Sie sind auf Seite 1von 1279

Unterwegs in Kriminologie und

Strafrecht – Exploring the World


of Crime and Criminology
Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von

Rita Haverkamp, Michael Kilchling, Jörg Kinzig,


Dietrich Oberwittler und Gunda Wössner

2., unveränderte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin


RITA HAVERKAMP, MICHAEL KILCHLING, JÖRG KINZIG,
DIETRICH OBERWITTLER und GUNDA WÖSSNER (Hrsg.)

Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag


Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen
Begründet als „Kriminologische Forschungen“ von Prof. Dr. Hellmuth Mayer

Herausgegeben von Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn

Band 25
Unterwegs in Kriminologie und
Strafrecht – Exploring the World
of Crime and Criminology
Festschrift für Hans-Jörg Albrecht zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von

Rita Haverkamp, Michael Kilchling, Jörg Kinzig,


Dietrich Oberwittler und Gunda Wössner

2., unveränderte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in


der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen


Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten
© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: 3w+p GmbH, Rimpar
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISSN 0933-078X
ISBN 978-3-428-19005-8 (Print)
ISBN 978-3-428-59005-6 (E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier
entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort
Am 24. 01. 2020 hat Hans-Jörg Albrecht sein 70. Lebensjahr vollendet. Aus die-
sem Anlass haben sich einige seiner früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu-
sammengefunden, um zu seinen Ehren eine Festschrift herauszugeben.
Unter dem Titel „Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht – Exploring the
World of Crime and Criminology“ versammelt dieses Buch eine große, sehr interna-
tionale Runde von Autorinnen und Autoren aus nicht nur diesen beiden Disziplinen.
Zugleich ist damit auf Hans-Jörg Albrechts schon fast sprichwörtliche unermüdliche
weltweite Reisetätigkeit verwiesen.
Wichtige Stationen des Lebens des Jubilars finden sich in einem kleinen Abriss
verzeichnet. Auf eine ausführliche Laudatio haben wir in Abstimmung mit dem zu
Ehrenden bewusst verzichtet. Stattdessen fanden wir es wesentlich interessanter,
Hans-Jörg Albrecht selbst mit Gedanken zu seiner bisherigen Forschungstätigkeit
und seiner Person zu Wort kommen zu lassen.
Die Herausgabe eines derartigen Werks benötigt die tatkräftige Mithilfe vieler
Personen. Besonders bedanken möchten wir uns bei Maria Pessiu (Tübingen) und
Ulrike Auerbach (Freiburg), die viel Mühe in die Gestaltung des Layouts investiert
haben. Sarah Schreier (Tübingen) und Dr. Christopher Murphy (Freiburg) haben das
Interview mit Hans-Jörg Albrecht ins Englische übersetzt, Kathleen Straka (Frei-
burg) und Natalie Gehringer (Freiburg) Unterstützung bei der Erstellung des Schrif-
tenverzeichnisses geleistet. Dr. Carolin Hillemanns hat den Kontakt zum Verlag
Duncker & Humblot gehalten, dessen Verantwortlichen wir eine reibungslose Zu-
sammenarbeit verdanken. Verschiedene Tätigkeiten erledigten Franca Langlet (Tü-
bingen) und Lara Tomassi (Tübingen). Schließlich möchten wir dem neuen Direk-
torium des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und
Recht, Prof. Dr. Tatjana Hörnle, Prof. Dr. Ralf Poscher und Prof. Dr. Dr. Jean-
Louis van Gelder danken, die bereitwillig einen Teil der finanziellen Kosten für
den Druck dieses Bandes und auch personelle Ressourcen für dessen Herstellung
zur Verfügung gestellt haben.
Damit wünschen wir allen Leserinnen und Lesern – vor allem aber dem Adres-
saten dieser Festschrift – eine spannende Lektüre und viele interessante Einsichten!

Freiburg i. Br. und Tübingen, im Dezember 2020 Rita Haverkamp


Michael Kilchling
Jörg Kinzig
Dietrich Oberwittler
Gunda Wössner
Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht. Ein Interview mit Hans-Jörg Albrecht 13


Exploring the World of Crime and Criminology. An Interview with Hans-Jörg
Albrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

I. Sicherheit und Prävention –


Safety/Security and Prevention
Ulrich Sieber
Die Auslandsübermittlung von Daten aus der strafprozessualen Telekommuni-
kationsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Jörg Arnold
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit. Unter Berücksich-
tigung von Transformationen der Sicherheit, des Begriffs des „Gefährders“
sowie sicherheitsrelevanter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . 71
Christoph Gusy
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Thomas Feltes
Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten. Von Ängsten und anderen Unsicherhei-
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Ferenc Irk
Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle. (Lokale Antworten auf globale
Herausforderungen?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
László Kőhalmi
Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit . . . . 137
Andreas Armborst
Der Präventionskomplex – Sicherheitsbedürfnis, Innere Sicherheit und Si-
cherheitsforschung in Zeiten terroristischer Bedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit – wie Soziale
Arbeit Sicherheit ohne Sicherungs- oder Ermittlungsauftrag herstellt. Eine
qualitative Studie zum Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen . . . . . . . . . 185
8 Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

Tim Lukas
Vom Hochhaus zum Wohnturm. Strategien der Kriminalprävention im verti-
kalen Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Harald Arnold
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt. Anmerkungen zu einer (nicht
nur) kriminologischen Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

II. Kriminologie und Kriminalpolitik –


Criminology and Crime Policy
John A. Winterdyk
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine. A Call for Global Criminology 261
Karl-Ludwig Kunz
Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts und der Strafverfolgung . . . . . . . 279
Salvatore Palidda
Limitations and Gaps of Philosophy of Law, of Criminology and of Sociology
of Deviancy. How to Reverse the Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Helmut Kury
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
Rita Haverkamp
Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? . . . 329
Dieter Dölling und Ludmila Hustus
Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz? . . . 341
Cyrille Fijnaut
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion into North-West
Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Michael Levi
Reflections on the Money Trail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Roland Hefendehl
Tausendsassa Alkoholverbot. … im Dienste von Gesundheit, Kriminalität und
Kommerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
László Korinek
Gibt es die ideale Polizei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
Detlef Nogala
Von der Policey zur PolizAI. Vorüberlegungen zur weiteren Aufklärung eines
zukunftsfesten Polizeibegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
Peter Sutterer
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei – präventiv oder (doch nur) repressiv.
Ergebnisse zur Akzeptanz und Wirksamkeit in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
Inhaltsverzeichnis – Table of Contents 9

Horst Entorf und Gabriele Lichmann


Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz?
Ein Literaturüberblick und eine Analyse anhand des World Values Survey . . . 459
Shuhong Zhao
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China –
Compared with Previous Findings in Other Countries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
Anna-Maria Getoš Kalac
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding. A Case Study
from the Balkans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

III. Strafe und Strafzumessung –


Punishment and Sentencing
Albin Eser
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht . . . . . . . . . . . 543
William Schabas
The Twilight of Capital Punishment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
Liling Yue
Contemporary Death Penalty Issues in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569
Thomas Weigend
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
Franz Streng
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603
Wolfgang Frisch
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung. Ein Nachwort zum
72. Deutschen Juristentag 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
Kai Ambos
Einheitlichere und transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungs-
richtlinien? Die englischen Sentencing Guidelines als lohnenswertes Untersu-
chungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
Stephan S. Terblanche
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” . . . . . . . 669

IV. Strafrechtliche Sozialkontrolle und Sanktionen –


Penal Social Control and Sanctioning
Luis Arroyo Zapatero
Torture and Inhumanity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691
Roger Hood
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause: Findings from the Eastern
Carribean. A Contribution in Honour of Professor Albrecht’s Initiative in China 707
10 Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

Karl-Heinz Reuband
Dynamiken der Punitivität. Konsistenz und Ambivalenz als Strukturmerkmale
der Einstellung zur Todesstrafe, 1964 – 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725
Walter Perron
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht . . . . . . . 743
Frieder Dünkel
Elektronische Überwachung in Europa – kriminologische und kriminalpoliti-
sche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761
Martin Killias
Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis.
Wenig beachtete Folgen der Reform des schweizerischen Sanktionenrechts von
2002/2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791
Wolfgang Heinz
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur im System straf-
rechtlicher Sozialkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805
Jörg Kinzig
„Und immer geht’s ums Geld“. Einstellung gegen Geldauflage, Verwarnung
mit Strafvorbehalt und Geldstrafe im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827
Feridun Yenisey
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen auf den Verlauf des Straf-
verfahrens in der Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851
Carina Tetal
Analysen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865
Volker Grundies
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885
Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac
Croatian Drug Policy. Penal Liberalisation, its Impact, and Current Trends . . . 903
Pablo Galain Palermo
A Difficult Relationship: Coexistence Between a Regulated Cannabis Market
and a Prohibitionist Banking Policy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917
Georgi Glonti
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia. Legal Approaches and
Comparative Analyses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933

V. Jugendkriminalität und Jugendkriminalrecht –


Youth Crime and Juvenile Justice
Thomas Naplava
Rückgang der Kriminalität junger Menschen im Kontext des Wandels der
Jugendphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 953
Inhaltsverzeichnis – Table of Contents 11

Effi Lambropoulou
Juvenile Delinquency in Greece. An Analysis of Prevention Mechanisms . . . . 975
Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang. Die Ent-
wicklung der Jugenddelinquenz in Köln nach den MPI-Schulbefragungen 1999
und 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 993
Angelika Pitsela
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1013
Gerhard Spiess
Jugend als Strafschärfungsgrund? Zur Rechtswirklichkeit der jugendstraf-
rechtlichen Sanktionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1035
Jing Lin
Juvenile Criminal Justice in Mainland China. Between Welfare and Justice . . 1049
Helena Válková
The Juvenile Justice System in the Czech Republic: Successes and Failures . . 1065

VI. Folgewirkungen von Strafe und Strafvollzug –


Consequences of Conviction and the Correctional System
Michael Kilchling
Strafen über Strafen. Strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Zusatzsanktionen
in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1075
José Luis de la Cuesta
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction in the Spanish Criminal
Justice System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1095
Axel Dessecker
Rechtliche und soziale Folgen von Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1109
Anthozoe Chaidou
Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States . . . . . . . . . . . . 1121
Arthur Kreuzer
Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten . . . . . 1133
Norbert Nedopil
Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe . . . . . . . . . . . 1147
Joachim Obergfell-Fuchs
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1159
Wang Ping
On the Relationships Needed to Be Properly Handled in the Process of Penalty
Execution in Prisons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1179
12 Inhaltsverzeichnis – Table of Contents

Gunda Wössner
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen.
Vergleichende Rückfallanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207
Publikationsverzeichnis – List of Publications von/by Hans-Jörg Albrecht . . . . . . 1225
Autorinnen und Autoren – List of Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1275
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht
Ein Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Hans-Jörg Albrecht wurde 1950 in Esslingen geboren. Er studierte von 1968 bis 1973
Rechtswissenschaft und Soziologie an den Universitäten Tübingen und Freiburg
i. Br. Im Jahr 1979 wurde er mit einer Arbeit zur Strafzumessung und Vollstreckung
bei Geldstrafen unter besonderer Berücksichtigung des Tagessatzsystems an der Ju-
ristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg promoviert. Von 1976
bis 1991 war er wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländi-
sches und internationales Strafrecht, Freiburg i. Br. Im Jahr 1991 folgte die Habili-
tation mit der Arbeit “Strafzumessung bei schwerer Kriminalität – Eine vergleichen-
de theoretische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafma-
ßes”; dabei wurde ihm die Venia Legendi in Strafrecht, Jugendstrafrecht, Strafvoll-
zugsrecht und Kriminologie verliehen. Im März 1992 erhielt er einen Ruf auf eine
C3-Stelle für Strafrecht und Nebengebiete an die Universität Konstanz, wo er bis
zum Sommersemester 1993 unterrichtete. Im Juni 1993 nahm er den Ruf auf den
Lehrstuhl für Strafrecht, Jugendstrafrecht, Strafvollzugsrecht und Kriminologie an
der Technischen Universität Dresden an, wo er bis zum Wintersemester 1996/97 lehr-
te.
Im November 1995 erhielt Albrecht einen Ruf der Max-Planck-Gesellschaft an das
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Seit 1. März
1997 war er Direktor und Leiter der kriminologischen Abteilung und seit dem Win-
tersemester 1997/98 auch Honorarprofessor und Mitglied der Rechtswissenschaftli-
chen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Im April 2000 erhielt Al-
brecht den Status eines Gastprofessors am Institut für Strafrecht der China-Univer-
sität für Politik und Recht, Beijing, V.R. China, im April 2001 den eines Gastprofes-
sors an der Juristischen Fakultät der Universität Hainan, V.R. China, und im Januar
2004 den eines Gastprofessors an der Juristischen Fakultät der Renmin-Universität,
V.R. China. Seit Mai 2003 ist er Life Member am Clare Hall College der Universität
Cambridge, Vereinigtes Königreich, und seit Mai 2004 Professor und permanentes
Fakultätsmitglied der Rechtswissenschaftlichen Fakultät des Qom High Education
Center der Universität Teheran, Iran. Im März 2005 wurde ihm die Ehrendoktorwür-
de der Juristischen Fakultät der Universität Pécs, Ungarn, verliehen. Im Mai 2005
folgte die Ernennung zum Gastprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität
Wuhan, V.R. China, im Mai 2006 zum Gastprofessor an der Juristischen Fakultät der
Universität Beijing (Beijing Normal University), V.R. China, und im Mai 2008 erneut
zum Gastprofessor an der China-Universität für Politik und Recht. In Würdigung sei-
ner Verdienste bei der Entwicklung der ungarischen Kriminologie und Kriminalpo-
14 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

litik wurde Albrecht im Mai 2010 zum Ehrenmitglied der Ungarischen Gesellschaft
der Kriminologie ernannt. Im September 2010 berief ihn die Serbische Kriminolo-
gische Gesellschaft ebenfalls zum Ehrenmitglied. Im Mai 2012 wurde ihm die Eh-
rendoktorwürde der Grigol-Robakidze-Universität Tiflis, Georgien, verliehen, im
Juni 2013 eine Ehrenprofessur der Maria-Curie-Skłodowska-Universität Lublin,
Polen. Im September 2013 erhielt er den Academic Honor Award des dritten inter-
nationalen Crime & Punishment Film-Festivals in Istanbul, Türkei, für seine weg-
weisenden Beiträge zur kriminologischen Forschung zu Kindern und Jugendlichen.
Es folgten die Ehrendoktorwürde der Law Enforcement-Universität Ulan Bator,
Mongolei (September 2016), sowie die Ehrendoktorwürde der Technischen Univer-
sität Tiflis, Georgien (Mai 2017). Ebenfalls im Mai 2017 wurde er für seine Verdiens-
te um die deutsch-chinesische akademische Zusammenarbeit und Lehre mit dem
„2016 International Educator in China Award“ des Information Research Center
of International Talents bei der State Administration of Foreign Experts Afairs
(SAFEA) der V.R. China ausgezeichnet und im November desselben Jahres mit
dem Carlos Lloyd Braga Chair 2017 der Minho Universität in Braga, Portugal.
Seit Februar 2018 ist Hans-Jörg Albrecht Direktor Emeritus an dem mit Amtsantritt
des neuen Direktoriums inhaltlich komplett neu ausgerichteten und umbenannten
Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht.

Persönlicher Rückblick (in drei Teilen)1


Teil 1: Wissenschaftlicher Werdegang

Lieber Hans-Jörg, Du hast sowohl Jura als auch Soziologie studiert. Wie würdest Du
aus heutiger Sicht das Verhältnis der beiden Disziplinen für Deinen Werdegang be-
schreiben? War eine der beiden Disziplinen wichtiger oder war es ausschlaggebend
für Dich, beide zu beherrschen?
Ja, ich denke schon, dass beide beherrscht werden müssen. Es handelt sich um un-
terschiedliche Perspektiven, die nur schwer zusammengeführt werden können. Auf
der einen Seite die normative Perspektive, die im Wesentlichen auf Diskurse ausge-
richtet ist und die Frage was richtig und was nicht richtig ist: die sog. ,wrongs‘, Un-
recht und Recht. Auf der anderen Seite die sozialwissenschaftliche Perspektive, die
natürlich vom Ansatz her sehr stark darauf zielt, Zusammenhänge zu beobachten und
zu verstehen. Das schließt selbstverständlich mit ein, dass deutliche Berührungs-
punkte zwischen beiden Perspektiven vorhanden sind, weil die Ansatzpunkte für
eine Soziologie des Strafrechts oder eine Soziologie abweichenden Verhaltens
eben Normen sind. Diese enge Verbindung wurde in Deutschland in den 1970er Jah-
ren hervorgehoben und hat dazu geführt, dass die Sozialwissenschaften stärker in die
Rechtswissenschaften eingeführt worden sind: mit Ansätzen an den Universitäten in
1
Persönliches Interview, das Michael Kilchling und Gunda Wössner im August 2020 mit
Hans-Jörg Albrecht geführt haben.
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 15

Bremen und Hamburg und natürlich auch am Max-Planck-Institut (MPI) hier in Frei-
burg. Damit wurde etwas geschaffen, das, wie ich denke, auch heute nichts von seiner
Bedeutung eingebüßt hat, nämlich die Integration der unterschiedlichen Perspekti-
ven. Das hat dazu beigetragen, dass Normen als das betrachtet werden, was sie ei-
gentlich auch sind: Etwas, das gesellschaftlich produziert wird und eine soziale Er-
scheinung darstellt, die erklärt werden kann und im Hinblick auf Entstehung, An-
wendungspraktiken und Konsequenzen auch erklärt werden muss. Um die Ver-
schränkung von juristischen und soziologischen Fragestellungen einigermaßen
erfassen zu können, ist es notwendig, dass sozialwissenschaftliche Theoriebestände
und Methoden ebenso berücksichtigt werden wie normative Zugänge.
Das bringt uns zu der nächsten Frage, die ursprünglich darauf gerichtet war, wie Du
die Bedeutung von Theorie und Empirie in der Kriminologie gewichten würdest; ei-
gentlich müssen wir jetzt noch die Normativität als weiteren Aspekt berücksichtigen.
Vielleicht noch ergänzend: Kann man nur Theoretiker sein – ohne empirische Fun-
dierung?
Das geht natürlich, und die Freiburger Kriminologie ist ein ziemlich gutes Beispiel
dafür. Auf der einen Seite sehen wir die juristische Fakultät mit der strafrechtswis-
senschaftlichen Perspektive, stets auch mit einer theoretischen Orientierung, auf der
anderen Seite das soziologische Institut, das in der Tradition von Popitz und Dux we-
niger auf quantitative empirische Forschung ausgerichtet war und auch heute im
Grunde noch nicht ist. Der Schwerpunkt liegt dort bei qualitativen Ansätzen, die we-
niger auf systematische Datenerhebungen ausgerichtet sind. Die quantitative For-
schung ist dann eher am MPI angesiedelt, das, jedenfalls mit seiner ursprünglichen
Forschungskonzeption, die anderen Traditionen jeweils mit aufnimmt.
Und wo würdest Du Dich selbst verorten?
Ich würde mich eher bei den quantitativen Ansätzen einordnen, weil das zunächst, so
denke ich jedenfalls, ein Zugang ist, der eine einigermaßen realistische Einordnung
dessen ermöglicht, was im relevanten Beobachtungsfeld passiert. Natürlich sind
auch qualitative Zugänge wichtig, vor allem wenn es um die Fragen geht, wie Ak-
teure Situationen verstehen, warum sie handeln, und so weiter – das lässt sich quan-
titativ natürlich weniger gut einschätzen. Und diese qualitativen, verstehenden Zu-
gänge werden umso bedeutsamer, je mehr es um die Erfassung von Situationen
oder Phänomenen geht, bei denen Quantität keine Rolle spielt, Phänomene der orga-
nisierten Kriminalität oder des internationalen Terrorismus, wie beispielsweise der
sog. Islamische Staat. Aktivitäten des Islamischen Staats können natürlich auch par-
tiell aus einer quantitativen Perspektive erfasst werden, aber seine Entstehung, die
Entwicklung und unter Umständen die weitere Fortsetzung – all dies ist allein mit
einem qualitativen Zugang erfassbar. Im Kern geht es hier um Verstehen und die Ein-
ordnung.
16 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Wann hast Du eigentlich angefangen zu forschen und was hat Dich dazu bewogen,
diese Richtung einzuschlagen als Jurist und Soziologe?
Das ist eine etwas knifflige Frage, die ich mir bereits vor einigen Jahren gestellt habe
in einem Beitrag für John Winterdyks Sammelband zu „Lessons from International/
Comparative Criminology/Criminal Justice“. Darin durften Kriminologen und Kri-
minologinnen erklären, warum sie sich der Kriminologie zugewandt haben. Bei mir
war das an sich eine relativ einfache Entwicklung, weil bereits mein Zugang zu den
Rechtswissenschaften nicht durch sehr viel Empathie geprägt war, sondern im We-
sentlichen durch eine pragmatische Entscheidung, die sehr stark darauf zurückzufüh-
ren ist, dass ich nach dem Abitur nicht wusste, was ich machen sollte. Ich war damals
bei der Berufsberatung in Esslingen, und nach der Auswertung meines Tests konnte
die Berufsberaterin anscheinend keine eindeutige Präferenz erkennen und meinte mit
einem leichten Kopfschütteln: „Das Beste wird sein, Sie studieren Jura. Danach
haben Sie die meisten Optionen“. Und das habe ich tatsächlich zum Anlass genom-
men, Jura zu studieren. Was mir an sich keine großen Schwierigkeiten gemacht hat;
und ehrlich gesagt war es auch relativ langweilig, jedenfalls habe ich das Reizvolle
daran seinerzeit (noch) nicht gefunden. Auch mit den Berufsbildern, die damit primär
verbunden waren, also Richter, Staatsanwalt, Verwaltungslaufbahn oder Rechtsan-
walt, konnte ich mich nicht anfreunden. Das hat natürlich meine Entscheidung,
mit Soziologie weiterzumachen, beeinflusst. Dies wurde durch den Umstand beför-
dert, dass ich nach dem ersten Staatsexamen das Angebot von Günter Kaiser für eine
Mitarbeit am MPI bekam. Dadurch konnte ich beide Disziplinen gut kombinieren.
Die Fragestellungen, die damals hier gerade bearbeitet worden sind, waren allesamt
neu und interessant: Dunkelfeldstudien wie die Emmendinger Jugendbefragung, die
Rolle der Staatsanwaltschaft in der strafrechtlichen Sozialkontrolle und Betriebsjus-
tiz. Ich habe mich dann auch bei den Soziologen relativ viel mit Fragen in Zusam-
menhang mit Devianz befasst. Prägend waren dabei auf der einen Seite Trutz von Tro-
tha, dessen Zugang mir immer sehr gut gefallen hat, und Baldo Blinkert, der für
meine methodische Ausbildung (Einführung in SPSS, Statistik, usw.) wichtig war.
Das hat letztlich dazu geführt, dass ich mich für diese Schiene entschieden habe.
Du warst ja insgesamt sehr lange am MPI. Welche Bedeutung hatten denn dann die
beiden Zwischenstationen Konstanz und Dresden? Hat die Zeit dort nachhaltige Spu-
ren hinterlassen?
Ach, die Zeit in Konstanz war sehr stark strafrechtlich geprägt. Ich habe damals im
Strafrecht den Allgemeinen Teil gelehrt und auch in Dresden Strafrecht Allgemeiner
Teil mit den dazugehörenden Übungen samt Prüfungen. Neben der Lehre im Schwer-
punkt habe ich dann auch hier in Freiburg Staatsexamensprüfungen weiter gemacht,
bis zum letzten Jahr. Am Anfang habe ich das ganz gerne gemacht, das war etwas
Neues. Ich musste eine Vorlesung aufbauen und mich in Wissens- und Verständnis-
vermittlung versuchen. Aber nach zwei, drei Jahren hat mich das etwas gelangweilt,
muss ich zugeben. Ich verstehe Dogmatik und habe den inneren Zugang dazu; aber
ich konnte mich dafür nie begeistern. Ich habe sogar manchmal versucht dazu zu
schreiben, und manchmal ist es mir vielleicht auch gelungen.
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 17

Das Besondere an der Zeit in Dresden war ja dann diese Umbruchs- und Aufbauzeit:
War da irgendetwas anders als an westdeutschen Universitäten?
Was die Ausbildung anging, überhaupt nicht. Als ich nach Dresden kam, 1993, war
an sich der wesentliche Teil des Aufbaus schon erledigt. Damals waren Knut Ame-
lung und Günter Heine ebenfalls noch in Dresden. Der gesamte Lehrkörper der Ju-
ristischen Fakultät war aus dem Westen importiert, wie überall in der ehemaligen
DDR. Daher gab es an sich keine großen Unterschiede.
Und die Atmosphäre mit den Studierenden?
Dresden war immer beliebt. Es waren ja junge Leute, ich hatte nie Probleme mit
ihnen und sie auch nicht mit mir. Der Aufbau hat sich noch etwas niedergeschlagen
in der umfangreichen Renovierungstätigkeit. Die alten Hörsäle sind erst nach und
nach hergerichtet und modernisiert worden, das war weniger angenehm. In Dresden
haben mir Universität und Stadt aber gut gefallen. Es waren insgesamt dreieinhalb
oder vier schöne Jahre. Den Erstwohnsitz habe ich allerdings immer hier in Freiburg
behalten, auch weil sich abgezeichnet hat, dass ich die Direktorenposition am MPI
als Nachfolger von Günther Kaiser einnehmen werde.
Und welche Forschungsschwerpunkte lagen Dir jetzt rückblickend besonders am
Herzen?
Was ich schon in Konstanz begonnen hatte, war die Beschäftigung mit Schattenwirt-
schaften und vor allem der Drogenwirtschaft. Teilweise auch in Zusammenarbeit mit
den französischen Kolleginnen und Kollegen. Daraus entstand dann auch das Labo-
ratoire Européen Associé (LEA), das insgesamt über zwölf Jahre lief. Ein For-
schungsschwerpunkt war auch in diesem Verbund der Bereich Schattenwirtschaften.
An dem Thema war neben den französischen Kriminologen und Kriminologinnen
und Sozialwissenschaftlerinnen auch die englische Kriminologie interessiert, was
in den Band zur „Informal Economy“ mündete, den ich zusammen mit Joanna Shap-
land herausgegeben habe. Ihre Einbindung in den französischen Zirkel war an sich
eine relativ seltene Konstellation gewesen, und daraus entstand ein sehr gutes Projekt
über Schattenwirtschaften in der Großstadt. Diese Thematik hat sich im Grunde
durch meine Zeit als aktiver Forscher hindurchgezogen. Drogen interessieren
mich auch heute noch – nicht als Substanz, sondern als Gegenstand der Untersuchung
[lacht].
Was wären zentrale Einsichten, die Du gewonnen hast im Laufe der forscherischen
Laufbahn?
Eine zentrale Einsicht hat sich an sich schon früh festgesetzt, und zwar, dass Straf-
recht und Strafjustiz als Kontrollsysteme große Bedeutung haben. Auf der einen
Seite, weil sie Gesellschaften mitformen. Auf der anderen Seite ist es mir nicht ge-
lungen, irgendein Feld oder irgendeinen Bereich zu identifizieren, in dem die Set-
zung von Strafrecht bzw. die Verstärkung oder Reduzierung von Strafrecht irgend-
welche bedeutsamen Folgen gehabt hätte. Darin ist ein gewisser Widerspruch enthal-
ten, der schlecht aufgelöst werden kann. So würde ich einerseits nicht vorschlagen,
18 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

das Strafrecht abzuschaffen, weil dann mutmaßlich Folgen eintreten würden, die
nicht sonderlich erstrebenswert sind. Anderseits wäre meine Schlussfolgerung für
die weitere Fortentwicklung von Kriminalpolitik und Strafrecht, dass Strafrecht
und Strafe jedenfalls nur sehr zurückhaltend als Instrument der Sozialkontrolle ge-
nutzt werden sollten. Denn – und das wird natürlich auch aus vergleichenden Ansät-
zen sichtbar – unabhängig davon, wie viele Menschen ins Gefängnis gehen, oder für
wie lange sie im Gefängnis bleiben: Was dann im Ergebnis in Form der Kriminali-
tätsbelastung in einer Gesellschaft beobachtet werden kann, unterscheidet sich nicht
sonderlich. Das wird besonders deutlich in den unterschiedlichen Feldern der Schat-
tenwirtschaften: Wenn Menschen nach Drogen oder nach Waffen oder nach sonst ir-
gendetwas fragen, dann wird diese Nachfrage bedient. Es ist nur eine Frage des Prei-
ses. Deshalb ist gerade die Drogenpolitik ein besonders interessantes Feld, weil man
sehen und beobachten kann, dass sich im Laufe der letzten sechzig Jahre seit der Ein-
heitskonvention von 1961, mit der die heutige Drogengesetzgebung ihren Anfang
nahm, nichts wirklich verändert hat. Die Preise für verschiedene Drogen sind relativ
stabil geblieben, und Kokain ist heute sogar billiger als vor zwanzig, dreißig Jahren.
Was sich freilich verändert hat, ist die Zusammensetzung der Population in den Ge-
fängnissen.
Hier kommt noch etwas ins Spiel, das hat mich gerade in den letzten Jahren wieder
mehr beschäftigt: Immigration und Kriminalität sowie strafrechtliche Sozialkontrol-
le. Es deutet alles darauf hin, dass durch Immigration keine Mehrbelastung im Hin-
blick auf Kriminalität entsteht. Dazu gibt es in den letzten Jahren in westlichen Län-
dern auch immer mehr Untersuchungen. Das ist freilich nur die eine Seite. Auf der
anderen Seite ist zu konstatieren, dass in den Gefängnissen – egal ob in Frankreich,
England, Deutschland oder den Niederlanden – zu einem erheblichen Teil Menschen
inhaftiert sind, die entweder ausländische Staatsangehörige sind oder jedenfalls
einen Migrationshintergrund haben und damit Minderheiten angehören. Der Straf-
vollzug hat sich ethnisiert und damit auf eine Art und Weise verändert, die nach
den Gründen fragen lässt. Offensichtlich hat sich die Zusammensetzung der sozial
Randständigen verändert. Das stellt auch einen ganz wesentlichen Unterschied zu
den USA dar. Auch wenn Trump etwas anderes behauptet, spielt die Immigration
dort für die Kriminalitätsbelastung und die Gefängnisse keine große Rolle. Gerade
die größten Immigrantengruppen, aus Lateinamerika und Asien, sind an gesellschaft-
lichem Fortkommen und Aufstieg interessiert, möchten Geld verdienen und würdig
leben. Daher sieht man in den USA eine andere Zusammensetzung der Gefängnis-
insassen, was im Übrigen auch auf kriminalpolitische Entscheidungen zurückgeht. In
den amerikanischen Gefängnissen sind insbesondere Afroamerikaner überrepräsen-
tiert und eben nicht Immigranten. Was sich in europäischen Gefängnissen abzeichnet
– und das ist ein gutes Feld, um Veränderungen zu beobachten –, ist eine Konzentra-
tion von Personen mit Migrationshintergrund, Einwanderer aus der Türkei, aus Afri-
ka oder aus arabischen und nordafrikanischen Ländern. Diese Veränderungen, denke
ich, sollten in der Zukunft in der kriminologischen Forschung eine Rolle spielen, bei-
spielsweise bei der Untersuchung, welche Auswirkungen die Immigration und die
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 19

ethnische, religiöse Heterogenisierung – heute sagt man ja auch cultural diversity –


auf die Kriminaljustizsysteme haben.
Was ist Dir in Bezug auf Deine Forschungsprojekte besonders gelungen bzw. miss-
lungen?
Ich würde sagen, besonders gelungen ist vor allem, dass fast alle Forscherinnen und
Forscher, die sich hier an Projekte gesetzt und diese entwickelt haben, ihre Projekte in
großartiger Weise abgeschlossen haben. Das kann man nicht zuletzt an den (bishe-
rigen) Veröffentlichungsreihen des MPI sehen. Die Vorhaben waren, worauf ich als
ehemaliger Institutsleiter ein bisschen stolz bin, zum Teil sehr aufwendig und inno-
vativ und haben in vielen Bereichen zu einem erheblichen Mehrwert geführt. Ich
kann nicht alle Projekte und alle Personen aufzählen, denke aber vor allem an die
Projekte, die aus dem deutsch-französischen Verbund hervorgingen, die Jugendun-
tersuchungen, die Forschungen zu den Schattenwirtschaften in verschiedenen Län-
dern, die Arbeiten zur grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit und
nicht zu vergessen die Längsschnittuntersuchungen und die Sozialtherapieprojekte,
darunter die einzige nennenswerte experimentelle Studie im deutschsprachigen
Raum. Außerdem waren die vielen justizbezogenen Untersuchungen ein wichtiger
Baustein, darunter auch wegweisende vergleichende Studien zur Strafzumessung.
Des Weiteren sind zu nennen die Untersuchungen zu neuen Sanktionsformen und
verdeckten Ermittlungsmaßnahmen – gemeinnützige Arbeit, elektronische Überwa-
chung, Telekommunikationsüberwachung, Verkehrsdatenabfragen und Vorratsda-
tenspeicherung sowie Rasterfahndung –; die sind wirklich gut gemacht.
Ein wichtiges Anliegen war mir auch stets, die Datensätze so zu archivieren und zu
ordnen, dass man in Zukunft wieder daran anknüpfen kann. Was man vielleicht noch
besser hätte ausbauen und weiter entwickeln können, sind Replikationsstudien. In
Einzelfällen ist auch das ganz gut gelungen, z. B. bei der Untersuchung zur Vollzugs-
praxis im Umweltstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, wo eine Replikation der
ersten empirischen Studie aus den 1980er Jahren nach mehr als zwanzig Jahren vor-
genommen worden ist. Einzigartig war und ist im Übrigen die auf Dauer angelegte
Kohortenuntersuchung, die noch unter Günther Kaiser angelegt wurde und deren Da-
tenbestand und Analysepotenzial bis heute kontinuierlich angewachsen ist.
Gab es auch unangenehme oder belastende Aspekte der Direktorentätigkeit?
Hier kann ich ebenfalls sagen, dass ich mich insgesamt glücklich schätzen kann, dass
es nur wenige Probleme gegeben hat. Auch das ist im Wesentlichen meinen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern zuzuschreiben. Im Rückblick auf die fast 23 Jahre seit
1997 gibt es vor allem eines, das mich belastet hat, aber vielleicht auch gar nicht voll-
ständig hätte vermieden werden können. Ich meine damit Projekte, die begonnen,
aber nicht zu Ende gebracht worden sind. Das betraf Einzelne, die ich als sehr
fähig eingeschätzt habe und die wahrscheinlich auch sehr fähig sind. Das hat im Üb-
rigen dazu geführt, dass ich im Hinblick auf einige Projekte noch immer in der Bring-
schuld stehe.
20 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Und innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft (MPG)? Gab es hier Zusatzbelastun-


gen, die nichts mit Forschungstätigkeit im engeren Sinne zu tun haben?
Ja, was sicherlich als belastend gelten kann, ist der Spagat zwischen Universität und
MPG. Innerhalb der MPG werden allein durch die Sektionssitzungen erhebliche zeit-
liche Ressourcen gebunden. Die Sektion funktioniert im Grunde so ähnlich wie eine
Fakultät mit einer Vielzahl von administrativen und organisatorischen Aufgaben, die
zusätzlich zu den universitären Verpflichtungen durch Prüfungen und Fakultätssit-
zungen hinzukommen. Salopp gesprochen ist halt alles doppelt.
Wie hast Du insgesamt die Work-Life-Balance wahrgenommen?
Das könnt Ihr wahrscheinlich besser beurteilen. Ich bin an diesem Institut groß ge-
worden und habe nichts anderes gelernt. Von daher habe ich die Geschichte auch nie
unter dem Gesichtspunkt von Work-Life-Balance betrachtet. Ich war ja sehr viel im
In- und Ausland unterwegs. Das hat Spaß gemacht und macht immer noch Spaß, so-
dass ich nicht wüsste, wo ich da etwas ausbalancieren sollte [lacht]. Eine Balance
brauche ich da nicht herzustellen.
Das ist ein gutes Stichwort und führt uns zum nächsten Punkt. Reisen und die Präsenz
im Ausland waren ja ein sehr prägendes Charakteristikum Deiner Tätigkeit. In Dei-
nem früheren Direktorenzimmer fielen die ganzen Ehrenurkunden und Geschenke
aus allen Teilen der Welt sofort ins Auge. Gibt es irgendwelche Kooperationen
oder Länder oder Regionen, die Dir besonders in Erinnerung bleiben werden?
Es gab unterschiedliche Phasen mit verschiedenen Prioritäten. Etwa der Austausch
mit Südafrika und Namibia, wo ich über fünfzehn Jahre lang in verschiedene Re-
formprojekte eingebunden war und daher zwischen 1994 und 2005 sehr häufig
nach Windhoek, Pretoria und Kapstadt gereist bin. Das hat aus zwei Gründen
Spaß gemacht: Einmal, weil ich natürlich sehr viel Gelegenheit zur wissenschaftli-
chen Begleitforschung hatte, auch in Form von systematischer Datenerhebung. So
konnte ich in Namibia zum Beispiel Justizdaten sammeln und auswerten, die, so
hoffe ich, damals auch ein gewisses Interesse ausgelöst haben, das dann auch krimi-
nalpolitische Konsequenzen hatte. Ich konnte dann auf der anderen Seite auch sehen,
wie schwierig es sein kann, Reformprozesse anzustoßen und umzusetzen, die wegen
der sozialen Struktur auf sehr viele Widerstände stoßen. Zu erwähnen sind dann na-
türlich China und damit zusammenhängend auch Korea und Japan – ein Schwer-
punkt, der schon von Günter Kaiser und Hans-Heinrich Jescheck eingeleitet worden
ist und der sich insgesamt recht gut entwickelt hat. Diese Verbindungen sind heute
noch sehr gut. Wir hatten eine ganze Reihe von Doktorandinnen und Doktoranden am
Institut, die mit sehr guten Ergebnissen abgeschlossen haben und heute an Univer-
sitäten in ganz China tätig sind. Zu diesen beiden Schwerpunktregionen kamen
dann der Iran und die Kaukasusregion hinzu. Teilweise hat sich aus Kooperationen
allerdings nichts Langfristiges entwickelt. Das gilt auch für ein Afghanistan-Projekt,
in das das Institut eingebunden war. Insgesamt haben sich die Kontakte deutlich er-
weitert. Die iranische Strafrechtswissenschaft war zum Beispiel bis in die 1990er
Jahren sehr stark auf Frankreich ausgerichtet. Das MPI hat sicherlich dazu beigetra-
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 21

gen, dass sich die Verbindung zwischen Deutschland und Iran stärker entwickelt hat.
Was Südamerika betrifft, dort bin ich aktuell immer noch mit mehreren Forschungs-
projekten in Kooperation mit Pablo Galain aktiv. Hier geht es erstens um Fragestel-
lungen im Kontext mit der Legalisierung von Marihuana und Drogenmärkten in Süd-
amerika und zweitens um die Frage der Gewalt. Südamerika ist ja im internationalen
Vergleich eine Region, in der tödliche Gewalt in besonderem Maße ausgeprägt ist.
Schließlich ist die dortige Entwicklung der empirischen Kriminologie von Interesse.
Eine empirische Kriminologie wollen wir jetzt in Santiago de Chile ansiedeln, im
Sinne einer Kriminologie, die sich nicht bloß theoretisch und normativ präsentiert
– wie das in Südamerika derzeit teilweise noch der Fall ist –, sondern als eine em-
pirische Wissenschaft, die auf systematische Erhebung von Daten zielt, mit denen
Kriminalpolitik kritisch begleitet werden kann. Auch die Beziehungen in den eng-
lischsprachigen Raum, insbesondere Nordamerika und England, waren recht gut.
Wichtig war mir darüber hinaus auch die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit
den Ländern der früheren Sowjetunion. Dabei spielte natürlich die Ukraine eine be-
sondere Rolle, vor allem auch durch meine Mitwirkung in der Timoschenko-Mission
der Europäischen Union, die fast zwei Jahre gedauert hat. Diese Aufgabe war auch
deshalb interessant, weil ich da ganz nah an der Politik war; das hatte mit Recht ei-
gentlich nur am Rande zu tun [lacht]. Letzten Endes ging es um politische Ausein-
andersetzungen, die mit Mitteln des Strafrechts ausgetragen worden sind. Basierend
auf Vorwürfen, die hier nicht einmal für einen Bußgeldbescheid ausgereicht hätten.
Dennoch hat jeder Richter sofort Haftbefehle unterschrieben.
Nicht zuletzt will ich die Balkan Criminology Group nennen, die als Partnergruppe
der MPG entstanden ist und der es gelungen ist, verschiedene kriminologische Pro-
jekte in der Balkan-Region anzustoßen und durchzuführen. Sie ist mit großem Erfolg
aktiv, wobei ich nicht nur auf die Implementierung empirischer Projekte abstelle,
sondern auch auf die erfolgreiche Schaffung eines kriminologischen Netzwerkes,
das heute fast ganz Südosteuropa abdeckt.
Jetzt hast Du es schon angesprochen: China. Wie würdest Du auf der Grundlage Dei-
ner reichen Erfahrung heute die politische Entwicklung in China und ihre Auswir-
kungen auf die Wissenschaft einschätzen? Aktuell gerade auch mit Blick auf Hong-
kong?
Das ist schwierig. Ich würde grundsätzlich trennen zwischen der allgemeinen Ent-
wicklung in China und der besonderen Entwicklung in Hongkong. Die allgemeine
gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung hat China in den letzten zwanzig,
dreißig Jahren deutlich verändert. Vor allem ist allerdings in den letzten Jahren der
Zugriff der Kommunistischen Partei auf fast alle Lebensbereiche wieder sehr viel in-
tensiver geworden, obwohl – und das muss man stets berücksichtigen – Freiheitsräu-
me immer noch vorhanden sind. Insbesondere können die Menschen reisen. Es gibt
in Festland-China selbst auch – mit einigen Ausnahmen – keine Diskussionsverbote.
Die Ausnahmen betreffen vor allem die territoriale Einheit. Deshalb ist Hongkong
(im Übrigen auch Taiwan und Tibet) für die Zentralregierung in Peking von so großer
22 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Bedeutung. Wenn wir die neue Sicherheitsgesetzgebung in Hongkong betrachten,


denke ich, es geht weniger um Sicherheit, sondern schlicht und einfach um die
Durchsetzung des Anspruchs, dass diese territoriale Einheit nicht angerührt werden
darf. Damit sind drei Regionen insoweit aus dem öffentlichen Diskurs ausgenom-
men: Tibet, Hongkong und Taiwan. Diese Themen können nur mit äußerster Vorsicht
diskutiert werden. Daneben gibt es natürlich noch ein zweites Minenfeld, in das man
sich wirklich nicht begeben sollte, das ist der Anspruch der Kommunistischen Partei,
die Politik und die Führung der Volksrepublik alleine zu bestimmen. Es gibt keine
Opposition und keine klassische Demokratie, wie sie sich in Europa entwickelt
hat. Im Vordergrund steht die Führungsrolle der Kommunistischen Partei, die
nicht angetastet werden darf. Davon abgesehen kann ich allerdings keine Diskussi-
onsverbote erkennen. So ist zum Beispiel auch die Todesstrafe selbst kein Tabu. Es
gibt natürlich bestimmte sensible Themen innerhalb solcher Themenbereiche, die zu
Problemen führen, vor allem wenn die politische Führung den Eindruck eines hier-
durch entstehenden Gesichtsverlustes hat. Im Zusammenhang mit der Todesstrafe ist
mir das einmal aufgefallen bei einer Veranstaltung, die wir zusammen mit der deut-
schen Botschaft im Zusammenhang mit dem deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdia-
log durchgeführt haben. Dort hat ein chinesischer Teilnehmer ein Referat zur Organ-
entnahme im Zusammenhang mit der Todesstrafe gehalten. Dies hat dann auch zu
Reaktionen geführt. Aber nicht wegen der Todesstrafe als solcher, sondern wegen
der Thematisierung, dass nach Exekutionen eine Organentnahme stattfindet. Dane-
ben gibt es dann noch einen dritten sensiblen Bereich, der auch in der hiesigen Dis-
kussion eine Rolle spielt: Überwachung. In jüngerer Zeit hatte ich manchmal
Schwierigkeiten in China bestimmte Websites anzusteuern, wenn ich über chinesi-
sche Netzwerke gegangen bin. Das konnte manchmal die New York Times betreffen,
manchmal andere, aber nie deutsche Zeitschriften und Zeitungen. Der Ausbau der
Datenverarbeitung und die Einführung von Techniken, die in hohem Maße persön-
liche Daten produzieren, haben natürlich in einer Art und Weise zugenommen, die
das hierzulande Gewohnte bei Weitem in den Schatten stellt. Dabei handelt es sich
um technologische Modernisierungen in einem Bereich, in dem Deutschland immer
noch rückständig ist. Das hat sich in den letzten Jahren auch dadurch gezeigt, dass
Bargeld in China heute im Alltagsleben praktisch keine Rolle mehr spielt. Ich bin
letztes Jahr mit dem Zug von Peking nach Tianjin gefahren, wollte in dem Zugrestau-
rant etwas trinken und habe einen Yuan-Schein hingehalten – das ging aber nicht,
möglich ist das Bezahlen nur noch mit Mobiltelefon oder auf andere Weise bargeld-
los. Diese Entwicklung erzeugt natürlich einen ungeheuren Datenanfall, der auch nur
schwer auszuwerten ist bei einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen, von
denen die meisten nicht nur ein Smartphone besitzen. Die in solchen Technisierungs-
prozessen angelegten Überwachungsmöglichkeiten werden natürlich genutzt, das ist
ganz klar. Ich gehe aber nicht davon aus, dass diese Veränderungen in der chinesi-
schen Gesellschaft selbst größere Bedeutung haben werden. Insgesamt habe ich
den Eindruck, dass die chinesischen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zu
tun habe, im Wesentlichen der Auffassung sind, dass die chinesische Staatsführung
und die Politik das Eine ist und die Frage, wie sie ihr Leben organisieren und gestal-
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 23

ten, das Andere. Und solange die chinesische Führung es schafft, für jedenfalls einen
bedeutsamen Teil der Bevölkerung Wohlstand zu garantieren und Entwicklungs-
chancen sichtbar zu machen, solange werden die meisten Chinesen – jedenfalls
habe ich diesen Eindruck – keine Probleme mit dem politischen System sehen. Ähn-
liches sieht man ja auch im Iran. Die Iranerinnen und Iraner machen Witze über ihre
Führung – was natürlich auch nicht schwer fällt bei diesem Personal. Im Übrigen ar-
rangieren sie sich, ungeachtet des immer weiter sinkenden Lebensstandards.
Aber was sind das für Lebensstandards?
Das ist natürlich ein weiteres grundsätzliches Problem solcher Systeme. Wenn man
das zurückbindet auf kriminologische Fragestellungen, wird diese Problematik an
sich schon in der Anomietheorie aufgegriffen. Die Anomietheorie, entwickelt in
den USA, besagt im Kern ja auch, dass die politische Stabilität im Großen und Gan-
zen solange aufrechterhalten werden kann, wie es der Mittelschicht gelingt, den Le-
bensstandard im Wesentlichen zu erhalten und vor allem jungen Menschen Chancen
zu bieten. Probleme entstehen dann, wenn auch in der Mittelschicht anomische Zu-
stände auftreten. Und damit, denke ich, sind auch Fragestellungen aufgeworfen, die
etwas wegführen von der Kriminologie selbst und die Entwicklung sozialer Struktu-
ren, gesellschaftlicher Zustände und so weiter betreffen. In die natürlich auch Krimi-
nalität eingebettet ist. Etwas, das in kriminologischen Perspektiven immer auch mit
enthalten ist, ist die Frage von Umwälzung und Veränderung. An welchen Punkten
kommt es zu einem Zustand, in dem Menschen einfach sagen: Es reicht jetzt, wir
machen nicht mehr mit. Das führt zu einer interessanten Frage, die mich seit den
1970er/80er Jahren beschäftigt hat: Unter welchen Bedingungen werden Strafnor-
men abgeschafft? Am MPI wurde das detailliert im Zusammenhang mit dem
Schwangerschaftsabbruch bearbeitet. Was mir von damals immer noch in Erinne-
rung ist, ist das berühmte Stern-Coverbild „Wir haben abgetrieben“. Eine offene An-
sage: Wir haben Normen verletzt – und was jetzt? Die Reaktion war interessant –
passiert ist nämlich nichts. Angesprochen wird damit eine Fragestellung, zu der
ich viel von Trutz von Trotha gelernt habe. Trutz hat zu diesem Punkt, nämlich
Norm und Sanktion, lange gearbeitet. Was bedeuten Sanktion und Bestrafung?
Die deutsche Justiz verhängt momentan, glaube ich, ca. 700.000 Kriminalstrafen
pro Jahr. Trotzdem herrscht gesellschaftlich Ruhe. Ganz offensichtlich gelingt es
unter bestimmten Bedingungen zu strafen, ohne dass große Aufregung entsteht.
Es existieren Gefängnisse, viele Menschen werden bestraft, alle haben sich daran ge-
wöhnt, und das Leben geht seinen gewohnten Gang. Das war und ist nicht immer so,
und es ist auch nicht überall so. In Afghanistan oder Somalia sieht es ganz anders aus.
Daher betreffen Sanktionen und ihre Folgen einen wichtigen Punkt: Unter welchen
Bedingungen gelingt es, Strafe so erscheinen zu lassen, dass sie (jedenfalls von den
meisten) als legitim akzeptiert wird und nicht als Unrecht, auf das wiederum mit
Sanktionen reagiert werden muss.
24 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Jetzt haben wir noch zwei Schlussfragen in diesem ersten Block: Welche Bedeutung
hatte die Lehre und der wissenschaftliche Nachwuchs in Deiner Arbeit?
In Konstanz und in Dresden stand die Lehre natürlich im Mittelpunkt. Das waren zwi-
schen acht und zehn Stunden die Woche, einschließlich Seminaren. Diese Last hat
sich etwas reduziert am MPI in Freiburg. Dafür haben Doktorandinnen und Dokto-
randen natürlich eine größere Bedeutung, vor allem auch in Form der „International
Max Planck Research Schools“, bekommen. Und das waren eben nicht wenige. Sehr
viele Fragestellungen können nur in Form einer Dissertation bearbeitet werden, und
da war ich eigentlich immer sehr gut ausgelastet. Das sieht man ja auch an der großen
Zahl der Dissertationen am Institut.
Und wer hat Dich wissenschaftlich geprägt?
Das sind ganz unterschiedliche Personen gewesen, wobei ich jetzt nicht eindeutige
Prioritäten setzen könnte. Das war auf der einen Seite natürlich Günther Kaiser. Von
Kaiser habe ich das systematische Vorgehen gelernt. Also nicht nur beim ersten Li-
teraturhinweis stehen zu bleiben, sondern ganz systematisch zu recherchieren, wer
beschäftigt sich mit welchen Fragestellungen, und welche Unterschiede bestehen
und wie kann man sie einordnen. Dieses systematische Vorgehen beinhaltet eine brei-
te Suche, die Psychiatrie ebenso wie Sozialwissenschaften, Ökonomie, Strafrecht
oder Politikwissenschaft einschließt. Sobald eine Publikation irgendeinen Bezug
hatte zu einem meiner Themen, habe ich dies aufgegriffen. Das ist jetzt mit der Di-
gitalisierung natürlich auch zunehmend leichter geworden. Sie hat den schnellen Zu-
gang zu den unterschiedlichsten Zeitschriften und Zeitungen und sonstigen Quellen
möglich gemacht. Von Baldo Blinkert habe ich viel gelernt im Zusammenhang mit
Statistik. Er hat mir mit viel Verständnis in seinen Kursen den Zugang zu statistischen
Verfahren und ihrer Interpretation leicht gemacht. Etwas, was mir sofort eingeleuch-
tet hat, war das Prinzip „garbage in, garbage out“: Sobald du Mist eingibst in ein Sta-
tistikprogramm, kann nur Mist herauskommen. Statistik per se macht nichts besser.
Das Andere war der praktische Umgang mit den Statistikpaketen wie SPSS, die sehr
viel anbieten, feinste Detailanalysen. Im Endeffekt können aber Zusammenhänge
auch ganz einfach an den Grunddaten und ihren Verteilungen erkannt werden. Des-
halb ist das Erste, was man machen sollte, stets der einfache Blick auf diese Grund-
verteilungen. Einfache Zugänge sind unter Umständen wirksamer als „very sophis-
ticated statistics“.
Und historische Figuren? Klassische Kriminologen? Kriminologinnen?
Natürlich kommen noch einige weitere Personen dazu. Wie schon gesagt, Trutz von
Trotha, von dem habe ich viel gelernt. Allerdings auch Popitz. Er hat viel mit krimi-
nologischem Bezug geschrieben, und es hat mich immer überzeugt. Ebenso Spittler.
Im Bereich des Strafrechts haben mich vor allem zwei Personen überzeugt (womit
ich freilich niemanden aus dem Kollegenkreis ausschließen möchte). Das war zum
einen Jakobs. Er hat als Einziger, denke ich, den Versuch unternommen, eine syste-
matische und auf eine Theorie aufgebaute Dogmatik zu entwickeln. Und die Grund-
lage ist eine soziologische Theorie. Nach meiner Einschätzung ist sein Ansatz der
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 25

einzige, der – vielleicht nicht in allen Einzelheiten, aber in der Gesamtperspektive –


alles einigermaßen konsistent erklären oder ableiten kann. Wenn es etwa darum geht,
welche Entscheidung getroffen werden soll, ob jemand schuldig oder nicht schuldig
ist. Zum anderen Jescheck. Was mich an Jescheck immer beeindruckt hat: Er hat
klare Vorstellungen von Strafrecht, Strafe und Kriminalpolitik. Mit diesen musste
man nicht unbedingt übereinstimmen, aber sie waren sehr klar und im Endeffekt
auch einfach. Und seine Sprache hat mich überzeugt. Die Sprache, in der er geschrie-
ben hat, in seinem Lehrbuch und auch sonst, war ebenfalls immer sehr gut zu verste-
hen und nachvollziehbar. Was bei Jakobs übrigens anders ist; für Erst-, Zweit-, Dritt-
semester sind seine Texte eher schwer verständlich. Jescheck hingegen kann auch ein
Erstsemester lesen und verstehen. Und er hat dadurch natürlich auch einen Zugang
geschaffen. Als ich meinen Habilitationsvortrag vorbereitet habe, musste ich mich
mit einem Strafrechtsthema auseinandersetzen. Es ging um den Verbotsirrtum.
Das hat mir auf der einen Seite Spaß gemacht, auf der anderen Seite bin ich an
einem bestimmten Punkt nicht weitergekommen; irgendwas passte am Ende
immer nicht zusammen. In meiner Verzweiflung habe ich Jescheck um Rat gefragt.
Seine einfache Antwort war: „Denken Sie nicht mehr drüber nach, machen Sie an
diesem Punkt einfach Schluss!“ Und das war dann auch in Ordnung.

Teil 2: Entwicklung der Kriminologie

Das leitet jetzt über zum zweiten Themenblock zur Entwicklung der Kriminologie in
Deutschland und weltweit. Was waren bahnbrechende Entwicklungen in Deiner Zeit,
theoretisch, inhaltlich, methodisch?
Theoretisch am wichtigsten war, denke ich, die Entwicklung des Konzepts informel-
ler Sozialkontrolle und damit im Zusammenhang auch die Selbstkontrolle. Das ist
ein Ansatz, der auf der einen Seite die unmittelbare Nachbarschaft wie auch größere
soziale Strukturen und einzelne Personen zusammenfassen lässt. Auf der anderen
Seite enthält die Selbstkontrollüberlegung zusammen mit der informellen Sozialkon-
trolle natürlich auch eine Verbindung zwischen psychologischen Konzepten, psycho-
analytischen Konzepten und soziologischen Ansätzen. Darüber kann man ferner
auch normative Konzepte legen, denn diese Vorstellung von Selbstkontrolle ist dar-
auf ausgerichtet, wie sich Vorstellungen über sich selbst entwickeln und welche Be-
deutung dieses Selbst auf der Entscheidungsebene bekommt. Dafür sind natürlich
informelle Systeme verantwortlich, Eltern, Nachbarschaft, Schule, usw., alles wich-
tige Sozialisationsinstanzen, die die Menschen in der Entwicklung, im Großwerden,
begleiten. Und das führt letztlich auch dazu, dass die eigentlich interessanten Fragen
darin bestehen, wie man es schafft, Menschen ein Selbstbild zu vermitteln, das ihnen
ermöglicht Entscheidungen, und zwar möglichst die richtigen Entscheidungen, zu
treffen. Dazu gab es in den letzten zwanzig, dreißig Jahren auch ganz interessante
Entwicklungen in der Verhaltensökonomie wie auch in der Psychologie, die darauf
ausgerichtet sind festzustellen, an welchem Punkt ein Mensch sagt, „Das mache ich
nicht, weil das nicht zu mir passt. Das kann ich mit meiner Vorstellung von mir selbst
26 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

nicht vereinbaren“. Und die Frage, wie das mit dem Lernverhalten und deviantem
Verhalten zusammenhängt, ist natürlich deshalb so interessant, weil Menschen
dazu fähig sind, normative Forderungen mit diesem Selbst zusammenzubringen.
In dem System steckt natürlich auch eine gewisse Elastizität, sodass die individuelle
Entscheidung auch lauten kann: „Naja, wenn ich das jetzt mache, dann ist das an sich
doch nicht so schlimm.“ Es geht in dem Bereich also auch um Rechtfertigungssys-
teme. Und Rechtfertigungsmöglichkeiten sind offensichtlich dann leichter verfüg-
bar, wenn Normen oder darin enthaltene Begriffe elastisch sind. Steuerhinterziehung
oder Trunkenheitsfahrten sind gute Beispiele. Niemand hat ein Alkoholmessgerät bei
sich, und wenn jemand zwei oder drei Biere trinkt, sind es vielleicht doch nicht ganz
0,5 Promille, sondern nur 0,49. Das können wir in einem Personenkreis finden, der
niemals volltrunken fahren würde. Oder wenn es um Steuerhinterziehung geht oder
Versicherungsangelegenheiten oder Mogeln in anderen Kontexten. Ich denke, die
Ansätze in diesem Bereich sollten weiterentwickelt werden, weil sie gerade im Zu-
sammenhang mit der Selbstkontrolle Bedeutung haben und uns im Übrigen auch
Auskunft geben über unsere Vorstellungen von Normen oder wie Normen beschaffen
sein sollten. In dem Konzept der informellen Sozialkontrolle sehe ich noch einiges an
Entwicklungspotenzial. Fragen, die noch nicht sonderlich gut untersucht sind, betref-
fen etwa die Auswirkungen stabiler Nachbarschaften. Oder die Frage, wie sich über-
haupt so etwas wie eine funktionierende informelle Sozialkontrolle herstellen lässt
unter den Bedingungen der Postmoderne, die ja offensichtlich, wenn ich das richtig
sehe, mit einem kalkulierenden Menschen verbunden wird. Moderne heißt ja, dass
Freiheitsgrade erhöht werden. Ich muss nicht mehr auf vieles Rücksicht nehmen;
was meine Nachbarn sagen, ist mir im Prinzip egal, in der Kirche bin ich sowieso
nicht, und Vereine sind mir auch egal, außer vielleicht der Schützenverein. Menschen
können also kalkulieren, weil das, was die anderen sagen, nicht mehr von großer Be-
deutung ist. Dadurch ergeben sich natürlich Veränderungen in den Bedingungen in-
formeller Sozialkontrolle wie auch für Selbstbilder. Wobei ich grundsätzlich davon
ausgehe, dass dieser kalkulierende Mensch der Mensch der Zukunft sein wird – ob-
wohl es diesen Menschentypen auch schon in der Vergangenheit gab. Dieser ist nicht
mehr sonderlich an Normen orientiert, sondern einfach an der Frage, welche Vorteile
habe ich von irgendeiner Entscheidung. Und das stimmt auch mit den meisten Post-
modernitätsüberlegungen überein, die davon ausgehen, dass Rücksichtnahme nicht
mehr existiere. Aber das stimmt nicht unbedingt. Menschen kalkulieren heute, denke
ich, genauso viel oder genauso wenig wie vor dreißig, vierzig, fünfzig Jahren. Wie
das zusammenpasst, dahinter bin ich auch noch nicht gekommen.
Welche Relevanz hat die deutsche Kriminologie in Europa und weltweit?
Das ist schwer zu beantworten. Die Kriminologie als Forschung zu Fragen von De-
vianz, Kriminalität, soziale Kontrolle, Strafrecht und so weiter hat sich nach meinem
Eindruck sehr ungleichmäßig entwickelt. Bis in das 20. Jahrhundert hinein lagen die
Schwerpunkte in Nordamerika, England, Skandinavien und dann in den Niederlan-
den, Deutschland und Frankreich. Seitdem hat sich etwas verändert; es gibt jetzt auch
entsprechende Ansätze – „Kriminologien“ – in Osteuropa, China, Japan, Südamerika
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 27

sowie Afrika, insbesondere in Südafrika. Trotzdem sehe ich den Schwerpunkt nach
wie vor in den eingangs genannten „klassischen“ Kriminologie-Regionen. Speziell
Deutschland hat hier jedenfalls bis in die 1950er/60er Jahre, bezogen auf eine ätio-
logische Kriminologie, eine große Rolle gespielt. Das hat sich in den letzten zwanzig,
dreißig Jahren in vielerlei Hinsicht dadurch verändert, dass in Deutschland die Kri-
minologie nie eine institutionelle Verankerung erfahren hat. Kriminologie ist im We-
sentlichen an die rechtswissenschaftlichen Fakultäten angehängt und hat dadurch na-
türlich ein gewisses Handicap zu tragen, das darin besteht, dass die juristischen Fa-
kultäten sich im Wesentlichen ihrer Hauptaufgabe widmen, nämlich Juristinnen und
Juristen auszubilden. Kriminologie war, wenn man so will, spätestens seit den 1980er
Jahren, nachdem die Reform- und Integrationsüberlegungen vollkommen zerflossen
sind, nur noch ein Anhängsel. Das konnte man zwar ganz gut integrieren durch die
Schaffung der Schwerpunktbereiche mit ihrer Kombination von Strafrecht, Strafver-
fahrensrecht, Strafvollzug und Kriminologie. Sie hat aber keine selbstständige Rolle
mehr gespielt. Und auf der anderen Seite hat sich die Kriminologie als Fragestellung
und als Schwerpunktfach in der Soziologie und Psychologie nicht etablieren können.
Der Unterschied zu den Niederlanden, England, USA, Kanada, Australien, Südafrika
und vielen anderen Ländern liegt somit darin, dass dort Criminology ein selbststän-
diges Fach darstellt, mit Prüfungen und Examen und entsprechenden Berufswegen.
Diese Stellung hat sie hier eben nicht. Und die Entwicklungen der letzten fünfzehn
Jahren deuten darauf hin, dass die Bedeutung sowohl in der Psychologie als auch der
Soziologie und in der Rechtswissenschaft kontinuierlich weiter zurückgefahren
wird. Das wird deutlich an dem Abbau der Lehrstühle für Kriminologie. Neben
den kriminologischen Instituten bzw. Lehrstühlen für Strafrecht und Kriminologie,
deren Bestand im Kern noch vorhanden ist, hat sich eine Verselbstständigung erge-
ben. Wir haben heute nicht mehr als zwei oder drei Masterstudiengänge in Bochum,
Hamburg und Greifswald. Und was große Forschungszentren angeht, so gibt es außer
dem MPI in Freiburg, dem KFN in Hannover und der Kriminologischen Zentralstelle
in Wiesbaden nicht mehr viel.
Diese strukturelle Schwäche hast Du ja dann vor einigen Jahren aufgegriffen mit dem
Freiburger Memorandum. Hat das irgendwas bewirkt?
Ja, das war an sich ganz interessant. Es ist damals auf großes Interesse gestoßen, und
zwar vor allem aus dem Bereich der Universitäten, aber auch von Seiten der Polizei-
hochschulen, bei denen das Interesse an Kriminologie heute sehr deutlich ausgeprägt
ist. Inzwischen habe ich sogar den Eindruck, dass Kriminologie dort eine sehr viel
zentralere Bedeutung hat als an Universitäten. Aber insgesamt kann ich mir derzeit
nicht vorstellen, dass der Aufruf tatsächlich zu einer substanziellen Stärkung der Kri-
minologie führen wird.
Und wie verortest Du das ,alte‘ und das ,neue‘ MPI mit Blick in die Vergangenheit
und in die Zukunft?
Das MPI hat, denke ich, neben dem KFN nach wie vor das größte Potenzial im
deutschsprachigen Bereich. Das galt in der Vergangenheit und das wird sicher
28 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

auch in der Zukunft so sein; unabhängig davon, wie sich die Forschungsschwerpunk-
te verändert haben und weiter entwickeln werden. Das hängt zu einem Gutteil mit den
vorhandenen Ressourcen zusammen, die, ähnlich wie in Hannover, so groß sind, dass
ich hier keinen Bedeutungsverlust erwarte. Als Ulrich Sieber und ich das Strategie-
papier an die Sektion zur Weiterführung des Instituts auch nach unserer Emeritierung
verfasst haben, hatten wir keine konkreten Vorstellungen zu dem künftigen For-
schungsprogramm. Ich bin jedenfalls optimistisch für die Zukunft, weil ich neben
einigen der langjährigen Forscherinnen und Forschern, die geblieben sind, auch
eine Reihe von jüngeren Leuten im Institut sehe, die, meine ich, das Potenzial
haben in den nächsten zehn, zwanzig Jahren hier Projekte durchzuführen und For-
schungsansätze zu verfolgen, die für die Fortführung der Kriminologie von Bedeu-
tung sind.
Gibt es neue Herausforderungen für eine zeitgemäße Kriminologie? Muss sie even-
tuell auch politischer werden?
Da habe ich meine Zweifel. Kriminologie sollte eher zurückhaltend agieren. Inhalt-
lich hat mich der Zusammenhang zwischen Politik und Kriminologie aber immer
sehr interessiert. Als ich als Mitarbeiter bei Kaiser hier angefangen habe – [schmun-
zelt] das ist schon lange her – hat er mich gleich zu Beginn auf eine deutsch-ameri-
kanische Tagung in Berlin geschickt – wahrscheinlich wegen der englischen Spra-
che. Es war meine erste Teilnahme an einer solchen Veranstaltung, bei der sehr be-
kannte Leute vorgetragen haben. Es ging um das Verhältnis von Politik und Wissen-
schaft und die Frage, ob Wissenschaft auf Politik Einfluss nehmen kann, Einfluss
nehmen soll. In bestimmten Fällen habe ich mich zu Politikberatung durchgerungen.
Ich sehe sie aber vor allem deshalb als problematisch an, weil die Fragen, die Poli-
tiker häufig stellen – soll man Sanktionen verschärfen, welchen Einfluss, welche
Wirkungen haben bestimmte Strafrechtsreformen etc. –, und die Antworten, die
sie in der Regel erwarten, nicht befriedigend behandelt werden können. Es gibt
schlicht keine Möglichkeit im Detail tatsächlich nachzuweisen, wie und in welchem
Umfang Sanktionen Effekte haben. Und von daher ist es, denke ich, auch nicht son-
derlich überzeugend, etwa Empfehlungen zu bestimmten Strafen abzugeben. Das
sind Entscheidungen, die müssen am Ende des Tages Parlamente und dann Gerichte
treffen. Ich kann dem Gesetzgeber als Wissenschaftler nur sagen, der erwünschte Ef-
fekt wird mutmaßlich nicht sichtbar sein oder so klein ausfallen, dass er jedenfalls
zum Einsatz in politischen Prozessen kaum taugt. Wissenschaft und Forschung soll-
ten daher eher zurückhaltend argumentieren. Das Trauerspiel um die Rolle der Vi-
rologen und Virologinnen in der Politik- und Öffentlichkeits-Beratung rund um
die Corona-Pandemie spricht in dieser Hinsicht ja auch Bände.
In Erinnerung bleiben wird mir auch immer eine Veranstaltung der Humboldt-Stif-
tung in Bamberg zu Strafrecht und Kriminalitätsentwicklungen. Es war zu Beginn
der 2000er Jahre, und damals war der allgemeine Rückgang der Kriminalität
schon abzusehen. Ich habe den Eingangsvortrag zu diesem Thema gehalten und
die vorgestellten Daten und Argumente zum Rückgang der Kriminalität begründet
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 29

und belegt. In der anschließenden Diskussionsrunde gab es dann Stellungnahmen


unter anderem von Politikern, darunter auch ein oder zwei Bundestagsabgeordnete.
Und die beharrten darauf: „Die Kriminalität nimmt zu“. Ich dachte, ich höre nicht
richtig. Ähnliches habe ich Ende der 1990er Jahre bei einer Diskussionsveranstaltung
im bayerischen Fernsehen erlebt, als ich erläutert habe, dass Sexualmorde an Kindern
zurückgehen, und zwar seit vier Jahrzehnten und recht deutlich. Da entgegnet mir
doch ein Politiker, das sei ihm egal, selbst ein Fall sei zu viel. Wozu braucht man
dann noch Daten? Ein solcher Ansatz ist auf der einen Seite verständlich. Wenn
ich mit Betroffenen rede, die ihr Kind verloren haben, würde ich selbst auch nicht
sagen: Beruhigen Sie sich, das ist ein tragischer Einzelfall gewesen. Was ich kriti-
siere, ist die dahinterstehende Attitüde. Diesen Eliminierungsfantasien begegnet
man auch in der Drogenpolitik, in Kreisen, die immer neue Pläne zur Beseitigung
von Drogen kreieren. Ich weiß nicht, wie es kommt, dass gestandene Menschen
ernsthaft davon ausgehen, in einer Großstadt würde sich die Verfügbarkeit von Dro-
gen – vielleicht wie im Fünfjahresplan auf Befehl des Zentralkomitees – reduzieren
lassen. Ein ähnliches Muster sehe ich leider auch in der Istanbul-Konvention. Auch
sie ist vor dem Hintergrund einer solchen Geisteshaltung entstanden: „Wir schaffen
die Gewalt gegen Frauen ab“. Ganz abgesehen davon, dass andere Formen von Ge-
walt anscheinend auf weniger Interesse stoßen – das sind im Grunde totalitäre Vor-
stellungen, und ich frage mich seitdem, wie es zu einer Entwicklung kommen konnte,
die Menschenrechte für die Ausweitung von Strafrecht und Strafrechtsverschärfun-
gen in Anspruch nimmt.
Letzte Frage in diesem Block: Wo wird die Kriminologie in 50 Jahren stehen? Oder
wo könnte sie idealerweise stehen?
Also ich denke, dass die Kriminologie, so wie sie heute in Westeuropa und anderen
Regionen aufgestellt ist, auch in fünfzig Jahren noch existieren wird. Denn der Be-
darf, insbesondere der Bedarf an entsprechenden Daten und Erklärungen, wird blei-
ben. Das sehen wir gerade auch hier in Deutschland selbst, wo jetzt ebenfalls regel-
mäßige Victim Surveys durchgeführt werden sollen. Es wird zunehmende Möglich-
keiten geben, Daten auszuwerten und vor allem auch langfristig über Längsschnitte
hinweg Daten zu sammeln, die dann auch für die Politik an irgendeinem Punkt wie-
der sinnvoll genutzt werden können. Was mich ehrlich gesagt wundert und auch
immer wieder beschäftigt, ist die Frage, warum niemand in der Politik diesen dras-
tischen Kriminalitätsrückgang für sich in Anspruch nimmt. Autodiebstähle, Einbrü-
che haben sich praktisch pulverisiert, verglichen mit der Situation in den 1980er und
90er Jahren. Die Reduzierung bei Tötungsdelikten, schweren Gewaltdelikten,
schweren Eigentumsdelikten bedeutet eigentlich eine Entwicklung, die so drama-
tisch ist, dass man irgendeine politische Reaktion erwarten würde. Ähnliches
sehen wir bei den Gefangenenraten. In den Justizvollzugsanstalten hat sich die Be-
legung bundesweit in den letzten zwanzig Jahren deutlich reduziert. Lehrreich ist
hier Hamburg, wo der Rechnungshof 2009 den signifikanten Rückgang der Gefan-
genenzahlen aufgegriffen und eine deutliche Reduzierung bei Gefängnispersonal
und Haftplätzen verlangt hat.
30 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Teil 3: Zur Person

Abschließend haben wir noch einen kurzen Block zur Person. Wenn Du zurückschaust
wie Du aufgewachsen bist: Kindheit, Elternhaus – war Dir da irgendwas in die Wiege
gelegt? Das Interesse für Kriminalität, forscherische Neugier?
Das Einzige, womit ich sehr früh und auch sehr beständig angefangen habe: Lesen.
Kindgerechte Literatur natürlich, Lesen war mir sehr viel lieber als Spazierengehen.
Im Alter von acht, neun, zehn, elf Jahren habe ich sämtliche Karl May-Bände gele-
sen. Ich habe heute noch alle Bände – die müssten im Übrigen alle umgeschrieben
werden, eingedenk vieler problematischer Begriffe.
Gibt es irgendwelche Erfahrungen, die Dich in der Kindheit und Jugendzeit geprägt
haben?
Ich hatte eigentlich eine unbelastete Kindheit und Jugend. Ich komme ja aus einer
protestantischen Gegend, da war in jeder Hinsicht alles sehr homogen. Katholiken
gab es nicht, allenfalls ein paar vereinzelte. Und Ausländer sowieso nicht. In der
Klasse gab es vielleicht einmal einen Flüchtling, und der kam aus Ostpreußen
[lacht]. Aber er hat sich gut integriert. In dieser protestantischen Ecke wurde natür-
lich auch nicht Fasching gefeiert. Rosenmontag als gesellschaftliches Ereignis habe
ich erstmals erlebt, als ich zum Studium nach Freiburg kam.
Mit Blick auf dieses kulturelle Umfeld ist die nächste Frage umso interessanter. Wenn
wir an die berühmte Ubiquitätsthese denken: Erinnerst Du Dich an irgendwelche ei-
genen Jugendverfehlungen? Gab es das überhaupt?
Aber ja, selbstverständlich, das ist freilich immer zeitabhängig. An körperliche Aus-
einandersetzungen kann ich mich durchaus erinnern, im Rahmen dessen, was vor, in
oder nach der Schule üblicherweise stattfinden kann. Aber nichts von großer Bedeu-
tung. Nach 1968 kam dann auch Haschisch. Das war damals aber noch keine große
Geschichte. Die Problematisierung der Drogen hatte damals erst begonnen. Am An-
fang lag der Strafrahmen für Drogendelikte bei maximal drei Jahren. Hier hat sich
seither vieles verändert.
Was wäre denn damals ein typisches niederschwelliges Alltagsdelikt gewesen, ver-
gleichbar mit den heute verbreiteten illegalen Downloads?
Das sind völlig neue Entwicklungen, die mit technologischen und auch kulturellen
Veränderungen in Zusammenhang stehen. Heute sitzen junge Menschen viel mehr
vor dem Bildschirm und überlegen, wie sie sich die neuesten Filme oder Musiktitel
beschaffen können. Früher gab es dagegen viel mehr Gelegenheiten und Anlässe, auf
der Straße Dummheiten zu begehen.
Du hast gerade schon ein weiteres wichtiges Stichwort angesprochen: 1968. Wie hast
Du denn diese Zeit erlebt?
Ach [lacht], das war an sich ganz angenehm. Es gab in dieser Zeit tatsächlich große
Umwälzungen, die zu weitreichenden Reformen geführt haben. Die klassische Uni-
Unterwegs in Kriminologie und Strafrecht 31

versität ist damals untergegangen. Das hat etwa zu einem grundlegenden Umbau in
der Zusammensetzung der Gremien geführt. Die bis dahin üblichen universitären
Festlichkeiten mit Talaren und so weiter waren spätestens 1969 weitgehend ver-
schwunden. Diese Entwicklung ging sehr schnell, auch deshalb, weil der Protest
so vehement war, dass sich keiner der alten Ordinarien mehr getraut hat, zu einer
Vollversammlung in einer bis dahin akzeptierten Kleidung zu erscheinen. Ich
kann mich gut erinnern, dass in Tübingen noch einige Professoren in Amt und Wür-
den waren, die mit der NS-Ideologie verbandelt waren. Das Gleiche ereignete sich
natürlich auch hier in Freiburg, wo es ebenfalls immer wieder zu Demonstrationen
und Auseinandersetzungen an der Universität kam. Das setzte sich praktisch die gan-
zen 1970er Jahre hindurch fort, obwohl die konservative Grunderscheinungsform der
Universitäten wie gesagt relativ schnell verschwunden war. In einigen anderen Län-
dern wie etwa in Frankreich existieren traditionelle Rituale bei Prüfungen oder fest-
lichen Anlässen überraschenderweise ja fort. Dagegen haben sich die Universitäten
in Deutschland in dieser Hinsicht relativ schnell umgestellt. Das hat wahrscheinlich
auch damit zu tun, dass 1969 die sozialliberale Koalition zustande kam und eine all-
gemeine politische Reformära eingeläutet hat.
Wie kam es denn überhaupt zu dem Wechsel von Tübingen nach Freiburg während
Deines Studiums?
Nach Tübingen bin ich ursprünglich gegangen, weil es nicht weit weg von meiner
Heimatstadt Esslingen lag. Ich bin zwar nach Tübingen umgezogen, bin aber noch
häufig nach Esslingen gefahren, etwa zum Tennisspielen. Die Entscheidung, nach
Freiburg zu wechseln, wurde in meinem Kommilitonenkreis geboren. In der Grup-
pe haben einige überlegt, ob sie nicht nach Freiburg gehen sollten. Die Idee hat mir
gleich gefallen. Es lag etwas weiter weg, und Tübingen war doch ziemlich klein
und auch nicht so attraktiv. In Freiburg hat es mir dann von Anfang an gut gefallen.
Auf alten MPI-Fotos kann man sehen, dass es in Deinem Leben auch verschiedene
Mobilitätsphasen gab. Es gab erst eine Motorrad- und später eine Porsche-Phase.
War das auch mit Lebensphasen verbunden?
Ja, ich bin gerne Motorrad gefahren. Ich habe auch zweimal einen Porsche gekauft.
Das waren schöne Autos, mit denen ich gerne gefahren bin. Aber irgendwann war
mein Bedarf am Autofahren und mein Interesse an Autos dann am Nullpunkt. Ich
fahre jetzt nur noch in die Stadt und manchmal zum Flughafen.
Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus? Wirst Du weiterhin reisen und Dich mit
Kriminologie befassen?
Also ich werde jetzt zunächst noch einige Vorhaben und nachlaufende Dissertations-
beurteilungen aus der MPI-Ära abschließen. Anschließend stehen einige neue Pro-
jekte in Südamerika an. Wenn die Grenzen wieder offen sind, werde ich auch einige
Aktivitäten in China wieder aufnehmen. Ich fühle mich also voll ausgelastet.
32 Interview mit Hans-Jörg Albrecht

Würdest Du im Rückblick etwas anders machen?


Wenn ich in der gleichen Situation wäre, eigentlich nicht. Was mir immer wichtig
war, war ein hohes Maß an beruflicher Freiheit. Deshalb war für mich immer klar,
dass Richter oder Staatsanwalt oder irgendeine bürokratische Tätigkeit nicht in
Frage kommt. Auch als Rechtsanwalt hätte ich mich nicht wohlgefühlt, auch
wenn man in diesem Beruf viel Geld verdienen kann. Lesen und Schreiben – das
hat mich immer am meisten interessiert.
Das ist doch ein schöner Schluss. Vielen Dank für das Gespräch.
Exploring the World of Crime and Criminology
An Interview with Hans-Jörg Albrecht

Hans-Jörg Albrecht was born in 1950 in the southern German city of Esslingen. He
studied law and sociology at the University of Tübingen and subsequently at the Uni-
versity of Freiburg, where he received his doctorate in 1976. Between 1977 and 1991,
Hans-Jörg Albrecht worked as a research fellow at the Max Planck Institute for For-
eign and International Criminal Law in Freiburg. In 1991, he completed his habili-
tation in Freiburg on the topic of comparative sentencing practices in cases of serious
crime and received the venia legendi for criminal law, juvenile criminal law, prison
law, and criminology. In 1991, he was offered a professorship for criminal law and
criminology at the University of Konstanz. Two years later, Hans-Jörg Albrecht as-
sumed the Chair for Criminal Law, Juvenile Criminal Law, Prison Law, and Crim-
inology at the Technical University of Dresden, which he held until the end of the
winter semester 1996/97.
Hans-Jörg Albrecht’s return to Freiburg and the Max Planck Society was prompted
by his appointment as director at the Max Planck Institute for Foreign and Interna-
tional Criminal Law in November 1995. In this new role, he was to head the Institute’s
Department of Criminology and also join the University of Freiburg Law Faculty as
an honorary professor. A few years later he was awarded the status of guest professor
at the Institute for Criminal Law at the China University of Political Science and Law,
Beijing, China (2000), at the University of Hainan, China (2001), and the Faculty of
Law at Renmin University, China (2004). In 2003, he was bestowed the honor of a life
membership at Clare Hall College, University of Cambridge, United Kingdom, and
in 2004 he accepted a professorship and received permanent faculty membership at
the Law Faculty of the Qom Higher Education Center, University of Tehran, Iran. In
2005, he was awarded an honorary doctorate from the Faculty of Law of the Univer-
sity of Pécs, Hungary, followed by a guest professorship at the Faculty of Law of
Wuhan University, China (also in 2005), at Beijing Normal University, China
(2006), and, once again, at China University of Political Science and Law, Beijing,
China (2008). In 2010, he was appointed as an honorary member of the Hungarian
Society of Criminology in recognition of his activities in the development of crim-
inology and criminal policy in Hungary. In 2010, he was made an honorary member
of the Serbian Society of Criminology. In 2012, he was awarded an honorary doctor at
Grigol Robakidze University in Tbilisi, Georgia. During the 2013 International
Crime & Punishment Film Festival in Istanbul, Turkey, he received the festival’s Aca-
demic Honor Award for his lifetime contribution to criminological research on chil-
dren and youths. That same year he also accepted an honorary professorship at Maria
34 Interview with Hans-Jörg Albrecht

Curie-Skłodowska University in Lublin, Poland, followed by honorary doctorates


from the Law Enforcement University in Ulaanbaatar, Mongolia (2016) and the
Technical University in Tbilisi, Georgia (2017). For his contribution to Sino-German
academic cooperation and education, Hans-Jörg Albrecht received the 2016 Interna-
tional Educator in China Award (presented by the State Administration of Foreign
Experts Affairs (SAFEA)), and in 2017, the Carlos Lloyd Braga Chair at the Univer-
sity of Minho, Portugal.
Since February 2018, Hans-Jörg Albrecht has held the position of director emeritus at
the Max Planck Institute in Freiburg, which under its new directorship has since been
re-aligned and renamed the Max Planck Institute for the Study of Crime, Security and
Law.

A Personal Retrospective (in Three Parts)1


Part 1: Academic Career

Hans-Jörg, you studied both law and sociology at university. From today’s perspec-
tive, how would you describe the relationship between the two disciplines for your
career? Was one of the disciplines more important or was it crucial for you to
have a strong command of both?
To be honest, I think that it was important to have a strong command of both. These
disciplines offer very different perspectives that are sometimes difficult to reconcile.
On the one hand, there is the normative perspective, which is essentially geared to-
wards discourse and the question of what is right and what is not right: so-called
wrongs. On the other hand, there is the social science perspective, which naturally
aims to observe and understand relationships. This perspective incorporates clear
points of contact between the two disciplines: after all, legal norms form the starting
points for a sociology of criminal law or a sociology of deviant behavior. This close
connection was emphasized in Germany during the 1970s and consequently led to
ideas from the social sciences being introduced more strongly into the law. Ap-
proaches at the universities of Bremen and Hamburg are of particular note in this re-
gard, and of course also the work conducted here at the Max Planck Institute (MPI) in
Freiburg. This eventually resulted in the creation of something that I think has lost
none of its importance today, namely the integration of the two different perspectives.
This integration has contributed to the fact that norms are seen for what they actually
are: something that is socially produced and represents a social phenomenon that can
be explained – and also has to be explained – in terms of origin, application practices,
and consequences. In order to be able to grasp the interlinking nature of legal and

1
Personal interview with Hans-Jörg Albrecht, conducted in August 2020 by Gunda
Wössner and Michael Kilchling. Translated into English by Christopher Murphy and Sarah
Schreier.
Exploring the World of Crime and Criminology 35

sociological questions, it is equally necessary that both social science theories and
methods as well as normative approaches be considered.
That brings us to our next question, which was originally about how you would weigh
the importance of theory and empiricism in criminology. Well, I guess now we actual-
ly have to consider normativity as a further aspect of this equation. Perhaps in ad-
dition: Can one only be a theorist – that is, conduct research without an empirical
foundation?
That’s absolutely possible and Freiburg criminology is indeed a pretty good example
of this. On the one hand, we have a university law faculty with a clear criminal law
perspective that has always had a strong theoretical orientation; on the other hand, we
have a sociological institute, which in the tradition of Popitz and Dux, has tradition-
ally been less oriented towards quantitative empirical research: this remains the case
to this day. The focus there is on qualitative approaches that are less geared towards
systematic data collection. Quantitative research is much more likely to be based at
the MPI, which, at least with its original research concept, incorporates the other tra-
ditions.
And where do you place yourself on the quantitative-qualitative spectrum?
I see myself more as an advocate of the quantitative approach, because I think, at least
initially, that this approach enables a reasonably realistic classification of what is
happening in the relevant field of observation. Of course, qualitative approaches
are also important, especially when it comes to questions of how actors understand
situations, why they act, and so on: this is less easy to assess quantitatively. And these
qualitative approaches become all the more important for understanding situations or
phenomena in which quantity does not play a role, such as in certain areas of organ-
ized crime or international terrorism (i. e., the so-called Islamic State). As an exam-
ple, the activities of the Islamic State can of course also be partially chronicled from a
quantitative perspective, but the organization’s origin, development, and – under cer-
tain circumstances – further continuation can only be understood with the aid of qual-
itative data. In essence, the issue is about understanding and classification.
When did you actually start conducting research and what led you to continue down
this path as a lawyer and sociologist?
That’s a bit of a tricky question and, funnily enough, one that I asked myself a few
years ago in a contribution to John Winterdyk’s anthology on “Lessons from Interna-
tional/Comparative Criminology/Criminal Justice.” In this work, criminologists
were asked to explain why they turned to the study of criminology. In my case
this way was a relatively simple development because my approach to law was
not characterized by a great deal of empathy: my decision to study law was of a
very pragmatic nature and had a lot to do with the fact that I didn’t know what I should
do after graduating from high school. Upon graduating I went to a career counseling
service in Esslingen and, after completing a test and several evaluation forms, the
career counselor could apparently not identify a clear preference and said, with a
36 Interview with Hans-Jörg Albrecht

slight shake of the head, “The best thing for you is to study law. That will leave the
most options available.” So, I actually took this advice as an opportunity to study law.
While my law studies did not cause me much trouble per se, if I am honest, I found the
subject matter fairly boring and, at least back then, unappealing. Moreover, I couldn’t
see myself in any of the traditional job profiles that one associates with a law degree:
judge, public prosecutor, administrative official, or lawyer. This of course influenced
my decision to continue my studies in sociology. This was promoted by the fact that
after the first state examination, I received an offer from Günter Kaiser to work at the
MPI. This enabled me to meld both disciplines nicely. The questions that were being
dealt with here at the time were all new and interesting, including studies on unre-
ported crime (such as the Emmendingen Youth Survey) and assessments of the
role of the public prosecutor in criminal social control. It was during this time
that I also delved into sociological perspectives on the topic of deviance. On the
one hand there was Trutz von Trotha, whose approach has always struck a chord
with me; on the other hand there was Baldo Blinkert, who was tremendously impor-
tant for my methodical training (introduction to SPSS, statistics, etc.). Ultimately,
this experience in Freiburg led me to continue down the path of criminology.
You spent the majority of your career at the MPI. Nevertheless, how significant were
the two intermediate stops along the way at the universities in Konstanz and Dres-
den?
Oh, the time in Konstanz was heavily influenced by criminal law. Well, actually, in
both Konstanz and Dresden I lectured on criminal law. In addition, I held the state
examinations (something I continued to do in Freiburg until last year). To begin
with, I really enjoyed this new challenge as it was something new. I had to set up
a series of lectures and try to convey my knowledge and understanding. But after
two or three years I got a bit bored of it. While I understand legal doctrine, I
could never really get excited about it. Sometimes I even tried to write about it,
and on occasion I have actually succeeded.
Your time in Dresden was during a period of great change and upheaval. What was
different when compared to West German universities?
As far as the legal training and teaching itself, there was no difference at all. When I
came to Dresden in 1993, the bulk of the administrative changes had already occur-
red. Knut Amelung and Günter Heine were also still in Dresden at that time. In fact,
the whole teaching body of the law faculty was imported from the West, as occurred
in all the universities of the former East Germany. As such, there weren’t any major
differences to write home about.
How was the cooperation with the students?
Dresden has always been popular. The students were young people, I never had prob-
lems with them and they never had problems with me. The state of the university
buildings was a different matter as they were undergoing extensive renovation
work. The old lecture halls were very slowly being modernized and refurbished,
Exploring the World of Crime and Criminology 37

which made lecturing somewhat difficult. That said, I really liked the university and
the city. It was three and a half or four years that I spent there in total. However, I never
gave up my primary residence here in Freiburg, in particular because it had become
clear that I would take the position of director at the MPI as the successor to Günther
Kaiser.
In retrospect, which areas of research particularly interested you during in the past?
During my time in Konstanz, I began to research informal economies, with a particular
emphasis on drug markets. This research was partly in cooperation with several French
colleagues and eventually gave rise to the Laboratoire Européen Associé (LEA), which
ran for twelve years. In addition, English criminologists were also interested in the sub-
ject, which led to myself and Joanna Shapland editing a book. This tri-national involve-
ment was in itself a relatively rare constellation, and the result was a very good project
on underground economies in several large cities. In fact, this topic has continued to
interest me throughout my career as an active researcher. Drugs still interest me
today: not as a substance, but as an object of investigation [laughs].
What are some of the key insights you have gained over the course of your academic
career?
One central insight established early on is that criminal law and criminal justice are of
great importance as control systems. On the one hand, they help shape societies. On
the other hand, I have not been able to identify any field or area in which the establish-
ment of criminal law or its more harsh or lenient application has had any significant
consequences. There is a certain contradiction in this that is difficult to resolve. I
would not propose abolishing criminal law because this would presumably result
in consequences that are not particularly desirable. Yet my conclusion for the further
development of criminal policy and criminal law would be that punishment should be
used very cautiously as an instrument of social control. Because – and this can of
course also be seen from comparative approaches – regardless of how many people
go to prison or how long they stay in prison, what can be observed is that actual levels
of crime in society do not differ that much. This is particularly clear concerning in-
formal economies: when people want drugs, or weapons, or anything else for that mat-
ter, this demand will be met. It’s purely a matter of price. That is why drug policy is a
particularly interesting field, because you can see and observe that nothing has really
changed over the last six decades since the Single Convention on Narcotic Drugs of
1961. Drug prices have remained relatively stable, and cocaine is even cheaper today
than it was twenty or thirty years ago. What has changed, of course, is the composition
of the prison population. Something else that has also been on my mind in recent years
is immigration and crime, specifically the social control role of the criminal justice
system. There is no indication that immigration results in an additional burden in
terms of crime: an increasing number of studies in many Western countries have fur-
ther cemented this finding. However, that is only one side of the equation. For on the
other side it can be seen that in prisons – regardless of whether they are in France,
England, Germany, or the Netherlands – a considerable number of those imprisoned
38 Interview with Hans-Jörg Albrecht

are either foreigners or have a migrant background. The prison system has thus be-
come ethnicized in a way that makes one wonder why. Obviously, the composition
of those groups that are socially marginalized has changed. What is interesting is
that in the USA this has not occurred and, even if Donald Trump claims otherwise,
the country’s prisons are not full of immigrants. Most immigrants to the USA, partic-
ularly those from Latin America and Asia, are interested in social advancement and
want to earn money and live in dignity. Therefore, one sees a different composition of
the prison inmates in the USA, which incidentally is also due to criminal policy de-
cisions. In US prisons, African-Americans are overrepresented, not immigrants. What
can be witnessed (and this is a field in which changes can be observed) is that in Europe
there is an increasing concentration of prison inmates with a migrant background, es-
pecially immigrants from Turkey or North African as well as Arab countries. I think
such changes should play a role in future criminological research, for example by in-
vestigating the effects that immigration and ethnic and/or religious heterogenization –
today we say cultural diversity – have on criminal justice systems.
In terms of your research projects over the years, what have your biggest successes
and failures been?
I would say that a major success has been that almost all of the researchers who have
worked on and developed projects here at the MPI have completed their projects in a
splendid manner. You can clearly see this in the many publications and book series of
the MPI. As director emeritus, I am also a bit proud to say that in many cases the
projects conducted during my directorship were very complex and innovative and
resulted in considerable added value to the broader community. It is impossible to
list all the projects and all the people from over the years, but I am thinking above
all of the projects that emerged from the Franco-German network, the youth surveys,
the research on informal economies in various countries, the work on cross-border
police cooperation, and not least the longitudinal studies and the social therapy proj-
ects, including the only noteworthy experimental study to have thus far taken place in
a German-speaking country. In addition, several justice-related investigations
formed an important component of the research conducted at the MPI, including pio-
neering comparative studies on sentencing. Furthermore, the investigations into new
forms of sanctions and covert investigative measures – information sharing, electron-
ic surveillance, telecommunication surveillance, traffic data queries, data retention
laws, and dragnet policing – were really well done.
It was also always important to me to properly archive and organize data records in such
a way that they can be returned to if required. What could perhaps have been expanded
and further developed would be the use of replication studies. In individual cases this
did occur successfully, as in the investigation of enforcement practices concerning en-
vironmental and regulatory offenses, where a replication of the first empirical study
from the 1980s was conducted more than twenty years later. Incidentally, the longitu-
dinal Freiburg Cohort Study, which began under Günther Kaiser and whose database
and analysis potential has continued to grow, remains unique to this day.
Exploring the World of Crime and Criminology 39

Were there any unpleasant or stressful aspects of being a director?


Here, too, I can say that overall, I am lucky that there were only a few problems along
the way. This was largely due to my employees. Looking back on the almost twenty-
three years since 1997, there is one thing in particular that bothers me, but perhaps it
could not have been completely avoided. It is the projects that were started but not
finished. This applies to individuals whom I judged to be very capable and who prob-
ably are indeed very capable, but for one reason or another did not complete the proj-
ect. Incidentally, this means that for some projects I still have obligations that have
yet to be discharged.
What about the Max Planck Society (MPG)? Were there any additional obligations
that had nothing to do with research in the narrow sense?
Yes, what I certainly considered to be stressful was the balancing act between the
university and the MPG. Within the MPG, a considerable amount of time is tied
up by the section meetings; the section basically functions in a similar way to a fac-
ulty with a large number of administrative and organizational tasks that need to be
completed on top of the regular university obligations of examinations and faculty
meetings. To put it bluntly, everything is doubled.
How did you perceive the overall work-life balance?
You can probably judge that better than me. I grew up at this Institute and haven’t
really experienced anything else. As such, I’ve never really assessed my time here
from the perspective of work-life balance. I’ve certainly been on the road a lot,
both at home and abroad. That was fun and still is fun, so I don’t really know
what needs to be balanced out [laughs].
Whilst we are talking about travel, a particularly eye-catching characteristic of your
director’s office was the sheer number of honorary certificates and souvenirs from all
over the world. Are there any cooperation partners, countries, or regions that you
particularly associate with your time as director?
There were different phases with different priorities. For example, the exchange with
South Africa and Namibia, where I was involved in various reform projects for over
fifteen years, saw me often travel to Windhoek, Pretoria, and Cape Town in the years
between 1994 and 2005. That was rewarding for two reasons. Firstly, because it gave
me ample opportunities to conduct accompanying scientific research, including the
systematic collection of data. In Namibia, for example, I was able to collect and eval-
uate judicial data which, I hope, not only sparked interest at the time but also had
consequences for the country’s criminal policy. Secondly, I was able to see how dif-
ficult it can be to initiate and implement reform processes which, due to social struc-
tures, often encounter a great deal of resistance. Of course, China and, in connection
with it, Korea and Japan, should also be mentioned: the focus on these countries
began with Günter Kaiser and Hans-Heinrich Jescheck and has, on the whole, con-
tinued to develop positively. Indeed, the connections are still very strong today and
we have had a number of doctoral students at the Institute who graduated with very
40 Interview with Hans-Jörg Albrecht

good grades and are now working at universities across China. Other priorities were
Iran and the Caucasus region. However, in some cases nothing long-term developed
out of these collaborations. This also applies to an Afghanistan project in which the
Institute was involved. What did occur, however, was a significant expansion of con-
tact with other countries and regions. For example, Iranian criminal law was very
much oriented towards France until the 1990s: the work of the MPI certainly contrib-
uted to a strengthening of connection between Germany and Iran on this front. As far
as South America is concerned, I am currently still active there with several research
projects in cooperation with Pablo Galain. These deal with the legalization of mar-
ijuana and drug markets in South America as well as questions of violence. Concern-
ing the latter topic, in international comparisons South America is a region in which
lethal violence is particularly pronounced. The development of empirical criminol-
ogy on the continent is also of special interest and we are currently seeking to estab-
lish empirical criminology in Santiago de Chile, in the sense of a criminology that is
not just theoretical and normative – as is currently still the case in South America –
but one that is an empirical science that aims to systematically collect data and can
assist in the critical monitoring of criminal policy. Cooperation with researchers in
the English-speaking world, especially North America and England, was also quite
good. It was also important to me to continue working with the countries of the for-
mer Soviet Union. Ukraine naturally played a special role, especially through my in-
volvement in the European Union’s Tymoshenko mission, which lasted almost two
years. This task was interesting because it was closely related to politics and not nec-
essarily the law [laughs]. At the end of the day, it was about political disputes that
were carried out by means of criminal law. Based on allegations that wouldn’t
even have been enough to issue a fine in a jurisdiction like Germany. Yet every
judge immediately signed arrest warrants.
Last but not least, I want to mention the Balkan Criminology Group, which emerged
as a partner group of the MPG and which has succeeded in initiating and carrying out
various criminological projects in the Balkans. It remains active with great success,
whereby I mean not only the implementation of empirical projects, but also the suc-
cessful creation of a criminological network that now covers almost all of Southeast
Europe.
You already mentioned China, a country that is frequently in the news at the moment.
Based on your experience, how would you assess current political developments in
the country and their impact on academic research? Perhaps also with regards to the
situation in Hong Kong?
It’s tricky. Firstly, I would make a fundamental distinction between general develop-
ments in China and particular developments in Hong Kong. Broad social and eco-
nomic developments have significantly changed China over the past twenty or thirty
years. However, in recent years the Communist Party’s access to almost all areas of
life has once again become more intense, although – and this must always be taken
into account – room for individual freedoms is still available. In particular, people can
Exploring the World of Crime and Criminology 41

now freely travel. In mainland China itself – with a few exceptions – discussions are
not prohibited. The exceptions mainly concern the country’s territorial integrity. That
is why Hong Kong, as well as Taiwan and Tibet, are so important to the central gov-
ernment in Beijing. When we look at the new security legislation in Hong Kong, I
think it is less about security and more about enforcing the claim that its territorial
integrity must not be touched. This means that three regions are excluded from public
discourse: Tibet, Hong Kong, and Taiwan. These issues can only be discussed with
extreme caution. In addition, a second minefield in which one must cautiously tread
is that the Communist Party (and it alone) determine the politics and the leadership of
the People’s Republic. There is no opposition party and no classical form of democ-
racy akin to what has developed in Europe. In the foreground is the leadership role of
the Communist Party, which must not be touched. Apart from this, however, I cannot
see any prohibitions of thought and discussion. For example, the death penalty itself
is not a taboo topic. There are of course certain sensitive topics within such subject
areas that can lead to problems, especially if the country’s political leadership has the
impression that this has resulted in a loss of face. In connection with the death penalty,
I once noticed this at an event that we held together with the German embassy in con-
nection with the German-Chinese rule of law dialogue. A Chinese participant gave a
lecture on organ removal and the death penalty. This led to strong reactions, not be-
cause of the death penalty itself but rather the removal of prisoners’ organs after their
execution. A third sensitive area that also plays a role in the discussion here is that of
surveillance. Recently, I have on occasion had difficulty accessing certain websites
from within China. Sometimes this has affected the New York Times, sometimes
other information sources, but thus far not the sites of German magazines or news-
papers. China’s expansion of data processing abilities and the introduction of tech-
nologies that collect vast amounts of personal data are unmatched elsewhere. Indeed,
Germany still lags far behind in the introduction of many of these technologies. One
example of this is the disappearing role of cash in everyday life in China. Last year, I
took the train from Beijing to Tianjin; when I went to the restaurant car to buy a drink
and held up a yuan bill I was told that only mobile or other cashless methods are ac-
cepted. This shift to a cashless economy naturally generates a tremendous amount of
data, which is difficult to process with a population of 1.3 billion people (many of
whom use multiple smartphones). The monitoring possibilities created by such pro-
cesses are of course used, that is very clear. However, I do not assume that these
changes will have any great significance on Chinese society itself. Overall, I have
the impression that the Chinese colleagues with whom I work are essentially of
the opinion that the Chinese government and politics are one thing and the question
of how they organize and shape their lives is a completely different matter. And as
long as the Chinese leadership manages to guarantee prosperity for a significant pro-
portion of the population and to make personal developmental opportunities visible,
most Chinese – at least I have this impression – will not have any problems with the
political system. You see something similar in Iran. The Iranians joke about their
leadership, which is of course not difficult given those that are in charge. Apart
42 Interview with Hans-Jörg Albrecht

from that, they come to terms with their situation, irrespective of the ever-worsening
standards of living.
But what type of standards are these?
Poor standards of living are a fundamental problem with such political systems. If
you link this back to criminological questions, this problem is taken up in anomie
theory. Anomie theory, developed in the USA, basically says that political stability
can be maintained as long as the middle class succeeds in essentially maintaining its
standard of living and, above all, when young people are offered opportunities. Prob-
lems arise when anomie emerges in the middle class. Thus, criminological questions
also concern the development of social structures, social conditions, and so on (in
which crime, of course, is also embedded). Something that is always included in
criminological perspectives is the question of upheaval and change. At what point
does a situation arrive where people say “Enough is enough, we refuse to participate
any longer.” This leads to an interesting question that I have been preoccupied with
since the 1970s: under which circumstances are criminal norms abolished? This was
dealt with in detail at the MPI in connection with the topic of abortion. I still remem-
ber from back then the famous Stern-magazine cover image titled “Wir haben abge-
trieben” (We had Abortions). This was a deliberate provocation on a magazine cover:
“We have violated norms – what now?” The reaction was interesting – nothing hap-
pened. This addresses a question about which I learned a lot from Trutz von Trotha.
Trutz studied the topic, namely norm and sanction, for a long time. What do sanction
and punishment mean? The German judiciary currently imposes, I believe, around
700,000 criminal sentences per year. Nevertheless, society remains calm. Obviously,
under certain conditions, it is possible to punish without causing a great ruckus. There
are prisons, many people are punished, everyone has gotten used to it, and life goes on
as normal. That was and is not always the case, nor is it the case everywhere either. In
Afghanistan or Somalia, the situation is very different. Therefore, sanctions and their
consequences concern an important point: which conditions enable punishment to
appear in such a way that it is accepted (at least by most) as legitimate and not as
a form of injustice, which in turn must be responded to with further sanctions.
Now we have two final questions for you in this part of the interview. First, what sig-
nificance did teaching and working with young researchers have on your work?
In Konstanz and Dresden, teaching was obviously paramount. Course contact time
amounted to about eight to ten hours a week, including seminars. This load was some-
what reduced at the MPI in Freiburg. At the same time, the supervision of doctoral
students, particularly from the Institute’s research schools, became increasingly im-
portant. Many criminological questions can only be dealt with in the form of a dis-
sertation, and I was always busy in this regard. You can see this from the large number
of dissertations conducted at the Institute.
Exploring the World of Crime and Criminology 43

Second, who has shaped your scientific approach?


Many people helped shape the way I research and it is impossible for me to prioritize
one person over another. On the one hand, of course, there was Günther Kaiser. I
learned the systematic approach to research from him. Don’t just stop at the first ref-
erence, but rather dig deeper in a systematic manner to see what differences exist and
how you can classify them. This systematic approach involves a broad quest that in-
cludes gathering information from many fields, including psychiatry, social sciences,
economics, criminal law, or political science. As soon as I found a publication that
had any relation to one of my topics, I read it. Of course, this has now become in-
creasingly easier through digitalization. It enables one to quickly access a wide va-
riety of magazines, newspapers, and other sources. On the other hand, I learned a lot
about statistics from Baldo Blinkert. His courses enabled me to not only understand
and access, but also to interpret, statistical methods. Something that immediately
made sense to me was the principle of “garbage in, garbage out”: if you enter non-
sense into a statistics program, you will only get nonsense back out. The other thing I
learnt from him was the practical handling of statistical programs like SPSS, which
offer a lot of possibilities to conduct detailed analyzes. Ultimately, however, relation-
ships can often be easily recognized from basic data and descriptive statistics. There-
fore, the first thing you should always do is take a simple look at the basic data. Sim-
ple statistical approaches can be more effective than complicated ones.
What about other criminologists?
Oh yes, there are certainly a few more people. As I said, I learned a lot from Trutz von
Trotha. The same applies to Popitz. Much of his writing had a criminological angle,
and I have always been won over by it. This was also the case with Spittler. In the area
of criminal law, I was particularly impressed by two people (although I certainly
don’t want to exclude anyone from my group of colleagues). The two individuals
were Jakobs and Jescheck. As far as I know, Jakobs was the only person who attempt-
ed to develop a theory of systematic and structured doctrines, the basis of which is a
sociological theory. In my opinion, his approach is the only one that can – perhaps not
in absolute detail but from an overall perspective – explain things reasonably consis-
tently. For example, when it comes to deciding what decision to take as to whether
someone is guilty or not. And then of course there is Jescheck. What always im-
pressed me about Jescheck was his salient approach to criminal law, punishment,
and criminal policy. You didn’t necessarily have to agree with these ideas to appre-
ciate that they were clearly structured and, at the end of the day, simple. His way with
language was also impressive. His textbooks and manuscripts were always very easy
to understand. Which, by the way, was not the case with Jakobs; his texts were, and
remain, rather difficult to understand for new undergraduates. This never applied to
Jescheck: his texts are much more “accessible”, if you will. I remember that when I
was preparing my habilitation lecture, I had to discuss a criminal law issue. It dealt
with mistake of law. Whilst I enjoyed this, at a certain point I got stuck and couldn’t
move forward. In my desperation, I asked Jescheck for advice. His simple answer
44 Interview with Hans-Jörg Albrecht

was: “Don’t think about it anymore, just stop at this point!” At the end of the day, this
was sound and simple advice.

Part 2: Developments in Criminology

Now let’s move to the second part of the interview. This will focus on developments in
criminology, both in Germany and worldwide. In your time as director, what would
you say were groundbreaking criminological advancements: not only from a theoret-
ical and methodological standpoint but also in terms of content?
In terms of theory, I think that one of the most important advancements was coming
up with the concepts of informal social control and self-control. On the one hand, this
approach encompasses the immediate neighborhood as well as larger social struc-
tures and individual persons. On the other hand, these two theoretical concepts
also contain and combine psychological, psychoanalytical, and sociological ele-
ments. Moreover, one can apply a normative framework as the notion of self-control
is intertwined with the idea of how the self is developed and what meaning or influ-
ence the self has in the decision-making process. It’s the informal systems such as
parents, neighborhoods, schools, and so on – the important pillars of socialization
so to speak – that accompany and form people whilst they grow up. Eventually,
this leads to very interesting questions as to how it is possible to equip people
with a self-concept that allows them to not only make decisions but to make the
right decisions. In fact, during the last thirty years there have been some rather inter-
esting developments in the field of psychology and behavioral economics: these de-
velopments ask at what point a person will come to say “I’m not going to do this.
That’s not who I am. I can’t in good conscience act like this and be fine with it.”
Hence, the question about how this is connected to both learning behavior and deviant
behavior is so interesting because humans are capable of combining normative
claims with this concept of the self. Naturally, this system offers a certain flexibility
which is why an individual decision may also be “Well, if I actually do this, it
shouldn’t be too bad.” Justifications play an important role in such contexts and it
appears that coming up with suitable justifications is easier when norms are, to a cer-
tain degree, flexible. Tax evasion or driving under the influence are good examples of
this. No one usually carries a breathalyzer around and if someone has two or three
beers his or her blood-alcohol concentration might not even be at 0.5 per mil.
Maybe it’s only at 0.49 per mil. Such reasoning can be found among people who
would never drive in a completely drunken state. Similar justifications for “cheating
the system” can also be observed in the context of tax evasion, insurance fraud, or the
like. I think that theoretical approaches in such contexts should be further developed
because they are especially important with regard to self-control. In addition, they
provide us with insights about our normative concepts. In terms of the concept of
informal social control, I see a lot of potential for further scientific advancement.
Under-researched aspects include the effects of stable neighborhoods or the question
of how it is even possible to establish working instances of informal social control in a
Exploring the World of Crime and Criminology 45

post-modern world which assumes – if I understand correctly – that humans will be-
have in a calculating manner in line with the idea of the rational agent (homo eco-
nomicus). Modern in this sense obviously means increased personal degrees of free-
dom, so that I don’t have to make concessions to (almost) anyone or anything, I don’t
care about what my neighbors say or think, I don’t go to church, and I don’t really care
for clubs or associations except for maybe my local rifle club. Hence, people are able
to weigh their options according to their own inner compass because what other peo-
ple say does not really matter anymore. This naturally also impacts self-concepts and
forms of informal social control. With that being said, I still assume that this rational
agent is the human of the future even though this type did, in fact, already exist in the
past. Homo economicus does not necessarily put a lot of thought into norm conform-
ity; the main objective of this rational agent is the consideration of advantages gained
by any given decision. In fact, this conforms with the majority of post-modernist
thought which presumes that thoughtfulness toward others no longer exists. But
that’s not necessarily true. I think that people today calculate and weigh their options
just as much and just as often as they did thirty, forty, or even fifty years ago. How-
ever, I have yet to figure out how all of this goes together.
How relevant is German criminology in Europe and further afield?
That’s a tough question. In my opinion, criminology as a discipline – that is, a dis-
cipline that focuses on concepts of deviance, crime, social control, criminal law, and
many other aspects of crime – has developed extremely unevenly. Up until and
throughout the 20th century, the home base of criminology and criminological re-
search was primarily North America, England, and Scandinavia; later on, the Nether-
lands, Germany, and France also joined the fold. Since then, things have changed.
Now, criminology as a discipline and research tradition has expanded and become
increasingly diverse; distinct “criminologies” exist in Eastern Europe, in China, in
Japan, in South America, and in Africa – especially in South Africa. Nevertheless,
I would say that the major focus of criminology is still on the abovementioned “tradi-
tional” countries. Germany played a major criminological role up until the 1950s and
1960s due to its focus on the etiology of crime. In recent decades, however, its role as
big player in the criminological world has changed because criminology in Germany
never really achieved the status of a fully independent discipline with its own insti-
tutions and facilities. Instead, criminology has essentially become an add-on to law
faculties. This, however, comes at a certain price because the main task of law fac-
ulties is educating future lawyers. To put it quite drastically, ever since the 1980s and
the discarding of any consideration to integrate it more closely into the legal curric-
ulum, criminology has become more of an afterthought. While law students and stu-
dents from other disciplines can elect to take courses in criminology, it has neverthe-
less lost its role as an independent discipline in the German higher education system.
Interestingly, nor was criminology able to anchor itself as an integral component of
sociology or psychology.
46 Interview with Hans-Jörg Albrecht

In countries such as the Netherlands, England, the US, Canada, Australia, South Af-
rica, and many others, however, criminology is an independent discipline and field of
study with specific university programs and degrees, exams, and lots of employment
perspectives. This standing of criminology is much higher than in Germany. More-
over, developments in Germany over the last fifteen years suggest that the impact and
importance of criminology will further decline in the fields of law, psychology, and
sociology. An indication is the ongoing downsizing of criminology chairs at German
universities. Aside from a small core of criminological institutes and department
chairs, criminology has more or less disappeared from the German academic
radar. As of today, we only have two or three master programs for criminology in
Germany: in Bochum, Hamburg, and Greifswald. And in terms of major criminolog-
ical research centers, there is the MPI in Freiburg, the Criminological Research In-
stitute of Lower Saxony in Hannover (KFN), and the Center for Criminology in Wies-
baden. That is about it.
You addressed these structural weaknesses a few years ago in the Freiburger Mem-
orandum. Has this resulted in change?
Yes, well, it was quite interesting. The Freiburger Memorandum piqued the interest
of both traditional universities but also especially of universities of applied police
sciences, where criminology plays a much more integral part in the curriculum of
future police officers. In fact, my impression is that criminology plays a much
more central role in these academies when compared to traditional universities.
Still, as of right now I do not really believe that the Freiburger Memorandum will
lead to a substantial strengthening of the discipline of criminology.
How do you see the “old” and the “new” MPI with respect to the past and the future?
From my point of view, the MPI and the KFN have the broadest criminological re-
search potential. This has been the case in the past and will remain the case in the
future, irrespective of how their research agendas have changed over time and
will no doubt continue to change over time. A major factor here are the considerable
resources found both in Freiburg and Hannover, which is why I don’t expect either of
the institutions to lose standing or influence. When Ulrich Sieber and I worked on the
petition addressed to the MPG that called for the continuance of the MPI after we
were granted emeritus status, we did not have any concrete ideas or plans in mind
in terms of a future research agenda for the Institute. I, for one, am optimistic
about the direction of things to come because, in addition to some researchers
who have already been at the Institute for a long time and decided to stay, a number
of younger researchers have recently come to the MPI who, in my opinion, have the
potential to conduct very interesting and ground-breaking research within the next
ten to twenty years, thereby contributing to the continuation and evolvement of crim-
inology in Germany.
Exploring the World of Crime and Criminology 47

What challenges does contemporary criminology face? Does it need to be more po-
litical?
Well, I have my doubts about that because criminology should be applied rather cau-
tiously in terms of politics. Nevertheless, I was always very interested in the link be-
tween politics and criminology. When I started working here as a researcher for Kai-
ser – [smiling] that was a long time ago – he sent me to a German-American confer-
ence in Berlin. It was probably due to the English language because it was the first
time I went to such a conference where very well-known people presented their work
and gave talks. The topic was the relationship between politics and science and the
main question was whether science can and/or should influence politics. In some
cases, I brought myself to give advice to politicians over the years. Still, I think
this is problematic because the questions that politicians tend to ask – should sanc-
tions be increased, what influence will specific reforms of criminal law have, etc. –
and the answers that they want to hear cannot be dealt with in a satisfactory way. It is
simply not possible to establish the detailed effects of criminal sanctions in general.
Consequently, it is equally difficult to make projections and suggestions concerning
specific sanctions. At the end of the day, such decisions need to be taken by parlia-
ment and finally, by the courts. As a researcher I can only tell the legislature whether
the targeted effect will likely be noticeable or not, that is, whether the likely effect
warrants the required political process. Science and researchers should act and in-
struct rather cautiously. What happens when this caution is thrown to the wind
can be plainly observed by looking at the fiasco concerning the role of virologists
in advising politicians and the public during the current COVID-19 pandemic. On
another note, I will always remember a conference in Bamberg on criminal law
and crime developments organized by the Humboldt-Foundation. It took place in
the early 2000s during an era in which a general decline in crime rates was already
noticeable. I was the keynote speaker and presented data and hypotheses on this de-
cline. In the discussion following my presentation a couple of politicians – including
one or two members of parliament – delivered conflicting statements, insisting that
“crime rates are on the rise.” I was flabbergasted and could not believe what they had
just said. In the late 1990s, I had a similar experience during a panel discussion broad-
casted by a Bavarian TV network. There, I talked about lethal sexual assaults on chil-
dren and the fact that they have declined significantly over the last four decades. Hav-
ing presented the data, one of the other participants, who was a politician, said to me
that the statistics and the data don’t matter to him as one case of lethal sexual assault
of a child is already one too many. So, what do you need the data for? To a certain
extent this is totally understandable. When I talk to parents who have lost their child
to such offenders, I obviously would also not just tell them to calm down as it was
only an unfortunate exception that their child was murdered. No, what I’m criticizing
here is the political attitude. Such elimination fantasies can also be encountered in the
context of drug policies, where certain circles of decision makers are constantly try-
ing to develop new plans on how to eliminate drug consumption. Honestly, I don’t
know how it is possible that these presumably smart individuals are so convinced
48 Interview with Hans-Jörg Albrecht

that it is possible to reduce the amount of drugs available in any major city – in the
manner of some five-year plan. Unfortunately, I see a similar pattern in the Istanbul
Convention as it is also rooted in the idea that it is possible to “eliminate or abolish all
violence against at women.” Aside from the fact that other forms of violence are ap-
parently less interesting to many of our politicians, such abolitionist ideas are essen-
tially totalitarian at their core. That’s why I myself have been wondering how it was
possible to argue for more extensive and stricter criminal laws in reference to univer-
sal human rights.
And now the final question for this part of the interview. Where do you see criminol-
ogy in fifty years? Or where would it be in an ideal world?
Well, I think that criminology as it exists today in Western Europe and other regions
will still be around fifty years from now because there will still be a need and demand
for the data and explanations that it provides. In the German context, for example,
victim surveys have been widely implemented and are now set to be regularly con-
ducted. Moreover, additional opportunities to collect and analyze data will arise, es-
pecially in the context of longitudinal studies. These studies may be of great political
interest. What I am honestly wondering is why no political actors have thus far claim-
ed the drastic decline in crime for themselves or their political party. Compared to the
situation in the 1980s and 1990s, the number of car thefts and cases of burglary has
quite literally evaporated. Moreover, the decline in homicides, violent crimes, rob-
bery, and larceny has been so significant that one would have expected some form of
political reaction to it. The situation is similar regarding imprisonment rates. In fact,
the number of inmates in the German prison system has noticeably declined over the
last two decades. In Hamburg, this significant decline in the prison population was
addressed by the city’s audit office in 2009; the subsequent findings resulted in a sig-
nificant reduction in the number of corrections officers and capacity for inmates.

