück. Da die Apperzeption
nur ein formales, nicht spekulatives Prinzip darstellt, bleibt gänzlich offen, ob
unser System der Kategorien auf festem oder sandigen Grund steht. Es ist sogar
denkbar, dass, wenn das Ich der Apperzeption nicht die Erscheinungsform eines
„realen“ Subjektes bildet, sondern bloß eine beigeordnete Funktion, respektive
Vorstellung ist, der Verstand gleichsam schwerelos über einem Abgrund schwebt.
Diese Situation ergibt sich durch die Umkehrung der kantischen Argumentation,
welche, wie Baumanns richtig betont, eine „Hänge-Konstruktion“ darstellt.⁵⁰⁶
Kant hat jedoch unserem Verständnis nach an der Existenz eines realen, jedoch für
die theoretische Vernunft unerkennbaren Grundes des Selbstbewusstseins keinen
Zweifel. Dieser findet sich auch im Begriff des „transzendentalen Substrates“, der
Einheit von Subjekt und Objekt als Vollerfüllung des Subjekts wieder.⁵⁰⁷ In diesem
() Die trichotomisch geordneten Urteilsformen müssen aus ihrem Titel gewonnen werden.
() Die Urteilsformen müssen eine deduktive Ableitungsstruktur aufweisen. () Die Vollständig-
keit ist erst dann bewiesen, wenn die Annahme eines weiteren Momentes einen logischen Wi-
derspruch implizierte. Cf. Kap. ...
() Die elementaren logischen Grundsätze müssen mit dem Prinzip der Einheit der kanti-
schen Urteilstafel gegeben sein.
Cf. Baumanns (), S. .
Cf. Kap. ... Hughes’ Ansicht, „Only incidentally [Hervorhebung, M. B.] does Kant address
himself to a ’substratum theorist’“ (Hughes (), S. ) ist daher zurückzuweisen. Ebenfalls
erweist sich in diesem Lichte Rotenstreichs Interpretation einer bloß negativen Bedeutung des
Substratbegriffes, zumindest mit Blick auf das Ganze des kantischen Systems als zweifelhaft: „The
distinction between the position of subject and the position of substratum is relevant here only
because Kant wants to maintain the view that there is no line continuity from subject to soul.“
Rotenstreich (), S. .
230 Kapitel II. Transzendentale Subjektivität
Es liegt eben,was die Existenz der Dinge an sich betrifft, für Kant überhaupt kein Problem vor.
Sie ist ihm eine unbewiesene Prämisse, von der er ausgeht, als sei sie so sicher wie der si-
cherst bewiesene Grundsatz.
Nichts ist für die philosophischen Systeme so bezeichnend, wie die unbewiesenen
Prämissen, auf denen sie aufgebaut sind, und nichts läßt in die geheimsten Herzkammern
ihrer Schöpfer einen so tiefen Blick tun wie gerade sie. In unserem Fall beweisen sie,wie stark
die realistische Tendenz in Kant war, und wie fern ihm deshalb jeder extreme Idealismus
liegen mußte.¹⁰
In den ersten beiden Kapiteln wurde bisher vornehmlich die Möglichkeit der Er-
fahrung vom Subjekt her diskutiert. Dies ändert sich in diesem Kapitel insoweit,
als dass in ihm nun die Möglichkeit der Erkenntnis aus der Perspektive des Ob-
jektes, respektive des Dinges an sich zur Betrachtung gestellt wird (Kap. 3.1). Ohne
Der Begriff „Ding an sich“ ist daher nicht bloß negativ aufzufassen, wie Prauss (), S. ,
meint: „Die Dinge ’an sich selbst’ betrachten heißt mithin nichts anderes als die Dinge ’nicht als
Erscheinungen’ zu betrachten.“
Cf. Frank (), S. ff.
Wartenberg (), S. .
Heimsoeth (/), S. , spricht von einem „metaphysischen Rest-Realismus“.
Cf. Heimsoeth (/), S. ff.
Adickes (), S. .
Kapitel III. Transzendentale Objektivität 233
Das Problem vom Ding an sich oder vielmehr von der Beziehung zwischen Subjekt und
Objekt, so wie Kant dieselbe gestellt hatte, ist eins der fundamentalen Probleme des Kriti-
zismus, ein Knotenpunkt, wo viele Fäden sowohl der Erkenntnistheorie als der Ethik Kants
zusammenstossen.¹¹
einsichtig gemacht werden konnte, ist es viertens möglich, die Frage nach Ver-
bindung, respektive Vergleichbarkeit des Gegenstandes in der Erscheinung mit
dem Ding an sich zu erörtern (Kap. 3.3.2).
Die Richtung der Untersuchung vollzieht sich daher im Ganzen von innen
nach außen: Sie hebt von der Reflexion der subjektiven Bedingungen der Ob-
jektivität im Denken (3.1) an. Danach reflektiert sie die Bedingung der Möglichkeit
des Gegebenseins eines Objekts in Bezug auf das Denken (3.2), um schließlich die
Frage nach der Möglichkeit eines Gegenstandes für das Denken stellen zu können
(3.3).
Alles empirische Denken zielt auf die Erkenntnis seines Gegenstandes, also auf
Erfahrung. Die Erfahrung bildet dementsprechend die höchste epistemische Stufe
der Gegenstandserkenntnis. Die Epistemologie hat daher im Wesentlichen zwei
Fragen zu beantworten: Erstens, worin besteht das Spezifische der empirischen
Erkenntnis, welches sie von der bloßen Wahrnehmung unterscheidet? Zweitens,
wie wird aus dem Empfindungsmaterial Erfahrung generiert? Nun ist es klar, dass
beide Fragen nur aus der transzendentalen Konstitution des Erfahrungssubjektes
beantwortet werden können, sofern diese die Bedingung der Möglichkeit der
Gegenstandserkenntnis darstellt. Die Struktur der Genesis der empirischen Er-
kenntnis muss daher in der kategorialen Struktur des empirischen Denkens an-
gelegt sein, welche affektionsinduziert zur Entfaltung gelangt. Die Analyse der
Erfahrungsgenese muss daher die Offenlegung eben dieser Struktur zur Aufgabe
haben.
Ziel und Zweck aller Erkenntnis ist letztlich immer das Konkrete. Konkretes, mithin
Gegenständliches ist dabei sowohl unmittelbarer Anfang als auch mittelbare
Aufgabe des Erkenntnisprozesses. Im ersten Sinne, sofern es als Gegenstand das
Gemüt affiziert, im zweiten Sinne, sofern es Bestimmungsobjekt der Erkenntnis-
tätigkeit ist. Der Modus, in dem sich das Konkretum dem menschlichen Er-
kenntnisvermögen darbietet, ist die Anschauung. Anschauungen sind daher der
Endzweck allen sinnfähigen Erkennens.
Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände
beziehen mag, so ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und
3.1 Aufstieg zur Erfahrung 235
worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, so fern
uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum, uns Menschen wenigstens, nur
dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziere.¹²
Affektion ist diejenige Art und Weise, wie sich das transzendentale Objekt dem
Gemüt als Wirkung präsentiert. Die Wirkung selbst, also dasjenige, welches sich
als Ergebnis der Affektion dem Verstande darbietet, ist Empfindung.
Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, so fern wir von demselben
affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand
durch Empfindung bezieht, heißt empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen
Anschauung heißt Erscheinung. ¹³
Empfindung ist daher immer zweierlei. Zum einen ist der Inhalt der Empfindung
dasjenige, was sich als Wirkung des Extramentalen (praeter nos)¹⁴ dem empfin-
dungsfähigen Subjekt via Affektion als objektiver Referent in der Erscheinung
darbietet.¹⁵ Als solche ist der Empfindungsinhalt subjektiv nicht antizipierbar,
mithin kontingent.¹⁶ Zum anderen setzt die Möglichkeit der Empfindung formaliter
die Affektibilität des Subjekts durch das Objekt voraus. Dies ist nur möglich, wenn
das transzendentale Objekt bereits erkenntnisfunktional bestimmt ist.¹⁷ Dass es
sich so verhält, hat Kant in der Transzendentalen Ästhetik gezeigt, insofern jeder
Gegenstand als Objekt bereits in Raum und Zeit situiert, respektive die Empfin-
dungsmannigfaltigkeit die Formen spatialer und temporaler Differenzierbarkeit
präsupponiert.¹⁸
In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die Materie der-
selben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen
Verhältnissen geordnet werden kann, nenne ich die Form der Erscheinung.¹⁹
Die Apprehension, bloß vermittelst der Empfindung, erfüllet nur einen Augenblick (wenn ich
nämlich nicht die Sukzession vieler Empfindungen in Betracht ziehe).²⁵
Als etwas in der Erscheinung, dessen Apprehension keine sukzessive Synthesis ist, die von
Teilen zur ganzen Vorstellung fortgeht, hat sie also keine extensive Größe; der Mangel der
Empfindung in demselben Augenblicke würde diesen als leer vorstellen, mithin = 0.²⁷
S. : „In der transzendentalen Ästhetik selbst finden sich zwei Begriffe, welche den Status von
Raum und Zeit charakterisieren: Sie sind einerseits „reine Anschauungen“, andererseits subjektive
„Form“ oder „Bedingung der Sinnlichkeit“. Diese Charakterisierung sind nicht bedeutungsgleich.
Die zweite gibt vielmehr eine Erklärung für die Möglichkeit der ersten.“
KrV, A | B ; S. .
KrV, A | B f.; S. .
KrV, A | B f.; S. .
Cf. Abb. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
Cf. KrV, B ; S. .
KrV, A | B ; S. .
Bussmann vergleicht die Empfindungsvielheit treffend mit einem „Mückenschwarm“, auf
welche allein die sinnliche Ordnung des „Nach“ und des „Nebens“ zutrifft, cf. Bussmann (),
S. .
KrV, A | B ; S. .
3.1 Aufstieg zur Erfahrung 237
Gleichwohl bilden die Empfindungen als Teil der Erscheinung die Bedingung der
Möglichkeit der extensionalen Bestimmung der Anschauung.
Eine extensive Größe nenne ich diejenige, in welcher die Vorstellung der Teile die Vorstellung
des Ganzen möglich macht (und also notwendig vor dieser vorhergeht.)²⁸
Die einzelne Empfindung bildet für sich genommen eine „absolute Einheit“.⁴⁰ Sie
ist, wie im vorherigen Abschnitt erörtert, nulldimensional; sie weist also die Ei-
genschaft eines Punktes auf. Aufgrund der Nulldimensionalität der präperzepti-
ven Empfindung sind diese weder protentional noch retentional verbunden. Die
bloße Empfindung ist daher auch an sich selbst keines Grades fähig, da ihr in der
Augenblicklichkeit ihres rezeptiven Seins keine innere Zeitlichkeit zukommt.⁴¹ Um
Intensivität, d. h. graduelle Bestimmbarkeit aufweisen zu können, müssen die
Empfindungen in Bezug aufeinander verglichen werden können. Dies ist jedoch
nur möglich, wenn die Empfindungen in ein Kontinuum gesetzt und damit mit-
einander zeitlich verbunden sind. Dies findet jedoch noch nicht auf der Ebene
bloßer Empfindungen, sondern erst auf der Ebene der Wahrnehmung statt.
Jede Anschauung enthält ein Mannigfaltiges in sich, welches doch nicht als ein solches
vorgestellt werden würde, wenn das Gemüt nicht die Zeit, in der Folge der Eindrücke auf
einander unterschiede: denn als in einem Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung nie-
mals etwas anderes, als absolute Einheit sein.⁴²
Die Zeit ist also in doppelter Hinsicht für die Mannigfaltigkeit des Wahrneh-
mungsmaterials bedeutsam. So setzt einerseits die in jeder Anschauung präsente
Empfindungsmannigfaltigkeit formal die Vielheit einzelner Eindrücke zum Inhalt
der Wahrnehmung voraus, andererseits ist die Mannigfaltigkeit nur im temporalen
Damit nun aus diesem Mannigfaltigen Einheit der Anschauung werde, (wie etwa in der
Vorstellung des Raumes) so ist erstlich das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und denn die
Zusammennehmung desselben notwendig, welche Handlung ich die Synthesis der Appre-
hension nenne, weil sie gerade zu auf die Anschauung gerichtet ist, die zwar ein Mannig-
faltiges darbietet, dieses aber als ein solches, und zwar in einer Vorstellung enthalten, niemals
ohne eine dabei vorkommende Synthesis bewirken kann.⁴⁴
Zwei Schritte sind vorausgesetzt, dass aus der Empfindungsvielheit eine Man-
nigfaltigkeit zum Gegenstand einer Anschauung wird. Erstens das „Durchlaufen
der Mannigfaltigkeit“. Die präperzeptiven Empfindungen setzen in ihrer Vielheit
die Zeit nur als Unterscheidungskriterium zeitlichen Außersichseins voraus. Sie
sind also insofern schon Mannigfaltiges, sofern sie zeitlich differenzierbare Mo-
mente bilden. Diesen Momenten fehlt es jedoch gänzlich an Einheit. Sie bedürfen
der Zeit nur als äußerer Bedingung, sofern ihre Pluralität überhaupt möglich sein
soll. Das Durchlaufen muss sich daher auf eine innere zeitliche Bestimmung der
Empfindungen als Teil der Wahrnehmung gemäß der lex continua realitatis be-
Frede/Krüger (), S. f. weisen richtig darauf hin, dass die „Mathematik des Diskreten […]
nach Kant die notwendige Voraussetzung der Geometrie als metrische Wissenschaft von dem in
unserer Anschauung gegebenen Raum aufgefaßt wird.“ Die Primordialität des (infinitesimal)
Diskreten ist sowohl in der Mathematik für Kant als auch in der Synthesis der Erfahrungseinheit
bestimmend. Da die indefinite Kleinheit der Ausdehnung der einzelnen Empfindungen infinite-
simal gedacht werden muss, bildet der Wahrnehmungsatomismus nicht länger eine Schwierigkeit.
Kants Analyse der notwendigen Bedingungen ist eben eine transzendentale, keine Wahrneh-
mungspsychologische. Damit erübrigen sich einerseits der Vorwurf des Atomismus, den Wahsner
(), S. , gegen Baumanns’ Interpretation erhebt, andererseits Auslegungen des kantischen
Wahrnehmungsbegriffes, wie Wenzel (), S. , welche zur Vermeidung eines anzuneh-
menden Wahrnehmungsatomismus die Empfindungsmannigfaltigkeit erster und zweiter Ord-
nung konfundieren.
KrV, A ; S. .
240 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
Das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit ist unserer Ansicht nach der Punkt, an dem das zeitliche
Stellensystem der Anschauungsform „in Bewegung kommt“, also die Form eines Flusses an-
nimmt.
Die Verbindung verschiedener Wahrnehmungen zu einer Anschauung als eines „ganzheitli-
chen Anblicks“ (Hoppe (), S.) ist demgegenüber sekundär.
Cf. Baumanns (), S. .
Wartenberg irrt daher in seiner Einschätzung der Erscheinungen, als „blosse Modifikationen
unseres Bewusstseins, […] die zu der Welt der Dinge an sich in keiner Beziehung stehen.“ War-
tenberg (), S. . Cf. Wartenberg (), S. .
„Alle intensive Größe muß doch zuletzt auf extensive gebracht werden.“ Refl. , AA XVIII,
.
KrV, A | B ; S. .
Cf. Klemme (), S. .
KrV, A | B , Anm. ; S. .
3.1 Aufstieg zur Erfahrung 241
Bedingung der Erfahrung. Diese ist für sich genommen nur ein notwendiges, nicht
hinreichendes Kriterium, da Wahrnehmungen auf zweierlei Arten miteinander
verknüpft werden können: zum einen subjektiv durch Assoziation, zum anderen
objektiv in der Rekognition der Vorstellungen. Den Wahrnehmungsnexus des
ersten Falles bezeichnet Kant in den Prolegomena als Wahrnehmungs-, den des
zweiten Falles als Erfahrungsurteil.
Empirische Urteile, sofern sie objektive Gültigkeit h a b e n , sind Erfahrungsurteile; die aber, so
nur subjektiv gültig sind, nenne ich bloße Wahrnehmungsurteile. Die letzteren bedürfen keines
reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in
einem denkenden Subjekt. Die ersteren erfordern jederzeit über die Vorstellungen der
sinnlichen Anschauung noch besondere, i m Verstande ursprünglich erzeugte Begriffe, wel-
che es eben machen, daß das Erfahrungsurteil objektiv gültig ist.⁵³
Für das Wahrnehmungsurteil gilt also, dass eine bloß logische Verknüpfung der
Vorstellungen im Subjekt stattfindet. Im Falle eines Wahrnehmungsurteils über
einen sich erwärmenden Gegenstand lässt sich dementsprechend allein sagen,
dass sich der Gegenstand, wenn er der Sonne ausgesetzt ist, erwärmt. Das
Wahrnehmungsurteil enthält also nur die Feststellung der konditionalen Relation
der Wahrnehmungen untereinander. Die objektive Seite des Wahrnehmungsurteils
wiederum enthält lediglich die stets zu beobachtende Sukzession derselben ge-
mäß einem „bloße[n] [zeitlichen, M. B.] Schema[], das sich immer auf die re-
produktive Einbildungskraft bezieht“⁵⁴. Was also dem Wahrnehmungs- zum Er-
fahrungsurteil fehlt, ist die kategoriale Bestimmung der Wahrnehmungsfolge,
welche, wie in Kap. 1.3.3 gezeigt wurde, die modale Prädikation der Verknüpfung
voraussetzt: Auf objektiver Seite als einer zeitlich notwendigen, auf subjektiver
Seite als einer gesetzlich notwendigen Folge.⁵⁵ Dies kann nur durch die kategoriale
Bestimmung des Wahrnehmungsurteils geleistet werden, sofern diese eine kate-
goriale, objektiv-notwendige Verbindung der Wahrnehmungsinhalte etabliert.
Das kausale Verhältnis der Wahrnehmungen drückt damit ein sowohl zeitlich als
auch begrifflich notwendiges Verhältnis aus.⁵⁶ „Erfahrung ist [daher, M. B.] nur
Jetzt wollen wir den notwendigen Zusammenhang des Verstandes mit den Erscheinungen
vermittelst der Kategorien dadurch vor Augen legen, daß wir von unten auf, nämlich dem
Empirischen anfangen [Hervorhebung, M. B.]. Das erste, was uns gegeben wird, ist Erschei-
nung⁶⁶, welche, wenn sie mit Bewußtsein verbunden ist Wahrnehmung heißt, (ohne das
Verhältnis zu einem, wenigstens möglichen Bewußtsein, würde Erscheinung vor uns niemals
ein Gegenstand der Erkenntnis werden können, und also vor uns nichts sein, und weil sie an
sich selbst keine objektive Realität hat, und nur im Erkenntnisse existiert, überall nichts
sein.) Weil aber jede Erkenntnis ein Mannigfaltiges enthält, mithin verschiedene Wahr-
nehmungen im Gemüte an sich zerstreuet und einzeln angetroffen werden, so ist eine Ver-
bindung derselben nötig, welche sie in dem Sinne selbst nicht haben können. Es ist also in
uns ein tätiges Vermögen der Synthesis dieses Mannigfaltigen, welches wir Einbildungskraft
nennen, und deren unmittelbar an den Wahrnehmungen ausgeübte Tätigkeit ich Appre-
hension nenne.⁶⁷
Erscheinung noch nicht in der bloßen Wahrnehmung“ existieren könne. Die Wahrnehmung hätte
dementsprechend keinerlei objektive Realität. Der Grund dieses Fehlschlusses ist aus dem bisher
Besprochenen leicht einzusehen. Da Wenzel prä- und postapprehensive Empfindung konfundiert,
kommt er zu dem Schluss, dass die Wahrnehmung statt der diskreten und diskontinuierlichen
Empfindungsmannigfaltigkeit erster Ordnung die bereits synthetisierte Empfindungsmannigfal-
tigkeit zweiter Ordnung zum Inhalt habe, welche diese dann bereits selbst zur Einheit in der
Erkenntnis führte.
3.1 Aufstieg zur Erfahrung 245
Teil desselben ist. Gemeint ist natürlich das Reale, i. e. das Wirkliche, mithin von
der Bestimmungstätigkeit des Subjekts Unabhängige in der Empfindung. Die erste
Tätigkeit des Subjekts ist in Bezug auf den Gegenstand eine leidende, nämlich das
Affiziert-werden. Im Postulat der Wirklichkeit findet sich diese Bedingung wieder:
Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Emp-
findung, deren man sich bewußt ist, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenstande
selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgend
einer wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Ver-
knüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen.⁶⁸
der absteigenden Reihe lässt sich hier ein direkter Übergang von der letzten Be-
stimmung der Modalität nach zur ersten Bestimmung der aufsteigenden Reihe
feststellen. Reflektierte sich das Denken in der absteigenden Bestimmung aus
seinem Bestimmen im letzten Schritt aus dem Verhältnis der Vorstellung als
Prädikat in Bezug auf die Einheit der Vorstellungen im Subjekt, so wird in der
aufsteigenden Reihenfolge dieses Verhältnis vom Prädikat zum Subjekt nun
ausgehend von der Faktizität des Gegebenseins einer Vorstellung aus reflektiert.
Der Übergang von der ab- zur aufsteigenden Reihenfolge erweist sich demzufolge
als bruchlos.
Das Resultat der ersten Bestimmungshandlung führt notwendig zu einer
weiteren, indem das Ergebnis der ersteren, i. e. die modale Bestimmtheit der Af-
fektion als Wirkung eines vom Subjekt unabhängigen Realen, nun für das Subjekt
als Inhalt seiner Vorstellung gedacht wird. Die hier notwendig anzuwendende
Bestimmungshandlung ist die Verhältnissetzung des Subjektes zu seinen Vor-
stellungen (S$P&, i. e. die Bestimmung des Vorstellungsinhaltes gemäß der
Quantität. Im Falle der apperzeptiven Struktur des Subjektes ergab sich hierbei
notwendig die numerische Identität des Vorstellungssubjektes bei all seinen
Denkakten. Im Falle des objektiven Denkens eines empirisch Gegebenen ist das
Resultat jedoch nicht die Einheit des Subjektes, sondern die Vielheit der für das
Subjekt präsenten Empfindungen als nicht durch das Subjekt selbst gesetzten
Vorstellungen.⁷² Vom Objekt her bestimmt ist das, was für das Subjekt als Ergebnis
der Affektion vorliegt, nämlich die Empfindung, als unverbundene Vielheit von
Affektionsmomenten gegeben.
Die gegebene Vielheit ist als Bestimmbarkeit das Objekt einer weiteren, not-
wendigen Bestimmungshandlung, nämlich die Setzung der Vielheit in Bezug auf
den subjektiven Einheitsgrund der Vorstellungen (S ) P&. Diese Handlung, welche
die Vorstellung mit dem Subjekt der Vorstellungen in Übereinstimmung denkt, ist
die Qualität. Die qualitative Bestimmung der Empfindungsvielheit hat die quali-
tative Einheit des Wahrnehmungsgegenstandes zum Ergebnis und zwar so, dass
dieser vom Subjekt zum Gegen-stand, d. h. als Gegenübersetzung⁷³ in Form der
Negation der Ichheit des Wahrgenommenen notwendig vorgestellt wird.⁷⁴
Mit dem Ergebnis der dritten, nämlich qualitativen Bestimmung des objek-
tiven Denkens ist notwendig die vierte und letzte Bestimmungshandlung gegeben.
Das, was zur Einheit des (einzelnen) Wahrnehmungsgegenstandes gedacht wird,
muss nun zur Vorstellung der Einheit der Wahrnehmung insgesamt gebracht
werden, d. h. die einzelnen Wahrnehmungen müssen in ihrer Relation zueinander
bestimmt werden. Diese Einheit kann nun aufgrund der Vielheit der Wahrneh-
mungsgegenstände keine absolute, im Sinne der kategorischen Einheit des Sub-
jektes sein, sondern nur eine hypothetische, i. e. die kategoriale Einheit des hy-
pothetischen Erfahrungsurteils; in Bezug auf die Zeit also die Reihung gemäß dem
Gesetz der Kausalität.
