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Die Merkmale des entwickelten Nationalbewußtseins in Polen und seine Festigung im 14.

und 15. Jahrhundert


Author(s): Marian Biskup
Source: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, Neue Folge, Bd. 35, H. 3 (1987), pp. 372-383
Published by: Franz Steiner Verlag
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Accessed: 15-06-2016 18:48 UTC

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Marian Biskup, Torun (Thorn)

Die Merkmale des entwickelten Nationalbewußtseins in Polen


und seine Festigung im 14. und 15. Jahrhundert

Das Problem der Merkmale des polnischen Nationalbewußtseins und seiner Festigung
im späten Mittelalter schien jahrelang eigentlich eindeutig: Die Keime dieses Bewußt-
seins, am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts gelegt, wuchsen im 14. und 15.
Jahrhundert heran, besonders infolge der Kämpfe mit dem Deutschen Orden um
Pommerellen. Dadurch wurden breitere Bevölkerungsschichten der zentralisierten polni-
schen Monarchie von diesem Prozeß erfaßt. Denn man erkannte weithin die Bedeutung
der Vorgänge um die Entstehung der polnisch-litauischen Union von 1385-1386, welche
zur Stärkung des Staatsbewußtseins wesentlich beitragen sollte - ja beitragen mußte.
Die Wissenschaft tat sich indes viel schwerer, wie die heftigen polemischen Diskussio-
nen besonders seit den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zeigten. Sie traten
zumal auf dem X. Historikerkongreß in Lublin (1969) wie auch später in den polemi-
schen Arbeiten von Benedykt Zientara und Jerzy Ktoczowski insbesondere über das
Fremdenproblem im spätmittelalterlichen Polen zutage. Es wurde grundsätzlich nach der
Bedeutung der mittellateinischen Termini, „gens" und „natio" vor allem, in den
spätmittelalterlichen Quellen gefragt, und die Begriffe „Nation - Nationalität" (naród -
narodowosc) sowie die Hauptmerkmale des nationalen und staatspolitischen Bewußtseins
wurden untersucht. Mit modernen Analysen der Quellenüberlieferungen versuchte man,
die „lebendige Tradition" zu erfassen, und war bemüht, die wesentlichen Träger des
nationalen Bewußtseins im Kontext der staatspolitischen, religiösen und kulturellen
Wandlungen ihrer Zeit zu zeigen. Nicht zuletzt wurde das große Werk von Jan Dhigosz,
die „Annales Poloniae", als wichtigster Ausdruck des entwickelten nationalen Bewußt-
seins (vor allem des Verfassers selbst) einer modernen und umfassenden Analyse
unterzogen.
Wir stehen somit an einem Wendepunkt der polnischen Forschungen über das
nationale Bewußtsein im spätmittelalterlichen Polen. Deswegen ist es schwer, schon
heute über endgültige Ergebnisse dieser modernen Forschungen zu sprechen. (Ein Teil
derselben ist noch nicht einmal im Druck erschienen.) Deshalb halte ich es für
notwendig, zunächst einen knappen Überblick über die wichtigsten Streitfragen der
polnischen Historiographie zu geben. Erst im zweiten Teil werde ich versuchen, die
herausragenden, aber natürlich nur vorläufigen Ergebnisse dieser recht polemischen
Forschungen darzustellen.

II

Das Hauptproblem in allen polnischen Auseinandersetzungen bildet der Begriff des


nationalen Bewußtseins im spätmittelalterlichen Polen. Welche Rolle spielte er in der
geistigen Einstellung der Bürger des damaligen Polen? Ganz kurz kann man sagen, daß
die Lubliner Polemik von 1969 und die weiteren Forschungen folgendes bewiesen haben:
1. Die Auffassung, daß die polnische Sprache für die Ausbildung des Nationalbewußt-
seins eine entscheidende Rolle gespielt habe, ist zu eng. Es muß sich ein historisches

Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 35 (1987) H. 3 © Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart/Germany

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Die Merkmale des Nationalbewußtseins in Polen im 14. und 15. Jh. 373

Bewußtsein dazu gesellen, d. h. die Solidarität mit der Vergangenheit des polnischen
Volkes. Ohne historisches Bewußtsein gibt es kein nationales Bewußtsein (J. DowiAT)1.
2. Es ist vielfach zur Verwechslung des nationalen mit dem staatlichen Bewußtsein - im
Rahmen des Regnum Poloniae des 14. Jahrhunderts - gekommen. In Polen kann man
allerdings feststellen, daß das staatliche Bewußtsein sich mit dem nationalen Bewußtsein
verbindet, besonders in den Zeiten der großen äußeren Bedrohung (B. Zientara)2.
3. Das historische Bewußtsein darf nicht mit Wissenschaft (wiedza) identifiziert werden,
weil es nicht aus Gelehrsamkeit, sondern aus dem Erleben hervorgeht, und zwar auf
doppelte Weise : als Begegnung mit der Vergangenheit oder als Empfindung der Kontinui-
tät von Sachen, Fakten, Menschen (B. Kürbis)3. Im ersten Fall kommt es zu einer
Gegenüberstellung ,, heute - gestern", im zweiten geht ,, gestern" in die Gegenwart (das
Jetzt) über, sie wird als Resultat der Vergangenheit erfahren. Das hochentwickelte
historische Bewußtsein verlangt diese beiden Erlebnishorizonte.
4. Das nationale Bewußtsein ist eine soziale Erscheinung, welche sich aufgrund der
gemeinsamen Sprache und des Territoriums entwickeln kann. Dabei hat gerade der
zentralisierte Staat eine stimulierende Rolle gespielt. Große Bedeutung kommt auch den
gemeinsamen - politischen und wirtschaftlichen - Interessen zu, ebenso der Herausbil-
dung einer gemeinsamen Tradition innerhalb der ,, potentiellen Mitglieder der Nation"4.
Eine gewisse Rolle spielte ferner der Mythos der gemeinsamen Abstammung („gemein-
same Ahnen"), später auch der Mythos vom besonderen Wert einer bestimmten Nation
(im Vergleich zu den Nachbarländern).
5. Die sich entwickelnde mittelalterliche Nation ist die Vorgängerin der modernen; man
muß also die These, daß es im Mittelalter lediglich „Nationalität" gegeben habe, über
welcher eine „politische Nation" gestanden habe5, ablehnen. Die mittelalterliche Nation
hatte ähnliche Merkmale wie die moderne, doch entwickelten im Mittelalter nur die
führenden Schichten - vor allem die Geistlichen und der höhere Adel - das nationale
Bewußtsein. Für diese Gruppe kann man also die Bezeichnung „politische Nation"
anwenden. Es gibt aber Beweise, daß auch die Bauern und Bürger schon ein emotionelles
Gefühl für polnische Sprache und polnische Sitten hatten, wenn auch zweifellos das
Verhältnis zu dem Regnum Poloniae und die Loyalität gegenüber dem König die
entscheidende Rolle spielten.
6. Das Hauptinteresse muß auf die Gruppe der polnischen „politischen Nation" im späten
Mittelalter gerichtet werden, welche ganz bestimmt ein entwickeltes nationales Bewußtsein
ausgebildet hat. Es wurde vor allem durch die Teilnahme am politischen Leben Polens, in
Berührung mit dem staatlichen Bewußtsein, gewonnen. Zu dieser Gruppe gehörten vor
allem die Beamten der königlichen Kanzlei sowie die königlichen Räte, ferner die höheren
Landbeamten, schließlich die höhere Geistlichkeit, vor allem die Mitglieder der Domkapi-
tel. Es bestand auch eine Randgruppe der „Berufsintelligenz" (vor allem aus den
Geistlichen bestehend), die, besonders um die Kronkanzlei in Krakau angesiedelt, eine