Part 3: Personal Questions

As we near the end of the interview, we would like to now ask you some more personal
questions. Looking back at your early years, your childhood, your family – would you
say you were born with an interest in criminology or a sort of “researcher’s curios-
ity”?
Well, the only thing I can think of is reading. I was an avid reader from very early on
and I voraciously read children’s literature. In fact, I very much preferred reading a
book over things like taking a walk. Between the ages of eight and eleven I read all
books by Karl May. I still have all those books by the way – but in today’s world the
books would have to be rewritten and edited due to numerous problematic terms.
Exploring the World of Crime and Criminology 49

Are there any specific experiences during your childhood and adolescence which you
would say helped form your character during that time?
Honestly, I did have a happy childhood and teenage years. I am originally from an
area classed as very Protestant; it was also a very homogenous region. There were
next to no Catholics in the area when I grew up. There were also absolutely no for-
eigners. In my class at school, we once might have had a refugee who was from East
Prussia [laughing]. But he was well integrated. Obviously, there were also no carnival
or “Fasching” celebrations taking place in this Protestant area, which is why my first
experience with “Rosenmontag” celebrations dates back to when I first came to Frei-
burg as a student.
Keeping this cultural background in mind and talking about the ubiquity of juvenile
delinquency, do you remember any personal instances of deviant behavior in your
youth?
Of course, absolutely! Obviously, what is considered to be deviant is always closely
linked to a specific period or point in time. I do remember being involved in some
instances of fighting with friends and classmates before, during, and after school.
But nothing major. From 1968 onwards, marijuana became a thing but at that
time it was not a big deal yet, as drugs and problems surrounding drug consumption
only started to become controversial later on. Back in those days, drug-related crimes
came with a maximum sentence of three years. Obviously, a lot has changed since
then.
Back then, what would have been considered an everyday offense, similar perhaps to
illegal downloading today?
Such developments are completely new and result from technological and cultural
changes. Today, young people spend a lot more time in front of their screens and
while they are doing so they are often also contemplating how to get access to the
latest movies and songs. Back in the days, the streets provided much more opportu-
nities for committing stupid things.
You mentioned 1968. How did you experience the West German student movement?
Well, [laughing] it was actually quite pleasant. The time was characterized by radical
changes and far-reaching reforms. The university in its classical sense vanished,
which led to a complete restructuring of university-wide committees and structures.
Old customs and traditions in which members of the university wore academic gowns
disappeared by 1969. This change was rapid and had to do with the fact that the pro-
test movement was so powerful: it meant that none of the older professors dared to go
to a general assembly wearing the previously accepted attire of an academic gown. I
clearly remember that some professors had still been working at the University of
Tübingen even though they were previously linked to the National Socialist ideolo-
gies. The situation was similar in Freiburg where demonstrations, debates, and argu-
ments were a regular occurrence at the university. Even though the conservative ap-
pearance of the universities was cast-off relatively quickly, these protests and argu-
50 Interview with Hans-Jörg Albrecht

ments continued throughout the 1970s. Interestingly, some of the old rituals associ-
ated with exams or university festivities still exist today in many countries. In com-
parison, German universities changed rather quickly which was probably also due to
the social-liberal political coalition of 1969 which heralded the dawn of a new polit-
ical era.
Why did you decide to transfer your studies from Tübingen to Freiburg?
I originally decided to study in Tübingen because it was not too far away from my
hometown of Esslingen. While I did move to Tübingen, I still used to go home to
Esslingen quite regularly – to play tennis for instance. The idea to move to Freiburg
was born out of discussions with fellow students who were also considering transfer-
ring to Freiburg. To be honest, I liked the idea a lot because Freiburg was a little fur-
ther away from my hometown. Tübingen was also comparatively small and a lot less
attractive for young people like myself at that age. Right from the beginning, I felt
completely at home in Freiburg.
When looking at old pictures of you from the MPI photo archive, you appear to have
gone through several “mobility phases” in your life. First you seemed to be into mo-
torcycles then later Porsches. Did these choices correspond to different stages in your
life?
Yes, I loved motorcycling. And yes, I also bought two Porsches in my time. They
were beautiful cars and I really enjoyed driving them. However, at some point in
my life I needed to drive far less and ultimately lost interest in cars. Nowadays, I
only use my car to drive into the city and sometimes when I have to go to the airport.
What are your plans for the future? Will you continue to travel and conduct crimi-
nological research?
Well, first of all, I still have to wrap-up a variety of research projects and I have to
conduct a number of dissertation examinations from my time as director. After that, I
have scheduled a couple of new projects in South America. Once the borders open up
again and we are free to travel, I will also continue my activities in China. I am def-
initely not going to get bored any time soon.
If you could go back in time, would you change anything about your life?
Honestly, I don’t think I would change anything. It was always important for me to
have a certain degree of freedom in the work context which is why it was out of the
question to work as a prosecutor, as a judge, or in any comparable bureaucratic po-
sition. Similarly, I also would not have been happy or satisfied working as a lawyer
even though I could have earned a lot of money choosing said career path. Reading
and writing: that is what has continued to interest me most of all.
That is a good note to end on. Thank you for taking the time to talk with us today.
I. Sicherheit und Prävention –
Safety/Security and Prevention
Die Auslandsübermittlung von Daten
aus der strafprozessualen
Telekommunikationsüberwachung
Von Ulrich Sieber

Als ich Hans-Jörg Albrecht vor ca. 45 Jahren kennenlernte, war er die rechte Hand
seines akademischen Lehrers Prof. Dr. Günther Kaiser, den er – auch später und bis in
dessen hohes Alter hinein – in der Kriminologischen Forschungsgruppe des Freibur-
ger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht unterstütz-
te. Bekannt war Hans-Jörg Albrecht damals besonders für seine empirische For-
schung zu Sanktionen, insbesondere Behandlungsprogrammen im Strafvollzug,
zur Geldstrafe und zum Rückfall, zu Jugendkriminalität und Jugendstrafrecht. In sei-
nen Vorträgen und Gesprächen mit Gästen des Instituts überzeugte er vor allem durch
sein breites Wissen in Kriminologie und Strafrecht sowie durch seine klaren, mit fun-
dierter empirischer Forschung unterlegten Standpunkte, die bei ausschließlich nor-
mativ arbeitenden Kollegen manche vermeintliche Gewissheit über das Strafrecht
und das Strafen erschütterten. Der damalige „rising star“ des Instituts beeindruckte
Besucher aber auch durch Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und sein Auftreten, Letz-
teres nicht nur, wenn er in Ledermontur auf sein Motorrad stieg und mit wehendem
Haar durch die Günterstalstraße Richtung Schauinsland fuhr.
Als Assistenten von Prof. Dr. Günther Kaiser und Prof. Dr. Klaus Tiedemann or-
ganisierten wir 1975, 1980 und 1985 gemeinsam die Südwestdeutschen Kriminolo-
gischen Kolloquien, die in Freiburg von der Kriminologischen Forschungsgruppe
des Max-Planck-Instituts und dem Lehrstuhl für Kriminologie und Wirtschaftsstraf-
recht der Universität Freiburg veranstaltet wurden.1 Gerne erinnere ich mich an diese
Zeit und unsere frühen Kolloquien zurück, auf denen ich viel über Kriminologie und
ihre Bedeutung für eine rationale Sozialkontrolle lernte.
Nach unseren Berufungen zu Direktoren des Freiburger Max-Planck-Instituts lei-
teten wir diese Institution ab 2003 gemeinsam. Die Zusammenarbeit mit Hans-Jörg
Albrecht war ebenso wie in den frühen Jahren unserer Assistentenzeit unkompliziert
und produktiv, vor allem auch in unseren beiden gemeinsamen International Max
Planck Research Schools. Anstehende Fragen wurden nicht in formalen Direktori-
umsbesprechungen entschieden, sondern bei einem Gespräch auf der Dachterrasse.

1
Vgl. Sieber 1976, 37 – 38; Albrecht & Sieber 1980, 162 – 171; Albrecht & Sieber 1985,
244 – 248.
54 Ulrich Sieber

Sein trockener Humor brachte mich innerlich oft zum Schmunzeln. In manchen Ei-
genschaften gegensätzlich, ergänzten wir einander in den Leitungsaufgaben sehr gut.
Das wissenschaftliche Konzept „Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach“,
das der Institutsgründer Prof. Dr. Hans-Heinrich Jescheck ausgerufen hatte, erwies
sich als fruchtbar, erfolgreich und unverzichtbar für eine zukunftsorientierte For-
schung in jedem der beiden Gebiete. Hans-Jörg Albrecht vertrat beide Disziplinen
mit einem unermüdlichen Einsatz, vor allem auch im Ausland. In den letzten Jahren
entwickelten wir dieses interdisziplinäre Konzept dann weiter im Hinblick auf ein
rechtsstaatlich begrenztes Straf- und Sicherheitsrecht, das für eine wirksame Sozial-
kontrolle über das Strafrecht hinausreichen muss.2 Ich bin Hans-Jörg-Albrecht für
diese lange und gute Zusammenarbeit sehr dankbar.
Für diese wissenschaftliche Kooperation war besonders vorteilhaft, dass unsere
Forschungsinteressen und Forschungsprogramme thematisch in weiten Teilen die
gleichen Sachbereiche abdeckten. Wir interessierten uns beide für die Auswirkungen
von Globalisierung und Digitalisierung auf Kriminalität, Strafrecht und Risikoprä-
vention. Ein spezieller Interessenschwerpunkt von Hans-Jörg Albrecht war dabei
die Telekommunikationsüberwachung einschließlich Verkehrsdatenabfragen und
Vorratsdatenspeicherung.3 Vor diesem Hintergrund behandelt der vorliegende Bei-
trag zu seinem 70. Geburtstag die – in Rechtsprechung und Literatur bisher kaum
problematisierte – Auslandsübermittlung von Telekommunikationsdaten im Wege
der Rechtshilfe, die wegen aktueller technischer Fortschritte derzeit neue und bisher
unbearbeitete Fragestellungen aufwirft.4

1. Problemstellung
Die Auslandsübermittlung von Daten aus der strafprozessualen Telekommunika-
tionsüberwachung (TKÜ) erfolgt im Rahmen der Rechtshilfe bisher vor allem in der
Form von „Konserven“, mit denen die aufgezeichneten Daten auf körperlichen Da-
tenträgern oder über Datenleitungen zeitversetzt an die ausländischen Strafverfol-
gungsbehörden übermittelt werden. Die Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische
Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) und ebenso bereits das Überein-
kommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union (EU-RhÜbk) sehen jedoch die Übermittlung
von TKÜ-Daten vor allem (so das EU-RhÜbk) oder alternativ (so die RL EEA) in
Echtzeit vor, so dass der aufgezeichnete Datenstrom unmittelbar („real time“) an
die ersuchende ausländische (Anordnungs-)Stelle ausgeleitet wird. Diese „unmittel-

2
Vgl. Sieber 2018, S. 3 – 35.
3
Vgl. insbes. Albrecht et al. 2003; Albrecht & Kilchling 2009; Albrecht 2010, S. 1 – 21;
Albrecht 2014, S. 767 – 794.
4
Für wertvolle Unterstützung zu dem folgenden Beitrag danke ich herzlich meinem frü-
heren Mitarbeiter Herrn Thomas Wahl.
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 55

bare Übertragung des Telekommunikationsverkehrs“5 befindet sich derzeit noch im


Teststadium.
Mit diesen Veränderungen spitzen sich Fragen zu, die bereits bei der klassischen
zeitversetzten Auslandsübermittlung von TKÜ-Daten bestanden, in der Praxis bisher
aber noch nicht beachtet wurden. Im Kern geht es darum, ob mit dieser Auslands-
übermittlung die vergleichsweise strengen deutschen Schutzvorschriften zur Begren-
zung der TKÜ auf der Strecke bleiben, wenn im Ausland keine entsprechenden na-
tionalen Regelungen – beispielsweise zum Schutz von Berufsgeheimnissen oder des
(nur in Deutschland anerkannten) „Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung“ –
bestehen und das deutsche Recht nicht anwendbar ist.
Ein Teil dieser Probleme wird durch den – in allen TKÜ-Rechtshilferegelungen
und auch für die vertragslose Rechtshilfe geltenden – Grundsatz der „doppelten par-
lamentarischen Ermächtigung“ gelöst: Die beantragte TKÜ-Maßnahme muss – so-
wohl für die Leistungsermächtigung als auch für die Vornahmeermächtigung im
Rechtshilfeverfahren – nicht nur nach dem Recht des ersuchenden, sondern auch
nach dem Recht des ersuchten Staates erlaubt sein.6 Aus diesem Grund hat das Ge-
richt bei der Anordnung der TKÜ zu prüfen, ob die Überwachungsmaßnahme auch in
einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall gerechtfertigt wäre. Mit dieser Prüfung
können nicht nur TKÜ-Anträge ausgeschlossen werden, in denen kein Verdacht
auf eine Katalogtat vorliegt. Ausgeschieden werden z. B. auch Fälle, in denen eine
TKÜ gegen Geistliche oder Verteidiger angeordnet werden soll,7 oder in Fällen, in
denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass „allein Erkennt-
nisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt werden“.8 Dieses
„Doppeltürmodell“ berücksichtigt die deutschen Schutzvorschriften in den vorge-
nannten Beispielsfällen dadurch, dass es bestimmte TKÜ-Maßnahmen überhaupt
nicht zulässt. In einzelnen Fällen gilt dies auch dann, wenn vor, bei oder nach Um-
setzung der TKÜ-Maßnahme noch auf deutschem Territorium festgestellt wird, dass
die angeordnete Überwachung nicht hätte erfolgen dürfen.9 Eine solche Konstellati-
on ist jedoch praktisch nicht möglich, da zwischen der TKÜ-Anordnung und der Da-
tenausleitung nur ausnahmsweise neue Erkenntnisse über die Rechtswidrigkeit der
Maßnahme gewonnen werden.
Durch die unmittelbare Datenausleitung in der internationalen Rechtshilfe ver-
schärft sich dieses Problem, da ein Verstoß gegen deutsche Schutzvorschriften in vie-
len Fällen erst bei der „händischen“ Datenauswertung durch die sachnahen Ermitt-
lungsbeamten im Ausland erkennbar wird, wo die deutschen Schutzvorschriften je-
doch nicht mehr gelten. Denn erst hier, bei der Datenauswertung, kann z. B. festge-
5
Vgl. Art. 30 Abs. 6 lit. a und b RL EEA sowie ähnlich bereits Art. 18 Abs. 2 EU-RhÜbk.
6
Vgl. Art. 6 Abs. 1, Art. 30 Abs. 5 RL EEA sowie § 91c Abs. 2 lit. c) dd) IRG und
(ebenso) § 59 Abs. 3 IRG, der vor allem für den vertraglosen Rechtshilfeverkehr gilt.
7
§§ 160a Abs. 1 Satz 1 – 4 StPO i.V. m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 StPO.
8
§ 100d Abs. 1 StPO.
9
§§ 100d Abs. 1 und 2, 100e Abs. 5, 160a StPO.
56 Ulrich Sieber

stellt werden, dass die Zielperson der TKÜ zwar kein Geistlicher ist, sie jedoch mit
einem Geistlichen kommuniziert, was die deutschen Schutzvorschriften ebenfalls
verletzt.10
Dieses Beispiel verdeutlicht die Fragestellung des vorliegenden Beitrages: Macht
die – fast immer bestehende abstrakte oder konkrete – Gefahr der Übermittlung von
unverwertbaren Daten etwa aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung die
Ausleitung der TKÜ-Daten ins Ausland rechtswidrig und steht so der Rechtshilfe
entgegen? Oder erfordert die Gefahr einer Verletzung von deutschen Schutzrechten
vor der Ausleitung der Daten eine Prüfung und Filterung des gesamten Datenbestan-
des? Oder gibt es andere Möglichkeiten, um das Interesse an einer effektiven grenz-
überschreitenden Kooperation mit dem Schutz der (Grund-)Rechte der betroffenen
Personen zu vereinbaren und wie verlaufen dabei die entsprechenden Grenzlinien?
Der nachfolgende Beitrag geht diesen Fragen am Beispiel der Richtlinie 2014/41/
EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) nach; die
Ergebnisse gelten jedoch grundsätzlich auch für andere Rechtshilfeabkommen und
die vertragslose Rechtshilfe. Im Vergleich mit den völkerrechtlich ratifizierten und
damit unmittelbar geltenden Rechtshilfeverträgen ist allerdings zu beachten, dass
die RL EEA kein unmittelbar geltendes Recht ist, sondern über ihre Umsetzung
im zehnten Teil des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen
gilt (§§ 91a – 91j IRG).11

2. Mögliche Lösungsansätze
Die Frage, wie die Auslandsübermittlung von TKÜ-Daten in Rechtshilfeverfah-
ren mit potentiell unverwertbaren Datenbeständen umzugehen hat, wird in der ein-
schlägigen Rechtsprechung und Literatur bisher nicht erörtert. Einzelne Literatur-
stellen könnten zwar so gedeutet werden, dass in diesen Fällen eine Ausleitung
der TKÜ-Daten rechtswidrig ist und zu unterbleiben hat,12 eine solche Interpretation
ist jedoch gewagt, da die Problematik der erst bei der ausländischen Datenauswer-
tung erkennbaren Verwertungsverbote in diesen Stellungnahmen, soweit ersichtlich,
nicht ausdrücklich angesprochen und vermutlich auch nicht speziell gesehen wird.
Eine weitgehende Ablehnung der Datenübermittlung ins Ausland zur Verhinde-
rung der Weitergabe von unverwertbaren Daten stünde nicht zuletzt im Widerspruch
zu den Zielsetzungen der RL EEA, dem EU-RhÜbk und dem IRG, die eine unmit-
telbare Datenausleitung vorsehen. Eine grundsätzliche Unterbindung der Weiterlei-
tung von Daten würde zudem die internationale Kooperation in Strafsachen im Be-
10
§ 160a Abs. 1 Satz 5 StPO.
11
Genannt werden dabei im Folgenden vor allem die Bestimmungen der RL EEA, da diese
auch die Vorgaben für andere Mitgliedstaaten der EU zeigen.
12
So möglicherweise Brodowski 2016, S. 403, der von einer „unzulässigen Weitergabe“
spricht. Vgl. dazu auch Trautmann & Zimmermann 2020, IRG § 59 Rn. 34.
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 57

reich der TKÜ unmöglich machen, in die Deutschland eingebunden ist. Die Verhin-
derung der Datenweiterleitung an die mit dem Sachverhalt vertrauten ausländischen
Ermittler würde schließlich auch nicht dem in innerdeutschen Fällen üblichen Ver-
fahren entsprechen. Sie kommt daher allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in
Betracht, wenn keine anderen Lösungen ersichtlich sind.
Um das System der TKÜ-Rechtshilfe aufrechtzuerhalten, könnte deswegen ver-
sucht werden, die aufgezeichneten TKÜ-Daten vor ihrer Ausleitung zunächst in
Deutschland auf mögliche Verwertungsverbote zu überprüfen und ggf. sensible
Daten vor ihrer Übermittlung auszuscheiden. Ein solches Filterverfahren würde je-
doch ebenfalls die (von Art. 30 RL EEA als Möglichkeit und Art. 18 EU-RhÜbk
sogar als Regelfall vorgesehene) direkte Datenausleitung unmöglich machen. Ein
Filtersystem zur Aufrechterhaltung deutscher Beweisverwertungsverbote im Aus-
land wäre aber wegen der anfallenden großen Datenmengen auch bei einer nachträg-
lichen und zeitversetzten Datenübermittlung nicht praktizierbar. Die „Filterung“ von
TKÜ-Daten wird vom BVerfG allgemein auch nur im Hinblick auf Beschränkungen
diskutiert, bei denen dies „mit praktisch zu bewältigendem Aufwand“ möglich ist.13
Im Übrigen könnte eine Suche der deutschen Behörden nach den Daten von bestimm-
ten Berufsgeheimnisträgern oder Daten aus dem Kernbereich der privaten Lebens-
gestaltung zwecks deren Aussonderung die Interessen der betroffenen Personen stär-
ker gefährden als die Weitergabe der Daten ins Ausland, da diese Daten ohne eine
solche Suche in großen Datenmengen möglicherweise überhaupt nicht entdeckt wer-
den würden. Eine „Filterlösung“ wäre schließlich auch nicht umfassend möglich,
weil viele Beweisverwertungsverbote (z. B. bei nicht absolut geschützten Berufsge-
heimnisträgern) sich erst im nachfolgenden Strafprozess verbindlich feststellen las-
sen. Vorbeugende „Filterpflichten“ vor der Datenausleitung ins Ausland sind daher
ein ebenso wenig gangbarer Weg.
Die Lösung der vorliegenden Problematik kann daher nur unter Rückgriff auf die
in Art. 30 Abs. 5 RL EEA vorgesehenen Möglichkeiten zur Stellung von Bedingun-
gen liegen, die in dem Umfang möglich sind, in dem sie in einem vergleichbaren in-
nerstaatlichen Fall zu erfüllen wären. Auf der Grundlage einer solchen Regelung
kann Deutschland die Übermittlung von TKÜ-Daten unter die Bedingung stellen,
dass bei der Datenauswertung bestimmte deutsche Beweisverwertungsregeln und
Schutzpflichten zu berücksichtigen sind. Die Einhaltung derartiger Bedingungen
ist sanktionsbewehrt, da Verstöße gegen eine völkerrechtlich wirksame Bedingung
im ausländischen Strafverfahren zu einem Verwertungsverbot führen.
Die Stellung von Bedingungen und die Forderung von Zusicherungen wird auch
in den deutschen Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen
Angelegenheiten (RiVASt) in Nr. 77a genannt.14 Diese untergesetzliche Normierung

13
Vgl. BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 128.
14
Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Umsetzung der Art. 30 und 31 RL EEA
auf Nr. 77a RiVASt verwiesen (vgl. BT-Drucks. 18/9757, S. 27, 33, 42, 43, 44) und von
58 Ulrich Sieber

ist vorliegend vor allem deswegen interessant, weil sie speziell zur TKÜ-Rechtshilfe
Beispiele für Bedingungen zur Aufrechterhaltung der deutschen Schutzstandards
nennt. Nr. 77a RiVASt15 bestimmt:
(1) […] Zulässig ist die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs gemäß § 77 IRG
nach Maßgabe der Bestimmungen der StPO (§§ 100a, 100b, 101).16 Soweit sich aus einer
Vereinbarung nicht etwas anderes ergibt oder die Stellung von Bedingungen bei Übermitt-
lung von Erledigungsstücken nicht ausreicht, muss die ausländische Behörde zusichern,
dass
a) die Voraussetzungen der Telefonüberwachung vorlägen, wenn diese im ersuchenden
Staat durchgeführt werden müsste,
b) die gewonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklärung der in dem Ersuchen genannten Straf-
tat(en) verwendet werden und
c) die Überwachungsprotokolle vernichtet werden, sobald sie zur Strafverfolgung nicht
mehr erforderlich sind.

Die Praxis hat damit für die Rechtshilfe zur TKÜ ein Lösungsmodell skizziert,
dessen Anwendbarkeit und Grenzen im Folgenden vor allem im Hinblick auf die Be-
stimmung und Einschränkung des maßgeblichen Kontrollmaßstabes zu untersuchen
sind.

3. Bestimmung des Kontrollmaßstabs


3.1 Erfordernis der Einschränkung

Im Hinblick auf die erheblichen rechtlichen Unterschiede zwischen den verschie-


denen nationalen Rechtsordnungen stellt sich hinsichtlich der Bestimmung des Kon-
trollmaßstabes zunächst die Frage, ob ein „Export“ deutscher Schutzvorschriften
über Bedingungen jede Verwertungs- und Begrenzungsnorm des deutschen Strafpro-
zessrechts zur Maßgabe einer Auslandsübermittlung von TKÜ-Daten machen kann
oder muss. Wenn Letzteres der Fall wäre, würde Deutschland bei der Leistung von
Rechthilfe vielen ausländischen Verfahren in weitreichendem Umfang seine Normen
aufzwingen. Das internationale Rechtshilfesystem würde jedoch unpraktikabel,
wenn jeder Staat mit solchen Bedingungen die Geltung seiner – nicht selten komple-
xen – strafprozessualen Regelungen zur TKÜ-Auswertung verbinden würde.
Dies führt zur Frage nach den Grenzen von Bedingungen im TKÜ-Rechtshilfever-
kehr. Die Antwort darauf ergibt sich aus dem Erfordernis, die Schutzinteressen des
von der TKÜ Betroffenen mit dem Interesse an einer funktionierenden internationa-

weitergehenden Regelungen abgesehen, so dass er die Grundsätze der Bestimmungen auch im


Rahmen der EU-Kooperation weiter für anwendbar hielt.
15
Hervorh. v. Verfasser.
16
Jetzt: §§ 100a, 100d, 100e, 101 StPO.
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 59

len Rechtshilfe abzuwägen.17 Diese Abwägung führt dazu, dass die Einhaltung von
überwiegend formalen prozessualen Ordnungsvorschriften des deutschen Rechts
(hinter denen jedoch in vielen Fällen auch substantielle materielle Schutzinteressen
stehen) nicht zur Bedingung der Rechtshilfeleistung gemacht werden kann. Dagegen
wird für wichtige deutsche Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsregeln, vor
allem im Bereich des deutschen ordre public, eine Schutzpflicht des deutschen Staa-
tes angenommen, fundamentale prozessuale Garantien auch im Ausland durchzuset-
zen, wenn das deutsche Rechtssystem mit einer TKÜ zur Verurteilung des Betroffe-
nen beiträgt. Denn es wäre nicht akzeptabel, wichtige Garantien der StPO, die häufig
das deutsche Verfassungsrecht widerspiegeln, außer Kraft zu setzen, indem die auf-
gezeichneten Daten ins Ausland übermittelt werden, wo solche Garantien nicht gel-
ten. In Rechtsprechung und Literatur wird deswegen bei der Rechtshilfe und insbe-
sondere bei der Auslieferung bezüglich der Heranziehung von Bedingungen vor
allem auch auf die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten unantastbaren Verfassungsgrund-
sätze und besonders auch auf die Garantie der Menschenwürde abgestellt.18
Diese Begrenzung der TKÜ-Rechtshilfe auf den ordre public lässt sich insbeson-
dere damit begründen, dass dieser für die deutsche Rechtsordnung auch sonst die
Grenze bei der Prüfung ihrer Leistungsverpflichtung zur Rechtshilfe bildet, z. B.
wenn Rechtshilfe für die USA nur unter der Bedingung geleistet wird, dass der Be-
schuldigte dort nicht zur Todesstrafe verurteilt wird. Darüber hinaus gilt diese Grenze
unter anderem auch, wenn die deutsche Rechtsordnung nach dem Grundsatz des
forum regit actum im Ausland erhobene Beweise verwertet, die dort unter Verstoß
gegen das ausländische Recht erhoben wurden: Verstöße gegen das ausländische
Recht sind hier für das deutsche Strafverfahren grundsätzlich so lange unbeachtlich,
wie sie die Grenze des ordre public nicht tangieren.19 Die deutsche Rechtsordnung
sollte daher – schon unter dem Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit – auch nicht ver-
langen, dass ausländische Strafprozesse nach der Leistung von Rechtshilfe in zu
weitgehender Weise auf der Grundlage des deutschen Verfahrensrechts geführt wer-
den. Die vorliegend relevanten Bedingungen an ausländische Rechtsordnungen müs-
sen folglich ebenfalls auf gravierende Verstöße beschränkt werden.
§ 73 IRG definiert den Maßstab des deutschen ordre public wie folgt: „Die Leis-
tung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig,
wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen
würde“. Diese Grenze wird in Rechtsprechung und Literatur vor allem für die Aus-
lieferung näher konkretisiert. Wie sie speziell für die Übermittlung von TKÜ-Daten

17
Vgl. dazu näher unten 3.2.1.
18
Vgl. dazu näher unten 3.2 sowie Bock 2019, 301 ff., 305, die vorschlägt, die Men-
schenwürdegarantie restriktiv auszulegen und auf ihren „wahrhaft unantastbaren Kern“ zu-
rückzuführen.
19
Vgl. z. B. BGH v. 21. 11. 2012 – 1 StR 310/12, NStZ 2013, 596 (Rechtshilfe Tschechi-
en); OLG Bremen v. 18. 12. 2020 – 2 Ws 162/20; HansOLG v. 29. 1. 2021 – 1 Ws 2/21; Böse
2014, 161 ff.
60 Ulrich Sieber

im Rahmen der Rechtshilfe zu bestimmen ist, wurde in Rechtsprechung und Literatur


bisher nicht thematisiert und muss daher im Folgenden geklärt werden.
Zur Bewertung dieses Maßstabes muss zunächst entschieden werden, ob der deut-
sche und/oder der europäische ordre public heranzuziehen ist. Der europäische ordre
public ist als Mindeststandard für den EU-Bereich insbesondere mit Blick auf die
Leistungsermächtigung der Rechtshilfe anwendbar, da es hier um die Umsetzung
einer EU-Richtlinie geht und nach Art. 1 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 1 lit. f) RL EEA
die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA versagt werden kann, wenn berech-
tigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA an-
gegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaa-
tes nach Art. 6 EUVund der Charta unvereinbar wäre.20 In Umsetzung dieser Bestim-
mung hat der deutsche Gesetzgeber in § 91b Abs. 3 IRG auch nochmals klargestellt,
dass Rechtshilfe nur auf Grundlage dieses europäischen ordre public möglich ist
(vgl. auch die Generalnorm in § 73 Satz 2 IRG, auf die § 92b Abs. 3 IRG verweist).21
Da die erforderlichen Bedingungen bei der Entscheidung über die Grenzen der
innerstaatlichen Vornahmeermächtigung gesetzt werden, kann Maßstab aber auch
der deutsche ordre public sein. Das folgt daraus, dass die RL EEA die Verwertbarkeit
der auf dem Rechtshilfeweg erlangten Beweismittel – ebenso wie die völkerrechtli-
chen Verträge der traditionellen Rechtshilfe (z. B. EU-RhÜbk, EuRhÜbk) – nicht
substantiiert regelt22 und die Frage nach den Grenzen von Bedingungen dem ersuch-
ten Staat überlässt.23 Der deutsche ordre public kann dabei im Ergebnis auch nicht
durch den europäischen außer Kraft gesetzt werden, weil die Richtlinie dem Vollstre-
ckungsstaat erlaubt, Rechtshilfe unter Berufung auf sein entgegenstehendes inner-
staatliches Recht ganz abzulehnen. Sollte der europäische ordre public dagegen
strengere Maßstäbe als der deutsche verlangen, so wäre dies für die vorliegende Fra-
gestellung der Auslandsübermittlung unproblematisch, da die entsprechenden Vor-
gaben dann für alle involvierten europäischen Rechtsordnungen gelten und damit
kein spezifisches Übermittlungshindernis entsteht.
Speziell zu der hier untersuchten unmittelbaren Direktausleitung von TKÜ-Daten
sind bisher allerdings noch keine Gerichtsentscheidungen zum ordre public-Stan-
dard bekannt. Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich daher auf den Maßstab
des deutschen ordre public, der sich anhand der Entscheidung des BVerfG zum
BKA-Gesetz näher konkretisieren lässt.

20
§ 73 Satz 2 IRG verweist für Ersuchen nach dem zehnten Teil des IRG auf die „in
Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätze“.
21
Vgl. zur zunehmenden Bedeutung der Europäischen Grund- und Menschenrechte im
Strafverfahren zuletzt Safferling & Rückert 2021, 287 ff.
22
Vgl. Art. 14 RL EEA.
23
So auch Böse 2014, 154 f.
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 61

3.2 Maßstab des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat die Grenzen der Auslandsübermittlung von


personenbezogenen Daten in seinem Urteil vom 20. 04. 2016 zum BKA-Gesetz de-
finiert; die Ergebnisse fasste es in seiner Entscheidung zum BND-Gesetz nochmals
zusammen.24 Beide Urteile betreffen zwar primär den Bereich der inneren Sicherheit
und die Übermittlung von allgemeinen präventiv-polizeilich und nachrichtendienst-
lich genutzten Daten, adressieren jedoch ähnliche Problemstellungen wie die Daten-
übermittlung bei der Rechtshilfe in Strafsachen: Sowohl bei der Rechtshilfe als auch
bei den allgemeinen Polizeidaten geht es zentral um die Frage, wie das Interesse an
einer effektiven internationalen Sicherheitskooperation mit den Schutzinteressen der
betroffenen Personen abzuwägen ist. Das Urteil zum BKA-Gesetz ist für die vorlie-
gende Fragestellung besonders deswegen interessant, weil es die Grenzen der Aus-
landsübermittlung von personenbezogenen Daten nicht nur allgemein anspricht, son-
dern auch an den speziellen Fragestellungen der Zweckbindung und des Datenschut-
zes exemplifiziert.

3.2.1 Allgemeine Aussagen

Das BVerfG stellt in seinem Urteil zum BKA-Gesetz (in Abschnitt D.IV.) zu-
nächst die allgemeinen Abwägungsprinzipien und Kriterien für die Auslandsüber-
mittlung von polizeilichen TKÜ-Daten fest, die den Grundsätzen zum ordre public
in anderen Bereichen der Rechtshilfe entsprechen (Rn. 323 ff.). Dabei erläutert das
Gericht (Rn. 325 ff.) die fehlende Geltung des deutschen Rechts im (ersuchenden)
Empfängerstaat sowie die gebotene Respektierung der ausländischen Rechtsordnung
durch das deutsche Recht. Auf dieser Grundlage betont das Gericht, dass das Grund-
gesetz der Datenübermittlung ins Ausland „nicht grundsätzlich“ entgegenstehe, da es
die Bundesrepublik Deutschland in die internationale Gemeinschaft einbinde und
auf die internationale Zusammenarbeit mit anderen Staaten ausrichte; dies gelte
„auch dann, wenn deren Rechtsordnungen und -anschauungen nicht vollständig
mit den deutschen innerstaatlichen Anschauungen übereinstimmen“ (Rn. 325).
Das Gericht postuliert gleichzeitig aber auch die Geltung der eigenen verfassungs-
rechtlichen Regelungen (Rn. 324). Es nennt dazu im Anschluss an seinen übermitt-
lungsfreundlichen Ansatz zwei wesentliche Gesichtspunkte, die eine solche Über-
mittlung beschränken: Zum einen bleibe die deutsche Staatsgewalt bei der Daten-
übermittlung „im Ausgangspunkt“ an die Grundrechte gebunden. Die grundgesetz-
lichen Grenzen der inländischen Datenerhebung und -verarbeitung dürften durch den
Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden daher nicht „in ihrer Substanz unter-
laufen“ werden und der Grundrechtsschutz bei der Datenübermittlung ins Ausland
„nicht ausgehöhlt“ werden (Rn. 326, 327). Zum andern ergäben sich Grenzen der Da-
24
BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), insbes. Rn. 323 ff.; BVerfG v.
19. 5. 2020 – 1 BvR 2835/17 (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach BND-Gesetz),
insbes. Rn. 231 ff.
62 Ulrich Sieber

tennutzung durch den Empfängerstaat, wenn „Menschenrechtsverletzungen zu be-


sorgen“ seien. Zwingend auszuschließen sei eine Datenübermittlung daher an Staa-
ten, wenn zu befürchten sei, dass „elementare rechtsstaatliche Grundsätze“ verletzt
werden (Rn. 328).
Diese allgemeinen Kriterien sind sehr unbestimmt. Das Gericht konkretisiert sie
dann allerdings bei der Analyse von zwei Sachbereichen, die es als zentral ansieht:
der Zweckbindung der übermittelten Daten sowie dem allgemeinen Datenschutz.

3.2.2 Insbesondere Zweckbindung

Zur Zweckbindung der Daten fordert das BVerfG zunächst (Rn. 329 ff.), dass die
Übermittlung von Daten ins Ausland an hinreichend gewichtige Zwecke gebunden
sein müsse. Zur Konkretisierung geht das Gericht von dem – im deutschen Strafpro-
zessrecht allgemein anerkannten – Kriterium der hypothetischen Datenerhebung aus,
das darauf abstellt, ob die Daten auch für die neue Zwecksetzung hätten erhoben wer-
den können. Die Zweckbegrenzungen der ausländischen Rechtsordnung müsse dabei
jedoch nicht im Einzelnen identisch zur deutschen Rechtsordnung abgebildet wer-
den: Es sei auch möglich, dass die Zweckbindung nur in Form eines Hinweises,
nicht aber durch eine förmliche Verpflichtung abgesichert werde und dass zum Lö-
schungszeitraum nur ein informatorischer Hinweis auf die deutsche Rechtslage vor-
geschrieben sei (Rn. 352). Ob diese Feststellung auch für die vergleichsweise sensi-
blen TKÜ-Daten in dem formalen Rechtshilfeverfahren gilt, erscheint allerdings
zweifelhaft. Die Anforderungen des BVerfG sind damit jedenfalls großzügiger als
der strenge Spezialitätsgrundsatz, den Nr. 77a RiVASt fordert und nach dem „die ge-
wonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklärung der in dem Ersuchen genannten Straf-
tat(en) verwendet werden“ dürfen.25

3.2.3 Insbesondere Begrenzungen des Datenschutzes

Für die Auslandsübermittlung der polizeilichen Daten fordert das BVerfG


(Rn. 332 ff.) im Hinblick auf den Datenschutz (1.) „einen datenschutzrechtlich ange-
messenen und mit elementaren Menschenrechtsgewährleistungen vereinbaren Um-
gang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat“ und (2.) eine entsprechende
„Vergewisserung“ hierüber seitens des deutschen Staates. Für die Prognose eines
„hinreichend rechtsstaatlichen Umgangs mit den Daten im Empfängerland“ verlangt
das Gericht (Rn. 333 ff.) allerdings nur, dass ein solcher „zu erwarten“ sei. Nicht er-
forderlich sei, dass im Empfängerstaat vergleichbare Regelungen zur Verarbeitung
personenbezogener Daten wie in der deutschen Rechtsordnung gelten oder ein
gleichartiger Schutz wie der nach dem Grundgesetz vorhanden sei (Rn. 352). Gleich-
zeitig stellt das Gericht allerdings auch wieder fest, dass eine Übermittlung der Daten
nur erlaubt sei, wenn im Ausland der menschenrechtliche Schutz personenbezogener

25
Vgl. zum Grundsatz der Spezialität Barbosa & Silva 2019, 485 ff.
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 63

Daten nicht unterlaufen würde. In Betracht zu nehmen sei dabei vor allem, ob für die
Verwendung der Daten die – bei der Übermittlung mitgeteilten – Grenzen durch
Zweckbindung und Löschungspflichten sowie grundlegende Anforderungen an Kon-
trolle und Datensicherheit wenigstens grundsätzlich Beachtung fänden.
Zu der erforderlichen „Vergewisserung“ des deutschen Staates über die Berück-
sichtigung der vorgenannten Grundsätze führt das BVerfG aus, dass die Gewährleis-
tung des geforderten Schutzniveaus im Empfängerstaat nicht für jeden Fall einzeln
geprüft und durch völkerrechtlich verbindliche Einzelzusagen abgesichert werden
müsste. Der Gesetzgeber könne diesbezüglich auch eine generalisierende tatsächli-
che Einschätzung der Sach- und Rechtslage in den Empfängerstaaten ausreichen las-
sen. Soweit sich Entscheidungen mit Blick auf einen Empfängerstaat nicht auf solche
Beurteilungen stützen ließen, bedürfe es jedoch einer mit Tatsachen unterlegten Ein-
zelfallprüfung, aus der sich ergebe, dass die Beachtung jedenfalls der grundlegenden
Anforderungen an den Umgang mit Daten hinreichend gewährleistet sei. Erforder-
lichenfalls könnten und müssten verbindliche Einzelgarantien abgegeben werden.
Grundsätzlich sei jedoch eine verbindliche Zusicherung geeignet, etwaige Bedenken
hinsichtlich der Zulässigkeit der Datenübermittlung auszuräumen (Rn. 338).
Das BVerfG zeigt mit dieser detaillierten Prüfung, dass die rechtliche Beurteilung
der Übermittlung von polizeilichen Daten ins Ausland eine erhebliche Bedeutung
gewonnen hat. Die vom Gericht entwickelten Anforderungen an die Datenübermitt-
lung ins Ausland lassen sich auch nicht mit dem pauschalen Argument relativieren,
dass sie allgemeine polizeilichen Daten und nicht die Rechtshilfe betreffen. Im Ge-
genteil: Die Ausführungen des BVerfG müssen für den Export von TKÜ-Daten im
Wege der Rechtshilfe umso mehr gelten, als es sich hier um besonders sensible Daten
und ein stark formalisiertes rechtliches Verfahren handelt, das zu erheblichen straf-
rechtlichen Folgen für die Betroffenen führen kann.

4. Konsequenzen für die TKÜ-Rechtshilfe


Die vorstehende Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lie-
fert Leitlinien für die Bestimmung des deutschen ordre public bei der Auslandsüber-
mittlung von Daten zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten. Die Übertragung
dieser Rechtsprechung auf die Rechtshilfe in Strafsachen soll im Folgenden exem-
plarisch an vier zentralen Fragestellungen verdeutlicht werden. Diese betreffen die
Grenzen des ordre public (1.) bei der Zweckbindung der Daten, (2.) beim allgemei-
nen Datenschutz, (3.) beim Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung
und (4.) beim Schutz der Berufsgeheimnisträger.26 Als Referenzpunkt für die Dar-
26
Auf die gleichermaßen wichtige Frage des Rechtsschutzes gegen die Anordnung der
TKÜ kann hier aus Platzgründen nicht mehr eingegangen werden. Vgl. dazu den Lösungs-
ansatz in Art. 14 Abs. 7 der RL EEA: „Der Anordnungsstaat berücksichtigt eine erfolgreiche
Anfechtung der Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA im Einklang mit seinem natio-
nalen Recht. Unbeschadet der nationalen Verfahrensvorschriften stellen die Mitgliedstaaten
64 Ulrich Sieber

stellung der Ergebnisse dient die oben genannte Regelung in Nr. 77a RiVASt, die für
die zuständigen Gerichte zwar nicht bindend ist, jedoch einen anschaulichen Aus-
gangspunkt für die praktische Umsetzung der erforderlichen Veränderungen und Lö-
sungen bildet.

4.1 Zweckbindung

Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfordert die Auslandsüber-


mittlung der Daten eine Regelung der Zweckbindung, die allerdings nicht der deut-
schen Zweckbindungslehre entsprechen muss. Soweit in den einschlägigen Rechts-
hilfeinstrumenten der Spezialitätsgrundsatz gilt, bestehen im Hinblick auf diese For-
derung keine Probleme, da dieser fundamentale Grundsatz der Rechtshilfe jegliche
zweckentfremdete Verwendung der Daten ausschließt, was über die Anforderungen
des BVerfG deutlich hinausgeht. Das Gleiche gilt für die Vorgaben von Nr. 77a
Abs. 1 b) RiVASt, nach denen die gewonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklärung
der im Ersuchen genannten Straftat(en) verwendet werden dürfen. Zusätzliche Be-
dingungen zur Gewährleistung der Zweckbindung über die RiVASt hinaus sind
daher auf dieser Grundlage für die TKÜ-Rechtshilfe nicht erforderlich.

4.2 Allgemeiner Datenschutz

Nach der Entscheidung des BVerfG erfordert die Auslandsübermittlung von per-
sonenbezogenen Daten auch einen bestimmten Datenschutz im Empfängerstaat, der
allerdings ebenfalls nicht dem deutschen Datenschutzstandard entsprechen muss.
Zentrales Element eines solchen Datenschutzsystems ist bei der Rechtshilfe in Straf-
sachen zunächst die bereits genannte Zweckbindung der Daten, die durch den Spe-
zialitätsgrundsatz oder die Bedingungen der RiVASt in weitgehender Weise erreicht
wird. Zum datenschutzrechtlichen Mindeststandard gehört weiter, dass die erhobe-
nen TKÜ-Daten gelöscht werden, sobald sie zur Strafverfolgung nicht mehr erforder-
lich sind, wie dies in Nr. 77a Abs. 1 b) RiVASt ebenfalls bereits vorgesehen ist. Eine
Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Datenerhebung erfolgt bei der Prüfung der
Vornahmeermächtigung, z. B. über die Forderung nach einem Verdacht auf eine Ka-
talogtat. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten – inzwischen auch
für den Bereich des Strafverfahrens – zusätzlich die Garantien der EU-Charta und der
EMRK sowie als Sekundärrecht die Richtlinie 2016/680.27

sicher, dass in einem Strafverfahren im Anordnungsstaat bei der Bewertung der mittels einer
EEA erlangten Beweismittel die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren ge-
währleistet werden.“
27
Richtlinie (EU) 2016/680 v. 27. 4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verar-
beitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhü-
tung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung.
Vgl. dazu Singelnstein 2020, 639 ff. Das damit verbundene Datenschutzniveau der EU im
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 65

Falls keine besonderen Umstände vorliegen, erfüllen diese Sicherungen des for-
malen Rechtshilfeverfahrens die Vorgaben des BVerfG zur Garantie des ordre public.
Weitergehende datenschutzrechtliche Konzepte, wie die Pflicht zur Kennzeichnung
der Daten nach § 101 Abs. 3 StPO, Berichtspflichten oder das Bestehen einer unab-
hängigen Aufsichtsbehörde sind dagegen spezifische Organisationsmaßnahmen, die
nicht mehr zum ordre public zählen. Weitere, über Nr. 77a RiVASt hinausgehende
Bedingungen sind daher zur Gewährleistung des ordre public im Bereich des Daten-
schutzes für den Normalfall nicht erforderlich. Etwas anderes kann allerdings gelten,
wenn insbesondere außerhalb der EU im ersuchenden Staat zentrale datenschutz-
rechtliche Regeln – rechtlich oder faktisch – nicht gelten.28

4.3 Kernbereichsschutz der privaten Lebensgestaltung

Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung beruht in Deutschland auf


der Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit den jeweils
einschlägigen Einzelgrundrechten. Er garantiert dem Einzelnen einen Bereich
höchstpersönlicher Privatheit, der vor Überwachung geschützt ist. Er umfasst insbe-
sondere Äußerungen innerster Gefühle, Ausdrucksformen der Sexualität oder Erleb-
nisse höchstpersönlicher Art. Nicht geschützt ist die Kommunikation mit einem So-
zialbezug, zu der auch die Kommunikation über Straftaten zählen kann, wenn nicht
ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle ohne Hinweise auf konkrete Straftaten
enthalten sind oder es um spezielle Gespräche mit bestimmten Personen geht (wie
Beichtgespräche oder vertrauliche Gespräche mit einem Psychotherapeuten oder
Strafverteidiger).29
Der Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung ist im einfachen
Gesetzesrecht in § 100d Abs. 1 und 2 StPO näher geregelt. Bestehen Anhaltspunkte,
dass mit der TKÜ allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestal-
tung erlangt werden, ist eine TKÜ-Maßnahme von vornherein unzulässig. Darüber
hinaus dürfen Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung
nicht verwertet werden. Entsprechende Aufzeichnungen sind – in einem dokumen-
tierten Verfahren – unverzüglich zu löschen. Der Kernbereich der persönlichen Le-
bensgestaltung ist nach dem BVerfG ein „absolut unantastbar geschützter“ Bereich,
bei dem selbst überragende Interessen der Allgemeinheit (einschließlich Sicherheits-

Strafverfahren zeigt sich z. B. in Deutschland an den §§ 474 – 500 StPO einschließlich der
Verweisung von § 500 Abs. 1 StPO auf die §§ 45 ff. BDSG.
28
Vgl. dazu für die Übermittlung von personenbezogenen Daten in die USA die entspre-
chenden Safe-Harbor-Regelungen mit den Ausführungen in EUGH v. 6. 10. 2015 – C-362/14
NJW 2015, 3151 (Schrems I); EUGH v. 16. 7. 2020 – C-311/18, ZD 2020, 511 (Schrems II).
Für die Rechtshilfe ist allerdings aufgrund des o.g. Interesses an der internationalen Koope-
ration in Strafsachen nur eine Regelung auf dem Niveau des ordre public erforderlich.
29
Vgl. BVerfG v. 7. 12. 2011 – 2 BvR 2500/09 (Wohnraumüberwachung), Rn. 99; BVerfG
v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 120 – 122; BVerfG v. 19. 5. 2020 – 1 BvR
2835/17 (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung), Rn. 200 – 202.
66 Ulrich Sieber

interessen) nicht nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgewogen werden dür-


fen und damit auch keinen Eingriff rechtfertigen können.30
Der Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung zählt damit zweifellos zum
Kerngehalt der entsprechenden deutschen Grundrechte und zum ordre public. Aller-
dings wird er in Nr. 77a RiVASt nicht erfasst. In Nr. 77a RiVASt muss daher die wei-
tere Bedingung aufgenommen werden, dass Erkenntnisse aus dem Kernbereich pri-
vater Lebensgestaltung nicht verwertet werden dürfen und Aufzeichnungen über sol-
che Erkenntnisse unverzüglich und in dokumentierter Form zu löschen sind. Die er-
gänzenden Regelungen zur Kennzeichnung der erlangten Daten sowie zur Erstellung
von Statistiken und Berichten zählen dagegen als organisatorische Absicherungen
nicht mehr zum ordre public.

4.4 Schutz der Berufsgeheimnisträger

Das deutsche Recht garantiert weiter in § 160a StPO einen vergleichsweise weit-
reichenden Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern.
Ermittlungsmaßnahmen gegen Geistliche (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO), Verteidi-
ger (Nr. 2), bestimmte Abgeordnete (Nr. 4) sowie Rechtsanwälte, Kammerrechtsbei-
stände und bestimmte Hilfspersonen (§ 53a StPO) zur Erlangung von Erkenntnissen,
die von deren Zeugnisverweigerungsrechten abgedeckt werden, sind unzulässig, so-
weit nicht der Verdacht auf eine Tatbeteiligung besteht. Dennoch erlangte Erkennt-
nisse dürfen nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu
löschen. Anders als die vorgenannten Personen erhalten zahlreiche weitere zeugnis-
verweigerungsberechtigte Personen dagegen keinen absoluten, sondern nur einen re-
lativen Schutz gegen Ermittlungsmaßnahmen, der von einer Interessenabwägung ab-
hängt (§ 160a StPO).
Der deutsche Gesetzgeber hat damit für bestimmte Berufsgeheimnisträger durch
das absolute und keiner Abwägung unterliegende Ermittlungsverbot die zentrale Be-
deutung des entsprechenden Schutzes dokumentiert. Damit sprechen gute Gründe
dafür, die Ermittlungsverbote bezüglich der absolut geschützten Geistlichen und
der Verteidiger ebenfalls dem ordre public zuzurechnen. Die weiteren absolut ge-
schützten Geheimnisträger können ebenfalls einbezogen werden; allerdings lässt
sich auch ein Ausschluss begründen, soweit es bei ihnen nicht um den Schutz der
Menschenwürde oder des Persönlichkeitsrechts geht, sondern um die Funktionsfä-
higkeit von bestimmten Institutionen.31 Die weiteren und nur relativ geschützten Be-
rufsgeheimnisträger dürften allein wegen ihrer Berufszugehörigkeit nicht mehr ge-
nerell durch den ordre public geschützt sein, da die entsprechenden Ermittlungsver-

30
BVerfG v. 7. 12. 2011 – 2 BvR 2500/09 (Wohnraumüberwachung), Rn. 99; BVerfG v.
20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 124; BVerfG v. 19. 5. 2020 – 1 BvR 2835/17
(Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung), Rn. 200.
31
Vgl. zu diesen unterschiedlichen Zielsetzungen BVerfG v. 3. 3. 2004 – 1 BvR 2378/98,
NJW 2004, 999, 1004 („Großer Lauschangriff“).
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 67

bote vom Gesetzgeber unter dem Vorbehalt einer Abwägung stehen. Für sie kann al-
lerdings im Einzelfall wegen des spezifischen Gesprächsinhalts ein Kernbereichs-
schutz der privaten Lebensgestaltung in Betracht kommen (etwa bei psychotherapeu-
tischen Gesprächen).32 Nr. 77a RiVASt muss daher zumindest dahingehend ergänzt
werden, dass Aufzeichnungen über die Kommunikation von Geistlichen und Vertei-
digern unverwertbar und zu löschen sind, soweit nicht aufgrund von bestimmten Tat-
sachen der Verdacht der Tatbeteiligung besteht.

5. Ergebnis
Als Ergebnis ist damit festzuhalten: Die Probleme, die sich aus den rechtlichen
Unterschieden zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen für die in-
ternationale Rechtshilfe zur TKÜ ergeben, können mit den beiden – auch in Art. 30
Abs. 5 RL EEA genannten – zentralen Beschränkungen der TKÜ-Rechtshilfe33 ge-
löst werden, d. h. dem Erfordernis einer TKÜ-Ermächtigung nach deutschem Recht
und der Stellung von Bedingungen durch die deutschen Gerichte. Über diese Bedin-
gungen können die auf deutschem Territorium geltenden Garantien bei der Datenaus-
wertung in den Grenzen des ordre public auf die ausländischen Ermittlungsbehörden
übertragen werden. Dadurch entfallen Prüf- und Filterpflichten der deutschen Behör-
den, die andernfalls eine ungeprüfte direkte Ausleitung der TKÜ-Daten verhindern
könnten. In der Sache sind diese Bedingungen daher auch keine zusätzlichen Er-
schwernisse der Rechtshilfe, sondern Ausgleichsmaßnahmen für den fehlenden
Schutz auf der Auswertungsebene, ohne den eine Ausleitung der TKÜ-Daten
nicht möglich wäre.
Aus diesem Grund müssen diese Bedingungen im Interesse der betroffenen
Bürger in der Praxis auch tatsächlich gestellt werden. Daher sollte auch in Nr. 77a
RiVASt als weitere Bedingung aufgenommen werden, dass Erkenntnisse aus dem
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht verwertet werden dürfen und Auf-
zeichnungen über solche Erkenntnisse unverzüglich und in dokumentierter Form zu
löschen sind. Die Regelung muss weiter dahingehend ergänzt werden, dass zumin-
dest Aufzeichnungen über die Telekommunikation von Geistlichen und Verteidigern
unverwertbar und zu löschen sind, soweit gegen diese Personen nicht aufgrund von
bestimmten Tatsachen der Verdacht der Tatbeteiligung oder einer Anschlussstraftat
besteht. Geprüft werden muss weiter, inwieweit die hier aus Platzgründen nicht ver-
tiefte Regelung von Art. 14 Abs. 7 der RL EEA über die erfolgreiche Anfechtung
einer EEA im Hinblick auf das – ebenfalls vom ordre public erfasste – Rechtsstaats-
prinzip zusätzlich abzusichern ist. Die entsprechenden Garantien sollten dabei in der
Form von völkerrechtlich verbindlichen Bedingungen erfolgen, auf die der Betrof-

32
BVerfG v. 20. 4. 2016 – 1 BvR 966/09 (BKA-Gesetz), Rn. 258.
33
Ebenso z. B. Art. 18 Abs. 5 lit. b EU-RhÜbk.
68 Ulrich Sieber

fene sich – auch in einem gegen ihn im Ausland geführten Strafverfahren – berufen
kann.
Dieses Vorgehen sollte nicht nur für ein zukünftig geplantes Rechtshilfesystem
mit Direktausleitung der übermittelten Daten genutzt werden, sondern auch schon
bei jeder klassischen Übermittlung von TKÜ-Daten ins Ausland. Da die genannten
Beschränkungen der Rechtshilfe durch die Forderung einer doppelten Ermächtigung
zur Vornahme der TKÜ nach dem Recht des ersuchenden und dem des ersuchten
Staates sowie durch die mögliche Stellung von Bedingungen in den weiteren Rechts-
hilfeabkommen und in der vertragslosen Rechtshilfe gelten (vgl. insbes. § 59 Abs. 3
IRG), sind sie grundsätzlich auch bei anderen Rechtshilferegelungen für Nicht-Mit-
gliedstaaten der EU anwendbar, bei denen erforderlichenfalls weitere Bedingungen
hinzukommen können. Dadurch kann die TKÜ bei einer unmittelbaren Datenauslei-
tung nicht nur effektiver werden, sondern auch einen angemessenen Schutz der Be-
troffenen gewährleisten.
Die vorliegenden Ergebnisse machen damit vor allem auch zwei allgemeine Er-
kenntnisse deutlich. Sie zeigen zum einen, wie wichtig – gerade auch in der interna-
tionalen Zusammenarbeit – ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse an
einer funktionierenden internationalen Strafrechtspflege und den Freiheitsrechten
der Bürger ist, für die Hans-Jörg Albrecht sich in seinen Forschungen – allgemein
und besonders im Bereich der Telekommunikationsüberwachung – stets eingesetzt
hat. Zum anderen zeigen die behandelten komplexen Probleme und Lösungen
aber auch deutlich, welch hohen Preis Europa dafür bezahlen muss, dass die Anglei-
chung der nationalen Strafrechtssysteme noch nicht ausreichend vorangekommen
ist.34 Die für eine solche Rechtsharmonisierung erforderliche vergleichende – empi-
rische und normative – Forschung ist ebenfalls ein zentrales Anliegen von Hans-Jörg
Albrecht, das sein beeindruckendes Lebenswerk nachhaltig geprägt hat, und das ihn –
dessen bin ich sicher – auch weiterhin beschäftigen wird.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2010): Telekommunikationsverkehrsdaten, Vorratsdatenspeicherung und Straf-


verfahren, in: A.G. Pitsela (Hrsg.), Criminology: Searching for Answers. Essays in Honour of
Professor Stergios Alexiadis. Athen, S. 1 – 21.
Albrecht, H.-J. (2014): Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten und
die Richtlinie 2006/24 EG, in: A. Nuhoğlu, S. Altunç & C.Z. Pirim (Hrsg.), Prof. Dr. Feridun
Yenisey’e Armağan. Vol. Cilt I, S. 767 – 794.
Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwa-
chung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermitt-
lungsmaßnahmen – Eine rechtstatsächliche Untersuchung im Auftrag des Bundesministeri-
ums der Justiz. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für aus-
ländisches und internationales Strafrecht, Band 115. Freiburg i.Br.

34
Vgl. Sieber 2009, S. 201 – 208.
Auslandsübermittlung von Daten aus der Telekommunikationsüberwachung 69

Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2009): Die Überwachung von Telekommunikations-Verkehrs-


daten, in: Jahrbuch 2008 der Max-Planck-Gesellschaft.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1980): Evaluation von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug
und Wirtschaftsdelinquenz multinationaler Unternehmen. Monatsschrift für Kriminologie
und Strafrechtsreform 63, S. 162 – 172.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1985): Bericht über das 20. Kolloquium der Südwestdeutschen
Kriminologischen Institute. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 68,
S. 244 – 248.
Ambos, K., König, S. & Rackow, P. (Hrsg.) (2020): Internationaler Rechtshilfeverkehr in Straf-
sachen. Baden-Baden/Wien/Basel.
Barbosa e Silva, J. (2019): The speciality rule in cross-border evidence gathering and in the
European Investigation Order. ERA-Forum, S. 486 – 504.
Bock, S. (2019): Rechtskulturelle Differenzen in der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.
ZIS, S. 298 – 306.
Böse, M. (2014): Die europäische Ermittlungsanordnung – Beweistransfer nach neuen Regeln.
ZIS, S. 152 – 164.
Brodowski, D. (2016): Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Straf-
verfahrensrecht. Tübingen.
Grützner, H., Pötz, P.G., Kreß, C. & Gazeas, N. (Hrsg.) (2020), Internationaler Rechtshilfever-
kehr in Strafsachen. 3. Aufl., Teil 1, München.
Ligeti, K., Garamvölgyi, B., Ondrejová, A. & von Galen, M. (2020): Admissibility of Evidence
in Criminal Proceedings. eucrim, S. 201 – 208.
Safferling, C. & Rückert, C. (2021): Europäische Grund- und Menschenrechte im Strafverfah-
ren – ein Paradigmenwechsel? NJW, S. 287 – 292.
Sieber, U. (1976): Aktuelle Kriminologie. JuristenZeitung 31, S. 37 – 38.
Sieber, U. (2009): Die Zukunft des Europäischen Strafrechts. Zeitschrift für die gesamte Straf-
rechtswissenschaft 121, S. 1 – 67.
Sieber, U. (2018): The New Architecture of Security Law – Crime Control in the Global Risk
Society, in: U. Sieber, V. Mitsilegas, C. Myonopulos, E. Billis & N. Knust (Hrsg.), Alternative
Systems of Crime Control. Berlin, S. 3 – 35.
Singelnstein, T. (2020): Folgen des neuen Datenschutzrechts für die Praxis des Strafverfahrens
und die Beweisverbote. NStZ, S. 639 – 644.
Trautmann, S. & Zimmermann, F. (2020): § 59 IRG, in: W. Schomburg, & O. Lagodny (Hrsg.),
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. 6. Aufl., München.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit
Unter Berücksichtigung von Transformationen der Sicherheit,
des Begriffs des „Gefährders“ sowie sicherheitsrelevanter
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Von Jörg Arnold

Auf Einladung des mit dem Max-Planck-Institut (MPI) jahrelang verbundenen


russischen Kriminologen Dmitry Shestakov weilten Hans-Jörg Albrecht und ich in
der Zeit vom 11. Oktober bis zum 14. Oktober 2018 in St. Petersburg. Wir haben
an der Tagung „Criminology – criminal law – security law“ teilgenommen, die
vom St. Petersburger Internationalen kriminologischen Club veranstaltet wurde.
Mein dort gehaltener Vortrag wurde in russischer Sprache veröffentlicht.1 Zu
Ehren von Hans-Jörg Albrecht ist es mir ein Anliegen, den Beitrag hier auch auf
deutsch zu dokumentieren.2 Denn der gemeinsame Aufenthalt in St. Petersburg
und die dort von uns vorgetragenen Texte symbolisieren für mich eine sowohl wis-
senschaftliche wie freundschaftliche Verbundenheit mit dem Jubilar, als auch einen
mir durch ihn zuteil gewordenen menschlichen Beistand.

1. Transformationen von Sicherheit


1.1 Biographisches

Am Beginn meiner Überlegungen zu dem Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit


und Freiheit sollen einige wenige „autobiographische“ Bemerkungen stehen.
Meine juristische Sozialisation – Studium, Tätigkeit in der (Straf-)Justiz sowie in
der (Strafrechts-)Wissenschaft – habe ich zunächst in der DDR, und zwar im Bezirk
Dresden und in Berlin erfahren. Mit 34 Jahren wechselte ich im Jahre 1991 an das
renommierte Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales

1
Arnold 2018, 20 – 29 (die Quellenangaben dazu im Literaturverzeichnis am Ende des
Beitrages erfolgen entsprechend dem bibliographischen russischen Nachweis auf englisch).
2
Der Vortragsstil wurde im Wesentlichen beibehalten. Inhaltlich wurden geringfügige
Überarbeitungen vorgenommen, die vor allem einige notwendige Aktualisierungen betrafen.
Aktualisierungen konnten sich leider nicht mehr der Frage nach den Auswirkungen der „Co-
rona-Krise“ auf Sicherheit, Freiheit und Sicherheits(straf)recht widmen. Es bedarf aber wohl
keiner allzugroßen Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein ohnehin schon erweiterter Si-
cherheitsbegriff politisch und rechtlich weiter aufgeladen werden wird.
72 Jörg Arnold

Strafrecht. Dieser persönliche Wechsel ging konform mit dem politischen System-
wechsel des Untergangs der DDR und der staatlichen Vereinigung mit der Bundes-
republik Deutschland.
Dies war zunächst die Wahrnehmung, besser aber vielleicht die Vorstellung eines
Wechsels von einem Sicherheitsstaat – der DDR – in einen demokratischen, freiheit-
lichen Rechtsstaat, der Bundesrepublik Deutschland. Vielleicht kommt einigen von
Ihnen, die schon in der Sowjetunion als Juristen tätig waren, aufgrund gewisser Ge-
meinsamkeiten zwischen den Strafrechtssystemen der DDR und der UdSSR das
Nachfolgende nicht gänzlich unbekannt vor.3
In der DDR stand die Sicherheit gewissermaßen über dem Recht. Die staatlichen
Sicherheitsvorstellungen richteten sich vor allem auf den Schutz der Bevölkerung
vor Kriminalität, den Schutz des Staates vor feindlichen Angriffen von innen wie
von außen und nicht zuletzt auf die Gewährleistung von sozialer Sicherheit. Diese
staatlichen Sicherheitsvorstellungen deckten sich weitgehend mit den Sicherheits-
vorstellungen der Bevölkerung. Das Recht in der DDR wurde auf diese Sicherheits-
vorstellungen ausgerichtet, es war Instrument zu deren Gewährleistung.
Dieses Recht war kein bürgerliches Recht eines bürgerlich-demokratischen
Rechtsstaates, denn die DDR war erklärter- wie faktischermaßen ein solcher Staat
gerade nicht. In der Verfassung der DDR findet sich übrigens das Wort „Sicherheit“
nur in dem Wort „Rechtssicherheit“. Hinsichtlich der Rechte des Einzelnen betont
die DDR-Verfassung die sozialen Rechte, nicht aber die politischen und die Frei-
heitsrechte. Das entsprach dem Menschenbild im Staatssozialismus, das von dem
Menschen als einem „Kollektivwesen“ ausging, das sich als Teil des Fürsorgestaates
entwickelt. In solchem Entwicklungsprozess hatten politische und Freiheitsrechte
des Einzelnen schon deswegen keinen zugesicherten Platz, weil sie sich in der sys-
temimmanenten Logik als störend für die sozialistische Gesellschaft hätten erweisen
können. Wichtiger als die politischen und Freiheitsrechte des Einzelnen war viel-
mehr die Sicherheit des Staates. Denn wenn die Sicherheit des Staates gewährleistet
war – so die Logik – lasse sich auch die soziale Sicherheit der Staatsbürger im Rah-
men der Fürsorgepflicht des gesicherten Staates garantieren.4
Ich selbst habe als Student der Rechtswissenschaften, als Jurist wie auch als Wis-
senschaftler in der DDR dieses herrschende Verständnis von Sicherheit und Recht
längere Zeit im Wesentlichen mitgetragen. Es entsprach auch meinem gesellschafts-
politischen Verhältnis zu diesem Staat und meinen damaligen Überzeugungen.5
Erst nach 1985 reifte eine liberalere Erkenntnis. Das geschah im Zusammenhang
mit der Auseinandersetzung über die Ursachen der Kriminalität im Sozialismus.
Unter Federführung des namhaften DDR-Kriminologen und Strafrechtswissen-
schaftlers John Lekschas wurde die Diskussion über die Frage angestoßen, ob die
3
Vgl. Schittenhelm 1994.
4
Vgl. zum Ganzen Arnold 1995; Böckenförde 1967.
5
Vgl. Eser & Arnold 2012, 1, dortige Fn. 3; Arnold 2016, 62 (S. 86 mit Anmerkung 16).
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 73

Kriminalität in der DDR neben Einflüssen aus der BRD nicht auch maßgeblich ei-
gene, innere sozialistisch-systemimmanente Ursachen habe.6 Das wurde von führen-
den DDR-Wissenschaftlern wie Erich Buchholz und vor allem von Justizfunktionä-
ren der Praxis, besonders aber von den für diese Fragen zuständigen politisch Herr-
schenden in Zweifel gezogen. Ich selbst war hin und hergerissen.
Die Diskussion über die Ursachen der Kriminalität in der DDR entstand nicht zu-
letzt im Zusammenhang mit Überlegungen, die unter dem Einfluss von Glasnost und
Perestroika die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR auf die Grundlage eines
freiheitlicheren und menschlicheren Sozialismus stellen wollten. Damit verbunden
waren nicht etwa der „Abgesang“ auf die DDR und den Sozialismus als solches
und schon gar nicht die „Übernahme“ der DDR durch die Bundesrepublik Deutsch-
land, sondern die politische, demokratische Erneuerung der DDR. Das fand seinen
nachhaltigen Ausdruck in dem Verfassungsentwurf des sogenannten Runden Tisches
im April 1990.
Politisch, ökonomisch und staatsrechtlich ist es aber anders gekommen. Seit nun-
mehr fast auf den Tag genau 27 Jahren existiert ein staatlich vereintes Deutschland
und nicht mehr die DDR. Für mich persönlich war damit nicht zuletzt auch in juris-
tischer Hinsicht ein tiefgreifender persönlicher Wandlungs- und Lernprozess verbun-
den.7

1.2 Aneignungen von Sicherheit und Freiheit

Dieses vereinte Deutschland versteht sich anders als die DDR als ein bürgerlich-
demokratischer Rechtsstaat. Recht soll staatliche und politische Macht begrenzen
und freiheitlich sein, weil im Gemeinwesen alles als erlaubt angesehen wird, was
nicht ausdrücklich rechtlich verboten ist. Freiheitsrechte sind Abwehrrechte gegen-
über dem Staat. Als eine Leitlinie gilt das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechts-
staatsprinzip. Interessanterweise enthält aber auch das Grundgesetz der BRD das
Wort „Sicherheit“ nicht.
Selbstverständlich aber wird man in den Strafgesetzbüchern sowohl der DDR wie
der BRD fündig – im StGB der BRD beispielsweise im Zweiten Abschnitt, der mit
„Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit“ überschrieben ist (§§ 93 ff.
StGB) sowie in § 125 StGB (Landfriedensbruch), der u. a. die Bedrohung der öffent-
lichen Sicherheit betrifft.
Im StGB der DDR betraf das 7. Kapitel „Straftaten gegen die allgemeine Sicher-
heit“ (§§ 185 ff. DDR-StGB), wozu beispielsweise die „Gefährdung der Brandsi-
cherheit“ sowie die „Gefährdung der Bausicherheit“ (§ 195 DDR-StGB) gehörten.
Ein besonders problematischer Tatbestand war im Rahmen des 8. Kapitels normiert,

6
Lekschas et al. 1983; Arnold 1995, 455 ff.
7
Vgl. dazu Arnold 1995, IX; Eser 1996, 813; Eser & Arnold 2012, 1, dortige Fn. 3;
Vormbaum 2000, VII.
74 Jörg Arnold

der „Straftaten gegen die staatliche Ordnung“ betraf. Hier war durch § 249 DDR-
StGB sogenanntes „asoziales Verhalten“ als Beeinträchtigung der öffentlichen Ord-
nung und Sicherheit mit Strafe bedroht. Die Diskussion um diese Strafvorschrift ent-
zündete sich bereits in der DDR an der Möglichkeit, dass Beschuldigte, die aus so-
genannter „Arbeitsscheu“ ihrer geregelten Arbeit unter bestimmten Voraussetzun-
gen, wie einem längeren Zeitraum, fernblieben, verurteilt werden konnten.
Der Blick in die Verfassung der DDR wie in das Grundgesetz der BRD, als auch in
die jeweiligen Strafgesetzbücher zeigt also, dass der Sicherheitsbegriff hier einerseits
entweder gänzlich fehlt oder eine gewisse strafrechtliche Normierung gefunden hat,
im StGB der DDR stärker als in jenem der BRD.
Vor dem Hintergrund dieses Befundes haben wir es nun mit der Realität zu tun,
dass sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft, Strafrechtswissenschaft und
Kriminologie bilden da keine Ausnahme, das Wort Sicherheit allenthalben im
Munde geführt wird. Es handelt sich fast schon um einen inflationären Gebrauch,
der nicht neu ist.
Für die alte Bundesrepublik sind wohl die Gewaltverbrechen der Rote-Armee-
Fraktion (RAF) die Zäsur gewesen, um seit Mitte der 1970er Jahre bis vielleicht An-
fang der 1980er Jahre dem Thema „innere Sicherheit“ besondere Aufmerksamkeit zu
widmen. Die Gewaltverbrechen der RAF waren für die damalige Kriminalpolitik der
Anlass, um im materiellen Strafrecht wie auch besonders im Strafverfahrensrecht
einen massiven Abbau von individuellen Schutzrechten zu betreiben, die bis dahin
in Strafverfahren garantiert waren. Das ging einher mit gravierenden Beschneidun-
gen des Rechts auf Verteidigung und mit dem Ausbau von Strafvorschriften, mit
denen das komplexe RAF-Gewaltgeschehen in Zukunft besser erfasst werden sollte.8
Diese Situation hatte sich dann in den 1980er Jahren wieder etwas beruhigt. Der
sicherheitspolitische Diskurs wurde leiser. Auch in der Kriminologie spielte er in die-
ser Zeit bis etwa Mitte der 1990er Jahre jedenfalls in Bezug auf die Bundesrepublik
keine dominante Rolle mehr. Das Wort „Sicherheit“ kommt beispielsweise weder in
der 2. Auflage des Lehrbuches Kriminologie von Kaiser von 19889 noch in der
3. Auflage des Kleinen Kriminologischen Wörterbuches von Kaiser et al. aus dem
Jahre 1993 vor.10
Kritische Richtungen, die zu dieser Zeit in der Kriminologie und auch in der Straf-
rechtswissenschaft der alten Bundesrepublik wohl noch sehr viel stärker als es heute
der Fall ist existierten, betrachteten den Sicherheitsbegriff aber unvermindert als Ge-
waltherrschaftskonstante des Staates. Damit war vor allem Staatskritik verbunden.11
Solche Stimmen verstummten oder ruderten zurück, als im Zusammenhang mit dem
Untergang der DDR der gesellschaftliche Diskurs in der BRD von der Debatte um
8
Vgl. u. a. Müller 1980; Mehlich 2012; Honecker & Kaleck 2016, 557.
9
Kaiser 1988.
10
Kaiser et al. 1993.
11
Vgl. u. a. Janssen & Schubert 1990.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 75

Rolle und Funktion des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und um jene Men-
schen bestimmt wurde, die für dieses Ministerium in verschiedener Weise tätig
waren.
Einen neuen innenpolitischen Aufschwung erlebte und erlebt die Debatte um die
Sicherheit seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001.
Seit dieser Zeit konkurrieren die Begriffe „Sicherheit“ und „Terrorismus“ in der Häu-
figkeit ihres Gebrauches miteinander. Mit dieser Bemerkung soll eine – allerdings
diffuse und disparate – terroristische Gefahr nicht geleugnet werden, gleichwohl las-
sen sich nicht die Augen davor verschließen, dass diese Gefahr das trojanische Pferd
für einen Abbau des Rechtsstaates ist – und zwar in einer europäischen Dimension.
In der deutschen Wissenschaft wird diese Entwicklung teilweise nachhaltig be-
gleitet, und dies durchaus kritisch, wenngleich die Kritik in unterschiedlicher Ge-
wichtung ausfällt. Die Kritik kulminierte im Hinblick auf die Figur des sogenannten
Feindstrafrechts, wie diese von dem Strafrechtslehrer Günther Jakobs aus Bonn pos-
tuliert wird.

1.3 „Feindstrafrecht“

Das „Feindstrafrecht“ soll nach Jakobs das rechtsstaatliche Strafrecht für Feinde
der Gesellschaft außer Kraft setzen, soll entpersonalisieren, weil jenes nur für bür-
gerliche Rechtspersonen zuständig sei, nicht aber für Feinde der bürgerlichen Gesell-
schaft, wie islamistische Terroristen.12 Der Täter des „Feindstrafrechts“ ist Gefahren-
quelle, die weit im Vorfeld einer eintretenden bzw. drohenden Schädigung auftritt.13
Das aber ist ein auf die Spitze getriebenes Sicherheitsrecht. Ich selbst habe mich
auf dem Strafverteidigertag im Jahre 2006 kritisch damit auseinandergesetzt.14 Das
wiederum hatte mir in der Diskussion Kritik insbesondere von dem Strafrechtslehrer
Klaus Lüderssen aus Frankfurt eingebracht; dies aber nicht deswegen, weil ich Ja-
kobs kritisiert hatte, sondern weil Lüderssen der Meinung war, es stehe mir als frü-
herem Juristen aus der DDR, der selbst einmal in Kategorien einer Art „Feindstraf-
recht“ gedacht hatte, freilich unter anderen historischen Bedingungen und Einflüs-
sen, nicht zu, jene zu kritisieren, die als westdeutsche Strafrechtler den Rechtsstaat
einschränken wollen.
Sich „vom Saulus zum Paulus“ wandeln zu können, wird mir damit abgesprochen,
sozusagen mein „Damaskuserlebnis“ nicht zugestanden. Doch um in diesen um-
gangssprachlichen Bibelmetaphern zu bleiben: Die Wandlung vom sicherheitsdomi-
nanten DDR-Strafrecht in das freiheitliche rechtsstaatliche Strafrecht der BRD ist in
der Realität eben gerade nicht eine eindimensionale Wandlung vom Bösen zum
Guten, oder hinsichtlich des „Damaskuserlebnisses“ die metaphorische Begegnung
12
Vgl. nur Jakobs 2006, 289.
13
Vgl. dazu auch Brunhöber 2018, 193 (196).
14
Arnold 2006, 303.
76 Jörg Arnold

mit Jesus Christus und die damit verbundene einschneidende Erkenntnis eines wun-
derbaren Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschland. Die Theorie des rechts-
staatlichen Strafrechts hält der Wirklichkeit mitnichten stand. Und das liegt nicht zu-
letzt an der Instrumentalisierung des Sicherheitsbegriffs für die Erosion rechtsstaat-
lichen Strafrechts. Es ist nicht populistisch, eher vielleicht metaphorisch, wenn ich
die These vertrete, dass sich das Strafrecht der BRD zurück zum Strafrecht der DDR
entwickelt.15 In Wirklichkeit ist diese Aussage Teil einer Kontinuitätsdebatte, die
auch im Zusammenhang mit der Kritik am „Feindstrafrecht“ als einer Form des Si-
cherheitsstrafrechts geführt worden ist.16
Ohne diese Debatte hier nachzeichnen zu können, sei jedenfalls festgestellt, dass
der Abbau des rechtsstaatlichen Strafrechts eine lange historische Tradition hat. Das
betrifft beispielsweise die generelle Ausdehnung der Strafbarkeit in den Bereich der
Vorbereitung hinein, die noch darüber hinausgehende weite Vorverlagerung der
Strafbarkeit bei politischen Delikten, sowie die Beseitigung der obligatorischen
Strafmilderung beim Versuch. Mit der Devise gegen Ende des 19. Jahrhunderts,
dass das zweckmäßige Strafrecht das gerechte Strafrecht sei, wird das Strafrecht
Machtmittel für Machthaber, gründet sich auf seine faktische Durchsetzung und
ist austauschbar gegen andere Machtmittel wie das Zivilrecht, das Polizeirecht
oder das Ordnungswidrigkeitenrecht.
Diese Entwicklung mündet in die Maßregeln der Besserung und Sicherung mit
ihrer Betonung von Schuldunabhängigkeit und präventiver Effektivität, mit ihrer
Einebnungsfunktion von Strafrecht, Polizeirecht, Zivilrecht und Unterbringungs-
recht und ihrer Erwartung, von wechselnden politischen Systemen benutzt zu wer-
den.
Dieser historische Verlauf, der in seinen tatsächlichen Ausprägungen hier nur sehr
verkürzt wiedergeben werden konnte und zu dem auch das deutsche Kolonialstraf-
recht in der Zeit von 1886 bis 1918 gehört, lässt sich interpretieren als eine weit aus-
greifende historische Entwicklungslinie von einem liberalen rechtsstaatlichen Straf-
recht der Aufklärung zu einem „Feindstrafrecht“ der Moderne.
Je nach politisch-historischen Entwicklungsphasen schlägt das Pendel des
„Feindstrafrechts“ besonders stark aus. Das lässt sich an der NS-Zeit im deutschen
faschistischen Staat nachweisen, aber auch an Teilen der Strafrechtsentwicklung und
-praxis in der DDR. Nach einer Phase gewisser Beruhigung in der alten Bundesre-
publik, die sich trotz des vorhandenen besonderen „Feindstrafrechts“ gegen den po-
litischen Gegner einstellte, beginnt das Pendel seit einiger Zeit unter den Schlagwör-
tern oder besser hinter den Fassaden von Globalisierung, Risikogesellschaft, Sicher-
heitsgesellschaft und Informationsgesellschaft wieder besonders heftig zu schlagen,
egal ob diese Pendelschläge beispielsweise Sicherheitsstrafrecht, Interventionsstraf-
recht oder Risikostrafrecht genannt werden. In all diesen Strafrechtsformen ist die

15
Arnold 1995, 1, 20; vgl. dazu Vormbaum 2015, 3.
16
Arnold 2006, 303 (308 f.); Naucke 2010, 129.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 77

Entpersonalisierung in der beschriebenen Weise der Bekämpfung des gefährlichen


Feindes tendenziell angelegt und tritt mehr oder weniger klar zu Tage.17
Auch wenn es seit ca. 10 Jahren um das „Feindstrafrecht“ in der Wissenschaft ru-
higer geworden ist, ist dieses in Wirklichkeit aber jedenfalls indirekt Bestandteil der
Diskussion um den Sicherheitsbegriff.

2. Wissenschaftliche Reflexionen des Sicherheitsbegriffes


2.1 Richtungsweisende Arbeiten aus dem Max-Planck-Institut

Unter der Überschrift „Wissenschaftliche Reflexionen des Sicherheitsbegriffs“


will ich mich zunächst vor allem auf zwei Arbeiten aus dem MPI beziehen, weil
an dieser Wissenschaftsstätte der bestehende Schwerpunkt der Forschungen zum Si-
cherheitsrecht als zukunftsweisend für das Institut und die nationale wie internatio-
nale Grundlagenforschung auf diesem Gebiet sein könnte. Mittlerweile – und dies sei
aus aktuellen Gründen dem vorgetragenen Text hinzugefügt – hat sich diese Annah-
me bewahrheitet. Denn am MPI besteht seit kurzem eine neue Abteilung „Recht der
öffentlichen Sicherheit“, die von Ralf Poscher als einem von drei neuen Direktoren
geleitet wird. Das Institut trägt mittlerweile auch einen neuen Namen: „Max-Planck-
Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht“. Ohne Rosinenpi-
ckerei betreiben zu wollen, sei angemerkt, dass es wohl programmatisch angemes-
sener gewesen wäre, das Recht vor die Sicherheit zu setzen, denn Sicherheit muss im
Recht ihre Grenzen finden. „Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität,
Recht und Sicherheit“ – so hätte der neue Name des MPI dann besser lauten können.

2.1.1 Vortrag Hans-Jörg Albrecht

Als einer der Ersten am Max-Planck-Institut hat sich Hans-Jörg Albrecht mit dem
Sicherheitsbegriff befasst. Er hielt bereits im Jahre 2003 vor kritischen Anwältinnen
und Anwälten in Berlin, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein
(RAV), einen Vortrag zu dem Thema: „Der erweiterte Sicherheitsbegriff und seine
Folgen“. Hier erfährt man schon vor 15 Jahren alles, was auch heute noch relevant
ist. Das wird beispielsweise deutlich an dem aktuellen Pendant des Beitrages von Al-
brecht, der aus der Feder von Tobias Singelnstein stammt und in der Festgabe zum 40.
Jahrestag des RAV gerade erschienen ist.18
Nur kurze, aber wichtige Gedanken aus dem Vortrag von Albrecht zum Verständ-
nis für unser Thema:19

17
Arnold 2006, 303 (308 f.); Naucke 2010, 129.
18
Singelnstein 2019, 309.
19
Albrecht 2003, 6; https://www.rav.de/publikationen/infobriefe/archiv/infobrief-91-2003/
der-erweiterte-sicherheitsbegriff-und-seine-folgen/ [06. 09. 2018].
78 Jörg Arnold

Albrecht behandelt vor allem den sogenannten erweiterten Sicherheitsbegriff und


seine Folgen. Unübersehbar habe es wie kaum ein anderes Thema der Gegenwart die
öffentliche und politische Aufmerksamkeit auf sich gezogen und damit den Sicher-
heitsdiskurs zu einer Dauerangelegenheit gemacht. Die Sicherheitspolitik habe sich
aus der einst strengen Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit gelöst.
Auch staatliche und zivile Sicherheit sowie eine einst vorhandene Unterscheidung
zwischen Prävention und Repression würden keine scharfen Trennlinien mehr auf-
weisen. Das betreffe auch die Rollenverteilung der entsprechend zugeordneten Insti-
tutionen. Die Gewaltenteilung werde aufgegeben. Es bestätige sich die These, dass
die Stabilisierung politischer Herrschaft auch maßgeblich über die Thematisierung
der Kriminalität erfolge.
Kriminalpolitik erweise sich dabei immer mehr als Politik der Prävention. Im Er-
gebnis komme es zu immer mehr Bedeutungsverlagerungen im Strafprozess von der
Hauptverhandlung zum Ermittlungsverfahren, wobei auch die geheimen Ermitt-
lungsmethoden drastisch ausgeweitet würden.
Es ist die sich überlagernde Gemengelage, die das neue Sicherheitsdenken unter
freiheitlich-rechtsstaatlichen Gesichtspunkten so problematisch macht. Albrecht
nennt dies „Querschnittseigenschaft“, die aus Immigrationsrecht, Recht der Polizei
und der Geheimdienste, Telekommunikationsrecht, allgemeines Strafrecht und
Strafverfahrensrecht, Wirtschaftsrecht (vor allem Außenhandelsrecht), allgemeinem
Ordnungsrecht (beispielsweise Recht der Vereinigungen sowie Versammlungsrecht)
und Sicherheitsüberprüfungsgesetzgebung besteht.
Diese neue Gesetzgebung greife in einer Weise in die Zivilgesellschaft ein,
„die deren Freiräume und damit die Substanz der Zivilgesellschaft als potentielle Gefahr
versteht und unter einen allgemeinen Verdacht stellt. Immigration und Asyl, religiöse Ver-
einigungen und politische Bewegungen, ethnische Minderheiten, ausländische Staatsange-
hörige und transnationale Gemeinschaften, sicherheitsrelevante Arbeitsplätze und Tätig-
keitsfelder sowie schließlich ganze Regionen oder Länder werden zu Anknüpfungspunkten
für Überwachung und gegebenenfalls für sozialen und wirtschaftlichen Ausschluss.“20

Ich will ergänzen, dass in diesem Kontext auch internationale Kriege zu sehen
sind, die sich „humanitäre Interventionen“ nennen, oder die aus sogenannter
„Schutzverantwortung“ (responsibilty to protect) bzw. gegen sogenannte „unfähige
und unwillige Staaten“ aus vorgetäuschter kollektiver Selbstverteidigung geführt
werden, wobei es sich aber in Wirklichkeit um völkerrechtswidrige Präventiv-
oder Vergeltungskriege handelt.21
Albrecht hebt hervor, dass sich nationale wie europäische Sicherheitskonzepte,
denen der erweiterte Sicherheitsbegriff zu Grunde liegt, durch das Sicherheitsgefühl
legitimiert sehen.22 Begleitet wird die Berufung auf das Sicherheitsgefühl durch me-
20
Albrecht 2003, 3.
21
Paech; https://hinter-den-schlagzeilen.de/das-neue-voelkerrecht [12. 09. 2018].
22
Vgl. zum Sicherheitsgefühl Gusy 2010, 111.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 79

diale Erzeugung desselben, was wiederum zu einer Eskalation repressiver Reaktio-


nen und Aktionismen des Gesetzgebers in bestimmten besonders im Fokus der Öf-
fentlichkeit stehenden Sicherheitsbereichen wie dem Sexualstrafrecht stehen. Dazu
kommt jene für das Strafrecht bedenkliche Tendenz einer immer stärker festzustel-
lenden Opferbezogenheit. Strafrecht wird ausgeweitet zu einem „Opferrecht“ unter
Preisgabe von Schutzrechten Beschuldigter und Angeklagter.23
Was vor 15 Jahren, als Hans-Jörg Albrecht jenen Vortrag hielt, noch nicht in der
Weise, wie das heute der Fall ist, relevant war, betrifft die medial skandalisierte und
vom Sicherheitsgefühl als quasi permanent-reale Bedrohung aufgefasste Ausländer-
kriminalität in Deutschland, wobei ich hier in erster Linie zunächst gewaltsame Aus-
länderkriminalität ohne terroristischen Hintergrund anspreche.
Zu beobachten ist eine problematische „Dialektik“ von Empörung aus der Bevöl-
kerung gegenüber dieser Kriminalität, aber auch gegenüber Justiz und Polizei wegen
deren angeblichen Versagens, sprich wegen vermeintlich fehlender bzw. zu geringer
Bestrafung und Repression bei Ausländerkriminalität.
Von neonazistischen Strömungen wird Ausländerkriminalität zu menschen- und
staatsfeindlichen Bekundungen und auch gewaltsamem Verhalten instrumentalisiert.
Politik und Medien wiederum nutzen die Empörung und die Ängste von Teilen der
Bevölkerung, um diese den neonazistischen Strömungen zuzurechnen. Auf diese
Weise wird ein wichtiger Bestandteil des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung ausge-
klammert, nämlich jener der sozialen Sicherheit. Ein sich seit Jahren aus der Verant-
wortung für soziale Sicherheit zurückziehender Staat instrumentalisiert letztlich
rechtsradikale Ausschreitungen für die Geringschätzung und Missachtung von be-
rechtigten sozialen Sorgen und Nöten von nicht geringen Teilen der Bevölkerung.24
Der bekannte Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer macht indes
auch darauf aufmerksam, dass allein durch die Verbesserung der sozialen Lage eine
vorhandene „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ sowie „rohe Bürgerlich-
keit“ sich nicht wesentlich abbauen lasse. Die kulturellen Probleme rund um die
Flüchtlingsbewegung, um „den“ Islam etc. seien besonders schwerwiegend, weil
sie die eigene kollektive Identität als „Deutsche“ berührten. Auch das Gefühl, von
der etablierten bzw. regierenden Politik nicht wahrgenommen zu werden, sei als wei-
tere Komponente schwerwiegend. Denn wer nicht wahrgenommen werde, der sei ein
Nichts. Daraus entstünden Anerkennungsdefizite, die dann dazu führten, dass sich
die Menschen „alternative“ Anerkennungsquellen suchen.25
Zu beobachten ist, dass es mitunter an einem konsequenten Vorgehen des Staates
gegen rechtsextreme Ausschreitungen ebenso wie an einer politischen Auseinander-
setzung mit der seit der letzten Bundestagswahl im deutschen Parlament vertretenen
äußerst rechten Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) fehlt. Das verhilft der
23
Vgl. dazu auch Arnold 2019a, 137.
24
Vgl. Arnold 2019b, 56.
25
Heitmeyer 2018, 197 ff.
80 Jörg Arnold

AfD zu immer größeren Wahlerfolgen. Insbesondere die Große Koalition unter


CDU/CSU sowie SPD überbietet sich mit immer neuen Sicherheitskonzepten zur Zu-
rückdrängung von Ausländerkriminalität, zur Zurückdrängung von Migranten über-
haupt, wobei die CSU mit Bundesinnenminister Horst Seehofer den Ton angibt. Po-
litiker wie der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprechen gar von dem
notwendigen Kampf gegen eine „Abschiebeindustrie“ und meinen dabei insbeson-
dere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die in Asylverfahren tätig sind und
die gesetzlich zustehenden Rechtsmittel ausschöpfen, was nicht selten die Verfahren
deutlich verlängert.26 Dies in der Weise wie durch Dobrindt zu kritisieren, erscheint
jedenfalls verbal als ein Frontalangriff auf den freiheitlich-demokratischen Rechts-
staat im Namen der Sicherheit. Hier erscheint zunächst nur in dieser Verbalität das
Modell eines starken Staates als Sicherheitsstaat. Aber dieses Modell ist das Ziel
eines faktischen Sicherheitsstaates unter Preisgabe von Rechtsstaat und Sozialstaat.
Dieser Sicherheitsstaat ist Herrschaftssicherheitsstaat und Kontrollstaat.27 Seine
Grundlegung ist Entgrenzung von Sicherheit.28
Was nun mittlerweile auch in Deutschland angekommene terroristische Straftaten
betrifft, so wird vor deren Hintergrund ein sogenanntes Terrorismusstrafrecht entwi-
ckelt.29 Auch dieses ist Beispiel dafür, dass sich Sicherheit in einem Kampf um He-
gemonie etabliert hat und ihre Vormachtstellung zudem weiter bekräftigt.
Zentrale Elemente des Terrorismusstrafrechts der letzten Jahre sind dafür bedeu-
tende Strafrechtserweiterungen und hiermit zusammenhängend der Ausbau der Be-
fugnisse von Polizei, Geheimdiensten und mittlerweile auch der Bundeswehr. Terro-
rismusstrafrecht ist das Mittel einer Bekämpfungssstrategie, die das real vergleichs-
weise geringe Ausmaß der konkreten terroristischen Bedrohung für Leib und Leben
einzelner Personen in Deutschland nicht berücksichtigt. Terrorismus wird vielmehr
als ein exzeptionelles Phänomen ausgewiesen. Sicherheitsbestrebungen orientieren
sich an einer möglichen terroristischen Bedrohung. Sicherheit der Bevölkerung ist
dabei der drängendste Punkt, der bei terroristischen Anschlägen oder Anschlagsver-
suchen diskutiert wurde. Wie der Strafrechtswissenschaftler Jens Puschke von der
Universität Marburg und sein Mitarbeiter Jannik Rienhoff schreiben, wird Sicherheit
damit zum universellen Interesse, das es zu schützen gilt und vornehmlich über die
Abwehr terroristischer Gefahren hergestellt werden soll. Angst ist dabei sowohl
Maßstab der Politik als auch Bezugspunkt der Legislative. Sicherheit wird als
Wert an sich und zugleich Voraussetzung für die Ermöglichung von Werten verstan-
den. Diese Debatte ist auch rechtswissenschaftlich mit verschiedentlich erhobenen
Forderungen nach einem Grundrecht auf Sicherheit verbunden.30

26
Vgl. Arnold 2019b, 21 ff.
27
Vgl. Singelnstein & Stolle 2012.
28
Vgl. Arnold 2019b, 51.
29
Vgl. Puschke & Rienhoff 2018, 243 (252 ff.).
30
Puschke & Rienhoff 2018, 244 ff. (252).
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 81

2.1.2 Untersuchungen Ulrich Sieber

In einem Beitrag zur Erinnerung an den viel zu früh verstorbenen Münchner Straf-
rechtslehrer Joachim Vogel befasst sich Ulrich Sieber mit dem „Paradigmenwechsel
vom Strafrecht zum Sicherheitsrecht“.31 Sozialwissenschaftlich ist für Sieber die mo-
derne Risikogesellschaft der Ausgangspunkt. Hier erfolge die Hinwendung zu Prä-
vention und Sicherheit, die sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Strafrechts
zeige. Klassisches repressives Strafrecht entwickle sich zu einem unmittelbar prä-
ventiven Strafrecht. Es verschwimme zugleich mit anderen Rechtsregimen zu
einem allgemeinen „Sicherheitsrecht“ mit einer „neuen Sicherheitsarchitektur“,
die nicht mehr wie früher durch ein Monopol des Strafrechts und seiner Schutzga-
rantien dominiert werde, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Rechtsregi-
men enthalte. Der damit verbundene Verlust an rechtlichen Regelungen werde
durch den zusätzlichen Wandel zur Informationsgesellschaft und durch die Globali-
sierung als den beiden weiteren Veränderungen der Gesellschaft noch wesentlich
verstärkt.32
Diese Analyse deckt sich mit jener von Albrecht, die dieser – wie erwähnt – als
„Querschnittseigenschaft“ des Sicherheitsrechts bezeichnet hat. Sieber spricht frei-
lich davon, dass dieses „neue disziplinübergreifende Sicherheitsrecht“ gegenüber der
rein strafrechtlichen Kriminalitätskontrolle über Mittel verfüge,
„die für eine effektive Kontrolle der neuen objektiven Herausforderungen in der globalen
Risikogesellschaft grundsätzlich genutzt werden sollten und teilweise sogar unverzichtbar
sind.“33

Der präventive Ansatz habe darüber hinaus sogar ganz allgemein – besonders aus
Sicht des (potenziellen) Opfers – gegenüber der strafrechtlichen Repression Vorzüge.
Dies gelte zumal in Bereichen, in denen die Sanktionsdrohung des Strafrechts – wie
gegen terroristische Selbstmordattentäter – weitestgehend wirkungslos seien.34
Sieber kritisiert jedoch, dass einige der neuen rechtlichen Präventionsregime
höchst problematisch seien, weil sie die Schutzgarantien nicht gewährleisteten.
Eine Bewertung des neuen Sicherheitsrechts erfordere daher eine differenzierte Aus-
einandersetzung mit seinen einzelnen Regelungen, was sehr viel mehr rechtliche und
kriminologische Forschung als bisher erfordere.35 Insgesamt gehe es um die Gewähr-
leistung von Sicherheit und den Schutz von Freiheit.
Die Strafrechtswissenschaft müsse über ihre bisherige klassische Selbstbeschrän-
kung hinausdenken, weil sie sonst nicht bemerke und nicht verhindere, dass die Auf-
gabe des Strafrechts in wichtigen Bereichen von anderen Rechtsregimen wahrge-

31
Sieber 2016, 351; vgl. auch Sieber & Vogel 2015.
32
Sieber 2016, 354 f.
33
Sieber 2016, 369.
34
Sieber 2016, 369.
35
Sieber 2016, 370.
82 Jörg Arnold

nommen und seine zentralen Garantien unter einem anderen Etikett (z. B. der Ver-
waltungssanktionen) umgangen werden.36
Möglicherweise sind diese Überlegungen von Sieber anschlussfähig an Ausein-
andersetzungen mit einer Trennungsthese, die besagt, dass das Risikostrafrecht
vom übrigen Strafrecht getrennt werden soll, um damit die Rechtsstaatsprinzipien
für das klassische Strafrecht zu erhalten.37 Aber auch in Auseinandersetzung mit
der von Ulrich Sieber präferierten Verbindung von „Sicherheitsarchitektur“ und
„Freiheitsarchitektur“38 können Erkenntnisse einer wieder stärker in Erscheinung
tretenden kritischen Kriminologie aus jüngerer Zeit hilfreich sein.39
Hierzu gehört auch die Aufgabenstellung, nach den tieferen Rahmenbedingun-
gen, wenn nicht Ursachen für die (internationale bzw. transnationale) „Sicherheits-
gesellschaft“ zu fragen. Dabei wird man nicht umhinkommen, sich aufdrängende
insbesondere ökonomische und politische Zusammenhänge bzw. Determinanten
zu erforschen. So erscheint es keineswegs als Zufall, dass die internationale „Sicher-
heitsgesellschaft“ mit einem weltweit entgrenzten Neoliberalismus und einem par-
allel dazu verlaufendem Gefährdungsprozess von Demokratien einhergeht,40 verbun-
den mit einer menschenfeindlichen, durch die Staaten immer mehr deregulierten Fi-
nanzökonomie, ebenso wie mit der Vertiefung von Erscheinungen des Rechtsextre-
mismus, Rassismus und Antisemitismus sowie Abwertung und Diskriminierung von
Homosexuellen, Obdachlosen, Behinderten, Flüchtlingen, Muslimen.41
In diese Aufgabenstellung sollte auch die wissenschaftliche Diskussion von alter-
nativen politischen Handlungsoptionen zur Veränderung dieser realen gesellschaft-
lichen Verhältnisse einbezogen werden. Denn – so wie das jedenfalls im Grundsätz-
lichen beispielsweise auch der emeritierte Direktor des Max-Planck-Instituts für Ge-
sellschaftsforschung Wolfgang Streeck sieht –42 nur sozial gerechtere, friedlichere,
demokratischere und emanzipatorischere gesellschaftliche Verhältnisse können
sich als Garanten für Freiheit, Recht und Sicherheit erweisen.

36
Sieber 2016, 371 f.
37
Brunhöber 2018, 193 (205).
38
Sieber 2016, 372; kritisch zu dieser Verbindungslinie aus strafrechtswissenschaftlicher
Sicht u. a. Naucke 2010, 129 (135 f.).
39
Vgl. nur Albrecht 2003; Albrecht 2010a; Albrecht 2010b; Hefendehl 2000, 174; Hefen-
dehl 2011, 209; Hefendehl 2013a, 19; Hefendehl 2013b, 729; Kölbel & Borck 2012; Sin-
gelnstein & Stolle 2012; Kunz & Singelnstein 2016; Puschke & Singelnstein 2018.
40
Vgl. insbes. Singelnstein & Stolle 2012.
41
Heitmeyer 2018.
42
Streeck, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-zukunft-der-linken-platz-
fuer-gerechtigkeitspolitik-15721464.html [07. 09. 2018]; Streeck, https://www.zeit.de/2018
/26/lokalpatriotismus-politik-kosmopolitismus-grenzen-identitaet/komplettansicht [07. 09.
2018]; Streeck, https://www.zeit.de/2018/36/sammelbewegung-aufstehen-die-linke-unter
stuetzung [07. 09. 2018].
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 83

3. Zum Begriff des „Gefährders“


In der aktuellen Sicherheitsdebatte erlangt in den letzten Jahren ein besonderer
Begriff einen immer größeren Stellenwert, nämlich der des „Gefährders“. Dieser Be-
griff und die darauf bezogene Sicherheits- und Kriminalpolitik stehen wohl wie
kaum ein anderer diesbezüglicher Diskurs für die immer mehr verschwimmenden
Grenzen zwischen Prävention, Gefahrenabwehrrecht und Strafrecht. Strafrecht
wird „Gefährdungsrecht“, Gefahrenabwehrrecht wird Strafrecht.
Diese These lässt sich belegen mit der bisher wohl ausführlichsten öffentlich-
rechtlichen wissenschaftlichen Analyse des Begriffs „Gefährder“, die von dem Ver-
fassungsrechtler Felix Hanschmann stammt.43 Hervorzuheben ist ferner die unter Be-
treuung von Hans-Jörg Albrecht am MPI entstandene und mittlerweile publizierte
rechtsvergleichende Promotionsarbeit von Vasiliki Chalkiadaki über „Gefährderkon-
zepte in der Kriminalpolitik“.44 Erwähnenswert ist auch die an der Universität Ham-
burg vorgelegte und von der Soziologin Susanne Krasmann und teilweise auch von
mir betreute Promotion von María Laura Böhm zu „Der ,Gefährder‘ und das ,Gefähr-
dungsrecht‘“.45 Diese drei Arbeiten sind im Zusammenhang zu sehen und lassen die
Konturen einer Theorie des „Gefährdungsrechts“ erkennen.46 Einzubeziehen sind
auch dazu vorliegende einschlägige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

3.1 Beitrag Felix Hanschmann

Hanschmann untersucht die Figur des „Gefährders“ im Gefahrenabwehrrecht.


Über das im Jahre 2002 verabschiedete Terrorismusbekämpfungsgesetz und nachfol-
gende sicherheitsrechtliche Gesetze sei der Begriff des „Gefährders“ jedenfalls der
Sache nach in Gesetztestexte eingeflossen. Was ein „Gefährder“ in diesem Sinne ist,
werde allerdings bis heute weder in Landes- noch in Bundesgesetzen exakt und ein-
heitlich definiert. Nur vereinzelt fänden sich in Gesetzen Versuche der Umschrei-
bung von Elementen, die einen „Gefährder“ aus der Perspektive der Gesetzgeber aus-
machten.47
Genannt werden beispielsweise das Aufenthaltsgesetz und der dort in § 58a
Abs. 1 Satz 1 enthaltene Erlass einer Abschiebungsanordnung ohne vorhergehende
Ausweisung „auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer
besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik oder einer terroristischen
Gefahr“.48 Erwähnung findet auch das jüngst in Bayern erlassene „Gesetz zur effek-

43
Hanschmann 2017, 434.
44
Chalkiadaki 2017.
45
Böhm 2011.
46
Vgl. zur Thematik auch v. Denkowski 2007, 325; Wegner & Hunold 2017, 367; War-
tenphul 2017, 423.
47
Hanschmann 2017, 434.
48
Hanschmann 2017, 434.
84 Jörg Arnold

tiveren Überwachung gefährlicher Personen“. § 3 Abs. 4 Satz 1 der bayerischen Zu-


ständigkeitsverordnung zum Ausländerrecht weise zwar bestimmen Behörden Zu-
ständigkeiten „für ausländerrechtliche Maßnahmen gegen islamistische und sonstige
ausländerextremistische Gefährder“ zu, verzichte aber ebenfalls auf eine Klärung
des Begriffs.49
Hanschmann verweist jedoch auch auf § 2 Abs. 1 Nr. 23 der BKA-Daten-Verord-
nung (BKA: Bundeskriminalamt). Dort wird hinsichtlich personenbezogener Daten,
die vom BKA gespeichert, verändert oder genutzt werden dürfen, auf den Status einer
Person nach der polizeifachlichen Definition wie „Gefährder“ verwiesen. Jene poli-
zeifachliche Definition sei von der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskrimi-
nalämter und des BKA im Jahr 2004 bundeseinheitlich geprägt. Danach ist ein Ge-
fährder eine Person, „bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass
sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere im Sinne
des § 100a StPO, begehen wird.“50
§ 100a StPO regelt die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ohne Wissen
des Betroffenen für einen ganzen Katalog von im Einzelnen aufgezählten schweren
Straftaten. Diese reichen hier – beispielhaft nur erwähnt – von Hochverrat, über
Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, bis hin zu Straftaten nach dem Völkerstraf-
gesetzbuch. Laut Bundesinnenministerium werden als Gefährder erfasst: Führungs-
personen, Unterstützer, Logistiker oder sonstige Akteure innerhalb des extremisti-
schen bzw. terroristischen Spektrums, denen Sicherheitsbehörden aufgrund ihrer
„Lageerkenntnisse“ die Begehung, Förderung oder Unterstützung eines Terroran-
schlags zutrauen, auch wenn Hinweise auf konkrete Terroranschläge fehlen. Die Vor-
stellung besteht hier in erster Linie in einem islamistischen Gefährder.51
Hanschmann betont, dass die Kriterien für die Einstufung einer Person als Gefähr-
der nicht öffentlich bekannt sind. Bekannt sei lediglich, dass das BKA mit einem
achtstufigen Prognosemodell arbeite, mit dem nach Angaben des Bundesinnenmi-
nisteriums angeblich jedoch ausschließlich Gefährdungseinzelsachverhalte bewertet
würden, nicht aber die Gefährlichkeit einzelner Personen. In Zukunft soll das vom
BKA in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Uni-
versität Konstanz entwickelte Risikobewertungsinstrument „RADAR-iTE“ zum
Einsatz kommen, das eine transparente, nachvollziehbare und „bundesweit einheit-
liche Bewertung des Gewaltrisikos von polizeilich bekannten militanten Salafisten“
ermöglichen soll.52
Meinen Vortragstext ergänzend sei darauf verwiesen, dass mit einer jüngsten
Arbeit die Aktualität der Ergebnisse von Hanschmann indirekt bestätigt werden.53

49
Hanschmann 2017, 434 f.
50
Hanschmann 2017, 435.
51
Hanschmann 2017, 435.
52
Hanschmann 2017, 436.
53
Goertz 2019, 61.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 85

Stefan Goertz – seines Zeichens Beamter der Bundespolizei und Dozent an der Hoch-
schule des Bundes – spricht davon, dass es keine gesetzliche Definition des Begriffes
„Gefährder“ gebe; es lägen aber bundeseinheitlich abgestimmte polizeiliche Defini-
tionen vor. Den Autor veranlasst das zu der erstaunlichen Schlussfolgerung, dass dies
„rechtliche Definitionen“ seien,54 obwohl er nicht umhinkommt, zu erwähnen, dass
diese nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages keine rechtli-
che Verbindlichkeit besitzen.55
Den Inhalt der polizeilichen Definitionen gibt Goertz wie folgt wieder:
„Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass
sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne
des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.
Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristi-
schen Spektrums die Rolle
a. einer Führungsperson,
b. eines Unterstützers/Logistikers,
c. eines Akteurs
einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch
motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des
§ 100a StPO fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder
d. es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson oder eines Verdächtigen einer politisch mo-
tivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des
§ 100a StPO handelt.“56

In der Untersuchung zum „Paradigmenwechsel vom Strafrecht zum Sicherheits-


recht“ erwähnt Sieber auch den Begriff von Gefährderansprachen als ein Instrument
im Polizei- und Verwaltungsrecht.57 Bei Hanschmann ist zu erfahren, dass dieser Be-
griff schon länger bekannt sei; er erscheine als niederschwelligere Intervention ge-
genüber dem mit dem Begriff des „Gefährders“ ermöglichten Eingriff, da es inhalt-
lich darum gehe, Hooligans, potenziell gewaltbereite Demonstranten, Anhänger aus-
ländischer politischer Gruppierungen, jugendliche Intensiv- oder häusliche Gewalt-
täter mündlich oder schriftlich anzusprechen, sie darauf aufmerksam zu machen,
dass in Bezug auf ihre Person polizeirechtlich relevante Informationen vorliegen
und sie deshalb unter besonderer Beobachtung stehen.58 Hanschmann spricht

54
Goertz 2019, 62.
55
Goertz 2019, 63.
56
Goertz 2019, 63. Goertz bezieht sich dabei auf die Bundestags-Drucksache 18/11369
(2017) und verweist zusätzlich zu dem Begriff „Gefährder“ auch auf den Begriff „Relevante
Person“, der ebenfalls von dieser Definition umfasst sei. Die Unterschiede werden allerdings
nicht klar. Goertz behandelt sodann auch die „operativen Reaktionen auf Gefährder“, worauf
hier nicht weiter eingegangen werden kann (Goertz 2019, 64 ff.).
57
Sieber 2016, 359.
58
Hanschmann 2017, 437.
86 Jörg Arnold

davon, dass der „Gefährder“ ein neuer Typ im Vergleich mit dem Adressaten der „Ge-
fährderansprache“ ist.59
Es drängt sich geradezu auf, an dieser Stelle auf das neue Bayerische Polizeiauf-
gabengesetz (PAG)60 kurz einzugehen, das als Modellgesetz für die anderen Bundes-
länder diente.61 Das PAG62 sieht eine massive Ausweitung der polizeilichen Befug-
nisse vor. So soll es der Polizei dort künftig möglich sein, auch ohne konkreten Ver-
dacht Personen zu durchsuchen, Telefone abzuhören, verdeckte Ermittler einzuset-
zen, Daten auszulesen, zu speichern und zu verändern. Möglich wird das durch die
Einführung der Kategorie „drohende Gefahr“:63 Bisher müssen für ein präventives
Handeln der Polizei konkrete Verdachtsmomente vorliegen, künftig soll das nicht
mehr erforderlich sein.
Die „drohende Gefahr“ wurde in Bayern bereits im letzten Sommer mit dem „Ge-
setz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ als rechtliche Kategorie
eingeführt.64 Dieses Gesetz erlaubt unter anderem, Menschen, die als Gefährder ein-
gestuft werden, theoretisch unbegrenzt in Präventivhaft zu nehmen – im März hat die
bayerische Grünen-Fraktion dagegen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ein-
gereicht. Der renommierte Journalist der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl
nennt dieses Gesetz „eine Schande für einen Rechtsstaat“.65
Als Hanschmann seine Untersuchung im vorangegangenen Jahr durchführte, war
die „drohende Gefahr“ noch nicht wirklich ein Thema. Deshalb konnte er sich auch
noch nicht explizit damit auseinandersetzen, sondern legte den Fokus entsprechend
des damals aktuellen Diskurses zur „konkreten Gefahr“ auf solche damit im Zusam-
menhang unterbreiteten dogmatischen Vorschläge zur Erfassung des Begriffs des
„Gefährders“, wie „Gefahrverdacht“ und „Risiko“, einhergehend mit der Etablie-
rung eines „Gefahrenaufklärungsrechtes“.66
Mittlerweile beziehen sich kritische Äußerungen zu dem neuen PAG aber auch
auf neben der Präventivhaft bestehende weitere Konsequenzen, die sich aus der „Ab-
wehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“

59
Hanschmann 2017, 436 ff.
60
https://www.merkur.de/politik/polizeiaufgabengesetz-in-bayern-steht-wirklich-drin-inh
halt-9887440.html [20. 08. 2018].
61
https://taz.de/Seehofers-neues-Gesetz/!5499809/ [20. 08. 2018]; zum Modellcharakter des
PAG für andere Bundesländer und dem dabei beschrittenen Weg in den Polizeistaat siehe
Mertens, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/es-kann-jetzt-jeden-treffen-1 [31. 08. 2018].
62
http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayPAG/true?AspxAutoDetectCookie
Support=1 [20. 08. 2018].
63
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/neues-polizeigesetz-bayern-befugnisse-daten
schutz-postgeheimnis-explosivmittel/ [20. 08. 2018].
64
Vgl. zum Inhalt dieses Gesetzes Müller 2018, 109.
65
http://www.sueddeutsche.de/bayern/gefaehrder-gesetz-bayern-fuehrt-die-unendlichkeits
haft-ein-1.3594307 [20. 08. 2018].
66
Hanschmann 2017, 442 ff.; kritisch dazu Bautze 2018, 205.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 87

(Art. 16 Abs. 2 Nr. 2b PAG) ergeben können.67 Unter diesen Voraussetzungen kann
einer Person verboten werden, „ihren Wohn- oder Aufenthaltsort oder ein bestimmtes
Gebiet zu verlassen.“ Der Münchener Strafverteidiger Hartmut Wächtler nennt dies
„Verbannung“ und zeigt aufgrund der Regelung des „bedeutenden Rechtsgutes“ auf,
dass die „Verbannung“ die exklusiven Gebiete der politischen Systemopposition ver-
lassen hat und „in der Vorbeugung gegen Durchschnittskriminalität angekommen“
ist.68 Die Prognose Wächtlers ist, dass die „Verbannung“ zunächst vor allem
gegen Ausländer angewandt werden wird, die aus irgendeinem Grund den Argwohn
der Behörden auf sich gezogen haben; würde sie sich bewähren, wäre auch „Heinz
Müller“ davor nicht mehr sicher.69
An der Vorschrift über die Präventivhaft (Vorbeugehaft – Art. 17 PAG) kritisiert
Wächtler vor allem die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Es gebe keinen
Pflichtverteidiger, der Festgenommene sei auf sich gestellt, wenn er mittellos ist.
Es stelle sich die Frage, wie er dem Richter klar machen kann, dass von ihm
keine Gefahr ausgeht. Die Beschwerde zum Landgericht könne, müsse aber nicht
zu einer neuen Verhandlung führen. Es könne nach Aktenlage entschieden werden,
die der Inhaftierte aufgrund fehlender anwaltlicher Verteidigung womöglich gar
nicht kennt.70

3.2 Die BKAG-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob


das Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) mit seinen seit dem Jahre 2009 geltenden
Ermächtigungen zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Ab-
wehr von Gefahren des internationalen Terrorismus mit dem Grundgesetz vereinbar
ist. Diese Befugnisse ermächtigen das BKA im Rahmen der Gefahrenabwehr und
Straftatenverhütung zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten und be-
gründen – je nach Befugnis – Eingriffe in die Grundrechte der Unverletzlichkeit
der Wohnung, des Telekommunikationsgeheimnisses und der informationellen
Selbstbestimmung sowie in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität infor-
mationstechnischer Systeme.71
Dagegen richteten sich die Verfassungsbeschwerden.
Mit Entscheidung vom 20. April 201672 stellt das BVerfG dazu fest, dass die Er-
mächtigung des BKA zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur
67
Wächtle, 2019, 305.
68
Wächtler 2019, 306.
69
Wächtler 2019, 306.
70
Wächtler 2019, 307 f.
71
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/
bvg16-019.html;jsessionid=37558C69E97174384D583E19F82628A0.1_cid370 [14. 09. 2018].
72
BVerfGE 141, 220 – 378; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entschei
dungen/DE/2016/04/rs20160420_1bvr096609.html [13. 09. 2018].
88 Jörg Arnold

Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zwar im Grundsatz mit den
Grundrechten vereinbar ist. Die derzeitige Ausgestaltung von Befugnissen genüge
aber in verschiedener Hinsicht nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das führte
dazu, dass verschiedene Regelungen aus dem Gesamtkomplex zu beanstanden
waren. Eine ganze Reihe derartiger Regelungen erklärte das BVerfG für nichtig
und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Für die Thematik des „Gefährders“ bzw. der „drohenden Gefahr“ von Bedeutung
sind die Ausführungen in der Urteilsbegründung zu § 20k Abs. 1 Satz 2 BKAG.
Diese Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, auch schon im Vorfeld einer konkreten Ge-
fahr Maßnahmen durchzuführen, wenn bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall
drohende Gefahr einer Begehung terroristischer Straftaten hinweisen. Dies sei dahin-
gehend auszulegen, dass Maßnahmen nur erlaubt sind, wenn die Tatsachen den
Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares
Geschehen zulassen, auch wenn erkennbar ist, dass bestimmte Personen beteiligt
sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwa-
chungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt
werden kann. Ausreichend sei insoweit auch, wenn zwar noch nicht ein seiner Art
nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das in-
dividuelle Verhalten eines Betroffenen eine konkrete Wahrscheinlichkeit begründet,
dass er solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird.73
Es ist gerade dieser letzte Satz, mit dem die vorhergehenden Sätze, die sich durch-
aus an einem Festhalten an der „konkreten Gefahr“, gewissermaßen als ein Anker für
die „drohende Gefahr“ lesen lassen könnten, in ihr Gegenteil verkehrt werden. Denn
wenn nun das individuelle Verhalten eines Betroffenen für die Begründung einer
konkreten Wahrscheinlichkeit, dass er solche Straftaten in überschaubarer Zukunft
begehen wird, ausreichend sein soll, scheint genau das der sicherheitspolitischen
Auffassung des Verständnisses vom „Gefährder“ zu entsprechen. Es bleibt ein Ge-
heimnis, wie sich in der Wirklichkeit eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begrün-
den lassen soll, dass die betreffende Person in überschaubarer Zukunft terroristische
Straftaten begehen wird. Hier sind einem letztlich willkürlichen polizeilichen Agie-
ren Tür und Tor geöffnet.74 Es nimmt somit nicht wunder, dass die Begründung des
Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes sich für die „drohende Gefahr“ genau darauf
beruft.

