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Der Wald ohne

Wiederkehr
DSA-News-Abenteuer 3
12.03.04 – 11.01.05

FESTGEHALTEN VON: FRANK WILLBERGER

KORRIGIERT VON: CHRISTIAN BOETTGER


DAS SCHWARZE AUGE und AVENTURIEN sind eingetragene Warenzeichen der
Firma Fantasy Productions. Copyright (c) 1997. Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Dokument enthält nicht-offizielle Informationen zum Rollenspiel Das


Schwarze Auge und zur Welt Aventurien. Diese Informationen können im Wider-
spruch zu offiziell publizierten Texten stehen; bei Fragen zu dieser Website wenden
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Es handelt sich bei diesem Dokument um das Log aus der Newsgroup z-netz.frei-
zeit.rollenspiele.dsa zum DSA-Basis-Abenteuer 2 „Der Wald ohne Wiederkehr“. Das
Log wurde an einigen Stellen behutsam verändert, um den Lesefluss zu verbessern
und Fehler zu korrigieren.

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Inhalt
Von Thalusa nach Khunchom......................................7 Die Folterkammer......................................................76
Neue Gefährten............................................................8 Dunkle Gänge...............................................................83
Zu Hilfe!........................................................................16 Sackgasse.....................................................................83
Bei den Köhlern............................................................21 Eine Tür......................................................................85
Skelette........................................................................90
Lager im Wald...............................................................25
Die Gruft.....................................................................92
Die ersten beiden Räuber..........................................25
Der letzte.....................................................................26 Mysterium......................................................................94
Nach dem Kampf.......................................................28 Die erste Mumie.........................................................95
Die zweite Mumie......................................................96
Wohin?...........................................................................33
Murgol..........................................................................103
Zur Schlossruine...........................................................41
Seline............................................................................119
Erkundung der Schlossruine......................................49
Rückweg....................................................................121
Hinein ins Schloss........................................................56 Die Waffenkammer..................................................125
Im Untergeschoss.........................................................63 Wieder in de Folterkammer....................................129
Alriks Befreiung............................................................73 Weinkeller.................................................................133
Auf der Suche................................................................76 Nachspiel.....................................................................138

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Personen
Der Erzähler / Meister Michael Dahms

Die Helden
Frumol Pellocke Streuner Andreas Bruns
Ingalf Wedmannsson Thorwaler Helmut Hochheimer, Ludwig Hartmann,
Rüüüdscher (Rüdiger Ellinghaus)
Randirion ya Calmatin Stutzer Kai Rosenthal, Marc Jürgensen, Ludwig
Hartmann, Andreas Wölk
Sephyra Lunor Gauklerin Christian Böttger

Die Meisterpersonen
Der Eremit
Alrik & Seline Die Kinder des Müllerehepaars
Murgol Der Magier der Nacht
Anunt Ribesell Schneidergeselle aus Beilunk

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Von Thalusa nach Khunchom
A chom sind zwei dem geneigten Leser wohlbe-
uf der Küstenstraße von Thalusa nach Khun- Frumol weiß schon gar nicht mehr, wie lange sie
eigentlich schon auf der Suche sind. Und dann, end-
kannte Menschen unterwegs: Frumol und Sephyra. In lich nach unzähligen Stunden - so scheint es - sind sie
der Küstenbrise und dem milden Sonnenschein gehen gefunden: ein Paar passende, schöne Wildlederstiefel-
sie wohlgemut dahin. chen.
Rechts von ihnen befindet sich das blaue Meer. Links Aber Sephyra wäre nicht Sephyra, wenn alles so
von ihnen erstrecken sich Felder und Pinienwälder. einfach wäre: hier stimmt der Preis nicht: "Was? Ihr
Sie sind bereits den zweiten Tag auf dem Weg nach wollt wieviel Silber dafür, guter Mann?" echauffiert sie
Khunchom. Übernachtet haben sie in einem der Gast- sich. "Nein, ausgeschlossen!" ganz entschieden will sie
häuser an der Straße. die Stiefel, "… aber nicht zu diesem Wucherpreis!"
Wie sind die beiden hierher gekommen, und wie hört man sie immer wieder. Mag der Händler auch
kommt es, dass die beiden ein wenig anders aussehen, noch so über seine zahlreichen Sprösslinge und deren
als wir sie von Bord der „Königin von Festum“ her Unterernährung, Gebrechen, Missbildungen sowie
kennen? weitere Familienangehörige klagen, beide wollen das
Geschäft machen.
Sephyra erinnert sich, dass es in der Geschäftigkeit, als
ihr Schiff in Thalusa festgemachte, gar nicht auffiel, Nach einer weiteren Stunde hat Sephyra ihn auf an-
dass die beiden Abenteurer gar nicht an Oberdeck nähernd die Hälfte herunter gehandelt. 'Damit kann
waren, um dem Manöver beizuwohnen. ich leben' sagt sie sich, zieht die neuen Stiefel gleich
an und ergreift Frumols Hand. Und so schlendern sie
Während die Anderen ihre Einkäufe machten,
durch die Stadt, und immer wieder geht Sephyras
schulterten auch Sephyra und Frumol ihre Rucksäcke
Blick stolz nach unten auf ihre Füße und die neuen
und verließen das Schiff. Ihre ersten Schritte waren
Stiefel daran …
schwankend, als hätten sie zuviel getrunken. Lachend
machten sie sich auf den Weg und erkundeten die Ach was ist Thalusa doch für eine aufregende Stadt!
Stadt. Interessantes gab es an allen Ecken zu Frumol denkt gerne an die Zeit zurück, die er mit Se-
bestaunen, so dass die Beiden kaum zum Einkaufen phyra dort verbracht hat. Keine Sorgen, immer ein
kamen. reich gedeckter Tisch, ein sonniger Tag und durch die
Stadt zu spazieren und am Abend ein Würfelspiel bei
Sie kosteten von den leckeren und fremdländischen
einem Becher Wein.
Gerichten, tranken Wein und andere Spezialitäten.
Nachdem sie die "Königin von Festum" verlassen
Sie blieben nie lange an einem Ort, bogen in diese
hatten, tauchten sie in eine fremde Welt ein, die sie
Gasse, Nebenstraße und ruhten sich kurz auf dem
gefangen hielt. Frumol verschwendete keinen Geden-
einen oder anderen Platz aus.
ken mehr an das Schiff. Mit Sephyra an seiner Seite
Es gab hier so vieles zu sehen: die komische Bauweise erkundetet er die Stadt. Sie quartierten sich in einem
der Gebäude mit den weiß getünchten Wänden und Gasthaus ein und lebten in den Tag.
den kleinen Fenstern. Sie bestaunten die Kleidung mit
Neben ihren Einkäufen erkundeten sie auch ein
den gebundenen Turbanen, oft aus schwarzem Stoff -
wenig die Stadt. Der Fürstenpalast in strahlendem
aber auch in anderen Farben.
Weiß mit vergoldeten Gittern vor den Fenstern übte
Bis spät Abends waren sie unterwegs, müde vom un- schon eine besonderen Reiz aus. Ein wenig seltsam
gewohnten Herumlaufen, lenkten aber ihre Schritte war der große Platz vor dem Palast. In allen anderen
nicht zurück zum Schiff. Städten wäre hier ein geschäftiges Treiben, aber in
Die Zeit in Thalusa vergeht für Sephyra wie im Fluge: Thalusa hielt sich jeder Einwohner anscheinend nur
Einkaufen, was und soviel das Herz begehrt. Denn so kurz wie möglich auf dem Platz auf. Ob das wohl
schließlich sind die Finanzen derzeit völlig im grünen an den grimmigen Wachen mit ihren Doppelkhun-
Bereich. chomern vor dem Palasttor lag?
Kurz entschlossen ist Sephyra nun wirklich daran in- Auffällig war noch das vergitterte Loch im Platz, wel-
teressiert, endlich ihre Stiefel zu bekommen, die sie ches von allen Tulamiden gemieden wurde.
beim letzten Aufenthalt nicht erstehen konnte. Daher Frumol leistete sich ein neues, weißes Rüschenhemd
schleift sie Frumol quer durch die Stadt, über alle Ba- und ein zweites, etwas gröberes Leinenhemd. Hinzu
sare, Märkte und in jede Schuster-Hütte, die sie kommt eine Weste und ein Paar leichte Stiefel aus
finden kann. Aber so groß das Angebot auch ist, nichts feinem Leder, welche ihn das warme Klima einfacher
will ihr so richtig zusagen: zu groß, zu klein, zu weit ertragen lassen. Etwas sauberen Stoff vervollständigt

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seinen Besuch beim Tuchhändler, schließlich will er noch eine schöne Wegzehrung mitgegeben, inklusive
nicht eins seiner neuen Hemden wie auf dem einem Krug leichten Weines.
schwarzen Schiff zur Wundversorgung opfern. Sie wollen sich gerade ein wenig im Schatten ent-
Ferner stand ein Besuch beim Barbier und im Bade- spannen, da es zu Mittag doch recht warm wird, als sie
haus an, um seine schulterlangen Haar zu stutzen gewahr werden, dass sie auf der Straße nicht allein
lassen, und sich das Salz der Seereise und den sind: Aus Richtung Thalusa kommt ein Reiter. Unge-
Schmutz des schwarzen Schiffes und den Staub der wöhnlich hier in der Gegend. Und er führt noch ein
Untoten abzuwaschen. Packpferd mit sich.
Ein Besuch bei einem kleinen Waffenhändler war für Frumol hat seinen Rucksack abgesetzt und wollte sich
ihn ein großer Erfolg: Hier erstand er etliche Wurfdol- gerade ein wenig abseits in das spärliche und trockene
che. Auf ein besonderes Angebot ging er ebenfalls Gras fallen lassen.
ohne zu zögern ein: So wurde ihm ein Schultergurt 'Ein Schluck des leckeren Weins ist nach so langem
für die Wurfdolche maßgeschneidert. Da Sephyra und Marsch gar nicht verkehrt.'
er kein festes Ziel hatten, vielen ein paar Tage für die
Als der die Hufe der Pferde hört. Interessiert wendet er
Fertigung gar nicht weiter ins Gewicht.
sich der Straße zu und schaut dem Reiter entgegen.
Des weiteren konnte er sich einen lang ersehnten
Frumol konnte den Reiter während seiner Annä-
Wunsch erfüllen: Ein eigenes Kartenspiel mit handge-
herung schon mustern und ordnet ihn vorerst in die
zeichneten Bildern.
Kategorie 'wohlhabend' ein. Da Sephyra und er nach
Nachdem gut zwei Wochen in Thalusa verstrichen ihrem Aufenthalt in Thalusa auch nicht wie Strauch-
waren, richteten sie sich auf die Weiterreise nach diebe aussahen, war ein wenig Höflichkeit angebracht.
Khunchom ein. Sephyra drängt darauf, nach Khun- Vielleicht spielte oder würfelte dieser gute Mann ja
chom zu reisen, da dies der legendäre Ort der gerne …
Gauklerspiele ist, die gerüchtehalber bald anfangen
Er reitet auf einem Apfelschimmel und führt ein be-
werden. Und da Frumol dem nichts entgegensetzten
ladenes Packpferd am Zügel mit sich.
kann - vor allem weil ihn dieses Ereignis selbst auch
brennend interessiert ist ihr nächstes Ziel klar ge- Beim Näherkommen zügelt der Reiter seine Tiere,
steckt. erhebt sich etwas aus dem Sattel, zieht seinen Hut
und spricht Frumol und Sephyra auf sehr höflichem
So erworben sie noch eine notwendige Dinge wie
Garethi an.
Schlafsäcke, einen Feuerstein, einen Schlauch - prall
gefüllt mit köstlichem Wein - und einige andere Le- "Die Zwölfe und Aves zum Gruße, werte Reisende.
ckereien. Auf weitere Rationen und Tagesverpfle- Verzeiht, versteht Ihr diese Sprache?"
gungen verzichteten sie - schließlich soll es an der "Die Zwölfe zum Gruß, ehrenwerter Herr!" Mit dieser
Küstenstraße ausreichend Gasthäuser und Höfe ge- Floskel ist Frumol auch schon fast am Ende seiner
ben. Etikette angelangt.
"Wir verstehen nicht nur Eure Sprache, sondern spre-
Neue Gefährten chen Sie sogar!" antwortet Frumol mit einem breiten
Die Küstenstraße liegt vor den beiden Wanderern, Lächeln auf den Lippen. Auch er ist froh, einen
welche in guter Stimmung einen Fuß vor den anderen Fremden zu treffen, der 'seine' Sprache beherrscht.
setzen. Frumol pfeift leise vor sich hin und schaut mal Zwar konnte er sich in Thalusa mit Sephyras Hilfe
nach links oder rechts und ist immer wieder vom An- einige Brocken des hiesigen Kauderwelschs aneignen
blick des Meeres begeistert. - Der Großteil dieser Sprache blieb ihm jedoch
Selten zuvor fühlte er sich so frei, so ungebunden. Es verschlossen …
kann kommen was will - er nimmt es mit Humor. Er Der Blick der beiden wandert von den ledernen Reit-
weiß noch nicht, wo er heute Nacht schlafen wird, ob stiefeln mit breiten Stulpen höher, über eine wildle-
in einem Bett, oder im Stall eines Bauernhofes. Es ist derbesetzte schwarze Reithose, und bleibt dann an
ihm auch egal - Sephyra ist bei ihm und gemeinsam Gürtel und Waffenscheiden hängen, denn die aus
streben sie auf Khunchom zu, wo sich die Gaukler letzteren herausragenden Griffe des Rapiers und der
treffen werden. Linkhand scheinen betont passend zueinander
Man - das wir ein Fest! gefertigt worden zu sein. Abgelenkt wird der Blick von
dem Griff einer Schusswaffe, der aus einem Futteral
An einem netten Plätzchen machen die beiden Mit-
am Sattel ragt und auf dem leicht die schlanken, in
tagsrast. Die Bäuerin/Gutsherrin/Dienerin - so genau
weichen ledernen Reithandschuhen steckenden Finger
war das bei der zurückhaltenden schönen Frau, die
des Reiters ruhen, um sich dann über sein lang-
kein Wort sprach, nicht auszumachen - hatte ihnen
armiges grünes Wams, welches verschwenderisch mit
goldenen Borten und Knöpfen verziert ist, sowie einen
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über die Schulter gebundenen Ärmelrock gleicher Etwas kritisch beäugt Frumol den Fremden. 'Wie der
Machart und schließlich den breiten Spitzenkragen sich aufführt! Und immer das 'Herr Pellocke' - wie das
eines Seidenhemds dem Haupt des Reiters zuzu- klingt!' Er ist schon versucht, ihm das 'Frumol' anzu-
wenden. Unter dem schwarzen, säuberlich im Nacken bieten - doch weiß er nicht, ob sich das in den feinen
zusammengebundenen Haar blitzen grüne Augen un- Kreisen gehört. Somit nimmt er vorerst mit dem 'Herr
ternehmungslustig, und die glatt rasierten Züge Pellocke' vorlieb.
formen sich zu einem freundlichen Lächeln. Weiteres wird sich später ergeben.
'Eine imposante Erscheinung' macht sich Frumol Frumol hat aber keine Lust gleich weiter zu mar-
einen Gedanken. 'Er scheint etwas Geld zu haben. Ob schieren - So hat es den Anschein, denn der Reiter
er die Waffen zur Zierde trägt?' macht keine Anstalten von seinem Ross zu steigen.
"Ah, wie angenehm und überaus glücklich dieses Zu- Seine Füße habe sich eine Pause verdient.
sammentreffen doch ist. Gestattet, dass ich mich vor-
"Wir waren gerade im Begriff eine Rast einzulegen.
stelle: Cavaliere Randirion ya Calmatin."
Ihr müsst wissen, dass es sich in der Mittagshitze
Mit einer selbst im Sattel formvollendeten Bewegung schlecht reisen lässt. Gesellt Euch zu uns und trinkt
zieht der Kavaliere noch einmal seinen breitkrem- einen Becher Wein mit uns, während wir die prächtige
pigen Hut mit der buschigen Feder, und führt ihn vor Aussicht auf das Meer genießen."
die Brust.
"Ah, diese Einladung nehme ich gerne an. Ich habe
Frumol kommt es gar nicht in den Sinn, solche äf- allerdings nur noch ein paar Früchte und etwas
fische Vorstellung auf eine ebensolche Weise zu er- Wasser, das ich zu diesem Anlass beisteuern kann, so
widern. Und was für einen Namen der trägt: 'Kavaljä- dass ich mich in Eurer Schuld fühle. Darf ich als
re Randirijon ja Kalmatien' Das klingt fast wie die kleinen Ausgleich die Dame und den Herrn im nächs-
hiesige Sprache. ten Gasthof zum Diner einladen?"
"Da wir ja scheinbar in dieselbe Richtung ziehen, Mit einem Seufzer fügt er hinzu: "Oder zu dem, was
dürfte ich um die Ehre und die Freundlichkeit bitten, man hierzulande darunter versteht …"
mir den Genuss Eurer Gesellschaft zuteil werden
'Das kling doch schon besser.' denkt Frumol. "Zu
lassen? Meine Zunge, die sich als den unbarmher-
freundlich. Dagegen können wir nichts einwenden."
zigen Lauten des Tulamidischen nicht gewachsen
ergänzt er.
erwiesen hat, dürstet es nach einer Unterhaltung in
einer Sprache der sie mächtig ist. Einer Unterhaltung, "Dann sei dies abgemacht, und mein Gewissen fühlt
die aus mehr als dem unwürdigen Feilschen um sich schon besser."
Lebensmittel besteht und mehr als das Aufzählen von Er bindet die Pferde an, und holt aus einem Beutel an
erfundenen verhungernden Kindern zum Thema hat. seinem Sattel ein paar Früchte und einen
Würdet Ihr mir diese Gefälligkeit erweisen?" Wasserschlauch.
Freundlich lächelt er den Reiter an: "Mein Name ist "Um auf Ihre Frage nach meiner Herkunft zurückzu-
Frumol Pellocke. Und meine liebe Begleiterin heißt kommen, ja, ich bin schon einige Meilen unterwegs,
Sephyra Lunor. Eure Gesellschaft wird sicher allerdings bis Thalusa mit dem Schiff. Leider hat der
angenehm. Ihr scheint von weit her zu kommen." Kapitän schon dort, anstatt erst in Khunchom,
Randirion schwingt sich aus dem Sattel, und macht beschlossen, dass er genügend Ware eingekauft habe,
eine weitere Verbeugung. und den Heimweg anzutreten beabsichtigte. So muss-
te ich wohl oder übel in Thalusa von Bord gehen.
"Ich bin erfreut, Eure Bekanntschaft machen zu
dürfen, Herr Pellocke. Und die Eurer entzückenden Ah, Pardon, ich stamme übrigens aus Bethana im Al-
Begleitung rettet mir gar den Tag vollends." ten Reiche.
Er nimmt Sephyras freie Hand in die seine und gibt Einen Pfirsich, meine Dame?
dem Handrücken einen gehauchten Kuss. Herr Pellocke, Ihr vielleicht?"
Leicht erröten ihre Wangen und sie entzieht die Hand "Gerne." antwortet Frumol und greift zu. Er greift im
schnell dem Griff von Randirion - mit formvollendeter Gegenzug nach dem Weinschlauch und kramt ihre
Eleganz, versteht sich. eigenen Becher hervor.
'So was!' "Würdet Ihr mir Euren Becher reichen, Herr Kavaljä-
"Wir sind hocherfreut." bringt Sephyra heraus. re? Dann würde ich Euch einschenken." Frumols
Ausdrucksweise ist etwas plump.
Sie setzt sich dann neben Frumol und nimmt den
Weinbecher entgegen, trinkt aber nur angemessen Innerlich schmunzelnd geht der Cavalliere zum Pack-
kleine Schlucke - ob der Hitze erscheint das klug … pferd und kramt in einer der dort befestigten Reiseta-

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schen, bis er nach einigem Suchen schließlich einen wichtige Aufgabe zu erledigen hatten. Wir verlebten
fein verzierten Zinnbecher zum Vorschein bringt. eine schöne Zeit in dieser aufregenden Stadt." erzählt
Diesen reicht er mit einer angedeuteten Verbeugung er weiter und krempelt seine Ärmel hoch. Dann
Frumol, bevor er sich mit Blick auf Meer neben die ergreift er seinen Becher und prostet den beiden zu,
beiden auf den Boden setzt - möglichst auf eine nur bevor er einen Schluck des Weins trinkt.
wenig staubige Stelle. "Jetzt sind wir auf dem Weg nach Khunchom. Dort
'Warum verbeugt sich der Kerl bloß immer? Hier ist soll in Kürze wieder das große Fest der Gaukler statt-
doch nichts weiter.' fragt sich Frumol. 'Oder will er da- finden. Dorthin sollen uns die Füße tragen." ergänzt
mit etwas bestimmtes zum Ausdruck bringen?' er.
Vorsichtig schenkt er dem Fremden ein und füllt da- "Das Fest der Gaukler? Vergebt, was ist dies?"
nach ihre eigenen, hölzernen Becher. Nachdem er den Randirion wirkt ehrlich interessiert.
Weinschlauch wieder verkorkt und in den Schatten 'Vielleicht sollte ich mir das auch mal ansehen, das
gelegt hat, reicht er Sephyra einen der Becher. wird bestimmt spannend …'
"Ein wundervolles Fleckchen Dere, mit einer wirklich Jetzt verschluckt sich Frumol fast an seinem Wein.
herrlichen Aussicht habt Ihr ausgesucht; und in der Wie gut, dass er eben das Hemd hochgekrempelt hat,
Tat, der Schatten tut gut …" sonst wäre der blutrote Tropfen auf eben dieses
"Ja, da habt ihr recht. Nicht so feucht und kalt wie in gefallen und nicht auf seinen blanken Unterarm. Wie
Havena - Obwohl die Hitze hier ziemlich träge seine Mutter damals immer schimpfte, wenn er sich
macht." plaudert er drauf los. schmutzig gemacht hatte. Und was er sich anhören
"Havena? Stammt Ihr aus dieser Stadt?" musste, wenn er mit zerrissener Hose nach Hause
kam!
Randirion sieht sich besorgt nach seinen Pferden um -
ein bisschen Schatten haben sie ja auch, aber gibt es 'Das Fest der Gaukler - was ist daran so schwer zu ver-
hier irgendwo Wasser für die Armen? stehen? Ein Fest, eine Zusammenkunft auf der gefei-
ert wird - nicht von irgendwelchen Handwerken,
In Blickweite gibt es keinen Bach oder Teich. Ein
nicht von Kämpfern oder Söldnern, nicht von Ge-
Glück, dass auf dem Rücken des Packpferdes zwei
lehrten - Nein, von Gauklern.' Frumol ist sich nicht
Wasserschläuche befestigt sind.
ganz sicher, was er davon halten soll und überlegt, ob
'Die werde ich gleich mal tränken - nicht jetzt, man er überhaupt weiter darauf eingehen soll …
soll Pferde nicht direkt nach der Anstrengung tränken,
"Ja, ich komme aus Havena." antwortet er um eine
aber in einer halben Stunde …'
peinliche Pause zu überbrücken. "Was stellt ihr Euch
Randirion kostet - nach einem kurzen Heben des Be- denn unter so einem Fest vor, Herr Kavaljäre?"
chers in Richtung seiner Gastgeber - sehr vorsichtig
Randirion denkt nach.
den Wein. 'Na, ein Yaquirtaler wird es ja hier wohl
nicht sein, mal probieren …' "Das, Herr Pellocke, hängt doch nun sehr von den
Feiernden und den Gegebenheiten ab, oder? Ohne es
Der rote Wein ist deutlich schwerer und süßer, als es
in allen Fällen aus eigener Erfahrung zu wissen, gehe
Randirion gewöhnt ist.
ich davon aus, das der Kronball in Vinsalt, ein Hexen-
… was zu einem Heben der Augenbrauen führt. fest im Finsterwald, ein Elfenfest, eine Zwergenfeier,
"Mmhmmhmmhmm. Ein sehr - ähm - voll- ein Stammesfest bei den Mohas oder ein Gelage bei
mundiger Tropfen. Stammt er aus dieser den Thorwalern jeweils sehr unterschiedlich sind."
Gegend hier?" Randirion nippt vorsichtig an seinem Wein und legt
'Thalusaner Rotwein meiden! Merken.' die Beine auf einen Stein, während er sich an einen
Randirion wird von jetzt an nur noch sehr kleine Baumstamm lehnt.
Schlückchen nehmen. "Da aber Feiern in aller Regel ein äußerst amüsanter
"Ich denke schon. Unsere Wirtin gab ihn uns zum Ab- Zeitvertreib ist, bin ich sehr interessiert und willens,
schied mit. Ein leckerer Tropfen nicht wahr?". Bei mir dieses Fest der Gaukler anzusehen - falls mir dies
diesen Worten muss er an Uribert denken, von dem sie gestattet ist."
sich nun nicht einmal mehr verabschiedet haben. "Daher meine Frage … dürfen nur Gaukler anwesend
Etwas missmutig und voller Schuldgefühle starrt er in sein? Wenn dem so wäre, müsste ich schließen, dass
seinen Becher. auch Ihr zum ehrenhaften fahrenden Volk gezählt
werden würdet. Wenn dies aber nicht der Fall ist, und
"Und, wo begann der Weg, der Euch hierher führte?
ein Jeder mitfeiern darf, wird es dennoch Regeln ge-
Und wisst Ihr schon, wohin er Euch bringen wird?"
ben, ungeschriebene vielleicht, aber nichtsdestotrotz
"Auch unser Weg führte mit dem Schiff nach Thalusa, wichtige. Regeln, die eben den Unterschied machen
wo wir einige Bekannte verließen, die noch eine
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zwischen dem Kronball und einem Thorwaler Ge- Seine Gedanken schweifen ab und beschäftigen sich
lage." intensiv mit seiner Freundin. Bei ihrer ersten Begeg-
Randirion scheint kurz nachzudenken. nung erzählte sie von merkwürdigen Dingen und Ko-
bolden. Mittlerweile hat er viele Wesen kennengelernt,
"Ein Gauklerfest - nun, ich stelle mir vor, dass es auf
welche er vorher nur für Märchen hielt … Da steckt
jeden Fall Spaß machen dürfte … Bestimmt gibt es
mehr dahinter, das weiß er. Doch er drängt nicht auf
Feuerspeier an jeder Ecke, Akrobaten, die überall her-
sie ein, sondern genießt jeden Tag mit ihr an seiner
umturnen, Zelte mit Wahrsagern und Kartenlegern
Seite.
…"
Der Pfirsichkern holt seine Gedanken wieder in die
"Wart Ihr bei schon einmal bei diesem Gauklerfest,
Gegenwart. Das ganze Fleisch ist abgenagt. Achtlos
Herr Pellocke? Oder Ihr, Madame Lunor? Würde es
wirft er den Stein beiseite.
Euch etwas ausmachen, mir davon zu erzählen, damit
ich mir ein besseres Bild machen kann?" "Noch einen Schluck Wein?" bietet er den Schlauch
zuerst dem Gast, dann Sephyra an. "Vielleicht im
Randirion lauscht gebannt …
Tausch gegen einen Pfirsich", fügt er augenzwinkernd
"Ihr habt sicher recht mit Euren Überlegungen, Herr in Richtung des Kavaliere hinzu.
Kavaljäre", da sein Gegenüber ständig eine förmliche
"Habt Dank, doch noch ist mein Becher nicht mal zur
Anrede benutzt, tut Frumol es ihm gleich. Er dreht
Hälfte leer."
den Pfirsich in seiner Hand, beißt schließlich hinein.
'Zu Hause gab es sowas nur selten. Meine Schwester Randirion hat etwas Respekt vor diesem schweren
ekelte sich immer vor dieser pelzigen Haut. Ganz Wein - da muss man vorsichtig sein.
pingelig musste immer alles geschält werden.' erinnert "Aber nehmt Euch noch von den Früchten, Herr Pel-
er sich. Süß schmeckt der Pfirsich. locke."
"Lecker." kommentiert Frumol den Geschmack. lang- Auf solch eine Aussage hat Frumol nur gewartet und
sam beißt er sich um den Stein herum und wischt sich greift ungeniert erneut zu. Da Sephyra bisher auch
den Mund mit dem Handrücken ab. nur an dem Wein nippte, legt er den Weinschlauch
"Ich schätze, dass das Gauklerfest so etwas wie ein wieder in den Schatten.
großer Jahrmarkt ist. Wie ihr schon bemerktet, mit Wieder beißt er in einen leckeren Pfirsich und spürt,
Akrobaten, Feuerspuckern und anderen Darstellern. wie ihn die Haut am Gaumen und auf der Zunge
Vielleicht auch Löwenbezwinger und eine Schlangen- kitzelt.
frau. Wer weiß das schon." Er macht eine Pause, um "Seit ihr schon weit herum gekommen?" fragt er. Er
noch einmal vom Pfirsich abzubeißen. selbst ist offensichtlich kaum älter als sein Gegenüber.
"Aber wie kommt ihr zu der Annahme, es dürften nur "Wo liegt Eure Heimat, Herr Kavaljäre?"
Gaukler daran teilnehmen? Wem sollen denn dann "Ihr stammt aus Havena, nicht wahr? Ich selbst kom-
die Kunststücke vorgeführt werden? Das klingt mir me aus dem schönen Bethana im Alten Reiche."
wenig plausibel. Ihr wart doch sicher schon einmal auf
Vom Alten Reich hat Frumol schon einmal etwas ge-
einem Jahrmarkt, oder, Herr Kavaljäre? Wen habt ihr
hört. Bethana hingegen ist ihm nicht wirklich ein Be-
denn dort alles gesehen? Ich denke, Ihr mach Euch
griff. Haben Seeleute einmal davon gesprochen?
grundlos Sorgen."
'Warum muss er sich ständig wiederholen? Ich habe
"Vielmals Dank für diese Beruhigung, Herr Pellocke.
doch schon gesagt, dass ich aus Havena komme.'
Fremde Länder - fremde Sitten; daher wollte ich kein
wundert sich Frumol.
Missfallen erregen."
Randirion beißt in seinen Pfirsich, erfolgreich
Für einen Augenblick konnte man Unsicherheit hin-
vermeidend, auch nur einen Spritzer Saft abzu-
ter dem Gehabe des weltgewandten Adligen erkennen,
kriegen.
und scheinbar zum ersten Mal fällt Frumol und Se-
phyra auf, wie jung Randirion eigentlich ist: er kann "Herum gekommen - hmm, eigentlich bisher nur
allerhöchstens 19 Götterläufe zählen. wenig. Wisst Ihr, ich beginne gerade erst, mir die Welt
anzusehen …"
Frumol ist sich nicht sicher, ob er erzählen soll, dass
Sephyra dieser Zunft angehört. Nie wieder hat sie mit Randirion bekommt einen verträumten Gesichtsaus-
ihm über den Vorfall in der Kajüte gesprochen. Es ist druck.
ihm auch egal, was sie für ein Geheimnis hütet. Wenn "Fremde Länder zu sehen, mit fernen Völkern zu
sie es für richtig hält, wird sie es ihm anvertrauen. sprechen und dann denen daheim davon berichten zu
Aber er ist ein wenig unsicher, was er erzählen kann. können …"
Sicher - seine Lippen sind verschlossen, aber wenn er Seine Augen glitzern vor Begeisterung.
nun doch was falsches sagt?

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"Und woher stammt Ihr, Frau Lunor?" versucht er, Se- Randirion hebt freundlich sein Glas in Sephyras Rich-
phyra in das Gespräch miteinzubeziehen. tung.
Sephyra erscheint abwesend, sie starrt einfach gerade- Sephyra übergeht die Schmeicheleien des Kawaljere
aus in die Landschaft. Offensichtlich geht ihr etwas einfach, auch sie lächelt und prostet mit dem mitt-
im Kopf herum. lerweile leeren Becher dem anderen zu.
'Ahrg, Männer! Plappern einfach nur so, als hörten sie Frumol hört den Ausführen interessiert zu. Er muss
sich gern reden!' dem Fremden zugestehen, dass dessen Ausführung
"Ist Bethana eine Stadt?" fragt er. Frumol ist sich nicht einleuchtend sind. Aber schließlich musste er, Frumol
bewusst, dass seine Gegenfrage unhöflich sein könnte, - welcher in den Gassen der Städte zu Hause war, be-
da Sephyra angesprochen wurde. vor er sein Glück in der Ferne suchte - sich bisher
nicht mit diesen Dingen beschäftigen.
"Wenn ihr noch weit herum kommen wollt, solltet ihr
Euch von Orks fernhalten" murmelt er leise. Vielleicht Allerdings verengen sich seine Augen bei dem letzten
mehr zu sich selbst als zu dem Fremden. Satz. Ein Schatten überzieht kurz sein bisher fröhli-
ches Gesicht. 'Domna Sephyra' Frumol kennt zwar
Mit einem Mal ist sie gedanklich wieder bei den
nicht die Bedeutung des Wortes 'Domna', aber ihm ist
beiden anderen und meint: "Äh, Entschuldigung. Bin
nicht die vertraute Anrede entgangen. Er hat sie zwar
gleich wieder da!" Damit steht sie auf, verschwindet
mit vollem Namen vorgestellt, aber bisher wurde viel
im Gebüsch und ist für ein paar Minuten außer Sicht.
Wert Herr Pellocke und Frau Lunor gelegt - den Sitten
Frumol schaut ihr noch kurz hinterher und widmet der Vornehmen entsprechend.
sich dann wieder dem Pfirsich, den er schon die ganze
'Woher kommt der plötzliche Wandel?' überlegt er,
Zeit über in der Hand hält. Nicht dass der feine Herr
wobei ihm auch der letzte Halbsatz missfällt.
noch den Eindruck bekommt, Frumol möge seine
Früchte nicht. 'Ich glaube, ich schenke uns nicht noch mehr ein.' Er
lächelt Sephyra zu und lehnt sich gemütlich zurück.
Als sie zurückkehrt, setzt sie sich wieder auf ihren
Wenn sie alleine wären, würde er gerne seinen Kopf in
Platz, trinkt einen Schluck Wein aus dem Becher, den
ihren Schoss legen, aber das schickt sich jetzt nicht.
sie stehen gelassen hatte und fragt: "Herr - ähh - Ka-
waljere war der Name, richtig? Also, Herr Kawaljere, Während die drei so daher plaudern und versuchen,
wo ist eigentlich Euer Knappe? Durchlauchtigkeiten sich gegenseitig "auszuhorchen", kommt, zunächst
wie die Eure fahren doch für gewöhnlich nicht ohne, unbemerkt von den dreien, eine große Gestalt die
ist es nicht so?" Straße herauf. Ein Hüne nicht gerade, aber groß
genug, um Eindruck zu schinden. Vor allem in Kom-
Dabei kann sie sich ein Grinsen kaum verkneifen und
bination mit seinen, für einen jungen Burschen wie
zwinkert Frumol kaum merklich zu, darauf achtend,
ihn durchaus beachtlichen, Muskeln. Die blonden
dass dieser es auch mitbekommt.
Haare hängen in 2 Zöpfen mit eingeflochtenen roten
Nun kann sich Frumol ein Schmunzeln nicht ver- Bändern über die Schultern, der Bart, noch recht flau-
kneifen. 'Neckisch ist sie. Aber sie hat Recht. Wo ist mig, ist gegabelt. Die Arme werden an den Oberar-
nur der Knappe?' Glücklicherweise kann er noch ein- men und den Handgelenken von Metallreifen geziert,
mal in die süße Frucht beißen, bevor der Herr Kaval- die Fellweste gibt den Blick auf die noch spärlich be-
järe seine Belustigung mitbekommt. Feine Leute füh- haarte Brust frei. Der rechte Arm ist von Schulter bis
len sich schnell angegriffen. So nimmt er noch schnell Handgelenk mit komplizierten Knotenmustern in
einen Schluck Wein hinterher. Blau und Schwarz verziert, den linken Oberarm ziert
Die Antwort erwartend lehnt sie sich zurück an einen eine weitere Tätowierung, die noch nicht zu erkennen
Baumstamm und trinkt langsam ihren Becher Wein ist.
aus. Im breiten Gürtel steckt gut sichtbar eine kleine Axt,
Randirion lächelt. eine große Streitaxt liegt locker über der rechten
"Ein Knappe? Ich bitte Euch, meine Dame, ein Schulter, über der linken liegt der Gurt eines großen
Knappe braucht nur derjenige, der in Eisen gerüstet Seesacks.
durch die Lande reist und aufgrund seiner Kübelrüs- Als der Wanderer die drei entdeckt, bleibt er einen
tung nicht in der Lage ist, allein auf sein Ross zu kleinen Moment stehen und runzelt die Stirn, dann
steigen - ganz zu schweigen davon, sich allein wieder hellt sich seine Miene beim Anblick der beiden Pferde
aus seiner Schale befreien zu können. Nein, Domna auf und er tritt auf die drei zu.
Sephyra, ich habe einen Knappen genau so wenig nö- "Na, wenn dat nich der feine Herr mit seine 2 Hotties
tig wie Ihr einen Schönheitszauber - weshalb wir auch is'", dröhnt er schon aus einigen Metern Entfernung.
beide darauf verzichten können."

12
Randirion stutzt. Sollte er diesen - "Herrn" - kennen? Den angebotenen Weinschlauch lehnt er mit einem
Sicherheitshalber zieht er den Hut und nickt grüßend leichten Kopfschütteln ab, schließlich ist sein Becher
in die Richtung des Neuankömmlings. noch nicht leer. Diesen hebt er nun zum Mund und
"Ebenfalls die Zwölfe zum Gruße." trinkt einen Schluck - abwartend, wie sich das
Gespräch der beiden entwickelt. Deswegen verzichtet
'Kenne ich ihn vielleicht vom Schiff? Ich bin mir si-
er auch auf eine Vorstellung. Die kann ja der feine
cher, dass wir einander nicht vorgestellt wurden. DAS
Herr Kavaljäre übernehmen …
hätte ich bestimmt nicht vergessen …'
'Warum sollte sich jemand Vornehmes wie der Kaval-
"Swafnir zum Gruße, ihr 3, und die 12 gleich mit. das
järe mit einem Seemann wie Ingalf abgeben? Oder ist
ist ein Zufall, dass ich den da wiedersehe, das wohl!
der Herr Kavaljäre gar nicht so vornehmen?' überlegt
Kennt ihr euch schon länger? Wo wollt ihr denn hin?
er weiter.
Habt ihr noch was zu trinken?" sprudelt es hervor,
während der große Mensch seine Trinkflasche vom An Frumol: "Hast du noch etwas Wasser für mich,
Gürtel löst und Anstalten macht, sich dazuzugesellen. Liebster? Mich dürstet." ahmt sie die Sprache des
anderen nach. 'Lächerlich, einfach lächerlich', denkt
'Noch so ein Plappermaul!' stöhnt Sephyra innerlich,
sie dabei.
lässt sich aber nichts anmerken und schaut lediglich
mäßig interessiert auf. Gerade lange genug, um die Ihre Betonung auf Frumols Ansprache sollte den
Gestalt zu mustern, die sich da nähert und Anstalten beiden "Neuzugängen" nicht entgangen sein. 'Na, das
macht, Platz zu nehmen. 'Aber soll der Kawaljere müsste doch deutlich genug gewesen sein, sollte der
doch sprechen, der redet sowieso am liebsten …' Kawaljere wirklich die Bildung haben, die er vorgibt!'
denkt sie sich.
Freundlich lächelnd neigt sie den Kopf leicht zu
Gruße, sagt aber nichts. Frumol war ganz auf den Neuankömmling fixiert und
wird nun von Sephyras Worten in das Hier und Jetzt
Frumol mustert den Fremden interessiert. Bisher
zurückgerufen. Gerade noch kann er eine her-
hatten sie auf der Küstenstraße kaum einen weiteren
abfallende Kinnlade verhindern - so hat ihn Sephyra
Reisenden getroffen, und nun sind es in kürzester Zeit
bisher noch nie angesprochen.
gleich Zwei! 'Ob hier wohl ein Gasthaus in un-
mittelbarer Nähe ist?' drängt sich der Gedanke auf. Nach einem kurzen Zögern - er muss diese Sache erst
verdauen - antwortet er: "Aber sicher doch, Liebste!"
Er beißt noch ein letztes Mal in seinen Pfirsich, um
Rasch stellt er seinen Becher ab und greift nach dem
nicht antworten zu müssen. Soll der feine Herr Kaval-
Weinschlauch im Schatten. Mit einer angedeuteten
järe dies doch tun. Das lenkt ihn auf jeden Fall von
Verbeugung gießt er ihr langsam den Wein ein.
Sephyra ab …
Noch bevor Frumol zu Gießen anfängt: "Äh, Frumol,
"Bei Rahjas Zitzen, so guckt 'nen feiner Mann sich
bitte Wasser, der Wein ist mir bei dem Wetter etwas zu
also die Leutchens an, die um ihn 'rum schuften."
schwer." antwortet Sephyra.
Ob der Frechheit ist Kavaliere Randirion ya Calmatin
"Sehr wohl, Gnädigste" antwortet dieser mit ernstem
erst einmal völlig sprachlos.
Gesicht und verschließt den Weinschlauch wieder.
Aber nur kurz, dann beschließt er, diesen Blasphemie Dann schaut er sich suchend nach dem
zu ignorieren. Wasserschlauch um. Er findet ihn unter einem Ruck-
Er verbeugt sich übertrieben höflich und zieht dabei sack begraben.
einen imaginären Hut. "Ingalf Wedmansson, See- Vorsichtig zieht er ihn hervor und schenkt Sephyra
mann, Bootsführer, Faust- und Axtkämpfer, Saufkum- ein. "Wohl bekommt's" wünscht er.
pan und Bilderstecher in einem. - Mann, hab ich nen
Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen wendet er
Brand." Er nimmt einen Zug aus seiner Feldflasche,
sich an die beiden anderen Herren: "Ihr noch einen
verzieht angewidert das Gesicht "Wuah, warmes
Schluck Wein, Herr Kavaljäre? Oder Ihr Herr See-
Wasser, zum Abgewöhnen!", befestigt sie wieder am
mann?"
Gürtel, legt seinen Seesack zu Boden und entnimmt
ihm einen Weinschlauch. "Mal sehen, was die hier so "Och nö, Wasser trinken wemman Wein hat, was ne
können." Er schüttet sich einen guten Schluck in den Verschwendung! Nachher geht'r noch umm." Ingalf
Mund, prüft kurz, nimmt einen zweiten und urteilt: nimmt noch einen Schluck aus seinem Weinschlauch.
"Trinkbar!" und bietet den Schlauch den anderen an. "Un', ihr Turteltäubchen, wat macht ihr hier? Der
feine Herr will bestimmt die Familiengüter
'Die scheinen sich zu kennen' stellt Frumol fest. Ihm
besichtigen, wa?" meint er mit einem schmunzelnden
soll es recht sein, so kann er sich ein wenig zurückhal-
Zuprosten zum Kavaljäre.
ten. Das Gespräch mit vornehmen Personen ist ganz
schön anstrengend. "Au contraire - ich reise der Bildung wegen in die
Fremde. Und Ihr, Herr Wedmansson?"

13
Randirion übernimmt die Vorstellung, nachdem er ja Frumol ist überrascht, wie schnell die Zeit vergangen
neuerdings Herrn Wedmansson kennt … ist. Die Luft ist angenehm, nicht zu warm zum Wei-
"Darf ich übrigens vorstellen? Herr Ingalf Wed- terwandern.
mansson, der scheinbar auf demselben Schiff wie ich Randirion tränkt noch schnell die Pferde mit dem
gereist ist. Frau Sephyra Lunor und Herr Frumol Pel- Wasser vom Packsattel.
locke, die die Freundlichkeit hatten, Ihren Wein mit "Würde es Euer Vorwärtskommen nicht erleichtern,
mir zu teilen." wenn Ihr Eure Rucksäcke auf dem Braunen dort
Langsam klingen Frumol die Ohren von den hochge- befestigen würdet?" bietet Randirion an.
stochenen Ausrücken und den fremdartigen Worten. Gerne nimmt Frumol dies Angebot an und lässt sei-
Er verliert ebenfalls die Lust an diesem Spiel, und nen Rucksack aufladen.
würde jetzt gerne einfach weiterziehen, doch Sephyra
Wenn die Gefährten einwilligen, wird ihr Gepäck auf
hat noch einen vollen Becher Quellwasser, so dass er
dem Packpferd verstaut, dieses aber nicht überladen.
sich in Geduld fasst.
Randirion wird im weiteren zu Fuß gehen, und das
Der Seemann hingegen scheint viel umgänglicher zu Reitpferd am Zügel führen.
sein als der feine Herr.
"Herr Pellocke, würdet Ihr wohl den Braunen am
Woher die beiden sich nur kennen? Könnte der See- Zügel nehmen? Ein Pferd an jeder Hand ist doch
mann so etwas wie ein Diener sein? Nein, dann dem Gespräche hinderlich …"
würde der fein Herr anders mit ihm sprechen.
"Äh, ja, gern." antwortet Frumol, obwohl er kaum
Vielleicht ein Verwandter eines Dieners?
Erfahrung mit Pferden hat.
"Wir sind auf dem Weg nach Khunchom" antwortet
Damals, vor über einem Jahr, hatte er ein Packpferd
Frumol, der die Frage von Ingalf - solche Anrede ist
über den Pass zu führen. Das war in dem Treck, der
Frumol viel sympathischer - nicht überhören möchte.
Rast an diesem merkwürdigen Rasthaus machte. Der
"Zum dortigen Gauklerfest", fügt er erklärend hinzu.
Name hat sich auf ewig in seinem Kopf eingebrannt:
"Hmm, Gauklerfest," Ingalf nimmt noch einen tiefen "Wirtshaus zum schwarzen Keiler". Obwohl dies der
Zug, "Gauklerfest klingt gut. Wenn jemand außer uns Beginn für den gemeinsamen Weg mit Sephyra war,
Thorwalern Feste zu feiern weiß, dann werden es denkt er nur ungern an die Kellergewölbe und darin
wohl die Gaukler sein. Das klingt wie eine Zeit und verborgenen Gefahren zurück … Ob das Haus noch
ein Ort, an dem ich sein will." Er hebt seinen Wein- existiert? Ob es dort noch Silber gibt?
schlauch zum Toast. "Abgemacht, wir gehen nach
Seine Gedanken kehren zu dem Pferd zurück. Lang-
Khunchom zum Gauklerfest!"
sam nähert er sich ihm von vorn und streicht ihm vor-
'Ein Thorwaler - ich habe es befürchtet', Frumol muss sichtig über die Nase. 'Wir groß Pferde doch sind' be-
seufzen. Ihm fallen all die Dinge ein, die er über merkt er wieder. "Sei artig, dann bekommst Du heute
diesen Menschenschlag gehört - aber auch gesehen Abend leckeren Hafer" verspricht er dem Pferd. Hof-
hat. Sie sollen unerschrockene Seefahrer sein in ihren fentlich erfüllt sich sein Wunsch.
merkwürdigen Schiffen - Langboote nennen sie sie
Das Pferd ist offensichtlich friedlich. Es lässt sich gern
wohl. An Land jedoch kennen sie kaum etwas anderes
streicheln und schnaubt dabei freundlich.
als Saufen und Prügeln. In den Hafenschänken Ha-
venas waren sie unbeliebte Gäste, denn der Wirt durf- "Oh Mann, dem Gespräche, was ne Sprache du hast!
te nach solch einem Saufgelage meistens die Schänke Aber gut is die Idee trotzdem." Er nimmt seinen See-
schließen und den nächsten Tischler aufsuchen, um sack, geht damit zum Packpferd und zurrt ihn fach-
ihn mit neuem Inventar zu beauftragen. männisch auf dem Packsattel fest. Dann schultert er
seine Axt und guckt die anderen erwartungsvoll an. In
"Ja, tun wir das." antwortet Sephyra. Sie trinkt ihren
einer Hand den Weinschlauch, in der anderen die Axt
Becher mit dem Wasser aus und verstaut ihn danach
marschiert Ingalf die Straße entlang, und, wenn die
im Rucksack. Dann macht sie sich reisefertig. "Warten
anderen ihn lassen, erzählt er davon, wie toll er täto-
wir noch die Mittagshitze ab und brechen später auf
wieren kann, wie bald er sein eigenes Langboot haben
oder machen wir uns gleich auf den Weg?" fragt sie in
wird, was für ein mutiger und geschickter Krieger er
die Runde.
ist und wie überhaupt alle Mädchen seiner Otta ihm
Als Sephyra nach der Sonne schaut, bemerkt sie, dass schöne Augen gemacht haben; mit anderen Worten, er
die Gruppe doch länger Rast gemacht hat als geplant. gibt an wie 10 nackte Mohas.
Außerdem stellen alle fest, dass ein leichter Wind auf-
Frumol geht still neben dem Pferd her - es ist nicht
kommt, so dass es nicht zu warm zum Weiterwandern
ganz klar, wer hier wen führt. Er lauscht den Gesprä-
sein sollte.
chen und Angebereien der anderen, hängt dabei sei-
nen eigenen Gedanken nach.

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Was ist dies doch bloß für ein zusammengewürfelter Er hat sicher schon viel von Dere gesehen. Mit ihm
Haufen? Das ist der vermeintlich adelige Bursche, der wird der Weg sicher spaßig werden, auch wenn
sich selbst so gern geschwollen reden hört. Frumol Frumol sich vornimmt, nicht die Hälfte von dem zu
könnte versuchen, ihn heute Abend beim Würfelspiel glauben, was er sagt.
etwas zu erleichtern, der Bursche scheint genug Geld Und dann ist da noch die hübsche Gauklerin mit ih-
zu haben. Ansonsten sicher seine Eltern - darauf deu- rem dunklen Geheimnis.
tet doch auch schon sein Name hin: Kavaljäre. Und
Und der Streuner. Wie haben die beiden es nur wieder
die beiden Pferde.
geschafft, das gemeinsame Ziel vorzugeben? Die
Dann dieser Seefahrer. Er trinkt schon die ganze Zeit beiden fremden Reisenden haben, ohne zu zögern, das
über aus dem Weinschlauch. Nun gut, die Sonne Gauklerfest angenommen, obwohl sie weder gefragt
brennt nicht gerade erbarmungslos auf die Reisenden wurden und sicher auch eigene Ziele hatten!
herab, aber trotzdem. Er erinnert Frumol ein wenig an
Immer wieder wirft er einen Blick zu Sephyra und lä-
Uribert: Groß und ungestüm, lustig und erzählt viel.
chelt ihr zu.

15
Zu Hilfe!
D Trotz ihrer deutlich ausgeprägten Unterschied-
ie nächsten paar Tage vergehen wie im Fluge. scheint er gar nicht zu hören. Er wäre bestimmt eine
guter Gesprächspartner für Banjew.
lichkeit kommen die Reisegefährten besser mitein- Ingalf probiert alles, was Land und Geldbeutel
ander aus, als der eine oder andere von ihnen insge- hergeben, ohne sich jedoch wirklich zu betrinken.
heim erwartet hat.
'Ja ja, die Thorwaler. Wie sagte doch mal einer: 'Man
Randirion wird - nachdem der erste Kulturschock ist solange nicht betrunken, wie man auf dem Boden
abgeklungen ist - auch Ingalf sehr interessiert nach liegen kann, ohne sich festzuhalten!' - ich glaube, das
seinem woher und wohin und vor allem nach seinen trifft auf alle zu …' innerlich stöhnt sie bei dem Ge-
bisherigen Abenteuern ausfragen (Was sich scheinbar danken an die Zukunft in Begleitung dieses, dieses -
als nicht allzu schwierig erweist …). äh - wandelnden Alkoholmissbrauchs …
Ansonsten wird deutlich, dass Randirion zwar einen Eine Stunde hinter Bandur wird deutlich, dass dies-
anderen Stil, aber keine Berührungsängste hat. Er mal ein großer Wald vor den Reisenden liegt. Er er-
wird genauso zu Fuß gehen wie die anderen auch, da- streckt sich von der Küste bis weit ins Land hinein.
mit man sich besser unterhalten kann. Er wird spitze Und hinter ihm sind Berge zu erkennen.
Bemerkungen und mildere Blasphemien einfach igno-
Auf einer Anhöhe links des Weges erhebt sich, noch
rieren und darüber hinweggehen. Und er ist weder
deutlich vor dem Wald, eine kleine Anhöhe, und dar-
hochnäsig noch arrogant, selbst wenn es häufig sehr
auf steht eine Windmühle. Vor der Mühle sprechen
danach klingt …
eine Frau und ein Mann aufgeregt miteinander. Die
Wenn man ihn fragt, wird auch er erzählen, seine Ge- Frau weist immer wieder in den Wald. Als sie der
schichten sind allerdings meist im Lieblichen Feld Reisenden gewahr wird, stürmt sie mit klagenden
angesiedelt und handeln von kleineren amourösen Rufen den Hügel hinunter, wirft sich vor ihnen in den
Abenteuern … Staub und überschüttet sie mit immer wieder von
"… doch stellt Euch meine Überraschung vor, als ich Schluchzern unterbrochen Worten.
statt der Erwarteten eine mir völlig fremde Dame im Sephyra vermag aus dem tulamidischen Wortschwall
Schlafzimmer vorfand!" nur Wort wie "Kinder … verschwunden … Wald …
"Und was habt Ihr dann gemacht?" herzallerliebsten … zu Hilfe" herauszuhören.
"Nun, ich habe mich der anwesenden Dame höflich Erstaunt betrachtet Frumol das Geschehen, die
vorgestellt …" wenigen Worte Tulamidia, die er beherrscht, wählt die
Außerdem wird schnell deutlich, dass Randirion kein aufgebrachte Frau leider nicht. Warum nur wirft sie
Wort Tulamidisch versteht … sich in den Dreck? Dass sie Hilfe braucht scheint
deutlich, aber Hilfe welcher Art? Sein Blick wandert
Zwischendrin führt der Weg auch immer mal wieder
zu Sephyra: "Verstehst Du, was sie sagt?"
durch Wald, der ganz angenehme Kühle spendet.
Er geht neben der schluchzenden Frau in die Hocke.
Übernachtungsmöglichkeiten gibt es immer wieder,
"Steht auf, gute Frau! Geht es Dir nicht gut?" bemüht
sei es ein Gasthaus, ein Gutshaus oder auch eine der
er sich, sie zu beruhigen.
vielen Windmühlen, die man hier an der Küste immer
wieder findet. In Bandur, an der Mündung des Onga- Ingalf blickt wie ein lebendes Fragezeichen von der
lo in das Perlenmeer gelegen, gibt es sogar einen Frau zu Sephyra, dann zu den beiden anderen
kleinen Markt, wo die Helden noch das eine oder Männern.
andere erstehen können. Insbesondere den Wein der Während sie der Frau auf die Beine hilft, erklärt sie
Region gibt es in den verschiedensten Variationen. den Gefährten über die Schulter: "Sie ist sehr aufge-
Frumol mustert die Umgebung interessiert, unter- bracht, aber ich verstehe nicht alles. Es geht irgendwie
scheiden sich doch die Bäume und Pflanzen von den- um im Wald verschwundene Kinder. Ich werde sie erst
jenigen, die er aus Havena kennt. Er schlägt den neu- mal beruhigen, damit wir mehr Informationen be-
en Gefährten am Abend ein gemütliches Würfelspiel kommen können und ihr vielleicht helfen können."
vor. Er trinkt dabei ein wenig Wein. Dann wendet sie sich wieder der Frau zu.
Er genießt die Tage und Abende - obwohl, wenn er "Äh, sagt bitte, verehrte Madame Lunor, was will uns
ehrlich wäre, viel lieber mit Sephyra allein unterwegs diese Frau erzählen? Ist sie krank? Braucht sie Hilfe?"
wäre. Ingalf kann reichlich nerven mit seinen über- Randirion ist mal wieder am Ende seiner tulami-
triebenen Geschichten, und der Herr Kavaljäre ist so dischen Sprachkenntnisse angelangt.
furchtbar glitschig - alle Spitzen oder Anspielungen

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Sephyra geht in die Hocke und hilft der Frau beim Fährnisse! Mal sehen, ob meine neuen Gefährten dies
Aufstehen und auf Tulamidia fragt sie (so gut sie eben ebenso sehen.'
kann): "Beruhige dich! Ich verstehe besser, wenn du "Ähm, …" noch einmal setzt Frumol zu einer Er-
langsam sprichst …" Dann wartet sie auf eine Reakti- widerung an, doch bricht erneut ab. 'Wie kommt der
on der Frau, hält sie noch immer am Ellbogen gefasst, Kerl bloß zu solchen Annahmen?'
um ihre eigene Ruhe zu übertragen.
Der Müller übersetzt seiner Frau Randirions Angebot
Der Schwall der Worte steigt eher an, sie wirft die ins Tulamidische - soviel kann Sephyra verstehen.
Arme in die Höhe, und Sephyra versteht immer Darauf wird die Frau plötzlich ganz ruhig.
weniger.
Tränen rinnen ihr Gesicht hinab. Sie fällt vor Randiri-
Mittlerweile ist aber auch der Mann den Hügel her- on auf die Knie, küsst ihm die Hand.
untergekommen. Vom Aussehen her ein Mittelländer.
Randirion ist gerührt. "Bitte, Frau Müllerin, erhebe sie
Er trägt weiße Kleidung, wohl damit der Mehlstaub,
sich …"
der überall an ihm haftet, nicht zu sehr auffällt.
Dann geht sie zu Frumol, und bevor der sich's ver-
Verlegen dreht er eine Mütze in seinen Händen und
sieht, hat sie auch seine Hand ergriffen und geküsst.
spricht: "Verehrte Dame, geehrt Herren, bitte verzeiht
Dankbare Augen schauen in die seinen, und sie sagt
meiner guten Ehefrau ihren Auftritt. Wisst ihr, unsere
etwas, was er nicht versteht. So etwas hat er noch nie
Tochter Seline - Stern unserer Tage - und mein Sohn
erlebt: Echte Dankbarkeit, und er hat noch nichts ge-
Alrik - Stolz der Eltern - sind gestern Abend vom
tan.
Beerensammeln im Wald nicht zurückgekehrt. Und
nun befürchtet meine Mirhiban - Travia möge sie Frumol ist ein wenig unwohl zumute. Nicht, weil er
segnen-, dass ihnen im Walde etwas zugestoßen ist, nicht helfen wollte. Im Gegenteil, er wollte gern hel-
denn sie sind noch nie über Nacht weggeblieben." fen. Doch nun ist ihm seine Kleinkariertheit, mit der
er die einzig richtige Entscheidung des Kavaljäre kri-
"Sei er sich unsrer Hilfe gewiss, guter Mann!"
tisiert hat, unangenehm.
Frumol blickt auf. Er glaubt seinen Ohren nicht zu
Auch Ingalf lässt die Prozedur über sich ergehen. Zum
trauen!
Schluss kommt die Frau des Müllers wieder zu Sephy-
Was sind denn das für Umgangsformen? Einfach über ra, schaut sie erst dankbar an und küsst sie dann auf
die Köpfe von Mitreisenden - mehr sind sie ja nicht - beide Wangen. Dann sagt sie langsam auf tulami-
eine Entscheidung zu fällen! Das können wohl nur disch: "Rastullah wird Deine Wege behüten,
Magier oder der Adel! Wie gut das Frumol nur ein Schwester, und die Deiner Kinder. Gepriesen sind die
einfacher Mann ist … Helfer der Familie! Wer aus freien Stücken hilft, dem
Ein Blick auf die Gefährten überzeugt Randirion wird das Paradies zuteil werden."
(hoffentlich), dass diese ebenso gewillt sind, dem Mül- Randirion versteht mal wieder nichts, lächelt aber und
ler zu helfen. wendet sich wieder an den Müller.
Erstaunen sieht Randirion in Frumols Gesicht. Und "Nun, es gilt, keine Zeit zu verlieren. Kann er mir
Missbilligung. sagen, wo die Kinder zuletzt gesehen wurden oder wo
Klar, die Frau und der Müller brauchen Hilfe. Die sie normalerweise in den Wald gehen? Und was ist so
Kinder vielleicht auch. Wo findet man eigentlich schlimm an dem Wald, dass er nicht selber nach sei-
Pilze? nen Kindern sieht? Oder hat er dies schon getan, je-
"Ähm, …" beginnt Frumol, bricht aber ab. doch ohne Erfolg? Und bitte, kann er seine Kinder
beschreiben? Insbesondere ihre Kleidung?"
Er geht einen Schritt auf diesen zu und fasst vorne an
die Hutkrempe in einem angedeuteten Hut ziehen. Während dieses Fragenschwalls greift Randirion nach
der merkwürdigen Schusswaffe an seinem Sattel und
"Cavalliere Randirion ya Calmatin. Bitte gebe er uns
lädt sie mit geübten Bewegungen. 'Was kann Kindern
alle Hinweise, die wir brauchen könnten, seine
in einem hiesigen Wald denn zustoßen?'
Kinderlein wieder zu finden."
"Ah, noch etwas, gibt es wilde Tiere in diesem Wald,
Randirion lächelt.
oder unlauteres Gesindel von dem er weiß?"
"Und sage er auch seiner Frau, dass sie sich nicht
'… wir sind ja hier schließlich nicht in zivilisierten
sorgen solle. Wir werden alles in unserer Macht
Gegenden.'
stehende tun."
"Was soll ich sagen edler Herr", entgegnet der Müller
Noch ein Blick auf die Gefährten.
und kratzt sich am Kopf, "die Kinder suchen norma-
"Nicht wahr?" lerweise am Waldrand nach Beeren, aber in letzter
Der Edle hat vor den Göttern die Pflicht, die Schwa- Zeit sind sie etwas mutiger geworden. - Nun ja,
chen zu beschützen und ihnen zu helfen wider alle Seline, Perle des Meeres, ist mit ihren fünfzehn Göt-

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terläufen ein rechter Wildfang geworden", er lächelt den Straßen und am Hafen: Dort kennt er sich aus -
verklärt, "und stiftet den Buben, 12 Götterläufe hat er nicht im Wald.
bislang erleben dürfen, immer wieder zu Streichen an. Ingalf, durchaus gerührt durch die überschwängliche
Aber die Götter haben ein Auge auf die beiden." Dankbarkeit der Müllersfrau, hat den Dialog der
Plötzlich redet er seine Frau kurz, fast barsch an. Se- beiden aufmerksam verfolgt." Mensch Kavaljäre, nu
phyra versteht nur "Wein, Dame, Herren, Wasser, mach ma nich so'n Aufstand mit dem neumodischen
Pferde". Die Frau des Müllers läuft sofort zur Mühle. Kriegsspielzeug, wir sollen Kinderchens finden, keine
Sephyra blickt ihr nach. 'Also, da soll uns wohl die be- Seeschlangen bekämpfen." Er lächelt den Müller kurz
rühmte Gastfreundschaft entgegengebracht werden entschuldigend an. "Nu sach an, wo sin se denn meis-
…' tens innen Wald rein, die beiden Früchtchen?"
Dann fährt der Müller fort: "Vor einem Zehntag war Der Müller zuckt die Achseln: "Mal hier, mal da, mein
der Köhler mit seinem Sohn hier; sie hatten in Bandur Herr, in letzter Zeit sind sie meistens zuerst ein biss-
ihre Holzkohle verkauft. Und der hat die Kinder wohl chen den Weg hinein gelaufen."
in einem launigen Moment zu einem Besuch einge- Dann erinnert er sich an eine von Randirions Fragen:
laden. Eineinhalb Stunden Wegs Richtung Khun- "Seline hat sich fast zu einem Abbild meiner geliebten
chom und dann den Pfad in den Wald hinein - von Frau entwickelt, und Alrik hat meine Haarfarbe geerbt
der Küste weg - liegt ihr Meiler von hier. Wir haben - und meine Nase." Er fasst sich an seine schmale Na-
den beiden immer verboten, allein so weit in den Wald se. "Und ihre Kleidung hat Mirhiban auch ge-
zu gehen, aber irgendwann musste es so kommen. schneidert. Nicht so nordländisch wie eure, sondern
Deswegen waren wir gestern zur Nachtstunde auch südländisch wie unsere." Er zeigt auf seine
nicht besonders besorgt, als die beiden nicht wieder da Pumphosen. "Die sind bei Wärme auch luftiger."
waren. Aber jetzt haben wir fast Mittagsstunde, und Nachdem eine kurze Pause im allgemeinen Gespräch
sie sind immer noch nicht zurück!" über die Kinder, ihren Weg in und durch den Wald,
Er verschnauft ob der langen Rede. "Ich selbst habe zu den Köhler etc. eintritt, erklärt Sephyra den anderen:
mahlen. Die Zeiten sind nicht so gut." er weist auf die "Wir stehen hier noch immer mitten auf der Straße,
Mühle, und als die Reisenden genauer hinschauen, se- der gute Herr Müller hat seine Frau nach einer Erfri-
hen sie, dass doch eine Reihe von Reparaturen nötig schung geschickt. Ich würde vorschlagen, wir bespre-
wäre. "Und seit ich meine rechte Hand an das Mahl- chen das alles in Ruhe, am Besten im Schatten der
werk verloren habe, sind sie nicht besser." Erstreckt Mühlenflügel. Denn mir ist heiß, wir stehen hier in
einen Stumpf mit Hakenwerkzeug vor, den er bis jetzt der prallen Sonne und ein Schluck Wasser täte jetzt
unauffällig verborgen hatte. "Was nützt es uns, wenn gut."
die Bauern ihr Korn zur nächsten Mühle bringen und Randirion verbeugt sich leicht in Richtung auf Sephy-
wir alle des Hungers sterben müssen? Das war üb- ra.
rigens der Streit, den wir hatten, als Ihr, von Praios ge-
"Ein weises Wort, gemessen ausgesprochen, Madame
sandt, kamt."
Lunor."
Den Rest der Fragen scheint er vergessen zu haben.
Randirion führt ebenfalls sein Pferd Richtung Mühle.
Randirion steckt die Balestrina in seinen Gürtel, lo-
"Ja, kommt mit!" Der Müller ist erfreut.
ckert Rapier und Linkhand, und wendet sich zu sei-
nen Gefährten um. Auch Ingalf trottet mit.
"Nun denn, meine Gefährten, wer von Euch ist Während des Hochgehens ergänzt er noch: "Von
willens, sich für eine gute Sache im Geiste Travias zu besonderen wilden Tieren haben mir die Köhler
engagieren? Wer kann in die Augen dieser Leute se- eigentlich nie erzählt, und von Räuberpack auch
hen und 'Nein, danke.' sagen? Wer von Euch wird nicht. Deswegen sind wir ja so überrascht. Vielleicht
mich begleiten, um diesen armen Menschen ihre weiß Abmal aber mehr."
Kinder zurückzubringen?" Ingalf schaut etwas verdutzt. "Wer is nu schon wieder
'Muss das immer so geschwollen sein? Kann er nicht Abmal?"
einfach sagen, was er will?' verflucht Frumol still den "Entschuldigt, der Herr! Abmal ist der Köhler." Der
Moment, an dem sie den Kavaljäre trafen. Müller macht eine entschuldigende Verbeugung.
Während er zum Tisch mit den angerichteten Speisen Als die Gruppe oben angekommen ist, ist die Müllers-
geht, blickt er sich zum Waldrand um. 'Wo würde ich frau schon dabei, ein einfaches Mahl zu richten: Brot,
hier als Kind spielen?', fragt er sich dabei. Er muss Käse, Wasser, Wein. Besonders wohlhabend scheint
sich allerdings eingestehen, dass ihm der Wald immer der Müller nicht zu sein - aber auch nicht arm.
noch fremd ist. Seine Kindheitstage verbrachte er in

18
Beim Anblick des Essens, und insbesondere des oder sie hier zu lassen? Sollten wir sie mitnehmen,
Weins, läuft ein zufriedenes Grinsen über Ingalfs könnten wir uns im Wald eventuell ihre Kraft zunutze
Gesicht. Er schaut sich nach einer Sitzgelegenheit um. machen. Lassen wir sie hier, sind wir im dichten
An den beiden Längsseiten des einfachen Holztisches, Walde mobiler. Was denkt Ihr?"
auf dem die Müllersfrau das Mahl richtet, stehen zwei Für Frumol hat die Situation etwas Ungewohntes -
Bänke, auf denen die vier gut Platz haben. völlig Neues.
Sephyra folgt den anderen und sieht sich noch einmal Obwohl zwei Kinder vermisst werden und die Eltern
in beiden Richtungen der Straße um, aber es scheint sich große Sorgen machen, sitzen sie alle hier in ge-
nichts zu sehen zu sein … mütlicher Runde bei Speis und Trank im Schatten.
Bei der Mühle angekommen setzt sie sich auf eine der Ohne Frage, das Essen ist gut, doch verschwenden sie
Bänke an die Außenkante und klopft mit der Hand nicht wichtige Zeit?
auffordernd auf den freien Platz neben ihr: "Hier, Vermutlich ist den beiden Kleinen gar nichts ge-
Frumol." schehen, sie sind sicher beim Köhler und vergaßen
"Das sollte für uns ein wohlschmeckendes Mahl beim Spielen die Zeit - so wie er früher auch oft.
werden und eine willkommene Erfrischung." sagt sie Die Beschreibungen des Müllers sind wichtig, aber
dann zu den anderen, nachdem sich Frumol gesetzt mussten sie deshalb gleich den Tisch decken? Die
hat. Bräuche sind hier schon fremdartig. Aber er könnte
Nachdem Sephyra und Frumol schon Platz genom- sich sicher daran gewöhnen.
men haben ('Unter Missachtung jeglicher Etikette, tss Da keiner mehr isst, steht er auf und blickt in die
tss tss!'), wird auch Randirion sich hinsetzen, nach- Runde: "Fangen wir an, oder wollen wir hier bis zum
dem er dem Müller und seiner Frau gedankt hat. Abend sitzen bleiben?"
Während des Essens (doch niemals mit vollem Er geht zum Waldrand und schaut abwechselnd in die
Mund!) wird er noch Antworten auf weitere Fragen eine und die andere Richtung. 'Wo sollten wir
vom Müller erbitten: "Seit wann genau sind die anfangen?' Unentschlossen geht er zurück zu dem
Kinder verschwunden? Gestern Abend vor oder nach Packpferd und dem Gepäck.
Sonnenuntergang?"
"Sollten wir das Packpferd nicht besser hier lassen? Es
Der Müller übersetzt die Fragen ins Tulamidische, könnte uns mehr behindern als nützen, Herr Kavaljä-
wartet auf die Antworten seiner Frau und übersetzt re." fragt er zögernd.
dann zurück ins Garethi: "Gestern im Laufe des
"Nun, nachdem das mit den Pferden geklärt ist - ich
Nachmittags sind sie Beeren sammeln gegangen, und
denke doch dass wir die Suche dort beginnen sollten,
seitdem haben wir sie nicht mehr gesehen."
wo die Kinder immer den Wald betreten haben, und
"Ist der Wald licht genug, dass man die Pferde mit uns zeigen lassen, wo die Beeren wachsen …"
hinein nehmen könnte?" - 'Vielleicht sind die beiden
Der Müller ergreift noch einmal das Wort: "Meine
ja unter einem umgestürzten Baum verklemmt, und
Dame, edle Herren, vielleicht sind die beiden ja auch
man könnte die Kraft der Rösser brauchen …'
noch bei den Köhlern. Davon habe ich vorhin schon
"Im allgemeinen ist der Wald doch ziemlich dicht, es mein Weib zu überzeugen gesucht. Und in dem wäre
gibt aber ein paar Wildwechsel und Jägerpfade." alle Mühe des Suchens unnötig."
"Wir sind Fremde hier, verzeiht unsere Unwissenheit: "Ich denke, wir sollten uns auf den Weg zu dem Köh-
wie groß ist der Wald und gibt es - außer dem Köhler - ler machen." antwortet Frumol.
andere Menschen oder Siedlungen darinnen?"
Sephyra nickt zustimmend und wird Frumol folgen,
"Der Weg erstreckt sich einige Stunden 'gen Khun- nachdem sie ihr Mahl beendet hat und zum Aufbruch
chom durch den Wald. Zum Gebirge hin sind wir bereit ist.
noch nie gegangen. Man erzählt sich Geschichten,
"Zum Köhler kommt man problemlos zu Pferde,
dass am Fuße der Berge früher eine Burg gestanden
glaube ich", wirft der Müller ein, "aber ihr könnt sie
hat. Vielleicht gibt es da noch alte Wege", sinniert der
gern hier lassen."
Müller.
"Ich werde mein Pferd jedenfalls hier lassen und
Das Mahl verläuft in einer ruhigen Atmosphäre. Zwi-
Schusters Rappen bemühen" antwortet Frumol fröh-
schendrin versorgt die Müllersfrau auch die Pferde.
lich.
"Habt vielen Dank." richtet Randirion durch den Mül-
Randirion stellt noch kurz sicher, dass die Pferde gut
ler aus. "Wir werden uns jetzt besser auf den Weg ma-
versorgt werden, nimmt noch einige Dinge an sich
chen."
und folgt dann den Gefährten Richtung Waldrand.
Randirion richtet das Wort an die Gefährten: "Sagt,
haltet Ihr es für sinnvoller, die Pferde mitzunehmen,
19
Ingalf lacht kurz und schallend auf. "Dein Pferd, Randirion zwinkert Ingalf zu.
Mann wat geht das schnell bei dir! Machen wir uns Breit grinsend nimmt Frumol seinen Rucksack vom
auf zum Köhler." Er steht auf und schultert seine Axt. Lastpferd und schultert diesen. Er wendet sich dem
"Herr Kavaljäre, pass man gut auf deine Spielzeuge Weg zu und geht langsam zur Köhlerhütte voran.
auf, nicht dat du noch versehentlich den Köhler damit
Das Müllerehepaar winkt den Helden in spe hin-
verletzt."
terher. "Rastullah und die Zwölf seien mit Euch!" ruft
"Ah, macht Euch keine Gedanken, Herr Ingalf. Falls der Müller noch. Dann beginnt der ungeplante Teil
dennoch, werden wir den Köhler bestimmt mit dem der Reise.
ganzen Holz versöhnen können, dass Ihr zweifellos
vorhabt, mit Eurer Holzfälleraxt zu schlagen."

20
Bei den Köhlern
N raschend
ach etwa einer Stunde Weges durch den über- Niemand ist zu sehen.
dichten, und damit kühlen, Wald "Nun, das sieht für mich wie die Hütte der Köhler
treffen die Gefährten auf die vom Müller angekündig- aus." sinniert Sephyra. "Oder wüsstet ihr noch je-
te Abzweigung. Es ist ein Trampelpfad, gesäumt von manden, der solch rauchende 'Holzstapel' in seinem
Unterholz. An verschiedenen Spuren ist aber zu er- Vorgarten hat?" ergänzt sie mit einem leicht belustig-
kennen, dass hier ab und zu wohl auch Pferde oder ten Unterton. "Herr Kawaljere, Ihr seid doch ein weit-
Esel oder Maultiere langgehen. gereister Mann und wisst um die Geheimnisse sess-
Während die vier langsam tiefer in den Wald hafter Leute in einsamen Gegenden, oder?"
eindringen, fällt auf, dass die größeren Bäume einen Ein breites Grinsen macht sich auf Ihrem Gesicht
knorrigen Wuchs haben. Der Weg wird ein wenig breit.
steinig. Ein beklemmendes Gefühl kommt auf, als ob
'Sieht einsam aus', stellt Frumol fest. Alles was er
tausend unsichtbare Augen beobachten würden. Ab
sieht, gibt keinen Anlass wieder froh aufzuatmen.
und zu ertönt ein heiserer Vogelschrei, sonst herrscht
Hier ist alles so bedrückend …
seltsamerweise Totenstille. Nur die verkrüppelten
Bäume scheinen Leben auszustrahlen. Sephyra Er fasst sich ein Herz und sagt in die Stille: "Hallo, ist
vermeint sogar, in ihren knorrigen Stämmen Gestalten jemand da?" Erschreckt hält er inne, seine Worte
oder Gesichter zu sehen. klingen viel lauter als beabsichtigt - oder liegt es nur
an dieser merkwürdigen Stille, die alles verdeckt?
Die Erkenntnis ist für Sephyra beängstigend und sie
sieht sich immer wieder um. 'Unheimlich ist es hier!' Die Tür geht auf, und ein kräftiger Tulamide in
denkt sie sich. Sie ertappt sich dabei, wie sie immer schmutzig-dunkler Kleidung mit schwarzem Vollbart
wieder unwillkürlich mit einer Hand nach der erscheint. Er trägt eine schwere Axt.
Frumols sucht, kann sich jedoch immer wieder Er ruft den Angekommenen etwas zu. Sephyra ver-
rechtzeitig beherrschen, so dass den Gefährten wohl steht: "Wer seid ihr, was wollt ihr?" und übersetzt dies
nichts aufgefallen sein dürfte, da Gegenstand des all- sofort den Gefährten.
gemeinen Interesses die unmittelbare Umgebung sein 'Was für ein unangenehmer Zeitgenosse' ist Frumols
sollte. erster Eindruck.
Frumol schaut sich immer öfter um. Dieser Wald jagt Die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Tulamiden,
ihm Angst ein - vor allem, da er bisher kaum Wald welche er so sehr schätzen gelernt hat, steht in Kon-
kennt. Wäre er jetzt in einer Stadt in irgendwelchen trast zu dem Gebaren des Köhlers.
Gassen, dort wurde er sich auskennen. Doch hier - es
Er ist sich sicher, dass der Mann nicht davor zurück-
ist so merkwürdig still, dass er meist sein Herz klopfen
scheut, die Axt zu benutzen.
zu hören. Ob Sephyra es auch hört? Er vermeidet, sie
oder einen der beiden anderen anzusehen, denn sie 'Vielleicht wird man so, wenn man länger in diesem
könnten seine Stimmung in seinem Gesicht ablesen. Wald wohnt. Der ist auch nicht gerade einladend.' fällt
Frumol ein.
So starrt er weiter an den seltsamen Bäumen vorbei
und geht stumm den Weg entlang, wobei er immer Frumol muss mit seiner ersten Einschätzung jedoch
wieder nervös die Riemen seines Rucksacks zurecht- falsch liegen, da der Müller und seine Frau, die von of-
rückt. fenem und freundlichem Schlag sind, offenbar große
Stücke auf den Köhler halten. Er muss von nettem
'Warum nur singen die Vögel nicht mehr? Vorhin auf
Gemüt sein, wenn sie ihre Kinder bei ihm in Si-
der Küstenstraße, als wir rasteten, waren sie doch
cherheit wähnen, und die beiden Kleinen ihn aus
nicht zu überhören!' fragt er sich.
eigenen Stücken besuchen würden …
Der Trampelpfad knickt an einer Stelle scharf nach
Dennoch bringt Frumol vorerst keinen Ton über die
links ab, aber Frumol und Sephyra sehen jeder für sich
Lippen, so erstaunt ihn dieser »herzliche« Empfang.
sofort, dass hier auch schon mal jemand geradeaus
weitergegangen ist. Randirion reagiert auf Sephyras Übersetzung und
nickt dem Köhler freundlich zu.
Wenige hundert Schritte nach dem Knick öffnet sich
der Weg zu einer kleinen Lichtung, auf der eine kleine "Die Zwölfe zum Grüße, Köhler Abmal. Der Müller
Hütte gebaut ist. Daneben rauchen drei Meiler. Den vermisst seine beiden Kinder, und wir helfen dem ar-
Geruch hatten alle schon deutlich vorher bemerkt. men Manne und seiner Frau, selbige wiederzufinden.
Die Hütte ist nicht besonders groß und macht einen Hat er oder sein Sohn vielleicht die Kinder des Mül-
ärmlichen Eindruck. lers seit gestern gesehen?"

21
(Natürlich stecken sämtliche Waffen in ihren 'Böse Menschen leben im Wald? Der Müller hatte die
Scheiden, so dass Randirions Hände leer sind und er Frage doch verneint.' fällt es Frumol ein. Das Ganze
friedlicher aussieht.) ist doch sehr merkwürdig.
Der - offensichtliche - Köhler schweigt für einen "Seline und Alrik heißen sie", spricht Frumol - leise
Moment. Er wirkt ein wenig verwirrt. Dann antwortet und mit zitternder Stimme. Er ist sehr froh darüber,
er auf Garethi mit misstrauischem Gesichtsausdruck: dass der Pfeil nur noch die Käfer am Boden bedroht.
"Ich Köhler Abmal. Wer ihr? Wo kennt Müller?" "Wenn dies alles ist - Seline ist der Name des Mäd-
"Ah, er gestatte, dass ich mich vorstelle: Cavalliere chens, fünfzehn soll ihr Alter sein, und Alrik der des
Randirion ya Calmatin aus dem Alten Reich. Dies Knaben von zwölf Götterläufen."
sind meine Gefährten Madame Sephyra Lunor, Herr Randirion stutzt.
Frumol Pellocke und Herr Ingalf Wedmansson."
"Was für böse Menschen?"
Randirion deutet bei der Nennung der Namen auf die
Der Köhler atmet erleichtert aus. Sephyra fällt auf,
jeweilige Person.
dass ihm der Schweiß auf der Stirn steht. Er gibt sei-
"Wir wanderten auf der Küstenstraße, als das Müllers- nem Sohn ein kurzes Kommando, worauf der den
Paar uns um Hilfe bat, die wir selbstverständlich nicht Pfeil von der Sehne nimmt und auf die Gruppe
ablehnten. Kennt er die Kinder der beiden? Hat er sie zugeht.
vielleicht gar seit gestern gesehen?"
"Verzeih die Dame, verzeih die Herren. Böse Men-
Der Köhler will gerade antworten, da ertönt von hin- schen, ihr sagt" - er überlegt einen Moment - "Räuber,
ter den Angekommenen ein kurzer scharfer Ruf. Se- wohnen seit Wochen im Wald. Sie uns haben alles
phyra versteht etwas von "Waffen fallen …!" Geld genommen. Wir vorsichtig. Seline, Alrik
Alle Köpfe schwingen herum. verschwunden, ihr sagt. Böse Sache!"
Da ist ein jüngeres Ebenbild des Köhlers zu sehen. Er übersetzt für seinen Sohn, und der reagiert mit
Und er trägt einen gespannten Kurzbogen in der einem Schwall Worte.
Hand. Und die Pfeilspitze zielt auf die Gefährten. Sephyra vermag nur zu verstehen, dass es um eine Sa-
Frumol dreht sich um und erstarrt. Zwar hat er schon che vom gestrigen Abend ging. Der Köhler erklärt:
einige bedrohliche Situationen erlebt, er ist mit Waffen "Mein Sohn recht hat. Wir gestern Abend Schrei im
angegriffen worden und hat sogar schon mit seinem Wald gehört haben. Abmok gestern gesagt hat, Seline
Messer getötet - Doch noch nie wurde er mit einem hat geschreit. Ich nicht geglaubt habe. Jetzt ich sicher
Bogen bedroht. Stocksteif bleibt er stehen und hofft, bin: Räuber sie gefangen haben!"
dass die Pfeilspitze nicht auf ihn zeigt. Natürlich auch Randirion wendet sich an seine Begleiter: "Nun denn,
nicht auf Sephyra, da schon besser auf ihn. meine Gefährten, ich denke, unser Ziel ist ebenso
Randirion ist sichtlich genervt ob dieses Zwergenauf- eindeutig wie edel: es gilt die Kinderchen aus den
standes. Händen der Räuber zu befreien!"
"Ah, ich nehme an, Herr Köhler Abmal, das ist sein 'Moment. Ein paar Kindern nachzulaufen für Gottes-
Sohn … Auch ihm die Zwölfe zum Gruße. Herr lohn ist eine Sache - sich mit einer ausgewachsenen
Abmal, könnte er ihn wohl davon überzeugen, dass Räuberbande anzulegen eine gänzlich andere!'
wir niemandem etwas Übles wollen?" "Sage er, Köhler Abmal, kennt er die Zahl der Räuber?
"Mann, Mann, Mann, so'n Kurzer sollte besser man Und aus welcher Richtung ertönte jener Schrei?"
nich mit sowas rumspielen, nachher tut sich noch je- Der Köhler tauscht sich kurz mit seinem Sohn aus.
mand weh." Auch Ingalf scheint den Jungen nicht Dann erläutert er: "Drei hier bei uns waren. Sie sich
wirklich ernst zu nehmen. "Aber nu sach mir doch ma wohl sehr sicher fühlen. Sie immer den großen Weg
jemand, warum wir hier so empfangen werden. Hä, gehen. Spuren gut zu sehen." Dann redet er noch ein-
Abmal, bisse immer so misstrauisch oder habter mal schnell mit seinem Sohn und ergänzt: "Schrei
schlechte Erfahrungen gemacht in letzter Zeit?" nicht Richtung klar kommen. Wald verfluchter!"
Sephyra ist ob der Entwicklung der Dinge erst einmal "Swafnir steh uns bei! Verflucht, was heißt dat? Was
sprachlos. Aber die entspannte Reaktion von Randiri- passiert im Wald? Wer hat ihn verflucht? Rede Mann!"
on und Ingalf führen dazu, dass der Sohn auf ein Ingalfs Stimme hat einen leicht panischen Unterton
Wort seines Vaters hin seinen Bogen sinken lässt Der angenommen.
Pfeil bleibt aber aufgelegt.
Der Köhler druckst ein wenig herum. Dann erläutert
"Abmal ich bin, das mein Sohn Abmok ist und böse er: "Wenig Vögel im Wald sind. Ganz leise es im Wald
Menschen im Wald leben. Wenn ihr wisst die Namen ist. Und Du schon die Bäume angeschaut hast? Ganz
der Kinder, dann ich euch glauben kann", erwidert der krumm. Aber sie gute Kohle machen."
Köhler nach einigem Nachdenken.