1 Pamiçtnik X Powszechnego Zjazdu Historyków Polskich w Lublinie. Referaty i dyskusja. Band


3. Warszawa 1971, S. 331.
2 Ebenda S. 339ff.
3 B. KÜRBIS O drogach zapisu i recepcji tresci history cznych, in: Dawna swiadomosc historyczna
w Polsce, Czechach i Slowacji. Hrsg. von Roman Heck. Wroclaw 1978, S. 119-121, hier S. 119.
4 B. ZIENTARA Struktury narodowe sredniowiecza. Pròba analizy terminologii przedkapitalistycz-
nych form swiadomosci narodowej, in: Kwartalnik Historyczny 84 (1977) S. 287-311, hier S. 308.
5 J. SzüCS „Nationalität" und „Nationalbewußtsein" im Mittelalter. Versuch einer einheitlichen
Begriffssprache, in: Acta Histórica Academiae Scientiarum Hungaricae 18 (1972) S. 1-38, 245-266.

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nationale Weltanschauung formulierte (S. Gawlas)6. Es ist also notwendig, vor allem die
literarischen Produkte dieser Gruppe zu analysieren, wobei an erster Stelle das große Werk
von Jan Dlugosz steht. In den letzten Jahren ist in dieser Hinsicht viel geleistet worden.
7. Die Kritik so wertvoller Quellen wie der Zeugenaussagen aus den großen kurialen
Prozessen 1320-1422 (Lites ac Res gestae inter Polonos Ordinemque Cruciferorum) zeigt,
daß diese Quellen keine so deutlich einseitige politische Tendenz aufweisen, wie die
frühere deutsche Historiographie behauptet hat. Vielmehr werden die Schwierigkeiten der
Präzisierung der Fakten in Quellen sichtbar, die sich vor allem auf das Gedächtnis der
Zeugen stützen. Das gilt auch für die ungenauen Zeitangaben. Die Vergangenheit in
solchen Quellen zeigt sich als eine Tradition, also als eine gegenwärtige deaktualisierte und
selektive Vision, wobei der Mangel an Zeitperspektive in der zeitlichen Einbildungskraft
festzustellen ist (B. Geremek)7. Wenn diese Kritik mir auch etwas zu scharf erscheint
(wenn mehrere Zeugen dieselben Fakten und ihre Beurteilung auf ähnliche Weise
wiederholen, können oder müssen wir sogar diese Fakten als bestätigt und die Beurteilung
als verbreitet ansehen), so muß man doch zugeben, daß man anderen Quellen einen
höheren Rang einräumen kann. Zu diesen hatte J. Wiesiolowski die spätmittelalterlichen
Sammlungen der polnischen Annalen, Chroniken und einfacher Gedichte gerechnet,
welche neben anderen historiographischen Werken die historische Kultur der Polen wie
auch das historische Bewußtsein ihrer Inhaber formten; manche von diesen Sammlungen
befanden sich nämlich an den Höfen der groß- und kleinpolnischen Magnaten - zuvörderst
Olesnicki und Szamotulski (von Samter): ,,Historiographische Werke und der historische
Roman gehörten also zu den ersten handschriftlichen Büchern, welche zu der gebildeten
Magnatenschicht gelangten."8 Es wächst dadurch auch der Wert zweitrangiger historischer
Gedichte (wie über die Tannenberg-Schlacht von 1410, die Schlacht bei Nakel 1431),
welchen man heute eine viel größere Bedeutung für den breiteren Leserkreis zuschreibt -
oder besser: zuschreiben sollte.

III

Erst nach dieser methodischen und quellenkundlichen Einleitung können wir versuchen,
die Hauptmerkmale des polnischen nationalen Bewußtseins im Spätmittelalter in großen
Zügen zu beschreiben.
Man muß dazu vor allem auf vier allgemeine historische Tatsachen verweisen: 1. die
endgültige Bildung des Regnum Poloniae durch die Krönung des Wladystaw Ellenlang im
Jahre 1320; 2. den diplomatischen und militärischen Kampf Polens um Pommerellen mit
dem Deutschen Orden (seit 1309); 3. die dauerhafte Eroberung von Rotreußen (Galic-
Vladimir) durch Kasimir den Großen am Anfang der vierziger Jahre des 14. Jahrhunderts;
4. die polnisch-ungarische Personalunion von 1370 bis 1382 sowie die polnisch-litauische
Union seit 1385, welche trotz ihren mehrfachen Transformationen sich behauptete, die
Schicksale Polens auf mehrere Jahrhunderte bestimmte und seinen ,, Blick nach Osten"
lenkte.

6 S. Gawlas Spoleczny zasiçg polskiej swiadomosci narodowej w póznym sredniowieczu. Analiza


mechanizmów zjawiska, in: Przeglad Historyczny 73 (1982) S. 637-662.
7 B. GEREMEK Wyobraznia czasowa polskiego dziejopisarstwa sredniowiecznego, in: Mudia
¿ródloznawcze 22 (1977) S. 1-17, hier S. 15.
8 J. WIESIOLOWSKI Kolekcje historyczne w Polsce sredniowiecznej X1V-XV wieku. Wroclaw,
Warszawa, Krakow 1967, S. 149ff.