73
BVerfGE 141, 220 – 378 – Rn. 211 – 213; https://www.bundesverfassungsgericht.de/Sha
redDocs/Entscheidungen/DE/2016/04/rs20160420_1bvr096609.html [14. 09. 2018].
74
Vgl. auch die – wenngleich nicht so scharfe – Kritik bei Bautze 2017, 206. Bautze
kritisiert am BKAG-Urteil des BVerfG in Zusammenhang mit ihrer Kritik besonders an
Hanschmann, dass einziges „Merkmal“ des Gefährders die Tatsache sei, dass beim Gefährder
„ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen“ noch nicht erkennbar
sei. Folgerichtig stelle Hanschmann dann auch fest, dass „die Figur des Gefährders das Recht
[…] im Hinblick auf dessen Umgang mit Unwissen herausfordert.“ Der „Gefährder“ erscheine
somit als eine „Rechtsfigur im Nebel“ und solle dort auch bleiben.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 89

So heißt es in einer offiziellen Kommentierung für Examenskandidatinnen und


-kandidaten dazu:
„Durch die neue Gefahrenkategorie der drohenden Gefahr – Hervorhebg. wie auch die
Folgd. i. Orig. (J.A.) – kann die Polizei Maßnahmen schon im Vorfeld einer konkreten Ge-
fahr anordnen. Dabei orientiert sich der Gesetzgeber stark an der bisherigen Rspr., insbe-
sondere an dem BKAG-Urteil des BVerfG, wonach der Gesetzgeber die Grenzen des Gefah-
renbegriffs weiterziehen kann, indem er die Anforderungen an den Kausalverlauf reduziert.
Im Vergleich zur konkreten Gefahr kommt es daher nicht zu einer direkten Absenkung des
Wahrscheinlichkeitserfordernisses, sondern vielmehr zu reduzierten Anforderungen an die
Vorhersehbarkeit des konkreten Kausalverlaufs, d. h. es muss noch keine konkrete Gefah-
renlage eingetreten sein, aber aufgrund des Verhaltes einer konkreten Person die Entstehung
einer solchen (ohne konkreten Umstände, wie Ort, Zeit, etc.) erwartet werden.“75

Die BKAG-Entscheidung des BVerfG befindet sich auf einer Linie mit anderen
Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts, die das Sicherheitsrecht betreffen,
darunter Entscheidungen, die so wie das BKAG-Urteil auch die Thematik des „Ge-
fährders“ beinhalten. Die Entscheidungen des BVerfG, die das Sicherheitsrecht und
Sicherheitsgesetze betreffen, werden durch kritische Stimmen als sogenannte „Ja-Je-
doch-Walzerschritt-Rechtsprechung“ bezeichnet.76 Die Sicherheitsgesetze werden
in ihren Grundstrukturen für verfassungskonform gehalten, jedoch wegen der
Schwere der damit verbundenen Grundrechtseingriffe werden eine Vielzahl von Ein-
zelregelungen für unvereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot und/oder dem Verhält-
nismäßigkeitsgrundsatz erklärt.77
Bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung des Antiterrordateigesetzes ging es um
die Regelungen einer Verbunddatei zwischen den Polizeibehörden des Bundes und
der Länder sowie den Geheimdiensten. Begründet wird dieses damit, dass Dateien
von Personen besonderer Gefährlichkeit heimlich gespeichert werden dürfen. Ge-
setzlich ist der Begriff des „Gefährders“ hier zwar nicht expressis verbis enthalten,
aber indirekt. Die Antiterrordatei (ATD) sei auch eine Gefährderdatei, eine Samm-
lung von Daten, betreffend kraft einer heimlichen Prognose als besonders gefährlich
eingestufter Grundrechtsträger.78 Der Begriff „Gefährder“ gilt als Rechtfertigung für
die heimlichen Interventionen in Verknüpfung mit dem Ziel einer „optimierten Früh-
erkennung terroristischer Strukturen“.79
Lediglich aufgrund der bloßen Annahme einer als dauerhaft sowie als „erhöht“
bezeichneten „abstrakten Gefährdungslage“ werde die Überwachung vollzogen.
Die Figur des „Gefährders“ gelte in diesem Sinne als Chiffre und als Konstrukt,

75
Life & LAW 2018, 491 f.
76
Vgl. Plöse 2014, 124.
77
Plöse 2014, 124.
78
v. Denkowski 2007, 325, zit. nach Böhm 2011, 225.
79
v. Denkowski 2007, 326, zit. nach Böhm 2011, 226.
90 Jörg Arnold

das sicherheits- und kriminalpolitische Ziele jenseits traditioneller strafrechtlicher


Grundsätze und Mechanismen erfordere und rechtfertige.80

3.3 Dissertation María Laura Böhm

Schon sechs Jahre vor der Veröffentlichung von Hanschmann hatte María Laura
Böhm ihre Promotion über den „Gefährder“ und das „Gefährdungsrecht“ vorgelegt.81
Sie unternimmt eine rechtssoziologische Untersuchung am Beispiel der Urteile des
BVerfG über die nachträgliche Sicherungsverwahrung und die akustische Wohn-
raumüberwachung. Im Anschluss an Charles von Denkowski ist Ausgangspunkt
für Böhm, dass die Figur des „Gefährders“ bis heute explizit normativ ungeschrieben
bleibe.82
In Wirklichkeit aber sei das „Gefährderkonstrukt“ längst Bestandteil des Straf-
rechts.83 Unabhängig von dem Nachweis, den Böhm dazu anhand der nachträglichen
Sicherungsverwahrung und der akustischen Wohnraumüberwachung führt, zeigt
sich dies besonders am Terrorismusstrafrecht. Indem die genannten Sicherheitsgeset-
ze BKAG sowie ATDG als Voraussetzungen für die dort geregelten weitreichenden
Ermittlungsbefugnisse an Terrorismusstraftatbestände und die Ermittlungsbefugnis-
se dazu in der StPO anknüpfen, offenbare sich die Durchdringung des Gefährderbe-
griffs und dessen Austauschbarkeit im Gefahrenabwehrrecht und im Straf- und Straf-
prozessrecht. Straf- und Strafprozessrecht würden auf diese Weise selbst zu einem
Gefahrabwehrrecht. Dies sei zugleich verbunden mit einer Normierung der entspre-
chenden Straftatbestände, die eine weite Vorverlagerung der Strafbarkeit bedeuteten.
Was die Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Terrorismustatbeständen betreffe, so
lasse sich hier fast sinnbildlich von einer Synchronität zwischen der Nebulosität des
Gefährderbegriffs und der Vorverlagerung der Terrorismusstraftatbestände in eine
abstrakte Gefahr sprechen, die solcher Nebulosität letztlich gleichkomme.
Aber so nebulös erscheine diese Situation nur auf den ersten Blick. In Wirklich-
keit gerieten StGB und StPO in diesem vermeintlichen Gefährdernebel zur Legitima-
tion für immer mehr außerstrafrechtliche Eingriffsbefugnisse und Ermittlungen
durch Polizei und Staatsanwaltschaften. Wie Böhm zutreffend schreibt, kommt
der Diskurs des Strafrechts in einer diffusen und angreifenden Form und in der Ma-
terialisierung des Strafsystems zum Ausdruck: „diffus in der Konstruktion der Adres-
saten, angreifend in der Form der Reaktion“.84 Es gehe dabei nicht lediglich um Ri-
sikomanagement, sondern auch um die angreifende Abwehr gegenüber allen mög-
lichen Schäden, die durch die Risikoerkennung berechenbar gemacht werden. Das
Strafrecht bilde zusammen mit dem Risikomanagement und der Gefahrenabwehr
80
Böhm 2011, 226.
81
Böhm 2011, 226.
82
Böhm 2011, 227.
83
Böhm 2011, 229.
84
Böhm 2011, 229.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 91

ein diskursives Kontinuum, das im Gefährdungsrecht zum Ausdruck komme85. Die-


ses Gefährdungsrecht konkretisiere Feinde, Verbrecher, Gefahren und Risiken in
einer einzigen Figur: der von ihm modellierten Figur des Gefährders.86
Böhm hebt zurecht hervor, dass es sich bei den Gefährdern nicht um Subjekte han-
delt, also gefährliche Verbrecher, von denen Gefahren ausgehen, sondern um Kon-
strukte, die als Summe gefährdender Faktoren und Merkmale entstanden sind. Es
handele sich um die Materialisierung einer Verflechtung multipler gefährdender Ri-
sikofaktoren. Durch dieses Verständnis rücke das Gefährdungspotenzial in den Vor-
dergrund und das Subjekt löse sich auf.87
Nach Böhm drückt sich das Gefährderrecht in einer Form aus, die das Strafrecht
bis zu den Grenzen des Rechts erweitert und sich sogar über dieses auszudehnen
scheint. Das Gefährdungsrecht soll eine der ältesten Funktionen des Staates erfüllen,
nämlich der Sicherheit dienen.88 Die Untersuchung zum Gefährderrecht führt Böhm
zu der Schlussfolgerung, dass der Rechtsstaat sowohl Präventionsstaat wie auch Si-
cherheitsstaat sei.89 Unter Anlegung rechtskritischer Maßstäbe von Walter Benjamin,
Jacques Derrida, Michel Foucault und Giorgio Agamben gelangt Böhm zu der Auf-
fassung, dass sich das Gefährdungsrecht als eine neue Rechtsform erweise, da es, der
Logik eines administrativen Risikomanagements folgend, seinen Adressatenkreis
diffus bestimmt und die gefährdenden Figuren zugleich offensiv bekämpft. Solch
ein Gefährdungsrecht könne nicht weit und scharf genug sein. Dabei entsprächen
sich die Weite der Logik des Risikomanagments und die Schärfe der Logik der Be-
kämpfung. Das Gefährdungsrecht lege das Strafrecht neu aus, wobei die Fusion bei-
der Rationalitäten eine grenzenlose Erweiterung und Verschärfung des Strafrechts
bewirke.90

3.4. Dissertation Vasiliki Chalkiadaki

Vasiliki Chalkiadaki vergleicht die Gefährderkonzepte in der Kriminalpolitik


zwischen Deutschland, Frankreich und England. Dabei untersucht sie schwerpunkt-
mäßig Gefährderkonzepte im Bereich des Fußballhooliganismus, des Terrorismus
sowie Gefährderkonzepte im Bereich des Rückfalls bei haftentlassenen Sexualstraf-
tätern.
Hier erweist sich aber bereits, dass die sogenannte „Gefährderansprache“, wie sie
oben wiedergegeben worden ist, ihre Funktion insbesondere beim Fußballhooliga-

85
Böhm 2011, 229.
86
Böhm 2011, 229.
87
Böhm 2011, 235.
88
Böhm 2011, 240.
89
Böhm 2011, 249.
90
Böhm 2011, 302.
92 Jörg Arnold

nismus sowie bei den haftentlassenen Sexualstraftätern erfüllt, wenn auch mit unter-
schiedlichen Mitteln und in unterschiedlicher Weise.
Worum es eigentlich bei dem Begriff des „Gefährders“ und damit bei der Abwehr
der Terrorismusgefahr geht, arbeitet Chalkiadaki länderspezifisch heraus. Für
Deutschland stehe im Mittelpunkt die Kombination von Strafnormen und Vorschrif-
ten aus dem Recht der Nachrichtendienste einerseits und Praktiken der polizeilichen
und nachrichtendienstlichen Sicherheitsbehörden andererseits. Hinsichtlich des
Strafrechts werde kein spezieller Gesamt-Straftatbestand für das Phänomen Terroris-
mus geschaffen, sondern der Gesetzgeber kriminalisiere in einer Anzahl von terro-
rismusspezifischen, terrorismusrelevanten oder sonstigen allgemeinen Vorschriften
des StGB vielfältige konstitutive Elemente des Terrorismus.91
Auf diese Weise stehe die Vorverlagerung der Strafbarkeit weit in das Vorfeld von
terroristischen Handlungen im Fokus. Außerdem werde das Recht der Nachrichten-
dienste eingesetzt, und zwar überwiegend die Vorschriften, die für den Datenaus-
tausch zwischen den verschiedenen Nachrichtendiensten und der Polizei relevant
sind.92
Es sei hier angefügt, dass mit diesem Konglomerat von Maßnahmen nicht verhin-
dert worden ist, dass der Attentäter Amri des Berliner Weihnachtsmarktes 2016 seine
Terrortaten dort verüben konnte, und dies, wie sich immer mehr herausstellt, obwohl
der Verfassungsschutz ihn längst im Visier hatte, was durch seinen damaligen Prä-
sidenten Maaßen wieder besseres Wissen bestritten wird.93 In diesem Zusammen-
hang sorgt in Deutschland nach wie vor für Unklarheiten und Diskussionen, dass
die Terroranschläge des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) so ohne wei-
teres möglich waren, obwohl der Verfassungsschutz in diese terroristische Vereini-
gung involviert war.94
Deutlich wird, dass zwischen Deutschland und Frankreich kaum signifikante Un-
terschiede bei der Terrorismusbekämpfung bestehen.95 Etwas anders sieht die Situa-
tion in England aus. Dieses Land verfügt nach Chalkiadaki aufgrund der IRA-Erfah-
rungen über das umfassendste Arsenal zur Terrorismusbekämpfung, was bis zur In-
gewahrsamnahme ohne Haftbefehl reicht.96
Hinsichtlich eines solchen Vergleichs zwischen den drei Ländern hebt Chalkia-
daki jedoch zunächst die Gemeinsamkeiten hervor: Vorverlagerung der Strafbarkeit,
Entwicklung von gefahrenabwehrrechtlichen administrativen Maßnahmen; Gewin-
nung von Erkenntnissen und die relevante Nutzung von Daten; Zusammenarbeit der

91
Chalkiadaki 2017, 428.
92
Chalkiadaki 2017, 428.
93
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1100562.fall-amri-geheimdienst-war-am-atten
taeter-dran.html [16. 09. 2018].
94
Vgl. Schultz 2018, 131 ff., 264 ff., 353 ff.
95
Chalkiadaki 2017, 429 f.
96
Chalkiadaki 2017, 313.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 93

Behörden beim Umgang mit der Gefahrprognose und gemeinsame Ansätze der Län-
der zur Prävention von schwerer Gewalt, aber auch Gemeinsamkeiten im Hinblick
auf den Gefährderbegriff.97
Kritisch betrachtet Chalkiadaki die strafrechtliche Entwicklung und fordert, dass
das Strafrecht sich gegenüber dem präventiven Druck des Sicherheitsansatzes be-
haupten und seine Eigenschaften und Garantien verteidigen müsse. Dieser Ansatz
habe drei Aspekte: erstens müssten alle Wünsche auf Sicherheit, die auch außerhalb
des Strafrechts mit denselben erfolgreichen Ergebnissen verfolgt werden können, au-
ßerhalb des Strafrechts bleiben, um den Charakter des Strafrechts als ultima-ratio-
Lösung zu garantieren; zweitens sei die Verhältnismäßigkeit nicht die einzige
Schranke für ein Sicherheitsstrafrecht, vielmehr müsse die Würde des Betroffenen
und der damit verbundene Schutz seiner Eigenständigkeit immer noch mehr im Mit-
telpunkt des Strafrechts stehen; drittens müsse wahrgenommen werden, dass auch im
Rahmen eines sicherheitsorientierten Strafrechts eine totale Sicherheit nicht gewähr-
leistet werden kann, sondern vielmehr nur eine Sicherheit nach den normativen Gren-
zen, die ihr das Strafrecht zuschreibt, was für alle Rechtsgüter gelte.98
Es bleibt freilich fraglich, wie die Autorin ihre Auffassung zu den Grenzen des
Strafrechts in Wirklichkeit mit einem rechtsstaatlichen Sicherheitsstrafrecht verbin-
den will,99 womit sich der Kreis auch wieder zu den Überlegungen Siebers, Sicher-
heitsarchitektur mit Freiheitsarchitektur zusammenzuführen, schließt.

4. Zusammenfassung
Der Begriff der Sicherheit hat in den letzten Jahren einen erheblichen Wandel er-
fahren. Es handelt sich nicht um einen im wahrsten Sinne des Wortes „gesicherten“
Rechtsbegriff. Tautologisch ist die Sicherheit danach juristisch ungesichert. Das hat
eigentlich seinen guten Grund, denn Rechtsstaat und Sicherheit verhalten sich wie
Antipoden zueinander. Die Sicherheit befindet sich jedoch im sicherheitspolitischen
Diskurs und erweist sich als ein schleichendes kriminalpolitisches Gift für den
Rechtsstaat, der damit ausgehöhlt wird.
Sicherheitsgefühle, eingeschlossen Ängste und Bedrohungen, sind aber real, was
besonders für islamistischen Terrorismus und zunehmend auch für strafbaren
Rechtsradikalismus diskutiert wird und nicht zu übersehen ist.
Die Reaktionen darauf bestehen in der Konstruktion eines weit verzweigten Ge-
flechts sicherheitspolitischer Maßnahmen mit den Mitteln des Rechts, die in ein Si-
cherheitsrecht münden sollen. In meinem Referat wurde dieses Geflecht durch die
Wiedergabe wichtiger wissenschaftlicher Untersuchungen dargestellt.

97
Chalkiadaki 2017, 433 ff.
98
Chalkiadaki 2017, 451.
99
Chalkiadaki 2017, 451.
94 Jörg Arnold

Der im sicherheitspolitischen Diskurs entwickelte Begriff des „Gefährders“ er-


weist sich sozusagen als der flexible Springer in diesem Geflecht. Mal springt er
im Präventivbereich, mal in der Gefahrenabwehr, hin und wieder auch im Strafrecht.
Er könnte, um in diesem Bild zu bleiben, ein großer Grashüpfer sein, der das Ziel hat,
durch das ständige Springen zwischen den unterschiedlichen Rechtsbereichen deren
Konturen und Strukturen, aber auch ihre exklusiven Kompetenzen zu überdecken.
Das Geflecht wird durchlässiger, die Rechts- und Gefährdungsbereiche nähern
sich an, sie nehmen mit vereinten Kräften den Grashüpfer, in Wahrheit den Gefährder
ins Visir.
Diese Flexibilität nun eignet sich in idealer Weise dazu, hinsichtlich der Sicher-
heitsgefühle in der Bevölkerung zu zeigen, wie ernst diese genommen werden und
dass alles Erforderliche besonders für die Erkennung und Abwehr relevanter Gefah-
ren getan wird.
Vor einer kritischen Wissenschaft stehen mehrere Aufgaben:
1. Zunächst müssen diese Entwicklungen in Bezug auf die bestehenden konkreten
Gefahrenlagen weiter genau analysiert werden.
2. Es ist vor dem Hintergrund der konkreten empirischen Befunde danach zu fragen,
ob es ausreichend ist, Sicherheitsrecht und Freiheitsrecht zu einem rechtsstaatli-
chen Sicherheitsrecht zu vereinen, so wie das Winfried Hassemer auf dem Straf-
verteidigertag im Jahre 2006 getan hat.100 Damit wird sich zumindest auseinan-
derzusetzen sein, wozu auch die Erkenntnisse kritischer Kriminologie herange-
zogen werden müssen. Die richtige Bestimmung von Strafrecht, Sicherheit,
Rechtsstaat und Freiheit sollte sich auch nicht so sehr nach der Tagesaktualität
richten, schon gar nicht nach den Medien, und erst recht nicht im Zusammenhang
mit demokratischen Wahlen jegliche redliche und intellektuelle Reflektierung
vermissen lassen. Zu fragen ist auch nach den gesellschaftlichen, sozioökonomi-
schen, sozialen, politischen und kulturellen Hintergründen und Wandlungen, die
zu einer veränderten Sicherheitsarchitektur geführt haben.
3. Wie kann die Freiheitsarchitektur gerade in den Rahmen dieser grundlegenden
gesellschaftlichen Wandlungsprozesse unter den Stichpunkten von weltweitem
Neoliberalismus und den dadurch bedingten Verarmungs- und Ungerechtigkeits-
verhältnissen, zugleich aber auch vor dem Hintergrund des Erstarkens von rechts-
radikalen und prä- bzw. protofaschistischen Entwicklungen101 in einer ganzen
Reihe von europäischen Ländern eingepasst werden, damit sie sich als ein Kor-
rektiv für derartige Gefährdungen der „Weltgesellschaft“ erweist?
4. Wichtig ist der Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern, nicht nur jenen der Eu-
ropäischen Union, sondern auch mit solchen, die gesellschaftspolitisch bisher
einen anderen Weg als westliche Demokratien gegangen sind und in denen
100
Hassemer 2006, 130.
101
Vgl. dazu Quent, https://www.sueddeutsche.de/politik/landtagswahl-thueringen-hoecke-
1.4658751 [30. 12. 2019]; Quent 2019; Arnold 2019c.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 95

auch die Transformationen von Sicherheit anders erfolgen, ja mitunter auch an-
ders erfolgen müssen als in westlichen Ländern. Mein Beitrag nimmt nicht für
sich Anspruch, die Wahrheit und Richtigkeit des Verhältnisses von Strafrecht, Si-
cherheit und Freiheit zu kennen und schon gar nicht, diese für andere Länder als
Vorbild erscheinen zu lassen. Meine Ausführungen beinhalten deswegen auch
keine inzidente Kritik am Sicherheitsverständnis in Russland. Ich kenne dieses
auch nicht gut genug, kann mir aber vorstellen, dass es hier und da noch in der
sowjetischen Tradition steht und ihm auch spezifische nationale, konkret-histo-
rische, politische, ökonomische und kulturelle wie soziale Bedingungen und Ver-
hältnisse zu Grunde liegen. Gleichwohl erscheint es mir unverzichtbar, sich über
die allgemeingültigen menschenrechtlichen Voraussetzungen für einen demokra-
tischen, freiheitlichen Sicherheitsbegriff, bzw. ein darauf bezogenes Sicherheits-
recht, diskursiv zu verständigen.102
Bei alledem sollte ein Satz nicht vergessen werden, den der frühere Bundesver-
fassungsrichter und Professor für Staatsrecht an der Universität Freiburg Ernst-Wolf-
gang Böckenförde schon vor vielen Jahren postuliert hat:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garan-
tieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als
freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bür-
gern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homoge-
nität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht
von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu ga-
rantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in
jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen
herausgeführt hat.“103

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2003): Der erweiterte Sicherheitsbegriff und seine Folgen. Informationsbrief
des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein 91, S. 6 – 23.
Albrecht, P.-A. (2003): Die vergessene Freiheit. Berlin.
Albrecht, P.-A. (2010a): Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft. Berlin.

102
Hierzu gehört – und das sei im Hinblick auf russische Beiträge zu der Tagung, an der
wir teilgenommen haben, hinzugefügt – auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
der Auffassung der durch Dmitry Shestakov begründeten „Newa-Wolga-Schule“ krimineller
Subsysteme, wonach von einer weltweit agierenden globalen oligarchischen Macht und ihrer
Akteure ausgegangen wird, deren Wurzeln in den USA lägen. Es erscheint zweifelhaft, ob das
der Wirklichkeit von komplexen Herrschaftsformen wirklich gerecht wird. Mit einem trans-
nationalen gesellschaftskritischen Ansatz, der den kapitalistischen Neoliberalismus im Blick
hat, lässt sich nach meinen Verständnis sinnvoller und differenzierter nach den Strukturen von
weltweit vernetzten Unternehmen mit ihrer Ausrichtung auf Profitmaximierung fragen, die
zudem einen Verbund mit dem militärisch-industriellen Komplex bilden. Auf solcher Grund-
lage wäre dann nach der Kriminalität der Mächtigen zu fragen.
103
Böckenförde 1976, 60.
96 Jörg Arnold

Albrecht, P.-A. (2010b): Kriminologie. 4. Aufl. München.


Arnold, J. (1995): Die Normalität des Strafrechts der DDR. Bd. 1. Freiburg i.Br.
Arnold, J. (2006): Entwicklungslinien des Feindstrafrechts in 5 Thesen. Onlinezeitschrift für
Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht, S. 303 – 315.
Arnold, J. (2016): Wohin sind wir unterwegs? Nachdenken über Christa Wolfs „Stadt der
Engel“, in: M. Plöse et al. (Hrsg.), „Worüber reden wir eigentlich?“. Festgabe für Rosemarie
Will. Berlin, S. 62 – 86.
Arnold, J. (2018): To the Correlation of the (Criminal) Law, Safety and Freedom in Connection
with Transformations of Security, Concept of „Person Representing Threat“, as well als Ju-
dicial Practice of the Federal Constitutional Court, Relating to the Concept „Freedom“.
Criminology: Yesterday, Today, Tomororrow 3 (50). St. Petersburg, S. 20 – 29.
Arnold, J. (2019a): Entwicklungen der Strafverteidigung. Münster.
Arnold, J. (2019b): Pranger 3.0. Wie moderne Medien den Rechtsstaat gefährden. Berlin.
Bautze, K. (2018): Wie gefährlich sind „Gefährder“? Eine Antwort auf Felix Hanschmann. Kri-
tische Justiz, S. 205 – 212.
Böckenförde, E.-W. (1967): Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat. München.
Böckenförde, E.-W. (1976): Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurft a. M.
Böhm, M.L. (2011): Der „Gefährder“ und das „Gefährdungsrecht“. Göttingen.
Brunhöber, B. (2018): Funktionswandel des Strafrechts in der Sicherheitsgesellschaft, in:
J. Puschke & T. Singelnstein (Hrsg.), Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft. Wiesbaden,
S. 193 – 211.
Chalkiadaki, V. (2017): Gefährderkonzepte in der Kriminalpolitik. Wiesbaden.
Das Neue am Polizeilichen Aufgabengesetz. Life & LAW 7/2018, S. 491 – 503 (ohne Verfas-
serangabe).
Denkowski, Ch. v. (2007): Einstufung als (islamistische) Gefährder und (heimliche) Folgeein-
griffe. Kriminalistik, S. 325 – 332.
Eser, A. (1996): Nachwort, in: J. Arnold, Die Normalität des Strafrechts der DDR. Bd. 2. Frei-
burg, S. 813 – 815.
Eser, A. & Arnold, J. (2012): Transitionsstrafrecht und Vergangenheitspolitik, in: A. Eser,
U. Sieber & J. Arnold (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende Ein-
blicke in Transitionsprozesse. Teilband 14. Berlin.
Goertz, S. (2019): Terrorismusabwehr. Zur aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Ter-
rorismus in Deutschland und Europa. 2. überarb. Aufl. Wiesbaden.
Gusy, C. (2010): Sicherheitskultur – Sicherheitspolitik – Sicherheitsrecht. Kritische Vierteljah-
resschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung, S. 111 – 128.
Hanschmann, F. (2017): „Gefährder“ – eine neue alte Figur im Öffentlichen Recht. Kritische
Justiz 50, S. 434 – 447.
Hassemer, W. (2006): Sicherheit durch Strafrecht. Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche
Rechtsprechung zum Strafrecht, S. 130 – 143.
Zum Verhältnis von (Straf-)Recht, Sicherheit und Freiheit 97

Hefendehl, R. (2000): Wie steht es mit der Kriminalitätsfurcht und was hat der Staat damit zu
tun? Zugleich ein Beitrag zur Tauglichkeit der Sicherheitswacht. Kritische Justiz, S. 174 –
187.
Hefendehl, R. (2011): Die Entfesselung des Strafverfahrens über Methoden der Nachrichten-
dienste – Bestandsaufnahme und Rückführungsversuch. Goltdammer’s Archiv für Straf-
recht, S. 209 – 231.
Hefendehl, R. (2013a): Sicherheit und Sicherheitsideologie oder auch: Das Ende des Relativen.
Neue Kriminalpolitik, S. 19 – 25.
Hefendehl, R. (2013b): Die innere Sicherheit: Auf der Suche nach der Deutungshoheit, in:
M.A. Zöller et al. (Hrsg.), Gesamte Strafrechtswissenschaft in internationaler Dimension.
Festschrift für Jürgen Wolter. Berlin, S. 729 – 746.
Heitmeyer, W. (2018): Autoritäre Versuchungen. 3. Aufl. Bielefeld.
Honecker, H. & Kaleck, W. (2016): Die RAF-Prozesse – ein Gespräch in drei Teilen. Interview
mit Heinrich Hannover, Hans-Christian Ströbele und Rupert von Plottnitz, in: Kritische Jus-
tiz (Hrsg.), Streitbare Juristinnen. Bd. 2. Baden-Baden, S. 557 – 588.
Jakobs, G. (2006): Feindstrafrecht? – Eine Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlich-
keit. Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht, S. 289 – 297.
Janssen, H. & Schubert, M. (Hrsg.) (1990): Staatssicherheit. Die Bekämpfung des politischen
Feindes im Innern. Bielefeld.
Kaiser G. (1988): Kriminologie. 2. völl. neubearb. und erw. Aufl. Heidelberg.
Kaiser, G. et al. (Hrsg.) (1993): Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl. Heidelberg.
Kölbel, R. & Borck, L. (2012): Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel. Berlin.
Kunz, K. & Singelnstein, T. (2016): Kriminologie. 7. Aufl. Bern.
Lekschas, J. et al. (1983): Kriminologie. Berlin.
Mehlich, A. (2012): Der Verteidiger in den Strafprozessen gegen die Rote-Armee-Fraktion. Ber-
lin.
Müller, B. (2018): Das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen und die dar-
aus erwachsenen neuen Befugnisse der Bayerischen Polizei. Bayerische Verwaltungsblätter
4, S. 109 – 116.
Müller, I. (1980): Rechtsstaat und Strafverfahren. Frankfurt a. M.
Naucke, W. (2010): Die robuste Tradition des Sicherheitsstrafrechts. Kritische Vierteljahres-
schrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 129 – 136.
Plöse, M. (2014): Was Karlsruhe nicht verbietet, macht Berlin nur dreister. Anmerkungen zur
Änderung des Antiterrordateigesetzes. Teil 1: Konsequenzen aus der ATDG-Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2013. vorgänge 206/207 (2/3), S. 122 – 130.
Puschke, J. & Rienhoff, J. (2018): Terrorismusbekämpfung durch das Strafrecht, in: J. Puschke
& T. Singelnstein (Hrsg.), Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft. Wiesbaden, S. 243 – 263.
Puschke, J. & Singelnstein, T. (Hrsg.) (2018): Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft. Wies-
baden.
98 Jörg Arnold

Quent, M. (2019): Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie
wir sie stoppen können. München.
Schittenhelm, U. (1994): Strafe und Sanktionensystem im sowjetischen Recht. Freiburg.
Schultz, T. (2018): NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates. München.
Sieber, U. (2016): Der Paradigmenwechsel vom Strafrecht zum Sicherheitsrecht: Zur neuen Si-
cherheitsarchitektur der globalen Risikogesellschaft, in: K. Tiedemann et al. (Hrsg.), Die
Verfassung moderner Strafrechtspflege. Erinnerung an Joachim Vogel. Baden-Baden,
S. 351 – 372.
Sieber, U. & Vogel, B. (2015): Terrorismusfinanzierung – Prävention im Spannungsfeld von in-
ternationalen Vorgaben und nationalem Tatstrafrecht. Berlin.
Singelnstein, T. (2019): Soziale Kontrolle, Polizei und Rechtsstaat in Zeiten der Sicherheit, in:
V. Eick & J. Arnold (Hrsg.), 40 Jahre RAV. Im Kampf um die freie Advokatur und um ein
demokratisches Recht. Berlin, S. 307 – 317.
Singelnstein, T. & Stolle, P. (2012): Die Sicherheitsgesellschaft. 3. vollst. überarb. Aufl. Wies-
baden.
Vormbaum, M. (2015): Das Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik. Tübingen.
Vormbaum, T. (2000): Geleitwort, in: J. Arnold (Hrsg.), Strafrechtliche Auseinandersetzung mit
Systemvergangenheit am Beispiel der DDR. Baden-Baden, S. VII–IX.
Wächtler, H. (2019): Gefährder und Gefährdete. (Nicht nur) Zum Bayerischen Polizeiaufgaben-
gesetz, in: V. Eick & J. Arnold (Hrsg.), 40 Jahre RAV. Im Kampf um die freie Advokatur und
um ein demokratisches Recht. Berlin, S. 305 – 308.
Wartenphul, N. (2017): Der „Gefährder“: Wer ist das? juris – Die Monatszeitschrift, S. 423 –
426.
Wegner, M. & Hunold, D. (2017): Die Gefährdergesetze im Lichte des Vorsorgeparadigmas.
Kriminalpolitische Zeitschrift, S. 367 – 375.
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze
Von Christoph Gusy1

Mit Hans-Jörg Albrecht durfte ich in Fragen der Sicherheitsforschung zusammen-


arbeiten. Dies ermutigt mich zu einer Skizze, die Fragen aus anderen von mir betrie-
benen Forschungsprojekten für unser gemeinsames Thema stellen kann. Ihr Thema
ist eine Herausforderung an alle Rechtsgebiete, an Kriminologie, Rechts- und Gesell-
schaftswissenschaften, Theorie und Empirie. Sie möchte zu weiteren Forschungen,
aber auch zu Widerspruch anregen, also Diskussionen eröffnen, nicht abschließen.

1. Anonymität als Namenlosigkeit


Anonymität zählt zu den viel genannten, aber wenig erforschten Phänomenen.
Dabei verdient sie aus zwei Gründen größere Aufmerksamkeit. Die Verlagerung
von Kommunikation und Interaktion in das Netz ermöglicht schon aus technischen
Gründen Anonymität in höherem Umfang als früher.2 Die neuen Medien haben auch
hier nicht nur neue Fragen gestellt, sondern auch ältere Fragen sichtbarer gemacht
und bisweilen radikalisiert. Neben die praktische Relevanz tritt ihre theoretische
Dringlichkeit. War und ist der Schutz der Privatheit ein Schlüsselthema der Wissen-
schaft im letzten Jahrzehnt, so blieb das sich damit partiell überschneidende Phäno-
men der Anonymität am Rande der Betrachtungen. Hier sollen einige Rechtsfragen
zumindest skizziert werden.
Anonymität (von griechisch !m~mulor anónymos „ohne Namen“) bezeichnet das
Fehlen der Zuordnung einer Person zu einer von ihr ausgeübten Handlung bis hin zur
absichtlichen Geheimhaltung (wikipedia). Dies geschieht nicht durch Geheimhal-
tung der Handlung, sondern derjenigen Person, welche sie vorgenommen oder ver-
anlasst hat. Diese Person wird nicht namhaft gemacht, ihr Name fehlt, sie bleibt an-
onym. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen: Sei es durch bloßes Weglas-
sen des Namens, sei es durch offene Ersetzung des Namens durch eine Chiffre
(„N.N.“), sei es durch Nennung eines Allerwelts- oder eines offenkundig falschen

1
Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen im Forschungsprojekt „Strukturwandel
des Privaten“, das von der VW-Stiftung gefördert wird, und J.P. Möhle.
2
Grundlegend Brunst 2009; siehe auch Willand 2003; Gröschner 2004, S. 369: „Agora
statt E-Gora“.
100 Christoph Gusy

Namens („Pseudonymität“),3 welche die Zurechnung der Handlung zu einer be-


stimmten existierenden Person im Kommunikationsprozess unmöglich machen
soll. Konstituierendes Element der Anonymität ist somit ein Kommunikationsvor-
gang, welcher auf Menschen zurückführbare Handlungen, Eigenschaften oder Zu-
stände betrifft, wobei der Name dieser Person nicht genannt oder verfälscht wird.
Es geht um Aussagen von oder über Menschen, ohne diese zu benennen. Das Fehlen
der Namensangabe kann ganz heterogene Gründe haben. Was fehlt, ist der Name.
Diesem kommen zwar auch, aber keineswegs nur rechtliche Funktionen zu.
Für die Einzelnen ist der Name unentbehrlicher Bestandteil der Persönlichkeits-
bildung und der Herausbildung von Identität. Hier ist er mehr als eine bloße Bezeich-
nung. Viel spricht dafür, dass der Name ein Persönlichkeitselement darstellt, welches
die Herausbildung der Einzelnen, ihre Individualisierung und ihr Selbstkonzept mit-
prägt. Er ist Teil der Selbstwahrnehmung und des Selbst-Bewusstseins seiner Träger.
Hier zählt er neben dem Aussehen und wichtigen Eigenschaften zu den Grundele-
menten der Herausbildung personaler Unterscheidbarkeit der Menschen, der Heraus-
bildung ihrer Eigenständigkeit und Eigenheiten und damit als Grundlage und Teil der
Persönlichkeitsentwicklung. Hier kann seine Bedeutung kaum überschätzt werden:
Er steht neben physischen und psychischen Eigenheiten, die ererbt oder anerzogen
sind. Er ist zentraler Bestandteil des Integritätsschutzes einer Person. Und als solcher
ist er rechtlich auch geschützt.4
Über die individuelle kommt dem Namen zugleich eine wichtige soziale Funktion
zu. Er ist neben dem Aussehen und dem Bild das konstituierende Differenzierungs-
und Zurechnungsmerkmal. Er macht eine Person im Wissen Anderer erkennbar und
erinnerbar: Was eine Person über eine andere weiß, wird ihr über den Namen zuge-
ordnet. Die Nennung des Namens ruft die Person sowie das über sie vorhandene Wis-
sen und sie betreffende Einstellungen auf und öffnet diese Informationen für Einord-
nungen und Abstrahierungen, Korrekturen und Reflexionen und Generalisierungen.
Sie prägen nicht nur das Wissen Anderer über eine Person, sondern können auch
deren Einschätzungen und ihr Verhalten ihr gegenüber beeinflussen. Der Name
ruft ein Informationsbündel über eine Person ab, welches sich vor die Person selbst,
ihr Verhalten, ihre Einstellungen oder Gedanken schieben kann. Im Wissen Anderer
bestimmt so der Name die Person und kann sie überlagern bzw. verdrängen. Der
Name bestimmt in der Gesellschaft weitgehend die Rolle einer Person.5
Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen: Was durch die indivi-
duelle Funktion begründet wird, wird durch die gesellschaftliche Funktion wieder
relativiert. Denn die Einstellungen Anderer hängen eben nicht nur von der Person
ab, welche sie betreffen. Sie hängen mindestens ebenso sehr von der Informations-
lage, von Erinnerungen, Zuschreibungen und Werthaltungen ihrer Träger ab. Die
3
Bisweilen wird das Phänomen der Pseudonymität mit ihr gleichgesetzt; z. B. bei Weichert
2003, S. 95; Probst 2003, S. 179.
4
Zur Entwicklung Klippel 1985; siehe auch Luckmann et al. 1980.
5
Dazu soziologisch Goffmann 1983.
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze 101

Rolle, welche dem Träger eines Namens zugewiesen ist, hängt nicht allein, vielleicht
nicht einmal zentral von ihr selbst ab. Ob der Name zum Heldenmythos oder zum
Stigma wird, ist allenfalls ansatzweise eine Frage der Selbstbestimmung und -defi-
nition des Trägers, sondern mindestens ebenso der Einstellungen und Erwartungen
der Gesellschaft. Und mit ihr können sie sich auch wandeln. Der Weg vom Helden
zum Schurken oder umgekehrt setzt Kontinuität des Namens voraus. Zugleich zeigt
sich: Je stärker und verfestigter Rollenbilder und -zuweisungen sind und je weniger
sie von der betroffenen Person selbst beeinflusst werden können, umso intensiver
können sie Persönlichkeitsbildung und -entfaltung der Betroffenen behindern. Aus
der Rolle als Adeliger, als Angehöriger städtischer Oberschichten oder andernorts
privilegierter Kasten, aber auch als Jude, als nichteheliches Kind, als Vorbestrafter
oder Zuwanderer kam man jahrhundertelang nicht heraus. Kulminationspunkt dieser
Zuweisungen ist der Name: Er ist sprachlicher Ausdruck und Abkürzung nicht nur
für die Identifikation einer Person, sondern zugleich für die Summe der auf sie be-
zogenen Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen. Und aus ihnen formieren sich
Vorstellungen und Verhaltensweisen Dritter. Je verfestigter Rollenbilder und -zuwei-
sungen sind, umso unmöglicher wird Betroffenen das Ausweichen durch Selbstbe-
stimmung und Selbstdefinition. Individueller Zurechnungsfaktor solcher Zuschrei-
bungen war und ist der Name. Hier kommt dem Phänomen der Anonymität Bedeu-
tung zu: Namenlosigkeit ermöglicht das Heraustreten aus bestehenden Rollenerwar-
tungen. Historisierend formuliert: In der Dorfgemeinschaft, wo jeder jeden und
dessen Rolle kannte, waren Selbstbestimmung und -entfaltung außerhalb der Rollen-
zwänge kaum möglich. Letztere setzten die Möglichkeit des Heraustretens aus dem
allgemeinen „Wissen“ und auch solchen Zuschreibungen voraus. Wo und wenn der
Name nicht mehr bloß Festlegung und Fortschreibung ist, sondern gemacht werden
kann, fangen Freiheit und Selbstbestimmung an. Und dies setzt ein gewisses Maß an
Anonymität voraus. Die gegenüber dem Dorf anonymere Stadt war in diesem Sinne
Anfang und Vorbedingung der Freiheit.

2. Kontexte
2.1 Öffentlichkeit als Vorbedingung und Wirkungsraum von Anonymität

Anonymität ist Anderes als Privatheit. Zwar weisen beide eine Gemeinsamkeit
auf, nämlich das begrenzte Wissen Außenstehender über Personen. Darin erschöpfen
sich aber ihre Überschneidungen. Wo eine Person ganz für sich und mit sich allein ist,
braucht sie keinen Namen und keine Anonymität. Das ist der seltene Extremfall von
Privatheit. Nach klassischer Auffassung zeichnet sich Privatheit durch die Möglich-
keit der Selbstbestimmung über den Zugang zu Informationen einer Person aus.6 Je
privater ein Lebensvorgang ist, desto höher sind tendenziell die Zugangsmöglichkei-
ten zu den Informationen der Beteiligten untereinander. Dass von dieser erhöhten Zu-
6
Dazu etwa Worms & Gusy 2012, S. 92; Gusy 2018, S. 246 ff.
102 Christoph Gusy

gangsmöglichkeit ausgerechnet der Name eben dieser Beteiligten betroffen sein


soll,7 ist zwar nicht logisch ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich. An-
onymität ist also keine Konstitutionsbedingung von Privatheit. Und umgekehrt ist
Privatheit auch keine Konstitutionsbedingung von Anonymität. Die klassischen
Fälle der Inanspruchnahme von Namenlosigkeit betreffen gerade Vorgänge, welche
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten: Flugblätter, Aufsätze, Bü-
cher, Kunstwerke, Meinungen, deren Autoren – aus welchen Gründen auch immer –
nicht namentlich hervortreten wollten.8 Motivierende Bedingung für diese Namen-
losigkeit war nicht, dass ihr Werk vertraulich blieb, sondern umgekehrt, dass es be-
stimmten oder allen Dritten zugänglich würde. An sie richtete sich eine Botschaft,
deren Inhalt aber von der Person ihres Urhebers (oder Verbreiters) abgelöst werden
sollte. Viel spricht dafür: Anonymität ist ein Modus öffentlicher, kaum je privater
Handlungen.9
Auch ist Anonymität nicht gleichbedeutend mit informationeller Selbstbestim-
mung. Gewiss: Ob eine Person ihre Urheberschaft veröffentlicht, ist eine Ausprägung
jener Selbstbestimmung. Hier hat sie mehrere Möglichkeiten: Sie kann in der Öffent-
lichkeit vollständig anonym bleiben, etwa das völlige Absehen von Namensangaben.
Sie kann aber auch mehrere Identitäten aufbauen, indem sie in der Öffentlichkeit
einen anderen Namen benutzt, dessen Zuordnung zu der benutzenden Person
nicht (jedem) erkennbar ist. So kann auch die Benutzung mehrerer Identitäten
eine Form der Anonymität darstellen,10 etwa die digitale Identität11 von der analogen
verschieden sein. Aber damit enden die Überschneidungen. Anonymität schützt die
Nicht-Erkennbarkeit bzw. Nicht-Identifizierbarkeit einer anonymen Person mit einer
bekannten Person: Ist diese erkennbar bzw. erkannt, endet jene. Das ist hinsichtlich
der informationellen Selbstbestimmung anders: Sie betrifft auch den Umfang des Zu-
gangs zu Informationen bekannter Personen. Auch hier sind die Überschneidungen
also allenfalls partieller Art. Aus jenen Gründen können Erkenntnisse der Privat-
heitsforschung auch nur mit Vorsicht auf Anonymitätsfragen übertragen werden,
wenn und soweit Problemlagen und Antwortbedürfnisse vergleichbar sind.

2.2 Relativität der Anonymität: Die anonyme Person in der Öffentlichkeit

Anonymität ist relativ.12 Wohl kein Mensch ist vollständig anonym. Auch wer auf
sie großen Wert legt, wird anderen Menschen persönlich bekannt sein. Name, persön-
liches Umfeld, Anschrift: Es gibt nahezu stets Menschen, die diese kennen und die

7
Zu einer solchen Ausnahme Helm 2017.
8
Historisch Pabst 2011; Pabst 2018.
9
Rössler 2003, S. 29 f.
10
Dies ist etwa in Agentenfilmen, aber auch ganz real bei verdeckten Ermittlern oder V-
Leuten anzutreffen.
11
Zu ihr Hornung & Engemann 2016.
12
Rössler 2003, S. 29 f.
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze 103

Person namentlich ansprechen, begrüßen oder zu Hause besuchen. Das werden am


ehesten Menschen aus dem persönlichen Umfeld sein, können aber auch Arbeitskol-
legen, Nachbarn oder Mitglieder desselben Vereins sein. Dass eine Person vollstän-
dig und gegenüber Jedermann anonym ist, ist zwar theoretisch nicht ausgeschlossen,
aber wohl eher selten. Allerdings werden auch die Bekannten vielfach nicht wissen,
dass die ihnen persönlich bekannte Person andernorts anonym auftritt. Wer im Inter-
net anonym Hatespeeches verbreitet, kann in seinem persönlichen Bekanntenkreis
unter seinem richtigen Namen und mit ganz anderen oder aber auch denselben Ei-
genschaften bekannt sein – nur weiß dieser Kreis zumeist nicht, dass die ihnen be-
kannte Person identisch mit dem anonymen User ist. Anonymität ist regelmäßig re-
lativ, besteht in einzelnen sozialen Relationen und in anderen gleichzeitig nicht.
Dies ist wenig überraschend, sind doch auch Privatheit und Öffentlichkeit keine
vollständigen Gegensätze, sondern eher Endpunkte einer gleitenden Skala der Aus-
gestaltung sozialer Kontakte. Die Relativität der Anonymität reicht aber noch weiter.
Unter den normalen Bedingungen der unvollständigen wechselseitigen Kenntnis und
Rollenzuweisung ist fast niemand vollständig bekannt oder vollständig unbekannt,
und zwar weder gegenüber allen Anderen noch aber auch in allen Eigenschaften
und Zuschreibungen. Wer im Heimatort bei „rot“ über die Ampel geht, bei einer öf-
fentlichen Veranstaltung laut schnarchend eingeschlafen ist oder von einer Überwa-
chungskamera erfasst worden ist, wird von den meisten Anwesenden zwar als Person
gesehen und ist insoweit nicht anonym („Das ist der, der bei „rot“ über die Ampel
ging“), doch ist er namentlich unbekannt. Nur in Ausnahmefällen ist eine Person
so prominent, dass alle Anwesenden ihren Namen kennen. Insoweit bleibt die Person
(relativ) anonym – jedenfalls so lange, wie Dritte diese nicht aufheben. Steht am
nächsten Tag in der Zeitung, wer die Verkehrsregel übertrat oder in der Veranstaltung
schnarchte, so ist es mit der relativen Anonymität vorbei.
Relative Anonymität ist voraussetzungsvoll. Einerseits ist sie (auch) Gegenstand
der Selbstbestimmung ihres Trägers. Er kann grundsätzlich selbst entscheiden, ge-
genüber wem er anonym auftritt und gegenüber wem nicht. Dies ist ein Element
der Freiheit, welche so nicht nur Folge, sondern auch Grundlage der Anonymität
sein kann. Andererseits ist sie aber auch Folge gesellschaftlicher Zuweisung: Solan-
ge diejenigen, welche die Umstände kennen, die Anonymität respektieren, kann sie
bestehen. Wenn sie hingegen „auspacken“, kann die Anonymität rasch zerstört sein.
Wichtig ist dabei: Die Kenntnis von diesen Umständen ist Teil des Wissens anderer
Menschen. Sie dürfen von ihrem Wissen Gebrauch machen, wie und gegenüber wem
sie wollen. Dies ist Teil ihrer Kommunikationsfreiheit. Außerhalb spezieller recht-
licher oder vertraglicher Regelungen hat kein Mensch einen Anspruch darauf,
dass Andere von ihrem Wissen keinen oder nur einen bestimmten Gebrauch machen.
104 Christoph Gusy

3. Anonymität in der Öffentlichkeit


In der Öffentlichkeit wirkt Anonymität ambivalent. Einerseits kann eine Person
unter ihrem Deckmantel in die Öffentlichkeit gehen und so Teil der öffentlichen
Kommunikation werden: Sie kann Meinungen äußern, andere Meinungen bekämp-
fen und an der Bildung der öffentlichen Meinung teilhaben. Umgekehrt ist die anony-
me Person selbst gerade nicht Teil der Öffentlichkeit: Sie wirkt mit, ohne aber selbst
ein öffentliches Subjekt zu sein.
Anonymität ist individualschützend: Je riskanter die Teilnahme an einem öffent-
lichen Diskurs ist, desto attraktiver mag es sein, an ihm nur anonym teilzunehmen.
Gerade in Terror- oder Überwachungsstaaten mag eine politische Diskussion so
überhaupt erst entstehen; der „Arabische Frühling“ war dafür ein Beispiel. Aber
auch in funktionierenden demokratischen Rechtsstaaten kann es bisweilen attraktiv
erscheinen, in die Öffentlichkeit zu gehen und dort zugleich anonym zu bleiben. Dies
mag für Stellungnahmen gelten, die außerhalb des rechtlich oder sozial anerkannten
Spektrums liegen; für solche, welche zwar keine rechtlichen, wohl aber soziale Sank-
tionen drohen können, etwa Tabubrüche; für innovative Äußerungen, welche vorhan-
dene Mainstreams in Frage stellen; schließlich für Personen, denen in bestimmten
Foren kein Zugang eröffnet ist,13 weil es am vorausgesetzten Status fehlt. In diesen
Fällen kommt der Anonymität primär freiheitskonstituierende Bedeutung für die
Einzelnen zu: Sie kann Wirkungsmöglichkeiten garantieren und zugleich deren Ri-
siken minimieren, solange und soweit sie aufrechterhalten werden kann. Sie ermög-
licht Teilnahme an der Öffentlichkeit und schützt zugleich vor deren Folgen.
Ist Anonymität zugleich gesellschaftsschützend? Gibt es einen gesellschaftlichen
Bedarf nach Anonymität, der über die Sicherung des Einzelnen hinausgeht? Diese
Frage wird erst in jüngerer Zeit diskutiert.14 Gewiss: Anonymität erscheint als Eck-
pfeiler einer offenen Gesellschaft15 und als eine wesentliche Grundlage sozialer Dif-
ferenzierung. Hier wird ihr auch eine Funktion für die bürgerliche Gesellschaft zu-
gesprochen.16 Der Schutz des Wahlgeheimnisses in dem ansonsten öffentlichen
Wahlvorgang17 lässt sich auch als Schutz der Anonymität der abgegebenen Stimme
lesen. Insoweit kommt ihr auch eine wichtige überindividuelle Funktion zu: Sie si-
chert die Freiheit der Stimmabgabe als ein konstituierendes Element einer auf Frei-
heit und Gleichheit angelegten Demokratie. Aber genau das sind Wirkmechanismen
ihrer zuvor genannten individualschützenden Dimension: Sie sichert Beteiligung an
der Öffentlichkeit, also dem Wahlvorgang, bei gleichzeitigem Schutz vor der Öffent-
lichkeit. Im Übrigen erscheint die überindividuelle Funktion der Anonymität jeden-
13
Historisch aufschlussreich Kord 1996.
14
Explizit Thiel 2017, S. 152. Die Fragestellung ist bislang eher unter dem Aspekt von
Privatheit und Demokratie untersucht; dazu Seubert & Helm 2017, S. 120; Eichenhofer 2017,
S. 133; Gusy 2015.
15
Dix 2003, S. 52.
16
Rost 2003, S. 62.
17
BVerfGE 123, 39, 68 ff.
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze 105

falls noch ungeklärt. Gesellschaftsbildend ist sie allenfalls in Extremsituationen18


und setzt auf jeden Fall entsprechend Vereinbarungen zwischen den Beteiligten vor-
aus. Jedenfalls die Bildung stabiler Kommunikationsverhältnisse, von Vereinigun-
gen oder Organisationen, welche auch nach außen wirken, setzt ein gewisses Maß
an wechselseitiger Kenntnis und Information voraus, welches mit Anonymität
zwar nicht unvereinbar, aber doch schwer vereinbar ist. Das gilt erst recht für Parteien
und Wahlen, welche auf politisches Wirken in der Öffentlichkeit angelegt sind. Sie
sind mit dem Gedanken der Anonymität jedenfalls führender Parteimitglieder, der
Kandidaten oder Organisationen wohl unvereinbar. Schlagwortartig im Sinne neue-
rer Forschungsparadigmata lässt sich formulieren: Wo es in Gesellschaft, Wirtschaft,
Politik und Staat auf generalisierbares Vertrauen oder gar auf Transparenz ankommt,
ist Anonymität eher hinderlich. Sie ist ein Element in der freien Gesellschaft, setzt sie
aber wohl voraus und bringt diese nicht hervor. Das ist gewiss auch theorieabhängig.
Gesellschaftsbildende Funktionen von Anonymität in freien und demokratischen Ge-
meinwesen können selbstverständlich mit derart wenigen Strichen nicht von vorn-
herein ausgeschlossen werden. Doch bleiben sie noch zu entdecken.19
Bislang scheinen also die individualschützenden Dimensionen der Anonymität
klarer erkennbar als ihre gesellschaftlichen Funktionen. Jedenfalls dort, wo man
sich ohnehin frei und gleich am öffentlichen Diskurs beteiligen darf, erscheint sie
eher als Weg aus der Gesellschaft heraus als in sie hinein.
Ob ihr gesellschaftlicher Mehrwert über die Summe ihrer individuellen Leistun-
gen hinausgehen kann, ist bislang nicht hinreichend erkennbar. Doch wäre schon die
individualschützende Wirkung allein nicht zu unterschätzen.

4. Rechtliche Rahmenbedingungen
So komplex die relative Anonymität erscheint, so komplex erscheinen auch ihre
rechtlichen Rahmenbedingungen. Nach avancierter Auffassung ist sie grundrecht-
lich geschützt. Die Rechtsgrundlage wird in Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gesehen20
und so die Nähe zum Grundrechtsschutz der Privatheit bzw. der informationellen
Selbstbestimmung hervorgehoben. Angesichts des verbreiteten Konsenses ist die
Frage danach, ob die einzelnen Freiheitsrechte (etwa: Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) eine
Annexdimension enthalten, die garantierte Freiheit offen oder anonym auszuüben,
bislang nur in Einzelfällen erörtert worden. Im Zentrum standen Art. 8 GG und

18
Hierzu mag das besonders intensiv untersuchte Beispiel der anonymen Alkoholiker
zählen; dazu Helm 2017.
19
So etwa auch Thiel 2017, S. 156 f., der hierfür eine republikanische Theorie mobilisie-
ren möchte (S. 158 f.), deren „normatives Vokabular für die empirischen Fragen der Wirkung
von Anonymität auf Handlungspositionen sehr offen“ und stärker verallgemeinernden Theo-
rien daher überlegen sei (S. 159).
20
von Mutius 2003, S. 12; Denninger 2003, S. 41; Schmahl 2018, S. 583 ff.
106 Christoph Gusy

das Vermummungsverbot.21 Einen Sonderfall thematisieren die Debatten um anony-


me Geburt und „Babyklappe“,22 welche neben der eigen- eher eine drittschützende
Anonymitätsgarantie begründen sollen. Einen mittelbaren Schutz kommunikativer
Anonymität kann auch Art. 10 GG begründen. Zwar garantiert er keinen Schutz
des einen Teilnehmers gegenüber dem Anderen – auch nicht seiner Identität –,
wohl allerdings das Recht auf Vertraulichkeit des Kommunikationsvorgangs und
der Teilnehmenden gegenüber Dritten. Mit dem Kommunikationsvorgang bleiben
so auch sie anonym. Doch gilt dieser Schutz nur bei Eingriffen in die Kommunikation
selbst, nicht hingegen etwa bei nachträglichen Zugriffen auf deren Medien. Hier ist
dann wieder Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig.23
Differenzierte Regelungen zu einem speziellen und thematisch begrenzten recht-
lichen Anonymitätsschutz finden sich im Gesetzesrecht. Sie reichen vom Zivil-24
über das Strafprozessrecht,25 das Presse-,26 Ausweisrecht27 bis zum Sozialrecht.28
Auch kennt die Rechtsordnung keine allgemeine gesetzliche Namensführungspflicht.
Eine besondere Erwähnung findet sie in § 13 Abs. 6 TMG.29 Dort gilt auch der all-
gemeine Schutz des Art. 10 GG. Damit ist der rechtliche Schutz der Anonymität auch
von der Wahl der Kommunikationsmedien abhängig. Zugleich ist dort aber über Um-
fang und Grenzen ihres Schutzes keine nähere Aussage getroffen. Sie sind rechtlich
nirgends (vollständig) vorgegeben, sondern (jedenfalls auch) aufgegeben. Auffällig
ist im Gesetzesrecht das Fehlen eines allgemeinen Anonymitätsschutzes. Kontrover-
sen in Rechtswissenschaft und Praxis deuten an: Bereichsspezifisch sehr unter-
schiedlich sind Schutzbedürfnisse und kollidierende Identifikationsinteressen,30
und durchaus unterschiedlich kann dann auch ihre Zuordnung und Abwägung im
Einzelfall sein. Von „dem“ rechtlichen Schutz „der“ Anonymität kann allenfalls
auf grundrechtlicher Ebene gesprochen werden. Und gerade hier ist er wegen der ein-

21
Zu § 17a VersG näher Dürig-Friedl & Enders 2016, § 17a Rn. 23 ff.; Kniesel 2016,
§ 17a Rn. 6 ff.
22
Siehe dazu grundlegend Hassemer & Eidam 2011; Mielitz 2006; Kuhn 2005.
23
Zum Ganzen BVerfGE 115, 166, 181 ff.; Gusy 2018, Art. 10 Rn. 18 f., 65.
24
Nietsch 2014. Zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung und dem Anonymi-
tätsschutz etwa von Samenspendern BVerfGE 79, 256, 268 ff.; 96, 56, 63; siehe auch Berg-
mann 2014.
25
Dazu Backes & Lindemann, 2006.
26
Zum Informantenschutz Welchering & Kloiber 2017.
27
Hornung & Möller 2011, § 5 Rn. 8.
28
Zum Recht auf Schweigen über den Kindsvater BVerfGE 96, 56, 61, 63; zu dessen
Relativierung im Sozialrecht BVerwG, DVBl 1983, 1244, 1245 f.
29
Dazu Spindler & Schmitz 2018, § 13 Rn. 66. Sehr weitreichende Konsequenzen ziehend
Hoeren 2014, S. 491 ff.
30
Exemplarisch Härting 2013. Beck-online weist über 50 Nachweise zum Thema An-
onymität in allen Rechtsgebieten auf.
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze 107

schlägigen Gesetzesvorbehalte in weitem Umfang ausgestaltungs- und einschrän-


kungsfähig.31
Umso eher stellt sich die Frage nach kollidierenden rechtlichen Interessen. Eine
Reihe von Spezialnormen regeln auch hier Einzelfragen. Die bekannteste ist
Art. 103 Abs. 1 GG, welcher ein Grundrecht auf Kenntnis des Prozessgegenstands
und des Akteninhalts und damit der Beteiligten und Zeugen begründet.32 Generell
stellt sich aber auch die Frage: So, wie Anonymität und ihr Schutz vielfach weniger
in als vielmehr hinter Einzelregelungen stehen – sie betreffen andere Fragen, mittel-
bar aber auch Anonymitätsfragen –, stellt sich auch die Frage nach hinter kollidie-
renden Einzelregelungen stehenden Identifikationsinteressen. Sie ermöglichen Ab-
wägungen, soweit sie ihrerseits im Einzelfall rechtlich anerkannt sind.
Hier stellt sich zunächst das in unterschiedlichen Erscheinungsformen positivierte
Zurechnungsprinzip als Schranke.33 Es ist eine zentrale rechtliche Grundlage der An-
wendbarkeit von Normen auf Menschen. Rechte und Pflichten und erst recht ihre
Durchsetzung erfordern eine gewisse Kenntnis der handelnden, betroffenen und be-
teiligten Personen. Konkret geht es dann um Fragen danach, wer eine Handlung, aus
welcher er berechtigt oder verpflichtet sein kann, vorgenommen hat. Hier knüpft das
Recht an handelnde Personen an, die als solche berechtigt und verpflichtet sind.
Deren Kenntnis kann oftmals – aber nicht stets! – erst die Beurteilung maßgeblicher
Voraussetzungen für Rechte oder Pflichten erkennen lassen:34 Hat die Person gehan-
delt? Hat sie für sich oder für Dritte gehandelt? Hat sie vorsätzlich oder fahrlässig
gehandelt? Ist sie strafrechtlich verantwortlich? Ist ihre Aussage glaubwürdig und
daher beweisgeeignet? Wenn solche oder vergleichbare Fragen entstehen und für
die Beurteilung einer Rechtsfrage oder des Ausgangs eines Verwaltungs- oder Ge-
richtsverfahrens relevant werden, kann der Schutz der Anonymität rechtlich relevant
werden. Soweit Gesetze, Rechte und Pflichten oder deren Durchsetzbarkeit an ein-
zelne Personen und die Kenntnis von ihnen anknüpfen, kann ein Anonymitätsrecht
damit in Kollision geraten.35 Schon die Erhebung der Klage setzt jedenfalls die hin-
reichende Bestimmung und damit Identifizierbarkeit des Klägers voraus.36 Die Re-
levanz dieser Frage stellt sich in voller Schärfe, wenn die Frage nach der Anerken-

31
Dreier 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 71, wonach das Recht auf Anonymität im Verfassungs-
recht „changiert und daher noch keine festen Konturen gewonnen hat.“ Zuletzt LSAVerfGH,
NVwZ 2019, 1198, Rn. 77, zu Polizeibeamten im Dienst: Ihre „Anonymität gehört aber nicht
zu dem durch Art. 4 LSAVerf geschützten Bereich der Menschenwürde.“
32
Näher zu Art. 103 GG Nolte & Aust 2018, Art. 103 Rn. 29 ff.
33
Dazu näher Muthorst 2011, S. 254. Röhl & Röhl 2008, §§ 60 f., behandeln ähnliche
Figuren unter dem Aspekt der Kausalität.
34
Jüngst BVerwG, U. v. 26. 09. 2019, 2 C 32.18 (Namenschilder für Polizeibeamte im
Dienst).
35
Diskutiert bei Gusy 1998, S. 220 ff. (dort auch zum folgenden). Bekanntester Streitfall ist
der Schutz von V-Leuten im Prozess; klassisch Lüderssen 1978; neuer Korn 2005.
36
So für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Schübel-Pfister 2013, § 2 Rn. 11 ff.; Kopp
& Ramsauer 2018, § 82 Rn. 3 ff.
108 Christoph Gusy

nung bzw. Nichtanerkennung des Anonymitätsschutzes nicht bloß die binären Inter-
essen von Prozessparteien betrifft: Wer im Zivilprozess seine Identität nicht enthül-
len möchte und deshalb seinen Anspruch verliert, wird entsprechend dem Prinzip der
Zurechenbarkeit behandelt, weil an sein eigenes Verhalten angeknüpft wird und nur
seine eigenen Rechte in Rede stehen. Das ist nicht mehr der Fall, wenn die Durch-
setzbarkeit von Pflichten von der Kenntnis einer Person abhängt. Und es ist schon gar
nicht der Fall, wenn zugleich Interessen Dritter betroffen sind. Wenn die Durchsetz-
barkeit staatlicher Strafansprüche von der Kenntnis der Identität der Angeklagten
oder der Zeugen abhängt, berührt der Anonymitätsschutz auch rechtlich geschützte
Interessen der Allgemeinheit und ggf. Dritter, welche etwa Schadens- oder Schmer-
zensgeldersatzansprüche geltend machen wollen. Jedenfalls Opfern von Straftaten
gegenüber ist der Schluss, wonach das Misslingen der Beweisführung wegen Zu-
rückhaltens beweisrelevanter Tatsachen durch Staatsorgane zum Schutz der Anony-
mität von Zeugen eine strafrechtliche Verurteilung ausschließt, schwer begründbar,
erst recht nach Beendigung des Einsatzes von verdeckten Ermittlern (§ 110b Abs. 3
StPO).
Ein weiteres kollidierendes Prinzip kann ein in der Öffentlichkeit vorausgesetztes
Symmetrieprinzip sein. Anonymität begründet Asymmetrie von Kommunikation, so-
weit nicht alle Beteiligten anonym bleiben.37 Wenn die Bildung der öffentlichen Mei-
nung aus der Möglichkeit von Rede und Gegenrede besteht, schränkt Anonymität
diese Möglichkeit ein. Der Anonyme kann seine Rede vorbringen, andere Auffassun-
gen und deren Träger kritisieren und Dritte angreifen, im Extremfall unmöglich ma-
chen. Diesen fehlt die Möglichkeit der Gegenrede jedenfalls insoweit, als sie nicht
mit gleicher Münze zurückgeben können, etwa indem sie die Glaubwürdigkeit des
Anonymen widerlegen oder ihn in vergleichbarer Weise kritisieren. Der Eine kann
angreifen, der Andere nur verteidigen. Es fehlt die Möglichkeit von Rede und Gegen-
rede, Schlag und Gegenschlag insbesondere dort, wo den Kritisierten nicht die Mög-
lichkeit bleibt, selbst anonym zu handeln, weil für sie die Öffentlichkeit ihres Han-
delns vorgeschrieben oder vorausgesetzt ist. Wer in der Demokratie politische Ver-
antwortung übernehmen will oder trägt, muss öffentlich handeln. Daraus kann aller-
dings nicht einfach abgeleitet werden, dass in politischen Debatten Anonymität stets
unzulässig wäre. Vielmehr wäre zunächst zu begründen, wie weit in der Öffentlich-
keit das Symmetrieprinzip Geltung beanspruchen kann; ob – im Falle seiner Aner-
kennung – dem Prinzip auch anders als durch eine allgemeine Öffentlichkeitspflicht
Genüge getan werden kann, etwa indem Anonymität grundsätzlich gestattet, aber
unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall durchbrochen oder aufgehoben
werden kann. Auch hier gilt nicht einfach ein Vor- oder Nachrang, sondern das Prin-

37
Terminologie nach Rössler 2003, S. 27, 36 ff. Dort wird allerdings das Symmetrieprin-
zip in andere Richtungen konkretisiert. Siehe auch Schmahl 2017, S. 588, am Beispiel von
Bewertungsportalen (Nachw.).
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze 109

zip praktischer Konkordanz. Die rechtlichen Einzelfragen folgen auch hier nicht aus
der bloßen Abwägung der Prinzipien allein, sondern aus konkreten Rechtsnormen.38

5. Sind Anonymitätsgarantien paradox?


Zahlreiche Rechtsfragen der Anonymität sind also noch offen, manche noch nicht
einmal gestellt. Ist sie eher Freiheitsverbürgung oder Freiheitsgefährdung oder bei-
des? Abschließend soll hier auf einen scheinbar paradoxen Effekt hingewiesen wer-
den. Vielfach wird Anonymität als Absicherung von Notwehr oder Widerstandsrecht
gegen totalitäre, menschenrechtsfeindliche Regime angesehen. Wo die Menschen-
rechte nicht garantiert sind oder nicht eingehalten werden, ist sie besonders wichtig –
aber gleichzeitig kein Teil der Rechtsordnung. Wo hingegen grundrechtliche
Garantien wirksam sind, bedürfen Meinungs- und Handlungsfreiheiten weniger drin-
gend ihrer Absicherung durch Anonymität, die gerade hier jedenfalls nicht verboten
ist. Wo also Anonymität gebraucht wird, ist sie nicht anerkannt. Und wo sie aner-
kannt sein kann, wird sie weniger dringend gebraucht. Ist das paradox?
Es gibt also wesentlich mehr offene als beantwortete Fragen. Sie bedürfen der in-
terdisziplinären Diskussion auch in der Sicherheitsforschung und auch mit Hans-
Jörg Albrecht.

Literaturverzeichnis

Backes, O. & Lindemann, M. (2006): Staatlich organisierte Anonymität als Ermittlungsmethode


bei Korruptions- und Wirtschaftsdelikten. Heidelberg.
Bergmann, S. (2014): Ausweichrouten der Reproduktion: Biomedizinische Mobilität und die
Praxis der Eizellspende. Wiesbaden.
Brunst, P. (2009): Anonymität im Internet – rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen.
Berlin.
Denninger, E. (2003): Anonymität – Erscheinungsformen und verfassungsrechtliche Fundie-
rung, in: H. Bäumler & A. von Mutius (Hrsg.), Anonymität im Internet. Wiesbaden,
S. 41 – 51.
Dreier, H. (2013): Grundgesetz I, 3. Aufl. Tübingen.
Dürig-Friedl, C. & Enders, C. (2016): Versammlungsrecht. Die Versammlungsgesetze des
Bundes und der Länder. München.
Eichenhofer, J. (2017): Privatheit und Transparenz in der Demokratie. Forschungsjournal So-
ziale Bewegungen 30/2, S. 133 – 142.
Goffman, E. (1983): Wir alle spielen Theater. München.

38
Ob etwa weitere Prinzipien wie etwa ein Anerkennungsprinzip – dazu Gusy 2013, S. 111
– einschlägig sein können, muss hier offenbleiben.
110 Christoph Gusy

Gröschner, R. (2004): Transparente Verwaltung – Konturen eines Informationsverwaltungs-


rechts, in: B. Weber-Dürler (Red.), Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen
Staatsrechtslehrer 63. Berlin, S. 346 – 369.
Gusy, C. (1998): Richterliche Kontrolle des Verfassungsschutzes, in: Bundesministerium des
Innern (Hrsg.), Verfassungsschutz: Bestandsaufnahme und Perspektiven – Beiträge aus Wis-
senschaft und Praxis. Halle (Saale), S. 182 – 223.
Gusy, C. (2013): Die Sprache der Ausgrenzung, in: H. Bielefeldt, U. Davy, V. Deile, S. Dorn-
höfer, C. Gusy, B. Hamm, F. Hutter & H. Tretter (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2012/
2013: Meinungsfreiheit – Quo vadis? Wien, S. 111 – 125.
Gusy, C. (2015): Privatheit und Demokratie. Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung
und Rechtswissenschaft 98/4, S. 430 – 461.
Gusy, C. (2018): Datenschutz als Privatheitsschutz oder Datenschutz statt Privatheitsschutz?
Europäische GRUNDRECHTE-Zeitschrift 45/9, S. 244 – 255.
Härting, N. (2013): Anonymität und Pseudonymität im Datenschutzrecht. Neue Juristische Wo-
chenschrift 66/29, S. 2065 – 2071.
Hassemer, M. & Eidam, L. (2011): Babyklappen und Grundgesetz: Am Beispiel des Projekts
„Findelbaby“ in Hamburg. Baden-Baden.
Helm, P. (2017): Suchtkultur und Gruppentherapie: Vom anonymen Ich zum anonymen Wir.
Wiesbaden.
Hoeren, B. & Bensinger, V. (2014): Haftung im Internet: Die neue Rechtslage. Berlin.
Hornung, G. & Engemann, C. (2016): Der digitale Bürger und seine Identität. Baden-Baden.
Hornung, G. & Möller, A. (2011): Passgesetz – Personalausweisgesetz. München.
Klippel, D. (1985): Der zivilrechtliche Schutz des Namens: Eine historische und dogmatische
Untersuchung. Paderborn.
Kniesel, M. (2016): Schutzwaffen- und Vermummungsverbot, in: A. Dietel, A. Gintzel &
M. Kniesel (Hrsg.), Versammlungsgesetze. Köln, S. 343 – 360.
Kopp, F. & Ramsauer, U. (2018): Verwaltungsgerichtsordnung. 24. Aufl. München.
Kord, S. (1996): Sich einen Namen machen: Anonymität und weibliche Autorschaft 1700 –
1900. Stuttgart.
Korn, D. (2005): Defizite bei der Umsetzung der EMRK im deutschen Strafverfahren: V-Leute,
Lockspitzel, Telefonüberwachung von Rechtsanwälten. Berlin.
Kuhn, S. (2005): Babyklappen und anonyme Geburt: Sozialregulation und sozialpädagogischer
Handlungsbedarf. Augsburg.
Luckmann, T., Döring, H. & Zulehner, P.M. (1980): Anonymität und persönliche Identität, in:
F. Böckle, F.X. Kaufmann, K. Rahner, B. Welte & R. Scherer (Hrsg.), Christlicher Glaube in
moderner Gesellschaft: Enzyklopädische Bibliothek in 30 Teilbänden, Bd. 25. Freiburg,
S. 5 – 22.
Lüderssen, K. (1978): V-Leute – Die Falle des Rechtsstaats. Frankfurt.
Mielitz, C. (2006): Anonyme Kindesabgabe. Babyklappe, anonyme Übergabe und anonyme
Geburt zwischen Abwehr- und Schutzgewährrecht. Baden-Baden.
Anonymität im Recht – Eine Problemskizze 111

Muthorst, J. (2011): Grundlagen der Rechtswissenschaft. Methode – Begriff – System. Mün-


chen.
Mutius, A. von (2003): Anonymität als Element des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – termi-
nologische, rechtssystematische und normstrukturelle Grundfragen, in: H. Bäumler & A. von
Mutius (Hrsg.), Anonymität im Internet. Grundlagen, Methoden und Tools zur Realisierung
eines Grundrechts. Wiesbaden, S. 12 – 27.
Nietsch, T. (2014): Anonymität und die Durchsetzung urheberrechtlicher Ansprüche im Inter-
net. Grundrechtliche Positionen im Spannungsfeld. Tübingen.
Pabst, S. (2011): Anonymität und Autorschaft: Zur Literatur- und Rechtsgeschichte der Namen-
losigkeit. Berlin.
Pabst, S. (2018): Unbeobachtete Kommunikation. Das Konzept von Anonymität im Mediendis-
kurs seit der Aufklärung. Wiesbaden.
Probst, T. (2003): Anonymität und Pseudonymität bei biometrischen Identifikationsverfahren,
in: H. Bäumler & A. von Mutius (Hrsg.), Anonymität im Internet. Grundlagen, Methoden und
Tools zur Realisierung eines Grundrechts. Wiesbaden, S. 179 – 190.
Röhl, K. & Röhl, H. (2008): Allgemeine Rechtslehre. 3. Aufl. Köln.
Rössler, B. (2003): Anonymität und Privatheit, in: H. Bäumler & A. von Mutius (Hrsg.), An-
onymität im Internet. Grundlagen, Methoden und Tools zur Realisierung eines Grundrechts.
Wiesbaden, S. 27 – 40.
Schmahl, S. (2018): Anonymität im Recht: Freiheitsverbürgung und Freiheitsgefährdung? Ju-
ristenzeitung 73/12, S. 581 – 590.
Schübel-Pfister, I. (2013): Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Gärditz, K.F. (Hrsg.),
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit Nebengesetzen. Köln, S. 28 – 31.
Seubert, S. & Helm, P. (2017): Das Vermessen kommunikativer Räume. Politische Dimensio-
nen des Privaten und ihre Gefährdungen. Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30/2,
S. 124 – 132.
Spindler, G. & Schmitz, P. (2018): Telemediengesetz. 2. Aufl. München.
Thiel, T. (2017): Anonymität und Demokratie, Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30/2,
S. 152 – 161.
Weichert, T. (2003): Anonymität und Pseudonymität als Voraussetzung für den medizinischen
Fortschritt, in: H. Bäumler & A. von Mutius (Hrsg.), Anonymität im Internet. Grundlagen,
Methoden und Tools zur Realisierung eines Grundrechts. Wiesbaden, S. 95 – 106.
Welchering, P. & Kloiber, M. (2017): Informantenschutz. Ethische, rechtliche und technische
Praxis in Journalismus und Organisationskommunikation. Wiesbaden.
Willand, I. (2002): Chatroom statt Marktplatz. Identität und Kommunikation zwischen Öffent-
lichkeit und Privatheit. München.
Worms, C. & Gusy, C. (2012): Verfassung und Datenschutz. Das Private und das Öffentliche in
der Rechtsordnung. Datenverarbeitung und Datenschutz 36/2, S. 92 – 99.
Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten
Von Ängsten und anderen Unsicherheiten

Von Thomas Feltes

„Regierungen haben kein Interesse daran, die Ängste ihrer Bürger zu besänftigen. Ihnen
liegt vielmehr daran, die Angst zu schüren, die aus der Ungewissheit der Zukunft und
dem ständigen, allgegenwärtigen Unsicherheitsgefühl erwächst …“ (Bauman 2016, 33).
„Let me assert my firm belief that the only thing we have to fear is fear itself“ (Roosevelt
1933).
„Contrary to the objective evidence, it is the people who live in the greatest comfort on re-
cord, more cosseted and pampered than any other people in history, who feel more threate-
ned, insecure and frightened, more inclined to panic, and more passionate about everything
related to security and safety than people in most other societies past and present“ (Bauman
2006, 130).

1. Sicherheit in der postmodernen Gesellschaft


Sicherheit hat viele Facetten und Konzepte (vgl. Albrecht 2017). Die Kriminolo-
gie geht seit Jahrzenten der Frage nach, wie „Innere Sicherheit“ definiert und wie sie
hergestellt werden kann. Manche sehen Innere Sicherheit als Sicherheit vor Krimi-
nalität, Terrorismus und vergleichbaren Bedrohungen, für andere steht der Begriff für
den „Teilbereich des politischen Systems, welcher die Handelnden (Akteure), die
Strukturen (Polity), die Entscheidungsprozesse (Politics) und die materiellen Inhalte
bzw. Programme (Policy) enthält, die an der Herstellung der Politik der ,Innere Si-
cherheit‘ beteiligt sind und diese kennzeichnen“ (Lange 2006, 123). Innere Sicher-
heit sei infolgedessen das System von staatlichen Institutionen und Einrichtungen,
„welches durch Verfassung und Organe der demokratischen Willensbildung legiti-
miert ist, das öffentliche Gewaltmonopol im Rahmen kodifizierter Regeln exekutiv
unter Anwendung auch von unmittelbarem Zwang auszuüben“ (Lange 2006, 123).
Richtig ist, dass weder der Staat alleine die Verantwortung für die „Innere Sicher-
heit“ trägt (wie wohl Lange und einige politische Parteien meinen), noch „Innere Si-
cherheit“ ein Teilbereich des politischen Systems ist. Innere Sicherheit ist viel mehr,
nicht nur nach dem Empfinden der meisten Bürgerinnen und Bürger. Zwar mag die
Gewährung von Sicherheit eine Kernaufgabe des demokratischen Staats sein; die
Gewährung geht aber weit über das hinaus, was staatliche Institutionen regeln und
gewährleisten können. Innere Sicherheit ist nicht nur als ein rechtliches Konstrukt,
114 Thomas Feltes

sondern auch als politisches und mediales zu verstehen, und sie wird ganz wesentlich
auch von Privaten hergestellt. Sie ist Gegenstand eines fortgesetzten Ringens um die
Durchsetzung bestimmter Definitionen und Inszenierungen von Unsicherheit zu
Zwecken, die auch jenseits der Erreichung und Erhaltung von Sicherheit liegen kön-
nen. Die historische Wandlungsfähigkeit des Verständnisses ist Ausdruck dafür, dass
der Diskurs immer auch von gesellschaftlichen Interessen und Machtkonstellationen
durchdrungen ist (Stegmaier o. J.).
Schließlich ist Innere Sicherheit nicht nur eine Frage des Gewährleistungsver-
sprechens gegenüber rechtswidrigem Verhalten, wie sie (partei-)politisch immer
wieder verkürzt diskutiert wird. Sie geht einher mit dem Phänomen der Kriminali-
tätsfurcht, das unterschiedliche Facetten hat. Dabei existieren weder Sicherheit
noch Furcht per se oder lassen sich objektiv definieren oder feststellen. Vielmehr
sind sie das Produkt der politischen und soziokulturellen Konstruktion von Bedro-
hung und Bedrohungsbewältigung.
Der folgende Beitrag beschäftigt sich daher mit der Frage, was (und wer) den
Menschen derzeit Angst macht, welche Auswirkungen dies für die Innere Sicherheit
hat und welche rechtpolitischen Konsequenzen notwendig sind.

2. Definition von „Innerer Sicherheit“


Innere Sicherheit muss gesehen werden als Summe der Faktoren, die das subjek-
tive oder objektive Sicherheitsgefühl der Bürger in ihrem persönlichen Umfeld prä-
gen. Sie kann umgekehrt auch als Konzept zur sicherheitspolitischen Verfasstheit
einer Gesellschaft definiert werden (vgl. Feltes o. J.). Der sog. „Höcherl-Entwurf“
für eine Notstandsverfassung (1962) gilt als Beginn der Entwicklung eines politi-
schen Konzeptes der Inneren Sicherheit. In den siebziger Jahren wird der Begriff erst-
mals zu einem Schlüsselbegriff der innenpolitischen Debatte. Als Reaktion auf die
Anschläge von RAF-Terroristen werden die Exekutivorgane gestärkt, 1972 wird erst-
mals ein Programm für die „Innere Sicherheit“ beschlossen. Gefährdungen werden
jetzt als Gefährdungen von Staat und Demokratie gesehen. In den 1980er Jahren führ-
ten militante Protestformen am Rande der Ökologiebewegung (Gorleben, Startbahn-
West) zu einem weiteren Bündel von Gesetzen. Auch diese sollten die Innere Sicher-
heit stärken, führten aber zu einer weiteren Beschneidung von Individualrechten. In
den 1990er Jahren und insbesondere nach dem Fall der Mauer wurden neue Gefahren
definiert, insbesondere durch die (angebliche) transnationale organisierte Krimina-
lität, den Handel mit Menschen, Waffen und Drogen. Deutschland reagierte (wie
viele anderen Länder auch) mit neuen Gesetzen und der Ausweitung der Tätigkeits-
felder und Methoden der Sicherheitsbehörden, noch bevor die angeblichen Gefahren
genauer analysiert werden konnten. Staatsschutz- und Verfassungsschutzbehörden
machten von ihren neuen Befugnissen extensiven Gebrauch, ausgelöst durch angeb-
lich steigende Kriminalität (vgl. Albrecht, Dorsch & Krüpe 2003; Albrecht, Grafe &
Kilchling 2008). Ausweitung und Anwendung staatlicher Eingriffsrechte stießen
Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten 115

zwar auf erhebliche Widerstände (vgl. Andersen & Woyke 2013), die jedoch verpuff-
ten. Mit den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahre 2001 wurde eine neue
Eskalationsstufe erreicht. Der Deutsche Bundestag verabschiedete mit zwei „Anti-
Terror-Paketen“ ein umfangreiches Programm zur Ausdehnung der Befugnisse
und Ressourcen von Polizei, Nachrichtendiensten sowie anderen Behörden (CILIP
o. J.). Mit einer „Anti-Terror-Datei“ wurden weitere Möglichkeiten zwischenbehörd-
licher Kooperation geschaffen, das „Trennungsgebot“ zwischen Polizei und Nach-
richtendiensten aufgeweicht.
Letztlich ist der Begriff der Inneren Sicherheit zu einem Synonym für alles gewor-
den, was Bürgern und Politiker gleichermaßen Angst einzuflößen geeignet ist oder
von dem man glaubt, dass es dazu geeignet ist und man es daher für die Ausweitung
staatlicher Eingriffsbefugnisse verwenden kann. Vielfach werden tatsächliche, ange-
nommene oder unterstellte Gefahren genutzt, um symbolische Kriminalpolitik zu be-
treiben (Funk 1991; Sack 2011). „Anti-Terror-Pakete“ wurden und werden auf den
Weg gebracht, was dazu führte, dass in Bezug auf die Geheimdienste von der „Be-
hörde Nimmersatt“ gesprochen wurde (Biselli 2017), auch weil Details der vielen
Neuregelungen oftmals unklar blieben.
Diese Entwicklungen passten und passen in die gesamtgesellschaftliche Verfasst-
heit und die zunehmenden Ängste, die einhergehen mit der Bereitschaft, Einschrän-
kungen von Bürgerrechten zu akzeptieren, wenn dafür „mehr Sicherheit“ verspro-
chen wird. Eine (wissenschaftlich seriöse) Überprüfung, ob dieses Versprechen
dann tatsächlich eingehalten wird, erfolgt nicht. Die Sanktionseinstellung der Bevöl-
kerung weisen auf eine gestiegene Punitivität hin (vgl. Kury & Obergfell-Fuchs
2003, 2006; Sack 2011; Baier et al. 2017; Dollinger 2018), was wiederum diese Ten-
denz unterstützt.
Dabei müsste Sicherheit als gemeinsame, gesamtgesellschaftliche Aufgabe defi-
niert werden, die Gegenstand eines wertebasierten und moralisch beeinflussten (und
beeinflussbaren) gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses ist. Neben dem Staat,
der traditionell verantwortlich für die Sicherheitsgewährleistung sein soll, vertreten
heute weitere Akteure die Sicherheit, die mitbestimmen, bzw. eine neue Sicherheits-
kultur konstruieren. Dazu gehören private Sicherheitsunternehmen ebenso wie Ein-
richtungen zur Betriebsjustiz, neuerdings „compliance“ genannt oder selbsternannte
Bürgerwehren.
Daher muss Innere Sicherheit verstanden werden als die „Summe der Überzeu-
gungen, Werte und Praktiken von Institutionen und Individuen …, die darüber ent-
scheiden, was als eine Gefahr anzusehen ist (und für wen, TF) und wie und mit wel-
chen Mitteln dieser Gefahr begegnet werden soll“ (Daase 2010, 9).
Die Herstellung von Innerer Sicherheit ist das Ergebnis eines komplexen Zusam-
menwirkens lokaler, regionaler und überregionaler Praktiken. Staatliche Sicherheits-
aufgaben werden gesellschaftlich neu verteilt. Damit geht einher, dass Gesetzgebung
im zunehmenden Maße auch „tentativen“ Charakter hat, um auf wechselnde Verhält-
nisse schnell reagieren zu können, wobei die Mediatisierung nicht nur für die Ver-
116 Thomas Feltes

breitung symbolischer Politik eine Rolle spielt, sondern sie wird genutzt, um Insti-
tutionalisierungen und Veränderungen zu legitimieren und durchzusetzen. Dies
bringt eine neue Form öffentlicher Ordnung hervor. Aus der „Behütungsutopie“
wird das „Steuerungsparadigma“. Der Staat mit seinen Mitteln der physischen Ge-
waltsamkeit und Sozialkontrolle, seinem Verwaltungsstab und seinen Legitimitäts-
ansprüchen verschwindet gleichwohl nicht einfach, er bleibt Akteur (vgl. Reichertz
& Feltes 2015; Feltes & Reichertz 2019).

3. Die Polizeiliche Kriminalstatistik – kein Abbild der Realität


Fundierte Erkenntnisse über Kriminalität und Sicherheitsgefühl der Bürger sind
für politische Entscheidungen ebenso wichtig wie für rational begründetes polizei-
liches Handeln. Dennoch wird die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) seit Jahr-
zehnten als wichtigste, vermeintlich richtige, und oftmals alleinige Datenbasis zur
Identifizierung von kriminalpolitischen Problemen herangezogen. Dabei erfasst
diese Statistik, von anderen Beschränkungen und Mängeln wie Fehlerfassungen
und Manipulationen abgesehen (Heinz 2019; Derin & Singelnstein 2019), nur das
Hellfeld, also jene Straftaten, die der Polizei bekannt werden, und sie berücksichtigt
nicht die Tatsache, dass weniger als ein Viertel der registrierten Taten und Tatver-
dächtigen vor Gericht landen.
Dunkelfeldstudien zeichnen ein umfassenderes Bild der Kriminalitätslage. Die
Bochumer Dunkelfeldstudie setzte zuletzt 20161 eine Reihe von Untersuchungen
fort, die erstmals 1975 durchgeführt wurden und die Kriminalitätsentwicklung, An-
zeigeverhalten, Kriminalitätsfurcht und Ansehen der Polizei beleuchten (vgl.
Schwind 2018; Feltes 2019; Feltes & Reiners 2019). Rechnet man die in der Befra-
gung 2016 angegebenen Straftaten auf die Bochumer Einwohner ab 14 Jahren hoch,
dann kommt auf jede in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesene Tat zusätz-
lich mindestens eine nicht zur Anzeige gebrachte Tat. Schon früher wurde darauf hin-
gewiesen, dass ein Anstieg der polizeilich registrierten Straftaten ganz wesentlich auf
eine Veränderung des Anzeigeverhaltens zurückzuführen ist. Kriminalitätsanstiege
in der polizeilichen Statistik sind eher selten mit einem tatsächlichen Anstieg der Kri-
minalität verbunden. Während 1998 bspw. nur rund 20 % der damals Befragten an-
gaben, einen Diebstahl angezeigt zu haben, waren es 2016 fast 60 %.
Im Vordergrund der Motive, die zu einer Anzeige führten, steht heute das Interesse
an der Bestrafung des Täters, ganz im Gegensatz zu den früheren Befragungen, in
denen dieses Motiv auf den hinteren Plätzen landete. Damit wird der häufig beschrie-
bene punitive turn (Sack 2010) auch in dieser Befragung deutlich. Während 1998 nur
1
Die Studie wurde als Online-Bevölkerungsumfrage Mitte 2016 durchgeführt. Für die
Umfrage wurde eine Zufallsstichprobe von 0,5 % der Bochumer Bevölkerung ab 14 Jahren aus
der Einwohnermeldekartei gezogen. Die Netto-Rücklaufquote betrug 24,2 %. Die Informa-
tionen über das Hell- und Dunkelfeld beziehen sich rückblickend auf das Jahr 2015, die
Angaben zur Kriminalitätsfurcht und zum Ansehen der Polizei auf das Befragungsjahr 2016.
Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten 117

8,4 % als Motiv die Bestrafung des Täters angaben, waren es 2016 24,5 %. Im Ver-
lauf der letzten vier Jahrzehnte haben repressive Motive bei der Anzeigeerstattung
erheblich zugekommen, während das in früheren Jahren stark ausgeprägte Bedürfnis
nach Kompensation und Wiedergutmachung deutlich in den Hintergrund gerückt ist.
Der Langzeitvergleich zeigt aber vor allem, dass die Befragten eine zum Teil mas-
sive Zunahme der Kriminalität annehmen. Der Anteil derjenigen, von einer Zunahme
von Einbrüchen in der eigenen Wohngegend ausgehen, hat sich im Vergleich zu 1998
fast verdoppelt. Die Befragten überschätzen vor allem die Häufigkeit schwerer Straf-
taten. Besonders deutlich wird dies in Bezug auf die Tötungsdelikte Mord und Tot-
schlag, deren Vorkommen um den Faktor 125 überschätzt wurde. Während Mord und
Totschlag regelmäßig nur 0,04 % der polizeilich registrierten Straftaten ausmachen,
vermuteten die Befragten den Anteil dieser Delikte bei 5 %. Generell wird von einem
Anstieg der Taten ausgegangen, obwohl diese (zumindest in der PKS) teilweise deut-
lich rückläufig waren. Dabei spielt das eigene Erleben keine Rolle: Obwohl nur
0,3 % der Befragten angaben, im vergangenen Jahr Opfer eines Raubdeliktes gewor-
den zu sein, halten es 21,6 % für wahrscheinlich, in den kommenden 12 Monaten
Opfer einer solchen Straftat zu werden. Die subjektive Kriminalitätsfurcht und die
objektive Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, klaffen weit auseinan-
der. Weiterhin weicht das Sicherheitsempfinden in der eigenen Wohnung deutlich
von dem Sicherheitsempfinden in der eigenen Wohngegend ab. Die Befragten neigen
dazu, das Ausmaß der Kriminalität und vor allem ihr eigenes Risiko, Opfer einer
Straftat zu werden, deutlich zu überschätzen (vgl. Feltes 2019; Feltes & Reiners
2019).

4. Innere Sicherheit vs. gesellschaftliche Verunsicherung:


Die wabernde Angst der Deutschen
Seit geraumer Zeit werden alle sich bietenden symbolträchtigen Anlässe ergrif-
fen, um das Feld der Sicherheit (angeblich oder auch tatsächlich) neu zu ordnen
und repressive Veränderungen zu legitimieren. In den vergangenen Jahren fanden
gleich mehrere Perspektivenwechsel in der Kriminal- und Innenpolitik statt, der
mit einer Umorganisation der Institutionen, die für die Herstellung und Erhaltung
,innerer Sicherheit‘ zuständig sind, einhergingen. Dies führt, wie Bauman & Donskis
dies beschreiben,
„to a form of governing that at least since Thomas Hobbes has been viewed as no longer
possible: a government that is not legitimized by promising protection and security. Cont-
rary to the old rule of a domination that demands obedience in exchange for protection, neo
liberal governing proceeds primarily through social insecurity, through regulating the mini-
mum of assurance while simultaneously increasing instability. In the course of the dismant-
ling and remodelling of the welfare state and the rights associated with it, a form of govern-
ment is established that is based on the greatest possible insecurity, promoted by proclaiming
the alleged absence of alternatives“ (Bauman & Donskis 2016, 63).
118 Thomas Feltes

Dabei zerbricht der bisherige Kontrollmythos der nationalstaatszentrierten Mo-


derne, denn der Staat kommt immer schneller an die Grenzen seiner Regierungs-
und Regulierungsmöglichkeiten. Die globalisiert organisierte Kriminalität stellt ge-
meinsam mit der globalisiert organisierten Wirtschaft, die spätestens seit den Ban-
ken- und Dieselskandalen nicht mehr von der organisierten Kriminalität zu trennen
ist, die Staaten hinsichtlich der Effektivität ihrer nationalen Konzepte und suprana-
tionalen Kooperationen auf den Prüfstand. Sicherheit wird immer weniger unter Ge-
meinwohlaspekten definiert und hergestellt (vgl. Stegmaier & Feltes 2007). Gleich-
zeitig verlagerte sich das kriminalpräventive Interesse von der tat- und täterbezoge-
nen Reaktion hin zur möglichst risikoarmen Gestaltung von Alltag. Das Strafrecht
wird zunehmend zum Mittel gegen allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung
und das subjektive Sicherheitsgefühl gewinnt an Legitimationskraft für „law and
order“-Kampagnen. Dies wird besonders in der Flüchtlings- und Migrationsdebatte
deutlich, wo jede Gelegenheit genutzt wird, Unsicherheiten den Migranten zuzuord-
nen und dies für politisch rechtsextreme Forderungen auszubeuten. Hinzu kommt,
dass Wut und Hass in der Gesellschaft wieder zunehmen (Heinz 2019).
Nicht nur die europäische Einigung führte seit Ende der neunziger Jahre zu einer
Vermischung der bis dato getrennten inneren und äußeren Sicherheit. Wanderungs-
bewegungen, zuerst aus Ost- und Südosteuropa, dann aus Nordafrika leiteten die hef-
tige Asyl- bzw. Flüchtlingsdiskussion ein. Dies begünstigte und begünstigt in der Be-
völkerung ein Gefühl der Bedrohung der inneren Sicherheit durch „Überfremdung“,
ohne dass es empirisch-kriminologische Belege dafür oder für eine reale Bedrohung
gibt (Feltes 2018; Schellhoss 2019; Fuchs 2019). Für die USA liegen sogar empiri-
sche Studien vor, die nachweisen, dass Migranten weniger oft straffällig werden als
Einheimische, und dies gilt auch für illegale Migranten (Orrenius & Zavodny 2019).
Eine „wabernde Angst“ macht sich breit (Feltes 2019a), die „frei flottierende Un-
sicherheit“ ist „auf der Suche nach einem Anker (Bauman 2016, 27). Die Deutschen
glauben, in zunehmend unsicheren Zeiten zu leben. Das Thema Sicherheit bestimmt
wesentlich den gesellschaftlichen und medialen Diskurs. In Deutschland, wie in vie-
len anderen Ländern, ist zeitgleich eine zunehmende soziale Differenzierung in der
Gesellschaft festzustellen. Arme werden ärmer, Reiche immer reicher. Rund ein Drit-
tel der Menschen bleibt den Wahlen fern. Sie fühlen sich nicht mehr durch die Politik
repräsentiert und verlieren den Glauben an diese Gesellschaft und die Demokratie.
So ist der Anteil der Menschen, für die Demokratie essentiell ist für eine Gesell-
schaft, in Europa von 60 % auf weniger als 45 % zurückgegangen (Foa & Mounk
2016).
Zygmunt Bauman hat diesen Zustand bereits 2006 mit dem Begriff der „liquid
fear“ umschrieben: In „liquid times“ (Bauman 2007) verlieren die Menschen die Zu-
versicht und das Vertrauen in die Steuerbarkeit ihrer eigenen Zukunft (vgl. Beilharz
2013). Ihr „liquid life“ ist ein „precarious life, lived under conditions of constant un-
certainty“, in dem es auch ein „spiritual lumpenproletariat“ gibt (Bauman 2005, 7).
Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten 119

Die Welt ist, so Bauman & Donskis (2016, 40) in „a chaotic aggregate, or rather
incessant flow of dismembered and dislocated fragments with little, if any, rhyme or
reason @ and nothing can be clone to make sense of it, let alone to make it more ame-
nable to reason and reason-guided preventing, amending or rectifying actions.“
Die regelmäßigen politischen Verkündungen, alles gegen „die Kriminalität“ zu
tun, verunsichern die Menschen. Menschen, die gesellschaftliche Entwicklungen
nicht verstehen oder sich zunehmend gesellschaftlich abgehängt fühlen, sind grund-
legend verunsichert. Fukuyama (2019) hat nicht nur auf die steigende Ungleichheit in
der Gesellschaft hingewiesen, sondern auch das Stärker werden nationalistischer
Strömungen, die sich vom etablierten politischen System lösen, analysiert. Es
sieht in (fehlender) Anerkennung und Würde einen der Gründe dafür.
Angst vor Kriminalität zu haben, ist ein Ventil, weil diese Angst im Vergleich zu
den anderen Ängsten greifbar und personalisierbar ist. Die Menschen verlagern ihre
allgemeinen gesellschaftlichen Ängste in einen konkreten, wie man glaubt definier-
baren Bereich, denn: „Fear is at its most fearsome when it is diffuse, scattered, unc-
lear, unattached, unanchored, free floating …“ (Bauman 2006, 2). Kriminalität und
„Kriminelle“ bieten sich hier zum Andocken an, und dies, obwohl es zum einen „die
Kriminalität“ nicht gibt, nicht zuletzt, weil das Risiko, Opfer einer Straftat zu wer-
den, von Alter, Geschlecht, Wohnort und sozialer Lage abhängig ist, und weil para-
doxerweise zum anderen die Wahrscheinlichkeit, direktes Opfer einer Gewalttat zu
werden, sehr gering ist: „lacking direct personal experiences of threat, they are prone
to let their imaginations … run loose“ (Bauman 2006, 3). Bauman hat auch deutlich
gemacht, dass diese Ängste „born of global social insecurity“ transferiert werden in
lokale Sicherheitsbedenken und dass diese Transformation sehr effektiv ist und eine
„foolproof strategy“ für die globale (und nationale) Elite darstellt (Bauman 2006,
159) und vorzüglich dazu geeignet ist, von anderen Problemen abzulenken. Er zitiert
in diesem Zusammenhang aus einer Dokumentationssendung der BBC: „In an age
when all the grand ideas have lost credibility, fear of a phantom enemy is all the po-
liticians have left to maintain their power“ (Bauman 2006, 149). Der „Phantomfeind“
können dabei die RAF, die Attentäter von 9/11 oder eben jetzt die Flüchtlinge sein2.
Irrationale Ängste können nicht mit rationalen Argumenten bekämpft werden.
Wir wissen, dass die Verbrechensfurcht dort niedriger ist, wo der soziale Zusammen-
halt hoch ist. Allerdings scheinen Ethik und Moral als Voraussetzungen für solchen
Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zunehmend verloren zu gehen. Wir verlieren
die Orientierung auch, weil „Moralinstitutionen“ wie die Kirchen ihre Glaubwürdig-
keit grundlegend verloren haben.
Faktoren wie Globalisierung, das (so wahrgenommene) Versagen der politischen
Eliten und der Politik generell (Abgas-Skandal, Rechtsstaats- und Rentendiskussion,
2
„There are, indeed, many ways to capitalize on the growing supplies of free-floating,
unanchored and unfocused fears; for instance, gaining political legitimacy and approval by
flexing government muscles in declaring war on crime and more generally on ,disturbances of
public order‘“ (Bauman 2006, 145); s. dazu auch Rauls & Feltes 2020.
120 Thomas Feltes

Alters- und Kinderarmut) spielen eine deutlich wichtigere Rolle für das latente Ge-
fühl der Verunsicherung, ebenso wie die zunehmenden, als negativ empfundenen
Veränderungen im Verhältnis unter- und zueinander in unserer Gesellschaft. Für Ul-
rich Beck (2014) sind die Bürger der „liquid cities“ zu „displaced persons“ geworden,
die sich in Armeen von Konsumenten verwandeln. Sie leben in Städten der Angst,
wobei es diffuse, auf nichts Konkretes gerichtete Ängste sind. Diese Ängste klam-
mern sich an alles, was ihnen angeboten wird, wider alle Vernunft, wider alle Erfah-
rung. Gleichzeitig wird das Unsagbare gesagt, das Undenkbare gedacht, beides ohne
Widerspruch oder gar Aufschrei in der Gesellschaft. Als Konsequenz entwickelt sich
ein „Treibsand-Gefühl“ (Feltes 2019a). Der (moralische) Kompass geht verloren, die
Gesellschaft driftet auseinander, Individualismus und Egoismus werden zu alleingül-
tigen Maßstäben. Grundlegende moralische Werte lösen sich auf, die Gesellschaft
verliert an Zusammenhalt, Extreme nehmen zu, und im Alltag spielt die Frage,
warum es wichtig ist, die Demokratie zu schützen, keine Rolle mehr. Die Gesell-
schaft sucht sich Feindbilder, auf die sie ihre Ängste und Aggressionen abladen
kann. Gleichzeitig verlieren die Menschen das Vertrauen in Institutionen, und
eben auch in die Polizei. Neuere Entwicklungen z. B. im Zusammenhang mit der
„Fridays for Future“-Bewegung werden zeigen müssen, ob sie sich diesem Trend ent-
gegenstellen können, denn inzwischen haben die Polarisierungen die Mitte der Ge-
sellschaft erreicht und beeinflussen sie – auch, weil das Beispiel USA zeigt, dass man
mit radikalen Äußerungen an die Macht kommen und diese bewahren kann. In
Deutschland geht, wie die Studien von Zick u. a. zeigen (2019), die herkömmliche
gesellschaftliche Mitte zunehmend verloren. Die Menschen wenden sich einer ver-
meintlich neuen, radikalen Mitte zu, die ihren Zusammenhalt aus der Abwertung von
anderen schöpft. Oder um es mit Bauman zu sagen: „The biggest fear of our time is
the fear of being left out“. … „,Fear‘ is the name we give to our uncertainty in the face
of the dangers that characterize our liquid modern age, to our ignorance of what the
threat is and our incapacity to determine what can and can’t be done to counter it“
(Bauman 2006). Bauman (2006, 17) bezeichnet dies als „Titanic syndrome“: Die
Angst davor, dass das Schiff der Zivilisation sinkt und man untergeht.
Bauman hat in Liquid Times (2007, 1 ff.) die Ursachen für dieses Leben in einem
Zeitalter der Unsicherheit („Living in an Age of Uncertainty“) an folgenden Punkten
festgemacht:
„First of all, the passage from the ,solid‘ to a ,liquid‘ phase of modernity: that is, into a con-
dition in which social forms (structures that limit individual choices, institutions that guard
repetitions of routines, patterns of acceptable behaviour) can no longer (and are not expec-
ted) to keep their shape for long, because they decompose and melt faster than the time it
takes to cast them, and once they are cast for them to set. (…) Second, the separation and
divorce of power and politics. (…) Third, the gradual yet consistent withdrawal or curtailing
of communal, state-endorsed insurance against individual failure and ill fortune deprives
collective action of much of its past attraction and saps the social foundations of social so-
lidarity; ,community‘, as a way of referring to the totality of the population inhabiting the
sovereign territory of the state, sounds increasingly hollow. Interhuman bonds, once woven
into a security net worthy of a large and continuous investment of-time and eff ort, and worth
Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten 121

the sacrifice of immediate individual interests (…), become increasingly frail and admitted
to be temporary. (…) Fourth, the collapse of long-term thinking, planning and acting, and the
disappearance or weakening of social structures … lead to a splicing of both political history
and individual lives into a series of short-term projects and episodes which are in principle
infinite.“

Diese massiven Veränderungen im Webzustand unserer Gesellschaft haben zu


massiven Verunsicherungen geführt, obwohl es den meisten Menschen so gut geht
wie nie. Gleichzeitig aber verändert sich auch unsere Einstellung zu den Gesell-
schaftsmitgliedern, die nicht wie die meisten anderen am Wohlstand teilnehmen kön-
nen. Während früher
„the poor provided a handy @ prolific and constantly within @ reach occasion for good
deeds: a God’s gift to every Christian worried about salvation of their soul and reserving
posthumous residence in Heaven“ … „it ,stood to reason‘ to take care of keeping them in
good shape @ well fed, shod and sheltered, always ready be recalled into active service;
the need for a welfare state, concerned precisely with securing this condition, was ,beyond
left and right‘, just as is now the belief that lifting the impoverished and the indolent out of
their hardship and anguish is a waste of taxpayers’ money. Few of us are nowadays concer-
ned with the salvation of our soul …“ (Bauman & Donskis 2016, 129).

Wenn Psychologen uns bestätigen, dass die meisten Angstgefühle entstehen, weil
wir denken, etwas sei gefährlich, dann sind es unsere Gedanken, die Angstgefühle
erzeugen. Hier muss angesetzt werden. Durch Aufklärung, allen voran durch die Po-
litik, die sich dem Reflex verweigern muss, jeden Verdacht einer Straftat mit „Frem-
den“ als Tatverdächtige mit der Forderung nach „mehr desselben“ (mehr Gesetze,
härtere Strafen, schnellere Abschiebung) zu quittieren.

5. Ergebnis und Lösung


Sozialpsychologisch betrachtet ist „Innere Sicherheit“ ein Konstrukt, das mehr
durch subjektive Empfindungen als durch objektive Gefährdungen gebildet wird.
Wir wissen, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen objektiver Krimi-
nalitätslage und Verbrechensfurcht gibt. Offensichtlich sind es andere Faktoren, die
die Verbrechensfurcht beeinflussen. Aber in einer angsterfüllten öffentlichen Kultur
ist es schwierig, zu einer objektiven Schlussfolgerung über Gefahren zu gelangen. In
unregelmäßigen Abständen, derzeit allerdings relativ beständig, wird ein (zusätzli-
cher) Bedarf an innerer Sicherheit attestiert – interessanterweise meist von denen,
die für diese Sicherheit verantwortlich sind (Innenminister, Polizeivertreter). Die
dabei gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen nach Gesetzesverschärfungen
greifen auf Argumente zurück, die alt und rein rhetorisch sind, auf der unbestimmt
vorhandenen Angst der Bürger aufbauen und sie für politische oder Standesinteres-
sen ausbeuten. Die allgemein vorhandene Angst hat auch dazu geführt, dass der Staat
als Ordnungsmacht wiederentdeckt wird. Der Staat möge gefälligst den Schutz von
Leib und Leben gewährleisten, lautet die Forderung. Also mehr Geld, mehr Personal,
122 Thomas Feltes

mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste. Rasterfahndung nach „Schläfern“


und Lauschangriffe gegen Unverdächtige, die vielleicht einen Verdächtigen kennen.
Mehr von allem, was Halt und Trost verspricht und somit die dunklen Alpträume ver-
treibt.
Als Kriminologe und Polizeiwissenschaftler sollte man die Dinge untersuchen
und kommentieren, die in seinen Tätigkeitsbereich fallen. Wissenschaftskollegen,
die glauben, das Feld der veröffentlichten Meinung den Medien und den politischen
Akteuren überlassen zu können, tragen dazu bei, dass ihre jeweilige Disziplin, vor
allem aber die wissenschaftlich fundierten Ergebnisse nicht wahrgenommen werden.
Entsprechend liegt die Meinungsbildung in der Bevölkerung auch und gerade in den
Händen der für die Innere Sicherheit zuständigen Wissenschaftsvertreter – auch und
vielleicht, weil die „öffentlichkeitsscheuen“ Vertreter der Wissenschaft der Auffas-
sung sind, dass Meinungsbildung auf Griechisch „Demagogie“ heißt und es daher
nicht ihr Job sei, sich daran zu beteiligen – wie mir jüngst ein Kollege mitteilte.
Doch damit verfehlen Kriminologen und Polizeiwissenschaftler nicht ihren Beruf,
sondern nehmen ihn und die damit verbundene gesellschaftliche Verantwortung
ernst. Es ist Hans-Jörg Albrecht hoch anzurechnen, dass er im In- und Ausland
dafür Sorge getragen hat, dass sich die deutsche Kriminologie artikuliert und an
der öffentlichen Meinungsbildung mitwirkt.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2017): The Shift of Security: Changing Concepts of Security?, in: Z. Zhou
(Trans.), Z. Chen, New Reports in Criminal Law. Beijing, 10, S. 329 – 347.
Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwa-
chung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermitt-
lungsmaßnahmen. Kriminologische Forschungsberichte Band 115. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J., Grafe, A. & Kilchling, M. (2008): Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung
über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h StPO. Kriminologische
Forschungsberichte Band K 139. Berlin.
Andersen, U. & Woyke, W. (Hrsg.) (2013): Handwörterbuch des politischen Systems der Bun-
desrepublik Deutschland. 7. aktualisierte Aufl. Heidelberg.
Baier, D., Fleischer, S. & Hanslmaier, M. (2017): Entwicklung der Punitivität und ausgewählter
Einflussfaktoren in der deutschen Bevölkerung in den Jahren 2004 bis 2014. Monatsschrift
für Kriminologie und Strafrechtsreform 100/1, S. 1 – 25.
Bauman, Z. (2005): Liquid Life. Cambridge/Malden.
Bauman, Z. (2006): Liquid Fear. Cambridge/Malden.
Bauman, Z. (2007): Liquid Times. Cambridge/Malden.
Bauman, Z. (2016): Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache.
Berlin.
Bauman, Z. & Donskis, L. (2016): Liquid Evil. Cambridge/Malden.
Innere Sicherheit in unruhigen Zeiten 123

Beck, U. (2014): Sinn und Wahnsinn der Moderne. TAZ vom 14. 10. 2014; https://taz.de/Soziolo
ge-Zygmunt-Bauman/!5031155/.
Beilharz, P. (2013): Conclusion: Liquid Society, in: M. Davis (Hrsg.), Liquid Sociology. Lon-
don/New York, S. 220 – 229.
Biselli, A. (2017): Behörde Nimmersatt: Geheimdienste ausbauen, ohne dass es jemand merkt.
Netzpolitik.org; https://netzpolitik.org/2017/behoerde-nimmersatt-geheimdienste-ausbauen-
ohne-dass-es-jemand-merkt/.
CILIP/Bürgerrechte und Polizei (o. J.): Anti-Terror-Gesetze/Entwürfe und offizielle Stellung-
nahmen; https://archiv.cilip.de/alt/terror/gesetze.htm.
Daase, C. (2010): Wandel der Sicherheitskultur. Aus Politik und Zeitgeschichte 50, S. 9 – 16.
Derin B. & Singelnstein, T. (2019): Amtliche Kriminalstatistiken als Datenbasis in der empi-
rischen Polizeiforschung, in: C. Howe & L. Ostermeier (Hrsg.), Polizei und Gesellschaft.
Wiesbaden, S. 207 – 230.
Dollinger, B. (2018): Punitivität = Punitivity. Kriminologisches Journal 50/3, S. 188 – 196.
Feltes, T. (o. J.): Innere Sicherheit, in: Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-
Adenauer-Stiftung, Stichwort „Innere Sicherheit“; https://www.kas.de/web/geschichte-der-
cdu/innere-sicherheit.
Feltes, T. (2018): Kriminologie aus dem Hobbykeller. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
30. 08. 2018; https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/sarrazins-buch-feindli
che-uebernahme-schuert-vorurteile-15763511.html.
Feltes, T. (2019): Sicherheit und Sicherheitsgefühl in Bochum. 40 Jahre Dunkelfeldstudie in
einer deutschen Großstadt. Bewährungshilfe, S. 267 – 280.
Feltes, T. (2019a): Die „German Angst“. Woher kommt sie, wohin führt sie? Innere vs. gefühlte
Sicherheit. Der Verlust an Vertrauen in Staat und Demokratie. Neue Kriminalpolitik 31/1,
S. 3 – 12.
Feltes, T. & Reiners, P. (2019): Sicherheit und Sicherheitsgefühl in Bochum. Exemplarische
Befunde der Bochumer Dunkelfeldstudie 2015/2016 (,Bochum IV‘). Monatsschrift für Kri-
minologie und Strafrechtsreform 102/2, S. 1 – 15.
Feltes, T. & Reichertz, J. (2019): Polizieren. Versuch einer Definition, in: A. Klukkert, J. Rei-
chertz & T. Feltes (Hrsg.), Torn between Two Targets. Polizeiforschung zwischen Theorie
und Praxis. Zu Gedenken an Thomas Ohlemacher. Frankfurt, S. 21@48.
Foa, R.S. & Mounk, Y. (2016): The Danger of Deconsolidation: The Democratic Disconnect.
Journal of Democracy July 2016; http://www.journalofdemocracy.org/article/danger-decon
solidation-democratic-disconnect [08. 06. 2018].
Fuchs, W. (2019): Migration und Kriminalität in Österreich. Neue Kriminalpolitik 31, S. 185 –
205.
Fukuyama, F. (2019): Identität: Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet. Ham-
burg.
Funk, A. (1991): „Innere Sicherheit“: Symbolische Politik und exekutive Praxis, in: B. Blanke
& H. Wollmann (Hrsg.), Die alte Bundesrepublik. Leviathan (Zeitschrift für Sozialwissen-
schaft), S. 367 – 385.
124 Thomas Feltes

Heinz, A. (2019): Im Moment sieht es düster aus. Interview. Der Spiegel, 16. 03. 2019, S. 20.
Heinz, W. (2019): Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN „Entwurf eines Gesetzes zur fortlaufenden Untersuchung der Kriminalitätslage und er-
gänzenden Auswertung der polizeilichen Kriminalitätsstatistik (Kriminalitätsstatistikge-
setz – KStatG)“ BT-Drs. 19/2000 vom 07. 05. 2018. Verfügbar unter https://www.bundes
tag.de/resource/blob/593646/af4ffc574466f580a9c4783b5f1f463e/A-Drs-19-4-222-B–Teil-
1-data.pdf [08. 03. 2019].
Kury, H. & Obergfell-Fuchs, J. (2003): Kriminalitätsfurcht und ihre Ursachen, in: Landeszen-
trale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hrsg.), Sicherheit und Kriminalität. Der
Bürger im Staat 53/1, S. 9 – 18.
Kury, H. & Obergfell-Fuchs, J. (2006): Zur Punitivität in Deutschland. Soziale Probleme 17/2,
S. 119 – 154.
Lange, H.-J. (2006): „Innere Sicherheit“, in: H.-J. Lange & M. Gasch (Hrsg.), Wörterbuch zur
Inneren Sicherheit. Wiesbaden, S. 123 – 134.
Orrenius, P. & Zavodny, M. (2019): Do Immigrants Threaten US Public Safety? Journal on Mi-
gration and Human Security, S. 1 – 10.
Rauls, F. & Feltes, T. (2020): Der administrative Ansatz zur Prävention und Bekämpfung von
Kriminalität am Beispiel des Vorgehens gegen „Rockerkriminalität“. Wird das Strafrecht
durch das Verwaltungsrecht ausgehebelt? Die Polizei, 3, S. 85 – 92.
Reichertz, J. & Feltes, T. (2015): Polizieren und Polizeiwissenschaft. Die Herstellung und Ge-
währleistung Innerer Sicherheit, in: T. Feltes & B. Schmidt (Hrsg.), Policing Diversity.
Frankfurt, S. 9 – 26.
Roosevelt, F.D. (1933): Inaugural Adress; http://historymatters.gmu.edu/d/5057/.
Sack, F. (2010): Der weltweite „punitive Turn“ – Ist die Bundesrepublik dagegen gefeit?, in:
A. Groenemeyer (Hrsg.), Wege der Sicherheitsgesellschaft. Gesellschaftliche Transforma-
tionen der Konstruktion und Regulierung innerer Unsicherheiten. Wiesbaden, S. 165 – 191.
Sack, F. (2011): Symbolische Kriminalpolitik und wachsende Punitivität, in: B. Dollinger &
H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Wiesbaden, S. 63 – 89.
Schellhoss, H. (2019): Sind die Ausländer generell krimineller? Neue Kriminalpolitik 31/2,
S. 163 – 168.
Schwind, J.-V. (2018): Sicherheit und Sicherheitsgefühl in der Stadt Bochum 2015/2016 („Bo-
chum IV“). Holzkirchen.
Stegmaier, P. (o. J.): „Innere Sicherheit“, in: Kriminologie-Lexikon Online; http://www.krim
lex.de/artikel.php?BUCHSTABE=I&KL_ID=87.
Stegmaier, P. & Feltes, T. (2007): ,Vernetzung‘ als neuer Effektivitätsmythos für die ,Innere Si-
cherheit‘. Aus Politik und Zeitgeschichte 12, S. 18 – 24.
Zick, A., Küpper, B. & Berghan, W. (2019): Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsex-
treme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn.
Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle
(Lokale Antworten auf globale Herausforderungen?)1

Von Ferenc Irk

1. Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel –


alte und neue Risiken
Die sich im letzten halben Jahrhundert in immer schnellerem Tempo anbahnenden
Veränderungen überall in der Welt stellen die Sozialwissenschaften vor neue Aufga-
ben. Es ist an sich schon schwierig, diese Wandlungsprozesse zu verfolgen und ihre
Triebkräfte zu verstehen, aber die Tendenzen der real-time-Veränderungen und ihre
potentiellen Zukunftsfolgen zu prognostizieren, ist eine noch größere Herausforde-
rung. Der Umgang mit diesen Folgen, die in einem sich vom Möglichen bis zum
Wahrscheinlichen erstreckenden Spektrum vorkommen können, liegt nach unserem
Wissen nahe an der Grenze des Unmöglichen. Diese Feststellung wird durch die Tat-
sache bestätigt, dass die Wahrnehmung der in der Vergangenheit einsetzenden und in
der Gegenwart weiter fortschreitenden Veränderungen genauso oft unterbleibt wie
die Bestandsaufnahme ihrer direkten und indirekten Folgen und im Fall ungünstiger
Entwicklungen die entsprechende gesetzliche Reaktion sowie die Umsetzung der
notwendigen Maßnahmen. Für richtige Entscheidungen wären Risikoanalyse und
darauf basierendes Risikomanagement notwendig, um sozialgefährliche Phänomene
der Gegenwart und für die Zukunft prognostizierte Ereignisse zu erschließen und in
eine hierarchische Ordnung zu stellen. Da wir in einer Risikogesellschaft2 leben, ist
die richtige Gewichtung unterschiedlicher Risiken wohl der wichtigste Aspekt bei
der Entscheidungsfindung. Beim Aufstellen einer Prioritätenliste und bei der konti-
nuierlichen veränderungsbedingten Neudefinierung einzelner Risiken ist die jewei-
lige Vergangenheit als eine mit der jeweiligen Gegenwart und der Zukunft überlap-
pende soziale Zeitdimension nicht außer Acht zu lassen.
Diese sich immer rascher verändernde Komplexität verursacht eine wieder und
wieder verzögerte Perzeption der Situation und die verspätete Identifizierung ihrer
potentiellen und wirklichen Folgen als Herausforderungen, und die anschließend
1
Aus dem Ungarischen übersetzt von Dr. Szilveszter Póczik, PhD, CSc, sprachliche
Überarbeitung von Dr. Michael Kilchling.
2
Siehe hierzu die Werke von Ulrich Beck, insbes. Beck 2007, Kapitel XI: Kritische
Theorie der Weltrisikogesellschaft, 334 – 374.
126 Ferenc Irk

ebenfalls verspätet – öfters ohne Realitätskenntnis hastig – getroffenen Entscheidun-


gen. Die auf die Herausforderungen gegebenen Reaktionen beruhen auf diesen Ent-
scheidungen, deshalb sind sie oft falsch. Die Entscheidungen der Gegenwart werden
auf der Basis der Erfahrungen und Reaktionen aus der Vergangenheit getroffen. Man-
che Entscheidungsträger kümmern sich infolge der mit der zunehmend rascher vor-
anschreitenden Entwicklungen zusammenhängenden zwangsläufigen Verkürzung
der Erwägungszeiten wenig um die möglichen Folgen ihrer aktuellen Entscheidun-
gen für die Zukunft. Daraus folgt logisch, dass manche aktuell falschen oder fehlen-
den Entscheidungen irreparable Negativfolgen nach sich ziehen. Verzögerte und feh-
lende Reaktionen können also gleichermaßen gefährlich sein, wenn die Entschei-
dungsträger die Gefahren aus welchem Grunde auch immer nicht erkennen oder
wenn diese zwar erkennen, aber wissentlich nicht berücksichtigen. Dies hängt
damit zusammen, dass ein guter Teil der gegenwärtigen Risiken von den gewöhnli-
chen Risiken früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte abweicht, und neue, ungewöhn-
liche Mittel und Methoden des Risikomanagements erfordern, welche die mittlerwei-
le globalen Risiken zu bekämpfen geeignet sind. Da das neue Risikomanagement auf
Risiken der Gegenwart und der Zukunft reagiert, betreffen seine Auswirkungen alle
Akteure – sowohl die realen Opfer in der Gegenwart als auch die potentiellen Opfer
in der Zukunft.

