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Gestaltung internetbasierter kollaborativer Team- und Projektarbeit

Article in Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) · December 2017
DOI: 10.1007/s11612-017-0385-3

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3 authors:

Stefan Klötzer Thomas Hardwig


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Margarete Boos
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Gestaltung internetbasierter kollaborativer
Team- und Projektarbeit

Stefan Klötzer, Thomas Hardwig &


Margarete Boos

Gruppe. Interaktion. Organisation.


Zeitschrift für Angewandte
Organisationspsychologie (GIO)

ISSN 2366-6145
Volume 48
Number 4

Gr Interakt Org (2017) 48:293-303


DOI 10.1007/s11612-017-0385-3

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Fachmedien Wiesbaden GmbH. This e-offprint
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Gr Interakt Org (2017) 48:293–303
https://doi.org/10.1007/s11612-017-0385-3

HAUPTBEITRÄGE

Gestaltung internetbasierter kollaborativer Team- und Projektarbeit


Stefan Klötzer1 · Thomas Hardwig1 · Margarete Boos2

Online publiziert: 16. Oktober 2017


© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017

Zusammenfassung Dieser Beitrag der Zeitschrift Gruppe. spiel fünf zentrale Problemfeldern erkennbar: (1) parallele
Interaktion. Organisation (GIO) befasst sich mit der Ge- Nutzung von Anwendungen, (2) die Transparenz im Hin-
staltung internetbasierter kollaborativer Team- und Projekt- blick auf Veränderungen, (3) die hohe Taktzahl virtueller
arbeit. Um die Team- und Projektarbeit in Unternehmen zu Meetings, (4) der Onboardingprozess, (5) die Spannung
unterstützten, werden verstärkt internetbasierte kollabora- zwischen dem Tagesgeschäft und der Umsetzung interner
tive Anwendungen eingesetzt. Diese ermöglichen es, Mit- IT-Projekte. Die exemplarische Prüfung des entwickelten
arbeitende im Unternehmen und über Standorte hinweg zu Gestaltungsmodells ergibt, dass es Führungskräften und Ar-
vernetzen, Wissen und Daten zu teilen und Projekte zu orga- beitsgestaltern eine Orientierung für die integrierte Gestal-
nisieren. Ob diese Vorteile tatsächlich genutzt werden kön- tung kollaborativer Anwendungen bieten kann.
nen, hängt davon ab, wie der Einsatz der Werkzeuge gestal-
tet wird. Als Orientierung für eine effektive Nutzung kolla- Schlüsselwörter Internetbasierte kollaborative
borativer Anwendungen wird im vorliegenden Beitrag ein Anwendungen · Teamarbeit · Arbeitsgestaltung ·
Gestaltungsmodell für räumlich verteilte kollaborative Ar- Praxisbeispiel · Herausforderungen · Soziotechnische
beit vorgestellt, das sich an soziotechnischer Systemgestal- Systemgestaltung
tung orientiert. Die Tauglichkeit des Modells wird anhand
eines Praxisbeispiels demonstriert. Exemplarisch werden an
einem Praxisbeispiel Gestaltungsaktivitäten aber auch Pro- Designing collaborative team work/project work
bleme bei der Nutzung der Anwendungen aufgezeigt und
im Modell auf den Ebenen Strategie, Methoden und Tech- Abstract In order to support team and project work in
nik verortet. Trotz einer hohen technischen Affinität und companies, Internet-based collaboration software tools are
vielfältiger Gestaltungsmaßnahmen werden im Praxisbei- increasingly being used. These software tools enable em-
ployees located within and outside the organization to com-
municate, share knowledge and data, and organize projects.
 Stefan Klötzer Whether these benefits can be actualized depends on how
stefan.kloetzer@uni-goettingen.de
the collaboration software is designed. As an orientation for
Dr. Thomas Hardwig the effective use of collaboration software tools, the present
thardwi@gwdg.de paper presents a design model for spatially distributed col-
Prof. Dr. Margarete Boos laborative work and demonstrates its suitability based on a
mboos@uni-goettingen.de practical example. Therefore, we exemplarily show design
1
activities and problems of the practical example and locate
Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften,
Georg-August-Universität Göttingen, Weender
them within the model. Despite an extensive technical acu-
Landstr. 3, 37073 Göttingen, Deutschland men and diverse design work, we identify problems with
2 the use of collaboration tools. They focus on five problem
Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie,
Georg-August-Universität Göttingen, areas: (1) parallel use of collaboration software tools, (2)
Goßlerstr. 14, 37073 Göttingen, Deutschland transparency in terms of change, (3) the high rate of virtual

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meetings, (4) the onboarding process, and (5) the dilemma wie E-Mails, Netzlaufwerke und herkömmliche Group-
between the daily business and the implementation of in- waresysteme werden aufgrund unterschiedlicher Nachteile
ternal IT projects. stark kritisiert (Hiller et al. 2014). Durch kollaborative
Anwendungen sollen diese Nachteile wie etwa die E-Mail-
Keywords Collaboration software tools · Teamwork · Flut, eine schlechte Auffindbarkeit von Informationen und
Work design · Practical example · Challenges · Begrenztheit von Systemen auf einige Unternehmensberei-
Sociotechnical system che überwunden werden.
Erhebungen zur Verbreitung kollaborativer Anwendun-
gen stellen fest, dass diese in Unternehmen derzeit eher ad
1 Neue, internetbasierte Werkzeuge für die Team- hoc und unsystematisch eingesetzt werden. Häufig stehen
und Projektarbeit Werkzeuge mit ähnlichem Funktionsumfang im Unterneh-
men parallel zur Verfügung (Schubert und Williams 2015,
In Unternehmen wird zunehmend Software angewendet, die S. 10). Dies führt zu Schnittstellenproblemen und konter-
als „Enterprise Collaboration Software“ (Sprenger 2016) kariert das, was diese Anwendungen eigentlich fördern sol-
oder „Social Collaboration-Werkzeuge“ (Hiller et al. 2014) len: die Vernetzung. Fühlen sich Nutzergruppen von den
charakterisiert wird und Teams in ihrer Zusammenarbeit betrieblich zur Verfügung gestellten Werkzeugen nicht aus-
unterstützen soll. Diese internetbasierten Anwendungen er- reichend unterstützt, werden bisweilen Chat-Tools, Web-
möglichen das gemeinsame Bearbeiten, Speichern und Tei- Conferencing Programme oder Cloud-Speicher für das ge-
len von Dokumenten, die Kommunikation über räumliche meinsame Teilen von Dokumenten eingesetzt, die auch pri-
Distanzen hinweg (z. B. durch Chats oder Web-Conferen- vat genutzt werden (Hiller et al. 2014). Solche Prozesse
cing), das Teilen von Wissen (z. B. durch Wikis, Blogs oder erhöhen den Handlungsdruck für Unternehmen, da sie zu
Foren) sowie die Aufgabensteuerung und Projektorganisa- einem Verlust von Kontrolle und zu Widersprüchen mit be-
tion. Im Folgenden wird für diese Werkzeuge der Begriff trieblichen Compliance-Regeln führen können. So sah sich
„kollaborative Anwendungen“ verwendet, weil mit ihnen beispielsweise ein internationales Beratungshaus als Reak-
das Potential verbunden wird, eine intensivere Form der Zu- tion auf diese „Graswurzelbewegung“ gezwungen, schnell
sammenarbeit – Kollaboration – zu ermöglichen. Sie geht und konsequent ein offizielles, das gesamte Unternehmen
über die Kommunikation (i. S. d. Austauschs von Informa- umfassendes System zu implementieren, um Sicherheits-
tionen) und Koordination (i. S. d. Abstimmung unabhängig probleme zu vermeiden (Hughes und Chapel 2013).
bearbeitbarer Tätigkeiten) hinaus. Der Begriff Kollaborati- Die Nutzung kollaborativer Anwendungen eröffnet viel-
on bezeichnet nach Stoller-Schai (2003) die von zwei oder fältige Möglichkeiten des Arbeitens auf Distanz. Damit dies
mehreren Personen an gemeinsamen Zielen ausgerichtete, jedoch gut funktionieren kann, bedarf es besonderer Unter-
direkte und sich wechselseitig beeinflussende tätige Aus- stützung – ein zusätzlicher Aufwand, der bei der Einfüh-
einandersetzung zur Lösung oder Bewältigung einer Aufga- rung dieser Werkzeuge berücksichtigt werden muss. Bei-
be oder Problemstellung. Hierbei werden gemeinsame Res- spielsweise mussten im Zuge einer Prozessbegleitung ei-
sourcen verwendet, was entweder in physischer Ko-Präsenz nes räumlich verteilten Teams bei einem deutschen High-
und/oder internetgestützt innerhalb eines virtuellen Raumes Tech-Unternehmen erhebliche Defizite bei der Unterstüt-
geschieht. zung der Mitarbeiter und technischen Unterstützung festge-
Mit der Nutzung kollaborativer Anwendungen wird stellt werden (Boos et al. 2015): Die verteilte Zusammen-
eine Verbesserung der Zusammenarbeit angestrebt. So arbeit wurde weder durch eine dezidierte Teamentwicklung
sollen durch das Verfügbarmachen von heterogenem Wis- unterstützt, noch wurden die Teammitglieder auf den kom-
sen verteilter Teammitglieder Synergieeffekte ermöglicht, petenten Einsatz der Medien für die Kommunikation auf
Problemlösungen verbessert und Innovationen gefördert Distanz vorbereitet. Hinzu kamen technische Schwierigkei-
werden (Gibson und Cohen 2003). Weiterhin besteht die ten, wie Störungen bei Web-Konferenzen oder das Fehlen
Möglichkeit, auch auf das Wissen externer Expert/innen einer Plattform für das Wissensmanagement (Boos et al.
zuzugreifen oder externe Partner wie Kunden oder Liefe- 2015, S. 136). Das Beispiel zeigt, dass Probleme dann ent-
ranten in Arbeitsprozesse einzubeziehen. Auch im Hinblick stehen, wenn Unternehmen zwar die notwendige Technik
auf die Produktivität werden von Nutzern positive Effekte zur Verfügung stellen, jedoch nicht ausreichend berücksich-
erwartet. Ergebnisse von (Sprenger 2016) zeigen beispiels- tigt wird, mit welchem Nutzen und in welchen Dimensio-
weise, dass Projektmitarbeiter in seiner Untersuchung ihre nen ihr Einsatz zu gestalten ist, damit sie effektiv genutzt
Produktivität höher einschätzen, wenn sie über eine Kol- werden können.
laborationsplattform mit aufgabenrelevanten Dokumenten Den angeführten Potentialen kollaborativer Anwendun-
und Informationen versorgt wurden, als Projektmitarbeiter, gen stehen demnach unterschiedliche Herausforderungen
die isolierte Anwendungen nutzen. Informationssysteme im Hinblick auf die Einführung und die Nutzung gegen-