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Die Merkmale des Nationalbewußtseins in Polen im 14. und 15. Jh. 375

Es waren Faktoren, welche teilweise schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf
die Ausformungen des nationalen und natürlich auch des historischen Bewußtseins einen
nachhaltigen Einfluß ausgeübt und die Merkmale derselben nicht nur fester verwurzelt,
sondern auch verändert haben. Man muß dabei der Meinung von Fr. Graus zustimmen,
daß die Bildung der polnischen - wie auch der tschechischen - Nation im Spätmittelalter
eine Ausnahme in West- und Mitteleuropa darstellt. Eine bedeutende Rolle bei diesem
Prozeß hat die äußere Bedrohung gespielt. Großen Einfluß hatten dabei aber auch die
polnische Ostexpansion und die Union mit Litauen.
Ich unterstreiche die äußere Bedrohung - durch den Deutschordensstaat in Preußen -
deshalb, weil wir nach 1310/1311 eigentlich sehr wenig von feindlicher Stimmung
gegenüber dem deutschen Element im Innern Polens hören. Die Festigung des Regnum
Poloniae durch die Krönung von 1320 hat doch in erster Linie staatspolitische Motive und
Bestrebungen gestärkt, wodurch auch die interne Opposition des deutschen Klerus und
der deutschen Bürger gedämpft wurde. Auf die Mentalität der polnischen Staatsbürger mit
ihrer politischen Elite an der Spitze mußte sich der Kampf um die Einheit der polnischen -
auch der ehemals polnischen - Gebiete auswirken. Dabei wurden auch historische
Reminiszenzen geweckt, die nicht zuletzt im diplomatischen Kampf mit dem Deutschen
Orden dienlich sein konnten. Dies hatten die beiden Prozesse in Inowroctaw/Brest in
Kujawien 1320-1321 sowie in Warschau 1339 gezeigt. Zwischen ihnen lagen die
Kriegsereignisse 1327-1332 und die Okkupation weiterer polnischer Grenzgebiete (Kuja-
wien, Dobriner Land). Wiederum ist Fr. Graus zuzustimmen, wenn er meint, daß man
diese Kämpfe anfangs noch als ,, Machtkämpfe" bezeichnen kann. Doch man wußte im
Königreich Polen sehr wohl, woher die Ordensritter stammten und welcher Sprache sie
sich bedienten. In den 25 Zeugenaussagen 1320-1321 hört man klar über die ,,Cruciferi de
domo Theutonica" oder ,,Theutonici per Prussiani", wenn auch die Form „Cruciferi"
überwiegt. Diese Bezeichnung trifft man auch in einem lateinischen, nach 1331 - dem Jahr
der Schlacht bei Ptowce - entstandenen Gedicht ,,Rex . . . vastat Crucem cruento ense".
Anders wird das 100 Jahre später klingen9.
Zweifellos haben die schweren, langjährigen Kampfhandlungen sowie die Okkupation
der weiteren polnischen Gebiete (1332-1343) einen bedeutenden Einfluß nicht nur auf die
Entwicklung der feindlichen Gefühle gegenüber den ordensdeutschen Aggressoren,
sondern auch auf das Anwachsen des nationalen Selbstbewußtseins, das mit dem
staatlichen eng verknüpft war, ausgeübt. Man sieht es in den damaligen Krakauer Quellen,
wo man um diese Zeit notiert, daß die Cruciferi überhaupt die polnische Sprache (d.h.
Nation) „exterminare" wollten10. Man spürt diese Gefühle in den Aussagen der 126
Zeugen - vor allem der Geistlichen und der Ritter - in Warschau 1339. Ihre negative
Einstellung gegenüber dem Deutschen Orden läßt neben politischen Motiven, nämlich der
Sorge vor der Bedrohung der Integrität des Regnum Poloniae, auch die rein persönlichen
Motive erkennen: die Angst vor Kriegsleiden und Schäden. In diesen Aussagen hört man
die Überzeugung, daß das Regnum Poloniae alle Gebiete umfaßt, die von polnischer
Bevölkerung bewohnt sind, ohne Rücksicht auf die aktuelle Herrschaft. Sie unterstreichen
auch die polnische Sprache und die Sitten der Bevölkerung (auch der früheren Herzöge) in

9 F. Graus Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter. Sigmaringen 1980, S. 146; Lites
ac Res gestae inter Polonos Ordinemque Cruciferorum. Band 1. Ed. H. Chlopocka. 3. Aufl.
Wroclaw, Warszawa, Krakow 1970, Index, S. 121-122; M. BlSKUP Analiza bitwy pod Plowcami i jej
dziejowego znaczenia, in: Ziemia Kujawska 1 (1963) S. 73-104, hier S. 101.
10 R. Grodecki Powstanie polskiej swiadomosci narodowej. Katowice 1946, S. 46.

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Pommerellen sowie im Kulmer Land; diese Gebiete sollten als ,,de regno" zum Königreich
Polen zurückkehren11. Das sind auch Beweise für die Verbreitung und Vertiefung der
nationalen Merkmale im staatspolitischen Kontext, auch wenn wir noch von einem
gewissen ,, sprachlichen Patriotismus" sprechen können, der über dem ,, staatlichen
Patriotismus" steht. Im ganzen muß man sagen, daß die beiden Prozesse 1320-1321 und
1339 eine Evolution des politischen und - in bestimmtem Grade - auch des nationalen
Bewußtseins vor allem im nördlichen Polen, aber auch die Überwindung der regional
beschränkten Interessen (besonders in Kujawien) und die Unterstützung der gesamtpolni-
schen Idee eines Regnum Poloniae - auch in sprachlicher Hinsicht - verursacht hatten.
Man kann auch das Anwachsen der historischen Kultur bei den Vertretern der politischen
und kulturellen Elite im Norden Polens beobachten, wobei noch die mündliche - wenn
auch etwas Versehrte und unpräzise - Tradition die größte Rolle gespielt hat12.
Der Kalischer Frieden 1343 hat bekanntlich Pommerellen und das Kulmer Land, als
,, Almosen" zwar, beim Ordensstaat Preußen belassen. Doch die Überzeugung von den
weiterbestehenden Rechten des Königreichs Polen auf diese Gebiete blieb fest verwurzelt,
auch im Namen der ethnischen Einheit, wobei die ethnischen Umwandlungen in
Pommerellen und im Kulmer Land jahrelang nicht zur Kenntnis genommen wurden. Das
großpolnische Volkslied hatte damals König Kasimir dem Großen sogar zugeraten: „Tu
rex Kasimire nunquam habeas pacem cum Pruthenis, doñee recuperes Gdansk", d. h.
Pommerellen13. Die Verwurzelung der ethnischen und staatlichen Motive in breiteren
Schichten Großpolens ist offenbar, doch noch überwiegen die letzteren.