2. Risikomanagement, moralische und rechtliche Verantwortung


Das Risikomanagement von heute ist scheinheilig. Sein Janusgesicht wirkt tief
auf unsere Gesellschaften ein. Diese Feststellung gilt besonders für Risiken, die
das Leben, das körperliche Wohl und die Gesundheit der Menschen gefährden.
Das erwähnte Doppelgesicht spiegelt sich in dem Dilemma wider, welches Maß
eines Risikos noch akzeptabel ist bzw. welche Maßnahmen zur Minderung eines rea-
len Risikos zu ergreifen oder eben nicht zu ergreifen sind. Als gute Beispiele für diese
Scheinheiligkeit bieten sich die Scheinmaßnahmen zur Minderung schädlicher Aus-
wirkungen der Motorisierung oder die Behandlung der bekannten Negativfolgen des
gesellschaftlichen Zusammenlebens ohne Empathie an. Wissenschaft und politische
Entscheidungsträger sind sich im Klaren über die gegenwärtige Praxis von Produk-
tion und Konsum wie auch über den Großteil ihrer schädlichen Folgen – trotzdem
verschweigen sie diese vor den Bürgern. Anstelle effektiver (aber ggf. unpopulärer)
Eingriffe benennen sie lieber Sündenböcke oder schieben die systemspezifischen
Fehler und prognostizierbar eintretenden Folgeschäden den Bürgern in die Schuhe,
die am Ende des Prozesses oder der Handlungskette stehen. Daraus folgt direkt der
heute bereits unmissverständliche Negativtrend eines zunehmenden Verfalls des Ver-
trauens in die Rechtsinstitutionen. Das Moralgefühl eines bedeutenden Teils der Be-
völkerung funktioniert heute noch mehr oder weniger befriedigend. So sind sich viele
bewusst, dass die Rechtsprechung auf der Grundlage der heutigen prozessualen Rah-
menbedingungen oftmals nicht die Wahrheit ans Licht zu bringen vermögen, sondern
Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle 127

eher gemeinschaftsschädliche Tätigkeiten durchsetzungsstarker Gruppen zu ver-


schleiern suchen. Die traditionelle Justiz zeugt des Öfteren von ihrer Unfähigkeit,
die neuen gesellschaftlichen Konflikte handzuhaben.3
Unter Beachtung der obigen Feststellungen ist das Verhältnis der Sozialwissen-
schaften zu den Konflikten zu untersuchen. Soziologen, Philosophen – aber auch Ge-
lehrte in Kriminologie und Strafrecht – erweiterten und systematisierten ihre theo-
retischen Kenntnisse, um die Verbindung zwischen moralischem und rechtlichem
Fehlverhalten (Sünde) und Verantwortlichkeit zu klären.4 Sie stellten die Frage, in-
wieweit die kodifizierten Rechtsnormen unserer sich rasch wandelnden Gesellschaf-
ten mit den Begriffen des ethisch Guten und Schlechten in Einklang stehen. Ihnen ist
aufgefallen, dass viele rechtliche Vorschriften, welche bestimmte Handlungen pöna-
lisieren, mit moralischen Imperativen und Verboten nichts zu tun haben. Das bedeu-
tet, dass die Wertbegriffe der Moralität und des Rechts eine erhebliche Divergenz auf-
weisen. Eine unter schwere Strafe gestellte rechtliche Schuld kann aus Sicht der
Ethik positiv, neutral oder milde bewertet werden. Dies gilt auch umgekehrt. Im
Zuge dieser Analysen wurde nachgewiesen, dass das rechtskonforme Verhalten je
nach sozialer Stellung bedeutende Unterschiede in einzelnen Bereichen desselben
National- oder Regionalrechts aufweist, und auch von freiwilligen und erzwungenen
Elementen abhängt. Im Sinne des Doppelbegriffs der Sünde ist ein Verstoß gegen
schriftliche Normen ein Rechtsbruch, der im Fall kodifizierter Verfehlungen als
Straftat gilt. Aber der Bruch ethischer Normen ohne Verstoß gegen das geltende
Recht gilt „nur“ als unethisches Verhalten. Oft begründet das unethische Verhalten
auch (straf-)rechtliche Verantwortung, diese beiden hängen jedoch nicht unbedingt
zusammen. Moralische und rechtliche Verfehlungen können teilweise oder gänzlich
zusammenfallen, aber auch auseinanderfallen. Heute werden Sünden und Strafen neu
definiert, und zwar tendenziell so, dass je kleiner die Straflast einer begangenen
Straftat ist, umso wahrscheinlicher die Strafe ergeht.

3. Gesellschaftliche Gefährlichkeit von (Straf-)Taten


Kriminologen und (Straf-)Juristen beurteilen viele sozialgefährliche Phänomene
unterschiedlich. Die Juristen gehen bei der Bewertung sozialgefährlicher Handlun-
gen und Versäumnisse vom jeweils geltenden, zeit- und ortsgebundenen Recht aus.
Für Kriminologen bedeutet gesellschaftliche Gefährlichkeit a priori die drohende
Möglichkeit oder den tatsächlichen Eintritt eines hochgefährlichen Schadensrisikos.
Bei der Bewertung einer Straftat durch die Kriminologen spielt also Rechtsgebun-
denheit eine zwar wichtige, aber keinesfalls primäre Rolle. Für sie ist der moralische

3
Siehe hierzu noch Irk 2006.
4
Ágnes Heller analysierte diese Fragen in einem in jungen Jahren geschriebenem Buch in
moralphilosophischer Perspektive. Siehe Heller 1970; detaillierte Sekundärdarstellung durch
Irk 2018.
128 Ferenc Irk

Inhalt einer (Straf-)Tat zumindest genauso wichtig. In Fortsetzung dieses Gedanken-


ganges können zahlreiche Bedenken formuliert werden, zum Beispiel:
• ob es die gewichtigsten sozialgefährlichen Handlungen der Gegenwart und Zu-
kunft sind, die als Straftaten kodifiziert sind;
• ob die Strafregeln geeignet sind, auf das Ultima-Ratio-Prinzip gestützte Aufgaben
zu lösen.
Solche und ähnliche Feststellungen und Fragen sind für Gelehrte aus den Sozial-
wissenschaften, der Ökonomie und anderen Grenzwissenschaften der Kriminologie
evident, sind aber viel weniger selbstverständlich für Forscher, die aus Juristen zu
Kriminologen wurden. Daraus ergibt sich die für Reformkriminologen seltsame Si-
tuation, dass die Viktimologie, also ein Unterbereich der Kriminologie, diejenigen
Opfer, bei denen – im Sinne des Strafrechts – keine konkret bestimmbaren Straftäter
existieren sind, aus ihren Forschungen ausklammert. So bleiben Kriminologie und
Viktimologie auf der Mikroebene des Täter-Opfer-Verhältnisses stecken, und lassen
die auf der Makroebene, das heißt durch Menge und Qualität der globalisierungsbe-
dingten sozialen Gefahren am meisten betroffenen und massenhaft zu Opfern gewor-
denen Menschen und Gruppen außer Acht, die in sich demokratisierenden Gesell-
schaften und reifen Demokratien eine immer wichtigere Rolle, sogar eine Schlüssel-
rolle spielen. So werden im „Normalbetrieb“ unserer Welt die Opfer schwerer Um-
weltschädigung durch industrielle Produktion regelrecht missachtet. Ein weiterer
Unterschied der Perspektiven von Strafrechtlern und Kriminologen ist der, dass,
während im Fokus des strafrechtlichen Interesses die Klärung der Handlungen
von Akteuren, das heißt des Täters und des Opfers, stehen, der systematisch denkende
Kriminologe versucht Systemdefizite zu klären und zu deren Korrektur beizutragen.
In dieser forscherischen und analytischen Arbeit ist die Frage unvermeidlich, ob in
der globalisierten Welt der Umgang mit den Risiken der Makroebene risikogerecht
ist, defizitär – oder gänzlich ausbleibt.
An dieser Stelle ist der dreifache Zusammenhang zu erwähnen, der zwischen so-
zialgefährlichen Handlungen, ihren Tätern und ihren Opfern besteht. In kriminolo-
gischer Perspektive bestimmt die existierende oder fehlende gesellschaftliche Ge-
fahr, ob eine Straftat Täter bzw. Opfer hat. Der erste Zusammenhang besagt, dass
eine sozialgefährliche Handlung auch dann Opfer hat, wenn sie mit keinem als Per-
son identifizierbaren Täter zu verbinden ist. Der zweite besagt, dass eine sozialge-
fährliche Tat auch dann Täter hat, wenn sie keine bekannten Opfer aufweist. Im
Sinne des dritten ist eine Tat, die weder Täter noch Opfer hat, nicht sozialgefährlich.
Die jeweilige Einschränkung für alle diese drei Zusammenhänge ist aber die, dass
der zeitliche und räumliche Umfang der gesellschaftlichen Gefährlichkeit nicht
auf das gegenwärtige Zeit- und Raumintervall zu limitieren ist, in dem Dasein
oder Fehlen des Risikos gerade untersucht wird. Die kriminologischen Dimensionen
der gesellschaftlichen Gefährlichkeit sind nämlich im Prinzip in Zeit und Raum zwar
unendlich, beschränken sich jedoch in der Tat jeweils auf die realen Zeit- und Raum-
perspektiven der gerade getätigten Untersuchung.
Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle 129

Kurz sind auch die Folgen der Situation zu erwähnen, wenn die gesellschaftliche
Gefährlichkeit zwar existiert, aber in einem weiten Kreis unbemerkt bleibt. Ein biss-
chen vereinfacht gesagt, gibt es zwei Interpretationen des voranschreitenden sozialen
Wandels unserer Welt. Die eine zeichnet ein optimistisches, die andere ein eher pes-
simistisches Bild über die in Zukunft zu erwartenden Veränderungen. Nach der op-
timistischen Version sei das Wachstum, wie man es sich früher vorstellte, nicht auf-
rechtzuerhalten, obwohl die Chance auf „sustainable development“ für alle Weltre-
gionen nach wie vor offenbleibe. Nach der pessimistischen Version habe die Welt
einen Zustand erreicht, in dem kein weiterer Fortschritt, keine nachhaltige Entwick-
lung mehr möglich sei. Von dieser fundierten Prognose wollen die meisten Politiker
genauso wenig Kenntnis nehmen, wie die am raschen Wirtschaftswachstum orien-
tierten Unternehmen und mit diesen verbündeten behördlichen Organisationen.
(Siehe hierzu zum Beispiel den Zusammenhang zwischen der Regierung des Donald
Trump und dem Wiedererstarken der US-Kohlelobby). Die neue Qualität der gesell-
schaftlichen Gefährlichkeit beschreiben unter anderen Allan Schnaiberg und Paul
Stretesky, Vertreter der sogenannten Treadmill-Theorie.5 Sie fokussieren ihre Kritik
am Sozial-Kriminalitätsmanagement der Regierungsmacht direkt auf Ausbeutung
(als Ursache) und Umweltkriminalität (als Wirkung).

4. Offene Fragen und Dilemmas der Problembehandlung


Nach dieser Einführung können weitere Fragen gestellt werden, wie:
• Haben nur die strafrechtlich definierten Handlungen Opfer? Sind diejenigen keine
Opfer, die unter den Folgen strafrechtlich nicht definierter Verhaltensweisen lei-
den?
• Ist die Gefährlichkeit der kodifizierten Verfehlungen höher als die der nicht kodi-
fizierten?
• Sind die nicht als Straftat definierten, aber moralwidrigen und sozial hochgefähr-
lichen und hochschädlichen Handlungen irrelevant für die Kriminologie, bzw.
sind ihre Opfer uninteressant für die Opferforschung?
• Ist es moralisch akzeptabel, dass Bequemlichkeit und Vermeidung politischer
Konflikte oder – wie man oft argumentiert – die Gefahr der Ausuferung die Kri-
minologen zurückhalten, ihr Interesse auf die oben erwähnten Verhaltensformen
zu auszuweiten?
• Bilden diese (nicht als Straftat definierten) Verfehlungen einen Teil des kriminel-
len Dunkelfelds?

5
Die Darstellung dieser Theorie und die Erörterung ihres Nutzens für die forensische
Wissenschaften würden den Umfang dieser Studie sprengen. Siehe hierzu Stretesky et
al. 2014.
130 Ferenc Irk

• Wenn sozial hochgefährliche und hochschädliche, aber strafrechtlich nicht nor-


mierte Handlungen keinen Teil der Kriminalitätslatenz bilden, sollten diese
dann als normale oder als zwar abweichende, aber nicht strafbare Verhaltenswei-
sen gelten? Wie sind sie zu bewerten?
• Sind verheerende Negativfolgen der Modernisierung durch eine Neudefinition so-
zialgefährlicher Verhaltensformen zu vermeiden?
• Darf nach heutigem Stand der Globalisierung die diskriminierende Behandlung
der Wertesysteme der Dritten Welt (Entwicklungsländer) durch die Erste Welt
(hochentwickelte Industrieländer) fortbestehen? Oder ist die heute bereits vor-
herrschende politische und ökonomische Ansicht akzeptabel, dass die im Sinne
der westlichen Rechtskultur verbotenen Handlungen in der Dritten Welt wertneu-
tral seien oder gar ein positives Vorzeichen bekommen dürften?
• Ist die Strafdrohung durch völkerrechtliche Normen im Fall von Straftaten über-
haupt sinnvoll, wenn die Strafe nicht vollzogen werden kann?
• Können tatgerechte Strafen für bereits verübte oder für die Zukunft prognostizier-
te hochgefährliche Straftaten ins traditionelle System der Strafzumessung einge-
gliedert werden, und wenn ja, wie?
Wenn die Experten in der Kriminologie für diese und weitere, hier nicht aufge-
zählte Fragen beruhigende Antworten finden möchten, wäre es wünschenswert,
im Bereich der forensischen Wissenschaften über die Dimensionen der Kriminalisie-
rung und Entkriminalisierung hinauszublicken und den Fokus auf die vergleichende
Analyse moralisch und rechtlich akzeptabler und unakzeptabler Handlungen zu er-
weitern. In unserer sich wandelnden Welt ist es wirklich wichtig (um nur zwei Bei-
spiele zu nennen), die Veränderungen der seit tausend Jahren traditionsreichen Kri-
minalitätsphänomene in den Bereichen Prostitution und Menschenhandel zu beob-
achten und auf diese zugeschnittene neue Instrumente für eine erfolgsversprechende
Prävention zu entwickeln. Dies bedeutet keinesfalls, dass die Analyse der mit neuen
Erscheinungen der grenzüberschreitenden Kriminalität und Errungenschaften der
wissenschaftlich-technischen Entwicklung zusammenhängenden moralischen Ver-
fehlungen, die oft selbst Folgen der neuen Methoden des Risikomanagements
sind, mit dem Argument außer Acht zu lassen wäre, dass diese in bestimmten Län-
dern und Regionen als normal oder mindestens als tolerierbar betrachtet werden.
Daraus folgt eine weitere Frage, nämlich die, in welchen Fällen die Meinungsäu-
ßerungen gut bezahlter Fachexperten und Lobbisten verantwortungsvoll sind bzw.
welche Entscheidungen und Handlungen die Vertreter der wirtschaftlichen und po-
litischen Macht mit der Begründung als verantwortungsvoll hinstellen könnten, diese
seien humanitär und ethisch. Die Frage ist nicht, inwieweit die rechtlichen Regelun-
gen auszudehnen oder zu reduzieren wären. Viel wichtiger wären wissenschaftlich
fundierte Stellungnahmen dazu, welche problemadäquaten rechtlichen Regelungen
notwendig wären, um heute als unethisch angesehene Handlungen zu verhindern und
Entscheidungen zu treffen, die im Interesse der den normwidrigen Handlungen aus-
Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle 131

gelieferten Einzelmenschen und der ganzen Menschheit stehen. Dabei wäre auch die
Frage zu stellen, welche Maßnahmen in diesem Prozess der Ausführung der erwähn-
ten Entscheidungen erforderlich wären.
Zur Klärung all dieser Fragen ist eine auf Netzwerk- und Risikoanalyse basierende
Gesellschaftsplanung notwendig, bei der die Verantwortung der Entscheidungsträ-
ger besonders wichtig ist. Aus moralischer Perspektive ist keine Lösung akzeptabel,
welche die Bekämpfung einer rechtswidrigen Handlung, zum Beispiel die Beendi-
gung umweltschädlicher Produktionstätigkeit, unter Berufung auf Massenarbeitslo-
sigkeit, die innerhalb kurzer Zeit nicht zu beheben wäre, ablehnt oder verzögert.
Wenn sich der moralische Imperativ und der Imperativ des Rechts widersprechen,
dann soll(t)en in unserer Kultur immer die moralischen Gebote Vorrang haben.

5. Neue Straftaten im globalen Kräftespiel


Infolge der Verflechtung wirtschaftlicher Kraftzentren mit politischen Macht-
gruppen können die oben erörterten Zusammenhänge (heute noch) ignoriert werden.
Die meisten Mainstream-Kriminologen, die sich an den jeweiligen Trends der poli-
tischen Macht und an ihren zum Gesetz erhobenen Willenserklärungen orientieren
und bei ihren Forschungen auf der Mikroebene hängen bleiben, halten die makrokri-
minologische Analyse der Erscheinungen neuer Kriminalitätsformen für unnötig
oder – schlimmstenfalls – erkennen dieses Bedürfnis überhaupt nicht.
Ein Paradebeispiel hierfür ist die gegenwärtige Behandlung der Umweltkrimina-
lität. Die Staaten versuchen immer noch mit nationalen Gesetzen Phänomene in
Schranken zu halten, welche nicht nur die Grenzen der Staaten, sondern auch die
der Kontinente längst überschritten haben. Die kriminologische Fachliteratur reflek-
tiert dieses Thema noch kaum. Deshalb wird das Bedürfnis nach Aufklärung und
Darstellung zahlreicher grenzüberschreitend organisierter Straftaten und Netzwerke
von Tätergruppen im Zuge der Produktketten bestimmter, für die Verbraucher in den
Wohlfahrtstaaten besonders attraktiver (preiswerter) Waren von der Herstellung bis
zu ihrer Verwendung nicht einmal formuliert. Solche Gruppen werden von den Wohl-
fahrtstaaten und ihren gesetzgebenden Organen nicht nur toleriert, sondern in vielen
Fällen sogar unterstützt. Hans-Jörg Albrecht schreibt:
„Die objektive Sicherheitslage wird heute nämlich weitgehend an Hand von Phänomenen
beurteilt, die in empirischen Untersuchungen zu Sicherheitserwartungen oder Sicherheits-
gefühlen, mit Ausnahme des Terrorismus, bislang keine Rolle spielen. Phänomene der or-
ganisierten Kriminalität werden, da typische Transaktionskriminalität wie Drogen- und
Menschenhandel, Organisation von Prostitution und Glückspiel, Korruption und Geldwä-
sche betroffen ist, durch die auf konventionelle Kriminalität ausgerichtete Befragungsfor-
schung zu Sicherheitserwartungen nicht erfasst.“6

6
Albrecht 2016, 129.
132 Ferenc Irk

Wenn man zum Beispiel im Warenhausnetz eines multinationalen Unternehmens


Fast-Fashion-Bekleidung, Mobiltelefone oder Gemüse kauft,
1. denkt man – mangels einschlägiger Informationen – nicht daran, in einer als le-
gitim angesehenen Rechtsordnung ein Glied einer Produktions- und Handelskette
zu sein, an deren beiden Enden mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgebeutete Men-
schen arbeiten, die mindestens als Opfer moderner Sklaverei zu betrachten
wären;7
2. oder ist sich der Ausbeutung dank der einschlägigen Medienberichte zwar be-
wusst, will aber mangels Eingriffsmöglichkeiten keine Verantwortung auf sich
nehmen, sondern die Verantwortung von sich weisen und Regierungen, Interes-
senvertretungen, Staaten oder internationalen Organisationen auferlegen.
Die wünschenswerte Strategieänderung erfordert die Wiederherstellung der Nor-
malverhältnisse von Moral, Macht und Recht. Die aus Individuen, Gruppen und com-
munities zusammengesetzte Gesellschaft verfügt über die moralischen Werte, die im
günstigen Fall als Handlungsmaßstäbe gelten können. Die – egal, ob wirtschaftliche
oder politische – Macht hat nur Interessen, auch wenn einzelne Mitglieder der
Machtapparate von moralischen (oder halt amoralischen) Werten gelenkt werden.
Das Recht legt für Menschen und Gemeinschaften einen Teil der durch Interessen
der politischen Macht filtrierten Moralwerte als kodifizierte Normen fest.
Die durch die Politik ausgeklügelten neuen Reaktionen auf neue Verbrechensfor-
men sind zunächst eher bedenklich als vielversprechend.8 In der globalisierten Welt
sind die konsumorientierten Gesellschaften der Industrieländer meistens auf die Be-
friedigung ihrer Alltagsbedürfnisse und Sehnsüchte konzentriert und lassen die zeit-
lichen und räumlichen Kettenglieder des Prozesses ihrer Bedürfnisbefriedigung
außer Acht. Die spektakulären Folgen dieser Sackgasse lassen sich im Klimawandel,
in den Aktivitäten der Leugner des Konsum-Mainstreams, in den aggressiven Aktio-
nen junger Klimaaktivisten und in den Wirkungen ihrer Aktivitäten auf Regierungen
und internationale Organisationen erkennen.9 Die für die Gesellschaft gefährlichen
bzw. schädlichen Handlungen bilden jedoch ein verflochtenes Netzwerk, in dem Ur-
sachen und Wirkungen miteinander in wechselseitiger Beziehung stehen. Der offen-
sichtliche Überkonsum steht im ursächlichen Zusammenhang unter anderem mit der

7
Siehe beispielweise Braun et al. 2014; Rowlatt & Deith 2015; Changing Markets Foun-
dation 2017; Lorenzo & Kelly 2017; Oxfam Australia Media Releases 2017; Zeit Online v.
24. 07. 2014, https://www.zeit.de/2014/31/elektroschrott-ghana-afrika-accra [20. 09. 2019].
8
Siehe hierzu die Kritik an der deutschen Klimapolitik: Zeit Online v. 20. 09. 2019,
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-09/klimapolitik-beschluss-klimaschutzpaket-reak
tionen-klimakabinett [24. 09. 2019]; ferner Zeit Online v. 23. 09. 2019, https://www.zeit.de/poli
tik/deutschland/2019-09/klimapolitik-klimaschutz-klimapaket-bundesregierung-kritik [24. 09.
2019].
9
Siehe die Rede von Greta Thunberg beim UN-Weltklimagipfel 21. – 23. September 2019;
Thunberg 2019.
Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle 133

Überproduktion, die wiederum (vor allem, aber nicht ausschließlich) mit der in den
Entwicklungsländern typischen Sklavenarbeit zusammenhängt.
An dieser Stelle ist zu betonen, dass der demokratische Rechtstaat sowohl die
Freiheitsrechte als auch die Sicherheit seiner Bürger zu gewähren hat. Diese beiden
Grundsätze müssen im Gleichgewicht stehen. Die politische Macht ist jedoch im
Stande, unter Berufung auf den Schutz der Sicherheit die Menschen- bzw. Freiheits-
rechte zu beschneiden und damit das sensible Gleichgewicht zu kippen, das zwischen
diesen Prinzipien in einem demokratischen Rechtsstaat bestehen soll.10 László Kori-
nek machte auf die Gefahren einer Situation aufmerksam, in der das Dilemma des
Verhältnisses von Freiheit versus Sicherheit zu lösen ist.11 Die evident gesellschafts-
gefährlichen Handlungen zu bekämpfen ist eine Sicherungspflicht des Rechtsstaates.
Diese handlungsorientierte Einstellung wird aber in Gesetzgebung und Rechtspraxis
der Staaten Europas, die sich zum Rechtsstaat bekennen und dessen Grundsätze in
ihren Flaggen tragen, in immer schnellerem Tempo durch eine personenorientierte
Gefährlichkeits- bzw. Sicherheitsbetrachtung abgelöst. Wie Hans-Jörg Albrecht
schrieb:
„Der Blick richtet sich stärker in die Zukunft, die Wahrnehmung der Gefährlichkeit wird im
Kern zu einer Gefahrenprognose, die sich auf Auskünfte der forensischen Psychiatrie und
Psychologie stützt.“12

Das Justizwesen des demokratischen Rechtsstaates hat heute also einen Wider-
spruch zu lösen, der früher nicht im Fokus der Aufmerksamkeit gestanden hat. Die
Theoretiker der forensischen Wissenschaften konzentrieren sich in Europa auf die
Begrenzung des wachsenden Interesses von Polizisten und Politikern an kurzfristig
eintretenden Gefahren bzw. an potentiellen Kriminellen, die solche Gefahren hervor-
rufen könnten. Dieses einseitig auf kurze Zeitstrecken der nahen Zukunft fokussierte
Präventionskonzept ist in Anbetracht der Zielsetzung einer Minimierung der Ängste
der Bevölkerung vor neuen Formen des Terrorismus verständlich. Diejenigen, die die
tatsächliche oder scheinbare Stärkung der Sicherheit durch Freiheitsbeschränkung
anstreben, möchten die Notwendigkeit der Einschränkung der oben dargestellten
schädlichen Aktivitäten der globalen Wirtschaftsnetzwerke lieber vergessen. Krimi-
nologen und Strafrechtler halten aus dem Gesichtspunkt der Moral sehr richtig die
Verfahren gegen potentielle Straftäter für bedenklich, die aufgrund unzuverlässiger
Prognosen als gefährlich ausgewählt wurden. Aus dem Gesichtspunkt der Moral ist es
aber grundsätzlich falsch, wenn sie die Opfer der Aktivitäten der Gewinner in Wirt-
schaft und Politik im defizitär funktionierenden Globalsystem der Risikogesellschaft
ignorieren. Dies zu verändern wäre umso dringender als im ersten Fall nur die Rechte
(potentieller) Straftäter, im letzteren Fall aber die Menschenrechte von Millionen
durch schädliches Tun (von der Sklavenarbeit bis hin zur Umweltzerstörung) verletzt
werden, einschließlich ihres Rechts auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Ge-
10
Vgl. Ádám 2005, zitiert nach Korinek 2010, 533.
11
Korinek 2010, 533.
12
Albrecht 2012, 18; siehe auch Sieber 2016, 365, Finszter 2014.
134 Ferenc Irk

sundheit. Eine voreingenommene Justiz, die mit zweierlei Maß misst, senkt im End-
effekt in beiden Fällen das Vertrauen der Bürger in die Verlässlichkeit der Rechtsord-
nung.

6. Zusammenfassung und Ausblick


Auf der Basis der Analyse der Eigentümlichkeiten der Risikogesellschaft ist fest-
zustellen, dass die von Philosophen und anderen Wissenschaftlern formulierten The-
sen bei der Umsetzung in die Praxis nicht hinreichend berücksichtigt werden. In un-
serer Kultur ähnelt der Umgang mit den für die Gesellschaft bedrohlichen Aktivitä-
ten eher einem hastigen Feuerlöschen als einer konzept-basierten Strategie, die auf
neue Herausforderungen adäquate Reaktionen zu geben vermag.
Beobachtungen der Forschung lassen darauf schließen, dass die meisten Men-
schen trotz des üppigen Angebots an Medieninformationen wenig Ahnung von
den unsere Gegenwart und Zukunft bedingenden Zusammenhängen haben, und
sich für diese auch nicht interessieren. Dies ist für die Akteure in Wirtschaft und Po-
litik auf kurze Frist ausgesprochen günstig, und auf lange Frist zu planen mögen sie
nicht. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in den wirtschaftlich hochentwickel-
ten Ländern ist nicht nur Opfer, sondern je nach ihrer Einkommenslage zugleich auch
Mittäter an der Verursachung von Schäden, deren antisozialer Charakter nicht zu
leugnen ist. Als Konsumenten beteiligen sie sich indirekt, aber aktiv an der Ausbeu-
tung ihrer Mitmenschen und an der irreversiblen Zerstörung der Umwelt. Die Kri-
minalpolitik konnte auf die neuen Verbrechensformen bislang keine entsprechenden
Antworten finden.
Deshalb ist es höchste Zeit, über die Zukunft nachzudenken und abzuwägen, wel-
che unserer Grundsätze aufzugeben bzw. beizubehalten sind. Soll alles nach wie vor
weitergehen, bis eines Tages die traurige Wahrheit erkannt wird, dass keine bisher
bekannte Form des Kapitalismus aufrechtzuerhalten ist? Bewegt sich die Welt wirk-
lich auf einem Laufband, das entweder jetzt zu stoppen ist, oder nie mehr zum Still-
stand gebracht werden kann?13 Es ist also Zeit für eine grundsätzliche und umfassen-
de Erneuerung.

Literaturverzeichnis

Ádám A. (2005): A biztonság mint jogi érték [Sicherheit als rechtlicher Wert], in: Á. Balogh &
Sz. Hornyák (Hrsg.), Tanulmánykötet Erdősy Emil professzor 80. születésnapja tiszteletére
[Studienband zum 80. Geburtstag von Prof. Emil Erdősy]. Pécs, S. 13 – 30.

13
Die Literatur der Umweltsoziologie betont, dass der Wachstumszwang im Kapitalismus
strukturell kodiert ist, der theoretisch als Laufband oder Tretmühle der Produktion (treadmill
of production) beschrieben wird. Siehe zum Beispiel Schnaiberg et al. 2002; Gould et al.
2008, zitiert von Dombi & Málovics 2015, 208.
Risikomanagement und Kriminalitätskontrolle 135

Albrecht, H.-J. (2012): Strafrecht, Gefährlichkeit und Sicherheit, in: A.T. Barabás (Hrsg.), Ta-
nulmányok Irk Ferenc professzor 70. születésnapja tiszteletére [Studien zum 70. Geburtstag
von Prof. Ferenc Irk]. Budapest, S. 11 – 25.
Albrecht, H.-J. (2016): Sicherheit, Sicherheitserwartungen und Sicherheitsgefühle, in: G. Finsz-
ter, L. Kőhalmi & Zs. Végh (Hrsg.), Egy jobb világot hátrahagyni … [Eine bessere Welt hin-
terlassen …]. Pécs, S. 119 – 143.
Beck, U. (2007): Weltrisikogesellschaft. Frankfurt am Main.
Braun, C., Pfeil, M., Rohrbeck, F. & Salewski, Ch. (2014): Holes in the Circular Economy:
WEEE Leakage from Europe. A Report of the e-Trash Transparency Project; https://basel
actionnetwork.app.box.com/s/mv275w4n0pdbn7dc0zosggu0vqdu7ehh [20. 09. 2019].
Changing Markets Foundation (2017): Dirty Fashion. How pollution in the global textiles
supply chain is making viscose toxic; http://changingmarkets.org/wp-content/uploads/2017
/06/CHANGING_MARKETS_DIRTY_FASHION_REPORT_SPREAD_WEB.pdf [20. 09.
2019].
Dombi, J. & Málovics, G. (2015): A növekedésen túl – egy új irányzat hozzájárulása a fenn-
tarthatósági vitához [Jenseits des Wachtsums – Der Beitrag einer neuer Strömung zur Dis-
kussion über nachhaltige Entwicklung], in: Közgazdasági Szemle, LXII. Jg., Februar
2015, S. 200 – 221.
Finszter, G. (2014): A vállalható és a nem vállalható társadalmi kockázatok [Akzeptable und
inakzeptable soziale Risiken]. Pécsi Határőr Tudományos Közlemények Bd. XV. Pécs,
S. 5 – 25.
Gould, K.A., Pellow, D.N. & Schnaiberg, A. (2008): The Treadmill of Production: Injustice and
Unsustainability in the Global Economy. Boulder, CO.
Heller, Á. (1970): A szándéktól a következményig [Von der Absicht bis zu den Folgen]. Buda-
pest.
Irk, F. (2006): A rizikótársadalom biztonságérzete [Sicherheitsgefühl in der Risikogesell-
schaft]. Kriminológiai Közlemények 62, S. 39 – 47.
Irk, F. (2018): Értékvédelemtől ex ante prevencióig [Vom Schutz der Werte bis zur Ex-Ante-
Prävention], in: M. Homoki-Nagy, K. Karsai, Zs. Fantoly, Zs. Juhász, Zs. Szomora &
A. Gál (Hrsg.), Ünnepi kötet dr. Nagy Ferenc egyetemi tanár 70. születésnapjára [Festband
zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Ferenc Nagy]. Acta Universitatis Szegediensis. Acta Juri-
dica et Politica, Tom. 81. Szeged, S. 455 – 467.
Korinek, L. (2010): Kriminológia [Kriminologie], Bd. I. Budapest.
Lorenzo, T. & Kelly, A. (2017): Raped, beaten, exploited: the 21st-century slavery propping up
Sicilian farming; https://www.theguardian.com/global-development/2017/mar/12/slavery-si
cily-farming-raped-beaten-exploited-romanian-women [20. 09. 2019].
Oxfam Australia Media Releases (2017): Poverty the real cost of fashion in Australia: Oxfam
report; https://media.oxfam.org.au/2017/10/poverty-cost-fashion-australia-report/ [20. 09.
2019].
Rowlatt, J. & Deith, J. (2015): The bitter story behind the UK’s national drink. BBC News India;
https://www.bbc.com/news/world-asia-india-34173532 [20. 09. 2019].
136 Ferenc Irk

Schnaiberg, A., Pellow, D.N. & Weinberg, A. (2002): The Treadmill of Production and the En-
vironmental State, in: A.P.J. Mol & H. Buttel (Hrsg.), The Environmental State Under Pres-
sure. Oxford, S. 15 – 32.
Sieber, U. (2016): Der Paradigmawechsel von Strafrecht zum Sicherheitsrecht, in: K. Tiede-
mann, U. Sieber, H. Satzger, C. Burchard & D. Brodowski (Hrsg.), Die Verfassung moderner
Strafrechtspflege. Erinnerung an Joachim Vogel. Baden-Baden, S. 351 – 372.
Stretesky, P.B., Long, M.A. & Lynch, M.J. (2014): The Treadmill of Crime. Political Economy
and Green Criminology. London.
Thunberg, G. (2019): If world leaders choose to fail us, my generation will never forgive them.
The Guardian, 23. 09. 2019; https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/sep/23/
world-leaders-generation-climate-breakdown-greta-thunberg [24. 09. 2019].
Zeit Online v. 24. 07. 2014: Auf der Jagd nach dem Schrott, https://www.zeit.de/2014/31/elektro
schrott-ghana-afrika-accra [20. 09. 2019].
Zeit Online v. 20. 09. 2019: Bewerber um SPD-Vorsitz greifen Union wegen Klimapakets an;
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-09/klimapolitik-beschluss-klimaschutzpaket-re
aktionen-klimakabinett [24. 09. 2019].
Zeit Online v. 23. 09. 2019: „Das ist nicht unser Klimapaket“; https://www.zeit.de/politik/
deutschland/2019-09/klimapolitik-klimaschutz-klimapaket-bundesregierung-kritik [24. 09.
2019].
Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken
über die Sicherheit
Von László Kőhalmi

1. Konzeptionelle Abenteuer
Eine ziemliche „wissenschaftliche Bürde“ halst sich auf, wer versucht, den Be-
griff „Sicherheit“ kurz, aber präzise zu definieren. Die Achillesferse des Problems
wurzelt in der Tatsache, dass der Umfang der Subjekte, Objekte und Inhalte, die
für die Definition relevant sind, praktisch unbegrenzt ist.
Als Ausgangspunkt kann der in der Rechtswissenschaft oft angewandte soge-
nannte Ansatz negativer Art einen ersten Ansatzpunkt liefern, da Sicherheit mit Man-
gel an Sicherheit korreliert. Antal Ádám versteht unter Unsicherheit eine Art Bedro-
hung, Gefahr, Schaden, Schädigung, Benachteiligung, Leiden mit Angst und/oder
Qual. Sicherheit ist also ein Gegenpol zu dem, was gerade beschrieben wurde,
d. h. sie stellt einen spezifischen Schutz- bzw. Erhaltungszustand dar (Vida 2013,
89). Der Begriff von Sicherheit impliziert, dass er nicht bedeutet, dass ein Schaden
für Rechtsgüter völlig ausgeschlossen werden kann (Albrecht 2010, 17).
Aus alledem lässt sich auch schließen, dass das begriffliche Gegenteil von Sicher-
heit nicht Unsicherheit ist, da letztere nicht automatisch mit einem Nachteil verbun-
den ist (Ádám 2005a, 33). Das Gegensatzpaar von Sicherheit ist der Mangel an Si-
cherheit. Laut Ferenc Gazdag und Éva Remek bedeutet dies – bezogen auf den Men-
schen –, dass die Person in Sicherheit ist, die sich nicht in Gefahr befindet. Ängste
und Sorgen habe derjenige keine, der die Bedrohung nicht wahrnimmt, das heißt sie
nicht „perzipiert“ (Gazdag & Remek 2018, 17).
Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs hat eine substanzielle und eine formelle
Dimension. „Substanziell geht es um die Frage, was Sicherheit ist, durch was Sicher-
heit bedroht und durch wen Sicherheit hergestellt wird. Formell geht es um die Frage,
auf welchem Wege Sicherheitspolitik entworfen und umgesetzt wird“ (Albrecht
2005, 9).
Sicherheit und deren Mangel erschienen und erscheinen in den verschiedenen Zi-
vilisationen in äußerst vielfältigen Interpretationen, und die Interpretation hängt vom
Umfang, der räumlichen Ausdehnung, dem technischen Kapazitätsbestand usw.
einer bestimmten Gefahr bzw. eines bestimmten Nachteils ab.
138 László Kőhalmi

Bei der staatlichen Handhabung und Herangehensweise an Sicherheit stellt das


Entstehen von Nationalstaaten und die in realen oder fiktiven „Gesellschaftsverträ-
gen“ ausdrücklich oder impliziert enthaltene staatliche Sicherheitsgarantie eine we-
sentliche Zäsur dar. Staaten sind grundsätzlich damit beauftragt drei „Sicherheitspro-
dukte“ herzustellen: staatliche Sicherheit, nationale Sicherheit und öffentliche Si-
cherheit. Die „Ablieferung“ dieser Sicherheitstriade an die Kunden – die Staatsan-
gehörigen – erfolgte und geschieht jedoch nicht durch nette Worte und
freundliches Überreden, sondern auf mehr oder weniger grobe Weise, gegebenenfalls
unter Einsatz gewaltsamer, militanter Mechanismen (Ádám 2005b, 13).
Während die Konfrontation des Kalten Krieges der Vergangenheit angehört,
nimmt das Wettrüsten und die Zahl der blutigen Kriegskonflikte nicht ab und die
Menschheit kommt der erstrebten friedlichen und sicheren Weltordnung nicht näher.
Nach der Auflösung des rigiden bipolaren Gegensatzes wurde sowohl von Vertre-
tern der Rechtswissenschaft als auch der Politik das Bedürfnis formuliert, ein kom-
plexes Sicherheitskonzept zu entwickeln und anzuwenden, das alle traditionellen
und neuartigen Bedrohungen für den Menschen und die menschliche Gemeinschaft
berücksichtigt (Kondorosi 2015, 127; Ádám 2005b, 15). Die verschiedenen interna-
tionalen politischen, fachlichen und militärischen Kooperationsmechanismen (z. B.
UNO, NATO, Europäische Union) hatten eine bedeutende Rolle und bedeutendes
Verdienst bei der immer weiter verfeinerten Definition des Sicherheitskonzepts.
Unter den zahlreichen Ansätzen für den Sicherheitsbegriff verdient der UN-Be-
richt aus dem Jahr 1994 mit dem Titel „Redefining Security: The Human Dimension“
(Holiday & Howe 2011, 73 – 73) besondere Erwähnung. Laut Enikő Száraz ist dieses
Dokument die Grundlage für die umfangreiche, jedoch bei weitem noch nicht abge-
schlossene Forschung, für die Formulierung von Schlussfolgerungen und Änderun-
gen und für die teilweise Anwendung der inhaltlichen Bestandteile der sog. humanen
Sicherheit gewesen (Száraz 2003, 204).
Der Begriff der humanen Sicherheit (Szászi 2019, 112 – 113) muss mit holisti-
schem Ansatz unter Berücksichtigung aller Bedrohungen und Schäden für Menschen
und menschliche Gemeinschaften und auf interdependente Weise angegangen wer-
den, und das alles schließt die Anforderung und den Schutz der nationalen Sicherheit,
der internationalen Sicherheit oder der kollektiven Sicherheit nicht aus. Antal Ádám
zufolge sind die für die humane Sicherheit unerlässlichen differentia specifica die
Folgenden: (a) vorrangige Orientierung an der Menschenwürde, (b) bevorzugter
Schutz für Ausgestoßene, Benachteiligte, für körperlich und geistig behinderte
Menschen, (c) Bekämpfung von Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und verbotener
Diskriminierung, (d) Maßnahmen gegen ansteckende und unheilbare Krankheiten
menschlichen, tierischen und pflanzlichen Ursprungs und gegen zwanghafte Verhal-
tensweisen, (e) Maßnahmen gegen Naturkatastrophen und technische Katastrophen,
Umweltschäden und schockierende Verkehrsunfälle, (f) Bekämpfung der organisier-
ten und sonstigen Kriminalität und des Terrorismus, sowie (g) lokale, regionale,
Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit 139

staatliche, zwischenstaatliche und globale, aber in jedem Fall koordinierte Maßnah-


men zur Bekämpfung von Zerstörungen durch Vandalismus (Ádám 2006, 32 – 35).
Es muss erkannt werden, dass der wirksame Kampf gegen die schwerwiegenden
Bedrohungen und Probleme heutiger und künftiger Generationen von Einzelperso-
nen, sozialen Gemeinschaften, dem Staat oder den Staaten allein und isoliert nicht
geführt werden kann. Der koordinierte, gemeinsame Kampf gegen die oben genann-
ten Bedrohungen ist das Gebot der Stunde. Die integralen Bestandteile dieses Kamp-
fes reichen natürlich von der Prävention der die Gefahr auslösenden Umstände, über
den Einsatz von kontinuierlichen Monitoring-Diensten bis hin zu Mechanismen zur
Behebung eingetretener Kataklysmen und Katastrophen (Ádám 2008, 52). Humane
Sicherheit (human security) bedeutet daher grundsätzlich, frei von allen Gefahren
und Schäden unserer Zeit zu sein. Da eine Sicherheit solchen Inhalts leider unerreich-
bar ist, erfordert menschenzentrierte Sicherheit ein äußerst umfangreiches, komple-
xes Anforderungssystem und vielfältige Präventions-, Abwehr-, Schutz- und Reha-
bilitationsmaßnahmen.
Die humane Sicherheit ist untrennbar mit dem Schutz, der sog. human security
defence, und der Erreichung, Vorbeugung, Abwehr und auch Wiederherstellung be-
inhaltenden Protektion, der safety, verbunden. All dies erfordert einen holistischen
Ansatz, eine komplexe und koordinierte Prävention und die Anwendung sich ständig
ändernder Prioritäten, die an die Art, Nähe und Schwere der Bedrohungen angepasst
sind.

2. Sicherheit als Rechtsgut


Nach der pluralistischen Axiologie ist der Wert das, was das bewertende Subjekt
als Wert ansieht. Der Wert ist somit das Produkt der menschlichen Bewertung, die
Qualität des Objekts, die diesem vom Bewerter beigemessen wird (Losonczy
2002, 20). Welche Werte, in welcher Zusammensetzung und in welcher Reihenfolge
sie ein Wertesystem bilden, hängt in erster Linie auch von den bewertenden Subjek-
ten ab. Werte, die weit verbreitet und langfristig verwirklicht/befolgt werden, führen
zu Wertvorstellungen, z. B. religiösen Normen. Die menschlichen Bedürfnisse und
Ansprüche bringen Werte hervor, und diese schaffen Wertehierarchien. Die sich ge-
genseitig voraussetzende Korrelation der sogenannten entgegengesetzten Qualitäten
– z. B. Hell und Dunkel, Gesundheit und Krankheit, usw. – ist auch in der Dualität von
Wertvollem und Wertlosem feststellbar. Es kann festgestellt werden, dass das Ge-
wicht und die hierarchische Position eines jeden Wertes vom Grad der Schädlichkeit,
des Nachteils, des Schadens usw. der als sein Gegenteil bestehenden Gefahr be-
stimmt oder zumindest stark beeinflusst wird (Ádam 1997, 7). Es gibt tagtäglich un-
zählige wirkungsreiche Orientierungseinflüsse auf Wertewahl und Wertorientierung,
z. B. Religionen, Ethik, Schulbildung, Mode, Politik, Social-Media-Portale, usw.
140 László Kőhalmi

Bei den Werten kommt den rechtlichen Werten eine Schlüsselrolle zu, da sie auch
durch Rechtsnormen geschützt sind. Im Bereich der rechtlichen Werte können je
nach Art der betroffenen Rechtsnormen und dem Grad und Inhalt der Hierarchie Stu-
fen und Gruppen unterschieden werden, z. B. völkerrechtlicher/supranationaler
rechtlicher Wert (Ádam 2010, 116). Von den rechtlichen Werten sind die sogenannten
rechtlichen Grundwerte von herausragender Bedeutung, die den Rahmen und die in-
haltlichen Hauptbestandteile anderer rechtlicher Werte bestimmen und hierdurch
auch nicht-rechtliche – z. B. wirtschaftliche, künstlerische, kulturelle, usw. –
Werte beeinträchtigen. Rechtliche Grundwerte können auch aus bestimmten heraus-
ragenden internationalen Dokumenten, supranationalen Verträgen oder sogar aus na-
tionalen Verfassungen abgeleitet werden (Ádam 2002, 19).
Bei der Ausarbeitung und Bereicherung der rechtlichen Grundwerte haben die
fortschrittlichen Kräfte und Organisationen der Menschheit – unter Berücksichti-
gung auch der diktatorischen historischen Erfahrungen – nach dem Zweiten Welt-
krieg hervorragende Ergebnisse erzielt. Diese Entwicklung ist jedoch kein abge-
schlossener Prozess, da Veränderungen der Lebensbedingungen und der wissen-
schaftliche, technische und wirtschaftliche Fortschritt neue Bedürfnisse, unvorherge-
sehene Probleme und schwerwiegende Gefahren generieren. Denken wir nur an die
Problemlösungspotentiale von Quantencomputern: Selbst die leistungsstärksten her-
kömmlichen Computer würden Zehntausende von Jahren benötigen – für sie ist es
praktisch unlösbar –, um bestimmte Codes zu entschlüsseln. Bisher waren die im in-
ternationalen Bankensystem verwendeten kryptografischen Lösungen „sicher“,
denn selbst wenn ein Superbösewicht aus einem James Bond-Film eine Armee
von Supercomputern zum Zweck einer Code-Entschlüsselung aufrüsten würde,
würde sein Urenkel den entzifferten Klartext noch nicht erhalten.
Für die Entstehung von Sicherheit als rechtlicher Grundwert können eine Reihe
von klassischen rechtsstaatlichen Grundchartas als regulatorischer Vorläufer angese-
hen werden, wie zum Beispiel:
• Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776), in der es heißt: „Wir halten
diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden,
daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wor-
den, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“
• Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789) der französischen Revo-
lution, die in Punkt II darauf hinweist, dass Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Wi-
derstand gegen Unterdrückung natürliche und unveräußerliche Menschenrechte
sind. Nach Punkt XII setzt die Gewährung von Rechten die Aufrechterhaltung
einer force publicique voraus, die dem Wohl des Ganzen und nicht dem der Per-
sonen, denen diese Befugnis übertragen wurde, zugutekommen soll.
• Die Verfassung von Massachusetts aus dem Jahr 1780, die besagt (Teil I Artikel
X), dass ein jedes Mitglied der Gesellschaft das Recht hat, dass es durch die be-
stehenden Gesetze beim Genuss seines Lebens, seines Eigentums und seiner Frei-
heit geschützt wird (Szikinger 2012, 19).
Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit 141

Die Beziehungen zwischen den rechtlichen Grundwerten sind konsistent – im Fall


eines „Qualitätsgesetzgebers“ –, d. h. sie sind widerspruchsfrei und kohärent, das
wiederum heißt, sie bauen aufeinander auf und unterstützen sich gegenseitig in
ihrer Durchsetzung. Erfahrungsgemäß funktioniert jedoch eine in der Theorie har-
monisch scheinende Beziehung in der Praxis nicht unbedingt. Darüber hinaus besteht
häufig eine Konkurrenz zwischen rechtlichen Grundwerten, und spektakuläre Kon-
flikte und Kollisionen sind ebenfalls nicht selten.
Verschiedene Versionen der Sicherheit – nationale Sicherheit, staatliche Sicher-
heit, internationale Sicherheit, kollektive Sicherheit, öffentliche Sicherheit, Rechts-
sicherheit, soziale Sicherheit, Gesundheitssicherheit, persönliche Sicherheit, Sicher-
heit am Arbeitsplatz, Eigentumsschutz, usw. – werden aufgrund des Ergebnisses
einer rechtlichen Regelung angemessenen Grades und Inhalts zu rechtlich geschütz-
ten Werten, vereinfacht gesagt, zu rechtlichen Werten (Ádám 2005a, 36).
Die verfassungsmäßige (grundgesetzliche) Definition der humanen Sicherheit
bzw. ihrer bestimmten Bestandteile mit dem entsprechenden Inhalt impliziert,
dass solche Sicherheit zu einem Verfassungswert wird und somit einen inhaltlichen
Einfluss auf die Gesetze und Vorschriften hat, die die Aufrechterhaltung und den
Schutz der Sicherheit regeln. Die direkte Folge dieses Prozesses ist, dass die humane
Sicherheit als Verfassungswert einen anderen Schutz durch das Verfassungsgericht
und die öffentliche Gewalt im Vergleich zu „niedrigeren“ gesetzlichen Werten
und dem Schutz vor nicht wertbezogenen Gefahren und Schäden genießt. Im
Falle eines Konflikts im Bereich der Rechtsanwendung in Bezug auf die Rivalität
oder Kollision zwischen Sicherheit als Verfassungswert und einem anderen Verfas-
sungswert, kann das Verfassungsgericht als letztes Forum – nach Erschöpfung des
ordentlichen Rechtsweges – über Art, Inhalt und Verhältnis des Verfassungsschutzes
für die Sicherheit in dieser Rivalität und Kollision entscheiden (Ádam 2005a, 36).

3. Kritik an Sicherheitstheorien
Einer der beliebtesten sicherheitspolitischen Ansätze unserer Zeit ist die soge-
nannte Balance Theory (Balogh 2003, 41 – 45), die zu dem Schluss kommt, dass Si-
cherheit und Menschenrechte in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen (Kori-
nek 2006, 83). Sicherheit kann nur durch die Einschränkung von Menschenrechten
und Freiheiten gesteigert werden, und umgekehrt bedeutet die Erweiterung der Frei-
heiten eine Verringerung des Sicherheitsniveaus (Finszter 2017, 153).
Die ideengeschichtlichen Keime dieser Konzeption finden sich, wie István Szikin-
ger feststellte, bereits in Thomas Hobbes’ Werk, nämlich dass Menschen in einem
von der öffentlichen Hand nicht beschränkten Freiheitszustand nicht in der Lage
sind, ihre individuellen Interessen und Bestrebungen den allgemeinen Erwartungen
der Gesellschaft zu unterwerfen. Aufgrund der gegenseitigen Bedrohung kann nur
142 László Kőhalmi

eine in ihren Handlungsmöglichkeiten unbegrenzte Kraft bzw. Macht angemessenen


Schutz bieten, und diese Macht wäre die Staatsmacht (Szikinger 2012, 18).
Nach Ansicht von Josef Isensee hat sich die Rolle des Staates in unserer Zeit ver-
schoben, und um das erwartete Niveau der sozialen Sicherheit aufrechtzuerhalten,
müsse das Konzept der rein liberalen Macht übertroffen werden (Isensee 1983,
17 – 18). Anstatt des auf das bloße Überwachen beschränkten Funktionierens brau-
che man immer mehr die Wahrnehmung organisatorischer und dienstleistender Auf-
gaben, die aktives Eingreifen erfordern. Es bestehe weiterhin die Verpflichtung sei-
tens des Staates von negativer Ausprägung, die Grundrechte zu achten, aber es sei
auch notwendig, Schutz zu gewähren, der Aktivität voraussetzt. Letzterem entspre-
che das Grundrecht auf Sicherheit (Szikinger 2012, 23). Uwe Volkmann weist dage-
gen neben der eigentlichen Fürsorge- und Gefahrenabwehrpflicht des Staates auch
auf die Gefahren staatlicher Exzesse hin. Staatliche Aktivitäten können nämlich
so weit gehen, dass sie die Täter von noch nicht begangenen Straftaten negligieren
oder liquidieren (Volkmann 2004, 700 – 703). Dies wiederum fällt bereits in die Ka-
tegorie „Gedankenverbrechen“ sozialistischer Diktaturen. In diesem Fall kann das
Schild „Rechtsstaat“ in Bezug auf einen solchen Staat entfernt und muss stattdessen
das Aushängeschild „Polizeistaat“ aufgehängt werden. Die Schwäche der von Isen-
see vertretenen Auffassung über das Grundrecht auf Sicherheit besteht darin, dass die
öffentliche Gewalt in der Praxis, im tatsächlichen, alltäglichen Leben die größte Be-
drohung für die menschliche Freiheit darstellt bzw. darstellen kann.
Der Ordnungsfanatismus, die Neugierde, die Machtlust und der Unterwerfungs-
eifer erfordern nach Ansicht von Winfried Hassemer den Schutz der klassischen
Grundrechte – die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Meinungsfreiheit usw. –
durch verfassungsmäßige Mittel. Man muss erkennen, dass das Recht auf Sicherheit
nur durch Beschränkungen anderer Grundrechte verwirklicht wird. Wenn wir das ak-
zeptieren, unterschreiben wir einen Blankoscheck, der unsere Freiheit einschränkt.
Freiheit kann nicht dem Wert nach der Auffassung der öffentlichen Macht ausgelie-
fert werden (Hassemer 2001, 232 – 233). Staatliche Macht, die die Garantie der Si-
cherheit verspricht, entwertet nämlich die Freiheit (Szikinger 2012, 25) und sendet
eine Botschaft an die Staatsangehörigen, dass Sicherheit ein „primus inter pares“
der Grundrechte sei.
Die obigen Ansätze sehen die Verwirklichung von Sicherheit noch im Rahmen der
Rechtsstaatlichkeit (Albrecht 2000, 36 – 37), aber es gibt Konzepte, die bereits den
Rubikon der Rechtsstaatlichkeit („rule of law“) überschritten haben (Szikinger
2005, 73). Im Falle von Ausnahmezuständen, Ausnahmesituationen – z. B. Großka-
tastrophen, Aufstände, Kampfeinsätze gegen Terroristen und organisierte Kriminel-
le, usw. – wird das Aufhängen eines Schildes mit der Aufschrift „wegen Funktions-
störung vorübergehend geschlossen“ als zulässig angesehen. Es ist kein Zufall, dass
sich das Konzept der „Sekurisation“ in Literatur und Politik etabliert hat. Sekurisa-
tion bedeutet eigentlich das Scheitern normaler politischer Prozesse, nämlich dass
der demokratische Rechtsstaat eine Funktionsstörung hat (Szikinger 2006, 28). All
Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit 143

dies ist gefährlich, da Diktator-Kandidaten, die Sicherheit versprechen, leicht zu ent-


scheidenden politischen Akteuren werden und die Garantieeinrichtungen des demo-
kratischen institutionellen Systems (z. B. Gerichte, Verfassungsgerichtsbarkeit) in
Bereitschaftszustand („Stand-by-Modus“) versetzen können, wie es auch die aktuel-
len politischen Schwankungen zeigen.
Einige politische Akteure generieren praktisch eine kontinuierliche virtuelle
Kriegssituation, um ihre eigenen politischen und rechtlichen Untaten zu legitimie-
ren. Die rechtliche Projektion dieser politischen Stimmungsmache ist das Anti-Ter-
ror-Recht, da der rechtliche Grundwert der Sicherheit die legitimierende Basis für die
Annahme und Anwendung von Sonderrechten bedeutet, z. B. Standgericht, Aus-
schluss der Berufung.
Die Anti-Terror-Rechtsnormen ermöglichen eine stärkere und radikalere Ein-
schränkung des Rechts als je zuvor unter Berufung auf das Versprechen einer „schö-
nen neuen Welt“. In diesem politischen Klima ist natürlich das Konzept der rechtmä-
ßigen Folter oder des Auslöschens des Lebens eines mutmaßlichen Terroristen, das
im Kern bereits bei Jeremy Bentham zu finden ist, aber welches in seiner postmoder-
nen Fassung Alan Dershowitz zugeschrieben wird, sympathisch (Dershowitz 2003,
275 – 278). Der brasilianische Elektriker Jean Charles de Menezes, der irrtümlicher-
weise in London aufgrund einer Verwechslung aus nächster Nähe mit sieben Schüs-
sen praktisch hingerichtet wurde, stellt den Preis dieser sicheren Weltordnung dar. Er
war zur falschen Zeit am falschen Ort.
Die Sicherheit, die durch die Einschränkung der Garantienormen des Strafverfah-
rens (Finszter & Korinek 2015, 575) und durch die Missachtung der Menschenrechte
erreicht werden kann, ist wertlos, da ein solcher Zustand die schöpferische Kraft der
Gesellschaft zerstört (Finszter 2009, 168).

4. Sicherheit und Migration


Migration als soziales Phänomen ist ein wertneutraler Ausdruck, der eindeutig po-
sitive (z. B. Bevölkerungszuwachs) und nachteilige (z. B. Menschenhandel) Auswir-
kungen haben kann (Rácz 2007, 71).
Bereits seit den 1980er Jahren ist ein sicherheitspolitisches Narrativ wahrzuneh-
men, das die Migration als Gefahrenquelle darstellt. Dieser Ansatz wurde insbeson-
dere nach den Terroranschlägen vom 11. September verstärkt (Gyeney 2014, 32 –
33). Heutzutage sind viele wirtschaftlich fortschrittliche Länder der Welt unbemerkt
zu multinationalen Gesellschaften geworden, doch die theoretischen Grundlagen für
das Verständnis der Kräfte, die die Migration antreiben, fehlen oder sind jedenfalls
lückenhaft. Da wir keine evidenzbasierte Antwort auf die Frage „qui prodest?“ geben
können, dient Migration Pro und Contra als Feld für verschiedene politische Spiele
(Kőhalmi 2016, 83). Einige zivilgesellschaftliche Theorien, die den Marxismus leug-
nen oder zumindest kritisieren und die Migration als potenzielle Quelle des Arbeits-
144 László Kőhalmi

kräfteangebots betrachten, stützen sich grundsätzlich auf die marxistische ideologi-


sche Basis. Die Bewegung von Menschen lässt sich durch die die Migration struk-
turell bestimmende Dynamik der sich immer weiter internationalisierenden kapita-
listischen Wirtschaft, das Interesse des Kapitals, erklären. Alle anderen Argumente
sind lediglich – euphemistisch ausgedrückt – ideologisches Gewäsch.
Die Erstellung einer einwanderungsbezogenen Bilanz ist eine scheinbar einfache
Aufgabe (Vida 2011, 36), da durch eine SWOT-Analyse die potenziellen Vorteile
(z. B. Bevölkerungswachstum, Arbeitskräfteangebot, Bevölkerung in bestimmten
Ländern, Dienstleistungsvielfalt) und Nachteile (z. B. Inzidenz tropischer Krankhei-
ten, Anstieg der Kriminalität, vermindertes Sicherheitsgefühl, Schwarzarbeit, Wett-
bewerb auf dem Arbeitsmarkt für die Ärmeren) modelliert werden können (Szabó
2006, 11). Diese Kosten-Nutzen-Analysen sind jedoch aus historischer Sicht eher
kurzfristig und sie können nicht zeigen, welche günstigen oder ungünstigen Entwick-
lungen die innerhalb einiger Jahre potenziell auftretenden Vor- oder Nachteile nach
zwei, drei Jahrzehnten in sich bergen. Soziale Wahrnehmungsprozesse sind schwer
vorhersehbar und sind mit der Gefahr einer Janusköpfigkeit behaftet (Póczik 2011,
49 – 50).
Die Nähe oder die Distanz zwischen sozialen, kulturellen, religiösen, rechtlichen
Unterschieden und solchen in der Lebensführung zwischen verschiedenen Völkern
stellt inhärent einen Problemfaktor dar. Die die Wahrheit verdrehende Wirkung von
auf im Grundsatz richtigen Zielsetzungen basierender Ersatzreligion und politischer
Korrektheit – z. B. liefern die Behörden keine oder nur verzerrte Informationen über
die Täter von schwerer Kriminalität – macht es schwierig, eine klare Sicht auf der
Grundlage von wissenschaftlicher Evidenz zu haben.
Einige Migranten sind nicht bereit, sich zu assimilieren, sie wollen nach ihren ei-
genen „Regeln“ leben. Dies kann sogar zu einer Entstehung paralleler Rechtssysteme
in dem betreffenden Land führen. In der No-Go-Zone, die es nicht gibt und die es
doch gibt, ist die Polizei nicht mehr Herr der Lage. Als Jo-Jo-Effekt ist jedoch
auch vor den Gefahren einer Verschärfung der politischen Extreme (z. B. Fremden-
feindlichkeit) zu warnen (Póczik 2006, 32 – 33). Migranten können von bestimmten
politischen Kräften leicht mit kriminellen Risikoprofilen in Verbindung gebracht
werden, was rassistische Tendenzen verstärken kann (Albrecht 2006, 23) bzw. als Be-
zugsgrundlage für die Verbreitung stigmatisierender Kriminalpolitik dienen kann
(Albrecht 2002, 31).
Einflussnahme auf Migrantengruppen bietet günstige Gelegenheiten für verschie-
dene Geheimdienste (Laufer 2013, 69 – 70). Der Flüchtlingszustrom, mit dem Euro-
pa heute konfrontiert ist, würde eindeutig erfordern, dass die politischen Entschei-
dungsträger die finanziellen und personellen Ressourcen erhöhen, die für nationale
Sicherheitszwecke eingesetzt werden sollen (Resperger 2017, 57 – 61). Die neue Mi-
gration, die derzeit stattfindet, bedeutet einen massiven Zustrom von Menschen, der
keinen gründlichen „Sicherheitsfilter“ auf der Ebene der nationalen Sicherheit er-
möglicht; das Feedback auf diesem Gebiet ist nur minimal (Csatlós 2014, 165).
Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit 145

Man kann nur hoffen, dass verschiedene Terroristengruppen ihre Zellen nicht einge-
schleust haben bzw. einschleusen (Kőhalmi 2017, 80).

5. Schlussbemerkungen
Sicherheit ist ein bestimmender politischer Mainstream unserer Zeit (Albrecht
2006, 3), der Jolly Joker der Politiker, die eine Null-Toleranz-Politik empfehlen (Al-
brecht 2016, 131). Durch die Propagierung des Schlagworts Sicherheit kann jede ge-
meine Idee oder jedes gemeine Ziel an die Öffentlichkeit verkauft werden.
Es gibt jedoch ein Sicherheitsproblem, das heutzutage noch relativ oberflächlich
behandelt wird, nämlich das Problem des Klimawandels und der damit einhergehen-
den Folge des Wassermangels, der an die Tür Europas klopft. Einige multinationale
Unternehmen privatisieren bereits das Trinkwasser und die apokalyptisch-futuristi-
schen Bilder von Mad-Max-Filmen könnten sogar Realität werden. Wer die Kontrol-
le über das Wasser hat, wird der Herr sein. Trinkwasser wird in absehbarer Zeit von
Polizei, Sicherheitskräften und Freiwilligen bewacht werden. Dies ist die größte Si-
cherheitsherausforderung der Menschheit. Aber auch wenn diese nicht ganz so
schmeichelhafte Vision Wirklichkeit werden sollte, sollte man die richtige Einstel-
lung nicht aufgeben: in dubio pro libertate.

Literaturverzeichnis

Ádám, A. (1997): Értékek és értékelméletek. Társadalmi Szemle LII/5, S. 3 – 20.


Ádám, A. (2002): Az alkotmányi értékek fejlődési irányairól. JURA 8/1, S. 5 – 20.
Ádám, A. (2005a): A biztonság az értékek között. JURA 11/1, S. 33 – 41.
Ádám, A. (2005b): A biztonság mint jogi érték, in: Á. Balogh & S. Hornyák (Hrsg.), Tanul-
mánykötet Erdősy Emil professzor 80. születésnapja tiszteletére. Pécs, S. 13 – 30.
Ádám, A. (2006): A jogi alapértékek harmóniája és versengése. Polgári Szemle 2/7 – 8, S. 26 –
41.
Ádám, A. (2008): Az alkotmányos jogállam újszerű feladata és működése, in: F. Csefkó (Hrsg.),
Ünnepi kötet Ivancsics Imre egyetemi docens, decan emeritus 70. születésnapjára. Pécs,
S. 45 – 58.
Ádám, A. (2009): A magyar alkotmányos jogállam fejlesztési lehetőségeiről. Társadalomku-
tatás 27/4, S. 423 – 439.
Ádám, A. (2010): Az alkotmányi értékek értelmezéséről. JURA 16/2, S. 115 – 127.
Albrecht, H.-J. (2000): A büntetőjog európaizálódása és a belső biztonság Európában. Belügyi
Szemle 48/3, S. 17 – 41.
Albrecht, H.-J. (2002): A bűnözésben mutatkozó változások, ezek okai és a kriminálpolitika
szerepe. Belügyi Szemle – Külföldi Figyelő, S. 3 – 42.
146 László Kőhalmi

Albrecht, H.-J. (2005): Der Wandel im Konzept der Sicherheit und seine Folgen für die euro-
päische Innen- und Rechtspolitik. JURA 11/2, S. 7 – 19.
Albrecht, H.-J. (2006): A biztonságkoncepció átalakulása és ennek következményei az európai
bel-és jogpolitikára. Belügyi Szemle 54/2, S. 3 – 26.
Albrecht, H.-J. (2010): Biztonság és bűnmegelőzés – Objektív biztonság szubjektív biztonság,
in: G. Virág (Hrsg.), Kriminológiai Tanulmányok 47. Budapest, S. 17 – 35.
Albrecht, H.-J. (2016): Sicherheit, Sicherheitserwartungen und Sicherheitsgefühle, in: L. Kecs-
kés, G. Finszter, L. Kőhalmi & Z. Végh (Hrsg.), Egy jobb világot hátrahagyni … Tanul-
mányok KORINEK LÁSZLÓ professzor tiszteletére. Pécs, S. 119 – 134.
Balogh, I. (2013): Biztonságelméletek. Nemzet és Biztonság 6/3 – 4, S. 36 – 56.
Csatlós, F. (2014): A menekültkérdés kezelésének nemzetbiztonsági aspektusai válságöveze-
tekben és itthon. Szakmai Szemle 10/2, S. 159 – 167.
Dershowitz, A.M. (2003): The torture warrant: a response to Professor Strauss. New York Law
School Review 48/2, S. 275 – 294.
Finszter, G. (2002): Géza: Jogi válaszok a migráció kezelésében, in: E. Sárik (Hrsg.), Krimi-
nológiai Közlemények 60. Budapest, S. 149 – 162.
Finszter, G. (2009): Közbiztonság és jogállam. Jog-Állam-Politika I/3, S. 167 – 191.
Finszter, G. (2017): Közrend – közbiztonság – jogbiztonság (2000 – 2015), in: G. Finszter &
I. Sabjanics (Hrsg.), Biztonsági kihívások a 21. században. Budapest, S. 139 – 74.
Finszter, G. & Korinek, L. (2015): Maradhat-e alkotmányos jogállam Magyarországon? Jog-
tudományi Közlöny LXX/12, S. 570 – 579.
Gál, I.L. (2019): Korrelációs kapcsolat az illegális migráció és a terrorizmus finanszírozásának
volumene között, in: G. Gaál & Z. Hautzinger (Hrsg.), A bűnüldözés és a bűnmegelőzés ren-
dészettudományi tényezői. Pécs, S. 217 – 224.
Gazdag, F. & Remek, E. (2018): A biztonsági tanulmányok alapjai. Studia Universitatis Com-
munia. Budapest.
Gyeney, L. (2014): Legális bevándorlás az Európai Unióba, különös tekintettel a családi élet
tiszteletben tartásának jogára. A Pázmány Péter Katolikus Egyetem Jog-és Államtudományi
Karának Könyvei – Doktori Értekezések 6. Budapest.
Hassemer, W. (2002): Staat, Sicherheit und Information, in: J. Bizer, B. Lutterbeck & J. Rieß
(Hrsg.), Umbruch von Regelungssystemen in der Informationsgesellschaft – Freundesgabe
für Alfred Büllesbach. Stuttgart.
Holliday, I. & Howe, B. (2011): Human Security: A Global Responsibility to Protect and Pro-
vide. The Korean Journal of Defense Analysis 23/1, S. 73 – 91.
Isensee, J. (1983): Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen
Verfassungsstaates. Berlin.
Kőhalmi, L. (2016): A migráció néhány biztonságpolitikai összefüggése. Szakmai Szemle 12/4,
S. 81 – 100.
Kőhalmi, L. (2017): Some security aspects of migration. National Security Review 3/1, S. 66 –
91.
Einige evidenz- und nicht evidenzbasierte Gedanken über die Sicherheit 147

Kondorosi, F. (2015): A biztonság változásai és a Blackwater szindróma kérdése. Katonai Jogi


és Hadijogi Szemle 3/2, S. 127 – 137.
Korinek, L. (2006): Merre tart a világ? Fundamentum 10/1, S. 74 – 85.
Laufer, B. (2013): A migráció rendvédelmi és nemzetbiztonsági kihívásai. Nemzeti Közszolgá-
lati Egyetem Hadtudományi Doktori Iskola. Doktori (PhD) értekezés. Budapest.
Losonczy, I. (2002): Jogfilozófiai előadások vázlata. Experta Historica Philosophiae Iurus.
Szent István Társulat. Budapest.
Póczik, S. (2011): Nemzetközi migráció – biztonságpolitikai, rendészeti aspektusok, in: I. Tar-
rósy, V. Glied & D. Keserű (Hrsg.), Új népvándorlás – Migráció a 21. században Afrika és
Európa között. Pécs, S. 35 – 51.
Póczik, S. (2016): Nemzetközi migráció, kisebbségek, társadalmi kockázatok és megoldások.
Polgári Szemle 2/12, S. 14 – 36.
Rácz, M. (2007): Uniós kihívások és válaszutak a 2000-es években. Budapest.
Resperger, I. (2018): A világ kockázatai, in: I. Resperger (Hrsg.), Nemzetbiztonsági alapisme-
retek. Studia Universitatis Communia. Budapest, S. 57 – 63.
Szabó, A.F. (2006): A nemzetközi migráció és korunk biztonságpolitikai kihívásai. Budapest.
Száraz, E. (2003): A biztonság új dimenziói. Külügyi Szemle 2/2, S. 199 – 223.
Szászi, I. (2019): A humánbiztonság koncepciója és mérésének lehetőségei. Nemzetbiztonsági
Szemle 7/2, S. 109 – 127.
Szikinger, I. (2005): Terrorizmus és jogkorlátozás. Fundamentum 9/3, S. 73 – 80.
Szikinger, I. (2012): Téveszmék a biztonságról, in: G. Virág (Hrsg.), OKRI Szemle. Budapest,
S. 17 – 36.
Vida, Cs. (2011): A biztonságpolitikai leírómátrix (Elméletek, alapok és alkalmazás). Hadtu-
domány 21/4, S. 6 – 53.
Vida, Cs. (2013): A biztonság és a biztonságpolitika katonai elemei. I/I, S. 87 – 105.
Volkmann, U. (2004): Sicherheit und Risiko als Probleme des Rechtstaats. JuristenZeitung 59/
14, S. 696 – 703.
Der Präventionskomplex – Sicherheitsbedürfnis,
Innere Sicherheit und Sicherheitsforschung
in Zeiten terroristischer Bedrohung
Von Andreas Armborst

1. Einleitung1
Die Auswirkungen terroristischer Anschläge reichen bis tief in die Gesellschaft.
Terrorakte richten materiellen Schaden und menschliches Leid an, und sie beeinflus-
sen darüber hinaus das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung als Ganzes. Obwohl
Terrorismus per definitionem und de facto Furcht verbreitet, gibt es bisher erstaun-
lich wenig empirische Forschung über Entstehung, Ausmaß und die sozialen Folgen
terrorismusbezogener Ängste, während kriminologische Studien zur Furcht vor All-
tagskriminalität ein etabliertes Forschungsfeld ausmachen.
Zahlreiche Studien bestätigen, dass Menschen unterschiedliche Arten von Unsi-
cherheiten hinsichtlich Kriminalität äußern. Klar unterscheiden lässt sich z. B. die
Angst davor, selber Opfer eines Verbrechens zu werden (personale Kriminalitäts-
furcht), von der Angst vor Kriminalität als einem sozialen Problem, das nicht die ei-
gene Person, sondern die Gesellschaft als Ganzes bedroht (soziale Kriminalitäts-
furcht).2 Auch beim Terrorismus lassen sich diese beiden Ängste differenzieren.
In Umfragedaten von 2012 aus dem „Barometer Sicherheit“ des Max-Planck-Insti-
tuts für ausländisches und Internationales Strafrecht äußert jeder Zehnte (10 Prozent)
der 2525 befragten Personen „starke Sorgen Opfer eines terroristischen Anschlags zu
werden“, wohingegen schon mehr als jeder Vierte (29 Prozent) „gesellschaftliche
Sorgen vor terroristischen Anschlägen“ äußert.3 Eine ähnlich hohe Differenz zwi-
schen diesen beiden Ängsten, aber auf insgesamt höherem Niveau zeigt sich auch
bei Umfragen, die unmittelbar nach der Serie von Anschlägen im Sommer 2016
durchgeführt wurden. So hatten zu diesem Zeitpunkt drei Viertel der Deutschen

1
Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem gleichen Titel in Rechtswissenschaft 10/4,
S. 435 – 451. Für die freundliche Genehmigung zum Zweitdruck möchten wir uns bei den
Herausgebern der Zeitschrift und beim Verlag NOMOS herzlich bedanken. Der Autor dankt
außerdem Frederike Wistuba für ihre Hilfe bei der Überarbeitung des Manuskripts.
2
Vgl. Boers 1991.
3
Vgl. Haverkamp, Hummelsheim & Armborst 2013.
150 Andreas Armborst

(73 Prozent) Angst davor, dass „terroristische Vereinigungen Anschläge verüben“,4


aber nur etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) hatten Angst davor „selber einmal
von einem Anschlag betroffen zu sein“.5 Insgesamt waren 2017 laut einer Langzeit-
studie Terrorismus und politischer Extremismus die beiden größten Ängste der Deut-
schen.6
Gesellschaftliche Verunsicherung solchen Ausmaßes erzeugt unweigerlich poli-
tischen Handlungsdruck. Lösungen wie „Wegsperren für immer“, „Ende der Ver-
ständnispädagogik“ oder Forderungen nach Wiedereinführung der Todesstrafe
sind typische Reaktionen von weiten Teilen der Öffentlichkeit auf sogenannte Signal
Crimes (z. B. Sexualstraftaten), zu denen auch der Islamistische Terrorismus gehören
dürfte.7 Auch angesichts der verbreiteten Befürchtung vom „Kontrollverlust des
Staates“ reagiert dieser auf terroristische Bedrohungen mit besonderer Entschlossen-
heit, um Stärke zu demonstrieren und um die Innere Sicherheit zu gewährleisten.
Dass der Staat die Innere Sicherheit gewährleistet, erscheint auf den ersten Blick
selbstverständlich. Was aber die „Innere Sicherheit“ heute und in Zukunft genau aus-
macht, darüber gibt es unterschiedliche Vorstellungen.
Der vorliegende Beitrag liefert keine neuen empirischen Erkenntnisse über die
Beziehungen zwischen Terrorismus, Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung und
staatlichen Maßnahmen zur Prävention des Terrorismus. Stattdessen trifft er konzep-
tionelle und definitorische Vorüberlegungen für künftige Studien auf diesem Gebiet.
Dazu nimmt er Bezug zur Schweizer „Studienreihe Sicherheit“, die Indikatoren zur
Messung terrorismusbezogener Unsicherheiten enthält und die sich auch für den
bundesdeutschen Kontext adaptieren lassen dürften. Die Studie gibt darüber hinaus
ein aufschlussreiches Bild, wie die Schweizer Bevölkerung zwischen ihrem Schutz-
bedürfnis und der Einschränkung ihrer Freiheitsrechte durch die Terrorismusbe-
kämpfung abwägt. Der Schlussteil des vorliegenden Aufsatzes schließt daran an, be-
schreibt staatliche Reaktionen gegen den Terrorismus und zielt dabei insbesondere
auf das ihnen innewohnende Verständnis von Sicherheit ab.

2. Furcht vor Terrorismus, Sicherheitsbedürfnis und Punitivität


Signal crimes sind definiert durch ihren überproportionalen Einfluss auf die Kri-
minalitätsfurcht und das Sicherheitsempfinden.8 Studien deuten darauf hin, dass be-

4
R+V Versicherung 2016; https://www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/aengste-der-
deutschen-langzeitvergleich [13. 12. 2019].
5
Befragung von TNS Infratest 26./27. Juli, in: DER SPIEGEL 31/2016, 16. Die Befragung
fand unmittelbar nach den Anschlägen von München, Würzburg und Ansbach statt.
6
R+V Versicherung, 2016; https://www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/aengste-der-
deutschen-langzeitvergleich [13. 12. 2019].
7
Innes & Fielding 2002, 1.
8
Innes & Fielding 2002, 1.
Der Präventionskomplex 151

stimmte Delikte (insbesondere Sexualdelikte) mehr Furcht evozieren, als andere De-
likte. Terrorismus ist aufgrund seiner intendierten Absicht Furcht zu verbreiten ein
signal-crime par excellence. Kriminalitätsfurcht wiederum beeinflusst, wie Personen
gegenüber staatlich-repressiven Maßnahmen und härteren Kriminalstrafen einge-
stellt sind (sogenannte punitive Einstellungen).9 Dieser Einfluss verläuft nicht linear
und selbst die Richtung der Kausalität ist nicht abschließend geklärt. Ergebnisse deu-
ten aber darauf hin, dass die soziale Kriminalitätsfurcht (Angst vor Kriminalität als
eine Bedrohung für die Gesellschaft) einen stärkeren Einfluss auf die Formierung
punitiver Einstellungen hat, als die individuelle Kriminalitätsfurcht (Angst vor Kri-
minalität als eine Bedrohung für die eigene Person).10
Eine mögliche theoretische Erklärung dieses empirisch beobachtbaren Zusam-
menhangs besagt, dass Personen härtere Strafen und repressiveres Vorgehen speziell
für solche kriminellen Bedrohungen befürworten, die außerhalb ihres persönlichen
Einflussbereiches liegen (locus of control).11 Gegen individuelle Viktimisierung im
eigenen Einflussbereich kann man sich durch entsprechende Gegenmaßnahmen
(z. B. Einbruchsschutz, Selbstverteidigung) ggf. noch selber schützen, gegen Krimi-
nalität als eine Bedrohung für das gesellschaftliche Miteinander hilft nach punitiver
Sichtweise nur ein hartes Durchgreifen des Staates.
Aus den in der Einleitung zitierten Umfragedaten geht hervor, dass Menschen in
Deutschland den Terrorismus vor allem als eine Bedrohung gegen die Gesellschaft
ansehen, und nur im geringeren Maße als eine direkte Gefahr für sie persönlich. Das
begründete die Annahme, dass Terrorismus in einem engen Zusammenhang mit
Punitivität steht. Eingehendere kriminologische Studien, die diesen vermuteten Zu-
sammenhang untersuchen, gibt es für Deutschland bisher noch nicht. Hier mangelt es
alleine schon an einem einheitlichen Erhebungsinstrument zur Erfassung von terro-
rismusbezogenen Ängsten und Sicherheitsempfinden.

2.1 Die Schweizer Studienreihe „Sicherheit“

Für die Schweiz hingegen liegen entsprechende Daten aus Längsschnittstudien


vor. Die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich erhebt seit 1999 jähr-
lich u. a. das Sicherheitsempfinden der Schweizer (wahlberechtigten) Bevölkerung.12
Die Umfragedaten aus den jüngeren Erhebungswellen zeigen außerdem detailliert,
wie die Schweizer Bevölkerung die Bedrohung durch den Terrorismus wahrnimmt
und welche Meinungen sie über staatlich-repressive und -präventive Maßnahmen
gegen ihn vertritt.

9
Armborst 2017, 464.
10
Armborst 2014, 129.
11
Rotter 1966, 1; Armborst 204, 477.
12
Vgl. Tresch & Wenger 2018.
152 Andreas Armborst

Zur Messung der (personalen) Kriminalitätsfurcht verwendet die Schweizer Si-


cherheitsstudie den sogenannten Standardindikator, der auf einer 4-stufigen Skala
danach fragt: „Wie sicher fühlen Sie sich nach Einbruch der Dunkelheit alleine zu
Fuß in der eigenen Wohngegend?“.13 Zur Erfassung der Terrorismusfurcht gibt es
bisher keinen Standardindikator. Da die Studienautoren hier nicht auf ein vielfach
erprobtes Fragebogenitem zurückgreifen konnten, entwickelten Sie zur Messung ter-
rorismusbezogener Unsicherheiten einen neuen Indikator. Dieser fragt auf einer 4-
stufigen Skala „Wie sicher fühlen Sie sich an öffentlichen Orten, wo es viele
Leute hat, zum Beispiel an Sportanlässen, Konzerten und Bahnhöfen?“. Ob diese
Frage tatsächlich Terrorismusfurcht oder vielleicht Kriminalitätsfurcht im öffentli-
chen Raum (anstatt im eigenen Wohnumfeld) misst, bleibt vorerst offen, und müsste
z. B. durch kognitive Pretests näher untersucht werden. Aber vor dem Hintergrund,
dass terroristische Anschläge an öffentlichen und belebten Plätzen stattfinden, ist es
erst einmal plausibel davon auszugehen, dass eine wahrgenommene terroristische
Bedrohung das Antwortverhalten beeinflusst.
Geht man davon aus, dass diese beiden Indikatoren zum einem Kriminalitäts-
furcht und zum anderen Terrorismusfurcht valide und reliabel abbilden, zeichnet
sich in den Ergebnissen der Schweizer Sicherheitsstudie ein ungefähres Bild vom
Zusammenhang zwischen Angst vor Terrorismus und dem Sicherheitsbedürfnis.
Zum einen zeigt sich, dass die Mehrheit der Bevölkerung (55 Prozent) den Schutz
ihrer persönlichen Freiheit höher bewertet, als den Schutz ihrer persönlichen Sicher-
heit im Allgemeinen. Die Terrorismusfurcht (c = .20) korreliert dabei stärker als die
Kriminalitätsfurcht (c = .17) mit der Präferenz für persönliche Sicherheit auf Kosten
der persönlichen Freiheit.14
Bezieht man in die Frage nach dem präferierten Verhältnis zwischen Sicherheit
und Freiheit explizit den Kampf gegen den Terrorismus ein, zeigt sich hingegen
ein ganz anderes Meinungsbild: fast zwei Drittel der befragten Personen (64 Prozent)
bewerten den Schutz vor Terrorismus höher als den Schutz ihrer persönlichen Frei-
heit.15 Auch fällt hier die Korrelation zwischen Terrorismusfurcht und Schutzabwä-
gung (Schutz vor Terrorismus vs. Schutz der persönlichen Freiheit) mit c = .22 noch
einmal höher aus, und bleibt bei multivariater Kontrolle sozialdemografischer Varia-
blen (Alter, Geschlecht, Bildung) robust.16
Schließlich befürworten ebenfalls fast zwei Drittel (63 Prozent) der Bevölkerung
den präventiven Freiheitsentzug als Mittel zur Verhinderung von terroristischen An-
schlägen. Als Grund für die im Vergleich zu den Vorjahren höheren Zustimmungs-
raten vermuten die Autoren ebenfalls die zum Zeitpunkt der Erhebung (2018) aktu-

13
Kury et al. 2004, 141; Reuband 2000, 185.
14
Tresch & Wenger 2018, 102.
15
Tresch & Wenger 2018, 103. Fragebogenitem: „Für unsere Sicherheit ist es wichtig, dass
wir den Terrorismus mit allen Mitteln bekämpfen, auch wenn dabei unsere persönliche Frei-
heit eingeschränkt werden muss.“
16
Tresch & Wenger 2018, 104.
Der Präventionskomplex 153

elle „Diskussion über den Umgang mit Dschihad-Reisenden und RückkehrerInnen


[…] und Prozessen gegen mutmaßliche TerroristInnen, welche in der Schweiz einen
Anschlag geplant haben“.17 In Bezug auf den Islamistischen Terrorismus hält mehr
als ein Drittel der Schweizer Bevölkerung (35 Prozent) die Überwachung von Mo-
scheen für ein probates Mittel terroristische Anschläge zu verhindern.18
Insgesamt stützen die Ergebnisse aus der Studienreihe Sicherheit die These, dass
wahrgenommene Bedrohungen außerhalb des eigenen Einflussbereiches (Terroris-
mus im öffentlichen Raum) die Akzeptanz freiheitseinschränkender Maßnahmen
tendenziell stärker erhöhen, als Bedrohungen innerhalb der eigenen Einflusssphäre
(Kriminalität im eigenen Wohnumfeld). Wie stark dieser Einfluss in Abhängigkeit
von weiteren Einflussfaktoren variiert, kann hier nicht abschließend geklärt werden.

2.2 Datenlage in Deutschland

Für Deutschland liegen Ergebnisse aus vergleichbaren Studien bedauerlicherwei-


se nicht vor, während die (personale und soziale) Kriminalitätsfurcht nicht zuletzt
durch die Befragung von rund 35.000 Personen (2012 und 2017/18) im Rahmen
des Deutschen Viktimisierungssurveys als gut erforscht angesehen werden kann.19
Gerade weil Terrorismus, anders als gewöhnliche Kriminalität, ganz gezielt Furcht
erzeugen soll, wäre es aber aufschlussreich – analog zu Studien über die Verbreitung
und Ursachen von Kriminalitätsfurcht – die sozialpsychologischen und sozialstruk-
turellen Mechanismen zu untersuchen, durch die sich diese Furcht verbreitet. Gegen
eine solche Forschungsagenda spricht wiederum, dass ihre Ergebnisse auch den Ter-
roristen Anhaltspunkte für den Erfolg ihrer Strategie liefern könnten (Stichwort Dual
Use).
Die Bevölkerung hat ein legitimes Bedürfnis nach Sicherheit und dem Schutz vor
terroristischer Bedrohung. Dieser Abschnitt regt an, zu untersuchen wie sozialpsy-
chologische Einflussfaktoren die Ausprägung terrorismusbezogener Unsicherheiten
beeinflussen und welche politischen Forderungen sich daraus auf der kollektiven
Ebene ergeben. Ein solches Forschungsthema kann auf kriminologischen Studien
zur Kriminalitätsfurcht und Punitivität aufbauen. Eine mögliche Plattform für ent-
sprechende Untersuchungen könnte in Zukunft der deutsche Viktimisierungssurvey
sein. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten sagt in seiner Stellungnahme zum
Konzept der Bund-Länder-Projektgruppe „Verstetigung einer bundesweiten Dunkel-
feld-Opferbefragung“:
„Insbesondere das subjektive Kriminalitäts- und Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ist
ein wichtiger politischer Indikator und interagiert mit weiteren Politikfeldern. […] Neben
der Viktimisierung ist auch das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ein ele-

17
„… dass Personen auch auf den blossen Verdacht hin, dass sie eine Tat planen, verhaftet
und vorsorglich eingesperrt werden können“ – Tresch & Wenger 2018, 105.
18
Ferst & Tresch 2018, 6.
19
Vgl. Guzy, Birkel & Mischkowitz 2015.
154 Andreas Armborst

mentarer Bestandteil des Surveys. Aus wissenschaftlicher Perspektive und im Sinne einer
evidenzbasierten Politikberatung ist es wichtig, außerdem auch Informationen mit Bezug
zu übergeordneten gesellschaftspolitischen Fragestellungen und Diskursen mit den Daten
aus den Viktimisierungssurveys in Verbindung setzen zu können.“20

Der nächste Abschnitt widmet sich den staatlichen Maßnahmen zur Herstellung
von Sicherheit, insbesondere aus dem Bereich der Terrorismusprävention.

3. Prävention von Terrorismus und gewaltbereitem Extremismus


Eine kriminologische Anomalie des Terrorismus ist die Art und Weise wie der
Staat auf dieses Verbrechen reagiert. Überspitzt könnte man sagen: Als Reaktion
auf gewöhnliche Kriminalität wendet der Staat das Strafrecht auf die Täter an; als
Reaktion auf den Terrorismus passt der Staat das Strafrecht an die Täter an. Gewöhn-
liche Kriminalität, gleich welchen Ausmaßes, rührt normalerweise nicht in dem
Maße an den Grundfesten des Rechts, wie es die Bedrohung durch den Terrorismus
tut. Rechtswissenschaftler stellen z. B. eine immer konsequentere Übernahme der
Präventionslogik im Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht fest, durch die Strafbarkeit
und Eingriffsbefugnisse immer weiter ins Vorfeld verlagert werden.21 Der Staat hat
die Aufgabe seine Bürger zu beschützen (Thomas Hobbes), ohne dabei selber zu
einer Gefahr für deren Grundrechte zu werden (John Locke). Staatliches Handeln
mit diesem Ziel rekurriert auf den Begriff der Sicherheit (z. B. Innere Sicherheit, öf-
fentliche Sicherheit). Damit wiederum eng verbunden sind Konzepte wie Gefahren-
abwehr und Prävention. Entsprechende Normen, wie das Strafrecht (StGB und
StPO), das Gefahrenabwehrecht und die Polizeigesetze der Länder regeln die Befug-
nisse der Sicherheits- und Justizbehörden.22
Aber nicht nur im Recht hinterlassen die Forderungen nach „mehr Sicherheit“ ihre
Spuren. Die Rationalität der Sicherheit expandiert buchstäblich in Zeit und Raum,
und dringt dabei auch in gesellschaftliche Bereiche vor, die traditionell nicht für Auf-
gaben der Inneren Sicherheit zuständig sind. Insbesondere bei Ansätzen gegen den
Terrorismus verschwimmen die Grenzen zwischen staatlicher Gefahrenabwehr und
zivilgesellschaftlicher Prävention zunehmend. Zivile Beratungsstellen z. B. im Be-
reich der Ausstiegsarbeit sind angehalten den Sicherheitsbehörden unter bestimmten
Voraussetzungen Auskünfte über Ihre Klienten zu erteilen. Die hierzu geschaffenen
Formate für diesen Informationsaustausch (z. B. die UAG Früherkennung) werden
insbesondere von Vertretern der Zivilgesellschaft kritisch gesehen.23 Sie fordern
z. B. ein Zeugnisverweigerungsrecht für Fallberater.24

20
Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) 2018, 8.
21
Vgl. Müller 2011; Carvalho 2017.
22
Für eine umfangreiche kommentierte Sammlung einschlägiger Gesetze siehe Schenke,
Graulich & Ruthig 2019.
23
Siehe auch Gemeinsames Terrorabwehrzentrum (GTAZ) 2012.
Der Präventionskomplex 155

Extremismusprävention ist in Deutschland und in anderen Ländern zu einem


neuen Berufsfeld avanciert, das neue juristische Fragen aufwirft.25 In Schulen, Sozia-
len Netzwerken, in Familien, Justizvollzugsanstalten, Vereinen, Moscheen und im
Wohnquartier arbeiten Menschen in Deutschland täglich daran, Anzeichen von Ra-
dikalisierung frühzeitig zu erkennen und diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Die
Vernetzung mit den Sicherheitsbehörden ist in vielen Bundesländern und auf Bun-
desebene fester Bestandteil ihrer Strategie gegen gewaltbereiten Extremismus.
Die Zusammenarbeit von staatlichen Justiz- und Sicherheitsbehörden mit zivilen
Einrichtungen im Bereich der Extremismusprävention könnte die immer weiter fort-
schreitende Vorfeldverlagerung im Präventivstrafrecht begrenzen, weil die sozialen
Berufsfelder Prävention nicht so sehr als Mittel zur Herstellung Innerer Sicherheit
begreifen. Ihre Arbeitsansätze schränken folglich auch nicht die Freiheitsrechte
ihrer Klienten in dem Maße ein, wie etwa strafverfolgende Behörden. Dem entgegen
stehen könnte ein von Kriminologen als net-widening26 bezeichneter Effekt: Erst
durch die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Präventionsakteuren geraten
immer mehr Menschen in den Fokus von Sicherheitsbehörden, die ansonsten gar
nicht zum Ziel staatlicher Überwachung geworden wären.

3.1 Terrorismusprävention durch Strafrecht

„Der Begriff der inneren Sicherheit ist in keinem Gesetz definiert oder geregelt. Er
bezeichnet vielmehr eine Vielzahl an Maßnahmen und Instrumenten, die dem Schutz
einer staatlichen Ordnung und der Bürger dieses Staates dienen.“27 Der Begriff Si-
cherheit ist dabei nicht nur juristisch, sondern auch allgemeinsprachlich sehr ab-
strakt, weil er von sich aus erst einmal überhaupt keine Anhaltspunkte gibt, wodurch
dieser (Ideal-)Zustand definiert sein könnte.28 Die implizite Definition von „Sicher-
heit“ in den entsprechenden Gesetzen erscheint zirkulär. Definiert man Sicherheit als
die Abwesenheit von Gefahren, erklärt man einen undeutlichen Begriff mit einem
Anderen:
„Dangers are dangers for someone – for specific individuals or groups or species, under cer-
tain conditions – nothing is dangerous as such. On the other hand, anything and everything
has the potential to become a danger to something or someone. All that is required is that
there are interests or values that the thing may adversely affect.“29

Sicherheit beschreibt demnach also einen Zustand, bei dem die Interessen von
Einzelpersonen, Gruppen oder eines ganzen Staates geschützt sind. Rechtlich aner-
24
Baaken et al. 2018, 24.
25
International ist für dieses Handlungsfeld die Bezeichnung CVE/PVE (Countering/
Preventing Violent Extremism) gebräuchlich.
26
Vgl. Cohen 1985.
27
Vgl. Jesse & Urban 2013.
28
Valverde 2011, 5.
29
Garland 2003, 51.
156 Andreas Armborst

kannte Interessen, die durch die staatlichen Institutionen geschützt sind, bezeichnet
man als Rechtsgüter.30 Definiert man Sicherheit folglich als die Abwesenheit von Ge-
fahren für Rechtsgüter, dann wandert die Bürde der Definition für den Begriff der
Sicherheit über den Begriff der Gefahr zum Rechtsgüterbegriff.31 Hypothetisch je-
denfalls kann jedwedes Interesse den Status eines Rechtsgutes erreichen, wenn es
gelingt dieses Interesse im öffentlichen Diskurs zu einer Frage der (Inneren) Sicher-
heit zu erheben. Dieser definitorische Regress bringt uns zurück zur Ausgangsfrage:
Was ist Sicherheit und was gefährdet diesen Zustand? „[D]a es nichts gibt, was nicht
als Bedrohung wahrgenommen oder zur Bedrohung deklariert werden könnte, kann
alles zur Zielscheibe präventiver Anstrengungen werden.“32 Verfassungsrechtliche
Grenzen schützen das Strafrecht vor den Ambitionen des Staates „alles zu versicher-
heitlichen“. Insbesondere die Anforderungen der Terrorismusprävention fordern die
verfassungsrechtlichen Grenzen des Strafrechts und des Gefahrenabwehrrechts aber
in besonderer Weise heraus.33
Ein Blick auf die vier (relativen) Strafzwecktheorien34 lässt erkennen, warum das
Strafrecht von seiner dogmatischen Auffassung her nicht besonders geeignet er-
scheint Terrorismus zu verhindern. Abschreckung durch Strafandrohung (negative
Generalprävention) scheint wenig geeignet für politisch oder religiös motivierte Per-
sonen, die bereit sind ein persönliches Opfer für eine als gerecht empfundene Sache
zu erbringen, und die staatliche Repression ohnehin als gegebenen, wenn nicht gar
als Legitimation für ihr Handeln ansehen.35
Die Positive Generalprävention soll durch die unermüdliche Sanktionierung von
Normbrüchen das Vertrauen der Bevölkerung in die Gültigkeit von Regeln stärken,
obwohl diese offensichtlich ständig verletzt werden.36 Gerade häufige und regelmä-
ßige Regelverletzungen (z. B. Ladendiebstahl) können das Vertrauen in die prinzipi-
elle Gültigkeit der Regel zusätzlich erodieren. Für terroristische Gewalt ist der Effekt
der positiven Generalprävention vermutlich schwach. Terroristische Ereignisse sind
so außergewöhnlich und so ungeheuerlich, dass es schlichtweg nicht notwendig er-

30
Jakobs 2012, 22.
31
„Nach allgemeiner Auffassung liegt eine ,Gefahr‘ vor, wenn eine Sachlage oder ein
Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahr-
scheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.“ – BVerGE 45, 51 (57).
32
Bröckling 2008, 39.
33
Vgl. Steinsiek 2012; Thiel 2011.
34
Siehe z. B. Hörnle 2017.
35
Vgl. Black 2004.
36
Die soziologische Theorie spricht von „kontrafaktischer Normstabilisierung“, um die
Fähigkeit von sozialen Systemen zu beschreiben, an Erwartungen festzuhalten, obwohl diese
Erwartungen fortwährend faktisch enttäuscht werden (contra factum). In diesem Sinne ist
Terrorismus, anders als z. B. Steuerhinterziehung, kein kontrafaktisches Ereignis, weil die
Menschen in Übereinstimmung mit ihrer sozialen Erwartung erleben, dass Terroranschläge
gegen gesellschaftliche Regeln verstoßen und dieser Erwartung entsprechend auch tatsächlich
selten stattfinden (zumindest in westlichen Gesellschaften). Vgl. Luhmann 1993.
Der Präventionskomplex 157

scheint, die Bevölkerung daran zu erinnern, dass Anschläge, obwohl Personen sie hin
und wieder begehen, prinzipiell verboten sind. Anders als z. B. das Schwarzfahren
hat das willkürliche Töten unschuldiger Personen nicht das Potential die Gültigkeit
der Norm als solche in Frage zu stellen. Bei Kriminalität im Vorfeld eines Anschlages
(z. B. Finanzierung ausländischer Terrororganisationen) hingegen erscheint die po-
sitive Generalprävention eher zweckmäßig.
Während das Strafrecht auf der gesellschaftlichen Ebene kaum (general-)präven-
tive Strahlkraft auf den Terrorismus haben dürfte, kann es auf der individuellen
Ebene mitunter mehr bewirken. Ein Aspekt der sogenannten Spezialprävention ist
die Sicherung: Eine Person, die eine Haftstrafe verbüßt stellt in der Regel keine un-
mittelbare Gefahr mehr für die Öffentlichkeit dar (negative Spezialprävention). In-
wiefern die Hafterfahrung Personen abgeschreckt oder aber ermutigt, ihre extremis-
tische Karriere innerhalb und außerhalb des Vollzugs fortzusetzen, ist eine andere
Frage. Auch gibt es Fälle, bei denen eine Islamistische Radikalisierung erst durch
Kontakte zu Mithäftlingen aus der islamistischen oder salafistischen Szene im Voll-
zug in Gang gesetzt oder verstärkt wurde. Terrorismusprävention durch Freiheitsent-
zug ist ferner möglich durch Polizeigewahrsam (auch Unterbindungsgewahrsam
oder Präventivhaft), Abschiebehaft, Untersuchungshaft, nachträgliche Sicherungs-
verwahrung und den Maßregelvollzug.37 Berücksichtigt man, dass viele Anhänger
des sogenannten Islamischen Staates Jugendliche sind, kann man diese Aufzählung
noch durch die Jugendstrafe bzw. den Jugendarrest erweitern.
Neben dem Zweck der Abschreckung und Sicherung ist das deutsche Strafrecht
stark geprägt durch das Ideal der Rehabilitation von Straffälligen (positive Spezial-
prävention). In der Vollzugspraxis erweist sich die Umsetzung dieses Ideals aller-
dings häufig als schwierig. Für rechtsextremistische Straftäter existieren zwar eta-
blierte Ausstiegsprogramme. Die Resozialisierung islamistisch motivierter Straftäter
steht im Vergleich dazu in ihrer praktischen Entwicklung und kriminologischen Er-
forschung noch ganz am Anfang.38
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass das Strafrecht als Instrument zur
Ahndung von begangenen Straftaten augenscheinlich kein besonders effektives In-
strument zur Prävention von Terrorismus sein kann. Sicherung und die Rehabilitie-
rung dürften dabei die wichtigsten Strafzwecke darstellen. „Um die angestrebte prä-
ventive Wirkung mit der repressiven Natur des Strafrechts zu verbinden, greift der
Gesetzgeber zunehmend auf den Ansatz des strafrechtlichen Vorfeldschutzes zu-
rück.“39 Diesen Trend sehen viele Rechtswissenschaftler kritisch.40 Demnach werden
für die Terrorismusbekämpfung zunehmend Handlungen unter Strafe gestellt, die
(noch) keine Rechtsgüter verletzen.41 Straftatbestände wie die Vorbereitung einer
37
Vgl. Müller 2011.
38
Gerlach & Pfalzer 2015, 295.
39
Chalkiadaki 2017, 20; Ashworth & Zedner 2014, 4.
40
Vgl. Huster & Rudolph 2008.
41
Biehl 2015, 304.
158 Andreas Armborst

schweren staatsgefährdeten Gewalttat (§ 89a StGB) betreffen die vorsätzliche Vor-


bereitung von anderen Straftaten, deren Begehung erst eine tatsächliche Rechtsgut-
verletzung nach sich ziehen würde (Gefährdungsdelikte als mala prohibita statt mala
in se).42 Befürworter der Vorfeldkriminalisierung, wie Jakobs und Pawlik argumen-
tieren, dass sie vor allem Personen beträfe, die gewissermaßen selbstgewählt außer-
halb unserer Rechtsordnung stehen und für die folglich andere Maßstäbe gelten
müssten.43

3.2 Terrorismusprävention durch polizeiliche Gefahrenabwehr

Die Abwehr unmittelbar bevorstehender Gefahren regelt das Gefahrenabwehr-


recht, d. h. „die Gesamtheit der verwaltungsrechtlichen Vorschriften […] die auf
die Verhinderung und Beseitigung von konkreten Gefahren zielt und auf kurzfristig
wirksame Maßnahmen angelegt ist“.44 Insbesondere die Polizeigesetze der Länder
regeln die Eingriffsbefugnisse der Polizei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Si-
cherheit.45 Die Schuld einer Person muss zur Anwendung von anlassbezogenen Maß-
nahmen zur Gefahrenabwehr nicht erst festgestellt werden.46 In sogenannten Fusion
Centers, wie dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), dem Gemein-
samen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GTEZ) und den Gemeinsa-
mes Internetzentrum (GIZ) fassen Behörden (BKA, LKÄ, BfV, LfV, BAMF und an-
dere) ihre Erkenntnisse zu täglichen Lagebewertungen zusammen. Die „,AG Opera-
tiver Informationsaustausch‘ empfiehlt und koordiniert dann unter Berücksichtigung
des Trennungsgebots Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, insbe-
sondere für als ,Islamistische Gefährder‘ oder ,relevant‘ eingestufte Personen“.47
Parallel zur Vorfeldverlagerung der Strafbarkeit beobachten Kriminologen und
Rechtswissenschaftler auch im Bereich des Gefahrenabwehrrechts einen Trend, Ein-
griffsbefugnisse auszuweiten auf Sachlagen, die an sich noch keine Gefahr darstel-
len, aber geeignet sind eine Gefahr herbeizuführen.48 In diesem Zusammenhang
spricht man von der sogenannten „Gefahrenvorsorge“, oder von „Prävention II“ in
Abgrenzung zum klassischen Gefahrenabwehrrecht (Prävention I).49
Insbesondere Maßnahmen aus dem Bereich Gefahrenvorsorge (Videoüberwa-
chung, Schleierfahndung, Vorratsdatenspeicherung) schüren Befürchtungen in Tei-
42
Vgl. Puschke & Rienhoff 2018, 243; Bützler 2017.
43
Bützler 2017, 141.
44
Chalkiadaki 2017, 16 f.
45
Vgl. Kretschmann & Legnaro 2019; Groß 2019.
46
Streng genommen ist das Strafrecht das Mittel für staatliche Repression und das Ge-
fahrenabwehrrecht ein Mittel für staatliche Prävention. Als Sinn und Zweck der Strafe tritt
neben der Retribution aber eben auch der Gedanke der Prävention.
47
Deutscher Bundestag 2018, 11.
48
Egbert & Paul 2018, 87.
49
Chalkiadaki 2014, 27.
Der Präventionskomplex 159

len der Öffentlichkeit vor einem Überwachungsstaat. Aber auch die nachrichten-
dienstlichen Aktivitäten der Terrorismusabwehr, die nicht Gegenstand dieses Arti-
kels sind,50 betreffen Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der parlamentarischen Kon-
trolle im Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit.51 Die Enthüllungen
von Whistleblowern wie Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden
zeigen zudem das globale Ausmaß an Überwachungspraktiken.52
Die Fragen aus der Schweizer Sicherheitsstudie (s. o., unter 2.1) zeigen, wie die
Schweizer Bevölkerung den Schutz vor Terrorismus gegenüber dem Schutz ihrer
persönlichen Freiheit gewichtet (Schutz durch den Staat und Schutz vor dem
Staat). Einige Indizien deuten darauf hin, dass die wahrgenommene Bedrohung
durch den Terrorismus das Schutzbedürfnis der Bevölkerung verschiebt, wobei
die persönliche Freiheit an Bedeutung verliert und die Akzeptanz für freiheitsein-
schränkende Maßnahmen der Terrorabwehr steigt.
Es wurde gezeigt, dass es keinen natürlichen Fixpunkt für den (Ideal-)Zustand der
Inneren Sicherheit geben kann. Sicherheit konstituiert sich über den effektiven
Schutz von Rechtsgütern, die wiederum rechtlich geschützte, und prinzipiell verhan-
delbare Interessen abbilden. Über diesen Mechanismus kann die Rationalität der Si-
cherheit hypothetisch endlos expandieren. Stößt sie an verfassungsrechtliche Gren-
zen kann es zu Konflikten zwischen konkurrierenden Schutzbedürfnissen der Bevöl-
kerung kommen. Die Extremismusprävention, auf die der nächste Abschnitt eingeht,
kann das klassische Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit entlasten,
weil es weniger auf Überwachung und Strafverfolgung ausgerichtet ist, sondern mit
zivilgesellschaftlichen Mitteln einen Beitrag zur Prävention von Terrorismus leistet.
Gleichzeitig steigt dadurch aber das Risiko für den net-widening-effect der im Ergeb-
nis nicht weniger, sondern mehr soziale Kontrolle durch den Staat bedeutet.

3.3 Extremismusprävention

Sicherheitsbehörden können immanente terroristische Gefahren abwehren; die


sozialen und politischen Ursachen von gewaltbereiter Radikalisierung erreichen
sie nicht. Dieses Ziel verfolgen Ansätze der Extremismusprävention, wie bspw.
Die UK Prevent Strategy,53 der US Strategic Implementation Plan for Empowering
Local Partners to Prevent Violent Extremism,54 The European programme Preventing
Terrorism and Countering Violent Extremis and Radicalization,55 der UN Plan of Ac-
tion to Prevent Violent Extremism,56 die Strategie der Bundesregierung zur Extremis-
50
Hierzu siehe Dietrich & Eiffler 2017.
51
Vgl. Poscher 2014.
52
Schulze 2015, 197.
53
Vgl. Secretary of State for the Home Department (UK) 2011.
54
Vgl. White House 2016.
55
Vgl. Organization for Security and Co-operation in Europe (OSCE) 2014.
56
Vgl. United Nations General Assembly 2015.
160 Andreas Armborst

musprävention und Demokratieförderung und das Nationale Präventionsprogramm


gegen Islamistischen Extremismus (NPP).57
Die Deutschen Programme lassen den geförderten Akteuren großen Spielraum
bei der Gestaltung und Umsetzung konkreter Präventionsmaßnahmen. Entsprechend
vielfältig und zahlreich ist das Präventionsangebot. Eine Bestandsaufnahme von
2017 durch das BKA zählt 721 individuelle Projekte zur Prävention von Rechtsex-
tremismus (Rex), Linksextremismus (Lex) und religiös motiviertem Extremismus
(RelEx).58 Sie befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung etwa zur Hälfte in ziviler
Trägerschaft (336) oder in staatlicher Trägerschaft auf Landes- oder Bundesebene
(385).59 Der Infodienst Radikalisierungsprävention führt in seiner Datenbank
Ende 2019 für den Bereich Salafismus ca. 100 Anlaufstellen.60 Das Spektrum der an-
gebotenen Leistungen ist groß und umfasst Beratungsstellen, therapeutische Betreu-
ung, pädagogische Maßnahmen, religiöse Seelsorge, Ausstiegsbegleitung, Aufklä-
rung und Informationsvermittlung für Multiplikatoren, Vernetzung und vieles
mehr.61
Das Handlungsfeld ist zu unstrukturiert und groß, um es hier in seiner ganzen
Vielfalt beschreiben zu können.62 Grob voneinander abgrenzen kann man Ansätze,
die sich an einen sehr breiten Personenkreis ohne erkennbare Anzeichen einer Radi-
kalisierung richten (universelle und primäre Prävention); die sich an risikobelastete
Personengruppen richten (selektive und sekundäre Prävention); oder die sich an ein-
zelne strafrechtlich auffällige Personen mit klaren extremistischen Tendenzen rich-
ten (indizierte und tertiäre Prävention). Letztere unterscheiden sich noch einmal in
Demobilisierungs-, Distanzierungs- und Deradikalisierungsansätze, womit jeweils
unterschiedliche Behandlungsziele beschrieben werden, nämlich Verzicht auf Ge-
walt, Distanzierung aus extremistischen Milieus und kognitive Abkehr von extremis-
tischen Ideologien und Einstellungen.63 Kennzeichnend für das Handlungsfeld ist,
entsprechend des ganzheitlichen Ansatzes der Bundesprogramme, die Beteiligung
vieler unterschiedlicher Berufsgruppen und Professionen, die jeweils ihre eigenen
berufsständischen Arbeitsansätze, Ausbildungsinhalte, Mentalitäten und Denkschu-
len ins Spiel bringen. Qualitätsstandards, Zielvorstellungen, Berufsprofile oder be-
rufliche Qualifizierungen für die Arbeit im Bereich der Extremismusprävention und
Deradikalisierung existieren in dem Arbeitsfeld weitestgehend nebeneinander, so-
fern es überhaupt welche gibt. Diese Angebotsvielfalt hat den Vorteil, dass viele un-
57
Vgl. Bundesministerium des Innern 2017; siehe auch: Bundeszentrale für Politische
Bildung (BpB) 2018.
58
Siehe Gruber & Lützinger 2017. Die Autoren haben sogar fast 2000 Projekte identifi-
ziert, konnten aber nur für 721 ausreichend viele Informationen erheben.
59
Vgl. Gruber & Lützinger 2017.
60
Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) n.d.
61
Vgl. Said & Fouad 2018; Baaken et al. 2018.
62
Ausführlich dazu siehe Trautmann & Zick 2016.
63
Für eine alternative Systematisierung von Ansätzen zur Prävention gegen gewaltbereiten
Extremismus siehe Köhler 2016.
Der Präventionskomplex 161

terschiedliche Formate erprobt und weiterentwickelt werden könnten. Allerdings


gibt es erhebliche Widerstände und methodische Vorbehalte gegen komparative Eva-
luationsstudien,64 weshalb dieser Vorteil in der Praxis oft gar nicht zutragen kommt.
Die Extremismusprävention erzeugt keine so unmittelbare Spannung zwischen
Sicherheit und Freiheit, wie die staatlichen Maßnahmen der Überwachung und Re-
pression. Aber auch in diesem Handlungsfeld steckt ein gewisses Konfliktpotential.
Extremismusprävention birgt das Risiko, bislang unbescholtene Personen als eine
(latente) Bedrohung für die Sicherheit zu stigmatisieren. Dies ist aber kein spezifi-
sches Problem der Extremismusprävention, sondern betrifft die Prävention sozialer
Probleme ganz allgemein. Für die Extremismusprävention spezifisch hingegen sind
Bedenken hinsichtlich seiner inhärenten politischen Dimension:
„As authorities push upstream to intervene before terrorist-related crimes are committed, we
have to be careful to avoid patrolling ideologies. What seems to be a sensible preventive
measure can slide into policing beliefs.“65

Extremismusprävention, so die Befürchtung, könnte Reform und politischen


Wandel unterdrücken, wenn sie jede Form von Abweichung, radikalen Ideen und kri-
tischem Denken als eine potentielle Ausprägung von Extremismus behandelt. Be-
sonders virulent wird diese Frage im Bereich der Deradikalisierung, weil hier poli-
tische und/oder religiöse Überzeugungen zum Gegenstand staatlicher (oder staatlich
geförderter) Maßnahmen werden. Leimbach et al. konstatieren in diesem Zusam-
menhang:
„niemand, auch kein Straftäter, braucht sich dafür rechtfertigen, welche politischen oder re-
ligiösen Grundüberzeugungen er hat und wofür er eintritt […] Die verfassungsrechtliche
Legitimation von ,deradikalisierenden‘ Maßnahmen ist daher jedenfalls nicht unproblema-
tisch. […] Als abstraktes Ziel ist die Deradikalisierung […] bei einstellungsbezogener Kri-
minalität konsequent und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Problematisch ist es
jedoch, wenn die von den Präventionsprojekten verfolgten Ziele in diesem Punkt unklar blei-
ben: Ohne klar definierte Zielbestimmung fehlen die Erfolgskriterien, anhand derer sich be-
urteilen lässt, an welchem Punkt die präventiven Begleitung eines Betroffenen als ,erfolg-
reich‘ und damit als abgeschlossen angesehen werden kann oder umgekehrt als ,gescheitert‘
angesehen werden muss.“66

Und schließlich gibt es noch ein großes Erkenntnisdefizit in Hinblick auf die
Wirksamkeit und Qualitätssicherung der vielen staatlich geförderten Initiativen
gegen den Extremismus. Zwar sind Evaluationen in den Förderrichtlinien teilweise
verbindlich vorgeschrieben, jedoch bleiben diese hinsichtlich ihres Untersuchungs-
ziels und der dazu angewandten Methodik ebenso vage wie viele der Maßnahmen
selbst, und erbringen folglich selten belastbare oder aussagekräftige Erkenntnisse.67

64
Milbradt 2019.
65
Vgl. Jenkins, Hoffman & Crenshaw 2016.
66
Leimbach, Mathiesen & Meier 2017, 417.
67
Vgl. Armborst et al. 2018.
162 Andreas Armborst

Insgesamt betrachtet macht die Extremismusprävention in Deutschland einen we-


sentlichen Teil der staatlichen Reaktionen auf den Terrorismus aus. Dieser Abschnitt
hat gezeigt, wie sie polizeiliche und nachrichtendienstliche Ansätze ergänzt. Zusam-
men bilden diese Bereiche einen Präventionskomplex, der wiederum im Zusammen-
hang mit dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung steht. Hierzu wären Studien
nach dem Vorbild der Schweizer Studienreihe wünschenswert und aufschlussreich.