22
Frumol hört den Ausführungen still zu. Bei der ganzen Langboote, die von einem Fluch begleitet aus-
Erwähnung, dass ein Fluch auf dem Wald liegt, läuft liefen und nie zurück kamen. Flüche sind verdammt
ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Es über- gefährlich." Er verschränkt die Arme vor der Brust
rascht ihn nicht, fühlte er sich doch von Anfang an und schaut, als habe er ja wohl genug gesagt. Dann
hier im Wald unwohl. Es erinnert ihn vielmehr an das schaut er den Köhler fragend an.
verfluchte schwarze Schiff mit seiner untoten Piraten- Der Köhler zuckt sichtlich zurück. "Herr verzeih!"
Besatzung. Alte Gefühle der Angst und Furcht lassen antwortet er dann in zögerlichem Tonfall. "Ich nicht
seinen Körper kurz schaudern. Was bleibt, ist das Ge- alles verstanden habe. Verfluchter Wald eine alte Ge-
fühl, einen Freund gerettet und wieder verloren zu schichte ist. Vor vielen Jahren Burg am Berg über
haben. Er muss Uribert unbedingt einmal besuchten. diesen Wald herrschte. Diese lange vor der Geburt
Er atmet tief durch: "Dann lasst uns zu dem Weg zu- meines Vatersvaters zerstört wurde. Keiner wie ge-
rück gehen und nachschauen, wohin er führt." schlägt schehen weiß. Leute nicht gerne hierher kommen.
er vor. "Kommt ihr mit, um die Kinder Eures Krumme Bäume, wenige Vögel. Aber für Köhler gut."
Freundes zu befreien?" fragt er den Köhler und dessen Jetzt grinst er sogar kurz. "Und dann die Kinder
Sohn. verschwinden. Darum ich 'Wald verfluchter' gesagt
Der Köhler übersetzt die Frage gar nicht für seinen habe. Wir hier gut leben."
Sohn: "Edle Dame, edler Herr. Wir zutiefst bedauern. Sephyra kann trotz des Ernstes der Situation ein
Aber wir unser Kohleholz nicht allein lassen können." Grinsen kaum unterdrücken und erklärt dem Köhler
Dem Köhler ist seine abschlägige Antwort sichtlich in Tulamidia, dass der "große Ingalf" einfach an jede
unangenehm. Auch sein Sohn macht einen "Schauer-Mär" glaubt, das ihm über den Weg läuft - so
verlegenen Eindruck. auch Flüchen jeder Art.
"Ach, Herr Pellocke, lasst doch die armen Leute hier Randirion klopft Ingalf auf die Schulter.
ihr Tagewerk tun. Wir sind Manns" - ein kurze Ver- "Nun kommt, Herr Ingalf, ein paar alte Sagen werden
beugung Richtung Sephyra - "und Frau genug, selber doch einen Kämpen wie Euch nicht schrecken. Und
mit ein paar feigen Räubern fertigzuwerden. Überlegt was Hexen und ähnliches betrifft, so möchte ich
einmal: wer sich an Kindern vergreift, der scheint meinen ehemaligen Sergeanten zitieren, der meinte:
nicht der Mutigste zu sein. Solch Pack wird wohl ein <Egal, wie subtil ein böser Zauberer auch sein mag -
paar standhaften Bewaffneten wenig Widerstand ent- ein Armbrustbolzen in der Brust wird seinen Stil
gegenzusetzen haben." ernsthaft ruinieren!> Dies könnte man, denke ich,
'Schon wieder dieser Satz: nur ein paar feige Räuber! auch auf ein Axtblatt anwenden."
Sehe ich vielleicht wie eine Amazone aus?' "Da hörst Du es, Ingalf", erklärt Frumol. "Keine Sorge.
Langsam ist Sephyra etwas verärgert über den Enthu- Der Wald ist gar nicht verflucht. Gut, die Bäume sind
siasmus der Gefährten, endlich ein paar Köpfe einzu- krumm, und die Vögel singen wenig - aber außer den
schlagen. 'Aber Frumol wird das doch nicht gefallen? gesetzlosen Schurken droht keine Gefahr."
Oder? Nein!' Er macht eine kurze Pause bevor er weiterspricht.
Ingalf springt vor Frumol, sichtlich aufgebracht. "Halt "Und wenn seine Gnaden, der Herr Kavaljäre, mit
halt halt halt, was ist mit dem Fluch, Seeschlangen- wehender Fahne diesen Schurken entgegen tritt sollte
undgezüchtnochmal? Ich setzte keinen Fuß vor den es für Ihn kein Problem sein, sie in die Flucht zu
anderen in diesen götterverlassenen Wald wenn der da schlagen …"
nicht mal so langsam mit der Sprache raus rückt! Ich
Er wirft einen Blick auf die mächtige Axt des See-
hab ja nicht so einen Schiss vor ein paar Räubern,
mannes.
wenn man mit denen nich reden kann, kann man
immer noch den Stahl sprechen lassen, aber mit Flü- "… Was nicht heißen soll, dass Du nicht auch zum
chen is nich zu spaßen. Mein Ururururgroßonkel Zuge kommen wirst. Du musst Dich nur ein wenig
Wetlaf wurde mal von einer Hexe verflucht, und noch beeilen."
immer reden die Leute von der Otta wie ihm sein …, Frumol wundert sich über den 'Anfall' des Thorwa-
sein …, nun ja, sein Dings halt immer weiter an- lers. 'Sollte es wahr sein, was er erzählt? Dass da was
schwoll und schließlich platzte. Und der Urururur- geplatzt ist?' Er will es nicht hoffen, nimmt sich vor,
ururururgroßvater eines Freundes eines Bekannten später noch einmal mit Ingalf darüber zu sprechen.
wurde von einer Hexe in einen Otter verwandelt, di- Sephyra schaut Frumol von der Seite an. 'außer den
rekt in einem Meeresabschnitt, in dem es von gesetzlosen Schurken droht keine Gefahr - das sind ja
hungrigen Haien nur so wimmelte. Und mein anderer ganz neue Töne - aber schöne - so … männlich.' geht
Freund kennt selbst jemanden, der jemanden kennt, ihr durch den Kopf. Sie sagt aber nichts, sondern
der wegen eines Fluchs 2 Wochen nicht austreten wartet nur darauf, dass einer der Männer voran geht.
konnte und schließlich geplatzt ist. Und erst die
23
Frumol spürt förmlich ihren Blick und wendet seinen 'Hoffentlich geht das gut', denkt er bei sich und
Blick von Ingalf ab. beschließt sich bei einem möglichen Kampf im Hin-
Er sieht sie an und lächelt ihr verstehend zu. tergrund zu halten und Ingalf und dem Kavaljäre den
Ruhm zu überlassen. Ermutigt hat er sie dazu schon
Daraufhin lächelt Sephyra zurück und schultert den
genug.
Rucksack neu, der ihr in der ganzen Aufregung ver-
rutscht ist. Sicherheitshalber prüft sie den Sitz der Abmal führt die Gruppe zum Knick im Pfad. "Hier
Wurfdolche und streicht liebevoll über den Griff ihres die Räuber verschwunden sind", erläutert Abmal und
Rapiers. weist auf den fast-Trampelpfad Richtung Nordwesten.
Nur um die Hand auf dem Knauf ruhen zu lassen: "Na dann los, ihr Landratten, wollen wir?"
'nur ein paar Räuber' geht ihr immer wieder durch den Ingalf geht gefolgt von den anderen auf den Trampel-
Kopf … pfad. Nach wenigen hundert Schritten ändert sich
"Nun denn, nachdem dies zur allgemeinen Zufrie- langsam das Bild des Waldes. Die knorrigen Bäume
denheit geklärt ist - wollen wir los?" werden höher und ihre Kronen dichter, und das wird
Unterholz immer weniger. Schließlich bewegen sich
Randirion sieht selbstsicher lächelnd in die Runde.
die Helden auf etwas, was wie ein breiter, mit tro-
"Kein Fluch also, meint ihr? Wenn mir hinterher doch ckenem Laub bedeckter Weg aussieht, der schnurge-
was wichtiges fehlt, fehlt es allen hier …" er blickt zu rade durch den anscheinend uralten Wald führt. Es ist
Sephyra "oder was entsprechendes. Also gut, auf überraschend kühl unter dem Laubdach. In dem
gehts." Er schwingt die Axt prüfend durch die Luft. Laub sind die Spuren der Räuber gut zu erkennen.
"Mann Kavaljäre, musst dich schon nen büschen beei-
Und dann biegt die Spur nach rechts in den Wald ab.
len, wennste mir was voraus haben willst." er lacht
schallend auf, die Aussicht auf einen guten Kampf Und alle folgen ihr, Ingalf, Randirion und Frumol vor-
gegen ein paar Halunken hat ihn den Gedanken über neweg, Sephyra scheint direkt danach zu folgen.
üble Flüche vergessen lassen. "Und du, Abmal, willst Randirion überprüft vielleicht zum zwanzigsten Male
deinen Kurzen wohl nich allein lassen, oder kommste ob seine Balestra durchgeladen ist. Etwas Nervosität
doch mit?" scheint sich so bemerkbar zu machen, wird aber in
"Das leider nicht möglich ist, aber unser Dank Euch Stimme oder Gehabe nicht deutlich.
gewiss ist, wenn die Räuber vertrieben sind", entgegnet Frumol lässt sich zurückfallen. Sollen sich doch die
Abmal mit leichter Verbeugung. Beiden in einen Kampf stürzen. Frumol möchte nicht
"Vielleicht ich euch zum Weg führen darf, den die wirklich darin verwickelt werden.
Räuber genommen haben." Er macht eine einladende Als Sephyra zu ihm aufgeschlossen hat, stupst er sie
Geste. neckend an und lächelt ihr zu.
Ingalf schaut sich kurz unsicher um, zuckt mit den Sephyra erwidert das durch ein Nicken, aber ihre
Schultern und nimmt seinen Seesack auf. Dann folgt Konzentration gilt eindeutig der Umgebung.
er dem Köhler mit geschulterter Axt. Bis auf einen gelegentlichen Vogelruf ist nichts zu hö-
Frumol rückt seinen Rucksack zurecht und folgt ih- ren.
nen.

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Lager im Wald
D Hauptweg abgeht. Sie windet sich ein wenig
ie vier Gefährten folgen der Spur, die vom Dass Frumol sich schon längst darum kümmert, be-
kommt er nicht mit.
und führt immer da entlang, wo die Bäume etwas wei- Und dann muss sich Randirion um seinen Gegner
ter auseinander stehen. kümmern. Nach ein paar Schlagwechseln gelingt
Nach einiger Zeit sehen die vier, kurz nachdem sie Randirion ein sauberer Stich gegen einen Schenkel
einen Bach überquert haben, dass sich voraus eine seines Gegners. Das erste Blut fließt! Aber in der
Lichtung befindet. Und darauf stehen um eine Feuer- Gegenattacke zieht im der Räuber eine sengende
stelle drei Zelte. An einem Baum dahinter hängen Schramme über die Rippen.
zwei ungerupfte Fasane und ein Reh, offensichtlich Randirion kämpft dessen ungeachtet weiter und
die Jagdbeute der hier Lagernden. Es ist aber niemand verletzt seinen Gegner nach wenigen Sekunden ein
zu sehen. weiteres mal. Der kommt bei seinem Paradeversuch so
Randirion zieht seine Balestrina, versucht leise zu sein ins Stolpern, dass Randirion noch einmal unbedrängt
und gestikuliert zu seinen Gefährten, dies ebenso zu zustechen kann und den Gegner noch einmal verletzt.
halten. Ingalf hat Randirions erste Aktionen mitbekommen
Dann schleicht er zum nächstliegenden Zelt, um dort und …
zu lauschen. "Swafnir steh den Hammerhaien bei, Huuaaaaah!"
Ingalf lässt möglichst leise den Seesack zu Boden glei- Mit einem markerschütternden Brüllen stürzt Ingalf
ten, zeigt dann auf Sephyra, auf seine Augen und auf auf die Räuber zu. Er versucht einen seitlichen Schlag
den Sack. Anschließend folgt er mit der Axt in beiden im Vorbeilaufen auf Randirions Gegner, …
Händen Randirion so leise er kann.
… der aber in's Leere geht, …
Frumol blickt sich aufmerksam um. Sein Blick streift
… letztendlich will er aber den gestürzten Räuber
die Gefährten mit ihren Vorbereitungen: 'Sie wollen
erwischen.
wirklich kämpfen! Warum nur?'
Randirion nimmt wahr, dass Ingalf an ihm vorbei
Unverständlich schüttelt er den Kopf und blickt sich
läuft, um es mit dem zweiten Gegner aufzunehmen
weiter um. Auch den Weg, den sie gekommen sind,
und greift den seinigen wieder an. Hin und und her
suchen seine Augen nach etwas Ungewöhnlichem ab.
wogt der Schlagabtausch. Keiner der Kämpfer kann
Er macht keine Anstalten, den Rucksack abzulegen einen Treffer anbringen. Als Randirion einmal stolpert
oder eine Waffe zu ergreifen. hat er es nur seinem Glück zu verdanken, dass ihn
Als Randirion und Ingalf den Rand der Lichtung er- sein Gegner nicht trifft.
reichen, ertönt von irgendwoher ein schriller Pfiff. Randirion verlegt sich auf eine andere Strategie: Er
Zwei Männer mit ziemlich abgerissener Kleidung und versucht seinen Gegner mit überraschenden Bewe-
diesen typischen südländischen Säbeln, die Khun- gungen zu verwirren, verzichtet auch mal auf eine
chomer genannt werden, stürzen aus einem der Zelte Attacke und zieht sich stattdessen drei Schritte zurück.
auf Randirion und Ingalf zu. Dabei verletzt er seinen Gegner noch zweimal leicht,
muss aber eine weitere Schramme einstecken.
Die ersten beiden Räuber Randirion verzieht bei dem Treffer gequält das
Randirion setzt sofort auf das erste dieser anstür- Gesicht, bleibt ansonsten aber äußerlich ruhig und be-
menden ungewaschenen Subjekte einen Schuss ab herrscht.
und trifft. Die Ladung Bleikugeln trifft den Anstür- Währenddessen geht es in seinem Inneren heiß her:
menden voll im Gesicht und am Oberkörper und 'Au! Dieses impertinente Pack! Kein Wunder, dass es
stoppt ihn erst einmal. Sein Kumpan stürmt aber wei- mit den hiesigen Gegenden seit Jahrhunderten bergab
ter voran und erreicht Randirion, kurz nachdem dieser geht - die lokalen Machthaber haben Land und Leute
die Balestrina in die andere Hand genommen und nicht unter Kontrolle … Konzentriere Dich! Jetzt! Ri-
sein Rapier gezogen hat. Es ist nicht einmal nötig, poste, Finte, Terz, Quart … und jetzt noch ein Stück-
dabei einige Schritte zurück gehen, um die für das chen nach links … '
Ziehen nötige Zeit zu gewinnen. Äußerlich macht
Schließlich hat er seinen Gegner da, wo er ihn haben
Randirion den Anschein, distanziert und völlig unbe-
wollte – zwischen den Zeltschnüren. Und da ergibt
teiligt zu sein. Er nimmt sich sogar noch die Zeit,
sich die Gelegenheit: Randirion fintiert, und der Räu-
Frumol zuzurufen: "Herr Pellocke, der Pfiff! Wo kam
ber will einen Schritt zurück machen, stolpert aber
der her?"
über eine Schnur und fällt hin. Das ist Randirions

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Chance: Er sticht mit aller Gewalt zu und erwischt Als der Pfiff ertönt wirbelt Frumol herum. Von wo
den Gegner im Bauch. kam der?
Der gurgelt nur noch und erschlafft. Frumol ist sich nicht ganz sicher, aber der Pfiff kam
Randirion tritt die Waffe des Räubers etwas von nicht aus der direkten Nähe. Eher von der anderen
diesem weg, und entspannt sich dann etwas. Dann Seite der Lichtung.
sieht er sich um, wo noch geholfen werden kann. Mit den beiden Männern sollen der Kavaljäre und In-
Am Waldrand scheint es einen größeren Kampf gege- galf sich beschäftigen, das schaffen die schon.
ben zu haben. Zwei blutüberströmte Räuber liegen am Er streift schnell seinen Rucksack ab und fragt Sephy-
Boden. Sephyra, Frumol und Ingalf stehen, sind aber ra dabei: "Weißt Du, woher der Warnpfiff kam? Da
auch voller Blut. muss mindestens noch einer sein."
Ingalf erreicht den Räuber, als der gerade hochkommt. Sephyra kann die Herkunft des Pfiffes auch nicht ge-
Ohne, dass er eine Chance zum parieren hat, trifft ihn nauer orten.
Ingalfs Schlag. Tief fährt die Axt in die linke Schulter Ihm ist nicht wohl bei der Idee, den übrig gebliebenen
des Räubers. Der lässt seine Waffe fallen, dreht sich allein zu suchen, noch weniger gefällt ihm die Vorstel-
um und flieht. Ingalf ist einen Moment perplex, dann lung, wenn dieser dazu noch einen Bogen hat …
macht er sich an die Verfolgung. Außerdem können die Müllerkinder in Gefahr sein.
Der verletzte Räuber hat nicht gemerkt, dass er in die 'Warum habe ich vorhin nicht das Geschirr für die
Richtung läuft, wo sich Sephyra, die Ingalfs Seesack Wurfdolche angelegt?' verflucht er sich nun. Die
doch liegen gelassen hat und Frumol gefolgt ist, ge- ganze Zeit war es ihm unangenehm, so sichtlich be-
rade aufhält. Die sieht den Räuber auf sich zukom- waffnet auf der Küstenstraße zu wandern. Bei der
men. Da sie ihren Wurfdolch in der Hand hält, wirft Wärme hatte er ja schließlich die Jacke abgelegt und
sie ihn ohne nachzudenken und trifft ihn in die Brust. so hatte er das gute Stück ebenfalls im Rucksack
Der Dolch bleibt aber nicht stecken, sondern fällt zu verstaut …
Boden.
So zieht er dann sein Rapier und sein Wurfmesser aus
Erschreckt wechselt der angeschlagene Räuber seine dem Gürtel.
Richtung, um der anscheinenden Übermacht zu ent-
"Er scheint von dort drüben gekommen sein" fügt er
kommen. Durch diese Bremsung glaubt Ingalf, ihn er-
hinzu und deutet auf die gegenüberliegende Seite der
reicht zu haben, und schlägt noch einmal zu. Er zer-
Lichtung.
teilt aber nur die Luft.
"Kommst Du mit?" fragt er sie mit leicht schief geleg-
Der Räuber flüchtet Richtung Waldrand, und irgend-
tem Kopf.
wo da, weiß Sephyra, ist Frumol.
Sephyra schüttelt nur den Kopf und beobachtet die
"Arrgh feiger Lump!" Ingalf nimmt die rechte von der
Umgebung. 'Na toll, das haben wir jetzt davon!' geht
Axt und zieht den Schneidzahn, den er in einer
ihr ständig durch den Kopf.
fließenden Bewegung dem Räuber nachwirft.
Dann stürmt er los, leicht geduckt, immer am Rand
Der Wurf geht knapp fehl.
der Lichtung entlang. Bis zu dem Punkt von dem er
Ohne den Erfolg/Misserfolg der Aktion abzuwarten annimmt, dass dort jemand steht.
schaut er sich nach weiteren Gegnern um.
'Mutig ist er schon …' und fast gerät sie ins Träumen,
Ingalf sieht Randirion im Kampf mit seinem Gegner, aber der Kampf auf der Lichtung hält sie ab.
und es sieht so aus, als ob es grundsätzlich keine Pro-
Frumols Fokus verengt sich auf das was vor ihm liegen
bleme gibt.
könnte. Und tatsächlich, da vorn steigt gerade jemand
Während er sich umgeschaut hat, ist Sephyra am ihm von einem Baum herab. Noch so ein Tulamiden-Räu-
vorbei gelaufen - dem flüchtenden Räuber hinterher. ber.
Und da vorn am Waldrand scheint ein weiterer Kampf
Frumol konzentriert sich auf den Räuber und läuft ge-
stattzufinden. Ingalf trabt in die Richtung los.
radewegs auf ihn zu. Als er ihn erreicht droht er ihm
mit fester und lauter Stimme:
Der letzte
"Halunke! Wirf die Waffen weg und tritt auf die Lich-
Sephyra versteht Ingalfs Geste so, dass sie auf die Sa-
tung. Sonst werde ich dich wie einen Ork töten!"
chen achtgeben soll. 'Na gut'
'Dazu war nur ein Stoß mit dem Messer nötig', setzt er
Für den Kampf zieht Sephyra die letzte Reihe der in Gedanken hinzu.
"Kämpfer", zieht ihren Wurfdolch Nr. 1 und bereitet
Frumol hebt drohend den Rapier und nickt mit dem
sich darauf vor, einem bedrängten Freund zu Hilfe zu
Kopf in Richtung Lichtung. Er hofft, dass ihn der Tu-
eilen bzw. zu werfen … Dann zieht sie das Rapier und
bleibt auf Selbstverteidigung bedacht.
26
lamide versteht, zumindest seine Absicht aus Tonfall hen zu Boden. Der verletzte Räuber kommt dabei auf
und Gesten herauslesen kann. Frumol zu liegen.
Der Räuber greift sofort an, aber Frumol pariert. Sephyra erreicht den Ort des Zusammenstoßes deut-
Frumol will gerade einen Schritt zurück machen, da lich vor Ingalf, der dem Flüchtenden zuerst mit sei-
prallt jemand von hinten gegen ihn. nem Schneidzahn verfehlt und sich dann erst einmal
Frumol geht zu Boden und er merkt, dass noch je- umgeschaut hatte.
mand auf ihm liegt. Als Sephyra Frumols "Missgeschick" bemerkt, denkt
'Bei Phex - was ist denn das?' Während Frumol fällt, sie nicht nach, sondern stürzt mit gezogenem Rapier
ist er sich sicher, keinen Baumstamm übersehen zu und einem Schrei: "Frumol!" auf ihn zu. Sobald sie
haben. ihn erreicht, versucht sie, den einen der Räuber mit
einem galanten Ausfallschritt und vorgehaltenem Ra-
'Da muss noch einer sein!' schießt es ihm durch den
pier aufzuspießen.
Kopf. Klare Gedanken kann Frumol nicht mehr
fassen, die Angst nimmt überhand. Einer der Räuber liegt auf Frumol und wird aber von
ihm festgehalten, also greift Sephyra den anderen
Schließlich wollte er doch gar nicht kämpfen!
Räuber an. Ihr Stoß geht fehl, aber die Konterattacke
Er lässt sein Rapier los und versucht sich aus seiner nicht. Sephyras linker Oberschenkel wird schwer ge-
misslichen Lage zu befreien, indem er versucht, sei- troffen.
nen Gegner in eine festen Griff zu bekommen.
"Aaarrrghh!!" entringt es Sephyras Kehle bei dem
Und das gelingt ihm: Frumol schafft es, sich herum- Treffer. 'Verdammt! Was musste ich mich hier auch ins
zuwinden und den Räuber zu umklammern. Und der Getümmel stürzen!' geht es ihr für Sekundenbruchtei-
schafft es nicht, sich zu befreien. le durch den Kopf, bevor sie sich wieder auf den
Frumol gelingt es allerdings auch nicht, den Räuber Gegner konzentrieren kann.
herumzuwinden. Fast bis auf den Knochen geht der Schlag durch. Sie
Frumol möchte dem Patt, das sich in diesem Kampf beißt aber die Zähne zusammen und greift weiter an.
eingestellt hat ein Ende bereiten. So stößt er den Tula- Nach ein paar weiteren Schlagwechseln gelingt Se-
miden kräftig mit dem Dolch, den er immer noch in phyra ein guter Stoß in den Unterleib des Räubers.
der Linken hält, an. Er hat nicht vor, ihn mit dem Und dann ist Ingalf heran, der sofort Sephyras
Dolch ernsthaft zu verletzen, eher möchte er ihn zum Verletzung bemerkt und mit dem Kommando "Lass'
Aufgeben bewegen. mich!" den Kampf übernimmt.
"Hör endlich auf, dich zu wehren" zischt er ihm zu. Auf den Ruf des Freundes hin weicht Sephyra sofort
Das scheint der Räuber nicht verstanden zu haben, nach hinten aus und hält sich mit der freien Hand die
denn er versucht weiterhin, sich loszureißen - und hat Wunde zu, damit nicht zu viel Blut austritt: 'Meine
damit Erfolg. Er bekommt seinen Oberkörper frei, schöne neue Hose.' jammert sie innerlich.
richtet sich auf, und diese Gelegenheit nutzt Frumol, Im folgenden Schlagwechsel wird für den kundigen
ihm den Dolch in den Bauch zu stoßen. Der Räuber Leser wieder einmal deutlich, dass eine Axt zwar eine
reißt die Augen auf und kippt zur Seite weg. hervorragende Angriffswaffe, aber wenig zum Pa-
Frumol bekommt noch mit, dass Sephyra ankommt, rieren geeignet ist: Der Räuber verletzt Ingalf am lin-
dann hört er Kampfgeräusche, und dann kommt auch ken Unterarm.
Ingalf mit "Lass mich!" an. Der Räuber versucht Bei seinem nächsten Schlag bleibt Ingalf fast das Herz
verzweifelt, sich aus Frumols Griff zu befreien … stehen: Er schlägt mit voller Kraft quer in die Luft, da
Sollte der Räuber nicht seinem Wunsch nachkommen er nicht ganz sicher steht, gerät sein Körper in Dre-
und sich weiter wehren, so wird er ein zweites Mal hung, und er wendet seinem Gegner den ungeschütz-
kräftig zustoßen - dieses Mal wird sicher Blut fließen. ten Rücken zu. Verzweifelt beschleunigt er die Dre-
Offensichtlich droht ihm von dem zweiten Gegner hung, und wie ein Segelbaum kommt die Axt herum
keine Gefahr mehr. Sephyra ist doch ein wahrer und trifft den Räuber voll in die Seite. Rippen kra-
Engel! Dies ist aber kein Grund sich bis in alle Ewig- chen, der Räuber bricht zusammen, und reißt die in
keit mit diesem Gegner zu beschäftigen – vor allem, ihm festsitzende Axt mit sich. Ingalf muss sie los-
das Frumol unter ihm liegt … lassen, um nicht selbst hinzufallen.
Aus Sicht Ingalfs stellt sich die Sache so dar: Er ver-
Nach dem Kampf
folgt seinen verletzten Gegner, erreicht aber nicht (mit
zweihändiger Orknase läuft es sich halt wesentlich Ihre Waffe lässt sie sinken und stützt sich schwer mit
schwerer als ohne), bis dieser schon fast am Waldrand dem Rücken gegen einen Baum und versucht, den
gegen Frumol prallt, der offenbar gerade mit einem Schmerz zu ignorieren, nur mit mäßigem Erfolg.
dritten Räuber kämpft. Frumol und der Verletzte ge- Dabei sieht sie Ingalfs Treffer und schlagartig muss sie
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ob der blutigen Angelegenheit würgen, so grässlich ist schneidet … Nein, was sollen der Kawaljere und In-
der Anblick. galf denken?'
"Alles in Ordnung, meine Dame, meine Herren?" Sephyra sieht sich um, ob die anderen weit genug weg
Randirion kommt, leicht verletzt und besorgt ausse- sind. Wenn ja, lässt sich Sephyra Frumols Jacke geben,
hend hinzu. die dieser ausgezogen hatte, bindet sich die Ärmel um
die Hüfte, so dass die Jacke vorn zusätzlich über den
"Dieses kriminelle Pack, dieses impertinente Gesindel
Beinen liegt und zwängt sich aus der Hose. Die
hat uns eine Falle gestellt!"
Schmerzen sind stark, die Bewegungen fallen ihr
Randirion kann es noch immer nicht fassen. sichtlich schwer, jedoch lehnt sie jede angebotene Hil-
Frumol zieht nicht einmal mehr den Dolch aus dem fe ab und müht sich lieber.
toten Körper, stößt ihn einfach von sich, und richtet Dann ist es geschafft, Sephyra hat die Hose ausgezo-
sich auf. gen und sitzt nun mit dem Rücken am Baum,
Überall sieht er Blut. Er selbst ist blutverschmiert aber Frumols Jacke über dem Schoss und lässt das Bein nur
glücklicherweise nicht von dem eigenen. Als er sich so weit wie notwendig darunter hervor gucken, damit
umblickt sieht er noch mehr. Der Tote ist übel Frumol die Wunde verbinden kann.
zugerichtet - und nicht nur von seinem Dolchstoß. Et- Die Wunde selbst scheint nicht bis auf den Knochen
was weiter liegt der zweite, Ingalfs mächtige Axt steckt gegangen zu sein. Gut verbunden sollte sie in zwei
noch in seinem Körper. Tagen verheilt sein. Frumol überlegt, was er zum Ver-
Auch Ingalf ist blutbesudelt, er scheint am Arm binden nehmen kann und bemerkt in diesem Moment
verletzt zu sein. den hinzugekommenen Randirion. Er hat aber nicht
Und Sephyra lehnt an einem Baum, sie ist ziemlich mitbekommen, was dieser gesagt hat.
bleich und hält sich ihr linkes Bein. Ihre Hände und Frumol nimmt zur Kenntnis, wie tapfer seine Freun-
Hose sind blutverschmiert! din ist und schaut ihr mit gemischten Gefühlen zu.
Einen Moment braucht Frumol um alles zu verarbei- Gerne würde er ihr helfen - doch seine Hilfe hat sie
ten, dann scheint sein Herz einen Schlag auszusetzen: abgelehnt. Setzt er sich darüber hinweg wird sie ihm
Sie ist verletzt! kräftig auf die Finger hauen sobald sie wieder aufrecht
steht. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit den
Er hechtet zu ihr, geht neben ihr in die Knie. "Lass
Finger zu ringen und ihren Wünschen nachzukom-
mich mal sehen" versucht er möglichst ruhig zu sagen.
men.
Er sieht, dass sie Schmerzen hat, also muss es
schlimm sein. Sanft berührt er ihre Hände, damit sie Als er seine Jacke holt, bringt er auch gleich seinen
die Wunde freigibt. Rucksack mit und holt daraus das Verbandszeug her-
vor.
Das erinnert ihn wieder an das schwarze Schiff, als er
Ouroborox nach dem Kampf in der Weinkammer ver- "Das ist gar nicht so schlimm" beruhigt er Sephyra als
binden musste. Auch er musste mehrere schwere er die Wunde untersucht. Behutsam sucht er nach
Treffer einstecken. Verunreinigungen und Stoffresten im Inneren der
Wunde. Vorsichtig wischt er das Blut von ihrem Bein
Dies hätte nicht geschehen müssen - Sephyra wollte
und verbindet sie möglichst sanft.
ihm doch nur helfen. Und er hat sich leichtsinnig mit
zwei Turbanträgern angelegt! Als der Verband fertig ist, ist Frumol richtig mit sich
zufrieden. Die Wunde sollte schon morgen früh im
Die Berührung lässt sie kurz zusammenzucken, dann
wesentlichen verheilt sein.
aber nimmt sie die blutigen Hände weg und stützt
sich damit am Baumstamm ab, rutscht diesen mit "Ha, du hast leicht reden!" presst Sephyra zwischen
dem Rücken langsam hinab, bis sie mit dem Rücken den Zähnen hervor, denn die ganze Aktion ist nicht
dagegen gelehnt sitzen bleibt. Sie presst die Zähne zu- nur anstrengend, sondern auch recht schmerzhaft.
sammen und lässt Frumol die Wunde untersuchen. 'Aber wer wird denn jammern?' denkt sie sich. Inter-
essiert sieht sie Frumol bei seiner Tätigkeit zu: 'Na ja,
In der Hose ist ein ein halben Spann langer Schnitt zu
wenigsten scheint er zu wissen, was er da tut.'
sehen. Drum herum ist Blut, aber glücklicherweise
keine Fontäne. Zum Versorgen der Wunde muss Als Frumol den Verband fertig hat, bewegt Sephyra
Frumol Sephyra die Hose ausziehen, und da Frumol vorsichtig das Bein. Dann zieht sie die Hose wieder an
weiß, dass Sephyra bestimmt nicht zur Prüderie neigt, und gibt Frumol anschließend die Jacke zurück, reicht
bittet er sie kurzerhand sich hinzusetzen, damit er ihr ihm die Hand und wartet darauf, dass er ihr auf die
die Hose ausziehen kann. Füße hilft. Dabei bemerkt sie dann: "Scheint ein guter
Verband zu sein, nicht zu fest, verrutscht aber auch
"He, ich sitze doch schon!" gibt sie zurück. 'Na toll,
nicht." Als sie steht, haucht sie ihm ein Bussi auf die
jetzt soll ich mich auch noch ausziehen, das darf doch
Wange: "Danke", sagt sie schlicht.
alles nicht wahr sein! Aber bevor er das Hosenbein ab-
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"He, nicht so schnell", weist er sie an: "Die Behand- fragt er sich kurz wie man dies in ein gutes Hautbild
lung ist noch nicht beendet." So nimmt er sie fest in einbringen kann, doch dann werden seine Gedanken
den Arm und drückt sie an sich. Er ist froh, dass ihr wieder praktisch. "Hat jemand nen halbwegs sauberen
nichts Schlimmeres widerfahren ist. Lappen, den ich da drum mach kann? Un' wenn mir
Ingalf schaut sich gehetzt um, aber alle unmittelbare dann noch jemand hilft, mit einer Hand halten die
Gefahr scheint gebannt. Dann steht er schwer atmend Dinger nich' so tolle."
über seinem erschlagenen Gegner, für den Betrachter Während Ingalf wartet, dass ihm jemand bei der
scheint er tief in Gedanken, fast in Trance. Doch in Wunde hilft, fällt sein Blick auf die seltsame Kopfbe-
ihm brennt ein weiterer Kampf zwischen Verstand deckung eines der Getöteten. Die sieht aus, als ob sie
und Instinkt. Tief im Unterbewusstsein registriert sein aus einem längeren Stoffstreifen gewunden ist.
Verstand das Ende der Schlacht und einen leichten Wenn Sephyra wieder beisammen ist:
Schmerz am linken Arm, aber noch rauscht zuviel Ad-
"Sagt, werte Madame Lunor, wärt Ihr so gut, die
renalin durch seinen Körper um sich mit einer solchen
Kriminellen nach dem Verbleib der Kinder zu
Bagatelle abzugeben. Wo sind die anderen zu er-
fragen?"
schlagenen Feinde, wer bettelt um einen schnellen,
gewaltsamen Tod? Sein Instinkt scheint nach mehr Randirion macht unbestimmte Bewegung zu den
Blutvergießen zu gieren. Nur langsam gewinnt der liegenden Räubern. Durch die damit verbundene Dre-
Verstand die Überhand, Ingalf scheint aus seiner Tran- hung werden ihm seine Verletzungen schmerzhaft be-
ce zu erwachen. Er sieht sich ein wenig desorientiert wusst.
um, entdeckt seine Axt noch im Körper des toten Räu- "Ja, werde ich tun. Später." antwortet Sephyra. Zu-
bers und ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht. nächst hebt sie den Wurfdolch auf, der vom Räuber
'Mutters Axt, meine Waffe.' Er macht einen Schritt auf abgeprallt war und verstaut ihn wieder an seinem
den Räuber zu, nimmt den Axtstiel in die Hände, Platz.
stellt den linken Fuß auf den Gegner und zieht mit Als Sephyra sich anschließend die Räuber genauer an-
einem leicht schmatzenden Geräusch die Axt aus dem schaut, stellt sie fest, dass Frumols und Randirions
leblosen Körper. Er betrachtet sie fast liebevoll und Gegner noch atmen. Randirions Gegner ist bewusst-
wischt dann mit einem Stofffetzen, den er seinem ehe- los, Frumols Gegner hat aber die Augen auf. Er schaut
maligen Gegner abreißt, das Blatt und den Stiel sorg- sie angstvoll an.
fältig ab. Was zu einem schmerzhaft verzogenen Gesichtsaus-
Er sieht Frumol bei Sephyra, Randirion scheint noch druck führt und zu "Und - ähm - Herr Pellocke? Ihr
zu stehen; er nickt allen freundlich zu und macht er scheint Euch auf das Verbinden von Wunden zu ver-
sich noch scheinbar ein wenig benommen und milde stehen. Dürfte ich Euch um einen großen Gefallen
lächelnd auf die Suche nach seinem Wurfbeil. bitten?"
Er findet es nach kurzer Suche. Mit einem Seufzer löst Frumol die Umarmung. Wie
Ingalf bückt sich, nimmt das Beil und verstaut es gern hätte er Sephyra noch weiter festgehalten, doch
wieder im Gürtel. Langsam kehrt die Realität wieder die Stimme des Herrn Kavaljäre bringt ihn in die
komplett in sein Bewusstsein zurück, und damit auch Wirklichkeit zurück.
der Schmerz, sein Unterarm brennt wie Feuer. "Seid ihr auch verletzt, Herr Kavaljäre?" fragt er ihn -
'Eigentlich nur ein etwas tieferer Kratzer, ein einzelner obwohl die blutigen Flecken seiner Kleidung dieses
Treffer, aber na ja, auch der letzte Hieb war ein einzel- nahe legen.
ner Treffer, und der hat den Kerl sein Leben gekostet.' Als Frumol sich Randirion anschaut, sieht er, dass
Er grinst ein klein wenig. Randirions Wams an zwei Stellen wohl von je einem
"Ein guter Kampf, nicht wahr?" fragt er die anderen. Hieb getroffen ist. Und es ist Blut zu sehen.
Randirion spricht Ingalf an. Während Frumol noch auf eine Antwort des Herrn
"Sagt, Herr Ingalf, kommt es Euch nicht auch so vor, Kavaljäre wartet, mustert er den heran getretenen In-
als wäre dies eine Falle gewesen? So schnell hat doch galf. 'Oh nein! Nicht noch einer' stöhnt er innerlich
niemand eine Waffe zur Hand und ist im vollen Laufe auf.
…" "Sehr geehrte Herren!" beginnt er als würde er eine
"Falle? Nun ja, wahrscheinlich war'n wir nich grad Ansprache halten wollen. "Die Praxis des hohen und
leise. Keine Ahnung, scheinen ja nich alle drauf ge- einzig verfügbaren Leibarztes, des großen und beein-
gangen zu sein, fragen wir sie ma'." druckenden Herrn Frumol Pellocke ist nun geöffnet!
Darf ich die bedürftigen Herren bitten, einzeln vorzu-
Er schaut sich die Wunde an seinem Arm etwas ge-
treten - dann werde ich mich sofort um Ihre Wehweh-
nauer an. Eine tiefe Fleischwunde ist es schon, das
chen kümmern, so dass diese alsbald kuriert und
wird eine hübsche Narbe werden. In seinem Geiste
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vergessen sein sollen." Er beendet seine Ausführungen "Ich denke ihr habt die Worte des Müllers ebenso ge-
mit einer ausschweifend einladenden Geste. hört wie alle anderen auch. Außerdem habt Ihr, Herr
Währenddessen ruft er sich in Erinnerung, dass sein Kavaljäre, selbst entschieden, was ihr in der Obhut des
Vorrat an Verbandsmaterial nach diesen Behand- Müllers zurücklasst. Dass ich den Rucksack mitnahm,
lungen wohl erschöpft ist. Hätte er das geahnt, hätte hat sich als richtige Entscheidung herausgestellt." ant-
er sicherlich etwas mehr eingekauft. wortet ihm Frumol ehrlich.
Randirion kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Außerdem - wozu braucht ihr eine Rüstung, wenn
ihr kämpfen könnt?" fügt er kritisch hinzu. Er hat
"Wenn Ihr gestattet, gelehrter Herr der Medizin,
zwar noch nie eine Rüstung getragen, weiß aber, dass
würde ich gerne Ihre Dienste in Anspruch nehmen."
sie ziemlich einengend sind. Und unbequem dazu.
Randirion verbeugt sich schwungvoll, schnappt aber
Er wendet sich an Ingalf. "Komm zu mir, Sohn des
dabei schmerzhaft nach Luft.
Meeres. Hab keine Scheu."
"Ihre Fähigkeiten, Herr Pellocke, wären in der Tat von
Ingalf prustet bei dieser Anrede unterdrückt los.
höchstem Nutzen!"
"Nee, wat praktisch, dat du Arzt bis'" staunt Ingalf, als
Frumol fordert Randirion auf, sich Wams und Hemd
er diese überraschende Neuigkeit erfährt. "Hätt ich so
zu entledigen.
nit gedacht, aber immer gut, einen zum Zusammen-
"Sehr wohl, hoher Herr." Spielt Frumol das Wortspiel flicken zu haben."
etwas weiter.
Bei Ingalf ist es überhaupt kein Problem, die Wunde
"Kommt heran", fordert er ihn mit einer Handbewe- zu verbinden. Frumol schätzt, das bereits am nächsten
gung auf. "Gestattet mir, hoher Herr, dass ich Euch Morgen nur noch etwas Schorf an die Wunde erinnern
bitte, Euren Oberkörper frei zu machen." wird.
Was Randirion ohne große Scheu tut. "Keine Sorge, morgen Abend habt ihr die Wunde
Mit einem schelmischen Seitenblick auf Sephyra vergessen", entlässt er ihn aus seiner Fürsorge. Mit
ergänzt er: "Falls es Euch unangenehm sein sollte, einem deutlichen Blick auf Sephyra fährt er fort: "Ihr
wird die Dame sicherlich schicklich ihren Blick auf sorgt für einen bequemen und lauschigen Schlafplatz
eine wohlriechende Blume wenden." für meine Assistentin und mich in der nächsten Her-
"Aber Herr Pellocke, ich bin sicher, die Dame kann berge."
selbst entscheiden was schicklich ist - und was inter- "Na klar Mann, wir suchen uns ne nette Ecke im
essant." Schlafsaal, wenn wa 'ne Kneipe finden, da können
Randirion zwinkert Sephyra zu. 'mer noch ein bissen klönen … falls wir nich mit'm
Kopp auf'm Tisch ratzen." Ingalf lacht vor Vorfreude
Sephyra spielt mit und wendet demonstrativ den Blick
auf das Saufgelage.
auf einen herunter hängenden Ast und riecht daran:
"Hmm, wunderbar, dieser Duft!" und grinst. Dann Bei diesen Worten muss Frumol unwillkürlich
wendet sie sich ab und befragt die Halunken. schmunzeln.
Die 2 Hiebe sind längst nicht so tief wie bei Sephyra. 'Damit wären Speis' und Unterkunft erstmal gesi-
Die Wunden sind leicht zu versorgen. Allerdings ver- chert.'
braucht Frumol einen Großteil seines Leintuches, um 'Morgen …' Frumol fällt auf, dass es bereits deutlich
Randirion zu verbinden. Nachmittag ist.
Frumol wischt hier und drückt dort ein wenig und Frumol blickt sich um und nimmt sein Rapier vom
verbindet schließlich die beiden Wunden und ver- Boden auf. Er säubert es an der Kleidung eines Toten.
knotet den Verband. Den Dolch lässt er im Bauch des Mannes stecken,
"Hervorragende Arbeit, habt vielmals Dank, Herr Pel- schließlich will er ihm nicht noch mehr Schmerzen
locke!" bereiten.
"Fertig, hoher Herr." entlässt er seinen Patienten. "Als Er kann ihn auch später noch an sich nehmen.
Entlohnung geht die Zeche meiner Assistentin und "Wie schnell doch Praios über den Himmel wandert",
meiner Bescheidenheit in dem nächsten Gasthof auf murmelt er vor sich hin.
Euch." "Sephyra - Könntest Du bitte den Schurken hier nach
"Akzeptiert. Sagt, Herr Pellocke, bitte, frischt mein den Kindern befragen? Die Müllers sorgen sich be-
Gedächtnis auf - wer von uns hatte den Eindruck ver- stimmt."
mittelt, dass es nur um ein paar Kinder gehe und Sephyra knöpft sich den weniger Verletzten vor und
nicht in den Kampf? Ich hätte meinen Küraß gut ge- fragt zunächst auf Garethi: "Wer seid ihr, was macht
brauchen können, der jetzt relativ nutzlos in des Mül- ihr hier?"
lers Scheune auf meinem Packsattel liegt …"
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Der antwortet auf Tulamidia: "Verstehe nicht." ruinierten Hemds um den Straßenräuber zu ver-
Sollte das nicht erfolgreich sein, wiederholt sie die binden.
Fragen in Tulamidia mit den darin üblichen Aussch- Als Frumol mit dem Verband fertig ist schaut er auf,
mückungen, Flüchen und Verwünschungen … ("… was die anderen so treiben. 'Oh, großes Palaver' kom-
Du Sohn einer …") mentiert er die etwas weiter stehende Gruppe. Etwas
Die Befragung gestaltet sich ein wenig schwierig, was Hilfe hätte ich mir schon erhofft.
wohl nicht nur an der nicht ganz perfekten Sprach- Er erhebt sich langsam und schaut zu dem zweiten
kompetenz Sephyras liegt. Aber mit der Zeit und ein Verwundeten, dem Bewusstlosen, hinüber. Zwar hat
paar Drohungen kriegt Sephyra aus ihm heraus, dass er nichts mehr zum Verbinden, aber es wird sich schon
die drei Freischaffende sind, denen der Boden in be- etwas finden lassen …
wohnteren Gebieten etwas zu heiß geworden ist. Dieser Räuber ist von einer Vielzahl kleiner Wunden
Auf die Kinder angesprochen überrascht der Räuber übersät. Und dann gibt es noch eine tiefe Bauch-
Sephyra mit völligem Unverständnis. wunde. Eventuell könnte man Turban und Hemd des
"Nun, Madame Lunor, was spricht dieses aggressive Verletzen selbst zum Verbinden nehmen, was Frumol
Gesindel? Wo befinden sich des Müllers Kinderlein?" auch tut. Nun ist der Tulamide in der Hand der Göt-
ter.
Randirion versucht, die ruinierten Reste seiner teuren
Kleidung einigermaßen wieder zurecht zu zupfen. "Nun, das sind schlechte Neuigkeiten."
Er wendet sich an Sephyra, die mit der Befragung Randirion ist verwirrt.
fertig zu sein scheint. "Und was jetzt?"
"Was hat er gesagt?" Randirion schaut sich um: Er sieht seine Gefährten,
"Nun, diese hier scheinen über die Kinder nichts zu die Räuber, drei Zelte, die Feuerstelle, den Wald
wissen. Es sind 'ganz normale' Wegelagerer" antwortet drumherum.
Sephyra mit einem Schulterzucken. "Na, weitersuchen, nur wo?" Ingalf kratzt sich nach-
"Das ist keine gute Wende der Ereignisse." antwortet denklich am Kinn. "Die Kinners sinn rin innen Wald,
ihr Frumol. so viel war ma' sicher, oder? Un' beide Räuber sinse
nich', sagen die. Gucken wir uns doch erstma' die
Dann geht er zu dem Verletzten, um dessen Wunden
Zeltchen hier an, un' dann kömm'er immer noch
zu untersuchen.
anderswo hingehen." Ingalf schultert die große Axt
'Ich kann sie hier doch nicht einfach liegen und und spaziert auf die Zelte los, bleibt jedoch einige
sterben lassen.' Schritt vor dem ersten stehen und ruft: "Wenn da nu
Vorsichtig nähert er sich dem Mann, um ihn nicht zu noch sonne Halunken drinnen sind, kommt ma besser
verschrecken. raus, sonst gibbet noch heftigere Haue als für eure
Der schaut ihn nur angstvoll an, sagt aber nichts wei- Kumpels."
ter. Er sieht übel aus mit der tiefen Schulterwunde, die Da sich daraufhin nichts rührt, nimmt er die …
Ingalfs Axt geschlagen hat. Über der linken Braue hat … Axt in beide Hände und schlägt mit dem Fuß die
er eine Platzwunde, wohl das Ergebnis von einer der Eingangszeltplane des ersten Zeltes zur Seite.
Bleikugeln Randirions. Und dann ist da noch der
Ein Schlafplatz, bestehend aus ein paar Decken,
Dolch, der tief in seinem Bauch steckt.
einige schmutzige und einige saubere Kleidungs-
'Für Dich kann ich nichts tun, Freischaffender. Bei je- stücke, ein bisschen Geschirr, ein Lederriemen.
dem in Deinem Zustand wäre ich machtlos.' stellt
Das ist alles. Es gibt nichts, was auch nur im entfern-
Frumol traurig fest. Dennoch schafft er es, ihn auf-
testen auf die Kinder hindeutet.
munternd anzulächeln.
In den anderen beiden Zelten ist es ähnlich. Die drei
Er reißt von seinem neuen Hemd die Ärmel ab. Die
Räuber scheinen ziemlich arme Hunde zu sein. Geld
Blutflecken würden sich sowieso nie wieder heraus
ist in keinem der Zelte zu sehen.
waschen lassen. Mit einem Ärmel verbindet er, eher
notdürftig, die Schulterwunde. Randirion denkt laut nach.
'Vielleicht hilft es ihm auf dem Weg zu Boron', recht- "Also, wenn die Kinder nicht beim Köhler angekom-
fertigt er seine Bemühungen in Gedanken. men sind, und auch nicht abgebogen und hier ge-
landet sind, müssen sie sich abseits der Wege seitwärts
Frumol ändert seine Entscheidung und greift vor-
in den Wald geschlagen haben, oder?" Er versucht sich
sichtig nach dem Dolch um ihn langsam aus der
zu erinnern. "Oder haben wir eine Abzweigung über-
Wunde zu ziehen. Anschließend benutzt der seinen
sehen?"
zweiten Hemdsärmel und notfalls auch den Rest des
Er wendet sich an die anderen.

31
"Oder geht meine Logik fehl ob des Blutverlustes? herrsche, auch mein Wams habe ich nur etwas zurecht
Ehrenwerte Gefährten, mein Bosparano ist fast am gezupft. Doch was Eure Hose betrifft, so muss ich
Ende." sagen, dass dieser Schnitt die Schönheit Eurer Beine
Sephyra blickt fast abwesend in den Wald und denkt positiv akzentuiert - es wäre geradezu schade, dieses
nach. 'Wenn die Kinder nicht hier waren, wir keine Loch schnöde zu stopfen!"
Abzweigung fanden und die Räuber sie nicht gesehen Randirion verbeugt sich.
haben - wo sind sie dann?' … Nach einer kleinen Sephyra ignoriert den Einwurf und die Schmeichelei-
Weile, in der sie gedankenverloren mit dem aufge- en und antwortet schlicht: "Schade, dann eben nicht."
hobenen Wurfdolch gespielt hat, dreht sie sich zu den
"Also dann los, worauf warten wir?" fragt sie.
anderen um und fragt: "Was ist, wenn die Kinder gar
nicht hier in den Wald gegangen sind?" und deutet "Euch zu folgen, Madame Lunor, ist mir stets eine
dabei den Pfad zurück, den die Gruppe genommen besondere Freude."
hat. "Vielleicht sind die beiden ja irgendwo den Randirion verbeugt sich zu Sephyra, nimmt seinen
Hoppelhäschen hinterher gelaufen?" Krempel, lädt die Balestrina und ist bereit.
"Hm. Dann haben wir ein Problem. Versteht sich ir- Und dann ist auch Frumol mit dem zweiten verletzten
gendeiner der Dame und Herren auf die hohe Kunst Räuber fertig.
des Spurendeutens?" Frumol erhebt sich und reibt die Hände aneinander.
"Hmm, aber wo ich jetzt so darüber nachdenke … es Er sammelt seinen Rapier und die Wurfdolche ein.
gab doch vorhin eine Wegkreuzung mit einem alten, Dann öffnet er den Rucksack und entnimmt diesem
fast verschwundenen Waldpfad. Vielleicht finden wir den maßgeschneiderten Schulterriemen mit den
dort etwas …" passenden Dolchen, welchen er sich umschnallt.
Währenddessen wird seine Klinge an einem Stück Dann prüft er schnell den richtigen Sitz und zieht
Stoff sauber gewischt und in die Scheide gesteckt. sich seine lederne Jacke über. Schließlich muss er
Randirion sieht wieder fast so tadellos aus wie immer. nicht mit nacktem Oberkörper durch diesen Wald
laufen.
"Ach, Herr Kawaljere, wären Sie so freundlich, mir
später vielleicht ebenso geschickt bei der Restauration Die anderen sind offensichtlich mit ihrer Untersu-
meines Gewandes zu helfen? Mit Nadel und Faden chung der Zelte und der Lichtung fertig. Da sie sich
haben Sie das Loch in der Hose sicher schnell geflickt auf ein weiteres Vorgehen geeinigt haben, gesellt er
…" fragt sie mit honigsüßem Lächeln. sich zu ihnen und wartet auf eine Reaktion. Als die
Gruppe aufbricht, folgt er ihnen.
"Madame Lunor, zu meiner Schande muss ich ge-
stehen, dass ich die flinke Kunst der Nadel nicht be-

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Wohin?
S zurück und kommt wieder an die Stelle, wo sie
ephyra führt die Gefährten den Trampelpfad scher Ast durchgebrochen wird. Er schaut hoch und
sieht eine haarige Gestalt mit Stab in der Hand und
beim letzten mal der abknickenden Spur gefolgt zerrissener graubrauner Robe. Die Gestalt - ein alter
waren. Mann? - hält an, sieht Frumol direkt ins Gesicht, reißt
Aus dieser Perspektive wird es deutlicher als vorhin: erschreckt die Augen auf, dreht sich um und läuft mit
raschen Schritten zwischen den Bäumen den Abhang
Es scheint ein breiter Weg durch den Wald zu führen,
hinauf.
der kaum benutzt wird. Nach links sind noch ein paar
Spuren zu sehen. Dort geht es zum Köhler - und zur Gleich wird die Gestalt außer Sichtweite sein!
Mühle. 'Ein Druide!?' überrascht blickt Frumol den Alten an.
Nach rechts ist der Boden von trockenen Blättern be- Dann fallen ihm die alten Schauergeschichten über
deckt. Ohne jede Spur, aber fast schnurgerade. Zwei die geheimnisvollen Druiden wieder ein.
Fuhrwerke könnten einander ohne Mühe passieren. Mit dem Wald verbündet sollen sie ein. Und Kinder
"Na, zurück wolln 'mer ja wohl nich', oder? Dann klauen sie - so erzählte es ihm immer die Oma. Er
bleibt ja nur noch der hier." Er zeigt auf den scheinbar hatte nie viel darauf gegeben, denn Druiden kommen
unbenutzten Weg und geht los. nur selten in die Stadt.
Eine gute Stunde lang bewegt sich die Gruppe durch "He, Alter Mann!" ruft er dem Fremden hinterher,
den unheimlichen Wald. Keine Spur ist zu sehen, kein während er ihm schon nach setzt.
Laut, bis auf einen gelegentlichen Vogelschrei, ist zu "Warte!"
hören. Als Frumol so plötzlich im Wald verschwindet und
Der Weg - ganz offensichtlich handelt es sich um den Weg verlässt, sieht sich Sephyra verdutzt um: "He,
einen - hat in den letzten Minuten eine leichte Links- Herr Kawaljere, was ist denn da los? Ist Euch irgend
kurve gemacht, und rechter Hand steigt das Gelände etwas aufgefallen?"
leicht an. Sephyra hat ein gewisses Gespür für die "Ja, ein sich verdächtig verhaltendes Subjekt! Kommt,
Wildnis (unter Blinden ist die Einäugige Königin), Domna!"
und so fällt ihr an einer Stelle etwas auf: Am Weges-
Randirion setzt hinterher und darauf, dass Sephyra
rand liegen drei faustgroße Steine im Dreieck anein-
nun ebenfalls folgt.
ander, und obendrauf liegt ein vierter.
"Halte er ein, alter Mann! Im Namen der Zwölfe, wir
"Da, seht!" ruft sie aus. "Hier ist ein Zeichen, Steine
wollen Euch nichts Böses!"
im Dreieck, die einen Pfeil für die Richtung oder auch
eine Wegmarkierung sein könnten." Sephyra ruft dann noch: "Frumol, wo willst du denn
hin, warte!"
Sie kauert sich hin, um die Steine genauer zu betrach-
ten, ohne sie jedoch zu berühren. Frumol hält nicht an.
Randirion sieht kurz hin, kann jedoch Sephyras Inter- "Ha, was?" Ingalf schaut kurz verdutzt drein, dann
esse nicht verstehen. sprintet er Frumol und dem seltsamen Mann hin-
"Faszinierend." terher.
… und wartet höflich, bis es weitergeht. Und dann rennt auch noch Ingalf los.
Es ist ein Haufen aus vier Steinen. Mehr nicht. Aber Aber sie folgt ihm nicht. 'Ganz toll! Jetzt rennen die
so, wie sie liegen, können sie hier nicht zufällig hinge- beiden auch noch in den Wald hinein, als ob wir nicht
kommen sein. genug Probleme hätten …' kommentiert sie in Ge-
danken Ingalfs Verschwinden.
"Hmm" überlegt Sephyra laut, "ich weiß nicht so
recht, aber das muss einfach ein Zeichen sein, was … und Randirion rennt auch noch hinterher.
meint ihr?" fragt sie. Randirion schafft es gerade eben, ohne allzu sehr zu
"Da stimme ich Dir zu. Aber vielleicht ist es nur eine stolpern in Sichtkontakt mit Ingalf zu bleiben.
alte Markierung, von damals, als der Weg noch häu- Allein bleibt Sephyra auf gar keinen Fall. Sie rückt den
figer benutzt wurde …" In diesem Wald ist ihm un- Rucksack zurecht und folgt dem Kavaljäre …
wohl zumute, und er wünscht sich, schnell wieder
hier heraus zu sein.
In diesem Moment hört Frumol aus dem Wald rechts
des Weges ein leichtes knack, als ob ein dünner mor-

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Der Mann ist nicht besonders schnell, aber er scheint Als Randirion näher herankommt, ist in einigem Ab-
sich genau auszukennen - im Gegensatz zu Frumol stand hinter ihm auch Sephyra zu sehen.
und Ingalf. Während er mit keinem einzigen Ast Frumol ist erleichtert als er Sephyra sieht - hatte er
kollidiert, über keine einzige Wurzel stolpert, kämpfen doch schon befürchtet, dass der Aufstieg ob ihrer
seine Verfolger mit den Tücken des Waldes. Verletzung zu beschwerlich sein würde.
"Autsch. He du, nu wart doch ma'! Wir … Mist … Beim Umherschauen sehen die Ankommenden, dass
wollen gar nix schlimmes, nur … verdammt … was auf der Lichtung anscheinend ein kleiner Garten
fragen. Donnerwetter noch ma'! Nu bleib doch ma' angelegt ist. Dort wachsen Beeren, Kohl, Schnittlauch
steh'n." und andere Kräuter und Gemüse.
Ingalf versucht so schnell es geht, dem Mann hin- Als Sephyra die Lichtung erreicht, schnauft sie tief
terher zu kommen. durch und dann erst merkt sie eigentlich, dass sie
Frumol senkt den Kopf und hebt schützend die Arme, große Schmerzen im Bein hat: 'Ach, meine Wunde!
so dass sein Gesicht von den Zweigen und Ästen ge- Verdammter …' Sie presst die Zähne zusammen und
schützt wird. Seine Lederjacke bewahrt die Arme vor hält die Hand auf die Wunde, damit diese nicht even-
den schmerzhaften Kratzern, nur seine Hände sind tuell noch aufgeht oder zu bluten beginnt.
ungeschützt. Da er den Rucksack nicht abgesetzt hat, Dann sieht sie sich um und bemerkt die kultivierten
wird dieser zu einem Hindernis, da sich hier Zweige Beete, 'mitten im Wald, komisch, wer haust denn hier?
verfangen. Bisher waren sie allerdings nicht kräftig Freiwillig?!'
genug um seinen Lauf aufzuhalten.
Frumol hat gerade eben etwas zu einer durch Felle
Sein Blick ist auf den Boden gerichtet um nicht zu verhängten Öffnung im Felsen gesagt. Was, das hat
stolpern, dabei schielt er immer wieder nach oben, um Sephyra nicht richtig mitgekriegt. Die Antwort aber
sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. schon. Da ist ein leichtes Zittern in der Stimme des
Hinter ihm läuft Ingalf, dann kommt Randirion und Unsichtbaren.
zum Schluss Sephyra. Ohne auf die Anderen zu warten geht Frumol zu dem
Es geht nun deutlich bergauf, und der Alte scheint je- verhängten Eingang.
den Stein und jeden Ast zu kennen. Aber die Jugend Dort angekommen spricht er laut und deutlich "Die
der Verfolger führt dazu, dass er nicht endgültig außer Götter zum Gruße, alter Mann!"
Sichtweite verschwinden kann.
Sofort ertönt von hinter dem Vorhang eine keifende
Schließlich erreicht die Jagd eine Lichtung vor einem Stimme: "Bleibt zurück, ihr von den Zwölfen
steilen Felsen, der hoch über die Bäume hinausragt. verlassenen Wichte, oder mein Fluch soll euch
Am Fuß des Felsens ist eine mit Fellen verhangene treffen!"
übermannsgroße Öffnung zu erkennen, in der der
Frumol weicht erschreckt einen Schritt zurück.
Alte verschwindet.
'Es ist wirklich ein Druide!' Böse sollen sie sein,
Als Frumol vor der Öffnung ankommt, hat er Seiten-
flüstern sich die Menschen hinter vorgehaltener
stechen. Als er kurz anhält, schließt Ingalf zu ihm auf.
Hand. Vor Menschenopfern sollen sie nicht zurück-
Schwer atmend bleibt Frumol stehen. Er hält sich die schrecken - Für ihre Rituale. Am liebsten Jungfrauen
Seite und bemüht sich, gleichmäßig und nicht allzu oder unschuldige Kinder.
hastig zu atmen. Dabei beugt er sich etwas vor um die
Was soll er tun?
Last der Rucksacks zu mindern.
"Wir sind keine von den Zwölfen verlassene Wichte."
Während so da steht, der Schweiß über sein Gesicht
stammelt Frumol unsicher.
rinnt und ein Windhauch ihn nach dieser Hetztour
angenehm kühl umströmt, lässt er den Höhlenein- 'Glauben Druiden an die Zwölf? Oder verehren sie
gang nicht aus den Augen. andere Götter' Frumol weiß es nicht.
'Das muss ein Druide sein!' "Ich bin Frumol." fährt er zögernd fort.
Hinter sich hört er jemand den Hügel - oder ist das 'War das klug, seinen Namen zu nennen? Kann der
schon ein ausgewachsener Berg? - hinauf schnaufen. Druide jetzt Macht über ihn erlangen? In den Ge-
Kurz blickt er sich um und erkennt Ingalf der ihm ge- schichten kommt so etwas vor …'
folgt ist. Ein ganzes Stück weiter unten müht sich der "Wir suchen jemand. Kannst Du uns helfen?"
Herr Kavaljäre mit dem Aufstieg ab. Und Sephyra? "Ich habe mit euresgleichen nichts zu schaffen. Haut
Er kann sie noch nicht zwischen den Bäumen er- ab! Ich bin mit schrecklichen Waffen gerüstet!" kommt
kennen. nach einer kurzen Zeit die Antwort.
Zögernd richtet er sich wieder auf, die Stiche in seiner
Seite lassen langsam nach.
34
Frumol will sich schon wieder umdrehen und den "Schade für dich, aber eigentlich nich' schlimm? Hast
vermeintlichen Druiden in seiner Höhle zurück- hier ja alles, wat man so braucht." Ingalf grinst. "Nu
lassen: 'Mit schrecklichen Waffen gerüstet? Wozu?' steck' ma dat Messerchen wech, wir woll'n nur wissen,
In den Erzählungen des fahrenden Volkes ist nie von ob du was vonne Kinders vom Müller weiß'." Er
bewaffneten Druiden die Rede gewesen. Sie haben schaut den Alten fragend an.
einen Stock und ein Messer, aber keine schrecklichen Während des Gesprächs hat sich Sephyra wieder et-
Waffen! was erholt und die Verletzung tut wieder weniger weh.
Mit einem schnellen Schritt ist er wieder bei dem Vor- Dann erst bemerkt sie, dass die Freunde bereits die
hang. Höhle betreten haben und sich mit deren Einwohner
unterhalten. Den Inhalt des Gesprächs hat sie - selbst
In diesem Moment ertönt Randirion "Ähm, guter
wenn gehört - nicht verfolgt.
Mann! Ich bin Cavalliere Randirion ya Calmatin aus
dem Alten Reiche. Ich weiß nicht, wen Er mit 'eures- Auch sie betritt nun die Höhle: "Sei gegrüßt!" spricht
gleichen' meint, aber ich denke, wir sind es nicht. Wir sie in einer kurzen Redepause der anderen den Alten
kommen in Frieden, und wollen Ihm kein Leid. Im an und wirft sehnsüchtige Blicke auf einen der roh ge-
Namen Travias und Hesindes, höre Er uns an!" zimmerten Stühle, denn mit der Wunde nicht auf der
Erde zu sitzen, wäre schon eine tolle Sache. 'Ob ich
'Möge Hesinde diesem Waldschrat etwas Hirn leihen,
mich einfach setze? Oder sollte ich lieber fragen?'
auf dass Er merke, wer hier steht!'
Während sie so nachdenkt, stützt Sephyra sich unbe-
'Phex, halte Deine schützende Hand über mich und
wusst schwer an der Höhlenwand ab und greift wieder
lass mich keine Dummheit begehen', fleht er.
nach der verbundenen Wunde, die wieder heftiger
Dann streckt er die linke Hand aus um den Vorhang nach der Bewegung schmerzt.
mit einem Ruck zur Seite zu ziehen, damit das Licht
"Ihr wollt mich wirklich nicht ausrauben?" Der Alte
von Praios Antlitz in die Höhle scheinen kann. Si-
entspannt sich ein wenig und lässt den Dolch halb
cherheitshalber bleibt er nicht in der Öffnung stehen
sinken. "Von was für Kindern und von welchem Mül-
sondern geht mit dem Vorhang zur Seite, sich halb da-
ler sprichst Du?"
hinter versteckend. Man weiß ja nie …
Randirion, der jetzt ebenfalls den Kopf durch den
Das Licht fällt auf den Alten, der mit beiden Händen
Höhleneingang steckt, kriegt die beiden Sätze gerade
einen rostigen Dolch umklammert hält und ihn den
noch mit.
Vieren entgegenstreckt. "Tu-Tut mir nichts, dann tue
ich euch auch nichts", stammelt er. "Ah, Er scheint nicht weit herum zu kommen. Der be-
wusste Müller ist sozusagen Sein Nachbar, und seine
'Was für schreckliche Waffen soll ein solcher Greis
Kinder sind im Walde verschollen, und hinter diesen
schon haben, die ich nicht mit Mutters Orknase über-
sind wir her. Nicht hinter Seinen" Randirion blickt
treffen könnte? Schwachsinn!' Ingalf macht einen
belustigt über die offensichtliche Ärmlichkeit der
Schritt in die Höhlenöffnung hinein und bleibt dann
Höhle "Reichtümern",
stehen, damit seine Augen sich an die geänderten
Lichtverhältnisse gewöhnen können. "Daher würde es mich freuen, wenn Er uns sagen
könnte, ob und wo Er die Kinder gesehen hat …"
Ingalf sieht in der geräumigen Höhle außer dem Al-
ten, der ihn aus schreckgeweiteten Augen anschaut, Der Alte lässt den Dolch endgültig sinken. "Müller …
roh gezimmerte Möbel - ein Tisch aus Birkenstämm- Kinder", sinniert er. Dann fängt er an zu erzählen:
chen, zwei Holzschemel und eine Truhe aus Hasel- "Lange war ich allein in diesem Wald. Es tat gut nach
stecken. Im Hintergrund ist eine einfache Schlafstätte … Aber das tut nichts zu Sache. Der Köhler geht
zu sehen: Auf einer dicken Laubschicht liegen mehre- nicht sehr tief in den Wald. Das ist gut so." Er denkt
re Felle übereinander. noch etwas nach.
Unwillkürlich muss Frumol grinsen: Das ist ganz be- In diesem Moment kommt auch Sephyra herein, aber
stimmt kein Druide. der Alte reagiert nicht auf Sephyras Gruß.
Ein alter Mann, der um sein Leben bangt. Dann fährt er fort: "Kinder, ja Kinderlachen habe ich
manchmal am Westrand des Waldes gehört. Früher. -
Freundlich blickt er den Alten an. "Ich bin Frumol.
Vor fast drei Wochen kam das Gesindel. Hat mich ge-
Hab keine Angst. Keiner wird Dir etwas tun."
jagt, sind aber dumm im Wald. Können die Zeichen
"Ich habe aber gar kein Geld", kommt die Antwort. nicht sehen. Dachte, ihr wärt auch Gesindel. Aber
Frumols Grinsen wird noch breiter. 'Der Alte denkt Sorgen bereitet etwas anderes. Da ist etwas im alten
wirklich, wir wollen ihn ausrauben.' Schloss …" Der Alte schaut sehr besorgt, sagt aber
Bevor er jedoch antworten kann, fällt Ingalf gleich mit nichts weiter.
dem Tor in die Scheune.

35
Dann besinnt er sich. Er schaut auf einmal zu Sephy- dann füllt er ihn zur Hälfte mit Wasser und geht zu-
ra und spricht sie direkt an: "Mädchen, bist Du rück zu den anderen.
verletzt? Kann ich Dir helfen? Setz Dich doch!" "Wartet ein wenig", spricht der Alte die anderen an.
"Ja wie, was jetzt? Das sind doch nur ein paar Kratzer, "Ich hole noch etwas von draußen. Nehmt einfach
die laufen nich' wech. Was is nu mit dem Schloss, und Platz."
mit den lachenden Kindern?" Wenige Minuten später ist der Alte mit Blättern,
Sephyra nickt dankend und nimmt Platz. Knollen und Wurzeln wieder da. "Möchtet ihr auch
Der Alte schaut Ingalf vorsichtig an. Dann strafft er etwas? Es ist nicht mehr lang hin bis zur Abend-
sich und fragt: "Höflichkeit ist Deine Stärke nicht, stunde."
junger Mann, oder?" Dann geht er zu Sephyra und Randirion, etwas überrumpelt von der plötzlichen Ak-
führt sie zu einem der Stühle. "Setz Dich, Mädchen, tivität und Gastfreundschaft des Alten, findet seine
ich habe eine Suppe für Dich." Stimme wieder.
Frumol steht stumm am Höhleneingang. "Äh, guter Mann, wir sind Ihm sehr zu Dank ver-
'Das führt schon wieder in eine ganz andere Richtung. pflichtet ob der Gastfreundschaft, die Er uns anbietet.
Was haben die Götter mit uns vor?' sinniert er über die Wir würden auch gerne bleiben und uns an der sicher-
Worte des Alten. Sie sollten doch nur den Kindern lich leckeren" - Randirion blickt etwas zweifelnd auf
nachgehen … das Unkraut - "Mahlzeit laben. Doch leider sind wir
bereits im Dienste Travias auf dem Weg, um eine un-
Zu spät um sie zu stützen bemerkt er Sephyras
glücklich zerrissene Familie wieder zusammenzufüh-
Schmerzen. Der Alte ist schneller und bietet ihr neben
ren."
einem Stuhl auch noch Suppe an! Vermutlich hat er
sehr lange keine Frau mehr gesehen. Es ist gut, wenn "Dieser Dienst an Travia ist ein Ehrendienst, ihr
sich Sephyra ein wenig ausruht, doch er wird den Al- werdet ihn aber heute nicht mehr erfüllen können",
ten im Auge behalten, nicht dass es doch noch ein erwidert der Alte ernsthaft.
Druide ist, der Böses im Schilde führt. Praios behüte! Randirion holt etwas Luft, die Wunde an der Seite
Ingalf verdreht leicht genervt die Augen, stellt seinen schmerzt auch noch etwas dabei.
Seesack ab und lehnt die Axt dagegen. Dann "Wie Er sich sicherlich erinnert, waren wir auf der Su-
verschränkt er die Arme vor der Brust und wartet dar- che nach den beiden vermissten Kindern des Müllers
auf, dass Sephyra verarztet worden ist, um dann von vom Westrand des Waldes. Mit jeder Stunde, die wir
dem Alten mehr über das rätselhafte Schloss zu erfah- verlieren, wächst die Sorge der Eltern. Und was auch
ren. immer den Kindern zugestoßen sein mag, es wird si-
Im Hintergrund der Höhle entfacht der Alte eine bis- cherlich mit verstreichender Zeit nicht besser. Wäre es
lang im Dunkeln gelegene Feuerstelle. Und kommt möglich, dass Er, um uns zu helfen, erzählt, was Er
dann mit einem schwarzen Kessel in der Hand auf In- weiß? Die Dankbarkeit der Müllersleute wird Ihm ge-
galf zu. "Gehe links am Felsen entlang den Abhang wiss sein, wie auch die unsere."
hinab! Dort ist eine Quelle. Fülle den Kessel halb mit "Die Sorge der Eltern wird weiter wachsen, egal was
Wasser! Und komm dann wieder." ihr tut," erklärt der Alte fest, "denn ihr werdet die
Der resolute Mann drückt Ingalf den Kessel in die Kinder heute nicht mehr finden. Wenn sie irgendwo
Hand. im Wald verloren wären, wüsste ich es. Die Krähen
und Aasfresser sind untrügliche Zeichengeber für den,
"Was, du musst das erst noch kochen? So viel Zeit
der lesen kann."
haben wir nun wirklich nicht, Alterchen. Wir können
hier doch nun wirklich kein gemütliches Beisammen- Der Alte fängt an, das Gemüse auf dem Tisch zu zer-
sein veranstalten, wenn ihr auf der Suche nach 'n paar kleinern. In diesem Moment kommt Ingalf zurück.
verängstigten Kinderchens sind." "Hänge das Wasser dort an dem Dreibein auf, mein
Junge", weist der Alte Ingalf an. Dann fährt er mit sei-
"Wenn Du nicht in Eile bist, dann kannst Du eilen!"
ner Erklärung fort: "Wenn die Kinder nicht mehr im
entgegnet der Alte kryptisch.
Wald sind, dann sind sie entweder wieder wohl behal-
Falls keiner der anderen Ingalf bei seinem Protest un- ten bei ihren Eltern. - Oder sie sind" – er senkt sein
terstützt, zuckt er mit den Achseln und macht sich auf Stimme - "in der Burgruine."
den Weg zu der Quelle.
'Hmm, lecker, Wurzeleintopf …' stöhnt Sephyra in-
Ingalf findet die Quelle leicht. Das Wasser sprudelt nerlich. Die Wunde am Bein schmerzt etwas, jedoch
klar aus dem Felsen. weniger, seit sie sitzt.
Ingalf füllt den Kessel etwa ein Viertel voll mit Wasser, Plötzlich erscheint vor ihrem inneren Auge ein Bild:
schwenkt den Kessel aus und schüttet das Wasser aus, an einem Baum hängen zwei ungerupfte Fasane und
ein Reh.
36
Nach einem kleinen Moment ergänzt er: "Dort würde Der Alte fügt noch das eine oder andere Gemüse dem
ich zur Nacht besonders mit Wunden, die noch nach Eintopf hinzu. An den leichten Brennnesselgeruch ge-
Blut riechen, nicht hingehen." wöhnt man sich auch mit der Zeit, und dann erinnern
"Na toll, hausen da etwa blutdurstige Untote Piraten?" sich Sephyra und Frumol daran, was sie im letzten
fragt sie halb im Scherz, besinnt sich aber sofort Jahr alles schon essen mussten. Die Zeiten waren
wieder und ergänzt: "Entschuldigung, so war das nicht immer so gut, wie sie jetzt sind.
nicht gemeint." Frumol mustert kurz den Eintopf. So übel sieht er gar
"Mit untoten Piraten würde ich nicht rechnen", er- nicht aus, und an den Geschmack kann er sich ge-
widert der Alte ungerührt und werkelt weiter. wöhnen. Er hat schon ganz andere Dinge essen
müssen, an die er nicht gern zurückdenkt.
"Was erwartet uns denn dort?" fragt Frumol frei her-
aus. 'Ich hatte mir Abenteuer interessant und Ingalf harrt der Dinge, die da essenstechnisch auf ihn
spannend vorgestellt - jedoch nicht, dass wir ständig in zukommen, er ist zum Teil übelsten Fraß gewöhnt,
Lebensgefahr schweben.' und ein Gemüseeintopf hat zwar bedauerlicherweise
meist weder Fleisch noch Alkohol, aber sonst …
Der Alte schüttet das klein gehackte Gemüse in das
wenn's satt macht und nicht übel ist.
Wasser und erklärt dann: "Das weiß ich nicht. Ich war
noch nie dort. Es gibt nichts, was mich zu den Ruinen "Wie kommt ihr vier Nordländer eigentlich dazu, hier
zieht. Aber Kinder sind neugierig." im Süden nach verschwundenen Kindern zu suchen?"
fragt der Alte nach einem Moment des Schweigens?
Er lächelt. "Ja, Kinder. - Was mir aber ein Sorge berei-
tet, ist, dass beim letzten Vollmond vom Schloss ein "Och, das ist eine lange Geschichte, und leider noch
unheimliches Geheul zu hören war. Außerdem sind nicht lange genug her." antwortet Sephyra etwas unbe-
über dem Sumpf vermehrt Irrlichter aufgezogen. Ir- stimmt. Es ist offensichtlich, dass sie dazu nicht mehr
gendwas geht da vor sich. Und wie ihr alle wisst, jagen sagen wird und wechselt vielsagende Blicke mit
Ungeheuer kleine Kinder." Frumol.
Der Alte rührt die Suppe um. Diesen Part überlässt Frumol gerne dem Kavaljäre
oder einem anderen.
Bei diesen Worten fröstelt es Frumol unwillkürlich.
Das hört sich ganz nach einem Ort an, an dem er Der hochnäsige Kavaljäre sieht nicht so aus, als würde
nicht sein möchte … Doch die Götter lenken die er von dem Eintopf probieren wollen. Dann soll er
Schritte der Menschen - und Phex hat seine wenigstens reden. Das tut er ja eh dauernd.
schützende Hand auch auf dem schwarzen Schiff mit "Na ja, bin von Bord gegangen, um … ja … um man
all seinen Schrecken und vorher in den Kellern der ein büschen von der Welt zu sehen, was nich' direkt
Wirtshauses über ihn gehalten. In all dieser Zeit hat er am großen Wasser liegt." Ein leicht wehmütiger Un-
- im Gegensatz zu seinen Gefährten - keine schweren terton schleicht sich in Ingalfs Stimme. "Jetzt bin ich
Verletzungen hinnehmen müssen. auf jeden Fall hier, und die Kinnerchens müssen ja
"Vertraue auf Phex und Travia!" murmelt er leise. auf jeden Fall gefunden werden, wenn da im Schloss
Wölfe und" er macht das Zeichen gegen den bösen
Sephyra zieht den Duft der Suppe tief in die Nase und
Blick, "Irrlichter oder gar Geister sind. Wie war das
überlegt: 'Na, ob ich je soviel Hunger haben kann …?'
jetzt mit toten Piraten? Was denn für Piraten?" Ingalf
Randirion hat resigniert und versucht nun, mit blickt ein wenig verständnislos in die Runde.
möglichst guter Miene die Suppe zu überleben. 'Ist es
"Was sollen tote Piraten in einer Schlossruine? Tote
wirklich schon zu spät, um jetzt noch irgendwohin zu
Räuber oder Schlosswächter sind näher liegend",
reisen? Wenn ja, wo sollten wir übernachten? Keine
erläutert der Alte trocken.
Herberge weit und breit, mehrere Stunden zurück zu
den Müllern …' "Nicht tote Piraten, sondern untote Piraten. Da besteht
ein kleiner Unterschied, den Du Dir mal bei Gelegen-
Ansonsten hört sie interessiert dem Alten weiter zu.
heit von - ähh – Banjew, unserem erklärten 'Lieblings-
Dabei versucht sie, die Gesichter der Gefährten zu
Magus', erklären lassen solltest." ergänzt Sephyra auf
lesen. 'Haben sie ebensolche Furcht?' geht es ihr
Ingalfs Frage. "Nein, im Ernst, wir hatten vor kurzem
durch den Kopf. 'Schließlich hatten Ingalf und der
unangenehme Erfahrungen mit derlei Gelichter und
Kawaljere noch nicht das "Vergnügen" mit untoten
ein alsbaldiges Wiedersehen mit Etwas, das mehr als
was-auch-immer-bloß-keine-Piraten. Ganz im
nur tot ist - darauf habe ich wirklich keine Lust!"
Gegensatz zu Frumol und mir.'
Der Alte hat Sephyra wohl gehört, zieht es aber vor,
Randirion hat diese Aussage gar nicht ernst genom-
darauf nicht einzugehen. Ein aufmerksamer Beobach-
men und durch ein leidendes Augen verdrehen lautlos
ter sieht allerdings ein leichtes Hochziehen der
kenntlich gemacht. 'Untote? Ammenmärchen.'
Augenbrauen.
Er ist jedoch zu höflich, um direkt zu widersprechen.