IV

Auf der Basis dieser Umwandlungen konnte sich der durch die königliche Kanzlei
Kasimirs des Großen geschaffene Begriff „Corona Regni Poloniae" durchsetzen, in
welchem schon nicht mehr die persönlichen Rechte des Königs, sondern das Recht des
existierenden Staates fixiert wurde. Auf die „Corona Regni" wurden seit dieser Zeit
sämtliche territorialen Rechte und Ansprüche übertragen, wobei dem König kein Recht
zum Verschenken irgendwelcher Gebiete an eine fremde Herrschaft zugestanden wurde14.
Dieser Begriff hat auch die territoriale Expansion in solche Gebiete ermöglicht, auf welche
das Regnum Poloniae keine gültigen historischen Rechte oder ethnische Begründungen
(wie auf Pommerellen) besaß. So geschah es nach dem Jahre 1340 im Fall von Rotreußen,
wobei man das Lehnsverhältnis öfter und gern angewandt hat.
Durch die Eroberung von Rotreußen und später durch die polnisch-ungarische Union
1370-1382, vor allem aber durch die polnisch-litauische Union seit 1385 wurde nicht nur
die politisch-territoriale Neuorientierung nach dem Osten oder Südosten angebahnt,
sondern auch die des nationalen polnischen Selbstbewußtseins. Das Hauptgewicht mußte
nämlich auf die „staatliche Ebene" (Fr. Graus) gelegt werden, weil die Bewohner der

11 A. WojTKOWSKl Tezy i argumenty polskie w sporach terytorialnych z Krzyzakami. Olsztyn


1968, S. 24ff.
12 H. Chlopocka Procesy Polski z Zakonem Krzyzackim w XIV wieku. Studium zródlo-
znawcze. Poznan 1967, S. 225ff.
13 Lites ac Res gestae inter Polonos Ordinemque Cruciterorum. Band 2. 1. Autl. l'osnaniae 1855,
S. 117. . . . .

14 J. Krzyzaniakowa Regnum Poloniae w XIV wieku. Perspektywy badan, in: Sztuka i ideologia
XIV wieku. Hrsg. von P. Skubiszewski. Warszawa 1975, S. 63-87, hier S. 74ff.

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,, Corona Regni" nicht nur Polnisch und Deutsch, sondern auch und vor allem Russisch
und Litauisch - ein Teil vorübergehend auch Ungarisch - sprachen. Es mußte zu der
Formel einer Koexistenz dieser verschiedenen sprachlichen Gruppen kommen, wobei
natürlich auch die religiösen, wirtschaftlichen und geschichtlichen (d. h. der Tradition
verpflichteten) Umstände eine bedeutende Rolle spielten. Die Herausarbeitung der
ideologischen Grundlagen dieses Zusammenlebens sollte erst Mitte des 15. Jahrhunderts
erfolgen. Jedenfalls waren die ersten Jahrzehnte dieser Koexistenz nicht leicht; sie waren
auch durch eine plötzliche polnische Xenophobie gekennzeichnet, wie im Falle der
Ungarn, welche als Konkurrenten der adligen Polen betrachtet wurden und dies im Jahre
1377 bitter und blutig erleben mußten15. Die Hauptträger dieser Bestrebungen waren die
polnischen Kronräte, die, durch den mittleren Adel unterstützt, nach der Trennung der
Rechte des Königs und der Corona Regni strebten und sich nunmehr als regierende
,,regnicolae Regni" oder ,,communitas" fühlten. Diese Kreise haben anfangs auch nach
der vollständigen Eingliederung Litauens gestrebt und nur ungern die Bildung des
getrennten Großherzogtums Litauen seit 1392 gesehen. Schon damals gab es die ersten
Anzeichen für das wachsende Gewicht des polnischen Adels, der die ersten allgemeinen,
ständischen Privilegien (seit 1374) erwerben konnte. Aber noch kann keine Rede von der
Identifizierung der Adligen mit dem Begriff ,,regnicolae" oder ,,universitas terrige-
narum Regni Poloniae" sein. Auch die Bürger der größeren und mittleren Städte Polens
gehörten noch zu diesem Begriff, sogar noch bis zum Ende des 15. Jahrhunderts.
Es wäre jedoch verfehlt zu sagen, daß die früheren Ansichten über die ,,gens Polonica" -
oder nun immer öfter ,,natio Polonica" - aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, mit ihren
ethnischen und sprachlichen Argumenten, vergessen wurden. Im Gegenteil, nach dem
Ausbruch des großen militärischen Konflikts zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen
Orden 1409 wurden diese Begriffe nicht nur weiter angewandt, sondern sogar erweitert,
besonders nach der Schlacht bei Tannenberg. Wir haben leider noch keine genaue
Untersuchung über dieses Problem, doch wird man der Vermutung von Fr. Graus nicht
zustimmen, daß die Tannenberg-Schlacht keinen entscheidenden Einfluß auf die Entwick-
lung des nationalen Bewußtseins der Polen hatte. Man darf dabei den gleichzeitigen
Einfluß der hussitischen Stimmung mit seiner nationalen Welle nicht vergessen. Der
Vermutung von Graus widersprechen Verlautbarungen der damaligen polnischen Histo-
riographie und die politische Propaganda auch des Klerus, wenn man auch zugeben muß,
daß anfangs die Hauptprobleme in der Apologie der Verwendung heidnischer Truppen in
der litauischen Armee sowie in der Schwertmission des Ordens gesehen wurden. Doch
genügt es, auf den Bericht des Bischofs Andreas von Posen nach der Schlacht (16. Juli
1410) zu verweisen, in welchem er unterstreicht, daß ,,verum eciam regni et nacionis
Poloniae, quam ipsi Cruciferi penitus nunc delere se jactabant". Man vermutet, daß solche
Argumente auch in den heute überwiegend verschollenen Predigten angewandt wurden -
Predigten für das einfache Volk, welche man jedes Jahr am 15. Juli gehalten hat. In
manchen von ihnen wurde wieder die Beschuldigung hervorgehoben, daß der Orden die
Absicht hegte, ganz Polen zu vernichten16. Es entstanden auch zahlreiche - heute
verschollene - polnische Gedichte, wie auch lateinische Verse über die Tannenberg-

15 B. ZiENTARA Cudzoziemcy w Polsce X-XV wieku. Ich rola w zwierciadle polskiej opinii
sredniowiecznej, in: Swojskosc i cudzoziemszczyzna w dziejach kultury polskiej. Hrsg. von Z.
Stefanowska. Warszawa 1973, S. 9-37, hier S. 31.
16 bcnptores rerum Prussicarum. Band 3. Hrsg. von TH. HIRSCH, M. TOPPEN und E. Strehlke.
Leipzig 1866, S. 428, 440; GRAUS Nationenbildung S. 187.