4. Fazit
Wahrgenommene, herbeigeredete und tatsächliche Bedrohung durch den Terro-
rismus werden auch in Zukunft Politik, Recht und Gesellschaft prägen. Ein genaue-
res Verständnis über den Zusammenhang zwischen Sicherheitsempfinden sowie si-
cherheits- und kriminalpolitischen Forderungen erscheint daher weiterhin ein loh-
nendes Ziel zukünftiger sozial- und rechtswissenschaftlicher Forschung zu sein.
Hans-Jörg Albrecht widmet sich diesem Themenkomplex seit langem und hat am
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht unseren Blick
für diesen Gegenstand geschärft.68
Dieser Beitrag möchte daran anschließen, indem er einen konkreten Vorschlag zur
demoskopischen Erfassung terrorismusbezogener Ängste unterbreiten. Für die Mes-
sung von Kriminalitätsfurcht greifen Meinungsforschungsinstitute, der Deutsche
Viktimisierungssurvey und zahlreiche weitere kriminologische Umfragen auf das so-
genannte Standarditem zurück. Die ETH Zürich stützt sich zur Messung von Terro-
rismusfurcht auf eine im Wortlaut an dieses Item angelehnte Frage. Um die Frage an
den bundesdeutschen Befragungskontext anzupassen, wäre die Benennung von
Weihnachtsmärkten als ein weiteres Beispiel für öffentliche Orte sinnvoll. Nach
dem Anschlag des Islamisten Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breit-
scheidplatz 2016, und dem Anschlag auf den Straßburger Weihnachtmarkt zwei
Jahre später, sind Weihnachtsmärkte in der öffentlichen Wahrnehmung mit terroris-
tischer Bedrohung konnotiert. Im Wortlaut der Frage könnte sich außerdem der all-
gemeinere Ausdruck „belebte Orte“ wiederfinden, da Befragte auch hiermit eine
Anschlagsgefahr assoziieren könnten. Das Verständnis und Antwortverhalten von
Befragten sollte in experimentellen Pretest genauer untersucht werden. Für den bun-
desdeutschen Befragungskontext könnten dann Variationen des folgenden Fragebo-
genitems Aufschluss über Ausmaß und Verbreitung terrorismusbezogener Unsicher-
heiten geben:
„In Bezug auf die Gefahr durch terroristische Anschläge: Wie sicher fühlen Sie sich persön-
lich an belebten Orten, wie bspw. Fußgängerzonen, Weihnachtsmärkten und öffentlichen
Versammlungen“.

(1) sehr sicher; (2) ziemlich sicher; (3) ziemlich unsicher; (4) sehr unsicher; (8)
ich bin nie an belebten Orten (9) weiß nicht/k.A.
68
Vgl. Albrecht 2010; Albrecht 2007.
Der Präventionskomplex 163

Daran anschließend stehen zwei weitere, als Frage formulierte Fazits am Ende
dieses Beitrags: erstens die offene Frage nach dem politischen Umgang mit dem Si-
cherheitsempfinden der Bevölkerung, und zweitens die Bedeutung der Extremismus-
prävention im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit.
Soll sich der Staat, neben der Gewährleistung der Inneren Sicherheit auch um das
Sicherheitsempfinden der Bevölkerung kümmern? Kann das legitime aber subjekti-
ve Bedürfnis nach Sicherheit selbst zu einer Frage der Inneren Sicherheit werden?69
Die präventive Sicherheitsordnung wäre in dem Moment nicht mehr nur rein hypo-
thetisch unbegrenzt, wenn das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung Rechtsgüter-
status erlangt oder von Sicherheitsbehörden als solches angesehen würde. Christian
Stöcker schrieb dazu in einer Kolumne auf SPIEGEL ONLINE: „Wer gefühlte Be-
drohungen bekämpft, betreibt Sicherheitstheater, schränkt dazu im Zweifel Bürger-
rechte ein und verschwendet Steuergelder.“70
Kann die Extremismusprävention das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit
und Freiheit lockern? Einerseits schon, denn sie eröffnet den Behörden neue Mög-
lichkeiten, sich unterhalb der Schwelle strafprozessualer oder polizeilicher Maßnah-
men an radikalisierte Personen zu wenden. Dadurch könnte sich der „Präventions-
druck“, der auf dem Strafrecht und dem Gefahrenabwehrrecht lastet, abmildern.
Mit anderen Worten: der Staat muss Personen nun nicht kriminalisieren, um über-
haupt erst einen Ansatzpunkt für Präventionsarbeit mit ihnen zu bekommen. Die
Kehrseite dieser Medaille könnte ein sogenannter net-widening-effect sein, der im
Ergebnis nicht weniger sondern mehr soziale Kontrolle bedeutet.71 Verkürzt gespro-
chen bedeutet das, dass sich der Einfluss von Sicherheitsbehörden insgesamt auswei-
tet, wenn anderen Behörden oder zivilen Einrichtungen sicherheitsrelevante Präven-
tionsaufgaben übertragen werden. Dieser Nettoeffekt (Einflusszunahme trotz Kom-
petenzabgabe) kommt dadurch zu Stande, dass soziale und zivile Träger einen Zu-
gang zum Feld haben, der Sicherheitsbehörden aus rechtlichen und anderen Gründen
oft verschlossen bleibt. Denkbar ist aber auch eine wechselseitige Beeinflussung, bei
der soziale Fragen der Prävention zunehmend auch in die Sicherheitsbehörden hin-
eingetragen werden. Die enge Kooperation zwischen den ansonsten „unwahrschein-
lichen Partnern“ Familienministerium (BMFSFJ) und Innenministerium (BMI) im
Bereich der Extremismusprävention ist hierfür ein Beispiel. Sehr pointiert formuliert
läuft dies hinaus auf die Frage, ob eine Versicherheitlichung des Sozialen oder eine
Versozialung der Sicherheit stattfindet. Etwas neutraler gefast, könnte man auch von
einer zunehmenden Überlagerung beider Zuständigkeiten ohne klare Abgrenzung
sprechen.

69
Siehe hierzu Bützler 2017, 95.
70
Stöcker 2018.
71
Vgl. Cohen 1985.
164 Andreas Armborst

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2010): Neue Bedrohungen? Wandel von Sicherheit und Sicherheitserwartung,
in: P. Zoche, S. Kaufmann & R. Haverkamp (Hrsg.), Gesellschaftliche Dimensionen gegen-
wärtiger Sicherheitspolitiken. Bielefeld, S. 111 – 127.
Albrecht, H.-J. (2007): Perspektiven kriminologischer Forschung. Der Wandel im Konzept der
Sicherheit und neue Aufgabenfelder der Kriminologie, in: K. Liebl (Hrsg.), Kriminologie im
21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 177 – 201.
Armborst, A. (2014): Kriminalitätsfurcht und punitive Einstellungen – Indikatoren, Skalen und
Interaktionen. Soziale Probleme 125/1, S. 105 – 142.
Armborst, A. (2017): How fear of crime affects punitive attitudes. European Journal for Crimi-
nal Policy Research 23/3, S. 461 – 481.
Armborst, A. et al. (2018): Evaluation in der Radikalisierungsprävention: Ansätze und Kontro-
versen. PRIF Report 11, S. 1 – 33.
Ashworth, A. & Zedner, L. (2014): Preventive Justice. Oxford.
Baaken, T. et al. (2018): Herausforderung Deradikalisierung: Einsichten aus Wissenschaft und
Praxis. PRIF Report 9, S. 1 – 34.
Biehl, S. (2015): Das strafrechtliche Instrumentarium zur Bekämpfung islamistisch motivierter
Straftaten. Forum Strafvollzug, S. 304 – 308.
Black D. (2004): Terrorism as Social Control, in: M. Deflem (Hrsg.), Terrorism and Counter-
Terrorism: Criminological Perspectives. Amsterdam, S. 9 – 18.
Boers, K. (1991): Kriminalitätsfurcht – Über den Entstehungszusammenhang und die Folgen
eines sozialen Problems. Pfaffenweiler.
Bröckling, U. (2008): Vorbeugen ist besser … Zur Soziologie der Prävention. Behemoth: A
Journal on Civilisation 1/1, S. 38 – 48.
Bützler, V. (2017): Staatsschutz mittels Vorfeldkriminalisierung. Baden-Baden.
Bundesministerium des Innern (BMI) (2017): Nationales Präventionsprogramm gegen Islamis-
tischen Extremismus; https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichun
gen/themen/sicherheit/praeventionsprogramm-islamismus.html [13. 12. 2019].
Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) (n.d.): Infodient Radikalsierungsprävention;
http://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/208847/uebersicht-an
laufstellen [13. 12. 2019].
Bundeszentrale für Politische Bildung (BpB) (2018): Strukturen der Präventionsarbeit auf Bun-
desebene; https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/281811/struk
turen-der-praeventionsarbeit-auf-bundesebene [13. 12. 2019].
Carvalho, H. (2017): The Preventive Turn in Criminal Law. Oxford.
Chalkiadaki, V. (2017): Gefährderkonzepte in der Kriminalpolitik – Rechtsvergleichende Ana-
lyse der deutschen, französischen und englischen Ansätze. Wiesbaden.
Cohen, S. (1985): Visions of Social Control: Crime, Punishment and Classification. Cambridge.
Der Präventionskomplex 165

Deutscher Bundestag (2018): Stellungnahme zur Vorbereitung der öffentlichen Anhörung am


17. Mai 2018 zum Thema „Föderale Sicherheitsarchitektur“. Erster Untersuchungsausschuss
des Deutschen Bundestages der 19. Wahlperiode, S. 1 – 33.
Dietrich, J.-H. & Eiffler S.-R. (Hrsg.) (2017): Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste.
Stuttgart.
Egbert, S. & Paul, B. (2018): Auf dem Weg in die Pre-Crime Society? Kriminologisches Jour-
nal, S. 87 – 89.
Ferst, T. & Tresch, T.S. (2018): Wie die Schweizer Bevölkerung den Terrorismus wahrnimmt.
SKP Info 2, S. 3 – 7.
Garland D. (2003): The Rise of Risk, in: R. Ericson & A. Doyle (eds.), Risk and Morality. To-
ronto, S. 48 – 86.
Gemeinsames Terrorabwehrzentrum (GTAZ) (2012): Sachstandsbericht zur Konkretisierung
und Umsetzung der Arbeitserkenntnisse der Unterarbeitsgruppen der GTAZ-Arbeitsgruppe
,Deradikalisierung‘; http://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschlues
se/2016-11-29_30/nummer%204%20zu%20anlage%201_sachstandsbericht%20ag%20dera
dikalisierung.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [13. 12. 2019].
Gerlach, S. & Pfalzer, S. (2015): Islamismus – Wie stellt sich der Vollzug auf? Forum Strafvoll-
zug 5, S. 295 – 303.
Groß, H. (2019): Polizei(en) und Innere Sicherheit in Deutschland. Strukturen, Aufgaben und
aktuelle Herausforderungen. Aus Politik und Zeitgeschichte 69/21 – 23, S. 4 – 10.
Gruber, F. & Lützinger S. (2017): Extremismusprävention in Deutschland – Erhebung und Dar-
stellung der Präventionslandschaft. Wiesbaden.
Guzy, N., Birkel, C. & Mischkowitz, R. (Hrsg.) (2015): Viktimisierungsbefragungen in Deutsch-
land, Band 1.Wiesbaden.
Haverkamp, R., Hummelsheim, D. & Armborst, A. (2013): Studien zur Sicherheit in Deutsch-
land, in: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (Hrsg.), Jahrbuch
der Max-Planck-Gesellschaft 2013; https://www.mpg.de/6841890/STRA_JB_2013 [13. 12.
2019].
Hörnle, T. (2017): Straftheorien. 2. Aufl. Tübingen.
Huster, S. & Rudolph, K. (Hrsg.) (2008): Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat. Frankfurt.
Innes, M. & Fielding, N. (2002): From Community to Communicative Policing: ,Signal Crimes‘
and the Problem of Public Reassurance. Sociological Research Online 7/2, S. 1 – 12.
Jakobs, G. (2012): Rechtsgüterschutz? Zur Legitimation des Strafrechts. Paderborn.
Jenkins, B.M., Hoffman, B.B.H. & Crenshaw, M. (2016): How Much Really Changed about Ter-
rorism on 9/11? The Atlantic; https://www.theatlantic.com/international/archive/2016/09/jen
kins-hoffman-crenshaw-september-11-al-qaeda/499334/ [13.12.2019].
Jesse, E. & Urban, J. (2013): Innere Sicherheit, in: U. Andersen & W. Woyke (Hrsg.), Hand-
wörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 7. Aufl. Heidelberg.
Köhler, D. (2016): Strukturelle Qualitätsstandards in der Interventions- und Präventionsarbeit
gegen gewaltbereiten Extremismus. Stuttgart.
166 Andreas Armborst

Kretschmann, A. & Legnaro, A. (2019): Abstrakte Gefährdungslagen. Zum Kontext der neuen
Polizeigesetze. Aus Politik und Zeitgeschichte 69/21 – 23, S. 11 – 17.
Kury, H. et al. (2004): Zur Validität der Erfassung von Kriminalitätsfurcht. Soziale Probleme
15/2, S. 141 – 165.
Leimbach, K., Mathiesen, A. & Meier, B.D. (2017): Prävention von Radikalisierung und extre-
mistischer Gewalt. NK – Neue Kriminalpolitik 29/4, S. 413 – 423.
Luhmann, N. (1993): Das Recht der Gesellschaft. Berlin.
Milbradt, B. (2019): (Neue) Evaluationskultur in der Radikalisierungsprävention? Infodienst
Radikalisierungsprävention. Bundeszentrale für politische Bildung (BpB); https://www.
bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/289847/neue-evaluationskultur-in-
der-radikalisierungspraevention.
Müller, T.N. (2011): Präventiver Freiheitsentzug als Instrument der Terrorismusbekämpfung.
Berlin.
Organization for Security and Co-operation in Europe (2014): Preventing Terrorism and
Countering Violent Extremism and Radicalization that Lead to Terrorism: A Community-Po-
licing Approach; https://www.osce.org/atu/111438 [13. 12. 2019].
Poscher, R. (2014): Sicherheitsverfassungsrecht im Wandel, in: C. Daase, E. Engert & G. Kol-
liarakis (Hrsg.), Politik und Unsicherheit – Strategien in einer sich wandelnden Sicherheits-
kultur. Frankfurt, S. 165 – 187.
Puschke, J. & Rienhoff, J. (2018): Terrorismusbekämpfung durch Strafrecht, in: J. Puschke & T.
Singelnstein (Hrsg.), Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft. Wiesbaden, S. 243 – 263.
R+V Versicherung: Die Ängste der Deutschen. Befragungszeitraum April/Mai 2016; https://
www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/aengste-der-deutschen-langzeitvergleich [13. 12.
2019].
Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) (2018): Empfehlungen zur Qualitätssicherung
und wissenschaftlichen Begleitung von Viktimisierungssurveys – Stellungnahme zum Kon-
zept der Bund-Länder-Projektgruppe „Verstetigung einer bundesweiten Dunkelfeld-Opfer-
befragung“ vom 12. Juli 2017. RatSWD Output 2/6, S. 1 – 20.
Reuband, K.-H. (2000): Der ,Standardindikator‘ zur Messung der Kriminalitätsfurcht – in ,skan-
dalöser Weise‘ unspezifisch und in der Praxis dennoch brauchbar? Monatsschrift für Krimi-
nologie und Strafrechtreform 83/3, S. 185 – 195.
Rotter, B. (1966): Generalized expectancies for internal versus external control of reinforce-
ment. Psychological Monographs: General and Applied 80/1, S. 1 – 28.
Said, B. & Fouad, H. (2018): Countering Islamist Radicalisation in Germany: A Guide to Ger-
many’s Growing Prevention Infrastructure. ICCT Policy Brief 2018; https://icct.nl/wp-con
tent/uploads/2018/09/ICCT-Said-Fouad-Countering-Islamist-Radicalization-in-Germany-
Sept2018.pdf [13. 12. 2019].
Schenke, W.-R., Graulich, K. & Ruthig, J. (2019): Sicherheitsrecht des Bundes. München.
Schulze, M. (2015): Patterns of Surveillance Legitimization: The German Discourse on the NSA
Scandal. Surveillance and Society 13/2, S. 197 – 217.
Der Präventionskomplex 167

Secretary of State for the Home Department (UK) (2011): Prevent Strategy; https://assets.publi
shing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/97976/pre
vent-strategy-review.pdf [13. 12. 2019].
Steinsiek, M. (2012): Terrorabwehr durch Strafrecht? Verfassungsrechtliche und strafrechtssys-
tematische Grenzen der Vorfeldkriminalisierung. Baden-Baden.
Stöcker, C. (2018): Gefühlte Wahrheiten beim BKA – Wer Angst hat, hat Recht. Spiegel Online
Wissenschaft; http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/bundeskriminalamt-unsicherheits
behoerde-bka-kolumne-a-1239998.html [13. 12. 2019].
Thiel, M. (2011): Die „Entgrenzung“ der Gefahrenabwehr. Tübingen.
Trautmann, C. & Zick, A. (2016): Systematisierung von in Deutschland angebotenen und durch-
geführten (Präventions-)Programmen gegen islamistisch motivierte Radikalisierung außer-
halb des Justizvollzuges. Bielefeld.
Tresch, T.S. & Wenger, A. (2018): Sicherheit 2018 – Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungs-
politische Meinungsbildung im Trend. Zürich.
United Nations General Assembly (2015): A/70/674, Plan of Action to Prevent Violent Extre-
mism; https://undocs.org/pdf?symbol=en/A/70/674 [13. 12. 2019].
Valverde, M. (2011): Questions of security: a framework for research. Theoretical Criminology
15/1, S. 3 – 22.
White House (2016): Strategic Implementation Plan for Empowering Local Partners to Prevent
Violent Extremism in the United States; https://www.dhs.gov/sites/default/files/publications/
2016_strategic_implementation_plan_empowering_local_partners_prev.pdf [13. 12. 2019].
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft
Von Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

Als ab 2014 die Zahl der nach Deutschland flüchtenden und hier Asyl suchenden
Menschen stark anstieg und im Jahr 2016 auch die Größenordnungen der frühen
1990er Jahre – einer Zeit, in der nach dem Zerfall der sozialistischen Regime in Ost-
europa und während der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien ebenfalls viele
Menschen in Deutschland Zuflucht gesucht hatten – bei weitem übertraf1, wurde die-
ser Umstand in vielfacher Hinsicht als Herausforderung wahrgenommen2. Starke Zu-
wanderung bringt stets Anforderungen an die Integrationsleistung von Gesellschaf-
ten insgesamt, wie auch insbesondere von Kommunen und Wohnquartieren mit sich
(vgl. u. a. Gesemann & Roth 2009). Gerade auf kommunaler Ebene sind Fragen der
Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten und im weiteren Verlauf ihrer In-
tegration in den verschiedenen Facetten des Begriffs (mit Bezug auf Arbeitsmarkt,
Bildung, Sprache etc.) von unmittelbarer Bedeutung. Kommunalen Verwaltungen
stellten sich Aufgaben, auf die sie nicht in jedem Fall hinreichend vorbereitet
waren (Bogumil, Hafner & Kastilan 2017a, 2017b); von sich abzeichnenden Über-
forderungen wurde berichtet (Landsberg 2015).
Der in den letzten Jahren intensiv geführte gesellschaftliche Diskurs um Flucht
und Zuwanderung war von Beginn an in mehrfacher Hinsicht auch eine Auseinan-
dersetzung um Fragen öffentlicher Sicherheit:
• Zuwanderung und damit verknüpfte Bedrohungen gesellschaftlicher Stabilität
und öffentlicher wie individueller Sicherheit wurden zu einem bedeutsamen
Topos politischer Diskussionen, der von Parteien (insbesondere der AfD) und po-
litischen Bewegungen (wie Pegida und den zahlreichen lokalen Ablegern) aufge-
griffen wurde (vgl. etwa Geiges 2018; Geiges, Marg & Walter 2015; Häusler
2016). Es waren Radikalisierungstendenzen in Teilen der Bevölkerung erkennbar
(Rauschenbach 2016, 3), die sich u. a. in gewalttätigem Protest, verbalen und kör-
1
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (2019, 5 f.) wurden in
Deutschland im Jahr 2014 insgesamt 202.834 und im Jahr 2015 476.649 Asylanträge gestellt.
Vergleichbar hohe Werte waren davor zuletzt in den Jahren 1991 bis 1993 verzeichnet worden;
2006 bis 2009 hatte die jährliche Zahl der Asylanträge hingegen in einer Größenordnung von
nur ca. 30.000 gelegen. 2016 stieg die Zahl der Anträge auf 745.545 und war seither rück-
läufig (185.853 Anträge im Jahr 2018).
2
Der berühmt gewordene „Wir schaffen das!“-Satz der Bundeskanzlerin, gesprochen bei
der Sommerpressekonferenz Ende August 2015, bringt den Herausforderungscharakter der
Konfrontation der Gesellschaft mit starker fluchtbedingter Migration in knapper Form auf den
Punkt (vgl. Schuler 2018).
170 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

perlichen Übergriffen auf Migranten und Migrantinnen und Angriffen auf Flücht-
lingsunterkünfte äußerten.
• Insbesondere im Gefolge der sogenannten Kölner Silvesternacht 2015 (siehe dazu
u. a. Behrendes 2016; Egg 2017) war eine starke Konzentration des öffentlichen
und medialen Diskurses auf Bedrohungen der Sicherheit durch junge männliche
Zuwanderer und Geflüchtete zu konstatieren. Der inhaltliche Fokus lag in Teilen
auf der Befürchtung, dass mit der Zuwanderung aus muslimisch geprägten Län-
dern die Potenziale salafistischer Radikalisierung in Deutschland wachsen könn-
ten, vor allem jedoch auf Gewalt- und Sexualdelikten, Eigentumskriminalität und
Drogendelikten (siehe dazu auch Goeckenjan, Schartau & Roy-Pogodzik 2019).
• Das Sicherheitsempfinden in Teilen der Bevölkerung erschien als beeinträchtigt,
und Zuwanderung und Zugewanderte wurden zum Bezugspunkt entsprechender
Befürchtungen gemacht. So sahen nach Daten des Eurobarometers im Herbst
2015 76 % der Deutschen „Einwanderung“ als größtes Problem sowohl für ihr
Land als auch für die EU (Europäische Kommission 2016, 15, 18). In repräsenta-
tiven Befragungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD zur „Flücht-
lingssituation“ äußerte im Mai 2016 die Mehrzahl der Befragten Besorgnisse hin-
sichtlich steigender Kriminalität (65 %), eines wachsenden muslimischen Extre-
mismus (71 %), mehr noch wegen zunehmender rechtsextremer Tendenzen
(83 %; Ahrends 2017, 25).
• Die Zuwanderung hat auch die Anforderungen an die Arbeit der Polizei und an-
derer Akteure mit Sicherheitsaufgaben geprägt. So diagnostizieren Perthus & Be-
lina (2017) eine wesentlich von den Sicherheitsbehörden getragene Moralpanik
um junge Geflüchtete in Bautzen (Sachsen) im Jahr 2016, durch die „der Krimi-
nalisierung Geflüchteter in nationalen Diskursen eine qua Amt einflussreiche Le-
gitimation“ gegeben wurde (S. 257).
Das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt
„Sicherheitsanalysen und -vernetzung für Stadtquartiere im Wandel“ (SiQua)3 greift
diesen Diskurs in qualitativen und quantitativen Datenerhebungen und -analysen auf.
Im Rahmen des Projekts werden in den Städten Berlin, Dresden und Essen Hell- und
Dunkelfelddaten insbesondere für durch Zuwanderung geprägte Quartiere erhoben,
die Analysen zu lokaler Sicherheit und zu sicherheitsbezogenen Wahrnehmungen er-
möglichen. Dabei werden Sichtweisen und Erfahrungen verschiedener Bevölke-
rungsgruppen und sicherheitsrelevanter Akteure aus Behörden und anderen Organi-
sationen miteinander verknüpft. Im weiteren Verlauf des Projekts werden in einem
strukturierten partizipativen Verfahren gemeinsam mit lokalen Akteuren auf die je-
weiligen Gegebenheiten im Quartier bezogene kooperative Ansätze zur Stärkung der
Sicherheit und des Sicherheitsempfindens entwickelt (und in der Folge umgesetzt).

3
Das Projekt wird im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ der
Bundesregierung gefördert (Förderkennzeichen: 13N14518 bis 13N14522).
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft 171

Am Beispiel zweier Fallstudiengebiete in Essen werden im Folgenden ausgewähl-


te Befunde aus der noch laufenden Studie dargestellt. Es wird versucht, erste Antwor-
ten auf die Frage zu geben, wie es wenige Jahre nach dem Höhepunkt der sogenann-
ten Flüchtlingskrise um die Sicherheit – insbesondere im Sinne der von den dort le-
benden Menschen empfundenen und wahrgenommenen Sicherheit – in Großstadt-
vierteln bestellt ist. Zu klären ist, welche Bedeutung hierbei Flucht und
Zuwanderung in diesem Kontext zukommt – ohne zugleich andere Bedingungsfak-
toren und Erklärungsansätze aus dem Blick zu verlieren. Neben der Perspektive der
Bewohnerinnen und Bewohner wird auch die Sichtweise von Personen, die (profes-
sionelle) Bezüge zur Sicherheit in den Stadtteilen haben, berücksichtigt.

Ausgewählte Fallstudiengebiete der SiQua-Studie


Die im Folgenden dargestellten empirischen Befunde basieren auf in zwei Fall-
studiengebieten in Essen erhobenen Daten. Das erste der beiden Fallstudiengebiete
umfasst die Stadtteile Stadtkern und Nordviertel, das andere den Stadtteil Altendorf.
Die Einwohnerschaft der drei Stadtteile hat sich in den letzten zehn Jahren erkennbar
verändert, zugleich bestehen seit langem existierende soziale Problemlagen kontinu-
ierlich fort. Die durchschnittliche Wohndauer liegt unter derjenigen anderer Stadttei-
le, die Bevölkerungsdichte steigt durch Wanderungs- und/oder Geburtenüberschüsse
an.
Diese Entwicklung wird durch Migrationsprozesse mitgeprägt, so ist in Altendorf
der Anteil von Personen mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit seit 2010
von 67 auf etwa 52 % gefallen. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil von Personen
ohne deutsche Staatsangehörigkeit von 22 % auf 36 %. Es handelt sich hierbei um
langfristige Entwicklungen, wobei jedoch seit 2015 ein Anstieg von Menschen ira-
kischer und besonders syrischer Herkunft erkennbar ist. Vergleichbare Entwicklun-
gen lassen sich auch im Nordviertel und im Stadtkern beobachten (vgl. Stadt Essen
2019b; 2019c; 2019e).
Auch wenn in den letzten Jahren die Arbeitslosenquoten in den Stadtteilen gesun-
ken sind, zählen sie noch zu den höchsten in Essen (13 – 14 %). Der Anteil der Per-
sonen, die existenzsichernde Leistungen (gem. SGB II, XII und AsylbLG) beziehen,
liegt in den letzten Jahren zwischen 33 und 37 %; für 62 bis 72 % der Kinder unter
15 Jahren werden solche Leistungen gezahlt. Damit zählen die drei Stadtteile zu den-
jenigen mit den größten sozialen Problemlagen (vgl. Stadt Essen 2019d).
Die Polizei definiert für Essen zwei sogenannte „gefährliche und verrufene Orte“
(gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW), die beide in den ausgewählten Fallstudienge-
bieten liegen.
Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Straftaten gingen in den
letzten Jahren in Essen und in den drei Stadtteilen zurück. In den Fallstudiengebieten
zeigen sich jedoch beim Vergleich der Häufigkeitszahlen mehr Gewalttaten und Dro-
172 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

gendelikte als in anderen Stadtteilen (Polizeipräsidium Essen 2019; Landeskriminal-


amt NRW 2019).
In beiden Fallstudiengebieten wurden umfangreiche qualitative und quantitative
Daten erhoben; ausgewählte Befunde zu lokalen Sicherheitsaspekten werden im Fol-
genden dargestellt.

Ergebnisse der qualitativen Befragungen


Zwischen Dezember 2018 und Juli 2019 wurden 21 Gruppen- und Einzelgesprä-
che mit Personen geführt, die Bezüge zur Sicherheit in den Stadtteilen hatten. Zu
ihnen gehörten Mitarbeiter sozialer Dienste, engagierte und ehrenamtlich tätige Be-
wohnerinnen und Bewohner, Mitarbeiter des Ordnungsamtes und der Polizei. Die
Akteure betonten, dass zwar das historische Ereignis der massenhaften Flucht aus
Syrien und anderen Krisen- und Kriegsgebieten in den Jahren ab 2015 auch für As-
pekte lokaler Sicherheit eine Herausforderung gewesen sei und es Konflikte und
Schwierigkeiten gegeben habe. Jedoch konnte diesen – auch mit viel Engagement
und Mithilfe seitens der Bevölkerung – gut begegnet werden4. Andere mit Zuwan-
derung assoziierte Probleme (wie beispielsweise Clanstrukturen in den Stadtteilen)
sind aus Sicht der meisten sozialen Akteure und Bewohnerinnen und Bewohner von
größerer Bedeutung. Die Fluchtmigration der letzten Jahre stellt sich aus Sicht der
Bewohnerinnen und Bewohner vor allem als eine Facette eines länger andauernden
Prozesses der Zunahme „sichtbarer Fremder“ und des Verlustes an sozialem Zusam-
menhalt und insgesamt als ein kleineres Element in dem größeren Komplex der Ver-
änderung von Sicherheit und sozialem Zusammenleben durch Zuzug sichtbarer
Fremder dar. Dies wurde in Gesprächen mit Bewohnerinnen und Bewohnern deut-
lich; es wurden qualitative Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern mit
und ohne Flucht- und Migrationshintergrund im Alter zwischen 18 und 86 Jahren
geführt. Hierbei wurden Informanten gewählt, die den Diskurs des Stadtteils kennen,
reproduzieren und selbst mitgestalten. Dieser Diskurs wird hier abgebildet. Die
Daten sind nicht repräsentativ: die Gespräche bilden ab, was bestimmte Akteure
zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Interviewsituation ausgedrückt haben.
Die Gespräche wurden in häuslicher Umgebung geführt und dauerten zwischen
20 und 120 Minuten.
In den Gesprächen spielte Kriminalitätsfurcht im Sinne einer „emotionalen Reak-
tion auf eine persönliche Bedrohung durch Kriminalität oder auf Symbole, die mit
Kriminalität assoziiert werden“ (Hirtenlehner & Hummelsheim 2015, 481), gegen-
4
Die durch Zuwanderer verübten Straftaten stiegen nach Aussage der Sicherheitsakteure
im Jahr 2015 zunächst an. Die Zunahme vollzog sich vor allem in Bereichen, die das Si-
cherheitsempfinden der Bevölkerung nicht zentral tangieren. So kam es zu Auseinanderset-
zungen in den Unterkünften, die Zahl der Ladendiebstähle und der Fälle von Beförderungs-
erschleichung wuchs. Die Lage beruhigte sich u. a. dadurch, dass die Zugewanderten mit dem
deutschen Ticketsystem vertrauter wurden. Außerdem wurden Geflüchtete zügig in Woh-
nungen und Einrichtungen auf Quartiere im Norden der Stadt verteilt.
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft 173

über einem diffusen Unsicherheitsempfinden5, verbunden mit Wahrnehmungen sin-


kender Lebensqualität, eine nachgeordnete Rolle. Im Diskurs zeigen sich vor allem
fünf Punkte:
(1) Sichtbarkeit von Fremden, zunehmende wahrgenommene ethnische Heteroge-
nität;
(2) schwindende soziale Kohäsion im Quartier, Anonymität;
(3) Auftreten junger Männer aus ethnischen Minoritäten im öffentlichen Raum;
(4) Incivilities/Disorders (Wahrnehmung physischer und sozialer Ordnungsstörun-
gen, Verfallserscheinungen und Verletzungen sozialer und normativer Ord-
nung);
(5) Konkurrenz um soziale, sozialräumliche und materielle Ressourcen.
Die genannten Komplexe sind miteinander verwoben und gehen ineinander über.
Besonders bei älteren Bewohnerinnen und Bewohnern ist zu beobachten, dass sich
die zunehmende Sichtbarkeit von Fremden im Stadtteil negativ auf die erlebte Wohn-
qualität und auf das Sicherheitsempfinden auswirkt6 (Punkt 1). Diese Bewohnerin-
nen und Bewohner fühlen sich durch die steigende Anzahl sichtbarer Migranten be-
engt und ihrem Stadtteil – dem sie sich dennoch nach wie vor zugehörig sehen – ent-
fremdet. Dies lässt sich im Lichte der Ethnischen-Heterogenitäts-These betrachten,
nach der die Wahrnehmung eines steigenden Anteils sichtbarer Migranten im Quar-
tier – weitgehend unabhängig von der polizeilich registrierten Kriminalitätsbelas-
tung – zu Verunsicherung und Furcht beitragen kann (vgl. Glas, Engbersen &
Snel 2018; Hirtenlehner & Groß 2018; Hooghe & De Vroome 2016; Oberwittler
et al. 2017; Schartau et al. 2018, 12).
Weitere Aspekte, die das Unwohlsein vor allem älterer Bewohnerinnen und Be-
wohner ausmachen, sind wachsende Anonymität, mangelnder Respekt, Verrohung
im Umgang miteinander, zunehmende Segregation und – daraus resultierend –
eine Abwanderung Alteingesessener in den wohlhabenderen und ethnisch homoge-
neren Süden der Stadt7 (Punkt 2). Es wird eine romantisierende Sehnsucht nach einer
Vergangenheit erkennbar, in der es noch soziale Kohäsion und eine funktionierende
Nachbarschaft gab. Diese Aspekte können mit der Generalisierungsthese interpre-
tiert werden: Allgemeine Ängste, wie die vor gesellschaftlichen Veränderungen

5
Auf den Unterschied zwischen „Angst“ und „Unsicherheit“ kann hier nicht detailliert
eingegangen werden. „Angst“ wird gemeinhin eher im Sinne einer Bedrohung verwendet und
Unsicherheit eher im Sinne einer Risikowahrnehmung.
6
Auch Menschen mit Migrationshintergrund, die schon länger in Essen leben (und manche
Geflüchtete), fühlen sich durch die vermehrte Zuwanderung und die damit einhergehenden
Veränderungen auf gewisse Weise bedroht. Sie befürchten, von der Mehrheitsgesellschaft
abgelehnt zu werden. In diesem Rahmen soll jedoch nicht vertieft darauf eingegangen werden.
7
Während manche dieser Bewohnerinnen und Bewohner die Gründe für gesellschaftliche
Missstände in einer „Übernahme des Stadtteils durch Ausländer“ sehen, bringen jüngere Be-
wohnerinnen und Bewohner diese eher mit Modernisierungsprozessen in Verbindung.
174 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

(wie Globalisierung, Anonymisierung der Gesellschaft oder der Verlust traditioneller


Werte und Gemeinschaften), werden auf „die Fremden“ projiziert und entwickeln
sich zu einem diffusen Bedrohungsgefühl (Hirtenlehner & Hummelsheim 2015;
Schartau et al. 2018, 9).
Außerdem (Punkt 3) wird das Sicherheitsgefühl durch als solches wahrgenomme-
nes „Potenzgehabe“ männlicher, „ausländisch aussehender“ Jugendlicher und Jung-
erwachsener beeinträchtigt, die von manchen Bewohnerinnen und Bewohnern als so
bedrohlich wahrgenommen werden, dass bestimmte Straßen und Plätze gemieden
werden. Die Ängste beziehen sich meist auf die große Anzahl, das Verhalten und
die Unverständlichkeit der Sprache der jungen Männer. Tatsächlich „passiert“ sei je-
doch noch nie etwas, berichten die Befragten. Dies wird auch in anderen Städten be-
obachtet: „Junge Männer mit Migrationshintergrund fungieren als Inbegriff des
Straftäters, an dem sich alle auf Kriminalität gerichteten Stereotype und Gefühle
des Unbehagens festmachen lassen“ (Hirtenlehner & Groß 2018, 530).
Vor allem trägt die Wahrnehmung von Incivilities zum Unbehagen vieler Bewoh-
nerinnen und Bewohner bei (Punkt 4). Dies sind „Verhaltensweisen und deren sicht-
bare physische Spuren, die die Regeln ,zivilisierten‘ Verhaltens in der Nachbarschaft
verletzen“ (Oberwittler et al. 2017, 184; vgl. auch Hirtenlehner & Groß 2018, 527).
In den untersuchten Quartieren werden offener Drogenhandel und Unordnungser-
scheinungen wie Müllansammlungen – oft in Zusammenhang mit bestimmten eth-
nischen Gruppen – an erster Stelle als Grund für Unbehagen und für das Entstehen
von Ängsten genannt.8
Der fünfte Punkt, der wiederum vor allem manche älteren Bewohnerinnen und
Bewohner der durch Migration geprägten Quartiere beschäftigt, ist eine wahrgenom-
mene Konkurrenz gegenüber Migranten. Entsprechende Sichtweisen erscheinen in
der Bevölkerung nicht weit verbreitet, prägen jedoch – so auch die Sichtweisen
der befragten Sicherheitsakteure – in gewissem Umfang den Diskurs in den Stadttei-
len. Migrantinnen und Migranten werden als Konkurrenz um die Nutzung des öffent-
lichen Raumes sowie um staatliche Hilfen (Wohnungs- oder Arbeitslosengeld etc.)
gesehen. Wie auch Küpper et al. (2016) und Schartau et al. (2018) es beschreiben,
wird in den beiden Fallstudiengebieten eine kollektive Bedrohung „der Deutschen“
durch sichtbare Migranten (Küpper et al. 2016, 88 ff.; Schartau et al. 2018, 14) wahr-
genommen. Dies führt weniger zu Kriminalitätsfurcht (vgl. Schartau et al. 2018, 14;
Hirtenlehner & Groß 2018, 527) als zu dem oben angesprochenen diffusen Unsicher-
heitsempfinden. Obwohl die Bewohnerinnen und Bewohner Sympathie für Geflüch-
tete und deren Schicksal bekunden, existieren neben Unsicherheiten und Ängsten bei
manchen gleichzeitig generalisierende und stereotype Zuschreibungen, Vorbehalte,
8
Oberwittler et al. (2017) binden die Wahrnehmung von Incivilities nicht nur an die
Sichtbarkeit von Fremden, sondern vor allem an die Einstellungen der Bewohnerinnen und
Bewohner: je xenophober die Einstellung, desto stärker werden Verwahrlosungen im Stadtteil
wahrgenommen, es findet insofern eine Wahrnehmungsverzerrung statt. Ein direkter Zusam-
menhang zwischen Xenophobie und veränderter Wahrnehmung in Bezug auf Unordnungser-
scheinungen lässt sich anhand des qualitativen Interviewmaterials nicht nachweisen.
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft 175

Vorurteile und essentialistische Sichtweisen9 (vgl. hierzu Baumann 1999). Beispiels-


weise beschweren sich manche Bewohnerinnen und Bewohner pauschal über lär-
mende „Zigeuner“ oder „Ausländer“, die für die Vermüllung bestimmter Plätze
und Straßenzüge in beiden Fallstudiengebieten verantwortlich seien. Besonders äl-
tere Bewohnerinnen und Bewohner tendieren hier zu Vermeideverhalten. Diese
Menschen geben an, unsicher im interethnischen Zusammenleben zu sein. Obwohl
sie sich generell ein „buntes“ Quartier wünschen, das durch lebendigen Dialog und
interkulturellen Zusammenhalt charakterisiert wird, lassen sie Kontakt nur bis zu
einem gewissen Grad zu. Kontakt und gute nachbarschaftliche Beziehungen können
dabei sehr wichtig für ein transkulturelles Zusammenleben im Quartier sein (vgl.
Schartau et al. 2018, 13; Weber 2016; Weins 2011). In den Fallstudiengebieten exis-
tieren viele soziale Projekte, die Begegnungen ermöglichen. Ein Fruchtbarmachen
dieser Möglichkeiten wird jedoch durch oben genannte Einstellungen und Verhal-
tensweisen erschwert. Die Kontaktmöglichkeiten werden zwar teilweise genutzt,
die Wirkung verpufft jedoch. Wichtig wäre die individuelle Bereitschaft, eigene Wer-
tevorstellungen und Sichtweisen zu reflektieren. Würde darüber offener Austausch
stattfinden, könnten Möglichkeiten gefunden werden, in der Andersartigkeit einen
Wert zu sehen und keine Bedrohung (vgl. hierzu Platenkamp 2014). Dann könnten
Kontakte hergestellt werden, die eine transkulturelle Nachbarschaft ermöglichen, in
der Unsicherheiten offen angesprochen und angegangen werden können. Diese wer-
den nie ganz verschwinden, doch der Umgang damit kann verändert werden.

Befunde der quantitativen Befragungen


Die standardisierte Bevölkerungsbefragung fand zwischen Juni und September
2019 als postalische Befragung statt. Der Fragebogen wurde in deutscher Sprache
verschickt; Versionen in türkischer, englischer, russischer und arabischer Sprache
waren verfügbar, ebenso bestand die Möglichkeit, den Fragebogen online auszufül-
len. Für beide Fallstudiengebiete wurde eine Zufallsstichprobe 17 – 85-jähriger Ein-
wohnerinnen und Einwohner gezogen (jeweils mit N = 5.000). In die hier vorge-
nommenen Auswertungen gehen 1.171 Fragebögen aus Altendorf sowie 821 aus
dem Stadtkern und dem Nordviertel ein. Das entspricht einem Rücklauf von 25
bzw. 19 % bezogen auf die zustellbaren Briefe.10
Von den Befragten der drei Stadtteile sind insgesamt 53 % weiblich, 47 % männ-
lich. Das durchschnittliche Alter liegt im Stadtkern bei 44 Jahren, im Nordviertel bei
46 Jahren und in Altendorf bei 52 Jahren. Damit sind in der Stichprobe junge und
männliche Befragte etwas unterrepräsentiert, was in deskriptiven Analysen durch
9
So werden beispielsweise „die Türken“ als homogene Gruppe mit bestimmten zuge-
schriebenen, unveränderlichen Eigenschaften gesehen.
10
Zum Vergleich wurde auch eine Stichprobe aller anderen Stadtteile gezogen (N = 2.198,
Rücklauf ca. 37 %). Deren Daten werden hier jedoch noch nicht genutzt. Vergleichbare Be-
fragungen wurden zudem in Berlin und Dresden durchgeführt.
176 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

ein Gewichtungsverfahren kompensiert wird. Der Anteil der Menschen mit Migra-
tionshintergrund ist im Nordviertel am höchsten (44 %), im Stadtkern und in Alten-
dorf liegt er jeweils etwa bei einem Drittel der Befragten (33 bzw. 31 %).11
Kriminalitätsfurcht: Bereits ein Blick auf zwei Standardindikatoren verdeutlicht
das hohe Maß an Kriminalitätsfurcht und erlebter Unsicherheit in den drei hier un-
tersuchten Stadtteilen. Auf die Frage nach dem Sicherheitsempfinden im Wohnge-
biet nach Einbruch der Dunkelheit12 gibt eine klare Mehrheit der Befragten an,
sich eher oder sehr unsicher zu fühlen. Im Stadtteil Altendorf sind es sogar über
drei Viertel der Befragten. Erwartungsgemäß fallen die Anteilswerte erheblich nied-
riger aus, wenn man stattdessen nach dem Sicherheitsgefühl tagsüber fragt (vgl. Ta-
belle 1). Jedoch schätzen auch hier 12 – 26 % der Anwohnerinnen und Anwohner ihr
Wohngebiet als (eher) unsicher ein. Diese ganz allgemeine Furchteinschätzung liegt
erheblich über dem Niveau, das für das Bundesland Nordrhein-Westfalen insgesamt
im Rahmen des Deutschen Viktimisierungssurveys 2017 erhoben wurde. Dort lagen
die Werte für NRW bei 25 % für eher/sehr unsicher bei Dunkelheit (Birkel et
al. 2019, 46).
Tabelle 1
Standardindikatoren der Kriminalitätsfurcht (in %)
Stadtkern Nordviertel Altendorf
bei bei bei
tagsüber tagsüber tagsüber
Dunkelheit Dunkelheit Dunkelheit
sehr unsicher 26 3 28 1 40 4
eher unsicher 39 9 35 13 37 22
eher sicher 29 49 30 47 18 49
sehr sicher 6 39 7 39 4 25
gewichtete Daten

Neben den Standardindikatoren wurde auch deliktspezifisch nach dem Beunruhi-


gungsgefühl und dem wahrgenommenen Risiko gefragt, Opfer eines Verkehrsunfalls
oder einer der folgenden Taten zu werden: Wohnungseinbruchsdiebstahl, Raub, Kör-
perverletzung durch fremde/bekannte Personen, Diebstahl, Beleidigung/Pöbelei,
Betrug und sexuelle Belästigung. Ebenso wurde erfragt, ob die Befragten tagsüber
und bei Dunkelheit bestimmte Orte und Situationen meiden, Schutzmaßnahmen tref-
fen oder sich gar bewaffnen.
Die deliktspezifischen Beunruhigungsgefühle sind in allen Stadtteilen niedriger
als die allgemeine Kriminalitätsfurcht bei Dunkelheit; im Mittel zeigt sich jeweils

11
Von einem Migrationshintergrund wird hier ausgegangen, wenn Befragte nicht in
Deutschland geboren wurden, wenn sie eine andere als die deutsche Staatsbürgerschaft haben
oder wenn ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde.
12
Frageformulierung „Wie sicher fühlen Sie sich – oder würden Sie sich fühlen –, wenn
Sie … nach Einbruch der Dunkelheit alleine zu Fuß in Ihrem Wohngebiet unterwegs sind? …
tagsüber alleine zu Fuß in Ihrem Wohngebiet unterwegs sind?“
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft 177

ein Drittel bis knapp die Hälfte der Befragten von den erfragten Delikten ziemlich
oder sehr beunruhigt. Die Unterschiede zwischen den Delikten sind insgesamt
nicht sehr groß; lediglich körperliche Auseinandersetzungen mit ihnen bekannten
Personen sind für die Befragten weniger Grund zur Beunruhigung, darüber hinaus
für die männlichen Befragten auch sexuelle Belästigungen. Schaut man auf die wahr-
genommenen Viktimisierungsrisiken, zeigt sich, dass mit Blick auf das kommende
Jahr kaum eines der Delikte von mehr als einem Viertel der Befragten für wahr-
scheinlich oder sehr wahrscheinlich gehalten wird. Es stechen nur die Wahrschein-
lichkeit, von jemandem angepöbelt zu werden (etwas mehr als die Hälfte hält dies für
wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich), sowie – durch die geringe angenommene
Wahrscheinlichkeit (2 – 3 % der Befragten) – Körperverletzungen durch Personen
des nahen Umfeldes heraus.
Um sich vor Kriminalität zu schützen, haben über zwei Drittel im zurückliegen-
den Jahr bestimmte Orte, Straßen und Plätze im Wohngebiet – insbesondere bei Dun-
kelheit – gemieden. Auch anderes Vermeideverhalten findet sich häufig (u. a. bei
Dunkelheit keine Wege zu Fuß, alleine oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück-
zulegen). Ein recht hoher Befragtenanteil von über einem Viertel berichtet, zum ei-
genen Schutz Pfeffersprays oder Ähnliches mitzunehmen. Etwa 5 % tragen nach ei-
gener Auskunft aus Sicherheitserwägungen sogar ein Messer oder eine andere Waffe
bei sich.
Insgesamt ergibt sich für die beiden Fallstudiengebiete ein recht konsistentes Bild
eines sehr stark gestörten Sicherheitsempfindens, das zwar deutliche Niveauunter-
schiede nach Tageszeit erkennen lässt, sich aber hinsichtlich von Situationen bzw.
konkreter Delikte kaum unterscheidet. Hierbei überlappen sich die einzelnen Per-
spektiven stark: Höhere Furcht tagsüber geht auch stark mit höherer Unsicherheit
bei Dunkelheit einher (r = 0,6), die Angst vor Wohnungseinbrüchen korreliert mit
der vor Raub und Körperverletzungen (r = 0,7 bzw. 0,6). Ebenso zeigen sich starke
Zusammenhänge, wenn die Einzelmessungen zur Kriminalitätsfurcht zu den Dimen-
sionen ,Beunruhigung‘ (emotional), ,Entdeckungsrisiko‘ (kognitiv) und Vermeide-
verhalten (konativ) gebündelt werden (Werte liegen hier bei etwa r = 0,5).
Diese Befunde bilden den Ausgangspunkt für die folgenden Analysen, die Zu-
sammenhänge zwischen individuellen Erfahrungen, Wahrnehmungen des Wohnge-
bietes sowie Einstellungen gegenüber dort lebenden Mitmenschen einerseits und der
Kriminalitätsfurcht andererseits betrachten. Gerade dort, wo sich ein (niedriges) all-
gemeines Sicherheitsempfinden zum Teil losgelöst von Situationen und Erschei-
nungsformen der Kriminalität präsentiert, erscheint dies vielversprechend. Zur Ver-
einfachung der Darstellung wird in den folgenden Analysen besonderes Augenmerk
auf das Beunruhigungsgefühl gelegt, das die emotionale Dimension der Kriminali-
tätsfurcht in besonderem Maße charakterisiert.13

13
Im Fragebogen werden die Fragen eingeleitet mit „Inwieweit fühlen Sie sich persönlich
beunruhigt, dass …“ gefolgt von Formulierungen zu spezifischen Delikten. Die hier zu einem
Index gebündelten sieben Items weisen faktorenanalytisch eine eindimensionale Struktur auf:
178 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

Viktimisierungserfahrungen: Die Befragten wurden gebeten, für elf Delikte zu be-


richten, ob sie in den letzten 5 Jahren bzw. 12 Monaten Opfer dieser Straftaten ge-
worden waren.14 Etwa 49 % der Befragten, die im Stadtkern und in Altendorf
leben, wurden im letzten Jahr Opfer mindestens einer dieser Straftaten.15 Im Nord-
viertel liegt der Wert mit 42 % nur wenig niedriger. Besonders häufig werden Sach-
beschädigungen und Diebstahlsdelikte berichtet, aber auch Körperverletzungen (4
bis 9 %), sexuelle Belästigungen (7 bis 9 %) und Raub (2 bis 5 %) zeigen relativ
hohe Belastungen an. Die Struktur des Dunkelfeldes unterscheidet sich zwischen
den Untersuchungsgebieten nicht erheblich. Tendenziell berichten Frauen etwas
häufiger solche Viktimisierungserfahrungen. Erst im höheren Lebensalter gehen
die Viktimisierungsraten deutlich zurück. Differenziert man nach dem Migrations-
hintergrund, ergeben sich keine systematischen Unterschiede. Wer im letzten Jahr
als Opfer Erfahrungen mit Straftaten machen musste, zeigt ein erkennbar niedrigeres
Sicherheitsgefühl (je nach Stadtteil r = 0,21 bis 0,27).
Incivilities: Wie bereits zuvor deutlich wurde, wird Kriminalitätsfurcht in den Es-
sener Fallstudiengebieten mit der Wahrnehmung von Missständen im Wohngebiet
verknüpft. Hierbei handelt es sich überwiegend um Störungen von Ordnungsvorstel-
lungen (sog. Incivilities). Untersucht wurden sowohl physische Spuren von abwei-
chendem Verhalten im öffentlichen Raum als auch störendes Verhalten, das direkt
beobachtet wird.16 Zwei Problembereiche lassen sich stadtteilübergreifend feststel-
len: Herumliegender Abfall und rücksichtloses Verhalten im Straßenverkehr sind die
beiden Themen, die von deutlich mehr als der Hälfte der Anwohnerinnen und An-
wohner als schlimm bewertet und zugleich sehr häufig wahrgenommen werden.
Fasst man die Einschätzungen zu allen Incivilities zusammen,17 zeigt sich eine starke

Wohnungseinbruch, Raub, Körperverletzung (durch Fremde), Diebstahl, Pöbelei/Beleidigung,


Betrug und sexuelle Belästigung. Die vierstufige Antwortskala reichte von „gar nicht beun-
ruhigt“ bis „sehr stark beunruhigt“.
14
Gefragt wurde nach versuchtem Einbruch, Einbruchsdiebstahl, Sachbeschädigung, Kfz-
Diebstahl, Fahrraddiebstahl, sonstigen Diebstählen, Körperverletzung, Raub, sexueller Be-
lästigung, Betrug und Trickbetrug („Enkeltrick“).
15
Für die jeweils letzte berichtete Tat haben die Befragten das Wohngebiet als Tatort
angegeben; ein Teil der Opfererfahrungen ist jedoch in anderen Wohngebieten bzw. außerhalb
Essens gemacht worden.
16
Hierbei wird im Fragebogen zwischen der Bewertung dieser Incivilities („gar nicht
schlimm“ bis „sehr schlimm“) und ihrer Häufigkeit („nie“ bis „sehr oft“) unterschieden. Ab-
gefragt wurden: herumliegender Abfall, Sachbeschädigungen/Vandalismus, Hinterlassen-
schaften von Drogenkonsumenten, herumstehende Menschengruppen, lärmende Menschen,
Streitereien, Drogenhandel, rücksichtloses Verhalten im Straßenverkehr und Pöbeleien/Be-
leidigungen.
17
Vor der Zusammenfassung werden jeweils Bewertung und Häufigkeitswahrnehmung
miteinander multipliziert. Wird ein Verhalten nie beobachtet, wird seine Bewertung für un-
erheblich erachtet. Insgesamt soll so einer wahrgenommenen Störung nur dann besonderes
Gewicht zukommen, wenn sie als (eher) schlimm und zugleich als (eher) häufig angesehen
wird.
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft 179

Beziehung zum Sicherheitsempfinden: Je intensiver Incivilities wahrgenommen


werden, desto stärker ist die Kriminalitätsfurcht ausgeprägt (r = 0,4).
Soziale Kohäsion: Wohngebiete und Stadtteile sind zwar einerseits Tatorte, zu-
gleich aber auch die Orte, an denen Einwohnerinnen und Einwohner sich gegenseitig
vor Kriminalität schützen und ihr Sicherheitsempfinden stärken können. Die Befra-
gungsdaten weisen darauf hin, dass die soziale Kohäsion18 eines Wohngebietes stark
mit der Bereitschaft einhergeht, mit der dort eingegriffen wird, wenn sich Regelver-
stöße und Straftaten ereignen. Gleiches gilt für die Beobachtung von Konflikten zwi-
schen Bevölkerungsgruppen. In beiden Fallstudiengebieten gibt die Mehrheit der Be-
fragten zum sozialen Zusammenhalt im Wohngebiet mittlere bis leicht negative Ein-
schätzungen ab. Im Vergleich zu weiteren (hier nicht näher dargestellten) Essener
Stadtteilen zeigt sich hierin eher geringe soziale Kohäsion. Innerhalb der Fallstudi-
engebiete gilt, dass diejenigen, die höheren Zusammenhalt in ihrem direkten Wohn-
umfeld wahrnehmen, gleichzeitig ein höheres Sicherheitsempfinden aufweisen
(r = 0,3).
Wahrnehmung von Zuwanderung: Vor dem Hintergrund des Wandels in der Be-
völkerungsstruktur der Fallstudiengebiete wurden mit Blick auf die letzten 5 Jahre
vor der Befragung mehrere Statements formuliert, die positive und negative Einstel-
lungen gegenüber Zuwanderung zum Ausdruck bringen. Aus messtheoretischen
Gründen und aufgrund größerer Übersichtlichkeit werden hier die zuwanderungskri-
tischen Positionen berücksichtigt.19 Im Fallstudiengebiet Stadtkern/Nordviertel äu-
ßert etwas mehr als die Hälfte der Befragten zumindest der Tendenz nach negative
Einstellungen gegenüber Zuwanderung und den zugewanderten bzw. geflüchteten
Menschen in Essen. In Altendorf ist dies noch deutlicher zu erkennen (etwa
66 %). Ausgeprägt negative Positionen (Mittelwerte über 3,5 auf der vierstufigen
Skala) finden sich bei 13 bis 18 % der Befragten. Befragte ohne Migrationshinter-
grund sehen die Zuwanderung zwar tendenziell etwas kritischer, große Herkunftsun-
terschiede sind in den durch Zuwanderung geprägten Fallstudiengebieten jedoch in-
teressanterweise nicht auszumachen. Ältere Befragte äußern erkennbar häufiger (ex-
trem) kritische Positionen. Bivariat zeigt auch die Wahrnehmung von Zuwanderung
eine starke Übereinstimmung mit der Kriminalitätsfurcht: Je kritischer Zuwande-
rung gesehen wird, desto eher berichten Befragte von höherer Furcht (r = 0,3 bis 0,4).

18
In Bezug auf das Wohngebiet der Befragten sollten folgende Statements bewertet wer-
den: „Die Leute hier helfen sich gegenseitig“, „Man kann den Leuten in der Nachbarschaft
vertrauen“, „Die Leute hier haben keine gemeinsamen Werte“ (umgepolt) und „Die Leute hier
haben Respekt vor dem Gesetz“.
19
Die Formulierungen waren: „Die Zuwanderung aus ärmeren Ländern ist eine Belastung
für das Sozialversicherungssystem“, „Die Zuwanderung aus Kriegs- und Krisengebieten trägt
die dortigen Konflikte nach Essen“, „Dass hier Menschen aus verschiedenen Ländern und
Kulturen leben, ist ein Gewinn für Essen“ (umgepolt), „Die Zuwanderung hat zu mehr Kri-
minalität in Essen geführt“ und „Dass in Essen Zuwanderer aufgenommen wurden, ist ins-
gesamt ein Nachteil für die Stadt“.
180 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

Die nachfolgende multivariate Regressionsanalyse (vgl. Tabelle 2) soll als ein ers-
ter Versuch verstanden werden, die Überlappungen in den betrachteten Zusammen-
hangsstrukturen zu reduzieren. Auch wenn Kausalbeziehungen allenfalls unterstellt
werden können, verdeutlicht die Analyse, wie stark die Beziehungen zur Kriminali-
tätsfurcht ausgeprägt sind, wenn alle Konzepte simultan berücksichtigt werden.
Vergleicht man die Koeffizienten der verschiedenen Stadtteile bzw. Fallstudien-
gebiete, sind die Erklärungsleistung und die Grundstruktur der Modelle recht ähn-
lich. Viktimisierungserfahrungen und die intensive Wahrnehmung von Incivilities
führen zu höherer Kriminalitätsfurcht. Gleiches trifft mit Blick auf zuwanderung-
skritische Einstellungen zu. Im Vergleich kommt Opfererfahrungen insgesamt
etwas geringere Bedeutung zu als den anderen beiden furchtsteigernden Merkmalen.
Demgegenüber ist der sicherheitssteigernde Effekt der sozialen Kohäsion deutlich
schwächer ausgeprägt und zum Teil nicht stark genug, um signifikant nachgewiesen
zu werden. Über die genannten Zusammenhänge hinaus finden sich keine Altersef-
fekte hinsichtlich der Kriminalitätsfurcht sowie nur teilweise signifikante Effekte des
Migrationshintergrundes, die tendenziell in Richtung höherer Furcht bei nicht in
Deutschland geborenen Personen weisen. Die höhere Kriminalitätsfurcht bei weib-
lichen Befragten bleibt auch unter Kontrolle der anderen Merkmale erkennbar.
Tabelle 2
Regressionsanalyse zur Kriminalitätsfurcht
(standardisierte Koeffizienten der OLS-Regression)
abhängige Var.: Beunruhigungsgefühl Stadtkern Nordviertel Altendorf
Viktimisierung (0 = keine) 0,15 0,13 0,10
Incivilities 0,25 0,30 0,29
soziale Kohäsion -0,14 -0,01 -0,10
Kritik an Zuwanderung 0,19 0,18 0,24
Geschlecht (0 = weiblich)
männlich -0,11 -0,17 -0,13
Alter 0,03 -0,01 0,01
Migrationshintergrund (0 = keiner)
ja, in Deutschland geboren 0,09 0,05 -0,01
ja, nicht in Deutschland geboren 0,14 0,11 0,02
N 225 441 961
R2 29,1 % 25,5 % 29,3 %
ungewichtete Daten, kursiv gesetzte Koeffizienten sind nicht signifikant (p > 0,05)

Fazit
Wenige Jahre nach dem Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingskrise“ wurden
vielfältige Aspekte lokaler Sicherheit am Beispiel von stark durch Migration und so-
ziale Probleme geprägten Stadtteilen einer westdeutschen Großstadt mittels quanti-
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft 181

tativer und qualitativer Daten untersucht. Welches Bild lässt sich anhand der bishe-
rigen Befunde skizzieren?
Das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung in den untersuchten Stadtteilen ist –
jedenfalls im Vergleich mit Daten auf der Ebene des Bundes oder des Landes Nord-
rhein-Westfalen – beeinträchtigt; insbesondere bei Dunkelheit wird das eigene
Wohnquartier als ein wenig sicherer Ort erlebt. Dies ist insofern erwartungskonform,
als die hier in den Blick genommenen Stadtteile gerade im Hinblick auf ihren Cha-
rakter als Räume mit überdurchschnittlichen sozialen Problemlagen ausgewählt wur-
den; das Ausmaß der zum Ausdruck gebrachten Verunsicherung muss dennoch als
beträchtlich erachtet werden.
Auf der Basis der qualitativen (Interview-)Daten lässt sich das gestörte Sicher-
heitsempfinden der Bewohnerinnen und Bewohner in erster Linie als diffuse Beun-
ruhigung und Verunsicherung charakterisieren und weniger als unmittelbar auf Straf-
taten im Allgemeinen oder auf spezifische Deliktsbereiche bezogene Kriminalitäts-
furcht im engeren Sinne. In den quantitativen Analysen wird das große Ausmaß des
Unsicherheitsempfindens ebenfalls deutlich. Zugleich finden sich auch hier Hinwei-
se, dass dieses Empfinden allgemeiner Natur und nicht nur an Kriminalitätsphäno-
mene gebunden ist.
Erlebte Unsicherheit weist – den quantitativen wie den qualitativen Daten zufol-
ge – deutliche Bezüge zu wahrgenommenen Störungen der sozialen Ordnung und
„Verfallserscheinungen“ der sozialen und physischen Umwelt auf. Diese Wahrneh-
mungen von Incivilities/Disorder haben – jedenfalls in Teilen – Bezüge zu Fragen
von Migration und Zuwanderung. Wahrgenommene Störungen der sozialen Ord-
nung können etwa mit Fragen der Nutzung des öffentlichen Raumes und z. B. mit
dem Verhalten von Gruppen junger Männer mit Zuwanderungsgeschichte auf Plät-
zen und Straßen verknüpft sein.
Kritische Einstellungen zu Zuwanderung und die Wahrnehmung einer zunehmen-
den Prägung des Wohnquartiers durch sichtbare ethnische Minderheiten gehen mit
der Wahrnehmung und dem Erleben beeinträchtigter oder beschädigter Sicherheit
einher; zum Teil wird Zuwanderung mit einer langfristigen Schwächung sozialen
Zusammenhalts in Verbindung gebracht. Romantisierende Vorstellungen einer
„guten alten Zeit“, in der man im Quartier noch zusammenhielt, mögen hier eine
Rolle spielen und auch Ausdruck eines allgemeinen Unbehagens angesichts gesell-
schaftlicher Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse sein. In den zurück-
liegenden Jahren wurden Bezüge zwischen erlebter Unsicherheit auf der einen Seite
und Haltungen gegenüber Fremden (insbesondere Angehörigen sichtbarer ethni-
scher Minoritäten) sowie dem Erleben gesellschaftlicher Wandlungsprozesse auf
der anderen Seite in verschiedenen Studien als bedeutsam herausgearbeitet (vgl.
etwa Hirtenlehner 2009; Hirtenlehner & Farrall 2013; Hirtenlehner & Groß
2018; Janssen, Oberwittler & Gerstner 2019; Oberwittler, Janssen & Gerstner
2017).
182 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

Die starke fluchtbedingte Migration insbesondere in den Jahren 2015 und 2016
wurde zu einem zentralen Gegenstand politischer Auseinandersetzungen und gesell-
schaftlicher Diskurse und ist es in Teilen bis heute geblieben. In den Sicherheitswahr-
nehmungen der Menschen in den untersuchten Stadtvierteln sind Migration, Zuzug
sichtbarer Minderheiten und damit assoziierte gesellschaftliche Veränderungen
durchaus von Bedeutung für Sicherheitsempfinden und sicherheitsbezogene Wahr-
nehmungen. Die vorliegenden Befunde weisen zugleich darauf hin, dass dem histo-
rischen Ereignis der Flucht vor allem aus dem von Krieg und Krisen erschütterten
Vorderen Orient und (Nord-)Afrika hierbei nicht die dominierende Stellung zu-
kommt, die es im Rahmen der in den letzten Jahren in Deutschland geführten poli-
tischen Kontroversen hatte.

Literaturverzeichnis

Ahrends, P.A. (2017): Skepsis und Zuversicht – Wie blickt Deutschland auf Flüchtlinge? Han-
nover.
Baumann, G. (1999): The multicultural riddle: Rethinking national, ethnic and religious iden-
tities. New York.
Behrendes, U. (2016): Die Kölner Silvesternacht 2015/2016 und ihre Folgen: Wahrnehmungs-
perspektiven, Erkenntnisse und Instrumentalisierungen. Neue Kriminalpolitik 28/3, S. 322 –
343.
Birkel, C., Church, D., Hummelsheim-Doss, D., Leitgöb-Guzy, N. & Oberwittler, D. (2019): Der
Deutsche Viktimisierungssurvey 2017. Opfererfahrungen, kriminalitätsbezogene Einstellun-
gen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und Kriminalität in Deutschland. Wiesbaden.
Bogumil, J., Hafner, J. & Kastilan, A. (2017a): Städte und Gemeinden in der Flüchtlingspolitik:
Welche Probleme gibt es – und wie kann man sie lösen? Essen.
Bogumil, J., Hafner, J. & Kastilan, A. (2017b): Verwaltungshandeln in der Flüchtlingspolitik –
Vollzugsprobleme und Optimierungsvorschläge für den Bereich der kommunalen Integrati-
on. Verwaltungsarchiv 108/4, S. 467 – 488.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Aktuelle Zahlen, Ausgabe September 2019;
http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/aktuelle-
zahlen-zu-asyl-september-2019.pdf?__blob=publicationFile [08. 11. 2019].
Egg, R. (2017): Kölner Silvesternacht 2015: Verlauf, Ursachen und Folgen. Forensische Psych-
iatrie, Psychologie, Kriminologie 11/4, S. 296 – 303.
Europäische Kommission (Hrsg.) (2016): Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union.
Standard-Eurobarometer 84, Herbst 2015. Erste Ergebnisse. Brüssel.
Geiges, L. (2018): Wie die AfD im Kontext der „Flüchtlingskrise“ mobilisierte: eine empirisch-
qualitative Untersuchung der „Herbstoffensive 2015“. Zeitschrift für Politikwissenschaft 28/
1, S. 49 – 69.
Geiges, L., Marg, S. & Walter, F. (2015): Pegida: die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?
Bielefeld.
Lokale (Un-)Sicherheiten in der Migrationsgesellschaft 183

Gesemann, F. & Roth. R. (Hrsg.) (2009): Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsge-


sellschaft: Migration und Integration als Herausforderung von Kommunen. Wiesbaden.
Glas, I., Engbersen, G. & Snel, E. (2018): The street level and beyond: The impact of ethnic
diversity on neighborhood cohesion and fear of crime among Dutch natives and nonnatives.
Journal of Urban Affairs 41, S. 737 – 755.
Goeckenjan, I., Schartau, L. & Roy-Pogodzik, C. (2019): Flucht als Sicherheitsproblem: For-
schungsperspektiven zu Kriminalität im Kontext von Flucht. Neue Kriminalpolitik 31/2,
S. 123 – 141.
Häusler, A. (2016): Die AfD als rechtspopulistischer Profiteur der Flüchtlingsdebatte, in: O. De-
cker, J. Kiess & E. Brähler (Hrsg.), Die enthemmte Mitte: autoritäre und rechtsextreme Ein-
stellung in Deutschland. Gießen, S. 167 – 178.
Hirtenlehner, H. (2009): Kriminalitätsangst – klar abgrenzbare Furcht vor Straftaten oder Pro-
jektionsfläche sozialer Unsicherheitslagen. Journal für Rechtspolitik 17, S. 13 – 22.
Hirtenlehner, H. & Farrall, S. (2013): Anxieties about modernization, concerns about commu-
nity, and fear of crime: Testing two related models. International Criminal Justice Review 23,
S. 5 – 24.
Hirtenlehner, H. & Groß, E. (2018): Sichtbare ethnische Vielfalt und Furcht vor Kriminalität.
Kriminalistik 8 – 9, S. 526 – 531.
Hirtenlehner, H. & Hummelsheim, D. (2015): Kriminalitätsfurcht und Sicherheitsempfinden.
Die Angst der Bürger vor dem Verbrechen (und dem, was sie dafür halten), in: N. Guzy,
C. Birkel & R. Mischkowitz (Hrsg.), Viktimisierungsbefragungen in Deutschland. Band 1.
Ziele, Nutzen und Forschungsstand. Wiesbaden, S. 458 – 487.
Hooghe, M. & De Vroome, T. (2016): The relation between ethnic diversity and fear of crime:
An analysis of police records and survey data in Belgian communities. International Journal
of Intercultural Relations 50, S. 66 – 75.
Janssen, H.J., Oberwittler, D. & Gerstner, D. (2019): Dissecting disorder perceptions: Neigh-
borhood structure and the moderating role of interethnic contact and xenophobic attitudes.
International Criminal Justice Review, 1 – 28.
Küpper, B., Rees, J. & Zick, A. (2016): Geflüchtete in der Zerreißprobe – Meinungen über
Flüchtlinge in der Mehrheitsbevölkerung, in: R. Melzer (Hrsg.), Gespaltene Mitte – Feind-
selige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016. Bonn, S. 83 – 110.
Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (2019): Fallzahlen ausgewählter Delikte für Essener
Stadtteile. persönliche Mitteilung vom 29. 11. 2010.
Landsberg, G. (2015): Aufnahmefähigkeit der Kommunen nicht unbegrenzt. Berlin.
Oberwittler, D., Janssen, H. & Gerstner, D. (2017): Unordnung und Unsicherheit in großstäd-
tischen Wohngebieten. Die überschätzte Rolle von „Broken Windows“ und die Herausforde-
rungen ethnischer Diversität. Soziale Probleme 28/2, S. 181 – 205.
Perthus, S. & Belina, B. (2017): Policing the Crisis in Bautzen: die Polizei in der Ethnisierung
eines städtischen Konfliktes. Soziale Probleme 28/2, S. 241 – 259.
Platenkamp, J.D.M. (2014): Strangers, the state and the self in Germany: A comparative view.
Austrian Academy of Sciences Working Papers in Social Anthropology 27, S. 1 – 9.
184 Thomas Görgen, Eva Sevenig und Jochen Wittenberg

Polizeipräsidium Essen (2019): Jahresbericht Kriminalitätsentwicklung 2018. http://essen.poli


zei.nrw/sites/default/files/2019-11/PKS_2018_0.pdf [08. 11. 2019].
Rauschenbach, T. (2016): Liebe Leserinnen und Leser [Editorial]. DJI Impulse 3, S. 3.
Schartau, L.K., Roy-Pogodzik, C., Gruß, J., Feltes, T., Goeckenjan, I., Hoven, E., Ruch, A. &
Singelnstein, T. (2018): Die Angst vor dem Fremden. Arbeitspapier 3. Bochum.
Schuler, K. (2018): Die Entscheidung ihres Lebens. ZEIT ONLINE; https://www.zeit.de/politik/
deutschland/2018-06/angela-merkel-fluechtlingspolitik-entscheidung-europa-asylstreit-horst-
seehofer [09. 11. 2019].
Stadt Essen (2019a): Bevölkerungsatlas Essen. Amt für Statistik, Stadtforschung und Wahlen.
Essen; https://webapps.essen.de/instantatlas/atlas.html [08. 11. 2019]
Stadt Essen (2019b): Ein Blick auf … Stadtteile in Essen. Altendorf 2018, 10/2019. Essen.
Stadt Essen (2019c): Ein Blick auf … Stadtteile in Essen. Nordviertel 2018, 10/2019. Essen.
Stadt Essen (2019d): Sozialatlas Essen. Amt für Statistik, Stadtforschung und Wahlen. Essen;
https://webapps.essen.de/instantatlas/sozialatlas/atlas.html [08. 11. 2019]
Stadt Essen (2019e): Ein Blick auf … Stadtteile in Essen. Stadtkern 2018, 10/2019. Essen.
Weber, H. (2016): Mehr Zuwanderer, mehr Fremdenangst? Ein Überblick über den Forschungs-
stand und ein Erklärungsversuch aktueller Entwicklungen in Deutschland. Berliner Journal
für Soziologie 25, S. 397 – 428.
Weins, C. (2011): Gruppenbedrohung oder Kontakt? Ausländeranteile, Arbeitslosigkeit und
Vorurteile in Deutschland. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63,
S. 481 – 499.
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung
von Sicherheit – wie Soziale Arbeit Sicherheit ohne
Sicherungs- oder Ermittlungsauftrag herstellt
Eine qualitative Studie zum Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen

Von Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

1. Einleitung, Sicherheitsdiskurs und Erkenntnisinteresse


Kriminalität eignet sich für mediale Darstellung und mediale Skandalisierung
(Ostendorf 2018, 11; Dollinger & Schmidt-Semisch 2018, 3). In der Diskussion
um Sicherheit wird sie als Bedrohung für ein sorgloses Leben in besonderer
Weise fokussiert. Angst vor Straftaten steht nach den Ergebnissen der aktuellen
R+V-Studie (2019) nicht auf den vorderen Rängen. Allerdings verbergen sich mög-
licherweise bei den die beiden ersten Plätze einnehmenden Ängsten vor „Überforde-
rung des Staats durch Flüchtlinge“ und vor „Spannungen durch Zuzug von Auslän-
dern“ (R+V Versicherung 2019) zugleich Ängste vor kriminellen Handlungen, die
von den genannten Populationen begangen werden könnten. Mediale Fokussierung
auf Kriminalität ändert sich nicht mit dem tatsächlichen Aufkommen. Kommt das
Ereignis seltener vor, zum Beispiel von Jugendlichen begangene Gewaltdelikte,
wird es, so Pfeiffer, Baier & Kliem (2018, 70), häufiger in den Medien aufgegriffen
werden. Eine Mehrheit in der Bevölkerung vermutet einen Anstieg von Kriminalität
und sieht sich dadurch größeren Risiken ausgesetzt, auch wenn statistische Zahlen
einen Rückgang der Kriminalität dokumentieren (Dollinger & Schmidt-Semisch
2018, 3). Der Ruf nach Sicherheit scheint eine von objektiven Sicherheitslagen los-
gelöste Größe zu sein (Bundeskriminalamt 2018, 3). Politische Akteure und Akteu-
rinnen, an die der Wunsch nach Minimierung von nicht kontrollierbaren Risiken
adressiert wird, können sich in diesem Feld profilieren, auf jeden Fall müssen sie
sich positionieren (Frevel & Rinke 2017, 6). Versprechen, für mehr Sicherheit zu sor-
gen, wirken beruhigend und suggerieren zugleich, es bestünden Bedarfe. Dadurch
wird eine Ausrichtung der sicherheitspolitischen Maßnahmen an Risiken und an
einem schlimmstmöglichen Szenarium befördert (Kreissl 2018, 19). Gestillt wird da-
durch die Sehnsucht nach einem Leben ohne (selbstgewählte) Risiken nicht. Instal-
lationen, die Sicherheit fördern sollen, wie Videoüberwachungen an öffentlichen
Plätzen oder an sogenannten Hotspots der Kriminalität, signalisieren demjenigen,
der den Platz betritt, er könnte gefährdet sein. Zudem verstärken Dokumentationen
186 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

von devianten Verhaltensweisen an solchen Plätzen, wenn sie medial verbreitet wer-
den, Bedrohungsgefühle (Haverkamp & Arnold 2015, 3).
Der Begriff und das Konstrukt Sicherheit werden von unterschiedlichen Fachdis-
ziplinen umfassend, und wie nicht anders zu erwarten, kontrovers diskutiert. Soziale
Arbeit ist in zahlreichen Tätigkeitsfeldern mit Personen befasst, von denen Risiken
für Sicherheit ausgehen. Als solchermaßen risikobehaftet gelten sie als Bedrohung,
sei es indem sie sich abweichend oder gar delinquent verhalten oder durch auffälliges
Verhalten die öffentliche Ordnung stören. Vor allem in Zwangskontexten arbeiten
Fachkräfte der Sozialen Arbeit mit Menschen, die sich gefährdend verhalten
haben und von denen angenommen wird, auch zukünftig würde von ihnen, könnten
sie den Zwangskontext verlassen, eine Gefahr für die Rechtsgüter anderer ausgehen.
Fachvertreter*innen der Sozialen Arbeit sehen sich in unterschiedlichen Tätigkeits-
feldern mit der Frage konfrontiert, inwieweit sie Akteur*innen bei der Herstellung
von Sicherheit sind oder ob sie ein derartiges Ansinnen abwehren wollen, weil sie
sich allein den Interessen ihrer Klientel verpflichtet fühlen und allenfalls mittelbar
durch deren Stärkung Bedrohungspotentiale reduzieren können. Verbunden damit
ist auch die Frage, ob es im Selbstverständnis der Sozialen Arbeit um „eindeutige
Parteinahme für die Adressat*innen“ (Kühne, Schlepper & Wehrheim 2017, 339)
oder um Hilfe für die der Sicherheitsherstellung verpflichteten Institutionen geht1.
Der an die Soziale Arbeit zum Beispiel im Rahmen der Sozialen Dienste in der Straf-
justiz adressierte Auftrag könnte zumindest mittelbar auch als Sicherheit generieren
durch Kontrolle und Unterstützung verstanden werden. Zudem sieht sich die Profes-
sion mit der Erwartung konfrontiert, Verhalten zu normalisieren (Olk 1986). Eine Er-
wartung, der sie möglicherweise nicht entsprechen möchte.
Sicherheit wird als facettenreicher und zugleich schillernder Begriff wahrgenom-
men. Die unterschiedlichen Zugänge zum Konstrukt Sicherheit und zum Prozess der
Sicherheitsherstellung sollen mit Blick auf ihre Relevanz für die Wissenschaft und
Profession Soziale Arbeit diskutiert werden. Dabei wird zugleich analysiert, inwie-
weit sich Soziale Arbeit am Diskurs beteiligt. Sodann werden Risiken und Nebenwir-
kungen benannt, denen die Klientel der Sozialen Arbeit ausgesetzt sind. Risiken er-
geben sich aus dem Umfeld und aus Tatabläufen, Nebenwirkungen aus dem Vollzug
von Sanktionen, in dessen Kontext Gefährdungen und möglicherweise Viktimisie-
rungen auftreten. Wenig Raum nimmt bislang in der Diskussion die Frage ein, inwie-
weit diejenigen, die in Zwangskontexten mit Menschen arbeiten, von denen Risiken
ausgehen können, ihre Sicherheit bedroht sehen. Sodann wird ein Aspekt der Sicher-
heit diskutiert, dem sich Soziale Arbeit in besonderem Maße verpflichtet sieht – die
soziale Sicherheit. Zudem wird zunächst professionstheoretisch und sodann empi-
risch erkundet, mit welchem Sicherheits- und Selbstverständnis Soziale Arbeit
sich in Tätigkeitsbereichen positioniert, in denen sie sich mit der Frage nach Sicher-
heitsherstellung in besonderer Weise herausgefordert sehen könnte. Im Rahmen des

1
Eine klassische Fragestellung in der Sozialen Arbeit, die u. a. in der Replikationsstudie
von Kühne et al. (2017) erforscht wird.
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 187

qualitativen Forschungsdesigns werden Expert*innen aus den Arbeitsfeldern Be-


währungshilfe, Forensik, Psychiatrie, Strafvollzug und Jugendstrafvollzug inter-
viewt und das Material mittels integrativem Basisverfahren ausgewertet. Soziale Ar-
beit wird in den genannten Bereichen von Sicherheitsbedürfnissen und dem ausge-
prägten Wunsch nach Risikovermeidung in besonderer Weise betroffen sein2.

2. Dimensionen der Sicherheit und Sicherheitslagen


Sicherheit kann erforscht werden in Systemen und Strukturen, in Bezug auf Indi-
viduen, auf geographische und virtuelle Räume, mithin auf Lebenswelten und Le-
benslagen (Kraus 2019, 104 ff.). Je nachdem, worauf fokussiert wird, auf Spezifika
des Risikos, auf Bedingungen, die eine Realisierung des Risikos fördern oder hin-
dern, auf Schadensfolgen, auf Methoden der Prävention, auf Resilienz, differenziert
sich das Thema weiter aus. Für die Analyse des Begriffs und die Einordnung von
Themen im empirischen Teil ist es hilfreich zu strukturieren, unterschiedliche Felder
zu identifizieren und sie zu clustern. Die von Daase bereits in den 90er Jahre entwi-
ckelten und später erweiterten Dimensionen des Sicherheitsbegriffes eignen sich um
das sich wandelnde Konstrukt zu systematisieren und zugleich bieten die Raum-,
Sach-, Gefahren- und Referenzdimension (Daase 2013, 25) für die Praxis der Sozia-
len Arbeit passende Ordnungskriterien. Gesellschaft und Individuum, Strukturen und
Systeme, Räume und Gefahren werden in den Blick genommen (Daase 2013) und
damit klassische Kategorien des Wissenschaftsdiskurses der Sozialen Arbeit aufge-
griffen (Kraus 2018; 2019).
Blinkert, Eckert & Hoch unterschieden bei ihren Sicherheitsprofilen auf der Di-
mension Gefahren Normverletzungen und Katastrophen und differenzieren zudem
zwischen persönlicher Situation und strukturellen Problemen, die Einflussfaktoren
für das Messen der persönlichen Sicherheit sein können (2015, 171). Die befragten
Personen sehen ihre persönliche Sicherheit am ehesten durch Kriminalität, durch
Krankheiten, Unfälle, Incivilities und durch Abrutschen in prekäre Verhältnisse be-
droht (2015, 171). In den Forschungsansätzen sollte zudem eine Fokussierung auf die
negativen, Sicherheit bedrohenden Aspekte vermieden werden (Haverkamp & Ar-
nold 2015, 11; Frevel 2012, 18). Bei dem, wie (Un-)Sicherheit empfunden wird,
kommen auch Aspekte zum Tragen wie Lebenszufriedenheit, Vertrauen und Wohl-
befinden (Haverkamp & Arnold 2015, 11). Letzteres speist sich wiederum aus Va-
riablen wie Einbindung in soziale Netzwerke und finanzielle Absicherung (Grimm
2006, 18 ff.; Grimm & Raffelhüschen 2019, 40 ff.).
Die Komplexität der Themen und die Vielfalt der beteiligten Disziplinen kann un-
terschiedlichen Publikationen zu Sicherheit entnommen werden (Haverkamp & Ar-
nold 2015; Fischer & Masala 2016; Steinbrecher et al. 2018; Puschke & Singelnstein

2
Wir danken Mareike Ochs für die wertvolle Unterstützung und Hilfe, insbesondere im
Rahmen der qualitativen Studie.
188 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

2018). Mit der Einführung einer „Sicherheitskultur als interdisziplinäres For-


schungsprogramm“ (Daase 2013, 23) sollten Dimensionen des Sicherheitsbegriffs
und „ungleichzeitige Veränderungen von objektiver und subjektiver, nationaler
und internationaler, sozialer und militärischer Sicherheit“ beschrieben und analysiert
werden können. Nur ein interdisziplinäres Forschungsprogramm, in das auch die
„Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSid)“3 einzuordnen wären,
eignet sich, um die Dimensionen des Sicherheitsdiskurses zu erfassen. Zudem bedarf
es eines interdisziplinären Vorgehens um Risiken und Nebenwirkungen einschätzen
zu können, wenn in der Praxis Sicherheit oder zumindest das Sicherheitsempfinden
durch Implementation von Sicherheit fördernden Instrumenten gestärkt werden soll.
Auf Interdisziplinarität beruhende Forschungsbefunde können auch diejenigen stüt-
zen, die sich ausufernden Sicherheitsbegehren verweigern und einem vermeintlichen
sorglosen Leben ein Konzept eines guten Lebens mit Risiken und Gefährdungen ent-
gegensetzen wollen. Dollinger et al. (2017, 206) beklagen, dass sich die Soziale Ar-
beit, obgleich der „Tatsache, dass [sie] in jeder ihrer heterogenen Erscheinungsfor-
men mit der Realisierung von Projekten der Sicherheit verbunden ist“, „außerhalb
einzelner Arbeitsfelder – allen voran der Kinderschutz – bislang kaum nachhaltig
an der gegenwärtigen Sicherheitsdebatte beteiligt“; nun sei es „an der Zeit […]
nach dem Stellenwert von Sicherheit in der Sozialen Arbeit zu fragen“ und „sich
mit dem Projekt Sicherheit auch aus der Perspektive Sozialer Arbeit zu befassen“
(Dollinger et al. 2017, 207). Soziale Arbeit sollte als Wissenschaft ein Teil des inter-
disziplinären Vorgehens sein, kommt aber weder im Sicherheitsbarometer noch in
anderen Programmen und Publikationen mit eigenen Beiträgen vor (Haverkamp
& Arnold 2015; Fischer & Masala 2016; Puschke & Singelnstein 2018; Zoche, Kauf-
mann & Haverkamp 2010).
Ein objektives Maß, anhand dessen sich Sicherheit messen lässt, gibt es nicht. Je
nachdem, welcher Sicherheitssektor und welche Gefahrendimension in den Blick ge-
nommen wird, unterschieden sich die möglichen Instrumente. Grundsätzlich kann
angezweifelt werden, ob Sicherheitslagen objektiv erfasst werden können. „Es
gibt Ereignisse, an deren objektivem Vorliegen kein Zweifel besteht“ (Haverkamp
& Arnold 2015, 11). Häufig spielen bei der Beschreibung von Sicherheitslagen sozial
konstruierte Ereignisse, deren normative Wertung abhängig von Kultur und Gesell-
schaft ist, eine Rolle (siehe oben). Auch bei der Wahrnehmung von Ereignissen, die
allenfalls von Verschwörungstheoretiker*innen geleugnet werden können, wird die
jeweilige subjektive Deutung für das eigene Sicherheitsgefühl eine maßgebliche
Rolle spielen. Jedes Ereignis wird aufgrund des eigenen Erfahrungshorizontes be-
wertet, verarbeitet, klassifiziert und damit individualisiert. Erfasst wird demnach

3
Das Projekt „BaSiD“ lief von 2010 bis 2015. An dem interdisziplinären Verbundprojekt
waren Vertreter der gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen Soziologie, Kriminologie,
Medien- und Kommunikationswissenschaft, Psychologie, Rechtswissenschaft und Ethik be-
teiligt. Konsortialführer war das Max-Planck-Institut ausländisches und internationales
Strafrecht (Abteilung Kriminologie) Freiburg. Weitere Informationen unter: https://basid.
mpicc.de/de/basid_home.html [07. 02. 2020]. Vgl. dazu auch Haverkamp & Arnold 2015.
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 189

von Adressat*innen allenfalls eine objektivierte Sicherheit. Auch hier gibt es eine
Schnittmenge zu wissenschaftlichen Diskursen in der Sozialen Arbeit, insbesondere
zu konstruktivistischen, in denen grundlegend das Verhältnis von realen Lebenslagen
und konstruierten Lebenswelten thematisiert wird (Kraus 2019)4. Ergebnisse der
Viktimisierungsforschung können auf dem Hintergrund konstruktivistischer Überle-
gungen gedeutet werden. Diskrepanzen zwischen statistischen Risiken und diffusen
Ängsten, durch delinquentes Verhalten viktimisiert zu werden, die gerade bei jenen,
die weniger Risiken ausgesetzt sind, besonders ausgeprägt sind, offenbaren die ein-
geschränkten Möglichkeiten durch tatsächliche Veränderungen der Gefahrendimen-
sion Kriminalität das subjektive Sicherheitsgefühl nachhaltig zu verstärken (Frevel
& Rinke 2017, 6).

3. Sicherheit, Kriminalität und Angst


Hinsichtlich Kriminalität müssen weitere subjektive Faktoren berücksichtigt wer-
den. Unter der affektiven Dimension wird die Furcht verstanden, künftig Opfer einer
Straftat zu werden (Pritsch & Oberwittler 2015, 231). Hirtenlehner, Hummelsheim-
Doss & Sessar (2018, 460) verstehen darunter kriminalitätsbezogene Unsicherheits-
gefühle. Auch das BKA (2019, 45) subsumiert darunter „Gefühle der Unsicherheit
und Kriminalitätsfurcht“. Furcht zu operationalisieren ist äußerst schwierig, da sie
sich aus jeweils individuellen und lebenslaufgeprägten Facetten speist, die über Er-
fahrungen mit Kriminalität hinausgehen (Hirtenlehner, Hummelsheim-Doss & Ses-
sar 2018, 459). Der deutsche Viktimisierungssurvey, der ein repräsentatives Bild zur
Verteilung kriminalitätsbezogener Unsicherheit liefert (Hummelsheim-Doss 2017,
36), ergab insgesamt eine Zunahme der Unsicherheitsgefühle seit 2012 (BKA
2019, 48). Die Sorge, Opfer von Straftaten zu werden, nehme zu. 2011 machten
sich 26 % Sorgen, sie könnten durch Kriminalität persönlich gefährdet sein, 2016
lag der Anteil bei 51 % (Institut für Demoskopie Allensbach 2016, 2). Soziostruktu-
relle Faktoren beeinflussen das Unsicherheitsgefühl der befragten Personen. Je bes-
ser die finanzielle Situation und je höher der Bildungsgrad, desto geringer das Un-
sicherheitsgefühl. Hummelsheim-Doss (2017, 37) vermutet, dass Menschen mit einer
besseren materiellen Ausstattung sich besser vor Kriminalität schützen, mit Risiken
behaftete Situationen besser meiden und erlittene Schäden eher ausgleichen können.
Mit der kognitiven Dimension wird die „subjektive Einschätzung der Wahr-
scheinlichkeit, Opfer einer Straftat“ (Pritsch & Oberwittler 2015, 231) zu werden,
bezeichnet. Im Deutschen Viktimisierungssurvey hält ein Großteil der Befragten
es für unwahrscheinlich, in den nächsten zwölf Monaten Opfer einer Straftat zu wer-
den (BKA 2019, 55). Die konative Dimension umfasst das Vermeidungs- und
Schutzverhalten aufgrund von antizipierten kriminellen Gefahren (Pritsch & Ober-
4
Als Lebenslage gelten die materiellen und immateriellen Lebensbedingungen eines
Menschen. Als Lebenswelt gilt das subjektive Wirklichkeitskonstrukt eines Menschen, wel-
ches dieser unter den Bedingungen seiner Lebenslage bildet (Kraus 2019, 35).
190 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

wittler 2015, 231). Die Wohnsituation hat erhebliche Bedeutung für das Sicherheits-
gefühl der Bewohner (Pritsch & Oberwittler 2015). Oberwittler (2008) zeigte mit
einer postalischen Befragung von 2500 Bewohnern und Bewohnerinnen in 61 Wohn-
gebieten in Köln, Freiburg sowie ländlichen Gemeinden, dass die Sozialhilferate der
unter 18-Jährigen im Wohngebiet den stärksten Effekt auf die Kriminalitätsfurcht
hat.
Vor allem auf zwei Ebenen scheinen soziale Ausstattungen für die Ausprägung
von Kriminalitätsfurcht eine wichtige Rolle zu spielen. Auch in diesem Kontext kön-
nen also Sicherheit fördernde Effekte durch soziale Transferleistungen erzielt wer-
den. Insgesamt kann von einem „robusten Ergebnis der bisherigen Forschung“
(Pritsch & Oberwittler 2015, 238) gesprochen werden: Personen, die über bessere
sozioökonomische Ressourcen verfügen, haben eine geringere Furcht vor Krimina-
lität als Personen, die sich in prekären Lebenssituationen befinden. Befunde, die die
Disziplin Soziale Arbeit ermuntern sollten, sich mit ihrer Expertise stärker am Si-
cherheitsdiskurs zu beteiligen.

4. Mobilität und Informationsdichte


Mobilität und Informationsdichte könnten Gründe für den geringen Einfluss des
Rückgangs der Zahl der begangenen Delikte auf die soziale Kriminalitätseinstellung
sein. Mit sozialer Kriminalitätseinstellung ist nicht die individuelle Bedrohungs-
wahrnehmung5, sondern die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Bedrohung
durch Kriminalität gemeint (Hirtenlehner, Hummelsheim-Doss & Sessar 2018, 460).
Auch wenn aufgrund der kartographischen Lage des eigenen Wohnsitzes die Ge-
fahr, Opfer einer Naturkatastrophe zu werden, gering ist, kann aus Berichten über
solche Ereignisse ein Gefühl der Unsicherheit und „ständigen Bedrohung“ (Haver-
kamp & Arnold 2015, 3) entstehen. Zufällig könnte man sich da befinden, wo ein
Vulkan ausbricht oder ein Tsunami Küstenorte verwüstet. Mobilität verstärkt die
Angst vor Risiken, da diese sich globalisiert. Ferne Bedrohungen werden auch zu
nahen. Dies trifft grundsätzlich auch für Kriminalität zu. Die Angst, Opfer einer
Straftat zu werden, wird durch Mobilität verstärkt. Auch wenn der Wohnort in
einem relativ sicheren Umfeld liegt, könnte eine Viktimisierung stattfinden, wenn
dieser verlassen und andere weniger sichere Orte betreten werden. Grundsätzlich
wird die unmittelbare Wohnumgebung tendenziell positiv wahrgenommen, während
die „fremde, entfernte, unvertraute Welt“ eher als gefahrenbehaftet eingeschätzt wird
(Mühler 2015, 8). Der Wunsch, vor Kriminalität zu schützen, passt sich an die eigene
Mobilität an. Sicherheit soll nicht nur im eigenen nahen Umfeld, sondern auch in ent-
5
Das Sicherheits-Paradoxon oder auch Sicherheitsdilemma erfährt durch Globalisierung
eine zusätzliche Dynamik. Es kommen weitere Risiken dazu, die neue Nachfragen entstehen
lassen, die wiederum nicht in einem Maße befriedigt werden können, dass das Gefühl, sich in
Sicherheit wiegen zu können, nachhaltig gestärkt wird. Zum Sicherheitsparadoxon vgl. Evers
& Novotny 1987, zum Sicherheitsdilemma Münkler 2010, 12 m.w.N.
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 191

fernten Regionen geschaffen werden. Die Angst umfasst alle Räume, regionale, na-
tionale, internationale und seit einigen Jahren auch virtuelle. Bedrohungsgefühle und
Sicherheitsbedarfe wachsen mit der Vielzahl der Orte und Länder, in denen man sich
tatsächlich, medial oder virtuell bewegt. Zunehmende Mobilität verstärkt möglicher-
weise auch die Angst vor Risiken, die vermeintlich den Personen anhaften, die hier-
herkommen.

5. Sicherheit herstellen und Sichtbarkeit


Kriminalität des Hellfeldes lässt sich durch polizeiliche Kriminalstatistik, Krimi-
nalität des Dunkelfeldes durch Dunkelfeldbefragungen jeweils nur annähernd mes-
sen6. Die Ergebnisse dieser Messungen werden zudem unterschiedlich wahrgenom-
men. Diese sogenannte objektivierte Sicherheit erhält eine eigene Dimension für die
Klientel, deren Verhalten gezählt wird. Während Sie im Rahmen der Erfassung des
Hellfeldes als tatverdächtige Personen erfasst werden, sind Sie als Täter zugleich
einem erhöhten Risiko ausgesetzt gewesen, selbst Opfer einer Straftat zu werden,
wie dies für Jugendliche mehrfach nachgewiesen wurde (Bereswill & Neuber
2018, 360; Willems & van Santen 2018). Eine Sanktionierung aufgrund sicherheits-
gefährdenden Verhaltens erhöht das Risiko für eigene Viktimisierung, wenn zu Frei-
heits- oder Jugendstrafe verurteilt und diese vollstreckt wird (Boxberg 2017,
92 m.w.N.). Das Verletzungsrisiko im Strafvollzug scheint hoch zu sein, allerdings
gibt es Forschungsbedarfe (Neubacher et al. 2011; Neubacher & Schmidt 2018). Die
Diskussion um Sicherheit erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit entdeckt oder auch
kriminalisiert zu werden. Verhalten, das in einer weniger auf Sicherheit bedachten
Gesellschaft möglicherweise im Dunkelfeld bliebe7, wird zum einen durch Installa-
tionen, die Sicherheit herstellen sollen, offenbart und zum anderen verlagert sich der
Schutz vor abweichendem Verhalten in einer Weise auf Regel- und Normverletzun-
gen, die in einer weniger Sicherheit einfordernden Gesellschaft nicht strafbewehrt
wären. Veränderungen in den Häufigkeitszahlen, mit denen Kriminalitätsbelastung
gemessen wird, sind häufig Ergebnis von Verschiebungen zwischen Hellfeld und
Dunkelfeld, es gibt also kein Mehr an Unsicherheit sondern ein Mehr an Aufhellung
(Heinz 2003). Die Adressat*innen der Sozialen Arbeit sind in besonderer Weise der
zunehmenden Observierung von öffentlichen Räumen und Plätzen ausgesetzt. Zum
einen bewegt sich die stärker risikobehaftete, aber auch gefährdete Population, junge
männliche Personen, häufiger als andere in sogenannten Hotspots. Sie sind damit
auch eher Objekte der Beobachtung. Zum anderen wird dieses sich im öffentlichen
Raum Bewegen zusätzlich verstärkt durch möglicherweise schwierige Lebenssitua-
tionen. Nach Birkel & Guzy sind „junge Männer mit mittlerer Reife, die arbeitslos
sind und – im Vergleich zu Personen, die dies nur einmal im Monat tun – mehrmals
6
Die Befunde der Dunkelfeldstudien sind divergent, vgl. hierzu Ostendorf 2018; Birkel &
Guzy 2015; Boers & Reinecke 2007.
7
Vgl. zum Verhältnis Hellfeld und Dunkelfeld u. a. Birkel, Hecker & Haverkamp 2015, 44.
192 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

in der Woche ausgehen“ von einem besonders hohen Risiko betroffen, Opfer mindes-
tens einer Körperverletzung oder mindestens eines Raubes zu werden (2015, 133).
Wem genügend Wohnraum zur Verfügung steht und wer sich in eigenen großzügig
bemessenen vier Wänden aufhalten kann, wird weniger in öffentlichen Räumen un-
terwegs sein.
Sicherheitsrisiken kumulieren mithin bei jenen, denen der Makel anhaftet, sie trü-
gen zu Unsicherheit bei. Sollte zukünftig Künstliche Intelligenz im Kontext von Pre-
dictive Profiling stärker genutzt werden, würden die Daten dieser Population verwen-
det und Prognoseverfahren entwickelt werden, die Entdeckungswahrscheinlichkei-
ten zusätzlich erhöhen (Egbert 2017, 19). Möglicherweise könnte sich Sicherheits-
politik in einer Weise etablieren, in der Risiken, die Personen zugeschrieben werden
und daraus folgende zukünftige schädigende Ereignisse identifiziert und vor ihrem
Eintritt verhindert werden (Albrecht 2016, 210).

6. Soziale Sicherheit und Risiken


Zum Selbstverständnis der Profession Soziale Arbeit gehört es, soziale Gerech-
tigkeit herzustellen (Kraus 2018).8 Wie oben im Kontext der Viktimisierungsfor-
schung dargestellt, beeinflussen die soziale Lebenslage und damit die Versorgung
mit Ressourcen die individuelle Sicherheitseinstellung. Soziale Arbeit sorgt dem-
nach durch den Auftrag soziale Gerechtigkeit zu fördern für ein höheres Maß an sub-
jektiv empfundener Sicherheit. Auch in Zwangskontexten ist ein Auftrag der Sozia-
len Arbeit unter anderem Unterstützung anzubieten für eine Zeit danach. Soziale Si-
cherheit nimmt im Sicherheitsdiskurs keinen dominanten Platz ein. Scherr kritisiert
die Fokussierung auf mehr Überwachung, auf Vorverlagerungen von Strafbarkeit
und auf Exklusion derjenigen, die mit dem Makel eines möglichen Risikos behaftet
sind (Scherr 2014). Soziale Arbeit schafft Sicherheit, indem sie durch Unterstützung
und Beratung den Zugang zu sozialen Transferleistungen ebnet. Wer diese in An-
spruch nimmt, könnte zukünftig resilient sein und sich nicht mehr riskant oder gar
delinquent verhalten. Daher sieht Scherr in der Gewährleistung sozialer Sicherheit
einen Beitrag zur Herstellung von allgemeiner Sicherheit für die Gesellschaft und
kritisiert zugleich die Reduzierung und Einschränkung von Sozialleistungen und
den nach seiner Einschätzung erschwerten Zugang zu sozialen Transferleistungen
(Scherr 2014, 11 ff.). Soziale Arbeit ließe sich also nicht direkt als Akteurin zur Si-
cherheitsherstellung gewinnen, sondern wäre allenfalls mittelbar beteiligt, indem
Personen, die sich aufgrund ihrer sozialen Situation delinquent verhalten, der Zugang

8
Nach der Definition der International Federation of Social Workers (IFSW) fördert So-
ziale Arbeit „[…] soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung
der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit,
die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die
Grundlage der Sozialen Arbeit […].“, DBSH 2016, Deutschsprachige Definition Sozialer
Arbeit.
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 193

zu Sozialleistungen eröffnet wird. Dabei sind nicht nur monetäre Leistungen, son-
dern auch soziale Dienstleistungen wie Beratungsangebote und sonstige Angebote
der Kinder- und Jugendhilfe bedeutsam, wohingegen mit Blick auf die Kontrolle
etwa Aufgaben des Wächteramtes des Staates zu diskutieren sind. Was die Erklärung
von Kriminalität angeht, lassen sich Überschneidungen etwa zur Anomietheorie oder
auch der Kontrolltheorie (Investment, Involvement) erkennen (Lamnek 2018,
145 ff.). Ein „robustes Ergebnis“ (Birkel & Guzy 2015, S. 133, siehe oben) der Vik-
timisierungsforschung legt zudem nahe, dass durch soziale Absicherung nicht nur die
Zahl der Straftaten minimiert, sondern die Betroffenen selbst in geringerem Umfang
viktimisiert würden. Allerdings entstehen durch soziale Sicherung Kosten, die nicht
direkt in der Rubrik Sicherheit schaffen verbucht werden können. Stärkung von so-
zialen Sicherungssystemen hat sich in diesem Kontext als taugliches Instrument
(noch) nicht adäquat etabliert und den ihr gebührenden Platz bislang nicht einnehmen
können.

7. Sicherheit im Lichte der professionstheoretischen Diskussion


Die Kurzformel „Bewältigung sozialer Probleme“ (Engelke 2004, 301) kann als
gemeinsamer Nenner eines großen Teils der vielfältigen Gegenstandsbestimmungen
gelten9, die mit den Kernaussagen der IFSW-Definition Sozialer Arbeit überein-
stimmt. Problematische Devianz – wie psychische Krankheit – und Kriminalität wer-
den von Dollinger & Raithel (2006, 12) als soziale Probleme gefasst, woraus eine
Zuständigkeit der Sozialen Arbeit resultiert. Den vorherigen Ausführungen nach
sind die benannten Probleme mit dem Konstrukt Sicherheit verwoben. Bleibt also
zu fragen, wie letzteres in das Selbstverständnis von Sozialarbeiter*innen integriert
ist. Hierzu wird die professionstheoretische Diskussion innerhalb der Sozialen Arbeit
beleuchtet10.
Der strukturfunktionalistischen Position zufolge – wie sie Parsons (1939) vertritt
– sind Professionen Strukturen, die moderne Gesellschaften zum Erhalt ihrer selbst
hervorbringen. Professionen werden mit der Bewältigung von Problemen betraut, die
eine Gefahr für die Integrität von Individuen darstellen, vor allem aber eine Bedro-
hung für den Bestand von Gesellschaften. Während Parsons eine theoretische Be-
stimmung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft leistet, bleibt diese
in späteren professionstheoretischen Entwürfen häufig aus. Parsons gesellschafts-
und sozialisationstheoretischen Überlegungen gemäß sind Individuen durchweg ge-
sellschaftlich geformt und handeln im Regelfall systemkonform. Im Falle der Abwei-
chung ist das solidarische Handeln von Professionen gefragt. Dabei hat sich profes-
sionelles Handeln an den gesellschaftlichen Zentralwerten zu orientieren und Fach-

9
Zur Übersicht und kritischen Diskussion siehe Kraus 2018, 2019, 145 – 169.
10
Lambers (2018) unterscheidet verschiedene Theorieformen: Disziplintheorien, Profes-
sionstheorien, Professionalisierungstheorien sowie Arbeitsfeldtheorien.
194 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

wissen zugrunde zu legen. Um ihre kollektive Funktion zu erfüllen, wird den Profes-
sionen ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden (Schnurr 2012, 100 f.). Ergo
zeichnen sich klassische Professionen durch Gemeinwohlorientierung, Expertenwis-
sen und Autonomie aus. Zwar sind Parsons Ausführungen nicht auf Soziale Arbeit
bezogen und die Erfüllung der eben benannten Merkmale fraglich, doch ist die funk-
tionstheoretische Perspektive der Sozialen Arbeit nicht unbekannt11. Olk (1986) hat
Soziale Arbeit zum Beispiel explizit als „Normalisierungsarbeit“ konzipiert.
Oevermann (2013) deklariert den Bestand von Gesellschaften – wie schon Par-
sons – als funktionalen Bezugspunkt professionellen Handelns – allerdings als
einen neben anderen. Ausgehend von sozialisationstheoretischen Überlegungen ver-
steht Oevermann Individuum und Gesellschaft nicht als gleichursprünglich, sondern
beschreibt eine reziproke Abhängigkeit bezogen auf deren Rechte und Pflichten
(Oevermann 2013, 124 f.). So gesehen bedarf es im Krisenfall einerseits Professio-
nen, die den Erhalt der Gemeinschaft sichern, und andererseits solchen, die sich um
das Funktionieren der Lebenspraxis Einzelner bzw. kleiner Vergemeinschaftungen
bemühen. In der professionstheoretischen Diskussion vertritt Oevermann eine struk-
turale Position, die neben Funktionen Bedingungen und Möglichkeiten professionel-
len Handelns beleuchtet. Er beschreibt drei Funktionsfoci, die mit divergenten Loya-
litäten und Praxisformen einhergehen. Während sich Therapie und Rechtspflege klar
einem Bereich zuordnen lassen, in dem sie ihr Handeln professionalisieren können,
verortet Oevermann Soziale Arbeit gleichermaßen in zwei Bereichen, die in Abbil-
dung 1 dargestellt sind.

Abbildung 1: Widersprüchliche Funktionsfoci (Oevermann 2013, 125)

Aufgrund der staatlichen Fürsorgepflicht dient sozialarbeiterisches Handeln nicht


nur der „Erzeugung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der somato-psycho-
sozialen Integrität einer je partikularen Lebenspraxis“ (Oevermann 2013, 124).
Überdies ist Soziale Arbeit „weitgehend mit den Aufgaben und Funktionen sozialer
Kontrolle im Dienst der Aufrechterhaltung von Recht und Gerechtigkeit verwoben“
(Oevermann 2013, 125). Mit Blick auf die tägliche Handlungspraxis ergeben sich

11
Diese findet sich auch „in modernisierungstheoretischen (Galuske 2002; Rauschenbach
1992), regulationstheoretischen (Schaarschuch 1990), systemtheoretischen (Bommes &
Scherr 2012) oder machtanalytischen Arbeiten (Kessl 2005)“ (Kessl 2017, 238).
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 195

daraus Paradoxien und Ambivalenzen, deren Auftreten nicht anzunehmen ist, sofern
– wie bei Parsons – von einem übereinstimmenden Fluchtpunkt individuellen und
professionellen Handelns ausgegangen wird. Für Oevermann resultiert aus der obi-
gen Konstellation „das schier unlösbare Grundproblem für deren kohärente Profes-
sionalisierung, dass sie [die Soziale Arbeit] nämlich nicht nur latent, sondern mani-
fest, in beiden strukturlogisch sich widersprechenden Foci gleichermaßen wirksam
sein muss und sich dadurch in ihrer Wirksamkeit behindern muss“ (Oevermann 2013,
125). Eine Professionalisierung im Bereich der Hilfe setzt Oevermann zufolge Frei-
willigkeit und Unabhängigkeit von Strukturen voraus, um Arbeitsbündnisse zu rea-
lisieren und im Modus der stellvertretenden Deutung zu operieren, womit Hilfe zur
Selbsthilfe sowie der Rückgewinn von Autonomie für Klient*innen möglich wird.
Diese Voraussetzungen erfülle Soziale Arbeit wegen ihrer doppelten Eingebunden-
heit nicht12. Meist sei das Selbstbekenntnis zur Notlage nicht Ausgangspunkt sozi-
alarbeiterischen Handelns, sondern bereits Ergebnis sozialarbeiterischer Interventi-
on, und Handeln nicht frei von standardisierten Rezepten (Oevermann 2013, 139,
146). Die einzige Lösung für das „gravierendste Strukturproblem der Sozialarbeit“
(Oevermann 2013, 139) sei eine institutionelle und personale Trennung gemäß der
beiden Funktionsfoci.
Schützes interaktionistische Position fußt auf rekonstruktiven Erkenntnissen be-
züglich der Praxis professionalisierter Berufe (Schnurr 2012, 97). Ähnlich wie Oev-
ermann sieht Schütze die sozialarbeiterische Praxis von vielfältigen Paradoxien ge-
prägt, doch begreift Schütze diese nicht als Professionalisierungshindernis, sondern
als dem professionellen Handeln immanent. „Die unaufhebbaren Kernprobleme
bzw. die Paradoxien des professionellen Handelns sind der paradoxe Interaktions-
und Arbeitsausdruck der Strukturkomponenten der gesellschaftlichen Institution
Profession“ (Schütze 1996, 187). Derart natürliche Paradoxien sind im Handeln an-
derer Professionen ebenso zu finden, doch erscheinen sie in der Sozialen Arbeit in
besonderer Intensität (Schütze 1992, 163), da diese „nie ein in ihrem Tätigkeitsbe-
reich vorherrschendes eindeutiges Paradigma entwickeln konnte“ (Schütze 1992,
163) und Handlungs- sowie Orientierungsparadoxien virulent werden, wenn Para-
digmengrenzen transzendiert werden (Schütze 1992, 163). Als eine der wesentlichen
Paradoxien beschreibt Schütze „professionelle Ordnungs- und Sicherungsgesichts-
punkte und die Eingrenzung der Entscheidungsfreiheit des Klienten“ (Schütze
1992, 156 – 158). Schütze (1996, 225) beklagt die nicht selten fehlerhafte Bearbei-
tung solcher Paradoxien. Beobachtbar seien Strategien, die vom einseitigen Auflösen
bis Ignorieren der Paradoxien im täglichen Handeln reichen. Ein (Auf-)Lösen sei je-
doch nicht möglich. Die Paradoxien „können nur umsichtig in Rechnung gestellt und
bearbeitet werden“ (Schütze 1992, 163)13. Aufgrund des oben konstatierten Unter-
schieds zu anderen Professionen, ist das
12
Exemplarisch führt Oevermann (2013, 145) Arbeitsfelder an, in denen Resozialisierung
eine Rolle spielt.
13
Ähnlich argumentiert Thiersch (2002, 191 ff.), der die sozialpädagogische Berufsiden-
tität als Spagat beschreibt.
196 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

„Bewußtsein über die Wirksamkeit der Paradoxien des professionellen Handelns [in der So-
zialen Arbeit] auch besonders ausgeprägt, und deshalb konnte es gerade hier […] zur Ent-
wicklung der neuen Verfahren der Selbstvergewisserung und Selbstreflexion […] kommen“
(Schütze 1992, 163).