37
Schließlich ist das Essen fertig und der Alte tischt Ingalf Wedmansson auf uns, der ebenfalls von Thalu-
allen den Gemüseeintopf auf. Nach einem kurzen sa auf dem Wege nach Khunchom war. Wie Ihr si-
Moment der Einstellung auf den Geschmack erweist cherlich erkennen könnt, ist Herr Wedmannsson vom
er sich als durchaus wohlschmeckend - und sättigend. Volke der Thorwaler, einer ihrer mächtigsten Krieger
Ingalf langt mächtig zu. und wagemutigsten Seeleute! Ein Schiff, auf dessen
Planken er steht, wird jedem Sturme trotzen; und
Zuerst etwas verhalten, dann aber mit wachsender Be-
wenn er seine Axt im Kampfe schwingt, weiß man,
geisterung löffelt auch Sephyra die Suppe. 'Hm. Gar
warum die Hjaldinger stets die gefürchtetsten aller
nicht übel. Hatte wirklich schon Schlimmeres.'
Seefahrer waren."
Als der Eintopf endlich fertig ist kommen ihm doch
Eine Verbeugung in Richtung auf den eifrig löffelnden
die anderen Nahrungsquellen in den Sinn: Im Ver-
Ingalf schließt die Vorstellungsrunde ab.
gleich dazu könnte man den Eintopf fast als Festsch-
maus bezeichnen. Außerdem hat er gar nicht bemerkt, "Von der Reise nach Khunchom gibt es zunächst
wie hungrig er ist. So verschlingt er fast den Eintopf. wenig zu erzählen, als dass wir, nachdem sich das ge-
meinsame Ziel Khunchom herausgestellt hatte,
Randirion, der in dem suspekten Essen nur höflich
beschlossen, diesen Weg in einem Land, in dem wir
herum gestochert hatte und allenfalls einen oder zwei
alle Fremde waren, gemeinsam zu bestreiten. So er-
Bissen in den Mund befördert hatte, fühlt sich durch
reichten wir die Grenzen dieses Waldes, und sahen
die Stille nach des Alten Frage und durch Frumols
mit eigenen Augen den Schmerz und das Leid der ar-
Blick ermuntert, die Suppe beiseite zulegen und zu er-
men Müllersleute, die da um ihre Kinder trauerten.
zählen.
Natürlich taten wir, was jeder anständige Mensch in
"Ah, nun, so lasst mich erzählen! Mein Name ist Ran-
dieser Lage getan hätte: wir boten dem Müllerspaar
dirion ya Calmatin aus dem Alten Reich. Ich machte
unsere Hilfe an. Und so drangen wir in diesen Wald
mich auf, die Ferne zu sehen und fremde Länder zu
ein. Wir trafen auf den Köhler Abmal, der glaubte, die
besuchen, und mein erster Halt auf diesem Wege war
Kinder im Wald gehört zu haben, und uns eine Rich-
Thalusa.
tung wies. Dort wurden wir heimtückischerweise von
Dort verließ ich unser Schiff, voll bester Laune und kriminellen Wegelagerern angegriffen, die jedoch vor
frohem Herzen. Leider jedoch bin ich des Tulami- des Herren Ingalfs Axt nicht bestehen konnten. Doch
dischen nicht mächtig, was meinen Genuss an dieser auch sie hatten die Kinder nicht gesehen. Und so
Stadt etwas schmälerte. Nach einigen Tagen in dieser suchten wir weiterhin den Wald ab - und trafen auf
Stadt beschloss ich daher, mich nach dem fernen Ihn, der ohne Gruß im Walde zu entschwinden such-
Khunchom zu begeben, da es in dieser Stadt vieles zu te. Uns erschien Sein Verhalten sehr verdächtig. Jetzt,
sehen gäbe, und man dort bestimmt auch Menschen wo wir Seine Gäste sind, bitten wir umso mehr um
meiner Zunge fände. Vergebung für die Hatz."
Und siehe da, schon wenige Meilen außerhalb der Randirion verbeugt sich leicht (allerhöchstens ein
Stadt treffe ich ein überaus freundliches Pärchen. Kopfnicken) in Richtung auf den Alten.
Zum einen Herrn Frumol Pellocke, ein absolutes Fak-
Der Alte nickt gütig zurück.
totum, der Wunden verbinden kann wie der beste
Kusliker Heiler, mit seinem Rapier kämpft wie ein "Wir konnten ja nicht wissen, dass hier ein göttertreu-
Vinsalter Gardist und ohne Zweifel noch viele weitere er Mensch sein Heim gefunden hat. Noch weniger
unentdeckte Talente aufweist." konnten wir wissen, dass Er so viel über diesen Wald
weiß. Was ist das denn nun für eine Ruine, dass Er
Eine leichte Verbeugung Richtung Frumol beschließt
glaubt, die Kinder seinen dort, doch wir sollten heute
dessen Vorstellung.
Nacht nicht mehr hingehen?"
"In seiner Begleitung befand sich die damals wie jetzt
"Wie ich vorhin beim Kochen schon Deinem Ge-
zauberhafte Madame Sephyra Lunor, deren Lächeln
fährten mit den Dolchen sagte", der Alte schaut kurz
einen sämtlichen Staub der Küstenstraße vergessen
zu Frumol, "weiß ich nicht, was in der Ruine ist. Ich
lässt, und deren scharfer Verstand nur noch durch ihre
war noch nie dort. Es gibt nichts, was mich zu den
Anmut und Grazie übertroffen werden. Sie verdiente,
Ruinen zieht. Ich möchte einfach nur meine Ruhe.
von einem besseren Dichter als mir unsterblich ge-
Beim letzten Vollmond war vom Schloss ein unheim-
macht zu werden."
liches Geheul zu hören, und über dem Sumpf sind
Eine Verbeugung und ein Lächeln an Sephyra. vermehrt Irrlichter aufgezogen. Da würde ich nicht
"Diese beiden boten mir gastfreundlich von ihrem des Abends oder Nachts hingehen. Wer weiß, was für
Mahle und ihrem Weine an. Unfähig, diesen beiden Ungeheuer dort umgehen."
guten Menschen Gleiches angedeihen zu lassen, lud
ich sie zur nächsten Mahlzeit ein. Doch noch bevor
wir damals unsere Speisen wieder verstaut hatten, traf
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'Eben dies hat er vorhin gesagt' stellt Frumol fest. Der Sephyra schüttelt nur den Kopf und bemerkt dabei,
Alte scheint wirklich nichts zu wissen, oder will es wie hart der Untergrund hier ist. Sie steht auf und
nicht sagen. greift sich ihren Rucksack von vor der Höhle, holt die
Die Zeit vergeht, und die Esser merken, wie sich eine Decke heraus und kehrt mit dem Rucksack in der
leichte Müdigkeit breit macht, ganz so, wie es nach zweiten Hand zurück.
einem reichlichen Essen üblich ist. Draußen ist die Sonne dabei, unterzugehen.
In das gesättigte Schweigen hinein fragt der Alte "Könnte ich wohl eines der angebotenen Felle haben?"
plötzlich: "Es hat nicht einer von euch zufällig einen fragt sie den Alten, während der noch mit Ingalf be-
Schnaps dabei?" Ein sehnsüchtiger Ausdruck er- chert.
scheint in seinen Augen. "Sehr gerne!" antwortet der Alte und holt ein Fell. Es
"Dann schlage ich vor, dass wir rasten und morgen hat rötlich braune ziemlich kurze Haare und ist dem
früh zur Ruine aufbrechen." schlägt Frumol vor, ob- Geruch nach offensichtlich ungegerbt.
wohl ihn nichts dorthin zieht. Sie legt sich das Fell unter, stopft sich den Rucksack in
'Travia, lass uns bald die Müllerskinder finden und den Rücken und lehnt sich mit einem leisen Seufzer
wohlbehalten zurückbringen.' gegen die ansonsten harte Felswand. Sie deckt sich zu
"Wenn ihr mögt, könnt ihr hier gern nächtigen", bietet und ist bald in einen leichten Schlummer gefallen.
der Alte an. "Gerne", antwortet Frumol auf Ingalfs Frage und holt
"Einmal alle zehn Götterläufe etwas Gesellschaft zu seinen Becher aus dem Rucksack. Auch den angebro-
haben, sollte sogar der große Jäger schätzen." chenen Weinschlauch nimmt er mit. Den Rucksack
hingegen gibt er Sephyra. "Vielleicht kannst Du
"Ich danke für Dein Angebot." erklärt Frumol. 'So
Deinen Kopf drauf legen" schlägt er ihr vor. 'Es muss
muss Sephyra nicht noch laufen und kann ihr Bein
sehr anstrengend für sie sein, wenn sie sich schon jetzt
schonen. Ingalf und der Herr Kavaljäre ebenso. Wer
zur Ruhe legt. Aber auch wir sollten nicht mehr allzu
weiß was uns morgen erwartet in der Ruine …
lange aufbleiben, schließlich müssen wir wieder früh
"Betten habe ich allerdings keine, aber ein paar Felle", hoch.'
ergänzt der Alte.
Dann begibt er sich zu Ingalf und dem Alten und lässt
"Fein. Das ist besser als auf dem harten Boden." sich einschenken.
Frumol ist sichtlich erfreut über dieses Angebot. 'Mehr
"Wie nennst Du Dich?" fragt er den Alten.
Ungeziefer als auf dem kalten Boden wird da hoffent-
lich nicht drin rumkrabbeln.' "Ähh." Der Alte ist sichtlich überrascht. Er denkt
einen Moment nach, und dann scheint ihm sein
Freundlich nickt er dem Alten zu und wendet sich an
Name einzufallen: "Firan, ja so heiße ich. Aber bevor
Sephyra: "Wie geht es Dir?" fragt er mit einem besorg-
Du weiter fragst, junger Mann: Meine Geschichte ist
ten Unterton.
lange vorbei, und das ist auch gut so."
"Ja, geht schon." antwortet sie kurz angebunden. Da-
Frumol trinkt langsam seinen Becher aus und hängt
nach sucht sie sich ein ruhiges Plätzchen und streckt
seinen Gedanken nach. Der Alte will offensichtlich
sich lang aus.
nicht mehr erzählen. Was soll's? - Was auch immer sie
'Komisch, dass sie sich nicht Laub aus dem Wald als morgen in der Burg finden werden, sie müssen die
Unterlage holt', wundert sich der Alte, sagt aber Kinder finden.
nichts.
Nachdem er seinen Becher geleert hat, bittet Frumol
"Einmal alle 10 Götterläufe, Mann Mann Mann, da den Alten um eines seiner Felle und begibt sich zur
muss'te ja wunderlich werden. Schnaps hab ich Ruhe.
keinen, aber Wein!" Ingalf holt den Weinschlauch und
Möglichst leise, um Sephyra nicht zu stören, breitet er
seinen Becher heraus und schaut dann den Alten
das Fell neben ihr aus und legt er sich nieder, nach-
fragend an. Wenn dieser auch einen Becher vorzeigen
dem er den Gurt mit den Messern neben sich abgelegt
kann, schüttet er auch ihm ein.
hat. Vorsichtig kuschelt er sich nah an Sephyra, den
Der Alte reagiert sehr erfreut und holt einen Holzbe- Kopf auf seinem angewinkelten Arm gelegt.
cher aus dem hinteren Bereich der Höhle. Ingalf
'Was mag dort sein? Was wird sie erwarten?', über
schüttet ihm ein.
diesen Gedanken schläft er schließlich ein.
"Auf die Götter, und ne zünftige Wolfsjagd morgen.
Auch der Alte schweigt versonnen.
Prost!" und trinkt den Becher in einem Zug leer,
schüttet nach und fragt in die Runde "Noch jemand?" 'Langweiler!' denkt sich Ingalf, sagt aber nichts weiter
zu dem Thema, sondern bittet um ein Schlaffell, deckt
"Auf die Götter!" spricht auch der Alte. "Besonders auf
sich mit seinem Umhang zu und versucht zu schlafen.
Dich, großer Jäger", fügt er fast unhörbar hinzu.

39
"Ein Schaffell habe ich leider nicht, aber das hier sollte Grund hin und her wälzt. Irgendein Kiesel oder Fels-
auch reichen", erwidert der Alte und gibt ihm ein röt- vorsprung drückt immer gegen die Rippen …
lich braunes Rehfell. Da Ingalf es gewöhnt ist, auf Außerdem hat er den Verdacht, dass in seinem Fell
hartem Untergrund (Schiffsplanken) zu schlafen, ist außer ihm noch einige weitere, deutlich kleinere
er schnell im Traumreich Borons. Wesen wohnen, die leider überhaupt nicht schlafen …
Randirion erbittet ebenfalls ein Fell, und hat dann
eine wenig erholsame Nacht, in der er sich auf hartem

40
Zur Schlossruine
A weckt. Die Gefährten haben überraschend gut
m nächsten Morgen werden alle vom Alten ge- Rucksack. Alles hat seine Ordnung, so auch Frumols
Rucksack. Die Decke wird nicht einfach oben hinein
geschlafen. Auch ist der Heilungsprozess bei allen gestopft, sondern so verstaut, dass er rasch und ohne
Verwundungen überraschend gut fortgeschritten. Mühe an sein Werkzeug, unter anderem seine Dietri-
Frumol reckt sich ausgiebig. Schon lange hat er nicht che, herankommt.
mehr so gut geschlafen. Er reibt sich den Schlaf und Als er damit fertig ist, setzt er sich den Rucksack auf.
die Müdigkeit aus den Augen und hilft Sephyra zu- "Ich bin soweit. Meinetwegen können wir los." Und
vorkommend auf die Beine. an den Alten gewandt: "Habt Dank für Eure
Randirion wundert sich, doch irgendwie Schlaf ge- Gastfreundschaft."
funden zu haben, kommt aber nicht umhin, über sich "Besucht mich mal wieder in ein paar Jahren", ruft der
selbst die Nase zu rümpfen. Alte den vieren hinterher, als sie aufbrechen. Den Weg
"Wenn ihr euch erleichtern wollt, geht bitte rechts her- zu Schlossruine hat er ihnen gewiesen: "Den Abhang
um", bekommen die Helden bei der Morgentoilette hinunter bis zu meiner Markierung - ich übersehe den
noch mit auf den Weg. Einstieg immer wieder, und dann müsst ihr nur dem
Sephyra streckt sich, gähnt und erhebt sich unter alten Weg folgen, den ihr gekommen seid."
Rücksichtnahme auf die Verletzung. Überrascht stellt So kommt es, dass die Helden noch am frühen Vor-
sie fest, dass die Wunde sich über Nacht vollständig mittag den Waldrand erreichen. Ein 3 Schritt breiter
geschlossen hat und nur unangenehm juckenden Steinweg geht voraus durch einen 10 Schritte breiten
Schorf zurückließ. Streifen hüfthoch stehenden, grobblättrigen Grases,
Sie folgt dem Rat des Alten und macht sich - von den der den Wald von einem Sumpf trennt.
anderen getrennt - für den Tag und seine Abenteuer Noch in Sichtweite steigt hinter dem Sumpf das Ge-
bereit. Als sie fertig ist, kehrt sie zurück und fragt nur: lände wieder an, und dort scheint sich eine Ruine zu
"Frühstück? - Ich habe einen Bärenhunger!" erheben.
Voller Tatendrang erledigt er zuerst seine Morgentoi- 'Uh, grausig anzuschauen, selbst im Morgensonnen-
lette und untersucht dann Sephyras Beinverletzung. schein!' denkt sie.
"Die ist wirklich gut geheilt", stellt er fest. Frumol schaut mit schwerem Herzen auf die Land-
Frumol nimmt ihr den Verband ab, da sie ihn gar schaft. Das Gelände erscheint ihm wenig einladend.
nicht mehr braucht. 'Da wollen wir also hin. Warum laufen Kinder nur an
Sofern die Wunden der übrigen ebenfalls so gut einen solchen Ort?' Da fällt ihm ein, was er noch alles
verheilt sind, nimmt er auch deren Verbände wieder vor einigen Jahren - und auch noch später - angestellt
an sich und wäscht sie vor dem Aufbruch im sauberen hat.
Wasser der Quelle aus. Dennoch zögert er, weiterzugehen - ist doch hier alles
Der Alte hat Wasser von der Quelle geholt und of- so unbekannt. Es gibt nur diesen einen, breiten Weg
fensichtlich auch Beeren gesammelt, so dass alle ge- der zum Ziel führt. Unwillkürlich seufzt er auf.
sättigt werden. "Nun, das wird wohl unser Ziel sein. Welches Ge-
"Ich habe wirklich gut geschlafen. Und ihr?" fragt er schlecht baute wohl mitten im Tulamidenland solche
die übrigen beim Frühstück. "Die Beeren sind echt le- Burgen - und noch dazu tief im Walde?" denkt Randi-
cker" ergänzt er, an den Alten gewandt. rion laut.
"Er sei bedankt für Seine Traviagaben!" freut sich Ran- Der Steinweg ist im Sumpf teils von Wasser überflutet.
dirion über das Frühstück. Es sieht aber so aus, als ob man da hindurch kommt.
Rechts und links des Weges stehen direkt am Sumpf-
Er wird allerdings noch vor dem Aufbruch Gebrauch
rand zwei alte Weiden.
von der Quelle machen, um sich irgendwie zu
reinigen, da er sich sehr verlottert fühlt. Sephyra verlässt sich auf die anderen und folgt ihnen.
Vor dem Aufbruch legt er sich wieder den Messergurt Die hiesige Flora findet bei Randirion - so sie weder
um und überprüft den richtigen Sitz. Obwohl er nicht aggressiv noch hübsch ist - nicht wirklich Beachtung
beabsichtigt, davon Gebrauch zu machen, fühlt er sich …
besser, sicherer. Wer weiß schon, was ihnen noch be- Nach dem kurzen Moment des Zögerns rafft sich
vorsteht. Frumol wieder auf. Er rückt den Rucksack auf dem
Schnell überprüft er seine Ausrüstung, dann legt er Rücken zurecht.
seine Decke zusammen und verstaut sie wieder im
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"Na, dann lasst uns eilen, damit wir den Bub und das Als er Sephyra erreicht hat, will er sie am Arm fassen
Gör schnell finden." sagt er zu seinen Gefährten. In und mit sich ziehen, aber Sephyra hat ihr Rapier gezo-
Gedanken fügt er noch hinzu: 'Und vor Einbruch der gen und fuchtelt damit herum. Zu seiner eigenen Si-
Dunkelheit am besten wieder aus der Ruine heraus cherheit hält Frumol Abstand.
sind.' "Madame Sephyra, ich möchte höflich vorschlagen,
Noch einmal nestelt er an den Riemen, dann geht er den Kopf einzuziehen … die hiesige Fauna ist uns of-
auf dem Steinweg auf den Sumpf zu. fenbar feindlich eingestellt"
Neben ihm geht Randirion, direkt dahinter kommen Plötzlich sagen Randirion und Frumol gleichzeitig et-
Ingalf und Sephyra. was. Dadurch versteht sie keinen von beiden. Sie kon-
zentriert sich nur auf die Eule, der direkt auf sie zu-
hält, sie am Haar erwischt, ohne sie aber weiter zu
Auf halbem Weg zum Sumpfrand löst sich ein großer
verletzen, weiter fliegt und wieder wendet - diesmal
Vogel aus der rechten Weide. Es ist eine Eule, und sie
auf Randirion zu.
fliegt direkt auf Frumol zu.
… und zieht und lädt die Balestrina.
Als Frumol den großen Vogel auf sich zufliegen sieht
bleibt er erschreckt stehen. Es ist schon beeindru- Das braucht ein wenig Zeit, in der Randirion nicht so
ckend, wie groß und lautlos ein solcher Vogel fliegen richtig mitbekommt, was gerade passiert. Die anderen
kann. In Havena hat er bisher meist nur einige Käuze sehen aber, wie die Eule ihn anfliegt. Frumol und Se-
gesehen, die ein ganzes Stück kleiner waren. phyra sind zu weit weg, etwas Entscheidendes zu ma-
chen, aber Ingalf ist da. Er wirft seinen Schneidzahn
"Seht nur, ist dies nicht ein faszinierendes Schauspiel,
in die Bahn der Eule, verfehlt sie aber. Der Schneid-
wie elegant und lautlos diese Vögel daher gleiten …"
zahn landet auf dem Weg.
meint Randirion während des Anflugs, dann erschro-
cken: "Obacht, Pellocke!" 'Verdammt und zugenäht, was für ein hartnäckiges
Biest.'
Die Eule kommt immer näher, und dann greift sie ihn
an. Im Vorbeiflug versucht sie, mit ihren Krallen Jetzt ist die Eule bei Randirion heran. Ingalf ruft "Pass
Frumols Gesicht zu zerkratzen, verfehlt ihn aber. auf, Mann!" und reflexartig lässt sich Randirion zur
Seite fallen. Die Balestrina-Kugeln fallen auf den Weg.
Als die Eule immer weiter auf ihn zugeflogen kommt,
ohne ihren Kurs zu ändern, wird Frumol ganz mul- Frumol dreht sich erneut um. "Was macht ihr denn
mig im Bauch. Schnell duckt er sich weg um nicht da? Zurück zum Wald!" ruft er den anderen zu und
von den scharfen Krallen verletzt zu werden. Dabei läuft wieder in Richtung Wald.
dreht er sich um, so dass er den Flug der Eule beob- Sephyra hört Frumol jetzt und versteht. Sie folgt auf
achten kann. dem Fuße (oder läuft vorweg, sollte Frumol stehen
Sie steigt wieder auf dreht hinter den Gefährten eine bleiben, bis sie den Waldrand erreicht hat. Dort sieht
Schleife und kommt zurück. Diesmal direkt auf Se- sich sich aufmerksam um.
phyra zu. Ingalf nimmt die Orknase fest in beide Hände,
stemmt die Füße in den Boden, hält die Axt auf Hüft-
Mit katzenhafter Gewandtheit duckt sich Sephyra im
höhe wie den Schläger beim Schlagballspiel, und
richtigen Moment und zieht in fließender Bewegung
erwartet den Anflug der Eule. Frumol und Sephyra
ihr Rapier, um dem Vogel den Anflug durch ein wildes
haben die Flucht ergriffen, Randirion liegt am Boden,
Gefuchtel mit der Waffe zu erschweren.
also müsste er das nächste Ziel der Eule sein.
Er zögert.
Und er ist das nächste Ziel. Bevor die Eule ihn er-
'Wie kann man so ein Vieh nur vertreiben? Das sind reicht, schlägt Ingalf zu. Wutsch! Das war's. Heute
doch Tiere der Nacht!' Mittag könnte man Eulenbraten machen.
Er könnte ein Büschel von dem langen Gras ab- Ingalf spielt kurz mit dem Gedanken 'Nein, wir haben
schneiden, und in der Luft hin und her schwingen. noch genug, und man muss nicht alles essen.'
Andererseits drängt sich ihm folgender Gedanke auf:
"Schussbereitschaft könnte nützlich sein", murmelt
'Das kann doch nur eine Warnung sein. Wir sollen
Ingalf zu Randirion als er seinen Schneidzahn holt.
hier nicht weiter gehen.'
Als Frumol den Waldrand erreicht, dreht er sich um
Wenn dies der Fall ist, so müsste sich die Eule beru-
und sieht den Kavaljäre am Boden liegen und Ingalf
higen, wenn sie wieder in Richtung Wald davon gehen
etwas vom Boden aufheben. Dann hört er auch den

Ruf Ingalfs.
So ruft er seinen Gefährten zu: "Wir müssen zurück
Dann ruft er zu Frumol und Sephyra: "Alles klar, ihr
in den Wald, beeilt Euch!". Mit diesen Worten beginnt
Schisser!"
er zurück in Richtung Wald zu laufen.

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Zu Sephyra sagt er: "Das war bestimmt ein Zeichen. 'Was kann an einem toten Vogel so interessant sein? Er
Eine Warnung der Götter. Wir sollen diesen Weg nicht ist tot, von einer Axt in zwei Teile gehauen.' Frumol
nehmen! Lass uns einen anderen Weg zu der Burg su- schaut distanziert zu, wie der Kavaljäre die beiden
chen." Hälften das Kadavers mit einem Stecken hin und her
Frumol und Sephyra schauen nach rechts und links. dreht und interessiert betrachtet.
Soweit das Auge reicht ist Sumpf zu erkennen, durch "Sucht ihr was?" fragt er ihn. "Sonst lasst uns weiter
den Grasstreifen vom Wald abgetrennt. Ob es weitere gehen. Die Ruine wartet und wir sollten uns beeilen."
Wege durch den Sumpf gibt, ist nicht zu sehen. treibt er die Gruppe zum Weitergehen an.
Sephyra steckt das Rapier wieder weg und überlegt "Ja, lasst uns gehen." meint Sephyra leise und zieht
laut: "Hmm, mag gut sein. Aber das glaube ich eigent- Frumol, der noch immer ihre Hand hält, mit sich.
lich weniger, da es hier kaum einen anderen Weg zu Ohne Widerstand zu leisten, lässt sich Frumol mitzie-
geben schein." hen. Und so gehen die beiden Hand in Hand auf dem
'Sollte er Recht haben? Sind wir hier nicht erwünscht, gepflasterten Weg dem Sumpfgebiet entgegen.
sogar von den Zwölfen? Nein, die Götter können Der kurze Moment der Ruhe verfliegt sofort, denn als
kaum wollen, dass den Kindern nicht geholfen wird!' die beiden, gefolgt von Randirion und Ingalf, zwi-
"Dann müssen wir wohl doch hier lang." erwidert schen den an der Sumpfgrenze stehenden Weiden an-
Frumol. Sorge schwingt in seiner Stimme mit. Er kommen, passiert etwas für alle vollkommen Über-
greift nach Sephyras Hand und geht mit ihr zu den raschendes: Die Äste beider Weiden kommen in Be-
beiden Kämpfern zurück. wegung und schlagen nach Sephyra und Frumol.
'Was steht uns als nächsten bevor?' fragt er sich.
Dann fragt er in die Runde "Was, in Swafnirs Namen, Sephyra kann dem auf sie zufliegenden Ast auswei-
könnte so ein Vögelchen bei Tag zum Angriff auf 4 chen. Instinktiv duckt sie sich, lässt Frumols Hand los
ausgewachsene Menschen bewegen?" und rennt nach vorne. Auf der ersten Steinplatte im
Eine Antwortet auf diese Frage vermag Frumol nicht Sumpf kommt sie zum stehen.
zu geben, da er sie nicht gehört hat. Frumol, war wohl etwas zu sehr in romantischen Ge-
Als er mit Sephyra wieder zu den beiden aufge- danken. Ein Ast erwischt ihn voll vor der Brust, und
schlossen hat, fragt er mit besorgter Stimme: "Wollen er wird dadurch nach hinten gegen Ingalf geschleu-
wir weiter?" dert.
Randirion rappelt sich auf, beäugt skeptisch ein paar Uff. Benommen rutscht Frumol zu Boden, seine Brust
neue Flecke auf seiner Hose und sammelt seine Sa- schmerzt und er muss erst einmal seine Lungen
chen vom Weg auf. wieder mit Luft füllen.
"Habt Dank für den Warnruf, Meister Wedmannsson!" "Oho, nicht nur die hiesige Vogelwelt ist aggressiv,
sagt er zu Ingalf. auch die Flora ist sehr aktiv. Äußerst ungewöhnlich."
kommentiert Randirion und versucht ein schnelles
Während er seine Balestrina lädt (aus Schaden wird
Durchhuschen.
man klug!), fragt er noch in die Runde "Ich nehme
nicht an, dass dieses Verhalten für die hiesige Vogel- Zwar kommt ihm einer der Zweige bedrohlich nahe,
welt typisch ist, oder, meine Dame, meine Herren? aber Randirion schafft es, zu Sephyra zu kommen,
Wir sollten uns vielleicht vor weiterem selbstmörde- ohne getroffen zu werden. Sephyra macht unwillkür-
rischen Geflügel in Acht nehmen." lich einen Schritt auf die nächste Steinplatte.
Da Randirion den 'Aberglauben' von Frumol mitbe- Langsam erhebt er sich wieder, stützt sich dabei auf
kommen hat, wird er seine Vermutung, dass hier ir- den Steinen ab. Nach dem er wieder auf den Füßen ist
gend jemand Vögel verhext, nicht laut aussprechen. betrachtet er nachdenklich die beiden Weiden und
(Aber wer gut Minen lesen kann, wird seine Besorgnis wischt sich den Sand und Dreck von den Händen.
erkennen.) 'Es kann nur eine Warnung der Götter sein! Aber jetzt
Sehr wohl wird er aber (unter Zuhilfenahme eines müssen wir weiter.'
Steckens oder Zweiges, anfassen will er das eklige Damit fasst er wieder die Äste der Weide ins Auge und
Dings nicht) die Überreste der Eule begutachten, die unternimmt einen weiteren Anlauf, unbeschadet an
an zwei Stellen verteilt auf dem Boden liegen. ihnen vorbei zu kommen.
'Vielleicht haben die sowas wie einen Kontrollier-Vo- Unter Aufbietung seiner gesamten Körperbeherr-
gelring an? Das wäre ein Hinweis …' schung schafft es Frumol, zwei Schlägen nachein-
Da ist nichts besonderes dran zu sehen. Kein Amulett, ander auszuweichen, und er kommt heil beim Beginn
keine besondere Färbung. Nichts. des Sumpfes an.

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"Wo gibt es denn um sich schlagende Bäume? Da- Es beißt ihn in die linke Schulter und reißt zusätzlich
hinter versteckt sich bestimmt einen böses Geheim- einen Oberschenkel auf. Der Schock mach Randirion
nis." murmelt Frumol. schwanken, aber er schafft es, bei Bewusstsein zu
Ingalf weicht den Ranken fast lässig aus. Wie immer, bleiben.
wenn der Körper das Regiment übernimmt, gibt es Frumol hält Sephyra zurück und will gerade ein
keine Zeit für Aberglauben. bissigen Kommentar wie "Da ist ja schon Eure mord-
Die vier überblicken jetzt den vor ihnen liegenden lüsterne Sumpfmaus!" abgeben. Als er jedoch sieht,
Sumpf in aller Klarheit. Die Schlossruine scheint auf wie das Sumpfwesen über den Kavaljäre herfällt, er
einer Landzunge zu liegen, die in den Sumpf hinein- nicht einmal die Chance einer Gegenwehr hat, kom-
reicht. Nirgendwo in Sichtweite ist der Weg über den men keine Worte mehr über seine Lippen. Hastig
Sumpf kürzer als hier. Die Trittsteine des Weges reißt er das Rapier von der Seite und zieht mit der lin-
bilden ein zusammenhängendes Muster, welchem ken Hand noch den ersten Dolch aus dem Brustgurt.
leicht zu folgen ist. Und nun kommt das Monster auf die Nachfolgenden
"Gehen wir weiter?" fragt Frumol und macht vor- zu.
sichtig die ersten Schritte. Randirion schluckt schwer, versucht, die Nebel des
"Ja, lasst uns gehen. Mir ist diese Gegend unheim- Schmerzes aus seinem Blickfeld zu schütteln, geht auf
lich." antwortet Sephyra. "Wo die Steine liegen, sollten ein Knie und zielt mit der Balestrina auf den Rücken
wir vor Morastlöchern o.ä. Dingen sicher sein, meint des Sumpfmonsters. Er versucht, beim Schießen die
ihr nicht auch?" fragt sie mit Blick auf den Weg. 'Oder anderen nicht in der Schussbahn zu haben.
ist das nur eine Falle für harmlose Wanderer wie uns?' "Etwas Blei, mein amphibischer Attentäter?" murmelt
der ängstliche Unterton ihrer Stimme spricht Bände. er halblaut - und drückt ab.
"In der Tat, weiteres Verweilen hat wenig Sinn. Ich bin "Zurück!" zischt er Sephyra zu und stellt sich vor sie -
ja beinahe gespannt, was dieses Schloss uns als nächs- wild entschlossen, sie vor diesem Wesen zu schützen.
tes schickt - nach selbstmörderischen Nachtvögeln zur "Kröten und Schlangenpest, komm her, du Kreatur
Tageszeit und Bäumen mit Schüttelfrost …" der Höllen und lass meine Axt dein verrottendes
Randirion versucht mit etwas Humor, die Stimmung Fleisch kosten!" Ingalf lässt den Seesack fallen, nimmt
wieder zu heben. die Axt fest in beide Hände und stellt sich leicht breit-
"Seht Euch vor, Madame Lunor, als nächstes kommt beinig auf, bereit mit festen Stand und einem wohl ge-
bestimmt ein Bluthund ohne Fährte! Oder eine zielten Hieb das Monstrum zu töten oder in die
wasserscheue Sumpfschildkröte. Habt Acht, es könnte Flucht zu schlagen. Auf jeden Fall will er sich nicht so
auch - eine mordlüsterne Maus sein!" leicht erwischen lassen wie Randirion.
Randirion zwinkert und geht diesmal vor, und warnt Und da ist das Monster schon heran. Das Monster
die anderen vor Tücken des Weges (so er sie bemerkt). kommt ohne Probleme an Frumols Rapier vorbei und
beißt ihm in den Brustkorb.
"Vorsicht Madame Lunor, dieser Stein ist ein wenig
glitschig!" Erstaunt und vor Schmerz reißt Frumol die Augen
auf. Ein Schmerzensschrei entfährt seiner Kehle. Er
'Wenn der Kerl nicht gleich den Mund hält, schubse
hatte noch nicht einmal eine Chance den Hieb abzu-
ich ihn eigenhändig in den Sumpf!' Frumol kann sich
wehren.
mächtig über die dämlichen Kommentare des Kaval-
järe ärgern. Ist er eifersüchtig? 'Hoffentlich hat es Sephyra nicht erwischt' kann er
noch klar denken, bevor die Welle des Schmerzes seine
Der Weg durch den Sumpf ist völlig unproblematisch.
Gedanken vernebelt. Schweißtropfen perlen auf seiner
Das Wetter ist angenehm, und ein Frosch quakt im
Stirn.
Hintergrund. Randirion geht so flott, dass er ein paar
Schritt Abstand vor Frumol und Sephyra gewinnt. In- Gleichzeitig langt es um Frumol herum und schlägt
galf geht ganz am Ende. nach Sephyra. Die will ausweichen, was ihr aber nicht
gelingt, da sie nicht in den Sumpf springen will. Die
Plötzlich erscheint etwas aus dem Sumpf, ein
Klaue des Monsters erwischt sie im Gesicht. So fühlt
widerwärtiges Sumpfmonster taucht auf. Es handelt
es sich als an, wenn die Wange bis auf die Knochen
sich um ein grün braunes menschenähnliches Mons-
aufgerissen wird!
trum mit Klauen und Schwimmhäuten, einem großen
Maul mit entsetzlichen Reißzähnen und einer dicken, Sephyra kann vor Schmerz nicht einmal das Gesicht
gummiartigen Haut voller Pusteln. Trotz seiner Größe verziehen: 'Hoffentlich bleibt da keine Narbe zurück,
scheint das Monster geradezu über dem Sumpf zu wäre wirklich schade!' geht ihr bei dem Treffer durch
schweben. Blitzschnell nähert es sich dem völlig un- den Kopf. 'Aua! Wenn ich schon so etwas denke, dann
vorbereiteten Randirion und fällt über ihn her. muss ich wirklich schwer getroffen sein.' geht ihr wei-
ter durch den Sinn.
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Trotz der Schmerzen erkennt Frumol seine Chance. Ohne zu wissen, was er eigentlich tut, greift er das
Wie in Zeitlupe sieht er das Wesen zurückweichen Wesen aus dem Sumpf an. Der Rapier ist zielgerichtet
und beginnt, ohne zu zögern, einen Angriff. erhoben, das Messer bereit zum Zustechen - notfalls
Das Monster springt kurz zurück, und will an- würde er mit Händen und Füßen gegen das Wesen
scheinend einen riesigen Satz machen, da erwischt es antreten.
Frumol mit einem sauberen Stoß seines Rapiers. Tief Er sticht zu, und wieder kommt sein Rapier unbesch-
dringt sein Rapier ein. miert aus dem Körper des Monsters heraus. Und dies-
"Ja, gib's ihm!" feuert sie Frumol an. mal beißt und fetzt das Monster als Antwort ihn ganz
allein. Sein Schmerz ist fast unerträglich, als dass
Randirion, der jetzt hinter dem Monster steht, ist in
Monster ihm das linke Bein fast abreißt, aber er will
diesem Moment zum Schuss bereit. Er sieht, wie die
Sephyra schützen und so lässt er Dolch und Rapier
Klinge Frumols auf der Rückseite des Monsters wieder
fallen und geht dem Monster selbst mit zu Klauen ge-
austritt und da drückt er ab, denn seine Gefährten
krümmten Fingern an die Gurgel. Wenn er es nicht
sind weitestgehend durch das Monster gedeckt. Mag
erstechen kann, dann kann er es vielleicht erwürgen.
es an seinem überhasteten Schuss liegen, seiner
Verletzung oder anderen Ursachen: Die Ladung fliegt In dem Moment wird auf einmal alles ganz anders.
über das Monster und seine Gefährten hinweg. Das Monster verschwindet. Frumols Schmerz
Randirion zischt wütend, lässt die Balestrina fallen verschwindet ebenfalls schlagartig. Er schaut sich an.
und zieht Rapier und Linkhand, um den Gefährten Er ist unverletzt. Keine einzige Verwundung ist zu se-
zu helfen. Etwas schwankend sucht er sicheren Stand hen.
im Sumpf und geht vorwärts … Eben noch hat er gegen dieses Wesen einen hoff-
"O Hesinde, erleuchte mich, O Rondra führe meine nungslosen Kampf geführt und vor Schmerzen ge-
Klinge …" murmelt er halblaut. schrien. Und jetzt ist es weg.
Als Frumol die Klinge zurückzieht, ist sie unbefleckt. Einfach so. Erstaunt sackt Frumol zu Boden und be-
tastet das Bein, welches in den Klauen des Sumpf-
Ungläubig starrt Frumol seine Klinge an. Das kann
wesens steckte. Es ist alles heil.
doch nicht sein.
Kein Blut, keine Schramme.
Er hat gefühlt, wie seine Klinge tief in des Sumpf-
wesen eingedrungen ist. Selbst wenn grüner Schleim Vorsichtig erhebt er sich wieder und tastest Arme und
in seinen Adern fließt, hätte dieser an der Klinge Brust ab.
kleben müssen. Au - die Brust schmerzt und er verzieht ein wenig das
'Bei den Zwölfen - wir hätten nicht hierher kommen Gesicht. Doch an jener Stelle hat ihn vorhin der
sollen'. Weidenast getroffen.
Er hebt das Rapier wieder an und dreht sich um. Bei 'Wohin ist das Wesen so plötzlich verschwunden?'
einem Blick in Sephyras hübsches Gesicht bleibt ihm Ein wenig zögernd dreht er sich zu den Gefährten um
das Herz stehen. - hofft dass es ihnen ebenfalls gut geht.
'Sie ist entstellt, vielleicht blind. Nie wieder wird sie so Sein Blick fällt auf Ingalf. Der liegt nur da und scheint
auf dem Jahrmarkt auftreten.' zu schlafen. Der Oberkörper auf einer Steinplatte, die
Und dann macht das Monster tatsächlich einen Satz Beine im morastigen Wasser.
über Frumol und Sephyra hinweg und greift Ingalf Und noch während er vorwärts geht, dabei nach
an. Da er vorbereitet ist, hat er sogar den ersten Hieb, Lücken in der Deckung oder in der Panzerung su-
und tief, fast widerstandslos, dringt die Klinge seiner chend, fallen ihm einige Dinge auf:
Axt in den Körper des Monsters ein. Dessen ungeach- 'Un moment … Pellockes Klinge, die ja komplett
tet wird auch Ingalf schwer von Zähnen und Klauen durch den Körper der Kreatur gedrungen ist, war
am Bauch getroffen. Er hat das Gefühl, dass ihm die komplett sauber! Das Monster schwebt über dem
Gedärme herausgerissen werden. Dann bricht er be- Sumpf! Wedmanssons Axthieb durchdrang es, ohne
wusstlos zusammen. Wirkung zu zeigen! Dieses Wesen ist irgendwie un-
Überall in ihrem Gesicht ist Blut, die Klauen haben stofflich … Doch die Treffer tun weh!'
sie entstellt und tiefe blutige Wunden hinterlassen. Randirion bleibt stehen, und versucht diese Hypothese
"Sephyra" ruft er laut aus und jagt mit einem Auf- kurz zu verarbeiten - bleibt aber verteidigungsbereit,
schrei auf das Wesen zu, welches gerade Ingalf zu denn er ist sich nicht sicher …
Boden geschickt hat. Er kann nicht mehr klar denken, 'Und wenn es ein Geist oder sowas ist - wie wird man
Wut und Schmerz mischt sich mit Trauer und Rache. es los? Vergehen diese Nachtwesen nicht normaler-
Das unbekannte Wesen hat Sephyra entstellt! weise im Lichte Praios'? O Hesinde, gib mir Geist!'

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Randirion denkt scharf nach: Um ihn herum ist alles vergessen - die Gefährten, der
Er ist vollkommen auf seine Überlegungen kon- Sumpf, die Kinder. Für ihn gibt es nur Sephyra.
zentriert und vergisst alles um sich herum. Und für Sephyra gibt es in diesem Moment nur
'Wenn die Kreatur keine Substanz hat - dann auch Frumol. Dann sieht sie Ingalf wieder aufstehen und
ihre Zähne nicht. Dann wären auch die Wunden nicht flüstert Frumol ins Ohr: "Lass uns schnell von hier
echt.' verschwinden, ich habe so ein Gefühl, dass es noch
nicht vorbei ist!"
Randirion fasst sich an seine frischen Wunden und
führt die Hand vor die Augen. Floss sein Blut? Frumol entlässt sie widerstrebend aus seinen Armen.
Wie viel Zeit ist vergangen? Er weiß es nicht und kon-
Es floss. Und die Wunden tun verdammt weh.
zentriert seine Gedanken wieder auf die Gegenwart:
Außerdem wird er nach weiteren Hinweisen auf "Du hast recht, wir sollten hier verschwinden. Ich
"nicht echt" suchen. Hat das Wesen einen Schatten? glaube jedoch nicht, dass die Müllerskinder hier sind."
Ist die Wunde von Frumol erkennbar? Hinterlässt es
"Trugbilder! Illusionen!" ruft Randirion erleichtert.
Fußabdrücke im Sumpf? Wie sehen die Wunden der
anderen aus? "Wir haben gegen nichts als Luft gekämpft!"
Als er hoch schaut, ist das Monster plötzlich Randirion steckt seine Waffen weg und ist - mit einem
verschwunden. Sein eigener Schmerz auch. Es ist Lächeln an den Liebenden vorbeigehend - an der Sei-
auch kein Blut mehr auf seiner Hand zu sehen. Die te des bewusstlosen Ingalf.
anderen scheinen auch unverletzt zu sein. "Kommt zu Euch, Gefährte Wedmansson! Alles ist
vorbei!"
Vom Entsetzen über diesen Anblick wie gelähmt,
kann Sephyra sich nicht bewegen. Der Zustand dauert Ingalf öffnet leicht verkatert die Augen …
gerade lange genug an, damit den beiden noch nicht Ingalf ist im ersten Augenblick noch benommen, er
gefallenen Freunden ihr Zustand auffallen könnte. schüttelt den Kopf, um in klar zu bekommen, dann
Dann rappelt sie sich innerlich auf und ruft: "Ingalf, kehrt die Erinnerung schlagartig zurück: mit einem
nein!" 'Wir müssen ihm und uns helfen, aber was kurzen Aufschrei fahren seine Hände auf den Bauch,
können wir bloß tun? Unsere Waffen zeigen keine den Bauch, der vorhin aufgeschlitzt wurde, dem die
Wirkung. Und das Monster ist viel schneller als wir, so Gedärme entrissen wurden. Doch wie kam das?
dass wir auch zu nicht zurück in den Wald fliehen "Swafnir und den Zwölfen sei dank!" keucht Ingalf.
können, wenn wir Ingalf tragen müssen! "Ein Wunder, ich lebe und bin unversehrt." Er blickt
Aber ihn zurücklassen und dann alle gemeinsam sich um, und sieht zum ersten Mal die Gefährten,
sterben?' Randirion steht unverletzt neben ihm, Frumol und
Sephyra liegen sich in den Armen, ebenfalls bei
Im gleichen Moment, in dem das Monster
scheinbar bester Gesundheit. "Was ist passiert? Wer
verschwindet, verschwindet auch der Schmerz bei Se-
oder was ist uns zu Hilfe gekommen gegen dieses Un-
phyra.
getüm der Niederhöllen, und hat uns dann auch noch
Und Sephyra? Er hastet auf sie zu, blickt ihr in das geheilt?" fragt er fassungslos in die Runde.
unverletzte Gesicht und lächelt sie erleichtert an.
"Keine Ahnung, was passiert ist", Frumol klingt etwas
Auch Sephyra lächelt, sie kann es noch gar nicht gereizt.
fassen. Langsam und vorsichtig betastet sie ihr Gesicht
"Sephyra hat recht, wir sollten uns sputen."
mit der "Wunde".
Er nimmt seine Waffen wieder auf und wischt sie
'Keine Verletzung. Wie kann das sein?' Er hebt die
flüchtig ab. Den Dolch steckt er wieder in den Brust-
Hand und streicht ihr sanft über die Wange, fährt mit
gurt, das Rapier wieder an den Gürtel. Unbewusst legt
dem Finger zärtlich die Kontur ihrer Lippen nach,
er seine Hand auf dessen Griff - was sonst nicht seine
ganz so als müsse er sich dessen versichern, was er
Angewohnheit ist.
sieht.
Damit geht er weiter in Richtung der Ruine. Er hält
Dann umarmt er sie freudig und fest, gibt ihr einen
abwechselnd wachsam die Augen auf den Sumpf und
Kuss auf Mund und Wange. "Ich bin so froh, dass Dir
die Ruine gerichtet.
nichts passiert ist." flüstert er erleichtert, streicht dabei
sanft über ihre blonden Haare. Nie wieder möchte er Ingalf blickt Frumol zunächst fassungslos nach, dann
sie loslassen - um nichts um der Zwölfe Willen. verdunkelt sich seine Miene, er rappelt sich auf und
nimmt seine Axt und den Seesack auf. "Na wunder
Die Umarmung ist Sephyra mehr als willkommen. Sie
prächtig, Herr Frumol. Ich höre sozusagen Golgaris
legt ihren Kopf an Frumols Schulter und vergisst die
Schwingen rauschen und nun ist der werte Herr zu
Umgebung völlig.
beschäftigt, mir Antwort zu geben." Ingalf scheint sich
mehr oder weniger in Rage zu reden. "Grad vorhin

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noch hingst du an Sephyras Rockschößen und wolltest Mit ihm im Schlepptau stiefelt sie auf Ingalf zu und
auf keinen Fall einen Schritt Richtung Schloss ma- versucht, mit der freien Hand dessen Ohr zu erwi-
chen, nur weil ein Vögelchen erst den Verstand und schen. 'Hoffentlich komme ich da ran!' denkt sie auf
dann das Leben verloren hat, und nun hast du nicht dem Weg dorthin. Aber mit ihrem akrobatischen Ge-
mal die Zeit, mir zu erklären wie ich den Angriff eines schick ist das kein Problem. Auch Ingalfs Ohr erfährt
leibhaftigen Dämons überlebt habe?" eine halbe Drehung: "Los ihr Kerle, gebt euch die
Seine Stimme wird immer lauter und ärgerlicher. "Was Hand und vertragt euch!" lautet ihre unmissverständ-
ist denn schon ein Dämon? Nichts gefährliches, nein! liche Anweisung an die beiden.
Aber eine angreifende Eule … Huh, rette mich wer "Könntest Du mich wenigstens vorher loslassen?"
kann. Sephyra, zu Hilfe …" fragt er Sephyra.
Frumol bietet ihm die Stirn. Er lässt sich nicht gern Jedenfalls streckt er bereitwillig die Hand in Richtung
anschreien. Und schon gar nicht von einem daher ge- Ingalf aus. Schließlich hat er nichts gegen den Seefah-
laufenen Seemann. rer.
"Ich habe es doch schon gesagt. Ich … weiß … es … "Aua! Was …?" Ingalfs Muskeln spannen sich an,
nicht!" Die letzten Worte spricht er deutlich - und laut. dann erschlaffen sie wieder und er murmelt: "Na-
Seine Finger schließen sich um den Griff des Rapiers. wennsdennseinmuss …" und reicht Frumol leicht
Seine Muskeln spannen sich an, seine Haltung wird widerwillig die Hand. Nachdem Sephyra sein Ohr frei
abwehrbereit. gegeben hat richtet er sich auf, reibt sich das Ohr und
"Ich bin froh, dass alle unverletzt sind und Golgari grinst Frumol an. "Na da hasse dir ja eine gesucht.
niemanden mitgenommen hat. Ich bin nur der An- Eure Kinners heißen alle Sephyrasson … oder Sephy-
sicht, dass wir nicht hier sein sollten, die Zeichen sind rasdottir." ergänzt er noch schnell an Sephyra gewandt
doch deutlich genug: Erst die Eule, dann die Bäume, und bedeckt das ihr zugewandte Ohr.
und jetzt ein Dämon, eine Illusion oder ein Hirnge- "Na bitte - Du erinnerst dich schon jetzt an sie." gibt
spinst - mir ist es gleich, was es war." Frumol grinsend zurück. Auch er reibt sich sein Ohr.
Auch Frumol redet sich langsam in Rage. Er soll Se- Dann dreht er sich um und marschiert über die Steine
phyra gefälligst aus dem Spiel lassen. weiter zur Burg.
"Auch denke ich, dass wir die Müllerskinder hier nicht Aus Gerechtigkeitsgründen heraus lässt Sephyra erst
finden werden. Wie sollen sie denn hierher gekom- los, wenn sich beide die Hand gereicht haben. Dann
men sein? Verängstigte Kinder laufen nicht einfach an meint sie: "Geht doch!"
peitschenden Bäumen vorbei!" Randirion, der die ganze Zeit über ruhig lächelnd
Langsam und tief atmet er ein, versucht sich zu beru- zugesehen hatte, verbeugt sich leicht.
higen. 'Es ist nicht gut, wenn ich mich so provozieren "Wundervoll, Madame Lunor! Wollt Ihr nicht
lasse.' vielleicht doch eine Karriere im diplomatischen
"Was Sephyra betrifft bist Du nur neidisch." stellte er Dienst in Erwägung ziehen?"
nüchtern fest. Diesen Seitenhieb konnte er sich nicht Entgegen aller Erwartung ist der weitere Weg voll-
verkneifen. Nur mit Mühe kann er sich davon abhal- kommen unproblematisch, und die Gefährten kom-
ten, ihn noch weiter auszuführen. Nun geht es ihm men schließlich von Süden vor der düster wirkenden
aber besser, seine innere Anspannung ist fast augen- Ruine an. Sie erhebt sich auf festem Boden, macht
blicklich verschwunden. aber einen ziemlich verfallenen Eindruck. Vor der
Auch Sephyra bleibt angesichts dieser Tirade stehen mehreren Schritt hohen und wohl mehr als 50 Schritt
und dreht sich zu Ingalf um. Wenn ihre Blicke töten breiten Südmauer liegt im westlichen Bereich das Tor-
könnten, würde Ingalf nach seinem letzten Satz um- haus mit einem vier Schritt breiten offenen Torbogen,
fallen wie ein Sack Reis auf Maraskan … auf den die Gefährten gerade zukommen. Rechts
Dann reißt sie sich innerlich zusammen und macht neben dem Torhaus ist der Torturm mit schmalen
lediglich einen bissigen Kommentar: "Toll, wenn das Schießscharten zu sehen, von dem nur noch die un-
so weitergeht mit euch beiden, dann braucht der teren Stockwerke stehen.
nächste 'Dämon' nur noch zuzusehen und sich zu Das Gelände vor der Mauer ist mit Steinen übersät.
freuen, wie ihr euch gegenseitig zerfleischt, oder was?" "Sieht finster aus. Und verlassen." murmelt Frumol
Damit greift sie an Frumols linkes Ohr und verdreht mehr zu sich selbst als zu den Gefährten. "Ein
es schmerzhaft, so dass er ihr folgen muss. richtiger Kinderspielplatz!"
"Au!" ruft Frumol. "Was soll denn das?" Er bleibt stehen und mustert die Burg nach Anzeichen
Er lässt sich führen - ganz brav. von Bewohnern.

47
"Was meint ihr, wie kommen wir da am besten rein?" Vorsichtig nähern sich die Helden der nieder gebro-
fragt er. "Durchs Tor oder lieber hinten 'rum?" chenen Stelle der Mauer und schauen ins Innere der
Die Burg macht einen unbewohnten Eindruck. Burganlage. Eine Vielzahl von Gebäuden, viele sogar
mit weitgehend intakten Dächern, sind zu sehen; die
Sephyra sieht sich die Mauern an und geht ein paar
meisten sind fensterlos. Auf der gegenüberliegenden
Schritte daran entlang.
Seite der Anlage erhebt sich das Haupthaus; das
Sie geht nach rechts und links jeweils bis zum Ende scheint aber einiges an Zerstörungen mitbekommen
der Mauer, die insgesamt gut 30 Schritt misst. zu haben.
Als sie um die Ecke herum schaut, sieht sie, dass die Rechts und links des Durchbruchs befinden sich zwei
Mauer jeweils rechtwinklig um die Ecke geht. So 20 flache Gebäude.
Schritt voraus ist jeweils ein runder Turm in der Mau-
Beim rechten ist auch eine geschlossene Tür zu sehen.
er, die Obergeschosse zerstört.
Es scheint mit dem Haupthaus verbunden zu sein.
Auf der rechten Burgseite, d.h. im Osten, ist die Mau-
"Schaut mal" Frumol deutet auf die Tür. "Warum
er an einer Stelle eingebrochen. Da sollte man in die
fangen wir nicht einfach da an zu suchen?" Gesagt ge-
Burg eindringen können.
tan, er ist schon auf dem Weg zu der geschlossenen
Sephyra nach dem Blick: "Hier könnten wir durch die Tür.
Mauer schlüpfen, ohne dass das auffällt."
Mit katzenhafter Gewandtheit schmiegt sich Sephyra
"Ich stimme dem zu. Bei den Haustieren, die sich der neben der Tür an die Wand und lauscht …
Burgherr zu halten scheint, ist etwas Diskretion si-
So weit ihm katzenhafte Gewandtheit zur Verfügung
cherlich angebracht …"
steht, nutzt Ingalf sie, um Sephyra zu folgen. "Un',
Randirion ist vorsichtig und hält die Balestrina ge- hörste was?" flüstert er.
spannt.

48
Erkundung der Schlossruine
E sucht,
s ist nichts zu hören. Als daraufhin Sephyra ver- Randirion ist ebenso wie Ingalf den beiden gefolgt
die Tür am vorhandenen verrosteten und schaut sich wachsam um, die Balestrina in der
Knauf aufzuziehen, gibt sie nicht nach, obwohl sie of- Hand. Auf Sephyras Frage bemerkt er: "Das ist na-
fensichtlich nach außen aufgeht. Auch kräftiges Zie- heliegend, Frau Lunor. Hier werden die Kinder nicht
hen führt zu keinem Erfolg. Ein Schlüsselloch gibt es hinein gegangen sein."
nicht. Vorsichtig bewegt sich die Gruppe zwischen den Ge-
Etwas ratlos steht Sephyra vor verschlossener Tür und bäuden aufs Haupthaus zu. Dort führt eine halb in
überlegt. Dann, nach kurzer Pause, fragt sie: "Hier den Angeln hängende Doppeltür ins düstere Innere.
geht's nicht weiter, wie kommen wir hinein? Das In dem Gang zwischen zwei kleineren Gebäuden sind
Haupthaus direkt versuchen?" noch zwei Türen auszumachen. Weiter geradeaus
geht es da zum Schlosstor. Dort deutet sich ein herun-
ter gelassenes Fallgitter an.
|\ Haupthaus
| \ zweistöckig| einstöckig _
|__| \_TT__________|____________| | verschlossen |
|_____T________|
<---Mauer
______ _________
| | | |
T T |
| | | Mauerdurchbruch --->
| |_ _| ______
| | | ____________
| | | |
__| | zum _| | |
V Tor
"Kleine Kinder spielen immer gerne im Stall. Ich Sephyra bleibt an Frumols Seite und nicht bei Randi-
werde mir mal die beiden kleinen Gebäude ansehen." rion, der gerade dabei ist, den Untergrund des Burg-
"Aber nur, wenn dort das Heu duftet und Tiere sind. hofs etwas genauer zu betrachten.
In dieser Ruine können sie überall sein. Ich wüsste Frumol und Sephyra überblicken den vorderen Teil
nicht, wohin es mich als erstes zieht." gibt Frumol zu des Burghofs. Das Gebäude, an dem sie entlanggehen,
bedenken. hat offenbar noch eine Tür an der Südseite. Sie ist
Er schaut sich interessiert um. Sein Blick hängt am angelehnt. Auch beim dritten kleinen Gebäude gibt es
Schlosstor. eine Südtür. Das relativ große Gebäude im Südosten
hat eine breite Gittertür, durch die aber nichts weiter
"Vielleicht dort drüben", und deutet auf das Tor. "Am
aus der Entfernung erkennbar ist. Das verrostete Fall-
Tor ist es immer interessant, oder in einer Kammer,
gitter des Torbogens ist offensichtlich herunter ge-
wo es Schränke und Regale zu untersuchen gibt, oder
lassen. Zwei Aufgänge zum Wehrgang auf der Burg-
…", Er bricht ab, da ihm noch tausend Möglichkeiten
mauer sind noch zu sehen. Von den Kindern keine
einfallen.
Spur.
"Vielleicht sollten wir laut nach Ihnen rufen. Wenn sie
Plötzlich ertönt aus dem Gebäude, an dessen Ecke
nicht zu verängstigt sind kommen sie bestimmt her-
Frumol und Sephyra stehen, eine barsche Stimme. Se-
aus. Hunger müssten sie inzwischen jedenfalls
phyra versteht nur: "Wollt ihr?" Und Ingalf schnauzt
haben."
zurück: "Wat, wer seid ihr denn? Wo sinn die Kinners
Randirion sieht sich auch mal auf den Wegen um, ihr Halunken?" Das ist auch in den 8 Schritt Entfer-
eventuell sieht man ja Spuren von Kinderfüßen. nung gut zu verstehen.
Und schon ist er auf dem Weg. Als Randirion den Untergrund betrachtet, erinnert er
Ingalf folgt. sich daran, dass es in der Offiziersausbildung auch
Frumol schaut sich draußen weiter um. Langsam einmal einen Kurs in Fährtensuchen für angehende
schlendert er in Richtung Burgtor. Erkunder gegeben hat. Das hat ihm schon damals
nicht gelegen.
Sephyra bleibt an Frumols Seite und geht nicht hinter
dem Kawaljere her. 'Wozu auch, soll der doch sich da Er findet überhaupt keine Hinweise, ob hier in letzter
umsehen …!' denkt sie. Zeit schon mal irgendjemand war.

49
Burgmauer
|
| ______ _________ ^
| | |RI| | |
| T T | Norden
| | | |
| | |_________| ______
| | | | ____________
| | | | | |
| |____T_| |____T_| | |
| FS |
| |
| G
| |
|A |__
|_________FF____________A_________________Burgmauer
Randirion schaut zuerst in das von rechte Gebäude. Auf das Wort "Halunken" von Ingalf hin, schwant ihr
Die Tür lässt sich leicht aufstoßen, sie quietscht aber nichts Gutes und sie legt die Hand auf den Rapier-
so vernehmlich. Das Flachdach hat ein paar Löcher griff. Langsam geht sie auf die beiden, in der Tür
und im Süden gibt es eine weitere Tür, so dass Randi- stehenden, Gefährten zu und sagt zu Frumol über die
rion im Halbdunkel einen einigermaßen Überblick Schulter: "Komm, ich glaube, wir sollten uns da mal
hat. mit umsehen. Vielleicht gibt es Ärger!"
Dieses Einraum-Gebäude war offensichtlich mal eine "Das hört sich nicht sehr freundlich an." antwortet
Unterkunft, denn er ist mit Doppelstockbetten und Frumol. "Du hast Recht", und folgt Sephyra.
Spinden, die sich jetzt in verschiedenen Stadien der "Vielleicht hat er auch nur einen alten Kumpel getrof-
Verfalls befinden, voll gestellt. Das Ganze sieht Randi- fen" witzelt er breit grinsend. Seine Hände gestiku-
rion aber nur nebenbei, denn seine ganze Aufmerk- lieren dabei - wie immer - aufgeregt.
samkeit wird von drei finsteren Gestalten gefangen ge-
Jedoch macht er keine Anstalten, nach einer Waffe zu
nommen, die offensichtlich in der hintersten Ecke des
greifen.
Raumes mit irgendetwas zugange waren.
Randirion lässt seinen Kampfarm in der Nähe des Ra-
Die Gestalten zeichnen sich durch verwahrloste Tula-
piergriffs und versucht, mit dem anderen Ingalf etwas
miden-Kleidung und wilden Bartwuchs aus. Der
zurückzudrängen, raus aus der Tür.
nicht gerade anheimelnde Eindruck wird durch ihre
Bewaffnung - Randirion sieht im ersten Moment Sä- "Ich glaube hier wollen die Kinder bestimmt nicht
bel, Krummschwert und Wurfbeil - verstärkt. Die drei spielen."
wenden sich Randirion zu und ziehen ihre Waffen. "Diese Fremden sprechen nicht mal eine zivilisierte
Und dann bellt einer der drei etwas in barschem Ton- Sprache!"
fall. Die drei setzen nach. Frumol und Sephyra hören Ran-
Randirion versteht kein Wort. dirions Äußerung ebenso wie Ingalf.
Ingalf auch nicht, aber Tonfall und Gestik sind wohl Ingalf hält die Axt nun fest in beiden Händen. Er hat
nicht misszuverstehen. Er lässt schnell seinen Seesack bereits von ganz allein den langsamen Rückzug ange-
zu Boden gleiten. treten, Randirions Hand ist also überflüssig. Zwischen
Ingalf schnauzt zurück: "Wat, wer seid ihr denn? Wo den Zähnen murmelt er "Genau, lass sie uns direkt
sin' die Kinners ihr Halunken?" vor der Tür empfangen, hier drinnen könnten sie uns
zu leicht einkesseln."
Die Antwort ist zuerst nur ein Knurren. Dann blickt
der Wortführer zu seinen Kumpanen und sagt halb- Ermutigt von dem Zurückweichen der beiden
laut etwas. Daraufhin kommen die drei auf die Tür Kämpfer setzen die verwegenen Gestalten den beiden
zu, in der Randirion und Ingalf gedrängt nebenein- nach, aber Ingalf passt genau den Moment ab, als der
ander stehen. erste Gegner direkt in der Tür erscheint, attackiert mit
seiner Orknase und triff ihn am Arm. Neben einem
Sie kommen nebeneinander in gemessen-gespannter
überraschten "Argh!" ist von drinnen ein weiterer Aus-
Bewegung. Dabei steigt einer schon mal über ein
ruf zu hören, den Sephyra als 'rück' versteht.
zerbrochenes Bett. Die Hände sind um die Waffengrif-
fe gespannt. Der Gesichtsausdruck der drei ist nicht Ingalfs Gegner zieht sich wieder ins Gebäudeinnere
freundlich. zurück. Da es draußen viel heller als drinnen ist, ist
nicht zu erkennen, was die drei da drinnen machen.
Von den Rufen aufgeschreckt, wendet sich Sephyra
von ihrer derzeitigen Umsicht ab und sieht zu dem "Das hört sich wirklich an, als hätten die beiden
vom Kawaljere und Ingalf untersuchten Gebäude hin. wieder Ärger gefunden." bestätigt Frumol Sephyras
50
Verdacht. Er beschleunigt seine Schritte. Seine Hand Danach begibt er sich leise zu Sephyra; seine Hand
ruht auf dem Griff des Rapiers. liegt am Rapier und sorgt dafür, dass dieser nicht ir-
Und dann erscheint eine verwegene Gestalt im Ein- gendwo anstößt.
gang, die aber mit einem raschen Schlag Ingalfs Fragend schaut er Sephyra mit einem Du-wolltest-
wieder zurück ins Gebäude getrieben wird. doch-nachschauen-gehen-Blick an.
"Euch kann man nicht allein lassen!" sagt Sephyra zur Und jetzt ist nichts mehr zu hören.
Begrüßung. "Eben meinte einer etwas von Rückzug Leise und behutsam dreht sie sich zu Frumol um und
oder so ähnlich." Nach einer kurzen Pause fällt ihr flüstert: "Die verdrücken sich!"
ein, dass es ja dahinten noch eine weitere Tür gab:
"Dann lass uns mal nachschauen." kommentiert
"Ähh, nicht dass sie uns in den Rücken fallen, da hin-
Frumol.
ten war eine zweite Tür, die ebenfalls in diesen Raum
führen könnte. Das sollten wir mal prüfen." Fest umfasst sie den Griff des Rapiers und versucht,
vorsichtig um die Ecke zu spähen. Sobald sie einen
Gesagt, getan. Sie zieht vorsichtshalber einen Wurf-
kurzen Blick getan hat, zieht sie den Kopf sofort
dolch und schleicht an der Wand entlang zu der ent-
wieder zurück, um kein Ziel für Bogenschützen oder
deckten Tür im Süden.
Messerwerfer zu bieten, geht in die Knie und wirft
Sephyra will an der Tür lauschen, immer … einen erneuten kurzen Blick um die Ecke.
… darauf gefasst, dass die Tür plötzlich aufgehen und Während Sephyra überaus vorsichtig um die Ecke
die Gestalten herauskommen könnten… späht, ist Frumol weniger vorsichtig. Wenn sich je-
Schon kurz vor der Gebäudeecke hört sie, dass die Tür mand verdrückt ist dessen Aufmerksamkeit mehr nach
aufgeht und jemand herauskommt. Sie sieht aber vorne gerichtet.
nichts, da sie noch vor der Ecke ist. Und um die Ecke So schaut er ohne Scheu um die Ecke, ohne dass er
kommt überraschenderweise niemand. eine Gefahr erwartet.
Sephyra steckt den Dolch weg und zieht so leise wie Er versucht die 'Flüchtenden' auszumachen und wei-
möglich das Rapier. Immer lauscht sie dabei ange- tere Einzelheiten zu erkennen.
strengt, ob sie Schritte oder das Scharren von Metall
Es ist niemand zu sehen!
(gezogene Waffen, klappernde Waffengurte etc.) ver-
nehmen kann. Da alles ruhig ist geht Frumol auf die Tür zu, durch
die die Unbekannten das Gebäude offensichtlich
Sephyra hört. Sie hört vorsichtige Schritte, leises
verlassen haben.
Flüstern. Die Tür knarrt ein bisschen.
Die Tür steht halb offen.
Ohne einen Laut von sich zu geben oder ihre Auf-
merksamkeit von der Ecke zu nehmen, presst sie sich Er blickt sich vorsichtig um und blickt hinein.
fest gegen die Wand und geht nicht weiter. Mit der Für einen kurzen Moment durchzuckt es Frumol:
dann freien Hand winkt sie den Gefährten. 'Hoffent- Feind! Aber dann ist es klar: Randirion ist durch die
lich bemerkt Frumol das!' denkt sie noch. Sie will sich obere Tür in das Gebäude eingedrungen. Von den
auf gar keinen Fall zu den Freunden umdrehen, um Gestalten keine Spur.
nicht überrascht zu werden. "Ingalf, wollen wir reingehen und nachschauen, wo
Die Geräusche werden leiser, entfernen sich. sie bleiben, diese Schurken? Vielleicht halten Sie die
Als Frumol bei Ingalf und dem Kavaljäre eintrifft, Kinder gefangen und wollen Auslöse!"
sieht er sie vor einer offenen Tür stehen. Ingalf hat sei- "Nun dann, für die Kinder!"
ner Axt kampfbereit in den Händen. Rapier gezogen und rein in den Raum, bereit jederzeit
"Was habt ihr entdeckt?" fragt er sie. von Unholden angegriffen zu werden.
"3 ungewaschene, dreckige Unholde die sich in einer In seiner Konzentration auf den zu erwartenden
nicht zivilisierten Sprache unterhalten haben und uns Kampf vergisst er, alle bisher gegenüber den Ge-
anscheinend bedrohen wollen!" fährten gepflegten Sprachgewohnheiten und stößt nur
Rasch dreht sich er sich um und zischt den Beiden ein hervor:
leises "Psst!" zu. "Ingalf, nu' komm!"
Als er ihre Aufmerksamkeit hat, legt er den Finger Schnell überblickt Randirion die Szene. Keine
senkrecht über die Lippen und deutet auf sich und an- Landstreicher mehr zu sehen. Die Tür am anderen
schließend auf Sephyra, welche scheinbar versucht, in Ende des Gebäudes steht halb offen. Aber da erscheint
der gemauerten Wand zu versinken. jemand in der Tür. Frumol.
Ingalf folgt mit schlagbereiter Orknase.

51
Auch Ingalf stellt fest, dass die Vögelchen ausgeflogen "Wo würdest Du denn hier als Knabe hingehen?" be-
sind. antwortet Frumol die Frage mit einer Gegenfrage.
Frumol stößt die Tür gänzlich auf, um dem Tageslicht Seine Balestrina lässt Randirion aber sicherheitshalber
die Möglichkeit zu geben, die Dunkelheit zu ver- geladen in der Linken.
treiben. "Unzivilisierte Gegend …" murmelt er halb zu sich,
Flüchtig schaut er sich in dem Raum um, entdeckt während er überlegt, welche der sicherlich un-
aber nichts Interessantes. Was soll sich inmitten des angenehme Überraschungen enthaltenden Türen als
ganzen Gerümpel schon Wertvolles verbergen? nächstes zu überprüfen ist.
Außerdem hätten die Gestalten, die hier waren, es si- "Da hinten ist ein Turm. Wir könnten uns von oben
cher schon längst mit genommen, oder? einen Überblick verschaffen", schlägt Frumol vor.
"Nimm endlich Deinen Stocherdegen 'runter. Und "Denn man tau", nimmt Ingalf den Vorschlag auf:
hör auf, überall Leute aufzuschrecken - wir haben "Aus dem Krähennest hat man immer den besten Aus-
eine Aufgabe!" sagt er amüsiert zu Randirion. guck", und geht, immer an der Mauer entlang, bis
"Und wir haben nicht viel Zeit" ergänzt er ernst. zum Westturm vor.
"Deswegen bin ich ja hier. Nachher haben diese dre- Während des Gehens nehmen die Gefährten die
ckigen Unholde die Kinder entführt!" wahrhaft beeindruckenden Abmessungen des Haupt-
"Und wo sind dann Eure dreckigen Unholde? Ich hauses wahr. Von den drei Gestalten ist nichts mehr
sehe hier keine!" ruft er über die Schulter zurück. zu sehen
"Aber geh ruhig wieder zu Sephyra. Ingalf und ich Der Turm ist auch hier auf der Westseite in die Mauer,
werden die Halunken schon aufstöbern." die etwas weiter voraus noch einen Durchbruch hat,
integriert. Und er besitzt eine Holztür zu ebener Erde.
Vielleicht hat er die schon gar nicht mehr gehört. Je-
denfalls reagiert er nicht darauf. | |
| |
Damit dreht er sich wieder um und blickt auf die D | einstöckig
anderen Gebäude. 'Wohin mögen sie gelaufen sein?' D |__
Da sieht er die einzige Möglichkeit: Zwischen diesem | _
| |
Gebäude und der Mauer gibt es einen zwei Schritt | |
breiten Zwischenraum. | |
Frumol winkt Sephyra heran: "Komm mit." | |
| |
Dann läuft er langsam über die Straße zu dem Zwi- \ |
schenraum. T |
| |
Sephyra folgt ihm auf dem Fuße, steckt aber die Waffe | |
nicht weg. / |
Tatsächlich kann man hier an der Mauer entlang um / |
das Gebäude herum gehen. Weiter hinten ist eine | ___|
| | _ Haupthaus
Ecke des Haupthauses zu sehen, und noch weiter hin- | | | \ zweistöckig|
ten (wohl 20 Schritt von hier) verbirgt der nach innen | |__| \_TT__________|
vorgewölbte Westturm die weitere Sicht. Von den |
Gestalten ist niemand zu sehen. |<---Mauer
| ______ _________
'Mist! Die sind weg!' Frumol ist enttäuscht - aber auch | | | | |
froh, das sich dies Problem von alleine gelöst hat. | | T T |
Missgelaunt schiebt Randirion sein Rapier wieder in | | | | |
| | | |_________|
die Scheide. | | |
… und folgt Frumol und Sephyra zur Südseite des | | |
Gebäudes. Ingalf schließt sich an. | |____T_|
"Sagt, werte Gefährten, kann es sein, dass diese "Hier rein?" fragt Ingalf.
Kinderchen wahre Meister darin sind, sich dort her- "Ich schätze schon." antwortet Frumol, da ihm kein
umzutreiben, wo sie besser nicht sein sollten?" anderer Zugang aufgefallen ist. Er tritt auch schon an
"Und wir wissen noch nicht einmal, ob die Kinder die Tür heran um sie zu öffnen.
hier irgendwo sind", ergänzt Ingalf. Da es keine Anzeichen der Gestalten mehr gibt, steckt
"Wohl wahr, Herr Wedmansson …" Sephyra das Rapier wieder weg und konzentriert sich
intensiv auf ihre Umgebung. Dazu sieht sie auch an
der Mauer entlang und am Turm nach oben.
52
Der obere Bereich der Mauer ist teilweise zerstört. Die Decke ist fast gänzlich eingestürzt. Vielleicht
Einzelne Zinnen fehlen. Steinbrocken liegen auf dem kommen wir am Tor besser voran."
Grund des Burghofs. Auf der Außenseite des Turmes So geht er voran Richtung Tor. Die Turm-Tür lässt er
sind größere Bereiche des äußeren Mauerwerks her- offen stehen.
ausgebrochen.
Ingalf schaut selbst in den Turm hinein, kommt aber
Sieht da vielleicht jemand aus einer Schießscharte zur gleichen Beurteilung wie Frumol. Er scheint nicht
oder einem Fenster? Hat der Turm überhaupt ganz einverstanden mit Frumols Richtung. "Woll'n wir
Fenster? nicht erstmal ganz um das Schloss rumgehen?" ruft er
Der Turm hat im oberen Bereich ein Fenster zum Frumol hinterher. "Dann ham' wir doch auch 'nen
Burghof hin. Nach außen sieht Sephyra von ihrer Po- ganz guten Überblick."
sition aus zwei Schießscharten. Frumol bleibt stehen. "Wenn Du meinst." Er zuckt
Jedenfalls tritt sie hinter Frumol ein und versucht, den kurz mit den Schultern und kehrt zu der Gruppe zu-
Recken der Gruppe in einem eventuellen Kampf in rück.
der Enge des Turms nicht im Wege zu stehen … Frumol nutzt einen Moment, um seinen Blick erneut
Die Tür klemmt ein wenig, aber dann kriegt Frumol über die überwiegend zerstörten Gebäude der ehema-
sie auf. Im ersten Moment er scheint der Innenraum ligen Burg zu lenken, mit dem Ergebnis, dass seine
ganz dunkel. Als Frumol in die Tür tritt und sich sei- Gedanken abschweifen.
ne Augen an die Düsternis gewöhnt haben bietet sich Ohne Zweifel war dies einst eine stolze Burg. Er
ihm ein katastrophaler Anblick. Die halbe Decke zum versetzt sich in vergangene Zeiten und vor seinem
nächsten Geschoss ist eingestürzt und hat im südli- geistigen Auge verwandeln sich die Trümmer in einen
chen Teil des Raumes, der anscheinend den gesamten belebten Straßenzug. Ein Hirte treibt sein Vieh durch
Turmdurchmesser umfasst, ist alles unter einem Berg die Gasse, das große Gebäude ist festlich geschmückt.
von Trümmern begraben. Auch im nördlichen Teil, in Von irgendwoher ertönt lustige Musik, der Duft ge-
dem sich die Tür befindet, liegen so viele Steine und bratenen Fleisches wird von einem schwachen Wind
Quader herum, dass man kaum gehen könnte. Eine herüber geweht. Kinder laufen spielend an der Burg-
Treppe ist nicht zu sehen. mauer entlang. Über allem erhebt sich der Turm im
Als Frumol etwas länger schaut, bemerkt er, dass sich Westen. Aufmerksam patrouillieren Soldaten auf dem
in den Trümmern der Südseite die Überreste einer Wehrgang - gekleidet in unverwechselbare Wappenrö-
Treppe befinden. cke.
Frumol bleibt in der Tür stehen und mustert Welche Gründe wohl zu ihrem Untergang führten?
erschreckt das Innere des Turms und die Reste der Ein Kampf oder gar ein Krieg? Eine Epidemie? Oder
Treppe. sind die Bewohner einfach weggezogen?
'Da kommen wir nicht hoch', zieht er ein gedankliches Welcher Grund es auch gewesen sein mag, der Zerfall
Fazit. hat diese Anzeichen im Laufe der Zeit unter sich be-
"Das war wohl nichts." sagt er zu den Gefährten wäh- graben.
rend er sich umdreht. "Da ist kein Durchkommen.
__________________ ___________________
| \ / |
|A \____T A|
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| | | G G|
| |S TWWWWWWWWWWWWWWG G|
D | einstöckig | G G|
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T | Haupthaus |_| | | | T
| | zweistöckig ____| | einstöckig | |
| | | |
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|<---Mauer
53
Die vier machen sich, geführt von Ingalf, zu einem Da scheint lange niemand hinaufgestiegen zu sein,
Burgrundgang auf. aber Stein ist Stein.
Am Durchbruch vorbei geht es, und dann kommt Vom Wehrgang, der zur Innenseite der Burg keine
auch die nördliche Mauer in Sicht. Kurz davor geht Brüstung hat, hat man nach Westen eine schöne
ein Aufgang hoch zum Wehrgang. Rechterhand wird Übersicht über den Sumpf sowie nach Norden einen
das zweistöckige Haupthaus von einem einstöckigen guten Blick auf den den hinter der Burg ansteigenden
Anbau abgelöst, der von einem mächtigen Schornstein Wald. Es ist aber weiter nichts besonderes zu er-
gekrönt wird. kennen.
Auf dem Weg zum Nordturm fällt ein Plattenweg auf, Als Frumol den Blick nach innen wendet, sieht er,
der von einer Tür des Anbaus bis zu einem Areal dass das Dach des Haupthauses an einigen Stellen
führt, welches mit etwas Phantasie als ehemaliges eingestürzt ist. Von den Räubern ist nichts zu sehen.
Gärtchen aufgefasst werden kann. Verwilderte Bäume Ingalf, der mitgekommen ist, bemerkt: "Kein Zugang
und Büsche stehen dort. zu den Türmen vom Wehrgang aus. Scheiß-Logistik."
"Sieh an, immerhin verstanden die Bewohner etwas "Meinst Du?" entgegnet ihm Frumol, aber er ist nicht
von Kultur." meint Randirion beim Anblick des auf eine Diskussion aus. Viel wichtiger ist es, dass von
Gartens. den Räubern nichts zu sehen ist - es sei denn, sie he-
"Allerdings könnten wir dieses ehemalige Plätzchen cken was aus.
der Besinnung auch schnöde nutzen, um einmal her- Einen Moment lang beobachtet er Randirion, dann
auszufinden, wann hier zuletzt ein Gärtner gewaltet schweift sein Blick zurück zu dem Haupthaus. 'Wir
haben mag." sollten und das mal ansehen, bevor es ganz einstürzt.'
Randirion ist beileibe kein Gärtner, aber man ist doch "Ich glaube nicht, dass die Kinder hier sind", sagt er
schon in so einigen Gärten gelustwandelt … abschließend zu Ingalf und begibt sich wieder in den
Daher traut er sich zu, abzuschätzen: Hof.
welcher Stil Garten mag es gewesen sein (bospa- Ingalf folgt ihm achselzuckend.
ranisch-streng, methumisch aufgelockert …) Sephyra beschattet mit der Hand die Augen und
wie dick/alt mögen die jüngsten offensichtlich von macht im Hof stehen bleibend einen Rundumblick.
Menschen angepflanzten Bäume sein, 'Hm, nichts Interessantes. Eben eine Burgruine.'
wie dick/alt die ältesten Wildwüchse? Nicht dass Sephyra davon schon viele gesehen hätte.
'Hat man eine gesehen, hat man alle gesehen', zitiert
Randirion wird sich allerdings mit Rücksicht auf seine
sie im Stillen ihren alten Ohm.
Kleidung nicht ins Dickicht selbst hinein begeben.
Als Frumol zurückkehrt, fragt sie: "Sehen wir uns
Als sich Randirion dem Gartenbereich nähert, wird
um?"
ihm sofort klar, dass in dem Nutzgarten hier mindes-
tens seit einer Generation niemand mehr gewirkt hat, Frumol schaut sie an und Sephyra kennt diesen Blick.
so dick und knorrig sind die ältesten Obstbäume. Bei Eine Mischung aus Schalk und Abenteuerlust, Mut
Großvater Corvallo stand so ein uralter Apfelbaum. und Leichtsinn blitzt in seinen Augen. Dazu sein
"Hat mein Großvater gepflanzt, Dein Ururgroßvater!" schiefes, typisches Lächeln und die zuckenden Mund-
Randirion vermeint sogar den Klang der Stimme sei- winkel.
nes Großvaters zu hören. "Gerne. Lasst uns das Hauptgebäude ansehen, bevor
Büsche - 'Ist das Thymian? Ja, riecht so.' - sind es zusammenfällt." schlägt er vor.
verwildert, und Gras hat sich überall ausgebreitet, "Es sind schon Teile der Decke eingebrochen." ergänzt
aber nur innerhalb des fußhohen Mäuerchens, das er seinen Vorschlag.
den ganzen Garten umgibt. "Vorn herein oder hier von hinten?" fragt Ingalf und
Frumol bedenkt den Kavaljäre mit einem verständnis- weist auf die Tür des Anbaus.
losen Blick. Er wusste zwar schon vorher, dass der Sollte der Kavaljäre sich nicht von der bezaubernd
Mann etwas seltsam ist, aber dies? verwilderten Botanik in dem Garten losreißen
Er schüttelt leicht den Kopf. 'Das ist doch nur ein können: "Herr Kavaljäre - meint ihr es sei an der Zeit
Garten, verwildert und ungepflegt. Was erhofft er eine Rast einzulegen? Einen Schluck Wein und die
sich?' Füße ausstrecken? Ein passendes Plätzchen Urwald
Frumol hingegen interessiert sich mehr für den Auf- für ein Picknick habt ich ja schon gefunden." spricht
gang zum Wehrgang. er den feinen Herren mit einem breiten Grinsen an.
Sofern er diesen als sicher einschätzt, wird er zum "Durch diese Tür!" entscheidet Frumol für die
Wehrgang hinaufsteigen. Gruppe.

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"Kommt Ihr, edle Sephyra?" und bietet ihr nach einer Frumol bemerkt, dass sie unter ihrer nach außen hin
angedeuteten Verbeugung seinen Arm an um auf dem lockeren Art eine Spannung hält und ständig bereit ist,
Plattenweg entlang zu flanieren. zu reagieren.
Mit einer elegant angedeuteten Verbeugung hakt sich Die Tür, an die die beiden kommen, ist mit (jetzt
Sephyra unter und schlendert mit Frumol in die grünspanigem) Kupfer beschlagen, was dem Holz
angegebene Richtung. Jedoch trotz aller Späße hat sie wohl nicht besonders gut getan hat: Als Frumol am
immer einen Blick auf die Umgebung. Griff zieht, kommt ihm die Tür entgegen.