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Schlacht, von welchen nur ein Teil bis heute erhalten geblieben ist. In einem gleich nach
dem Jahre 1410 in Krakau entstandenen Gedicht wird die Rolle von Wladyslaw Jagietto als
,, Polonorum rex" im Kampf gegen die ,,Cruciferi - Crucifiguli" unterstrichen; nur Gott
,,prebuitque triumphum Regni corone pariter turmeque Polone". Im zweiten Gedicht
(wohl erst um 1437 entstanden) liest man dann, daß ,,ense Polonorum cecidit gens
Teutonicorum"17. Man darf auch das Aufhängen der ursprünglich 39 Ordensfahnen in der
Krakauer Domkirche nicht vergessen, welche jahrelang eine lebendige Erinnerung an den
Sieg über den ,,Ordo Theutonicorum" bildeten und auch in dem Werk von Jan Dtugosz
und Stanislaw Durink ,, Banderia Prutenorum" erhalten geblieben sind18.
Die nationalen Argumente wurden besonders verbreitet nach dem Verlust der -
zeitweise - wiedergewonnenen Gebiete Kulmer Land und Pommerellen im Herbst 1410,
was der Thorner Frieden von 1411 sanktioniert hat. Doch seit dem Jahre 1412, im Prozeß
zwischen dem Deutschen Orden und Polen vor dem römischen König Sigmund von
Luxemburg in Ofen, wurde die Revindikation Pommerellens und des Kulmer Landes Ziel
der polnischen Diplomatie mit der Begründung, daß diese Gebiete früher unter polnischer
Herrschaft gestanden hätten19.
Diese Argumente wurden auch in dem letzten großen kurialen Prozeß 1422 dargelegt
und sogar bedeutend vertieft, was die Aussagen von 29 Zeugen beweisen. Neben schon
bekannten Momenten, wie der Okkupation der pommerellischen und kulmerländischen
Gebiete, wurde auch die weiterbestehende Zugehörigkeit Pommerellens zu den polnischen
Bistümern unterstrichen. Doch wurde als ein neues Argument durch Zbigniew Olesnicki
nicht nur hervorgehoben, daß die Bewohner Pommerellens Polnisch sprächen, sondern
auch, daß die Namen der pommerellischen Dörfer, Städte und Burgen polnisch seien20.
Man muß auch nachdrücklich unterstreichen, daß die Zeugenaussagen weiterhin durch die
mündliche Tradition genährt wurden. Doch ein Teil der höheren Geistlichkeit und der
kleinpolnischen Magnaten (wie z. B. Jan Tarnowski) hat sich bereits - neben der oralen
Überlieferung - auf die Lektüre der schriftlichen Quellen, wie die Vitae der polnischen
Heiligen und Chroniken, gestützt. Der Posener Stadtschreiber Georg Merkiel beruft sich
auch auf die Chroniken und sogar auf das Epitaphium des Boleslaw Chrobry21. Es war
ganz gewiß ein neues Phänomen in den Kreisen der sozialen Elite Polens (teilweise sogar
unter den Bürgern), daß das historische Bewußtsein auch von schriftlichen Zeugnissen, die
man im Elternhaus las, bestimmt wurde. Das bewirkte eine Vertiefung des historischen wie
des nationalen Bewußtseins. Es betrifft auch in hohem Maße den Gelehrten-Kreis,
gruppiert um die Kanzlei Jagiettos und die Krakauer Universität, wo vor allem bei
bedeutenden Juristen mit Andreas Laskari und Paulus Vladimiri an der Spitze die
historische Argumentation aufgrund der gesammelten polnischen Chroniken und Doku-

17 Cz. Ochalówna Bitwa grunwaldzka w poezji polsko-laciñskiej XV wieku, in: Malopolskie


Studia Historyczne 3, 1/2 (I960) S. 81-106; Monumenta Poloniae Histórica. Band 4. Warszawa 1961,
S. 48.
18 S. Ekdahl Die „Bandería Prutenorum" des Jan Dtugosz - eine Quelle zur Schlacht bei
Tannenberg 1410. Göttingen 1976, S. 166ff.
19 Z. Nowak Miçdzynarodowe procesy polubowne jako narzçdzie polityki Zygmunta Luksem-
burskiego w pómocnej i srodkowschodniej Europie (1412-1424). Toruñ 1981, S. 33ff.
20 H. Chlopocka Tradycja o Pomorzu Gdanskim w zeznaniach swiadkow na procesach polsko-
krzyzackich w XIV i XV wieku, in: Roczniki Historyczne 25 (1959) S. 65-142, hier S. 134;
WOJTKOWSKI Tezy S. 74ff.
21 Lites Band 2, 1. Aufl. S. 108ff.; St. Zajaczkowski Studia nad procesami Polski i Litwy z
Zakonem Krzyzackim w 1. 1420-1423, in: Atenum Wileñskie 12 (1937) S. 282-403, hier S. 400.

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mente zum Konflikt zwischen Polen und dem Deutschen Orden verbreitet werden konnte.
Das ist auf dem Konstanzer Konzil in den Jahren 1415-1418, vor dem Schiedsgericht
Sigmunds von Luxemburg 1420 in Breslau, wie auch in dem sog. römischen Prozeß
1421-1422 ausführlich demonstriert worden22.
Man darf auch die Ereignisse vom Jahre 1431 nicht außer acht lassen, als die
Ordenstruppen plötzlich eine vernichtende Aktion gegen die gesamten nördlichen Gebiete
Polens unternahmen. Sie stießen im nördlichen Teil von Großpolen (Krajna) bei Nakel am
13. September 1431 sogar mit bäuerlichen Truppen Polens zusammen und erlitten eine
blutige Niederlage. Zwar kann man den großpolnischen Bauern eine bewußte nationale
Einstellung nicht zuschreiben, wie es manche Forscher tun. Es ging den Bauern um die
Rettung des eigenen Besitzes und des Lebens. Doch man muß zugeben, daß solche
Ereignisse Erbitterung gegen den Deutschen Orden in breiteren Volksmassen, jedenfalls in
Großpolen, in Kujawien und im Dobriner Land hervorrufen mußten. Es entstand sogar
ein lateinisches Lied ,,de magna perfidia magistri Prussie", und daß ,,per Polonos Prussie
gens tune est prostrata". In ideologischer Form wurden diese Gefühle am krassesten durch
Paulus Vladimiri in dem sog. letzten Wort über den Deutschen Orden 1432 ausgedrückt.
Er klagt darin ,, super desolacione patrie mee ducatus utriusque videlicet Dobrinensis et
Cuyavie" - als Bestandteile des ,,Regnum Poloniae", ebenso über die Hinterlist der
,,fratres Cruciferi de Prussia", welche ,,in vestimentis ovium appareant et lupum rapacem
in se realiter exhibeant". Sie hätten auch schon früher ihre „inhumana crudelitas in
Polonos" gezeigt, als sie Pommerellen, das Kulmer und das Michelauer Land okkupier-
ten23. Diese Ausdrücke, wo zwar die Bezeichnung ,,Ordo Theutonicorum" nicht fällt,
wohl aber der Begriff ,, Poloni", welcher die Einwohner des gesamten Regnum Poloniae
meint, zeigen nicht nur staatliches, sondern auch nationales Bewußtsein: zuerst in der
engeren ,, patria mea" - dem Dobriner Land und Kujawien -, dann aber auch in dem
gesamten Regnum Poloniae. Bei Vladimiri sind dabei auch Pommerellen und das Kulmer
Land gemeint. Es scheint im übrigen, daß die Verschärfung der Tonlage bei den polnischen
Historiographen, wenn sie nach 1431 auch über die Tannenberg-Schlacht schreiben, gerade
durch diese Ereignisse hervorgerufen wurde. In einem um das Jahr 1434 in Krakau
entstandenen Bericht heißt es schon, daß die Ordensritter beabsichtigten, ,,totam
Polonorum nacionem radicitus extirpare"24.
Im ganzen aber spielte ein allgemeiner „Deutschenhaß" in Polen um die Mitte des 15.
Jahrhunderts noch eine recht untergeordnete Rolle, wenn man bedenkt, daß seit den
zwanziger Jahren der Plan der Erhebung des Zollernprinzen Friedrich von Brandenburg
auf den polnischen Thron jahrelang erwogen wurde. B. Zientara hat recht25, wenn er
unterstreicht, daß in dieser Zeit die Rivalitäten zwischen dem groß- und dem kleinpolni-
schen Adel im Vordergrund standen, wobei die polnische Sprache nicht genügte, um die
„Eigenen" von den Fremden zu unterscheiden. Man könnte noch hinzufügen, daß man in
Polen schon um diese Zeit die „Deutschen Ordensritter" nicht als Personifizierung des
deutschen Volkes als Ganzes betrachtete.