So gesehen ist die Profession Soziale Arbeit anderen in der Entwicklung von Be-
wältigungsstrategien solcher Paradoxien voraus, die diese in Anbetracht zunehmend
komplexer werdender Problemlagen noch entwickeln müssen. Bezogen auf den fle-
xiblen fallbezogenen interdisziplinären Diskurs kann Soziale Arbeit Vorbild sein
(Schütze 1992, 165 f.).
Staub-Bernasconi (2018) gelangt vom beruflichen „doppelten Mandat“ (Böh-
nisch & Lösch 1973, 27 ff.) zum professionellen Tripelmandat und sieht sozialarbei-
terisches Handeln mit „höchst unterschiedlichen Machtpositionen, Interessen und
Forderungen“ (Böhnisch & Lösch 1973, 114) der Mandatsträger konfrontiert. Ent-
sprechend seien „Loyalitäts-, Rollen-, Handlungs- und Identitätskonflikte […] vor-
programmiert“ (Böhnisch & Lösch 1973, 114). Wie schon Schütze sieht Staub-Ber-
nasconi darin kein Professionalisierungshindernis, sondern verdeutlicht, dass „der
Umgang mit dieser sozialen Konstellation […] unabweisbar zu den Merkmalen
der Disziplin und Profession Sozialer Arbeit“ (Böhnisch & Lösch 1973, 114) gehört.
Doch sei die Formulierung eines eigenen professionellen Mandats erforderlich sowie
die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen für die fortbestehenden Mandate der
Klient*innen und der Gesellschaft beziehungsweise der Träger (Böhnisch & Lösch
1973, 114). Das professionelle Mandat charakterisiert Staub-Bernasconi mittels der
Kurzformel „,nach bestem Wissen und Gewissen‘ […] handeln“ (Böhnisch & Lösch
1973, 114) und erklärt „die wissenschaftlich und ethisch begründete relative Auto-
nomie im Zusammenhang mit Entscheidungs- und Handlungsspielräumen zum kon-
stitutiven Merkmal der Profession“ (Böhnisch & Lösch 1973, 116). Daraus ergibt
sich mit Blick auf das Mandat der Klient*innen die Priorisierung im professionellen
Handeln deren Sichtweisen zu eruieren, bevor die
„gemeinsame Suche nach Erklärungen und subjektiven Begründungen, warum es so ist, wie
es ist, und welche Veränderungen aufgrund welcher Werte und Arbeitshypothesen, Ressour-
cen und Arbeitsweisen/Methoden angestrebt werden sollen“ (Böhnisch & Lösch 1973, 117)

anschließt. Für das gesellschaftliche Mandat respektive das Mandat des Trägers er-
gibt sich die Forderung, dass die „organisationellen Rahmenbedingungen und Poli-
cy-Vorgaben fachliches sowie professionsethisches Handeln ermöglichen“ (Böh-
nisch & Lösch 1973, 118). Das dritte Mandat schafft die Gelegenheit zu „Formen
von Selbstmandatierung“ (Böhnisch & Lösch 1973, 118), das heißt zur Möglichkeit
der eigenständigen Thematisierung und Bearbeitung von Problemen unter Beteili-
gung der entsprechenden Akteure, wobei sie deutlich macht, dass sich Sozialarbei-
ter*innen auch im Falle der Inanspruchnahme ihres Mandats nicht im „rechtsfreien
Raum“ (Böhnisch & Lösch 1973, 120) bewegen. Sofern die Mandate nicht ineinander
aufgehen, seien die Widersprüchlichkeiten gegenüber den Klient*innen transparent
zu halten und von institutionalisierten Möglichkeiten der Selbstreflexion Gebrauch
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 197

zu machen. Im Falle der Kompromisslosigkeit setzt Staub-Bernasconi auf demokra-


tische Verfahren der Konfliktbearbeitung (Böhnisch & Lösch 1973, 121).
Ausgehend vom erkenntnistheoretischen Konstruktivismus befasst sich Kraus
(2016) mit den Kernfunktionen Sozialer Arbeit, insbesondere mit den Möglichkeiten
von Hilfe und Kontrolle. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Macht
gelangt Kraus zur Unterscheidung von „instruktiver“ und „destruktiver Kontrolle“
(Kraus 2016, 119).
„Instruktive Kontrolle zielt auf das Einhalten von Vorgaben mittels instruktiver Macht – sol-
che Kontrollbestrebungen können auf das Zeigen erwünschter und/oder das Unterlassen un-
erwünschter Verhaltensweisen zielen und ebenso wie die eingesetzte instruktive Macht am
Eigensinn der Adressat/-innen scheitern.
Destruktive Kontrolle zielt auf das Einhalten von Vorgaben mittels destruktiver Macht – sol-
che Kontrollbestrebungen können nur auf Verhinderung unerwünschter Verhaltensweisen
zielen und deren Erfolg ist ebenso wenig vom Eigensinn der Adressat/-innen abhängig,
wie die eingesetzte destruktive Macht.“ (Kraus 2016, 120)

Im Gegensatz zu beiden Formen der Kontrolle liegt die Entscheidungshoheit im


Falle der Hilfe bei den Klient*innen (Kraus 2016, 124).
In den kontrastiv ausgewählten professionstheoretischen Positionen ist das Kon-
strukt Sicherheit enthalten, wenngleich diesem kein zentraler Stellenwert beigemes-
sen wird und die explizite Thematisierung weitestgehend ausbleibt. Gleichwohl kann
Sicherheit im Lichte der professionstheoretischen Diskussion als verschiedenartiger
Bezugspunkt (professionellen) sozialarbeiterischen Handelns gefasst werden. Der
Bezugspunkt unterscheidet sich gemäß dem angelegten Sicherheitsverständnis,
wobei zu berücksichtigen ist, wem die Definitionsmacht obliegt: Einer funktionalis-
tischen professionstheoretischen Position wird man sich eher anschließen, wenn Si-
cherheit primär als öffentliche Sicherheit verstanden wird; während man einer struk-
turfunktionalistischen professionstheoretische Position eher zustimmen kann, wenn
neben der Sicherheit für die Gesellschaft die Sicherheit des Einzelnen mitgedacht
wird, wobei eine Professionalisierung nur im Falle der Priorisierung eines Referenz-
objekts möglich ist. Einer solchen Priorisierung – um Willen der Professionalisie-
rung – bedürfte es weder im Falle des Vertretens einer interaktionistischen professi-
onstheoretischen Position noch im Falle des Annehmens eines professionellen Tri-
pelmandats. Die Perspektive, wer, wessen und welche Sicherheit, wie herstellen
kann, wird in diesem Zusammenhang für ergiebig befunden. In jedem Fall sind So-
zialarbeiter*innen in der Bewältigung von Orientierungs- und Handlungsparadoxien
gefragt.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Am interdisziplinären Sicherheitsdiskurs
beteiligt sich Soziale Arbeit kaum und in der professionstheoretischen Diskussion
wird das Konstrukt Sicherheit unzureichend beleuchtet. Indessen werden in jüngster
Vergangenheit erste Überlegungen zum Zusammenhang von Sicherheit und Sozialer
Arbeit innerhalb der Disziplin angestellt. So betont Dollinger (2017) die Eignung
von Sicherheit als „Rahmenkonzept, das unterschiedliche historische wie aktuelle
198 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

Positionen und Veränderungen der Sozialen Arbeit zu integrieren mag“ (Dollinger


2017, 223). Während Kessl (2017, 241) konstatiert, dass Soziale Arbeit nur „Sicher-
heitsexpertin“ sein kann, wenn sie gleichermaßen „Unsicherheitsgarantin“ bleibt. In-
sofern bedürfe es einer Relationierung funktionstheoretischer und bildungstheoreti-
scher Bestimmungen Sozialer Arbeit (Kessel 2017, 241 f.). Lutz (2017) argumentiert,
dass mit der zunehmenden gesellschaftlichen Sicherheitsorientierung eine Neujus-
tierung des professionellen Selbstverständnisses von Sozialarbeiter*innen verbun-
den sein kann, indem die „öffentliche Sicherheit […] höher bewertet [wird] als
der individuelle Anspruch auf Zugehörigkeit“ (Lutz 2017, 294), aber auch ein wider-
ständiges professionelles Selbstverständnis in Form einer „Orientierung auf subjek-
tive Sicherheit und Autonomie, deren Nebenprodukt auch protektive Sicherheit sein
kann“ (Lutz 2017, 295).
In Anbetracht der bis dato unzureichenden expliziten Thematisierung von Sicher-
heit als Bezugspunkt professionellen Handelns in Abhängigkeit des Sicherheitsver-
ständnisses von Sozialarbeiter*innen, wird die Frage, wie das Konstrukt Sicherheit in
das (professionelle) Selbstverständnis von Fachkräften der Sozialen Arbeit integriert
ist, unsererseits empirisch untersucht.

8. Forschungsfragen und methodisches Vorgehen


Die empirische Untersuchung soll Aufschluss geben über die Rolle der Sozialen
Arbeit bei der Herstellung von Sicherheit, wobei Selbstbeschreibungen von Sozial-
arbeiter*innen in der Praxis von besonderem Interesse sind. Im Einzelnen werden
folgende Forschungsfragen formuliert:
• Wie wird Sicherheit von Fachkräften der Sozialen Arbeit verstanden und erfah-
ren?
• Wie ist der Sicherheitsauftrag in das professionelle Selbstverständnis integriert?
• Wie wird der Sicherheitsauftrag praktisch ausgestaltet?
In Anbetracht der methodologischen Forschungsgegenstände, die diese Fragen
nahelegen (subjektive Konzepte, Selbstverständnisse sowie gedeutete und präsen-
tierte Erfahrungen und Handlungen), wird ein qualitatives Forschungsdesign konzi-
piert und realisiert.
Aufgrund des vorhandenen Interesses an der Perspektive von Fachkräften der So-
zialen Arbeit, werden Expert*inneninterviews geführt, wobei die spezifische Ziel-
gruppe keinen eigenen Interviewtypus begründet. Vielmehr sind Expert*inneninter-
views als „anwendungsfeldbezogene Variante von Leitfadeninterviews“ (Kruse
2015, 166) einzuordnen. Insofern bedarf es – wie bei jedem qualitativen Interview –
einer Verhältnisbestimmung von Offenheit und Strukturierung. Hierfür eignet sich
die Unterscheidung verschiedener Expert*inneninterviewformen von Bogner, Littig
& Menz (2005). In Anbetracht des eingangs beschriebenen Desiderats wird sich für
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 199

die Form des explorativen Expert*inneninterviews entschieden. Der explorative


Charakter fordert die Zurückstellung eigener Relevanzen in der Interviewer*innen-
rolle und das Eröffnen von Erzählräumen, um den befragten Expert*innen die Mög-
lichkeit zu geben, eigene Schwerpunkte zu setzen und ihr Relevanzsystem zu entfal-
ten. Dieses Gebot hat Konsequenzen für die Leitfadenentwicklung und -gestaltung.
Der Leitfaden wird mithilfe des SPSS-Verfahrens nach Helfferich (2011, 182 – 185)14
entwickelt und dem Aufbauprinzip von Kruse (2015, 213) entsprechend gestaltet,
womit gewährleistet wird, dass der verwendete Leitfaden dem „Prinzip vom ,Offe-
nen zum Strukturierenden‘“ (Kruse 2015, 214) folgt. Das Grundgerüst des Leitfadens
bilden drei Themenblöcke: Sicherheitsverständnis, professionelles Selbstverständ-
nis und konkrete Handlungspraxis. Diese Blöcke werden mit je einer offenen Erzähl-
bzw. Explikationsaufforderung oder Fragestellung eingeführt, um eigenstrukturierte
Erzählungen der befragten Expert*innen zu erzeugen, wobei sich der für die Ziel-
gruppe typische, argumentativ-diskursive Kommunikationsstil zeigt (Kruse 2015,
180). Lediglich am Ende der jeweiligen Blöcke werden Nachfragen zu inhaltlichen
Aspekten gestellt, die bislang nicht eigeninitiativ thematisiert wurden, aber essenzi-
ell für die Beantwortung der Forschungsfragen sind. Bis dahin beschränkt sich die
Interviewer*innenrolle auf Fragen, die die Erzählung aufrechterhalten oder unmit-
telbar daran anschließen.
Im Zuge des qualitativen Samplings sind Fälle – dem Prinzip der maximalen
strukturellen Variation folgend – aus einer definierten Grundgesamtheit auszuwäh-
len, welche die Heterogenität des Untersuchungsfeldes repräsentieren (Kruse 2015,
242). Hier bilden Fachkräfte der Sozialen Arbeit die Grundgesamtheit, die in Ar-
beitsfeldern tätig sind, in denen es um die Resozialisation von (jungen) Erwachsenen
geht15. Letztlich werden fünf Fachkräfte der Sozialen Arbeit interviewt, die sich
wegen ihrer Position als jeweils repräsentante Sprecher für eines der folgenden Ar-
beitsfelder erweisen: Forensik, Psychiatrie, Strafvollzug, Jugendstrafvollzug und
Bewährungshilfe. Ferner ist eine Varianz hinsichtlich der Berufserfahrung (zwischen
2 und 25 Jahren) und Studienabschlüsse (von Diplom bis Promotion) zu konstatieren,
während alle Befragten männlichen Geschlechts sind. Die Interviews werden wahl-
weise als face-to-face-Interviews oder Telefoninterviews realisiert. Die qualitativen
Interviews beanspruchen mehr Zeit als angenommen (Interviewdauer zwischen 45
und 90 Minuten), werden von Seiten der Forschenden für ergiebig befunden und
von den Interviewten als impulsgebend erlebt. Die aufgezeichneten Interviews wer-
den vollständig wörtlich transkribiert, so dass Textdaten die Auswertungsgrundlage
bilden.
Um zu vielfältigen Selbstbeschreibungen der Rolle Sozialer Arbeit bei der Her-
stellung von Sicherheit zu gelangen, werden die Daten mittels integrativem Basisver-
14
SPSS steht für die Phasen Sammeln, Prüfen, Sortieren und Subsummieren bei der Leit-
fadenerstellung.
15
Ausgehend von der Arbeitsfeldtypisierung nach Heiner (2007, 91), wobei unter Reso-
zialisation die Wiedereingliederung bei bzw. nach Verhaltensauffälligkeit oder Straffälligkeit
verstanden wird.
200 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

fahren nach Kruse (2015, 361 ff.) analysiert, das in der Mannheimschen Wissensso-
ziologie verortet ist und die Prinzipien qualitativer Forschung konsequent berück-
sichtigt. Kruse pointiert die Grundidee sowie den Anspruch des Verfahrens wie
folgt: „Im Verlaufe einer offenen, (mikro-)sprachlich-deskriptiven Analyse eines
Texts kommt man zur integrativen Anwendung von spezifischen forschungsgegen-
ständlichen und methodischen Analyseheuristiken, um so die zentralen Sinnstruktu-
ren in einem Prozess der fortschreitenden Abstrahierung herauszuarbeiten“ (Kruse
2015, 463). Zum Erschließen der zentralen Sinnstrukturen wird also ein „Schlüssel-
bund“ (Kruse 2015, 465) eingesetzt, der mehrere, geeignete Suchstrategien umfasst.
Hier wird neben den forschungsgegenständlichen Analyseheuristiken vor allem auf
die Argumentationsanalyse, die Agency-Analyse, die Positioninganalyse und die
Diskursanalyse zurückgegriffen. Infolge der Herausarbeitung zentraler Motive
und Thematisierungsregeln für einzelne Fälle werden diese vergleichend betrachtet.
In regelmäßigen Abständen wird um Willen der kollegialen Validierung eine Analy-
segruppe hinzugezogen. Die Ergebnisse der fallvergleichenden Auswertung werden
im folgenden Kapitel präsentiert.

9. Präsentation und Diskussion der Forschungsergebnisse


Die Ergebnisse werden entlang der formulierten Forschungsfragen dargestellt, an
den bisherigen Kenntnisstand rückgebunden und diskutiert.

9.1 Differenziertes Sicherheitsverständnis

Um zu fallübergreifenden Aussagen über das Sicherheitsverständnis der Inter-


viewpersonen zu gelangen, werden Daases (2013) Dimensionen des Sicherheitsbe-
griffs (siehe Kapitel 2) als Analyseheuristiken an das Material herangetragen und
entsprechende Kategorien gebildet, die Abbildung 2 zusammenfassend darstellt.
Die Kategorien beantworten Fragen, die sich gemäß den Dimensionen des Sicher-
heitsbegriffs stellen.
• Referenzobjekt: Wessen Sicherheit soll gewährleistet werden?
• Sachdimension: In welchem Bereich des menschlichen Seins werden Sicherheits-
gefahren festgestellt?
• Raumdimension: Für welches geographische Gebiet wird Sicherheit angestrebt?
• Gefahrendimension: Wie wird das Problem konzeptualisiert, auf das reagiert wer-
den soll?
Ferner unterscheiden die Experten in den Interviews zwischen objektiver Sicher-
heitslage und subjektivem Sicherheitserleben.
Das differenzierte Sicherheitsverständnis legen die interviewten Experten ihren
Ausführungen zugrunde, womit eine vielschichtige Erzählung, Analyse und Be-
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 201

Abbildung 2: Differenziertes Sicherheitsverständnis

schreibung der Rolle Sozialer Arbeit bei der Herstellung von Sicherheit möglich
wird. Sicherheit wird nicht nur als öffentliche Sicherheit gedacht, so dass keine
rein funktionalistische Bestimmung Sozialer Arbeit im Parsonsschen Sinne zu er-
warten ist.

9.2 Subjektives Sicherheitserleben in unsicheren Arbeitskontexten

Die Institution wird in den Experteninterviews als geographisches Gebiet thema-


tisiert, für das neben privaten und öffentlichen Räumen Sicherheit angestrebt wird.
Dabei werden sowohl Klient*innen als auch Fachkräfte als Referenzobjekte ange-
führt, deren Sicherheit gewährleistet werden soll16. Die Darstellung von subjektivem
Sicherheitserleben in unsicheren Arbeitskontexten entfaltet einzelfallübergreifend
Relevanz.

16
Die Herstellung von Sicherheit für Klient*innen innerhalb der Institution, im Sinne eines
Schutzes voreinander, wird von Experten der Arbeitsfelder Strafvollzug und Jugendstrafvoll-
zug thematisiert, jedoch als bedingt (I2) bis nicht realisierbar (I5) eingeordnet.
202 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

Die Experten beschreiben ihre Arbeitskontexte als per se unsicher. In den Inter-
views wird auf existente Risiken und unmittelbare Bedrohungen hingewiesen, die
mit problematischer Devianz respektive Kriminalität verbunden sind, und Sicher-
heitsgefahren für Körper und Seele der Fachkräfte bedeuten. Ein Experte mit beruf-
lichen Vorerfahrungen abseits des Jugendstrafvollzugs macht darauf aufmerksam,
dass Sozialarbeiter*innen nicht nur in den beforschten Arbeitsfeldern mit derartigen
Sicherheitsgefahren konfrontiert sind, sondern auch in weiteren Handlungszusam-
menhängen wie bspw. der Kinder- und Jugendhilfe oder dem Streetwork. Im Unter-
schied zu letzteren schildert der Experte ein weitaus stärker ausgeprägtes subjektives
Sicherheitserleben im Jugendstrafvollzug, was er mit dem Bemühen verbindet, Si-
cherheit im Arbeitskontext herzustellen. Mit Blick auf ihre derzeitigen Arbeitsfelder
beschreiben die Experten allesamt subjektives Sicherheitserleben. Drei der fünf In-
terviewten (I1, I3, I5) thematisieren eine Abhängigkeit des subjektiven Sicherheits-
erlebens von der objektiven Sicherheitslage. Demzufolge sorgt die Erfahrung eines
Übergriffs für subjektives Unsicherheitserleben. Lediglich einer der Experten mit
langjähriger Berufserfahrung in ein und demselben Arbeitsfeld (I3) berichtet von
einem körperlichen Übergriff im Arbeitskontext und der danach zeitweise erlebten
Unsicherheit. Ansonsten schildern die Experten lediglich eine wiederkehrende Be-
troffenheit von verbalen Übergriffen, die als nachvollziehbar und bewältigbar einge-
ordnet werden. Für andere Berufsgruppen (Pflege und Vollzugsdienst), die wegen
ihrer andersgearteten Zuständigkeit vermehrt Übergriffen ausgesetzt sind, wird da-
hingegen ein ausgeprägtes subjektives Unsicherheitserleben beschrieben (I1, I2, I5).
Abbildung 3 fasst die vielfältigen Aussagen der interviewten Experten hinsichtlich
der Frage zusammen, wie Sicherheit im Arbeitskontext für sie hergestellt wird.

Abbildung 3: Wie wird Sicherheit im Arbeitskontext hergestellt?

Sicherheit wird räumlich durch andere Akteure hergestellt, indem Freiheiten der
Klient*innen im Fall akuter Fremdgefährdungen räumlich begrenzt werden und
Fachkräften der Sozialen Arbeit Büros als Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung
stehen (I1, I5). Technische Alarmgeräte sorgen den Darstellungen zufolge ebenfalls
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 203

für Sicherheit (I1, I3, I4, I5). Organisatorisch wird Sicherheit durch entsprechende
Strukturen, Regeln und Vorschriften hergestellt (I3, I4, I5). Ferner werden Fortbil-
dungsangebote zu den Themen Sicherheit, Deeskalation und Prävention in verschie-
denen Interviews hervorgehoben (I2, I3, I5). Auch die Thematisierung des objektiv
unsi-cheren Arbeitskontextes und des geeigneten Umgangs mit eben diesem dient
der Herstellung von Sicherheit (I2); genauso wie Reflexion und Supervision einen
Beitrag leisten (I1). Methodisch lässt sich Sicherheit herstellen, indem ein geeignetes
Setting gewählt wird und die Gesprächsführung die Besonderheiten der Situation be-
rücksichtigt (I1, I5). Eine gute Arbeitsbeziehung sei ebenso zuträglich (I1, I2, I5).
Ferner wird in den Experteninterviews erörtert, welche Instrumente zur Herstellung
von Sicherheit ungeeignet oder gar kontraproduktiv wirksam sind. Eine klare Posi-
tionierung zeigt sich mit Blick auf den Sicherheitsdienst (I1), wobei es sich um „ein-
gekaufte Sicherheit“ handle, „die sich so mal nicht herstellt“17, und Waffen (I2, I5),
denen eine gegenteilige Wirkung zugesprochen wird, während sich diese Mittel für
andere Berufsgruppen zur Herstellung von Sicherheit eignen. Außerdem wird disku-
tiert, inwiefern Mittel sowohl Sicherheit herstellen als auch gefährden können.
„in dem wir davon ausgehen dass wir, (.) mit gefährlichen klienten zu tun haben. verhalten se
sich vielleicht auch, (.) ähm geFÄHrlich. oder in dem ich als vorgesetzter des thema sicher-
heit kommunizier, (.) ähm. wirds erscht bei den MITARBEITERN präsent und sie fühlen
sich vielleicht UNsicherer und brauchens- hams gefühl sie brauchen noch mehr ABspra-
chen. (.) sie brauchen mehr technische, (.) devices. sind im gespräch dann vielleicht auch
UNSICHERER und des=des setzt so ne DYNAmik (.) in GANG wo (.) wos dann vielleicht
auch eher zu, (.) zu konfliktären ähm. (.) situationen zwischen (.) bewährungshelfer und äh
klient kommt.“ (I4)

Fallübergreifend zeigt sich mit Blick auf die unsicheren Arbeitskontexte – im Ge-
gensatz zu anderen Berufsgruppen, die sich im selben Kontext bewegen – ein ausge-
prägtes subjektives Sicherheitserleben der Sozialarbeiter, bedingt durch ausbleiben-
de Viktimisierungserfahrungen und diverse Mittel zur Herstellung von Sicherheit im
besagten Kontext, deren kontraproduktive Wirkung nicht auszuschließen ist.
In Anbetracht des differenzierten Sicherheitsverständnisses gerät die Sicherheit
von Fachkräften ins Blickfeld, die mit Klient*innen befasst sind, denen ein Sicher-
heitsrisiko attestiert wird, das trotz institutioneller Zuständigkeit fortbesteht. Dem-
entsprechend ist die Sicherheit anderer Klient*innen in geschlossenen Institutionen
genauso bedroht. Eine systematische Betrachtung der Betroffenheit beider Akteurs-
gruppen steht bis dato aus. Unsere Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die
Möglichkeiten von Sozialarbeiter*innen, die Klient*innen voreinander zu schützen,
begrenzt sind. Entgegen unserer Erwartungen scheint das subjektive Sicherheitser-
leben von Sozialarbeiter*innen durch das fortbestehende Sicherheitsrisiko nicht nen-
nenswert beeinträchtigt. Es ergeben sich keine Hinweise auf erhöhte Sicherheitsbe-
dürfnisse oder Forderungen nach mehr Instrumenten zur Gewährleistung der eigenen

17
Transkript-Auszüge werden im Fließtext um der besseren Lesbarkeit Willen geglättet
und bleiben bei abgesetzten Zitaten im Original erhalten.
204 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

Sicherheit im Arbeitskontext, wie dies mit Blick auf den bisherigen Kenntnisstand
anzunehmen wäre. Dahingegen werden derartige Reaktionen für andere Berufsgrup-
pen beschrieben. Eine mögliche Erklärung für die verschiedenen Reaktionsweisen
könnte das unterschiedliche Mobilitätsmaß sein. Während Sozialarbeiter*innen we-
niger auf Station beziehungsweise im Vollzug umhergehen, Rückzugsräume stärker
nutzen und mehr Handlungsspielräume haben, um Nähe und Distanz im Kontakt mit
Klient*innen zu regulieren, sehen sich Pflegekräfte und Mitarbeitende im Vollzugs-
dienst dem Sicherheitsrisiko der höheren Mobilität wegen stärker ausgesetzt. Das
ausgeprägte Sicherheitserleben der Sozialarbeiter*innen könnte neben den ihrerseits
vorgebrachten Erklärungen durch deren Selbstverständnis bedingt sein, demnach es
gilt, Unsicherheiten in gewissem Maß auszuhalten (siehe Kapitel 9.4). Ferner legen
die Ergebnisse eine reflexive Kompetenz von Sozialarbeiter*innen nahe, bezogen
auf die Möglichkeiten, Sicherheit im Arbeitskontext für Fachkräfte herzustellen.
Das Sicherheits-Paradoxon respektive Sicherheitsdilemma ist Teil der Erzählungen.

9.3 Hilfe als konstitutiver Akt für Sicherheit

Hilfe wird in allen Experteninterviews als konstitutiver Akt für Sicherheit thema-
tisiert. Diesem einzelfallübergreifenden Muster zufolge stellen Fachkräfte der Sozia-
len Arbeit Sicherheit her, indem sie Klient*innen helfen. Dabei rekurrieren alle in-
terviewten Experten auf Sicherheit für die Gesellschaft im öffentlichen Raum18, wäh-
rend der Bewährungshelfer eine Konkretisierung vornimmt.
„wir tragen ja schon dazu BEI, dass die gesellschaft. (.) ähm. (1) sicherer isch. […] inwiefern
wir zum !SUB!JEKTIVEN sicherheitsempfinden der bevölkerung beitragen, (.) des (.) isch
glaub ich eher gering. (.) dazu sind wir NET (1) äh: in der öffentlichen: (.) WAHRnehmung
präsent genug.“

Hier wird dem Kollektiv der Bewährungshelfer*innen in der Modalität fragloser


Gewissheit dahingehend Wirkmächtigkeit zugeschrieben, dass dessen Handeln den
Zustand öffentlicher Sicherheit mitunter bedingt. Infolge wird die Wirkmächtigkeit
auf die objektive Sicherheitslage beschränkt. Die Experten beschreiben Sicherheit
konsequent als Zieldimension sozialarbeiterischen Handelns. Primär wird die Her-
stellung von öffentlicher Sicherheit mit der Gesellschaft als Auftraggeberin verbun-
den. Gleichwohl klassifizieren die Interviewten den Auftrag nicht als gänzlich
fremdzugewiesen, sondern verorten diesen zugleich in der eigenen Profession und
bei den Klient*innen. Besonders deutlich zeigt sich dies in Erzählpassagen infolge
der hypothetischen Nachfrage, welcher Stellenwert Sicherheit noch zukäme, ange-
nommen Soziale Arbeit wäre frei von fremden Aufträgen. Ein Experte äußert sich
beispielsweise wie folgt: „ich denke, die Richtung und das Ergebnis, wenn man
so will, oder zumindest das Ziel wird das Gleiche sein“ (I5). Andere Experten führen

18
Vereinzelt finden Personen aus dem nahen Umfeld der Klient*innen gesondert Erwäh-
nung, die bereits Opfer geworden sind; die Sicherheit dieser Gruppe in privaten Räumen wird
durch sozialarbeiterisches Hilfehandeln ebenfalls gewährleistet.
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 205

in diesem Zusammenhang aus, dass Sicherheit auch in diesem Fall „indirekt“ (I4) als
„Folgeeffekt“ (I2) des originären sozialarbeiterischen Hilfehandelns hergestellt
würde. Plausibilisiert wird dieser Effekt mit folgendem Konzept:
„wenn ich davon ausgehe dass dann bei dieser perSON aufgrund der (.) ganz speziellen kon-
stellaTION ja oder ganz speziellen sachlage STRAFtaten passieren (.) ja (.) dann is ja JEde
handlung die ich (.) MACHe (.) um diese NOT (.) zu lindern (.) ähm: (.) wär dann ja für die
sicherheit (.) ne,“ (I1)

Demnach bedingen spezifische situative Kontexte – wie z. B. Obdachlosigkeit,


Arbeitslosigkeit, Armut, Verschuldung, stoffgebundene Süchte oder andere Er-
krankungen – im Einzelfall problematische Devianz bzw. Kriminalität, die öffent-
liche Unsicherheit erzeugen. Im Umkehrschluss kann öffentliche Sicherheit wie-
derhergestellt werden, indem solchen Personen Hilfe zuteilwird. Dieses Konzept
wird in nahezu allen Experteninterviews zur Plausibilisierung eingesetzt. Aller-
dings wird nicht nur die Gesellschaft als Referenzobjekt in den Interviews ange-
führt, sondern auch das hilfeerfahrende Individuum, für das (mehr) Sicherheit
durch Hilfe gewährleistet werden soll; etwa durch den Versuch von Sozialarbei-
ter*innen in der Psychiatrie „das Knäul an objektiven Verunsicherungen [wie
z. B. Wohnungslosigkeit oder fehlende Krankenversicherung] zu entwirren“ und
die Patient*innen zu befähigen, sich infolge der Entlassung „in ihrer Unsicherheit
dann auch bewegen [zu] können“. Das einzelfallübergreifende Muster – Hilfe als
konstitutiver Akt für Sicherheit – enthält zudem qualitative Aussagen zum zeitli-
chen Horizont. So wird durchgängig bekundet, dass Sicherheit mit sozialarbeite-
rischem Hilfehandeln prospektiv hergestellt wird, will heißen über den Aufenthalt
in den entsprechenden Institutionen hinaus, die öffentliche Sicherheit durch Ein-
schluss herstellen. In den Interviews finden sich Positionierungen der Experten,
die mit Distanzierungen vom institutionellen Sicherungsauftrag verbunden sind,
wie das folgende Zitat exemplarisch verdeutlicht.
„also der vollzug hat ja nicht nur diese=diesen behandlungsauftrag sondern des is auch en
sicherungsAUFtrag. das heißt die gesellschaft soll vor straftaten gesSCHÜTZT werden.
durch die inhafTIERung durch die sicherungmaßnahmen der inhaftierung. äh daran seh
ich mich gar nicht beteiligt. da seh ich auch keine aufgabe des sozialDIENstes also ich
werde niemanden fesseln, ähm ich seh mich auch nich=äh (2) jetzt in der situation irgend-
jemanden in seinen GRUNDrechten einzuschü=äh einzu=zu=schränken,“ (I2)

Wenngleich die Wirksamkeit von Freiheitsbeschränkungen bezogen auf die nach-


haltige Herstellung von Sicherheit in allen Interviews infrage gestellt bis kritisch be-
wertet wird, betonen die Experten mehrheitlich das Erfordernis im Einzelfall sowie
den ermöglichenden Charakter hinsichtlich der Entscheidung ihrer Klient*innen für
Hilfe und das eigentliche sozialarbeiterische Hilfehandeln.
Fallübergreifend bleibt festzuhalten: Soziale Arbeit stellt Sicherheit für die Ge-
sellschaft prospektiv vermittelt über Hilfe her, die zunächst Sicherheit für Klient*in-
nen schafft. Dieser Aussage liegt ein spezifisches Konzept von Devianz zugrunde.
206 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

Der Sicherheitsauftrag, den Soziale Arbeit von verschiedenen Akteuren – sich selbst
eingeschlossen – erhält, unterscheidet sich vom Sicherungsauftrag der Institution.
Aufgrund der Verwobenheit von Selbstverständnis und Handlungspraxis werden
die je fallübergreifenden Erkenntnisse am Ende des Kapitels 9.4 gemeinsam disku-
tiert.

9.4 Sicherheitshandeln und Grenzen

Sicherheit war, ist und wird den interviewten Experten zufolge stets Ziel und im
Idealfall auch Ergebnis sozialarbeiterischen Handelns sein. In den Passagen, in
denen die Rede vom beruflichen Alltag ist, steht der Hilfscharakter des Handelns
im Vordergrund. In Anbetracht der Präsenz beschreibt ein Experte den gesellschaft-
lichen Auftrag als weniger handlungsleitend wie den der Klient*innen.
„jetzt hab ich grad eben GROß mit der gesellschaft un so weiter (.) diese verpflichtung spür
ich im alltag fast NIE (.) ja weil des so was diFUSSes is es is ja nich so dass hier jetzt jemand
klopft un sagt (.) herr [NAME_1] (.) ich wohn in [STADT_1] bitte machen sie ihren job gut ja
(.) des heißt natürlich is man im alltag immer mit dem patienten konfrontiert“ (I1)

Während ein anderer betont, dass Soziale Arbeit seinen Erfahrungen nach auch
von den Klient*innen „eher [als] Hilfsangebot“ (I5) gedeutet wird. Das sozialarbei-
terische Hilfehandeln umfasst zum einen die Besserung der spezifischen situativen
Kontexte, in denen Devianz zustande kommt,
„wenn ich nämlich (.) im laufe der behandlung hier feststelle (.) jemand lebt auf der straße un
hat in diesem ganzen kontext ganz viele straftaten begangen (.) […] un ich dann ganz AKtiv
mit dem zusammen dafür sorge dass der zukünftig NICH mehr obdachlos is sondern einen
(.) festen wohnrahmen hat“ (I1)
zum anderen die Befähigung des Einzelnen,
„aber auch bei der alltagsbeWÄltigung im allgemeinen=Also m:m:m KEnntnisse und fä-
higkeiten zu verMITTeln also erfolgreich den eigenen alltag zu bewältigen OHNE dabei
straftaten zu begehen.“ (I2)

womit primär Sicherheit für einzelne Klient*innen hergestellt wird und sekundär
Sicherheit für andere Gesellschaftsmitglieder. Die Mitwirkung der Klient*innen in
Form von „Koproduzent*innen“ (I4) wird in allen Experteninterviews als wesentli-
che Voraussetzung für sozialarbeiterisches Hilfehandeln beschrieben. In dem Zu-
sammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Vorstellungen von Klient*innen
und Fachkräften auseinanderfallen können, weshalb das Erzeugen von intrinsischer
Veränderungsmotivation als vorgängige Aufgabe dargestellt wird, für die Bezie-
hungsarbeit höchst bedeutsam ist. Eine gute Arbeitsbeziehung sei auch der Qualität
von Prognosen zuträglich, woran Sozialarbeiter*innen neben anderen Akteuren be-
teiligt sind (I1, I5). Dabei sind Chancen und Risiken in Verbindung mit mehr Frei-
heiten für die Klient*innen abzuwägen. Von der Annahme ausgehend, dass Men-
schen nicht steuerbar sind (I1, I5), werden Instrumente zur Standardisierung der Ri-
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 207

sikoanalyse und -bewertung lediglich als „Hilfswerkzeug“ (I5) eingeordnet, die eine
fachliche Abwägung keineswegs ersetzen können. Der Experte aus dem Arbeitsfeld
Forensik legt dar, dass jedes Zugeständnis von Freiheit „einen Moment der Unsicher-
heit bedeutet […], die in Kauf“ zu nehmen sei. Die Position des Experten aus dem
Arbeitsfeld Strafvollzug schließt hieran an. Aus sozialarbeiterischer Perspektive
seien solche Unsicherheiten gerade in „kritischen Fällen“ auszuhalten und im
Team entsprechende „Überzeugungsarbeit“ zu leisten. Im Zuge der Begleitung
der Klient*innen in Freiheit obliegt den Fachkräften der Sozialen Arbeit gemäß
den Ausführungen der Interviewten der prüfende Blick sowie Problembewertungen
und -anzeigen gegenüber anderen Akteuren mit Sicherheitsauftrag, wobei Spielräu-
me existieren (I1, I4). In mehreren Interviews (I1, I2, I3) wird die Zuschreibung „So-
zialarbeiter*innen seien immer die Netten und Guten“ eingeschränkt. Die Beteili-
gung an Prognosen und die gerade benannten Kontrollaufgaben sind ebenfalls sozi-
alarbeiterischem Sicherheitshandeln zuzurechnen, wenngleich mit Blick auf das er-
zählende und erzählte Ich die Hilfe im Vordergrund steht.
„man will des ja nicht ständig im VORdergrund haben […] des heißt man versucht dann en
besuch auch WOHLwollend und HELfend [zu gestalten] ja (.) aber mit einem auge kuckt
man natürlich SCHON un überlegt bei Jedem- (.) bei jeder KRIse oder bei jedem problema-
tischen thema (2) geht des, geht des nicht,“ (I1)

In allen Experteninterviews werden Veränderungen im Kontext einer verstärkten


gesellschaftlichen Sicherheitsorientierung beschrieben, die nicht zuletzt durch me-
diale Falldarstellungen befördert wird (I4, I5), welche die Idee einer „heile[n]
Welt“ (I5) deskonstruieren. Die originär gesellschaftliche Forderung nach dem Aus-
schluss von Risiken schlage sich im Arbeitsfeld nieder, führe zu Handlungsunsicher-
heiten bei Fachkräften, einer akribischen Dokumentationspraxis, da im Falle fehler-
hafte Einschätzungen die Suche nach Verantwortlichen beginnt (I4), und zur Zurück-
haltung anderer Akteure mit Sicherheitsauftrag beim Zugeständnis etwaiger Freihei-
ten (I4, I5). Ferner sei zu beobachten, dass den Institutionen mehr Klient*innen
zugewiesen würden (I2, I5). In diesem Zusammenhang betonen die interviewten Ex-
perten allesamt die Notwendigkeit einer Positionierung der Sozialen Arbeit. Einer-
seits um Willen des Erhalts ihres professionellen Selbstverständnisses. So äußert der
Bewährungshelfer klar, „das ist nicht unser Handlungsauftrag, da Ermittlungsarbeit
zu tun“. Andererseits um als Korrektiv wirksam zu werden, was die Handlungspraxis
im Arbeitsfeld betrifft. Derzeit seien es die Sozialarbeiter*innen, „die da immer dar-
auf drängen müssen und sagen, das ist die falsche Richtung“ (I5).
Wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, wird Sicherheit als Ziel und im Idealfall Er-
gebnis sozialarbeiterischen Handelns dargestellt, doch thematisieren alle Experten
im Interview eigeninitiativ Grenzen bezogen auf die Herstellung von Sicherheit.
Oben wurde bereits auf die Unmöglichkeit hingewiesen, Klient*innen zu steuern.
Dementsprechend weisen Interviewte darauf hin, dass Klient*innen sich erneut in
unsichere Kontexte begeben können (I1, I3, I5) oder gar in geschlossen Einrichtun-
gen Straftaten begehen (I1). Durchweg wird betont, dass sozialarbeiterisches Sicher-
heitshandeln durch die fehlende Mitwirkung der Klient*innen begrenzt wird. Das
208 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

Ausbleiben einer intrinsischen Veränderungsmotivation wird mit der Funktionalität


von deviantem Verhalten in Verbindung gebracht (I2, I5). Sozialarbeiterisches Si-
cherheitshandeln erfährt außerdem Grenzen durch Teamentscheidungen und die Jus-
tiz als letzte Entscheidungsinstanz (I1, I5).
Infolge des Fallvergleichs lässt sich resümieren: Wenngleich sozialarbeiterisches
Sicherheitshandeln Hilfe – konkretisiert als Besserung der Devianz förderlichen
Kontexte und Befähigung der Klient*innen – Kontrollaufgaben umfasst, dominiert
im beruflichen Alltag Hilfe und das Mandat der Klient*innen. Gleichwohl ist das pri-
mär vom Hilfsgedanken geleitete Sicherheitshandeln an Voraussetzungen gebunden
und erfährt Grenzen. Eine Positionierung der Sozialen Arbeit ist in Anbetracht der
gesellschaftlichen Sicherheitsorientierung, die durch mediale Darstellungen ver-
stärkt wird, und den entsprechenden Konsequenzen für die Arbeitsfelder unerläss-
lich. Dabei entfaltet neben der Zieldimension Sicherheit das Aushalten von Unsi-
cherheit zentrale Bedeutung.
Die beiden Forschungsfragen, wie ist der Sicherheitsauftrag in das professionelle
Selbstverständnis integriert und wie wird dieser praktisch ausgestaltet, können auf
Basis des Materials folgendermaßen beantwortet werden: Soziale Arbeit wird von
verschiedenen Akteuren – sich selbst eingeschlossen – mit Sicherheitsaufträgen be-
traut, denen sie sich annimmt. Die entsprechenden Sicherheiten werden primär im
Modus der Hilfe hergestellt, während kontrollierende Momente nicht ausbleiben
und ihre Möglichkeiten, Sicherheiten herzustellen, begrenzt sind.
Öffentliche Sicherheit im Interesse der Gesellschaft kann den interviewten Exper-
ten zufolge durch Sicherheit für einzelne Klient*innen mithergestellt werden. Letz-
tere umfasst subjektive Handlungssicherheit sowie soziale Sicherheit. Im Vergleich
zu Scherrs Gebrauch von sozialer Sicherheit, geht das Verständnis der Interviewten
über finanzielle Sicherheiten hinaus. Mit der Beseitigung von Obdachlosigkeit
würde ebenfalls soziale Sicherheit erzeugt. Damit legen sie ein weites Verständnis
von sozialer Sicherheit an, das auf Kontexte verweist, welche Devianz nicht fördern.
Wird diese Form der sozialen Sicherheit für Klient*innen realisiert, wäre deren Le-
benslage weniger prekär und in der Konsequenz ein geringeres Viktimisierungsrisiko
für die Klient*innen selbst anzunehmen. Insofern würde Sicherheit auch in dieser
Hinsicht für Einzelne hergestellt. Gemäß dem Selbstverständnis der interviewten Ex-
perten zielt sozialarbeiterisches Handeln zunächst auf die Sicherheiten der Kli-
ent*innen, wobei die Semantik der Hilfe gewählt wird. Dementsprechend wäre so-
zialarbeiterisches Handeln – entgegen Oevermanns Postulat – nicht primär im Funk-
tionsfokus Recht und Gerechtigkeit zu verorten, sondern vielmehr im Fokus somato-
psycho-soziale Integrität einer je partikularen Lebenspraxis. Trotz Umkehr der Ge-
wichtung, werden Kontrollmomente thematisiert; vor allem im Kontext der Beglei-
tung von Entwicklungen der Klient*innen in Freiheit. Zudem zeigt schon die Annah-
me, gesellschaftliche Sicherheit werde durch individuelle Sicherheit vermittelt, dass
die interviewten Sozialarbeiter neben ihren Klient*innen andere Akteure im Blick
haben und sehr wohl von einem Tripelmandat (Staub-Bernasconi) ausgehen. Ferner
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 209

wäre das fallübergreifende Muster Hilfe als konstitutiver Akt für Sicherheit gemäß
Kraus’ Überlegungen dahingehend zu hinterfragen, ob nicht – zumindest stellenwei-
se – die Rede von instruktiver Kontrolle anstelle von Hilfe angebracht wäre. Während
die interviewten Sozialarbeiter den Institutionen Möglichkeiten destruktiver Kon-
trolle bei der Herstellung von öffentlicher Sicherheit zuschreiben, bleiben die eige-
nen Möglichkeiten weitestgehend auf instruktive Kontrolle beschränkt. Sozialarbei-
ter*innen stellen Sicherheit nicht durch Einschluss her, dem sich Klient*innen nicht
entziehen können, sondern durch Bestrebungen, deviantes Verhalten in konformes
Verhalten zu transformieren, denen sich Klient*innen durchaus widersetzen können.
Im Gegensatz zum Sicherungsauftrag von Institutionen kann beim sozialarbeiteri-
schen Sicherheitshandeln keine Ergebnissicherheit angenommen werden. Die Dis-
tanzierung von destruktiver Kontrolle vermag das gravierendste Strukturproblem So-
zialer Arbeit im Oevermannschen Sinne abzumildern. Dennoch werden Paradoxien –
wie von Schütze für professionelles Handeln charakteristisch – gesehen und durch
eine Priorisierung bewältigt, ohne diese zu ignorieren oder aufzulösen. Insgesamt
zeigt sich ein der zunehmenden Sicherheitsorientierung widerständiges professio-
nelles Selbstverständnis.

10. Schlussbetrachtung
Der Diskurs um Sicherheit wird von unterschiedlichen Disziplinen geführt und
bestimmt. Soziale Arbeit als Profession und Wissenschaft nimmt bislang an Sicher-
heitsdialogen, der Erstellung von Sicherheitsbarometern und Foren, in denen Sicher-
heit diskutiert wird, nicht prominent teil. Wenngleich die interviewten Experten dar-
auf hinweisen, dass nicht nur in ihren Arbeitsfeldern Sicherheitsdilemmata und Si-
cherheitsparadoxien virulent sind, sondern in diversen Kontexten, in denen sich So-
ziale Arbeit bewegt, womit die zentrale Bedeutung des Konstrukts Sicherheit für die
Soziale Arbeit abermals betont wäre. Die Sozialarbeitswissenschaft liefert für den
Diskurs wichtige Beiträge etwa durch konstruktivistische Ansätze, das Lebenswelt-
und Lebenslagenkonzept und die Differenzierung im Kontext von Hilfe und Kontrol-
le zwischen instruktiver und destruktiver Macht. In Handlungsfeldern der Sozialen
Arbeit, in denen Fachkräfte einem professionellen Auftrag nachkommen und mit
Adressat*innen befasst sind, von denen Risiken für Sicherheit ausgehen, fühlen
sich Professionelle erstaunlich sicher. Soziale Arbeit repliziert mithin bezüglich
des eigenen Professionsumfeldes das Sicherheitsparadoxon nicht, sondern zeigt
sich gegenüber dem ausufernden Sicherheitsbedürfnis als widerständig. Dies gilt
auch für die Balance „Sicherheit schaffen“ und „Risiken in Kauf nehmen“, die es
zu wahren gelte, so die interviewten Expert*innen. Auf ein mehr an Sicherheit fokus-
sierte Anfragen wird selbstbewusst und reflektiert ein professionelles Selbstver-
ständnis entgegengesetzt, das auf Stärkung der Handlungssicherheit und sozialen Si-
cherheit des Einzelnen setzt, wodurch öffentliche Sicherheit bestenfalls mitherge-
stellt wird. In Anbetracht der selbstzugeschriebenen Wirkmächtigkeit, aber auch
210 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

deren Grenzen, was die Herstellung von Sicherheit betrifft, ist Soziale Arbeit wesent-
liche Akteurin im Herstellungsprozess. Zudem rücken die Fachkräfte nicht von der
Haltung ab, Risiken seien auch in einer verstärkt auf Sicherheit bedachten Zeit zu-
gunsten ihrer Adressat*innen in Kauf zu nehmen, bei denen ein Leben ohne Gefähr-
dung anderer gelingen könne, aber ein Misslingen nicht völlig auszuschließen sei.
Die Wissenschaftsdisziplin Soziale Arbeit und die Professionstheorie können
einen wichtigen Beitrag zum interdisziplinären Sicherheitsdiskurs leisten. Ein An-
fang und in Teilen eine Fortführung werden mit diesem Beitrag geleistet.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit?
Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in:
S. Fischer & C. Masala (Hrsg.), Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und
(immer) neue Sicherheitsmaßnahmen. Wiesbaden, S. 209 – 229.
Bereswil, M. & Neuber, A. (2018): Jugendkriminalität und Männlichkeit, in: B. Dollinger &
H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspektiven.
3. Aufl. Wiesbaden, S. 357 – 374.
Birkel, C. & Guzy, N. (2015): Die Dunkelfeldbefragung: Konzeption und erste Ergebnisse, in:
R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Subjektive und objektivierte Bedingungen von (Un-)Si-
cherheit. Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSiD). Berlin, S. 117 – 146.
Birkel, C., Hecker, M. & Haverkamp, R. (2015): Datenbasis objektivierte (Schadens-)Ereignisse
zu Terrorismus in Deutschland, in: R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Subjektive und ob-
jektivierte Bedingungen von (Un-)Sicherheit. Studien zum Barometer Sicherheit in Deutsch-
land (BaSiD). Berlin, S. 67 – 86.
Blinkert, B., Eckert, J. & Hoch, H. (2015): (Un-)Sicherheitsbefindlichkeiten. Explorative Studie
über Sicherheitseinschätzungen in der Bevölkerung, in: R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.),
Subjektive und objektivierte Bedingungen von (Un-) Sicherheit. Studien zum Barometer Si-
cherheit in Deutschland (BaSid). Berlin, S. 147 – 203.
Boers, K. & Reinecke, J. (2007): Delinquenz im Jugendalter. Erkenntnisse einer Münsteraner
Längsschnittstudie. Münster.
Bogner, A., Littig, B. & Menz, W. (2005): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwen-
dung. 2. Aufl. Wiesbaden.
Böhnisch, L. & Lösch, H. (1973): Das Handlungsverständnis des Sozialarbeiters und seine in-
stitutionelle Determination, in: H. Otto & S. Schneider (Hrsg.), Gesellschaftliche Perspek-
tiven der Sozialarbeit. 2. Aufl. Neuwied, S. 21 – 40.
Boxberg, V. (2017): Entwicklungsintervention Jugendstrafe. Lebenskonstellationen und Re-In-
tegration von Jugendstrafgefangenen. Wiesbaden.
Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2019): Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017. Opfererfahrun-
gen, kriminalitätsbezogene Einstellungen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und
Kriminalität in Deutschland; https://www.mpicc.de/media/filer_public/c9/13/c9135872-
1876-48f0-8899-906a2f26d530/2018ersteergebnissedvs2017.pdf [16. 11. 2019].
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 211

Daase, C. (2013): Sicherheitskultur als interdisziplinäres Forschungsprogramm; http://www.si


cherheitskultur.org/fileadmin/files/WorkingPapers/13-Daase.pdf [16. 11. 2019].
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (2016): Deutschsprachige Definition Sozialer
Arbeit des Fachbereichstag Soziale Arbeit und DBSH; https://www.dbsh.de/fileadmin/redak
tionell/bilder/Profession/20161114_Dt_Def_Sozialer_Arbeit_FBTS_DBSH_01.pdf [30. 01.
2020].
Dollinger, B. (2017): „Sicherheit“ als konstitutive Referenz der Sozialpädagogik. Begriffliche
und konzeptionelle Annäherungen. Soziale Passagen 9/2, S. 231 – 227.
Dollinger, B., Bock, K., Böllert, K., Braches-Chyrek, R., Heite, C., Kessl, F., Thole, W. & Ziegler,
H. (2017): Editorial „Sicherheit“. Soziale Passagen 9/2, S. 205 – 211.
Dollinger, B. & Raithel, J. (2006): Einführung in die Theorie abweichenden Verhaltens. Per-
spektiven, Erklärungen, Interventionen. Weinheim und Basel.
Dollinger, B. & Schmidt-Semisch, H. (2018): Sozialpädagogik und Kriminologie im Dialog.
Einführende Perspektiven zum Ereignis „Jugendkriminalität“, in: B. Dollinger &
H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspektiven.
3. Aufl. Wiesbaden.
Egbert, S. (2017): Siegeszug der Algorithmen? Predictive Policing im deutschsprachigen
Raum, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Innere Sicherheit. Aus Politik
und Zeitgeschichte 67/32 – 33. Bonn, S. 17 – 23.
Engelke, E. (2004): Die Wissenschaft Soziale Arbeit. Werdegang und Grundlagen. 2. Aufl. Frei-
burg im Breisgau.
Evers, A. & Nowotny, H. (1987): Über den Umgang mit Unsicherheit: die Entdeckung der Ge-
staltbarkeit von Gesellschaft. Frankfurt am Main.
Fischer, S. & Masala, C. (Hrsg.) (2016): Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen
und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen? Wiesbaden.
Frevel, B. (2012): Sicherheit: ein (un-)stillbares Grundbedürfnis. Freiburg.
Frevel, B. & Rinke, B. (2017): Innere Sicherheit als Thema parteipolitischer Auseinanderset-
zung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Innere Sicherheit. Aus Politik
und Zeitgeschichte 67/32 – 33. Bonn, S. 4 – 10.
Grimm, J. (2006): Ergebnisse der Glücksforschung als Leitfaden für politisches Handeln? Dis-
cussions Paper Nr. 14 Flensburg; https://www.uni-flensburg.de/fileadmin/content/institute/
iim/dokumente/forschung/discussion-papers/14-grimm-gluecksforschung-gesamt-2.pdf
[04. 02. 2020].
Grimm, R. & Raffelhüschen, B. (2019): Glücksatlas 2019. Bonn.
Haverkamp, R. & Arnold, H. (2015): Einführung, in: R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Sub-
jektive und objektivierte Bedingungen von (Un-)Sicherheit. Studien zum Barometer Sicher-
heit in Deutschland (BaSid). Berlin, S. 1 – 29.
Haverkamp, R. & Arnold, H. (Hrsg.) (2015): Subjektive und objektivierte Bedingungen von
(Un-)Sicherheit. Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland. Berlin.
Heiner, M. (2007): Soziale Arbeit als Beruf. Fälle – Felder – Fähigkeiten. München.
212 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

Heinz, W. (2003): Soziale und kulturelle Grundlagen der Kriminologie – Der Beitrag der Kri-
minalstatistik, in: J. Dittmann & J.-M. Jehle (Hrsg.), Kriminologie zwischen Grundlagenwis-
senschaft und Praxis. Mönchengladbach, S. 149 – 185.
Helfferich, C. (2011). Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer
Interviews. 4. Aufl. Wiesbaden.
Hirtenlehner, H., Hummelsheim-Doss, D. & Sessar, K. (2018): Kriminalitätsfurcht. Über die
Angst der Bürger vor dem Verbrechen, in: D. Hermann & A. Pöge (Hrsg.), Kriminalsozio-
logie, Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden, S. 459 – 474.
Hummelsheim-Doss, D. (2017): Objektive und subjektive Sicherheit in Deutschland. Eine wis-
senschaftliche Annäherung an das Sicherheitsgefühlt. Aus Politik und Zeitgeschichte 67/32,
S. 34 – 39.
Institut für Demoskopie Allensbach (2016): Sicherheit, Risiken und Ängste in der Wahrneh-
mung der Deutschen; https://www.gdv.de/resource/blob/9990/c2e1c3a6171f32e392e83e577
df6e741/ergebnisse-der-allensbach-umfrage-748701556-data.pdf [16. 11. 2019].
Kessl, F. (2017): „Mit Sicherheit Soziale Arbeit?“ Von einem weitgehend unterbestimmten Ver-
hältnis und den damit verbundenen theoretisch-systematischen Konsequenzen. Soziale Pas-
sagen 9/2, S. 229 – 243.
Kraus, B. (2016): Macht – Hilfe – Kontrolle. Grundlegungen und Erweiterungen eines syste-
misch-konstruktivistischen Machtmodells, in: B. Kraus & W. Krieger (Hrsg.), Macht in
der sozialen Arbeit. Interaktionsverhältnisse zwischen Kontrolle, Partizipation und Freiset-
zung. 4. Aufl. Lage, S. 101 – 130.
Kraus, B. (2018): Sozialarbeitswissenschaft/Wissenschaft Soziale Arbeit, in: socialnet Lexi-
kon. Bonn; https://www.socialnet.de/lexikon/Sozialarbeitswissenschaft-Wissenschaft-Sozia
le-Arbeit [04. 02. 2020].
Kraus, B. (2019): Relationaler Konstruktivismus – Relationale Soziale Arbeit. Von der syste-
misch-konstruktivistischen Lebensweltorientierung zu einer relationalen Theorie der Sozia-
len Arbeit. Weinheim und München.
Kreissl, R. (2018): Bringing the State back in, Oder: Was hat der Staat in der Sicherheitsgesell-
schaft verloren?, in: J. Puschke & T. Singelnstein (Hrsg.), Der Staat und die Sicherheitsge-
sellschaft. Wiesbaden, S. 3 – 32.
Kruse, J. (2015): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. 2. Aufl. Weinheim.
Kühne, S., Schlepper, S. & Wehrheim, J. (2017): „Die sanften Kontrolleure“ (Helge Peters und
Helga Cremer-Schäfer 1975) revisited. Soziale Passagen 9/2, S. 329 – 344.
Lambers, H. (2018): Theorien der Sozialen Arbeit, in: socialnet Lexikon. Bonn; https://www.so
cialnet.de/lexikon/Sozialarbeitswissenschaft-Wissenschaft-Soziale-Arbeit [01. 02. 2019].
Lamnek, S. (2018): Theorien abweichenden Verhaltens I. Klassische Ansätze. 10. Aufl. Stutt-
gart.
Lutz, T. (2017): Sicherheit und Kriminalität aus Sicht der Sozialen Arbeit. Neujustierungen im
Risiko- und Kontrolldiskurs. Soziale Passagen 9/2, S. 283 – 297.
Mühler, K. (2015): Der Einfluss von Medienrezeption auf personale und soziale Kriminalitäts-
furcht. Arbeitsbericht des Instituts für Soziologie. Nr. 65; https://ul.qucosa.de/api/qucosa%
3A13953/attachment/ATT-0/ [30. 01. 2020].
Soziale Arbeit als Akteurin bei der Herstellung von Sicherheit 213

Münkler, H. (2010). Strategien der Sicherung. Welten der Sicherheit und Kulturen des Risikos.
Theoretische Perspektiven, in: H. Münkler, M. Bohlender & S. Meurer (Hrsg.), Sicherheit
und Risiko. Bielefeld, S. 11 – 34.
Neubacher, F., Oelsner, J., Boxberg, V. & Schmidt, H. (2011): Gewalt und Suizid im Strafvoll-
zug. Ein längsschnittliches DFG-Projekt im thüringischen und nordrheinwestfälischen Ju-
gendstrafvollzug. Bewährungshilfe 58/2, S. 133 – 146.
Neubacher, F. & Schmidt, H. (2018): Von punitiven Tendenzen, knappen Behandlungsressour-
cen und der Schwierigkeit, dem Einzelnen gerecht zu werden. Neuere Forschungsbefunde
zum Jugendstrafvollzug, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugend-
kriminalität, Interdisziplinäre Perspektiven. 3. Aufl. Wiesbaden, S. 767 – 786.
Oberwittler, D. (2008): Armut macht Angst. Ansätze einer sozialökologischen Interpretation
der Kriminalitätsfurcht, in: A. Groenemeyer & S. Wieseler (Hrsg.), Soziologie sozialer Pro-
bleme und sozialer Kontrolle. Wiesbaden, S. 215 – 230.
Oevermann, U. (2013): Die Problematik der Strukturlogik des Arbeitsbündnisses und der Dy-
namik von Übertragung und Gegenübertragung in einer professionalisierten Praxis von So-
zialarbeit, in: R. Becker-Lenz, S. Busse, G. Ehlert & S. Müller-Hermann (Hrsg.), Professio-
nalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. 3. Aufl. Wiesbaden,
S. 119 – 147.
Olk, T. (1986): Abschied vom Experten. Sozialarbeit auf dem Weg zu einer alternativen Profes-
sionalität. Weinheim und München.
Ostendorf, H. (2018): Lagebild der Kriminalität, in: Bundeszentrale für politische Bildung
(Hrsg.), Kriminalität und Strafrecht, S. 4 – 11.
Parsons, T. (1939): The Professions and Social Structure. Social Forces 17, S. 457 – 467.
Pfeiffer, C., Baier, D. & Kliem, S. (2018). Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland. Schwer-
punkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer; https://www.bmfsfj.de/blob/
121226/0509c2c7fc392aa88766bdfaeaf9d39b/gutachten-zur-entwicklung-der-gewalt-in-
deutschland-data.pdf [20.09.19].
Pritsch, J. & Oberwittler, D. (2015): Kriminalitätsfurcht in Deutschland. Kontexteffekte auf ein
individuelles Ereignis, in: R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Subjektive und objektivierte
Bedingungen von (Un-)Sicherheit. Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland
(BaSid). Berlin, S. 232 – 257.
Puschke, J. & Singelnstein, T. (2018): Der Staat und die Sicherheitsgesellschaft. Wiesbaden.
R+V Versicherung (2019): Die Ängste der Deutschen 2019; https://www.ruv.de/presse/aengste-
der-deutschen [16. 11. 2019].
Scherr, A. (2014): Kriminalität, innere Sicherheit und soziale Unsicherheit. Sicherheitsdiskurse
als Bearbeitung gesellschaftsstrukturell bedingter Ängste. Wiesbaden.
Schnurr, S. (2012): Zum normativen Gehalt professionstheoretischer Positionen. neue praxis –
Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik, S. 95 – 102.
Schütze, F. (1992): Sozialarbeit als „bescheidene“ Profession, in: B. Dewe, W. Ferchhoff &
F.-O. Radtke (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in päd-
agogischen Feldern. Wiesbaden, S. 132 – 170.
214 Isolde Geissler-Frank und Jessica Krebs

Schütze, F. (1996): Organisationszwänge und hoheitsstaatliche Rahmenbedingungen im Sozi-


alwesen. Ihre Auswirkungen auf die Paradoxien des professionellen Handelns, in: A. Compe
& W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädago-
gischen Handelns. Frankfurt am Main, S. 183 – 275.
Staub-Bernasconi, S. (2018): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Soziale Arbeit auf
dem Weg zu kritischer Professionalität. 2. Aufl. Opladen und Toronto.
Steinbrecher, M., Biehl, H., Bytzek, E. & Rosar, U. (Hrsg.) (2018): Freiheit oder Sicherheit? Ein
Spannungsverhältnis aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger. Wiesbaden.
Thiersch, H. (2002): Positionsbestimmungen der Sozialen Arbeit. Gesellschaftspolitik, Theorie
und Ausbildung. Weinheim und München.
Willems, D. & van Santen, E. (2018): Opfer gleich Täter? Junge Menschen in Deutschland und
Erfahrungen körperlicher Gewalt. Ergebnisse der DJI-Studie „Aufwachsen in Deutschland:
Alltagswelten II“. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 101/1, S. 46 – 61.
Zoche, P., Kaufmann, S. & Haverkamp, R. (Hrsg.) (2010): Zivile Sicherheit. Gesellschaftliche
Dimensionen gegenwärtiger Sicherheitspolitiken. Bielefeld.
Vom Hochhaus zum Wohnturm
Strategien der Kriminalprävention im vertikalen Wohnen

Von Tim Lukas

1. Einleitung
Angesichts steigender Mieten und einer konstant hohen Nachfrage nach städti-
schem Wohnraum wird die Planung neuer Wohnhochhäuser1 vielerorts als eine Mög-
lichkeit verstanden, mit der sich dem fundamentalen Wohnraummangel in den Groß-
städten begegnen lässt. Um den öffentlichen Freiraum zu schützen, ist es das Ziel
gegenwärtiger Stadtentwicklung, die im Siedlungszusammenhang bestehenden Flä-
chenpotentiale zu identifizieren und optimal auszunutzen. Vor allem die Bereitstel-
lung von ausreichend Baufläche ist die zentrale Herausforderung vieler Großstädte.
Eine mögliche Lösung für diese Problemkonstellation wird momentan in einer Re-
naissance der Wohntürme gesehen. Nachdem sich das Konzept des vertikalen Woh-
nens im Hochhaus in seiner Geschichte (nicht nur) in Deutschland mit zyklischen
Konjunkturen konfrontiert sah, kam die Entwicklung Mitte der 1980er Jahre zumin-
dest in (West-)Deutschland fast gänzlich zum Erliegen. Zu negativ waren die Erfah-
rungen mit den hochhausbebauten Großsiedlungen der 1960/70er Jahre. Unmittelbar
nach 9/11 dachten gar viele, die Ära der Hochhäuser sei vollständig an ihr Ende ge-
kommen. Gleichwohl lässt sich seit einigen Jahren ein Erstarken dieser Wohnform
feststellen. So entstanden in deutschen Großstädten allein im Zeitraum zwischen
2012 und 2020 insgesamt 11.467 Wohnungen in 78 neu errichteten Wohnhochhäu-
sern (Bulwiengesa AG 2018, 9). Und der Trend scheint sich weiter fortzusetzen.
Vor diesem Hintergrund geht der Beitrag der Frage nach, inwieweit aus den Feh-
lern der Vergangenheit gelernt wurde und worin sich die Wohnturmkonzepte der Ge-
genwart von den hochhausbebauten Großsiedlungen der 1960/70er Jahre unterschei-
den. Zentrales Augenmerk gilt dabei den Strategien der städtebaulichen Kriminal-
prävention, mit denen der Versuch unternommen wird, vertikales Wohnen als eine
1
Die Definitionen dessen, was als Hochhaus betrachtet wird, sind vielfältig. Manche de-
finieren Hochhäuser als Gebäude mit mehr als 10 Geschossen oder mit einer Höhe von mehr
als 100 Metern (Klasmann 2004, 10). Die nordrhein-westfälische Bauordnung definiert
Hochhäuser als Sonderbauten mit einer Fußbodenhöhe des höchstgelegenen Stockwerks von
mehr als 22 Metern (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 BauO NRW 2018). Diese Definition liegt auch der
Geschäftsordnung des Hochhausbeirats in der Landeshauptstadt Düsseldorf (2019) zugrunde,
auf die sich der vorliegende Artikel im weiteren Verlauf bezieht.
216 Tim Lukas

urbane und sichere Wohnform zu etablieren. Der vorliegende Beitrag berichtet Be-
funde leitfadengestützter Experteninterviews, die im Rahmen des BMBF-Projekts
„Sicherheit im Bahnhofsviertel (SiBa)“ realisiert wurden (Haverkamp et al.
2018).2 Da auch im Umfeld des Düsseldorfer Hauptbahnhofs die Errichtung mehre-
rer Wohntürme geplant ist, stellten sich innerhalb der Fallstudie Fragen, die nicht nur
die Sicherheit des öffentlichen Raums betreffen, sondern auch die städtebauliche und
architektonische Gestalt der Wohnumgebung im Bahnhofsviertel thematisieren. Die
Neubauvorhaben rund um den Hauptbahnhof beschäftigten im November 2015 auch
den Kriminalpräventiven Rat der Stadt Düsseldorf, zu dessen Sitzung der Autor auf-
grund seiner im Jahr 2009 bei Hans-Jörg Albrecht eingereichten Dissertationsschrift
eingeladen war (Lukas 2010).

2. (Image-)Probleme des vertikalen Wohnens


Der schlechte Ruf des Wohnhochhauses entspringt den Erfahrungen, die in beiden
Teilen Deutschlands mit dem Bau der hochhausbebauten Großsiedlungen am Rande
der Städte gemacht wurden. Schon in der DDR galten die in den Neubauvierteln rea-
lisierten mehrgeschossigen Wohnplattenbauten als „Arbeiterschließfächer“ (Volks-
mund), „Komfortzellen“ (Brigitte Reimann) oder gar als „Fickzellen mit Fernhei-
zung“ (Heiner Müller). Während sich darin Kritik vor allem an den normierten
und beengten Wohnverhältnissen in den überdimensionierten Wohnblöcken aus-
drückte, entsprachen die Neubaugebiete jedoch überwiegend den Wohnpräferenzen
ihrer Bewohnenden (Häußermann & Kapphan 2002, 71). Der Bezug einer Neubau-
wohnung in der ,Platte‘ bedeutete für viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger die Lö-
sung langjähriger Wohnungsprobleme im System der staatlichen Wohnungsvergabe,
in dem die Alternative häufig nur im maroden Altbau einer verfallenden Innenstadt
bestand. Die Krise der ostdeutschen Großsiedlungen begann erst mit dem Systemum-
bruch, als mit der sukzessiven Sanierung der historischen Altbaubestände und der
Errichtung zahlreicher Einfamilienhaussiedlungen die Anreize wuchsen, die Miet-
wohnung im Plattenbau zugunsten einer Mietwohnung im Gründerzeitviertel oder
gegen Wohneigentum im Umland einzutauschen. Die selektive Entmischung der
vormals stabilen Bevölkerungsstruktur und die grassierenden Leerstände schufen
einen als problematisch wahrgenommenen Siedlungstyp, dessen Stigmatisierung
ins Fahrwasser der bis dahin ausschließlich westdeutsch geprägten Diskussion um

2
Im Projekt SiBa werden Sicherheit und Sicherheitswahrnehmung in den Bahnhofsvier-
teln der Städte Düsseldorf, Leipzig und München untersucht. Innerhalb der Düsseldorfer
Fallstudie wurden im Zeitraum von Dezember 2018 bis September 2019 insgesamt 30 leitfa-
dengestützte Interviews mit 33 Expertinnen und Experten aus den Bereichen der polizeilichen
und kommunalen Sicherheitsarbeit und Stadtentwicklung sowie mit Mitarbeitenden der Stra-
ßensozialarbeit und Drogenhilfe geführt. In drei Interviews mit Akteuren aus Politik, Krimi-
nalprävention und Projektentwicklung wurde dabei auch die neue Hochhausbebauung des
Düsseldorfer Bahnhofsviertels adressiert. Diese Interviews bilden die Grundlage des vorlie-
genden Artikels.
Vom Hochhaus zum Wohnturm 217

Großsiedlungen als Problemsiedlungen geriet. Abriss und Rückbau waren von nun
an die vorherrschenden Themen in den Neubausiedlungen von Marzahn-Hellersdorf,
Leipzig-Grünau und anderswo. Verstärkt wurde das negative Image durch den äuße-
ren Eindruck, den die monotonen und reizlosen ,Betonschlafstädte‘ bei den Betrach-
tenden hinterließen – eine Wahrnehmung, die durch die Art und Weise der Medien-
berichterstattung über die Siedlungen noch verstärkt wurde. Tageszeitungen und
Fernsehsendungen berichteten besonders nach den Krawallen in Rostock-Lichtenha-
gen und Hoyerswerda-Neustadt über die ,Platte‘ als Zentrum des ostdeutschen
Rechtsradikalismus (Hannemann 2005, 150).
Gegenüber den ostdeutschen Plattenbaugebieten liest sich die Geschichte des ver-
tikalen Wohnens in den westdeutschen Großwohnsiedlungen als ein sequentieller
Niedergang (Power 1999, 144), der seinen Ausgang bereits wenige Jahre nach Er-
richtung der sogenannten Trabantenstädte in den 1960er und 1970er Jahren nahm.
Zwar wurden die modern ausgestatteten Wohnungen auch in Westdeutschland allge-
mein als eine Verbesserung der Wohnsituation empfunden, soziale Anpassungs-
schwierigkeiten und weite Pendelstrecken zwischen den Standorten für Arbeit und
Wohnen führten jedoch sehr schnell zu einer erhöhten Fluktuation und sozialen Ent-
mischungsprozessen unter den Bewohnenden. Besser situierte und gut ausgebildete
Bevölkerungsteile, die dem Versprechen urbaner Wohnqualität an den Stadtrand ge-
folgt waren, gaben nunmehr dem sanierten Altbau in zentraler Lage den Vorzug,
während die Wohnungsämter auf den zunehmenden Leerstandsdruck mit der Zuwei-
sung von statusniedrigeren Bevölkerungsgruppen reagierten. Von den verbliebenen
Bestandsmieterinnen und -mietern wurde die selektive Entmischung als ein „sozio-
kultureller Abstieg empfunden“ (Hannemann 2000, 6), der die Spirale aus Image-
und Leerstandsproblemen weiter verschärfte. Leerstandsquoten von über 40 Prozent
waren in einzelnen Großsiedlungen Westdeutschlands keine Seltenheit und führten
unweigerlich zu Mietausfällen, die es den Wohnungsbaugesellschaften vielerorts un-
möglich machten, notwendige bautechnische Mängel zeitnah zu beseitigen. Ab Ende
der 1970er Jahre massierten sich in den Siedlungen die städtebaulichen und sozialen
Problemlagen, soziale Konfliktsituationen spitzten sich zu und die einst als Errun-
genschaften der Moderne gepriesenen Neubaugebiete wurden aufgrund konzentrier-
ter Armuts- und Vandalismusprobleme zusehends als „Sozialghettos“ (Deutscher
Bundestag 1994, 34) markiert. Mit Beginn der 1980er Jahre wurde die Bevölkerungs-
umschichtung in den westdeutschen Großsiedlungen immer deutlicher. Die verblie-
benen Haushalte verfügten über einen vergleichsweise geringen sozioökonomischen
Status und der Leerstand nahm immer weiter zu, bis Ende der 1980er Jahre der ver-
stärkte Zuzug von Zuwandernden aus der zusammenbrechenden Sowjetunion zu
einem vorläufigen Ende der Leerstandsproblematik führte. Unter dem Eindruck
einer neuen Wohnungsnot wurden von Bund und Ländern Wohnungsbauprogramme
aufgelegt, die sogar zur Förderung neuer großer Siedlungen am Stadtrand oder auf
innerstädtischen Brachen führten (Jessen 2000, 115). Inzwischen gelten die rand-
städtischen Neubaugebiete häufig als Wohnorte der Marginalisierten, als ethnisch
und sozial segregierte Quartiere, denen von Seiten der Politik ebenso wie im öffent-
218 Tim Lukas

lichen Diskurs allzu oft nur wenig Beachtung geschenkt wird (Kurtenbach 2018,
160).

3. Neue Perspektiven des vertikalen Wohnens


Neben der zunehmenden Verdichtung insbesondere der innenstadtnahen Berei-
che, wird die Lösung der Wohnungsfrage in vielen Städten heute erneut im Geschoss-
wohnungsbau gesehen. So wächst etwa die Bevölkerung der Stadt Düsseldorf auf
einer vergleichsweise geringen Fläche: „Düsseldorf ist eine wachsende Stadt und
wir können weder in die Breite noch in die Länge wachsen. Also müssen wir in
die Höhe wachsen“ (Interview, Kriminalprävention, 544 – 545). Die Entwicklung
neuer Hochhäuser soll dabei nicht nur einen Beitrag zum Wohnungsbau leisten, son-
dern auch die raumwirksamen Aspekte der Typologie berücksichtigen. Nicht nur das
Beispiel Frankfurt am Main zeigt, wie vertikales Bauen die Silhouette einer Stadt
prägen kann. Die Standortwahl neuer Hochhäuser hat daher einen prominenten Ein-
fluss auf das Stadtbild: „Ich glaube, dass Wohnhochhäuser zunehmend kommen wer-
den. Ich glaube, dass sie singulär funktionieren und auch singulär gut sein können
und auch so ein Stadtbild prägen können“ (Interview, Politik, 324 – 325). In Düssel-
dorf wurde dazu bereits im Jahr 2004 ein sogenannter „Hochhausrahmenplan“ ver-
abschiedet, der das Ziel verfolgte, eine nachhaltige Stadtentwicklung durch die Zo-
nierung von Flächen zu gewährleisten. Für den Rahmenplan wurden historisch ge-
prägte Bereiche, wie etwa die Düsseldorfer Altstadt, identifiziert, in denen Hochhäu-
ser grundsätzlich nicht genehmigungsfähig sein sollten. Während in angrenzenden
Übergangszonen angepasste Bauhöhen vorgesehen waren, sollten nur an zentralen
Schwerpunkten des ÖPNV und innerhalb etablierter Bürocluster keinerlei Bauhö-
henbeschränkung gelten (Landeshauptstadt Düsseldorf 2018a, 6).
Mit dem allgemein verstärkten Zuzug in die Städte hat sich die Nachfrage nach
Wohnraum jedoch auch in Düsseldorf derart verschärft, dass im Rahmen eines Be-
teiligungsverfahrens zur Anpassung des Hochhausrahmenplans im Jahr 2018 nun-
mehr nicht mehr die Frage danach gestellt wurde, ob neue Hochhäuser überhaupt ge-
baut werden sollten, sondern vielmehr, an welchen Orten im Stadtgebiet vertikales
Wohnen sinnvoll platziert werden könnte. Von den Teilnehmenden wurden dabei
ganz überwiegend zentrale Standorte in der Stadtmitte genannt, für die eine Höhen-
abstufung vom 18 bis zu 36 Geschossen als verträglich erachtet wurde. Gebäude mit
mehr als 36 Geschossen wurden vorrangig für das Gebiet des Düsseldorfer Medien-
hafens vorgesehen. Während das vertikale Wohnen aufgrund größerer Flächenver-
fügbarkeit in der Vergangenheit vorrangig am Stadtrand entwickelt wurde, gehen
die Präferenzen der Standortwahl heutzutage eher Richtung Stadtzentrum. Der Ge-
schäftsführer eines europaweit agierenden Projektentwicklers mit Sitz in Düsseldorf
sieht in der Standortwahl daher den primären Unterschied zwischen der „neuen Ge-
neration der Wohntürme“ (Beyerle et al. 2018, 1) und dem Großsiedlungsbau der
1960/70er Jahre:
Vom Hochhaus zum Wohnturm 219

„Das erste ist zunächst mal, wo ist der Standort? Früher wurden diese Wohnhäuser irgendwo
am Stadtrand gebaut, in irgendwelche Suburbs. Und waren, sagen wir mal, mehr politisch
motiviert. Im Osten waren es die Plattenbauten, hier war es die ,Neue Heimat‘. Das heißt, da
wurde wegen Wohnungsnot mal schnell was hingeklotzt. Heute sind diese Standorte eher
mitten in der Stadt und sie kommen aus dem Nachfrageprofil der Bewohnerschaft. (…)
Das heißt, ist eine ganz andere Motivation, ganz anderer Standort“ (Interview, Projektent-
wicklung, 394 – 399).

Aus immobilienwirtschaftlicher Perspektive erscheint die Errichtung neuer


Wohnhochhäuser in Stadtrandlagen ohnehin kaum mehr realisierbar. In einer aktu-
ellen Befragung von Expertinnen und Experten der Immobilienbranche werden als
Standorte vor allem die sogenannten TOP7-Städte (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt,
Hamburg, Köln, München, Stuttgart) und dort insbesondere die Innenstadtlagen
als geeignet betrachtet, in denen urbane Funktionen wie kulturelle und kommerzielle
Angebote fußläufig oder zumindest mit dem Fahrrad erreichbar sind (Franken 2018,
18 ff.):
„Das sind Standorte, die sind aus meiner Sicht gefährdet. (…) Jetzt klappt das natürlich. In
dem Markt funktioniert ja eh alles. Aber in zehn, fünfzehn Jahren, kann ich mir vorstellen,
dass diese Standorte ähnliche Probleme wiederbekommen. Weil die eben nicht mitten in der
Stadt sind, weil, Hochhaus ist etwas für einen urbanen Menschen. Der will mit dem Aufzug
runterfahren, bei Starbucks reinfallen, der will mitten in der Stadt sein. Der will kein Auto
mehr fahren, der muss neben quirligem Leben sein. Deswegen, wenn Wohnhochaus, dann
mitten in der Stadt. Auch integriert in ein Quartier. Und nicht irgendwo an den Stadtrand
gestellt. Denn sonst haben wir wieder den gleichen Sicherheitsaspekt, weil so ein Hochhaus
hat natürlich schnell dann auch diesen, ja, anonymen Charakter“ (Interview, Projektent-
wicklung, 417 – 425).

Die Lage im Innenstadtkern stellt das vertikale Wohnen vor besondere Herausfor-
derungen, da sich die problematischen Entwicklungen der hochhausbebauten Stadt-
randsiedlungen in dieser zentralen Lage auf keinen Fall wiederholen sollen. In Düs-
seldorf wurde vor diesem Hintergrund im Jahr 2019 ein Hochhausbeirat eingerichtet,
der die Hochhausentwicklung in der Landeshauptstadt kontinuierlich begleiten und
bei aktuellen Hochhausprojekten auf der Basis festgelegter Leitprinzipien fachliche
Empfehlungen zur Eignung neuer Standorte abgeben soll. Ziel des Hochhausbeirats
ist es, „die architektonische/städtebauliche Qualität von Hochhäusern und deren
stadtverträgliche Implementierung auf einem hohen Niveau zu sichern sowie Fehl-
entwicklungen zu vermeiden“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2019, 1). Zu den be-
fürchteten Fehlentwicklungen zählen die seit Jahren unveränderten Problemlagen
einer Mehrheit der deutschen Großsiedlungen, die sich steckbriefhaft wie folgt zu-
sammenfassen lassen: „Verwahrlosung der öffentlichen Räume, Vernachlässigung
der Bausubstanz, Vandalismus, hohe Gewaltbereitschaft der Bewohner, Jugendkri-
minalität, abgebrochene Ausbildungen, hohe Arbeitslosigkeit, starke Mieterfluktua-
tion, Wegzug besser gestellter, deutscher Familien, überdurchschnittlicher Anteil an
Ausländern und Immigranten, partieller Leerstand“ (Kraft 2011, 52).
220 Tim Lukas

4. Vertikales Wohnen und Unsicherheit


Die genannten Fremdzuschreibungen stimmen jedoch nicht immer mit der Eigen-
wahrnehmung der Bewohnenden überein. Insbesondere der Bedrohlichkeit, mit der
die Großsiedlungen seit vielen Jahren assoziiert werden, fehlt in der Alltagsrealität
der Bewohnerinnen und Bewohner häufig die Entsprechung (Krischke 2019). Bereits
in einer frühen Studie zur Kriminalitätsbelastung ostdeutscher Plattenbaugebiete
konnte Flade (1996) die Hypothese einer überdurchschnittlichen Kriminalitätsbelas-
tung in den Siedlungen widerlegen. Tatsächlich liegt „die in Hochhauswohnanlagen
registrierte Kriminalität kaum höher als in gewachsenen innerstädtischen Vierteln“
(Weinhauer 2013, 40). Am Beispiel der Großsiedlung Köln-Chorweiler legt Kurten-
bach (2017, 108) nahe, dass „weniger von alltäglicher Kriminalität, sondern eher von
einer latenten alltäglichen disorder auszugehen [sei], die zwar wahrgenommen, aber
nicht als Kriminalität klassifiziert wird.“
Seit jeher standen in den Großsiedlungen Graffiti und Sachbeschädigungen in
Treppenhäusern, in Fahrstühlen, an Klingeltableaus oder in Kellern an der Spitze
der registrierten Delikte. Die hohe Zahl derartiger Sachbeschädigungen wurde
zum einen dadurch beeinflusst, dass in den randstädtischen Wohnanlagen neben
der Polizei auch andere Kontrollakteure wie Angestellte der Hausverwaltung und
Hausmeister solche Delikte akribisch erfassten. Zum anderen bot die große Zahl
von Verbotsschildern in den Hochhaussiedlungen, viele Möglichkeiten zur Sachbe-
schädigung. Da es für junge Menschen kaum Freizeitmöglichkeiten in den Wohnan-
lagen gab, reizte die durch diese Schilder festlegte Monofunktionalität von Flächen
und Gebäudeteilen zu „kreativen Umnutzungen“ (Weinhauer 2013, 40), die dann
strafrechtlich oder als Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden konnten.
Dennoch rückte der Zusammenhang von Hochhausbebauung und Kriminalität
immer wieder in den Blick von Medien, Polizei und Wissenschaft. Insbesondere
die Hochhäuser der Großsiedlungen wurden medial schon früh als Hochburgen
der Kriminalität etikettiert. So berichtete beispielsweise die Hamburger Morgenpost
am 3. April 1978: „Wohnsilos mit über 1000 Familien sind Brutstätten von Verbre-
chen, Krankheiten, Alkohol- und Drogensucht! Die Kriminalität in solchen Beton-
burgen ist sieben- bis zehnmal höher als in Gegenden mit normaler Bebauung.“ Der
Beststeller ,Wir Kinder vom Bahnhof Zoo‘ und der nachfolgende Kinofilm ,Chris-
tiane F.‘ verorteten all diese sozialen Probleme öffentlichkeitswirksam in den Wohn-
hochhäusern der Berliner Gropiusstadt. Der öffentlichen Berichterstattung dienten
die Großsiedlungen somit vorrangig als Schauplätze von Jugend- und Suchtproble-
men (Reinecke 2013, 30), die sie auf einen Bautyp zurückführten, der Anonymität
befördere und die Ausübung sozialer Kontrolle erschwere. In sozialkritischer Ab-
sicht „verfestigte sich so das Bild von Siedlungen der Nachkriegsmoderne als
Orte der Devianz und als Gefahr für die öffentliche Ordnung“ (Harnack 2018, 176).
Den wissenschaftlichen Hintergrund dazu lieferte der New Yorker Architekt
Oscar Newman, der in seinem 1972 erschienenen Hauptwerk „Defensible Space.
Crime Prevention through Urban Design“ einen Zusammenhang von Gebäudehöhe
Vom Hochhaus zum Wohnturm 221

und Kriminalitätsentwicklung nahelegte. Er stellte fest, dass gerade in den neuen


Stadtvierteln und insbesondere in den Hochhäusern die Kriminalität mit der Anzahl
der Stockwerke exponentiell zunahm. Auch die Kriminalitätsfurcht stehe demnach
in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Wohnhausgröße (Newman & Frank
1982). Vermittelt werde der Zusammenhang über die informelle Sozialkontrolle, die
in großen Wohnanlagen naturgemäß reduziert sei und auf diese Weise zu einer erhöh-
ten Kriminalitätsfurcht unter den Bewohnenden führe. In der Bundesrepublik ging
Rolinski (1980, 155) der Frage nach, inwieweit sich Zusammenhänge zwischen Bau-
struktur und kriminalitätsbezogenen Unsicherheitsgefühlen nachweisen lassen. Die
Überprüfung von Newmans Erklärungsmodell führte ihn zu dem Ergebnis, dass das
persönliche Viktimisierungsrisiko, unabhängig von den Merkmalen ,Defensible
Space‘ oder ,Soziale Schichtung‘, in Hochhäusern signifikant höher eingeschätzt
werde als in Mehrfamilienhäusern.
Ins polizeiliche Blickfeld gerieten die hochhausbebauten Stadtrandsiedlungen,
nachdem bei der Suche des von der RAF im September 1977 entführten Arbeitge-
berpräsidenten Hanns Martin Schleyer ein wichtiger Hinweis übersehen wurde –
nämlich, dass Schleyer in einem Wohnhochhaus in der Nähe von Köln gefangen ge-
halten wurde, ohne dass es in der Nachbarschaft jemandem aufgefallen war. Die An-
onymität in den Siedlungen führte zu einer Reihe von Forschungsarbeiten im Umfeld
des Bundeskriminalamts (Bundeskriminalamt 1979; Kube 1978), die später den
Boden für Konzepte der städtebaulichen Kriminalprävention in der Bundesrepublik
bereiteten (Schürmann 2018, 764; Stummvoll 2015, 29).
Wachsende Bedeutung erfährt in diesen Ansätzen das subjektive (Un-)Sicher-
heitsempfinden, das in aktuelleren empirischen Studien mit Aspekten der Wohnum-
gebung in Großsiedlungen assoziiert wird, „die außerhalb des bisherigen Handlungs-
spektrums der klassischen städtebaulichen Kriminalprävention liegen, wie beispiels-
weise die Verkehrsanbindung. Dies verweist darauf, dass die Lebensqualität und die
Attraktivität des Wohnstandorts in einem breiteren Raumverständnis für die Sicher-
heit entscheidend sind“ (Schubert & Veil 2011, 99). Auch in der von Hans-Jörg Al-
brecht koordinierten Studie zur Kriminalprävention in europäischen Großsiedlungen
(Soomeren et al. 2016) finden sich Hinweise auf ein signifikant erhöhtes Unsicher-
heitsgefühl in den von hoher Fluktuation geprägten Berliner Trabantenstädten Gro-
piusstadt und Marzahn Nord, das mit einer geringen Wohndauer und eingeschränkten
Nachbarschaftskontakten in Verbindung steht (Lukas & Enters 2007, 56 f.). Vor die-
sem Hintergrund stellt sich jedoch die Frage, inwiefern Kriminalität und Unsicher-
heit im Wohnhochhaus tatsächlich dem Bautyp anzulasten sind, oder ob die (Un-)Si-
cherheitswahrnehmung in den Großsiedlungen nicht vielmehr gesellschaftlichen
Prozessen geschuldet ist, deren Bedingungen sich zwangsläufig in denjenigen Wohn-
lagen „an den Rändern der Städte“ (Häußermann et al. 2004) niederschlagen, die
vielfach das untere Ende des gesamten Wohnungsbestands bilden.
222 Tim Lukas

5. Kriminalprävention im vertikalen Wohnen


An diesen Bedingungen werden auch die neuen Wohntürme in den Innenstadtla-
gen kaum etwas ändern. Eher ist davon auszugehen, dass sie die sozialräumliche Se-
gregation im Stadtgebiet noch verschärfen werden, wenn man, wie etwa in Düssel-
dorf, davon ausgeht, dass der moderne Geschosswohnungsbau vorrangig im Hoch-
preissegment entwickelt werden soll, um der Nachfrage internationaler und hoch
qualifizierter Fach- und Führungskräfte zu entsprechen. Von Seiten der politischen
Entscheidungsträger werden dabei in Düsseldorf insbesondere die japanischen
und chinesischen Expatriates der ansässigen Wirtschaftsunternehmen als mögliche
Zielgruppen in den Blick genommen:
„Deswegen aus meiner Sicht, das ist eigentlich nur etwas für den internationalen und geho-
benen Bereich. (…) Deswegen glaube ich eben auch singulär: ja, im hochpreisigen Seg-
ment: auch, dann funktioniert das glaube ich auch mit der Fluktuation, die man dann wahr-
scheinlich auch mit Expats in dem Bereich haben wird“ (Interview, Politik, 326 – 340).

Während die westdeutschen Großsiedlungen der 1960/70er Jahre vor allem im


Rahmen des sozialen Mietwohnungsbaus (z. B. der Neuen Heimat) realisiert wurden,
unterscheiden sich die heutigen Belegungs- und Vergabepolitiken fundamental von
der „sozialdemokratischen Utopie“ (Lepik & Strobl 2019) vergangener Zeiten. Aus-
gehend von der Förderung privaten Eigentums sollen mit einer homogenen Mittel-
schichtsorientierung die Identifikation mit den Wohnhochhäusern und das Verant-
wortungsgefühl unter den Bewohnenden gestärkt werden. Sozial stabilisierende Wir-
kungen auf die Nachbarschaft sind von der Zielgruppe der Expats aufgrund einer be-
grenzten Aufenthaltsdauer zwar kaum zu erwarten, innerhalb der Wohntürme aber
wird heute sehr viel größerer Wert auf kleinräumige Einheiten gelegt, als dies
noch bei der Errichtung der Großsiedlungen der Fall war. Auf diese Weise soll zu-
mindest in den Gebäuden so etwas wie Nachbarschaft erzielt und die geläufige An-
onymität des Hochhauses durchbrochen werden:
„Das ist ja ein zweites Thema aus der Vergangenheit, dass an diesen (…) dann pro Erschlie-
ßungskern, ich weiß nicht, wie viele Einheiten hängen. Wir legen Wert darauf, dass bei un-
seren Wohnhochhäusern maximal acht Einheiten pro Treppen-, pro Etage sind. Die teilen
wir nochmal auf. Vier links, vier rechts. Sodass diese vier Leute sich untereinander auch
kennen. Ganz wichtiger Aspekt. Nachbarschaft, ich weiß, wer neben mir wohnt. Und
nicht wie früher, ich begegne einem auf dem Hausflur und weiß gar nicht, wer das ist“ (In-
terview, Projektentwicklung, 425 – 431).

Ein Beitrag dazu sollen auch die Concierge- und Doormen-Dienste leisten, die als
„gute Seele im hochkant gestellten Dorf“ (Gerlof 2000) einerseits alltägliche Dienst-
leistungen erbringen (z. B. Pakete annehmen), andererseits aber auch Funktionen der
Zugangskontrolle (z. B. über Videoüberwachungsanlagen) ausüben, wie sie in der
städtebaulichen Kriminalprävention unter dem Schlagwort ,Territorial Reinforce-
ment‘ seit jeher eingefordert werden (Haverkamp & Heesen 2014, 83):
Vom Hochhaus zum Wohnturm 223

„Also, da sind wir in der klassischen städtebaulichen Kriminalprävention. Wenn da unge-


hinderter Zugang ist, dass da wirklich einfach jeder rein kann, dass da jeder irgendwo seinen
Müll ablagern kann, weil es einfach relativ anonym ist“ (Interview, Kriminalprävention,
385 – 388).

Auffallend ist dabei, dass sich in den Pförtnerprojekten die Polarisierung der
Stadtgesellschaft widerspiegelt, nachdem Concierge-Logen vor allem „jeweils in
den obersten und untersten Kategorien des städtischen Wohnungsmarktes zu finden“
(Flöther 2010, 58) sind. Während Pförtnerdienste in den Hochhäusern der randstäd-
tischen Großsiedlungen nachträglich durch die Wohnungsbaugesellschaften instal-
liert wurden, werden Concierge-Dienste in den neuen Wohntürmen als eine Art
Lifestyleversprechen aus Sicherheit, Sauberkeit und Service von vornherein einkal-
kuliert. Michel (2005, 94) deutet das in der Inanspruchnahme von Pförtnerdiensten
zum Ausdruck kommenden Ab- und Ausgrenzungsbedürfnis als ein europäisches,
„weil unauffälliges“ Pendant zur ,Gated Community‘, die sich als Wohnform in
Deutschland (bislang) nicht in der Breite hat etablieren können. Eingebettet werden
die neuen Wohnturmprojekte stattdessen in die Planung innerstädtischer Mittel-
schichtsenklaven, wie sie derzeit in zahlreichen Städten entstehen. Umgeben von
Zäunen, Mauern und hohen Hecken weisen diese Siedlungen eine baulich-räumliche
Abgeschlossenheit auf, für deren Entstehen „der Komplex Sicherheit eine wesentli-
che Triebkraft“ (Frank 2013, 72) darstellt. Neben der baulich-physischen Gestaltung
dieser im Kern suburbanen Wohnform verkörpern diese Siedlungen einen Grad der
soziokulturellen Homogenität, der ihren Bewohnenden ein Gefühl von Sicherheit
und sozialer Kontrolle vermittelt.
Städtebaulich wird durch die Errichtung neuer Hochhäuser grundsätzlich das Ent-
stehen sogenannter Angsträume befürchtet, deren Beseitigung im öffentlichen Raum
indessen eine der zentralen Zielstellungen des kommunalen Präventionshandelns bil-
det (Bescherer et al. 2017). Der Schattenwurf der Gebäude könne die Lichtverhält-
nisse im Umfeld derart verändern, dass dunkle Ecken in der Stadt entstehen, die das
Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum beeinträchtigen könnten:
„Es ist ja nicht nur die Masse an Menschen die da hinkommt, sondern es sind ja dann tat-
sächlich eben auch, so ein großer Bau, der führt zu Verschattung, der führt zu Verdunklung.
Da sind wir dann wieder bei dem Sicherheitsthema ja eben auch, wo tatsächlich eben auch
aus städtebaulicher Sicht ja wieder so Ecken entstehen können, Angsträume entstehen kön-
nen und so weiter“ (Interview, Politik, 379 – 383).

Für die Sicherheitswahrnehmung in der Stadt haben Lichtverhältnisse eine zen-


trale Bedeutung (Schulze 2017). Fragen nach dem Zusammenhang von Licht und Si-
cherheit im öffentlichen Raum werden in der sozialwissenschaftlichen Forschungs-
literatur vorrangig im Hinblick auf die Eignung von Licht als Instrument der städte-
baulichen Kriminalprävention untersucht: „Auch wenn mangelnde oder schlechte
Beleuchtung nicht immer als einziger Grund für ein subjektiv erlebtes Unsicherheits-
gefühl aufgeführt wird, können die meisten Studien zeigen, dass eine Verbesserung
der Beleuchtungssituation von einem Großteil der Befragten erwünscht und nicht sel-
224 Tim Lukas

ten sogar an erster Stelle genannt wird“ (Krause 2013, 13). Zum einen schaffe Be-
leuchtung Übersichtlichkeit und ermögliche auf diese Weise Sichtbeziehungen. Zum
anderen erhöhe Licht die informelle soziale Kontrolle und könne sogar zu einer Be-
lebung des öffentlichen Raums beitragen, wodurch sich auch das subjektive Sicher-
heitsgefühl erhöhen lasse. Aktuelle Wohnturmprojekte nutzen daher inzwischen die
Spiegelreflektion benachbarter Gebäude, um den Schattenwurf des Hochhauses auf-
zuhellen (Lachmann 2015).

6. Fazit
Die Errichtung neuer Wohntürme in zentralen Innenstadtlagen stellt hierzulande
für viele Kommunen eine Möglichkeit dar, angesichts knapper Flächenverfügbarkeit
neuen Wohnraum zu entwickeln, um auf diese Weise der grassierenden Wohnungs-
not insbesondere in den Großstädten zu begegnen. Angesichts der Erfahrungen mit
den hochhausbebauten Großsiedlungen am Stadtrand sind die neuen zentrumsnahen
Wohnturmprojekte stadtpolitisch jedoch nicht unumstritten. Insbesondere aus der
Perspektive der städtebaulichen Kriminalprävention wird der Neubau von Wohn-
hochhäusern grundsätzlich kritisch bewertet, werden damit doch Phänomene asso-
ziiert, die in der Vergangenheit zu massiven Sicherheitsproblemen dieses Wohntyps
geführt haben: „Also, wegen der Erfahrung der Vergangenheit finde ich grundsätz-
lich Hochhäuser ab einer gewissen Geschosshöhe und aus städtebaulicher Sicht der
Kriminalprävention, finde ich Hochhäuser nicht opportun“ (Interview, Kriminalprä-
vention, 540 – 542).
Zwar werden Sicherheitsaspekte heute bereits sehr viel stärker in der räumlichen
Planung berücksichtigt, etwa dann, wenn polizeiliche Akteure als Träger öffentlicher
Belange im Bebauungsplanverfahren um ihre Stellungnahme gebeten werden (wenn-
gleich die Hinweise der Sicherheitsbehörden an dieser Stelle zumeist ohne Resonanz
bleiben, da sie mit ihren Empfehlungen auf die erst anschließende Ausführungspla-
nung abzielen). Auch auf Seiten der Immobilienwirtschaft besteht inzwischen eine
größere Sensibilität für Fragen der Sicherheit, die sich als zentraler Bestandteil der
Wohnqualität auf dem Wohnungsmarkt ertragreich kapitalisieren lassen. Auch die
verschiedenen Ebenen der kommunalen Verwaltung und der politischen Meinungs-
bildung nehmen die Sicherheitsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger bei der
räumlichen Planung neuer Wohngebiete zunehmend ernster und legitimieren ihre
Entscheidungen im Rahmen von Partizipationsverfahren, über die die kommunale
Verwaltung in Dialog mit der Stadtgesellschaft tritt (Landeshauptstadt Düsseldorf
2018b). Die Errichtung neuer Wohntürme findet daher heutzutage in einem größeren
Bewusstsein für die sicherheitsrelevanten Aspekte der Stadtplanung statt, wobei der
Kern des Problems tatsächlich eher außerhalb der von den Akteuren üblicherweise
adressierten Nebenfolgen zu suchen ist.
Konfliktpotential erwächst nämlich nicht nur in den Wohnhochhäusern selbst,
sondern vor allem im Wohnumfeld der Neubauvorhaben, in dem die als solitäre En-
Vom Hochhaus zum Wohnturm 225

klaven des Wohlstands wahrgenommenen Wohnhochhäuser als Teil einer massiven


Aufwertungsdynamik betrachtet werden, die von Teilen der lokalen Bevölkerung mit
Sorge verfolgt wird. Neben sozialen und ökonomischen Ängsten unterliegen insbe-
sondere die sozial benachteiligten Bestandsbewohnenden in der Nachbarschaft der
hochhausbebauten Neubausiedlungen häufig einem zusätzlichen Verdrängungs-
druck, der durch die Folgen der baulichen Aufwertung und immobilienwirtschaftli-
chen Wertsteigerung im Umfeld der Neubauten entsteht (Üblacker & Lukas 2018).
Notwendig erscheint daher eine stärkere Orientierung der Stadtplanung an einem er-
weiterten Verständnis von Sicherheit, das kriminalitätsbezogene ebenso wie soziale
(Un-)Sicherheiten vermehrt in den Blick nimmt. Letztlich stehen die Wohnturmpro-
jekte in der Innenstadt in einem inneren Zusammenhang mit den Hochhaussiedlun-
gen am Stadtrand, wenn sich die sozialräumlichen Schließungsdynamiken in den
Städten fortsetzen und auf diese Weise zur weiteren Peripherisierung ohnehin be-
nachteiligter Bevölkerungsgruppen beitragen.

Literaturverzeichnis

Bescherer, P., Krahmer, A. & Lukas, T. (2017): Erfolgsrezept Angstraumbeseitigung? Zwischen


Urbanitätsversprechen und Sicherheitsparadox. RaumPlanung 194/6, S. 8 – 14.
Beyerle, T., Nolan, S., Laufer, J. & Brune, A. (2018): Wohntürme als neue urbane Wohnform.
Düsseldorf.
Bulwiengesa AG (2018): Marktreport Wohnhochhaus 2018. München.
Bundeskriminalamt (Hrsg.) (1979): Städtebau und Kriminalität. Internationales Symposium im
Bundeskriminalamt, 11.–13. Dezember 1978. Wiesbaden.
Deutscher Bundestag (1994): Drucksache 12/8406. Großsiedlungsbericht 1994. Bonn.
Flade, A. (1996): Zur öffentlichen Sicherheit in den ostdeutschen Großsiedlungen. Monats-
schrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2, S. 114 – 124.
Flöther, C. (2010): Überwachtes Wohnen. Überwachungsmaßnahmen im Wohnumfeld am Bei-
spiel Bremen/Osterholz-Tenever. Münster.
Frank, S. (2013): Innere Suburbanisierung? Mittelschichteltern in den neuen innerstädtischen
Familienenklaven, in: M. Kronauer & W. Siebel (Hrsg.), Polarisierte Städte. Soziale Un-
gleichheit als Herausforderung für die Stadtpolitik. Frankfurt a. M./New York, S. 69 – 89.
Franken, S. (2018): Wohnen im Hochhaus Ein Vergleich früherer und aktueller Konzepte in
Deutschland. Holzminden (unveröffentlichte Abschlussarbeit).
Gerlof, K. (2000): Die gute Seele im hochkant gestellten Dorf. Freitag, 26. 05. 2000; https://
www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-gute-seele-im-hochkant-gestellten-dorf [04. 05. 2020].
Hannemann, C. (2000): Historischer Abriss zu wesentlichen Entwicklungslinien städtischen
Wohnens in Deutschland seit 1945. Berlin.
Hannemann, C. (2005): Die Platte. Industrialisierter Wohnungsbau in der DDR. 3. Aufl. Berlin.
Harnack, M. (2018): In die Zange genommen. Kritik am Wohnungsbau um 1968. sub\urban 6/
2 – 3, S. 173 – 180.
226 Tim Lukas

Häußermann, H. & Kapphan, A. (2002): Berlin. Von der geteilten zur gespaltenen Stadt? So-
zialräumlicher Wandel seit 1990. 2. Aufl. Opladen.
Häußermann, H., Kronauer, M. & Siebel, W. (Hrsg.) (2004): An den Rändern der Städte. Armut
und Ausgrenzung. Frankfurt a. M.
Haverkamp, R. & Heesen, J. (2014): Kommunale Kriminalprävention. Kritische Reflexionen
zu Raum und Ort. Neue Kriminalpolitik 26/1, S. 79 – 92.
Haverkamp, R., Hennen, I., Hohendorf, I., Lukas, T. & Quel, M. (2018): Sicherheit im Bahn-
hofsviertel (SiBa). Forum Kriminalprävention 3, S. 24 – 27.
Jessen, J. (2000): Großsiedlungen – West, in: H. Häußermann (Hrsg.), Großstadt. Soziologische
Stichworte. 2. Aufl. Opladen, S. 104 – 115.
Klasmann, J.K. (2004): Das [Wohn-]Hochhaus. Hochhaus und Stadt. Wien/New York.
Kraft, S. (2011): Großsiedlungen – ein gescheitertes Erbe der Moderne? Arch+ 203, S. 48 – 53.
Krause, K. (2013): Funktionen der künstlichen Beleuchtung und der Dunkelheit – Ein Bericht
zum Stand der sozialwissenschaftlichen Forschung. Berlin.
Krischke, W. (2019): Von diesen Barbaren stand kein Wort im Prospekt. Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 05. 06. 2019, S. N3.
Kube, E. (1978): Städtebau, Architektur und Kriminalität. Deutsche Polizei 10, S. 17 – 23.
Kurtenbach, S. (2017): Leben in herausfordernden Wohngebieten. Das Beispiel Köln-Chorwei-
ler. Wiesbaden.
Kurtenbach, S. (2018): Alltagsort Großsiedlung. Zusammenhang von ,physical‘ und ,social dis-
order‘ am Beispiel Köln-Chorweiler, in: S. Ammon et al. (Hrsg.), Architektur im Gebrauch.
Gebaute Umwelt als Lebenswelt. Berlin, S. 152 – 171.
Lachmann, A. (2015): Diese Wolkenkratzer bringen die Stadt zum Leuchten. Die Welt, 08. 05.
2015; https://www.welt.de/finanzen/immobilien/article140695690/Diese-Wolkenkratzer-brin
gen-die-Stadt-zum-Leuchten.html [04. 05. 2020].
Landeshauptstadt Düsseldorf (2018a): Hochhausrahmenplan Symposium. Dokumentation
Stadtentwicklung. Düsseldorf: Stadtplanungsamt.
Landeshauptstadt Düsseldorf (2018b): Raumwerk D. Phasen -1 und 0. Vorbereitung und Betei-
ligung. Dokumentation. Düsseldorf: Stadtplanungsamt.
Landeshauptstadt Düsseldorf (2019): Geschäftsordnung für den Hochhausbeirat; https://www.
duesseldorf.de/fileadmin/Amt61/Planung/01_Startseite/06_Geschaeftsordnung.pdf [04. 05.
2020].
Lepik, A. & Strobl, H. (Hrsg.) (2019): Die Neue Heimat (1950 – 1982). Eine sozialdemokrati-
sche Utopie und ihre Bauten. München.
Lukas, T. (2010): Kriminalprävention in Großsiedlungen. Wirkungen baulicher und sozialer
Maßnahmen am Beispiel der randstädtischen Neubaugebiete Marzahn Nord und Gropius-
stadt. Berlin.
Lukas, T. & Enters, M. (2007): Social Cohesion and Feelings of Insecurity, in: T. Lukas (Hrsg.),
Crime Prevention in High-Rise Housing. Lessons from the Crime Prevention Carousel. Ber-
lin, S. 41 – 61.
Vom Hochhaus zum Wohnturm 227

Michel, B. (2005): Stadt und Gouvernementalität. Münster.


Newman, O. (1972): Defensible Space. Crime Prevention through Urban Design. New York.
Power, A. (1999): High-Rise Estates in Europe. Is Rescue Possible? Journal of European Social
Policy 9/2, S. 139 – 163.
Reinecke, C. (2013): Laboratorien des Abstiegs? Eigendynamiken der Kritik und der schlechte
Ruf zweier Großsiedlungen in Westdeutschland und Frankreich. Informationen zur moder-
nen Stadtgeschichte 1, S. 25 – 34.
Rolinski, K. (1980): Wohnhausarchitektur und Kriminalität. Wiesbaden.
Schubert, H. & Veil, K. (2011): Kriminalprävention im Sozialraum. Explorative Validierung des
ISAN-Präventionsmodells. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 83/2,
S. 83 – 101.
Schulze, T. (2017): Welches und wie viel Licht braucht erfolgreiche Kriminalprävention?, in:
E. Marks & W. Steffen (Hrsg.), Prävention und Freiheit. Zur Notwendigkeit eines Ethik-Dis-
kurses. Ausgewählte Beiträge des 21. Deutschen Präventionstages 2016. Mönchengladbach,
S. 481 – 492.
Schürmann, D. (2018): Städtebauliche Kriminalprävention in der Praxis. Theoretische Grund-
lagen, praktische Umsetzung und Nachhaltigkeit aus polizeilicher Sicht in Nordrhein-West-
falen am Beispiel der Stadt Bonn, in: M. Walsh et al. (Hrsg.), Evidenzorientierte Kriminal-
prävention in Deutschland. Ein Leitfaden für Politik und Praxis. Wiesbaden, S. 759 – 774.
Soomeren, P. van, Klundert, W. van de, Aquilué, I. & Kleuver, J. de (2015): High-Rise in Trou-
ble? Learning from Europe. Journal of Place Management and Development 9/2, S. 224 –
240.
Stummvoll, G. (2015): Die Abstraktionsleiter der Städtebaulichen Kriminalprävention. SIAK-
Journal 3, S. 27 – 36.
Üblacker, J. & Lukas, T. (2018): Keine Angst, es ist nur Gentrification? Soziale und ökonomi-
sche Ängste, Kriminalitätsfurcht und Verdrängungsdruck im Düsseldorfer Bahnhofsviertel.
sub\urban 7/1 – 2, S. 93 – 114.
Weinhauer, K. (2013): Kriminalität in europäischen Hochhaussiedlungen: Vergleichende und
transnationale Perspektiven. Informationen zur modernen Stadtgeschichte 1, S. 35 – 47.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt
Anmerkungen zu einer (nicht nur) kriminologischen Thematik

Von Harald Arnold

Um einleitend ein bekanntes Zitat zu persiflieren, ließe sich so anfangen: „Wir


schreiben das Jahr 2020. …“. Diese zeitliche Verortung lässt den Bezug zu – nicht
nur zum Anlass dieser Verschriftlichung1, sondern ebenfalls – zum inhaltlichen Ein-
stieg bzw. der einführenden thematischen Ausrichtung: 2020 ist das Jahr, in dem
unter dem Aspekt von Sicherheit das soziale und gesellschaftliche Leben nicht
nur in Deutschland im Bann einer gefährlichen Pandemie durch ein neuartiges Co-
ronavirus (SARS-CoV-2) steht. Dieses krisenhafte Geschehen hat bedrohliche Bilder
aus der Vergangenheit im kollektiven Gedächtnis wachgerufen und entsprechende
Beunruhigungen auftauchen lassen. Es ist rund 100 Jahre her, dass ebenfalls eine
Pandemie, in diesem Fall durch Influenza-Viren verursacht, die sog. Spanische Grip-
pe, Todesopfer im Umfang von zweistelligen Millionen gefordert hat. Noch weit von
einem solchen Szenario entfernt, soll diese Assoziation keineswegs als Menetekel
gedeutet werden, sondern nur den assoziativen Deutungsrahmen abstecken, den
ein solches globales, gravierendes Geschehen für die nationale wie internationale Si-
cherheitslage darzustellen vermag: Dauerhaft und wiederholt medial aktiviert, wird
die Corona-Pandemie als „daily hassle“ zur Begleiterscheinung des täglichen Lebens
im Strom weiterer Information und (Risiko-)Kommunikation zu sicherheitsbezo-
genen Themen. In diesem pandemischen Prozess werden nicht nur millionenfach
gesundheitsbezogene und vitale Interessen der Menschen2 tangiert, was für diese
zugleich in erheblichem Maße durch Veränderungen im gewohnten Alltagsverhalten
– nicht nur durch das Gebot zum sog. social distancing und Schutzmaskentragen –
soziale Belastungen mit sich bringt, sondern insgesamt gesellschaftliche Probleme,
nicht zuletzt außerordentliche finanzielle und wirtschaftliche Kosten verursacht.

1
In diesem Jahr feierte Hans-Jörg Albrecht seinen 70. Geburtstag, dem dieser Beitrag in
kollegialer und freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet ist.
2
Belastungen objektiver wie subjektiver Natur. Die von staatlicher Seite durch Verord-
nungen auferlegten Freiheitseinschränkungen – wie Kontaktverbote, Ausgangssperren,
Grenzschließungen – dürften seit Kriegszeiten nicht mehr in solchem Ausmaß erfolgt sein,
und haben bei der irritierten Bevölkerung u. a. zu „Hamsterkäufen“, psychischen Belas-
tungsreaktionen, oder verschwörungstheoretisch motivierten Protestaktionen geführt.
230 Harald Arnold

Interessanterweise verursacht diese Pandemie mittelbar, indirekt, zudem sicher-


heitsbezogene Effekte, die von kriminologischem Belang sind.3 Bedingt durch die
Maßnahmen, die Pandemie in ihrer Verbreitung einzugrenzen, wie Quarantäneauf-
lagen und Lock-/Shutdowns, werden soziale und gesellschaftliche Routinen nicht
unerheblich reguliert und reglementiert, etwa durch vermehrte Arbeit im Home Of-
fice, was – in diesem Fall nichtintendierte – positive, aber ebenfalls negative Effekte
auf das Alltagsleben hat. So gibt es Anzeichen dafür, dass sich das Kriminalitätsauf-
kommen – bedingt durch eine Verminderung der Tatgelegenheiten – in dieser Periode
reduziert hat, etwa bei den Einbruchsdiebstählen, da – gemäß theoretischer Überle-
gungen (Routine Activity Approach; Cohen & Felson 1979) – in Folge vermehrten
Aufenthaltes in der eigenen Wohnung, diese Räumlichkeiten nicht ungeschützt und
damit keine opportunen attraktiven Objekte für Gelegenheits- wie professionelle
Einbrecher waren. Dass die pandemiebedingten Restriktionen und Freiheitsein-
schränkungen allerdings auch kriminalitätssteigernde Auswirkungen mit sich brin-
gen, wurde mit Besorgnis bspw. seitens der Interessenvertreter von Frauen und Fa-
milien thematisiert. Danach führt der vermehrte, unfreiwillige heimische Aufenthalt
mit gewalttätigen Partnern zu einer Zunahme von Konflikt(möglichkeit)en und damit
von Gewalt in Partnerschaft und Familie (Riebel 2020, 317). Allerdings gibt es für
diese kriminalitätsverursachenden Situationen und daraus resultierende Sachverhal-
te auch gegensätzliche Meldungen, sodass Gewissheit wohl erst nach Ablauf dieser
krisenhaften Periode und Sichtung verlässlicher Nachweise möglich sein wird.
Erste Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung zu Risikowahr-
nehmung, Beunruhigung und Angst gegenüber COVID-19 – sowie zu Bewältigungs-
strategien und dem Sicherheitsgefühl an verschiedenen Orten – wurden jüngst von
Gerhold (2020) vorgelegt. Welche Schädigungen die Pandemie sowie die Konse-
quenzen der ergriffenen Sicherungsmaßnahmen gegen die pandemische Gefahr – in-
klusive Folgewirkungen nichtintendierter Art – im subjektiven Bereich gehabt
haben, wird man erst in geraumer Zeit feststellen können; entsprechende For-
schungsprojekte laufen, wie Ankündigungen zu entnehmen war (z. B. Leibniz-Insti-
tut für Resilienzforschung zu psychischen Belastungen während der Corona-Pande-
mie).
Diese gegenwärtige sicherheitsrelevante pandemische Zustandsbeschreibung als
zeitgeschichtlichem Kontext verdeutlicht, in welch weitem Rahmen komplexe Risi-
ken und systemische Sicherheitsfragen moderner, global vernetzter Gesellschaften
zu erörtern sind. Kaufmann (2020, 115) hat dies jüngst zusammenfassend treffend
eingeordnet:
„The new security thinking [which tends to consider the categorical separations […] as ra-
ther obsolete] focusses on the basic vulnerability of highly complex and globally intercon-
nected societies. The current coronavirus SARS-CoV-2 pandemic represents in an almost
paradigmatic way this problem: […]“.

3
Zu Corona-bedingten Veränderungen der Kriminalität und ersten polizeilichen Ein-
schätzungen vgl. Füllgrabe 2020.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 231

*
An dieser Stelle bietet sich in der Perspektive auf die Thematik Sicherheit und die
Entwicklung dieses Forschungsfeldes ein weiterer Blick zurück an. Es ist nun fast
zwei Dekaden her seit dem terroristischen Anschlag auf die Twin Towers in New
York – einem Großschadens- bzw. seltenen Extremereignis (ein sog. high-impact,
low-probability event) –, das seither mit dem Kürzel 9/11 und den ikonographischen
Bildern der Zerstörung verbunden ist. Die westliche, globalisierte Welt geriet in eine
kurze Schockstarre, reflektierte, machte ihre systemische Verletzbarkeit (Vulnerabi-
lität) bewusst und befindet sich in der Folge4 in einem andauernden Diskurs über prä-
ventive und ggf. präemptive5 Maßnahmen zur Bekämpfung solcher Sicherheitsge-
fährdungen (dread risks). So ist für Kunz (2004, v, 360) seit 9/11 die „Entwicklung
des gesellschaftlichen Rahmens hin zu einer von Verwundbarkeitsgefühlen gepräg-
ten Sicherheitsgesellschaft“ bemerkbar und insgesamt die „Verwundbarkeit der
westlichen Welt trotz aller Sicherheitsanstrengungen deutlich“. Beste (2008,
189 ff.) spricht gar von einem „Post-9/11-Syndrom“ und versteht darunter letztlich
eine „gesellschaftliche Pathologie“; entsprechend fragen Kettner & Sturmeit (2014,
59): „Posttraumatische Belastungsstörung als Gesellschaftsdiagnose?“; zahlreiche
weitere (teils kontroverse) Einschätzungen ließen sich anführen. Dass Problem
und Thematik noch gegenwärtig virulent sind, wird daran deutlich, dass sich unlängst
eine Veranstaltung der „Inneren Sicherheit nach 9/11“ widmete und die Frage auf-
warf: „Sicherheitsbedrohungen und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen?“ (Fi-
scher & Masala 2016). Insofern überrascht kaum, dass zur ,Gewährleistung von Si-
cherheit in unübersichtlichen Zeiten‘ schon eine ,Postfaktische Sicherheitspolitik‘
diskutiert wird (Lange & Wendekamm 2019).
Den Wandel im Konzept der Sicherheit, die neuen Bedrohungen und Sicherheits-
erwartungen, und die sich daraus ergebenden neuen Aufgabenfelder für die Krimi-
nologie sowie die zu entwickelnden Perspektiven kriminologischer Forschung hat
Albrecht verschiedentlich beschrieben und analysiert sowie mit weiterführenden
Überlegungen verbunden (Albrecht 2007; 2011; 2016).
Vor diesem Hintergrund wurden internationale Initiativen gestartet und staatliche
Bemühungen zur Stärkung der systemischen Widerstandskraft und -fähigkeit (Resi-
lienz) unternommen, in dem u. a. zahlreiche, teure (Forschungs-)Programme in
einem neuen, inter- und transdisziplinären Forschungsfeld, der Sicherheitsfor-
schung6, auf den Weg gebracht wurden, mit dem Ziel, eine an den nationalen Bedürf-
nissen ausgerichtete umfassende und neuartige „Sicherheitsarchitektur“ (Lange et
al. 2014) zu entwickeln. Für Europa ist mittlerweile eine gut entwickelte nationale

4
Der Impact dieses singulären Anschlages in Europa wurde durch die nachfolgenden Er-
eignisse in Madrid (2004) und London (2005) verstärkt und prolongiert.
5
Vgl. Albrecht 2016 zum „Wandel der Sicherheit“, mit der Frage weg von der Prävention
und Hinwendung zu präemptiver Sicherheit?
6
Vgl. z. B. die Beiträge in Winzer et al. 2010; zusammenfassend Armborst 2014.
232 Harald Arnold

und teilweise international vernetzte Forschungslandschaft mit einem beachtlichen


Output an Forschungsergebnissen festzustellen.7
In Deutschland wird die Sicherheitsforschung wesentlich im Rahmenprogramm
der Bundesregierung „Forschung für zivile Sicherheit“ durch das Bundesministeri-
um für Bildung und Forschung (BMBF)8 auf der Grundlage eines stets aktualisierten
und ergänzten Forschungsprogrammes seit 2007 in jeweils mehrjährigen Förderzy-
klen gesteuert und finanziert, zuletzt für den Zeitraum 2018 – 2023. Dort heißt es
dazu zusammenfassend:
„Veränderte sicherheitspolitische Rahmenbedingungen, der zunehmende Trend zur Digita-
lisierung im privaten und beruflichen Umfeld sowie der gesellschaftliche Wandel erfordern
neue Antworten aus der zivilen Sicherheitsforschung. Das betrifft ganzheitliche Lösungen,
die die Folgen von internationalem Terrorismus und Organisierter Kriminalität bewältigen
helfen oder die den Schutz kritischer Versorgungsinfrastrukturen verbessern“ (BMBF 2018,
3).9

Anlass und thematischer Ausgangspunkt der Sicherheitsforschung war der Terro-


rismus, von Beginn an ergänzt durch (Organisierte) Kriminalität, sowie Naturkata-
strophen/Extremwetterereignisse, Pandemien und technische Großunglücke,10 d. h.
Risiken und Ereignisse, die die gesellschaftliche Sicherheit in erheblichem Maße be-
drohen und beeinträchtigen, sowie die gesellschaftlichen Gegenmaßnahmen und Be-
wältigungsbemühungen erheblich beanspruchen.
Diese – zivile – Sicherheitsforschung ist z. T. schwerpunktmäßig technik- und
technologieausgerichtet, dadurch stark endnutzerorientiert und firmiert zutreffend
unter dem Label Hightech Strategie. In den Worten des BMBF (2018, 4):
„Eingebettet in die Hightech-Strategie hat sich die zivile Sicherheitsforschung
seit 2007 als disziplinübergreifendes Forschungsfeld mit einer dynamischen Wissen-
schaftscommunity etabliert.“

7
Vgl. die Strategische Forschungsplanung auf europäischer Ebene im European Security
Research and Innovation Forum (ESRIF): seit 2007 das European Security Research Pro-
gramme (ESRP) mit über 4 Tsd. Projekten im Rahmen von FP7 Security Research Program-
me, nochmal überboten in Horizon 2020 mit mehr als E 80 Mrd. Fördersumme.
8
Albrecht war in verschiedener Funktion in die Entwicklung eines Forschungsprogramms
für zivile Sicherheit eingebunden. So war er an der konstituierenden Sitzung 2007 beteiligt als
Mitglied eines unabhängigen Expertengremiums (wissenschaftlicher Programmausschuss Si-
cherheitsforschung), das die Bundesregierung beriet; vgl. Thoma 2010. In der von der Allianz
der Wissenschaftsorganisationen (2011, 48) – deren Mitglied die MPG ist – herausgegebenen
Reihe zu den Themenfeldern der vom BMBF formulierten Hightech-Strategie 2020 wird
Albrecht als Autor aufgeführt.
9
Zu den Forschungsthemen im Themenbereich Schutz vor Kriminalität und Terrorismus,
vgl. BMBF 2018, 14 ff. Mit einem Ausblick auf zukünftige Sicherheitsforschung s. die Ex-
pertenbefragung von Gerhold & Peperhove 2017.
10
Mit diesem Themenspektrum vgl. das Projekt BaSiD Haverkamp & Arnold 2015.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 233

Gleichwohl haben geistes- wie sozialwissenschaftliche Perspektiven der Sicher-


heitsforschung11 ihren Platz in diesem Rahmen, exemplarisch ablesbar an der Zahl
der Projekte aus dem kriminologischen Bereich, die durch das BMBF gefördert
und durch wissenschaftsnahe Vertreter wie den Fachdialog Sicherheitsforschung
(„Unterstützende Stelle des Fachdialogs zivile Sicherheitsforschung“, seit 2006)12
in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht werden, wie seitens des Forschungs-
forums Öffentliche Sicherheit (seit 2009)13 integrativ betrieben. Beispielhaft für eine
beachtliche Zahl bislang geförderter Projekte aus dem kriminologischen Themenbe-
reich sei exemplarisch auf die in Verantwortung und Leitung durch Mitglieder der
Kriminologischen Forschungsabteilung am früheren Max-Planck-Institut für Aus-
ländisches und Internationales Strafrecht durchgeführten Projekte BaSiD (Haver-
kamp & Arnold 2015) sowie Sensiko und WiSKoS hingewiesen.