Das Ergebnis dieser Analyse lässt sich nun folgendermaßen zusammenfas-
sen:
In der Übersicht über die vier Stufen zur Erfahrung und ihrer kategorialen, re-
spektive idealfunktionalen Bedeutung werden zwei Dinge deutlich: Erstens ist das
gegenständliche Vorstellen durch die jeweils zweiten Momente der Funktionsta-
feln bestimmt. Mit Bezug auf die eindeutige Prinzipienstruktur der Tafeln und das
Trichotomiegesetz der Kontraposition des zweiten Momentes kann dies nicht
überraschen. Zweitens ist die Reihenfolge der Funktionen in der gedanklichen
Bestimmung des Objekts revers zu der des Subjektes. Beides ergibt sich notwendig
daraus, dass die transzendentale Struktur gegenständlichen Vorstellens und
Denkens die Struktur der Apperzeption spiegelt, welche durch die Tafel der Ele-
mentarfunktionen wiedergegeben wird. Die Bestimmung des Objekts ist auf diese
Weise indirekt an die des Subjekts gekoppelt, insofern die transzendentallogische
Bestimmung des Gegenstandscharakters der Vorstellungen in der Erfahrung sei-
nen Ursprung in der Bestimmung des Subjekts findet, sofern eben „die Bedin-
gungen der Möglichkeit der Erfahrungen überhaupt [] zugleich die Bedingungen
der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung [sind, M. B.]“.⁷⁵
Die Spiegelbildlichkeit der ersten und zweiten Reihe resultiert damit aus der
entgegengesetzten Verknüpfungsart des Bewusstseins, welches sich als durch den
Gegenstand bestimmt denkt und damit als bestimmbares reflektiert. Kant selbst
weist in einer Notiz auf diesen für den Vollständigkeitsbeweis zentralen Zusam-
menhang des trichotomischen Grundsatzes der Genesis der Kategorien mit den
verschiedenen Reflexions- und Verknüpfungstypen des Bewusstseins expressis
verbis hin.
Es sind darum [nur] drey logische Functionen [von] unter einem gewissen Titel, mithin auch
drey Categorien: Weil [die] zwey derselben die Einheit [des Bewustseyns [der] zweyer op-
positorum] des Bewustseyns an zween oppositis zeigen, die dritte aber beyderseits Be-
wustseyn wiederum verbindet. Mehr arten der Einheit des Bewustseyns lassen sich nicht
denken. Denn es sey a ein Bewustseyn, welches ein mannigfaltiges Verknüpft, b ein anderes,
welches [dasse] auf entgegengesetzte Art verknüpft: so ist c die Verknüpfung von a und b.⁷⁶
Nach Kant ist also zu erwarten, dass das Bewusstsein c, welches sich in der dritten
Reihe findet, als Bewusstsein der Verbindung der Reflexionsreihen von a und b
sowohl die Merkmale der a- als auch der b-Reihung aufweist. Dass dem so ist und
welche Bedeutung dies hat, wird noch zu diskutieren sein (cf. Kap. 3.3.1).
Bisher wurde gezeigt, dass die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung
aus der Apperzeption selbst als oberstem Grund ableitbar sind. Da dies nun ge-
lungen ist und damit die kantische Epistemologie von der Seite des Subjekts auch
in Bezug auf die erkenntnisfunktionale Bestimmung des Erfahrungsgegenstandes
abgesichert ist, gilt es nun dies auch von der Seite des transzendentalen Objekts
als dem unverfügbaren Grund der Erfahrung zu leisten. Dies betrifft zuallererst das
Problem, das ebenso alt und zentral ist wie das der Vollständigkeit der Urteilstafel,
nämlich das der Möglichkeit einer Affektion durch das Ding an sich.
Zuvor soll jedoch eine in der Kantforschung kontrovers diskutierte Schwie-
rigkeit aufgegriffen werden, i. e. das Problem der Präsenz der Kategorien in der
Wahrnehmung. Dieses erweist sich nach dem bisher diskutierten, zumindest auf
der Ebene des transzendentalen Konstitutionsrahmens des empirischen Denkens,
nicht als Sach-, sondern als Scheinproblem. So ist allein der Grund des Wahr-
nehmungsinhalts, i. e. der Grund der Empfindung, vom Subjekt unabhängig zu
denken; die Reflexion der Wahrnehmung, respektive das Vorstellen des Gegen-
standsbezuges in der Wahrnehmung dagegen setzt die kategoriale Struktur des
Denkens immer schon voraus.⁷⁷
Eine wirkliche Schwierigkeit ergibt sich jedoch aus der Beziehung von Einheit
und Synthesis, welche für die Bestimmung des Gegenstandes einschlägig wird.
Wie in den vorherigen Kapiteln diskutiert wurde, vollzieht sich die Synthesis als
Funktion der Einbildungskraft immer nur gemäß den Einheitsfunktionen des
Verstandes. Die Synthesis dependiert daher an der Einheit, nicht umgekehrt. Da
Kant keine „intuitive Spontaneität“ kennt, wie Rohs sie fordert,⁷⁸ bleibt die
Schwierigkeit offen, wie Empfindung synthetisiert werden kann, ohne dass der
Verstand die Synthesis anleitet.
Kant selbst hat die Lösung dieses Problems bedauerlicherweise nicht zur
vollen Deutlichkeit entwickelt. So scheint es der Fall zu sein, dass auf der Ebene
der Wahrnehmung bloße Funktionen der Einbildungskraft, also Schemata ohne
Begriffe, tätig sind. Da Kant jedoch den Gebrauch der Schemata immediate an den
der Kategorien bindet, scheint das Konzept eines Schemas ohne Begriff, den er bis
auf einen einzigen Hinweis in der Kritik der reinen Vernunft ⁷⁹ allein in der Kritik der
ästhetischen Urteilskraft ⁸⁰ verwendet, problematisch. Dessen ungeachtet scheinen
zwei Hinweise hinreichend für die Lösung des Problems: Erstens bilden die drei
verschiedenen Typen von Funktionen nur Aspekte der einen Verstandestruktur.⁸¹
Urteilsfunktionen, Schemata und Kategorien sind daher nur hinsichtlich ihres
verschiedenen Gebrauchs, nicht jedoch hinsichtlich ihres gemeinsamen Ur-
Young (), S. , schlägt dagegen vor, „that the representation of things as objects, i. e. as
objects of scientific knowledge, is what presupposes the employment of the categories.“ Damit
liegt er nicht falsch, jedoch muss die Wahrnehmung eines Gegenstandes einen gegenständlichen
Charakter besitzen, noch bevor er zum wissenschaftlichen Gegenstand, d. h. zum Gegenstand in
der Erfahrung werden kann. Da der kategoriale Verstand für die Objektifikation der Empfindung
verantwortlich ist, muss jedoch die Kategorie bereits auf der Ebene der Wahrnehmung in gewisser
Hinsicht eine Rolle spielen, nämlich als bloß figurale Funktion der Einbildungskraft.
Cf. Rohs (), S. f., . Zu Rohs cf. Wenzel (), S. , und Prien (), S. ff.
Rohs nimmt einen unmittelbaren Gegenstandsbezug der Anschauung an, ohne den es für Begriffe
weder einen mittel- noch unmittelbaren Gegenstandsbezug geben würde (Rohs (), S. ). Es
ist zwar richtig, dass die Anschauung unmittelbar auf einen Gegenstand referiert, jedoch ist für
Kant die Frage des Gegenstandsbezuges der Anschauung nur vor dem Hintergrund des Verstandes
als Bedingung der Möglichkeit von Gegenständlichkeit überhaupt beantwortbar.
Cf. KrV, A | B ; S. .
Cf. KdU § , B ; AA V, ; S. .
Cf. Kap. ...
250 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
sprunges zu unterscheiden, so dass der Gebrauch des bloßen Schemas als Real-
funktion der Einbildungskraft in Bezug auf die empirische Apprehension un-
problematisch ist. Der zweite Punkt betrifft die Beziehung von Synthesis und
Einheit. Wie im zweiten Kapitel in Bezug auf die Apperzeption gezeigt wurde,
bildet die Einheit die Regel, gemäß der sich die Synthesis vollzieht. Diese Be-
ziehung, welche die Einheit als logisches Prius der Synthesis fordert, wird nur
scheinbar in Bezug auf die Wahrnehmung revoziert, sofern es sich um dieselbe
logische Bestimmungsreihe handelt. Das Denken reflektiert hier nur die Bezie-
hung seiner Vorstellungen in Bezug zum Objekt derselben „von unten“. Allein
durch diesen Perspektivenwechsel kehrt sich das Verhältnis von Synthesis und
Einheit um, so dass die Synthesis nun so erscheint, als ob sie erst durch den
Verstand nachträglich zur Einheit gebracht werden müsste. Da der Verstand seine
Funktionen jedoch aus seiner logischen Selbstbestimmung gewinnt, dependiert
das Verhältnis des Denkens zur Vorstellungsmannigfaltigkeit vom ursprünglichen
apperzeptiven Selbstverhältnis.
An dieser Stelle sollte nicht das Missverständnis entstehen, als böten sich in
Bezug auf die Frage der Kategorienpräsenz im Wahrnehmungsurteil zwei ver-
schiedene Lösungsstrategien an. Dies wäre auch angesichts der zweiten Erklä-
rung, dass es sich nur um eine scheinbare Umkehr des Einheit-Synthesis-Ver-
hältnisses handelt, durchaus merkwürdig, insofern sich mit dieser Feststellung
das Problem und damit die Notwendigkeit seiner Lösung selbst destruiert hätte. In
der Tat handelt es sich nur zum zwei Stufen derselben Bestimmungsstruktur, in
der die eine grundlegend für die andere ist. Die grundlegende Stufe bildet die
bestimmungslogische Trias der Reflexivität. Das Denken ist in der Apperzeption
sich selbst Bestimmendes, Bestimmtes und Bestimmung: Erstens in Bezug auf die
Reflexion seiner (Selbst‐)bestimmung, zweitens in Bezug auf die Reflexion seines
Bestimmtseins, für welche Kant die Notwendigkeit eines Anderen zum Grund des
Bestimmtseins annimmt, und drittens in Bezug auf die Reflexion des sich zur
Bestimmtheit bestimmten Denkens. Das Denken selbst ist also die sich als be-
stimmbar setzende bestimmend denkende Bestimmtheit. Diese elementare Struktur
des Denkens setzt sich in Bezug auf seine Funktionen fort,von den Kategorien über
deren Substruktur bis hin zu den drei Aspekten jeder Funktion.⁸² In der Sub-
struktur der transzendentalen Grundbegriffe nimmt das reine Zeitschema, die
bloße Realfunktion, die Stelle der Bestimmbarkeit ein, insofern sich der Verstand
als Einbildungskraft durch die Funktionen als bestimmbar denken muss; er ist in
Bezug auf die Sinnlichkeit in diesem Falle Realisat.⁸³ Es zeigt sich also, dass sich
das Denken in der Anwendung des bloßen Zeitschemas innerhalb des Wahr-
nehmungsurteils in Bezug auf das von ihm Gedachte notwendig durch die Real-
funktion als Bestimmbares zu denken hat. Das Wahrnehmungsurteil ist daher eine
noch nicht zur notwendigen Einheit gebrachte Bestimmbarkeit, obgleich ihr ein
Moment des Bestimmtseins durch die Einbildungskraft zukommt. Da die Einbil-
dungskraft nun dasjenige Vermögen des Verstandes darstellt, durch das sich der
Verstand als Gegenstand seiner Selbstbestimmung vorstellt, kommt dem Wahr-
nehmungsurteil die merkwürdige Zwischenstellung zu, indem es sich einmal aus
der Perspektive des Verstandes als das noch zu Bestimmende darstellt, zum an-
deren von der bloßen Sinnlichkeit aus gesehen als dasjenige, welches durch den
Verstand als schon bestimmt gedacht werden muss.
Das Affektionsproblem ist durch die zwei Grundstämme der Erkenntnis syste-
misch bedingt. Damit Kant zufolge Erkenntnis als Erfahrung möglich sein kann,
müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss das Gemüt in seinem re-
zeptiven Vermögen affiziert werden. Das Produkt der Affektion ist die Anschau-
ung.
Diese [die Anschauung, M. B.] findet aber nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben wird;
dieses ist wiederum, uns Menschen wenigstens, nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf
gewisse Weise affiziere.⁸⁴
Nun reicht die Anschauung als Material allein nicht aus. Der Verstand muss
zweitens als Form hinzukommen, um das Erkenntnismaterial gemäß seinen Ge-
setzen zu ordnen. Nur durch das Zusammenkommen von rezeptiver Sinnlichkeit
und spontaner Verstandestätigkeit ist Erkenntnis als Erfahrung möglich. Diesen
Zusammenhang drückt Kant in seinem berühmten Diktum „Anschauungen ohne
Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen sind leer“⁸⁵ aus. Das schwer-
wiegende Problem besteht jedoch darin, dass Kant nicht zeigt, wie Affektion
überhaupt möglich sein kann. Affektion kann nur als Wirkung einer Ursache
„Also sind die Kategorien, ohne Schemate, nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen,
stellen aber keinen Gegenstand vor. Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den
Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert.“ KrV, A | B ; S. .
KrV, A | B , S. .
KrV, A | B , S. .
252 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
gedacht werden. Da Kausalität und Dependenz als Kategorien des Denkens ihren
Grund im Verstand haben, sind sie auf den Bereich möglicher Gegenstände der
Erfahrung restringiert. Die Ursache der Affektion jedoch liegt außerhalb jeder
möglichen Erfahrung, da sie im Ding an sich besteht. Auf das Ding an sich finden
jedoch die Begriffe des Verstandes keinerlei Anwendung, so dass die Affektion
anscheinend nicht als verursacht gedacht werden kann. Dies hätte allerdings zur
Konsequenz, dass Kants Grundannahme von den zwei Stämmen der Erkenntnis
unhaltbar wäre, da die Affektion damit nicht in kausaler Beziehung zu einem Ding
an sich gedacht werden könnte.⁸⁶
Diese mit dem Begriff der Affektion verbundene Schwierigkeit ist bereits in
Kants Bestimmung des Dinges an sich als transzendentalem Objekt angelegt.
Gemäß der von ihm selbst vorgenommenen terminologischen Differenzierung von
„transzendental“ und „transzendent“ ist das Ding an sich als Objekt jedoch nicht
transzendental, sondern allenfalls, sofern es überhaupt als „Objekt“ gedacht
werden kann, transzendent zu nennen.
Daher sind transzendental und transzendent nicht einerlei. Die Grundsätze des reinen
Verstandes, die wir oben vortrugen, sollen bloß von empirischem und nicht von transzen-
dentalem, d.i. über die Erfahrungsgrenze hinausreichendem Gebrauche sein. Ein Grundsatz
aber, der diese Schranken wegnimmt, ja gar sie zu überschreiten gebietet, heißt transzen-
dent.⁸⁷
In der Rede von einem Gegenstand, welcher außerhalb der Sphäre des Erfahrbaren
liegt, gleichzeitig aber den Grund desselben bilden soll, scheint Kant selbst einem
Grundsatz zu folgen, welcher ihm gebietet, die Schranken, die durch die Re-
striktion des Verstandesgebrauchs auf das Empirische gesetzt sind, zu über-
schreiten.
Allein, das schlechthin, dem reinen Verstande nach, Innerliche der Materie ist auch eine
bloße Grille; denn diese ist überall kein Gegenstand für den reinen Verstand, das tran-
szendentale Objekt [Hervorhebung, M. B.] aber, welches der Grund dieser Erscheinung sein
mag, die wir Materie nennen, ist ein bloßes Etwas, wovon wir nicht einmal verstehen würden,
was es sei, wenn es uns auch jemand sagen könnte.⁸⁸
Nehmen wir aber dieses Empirische überhaupt, und fragen, ohne uns an die Einstimmung
desselben mit jedem Menschensinne zu kehren, ob auch dieses einen Gegenstand an sich
selbst (nicht die Regentropfen, denn die sind denn schon, als Erscheinungen, empirische
Objekte) vorstelle, so ist die Frage von der Beziehung der Vorstellung auf den Gegenstand
Die Affektion kann aus demselben Grund auch nicht ein bloßer Schein sein, welcher aus der
Objektivierung des Mannigfaltigen resultiert, wie Zwermann (), S. , meint.
KrV, A | B f.; S. .
KrV, A | B ; S. .
3.2 Das Problem der Affektion durch das Ding an sich 253
transzendental, und nicht allein diese Tropfen sind bloße Erscheinungen, sondern selbst ihre
runde Gestalt, ja so gar der Raum, in welchem sie fallen, sind nichts an sich selbst, sondern
bloße Modifikationen, oder Grundlagen unserer sinnlichen Anschauung, das transzen-
dentale Objekt [Hervorhebung, M. B.] aber bleibt uns unbekannt.⁸⁹
Dass Kant überhaupt vom transzendentalen Objekt sprechen kann, obgleich der
eigentliche Grund der Affektion unerkennbar ist, liegt an der erkenntnisermög-
lichenden Relation, welche das transzendente Objekt als Korrespondat in Bezug
auf das Subjekt hat.
Indessen können wir die bloß intelligibele Ursache, der Erscheinungen überhaupt, das
transzendentale Objekt nennen, bloß, damit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer
Rezeptivität korrespondiert.⁹⁰
Dieses Problem hat schon die früheste Kant-Interpretation (Jacobi, Fichte, Beck)
herausgefordert. Vaihinger⁹² fasst die verschiedenen Lösungsansätze seiner Zeit
im sogenannten Trilemma des affizierenden Gegenstandes zusammen. Das erste
Lemma besteht in der transzendenten Affektion des Ichs durch das Ding an sich.⁹³
Dies provoziert die beschriebene Schwierigkeit, dass von den Kategorien ein hy-
Beziehung der Erscheinung auf einen Gegenstand, bedeutet nicht die Beziehung derselben
auf ein Seiendes ausserhalb des Bewusstseins, um vermittelst der Erscheinung die selbst-
eigene Natur dieses Seienden zu erschließen; vielmehr bedeutet diese Beziehung nichts
anderes, als die Objektivation der Erscheinung vermöge der notwendigen und allgemein-
gültigen Verknüpfung ihrer Elemente aufgrund einer apriorischen Regel des Denkens, des
reinen Verstandesbegriffs.⁹⁷
Der Lösungsvorschlag von Adickes und Vaihinger, die sogenannte doppelte Af-
fektion⁹⁸, wobei Vaihinger diesen eher als Eingeständnis des Scheiterns versteht,
„Ich muß gestehen, daß dieser Anstand mich bey dem Studio der Kantischen Philosophie
nicht wenig aufgehalten hat, so daß ich verschiedene Jahre hintereinander die Critik der reinen
Vernunft immer wieder von vorne anfangen mußte, weil ich unaufhörlich darüber irre wurde, daß
ich ohne jene Voraussetzung in das System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung
darin nicht bleiben konnte.“ Cf. Jacobi (), S. f.
Zur Kritik Schopenhauers an Kant cf. Wartenberg (), S. ff.
Ähnlich auch bei Zöller (), S. f.: „Nun kann man zwar nach Kants prinzipieller
Einschätzung der Möglichkeit von Gegenstandsbeziehungen durchaus verstehen, daß der Ge-
genstand in der Empfindung nur in Gestalt seiner Kausalwirkung auf die Affizierbarkeit (Sinn-
lichkeit) des Subjektes gegeben ist, nicht aber als Gegenstand unabhängig von sinnlicher Vor-
stellung. Daß aber die Bezugnahme auf den Gegenstand im Modus des Denkens durch den
allerdings notwendigen Ansatz bei Erscheinungen auch noch auf Erscheinungen als Gegenstände
der intellektuellen Gegenstandsbeziehung eingeschränkt sein soll, ist weniger einsichtig und
zumindest nicht mit demselben Argument begründbar, das für die Phänomenalität der Gegen-
stände sinnlicher Vorstellungen gilt. Die im Denken erzielte Gegenstandsbeziehung soll ja gerade
den vorliegenden Erscheinungen ein von diesen selbst unterschiedenes Objekt bestimmen [vgl.
etwa A ]. Warum sollte dieser im Ausgang von Erscheinungen bestimmte Gegenstand selber
bloß Erscheinung sein?“
Wartenberg (), S. f.
Für Wartenberg ist daher auch der transzendentale Gegenstand nur insofern als transzen-
dental zu bezeichnen, „weil er im transscendentalen Akt des Bewusstseins denkend erzeugt
worden ist, um die Erscheinung in einen „empirischen“ Gegenstand, in einen Gegenstand der
Erfahrung, umzuwandeln.“ Wartenberg (1900), S. 216. Es fragt sich natürlich, wie der transzen-
dentale Gegenstand als bloßes Denkprodukt gleichzeitig Ursache des empirischen Denkens sein
kann.
Adickes () und Vaihinger (), Band , S. .
3.2 Das Problem der Affektion durch das Ding an sich 255
nimmt eine Affektion durch das Ding an sich selbst und das Ding als Erscheinung
an. Zwei Kritikpunkte sind auch gegen das dritte Lemma anzuführen. Zum einen
findet sich nirgends in der Kritik der reinen Vernunft die Lehre einer doppelten
Affektion, wie Baumanns richtig bemerkt.⁹⁹ Zum andern löst diese Interpretation
nur eine Teilschwierigkeit, welche die eigentliche Problematik bloß aufschiebt, da
die angenommene Teilaffektion des Ichs als transzendentales Subjekt durch das
Ding an sich neben der Affektion des empirischen Ichs durch den Erfahrungs-
gegenstand immer noch gänzlich unbegreiflich bleibt.¹⁰⁰
Der aktuelle Lösungsansatz Baumanns’, welcher das Tri- zu einem Tetra-
lemma erweitert, basiert auf einer gleichursprünglichen Fremd- und Selbstaf-
fektion. Die Fremdaffektion gründet sich nach Baumanns in einer primordialen
Empfindungskausalität, die vor der verstandesbegrifflichen Kausalität liegt.¹⁰¹
Baumanns’ Version des kantischen Verständnisses vom Erkenntnisprozess ist
zwar sachlich korrekt, sein Begriff der Empfindungskausalität stellt jedoch eine
bloß thetische Versicherung und keine beschreibende Auflösung des eigentlichen
Problems dar.
Dass alle vier Positionen des Tetralemmas insuffizient sind, das Problem der
transzendentalen Affektion zu lösen, kann anhand der Überprüfung, ob die Lö-
sungsansätze folgende Prämissen erfüllen, gezeigt werden:
1. Die Lösung der Affektionsproblematik im Sinne der kantischen Transzen-
dentalphilosophie kann keine sein, welche die zwei Stämme der Erkenntnis in
einem zusammenlaufen lässt. Sie muss also die Rolle des Dinges an sich
ebenso berücksichtigen wie die des transzendentalen Subjektes.
2. Die Lösung muss diskursiv, d. h. begrifflich begründet sein. Sie kann daher
keine Zuflucht zu einer besonderen (intellektuellen) Anschauung oder zu
einem leeren Begriff nehmen. Wenn ein Begriff der Affektion gegeben werden
soll, hat dieser dem Minimalkriterium zu genügen, dass er auf eine zumindest
mögliche Anschauung bezogen können werden muss.
3. Die Lösung muss sich in der Kritik der reinen Vernunft als ihrem systemati-
schen Ort selbst wiederfinden.
klärt im Sinne der zweiten Bedingung. Die dritte Bedingung kann daher evidenter
Weise auch nicht erfüllt sein.