22 Nowak Procesy S. 97ff.


23 M. KOWALCZYK Piesñ o zwyciçstwie Polaków nad Krzyzakami pod Naklem w roku 1431, in:
Biuletyn Biblioteki Jagiellonskiej 25 (1975) S. 69-73, hier S. 71-73; K. GÓRSKI „Ostatnie siowo"
Pawia Wlodkowica o Zakonie Krzyzackim z roku 1432, in: Zapiski Historyczne 29,2 (1969)
S. 151-170, hier S. 158, 160 und 165.
24 Monumenta Poloniae Histórica Band 4, S. 48.
25 Zientara Cudzoziemcy S. 30-31.

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380 Marian Biskup

Jedenfalls spielte in diesem erweiterten Nationalbewußtsein das sprachliche Problem


eine untergeordnete Rolle, wenn man ohne Bedenken die deutschsprachige Elisabeth von
Habsburg aus Wien 1454 auf die Krakauer Burg führte und später als ehrwürdige ,, Mutter
der Jagiellonen" und ,,alte Königin" feierte. In diesem Kontext läßt sich auch die
Übergabe Preußens an Polen 1454 durch die Vertreter des Preußischen Bundes besser
verstehen, welche doch überwiegend die deutschsprachigen ,, preußischen Landeskinder"
repräsentierten. Kann man sich dieses Ereignis hundert Jahre früher überhaupt vorstellen?
Aber die offensichtliche Dämpfung der sprachlichen Emotionen in Polen um die Mitte
des 15. Jahrhunderts verhinderte nicht, daß in den gelehrten Krakauer Kreisen gerade um
diese Zeit das nationale Bewußtsein sich verbreitete und vertiefte und einen gewissen
wissenschaftlich- theoretischen Unterbau fand. Es geschah in dem Kreis, welchen S.
Gawlas als „politische Experten" Polens bezeichnete und welcher die bedeutendsten, vor
allem Krakauer Juristen und Theologen - mit der Geschichte Polens eng vertraut -
umfaßte. Natürlich gehörten Jan Dtugosz und Rektor Jan Dabrówka dazu. Insbesondere
traten sie von 1459 bis zum Kriegsende 1466 als Verfasser von zahlreichen Memorialen und
Polemiken gegen den Orden hervor. Sie besaßen eine Vision vom Polen der Piastenepoche,
also in den ethnischen Grenzen26. Sie wiederholten nicht nur frühere Argumente von den
polnisch-nationalen Merkmalen Pommerellens als eines ehemaligen Bestandteils des
Regnum Poloniae, was sie auch in den Namen der pommerellischen Siedlungen und der
dortigen Herrscher bewiesen sahen. Vielmehr wurde als neues Argument auch auf den
Willen der Ordensuntertanen zur Übergabe Preußens an Polen hingewiesen (Memorial
von 1459). In dem umfangreichsten Memorial (Thorn 1464) wurden alle polnischen
Argumente durch Jan Dabrówka (oder Jakub von Szadek) ausführlich zusammengestellt,
wobei in erster Linie Sprache und Namen Pommerellens und anderer nördlicher Gebiete
als ,,iuxta proprietatem lingwe Polonice" unterstrichen wurden: ,,nacio, genus et
lingwagium Polonicum" hätten diese Gebiete bisher bewohnt und urbar gemacht. Auch
der Wille der ordenspreußischen Untertanen wurde wieder zitiert, welche sich doch ihrem
polnischen Herrn unterworfen hätten ,,de jure secundum Deum et justitiam"27. Diese
Ausdrücke sind Beweise des hochentwickelten Nationalbewußtseins der polnischen
Experten. Es stützte sich im Jahre 1464 in erster Linie auf die ,,gens" wie die ,,natio" und
auch das ,,linguagium (Polonicum)", sowie auf die staatlichen Rechte des Regnum
Poloniae. Doch fehlte auch nicht mehr der Hinweis auf den Willen der - sprachlich gar
nicht einheitlichen - Bevölkerung Preußens, ein signum temporis der veränderten
territorialen Lage Polens um diese Zeit.

Das Nationalbewußtsein der kulturellen Elite des spätmittelalterlichen Polen hat seine
deutlichste Widerspiegelung in dem großen Werk „Annales Poloniae" von Jan Dlugosz
gefunden. Die Abschnitte für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, bis zum Jahre 1480,
sind von größter Bedeutung für unser Thema. Die letzten gründlichen Analysen von J.
Kloczowski, J. Krzyzaniakowa, M. Koczerska, U. Borkowska und S. Gawlas haben die
wichtigsten Merkmale des entwickelten nationalen Bewußtseins bei Dlugosz, wie über-
haupt seine Anschauung über die polnische Nation im Spätmittelalter gut herausgearbeitet.
26 S. Gawlas Swiadomosc narodowa Jana Dtugosza, in: Studia Zródioznawcze 27 (1983) S. 3-66,
hier S. 62.
27 WojTKOWSKi Tezy S. 113ff.