**
In einem weiteren Blick zurück – mit der Intention, dem Stellenwert der Thematik
(Öffentliche/Innere) Sicherheit für die Kriminologie näher zu kommen – sei der
Fokus auf die Vor-9/11-Phase gerichtet. Geht man von der Annahme aus, dass gesi-
chertes Wissen sich in den Lehr- und Handbüchern einer wissenschaftlichen Diszi-
plin niederschlägt, so könnte bzw. müsste sich dies anhand der Gliederung und Stich-
worten nachverfolgen lassen. Im seinerzeit gut eingeführten, klassischen Lehrbuch
von Kaiser wird das „Problem innerer Sicherheit“ erst 1996 (in der 3. Auflage, Kai-
ser 1996, 1093 ff.) thematisiert. Kurz darauf stellt Kaiser (1995) in einem Fest-
schriftbeitrag mit dem Titel „,Innere Sicherheit‘ – kein Rechtsbedürfnis der Bevöl-
kerung?“ die Thematik in das Zentrum seiner Betrachtung und verweist zudem auf
die Relevanz subjektiver Kriminalitätsindikatoren (Verbrechensfurcht).14 In der nach
dem Lehrbuch erschienenen 10. Auflage der „Kriminologie. Einführung in die
Grundlagen“ benennt Kaiser (1997, 38) innere Sicherheit nun als ein „fundamentales
Schutzgut“ und resümiert: „Faßt man die gegenwärtige kriminalpolitische Diskussi-
on zusammen, so steht die Gewährleistung ,innerer Sicherheit‘ fraglos im Brenn-
punkt“ (Kaiser 1997, 475).

11
Zum Feld der sozialwissenschaftlichen Sicherheitsforschung mit eigenem Ansatz Blin-
kert 2013, 87 ff.
12
Albrecht war jahrelang Mitglied im Fachdialog Sicherheitsforschung und gehört zum
Kreis der Herausgeber der Reihe „Zivile Sicherheit. Schriften zum Fachdialog Sicherheits-
forschung“; vgl. z. B. Zoche et al. 2015; Zoche et al. 2016. Des Weiteren ist Albrecht – als
Editor-in-Chief und Mitglied des Advisory Board – am European Journal for Security Re-
search beteiligt.
13
Vgl. zum Überblick Gerhold & Schiller 2012; Steinmüller et al. 2012 mit Ausblick auf
Sicherheit 2025; mit einer Zwischenbilanz Gerhold et al. 2015.
14
Vgl. Kaiser 1995, 32 zum Sicherheitsbedarf der Bürger und den subjektiven Einschät-
zungen der Gesellschaft bei Sicherheitsgefährdung.
234 Harald Arnold

Diesen Punkt abschließend sei bemerkt, dass in den anderen kriminologischen


Lehrbüchern zu diesem Zeitpunkt der Stand der Erörterung und Darstellung nicht
darüber hinausging. Das sollte sich erst nach der Jahrtausendwende deutlich ändern,
so bspw. mit deutlich kritischem Ton in der „Kriminologie: eine Grundlegung“
(4. Aufl.) von Kunz (2004), der sich bereits in den Jahren zuvor und danach mit
dem Thema „Sicherheit“ auseinandersetzte, in der „Inneren Sicherheit“ eine
„Schlüsseldimension einer neuen Kriminalpolitik“ (Kunz 1995) und im „Sicherheits-
diskurs eine neue Herausforderung für die Kriminologie“ erkannte.15
Eine zusätzliche Recherche zur Thematik – über den engen Rahmen grundlegen-
der Einführungstexte zur Kriminologie hinaus – stößt auf eine beachtliche Anzahl
weiterer kriminologischer Auseinandersetzungen mit Innerer/Öffentlicher Sicher-
heit in der 9/11 vorausgegangenen Periode – etwa seit Anfang der 1970er
Jahre16 –, Publikationen sowohl mit ,affirmativ-systemkonformer‘ wie ,kritischer‘
Haltung. Des Weiteren unterscheiden sich Beiträge darin, inwieweit sie ihre Darstel-
lungen mittels Fakten, Daten und empirischer Nachweise, also evidenzbasiert zu be-
legen bemüht sind oder sich primär in einem theoretischen Sicherheitsdiskurs17 en-
gagieren. Stellvertretend werden einige Beispiele genannt: So hat sich Murck mehr-
fach seit Ende der 1970er Jahre aus soziologischer Sicht u. a. empirisch den Proble-
men der öffentlichen Sicherheit gewidmet, dabei die Sicht und Bedürfnisse der
Bürger, wie deren Ängste und Sorgen betont (z. B. Murck 1980), verschiedentlich
mit Bezug zur Polizei. Kerner (1980) hat unter dem Titel „Kriminalitätseinschätzung
und Innere Sicherheit“ eine umfangreiche Untersuchung über die „Beurteilung der
Sicherheitslage und über das Sicherheitsgefühl in der Bundesrepublik Deutschland“
vorgelegt und dies mit „vergleichenden Betrachtungen zur Situation im Ausland“ er-
gänzt. Mit deutlich kritischem Ton widmete sich ebenfalls Anfang der 1980er – eben-
so in den folgenden Jahren – Beste (1983) zunächst mit einer empirischen Analyse
der Entwicklung kriminologischer Forschung und staatlicher Kontrollpolitik dem
Thema „Innere Sicherheit und Sozialforschung“.

15
So problematisiert Kunz (2004, v) zu Beginn seiner „Einführung in die Kriminologie“:
„Die Entwicklung des gesellschaftlichen Rahmens hin zu einer von Verwundbarkeitsgefühlen
geprägten Sicherheitsgesellschaft und damit einhergehende Funktionalisierung der Krimino-
logie als strategische Planungsinstanz der Sicherheitspolitik im Gefolge des 11. Sept.
2001 […]“.
16
Zur historischen Einordnung und gesellschaftlichen Kontextualisierung des gesell-
schaftlichen Sicherheitsdiskurses sei auf Ereignisse mit terroristischen Charakter – und inso-
fern in gewisser Parallelität zu 9/11 – hingewiesen: die Baader-Befreiung am 14. Mai 1970,
quasi als Geburtsstunde der RAF bezeichnet, sowie das Münchner Olympia-Attentat vom
5. September 1972. Mit Ausstrahlung in die folgenden Jahre die Ereignisse des sog. Deut-
schen Herbstes (Ermordung von Ponto, Buback, Schleyer durch die RAF).
17
Vgl. zur Entwicklung des Sicherheitsdiskurses seit Beginn der 1970er Jahre T. Kunz
2005. Exemplarisch für gegenwärtige Sicherheitsdiskurse mit Akzent auf dem technologi-
schen Aspekt von Sicherheit die Beiträge in Zurawski 2007.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 235

Mit den 1990er Jahren nehmen die kriminologischen Publikationen deutlich zu,18
mit einem ersten Höhepunkt im Jahr 1995, wie eine EDV-basierte szientometrische
bzw. bibliometrische Analyse zur „Inneren Sicherheit im Spiegel der deutschsprachi-
gen Literatur“ von Ohly (2008) belegt, der über 36 Publikationsjahre mehr als 9.000
deutsche Titel findet, die eine – hier nicht abbildbare – Vielfalt, aber ebenso inhalt-
liche Diskrepanz der Bearbeitungen des Themas vermuten lässt.19 Aus der Zeit kurz
vor der Jahrtausendwende – zur „Inszenierung Innerer Sicherheit“, so Hitzler & Pe-
ters (1998) – sei die bezeichnende Bemerkung von Hitzler (1998, 204) erwähnt, der
im Forschungsfeld „Innere Sicherheit“ ein aktuell grassierendes Phänomen „Krimi-
nalitätsfurcht“ sowie „per se fragwürdige Kriminalitätsstatistiken“, zudem „gesell-
schaftskritische Hysterisierungstheorien“ feststellt.
Einem interessanten Vergleich der früheren und heutigen Sicherheitsforschung –
vor 9/11 und danach – wird hier nicht mehr weiter nachgegangen, nur noch die Be-
merkung, dass der Begriff von der „Sicherheitsgesellschaft“ dauerhaft Eingang in die
,kritische strafrechtlich-kriminologische Wissenschaft‘ gefunden hatte (z. B. bei
Legnaro 1997; Singelnstein & Stolle 2006).20
Aus dem Skizzierten lässt sich entnehmen, dass der umfangreiche Themenbereich
„Innere Sicherheit“ – wie bei Ohly (2008) ersichtlich wird – hier in Kürze nicht an-
gemessen erörtert werden kann. Es erfolgen stattdessen zwei ergänzende Bemerkun-
gen zu Initiativen, die für die weitere Auseinandersetzung mit der Thematik weiter-
führend sind.
Zunächst ist auf den Interdisziplinären Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS) hin-
zuweisen, einen Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus den Bereichen Politik-,
Rechts- und Polizeiwissenschaften usw., der sich 1996 gegründet hatte, und aus des-
sen Kreis ein Memorandum zur Entwicklung der Inneren Sicherheit in der Bundes-
republik Deutschland erarbeitet und veröffentlicht wurde. Hintergrund und Anlass
dieser „Denkschrift“ sind – in Worten der Selbstbeschreibung (Lange et al. 1998,
7) – einerseits der „Eindruck der rasanten Veränderungen, denen die Politik der In-
neren Sicherheit derzeit unterworfen ist; andererseits […] die Besorgnis über die Art
und Weise, wie das Thema politisch gehandhabt wird“. Das Ziel sei es, „eine inhalt-
lich geführte öffentliche Diskussion über die ,Innere Sicherheit‘ in der Bundesrepu-
blik“ anzustoßen.21
Für die faktenbasierte Beschreibung der Kriminalitätslage und die Einordnung
der öffentlichen Sicherheit, wie sie im Konzept der Inneren Sicherheit angedacht
ist, ist auf die durch die Bundesministerien für Inneres und Justiz initiierten und
18
Dazu mehrere Sammelwerke, stellvertretend für viele Kampmeyer & Neumeyer 1993
mit einer „kritischen Bestandsaufnahme“.
19
Vgl. die Beiträge in Lange et al. 2008; 2014.
20
Schon in den 1970er Jahren sprach Narr (1977) von der „angstvollen Versicherungsge-
sellschaft“.
21
Siehe die regelmäßigen Tagungen des AKIS – mittlerweile über 30 – sowie die Her-
ausgabe der seit 2000 erscheinenden Reihe „Studien zur inneren Sicherheit“.
236 Harald Arnold

durch eine unabhängige Kommission von Wissenschaftlern erarbeiteten „Erster Pe-


riodischer Sicherheitsbericht“ (BMI/BMJ 2001) sowie dem nach fünf Jahren folgen-
den „Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht“ (BMI/BMJ 2006) hinzuweisen. In bis-
lang nicht erfolgter Art wurde in den Periodischen Sicherheitsberichten (PSB) auf
der Basis vorhandener Erkenntnisse zur Kriminalität, strafrechtlichen Reaktionen
sowie Kriminalprävention ein umfassendes und detailliertes Lagebild zur Inneren Si-
cherheit erstellt, inklusive kriminal- und rechtspolitische Schlussfolgerungen. Im
Vorgriff auf das Folgende sei daraus knapp Bezug genommen. Im Vorwort zum
1. PSB heißt es etwa: „[…] insbesondere aus dem Bereich der Dunkelfeldforschung
und aus Opferbefragungen, wird dieses Lagebild der Kriminalität schließlich wissen-
schaftlich näher beleuchtet und um Erkenntnisse aus der Opferperspektive ergänzt“
(BMI/BMJ 2001, xxix). Und im 2. PSB wird gemahnt: „Kriminalität ist kein Sach-
verhalt, der einfach gemessen werden könnte, […]“ (BMI/BMJ 2006, 9) sowie im
Weiteren hinzugefügt: „Für die Innere Sicherheit ist neben der objektiven Sicher-
heitslage die subjektive Sicherheitslage besonders bedeutsam“ (BMI/BMJ 2006,
53). Damit bietet sich der Übergang zu der im Folgenden zur Sprache kommenden
Dunkelfeldforschung und ihrem prominenten Forschungs- und Erhebungsinstru-
ment, den Opferbefragungen bzw. Viktimisierungssurveys, an.

***
In den 1970er Jahren haben sich in Deutschland, durch US-amerikanische Vorbil-
der angeregt, im Bereich der empirischen Kriminologie sog. Opferbefragungen (Vik-
timisierungssurveys) – Befragungen von Bevölkerungsstichproben nach ihren Erfah-
rungen als Geschädigte von Straftaten – als ein probates Instrument der Forschung
etabliert. Zwei wesentliche Aspekte standen dabei im Vordergrund: zum einen die
„Kriminalitätsmessung“, konkret die Erfassung polizeilich nicht angezeigter Straf-
taten, um das sog. „Dunkelfeld“ auszuleuchten, inklusive dazugehörender Einstel-
lungen, zum anderen die Erfassung von kriminalitätsbezogenen Sicherheitswahrneh-
mungen und -empfindungen. Die parallel sich entwickelnde kriminologische (Teil-)
Disziplin der Viktimologie (Opferforschung) mit ihren spezifischen Fragestellungen
hatte wesentlichen Einfluss auf Interesse und Entwicklung dieser Forschungsrich-
tung. Erste Studien waren noch räumlich auf Städte beschränkt, später folgten groß-
räumigere Erhebungen (Regionen, Bundesländer, relativ spät in den 1990er Jahren
bundesweite).22 Mittlerweile wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, –
darunter solche mit ausgewählten Teilpopulationen, mittels variierender Erhebungs-
methoden oder internationaler Vergleichsabsicht –, sodass sie in toto in den Über-
blicksdarstellungen keine vollständige Darstellung mehr finden können.23

22
Vgl. dazu exemplarisch Kury et al. 1992; zur Tauglichkeit von Opferbefragungen als
Instrument der Kriminalitätsmessung Arnold 1999.
23
Zum Überblick Obergfell-Fuchs 2016; s.a. Feldmann-Hahn 2011.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 237

Mit dem sog. Deutschen Viktimierungssurvey (DVS) – bislang zweimal realisiert


unter Beteiligung der früheren kriminologischen Abteilung des ehemaligen Max-
Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Strafrecht in den Jahren
2012 und 201724 – deutet sich an, dass dem seit Langem und vielfach von unter-
schiedlicher Seite geäußerten Wunsch nach einer wiederholten, regelmäßigen und
institutionalisierten bundesweiten, national repräsentativen Dunkelfeldstudie bzw.
Opferbefragung25 – vergleichbar jenen, die in mehreren europäischen und außereu-
ropäischen Ländern bereits etabliert sind – entsprochen wurde.26 Dieser Survey, nicht
der erste nationale, basiert auf der in Deutschland bislang größten Stichprobe
(ca. 35.000 Befragte), was den Vorteil hat, dass es noch verlässliche Analysen
z. B. für kleinere Gebietseinheiten oder deliktisch und anderweitig begrenzte Opfer-
gruppen27 erlaubt; denn gemeinhin gilt unter viktimologischer Perspektive noch der
(Erfahrung-)Satz: „Erlebnisse als Opfer von Straftaten sind seltene Ereignisse“ (Bir-
kel et al. 2019, 93); dies gilt gerade bei kurzer Referenzperiode.28
Angesichts einer Fülle an interessanten und relevanten Resultaten29 des zweimal
durchgeführten Deutschen Viktimisierungssurvey (DVS 2012; DVS 2017), die hier
im Einzelnen nicht dargestellt und kommentiert werden sollen, stellen sich gleich-
wohl noch Fragen, zeigen sich vereinzelt diskussionswürdige Lücken, besteht parti-
ell begründbarer Ergänzungsbedarf, gerade unter der Perspektive, dass Wiederho-
lungsbefragungen geplant sind und damit ggf. Korrekturen angebracht und Ergän-
zungen möglich sind.
Zuvorderst verwundert etwas der detaillierte und kenntnisreich begründete Ver-
zicht30 auf eine Gegenüberstellung von Hell- und Dunkelfeld. So firmiert die Studie
zwar unter dem Begriff einer Dunkelfeldstudie,31 benennt gleich zu Beginn (Birkel et

24
Zum DVS 2012 vgl. Birkel et al. 2014; zum DVS 2017 vgl. Birkel et al. 2019; mit
einigen Rückschlüssen über Veränderungen seit 2012 Birkel et al. 2020.
25
Jüngst sprach sich der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) 2020, 19 erneut
für eine „Verstetigung eines bundesweiten statistikbegleitenden Viktimisierungssurveys“ aus;
vgl. schon RatSWD 2009, 19 f., 24 mit Hinweis auf die im Jahr 2002 von BMI/BMJ einge-
setzte BUKS-Arbeitsgruppe – ,Bevölkerungsumfrage zu Kriminalitätserfahrungen und Si-
cherheitsempfinden‘ – deren Mitglied Albrecht war; wiederholt der Vorsitzende der AG
„Weiterentwicklung der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistik“ Heinz 2017; 2019.
26
Zum Überblick Obergfell-Fuchs 2016; vgl. mit partiell skeptischem Resümee bzgl. Er-
trag und Aussagekraft von Opferbefragungen Albrecht 1997, 163.
27
Zu denken ist hier etwa an Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund, konkret
den türkisch- und russischstämmigen Bürgern, die der DVS (2012; 2017) durch einen spezi-
ellen Erhebungsmodus berücksichtigen und einbeziehen konnte.
28
Vgl. Birkel et al. 2019, 26, Fn. 27: „Für einzelne Bundesländer enthielt die Stichprobe
überhaupt keine Opfer (bezogen auf die zwölf Monate vor dem Interview)“.
29
Mit vertiefenden Analysen zum DVS 2012 Birkel et al. 2016.
30
Vgl. dazu Birkel et al. 2019, 13 f.; 39, Fn. 36; 98, Fn. 48.
31
Laut Vorwort zum DVS 2012 von Albrecht & Ziercke (2014, 1) „[…] steht […] das
Ausmaß der von polizeilichen Kriminalstatistiken nicht erfassten Kriminalität, also das kon-
ventionelle Dunkelfeld, im Mittelpunkt, […]“.
238 Harald Arnold

al. 2019, 1) als „ein zentrales Ziel des DVS 2017 […] das sogenannte Dunkelfeld der
Kriminalität in Deutschland besser einschätzen zu können“, erfüllt dies dabei (aber
nur) mit der aus vergleichbaren anderen Studien bekannten Erhebung des (Nicht-)
Anzeigeverhaltens von Opfern32, einschließlich der Gründe bei Verzicht auf solches.
Jedoch eine direkte Gegenüberstellung von kriminalstatistischen Daten aus der PKS
und Inzidenzen aus der Viktimisierungsstudie wird nicht unternommen (nicht ge-
wagt? – vgl. demgegenüber andernorts gelegentlich vorgenommene „gewagte“ Be-
rechnungen von Dunkelzifferrelationen33). So resümieren Birkel et al. (2019, 14)
nach Darlegung verschiedener Gründe überzeugend: „Aufgrund dieser Einschrän-
kungen von Vergleichsmöglichkeiten wird im vorliegenden Bericht auf eine Gegen-
überstellung von Befragungsergebnissen und Daten der PKS verzichtet“. Gleich-
wohl wird diese Aussage auf derselben Seite in einer Fußnote relativiert: „Dies be-
deutet freilich nicht, dass es grundsätzlich unmöglich ist, Daten aus der Opferbefra-
gung denen der PKS gegenüberzustellen“.34 Dies sei allerdings aufwändig. Und es
seien „[e]ntsprechende Auswertungen […] im Rahmen weiterer Analysen geplant“.
Somit bleibt das Interesse an einer Abschätzung des Kriminalitätsvolumens unter
Einbezug nicht angezeigter und/oder nicht registrierter Straftaten an dieser Stelle un-
befriedigt.35
Was interessierte Leser in dem Bericht zum Deutschen Viktimierungssurvey u. U.
ebenfalls vermissen mögen – ist es doch üblicherweise Bestandteil von Viktimisie-
rungsstudien –, ist die Nennung der Gesamtzahl bzw. des Anteils der in den betref-
fenden Referenzperioden erfassten Geschädigten bzw. Opfer (Opferquote).36 Zwar
werden schon detailliert deliktsspezifisch Prävalenzen und Inzidenzen berichtet,
u. a. die deliktischen Mehrfachopfer einer avancierten statistischen Analyse unterzo-
gen,37 die beabsichtigt, den kausalen Ursachen für die jeweiligen Viktimisierungen
näher zu kommen – nicht hingegen ähnliches zumindest explorativ für die aufsum-
mierten Gesamtviktimisierungen bzw. die Opferquote insgesamt angestellt. Eine
Größenvorstellung beim Einzeldelikt vermitteln Prävalenzraten des häufigsten De-

32
Birkel 2014, 143: „Von Interesse – insbesondere für die Einordnung der Zahlen im
kriminalstatistischen Hellfeld der PKS – ist auch das Anzeigeverhalten“. Vgl. dazu Birkel et
al. 2019, 39 ff.
33
Vgl. Feltes & Reiners 2019, 93 f.; Schwind et al. 2001, 139 f.; sowie Birkel 2003, 32 f.
zur Berechnung von Dunkelzifferrelationen.
34
Birkel et al. 2019, 14; Fn. 16. Zuvor ebenso Birkel et al. 2014, 7 ff. Mit weiteren Aus-
führungen zu „Hellfeld vs. Dunkelfeld und Problemen statistikbegleitender Dunkelfeldfor-
schung“ Birkel 2015.
35
Dazu Heinz 2019, 4: „Der Erkenntnisgewinn von moderner Dunkelfeldforschung liegt
deshalb nicht nur [– wohl aber auch – HA] in der Gegenüberstellung von Dunkelfeld- und
Hellfelddaten […]“.
36
Vgl. z. B. den 2. PSB, wo bezugnehmend auf zwei frühere Erhebungen (1997) berichtet
wird: „Mit dem dort erhobenen Deliktspektrum wurden Opferprävalenzraten von 15,9 % und
19,5 % ermittelt“, s. BMI/BMJ 2006, 17 f.; vgl. Kury et al. 1992, 46.
37
Vgl. die differenzierten und aufwändigen Bemühungen in Zusammenhang mit Mehr-
fachviktimisierungen bei Birkel 2016.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 239

likts: Im Fünfjahresreferenzbereich war in beiden Erhebungen die Schädigung durch


Schadsoftware mit Prävalenzraten von 19,1 % (2017) bzw. 24,1 % (2012) vorne
(Birkel et al. 2019, 11, Abb. 2); in der Einjahresreferenzperiode38 betrug 2017 die
Prävalenzrate bei Schädigung durch Schadsoftware 4,5 % und lag an zweiter Stelle
knapp hinter Waren- und Dienstleistungsbetrug mit 4,7 % (Birkel et al. 2019, 15,
Tab. 2). Schon um die Gesamtlast krimineller Viktimisierungen in eine Beschreibung
der gesellschaftlichen Sicherheitslage einzufügen, wäre eine solche Kennziffer der
Gesamtviktimisierungsrate (ähnlich dem Gefährdungsquotient der PKS) von Belang
gewesen. Auch in Hinsicht auf die erhobenen Unsicherheitsgefühle (Kriminalitäts-
furcht) ist diese globale Hintergrundvariable als Indikator von kritischen Lebenser-
eignissen39 – hat sich die befragte Person als Opfer gefühlt und benannt – neben den
deliktspezifischen Differenzierungen durchaus von viktimologischem Interesse.
Eine weitere Bemerkung betrifft das erfasste Deliktsspektrum. Die Auswahl der
Delikte stützt sich im Wesentlichen auf die in Opferbefragungen üblichen Straftaten
aus dem Bereich der Eigentums- und Gewaltdelikte, ergänzt im DVS 2017 durch drei
Formen von neuartigeren Opfererfahrungen im Zusammenhang mit der Nutzung des
Internets und von E-Mails sowie sog. hate crimes.40 Allerdings fanden Sexualdelikte
(Belästigung, Nötigung, Vergewaltigung) keine Berücksichtigung. Dies verwundert
etwas, da dies zuvor bereits mit befriedigenden Resultaten41 realisiert werden konnte,
zumindest was die 2. Erhebung des Deutschen Viktimierungssurvey (2017) betrifft,
in Zeiten einer gestiegenen Sensibilität gegenüber sexuellen Übergriffen, gesteiger-
tem öffentlichem Interesse und kriminalpolitischer Relevanz – u. a. durch Ereignisse
wie der Kölner Silvesternacht (2015) und der #metoo-Debatte (2017) medial thema-
tisiert.42 Eine Erklärung oder inhaltliche Begründung enthalten die o. a. beiden Be-
richte (DVS 2012; 2017; Birkel et al. 2014; 2019) dazu nicht, was sicherlich Gründe
hat, aber wünschenswert gewesen wäre.43

38
Eine Prävalenzrate für die Einjahresreferenzperiode liegt nicht vor, da die internetba-
sierten Straftaten für den 12-Monatszeitraum nicht erhoben wurden; vgl. Birkel et al. 2019,
14.
39
Zur Erforschung kritischer Lebensereignisse, deren Beginn in den 1960er Jahren liegt
(Critical Life Event-Forschung) vgl. m.w.H. Filipp & Aymanns 2018.
40
Zu weiteren Veränderungen m Erhebungsbogen 2017 gegenüber DVS 2012 vgl. Birkel et
al. 2019, 6, 102, Tab. 32.
41
Etwa in der ersten nationalen Opferstudie von Kury et al. 1992, 132 ff., wo nach sexu-
ellen Belästigungen gefragt wurde, und ergänzend die Schwere des Übergriffs eingeschätzt
werden konnte, was eine Abstufung bzw. Differenzierung von „frechem Benehmen“ bis zur
(versuchten) Vergewaltigung erlaubte. Bereits zuvor wurden – per schriftlicher Befragung –
u. a. Vergewaltigungen in einer Studie erhoben; vgl. Arnold 1986.
42
In diesem Zusammenhang mit Bezug auf kriminalitätsbezogenes Sicherheitsempfinden
von Bedeutung das Konzept der „signal crimes“ (Innes), insbesondere bzgl. Sexualdelikte.
43
Eine kurze, allgemein gehaltene Fußnote findet sich jedoch bei Birkel & Guzy 2015, 121,
Fn. 6: „Auf die Erhebung von Viktimisierungen durch Sexualdelikte wurde nach sorgfältiger
Prüfung aufgrund forschungsethischer und methodologischer Bedenken verzichtet“.
240 Harald Arnold

Erwähnenswert ist, dass bei der deliktspezifischen, affektiven Kriminalitätsfurcht


die Beunruhigung bezüglich sexueller Belästigung bei Frauen wie Männern erfragt
wurde (wobei das Resultat überrascht; Birkel et al. 2014, 77 f.; Tab. 3, 79).
Hier kann nur spekuliert werden, welche Gründe, etwa u. a. die Form des Zugangs,
d. h. per Telefoninterviews (CATI), dazu bewogen haben, sensible Frageinhalte zu
unterlassen, um ggf. die Quote an abbrechenden Personen im Interview möglichst
gering zu halten. Interessant ist in diesem Zusammenhang insofern der Hinweis
bei Birkel et al. (2019, 101) auf den für 2020 geplanten Survey „Sicherheit und Kri-
minalität in Deutschland“ (SKiD)44, der nicht mehr als telefonische Befragung
durchgeführt werden soll.
„Der zukünftige Survey sieht angesichts […] der rückläufigen Teilnahmebereitschaft bei
telefonischen Befragungen bewusst eine andere Erhebungsmethodik als der DVS vor, näm-
lich eine schriftlich-postalische Befragung in Kombination mit einer Online-Befragung“
(Birkel et al. 2019, 101).

Dies könnte das Problem bei sensiblen Befragungsthemen in telefonisch durch-


geführten Surveys minimieren.
Das Fehlen einer gravierenden Deliktform, wie den Sexualstraftaten, berührt
einen weiteren wichtigen Aspekt empirischer Kriminalitätsmessung, der in den Er-
hebungen des DVS unberücksichtigt blieb: den der Schweremessung von Krimina-
lität (crime seriousness).45 Dieser Aspekt spielt nicht nur bei den normativ bewerten-
den Strafbedürfnissen (Punitivität) eine zentrale Rolle, sondern sollte gerade in Zu-
sammenhang mit Viktimisierungen, sei es hinsichtlich des beim Opfer – wie mittel-
bar bei seinem Umfeld – angerichteten finanziellen Schadens und psychischen Leids,
damit den viktimologisch-relevanten Folgen von Viktimisierungen, Beachtung fin-
den.46 Die Schweremessung hat zudem Relevanz hinsichtlich der motivationalen
Voraussetzungen des Anzeigeverhaltens, welches bei den DVS, wie wohl zukünftig
ebenfalls beim SKiD, Bestandteil der Erhebung darstellt. Nicht zuletzt ist von Inter-
esse, welche Zusammenhänge sich zwischen der Schwere von Viktimisierungserfah-
rungen und den Sicherheitsempfindungen vorfinden lassen. Dass die Korrelationen
zwischen diesen beiden Variablen – Viktimisierungserfahrungen und Kriminalitäts-
furchtmessung in Form üblicher Operationalisierung – in Studien bislang eher gering
und damit vermeintlich unbeachtlich ausfielen, ist kein Gegenargument, verweist
eher darauf, dass es bei den theoretischen Annahmen unzutreffende Einschätzungen

44
Im Flyer zum SKiD wird erwähnt, dass in dieser Umfrage nun auch Viktimisierungen
durch sexuelle Nötigung erfragt werden sollen.
45
Vgl. dazu Haverkamp & Arnold 2015, 349 ff. Jüngst nennt Heinz (2019, 10) als ein Ziel
von Viktimisierungssurveys: „Erfassung des objektiven Schweregrades (materielle und im-
materielle Schäden) und der subjektiven Seite der Opfererfahrungen (unmittelbare psychische
Folgen sowie langfristige psychosoziale Auswirkungen), um die Bedeutsamkeit von Vikti-
misierungserfahrungen aus Sicht der Opfer zu erfassen“.
46
Vgl. zu „schweregewichteten“ Kriminalitätsindizes Feltes 2013.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 241

und Erwartungen gab, was in unergiebigen und enttäuschenden Modellierungen re-


sultierte.
Bedauerlich, aber vielleicht nicht erwartbar, ist, dass die Verantwortlichen der
Studien (DVS) in der Darstellung der Ergebnisse sich nicht der Gegenüberstellung
von objektiven und subjektiven Sicherheitsindikatoren sowie ggf. der Problematik
des partiellen Auseinanderfallens47 von beiden gewidmet haben. Die anscheinend
partiell widersprüchlichen Beschreibungen der Sicherheitslage anhand objektiver
versus subjektiver Kriminalitätsindikatoren ist schon seit geraumer Zeit ein wieder-
holt thematisiertes Phänomen in der kriminalitätsbezogenen Sozialberichterstat-
tung.48 Die Zusammenschau und gemeinsame Diskussion beider Erkenntnisquellen,
der objektiven und subjektiven Kriminalitätsindikatoren, hätte eine komplexere Si-
cherheitsanalyse erlaubt und zugleich eine kritische Betrachtung und Bewertung der
Gültigkeit der Ergebnisse begleiten können.
Selbstverständlich bedürfte es zudem in einem thematischen Bereich wie der Er-
fassung subjektiver Daten wie krimineller Opfererfahrung und Kriminalitätsfurcht
einer Reflexion und Diskussion von Reliabilität und Validität der erhobenen
Daten,49 zumindest einer Erörterung von Fehlerquellen und Plausibilitätschecks,
wie sie bspw. in Bezug auf subjektive Deliktkategorisierung50 bzw. Subsumtion
von Straftaten oder Mehrfachzählungen von gleichartigen Folgehandlungen hin-
sichtlich der Vergleichbarkeit mit Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik angedeu-
tet wurden.51 Dazu gibt es leider nichts, weder in den Methodenberichten von INFAS,
noch in den vertiefenden Methodenberichten von Guzy et al. (2015), trotz interessan-
ter allgemeiner Ausführungen zur Methodik und Methodologie, aber ohne unmittel-
baren Bezug.
In der Zusammenschau zum DVS 2017 wird resümiert, dass Deutschland, was die
„tatsächliche Kriminalitätsbelastung“ und die „gefühlte Sicherheit“ beträfe, ein
„recht sicheres Land“ sei (Birkel et al. 2019, 97). Dass allerdings noch wesentliche
Fragen offen seien, wird im Ausblick, mit dem die Darstellungen zum DVS 2019
enden, konzediert: „Schließlich stellt sich die Frage, wie die beobachteten Verände-

47
Hirtenlehner et al. (2018) sehen eine „zunehmende Entkoppelung von objektiver und
subjektiver Sicherheit“.
48
Ein Vorschlag auf der Basis von Überlegungen etwa aus der Sozialindiktorenforschung
wurde unlängst zur Diskussion gestellt; vgl. m.w.H. Haverkamp & Arnold 2015, 339 ff.,
355 ff.
49
Jenseits einer einfachen Augenschein-/Anschauungs-Validität. Unlängst zu methodi-
schen Problemen bei der Messung von Kriminalitätsfurcht und Viktimisierungserfahrungen
Noack 2015.
50
Vorsichtig skeptisch Kunz & Singelnstein 2016, 234: „Bei Opferbefragungen ist die
Korrespondenz zwischen tatsächlich erlebtem Opferereignis und einer Dokumentation als
Viktimisierung nicht ohne Weiteres anzunehmen“. Vgl. dort Schaubild 3.11: Vom Erlebnis zur
dokumentierten Viktimisierung.
51
Zu Validität- und Reliabilitätsaspekten und zur Messfehlerproblematik bei der PKS
früher an anderer Stelle Birkel 2003.
242 Harald Arnold

rungen zwischen den beiden Erhebungswellen zu erklären sind“ (Birkel et al. 2019,
97).
Der Namenswechsel des geplanten Surveys (von DVS zu SKiD) lässt erwarten,
dass zukünftig viktimologische Fragestellungen gegenüber denen der Kriminalitäts-
messung – dafür spricht der zweijährige Erhebungsrhythmus – und weiteren polizei-
lich relevanten und aktuellen Fragen – z. B. zur Bewertung der und zum Vertrauen in
die Polizei – weiter in den Hintergrund treten werden, zumal die Vermutung nahe-
liegt, dass die Durchführung nun wohl ohne direkte Beteilung, ggf. nur mittels ad
hoc-Support aus dem wissenschaftlichen Bereich, in verstärkter polizeilicher Eigen-
regie realisiert werden wird (Kolmey 2016).
Was die Darstellung der Sicherheitslage in Deutschland auf der Grundlage objek-
tiv(iert)er und subjektiver empirischer Kriminalitätsindikatoren betrifft, leisten die
beiden DFS einen substantiellen, als Viktimisierungsstudien aber noch ausbaufähi-
gen Beitrag. Gleichwohl vermögen sie in der thematischen Breite nicht einen Ansatz
und Entwurf, wie ihn die beiden PSB (BMI/BMJ 2001; 2006) vorlegten, zu ersetzen,
sie können nur wesentlicher Bestandteil eines solchen sein. Dies wird bereits durch
die thematische Weite der abgesteckten Untersuchungsfelder evident, die wesentli-
che Kriminalitätsbereiche, die durch direkte Befragungsstudien von Opfern, wie sie
der DVS realisierte, nicht erfasst wurden und werden konnten, offensichtlich.52 Dazu
gehören sowohl Delikte mit nicht und schwer erreichbaren bzw. unzugänglichen Op-
fern wie bspw. bei Tötungsdelikten, Menschenhandel, sexuellem Missbrauch, Miss-
handlung, allgemein Opfern von sog. „invisible crimes“ (Davies) oder kollektive und
nichtnatürliche Opfer (Wirtschaft-, Finanz-, Umweltkriminalität etc.), nicht zuletzt
die Untersuchung struktureller und neuer, die Sicherheit von Menschen beeinträch-
tigender gesellschaftlicher Bedingungen.53

****
Mit den ersten US-amerikanischen Opferbefragungen (victim surveys) begannen
Erörterungen und Untersuchungen von „subjektiver Sicherheit“ – damals noch mit
anderer Begrifflichkeit – in der Kriminologie, ausgehend von „Viktimisierungs-/Kri-
minalitätsfurcht“, die als soziales Problem an Relevanz ebenbürtig krimineller Vik-
timisierung, gelegentlich sogar als schlimmer, weil allgegenwärtig, erachtet wurde.54
Entsprechend war bzw. wurde das Konstrukt regelmäßig zum Bestandteil der Erhe-
bungen zur Viktimisierung, wie bereits oben zu entnehmen war. Nicht verwunderlich
ist, dass Publikationen zu diesem kriminalitätsbezogenen Aspekt subjektiver Sicher-

52
Vgl. dazu Beiträge zu den delikt- und gruppenspezifischen Viktimisierungserfahrungen
in Guzy et al. 2015.
53
Vgl. zu neuen Bedrohungen Albrecht 2011.
54
Vgl. Kaiser 1995, 31: „Verbrechensfurcht mehr noch als Verbrechensanstieg mobilisiert
Wissenschaft […] und Praxis“.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 243

heit mittlerweile an Umfang den, der sich direkt mit krimineller Viktimisierung be-
schäftigt, sowohl international wie national bei weitem zu überwiegen scheint.55 In-
sofern war es folgerichtig und konsequent, dass ebenfalls die deutschen Opferstudien
stets die Wahrnehmung von Kriminalität und das Sicherheitsempfinden – in diversen
Operationalisierungen – berücksichtigten, so auch die o. a. beiden DVS von 2012 und
2017 (Birkel et al. 2014, 64 ff.; 2019, 45 ff.).56
Die Fülle der empirischen Ergebnisse kann hier nicht wiedergegeben werden,
allerdings verdient die kriminologische Forschung zur subjektiven Sicherheit zwei
Anmerkungen, einmal zu ihrer Konzeptualisierung, zum anderen – z. T. davon
abhängig – ihre Operationalisierung und Messung.
Seit den Anfängen – u. a. bei Schwind in der ersten Bochumer-Dunkelfeldstudie
(Schwind et al. 1978; vgl. auch Stephan 1976) – wird subjektive Sicherheit (Krimi-
nalitätsfurcht) – dort „subjektives [sic] Bedrohtheitsgefühl“ als „psychologisches
Konstrukt“ – in Form einer Einstellungsmessung erhoben (Gefeller & Trudewind
1978). Dieser Linie folgen, soweit ersichtlich, bislang die meisten Studien, so der
DVS. Damit hat man sich auf eine naheliegende Sichtweise und einen pragmatischen
Zugang eingelassen, offensichtlich festgelegt,57 welche eine vertiefte und differen-
ziertere Sichtweise der betroffenen psychologischen Phänomene nicht mehr zwin-
gend erscheinen ließen bzw. verhinderten. Denn für das Verständnis, was sich intra-
psychisch an Prozessen abspielt, wenn jemand von Kriminalitätsfurcht/-angst, Be-
drohtheits-/Unsicherheitsgefühl o. ä. spricht, sind Kenntnisse aus dem Bereich der
(Emotions-)Psychologie hilfreich, wenn nicht gar erforderlich.58
Um Beispiele zu nennen: Da wäre die – allerdings selbst bei Fachpsychologen
nicht stets vorgenommene oder als erforderlich erachtete – Differenzierung zwischen
Furcht (nach Freud Realangst) und Angst.59 Schon früh (zuerst 1934) hat dies der
Individual- und Sozialpsychologe Manès Sperber zum Ausdruck gebracht:
„Die Furcht ist die Reaktion auf eine richtige Wahrnehmung einer realen Gefahr. […] Die
Angst ist in keiner Weise an eine objektive Gefahr oder an eine richtig wahrgenommene Si-
tuation gebunden. Sie widerspiegelt mehr den seelischen Zustand des Individuums als seine
äußere Situation […] Die Furcht verrät eine Situation, die Angst einen Charakter“ (Sperber
1978, 171).

Hier geht es insofern um äußere Realität einerseits und innere Welt andererseits,
und damit um eine potentiell anschlussfähige Interpretation der subjektiven Sicher-
heit in Bezug zur objektiven.
55
Grundlegend mit gutem Überblick Boers 1991; vgl. a. Ziegleder et al. 2011.
56
Vgl. zum DVS 2012 die Beiträge in Haverkamp & Arnold 2015; sowie vertiefende
Analysen zu Kriminalitätsfurcht und Unsicherheitsgefühlen in Birkel et al. 2016.
57
Vgl. Gefeller & Trudewind 1978, 310: „Das subjektive Bedrohtheitsgefühl soll als ein
vorläufiges [sic!] Konzept verstanden werden, das bestimmte Formen der Auseinandersetzung
des Individuums mit dem Phänomen der Kriminalität in der Gesellschaft charakterisiert“.
58
Vgl. z. B. Schmidt-Atzert et al. 2014.
59
Vgl. frühere Überlegungen zur Kriminalitätsfurcht vom Verf. Arnold 1984.
244 Harald Arnold

Eine weitere Unterscheidung betrifft die Differenz zwischen Ängstlichkeit als


einem interindividuell variierendem Persönlichkeitsmerkmal (Disposition/trait),
das sich in der eher generellen Tendenz (latenten Bereitschaft), auf Gefahrensitua-
tionen (verstärkt) ängstlich zu reagieren, ausdrückt, und Angst als (situationsbeding-
ter) affektiver/emotionaler Zustandsbeschreibung (state).60 Diese in der differentiel-
len und Persönlichkeitspsychologie geläufige Differenzierung – zurückgehend auf
die amerikanischen Psychologen Cattell sowie Spielberger – wurde bereits in ein-
schlägigen Untersuchungen einer Überprüfung zugrunde gelegt.61 Um ein zutreffen-
des Bild von der Gefahrenwahrnehmung und der bewirkten bzw. erfolgten (Un-)Si-
cherheitsempfindung zu erhalten, müssten diese Grundvoraussetzungen – wie der
Einfluss persönlichkeitspsychologischer Charakteristika62 allgemein – berücksich-
tigt werden.
Die Studien, die nach dem Einstellungsmodell arbeiten, unterscheiden gemeinhin
nach drei Aspekten (Komponenten, Dimensionen oder Ebenen): affektiv, kognitiv
und konativ. Nicht thematisiert wird hingegen in diesem Ansatz, dass Emotionen not-
wendig psychophysiologische (und neurologische) Erregungsmuster als integralen
Bestandteil enthalten, um als solche spezifischen Emotionen charakterisiert zu
sein.63 Genau genommen sind alle diese Komponenten im Prinzip in der jeweiligen
Situation latent vorhanden bzw. bereitgestellt, um ggf. nach entsprechender Reizung
mit angemessener Stärke aktiviert zu werden (z. B. Fight – Fight – Freeze). Dabei
handelt es sich um einen primär unbewusst ablaufenden Prozess, der sekundär be-
wusstseinsfähig (Gefühl) werden kann. Das gilt gerade bei grundlegenden Emotio-
nen, wie Furcht.
Im Gegensatz zu den oft unzureichenden theoretischen Begründungen dessen,
was unter der jeweiligen Unsicherheitsempfindung verstanden wird, hat deren Um-
setzung in der Operationalisierung mehr Aufmerksamkeit erfahren, nicht zuletzt,
weil Kritik und partielle Unzufriedenheit als Motivation wirkten. Exemplarisch ist
auf die Auseinandersetzung um den sog. Standardindikator (bzw. -item) der Verbre-
chensfurcht – ebenfalls im DVS eingesetzt – mit seiner langen Geschichte hinzuwei-
sen.64 Dieser „Standardindikator“ ist einerseits – so Reuband (2000, 194), der selbst
einige Forschungserfahrung zur Kriminalitätsfurcht aufweist – für die „,Praxis‘ als

60
Zur Psychologie der Angst umfassend Krohne 2010.
61
Vgl. z. B. bei Gefeller & Trudewind 1978, 310 und Greve 1996, 20 f. mittels State-Trait
Anxiety Inventory bzw. Angstinventar; vgl. a. Boers 1991, 28 ff. mit der Erfassung bereichs-
spezifischer Angstneigungen mittels Interaktion-Angst-Fragebogen (IAF).
62
Vgl. schon Stephan 1976 mit dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI); vgl. a.
Obergfell-Fuchs & Kury 1996; Kury & Obergfell-Fuchs 2003.
63
Vgl. hierzu Studien von Damasio (2000) und seine Theorie der somatischen Marker.
64
Kritisiert wurde z. B. die Unspezifität des Items: Es erwähnt keinen Grund für Furcht.
Dem gingen schon Teske & Hazlett (1988) nach, indem sie nach dem Grund für Furcht fragten,
was in einem weiten, z. T. unspezifischen Antwortspektrum resultierte, bei 20 % aber ohne
Begründung; vgl. zu konzeptuellen und empirischen Schwierigkeiten sowie Problemen der
Erfassung von Kriminalitätsfurcht Greve 1996, 12 ff.; Kury et al. 2004; Sessar 2006.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 245

brauchbar eingeschätzt“ worden (ähnlich Greve 1996, 27), andererseits nach rigoro-
ser Prüfung – so durch Kreuter (2002) – wegen methodischer Probleme zur Ausson-
derung empfohlen.65 Um derartige Schwächen auszugleichen und zu überwinden,
wurden verschiedene Alternativen der Messung – sowie zur Erklärung – von Krimi-
nalitätsfurcht entwickelt, etwa die deliktsspezifische Variante, wie ebenfalls im DVS
verwendet, was sich mit Hinsicht auf Viktimisierungen und Hellfelddaten anbietet,
oder mittels Skalenbildung bei Einsatz verschiedener Indikatoren.
Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang der originäre (qualitative) Zugang
bei der Konzeptualisierung und Erfassung von „Sicherheitsbefindlichkeiten“ durch
Blinkert (2013), der zudem – im Rahmen von BaSiD – einen alternativen „Sicher-
heitsbarometer“ vorschlug, allerdings ohne Bezugnahme auf objektiv(iert)e Sicher-
heit und Einbeziehung von deren Indikatoren.66
Unabhängig von dieser alternativen Neuausrichtung ist ein noch offenes Problem
– wie bei den Viktimisierungen – der Nachweis der (ökologischen) Validität der er-
hobenen (Un-)Sicherheitsempfindungen (in Form von real feststellbarer Kriminali-
tätsfurcht).67 Als Einstellungsaspekte kommt diesen Konstrukten in den üblichen Un-
tersuchungen außer einer Augenscheinvalidität keine Evidenz für reale, vorfindbare
emotionale Prozesse in Gegenwart bedrohlicher wahrgenommener Situationen zu.
Dies nachzuweisen, bedarf weiterer Bemühungen. Hier könnten neue Alternativen
wie z. B. die aktuell geplanten Erhebungen des in situ-Sicherheitsempfindens im öf-
fentlichen Personenverkehr für neue Erkenntnisse sorgen (Reichow et al. 2020).
Nicht zuletzt böte sich an, für den Bereich der (Unsicherheits-)Wahrnehmung auf
Erkenntnisse der Sicherheitspsychologie (z. B. Windemuth 2012) zurückzugreifen,
etwa da, wo sie sich mit Gefahrenkognition befasst (z. B. Muhsal 1997), inklusive
der Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Gefährlichkeit oder der Dif-
ferenz von Risiko und Gefahr, hier aus psychologischer Perspektive (nicht im Sinne
von Luhmann). Dies könnte einen zusätzlichen Input für das Verständnis für die
(auch unbewusste) Wahrnehmung angstfördernder bzw. furchtauslösender Umwelt-
reize (z. B. Incivilities/Disorder) und deren Wirkung bei der Entstehung und Auf-
rechterhaltung von Kriminalitätsfurcht geben, wie sie etwa im Zusammenhang
mit sog. Angsträumen oder allgemein Irritationen in städtischen Nachbarschaften
und urbanen Vierteln diskutiert werden; auch die sog. Begehungen könnten davon
profitieren. Dass darüber hinaus (nicht nur soziale) Wahrnehmungen (und damit ver-
bundene kognitiv-neurologische Prozesse) allgemein Berücksichtigung verdienen –
65
Fazit Kreuter 2002, 232: „Zum Schluss bleibt festzuhalten, dass die Messung von Kri-
minalitätsfurcht nicht mehr in der bisher üblichen Art durchgeführt werden sollte – schon gar
nicht mit dem allgemeinen Indikator, […] Es sollte stattdessen die Konzeptualisierung des
Konstruktes Kriminalitätsfurcht weiter ausgearbeitet werden […]“. Vgl. a. Noack (2015) zu
methodischen Probleme bei der Messung von Kriminalitätsfurcht.
66
Vgl. a. Blinkert 2015; Blinkert et al. 2015 insbesondere bzgl. beachtenswerten metho-
dischen Anmerkungen.
67
Konkret: Was wird wann gefürchtet, und ggf. wie oft und andauernd? Vgl. Feistritzer &
Stangl 2006 zur Häufigkeit und Intensität von Kriminalitätsängsten; s.a. Sessar 2006.
246 Harald Arnold

mit dem Hinweis auf die Differenz von Perzeption und Apperzeption und den Aspekt
subliminaler bzw. unterschwelliger Wahrnehmung („bewusst – unbewusst“) oder
Wahrnehmungsfehler verbunden –, ist in dem vorliegenden Forschungsbereich na-
heliegend.
Was die subjektive Sicherheit betrifft, darf nicht unerwähnt bleiben, dass die üb-
liche quantitative Forschung mit ihren Indikatoren zur Erfassung des Sicherheitsge-
fühls, wie im DVS, der dringenden Ergänzung durch einen qualitativen Zugang be-
darf – wie er exemplarisch von Blinkert (2013; 2015) entworfen und begründet
wurde –, um Breite und Tiefe bzw. Komplexität des Phänomen(bereich)s angemes-
sen abzubilden. Die eigene Studie „Barometer Sicherheit in Deutschland“/BaSiD
(Haverkamp & Arnold 2015) mit ihrem interdisziplinären und multimethodischen
Zugang hat dies m. E. als Gewinn verbucht; daraus resultierend konnte es zuletzt
– basierend auf BaSiD – in einer Folgestudie mit Methodenmix-Interviews und in-
novativem qualitativem Forschungsdesign anhand umfangreichen Materials unter
Beweis gestellt werden (Eckert 2019). Diese Einschätzung wird noch an einem for-
malen Kriterium die Datenerhebung betreffend verdeutlicht: Während die durch-
schnittliche Dauer der CATI-Interviews beim DVS 2012 insgesamt knapp 20 Minu-
ten bzw. 22 Minuten beim DVS 2017 betrug, nahmen die qualitativen Interviews – da
nur den Aspekt subjektive (Un-)Sicherheit fokussierend – rund 90 Minuten in An-
spruch. Es dürfte unschwer nachvollziehbar sein, dass die Produktivität und Salienz
der Erhebungen sich merklich unterscheiden dürften.68
Aufgrund des Dargestellten erscheint der Schluss berechtigt, dass es wünschens-
wert scheint – in Ergänzung zum (objektiven) „erweiterten Sicherheitsbegriff“ – an
einem komplementären (subjektiven) „vertieften Sicherheitsbegriff“ zu arbeiten.
Dazu könnten Vorstudien mit qualitativen Erhebungen für eine spätere quantitative
Überprüfung und Verallgemeinerung einen wesentlichen und notwendigen Beitrag
liefern.

*****
Zuletzt zur wiederholt im einschlägigen Diskurs auftauchenden Frage: Wieviel
Sicherheit muss sein? Kann es überhaupt genug Sicherheit geben? Ist das Bedürfnis
nach Sicherheit zu stillen? (Haverkamp & Arnold 2015, 3 f.) Die Meinungen gehen
auseinander, insbesondere weil es sich nicht nur um eine empirische, sondern offen-
sichtlich ebenfalls um eine normative, wertbezogene Frage handelt. So stellte dazu
schon Albrecht (1997, 147) fest: „Der Begriff der Sicherheit ist normativ besetzt.“

68
Vgl. dazu bei Blinkert (2013, 101 ff.) die Definition des Sicherheitsbegriffs sowie dessen
Konzeptualisierung, welche den Interviews als Erhebungsschema zugrunde lag.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 247

Anschluss finden dabei ergänzende Erörterungen zur „Angst“ als einer Chiffre der
Gegenwartsgesellschaft,69 moderner Gesellschaften überhaupt, und deshalb bereits
als Kennzeichen des vergangenen Jahrhunderts verwandt. Ursache für Angst sind
Bedrohungen in der Moderne, einer globalisierten ,Risikogesellschaft‘ (Beck), und
stets „neue Bedrohungen“ (Albrecht 2011), die ihrerseits neue Sicherheitsmaßnah-
men erfordern, um den Sicherheitsbedürfnissen und -forderungen entsprechen zu
können. Kann es also genug Sicherheit geben? Und wann bzw. wieviel Sicherheit
ist ausreichend? Lässt sich dies normativ klären und/oder empirisch feststellen?
Über Sicherheit sowie das Bedürfnis nach Sicherheit wird schon lange inter- und
transdisziplinär auf theoretischer Ebene, oftmals entfernt oder gar losgelöst von fak-
tischen Bezügen wie empirischen Daten, reflektiert und diskutiert, zumindest seit Si-
cherheit ein Schlüsselbegriff gegenwärtiger Gesellschaftsbeschreibungen und -ana-
lysen geworden ist, oft implizit in Verbindung mit einem ihrer Gegenbegriffe70, dem
der Angst (Unsicherheit) eben oder komplementären Aspekten, wie dem der Freiheit.
In diesem Zusammenhang stößt man wiederholt auf Bemerkungen und Feststellun-
gen derart: Sicherheit könne es nie genug geben, es gäbe ein stetes Verlangen nach
Sicherheit, sodass sich die Frage stellt, ob „Sicherheit: ein (un-)stillbares Grundbe-
dürfnis des Menschen“ (Frevel 2013)71 sei und sich möglicherweise eine bedenkliche
„Unersättlichkeit des Strebens nach Sicherheit“ (Kunz 2013)72 zeige. Daase et al.
(2013, 9) bemerken nicht nur „wachsende Sicherheitsbedürfnisse einer vielfach ver-
unsicherten Gesellschaft“, sondern stellen – mit implizitem Bezug auf die Differenz
von objektivierbaren Bedingungen und subjektivem Empfinden – verwundert fest:
„Sichere Gesellschaften fordern immer mehr Sicherheit“, wodurch eine „paradoxe
Situation des Staates“ entsteht: „Je mehr Sicherheit er bereitstellt, desto weitgehen-
der werden die gesellschaftlichen Sicherheitsanforderungen […]“.
Angesichts einer solchen, im Extremfall geradezu „idiosynkratischen Sensibili-
tät“ – eines „Sicherheits-Paradoxons“ bzw. Sicherheits-Dilemmas (Haverkamp &
Arnold 2015, 3 f.) –, bietet sich als reflektierender Zwischenschritt ein Blick in an-
dere Bereiche an, hier auf die anthropologische Sicht und Interpretation des Philo-
sophen Marquard und seiner skeptischen „Philosophie des Stattdessen“, wo in struk-
turell ähnlich gelagerten Problemlagen und den regulativen Arrangements von Un-
vermeidlichkeiten der Lebenswelt Aufschlussreiches zu entnehmen ist. Marquard
hat in seiner grundlegenden „Kompensationstheorie“ das „Mängelwesen“ Mensch

69
Zur „Angstgesellschaft“ z. B. Schwind 2003; vgl. Haverkamp & Arnold 2015, 2 ff.
m.w.H.
70
Ein entsprechender Gegenbegriff für den Zustand von Unsicherheit, komplementär zu
Sicherheit, wäre Vertrauen; vgl. als Teilaspekt des Anomia-Konstrukts Arnold 1984.
71
Schon Kunz 2004, 227: „[…] das Bedrohungsempfinden [löst] ein ungestilltes Sicher-
heitsbedürfnis aus […]“.
72
Kunz (2013, 32) skeptisch weiter: „Unsere heutige Gesellschaft weist nämlich nicht nur
partielle Sicherheitsdefizite – […] – auf, sondern ist durch strukturelle Sicherheitsmängel
gekennzeichnet. Diese Mängel sind Begleiterscheinungen des Modernisierungsprozesses und
damit im Prinzip unbehebbar“.
248 Harald Arnold

(Gehlen) in seinem Verhältnis zur modernen Welt als einen um Ergänzung, Aus-
gleich und Balance bemühten „Homo compensator“ konzipiert und ein „Gesetz
der zunehmenden Penetranz der Reste“ formuliert, nachdem ein „kulturdynamischer
Erhaltungssatz des Negativitätsbedarfs“ wirksam ist:
„Je mehr Negatives aus der Wirklichkeit verschwindet, desto ärgerlicher wird – gerade weil
es sich vermindert – das Negative, das übrig bleibt. […] Knapper werdende Übel werden
negativ kostbarer, sie werden immer plagender, und Restübel werden schier unerträglich“
(Marquard 2000, 37).

Danach wären bestehende bzw. verbleibende Unsicherheiten durch stets potenti-


ell gegebene Gefahren selbst unter Bewahrung eines konstant positiven Sicherheits-
niveaus psychohygienisch problematisch. Ähnlich dazu Bonß (2010, 47):
„Je höher das Sicherheitsniveau und die Sicherheitsansprüche, desto mehr Unsicherheiten
werden realisiert und desto mehr ,neue‘ Unsicherheiten werden entdeckt, die ihrerseits nach
mehr Anstrengungen bei der Herstellung von Sicherheit verlangen.“

Auf dem Hintergrund der immer mal wieder in Zusammenhang mit Sicherheits-
bedürfnissen thematisierten „German Angst“73 als einer besonderen deutschen Be-
findlichkeit, einer nationalen Spezifik, böte sich ergänzend eine vergleichend-inter-
kulturelle Betrachtung an, so etwa nach dem Ansatz von Hofstede, der in seinem Sys-
tem der Dimension „Unsicherheitsvermeidung“ Beachtung schenkt, anhand der be-
schrieben wird, wie stark – kulturell bedingt – in einer Gesellschaft unstrukturierte,
uneindeutige bzw. ambivalente Situationen als bedrohlich erlebt und Versuche unter-
nommen werden, diese zu reduzieren und zu vermeiden (Hofstede et al. 2010,
187 ff.).
Ohne die oben aufgeworfene Frage hier weiter zu beantworten zu versuchen, sei
einer weiteren Beobachtung, konkret einer periodisch anzutreffenden „offiziellen“
Feststellung, nachgegangen. So werden in Zusammenhang mit der Veröffentlichung
der jährlichen Polizeilichen Kriminalstatistik oder bei ähnlichen Anlässen Aussagen
über die (objektive) Sicherheitslage im Land getroffen, die eine Einordnung von Re-
sultaten hinsichtlich des erwünschten Zustands als „sicher“ bzw. „unsicher“ zulassen
(sollen). Als Beispiel sei eine solche Einschätzung des BKA-Präsidenten Münch (im
Vorwort zum DVS 2017) zitiert: „Deutschland ist ein sicheres Land. Dies gilt sowohl
für die tatsächliche Kriminalitätsbelastung als auch für die gefühlte Sicherheit“
(Münch 2019, 4).74 Bedeutet dies: genug Sicherheit?75 Und ab wann nicht mehr?
Welche Werteskala, welches Beurteilungskriterium verbirgt sich dahinter? Etwa
eine kriminalpolitische Heuristik, die durch das jeweils gegenwärtige gesellschafts-
politische Klima geeicht und (neu/nach)justiert wird? Zum Beispiel durch (interna-

73
Vgl. Biess 2019, 415 ff.; Feltes 2019.
74
Vgl. dazu Birkel et al. (2019, 97) weniger bestimmt: „ein recht sicheres Land“.
75
An der zitierten Stelle heißt es zielbestimmend weiter: „[…] für die größtmögliche
Sicherheit in unserer offenen Gesellschaft“, s. Münch 2019, 4. Aber diese Aussage verschiebt
das Problem nur: Wie bestimmt man „größtmögliche Sicherheit“?
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 249

tionalen) Vergleich oder gegenüber vergangenen Berichtsperioden? Dies ist eine


Frage, die sich offensichtlich durch Verweis auf empirische Resultate, nicht so
ohne weiteres zufriedenstellend und überzeugend beantworten lässt.
Anzuführen ist ein zusätzliches, bekanntes Dilemma, das Münch (2019, 3) an glei-
cher Stelle erwähnt:
„Wir wissen aus verschiedenen Umfragen, dass es um das Sicherheitsgefühl der Menschen
in Deutschland häufig schlechter bestellt ist als um die durch objektive Messungen und Er-
hebungen beschriebene tatsächliche Sicherheitslage.“76

Hier werden die als objektive und subjektive Kriminalitätsindikatoren bekannten


Variablen nicht nur vergleichend zueinander in Beziehung gesetzt, wie es durchaus
sinnvoll ist,77 häufig geschieht und – unter Berücksichtigung des differentiellen Zu-
gangs und dem damit möglichen Erkenntnisgewinns aus der „Verbrechenswirklich-
keit“ – begründet empfohlen wird; sie – die beiden Indikatoren – werden offensicht-
lich schon vorab (explizit) mit einer Bewertung versehen, in dem das Sicherheits-
empfinden (implizit) als potentiell weniger gültig gegenüber der ,objektiven‘ „tat-
sächlichen [sic!] Sicherheitslage“ eingestuft und beurteilt erscheint. Damit wird
das vorhandene Problem, das aus dem Vergleich der beiden unterschiedlichen Indi-
katoren resultiert, verkannt und nicht der erforderlichen Analyse – und ggf. Relati-
vierung ihres jeweiligen Aussagegehalts – zugeführt. Überhaupt scheint das Zusam-
menspiel von subjektiven und objektiven Indikatoren für Sicherheit – von äußerer
Realität und innerer Welt – komplex zu sein und ein Problem darzustellen.
Albrecht (2015, 178 f.), der die Diskrepanzen zwischen objektiver und empfun-
dener (subjektiver) Sicherheit, deren unterschiedlichen Verläufe – bedingt dadurch,
dass sich Sicherheitserwartungen unabhängig von der (objektiven) Sicherheitslage
entwickeln –, sowie den daraus resultierenden Konsequenzen einer kritischen Be-
trachtung unterzogen hat, kam schon zuvor zu einem vorläufigen Schluss:
„Das Auseinanderfallen von objektiver Sicherheit und Sicherheitserwartungen führt zu
einer größeren Komplexität, die auch erhöhte Ansprüche an die methodischen und theore-
tischen Grundlagen der Sicherheitsforschung mit sich bringt“ (Albrecht 2011, 123).

Dem ist nicht nur zuzustimmen, sondern Rechnung zu tragen.


Es ließe sich hier einfach enden mit einem alten Motto: Further research is needed.
Doch soll gleichwohl eine Ermutigung zugefügt werden, die angesichts bestehender
– nicht nur kriminelle Gefahren betreffende – Bedrohlichkeiten den Menschen zu
einer lebenstauglichen Balance zwischen äußerer Realität und innerer Welt zu mo-
tivieren beabsichtigt, was daran erinnert, dass die menschliche Sicherheitsempfin-
76
Vgl. dazu Birkel et al. 2019, 48: „Alles in allem zeugen die empirischen Befunde von
einer Zunahme der Unsicherheitsgefühle in der Bevölkerung seit 2012“.
77
Vgl. dazu Haverkamp & Arnold 2015, 366 ff., Tab. 6 – 8, wo sich beim Beispiel des
Einbruchs eine bessere Übereinstimmung zwischen den PKS-Zahlen und der deliktsspezifi-
schen Furcht ergeben hat, als zwischen Furcht vor Einbruch und den entsprechenden Vikti-
misierungsdaten aus der Befragung, also inkl. Dunkelfeld.
250 Harald Arnold

dung und die Wahrnehmung von äußeren Ereignissen als Risiken und Gefahren ihren
Ursprung im Inneren hat.
Der humanistische Sozialpsychologe und Psychoanalytiker Erich Fromm hat be-
reits 1955, was den Anspruch auf Sicherheit des modernen Menschen betrifft, fest-
gestellt:
„Wie kann ein empfindender und lebendiger Mensch sich auch je sicher fühlen? […] Die
psychische Aufgabe, der man sich stellen kann und muss, ist nicht, sich sicher zu fühlen,
sondern zu lernen, die Unsicherheit ohne Panik und unangebrachte Angst zu ertragen“
(Fromm 1974, 176).78

Und er fährt – unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Verhältnisses zur Frei-


heit – mit warnendem, erfahrungsgesättigtem Unterton und Weitblick fort:
„Das seelische und geistige Leben ist immer unsicher und ungewiss. […] Vollkommene Si-
cherheit finden wir nur, wenn wir uns vollkommen Mächten unterwerfen, die als stark und
beständig gelten und die den Menschen der Notwendigkeit entheben, selbst Entscheidungen
zu treffen, Risiken zu übernehmen und Verantwortung auf sich zu nehmen. Der freie Mensch
ist notwendigerweise unsicher; der denkende Mensch ist sich notwendigerweise seiner
Sache nicht gewiß“ (Fromm 1974, 176; Hervorhebungen im Original).

Diese Vorstellung oder Bestimmung dessen, woran subjektive Sicherheit auszu-


richten wäre, nun ihrerseits in ein sinnvolles und zweckmäßiges Verhältnis zu objek-
tiver Sicherheit zu bringen, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Rahmen-
bedingungen und Kriterien wie Lebensqualität und Wohlbefinden, wird keine einfa-
che Aufgabe sein. Schon vor Längerem resümierte Albrecht – auf der Basis theore-
tischen Wissens und methodischen Kenntnisstands sowie auf dem Hintergrund der
praktischen Probleme – seine skeptische Betrachtung zur Sicherheitslage in den
Kommunen:
„Empfohlen wird deshalb, die subjektive Sicherheitsdimension einzubinden in ein Kon-
strukt oder Konzept der Zufriedenheit mit der Umwelt etc., aus dem heraus die relative Be-
deutung der Sicherheitsfrage eingeschätzt werden kann“ (Albrecht 1997, 165).79

Inwieweit dadurch die „Sicherheitsforschung … Teil des sozialen Fortschritts“


(Albrecht 2014, 85) wird – damit angesichts umfangreicher und differenzierter Er-
gebnisse den unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen entsprechen kann
(oder warum nicht) –, ist einer anderen Betrachtung vorbehalten.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit?
Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in:

78
Vgl. Sticher 2015 zur Frage: „Wie viel Unsicherheit ertragen wir?“.
79
Zu (Un-)Sicherheitsgefühl und Wohnzufriedenheit sowie Effekte objektiver und sub-
jektiver Kriminalitätsindikatoren in der Bewertung von Nachbarschaft und Gemeinde vgl.
Arnold 1993.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 251

S. Fischer & C. Masala (Hrsg.), Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und
(immer) neue Sicherheitsmaßnahmen? Wiesbaden, S. 209 – 229.
Albrecht, H.-J. (2015): Freiheit und Innere Sicherheit?, in: S. Steiger, J, Schiller & L. Gerhold
(Hrsg.), Sicherheitsforschung im Dialog: Beiträge aus dem Forschungsforum Öffentliche Si-
cherheit. Frankfurt am Main, S. 161 – 186.
Albrecht, H.-J. (2014): Sicherheit, Sicherheitsmonitoring und Viktimisierungsstudien. Ansätze
und Ergebnisse, in: H. Hoch & P. Zoche (Hrsg.), Sicherheiten und Unsicherheiten: soziolo-
gische Beiträge. Berlin, S. 75 – 88.
Albrecht, H.-J. (2011): Neue Bedrohungen? Wandel von Sicherheit und Sicherheitserwartun-
gen, in: P. Zoche, S. Kaufmann & R. Haverkamp (Hrsg.), Zivile Sicherheit. Gesellschaftliche
Dimensionen gegenwärtiger Sicherheitspolitiken. Bielefeld, S. 111 – 127.
Albrecht, H.-J. (2007): Perspektiven kriminologischer Forschung. Der Wandel im Konzept der
Sicherheit und neue Aufgabenfelder der Kriminologie, in: K. Liebl (Hrsg.), Kriminologie im
21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 177 – 202.
Albrecht, H.-J. (1997): Zur Sicherheitslage der Kommunen, in: H. Kury (Hrsg.), Konzepte
Kommunaler Kriminalprävention. Freiburg, S. 147 – 165.
Albrecht, H.-J. & Ziercke, J. (2014): Vorwort, in: C. Birkel, N. Guzy, D. Hummelsheim, D. Ober-
wittler & J. Pritsch (Hrsg.), Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2012: Erste Ergebnisse zu
Opfererfahrungen, Einstellungen gegenüber der Polizei und Kriminalitätsfurcht. Freiburg,
S. 1 – 2.
Allianz der Wissenschaftsorganisationen (Hrsg.) (2011): Wir erforschen: Sicherheit. München.
Armborst, A. (2014): Sicherheitsforschung, in: H. Hoch & P. Zoche (Hrsg.), Sicherheiten und
Unsicherheiten: soziologische Beiträge. Berlin, S. 31 – 51.
Arnold, H. (1999): Sank die Kriminalität in Westdeutschland zur Zeit der „Wende“? Eine Se-
kundäranalyse nationaler Opferbefragungen – zugleich eine Betrachtung ihrer Tauglichkeit
als Instrument der Kriminalitätsmessung, in: H.-J. Albrecht (Hrsg.), Forschungen zu Krimi-
nalität und Kriminalitätskontrolle am Max-Planck-Institut für Strafrecht. Freiburg, S. 175 –
218.
Arnold, H. (1993): Kriminalität, Viktimisierung, (Un-)Sicherheitsgefühl und Wohnzufrieden-
heit – Effekte objektiver und subjektiver Kriminalitätsindikatoren in der Bewertung von
Nachbarschaft und Gemeinde, in: G. Kaiser & H. Kury (Hrsg.), Kriminologische Forschung
in den 90er Jahren (2. Hlbd.). Freiburg, S. 1 – 33.
Arnold, H. (1986): Kriminelle Viktimisierung und ihre Korrelate. Ergebnisse international ver-
gleichender Opferbefragungen. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 98,
S. 1014 – 1058.
Arnold, H. (1984): Verbrechensangst und/oder Furcht vor Viktimisierung – Folgen von Vikti-
misierung?, in H.-J. Albrecht & U. Sieber (Hrsg.), Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Krimi-
nologische Kolloquien. Freiburg, S. 185 – 236.
Beste, H. (2008): Zur Privatisierung verloren geglaubter Sicherheit in der Kontrollgesellschaft,
in: H.-J. Lange, H.-P. Ohly & J. Reichertz (Hrsg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit: Fak-
ten, Theorien und Folgen. Wiesbaden, S. 183 – 202.
252 Harald Arnold

Beste, H. (1983): Innere Sicherheit und Sozialforschung: eine empirische Analyse der Entwick-
lung kriminologischer Forschung und staatlicher Kontrollpolitik. Münster.
Biess, F. (2019). Republik der Angst. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. Reinbek bei
Hamburg.
Birkel, C. (2016): Mehrfachviktimisierungen in Deutschland, in: C. Birkel, D. Hummelsheim-
Doss, N. Leitgöb-Guzy & D. Oberwittler (Hrsg.), Opfererfahrungen und kriminalitätsbezo-
gene Einstellungen in Deutschland. Wiesbaden, S. 17 – 94.
Birkel, C. (2015): Hellfeld vs. Dunkelfeld: Probleme statistikbegleitender Dunkelfeldforschung
am Beispiel der bundesweiten Opferbefragung im Rahmen des Verbundprojektes „Barome-
ter Sicherheit in Deutschland“ (BaSiD), in: S. Eifler & D. Pollich (Hrsg.), Empirische For-
schung über Kriminalität: methodologische und methodische Grundlagen. Wiesbaden,
S. 67 – 94.
Birkel, C. (2014): Die Dunkelfeld-Opferbefragung im Verbundprojekt „BaSiD“: Befunde zu
Opfererfahrungen, Mehrfachviktimisierungen und Anzeigeverhalten, in: M.A. Niggli &
L. Marty (Hrsg.), Risiken der Sicherheitsgesellschaft: Sicherheit, Risiko & Kriminalpolitik.
Mönchengladbach, S. 134 – 156.
Birkel, C. (2003): Die polizeiliche Kriminalstatistik und ihre Alternativen: Datenquellen zur
Entwicklung der Gewaltkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Der Hallesche
Graureiher 2003, 1. Forschungsberichte des Instituts für Soziologie. Halle.
Birkel, C., Church, D., Hummelsheim-Doss, D., Leitgöb-Guzy, N. & Oberwittler, D. (2020):
Kriminalitätsfurcht, Opfererfahrungen und das Vertrauen in die Polizei. Kriminalistik
8 – 9, S. 499 – 505.
Birkel, C., Church, D., Hummelsheim-Doss, D., Leitgöb-Guzy, N. & Oberwittler, D. (2019): Der
Deutsche Viktimisierungssurvey 2017: Opfererfahrungen, kriminalitätsbezogene Einstel-
lungen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und Kriminalität in Deutschland. Wiesba-
den.
Birkel, C. & Guzy, N. (2015): Die Dunkelfeldbefragung: Konzeption und erste Ergebnisse, in:
R. Haverkamp & H. Arnold (Hrsg.), Subjektive und objektivierte Bedingungen von (Un-)Si-
cherheit: Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSiD). Berlin, S. 117 – 146.
Birkel, C., Guzy, N., Hummelsheim, D., Oberwittler, D. & Pritsch, J. (2014): Der Deutsche Vik-
timisierungssurvey 2012: Erste Ergebnisse zu Opfererfahrungen, Einstellungen gegenüber
der Polizei und Kriminalitätsfurcht. Freiburg.
Birkel, C., Hummelsheim-Doss, D., Leitgöb-Guzy, N. & Oberwittler, D. (Hrsg.). (2016): Opfer-
erfahrungen und kriminalitätsbezogene Einstellungen in Deutschland: vertiefende Analysen
des Deutschen Viktimisierungssurvey 2012 unter besonderer Berücksichtigung des räumli-
chen Kontextes. Freiburg.
Blinkert, B. (2015): Drei Sicherheiten. Offene Methoden in der Sicherheitsforschung. Zur em-
pirischen Kritik von Forschungsergebnissen, in: P. Zoche, S. Kaufmann & H. Arnold (Hrsg.),
Sichere Zeiten? Gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung. Berlin, S. 45 – 66.
Blinkert, B. (2013): Erkundungen zur Zivilgesellschaft. Münster.
Blinkert, B., Eckert, J. & Hoch, H. (2015): (Un-)Sicherheitsbefindlichkeiten: Explorative Stu-
die über Sicherheitseinschätzungen in der Bevölkerung, in: R. Haverkamp & H. Arnold
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 253

(Hrsg.), Subjektive und objektivierte Bedingungen von (Un-)Sicherheit: Studien zum Baro-
meter Sicherheit in Deutschland (BaSiD). Berlin, S. 147 – 204.
Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) (2006): Zweiter Periodi-
scher Sicherheitsbericht. Berlin.
Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) (2001): Erster Periodi-
scher Sicherheitsbericht. Berlin.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2018): Forschung für die zivile Sicher-
heit 2018 – 2023. Rahmenprogramm der Bundesregierung. Bonn.
Boers, K. (1991): Kriminalitätsfurcht: über den Entstehungszusammenhang und die Folgen
eines sozialen Problems. Pfaffenweiler.
Bonß, W. (2011): Neue Bedrohungen? Wandel von Sicherheit und Sicherheitserwartungen, in:
P. Zoche, S. Kaufmann & R. Haverkamp (Hrsg.), Zivile Sicherheit. Gesellschaftliche Dimen-
sionen gegenwärtiger Sicherheitspolitiken. Bielefeld, S. 43 – 70.
Cohen, L.E & Felson, M. (1979): Social change and crime rate trends: A routine activity appro-
ach. American Sociological Review 44/4, S. 588 – 608.
Daase, C., Engert, S. & Junk, J. (Hrsg.) (2013): Verunsicherte Gesellschaft – überforderter
Staat: Zum Wandel der Sicherheitskultur. Frankfurt.
Damasio, A.R. (2000): Descartes’ Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. 5. Aufl.
München.
Eckert, J. (2019): Gesellschaft in Angst? Zur theoretisch-empirischen Kritik einer populären
Zeitdiagnose. Bielefeld.
Feistritzer, G. & Stangl, W. (2006): Wie oft ängstigen sich Ängstliche, wenn sie sich ängstigen?
Häufigkeit und Intensität von Kriminalitätsängsten am Beispiel der Wiener Bevölkerung.
Neue Kriminalpolitik 18/1, S. 29 – 32.
Feldmann-Hahn, F. (2011): Opferbefragungen in Deutschland: Bestandsaufnahme und Bewer-
tung. Holzkirchen, Obb.
Feltes, T. (2019): Die „German Angst“. Woher kommt sie, wohin führt sie? Innere vs. gefühlte
Sicherheit. Der Verlust an Vertrauen in Staat und Demokratie. Neue Kriminalpolitik 31/1,
S. 3 – 12.
Feltes, T. (2013): Kriminalitätsindices: Warum messen wir Kriminalität nicht anders?, in:
K. Boers et al. (Hrsg.), Kriminologie – Kriminalpolitik – Strafrecht. Festschrift für Hans-Jür-
gen Kerner zum 70. Geburtstag. Tübingen, S. 91 – 104.
Feltes, T. & Reiners, P. (2019): Sicherheit und Sicherheitsgefühl in Bochum: Exemplarische
Befunde der Bochumer Dunkelfeldstudie 2015/2016 („Bochum IV“). Monatsschrift für Kri-
minologie und Strafrechtsreform 102/2, S. 89 – 103.
Filipp, S.H. & Aymanns, P. (2018): Kritische Lebensereignisse und Lebenskrisen. Vom Umgang
mit den Schattenseiten des Lebens. Stuttgart.
Fischer, S. & Masala, C. (Hrsg.) (2016): Innere Sicherheit nach 9/11: Sicherheitsbedrohungen
und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen? Wiesbaden.
Frevel, B. (2013): Sicherheit: ein (un-)stillbares Grundbedürfnis. Freiburg.
254 Harald Arnold

Fromm, E. (1974): Der moderne Mensch und seine Zukunft: eine sozialpsychologische Unter-
suchung. 7. Aufl. Frankfurt am Main.
Füllgrabe, U. (2020): Veränderungen der Kriminalität in Zeiten der Corona-Pandemie. Krimi-
nalistik 7, S. 439 – 444.
Gefeller, I. & Trudewind, C. (1978): Bedrohtheitsgefühl: Erfassung, Verteilung und Beziehun-
gen zu ökologischen Variablen und Persönlichkeitsvariablen, in: H.-D. Schwind, W. Ahlborn
& R. Weiß (Hrsg.), Empirische Kriminalgeographie: Bestandsaufnahme und Weiterführung
am Beispiel von Bochum. Wiesbaden, S. 309 – 337.
Gerhold, L. (2020): COVID-19: Risikowahrnehmung und Bewältigungsstrategien. Ergebnisse
einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung in Deutschland; https://www.sicherheit-for
schung.de/forschung/projekte/Corona/COVID-19-Risikowahrnehmung-und-Bewaeltigungs
strategien_Gerhold–2020.pdf.
Gerhold, L., Jäckel, H., Schiller, J. & Steiger, S. (Hrsg.) (2015): Ergebnisse interdisziplinärer
Risiko- und Sicherheitsforschung: Eine Zwischenbilanz des Forschungsforum Öffentliche
Sicherheit. Berlin.
Gerhold, L. & Peperhove, R. (2017): Sicherheitsforschung 2030. Ergebnisse einer Expertenstu-
die zur Zukunft der Sicherheitsforschung. Zeitschrift für Zukunftsforschung; http://www.zeit
schrift-zukunftsforschung.de/ausgaben/2017/ausgabe1/4631.
Gerhold, L. & Schiller, J. (Hrsg.) (2012): Perspektiven der Sicherheitsforschung: Beiträge aus
dem Forschungsforum Öffentliche Sicherheit. Frankfurt am Main.
Greve, W. (1996): Kriminalitätsfurcht im Dunkelfeld: eine Pilotstudie bei Betroffenen und Ri-
sikogruppen. Praxis der Rechtspsychologie 6 (1/2), S. 11 – 29.
Guzy, N., Birkel, C. & Mischkowitz, R. (Hrsg.) (2015): Viktimisierungsbefragungen in Deutsch-
land. Band 2: Methodik und Methodologie Wiesbaden.
Haverkamp, R. & Arnold, H. (Hrsg.) (2015): Subjektive und objektivierte Bedingungen von
(Un-)Sicherheit: Studien zum Barometer Sicherheit in Deutschland (BaSiD). Berlin.
Heinz, W. (2019): Stellungnahme zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – „Für
aussagekräftige Dunkelfeld–Opferbefragungen“ (BT-Drs. 19/5894 vom 20. 11. 2018). Kon-
stanz.
Heinz, W. (2017): Kriminalität und Kriminalitätskontrolle in Deutschland: Berichtsstand 2015
im Überblick. Originalpublikation im Konstanzer Inventar Sanktionsforschung 2017; http://
www.ki.uni-konstanz.de/kis/.
Hirtenlehner H., Hummelsheim-Doss, D. & Sessar, K. (2018): Kriminalitätsfurcht: Über die
Angst der Bürger vor dem Verbrechen, in: D. Hermann & A. Pöge (Hrsg.), Kriminalsozio-
logie. Baden-Baden, S. 459 – 474.
Hitzler, R. (1998): Bedrohung und Bewältigung. Einige handlungstheoretisch triviale Bemer-
kungen zur Inszenierung „Innere Sicherheit“, in: R. Hitzler & H. Peters (Hrsg.), Inszenie-
rung: Innere Sicherheit: Daten und Diskurse. Opladen, S. 203 – 212.
Hitzler, R. & Peters, H. (Hrsg.) (1998): Inszenierung: Innere Sicherheit: Daten und Diskurse.
Opladen.
Hofstede, G.H., Hofstede, G.J. & Minkov, M. (2010). Cultures and organizations: software of
the mind. Intercultural Cooperation and Its Importance for Survival. 3. ed. New York.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 255

Kaiser, G. (1997): Kriminologie. Eine Einführung in die Grundlagen. 10. Aufl. Heidelberg.
Kaiser, G. (1996): Kriminologie. Ein Lehrbuch. 3. Aufl. Heidelberg.
Kaiser, G. (1995): „Innere Sicherheit“ – kein Rechtsbedürfnis der Bevölkerung?, in: R. Jakob,
M. Usteri & R. Weimar (Hrsg.), Psyche – Recht – Gesellschaft. Widmungsschrift für Manfred
Rehbinder. Bern, S. 31 – 46.
Kampmeyer, E. & Neumeyer, J. (Hrsg.) (1993): Innere Unsicherheit: eine kritische Bestandsauf-
nahme. München.
Kaufmann, S. (2020): Editorial. European Journal for Security Research 5, S. 115 – 117.
Kerner, H.-J. (1980): Kriminalitätseinschätzung und Innere Sicherheit. Eine Untersuchung über
die Beurteilung der Sicherheitslage und über das Sicherheitsgefühl in der Bundesrepublik
Deutschland, mit vergleichenden Betrachtungen zur Situation im Ausland. Wiesbaden.
Kettner, M. & Sturmeit, R. (2014): Posttraumatische Belastungsstörung als Gesellschaftsdia-
gnose? Wandel in der Sicherheitskultur nach Großschadensereignissen am Beispiel von 9/
11, in: H-J. Lange, M. Wendekamm & C. Endreß (Hrsg.), Dimensionen der Sicherheitskultur.
Wiesbaden, S. 59 – 78.
Kolmey, U. (2016): Die Befragung zu Sicherheit und Kriminalität in Niedersachsen. Durchfüh-
rung, Resonanz und Konsequenzen einer periodisch angelegten Dunkelfeldstudie, in:
N. Guzy, C. Birkel, & R. Mischkowitz (Hrsg.), Viktimisierungsbefragungen in Deutschland.
Band 1: Ziele, Nutzen und Forschungsstand. Wiesbaden, S. 90 – 106.
Kreuter, F. (2002): Kriminalitätsfurcht: Messung und methodische Probleme. Opladen.
Krohne, H.W. (2010): Psychologie der Angst: ein Lehrbuch. Stuttgart.
Kunz, K.-L. (2013): Die Unersättlichkeit des Strebens nach Sicherheit. Eine Bedrohung unserer
Freiheit?, in: D. Klimke & A. Legnaro (Hrsg.), Politische Ökonomie und Sicherheit. Wein-
heim, S. 28 – 43.
Kunz, K.-L. (2004): Kriminologie: eine Grundlegung. 4. Aufl. Bern.
Kunz, K.-L. (1995): Die Innere Sicherheit: Schlüsseldimension einer neuen Kriminalpolitik, in:
S. Bauhofer & P.-H. Bolle (Hrsg.), Innere Sicherheit – Innere Unsicherheit? Kriminologische
Aspekte. Chur, S. 327 – 340.
Kunz, K.-L. & Singelnstein, T. (2016): Kriminologie: eine Grundlegung. 7. Aufl. Bern.
Kunz, T. (2005): Der Sicherheitsdiskurs: Die Innere Sicherheitspolitik und ihre Kritik. Biele-
feld.
Kury, H., Dörmann, U., Richter, H. & Würger, M. (1992): Opfererfahrungen und Meinungen zur
Inneren Sicherheit in Deutschland. Ein empirischer Vergleich von Viktimisierungen, Anzei-
geverhalten und Sicherheitseinschätzung in Ost und West vor der Vereinigung. Wiesbaden.
Kury, H., Lichtblau, A., Neumaier, A. & Obergfell-Fuchs, J. (2004): Zur Validität der Erfassung
von Kriminalitätsfurcht. Soziale Probleme 15/2, S. 141 – 165.
Kury, H. & Obergfell-Fuchs, J. (2003): Kriminalitätsfurcht und ihre Ursachen. Der Bürger im
Staat 52/1, S. 9 – 18.
Lange, H.-J., Behr, R., Gusy, C., Kutscha, M., Liebl, L., Nitschke, P. & Prätorius, R. (1998):
Memorandum zur Entwicklung der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland.
(Interdisziplinärer Arbeitskreis Innere Sicherheit – AKIS). Regensburg.
256 Harald Arnold

Lange, H.-J., Ohly, H.P. & Reichertz, J. (Hrsg.) (2008): Auf der Suche nach neuer Sicherheit:
Fakten, Theorien und Folgen. Wiesbaden.
Lange, H.-J., Wendekamm, M. & Endreß, C. (2014): Dimensionen der Sicherheitskultur. Wies-
baden.
Legnaro, A. (1997): Konturen der Sicherheitsgesellschaft: Eine polemisch-futurologische Skiz-
ze. Leviathan 25/2, S. 271 – 284.
Marquard, O. (2000). Philosophie des Stattdessen: Studien. Ditzingen.
Münch, H. (2019): Vorwort, in: C. Birkel, D. Church, D. Hummelsheim-Doss, N. Leitgöb-Guzy.
& D. Oberwittler (Hrsg), Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017: Opfererfahrungen, kri-
minalitätsbezogene Einstellungen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und Krimina-
lität in Deutschland. Wiesbaden, S. III–IV.
Murck, M. (1980): Soziologie der öffentlichen Sicherheit: Eine staatliche Aufgabe aus der Sicht
der Bürger. Frankfurt.
Musahl, H.-P. (1997): Gefahrenkognition: theoretische Annäherungen, empirische Befunde
und Anwendungsbezüge zur subjektiven Gefahrenkenntnis. Heidelberg.
Narr, W.-D. (1977): Die Bundesrepublik – Kontur einer angstvollen Versicherungsgesellschaft,
in: W.-D. Narr (Hrsg.), Wir Bürger als Sicherheitsrisiko. Berufsverbot und Lauschangriff;
Beiträge zur Verfassung unserer Republik. Reinbek bei Hamburg, S. 19 – 57.
Noack, M. (2015): Methodische Probleme bei der Messung von Kriminalitätsfurcht und Vikti-
misierungserfahrungen. Wiesbaden.
Obergfell-Fuchs, J. (2016): Überblick über existierende Opferbefragungen, in: N. Guzy, C. Bir-
kel & R. Mischkowitz (Hrsg.), Viktimisierungsbefragungen in Deutschland. Band 1: Ziele,
Nutzen und Forschungsstand. Wiesbaden, S. 63 – 87.
Obergfell-Fuchs, J. & Kury, H. (1996): Sicherheitsgefühl und Persönlichkeit. Monatsschrift für
Kriminologie und Strafrechtsreform 79/2, S. 97 – 113.
Ohly, H.P. (2008): Die Innere Sicherheit im Spiegel der deutschsprachigen Literatur, in:
H.-J. Lange, H.P. Ohly & J. Reichertz (Hrsg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit: Fakten,
Theorien und Folgen. Wiesbaden, S. 377 – 392.
Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten [RatSWD] (2009): Optimierung des bestehenden krimi-
nalstatistischen Systems in Deutschland. Baden-Baden.
Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten [RatSWD] (2020): Weiterentwicklung der Kriminal- und
Strafrechtspflegestatistik in Deutschland. Berlin.
Reichow, D., Restel, H. & Friemel, T.N. (2020): Die Verwendung von Geolokalisierungsdaten in
der Mobile Experience Sampling Method – Die Erhebung des in situ-Sicherheitsempfindens
im öffentlichen Personenverkehr, in: L. Gerhold (Hrsg.), Sicherheitsempfinden, Sicherheits-
kommunikation und Sicherheitsmaßnahmen. Ergebnisse aus dem Forschungsverbund WiSi-
ma. Berlin, S. 87 – 102.
Reuband, K.-H. (2000): Der Standardindikator zur Messung der Kriminalitätsfurcht. In „spek-
takulärer“ Weise unspezifisch und in der Praxis dennoch brauchbar? Monatsschrift für Kri-
minologie und Strafrechtsreform 83, S. 185 – 195.
Un-/Sicherheit: Äußere Realität und innere Welt 257

Riebel, M. (2020): Die Corona-Krise als Ursache häuslicher Gewalt? Neue Kriminalpolitik 32/
3, S. 304 – 320.
Schmidt-Atzert, L., Peper, M. & Stemmler, G. (2014): Emotionspsychologie. Ein Lehrbuch.
2. Aufl. Stuttgart.
Schwind, H.-D. (2003): Die Angstgesellschaft – Über Viktimologie als praxisrelevantes For-
schungsgebiet, in: R. Egg & E. Minthe (Hrsg.), Opfer von Straftaten: Kriminologische, recht-
liche und praktische Aspekte. Wiesbaden, S. 37 – 56.
Schwind, H.-D., Ahlborn, W. & Weiß, R. (1978): Empirische Kriminalgeographie: Bestandsauf-
nahme und Weiterführung am Beispiel von Bochum („Kriminalitätsatlas Bochum“). Wies-
baden.
Schwind, H.-D., Fetchenhauer, D., Ahlborn, W. & Weiß, R. (2001): Kriminalitätsphänomene im
Langzeitvergleich am Beispiel einer deutschen Großstadt: Bochum 1975 – 1986 – 1998. Neu-
wied.
Sessar, K. (2006): Warum man abends nicht das Haus verlässt. Kriminologische Ergebnisse aus
einem europäischen Forschungsprojekt zu Unsicherheiten in Großstädten, in: J. Obergfell-
Fuchs & M. Brandenstein (Hrsg.), Nationale und internationale Entwicklungen in der Kri-
minologie. Frankfurt am Main, S. 265 – 294.
Singelnstein, T. & Stolle, P. (2012): Die Sicherheitsgesellschaft: Soziale Kontrolle im 21. Jahr-
hundert. 3. Aufl. Wiesbaden.
Sperber, M. (1978): Individuum und Gemeinschaft: Versuch einer sozialen Charakterologie.
Stuttgart.
Steinmüller, K., Gerhold, L. & Beck, M.-L. (Hrsg.) (2012): Sicherheit 2025. Berlin.
Stephan, E. (1976): Die Stuttgarter Opferbefragung. Eine kriminologisch-viktimologische
Analyse zur Erforschung des Dunkelfeldes unter besonderer Berücksichtigung der Einstel-
lung der Bevölkerung zur Kriminalität. Wiesbaden.
Sticher, B. (2015): Wie viel Unsicherheit ertragen wir?, in: S. Steiger, J. Schiller & L. Gerold
(Hrsg.), Sicherheitsforschung im Dialog. Beiträge aus dem Forschungsforum Öffentliche Si-
cherheit. Frankfurt am Main, S. 94 – 114.
Teske, R.H.C. & Hazlett, M.H. (1988): A scale for the measurement of fear of crime. American
Journal of Criminal Justice 12/2, S. 274 – 292.
Thoma, K. (2010): Positionspapier des wissenschaftlichen Programmausschusses zum nationa-
len Sicherheitsforschungsprogramm. Freiburg.
Windemuth, D. (2012): Sicherheitspsychologie, in: W. Eichendorf & J. Hedtmann (Hrsg.), Pra-
xishandbuch Verkehrsmedizin: Prävention, Sicherheit, Begutachtung. Wiesbaden, S. 116 –
123.
Winzer, P., Schnieder, E. & Bach, F.-W. (Hrsg.) (2010): Sicherheitsforschung – Chancen und
Perspektiven. Berlin.
Ziegleder, D., Kudlacek, D. & Fischer, T. (2011): Zur Wahrnehmung und Definition von Sicher-
heit durch die Bevölkerung. Erkenntnisse und Konsequenzen aus der kriminologisch-sozial-
wissenschaftlichen Forschung. Berlin.
258 Harald Arnold

Zoche, P., Kaufmann, S. & Arnold, H. (Hrsg.) (2016): Grenzenlose Sicherheit? Gesellschaftli-
che Dimensionen der Sicherheitsforschung. Berlin.
Zoche, P., Kaufmann, S. & Arnold, H. (Hrsg.) (2015): Sichere Zeiten? Gesellschaftliche Dimen-
sionen der Sicherheitsforschung. Berlin.
Zurawski, N. (Hrsg.) (2007): Sicherheitsdiskurse. Angst, Kontrolle und Sicherheit in einer „ge-
fährlichen“ Welt. Frankfurt am Main.
II. Kriminologie und Kriminalpolitik –
Criminology and Crime Policy
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine
A Call for Global Criminology

By John A. Winterdyk

Preamble
I had the pleasure of meeting Professor Albrecht for the first time in the early
1990s while conducting an accredited Criminology Study Tour in Europe with
some of my students from Mount Royal University. Although I was then a relative
neophyte to criminology, having just completed my Ph.D. defence, the reputation of
the Max Planck Institute (MPI) in Freiburg was already somewhat known to me.
However, I was unfamiliar with Professor Albrecht and his work.
During the Study Tour visit, Hans-Jörg Albrecht was kind enough to attend my
guest lecture at the institute. He had not yet become Director of the Department
of Criminology but based on our exchange and the questions he raised; it was abun-
dantly clear to me he was an ‘up and coming star.’ I remember thinking he was some-
one I would like to stay in contact with.
As good fortune would have it, we were able to keep in touch and collaborate on
several projects – despite his rapid and impressive rise to academic ‘stardom.’ Over
the years, we have had many wonderful exchanges, and with each transaction, my
knowledge and respect have only grown. Over the years, I was also fortunate to
have been awarded several visiting positions at the MPI. While there, I was able
to meet with Hans-Jörg Albrecht and get to know a host of the other exceptional
scholars. Such intellectually rich and stimulating opportunities make the MPI a de-
sired destination for aspiring academicians and established scholars alike. In my
humble estimation, it is one of the premier scholarly institutes globally, and its
two Directors have largely informed its reputation – one being Hans-Jörg Albrecht,
who served as the Director of the criminology department from 1997 until 2019.
Since it is beyond the scope and purpose of this chapter entry to provide an account
of Hans-Jörg Albrecht’s considerable contributions to criminology, the following ar-
ticle offers my reflections on some of his visionary ideas.
262 John A. Winterdyk

1. Introduction
For me, one of Hans-Jörg Albrecht’s most admirable attributes is his vast knowl-
edge about criminological and criminal justice issues within an international global
context. Without presuming to detract, undermine, or challenge his experience or in-
sights, I would like to share some critical observations on the development of crim-
inology that have been informed (directly and indirectly) and nurtured over the years
by our various exchanges.
As the founder of Canadian criminology in Montreal in 1960, Denis Szabo (1929 –
2018),1 once observed, the discipline and study of criminology are not only compa-
ratively young, but criminology itself is also a ‘new profession.’ Szabo further noted
that the then-young field of study would need to demonstrate its scientific rigour for
the discipline to be accepted within the social sciences. Szabo argued that criminol-
ogy is sufficiently distinct from the more established disciplines (e. g., sociology,
psychology, and law), including courses on crime and criminality in their curricu-
lums.
In 1918, the mostly US-based sociologist Maurice Parmelee (1882 – 1969) pub-
lished the first English-language textbook on criminology – aptly titled Criminology.
Parmelee noted that criminology is “a hybrid science,” and hence, “many scientific
methods can be applied in criminological research” (p. 4). Arguably, Parmelee’s
book was ‘before its time’ because the textbook did not receive the same acclaim
as Edwin Sutherland’s (1883 – 1950) book, also titled Criminology, published a
few years later in 1924. The textbook was rewritten and re-released in 1934 under
the title Principles of Criminology. Despite its popularity, Sutherland’s definition
of criminology was much narrower and restrictive than Parmelee’s. Of the eleven
ensuing editions, the last seven were co-authored by the U.S. penologist and sociol-
ogist Donald R. Cressey. They defined criminology as “the body of knowledge re-
garding crime as a social phenomenon” (Sutherland & Cressey 1955, 3).
Sutherland is widely acknowledged as the “father of American criminology,”
while Cressey (1919 – 1987) is considered the founder of the modern study of organ-
ized crime. His book Theft of the Nation: The Structure and Operations of Organized
Crime in America, published in 1969, remains the most widely cited and perhaps also
the most controversial scholarly book on organized crime.
However, despite all the acclaim of Sutherland and Cressey’s work, the term crim-
inology was coined in 1885 as criminologia by the Italian law professor Raffaele
Garofalo (1851 – 1934), himself a former student of Cesare Lombroso (1835 –
1909). Meanwhile, in 1887, the French anthropologist Paul Topinard (1830 –
1911) first used the term in French – criminologie (Schafer 1976). Over time, several
different schools of thought endeavored to explain, understand, and predict crime and
inform criminal justice policy. The two primary schools were the Classical School
1
For an overview of Szabo’s career and contribution to Canadian criminology, see Win-
terdyk 2017.
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 263

(generally associated with Cesare Beccaria) and the Positivist School (commonly
associated with Cesare Lombroso) (see Winterdyk 2020).
Within Germany, the history and evolution of criminology are equally as diverse.
Landecker (1941) provides a thorough account of the development of criminology in
Germany. Tracing its long and enduring influence within a legal context, Landecker
details how such eminent German philosophers as Immanuel Kant (1724 – 1804) and
Georg W.F. Hegel (1770 – 1831), among others, helped forge the purpose and mean-
ing of punishment (i. e., imposed by an authority such as the state, involving some
loss of freedom by the offender, considered a rational response to anti-social behav-
iour/crime and the notion of accountability). Meanwhile, Landecker also points out
that from a psychological perspective, German-speaking scholars such as Sigmund
Freud, Ernst Kretchmer, and Alfred Adler all helped to inform and forge the German
identity of criminology. Arguably, German criminology was not only eclectic but
both multi-disciplinary and interdisciplinary in its evolution.
Nonetheless, the German sociologist Franz Exner (rightly or wrongly) introduced
the American sociological perspectives unfolding circa 1920 – 30s to German schol-
ars (Landecker 1941). However, as the former Indiana University School of law pro-
fessor Jerome Hall (1947) once pointed out, “criminology is synonymous with the
‘sociology of criminal law’ […] as its meaning is given by ‘the rules of law’” (p. 559).
A review of these early works on criminology reflects the venerated Canadian
criminologist and founder of the School of Criminology at Simon Fraser University
in British Columbia (and a former guest of the MPI) Ezzat Fattah once noted: that
crime is both relative and evolutive (see Winterdyk 2017). These principles are
due, in large part, to the fact that the concept of crime is a social construct. As Fattah
and others have made profoundly clear, what constitutes a crime is subject to soci-
ety’s prevailing norms and values. For example, during my formative years, marijua-
na was illegal, and the punishment for possession, let alone trafficking, was severe.
The prohibition of marijuana in Canada originated in 1908 with the Opium Act, an act
partially motivated by racist attitudes towards Chinese immigrants associated with
opium use (Fearon 2016). Regardless, after almost a century of controversy as to
whether criminalizing it was socially, morally, or ethically right, Canada became
the second nation to decriminalize cannabis in October of 2018, following Uruguay’s
lead had legalized the sale and consumption of marijuana in December 2013.2

2
It is perhaps ironic to note that as early as 1973, the LeDain Commission published a
report “on the non-medical use of drugs and recommended decriminalizing cultivation and
possession of marijuana for personal use. Instead, what followed was nearly thirty years of
prohibition” (Fearon 2016). Part of the Final Report of the Commission of Inquiry into the
non-medical use of drugs (Gerald LeDain) is available at https://archive.org/details/Le
DainCommissionIntroTofCToPg62 [23. 12. 2019].
264 John A. Winterdyk

2. Comparative Criminology: First Generation ‘Crime Control’


Within the English context, the concept of comparative criminology can be traced
to the work of German-born Gerhard Mueller (1926 – 2006)3 who, in addition to
many other accomplishments,4 was a pioneer in comparative and international crim-
inology (Bassiouni 2006). Harry Dammer (2014) describes Mueller as the “father of
international/comparative criminal justice.” However, somewhat ironically, there is a
shortage of textbooks on comparative/international criminology.
Nonetheless, most of the comparative/international criminology textbooks that do
exist have evolved into multiple editions. American scholars such as Dammer and
Albanese (2014), Pakes (2015), and David Nelken (2010) have authored or edited
some of the more notable and enduring comparative criminology/criminal justice
books.5 Perhaps one of the more successful textbooks is one by Philip Reichel,
who published his seventh edition in 2018: Comparative criminal justice systems:
A topical approach. Another essential comparative justice textbook, which went
into its ninth edition in 2015, is Richard Terrill’s World Criminal justice systems:
A comparative survey. Although this is not an exhaustive list, a final textbook
worth mention is Comparative criminal justice systems: Global and local perspec-
tives by Shahid Shahidullah (2012), another American-based scholar, who in 2014
published Comparative criminal justice systems: Global and regional perspectives.
Although most comparative criminology and criminal justice textbooks are quite
recent (i. e., post-mid-1990s), one of the first comparative criminology books was
published in 1965. The book was written by one of the leading criminologists of
his time, the British scholar Hermann Mannheim (1889 – 1974).6 Despite its richness,
the book is difficult to source. However, by comparing sociological and legal per-
spectives, Mannheim helped lay the groundwork for the study of comparative crim-
inology. Mannheim (1965) acknowledged that “our indebtedness to American crim-
inology is immense and lasting, but non-American criminology possesses … [its]
own criminological literature” (p. xi).7 Throughout the textbook, Mannheim
makes a concerted effort to introduce European-based research and literature, there-
3
The International Section of the Academy of Criminal Justice Science (ACJS) has a long-
standing (Mueller) award for a scholar who has demonstrated excellent and original work
around comparative and international criminal justice.
4
See https://www.cairn.info/revue-internationale-de-droit-penal-2006-1-page-9.htm#
[31. 01. 2020].
5
Nelken is a European-based scholar. For a more personal insight into the academic life of
David Nelken, see Winterdyk & Cao 2004.
6
Mannheim was also one of the co-founders of the British Journal of Criminology in 1960.
As Mannheim describes in the Preface to his book, the genesis of the book was, in part,
prompted by “a young girl student who” (upon visiting after class and seeing the extensive
reading list for the course said) … “I am quite willing to read a book on criminology, but it
must be only one, in which I can find everything required” (p. ix).
7
American criminology’s influence is reflected in Mannheim’s edited reader titled: Pio-
neers in criminology, 1973.
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 265

by offering a comparative lens to the full range of topics covered. Meanwhile, another
comparative textbook by Brunon Holyst, published in 1982, never received much at-
tention or acclaim; yet, it represented another early foray into situating the subject of
comparative criminology within the sphere of criminological inquiry. Finally, a
somewhat nuanced comparative approach is found in an edited collection, Compa-
rative Criminology in Asia, by Liu, Travers & Chang (2017). The book has thirteen
chapters over four main sections and begins with a fundamental question: “Why
compare?”. While considered substantial contributions to the criminological litera-
ture, none of these works have received much of a following among the criminolog-
ical or criminal justice academic community.
Even though all these comparative-oriented textbooks have considerable merit
and are noteworthy contributions to the field, apart from Nelken’s book, they tend
to align themselves along conventional lines and are mainly descriptive. Further-
more, when they do provide discussion around crime rates, patterns and trends,
they (almost by necessity) rely on official data, which raises questions-concerns
about reliability and validity for comparative assessment(s) (see Nelken 2010). More-
over, several of the books tend to be American centric, hence limiting or skewing the
implications of some of the comparisons made (see, generally, Carrington, Hogg &
Sozzo 2019). However, according to Field & Nelken (2007), comparative study’s very
essence is to avoid provincialism and ‘self-sealing cultural logics.’ Yet, as James
Robertson, a well-recognized American scholar of comparative criminal justice,
wrote in the Foreword to Shahidullah’s 2012 book, “comparative criminal justice
(criminology) initially received an indifferent reception in the United States” (p. ix).
On measure, most of the material identified above can be divided into one of two
categories. First are those books that tend toward a structural and procedural orien-
tation (e. g., Pakes 2015 and Reichel 2018) with the authors presenting a comparative
overview of the justice system by reviewing how police, courts, and the correctional
system might operate differently across countries. Using illustrative examples, the
authors describe how the various criminal justice systems operate in their respective
countries. Meanwhile, some of the books in the other category approach the compa-
rative analysis differently, applying a ‘template’ to a series of different countries and
describing their criminal justice system elements (e. g., Terrill 2015 and Rounds
1999). Although none of these books offer analytical comparisons, they provide a
rich overview and insight into the respective countries’ criminal justice system.
The lack of any reflective comparative analysis therein may be somewhat justified
if one accepts the arguments put forward by Casey, Jenkins & Dammer (2018) in the
second edition of their book, Policing the world: The practice of international and
transnational policing. Casey et al. suggest that given the challenges of engaging in
comparisons (e. g., language barriers, different reporting and recording methods and
styles, etc.), correlations can be methodologically significant on several levels. How-
ever, the fact remains that crime is universal – with ‘crime control’ (i. e., crime pre-
vention) being the fundamental objective of any criminal justice system, every coun-
266 John A. Winterdyk

try strives to ensure a sustainable sense of public safety. Additionally, every country
seeks to create a healthier society through crime prevention and social justice sys-
tems. To achieve a sustainable community of security, it is paramount to engage
in research that is not solely evidence-based but – to varying degrees – also based
on intranational comparative perspectives and, at times, even on international com-
parisons.
While we might think that comparative criminal justice and comparative crimi-
nology are relatively new ideas, the celebrated French sociologist Emile Durkheim
(1858 – 1917)8 wrote in 1895 that comparative sociology is not only not a branch
of sociology, it is sociology itself! Durkheim reasoned there is no comparative meth-
od per se since any research method can be used to engage in comparisons of any
issue – including those about crime or criminal justice. Similarly, given the influence
of sociology on criminology (e. g., the “Chicago School of Criminology,” which used
the macro-sociological theory of social organization to explain and understand
crime, see Fine 1995) and criminal justice, parallels can be drawn. Yet, criminology
was slow to emerge as a recognized discipline9 exactly because it was not seen to be
part of a sociology program or a law school program; it may have been accounted for
in a few specific classes in a psychology program.
Still, the concept of criminology, let alone comparative perspective criminology,
was nevertheless heavily influenced and informed by some of the pioneers of crim-
inological inquiry. For example, while Franz von Liszt (1851 – 1919) is widely ac-
knowledged as one of Germany’s leading legal and criminological scholars, it was
the preponderance of his work on criminal law that influenced the direction and per-
spective that has dominated most ‘criminology’-oriented programs in Germany. On
this point, Liszt’s Textbook of German Criminal Law reached the lofty status of twen-
ty editions by 1919! Very few criminology or criminal justice textbooks can lay claim
to such longevity.10
My descriptive overview illustrates that while we know, the meaning and focus of
criminal justice and criminology have evolved, its purpose and context are somewhat
relative to geographical location and disciplinary orientation(s). Therefore, it should
8
Durkheim is widely acknowledged as the founder of the French school of sociology.
However, his counterpart, the French philosopher Auguste Comte (1798 – 1857), is credited as
the founder of sociology and of positivism (i. e., knowledge is based on observable and mea-
surable ‘facts’).
9
For example, Canada’s first criminology program was established in 1970 at the Uni-
versité de Montréal in Québec, Canada. Washington State University in Pullman, Washington,
is often acknowledged as being the oldest criminal justice department in the United States.
The department was established in 1943 by V.A. Leonard and was named the Department of
Police Science. Then in 1982 and 2011, respectively, it became the Department of Criminal
Justice, and in 2011, the Department of Criminal Justice and Criminology (Washington State
University 2019).
10
For example, Jeffrey Reiman and Paul Leighton’s semi-classic book The rich get richer,
and the poor get prison ‘only’ went into its 11th edition in 2016. Meanwhile, Sue Titus Reid’s
almost iconic introductory textbook Crime and Criminology went into its 15th edition in 2018.
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 267

come as no surprise that the terminology used has been and continues to remain in-
consistent. However, academicians are increasingly recognizing that the terminology
used to reflect the rapid changes happening within respective fields might not be
keeping pace with the growing complexity and nuances of globalization.
Before I venture into a call for global criminology to become part of mainstream
criminological inquiry, I will use this opportunity to enliven my proposition briefly
by commenting on another ideological perspective that has potentially limited any
wholehearted movement towards an embrace of global criminology as a viable alter-
native for describing the evolving nature of the criminological inquiry. I am referring
specifically to a confluence of the terms interdisciplinary criminology, multi-disci-
plinary criminology, and the occasional use of transdisciplinary criminology.

3. Terminology in the Eyes of the ‘Beholder’


A survey of criminology and criminal justice journals since the early 1960s will
reveal that an increasing number are using the term comparative or international and
interdisciplinary somewhat interchangeably. Of course, this recalls Durkheim’s point
that comparative sociology is sociology and not merely a unique or specific branch.
Regardless, as Hall (1933) observed over eighty years ago, although there is a con-
siderable body of literature on the topics of criminology, comparative criminology,
and international criminology, the discipline is still fraught with semiotic challenges.
This is because the terminology used in criminology is not as exact as the terminol-
ogy used in the formal and natural sciences. While precision alone is not obligatory, a
degree of consistency in the use of terminology is required. There is a need for a more
standardized language reflective of the informed evidence (i. e., research) and not the
personal goal of criminology – the desire to control crime.11 For example, while Win-
terdyk & Cao (2004) focused on some of the pioneers in comparative and internation-
al criminology/criminal justice, they also conflated them when they state: “it is never
too late to embrace or expand ones’ provincial interests into a broader global (em-
phasis added) context” (p. 4).
As sometimes happens, with time, the term ‘comparative’ failed to attract much
attention and was consigned to an ancillary position (Larsen & Smandych 2008).
However, during the 1960s, interest in comparative criminology and criminal justice
gained traction among a growing number of academic scholars. Support for compa-
rative inquiry (re)emerged in the 1960s with such noteworthy journals as the Interna-
11
A long-standing debate about how to resolve the ambiguity concerning the terminology
used in criminology is to pair it with law. Interestingly, many of Europe’s continental countries
offer criminology in their law programs, thus ensuring that the administration informs the
study of crime in criminal law. By contrast, most other countries, in particular, North America
criminology is separated from law and resulting in the establishment of numerous perspectives
by which to inform our understanding of crime. However, it is this very axiom that confuses
the terminology used.
268 John A. Winterdyk

tional Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology, Comparative and


Applied Criminal Justice, and International Comparative Jurisprudence, among
many other. However, while this terminology continues to dominate most of the dis-
course where international comparisons are made, the term today is limiting as it im-
plies that criminological or criminal justice issues are ideologically and conceptually
different in different countries around the world. Overall, as Jenks & Fuller (2017)
and others suggest, traditional comparative approaches are limiting in this era of
globalization. They argue that what is needed is new terminology that is more reflec-
tive of the social, cultural, political, and economic changes in the world and how they
relate to criminology and criminal justice. As will be discussed in the next section,
what is needed is the concept of ‘global criminology.’ I will first offer some commen-
tary on another long-standing term that has dominated criminological discourse: ‘in-
ternational criminology.’