Im Falle des zweiten Lemmas ist zwar Bedingung (2), jedoch weder (1) noch (3)
realisiert. Es kann zwar begründet werden,wie eine Affektion möglich ist, nämlich
durch Gegenstände als Erfahrung, allerdings wird die von Kant betonte Unab-
hängigkeit¹⁰² des Erfahrungsmaterials als Affektion innerhalb des rezeptiven
Vermögens ignoriert.¹⁰³ Damit ist der ersten Bedingung nicht entsprochen und
somit auch nicht der dritten.
Im Falle des dritten Lemmas, der Theorie der doppelten Affektion, ist die
Bedingung (1) erfüllt und (2) teilerfüllt. Nicht erfüllt hingegen ist die Prämisse (3).
Adickes’ und Vaihingers Interpretation liefert zwar eine auf den ersten Blick
elegante Lösung, jedoch scheitert sie zum einen an internen Schwierigkeiten, zum
anderen fehlt ihr nach Bedingung (3) der textliche Rückhalt und damit die her-
meneutische Legitimität.
Im Falle des vierten Lemmas, der Interpretation Baumanns’, sind zwar die
Prämissen (1) und (3) berücksichtigt, jedoch nicht (2). Baumanns klärt das Ver-
hältnis von Affektion und Selbstaffektion im Zusammenhang ihrer Bedeutung für
Kants Philosophie der Erkenntnis von den verschiedenen Standpunkten der Kritik
der reinen Vernunft sachlich fundiert auf:
Die Erkenntnis besteht im transzendentalen Verstande darin, daß wir das Ding an sich = X
und seine Empfindungskausalität reflektieren und daß wir solchermaßen reflektierend zur
Erscheinung des X und seiner Empfindungskausalität erfahrungskonstitutiv und erfah-
rungsorganisatorisch beitragen.¹⁰⁴
Dennoch bleibt die in der zweiten Bedingung geforderte Erklärung offen, wie über
„das Ding an sich = X und seine Empfindungskausalität“ überhaupt reflektiert
werden kann, wenn ihre kategoriale Schematisierung ausgeschlossen werden
muss.
Adickes Vorschlag¹⁰⁵, die unschematisierten Kategorien als Bestimmungen
der Dinge an sich gelten zu lassen, kann mit Blick auf die Natur der Kategorie als
diskursive Funktion nicht überzeugen. Da die Kategorie ohne Schema nur die
logische Bestimmung von Gegenständlichkeit überhaupt bezeichnet und daher
letztlich identisch ist mit den logischen Funktionen zu urteilen, ist von den Ka-
tegorien ohne Schema überhaupt keine Erkenntnis eines Gegenstandes zu er-
warten.¹⁰⁶ Um die Affektion durch das Ding an sich begreifen zu können, bedarf es
daher nach wie vor eines sinnlichen Schemas, welches jedoch nicht subsumie-
rend, sondern reflektierend sein muss. Diese Art der Schematisierung findet sich
erst in der Kritik der Urteilskraft vollends entwickelt und zwar in Kants Theorie des
transzendentalen Symbolschemas.
Das Problem der Affektionskausalität lässt sich im kantischen Sinne nur lösen,
wenn gezeigt werden kann, wie die Kategorie der Kausalität auf die Affektion
durch das Ding an sich angewandt werden kann.¹⁰⁷ Die Anwendung der Kausal-
kategorie mittels des transzendentalen Schemas ist dabei jedoch ausgeschlossen,
da gerade das Schema die Anwendung der Kategorie sowohl erst ermöglicht als
auch auf den Bereich der Gegenstände möglicher Erfahrung, d. h. auf solche,
welche mittels der Anschauungsformen in der Anschauung durch die Einbil-
dungskraft dargestellt werden können, restringiert.
Es fällt aber doch auch in die Augen: daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Ka-
tegorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl auch restringieren, d. i. auf Be-
dingungen einschränken, die außer dem Verstande liegen (nämlich in der Sinnlichkeit).¹⁰⁸
Auch führt der Gebrauch der unschematisierten Kategorie in der Bestimmung der
Empfindungskausalität nicht weiter. Die Kategorien ohne ihre sinnlichen An-
wendungsbedingungen stellen keine Begriffe mehr dar, durch die ein Gegenstand
erkannt, d. h. in Ansehung der Kategorie bestimmt werden könnte. Ohne die
Schemata sind die Kategorien nichts weiter als die logischen Funktionen mit
denen über einen Gegenstand im Begriff zwar geurteilt, d. h. mit einer Anschauung
durch eine beliebige Funktion in einem Urteil verbunden werden kann, der Ge-
genstand des Urteils jedoch bleibt für sich, also materialiter unbestimmt.
Daher bedürfen die Kategorien, noch über den reinen Verstandesbegriff, Bestimmungen ihrer
Anwendung auf Sinnlichkeit überhaupt (Schema) und sind ohne diese keine Begriffe, wo-
durch ein Gegenstand erkannt, und von anderen unterschieden würde, […].¹⁰⁹
So macht es in einem kategorischen Urteil nichts aus zu sagen, alle Körper seien
teilbar, oder einiges Teilbare ist ein Körper.¹¹⁰ Erst durch die Anwendung der
Kategorie der Substanz, respektive Akzidenz kann über den Eigenschafts-, re-
spektive Dingcharakter der Begriffe entschieden werden. Mit dem Symbol¹¹¹ als
Metarealfunktion des Verstandes lässt sich jedoch das Problem der Affektions-
kausalität in den Griff bekommen.
Entscheidend für die Lösung des Affektionsproblems ist die Freiheitskausa-
lität. Dass Kants Begriff der Kausalität aus Freiheit den Schlüssel darstellen
könnte, ist bereits vom frühen Neukritizismus bemerkt worden;¹¹² namentlich von
Benno Erdmann¹¹³, Kuno Fischer¹¹⁴ und Friedrich Paulsen¹¹⁵. Die symbolische
Folglich hat das Sittengesetz kein anderes, die Anwendung desselben auf Gegenstände der
Natur vermittelndes Erkenntnisvermögen, als den Verstand (nicht die Einbildungskraft),
welcher einer Idee der Vernunft nicht ein Schema der Sinnlichkeit, sondern ein Gesetz, aber
doch ein solches, das an Gegenständen der Sinne in concreto dargestellt werden kann, mithin
ein Naturgesetz, aber nur seiner Form nach, als Gesetz zum Behuf der Urteilskraft unterlegen
kann, und dieses können wir daher den Typus des Sittengesetzes nennen.¹¹⁶
deutung, M. B.] gilt von der Kausalität; auch diesen Begriff brauche ich in doppeltem Sinne, wie ja
denn dem Leser der Dialektik und der Kr. d. pr. V. genugsam bekannt ist: Kausalität nach Na-
turgesetzen und Kausalität nach Freiheitsbegriffen. Im ersteren Sinne, dem der Kategorie, be-
deutet Ursachsein gar nichts als einer Erscheinung regelmässig in der Zeit vorhergehen. Das kann
natürlich nur von Dingen, die selbst in der Zeit sind, also von Erscheinungen, ausgesagt werden;
z. B. auch von den Körpern, die unsere Sinne rühren; der äussere Reiz und die physiologische
Erregung, und wieder diese und die Empfindung stehen in dem Verhältnis von Ursache und
Wirkung im empirischen Sinn. Dagegen zwischen Dingen an sich findet natürlich nicht ein em-
pirisches Kausalverhältnis statt, sondern eine transscendente Beziehung, die nicht anschaulich
vorgestellt, sondern nur durch reines Denken erfasst werden kann: ein Verhältnis innerer Be-
dingtheit, wie zwischen Grund und Folge im logischen Denken.Wie ich mir die Sache zurechtlege,
habe ich hinlänglich angedeutet: zwischen den Dingen an sich, den Gliedern des mundus intel-
ligibilis, der seine Einheit in Gott dem ens realissimum hat, findet ein Verhältnis innerer Korre-
spondenz, eine logisch-teleologische Beziehung aufeinander zur Einheit des absoluten Zwecks
statt.“ Paulsen (), S. f. Das Problem der Korrelation zwischen den beiden Sphären – die
mundi sensibilis atque intelligibilis –, auf welches Paulsen hinweist, wird Gegenstand von
Kap. .. sein.
KpV, AA IV, ; S. .
Thomsen (), S. , lehnt daher zu Recht die Ansätze ab, die Affektionskausalität mit
der Freiheitskausalität zu identifizieren.
260 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
sein kann, sondern vielmehr darum, wie die Affektion als Wirkung des Dinges an
sich auf das Subjekt gedacht werden kann. Dass dies durchaus zwei verschiedene
Perspektiven auf die Frage einer Kausalität aus Freiheit darstellt, zeigt sich mit
Blick auf die praktische Philosophie Kants. Das Problem der Affektion beinhaltet
offensichtlich nicht die Frage nach der Autonomie des Dinges an sich selbst als
Objekt der Erkenntnis, sondern die Frage nach der Möglichkeit, Affektion als
Wirkung desselben denken zu können. Die Frage nach der Kausalität aus Freiheit
lässt sich in der praktischen Philosophie dementsprechend formulieren: Wie kann
etwas als Ursache gedacht werden, ohne gleichzeitig als Wirkung vorgestellt
werden zu müssen? Die Frage nach der Affektion in der theoretischen Philosophie
ist umzukehren: Wie kann etwas als Wirkung vorgestellt werden, ohne vorher als
verursacht gedacht zu sein? Prima facie mutet diese Frage paradox an. So gilt
zuallererst, dass die Begriffe von Ursache und Wirkung im Kausalverhältnis
miteinander korreliert sind, sodass die Vorstellung der einen ohne die andere
unmöglich ist. Für die Vorstellung einer freien, d. h. nichtverursachten Wirkung
besteht darüber hinaus noch die Schwierigkeit, dass Ursache und Wirkung in
einem logisch nicht äquivalenten Verhältnis zueinander stehen. Auf der Ebene der
Logik bildet die Ursache die hinreichende, die Wirkung nur die notwendige Be-
dingung in der kausalen Relation. Der Begriff einer freien Dependenz scheint
daher unplausibeler zu sein als der einen freien Ursache. Beide Schwierigkeiten
gelten jedoch sowohl für die freie Ursache als auch für die freie Wirkung. Dass die
Formulierung der letzteren problematischer erscheint, ist nur der Tatsache ge-
schuldet, dass in der Darstellung der Kausalität die zweistellige Beziehung von
Ursache und Wirkung aus der Kausalkette herausgegriffen wird, in der jede Ur-
sache auch als Wirkung gedacht werden muss. Die nicht-gewirkte Ursache ist
daher ebenso unplausibel, wie die nicht-verursachte Wirkung, wenn sie als Teil
einer Kausalkette vorgestellt wird. Wenn jedoch die Darstellung des Begriffs der
ersten über die Symbolisierung gelingt, besteht die berechtigte Hoffnung, dass
dies auch für die zweite gelingen könne. Zwei Fragen sind daher zu beantworten:
Erstens, wie lässt sich die freie Dependenz symbolisch darstellen? Zweitens,
welcher begriffliche Sinn kann dieser zugeschrieben werden? In der Symbolisie-
rung der freien Wirkung kann auf die der freien Ursache zurückgegriffen werden.
Der symbolisierende Zusammenhang von Natur- und Freiheitskausalität lässt sich
als Abbildungszusammenhang der schematischen Funktion der Kausalkategorie
&(p(x& 6 q(x&& auf die durch den Begriff einer Kausalität aus Freiheit gesetzten
unbekannten Relation R bestimmen. Dabei soll nun die modale Prädikation der
subjunktiven Verbindung in ihrem temporalen Sinn zum Symbolschema der
Freiheitskausalität genommen werden. Die Übertragung des Kausalschemas auf
die Reflexionsregel des noumenalen Begriffes der Kausalität aus Freiheit bestimmt
dabei die freie, i. e. für Kant letztlich aus dem moralischen Imperativ gesetzte
3.2 Das Problem der Affektion durch das Ding an sich 261
Indessen kann man von diesen Begriffen [die Begriffe des Raumes und der Zeit und die
Kategorien, M. B.],wie von allem Erkenntnis,wo nicht das Principium ihrer Möglichkeit, doch
die Gelegenheitsursachen [Hervorhebung, M. B.] ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufsuchen,
wo alsdenn die Eindrücke der Sinne den ersten Anlaß geben, die ganze Erkenntniskraft in
262 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
Ansehung ihrer zu eröffnen, und Erfahrung zu Stande zu bringen, die zwei sehr ungleich-
artige Elemente enthält, nämlich eine Materie zur Erkenntnis aus den Sinnen, und eine
gewisse Form, sie zu ordnen, aus dem innern Quell des reinen Anschauens und Denkens, die,
bei Gelegenheit der ersteren, zuerst in Ausübung gebracht werden, und Begriffe hervor-
bringen.¹¹⁸
Kant denkt offensichtlich hier die Wirkung des Dings an sich auf das rezeptive
Vermögen als Gelegenheit zur Anwendung der dem Verstand und der Sinnlichkeit
eigenen Begriffe. Die „Eindrücke der Sinne“, mithin die ihnen zu Grunde lie-
genden Affektionen, welche als Wirkungen der transzendentalen Subjekt-Objekt-
Relation gedacht werden, bilden also die Gelegenheitsursache der spontan tätigen
Selbstaffektion; d. h. der Wirkung der Apperzeption auf den inneren Sinn.¹¹⁹ Mit
der causa occasionalis bringt Kant die Empfindungskausalität auf einen Begriff,
welcher mit ihrer symbolischen Darstellung als freie Dependenz harmoniert. Mit
dem Begriff der Gelegenheitsursache wird eine spezifische Wirkung als notwendig
hervorgebracht gedacht, ohne dass diese als Ergebnis einer kausalen Verknüpfung
vorgestellt wird.¹²⁰ Es geht Kant natürlich nicht um ein Wiederinkraftsetzen des
Occasionalismus. Dies ist schon dadurch ausgeschlossen, dass er den Problem-
horizont des cartesianischen Substanzendualismus als metaphysisches Schein-
problem ablehnt.¹²¹ Kant weist hier nur die Möglichkeit auf, einen erfahrungs-
überschreitenden Zusammenhang, welcher jedoch von vitaler Bedeutung für sein
System ist, begrifflich fassen zu können. Mit dem Hinweis Kants, die Kausalität der
Affektion als gelegenheitsursächlich fassen zu können, ist auch der dritten Vor-
bedingung zur Lösung des Affektionsproblems genüge getan. Somit sind alle
Prämissen erfüllt: Die Lösung der Affektionsproblematik durch die Einführung der
freien Dependenz verletzt nicht die Trennung der zwei Erkenntnisstämme, da sie
die Affektion immer noch als Wirkung eines vom Subjekt unabhängigen Gegen-
standes vorstellt. Zum zweiten ist sie eine diskursive Lösung, indem sie die An-
wendung des Begriffes der Kausalität mittels des Symbolschemas auf die Emp-
findungskausalität verstattet. Der Begriff der Affektion ist daher nicht leer, d. h. er
genügt dem minimalen Sinnkriterium. Drittens findet sich die Idee einer freien
Wirkung im Begriff der Gelegenheitsursache ebenfalls in der Kritik der reinen
Vernunft.
Offen ist noch die Frage, warum Kant nicht selber auf die Möglichkeit des
Symbolschematismus in Bezug auf die Empfindungskausalität verweist. Dies mag
zum einen daran liegen, dass er eine vollständige Theorie des transzendentalen
Symbolismus wie der reflektierenden Urteilskraft erst in der Kritik der Urteilskraft
1790 vorgelegt hat; zum anderen daran, dass er die Problematik der transzen-
dentalen Affektion, ähnlich wie die Frage nach der Vollständigkeit der Urteilstafel,
in ihrer systematischen Bedeutung schlicht unterschätzte. Offensichtlich schienen
ihm beide Fragen durch die Ausführungen in der Kritik der reinen Vernunft hin-
länglich beantwortet oder selbstevident. Gleichwohl lässt sich, wie gezeigt wurde,
mittels Kants eigener transzendentaler Symboltheorie das Problem im Sinne der
kritischen Philosophie angemessen lösen. Da das Symbol den vierten und einen
aus systematischer Perspektive hochinteressanten Funktionstyp darstellt, sofern
es als Metafunktion das realfunktionale Gegenstück zur Idee bildet und damit
Kants System der transzendentalen Funktionen wesentlich erweitert, soll an
dieser Stelle eine eingehendere Auseinandersetzung im Rahmen eines Exkurses
zur symbolischen Hypotypose stattfinden.
Kant begegnet mit der Einführung des Symbols als eigener Darstellungsform ei-
nem Problem, welches sich aus seiner Fassung des Ideenbegriffs ergibt. So scheint
es angesichts der Ergebnisse der Kritik der reinen Vernunft ein unmögliches Un-
terfangen, die Realität der Ideen demonstrieren zu wollen. Kant macht eindeutig
klar, dass die Begriffe der Vernunft im Gegensatz zu denen des Verstandes keinen
Gegenstand schlechthin vorstellen; ihnen korrespondiert also keine mögliche
Anschauung. Der objektive Gebrauch der transzendentalen Ideen verbietet sich
daher; dennoch sind sie nicht gegenstandslos. Als subjektive Prinzipien des hy-
pothetischen Vernunftgebrauchs einer reflektierenden Urteilskraft¹²³ sind sie nicht
nur auf ihre negative Verwendung zur Abweisung der natürlichen Dialektik
konfiniert. Die Ideen sind insofern subjektive transzendentale Prinzipien, als sie
im Gegensatz zu den objektiven nicht gleichzeitig als Bedingungen der Möglich-
keit der Erkenntnis der Dinge die Bedingung der Möglichkeit der Dinge selbst sind,
Der Exkurs basiert im Wesentlichen auf dem Text der unveröffentlichten Magisterarbeit des
Autors. Cf. Bunte ().
Die Möglichkeit eines hypothetischen und damit positiven Gebrauchs der Vernunft gründet
sich letztlich in dem eigenen Prinzip a priori der reflektierenden Urteilskraft, i. e. die Zweckmä-
ßigkeit (cf. Erste Einleitung i. d. KdU, AA XI, ; S. ). Zum Zusammenhang von hypotheti-
schem Vernunftgebrauch und reflektierender Urteilskraft cf. Horstmann (), S. .
264 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
Verlangt man gar, daß die objektive Realität der Vernunftbegriffe, d. i. der Ideen, und zwar
zum Behuf des theoretischen Erkenntnisses derselben dargetan werde, so begehrt man etwas
Unmögliches, weil ihnen schlechterdings keine Anschauung angemessen gegeben werden
kann.¹²⁹
Durch die Einführung der symbolischen Hypotypose weist Kant in § 59 der Kritik
der Urteilskraft trotz des in der Kritik der reinen Vernunft zurückgewiesenen ob-
jektiven Gebrauchs der Ideen einen Weg aus, von den Ideen anschaulich sprechen
zu können.
[A] Alle Anschauungen, die man Begriffen a priori unterlegt, sind also entweder Schemate
[sic!] oder Symbole, wovon die erstern direkte, die zweiten indirekte Darstellungen des Be-
griffs enthalten. [B] Die erstern tun dieses demonstrativ, die zweiten vermittelst einer Ana-
logie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedient), [C] in welcher die
Urteilskraft ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer
sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene An-
Cf. KdU Einleitung VIII, B LII; S. . KdU, Einleitung Heiner Klemme, XXXVIII. Bojanowski
(), S. , .
Zur Verwandtschaft von Verstandes- und Vernunftschema (Schematistik) cf. Bazil (),
S. ff.
Cf. KrV, A | B ; S. .
Majer (), S. , weist darauf hin, dass der Gebrauch der regulativen Ideen bei Kant und
der der idealen Elemente bei Hilbert analog sind: „Dem bloß regulativen Gebrauch der Ideen bei
Kant entspricht die konsistente Erweiterung eines Gegenstandsbereichs um ideale Elemente,
denen kein Gegenstand im anschaulich Finiten korrespondiert.“
Im praktischen Sinne ist damit die Idee nicht ein problematisches Konzept, sondern wird
assertorisch verwandt.
KdU, § , AA V, ; B ; S. .
Exkurs: Der transzendentale Symbolismus 265
schauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, an-
zuwenden.¹³⁰
Kant teilt die Erkenntnisformen in zwei Gruppen ein (A), denen je zwei Subka-
tegorien untergeordnet sind: Zum einen die Gruppe der diskursiven, zum anderen
die der intuitiven Erkenntnis. Die Beweisform der ersteren ist allein begrifflicher
Natur, d. h. sie benötigt keine Demonstration in der Anschauung, gleichwohl
müssen sich ihre Begriffe auf eine mögliche Erscheinung beziehen lassen. Kant
bezeichnet sie deswegen auch als akroamatisch.¹³¹ Die diskursiven Beweisformen
teilen sich wiederum in direkte und indirekte, i. e. in ostensive und apagogische
Beweise.
Der direkte oder ostensive Beweis ist in aller Art der Erkenntnis derjenige, welcher, mit der
Überzeugung von der Wahrheit, zugleich Einsicht in die Quellen derselben verbindet; der
apagogische dagegen kann zwar Gewißheit, aber nicht Begreiflichkeit der Wahrheit in An-
sehung des Zusammenhanges mit den Gründen ihrer Möglichkeit hervorbringen.¹³²
Die intuitive Erkenntnis dagegen stellt immer eine Form der Demonstration dar,
insofern sie sich notwendig auf eine Darstellung (exhibitio) in der Anschauung
bezieht. Analog zu den diskursiven Beweisformen teilen sich die intuitiven
ebenfalls in eine direkte und eine indirekte. (B) Die direkte Demonstrationsform
ist die Demonstration eines Begriffes im engeren Sinne durch eine Regel, i. e. die
schematische Darstellungsform.¹³³ Die intelligible Natur der Idee schließt jedoch
eine solche direkte Demonstration aus. Für die Demonstration eines Vernunft-
begriffes steht nur ein indirekter Weg per analogiam offen.¹³⁴ Hierin besteht die
eigentümliche Leistung des Symbolismus.