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Die Merkmale des Nationalbewußtseins in Polen im 14. und 15. Jh. 381

Ich habe schon in Bukarest 1980 über einen bedeutenden Teil dieser Forschungen
referiert28; hier genügt also die Hervorhebung der wichtigsten Merkmale sowie die
Darstellung der neuesten Ergebnisse.
Infolge seiner Verbundenheit mit dem Krakauer Domkapitel (seit 1437) gibt Dhigosz in
erster Linie die Anschauungen gerade dieses sozialen und wissenschaftlichen Milieus
wieder. Er vertritt vor allem mittelalterliche Anschauungen, obwohl er bereits unter dem
Einfluß des Humanismus steht. (Man spricht heute von der allmählichen Einwirkung des
Humanismus auf Dhigosz.) Deshalb ist auch das in den ,, Annales" präsentierte Modell der
polnischen Nation noch durchaus mittelalterlich: gemeinsame Abstammung von einem
Ahnen, gemeinsames Territorium und gemeinsame Sprache, ähnliche physische und
psychische Merkmale, Gemeinsamkeit der Religion sowie der sozialen und politischen
Organisation. Die drei ersten Merkmale waren die wichtigsten: Abstammung, Territorium
und Sprache. Dazu aber paßten die Litauer und Russen nicht, welche deshalb als besondere
„nationes" betrachtet wurden, aber innerhalb des Regnum Poloniae. ,,Gens Polonica",
,, Poloni", sogar ,,populus Polonicus" bei Dhigosz sind also die Bewohner des Königrei-
ches Polen in den Grenzen des 14. Jahrhunderts. Sie verfügen über folgende gemeinsame
Merkmale: Ahnen, Sprache, gemeinsame Geschichte, Recht, ein eigenes Staatssymbol der
,, Corona Regni" (Adler), das Heimatlied (Bogurodzica) und Nationalheilige. Sie wohnen
im Regnum Poloniae, welches mit ,, patria" - im breitesten Sinne des Wortes - identifiziert
wird und für welches die Poloni sogar das Leben - für die Freiheit dieser patria - opfern
sollen. Das alles verbindet die ,, Poloni" trotz aller inneren Streitigkeiten und regionalen
Sonderheiten und bildet eben das Wertvollste, die „amor patriae".
Doch die Preußen (im Königlichen Preußen!) und die Schlesier gehören bei Dlugosz
schon nicht zu diesen ,, Poloni" (im Gegensatz zu den Masuren - Masowiern), wenn auch
die Eingliederung des Königlichen Preußen vollkommen berechtigt war und auch Schlesien
unter territorialem und rechtlich-politischem Aspekt zu dem Regnum Poloniae gehören
sollte. Eben an dieses rechtlich-politische Regnum Poloniae sollten Litauen und Reußen
angegliedert werden, wie es im Jahre 1466 mit Ordenspreußen (Ostpreußen) geschah, als
der Hochmeister und der Orden ,,unum et individuum corpus, una gens, unus populus"
mit dem Regnum Poloniae bilden sollten. Die Hauptkraft der polnischen Nation bildet bei
Dhigosz der Adel mit den geistlichen und weltlichen Würdenträgern an der Spitze. Auch
die Bauern wurden zu dieser Nation gerechnet, dagegen werden die Bürger stillschweigend
ausgeklammert. Es fragt sich, ob dies wegen der deutschen Abstammung der Krakauer
Bürger oder wegen des Wucherproblems geschieht. Man sieht aber bei Dlugosz keine
antibürgerliche Einstellung und keinen antideutschen Affekt; hatte er doch steten Kontakt
mit den bürgerlichen Vertretern auch in dem gelehrten Krakauer Kreis. Sie gehörten zu
den Experten (wie z. B. Jakub von Szadek). Aber seine ,, Poloni" sah Dlugosz mit offenen
Augen und sagte manche bitteren Worte über sie - abhängig von der jeweiligen Situation -,
wie niemand vor ihm und keine ausländische Quelle.
In seinem Werk wollte Dlugosz in erster Linie den Besitzstand und die Rechte des
Regnum Poloniae sowie die der mit diesem eng verbundenen Kirche schützen29. Als Ideal

28 M. Biskup Johannes Dlugosz (1415-1480) als Geschichtsschreiber Polens und der Länder vom
östlichen Mitteleuropa, in: XVe Congrès International des Sciences Historiques. Rapports. Band 2:
Section Chronologique. Bucarest 1980, S. 231-246.
29 Krzy2aniakowa Regnum Poloniae S. 141; G. Wojciech-Maslowska Ojczyzna Polaków.
Analiza pojçc i wyobrazeñ w polskim pismiennictwie sredniowiecznym. Manuskript UAM Poznan,
S. 138ff.