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Hinein ins Schloss
D durch wenige Löcher im Dach nur schwach
ie Gefährten betreten eine riesigen Raum, der fällt ihr auch die seitliche Öffnung in 2 Körperlängen
Tiefe im Schacht auf. Durch die fällt Licht. Unter der
erhellt ist. Aber auch das wenige Licht macht deutlich, Erde. Licht!
dass hier wohl früher mal die Schlossküche war. Sephyra dreht sich zu den anderen um und berichtet:
Arbeitstische stehen in der Mitte des Raumes, Regale "Also wie ihr vielleicht vorstellen könnt, gibt es eine
an den Wänden - teilweise umgestürzt. Auf dem gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst:
Boden des Raumes liegen allerlei Küchenutensilien Da unten ist in etwa 4 Metern Tiefe ein Schacht,
herum: kupferne und eiserne Kochtöpfe verschiedener durch den ein Lichtschein fällt. Da sollte es weiterge-
Größen, Holzlöffel, Teller, eine Riege großer Messer - hen.
sämtliche schartig und/oder verrostet.
"Wieso sollte es da weitergehen?" Ingalf scheint
"Hier scheint schon länger nicht mehr gekocht verwirrt. "Wie sollen die Kinder dahin gekommen
worden zu sein", stellt Frumol überflüssigerweise fest, sein?"
während er das langweilige Inventar mustert.
Die schlechte Nachricht ist, dass das Loch so tief ist,
Randirion meint nach kurzem Rundblick grinsend: dass ich da lieber nicht den Halt verlieren möchte.
"Also, wenn die Küche so aussieht, werde ich mir sehr Denn der Fall nach unten dürfte so lange dauern, dass
überlegen, in diesem Hause ein Mahl zu bestellen …" unser Thori hier unterwegs sein Thurghild Lied -
Schräg links, zwei Schritte vor der Tür, ist im Boden oder wie das heißt - singen könnte, ohne durch den
eine ummauerte Öffnung von eineinhalb Schritt Aufprall unterbrochen zu werden."
Durchmesser zu sehen. Ingalf entgegnet würdevoll: "Ich habe keine Ahnung,
"Aha, und dies ist wohl der Ort für Gäste, die sich was Du mit dem Begriff 'Thori' meinst. Und ich will
beschweren …" es auch gar nicht wissen."
Randirion tritt etwas näher an die Öffnung heran, um Dabei macht sie eine wegwerfende Handbewegung
hineinzusehen. und fügt hinzu: "Hat jemand ein Seil?"
"Möchtet ihr es herausfinden?" fragt Frumol mit Ingalf entgegnet nur trocken: "Das hätte er aber
schelmischem Lächeln. Dabei deutet er ein schnellen wirklich gut versteckt."
Stoß ihr Richtung Randirion an. "Du willst da runter klettern?" fragt Frumol verblüfft.
"Oha! Ihr seid der hiesige Koch?!" Randirion macht "Die Kinder sind da ganz bestimmt nicht runter ge-
den Scherz mit, und täuscht ein Taumeln an - geht klettert! Und hineingefallen sind sie sicher auch
dann aber wieder etwas vom Rand der Grube zurück. nicht."
Der Schacht geht unabsehbar weit in die Tiefe. Zwei "Ja, schon gut. Ich vergesse immer wieder, dass du
Körperlängen von der Oberkante entfernt gibt es in nicht so wagemutig bist, wie du immer tust!" versucht
der Schachtwand eine mehr als schulterbreite Öff- Sephyra, Frumol zu necken.
nung, durch die Licht in den Schacht fällt. "Ach. Und Madame ist gar nicht ängstlich?", in ge-
Sephyra greift sich eins der herumliegenden rostigen spielter Empörung stützt er der Hände in die Hüften.
und schartigen Küchenmesser und tritt an die Öff- "Vermutlich musst Du jemandem imponieren …"
nung heran. Mit einem Blick in die Tiefe legt sie den Frumol wirft einen Blick in die Tiefe, um sich von Se-
Zeigefinger der freien Hand vor den Mund und phyras Worten zu überzeugen. Dann zuckt der mit
macht: "Psst!" den Schulten: "Siehst Du ein Seil?"
Als alles ruhig ist, lässt sie das Messer in die Tiefe "Nein, darum frage ich ja."
fallen und zählt in Gedanken die Sekunden mit, bis
"Und wo sollen wir dann eins her bekommen? Wir
ein Geräusch des Aufpralls zu hören ist. 'So hat das
haben nicht mal einen Stecken - sonst könnte Banjew
zumindest immer ein gelehrter Mann gemacht, an
daraus sicherlich ein Seil machen." erklärt er.
den ich mich erinnern kann. Aber wie war das jetzt.
Der Schacht ist dann 3 Sekunden tief? Mir will "Die Gören spielen sicher Verstecken im Verlies. Da
einfach nicht einfallen, wie die Zeit mit der Tiefe in sollten wir nachschauen!" gibt Frumol zum Besten,
Zusammenhang steht. Na ja, je länger - je tiefer …' während er sich abwendet.
Sephyra sieht in die Tiefe und zählt immer weiter. Als "Was meinen denn die anderen dazu? Ich wäre fürs
sie bei zehn angekommen ist, ist immer noch nichts Klettern." antwortet Sephyra.
zu hören. Ihre Augen haben sich mit der Zeit immer "Bei Swafnir, irgend etwas oder irgend jemand ist da
besser an das Halbdunkel der Küche gewöhnt und so unten, sonst gäbe es da kein Licht. Interessieren würd

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's mich schon. Aber wie kommen wir da runter? Einen "Mes dieux!" Er weicht zurück, lässt das Seil fallen,
Tampen habe wir ja leider nicht." "Vorsicht, meine Dame, meine Herren - wir kriegen
"Und falls wir hier ein Seil oder etwas ähnliches Gesellschaft!" und bereitet die Balestrina vor. "Da
finden sollten, ist es sicher nicht mehr zu gebrauchen." kommt etwas den Schacht hinauf! Verteilen und ein-
Mit seiner Handbewegung führt er eine alles um- kreisen?"
fassende Geste aus. In 2-3 Meter Abstand vom Schacht wird er, Rapier in
"Was da unten auch sein mag, es gibt bestimmt noch der Linken, die Balestrina im ausgestreckten rechten
einen anderen Zugang." Für ihn ist diese Diskussion Arm im Anschlag das Wesen erwarten.
beendet. Hier gibt es offenbar nichts von Interesse. Vom Ruf des Kawaljere gewarnt, macht Sephyra einen
Frumols schweifender Blick fällt auf eine Tür, die ih- Satz nach hinten und zieht das Rapier. Sie versucht,
rer Lage nach ins Haupthaus führen sollte. möglichst einen der schweren und vielleicht umge-
stürzten Tische zwischen sich und den Schacht zu
"Vielleicht spielen die Kinder auch dort drinnen."
bringen.
Frumol deutet auf die Tür.
Sollte dann noch nichts aufgetaucht sein, wechselt sie
Seine Äußerung ist anscheinend ins Leere gesprochen,
die Waffe in die andere Hand und zieht einen Wurf-
denn die anderen drei sind völlig damit beschäftigt,
dolch, immer den Blick auf die Öffnung im Boden
herauszufinden, wie sie in die Tiefe kommen können.
konzentriert.
Nach einem Rundblick bleibt Randirions Blick an den
'Auch sie will tatsächlich kämpfen!' stellt Frumol fest.
Kochtöpfen hängen.
"Manchmal ist's besser einem Kampf aus dem Weg zu
"Sagt, werte Gefährten, hängen große Kessel nicht üb-
gehen", spricht Frumol zu Sephyra, "besonders, da Du
licherweise an Ketten über dem Feuer? Sollte es dann
es vorhin schon mit dem Küchenmesser beworfen
nicht hier irgendwo diese Ketten geben, die wir dann
hast."
anstelle eines Seiles benutzen könnten, um dort unten
hin zu gelangen?" Frumol ist auf dem Weg zu Tür verharrt. Seine Hand
liegt ruhig am Griff des Rapiers. Für Sephyra - die ihn
Im hinteren Bereich der Küche befindet sich die
schon länger kennt - ein sicheres Zeichen seiner An-
mächtige Feuerstelle, jetzt völlig erkaltet, und dort
spannung.
hängen eine Reihe von verrosteten Ketten aus dem
Rauchabzug. Eine der Ketten ist herabgefallen. Die "Was da auch in der Tiefe lebt, es ist bestimmt nicht
Glieder sind so dick wie Randirions kleiner Finger. erfreut über unseren Besuch!" Frumol wirft einen wei-
Und sie ist wohl 5 Schritt lang. ten Blick auf die Zwischentür.
Neben der Feuerstelle stehen auch ein paar durchge- "Lasst uns gehen und später wiederkommen, wenn
rostete Blecheimer, und an der Wand hängt ein aufge- sich hier alles beruhigt hat." Er macht einige Schritte
rolltes Seil. Knochentrocken. in Richtung Tür und hofft, dass die anderen folgen
werden.
Randirion lächelt und verkündet dann: "Ich habe
mich geirrt. Dieses Haus bietet doch eine ange- Sephyra sieht sich nach Frumol um. Sie zweifelt an
messene Gastfreundschaft - und sogar Seile bei Be- ihrem "Mut", sich dem, was da den Schacht herauf
darf" Er nimmt das Seil, und während er zurück zum kriecht, entgegenzustellen. 'Hier bekommt man eine
Schacht geht: "Oder wünscht einer der Herren die Gänsehaut, dass einem das Blut in den Adern gefriert.'
erhöhte Sicherheit einer ausgewachsenen Kette?" Von einem Impuls getrieben ruft sie plötzlich aus: "Ich
glaube, Frumol hat Recht! Wir sollten hier so schnell
Randirion wirft, …
als möglich verschwinden!"
… als er wieder zurück ist, …
Mit diesen Worten springt sie mit einem Satz auf die
… noch einen weiteren Blick in den Schacht. Tür nach draußen zu, an Frumol vorbei und ins Freie.
Ist das Licht flackernd oder stabil, sieht es nach Tages- Frumol ist etwas überrascht, dass Sephyra in's Freie
licht oder nach Kerzenschein aus? läuft. Schließlich hatte er die andere Türe angepeilt.
Das Licht scheint ein ganz bisschen zu flackern, und "Kommt ihr?" ruft er Ingalf und Randirion zu und
es ist gelblich. Für Tageslicht nicht hell genug. Und flüchtet auf dem gleichen Weg wie Sephyra aus dem
dann ist da noch etwas irritierend. Raum. Draußen angekommen blinzelt er erst einmal
Randirion schaut noch einmal genau hin. Der Wider- im hellen Sonnenlicht und schaut dann nach seiner
schein des Lichtes im Schacht unterhalb der Öffnung teuersten Gefährtin.
hat sich verändert. Moment. Da kommt etwas den "Wo bleiben die beiden anderen?" fragt Sephyra aufge-
Schacht hoch. Randirion kann zwei stumpfe regt, als Frumol allein in der Tür erscheint. "Die
blauschwarze Arme erkennen, die sich gegen die wollen doch nicht etwa gegen dieses, … dieses, …
Schachtwand drücken, dann drei, dann vier. Ding kämpfen?" Außer sich ruft sie laut: "Kawaljere,

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Ingalf, raus da! Wenn ihr kämpfen wollt, erwartet es in Widerstrebend weicht Randirion zurück, immer noch
der Tür, sonst ergeht es uns schlecht!" die Balestrina im Anschlag.
Frumol steht mit Sephyra vor der Tür im hellen "Seid Ihr sicher, Ingalf Wedmannsson? Hier könnten
Glanz der Praiosscheibe. wir es zwischen uns halten …
Durch die offene Küchentür kann er im schummrigen Doch vertraue ich Eurem Rat: Tentakelwesen sind
Licht kaum etwas Klares erkennen. Wasserwesen, und mit diesen habe ich keine Erfah-
Die Kampfgeräusche dringen bis vor die Tür. Das rung …"
Singen der von Ingalf geschwungenen Axt ist nicht zu Weicht also zusammen mit Ingalf zur Tür zurück.
überhören. Erst ein, dann zwei, immer mehr mehrere Schritt
"Was treiben die da drinnen?" fragt Sephyra mit kri- lange, am Ende unterarmdicke und dann immer stär-
tischem Blick auf Frumol. Dann hält es die Neugier ker werden Tentakel werden aus dem Schacht ge-
nicht zurück. Sie wirft einen Blick durch die Tür und schoben. Sie tasten wild umher.
bleibt wie angewurzelt stehen. Auf Frumols unausge- Als der erste Arm Ingalf zu ertasten droht, schlägt er
sprochene Frage hin, dessen Blick sie förmlich in ih- zu. Tief dringt seine beidhändig geschwungene Axt
rem Rücken spüren kann, antwortet sie leise und sto- ein und trennt den Tentakel sogar ganz ab.
ckend: "Ja, … es … ist … wieder …" dann bricht sie
Eine ölige dunkle Flüssigkeit ergießt sich aus dem
ab. Noch immer unfähig, sie zu bewegen.
abgetrennten Tentakel. Dann wir er schlaff.
Da weder Ingalf noch Randirion auf Sephyras Ruf
*Twäng*
antworteten, beschließt er nach einer angemessenen
Zeitspanne, vorsichtig nach dem Rechten zu sehen. … macht der die Eisensehne von Randirions Balestri-
na. Er hat kaltblütig gewartet, bis ein zweiter Tentakel
Ingalf hält seine Orknase in beiden Hände, schaut zu
für einen Moment einigermaßen ruhig stand. Und
Randirion und dann gleich wieder zum Schacht, wo
dann hat er auf die breiteste Stelle direkt am
in diesem Moment die Spitze der ersten Tentakel er-
Schachtrand gezielt. Die massive Kugel reißt auch
scheint. 'Solange der Kavaljäre nicht zurückweicht,
diesen Arm ab.
weiche ich auch nicht, bei Efferd!' denkt er und packt
seine Orknase fester. Randirion legt die Waffe ab und nimmt sein Rapier in
die rechte Hand.
Während Frumol sich im Lauf kurz an die beiden
Standhaften am Loch wendet, sieht er wie sich lang- Währenddessen rückt Ingalf gegen einen weiteren
sam etwas aus dem Loch tastet. Dieses Etwas Arm vor. Er trifft zwar, aber diesmal schafft er es nicht,
schwankt ein wenig hin und her, aber nicht so wie den Arm abzuhacken. Dieser umschlingt daraufhin
Blumenranken im Wind, eher gezielt suchend wie ein seinen Oberkörper samt Armen. Ingalf ist gefangen
Tentakel. Diese Spitze erinnert ihn leicht an einen und kann nicht mehr kämpfen!
Tintenfisch. 'Wenn dem so sein sollte, muss das Ge- Ohne weiter nachzudenken greift Randirion ein.
schöpf wirklich sehr groß sein.' fällt ihm dazu ein. Glücklicherweise kann man ein Rapier eingeschränkt
Ingalf schaut Randirion fragend an und macht einen auch als Hiebwaffe nutzen, und so legt er los. Da er
halben Schritt rückwärts in Richtung Tür. "Swafnir gleichzeitig aber einem weiteren Tentakel ausweichen
steh' uns bei! Was jetzt?" stößt er hervor. "Das Ding ist muss, ist er nicht sofort erfolgreich. Mit seinem zwei-
riesig." ten Schlag ist Ingalf aber befreit.
'Swafnir, gib mir die Kraft, gegen die Diener Deiner Ingalf schüttelt seine Benommenheit ab und will
Feinde und der Feinde Deines Vaters zu bestehen. wieder angreifen, da stockt ihm der Atem: Der
Möge meiner Klinge Deine Kraft innewohnen, auf Körper/Kopf des Tentakelwesens mit einem
dass ich Deine Feinde in den Raum zurück schleu- schwarzen, dreiteiligen auf- und zuklappenden
dern kann, in den sie gehören.' auch wenn Ingalf Schnabel, der genau zwischen acht Tentakeln sitzt,
Schwierigkeiten hat, sich in die schwülstige Wortwahl erhebt sich über den Rand des Schachts.
der Geweihten einzufinden, kommt das Stoßgebet Zwei Tentakel sorgen für Halt im Schacht, drei sind
doch aus tiefstem Herzen. bereits gekappt und damit nutzlos, aber drei greifen
'Was macht ein tentakeltragendes Etwas so weit vom jetzt nach den beiden Kämpfern.
Wasser entfernt?' schießt es ihm durch den Kopf. "Bei Swafnirs mächtigen Flossen! Stirb du Missge-
'Wenn es ein Geschöpf der Ersäuferin ist, ist es vom burt! Aaah!" Alle Vorsicht vergessend stürzt Ingalf sich
Wasser getrennt viel schwächer.' "Sephyra hat recht, auf ein Tentakel und versucht es abzutrennen.
empfangen wir es an der Tür und hauen es in Stücke, Er wird, von Jähzorn und Kampfesrausch übermannt,
damit es Dere nicht mehr länger mit seiner Anwesen- versuchen, solange Tentakel abzutrennen, bis er seine
heit verpesten kann." ruft er Randirion zu und weicht Orknase direkt in den Körper des Ungetümes versen-
weiter zurück.
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ken kann. Dieses Wesen darf nicht weiter auf Dere "Gleichfalls!" Ingalf reckt die Schultern, ergreift sei-
wandeln. nerseits Randirions ausgestreckte Rechte, drückt kräf-
Mit mächtigem Schlag trennt Ingalf einen weiteren tig zu und ergänzt: "Der Weg nach unten sollte jetzt
Tentakel ab, aber dann wird er wieder ergriffen. Dies- frei sein."
mal aber nur am Bein, und statt zu versuchen, sich Randirion verzieht ein wenig das Gesicht bei der Kraft
herauszuwinden, schlägt er direkt wieder zu. Mit zwei des Händedrucks. Dann zieht er ein Stofftuch aus sei-
Schlägen ist auch dieser Tentakel abgehackt. nem Gürtel und wischt säuberlich das Rapier sauber,
Der letzte sichtbare Tentakel hat sich währenddessen bevor er es in die Scheide schiebt. Auch die Balestrina
um Randirions Schwertarm gewunden und zieht wird wieder eingesammelt und in den Gürtel gesteckt.
diesen auf das schreckliche Maul zu, aber Ingalfs Axt "Nun, nachdem unser Schnabel- und Tentakelfreund
ist die perfekte Waffe, gegen so ein Wesen. Auch dieser aus dem Weg ist …" er tritt ein Tentakelstück aus dem
Tentakel hält der Orknase nicht stand. Weg, bückt sich und hebt das Seil auf, welches er eben
Mit ungläubigem Blick verfolgt Sephyra den Kampf. hat fallengelassen, "können wir doch mal nachsehen,
Sie ist starr vor Entsetzen, erneut ein solches Wesen zu wer da unten das Licht hat brennen lassen, oder?" Er
erblicken. Erinnerungen an den halb überfluteten grinst unternehmungslustig in die Runde.
Raum in dem namenlosen schwarzen Schiff (zu- "Seid ihr verletzt?" ruft er den Gefährten besorgt von
mindest hat Sephyra die Kenntnis des Namens mitt- der Tür aus zu.
lerweile erfolgreich verdrängt) kommen wieder in ihr "Sieht nicht so aus," entgegnet Ingalf trocken. "Ihr
Gedächtnis zurück. 'Nein!' ist alles, was sie denken könnt wieder reinkommen."
kann.
Erleichterung durchströmt sie und Tränen der Freude
Frumol ist wie erstarrt vor Schreck. "Was im Namen brechen hervor. Ohne ein Wort zu sagen, geht sie
der Zwölf ist das?" fragt er geistesabwesend. langsam auf Ingalf zu und klopft ihm nach thorwaler
Als er sich von dem ersten Schock erholt hat und In- Manier fest auf die Schulter. Dann lässt sie sich
galf sowie Randirion zu Hilfe eilen will, … einfach auf den Boden sinken und bleibt dort einfach
… da lässt sich der Krakenmolch - die Helden erfah- sitzen.
ren diesen Namen später von Sephyra - in die Tiefe Frumol folgt Sephyra wieder in die Küche hinein.
fallen. Sechs seiner acht Arme verloren zu haben, ist Hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte er
wohl für ihn zu viel. Etwas später ertönt aus der Tiefe es für unmöglich gehalten: Sowohl, das so ein
ein platschendes Geräusch. schreckliches Wesen überhaupt auf Dere wandelt, als
Schwer atmend und bisweilen undefinierbare Grunz- auch, dass zwei Männer es mit Axt und Rapier in die
laute ausstoßend bleibt Ingalf stehen, die Axt noch Flucht schlagen konnten.
zum Zuschlagen erhoben. Seine Schultern heben und Die beiden Kämpfer haben nichts Besseres zu tun, als
senken sich bei jedem Atemzug, und es sind ge- gleich wieder wagemutige Pläne zu schmieden: Sie
murmelte/gezischte Satzfetzen vernehmbar "… was wollen doch tatsächlich immer noch in das Loch
du verdient … nicht standgehalten … stinkender Dä- steigen.
mon … Swafnirs Kräfte … mächtige Axt …" Diese ganze Ruine jagt ihm Angst ein. Er kann es
Dann spannt sich sein Körper, er reckt die Axt mit nicht in Worte fassen, aber die ehemalig Burg ist nicht
beiden Armen in die Höhe und ein gutturaler Schrei normal. Die Gefahr versteckt sich förmlich an jeder
entrinnt seiner Kehle "Aaaaaaaaarrrrgggghhhhh- Ecke - Das ist keine normale verfallene Burg, keine
haaaaaa!", der in dem Gemäuer unheimlich Ruine, die einen zum Spielen anlockt.
widerhallt. Langsam sinken seine Arme herab, er "Was ist mit den Kindern?" fragt er schlicht? Dann
dreht die Axt, setzt sie mit dem Blatt nach unten auf setzt er sich neben Sephyra auf den Boden und legt ihr
den Boden und stützt sich schwer ab. Dann dreht er einen Arm um die Schulter. Leicht zieht er sie an sich.
sich um und lächelt matt: "Dem hab'n wir's aber ge-
Ingalf schaut Frumol verdutzt an. "Ja die Kinder …
zeigt, wa?!"
Was wenn sie hierher gekommen sind und von diesem
Randirion massiert - noch etwas schwer atmend - sei- … äh … Ding in den Brunnen verschleppt worden
nen Waffenarm. sind? Oder wenn das das Wachtding von jemandem
"Zweifelsohne, Herr Wedmansson …" Dann muss gewesen sein sollte, der da unten Licht gemacht hat?"
auch er grinsen, nimmt das Rapier in die Linke und Er verschränkt die Arme vor der Brust und sieht
streckt Ingalf die Rechte entgegen. Frumol fragend an.
"Hervorragend gekämpft! Und habt Dank für den Ingalf, der sich provokativ vor Frumol aufgebaut hat,
formidabelen Hieb vorhin!" wird kaum beachtet. Seine Gedanken sind ganz bei
Sephyra, welcher er tröstend in seinem Arm hält.

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"Wenn die Müllerskinder von dem verschleppt worden Randirion bückt sich und schleift den Spieß hinter
sind, werden wir wohl kaum etwas von ihnen finden", sich her und wird ihn quer über die Öffnung des
murmelt Frumol halblaut eine Antwort. Schachts legen. Dann reicht er Ingalf ein Ende des
Randirion hört nur am Rande zu. Er überlegt, wie er Seiles.
alle vier durch die Öffnung im Schacht bekommt, "Herr Wedmansson - wärt Ihr so freundlich, einen
ohne das oben jemand steht, das Seil oder die Kette zu Eurer hervorragenden Seemannsknoten anzuwenden,
halten. um dieses Seil an dieser Stange zu befestigen?" wäh-
"Eines dürfte immerhin feststehen: das Tentakeltier rend Randirion selbst die Länge des Seiles abmisst
hat da unten bestimmt keine Fackeln anzündet." und nach einer gewissen Länge einen Kessel oder so
am anderen Ende des Seils festknotet. Dieser soll, so
Randirion schätzt einen der Arbeitstische ab - könnte
sein Plan, als Stopper etwa auf der Höhe des Bodens
man den quer über den Schacht legen, das Seil darum
des erleuchteten Ganges sein und so ein Durchrut-
binden und sich an der Seite vorbei herunter lassen?
schen verhindern.
Dazu müsste der Tisch länger als der anderthalb
Schritt durchmessende Schacht sein; ein Schritt auf "Kein Thema", entgegnet Ingalf. Als er das Seil in die
jeder Seite als Auflagefläche sollte reichen. Und er Hand nimmt, wird er aber ein wenig nachdenklich.
sollte stabil genug sein, um dann als Brücke dienen zu "Wir sollten diesen Tampen in jedem Fall doppelt
können. nehmen. Ein bisschen morsch ist er schon. Aber dann
kann der Knoten keinesfalls aufgehen." Gesagt, getan.
Die Tische sind teilweise zerschlagen. Die anderen
machen einen recht morschen Eindruck. Randirion Als Randirion mit einem Wassereimer ankommt,
geht umher. Auch die übriggebliebenen Regale sind schaut Ingalf erst verdutzt. Dann sagt er ab nur: "Lass
nicht allzu Vertrauen erweckend. Aber da fällt sein mich mal!" und verknotet den Bügel des Wassereimers
Blick auf etwas, was ganz sicher passt. Ein wohl drei in ungefähr passender Länge. Danach ziehen die
Schritt langer, nur wenig angerosteter Bratspieß liegt beiden den Bratspieß zum Schacht und lassen das Seil
vor dem Kamin auf dem Boden. Der würde wohl hinab. Passt!
auch einen ganzen Ochsen tragen. Sich durch die körperliche Nähe zu Frumol beru-
Ohne den starren Blick vom Boden zu wenden, lehnt higend, ist Sephyra bald wieder in Ordnung. Sie steht
sich Sephyra an Frumol und legt den Kopf an seine auf und klopft sich den Staub und Schmutz von den
Schulter. Ganz in Gedanken versunken bleibt sie still Sachen 'wie konnte ich mich hier nur her setzen, alles
so sitzen. Offensichtlich hat dieses Erlebnis eben mehr ist schmutzig geworden. Und Zeit zum Waschen ist
schlechte Erinnerungen wachgerufen, als sich die Ge- auch nicht …!'
fährten vorstellen können. Interessiert schaut sie den beiden Arbeitern zu: "Ihr
Keine zehn Pferde kriegen ihn in dieses dunkle Loch wollt doch nicht da hinunter?" fragt sie bestürzt.
hinunter - es sei denn, Sephyra geht mit Ingalf und "Doch, genau da hin, Träumerin. Kannst ja hier auf
Randirion. Ihm wäre es viel lieber, sie würden endlich uns warten." Ingalf prüft mit einigen kräftigen Rucken
die verdammten Gören finden und dann von diesem das Seil. Wenn er es für fest genug erachtet, legt er
Ort verschwinden. Seesack und Orknase ab und macht sich vorsichtig an
So sitzen Sephyra und Frumol einfach zwischen den den Abstieg.
Überresten der zerfallenden Küchenutensilien und Vier Schritt lässt Ingalf sich vorsichtig am Doppelseil
der abgetrennten Greifarme des Krakenmolchs. Auch hinab rutschen.
auf die Aktionen von Ingalf und des Kawaljere hin Randirion beobachtet kritisch den Bratspieß, der sich
macht Sephyra keine Anstalten, ihre Position auf- aber kaum durchbiegt. Da es mit dem Eimer einen
zugeben … effektiven Halt für Ingalfs Füße gibt, ist es für ihn ein
Frumol sitzt einfach neben Sephyra und streichelt sie Leichtes, durch das Loch in der Schachtwand zu
leicht - beruhigend. Er sagt nichts, weiß dass er Se- kommen. Ingalf schaut sich um.
phyra nicht bedrängen darf. Die dunklen Schatten der "Nun Herr Wedmansson," fragt Randirion, während
Erinnerung muss sie erst besiegen. er seine Balestrina erneut nachlädt, "irgendwelche
Den Handlungen Randirions bemerkt er nur am erwähnenswerte Opposition?"
Rande. Er kann nicht verstehen, wieso die beiden da Ingalf geht zum Schacht zurück und ruft leise rauf:
hinunter wollen. Es gibt doch sicherlich noch einen "Keine Seele hier, nur ne gut gefüllte Vorratskammer.
anderen Weg. Doch er ist sich sicher: Was auch immer Hier leben Menschen, und es gibt Ausgänge aus dem
da unten sein mag: Die Bengel sind es nicht! Raum, wahrscheinlich kommt man auch auf anderem
So weiten sich Frumols Augen vor Überraschung, als Weg hierunter, für diejenigen, die sich das nicht
er Randirion mit dem Bratspieß im Schlepptau sieht. trauen mit dem Seil, mein ich."
"Marvellieux!"
60
Nach dem Laden der Balestrina wird Randirion mit Nachdem der Kawaljere seine halsbrecherischen
dieser in der Linken das Seil herunterrutschen, wobei Kunststückchen beendet und das Seil verlassen hat,
ihm ebenfalls der Eimer und seine Lederhandschuhe ergreift Sephyra wortlos das Seil und in ihrer bekannt
gute Dienste leisten. grazilen Art (und ihres hervorragenden akrobatischen
"Das ist doch verrückt!" sagt Frumol zu Sephyra, als Geschicks) klettert sie am Seil bis zum Eimer hinab.
auch der Kavaljäre in dem Loch verschwindet. Dabei lässt sie sich nicht wie die beiden anderen rut-
schen, sondern "hangelt" abwärts, wie das beim Seil-
Die Sache hat sich Randirion einfacher vorgestellt, als
klettern eigentlich richtig gemacht wird. 'Angeber!'
sie ist. Mit Schwung rutscht er das Doppelseil hinab,
denkt sie nach Kawaljeres Abstieg. 'Nicht mal richtig
als er aber unten durch den Eimer gestoppt wird, ent-
klettern können aber "Fang' die Armbrust" spielen.'
gleitet das Seil seinem Griff. Seine Überlebensin-
Unwillkürlich muss sie lächeln. Das sieht im Halb-
stinkte gewinnen Überhand, und so lässt Randirion
dunkel jedoch keiner der Gefährten.
seine Balestrina los, um sich seiner Linken festzuhal-
ten. Nur seiner überragenden Körperbeherrschung ist Mit dem Rucksack an den Schultern geht das Klettern
es zu verdanken, dass er mit der Rechten die nun bis an ihre Kraftgrenzen, aber glücklicherweise nicht
fallende Balestrina im letzten Moment auffängt. darüber hinaus.
"Hmm, haste schonmal ne Karriere als Gaukler in Auf der Höhe des Schachts angekommen, schwingt
Erwägung gezogen? Nicht übel die Nummer." grinst sie gekonnt hinein und sieht die von Ingalf be-
Ingalf, nachdem ihm klar ist, dass Randirion sich schriebene Umgebung an. Unwillkürlich bildet sich
außer einem Schrecken nichts getan hat. eine Gänsehaut auf ihren Armen und dem Rücken.
Der gemauerte Schacht durchläuft die Mitte eines Ja. Es ist wirklich seltsam, im Untergeschoss einer
rechteckigen überraschend kühlen Raumes, der von Ruine einen teilweise gefüllten Vorratsraum zu finden.
Norden nach Süden wohl zehn Schritt und von Osten Auf den Regalen ist sogar Staub geputzt!
nach Westen etwas weniger breit ist. Die Decke kann Sicherheitshalber zieht sie einen Wurfdolch und rückt
Ingalf auch mit ausgestrecktem Arm nicht erreichen. den Rucksack zurecht.
zwei Türen, eine an der West-, die andere an der Jetzt ist nur noch Frumol sowie Ingalfs Seesack und
Ostwand, führen in den Raum. Neben jeder Tür Orknase oben.
brennt an der Wand eine Öllampe.
Frumol seufzt leise und schüttelt den Kopf. Er erhebt
Unter der Decke verlaufen zwei Balken über die ganze sich langsam und schwerfällig. 'Jetzt laufen wir ir-
Breite des Raumes. gendwelchen Hirngespinsten nach - immer tiefer in
An den Unterseiten hängen Haken; an zwei davon dieses verfluchte Gemäuer.'
hängt je ein Schinken. An einer Wand steht ein großes Er schaut sich um und sieht noch die Ausrüstung von
Regal, auf dem Brot und Käse liegt. Daneben stehen Ingalf neben dem Loch liegen. Es dämmert ihm, dass
Tontöpfe. Zwei Fässer und zwei Tonkrüge, die auf Ingalf vorhin irgend was aus dem Loch herauf gerufen
dem Boden stehen, ergänzen das Inventar des Raum- hat, was Frumol nicht zur Kenntnis nahm. Sicher
es. wollte Ingalf seine Sachen haben …
Die Vorräte füllen den Raum bei weitem nicht. Welchen Sinn hat es, da herunter zu steigen? Das
Als er neben Ingalf steht und sich in der Vorrats- birgt doch nur Gefahren! Unten angekommen gibt es
kammer umsieht, meint er: "Ah, es steht zumindest vielleicht kein zurück mehr - Hier laufen auf jeden
fest, dass hier lebendige Menschen wohnen - oder ist Fall die Räuber herum. Oder in den Tiefen des
euch eine andere Kreatur bekannt, Herr Wedmansson, Schachts lebt noch so ein schreckliches Wesen. Ganz
die Räucherschinken an Haken an der Decke auf- bestimmt hausen hier noch andere Lebewesen. Je
hängt und Brot und Käse in Regalen lagert?" länger er darüber nachdenkt, desto mehr fällt ihm ein
Er wendet sich nochmal zum Schacht und ruft hin- - Vampire sollen zum Beispiel in alten Burgen
auf: "Madame Lunor, Herr Pellocke - falls Ihr etwas residieren!
zu Eurer Kräftigung beitragen wollt: wir haben eine Ihm gefällt es immer weniger in das Loch hinab zu
gut gefüllte Vorratskammer gefunden!" steigen, doch er wird Sephyra folgen. Nicht dass sie
"Nu schrei doch nich so, wir wollen doch nicht unbe- noch schlecht von ihm denkt! Nur ein Narr begibt
dingt die Türglocke läuten, oder? Aber sag ihnen, sie sich in unbekanntes Gelände wenn der Rückweg unsi-
sollen meine Ausrüstung vorsichtig mit dem Eimer cher ist! Das war eine der ersten Lektionen, die er in
runter lassen." den Gassen lernte!
Leise antwortet Sephyra: "Ja, schon. Aber nicht so ver- Und so zieht er seufzend den Eimer hoch und lässt
rückt wie hier allein zu bleiben!" nacheinander sowohl Ingalfs Sachen als auch seinen
Rucksack hinab. Alles wird unten sicher von Ingalf

61
übernommen. Dann macht sich Frumol an den Ab- Nachdem er sich ein wenig beruhigt hat öffnet er sei-
stieg. ne Augen wieder. "Danke", bedankt er sich bei dem
Wie es Phex will, geht etwas schief. Frumol rutscht ab Seefahrer und schaut sich als letzter in dem Raum
und landet mit Schwung auf dem Eimer. Das Seil um. Er halt dabei einen sicheren Abstand zu dem
knirsch vernehmlich, und dann merkt Frumol, wie Loch in der Wand, …
sich der Eimer langsam abwärts bewegt. … dessen Unterkante sich in ein Schritt Höhe über
Als der vermeintlich sichere Stand auf dem Eimer dem Fußboden befindet.
nachgibt, rutscht vor Schreck sein Herz in die Hose. Wenn er es nicht besser wüsste, könnte er den Ein-
Er sieht sich schon in den dunklen Schacht hin- druck haben, dass er hier im Keller eines ganz norma-
einfallen - tief unten wartet das schreckliche Mons- len bewohnten Hauses ist.
trum! "Oh, wie schade … es war eine so gelungene Idee …"
Einen kurzen Moment ist er nicht in der Lage zu Randirion ist nicht wirklich betrübt, vielmehr hat ihn,
Handeln. Dann versucht er sich panisch irgendwo deutlich sichtbar die Abenteuerlust gepackt.
festzuhalten, doch seine Hände greifen ins Leere.
"Dann sollten wir vielleicht eine der beiden Türen
Im letzten Moment kann sich Frumol an Ingalfs Arm ausprobieren …"
festhalten und wird von ihm in den Vorratsraum hin-
Gesagt, getan.
eingezogen.
"Komm!" fordert sie ihn auf. "Lass uns den einmal be-
Ein kritischer Blick aufs das Seil offenbart: Hier will
schrittenen Weg nun auch mit ganzem Mut gehen." -
keiner mehr wieder hochklettern.
'Das klingt aber ganz schön platt' denkt sie sich. 'Na
Jetzt ist es soweit, der Rückweg ist ihnen versperrt! Er ja, Hauptsache es hilft …'
hat es gewusst! Vor Schreck und diese Erkenntnis
Dann steht sie vor Frumol und nickt mit dem Kopf in
bleich lehnt er sich schwer gegen die Wand. Er
Richtung der Tür. "Los geht's!"
schließt die Augen ohne den Raum weiter zu beach-
ten. Frumol lächelt sie dankbar an und schickt sich an den
Raum zu verlassen.
Fürsorglich nimmt Sephyra Frumol in den Arm und
versucht, ihn zu beruhigen. "Ssscchhhhh, ist ja alles Endgültig wird der ihn hinter sich lassen.
gut." flüstert sie ihm ins Ohr. Als er an Sephyra vorbei geht, dreht er sich spontan zu
Sanft wiegt sie seinen Kopf an ihrer Schulter. Sie will ihr um und kitzelt sie ein wenig. Nachdem er von ihr
ihm all den Trost geben, den er ihr immer hat zuteil angelassen hat drückt er ihr einen Kuss auf die Wange.
werden lassen, wenn die Zeiten schwierig waren, oft Dann schreitet er voran - Randirion und Ingalf hin-
durch seine bloße Anwesenheit und ein Lächeln. terher. An der Tür lässt er Sephyra mit einer angedeu-
teten Verbeugung wieder den Vortritt.

62
Im Untergeschoss
R liegende Tür. Ingalf, dessen Orientierungssinn
andirion öffnet vorsichtig die ihm nächst- Die erste Fackel, die Frumol an der Frumol vorbeige-
kommen ist hat er aus der Halterung genommen.
hier unten anscheinend ungestört funktioniert, denkt: Schließlich ist es besser, zwei Fackeln zu haben.
'Osttür'. An der Gabelung angekommen bleibt er stehen und
Hinter der Tür ist ein kurzer Gang, der auf einen verkündet "Hier zweigt ein Gang ab." Dann zeigt er
Quergang trifft. An der Ecke brennt eine Fackel. mit dem Zeigefinger auf einen der Gänge, seine
Ein Blick nach links: Fünf Schritt weit kann man im Lippen bewegen sich stumm, während er einen Ab-
Fackelschein gut schauen. Dahinter wird es schnell zählreim aufsagt.
immer dunkler. Sein Zeigefinger zeigt zum Schluss auf dem
Ein Blick nach rechts: Nach fünf Schritten knickt der abzweigenden Gang: Also schlägt er ohne weitere
Gang nach rechts ab. Dort brennt wieder eine Fackel. Fragen diesen ein.
Es ist nichts weiter besonders zu sehen oder zu hören. Nach fünf Schritten kommt wieder eine Fackel, voraus
ist noch eine zu sehen. Die Gruppe geht geführt von
Ingalf, Orknase in der Hand und Seesack auf der
Frumol weiter darauf zu. Diese Fackel markiert eine
Schulter, folgt Randirion dicht auf. "Norden zuerst?"
Tür ähnlich der letzten. Kurz vorher geht ein Gang
fragt er leise und deutet in den linken Gang.
nach rechts ab. Der ist aber dunkel.
Vorsichtig macht er ein paar Schritte in den immer
Den unbeleuchteten Gang ignoriert Frumol. Schon
weniger beleuchteten Bereich. Seine Augen passen
der letzte hat sich als uninteressant erwiesen. Of-
sich an, und so erkennt er, dass sich in wenigen
fensichtlich sind die beleuchteten Gänge auch benutzt
Schritten Entfernung am Ende dieses Gangstückes
- wenn sie bisher glücklicherweise auch niemanden
eine Holztür befindet.
getroffen haben. So konzentriert er sich auf die Tür.
Sephyra, die als Dritte in der Reihe folgt, nimmt
Nach dem üblichen Lauschen schiebt Frumol den
einfach die Fackel aus dem Halter und führt so eine
Riegel zurück und öffnet die Tür und leuchtet in die
Lichtquelle mit. 'Wenn schon nicht Banjew und sein
Dunkelheit.
toller Stecken dabei sind, muss man das eben auf die
schlichte Art machen!' Wieder ein runder Raum, aber diesmal gibt es einen
kleinen Unterschied: Eine Wendeltreppe führt nach
"Hier, versucht es damit." fordert sie Ingalf auf, indem
oben.
sie ihm auf die Schulter tippt und dabei schon fast auf
Zehenspitzen stehen muss. Er tritt ein und schaut sich um. 'Hier können wir
wenigstens wieder hoch', fällt ihm beim Anblick der
Im Licht der Fackel ist zu erkennen, dass die Tür über
Wendeltreppe ein.
einen einfachen Holzriegel verschlossen ist.
"Wir sind wohl in einem Turm" sagt er zu der Gruppe.
"Was ist denn da vorne" fragt Frumol, der als letzter im
Dies schleißt er aus dem runden Grundriss.
Gang steht und die Tür nicht sieht.
Interessiert schaut er sich die Treppe an - nicht dass
"Ne Tür, ich mach ma auf …" Ingalf schiebt den
sie in ähnlich schlechten Zustand ist wie die letzte …
Riegel zurück, öffnet die Tür vorsichtig einen Spalt
und lugt durch. Er nimmt die Fackel und hält sie vor Vor der untersten Treppenstufe liegen einige Steine.
den Spalt und zieht dann die Tür ganz auf. "Och da is Als Frumol hoch leuchtet und anschließend die ersten
nix, nur der Keller von 'nem Turm, aber is alles voller Stufen hochgeht, sieht er, dass mit zunehmender
Staub, hier war schon lang keiner mehr." Er klingt ein Höhe immer mehr Steine auf den Stufen liegen. Im
wenig enttäuscht. "Lasst man erstmal in die andere oberen Bereich ist die Treppe vollkommen durch zu-
Richtung gucken." sammengefallene Mauersteine blockiert.
Dadurch, dass sich jetzt alle umdrehen, ist Frumol auf "Und, kommen wir hier im Fall der Fälle wieder nach
einmal ganz vorn. oben?" fragt Sephyra.
Beleuchtet von Sephyras Fackel macht er sich auf den Dann nimmt sie die Fackel fester in die Hand und
Weg geradeaus. Dann geht es rechts, dann wieder leuchtet die Wände ab. 'Vielleicht entdecke ich ja et-
links. Und dann gabelt sich der Gang. Es geht gerade- was Interessantes …' denkt sie.
aus weiter und nach rechts. Sowohl voraus als auch Die unverputzten Wände sind in einem guten Zu-
rechts sind in einiger Entfernung wieder Fackeln zu stand. Nichts auffälliges.
sehen, genauso wie an jeder vorigen Biegung. "Och Mädel, irgendwo muss es hier doch hochgehen,
schließlich putzt hier jemand regelmäßig. Der is be-

63
stimmt nicht immer den Schacht ruff un runner ge- An der übernächsten Fackel, also nach ungefähr 10
kraxelt." versichert Ingalf voll Zuversicht. Schritt, kommt die Gruppe an eine Kreuzung. Ge-
'Und wenn doch?' meldet sich eine kleine ungewollte radeaus und links ist Licht zu sehen. Nach rechts ist
Stimme in seinem Hinterkopf. Ein wenig mulmig ist es dunkel. Immer noch kein lebendes Wesen.
ihm doch bei dem Gedanken, den Weg aus diesem 'Froh sollten wir sein, nichts und niemanden hier zu
Verließ noch nicht zu kennen. 'Wenigstens haben wir treffen.' überlegt sich Sephyra. 'Gehen wir nicht im
Vorräte, das gibt uns Zeit zum Nachdenken, und die Kreis?'
Kleine kann ja ganz gut klettern. Bei Swafnir, das pa- "Und jetzt?" fragt sie vorsichtig. "Kamen wir nicht von
cken wir schon.' Auch innerlich ein wenig beruhigter dort?" und zeigt auf den dunklen Gang. "Egal, nur wo
schaut Ingalf nach vorn. Licht ist, wird sich häufig jemand aufhalten, da diese
'Das war wohl nichts' stellt Frumol betrübt fest. Fackeln ja nicht ewig brennen." meint sie noch.
Mit hängenden Schultern und schleppenden Schritten "Jau, folgen wir den Fackeln, lasst mich ma vor" gibt
kehrt er zu den Übrigen zurück. Ingalf zum besten und zwängt sich an den anderen
"Die Treppe ist blockiert. Da ist kein Durchkommen. vorbei.
Vermutlich liegt der ganze Turm da oben." berichtet er Ingalf wählt den Weg gerade aus.
und beäugt misstrauisch die Decke. Bei der nächsten Fackel ist nach 6 Schritt der Weg ge-
'Bei meinem momentanen Glück wird ihm die auch radeaus zu Ende. Nach links ist ein beleuchteter
noch auf den Kopf fallen …' Gang, nach rechts ein unbeleuchteter. Als die Gruppe
"Nun ja, Herr Pellocke, nötigenfalls werden wir uns dem Gang nach links folgt, biegt dieser nach weiteren
hier einen Weg nach oben mit unserer Hände Arbeit 6 Schritten wieder nach links ab, und dann kommen
bahnen können", entgegnet Randirion, der zuletzt et- die Helden wieder an eine Kreuzung. Links brennt in
was schweigsam war. So ganz wohl scheint er sich in wohl 6 Schritt Entfernung Licht. Geradeaus ebenfalls.
diesen Gängen nicht zu fühlen. Nach rechts ist es dunkel.
Dann strafft er sich wieder, hebt die Fackel und schrei- Ingalf macht mit dem Finger ein paar Striche in den
tet durch die Tür wieder hinaus. Er schaut kurz in Staub. Dann verharrt er. Er kriegt die Gänge einfach
den dunklen Gang, geht aber geradeaus weiter um nicht zusammen. Da hockt sich Frumol neben ihn.
dann dem erhellten Gang weiter zu folgen. "So stelle ich mir diesen verfluchten Keller vor," sagt
er, und ruckzuck entsteht eine Skizze:
Auch Randirion blickt kurz in den dunklen Gang, in
dem absolut nichts zu sehen ist und folgt Frumol.
<--- N

___
/ Ost?\_____________
( Turm ___ _____ | dunkel
\ ___ / __| |__ | | ____| |_________
| | | | hell___ x _______ | x = hier ist die
| Lager | | | | | | | Karte in den
|__ __| | |________________| |_______| | Staub gemalt.
(_) |________ _______ _______ |
| | | | | |
| | dunkel dunkel
__| |
dunkel __ |
_| |_
/ \
( Turm )
\_____/
mit Treppe
(verschüttet)
"Ich glaube aber nicht dass das so richtig ist, was Frumol blickt auf und lächelt sie an. "Da kannst Du
meint ihr?" ergänzt er. Während er auf die Antworten mal sehen, mit welche verborgenen Talenten mich die
der anderen wartet, murmelt er noch: "Hab ich schon Götter gesegnet haben." antwortet er spitzbübisch.
darauf hingewiesen, dass ich gar nicht hier herunter 'Ja, keiner von uns beiden wollte eigentlich hier her.'
wollte?" ergänzt sie Frumols laut gesprochene Gedanken für
Anerkennend besieht sich Sephyra die Skizze: "Toll. sich selbst.
Ich wusste gar nicht, dass du so ein begnadeter Künst-
ler bist." witzelt sie noch.
64
"Also Jungens, wie gehen wir weiter? Ich würde vor- 'Hmm, also wenn die Fackeln sehr lange brennen,
schlagen, wir gehen den Fackeln nach, da ist die muss vielleicht doch nicht so häufig jemand hier her-
Chance, jemanden zu treffen, am größten. Folgen wir unter kommen.' überlegt Sephyra weiter. 'Dann haben
den dunklen Gängen ist die Chance wohl eher groß, wir vielleicht Glück …'
etwas anderes zu treffen." Der Scherz bleibt ihr aber ir- 'Andererseits sind wir erst seit ein paar Minuten in den
gendwie im Hals stecken. Gängen', geht ihr dann noch durch den Kopf.
Frumol erhebt sich wieder von seiner Skizze, da "Meinst Du?" Frumol schaut sich nachdenklich im
scheinbar keiner einen besseren Plan zeichnen kann. Gang um. Aus irgendeinem Gefühl, welches nur dif-
"Sephyra hat recht, lasst uns weitergehen und endlich fus ist und er nicht fassen kann, hätte er den Gang lin-
einen Ausgang finden!" Frumol ist gar nicht erpicht ker Hand gewählt. Aber Sephyra hat schon öfters die
darauf jemanden zu treffen - weder Mensch noch Tier, richtige Eingebung gehabt. Sie nannte das dann
weder hier unten, noch oben auf dem Berggelände. immer 'weibliche Intuition' …
"Noch etwas genauer: lasst uns weitergehen, und ver- "Also los, worauf warten wir?" fragt er Sephyra, die vor
suchen die Kinderchen zu finden." ergänzt Randirion ihm steht.
,… "Dem ist nichts hinzuzufügen!" meint Randirion gut
… und geht los. gelaunt und geht vor.
Geführt von Randirion macht sich die Gruppe wieder Der kurze Gang knickt gleich wieder nach links ab
auf den Weg. Nach 6 Schritten biegt der Gang nach und endet vor einer Tür, hinter der es ruhig ist. Sie ist
rechts ab, bleibt aber erleuchtet. Dann geht es 18 unverschlossen.
Schritt (besser gesagt: 3 Fackeln) weiter, bis sich der ______________
Gang gabelt. Scharf nach links ist der Gang beleuch-
tet, schräg nach rechts ist der Gang dunkel. Also biegt _____ ____
die Gruppe nach links ab. | |
| |
Nach wenigen Schritten häufen sich die Möglichkei- | |
ten. ___| |
| |
/ / | ___|
/ /
| |
__| |__________________/ / | |
FS |
| |
____________ RI________ | |T_|
| | | |
| | | | Hinter der Tür liegt ein rechteckiger ziemlich großer
| | | | Raum, der durch Öllampen erleuchtet wird. Eine
__| | | |
| | | ganze Reihe gefüllter Säcke stehen auf dem Boden. An
___| | | einer Wand sind Fackeln gestapelt.
| | | In der Ecke direkt rechts neben der Tür führt eine un-
An allen sichtbaren Abzweigungen brennen Fackeln. beleuchtete steile Rampe nach oben. Es ist niemand
"Äh, was haltet ihr von hier gleich abbiegen. Dann sonst im Raum.
entfernen wir uns nicht gleich so weit und sollte es Frumol interessiert sich auf Anhieb für die Rampe.
eine Sackgasse sein, kehren wir um." 'Na ja, mir reicht Könnte das ein Ausgang sein?
es schon, dass irgendwo keine Fackel mehr brennen Er fasst Sephyra am Arm und zieht sie vorsichtig mit.
würde, um das als Sackgasse zu bezeichnen …' denkt "Komm mal mit. Leuchte mir mal bitte bei der Ram-
sie. pe."
"Soo lange brennt ja so eine Fackel auch wieder nicht. Sephyra kommt Frumols Bitte nur zu gern nach. Mit
Irgendwann kommt bestimmt jemand und erneuert der Fackel versucht sie, genug Licht zu verbreiten.
sie." fügt sie sicher hinzu. 'Oder sind das "Dau- Sollte das scheitern, nimmt sie eine weitere Fackel
erbrenner", die eine eigene Ölversorgung haben?' Se- vom Stapel in der Ecke und entzündet diese an der
phyra besieht sich die Fackeln in diesem Gang genau ersten, damit Frumol eine eigene Fackel hat.
und tauscht eventuell ihre bereits weiter herunter ge-
Eine zweite Fackel ist immer gut.
brannte gegen eine neuere aus.
Als Sephyra die Rampe näher beleuchtet, zeigt sich,
Die Fackeln scheinen ziemlich langsam zu ver-
dass sie halbkreisförmig nach rechts herum gebogen
brennen. Es gibt keine Notwendigkeit, sie auszut-
ist. Soweit der Fackelschein reicht, geht sie mit gleich-
auschen.
mäßiger Steigung (30°) aufwärts. Das obere Ende ist
nicht zu sehen.
65
Ein paar Schritt aufwärts um zu testen, ob die Rampe Fragend sieht sie in die Runde.
ihr Gewicht trägt, versucht Sephyra hinter die Bie- "Hmm, was 'n los mit dem Ding, hat sich doch so
gung zu schauen und vielleicht das obere Ende zu angehört, als hätt' sich da was bewegt. Lass mich doch
erspähen. mal." Ingalf setzt seinen Seesack ab, schaut kurz seine
Die Rampe ist aus Stein gemauert und glatt. Da Axt, dann die drei Gefährten, dann Randirions Rapier
kommt Sephyra nur auf allen Vieren hoch. Sie über- an und drückt Sephyra die Orknase in die Hand.
gibt Frumol ihre Fackel und kriecht hoch, soweit der "Aber gut drauf aufpassen" murmelt er ihr zu, dann
leichteste Lichtschein reicht. macht er sich an den Aufstieg.
Frumol nimmt die zweite Fackel entgegen und hält sie Sephyra rümpft ein wenig die Nase über Ingalfs
so, dass er Sephyra am besten leuchten kann. "Frechheit" - aber das bemerkt bei dieser Beleuchtung
Es wird immer dunkler, je weiter sie kommt, und die niemand. Mit "zwei Fingern" hält sie die Axt aufrecht,
Decke kommt immer näher, aber Sephyra bleibt ganz das Ende mit dem Blatt auf dem Boden abgestützt.
ruhig - so wie immer, wenn sie sich auf ihren Körper 'Bloß nicht zu fest anpacken …' geht ihr nur durch
konzentrieren muss. Die Rampe geht in einen schrä- den Kopf.
gen Schacht über, und dann stoßen Sephyras Hände Es zeigt sich, dass Ingalf Klettern gelernt hat. Nun ja,
gegen ein horizontales Hindernis aus Holz, der den das Schiffsdeck eines Thorwaler Langbootes steht öf-
Schacht beendet. ters mal so schräg, wie der Boden.
"Also hier oben geht es nicht weiter. Das scheint eine Aufgrund des abschüssigen Boden mit unsicherem
Art Falltür oder eine Bodenklappe der darüber Stand drückt er zunächst ganz zaghaft gegen die
liegenden Ebene zu sein." teilt sie den anderen mit. Luke, dann besinnt er sich, zieht den Schneidzahn
"Vielleicht ist das hier nur dafür vorgesehen, etwas aus dem Gürtel, ständig darauf bedacht, nicht abzu-
nach unten zu befördern?" Was das alles sein könnte, rutschen, und schlägt das Blatt von unten in das
darüber macht sich Sephyra derzeit aber keine Ge- Holzbrett. Er prüft das Ergebnis kurz, grunzt zufrie-
danken, schließlich liegt hier nichts offen herum, das den und hält sich dann am Griff des Schneidzahn fest,
ihren Argwohn erregt hätte. um die Luke genauer zu untersuchen. Er hebt die
Luke ein kleines wenig an, langt sein Essmesser aus
Dann fällt ihr ein, dass man natürlich Säcke und
der Gürteltasche und tastet im Lukenrand nach der
ähnliches sehr gut über eine Rutsche in die Tiefe be-
Sicherung.
fördern kann.
An nur einer Stelle ist Widerstand. Und durch prokeln
"Sicher für Waren, die hier unten lagern" kommentiert
kriegt er heraus, dass da wohl ein Bolzen in eine Öse
er. "Kannst Du die Falltür aufdrücken?" fragt er wei-
geschoben ist. Eine typische Art, eine Falltür zu si-
ter, obwohl er die Hoffnung schon aufgeben hat, auf
chern.
diesem Wege die Ruine zu verlassen.
Ingalf versucht vorsichtig (ohne das Messer zu zerbre-
Sephyra löst vorsichtig ihre rechte Hand vom Boden,
chen), den Bolzen zur Seite zu schieben. Wenn dies
immer bedacht nicht den Halt zu verlieren und abzu-
nicht erfolgreich sein sollte, dreht er sich um, so dass
rutschen. Erst vorsichtig, dann etwas kräftiger drückt
er die Rampe abwärts guckt und stemmt sich mit dem
sie gegen die Klappe.
Rücken gegen die Falltür, um den Bolzen zu
Die Klappe gibt erst einen Hauch nach, dann wird sie sprengen. Wenn dies auch nicht erfolgreich sein sollte,
von etwas aufgehalten. Da sie sich nicht bewegt, … lässt er den Schneidzahn im Holz und bittet Frumol
… tastet Sephyra sie nach einem Hebel oder Riegel oder Sephyra mit ihren schmalen Händen und einem
ab, … vielleicht etwas längeren Gegenstand, wie zum Bei-
… findet aber nichts. spiel einem Dolch oder (wenn er das für möglich hält)
einer erloschenen Fackel ihr Glück zu versuchen.
'Wieso sollte man gerade eine Klappe von unten ver-
riegeln?' denkt sie. 'Es wird doch nur von oben nach In Bezug auf diese Falltür Hat Ingalf heute einfach
unten gehen …' kein Glück. Der Bolzen widersteht seinen Öffnungs-
versuchen, und die Hebelverhältnisse sind zum Auf-
Ingalf beteiligt sich nicht an der Untersuchung des
drücken zu ungünstig. Ingalf lässt sich wieder herab
Raumes, sondern hält an der Eingangstür Wache.
rutschen.
Nachdem Sephyra bis an das Ende der Rampe vorge-
"Is heute nich mein Tag," erklärt er achselzuckend.
drungen und nicht weiter gelangt ist, kehrt sie um.
"Mögt ihr es versuchen?"
Unten nimmt sie die Fackel von Frumol zurück und
"Och nö" meint Sephyra. "Ich hab's schon versucht-
erklärt: "Also da oben ist eine von außen verriegelte
nur falls du es vergessen haben solltest. Außerdem bin
Klappe, durch die man etwas die Rampe herunter
ich dafür, dass wir weiter gehen." drängt sie die
fallen oder rollen lassen kann. Da geht es nicht weiter,
anderen. "Wo sollen wir da auch schon hinkommen -
wie müssen uns hier unten umsehen."
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hier gibt es noch genug andere Möglichkeiten." ver- Und dann geht rechts ein kurzer dunkler Gang ab. Da
sucht sie es eindringlicher. scheinen in wenigen Schritten Entfernung Gitterstäbe
Mit einem Frösteln sieht sie sich um, fast erwartend, zu sein - eine Gittertür? Dahinter ist es ganz dunkel.
dass der Krakenmolch (mit nur noch 2 Armen) in Voraus geht wohl auch nach links etwas ab - Stufen
einer der Ecken sitzt und auf sie wartet. abwärts.
Randirion sieht sich derweil etwas in der Kammer um Im Gang huscht sein Blick zu den Stufen, das scheint
- gibt es irgendwelche Anzeichen für Besuch in letzter aber nicht der richtige Weg zu sein. So schenkt er dem
Zeit? Was ist in den Säcken? Gang rechter Hand mehr Aufmerksamkeit und blickt
Randirion vermag nicht zu erkennen, ob die Spuren Sephyra fragend an.
im Staub auf dem Boden nur von der Gruppe oder Sephyras Blick folgt dem Frumols, auch sie sieht sich
auch von jemand anders sind. Die Säcke enthalten im Gang um, hält ihre Fackel verkrampft fest. 'Toll,
Getreide. Einer ist schon halb entleert, und eine einfach toll!' denkt sie nur.
Handschaufel steckt im Korn. Als Frumol sie dann so ansieht, meint sie, "komm, lass
Frumol hätte fast gesagt: "Ich versuche es mal", doch uns das Gitter dort drüben ansehen, vielleicht kom-
dann sieht er, dass Sephyra sich nicht wohl fühlt. men wir dort hinaus."
Ängstlich schaut sie drein, also ist es besser wenn sie Als die beiden ans Gitter treten und hindurch leuch-
sich hier nicht länger aufhalten. ten, wird sofort deutlich, dass hier eine Gefängniszelle
"Lasst uns weiter gehen!" beschließt er und führt Se- ist, wohl 4x4 Schritt groß.
phyra am Arm zum Ausgang. Holzpritschen, auf denen Strohsäcke liegen, stehen an
"Na gut, ihr wart dafür, dieses Geschoss auch schnell den Wänden. Niemand ist in der Zelle zu sehen.
wieder zu verlassen, aber wenn ihr nicht wollt … Randirion wirft einen kurzen Blick in die Zelle, ent-
Dann lasst mich aber wenigstens meinen Schneid- scheidet, dass sie unter seinem gewohnten Niveau ist
zahn holen." (bezogen auf Unterkünfte, nicht dass er jemals eine
Ingalf macht sich wieder an den Aufstieg, um die Axt Zelle von innen gesehen hätte …), und wendet sich
zu holen. Oben angekommen macht er noch einen desinteressiert ab.
Versuch, den Riegel mit Muskelkraft zu sprengen. Ingalf prüft die Gittertür und stellt fest, dass diese
Es gelingt ihm leider nicht, die Luke aufzudrücken. nicht verschlossen ist. Er sieht sich kurz um, nimmt
Seine Füße rutschen einfach auf der Schräge weg. die nächste Fackel aus der Halterung und betritt die
Am Ausgang blickt er noch einmal zurück, um zu se- Zelle. Er achtet darauf, das Stroh nicht mit der Fackel
hen ob die Beiden folgen werden. Ingalf scheint seine oder herab tropfendem Pech in Brand zu setzen und
Axt erreicht zu haben und der Kavaljäre steht nur sieht sich um. Das Strohlager zerwühlt er mit dem
abwartend herum. Fuß, vorsichtig, man weiß ja nie, ob sich Ratten oder
ähnliches darin eingenistet haben. Er leuchtet alle
"Kommt ihr?" fragt er in den Raum, um weiteres
Ecken aus, und sollte etwas seine Neugier wecken,
Trödeln zu vermeiden.
geht er dem auch näher nach.
Vorsichtig gehen die vier wieder zurück zur Abzwei-
Selbst auf den zweiten Blick lässt sich hier nicht viel
gung und dann nach links.
entdecken. Unter einer Pritsche steht ein irdener Napf.
Dieser Gang scheint sich länger hinzuziehen, denn Davor steht eine Kanne. In einer Ecke steht noch ein
voraus ist mehr als eine Fackel zu sehen. Holzeimer mit einem Deckel drauf. Als Ingalf ihn öff-
|GG| net, sieht er auf dem Boden eine eingetrocknete
| | Masse. Die Wände sind mit Schriftzeichen bekritzelt.
| |
____________| |_______________ Lesen kann Ingalf die Zeichen nicht.
x<-Hier ist die "Ich glaube, das hier ist kein Ausgang." entgegnet ihr
Gruppe Frumol trocken.
_______ _______________ _
|SS| | | Ein unbehagliches Gefühl beschleicht ihn, obwohl er
Stufen | | weiß, dass Gefängniszellen ein elementarer Bestand-
abwärts | | teil von Burgen sind - vor allem alten Burgen.
___| |
| | "Mhh, hier geht es nicht weiter. Ist wohl auch besser
| ___| so …" macht Sephyra den ersten Scherz, seit sie hier
| | unten ist.
| |
| | "Na gut, dann mal zurück und den Gang entlang der
|T_| Fackeln weiter erkundet." kommandiert sie sich selbst,

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um ihre Angst etwas zu überspielen. 'Aber Frumol Kreaturen nichts von ihrer Anwesenheit durch laute
kann ich da bestimmt nichts vormachen …' denkt sie. Geräusche mitbekommen):
Frumol und Sephyra haben kein Interesse daran, die Frumol folgt dem Wink der reizenden Maid und neigt
Zelle zu erkunden und gehen deshalb weiter. Als sie seinen Kopf, damit sein Ohr näher an Sephyras Mund
den Gang vorsichtig weiter folgen, bemerken sie, dass ist und er sie besser verstehen kann.
die Treppe nach links nur wenige Stufen lang ist und "Hier sollten wir nicht weitergehen, wenn es dunkel
vor einer Holztür endet. Voraus ist wieder eine ist, war hier länger niemand. Lass uns den Fackeln
Abzweigung nach rechts. folgen und einen Ausgang suchen. Denn wir wollen
Sephyra huscht an die Ecke. Da ist wieder eine Gitter- nur die Kinder finden, das sollten wir nicht aus den
tür am Ende eines kurzen Ganges. Wie zuvor kann sie Augen verlieren!"
von der Ecke aus nicht sehen, was dahinter ist. Dann fällt ihr auf, dass der Fackelschein sie hier unten
'Hmm, anscheinend sind wir in den Bereich des Ver- wohl weit schneller verrät als ein zu lautes Wort. Sie
lieses der alten Festung gekommen. Das gefällt mir schüttelt innerlich den Kopf über diese Offensichtlich-
gar nicht!' keit und für den Betrachter Frumol stutzt sie nur kurz
Sie dreht sich zu Frumol um und winkt ihm, zu ihr und blickt die Fackel an. Sephyra deutet mit dem Kopf
zu kommen. Sobald er neben ihr steht, flüstert sie ihm in Richtung der beiden Gefährten und macht sich auf
ins Ohr (damit eventuell sich im Dunkeln befindliche den Weg.
________
| |
| I |
| |
| |
|__ __|
|GG| |GG|
| | | |
| | | |
____________| |____________| |_______________
SF R
_______________________ _______________ _
|SS| | |
Stufen | |
abwärts | |
"Ich bin ganz Deiner Meinung", pflichtet Frumol ihr - "Äh, nichts Interessantes, Herr Kawaljere." antwortet
nicht übertrieben leise - bei und schaut sie mit diesem Sephyra. "Nur Dunkelheit, modrige Gitter und wer
typisch wissenden Blick an. Dann dreht er schnell den weiß was noch alles … Ich würde vorschlagen, Herr
Kopf und nutzt die Gelegenheit, ihr einen schnellen Kawaljere, wir suchen die Kinder und verschwinden
Kuss auf den Mund zu drücken. von hier." fährt sie leicht gereizt fort. Frumol an der
Nicht ganz uneigennützig lässt sie Frumol kurz ge- Hand mit sich mitziehend geht sie weiter und lässt
währen und wendet sich dann lächelnd ab: "Frumol!" den Kawaljere stehen.
entfährt es ihr. "Das ist kaum der passende Augen- Der beleuchtete Gang ist nach 10 Schritten zu Ende.
blick!" fügt sie hinzu. Aber Frumol konnte fühlen, Es geht noch ein kurzer dunkler Gang rechts ab, der
dass sie nicht abgeneigt war, sondern lediglich der wieder vor einer Gittertür endet.
Zeitpunkt unpassend ist. 'Hier gibt es überall Gitter!', Frumol muss unwillkür-
Er wirft noch einen forschenden Blick in die Dunkel- lich schaudern.
heit des fremden Ganges. "Hier werden wir wohl keinen Ausgang finden.
"Was machen die denn da so lange?" fragt er seine Be- Schließlich ist dies das Verließ. Bei unserem Glück
gleiterin. "Da war doch garnichts mehr." Sein leicht stoßen wir nur noch auf die Folterkammer samt Fol-
genervter Blick sprechen für Sephyra ganze Bände. terknecht." Frumol lächelt schief, obwohl dies spaßig
"Ja, was wohl?" fragt sie und sieht nach den beiden. klingen sollte, klingen seine Worte trocken.
"Äh - daran dachte ich jedenfalls nicht" kommentiert 'Fehlt nur noch, das jetzt ein gequälter Schrei erklingt
Frumol und beweist wieder einmal, dass er eine …'
Menge schmutzige Phantasie besitzt. Vorsichtig schaut Frumol wieder zurück.
In diesem Moment kommt Randirion von hinten her- "Komm, wir gehen dahin zurück, wo wir hergekom-
an. "Nun denn Frau Lunor, Herr Pellocke, habt Ihr men sind und versuchen eine andere Abzweigung."
hier etwas gefunden? Herr Wedmansson untersucht
die Zelle dort hinten noch etwas genauer."
68
Plötzlich erstarrt Frumol. War da aus der Dunkelheit fragt sie mit einem leicht amüsierten Unterton in der
ein Laut zu hören? Stimme.
Frumol entreißt seine Hand der Sephyras, die ihn Für ihn fallen die Gefängniszellen in den Kompetenz-
noch immer festhielt. Er wirbelt herum, die Fackel bereich des Kavaljäre.
hoch erhoben, die andere Hand schnellt zum Griff Der ist doch schließlich bei irgendeiner Armee, oder?
des Rapiers. Mit weit geöffneten Augen schaut er sich
"Also komm jetzt," drängt sie, "wir sehen nach." und
um, doch kann nichts sehen, kann den Laut nicht
schon ist sie mit Frumol im Schlepptau unterwegs,
mehr erfassen.
mit der Fackel den Weg beleuchtend.
Erschrocken über die plötzliche Bewegung Frumols
Frumol setzt sich zaghaft zur Wehr, hat jedoch keinen
fährt Sephyra zusammen. Nur wenig später als
Erfolg. Schließlich siegt seine Neugier über den
Frumol dreht auch sie sich um und wispert: "Was ist?"
Verstand, und er lässt sich willig von Sephyra führen.
Hat er sich das gerade nur eingebildet? Bisher haben
Am entsprechenden Gitter angekommen, hält sie fast
ihm seine Sinn noch keinen Streich gespielt!
2 Schritt Abstand - nur zur Sicherheit - und leuchtet
Nach kurzer Zeit lässt er die Fackel wieder etwas sin- in Richtung des Gitters. "Hallo?" fragt sie vorsichtig.
ken, doch die Anspannung bleibt. Seine Augen sind
Ein junger Mann, der ein bisschen Frumol ähnelt und
ein wenig zusammengekniffen, aber das dürfte nur
in schmutzige Kleidung gehüllt ist, tritt an vorsichtig
Sephyra auffallen. Aufmerksam lauscht er nach wei-
an die die Gittertür. Er schaut vorsichtig auf Sephyra
teren Lauten, Geräuschen.
und Frumol und fragt dann: "Ihr gehört nicht zu ih-
Unruhig sieht Sephyra Frumol an: 'Was hat er bloß?' nen, oder?"
Wer weiß was hier noch alles lauert, in den Tiefen der Frumol mustert interessiert den Gefangenen und fragt
Ruine. Mit jedem Schritt scheint es schlimmer zu ihn schlicht: "Warum seid ihr hier?"
werden. Hat er in der Vergangenheit noch nicht genug
"Nein, sicher nicht." beruhigt Sephyra den Mann.
Schrecken gesehen?
Nach einer kurzen Pause fragt sie ganz unschuldig:
Er sollte mit Sephyra das Leben genießen, in einer Ta- "Wer sind die?"
verne feiern, oder vielleicht am Strand unter den Ster-
"Schergen, dunkle Gestalten, die mich auf der Straße
nen sitzen … Aber nein, er jagt irgendwelchen
von Khunchom nach Thalusa des nachts überfallen
Kindern hinterher, die sich hier bestimmt gar nicht
und hierher verschleppt haben. Und jetzt sitze ich
aufhalten, in dieser von allen Göttern verlassenen
hier."
Ruine! Frumol ist fest davon überzeugt, dass die Mül-
lerkinder inzwischen wieder bei der Mühle sind! Dabei bewegt sie sich nicht von der Stelle, beäugt den
Gefangenen neugierig und wirft abwechselnd auf ihn
"Ich glaube, ich habe ein Gespenst gehört", erklärt er
und Frumol Blicke, als ihr die Ähnlichkeit auffällt.
Sephyra und ergreift wieder ihre Hand. "Wir sollten
Erwähnen tut sie das aber nicht.
schnell einen Ausgang suchen, ich brauche dringend
einen großen Humpen perlendes Bier!" Jetzt wo Sephyra näher hinschaut, verschwindet die
Ähnlichkeit vollkommen. Der Gefangene ist ein Mit-
Und dann hört er es ganz genau: "Hallo …" ertönt
telländer wie Frumol. Mehr nicht.
eine Stimme aus der Dunkelheit hinter dieser letzten
Gittertür. Ingalf hat die Untersuchung der ersten Zelle beendet
und ist unbemerkt von den anderen nachgekommen.
"Jetzt habe ich aber etwas gehört!" meint Sephyra und
Den zweiten Gang mit Gittertür hat er erst einmal
ändert schlagartig die Richtung. "Da hinten, hinter der
rechts liegen lassen.
letzten Gittertür war es dunkel, aber vielleicht ist da
jemand, der weiß, wo die Kinder sind." - 'und wenn "Wat denn, Wollen wir den armen Kerl hier nich raus-
er/sie hinter einem geschlossenen Gitter sitzt, kann holen? Wer in son 'nem Kerker eingesperrt is', wo so
er/sie uns auch nichts anhaben … Und warum sollte fiese Monster rumkrauchen kann nur ne ganz arme
ein Gefangener auch Licht bekommen?' Sau sein und 'Feind von unserem Feind is' unser
Freund." Mit diesen Worten schreitet Ingalf auf die
"Meinst Du?" Frumol hält Sephyra am Arm fest.
Gittertür zu um nach einer Möglichkeit zu suchen, sie
"Ja ja, sicher." antwortet sie. zu öffnen. Die Ähnlichkeit mit Frumol erscheint In-
"Dies ist ein Gefängnis. Wer da hinten sitzt und 'Hal- galf nicht so überaus groß dass er ihr näher nachgeht.
lo' ruft, sitzt bestimmt hinter den Gittern. Und das si- Der Gefangene lächelt müde, als er Ingalfs Untersu-
cher aus einem ganz bestimmten Grund, und deshalb chung gewahr wird: "Hier kommst Du nur mit
wird dieser jemand nichts von den Kindern wissen." Schmiedewerkzeug, mit Magie - oder mit dem
warnt er seine hübsche Begleiterin nachdrücklich. passenden Schlüssel durch. Den hat der Kerkermeis-
"Sicher sitzt er hinter dem Gitter, sonst würde er nicht ter. Der kann nicht weit von hier seine Behausung
rufen, sondern einfach zu uns her kommen, oder?"
69
haben, da ich immer das Öffnen und Schließen einer Ingalf betrachtet das Schloss und schüttelt den Kopf:
Tür höre, kurz bevor er kommt." "Mit Gewalt ist da nur mit richtigem Werkzeug etwas
"Nein, wollen wir nicht!" sagt Frumol mit Nachdruck, zu machen. Hat jemand vielleicht Dietriche dabei?"
und ist froh darüber, dass der Versuch das Gitter zu "Madame Lunor, Herr Pellocke wärt ihr bereit diesen
öffnen fehlschlägt. zwar monströsen aber doch menschlichen Gegner zu
Frumol ist sich bewusst, das seine Einstellung (wieder bezwingen und das Gespräch in weniger gesiebter
einmal) zu einem Konflikt führen wird, doch er hat Luft fortsetzen? Damit wir die Kindlein endlich
ein ungutes Gefühl. Warum sollte jemand jemanden finden und so zeitig wie möglich aus diesen verfluch-
in einer verlassenen Burg so sicher weg sperren? ten Ruinen verschwinden können. Wenn ihr Ihm
nicht glaubt, mögt ihr gerne den "Kerkermeister"
Vielleicht sind die ganzen Monster hier ja zur Bewa-
befragen was seine Version der Geschichte dieses
chung hier - und dann würden die Gefährten einen
Gefangenen ist, was uns vielleicht weiteres Blutver-
großen Fehler machen, sofern sie hier etwas unter-
gießen vermeiden lässt."
nehmen. Soll doch der Gefangenen erst einmal glaub-
haft machen, wer er ist, woher er kommt, und warum "Falls er euch zum fragen kommen lässt …", fügt er
er hier nicht eingesperrt sein sollte … auf die demoralisierenden Worte Frumols hinzu.
Bei allem Mitleid mit dem unschuldig Gefangenge- Der Gefangene schaut die vier bittend an.
nommenen fällt Randirion sofort auf, dass dieser die "Was will man von Euch?" hakt sie nach, als der
nächste Spur zu den entlaufenen Kindern ist. Die Gefangene auf Randirions Frage keine sie zufrieden
Frage, warum gewöhnliche Räuber einfache Reisende stellende Auskunft erteilt. "Seid Ihr reich oder oder ein
überfallen und vor allem Gefangen nehmen, schiebt er einflussreicher Kaufmann? Nicht mal der dümmste
gedanklich nach hinten und beschließt, sich dem Räuber überfällt einen Reisenden und nimmt ihn mit,
Gefangenen erst ausführlich vorzustellen, wenn der wenn da nichts zu holen ist."
Lump der sich Kerkermeister zu nennen wagt, zu- Der Gefangene hebt die Schultern: "Ich habe keine
mindest ebenfalls gut verschnürt in einer Zelle sitzt. Ahnung. Nicht die Spur. Ich bin weder reich noch
"Werter Reisender wir sind willens nicht nur euch son- einflussreich. Meine paar Silbertaler hat man mir so-
dern auch den Müllerskindern zu helfen, denen wir gar gelassen. Nur meine Waffen bin ich los."
zu suchen nachgeeilt sind. Mit wievielen der Halun- Sephyra antwortet nicht, aber ihre Ratlosigkeit lässt
ken werden wir es hier zu tun haben, ihr werdet sicher sich fast greifbar wie ein Fragezeichen, das sich über
nicht von einem einzelnen Kerkermeister überfallen ihrem Kopf zu bilden scheint, erahnen.
worden sein? Um unnötigen Lärm zu vermeiden soll-
"Nun, äh, ja, hmm." macht sie, ohne recht zu wissen,
ten wir jedoch nicht versuchen die Zelle unnötig laut
was sie sagen soll.
zu öffnen. Ihr sagtet Ihr hört ihn jeweils kommen?
Wie oft erscheint der Strolch üblicherweise hier an sei- "So ein Pech!" ist alles, was ihr nach kurzem
nem Arbeitsplatz? Vielleicht könnte man ihn ohne Schweigen dazu einfällt.
groß Aufsehen zu erregen hier unten überwältigen?" Ohne diesem Blick ernsthaft Beachtung zu schenken,
"Da kann ich nicht viel helfen. Zwei Gestalten hielten versucht er Alter, Herkunft, Stand eventuell Beruf
mich an, und dann bekam ich einen Schlag auf den anhand dessen Äußerem zu erkunden.
Hinterkopf. Mit den üblichen Folgen. Hier bin ich "Wenn Herr Pellocke nicht fragen will oder kann, wird
wieder aufgewacht." Der Gefangene reibt sich den es wohl wieder an Uns sein, Herr Wedmannsson?"
Hinterkopf. "Er kommt unregelmäßig, und bringt mir Wobei er eine Geste macht die auf ihn selbst, Ingalf
das, was er wohl als Essen bezeichnen mag." Er denkt und seine Axt flüchtig deutet.
noch einen Moment nach. "Ich höre das Öffnen und
"Das wohl, Krawaljäre, das wohl! Verdammich noch-
Schließen einer Tür, dann vielleicht 20 Schritte - sein
mal, wenn ich nen armen Kerl hier unten hocken lass.
Schlüsselbund klingelt bei jedem Schritt. Und dann
Frumol, denk doch ma' nach. Das waren Strauch-
steht er vor der Tür. Ihr seid doch zu viert! Könnt ihr
diebe, die wir oben gesehen haben, genau wie die im
ihn nicht überwinden?"
Lager. Willst du wirklich jemanden in deren Hand
"Nun ja," antwortet Sephyra, "sehe ich vielleicht wir lassen. Und überhaupt, vielleicht kriegen wir ja so was
eine Thorwaler Piratin aus, die sich des Nächtens in über die Kinners raus. Wenn du nich' mitgehst, kanns-
Hafenkneipen prügelt und jeden Räuber nieder te ja wenigstens auf meinen Kram aufpassen." Er deu-
knüppelt, der ihr über den Weg läuft?" - Mit einem tet auf seinen Seesack, und blickt Frumol auffordernd
Seitenblick auf Ingalf fügt sie rasch hinzu: "Nicht an.
persönlich gemeint."
"Denkt doch mal nach!" fordert Frumol die beiden ge-
Randirion wartet den Ingalfs Misserfolg im Tür öffnen reizt auf. "Leisten sich Strauchdiebe einen Ker-
ab.

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kermeister? Wohl kaum!" Frumol bemüht sich leise zu und ich glaube dass selbige sich nur 20 Schritt und
sprechen, obwohl er ziemlich in Rage ist. einen Kerkermeister und schlimmstenfalls 2 Extrawa-
Um die Erregung Frumols nicht noch unnötigerweise chen weit entfernt befinden und uns ein sehr viel
zu gefährlichen Aktionen ausarten zu lassen bemüht freieres Bewegen und Verlassen der Burg ermögli-
sich Randirion um eine deeskalierende Stimmlage. chen."
Ruhig und fest entgegnet er dem Herrn der seinem 'Kerl, dann geh doch hin und hol' Dir den Schlüssel!
äußeren her nicht so weit von dem was für Randirion Warum muss immer gekämpft werden? Das geht
einen Strauchdieb ausmacht weg ist. doch auch anders - leise und heimlich, ohne das einer
was merkt … Bisher hatte Frumol es fast immer ge-
"Wenn ich mich recht erinnere hatten wir alleine in
schafft, einen Kampf zu vermeiden.
dem Waldlager 4 Strauchdiebe, einmal angenommen,
dies war ein Vorlager das die Distanz zur Burg über- "Bei Swafnir, un' sowas will nen Kerl sein. 'Nen
brücken sollte, können wir hier durchaus mit 10 bis 20 Gefangenen gefangen sitzen lassen, in der Hand von
der üblen Gesellen zu tun haben. Wenn dem so ist offensichtlichen Dieben, Räubern, vielleicht sogar
haben die beiden, die wir oben schon getroffen haben Mördern." murmelt er kopfschüttelnd so leise in sei-
den Rest schon alarmiert und ich möchte mit Verlaub nen Bart, dass es so gerade noch zu hören sein dürfte.
bezweifeln, dass jene uns in handlichen 2er Grüpp- Frumol beißt sich auf die Lippen, um die scharfe Er-
chen lebendig und in abziehen lassen." widerung herunterzuschlucken. Normalerweise lässt
Er bringt das Lager mit der Burg in Zusammenhang? er sowas nicht auf sich sitzen!
Diese Verbindung hatte Frumol bis her nicht erdacht. Sollen die doch tun was sie für richtig halten! Er will
Für ihn waren das zwei Paar Stiefel. hier nur wieder raus und das warme Tageslicht auf
An den Gefangenen gerichtet: "Werter Fremder, habt den Wangen spüren!
ihr die Schergen oder den Kerkermeister reden hören? Er wirft Ingalf einen strafenden Blick im Halbdunkel
Wenn ja in welcher Sprache? Seid unbesorgt wir zu. Notfalls sucht er halt alleine einen Ausgang für
werden euch helfen. Bitte versteht unseren Gefährten Sephyra und sich! Basta.
er hat - wie wir alle - viel erlebt auf dem Weg hierher Gespannt beobachtet Sephyra den Gefangenen und
und hat dem Tod schon mehr als einmal ins Auge bli- seine Reaktion auf das Streiten der Gefährten. 'Warum
cken müssen." bist du hier?' fragt sie sich beim Anblick des Häufchen
"Nein, edler Herr, der Kerkermeister hat nie geredet. Elends hinter den Gittern.
Er kam immer allein." Für einen Moment hat Sephyra das Gefühl, dass das
"Strauchdiebe rauben und plündern, so wie beim gar kein Häufchen Elend hinter der Gittertür ist. Und
Köhler. Kaum werden sie sich mit bedeutungslosen dann manifestiert sich in ihr auf einmal die Frage, was
Entführungen, die mehr Gefahren als Nutzen wohl hinter der zweiten bislang noch nicht untersuch-
bringen, abgeben. Nein, hier stimmt etwas nicht" be- ten Gittertür sein mag.
hauptet er - nach wie vor misstrauisch. "Äh, bist du hier unten allein?" fragt sie schließlich.
"Genau!" pflichtet Sephyra leise bei. "Wir sahen da noch weitere Zellen." sprachs und eine
Mit einer Mischung aus Fragen und Bedauern wendet Vorahnung beschleicht sie: 'Vielleicht sind die Kinder
er sich wieder Frumol zu. hier unten in der anderen Zelle und schlafen bloß!'
"Das hier etwas nicht stimmt haben Sie Herr Pellocke "Hm", denkt der Gefangene laut. "Da bin ich mir
wenn ich mich recht erinnere schon bei den gastlichen nicht sicher.
Bäumen und dem selbstmordlustigen Vogel gemerkt, Wenn Ja können sie uns vielleicht wichtige Kunde ge-
warum ihr aber gerade jetzt wo wir bei Menschen ben, die uns Kämpfe (er denkt dabei 'Verluste' und
sind, deren Wissen uns unsere eigentliche Aufgabe ertappt sich dabei, dass dies kein Krieg und keine Ar-
meistern lassen könnte verzweifelt erscheint mir mee und bezahlte Söldner sondern Gefährten, fast
schleierhaft. Freunde sind) wirklich minimieren lassen."
'Habe ich das etwas nicht mitbekommen?' fragt sich "Und Herr Pellocke sie sind nicht allein mit dem
Frumol. Die Diebe, denen sie bisher begegnet waren, Willen hier so schnell wie möglich heraus zu kom-
waren doch auch Menschen, oder? Und der Ker- men.
kermeister wird sicher auch einer sein. Glücklicher- Wenn mich meine militärische Erfahrung jedoch
weise laufen hier unten in der Dunkelheit keine unto- nicht vollends trübt sind wir in kleinen 2er Grüpp-
ten Piraten herum! chen sehr viel gefährdeter als zu viert, selbst wenn ihr
Ich habe schlicht die Erfahrung gemacht, dass man berechtigterweise den Kampf scheut."
Verließe sehr gut betreten und vor allem verlassen 'Warum halten wir uns hier dann so lange auf? Meine
kann wenn man einen Schlüssel für selbige besitzt Erfahrung in den Gassen hat mich gelehrt, dass eine

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Zweiergruppe viel unauffälliger sein kann als ein finden mag." Ohne Frumols Hand loszulassen, ent-
Haufen eingebildeter, hochnäsiger Idioten!' kom- fernt sie sich von der Zelle des Gefangenen und strebt
mentiert er im Geiste. die andere, dunkle Zelle an.
Kurz vor der Frustration ob solchen Diskussionseifers Randirion und Ingalf bleiben für einen kurzen
in einer solch gefährlichen Situation möchte Randiri- Moment verblüfft zurück, dann folgen sie den beiden.
on so schnell wie möglich den Kerkermeister nicht Dort angekommen beleuchtet sie das Schloss und
mehr als Gefahr wissen. fragt in die Zelle hinein: "Hallo, ist hier jemand?"
Frumol schaut sein Gegenüber abwartend an. 'Was Auch in dieser Zelle ist nur eine Pritsche. Und dort
unternimmt er jetzt?', fragt er sich. liegt eine Gestalt in tulamidischer Kleidung - nicht
"Wenn wir schneller und ungefährlicher an die allzu groß, mit dem Rücken zur Gittertür.
Schlüssel kommen könnten wär es sicher nicht ver- Auf Sephyras Ruf dreht sich die Gestalt um. Es ist ein
kehrt", entgegnet Randirion erahnend was Frumol Junge, wohl 12 Jahre alt, mit blonden Haaren und
(der ja gerne seine edle Gesinnung noch beim Retten schmaler Nase.
der Kinder unter Beweis stellen kann) in seinem
Er schaut Sephyra und Frumol erschreckt an und
langen Schweigen wohl bedenkt."Wir sollten uns je-
bringt kein Wort heraus.
doch bewusst sein, dass das Verschwinden des
Schlüssels des Kerkermeister, wohl möglich des Er folgt den beiden. Als er den Jungen erblickt fällt im
Hauptschlüsselmeisters überhaupt nicht lange unbe- ein Mahlstein mitsamt Arbeitspferd vom Herzen.
merkt bleibt und wir noch keinen sicheren und ge- Da das Kind wahrscheinlich nicht unbedingt seine
deckten Ausgang haben und wir das Zahlenverhältnis Sprache spricht, überlässt er die Kommunikation, der
von edel gesinnten zu scheinbar sinnlos entführenden im Umgang mit Kindern wohl am Erfahrensten und
Strauchdieben zu unseren Gunsten beeinflussen sichert den Gang zur Zelle, wobei er bestenfalls mit
können selbst wenn wir sie nur Geschickt in ein Ver- einem halben Ohr dem Geschehen an der Zelle Be-
ließ locken und dort einsperren." achtung schenkt.
Frumol hat nur mit halbem Ohr zugehört, was Sephy- In ihrem besten Tulamidisch fragt sie: "Hab keine
ra und er Gefangene zu besprechen hatten. Plötzlich Angst! Bist du der Sohn des Müllers?" Ohne auf eine
zieht sie ihn weg und marschiert zum nächsten Gang. Antwort zu warten, sieht sie sich das Schloss des
"Lasst uns sehen, ob die anderen Zellen hier unten Gitters dabei an und nestelt daran herum. Dann fragt
ebenfalls verschlossen sind und wer sich darin be- sie weiter: "Wo ist deine Schwester? Wir sind hier, um
euch zu euren Eltern nach Hause zu bringen!"