Den Symbolismus kennzeichnet im Allgemeinen, wie auch bei Kant, eine
Relation zweier Begriffe, zwischen denen eine Analogie bestehen soll.¹³⁵ Die
Assoziabilität der Begriffe in einer symbolischen Metaphorik wird durch eine
Ähnlichkeit zwischen beiden mittels eines Dritten des Vergleichs (tertium com-
parationis) hergestellt. Da der Symbolismus für Kant eine Demonstrationsform –
eine Hypotypose – darstellt, liegt seine Aufgabe darin, ein Abstraktum an-
schaulich zu machen.¹³⁶ Die Möglichkeit, die Funktionsweise des Symbolismus
einzusehen, erfordert dabei den Vergleich mit dem Schematismus. Der Vorgang
des Symbolisierens ist zweifach, die Urteilskraft verrichtet ein „doppeltes Ge-
schäft“ (C). Um einen Gestand, der als Symbol fungieren soll, zu erkennen, re-
spektive in der produktiven Einbildungskraft zu imaginieren, muss diese eine
Verbindung der intuitiven und diskursiven Erkenntnisvermögen in einem Begriff
etablieren. Die Einbildungskraft muss also zuerst einen Begriff auf eine sinnliche
Anschauung beziehen. Diesen Bezug kann die Urteilskraft jedoch nur mittels des
Schemas dieses Begriffes generieren. Die Herstellung dieses Anschauungsbezuges
besteht daher in der Auffindung der passenden Urteilsform bezogen auf eine
mögliche Erscheinung durch die Einbildungskraft. Der zweite Schritt besteht
darin, das hierdurch gewonnene Schema auf einen anderen (Vernunft‐)begriff
abzubilden, als einer „Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der
Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung
direkt korrespondieren kann.“¹³⁷
Diese Applikation darf sich jedoch nicht auf den Begriff direkt beziehen,
sondern nur auf seine Funktion, als diejenige Regel, nach der über seinen Ge-
genstand reflektiert wird. Verbände man einen Begriff mit dem Schema eines
anderen, beginge man einerseits einen Kategorienfehler, indem man die Regel zur
Anwendung eines Begriffes auf einen anderen direkt übertrüge, zum anderen
bedeutete dies im Falle der Vernunftidee diese direkt darzustellen, d. h. zu
schematisieren, was eine transzendentale Subreption zur Folge hätte.¹³⁸ Das
Symbol stellt daher allgemein die Regel einer Regel oder das Schema einer Regel
dar.¹³⁹ Kant macht dieses Verhältnis mit Bezug auf das Naturgesetz als Typus des
Moralgesetzes klar, ohne jedoch das Symbol an dieser Stelle explizit zu nennen:¹⁴⁰
Hier aber ist es nicht um das Schema eines Falles nach Gesetzen, sondern um das Schema
(wenn dieses Wort hier schicklich ist) eines Gesetzes selbst zu tun, […]¹⁴¹
In Bezug auf die Fassung des Schemas als Funktion eines Begriffes stellt das
Symbol die Funktion einer Funktion dar, also eine Funktion zweiter Ordnung,
respektive analog zur Stufenlogik ein Schema zweiter Stufe. Man kann jede An-
wendungsregel bzw. Reflexionsregel eines Begriffes allgemein durch eine Relation
darstellen, die als Bestimmungsgrund den Begriff und die durch ihn bestimmte
Anschauung in Beziehung setzt. In einen material-logischen Ausdruck gebracht
lässt sich dieser Zusammenhang allgemein darstellen als:
und
soll eine symbolische Relation Σ(y& bestehen und zwar so, dass der Begriff von x
Symbol für y ist:
Σ(y& " x
Das Schema des Begriffes von x soll sich daher auf die Funktion¹⁴² des Begriffes
von y abbildend beziehen:
Die im Symbolismus ausgesagte Relation ('& bezieht sich ausgehend von dieser
Form auf die Analogie der zwei logischen Konstanten Rx und Ry , für die daher gilt:
Rx ist analog (-& zu Ry :
Rx - Ry .
Bereits in der Kritik der reinen Vernunft findet sich an prominenter Stelle die
symbolische Relation der Begriffe von Raum und Zeit.¹⁴³ Mit dieser beschreibt Kant
die Bildung des Begriffs der Zeit als Sukzession mittels der Bewegung in Gestalt
eines reinen Actus einer sukzessiven Synthesis. Die Zeit kann nur mittels der
Vorstellung des reinen Bildes aller Größen, dem Raum,¹⁴⁴ respektive einer im
Raum gezogenen Linie, in ein Bild gebracht werden.¹⁴⁵ Nach Kant lassen sich also
zeitliche Verhältnisse auf räumliche – die Linie ist bekanntlich ein eindimen-
sionaler Raum – abbilden.
Und, eben weil diese innre Anschauung keine Gestalt gibt, suchen wir auch diesen Mangel
durch Analogien zu ersetzen, und stellen die Zeitfolge durch eine ins Unendliche fortgehende
Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension ist,
und schließen aus den Eigenschaften dieser Linie auf alle Eigenschaften der Zeit, außer dem
einigen, daß die Teile der erstern zugleich, die der letztern aber jederzeit nach einander sind.
Hieraus erhellet auch, daß die Vorstellung der Zeit selbst Anschauung sei, weil alle ihre
Verhältnisse sich sich an einer äußern Anschauung ausdrücken lassen.¹⁴⁶
Wir können uns keine Linie denken, ohne sie in Gedanken zu ziehen […] die Zeit nicht, ohne,
indem wir im Z i e h e n einer geraden Linie (die die äußerlich figürliche Vorstellung [Her-
vorhebung, M. B.] der Zeit sein soll) bloß auf die Handlung der Synthesis des Mannigfaltigen,
dadurch wir den inneren Sinn sukzessiv bestimmen, und dadurch auf die Sukzession dieser
Bestimmung in demselben, Acht haben. Bewegung, als Handlung des Subjekts (nicht als
Bestimmung eines Objekts), folglich die Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, wenn wir
von diesem abstrahieren und bloß auf die Handlung Acht haben, dadurch wir den i n n e r e n
Die symbolische Beziehung von Raum und Zeit bespricht ebenfalls Zschocke (), S. f.
Cf. KrV, A | B f.; S. .
Cf. Simon (), S. .
KrV, A | B ; S. .
Exkurs: Der transzendentale Symbolismus 269
S i n n seiner Form gemäß bestimmen, bringt so gar den Begriff der Sukzession zuerst her-
vor.¹⁴⁷
Mittels des symbolischen Kalküls kann der von Kant aufgedeckte notwendige
Zusammenhang des Raumes zur bildlichen Anschauung der Zeit verdeutlicht
werden. Der Ausdruck
möge das Schema des Raumes beschreiben, wobei o1 und o2 für zwei beliebige
nicht identische Orte im Raum stehen und Rs die extensionale Beziehung der Orte
im Raum beschreibt. Das Schema bringt dabei die ursprüngliche transzendental-
ästhetische Bestimmung des Raumes als transzendentale Anschauungsform zum
Ausdruck, i. e. die Bedingung der Möglichkeit räumlichen Auseinanderseins. Es
definiert damit den Raum als die Bedingung der Möglichkeit der Differenzier-
barkeit verschiedener Orte, welche selbst nur Spezifikationen des einen Raumes
sind. Eine zweite Regel der Reflexion, nämlich die der Zeit, soll durch den Aus-
druck:
Σ(ZeitZeit& " # %1 (Raum& " Rs (o1 ! o2 &! ' #%2 (ZeitZeit& " Rt (t 1 ! t2 &!
Nun ist klar, dass die symbolische Relation zwischen RS und RT besteht, da sich in
jedem Formular nur jeweils eine logische Konstante befindet. Der Ausdruck kann
demnach aufgelöst werden zu: o1 ist neben o2 ist analog zu t1 ist nach t2. Die
Sukzession der Zeit kann demnach durch die Analogie zur Extension des Raumes
dargestellt werden.
Gegen diese Analogisierbarkeit wurden verschiedentlich Einwände erhoben.
So ist nach Mohr die kantische „These, daß alle ihre Verhältnisse [sc. der Zeit] sich
Zwei weitere Beispiele zur Erläuterung des Symbols finden sich in § 59. Dort er-
örtert Kant die Möglichkeit, den monarchischen und tyrannischen Staat mittels
eines beseelten Körpers oder einer Maschine zu symbolisieren:
So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren
Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch
einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur symbolisch
vorgestellt. Denn, zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine
Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren.¹⁵¹
Die Handmühle als Symbol für die Tyrannis soll zuvorderst betrachtet werden.
Ihre Kausalität ist als die Kausalität einer Maschine identisch mit der natürlichen
Kausalität K.¹⁵² Ihr Schema %1 (K & hat daher die allgemeine Form der zweiten re-
lationalen Subkategorie:
p bezeichnet dabei eine kausal gebundene Erscheinung als Ursache, q eine solche
als Wirkung, x ein beliebiges, kausal bestimmtes System. Die zu symbolisierende
Reflexionsregel %2 über die „Kausalität der Tyrannis“ Ϙ bezieht sich auf den Zu-
sammenhang RϘ , in welchem der Wille des Souveräns (Tyrann) Ϙs und der des
Untertans (Leibeigener, Sklave) ϘL zueinander stehen. Sie mag allgemein gefasst
werden als:
Der Symbolbezug Σ(Ϙ& " %1 (%2 (Ϙ&& von K und Ϙ bildet daher eine Abbildung des
Schemas der Naturkausalität eines mechanischen Ursache-Wirkung-Zusammen-
hanges auf die Dynamik einer politischen Konstitution. Werden die Ausdrücke für
%1 und %2 eingesetzt, ergibt sich daraus die Form für das Symbol:
Im Gegensatz zur Symbolisierung der Zeit durch den Raum beinhaltet die sym-
bolisierende Regel zwei logische Konstanten: Einmal die modallogische Kon-
stante der Notwendigkeit (&&, i. e. die Bestimmung durch eine Regel – im Falle der
Naturkausalität die Form eines allgemeinen Gesetzes – zum anderen die der
Implikation (6& welche die Einsinnigkeit der Folgeordnung zum Ausdruck bringt.
Daraus ergeben sich zwei Alternativen, das Symbol zu deuten. Zum einen könnte
sich die symbolische Hypotypose auf die Notwendigkeit (&& der in der Natur-
kausalität ausgedrückten Relation beziehen. In diesem Falle kämen Maschine und
tyrannischer Staat darin überein, dass der Wille des Souveräns mit Notwendigkeit
(irreprehensibel, irresistibel, inappellabel) den Willen des Untertans bestimmt.
Zwar mag der mit staatlichen Mitteln erzwungene Gehorsam der Bürger unter den
Willen des Tyrannen den Status einer (Überlebens‐)Notwendigkeit haben, jedoch
scheint dies nicht der Gegenstand der Vergleichbarkeit von Maschine und Des-
potie zu sein. Vielmehr bezieht sich diese auf die Einsinnigkeit (6& der Willens-
übertragung von Souverän und Untertan. Die Reflexion über Maschine und
Zwangsstaat kommen darin überein, dass ihre Kausalität nur in eine Richtung
Die Interpretation des zweiten Symbols, des beseelten Körpers für den monar-
chischen Staat, mag prima facie auf die klassische Deutung¹⁵³ des Gemeinwesens
als Körper und die des Herrschers als Seele hinauslaufen.¹⁵⁴ Schwierig wird es
jedoch, diese Deutung mit dem von Kant insinuierten Vergleich der Kausalitäten
zu verbinden, insbesondere in Zusammenschau mit dem Symbol für die Despotie.
Hier scheint das zweite Beispiel für eine Symbolisierung befremdlich. Worin soll
sich ein monarchischer Staat von einem tyrannischen hinsichtlich der Relation
des gesetzgebenden Willens zu dem seiner Untertanen unterscheiden? Zentral für
das Verständnis des Symbols ist hierbei der folgende Konditionalsatz „wenn er
nach inneren Volksgesetzen […] beherrscht wird“.¹⁵⁵ Kant versteht unter einem
Staat, der nach Freiheitsgesetzen regiert wird, eine Republik unabhängig von der
Form der Beherrschung (forma imperii), wie sie in einer Demokratie, Aristokratie
oder Monarchie ausgeübt wird.¹⁵⁶ Die Regierungsform (forma regiminis) der Re-
publik zeichnet sich dabei dadurch aus, dass in ihr die kollektive Einheit des
vereinigten Willens durch eine Staatsgewalt repräsentiert wird.¹⁵⁷ Der Wille des
Souveräns ist damit nur dann legitim, wenn in ihm der Wille aller Teile des Ge-
meinwesens repräsentiert wird. Die Beziehung des Willens des Souveräns zu dem
des Untertans bedeutet daher keine einsinnige, sondern eine zweisinnige Bezie-
hung. Diese Ordnung entspricht der Kausalität in der belebten Natur als einem
Analogon des Lebens. ¹⁵⁸
Cf. Politeia, Buch IV, d – c; Band , S. ff.
Diese Interpretation ist sicherlich nicht verkehrt und widerspricht der folgenden auch nicht.
Man übersieht jedoch die systematische Verbindung des Bildes für den monarchischen Staat zu
Kants eigener Staatstheorie, wollte man es rein historisch verstehen.
KdU § , B ; AA V, ; S. .
Cf. ZeF II. Abs., . Def. Art, B ; AA VIII, ; S. . Zum Begriff der Republik und dessen
Verbindung zu dem der Demokratie im heutigen Sinne cf. Höffe (), S. f.
Cf. ZeF II. Zusatz, Anhang, B ; AA VIII, ; S. .
KdU § , B ; AA V, ; S. . Der Versuch, die besondere Organisationsform der
Materie im lebenden Wesen durch ein ihr artfremdes Prinzip (Seele) zu erklären, setzt nach Kant
entweder die Existenz des Lebendigen bereits voraus oder macht die Organisation des Lebendigen
als einen Teil der Natur unerklärlich.
Exkurs: Der transzendentale Symbolismus 273
In einem solchen Produkte der Natur wird ein jeder Teil, so, wie er nur durch alle übrige da ist,
auch als um der andern und des Ganzen willen existierend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht:
welches aber nicht genug ist (denn er könnte auch Werkzeug der Kunst sein, und so nur als
Zweck überhaupt möglich vorgestellt werden); sondern als ein die andern Teile (folglich jeder
den andern wechselseitig) hervorbringendes Organ, dergleichen kein Werkzeug der Kunst,
sondern nur der allen Stoff zu Werkzeugen (selbst denen der Kunst) liefernden Natur sein
kann: und nur dann und darum wird ein solches Produkt, als organisiertes und sich selbst
organisierendes Wesen, ein Naturzweck genannt werden können.¹⁵⁹
Ein organisiertes Wesen ist also nicht bloß Maschine: denn die hat lediglich bewegende Kraft;
sondern sie besitzt in sich bildende Kraft, und zwar eine solche, die sie den Materien mitteilt,
welche sie nicht haben (sie organisiert): also eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche
durch das Bewegungsvermögen allein (den Mechanism) nicht erklärt werden kann.¹⁶⁰
In der Kritik der teleologischen Urteilskraft gibt Kant mit Bezug auf die nach
Rousseauschen Prinzipien entwickelte postrevolutionäre Ordnung Frankreichs
einen Hinweis auf eine mögliche Übertragung der nach Naturzwecken geordneten
Sphäre des Organischen auf eine Staatsverfassung.
Man kann umgekehrt einer gewissen Verbindung, die aber auch mehr in der Idee als in der
Wirklichkeit angetroffen wird, durch eine Analogie mit den genannten unmittelbaren Na-
turzwecken Licht geben. So hat man sich, bei einer neuerlich unternommenen gänzlichen
Umbildung eines großen Volks zu einem Staat, des Worts Organisation häufig für Einrichtung
der Magistraturen u. s. w. und selbst des ganzen Staatskörpers sehr schicklich bedient. Denn
jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch
Zweck, und, indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen
wiederum, seiner Stelle und Funktion nach, bestimmt sein.¹⁶¹
Die durch das Schema des Naturzweckes symbolisierte Regel der Reflexion be-
zieht sich, wie im Beispiel des Symbols für die Despotie, auf die Willensüber-
tragung von Souverän und Untertan. Daher kann dasselbe Formular verwendet
werden.
RϘ (ϘS ! ϘL &
Aus dem Bezug der beiden Funktionen aufeinander kann so folgende symbolische
Form Σ(Ϙ& gewonnen werden:
Die dritte und wohl eine der bekanntesten symbolischen Relationen der kanti-
schen Philosophie findet sich im zweiten Hauptstück des ersten Buches der Ele-
mentarlehre der reinen praktischen Vernunft in der Kritik der praktischen Ver-
nunft. ¹⁶² Dort handelt Kant von der so genannten Typik der reinen praktischen
Urteilskraft. Das Problem der praktischen Vernunft, um dessen Lösung sich Kant
bemüht, betrifft die Möglichkeit, wie der reine Wille als autonomes Vermögen in
der kausal-naturgesetzlich geordneten Wirklichkeit gesetzgebend für eine empi-
rische Handlung sein kann, insofern dieser Notwendigkeit in Ansehung ihres
Daseins qua Gesetz zukommen können soll.
Weil aber eine praktische Regel der reinen Vernunft erstlich, als praktisch, die Existenz eines
Objekts betrifft, und zweitens, als praktische Regel der reinen Vernunft Notwendigkeit in
Ansehung des Daseins der Handlung bei sich führt, mithin praktisches Gesetz ist, und zwar
nicht Naturgesetz, durch empirische Bestimmungsgründe, sondern ein Gesetz der Freiheit,
nach welchem der Wille, unabhängig von allem Empirischen (bloß durch die Vorstellung
eines Gesetzes überhaupt und dessen Form) bestimmbar sein soll, alle vorkommende Fälle
zu möglichen Handlungen aber nur empirisch, d. i. zur Erfahrung und Natur gehörig sein
können: so scheint es widersinnisch, in der Sinnenwelt einen Fall antreffen zu wollen, der, da
er immer so fern nur unter dem Naturgesetze steht, doch die Anwendung eines Gesetzes der
Freiheit auf sich verstatte, und auf welchen die übersinnliche Idee des Sittlichguten, das
darin in concreto dargestellt werden soll, angewandt werden könne.¹⁶³
Dem Naturgesetze, als Gesetze, welchem die Gegenstände sinnlicher Anschauung, als sol-
che, unterworfen sind, muß ein Schema, d. i. ein allgemeines Verfahren der Einbildungskraft
(den reinen Verstandesbegriff, den das Gesetz bestimmt, den Sinnen a priori darzustellen),
korrespondieren. Aber dem Gesetze der Freiheit (als einer gar nicht sinnlich bedingten
Kausalität), mithin auch dem Begriffe des unbedingt-Guten, kann keine Anschauung, mithin
kein Schema zum Behuf seiner Anwendung in concreto untergelegt werden.¹⁶⁴
Daher kann sich die Anwendung des Sittengesetzes als ein Gesetz der Freiheit
nicht auf die Einbildungskraft als vermittelndes Vermögen stützen, sondern muss
sich als (praktische) Idee nur des Verstandes zum Gegenstand der Vernunft be-
dienen.¹⁶⁵
Folglich hat das Sittengesetz kein anderes, die Anwendung desselben auf Gegenstände der
Natur vermittelndes Erkenntnisvermögen, als den Verstand (nicht die Einbildungskraft),
welcher einer Idee der Vernunft nicht ein Schema der Sinnlichkeit, sondern ein Gesetz, aber
doch ein solches, das an Gegenständen der Sinne in concreto dargestellt werden kann, mithin
ein Naturgesetz, aber nur seiner Form nach, als Gesetz zum Behuf der Urteilskraft unterlegen
kann, und dieses können wir daher den Typus des Sittengesetzes nennen.¹⁶⁶
Dieses Gesetz der Form nach bildet damit eine Hilfsformel oder ein Muster der
Urteilskraft, ¹⁶⁷ mit der das „Widersinnische“ der rein formalen Willensbestim-
mung durch das praktische Gesetz in seiner Anwendung auf einen Fall in concreto
aufgehoben, respektive die Möglichkeit der Freiheitshandlung in den kausalen
Nexus der Natur verstattet wird. Dies gelingt, indem die Gesetzesform auf das
arbiträre Verhältnis von Wille und Handlung angewandt, mithin ein Naturgesetz
zum Typus eines Sittengesetzes gemacht wird.¹⁶⁸ Mittels des symbollogischen
Kalküls lässt sich die von Kant verwendete Symbolisierung der Freiheit in der
Typik aufdecken. Wie in der Analyse der bisherigen Symbole, wird ein bekanntes
Schema auf eine unbekannte Funktion abgebildet. Die gesuchte Funktion stellt die
nichtsinnliche Freiheitskausalität dar, durch welche das moralisch-autonome
Subjekt uranfänglich aus rein praktischer Willensbestimmung in die Welt hinein
handelt. Das symbolisierende Schema hierzu bildet die Naturgesetzlichkeit, also
das Schema der Kausalität. Letzteres ist bereits bekannt durch die Form der Ka-
tegorie der Kausalität:
Es stehen, wie aus dem Formular erkennbar, zwei Alternativen zur Disposition.
Zum einen kann sich die Analogisierung der gesuchten Relation RΦ auf die Im-
plikation (→) beziehen, zum anderen auf die Notwendigkeit (□). Darüber hinaus
scheint in diesem Fall die Möglichkeit einer dritten Alternative denkbar, i. e. dass
sich die gesuchte Relation auf beide Logik-Konstanten bezieht (□; →). Die Kau-
salität aus Freiheit RΦ ist dementsprechend im Ganzen analog zur Naturgeset-
zesform der Kausalität (&&. Dieser Fall, der in den vorangegangenen Beispielen
irrelevant war, scheint hier ausschlaggebend. Die strenge Implikation der vom
Naturgesetz gebotenen Kausalität wird abgebildet auf die bloß praktische Not-
wendigkeit des in der Freiheitsrelation ausgedrückten Zusammenhangs von au-
tonomem Willen und moralischer Handlung. Annemarie Pieper hat dies wie folgt
klargemacht:
Als Typus wird Naturkausalität nicht als ein Gesetz gedacht, das die Erkenntnis von Objekten
begründet; vielmehr dient er der praktischen Urteilskraft lediglich als Muster, anhand dessen
sie eine normative Bestimmung des Willens (Kausalität aus Freiheit) nach Analogie mit der
zwingenden Kraft eines Naturgesetzes vorstellt.¹⁷⁰
Es ist also auch erlaubt, die Natur der Sinnenwelt als Typus einer intelligibelen Natur zu
brauchen, so lange ich nur nicht die Anschauungen, und was davon abhängig ist, auf diese
übertrage, sondern bloß die Form der Gesetzmäßigkeit überhaupt (deren Begriff auch im
reinsten Vernunftgebrauche stattfindet, aber in keiner anderen Absicht, als bloß zum reinen
praktischen Gebrauche der Vernunft, a priori bestimmt erkannt werden kann) darauf be-
ziehe. Denn Gesetze, als solche, sind so fern einerlei, sie mögen ihre Bestimmungsgründe
hernehmen, woher sie wollen.¹⁷²
Der Symbolismus des Schönen ist der bekannteste der (kantischen) Philosophie
wie auch der am schwierigsten zu interpretierende. Neben allgemeinen Missver-
ständnissen und Fehldeutungen des Symbolbegriffes – auf die Fehlinterpretation
Höffes wurde bereits hingewiesen¹⁷³ – besteht die besondere Schwierigkeit im
Symbol des Sittlichguten darin, dass der Gegenstand der eigentlichen Symbol-
beziehung zwischen den beiden Begriffen nicht unmittelbar evident ist. Tat-
sächlich ist es prima facie nicht direkt einsehbar, worin das tertium comparationis
der Symbolbeziehung bestehen sollte. Kant nennt in § 59 vier Einheitsmomente
der Analogie, ausgehend von der vorangegangenen metaphysischen Erörterung
des Begriffs des Schönen in kategorialer Ordnung.¹⁷⁴
Birgit Recki hat in ihrer Analyse zum Symbolismus des Schönen klar dargelegt,
dass die entscheidende Verbindung zwischen den beiden Begriffen im dritten
Moment, der Freiheit, begründet liegt.
Der gute Wille ist mithin das einzige, das auch hier am Ende der Kritik der Urtheilskraft als
„das Sittlichgute“ gemeint sein kann.Von daher würde sich ergeben, daß das Schöne Symbol
des guten Willens sein solle.
Berücksichtigt man aber, daß für Kant ein guter Wille allein der Wille ist, der sich nach
dem moralischen Gesetz bestimmt, dann ist damit auch gesagt, daß das Schöne das Symbol
der Freiheit – Spontaneität und Autonomie – ist.¹⁷⁶
dargestellt werden. Das symbolisierende Schema ist das des Schönen (Ψ&. Es
besteht in der Relation, welche eine Vorstellung zum einen in Bezug auf die
Konstitution des Erkenntnisvermögens des anschauenden Subjekts hat, insofern
das Schöne in der Anschauung unmittelbar, allgemein und ohne alles Interesse
notwendig gefällt, und zum anderen in der Objektprädikation, der Gegenstand
dieser Anschauung sei schön. Das Schema des ästhetischen Urteils lässt sich
demgemäß formalisieren als:
%1 (Ψ& " &RΨ (xs ! xo & - %2 (Φ& " RΦ (&W ! &H &
Hier sind zwei Möglichkeiten der symbolischen Relation denkbar. Die eine bezieht
sich auf die Modalität der Notwendigkeit. Schönheit und Sittlichkeit kämen
demnach in der Allgemeingültigkeit (Universalität) ihres Anspruches auf Gültig-
keit überein. Das Symbol bezöge sich dementsprechend auf die Gesetzesform des
ästhetischen Urteils (&&. Eine solche Interpretation des Symbols ginge jedoch in
mehrerer Hinsicht fehl. Zum einen ist es gerade der besondere Anspruch auf
Notwendigkeit des Wohlgefallens am Schönen, welcher eine besondere Schwie-
rigkeit der Ästhetik Kants ausmacht, die er sich selbst in der Kritik der Urteilskraft
als Aufgabe erst vorgelegt hat.¹⁸¹ Ein Verweis auf die Gesetzesform des morali-
schen Imperativs durch das ästhetische Urteil wäre in diesem Falle nicht ver-
sinnlichend, sondern würde eher verdunkelnd wirken. Zum andern wäre ein
solches Symbol redundant, da Kant die Symbolisierung der (Natur‐)Gesetzesform
bereits in der Typik der Kritik der praktischen Vernunft unternommen hat. Die
andere und zutreffende Möglichkeit bezieht sich auf die Symbolisierung der Re-
lationskonstante RΦ durch RΨ : Die Freiheit der ästhetischen Reflexion dient als
Symbol für die praktische Freiheit.