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betrachtete er zwar die Monarchie des Boleslaw Chrobry (also ein Reich, zu dem
Pommern, das Lebuser Land, Schlesien und Pommerellen, die sog. terrae naturales
gehörten). Doch er akzeptierte und schützte auch die Erwerbungen im Osten. Dhigosz
hatte also in Wirklichkeit das Programm der Jagiellonen sich zu eigen gemacht und das
Interesse der polnisch-litauischen Monarchie ganz obenan gestellt. Doch in dieser
Monarchie, aufs engste mit der polnischen Kirche verbunden, wollte er überall den
,, Poloni" den Vorrang zuerkennen. Deshalb betrachtete und beurteilte er auch alle
Nachbarn Polens mit einer gewissen Abneigung. Dabei spielten in bezug auf die Tschechen
und Ruthenen neben politischen auch die religiösen Motive (Hussitismus und östlicher
Ritus, die er beide als Häresie beurteilte) eine bedeutende Rolle. Am schlimmsten fällt sein
Urteil über die Litauer aus (barbari), um die uneingeschränkte Herrschaft des polnischen
Staates über sie zu rechtfertigen. Dagegen werden die Deutschen, sowohl die in Polen als
auch die außerhalb wohnenden, recht mild beurteilt. Natürlich sehen die „Cruciferi", der
Deutsche Orden, anders aus. Diese betrachtet Dlugosz bis zum Jahre 1466 als einen
politischen und undankbaren Gegner, welcher nur nach Eroberungen strebt und keine
wirkliche Evangelisierung bewirkt. Im Urteil über die Deutschen fehlt die schlechte
Stereotype; Dlugosz unterscheidet mehrere deutsche „nationes" (insgesamt wohl 10 - von
,,natio Theutonica" bis ,,natio Misznensis" und ,,natio Rhenensis"), welche er als
regionale Gemeinschaften betrachtet. Dagegen hat er keine Bedenken gegen den Anteil
deutscher bürgerlicher Elemente an der städtischen Bevölkerung, sowie überhaupt gegen
die deutsche Einwanderung, wenn sie nicht zum Nachteil für die polnischen Bewohner
erfolgte30.
Im ganzen kann man also dem Nationalbewußtsein von Dlugosz keine Xenophobie
vorwerfen. Es überwiegt bei ihm noch die offene Haltung gegenüber den Fremden und
Nachbarn, und bei der Beurteilung der Menschen spielt das ethnisch-moralische Kriterium
die Hauptrolle. Indessen kann man schon von nationalem Partikularismus bei Dlugosz
sprechen, welcher vom kurialen Universalismus - im Interesse Polens - Abstand
genommen hat31. Sein Patriotismus war identisch mit dem Inhalt des nationalen Bewußt-
seins, weil ,, patria" für ihn auch „natio" bedeutete. Das Empfinden für diese nahm den
zentralen Platz in seinem Bewußtsein ein, auch wenn dies durch die regionale (kleinpolni-
sche) Gemeinschaft überdeckt war und das Motiv der persönlichen Treue gegenüber dem
Herrscher - also der Staatspatriotismus - immer wieder hervortrat. Das hochentwickelte
nationale Bewußtsein bei Dlugosz kann man als ,, einen Gipfel des Möglichen"32 in dieser
Hinsicht bezeichnen. Denn nur er besaß in so hohem Maße historisches Bewußtsein durch
seine Kenntnis der Texte der alten Geschichte ebenso wie durch seine rege politische
Tätigkeit und zahlreiche, auch ins Ausland führende Reisen. Mit seinen Anschauungen
stand er dem engeren Kreis der Krakauer Experten nahe. Es fragt sich aber, ob er mit ihnen
übereinstimmte, was die Auffassungen über die Ostgrenze Polens betraf. Doch fällt es
schwer anzunehmen, daß in breiteren adligen Schichten das nationale Bewußtsein so tief
eingewurzelt war; hier genügte, wie schon gesagt, das staatspolitische Bewußtsein, das auf
mündlicher Tradition beruhte.
Eine zweite bedeutende Gestalt aus dem späten Mittelalter war Jan Ostroróg, Doktor
der Rechte, Kastellan, später Wojewode von Posen, Verfasser einer politischen Schrift

30 Gawlas Swiadomosc narodowa S. 36-37 (Tafel 6); U. BORKOWSKA Tresci ideowe w dzielach
Jana Dlugosza. Lublin 1983, S. 63ff.
31 BORKOWSKA Tresci 5. 65.
32 Gawlas Swiadomosc narodowa b. 62.

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Die Merkmale des Nationalbewußtseins in Polen im 14. und 15. Jh. 383

(kurz „Monumentimi" genannt) über die Reform der polnischen Republik, verfaßt
jedenfalls vor 1477. Als Vertreter einer großpolnischen Magnatenfamilie besaß er ein hoch
entwickeltes nationales Bewußtsein mit historischer Fundierung, doch auch auf einem
festen Staatsbewußtsein beruhend. Er setzte sich für die volle Souveränität der polnischen
Monarchie ein, die er durch zahlreiche Reformen fördern wollte. Sie sollten sich auf das
Verhältnis der katholischen Kirche zum Staat erstrecken im Sinne einer faktischen
Unterstellung der Kirche unter die königliche Gewalt. Auch die allgemeine Wehrpflicht
war das Ziel seiner Bestrebungen. Dabei zeigte Ostroróg eine stark entwickelte Abneigung
gegen die Fremden in Polen, und zwar gegen die Deutschen und die Italiener. Besonders
scharf wandte er sich gegen die Mißachtung der Polen und ihrer Sprache durch die
deutschen Geistlichen (,,wer in Polen wohnen will, soll die polnische Sprache erlernen").
Die polnische Sprache sollte auch in die Amtsbücher eingeführt werden. Indessen hätten in
der polnischen Kirche die „hinterlistigen Italiener" die Herrschaft übernommen. Auch
gegen die großen Städte mit ihren zahlreichen Mönchen und Studenten hegte Ostroróg
Abneigung. Er unterscheidet sich also in seinen Anschauungen über die Fremden in Polen
wesentlich von Dtugosz, und eigentlich zeigt er gewisse Merkmale der Xenophobie. Er
spiegelt vor allem die Meinungen der adligen Kreise Großpolens wider, in denen es eine
gewisse alte Abneigung gegen das Übergewicht des deutschen Elements und der deutschen
Sprache auch in den großpolnischen Städten gab. Alles andere verlangt aber noch eine
genaue Analyse33.
Erst eine solche gründliche Untersuchung - leider durch den Mangel an Quellen-
Material erschwert - würde eine Anwort auf die Frage erlauben, ob breitere Schichten des
Adels mit den fremdenfeindlichen Tendenzen von Ostroróg oder der offenen Stellung von
Dhigosz sympathisierten. Aber auch bei diesem konnte die Neigung zur „Lechiten-
Apologie" zu einer gewissen nationalen Megalomanie und zur Bildung der „adligen
Nation" führen, was in den folgenden Jahrzehnten dann stärker in Erscheinung trat.
Doch kann man noch am Anfang des 16. Jahrhunderts von wirklicher Xenophobie auch
in der polnischen Kronkanzlei nicht sprechen: 1520, als schon der letzte Krieg Polens mit
dem Deutschen Orden tobte, schrieb der polnische König Sigmund der Alte in seine
Instruktion für den Gesandten an den römischen und deutschen König Karl V., daß er -
Sigmund - jahrelang das feindliche Verhalten des Hochmeisters Albrecht von Hohenzol-
lern-Ansbach toleriert habe, nicht nur aus familiären Motiven (Albrecht war sein Neffe),
sondern auch, um nicht „Germane nacioni, que nobis semper chara fuit, displicere"34. Das
ist eine ganz offene Haltung, auch bei den Vertretern der kleinpolnischen Kreise, die in der
königlichen Kanzlei stark repräsentiert waren, und verrät noch keine Spur von Fremden-
feindschaft und auch keinen Deutschenhaß gegen alle damaligen „Germanen".

33 J. Kloczowski Polacy a cudzoziemcy w XV wieku, in: Swojskosc i cudzoziemszczyzna w


dziejach kultury polskiej. Hrsg. von Z. Stefanowska. Warszawa 1973, S. 38-67, hier S. 63tt.
34 Acta Tomiciana. Band 5. Posnaniae 1855, Nr. 308, S. 291.

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