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Gestaltung internetbasierter kollaborativer Team- und Projektarbeit 295

Strategie

Ziele Ganzheitlichkeit Einsatzgebiete Regeln


• Begründung und formulierte • Gestaltung in den Dimensionen • Verständigung über (nicht) • Regeln für die Nutzung der
Ziele für den Einsatz Mensch, Technik, Organisaon gewünschte Einsatzzwecke kollaboraver Anwendungen
• Beitrag zur Realisierung der • Absmmung im gesamten • Benennung möglicher Nutzer • Regeln für den Schutz von
Unternehmensstrategie Nutzerkreis (ggf. mit Externen) Daten und Anwendern

Methoden
Räume für Kollaboraon Lernen
Führungs- und Betreuungsrolle Anpassung
• Methoden für die Nutzung der • Vorbereitung und Schulung
• Klarheit über den • Anpassung der Anwendungen
Räume für Kollaboraon • Support der Nutzer/innen
Rolleninhaber an aktuelle Bedürfnisse
• Möglichkeit der • Parzipave
• Klarheit über Aufgabe der • Einbindung weiterer Nutzer
benutzerbezogenen Anpassung Weiterentwicklung der
Betreuung und Oponen
u. Personalisierung Kollaboraonsmethoden

Technik

Nützlichkeit Verfügbarkeit Ergonomie Sicherheit


• Klarheit über Aufgaben- und • Gewährleistung ständiger • Bedienerfreundlichkeit • Datensicherheit
Rollenbezug Verfügbarkeit • Soware-Ergonomie • Schutz der Personenrechte
• Orienerung an den • Berücksichgung von • Vertrauen in die Technik
Nutzerbedürfnissen Mobilitätsanforderungen

Abb. 1 Gestaltungsmodell für internetbasierte kollaborative Team- und Projektarbeit (mod. nach Stoller-Schai 2003)

über. Es stellt sich daher die Frage, unter welchen Vor- 2 Gestaltungsmodell für internetbasierte
aussetzungen Probleme bei der Einführung und Nutzung kollaborative Team- und Projektarbeit in
kollaborativer Anwendungen überwunden und die genann- Unternehmen
ten Potenziale für die Team- und Projektarbeit erschlossen
werden können. Zu klären ist, auf welchen Ebenen in Un- Zur erfolgreichen Einführung und Nutzung kollaborativer
ternehmen die Einführung und Nutzung kollaborativer An- Anwendungen sind verschiedene Hürden zu überwinden.
wendungen gestaltet werden muss. Welche Themenfelder Eine systematische Auswertung der noch nicht sehr um-
sollten hierbei berücksichtigt werden? Und welche Rege- fangreichen Change-Management-Literatur zu kollaborati-
lungen sind notwendig, um nicht nur ein effektives Arbei- ven Anwendungen (Greeven und Williams 2017) ergibt,
ten zu ermöglichen, sondern auch zu vermeiden, dass kolla- dass Unternehmen dabei auf eine Vielzahl an Herausfor-
boratives Arbeiten mit neuen Belastungsrisiken verbunden derungen reagieren müssen. Sie liegen zwar auch auf der
ist? Ebene der eingesetzten Technik, aber vor allem auf tech-
Der Artikel soll einen ersten Beitrag zur Gestaltung kol- nikfernen Dimensionen wie der Kultur (z. B. Werte verhin-
laborativer Team- und Projektarbeit leisten. Das Vorgehen dern Wandel), dem Geschäftszweck (z. B. fehlende Über-
umfasst drei Schritte: Erstens entwickeln wir ein Gestal- einstimmung mit den Strukturen), unklaren Nutzenerwar-
tungsmodell für internetbasierte kollaborative Team- und tungen oder auf der Ebene des Verhaltens (z. B. ineffektive
Projektarbeit, das auf der Arbeit von Stoller-Schai (2003) Zusammenarbeitsprozesse). Entsprechend beziehen sich die
sowie auf den bisherigen Erkenntnissen aus dem Verbund- daraus folgenden Maßnahmen für den Change Prozess maß-
projekt CollaboTeam1 basiert. Zweitens überprüfen wir das geblich auf soziale Prozesse der Führung, der Einflussnah-
Modell anhand eines Praxisbeispiels eines IT-Beratungs- me, der Vorbereitung und des Trainings der Nutzer/innen.
unternehmens auf seine Tauglichkeit. Exemplarisch zeigen Die Autorinnen empfehlen einen soziotechnischen Ansatz
wir dabei Maßnahmen und Probleme bei der Einführung und kommen zu dem Schluss, dass es keinen Standard-
und Nutzung kollaborativer Anwendungen auf. Drittens fas- Einführungsprozess gibt, sondern vielmehr unternehmens-
sen wir die Ergebnisse zusammen und geben einen kurzen spezifische Strategien erforderlich sind (Greeven und Wil-
Ausblick. liams 2017). Auch die Literatur zum Management räumlich
verteilter Teams (Boos et al. 2017) sowie für die Nutzung
kollaborativer Anwendungen (Schubert und Williams 2015)
1 Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt CollaboTeam wird im sehen die Herausforderungen in der Technik, der Organi-
Rahmen des Programms „Zukunft der Arbeit“ (Förderkennzeichen sation und den sozialen Voraussetzungen begründet. Daher
02L15A060) vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung
ist ein soziotechnischer Gestaltungsansatz als State-of-the-
(BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und vom
Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den art anzusehen (Clegg 2000; Ulich 2011).
Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren und der Autorin.