Es bleibt offen, worin diese Reflexionsfreiheit bestehen sollte. Kant erörtert
diese Frage in § 35 der Kritik der Urteilskraft. Da sich das ästhetische Urteil nicht
interessegeleitet auf ein Objekt als einen Gegenstand einer möglichen Erkenntnis
bezieht, wird es nicht durch diesen zur Auffindung, respektive Anwendung eines
entsprechenden Begriffes necessiert.¹⁸² Das Zusammenwirken der beiden Er-
kenntniskräfte – der Rezeptivität in der Anschauung einerseits und der Sponta-
Kulenkampff (), S. und , fasst das vierte Moment des ästhetischen Urteils as-
sertorisch auf und begründet dies mit der Unbeweisbarkeit qua Unbegrifflichkeit des ästhetischen
Urteils. Der lakonische Einwand Reckis (cf. Recki (), S. ), es gehe Kant in der Modalbe-
stimmung darum, zu zeigen, dass etwas notwendig, nicht bloß wirklich schön sei, mag sachlich
unzweifelhaft sein, entkräftet jedoch nicht Kulenkampffs Abweisung der dritten Subkategorie der
Modalität für das ästhetische Urteil. Beide Positionen scheinen jedoch vermittelbar. Diese mittlere
Position besteht darin, die Ebene der Gültigkeit des Urteils selbst von seinem Gültigkeitsanspruch
zu unterscheiden. So ist die Apodiktizität, die das ästhetische Urteil anzeigt, als eine solche zu
fassen, welche eine Notwendigkeit nicht schlechthin ausdrückt, insofern sie niemals durch einen
möglichen Beweisgrund demonstriert werden könnte, sondern sie drückt den Anspruch auf
notwendige Beipflichtung der im Urteil bloß assertorisch gefassten Relation aus. Diese Inter-
pretation ähnelt dem, was Kant in § über das ästhetische Urteil sagt, nämlich dass es sich um
ein solches von allgemeiner Gültigkeit eines einzelnen Urteils handele, cf. KdU § , B ; AA V,
; S. .
Cf. Kohler (), .
Exkurs: Der transzendentale Symbolismus 281
Diese, in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht,
erfordert zweier Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für
die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben), und des Ver-
standes (für den Begriff als Vorstellung der Einheit dieser Zusammensetzung). Weil nun dem
Urteile hier kein Begriff vom Objekte zum Grunde liegt, so kann es nur in der Subsumtion der
Einbildungskraft selbst (bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter
die Bedingungen, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt,
bestehen.¹⁸³
Die Freiheit dieses „Reflexionsschematismus“ besteht darin, dass die durch ihn
ausgedrückte Regel als Funktion der Urteilskraft ohne einen Begriff auskommt,
auf den dieser sich bezöge.
D. i. weil eben darin, daß die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit der-
selben besteht: so muß das Geschmacksurteil auf einer bloßen Empfindung der sich
wechselseitig belebenden Einbildungskraft in ihrer Freiheit, und des Verstandes mit seiner
Gesetzmäßigkeit, also auf einem Gefühle beruhen, das den Gegenstand nach der Zweck-
mäßigkeit der Vorstellung (wodurch ein Gegenstand gegeben wird) auf die Beförderung des
Erkenntnisvermögens in ihrem freien Spiele beurteilen läßt […].¹⁸⁴
Das Schematisieren ohne Begriff scheint angesichts der Feststellung, dass Kant
das Schema eines Begriffes als seine Funktion gebraucht, paradox.¹⁸⁵ Dennoch
erhellt die Funktionsinterpretation diese Kernschwierigkeit der kantischen Äs-
thetik. Im Falle der ästhetischen Reflexion werden Schemata nicht als Regeln zu
Begriffen, bzw. als Subsumtionregeln gebraucht. In ihrer Anwendung wird nicht
der ästhetische Gegenstand unter einen Begriff gebracht, sondern spielerisch auf
ihn reflektiert. Anschauungs- und Begriffsvermögen werden daher nicht nach
einem bestimmten Begriff aufeinander bezogen, sondern die Vermögen selbst
werden durch das freie Schematisieren untereinander subsumiert.
… der Geschmack, als subjektive Urteilskraft, enthält ein Prinzip der Subsumtion, aber nicht
der Anschauungen unter Begriffe, sondern des Vermögens der Anschauungen oder Dar-
stellungen (d. i. der Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (d. i. den Verstand),
sofern das erstere in seiner Freiheit zum letzteren in seiner Gesetzmäßigkeit zusammen-
stimmt.¹⁸⁶
Die erste Frage bezieht sich auf den sinnlichen Erkenntnisgrund unserer Refle-
xionsfreiheit. Ihre ratio cognoscendi ist das unmittelbare Erleben der Autonomie
unserer Einbildungskraft in Ansehung der Unabhängigkeit des ästhetischen Er-
lebens von Erfahrungsgesetzen.
In diesem Vermögen [des Geschmacks, M. B.] sieht sich die Urteilskraft nicht, wie sonst in
empirischer Beurteilung, einer Heteronomie der Erfahrungsgesetze unterworfen: sie gibt in
Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz, so wie die
Vernunft es in Ansehung des Begehrungsvermögens tut […].¹⁹⁶
[…] sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern Möglichkeit
einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was
nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem
Übersinnlichen verknüpft ist, bezogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem
praktischen, auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird.¹⁹⁹
Ebenfalls ist das Geschmacksurteil unabhängig von Geschmacksurteilen anderer, wie Wo-
landt (), S. , richtig bemerkt.
Cf. Recki (), S. .
KdU § , B ; AA V, ; S. .
Besonders scharf hat bereits Fichte diese Bedeutung des transzendentalen Substrates ge-
sehen: „Die Kantische Spekulation endet auf ihrer höchsten Spitze mit faktischer Evidenz der
Einsicht, daß der sinnlichen und übersinnlichen Welt doch ein Princip ihres Zusammenhanges,
also durchaus ein genetisches, beide Welten schlechthin erschaffendes und bestimmendes,
Princip zu Grunde liegen müsse.“ Fichte (), S. .
Cf. Recki (), S. .
Cf. Recki (), S. .
Cf. KrV, A | B ; S. f.
Exkurs: Der transzendentale Symbolismus 285
Vor dem Wiederaufgreifen der eigentlichen Untersuchung, soll kurz ein Ausblick
auf das Potential des kantischen Symbolbegriffs gegeben werden. So ist mit dem
transzendentalen Symbol als Reflexionsschematismus ein Modus gefunden, mit
dem der philosophischen Forschung an den Grenzbereichen ihrer Begrifflichkeit
ein nicht unbedeutendes Instrument zur Seite gestellt ist, welche sich besonders
mit Blick auf die Frage der Möglichkeit historischer und kulturinvarianter Symbole
als fruchtbar erweisen dürfte. Damit könnte der transzendentale Symbolismus für
den transkulturellen Diskurs innerhalb der Philosophie bedeutsam werden. Ein
Beispiel eines solchen Symbols von transkultureller Bedeutung stellt das „Licht“
als Symbol des reinen Bewusstseins dar,²⁰⁴ welches ebenfalls Symbol des soge-
nannten „Zeugenbewusstseins“ (Skr. sākṣi-caitanya)²⁰⁵ der indischen Tradition
ist. In beiden Fällen wird mittels der Lichtmetapher auf dasselbe Verhältnis re-
flektiert, nämlich das des Bewusstseins zu seinen Vorstellungen als ein solches, in
dem das Bewusstsein seine Bewusstseinsinhalte als die seinen erkennt, ohne dass
diese das von seinen Vorstellungen abgelöste Bewusstsein affizieren könnten. Das
Bewusstsein tritt in diesem Zustand nur mehr als Zeuge, nicht als Agent oder
Träger seiner Vorstellungen auf. In der Vorstellung des Lichts als Symbol des
reinen Bewusstseins findet eine besondere Reflexion auf das Substanzschema
statt: Die zu symbolisierende Beziehung R(b! i& von Bewusstsein (b& und Be-
wusstseinsinhalt (i& wird in Beziehung zum bekannten Schema der Substanz
gesetzt: #&0x◊p(x&! ' #R(b! i&!.
Wesentlich für das Verständnis des Symbols ist das Verhältnis von Sicht-
barkeit, Sichtbarmachung und Unsichtbarkeit im Begriff des Lichts. Das Licht
selbst ist als Licht unsichtbar. Es ist nur „sichtbar“, insofern es sichtbar macht.
Was also im Symbol des Lichts reflektiert wird, ist das Wechselverhältnis von
Substanz und Akzidenz, in dem das Subsistierende nur im Akzidentiellen sichtbar
wird. Das Akzidentielle stellt in Bezug auf das Licht die (Reflexions‐)Quelle des-
selben dar. Das Akzidenz, durch welches die Anschauung des Lichts stattfindet, ist
dem Licht selbst daher gänzlich äußerlich, mithin kontingent. Erscheinen und
Erscheinen-können werden so zwar als Wechselverhältnis gemäß dem Substanz-
Akzidenz-Schema gedacht, jedoch ohne dass die Substanz durch das Akzidenz als
affiziert vorgestellt wird. Die Universalität der Lichtmetapher, welche de facto
feststellbar ist, lässt sich also durch den Verweis auf seine transzendentalphilo-
sophische Bedeutung als Reflexionsschema begründen.
Cf. Fichte (), passim. Zum Begriff des Lichts bei Fichte, cf. Janke (), S. .
sākṣi-caitanya wird auch svataḥsiddha – selbstevident, svayaṃjyotis – selbstleuchtend
bezeichnet.
286 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
Die Gegensätzlichkeit der Auffassungen von Adickes und Cohen findet sich expliziert in
Adickes (), S. f. Anm. .
Bezüglich Cohens Interpretation des Dinges an sich als Aufgabe cf. Cohen (), S. und
Cohen (), S. ff.
„So kann also von keinem „gegebenen Gegenstand“ mehr die Rede sein; also auch nicht von
Erkenntnis als bloßer Analyse dieses Gegebenen. Gerade der Gegenstand vielmehr ist Aufgabe, ist
Problem ins Unendliche.“ Natorp (), S. .
Dalbosco (), S. .
Dalbosco (), S. .
3.3 Das Problem des Dinges an sich 287
drei Lesarten zu lösen ist, da die Entscheidung selbst das Problem begründet. Jede
der drei Lesarten provoziert automatisch den berechtigten Einspruch der beiden
anderen. Eine wirkliche Lösung kann also nur darin bestehen, diese drei Inter-
pretationen des Dinges an sich zu vereinigen. Wenn dies gelingt, sollte sich auch
die Frage beantworten lassen, wie die Begriffe, „Ding an sich“, „transzendentales
Objekt“ und „Noumenon“ in ihrem Verhältnis zueinander zu verstehen sind.
3.3.1 Das Ding an sich als Grund und Aufgabe der Erkenntnis
Das erste Problem, welches sich der Erörterung des Begriffes vom transzenden-
talen Objekt entgegenstellt, liegt in der Frage, ob eine solche überhaupt legiti-
merweise möglich ist. Nach Schulze und Fichte verlöre bekanntlich das tran-
szendentale Objekt seinen Ansich-Charakter, sobald es überhaupt nur zum
Gegenstand der Vorstellung würde.²¹³ Diesem Einwurf kann mit Adickes begegnet
werden, dass Kant nirgends den Eindruck erweckt, als gehöre das Ding an sich in
eine, dem Subjekt der Vorstellungen gänzlich entrückte Sphäre.Vielmehr bildet es
den Grund aller produktiven Erkenntnistätigkeit. Das Ding an sich ist daher für uns
immer schon in der Erscheinung präsent, sofern es die Materie derselben aus-
macht. Es kann, respektive muss daher immer schon (mit‐)gedacht werden, wenn
dem Gegenstand in der Erscheinung eine objektive, d. h. subjektunabhängige
Bedeutung zukommen soll.²¹⁴ Eine Elimination²¹⁵ des Dinges an sich zugunsten
seiner bloß erkenntnislogischen Bedeutung kann daher auch nicht im Sinne Kants
sein.²¹⁶ Es gilt daher erstens zu begreifen, wie im Sinne Kants sinnvoll von einer
Denkmöglichkeit des Dinges an sich gesprochen werden kann; zweitens wie sich
dieses Denken zum Erkennen verhält.
Der Schlüssel zu beiden Fragen findet sich, wie bereits in der Diskussion um
die Apperzeptionsstruktur des Subjektes, in der Transzendentalen Dialektik. Dort
liefert Kant, obgleich nur in kritischer Absicht, die kategoriale Struktur der Re-
flexion über das Ding an sich, und zwar indem er das Verhältnis der Vorstellungen
„zu allen Dingen überhaupt“²¹⁷ beleuchtet. Mit dem Verweis auf die transzen-
dentale Dialektik ist bereits die erste Frage beantwortet. Das Ding an sich wird
zwar notwendig auf eine bestimmte Weise gedacht, welche es im Folgenden zu
erörtern gilt, es wird jedoch durch diese Funktionen nicht in erkenntniskonsti-
tutiver Weise bestimmt noch kann es überhaupt zum Gegenstand der Erkenntnis
werden. Die Gültigkeit der unschematisierten Kategorien, welche Adickes auch für
die Dinge an sich in Anspruch nimmt,²¹⁸ kann daher mit dem Hinweis zurück-
gewiesen werden, dass das Ding an sich nicht durch die Verwendung der Ur-
teilsfunktionen zum Gegenstand einer Erkenntnis, sondern nur zum logisch
notwendigen Gegenstand einer Urteilshandlung überhaupt gemacht wird. Es ist
auch hinsichtlich der bloß logischen Bestimmung des Dinges an sich immer noch
das Denken selbst, welches sich hinsichtlich seiner notwendigen Vorstellungen
selbst zum Gegenstand macht. Die aus dem apperzeptiven Prozess entwickelten
kenntnis setzt sich, das schließt eine Beziehung des Begriffes der Erkenntnis auf sich selbst ein,
und zwar eine solche, in der der setzende Begriff der Erkenntnis als Prinzip und Bedingung den
gesetzten Begriff der Erkenntnis als Gegenstand erzeugt und bedingt. Dann aber ist der gesetzte
Begriff der Erkenntnis nicht nur durch die Bedingung bedingt, sondern auch durch die Bedingung
gegeben, also kein Problem mehr. – Der Begriff der Erkenntnis als Problem verweist zwar auf den
Begriff der Erkenntnis als Bedingung, er ist aber in seinem Verweisen auf die Bedingung zu klären,
also nicht durch die Bedingung gegeben. Erkenntnis bedingt sich selbst, heißt nicht – so können
wir mit anderen Worten sagen – , daß sich Erkenntnis sich selbst gibt. Der Begriff der Erkenntnis
setzt sich nicht, sondern setzt sich voraus. Das ist ein tiefgreifender Unterschied. Indem Natorp
Erkenntnis als spontane Erzeugung bestimmt, bestimmt er Erkenntnis so, wie Erkenntnis ihrem
Begriff nach als Setzung (Problem) und Voraussetzung nicht bestimmt sein kann. Natorp setzt
einen unzulässigen Begriff der Erkenntnis an. – In der Tat führt der Begriff der spontanen Er-
zeugung zu ungereimten Konsequenzen. Das spontan gesetzte X soll als ein zu Bestimmendes
gesetzt sein. Was soll bestimmt werden? Wie kann X als durch ein Prinzip hervorgebracht, ge-
geben, dennoch einen Mangel an Bestimmtheit aufweisen? Kurz, wie soll X Problem sein können?
Letztlich hängt der Begriff der Richtung, der Aufgabe und damit der ganze unendliche Progreß in
der Luft. Soll aber X als spontanes Erzeugnis der Urfunktion, des Prinzips, endgültig bestimmt
sein, dann ist es kein Problem mehr und auch nicht ein mögliches Problem. Dann aber entfällt erst
recht die Aufgabe, das Ziel, der unendliche Progreß.Wäre Erkenntnis ihrem Begriff nach spontane
Setzung im Sinne Natorps, dann hätte Erkenntnis keinen Gegenstand, Erkenntnis bliebe leer.“
Cramer (), S. f.
KrV, A | B ; S. .
Cf. Adickes (), S. .
290 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
Nun kann man zwar einräumen: daß von unseren äußeren Anschauungen etwas, was im
transzendentalen Verstande außer uns sein mag, die Ursache sei, aber dieses ist nicht der
Gegenstand, den wir unter den Vorstellungen der Materie und körperlicher Dinge verstehen;
denn diese sind lediglich Erscheinungen, d. i. bloße Vorstellungen, die sich jederzeit nur in
uns befinden, und deren Wirklichkeit auf dem unmittelbaren Bewußtsein eben so, wie das
Bewußtsein meiner eigenen Gedanken beruht. Der transzendentale Gegenstand ist, sowohl
in Ansehung der inneren als äußeren Anschauung, gleich unbekannt.²²⁰
die Bedingung der Möglichkeit aller Prädikation als objektiv, d. h. durch dieses
selbst in individuo dargestellt, gedacht wird, hat die Vorstellung des Substratums
die Allheit aller Realität zum Inbegriff. Das Konkretum wird im Verhältnis zur
Vorstellung seiner Totalität, mithin aus der Vorstellung der Totalität des tran-
szendentalen Substratums als Verendlichung, i. e. als Beschränkung der omnitudo
realitatis gedacht.²²⁶
Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein transzendentales Sub-
stratum zum Grunde gelegt wird,welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle
mögliche Prädikate der Dinge genommen werden können, enthält, so ist dieses Substratum
nichts anders, als die Idee von einem All der Realität (omnitudo realitatis). Alle wahre
Verneinungen sind alsdenn nichts als Schranken, welches sie nicht genannt werden könnten,
wenn nicht das Unbeschränkte (das All) zum Grunde läge.²²⁷
Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realität der Begriff eines Dinges an sich selbst, als
durchgängig bestimmt, vorgestellt, und der Begriff eines entis realissimi ist der Begriff eines
einzelnen Wesens, weil von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich
das, was zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird. Also ist es ein
transzendentales Ideal, welches der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem,
Stoffes’ enthält, wohl als das uns affizierende Ding an sich gedacht werden […].“ Klimmek (),
S. , Anm. .
Hier wird die Ähnlichkeit zum Einschränkbarkeitscharakter der Anschauungsformen deut-
lich, cf. Brandt (a), S. .
KrV, A | B ; S. .
Ricken erblickt in diesem Übergang von „der Idee eines Alls der Realität zum Ideal eines
allerrealsten Wesens“ den ersten, natürlichen Fehlschluss der Vernunft in der Vorstellung des ens
realissimum, cf. Ricken (), S. . Ähnlich auch Baumanns (), S. . Diese Ein-
schätzung ist durchaus richtig, jedoch kommt auch der Vorstellung des Gegebenseins der Totalität
eine konstruktive, wenn gleich auch bloß logische Bedeutung in Rücksicht auf den regulativen
Gebrauch der Idee zu, wie noch zu zeigen sein wird.
Zum Problem der Pluralität der Ideale und wie sich diese (praktisches und ästhetisches Ideal)
zum transzendentalen verhalten, cf. Heimsoeth (), S. ff.
292 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
was existiert, angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und vollständige materiale
Bedingung seiner Möglichkeit ausmacht, auf welcher alles Denken der Gegenstände über-
haupt ihrem Inhalte nach zurückgeführt werden muß. Es ist aber auch das einzige eigentliche
Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich
allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die
Vorstellung von einem Individuum erkannt wird.²³⁰
Das nun mit der Vorstellung des Dinges an sich selbst als transzendentales Ideal
zusammenhängende Problem betrifft den Gebrauch desselben. So kann der Be-
griff des Ideals einerseits als gegeben, andererseits als bloß aufgegeben gedacht
werden. Im ersteren Falle machte man von diesem einen konstitutiven Gebrauch,
welches bekanntlich einen unstatthaften, da über die Grenzen der Erfahrung
hinausgreifenden Vernunftgebrauch ausmachte.²³¹ Im zweiten Fall wird das
transzendentale Ideal als Regulativ verwandt, sofern es den Ziel- und Begren-
zungspunkt der Erfahrung bildet. Die eigentliche Schwierigkeit besteht jedoch
darin, dass auch dem regulativen Gebrauch der Bestimmungstotalität als Ideal der
Vernunft ebenfalls die Vorstellung „der durchgängigen Bestimmung, die not-
wendig bei allem, was existiert, angetroffen wird, zum Grunde liegt“.²³² Kant re-
konstruiert hier nicht einfach die unkritische Position der Leibniz-Wolffschen
Dogmatik, indem er sich, wie Klimmik meint, „in die Gedankenwelt der Ratio-
naltheologen versetzt und mit ihren Annahmen experimentiert.“²³³ Die Annahme,
dass das transzendentale Substratum als Ding an sich die Bestimmung eines
Gegenstandes ad indefinitum ermöglicht, setzt logisch die Totalität der Bestim-
mungsgründe im Objekt ad infinitum voraus.²³⁴ Es kann also nicht allein Aufgabe
der Interpretation von Kants Begriff des transzendentalen Ideals sein, den Prozess
seiner Hypostasierung durch den konstitutiven Ideengebrauch aufzudecken,
sondern es muss gezeigt werden, wie die Vorstellung der Bestimmungstotalität im
Objekt zur Grundlage des regulativen Gebrauchs des transzendentalen Ideals
gedacht werden kann, ohne in die Fallstricke der dogmatischen Metaphysik zu
geraten.²³⁵
Für die Ausgangsfrage nach der Möglichkeit und der Art und Weise, auf das
transzendentale Objekt zu reflektieren und dessen kategoriales Fundament im
Denken aufzuweisen, ergibt sich so die Schwierigkeit, dass auf die Idee des Dinges
an sich als transzendentales Ideal zwei unterschiedliche Perspektiven möglich
sind: Einerseits die Perspektive des konstitutiven, andererseits die des regulativen
Gebrauchs der Idee eines transzendentalen Ideals.Wenn also eine Rekonstruktion
des Begriffs des Dinges an sich als Vorstellung der Totalität in der Bestimmung des
Einzeldinges gelingen soll, muss sich diese doppelte Verwendung des Begriffs in
der dem Begriff zugrundeliegenden Funktionsstruktur nachweisen lassen.²³⁶
Kant beginnt die Darlegung des transzendentalen Ideals im zweiten Abschnitt
des dritten Hauptstückes des zweiten Buches der Transzendentalen Dialektik mit
der Unterscheidung des Grundsatzes der Bestimmbarkeit und des Grundsatzes der
durchgängigen Bestimmung. Der Grundsatz der Bestimmbarkeit eines Begriffes
stellt ein bloß logisches Prinzip vor, welches auf dem Grundsatz des ausge-
schlossenen Widerspruchs basiert, i. e. dass von zwei sich kontradiktorisch zu-
einander verhaltenden Bestimmungen eines Begriffs höchstens eine von diesem
prädiziert werden kann.²³⁷
Ein jeder Begriff ist in Ansehung dessen, was in ihm selbst nicht enthalten ist, unbestimmt,
und steht unter dem Grundsatze der Bestimmbarkeit: daß nur eines, von jeden zween ein-
ander kontradiktorisch-entgegengesetzten Prädikaten, ihm zukommen könne, welcher auf
dem Satze des Widerspruchs beruht, und daher ein bloß logisches Prinzip ist, das von allem
Inhalte der Erkenntnis abstrahiert, und nichts, als die logische Form derselben vor Augen
hat.²³⁸
Im Gegensatz zum Prinzip der Bestimmbarkeit bezieht sich das der durchgängigen
Bestimmung nicht auf die Konsistenz des Begriffes selbst, sondern auf die Be-
stimmung des Gegenstandes, welcher durch den Begriff bezeichnet wird. Es ist
gegenüber dem Grundsatz der Bestimmbarkeit kein bloß logisches, sondern ein
transzendentallogisches Prinzip, sofern es sich auf die Möglichkeit des Dinges
selbst bezieht. Der Grundsatz der durchgängigen Bestimmung kann aus diesem
Grunde auch nicht aus dem Satz des Widerspruches abgeleitet werden, was Kant
in klarer Opposition zur Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie betont.²³⁹ Er stellt
Um die Hypostase dieses Begriffes zur personalen Gottesvorstellung, dessen Aufdeckung als
aus dem dialektischen Vernunftgebrauch notwendig hervorgehend gedacht werden muss, ist es
hier nicht zu tun.
