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Charakteristik des Lehrers Can

Das Drama „Andorra“, das aus zwölf Bildern und einigen


Zeugenaussagen besteht, wurde im 20. Jhd. Von Max Frisch
geschrieben und erschien 1961 im suhrkamp Verlag. In diesem
Theaterstück geht es um die Geschehnisse im Modelland „Andorra“,
indem unter anderen ein junger Mann namens Andri wohnt. Dieser
wird von seinem leiblichen Vater, dem Lehrer Can, als jüdischer
Ziehsohn ausgegeben, den dieser angeblich von den feindlichen
Nachbarn, den „Schwarzen“, gerettet habe. Durch diese Lüge
begegnen Andri viele der Andorraner, darunter der Amtsarzt, der
Tischler, der Wirt, der Soldat Peider und der Pater mit Vorurteilen,
die Andri das Leben erschweren. Dieser versucht es anzunehmen, ein
Jude zu sein, aber es fällt ihm schwer. Als er es schließlich jedoch
geschafft hat, kommt die Wahrheit über seine Zukunft ans Licht, die
er nun wiederum gar nicht mehr hören möchte. Für die Chance auf
ein besseres Leben ist es auch bereits zu spät, denn die „Schwarzen“
haben Andorra inzwischen überfallen und bei der von ihnen
angeordneten Judenschau wird Andri für einen Mord für schuldig
erklärt, den er gar nicht begangen haben kann und wird getötet.
Daraufhin bringt sich sein Vater um und Andris Geliebte und
Halbschwester Barblin weißelt ganz Andorra.

Der Lehrer Can spielt in dem Stück eine wichtige Rolle. Er ist
derjenige, der die Vorurteile durch die Lügen über die Herkunft
Andris, die er verbreitet, auslöst. Durch seine Behauptungen macht
er die Problematik des Stückes überhaupt erst möglich. Gleichzeitig
ist er aber auch einer der Wenigen, die Andri verteidigen und nicht
schlecht behandeln.
kÜber das Äußere des Lehrers erfährt der Leser nicht viel. Allgemein
entsteht vor allem aufgrund Andris Aussage „Sehen Sie den alten
Lehrer […] und war doch einmal ein junger Mann, […]“ (S. 87) der
Eindruck eines eher alten, zerbrechlichen Mannes. Der Lehrer ist mit
einer Frau verheiratet, mit der er die zum Zeitpunkt der Geschehnisse
19jährige Tochter Barblin hat. Andri ist ebenfalls sein leiblicher Sohn,
hat jedoch eine andere Mutter. Seine ist die Senora, eine „Schwarze“,
mit der Can früher einmal zusammen war. Viel mehr über die
Vergangenheit des Lehrers bekommt der Rezipient nicht erzählt. Nur,
dass er anscheinend ein ziemlicher Rebell war, sich gegen die alten
Prinzipien auflehnte und sogar die „[…]Schulbücher zerrissen.“ (S.55)
hat. Man erfährt auch, dass er nach der Geburt Andris aus dem Land
der feindlichen Nachbarn mit dem Kind nach Andorra zurückgekehrt
ist und es in seinem Land dann als jüdisches Findelkind ausgegeben
hat. Die Wahrheit behält er für dich allein. Noch nicht einmal Andri
selbst, oder Cans jetzige Frau kennen sie. Durch dieses Handeln des
Lehrers wird bereits eine seiner Eigenschaften deutlich: Er ist feige.
Er hatte damals Angst vor seinen Landsleuten, was bei dem Gespräch
zwischen ihm und der Senora, die seine Motive zu verstehen
versucht, deutlich wird. Mit den Worten „Ich hatte […] Angst vor
Andorra, weil ich feig war-„ (S.94) gibt Can seine Furcht sogar vor
Andri zu und versucht damit seine Taten zu rechtfertigen. Bei dem
Dialog mit der Senora ist ebenfalls zu erkennen, dass sich der Lehrer
für „diese Lüge, [die er] in die Welt gesetzt“ (S.77) hat, schämt. Der
Senora nach hat er nie auf Briefe geantwortet, wodurch deutlich
wird, dass er auf seine Taten nicht besonders stolz ist. Noch dazu ist
diese Reaktion ein weiteres Indiz für seine Feigheit, weil er sich nicht
seinen Taten stellt.