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Im Weiteren soll es darum gehen, ein Modell zur Arbeits- ses“ sind klare Ziele für den Einsatz kollaborativer Anwen-
gestaltung für internetbasierte kollaborative Anwendungen dungen zu formulieren und zu begründen. Ein erkennba-
zu entwickeln. Dazu wird das sehr differenzierte Modell rer Nutzen ist für die Akzeptanz und Nutzung kollabora-
von (Stoller-Schai 2003) für die Gestaltung „kollaborativer tiver Anwendungen von zentraler Bedeutung (Dirkmorfeld
Handlungsfelder“ als Grundlage genutzt. Es hat den Vorteil, 2015). Hierbei muss deutlich werden, wie einzelne Mitar-
nicht aus der Perspektive der Technik und ihrer Implemen- beiter/innen im Alltag durch die Anwendungen unterstützt
tierung auf den Gegenstand zu schauen, sondern die Be- werden können (individueller Nutzen) und inwiefern die
dürfnisse der Nutzer/innen ins Zentrum zu stellen. Es geht Umsetzung der Ziele zur Erfüllung der Unternehmensstra-
von der Frage aus, was zu tun ist, um kollaborative Arbeits- tegie beiträgt (kollektiver Nutzen). Bei der Umsetzung kol-
situationen bestmöglich zu unterstützen und die Potenziale laborativer Anwendungen spielt die freiwillige und kreative
der Kollaboration systematisch zu erschließen. Für die Fra- Nutzung der Werkzeuge durch die künftigen Nutzer/innen
ge, wie digitale Arbeitsplätze der Zukunft zu gestalten sind, eine wesentliche Rolle (Raeth et al. 2010, S. 8), daher hat
ist dieser Blick auf den Gegenstand notwendig. eine klare Kommunikation der Ziele eine wichtige Orien-
Das Modell von Stoller-Schai unterscheidet Gestal- tierungsfunktion.
tungsdimensionen auf drei vertikalen Ebenen und in der Die Gestaltungsdimension Ganzheitlichkeit nimmt das
horizontalen Dimension. Letztere beschreibt die metho- soziotechnische „Metaprinzip“ auf, dass Arbeitsgestaltung
dische Gestaltung von Kollaborationsprozessen, während „systemisch“ sein soll, d. h. die verschiedenen Gestal-
die vertikalen Ebenen angeben, welche Gestaltungsele- tungsaspekte aufgrund wechselseitiger Abhängigkeit auch
mente für kollaborative Anwendungen, unabhängig vom aufeinander bezogen gestaltet werden müssen (Clegg 2000,
konkreten Kollaborationssetting, erforderlich sind (Stoller- S. 465). Dieses Metaprinzip konkretisiert sich bei der in-
Schai 2003, S. 126). Die vertikalen Ebenen werden im Fol- haltlichen Gestaltung in den Prinzipien der „task allo-
genden als Basis für die Modellentwicklung genutzt. Das cation“ (Clegg 2000, S. 468) und der Notwendigkeit „Kon-
Ziel der Modellentwicklung ist es, Verantwortlichen für gruenz“ des veränderten Arbeitssystems mit der umge-
die Arbeitsgestaltung in den Unternehmen einen einfachen benden Organisation herzustellen (Clegg 2000, S. 469).
Orientierungsrahmen anzubieten, den sie als Kompass Dabei hat Clegg bereits die besondere Bedeutung von
für die Implementierung und den Betrieb kollaborativer Informationssystemen hervorgehoben. Entsprechend bein-
Anwendungen nutzen können. Im Zuge der wissenschaft- haltet „Ganzheitlichkeit“ zum einen, dass kollaborative
lichen Begleitung der betrieblichen Entwicklungs- und Anwendungen sich nicht auf einen isolierten Bereich der
Erprobungsprozesse im Rahmen des BMBF-geförderten Organisation beziehen, sondern das gesamte Unterneh-
Verbundprojektes CollaboTeam soll die Tauglichkeit des men vernetzen sollen. Problematisch sind beispielsweise
Modells laufend überprüft und das Modell weiterentwickelt Ausschlüsse potentieller Nutzer/innen durch Medienbrü-
werden, um einen Gestaltungsrahmen wissenschaftlich zu che, die durch die parallele Nutzung unterschiedlicher
fundieren. Vielleicht gelingt es darüber hinaus zum Ende Anwendungen für gleiche Zwecke bedingt werden, oder
der Projektlaufzeit auch, belastbare Kriterien für die Beur- unterschiedliche Regularien für die Kollaboration. Sie
teilung des Reifegrades der Arbeitsgestaltung kollaborativer verhindern, dass Personen miteinander problemlos zusam-
Anwendungen zu formulieren. menarbeiten können. Zum Nutzerkreis können dabei auch
In Anlehnung an Stoller-Schai basiert das Gestaltungs- Externe wie Kunden oder Zulieferer gehören. Zum anderen
modell für kollaborative Team- und Projektarbeit auf den meint Ganzheitlichkeit, dass ein soziotechnischer Gestal-
drei vertikalen Ebenen Strategie, Methoden und Technik, tungsansatz betrieben wird, bei dem Maßnahmen bezogen
denen wir jeweils vier Gestaltungsdimensionen zuordnen auf Aspekte der Technik, Organisation und Menschen zu
(Abb. 1), die nachfolgend erläutert werden. einem ganzheitlichen Lösungskonzept integriert werden.
Es genügt keineswegs, nur die Technologie bereitzustellen.
2.1 Strategie Nicht übersehen werden sollte, dass viele Aufgaben gar
keine Kollaboration erfordern oder diese sogar kontrapro-
Stoller-Schai (2003) fordert, dass der Zweck der Nutzung duktiv sein kann (Stoller-Schai 2003, S. 131). Daher emp-
kollaborativer Anwendungen und ihrer Ausgestaltung von fiehlt Stoller-Schai (2003), im Rahmen der Strategie auf-
der Strategie des Unternehmens bestimmt wird. „Die zen- zuzeigen, welche kollaborativen Handlungsfelder sich das
trale Frage einer E-Collaboration-Strategie lautet: Warum Unternehmen vorstellt, typischerweise Situationen, in de-
sollten wir kollaborieren?“ (Stoller-Schai 2003, S. 130). Es nen unstrukturiertes Wissen gemeinsam bearbeitet werden
macht einen Unterschied, ob die Anwendungen der Lösung müsse oder Klärungsbedarf bestehe. In der Dimension Ein-
eines konkreten Problems oder eher allgemein der För- satzgebiete wird beschrieben, für welche Arbeitssituationen
derung des Wissensaustausches dienen. Entsprechend der die kollaborativen Anwendungen vorgesehen sind und wo
strategischen Ausrichtung und der geplanten „Businessca- das Unternehmen Kollaboration erwartet. Es kann Gründe