72
Alriks Befreiung
D Dann platzt es aus ihm heraus: "Hat Papa euch
ie Augen des Jungen werden immer größer. Die Treppe ist nur knapp 2 Schritt lang. Die Holztür
am unteren Ende wird von der Fackel an der Ecke
geschickt? Ich wusste, es kommt Hilfe! Habt ihr zum Hauptgang voll beleuchtet. Als Randirion sich
Seline schon gefunden? Was ist mit ihr?" umdreht, bemerkt er aber, dass die anderen nicht
"Matrose, ich denke es ist Zeit einen Schlüssel zu mehr zu sehen sind, da der Gang zu Alriks Zelle doch
bergen." fordert er Ingalf mit einer freundlich ein- etwas länger ist.
ladenden Geste auf mit ihm den Kerkermeister un- Um das Dilemma zu vermeiden stellt er sich so an die
schädlich machen zu gehen."Wenn er allein ist, reicht Kreuzung das seine Fackel zumindest bis Alrik gut zu
vielleicht ein harter Schlag mit der breiten Seite eurer sehen ist. Den Ausgang hinter Ingalf im Blick und be-
Axt um ihm mit dem Komfort seines Etablissements reit die 2 Schritte vorzustürmen falls er etwas unge-
vertraut zu machen." wöhnliches kommen sehen sollte.
Zu Frumol und Sephyra: "Wir gehen den Schlüssel 'Wenn sie ihre Opfer bewusstlos schlagen, wird er
holen falls ihr keinen effektiveren Weg kennt. Sucht nicht viel zu erzählen haben und vertrauen wird er
ihr noch Seline und ruft uns wenn ihr in Schwierig- uns eher wenn wir ihn hier rausholen', denkt sich
keiten kommt? Wir treffen uns dann wieder hier." Randirion etwas gereizt ob des länglichen Gesprächs-
Randirion beginnt den Umkreis von 20 Schritt von verlauf das ihm als Etikette wohlbekannt ist, in einer
den Kerkern eine Tür zu finden, darauf bedacht keine Situation in der man von bewaffneten Strauchdieben,
Fallen und Alarme auszulösen. Krakenmolchen und ansgteinflößenden Kreaturen be-
droht wird jedoch mehr als unpassend erscheint. Auch
Die einzige Tür, die in Frage kommt, ist die am Ende
die Sackgasse ohne Rückzugsmöglichkeit behagt ihm
der kurzen Treppe auf der anderen Seite des Ganges.
weniger als Frumol, ohne das man es ihm nach
"Nun wartet doch, bis wir hier den Jungen befragt diesem erfreulichen Fund ansehen kann.
haben!" zischt Sephyra den Kawaljere an. "Frumol
Wenn die Erklärungen weiter hinten im Gang noch
wird das hier schon machen …" fügt sie hinzu.
länger dauern, wird Randirion versuchen, so leise wie
Er nickt Sephyra mit einer deutlichen Geste zu und möglich seine Balestrina schussfertig zu machen, und
untersucht die Treppe nach unten ohne sie zu betreten sie in der Linken zu halten. Glücklicherweise kann er
die Tür im Blick und darauf bedacht keine unnötigen (so denkt er …) mit Links fast genauso gut schießen
Geräusche zu machen. In der Absicht Sephyra ihr wie mit Rechts …
Werk vollenden zu lassen.
Wenn dies vollbracht ist, wird er, ohne jedoch die
Mit gezogenem Rapier behält den Gang im Auge und äußerst dreckigen Wände zu berühren, eine Stellung
bitte Ingalf flüsternd: "Herr Wedmannsson achtet ihr seitwärts der Treppe einnehmen, damit der Ker-
auf die Tür, aber lasst Frau Lunor noch Zeit vielleicht kermeister zunächst einmal aus seinem Loch heraus-
wichtiges zu erfahren." kommen, und man ihm dann den Weg dahin ab-
Da sich die 4 in Sichtweite befinden wartet Randirion schneiden kann. Denn das sich der Herr in seinem
und sucht schon einen geeigneten Platz um seine Fa- Etablissement verbarrikadiert, wäre eher nicht
ckel abzulegen und vielleicht noch die Treppe etwas erstrebenswert.
zu beleuchten ohne den Gang aus den Augen zu Es passiert erst einmal nichts. Die anderen scheinen
lassen. noch miteinander beschäftigt zu sein.
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| | | | | |
|Gefan- | | Alrik | | leer |
|gener | | | | |
| | | | | |
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|GG| |GG| |GG|
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|SS|Stufen | |
|SS|abwärts | |
|TT|Tür | |

73
"Ja, mein Junge." antwortet sie, weiter auf Tulami- Frumol kann vermeiden, dass er den Dietrich fallen
disch. "Nein, deine Schwester haben wir nicht ge- lässt, und fängt wieder an, den Dietrich vorsichtig im
funden, war sie mit dir in dieser Zelle?" Schloss zu drehen. Wo bist Du nur mit Deinen Ge-
"Sie haben mich in einen Sack gesteckt. Da habe ich danken?' scheltet er sich.
Seline zum letzten Mal gesehen." Seine Augen füllen Dann beweist er wieder sein Geschick und es ist kaum
sich mit Tränen. ein Klicken zu vernehmen. Er richtet sich auf, und
Das Schloss ist abgeschlossen und genauso stabil wie stößt mit einer lässigen Handbewegung die Zellentür
das des anderen Gefangenen. auf.
Der prüfende Blick macht Sephyra wenig Mut, "Bitte schön." sagt er einfach, jedoch ziert eine breites
dennoch: "Frumol, hier mach dich nützlich!" fordert Grinsen sein Gesicht. 'Hab' dank Phex.'
sie ihn auf. In alter Tradition der Wüstenvölker und Der Junge reißt die Gittertür auf und springt Frumol
zur Beruhigung Alriks erklärt sie dem Jungen (so gut an.
es ihre Sprachkenntnisse erlauben), was geplant ist: "Habt Dank!" sagt er mit um Frumol geschlungenen
"Mein Gefährte hier, der geschickteste aller Geschick- Armen.
ten, der fingerfertigste aller Fingerfertigen, der Meister
Vom Geräusch der Gittertür (oder sollte sie so gut
des Ein- und Ausbruchs wird jetzt versuchen, das
gefettet sein?) und der unvermittelten Bewegung
Schloss zu öffnen, ohne dass wir den Schlüssel haben.
überrascht, bewegt Randirion den Kopf nach links
Wenn überhaupt, dann wird Er es schaffen, denn Er
und versucht mit einem Zischlaut die Freude der 3 im
ist wirklich wirklich wirklich der Beste." - 'den wir
Zaum zu halten.
dabei haben' seufzt sie in Gedanken, ohne sich etwas
anmerken zu lassen. 'Jaja de Strauchdiebe, man kann nie wissen wann man
einen gebrauchen kann', schmunzelt er innerlich.
An Frumol gerichtet - der allenfalls seinen Namen
verstanden haben dürfte - ergänzt sie ihren weit- Er konzentriert sich wieder auf den Gang und kom-
schweifigen Vortrag: "Los, sieh zu, was du tun kannst. mentiert weitere Geräusche die er von den 3en hört
Ich möchte nur ungern dem Vorschlag der anderen mit einem möglichst leisen Zischen.
beiden nachkommen und dem Kerkermeister eine Auf dem Gang bleibt es ruhig.
überziehen müssen, um an den Schlüssel zu kom- Frumol ist völlig überrascht von die Gefühlsäußerung.
men." Er bringt nur leisen "Nicht so stürmisch" in seinem
Frumol schaut sich das Schloss an und sieht, dass er es gebrochenen Tulamidisch über die Lippen.
mit einem Dietrich oder auch nur einem ordentlichen "Dankt nicht mir …", beginnt er, doch bricht dann ab,
Stück Draht wohl leicht aufbekommen würde. da er nicht die richtigen aufbauenden Worte findet.
"Bitte, bitte!" wimmert der Junge auf einmal auf Gare- Bei Sephyra klingt das ganz einfach, sie jongliert mit
thi. "Holt mich hier raus!" den Worten fast so gut wie mit ihren Jonglierbällen.
Frumol lächelt Sephyra an, und geht zum Gitter um Ingalf lacht leise auf. "Na Mensch Frumol, wolltest
sich das Schloss anzusehen. schon hier verschwinden, dann hätten wir die Kinners
'Phex sei dank, ich bin vorbereitet.' dankt er stumm hier gelassen. Nu mach mal geschwind noch die Zelle
seinem Gott. dahinten auf, dass wir den armen Tropf mitnehmen
können, und Sephyra, kannst du dem Schwesterchen
Er greift nach den Gitterstäben und prüft ob die Tür
von dem Lütjen nicht mal sagen dass sie nicht so
überhaupt verschlossen ist. 'Manch ein Weg birgt selt-
schüchtern sein soll und auch raus kommen kann,
same Überraschungen.'
dann können wir hier sehr bald verschwinden …
Er kniet nieder, setzt seine Rucksack ab und greift wobei ich so 'nem Kerkermeister schon ganz gerne so
hinein. Ohne lange zu suchen findet er in den Tiefen richtig eine über braten … das wohl Mann!"
das Rucksacks wonach er sucht und zieht langsam sei-
"Und jetzt wir befreien Seline?" Der Junge wirkt ganz
nen Dietrich hervor.
eifrig, als Frumol ihn wieder abgesetzt hat. "Und Ihr
Er rückt ein wenig näher an das Schloss heran, führt wisst schon, wo sie ist?" wendet er sich an Ingalf.
den Dietrich langsam in das Schlüsselloch. Seine Ge-
"Das dürfte schwierig werden, da sie sich offensicht-
fährten können dabei keinen Laut vernehmen.
lich nicht hier befindet." antwortet Sephyra dem wohl
Das Lächeln weicht und macht einem konzentrierten nicht mehr lange grinsenden Ingalf.
Gesichtsausdruck Platz. Vorsichtig hantiert er mit dem
"Da heißt es wohl suchen …"
Dietrich im Schloss, bis er einen Widerstand spürt.
'Das muss es sein' denkt er triumphieren. Doch er hat "Darf ich mitsuchen?" bittet Alrik. "Wo fangen wir
sich zu früh gefreut, der Dietrich rutsch mit einem denn an?"
>Klack< ab!

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"Nun, ähh, tja." druckst Sephyra herum. "Das ist nen Rucksack wieder auf, nachdem der Inhalt wieder
eigentlich viel zu gefährlich für Dich!" Sie gibt Frumol ordentlich verstaut wurde.
mit den Augen zu verstehen, er möchte sich doch bitte "Aber gebt mir doch wenigstens ein Messer", bittet Al-
einmischen und dem "Kleinen" von Mann zu Mann rik.
erklären, was hier abläuft.
Diese Frage überhört Frumol geflissentlich. Vermut-
Frumol versteht ihren Blick uns setzt gerade zu einer lich kommt der Junge dann nur auf dumme Ge-
weit schweifenden Erklärung an, obwohl er weiß, dass danken und bringt sich selbst und alle anderen in
sich der Bub nicht aus der Gefahr heraus halten Gefahr.
wird, … Frumol war selbst einmal jung - was nicht heißt, dass
… doch dann seufzt sie und antwortet schließlich: "Ja, er heute zum alten Eisen gehört.
komm mit uns, das ist immer noch sicherer als allein Dann rückt sie ihren Rucksack zurecht und ergreift
hier in einer Zelle zu sitzen, nicht?" Aufmunternd die rechte Hand des Jungen mit ihrer eigenen Linken:
klopft sie dem Jungen auf die Schulter: "Wir finden "Lass uns losgehen. Ingalf wird vorangehen und
deine Schwester. Ganz bestimmt!" Frumol wird uns folgen." fordert sie die beiden recht
'Hoffentlich genauso unversehrt wie den Jungen' ruhigen Kerle auf.
ergänzt Frumol gedanklich ihre Worte. Er nimmt sei-

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Auf der Suche
M und Ingalf kommt Sephyra bei Randirion an,
it Alrik an der Hand und gefolgt von Frumol den Gefährten und legt den Zeigefinger senkrecht
über seine leicht geschürzten Lippen. 'Wehe, es macht
der vor den Stufen, die zum vermutlichen Aufent- jetzt einer einen Laut!'
haltsort des Kerkermeisters führen, wartet. Bei diesen Worten kniet sich Sephyra hin und flüstert
"Und?" ist alles, was Sephyra dem Kawaljere zu sagen Alrik ins Ohr: "Sei ganz leise!" und macht sich in Ge-
respektive zu fragen hat. danken bereit, nun doch noch kämpfen zu müssen.
"Hier hat sich nichts ereignet, Madame Lunor, das Aus einem Impuls heraus zieht sie ihren ersten Wurf-
auch nur annähernd Eurer Ankunft gleichkommt." dolch hervor, besieht ihn sich kurz und drückt ihn
erwidert Randirion mit einer galanten angedeuteten dann dem offensichtlich freudestrahlenden Jungen in
Verbeugung (die sehr knapp ausfällt, da er in jeder die Hand: "Du kannst doch damit umgehen, nicht?"
Hand eine Waffe hält). "Ich kann ein bisschen werfen. Mama hat es mir ge-
Bei diesen galant-schleimigen Worten muss Frumol zeigt", entgegnet Alrik leise. Er versucht, an den
unwillkürlich schmunzeln. anderen vorbei in den Raum zu spähen, drängelt sich
aber nicht vor.
"Wollen wir im Gegenzug dem hiesigen Hausherren
unsere Aufwartung machen? Denn ich fürchte, nur so Ohne auf eine Antwort zu warten zieht sie auch den
werden wir den Aufenthaltsort von Seline heraus- zweiten Dolch und macht sich bereit.
finden … Herr Frumol, Ihr habt ja nun
erwiesenermaßen ein Händchen bei eher Die Folterkammer
verschlossenen Dingen - wärt Ihr so gut?" Dann zieht bzw. stößt er die Tür soweit auf, dass er
Randirion stellt sich an die Seite, um Frumol De- einen Blick in den Raum dahinter werfen kann.
ckung und gleichzeitig Zugang zum Schloss zu ge- Randirion, die Waffen in den Händen und sowieso in
ben. der Nähe, drängt hinterher, so dass er fast zeitgleich in
Ob Randirions Schmeicheleien verdreht Sephyra nur den Genuss des Anblicks kommt …
die Augen in Richtung Decke und dem irgendwo da- Ein von Fackeln erleuchteter Raum so groß wie die
hinter vermuteten und noch mehr vermissten blauen Küche oben und wohl 6 Schritt hoch. Die Tür geht
Himmel. Sie antwortet jedoch nicht und wartet ab, auf ein kleines Holzpodest und von dort führt noch
was nun die Herren gedenken zu tun. einmal eine kurze Treppe anderthalb Schritt in die
"Wat jetzt? Die Kleine is' nich' bei dir?" fragt Ingalf Tiefe.
den Jungen auf Garethi. "Bei … bei … bei, also, erst Auf den ersten Blick wird klar, dass es sich bei dem
entführen und dann auch noch trennen, das schlägt ja Raum um eine Folterkammer handeln muss. Mitten
wohl dem Fass … das wohl!" poltert er weiter. darin steht eine Streckbank, auf der ein Unglücklicher
Er beschleunigt seine Schritte und überholt Sephyra. gerade gepeinigt wird.
"Mensch, Krawaljäre, nu lass ma den sogenannten An den Wänden sind verschiedene Folterwerkzeuge
Kerkermeister finden und aus ihm raus prügeln wo zu sehen, darunter Spanische Stiefel, Schneidwerk-
die Lütte hingekommen is'. Das ist ja wohl …! zeuge, Zangen und undefinierbare Eisengegenstände,
Frumol, mach man schnell auf, sonst vergesse ich die gegenüber an einem Balken hängen.
mich und trete die verdammich Tür auf." ereifert er An der rechten Wand brennt ein Feuer unter einer
sich weiter. Esse, an der ein bulliger Mann mit nacktem Oberkör-
'Oh, da bin ich wohl wieder gefragt …' Frumol er- per und Kapuze Eisenstäbe zum Glühen bringt.
widert jedoch nichts, geht nur langsam zur Tür. An der linken Wand, ganz in der Nähe des Holzpo-
Die Holztür hat eine einfache Klinke. Ein Blick durch destes steht ein kleiner Eisenkäfig, in dem gerade ein
das Schlüsselloch verrät, dass von innen wohl ein Wolf anfängt, fürchterlich zu heulen.
Schlüssel steckt, da man nichts hindurch erkennen Ein Schaudern überkommt Frumol, als der den
kann. Prüfend lauscht er möglichen Geräuschen doch: Leidenden auf der Bank und die vielen, fies ausse-
Zu hören ist nichts. henden Werkzeuge an den Wänden sieht. Wie oft, wie
Da der Dietrich wieder im Rucksack verstaut ist ver- lange mussten hier schon Menschen leiden? Wie kann
sucht es Frumol einmal so: Uns siehe da - die Tür ist so etwas richtig sein?
nicht verschlossen. Ohne darüber nachzudenken zieht er einen Wurf-
'Das hätte er auch selbst gekonnt!' Frumol äußert den dolch.
Gedanken jedoch nicht, sondern dreht den Kopf zu

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Frumol sieht die Bewegung des Folterknechts, über- das Podest zu bewegt, wohl um zu fliehen. 'So nicht,
sieht aber das Schwert an der Wand. so einfach kommst du hier nicht davon!' denkt sie
Mit den Worten "Bleib ma' hinten Jungchen" an Alrik noch.
betritt Ingalf als letzter die Folterkammer und über- Der Kerkermeister antwortet nicht und bleibt auch
blickt die Szene. nicht stehen. Sephyra fällt auf, dass zwischen Treppe
Randirion eilt zuerst 4 Schritte ans Ende der Holz- und dem Kerkermeister an der Wand ein Langschwert
plattform. Der Folterknecht befindet sich acht Schritte in Scheide hängt.
zu seiner Rechten, der Wolfskäfig zwei Schritte zu sei- "Finger weg von dem Kartoffelschäler!" faucht sie.
ner Linken auf dem Boden des Raumes. Die gegen- "Oder du kannst als nächstes diesen Dolch aus deinen
überliegende Wand ist 6 Schritt entfernt. Dann dreht Rippen ziehen!"
er sich noch rechts zum Folterknecht. Zuerst auf Garethi, dann auch auf Tulamidia spuckt
'Was hat er nun wieder vor?' fragt sich Frumol, als sie dem Folterknecht die Worte entgegen. Sollte er sich
Randirion sich an ihm vorbei drängt und die Kammer nicht an die Aufforderung halten, wirft sie gut gezielt
betritt. auf die Schulter des Arms, mit dem er nach dem
"Wie überaus unzivilisiert!" Randirion zielt mit der Schwert zu greifen versucht. Aber erst dann.
Balestrina in der Linken (sich dabei außer Reichweite Plötzlich bewegt sich der Folterknecht ganz schnell,
eventueller glühender Enden haltend) auf die Stirn direkt auf das Schwert an der Wand zu. Sephyra wirft
des Folterers. ihren Dolch. Bedingt durch die Geschwindigkeit ihres
Dann ruft er mit lauter Stimme, einen Wolf und eine Zieles und dadurch, dass sie auf den Körperrand ge-
Esse zu übertönen versuchend (und natürlich auf Ga- zielt hatte, fliegt ihr Dolch vorbei. Der Folterknecht
rethi) "Folterknecht! Im Namen der Götter - sofern ergreift den Schwertgriff.
ihm sein Leben lieb ist, lasse er die Eisen im Feuer Frumol hatte eigentlich nichts anderes erwartet.
liegen, hebe er die Hände und erkläre er sich!" natür- Noch hat er freies Feld, und dies nutzt Frumol um sei-
lich in voller Größe mitten im Raume stehend, den nen Wurfdolch auf den Gegner zu werfen.
Weg für die anderen freimachend.
Guter Wurf! Aber die Reaktion des Folterknechts ist
'Oh je, der hohe Herr muss sich beweisen! Und das nicht von Pappe. Er weicht dem Dolch durch Wegdu-
bei seinem endlosen Gefasel über Taktik und so.' cken aus.
Frumol schüttelt den Kopf, folgt ihm aber nicht.
Mit Erstaunen bewundert Frumol die Reaktionsfähig-
'Warum muss er immer jeden informieren, dass er da keit des Folterknechts. So etwas hat er bisher noch
ist?' nicht gesehen.
Der bullige Mann wendet sich um. Im Gürtel seiner Wenn die Zeit und die Gelegenheit günstig ist, wirft er
Hose steckt eine Peitsche, und an seiner Seite hängt auch noch einen zweiten, ansonsten zieht er nur einen
ein Schlüsselbund. Er richtet sich langsam auf und weiteren Wurfdolch. Er hält sich zurück, sollen doch
hält die Hände weit von seinem Körper ab. Er macht die Schwert- und Keulenschwinger den Kampf unter
einen Schritt nach links vor, dann einen weiteren und sich austragen.
nähert sich damit der Treppe, die zum Podest hoch
So nutzt er die Möglichkeit, sich einen Überblick zu
führt. Er sagt aber nichts.
verschaffen: Geht von dem Wolf eine Gefahr aus?
"Gut so. Nehme er nun den Schlüssel vom Gürtel und Kann er sich der Folterbank zuwenden und versuchen
lasse er ihn fallen." den Gepeinigten, bei allen Göttern, hoffentlich ist es
Randirion ist etwas nervös - er möchte nicht auf einen nicht Seline, zu befreien?
unbewaffneten feuern, doch der Mensch hat etwas Der Wolf hört auf zu heulen und winselt nur noch.
drohendes … Sein Käfig ist durch einen einfachen Riegel gesichert.
Wirklich etwas drohendes. Randirion bemerkt, dass Die gefolterte Person ist weitestgehend unbekleidet
sich der Folterknecht in Richtung auf ein an der Wand und eindeutig ein Mann.
hängendes Langschwert bewegt. Und er macht keine
'Also nicht Seline. Dann müssen wir noch weiter su-
Anstalten Randirions Befehl Folge zu leisten.
chen.' stellt er deprimiert fest. 'Wer mag der Arme auf
Für den Fall, dass der Mann kein Garethi versteht, der Folterbank sein?' Bevor er dazu kommt, ihm zu
wiederholt Sephyra die Worte noch einmal auf Tula- helfen ist Ingalf schon zu Stelle.
midia. Ohne jedoch die Weitschweifungen des Kawal-
So sucht sein Blick Sephyra. Erleichtert sieht er, dass
jere zu übersetzen, sagt sie schlicht: "Halt, keine Be-
sie noch an der Tür steht und der Bub bei ihr ist.
wegung! Wo ist das Mädchen?" und macht einen
wilden Gesichtsausdruck, erhebt sogar die Hand mit Ingalf schaut sich nur kurz um und nimmt die ge-
dem Dolch zum Wurf, als der Kerkermeister sich auf sammelten Marterwerkzeuge war, die Tatsache, dass
in diesem Moment ein Mensch gequält wird/ wurde/
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werden sollte, und dass der Kerkermeister nach einer er sie sich selber nehmen. Ingalf hat ja auch schon da-
Waffe greift. In Anbetracht der Tatsache, dass Frumol für gesorgt, dass sie da, wo sie liegt, keinen Schaden
und Randirion den Weg versperren, zögert Ingalf nicht mehr anrichten kann.
lange und springt mit einem gewaltigen Satz zwi- Dann holt sie sich schnell ihren Dolch von Frumol ge-
schen Randirion und Frumol vom Podest, um an den reicht …
Folterknecht heran zu kommen.
Mit einer, ein klein wenig übertriebenen Verbeugung
"Nun denn, Halunke, so sei es!" - Twäng! schießt überreicht Frumol den Dolch. Er hält ihn jedoch noch
Randirion ihm auf sehr kurze Distanz vor den Latz. etwas fest, so dass Sephyra daran ziehen muss, um ihn
Danach wird er die Balestrina wegstecken, die Link- zu bekommen.
hand ziehen, (wenn denn soviel Zeit bleibt,) und in "Bitteschön, holdeste Gauklerin", spricht er freund-
den Nahkampf gehen. lich, als er den Dolch freigibt.
Mit links ein sich bewegendes Ziel zu treffen gelingt Alrik macht große Augen.
nur, wenn die Götter ihre Hand im Spiel haben. Se-
Ihr Lächeln ist für alle anderen nicht zu sehen, aber
phyras Fehlwurf hatte den Folterknecht nicht wirklich
ihre Augen lachen Frumol an und ein knappes Nicken
irritiert, aber Frumol wirft ebenfalls und dem kann er
ist alles, was sie offen zeigt. 'Das ist jetzt wirklich nicht
nur durch Wegducken entgehen. Dadurch erwischt
der richtige Augenblick!' denkt sie und widmet sich
ihn die Kugel von Randirions Balestrina voll an der
den bereits beschriebenen Tätigkeiten.
Schläfe. Wie vom Blitz getroffen bricht der Folter-
knecht zusammen. … und kehrt zu Alrik zurück. Dann erklärt sie ihm:
"Keine Sorge, wir finden deine Schwester schon. Wir
Er freut sich, dass der Gegner so schnell kampfunfä-
sollten Phex danken, dass sie nicht hier ist." Dann
hig gemacht wurde.
dreht sie sich halb zu Ingalf um: "Beeilt euch, hier
"Guter Schuss", ein Lob kommt über seine Lippen. möchte ich nicht verweilen. Nimm die Schlüssel,
Ingalf schaut kurz zu Randirion hoch, schürzt die befreie den armen Tropf und dann lasst uns an
Lippen und nickt anerkennend. Dann tritt er das freundliche Orte gehen um herauszufinden, wo Seline
Schwert des Folterers außer Reichweite und geht an- ist!"
schließend nach dem Gefolterten gucken. Randirion behält sein Rapier in der Hand und bedroht
Der ist bewusstlos. Seine Hände und Füße sind mit damit den vermutlich Bewusstlosen (denn dass seine
Schraubenbolzen in den Hand- und Fußschellen ein- Kugel tödlich war, das glaubt er denn doch nicht …),
gezwängt. Mit ein bisschen Probieren schafft es Ingalf, falls der zur Unzeit wieder wach würde.
den Gefangenen zu befreien. 'Verdammt!' flucht Sephyra in Gedanken. 'Was muss
Randirion ist von der Wirkung seines Schusses selbst ich auch immer Rücksicht nehmen!' Sie zieht
eher überrascht. demonstrativ ihr Rapier und drängt mit der anderen
"Den Göttern sei Dank für die 'Horaskaiserliche Hand Alrik hinter sich und zieht sich zur Tür zurück
Waffenmanufaktur Bethana' …" murmelt er halblaut - dem offensichtlich einzigen Rückzugsweg. Dabei
und verstaut die Balestrina - nicht ohne sie vorher ermahnt sie Alrik unnötiger Weise, vorsichtig zu sein.
kurz zu tätscheln. "Bleib schön hinter mir, hörst du?! Das hier ist gefähr-
"Äh - Herr Wedmansson, könntet Ihr wohl ein paar lich, wirklich gefährlich und keine Spiel, lauf lieber
der Fesseln dort drüben her holen, damit wir dem weg und verstecke dich, sollte uns jemand zu dicht auf
Herrn mal seine eigenen Eisen anlegen? Und Herr die Pelle rücken. Dann brauche ich Platz. Verstehst du
Pellocke, wärt Ihr so freundlich, seine Waffe und seine das?" - 'Sicher versteht er das, er ist ja nicht mehr
Schlüssel an Euch zu nehmen?" klein, mit fast 12 Lenzen.'
Frumol kommt der Aufforderung nach, nimmt den Langsam zieht sich Sephyra zur Tür zurück, ohne je-
Schlüsselbund an sich und sucht bei der Gelegenheit doch Ingalf oder einen der anderen zu behindern.
ebenfalls seinen Wurfdolch. Immer darauf bedacht, Alrik zu schützen.
"Frumol, wärst du so freundlich, mir meinen Dolch Sephyra ist für einen kurzen Moment voll auf Alrik
gleich mitzubringen?" fragt Sephyra. Dann wendet sie konzentriert. Als sie mit ihrem Satz fertig ist, merkt
sich zu Alrik um und sagt: "Bleib bitte hier stehen, du sie, dass es gar keine Kampfgeräusche gibt. Und der
sollst dir den Anblick dort drüben ersparen. Ich bin Wolf hat aufgehört zu heulen.
gleich wieder bei dir." Sie sieht, dass der Folterknecht bewegungslos auf dem
Frumol lächelst Sie an: "Gerne." Boden liegt.
Die Waffe des Kerls betrachtet er mit einem verächtli- Alrik ruft: "Seline!" und will zum Gefolterten laufen.
chen Blick und lässt sie liegen. Er hat keine "Nein, bleib hier!" fordert Sephyra Alrik sanft auf und
Verwendung dafür, wenn der Kavaljäre sie will, kann hält ihn fest.
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"Kannst Du dann vielleicht schauen, ob das Seline "Äh. Vielleicht brauchen wir sie noch?" Alrik ist ein
ist?" erwidert Alrik kleinlaut. bisschen verlegen.
Sephyra schaut nach, sollte sie von ihrem Standpunkt Er versucht von der Empore aus sozusagen die Ge-
aus Seline nicht erkennen, fragt sie: "Sag, Ingalf, ist samtsituation im Auge zu behalten - irgendwie war
das Seline dort?" das zu einfach. Und wo ist Seline?
"Nein, das ist ein Mann." Ingalf betrachtet den "Sagt, Herr Pellocke, könntet Ihr versuchen herauszu-
Gefangene genauer. "Sieht wie ein Mittelländer aus." finden, wie schwer der Bursche dort" - Randirion deu-
Nachdem er alles erledigt hat wendet er sich dem Be- tet auf den Folterknecht - "verletzt ist? Damit wir
wusstlosen auf den Bank zu und mustert ihn einge- wissen, ob wir aus seinem Munde noch eine Antwort
hend. erwarten können oder eher nicht."
Ein besonders durch Brandwunden übel zugerichteter 'Schon wieder kommandiert der feine Kauz herum',
Nordländer, der nur noch schwach atmet. Er ist abge- Frumol muss bei diesem Gedanken seufzen.
zehrt, hat lange zottelige Haare und einen Bart. Die "Ja-wohl, hoher Herr" antwortet Frumol dann in
Haare sind teilweise ausgerissen. Einige Wunden wir- einem demütigen Tonfall.
ken wochenalt. 'Sobald wir das geschuldetes Mahl von ihm bekom-
"Hilf mal mit, Frumol!" knurrt Ingalf. "Hier ist besser men haben, werden sich hoffentlich unsere Wege
Platz für den Folterknecht. Den Armen hier können trennen.'
wir erst einmal aufs Podest legen, bis er wieder zu sich Frumol begibt sich somit zu dem neu belegten Platz
kommt." auf der Folterbank und führt eine flüchtige Untersu-
Frumol ist sofort zur Stelle und hilft Ingalf. chung durch.
Vorsichtig tragen die beiden den Schwerverletzen aufs Dazu zieht er dem Folterknecht die Haube ab. Ein
Podest. Anschließend wird der Folterknecht auf der vierschrötiges Gesicht kommt zum Vorschein. An sei-
Streckbank festgemacht, … ner rechten Schläfe bildet sich gerade ein gewaltiger
… welches er Ingalf überlässt. Er kümmert sich in der Bluterguss. Ein richtiges Ei entsteht. Als Frumol ein
Zwischenzeit um den unbekannten Verletzten. Lid des Bewusstlosen anhebt, sieht er, dass das Auge
verdreht ist. Der Mann wird bestimmt noch mindes-
"Sephyra, ich brauche meinen Rucksack", fordert er sie
tens eine Stunde bewusstlos sein.
auf. "Und einen Eimer Wasser."
An dieser Stelle mischt sich Sephyra ein: "Nun, Alrik,
Sie tut wie ihr geheißen …
selbst wenn wir sie noch einmal brauchen sollten,
In einer Ecke des Raumes steht ein Fass mit auf- glaube ich kaum, dass du sie haben solltest." Sie
liegendem Deckel, dessen Inhalt sich als Wasser her- schüttelt den Kopf. "Ich werde sie nehmen." Diese
ausstellt. Es hängt sogar eine Schöpfkelle am Rand. Antwort klingt endgültig.
Dann untersucht er genauer die Wunden um deren Resolut ergreift sie die Peitsche, wickelt sie auf und
Schwere festzustellen. Aus dem Rucksack, dem Se- hängt sie an ihren Gürtel, so dass sie sie mit einem
phyra ihm gebracht hat, entnimmt er den kläglichen Griff hinter dem Rücken hervorholen kann.
Rest seines Verbandszeugs. Mit dem gebrachten
'Nun, vielleicht hat der Junge sogar Recht.' geht es ihr
Wasser reinigt er die Wunden und verbindet sie an-
durch den Kopf. 'Damit könnte man fast ein kurzes
schließend sorgfältig, wonach er nun endgültig kein
Seil ersetzen, oder den Gegner entwaffnen.' Ge-
Verbandsmaterial mehr hat. Ein kleines, übrig ge-
dankenverloren steht sie da und erst kurz darauf
bliebenes Reststück taucht er in des Wasser, wringt es
nimmt sie die Umwelt wieder wahr.
aus, und legt es auf eine der heißen, verbrannten
Stellen des Unbekannten um sie zu kühlen. Nach "Aber das Schwert kriege ich, damit ich mit
einigen Minuten wiederholt er die Prozedur mit einer verteidigen kann. Büüüütte!" Alrik zieht eine Schnute.
anderen Stelle. "Nein!" sagt Sephyra entschieden, vielleicht harscher,
Frumol ist sich sicher, dass er dem Gefangenen im als das notwendig wäre. "Wenn du jetzt anfängst zu
Rahmen seiner Möglichkeiten bestens geholfen hat. quengeln, bekommst du gar nichts mehr und gibst
Nun ist er in Peraines Hand. mir den Dolch zurück, ist das klar?" fragt sie. 'Eigent-
lich kann man es ihm ja nicht verdenken. Seine kleine
Alrik hat schaut Frumol zu und sagt ehrfurchtsvoll:
Schwester entführt und er hat keine Möglichkeit, ihr
"Ihr seid ein Heiler!" Dann schaut er sich weiter um.
oder gar sich selbst zu helfen. - Männer! In jedem
"Kann ich die Peitsche haben?"
Alter das selbe!'
"Was willst Du denn damit?" fragt Randirion skep-
Jetzt zieht Alrik eine richtig dicke Schnute, sagt aber
tisch, wenngleich etwas abgelenkt.
nichts.

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Unwillkürlich muss sie dabei an Frumol denken und Folterbank, richtig, den hatte ich ja ganz vergessen.
innerlich lächeln. 'Ja ja, die Männer …' seufzt sie laut- Ihr habt ihn losgemacht. Fein. Wir sind auf der Suche
los. nach einem kleinen Mädchen, das hier ganz allein ist
"Sieh mal," erklärt sie dem Jungen weiter, "das und furchtbare Angst haben muss. Wir können uns
Schwert ist doch viel zu groß und schwer für dich. In nicht um alles und jeden kümmern! Wenn Ihr das
diesen engen Gängen bist du doch sowieso besser mit wollt, dann werdet doch Tsa-Priester!" sind ihre letz-
einem Dolch als jeder Schwertkämpfer. Pass auf: ten Worte, ehe ihr die Luft ausgeht und sie ein paar
wenn wir auf ein paar dieser unfreundlichen Räuber Mal tief Luft holt.
stoßen, wird kaum einer von denen dich wirklich be- Als Sephyra derart explodiert zieht Frumol ein wenig
achten und als Gefahr sehen - solange du kein den Kopf ein. Nicht, dass er auch noch etwas abbe-
Schwert trägst!" fügt sie hinzu. "Und das ist dann kommt … Er versucht auch gar nicht, sie zu beru-
deine Chance. Während Frumol, ich oder einer der higen - er kennt sie schon lange genug um zu wissen,
beiden anderen die Kämpfer beschäftigen, kannst du dass ihre Wut nicht allzu lange von Dauer ist.
ungesehen und unbehelligt sie von hinten erwischen. Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um, ergreift Al-
Na, ist das nichts?" fragt sie mit aufgesetztem Enthu- riks freie Hand und führt ihn aus der Kammer. Dabei
siasmus. sagt sie zu Frumol: "Komm, wir lassen den anderen
'Na hoffentlich kauft er mir das ab und es kommt Gefangenen aus seiner Zelle - vielleicht weiß der, wo
nicht dazu …' denkt sie dabei. Ihr ist gar nicht wohl, Seline ist."
den Jungen so anzulügen. "Äh, Sephyra", bemerkt er halblaut, "Ingalf hat das
"Gut, so machen wir das! Ich werde sie alle Schlüsselbund. Er kann doch eben den Gefangenen
abmurksen!" Alrik ist offensichtlich zufrieden gestellt. aus der Zelle lassen. Wir sollten in der Zwischenzeit
"Wo suchen wir denn jetzt?" weitersuchen und aufmerken, ob nicht jemand un-
"Also meine Herren, können wir jetzt bitte gehen." seren Lärm vernommen hat."
wirft sie in den Raum. "Äh wie?" stutzt sie. "Natürlich. Der Herr Wed-
Ingalf stemmt die Fäuste in die Hüften. "Ach ne, und mansson, warum bin ich nicht gleich darauf gekom-
was is' mit denen?" men?" wieder verfällt sie in einen herablassenden
Tonfall. "Ach, ach macht doch, was ihr wollt!" ist sie
Er deutet auf den Gefolterten und den eingesperrten
eingeschnappt, da sie einsieht, dass sie falsch gelegen
Wolf. So geht dass ja nun wirklich nich' wie können
hat.
die armen Kreaturen doch nich' einfach so hierlassen.
Und was is' überhaupt mit dem armen Tropf in der "Sieh zu, dass du das regelst, bitte, ja?" flüstert sie
Zelle?" Er blitzt Sephyra an und wartet auf ihre Ent- Frumol ins Ohr, um vor den anderen den letzten Rest
gegnung. von Ansehen zu wahren.
Von Alrik kommt ein vorsichtiges "Können wir nicht 'Wie? Jetzt hab ich den drückenden Schuh?'
erst Seline suchen?" "Oh, ja. Gut." murmelt Frumol, der alles andere als
"Natürlich gehen wir dein Schwesterchen suchen, begeistert ist.
Jung. Aber wir wollen doch nich' zurückkommen, "Ihr erledigt das hier, und wir gehen schon mal ein
oder? Da können wir die beiden Ärmsten nicht wenig voraus?" richtet er die Frage oder die Feststel-
einfach so hier lassen." lung an den feinen Herrn und den Seemann. Für sich
"Aber er ist doch noch bewusstlos. Wollen wir ihn hat er schon die Entscheidung getroffen und mar-
nicht abholen, wenn wir Seline gefunden haben?" er- schiert zurück in den Gang.
widert Alrik. "Kommt ihr mit?" fragt er Sephyra und Alrik.
Da Frumol bei dem bewusstlosen Folterknecht nichts 'In solchem Fall wird es nicht lang dauern, bis der Rest
weiter ausrichten kann, geht er zu Sephyra und Alrik der Bande hier ist, und dann sitzen wir hier in der
hinüber. Falle.'
"Meinetwegen können wir gehen und Seline suchen." 'Komiker!' denkt Sephyra. Wortlos folgen sie und Al-
sagt er halblaut zu den beiden. Besonders die Folter- rik, den sie immer noch an der Hand hält.
kammer möchte er ganz schnell verlassen. Alrik schaut wegen der Trennung ein bisschen
Auf so eine "Frechheit" hat Sephyra doch nur gewartet, zweifelnd, geht aber mit.
ihrem Zorn und auch ihrer Angst Luft zu machen: "Moment, Madame Lunor!" unterbricht Randirion.
"Also, Herr Wedmansson, was beliebtet Ihr zu sagen?" "Wir sollten uns auf keinen Fall trennen. Nur gemein-
fragt sie mit einem forschenden Unterton. "Lasst den sam ist man stark! Kommt, Herr Wedmansson, wir
Wolf aus seinem Käfig, na los! Er wird uns sicher ein nehmen den armen Kerl zwischen uns. Aber bei den
Schaf zum Abendessen reißen. Und der Kerl von der Zwölfen" - ein etwas schärferer Blick Richtung Sephy-

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ra - "wir lassen keinen Menschen hier in diesem göt- riegelt. 'Wenn ich nur wüsste, wie ich die aufkriege',
terverlassenen Loch zurück!" überlegt er.
Dann wird Randirion sein Rapier in die Scheide ste- 'Warum mussten wir unbedingt hier herunter
cken und zusammen mit Ingalf den Bewusstlosen auf klettern?' hadert er wieder einmal mit dem Schicksal -
die Empore und dann zusammen mit den anderen doch dann hätten sie sicherlich Alrik noch nicht ge-
weitergehen. funden. Außerdem lässt sich die Zeit nicht zurückdre-
Der Bewusstlose ist vollkommen erschlafft. Mit ihm hen.
kommt man nicht richtig voran. Ingalf kann Ingalf wirft den Schlüsselbund. Dann meint er zu Al-
außerdem nicht seinen Seesack und den bewusstlosen rik "So, nu mach dir ma nützlich Jüngske, und nimm
gleichzeitig tragen. mein Seesack. Aber dass mir nix kaputt geht."
'Ja, eigentlich hat er ja Recht. Aber zugeben werde ich Sephyra geht davon aus, dass Ingalf den Bewusstlosen
das nicht!' denkt sie bei dieser Erinnerung des Kawal- trägt und ermuntert daher Alrik, dessen Seesack zu
jere. nehmen: "Los, lauf." - 'Dann kommt er wenigstens
"Also Frumol, dann warten wir auf die beiden Herren nicht auf dumme Gedanken und spielt mit dem
und werden uns dann gemeinsam wieder der Suche Dolch herum!' geht es ihr durch den Kopf.
widmen." resigniert sie. Alrik macht große Augen, reißt sich dann aber von Se-
"Ich denke," mischt sich Randirion ein, "dass Ihr beide phyra los und nimmt den Seesack. "Säcke schleppen,
recht habt. Weder dürfen wir Seline vergessen, noch das muss ich auch zu Hause." erklärt er und nimmt
dürfen wir die armen Kerle hier einfach so liegen den Sack überraschend geschickt auf die Schulter.
lassen. 'Gut. Dann kommt der kleine wenigstens nicht auf
Daher schlage ich vor, dass wir so schnell und leise dumme Ideen.' kommentiert Frumol still.
wie möglich aufbrechen - aber die armen Menschen Wenn Alrik den Sack nimmt, schultert Ingalf den Be-
mitnehmen, und zwar inklusive des Mannes in der wusstlosen und geht Richtung Ausgang.
Zelle. Der Mann ist ausgemergelt und daher nicht übermä-
Den Wolf hingegen, fürchte ich, müssen wir ßig schwer. Eine kleine Zeit wird Ingalf ihn schon
hierlassen - es ist viel zu riskant, in diesen Gängen tragen können.
hier unten ein wildes Tier freizulassen. Der Wolf 'Vermutlich muss ich den Armen Tropf nachher auch
könnte uns oder die Kinder angreifen …" noch tragen', befürchtet Frumol. Aber das bleibt noch
Ingalf geht zunächst an den Käfig des Wolfs heran, abzuwarten.
um zu sehen, wie das Tier auf ihn reagiert. Wenn "Danke. Wollen wir?"
nicht die geringste Feindseligkeit von dem Tier aus-
Randirion geht vor Richtung verschlossene Zelle.
geht (auch nicht aus Angst geboren), hält er vorsichtig
die Hand vor die Gitterstäbe. Und Ingalf folgt ihm, Alrik im Schlepptau.
Als Ingalf näher kommt, hört der Wolf zuerst auf zu Die Zelle ist leer. Randirion stutzt, aber dann über-
winseln und zieht sich dann an die Rückwand des Kä- prüft er noch einmal alles: Das hier war die Zelle
figs zurück, aber er beobachtet Ingalf aufmerksam. Als eines Gefangenen. Der ist jetzt verschwunden. Und
Ingalfs Hand in die Nähe der Gitterstäbe kommt, die Zelle ist immer noch verschlossen.
fletscht der Wolf die Zähne. Frumol wartet darauf, dass der feine Herr zurück-
"Hier geht es ja sowieso nicht weiter … Herr Wed- kommt, denn dass es da nicht weiter geht, haben sie
mansson, würdet Ihr mir freundlicherweise den vorhin schon festgestellt.
Schlüsselbund zuwerfen und dann dem Verwundeten Ohne Alrik an der Hand folgt Sephyra nun den
bei Euch weiterhelfen?" anderen und schließt hinter ihnen die Tür. Wenn es
Frumol steht mit verkreuzten Armen an der Tür. Ein irgend geht, nimmt sie etwas mit um die Tür von
Beobachter könnte den Eindruck gewinnen, dass er außen zu verschließen - etwa ein flaches Stück Eisen
der ganzen Szene gelangweilt zuschaut und ihr kaum oder einen kalten Schürhaken, den sie unter den Tür-
Beachtung schenkt. spalt rammt.
Frumol grübelt darüber nach, wie sie am einfachsten Da steckt innen doch ein Schlüssel. Sephyra fasst sich
und schnellsten aus diesem verfluchten Kellern her- an den Kopf, als ihr das einfällt, und verschließt die
auskommen. Wer weiß, was hier noch alles an un- Tür von außen.
angenehmen Überraschungen wartet. Dann folgt sie den anderen.
Am ehesten scheint im der Lagerraum geeignet zu Sie geht nicht ganz mit in den letzten Gang, merkt
sein, doch dummerweise ist Klappe von außen ver- aber, dass da etwas nicht stimmt, da kein Gespräch

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mit dem Gefangenen in Gang kommt. Und es gibt schon interessieren, wie dieser Gefangene hier ent-
auch kein Geräusch vom Aufschließen der Tür. kommen konnte. Zumal er uns darum bat, herausge-
Als es weiter vorn so still ist, fragt sie: "He, was ist lassen zu werden und die Schlüssel vom Folterknecht
denn los bei euch? Ich denke, ihr wolltet den zu holen." grübelt sie laut.
Gefangenen heraus lassen! "Faszinierend, zweifellos. Wir werden ihn fragen,
Auf diese Worte erntet sie ein verwirrtes Schweigen … wenn wir ihm das nächste Mal begegnen. Aber eines
sollten wir uns vergegenwärtigen: der Mann in dieser
Bei den letzten Worten ist sie so weit nach vorn ge-
Zelle hat Unwahrheiten erzählt, er käme hier nicht
gangen, dass sie die leere Zelle erkennen kann: "Oh,
heraus. Dies lässt auch seine Geschichte, wie er
darum." ist alles, was sie dazu sagt. "Und nun?"
hierher gekommen sein soll, fragwürdiger erscheinen,
Randirion runzelt die Stirn. "Wenn die Gefangenen nicht wahr?"
hier durch Wände gehen können, warum sind sie
Ingalf meint dazu nur: "Ihr alle habt euch die ganz
dann hier?" und sieht sich den Bewusstlosen nochmal
Zeit um weitere Ganoven gesorgt, und jetzt ist es aus-
genauer an, ob der auch nur so halb-echt ist, so wie
geschlossen, dass ein oder zwei dieser Halunken ge-
das Monster im Sumpf. Wirft er Schatten im Fa-
kommen sind und den armen Kerl zum Verhör oder
ckellicht?
weiteren Folterspielen geholt haben? Ihr habt ja Ner-
Der Bewusstlose ist eindeutig materiell. ven!"
"Eh, verehrter Herr Pellocke - ich nehme doch an, "Gut, zugegeben, das ist auch eine Möglichkeit. Aber
dass nicht Ihr und Euer Universalschlüssel hier am hätte er dann nicht Krach geschlagen, oder hätten wir
Werke waren oder? Wollen wir nachsehen, wo der nicht überhaupt etwas hören müssen? Schließlich war
Herr hin entschwunden ist, oder suchen wir Seline hinter uns die Tür nicht zu und es ist nicht so weit
woanders?" entfernt …" grübelt sie dann laut weiter.
Randirion schließt die Zellentür mit den Schlüsseln "Und wohin hätten sie ihn führen sollen, hm? Die
des Folterknechts auf und wartet noch auf Frumols Folterkammer ist dafür eigentlich der übliche Ort,
Antwort, ob die Durchsuchung die Zeit wert ist … wenn ich mich nicht irre. Und da waren wir."
Nachdem Frumol nun direkt angesprochen wurde Sephyra schüttelt den Kopf, als ob sie die Gedanken
und Sephyra auch schon in den hinteren Zellengang verdrängen und sich auf das Wesentliche kon-
verschwunden ist, folgt Frumol. zentrieren will: "Wir sollten Seline finden!" sagt sie
Mit Bestürzung sieht er, dass der Gefangene dann energisch.
verschwunden ist. Randirion schaut in die Runde.
"Bei Phex, nein, ich habe ihn da nicht raus gelassen" "Daher sollten wir umso schneller nach Seline suchen.
antwortet er mit Unruhe in der Stimme. "Ich war doch Madame Lunor - Ihr habt recht, wir sollten uns spu-
mit dem Gefolterten beschäftigt." verteidigt er sich ten."
schon im voraus gegen eventuelle Vorwürfe.
Randirion verbeugt sich leicht und geht vor (Balestri-
Er blickt sich um, mustert die Wände und untersucht na wieder geladen in der Linken, Rapier in der Rech-
anschließend schnell das Schloss der Zelle. ten).
Es ist keine weitere Tür zu sehen. Wenn da eine Ge- Ingalf folgt, den Bewusstlosen über der Schulter, nach
heimtür ist, so ist sie gut getarnt. An dem Schloss gibt einem kurzen Blick, dass Alrik auch ja mit seinem
es nichts auffälliges zu sehen. Seesack mitkommt.
"Wir sollten Seline suchen und endlich schleunigst Als Alrik den Blick spürt, strafft er die Schultern, so als
von hier verschwinden" drängt er. ob er 'Natürlich!' sagen wollte, und setzt sich in Bewe-
"Gut gut. Was sage ich denn die ganze Zeit, hm?" er- gung.
widert Sephyra leicht belustigt. "Aber mich würde

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Dunkle Gänge
D des Zellentraktes zurückzugehen. Die Sucher
ie gesamte Gruppe macht sich daran, den Gang mode, darauf ein Kerzenleuchter mit fünf angebrann-
ten Kerzen. Die Luft riecht muffig.
kommen an der erleuchteten Abzweigung zum Lager- "… muffige Luft, 5 angebrannte Kerzen, kein Aus-
raum mit der Rampe vorbei, und wenig später kommt gang … Fehlen nur noch brackiges Wasser und Skor-
ein entscheidender Punkt: Der erleuchtete Gang but", versucht Ingalf die bedrückende Atmosphäre zu
knickt scharf nach rechts ab, und schräg nach links verarbeiten. "Wenn das ein Schiff wär, würde hier jetzt
geht ein dunkler Gang. der Klabautermann sitzen und uns auf ein Karten-
Sephyra steht unschlüssig an der Gabelung und blickt spiel und einen Rum einladen!"
die anderen an: "Hell oder dunkel? Eigentlich halte Ingalf schiebt die 3 vor ihm durch die Tür um den
ich erleuchtet für sinnvoll - ich glaube kaum, dass, beiden Geschickteren zur Untersuchung des Raums
sollte Seline ihren Bewachern entkommen sein, sie in zu nötigen.
die Dunkelheit gelaufen ist. Und die Schufte werden
Den Bewusstlosen setzt er gegen die Tür und über-
alle von ihnen benutzten Wege mit Fackeln säumen.
prüft seinen Seesack mit einem kurzen Blick. Ingalf
Also gehen wir dort entlang!"
mustert den Raum kurz und wirft einen Blick auf De-
'Warum sollte Seline ihren Häschern entkommen cke und Fußboden, bevor er sich mit der Untersu-
sein?' wollte Frumol ihr gerade entgegnen als sie ihn chung der linken Raumwand und danach der Kom-
mit ihrem - diesem - Blick anschaut. mode sowie der dahinterliegenden Wand beschäftigt.
So schließt er schnell wieder den Mund und nickt ihr Frumol ist auf den ersten Blick enttäuscht. Wie lang-
stumm zu. weilig. Er geht zur Kommode, mustert diese und den
Bittend sieht sie Frumol an, sie zu unterstützen. Kerzenleuchter. Da er den Kerzenleuchter gerade in
Diesen Blick kennt er gut und kann ihr dann kaum je- der Hand hat, entzündet er auch die Kerzen.
mals etwas abschlagen. 'Mit lauernden Monstern und Es wird dadurch im Raum merklich heller.
Räubern bekommen mich keine 10 Pferde in nicht er-
Dann dreht er sich um und zuckt mit den Schultern
leuchtete Gänge!' macht Sephyra sich selbst Mut.
als wolle er sagen: "Tja, Sackgasse."
Er hält seine Fackel etwas höher und geht einige
Er mustert dann aufmerksam die Wände, denn
Schritte in den Gang hinein.
warum baut jemand einen so langen Gang mit einem
Er schaut sich ein wenig im Licht der Fackel um. Der Raum am Ende?
Gang sieht genauso aus, wie die bisherigen. Nur gibt
An den Wänden ist nichts auffälliges. Sie sind gemau-
es hier keine Fackeln an den Wänden.
ert wie alle anderen Wände auch.
Ingalf folgt, aufgrund des Gewichtes des Bewusstlosen
"Wie Nu?"kommentiert Ingalf, die überraschende Er-
mehr darauf bedacht nicht zu stolpern als wo es hin-
kenntnis. "Und ich dachte, ihr vom fahrenden Volk
geht.
findet immer einen Weg?"
Randirion macht die Nachhut, sehr darauf bedacht
"Wie kommst Du darauf?" fragt Frumol zurück, lässt
leise zu sein (also den Mund zu halten). Er wird sich
dabei offen ob er den Weg oder das fahrende Volk
hin und wieder nach hinten umsehen.
meint.
'Was soll's', denkt sich Frumol. 'Jeder Gang ist so gut
Er klopft Alrik anerkennend auf die Schulter und holt
wie ein anderer.'
seine Sturmlaterne aus dem Seesack den er Alrik mit
Somit blickt er kurz zu Sephyra zurück und geht den Worten: "Ahoi Leichtmatrose" und einem freund-
Frumol weiter voran. lichen Lächeln wieder auf die Schultern setzt.
Geführt von Frumol geht die Gruppe in die Dunkel- Er bestückt sie mit einer Kerze des Leuchters und
heit. Zuerst macht der Gang einen leichten Bogen macht sich an die Untersuchung des Raumes. Wobei
nach rechts, dann geht er geradeaus, um schließlich er besonders auf Unregelmäßigkeiten an Decke und
scharf links abzuknicken und dann vor einer Holztür Boden achtet.
mit Klinke zu enden.
Er achtet darauf ob der modrige Geruch gleichmäßig
im ganzen Raum verteilt oder an einer bestimmten
Sackgasse
Stelle/Richtung intensiver ist.
Nach den üblichen vorsichtigen Untersuchungen öff-
Ingalf schnuppert noch einmal. 'muffig' ist der richtige
net Frumol die Tür. Dahinter ist ein mittelgroßer
Ausdruck. Die Luft riecht abgestanden, so als ob hier
dunkler quadratischer Raum ohne weiteren Ausgang.
schon urlange niemand mehr gelüftet hat. Und der
An der gegenüberliegenden Wand steht eine Kom-
Geruch ist überall gleich. Nach dem er 5 Minuten
83
lang den ganzen Raum abgesucht hat, kommt er zu blätter, einige Kohlestifte und ein einzelner ganz stark
dem Schluss: "Hier ist bestimmt keine Geheimtür!" angelaufener Silbertaler.
Während der Untersuchung geht Randirion gelang- Als Frumol die Pergamentblätter sieht kommt ihm
weilt zur Kommode und schaut hinein. eine Idee. Er kniet sich neben der Kommode nieder,
Die Schubladen sind weitestgehend leer. Als einziges nimmt den Kohlestift zur Hand und beginnt zu
findet sich ein Haufen unbeschriebener Pergament- zeichnen:
_______
| KKK | KK = Kommode
| | <-- Hier befinden
|__ __| sich die
_________________| | Gefährten
/ __________________|
___ ___ ___ / /
| | | | | | / /
|_ _| |_ _| |_ _| / /
| |___| |___| |________/ /
|_ Zellentrakt ______ /
___ Folterkammer | |
/ Ost?\_____________ | |
( Turm ___ _____ | | |dunkel
\ ___ / __| |__ | | | |___|X|_________
| | | | |_____ _______ |
| Lager | | | | | | |
|__ __| | |________________| |_______| |
(_) |________ _______ _______ |
| | | | | |
| | dunkel dunkel
__| |
dunkel __ |
_| |_
/ \
( Turm )
\_____/
mit Treppe
(verschüttet)
"Was meint ihr?" fragt er die Übrigen, als er mit der Dann macht er sich daran den Silberling in seiner
Skizze fertig ist und vom Blatt aufsieht. Geldkatze, 2 Pergamente zusammengerollt 'mal
"Ein Heiler, Verschlossene-Türen-Öffner und jetzt schaun wie lang die das überleben, ansonsten können
noch Navigator und Kartograph? Donnerlittchen …" wir damit ja noch ein Feuer entfachen' im Seesack
drückt Ingalf seinen Respekt aus. und 2 Kohlestifte in der Waschledermappe zu verstau-
en.
"Also schaun wir hier weiter nach?", dabei deutet er
auf die mit x markierte Stelle "wenn wir uns nicht Falls sich noch 2 brauchbare Kerzen im Kerzenständer
hoffnungslos verlaufen haben, sollten wir auch unsere finden, legt er diese (nach dem löschen zu seinen
vorherige Karte dort wiederfinden." eigenen) und wartet auf Alriks Antwort.
Er schiebt unmotiviert die Kommode in die Richtung "Was heißt 'heimleuchten', Herr?" fragt Alrik, der sich
von der Wand weg in die sie sich am leichtesten Be- ebenfalls neugierig in der Kammer umschaut.
wegen lässt, und leuchtet noch einmal gegen "Mensch Kleiner, ob du meinen Seesack und meine
Kommodenrück- und Raumwand. Sturmlaterne sicher tragen kannst."
Auch hinter der Kommode ist kein verborgener Aus- Voll vertrauen in das Ego des kleinen macht er sich
gang. auf dem Weg zum Bewusstlosen und schaut nach, ob
Etwas enttäuscht rückt Ingalf die Kommode wieder er mittlerweile dem aufwachen näher ist, bevor er ihn
zurecht. wieder schultert.
Zu Sephyra meint er:"Frag den Lütten mal ob er uns Der Bewusstlose sieht nicht so aus, als ob er gleich
noch ein bisschen heimleuchten will." aufwachen würde.
"Nun, bis gerade verstand er uns auch so ganz gut.
Frag ihn doch selbst!" antwortet Sephyra leicht schnip-
pisch.

84
"Das werde ich wohl nicht schaffen, Herr." Alrik "Verbinden kann ich die Wunde leider nicht da ich nur
schaut etwas zerknirscht. Frumol und Sephyra, die diesen Rest an Verbandszeug habe," erklärt er und
beiden Fackelträger sehen, dass die Sturmlaterne reicht dem Hünen den Rest. "Presse die bitte auf die
besseres Licht als ihre Fackeln liefert. Der Träger wird Wunde und verhalte dich ruhig."
nicht so sehr geblendet. "Vielleicht kann ich helfen." antwortet Sephyra und
Statt der Fackel nimmt Sephyra Ingalfs Sturmlaterne kramt in ihren Sachen.
zur Beleuchtung und löscht die Fackel. Alrik kann 'Sauber sind sie zwar nicht …' denkt sie, "… aber das
dann den Seesack sicher tragen. hier könnte es doch tun, oder?" fragt sie hoffnungsvoll
Alle zusammen machen sich auf den Weg zur angege- und reicht Frumol zwei ihrer bunten Tücher.
benen Stelle. Frumols Karte erweist sich als zu- Ingalf begutachtet die beiden Tücher auf ihre
treffend. Und der dunkle Gang hier ist sehr kurz. Verwendbarkeit als Verband. "Was meint der große
Nach wenigen Schritten endet er vor einer weiteren Heiler? Aber besser die Tücher, als dass ich mir den
Holztür. Umhang weiter voll saue" und reicht Sephyra den
eben eingesteckten Silberling …
Eine Tür
"Ja, wunderbar." kommentiert Frumol.
Ingalf legt den Bewusstlosen Vorsichtig in den Gang
Die Wunde blutet nicht allzu stark. Die Hauptver-
und beginnt die Tür vorsichtig zu untersuchen und
letzung ist eine starke Prellung der Rippen. Ob eine
vorsichtig zu horchen.
eventuell angeknackst ist, kann Frumol nicht fest-
Kurz vor der Tür passiert es. Ingalf hört nur 'Klick' stellen.
und zuckt unwillkürlich zurück. Dann spürt er einen
"Kavaljäre du kannst doch mit ner Axt umgehen oder?
Schlag von rechts gegen den Brustkorb, und sogleich
Ich kann sie im Moment eh nicht wirklich benutzen.
beginnt der Schmerz. Ein Bolzen hat ihn erwischt, der
Hau mal gerade mittig auf die Tür mal sehen, was die
aus einer kleinen Öffnung in der rechten Gangwand
aus hält. Ach ja damit uns wenigstens einer
geflogen kam.
Verteidigen kann werd ich wohl doch unseren Freund
Als Frumol das Klicken hört will er noch ein Warnung mitnehmen."
aussprechen, aber da ist es schon passiert. 'Warum
Falls Nadel und Faden nich gebraucht werden
müssen diese Tölpel auch immer so unvorsichtig
verstaut er selbige wieder in der Gürteltasche und
sein?' fragt er sich.
beschließt von nun an die beiden Türexperten Türen
"Beim Klabautermann!" flucht Ingalf und versucht so zuerst zu benutzen. Da ja eh grad ein Päuschen ange-
den Schmerz zu unterdrücken. Er versucht sich nicht sagt genehmigt er sich auf den Schreck noch einen
zu schnell zu bewegen und schaut zunächst einmal Schluck Wein aus seinem Schlauch. "Wenn wer will
wie tief der Bolzen eingedrungen ist. ich geb ne Runde, son Wasserverlust muss ein Thor-
Er steckt richtig in seinem Wams. waler schnell ausgleichen", grinst er den Rest der
"Nu fein. Auch noch das Wams ruiniert" grummelt er. Gruppe an.
"Ist Dir was passiert?" fragt Frumol vorsichtig. "Gerne" stimmt er zu und nimmt den Wein entgegen.
"Ich leb' noch, beim Bart meiner Großmutter von "Nun denn, Herr Wedmansson, einen Versuch sollte
einem Bolzen fällt ein Thorwaler nicht um!", muss er es wert sein. Hinter dieser Tür könnte etwas Wert-
sich dann doch verteidigen. "Kannst du mir mal mit volles sein. Vielleicht sogar Deine Schwester, Alrik",
dem Bolzen hier helfen?" antwortet Randirion. "Zuerst einmal ein Probeschlag.
Ich bin mit dieser Art Waffe nicht gar zu sehr
"Klar" antwortet ihm Frumol und untersucht die
vertraut."
Wunde.
Randirion nimmt die Orknase in die Hand, wiegt sie
Während er die Untersuchung über sich ergehen lässt
ein bisschen hin und her, und schlägt dann leicht zu.
kramt er aus seiner Gürteltasche Nähnadeln und
Etwas seltsames passiert: Die Klinge der Axt gleitet an
Garn und hält sie bereit.
der Tür ab, als ob sie eingeseift wäre. Randirion hat
Zu Randirion, "Schichtwechsel, Herr Kavaljäre trag Mühe, die Axt zu halten. Nicht die Spur eines
du mal die Schlafmütze." Kratzers ist auf der Tür zu sehen. Randirion legt die
Randirion räuspert sich ein wenig indigniert, nimmt Waffe ab und reibt sich den rechten Arm.
den Bewusstlosen und setzt ihn an der Gangwand ab. "Fürwahr gut geschützt. da werden wir den passenden
"Und was meinst du? könn wir ihn raus ziehen?" Schlüssel finden müssen, oder einen anderen Weg.
"Ich denke schon. Halt mal still." antwortet er und Jetzt könnte ich einen Schluck gebrauchen, Herr Wed-
entfernt den Bolzen. mansson."

85
"Euren Becher edler Herr? Kannst du nochmal die nicht will hab ich hier noch nen Meinungsverstär-
schaun ob's nur die Waffe war und mit deiner Fuchtel ker …"
draufschlagen? Bei guter Beleuchtung dürfte man seinen gespannten
Ich glaub nicht an Zufälle. Wer hat eigentlich den Gesichtsausdruck erkennen, ansonsten dürfte er für
Schlüssel vom Kerkermeister, vielleicht haben wir ja einen Thorwaler recht gefasst wirken.
ausnahmsweise mal Glück.", er beschließt wenn es die "Nein, das wirst Du nicht tun." protestiert Frumol
Schmerzen irgendwie zulassen nach Abschluss seiner energisch.
Behandlung nochmal mit der Orknase drauf zuhal-
Ingalf holt doch probehalber aus, bricht aber schnell
ten.
ab, weil ihn von seiner Rippe aus ein Schmerz durch-
Randirion reicht ihm seinen Becher. "Schenkt schon zuckt.
einmal ein! Eine Prim gegen ein Stück Holz, das ist ja
"Argh", entfährt es ihm ."Womit wir wohl auch geklärt
wie in meiner ersten Fechtstunde, aber einen Versuch
hätten ob da was gebrochen ist."
ist es wert."
Er steckt den Schneidzahn so, dass er ihn mit links
Er nimmt sein Rapier, stellt sich in gutem Abstand zur
führen kann. Und legt seine Kleidung ab, dass Frumol
Tür auf und führt einen blitzsauberen Stoß aus. Die
die beiden Tücher verwenden kann.
Klinge gleitet ab, und kein Kratzer ist zu sehen.
Dabei dürften die Helden zum ersten mal seine Täto-
Alrik ist auf einmal zu vernehmen: "Das ist aber un-
wierung auf dem rechten Arm bis zum Schulterblatt
heimlich!"
sehen, für den, der diese Kunst schätzt ein imposantes
Randirion ist beunruhigt, versucht aber, sich nichts Stück Arbeit. Ein fein gestochenes Knotenmuster.
anmerken zu lassen. "Faszinierend." meint er und
Frumol starrt fasziniert auf die weitere Tätowierung.
steckt das Rapier weg. "Herr Pellocke, vielleicht findet
'Wie kann man sich bloß überall so zeichnen lassen?'
sich ja am Schlüsselbund des Folterknechts doch noch
fragt er sich. 'Welchen Sinn hat das wohl? Will er da-
etwas Brauchbares …" und wirft ihn Frumol zu.
mit angeben oder andere beeindrucken?'
Frumol fängt das Schlüsselbund und versucht die Tür
Dann fixiert er den Rest des Verbandsmaterial und
zu öffnen.
verbindet die Wunde mit Sephyras Tüchern so, dass
Da passt kein Schlüssel. nichts verrutschen kann.
"Bei Phex, wir haben nicht den richtigen Schlüssel." Das Verbinden geht sehr gut.
stellt er fest.
Sephyras Blick wandert von Frumols überraschtem
Er legt ein Ohr an die Tür und klopft kräftig dagegen. Gesicht zu Ingalfs Tätowierungen und ihre Augen
Wenn Seline im Raum dahinter ist, wird sie sicher et- werden immer größer - nicht nur der Bilder wegen,
was sagen - hofft Frumol. sondern auch unter der Haut deutlich hervortre-
Es ist kein Laut zu hören. tenden Muskeln.
"Wie überaus ärgerlich! Nun denn - betrachten wir Als sie bemerkt, dass sie ihn unverhohlen anstarrt,
das hier als Sackgasse …" wendet sie den Blick ab und murmelt vor sich hin:
Eine Untersuchung des Bodens bringt zu Tage, dass "Hm. Also mal wieder eine verzauberte Tür." Sie
unter dem Dreck eine Steinplatte verborgen war, die sucht nach einem Schlüsselloch oder anderen Merk-
jetzt ein Fingerbreit eingedrückt ist. In diesem Bereich malen, wie die Tür zu öffnen sein könnte.
ist es aber anscheinend die einzige Falle. Mehr ist Kurz schüttelt sie den Kopf. Frumol war doch eben
nicht zu finden. schon am Schloss zugange und hat festgestellt, dass
Die Tür ist unspektakulär. Nichts auffälliges. Sie ist was damit nicht stimmt. Einen anderen möglichen
nur verschlossen. Das ist Frumols Gebiet, aber es ist Öffnungsmechanismus findet sie nicht.
wie verhext: Er hat den richtigen Dietrich und erwi- Ingalf ist zu sehr mit dem Verarbeiten des eben erleb-
scht drinnen genau den richtigen Druckpunkt, aber ten beschäftigt um Einzelheiten der Umgebenden
dann ist Schluss. Das Schloss widersteht ihm. mitzubekommen.
"Das Schloss ist verhext." erklärt er, als er von seiner Während er von Frumol verbunden wird, betrachtet er
Arbeit ablässt. "Es hätte schon längst aus sein müssen. misstrauisch seine Orknase und murmelt halblaut
Es ist als ob es sich wehrt." Brocken thorwalscher Schutzformeln bevor er sie
Langsam wir er müde und geritzt. Er hat das dauern- wieder anfasst um sich nicht mit dem Fluch zu infi-
de Rumgelaufe in diesen Gängen satt und will zurück zieren.
an die frische Luft. Vorsichtig berührt er zunächst Holz dann Blatt der
Ingalf bereitet sich Gedanklich darauf vor die Tür be- Axt und greift sie erst danach wieder fester.
herzt mit der Axt zu öffnen."Lass mal Frumol wenn Vom abgelegten Folteropfer kommt ein Stöhnen.

86
Das ihn jäh von Verfluchungen ablenkt. Kindes wiederzuerkennen. Wenn ein Mittelländer aus
"Ach guck mal einer an. An dem ist ein Thorwaler einer Zelle verschwinden kann, dann kann er sich
verloren gegangen. Kaum sagt einer dass er ne Runde auch in einen kleinen Jungen verwandeln, denkt er
gibt, ist er wieder voll dabei. Man sagt nicht umsonst sich.
solange man noch flach auf dem Boden liegen kann Alrik ähnelt wirklich sehr seinem Vater, soweit sich In-
ohne sich festzuhalten ist man noch nicht betrunken." galf daran erinnern kann.
Er grinst. Schüttet den halb leeren Becher in die Kehle Der Versuch Alriks ist nicht sehr erfolgreich, der Wein
und schenkt einen 1/2 vollen ein um den grad wieder läuft dem Bewusstlosen wieder aus dem Mund. "Es
erwachten nicht zu überfordern und meint zu Alrik. geht nicht, Herr", klingt es kleinlaut.
"Viel unheimlicher wärs ja nach der Folter aufzuwa- "Macht ja nix, kleiner. Er", er deutet auf den be-
chen und zu hören, dass einer ne Runde gibt und wusstlosen, "könnte es bestimmt auch nicht besser." Er
nichts abzubekommen oder, nich Lütter?" Falls er den trinkt was noch im Becher ist aus und gießt ihn noch
stöhnenden ohne Probleme erreichen kann reicht er einmal 1/4 voll.
ihm den Becher, falls nicht schickt er Alrik.
"He Freund!""Es gibt besten Rotwein, wenn du den
Alrik schaut Ingalf erstaunt an: "Wie Ihr meint, Herr. trinken willst, wach jetzt mal auf.", versucht er zu-
Ich glaube nicht, dass er das verstanden hat." Die nächst etwas unbeholfen wirkend aber deutlich und so
Augen des Folteropfers sind geschlossen. laut, dass es auch ein schlummernder hören dürfte na-
"Versuch mal Bitte dem Herrn da drüben mehr Wein hezu direkt ins Ohr zu sagen, dabei betrachtet er noch
einzuflößen als zu verschütten. Langsam und vor- einmal genauer dass Gesicht des fremden und ver-
sichtig." sucht einzuschätzen wo er denn herkommen könnte.
"Das werde ich versuche, Herr. Gebt Ihr mir bitte die Der Bewusstlose stöhnt einmal auf, kommt aber noch
Flasche?" antwortet Alrik. nicht zu sich. Er ist bestimmt kein Thorwaler und
"Die Lütten mal wieder … gibt man ihnen den wirkt auf Ingalf wie ein typischer Mittelreicher.
kleinen Finger wollen sie einem auch schon den Arm Ingalf reicht Alrik den Becher und versucht Kopf und
ausreißen" lacht Ingalf den Müllersjungen an. Mund des Nordländers so zu halten, das der Wein
"Versuchs doch erstmal mit dem Becher, bevor du mir problemlos in den Magen laufen sollte.
wohlmöglich den ganzen Schlauch verschüttest.", und Angesichts, seiner reichhaltigen Trinkerfahrung ein
präsentiert ihm selbigen noch einmal unübersehbar. Kinderspiel. "Na denn. Jeder sollte eine 2.Chance be-
Sephyra steht nur kopfschüttelnd daneben und kommen.",dabei wird sein Gesichtsausdruck plötzlich
wundert sich still: 'Männer! (mal wieder), als ob es zu einer Mischung aus Trauer und Frust. 2 Augenbli-
jetzt darauf ankommt, ob da die Flasche leer wird oder cke lang dann fast er sich wieder.
nicht!' "Gaaanz langsam und vooorsichtig schütten.", meint
Dann sieht sieh gespannt Frumol über die Schulter er noch.
und registriert sein vergebliches Bemühen, die Tür zu Der Mund des Bewusstlosen füllt sich, aber durch die
öffnen: "Vielleicht geht es mit einem Zauberwort oder Haltung seines Kopfes rinnt es in seine Kehle. Plötz-
so?" fragt sie. lich hustet er und besprüht Ingalf mit dem Wein.
Frumol wendet sich von der Tür ab. "Da ist alles ru- 'Was ein Glück dass ich das Wams und den Umhang
hig. Seline ist dort sicher nicht eingeschlossen. Lasst noch nicht wieder angezogen hab', freut sich Ingalf.
uns weitersuchen." "Hochwohlgeboren mag unseren Wein nicht?", lacht
"Wenn das deine Eltern rausfinden würden, dass du er den Bewusstlosen an. "Nu trink schon. Is 'n guter
hier gleich ne ganze Flasche abzustauben versucht Wein. Du musst doch wieder zu Kräften kommen."
hast? Ob die sich nochmal zum Köhler Lamba Ingalf wischt das gröbste mit der Hand weg. Insbeson-
lassen?", versucht er den jungen aus der Reserve zu lo- dere in der Nähe seiner Wunde möchte er nicht unbe-
cken. dingt die Suppe ankleben haben.
Und hofft, dass ihm die Freunde nicht gleich in die "Ich würd nachher gerne nochmal zu dem Wassertrog
Parade fahren. von vorhin, wird sonst sehr hässlich hier unten in dem
Alrik duckt sich, nimmt einen Becher und versucht Staub.", meint er zu den Anderen.
vorsichtig, dem Bewusstlosen etwas Wein einzuflößen. "Biste jetzt soweit?", fragt er den Bewusstlosen.
'Dass es ihn nicht stört, dass ich seinen Namen rück- Es kommt keine Antwort. Nicht einmal ein Stöhnen.
wärts ausgesprochen hab?', wundert sich Ingalf.
"Lass ihn doch" meint Frumol an Ingalf gewandt und
Dabei versucht er Alrik beiläufig so anzusehen und schüttelt den Kopf.
versucht sich an die Haarfarbe und die schmale Nase
des Müllers zu erinnern und sucht sie im Gesicht des
87
"Der Mann braucht Ruhe und keinen Seemann der noch nicht ist den restlichen Wein von der Haut, zieht
ihn noch weiter quält." fügt er hinzu, hoffend, dass sich wieder an nimmt die Axt an sich und versucht
Ingalf auf ihn hört. Schließlich hat er ja selbst gesagt, sich dabei vorzustellen in welchem Falle er vor einer
dass Frumol der Medicus sei. Heilung damit noch ausholen möchte. Und verstaut
"Hättest du ihn den liegenlassen wollen, damit man sie angemessen und schaut ob der Bewusstlose für ihn
ihn weiter foltert, weil jemand Wissen will wieviele noch tragbar ist, während er sich auf den Wei-
und wie stark wir sind?", entgegnet Ingalf mehr aus termarsch vorbereitet.
Prinzip als aus Streitsucht. Er wischt mit dem Teil des
Fellumhangs der eh häufiger schmutzig wird - aber
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KK = Kommode | KKK |
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/ __________________|
___ ___ ___ / /
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|_ _| |_ _| |_ _| / /
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|_ Zellentrakt ______ /
___ Folterkammer | |
/ Ost?\_____________ | |magische Tür
( Turm ___ _____ | | | | |
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| Lager | | | | | | |
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| | | | |x|
| | dunkel dunkel
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dunkel __ |
_| |_
/ \
( Turm )
\_____/
mit Treppe
(verschüttet)
Eigentlich ist Ingalf jeder Gang gleich unlieb. "Ich habe doch gar nicht gesagt, dass Seline
"Ein Gang so dunkel und gefährlich wie der andere, hierbleiben soll!" verteidigt sich Frumol. 'Mit diesem
lasst mal schaun wie groß der Keller im ganzen ist", Mensch kann man sich nicht auf eine Linie einigen!'
und schultert den Bewusstlosen. Dann wartet er darauf, dass jemand vorausgeht. Er
In der Annahme, dass Ingalf auf das "X" gezeigt hat: wird es jedenfalls nicht sein!
"Sehr gut gewählt Herr Wedmansson. Heißt es nicht Diesmal geht Randirion vorweg. Hinter ihm folgt Se-
schon in den überaus erbaulichen Schriften von Kara phyra mit Ingalfs Sturmlaterne. Dann kommen Ingalf
ben Yngerimm, dass man in unterirdischen Labyrin- und Alrik mit ihren jeweiligen Lasten. Frumol findet
then leicht sich zurechtfinden kann, wenn man sich sich unversehens am Ende wieder.
immer an der linken Wand hält …" Seinem Schicksal ergeben trottet Frumol als Schluss-
"Vielleicht sollten wir doch versuchen, über die ver- licht den anderen hinterher. Auf den Weg achtet er
schüttete Treppe nach draußen zu kommen", schlägt kaum, kennt der doch das Ziel und alles Unbekannte
Frumol vor. treffen die Anderen vor ihm. Was ihm nicht gefällt, ist
"Und Seline hier unten von dem Wolf zerfleischen dass Sephyra so weit vorne geht …
lassen? Sein Blick schweift von dem Rücken seines
Bevor ich die Treppe mit frei schaufle, schau ich erst- Vordermanns ab und huscht im Halbdunkel mal hier
mal ob Seline nicht auf einer anderen Treppe sitzt. und mal dorthin.
Falls doch könn' mer immernoch 'n bissl Werkzeug Der Blick bleibt aber an nichts auffälligem hängen.
vom Folterheini holen gehn, wenn der wieder wach Der dunkle Gang erweist sich als relativ kurz und
ist, kann der uns wohlmöglich auch noch helfen." endet in einem Quergang. Getreu seiner Devise, sich
an der linken wand zu halten, nimmt Randirion den
88
linken Gang, insbesondere da sich dort im Licht der Steintreppe in die Tiefe, die vor einer Holztür endet.
Fackel schon die nächste Kreuzung zeigt. Außer zwei Das ganze sieht so ähnlich wie vor der Folterkammer
neuen dunklen Gängen geht hier auch eine kurze aus.
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|_ Zellentrakt ______ /
___ Folterkammer | |
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dunkel __ | dunkel _____ x _dunkel
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/ \ kurze Treppe
( Turm ) mit Tür wie bei
\_____/ der Folterkammer
mit Treppe
(verschüttet)
Ingalf achtet als er der Tür gewahr wird nur dorthin … und sieht in die angegebene Richtung.
zu treten wo Sephyra schon aufgetreten ist. Randirion und Frumol sehen nichts im dunklen
"Nu denn ma weiter links?", meint er mit wohl do- Gang. Ganz und gar nichts. Gleiches gilt für den si-
sierter Lautstärke um die Tür nicht weiter zur Gefahr chernden Ingalf.
werden zu lassen. Da schon 4 Mann in Richtung nichts schauen hat In-
Ihn interessiert, was hinter der Tür ist, will sich jedoch galf als letzter keine große Hoffnung mehr zu sehn
nicht vordrängeln und so bleibt er stumm stehen, bis und hält die Rückseite im Auge.
die - sicher ist es ein obligatorische Palaver - Diskussi- Sephyra denkt laut nach: "Da war eine Gestalt. Ich
on, wollen-wir die-Tür öffnen vorbei ist. konnte sie ganz klar erkennen, obwohl da gar kein
Während dessen dreht er sich um und mustert einmal Licht ist. Ein Mädchen oder junge Frau mit dunklen
den rückwärtigen dunklen Gang. offene Haaren."
Dort ist auch nichts zu sehen. "Seline!" ruft Alrik dazwischen.
Plötzlich erstarrt Sephyra kurz, reibt sich die Augen 'Wie dämlich kann ein Kind alleine eigentlich sein?'
und zeigt dann nach geradeaus. "Pssscht", grummelt er nach hinten. "Willst du deine
"Habt ihr das gesehen?" fragt sie ungläubig. Schwester verraten?"
"Nö. Was haste denn gesehen? Nen Kopf und 2 Tenta- "Nein, Herr!" entgegnet Alrik. Er scheint ziemlichen
kel?" und ärgert sich dass das Abtrennen der beiden, Respekt vor Ingalf zu haben.
für ihn im Moment sicher fast genauso schmerzhaft "Und die Gestalt winkte mir zu. Nein. Sie winkte
wie für den Krakenmolch sein würde. mich heran." Sephyras Gesichtsausdruck ist leicht
"Oder ist unser Verschwundener wieder aufgetaucht?" verwirrt. 'War wohl ein Traum.' "Ich bin wohl schon
Der Wein scheint seiner Moral hier unten leicht zu- zu lange hier unten!"
träglich zu sein. "Passt bloß auf da vorne, eine Falle kommt selten
"Nein, was denn?" Frumol reckt neugierig den Hals. allein.
Ingalf ist nicht ernsthaft an weiteren Überraschungen Wenn ihr nachschaun wollt ob das Seline war, seid ma
interessiert und macht Frumol demonstrativ Platz und bloß vorsichtig.", wirft Ingalf in deutlichem aber ge-
hält den rückwärtigen Gang im Auge. dämpften Ton, zu den Anderen, um sich dann wieder
der Nachhut zu widmen.
Randirion, vor ihr stehend, und über das weitere
Vorgehen nach grübeln, wird aus seinen Gedanken "Ich gehe mal gucken", sagt er leise zu den anderen
gerissen … und löst sich vorsichtig von der Gruppe und schreitet
langsam ins halbdunkel des Ganges. So langsam, dass
"Nein, bedaure Madame Lunor. Was ist denn dort?"
sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Dabei
89
schaut er nicht zurück um von dem helleren Licht der eigentlich dabei gedacht, hier herunter zu kommen -
Sturmlaterne geblendet zu werden. na abgesehen von den Kinners? Diese Gänge verursa-
Schritt für Schritt geht er über die Kreuzung und in chen mir eine Gänsehaut. Warum nur? Irgend etwas
den unbekannten Gang. Mulmig ist ihm dabei zumu- stimmt hier nicht, ganz und gar nicht!'
te. 'Warum konnte ich nicht den Kavaljäre gehen Dann kommt eine Tür, und die Erinnerung an die
lassen' fragt er sich. Unwillkürlich beginnt er zu Bolzenfalle verhindert jede Nachlässigkeit. Sorgfältig
zittern, seine Hand nestelt nervös an Brustgurt mit untersucht Randirion Boden und Seitenwände, aber
den Dolchen. hier gibt es offensichtlich keine Falle.
'Ob ich hier was finde' fragt er sich, immer bereit beim Interessiert beobachtet Sephyra das Bemühen des Ka-
ersten Anzeichen einer Gefahr zurückzuspringen. waljere: 'Na ob der eine Falle finden würde, wenn da
Nach ungefähr 10 Schritte geradeaus sieht er vor sich ein Schild stünde? Mein Frumol hätte sie vorhin si-
nur noch Schwärze. cher entdeckt …'
Er fasst nach links und rechts: Die Gangwand ist Die Tür hat einen Schieberiegel, so dass man durch
immer noch da. kein Schlüsselloch schauen kann. Hinter der Tür ist
es ruhig.
Die kalte, feste Wand beruhigt Frumol in der Finster-
nis ein wenig. So verharrt er einen Moment regungslos Randirion steckt sein Rapier weg und schiebt vor-
und lauscht. sichtig den Riegel. Der lässt sich so leicht bewegen,
dass Randirion die Balestrina dabei immer noch in der
"Seline", flüstert er leise. "Bist Du hier? Dein Vater, der
Linken halten kann.
Müller, schickt uns." und dann fügt er noch hinzu:
"Alrik geht es gut." Dann drückt Randirion vorsichtig die Tür einen Spalt
auf. Dahinter ist es dunkel. Also drückt er die Tür
Er warte auf eine Antwort oder darauf, dass etwas ge-
ganz auf.
schieht oder sich etwas regt.
Sephyra leuchtet. Der Lichtstrahl leuchtet in einen
Es bleibt alles ruhig. Daraufhin …
länglichen Raum, in dessen Mitte zwei Skelette mit
… dreht er sich nach kurzer Zeit um und kehrt vor- Schwert in der Rechten und Schild in der Linken
sichtig zu den anderen zurück. stehen.
"Da ist nur ein langer dunkler Gang, sonst nichts." er- Ingalf versucht von hinten zu erkennen ob der Raum
klärt er. andere als die Eingangstür hat.
"Du musst Dich getäuscht haben, Sephyra", erklärt er, "Sieht nich nach Seline aus.", stellt er nicht mehr
obwohl ihm dies unangenehm ist, da Sephyra mit ih- wirklich überrascht fest.
ren Ahnungen bisher fast immer Recht hatte.
"Was heißt, du bleibst hier hinten!", zu Alrik. "Geht's
Da Frumol 'Seline' nicht finden kann meint Ingalf zu dort irgendwo weiter?"
Alrik: "Sach mal Lütter, is Seline sonst auch son
Ingalf kriegt keine Antwort auf seine Frage, denn die
schüchternes Fischlein?"
Skelette fangen an, sich zu bewegen. Sie heben
Alrik schaut Ingalf nur verständnislos an. Schwert und Schild und staksen auf den vorn
"Wenn da nix is, das sich uns zeigen will gehn wir wei- stehenden Randirion zu.
ter nach links?", fragt Ingalf leicht ungeduldig. "Bei Swafnir …", entfährt es Ingalf. "Wenns da nicht
"Dies klingt nach einer vernünftigen Lösung." meint weitergeht rammel mal fix die Tür wieder zu", meint
Randirion und geht voran (nachdem er sich noch kurz er, bereit, Lampe und Alrik zu halten. Auch wenn es
vergewissert hat, dass auch ja alle zusammenbleiben). ihn in jeder Faser seines Körpers juckt mit der Orkna-
Sephyra folgt den anderen, die Laterne immer zur se für eine Desintegration der beiden Klappermänner
Ausleuchtung des Ganges gerichtet, in dem Versuch, zu sorgen.
niemanden mehr als nötig zu blenden. Sagen tut sie Nein, das war keine Täuschung. Die Skelette bewegen
zu dem Ganzen nichts. sich tatsächlich. Plötzlich sind sie schlimmen Erinne-
Ingalf, der wie gehabt als letzter mit dem Be- rungen an das schwarze Schiff und die Untoten Pi-
wusstlosen geht, sorgt hinten dafür, dass nichts aus- raten wieder da.
einander reißt. Unwillkürlich starrt Frumol auf die Skelette, als könn-
te sein bloßer Wille sie wieder erstarren lassen.
Skelette "Tür zu!" stößt Sephyra sofort hervor und leuchtet mit
Der Gang geht ziemlich lange geradeaus. Fast lässt die der Lampe so in Richtung Boden, dass die Skelette
Aufmerksamkeit ein wenig nach. nicht direkt angeleuchtet werden. 'Wer weiß, vielleicht
Sephyra wandert neben den anderen dahin. Ihre Ge- 'weckt' sie das Licht auf.' denkt sie sich.
danken schweifen etwas ab: 'Was haben wir uns
90
Reflexhaft zieht Randirion die Tür wieder zu und Dass ihm diese Möglichkeit nicht eher aufgefallen ist
schiebt den Riegel vor. wurmt ihn in dieser gefährlichen Situation.
… und ist von seinen eigenen Reflexen wieder einmal "Im Ernst, alles andre is'n Schlag ins Wasser? Oder
sehr angetan. mögens die Klappermänner auch nicht wenn man die
"Da drin ist Seline bestimmt nicht, sonst würden die Knochen in werkzeutaugliche Stücke hackt? Wenn
da nicht so ruhig stehen!" versetzt sie. dieser dämliche Bolzen nich wäre …"
"Recht haste.", pflichtet ihr Ingalf bei. "Un wenn doch, Ingalf ist sichtlich frustriert, so guten Werkstoff und
werden uns die beiden bestimmt nicht davon gerannt gefährlichen noch dazu im Rücken behalten zu
sein." müssen.
"Können wir die Tür nicht verriegeln?" "Wenn wir was zum verrammeln vom Folterknecht
holen, könn mer ja gleich nochmal schaun ob der
Unweigerlich steigen die Gedanken an das Schiff in
Rauchabzug zum klettern taugt." schlägt Ingalf vor,
ihr hoch, aus dem sie nur mit Mühe wieder entkom-
während er eine von den ergatterten Kerzen raus
men ist. "Frumol, das gefällt mir nicht, schon wieder
kramt, falls sich die Gruppe teilen wollen sollte. Seine
untotes Gesindel!"
Lampe bleibt hier!
"Dieser Riegel lässt sich nicht von innen aufschieben,
Das Hämmern an der Tür wird stärker.
Madame Lunor", bemerkt Randirion, nachdem er sich
diesbezüglich vergewissert hat. In den Riegel und sein "Nun macht doch was!" drängt Sephyra. Unbewusst
Gegenstück sind Löcher für ein Vorhängeschloss ge- ist sie in den letzten Sekunden zwei kleine Schritte
bohrt. zurückgewichen. Zu stark sind die fürchterlichen Er-
innerungen an das Schiff und die untoten Piraten in
"Ich nehme nicht an, dass einer von Euch so etwas wie
ihrem Gedächtnis verhaftet.
ein Vorhängeschloss in der Tasche hat, oder?" fragt
Randirion zweifelnd. "Klemmt den Riegel fest, das sollte uns eine Möglich-
keit zur Flucht geben." meint sie. 'Nur wohin? Wohin
"Das ma nich.", entgegnet Ingalf pro forma.
flüchtet man in einem unterirdischen Labyrinth?'
"Wenn wir die in Hundespielzeug zerlegen wollen
Auch Frumol ist unbewusst von der Tür zurückgewi-
brauchen wir mehr Platz. Hier in dem engen Gang
chen. Nervös nesteln seine Finger am Griff des Ra-
hab'n wir kein' Vorteil gegen diese lahmen Gerippe.",
piers. Ihm fällt nichts ein, mit dem er den Riegel blo-
sagt er während er frustriert seine Wunde betastet.
ckieren könnte. 'Aber hatte der Kavaljäre nicht gesagt,
"Wenn wir genuch Zeit haben, kann ja einer was aus
der Riegel wäre von innen nicht zu öffnen?' erinnert er
der Folterkammer holen."
sich.
'Und bei der Gelegenheit gleich mal nach der Töle
"Lasst uns gehen, bevor die die Tür eingeschlagen
sehn.'
haben. Wir müssen uns beeilen Seline zu finden.
Auch er hat wenig Interesse, sich mit etwas anzulegen, Nicht auszudenken was passiert, wenn die Skelette sie
das man so einfach und so wirkungslos aufspießen vor uns finden!" Die Hoffnung, dass Seline ruhig
kann. draußen in der Burg verstecken spielt hat er schon
"Warum marschieren diese Skelette in der Gegend längst aufgegeben.
herum und greifen harmlose Rettungstrupps an!" er Er wartet nicht auf eine Erwiderung, sondern dreht
empört sich immer mehr. sich um und schickt sich an, der Gang zurückzueilen.
In diesem Moment beginnt es, an der Tür zu häm- 'Vielleicht hinter der anderen Tür? Hoffentlich ist das
mern. Erst vorsichtig, dann immer stärker. Offensicht- nicht wieder sowas wie eine Folterkammer.'
lich will da "jemand" raus. Gefolgt von den anderen eilt Frumol zurück, bis alle
"Sonnenlicht." sagt Frumol, nachdem die Tür ge- wieder an der Kreuzung sind. In der Ferne ist immer
schlossen wurde. noch das Hämmern zu hören. Bis jetzt scheint die
"Sonnenlicht wird sie aufhalten. Auf dem Schiff war Tür zu halten.
das ebenso." behauptet er weiter, ohne die Gewissheit Ohne zu zögern geht Frumol die wenigen Stufen hin-
zu haben, dass untote Piraten und Skelette zur glei- ab, prüft die Tür und öffnet sie vorsichtig um in den
chen Spezies gehören. Hier könnte Rakorium sicher Raum zu schauen.
einen ausführlichen Vortrag halten. Eins steht fest: Tot
sollten sowohl die Piraten als auch Skelette sein! Die Gruft
"Na denn pack ma fix deine Taschensonne aus." grinst Hinter der Tür ist es ruhig, und als Frumol die Tür
Ingalf ihn frech an. öffnet erweist sich der Raum dahinter als dunkel.
Ingalf versucht sich zu erinnern ob die Feuerstelle in Der Lichtschein von Sephyras Lampe trifft gegenüber
der Folterkammer einen zugänglichen Abzug hatte. auf die Steinwand eines Gewölbes. Nach links geht es