Um Andri kümmert er sich jedoch, auch, wenn er ihn als etwas


anderes ausgibt, wie um seinen eigenen Sohn. Er möchte um jeden
Preis, dass dieser Tischler werden kann und ist sogar bereit, um das
zu ermöglichen, Land zu verkaufen. Dem Dorfarzt gegenüber verhält
er sich sehr unhöflich, da dieser seine negativen Ansichten von Juden
geäußert hat und seiner Frau nach „ […]verkrach[t] [es sich Can] mit
aller Welt, […]“, wenn es darum geht, die Juden zu verteidigen. Dass
der Lehrer nur das Beste für seinen Sohn will, wird gegen Ende
nochmals besonders deutlich. Als die „Schwarzen“ Andorra
eingenommen haben, versucht er, Andri davon zu überzeugen, dass
er fliehen muss. Mit den Worten „Hier kannst du nicht bleiben.“
(S.91) versucht er ihm klar zu machen, wie gefährlich die Situation ist
und zeigt gleichzeitig, dass er Angst um seinen Sohn hat. Er vermutet
bereits zu diesem Zeitpunkt, dass Andri „verloren“ (S.95) ist. Ihm ist
es jedoch trotzdem wichtig, dass Andri ihm glaubt. Can möchte, dass
dieser es nun annimmt, sein Sohn zu sein. In der Frage „Was soll ich
tun, damit du’s glaubst?“ (S.103) spiegelt sich seine Verzweiflung
darüber wider, dass er Andri seine wahre Abstammung nicht
beweisen kann. Dieser hingegen hört nicht auf seinen Vater und
glaubt ihm weder die Erzählungen über seine Herkunft, noch folgt er
seinem Rat und flieht nicht.

Trotzdem versucht es der Lehrer auch noch einmal bei der


Judenschau, seinen Sohn zu retten. Er wiederholt immer wieder „Er
ist mein Sohn!“(S.122), um deutlich zu machen, dass Andri kein Jude
ist und, um ihn vor dem Tod zu bewahren.

Die große Fürsorge des Lehrers seinem Sohn gegenüber bleibt den
anderen Andorranern auch nicht verborgen. Beispielsweise bekommt
der Wirt mit, „ […] daß der Lehrer sich [um Andri] [Anm. d. Verf.]
sorgt, wie um einen eigenen Sohn“ (S.24) und auch einem Händler
fällt diese Zuneigung auf, die dieser so faszinieren findet, dass er die
Geschichte des jüdischen Findelkinds überall wo er hinkommt,
herumerzählt.
Am Ende erhängt sich der Lehrer schließlich aus Trauer darüber, dass
er seinen Sohn verloren hat. Als Hauptgründe zählen jedoch seine
Schuldgefühle. Can erkennt, dass er einen großen Tel zu Andris Tod
beigetragen hat und, dass, wenn er nicht so feige gewesen wäre und
von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte, sein Sohn noch leben
könnte. Damit ist er einer der Wenigen, die sich die eigene Schuld an
den Ereignissen eingestehen.

Das einzige, was Can Andri verweigert ist die Hochzeit mit Barblin. Es
ist „[…] das erste Nein, […]“ (S.46) das er seinem Sohn gibt und er
beharrt darauf, da Andri und Barblin Halbgeschwister sind. Bei dieser
Auseinandersetzung wird deutlich, dass Can auch laut werden kann.
Und zwar nicht nur gegenüber seinen Landsleuten, sondern auch
gegenüber seiner Familie. Er schreit herum und beschimpft seine
Tochter als „Huhn“ (S.46). Am Ende dieses vierten Bildes kommt
nochmals seine Feigheit zum Ausdruck. Er flüchtet in die Pinte,
anstatt sich der Auseinandersetzung zu stellen und die Wahrheit zu
erzählen. Bei der Aussage der Mutter „Jetzt trinkt er wieder bis
Mitternacht.“ (S.48) ist auch wie in sehr vielen Bildern herauszulesen,
dass der Lehrer eine Schwäche für Alkohol hat. Wie beispielsweise im
fünften oder auch bereits im ersten Bild wird gezeigt, dass sich der
Lehrer häufig in der Pinte aufhält und einen „Schnaps“ (S.49) oder
„Korn“ (S.15) trinkt. In vielen Szenen tritt er auch betrunken auf, was
seinen Mitmenschen nicht verborgen bleibt. Mit den Worten „Du
hast getrunken.“ (S.53) reflektiert ihm Andri das direkt, aber auch
beispielsweise dem Pater fällt Cans momentane Anfälligkeit für
Alkohol auf. Er fragt sogar Barblin nach dem Grund. Auf die Frage
„Warum trinkt er so viel in letzter Zeit?“(S.10) hat sie jedoch auch
keine Antwort.