Die Möglichkeit der Ableitung des Prinzips aus dem Satz des Widerspruchs ist durchaus
umstritten. Cf. Weissmann (), S. f.
KrV, A | B ; S. .
Cf. Streit mit J. A. Eberhard, AA VIII, ff.; S. ff. und AA VIII, ff.; S. ff.
294 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
Ein jedes Ding aber, seiner Möglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatze der durch-
gängigen Bestimmung, nach welchem ihm von allen möglichen Prädikaten der Dinge, so fern
sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen muß. Dieses beruht nicht bloß
auf dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet, außer dem Verhältnis zweier einander
widerstreitenden Prädikate, jedes Ding noch im Verhältnis auf die gesamte Möglichkeit, als
den Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt, und, indem es solche als Bedingung a
priori voraussetzt, so stellt es ein jedes Ding so vor, wie es von dem Anteil, den es an jener
gesamten Möglichkeit hat, seine eigene Möglichkeit ableite. Das Principium der durchgän-
gigen Bestimmung betrifft also den Inhalt und nicht bloß die logische Form. Es ist der
Grundsatz der Synthesis aller Prädikate, die den vollständigen Begriff von einem Dinge
machen sollen, und nicht bloß der analytischen Vorstellung, durch eines zweier entgegen-
gesetzten Prädikate, und enthält eine transzendentale Voraussetzung, nämlich die der Ma-
terie zu aller Möglichkeit, welche a priori die Data zur besonderen Möglichkeit jedes Dinges
enthalten soll.²⁴¹
Durch das Prinzip der durchgängigen Bestimmung wird der Grundsatz der Syn-
thesis aller Prädikate im Begriffe eines Gegenstandes vorgestellt, welche hinrei-
chend sind, das durch den Begriff bezeichnete Ding zu bestimmen. Hinreichend
ist die Bestimmung genau dann, wenn durch die Bestimmung des Gegenstandes
im Begriff durch ein Prädikat alle anderen möglichen prädikativen Bestimmungen
in derselben Bestimmungsrücksicht ausgeschlossen sind, insofern „um ein Ding
vollständig zu erkennen, [] man alles Mögliche erkennen [muss], und es dadurch,
es sei bejahend oder verneinend, [zu] bestimmen.“²⁴² Der Grundsatz stellt also die
Idee der vollständigen Bestimmung aller Prädikate eines Begriffes in einem dis-
junktiven Urteile vor.²⁴³ Die dritte transzendentale Idee hat daher notwendig die
dritte Relationskategorie im Exponenten.²⁴⁴
Im nächsten Schritt der kategorialen Bestimmung der Bestimmungstotalität
gilt es, den Wert der Verneinung in Bezug auf den Begriff des Ideals vorzustellen.
Vom Ideal als Idee der Allheit der Prädikate in einem Begriff kann die Bestimmung
Die identische Formalisierbarkeit (cf. Klimmek (), S. f.) – 1p 1x p(x& * /p(x& –
beider Grundsätze bildet daher kein Indiz der Ableitbarkeit des Grundsatzes der durchgängigen
Bestimmung aus dem der Bestimmbarkeit. Der analytische, respektive synthetische Charakter
eines Urteils lässt sich nicht aus der bloßen Form ableiten, sondern besitzt einen transzenden-
tallogischen, respektive bestimmungs- und erkenntnislogischen Sinn.
KrV, A f. | B f.; S. f.
KrV, A | B ; S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
Mit Blick auf die Ableitung der transzendentalen Ideen aus den Formen der Vernunftschlüsse
kann dieses Ergebnis auch nicht überraschen.
3.3 Das Problem des Dinges an sich 295
des Gegenstandes über die Totalität nur als Begrenzung derselben, nicht als
Negation begriffen werden, d. h. als „Limitationen gegenüber einem voraufge-
dachten Unbeschränkten (illimitatum)“.²⁴⁵ Die Bestimmung durch die Qualität,
welche als Denkhandlung den Wert des Prädikates in Bezug auf das Subjekt er-
mittelt, bedeutet daher im Falle der Totalität in der Vorstellung des transzen-
dentalen Substratums die Limitation des Begriffes eines Gegenstandes als Folge
des Ideals, mithin nicht des Gegenstandes in der Idee selbst,²⁴⁶ auf eine der dis-
junktiven Sphären der Bestimmungstotalität.
So wird denn alle Möglichkeit der Dinge (der Synthesis des Mannigfaltigen ihrem Inhalte
nach) als abgeleitet und nur allein die desjenigen, was alle Realität in sich schließt, als
ursprünglich angesehen. Denn alle Verneinungen (welche doch die einzigen Prädikate sind,
wodurch sich alles andere vom realesten Wesen unterscheiden läßt) sind bloße Ein-
schränkungen einer größeren und endlich der höchsten Realität, mithin setzen sie diese
voraus, und sind dem Inhalte nach von ihr bloß abgeleitet. Alle Mannigfaltigkeit der Dinge ist
nur eine eben so vielfältige Art, den Begriff der höchsten Realität, der ihr gemeinschaftliches
Substratum ist, einzuschränken, so wie alle Figuren nur als verschiedene Arten, den un-
endlichen Raum einzuschränken, möglich sind.²⁴⁷
Die Limitation des Begriffes der höchsten Bestimmungstotalität darf nicht zur
Auflösung des Totalitätsideals durch die Einschränkung, respektive Teilung seiner
Realität führen. Es gilt daher, die Prädikate in ihrem Verhältnis zum Umfang des
Subjektes so zu bestimmen, dass die absolute Einheit des Subjektes zur Allheit
seiner Prädikate gefasst werden kann. Es muss also das quantitative Bestim-
mungsverhältnis des Subjektes zu seinen Prädikaten ermittelt werden. Als Er-
gebnis dieser Handlung wird die Bedeutung des Ideals als Inbegriff der Allheit
aller unter ihm gefassten Bestimmungen und Bestimmungshinsichten in individuo
gefasst. Dies geschieht im Modus des singulären Urteils, sofern die Vorstellung
eines mit der Idee identischen Wesens notwendig dessen absolute Einfachheit,
d. h. Nichtableitbarkeit gegenüber der Allheit der in seinem Inbegriff vorgestellten
Bestimmungsvielfalt fordert.²⁴⁸ In diesem Sinne ist die Einheit des transzenden-
talen Substratums nicht als Aggregat, sondern als System zu verstehen.²⁴⁹ Dieses
Verhältnis ist jedoch nicht als ontologisch notwendiges zu denken, sondern nur
als diskursiv-notwendige Relation der Idee und der durch sie subsumierten Be-
griffe aufzufassen. Das transzendentale Ideal bildet für Kant kein ontologisches,
sondern nur ein epistemologisches Ideal.²⁵⁰
Daher wird der bloß in der Vernunft befindliche Gegenstand ihres Ideals auch das Urwesen
(ens originarium), so fern es keines über sich hat, das höchste Wesen (ens summum), und, so
fern alles, als bedingt, unter ihm steht, das Wesen aller Wesen (ens entium) genannt. Alles
dieses aber bedeutet nicht das objektive Verhältnis eines wirklichen Gegenstandes zu andern
Dingen, sondern der Idee zu Begriffen, und läßt uns wegen der Existenz eines Wesens von so
ausnehmendem Vorzuge in völliger Unwissenheit.
Weil man auch nicht sagen kann, daß ein Urwesen aus viel abgeleiteten Wesen bestehe,
indem ein jedes derselben jenes voraussetzt, mithin es nicht ausmachen kann, so wird das
Ideal des Urwesens auch als einfach gedacht werden müssen.
Die Ableitung aller anderen Möglichkeit von diesem Urwesen wird daher, genau zu
reden, auch nicht als eine Einschränkung seiner höchsten Realität und gleichsam als eine
Teilung derselben angesehen werden können; denn alsdenn würde das Urwesen als ein
bloßes Aggregat von abgeleiteten Wesen angesehen werden, welches nach dem Vorigen
unmöglich ist, ob wir es gleich anfänglich im ersten rohen Schattenrisse so vorstelleten.
Vielmehr würde der Möglichkeit aller Dinge die höchste Realität als ein Grund und nichts als
Inbegriff zum Grunde liegen, und die Mannigfaltigkeit der ersteren nicht auf der Ein-
schränkung des Urwesens selbst, sondern seiner vollständigen Folge beruhen, zu welcher
denn auch unsere ganze Sinnlichkeit, samt aller Realität in der Erscheinung, gehören würde,
die zu der Idee des höchsten Wesens, als ein Ingrediens, nicht gehören kann.²⁵¹
Im letzten Schritt ist die Idee der Bestimmungstotalität auf das Erkenntnisver-
mögen von Verstand, respektive Vernunft selber zu beziehen. Das Ergebnis dieser
Modalbestimmung ist die Feststellung der Notwendigkeit des durch das Ideal
bezeichneten Gegenstandes als eines ens originarium, sofern die Möglichkeit des
Erscheinungsgegenstandes, i. e. die Feststellung der Übereinstimmungsfähigkeit
des Realen in der Erscheinung mit der transzendentalen Konstitution des Er-
kenntnisapparates, den „Inbegriff aller empirischen Realität als Bedingung seiner
Möglichkeit voraussetzt.“²⁵²
[S]o muß die Materie zur Möglichkeit aller Gegenstände der Sinne, als in einem Inbegriffe
gegeben, vorausgesetzt werden, auf dessen Einschränkung allein alle Möglichkeit empiri-
scher Gegenstände, ihr Unterschied von einander und ihre durchgängige Bestimmung, be-
ruhen kann.²⁵³
Mit der modalen Prädikation ist die Bestimmung des transzendentalen Substra-
tums als transzendentales Ideal abgeschlossen.
Zwei Dinge sind, wie in der Bestimmung des transzendentalen Objektes in der
Erscheinung, auffällig: Erstens ist das transzendentale Ideal durch die jeweils
dritten Momente der Urteilstafel bestimmt. Zweitens ist die Reihenfolge der Mo-
mente, sowohl die logische als auch die von Kant faktisch gewählte, in der Be-
stimmung des transzendentalen Ideals dieselbe, welche auch in der Erörterung
des transzendentalen Selbstbewusstseins ermittelt wurde. Beides ergibt sich
notwendig aus der Natur des Idealbegriffes: Zum einen war die Einheit der dritten
Verstandesfunktionen bereits aus der Prinzipienstruktur der Funktionstafeln zu
erwarten. Zum anderen musste die Reihenfolge in der Ableitung dieselbe sein, da
die Bestimmung des transzendentalen Gegenstandes auf einer Relation basiert,
von der aus sich die Funktionen bestimmungslogisch in einer spezifischen Stu-
fenfolge gegenseitig fordern. Für die Idee des transzendentalen Ideals kann jedoch
eine Besonderheit festgestellt werden. Im Gegensatz zur kategorialen Entfaltung
der Apperzeptionsstruktur, welche auf einer ursprünglich selbstreflexiven
Handlung beruht und damit allein aus der Bestimmung der durch diese gesetzten
Relation gelingt, kann das transzendentale Substratum als Inhalt der Idee des
transzendentalen Ideals auch in der Weise eines Gegenstandes vorgestellt wer-
den.²⁵⁴ Das heißt die Urteilsfunktionen können in der Art und Weise der Vor-
stellung des Dings an sich als eines existenten Gegenstandes auf das Ideal an-
gewandt werden. In diesem Fall wird das transzendentale Ideal zuerst als
notwendig gedacht. Aus der Vorstellung der notwendigen Existenz des durch die
Idee des Ideals bezeichneten höchsten Wesens folgt die quantitative Bestimmung
seiner Allheit. Die quantitative Bestimmung fordert die Angabe des prädikativen
Wertes, d. h. der Qualität. Durch die Qualität wird die quantitative Vorstellung der
Allheit der Prädikate in Bezug auf das höchste Wesen durch ein unendliches Urteil
als schrankenlos, d.h zu einer absoluten, qualitativen Einheit der Vielheit be-
stimmt. Im vierten und letzten Schritt wird die Idee des höchsten Wesens in Re-
lation zur Bestimmungsallheit gesetzt und als deren Urgrund vorgestellt. Die Idee
des Urgrundes bezeichnet hierbei die Vorstellung der Gemeinschaft des höchsten
Wesens als Substanz mit seinen Akzidenzien. Sofern letztlich alle Dinge in Bezug
auf die ursprüngliche Substanz akzidenziell sind, hängen sie seinsnotwendig von
dieser ab und haben dementsprechend das höchste Wesen zum Urgrund. In Bezug
auf die höchste Substanz sind alle anderen Dinge, welche für sich Substanzen
Hierin liegt der Grund des Übergangs vom Prinzip der durchgängigen Bestimmung zur
Vorstellung des ens realissimum. Eine logische Inkonsistenz der Argumentation aufgrund Kants
’theologischer Absichten’, wie Rohs (), S. , sie annimmt, ist daher nicht gegeben.
298 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
darstellen können, akzidenziell.²⁵⁵ Sie stehen daher mit der Substanz Gottes in
Gemeinschaft. Aus diesem Grund ist für Kant in Bezug auf Gott die Wechselwir-
kung einschlägig, da in dieser Kategorie der Begriff der Substanz mit dem Begriff
der Ursache verbunden ist.²⁵⁶
So ist also der natürliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen. Zuerst überzeugt sie
sich vom Dasein irgend eines notwendigen Wesens. In diesem erkennet sie eine unbedingte
Existenz. Nun sucht sie den Begriff des Unabhängigen von aller Bedingung, und findet ihn in
dem, was selbst die zureichende Bedingung zu allem andern ist, d. i. in demjenigen, was alle
Realität enthält. Das All aber ohne Schranken ist absolute Einheit, und führt den Begriff eines
einigen, nämlich des höchsten Wesens bei sich, und so schließt sie, daß das höchste Wesen,
als Urgrund aller Dinge, schlechthin notwendiger Weise dasei.²⁵⁷
In der Vorstellung des höchsten und notwendigen Wesens²⁵⁸ wird der Grundsatz
der durchgängigen Bestimmtheit als verwirklicht und im Sinne eines möglichen
Erfahrungsgegenstandes als gegeben gedacht.²⁵⁹ Mit diesem Begriff des Ideals ist
die eigentliche Dialektik seines konstitutiven Gebrauchs verbunden. So ist in
Bezug auf die reine, bloß begreifende Absicht des Vernunftbegriffes der Grundsatz
der Vernunft unproblematisch.²⁶⁰ Wird er jedoch in der Absicht gebraucht,
Wahrnehmungen verstehen zu wollen, d. h. ihn in einer transzendental-objekti-
Diese Überlegung war ebenfalls für Descartes bedeutsam. So tritt in Bezug auf Gott sein
Substanzendualismus zugunsten eines Substanzenmonismus zurück: „Quantum autem ad ea,
quae tanquam res vel rerum modos spectamus, operae pretium est ut singula seorsim consi-
deremus. Per substantiam nihil aliud intelligere possumus, quam rem quae ita existit, ut nulla alia
re indigeat ad existendum. Et quidem substantia quae nulla plane re indigeat, unica tantum potest
intelligi, nempe Deus.“ PdPh I, ; S. . – „Was nun dasjenige betrifft, das wir gewissermaßen als
Ding oder als Zustände von Dingen ansehen, so ist es ein lohnendes Unterfangen, wenn wir sie je
für sich gesondert betrachten. Unter Substanz können wir nichts anderes verstehen als ein Ding,
das so existiert, daß es keines anderen Dinges bedarf, um zu existieren. Und zwar kann allein eine
einzige Substanz als eine solche verstanden werden, die zu ihrer Existenz schlichtweg keines
anderen Dinges bedarf, nämlich Gott.“ PdPh I, ; S. .
„Ideoque in Deo non proprie modos aut qualitates, sed attributa tantum esse dicimus, quia
nulla in eo variatio est intelligenda.“ PdPh, I , 56; S. 61. – „Und deshalb sagen wir, daß in Gott nicht
eigentlich Zustände oder Qualitäten, sondern allein Attribute enthalten sind, weil in ihnen kei-
nerlei Veränderung gedacht werden kann.“ PdPH, I , 56; S. 62.
Cf. KrV, B ; S. f.
KrV, A f. | B f.; S. .
Hierin liegt nach Kant die Quelle der Gottesidee, sofern aus einem abstrakten Prinzip durch
den Dreischritt der Hypostasierung, Individuierung und Personifikation die theistische Gottes-
vorstellung generiert wird. Cf. KrV, A | B ; S. .
Cf. KrV, A | B ; S. .
Das transzendentale Ideal als solches ist, wie Kant sagt, „fehlerfrei“, cf. KrV, A | B ;
S. . Cf. auch Piché (), S. .
3.3 Das Problem des Dinges an sich 299
„Vernunftbegriffe dienen zum Begreifen, wie Verstandesbegriffe zum Verstehen (der
Wahrnehmungen).“ KrV, A | B ; S. .
Cf. Heimsoeth (), S. .
Cf. Heimsoeth (), S. .
Pissis (), S. , betont daher richtigerweise die konstitutive Bedeutung der Ideen für
die Verstandessystematik.
Der Konsequenz, welche Klimmek (), S. , aus dem bloß regulativ verstatteten Ge-
brauch des obersten Vernunftprinzips zieht, nämlich dass es sich bei diesem um ein unkritisches
Prinzip handele, ist nur teilweise zuzustimmen. In erster Linie handelt es sich bei diesem um eine
rein logische Forderung der Vernunft, deren Missbräuchlichkeit erst durch ihre Verwendung als
transzendentales Prinzip zustande kommt.
Cf. Heimsoeth (), S. .
300 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
Für die kategoriale Erkenntnis ist der transzendentale Gegenstandsbegriff bei Kant auf die
Erscheinungen der subjekt-immanenten Sinnesanschauung eingeschränkt – insofern ist er
auch vom Ding an sich scharf abzugrenzen und tritt gleichsam an seine Stelle –; wie aber die
Erscheinungen auf Dinge an sich als auf ein unbestimmtes Etwas-überhaupt, was außerhalb
des Subjekts existiert, bezogen bleiben, so behält auch der transzendentale Gegenstands-
begriff einen Zusammenhang mit den Dingen an sich und erstreckt sich über die Erschei-
nungen hinaus auf etwas subjekt-transzendentes Existierendes überhaupt. (So laufen in
diesem Begriff gewissermaßen ein „idealistisches“ und ein „realistisches“ Moment zu-
sammen.)²⁷³
genstandes vereinigt. Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht von den
sinnlichen Datis absondern, weil als denn nichts übrig bleibt, wodurch es gedacht
würde.“²⁷⁶ Im Denken wird auf das Ding an sich als transzendentales Objekt in der
Art reflektiert, dass es als Einheit aller möglichen Bestimmungen im Bestimm-
baren, der Apperzeption als Grund der Einheit des Bestimmens im Gegenstand
dient. Diese Position des Dinges an sich verändert sich jedoch noch ein drittes Mal,
wenn auf das Ding an sich als die unendliche und dessen ungeachtet notwendige
Vorstellung als Totalität des Bestimmungsgrundes reflektiert wird, der jeder be-
sonderen Bestimmungshandlung vorgängig, jedoch für die Möglichkeiten unseres
endlichen Verstandesgebrauchs unerreichbar sein muss. Als Gegenstand eines
unendlichen Verstandes, welcher anschauend gesetzgebend ist, ist das so ange-
schaute Ding an sich ein Noumenon im positiven Sinne; für uns jedoch ist es bloß
negativ als Grenzbegriff unserer Sinnlichkeit zu nehmen, welchem jedoch hin-
sichtlich der systematischen Einheit unserer Vorstellungen ein regulativer Sinn
zukommt.
Wenn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen
Anschauung ist, indem wir von unserer Anschauungsart desselben abstrahieren: so ist dieses
ein Noumenon im negativen Verstande. Verstehen wir aber darunter ein Objekt einer nicht-
sinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besondere Anschauungsart an, nämlich die
intellektuelle, die aber nicht die unsrige ist, von welcher wir auch die Möglichkeit nicht
einsehen können, und das wäre das Noumenon in positiver Bedeutung.²⁷⁷
Der dreifache Begriff des Dinges an sich erweist sich dementsprechend legitimiert
durch das bestimmungslogische Gesetz der Reflexion des Denkens über den Ur-
sprung seiner Vorstellungen und der Idee ihrer vollständigen Bestimmungen. Die
in der Kantforschung geführte Diskussion über die adäquate Interpretation des
transzendentalen Gegenstandes, im Sinne einer Zwei-Welten- oder Zwei-Per-
spektiven-Interpretation, erweist sich vor diesem Hintergrund ebenfalls als hin-
fällig. Es kann in dieser Frage gar keine Entscheidung geben, sofern beide In-
terpretationen nur jeweils in einen bestimmten Reflexionsmodus gründen.