91
sehr weit. Vor der gegenüberliegenden Wand sind Das macht Sephyra doch gern und folgt Frumol auf
riesige 2 Schritt hohe Steinblöcke aufgestellt. Es riecht dem Fuße.
muffig. Randirion, Ingalf und Alrik halten sich zurück und
___TT___________ folgen den beiden ebenfalls.
| Mit Licht stellt sich heraus, dass der Gang kurz hinter
| dieser
|SS SSSS SSSS SS Bereich der Stelle, bis zu der Frumol bei seiner Erkundung im
|SS SSSS SSSS SS liegt noch Dunkeln gekommen ist, nach links abbiegt. Dann
|SS SSSS SSSS SS im Dunkeln geht er nach rechts und gleich wieder nach links. Als
|SS_SSSS_SSSS_SS__ die Gruppe hier um die Ecke kommt, sehen alle so-
Sofort steigt Frumol der muffige Geruch in die Nase. fort, dass in einiger Entfernung schräg voraus eine
'Bäh. Aber immerhin keine Folterkammer.' Lichtquelle sein muss.
Seline scheint sich hier nicht zu verstecken, und er hat Licht\
\ \
keine Lust sich länger als nötig mit irgendwelchen | |
Räumen und verborgenen Geheimnissen zu befassen. | |
Hier scheint überhaupt niemand zu sein. | |
So fragt er nur halblaut: "Seline bist Du hier? Dein __| |
| |
Vater und er Köhler schicken uns." Da er keine Ant- zu den | __|
wort erwartet, … Skeletten | |
… und auch keine kommt … | | | |
| | | |
… zögert er nur einen kurzen Augenblick um die Tür _| |_________________| |
dann wieder hinter sich zu schließen. |
_ ____________________|
"Da drin ist sie nicht, nur große Steinblöcke." in- | |
formiert er kurz die Übrigen. "Gehen wir weiter", kurze Treppe
drängt er.
Sofort blendet Sephyra die Laterne ab, damit der
"Hm, wo kann die Kleine nur stecken?" fragt Sephyra
Schein des Lichts sie nicht verrät. Zu den anderen ge-
die anderen. Kurz darauf stutzt sie: "Nur Steinblöcke,
wandt legt sie den Finger auf den Mund: "Pssst!"
sagst du? Was für Steinblöcke?" Sie grübelt sichtlich
über Frumols Informationen nach und fährt dann Auch Frumol dreht sich zu den Anderen und legt sei-
fort: "Meint ihr nicht, wir sollten uns darin nach nen Zeigefinger senkrecht über die geschlossenen
einem Weg nach draußen umsehen? Wenn nur die Lippen. Anschließend deutet mit dem Zeigefinger auf
Chance besteht, hier heil herauszukommen, sollten sich, danach mit Zeige- und Mittelfinger auf seine
wir uns des Weges rechtzeitig versichern - und gefähr- Augen und zum Schluss auf die Lichtquelle im Gang.
lich scheint es da drinnen ja auch nicht zu sein." Sephyra versteht und nickt ihm zu.
Außerdem ist sie neugierig geworden: 'Was machen Randirion glaubt zu verstehen, und lädt so leise wie
viele große Steinblöcke in einem sehr großen unter- möglich seine Balestrina.
irdischen Raum unterhalb einer Burgruine? Und Schleichen kann er in Reitstiefeln eh' nicht gut …
warum ist dieser Teil der Kellergewölbe hier nicht "be-
Dann setzt er leise seinen Rucksack ab und schleicht
wohnt", wie weiter vorn die Folterkammer und die
sich vorsichtig weiter voran. 'Hoffentlich erleben wir
Zellen?
nicht noch eine unangenehme Überraschung.' fleht er
"Außerdem müssen ja auch der Folterknecht und die gedanklich.
anderen Lumpen irgendwie hier herunterkommen,
Sie nimmt seinen Rucksack an sich, um möglichst
warum nicht in diesem Raum?" fragt sich schließlich.
schnell entweder zu fliehen oder Frumol nacheilen zu
"Das glaube ich nicht. Dazu riecht die Luft zu können, in die freie rechte Hand, in der Linken behält
muffig", erwidert er und rümpft dabei die Nase. Nach sie die Lampe.
einem Ausgang sah der Raum nicht aus.
Die Zurückbleibenden sehen, wie Frumol langsam
Sephyra "unterdrückt" daraufhin ganz fix ihre Neugier verschwindet. Nach kurzer Zeit hat ihn die Dunkel-
und meint: "Da hast du wohl Recht." und tut die wei- heit verschluckt.
teren Möglichkeiten mit einem Schulterzucken ab:
'Sei bloß vorsichtig!' ist Sephyra in Gedanken bei
"Wer weiß, was da im Stillen auf uns warten würde."
Frumol.
"Leuchtet mir mal" fordert er auf und geht schon
"Was machen wir jetzt?" fragt Alrik leise.
einige Schritte in den Gang, in dem vorhin Seline
vermutet wurde. Vielleicht findet er mit Licht mehr. "Warten, nur warten." antwortet sie dem Jungen leise.

92
"Warten!?", entgegnet ihm Ingalf trocken und hofft sam mal rauskommen Alrik hat se ja jetzt schon ge-
bloß, dass ihm Frumol nicht plötzlich entgegen hört.'
kommt. "Wenn das hier aber ne Falle ist, dann will uns jemand
In diesen unendlich langen Augenblicken denkt er von der Tür ablenken,oder?", denkt er jetzt geringfü-
sich. 'Wenn das Seline war, kann se ja auch jetzt lang- gig lauter.

93
Mysterium
V Ganges, dahin, von wo der Lichtschein kommt.
orsichtig schleicht Frumol zur Biegung des Als sie den Raum erreiche, warnt er: "Seid vorsichtig,
hier riecht es förmlich bestimmt nach Fallen." und be-
Nicht das kleinste Geräusch macht er. tritt den Raum vorsichtig als Erster.
Ihm eröffnet sich ein nie Raum in der Art, wie er ihn "Das glaube ich kaum, denn der hier Arbeitende wird
noch nie gesehen hat: sich kaum selbst mit Fallen in seinem Arbeitsraum be-
________ hindern, oder?" fragt sie skeptisch.
/A S\ "Ich habe so ein Kribbeln in der Nase." erklärt
/A S\ Frumol.
| KK |
|F KPPK | "Und ein ungutes Gefühl." fügt er hinzu.
| KPPK F| "Das hat mit kribbeln gar nix zu tun, wenn Sephyra
| KK |
\ \ sich vorhin nicht bloß die Augen gerieben hat, dann
\________/\ \ ist hier irgendwo noch jemand oder etwas, den wir
| | noch nicht entdeckt haben. Und wenn das nicht
| | Seline war dann wollte es uns genau hier hinten
Ein ungewöhnlicher achteckiger Raum von mehr als haben."
10 Schritt Durchmesser wird von zwei Feuern (F) er- "Wer gutes im Schilde führt segelt nicht ohne Flagge
leuchtet, die in Steinschalen auf halbhohen Podesten …", denkt Ingalf gut vernehmlich.
brennen. In der Mitte des Raumes ist ein vier Schritt Er hat genug Hokus-Pokus mit der Tür und den
durchmessender Kreis (K) in gelber Farbe auf den Skeletten.
außergewöhnlich glatten, flaschengrüner Boden ge- Alrik zupft Ingalf am Ärmel: "Ist das da ein Dru…,
malt. In dessen Mitte ist ein fünfzackiger Stern (P) ein Druidenfuß?" Er zeigt auf den fünfzackigen Stern
eingezeichnet. in der Mitte des Kreises.
An einer Wand steht ein großer Arbeitstisch (A), der Der Bewusstlose auf Ingalfs Schulter stöhnt wieder.
einen unaufgeräumten Eindruck macht. Es brodelt
eine Flüssigkeit in einem Kolben, und Tiegelchen und 'Nie ist Banjew da, wenn man ihn braucht!' denkt Se-
Deckelchen liegen verstreut umher. In einem Regal an phyra in Ermangelung der persönlichen Kenntnis
der Wand darüber stehen viele kleine Glasflaschen. anderer Magier, die sich in einem solchen Gemach
wohl fühlen würden - oder überhaupt anderer Magier,
An einer anderen Wand steht ein Schreibtisch, auf denn schließlich war er der einzige, mit dem sie länger
dem eine reich verzierte Kassette steht. Daneben liegt zusammen waren und ihn kennenlernen konnten -
ein dickes Buch samt Gänsekiel und Tintenfass. Ein wenn das bei Magiern überhaupt möglich sein sollte.
Kristallkugel und eine Pergamentrolle sind auch zu
sehen. "Heißt das nicht 'Drudenfuß' und nicht
'Druidenfuß'?" fragt sie laut. "Ich kann mich dunkel
Frumol bleibt erst einmal im Eingang des Raumes daran erinnern, dass Banjew und Rakorium von ir-
stehen und betrachtet ihn eingehend. Es überrascht gend solchen Dingen sprachen, als es um das
ihn, hier unten auf das Arbeitszimmer eines Ge- Schwarze Schiff und die Untoten ging. Ich habe ein
lehrten, Priesters oder Magiers zu stoßen. Das steht ganz mieses Gefühl, dass das hier zum Erwecken der
auch im Widerspruch zu der Räuberbande die hier Toten die nötigen Ingredenzien darstellt und auch zu
haust - wie sie es bisher angenommen haben. diesem Zwecke verwendet wird …" sie führt die Ge-
Nachdem er nun eine Weile still im Eingang stand danken nicht weiter aus. Urplötzlich hat sie eine
und den Raum auf sich wirken ließ dreht er sich um, Gänsehaut und kalter Schweiß läuft ihr den Rücken
um den Anderen zu berichten und den seltsamen hinab.
Raum zu beschreiben. Seine Vermutungen und Ge- Alrik zuckt zurück und starrt Sephyra mit schreckge-
danken behält er für sich. "Kommt, schaut es Euch weiteten Augen an.
selbst an" schließt er seine Beschreibung ab und geht
wieder zurück, nachdem er Sephyra wieder von der 'Daran hatte ich noch gar nicht gedacht! Aber sie
Last seines Rucksacks befreit hat. könnte Recht haben.' Frumol beschließt nochmals,
sehr vorsichtig zu sein.
Schnell gibt Sephyra Frumol seinen Rucksack zurück.
'Was hat er da bloß alles drin? Der wiegt bestimmt 30 Zuerst wendet sich Frumol dem Arbeitstisch zu. Er
Stein!' denkt sie. achtet darauf dem Kreis und dem gezeichneten Stern
nicht zu nahe zu kommen, geschweige denn zu betre-

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ten. 'Solche Zeichen sollte man tunlichst meiden. 'Bei den Zwölfen, was …' doch Frumol kann nicht zu
Banjew wäre sicher entzückt …' Ende denken, denn …
In der Nähe des Arbeitstisches herrscht ein eigentüm- Alrik schreit: "Mumien!" dreht sich um und läuft die
licher Geruch. So als ob man Lindenblüten mit die Dunkelheit.
Pferdedung gemischt hat. Randirion klappt der Unterkiefer herunter und er
Worauf Frumol die Nase rümpft und nicht allzu tief steht stocksteif da - unfähig etwas zu tun …
einatmet. 'Mumien, Mumien …' überlegt Sephyra fieberhaft
In den Tiegeln und Glasflaschen sind Bröckchen, und starrt in Frumols Richtung. Dann hat sie eine
Flüssigkeiten, Pulver und Pasten in den verschiedens- Idee: Feuer! 'Die alten Tücher müssen doch brennen
ten Farben. Frumol kann mit all dem überhaupt wie Zunder!' überlegt sie.
nichts anfangen. In dem Kolben, der mit blauer "Halt aus Frumol!" ruft sie. "Ich habe eine Idee! Nutzt
Flüssigkeit gefüllt ist, liegen auf dem Boden einige die Fackeln zum Entzünden der Wickeltücher dieser
Brocken. Von denen steigen Blasen auf, die das Bro- stinkenden lumpenverhangenen Kreaturen!"
deln erzeugen.
Da sie selbst eine Lampe trägt und keine Fackel, zieht
Er achtet darauf, keinesfalls etwas zu berühren, das sie mit der freien Hand das Rapier und bereitet sich
die Kolben sicherlich heiß sind. Auch lässt er die auf den Kampf vor.
Finger von all den Substanzen - nicht dass ihm in der
Frumol hört zwar ihre Worte, ist jedoch zu sehr
Nacht, nur weil er unachtsam war, sein Finger oder
beschäftigt, die Feuerschale zu erreichen, als dass er
gar die ganze Hand abfällt. Falls die Flaschen und
sie sofort umsetzen könnte.
Fläschchen Etiketten tragen, so wird er sie ohnehin
nicht lesen können. 'Du schaffst es, los!' feuert Sephyra Frumol im Geiste
an und wendet ihre Aufmerksamkeit sofort wieder der
'Wo ist denn der Alchemist?' fragt er sich. Solch eine
sich ihr nähernden Mumie zu.
Arbeit wird man doch nicht unbeaufsichtigt lassen,
oder? Da er schnell genug ist packt Ingalf Alrik am Arm und
hält ihn fest.
Da er nichts entdecken kann, was er für hilfreich hält,
wendet er sich dem Schreibtisch zu. Er achtet wieder "Hier geblieben!"
darauf, dass der dem magischen Zeichen - ob nun "… die Skelette sinn auch nich netter!", er setzt den
Druidenfuß, Drudenfuß oder was auch immer - nicht Bewusstlosen in den Gang ab und nimmt Sephyra die
zu nahe kommt. Lampe aus der Hand.
Die anderen schauen aufmerksam Frumol bei seinen Alrik zerrt an Ingalfs Griff, aber Ingalf hält ihn fest.
Untersuchungen zu. Ganz vorsichtig setzt er einen Sephyra lässt dies gern zu, hat sie doch dann eine freie
Fuß vor den anderen. Und der große Bogen, den er Hand für die Fackel.
um den gelben Kreis macht, ist offensichtlich. Alle sei-
ne Sinne sind gespannt, und so reagiert er schnell Die erste Mumie
genug, als plötzlich - er ist gerade noch ein Schritt Reflexartig zieht er zwei Dolche aus dem Brustgurt,
vom Schreibtisch entfernt - aus der Decke spitze und zielt auf den Brustkorb der Mumie, die sich ihm
Eisenstäbe schießen, die den Schreibtisch schlagartig zuwendet. Schnell wechselt der zweite Dolch in die
wie einen Raubtierkäfig absperren. Er springt zurück, Wurfhand. 'Sind auch sie tot? Wie kann man sie auf-
ohne von den Speeren getroffen zu werden. halten?' kommt es ihm in den Sinn. Dann wirft er
"Ist dir etwas passiert?" fragt Sephyra sorgenvoll. schon den zweiten Dolch auf die Brust der Mumie.
"Nein", kann Frumol gerade noch erwidern. Seine Der erste Wurf sitzt voll in der Brust der Mumie, die
weiteren Worte bleiben ungesagt. allerdings unbeirrt weiter schreitet. Der zweite Wurf
Gleichzeitig erscheinen mitten im gelben Kreis zwei verfehlt, da Frumol schon ausweichen muss.
Schrecken erregende Wesen. Sie sehen aus wie halb Schnell schaut er sich um, ob er irgendwo Deckung
verweste Leichen, zumindest die Teil von ihnen, die finden kann. Der Schreibtisch ist unerreichbar, der
zu sehen sind. Der größte Teil ihres Körpers ist näm- Arbeitstisch bietet ihm keine Hilfe. Einzig die Feuer-
lich mit schmutzigen Tüchern bandagiert. Ein übler schalen könnten helfen.
Gestank gehn von den beiden aus. So ist der Entschluss gefasst: Da sich die beiden
"Uhhh!" entfährt es ihr nur. Mumien bisher nicht sehr schnell bewegt haben ('hof-
Die beiden Wesen orientieren sich kurz. Eine stakst fentlich bleibt das so', hofft Frumol inständig), rennt
danach mit ausgestreckten Armen auf Frumol zu. Die er in er lang gezogenen Kurve um die Mumien und
andere wendet sich Richtung Eingang. den Drudenfuß auf dem Fußboden zurück zu der
Feuerschale am Arbeitstisch.

95
Dazu täuscht er erst nach links an. Wie erwartet, Schnell macht sie noch ein paar Schritte zurück in
wechselt die Mumie daraufhin ihre Richtung. Er den Gang, aus dem sie kamen und schaut nach, ob die
nimmt all seinen Mut zusammen und taucht rechts Fackeln dort nur aus waren oder ob auch da keine sind
unter den ausgestreckten Armen hindurch. Der …
folgende Sprint zur Feuerschale ist dagegen ein leich- Da sind keine Fackeln. Und Ingalf merkt, dass er
tes. allein der sich nähernden Mumie gegenübersteht.
Fasziniert von Frumols katzenhafter Agilität starrt Se- Sephyra macht gleich nach dieser Erkenntnis auf dem
phyra zu ihm herüber, fast die Gefahr für die eigene Absatz kehrt und nähert sich wieder vorsichtig dem
Gesundheit vergessend und Ingalfs heldenhaften Ver- Geschehen. Als sie Ingalfs Bedrängnis bemerkt ('Wie
such übersehend. ungeschickt von mir!'), ruft sie ihm zu: "Komm, gib
Versuchsweise fasst er die Feuerschale an, während die mir schnell die Lampe zurück und auch auf Alrik
Mumie langsam näher kommt. Sie ist heiß, aber nicht werde ich achtgeben!" damit nimmt sie ihm ohne wei-
zu heiß. teres den Jungen von der Hand und hält ihn fest,
Und dann überkommt Frumol auf einmal Ruhe. Er drängt ihn sicher hinter sich und nimmt anschließend
weiß ganz genau, was zu tun ist. Warten bis die von Ingalf die Lampe entgegen, nicht ohne zuvor das
Mumie heran ist, Feuerschale nehme, über den Kopf Rapier wieder weggesteckt zu haben.
heben, umdrehen, den Inhalt über die Mumie kippen. Ingalf drück Alrik die Lampe in die Hand und hofft,
Fallen lassen, abrollen, schauen was passiert. dass er Sephyra in die Arme rennt.
Fast hätte er den richtigen Zeitpunkt verpasst, aber Aber da ist Sephyra schon da und nimmt ihm Alrik
nur fast. Der Erfolg von Frumols Aktion ist spektaku- und Lampe ab.
lär. Die in der Feuerschale brennende Substanz er- "Wenn ihr nix zum Feuern habt, nehmt das
gießt sich über die Mumie und entzündet sie. Lich- Pergament aus meinem Seesack!"
terloh fängt sie an zu brennen, bleibt aber stehen und
Er rennt mit aller Kraft der Mumie entgegen und ver-
versucht Frumol weiterhin zu ergreifen. Der ergreift
sucht sie ins Feuer zu drücken.
das Gestell, um sich die Mumie vom Leib zu halten.
Und er merkt, wie die Mumie zusammenschrumpft. Ingalf ist sich sicher: Gegen diesen beidhändigen
Schließlich bricht sie auf dem Boden zusammen und tiefen Stoß hätte sein letzter Maat Rudir 'Arschloch'
brennt aus. Nur ein kleiner verkohlter Rest von der Svenson keine Chance gehabt. Bei der Mumie hat In-
Größe eines Kleinkindes bleibt zurück. galf aber das Gefühl, gegen eine Wand gerannt zu
sein. Und jetzt macht sie auch noch Anstalten, ihn zu
"Toll Frumol!" ruft sie aus.
greifen. Schnell macht Ingalf einen Schritt zurück
Fast hätte Frumol eine triumphierenden Schrei ausge- und überlegt fieberhaft. Sein Fokus ist so verengt, dass
stoßen, doch dies ist nicht seine Art. Außerdem gab es er nicht mitbekommt, was bei Frumol passiert.
da noch eine zweite Mumie!
Da Ingalf an der Mumie nicht vorbeikommt muss er
Die ganze Zeit über war er so sehr auf seinen Gegner zurückweichen.
fixiert, dass er von dem restlichen Geschehen im
Er sprintet so schnell wie möglich zu Sephyra zurück
Raum nichts mitbekommen hat. So verschafft er sich
und zieht ein Stück Pergament und eine Kerze aus
einen Überblick.
seinem Seesack, zerdrückt die Kerze in der Faust und
Sehnsüchtig sucht sein Blick die zweite Feuerschale, knüllt das Wachs ins Pergament und entzündet die
da die erste so großen Erfolg erzielt hat. Er befürchtet improvisierte Brandbombe an seiner Laterne.
jedoch, dass sie - zusammen mit dem Schreibtisch
Wenn der Klumpen Feuer gefangen hat versucht er so
hinter den Gittern - unerreichbar ist.
schnell es geht einen möglichst losen Lumpen/Fetzen
So ein Glück! Die Gitterstäbe sind genau zwischen damit in Brand zu setzen.
Schreibtisch und Feuerschale heruntergekommen.
All das will Ingalf, aber es gelingt nicht. Erst kriegt er
nicht schnell genug den Seesack auf, dann findet er
Die zweite Mumie
die Kerze nicht sofort, die zerbröckelt auch noch beim
Jetzt hat Ingalf aber ein Problem. Er hat in der Rech- zerdrücken und schließlich zittern ihm die Hände so
ten eine Lampe und an der Linken Alrik, der immer stark, dass er seine improvisierte Brandbombe nicht
noch zerrt. Eine Waffe kann er so nicht benutzen. entzündet kriegt. Du dann trifft ihn eine Faust von
Sie sieht sich schnell um, nirgends eine Fackel in hinten wie ein Donnerschlag.
Reichweite. 'Segler bleib bei deinen Tauen', hat Ingalfs Mutter
Sie weicht weiter zurück und Panik überkommt sie, immer zu ihm gesagt, jetzt weiß er warum. Während
als sie die Wände nach den bisher immer vor- er mit Alrik und Sephyra rennt, greift er nach seiner
handenen Fackelhaltern absucht, aber keinen ent- Orknase, sollte von der Brandbombe noch was in der
deckt. 'So ein Mist!' schimpft sie in Gedanken.
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Hand sein wirft er es vorher in Laufrichtung in den fühl, eine massive Wand gerammt zu haben, aber die
Gang. Mumie reagiert, indem sie sich umdreht. Jetzt, da
Wenn er sie kampfbereit hat wird stoppen und hoffen, Frumol ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat, …
das jemand die Mumie beschäftigt. … versucht er sie zu der anderen Feuerschale zu lo-
"Frumol, Kavaljäre macht dem Kerl ma Feuer unterm cken um sie ebenfalls dem Feuertod zu übergeben.
Hintern …" Was einmal so gut geklappt hat, sollte doch immer
Er versucht mit Sephyra und Alrik ausreichend Si- klappen, aber dem ist leider nicht so. Zwar kann
cherheitsabstand zu halten. "Sephyra hilft dagegen nix Frumol der Mumie wieder ausweichen, aber aus ir-
außer Feuer?" fragt er bevor er schwer angeschlagen gendeinem Grund ist diesmal die Feuerschale zu heiß
einen für ihn unverwundbaren Gegner sinnlos atta- für ihn.
ckiert. 'Au, verdammt, warum ist das Ding so heiß?' flucht er,
Erst sieht aus der Sicherheit des Ganges alles gut aus: als er sich die Finger verbrennt.
Frumol lenkt die Mumie ab, sie geht ihm nach, er Dreimal versucht er, sie zu packen und dreimal muss
lockt sie zur Feuerschale, aber dann kann er sie nicht er wieder loslassen.
greifen. Er versucht es immer wieder, bis ihn die Gerade als der nach dem Gestell greifen will um
Mumie erreicht und so stark zuschlägt, dass Frumol dieses samt Schale umzustoßen, …
zu Boden geht.
… trifft ihn ein Schlag von hinten, denn die Mumie
Dadurch, dass die Mumie Frumol nachsetzt, kommt ist heran. Frumol wird von der Schale weg geschleu-
es zu folgender Anordnung: Zuerst kommt die Feuer- dert.
schale, dann die Mumie, dann Frumol.
Frumol kann die Schale nicht mehr ergreifen, als um
Der Weg zu Frumols Rettung ist frei. ihn herum die Sterne explodieren. Schmerz durch-
"Alrik hilf Sephyra mit der Bombe!", keucht er nach zuckt seinen Körper und er schreit auf.
hinten. Momente lang bleibt er liegen, als er wieder zu sich
kommt liegt er auf dem Boden und sein ganzer Kör-
Sephyra ist wie erstarrt, kann nicht reagieren. Zu sehr per schmerzt. Er fühlt sich, wie damals, als er samt
ist sie davon geschockt, dass die mächtige Attacke In- Schuppen zusammengebrochen ist - was war das nur
galfs einfach so verpufft ist. für eine dämliche Mutprobe.
Langsam weicht sie rückwärts zurück, immer Alrik Frumol rappelt sich währenddessen auf und weicht
hinter sich haltend und überlegt fieberhaft, wie sie den zurück, so dass die Mumie ihn nicht mehr treffen
anderen helfen können. Aber ihr will absolut nichts kann.
einfallen, nachdem ihre "Fackel-Idee" an den Fackeln Er entledigt sich so vorsichtig wie geht der Orknase
gescheitert ist. und greift - zur Not die Hände mit einer Ecke des
Im vorbei rennen gibt er dem Kavaljäre eine Kopf- Umhangs schützend - die Feuerschale um die 2.
nuss. "Aufwachen Angsthase!" schreit er Randirion zu. Mumie damit zu taufen.
Randirion erwacht aus seiner Erstarrung, und in Die Schale ist wirklich verdammt heiß, aber Ingalf
diesem Moment ist Frumol erstmals fähig zu überbli- überwindet sich, ergreift die Schale und schüttet den
cken, was sonst noch läuft. Inhalt von hinten über die Mumie, die daraufhin das
gleiche Schicksal wie die erste erleidet: Sie verbrennt
Frumol stockt der Atem, als er sieht was für ein Schlag
lichterloh!
den Seebären trifft. Er muss versuchen, die Mumie
von ihm abzulenken, sonst nimmst das ein übles Während Frumol aus sicherer Entfernung der ver-
Ende! brennenden Mumie zusieht, fällt die ganze An-
spannung der letzten Minuten - wie lange hat der
So nimmt er das Gestell der Feuerschale wieder auf
Kampf gegen die Mumien überhaupt gedauert? - ab.
und nähert sich der Mumie von hinten, wobei er
Ruhig bleibt er liegen und schöpft weiter Kraft, wäh-
immer auf den Drudenfuß achtet! Dann schlägt er mit
rend er in seinem Körper nach Verletzungen sucht.
all seiner Kraft das Gestell der Mumie in den Rücken.
Wenn er nur wüsste, was da im Körper hinten rechts
Zuschlagen geht mit dem unhandlichen Gestell nicht
zwischen Becken und Rippen liegt, dann wüsste er,
merkt Frumol nach zwei Fehlversuchen. Ingalf, Se-
was ihm so weh tut. Der Schmerz ist aber auszuhal-
phyra und Alrik haben sich in den Gang zurückgezo-
ten.
gen, und so wendet sich die Mumie dem immer noch
stocksteif dastehenden Randirion zu. Interessanterweise hat die Mumie bei Ingalf die glei-
che Stelle getroffen.
In seiner Verzweiflung benutzt Frumol das Gestell als
Ramme, und damit hat er Erfolg. Zwar hat er das Ge- Nachdem alles vorbei ist, kehrt Sephyra gemeinsam
mit Alrik zu den anderen zurück, hält sich aber einen
97
Schritt weit vom Eingang in den Raum auf und betritt 'Was hat sie denn jetzt vor?' fragt er sich. Es ist ihm
ihn nicht. Erst als sie die Situation überblickt, ruft sie schon unangenehm genug, dass Sephyra ihn vor den
aus: "Frumol, ist dir etwas passiert, bist du verletzt, Augen der anderen wegen nichts - naja, fast nichts -
geht es dir gut?" untersuchen muss. Schließlich jammert Ingalf ja auch
Die Sorge um das Wohl Frumols ist ihrer Stimme nicht. Und der wurde bestimmt heftiger getroffen als
deutlich anzumerken. Dann lässt sie Alrik stehen und Frumol!
stürzt auf Frumol zu, schließt ihn in die Arme: "Du "Meinst Du nicht, dass kann bis später warten?" fragt
hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!" er sie zaghaft.
schimpft sie liebevoll. Bei dieser Frage zuckt Sephyra leicht zusammen und
"Au. Ja … nein." Frumol ist sich ob der Verletzung bringt ihren Mund unauffällig an Frumols Ohr. Da-
nicht so sicher. Sein Rücken schmerzt, doch er hofft, mit die anderen es nicht hören, flüstert sie: "Ist dir das
das er nur eine Prellung davongetragen hat. Er er- etwa peinlich?" und laut antwortet sie: "Ja, ich denke
widert Sephyras Umarmung. das ist jetzt nötig. Wer weiß, was diese Dinger so alles
"Was hast du denn? Komm, lass es mich sehen." für Krankheiten übertragen können, damit ist nicht zu
fordert sie Frumol auf und dreht ihn so um, dass sie spaßen. Das hier war schließlich keine Wirtshaus-
den Rücken untersuchen kann. schlägerei!" erläutert sie ihr Vorgehen. "Ingalf ist auch
gleich dran." fügt sie sicherheitshalber hinzu.
So ist er für einen Moment ganz von der ungestörten
Zweisamkeit umfangen. Schließlich versucht er den "Welcher Geizkragen hat Premer Feuer und dem
Schmerz zu ignorieren und aufzustehen. Er gibt Se- Thorwaler noch nix angeboten?" meint er zu Sephyra.
phyra noch einen Kuss auf die Wange. "Ich muss die "Zum Kühlen hätt ich noch Wasser in der
Dolche suchen." sagt er und begibt sich auf die Suche Feldflasche", und reicht ihr selbe nachdem er einen
nach dem zweiten Dolch. kräftigen Schluck genommen hat.
"Nein, erst sehen wir mal nach, was dir fehlt!" da ist "Na ich dachte nur, alle Thorwaler haben immer Feu-
Sephyra unnachgiebig und lässt Frumol zunächst er dabei, du weißt doch, was man sich so über euch er-
nicht gehen, erst möchte sie sich von seiner Unver- zählt, oder?" fragt sie so, als wäre es eine feststehende
sehrtheit überzeugen oder gegebenenfalls nachhelfen. und unumstößliche Tatsache, das Thorwaler ständig
voll trunken und immer für einen weiteren guten
Frumol gibt nach und beschreibt ihr die Stelle, an der
Schluck zu haben seien.
ihn die Mumie traf. Dann hebt er sein Hemd und
lässt Sephyra seinen Rücken anschauen. "Man erzählt sich was für herausragenden Seefahrer
und was für furchtlose Kämpfer wir sind und ist be-
Sehr sorgfältig inspiziert Sephyra die ihr von Frumol
eindruckt von unserer natürlichen Schönheit, unserer
beschriebene Region seines Rückens.
beeindruckende Kunst, unseren einzigartigen Hand-
Ein kräftiger Bluterguss ist zu sehen. werkern und fürchtet in manchen Gegenden unsere
Vorsichtig tastet Sephyra die Stelle an Frumols Rücken Trinkfestigkeit …", wenn ihn niemand unterbräche,
ab: "Tut das weh?" fragt sie. 'Klar doch, sicher. Aber er ginge das jetzt 5 Minuten so weiter.
wird wohl kaum zugeben, wie stark die Schmerzen "Macht nichts." antwortete sie dann und nimmt die
wirklich sind.' denkt sie dabei. 'Mein tapferer Frumol!' Flasche von Ingalf entgegen. Etwas Wasser in die
"Hmm, was machen wir damit?" fragt sie mehr sich Hand gegossen, befeuchtet sie die getroffene Stelle an
selbst. Blutergüsse kennt sie zur genüge aus ihrer "ak- Frumols Rücken mehrfach und gießt etwas mehr auf
tiven Zeit" als Schaustellerin. Entweder fielen ihr die sein Hemd in dieser Region.
Jongliergeräte auf den Fuß oder man stürzte un- Frumol lässt diese Prozedur über sich ergehen. Was
angenehm bei einem misslungenen Kunststück und könnte er denn auch dagegen machen?
holte sich blaue Flecke. '"Kühlen", hat der Ohm
"So, fertig." meint sie dann schlicht und bedeutet
immer gesagt, "Kühlen muss man das!"'. Sephyra
Frumol, sich wieder anzukleiden. "Das nasse Hemd
denkt scharf nach, was könnte hier gut kühlen: Wasser
wird noch etwas kühlen." erklärt sie.
- oder noch besser: Feuer, Premer Feuer! 'Alkohol
kühlte immer am schnellsten …' erinnert sie sich. Endlich. Fertig. Frumol ist erlöst und kann gerade
noch einen Seufzer unterdrücken. 'Wie sie das wohl
"Ingalf, sag, hast du etwas 'Feuer' in deiner Flasche
wieder aufgefasst hätte? Statt dessen sagt er artig
übrig, damit ich Frumol behandeln kann?" Dass sie
"Danke." und umarmt seine Freundin.
das "gute Zeug" nur von außen auf den Bluterguss
reiben will und Frumol es nicht trinken braucht, Ingalf wischt kurz mit der Linken über die getroffene
erwähnt sie besser nicht. Ausreichend hat sie erlebt, Stelle und hofft kein Blut zu sehen.
wie der Seemann zu "Verschwendung" von Alkohol Die Hoffnung erfüllt sich.
(in seinen Augen) steht.

98
"Nee lass mal das verarzten hübsches Mädel. Das Mit der noch entzündeten Kerze schaut er sich den
kann Seline dann machen, solange die Gerippe da Bewusstlosen nochmal an. Und leitet sanfte Weck-
hinten noch klappern, muss das nich. maßnamen ein (deutliches Ansprechen in Ohrnähe
Schaut ihr mal ob's hier noch Heiltränke hat oder "He Freund"). Mehr als Beschäftigungstherapie als als
anderes tolles Wunderzeuchs gibt." ernst gemeinter Versuch. Bis die Anderen fertig sind
achtet er auf den Gang.
"Hm, ich weiß nicht so recht. Glaubst du nicht, dass
es hier noch mehr Fallen geben könnte?" Es macht den Eindruck, als ob die Bewusstlosigkeit
nicht mehr so tief ist. Immer öfter ist ein Stöhnen zu
"Das ist nicht sicher." wirft Frumol ein.
hören.
Randirion, eifrig seinen Ausfall von vorhin wieder-
"Ist ja gut. Aber bitte beeile Dich, wer weiß was noch
gutzumachen, geht hinüber (und zwar ebenfalls ohne
alles kommt …", antwortet Frumol, der weiß das Se-
das Pentagramm zu berühren) zum Arbeitstisch.
phyra ja eigentlich und wieder einmal Recht hat.
Und sieht sich (noch ohne etwas anzufassen) die
"Eben. die klapprigen Gesellen brauchen bestimmt
Glasflaschen im Regal an. Vielleicht sind die beschrif-
nicht ewig durch die Tür wenn die genauso 'nen
tet, und Alchemisten reden ja immer Bosparano, und
Schlag haben wie die Lumpensammler grad."
immerhin beherrscht er ja noch etwas Bosparano aus
der Schule … Die Dolche müssen halt noch warten …
Tatsächlich sehen die Beschriftungen wie Bosparano Der fehl geworfene Doch liegt vor einer Wand.
aus. Es sind aber nur Abkürzungen auf den Etiketten Nachdem Frumol diesen Dolch gefunden hat, nimmt
der Flaschen, und die versteht Randirion nicht im ent- er ihn an sich und steckt ihn wieder in die dafür
ferntesten. Alchemie hat er in der Schule immer wie vorgesehene Scheide am Brustgurt.
die Pest gehasst. Das rächt sich jetzt. Der erste Dolch ist aus der Mumie heraus gefallen
'<Ess. alr. maj.>? Nie gehört … <Ti. mut. II>? und liegt auf dem Boden. Der Griff ist ziemlich stark
<Baln. arc. terr.>?' verkohlt und die Scheide ist mit einer dunklen
Randirion sucht in den Wortfetzen nach etwas, das blättrigen Schicht bedeckt.
dem Bosparanischen Wort für <Heilung> nahe Frumol beugt sich über dienen Dolch und betrachtet
kommt. Irgendetwas mit "cur" zum Beispiel … ihn voller Abscheu. Da Feuer scheint nicht nur der
Zu Alrik: "Wenn uns hier nochmal jemand Ärger Mumie nicht gut bekommen zu sein, sondern auch
macht, gehts uns besser wenn du nich weg rennst und dem Dolch. Er lässt ihn liegen, ohne dass er ihn be-
das machst was man dir sagt. Sephyra hätte bestimmt rührt hat und blickt sich erneut in dem Raum um.
mehr helfen können, wenn sie nicht auf dich hätte 'Was ist nur mit dem Kavaljäre los?' fragt er sich und
aufpassen müssen!" in einem eher väterlichen als An- ist empört darüber, dass dieser zwar mit dem Mund-
klagenden Ton. werk immer voran ist, doch die Taten lassen auf sich
"Ich werde mir Mühe geben, Herr!" Alrik zieht den warten.
Kopf zwischen die Schultern. Randirion erwacht aus seiner Erstarrung und räuspert
Auch hier muss sich Sephyra einmischen: "He, er ist sich erst einmal.
nicht weggelaufen. Ich habe ihn nur mitgenommen, "Danke Leichtmatrose. Weiter schlafen!", raunt ihm
als ich nach einer Fackel im Gang hierher suchte, um der Thorwaler zu.
die Mumien in Brand stecken zu können. Er kann Besonders stolz sieht der Kavaljäre gerade nicht aus.
nichts dafür. Lass ihn also in Ruhe!"
Nein, denn ihm ist sehr wohl bewusst, dass seine Star-
"Da konnt er wirklich nich mehr weglaufen", ent- re die Gefährten in großer Gefahr allein gelassen
gegnet Ingalf mit einem leichten Lachen und hatte.
beschließt Alrik nicht noch weiter zu beschämen.
"Ihr … ich … die …" stammelt Randirion, und macht
"Aber wenigstens hätt er meine Sachen in Sicherheit
dann den Mund wieder zu.
gebracht und hatte ja keine Waffe …", die Spitze auf
Randirion verkneift er sich für eine gemütlichere At- Stattdessen steckt er nun das Rapier in die Scheide,
mosphäre. und ist erstmal still.
"Falls die Skelette kommen sinn 2 Leuchten nicht so Sephyra kümmert sich nicht weiter um den Kawalje-
verkehrt", meint er in Bezug auf das 'Beleuchtungs- re. Nur einen kurzen, dafür aber vernichtenden Sei-
problem'. "Mach doch mal noch 'ne Fackel an falls bei tenblick hat sie für ihn übrig, während sie mit
dem Hebel wirklich nochmal Lumpengesindel Frumols Verletzung beschäftigt ist. Sagen tut sie
kommt, gehn uns anscheinend grad die Feuerschalen nichts, aber das ist wohl auch nicht notwendig: 'Der
aus.", während er sich wieder dem Bewusstlosen zu- fühlt sich schon von allein unwohl genug - recht so!'
wendet … Als Frumol schon den Hebel betätigt … kommentiert sie das im Geiste.

99
Alrik fragt: "Ist alles vorbei?" führt sie häufiger Selbstgespräche als zuvor. Woran
"Nu ja.", meint Ingalf angenehm von der kindlichen das wohl liegt?
Naivität berührt. "Da sinn noch die beiden Skelette Er bedenkt sie mit nachdenklichem Blick - so als
hinter der Tür da hinten rechts … Wir hab'n erstmal wolle er fragen 'Alles in Ordnung'. Der heutige Tag
genuch. Aber wenn du warst doch vorhin so scharf war aber auch schon sehr anstrengend. Sicher liegt es
drauf?", er reicht ihm lässig mit einer Hand die Or- daran.
knase und verkneift sich so gut es gut sein Grinsen. So ein Pech. Dahinter wird wohl ein wirkliches Ge-
"Nein danke Herr, ich bleibe lieber hier", kommt es heimnis schlummern …
von Alrik. … trotzdem hat er das Gefühl, dass es in diesem
Ein ziemlicher Gestank liegt in der Luft. Da beide Raum noch mehr verborgene Geheimnisse gibt.
Feuerschalen nicht mehr brennen, ist es ziemlich Da der Schreibtisch unerreichbar bleibt, bleibt ja nur
düster geworden. noch der Arbeitstisch … So tritt Frumol erneut an
Ingalf verstaut die Orknase. diesen heran und somit neben Randirion der die
"Hatst du nich noch ne Fackel Frumol?", meint er Fläschchen im Regal mustert.
während er in seinem Seesack nach einer Kerze sucht "Na, schon was gefunden, großer Kämpe?" fragt er ihn
in deren Licht er sich auf der Suche nach seiner miss- mit ironischem Unterton.
glückten Brandbombe macht, 'man weiß ja nie, wen Randirion scheint ihn zu überhören. Oder will er ihn
man alles nochmal anzünden muss'. überhören?
"Ja." gibt der angesprochene schlicht zurück. Wenn Randirion geht auf die Spitze nicht ein.
Sephyra mit ihrer Kontrolle fertig ist, wird er die Fa-
"Herr Pellocke, gehören zu all Euren bekannten und
ckel nehmen und anzünden.
unbekannten Talenten vielleicht auch die Kenntnis
"Sephyra, kannste mir ma leuchten?" der Alchimie oder ihrer Formelsprache? Meine
Er verreibt das Wachs auf dem Pergament, zieht den eigenen Kenntnisse sind eher - rudimentär."
Docht als Lunte heraus und näht das restliche Wachs Er erinnert sich aus den Alchimiestunden nur an zwei
in einen Pergamentbeutel. Dinge: an die Phrase "Erst das Aqua, dann das Aci-
Der Schreibtisch zieht wieder sein Interesse auf sich, dum; sonst passiert ein Horribilium!" und an die hüb-
schließlich wird man etwas wertloses nicht derart sche Erianne ya Darenton, die nur zu diesen Stunden
schützen … So geht er an die (Gitter-)Stäbe heran anwesend war … welch eine Verschwendung von
und untersucht diese genauer. Kann er sie vielleicht seltener Schönheit! Leider sind beide Erinnerungen
zurück schieben? Oder kann er durch die Stäbe hin- gegenwärtig nur von geringem Nutzen …
durch den Schreibtisch erreichen? Dafür scheint jetzt Frumol den Kavaljäre zu überhö-
Die Stäbe sind ziemlich massiv und lassen sich des- ren …
wegen nicht verschieben. Die Stäbe sind so weit vom Er selbst widmet sich wieder den Gerätschaften auf
Schreibtisch entfernt, dass Frumol nicht einmal die dem Tisch, die ihm jedoch nach wie vor langweilig er-
Tischkante greifen kann. scheinen, da er deren Bestimmung nicht kennt. Gut,
Sephyra bemerkt Frumols vergeblichen Versuch und es brodelt und blubbert - aber sonst?
tritt ebenfalls an die Stäbe heran, untersucht alles akri- So betrachtet er den Tisch genauer. Gibt es Schub-
bisch. 'Wenn sie nach unten kommen, müssen sie laden, Fächer oder sogar geheime Verstecke?
auch wieder nach oben verschwinden.' überlegt sie.
In der Tischplatte scheinen keine Fächer eingelassen
Testweise umfasst sie einen der Gitterstäbe mit beiden
zu sein. Frumol bückt sich und schaut an der Tisch-
Händen und versucht, ihn nach oben zu schieben.
kante nach Schubladen. Es gibt keine. Geheime Ver-
'Hm, wahrscheinlich geht das nur mit allen zu-
stecke - die könnten ja auch unter der Tischplatte sein.
sammen.' denkt sie.
"Äh - ich glaube nicht" antworte Frumol noch auf
Der Stab ist absolut unbeweglich.
Knien. 'Was mein er mit >rudiemäntehr<?'
"Irgendwie muss nach einem Auslösen der Falle der
Frumol lässt sich auf die Knie nieder, kriecht unter
eigentliche Besitzer hier auch wieder an sein Zeug
den Tisch und bittet: "Sephyra, kannst Du mir mal
kommen. Es muss also einen versteckten Mechanis-
leuchten?"
mus geben, denn es gab ja auch einen Auslöser." argu-
mentiert sie laut. Da ihre Versuche mit dem Gitterstab erfolglos sind,
kommt Sephyra der Aufforderung gern nach und
"Da stimme ich Dir zu. Vielleicht finden wir ihn." ant-
nimmt die Lampe wieder in die Hand, geht zu
wortet Frumol.
Frumol herüber und leuchtet unter den Tisch.
"Es sei denn … es wäre ein rein magischer Auslöser
gewesen." ergänzt sie für sich selbst. In letzter Zeit
100
Unter dem Tisch gibt es nichts, was auf ein geheimes möglichst schnell wieder unter dem Arbeitstisch her-
Versteck hinweist, aber aus der Wand ragt ein Hebel. auszukommen.
"Aha, dachte ich's mir doch! Der Hebel hebt bestimmt Frumol hört ein Schaben aus Richtung der Wand zwi-
die Stäbe wieder an." ist alles was sie dazu sagt. schen Schreibtisch und Arbeitstisch. Als er unter dem
"Das könnte sein." stimmt Frumol ihr zu. "Dann sollte Tisch herauskommt, sieht er, wa auch die anderen se-
aber keiner von uns in der Nähe sein." hen: Eine Geheimtür ist auf geschwungen. Dahinter
befindet sich ein kurzer Gang. Dann kommt ein
"Das stimmt wohl." antwortet sie.
schwach durchscheinender Vorhang.
Er kriecht halb unter dem Arbeitstisch hervor um sich
Dahinter scheint Licht zu sein. Zu hören ist nichts
den andren zuwenden zu können. "Soll ich ihn um-
weiter.
legen?" fragt er sie. Vielleicht hat Sephyra Recht, aber
was, wenn die Falle wieder ausgelöst wird? Was ge- |VV|
schieht wenn dann nicht so schnell reagiert wird. Und | |
_| |___
wenn dann noch einmal zwei Mumien erscheinen? /A S\
Oder gar noch schlimmeres? Er wagt nicht, seine Ge- /A S\
danken auszusprechen, geschweige denn noch weiter | KK |
zu verfolgen. |F KPPK |
| KPPK F|
Ein ist ihm aber klar. Wenn die anderen dagegen sind, | KK |
den Hebel zu benutzen wird er es auch nicht tun. \ \
"Zu schade …" \________/\ \
| |
Und wendet dann seine Aufmerksamkeit ebenfalls | |
dem Hebel zu.
"Fantastisch, Herr Pellocke! Ein Geheimgang!"
'Nun gut, in Physik habe ich auch nicht wesentlich
Randirion zückt die Balestrina und schleicht (oder
besser aufgepasst, aber vielleicht ist ja doch das
was er dafür hält) an den Beginn des Ganges.
Richtige hängen geblieben.'
Seine Stiefel knarren dabei sehr vernehmlich.
"Ja, ich denke doch, sonst haben wir hier nichts ge-
funden, was das Gitter zurück an seinen Platz bringen "Psst", zischt Ingalf.
würde, oder?" Sicherheitshalber sieht sie sich noch Sephyra verdreht nur die Augen und enthält sich jedes
einmal um. Kommentars ob der Fähigkeiten des Kawaljere.
Aber Frumol zögert noch. Er hat da so seine Beden- Der Vorhang ist aus einem schweren Stoff, der ziem-
ken. lich dicht gewebt ist.
'Hätte ich bloß nicht so intensiv gesucht. Dann hätte Und hoffentlich den Lärm auffängt …
ich ihn sicher nicht gefunden und dann wäre ich jetzt Durch einzelne winzige Löchern, die zu klein zum
nicht in dieser Lage.' Durchschauen sind, strahlt Licht. Auch direkt hinter
Aber auch die Neugier (Was passiert, wenn …?) zehrt dem Vorhang ist von der anderen Seite nichts zu hö-
schon arg an Frumol. ren.
Und ihr fällt nichts auch nur im entferntesten auf. Es "Na toll!" wispert Sephyra in Anbetracht der neuen
gäbe sonst nur noch die Möglichkeit, Boden und Ereignisse. "Und nun?"
Wände Rechtspann für Rechtspann abzusuchen. Sie sieht sich um, aber nimmt kaum an, dass der Me-
"Nun, nichts zu sehen." konstatiert sie. "Dann los, ich chanismus gleichzeitig auch die Stäbe entfernt hat.
wäre dafür, ihn auszuprobieren!" fordert Sephyra Die Stäbe sind tatsächlich immer noch da.
Frumol auf.
Frumol hätte mit vielem gerechnet, jedoch nicht mit
Da Sephyra ihre Zustimmung zu diesem Vorhaben einem Geheimgang. Sicherlich verbergen sich dort
gegeben hat, und von den Anderen keine Einwände noch mehr Gefahren - hoffentlich weder Mumien,
kommen, lächelt er sie mit seinem typisch-schel- noch Skelette oder gar Schlimmeres.
mischen Lächeln an, dreht sich um, und kriecht
Da der Kavaljäre schon zu dem Gang bewegt -
wieder unter den Arbeitstisch. Beim Hebel angekom-
Frumol wäre es lieben, würde er nicht so laut sein -
men, bittet er noch kurz Phex 'Bitte, lass' nichts
steht er erst einmal auf und wartet ab.
schlimmes geschehen' und legt den Hebel um.
Ingalf lässt den Bewusstlosen am Eingang des Acht-
Kaum hat er den Hebel bewegt, kann er es vor Aufre-
ecks sitzen. Winkt Sephyra, deutet auf die Lampe und
gung und Neugier schon nicht mehr aushalten: "Was
Alrik und übernimmt beide um den leiseren ein unge-
geschieht?" fragt er aufgeregt und bemüht sich
störtes schleichen zu ermöglichen.

101
Alrik wirft er einen ernsten Blick zu und legt einen und zieht ebenfalls einen Wurfdoch aus dem Brust-
Finger an seine Lippen. Er wird sich mit Alrik so plat- gurt.
zieren, dass beide gerade nicht mehr im Lichtschein Dann schleicht sie hinter dem Kawaljere her, sicher
stehen er aber mit einer Kopfbewegung in den Gang viel leiser, und als sie ihn erreicht drückt sie ihm wort-
schauen kann. Die Lampe stellt er in Richtung des los die Lampe in die Hand und bedeutet ihm mit
Bewusstlosen ab und ist bereit beim kleinsten Mucks einer Geste, zurückzutreten.
Alrik den Mund zuzupressen, so wie er es bei unzäh-
Was er (natürlich mit einer angedeuteten Verbeugung)
ligen Mutproben und Initiationsriten gelernt hatte,
tut.
wenn er grad mal nicht der Hauptakteur war.
'Ja, lass hier mal die Profis 'ran, Kawi!' begrüßt Sephy-
Sie drückt Alrik an die Wand und bedeutet ihm, dort
ra dessen Einsicht.
reglos stehen zu bleiben. Dann zieht sie beide Wurf-
dolche: den ersten klemmt sie sich zwischen die Zäh- Sollte dem so geschehen, lauscht sie angestrengt. Aber
ne, den anderen nimmt sie wurfbereit in die Hand. da vermutlich noch immer kein Laut zu hören sein
Mit der Lampe ist sie bereit, jeden erscheinenden wird, versucht sie lediglich, seitlich am Vorhang auf
Gegner zu blenden. der rechten Seite vorbei zusehen - eventuell mit der
Hand den Vorhang ganz langsam und vorsichtig ein
So ausstaffiert sieht sie ziemlich "gefährlich" aus,
Stück beiseite zu ziehen.
nichtsdestotrotz grinst sie Frumol mit dem Dolch zwi-
schen den Zähnen seitlich an und bedeutet ihm mit Ebenfalls leise folgt er ihr, hält aber genügend Abstand
einem Kopfnicken, ihnen den Rücken freizuhalten. um sie nicht zu behindern.
Bei ihrem süß-verwegenen Aussehen, muss Frumol Frumols Position aus den Augenwinkeln wahr-
breit grinsen, tut jedoch was ihm aufgetragen wurde nehmend macht sich Sephyra an die Ausführung ihres
Plans.

102
Murgol
G hang rechts zu Seite. Ja, das ist wirklich ein von
anz vorsichtig zieht Sephyra den schweren Vor- als notwendig belästigen. Aber wir sind auf einer
wichtigen Queste und suchen ein kleines Mädchen,
Öllampen erleuchteter Raum hinter dem Vorhang. das sich verlaufen hat."
Der Boden besteht aus polierten schwarzen Fliesen. So gut kann sie nicht mit Worten umgehen und eine
An der Wand rechts steht ein Schrank. Geradeaus ist standesgemäße Unterhaltung mit einem Zauberer
eine Holztür zu sehen. Es passiert weiter nichts. Also kann sie gleich gar nicht führen. 'Los Kawaljere, das
zieht Sephyra den Vorhang ganz auf und schaut sich ist jetzt deine Show!' denkt sie und sieht sich flüchtig
um: nach ihm um.
____ Ohne etwas zu sagen, macht der schwarz gekleidete
| | eine einladende Geste, die auch der hinter Sephyra
| |_TT_ stehende Randirion sieht.
| |
| | Die anderen hören nur Sephyras Worte.
|___ __| 'Was ist denn da los' fragt sich Frumol, der misstrau-
|VV|
| | isch den Dolch in der Hand hält. Er sieht wie Sephyra
_| |___ ruhig bei dem zurückgezogenen Vorhang steht und
/A S\ hört ihre Worte mit denen sie jemanden anspricht. Da
/A S\ er weder bei ihr noch dem Kavaljäre ein Anzeichen
| KK | der Gefahr sieht, verhält er sich ruhig, ist jedoch breit
|F KPPK |
| KPPK F| sofort zu Handeln.
| KK | 'Was passiert da vorne Sephyra? Wer ist da? Gib ein
\ \ Zeichen!'
\________/\ \
| | Bereits Luft holend naht er von hinten, er hat gehört,
| | dass hier laut gesprochen wurde … da es hell ist stellt
er beim Hereinkommen die Laterne irgendwo ab und
Direkt neben dem Eingang steht links an der Wand
nimmt die Balestrina in die Linke.
ein schwerer Schreibtisch, davor steht ein großer
Holzstuhl mit kunstvoll geschnitzter Lehne. In der Und obwohl er sich sehr wohl bewusst ist, dass dieser
Ausbuchtung links gegenüber steht eine breite Kom- Herr von der Gefangennahme Alriks wissen muss,
mode, über der ein ovaler, reich verzierter Spiegel an und dass er vermutlich ein bösartiger Schwarzmagier
der Wand hängt. Der Spiegel zeigt aber keine Reflekti- ist, lässt sich ein Liebfelder Adliger das noch lange
on sondern einen Sumpf aus der Vogelperspektive. nicht anmerken …
Durch den Sumpf scheint ein Steinweg zu führen, Lächelnd herantretend zieht er den Hut in einer
aber viele der Platten sind bereits im Sumpf eleganten, fließenden Bewegung.
verschwunden. "Die Zwölfe zum Gruße, gelehrter Herr, und bitte
Verwundert fragt sie sich: 'Sind wir auf diesem Wege verzeiht unser unangemeldetes Eindringen. Ich bin
gekommen?' Cavaliere Randirion ya Calmatin, und wie meine
Vor dem Spiegel steht ein schwarz gekleideter Mann. bezaubernde Gefährtin …" ('Keine Namen nennen
Er ist von stattlicher Gestalt, hat langes schwarzes ermahnt er sich! Namen in den Händen eines Magiers
Haar, einen Spitzbart und lange Fingernägel. Sein sind gefährlich. Einer, also meiner, reicht!') er deutet
Umhang wird von einem seltsamen, goldenen Gürtel mit der Hand, die den Hut hält, auf Sephyra. "… be-
zusammengehalten. reits andeutete, sind wir auf der Suche nach einem
vermissten Mädchen, dessen Spur wir bis hierher ver-
Er schaut Sephyra mir einem leichten Lächeln an,
folgen konnten. Ihr Bruder befand sich hier in einem
sagt aber nichts.
verschlossenen Raum - sicherlich aufgrund eines
In diesem Moment wird sich Sephyra ihrer Erschei- Versehens oder einer Verwechselung."
nung gewahr und wie sie auf den "Hausherren" wir-
Er lächelt gewinnend.
ken muss, so mit einem Dolch wurfbereit und einem
zweiten zwischen den Zähnen. Vorsichtig steckt sie "Ich bin sicher, auch Ihr seid ein Gentilhomme, ein
den ersten Dolch zurück an seinen Platz und nimmt Ehrenmann, dem das familiäre Glück einer einfachen
den zweiten aus dem Mund. Familie keinesfalls gleichgültig ist. Könnt Ihr uns im
Namen Travias helfen, diese Missverständnisse aufzu-
Dann fragt sie in die Stille hinein: "Verzeihung mein
klären?"
Herr. Wir möchten Eure Einsamkeit hier nicht weiter
103
"Natürlich, natürlich!" erwidert der Unbekannte. So wartet Frumol erst einmal ab, den Wurfdolch wei-
Aus dem Gang ruft Alrik: "Seline, bist Du da?" terhin in der Hand, und bleibt möglichst unauffällig
stehen.
"Oh, kommt doch erst einmal alle herein!" Der
schwarz Gekleidete ist äußerst zuvorkommend. Ingalf bleibt in Deckung und versucht sich so wenig
wie möglich zu bewegen. 'Wenn das ein mächtiger
Randirion verbeugt sich.
Magier da drinnen ist, kann das Foltern nur mit seiner
"Marveilleux, seid zutiefst bedankt." Duldung geschehen.'
"Alrik, komm er herein! Der Herr ist freundlich und Zu Alrik macht er eine Geste bei der die Lippen auf-
gewillt uns zu helfen, da darf er uns auch alle sehen." einander presst und eine Bewegung macht als würde
ruft er über die Schulter nach hinten. er einen Schlüssel umdrehen. Danach winkt er ihn
'Hoffentlich schalten die anderen und verraten sich mit der linken in den Gang zu Sephyra und zum Ka-
nicht!' valjäre.
Alrik kommt schüchtern in den Raum und sieht sich Alrik schließt die Lippen fest und bewegt sich in die
aufmerksam um. Er hat seine Lippen fest aufeinander angezeigte Richtung.
gepresst. Er selbst lockert den Schneidzahn um ihn Frumol zu
"Ich hoffe wir haben nicht allzuviel Unannehmlich- reichen …
keiten verursacht …" wendet sich Randirion nun … woraufhin dieser nur leicht den Kopf schüttelt und
wieder an den finsteren Gegenüber. "Es lag uns fern, auf seinen Wurfdolch deutet.
uns mit Gewalt Eintritt zu verschaffen, allein wir
'Was soll ich mit einer Axt?' fragt er sich.
hatten bisher keinen zivilisierten Gesprächspartner.
Übrigens, erlaubt die Frage jemandem, der in den ge- … und bereitet sich vor die Orknase zu greifen. Er be-
hobenen Kreisen der magischen Gesellschaft nicht zu wegt sich dabei so wenig als möglich.
hause ist - mit wem habe ich die Ehre?" Unbeeindruckt von den sicher nicht lautlosen Vor-
Der schwarz Gekleidete schaut ein wenig ungeduldig, gängen in ihrem Rücken versucht Sephyra durch Fort-
als niemand weiteres aus dem Gang kommt. führung des Gesprächs, die Aufmerksamkeit des Ma-
giers abzulenken und beim Kavaljäre und sich selbst
Sephyra ist äußerst misstrauisch, was man ihr sicher
zu halten:
von der Nasenspitze ablesen kann. 'Vorsicht!' gemahnt
sie sich innerlich. 'Der hat doch irgend etwas vor - ich "Ja, ähh, genau. Wir wollen auch gar nicht stören."
jedenfalls würde eine Bande wie uns nicht so ohne Dabei wirft sie einen auffälligen Blick in alle Ecken
weiteres hereinbitten!' des Raumes: "Und wie es scheint ist das von uns
beiden gesuchte Mädel auch gar nicht hier. Komm,
Freundlich aber bestimmt erwidert sie auf die Ein-
lieber Randirion, hier werden wir nicht fündig!"
ladung: "Vielen Dank, mein Herr … aber ich hatte
Euren Namen nicht richtig verstanden." versucht sie Damit deutet sie eine Verbeugung an, ohne den Ma-
Zeit zu gewinnen und stellt sich dabei so in den Ein- gier aus den Augen zu lassen und beginnt damit, sich
gang zum Raum, dass keiner der anderen ohne wei- langsam rückwärts aus dem Raum zurückzuziehen.
teres an ihr vorbei kommt und so nur sie und der Ka- "Nun denn, so sei es!" hebt der Unbekannte an. "Mein
waljere im Raum und damit in direkter Sicht des Name ist Murgol und ich habe ein Geschenk für
Fremden sind. euch."
Frumol hört das Gespräch, kann sich jedoch keinen "Höchst angenehm …" beginnt Randirion, un-
Reim darauf machen. terbricht sich jedoch.
Auch das Alrik einfach so los brüllt, dafür gehört ihm Er greift an seinen Gürtel, löst ihn und wirft ihn den
kräftig der Hintern versohlt - obwohl Frumol kann ich im Raum Befindlichen vor die Füße. Der Gürtel ist
ja verstehen, er hätte sich sicher nicht anders verhal- aus zwölf goldenen Skorpionen gefertigt, die sich mit
ten. Und dafür mehr als einmal eine Tracht Prügel be- den Scheren und Schwänzen berühren. Beim Aufprall
kommen … auf den Boden verwandeln sich die goldenen Skor-
Auch verhält sich Sephyra so merkwürdig steif, als pione in echte, lebende Tiere, die mit zum Angriff
wolle sie nicht, dass noch jemand in den Raum erhobene Stacheln auf die Helden zu krabbeln.
kommt? Der Kavaljäre hingegen redet wieder so Randirion hat zwar feste Reitstiefel an, aber wenn
hochtrabendes Zeug, dass Frumol, nur mit Mühe ver- diese Dinger Metallstacheln am Ende ihrer Schwänze
steht, was er zum Ausdruck bringen will. Wenn er haben sollten, würde auch das nicht helfen.
doch nur etwas sehen könnte! Aber das geht nicht "Euer Geschenk, so scheint es, ist nicht aus Großmut
ohne das er selbst näher an den Eingang herantritt … geboren … So sei es denn der Kampf, Herr Murgol
Kellerkünstler von Ruinenburg!"

104
Langsam weicht auch er zurück (genauer gesagt: so "Da ist ein schwarzer Mann. Der sieht ganz finster
schnell wie nötig). Dabei setzt er den Hut wieder auf, aus. Und er hat einen goldenen Gürtel. Und den hat
und zieht sein Rapier, denn ihm kommt eine wahn- der auf den Boden geworfen. Und dann hat er sich in
witzige Idee: er wird versuchen, mit der Spitze des Ra- ganz viele Skorpione verwandelt. Ihh!" sprudelt Alrik.
piers das ihm nächste der Tiere zu seinem Besitzer zu- "Oh." entgegnet Frumol auf die Erklärung. Er kann
rück zu schnippen … sich keinen richtigen Reim auf die Worte machen
'Super!' stöhnt Sephyra innerlich. Dabei schaut sie ergänzt aber dennoch ganz zuversichtlich: "Das
zweifelnd auf ihre ledernen Stiefel. Aber die scheinen werden sie schon schaffen."
ihr in Anbetracht von 12 Skorpionen zu dünn, um Er würde sich gerne einen Überblick verschaffen doch
einfach auf den Tieren herum zu trampeln. Statt würdet er seine Gefährten mehr behindern als nützen.
dessen sieht sie zurück zu Murgol und wirft ihm ihren Er hat den Eindruck als würden sie sich langsam zu-
giftigsten Blick entgegen. rückziehen. Also kann er gerade nichts unternehmen.
"Das hast du nicht umsonst gemacht!" zischt sie ihm "Du bleibst hier schön stehen, egal was geschieht",
entgegen und weicht dabei langsam vor den Skor- weist er den jungen Müllerknaben an. Seinen Dolch
pionen zurück. behält er in der Hand. Vielleicht beruhigt das den
Murgol fängt an zu kichern und macht eine scheu- Jungen - er selbst würde sich ganz unnütz und nackt
chende Bewegung. fühlen, würde er ihn wieder wegstecken.
Tatsächlich erhöhen die Skorpione ihre Geschwindig- 'Hoffentlich kommen jetzt nicht auch noch die
keit. Skelette um die Ecke.' hofft er inständig. Aber da es
'Uh oh!' denkt sie nur. auf dem Gang ruhig ist scheint noch keine Gefahr zu
drohen …
Fieberhaft denkt sie nach. 'Hilft hier mein Rapier?
Kann ich sie einzeln aufspießen?' Sich erinnernd, 'Dann wolln wir doch mal sehn was meine Brand-
noch einen der Wurfdolche in der Hand zu halten, bombe taugt' denkt sich Ingalf und macht sich in
schleudert sie diesen aus dem Handgelenk von unten Ruhe daran die Brandbombe zu entzünden.
her dem Magier entgegen und zielt auf dessen Brust. Dadurch kriegt er wenig davon mit, was während-
Das war zu schnell geworfen. Der Dolch knallt gegen dessen passiert.
die Kommode. Sofort setzt sich Murgol in Bewegung. "Er mag kein Untoter sein aber feuerfester Stoff ist
Mit wenigen Schritten ist er an der anderen Tür, öff- richtig teuer", meint er zu Frumol. "Wen stören schon
net sie und ist hindurch. Die Tür wirft er hinter sich Skorpione, wenn man einen guten Schuhmacher
zu. hatte …", versucht er sich und die anderen zu beru-
Ohne sich um einen möglichen Treffer zu kümmern, higen. Wenn die Bombe dabei ist Feuer zu fangen,
zieht sie sodann das Rapier und versucht, den nächs- versucht er sie ins Zimmer zu kegeln ohne dabei einen
ten krabbelnden Skorpion mit einer Stoßattacke auf- der Gefährten zu gefährden.
zuspießen, jedoch immer auf ihre Füße achtend, da- Es ist ein guter Wurf.
mit diese von den Tieren nicht vereinnahmt werden. Dann nimmt Alrik und die Lampe und zieht sich
Das ist verdammt schwierig, aber sie schafft es. Der zum Bewusstlosen zurück, wissend, das er die denk-
Skorpion erschlafft sofort, hängt aber immer noch an bar schlechtesten Waffen gegen die Skorpione hat. Er
ihrem Rapier. achtet dabei darauf den Drudenfuß nicht zu betreten
Dann kommt ihr eine Idee: "Los zurück!" ruft sie und die Lampe in Richtung Magier leuchten zu
Randirion zu, "raus aus dem Raum!" 'Einfach den lassen.
Hebel wieder umlegen, sobald wir draußen sind. Den Erfolg oder Misserfolg seiner Aktion kriegt Ingalf
Dann sind der Typ und seine Haustiere unter sich!' also nicht mehr mit.
"Un moment, Madame … hepp!" In dem Moment knallt die Tür zu. Randirion war so
Alrik schreit "Ihh!" und läuft zu Frumol und Ingalf auf sein kleines Kunststück konzentriert, dass er Se-
zurück. phyras Wurf und Murgols anschließende Flucht gar
nicht richtig mitgekriegt hat.
Ingalf rückt sofort vor, um die Situation zu überbli-
cken und entdeckt die Skorpione. Ob des Geräusches wendet Frumol seine Aufmerk-
samkeit wieder dem Gang zu, doch dort scheint sich
Frumol ist zu Handlungsunfähigkeit verdammt -
nichts bedrohliches ereignet zu haben …
schließlich ist Ingalf auch noch in den Gang gestürzt,
und somit ist dort ziemlich wenig Platz, egal was dort Der Skorpion, den Randirion geschnippt hat, fliegt
geschieht. allerdings wunderbar und landet auf der Kommode,
von woher er aber sofort wieder herunter springt.
So wendet er sich an Alrik. "Was passiert da drinnen?"