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geben, in bestimmten Prozessen den Einsatz kollaborativer von Teammitgliedern übernommen werden. Wesentlich ist,
Anwendungen auszuschließen, beispielsweise aus Gründen dass unabhängig davon, wer diese Rolle übernimmt, für alle
der Vertraulichkeit, der Datensicherheit oder bei Schnittstel- Partner Rollenklarheit im Hinblick auf die Aufgaben und
lenproblemen. Mit der Festlegung typischer Einsatzgebiete Kompetenzen herrscht. Die Betreuungsfunktion bezieht
werden auch Zielgruppen, die kollaborieren sollen, benannt. sich inhaltlich sowohl auf Fragen wie z. B. welche An-
Es scheint deshalb hier nicht hilfreich, analog zu Stoller- wendungen für welche Zwecke vorgesehen sind als auch
Schai die Dimension „Vernetzung“ zusätzlich aufzuführen. auf Regeln der Zusammenarbeit oder das Coaching zur
Die Möglichkeiten, mittels kollaborativer Anwendungen Weiterentwicklung der Qualität der Zusammenarbeit. Ver-
zu kommunizieren oder Aufgaben zu steuern, sind derart antwortlich zu sein für die Führung und Betreuung bedeutet
vielfältig, dass es verbindlicher Regeln für die Nutzung be- nicht immer, entscheiden zu müssen oder zu dürfen. Hier
darf. Stoller-Schai verweist hier auch auf die Notwendig- geht es eher um eine Coachingfunktion, die das Team darin
keit, erwünschtes Verhalten ausdrücklich anzuerkennen und unterstützt, gemeinsame Verantwortung zu übernehmen.
positiv zu verstärken. Regelungen sollten sich dabei sowohl Mit der Dimension Räume für Kollaboration wird die
darauf beziehen, welche kollaborativen Anwendungen zu Anforderung beschrieben, für die vorgesehenen Einsatzge-
verwenden sind, als auch konkrete Vorschriften beinhalten, biete geeignete virtuelle oder physische Räume anzubie-
wie eine Anwendung zu nutzen ist (z. B. Regeln über die ten, in denen die Partner zusammenkommen können. Die
Anforderungen an die Dokumentation von Wissen). Hierbei räumlichen Bedingungen müssen Kollaboration ermögli-
spielen zusätzlich sowohl der Datenschutz (z. B. Verbrei- chen und bei virtuellen Räumen muss sichergestellt werden,
tung personenbezogener Daten über Anwendungen), das dass die Nutzer/innen sie methodisch beherrschen können.
Urheberrecht als auch arbeitsrechtliche Aspekte eine Rolle Interessant wird die Raumgestaltung beispielsweise bei der
(Ulbricht 2016). Kombination von face-to-face und virtueller Kollaboration.
Mit der Festlegung der strategischen Ziele und der gül- Stehen Methoden zur Verfügung, welche eine angemesse-
tigen Regeln für die vorgesehenen Einsatzgebiete der Kol- ne Einbindung der virtuellen Teilnehmer/innen in den Ar-
laboration ist der Rahmen aufgespannt, den es nun gilt auf beitsprozess ermöglichen? Beim Einsatz von Plattformen
den nächsten Ebenen des Modells konkret zu füllen. beispielsweise Foren oder WIKI-Systeme besteht die An-
forderung, sicherzustellen, dass die Dokumentation und der
2.2 Methoden Austausch von Wissen tatsächlich nutzergerecht erfolgen
kann. Diese Räume sind an die Bedürfnisse der Nutzer an-
Der Begriff Methoden – die zweite Ebene des Modells – be- zupassen und sollten eine Personalisierung, d. h. eine indi-
zieht sich darauf, wie (verteilte) kollaborative Zusammenar- viduelle Anpassung, ermöglichen.
beit am besten ermöglicht und gefördert werden kann. Stol- Für die Nutzung kollaborativer Anwendungen müssen
ler-Schai (2003) konstatiert, dass eine produktive Zusam- Kompetenzen aufgebaut oder erweitert werden, dies fällt
menarbeit im virtuellen Raum nicht nur technisch ermög- in die Gestaltungsdimension Lernen. Die Einführung neuer
licht, sondern auch methodisch unterstützt werden muss. Mitarbeiter/innen in die Systemlandschaft des Unterneh-
Stoller-Schai (2003, S. 134) verweist darauf, dass mens ist hierfür der erste Schritt, der sich in Maßnahmen
„fremdinitiierte und intentionale Kollaboration“ im Un- der Personalentwicklung zum Aufbau der Medienkompe-
terschied zur selbstgesteuerten Zusammenarbeit vor allem tenz fortsetzen sollte. Auch die Unterstützung von Teams
in der Anfangsphase einer externen Betreuung und Mo- bei der Bewältigung anwendungsbezogener Probleme ist
deration bedarf. Zudem ist insbesondere in der Startphase notwendig. Aus soziotechnischer Perspektive sind vor allem
räumlich verteilter Teams eine Führungs- oder Coaching- multidisziplinäre Lernprozesse wertvoll für die Entwick-
Funktion hilfreich, um das Team schnell arbeitsfähig zu lung, bei denen Menschen mit unterschiedlichen Rollen und
machen (Boos et al. 2017, S. 99), und auch für spätere fachlichem Hintergrund mit ihren Erfahrungen, Fähigkeiten
Teamphasen kann eine externe Unterstützung förderlich und Wertvorstellungen ihre unterschiedlichen Vorstellungen
sein (Hackman 2002). Daher wird empfohlen die Füh- austauschen und sich in einem pluralistischen Prozess die
rungs- und Betreuungsrolle für die Einsatzgebiete der Kol- Komplexität der Handlungssituationen verständlich machen
laboration entsprechend festzulegen. Dabei ist zu beachten, und sie gemeinsam gestalten (Clegg 2000, S. 473).
dass die Unterstützungsbedarfe von Kollaborationen, die Jedes System bedarf der Anpassung an veränderte Be-
in Präsenz stattfinden, sich von denen unterscheiden, in dürfnisse der Nutzer/innen oder an veränderte betriebliche
denen virtuelle Kollaboration erfolgt. Die Betreuungsauf- Anforderungen. Verfügt das Unternehmen über Methoden,
gabe kann in den Aufgabenbereich einer Führungskraft weitere Nutzergruppen in das System zu integrieren, ist dies
fallen, an bestimmte Stellen in der Organisation übertra- wie ein Change Prozess zu gestalten. Hier kennen wir die
gen werden (z. B. Projekt-Management-Office, SCRUM elementare soziotechnische Anforderung der „Ownership“,
Manager, Personalentwicklung) aber grundsätzlich auch dass der Gestaltungsprozess von denen auf Seiten des Ma-

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298 S. Klötzer et al.