Vollständig durchreflektiert erweisen sich beide Lesarten sowie die der Neukan-
tianer Cohen, Natorp und Cassirer als je notwendig und folgerichtig. Mit Blick auf
das Ganze des Denkens in seiner internen Gesetzlichkeit sind alle drei Lesarten
jedoch gleich notwendig: Das Denken muss auf das Ding an sich erstens als
unbedingten, von der Erscheinung zu unterscheidenden Ursprung, zweitens als
das Korrelatum der in ihm vorgestellten Einheit der Mannigfaltigkeit und drittens
Mit der Vorstellung des transzendentalen Substratums als Inbegriff der Bestim-
mungstotalität ist wesentlich die Idee des Dinges an sich als gemeinschaftliches
Correlatum aller Gegenstände in der Erfahrung verbunden.²⁸⁰ Als ein solches
bildet das Ding an sich den Grund der durchgängigen Bestimmung, sofern in ihm
der materiale Grund der Affinität aller Erscheinungen anzutreffen ist.²⁸¹
Es wird also durch diesen Grundsatz jedes Ding auf ein gemeinschaftliches Correlatum,
nämlich die gesamte Möglichkeit, bezogen, welche, wenn sie (d. i. der Stoff zu allen mög-
lichen Prädikaten) in der Idee eines einzigen Dinges angetroffen würde, eine Affinität alles
Möglichen durch die Identität des Grundes der durchgängigen Bestimmung desselben be-
weisen würde.²⁸²
Piché ist daher absolut beizupflichten, wenn er Kants Konzept des transzenden-
talen Ideals als Reaktion auf das residuale Problem der materialen Affinität der
Mannigfaltigkeit begreift.²⁸³ Die Vernunft habe dementsprechend die Pflicht, das
Problem der Kohärenz des Realen zumindest in regulativer Weise aufzugreifen.²⁸⁴
Nach Piché verbindet dabei der schematisch-regulative Gebrauch des Ideals Idee
und Erscheinung, indem dieser die normative Funktion der Idee in Bezug auf die
Sinnenwelt ermöglicht.²⁸⁵ Das transzendentale Ideal dient dabei zwar als
höchstes, jedoch nur subjektives Muster.²⁸⁶ Auch mit dem regulativen Gebrauch
des Ideals ist dabei jedoch immer noch das Problem verbunden, dass dieser
erstens logisch die Bestimmtheit des Gegenstandes zumindest in der Idee vor-
aussetzt, zweitens dass eine solche, vernunftgemäße Einrichtung des Gegen-
standes wenigstens der Möglichkeit nach durch das transzendentale Objekt an
sich selbst verstattet ist. Piché führt daher zu Recht an, dass Kant den „Übergang
welcher ein gewisses Mannigfaltige (mithin auf einerlei Art) gesetzt werden kann, eine Regel, und
wenn es so gesetzt werden muß, ein Gesetz. Also stehen alle Erscheinungen in einer durchgän-
gigen Verknüpfung nach notwendigen Gesetzen, und mithin in einer transzendentalen Affinität,
woraus die empirische die bloße Folge ist.“ KrV, A f.; S. .
Allison (1968), S. 175, fasst den Gedanken des transzendentalen Grundes der objektiven
Einheit treffend zusammen: „The unity of the object is explained completely in terms of the unity
of the rule whereby it is constructed in the imagination, and the concept of the object is nothing but
the consciousness of this rule.“ Kants Lehre der transzendentalen Affinität scheint daher den
Gedanken einer im Empfindungsmaterial zugrunde gelegten Möglichkeit der Einheit auszu-
schließen, insofern er die Möglichkeit der Einheit des Gegenstandes im Begriff allein aus dessen
Bezug auf die Einheit des Selbstbewusstseins deduziert. Der Vorschlag Allisons, Kants Begriff der
Erfahrung im Sinne einer „coherence theory of truth“ (op. cit., S. 178.) zu interpretieren, scheint
jedoch erstens, einerseits in Ansehung des von Kant nicht außer Kraft gesetzten korrespon-
denztheoretischen Wahrheitsbegriffes (cf. Einleitung), andererseits hinsichtlich des Erkenntnis-
ideals der Bestimmungstotalität unangemessen, zweitens hinsichtlich des transzendenten Ur-
sprunges der Affektion und seiner transzendentalen Bedeutung. Allison kommt daher zu dem
Schluss, dass „Kant′s transcendental idealism is only half-emancipated from the theory of ideas,
and it is just this which constitutes its greatest difficulty.“ Op. cit., S. 185.
KrV, A | B ; S. .
Cf. Piché (), S. ; Baumanns (), S. , Anm. .
Cf. Piché (), S. .
Cf. Piché (), S. .
Cf. Piché (), S. .
3.3 Das Problem des Dinges an sich 305
[1] Verstand ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse. [2] Diese bestehen in der
bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt. [3] Objekt aber ist das, in
dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist. [4] Nun erfordert
aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben.
[5] Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vor-
stellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, [6] folglich, daß sie Er-
kenntnisse werden, ausmacht, und worauf folglich selbst die Möglichkeit des Verstandes
beruht.²⁹⁵
Dass der Ursprung des Problems hier zu finden ist, lässt sich zeigen, wenn man die
einzelnen Argumente des Schlusses betrachtet. Kants Argumentation beruht auf
drei Definitionen:
(3) Definition: Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer
gegebenen Anschauung vereinigt ist.
Den vierten Satz bildet die aus dem vorherigen Paragraphen bereits bewiesene
Prämisse.
(4) Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewusst-
seins in der Synthesis derselben.
Aus der Zusammennahme der Definitionen folgert Kant zwei, respektive drei
Schlüsse, wenn man den zweiten Halbsatz der ersten Konklusion als eigenstän-
digen Schluss wertet.
(5) Folglich ist die Einheit des Bewusstseins dasjenige, was allein die Beziehung
der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit,
(6) folglich, dass sie Erkenntnisse werden, ausmacht, und worauf folglich selbst
die Möglichkeit des Verstandes beruht.
Für die Übertragung der Schlüsse in die konditionale Form ist besonders das
Adjektiv „allein“ von Bedeutung. Kant gebraucht das Wort „allein“ im Sinne von
„ausschließlich“, d. h. die Beziehung der Vorstellungen auf den Gegenstand,
mithin also auch die Möglichkeit der Verbindung der Mannigfaltigkeit in der
Anschauung zu einem Objekt als Erkenntnisgegenstand wird ausschließlich durch
die synthetische Einheit der Apperzeption etabliert.²⁹⁶ In die Sprache der Logik
übersetzt lässt sich das kantische „allein“ als „genau dann, wenn“ bzw. als „dann
und nur dann, wenn“, d. h. als Äquivalenz, respektive materiales Bikonditional
wiedergeben:
Hierin liegt auch die Antwort auf die von Schiemann aufgeworfene Frage, „warum in der
Elementarlehre Formen anschaulichen Gewahrwerdens von Einheitsbildungen der Natur […]
unberücksichtigt bleiben.“ Schiemann (), S. .
308 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
III. Also ist dann und nur dann, wenn die Einheit des Bewusstseins in der
Synthesis vorausgesetzt ist (c),
… die Beziehung auf einen Gegenstand als Objekt möglich.
… die Erkenntnis eines Gegenstandes möglich (nach Definition 2).
… der Verstand überhaupt möglich (nach Definition 1).
Die Einheit des Bewusstseins ist nach Kant also hinreichender und nicht allein
notwendiger Grund der Erkenntnis.²⁹⁷ Aus zwei Gründen ist dieser Schluss falsch:
Erstens handelt es sich formal um einen Fehlschluss. Kant folgert aus a 6 b und
b 6 c, a 3 c. Dies ist offensichtlich falsch. Kant kann nur zeigen, dass die Einheit
des Bewusstseins in der Synthesis eine notwendige Bedingung der Erkenntnis
(a 6 c&, nicht, wie er demonstrieren möchte, eine hinreichende Bedingung
darstellt.²⁹⁸ Der gültige Schluss müsste dementsprechend lauten:
Also ist die Einheit des Bewusstseins in der Synthesis vorausgesetzt, wenn die
Beziehung auf einen Gegenstand als Objekt möglich sein soll.
Allison (), S. f., versucht das kantische Argument dadurch zu retten, dass er einen
schwächeren Sinn des Objektbegriffes einführt. „There is, however, no problem here at all if
’object’ is taken in the broad sense indicated in § .“Auf die Schwäche dieses Arguments weist
ebenfalls Guyer (), S. , hin. Im Gegensatz zu Allison ist Guyer jedoch der Überzeugung,
dass, selbst wenn Allisons Rettungsversuch griffe, dies für die Rettung der transzendentalen
Deduktion keinen Unterschied machte: „However, as we have seen, Kant has not yet established
any link between apperception and rules for its representations, and his argument now proceeds
precisely by attempting to derive rules for apperception from a strong conception of objectivity
rather than vice versa – although this will of course raise the problem of how there can be self-
consciousness states which are not representation of objects, that is, how can apperception be
sufficient condition for knowledge of objects.“ Guyer (), S. . Da, wie bereits gezeigt wurde,
Guyers Interpretation der transzendentalen Deduktion weitestgehend unhaltbar ist (cf.
Kap. ..), sofern sich die von ihm aufgewiesene Kernschwierigkeit, Apperzeption und Kate-
gorien in ein notwendiges Verhältnis zu setzen, mit Kant lösen lässt, bleibt das Problem des §
bestehen. Mit Blick auf die transzendentale Deduktion der Auflage A und der Folgeentwicklung in
der Kritik der Urteilskraft ist diese ebenfalls auch nicht durch eine bloße Begriffsunterscheidung zu
lösen. Es handelt sich vielmehr um ein systemisches Problem des transzendentalen Idealismus,
der zugleich Realismus sein möchte.
Die Verwechslung von notwendigem und hinreichendem Kriterium wird ebenfalls von
Wolfgang Carl erwähnt, cf. Carl (1998), S. 197.
Der gültige Schluss hat die syllogistische Form des Modus Bamalip.
Alle Erkenntnisse von Gegenständen sind Verknüpfungen von Vorstellungen.
Alle Verknüpfungen von Vorstellungen sind Verknüpfungen der Apperzeption.
Kant folgert daraus:
Also sind alle Verknüpfungen der Apperzeption, Erkenntnisse von Gegenständen.
Der korrekte Schluss müsste dagegen lauten:
Also sind einige Verknüpfungen der Apperzeption Erkenntnisse von Gegenständen.
3.3 Das Problem des Dinges an sich 309
Es gibt darüber hinaus noch einen zweiten Grund, das Ergebnis der transzen-
dentalen Deduktion, welches sich in der Konklusion des Schlusses wiederfindet,
abzulehnen. Der Grund dieser Abweisung liegt nicht in der formalen Ungültigkeit
des Schlusses, sondern in seiner materialen, respektive transzendentallogischen.
Kants Schluss konfligiert mit der Prämisse des eigenen Systems, nämlich dass der
Verstandesgebrauch nicht über den Bereich möglicher Erfahrung herausgreifen
darf. Um jedoch demonstrieren zu können, dass die Einheit des Bewusstseins in
der Synthesis hinreichende Bedingung der Erkenntnis ist, müsste Kant zeigen
können, dass keine weiteren Bedingungen außerhalb der Sphäre möglicher Er-
fahrung ebenfalls erkenntniskonstitutiv sein könnten. Da keine Erkenntnis über
die Möglichkeit der Erfahrung hinaus möglich ist, kann kein solcher Beweis ge-
führt werden. Ergo ist der Schluss auf die Einheit der Apperzeption als alleinige
Bedingung der Verknüpfung der Mannigfaltigkeit zu den Gegenständen im
schlechtesten Falle falsch, im besten Falle unbewiesen.²⁹⁹
Mit dem Fehlschluss im Herzen der transzendentalen Deduktion ist die ei-
gentliche Wurzel des Problems ausgemacht, welche Kant dazu bringt, die
zweckmäßige Einrichtung der Natur als epistemisches Normativ einzuführen und
dabei gleichzeitig den Verweisungscharakter des Regulativs auf die Vernunft-
mäßigkeit des Regulats supponieren zu müssen, welches den Verstand nötigt
„doch [Hervorhebung, M. B.] einen Grund der Einheit des Übersinnlichen, welches
der Natur zum Grunde liegt“³⁰⁰ anzunehmen.
Allein es sind so mannigfaltige Formen der Natur, gleichsam so viele Modifikationen der
allgemeinen transzendentalen Naturbegriffe, die durch jene Gesetze, welche der reine Ver-
stand a priori gibt, weil dieselben nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegenstandes der
Sinne) überhaupt gehen, unbestimmt gelassen werden, daß dafür doch auch Gesetze sein
müssen, die zwar, als empirische, nach unserer Verstandeseinsicht zufällig sein mögen, die
aber doch, wenn sie Gesetze heißen sollen (wie es auch der Begriff einer Natur erfordert), aus
einem, wenn gleich uns unbekannten, Prinzip der Einheit des Mannigfaltigen, als notwendig
angesehen werden müssen.³⁰¹
Die zwischen Verstand und Vernunft gesetzte regulative Urteilskraft,³⁰² welche auf
die Einheit der Natur reflektiert, kommt gerade daher nicht umhin, den Grund der
von ihr erkannten Einheit im Gegenstand zu suchen, da sie ihrem Wesen nach nur
selbstgesetzgebend (heautonom) ist. Es ist eben die Forderung nach dem rein
subjektiven Ursprung der Verknüpfungen der Mannigfaltigkeit in der Wahrneh-
mung, welche das Gegebensein, d. h. die Kontingenz der speziellen Naturgesetze
für die Transzendentalphilosophie zum Problem macht, und dieses insbesondere
durch das Insistieren auf der Rolle der Subjektivität im Erkenntnisprozess noch
verschärft.³⁰³
Als Ergebnis des ungelösten und durch die Transzendentalphilosophie Kants
unlösbaren Problems eines möglichen mitkonstitutiven Erkenntnischarakters der
Ansich-Struktur der Dinge, wobei hier nur die Möglichkeit einer Lösung vor dem
Hintergrund des strengen kantischen Geltungsanspruchs des transzendental-
idealistischen Standpunkts ausgeschlossen wird, oszilliert³⁰⁴ der kritische Idea-
lismus zwischen einem objektiv-faktischen und einem subjektiv-transzendentalen
Grund der Wahrnehmungskohärenz.³⁰⁵ Gerade an dem von Kant gewählten Bei-
spiel der Röte des Zinnobers in der Deduktion der Auflage A ist dies gut zu be-
obachten.³⁰⁶ So versucht er dort die Konstanz der Farbeigenschaft des Cinnabarits
auf die transzendentale Synthesis zurückzuführen.³⁰⁷ Darauf, dass dies völlig
unplausibel ist, und auch schon für Kants Empfinden sein musste, hat ebenfalls
Hansgeorg Hoppe hingewiesen.³⁰⁸ Warum sollte sich, selbst wenn die Form des
Naturgesetzes, in diesem Fall die der Substantialiät, i. e. der zeitlichen Persistenz,
durch den Verstand vorgegeben ist, die Erscheinungsform des Zinnobers nicht in
der Zeit verändern können? Dass dem nicht so ist, weist allenfalls auf eine Be-
schaffenheit des Zinnobers selbst hin. Als Ergebnis zeigt sich also, dass die Frage
nach der durch den Gegenstand der Anschauung selbstbedingten Einheit der
Erfahrungswelt nicht in Gänze mit dem Verweis auf die subjektabhängige Form
ihrer Gesetze substituiert werden kann. Auch der Als-ob-Modus des regulativen
Gebrauchs der Vernunft mittels der reflektierenden Urteilskraft necessiert logisch
den objektiven Grund ihrer Anwendbarkeit und hat als solcher Verweischarakter
auf die uns unbekannte Einheit des übersinnlichen Substrates.³⁰⁹
Kant scheint versucht zu haben, dieses Problem im Rahmen einer neuen
Deduktion im Opus postumum anzugehen. „Wahrnehmung gehört zu den bewe-
genden Kräften, als in[n]erhalb dem Subject wirkend in der Empfindung.“³¹⁰
Lehmann deutet diese Stelle als wesentliche Neuerung des Opus postumum ge-
genüber der Kritik der reinen Vernunft:
Zum System der bewegenden Kräfte gehört die Wahrnehmung, zum System der Wahrneh-
mung gehören die bewegenden Kräfte: Die Wahrnehmung ist der Schnittpunkt beider Ge-
genstandssphären, sie ist invariant gegenüber den Systemcharakteren der physikalischen
und erkenntnistheoretischen Sphäre.³¹¹
Die Frage nach dem subjektunabhängigen Grund der Invarianz der Wahrnehmung
ist eben jene Frage, welche Kant als Residualproblem in seinem unvollendeten
Spätwerk, vornehmlich in Gestalt der Deduktion des Wärmestoffes, erneut auf-
greift.³¹²
sers, welcher zu Recht zuvor gegen ihn die Subjektunabhängigkeit des Empfindungsmaterials
geltend macht, cf. Messer (1903), S. 323 ff.
Cf. Hoppe (), S. . Hoppe erkennt darin, dass Kant dennoch auf einen apriorischen
Grund der Regelmäßigkeit in der Erscheinung insistiert, eine Invektive gegen Hume.
Bickmann (), S. , erkennt völlig zutreffend, dass im Begriff des transzendentalen
Substratums eine „Transzendentale Ontologie“ zutage tritt, welche „auch der Philosophie Kants
zugrundeliegt.“ Diese nimmt, insofern sie das Denken auf einen Seinsgrund zurückführe, aber
nicht auf diesen reduziere, eine mittlere Postion ein.
OP, AA, XXII, S. .
Lehmann (), S. .
Diese Beziehung zum Opus postumum stellt ebenfalls Rohs (), S. ff., her.
312 Kapitel III. Transzendentale Objektivität
untersucht werden.³¹⁸ Es gilt nun nur noch, das Ergebnis der Untersuchung in
summa festzuhalten.
Staudinger formuliert eine allgemeine Lösungsbedingung für das Grundproblem der Ge-
genstandskonstitutivität der transzendentalen Subjektivität: „Das Problem haben wir erst gelöst,
wenn wir zeigen können, dass w i r Bewusstseinsvorgänge haben, die wir als wirkliche Relationen
zwischen uns und den Dingen ansehen müssen, und dass die konstitutiv apriorischen Formen ohne
Schädigung ihres Geltungswerts von ihnen abgeleitet gedacht werden können.“ Staudinger ();
S. . Er meint im Anschluss an diesen Grundsatz, dass die apriorischen Funktionen „als
analytische Abstraktionen aus dem Empfindungsvorgange als der ursprünglichen Relation zwi-
schen uns und der Aussenwelt“ (op. cit., S. ) gewonnen werden können. Mit dieser Ansicht
verlässt Staudinger jedoch gänzlich den Boden der Transzendentalphilosophie.
Schlussbetrachtung und Ausblick
Der Aufbau dieser Arbeit zeichnete im Wesentlichen die Problemstruktur nach,
welche sich aus der epistemischen Grundkonstellation¹ ergab. Dabei war die erste
zu beantwortende Frage die nach dem Ursprung der transzendentalen Erkennt-
nisfunktionen, den Kategorien. Im ersten Kapitel konnte der Nachweis erbracht
werden, dass die Kategorien als objektive Gegenstandsbestimmungen aus den
subjektiven Formen des Denkens über ihre Anwendung als figurale Funktionen
der Einbildungskraft auf die Anschauungsform des inneren Sinnes abgeleitet
werden können. Es wurde so gezeigt, dass die Kategorien damit die begriffliche
Einheit des logischen und figurativen Verstandesgebrauchs bilden. Aus dieser
Lösung ergaben sich jedoch drei Residualprobleme:
1. Woher stammen die logischen Funktionen des Denkens?
2. Wie werden im Vorstellen aus den logischen Formen des Denkens die dis-
kursiven Formen des Erkennens?
3. Gibt es einen von den Kategorien unabhängigen Gebrauch der figuralen
Funktionen der Einbildungskraft?
Die erste Frage ergab sich aus dem Nachweis, dass die Funktionen als Einheiten
der Handlung eine dreifache Bedeutung besitzen gemäß der bestimmungslogi-
schen Trias. Da alle Denkhandlungen Bestimmungshandlungen sind, die Ur-
teilsfunktionen jedoch jedem Bestimmungsinhalt vorangehen,² bestand die
Schwierigkeit darin nachzuweisen, dass sich die logischen Funktionen auf einen
Gegenstand beziehen, dessen Bestimmung gleichzeitig ihr Ursprung ist. Dieser
Gegenstand wurde als das Denken selbst ausgemacht, welches sich reflektierend
selbst zum Gegenstand macht.³ Dieses selbstreflektierende Denken nennt Kant in
Anschluss an die Tradition die transzendentale Apperzeption. Mit dem Nachweis,
dass die logischen Funktionen in der transzendentalen Apperzeption ihren Ur-
sprung haben, konnte gleichzeitig gezeigt werden, dass die Urteilstafel vollständig
ist.
Durch die Differenzierung der vier Bedeutungshinsichten der Apperzeption,⁴
vornehmlich der Unterscheidung ihrer formalen Struktur und ihrer affektionsin-
duzierten Aktualisation im empirischen Selbstbewusstsein, i. e. der sogenannten
Selbstaffektion,⁵ konnte einerseits die zweite Frage nach der Verbindung von lo-
gischer Form und Zeitform in der Kategorie beantwortet, andererseits der Vorwurf
des Psychologismus gegen die Transzendentalphilosophie im Allgemeinen sowie
gegen Kants Begriff der Logik im Besonderen zurückgewiesen werden. Die Ap-
perzeption bezeichnet als bloße Form die logische Struktur des Selbst-, Fremd-
und Totalitätsbezuges, welche im Denken vor jedem besonderen Denkakt immer
schon vorfindlich ist. Die Transzendentalphilosophie enthält also keinen Psy-
chologismus, vielmehr beschreibt die transzendentale Logik die erkenntnislogi-
sche Trias von Subjekt, Objekt und Totalität, ausgehend von der Form des
Selbstdenkens. Mit der Abweisung des Psychologismusvorwurfs erübrigt sich
ebenfalls die Frage der Objektivität der Verstandesgesetze bei Kant, sofern über
den Ursprung der Denkgesetze im Ganzen, welche als Form allem (subjektiven)
Denken vorausgehen, keine Aussage mehr getroffen werden kann.⁶ Dagegen
wurde gezeigt, dass diese strenge Gültigkeit für alles Denken besitzen.
Die Beantwortung der dritten Frage konnte erst nach der Aufdeckung der
Spiegelstruktur des empirischen Denkens geleistet werden. Die in der Wahrneh-
mung angetroffene Synthesis, welche vor der begrifflichen Einheit im Erfah-
rungsurteil liegt, erweist sich so als spiegelbildlich zur eigentlichen transzen-
dentalen Bestimmung aus der Einheit des Subjekts, sofern das empirische Denken
seinen Ausgang von der Wirklichkeit des Erfahrungsgegenstandes in der Er-
scheinung nimmt. Die bloß figurale Synthesis durch die Anwendung des bloßen
Schemas bleibt damit letztlich rückgebunden an die kategoriale (unschemati-
sierte) Form der Verstandesstruktur.
Für das dritte Kapitel wurde die Frage einschlägig, wie die Wirklichkeit des
Gegenstandes als Wirkung eines subjektunabhängigen Grundes gedacht werden
kann, i. e. das sogenannte Affektionsproblem. Für die Möglichkeit der Lösung
musste dieses auf die konsistente Formulierung eines Begriffes der Empfin-
dungskausalität eingeschränkt werden. Das Ergebnis der Untersuchung war der
Begriff der „freien Dependenz“, welcher den theoretischen Spiegelbegriff zum
praktischen der „freien Kausalität“ bildet. Es konnte gezeigt werden, dass sich
beide über den transzendentalen Symbolismus per analogiam in der Anschauung
darstellen lassen, so dass dem Begriff der Empfindungskausalität zumindest in-
direkt objektive Realität zukommt, womit das minimale Sinnkriterium eines Be-
griffes als erfüllt gelten durfte.
Der sich an das Kapitel 3.2 anschließende Exkurs über den transzendentalen
Symbolismus, dem bisher in der Kantforschung so gut wie keine Aufmerksamkeit
Bereichs möglicher Erfahrung liegt, zum Ausgangs- und Zielpunkt der Erkenntnis
genommen wird. Damit eröffnet sich die Perspektive auf die entscheidende Frage
nach der Beziehung des Dinges an sich zu dem in der Erscheinung. Kann dem Ding
an sich über seine bloße Bedeutung als Quell der Empfindung eine erkenntnis-
konstitutive Bedeutung beigemessen werden, welche für die Struktur der Erfah-
rungswirklichkeit (mit‐)verantwortlich ist? Angesichts von Kants Lehre der Un-
abhängigkeit der besonderen Naturgesetze muss diese Frage bejaht werden;
angesichts des von Kant insinuierten Ergebnisses der transzendentalen Deduk-
tion, welche die Apperzeption als alleinigen Grund der Verknüpfung unserer
Vorstellungen ausweist, muss sie jedoch verneint werden. Wie gezeigt werden
konnte, gründet dieses Problem in einem Fehlschluss im Herzen der transzen-
dentalen Deduktion, so dass die Aufrechterhaltung der Subjekt-Objekt-Dichoto-
mie, zumindest mit dem starken Anspruch bezüglich der Rolle der Apperzeption
für die Erkenntnis, nicht aufrechterhalten werden kann. Mit der Aufdeckung über
das mit Kant nicht restlos aufzuklärende Spannungsverhältnis im Begriff des
Gegenstandes ist die vierte der vier in der Einleitung gestellten Fragen⁹ beant-
wortet und die Untersuchung damit abgeschlossen.