105
Ohne sich nun um die Präsenz den Magiers kümmern Geschickt fängt Frumol den Stoff auf breitet ihn aus
zu müssen, ruft sie sofort laut: "Los! Alle sofort zurück und wirft ihn in Richtung der herankommenden
in den Gang und dann in den Arbeitsraum zurück. Skorpione. Wie ein schwerer Teppich legt sich der Vor-
Frumol, geh' in Position, den Hebel für den Geheim- hang über die Skorpione und behindert ihr Voran-
gang wieder umzulegen, sobald wir alle heraus sind, kommen und taucht sie in Dunkelheit.
das wird das Getier abschneiden." Phex sei Dank - das ist gelungen.
'Dann können wir in aller Ruhe überlegen, was zu tun "Kommt, helft mir!" ruft er den Zurückgebliebenen zu
ist.' überlegt sie. und ist schon dabei, auf die erste Beule unter dem Vor-
"Eh bien, es spricht Weisheit aus Euren Worten, Ma- hang zuzutreten und den Skorpion darunter mit sei-
dame!" nem Stiefel zu zermalmen.
Randirion schließt sich dem Rückzug an, versucht Alrik macht keine Anstalten, Frumol zu helfen, aber
aber beim Hinausgehen noch einen Skorpion aufzu- …
spießen und (tot) mitzunehmen, um die Gefährlich- Tatsächlich gelingt es Frumol und seinen Gefährten
keit einschätzen zu können. Das Sephyra schon einen problemlos, alle Skorpione zu zertreten.
erlegt hatte, ist ihm nicht aufgefallen.
"Phex sei Dank!" entfährt es Sephyra, als die Gefahr
Die Dinger sind schwerer zu erwischen, als es im gebannt ist.
ersten Moment den Anschein hatte. Randirion sticht
"Und meinen Respekt für Eure hervorragende Idee,
daneben.
Herr Pellocke!"
"Impertinente Kreatur …" murmelt Randirion …
Randirion nicht Frumol anerkennend zu.
In diesem Moment rollt an ihm ein kleiner Feuerball
Solch ein Lob des hohen Herren lässt Frumol lächeln.
vorbei – genau zwischen die Skorpione.
Oder waren das nur solche Worte, die der feine Herr
Randirion macht instinktiv einen Schritt zur Seite und
so gerne und ausführlich zu gebrauchen weiß? Doch
zurück.
Frumol glaubt eher an die Ehrlichkeit der Worte.
Ein Teil der Skorpione fängt Feuer und
Anschließend verschaffen sich erst einmal alle einen
verschmurgelt. Sie verbreiten dabei einen stechenden
genaueren Überblick. Frumol entdeckt neben dem
Gestank.
Schreibtisch einen weiteren aus der wand ragenden
Sechs Skorpione bleiben übrig. Hebel. Weder auf dem Schreibtisch noch auf der
… und bleiben allein, denn Randirion zieht sich mit Kommode liegt etwas.
den anderen zurück. Sogleich hebt sie ihren geworfenen Dolch auf und
Den erlegten Skorpion hat Sephyra eigentlich steckt ihn in seine Halterung zurück, bereit, ihn sofort
vergessen. Aber er steckt noch immer auf der Rapier- wieder auf jedweden dunklen Magier zu werfen …
spitze und folgt so dem Rückzug nach draußen. An Auch Frumol nimmt den Dolch wieder an sich, den er
ein 'Hoffentlich bleibt der auch tot!' denkt sie gar vorhin hat fallen lassen.
nicht.
Da sie schon an der Kommode steht, wirft sie einen
Und dann sind alle wieder im Mysterium. Blick in den trüben Spiegel.
"Jetzt, Frumol!" ruft Sephyra und dreht sich un- Ja, das ist eindeutig der Weg durch den Sumpf, den die
mittelbar im Raum um, … Gruppe gegangen ist. Und es ist kein stehendes Bild.
… doch Frumol steht immer noch neben dem Ein- Sephyra sieht einen Vogel fliegen.
gang von wo aus er ihr Deckung geben sollte. Nun - "Hmm, erstaunlich!" murmelt sie. "Wirklich erstaun-
als alle den Gang verlassen haben - wirft er einen lich!"
kurzen Blick hinein und sieht dort die verbleibenden
Danach wendet sie sich der Kommode zu und inspi-
Skorpione eng beieinander auf ihn zukommen.
ziert sie vorsichtig, ohne jedoch eine Schublade zu öff-
Er zögert nicht lange, und läuft ihnen entgegen, denn nen oder sie zu berühren.
was er sah, brachte ihn auf eine Idee. 'Phex seit dank'
Die Kommode ist gut gearbeitet. Sie strahlt Wohlstand
stürmt er in den Gang, lässt dabei seinen Dolch fallen,
aus. Da hat ein Schreiner wahrscheinlich lange für
da dieser bei seinem Vorhaben nutzlos ist.
arbeiten müssen.
Vor dem Vorhang noch nicht ganz zum Stehen ge-
Da ihr Gefahreninstinkt nicht anschlägt, siegt sehr
kommen, springt er hoch und klammert sich an
schnell ihre Neugier und ohne lange nachzudenken
diesem fest. Durch sein Gewicht geben die Halte-
zieht sie einfach die oberste Schublade auf und durch-
rungen nach und nach einem kurzen und kräftigen
sucht sie. Dann fährt sie fort, immer von oben nach
Zerren fällte der schwere Vorhang auf ihn herunter.
unten, bis sie jeden Winkel der Kommode in Augen-
schein genommen hat und hoffentlich irgendetwas
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Nützliches oder einen Fingerzeig auf die gesuchte
Seline entdeckt, vielleicht ein Kleidungsstück o.ä. "Bei Efferds 200 Gefährtinnen, da hat sich ja unser
Die Schubladen erweisen sich als weitestgehend leer, Besuch hier heftigst gelohnt!" ruft Ingalf aus, als der
wenn man von einer unbeschriebenen Pergamentrolle seinen Beutel in Empfang nimmt. Er wiegt ihn in der
und vier mit Dukaten wohl gefüllten Beuteln in der Hand. "Da sind ja bestimmt mehr als 80 Dukaten
obersten Schublade absieht. Beim späteren Nachzäh- drin. Soviel habe ich noch nie in der Hand gehabt!"
len stellt sich heraus, dass ein jeder 100 Dukaten ent- Randirion verbeugt sich vor Sephyra, als er seinen
hält. Beutel in Empfang nimmt: "Ihr seid unsere Glücks-
'Wir sind reich!' schießt es ihr durch den Kopf, denn bringerin, Madame Lunor!"
das ist "wahrer Reichtum …" Dem sehnsüchtig zusehenden Alrik sagt sie nur:
Das Pergament steckt sie vorsichtshalber ein. Gerollt, "Geld verdirbt den Charakter. Aber hier ist einer für
nicht geknickt. 'Zauberer schreiben auch unsichtbar dich." und gibt ihm einen ihrer Dukaten ab. "Und
…' denkt sie sich. nun geh zu den anderen und lass dir auch jeweils
"Wo ist denn der Herr hin, mit dem ihr vorhin gespro- einen geben!" scheucht sie ihn davon.
chen habt? Wer war er überhaupt" will Frumol wissen, "Da, Lütter!" Ingalf schnippt Alrik einen Dukaten zu.
bevor er weitere unternimmt. Randirion überreicht Alrik feierlich seinen Anteil mit
"Was könnte wohl passieren, wenn ich den hier be- den Worten: "Bedenke mein Junge, spare in der Zeit,
wege?" fragt Frumol legt schon vorsichtig einen Finger dann hast Du in der Not!"
auf den Hebel. Alrik ist völlig verdattert. Er kann es kaum fassen und
"Vielleicht geht wieder eine Tür auf?" mutmaßt In- dreht und wendet seine Goldstücke immer wieder hin
galf, der sich den ganzen Raum nur misstrauisch an- und her. Dann beißt er in eine Münze. "Echtes Gold!"
sieht. Diese Worte lassen ihn zwar aufmerken, doch bleibt er
"Seid ihr soweit?" fragt er in den Raum und betätigt weiterhin aufmerksam.
dann den Hebel, gespannt darauf, was dann geschieht. 'Vielleicht sollte ich das Gold doch einpacken, bevor es
Ein leises Geräusch 'ssssssst' ist durch den Gang zu ein anderer tut …' überleg er kurz, doch er ist sich si-
hören. cher, dass Sephyra in einem solchen Fall schon ein-
schreiten wird.
"Offenbar hast du gerade wieder irgend eine versteckte
Tür geöffnet." sagt Sephyra so nebenbei zu Frumol, Randirion hat sich nur oberflächlich umgeschaut.
während sie die Säckchen mit dem Gold in ihrem "Wollen wir erst einmal dem Geräusch von nebenan
Rucksack verstaut, der dadurch nicht gerade leichter nachgehen - es scheint so, dass das Umlegen des
wird. Hebels dort etwas ausgelöst hat? Oder wollen wir di-
rekt Herrn Murgol durch die Tür hier nachgehen, ver-
Aber außer einem unterdrückten "Uff" als sie ihn
ehrte Gefährten?"
wieder auf den Rücken wuchtet, hört man nichts von
ihr. 'Teilen können wir in Ruhe später.' denkt sie sich. Dann fällt ihm etwas ein. "Jung-Alrik, Du magst ein-
'Es sei denn gleich verteilt gibt es für mich weniger zu mal nachschauen, ob sich im Raum des Pentagram-
tragen …' Also nimmt sie den Rucksack wieder ab mes etwas sichtbares ereignet hat."
und übergibt jeweils einen der Beutel an Frumol, In- Alrik läuft sofort los und kommt Sekunden später zu-
galf und den Kawaljere. rück. "Die Sperre am Schreibtisch ist weg", berichtet
Während Sephyra die Säckchen verteilt ist Frumol er.
wachsam. 'Scheinen denn alle vergessen zu haben, Ingalf macht ein leicht verdrießliches Gesicht, sagt
dass ihr Gefahr lauert? Wo ist den der Kerl hin, von aber nichts.
dem niemand was erzählen will?' Seine Nachfrage Seline ist noch nicht gefunden, und Murgol- so heißt
blieb schließlich unbeantwortet … der Mann wohl - könnte bei ihr sein und Vorbe-
Er stellt sein Säckchen einfach neben sich auf den reitungen treffen. Je später Seline gefunden wird,
Boden und schaut sich weiter im Raum nach einem desto verzwickter könnte die Lage werden.
Versteck um. Also antwortet Frumol: "Wir gehen ihm nach", ob-
Als er vorsichtig den Schrank öffnet, findet er einen wohl ihn der Schreibtisch im Nebenraum auch reizt.
prächtigen Mantel und dazu passende Stiefel vor. Doch dieser läuft sicher nicht weg.
'Könnten die passen?' überlegt Frumol, schon an den "Ich halte es nicht für sinnvoll, einem Magier, der uns
Winter denkend. Wer weiß wo sie der Weg dann hin- mit einem Gürtel goldener Skorpione bewirft, die
führt? dann lebendig werden, überstürzt nachzueilen. Das ist
Frumol schätzt, dass es sich lohnen könnte, die Sa- wirklich keine gute Idee!" antwortet sie.
chen anzuprobieren.
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Somit stellt er das Säckchen in den Schrank und Augen trete, wenn Seline etwas zustößt und er achsel-
wendet sich anschließend Richtung Tür. zuckend erklären muss: 'Aber da war so viel Gold …'
'Geld hat er doch noch nie verachtet …' wundert sie Entschlossen zieht er zwei der Wurfdolche und öffnet
sich. Sollten sie den Raum verlassen, ohne dass der die Tür.
Beutel den Platz im Schrank verlässt, nimmt sich Se- "Frumol?!" ruft ihm eine verwunderte Sephyra hin-
phyra fest vor, das zu ändern und diesen Schatz eben- terher. "Aahhrrgh!" stöhnt sie und mit einem Satz ist
falls einzustecken, mag er auch schwer sein. 'Wer sie hinter ihm her: "So warte doch! Wenn wir gehen,
weiß, ob wir dann hierher zurückkehren!' sollten wir alle gehen." hören die anderen noch, dann
"Jau, lasst uns erstmal den Schreibtisch nebenan ist sie im Gang und dann im angrenzenden Raum
durchsuchen", unterstützt sie Ingalf. verschwunden, hinter Frumol her.
Randirion scheint noch etwas unschlüssig, während Als Randirion sieht, was Frumol vorhat, nimmt er die
Alrik dazwischen fragt: "Hat der schwarze Mann geladene Balestrina in die rechte Hand.
Seline gefangen?" Ingalf ist mit seinem Schneidzahn ebenfalls bereit für
Darauf entgegnet Ingalf nur trocken: "Das werden wir die Dinge, die da kommen werden. "Alrik, hinten
unvermeidlich wie Ebbe und Flut herausfinden." bleiben!" kommt von ihm das Kommando.
"Aber ihr könnt doch nicht …" stammelt Frumol und Hinter der Tür befindet sich wieder ein kurzer nicht
bricht dann ab. Er ist erstaunt darüber wie ruhig seine selbst erleuchteter 'Gang', in das aber vom anderen
Gefährten mit der Situation umgehen. Sie wollen so- Ende Licht fällt.
gar zuerst den Schreibtisch durchsuchen während der Der Boden des 2 Schritt langen Ganges befindet sich
Magier und Seline … aber in 3 Schritt Tiefe. Und der Boden ist mit spitzen
Als ob die beiden zusammen sitzen und einen Becher Eisenstäben gespickt. Hinter der Grube sieht man das
Milch trinken würden! Fußende einer Liege, darauf zwei zierliche Füße.
Er kann gar nicht verstehen wie seine Gefährten so 'Oh.' Frumol hätte mit vielem gerechnet, nur nicht mit
ruhig bleiben können, schließlich kann doch jederzeit solch einer Grube. 'Hinüber springen scheidet wohl
die Tür aufspringen und der Magier zum Gegenan- aus …' streicht er in Gedanken seine erste Idee.
griff übergehen, mit weiteren Mumien und Skeletten, "Seline?" fragt er, auf eine Antwort hoffend. 'Wem mö-
wie die, die hoffentlich noch eingesperrt sind! gen die Füße gehören, wenn nicht Seline?' überlegt er.
"Wie könnt ihr nur …" beginnt Frumol von neuem, Von der anderen Seite kommt keine Antwort.
bricht aber hilflos ab, da er nicht weiß, was er eigent-
"Bin schon mal weiter gesprungen", denkt Ingalf laut.
lich sagen soll.
Ingalf macht gerade Anstalten, seine Idee in die Tat
Falls es einen Plan geben sollte, warum wird er nicht
umzusetzen, streckt und dehnt sich, da durchfährt ihn
eingeweiht? Statt dessen hamstern sie nur das Geld
ein stechender Schmerz von den verletzten Stellen
und scheren sich nicht um Seline!
aus. Auch wenn er sich die Schmerzen nicht anmer-
'Ob er dennoch die Tür öffnen soll? Dann könnte er ken lässt, so wendet er sich doch den Gefährten zu
einen Blick auf den - wie sagte Alrik? - schwarzen und schüttelt den Kopf.
Mann erhaschen. Und falls dort weitere Skorpione
"Aber da war ich auch besser in Form. Da muss ein
sind, kann er die Tür immer noch zuwerfen. Andern-
besserer Plan her." Dann runzelt er die Stirn. "Wo ist
falls, sollte es zu einem Kampf kommen, müssen die
eigentlich dieser Mann hin? Auch durch die Tür? Wie
Anderen ihm helfen. Sie werden sich doch nicht
ist er dann da rüber gekommen?"
einfach zurückziehen?
Fragend schaut der Thorwaler Randirion und Sephyra
Zweifelnd verharrt er.
an.
Sephyra bemerkt natürlich Frumols Zerrissenheit:
"Nun, vielleicht können Magier fliegen …" meint
"Was ist los, hm?" fragt sie leise und mit weicher
Randirion geistesabwesend, denn in Gedanken hat er
Stimme. "Erzähl schon, was bedrückt dich?"
schon wieder eine Hypothese: was wenn dies wieder
Hat er sie gehört? Jedenfalls marschiert er mit ent- eine Illusion ist, wie das Wesen im Sumpf?
schlossenem Gesichtsausdruck zu Tür.
Er nimmt irgendeinen kleinen Gegenstand (Stein-
"Es ist Eure Entscheidung, Herr Pellocke!" Randirion chen, Skorpionleiche, ein Kreuzer) und wird ihn in
wirft nach dieser Aussage einen leicht entschul- die Grube fallen lassen …
digenden Blick zu Sephyra.
Die Grube ist eindeutig echt. Die Skorpionleiche
Entschlossen setzt Frumol seinen Weg zur Tür fort. Er kommt zwischen den Stacheln zu liegen.
hat eine Entscheidung getroffen: Er wird jetzt Seline
"Sagt mal wie lang mag wohl dieser Tisch da hinten
suchen! Wie soll er dem Müller je wieder unter die
sein?" fragt Sephyra unvermittelt. "Entweder reicht er

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über die Grube und dient als Brücke – auf der Platte 'Wenn uns der Tisch da herunterfällt, haben wir auch
liegend - oder wir lassen ihn in die Grube hinab, die nichts gewonnen. Dieser Magier muss hier ja auch ir-
Beine scheinen lang genug, um über die Spitzen zu gendwie durchgekommen sein …' geht es ihm durch
reichen. Dann herunter klettern, rüber laufen, das den Kopf, während er noch einmal die Kante der
Mädchen greifen und einen Ausgang suchen. Fertig." Grube untersucht.
meint sie zur Erklärung ihres Plans. Aber da ist nichts und gar nichts, was darauf hindeu-
Ingalf nickt, da ihm die Idee gut erscheint und blickt tet, wie der Magier über die Grube gekommen sein
von Tisch zu Grube, um abzuschätzen, ob er groß mag.
genug ist. Ingalf steht daneben und strengt sein Gehirn an, um
Frumol strahlt Sephyra an. "So machen wir es!" 'Wie eine Lösung für das Grubenproblem zu finden. Aber
vorhin bei den Mumien. Sie hat wirklich immer die auch, dass der Magier verschwunden ist, gibt ihm zu
vernünftigsten Ideen.' denken.
Der Tisch ist klein genug, um durch die Tür zur Der Thorwaler schaut sich nochmal in den letzten
Grube zu passen. beiden Räumen, also dem Magierzimmer und dem
Gesagt, getan. Die Gruppe nimmt den Tisch, welcher Pentagrammraum, um, ob er nicht doch irgendetwas
sich als recht schwer herausstellt, und schiebt ihn bis finden kann, was zur Überquerung dienen könnte.
vor die Grube. Jetzt stellt sich nur die Frage, wie man Hier im Magierzimmer gibt es außer dem Schreibtisch
ihn passend hinein in die Grube bekommt. noch Schrank, in dem Frumol Mantel und Stiefel ge-
"Wenn wir ihn weiter schieben, fällt der Tisch einfach funden hatte, die ehemals dukatenhaltige Kommode,
rein." Frumol schaut Sephyra fragend an. den Schreibtischstuhl und den Spiegel mit der Sumpf-
szene.
'Hmm, da hat er Recht.' denkt sie: "Ganz einfach: wir
ziehen zwei Seile unter der Platte hindurch, eines Nebenan steht der Arbeitstisch, die zwei Feuer-
rechts und eines links. Dann kann der Tisch nicht schalenständer und der jetzt wieder zugängliche
kippen. Die beiden Enden halten wir straff und kon- Schreibtisch mit Buch, Schreibwerkzeug und
trollieren damit die Neigung des Tisches sowohl nach Kassette.
vorn wie auch zu den Seiten. Wenn wir nun noch das Und dann hat sich noch etwas geändert, aber es ist erst
Seil auf unserer Seite des Tisches an die jeweiligen nicht klar, was. Ingalf kratzt sich am Kopf. Ja, das ist
Beine binden, kann er nicht mehr fallen." schildert sie es! Der Bewusstlose ist weg.
ihren Plan. Ingalf fällt zuerst einmal die Kinnlade herab. Dann
"Versteht ihr, wie ich das meine?" fragt sie skeptisch, schüttelt er ungläubig den Kopf. "Verdammich! Die
als sie die Fragezeichen förmlich über den Köpfen ih- ganze Zeit gibt 'r nix außer ein wenig Stöhnen von
rer Gefährten entdeckt. sich und dann, wenn man kurz nich aufpasst, da
"Hat überhaupt jemand ein Seil dabei?" - 'Ach Ban- verschwindet er … Oder ist er am Ende etwa nicht
jews 'Fackel-Seil-Zauberstab' war einfach praktisch, weggelaufen, sondern verschleppt worden?" murmelt
den hätten wir mitnehmen sollen!' fällt ihr dabei ein. er leise vor sich hin. Dann läuft ihm ein kalter Schau-
er über den Rücken. "Da werden doch hoffentlich
"Ich sehe keines", erwidert Frumol mit einem
nicht die Skelette …?" Doch diesen Gedanken
Schmunzeln.
schließt er, noch unbeendet, wieder aus. "Die schienen
"Ja, klar - wie auch?!" fragt sie und setzt mit einem mir nich so die Superhirne, die einen verschleppen
Mal ihren Rucksack ab und wühlt darin herum. Ganz und wieder abhauen. Die wären wohl gleich weiter zu
auf dem Grunde findet sie, wonach sie sucht: ein auf- uns gekommen."
gerolltes Seil, gut und gern 10 Schritt lang! "Das hatte
Auf dem Weg zurück zu den Anderen schaut er noch
ich schon fast vergessen!" tadelt sie sich selbst.
kurz nach Alrik und fragt ihn, ob er etwas mitbekom-
'Guter Einfall. Aber ohne Seile haben wir ein Problem men hat, bevor er den Anderen besorgt von seiner Ent-
…' deckung berichtet und bei der Schreibtisch-Aktion
"Ohne Seil mag sich die Durchführung eurer Idee hilft.
fürwahr etwas schwierig gestalten, Madame … Wenn "Nein, Herr. Ich war die ganze Zeit hier nur hier."
wir den Tisch einfach an dieser Seite senkrecht herun- antwortet Alrik.
ter ließen und als Leiter gebrauchten, könnten wir die
Ingalf nickt nur und klopft Alrik auf die Schulter.
drei Schritt nach unten sicher langsam genug über-
winden, um sicher zwischen die Spitzen treten zu 'Hmm, der Magier wird wohl einen Schalter oder so
können … Vielleicht könnten wir ihn dann über Stä- am anderen Ende der Grube haben und der hebt
be kippen?" überlegt Randirion laut. dann wahrscheinlich die Brücke direkt unter die De-
cke oder so' überlegt Sephyra und sieht sie daher die
Decke des Grubengangs an.
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Die sieht genauso aus, wie alle anderen Decken. "Gut gemacht, Madame Lunor. Ein wenig laut für
Sollte sich da nichts Benutzbares finden, fragt sie die meinen Geschmack, aber effektiv, nichtsdestotrotz."
anderen: "Die Feuerschalen? Meint ihr nicht, die Randirion nickt anerkennend.
könnten als eine Art 'Hut' für die Spitzen dienen, da- "Nun sollten wir ungeschoren herunterkommen …
mit wir wenigstens hinunter kommen? Außerdem wenn einer von uns mit dem Seil hier oben bleibt und
sollten wir vielleicht jetzt mal den Schreibtisch näher ein wenig Hilfestellung gibt, sollten wir auch in der
in Augenschein nehmen." Lage sein, schnell zurückzukehren. Nun denn, auf
"Hm, schau mal wie tief die Grube ist. Wenn wir un- ans Werk!"
ten sind, wird's mit dem Hochkommen schwer", ent- Sephyra deutet eine Verbeugung an und grinst. 'Na da
gegnet Frumol. Er schaut ein paarmal zwischen wärst du nie drauf gekommen, was?' Spöttisch, nicht
Kleiderschrank und Grube hin und her. freundlich ist ihr Gesichtsausdruck.
"Was hast du?" fragt Sephyra, Frumols intensives In- Er blickt in die Runde und betrachtet dann noch ein-
teresse für den Schrank bemerkend. "Ja, der ist größer mal die Grube. Wenn kein gegenläufiger Kommentar
als der Tisch - und wahrscheinlich auch viel schwe- kommt, macht sich Randirion daran, hinabzusteigen.
rer." Fügt sie hinzu. "Versuch doch mal, den Tisch unten soweit in die Mit-
"Aber lass es uns doch erst mit diesem Seil hier versu- te zu ziehen, dass wir problemlos auf der anderen Sei-
chen." und hält ihm ihr gerade ausgepacktes 10 Schritt te hoch springen und uns festhalten können.
langes Seil unter die Nase. Außerdem hätte ich gern das Seil zurück." fügt sie
"Jetzt bin ich aber gespannt, wie das gehen soll!" hinzu.
Frumol schaut aufmerksam zu, wie Sephyra das Seil "Madame Lunor, /selbstverständlich/ werde ich euch
an den Tischbeinen befestigt. euer Eigentum wieder beschaffen … ist mir eine Eh-
"So." sagt sie, als sie die Knoten nochmals geprüft hat. re." erwidert der Horasier.
Der Tisch steht jetzt mit der schmalen Seite zur 'O tempora, o mores … was tut man nicht alles für die
Grube hin, an den Beinen von der Grube weg sind die holde Dämlich … äh … Damenwelt …' Der Gedanke
beiden Seilenden festgebunden, die entstehende steht ihm kurzfristig beinahe ins Gesicht geschrieben.
Schlaufe führt Sephyra zwischen den beiden anderen "Ihr werdet hier doch keine Hilfe zum Klettern brau-
Tischbeinen unter der Platte durch und auf der Ober- chen, oder?" ist ihr letzter Kommentar. 'Eigentlich
seite zurück. Fast wie die Zügel eines Pferdes sieht das sollte ich schon etwas netter zu ihm sein, oder?' denkt
jetzt aus. sie dabei. 'Nein. Eigentlich nicht!'
"So, Frumol du gehst jetzt auf die rechte und der Ka- "Oh, ich gedachte sowieso, als erster herabzusteigen
waljere auf die linke Seite des Tisches." kommandiert … Man kann euch doch unmöglich ungesichert vor-
sie. "Dann hebt ihr den Tisch an und schiebt ihn über schicken, das wäre ja gegen jegliche Manieren …"
die Kante. Ingalf und ich halten das Seilende hier an Randirion macht sich also daran, in die Grube her-
der Schlaufe fest und lassen den Tisch nicht kippen. abzusteigen.
Sobald die beiden hinteren Tischbeine an die Kante
Es geht immer noch eine Körperlänge in die Tiefe.
der Grube kommen, haltet ihr an der Platte den Tisch
weiter fest und lasst ihn an der Stirnseite der Tisch- Randirion legt Rapier und Balestrina ab, setzt sich auf
platte gegen die Grubenwand drücken. Wir hier hin- die Grubenkante, dreht sich dann auf den Bauch und
ten halten ihn weiter in der Waage. Durch den Druck lässt sich vorsichtig hinunter. Seine Fußspitzen
gegen die Wand und das Ziehen an den Seilen gleitet ertasten die Tischplatte, und so er kann er oben los-
der Tisch nach unten und bildet für fast 2 Schritt eine lassen. Randirion ist unten …
Art Brücke über die Grube. - Theoretisch." fügt sie … und sieht sich kurz um, ob es einen Grund gibt,
noch hinzu. sehr schnell wieder nach oben zurückzukehren.
'Na hoffentlich blamiere ich mich damit nicht!' denkt Dem ist allerdings nicht so.
sie bei der ganzen Ausführung ihres Plans im Hinter- "Wenn ihr so freundlich wäret, mir meine Waffen her-
kopf. unterzureichen … Es wäre doch kontraproduktiv, hier
"Falls jemand eine bessere Idee hat, soll er sie hören unten überrascht zu werden ohne sich wehren zu
lassen!" macht sie einen letzten Versuch. können, nicht wahr? Herr Wedmannsson, Herr Pello-
Es kommt keine bessere Idee. Und die Sache klappt - cke, wenn einer von Euch mitkommen mag …?"
zwar nicht ganz wie geplant, aber doch erfolgreich. fordert er die Restgruppe auf.
Der Tisch knallt mehr herunter als er rutscht, aber er Frumol reicht Randirion Balestrina und Rapier.
bleibt heil. Und in zwei Schritt Tiefe gibt es jetzt einen Wenn er denn nicht mehr ganz wehrlos ist, untersucht
fast durchgehenden Weg. Nur hinten ist ein Spalt von er die Umgebung, sammelt das Seil ein und reicht es
einem halben Schritt Breite geblieben. Sephyra nach oben, wonach er eine kleine Verbeugung
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hinlegt. "War mir ein Vergnügen" kann man ihn Angestrengt überlegt Sephyra. Dabei setzt sie sich auf
murmeln hören. die Tischplatte. Die beiden Knie angezogen und unter
Die Eisenstacheln stehen weit genug auseinander, das Kinn gesetzt, die Arme um die Beine geschlungen.
dass man die Füße dazwischen bekommt. Und sie 'Wenn es als Brücke diente, dann wird man es nicht so
sind weniger lang als Randirions Beine, aber sehr einfach zerschlagen können.' überlegt sie. Unver-
spitz. mittelt fragt sie die anderen: "Wie zerbricht man Glas?
Ich meine: wie genau geht das? Nur mit Kraft? Oder
Danach bewegt er den Tisch, wie Sephyra es vorge-
gibt es einen anderen Weg? Denn wenn das hier tat-
schlagen hat, um im Folgenden die Füße, die man
sächlich eine Brücke war – und irgendwohin muss
von oben sah, näher in Augenschein zu nehmen.
diese Platte ja liegen, wenn man hinüber will - also
Da sich Randirions Augenhöhe auch dann unterhalb warum nicht auf dieser Grube? Aber dann ist sie si-
der Grubenoberkante befindet, wenn er auf dem Tisch cher sehr hart und stabil. Also, wie zerbricht man sol-
steht, kann er nichts neues erkennen. ches Glas?" fragt sie erneut.
Während Randirion seine Untersuchungen macht, Randirion nimmt den Stuhl in Empfang und posi-
geht Frumol zum Schreibtischstuhl und holt zur tioniert ihn so, dass es ihm und Sephyra leichter fällt,
Kante der Grube. "Der könnte nützlich sein, Kavaljä- die Kante zu untersuchen.
re, oder?"
Es hat wirklich den Anschein, dass das Gangende
"Ah, vortrefflich, Herr Pellocke … Genau was wir jetzt durch eine massive Scheibe verschlossen ist. Und die
brauchen können. Reicht den Stuhl nur herunter …" Grube ist schätzungsweise so lang wie der Durchgang
Sephyra nimmt das Seil entgegen, verstaut es jedoch hoch ist.
nicht wieder im Rucksack sondern wickelt es über "Hier funktioniert doch alles mit Hebeln …" merkt
dem Ellenbogen auf und wickelt das letzte Ende um Ingalf an und untersucht genau die Umgebung des
die Mitte der Schlaufen, so dass eine Art "8" entsteht, Fluchtwegs des Magiers, ob er nicht irgendwo in
die sie sich an den Gürtel hängt, um schneller darauf Reichweite dieses einen Hebel oder versteckten
zugreifen zu können. 'Wer weiß, wozu es gut ist.' Schalter finden kann.
denkt sie sich dabei.
Ingalf findet weder einen weiteren Hebel noch irgend-
"Besser ich begleite Euch. Ingalf ist noch nicht fit zum einen losen Stein. Auch Frumol beteiligt sich an der
Klettern und Frumol kann uns im Notfall schnell hier Suche.
herauf helfen. Außerdem kann ich am besten klettern
"Meinst Du, dass Du mit Deinem Riesenteil da durch
von uns Vieren." fügt sie hinzu. Sie nimmt den Ruck-
kommst?" fragt Frumol und zeigt auf die Scheibe.
sack ab und lässt ihn bei Frumol zurück mit einem
Plötzlich prustet er los.
"Pass-gut-darauf-auf" Lächeln und geschmeidig lässt
sie sich zu Randirion hinab gleiten. Über den Tisch Ingalf muss ebenfalls grinsen. Aber dann wird er recht
balanciert und auf er anderen Seite hoch gesprungen, schnell wieder ernst. "Ich weiß ja nich, wie stabil das
um sich mit den Fingern an die Kante zu krallen und Glas is. Eine normale Scheibe könnt' ich damit sicher
hochzuziehen. einschlagen, aber wie es damit ist … Das müsste man
probieren. Aber ehrlich gesagt hab' ich keine große
Sephyras Finger können die Kante nicht greifen, denn
Lust dazu, die Scheibe kaputt zu machen und dann
sie stoßen gegen etwas festes - Glas. Sie rutscht ab.
von den runter fallenden Scherben zerschnitten zu
Nur mit Mühe schafft sie es, sich wieder soweit abzu-
werden."
stoßen, dass sie auf der Tischplatte landet und nicht in
dem schmalen Spalt zwischen Tischplatte und "Aber sie muss aufgehen! Sonst wäre der Magier hier
Grubenstirnwand. nicht lang gegangen."
"Was ist passiert, Madame? Kann ich euch behilflich Denkt Sephyra laut und hat eine Idee: "Dort drüben
sein?" fragt er verwundert. auf der anderen Seite muss es einen Hebel oder so ge-
ben. Nur durch die Scheibe konnte uns die Person, der
"Au! Das war knapp." - 'Zu knapp!' denkt sie. "Hmm,
die Füße da gehören, nicht hören. Wenn wir ordent-
es scheint, dass der Magier tatsächlich nicht fliegen
lich gegen die Scheibe hämmern, wacht sie vielleicht
konnte, sondern eine durchsichtige Brücke über dieser
auf- oder die Scheibe geht kaputt, dann kommen wir
Grube hatte, die nun gleichzeitig als Verschluss dieser
auch weiter. Außerdem: wenn wir von hier aus z.B.
Seite der Grube dient." denkt sie laut weiter.
den Stuhl in die Scheibe werfen, fallen die Scherben
'Nur gut, dass wir nicht die Idee mit dem Springen hauptsächlich auf die andere Seite." Mit diesen
weiterverfolgt haben. Wer weiß, so schnell kann man Worten zieht sie sich von der Scheibe zurück und
gar nicht 'au' denken oder sagen, wie man hier aufge- fragt: "Herr Kawaljere, währet Ihr so freundlich,
spießt liegen würde.' diesen Stuhl von hier hinten aus in diese Scheibe dort
zu werfen?"

111
"Ich bedaure, Madame Lunor, aber ich glaube, das on an:"Kannst Du vielleicht auch verdeckt schießen,
wäre nicht komplett in unserem Sinne … ein Stuhl das heißt, nur mit dem Arm um die Ecke?"
hat vielleicht ein hohes Gewicht, aber wenn ich mich "Aber sicher könnte er das! ruft Sephyra. "Wahrschein-
recht erinnere, kommt es auf den Druck an, aber auch lich würde er nicht mal vorbeischießen und etwas
auf die Fläche … Oder war es die Kraft und Fläche? treffen. Aber das Problem sind nicht die Splitter die zu
Egal. uns fliegen, sondern die, die in den Raum dahinter
Ich bin mir ziemlich sicher, das ein spitzer, schneller fallen und vielleicht die da liegende Person - hoffent-
Gegenstand mehr Schaden anrichtet als ein stumpfer lich Seline - verletzen könnten."
… Wenn ihr also in Deckung gehen wollt? Dies könn- "Ich sollte wirklich richtig zuhören!" Jetzt ist Frumol
te ein wenig splittern …" zerknirscht.
Randirion nimmt die Balestrina zur Hand, zielt aus Sie grübelt über das Problem. "Klopft noch einmal
kurzer Entfernung, schaut sich noch einmal um, um kräftig gegen die Scheibe, Herr Kawaljere. Vielleicht
sicherzugehen, das er im Zweifel nach hinten auswei- wird die Person dadurch geweckt und kann einen
chen kann und schießt. Schalter oder so betätigen - selbstverständlich erst,
Ingalf keucht laut auf. "Nein! Seid Ihr verrückt?? nachdem wir die Grube verlassen haben." Fügt sie
Wenn man die Scheibe damit zerschießt, dann fliegen schnell hinzu.
die Splitter doch sicher schrittweit mit! Und dann Als Randirion das tut, kommt es zu keinerlei Reakti-
würde die Kleene verletzt!" on.
Sofort lässt Randirion die Waffe sinken. "Bei allen "Ich denke, wir sollten es riskieren." sagt Sephyra.
Zwölfen, ihr könntet Recht haben, Herr Wed- "Was kann schon groß passieren? Ein paar Schnitt-
mannsson … Aber wie bekommen wir die Scheibe wunden an den sind eher unwahrscheinlich, denn sie
dann aus dem Weg? bewegt sich nicht und die Scheibe wird eher in wenige
Ich dachte ursprünglich, wenn man in einem entspre- große als in tausende kleiner Scherben zerbrechen -
chend steilen Winkel schießt, fliegen die Splitter größ- denn schließlich ist es ja festes Glas und nicht so ein
tenteils nach oben und zu der uns abgewandten Seite dünnes Fensterchen." Ihre Ausführungen klingen in
… und damit wären wir alle außer Gefahr. Das die ihren eigenen Ohren sehr glaubhaft. 'Hoffen wir nur,
Kleine direkt dahinter liegt, ist mir … entfallen …" dass ich damit Recht habe.'
'Verdammt, wie konnte ich das vergessen? Aber der "Also los Kawaljere. Zeige er, was er kann!" fordert sie
Stuhl ist da auch keine besonders gute Idee, entweder ihn auf und bezieht sich auf Frumols Vorschlag.
zerbricht er oder wir haben den gleichen Effekt mit Frumol geht schon einmal in Deckung.
den Splittern …' schießt es ihm durch den Kopf.
'Was geschieht, wenn es gar kein Glas ist? Vielleicht
'Murgol muss doch eine Möglichkeit haben, die
ist es Magie?'
Scheibe hier herüber zulegen … dumm natürlich,
wenn das auf magischem Wege passiert …' "Ich würde sagen, dass wir das nur durch Auspro-
bieren herausfinden können. Eine 'was-wäre-wenn"
"Dann lasst uns nochmal genau ansehen, wie diese
Studie bringt uns jetzt nicht weiter." antwortet sie und
Scheibe hier verankert ist, vielleicht bietet sich dann
geht gleichfalls hinter der Ecke in Deckung.
eine Möglichkeit …"
Ingalf geht ebenfalls in Deckung, allerdings nicht
Randirion stellt sich noch einmal auf den Stuhl und
ohne ein Stoßgebet zu den Göttern, dass sie die Kleine
betrachtet ausgiebig die Seiten der Scheibe, vielleicht
beschützen mögen.
gibt es je einen Winkel, in dem man die Scheibe zu
zerstören kann, ohne das Splitter in Richtung des "Na, dann wollen wir doch mal. Wenn es Magie sein
Mädchens fliegen … sollte, wird der Bolzen wohl abprallen … aber sonst
… Austrittswinkel war … hm …" Randirion schaut
Wie Ingalf auch nachdenkt, ihm fällt keine andere
sich ein wenig um, postiert sich denn so, das er glaubt,
Möglichkeit ein, als die Scheibe zu zerschlagen, wenn
selbst bei einem abprallenden Bolzen keinen Schaden
sich kein Mechanismus finden lässt.
anzurichten und zielt kurz.
'Wenn ich eine dicke Decke hätte, die ich über mich
"Fertig? Na dann … drei, zwei, eins …," zählt er,
legen könnte, dann würden wohl die meisten Scher-
drückt ab und geht in Deckung.
ben abgehalten. Dann könnte ich es versuchen. Aber
woher eine Decke bekommen …?' grübelt er im Es gibt einen dumpf krachenden Schlag, als die Kugel
Stillen, während Randirion die Scheibe untersucht. der Balestrina die Scheibe trifft. Randirion schaut um
die Ecke und sieht, dass die Kugel offensichtlich ziem-
Da schaltet sich Frumol ein: "Wie ist es, wenn ihr
lich genau die Mitte der Scheibe getroffen hat, denn
wieder hier in den Raum zurückkommt und wir uns
von dort breitet sich ein gezacktes Muster von Rissen
alle seitlich vom Gang aufstellen." Er schaut Randiri-
in alle Richtungen aus.

112
"Ha, ein meisterlicher Schuss … Da soll mir doch muss und steigt, nach Sephyras gescheitertem Ver-
noch mal einer mit dem Scheunentor auf zwei Schritt such, wieder in die Grube hinab …
Entfernung kommen … Das war bestimmt ein ganzes … - Sephyra zieht sich sicherheitshalber zurück - …
Stück weiter als zwei Schritt …" murmelt Randirion
… und schlägt mit möglichst großer Wucht, aber auch
fast unhörbar.
darauf bedacht, nicht in die Grube zu fallen, mit der
Ingalf schaut ebenfalls wieder in den Gang und nickt. Orknase gegen die Scheibe.
"Ja. Vielleicht 3,5 Schritt …?" schätzt er dann mit
Nach dem ersten Schlag ist es so weit: Die Scheibe
einem leichten Grinsen.
zerbricht. Die Scherben fallen zum größten Teil in
"Fürwahr, ich sagte ja, ein wahrer Meisterschuss … den Raum hinter der Scheibe. Ein kleinere teil fällt
Davon werden bestimmt noch in hunderten von Jah- auch in den Zwischenraum zwischen Tisch und
ren die Barden singen …" Randirion kann bei dem Grubenrand.
Gedanken, was ein Barde aus dieser … ähm … Meis-
Ingalf überlegt gerade, was der jetzt machen soll, da
terleistung … machen könnte, ein Grinsen auch nicht
tritt Murgol von der Seite in die nun entstandene Öff-
mehr unterdrücken.
nung. In beiden Händen hält er einen schräg einen
"Nun aber genug gescherzt, lasst uns mal sehen, ob da eine Schritt langen handgelenkdicken geschnitzten
jetzt ein Durchkommen ist …" Holzstab.
Auf der anderen Seite der Scheibe gibt es keinen Hin- Er sieht erst Ingalf an und dann die anderen, die am
weis auf eine Reaktion. hinteren Grubenrand stehen.
Abwartend lädt der Cavaliere die Balestrina nach und Er mustert den Fremden, den er nun zum ersten Mal
betrachtet die Scheibe. sieht. Er ist ihm auf Anhieb unsympathisch. Seine
Ingalf drängt sich an Randirion vorbei, steigt in die Rechte bewegt sich langsam zum Brustgurt und zieht
Grube hinab, nähert sich vorsichtig der Scheibe und einen Dolch aus der Scheide. 'Hat es es gesehen?
stößt mit ausgestrecktem Arm und möglichst großem Kann er uns alle vier im Blick behalten?' fragt er sich.
Abstand, den Mantel möglichst schützend um sich ge- 'Ein Magier mit einem Stab in der Hand ist gefähr-
wickelt und den Kopf halb abgewandt, sodass das lich!' schießt es Sephyra sofort durch den Kopf.
Gesicht nicht von Scherben getroffen werden kann,
"Ihr lebt noch - alle?" Er schaut noch einmal jedem
vorsichtig mit der Orknase gegen die Scheibe.
einzelnen ins Gesicht. dann grinst er höhnisch: "Gut,
Die Risse sind offensichtlich noch nicht tief genug, dann will ich Gnade walten lassen. Ihr dürft euch zu-
um die Scheibe durch einfachen Druck durchzubre- rückziehen – lebend."
chen. Sie hält noch zusammen.
Diese Worte bewirken eine Anflug von Angst. Sicher-
Frumol sieht interessiert vom Rand der Grube zu. lich hat dieser Mann große macht. Dennoch ist
"Gut, dann geht mal in Deckung." fordert Sephyra die Frumol entschlossen, nicht ohne Seline zu gehen.
anderen auf. Sobald alle aus der Grube heraus sind, "Nur, wenn ihr das Mädchen gehen lasst." erwidert
zieht sie ihre beiden Wurfdolche und zielt sorgfältig Frumol knapp. Eigentlich wollte er das Reden dem
auf die großen Risse rund um das Einschussloch. Herrn Kavaljäre überlassen, doch Frumol muss sich
'Immer mit dem Knauf voran, immer mit dem Knauf davon ablenken, an die vielen Gefahren hier zu den-
voran.' ermahnt sie sich und wirft die beiden Dolche ken.
nacheinander so, dass nicht die Schneide sondern je-
Außerdem hofft hatte der Herr Kavaljäre, doch seine
weils der Knauf mit großer Wucht die Scheibe trifft.
Balestrina wieder geladen, oder? Vielleicht ist es hilf-
Präzise zielen und gleichzeitig die Dolche untypisch reich die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich zu
drehen lassen fast ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der lenken. Kurz entschlossen, legt er die Linken in die
eine Dolch trifft zu weit weg von der Einschlagstelle, Nähe Dolchgriffs.
der andere mit der Längsseite. Alles, was sie bewirken,
"Das werden wir, Freundchen, aber du hast dich nicht
sind Geräusche.
zu erdreisten, uns mit deiner 'Gnade' beeindrucken zu
"Hmm, das geht so nicht." berichtet Sephyra und wollen!" murmelt Randirion, der seinen Blick er-
sammelt die Dolche wieder ein. "Wie wäre es denn widert.
jetzt mit dem 'geworfenen' Stuhl?" fragt sie die
Er nimmt die - inzwischen hoffentlich fertig nachge-
anderen.
ladene - Balestrina und zielt auf den hochmütigen
Ingalf ist nicht sonderlich wohl, da er keine Ahnung Schwarzmagier.
hat, was sich da in den Gängen hinter ihnen herum-
Auf diese Frechheit hin erwidert sie nichts. Aber ihre
treibt und wo der Bewusstlose hin verschwunden ist.
Wurfhand, die bereits nach dem ersten Dolch getastet
Also entschließt er sich, dass das Ganze voran gehen
hatte, verharrt instinktiv. Dafür antwortet sie: "Nun,
das würden wir schrecklich gern und werden es auch
113
tun. Allerdings gibt es da ein Problem: unser Weg Randirion lädt bereits wieder die Balestrina nach.
hierher dürfte schwerlich in umgekehrter Richtung Sobald sie wieder einsatzbereit ist, macht er sich dar-
gangbar sein. Daher zögen wir es vor, Eurer Gnade an, einen sicheren Weg durch die Trümmer der Glas-
folgend, den sicheren Weg zu beschreiten. Ach ja, und scheibe zu suchen.
Mädchen wird uns begleiten." fügt sie rasch hinzu, Randirion kommt eine Sekunde nach Sephyra in den
um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Nachbarraum und überblickt sofort die Szene, die Ba-
"Schiess!", schreit Ingalf nach hinten. lestrina zum Schuss bereit: Dort eine Liege mit einem
In der Hoffnung dass die beiden Schützen schnell Mädchen drauf. Im hinteren Bereich steht Murgol vor
genug reagieren wirft er seinen Umhang um Sephyra etwas, das wie ein Altar aussieht. Er ist gerade dabei,
und sich und drückt sie mit sich auf den Tisch. Um seine rechte Hand, die den Stab lotrecht hält, in die
das Schussfeld frei zu machen. offene linke Hand zu schlagen und spricht: Paralü Pa-
ralein, sei …
'Stirb, Kindesentführer …' Randirion drückt ab.
Sofort schießt Randirion und trifft den Magier voll auf
Randirion ist schnell, aber nicht schnell genug. Noch
der Brust. Dadurch wird der begonnene Zauberspruch
während er die Balestrina hoch nimmt, fängt der Ma-
unterbrochen. Er taumelt zurück, behält aber den Stab
gier an sich zu bewegen, und so knallt die Kugel nur
in der Hand.
gegen die gegenüberliegende Zimmerwand, während
Murgol hinter der Ecke verschwindet. Als Frumol sieht dass der Kavaljäre zielt und abdrückt
visiert auch er kurz den Gegner an.
"Verfluchter Schwarzkünstler … du wirst den Tag
noch bereuen, an dem du die Kinder entführt hast … Dann sieht Frumol aber, wie sich Murgol hinter die
Los, lasst uns unserem 'Freund' folgen, sonst ent- Ecke zurückzieht, und er verzichtet auf den Wurf -
kommt der Mistkerl vielleicht noch!" den Dolch in der hoch erhobenen Hand haltend, so
dass er beim kleinsten Anzeichen des Magiers werfen
Er wartet auf die Geräusche von 2 einschlagenden Ge-
kann.
schossen, während er den Schneidzahn zieht um ihm
selbigen sofort entgegen zu schleudern. Enttäuscht sieht Frumol, wie der Herr Kavaljäre den
schwarz Gewandeten verfehlt und sich dieser zurück-
Ingalf hört den Auslöser der Balestrina, und dann trifft
zieht.
die Kugel etwas. Als Ingalf wieder hochkommt, ist der
Magier aber verschwunden. 'Und jetzt?' überlegt er. Er selbst kann die Verfolgung
nicht aufnehmen, da es in der Grube mit dem Herrn
Zu Sephyra meint Ingalf eilig aber gedämpft, "Ich
Kavaljäre, Ingalf und Sephyra recht beengt ist. Somit
kann dir schnell hoch helfen, und du ihn hier runter
bleibt ihm nur abzuwarten und aufzupassen.
stoßen!" und hockt sich - die Hände vor sich sicher
verkeilt leicht zur Hilfestellung an. Da er von seinem Standpunkt den besten Überblick
hat, fällt ihm wohl die Aufgabe zu das weitere Ge-
Während er das tut meint er noch: "Du musst nicht.
schehen zu koordinieren. 'Eigentlich ja eine Aufgabe
Ich weiß das das gefährlich is."
für den Herrn Kavaljäre', denkt er dabei.
Während er Schneidzahn und Orknase zunächst auf
Es stellt sich so, dass er möglichst weit in den Gang
dem Tisch liegen lässt.
hineinsehen kann, in dem der Fremde - Murgol -
'Jetzt noch ne Brandbombe haben und der Typ wär verschwunden ist.
schon ne laufende Fackel …', ärgert er sich.
Frumol sieht, wie Sephyra und kurz danach Randiri-
Sephyra, die ebenso wie Ingalf noch nicht mitbekom- on aus der Grube heraus klettern.
men hat, dass der Magier verschwunden ist, nickt
Frumol ist nicht wohl zumute, als Sephyra zuerst die
leicht, steigt, Ingalf als Tritt benutzend, rasch aus der
Grube verlässt. Hätte er doch bloß etwas gesagt.
Grube heraus, ohne sich an den überall herum-
liegenden Scherben zu schneiden. Oben bleibt sie 'Was soll er nun sagen? Wie fängt man so was
dann überrascht wie angewurzelt stehen, als sie be- an?'`überlegt er hektisch. Bisher war er hauptsächlich
merkt, dass sie dort allein ist. Dann wendet sie sich auf sich allein gestellt, oder mit Sephyra unterwegs,
den Füßen zu. die meisten das richtige tat, so als wüsste sie im
voraus, was er vorhat … aber jetzt?
Auf einer Liege, die mit einem kostbaren Eisbärenfell
bedeckt ist, liegt ein Mädchen, dass genau der "Ähm." räuspert er sich, verlegen. Randirion lädt
Beschreibung von Seline entspricht - nackt. schon seine Balestrina nach, das braucht er also nicht
mehr zu erwähnen.
Ihr Körper ist mit seltsamen Zeichen bemalt.
Wenn er doch nur etwas sehen könnte! - Verdammt.
Sephyra ist so fasziniert von dem Mädchen, dass sie
gar nicht auf Murgol achtet. Als sie Paralü Paralein Was ist mit den Füßen? Liegen sie immer noch re-
hört, ist es zu spät zu reagieren. gungslos da?
Keine Bewegung ist zu sehen.
114
Und Alrik? Den hatte er eben ganz vergessen, wo ist Er geht einige Schritte zurück und befiehlt Alrik: "Du
der? bleibst hier und passt auf, dass uns keiner in den
Der steht schräg hinter Frumol und versucht mitzu- Rücken fällt!"
kriegen, was passiert. Er hofft, Alrik so sicher zurückzulassen und ihm die
Sephyra verschwindet um die Ecke, ein Paralü (of- Möglichkeit zu nehmen, eine Dummheit anzustellen.
fensichtlich von Murgol gesprochen) ist zu hören, und Dann nimmt er Anlauf und springt in einem großen
dann schießt Randirion. Satz über die Grube hinweg. Als er während des
Entsetzt hört Frumol die Worte und sieht wie Randiri- Sprunges den zweiten Fulminictus hört, konzentriert
on schießt. er sich aus Sorge um Sephyra einen Moment nicht auf
die Landung: Er kommt ungünstig auf und rutscht
In seiner Fantasie malt er sich schon die schlimmsten
mit einem Fuß fast zurück in die Grube. Er verlagert
Dinge aus, aber es hilft keinem, wenn er nun über-
intuitiv sein Gewicht nach vorne und kann sich
hastet hinterher stürzt.
wieder fangen. Er geht in die Knie um den Schwung
Zögernd steckt er einen Dolch weg, damit er die Hand abzufangen und schlägt hart mit einem Knie auf den
frei hat, um sich abzustützen, falls er in die Grube Boden auf - 'Autsch!' - denn er kann sich nur mit einer
hinein muss. Hand abstützen, sonst würde er ja den Dolch ver-
Dann kommt ihm eine Idee: Randirion und Sephyra lieren!
müssen Murgol aus der Ecke heraus locken, dass Ingalf klappt fast die Kinnlade herunter, als er
Frumol von hier aus eingreifen kann. "Kommt zu- Frumols tollkühnen Sprung sieht, macht sich aber so-
rück!" ruft er also ihnen zu, da keine Zeit für lange fort danach daran, hinter Frumol her zu klettern.
Erklärungen ist.
Als er wieder hochkommt, den Dolch schon zum
Sephyra lässt sich nicht blicken. Dafür hört Frumol Wurf erhoben, begegnet er einem neuen Problem: Der
'Fulminictus Donnerkeil', und er weiß, dass das ein schwarz gewandete Magier ist durch Sephyra und
Kampfzauber ist - bestimmt dazu, Menschen schwer Randirion verdeckt! Er hat kein eindeutiges Ziel und
zu verletzen. würde vermutlich nur einen der Beiden im Rücken
"Kommt rüber!" antwortet Randirion, während er sei- treffen. Trotz der kurzen Zeit die ihm bleibt die Situa-
ne Schusswaffe gegen sein Rapier tauscht. 'Der tion zu überblicken, bemerkt er, das Sephyra sehr ver-
Mistkerl ist bestimmt einfacher zu erledigen, wenn wir krampft ist und auch nicht mehr ganz sicher auf den
nah an ihm dran sind …' Beinen steht.
Sephyra ist nach dem Schuss sofort geistig wieder voll "Zur Seite!" brüllt er von hinten, während er sein noch
anwesend und zieht ihren Rapier, während sie in verdecktes Ziel anpeilt.
großen Sätzen auf den Magier zueilt, um den Rapier Erschrocken beobachtet er, wie Sephyra vom Ful-
in ihn zu bohren, bevor er zu einem neuen Zauber an- minictus erwischt wird.
setzen oder flüchten kann. Als sie Frumols Worte ver-
"Na warte, Mistkerl! Dich will ich Manieren lehren
nimmt, ist es für Umkehr schon zu spät.
…" ruft der Cavaliere, während er Sephyras Aktion
Der Magier ballt die linke Faust und deutet auf das wiederholt und sich mit voller Geschwindigkeit dem
Sephyra, während er die Fulminictus Donnerkeil aus- Hexer nähert, um ihn seiner gerechten Strafe zuzu-
ruft. Und Sephyra ist noch zwei Schritte vor Murgol, führen.
da hat sie das Gefühl, dass sie innerlich zerrissen wird.
'Zwei Ziele, Freundchen …'
Schmerzen durch durchfahren ihren ganzen Körper,
aber sie schafft es, auf den Beine zu bleiben. Sephyra schreit auf vor Schmerz, aber nun ist sie
schon so weit gekommen, da stürmt sie, die
"Bei Swafnir dafür sollst du in den Niederhöllen
Schmerzen zurückdrängend, weiter.
schmoren", brüllt Ingalf in die Richtung, des Unholds.
Und sie erwischt den zurückweichenden Murgol mit
"Komm Frumol!", ruft Ingalf verzweifelt. Während er
einem Stoß gegen dessen Rippe. Zwar spießt sie ihn
auf dessen Aufstieg wartet, steckt er den Schneidzahn
nicht auf, aber sie fügt ihm eine tiefe Schramme zu.
in den Gürtel und schiebt die Orknase mit etwas
Schwung in den Raum. 'Ha, sehr gut, Madame Lunor … das hat der
Kindesentführer verdient.'
'Wenn er ohne Rücksicht solche Zauber spricht, wer
weiß was er mit Seline vor hat. Gut das wir noch Bevor Sephyra zum zweitenmal zustoßen kann,
rechtzeitig hier sind.' kommt wieder Fulminictus Donnerkeil, und wieder
durchfährt Sephyra das gleiche Gefühl, allerdings et-
Das lässt sich Frumol nicht zweimal sagen. Sephyra
was schwächer, so dass sie sofort noch einmal zustößt
ist dort drüben in großer Gefahr! Er hätte schon viel
und ihm noch eine Wunde zufügt.
früher reagieren müssen! Wie konnte er nur so töricht
sein und hier warten?
115
Sephyra schießen vor Schmerz Tränen in die Augen Den Schrei den er beim losrennen ausstößt, sollte den
und sie fühlt, wie ihr langsam die Kraft entweicht. schmächtigen Lichtscheuen alleine umwerfen.
In diesem Moment ist Randirion her, der aber durch Und jetzt ist auch Ingalf aus der Grube heraus.
eine Bewegung Sephyras behindert wird und des- Eigentlich wollte er ja einen Sturmangriff machen, …
wegen Murgol verfehlt. "Dreckiger Hundsfott, der einzige der sterben wird
Sephyra will Randirion nicht allein kämpfen lassen, bist du!" schreit Ingalf voller Abscheu. Er wechselt die
auch, wenn es ihr große Mühe bereitet. Deshalb Orknase in die Linke und zieht den Schneidzahn,
kämpft sie weiter, allerdings sehr darauf bedacht, der wirft ihn mit einer flüssigen Bewegung und ohne auf
seltsamen Waffe des Magiers nicht zu nahe zu kom- den Erfolg oder Misserfolg zu achten stürmt er hin-
men, bis der nächste Kämpfer angekommen ist, dann terher, täuscht rechts, dreht sich nach links und ver-
zieht sie sich aus dem Kampf zurück, um neben dem sucht an dem Flammenschwert vorbeizukommen.
Mädchen auf der Liege nieder zu sinken und schwer Noch im Lauf ruft er "zugleihhhhhhhhch!"
Keuchend liegen zu bleiben. Murgol ist von dem Wurf völlig überrascht, so dass er
"Stirb, Hexer!" brüllt Randirion den Magier an. nicht zum Ausweichen kommt und er voll am Ober-
'Hauptsache, er kann sich nicht konzentrieren, dann körper erwischt wird.
sollten wir mit ihm fertig werden …' Fast gleichzeitig fliegt Frumols Dolch, allerdings
Wieder versucht er, den Schwarzmagier aufzuspießen, daneben.
ohne Sephyra zu gefährden … Durch Ingalfs Gebrüll wird Murgol völlig aus dem
Der Angriff geht fehl, denn der Magier springt einen Konzept gebracht.
Schritt zurück. Frumol hält sich zurück, da vorne kann er nichts tun.
Randirion hört noch von hinten "Zur Seite!", dann ge- Er kann nur dafür sorgen, dass er nicht in die näher
schieht etwas Spektakuläres: einer wild geschwungenen Thorwaler-Axt kommt.
Der Magier macht einen Schritt zurück und wirft sei- Zwar versucht er auszuweichen, aber Ingalfs Täu-
nen Stab in die Luft. Der Stab verwandelt sich in ein schungsmanöver ist erfolgreich und der gewaltige
Schwert, um das blau leuchtende Flammen züngeln. Schlag mit der Orknase gibt Murgol fast den Rest. Als
Murgol macht eine Handbewegung, und das Schwert kurz darauf Sephyra und Randirion jeweils von ihrer
attackiert Randirion! Seite gleichzeitig zustoßen, ist es um ihn geschehen.
'Zur Seite? Guuute Idee …' schießt Randirion durch Er bricht tot zusammen, das Flammenschwert erlischt
den Kopf, während er versucht, mit einem Sprung und fällt zu Boden.
dem Flammenschwert auszuweichen. Sephyra bricht direkt nach Murgol zusammen und
'Verdammter Hexer …' bleibt keuchend auf dem Boden sitzen, die Schmerzen
Leider gelingt das Ausweichen nicht. Tief schneidet noch immer im ganzen Körper. Aber sie bringt trotz-
das Flammenschwert in seine linke Seite. Der dem ein schwaches Lächeln auf die Lippen, aus
Schmerz ist so stark, dass Randirion kurz schwarz vor Erleichterung über den Triumph.
Augen wird. Mit Entsetzten sieht Frumol, das Sephyra mehr zu
Sephyra bemerkt, dass das Flammenschwert Randiri- Boden fällt statt sich hinzusetzten. Mit großen
on angreift und attackiert deshalb Murgol von der Sei- Schritten eilt er zu ihr und kniet sich nieder.
te. Und ihr Rapier schmeckt Blut. Da Sie keine offensichtliche Wunden hat, streicht e r
Sofort fährt das Schwert herum, doch Sephyra zieht ihr sanft über den Rücken und zieht sie an sich, so
sich zurück, bevor es in ihre Nähe gekommen ist. dass sie sich gegen ihn lehnen kann.
Für Frumol, der bislang nicht werfen konnte, ergibt "Was hast Du? Wie geht es Dir? Bist du verletzt?"
sich das folgende Bild: Murgol, Randirion und Sephy- fragt er besorgt und liebevoll. 'Wie kann ich ihr nur
ra bilden ein gleichseitiges Dreieck, in dessen Mitte helfen?' überlegt er, während er ihr weiter beruhigend
das Flammenschwert schwebt. über den Rücken streicht.
Und jetzt höhnt der Magier: "Kommt nur, wer zuerst "Es war … ein … Zauber..!" presst Sephyra mühsam
angreift, stirbt auch als erster!" zwischen den Zähnen hindurch hervor. Fieberhaft
arbeiten ihre Gedanken ohne wirklich etwas Greifba-
Oben angekommen, schnappt sich Ingalf seine Or-
res zutage zu fördern. "Ich glaube … nur ein …
knase und sucht sich eine Gerade Lauflinie auf den
Heilzauber … kann … mir hier helfen. Oder die Zeit
Zauberer um ihn mit Wucht zu erwischen.
…" spricht sie nach kurzer Atempause weiter.
'Bis ich da bin hat Frumol schon lang geworfen.' denkt
Alles andere herum ist in den Schatten getreten: Es
er sich vergewissert nicht in Frumols Wurflinie rennt.
zählt nur Sephyra, die so tapfer gegen den Bösewicht
gekämpft hat, während der nicht gehandelt hat. Hätte
116
er nicht an Stelle Sephyra an erste Stelle stehen 'Sephyra fast tot. Ingalf schwer angeschlagen.'
sollen? Wieder nagen Zweifel an ihm, doch er muss Da erst bemerkt er wieder seine eigene schwere
Sephyra - seiner Liebsten - doch irgendwie helfen Wunde.
können …
Und sie schmerzt gewaltig. Eine intensives Brennen
Tapfer lächelt sie Frumol an, kann aber ihr schmerz- geht von ihr aus.
verzerrtes Gesicht nicht wirklich glätten.
"Euer Verbandszeug war erschöpft nicht wahr Herr
Voller Abscheu und gleichzeitiger Zufriedenheit blickt Pellocke?"
Ingalf auf den Leichnam. "Na hab ich dir doch ge-
"Wenn unser Edler Freund Murgol", wobei er unwill-
sacht, der einzige Tote bis' du, das wohl!" Er spuckt
kürlich auch in Richtung des Leichnams spucken will.
auf die Leiche, dann sieht er sich um.
"brauchbares da hat, wird er es wohl nicht mehr benö-
Randirion will nicht denken. 'Alrik ist noch da drü- tigen. Wenn nicht, da wo er jetzt ist wird er nicht
ben.' frieren, wenn er uns sein Hemd zum verbinden gibt."
'Die Skelette. Der Bewusstlose. Der Folterknecht. Der Frumol achtet gar nicht auf Randirion, denn er küm-
Wolf. Der verschwundene Gefallene. Die magische mert sich nur um Sephyra.
Tür.'
"Herr Wedmannsson achtet ihr bitte auf Alrik und
Er betrachtet das zu Boden gefallene Schwert verstaut Seline?" während er sich im Raum einen Überblick
sein Rapier und schlägt damit Murgol den Kopf ab. verschafft und beginnt mit Vorsicht nach Verbands-
Das Schwert ist ein wirklich gut gearbeitetes Lang- zeug zu suchen.
schwert mit schwarzer Klinge. Flammenmuster "Wat is'n nu mit der Kleenen?" Er nähert sich behut-
scheinen in sie eingeätzt zu sein. Beim Schlag erweist sam dem reglosen Körper des Mädchens und stupst
sich, dass das Schwert ausgezeichnet ausgewogen und sie vorsichtig an.
sehr scharf ist.
Da ertönt ein Mark erschütternder Schrei aus Rich-
Dann hält er einen Moment inne und hofft von ir- tung der Liege.
gendjemanden zu Handlangertätigkeiten aufgefordert
zu werden.

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Seline
S stößt einen markerschütternden Schrei aus.
eline schlägt die Augen auf, sieht Ingalf und sichtbaren Körperteilen sind nur verwirrende aufge-
malte Linien und Zeichen zu sehen.
Erschrocken versucht Sephyra, sich umzudrehen, Dann dreht er sich zu Frumol um. "Guck doch ma',
zuckt aber bei dem sie durchfahrenden Schmerz zu- ob du Alrik nich' sicher hier rüber bekommst, dat wär
sammen und fragt nur: "Was ist?" bestimmt beruhigend."
Der Schmerz, den sie als Nachwirkung des Fulminic- Frumol überhört auch Ingalf.
tus spürt, ist vergleichbar einem Muskelkater in allen "Wir sinn Freunde, wir tun dir nix, deine Gamma un'
Muskeln gleichzeitig. dein Papa ham uns geschickt." wendet er sich wieder
Frumol dreht den Kopf, um zu sehen, was geschehen an Seline, um dann verzweifelt nach Sephyra Aus-
ist. Dann antwortet er: "Seline scheint wach zu sein. schau zu halten. "Du kannst doch Tuladingsbums,
Ingalf hat sie wohl aufgeweckt und sie hat sich sach doch auch ma was."
erschreckt." Er klingt schon fast ein wenig verzweifelt.
Weiterhin gibt er ihr Halt, bemüht ihre Schmerzen zu "Ist ja gut, Seline. Wir sind Freunde." redet Sephyra
lindern, doch er kann nichts tun. Nicht einmal einen die Kleine auf Ingalfs Rat hin in Tulamidia an. "Dein
Schluck des leckeren Weines kann er anbieten, Bruder Alrik ist auch hier, gleich dahinten. Dieser
schließlich liegt der Rucksack im Schrank. nette Mann da, " und zeigt auf den Kawaljere, "wird
"Hmm." macht sie nur und ist bemüht, aufzustehen. ihn hierher bringen." fährt sie beruhigend fort.
Gestützt von Frumol und unter größter Überwindung "Leg den Mantel um sie, Ingalf. Die Kleine friert be-
der ständig alle Muskeln durchzuckenden Schmerzen stimmt - denn wie du siehst, hat sie nichts an. Also
schafft sie es und lässt sich mehr tragen als sie selbst guck weg!" fügt sie noch hinzu.
geht, um zu dem Bett zu gelangen, auf dem Seline
Bevor Ingalf dazu kommt, hat Frumol es schon ge-
noch immer liegt.
macht.
"Och och och, is doch guuuuut, ganz ruhig Kleene."
Seline scheint langsam zu erkennen, dass ihr keiner
redet Ingalf beschwichtigend auf Seline ein.
etwas böses will, denn sie fängt an, sich umzuschauen.
Seline reagiert, indem sie zurück zuckt und Ingalf mit Bei Alriks Stimme hat sie kurz aufgehorcht, aber nun
großen Augen anschaut. Dann bemerkt sie an- fällt ihr Blick auf den toten Murgol, worauf sie
scheinend, dass sie unbekleidet ist und versucht, ihre erschrocken aufkeucht.
Blöße mit ihren Händen zu bedecken.
Nicht ganz, denn …
"Kannst Du stehen?" erkundigt Frumol sich bei Se-
Aus dem Gang ist ein Plumps zu hören, als ob jemand
phyra.
auf den Tisch springt, und dann kommt Alriks
"Nun ja, ich versuche mein Bestes." bemüht sich Se- Stimme auf tulamidisch von der Grubenkante. Sephy-
phyra um ein Lächeln. "In meinem Rucksack dürfte ra kann, wenn sie zuhört, verstehen: "Seline, geht …
auch noch eine Bluse aus Leinen sein, die für Seline gut?" Dann ruft Alrik auf Garethi: "Helft mir, ich
fast als Kleid herhalten könnte. Falls jemand noch den komm' hier nicht hoch."
Rucksack aus dem Nebenraum holen könnte - ich
Frumol dreht sich um, und sieht dass der Kavaljäre
sehe mich derzeit außerstande, die kleine Kletterpartie
verwundet ist und blutet.
zu unternehmen." fügt sie schon wieder leicht
scherzend hinzu. "Setzt Euch da hin", weist er ihn an. "Und legt schon
einmal die Wunde frei, ich helfe nur schnell Alrik."
Wer aber genau hinsieht, bemerkt die Schweißperlen
auf ihrer Stirn, die mit dem Ertragen der Schmerzen Damit geht er zu der Grube und reicht ihm die Hand.
einhergehen, da sie sich kaum etwas anmerken lassen "Komm, Freund Alrik", und zieht ihn hoch. "Solltest
will - war ihr nur mehr schlecht als recht gelingt. Du nicht Wache halten?" setzt er mit einem Grinsen
hinzu.
Falls sie bejaht, zieht er seine Jacke aus und legt sie
über Seline. Dabei mustert er ihren Körper ober- Alrik hört gar nicht auf Frumol, sondern stürzt auf
flächlich und möglichst unauffällig nach Seline zu. Zuerst liegen sich die beiden in den Armen.
Verletzungen. Dann fängt Alrik an, in einem wahnsinnigen Tempo
zu erzählen. Sephyra verseht nur einzelne Worte, die
Sephyra redet weiter beruhigend auf Seline ein, bis Al-
darauf hindeuten, dass Alrik das ganze bisherige
rik endlich da ist.
Abenteuer erzählt.
Seline nimmt die Jacke dankbar an und hüllt sich fest
darin ein. Frumol fallen keine Verletzungen auf. Auf
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Diese Neuigkeit teilt Sephyra den anderen einfach Die Liege ist im Moment durch Seline besetzt, die
mit, ohne die Einzelheiten der Erzählung wieder- sich aber aufgerichtet hat. Das Eisbärenfell ist in
geben zu wollen. einem tadellosen Zustand.
Dann wendet er sich wieder dem Kavaljäre zu und Randirion mischt sich, falls es nicht von allein nach
untersucht dessen Verletzung. der Untersuchung des Magus abgeebbt ist in das
Die sieht wirklich übel aus. Tief. Teilweise sind die Gespräch der beiden Halbfertigen ein - "Alrik, würdet
Knochen freigelegt. Und sie stinkt verbrannt. das hat ihr eurer Schwester von der Liege helfen? Ich möchte
aber den Nebeneffekt, dass nicht allzuviel Blut fließt. unsere 'Brücke' etwas verbessern." und macht sich dar-
an, alles was nicht niet und nagelfest ist von der Liege
Kritisch mustert Frumol die Wunde. An eine schnelle
zu räumen.
Heilung ist wohl nicht zu denken. Dann geht er zu
dem toten Magier, nimmt seinen Wurfdolch wieder Die Geschwister schauen auf, und es wird deutlich,
auf und schneidet dessen Gewand in lange Streifen, dass sie sich beruhigt haben. Sie stehen ganz von
nachdem er seinen Ekel vor einem geköpften Men- allein auf. Als Seline steht, wird deutlich, dass sie
schen überwunden hat. Er achtet darauf, dem Hals wirklich kein kleines Mädchen mehr ist. Frumols Ja-
nicht zu nahe zu kommen, dem Kopf nicht anzuse- cke geht ihr nur bis zur Mitte der Oberschenkel.
hen und auch nicht in die Blutlache zu treten. "Dort drüben liegt noch mein Rucksack mit einer
'Wie kann man einem Menschen nur so etwas antun?' Bluse darin. Die wird dir zusätzlich als Kleidung
fragt er sich. Zwar kennt er Geschichten über böse dienen können - wenn wir erst zurück auf der anderen
Magier und auch über Enthauptungen, doch die Seite der Grube sind." Dass das so einfach für sie wird,
Realität sieht ganz fürchterlich aus. Mögend die Göt- bezweifelt Sephyra allerdings.
ter dafür sorgen, dass er so etwas niemals wieder sieht! "Wenn wir aus diesem Zimmer raus sind, können wir
Nachdem er ausreichend Stoff zurecht geschnitten auch etwas von dem Holz zum verrammeln der Tür
hat, kehrt er zu Randirion zurück und verbindet ihn bei den Skeletten benutzen. Falls das noch nötig sein
nach bestem Wissen. Dabei legt er aber keinen über- sollte." denkt er gut vernehmlich für alle und hofft,
triebenen Wert auf eine vorsichtige oder schmerzfreie das alles magische böse irgendwie an Murgols Leben
Behandlung. Falls sein Patient nicht stillhält, wird er hing und nun nur noch Archäologen erschrecken
ein wenig forsch zurechtgewiesen. kann.
"So, das war's, Herr Kavaljäre", beendet er seine Arbeit Er untersucht zunächst den kopflosen Magier oder das
nachdem er den Arm ruhig gestellt hat. "Ihr solltet was von ihm übrig ist. Eventuell verbliebene Taschen
Euch schonen, damit die Wunde verheilen kann." teilen dieses Privileg nicht und werden penibel auf
Schlüssel oder verwertbares untersucht.
"Ergebensten Dank Medicus Pellocke."
Murgols Taschen sind leer.
"Ihr könnt Euch schon einmal überlegen, wie ihr über
die Grube zurückkommen wollt." Da überfällt Randirion das Verlangen noch einmal zu
schaun ob aus den 100 Dukaten nicht plötzlich Skor-
"So wie ihr sie sie in diese Richtung überwunden habt
pione geworden sind und er klopft sich auf die Stelle
Herr Pellocke?", versucht Randirion die Situation zu
wo er das Säckchen verstaut hatte.
entspannen.
Das Geld ist noch da.
"Das würde ich Euch nicht raten, zumindest nicht mit
Eurer schweren Verletzung." entgegnet Frumol Seine Kleidung ist ziemlich zerschnitten. Randirion
schlicht. fällt auch auf, dass sein Verband die gleiche Farbe hat.
"Aber macht, Ihr für richtig haltet." fährt er fort. In sei- Wie meinte doch sein Theologielehrer. 'Auch der
nem Gesicht ist der Anflug eines Lächelns zu sehen. schlechteste ist noch als abschreckendes Beispiel zu
Freut er sich etwa auf das was den Kavaljäre erwartet? gebrauchen …'
"Alrik sei so nett und erzähl ihr auch von den Die Verletzung war wohl ziemlich heftig …
Skeletten und dem Wolf und dem verschwundenen Zum Schluss rollt er den Leichnam noch mit dem
Bewusstlosen, die alle noch hier unten sind." Stiefel auf die Seite um sicher zu gehen dass er nicht
Alrik scheint ihn gar nicht zu hören, aber jetzt fängt auf etwas Nützliches gefallen ist. Auch das Schwert,
Seline an zu erzählen. Sephyra kriegt mit, dass Seline dass ihm diese hässliche Wunde zugefügt hat wird be-
ebenfalls in einen Sack gesteckt wurde und dann ein- gutachtet.
geschlafen ist. Sie erzählt von Träumen mit schwarzen Das Schwert ist ein wirklich gut gearbeitetes Lang-
Flammen und dunklen Gestalten. Richtig aufgewacht schwert mit schwarzer Klinge. Flammenmuster
ist sie gerade eben erst. scheinen in sie eingeätzt zu sein. Eben hat er es ja
Falls die Liege nicht zu schwer ist wird sie von Randi- schon zum Abschlagen des Kopfes benutzt. Es hat das
rion motiviert Richtung Gang geschoben. normale Gewicht eines Langschwerts und deswegen

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ist auch zu erwarten, dass es genauso viel Schaden wie Eigentlich wollte Frumol sich wieder um Sephyra
ein Langschwert macht. Randirion weiß, dass er heftig kümmern, doch er tut wie ihm geheißen wurde und
trainieren müsste, um damit im Kampf umgehen zu geht Ingalf zur Hand.
können. "Was jetzt?" fragt er anschließend.
Der Umgang mit einer solch unhandlichen unbeweg- Seline richtet sich in fast akzentfreiem Garethi an die
lichen Waffe missfällt seinem ästhetischen Gemüt je- Helden: "Verehrte Dame, verehrte Herren, bitte
doch zutiefst. verzeiht mein Erschrecken vorhin. Ich danke Euch
Ein edles Erinnerungsstück ist es allemal. von Herzen für die Befreiung meines Bruders und
Seine Enkel werden Frage wo er denn diese lange auch die meine. Wir beide und unsere Eltern werden
Narbe her hat. Denn Brandwunden, das weiß Randi- Euch auf ewig dankbar sein. Mögen Rastullah und die
rion verheilen ohne Zauber nicht ohne Narben. Und Zwölfe immer ihre Hand über Euch halten."
wenn er dann an in den langen kalten Nächten das 'Gut. Vielleicht kann sie mir auf dem Rückweg ein
Ifirn am Feuer die Geschichte des bösen Magiers und wenig bei der Sprachbeherrschung des Tulamidia hel-
Kindesentführers erzählen wird und wie er von den 4 fen.' überlegt Sephyra zwischendurch.
wackeren Helden niedergestreckt wurde, wird er ein "Gern geschehen." antwortet Sephyra und setzt sich
Schwert über dem Kamin nehmen und sich jener wieder auf den Boden, da ihr das Stehen - selbst mit
Ruhmreichen Tage erinnern. der Unterstützung Frumols - sehr schwer fällt.
Ja! Das war es weswegen er los gezogen war und der "Seid Ihr verletzt, verehrte Dame?" Seline schaut
Stolz den halben Weg zum Helden vollbracht zu besorgt. Bevor jemand antwortet kann, plappert Alrik
haben, lässt ihn den brennenden Schmerz vergessen. dazwischen: "Das sind sie wohl alle."
Das Abenteuer das er suchte.
Eine kurzen Moment lang ist Pause. Dann hält sich
Oder er schenkt es Alrik zum 18. Götterlauf, jedenfalls Alrik die Hand vor den Mund und läuft tiefrot an.
hat er großes mit dem Schwert vor. Mit einigen ver-
Mit einem Lächeln für Alrik antwortet sie Seline: "Ja.
bliebenen Streifen des Magiergewands umwickelt er
Dieser Murgol schleuderte mir zweimal Magie ent-
die Klinge und bastelt sich einen improvisierten
gegen und nun tut mir alles weh. Und das ohne eine
Schultergurt.
offensichtliche Wunde." ergänzt sie.
Da er nicht vorhat es zum Kampf zu ziehen verknotet
"Oh, wie habt ihr es dann geschafft, den", Seline denkt
er den Klingenschutz rutschsicher.
kurz nach, "Murgol zu besiegen?"
Den Rest des Zimmers ignoriert er soweit.
"Nun, das war … nicht ganz einfach." gesteht Sephyra
Dann schaut er wieder in dir Runde, um sich einen und zieht die Stirn in Falten. Ihr ganzer Körper ist
Überblick zu verschaffen. eine einzige Schmerzquelle.
Frumol sieht, dass auf dem Altar eine kleine Figur "Aber lass uns nicht davon sprechen, bevor wir nicht
steht. Bis auf ein kleines Schränkchen neben der Liege weit, weit fort von hier sind. Wir sollten jetzt wirklich
scheint der Raum leer zu sein. gehen." fordert sie alle auf und mit Frumols Hilfe
Selines Nacktheit hat er die ganze Zeit ignoriert. gelingt es ihr, sie wieder zu erheben.
Er nimmt das Bärenfell (bevor Randirion es auf den
Boden wischt), betrachtet es anerkennend und drückt Rückweg
es Alrik in die Arme. Dann steuert sie auf die provisorische Brücke über die
"Halt ma Kurzer". Grube zu und gelangt mit der Hilfe der anderen hof-
fentlich unversehrt auf die andere Seite, wo sie sodann
Das macht Alrik anstandslos.
den Rucksack aufnimmt.
Dann hebt er die Liege kurz prüfend an, und so er der
Auf der anderen Seite wieder angekommen, geht
Meinung ist sie alleine heben zu können wuchtet er
Frumol zum Schrank und entnimmt diesem seinen
sie hoch, die Zähne zusammengebissen um nichts von
Rucksack und das Gold, welches er sicher im Ruck-
den noch schmerzenden Rippen preis zu geben und
sack verstaut.
schleppt sie zur Grube. Sollte sie ihm zu schwer vor-
kommen ruft er Frumol zu "Komm schon, hilf ma "Ich Teile euer Verlangen Madame Lunor", meint
hier, die Anderen sind ja im Moment nich' zu gebrau- Randirion nachdem er mit den Kinder auf die andere
chen." Seite geklettert ist und sich Seline in seinem Rücken
fertig ankleidet.
Anschließend sammelt er den Schneidzahn und die
Orknase wieder auf, nimmt Alrik das Fell aus den Ar- Das sieht Sephyra mit Wohlwollen, nachdem sie
men und geht mit einem "Kommt jetzt, nix wie Seline die Bluse aus dem Rucksack heraus gesucht
wech!" voran. hat.
Seline zieht sich schnell um.
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"Es gibt meiner Meinung nach 5 Dinge noch zu tun schlagenen bergmännischen Laien, das sieht mir nach
hier unten. Zum ersten zu schauen ob die 2 Skelette Selbstmord aus.'
noch eine Gefahr sind. Wenn dem so ist, sollten einige 'Gefährlich solch lange Gedankenketten', denkt er nur
der Möbel die hier rumstehen sie lang genug aufhal- und konzentriert sich wieder auf etwaige Ver-
ten bis wir einen Weg hier heraus gefunden haben. änderung, jederzeit zum Rückzug bereit.
Womit wir den 2. Punkt schon genannt hätten.
Vorsichtig geht Randirion weiter, bis er die Kreuzung
Bleiben noch unser bewusstloser Gefolterter, der Fol-
erreicht, die zu dem Raum mit den Skeletten führt.
terknecht wenn wir hier lassen sollten wir ihn mit et-
was Wasser und trocken Brot in eine Zelle sperren bis Was sofort auffällt, dass kein Hämmern mehr von der
irgendjemand oder die örtliche Schutzmacht ihn in Tür zu hören ist. Vorsichtig geht Randirion weiter, bis
Gewahrsam nimmt. Wenn wir schon bei ihm sind, er an die Tür kommt. Sie ist jetzt eingeschlagen. Da-
können wir gleich noch nach eurem Jagdhund schau- vor liegen zwei Skelette, 2 schartige Schwerter und 2
en Herr Wedmansson", wohl wissend das es sich um alte Schilde. Bewegungslos.
einen Wolf handelt aber sehr darum bemüht seinen "Ich würde gleich einen Ausgang suchen" widerspricht
Kampfgenossen in Worten zu Adeln. Frumol, denn wer weiß schon, was sie hier unten noch
"Wenn wir einmal dort sind und wir keinen anderen alles aufschrecken können. Gleich raus ins Tageslicht
Ausgang finden, wird der Kamin zwar schmutzig ver- - dahin werden ihnen Skelette und Mumien sicher
rußt und giftig sein. Aber er führt mit Sicherheit ans nicht folgen können.
Tageslicht." Mit Sephyra alleine würden er hier sicher heil und
Er steckt sein Rapier in die Scheide lädt die Balestrina ohne Schwierigkeiten herauskommen, genauso wie
nach und sucht sich eine Fackel. aus dem Keller des Schwarzen Ebers. Aber leider ist
der wichtigtuerische Soldat und der Seemann dabei,
"Ich gedenke schleunigst Punkt Eins meiner Liste in
zwei Menschen, die offenbar gerne die Gefahr suchen.
Angriff zu nehmen. Wenn ihr hier noch brauchbares
Für seinen Geschmack können sie diesem Keller nun
zu finden hofft, komm ich in jedem Fall zurück."
endgültig den Rücken zuwenden, sie habend die
Er sieht sich nach tragbaren Lichtquellen um und Kinder gefunden, sogar noch den bösen Magier
nimmt sich eine der Öllampen aus Murgols Gemach, besiegt, und auch etwas Gold gefunden. Sephyra und
um mit dieser in der Linken, der Balestrina in der er können als unbesorgt weiter zum Gauklerfest zie-
rechten zügig aber mit der gebotenen Vorsicht in Rich- hen, und sich dort erholen, entspannen und es sich
tung der Skelette zu Bewegen. rundum gut gehen lassen.
Kurz bevor er das Sichtfeld eventuell zurück- Aber nein, hier ist einer, der will unbedingt nach den
bleibender verlässt ruft er lachend: "Vergesst eure Skeletten sehen …
Sturmlaterne und euren Seesack nicht Herr Wed-
Auf diesen Hinweis hin kehrt Sephyra zu dem Spiegel
mansson ich denke der junge Müllersohn kann seine
in Murgols Kammer zurück und besieht ihn sich noch
Schwester an der Hand führen auf dass sie nicht falle,
einmal genau. 'Zeigte er nicht vorhin den Weg im
er kennt ja schon einiges das von dem was uns
Sumpf, über den wir herkamen?' überlegt sie und be-
erwartet."
trachtet das Bild. 'Oder ist nach Murgols Tod der Zau-
Beschäftigungstherapie. Er will nicht an sein ent- ber erloschen?'
stelltes Äußeres denken.
Es ist immer noch das lebendige Bild des Sumpfes zu
Randirion geht ein paar Schritte in den dunklen sehen.
Gang, und dann ist er allein mit seinem Licht. Das
wirkt ein wenig ernüchternd. 'Will ich wirklich allein Falls nicht, dürfte das gute Stück einiges wert sein.
auf Skelettjagd gehen?' fragt er sich. Sobald Frumol neben ihr steht, wird sie ihn auf eine
weitere Quelle gemeinsamen Wohlstandes hinweisen
Das wollte er um der Zwölfen Willen nicht …
und ihn bitten, den Spiegel abzuhängen und mit-
'Bei aller Ehre aber wirke ich wirklich so drauf- zunehmen, sollte dies noch im Rahmen der Möglich-
gängerisch?' denkt er sich auf die Wortfetzten die er keiten liegen.
im gehen noch mitbekommt.
Als Frumol neben ihr steht, sagt sie: "Den kann man
'Wie kann man nur so lebensmüde sein und nicht bestimmt zu einem guten Preis verkaufen. Kannst Du
überprüfen wollen ob von 2 Gefährlichen nicht den Spiegel abzuhängen und mitnehmen?"
besiegten Gegnern eine Gefahr ausgeht? Lektion 2
Der Spiegel hat eine Breite von etwas mehr als ein
oder 3 in Taktik und Kriegskunst. Besonders wo der
Schritt und ist etwas weniger als ein Schritt hoch.
einzige bekannte Ausgang verschüttet ist und Stunden
bräuchte um freigelegt zu werden, bei 4 gesunden "Bist Du Dir sicher?" fragt Frumol. Schließlich ist der
nicht mit 2 erschöpften Kindern und 4 ange- Spiegel ein wenig unhandlich. Und es ist schließlich
ein Risiko, einen Spiegel durch das Gewölbe, durch