nagements und der Beschäftigten bestimmt werden soll, die 3 Überprüfung der Modelltauglichkeit anhand
das System nutzen (Clegg 2000, S. 472). Die konsequen- eines Praxisbeispiels
te Verfolgung dieses Prinzips führt auch zu neuen Formen
der Partizipation, dass die Nutzer des neuen Systems die Dass das zuvor beschriebene Gestaltungsmodell für kol-
Gestaltung betreiben und die Experten in geeigneter Weise laborative Team- und Projektarbeit als Orientierungsrah-
einbinden, damit diese ihnen helfen, tragfähige Lösungen men tauglich ist, wird im Folgenden anhand eines Pra-
zu finden (Clegg 2000, S. 473). xisbeispiels demonstriert. Die Informationen stammen aus
Interviews2 mit Mitarbeiter/innen, Führungskräften und
2.3 Technik Vorständen eines IT-Beratungsunternehmens, welche im
Hinblick auf die Modellebenen und Gestaltungsdimen-
Die Ebene Technik umfasst die Anforderungen, welche sionen ausgewertet worden sind. Die in den Interviews
durch die kollaborativen Anwendungen selbst erfüllt wer- genannten Maßnahmen und Regelungen zur Nutzung kol-
den müssen. Anwender/innen mit ihren unterschiedlichen laborativer Anwendungen werden im Modell verortet. Die
Aufgaben und Rollen sollten sie als unterstützend wahrneh- Interviews machten fünf Problembereiche sichtbar, in de-
men. Nützlichkeit beschreibt, inwieweit die Erreichung der nen Handlungsbedarf für die weitere Arbeitsgestaltung
Ziele für die Kollaboration durch die bereitgestellten Tech- besteht. Sie lassen sich den Gestaltungsdimensionen „Zie-
nologien gefördert wird und die Nutzer/innen die Technolo- le“, „Regeln“ und „Lernen“ zuordnen.
gien als angemessen bewerten. Stoller-Schai (2003) betont, Praxisbeispiel ist die GIS Gesellschaft für Informations-
dass sich die Technologien den Bedürfnissen der Anwen- Systeme AG mit Hauptsitz in Hannover. Etwa 90 Mitar-
der/innen unterordnen müssen. Der Maßstab ist, inwieweit beiter/innen arbeiten an insgesamt drei Standorten (Hanno-
produktive Formen der Kommunikation und Zusammenar- ver, Hamburg, Zürich). Kollaborative Anwendungen spielen
beit ermöglicht werden. im Geschäftsmodell des Unternehmens eine wichtige Rol-
Der Aspekt der Verfügbarkeit bezeichnet den Umstand, le. Das Unternehmen berät seine Kunden im Hinblick auf
dass für den Erfolg verteilter Arbeit die Technologien je- Softwarelösungen für den digitalen Arbeitsplatz und bie-
derzeit verfügbar sein müssen. Die Abhängigkeit elektro- tet dabei neben Anwendungen von Fremdherstellern auch
nisch unterstützter Kollaboration vom Internet stellt hier eigene Produkte oder auf spezielle Kundenanforderungen
eine große Herausforderung dar. Denn die Arbeit aus dem angepasste Individuallösungen an. Die Beratung, die Im-
Homeoffice, auf Dienstreisen oder beim Kunden gehört plementierung von Anwendungen beim Kunden sowie die
heute immer mehr zur Arbeitsrealität. Entsprechend steigt Begleitung bei der Einführung von Softwarelösungen ge-
der Bedarf, auch von unterwegs auf relevante Daten zugrei- hören ebenso wie der Betrieb der Anwendungen (Managed
fen oder sich in Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen Services) im Kundenauftrag zum Angebot des Unterneh-
einschalten zu können. mens. Auch für die eigene Kommunikation und Zusam-
Mit Ergonomie ist im Wesentlichen die Bedienerfreund- menarbeit (intern oder mit Partnern) werden kollaborative
lichkeit der kollaborativen Anwendungen gemeint, das Sys- Anwendungen intensiv genutzt. Im Zuge dessen wurden be-
tem muss verstanden werden und die Nutzer müssen es mit reits vielfältige Regelungen getroffen und unterschiedliche
möglichst wenig Aufwand erlernen können. Das soziotech- Gestaltungsanforderungen für die kollaborative Team- und
nische Prinzip lautet hier „systems should be simple and Projektarbeit realisiert.
make problems visible“ (Clegg 2000, S. 471), damit sie
von den Nutzern nicht nur beherrscht, sondern auch mitge- 3.1 Strategie
staltet werden können. Gleichzeitig muss sichergestellt wer-
den – Aspekt Sicherheit – dass die Datensicherheit sowie Im Folgenden wird die Ebene der Strategie mit den dazu-
die Sicherheit der Personenrechte der Nutzer/innen gewahrt gehörigen Gestaltungsdimensionen betrachtet:
werden.
Alles in allem umfasst das Modell zwölf wesentliche 3.1.1 Ziele
Elemente, die bei der Gestaltung von Team- und Projekt-
arbeit, in denen kollaborative Anwendungen zum Einsatz Das Unternehmen leitet seine Ziele für die interne Kolla-
kommen, berücksichtigt werden müssen, um eine effektive boration aus einer mittelfristig formulierten Unternehmens-
Team- und Projektarbeit zu ermöglichen. strategie ab. In letzter Zeit hat das Unternehmen den Bedarf
erkannt, die Strategie noch intensiver an die Mitarbeiter/

2 Die Interviews wurden im Rahmen des Verbundprojektes Collabo-

Team durchgeführt und dienen einer Bestandaufnahme zur Nutzung


kollaborativer Anwendungen im Unternehmen.

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Gestaltung internetbasierter kollaborativer Team- und Projektarbeit 299