Cf. Einleitung.
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Logik
=
Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt
a: a priori
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B) System des transzendentalen Schematismus
A B C
A B
A B
A B
Substanz – Persistenz
A A A
Kausalität – Sukzession
Relation Zeitordnung
A B C
Wechselwirkung – Synchronizität
A˄B
…n…
C) Vollständige Tafel aller transzendentalen
Funktionen, Begriffe und Grundsätze
I Bestimmen
Bestimmen Relation
II Bestimmbarkeit
Disjunktives
Bestimmen Qualität Urteil
Bestimmtheit/ Verneinendes
Bejahendes Urteil
Bestimmbarkeit Urteil
Unendliches
Bestimmen Quantität Urteil
Einzelnes
Bestimmen Modalität
Urteil
Problematisches Assertorisches
Bestimmtheit
Urteil Urteil
Apodiktisches
Urteil
Namenregister
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Ameriks, Karl 116, 319
Aportone, Anselmo 23, 32 – 34, 50, 319 Dahlstrom, Daniel 55, 58, 61 – 63, 71, 265,
Aristoteles 2, 13, 161, 318 321
Dalbosco, Claudio 286 f., 321
Bartuschat, Wolfgang 282, 317, 319 Delekat, Friedrich 17, 321
Baum, Manfred 63 f., 90, 319 Descartes, René 2, 58, 116, 297, 318
Baumanns, Peter 15, 20 f., 25, 32, 38, 54 f., Detel, Wolfgang 51, 54 f., 71, 74, 321
72 f., 77, 82, 107 f., 111 f., 148, 152, 162 – Driesch, Hans 109, 321
165, 170 f., 176, 178 – 180, 188 – 190, Drüe, Hermann 321
203, 206, 209, 218, 229, 235, 237 f., Dryer, Douglas 17, 56, 321
240, 242 f., 246, 255 f., 291, 295, 299 f., Düsing, Klaus 151, 193, 321
304 f., 310, 315, 319, 332 f.
Bazil, Vazrik 136, 145, 147, 264, 319 Ebeling, Hans 321
Beck, Lewis White 25, 253 f., 319 Ehrenberg, Hans 15, 34, 98, 108 f., 321
Bennett, Jonathan 112, 116, 145, 319 Eley, Lothar 34, 321
Berkeley, Georg 57, 151, 317, 327 Enskat, Rainer 34, 39, 215, 322
Bickmann, Claudia 311, 319 Erdmann, Benno: 258, 322
Bielefeldt, Heiner 265, 276, 319
Bird, Graham 39, 319 Ferrari, Jean 290, 322
Böhme, Gernot 237, 305 f., 320 Ferrarin, Alfredo 64, 322
Bojanowski, Jochen 264, 282, 320 Fichte, Johann Gottlieb 14 f., 59, 162, 195,
Bondeli, Martin 140 f., 320 208, 213, 222 f., 253 f., 258, 284 f., 288,
Born, Max 76, 320 317 f., 323 – 325, 327, 330
Brandenstein, Béla von 320 Fischer, Kuno 258
Brandt, Reinhard 16, 31, 35, 39, 78, 108 f., Fischer, Norbert 112
112, 160, 162 – 166, 168 f., 209, 291, 320 Frank, Manfred 196, 232
Bröcker, Walter 242, 320, 333 Frank, Simon 210 f.
Bucher, Theodor 135, 320 Franzwa, Gregg 62, 322
Buhl, Günther 34, 320 Frede, Michael 78 f., 83, 88, 239, 322
Bussmann, Hans 59, 64, 74 f., 83, 236, 320 Freudiger, Jürg 322
Freuler, Léo 55, 322
Caimi, Mario 141, 320 Fricke, Christel 281 f., 322
Carl, Wolfgang 70, 308, 320, 325 Funke, Gerhard 321 f., 324 f., 328 – 331, 333
Carnap, Rudolf 108, 320
Cassirer, Ernst 320 Grayeff, Felix 10 f., 21, 323
Chiba, Kiyoshi 253, 288, 320 Grier, Michelle Gilmore 112, 116, 121, 139 f.,
Chipman, Lauchlan 321 224, 323
Choi, So-In 194, 211, 321 Gurwitsch, Aron 16, 175, 323
Cohen, Hermann 16, 150, 285 f., 302, 321,
325, 331
342 Namenregister
Wartenberg, Mscislaw 1, 49, 76, 232, 240, Wundt, Max 147, 333
254, 333 Wyller, Truls 96, 309, 333
Weidenbach, Oswald 223, 333
Weissmann, Asriel 39, 293, 333 Young, John Michael 34, 249, 325, 333
Wenzel, Christian 239, 243 f., 249, 333
Windelband, Wilhelm 161, 333 Zobrist, Marc 174, 195 f., 201, 212, 333
Wingendorf, Ralf 163, 333 Zocher, Rudolf 139 f., 153, 333
Wittek, Andreas 162, 166, 333 Zöller, Günter 40, 254, 333
Wittgenstein, Ludwig 292, 318 Zschocke,Walter 63, 64, 65, 67, 94, 231,
Wolandt, Gerd 283, 333 268
Wolff, Michael 25, 39, 78, 110, 154, 161, Zwermann, Eduard 252, 310, 334
163 – 165, 169, 205 f., 333
Sachregister
Absolute, das 89 f., 92, 125, 147, 210, 220 – Bewusstsein, empirisch 1, 21, 69 f., 104,
223, 225 f., 228, 233, 247, 259, 270, 295, 111, 162, 166, 171 f., 175 f., 182 – 190,
297, 321 194, 197 – 199, 203 – 205, 207 f., 210 f.,
Absolutheit, die 155, 208 214 – 219, 222 f., 225 f., 236 f., 240, 248,
Ad infinitum–ad indefinitum 57, 88, 292 254, 285, 307 – 309, 315, 331
Affektibilität 232, 235 Bild-Schema 7, 10, 18, 20 f., 23, 33, 35, 43,
Affektibilitätsformen 21 46, 48 – 50, 52 f., 56 – 74, 79 – 81, 85 –
Affektion 91, 93 – 95, 97, 99, 105 – 107, 113 f.,
– Affektion, doppelte 254 – 256 120 f., 125, 130, 140, 150 f., 153, 157, 166,
– Affektion, empirische 254, 255 175, 180, 193, 198, 204 f., 208, 217,
– Affektionskausalität 255, 257 – 259 237 – 239, 241, 249 f., 252, 256 – 259,
– Affektion, transzendentale 29, 232, 233, 261 f., 264, 266 – 273, 275 – 279, 281 f.,
235, 240, 248, 246, 252, 253, 255, 263 285, 300, 313 f., 319, 324 f., 328
Affektionsproblem 12, 150, 162, 246, 252 – Biologie 94, 97
253, 255, 258, 262, 314
Algorithmus, transzendentaler 18, 72, 120 computans–computatum 89, 91
Amphibolie 1, 39
Analogie 16, 21, 127, 133, 149, 245, 259, Dasein 86 f., 92 – 95, 97, 155, 194, 211, 216,
264 f., 268 f., 273, 277 – 279, 326 245, 274, 298, 323
Analytisch-synthetisch 4 – 6, 9, 20, 26 f., Deduktion, genetische 9, 13 f., 16 – 19, 28,
36 f., 45 f., 50, 52, 63 f., 77, 79, 81 f., 85, 34, 38 f., 51 f., 54 – 56, 63 f., 71, 76 – 80,
90 f., 103, 108, 120 f., 128, 141 f., 146, 82, 104, 115, 120, 128, 133, 139 – 142,
148, 176, 182 – 188, 190 – 197, 200 f., 144, 148 f., 155, 157 – 159, 164 f., 171,
227, 236, 238, 242, 293 f., 307, 312, 325, 193, 201, 215, 217, 227, 306, 308 f., 316,
328 f., 331 f. 319, 324, 329, 333
Anschauung Demokratie 272
– Anschauung, intellektuelle 22 Dependenz, freie s. Gelegenheitsursache
– Anschauung, empirische 6 252, 257, 260 – 262, 286, 314
– Anschauung, reine 22, 45, 63 f., 69, 117, Determination, logische 36, 42 f.
188, 236 Determinismus 76
Antinomien 154, 330 Dialektik, transzendentale 289, 293, 320,
Apeiron 148 323 – 325, 328
apperceptionis substantiatae 160, 207 Ding an sich 12, 37, 152, 211 f., 232 – 234,
Apperzeption, empirische 202 240, 245 f., 248, 251 – 260, 262, 285 –
Apperzeption, transzendentale 15, 27, 35, 292, 297, 299 – 305, 315 f., 319, 321,
80, 306, 309, 313, 326, 330 328, 330 f.
Apprehension 53, 77, 88, 205, 236, 239, Dreieck 56 – 59, 134
243, 250, 303
Aristokratie 272 Einbildungskraft 49, 52, 54, 56 – 60, 64,
Assoziation 241, 282, 303 72 – 75, 77, 81, 83, 100 – 102, 120, 128,
Äther 312 136, 148, 171 f., 175, 181, 188, 190 – 193,
Augenblick 236, 238 195 f., 205, 214, 217, 236, 241, 243,
Autonomie 102, 260, 275, 278, 283 f.
Axiome, logische 39
346 Sachregister
249 – 251, 257, 259, 266, 269, 275, 278, – Funktion, ideale 72, 147 f., 188
280 f., 283, 313, 327, 330 – Funktion, transzendentale (diskursive) 49,
Einheit 72, 75, 81, 87 f., 94, 103, 256, 263, 286,
– Einheit, absolute (qualitative) 15, 115, 147, 303, 309
158, 165, 170, 188, 203, 205 – 207, 210,
225 – 227, 238 – 240, 247, 295, 297 f. Gelegenheitsursache 261 f.
– Einheit, numerische 181, 202, 204, 215, Geometrie 6, 58 f., 239
227, 303 Glückseligkeit 311
Empfindung 21, 65, 92 – 95, 150, 185, 234 – Gott 92, 111 f., 127, 144, 155, 173, 208, 259,
240, 243 – 247, 249, 254, 259, 261, 281, 266, 287, 290, 297 f., 300, 305, 323,
306, 311, 316 327, 330
Empirismus 37, 231 Gottesbeweis 89, 154
Empfindungskausalität 21, 255 – 257, 261, Grad, graduelle Bestimmbarkeit 78, 93,
262, 314 238 – 240
Epistemologie 1, 7, 234, 248 Gravitation 131
Erfahrung 4, 6, 8 – 10, 16, 19, 27 – 29, 33, Grenzbegriff 286 f., 302
40, 45, 55, 60, 63 f., 70, 72, 76, 80 – 84, Grundsatzes der Bestimmbarkeit 293
91, 94, 106 f., 117, 119, 122, 124, 128 f., Grundsatzes der durchgängigen Bestim-
136, 140 – 144, 150 f., 159 f., 177, 190 f., mung 293
196, 202, 204 f., 207, 210, 213, 220 f., Gute, das sittlich 167, 275, 275, 277, 278
231 – 234, 240 f., 243 – 245, 247 – 249, Gültigkeit
251 f., 254, 256 f., 261 f., 274, 282 – 284, – Gültigkeit, objektive 49, 54, 63
286, 290, 292, 299 f., 303 – 306, 309, – Gültigkeit, subjektive 139, 142, 171, 263,
312, 316, 320 – 322, 325 – 327, 329 – 331 282, 284, 304
Erkenntnistheorie, evolutionäre 305
Erkentnisstämme 21, 125, 151, 251, 252, Heautonomie 102, 278
255, 262 Hypotypose, schematische s. Schema
Erscheinung 21, 37, 45, 53 f., 59 f., 67 f., Hypotypose, symbolische s. Symbol
70 f., 73, 85, 94, 107, 128 – 130, 146 f.,
153, 158, 171, 191, 200, 202, 212 f., 215, Ich, absolutes 155
221, 231 f., 234 – 237, 240, 243 f., 252 – Idealismus, transzendentaler 231
256, 258 f., 265 – 267, 271, 282, 286 – Ideal, transzendentales 291 f., 296, 315
288, 290, 296, 300 – 305, 310, 314 – 316, Idee, transzendentale 42, 263, 294, 325
321, 323 Identität 1, 32, 36, 67, 77, 123, 136, 154,
170, 178, 180 – 187, 189 – 191, 196 f., 199,
Faktum der Vernunft 25, 319 203 – 205, 215, 218 f., 223 f., 227, 246,
Falschheit 303 f., 324
– Falschheit, formale 114 – 117, 121 Imperativ, kategorischer (moralischer) 312
– Falschheit, materiale 116, 121 Intensivität 238
Freiheit 258 f., 261, 264, 274 – 278, 280 f.,
283 f., 323 Kategorientafel 10 f., 16 f., 32, 34, 56, 78,
Funktion 98, 103 f., 106, 109, 153, 156 f., 159 f.,
– Funktion, figurale (reale) 75, 87, 120, 188, 164, 213, 321, 323 f.
249, 313 Kategorien, unschematisierte (bloße) 14,
70 f., 106, 158, 208, 256, 289
Kausalität aus Freiheit, s. Freiheit 258 – 261,
277
Sachregister 347
Kausalität 66, 68, 76, 94 – 99, 104, 130, Notionen s. Kategorien, unschematisierte
154, 155, 241, 247, 252, 255, 256, 257 – Noumenon 212, 215, 286, 287, 290, 301,
262, 270 – 273, 275 – 277, 314 302
Konstitutiv, konstitutiver Ideengebrauch 4,
11, 37, 49, 62, 64, 99, 130, 133, 152, Objekt
180, 219, 264, 292, 298 f., 312 – Objekt, empirisches 8, 10, 21, 30, 38, 44,
Kontinuum 4, 238 45, 49, 70, 82, 149, 154, 245, 252, 303
Körper 37, 43 – 46, 83, 96 – 98, 131, 175, – Objekt, logisches 35, 100, 106, 152
185, 221, 225, 258 f., 270, 272 – Objekt, transzendentales 8, 10, 11, 20,
Korrelat, Korrelatum 94, 188, 194, 240, 302 84, 160, 171, 232, 233, 235, 243, 244, 245,
Kreis 5, 59, 228 248, 252 f., 261, 287, 288, 292, 296, 301,
304
Leitfadenkapitel 51, 139, 163 f., 206 Objektivität 8, 34, 140, 231, 234, 314
Licht 2, 15, 18, 229, 273, 284 f., 327 Ontologie 16, 311, 320
Logik Opus postumum 37, 193, 224, 311 f., 318,
– Logik, formale (allgemein reine) 9, 32 – 326
34, 37, 41, 47, 113 f., 118, 144 f., 223, 327,
331 Paralogismus, logischer 113 f., 115, 121
– Logik, transzendentale 9, 20, 34, 41, 46, Paralogismus, transzendentaler 113, 114,
51, 53, 70, 86, 314, 328, 330 f. 115, 116, 121, 225
– Logistik s. Logik, formale Person, Persönlichkeit 136, 212
Physik 16, 94 f., 97, 318, 320
Mannigfaltigkeit 21, 52, 60, 62 f., 69 f., 72, Postulat 140, 245, 264
90, 128 f., 139 f., 162, 175, 180 – 183, Prädikamente–Prädikabilien 50, 70
186, 189, 192 – 194, 197, 202, 236 – 240, Prinzip
281 f., 295 f., 302, 304, 307, 309 f., 315 – Prinzip, logisches 197, 293
Mathematik 4, 6, 22, 54, 59, 103, 117, 214, – Prinzip, transzendentales 282, 284, 299
239, 321 Prototypon transscendentale 299
mathesis universalis 118 Psychologismus 38, 314
Mechanik, Mechanismus 16, 131
Metafunktion 131, 263, 315 Qualität 27, 31, 47, 65, 84, 91, 93, 99, 116,
Metaphysik 94, 108, 112, 132 f., 144, 207, 130, 143, 155, 157, 160, 162, 202 f., 218,
223, 233, 292, 317, 320 – 324, 327, 329, 226, 228 f., 244, 247, 282, 294, 297 f.
332 f. Quantität 27, 31, 40, 47, 65, 88, 91, 93,
Modalität 31, 47 f., 66, 84, 86 f., 94, 99 f., 105, 130, 143, 155, 157, 160, 162, 202 f.,
106, 130, 155, 157, 160, 162, 202 – 205, 218, 227 – 229, 237, 244, 246 f., 270,
216 – 218, 228 f., 244 – 247, 279 f. 322, 330
Monarchie 272
ratio cognoscendi 33, 56, 283, 287, 315
Naturgesetz 94, 96, 156, 259, 266, 274 – ratio essendi 246, 264, 283, 287, 315
277, 310, 316 Raum
Naturwissenschaft 16, 46, 55, 94, 110, 132 – Raum, Anschauungsform 9, 13, 20 f., 33,
Naturzweck 98 f., 273 53, 61 – 66, 81 f., 94, 114, 117, 188, 196,
Neukantianismus 15, 286 237, 239 f., 257, 269, 291, 313, 328
Newton des Grashalms 98 – Raum, reine Anschauung 63 f., 236, 321
Normalidee 60 f. Realismus, empirischer 231
Reflexionsbegriffe 16, 35, 209, 213 – 218
348 Sachregister
Reflexion, transzendentale 321 Sukzession 63 – 66, 76, 95 f., 236, 240 f.,
Regulativ, transzendentales 7, 91, 130, 133, 259, 268 f.
140, 141, 143, 153, 156, 221, 264, 291, Syllogismus, Syllogistik 40, 135, 330
292, 298, 299, 302, 304, 309, 311, 315 Symbol, transzendentales 62, 80, 81, 143,
Relation 1, 7, 22, 27, 37, 47, 61, 64, 66, 72, 151, 153, 167, 257 – 285, 314, 315
76, 84, 94 – 96, 99, 127, 130, 137, 145 f., Synthesis
155, 157, 160, 162, 171, 174 f., 190, 192, – Synthesis, figurale/figürliche (synthesis
202 f., 205, 215 f., 218 f., 221 f., 226, speciosa) 52, 54, 77, 82, 196, 314
228 f., 235, 241, 244, 247, 253, 259 – – Synthesis, intellektuale (synthesis intellec-
262, 265, 267 – 272, 274, 276 – 280, 295, tualis) 52, 82
297, 312, 330 f.
Republik 272 Tafel der Kategorien, s. Kategorientafel 44,
79, 81, 132, 154
Satz der Identität 39, 229 Tafel der Urteilsformen, s. Urteilstafel
Satz vom ausgeschlossen Dritten 39, 333 169 f., 201
Satz vom Widerspruch 39 Teleologie 321
Schema Transzendentalien 15
– Schema, empirisches 58, 60 Transzendenz 320
– Schema reiner Sinnesbegriffe 58 f. Triangel, s. Dreieck 6, 57 – 59
– Schema, transzendentales 81, 87 Trichotomie 91, 103 f., 106, 146, 154, 167,
Schöne, das 167, 277 – 279 315
Schulphilosophie, Leibniz-Wolffsche 292 f. Typik 274, 276, 280
Schwere 13, 37 Typus des Sittengesetzes, s. Typik 259, 275
Seele 47, 60, 73, 111 f., 127, 144 f., 154 – 156, Tyrannis 270 f.
160, 188, 210, 212, 220 f., 227, 272, 318,
322 Unsterblichkeit 213
Selbstaffektion 10, 21 f., 50, 101, 181, 195 f., Urteil
255 f., 262, 314, 321 – Urteil, allgemein 40, 43, 78, 88 – 91, 125,
Sinnlichkeit 10, 19, 22, 29, 45, 49, 51, 57, 227 f.
66 f., 69 – 72, 74 f., 79 f., 85, 88, 100 – – Urteil, apodiktisch 48, 86 f.
102, 131, 137, 140, 142, 148 – 152, 158 f., – Urteil, assertorisch 48, 86 f., 91, 154, 247
171 – 173, 188, 191 f., 197, 202, 205 – 207, – Urteil, ästhetisch 154, 279 f., 282, 322,
214, 236, 251, 253 f., 257 – 259, 262, 275, 326
283, 296, 299, 302 – Urteil, bejahend 91 – 93
Sittengesetz 259, 275 f. – Urteil, besonders 91, 247
Sorites 143, 209 – Urteil, disjunktiv 31, 40, 46, 48, 96, 138,
Spontaneität 10, 21 f., 43, 51, 53, 63, 66 f., 216, 294, 299
73, 85, 99, 101 f., 173 f., 179 f., 219, 249, – Urteil, einzeln 40 f., 46, 91, 280
278, 280, 284, 323 – Urteil, hypothetisch 95, 121, 247
Stefan-Boltzmann-Gesetz 96 – Urteil, kategorisch (apophatisch) 31, 44,
Subjekt 83, 89, 92, 94 f., 99, 125, 137, 203, 216,
– Subjekt, absolutes 219 f., 222, 225, 228 219, 221 f., 226, 228, 258
– Subjekt, empirisches (passives) 10, 21, – Urteil, problematisch 48, 85, 87, 228
195 – Urteilstafel 11, 13 – 16, 23, 31 f., 35, 39 –
– Subjekt, transzendentales 255 41, 51, 71, 80, 99, 107 – 110, 112, 159 – 166,
Substrat/Substratum, transzendentales 291 168 – 170, 190, 202, 205, 208 f., 214 f.,
Sachregister 349
228 f., 243 f., 248, 263, 289, 296, 301, 313, – Wahrheitskriterium, notwendig 5 f., 119
320, 323, 326 – 328, 332 f. Wahrnehmung 9 f., 19, 21, 33, 49 f., 65, 70,
– Urteil, unendlich 46 f., 66, 93, 297 72, 74 – 76, 81, 94, 96, 173, 179, 181,
– Urteil, verneinend 47, 92 f., 247 184 f., 202, 234, 236 – 245, 247 – 250,
290, 298, 305, 309 – 311, 314, 320, 325,
Vernunftbegriff 330 f., 333
– Vernunftbegriff, logischer 128, 143, 153, Wille 25, 98, 258 f., 261, 270 – 272, 274,
156, 159 276 – 278
– Vernunftbegriff, transzendentaler 128, Wohlgefallen 279, 283
143, 151, 256, 298
Vernunftschluss 113, 121, 130, 133 – 138, Zahl 44, 57, 63, 65, 81, 88 – 91, 104, 108,
143 f., 148, 209 139
Verstandesbegriffe Zeit 9, 14, 20 f., 45, 59, 61 – 67, 74 f., 81,
– Verstandesbegriffe, nackte 208 85 – 94, 102, 108, 114, 151, 161 – 163,
– Verstandesbegriffe, reine 7, 13, 18, 32, 191 f., 202, 215, 235 – 240, 247, 253, 259,
44 f., 49 – 51, 54, 56, 58, 61, 71 f., 76 f., 79 – 261, 268 – 271, 289, 310, 320, 330
81, 83, 99, 120, 133, 141, 147 f., 155, 159, Zirkel, s. Kreis 59, 112, 157 f., 222
166 f., 188, 191, 193, 204 f., 207 f. Zweck, Zweckmäßigkeit 15, 78, 84, 98, 112,
Verstandesschluss 134 – 137 212, 234, 259, 263, 272 f., 279 – 282,
Vollkommenheit, eigene 311 284, 311 f., 322, 326, 330
Zwei-Aspekten-Interpretation 315
Wahrheitskriterium Zwei-Welten-Interpretation 253, 286 f.
– Wahrheitskriterium, hinreichend 3 f., 6 f.