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den Sumpf und durch den Wald zu transportieren. Es Er wendet sich an Alrik: "Hast Du was gesehen?"
gibt da solche Geschichten, was denen widerfährt, die "Nein, Herr. Gar nichts." Auch Alrik schaut ein biss-
einen Spiegel zerbrechen. chen verlegen.
Frumol ist von dem Gedanken nicht angetan den Sephyra wird misstrauisch: "Was meint ihr damit, 'Er
Spiegel zu tragen – doch, falls Sephyra darauf besteht ist weg.'?" fragt sie. "Soll das heißen, ein Bewusstloser
… verschwindet so einfach?"
"Wir könnten auch wiederkommen und ihn später ho- "Er ist immer unruhiger geworden mit der Zeit. Er ist
len.", schlägt er leise vor. Er hofft allerdings, dass sie wohl aufgewacht", vermutet Ingalf.
nicht darauf eingeht.
Sie kann es kaum glauben. 'Was ist, wenn er uns nicht
"Ich glaube, du hast Recht." gibt Sephyra nach. "Er ist freundlich gesonnen ist, jetzt wo er wach ist?' Fragen
wirklich etwas groß. Und wie schon der alte Ohm über Fragen.
immer sagte: 'Sei nicht gierig!', sagte er." - 'Ja, wir mer-
"Ich will hier einfach nur raus." flüstert sie Frumol ins
ken uns den Ort vor.' - "Vielleicht können wir bereits
Ohr.
aus dem Wissen um seinen Verbleib einen Gewinn
schlagen und die Information an wissbegierige For- Frumol schaut sie an, in seinen Augen kann Sie lesen,
scher verkaufen." schlägt sie statt dessen vor. dass er sie versteht und auch er den Wunsch hat hier
schnellstens heraus zu kommen. Beruhigend drückt er
"Auf dem Gauklerfest werden wir bestimmt was
ihre Hand.
finden." antwortet Frumol, erleichtert, dass Sephyra
nicht darauf bestand, den Spiegel mitzunehmen. "Lasst uns hier herauskommen. Ich denke, dass die
Fackeln uns einen Weg nach draußen weisen werden,
Ingalf wartet leicht unruhig darauf, dass Sephyra und
schließlich wird auch Murgol sich nicht den Weg
Frumol fertig werden, damit alle dem Cavalliere
durch die Finsternis gesucht haben." antwortet er.
folgen können, der allein vorausgegangen ist. Er sagt
aber nichts. "Sicher." antwortet Sephyra, von Frumols Zuversicht
wieder einmal unfreiwillig mitgerissen. Er schafft es
Ingalfs Ungeduld dank weiblicher Sensibilität bemer-
einfach immer, aufkeimende Verzweiflung mit seiner
kend schließt Sephyra das Thema ab: "Lasst uns ge-
liebenswürdigen Art zu verdrängen. 'Gut ihn zu
hen, alle." und wendet sich zum Ausgang. Immer
haben.' denkt Sephyra nicht zum ersten Mal und lä-
wieder rückt sie den Rucksack auf dem Rücken zu-
chelt zurück.
recht. Der Zauber Murgols bereitet ihr immer wieder
Schmerzen, wenn sie sich bewegt (und auch wenn Aus Richtung der Lichtquelle ist ein Ruf zu ver-
nicht), aber sie beklagt sich nicht. nehmen. Das klingt wie Randirion.
"Soll ich einen Moment Deinen Rucksack tragen?" "Dann holen wir erstmal den Kavaljäre ab" spricht
fragt Frumol als er ihr folgt. Frumol und folgt diesem durch die Gänge.
"Nein, nein." wehrt Sephyra ab. "Du brauchst "Freunde?", Ruft Randirion leicht verunsichert in den
vielleicht beide Hände, falls uns tatsächlich noch eine Gang.
unangenehme Überraschung bevorsteht. Ich schaffe "Die Skelette sind staubig und zusammengefallen, ihr
das schon." fügt sie optimistisch hinzu. Zauber scheint gebrochen. Lasst uns schauen ob sie
Die Gruppe folgt Randirion in einem so großen Ab- den Eingang bewachten!"
stand, dass er nicht mehr zu sehen ist. Alle durch- Jetzt erst dämmert es Randirion, dass sie ja nie durch
queren den Raum des Pentagramms, welches peinlich den Haupteingang gekommen sind, was auch den in-
genau umgangen wird. neren Riegel erklärt.
Im folgenden langen Gang geht es zügiger voran. Als Während er auf die anderen wartet tritt er die
die vier an die Kreuzung kommen, wo es zum Raum Knochen auseinander und schaut sich an ob von den
mit den Skeletten geht, sehen sie in der Richtung Schilden etwas brauchbares übrig geblieben ist.
Licht. Viel machen die Schilde nicht her. Aber sie wären
"Wo ist denn der Bewusstlose?" fällt Frumol auf. wenigstens ein ungefährliches Andenken für die
"Den hatte ich im Raum mit dem Pentagramm abge- Kinder.
setzt. Und dann war er plötzlich weg." Ingalf schaut 'Damit könnten sich die Kinder bei Gefahr schützen.'
ein bisschen verlegen. Er leuchtet durch die Reste der Tür und versucht zu
"Wo kann er denn hin sein? Der Herr Kavaljäre hat erkennen ob am anderen Ende des länglichen Raums
ihn sicher nicht mitgenommen, oder? in seinem Zu- schon Treppen zu sehen sind.
stand ist er kaum aufstanden und weg gegangen." 'Wenn hier Fallen kommen sollte man sie leichter er-
"Wenn ich das wüsste …" Ingalf zuckt die Achseln. kennen können', hofft er insgeheim den gesundheitli-
"Wäre schon gut, wenn wir ihn noch finden." chen Zustand der Gruppe überschlagend.
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Der Raum sieht eher wie eine geplünderte und er sich um uns überraschen und auskundschaften
Waffenkammer aus. Eine Treppe ist vom Eingang her zu können verzaubert hat oder sie, wie das Moorunge-
nicht zu sehen. heuer uns als Illusion geschaffen um unsere Kräfte zu
"Ob wir hinter der Tür einen Ausgang finden?" fragt binden und ihm mehr Zeit für seine finsteren Rituale
Sephyra den Kawaljere. "Schließlich werden die zu geben."
beiden Klappermänner keinen leeren Raum bewa- "Aber dann können doch auch Alrik und Seline eine
chen, oder? Lasst uns einfach nachsehen, Murgols Illusion sein, genauso wie uns der Tod des Magiers
Zauber scheinen mit ihm untergegangen zu sein." vorgetäuscht worden sein könnte …" wirft Frumol ein,
"Wir sollten den erleuchteten Gängen folgen", setzt obwohl er solche Dinge gar nicht in Betracht ziehen
Frumol den letzten der Gruppe in Kenntnis, "Sicher möchte. Außerdem verwirren ihn so viele hätte-doch-
ist Murgol nicht in der Dunkelheit durch die Gänge sein-können ein wenig.
geschlichen, um wieder nach oben zu gelangen." "Mit Verlaub Medicus Pellocke, das wage ich zu
"Mit Verlaub, mein Heiler dem ich so große Teile bezweifeln." entgegnet Randirion mit einem leichten
meiner Gesundheit schulde,", setzt Randirion an, Streberlächeln. "… und wenn doch. Sind wir so oder
einen Konflikt ist das letzte was die Gruppe hier un- so schon tot - und dem Namenlosen - geweiht. Ich für
ten gebrauchen kann wo die Strauchdiebe wohl- meinen Teil bevorzuge die aktuelle Realität zu kon-
möglich noch oben herum rennen. "Aber wenn ich frontieren und meine Theorien zu verifizieren oder zu
mich recht entsinne sind wir eben durch höchst unbe- falsifizieren."
leuchtete Gänge zum Pentagramm im Oktogon ge- 'Sollte dies die Stunde sein in der mein miserables
kommen, nicht das ich dem Magus nicht zutraue Bosparano bei meinem Heiler Eindruck schinden
keine physischen Wege gehen zu müssen, er hat das wird?'
hier unten sicher nicht selbst gebaut, also wird es Randirion hält einen Augenblick inne.
mindestens einen Eingang geben, zur Not der Ver-
Frumol geht auf dieses Thema nicht weiter ein, die
schüttete. Wenn es uns zu gefährlich wird können wir
Gedanken sind ihm zu widerwärtig und helfen kaum
immer noch den Folterknecht die gefährliche und an-
einen Ausgang zu finden.
strengende Arbeit machen lassen."
Er wirft einen neugierigen Blick auf die verteilten Die Waffenkammer
Knochen und in die Waffenkammer. 'Ob es hier noch
"Also ist es beschlossen." Randirion betritt den Raum,
Werkzeug gibt, mit dem wir die Tür im Vorratsraum
bis er seine Dimension und eventuelle Ausgänge er-
aufbrechen können?' überlegt er.
kennen kann. Und überprüft mit geübten Blick den
"Wir können hier und in der Folterkammer auch Inhalt der Waffenkammer weniger auf brauchbare
gleich noch nach brauchbarem Werkzeug schauen, Waffen als solche die als Stemmwerkzeuge dienen
dass uns beim Verlassen dieses Kellers behilflich sein können oder gar 'echtes' Werkzeug.
kann. 2 Gegner mit einem Hieb nannte mein Fecht-
Ein am seiner breitesten Stelle 6 Schritt breiter und
lehrer das immer."
doppelt so langer Raum tut sich auf.
"Habt ihr auch noch eine schlaue Antwort auf die
Da die Gruppe da ist und er ja eine freie Hand
besorgniserregende Frage, wohin der Bewusstlose aus
braucht, hängt er die Balestrina an den Gürtel. In der
der Folterkammer hin verschwunden ist?" antwortet
anderen sollte die Öllampe noch brennen.
ihm Frumol.
TT
"Vielleicht sucht der einen Ausgang." Ingalfs Tonfall __| |__
klingt absolut ernsthaft. | |
"Sicher." lässt sich Sephyra vernehmen. "Aber davon | |
| |
haben wir nur etwas, wenn wir ihn vorher finden und | |
er dann noch bei uns ist, wenn er den Ausgang findet." | |
Diese Argumentation ist kaum zu widerlegen, aber | |
wenig hilfreich. | |
| |
"Wir stöbern ihn auf - oder eben nicht. Das er weg ist, | |
können wir jetzt nicht ändern." |__ |
"Ganz ihrer Meinung Frau Lunor.", merkt Randirion | |
| __|
auf, während er immer noch die architektonische |TT|
Merkwürdigkeit des Raumes zu verarbeiten sucht. | |
"Was ich denke was mit dem Bewusstlosen geschehen | |
ist, fragt ihr? Nun denn: Die mir liebste Variante ist | |
das er genauso wie der andere Gefangene Murgol war
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Gleich links neben der Eingangstür ist schon die den ihr erfahren könnt. Entschuldigt vielmals dass ich
Längswand, die erst nach zwei Schritt zwei weitere euch in eurem Schmerz allein ließ. Allein Euer
Schritt nach links zurückweicht. Am anderen Ende Verlangen und die Besorgnis um unser aller Sicherheit
des Raumes ist ein Erker, in dem sich eine Tür be- ließ mich vorauseilen und nicht Gefühlskälte euch
findet. nicht helfen zu wollen."
Randirion wundert sich. "Wer baut denn sowas?", und Sephyra unterlässt es in Erinnerung der Schmerzen,
deutet auf die vorstehende Wand. Er untersucht sie sich andeutungsweise zu verbeugen. Allerdings er-
mit mehr Vorsicht als Interesse. widert sie dem Kawaljere auf dessen ausschweifenden
Und findet nichts Interessantes. Reden: "Nun denn, werter Kawaljere, dessen war ich
mir immer sicher. Etwas anderes käme Euer Gnaden
Und zuckt anteilnahmslos mit den Achseln. 'Was
auch kaum in den Sinn."
solls.'
Sie sieht sich um und meint dann: "Glaubt Ihr ernst-
Während er sich umsieht meint er zu den anderen:
haft, dass wir uns noch weiter rüsten und mit un-
"Was denkt ihr, hat Murgol die Banditen angeheuert
nützen Schilden belasten sollten? Weder die Kinder
die Kinder zu entführt, sie verzaubert und gefügig ge-
noch ich können damit wirklich umgehen. Außerdem
macht? Oder wissen die Diebe am Ende nichts von
sehen diese Dinger so aus, als breche man sich bei
seiner Existenz. Wenn Murgol alle hier verzaubert hat,
einem einzigen Hieb darauf bereits den Arm und
sollten wir nicht zu offensiv auf Fremde zugehen,
zersplittern würden sie zudem gleich mit. Nein nein.
vielleicht ist sogar der Kerkermeister eine arme
Ich vertraue nicht auf diesen Schutz." und lehnt einen
Seele?", Randirion wird nachdenklich, das sie wohl-
Schild ab.
möglich Unschuldige getötet haben. Aber das wird
sich zeigen, wenn man sie wieder sieht und das ge- "Verzeiht ihr einem verwundeten Edelmann diese
denkt er zu vermeiden. verzweifelte Geste?",erwidert Randirion mit
gesenktem Kopf -leicht deprimiert - ob des Wissens,
In Halterungen an den Wänden stehen ein paar Speer
dass sie Recht hat.
und Hellebarden.
Als Randirion vorsichtig versucht, die andere Tür zu
"Wenn man damit umgehen könnte, hätten die uns
öffnen, erweist sie sich als verschlossen.
hier unten die eine oder andere Schramme erspart."
stellt Randirion beim erneuten bewerten der Kampf- "Herr Pellocke großer Heiler und Öffner aller nicht-
kraft der Gruppe ernüchtert fest. magischen Türen wollt ihr euer Glück versuchen."
meint Randirion mit einer einladenden Geste versucht
"Zur Not können wir mit dem besseren Feuerholz
den Eindruck bei den Kinder zu erhalten und die
noch versuchen mit vereinten Kräften die Luke aufzu-
Stimmung zu erhalten.
stemmen. Ich wage zu behaupten die Folterkammer
beherbergt hilfreichere Utensilien." Die beiden nehmen die Schilde an. Seline nimmt sich
zusätzlich mit den Worten "Holz hacken habe ich ge-
In zwei kleinen Holzfässern finden sich Schwerter,
lernt." noch ein Kriegsbeil.
Kriegsbeile und Keulen.
Dazu zieht Sephyra nur die Augenbrauen hoch und
In einer Ecke sind Schilde gestapelt. Alle Waffen sind
schüttelt andeutungsweise den Kopf: 'Die Kinder
fast unbrauchbar.
heutzutage!'
Randirion sucht die 2 besten Schilde aus und drückt
Von der langen Rede, die der Kavaljäre hielt hat
sie den Kindern in die freien Hände.
Frumol sicher nicht einmal die Hälfte mitbekommen
"Werte Maid, Jüngling ihr scheint eine innere Nei- - zu geschwollen war die Sprache.
gung zu hegen, schnell bei Gefahr zu flüchten. So-
Die alten Waffen und Gegenstände interessieren ihn
lange wir euch nicht anders gebeten haben verfahrt
nicht - auch hält er es für sinnlos, den Kinder ein
weiter so. Wenn man sich nicht sicher ist einen
Schild zu geben. Die können ohne bei Gefahr viel
Gegner bezwingen zu können ist die Flucht das beste
schneller laufen - viel mehr interessiert es ihn hier
was man tun kann. Solltet ihr jedoch in eine gefährli-
endlich heraus zu kommen.
che Situation geraten in der ihr nicht flüchten könnt
oder sollt, versteckt ihr euch hinter diesen Schilden, Interessiert schaut sich Frumol einmal die Tür und
sie sind nicht gut, sie sind nicht neu, aber sie sind als das Schloss an, obwohl er nicht die Hoffnung hat,
nichts. Außerdem helfen sie euch sich zu verstecken, dass die Tür einer Waffenkammer nach draußen füh-
wenn ihr schnell genug seid." ren würde …
Zu den anderen: "Die Waffen und Schilde scheinen … und dann ist er sich ganz sicher: Die Tür ist nicht
nicht wirklich zu mehr zu taugen als die Kinder vor echt. Hinter der Öffnung es Schlosses ist nur ein
dem äußersten zu bewahren, euch Madame Lunor Loch. Und gleich dahinter kommt Stein.
würde ich in eurem Zustand jeden Schutz empfehlen

124
Verwirrt richtet sich Frumol wieder auf. Wer baut eine täuschen kann.' denkt sie: "Nun, werter Kawaljere.
Tür vor eine Wand? Und warum? Damit habe ich nun wirklich keine Erfahrung. Aber
"Hinter dieser Tür", gibt er bekannt, "wartet auf uns Eure Anmerkung klingt sehr weise. So sei es." fügt sie
nur eine Felswand. Falls ihr's nicht glaubt, schaut für Seline bestimmt hinzu.
selbst durch diese Öffnung." Er verweist auf das Loch, Seline lächelt schüchtern: "Wenn die werten Herren
durch das er eben selbst geblickt hat. vielleicht vor die Tür treten mögen."
Ein Geheimgang? Die Vorstellung fasziniert ihn, doch Sie geht mit Sephyra hinter den Vorsprung. Die Farbe
warum sollte man einen solchen mit einer Tür geht relativ leicht ab.
tarnen? Eine absurde Vorstellung. Vielleicht soll die "Vielen Dank für Eure Weitsicht, mein Herr!" sagt sie
Tür von einem anderen Geheimgang im Raum ablen- zu Randirion, als sie wieder zurückkommt.
ken? Das wäre schon eher möglich. Lohnt es sich also
Und dreht sich mit der Axt in der Hand zu Ingalf um.
hier weiter zu suchen? Oder ist es besser schnell aus
diesen Gängen zu fliehen? "Kommt Freund Wedmannsson, ich wollte schon
immer einmal erfahren wie man erkennt aus welchem
"Habt ihr schon was gefunden?" fragt er die Übrigen.
Baum ein Möbel ist, diese vorbearbeitete Tür kann
Alrik drängelt sich nach vorn und schaut durch das uns doch sicherlich einiges über die … ähm Natur
Loch. "Uuh!" entfährt ihm. Dann schaut er Frumol und Pflanzenwelt der Gegend erzählen."
an: "Kannst Du die Tür aufmachen?"
Ingalf kommt der Bitte nach und untersucht das
Von hinten ist Seline auf tulamidisch zu hören. "Das Kriegsbeil. Allerdings kann er deutlich besser mit Äx-
ist kein Spiel Alrik! Wir wollen nach Hause." ten umgehen als sie begutachten. Wenn er seiner Mei-
"Sicherlich, Freund Alrik." antwortet Frumol ihm nung nach zufrieden ist, übernimmt er den Part mit
freundlich. "Doch zu welchem Zweck, da Du sie nicht dem 'Axt in Tür'- und zwar mit einem marker-
durchschreiten kannst?" schütternden Kriegsschrei, der jede nicht-magische
"Mein ja nur." Alrik zieht den Kopf ein wenig ein - so Tür bereits vor Angst in die Knie zwingt. Dabei visiert
als ob er gewöhnt ist, des öfteren einen Schlag auf den er die Gegend um das Schloss an.
Hinterkopf zu bekommen. Während Seline sich umzieht schaut er sich die Axt
Dieses Verhalten zaubert ein schmunzeln auf Frumol noch einmal an und lässt auch Ingalf sie begutachten.
Gesicht. Immer, wenn sein Vater zu Hause war, muss- Falls der Schaft Ermüdungserscheinungen erkennen
te er auch ganz vorsichtig sein. lässt, wird er versuchen sie so ins Holz zu treiben, Das
er entweder bricht oder es beim herausziehen tun
"Fräulein Seline wenn ihr so freundlich wärt und euch
wird.
vor dem Kampf der gegnerischen Kriegsbemalung zu
entledigen? Bei eurem Rücken kann euch sicher der Die Axt ist brauchbar, sollte aber demnächst mal einen
junge Herr Alrik behilflich sein. Welcher uns eher neuen Schaft bekommen. Jedenfalls bleibt die Klinge
durch seine Folgsamkeit und Tragkraft geholfen hat in der Tür stecken.
euch zu retten, obwohl er gewillt war euch eigenhän- Sollte die Axt jedoch 'nur alt' sein, wird sie Seline mit
dig mit einem Langschwert zu befreien. Ich werde so- weitschweifigen Worten der Warnung und der über-
lange eure Waffen noch einmal auf ihre Güte prüfen.", triebenen pädagogischen Fürsorge wiedergeben.
sprachs und nahm ihr sanft die Axt aus der Seline schaut ein wenig seltsam, so als ob sie denken
Hand."Herr Pellocke wenn ihr euch mit der Tür würde: 'Das man die Axt benutzen kann, weiß ich
beschäftigt, tut dies noch solange bis sich Fräulein doch selbst. Ich bin doch kein Kind mehr!'
dieser verderbten Kunst entledigt hat."
"Es muss einen Ausgang geben, selbst wenn der
"Madame Lunor ihr scheint mit magischen Dingen Murgol telepar…dingsbums, also so wie fliegen nur
am bewandertsten. Wenn er mit dem einen oder anders, konnte. Seine Wachen, sein Kerkermeister und
anderen unheilvollen Zauber bereits fertig war, auch die Kinners können 's ja wohl nich'. Und ich
können Seline diese absonderlichen Bemalungen glaub kein Wort, dass der Kerkermeister eigentlich gar
noch Gefahr sein? Sollten wir dann sie nicht so kein übler Kerl war, und der Bewusstlose …hmm wer
schnell wie möglich abwaschen, bevor sie noch einen von der Aussicht auf Feuer nich' wach wird is' entwe-
Dämon der Niederhöllen anlockt und zum Opfer der 'nen Schwindler oder so besoffen, dass gar nix
fällt?" mehr geht … wobei mir nich' aufgefallen wär, dass der
Er reicht Seline seine Feldflasche, "Wenn ihr euch Kerl sich am Boden festhalten musste."
gründlicher reinigen wollt finden wir in der Folter- Ingalf grinst über das ganze Gesicht bei der letzten
kammer sicher noch genug Wasser." Bemerkung.
Soviel Weitsicht hatte sie dem Kawaljere nicht zuge- "Nun Gut."
traut: 'Da sieht man mal wieder, wie Frau sich

125
Bis Frumol mit der Tür fertig ist, überprüft Randirion Im hinteren Bereich liegen zwei Mumien auf dem
mit einem Blick ob die Tür von den Skeletten zerhau- Steinboden - so als ob sie vor kurzem noch gelaufen
en wurde. (Schwertscharten, Splitter außerhalb des und dann zusammengebrochen sind.
Raums, nur Kleinere innen). Einen Ausgang gibt es nicht.
Die Skelette sind offensichtlich durch die Tür gebro- Randirion kehrt zur Gruppe zurück.
chen und kurz danach endgültig zu Boron gegangen.
"Wenn wir den Bewusstlosen wirklich nicht auf un-
Falls es hier nichts Interessantes gibt, wendet er sich serem Weg finden, sollten wir - nachdem wir einen
wieder ab und schreitet voran, auf der Suche nach Ausgang gefunden haben - systematisch die nächsten
dem Ausgang. Gänge absuchen. Herr Pellocke ihr habt doch sicher-
Randirion folgt. lich die Karte noch in euer Obhut? Ergänzt bitte bei
Er geht bis zur Kreuzung vor und schaut bis die Gelegenheit, dass der Raum mit den Steinblöcken
Gruppe nachgekommen ist noch fix in den Raum mit nun tote Mumien enthält keinen Ausgang hat und die
den Steinblöcken und schaut ob dieser noch einen Steinblöcke Sarkophage enthalten. Ich für meinen Teil
Ausgang hat. gedenke nicht Boron zu erzürnen und ihre Hüllen zu
entweihen." teil Randirion mit ohne weitere Kon-
"Keine Sorge ich will nich irre gehn, nur den Raum
junktive zu verschwenden.
anschauen."
"Medicus, Freund Wedmansson geht ihr vor zur Fol-
Er vermeidet es länger als 60 Herzschläge aus dem
terkammer? Ich gedenke die Nachhut zu über-
Sichtfeld eines Gefährten zu entschwinden.
nehmen."
Die Steinblöcke erweisen sich als Behältnisse für Sar-
Die Karte! Die hatte Frumol ganz vergessen. Sicher
kophage.
hat er sie in den Rucksack gesteckt …
(Kommode)
_______
| KKK |
| |
|__ __|
_________________| |
/ __________________|
___ ___ ___ / / ___
| | | | | | / / | |
|_ _| |_ _| |_ _| / / ___|MGZ|
| |___| |___| |________/ / ____ | _____|
|_ Zellentrakt ______ / | | |:|
___ Folterkammer | | _____ | WR |--|:|
/ Ost?\_____________ | | | | |__ _____|
( Turm ___ _____ | | |dunkel |_ WK | ||Geheimgang
\ ___ / __| |__ | | | |___| |_______ | | ||_
| | | | |_____ _____ | | _| / \__
| Lager | | | | | | | | | | LAB |
|__ __| | |________________| |_____| | | | \___/| |
(_) |________ _______ _____ | | | | |
| | | | | | | | _| |
| | dunkel | | | | | _|
__| | | |__| |_________| |
dunkel __ | |_________ ______|
_| |_ Treppe |-|
/ \ __|-|______
( Turm ) |Raum mit |
\_____/ |Sarkopharg |
mit Treppe |___________|
(verschüttet)

LAB = Murgols Labor mit Pentagramm, Angriff und Vernichtung der Mumien
MGZ = Murgols geheimes Zimmer, hier wurde Seline gefunden
und der Bösewicht besiegt.
WK = Waffenkammer, an der oberen Wand gibt es die Tür,
hinter der nur die Wand ist. Merkwürdig, oder?
WR = Murgols Wohnraum mit Sessel, Spiegel und Schrank
|:| = Grube mit Spitzen (jetzt unschädlich durch Tisch und Bett)
Er bestätigt mit einem Nicken, dass er verstanden hat, Karte so sorgsam geführt haben?' überlegt er misstrau-
was der Herr Kavaljäre wünscht. 'Warum will er die isch weiter. 'Warum sollen dort tote Mumien verzeich-
126
net werden? Und warum die Sarkophage? Was "Ich dachte schon an diese Geschöpfe aus Stein, die
bezweckt er damit?' durch Magie zum Leben erweckt werden. Ich komme
Forschend schaut er den feinen Herren an, sucht kurz nur nicht auf deren Namen."
nach einer Auffälligkeit. Dann wendet er sich ab und "Meinst du diese Golems oder Kolems oder wie diese
folgt Ingalf. wandelnden Statuen genannt werden, die finsteren
'Hier wird alles immer merkwürdiger: Türen die keine Magier angeblich aus Lehm und Holz sowie der
sind, es sei denn man kann durch Stein gehen. Und Rippe eines unglückseligen Unbeteiligten formen?"
ein feiner Pinkel, der sich noch seltsame benimmt als fragt sie. 'Sollten wir wirklich dorthin zurück gehen
sonst', überlegt er während er Ingalf durch die Gänge und vielleicht auf so etwas treffen?' überlegt sie.
folgt. "Genau die", bestätigt Frumol, beeindruckt von ihren
Diese seltsame Tür beschäftigt ihn noch immer: 'Wie Kenntnissen. Das es dazu noch einer Rippe bedarf,
heißen denn diese Geschöpfe aus Stein der zu Leben hätte er nun nicht gewusst.
erwacht ist? Dolens?' Er kommt nicht auf den "Vielleicht ist dies so etwas wie eine Pforte für solche
richtigen Namen, doch könnte das eine Tür für jene Wesen." Er schweigt einen Moment. "Ich kann mir je-
Geschöpf sein? denfalls keinen Reim auf diese Tür machen!"
Auch Sephyra lässt die Entdeckung Frumols nicht los. "Du meinst, die Skelette haben eine solche Kreatur
In Gedanken beschäftigt sie sich mit der "Tür ohne bewacht? Oder haben sie darauf geachtet, dass diese
Tür", wie sie sie im Geiste nennt. Daher muss sie ihre nicht herauskommt?" Der letzte Satz erscheint ihr
Neugier befriedigen und geht hinüber, um sie selbst hinsichtlich der Empfindung, dass die Tür zugehalten
noch einmal genau anzusehen. wurde, eigentlich abstrus.
Dabei legt sie eine Hand fühlend darauf und lässt sie "Vielleicht haben die Skelette die Kreatur bewacht",
langsam hin und her gleiten, so als ließe sich dadurch überlegt er.
die Wahrnehmung verstärken. "Kann es sein, dass sich die Kreatur dort nur versteckt
Tief in ihrem Inneren spürt sie auf einmal, dass sie hält? Vielleicht hat sie einen ganz anderen Auftrag.
eine Verbindung zur Tür hat. Sie kann sie spüren. Außerdem existiert sie noch, die Wesen, die Murgol
Und an ihr ziehen. Sie (nur sie) sieht, dass sich die vermutlich erschaffen hat, sind hingegen mit ihm
Tür ganz leicht durchbeult, so als ob auf der anderen gestorben." führt er seien Überlegungen fort.
Seite jemand dagegen drückt.
Das ist alles. Wieder in de Folterkammer
'Hm, merkwürdig.' überlegt sie und mit diesem Ge- Ingalf kratzt sich am Kopf, schaut kurz auf Frumols
danken folgt sie den anderen, um nicht den Anschluss Karte und führt die Gruppe zügigen Schrittes zur Fol-
zu verlieren. terkammer. Dort zeigt sich vom Eingang aus ein Bild
des Schreckens: Dem Folterknecht wurde die Kehle
Bei nächster Gelegenheit spricht sie Frumol jedoch
durchgeschnitten. Vor der Streckbank liegt auf dem
darauf an: "Du Frumol, die Tür in der alten
Boden der Bewusstlose.
Waffenkammer. Damit stimmt etwas ganz und gar
nicht. Ich glaubte eben, dass ich da jemanden auf der "Oh je", entfährt es Frumol als er das Dilemma sieht.
anderen Seite spüren konnte, fast so, als würde die Tür "Was ist denn hier passiert?"
zugehalten. Also so, als drückte jemand stark dagegen, Das er sich um den Folterknecht nicht mehr zu küm-
damit wir glauben, dass es dort nicht weitergeht." mern braucht schient klar. Sein Blick sucht hingegen
Frumol weiß, dass Sephyra Dinge sieht und fühlt, die nach der Waffe, mit der diese Tat begangen wurde.
ihm verborgen bleiben. Die liegt neben dem Bewusstlosen auf dem Boden. Es
Er erinnert sich auch an den Vorfall auf der "Prin- ist ein Langschwert.
zessin von Festum". "Der Mann hatte ein Ziel." kommentiert Ingalf tro-
Dort hat Rakorium Dinge gesehen, die lieber ver- cken.
borgen bleiben sollten, jedenfalls nach Sephyras Mei- "Der Mann hat unsere Informationsquellen gerade
nung. Um was es sich handelt weiß Frumol nicht, Se- halbiert! Ich kann es ihm nicht verdenken …"
phyra hat nie wieder darüber gesprochen. Und er hat Randirion geht auf den Bewusstlosen zu und tritt das
nie danach gefragt. Langschwert mit dem Fuß zur Seite.
"Mir geht die Tür auch nicht aus dem Sinn." ant- "Freund!", spricht er ihn deutlich an.
wortet er leise. Das geht die Anderen nichts an. Sollen Es kommt keinerlei Reaktion.
sie doch ruhig denken, dass hier wieder geturtelt wird.
Während er auf eine Reaktion wartet schaut er sich im
Raum nach hilfreichen Stemmwerkzeugen um. 'Wenn

127
nix davon die Luke öffnet, können wir es auch mit dessen Kette zusammen mit einem schwer verwunde-
aufbrennen versuchen', denkt er sich. ten Krakenmolch liegt."
Ein Brecheisen wäre optimal. Das gibt es aber nicht Er ehemals Bewusstlose schaut Randirion nur ver-
hier. ständnislos an. Schließlich kommt ein leises "Wer seid
"Seline. Falls ihr noch Flüssigkeit zum säubern Ihr?" über seine Lippen.
braucht, der Wasserkübel steht dort." er deutet auf die "Wir haben hier unten noch nicht alles abgesucht. Ein
Stelle an dem zuletzt der Eimer stand. eingefallener Treppenturm und eine verschlossene
"Danke, mein Herr." Seline geht zum Eimer, füllt die Kellerluke waren bis jetzt unsere hoffnungsvollsten
Feldflasche auf und reicht sie ihm wieder. "Es geht so. Ausgänge."
Richtig waschen werde ich mich zu Hause. Hoffent- "Oh!", entgegnet Seline nur.
lich sind wir bald hier raus." "… und dann wären da noch der verschwundene
"Das Hoffen wir alle mutige Müllerstochter." Gefangene und der Wolf. Bei ersterem hoffe ich
'Bäh! Ich muss mir unbedingt merken, keine Wasserra- einfach, dass uns Murgol hier einen Trick gespielt hat.
tion von ihm anzunehmen, bis er die Flasche gänzlich Zu unserem tierischen Problem meine ich im
gesäubert und frisches Wasser hinein gefüllt hat.' Moment, dass es genau da bleiben sollte wo es grad ist.
Überlegt Sephyra, während sie interessiert den Zu eurer verschlossenen Tür Madame Lunor, Herr
Vorgang beobachtet. 'Wer weiß, welche glühenden Pellocke. Ich glaube sie ist genauso eine Falle wie jene
Eisen in diesem Eimer abgeschreckt wurden …' die Freund Wedmannsson diesen Kleidsamen Verband
Randirion sucht sich ein möglichst sauberes Stück verschafft hat. Einzig jene Tür sollten wir noch ein-
Stoff (falls sich kein Schwamm in der Folterkammer mal überprüfen, sollte sie noch immer magisch
finden sollte) und befeuchtet es mit dem Wasser aus verschlossen sein, droht uns denk ich mehr als nur ein
seiner Feldflasche. 'Man soll die Feldflasche der toter Magier."
Gesundheit zu Liebe und zur Ehre regelmäßig sein Er nimmt eine möglichst stabile Zange in die Rechte
Feldbesteck auswaschen.' nachdem er ein einem Brecheisen am ähnlichsten
Er versucht den Bewusstlosen zu tränken. Brandeisen Alrik in die Hand gedrückt hat.
Und diesmal kommt er hustend zu sich. Er schlägt die Alrik nimmt sein Eisen mit leuchtenden Augen ent-
Augen auf und stöhnt nur: "Bitte nicht!" - auf Garethi. gegen.
Aus dem Wolfskäfig ist ein Knurren zu hören. Beim "Warum? Ein Wolfsfell ist doch etwas sehr brauchba-
Hinschauen erweist sich, dass der Wolf unverletzt ist. res." Seline scheint sehr praktisch zu denken.
'Soll sich Ingalf drum kümmern ich kannte mich mit Ein Grinsen huscht über Sephyras Gesicht. 'Ha, auch
den Tieren noch nie gut aus.', ihm wäre es lieber den sie gibt dem Kawaljere Feuer!' denkt sie dabei. 'Na ja,
Wolf genau dort zu lassen wo er jetzt ist. er hat's auch verdient …'
"Es muss doch in einer Folterkammer brauchbares Laut erwidert sie daraufhin: "Ich glaube, unser lieber
Stemmwerkzeug geben. Zangen, handliche Keile die Kawaljere hat ein Problem damit, ein Tier hier unten
man in die Spalten Treiben kann. Irgendwas?" zu lassen und es dem nahezu sicheren Tod durch
Hunger und Durst auszusetzen. Andererseits kann es
Zangen gibt es ein paar. Und Brandeisen.
auch Firuns Wille gewesen sein, der den Wolf hier
"Herr Wedmannsson? Ihr wisst doch viel über Tiere, herunter geführt hatte, damit er genau dieses oder je-
wenn wir es schaffen, das der Wolf uns nicht anfällt des andere Schicksal erleide, das für ihn vorgesehen
könnte er den Weg hieraus nicht 'wettern'?" man ist. Wer kann das schon sagen?" Stirn runzelnd lehnt
merkt Randirion an, dass er nicht allzuviel Zeit und sie sich gegen einen der Tische, um ihre
Gedanken mit Natur und Tieren verbracht hat und Schmerzenden Gliedmaßen auszuruhen.
selbige meist mit Pferden.
"Und warum tötet Ihr den Wolf nicht einfach?" fragt
"Wie kommst Du denn darauf, dass ich viel über Tiere Seline mit verständnisloser Miene. Alrik sieht gar
weiß?" Ingalf schaut richtig verdutzt. nicht begeistert aus.
"Aber Ihr seid doch hier hereingekommen. Da muss "Weil das nur die letzte Möglichkeit is', Deern. Der
man doch auch herauskommen!" Seline wird richtig Wolf is' an sich nich' bös, er kann wahrscheinlich nix
energisch. dafür dass er hier is'. Wenn's gar nicht anners geht,
Randirion nimmt sich auch um den Bewusstlosen et- mach ich auch lieber um als ihn verdursten zu lassen,
was auf den Stand zu bringen Zeit zum erklären: "Der sowas macht nämlich nich' ma' mit 'nem Wolf."
Weg der uns hierunter gelangen ließ, führte uns durch Seline nickt so, als ob sie nicht ganz überzeugt ist.
ein Loch in einem Brunnen, dessen Schacht tief und

128
Er wendet sich an den ehemals Bewusstlosen "Hey, um für Balestrina und Rapier die Hände frei zu
wie heißt 'n du, un' wie kommste hierher? Und war haben.
der da" er zeigt auf den Wolf "schon da, oder wie?" "Sagt Schneider, war die Gestalt vielleicht mit diesem
Der Gefangene berichtet mit schwacher Stimme: "An- Tuch bekleidet?", er deutet auf den Stoff mit dem er
unt Ribesell mein Name. Wandernder Schneider. Ich das Schwert umwickelt hat. "Entschuldigt meine
komme aus Beilunk und war auf meiner Wander- vielen Fragen, aber in einer dritten Zelle flehte uns ein
schaft, als mich ein paar Strolche überfallen und nie- Mittelländer um seine Befreiung an war jedoch
dergeschlagen haben. Ich bin dann zu einer verschwunden nachdem wir den Folterknecht un-
Burgruine geschleppt worden, so richtig habe ich das schädlich gemacht hatten. Wisst ihr etwas über ihn?"
halbbeduselt nicht mitgekriegt, die Treppe runter und Ribesell wirft einen Blick auf das Tuch, zuckt dann
seitdem immer abwechselnd Zelle oder Folterbank. Ab aber die Achseln: "Das Tuch war es. Eindeutig. Stoffe
und zu habe ich außer dem Folterknecht auch so präge ich mir ein. Woher habt Ihr das Tuch?"
einen schwarz Gekleideten gesehen. Geredet hat mit
"Wie ich bereits andeutete haben meine Freunde und
mir niemand. - Ach ja. Der Wolf gehörte dem Folter-
ich ihn zu Boron geschickt nachdem er Seline nicht
knecht. Bei dem war der ganz zahm."
freiwillig freilassen wollte. Weswegen wir alle nicht
"Entschuldigt meine Unhöflichkeit guter Mann. Ca- mehr so unversehrt aussehen wie wir dieses Verlies be-
valliere Randirion ya Calmatin ist mein Name. traten.
Frumol Pellocke, Sephyra Lunor und Ingalf Wed-
Wenn ihr euch einen Silberling verdienen wollt, könnt
mannsson. Seline und Alrik sind die Kinder des Mül-
ihr gerne meine Kleider reparieren wenn wir dieses
lers, der uns bat sie zu finden und zurückzubringen.
Schloss und den Sumpf verlassen haben.
Um euch nicht zurückzulassen nahmen wir uns die
Freiheit eure Wunden zu reinigen und euch mitzu- Das Tuch selbst trug der Schurke als wir ihn entleib-
tragen, bis wir auf mehrere Untote und den schwarzen ten, ein ganzer Mantel hängt noch in seinem Schrank.
Magier Murgol der Seline wohl grade für seine Ich persönlich kehre dorthin nur ungern zurück.
namenlosen Rituale missbrauchen wollte. Murgol Allerdings möchtet ihr wohl auch nicht erfrieren."
selbst bezahlte für seine gottlosen Frevel bereits. Mit Randirion bemerkt wieder dass er ja mit einem fast
ihm fielen auch einige Verzauberungen in diesem nackten spricht und jener die nächste Nacht draußen
Keller. Ich nehme an das ihr euch die Freiheit nahmt ohne Kleidung wohl nur mit mühe überleben wird …
euren Peiniger zu entleiben?" "Wie weit ist es denn bis zur nächsten Behausung?
Der Schneidergeselle schaut erst Randirion dann den Und welche Tageszeit haben wir überhaupt? ich
Folterknecht an. möchte hier wirklich so schnell wie möglich raus",
Dann überlegt er einen Moment. "'Fürwahr', so erkundigt sich Ribesell, ohne auf Randirions Angebot
würdet Ihr wohl sagen?" entgegnet er dann mit einem weiter einzugehen.
leichten Lächeln. "Soll ich den Mantel holen?" fragt Alrik eifrig. Seline
"So sei es denn.", antwortet Randirion mit einem verdreht nur die Augen, sagt aber nichts.
leichten Seufzer. "Boron wird einen der ihm Seelen 'Aha.' denkt sich Sephyra. 'Gut zu wissen, dass es an-
solange vorenthält sicher nicht so schnell zurückschi- scheinend kein wilder Wolf ist. Aber das hilft uns nach
cken nur um uns die Frage nach dem Ausgang zu be- dem Tod des Folterknechts auch nicht weiter.' -
antwortet und bei den Zwölfen ich habe hier auch "Wahrscheinlich ist der Wolf jetzt nach dem Tod sei-
schon genug lebende Tote gesehen." nes Herrchens noch wütender, als wenn es einfach ein
Randirion reicht Anunt seine Feldflasche. wildes Tier gewesen wäre …" führt sie den Gedanken
laut fort.
"Es ist leider nur Kühlwasser der Folterinstrumente,
Herr Wedmansson ist sicherlich gerne bereit euch 'Das hilft nun weder uns noch dem toten Folter-
einen Schluck seines Weines zu geben, den ihr wäh- knecht.' überlegt Frumol, währen er zum Tisch geht
rend eures Schlafs verschmähtet. Wenn ihr euch stär- und die Karte betrachtet, die er auf den Tisch legt.
ken wollt bevor wir dieses verdammte Schloss und den "Wo könnte ein Ausgang sein? Sollten wir es noch ein-
verzauberten Sumpf verlassen so hält der hiesige mal bei der verschütteten Treppe versuchen?"
Lagerraum noch etwas bereit." "Ich würde vorschlagen," dabei besieht sich auch Se-
Anunt Ribesell nimmt die Flasche entgegen und phyra die Karte und legt einen Arm über Frumols
nimmt einen Schluck. "Je schneller wir hier heraus Schulter, um sich abzustützen und so bequemer
sind, desto besser." stehen zu können, "dass wir uns dorthin begeben."
Dabei zeigt sie auf die Karte und den Turm mit der
"Herr Pellocke den Gang neben dem eingestürzten
verschütteten Treppe. "Wahrscheinlich führt dieser
Turm wolltet ihr Versuchen? So sei es." Er nimmt sei-
Gang zu dem anderen Turm, dessen Treppe vielleicht
ne Feldflasche zurück und reicht Anunt die Öllampe
frei ist."
129
"Du könntest Recht haben, vielleicht auch nicht. Je- mand Einwände hat und euch kalt wird könnte der
denfalls bin ich dafür, in den beleuchteten Gängen zu hilfreich sein …", während Randirion noch wortreich
bleiben. Alles andere erscheint mit absurd." ist kommt ihm eine geniale Idee …
Antwortet Frumol und hofft, das Sephyra es bequem "Murgol mag tot sein, seine Schergen jedoch sollten
hat. das noch nicht unbedingt wissen. Wir sollten Mantel
Alrik meldet sich zu Wort: "Wir sind doch jetzt sieben und Stiefel auf alle Fälle mitnehmen wenn es gilt an
Leute. Vielleicht, wenn alle mit anpacken …" der einen oder der anderen Wache ungestört vorbeizu-
kommen, so sie nicht nur durch seine Magie gebannt
"Ich glaube kaum, dass ihr hier über die verschüttete
waren … Wenn wir anderes Tuch zur Verfügung
Treppe heruntergekommen seid." antwortet Sephyra.
haben, könnt ihr euch immer noch angemessenes
"Murgol und seine Spießgesellen werden einen begeh-
Schneidern."
baren Weg freigehalten haben, den gilt es zu finden." -
'Ohne den anderen Spießgesellen in die Arme zu "Nun komm, nimm, weswegen wir hier sind." fordert
laufen.' ergänzt sie für sich den Satz. sie Frumol auf und sobald die 3 Teile (Mantel plus
Stiefel) irgendwie in Frumols Gepäck verstaut sind,
"Alrik und ich folgen euch, meine Dame", entgegnet
geht es zurück.
Seline mit einer gewissen Würde. Zu Alrik sagt sie
ganz schnell etwas, wovon Sephyra nur "Sei nicht so Randirion ist ziemlich egal wer nun hinterher was
…laut!" versteht. anhat, der Mantel an Frumol hätte den Vorteil, dass er
eventuell besser Murgol imitieren könnte.
"Nur bitte nicht so vornehm." lächelt Sephyra nach-
sichtig. "Also lasst uns aufbrechen und hier so schnell 'Hauptsache Herr Ribesell sieht nicht mehr gar so sehr
als möglich verschwinden." und macht sich auf wie ein frisch gefolterter Schneidergeselle aus', denkt
Frumol gestützt auf, die Tür der Folterkammer hinter er sich. Bei der Gelegenheit versucht er den Schneider
sich zu lassen. unauffällig zu mustern und zu erkennen ob er Berufs
typische anatomische Merkmale aufweist (Starke
Anunt Ribesell ergänzt: "Ich schliess' mich gern an,
Hornhaut an nähenden Teilen u.U. Vernarbte Nadel-
wenn ich darf." - "Und kann." ergänzt er, als er sich
stiche) und er nicht auch einer von der Sorte des
stöhnend aufrichtet.
verschwundenen Gefangenen ist …
"Nun, meinetwegen gern." entgegnet sie.
Der ehemalige Gefangene ist so verdreckt, dass nichts
Also verfolgen Frumol und Sephyra gespannt die zu erkennen ist.
Diskussion zwischen dem ehemals Bewusstlosen und
Frumol nimmt den Mantel aus dem Schrank und
dem Kawaljere.
überprüft die Taschen auf einen eventuellen Inhalt.
"Da wir anscheinend alle hier schnell 'raus wollen, Dann reicht er den Mantel dem Schneider: "Nehmt
sollten wir es endlich auch tun!" drängt Sephyra und diese Leihgabe damit Euch nicht friert. Es ist kalt
schickt sich wieder an, die Kammer zu verlassen. draußen. Ihr könnt ihn mir zurückgeben, sobald ihr
"Lasst uns den Mantel und die Stiefel holen und als Gegebenheit hattet, Euch einzukleiden."
Leihgabe an den Schneider geben und dann unser
"Edler Retter, das ist zuviel der Güte! So ein Geschenk
Glück mit dem Gang neben dem verschütteten Turm
kann ich nicht annehmen!" entgegnet Ribesell
versuchen." bringt sie erneut ihren Vorschlag.
verlegen. "Mantel und Stiefel würden außerdem aus-
Als niemand widerspricht, geht Sephyra gestützt auf gezeichnet zu Eurer Lederkleidung passen. Und wir
Frumol los und alle folgen. sind doch hier im Süden, wo es gar nicht so kalt ist.
'Widerspreche nie einer hübschen Gefährtin, die sich Wenn mir vielleicht jemand eine Decke leihen kann,
auf Dich stützt.' falls wir draußen übernachten müssen … Aber eigent-
An der Abzweigung zur Vorratskammer zuckt Randi- lich sollte es doch gar nicht so weit bis zu einer Be-
rion die Achseln und legt Zange und Brecheisen ab. hausung sein."
Es ist immer wieder faszinierend, wie kurz gefühlte 'Na gut. Wenn er nicht will.' denkt Frumol. Insgeheim
Entfernungen werden, wenn man den Weg kennt. ist er froh, das der Schneider den Mantel nicht über-
Ruck zuck ist die Gruppe wieder in Murgols Raum. ziehen will, so dreckig wie er ist. So schnallt Frumol in
schnell auf seinen Rucksack.
Natürlich sind der edle Mantel und die dazu
passenden Stiefel noch da. Anschließend nimmt er die Stiefel und reicht sie eben-
falls weiter: "Geht sorgsam mit Ihnen um, als wären es
Anunt Ribesell sagt ehrfürchtig: "Ein edles Gewand!"
Eure eigenen." Er geht zwar davon aus, das eine
Er macht aber keinerlei Anstalten, den Mantel anzu-
Schneider sorgfältig auf Kleidung achtet, aber es kann
ziehen.
nicht schaden, noch einmal darauf hinzuweisen. Vor
"Sein Besitzer ist entleibt und ihr seht dafür umso allem, da es gute Kleidung ist, die ihm sicherlich noch
spärlicher gewandet aus Herr Schneider. Wenn nie- den einen oder anderen guten Dienst erweisen wird.

130
"Wie ich schon sagte, edler Retter. Die Stiefel sind Eu- drückt sie vorsichtig dagegen, um sie zu öffnen und
er. Ich bin aber gern bereit, die Eurigen, die sicher einen Blick hinein zu werfen.
schon eine große Wegstrecke hinter sich haben, zu Da ist nichts merkwürdiges. Hinter der Tür ist der
übernehmen." Vorratsraum, in den die Gruppe anfangs durch den
Jetzt ist es an Frumol den Fremden entgeistert anzuse- Brunnenschacht in die Tiefe gestiegen ist.
hen. Sein Blick senkt sich zu seinen Stiefeln, die er für Es ist alles unverändert.
noch gar nicht so alt und abgenutzt gehalten hat. Er
"Dann lasst uns die andere Tür hinter der Treppe
hat sie doch gerade es ordentlich eingelaufen. Sollte er
nehmen." schlägt Sephyra vor und ist schon mit
sich so geirrt haben?
Frumols Unterstützung dahin unterwegs, besieht sich
Die Stiefel sind einfach seid einigen Tagen nicht ge- wieder die Tür und öffnet sie gegebenenfalls.
putzt worden und an der einen oder anderen Stelle
schon angestoßen. Das passiert, wenn man durch die Weinkeller
Gegend zieht und in Kellergewölben rumkraxelt.
Der Raum hinter dieser Tür ist durch eine einzelnen
"Äh, nein", antwortet er verwirrt. "Nehmt sie ruhig, Öllampe an der linken Wand spärlich erhellt. Der
damit wir hier schnell heraus können." Er hält ihm Raum zieht sich ziemlich weit nach rechts und knickt
die Stiefel entgegen. dort noch einmal nach rechts ab. Dort ist ein Bereich,
"So soll es denn sein!" Ribesell zieht die Stiefel an. Sie den man vom Eingang aus nicht überblicken kann.
passen. Entlang der Wand, auf die man von der Tür aus
Sephyra geleitet Frumol zielgerichtet zu dem Punkt, blickt, stehen aufgereiht große Weinfässer - 9 Stück an
an dem es zum Turm mit der verschütteten Treppe der Zahl. Und es riecht auch leicht nach Wein.
abgeht. Als sie sich umsieht und die anderen erblickt, 'Hmm, das scheint der Weinkeller zu sein.' - "Ingalf,
erwartet sie keine Widerworte hinsichtlich des Wegs hier kannst du deinen Vorrat etwas aufbessern."
und nimmt dann die Abzweigung ins Dunkel nach scherzt Sephyra. "Sicher hatte dieser Magier einige
links kurz vor dem Turm. "Würdest du leuchten?" feine Tropfen in seinem Lager."
fragt sie Ingalf, der nun von der Last des ehemals be-
Ingalf lässt sich das nicht zweimal sagen und stellt erst
wusstlosen Schneiders befreit seine Laterne selbst
einmal die Öllampe auf ein kleines Regal vor der
tragen kann.
Wand ab, auf dem auch ein paar leere Tonkrüge und
| |________________ -becher stehen.
|________ _______
| | Bei der Untersuchung der Fässer stellt sich heraus,
| | dass vier leer sind. Fünf enthalten noch etwas. Ingalf
__| | geht das Risiko ein und probiert, In zweiten ist -
dunkel __ x| Apfelmost. Wohlschmeckend und absolut unvergoren.
_| |_
/ \ "Apfelmost!" ruft Ingalf. "Kinderkram!"
( Turm ) Nach einem kurzen Wortwechsel bedienen sich Alrik
\_____/
mit Treppe
und Seline, Ribesell schließt sich an.
(verschüttet) Drei der Weinfässer enthalten Wein, einer ist so sauer,
dass Ingalf in wieder ausspuckt. Die anderen enthal-
x: Hier ist die Gruppe jetzt.
ten einen sehr wohlschmeckenden schweren roten
Unter Ingalfs Führung geht es geradeaus in die Dun- bzw. weißen Wein. Für einen kurzen Moment steht
kelheit. Irgendwann einmal geht es nicht mehr weiter Ingalf vor den Fässern, in jeder Hand einen Krug,
gerade aus, aber nach links geht eine in ihrer Art und schaut hin und her. Es ist ganz klar, dass er über-
schon bekannte Holztreppe ein paar Stufen hinab zu legt, welchen er nehmen soll.
einer Holztür, und nach rechts geht ein dunkler Gang
ab.
Frumol überprüft derzeit seinen Weinschlauch, ob es
Frumol mustert die Holztür skeptisch.
sich lohnt diesen aufzufüllen. Doch dieser ist noch gut
"Ich weiß nicht, lasst uns weiter gehen." halb voll, und dass man Wein nicht mischt, weiß sogar
Ingalf zuckt die Achseln und mit den Worten "Wie Du der Streuner.
meinst" macht er sich auf den Weg nach rechts. Nach So schaut er, ob Sephyra doch noch etwas Inter-
wenigen Schritten kommt auch hier eine Tür - dies- essantes in diesem langweiligen Weinkeller entdeckt
mal aber ohne Treppe. hat.
"Lasst es uns hier versuchen", meint Sephyra. Sie Dann löst sie sich von Frumol und geht weiter vor, um
mustert im Schein der Laterne die Tür genau. Sollten um die Ecke sehen zu können, erwartet aber nur wei-
sich keine "Merkwürdigkeiten" erkennen lassen, tere Fässer.
131
Im hinteren Bereich des Weinkellers steht noch ein "Lass Dir nicht allzuviel Zeit. Sonst gehen wir schon
Regal, voll mit Weinflaschen. Die meisten sind leer. voraus." entgegnet Frumol schmunzelnd. Seinetwegen
manche enthalten jedoch eine Flüssigkeit, in der sich können sie den Raum wieder verlassen.
ein dicker Bodensatz abgelagert hat. Randirion lächelt leicht amüsiert. "Nun, Freund Wed-
In der von der Tür aus nicht sichtbaren hinteren Ecke mannsson - wie ist die Blume, wie das Aroma? Wel-
befindet sich im Boden des Raumes ein gemauertes cher Jahrgang, welche Rebe?" und zwinkert Ingalf
Becken, das voller Wasser ist. Es wird aus einem Rohr verschmitzt zu.
aus einer Wand gespeist, und das Wasser fließt durch "Man man man. Jetzt kann die Reiterei weintrinkende
eine Rinne im Boden in ein Loch in der gegenüber- Seemänner nich mehr von Weinbauern ausein-
liegenden Wand ab. Das Wasser riecht frisch und sau- anderhalten. Die Zwölf müssen sehr böse mit uns
ber. sein. Wie bei deiner Balestrina gilt imma noch:
'Hm, doch nur ein Lager.' denkt Sephyra. Mit der Hauptsache 's knallt. Hat zumindest der 2. Schiffs-
hohlen Hand schöpft sie Wasser aus dem koch gemeint.", meint Ingalf leicht angetüdelt aber
nachfließenden Strom und probiert es: "Hmm, noch weit von von Rausch/Trunkenheit selbst im
schmeckt gar nicht schlecht." und trinkt sich satt. nicht thorwalschen Sinne.
Auch Frumol nimmt eine großen Schluck des er- 'Durch den Schacht können wir nicht wieder herauf
frischenden Wassers. klettern.' überlegt er. 'Vielleicht gibt es bei der ver-
Danach meint sie zum grübelnden Ingalf: "Los, den schütteten Treppe noch eine Möglichkeit.' sinniert er
Roten! Und dann einen anderen Weg hier heraus ge- weiter. Er hat keine Lust hier noch länger als nötig
sucht." beendet sie den Satz. nach einem gangbaren Weg zu suchen. Eher wird er
eine gewisse Zeit dafür aufbringen um Schutt weg-
Ingalf schaut erst Sephyra fragend an, zuckt dann die
zuräumen.
Achseln, füllt einen Krug mit dem Roten, und nimmt
dann einen tiefen Schluck. "Tja, aber wohin?" fragt Sephyra. "Komm, zeig noch
mal die Karte." fordert sie Frumol auf. Während sie sie
"Aaah! - Nicht so schnell!" entgegnet er Sephyra.
dann betrachtet, kratzt sie sich nachdenklich hinter
dem linken Ohr. "Hm, wie wäre es damit?" fragt sie
und zeigt auf einen Punkt. (X)
|__ __| | |________________| |_____| |
(_) |________ _______ X _____ |
| | | | | |
| | dunkel | |
__| | | |_
dunkel __ |
_| |_
"Wenn wir dort nach "unten" gehen, kommen wir 'Gepanschter Wein schmeckt keinem' und in mit dem
vielleicht zu einer nicht verschütteten Treppe." hofft neuen roten befüllt.
sie laut. "Vielleicht könn' mer mit den leeren Fässern besser in
"Und wenn nicht?" fragt Frumol. die Rampe klettern?"
"Ich bin dafür, dass wir uns die verschüttete Treppe Ingalfs rechte Seite zwickt. "Was iss eigentlich mit
noch einmal ansehen. Vielleicht ist da ja doch ein meiner Lieblingstür geworden?", denkt er etwas zu
Durchkommen ohne große Anstrengung möglich." laut um nicht gehört zu werden. "Wenn du nich su-
ergänzt er. chen willst Frumol dann doch eher die Rampe."
"Außerdem liegt der Turm sowieso auf dem Weg." fügt "Können wir nicht vielleicht mal bei der Treppe
er noch hinzu. schauen?" meldet sich Seline vorsichtig zu Wort.
"Also nen verschütteten Turm von unten her frei räu- "Äh, Moment mal." stutzt Sephyra. "Treppe? Du
men? Iss ja wie in nem Laderaum von unten … Nee meinst eine benutzbare Treppe, die nicht verschüttet
lass mal da hol ich doch lieber das Werkzeug was der ist?" versichert sie sich, Seline richtig verstanden zu
Kavaljäre schon mitgeschleppt hat und breche die haben. "Weißt du, wo die ist?"
Luke auf, verschütt gehn' wollt ich hier unten ma "Nein, ich meinte die verschüttete. Herr Frumol sagte
nich." doch, dass sie hier ganz in der Nähe ist. Vielleicht ist
Ingalf nimmt noch einen kräftigen Schluck von sei- es ja ganz leicht, sie freizuräumen." Besonders sicher
nem alten Roten und hält ihn den anderen nochmal scheint sich Seline nicht zu sein.
hin bevor er seinen Schlauch im Wasser auswäscht. Frumol ist froh, wenigstens etwas Unterstützung zu
bekommen.

132
"Na gut." Da auch Frumol sich die Treppe noch mal Obwohl Frumol nicht allzuviel für Tiere übrig hat, tut
ansehen will, hat Sephyra nichts dagegen. Aber wäh- ihm der eingesperrte Wolf doch leid. Leider fällt ihm
rend die anderen noch mit dem Wein beschäftigt sind, keine Lösung ein.
rutscht sie mit dem Rücken an der Wand herunter "Komm doch erst einmal mit nach oben. Vielleicht
und setzt sich kurz auf den Fußboden, um ihre finden wir etwas, mit dem wir ihn bestechen können
Schmerzen lindern zu können. Viel Erfolg scheint …" ergänzt Frumol wenig hoffnungsvoll.
dies aber nicht zu haben.
Sephyra schaut Ingalf nur verblüfft nach, lehnt sich
Als er merkt, dass Sephyra zusammensinkt, lässt Ran- ansonsten aber nur an Frumol und genießt die warme
dirion die Scherzerei mit Ingalf sein und eilt zu Ihr. Sonne.
"Madame Lunor, verzeiht unsere Gedankenlosigkeit. Die warme Sonne Ingalfs Geist an, der sich nicht hier
Hier sitzt Ihr verletzt und leidet furchtbar und wir im Süden mit Firun verscherzen will. "Un wenn mir
scherzen um Rotwein! Lasst uns schnell aufbrechen! viele Stangen dem Wolf so in de Käfig schieben, dass
Und bitte, lasst mich Euch helfen!" und bietet Sephyra er sich nich' mehr bewegen und schnappen kann.
seine Hand an, um ihr auf die Beine zu helfen (wenn Dann können mer ihm auch die Schnauze zubinden
sie denn will …) oder ganz fesseln.", verkündet er laut denkend. 'Und
Mittlerweile ist Sephyra das alles egal. Von Frumol was dann?', aber wenigstens muss er unten nicht
und Randirion gestützt, erhebt sie sich langsam verhungern, der Druide wird schon wissen wie man
wieder, nickt dem Kawaljere dankend zu, stützt sich mit so nem Viech umgeht.
aber dann doch nur auf Frumol, als es zurück in den "Sephyra und Frumol bleibt ihr ma hier, die gute muss
Gang und zum Turm mit der verschütteten Treppe ja nich noch mehr laufen." "Wer kommt mit und hilft
geht. mir?", er schaut der Reihe nach Alrik, Ribesell und
Im Turmkeller finden die Suchenden eine völlig in- Seline an.
takte Treppe vor, die nach oben führt. "Ach ja ein Seil werd ich dazu noch brauchen.", er
Verblüfft bleibt Frumol stehen. Die Treppe war doch fragt sich in diesem Moment warum er kein gutes See-
völlig verschüttet. Da ist er sich sicher! mannsseil mit von der Otta oder im Hafen genommen
'Also noch so eine von Murgols Zaubereien!' grübelt hat und schüttelt innerlich den Kopf.
Sephyra. 'Hmm, wie hat der das nur gemacht?' Bei dem Wort 'Seil' horcht Seline auf. "Wie ist es,
"Sieht noch gar nicht so schlecht aus", lässt sich wenn wir die Tür erst mit einem Seil oder etwas Stoff
Ribesell vernehmen. zubinden und dann den Käfig aufschließen? Wenn
wir dann alle Türen auflassen, wird der Wolf das Seil
"Nein." antwortet Sephyra langsam. Und plötzlich
scheint sie von neuer Kraft gestärkt, als der Ausgang erst durchnagen und dann von allein herausfinden -
nahe ist: "Lasst uns gehen, gleich! Frumol, bitte gehe so Rastullah will", verkündet sie ihre eigenen Überle-
hinter mir, nur falls ich irgendwie die Kraft verliere gungen.
und rückwärts die Treppe hinunter, na ja." drängt sie "Kommste mit Kleine?"
die anderen und beginnt mit dem Aufstieg. Seline nickt und sagt zu Alrik: "Du wartest hier!"
"Nicht lieber als das." drängt Frumol, der angesichts Ingalf geht von diesem Vorschlag recht überzeugt zü-
eines freien Weges in die Freiheit keinen Wimpern- gig in den Keller, nachdem er sich den Kerkermeis-
schlag länger hier unten bleiben möchte. terschlüssel hat geben lassen und schneidet aus der
Und der Weg ist frei! Ohne Probleme geht nach oben Kleidung des Folterknechts zwei starke Streifen, für
und draußen. die der Wolf mindestens 2 Stunden brauchen sollte
Alrik und Seline machen etwas verständnislose und knotet mit ihnen die Klappenöffnung des Käfigs
Gesichter, sagen aber nichts. zu.
Für Ingalf bleibt nun vor dem verlassen der Ruine Der Wolf zieht sich während dieser Prozedur in die
noch Eins zu tun. hinterste Ecke des Käfigs zurück, knurrt aber nicht,
sondern beobachtet Ingalfs Tun.
"Hat keiner ne Idee was man mit dem Wolf machen
kann?" er schaut einige betrübliche Augenblicke die Danach schließt er das Schloss auf.
Anderen an, bevor er sich umdreht einen letzten Gang Einer der Schlüssel passt.
in die Folterkammer zu tun. "So 2 Stunden sollte das Viech schon brauchen bis es
"Wenn Du ihn frei lässt, kannst Du nur beten, dass er wieder selber Jagen kann. Vielleicht mag er ja Kraken-
uns nicht angreift." antwortet Frumol halbherzig, molch am Spieß."
denn er will nur noch diese Ruine verlassen. 'Ob wir es an einem Stück zum Müller schaffen?'.

133
Oben ist alles unverändert. Schätzungsweise 2 zum loslaufen noch einen kurzen Schluck aus seinem
Stunden sind vergangen. Es ist gerade eben Mittag. Weinschlauch.
"Den Göttern sei Dank!" ruft Randirion aus. "Ich "Na denn ma los!"
dachte schon, ich würde den Himmel nie wieder se- Ingalf schultert seinen Seesack zunächst selbst um das
hen!" Tempo nicht durch schleppende Kinder zu verlang-
Frumol führt Sephyra aus dem Schatten der Gebäude. samen.
Wie angenehm das wärmende Licht doch auf der "Wenn wir in 'n Wald kommen passt ihr 2 Gegenseitig
Haut ist. Unwillkürlich fröstelt es ihm. auf euch auf und geht vor mir und nach den
Einen Moment lang schließt er die Augen und hält Anderen!", versucht Ingalf seine Autorität geltend zu
Sephyra fest in seinem Arm. machen.
"Hoffen wir mal, dass Ingalf schnell wiederkommt", 'Nur damit uns die beiden nicht ein zweites mal verlo-
sinniert Sephyra. "Weißt ihr beiden eigentlich noch, ren gehn.'
wie lange es jetzt bis zu den Müllersleuten dauert", Auf dem Weg wird er sich so es die Gegebenheiten zu-
fragt sie Frumol und Randirion. lassen mit dem Schneidergesellen über Nadeln und
Frumol überlegt kurz: Gegen Mittag trafen sie die was man damit alles anstellen kann Fachsimpeln und
Müllersleute, und sind gegen Nachmittag zu dem sicher dabei auch das eine oder andere Seefahrerlatein
Köhler aufgebrochen, haben dann das Räuberlager ge- vom Stapel lassen.
funden, und sind dem anderen Waldweg gefolgt. Bei Der Weg nach Hause gestaltet sich überraschend
dem Alten haben sie die Nacht in der Höhle ver- schnell, so wie es immer ist, wenn man den Weg weiß.
bracht, und sind für morgens wieder aufgebrochen, Kein Dämon wartet auf dem Weg durch den Sumpf,
um Vormittags die Ruine zu erreichen. die peitschenden Weiden sind ruhig, und irgendwie
"Ich denke, wenn wir zügig gehen sollten wir es auf hat auch der Wald viel von seiner Unheimlichkeit
dem direkten Weg bis zum frühen Abend schaffen." verloren.
beantwortet er die Frage, obwohl er sich auch kräftig Die Aussicht, bis zur Dämmerung wieder in der Müh-
daneben liegen kann. le zu sein beflügelt die Schritte. Nur Ribesell ist gar
"Das wäre schön", entgegnet Sephyra. 'Wie zügig wir nicht nach Plaudern zu Mute. Ab und zu stolpert er,
vorankommen, wird sich noch herausstellen.' Sie aber schließlich kommen alle heil bei der Mühle an,
seufzt. wo sie von einer vor Freude schluchzenden Müllers-
"Kennst Du Dich gut aus im Wald?" fragt er Alrik, frau und einem gefassten Müller begrüßt werden. Nur
hoffen so zumindest den schnellsten Weg zu finden. eine Träne im Augenwinkel vermag der aufmerksame
Beobachter zu entdecken.
"Wenn wir in einen bekannten Bereich des Waldes
kommen, führe ich Euch ganz schnell nach Hause", Randirion ist ebenfalls sichtbar glücklich, die Kinder
entgegnet dieser selbstbewusst. glücklich und lebendig abgeliefert zu haben. Sofort
nach der Ankunft bei den Müllersleuten entschuldigt
"Dann lasst uns auf Ingalf warten und endlich aufbre-
er sich kurz, verschwindet mit seiner Reisetasche (vom
chen." er rückt seinen Rucksack in eine bequeme Posi-
Packpferd) Richtung Brunnen und kommt kurz dar-
tion.
auf gewaschen und in frischer Kleidung, also wieder
"Soll ich nicht doch deinen Rucksack tragen?" fragt er wie aus dem Ei gepellt und sich sichtbar besser füh-
Sephyra. lend, zurück. Nur die offensichtlichen Schmerzen bei
"Ich schaue erstmal, wie weit ich damit komme. Die einigen Bewegungen erinnern noch an vergangene
frische Luft wirkt belebend", erwidert sie. Gefahren.
'Alrik trägt bestimmt wieder Ingalfs Tasche, und Ran- Zumindestens will es ihm so erscheinen. Am nächsten
dirion wird bei seiner Verletzung auch nicht alles den Morgen wird sich seine Verletzung mit Macht melden.
ganzen Weg tragen können. Da kann Seline ihm si- "Ah, welche Wohltat, sich wieder wie ein zivilisierter
cherlich helfen. Der Schneider ist merkwürdig, dem Mensch zu fühlen!" seufzt er laut.
traue ich nur so lange ich ihn sehen kann. Hoffentlich
Gegenüber Dankesbezeugungen der Müllersleute
kriege ich die Stiefel wieder. Vielleicht hätte ich doch
wird er dem Müller sagen (auf Garethi, weil er kein
tauschen sollen. Ob die Weide sich inzwischen beru-
Tulamidisch spricht, und bewusst so laut, dass die Ge-
higt haben?' überlegt er so für sich.
fährten es gut hören): "Sein Dank ist wohl und ge-
Ingalf und Seline kommen problemlos wieder oben recht, Müller. Doch sei er sich gewiss, dass ein jeder
an. Edle eine solche den Zwölfen und der göttlichen Ord-
"Nu erstmal schnell raus aus 'm Sumpf, da liegt noch nung wohlgefällige Tat ohne Zögern zu seinem
'n Eulenbraten auf 'm Wech." Ingalf grinst und nimmt Anliegen machen wird. Und ein 'Edler' ist meiner
Meinung nach nicht nur derjenige, der von adliger
134
Herkunft ist! Nein, es ist ein Jeder, der eine Klinge wohl noch 'n bissken warten.' Seine Gedanken gehen
hat, sie zu führen wider alle Ungerechtigkeit, ein zurück zu dem Verließ, und er hofft, dass der Wolf
Herz, klar zu erkennen was gerecht ist und was nicht, erstens seinen Weg aus dem Verließ findet und zwei-
und genug Verstand, die Klinge zurückzuhalten, tens noch in der Wildnis überleben kann.
wenn es nicht die Zeit zum Kämpfen ist!" und ver- "Der Köhler soll das wohl auch wissen, un' der
beugt sich in Richtung Ingalf, Sephyra und Frumol. Einsiedler, warum soll der dat denn schon wissen?"
"Edle" (wobei er das Wort betont) "Mitstreiter, es war fragt er stirnrunzelnd und kratzt sich am Kopf. 'Der
mir eine Ehre!" war doch nicht dabei, oder doch?' Er schaut misstrau-
Wie froh ist Frumol, als er die Mühle und den Müller isch zu Ribesell herüber.
mit seiner Frau sieht. Endlich hat das Abenteuer ein "Der Alte hatte doch gesagt, dass er die Lebewesen
Ende! spüren kann, oder so was in der Art. Und da er die
"Wir haben es geschafft. Die Müllerskinder sind Kinder im Wald nicht spürt könnten sie nur noch in
wieder zu Hause", sagt er zu Sephyra. Seine Erleichte- der alten Burg sein." erklärt Frumol ihm, während
rung ist ihm nach all den Strapazen anzuhören. sein Blick dem Ingalfs folgt.
Er bleibt etwas abseits stehen, um die Begrüßungsze- "Was machen wir mit ihm? Er scheint mir …" Wie
remonie der Familie nicht zu stören. Derweil setzt er würde Banjew noch gleich sagen? "… suspekt?"
den - doch recht schweren - Rucksack ab. "Wir sollten Sephyra hat sich nur hingesetzt und genießt die letz-
den Köhler noch informieren." spricht er halblaut, ten Strahlen der Abendsonne, nimmt aber im Moment
mehr zu sich selbst. "Und den Einsiedler. Doch der nicht am Gespräch teil.
weiß bestimmt längst Bescheid." sinniert er weiter.
Nachdem die Aufregung um die Kinder etwas abge-
Auch Ingalf bleibt ein wenig Abseits, und schmunzelt flaut ist, versorgen die Müllersleute den Schneider,
als Alrik von seiner Familie in die Arme geschlossen denn der sieht von allen Ankommenden am meisten
wird. 'Jaja, so'n Lütten is' doch froh, wenn er man mitgenommen aus.
wieder bei die Ouders is'. Für echte Abenteuer muss er

135
Nachspiel
A früh schlafen. Nach dem kurzen Moment der
m Abend der glücklichen Heimkehr gehen alle Thalusa nach Khunchom"? Es ist zwar schon eine
Menge, aber ein ganzer Roman ist noch nicht zu-
Freude macht sich die Erschöpfung doch stärker als sammen …
erwartet bemerkbar. Und eine weitere Sache wird Randirion vom Kranken-
Die Geschichte dieses Abenteuers erzählen die sieben bett aus versuchen: so viel wie möglich von diesem
Zurückgekehrten in allen Einzelheiten im Laufe der Tulamidisch zu lernen! Immerhin sind da die Müllers
nächsten Tage wieder und wieder, und der werte Leser und Ribesell, die ihm das eine oder andere beibringen
wird es erahnen: Diese Geschichte wird mit der Zeit können.
ihren Platz in den Erzählungen Aventuriens finden. Und Sephyra … auch wenn der werte Frumol Pello-
Mit der Zeit erholen sich alle Helden von ihren cke dann immer so herrlich eifersüchtig wird … oder
Wunden, wobei es eine Komplikation gibt: Randirions gerade deswegen?
Wunde entzündet sich, und er liegt eine volle Woche Schließlich sieht man Randirion mit seiner Balestrina
fiebrig dar nieder. Ob die Entzündung an der Natur auf Holzstückchen schießen und ein paar Rapierstöße
der Wunde lag, oder an der Art der Versorgung durch auf einen Reisigbesen durchführen, und dann hält es
Frumol, oder ob es einfach der Wille der Götter war, ihn auch schon nicht mehr bei den Müllersleuten:
darüber rätselt Frumol vergeblich. Neben der Müllers- Khunchom ruft!
frau macht sich der selbst nur langsam genesende An-
Für Frumol wird die Zeit des Warten immer uner-
unt Ribesell um die Pflege des horasischen Kämpfers
träglicher. Nachdem er die Umgebung erkundet hat
besonders verdient.
und es für ihn in der Mühle nichts Aufregendes mehr
Und, dass er wirklich ein gelernter Schneider ist, stellt zu sehen gibt, wird er immer unruhiger. Und nach-
sich eindeutig ebenfalls heraus: Am Ende des Aufent- dem der Herr Cavaliere endlich wieder genesen ist -
halts bei den Müllersleuten sind alle Kleidungsstücke Frumol hatte sich echte Sorgen gemacht - hält ihn nur
in einem perfekten Zustand. Nach langem hin und noch Sephyra hier.
her tauschen Ribesell und Frumol auch noch die
Er läuft ständig aufgeschreckt herum - zu lange ist er
Stiefel. Gegen Ribesells Argument, dass ein Ausein-
ohne Aufgabe an einem Ort. In Gedanken ist er über-
anderreißen von Stiefeln und Mantel ein Frevel gegen
all, meistens nur nicht bei dem was er gerade macht.
die Götter sei, so gut wie sie aufeinander abgestimmt
wären, kann Frumol am Ende nichts entgegensetzen. Eigentlich wollte er noch einmal in die Ruine zurück,
nach weiteren Schätzen suche. Und vielleicht den
Nachdem der Cavalliere wieder genesen ist, bleibt
Spiegel mitnehmen. Doch als er weiter darüber nach-
eine hässliche Narbe zurück, seine Bewegungs- und
denkt, kommen ihm Zweifel, denn wie soll er solch
Kampffähigkeit ist aber glücklicherweise nicht im
schwere und sperrige Stücke transportieren? Dazu
geringsten beeinträchtigt. Bei Ingalf und Frumol
bräuchte er sicher einen Wagen. Und wo sollte Sephy-
verheilen die Wunden, ohne das etwas zurückbleibt,
ra den Spiegel dann hin hängen? Sie haben doch -
und Sephyra erholt sich besonders schnell: Bereits
Phex sei Dank - keine feste Bleibe.
nach drei Tagen fängt sie wieder mit ihrem akroba-
tischen Training an. Er stellt in Gedanken große Planungen für die Zu-
kunft an, sieht sich als reichen und berühmten
Randirions Fieber hatte es in sich: eine Woche deli-
Helden. Gut - reich sind Sephyra und er wieder,
rierend, und eine weitere Woche, in der er zwar wieder
schließlich haben sie einen Haufen Gold aus Murgols
klar im Kopfe, aber noch bettlägrig war. Während letz-
Versteck mitgebracht. Und von dem letzten auf-
terer Zeit sah man ihn häufig mit der Schreibfeder in
regenden und gefährlichen Abenteuer ist auch noch
einem kleinen ledergebundenen Bändchen schreiben,
was übrig. Aber berühmt? Wenn er jemandem von
und merkwürdigerweise fragt er auch alle, die
dem Schwarzen Schiff und untoten Piraten erzählt
Dabeigewesen waren, noch einmal nach allen mögli-
wird er doch bloß ausgelacht …
chen Details des vergangenen Abenteuers aus und
macht sich dabei Notizen. Ob er sich ein Pferd kaufen soll? Dann könnte er Ein-
druck schinden, wie der Cavaliere, bräuchte nicht
Und nur auf hartnäckigste Nachfragen gab er schließ-
über die staubigen Straßen zum Gauklerfest reiten. Er
lich zu, dass er an einem Roman arbeitet! Er hatte
sollte dies mal mit Sephyra besprechen.
schon während der Seereise von Bethana nach Thalu-
sa ein paar Seiten zusammen, aber die vergangenen Apropos Gauklerfest - Da wollten sie doch hin. Soll-
Tage … das ist superber Stoff! Wie der Roman heißen ten sie sich nicht ein wenig beeilen?
soll? Da ist sich Randirion noch nicht so ganz sicher. Langsam aber sicher geht Sephyras Erholung zu-
"Durch das Land der Tulamiden" vielleicht, oder "Von nächst vonstatten. Die ihr von der Müllerin zunächst
136
zwangsweise verabreichten Süppchen bekommen Se- bert einen Ballen blauer Seide hervor, so dass der Um-
phyra jedoch sehr gut. Bereits nach wenigen Tagen hat hang auch bestens gefüttert ist. Nur eine schöne
sie sich vollständig von Murgols Zaubern erholt. Schließe, der Schneider empfiehlt Silber, fehlt noch.
Während der gesamten Zeit grübelt sie darüber nach. Dann hätte Ingalf einen Umfang für festliche Anlässe.
'Was war das denn nur?' geht ihr immer wieder durch Weiterhin hat er die großzügigen Angebote gemacht,
den Kopf. Sie selbst spürt in sich auch eine kleine Ver- thorwalsche Selbstverteidigung (mit dem Handbeil)
änderung. Fast so, als wenn sie innerlich an Kraft ge- zu unterrichten.
wonnen hätte, nachdem sie sich erholt hatte. 'Liegt Alrik ist interessiert und stellt sich gar nicht so unge-
das am Überwinden des Zaubernachwirkens?' fragt schickt an.
sie sich. Und nach und nach formt sich in ihrem Kopf
Und eine kostenlose Tätowierung (sein Vorschlag, das
der Entschluss, bei Gelegenheit mal mit einem Zau-
Gesicht einer jungen Frau, die mehr als nur ein wenig
berkundigen darüber zu sprechen: 'Schade, dass Ban-
Ähnlichkeit mit Seline hat, ein Wolfskopf und eine
jew nicht da ist. Der wüsste es sicher …'
Gruppe von 4 Männern und einer Frau, die aufgrund
Nachdem Sephyra wieder völlig genesen ist und ihre der etwas kleineren Größe schwerer zu erkennen sind,
Kleider - die wie neu sind - betrachtet hat, meint sie zieren seinen Entwurf auf Papier und sehen zu-
zu Frumol: "Wir sollten wirklich bald aufbrechen und mindest dort gut aus, sind aber knapp 1x1 Fuß groß).
zum Fest weiterziehen. Das möchte ich unter gar
Das Angebot rauft keinerlei Resonanz bei der Müllers-
keinen Umstände verpassen!"
familie hervor.
Daher zwingt sie sich jeden Tag zu mehreren Stunden
Und dann kommt der Tag des Abschieds. Gehen die
des Übens: Jonglieren, Handstände und Auf-Händen-
vier gemeinsam weiter gen Khunchom? Ribesell wird
Gehen, Salti, Überschläge. Die Abende verbringt sie
noch bei den Müllersleuten bleiben, da aus dem Um-
gemeinsam mit den Müllersleuten und deren
kreis einige Aufträge für ihn eingegangen sind.
Kindern, Frumol und den anderen. Sie singt und lehrt
die Kinder ein paar der einfacheren Lieder, die sie Am Tag des Aufbruchs ist auch Sephyra gelöster:
kennt. Im Gegenzug versucht sie, mehr von der Tula- "Jetzt geht es endlich wieder los!" ruft sie freudig aus.
midischen Sprache zu erlernen und hat auch einen Frumol ist ungewöhnlich ruhig. Die Aussicht weiter
gewissen Erfolg dabei. Vor allem die Vokabeln werden zuziehen gibt ihm wieder Gelassenheit.
erweitert, auch wenn ihr Akzent sicher noch immer "Sephyra und ich werden weiter in Richtung Khun-
grauenvoll klingt. chom ziehen. Zum Gauklerfest." gibt er bekannt.
Kurz vor ihrer Abreise fragt sie Frumol: "Ich glaube, "Und ihr?" fragt er den genesenen Randirion und den
ich bin viel besser mit dem Dolch geworden. Stell dich bärtigen Seemann.
doch mal bitte dort vor diesen starken Baum." fordert
Anschließend schultert er den Rucksack, nimmt er Se-
sie ihn auf. Kaum steht er dort zieht sie ihre beiden
phyra bei der Hand und sie machen sich frohen - und
Wurfdolche und noch ehe Frumol auch nur einen ent-
Frumol hüpfenden Schrittes - in Richtung Gauklerfest
setzten Laut von sich geben kann oder zur Seite
auf.
springt, hat sie die beiden Dolche nach ihm geworfen
und sie stecken rechts und links neben seinen Ohren "Das Gauklerfest wird sicher toll" träumt Frumol ein
kaum eine Handbreit entfernt im Holz. Schelmisch wenig.
grinsend fragt sie: "Sollten wir so eine Nummer nicht "Übrigens, ich glaube, ich kaufe mir ein Pferd" flüstert
mit aufnehmen und damit auf dem Fest als 'Die er Sephyra leise ins Ohr.
Große Messerwerferin und ihr gut aussehender Gehil- Fast sind sie schon aus der Mühle heraus, da ruft sie
fe' auftreten?" noch einmal der Müller zurück.
Noch ehe Frumol antworten kann ergänzt sie: "Na ja, "Geehrte Freunde der Familie", beginnt er. "Ja,
vielleicht suche ich mir auch 'Opfer' aus dem Publi- Freunde der Familie, das seid ihr geworden. Euer Weg
kum - Dein Gesicht eben hätte keine Zuschauer ange- führt Euch weiter, so wie Phex es will. Für die Zu-
lockt!" Spielerisch verpasst sie ihm einen Rippenstoß kunft habe ich eine Bitte an Euch und etwas wie ein
und entzieht sich geschickt allen seinen Versuchen, sie Geschenk.
zu fassen.
Zuerst die Bitte: Sollten eure Reisen euch je wieder
Ingalf hat in der Rekonvaleszenz sowohl einige Bro- hier vorbei führen, dann erweist uns die Ehre und
cken Tulamidia aufgeschnappt, als auch den kehrt ein bei uns."
Schneider darum gebeten, aus dem erbeuteten Fell
Er hält einen Moment inne, um dann fortzufahren:
einen neuen Umhang für ihn zu machen (der Rest
"Meine Frau und ich haben uns lange darüber un-
bleibt bei den Müllersleuten).
terhalten, wie wir euch in angemessener Form danken
Das macht der Schneider sehr gern. Der Umhang können. Und wir haben etwas gefunden. Ihr müsst
sieht wirklich prächtig aus. Die Frau des Müllers zau-
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wissen, dass ich vor vielen Jahren auf der Küstenstraße Als der Müller die Schatzkarte hervorbringt und der
einen schwer verletzten Krieger gefunden habe, umge- Kawaljere sofort Feuer und Flamme für die Suche ist,
ben von toten Räubern, die ihn offensichtlich über- lässt sich auch Sephyra davon begeistern: "Aber erst
fallen hatten und an den Falschen geraten waren. Ich suchen wird das Gauklerfest auch und bleiben dort.
habe ihn mit in die Mühle genommen und trotz aller Es liegt schließlich auf dem Weg dorthin." ist sie über-
Pflege ist er seinem Wundfieber erlegen. Bevor er starb zeugt.
vertrauten er mir aber eine Karte an und das Geheim- Noch bevor er mit glänzenden Augen vorschlagen
nis der Karte. Dieses Geheimnis und die Karte möch- kann, erst das Fest zu besuchen und dann aufbrechen,
te ich euch anvertrauen, als Dank für die Rettung den Schatz zu finden, hat Sephyra seine Gedanken
meiner Kinder." schon ausgesprochen. 'Sie ist halt etwas ganz beson-
Wieder hält er einen Moment inne und erzählt an- deres.' lobt er sie in Gedanken.
schließend: "Mitten in der Wüste Khom, abseits der "Mherwed liegt in der Gegenrichtung, Frau Sephyra,
Karawanenstraßen gibt es ein Felsmassiv, das das noch westlich von Thalusa". widerspricht der Müller
verlassene Kloster eines verloschenen Ordens beher- vorsichtig. "Aber es spricht ja nichts dagegen, auf dem
bergt. Und dort liegt der Schatz des Ordens. Ein edel- Rückweg von Khunchom, wieder hier Halt zu ma-
steinbesetzter goldener Schrein voller Silbertaler, chen."
güldenes Geschirr und wertvolle magische Artefakte.
Nun, das ist zwar korrekt, Herr Müller, aber ich bin
Und auf dieser Karte hier ist der Weg dorthin
sicher, dass wir von Khunchom aus gut ein Schiff
vermerkt. Seht her!"
mhanadiaufwärts nach Mherwhed finden könnten."
Er zieht ein altes Pergament hervor, rollt es aus und
Randirion hat eine pergamentene Aventurienkarte aus
zeigt darauf: "Ihr müsst nur vom Mherwed aus fast
einer Lederröhre geholt und ist darin vertieft. Wenn
genau Richtung Westen ziehen, und ihr kommt hin.
ihm jemand über die Schulter sieht: die Karte zeigt
Der Rest sei Phexens Wille."
ganz Aventurien, große Städte und Flüsse, keine
"Eine Schatzkarte! Welch formidable Gabe! Guter kleineren Details. (Über den verschiedenen Ländern
Müller, Ihr seid ein Fuchs, und Eure Überraschung ist ist eine Zeichnung eines typischen Bewohners, das In-
vollends gelungen! Habt vielmals Dank" nere von Südaventurien ist also von menschen-
Randirion ist begeistert. fressenden Riesen bewohnt, und im Bornland wohnen
"Wie wäre es, Madame Lunor, meine Herren Pellocke Drachen und Riesen …)
und Wedmannsson? Wärt Ihr einverstanden, wenn Ach!" ist alles was eine verblüffte Sephyra dazu
wir gemeinsam auf Schatzsuche gehen? Ich kann mir äußert. An die anderen gewandt meint sie: "Ich würde
keine bessere Truppe denken als uns vier!" sagen, wir machen das auf dem Rückweg …"
Randirions Augen glänzen, vergessen sind Fieber und "Genau!" pflichtet Frumol ihr begeistert zu.
Verletzung, und Abenteuerlust hat ihn im gepackt … "Erst das Fest und dann der Schatz!"
Eine Schatzkarte! Frumol kann nicht glauben, was er "Ich bin dabei!" ergänzt Ingalf kurz und knapp, nach-
da hört. Ein echter Schatz: Gold, Silber, echte Artefak- dem er sich die anderen angehört hat. "Und in Khun-
te. Fast gibt es kein halten mehr für den Streuner, chom gibt es bestimmt einen ordentlichen Tätowierer.
diese Karte verspricht Abenteuer und Reichtum wie in Ich habe da so eine Idee …"
den ganzen aufregenden Geschichten.
Und so macht sich die Truppe der vier begleitet von
Am liebsten würde er sofort los marschieren, doch vor- den besten Wünschen der Zurückbleibenden auf nach
her ruft das Gauklerfest. Er weiß wie wichtig Sephyra Khunchom.
das Fest ist und er wird keinesfalls von ihrer Seite wei-
chen.

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