innen zu kommunizieren und diese in die Strategieumset- 3.1.2 Ganzheitlichkeit


zung systematischer einzubinden. Hierfür wird das unter-
nehmensinterne WIKI-System eingesetzt. In Interviews mit Die Nutzung kollaborativer Anwendungen schließt alle Un-
Mitarbeiter/innen wird deutlich, dass sie diese intensivere ternehmensbereiche und Standorte ein, und die Maßnah-
Einbindung in die Strategie schätzen, da ihnen so die Ein- men sind soziotechnisch orientiert. Es wird nicht nur die
schätzung leichter fällt, wie sie zum Unternehmenserfolg Technik verfügbar gemacht, sondern es werden auch kon-
beitragen können. Auch Führungskräfte nehmen positive krete Regularien zur Nutzung formuliert und Betreuungs-
Effekte der verstärkten Einbindung auf den Kenntnisstand und Qualifizierungsmaßnahmen realisiert. Ein gutes Bei-
und das Verständnis der Strategie wahr. spiel für Ganzheitlichkeit ist, dass der Personalbereich dezi-
Verbesserungsbedarf zeigt sich jedoch in Bezug auf die diert Kompetenzanforderungen für verteiltes Arbeiten zum
Transparenz im Hinblick auf Veränderungen: Kollaborative Kriterium für die Auswahl neuer Mitarbeiter/innen macht
Anwendungen gehören zu den täglichen Arbeitswerkzeu- und diese Kompetenzen mit eignungsdiagnostischen Ver-
gen der Mitarbeitenden. Sollen im Rahmen der Digitali- fahren erhebt.
sierungsstrategie Veränderungen an der Systemlandschaft Als ganzheitlich ist auch zu bewerten, dass das Unter-
vorgenommen werden, beispielsweise durch einen Wech- nehmen konsequent eine Norm der Transparenz von Wissen
sel auf andere Anwendungen oder eine stärkere Integra- realisiert hat. Alle Mitarbeiter/innen haben über die Nut-
tion, bedeutet dies einen Eingriff in die Arbeitsrealität der zung kollaborativer Anwendungen im Unternehmen Zugriff
Beschäftigten. Wie bei jedem Veränderungsprozess ist da- auf das relevante Wissen. Es gibt nur wenige, begründe-
bei die Kommunikation und Beteiligung der Betroffenen te Ausnahmen vom Prinzip der Transparenz. Es wird von
wichtig. Die Interviews weisen darauf hin, dass in diesem Vorstand und Führungskräften vorgelebt und von den Mit-
Bereich Nachholbedarf herrscht. Zwar werden bereits un- arbeitern befürwortet. So sind beispielsweise die Kalender
terschiedliche Kommunikationskanäle genutzt, um Mitar- – bis auf vertrauliche Termine – nicht nur der Mitarbei-
beitende zu informieren (z. B. im Rahmen einer wöchent- ter/innen, sondern auch der Vorstände für alle einsehbar.
lichen Versammlung oder in virtuellen Communities), den- In einer Anwendung wird sämtliche Kundenkorrespondenz
noch herrscht bei den Befragten Uneinigkeit. Während von abgelegt und ist mit wenigen Einschränkungen von allen
einigen die transparente Informationspolitik des Unterneh- Mitarbeiter/innen zugänglich. Die hohe Transparenz führt
mens gelobt wird, besteht auf anderer Seite der Wunsch dazu, dass relevante Projektinformationen ohne zeitliche
nach einer intensiveren Kommunikation und Beteiligung. Einschränkungen (Nachfragen, Einholen von Berechtigun-
„Es wäre sicherlich gut, dass das, was wir in der Kunden- gen) verwendet werden können. Dies hilft etwa dann, wenn
situation oft gut machen im Sinne von Changemanagement Projektmitarbeiter/innen vertreten werden müssen oder In-
[...] das auch intern so zu tun. Das ist, was die Werkzeug- formationen für benachbarte Vorhaben genutzt werden kön-
und Zusammenarbeitsauswahl angeht, in der Vergangenheit nen.
nicht immer transparent gewesen.“
Auch zeigt sich in der Gestaltungsdimension Ziele eine 3.1.3 Einsatzgebiete
Spannung zwischen dem Tagesgeschäft und der Umsetzung
interner Projekte: Es ist erkennbar, dass das Vorgehen im Im Unternehmen sind bestimmte Einsatzgebiete für kolla-
Hinblick auf die weitere Digitalisierung der Arbeit im Un- borative Anwendungen eindeutig definiert (z. B. die Ange-
ternehmen strategie- und zielgesteuert abläuft. Die Digi- botserstellung, bei der Technik und Verkauf zusammenwir-
talisierung ist im Unternehmen kein Abstraktum, sondern ken). In manchen Fällen gibt es eine eher informelle Ver-
die strategische Grundlage konkreter Gestaltungsmaßnah- ständigung, wie komplexe Anforderungen als Kollaboration
men und Regelungen. Dennoch geraten Veränderungs- und gestaltet werden. Die notwendigen Ansprechpartner/innen
Gestaltungsprozesse im Unternehmen bei sehr guter Auf- sind durch die Bereichszugehörigkeit, das Projektteam oder
tragslage bisweilen ins Stocken: „Wir haben eine Strategie den Kommunikationsplan des Projektes jeweils bekannt.
bei der GIS, wir machen viel IT [...] aber wenn ein Kun-
denauftrag da ist, ist das alles wichtiger.“ So kommt es da- 3.1.4 Regeln
zu, dass als relevant erachtete Veränderungsprozesse immer
wieder stagnieren und eine stringente Umsetzung der inter- Hinsichtlich der Nutzung kollaborativer Anwendungen
nen IT-Strategie verhindert wird. „Wir müssen uns vielleicht gibt es Regeln. Mitarbeiter/innen werden für bestimmte
nur ein bisschen konsequenter und rabiater von alten Zöp- Arbeitsprozesse auf die Nutzung vorgegebener Anwendun-
fen trennen.“ An dieser Stelle steht das Unternehmen vor gen verpflichtet. So ist beispielsweise geregelt, mit welcher
der Frage, wie die Balance zwischen den Anforderungen Anwendung und auf welche Weise die Projektakte geführt
aus dem Tagesgeschäft und komplexer werdenden internen wird oder Kundenkorrespondenz zu dokumentieren ist. Es
Veränderungsprojekten erreicht werden kann. gibt aber auch weniger formalisierte Bereiche der Zusam-

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300 S. Klötzer et al.

menarbeit, in denen eher eine informelle Verständigung tuellen Arbeitsraum zusammenarbeiten. Hierdurch können
darüber existiert, z. B. dass zu Beginn eines Projektes die Teambesprechungen relativ kurzfristig und ohne zusätzli-
zu nutzende Anwendung (es gibt Alternativen) und mit chen Reiseaufwand durchgeführt werden. Dabei werden Te-
welchen Regeln (z. B. für die Dokumentation) zwischen lefon- und Web-Konferenzen eingesetzt. Jedoch birgt eine
den Projektteammitgliedern zu vereinbaren ist. Von Füh- intensive Nutzung dieser technischen Möglichkeit auch die
rungskräften und Projektleitern wird erwartet, dass sie die Gefahr einer Arbeitsverdichtung. Der hohe Aufwand für die
Einhaltung der Regeln einfordern, was beispielsweise bei Vor- und Nachbereitung virtueller Meetings führt bei einer
der Frage, mit welcher Qualität Wissen dokumentiert wird, hohen Anzahl von Meetings zu Zeitdruck und Qualitäts-
nicht einfach zu leisten ist. verlusten: „Ich weiß aber auch einfach nicht, wie man diese
Durch die große Vielfalt der im Unternehmen zur Ver- Schlagzahl durchhalten soll ohne irgendwo Verlust auf der
fügung stehenden kollaborativen Anwendungen führt die Nach- oder Vorarbeitszeit [...] Ich hätte niemals in Präsenz-
parallele Nutzung von Anwendungen teilweise zu Proble- veranstaltungen acht solche Besprechungen durchpeitschen
men: Es besteht die Gefahr einer unkontrollierten und können.“ Der reale Aufwand, der mit der Durchführung
parallelen Nutzung unterschiedlicher Anwendungen. Als virtueller Meetings verbunden ist, scheint im Unternehmen
Beispiel wird in den Interviews die parallele Verwen- unterschätzt zu werden. Um Qualität der Dokumentation
dung unterschiedlicher Chat-Programme genannt. Der Vor- von Meetings in der Nachbereitung zu sichern und die Ge-
teil einer solchen Anwendung soll gerade darin liegen, fahr einer Fehlbeanspruchung der Betroffenen durch Ar-
eine hohe Ansprechbarkeit aller Kolleginnen und Kolle- beitsverdichtung zu verhindern, sind weitere Regelungen
gen zu gewährleisten. Dieser wird aber schwierig, wenn erforderlich. Andernfalls führen die verbesserten Möglich-
Mitarbeiter/innen jeweils nur den Nutzerkreis derselben keiten der Kommunikation auf Distanz nicht zu besseren
Software durch die Statusangabe (z. B. „verfügbar“ oder Ergebnissen, sondern zu immer weiter steigenden Ansprü-
„in einem Meeting“) sehen können. Insbesondere weil das chen.
verteilte Arbeiten von unterschiedlichen Standorten zur Ar-
beitspraxis gehört, muss dieser Punkt besser geregelt wer- 3.2 Methoden
den: „Da ist man schon ziemlich stark darauf angewiesen,
dass man in etwa weiß, ob man jemanden jetzt ansprechen Das Unternehmen verfolgt somit eine recht ausgeprägte
kann oder nicht – das Telefonat aus dem Blauen heraus ver- Strategie der Kollaboration, die auch mit dezidierten Me-
suchen eigentlich alle zu vermeiden.“ In ähnlicher Weise thoden realisiert werden soll:
kann auf gemeinsam geteiltes Wissen und Daten nur dann
zugegriffen werden, wenn der Ablageort definiert ist. Die 3.2.1 Führungs- und Betreuungsrollen
Nutzung paralleler Systeme für das Wissensmanagement
führt andernfalls zu langen Suchzeiten und Ungewissheit Eine offizielle Betreuungsrolle für Kollaboration ist der in-
im Hinblick auf die Aktualität von Daten. Eine verbindli- ternen IT-Abteilung zugewiesen, die insbesondere für die
che Regelung der Nutzung kollaborativer Anwendungen ist Einweisung neuer Mitarbeiter/innen („Onboarding“ siehe
an dieser Stelle erforderlich. Der Regelungsbedarf nimmt unten) verantwortlich ist, sowie den Führungskräften. Sie
mit intensivierter Nutzung von kollaborativen Anwendun- haben beispielsweise sicherzustellen, dass die Zusammen-
gen weiter zu. Es zeigt sich, dass das Unternehmen diese arbeit auf Distanz in ihren Teams funktioniert und Do-
Regelungen bereits für weite Teile der Organisation und kumentationen des Wissens in angemessener Qualität und
Prozesse getroffen hat – für einige Arbeitsprozesse kom- konsequent erfolgen. Darüber hinaus haben sich halboffi-
men sie der Entwicklung der aktuellen Nutzung aber nicht zielle Betreuungsrollen etabliert: So nehmen Projektleiter/
mehr hinterher: „Wir überlassen es teilweise immer noch innen beim Starten neuer Projekte die Aufgabe wahr, in
den Mitarbeitern zu wählen, in welcher Plattform sie jetzt den Projekt-Kick-Offs gemeinsam mit den Teammitglie-
grade unterwegs sein wollen.“ Es wird deutlich, dass die dern Regeln für die Zusammenarbeit zu definieren und die
Nutzung kollaborativer Anwendungen in Orientierung auf technische Infrastruktur für das Projekt festzulegen. Dies
die bestehenden Nutzerbedürfnisse aktiv und fortlaufend beinhaltet auch die Entscheidung darüber, welche kollabo-
gestaltet werden muss, um die jeweils sich entwickelnden rativen Anwendungen im Projekt zum Einsatz kommen. Die
Nutzerbedürfnisse zu unterstützen. Andernfalls suchen sich allgemeinen Standards für das Projektmanagement werden
die Nutzer/innen neue Werkzeuge. durch ein Projekt-Management-Office festgelegt.
Problematisch ist außerdem die hohe Taktzahl virtuel-
ler Meetings, die durch die Verwendung kollaborativer An- 3.2.2 Räume
wendungen möglich wird: Die Anwendungen unterstützen
die Arbeit verteilter Teams, indem Experten/innen an un- Aufgrund der räumlichen und zeitlichen Distanz der Team-
terschiedlichen Arbeitsorten in einem gemeinsamen vir- mitglieder können die Beschäftigten zwischen der Nutzung