Der Lehrer ist selbst ein Andorraner, empfindet jedoch eine gewisse
Abneigung gegen seine Landsleute, was bereits im ersten Bild zum
Ausdruck kommt. Bei der Aussage „Die Andorraner sind gemütliche
Leut, aber wenn es ums Geld geht, dann sind sie alle wie der Jud.“
(S.17), wiederholt er die Worte des Wirtes, die dieser zur
Beschreibung des Tischlers verwendet hatte. Dadurch drückt er aus,
dass er es durchschaut hat, dass sowohl der Tischler, als auch der
Wirt geldgierig sind und er von den Vorurteilen gegen Juden nichts
hält, da diese viel eher auf die Andorraner selbst zutreffen. Er ist auch
einer der Wenigen, der sie hinterfragt. „Woher wißt ihr alle, wie der
Jud ist?“ (S.15) , äußert er gegenüber des Wirts, als dieser ein
Judenvorurteil ausspricht. Dabei wird offensichtlich, dass es Can
wütend macht und, dass er es ungerecht findet, dass die Andorraner
Andri aufgrund dieser Judenvorurteile schlecht behandeln, obwohl
sie eigentlich noch nie zuvor einen Juden kennengelernt, geschweige
denn schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht haben.

Can ist sauer auf die Andorraner, weil sie seinen Sohn diskriminieren,
er ist jedoch auch noch von ihnen enttäuscht. Er hatte gedacht, dass
seine Landsleute anders seinen, als die Schwarzen, erkennt jedoch
nun das Gegenteil. Sie sind genauso judenfeindlich, wie die
Menschen aus ihrem Nachbarland, was sogar die Senora bei ihrem
kurzen Besuch bemerkt. Der zweite Grund, weshalb er enttäuscht ist,
ist die widerstandslose Kapitulation, als die „Schwarzen“ Andorra
überfallen. Die Andorraner leisten sofort Gehorsam und tun alles,
was ihre Besatzer befehlen. Sogar, der Soldat, der zuvor behauptet
hatte, dass er „[…], lieber tot als Untertan[…]“ (S.19) sei und „Bis zum
letzten Mann, […]“ (S.19) kämpfe, stellt sich den eigentlich
feindlichen Nachbarn sofort zu Diensten. Can erkennt in dieser
Situation die Feigheit der Andorraner und beschimpft sie als
„Lumpenhunde“ und „Fötzel“ (S.96).

Seinen Hass auf die Andorraner bringt der Lehrer häufig zum
Ausdruck. Bei den Aussagen „Ich werde dieses Volk vor seinen
Spiegel zwingen, sein Lachen wird ihm erfrieren“ (S.15) und „Sie
werden ihr eigenes Blut noch kennenlernen“ (S.15) erfährt der Leser,
dass Can bereits sehr früh den Schrecken ahnt, den die Andorraner
erfahren werden, wenn die wahre Herkunft Andris ans Licht kommt.
Sie werden sehen, dass sie selbst die Eigenschaften eines Juden in
sich tragen und es jedem von ihnen hätte passieren können, so wie
Andri behandelt zu werden. Kurz vor seinem Selbstmord äußert er
seine Abscheu gegen die Andorraner, gegen ihre Verlogenheit und
auch dagegen, dass sie sich keine Schuld eingestehen, direkt. „Duckt
euch. Geht heim. Ihr wißt von nichts. Ihr habt es nicht gesehen. Ekelt
euch. Geht heim vor euren Spiegel und ekelt euch.“ (S.123). In dieser
Aussage wird auch offensichtlich, dass er die Schuld aller Andorraner
an dem Tod seines Sohnes und dem gesamten Verlauf der Ereignisse
erkennt. Er drückt auch aus, dass er erkannt hat, dass das friedliche,
ruhige Andorra nur ein Schein ist. Er ist einer der Wenigen, dem dies
bewusst ist.

Der Lehrer ist auch einer derjenigen, die bereits am Anfang das
nahende Unheil ahnen. Ein Pfahl auf dem Platz von Andorra, den
andere fast gar nicht bemerken und wenn, sich keine großen
Gedanken darüber machen, bereitet ihm Angst und er fragt sowohl
den Tischler als auch den Wirt mehrmals nach dessen Bedeutung und
dem Grund, weshalb er dort aufgestellt wurde.

Insgesamt wird beim Leser eine widersprüchliche Meinung zu der


Figur des Lehrers erzeugt. Auf der einen Seite sieht man ihn als
Lügner, Feigling, als schlechten Vater und als einer der
Hauptschuldigen für Andris Tod an. Auf der anderen Seite erscheint
er sehr sympathisch, da er Andri verteidigt, sich um ihn kümmert und
die Andorraner wegen ihrer Vorurteile verabscheut. Da er dies häufig
beispielsweise durch Vorwürfe ausdrückt, spricht er dem Leser
manchmal aus der Seele, da man in der Ansicht über die Bewohner
Andorras oft seine Meinung teilt. Daher lässt sich der Lehrer nicht
eindeutig als gute oder als schlechte Person einordnen.

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