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Gestaltung internetbasierter kollaborativer Team- und Projektarbeit 301

physischer Räume (Meeting-Räume) oder virtueller Räume dann stellen wir im Projektgeschäft fest, an welchen Stellen
(z. B. Web-Conference, Video-Conference) wählen. Auf- es nicht ausreicht.“ Da dies zu Problemen bei Ressourcen-
grund des hohen Anteils der Arbeit beim Kunden oder im planung von Projekten führt, muss das Onboarding besser
Homeoffice hat sich das Unternehmen für eine flexible Bü- an die Lernanforderungen angepasst werden. Führungskräf-
rolösung entschieden, in dem sich die Mitarbeiter/innen je te könnten hier als Expert/innen dafür, was neue Mitarbei-
nach Aufgabe bestimmte Arbeitsplätze flexibel nutzen kön- ter/innen an Kompetenzen in das Projektgeschäft mitbrin-
nen („Desk Sharing“). In dem Konzept stehen Meeting- gen müssen, beteiligt werden. Die Aufgabe ist nicht einfach,
Räume zur Verfügung und sind gut ausgestattet, um zu- bislang sind die erzielten Fortschritte bei der Verbesserung
sätzlich Externe oder Mitarbeiter/innen aus anderen Stand- des Onboarding durch steigende Anforderungen aufgefres-
orten oder dem Home-Office hinzuzuschalten. Auch in der sen worden.
Struktur des WIKI-Systems zeigt sich, dass diese gezielt
auf einen effektiven Wissenstransfer ausgelegt worden ist. 3.2.4 Anpassung

3.2.3 Lernen Der Wandel ist aufgrund der kurzen Innovationszyklen in


der Branche eine feste Größe, daher ist die Organisation
Von den Beschäftigten des Unternehmens wird eine hohe darauf eingestellt, Veränderungen umzusetzen. Dies hat die
Medienkompetenz erwartet, und diese muss auch ständig hohe Bedeutung der Dimension Lernen gezeigt. Bei einer
weiterentwickelt werden, da sich die eingesetzten Produkte größeren Veränderung, der Einführung eines neuen ERP-
und ihre Benutzung ständig wandeln. Das, was neue Mit- Systems, wurde ein systematischer Change Prozess orga-
arbeiter/innen für den Umgang mit der technischen Infra- nisiert, bei dem die Beteiligung der Nutzer/innen ein we-
struktur und den verwendeten kollaborativen Anwendungen sentlicher Bestandteil war. Die Implementierung wurde von
lernen müssen, wird in einem aufwändigen „Onboarding- Support-Communities begleitet, in dem sich alle Beteilig-
Prozess“ gezielt vermittelt. Führungskräfte haben die Auf- ten austauschen und beispielsweise prompte Unterstützung
gabe, neue Mitarbeiter/innen zu begleiten, um sie in die bei konkreten Fragen erhalten haben. Die mit dieser Vor-
Organisation und ihre Art und Weise zusammenzuarbeiten gehensweise gemachten positiven Erfahrungen haben dazu
einzuführen. Für alle Beschäftigten stehen umfangreiche geführt, Veränderungsprozesse systematischer zu organisie-
Dokumentationen im unternehmenseigenen WIKI zur Ver- ren und Beschäftigte über Communities intensiver zu betei-
fügung, damit sie sich selbstverantwortlich mit der Hand- ligen.
habung von Prozessen, Abläufen oder neuen Anwendungen
vertraut machen können. Hier stehen neben Dokumenten 3.3 Technik
auch kurze Videoclips bereit. Das Lernen wird in Commu-
nities, also mit Foren unterstützt. Und nicht zuletzt werden Die strategischen Ziele werden also in allen vier Dimensio-
Schulungen organisiert, die teilweise von den Mitarbeiter/ nen methodisch konkretisiert. Wie ist es um die Eignung
innen als Expert/innen selbst angeboten werden. der eingesetzten Technik bestellt?
Trotz der getroffenen Maßnahmen, die den Einstieg in
die Arbeitsweise bei der GIS AG vereinfachen sollen, gibt 3.3.1 Nützlichkeit
es im Hinblick auf den Onboarding-Prozess Verbesserungs-
bedarf: Die herstellerunabhängige Beratung der Kunden, Es stehen vielfältige Werkzeuge für die jeweiligen Zwecke
aber auch die interne Zusammenarbeit des Unternehmens der Kommunikation und Zusammenarbeit für die Mitarbei-
erfordern es, dass die Mitarbeiter/innen eine Vielzahl an ter/innen zur Verfügung, welche auf die typische Mobili-
Anwendungen beherrschen. Neue Mitarbeiter/innen werden tätssituation v. a. von IT-Berater/innen und Anwendungs-
hierzu im Rahmen eines Onboarding-Prozesses an die Nut- techniker/innen mit Kundenkontakt und wechselnden Ar-
zung der Anwendungen herangeführt. Es zeigt sich jedoch beitsorten ausgelegt sind: Neben der Kommunikation auf
aufgrund der Vielfalt der aktiven Anwendungen, dass die Distanz (u. a. Chat, Web-Conferencing) wird insbesondere
Lernanforderungen so hoch sind, dass neu eingestellte Mit- des Teilen von Wissen gezielt unterstützt: Mit einem ERP-
arbeitende am Anfang ihrer Arbeitstätigkeit häufig überfor- System werden auftragsbezogene Daten gepflegt, in einem
dert werden. Wenn der Onboarding-Prozess neue Mitarbei- CRM-System die Kundenkommunikation und die Projek-
ter/innen aber in der Onboarding-Phase die Kompetenzen takte geteilt, und schließlich gibt es zwei Anwendungen,
nicht mehr ausreichend vermitteln kann, dann muss die- in denen sowohl der freie Austausch zwischen Personen in
se parallel zum Projektgeschäft von den Führungskräften Communities als auch die strukturierte Ablage und Wei-
und Arbeitskolleg/innen aufgefangen werden. „Man muss terentwicklung des Wissens in einem WIKI-System unter-
die Mitarbeiter da besser ausbilden und besser abholen [...]. stützt werden. Diese Anwendungen sind auf die Organisati-
Die Mitarbeiter kommen, kriegen eine Druckbetankung [...] onsbedarfe und Nutzerbedürfnisse ausgelegt. Nutzer/innen

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302 S. Klötzer et al.

können die Benachrichtigungen über Änderungen ausge- sich gezeigt, dass sich die bisherigen Gestaltungsaktivitä-
wählter Inhalte oder selbst erstellter Inhalte individuell ein- ten des Unternehmens sinnvoll in den Dimensionen der drei
stellen und so die kollaborativen Anwendungen an ihre in- Modellebenen Strategie, Methode und Technik verorten las-
dividuellen Bedürfnisse anpassen. Es besteht darüber hi- sen. Im Falle unseres Praxisbeispiels – eines Unternehmens
naus die Möglichkeit, eigene Gruppen oder Räume für die mit viel Erfahrung in der Gestaltung kollaborativer Arbeits-
Kommunikation zu erstellen und zu nutzen. Der Austausch systeme – konnten alle im Modell als notwendig behaup-
kann dann beispielsweise innerhalb themenbezogener Com- teten Dimensionen mit konkreten Gestaltungsmaßnahmen
munities sehr frei gestaltet werden. Insgesamt erscheint die illustriert werden. Dies kann als erste Bestätigung der Ori-
Nutzung von Anwendungen als Arbeitserleichterung und entierungsfunktion des Modells für die Gestaltung internet-
ermöglicht zusätzliche Kollaboration, wenngleich viele Be- basierter kollaborativer Team- und Projektarbeit gesehen
fragte darauf hingewiesen haben, wie wichtig ihnen weiter- werden.
hin Präsenztreffen sind. Darüber hinaus hilft die durch das Modell vorgegebene
Systematisierung von Gestaltungsaktivitäten bei der empi-
3.3.2 Verfügbarkeit rischen Analyse eines Unternehmens auch, Problemfelder
zu identifizieren und Handlungsbedarf sichtbar zu machen.
Die Verfügbarkeit der kollaborativen Anwendungen ist Das Praxisbeispiel zeigt, dass mit den neuen Möglichkei-
generell gewährleistet. In den Interviews wurde deutlich, ten der Zusammenarbeit, die sich durch die kollaborativen
dass es den Mitarbeiter/innen leichtgemacht wird, aus dem Anwendungen eröffnen (verteiltes Arbeiten, Zugreifen auf
Home-Office oder auf Dienstreisen zu arbeiten. Störungen gemeinsame Dateien, schnelle Abstimmungen), vielfälti-
der Verfügbarkeit machen sich bemerkbar, wenn die Zu- ge Anpassungsanforderungen einhergehen. Die am Beispiel
sammenarbeit über die Unternehmensgrenze hinausreichen identifizierten aktuellen Gestaltungsaufgaben beim Einsatz
soll, was an Regularien, Softwarelizenzen oder rechtli- kollaborativer Anwendungen konnten im Modell verortet
chen Erfordernissen liegen kann. Die Ermöglichung von werden: Ziele (Wie lässt sich durch Information und Parti-
Kollaboration über Unternehmensgrenzen stellt eine große zipation die Transparenz steigern? Welche Priorität genie-
organisatorische und regulatorische Herausforderung dar. ßen interne Veränderungsprojekte?), Regeln (Welche An-
wendung wird für welche Funktion genutzt? Wie wird eine
3.3.3 Ergonomie übermäßige Arbeitsverdichtung verhindert?) und der Di-
mension Lernen (Wie muss der Onboarding-Prozess bei
Es gab wenig Hinweise auf ergonomische Probleme oder einer vielfältigen Anwendungslandschaft weiterentwickelt
begrenzte Nutzerfreundlichkeit der eingesetzten Systeme. werden?). In dem angeführten Praxisfall zeigt sich, dass es
Problematisch ist allerdings der immer wieder notwendige weniger technische Aspekte sind, die zu Problemen füh-
Wechsel zwischen Anwendungen, was im Einzelfall auch ren, sondern, dass die Herausforderungen insbesondere auf
die doppelte Datenerfassung erforderlich werden lässt. der Ebene der Strategie (Ziele, Regeln) und der Methoden
(Lernen) zu finden sind. Dies bestätigt die Notwendigkeit,
3.3.4 Sicherheit die Gestaltung unter einer soziotechnischen Perspektive zu
betreiben. Inwieweit sich diese Erkenntnisse generalisieren
Die hohe Transparenz innerhalb des Unternehmens erfor- lassen, muss an weiteren Praxisfällen überprüft werden. Die
dert einen sensiblen Umgang mit Daten. Im Unternehmen Reflexion eines empirischen Fallbeispiels zeigt, dass das
gibt es eine Datenschutzbeauftrage, die zusätzlich auf eine Gestaltungsmodell somit auch als Grundlage für die Ablei-
externe Beratung zurückgreifen kann. Der Umgang mit tung von Handlungsempfehlungen dienen kann.
VPNs, Tokens und Passwörtern ist verbindlich geregelt. Im Rahmen der weiterführenden Forschung des Ver-
Zusätzlich müssen Mitarbeitende des Unternehmens Ver- bundprojektes CollaboTeam wird das hier vorgestellte Ge-
schwiegenheitsvereinbarungen unterzeichnen. staltungsmodell systematisch überprüft, empirisch und kon-
zeptionell fundiert und weiterentwickelt. Es wird u. a. zu
klären sein, ob es sich auch für die Einschätzung der Ge-
4 Fazit und Ausblick staltungsmaßnahmen von Unternehmen eignet, die erst am
Anfang der Nutzung kollaborativer Anwendungen für die
Um Führungskräften und Arbeitsgestalter/innen in Unter- Team- und Projektarbeit stehen. Zudem kann die Frage ge-
nehmen einen Orientierungsrahmen zur Arbeitsgestaltung stellt werden, welche Gestaltungsdimensionen zu welchen
für kollaborative Anwendungen anzubieten, wurde in die- Zeitpunkten bei der Einführung kollaborativer Anwendun-
sem Beitrag ein Modell zur Arbeitsgestaltung von kolla- gen besonders wichtig sind und stärker fokussiert werden
borativen Arbeitssysteme entwickelt und seine Tauglichkeit müssen. Sollten verbindliche Regeln für die Nutzung von
anhand eines Praxisbeispiels exemplarisch überprüft. Es hat Werkzeugen beispielsweise von Beginn an festgelegt, oder

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Gestaltung internetbasierter kollaborativer Team- und Projektarbeit 303

erst im Rahmen der Nutzung von den Betroffen entwickelt Stefan Klötzer geb. 1990. Studi-
werden? um der Wirtschaftspsychologie in
Ein Modell, das wichtige Gestaltungsaspekte kollabo- Iserlohn. Während des Studiums
studentische Hilfskraft am Leibniz-
rativer Team- und Projektarbeit systematisiert, stellt nicht
Institut für Arbeitsforschung (IfA-
nur den betrieblichen Akteuren/innen, die den Einsatz kol- Do) an der TU Dortmund und in
laborativer Anwendungen in Zukunft gestalten wollen, ein der Kooperationsstelle Hochschu-
taugliches Werkzeug bereit, sondern kann auch eine Orien- len und Gewerkschaften der Georg-
August-Universität Göttingen. Seit
tierung für zukünftige Forschung auf diesem Gebiet sein.
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Fallbeispiele (S. 143–153). Wiesbaden: Springer Gabler.
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