4. What is in a Name: International Criminology


According to Varona & de la Cuesta (2019), international criminology “can be
described as the set of activities related to crime prevention and control, coming
from the academia, public and private institutions and agencies, to join efforts to de-
bate and publish and make policies, addressed to a global audience beyond a single
country” (p. 1). The authors note that internationalism began in the early 19th century
through various important congresses and meetings, mostly in Europe. The Interna-
tional Society of Criminology (ISC), for example, was established in Rome on July
16, 1937, and its co-founders included Agostino Gemelli and Arturo Rocco.12 As time
passed and certain crimes became more global or international, the concept of inter-
national criminology became more pliable and dynamic. For example, Varona & de
la Cuesta observed that “international crimes (e. g., genocide, crimes against human-
ity, crimes of war and, to a lesser extent, aggression as crime against peace), and
transnational crimes (e. g., corruption, financial crime, terrorism, organized crime,
and its different modalities of illegal trafficking, cyber-attacks, and crimes against
the environment) […] are the subject matter of international criminology” (p. 29).
Varona & de la Cuesta go on to point out that there are two distinct trends within
this perspective. One trend is “how to balance the cultural differences among all the
countries and the myriad of interests involved in constructing an international crim-
inology” (p. 1). Arguably, one could add social, economic, and political differences
as well since they help to define and describe ‘what is’ as opposed to ‘what ought to
be.’ However, this then seems to beg the question, ‘who says what ought to be?’
Secondly, Varona & de la Cuesta argue that international criminology contends
with “the increasingly diffuse borders between police, intelligence agencies, and

12
The ISC held its 19th World Congress in Doha, Qatar, in October 2019 and celebrated the
organization’s 80th anniversary.
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 269

military forces; crime control and war; or internal and external security” (p. 1). How-
ever, they go on to point out that an international criminology remains a relevant form
of criminological inquiry even when limited to describing criminological or criminal
justice events and activities (e. g., crime prevention, crime control, and the adminis-
tration of justice, as well as to inform policy), but such topics as “war and economic
abuse of power across borders have been quite forgotten” (p. 2). Hence, with the in-
crease of such global threats, there is a need for a globalization of justice that can be
best addressed by embracing a global criminology framework.
In the latest edition of their book Policing the World, Casey, Jenkins & Dammer
(2018) discuss how policing has dramatically changed, in the eight years following
the first edition (2010) of Policing the World, to have become more concerned and
involved with international and transnational crimes since the first publication of
their book. In their Introduction to this latter, the authors point out that “human in-
stitutions are ever-globalizing” (p. xv). Yet, almost ironically, in their second edition,
the authors point out that the book focuses on “the globalization of policing and not
the globalization of crime” (p. 6). Although the book is international in scope, the
book embraces a comparative framework by highlighting three countries’ policing
systems: Belize, Norway, and Uganda. However, concerning the concept of interna-
tionalism, the book remains mostly descriptive and normative.
Finally, Casey et al. (2018) conclude their Introduction by declaring they have
used “the twin terms of international and transnational purposely to avoid these def-
initional debates” (p. xxii). This is a trend found in several other comparative-inter-
national scholarly works (e. g., Reichel & Albanese 2014), which further reinforce
the observation made several decades earlier by Jerome Hall (1933) about the (un-
intentional) confusion of terminology used to describe criminological research that
transcends a local or national focus.
Just as with the term ‘comparative criminology,’ an abundance of journals use ‘in-
ternational’ in their journal titles, such as, among other, the International Criminal
Justice Review, the Journal of International Criminal Justice, the International Jour-
nal of Law, Crime and Justice, and the International Review of Victimology. Similar-
ly, there is no shortage of textbooks and reference works that include ‘International’
in their titles: Routledge Handbook of International Criminology, International
Criminology: A Critical Introduction, International Crime and Justice, and Rout-
ledge International Handbook of Sexual Homicide Studies, Routledge International
Handbook of Human Trafficking, The Palgrave International Handbook of Human
Trafficking, among a growing list of others.
One can hardly deny the fact that crime has evolved and expanded to become in-
creasingly more transnational and international (see, for example, van Dijk 2008).
Likewise, we have also been witness to the proliferation not only of international
law enforcement agencies (e. g., Europol, Interpol, UNPol, etc.) but also international
judicial bodies (e. g., the ICTY, ICTR, the Special Court for Sierra Leone, the Special
Tribunal for Lebanon, and the ICC, to name but several of the key ones). Finally, sev-
270 John A. Winterdyk

eral specialized international prison facilities, such as the U.S-held military prison at
Cuba’s Guantanamo Bay and a growing number of (illegal) migration detention fa-
cilities around the world.13
Clearly, is not only the discipline of criminology evolving, but also the language
used to describe crime and the different cooperative, collaborative, or joint processes
being employed to address its growing complexity is also changing. As described
above, we have tended to rely on the conventional terms of international and trans-
national when examining crime or criminal justice systems (or sub-components of
the system). However, as has been well documented by most comparative/interna-
tional/transnational scholars, traditional comparisons must also contend with several
other practical challenges, including the following:
• Varying definitions of crime between countries.
• Language barriers. Although an obvious limitation and challenge, it is a real con-
cern when trying to ensure accurate international comparisons. Unless multilin-
gual partnerships are formed or unless the researcher is multilingual, the research
is – by default – limited in scope. In a recent study by Sharapov (2019), his survey
had to be translated into six different languages, and, he has acknowledged in per-
sonal communications that this presented several fundamental methodological
challenges.
• Reliability in the collection and measurement of crime. Not only do the detection
and recording practices of crime vary between countries, but – depending on the
available resources, definitions and ideological barriers, reporting and recording
methods, and administrative variations – comparative studies too can be confront-
ed with practical challenges (see, for example, Marmo & Chazal 2016; Nelken
2010).
• Expert fallibility. When engaging in criminological or criminal justice research
outside of one’s own country, you often must contend with the varying quality
of work and research reliability by foreign scholars. As the distinguished British
scholar David Farrington (2004) once warned, “for those who are contemplating
comparative cross-national studies […] choose your collaborators carefully”
(p. 102).
• The general limitation of the methodology itself. Although scholars like Richard
Bennett (2004) have developed several types of international and comparative re-
search methodologies in use, there are no standardized methods in the existing lit-
erature, thereby limiting each one’s findings’ reliability and generalizability.
Finally, in examining the controversy and confusion surrounding the terminology
used to describe non-traditional criminological inquiry, Bayley (1996) argued that
comparative criminology is a misnomer because the term comparative “has been
made synonymous in academic circles with ‘foreign’” (p. 241). Meanwhile, Friday

13
See https://www.globaldetentionproject.org [23. 12. 2019].
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 271

(1996) proposed that the term comparative could carry a pejorative connotation and
value judgement, as reflected above in the discussion of some of the leading compa-
rative textbooks. Consequently, both Bayley and Friday preferred to use the word in-
ternational, which arguably implies that if one finds a difference at the international
level, then there is a difference! An interesting ‘compromise’ to the relative merit of
using the term ‘international’ or ‘comparative’ was given by the title of the now-de-
funct journal, International Journal of Comparative Criminology.
In the next section, we will shift the focus to globalization and crime. Besides,
although not without its limitations, it will be suggested that in addition to a need
to refine the terminology we use in criminology, there is a clear justification for ‘glob-
al criminology’ to become part of the criminological lexicon.

5. Globalization and Crime14


The term globalization,15 used to describe the rapid social and cultural changes in
our contemporary world, has become omnipresent. The term has become synony-
mous with the process as much as what it represented (Jeffery 2002); however, it
has also tracked polarized opinions. Those in the anti-globalization movement –
such as environmentalists, anarchists, unionists, the hard left, and those campaigning
for equitable development in poorer countries – tend to view globalization as a mech-
anism by which wealthier countries exploit weaker nations. Their solution to the per-
ceived negative consequences of globalization is to dismantle it. Conversely, those
who support the spread of globalization do so because it promotes the notion of
free markets and free trade into the developing world. In turn, this is seen to be
the best way to address poverty (i. e., the first Sustainable Developmental Goal of
the UN). According to the World Bank data, the number of people living in extreme
poverty has been declining since the late 1990s (World Bank 2016). Whether this can
be attributed to globalization is uncertain, but it may contribute to the trend.
Globalization has also impacted criminology in that while international and com-
parative textbooks and articles still dominate the national or continental approaches,
the focus of global criminology as a field of inquiry is to look at crime and criminal
justice issues that are not only foreign in their scope, but also include multiple legal
jurisdictions. The spirit of global criminology should be to offer a worldly perspec-
tive. However, a literature review reveals that – as with international, comparative,
and transnational crime – global criminology lacks a clear and universal definition.
14
Although this chapter limits its focus to the effects of globalization, several other com-
peting theories have been created to explain comparative criminal justice models and com-
parative criminological issues. They include the modernization theory, civilization theory, and
world-system theory (see Shahidullah 2014) for further clarification.
15
Although most might think that globalization is a relatively new term, it was first coined
in the 1930s and popularized by former Harvard Business School professor Theodore Levitt in
1983 (Levitt 1983).
272 John A. Winterdyk

Given the social and cultural changes that have been attributed to the effects of glob-
alization, there is a need for a refined interpretation of the term so that it can become a
mainstay perspective by which to examine global and transnational crime.
The call for a global criminology perspective is not new. In the late 1960s, the re-
nowned American scholar Leonard Joseph Hippchen (1978) suggested we adopt the
term “world criminology” to capture the growing spirit of interest in comparative
criminology. Hippchen indicated that the nuanced social and political influences,
as well as the impact of globalization, behooved criminology and criminal justice
to “discover and develop new approaches of inquiry” (p. 95). Although a subjective
assessment, it is unfortunate that the terminology was never widely embraced. How-
ever, around the same time, the term ‘comparative criminal justice’ started to gain
more traction with the emergence of several international and comparative journals
(see above). Given the relative newness of criminology as an independent discipline
and our understanding of the complexity of crime and criminal justice systems, the
notion of a world criminology was arguably constrained by American viewpoints and
American scholars profoundly influenced most of the existing literature and theories
of crime. An observation by the esteemed American scholar Piers Beirne would ap-
pear to support this assertion. In the Foreword to a book edited by Larsen & Sman-
dych (2007), Beirne commented on the need for a global criminology outlook and
pointed out that the way comparative research was being conducted could be char-
acterized as America “trying to sell their findings” and promote their ideas (p. ix).
However, with the passage of time and a growing body of discourse and research
around the evolving nature of crime (e. g., conventional, non-conventional, transna-
tional, and global), global criminology has the potential to offer a transnational ex-
amination of both deviance and social control around the world (Jenks & Fuller
2017). Borrowing from the ideas of the American physicist and philosopher Thomas
Kuhn (1962), the discipline is clearly ready, if not overdue, for a ‘paradigm shift.’

5.1. Global Crime

As already discussed, the evolving nature of crime has fostered the emergence and
recognition of what is sometimes referred to as ‘global crime’. The term global crime
appears to have evolved from the broader term ‘transnational organized crimes’ (see
Nelken 2010). The terminology originated in the mid-1970s when the United Nations
used the term to identify certain criminal activities that transcend national jurisdic-
tions (Peace Palace Library 2019). Then in 1995, the UN recognized 18 different
types of transnational crime and, independently of the UN initiatives, established
the journal Transnational organized crime, which kept its name from 1995 until
2004 when it was changed to Global Crime. The journal publishes four issues per
year, but each issue tends to have fewer than five articles and has an impact ranking
of 1.18 in 2018.
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 273

As Jenks & Fuller (2017) point out, the concept of global crime recognizes that
crime is varied in its expression and that its various manifestations (i. e., extent and
nature) are influenced by geography, political systems, different levels of economic
development, as well as climate and culture among other factors. Because of the
myriad of variables, Jenks & Fuller suggest it may be “difficult to compare across
borders” (p. xvii). Similarly, Jaishankar & Ronel (2013) note that global crime is
“an emerging field covering international and transnational crimes that have not tra-
ditionally been the focus of mainstream criminology or criminal justice” (p. xvi).
Such crimes have also been referred to as ‘non-conventional’ crimes since they typify
crimes that had either not yet been recognized or did not exist at some point in history.
Such crimes include, among others, cybercrime and terrorism. However, Giddens
(1990), among other scholars in the early 1990s, began to discuss how ‘globalization’
(i. e., referring to the growing interconnectedness of social life and social relation-
ships throughout the world) helped to draw attention to the fact that the increasing
interdependence of countries, cultures, and societies created a fertile ground for
what is now commonly referred to as ‘global crime.’ In the late 1990s, Castells
(1998) identified four primary forms of global crime. They included:
1. the drugs trade,
2. people trafficking,
3. cybercrimes,
4. international terrorism.
However, as we try to grapple with the ever-expanding nature and diversity of
crime (see van Dijk 2008; Jenks & Fuller 2017; Reichel & Albanese 2014), we
have increasingly recognized that although most criminal justice systems still
focus on conventional-type crimes, the growing awareness and significance that
transnational-global crime has on global economy, politics, and public safety has
rightfully garnered both national and international attention. For example, illegal
drug trade and people trafficking are among the top three most profitable crimes
in the world. Meanwhile, cybercrime is rapidly (see Grabosky 2016) growing as
well and given the power of technology is increasingly becoming a means by
which many other types of crime are being committed, such as identity theft,
fraud, recruitment of people for radicalization or trafficking, smuggling, trafficking
in counterfeit goods, and transnational environmental crimes.
While criminology and criminal justice scholars are increasingly embracing com-
parative criminology as a subject area worthy of research and instruction, ironically,
most graduate and undergraduate criminology programs only offer these courses as
electives – if they even offer such courses – as opposed to being required courses.
Furthermore, comparatively few schools specialize in comparative criminology or
comparative criminal justice programs, one of the oldest such programs being the
International Centre for Comparative Criminology (ICCC) at the Université de Mon-
tréal in Québec, Canada. Meanwhile, Bangor University in northern Wales offers an
274 John A. Winterdyk

MA and post-graduate courses in comparative criminology and criminal justice. In


contrast, the University of London offers an MA in comparative criminal justice pol-
icy. In addition to there being but a smattering of such programs around the world,
comparatively, there is also a dearth of comparative textbooks, let alone global crime
textbooks, to help fill the void and growing appetite for this sub-field of criminology
and/or criminal justice and thus risking further entrenching the noted terminology ill.

5.2. Global Criminology: Proof in the Pudding

Although the movement towards a global criminology may be slow to evolve, we


can find several examples that suggest that the paradigm shift or an expansion of the
‘criminological imagination’ as Barton et al. (2006) calls for, is (finally) happening
in criminology. For example, Utrecht University in the Netherlands offers a Master’s
in global criminology. The curriculum includes, among other, critical reflections on
criminology, cultural criminology; human trafficking; mobility; migration and or-
ganized crime; and research and thesis trajectory in global criminology. The program
has a healthy cohort of instructors and an international group of students. Another
European university that offers studies in global criminology is the University of Co-
penhagen in Denmark. The university has a Centre for Global Criminology. In addi-
tion to providing an array of transnational crime courses (e. g., genocide, human traf-
ficking, state crimes, and crimes of the powerful), it focuses on green criminology –
one of the relatively new and emerging global crime concerns.
Then, in addition to several of the global criminology books that have been ref-
erenced in this chapter, there is the newly launched Global Journal for Criminolog-
ical and Criminal Justice Research. Though at the time of preparation of this chapter,
the publication had not yet published its first issue, the journal title is suggestive of
the growing awareness and implication of globalization. While international and
comparative criminological research has been with us since the early-mid 1980s,
these fields are no longer able to accommodate or address the growing, and dramatic,
shift towards the substantial changes in the world(’s) crime – see above.
Globalization and the proliferation of transnational crime have blurred the former
distinct boundaries that limited criminological enquiry to local, regional, and to some
extent, comparative and international research. Furthermore, there is growing dis-
course among various scholars, especially outside of the northern hemisphere and
western world, calling for a paradigm shift in view, study, and research crime. For
example, Liu (2017) has somewhat convincingly argued and demonstrated through
research that the dominant western perspectives used to explain, understand, and pre-
dict crime do not work well within an Asian context. Similarly, Carrington et al.
(2016) offer a similar assessment and promote what they refer to as southern crim-
inology, which they claim might be useful in contributing to informed responses to
global justice and security. Finally, the Stockholm Prize in Criminology winner of
2012 and former President of the World Society of Victimology (1997 – 2000),
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 275

Jan van Dijk (2008) suggests that global criminology and criminal justice “is not only
a priority for developmental reasons. Of course, it is also dictated by the increasingly
global nature of conventional and emerging security threats” (p. 318). With the world
at risk of victimization by the growing prevalence of transnational crime, these
threats need to be addressed not by the conventional means we have relied on for
centuries, but by embracing a global perspective. For example, the ‘rule of law’ is
commonly said to be the cornerstone for any civilized and safe state. However,
with the spread of globalization and the blurring of borders, it raises serious concern
about our capacity to ensure the conventional rule of law’s ability to address global
crime.
Nonetheless, global criminology is an approach that allows us to examine the fun-
damental contradictions between globalization and national sovereignty (Jenks &
Fuller 2017). In doing so, it creates international and transnational criminal justice
processes (see Warren & Palmer 2015). Furthermore, as Mannheim (1965) pointed
out, being a non-legal discipline, criminology warrants a global approach while the
study of criminal law is still largely “parochial in its outlook” (p. 21).

6. Conclusion
In this chapter, I have attempted to justify the need for criminologists to recognize
global criminology as an essential perspective within the discipline. As an emerging
field of inquiry, global criminology remains on the fringe of most criminology and
criminal justice programs. I advocated that the concept of crime and the social con-
text in which crime currently expresses itself has transcended the more conventional
approaches of comparative and international criminology. Not that these perspectives
do not still have value, because they do have a dynamic role to play. However, given
the impact of globalization and the rapid growth and diversification of international
and transnational crime, a new ‘paradigm’ should play a more significant role in the
criminological inquiry. Hence, global criminology can no longer be a fringe sub-cat-
egory or be a “luxury for those who have achieved sufficient status to enable them to
travel or as a perk […] for some other activity” (Adler 2011, xxix).
Hence, a call for greater recognition of global criminology was framed within the
context that most formal/conventional initiatives for dealing with international and
transnational crime involve attempts to forge co-operation between established sov-
ereign justice institutions in different nations. Furthermore, the prosecution of for-
eign nationals16 reveals the human impacts of this complex and legally technical
structure. As Jones (2016), among others, points out, these prosecutions expose
those accused to unaccustomed police investigative procedures, legal processes

16
For further details about the relative impact of the International Criminal Court (ICC) see
the Journal of International Criminal Justice; https://academic.oup.com/jicj/pages/special_is
sues [23. 12. 2019]. For a controversial assessment of the ICC, see Jones 2016.
276 John A. Winterdyk

and possibly unfair punitive forms of punishment. Therefore, since global criminol-
ogy discusses the relationship between the ICC and domestic justice in dealing with
dire types of atrocity crimes, it is a more pragmatic and logistical perspective by
which to explain, describe, understand, and ultimately inform relevant policy.
Finally, the debate of whether global criminology can, or will, become a mainstay
perspective in criminology remains to be seen. Part of the challenge will be to oper-
ationalize the different modes of inquiry that currently populate the discipline. It is
essential to be more precise in what we mean by international, comparative, trans-
formative criminology and understand how they are not as comprehensive in their
approach as global criminology. They are less adept at accounting for the effects
of globalization on crime. Global criminology has the potential to not only under-
stand and explain global and transnational crimes, but to ultimately inform effective
policy that will reduce crime – be it local, regional, national, or transnational. To this
point, reputable scholars such as John Muncie (2005) have called for the globaliza-
tion of crime control, while other well-recognized scholars such as Adler, Mueller,
Laufer & Grekel (2008) have also encouraged us to be more globally-minded.
In closing, I would like to paraphrase the esteemed American criminologist and
founding ‘father’ of CPTED (crime prevention through environmental design), Clar-
ence Ray Jeffery (1921 – 2007): the Classical School said, “reform the law” while the
Positivist School said, “reform the man.” Global criminology might say, “reform the
global community.”

References

Adler, F. (2011): Foreword, in: C.J. Smith, S.X. Zhang & R. Barberat (eds.), Routledge Hand-
book of International Criminology. New York.

Adler, F., Mueller, G.O., Laufer, W. & Grekel, J. (2008): Canadian Edition: Criminology. To-
ronto.

Barton, A., Corteen, K., Scott, D. & Whyte, D. (2006): Expanding the Criminological Imagi-
nation. London.

Bassiouni, M.C. (2006): In memoriam. Gerhard O.W. Muller March 15, 1926 – April 21, 2006.
Revue International de Droit Penal 77/1 – 2, pp. 9 – 10.

Bayley, D.H. (1996): Policing: The world stage. Journal of Criminal Justice Education 7,
pp. 241 – 251.

Bennett, R. (2004): Comparative Criminology and Criminal Justice Research: The state of our
knowledge. Justice Quarterly 21/1, pp. 1 – 21.

Carrington, K., Hogg, R. & Sozzo, M. (2016): Southern criminology. The British Journal of
Criminology 56/1, pp. 1 – 20.

Casey, J., Jenkins, M. & Dammer, H. (2018): Policing the World: The Practice of International
and Transnational Policing. 2nd ed. Durham.
Putting a ‘New’ Label on an Old Bottle of Wine 277

Castells, M. (1998): The global criminal economy, in: E. McLauglin, J. Muncie & G. Huges
(eds.), Criminological perspective: Key readings. London.
Dammer, H. & Albanese, J. (2014): Comparative criminal justice systems. 2nd ed. Los Angeles.
Durkheim, E. [1895] (1982): The rules of sociological method: and selected texts on sociology
and its method. London.
Farrington, D. (2004): Reflections on a cross-national criminological career, in: J. Winterdyk &
L. Cao (eds.), Lesson from international/comparative criminology/criminal justice. Willow-
dale.
Fearon, J. (2016, August 16): Reasonable doubt: the history of marijuana law in Canada. Now;
https://nowtoronto.com/news/history-of-marijuana-law-in-canada-from-opium-dens-to-
shoppe/ [31. 01. 2020].
Field, S. & Nelken, D. (2007): Early intervention and the cultures of youth justice: a comparison
of Italy and Wales, in: V. Gessner & D. Nelkens (eds.), European Ways of Law. Oxford,
pp. 349 – 374.
Fine, G.A. (1995): A Second Chicago School? The Development of a Postwar American So-
ciology. Chicago.
Friday, P. (1996): The need to integrate comparative and international criminology into the tra-
ditional curriculum. Journal of Criminal Justice Education 7, pp. 227 – 239.
Giddens, A. (1990): The Consequences of Modernity. Stanford.
Grabosky, P. (2016): Cybercrime. Oxford.
Hall, J. (1933): “Some basic problems in criminology.” Articles by Maurer Faculty, Paper 1467;
www.repository.law.indiana.edu/facpub/1467.
Hall, J. (1947): General principles of criminal law. Indianapolis.
Hippchen, L.J. (1978): Some Assumptions and Objectives for a World Criminology. Internation-
al Journal of Comparative and Applied Criminal Justice 2/2, pp. 95 – 105.
Holyst, B. (1982): Comparative criminology. New York.
Jaishankar, K. & Ronel, N. (2013): Global Criminology: Crime and Victimization in a Global-
ized Era. Boca Raton.
Jeffery, S. (2002, October 31): What is globalization? The Guardian; https://www.theguardian.
com/world/2002/oct/31/globalisation.simonjeffery [31. 01. 2020].
Jenks, D.A. & Fuller, J.R. (2017): Global crime and justice. New York.
Jones, A. (2016): Insights into an Emerging Relationship: Use of Human Rights Jurisprudence
at the International Criminal Court. Human Rights Law Review 16/4, pp. 701 – 729.
Kuhn, T. (1962): The Structure of Scientific Revolutions. Chicago.
Landecker, W.S. (1941): Criminology in Germany. Journal of Criminal Law and Criminology
31/5, pp. 552 – 575.
Larsen, N. & Smandych, R. (eds.) (2007): Global criminology and criminal justice: Current is-
sues and perspectives. Peterborough.
278 John A. Winterdyk

Levitt, T. (1983): The globalization of markets. Harvard Business Review; https://hbr.org/1983/


05/the-globalization-of-markets.
Liu, J. (2017): The New Asian Paradigm: A Relationship Approach, in: J. Liu, M. Travers &
Y.C.L. Chang (eds.), Comparative criminology in Asia. Cham. [Ch. 2].
Mannheim, H. (1965): Comparative criminology: A textbook. London.
Marmo, M. & Chazal, N. (2016): Transnational crime & criminal justice. London.
Muncie, J. (2005): Criminology (3 volume set). London.
Nelken, D. (2010): Comparative criminal justice. London.
Pakes, F. (2015): Comparative criminal justice. 3rd ed. New York.
Peace Palace Library (2019): Transnational crime introduction. The Hague, NL: The Peace Pal-
ace; https://www.peacepalacelibrary.nl/research-guides/international-criminal-law/transna
tional-crime/ [31. 01. 2020].
Reichel, P. & Albanese, J. (2014): Transnational crime and justice. 2nd ed. Los Angeles.
Rounds, D. (1999): International criminal justice: Issues in a Global Perspective. Boston.
Schafer, S. (1976): Introduction to criminology. Reston.
Shahidullah, S.M. (2012): Comparative criminal justice systems: Global and local perspectives.
Burlington.
Sharapov, K. (2019): Public Understanding of Trafficking in Human Beings in Great Britain,
Hungary and Ukraine. Anti-Trafficking Review 13, pp. 30 – 49.
Sutherland, E.H. & Cressey, D.R. (1955): Principles of criminology. 5th ed. New York.
Szabo, D. (1962 – 1963): Criminology and criminologist: A new discipline and a new profes-
sion. Canadian Journal of Corrections 17/1, pp. 13 – 22.
Terrill, R.J. (2015): World Criminal Justice Systems: A comparative survey. 9th ed. Cincinnati.
Van Dijk, J.J.M. (2008): The world of crime: Breaking the silence on problems of security, jus-
tice, and developments across the world. Los Ángeles.
Varona, G. & de la Cuesta, J.L. (2019): International Criminology: Concept, History, Develop-
ments, and Institutions. Criminology and Criminal Justice. Cambridge.
Warren, I. & Palmer, D. (2015): Global criminology. Pyrmont.
Washington State University (2019): Department of Criminal Justice and Criminology. About
Us; https://crmj.wsu.edu/about-us/.
Winterdyk, J. (2017): Pioneers in Canadian Criminology. Oakville [Ch. 2].
Winterdyk, J. (2020): Canadian criminology. 4th ed. Don Mills.
Winterdyk, J. & Cao, L. (eds.) (2004): Lessons from international/comparative criminology/
criminal justice. Willowdale [Ch. 9.]
Winterdyk, J., Reichel, P. & Dammer, H. (eds.) (2009): A guided reader to research in compa-
rative criminology/criminal justice. Bochum.
Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts
und der Strafverfolgung
Von Karl-Ludwig Kunz

„Sie kennen Frankreich. Wir haben unsere strengen Gesetze – und wir haben unsere Praxis.“
Dupin konnte nicht sagen, ob da Kritik oder Stolz anklang.
Jean-Louis Bannelec, Bretonische Brandung. Kommissar Dupins zweiter Fall. Goldmann,
München. 7. Auflage 2014, 196.

1.
Die Kluft zwischen dem Law on the books und dem Law in action bestätigt die
Einsicht, dass Gesetzesvollzug nicht im Ablauf eines vom Gesetz vollständig vorge-
gebenen Programms besteht, sondern eine vom Gesetz nicht determinierte Eigenleis-
tung der oder des Rechtsanwendenden enthält. Die Rechtsanwendung ist vom Gesetz
unvollständig programmiert. Das Gesetz gleicht dem Kochbuch, welches die Zube-
reitung anleitet, ohne sie vorwegzunehmen. Die nach der Vorlage gekochte Mahlzeit
kann verschieden ausfallen, die Vorlage verfehlen oder gar völlig konterkarieren. Der
Autor des Kochbuchs kann nur mit Varianzen rechnen, ohne sie prognostizieren zu
können. Insofern ist die konkrete Anwendungswirklichkeit eines Gesetzes dem Ge-
setzgeber stets ex ante unbekannt.
Dies gilt nicht nur für Gesetze. Die Differenz normativer Absichten und deren tat-
sächlicher Wirkung wird gewöhnlich dem Problem der unbeabsichtigten Folgen zu-
geordnet. Diese gelten als unerwartet, gewöhnlich als erfahrungswidrig und uner-
wünscht. Sie zu vermeiden, erscheint als naheliegend. Nicht nur die vom Gesetz
nicht vollständig zu determinierende gesetzliche Anwendungswirklichkeit lässt
diese Beurteilung fragwürdig erscheinen. Zweifel an der Vermutung der Unliebsam-
keit unbeabsichtigter Folgen ergeben sich bereits aus der Faszination von Stummfil-
men, die ihre Komik großteils aus perversen Effekten beziehen. Buster Keaton, der
Mann, der niemals lachte, soll im Film Der Sträfling (1924) gehängt werden. Der
Galgenstrick wird jedoch zuvor mit einem elastischen Gummiseil ausgetauscht.
Als Buster mit der Schlinge um den Hals durch die Falltür des Galgens fällt, schwingt
er gut ein dutzend Mal wie ein Jo-Jo rauf und runter. Der verblüffte Wärter wendet
sich mit der Bitte um Entschuldigung an die verärgerten Häftlinge und verspricht:
„Um das wiedergutzumachen, hängen wir morgen zwei von euch.“
280 Karl-Ludwig Kunz

Unbeabsichtigte Folgen von zweckbestimmten Handlungen werden erstmals


1936 von Robert K. Merton systematisch analysiert.1 Diese Folgen können absehbar
oder nicht absehbar sein, sind aber stets ein logisches oder wahrscheinliches Resultat
der Handlung. Als mögliche Ursachen macht Merton Ignoranz, Fehler, kurzfristige
Interessen, die langfristige überlagern, langfristig schädliche Grundüberzeugungen
und selbstzerstörerische Prophezeiungen aus.2
Ganz allgemein sind menschliche Handlungen – und damit auch die Kriminali-
sierungsprozesse – oft nicht erfolgreich final, sondern bewirken Folgen, die von
der Handlungsintention nicht umfasst wurden. Unbeabsichtigt kann ein positiver Ef-
fekt im Sinne eines unverhofften Gewinns eintreten: Der berühmte Kommissar Zu-
fall löst den mysteriösen Fall. Auch ist ein perverser Effekt möglich, der das Gegen-
teil des Handlungsziels bewirkt: Der Versuch, Drogenhandel und -konsum straf-
rechtlich zu unterbinden, verschärft womöglich das Problem eher als es dieses ent-
spannt. Schließlich kann ein negativer Effekt bewirkt werden, wenn das
Beabsichtigte eintritt, aber schädliche Folgen auslöst: Nach verstärkten Sicherheits-
maßnahmen in Banken reduzieren sich die Banküberfälle tatsächlich, nehmen jedoch
durch Überwindung der Sicherheitsvorkehrungen an individueller Gewalt zu; gleich-
zeitig werden die weniger geschützten Tankstellen häufiger überfallen. Mitunter
bleibt ex ante unklar, ob unbeabsichtigte Folgen positiv oder negativ zu bewerten
sind: Der klassischen Nationalökonomie zufolge ist eigeninteressiertes Verhalten
von Individuen dem Wettbewerb und damit dem allgemeinen Wohlstand förderlich;
demgegenüber hat dem spieltheoretischen Gefangenendilemma zufolge die Koope-
ration größere Wohlfahrtseffekte als der Wettbewerb.3

2.
Kriminalpolitik ist – ihrer Herkunft aus der Aufklärung entsprechend – planvoll
und zweckrational. Ihr entspricht das utilitaristische Denken des Konsequentialis-
mus, welches das Strafrecht am Credo ausrichtet, es sei besser, Verbrechen zu ver-
hüten, als sie zu bestrafen.4 Damit wird das Strafrecht über sich hinausweisend dem
gesellschaftspolitischen Anliegen der Prävention als kriminell geltender sozialer Ab-
weichungen unterstellt. Diesen Gedanken aufgreifend und durch Anforderungen an
die – von der gesetzlichen Bestimmtheit abhängig gemachte – Vorhersehbarkeit von
Strafe5 relativierend, macht sich das Marburger Programm Franz von Liszts (1882)
mit der Konzeption des Zweckstrafrechts die umfassende tat- und täterbezogene,
1
Merton 1936. Kriminologisch werden unbeabsichtigte Folgen etwa analysiert in Ko-
vandzic, Sloan & Vieraitis 2002.
2
Merton 1936, 895.
3
Homann & Suchanek 2000, 36 f.
4
Beccaria 1966, orig. 1764, 74, 148 f.
5
Das Strafrecht als „Magna Charta des Verbrechers“, von Liszt 1905, Bd. I, 126 f., Bd. II,
80.
Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts und der Strafverfolgung 281

spezial- und später zunehmend generalpräventive Verbrechensprävention zur Aufga-


be.
Unbeabsichtigte Folgen sind dem finalen utilitaristischen Rationalismus fremd.
Auch im Programm der zweckrational zu gestaltenden Kriminalpolitik ist für unbe-
absichtigte Folgen kein Platz. Sie erscheinen nur als Defizite, die auszumerzen sind.
Dabei braucht sich das Resultat von Handlungen mit der damit verfolgten Absicht
nicht zu decken. Die Finalität zweckbestimmter Entscheide folgt speziellen Motiva-
tionen, die auch von anderen Beweggründen hätten geprägt und in andere Handlun-
gen hätten umgesetzt werden können. Indessen lassen die Komplexität von Entschei-
dungssituationen und die Möglichkeit alternativer Entscheide das Eintreten unbeab-
sichtigter Folgen stets zu. Zweckdienliche Handlungen haben unbeabsichtigte Ne-
beneffekte, die signifikanter sein können als der eigentlich beabsichtigte Effekt.
Unsere globale Lebenswelt ist voller unbeabsichtigter Folgen, von der Klimaer-
wärmung bis zum Zerfall der Sowjetunion. Die Verhaltensänderung aufgrund eines
versicherten Risikos ist ein ökonomischer Fehlanreiz, der zu einer moralischen Ver-
suchung („moral hazard“) führt. Auch das Strafrecht ist von unbeabsichtigten, oft
perversen, Folgen geprägt. Etwa verhütet das Strafrecht entgegen seinem Anspruch
die Kriminalität durch seine Repression nicht wirklich, sondern verwaltet die Krimi-
nalität eher im Sinne eines Kontrollmanagements und fördert deren Fortbestand6. Er-
wartungswidrig besteht kein Zusammenhang zwischen Strafhärte und registrierter
Kriminalität; eine Gesellschaft, die Straftaten hart sanktioniert, ist einer weniger
hart sanktionierenden Gesellschaft kriminalpräventiv regelmäßig nicht überlegen.7
In vergleichbaren Fällen sind harte Sanktionen den konkret in Betracht kommenden
weniger harten Sanktionen spezialpräventiv nicht vorzuziehen.8 Menschen, welche
sich wegen ihres sozialen Rückzugs in Situationen mit geringem Opferrisiko aufhal-
ten, haben tendenziell mehr Kriminalitätsfurcht als solche in risikoexponierteren Si-
tuationen. Gewiss lassen sich solche scheinbar perversen Effekte in plausiblen Erklä-
rungen auflösen, aber sie bleiben als die ursprüngliche Handlungserwartung enttäu-
schende empirische Zusammenhänge erhalten. Insofern sind unbeabsichtigte Folgen
nicht akzidentiell, sondern ergeben sich mit gewisser Regelmäßigkeit aus bestimm-
ten aufzuklärenden Handlungsbedingungen.

3.
Dem Versuch, unbeabsichtigte Folgen auszumerzen, entspricht der Traum von ab-
soluter Kontrolle und totaler Macht. Auf dem Weg dorthin werden vom Panoptismus9

6
So bezeichnet ein ehemaliger Schweizer Bundesrichter die strafrechtliche Drogenbe-
kämpfung als „kriminogen“, vgl. Schubarth 1992.
7
Kury, Brandenstein & Yoshida 2009.
8
Albrecht, Dünkel & Spiess 1981.
9
Foucault 1976, 260.
282 Karl-Ludwig Kunz

des perfekten Gefängnisses Jeremy Benthams10 über George Orwell und Aldous Hux-
ley11 bis zu digitalen Techniken der Videoüberwachung und der Gesichtserkennung
damit totalitäre Vorstellungen verbunden. Hingegen ist das Rechnen mit unbeabsich-
tigten Konsequenzen Ausdruck der menschlichen Unvollkommenheit und Fehler-
haftigkeit. Es warnt vor Vorstellungen absoluter Perfektion und vollständiger Kon-
trolle.
Der Blick auf unbeabsichtigte Folgen zeigt mitunter ein moralisches Dilemma auf
und fördert dadurch die Suche nach ethisch guten Auswegen. So gibt die Seenotret-
tung von Bootsmigranten im Mittelmeer die Fehlanreize, bei Migrationswilligen die
Nachfrage nach Überfahrten zu erhöhen und Schlepper zum Einsatz billiger kaum
seetüchtiger Boote zu verleiten. Die Seenotrettung gleichwohl beizubehalten bedeu-
tet, kurzfristig mehr Menschen zu retten, längerfristig aber mehr ertrinken zu lassen,
weil die Zahl der Migranten steigt und schlechtere Boote eingesetzt werden. Die Ret-
tung abzuschaffen bedeutet, kurzfristig mehr Opfer in Kauf zu nehmen, weil länger-
fristig weniger Menschen ertrinken.12 Diesem Dilemma zu entfliehen verlangt vor
allem, durch Bekämpfung der Migrationsursachen in den Herkunftsländern den An-
reiz für illegale Überfahrten zu senken. Die tragische Situation, dass die möglichen
Handlungsalternativen jeweils unbeabsichtigt zu vermeidende Effekte auslösen,
lässt sich nur auf einer höheren Handlungsebene durch Vermeidung der zur Wahlent-
scheidung zwingenden tragischen Situation lösen: Kluge Prävention lässt es nicht zu
dieser Tragik kommen.
Der negative Beiklang unbeabsichtigter Folgen von Strafgesetzen findet sich in
der Deutung ihres bruchstückhaften Vollzugs als „Vollzugsdefizit“ namentlich im
Umweltstrafrecht. Diese Kennzeichnung richtet Reformbemühungen allein auf die
Optimierung der Durchsetzung von Strafnormen. Hingegen sollte eine Reform kei-
neswegs allein solche Defizite ausmerzen, sondern müsste alternativ verwaltungs-
und privatrechtliche Möglichkeiten eines Umweltschutzes neben oder sogar anstatt
Strafrecht in Erwägung ziehen.13
Freilich hat die Toleranz unbeabsichtigter Folgen, die häufig ohnehin unvermeid-
lich sind, Grenzen. Folgen sind Effekte der Verwirklichung von Zielvorgaben, die
final gesetzt sind und erreicht werden wollen. Auch wenn die angepeilten Ziele
nicht stets präzise zu erreichen sind, sondern bei ihrer Verfolgung mit veränderten
Randbedingungen und damit mit Zielabweichungen zu rechnen ist, müssen den zu-
lässigen Abweichungen Grenzen gesetzt werden. Die soziale Steuerungsfunktion des
Gesetzes verlangt, die Bandbreite des Tolerierbaren möglichst präzise einzugrenzen.
Diese Eingrenzung kann aber nur normativ durch das Gesetz erfolgen, also ihre tat-

10
Das Panoptikum 2013.
11
Orwell 1976; Huxley 2007.
12
https://www.nzz.ch/international/die-nicht-beabsichtigten-folgen-der-seenotrettung-von-
migranten-ld.1526539?mktcid=nled&mktcval=102&kid=_2019-12-16; alle Links abgerufen
am 12. 08. 2019.
13
Heine & Meinberg 1988; Meinberg & Link 1985.
Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts und der Strafverfolgung 283

sächliche Anwendungswirklichkeit wiederum nur unvollständig prognostizieren.


Die normative Begrenzung der Anwendungswirklichkeit von Gesetzen eröffnet neu-
erlich einen Spielraum des faktischen Eingrenzens. Hieraus ergibt sich ein unver-
meidlicher Restbestand an Unvorhersehbarkeit, der in einer planenden Kalkulation
zu berücksichtigen ist.
Die beabsichtigten Folgen des Strafrechts sind multipel. Absolute Strafzwecke
dienen der Vergeltung und dem gerechten Schuldausgleich; sie berücksichtigen
die gesellschaftlichen Auswirkungen der Strafe nicht. Relative Strafzwecke betonen
die gesellschaftliche Aufgabe des Strafrechts und sind auf positive und negative, spe-
zial- und generalpräventive Prävention ausgerichtet. Verschiedene Vereinigungs-
theorien versuchen Antinomien unterschiedlich aufzulösen.14 Strafzwecke lassen
sich unabhängig davon in einer Mikro- oder Makroperspektive abbilden. Die Makro-
perspektive gewichtet eher Gesellschaftsinteressen, während die Mikroperspektive
eher die konkret Beteiligten im Blick hat. Die gewünschte Strafhärte bildet gegen-
über den Strafzwecken eine weitere unabhängige Dimension.15 Multivariate Zusam-
menhänge sind nur begrenzt erkennbar. Es gilt, nicht nur den Zielerreichungsgrad der
anvisierten Ziele des Strafrechts zu erforschen, sondern auch die unbeabsichtigten
Folgen zu untersuchen.
Beabsichtigte Folgen sind auf ihre Vereinbarkeit zu prüfen. Bei miteinander un-
vereinbaren Folgen ist eine Wahlentscheidung zu treffen. Sofern vereinbar, sind die
Folgen in eine Präferenzreihenfolge zu bringen. Regelmäßig ist die Wahrscheinlich-
keit der Folgenerzielung ungewiss. Die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts verlangt
eine zweite Reihung, wobei diese sich mit der Reihenbildung der Präferenzen nur
zufällig überschneidet und es ansonsten einer Wahlentscheidung zwischen der prä-
ferierten oder der eher wahrscheinlich eintretenden Folge bedarf. Die letztlich als
Ziel gewählte Folge muss auf mögliche unbeabsichtigte Nebenwirkungen geprüft
werden. Der Erreichung des Ziels stark dienliche Mittel besitzen in der Regel
auch starke Nebenwirkungen, welche die Erreichung des Ziels behindern oder Be-
gleitschäden auslösen. So kann das empfindliche Übel der Freiheitsstrafe dem Straf-
täter soziale Bezüge nehmen und dadurch die beabsichtigte Resozialisierung torpe-
dieren, Prisonisierungseffekte auslösen oder gar desozialisieren.16 Auch die mögli-
chen Nebenwirkungen können multipel sein und müssen nach der Wahrscheinlich-
keit ihres Eintritts gewichtet werden. Gegebenenfalls sind die gereihten
beabsichtigten und möglichen unbeabsichtigten Folgen auf ihre einfachste Form
zu reduzieren. Aus der abwägenden Schlussbilanz der Wahlhierarchie beabsichtigter
und möglicher unbeabsichtigter Folgen ergibt sich der rational getroffene Hand-
lungsentschluss.

14
Zusammenfassend Hörnle 2017.
15
Oswald, Ort & Hupfeld 2003.
16
Etwa Merle 2007, 4.
284 Karl-Ludwig Kunz

4.
Unbeabsichtigte Folgen multiplizieren sich, wenn mehrere nicht völlig zu harmo-
nisierende Zielvorgaben miteinander in Konkurrenz stehen oder unrealistische Ziele
erstrebt werden. Beides ist beim Strafrecht der Fall, das Zielambivalenzen und Über-
schätzungen seiner Kontrollmacht aufweist. Strafrecht wird als ubiquitär und sozial
nützlich gedacht und soll zugleich umsichtig so wenig wie nötig vollzogen werden.
Die Anliegen der rechtsstaatlichen Bestimmtheit der Strafzone, der schützenden For-
men des Strafprozesses und der vorauseilenden Flexibilität der Verbrechensbekämp-
fung sind nicht restlos in Einklang zu bringen. Die Strafverfolgung ist zwangsläufig
selektiv, muss aber Grundwerte der Gleichbehandlung und sozialen Kompensation
beachten. Die Präventivwirkung der Voraussehbarkeit von Strafandrohung und -ver-
folgung steht mit der Präventivwirkung des Nichtwissens17 in Widerspruch.
Die Agenturen der Strafverfolgung stehen betriebswirtschaftlich im Dilemma
zwischen Ertrag und Ertragsdokumentation. Angenommen, Strafverfolger seien
sämtlich moralisch integer und gingen ihrer Arbeit uneigennützig nach. Als die Bü-
rokratie auch in die Strafverfolgung einzieht, müssen deren Protagonisten nunmehr
ihre Tätigkeit belegen und als möglichst erfolgreich ausweisen, um weiterhin genü-
gend Personal und finanzielle Mittel für ihre Arbeit zu erhalten. Der Zwang, ihre Tä-
tigkeit als erfolgreich darzustellen, mindert in Wirklichkeit ihre Leistungskraft. Denn
die Zeit für das Dokumentieren von Erledigungen geht für die Bearbeitung von Fäl-
len verloren. Die moralisch integren Strafverfolger bevorzugen es, ihre Arbeit zu leis-
ten anstatt sie zu dokumentieren; sie beachten die bürokratische Dokumentations-
pflicht nur widerwillig und nachlässig. Andere streben nach einem möglichst
hohen Leistungsausweis und sind im Zweifel bereit, um der Darstellung des Geleis-
teten willen auf das optimale Erbringen pflichtgemäßer Leistung zu verzichten.
Da Strafrecht von teilweise widersprüchlichen Zielen geleitet wird und dabei
mehr verheißt als es leisten kann, klafft zwischen seinen Ansprüchen und seiner An-
wendungswirklichkeit eine breite Lücke, die von der Kriminologie empirisch auszu-
loten versucht wird. Die Kriminologie ist als empirische Wirksamkeitsforschung ge-
wohnt, nach dem Eintritt oder dem Ausbleiben gesetzlich intendierter Wirkungen zu
fragen. Diese Forschung ist – wie die empirisch-analytische Sozialforschung insge-
samt – so bedeutend wie begrenzt. Gewöhnlich werden nur Monokausalitäten ge-
prüft; zudem wird von einer starken Kausalität ausgegangen, wonach leichte Varia-
tionen in den Anfangsbedingungen nur leichte Variationen in den Wirkungen auslö-
sen. Aussagen über die kriminalpräventive Wirksamkeit beziehen sich im Wesent-
lichen auf die Spezial-18 und nur wenig auf die Generalprävention19. Die
spezialpräventive Wirksamkeit von Strafen wird mit Rückfallstudien20 geprüft, die

17
Popitz 1968.
18
Grundlegend Albrecht, Dünkel & Spiess 1981.
19
So aber etwa Albrecht 1980; Albrecht 1993.
20
Etwa Jehle, Albrecht, Hohmann-Fricke & Tetal 2013.
Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts und der Strafverfolgung 285

methodenbedingt den Rückfall nicht als die spezialpräventiv bedeutsame Wiederho-


lungstat, sondern als die dafür nur indiziell relevante Wiederverurteilung verstehen.21
Dabei wird gewöhnlich eine lineare Korrelation angenommen, wonach etwa der Satz
gilt: „Je schwerer die Straftat, desto eher ein Rückfall“22. Den strafrechtlichen Rück-
fall als erwartungsenttäuschend zu verstehen verkennt, dass Rückfälle im Alltagsle-
ben routinebedingt üblich sind. Vielfältige Anfangsbedingungen und vernetzte Zu-
sammenhänge mit Wechselwirkungen schaffen eine schwer erschließbare System-
komplexität. Der zur Prüfung gewählte und in ein Kausalschema gebrachte Teilbe-
reich bleibt mit dem Ganzen, das wir nicht prüfen, verknüpft; Neben- und
Fernwirkungen der interagierenden Teilsysteme bleiben deshalb unbeachtet. Die
nicht nur instrumentelle, sondern auch symbolische Bedeutung von Strafrecht23
bleibt weitgehend empirisch unerforscht. Beschränktheiten zum Trotz besteht die
grundsätzliche Bedeutsamkeit der kriminologischen Wissensproduktion darin,
eine Art „Spontansoziologie“ des Strafrechts zu diskreditieren, die dieses so versteht,
wie es verstanden sein will, anstatt sich mit seinen verborgenen gesellschaftlichen
Funktionen zu beschäftigen.24

5.
Ganz allgemein ist unsere Welt rasch wandelbar, hochkomplex, vernetzt und
kaum noch in diesen Eigenschaften erfassbar geworden. Die menschliche Orientie-
rung in einer unübersichtlich gewordenen25 Welt verlangt mehr als wir leisten kön-
nen: Ein problemadäquates Risikokalkül, das im Wissen um das geringe Wissen mit
Neben- und Fernwirkungen in interagierenden Teilsystemen unter Berücksichtigung
der Wert- und Motivbezüge der Beteiligten rechnet.26 Monokausale Erklärungen
haben in einer hochkomplex gewordenen Welt keinen Platz.
Die Empfehlung, mit allem zu rechnen und sich nach sämtlichen Seiten abzusi-
chern, ist in der Sicherheitsgesellschaft27 allgegenwärtig. Auch die Rechtswirklich-
keit verändert sich: Rechtsschutzversicherungen, die vor- und außergerichtliche
Rechtsberatung, die staatliche und kommerzielle elektronische Überwachung und
das Bewachungsgewerbe boomen. Der insbesondere für die Fahrlässigkeit wichtige
Sorgfaltsmaßstab verändert sich zu immer mehr gebotener Sorgfalt. Die Vorausseh-
barkeit von Schadensereignissen ist in potenziell stets schadensgeneigten Situatio-

21
So auch Jehle 2007; Besozzi 1989.
22
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/jeder-vierte-jugendliche-wird-als-erwach
sener-wieder-kriminell/story/11422587.
23
Kunz 2010.
24
Bourdieu & Passeron 1971, 182 f.
25
Habermas 1985.
26
Dörner 2011.
27
Legnaro 1997; Singelnstein & Stolle 2012.
286 Karl-Ludwig Kunz

nen immens. Ein Risikokalkül ist gefordert, das der Schadensgeneigtheit und zu-
gleich einem potenziellen Handlungsgewinn Rechnung trägt. Die Prognose einer Bi-
lanz von Nutzen und Kosten gerät zu einer kaum vernünftig abzuwägenden Entschei-
dung, bei der dennoch Entscheidungszwang besteht.
Eine Planung des Spektrums der Unvorhersehbarkeit wird erwartet. Zunehmend
bedient man sich dabei elektronischer Hilfsmittel, deren Nicht- oder fehlerhafte Nut-
zung als Organisationsverschulden gewertet werden kann. Der Zwang zur planenden
Antizipation von Entscheidungen engt Entscheidungsspielräume ein. Eine Rechts-
pflicht entfällt, wenn alle erkennbaren Handlungsoptionen und sogar die Untätigkeit
unter Strafe stehen (ultra posse nemo obligatur, § 275 BGB). Die technischen Mög-
lichkeiten des Könnens haben sich deutlich erweitert, so dass der Bereich des Müs-
sens ebenfalls umfassender und intensiver gerät. Pflichtenkollisionen sind auf sich
spontan ergebende unvorhergesehene Situationen gemünzt und wollen nun voraus-
schauend geplant entschieden werden.
Dabei stellt sich das Dilemma der robotischen Moralität. Sollen autonom fahren-
de Fahrzeuge dem mehrheitlichen Kundenwunsch folgend so programmiert werden,
dass sie im Kollisionsfall notfalls Fahrzeuginsassen schützen, auch wenn so Passan-
ten beeinträchtigt werden? Wenn ein Automobilhersteller verschiedene moralische
Algorithmen für Auswahlentscheidungen anbietet, ist der informierte Käufer dann
für die Konsequenzen der Entscheide der gewählten Algorithmen verantwortlich?
Das US-Militär plant, bewaffnete Drohnen zu entwickeln, die autonom Tötungsent-
scheide treffen. Die einzige moralische Vorgabe dafür ist, den Gebrauch der Drohnen
dem Niveau menschlicher Beurteilung anzupassen28, was nur annähernd möglich
sein dürfte. Die weitgehende Ermangelung klarer moralischer und rechtlicher Maß-
stäbe für automatisierte Entscheidungen hindert einstweilen ihre Zulassung. Das
Problem dabei ist nicht, unsere Werte in Automaten einzubauen, sondern unsere Wer-
tewelt so klar und konsistent zu entwickeln, dass ihr folgend zukünftig Entscheide
automatisch getroffen werden können.
Dies ist leichter gesagt als getan: Die Unzumutbarkeit, das eigene Leben auf Kos-
ten eines fremden zu opfern (§ 35 Abs. 1 Satz 1 StGB), gilt nicht für die vorauspla-
nende Programmierung dieser Entscheidung für den Fall ihres Eintritts als Hand-
lungsvorschrift eines selbsttätig ablaufenden Prozesses. Die antizipierte Steuerung
eines selbsttätig ablaufenden Geschehens mit Schadensfolge kann nicht in gleichem
Umfang straflos sein wie die schicksalhaft unvorhergesehene Schadensbewirkung.
Die kühlen Kopfes zu erfolgende Planung lässt keinen Raum für die strafbefreiende
Annahme der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens. Andererseits wäre jedoch
eine Pflicht zur Programmierung solcher Interessenkollisionen zu Lasten eigener In-
teressen unrealistisch: Wer will schon, dass er in einem autonom fahrenden Fahrzeug

28
https://www.nytimes.com/interactive/2016/06/06/automobiles/autonomous-cars-pro
blems.html.
Über unbeabsichtigte Folgen des Strafrechts und der Strafverfolgung 287

notfalls sein Leben opfert, um Passanten zu retten? Wer würde ein solches Fahrzeug
produzieren oder kaufen?29
Die Zurückdrängung des Unvorhersehbaren durch die Sicherheitsgesellschaft
kann nur rudimentär gelingen. Die Kalkulation mit Unwägbarkeiten gleicht einem
Rechnen mit Unbekannten, das nur möglich ist, wenn das Unbekannte begrenzt
bleibt. Die Komplexität unserer Lebenswelt erweitert und vervielfacht jedoch Un-
wägbarkeiten. Das macht ein Rechnen damit schwierig.
Im Interessenbereich der Kriminalwissenschaften ist es vor allem die Kriminolo-
gie, die über mögliche unbeabsichtigte Folgen prospektiv informiert und diese retro-
spektiv kenntlich macht. Bei aller Begrenztheit der inhaltlichen und methodischen
Aussagekraft werden dabei zumindest einige Nadeln im Heuhaufen aufgespürt.
Dazu hat der Jubilar entscheidend beigetragen. Vivat, Hans-Jörg!

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1980): Die generalpräventive Effizienz von strafrechtlichen Sanktionen, in:
Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Ein Jahrzehnt krimino-
logischer Forschung am Max-Planck-Institut Freiburg i.Br. Freiburg, S. 305 – 327.
Albrecht, H.-J. (1993): Generalprävention, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl. Heidelberg, S. 157 – 164.
Albrecht, H.-J., Dünkel, F. & Spiess, G. (1981): Empirische Sanktionsforschung und die Be-
gründbarkeit von Kriminalpolitik. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
64, S. 310 – 326.
Beccaria, C. (1966): Dei delitti e delle pene. Milano [orig. 1764].
Bentham, J. (2013): Das Panoptikum. Berlin [orig. Panopticon, or The Inspection-House,
1787].
Besozzi, C. (1989): Rückfall nach Strafvollzug: Eine empirische Untersuchung, in: K.-L. Kunz
(Hrsg.), Die Zukunft der Freiheitsstrafe. Kriminologische und rechtsvergleichende Perspek-
tiven. Bern, Stuttgart, S. 115 – 141.
Bourdieu, P. & Passeron, J.-C. (1971): Prüfung einer Illusion, in: P. Bourdieu & J.-C. Passeron
(Hrsg.), Die Illusion der Chancengleichheit. Stuttgart, S. 161 – 190.
Dörner, D. (2011): Die Logik des Misslingens: Strategisches Denken in komplexen Situationen.
Hamburg.
Foucault, M. (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M.
[orig. Surveiller et punir. La naissance de la prison, Paris 1975].
Habermas, J. (1985): Die neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt a. M.
Heine, G. & Meinberg, V. (1988): Gutachten D zum 57. Deutschen Juristentag. Mainz.
Homann, K. & Suchanek, A. (2000): Ökonomik. Eine Einführung. Tübingen.

29
Vgl. neuerdings Kuhlen 2019.
288 Karl-Ludwig Kunz

Hörnle, T. (2017): Straftheorien. Tübingen.


Huxley, A. (2007): Schöne Neue Welt. Ein Roman der Zukunft. Frankfurt a. M. [orig. Brave New
World, 1932].
Jehle, J.-M. (2007): Methodische Probleme einer Rückfallforschung aufgrund von Bundeszen-
tralregisterdaten, in: F. Lösel, D. Bender, J.-M. Jehle (Hrsg.), Kriminologie und wissensba-
sierte Kriminalpolitik. Entwicklungs- und Evaluationsforschung. Mönchengladbach.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2013): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und
2004 bis 2010. Berlin.
Kovandzic, T.V., Sloan, J.J. & Vieraitis, L.M. (2002): Unintended Consequences of Politically
Popular Sentencing Policy: The Homicide-Promoting Effects of ,Three Strikes‘ in U.S. Cities
(1980 – 1999). Criminology & Public Policy 1/3, S. 399 – 424.
Kuhlen, L. (2019): Sorgfaltspflichten beim Inverkehrbringen autonomer Fahrzeuge. Schweize-
rische Zeitschrift für Strafrecht 4, S. 353 – 365.
Kunz, K.-L. (2010): Zur Symbolik des Strafrechts, in: D. Dölling, B. Götting, B.-D. Meier &
T. Verrel, Verbrechen – Strafe – Resozialisierung, Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Ge-
burtstag am 20. August 2010. Berlin, Boston, S. 353 – 368.
Kury, H., Brandenstein, M. & Yoshida, T. (2009): Kriminologische Vergleichsanalyse: Krimi-
nalpräventive Wirksamkeit härterer Sanktionen – Zur neuen Punitivität im Ausland (USA,
Finnland, Japan). Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 121, S. 190 – 238.
Legnaro, A. (1997): Konturen der Sicherheitsgesellschaft. Eine polemisch-futurologische Skiz-
ze. Leviathan 25, S. 271 – 284.
Liszt, F. von (1905): Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge. Berlin.
Meinberg, V. & Link, W. (1985): Umweltstrafrecht in der Praxis. Falldokumentation zur Erle-
digung von Umweltstrafverfahren. Freiburg i.Br.
Merle, J.-C. (2007): Strafen aus Respekt vor der Menschenwürde. Eine Kritik am Retributivis-
mus aus der Perspektive des deutschen Idealismus. Berlin.
Merton, R.K. (1936): The Unanticipated Consequences of Purposive Social Action. American
Sociological Review 1/6, S. 894 – 904.
Orwell, G. (1976): Neunzehnhundertvierundachtzig. Frankfurt a. M. [orig. 1949].
Oswald, M., Ort, U. & Hupfeld J. (2003): Mikro- versus Makroperspektive der retributiven Ge-
rechtigkeit, Strafziele und die Forderung nach Strafe. Zeitschrift für Sozialpsychologie 34,
S. 227 – 241.
Popitz, H. (1968): Über die Präventivwirkung des Nichtwissens. Dunkelziffer, Norm und Strafe.
Tübingen.
Schubarth, M. (1992): „Kriminalitätsbekämpfung“ durch Vermeidung kriminogener Gesetze
und kriminogener Rechtsprechung, in: J. Gauthier, D.F. Marty & N. Schmid (Hrsg.), Aktuelle
Probleme der Kriminalitätsbekämpfung. Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Schweize-
rischen Kriminalistischen Gesellschaft. Bern, S. S. 68 – 75.
Singelnstein, T. & Stolle, P. (2012): Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahr-
hundert. 3. Aufl. Wiesbaden.
Limitations and Gaps of Philosophy of Law, of Criminology
and of Sociology of Deviancy
How to Reverse the Approach1

By Salvatore Palidda

Foreword
In the nineties, I met Hans-Jörg Albrecht on several GERN2 meetings and during
my stay at the Max Planck Institute in Freiburg as a visiting professor in 1999. This
research stay allowed me to write my most important book on police. Subsequently, I
met Hans-Jörg at a conference on the racist criminalisation of immigrants in Europe
in Genoa in 2008 and again later for the research project on Governance of Security
and Ignored Insecurity in Contemporary Europe. In other words, it is also thanks to
him that I developed my research on police affairs in Italy and Europe, on the repres-
sive-criminal treatment of immigrants, and finally on the crucial issue of “ignored
insecurities” over the last thirty years. These experiences helped me to elaborate
on criminology from a more critical perspective that will hopefully be interesting
as a tribute to my friend Hans-Jörg.
This essay proposes a critical reflection on – what I consider – the main limits and
deficiencies of the philosophy of the law, the criminology and the sociology of the de-
viance and, in general, of human, political and social sciences, including the often so-
called critical approaches in the field of security. Thus, it is not surprising that some
researchers of these disciplines tend to rather questionable security theories such as
“zero tolerance”, “just wars”, “human wars”, the denial of the risks of health and en-
vironmental disasters, increased inequalities, or even thanatopolitics (let die) which
seems to be influencing the decisions of the powerful of the twenty-first century.

1
This article is based on an earlier blog post of mine called “Résistances contre les in-
sécurités ignorées. Renverser le discours dominant” published on Mediapart, an independent
French online investigative and opinion journal; https://blogs.mediapart.fr/salvatore-palidda/
blog/230719/resistances-contre-les-insecurites-ignorees-renverser-le-discours-dominant [03. 02.
2020].
2
Groupement européen de recherches sur les normativités (GERN) is a network of scien-
tific researchers of multiple disciplines in the area of deviance and social control, specifically
e. g., penal institutions and questions, juvenile justice and police.
290 Salvatore Palidda

In a first step, the approach adopted in this work tries to deconstruct the main-
stream discourse and hence the human, political and social sciences that are con-
structed for the powerful versus the powerless. It is thus an attempt to oppose the
dominant discourse with its capacity to hide aspects and problems, in particular,
the “ignored insecurities”, i. e. the risks of health, environmental and economic
(i. e. shadow economies) disasters that are actually affecting most and eminently
the vulnerable part of the population. Such an attempt gets even more imperative
in light of current trends in world politics with the rise of populism and autocracies
and Italian politics as one of the most affected. This work refers to research conducted
since the 1990s in different projects by several researchers – including myself – as
well as studies on social workers, local elected officials, police and justice officials to
counteract the neoliberal drift within the field of security. While trying to develop a
critical approach to the security drift, much of this research and experience (including
mine) has also neglected the insecurities that I call “ignored-insecurities”. This neg-
ligence has considerably weakened criticism of securitarism because we were un-
aware of what was actually affecting the majority of the population or even threat-
ening people’s lives that should be protected by the rule of law.3

1. The Main Gap


The main deficiency of the various disciplines mentioned above lies in their
choice on research objects concerning facts, behaviours, and phenomena that are
considered as antithetical to the public order, the “normality”, the society, namely:
the offenses, transgressions or violations of duties attributed to members of society.
Studies on deviance and crime among the marginalised, migrants, “subversive” or
radicalised suspects, in so-called “problematic areas”, about so-called “urban inci-
vilities” or even “environmental terrorism” usually only serve the powerful. Revers-
ing the approach implies its deconstruction by investigating how police, the media
and justice are constructing these kinds of crimes and criminals. Similarly, we should
be studying the illegal practices of a certain part of the population or the powerful
enhancing the “popular” illegalisms. Research on white-collar crime has always
been rare (e. g. Ruggiero 2015; Gouvnev & Ruggiero 2012; Nagel & Lascoumes
2014; Amicelle 2014; Laurens 2015) but research on crime within the police forces
is even more seldom in Italy (Palidda 2017). Moreover, research on urban insecurity
is likely to be biased as it commonly covers the real insecurities that are especially
threatening more vulnerable people only in a superficial way. Normally, one takes as
indisputable facts what the zealous citizens say (who are often enough the “noisy mi-
nority” directed by the entrepreneurs of the securitarism).
3
Among others, I am referring to research projects and works by Bigo and many res-
earchers who have published part of their work in Cultures & Conflits, the works of Mucchielli
and Fassin, and myself. About ignored insecurities, see Thebaud-Mony, Centemeri and Dau-
mulin, Henry, Klein, Weltzer, Latour, Moore, Mbembe and many others. About the classical
authors, my main references are Mauss, Simmel, Foucault, and Bourdieu.
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology 291

In most research on deviance and crime, and more on the anomies and their actors,
we can see that first obligation is placed as the dominant criterion obscuring rights. In
other words, paradoxically, the citizen appears to have duties instead of rights. This
contradicts the logic that only the ownership of rights assigns duties. According to
Hobbe’s theory, citizens give up their freedoms in exchange for security guaranteed
by power (Hobbes 1968, 227, 232 – 233). But the security of what and of whom?
This paradox commonly originates from the passive acceptance of the role as serv-
ants of law and order or even of peace and social cohesion by the disciplines previ-
ously mentioned. On the contrary, research on power (hence its conceptions, dis-
courses, and practices) is still rare. Instead, we often talk about research for power
(it is well known that effective, independent research on power is rare due to problems
of funding and thus of realisation). In general, research on rights ignored by the pow-
erful is seldom and, vice versa, on violated rights of the citizens.4 However, research
on crimes of the powerful and the state is extremely rare and bears the risk of being
distorted or even sabotaged (in particular, research on various crimes committed by
authorities, including police officers, magistrates, soldiers, etc.).

1.1 What Are We Dying Of?

According to official statistics5, more than 53 million (probably around 60 mil-


lion) people are dying each year worldwide. 115,449 of them in wars, 34,871 due
to terrorism, and 390,774 are being murdered. The vast majority of 52,675,000
(99%) dies from diseases caused by toxic contaminations, malnutrition, lack of
care, accidents at work, so-called “natural or environmental disasters”, unhealthy liv-
ing and working conditions, etc. (most often caused by devastating activities). Here,
it is necessary to keep in mind that most of these causes, including wars, terrorism and
even criminality, are often the products of power. However, the powerful themselves
usually are not aware or sometimes even do not care about these consequences of
their exercise of power, especially its role for disasters and disorders.
In Western European countries (the same applies to North America), no deaths are
caused by wars (except for a few soldiers on so-called “peace missions” abroad) and
only a small number by acts of terrorism. The annual mortality rate is a little below
1,000 per 100,000 inhabitants (e. g. Spain (829) or Sweden (913)), whereas it reaches
a number of 1,600 in Eastern countries (e. g., Bulgaria (1,602)).6 Combined with a
commonly rather expensive health care system for elderly people, the pharmaceut-
ical and private sectors of health lobbies turn out to be potential beneficiaries. In

4
Though constitutional and human rights law addresses the rights of citizens, e. g. Euro-
pean Convention of Human Rights.
5
Number of deaths by cause, World, 2016 https://ourworldindata.org/causes-of-death.
6
For diagrams on causes and occurrence of deaths in the EU, see on Eurostat published by
the European Commission; https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/-/DDN-
20190716-1 [03. 02. 2020].
292 Salvatore Palidda

Western European countries, the majority of deaths are caused by diseases. However,
no reliable data exists that distinguishes between what was originally causing the dis-
ease. Meanwhile, the sources of new contaminations seem to be multiplying. One
example might be electromagnetic waves. Their possible adverse effects on health
are discussed highly controversial, but research does not provide evidence for
health-damaging effects of the radiation from cell phones; the WHO recommends
studies on long-term exposure by cell phones.7 In all countries the serious mortality
due to Covid-19 is also the consequence of the liberal drift: that is, of the choice to
increasingly reduce public health resources in favor of private health. Furthermore,
the great (necessary) emphasis on pandenia and the use of a state of emergency con-
fered to the police forces rather than by the social and health services (often reduced
to very little) ended up hiding again the causes of the majority of mortality.

1.2 Number of Death Causes Worldwide and More Specifically


Europe in 2016

A closer look at the causes of deaths shows that – apart from cancer – cardiovas-
cular diseases are the far most represented death cause around the world (Diagram 1).
Official statistics provide detailed data on the causes of death without giving infor-
mation about the share of toxic contaminations. However, toxic contamination is also
a likely cause of diseases affecting the circulatory system (cholesterol, diabetes and
smoking, ischemic heart disease and cerebrovascular diseases, etc.).8

7
An overview provides the EMF Portal by the Technical University of Aachen which
outlines systematically research data on the effects of electromagnetic fields (EMF); https://
www.emf-portal.org/de/cms/page/home/effects/radio-frequency/cancer [03. 02. 2020].
8
For example, see the systematic review and meta-analysis of epidemiological studies
conducted by Chowdhury et al. 2018, confirming a positive correlation between exposure to
environmental toxic metal contamination and the risk of cardiovascular diseases. These cases
of toxic contamination also include Alzheimer in case of alcohol abuse, Parkinson in case of
amphetamine abuse (see e. g., Callaghan et al. 2012 who carried out a study on inpatients in
hospitals in California and discovered a 76% increased risk of developing Parkinson’s disease
for (meth)amphetamine consumers than for the control group), excessive diagnosis of hype-
ractivity, many diseases considered as allergies, and several forms of cancer (malignant neo-
plasms of the trachea, bronchus and lung, recto-sigmoid junction, rectum, anus and anal ducts,
breast, pancreas, prostate, stomach, and bile ducts and liver). This consideration also applies to
so-called respiratory diseases caused by air pollution. Another cause of death ignored by the
present statistics is radioactivity: not only from nuclear and military sites, but also in homes
(https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/radon-and-health) [03. 02. 2020]. Besides,
some recent research shows that there are many sources of contamination in almost all foods
(because of their contamination by chemicals, including pesticides, etc.), in water and in
clothing. Many transport accidents are accidents at work or accidents due to the stress of urban
life. It is a pity that official cause-of-death statistics ignore work-related accidents but include
data on voluntary self-injury and suicides; although the reasons behind suicide might be
victimisation at work or in the family or societal relationships of vulnerable individuals.
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology 293

Diagram 1: Causes of Deaths in European Countries 2016 (in Millions)9

Besides the misleading distinction between the causes of deaths in the data col-
lection at hand, we could deduce that health, environmental and economic risks
might be the main causes of death. Most of these risks are rarely considered crimes
which impedes their prevention or prosecution. And if they are, they frequently re-
main undetected, overseen or even ignored. This situation is well known but has been
disregarded or denied for a long time. Governmental introduced measures concern-
ing direct prevention and control agencies with the duty to combat ignored insecur-
ities, such as the police, often seem purely symbolic. Why? In the dominant discourse
on risks, threats and social problems, these insecurities are commonly considered as
individual misfortune. Consequently, responsibility is attributed to the individual
leading to a lack of victims. Regardless of an increase in the number of revealed
deaths linked to criminal pollution caused by companies colliding with criminal or-
ganizations, corrupt civil servants, officers, or (local) politicians, most people sup-
port such an individualistic view, including officials of prevention and control agen-
cies, most of the politicians, the media and scientists (including criminologists and
sociologists of deviance and crime). For example, shadow economies are often char-
acterised by illegal employment, neo-slavery, bribery, tax evasion and further serious
crime. Illegal disposal of toxic and even ordinary waste may be added to this list.
Thus, the chain of dissimulation of and complicity with ignored insecurities can
be seen as an intricate political issue based on a socially constructed paradox. On
the one hand, we observe guaranteed and tolerated illegalisms and, on the other
hand, mobilisation of public opinion against illegalisms. This kind of illegalisms
is framed intolerable and attributed to social subjects who are banned as enemies
of the society. In this way, the paradox suits the powerful and enables them to
hide their illegalisms much better than those of common citizens. Among the
most striking cases on the effect of concealment are those of Marseille and its envi-
rons: for a long time, and still today, the public authorities have been in a struggle
9
See https://ourworldindata.org/causes-of-death [03. 02. 2020].
294 Salvatore Palidda

against gangsterism and organised crime. However, they did not know that part of the
population was dying due to water contaminations along the coast west of the city
(red mud at sea, pond Berre etc., see Mucchielli 2008).
The opposite Table on different causes of death per 100,000 inhabitants within the
EU and other European countries is instructive.

2. Neglect of Concerns in the 21st Century


The neglect vis-à-vis ignored insecurities by the above-mentioned disciplines
leads to an ignorance of the current issues at the local, national and global levels.
The liberalism of the 21st century is not limited to “more repression and more pun-
ishment”, more racist criminalisation and a new reproduction of permanent wars. It
also seems to include a new tendency from traditional biopolitics towards thanato-
politics: to let people die (e. g. refugees in the desert and the Mediterranean Sea) in-
stead of rescuing them. According to Foucault (2004; Foucault & Senellart 2004),
the powerful have always dominated using both thanatopolitics as well as biopolitics
(in order to replicate the workforce, tax-paying citizens and cannon fodder for war).
However, nowadays this seems to be reinforced by neo-liberalistic ideas meaning re-
pression or removal of rights of the powerless to maximise profit and an exploitation
of desperate migrants. The latter is frequently linked to sanitary, environmental or
economic disasters caused by multinationals. In addition to that, permanent wars
fuel the constant increase in production and trade of weapons that often fortify ter-
rorism and local pseudo-wars (Palidda 2018a). As a result, the neo-liberal ideal as
well as the ideal of pseudo-sovereign-populists, taking Trump, Salvini, Orban or Er-
doğan as an example, disregards the worthiness of peoples live – let it be the one of a
compatriot or a stranger.
A spreading populist myth is that we are facing an uncontrolled increase in the
world population in poor regions which forces migrants to invade democratic coun-
tries. This fiction, constructed by populist rulers of the 21st century, may even lead
wealthy people to invest in the ability to escape into space, to bunkers or hyper-pro-
tected sites10.
The death of migrants, during their emigration attempts and afterwards, amounts
to a large number of fatalities worldwide. However, we do not know how this number
then gets categorised within the mortality data. The current migrants are desperate
because they flee from territories that become uninhabitable. As mentioned earlier,
such life-threatening environmental conditions are closely linked to multinationals
and/or pseudo-local wars directly and/or indirectly fuelled by powerful countries
(among others Saudi Arabia and the Emirates).
10
For example, the rich of the Silicon Valley are investing in bunkers in New Zealand as an
escape plan for the “doomsday”, see https://www.bloomberg.com/features/2018-rich-new-zea
land-doomsday-preppers/ [03. 02. 2020].
Table 1: Causes of Death per 100,000 Inhabitants within the EU and Other European Countriesa
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology

a
295

See https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Causes_of_death_statistics#Main_findings [03. 02. 2020].


296 Salvatore Palidda

Sanitary-environmental and economic disasters should be considered as priorities


in the mobilisation to save the animal and plant world (holistic approach). Otherwise,
the discourse against the degradation of the climate and the planet will remain banal
and generic – almost like the old ecological discourses reinvented by the lobbies of
the so-called “green economy”.11 The same also applies to the discourses on migra-
tion: as long as the extent to which today’s migration originates from disasters that are
highly interrelated with liberal neo-colonialism remains concealed, we adopt an ap-
proach that represents itself as a humanitarian one, complementary to wars and able
to prevent migration (e. g. the so-called “peace” missions of the ruling countries
alongside with permanent wars that are paid by taxpayers and ensure the protection
of multinationals in the third and fourth worlds countries).

3. The Shame of Pseudo-Sovereignty-Populists


The so-called “sovereignism-populism” has little to do with sovereignty. Rather
the opposite: it seems to serve a demagogic populism that raises expectations or de-
fends neo-colonial privileges of certain parts of the population of powerful countries.
I claim this sovereignism to be deceptive as it is subordinated to the neo-liberal logic
and hence, to the interests and strategies of lobbies and multinational corporations.
And national states are the objects of such logic, especially, those governed by pseu-
do-sovereignty-populists like Bolsonaro, Orban, Salvini, Trump as well as the emirs
and dictators of the Arabian Peninsula. This populism is characterised by a strong
support from sovereigns for landmark projects, the demands of lobbies and multina-
tional corporations, and a left which is not able to represent itself as an alternative. Let
us remember that also Nazism and fascism were founded on sovereign ideals: their
focus was mainly on national capitalist groups and their populism consisted of the
promise of well-being by conquering other countries to dominate on a European
and world scale. Today’s pseudo-sovereign-populist game resembles that of power-
brokers who are of a mafia-type and try to negotiate their subordination to transna-
tional free-market strategies in exchange for a relative autonomy of national and local
powers. This game has always been practiced by the local ruling classes, often mafia-
type. In this context, the haggling of populists is understandable: in the absence of a
defined political position of Europe, e. g., Erdoğan and Salvini attempted to negotiate
with the dominant powers, namely the United States, China, and Russia.12

11
For an analysis of how the policy discourse on the subject category of “climate refugees”
related to people living in the Pacific gets distorted herby distracting from the necessity of a
global change, see McNamara & Gibson 2009.
12
For example, on the various ties between Salvini (Italy’s far-right more broadly) and
Putin (Russia), see https://www.prospectmagazine.co.uk/world/how-matteo-salvini-became-pu
tins-man-in-europe [03. 02. 2020]. On Erdoğan’s and Trump’s attempts of improving their
relationship, see https://www.ft.com/content/05d54cc8-0560-11ea-9afa-d9e2401fa7ca [03. 02.
2020].
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology 297

The idea that populist rulers would support a transition to a criminal or a police
state could be misleading13 : pseudo-democracy, fascism and an authoritarian state of
exception may still coexist (Palidda 2015). As Davis (1988), Foucault (1975; 2004),
Foucault & Senellart (2004) and others have pointed out, the criminalisation of the
marginalised, even including internal migrants or internally displaced persons, is an
old practice. This criminalisation also extends to the ones showing solidarity with the
marginalised: for example, the young people helping the victims of the Irpinia (Italy)
earthquake in 1981 or the ones supporting refugees (on the criminalisation of the No
TAV movement14 in Italy, see Novaro (2019); on that of the No M.U.O.S15 movement,
see Mazzeo16, and among others the Democracy Center, particularly thematising the
criminalisation of protest17). The criminalisation of alleged subversives shows the
modalities that allow the anamorphosis of the rule of law (Palidda 1992). Anamor-
phosis means the possibility of modifying the same legal framework at will to then
switch from a legal to an illegal framework and vice versa. In addition, the Janus face
of the police can be observed in the same city at the same moment: in one city quarter,
they sometimes are disproportional violent (which may even amount to torture),
while in another city quarter, they act in a paternalistic, anti-racist or antifascist way.
This factitious nature of the democratic state of law invoked by some parties is
further emphasised by neo-liberalistic ideals. Along with a neo-colonial revival
and issues of migration, the door is opened to characters such as Salvini acting sim-
ilarly to Mussolini: “We allow ourselves the luxury of being aristocrats and demo-
crats; conservatives and radicals, reactionaries and revolutionaries; legal and illegal
according to the circumstances of time, place and setting.”18 This quote expresses
precisely the neo-colonial spirit adding to the mass confusion (via social media
and the intellectual indigence of the media) and may serve as an explanation for a
continuing consensus on pseudo-populist views. As a result, some citizens aim at tak-

13
See two issues of the journal Cultures & Conflits, “L’état d’urgence en permanence”
aiming at the deconstruction of the discourse on the State of exception, of emergency or
urgency; https://journals.openedition.org/conflits/20480 and https://journals.openedition.org/
conflits/20692 [03. 02. 2020].
14
No TAV stands for the New Turin–Lyon high-speed/high-capacity railway project, re-
ferred to as TAV. The movement was founded 23 years ago in Susa Valley. It criticizes,
specifically, the uselessness of the railway project and, more generally, social, economic,
environmental and technological issues in an increasingly globalised world; http://www.presi
dioeuropa.net/blog/what-does-no-tav-mean/ [03. 02. 2020].
15
The No M.U.O.S movement mostly combines people from Sicily and advocates progress
based on local development not on military devices. Its main “opponent” is the activation of
the Mobile User Objective System (MUOS), a modern satellite communications system of the
US Navy based in Niscemi, Sicily; http://nomuos.org/en/chisiamo [03. 02. 2020].
16
For example an interview of Mazzeo, available in German, Spanish and Italian; https://
www.pressenza.com/de/2020/01/antonio-mazzeo-italien-ist-ein-wichtiger-angelpunkt-fuer-us-
amerikanische-militaeraktionen/ [03. 02. 2020].
17
See https://democracyctr.org/topic/criminalization-of-protest/ [03. 02. 2020].
18
Il Popolo d’Italia, 23 March, 1919. Quoted in Salvatorelli & Mira 1964, 56.
298 Salvatore Palidda

ing advantage of neo-colonial benefits to exploit the vulnerable (immigrants and dis-
advantaged nationals) and to repress those resisting the drift.

3.1 A Populism to Guarantee Benefits to Powerful Social Circles


on the Expense of the Unprotected

The populism of the current pseudo-sovereigntists legitimises ignored securities.


Examples are the neo-slavery of migrants and vulnerable citizens. But all this is part
of the populist concept: the ruling populists cannot and do not want to offer protection
to all citizens. The main ignored insecurities affect both: Europeans and immigrants,
especially in underground economies where neo-slavery persists due to a lack of state
protection.

3.2 The Emblematic Case of the European Forum


for Urban Security (EFUS) and, in Particular,
the Emilia-Romagna “Safe Cities” Project

The European Forum for Urban Security (EFUS), founded under the auspices of
the Council of Europe by Gilbert Bonnemaison19 and Michel Marcus20 in 1987,
counts more than thirty years of experience by now. The same can be said about
its development in many European countries and the “safe cities” project in the Emi-
lia-Romagna region (Italy). This project deserves particular attention as it exhibits
very clearly the limitations and shortcomings of these initiatives.
EFUS is the only European network of local and regional authorities for urban
security. The network was created within a context unaffected by the drift of security
and zero tolerance; a context allegedly fostering democratisation of the security gov-
ernment as a social response to harm reduction. Prevention, minimal punishment and
the reduction of repression to an ultima ratio should represent the measures for reach-
ing the goal.
In short, this trend did have some success: in the United States during the Johnson
administration21 and in the United Kingdom22 during the 1960s. Famous critical

19
See https://efus.eu/en/about-us/about-efus/public/1450/ [03. 02. 2020]. The peak of deve-
lopment – still neglecting the security drift – was the Zaragoza conference in 1966; the last
important document produced by EFUS is the White Paper for Territorial Security presented at
Matignon; see http://ffsu.org/le-ffsu-presente-son-livre-blanc-pour-la-securite-des-territoires-a-
matignon/ [03. 02. 2020].
20
See the intro on challenges in Europe by the European Forum for Urban Security; https://
efus.eu/files/fileadmin/…/DPT2006-EFUSspeechMM.pdf [03. 02. 2020].
21
Further on this https://www.independent.org/issues/article.asp?id=3157 [03. 02. 2020].
22
See Reiner 2000 on https://www.jstor.org/stable/42856153?seq=1#page_scan_tab_con
tents [03. 02. 2020].
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology 299

criminologists of that time included Taylor, Walton and Young23. Their critical ap-
proach also evoked Alessandro Baratta’s critical criminology24 and Luigi Ferrajoli’s
philosophy of the “minimum criminal law”25.
Despite the global security drift, EFUS has continued to develop within Europe
(250 municipalities in 16 countries). However, its focus on repressive and criminal
actions remains ancillary. Regarding drug (ab)use, “urban incivilities” and, in gen-
eral, issues related to marginality and juvenile delinquency, EFUS has increasingly
adopted very moderate tones. Security issues have been more and more addressed by
municipalities, including those with right-wing racist mayors. For an emblematic ex-
ample, EFUS considers it a great success that the safety emphasising mayor of Nice,
Christian Estrosi, is leading the project “PACTESUR – Protecting allied cities
against terrorism by ensuring the security of urban areas”.26 Indeed, despite some
critical suggestions and the last document by Marcus27, EFUS has continued to
woo even mayors of the right espousing mainstream security issues. Furthermore,
health, environmental and economic insecurities (shadow economies, etc.) with a
crucial weight on the economy of urban safety have been ignored. This ignorance
gets even more apparent when analysing the development of the “safe cities” project.
The project was launched on the initiative of some followers of the already mentioned
criminologist Baratta and, in particular, Massimo Pavarini, as part of the programs in
the Emilia-Romagna region (region administrated by the left) in 1994. Indisputably,
the Baratta school, other English and French authors provided effective tools for
criticising liberal securitarism and its excesses (“zero tolerance”, racist criminaliza-
tion, massive imprisonment first in the United States and later also in Europe). At the
same time, some researchers criticised the reproduction of permanent wars and their
transition to local “wars” (urban security and “war on immigrants”)28. However, these
critical developments turned out as inadequate, ineffective, and powerless. Conse-
quently, some may frame them as losers in light of the triumph of liberal securitarism
that is currently dominating in many so-called “democrats” and the “ex-left”. While
both critical criminology and Ferrajoli’s philosophy continued advocating the cause

23
For a review of Young’s life and work as a critical criminologist see Henninger 2014;
https://link.springer.com/article/10.1007/s10624-014-9333-6 [03. 02. 2020].
24
On critical criminology within Europe see van Swaaningen 1998; 1999.
25
See Ferrajoli 1989.
26
See https://efus.eu/fr/topics/%ACtivity%25/16622/ [03. 02. 2020]. For an example of
Estrosis safety emphasis see the Declaration of Nice aiming at bringing together local elected
representatives across Europe in the fight against terrorism. The Declaration was signed by 62
mayors of 19 different European countries; http://www.nice.fr/fr/actualites/declaration-de-ni
ce?type=articles [03. 02. 2020].
27
See Marcus, “Prevention du crime, une feuille de route intercontinentale” on https://
docplayer.fr/5106365-Prevention-du-crime-une-feuille-de-route-intercontinentale.html [04. 02.
2020].
28
For a general critique on the (political) approach towards issues of migration with its
consequences see Schmid 1995. For a critical discussion on race and crime see Convingtion
1995.
300 Salvatore Palidda

of penal abolitionism, social responses to deviance, repression as ultima ratio and


limitation to prison avoiding modalities, some leaders of the Italian ex-left regarded
the left as mistaken in their belief that petty crime should not be treated as mafia nor
terrorism (this is the thesis of Luciano Violante, the former Magistrate and President
of the Chamber of Deputies, and also the constitutionalist Giuliano Amato, who was
considered a guarantor and, as Minister of the Interior, brought to bear the zero tol-
erance of the New York Mayor Rudolph Giuliani – see footnote 32).
In light of this liberal drift of the “historical” left, it now seems illusory to hope for
an “alternative penal policy”, “the prospect of a maximum contraction and the pros-
pect of a minimum criminal law” (as suggested by Stefano Anastasia in the afterword
to the reprint of the famous book of Baratta) and, at the limit, an overhaul of the penal
system.

3.3 The “Safe Cities” Experience

The “safe cities” experience was initiated thanks to Massimo Pavarini. Pavarini
convinced an official of the Emilia-Romagna region and the president of Emilia-Ro-
magna (at the time leader of the Democratic Party – ex-communist who since then
mixed with ex-Christian Democrats) to create a project that should guide the munic-
ipalities of the region in urban security governance. The project also focused on so-
cial policies, risk reduction and prevention in order to reduce repression and prisons.
The scientific committee of this project included many of Baratta’s disciples (him-
self being a frequent guest)29.
Following key facts show the limitations and gaps of the project:
a) The choice of the name (safe cities) was kind of a boomerang due to its focus on
the threat of crimes and led to an extension of security matters. This was influenced
by the so-called “public opinion” overestimating the threat posed by crime (also dis-
cussed at the first meeting of the Scientific Committee – compare De Giorgi 2000).
(b) The study of crime statistics was entrusted to Marzio Barbagli. He is a sociol-
ogist without profound experience in this field or a sufficiently critical approach to
these statistics.30 However, like another researcher, Barbagli was supported by the
pressure group, i. e. the Cattaneo Institute (close to Prodi) and the publishing
house il Mulino, a group that acquired a decisive option on the “safe cities” project.
Barbagli’s statistical work within the “safe cities” project is one of his most renown.
29
The reports on the project may be found on https://autonomie.regione.emilia-romagna.it/
sicurezza-urbana/approfondimenti/quaderni-di-citta-sicure-1 [04. 02. 2020].
30
Barbagli’s work may be resumed in his phrase “Therefore, even if the statement that
immigrants have increased the crime rate in Italy is not confirmed by the data on murders […],
there is no doubt that the contribution of foreigners […] to the criminal activity has been
significant.”; translated from https://www.ilsole24ore.com/art/migranti-veri-numeri-criminali
ta-stranieri-italia-AEZIIrFG?refresh_ce=1 [04. 02. 2020]. Given his very influential position at
the Institute Cattaneo e il Mulino, Barbagli also published several books.
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology 301

However, his proposal of how to read his approach to the data is questionable. Firstly,
he presented the data of the police and the judicial system as indisputable truth. Sec-
ondly, he combined the data with disputable results, such as those on individual opin-
ions of citizens without a proper research design (i. e., letters to the mayor of Bolo-
gna). It is no coincidence that Barbagli joined the scientific committee of the ICSA
Foundation31 created by Minniti and Cossiga. Hardly any member of the scientific
committee criticised the security drift in the ICSA Foundation and the few who
took an alternative critical approach were isolated and stigmatised. Presumably,
the driving force behind this was an official from the region with a lot of power
on Pavarini as well as on the decisions of the project.
c) When it comes to the analysis of statistics, some of the main shortcomings of
critical criminology become obvious: critical criminology does not bother about sta-
tistics. However, a critical deconstruction of statistics, police studies and the ethno-
graphic approach is important to meet the requirement of being critical.
d) The so-called fight against the mafia in the “safe cities” project was reduced to a
ludicrous battle against a small mafia located in the small town Budrio, near Bologna.
Furthermore, the statistics used were generated on residents of Emilia-Romagna mu-
nicipalities who were born in southern regions that were suspected as potential mass
Mafia bases (during the observation period some Mafia suspects were exiled in the
municipalities of this region). This led to an ignorance of the actual links of the mafias
within the region of Budrio. A desirable study on mafia structures would have dis-
covered many complicities and even joint ventures in every province of the region,
involving banks, numerous cooperatives as well as several local governments (and
thus in the Partito Democratico). Scandals and research on mafia have already re-
vealed the important diffusion of mafias in all provinces of northern Italy (see
some research published over the last 15 years, e. g. Varese 2006; Moro & Villa
2016). The huge increase in suspicious financial deposits, especially within the
Parma region when the PARMALAT scandal erupted, is documented in the report
“The demand for security and police” in the cities of the region. However, the region-
al official stigmatised the report as a collection of unacceptable “rumours” (he
showed ignorance and hostility to qualitative research and omertà concerns to defend
the “honour” of the so-called “Red” Region).32 This ignorance and mistrust of qual-

31
See http://www.fondazioneicsa.info/consiglio-scientifico/ [04. 02. 2020]. The I.C.S.A.
(Intelligence Culture and Strategic Analysis) Foundation is a non-governmental body aiming
at dealing with security, defence, and intelligence issues innovatively. Its focus lies on main
phenomena related to national security, the development of military defence models, the na-
tional security agency and criminal and illegal acts. For the history of ICSA with a rather
eloquent sequence of photos of its foundation see http://www.fondazioneicsa.info/2017/06/23/
767/ [04. 02. 2020].
32
For examples of local reactions towards the revealing of the scandal see https://www.
telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/italy/1451357/How-Parmas-big-cheese-fell-from-
grace.html [03. 02. 2020].
302 Salvatore Palidda

itative research was and still is common among many criminologists and sociologists
of deviance.
d) Critical research on the local police is missing. As stated in the first report of the
“safe cities” project, the only capacity of the regional government in the field of se-
curity lies in its (relative) power over the local police, in particular, in the area of vo-
cational training. Nonetheless, the research conducted by a young researcher (shy
and respectful due to his subordinate position), ignored the ethnographic approach
necessary for a better understanding of the dynamics of the police forces. As a result,
disturbing aspects got lost during the research process. For example, a committee
member reported on the creation of a unit within the Bologna local police: their mem-
bers called themselves the “Negro Hunting Team”. In contrast, the widespread phe-
nomenon of moon rents (for example, students from other regions must pay up to 400
euros per month for a bed in a four-bed room) demanded by zealous citizens while
insisting on zero tolerance was not mentioned. In other words, the scientific commit-
tee kept quiet about questionable aspects of the local community and the behaviour of
its administration. In this way, the questionable special unit of the local police was
distracted in favour of other false or secondary uncertainties. In addition, prevention
and control agencies (labour and health inspectorates, civil protection, etc.) were not
included. The very idea of a security policy with a main focus on the population was
disregarded. As a result, the actors who originally are meant to be at the forefront of
preventing and combatting these insecurities as well as protecting its victims were
neglected. Another limitation was the ignorance of the idea of a permanent cooper-
ation between all actors and active citizens. Such a cooperation would mean a vivid
network able to prevent and contrast the threats of the population. Only such a per-
petual cooperation could effectively reduce underground economies and contribute
to the protection of the weakest and most isolated. For example, new experiences un-
derway in the United States thanks to Black Lives Matter show that the downsizing of
police and the increase in community-run health and social services in neighbor-
hoods produces very positive results: reduction of remains, arrests and killings
from part of cops.
e) Although endowed with prominent philosophers and sociologists of law, the
“philosophy” of the “safe cities” project also ignored a reflection on possible security
principles within the constitution. Precisely, this reflection could have guided the
project and, consequently, its operational choices towards a unique and more effec-
tive approach. Undeniably, priority should have been given to ignored instead of sec-
ondary or even false insecurities.33
The first duty of the local and national government is to ensure the protection of
the lives of the inhabitants. Local and national authorities are unaware of the causes
of mortality due to toxic contaminations. Prevention and control agencies are obliged
to safeguard the population at risk of toxic contamination, occupational injury, ex-
ploitation or slavery. However, these actors are constantly distracted and diverted to-
33
Further on this see Palidda 2016 and Palidda 2018b.
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology 303

wards repression (rather than prevention) in situations of insecurity attributed to de-


viance, delinquency or even “threats against morality” (themes put forward by Bar-
bagli and other entrepreneurs of securitarism).
Insecurity surveys carried out at national level with large samples are often tele-
phone surveys. However, this disproportionately targets older and well-off citizens
(see Sala & Lillini 2015; Garcia-Continente et al. 2014 analysing the effect of sur-
veys limited to landline users). Furthermore, the questionnaires are often limited to
questions on insecurities that are particularly interesting to the entrepreneurs of zero
tolerance. Inevitably, unreachable respondents are identified as originators of such
insecurities. But these people commonly are victims of ignored insecurities and in-
clude e. g. immigrants, young deviants, marginalised groups or homeless people. The
focus on the supposed average citizen distracts from the victims of ignored insecur-
ities hereby depriving them from protection. Furthermore, they are exposed to var-
ious attacks also by the average citizen, including those calling for zero tolerance but
shouting against degradation, disorder and juvenile deviance.
This neglect of ignored insecurities with its victims is the most serious shortcom-
ing of the “safe cities” project. The entire scientific committee, also being distracted
by the general discourse on the insecurities of the mainstream, is responsible for this
gap. At the same time, the timid attempt to support preventive measures and social
responses as alternatives to repressive and criminal actions can only be inconsistent
and lacking in credibility.
Consequently, the project was implemented within a framework of activities that
adopts the government’s prevailing safety concept. However, this concept is not an
alternative to the zero tolerance defended by the leaders of the former left (Violante,
D’Alema, Amato, Minniti and others in Italy, Valls in France) and then by the pseudo-
sovereigntist-populist Salvini, who is keen to remove (but not to solve) ignored in-
securities that proliferate in his electoral strongholds.
It is no coincidence that the same heterogenesis can be observed in the case of the
European Forum for Urban Safety. The neo-colonial drift encompasses all countries
that have become “old” and trapped in the defence of real, presumed or expected priv-
ileges. Meanwhile, young people escape and people in the opposition seem to have
lost hope. They no longer believe in anything at all, they do not vote and are marked
by the disgust that caused the drift of the ex-left (see the emblematic case of Genoa34).
In fact, the democracy reveals itself a lure, a heterogenesis (a dystopia).

34
In Genoa the right won the regional and communal elections with 42% of votes; the
majority of the former Communist Party electorate no longer votes; a few went to vote M5S
and some voted for revenge right; see Palidda 2018c.
304 Salvatore Palidda

References

Baratta, A. (1983): Criminologie critique et critique du droit pénal. Introduction à la sociologie


juridico-pénale. Montreal.
Bigo, D. & Bonelli, L. (2019): L’état d’urgence en permanence (1). Cultures & Conflict 112.
Bigo, D. & Bonelli, L. (2019): L’état d’urgence en permanence (2). Cultures & Conflict 113.
Bourdieu, P. (1977): Outline of a Theory of Practice. Cambridge.
Latour, B. (2005): Reassembling the Social: An Introduction to Actor-Network Theory. Oxford.
Centemeri, L. & Dumalin, X. (2015): Pollutions industrielles et espaces méditerranéens.
XVIIIè-XXIè siècle. Paris.
Convington, J. (1995): Racial Classification in Criminology: The Reproduction of Racialized
Crime. Sociological Forum 10/4, pp. 547 – 568.
Fassin, D. & Fassin, E. (2008): De la question sociale à la question raciale? Représenter la société
française. Paris.
Foucault, M. (1975): Surveiller et punir: Naissance de la prison. Paris.
Garcia-Continente, X., Pérez-Giménez, A., López, M.J. & Nebot, M. (2014): Potencial sesgo de
selección en las encuestas telefónicas: teléfonos fijos y móviles. Gaceta Sanitaria 28,
pp. 170 – 172.
Gounev, P. & Ruggiero, V. (2012): Corruption and organized crime in Europe: Illegal partner-
ships. London.
Henninger, A.M. (2014): Jock Young: Critical criminologist. Dialectical Anthropology 38,
pp. 113 – 115.
Henry, E. (2015): La mondialisation des risques. Une histoire politique et transnationale des
risques sanitaires et environnementaux. Rennes.
Hobbes, T. (1968): Leviathan: The Matter, Forme and Power of a Common-Wealth Ecclesiasti-
call and Civil. Baltimore.
Klein, N. (2008): The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism. London.
Laurens, S. (2015): Les courtiers du capitalisme. Marseille.
Mauss, M. (1968): Sociologie et anthropologie. Paris.
Mbembe, A. (2003): Necropolitics. Public Culture 15/1, pp. 11 – 40.
McNamara, K.E. & Gibson, C. (2009): We do not want to leave our land: Pacific ambassadors at
the United Nations resist the category of ‘climate refugees’. Geoforum 40, pp. 475 – 483.
Moore, J.W. (2017): The Capitalocene, Part I: on the nature and origins of our ecological crisis
44/3, pp. 594 – 630.
Moore, J.W. (2018): The Capitalocene, Part II: accumulation by appropriation and the centrality
of unpaid work/energy. The Journal of Peasant Studies 45/2, pp. 237 – 279.
Moro, F.N. & Villa, M. (2016): The New Geography of Mafia Activity. The Case of a Northern
Italian Region. European Sociological Review 125, pp. 46 – 58.
Mucchielli, L. (2008): La frénésie sécuritaire: Retour à l’ordre et nouveau contrôle social. Paris.
Limitations and Gaps of Philosophy of Law and of Criminology 305

Nagels, C. & Lascoumes, P. (2014): Sociologie des élites délinquantes. Parigi.


Novaro, C. (2019): Repressione giudiziaria e movimenti. Gli anarchici, i processi, le regole;
https://volerelaluna.it/societa/2019/07/09/repressione-giudiziaria-e-movimenti-gli-anarchici-
i-processi-le-regole/ [31. 01. 2020].
Palidda, S. (1992): L’anamorphose de l’Etat de droit; https://www.academia.edu/33997534/La
namorphose_de_lEtat_de_droit.pdf. [03. 02. 2020].
Palidda, S. (2015): The Italian Police Forces into Neoliberal Frame An Example of Perpetual
Coexistence of Democratic and Authoritarian Practices and of Anamorphosis of Democratic
Rules of Law. European Journal of Policing Studies 3, pp. 52 – 78.
Palidda, S. (2016): Governance of Security and Ignored Insecurities in Contemporary Europe.
London.
Palidda, S. (2017): Polizie, sicurezza e insicurezze ignorate, in particolare in Italia. Revista
Crítica Penal y Poder 13, pp. 233 – 259.
Palidda, S. (2018a): La guerre aux migrations ou la subsomption de tous les désastres de la dé-
rive néo-libériste- le fait politique total du XXI siècle; https://www.academia.edu/37936402/
La_guerre_aux_migrations_ou_la_subsomption_de_tous_les_d%C3%A9sastres_de_la_d%
C3%A9rive_n%C3%A9o-lib%C3%A9riste-_le_fait_politique_total_du_XXI_si%C3%
A8cle [03. 02. 2020].
Palidda, S. (2018b): Resistenze ai disastri sanitari, ambientali ed economici nel Mediterraneo.
Rome.
Palidda, S. (2018c): Gênes une histoire de gloires et de crimes politiques aux dépens des habitants
et du territoire; https://www.academia.edu/37903933/G%C3%AAnes_une_histoire_de_
gloires_et_de_crimes_politiques_aux_d%C3%A9pens_des_habitants_et_du_territoire
[03. 02. 2020].
Reiner, R. (2000): Crime and Control in Britain. Sociology 34, pp. 71 – 94.
Ruggiero, V. (2015): Power and Crime. London, New York.
Sala, E. & Lillini, R. (2015): Undercoverage Bias in Telephone Surveys in Europe: The Italian
Case. International Journal of Public Opinion Research 3, pp. 133 – 156.
Salvatorelli, L. & Mira, G. (1964): Storia d’Italia nel periodo fascista. Turin.
Schmid, A. (1995): Migration and Crime: A Framework for Discussion, in: ISPAC Migration
and Crime. Proceedings of an Ancillary Meeting organized on the occasion of the United
Nations’ Ninth World Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders,
May 3, 1995, Cairo, Egypt. Milan.
Simmel, G. (1908): Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Ber-
lin.
Swaaningen, R. van (1999): Reclaiming Critical Criminology. Theoretical Criminology 3,
pp. 5 – 28.
Swaaningen, R. van (1998): Critical Criminology on the European Continent: Its History, Rise,
Fall and Resurrection. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 6,
pp. 41 – 54.
306 Salvatore Palidda

Thébaud-Mony, A. (2014): La science asservie. Santé publique les collusions mortifères entre
industriels et chercheurs. Paris.
Varese, F. (2006): How mafias migrate: The case of the ‘ndrangheta in northern Italy. Law &
Society Review 40, pp. 411 – 444.
Welzer, H. & Camiller, P. (2012): Climate wars: Why people will be killed in the twenty-first
century. Cambridge.
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen
Von Helmut Kury

1. Einleitung
Straffälliges Verhalten, Kriminalität, ist ein Thema, das zu jeder Gesellschaft da-
zugehört. Ostendorf (2018) betont, die „Neigung“ zu strafbaren Verletzungen von
vorgegebenen Regeln sei grundsätzlich in allen Menschen angelegt. Was als Krimi-
nalität und damit als strafbare Handlung gesehen und offiziell definiert wird, verän-
derte sich über die Jahrhunderte bis heute, einerseits werden, vor allem auch vor dem
Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen, Handlungen entkriminalisiert, ande-
rerseits wird „neukriminalisiert“, in den letzten Jahrzehnten etwa im Bereich Inter-
net.
Vor allem auch die Ursachenzuschreibung für kriminelles Verhalten hat sich im
Laufe der Jahrhunderte immer wieder geändert, warum jemand straffällig wird,
wird auch heute noch teilweise deutlich unterschiedlich gesehen. Gerade die
Frage, woran es liegt, dass jemand straffällig wird, ist insbesondere auch hinsichtlich
der Planung von Präventionsmaßnahmen ausgesprochen wichtig. Hat man in frühe-
ren Jahrhunderten die Ursachen vielfach etwa in körperlichen angeborenen Merkma-
len gesehen, werden die Gründe für Kriminalität heute, vor allem in westlichen In-
dustriegesellschaften, eher in gesellschaftlichen Bedingungen, in der breiten Öffent-
lichkeit insbesondere in der familiären Erziehung der Kinder durch die Eltern sowie
den Gegebenheiten im sozialen Umfeld, kriminellen Strukturen, gesehen (Spapens &
Moors 2019). Die Frage, wieweit angeborene Verhaltensmerkmale zur Entwicklung
abweichenden Verhaltens beitragen können, wird auch heute noch diskutiert (vgl. Ol-
weus 1987; Brendgen u. a. 2005; Waldman & Rhee 2006; Besemer u. a. 2017).
Empirische Untersuchungen konnten vermehrt zeigen, dass schwer straffällig ge-
wordene Bürger, etwa Inhaftierte in Strafvollzugsanstalten, durchgehend aus schwer
gestörten familiären Verhältnissen, aus Familien, die etwa meist den unteren sozialen
Schichten angehören, kommen. „Die Familie ist die vermutlich universellste Form
menschlicher Vergemeinschaftung und überindividueller sozialer Gebilde“, gilt ge-
nerell als die „Keimzelle“ des Staates (Sack 1993, 124). Gerade auch hinsichtlich der
Erziehung der Nachkommen spielt sie die zentrale Rolle (Albrecht u. a. 1991). Vor
allem auch hinsichtlich des Zustandekommens und der Erklärung von Kriminalität
richtet sich der Blick vorwiegend auf die Familie, wo in der Regel erhebliche Mängel
festgestellt werden (Sack 1993, 130).
308 Helmut Kury

Eine Befragung von jugendlichen Inhaftierten in Baden-Württemberg (Kury


1979) mit einem Durchschnittsalter von 19,5 Jahren zeigte bei den Betroffenen
eine Fülle von Belastungsfaktoren, die als Hintergründe für deren straffälliges Ver-
halten gesehen werden können. So hatten etwa 24,2 % vor der Inhaftierung keinen
festen Wohnsitz, 42,1 % verübten die Delikte nur in Gruppen, bei 75,5 % waren unter
den Freunden auch Straftäter, 59,2 % verübten die Tat(en) unter Alkoholeinfluss,
46 % hatten selbst schon einmal Drogen genommen, 15,4 % taten dies regelmäßig,
30,0 % der Väter zeigten eine Alkoholauffälligkeit, 48,2 % der Insassen waren zur
Tatzeit arbeitslos, 52,4 % berichteten, dass es in ihrer Herkunftsfamilie zu häufigen
Auseinandersetzungen, zeitweiser oder endgültiger Trennung der Eltern gekommen
sei, 48,4 % wuchsen vor dem 14. Lebensjahr zumindest zeitweilig in einer unvoll-
ständigen Familie auf, 42,8 % waren zumindest vorübergehend in einem Heim,
37,6 % sind vor dem 14. Lebensjahr mindestens einmal von Zuhause ausgerissen,
79,5 % schwänzten mehrfach die Schule, 54,7 % hatten keinen Schulabschluss,
79,1 % keine Berufsausbildung, 88,6 % waren vor der Haft arbeitslos, 93,7 % gehör-
ten den unteren sozialen Schichten an und 65,3 % hatten nach der Entlassung teilwei-
se erhebliche Schulden (vgl. a. Kury 2020a). Solche Forschungsergebnisse geben
auch deutliche Hinweise auf die Notwendigkeit von über eine reine Bestrafung hin-
ausgehende Hilfsmaßnahmen im Rahmen einer wirksamen Prävention weiteren
straffälligen Verhaltens (Nickolai 2020).
Ein wesentlicher Ansatz zur Erforschung der Hintergründe und Ursachen von
straffälligem Verhalten und der Möglichkeiten wirksamer Prävention besteht in
der Untersuchung, wieweit sich solche Auffälligkeiten über Generationen fortsetzen,
wieweit sich eine „Intergenerational Transmission of Criminal Behaviour“ nachwei-
sen lässt (Besemer u. a. 2017). Bereits frühere Untersuchungen, etwa von Dugdale
(1877) oder Goddard (1912) haben sich auf die familiären Hintergründe von abwei-
chendem Verhalten konzentriert und haben dabei die Idee einer „Weitergabe“ an die
nächste Generation aufgegriffen. Untersuchungen in dem Bereich sind methodisch
relativ aufwändig und meist teuer, vor allem wenn es sich um Langzeitstudien han-
delt. Kriminalität und vor allem deren Ursachen sind ein ausgesprochen komplexes
Geschehen, bei dem zahlreiche interagierende Faktoren eine Rolle spielen, neben fa-
miliären Erziehungsbedingungen für die Kinder etwa insbesondere auch die sozialen
Umweltgegebenheiten, wie der Freundeskreis. Einzelne Faktoren und deren Auswir-
kungen zu isolieren ist vor diesem Hintergrund schwierig, was die Forschung auch
deutlich zeigt und was letztlich zu sich teilweise widersprechenden Resultaten führt.
Bereits geringfügige Bedingungen, wie etwa ein guter Kontakt eines in der Her-
kunftsfamilie gefährdeten Kindes zu den Großeltern oder zu Nachbarn, kann das Ab-
rutschen in straffälliges Verhalten verhindern. Neben einer generellen Kritik an
Langzeitstudien, etwa was deren theoretische Fundierung betrifft, werden immer
wieder methodische Mängel hervorgehoben. Auch der Begriff der „kriminellen Kar-
riere“ ist keineswegs klar definiert (Albrecht 1993, 301; Albrecht 1990).
Ein Großteil der bisher vorliegenden Forschung in diesem Bereich wurde in Aus-
tralien, den USA und Westeuropa, hier vor allem in Großbritannien und den Nieder-
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 309

landen durchgeführt (World Health Organization – WHO 2007). In Deutschland gibt


es zwar einige umfangreichere Studien zum Verlauf von (Jugend-)Kriminalität über
die Zeit, jedoch werden hierbei kaum besondere familiäre Erziehungsbedingungen
und deren mögliche spezifische Einflüsse auf eine weitere kriminelle Karriere der
Nachkommen mit einbezogen. Nach Schumann ist die
„Lebenslaufperspektive … in der deutschen Kriminologie selten angewendet worden. Pro-
spektive Längsschnittstudien mit einer größeren Zeitspanne gibt es kaum; die Lebenslauf-
analysen betrafen meist retrospektiv gewonnene Datensätze oder solche aus Panelstudien“
(Schumann 2018, 270).

Wie Tomison (1996) betont, werden bei retrospektiven Studien meist Eltern un-
tersucht, die ihre Kinder missbrauchen bzw. missbraucht haben. Die Angaben dieser
Eltern über eigene Missbrauchserfahrungen sind teilweise fraglich und wenig valide,
können vor allem auch einer „Entschuldigung“ für das eigene straffällige Verhalten
dienen. Einen Einfluss auf die Ergebnisse kann auch die Definition des Missbrauchs
haben. Nach Tomison (1996) überschätzen retrospektive Studien meist die Zusam-
menhänge. Prospektive Studien sind dagegen schwerer umzusetzen, in der Regel
werden dabei missbrauchte und nicht missbrauchte Kinder und deren familiärer Hin-
tergrund über längere Zeitspannen untersucht, was zeit- und kostenaufwendig ist. Vor
dem Hintergrund der erheblichen methodischen Probleme überrascht es nicht, dass
die Schätzungen der Rate einer „intergenerational transmission of child maltreat-
ment“ in den vorliegenden Untersuchungen erheblich variieren, nach Tomison
(1996) von 7 %, Gil (1970) bis 70 % (Egeland u. a. 1987; National Research Council
1993) reichen.
Trotz aller methodischen Probleme und Einschränkungen hinsichtlich der Inter-
pretation vorliegender Befunde betonen Tzoumakis u. a. (2019, 5):
„Extensive research has demonstrated that the experiences, life events, and decisions made
by members of one generation can significantly impact those of the next. … A well-estab-
lished example of this phenomenon is the intergenerational patterns of antisocial behaviour
and criminality, with criminal parents tending to have criminal children.“

Im Folgenden soll ein stichwortartiger Überblick über ausgewählte bisherige Er-


gebnisse der Untersuchungen, vorwiegend zu einer „intergenerational transmission
of violent behaviour“, die in der Literatur diskutierten theoretischen Erklärungsan-
sätze sowie erörterte Präventionsmaßnahmen gegeben werden. Hierbei wird insbe-
sondere kurz auf Ergebnisse zu Einflussvariablen eingegangen wie Häufigkeit des
missbräuchlichen Verhaltens, Alter der Kinder zum Zeitpunkt des Missbrauchs, ge-
sellschaftliche Faktoren, Gewalt zwischen den Ehepartnern und Gewalt gegenüber
den Kindern, Art der Straftat der Eltern und Geschlecht des missbräuchlichen Eltern-
teils.
310 Helmut Kury

2. Forschungsergebnisse
Vor allem in Großbritannien und den Niederlanden, aber auch Australien und den
USA, wurden inzwischen neben Einzelstudien auch umfangreiche Meta-Analysen
bisheriger Forschung zu dem Thema einer „intergenerational transmission of crimi-
nal behaviour“ durchgeführt, die auch auf deutlich unterschiedliche, sich teilweise
widersprechende Resultate hinweisen. So betonen Besemer u. a. (2017, 164):
„Specifically, children’s responses to parental CB (criminal behaviour) might vary accord-
ing to which parent engages in CB, their own gender, the children’s age at parental CB, their
country or geographical region, their birth year, and the wider social contexts in which they
find themselves.“

Einigkeit besteht in der internationalen Forschung letztlich vor allem darin, dass
„Children, whose parents exhibit criminal behavior (CB) appear to have an increased
risk of displaying CB themselves“ (Besemer u. a. 2017, 161).
Einige Studien fanden zwar keine Einflüsse elterlicher Kriminalität bzw. Inhaf-
tierung hinsichtlich eines straffälligen Verhaltens der Kinder, aber auf deren Ent-
wicklung von sozialer Kompetenz und kognitiven Fähigkeiten. So hat die Studie
von Latvale u. a. (2015) in Schweden einen negativen Einfluss der väterlichen Ver-
urteilung auf die kognitiven Fähigkeiten der Söhne im Alter von 18 Jahren zeigen
können. Im Gegensatz dazu fanden Murray u. a. (2012) bezogen auf die Daten der
Pittsburgh Youth Study, dass sich elterliche Kriminalität nicht auf die akademische
Leistung der eigenen Kinder im Alter von 7 – 16 Jahren auswirkte.
McCord (1977) ging noch von der Annahme aus, dass eine generelle Übertragung
von Einflüssen straffälligen Verhaltens auf die kommende Generation stattfinde, in-
zwischen wird zunehmend die Frage geprüft, wieweit es spezifische Wirkmechanis-
men gibt, etwa was die Häufigkeit und Art der Straffälligkeit der Eltern bzw. das
Alter der betroffenen Nachkommen angeht.
Was etwa die Häufigkeit straffälligen Verhaltens der Eltern betrifft, fanden viele
Studien einen positiv signifikanten Zusammenhang mit dem straffälligen Verhalten
der Nachkommen, allerdings gibt es auch hier Ausnahmen. Besemer (2012) zeigte,
dass Kinder, deren Eltern verurteilt wurden, selbst dreimal mehr Verurteilungen hat-
ten als Kinder von unauffälligen Eltern. Je mehr Verurteilungen die Eltern aufwiesen,
umso mehr Verurteilungen hatten auch die Kinder, was sich sowohl für Söhne als
auch Töchter zeigte. Die Zahl der elterlichen Verurteilungen erwies sich als signifi-
kanter Prädiktor für die Verurteilungsrate der Kinder: Hatten die Eltern eine Verur-
teilung, lag die Rate bei den Kindern im Durchschnitt bei 1,64, bei zwei bis drei Ver-
urteilungen der Eltern stieg diese auf 2,23 und bei vier und mehr elterlichen Verur-
teilungen auf durchschnittlich 3,51 bei den Kindern. Eine getrennte Analyse für die
Töchter zeigte dagegen keine signifikanten Unterschiede. Besemer & Farrington
(2012, 133) fanden dagegen in einer weiteren Analyse, die Intensität der väterlichen
Kriminalitätskarriere könne die Intensität kindlichen straffälligen Verhaltens nicht
signifikant voraussagen, es gebe keine bedeutenden Unterschiede zwischen Kindern,
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 311

deren Väter nur sporadisch straffällig würden im Vergleich zu Vätern, die sich als
Intensivtäter erwiesen.
Was den Zeitpunkt des elterlichen Fehlverhaltens im kindlichen Lebenslauf be-
trifft, zeigt sich nach einigen Studien des Weiteren ein Zusammenhang zwischen
der Straffälligkeit der Eltern vor der Geburt des Kindes mit dem kindlichen Verhal-
ten, was damit erklärt werden kann, dass die Hintergründe für das straffällige Ver-
halten, etwa soziale Risikofaktoren, auch nach der Geburt des Kindes weiter vorhan-
den sein können, auch wenn keine weitere Straffälligkeit der Eltern mehr auftritt.
„Crime is not directly transmitted from parents to children, but rather through con-
tinuity of a constellation of antisocial features“ (Besemer 2012, 16). Die in der Regel
bei (schwer) straffälligen Eltern vorzufindende kriminogene Umgebung ist aller-
dings ausgeprägter, wenn die Eltern nach der Geburt des Kindes verurteilt werden.
Diese Unterschiede hinsichtlich straffälligen Verhaltens der Eltern und kindlichen
Abweichungen blieben auch dann erhalten, wenn weitere Risikofaktoren, wie etwa
die Lebens- und Umweltbedingungen, berücksichtigt wurden, obwohl diese Risiko-
faktoren einen Teil der Varianz aufklären können. Nach Ansicht von Besemer (2012,
136) bestätigt dieses Ergebnis auch genetische Mechanismen, vor allem bezogen auf
gewalttätiges Verhalten von Eltern und Kindern, „because offspring of violent pa-
rents had a higher risk of exhibiting violent behaviour in particular“.
Kinder, deren Eltern nach ihrer Geburt verurteilt wurden, hatten ihrerseits mehr
Verurteilungen im Vergleich zu denen, bei denen dies nur vor der Geburt der Fall war.
Diese Kinder kommen auch gehäuft aus problematischen Verhältnissen, etwa aus Fa-
milien mit geringem Einkommen, größeren Familien, schlechteren Beschäftigungs-
bedingungen des Vaters und weniger Interesse der Eltern an einer Förderung ihrer
Kinder, etwa hinsichtlich einer Ausbildung. Während Kinder, deren Eltern nur vor
ihrer Geburt verurteilt wurden, die niedrigste Verurteilungsrate hatten, lag diese
bei Kindern, die bei der Straffälligkeit der Eltern etwa 7 bis 12 Jahre alt waren,
bei 3,70, damit am höchsten, gefolgt von denen, die zwischen 13 und 18 Jahre
waren (3,09) und der Gruppe, die 0 – 6 Jahre alt waren (2,73). Die Unterschiede
waren allerdings nicht signifikant und gingen zurück, sobald mehrere Risikofaktoren
berücksichtigt wurden. „There does not appear to be a sensitive period for the impact
of parental criminal behavior“ (Besemer 2012, 13, 78, 170).
Van de Rakt u. a. (2010) fanden einen deutlicheren Einfluss väterlicher Verurtei-
lung auf die Kinder, wenn Letztere in der Adoleszenz waren. Smith & Farrington
(2004) fanden auf der Basis der Cambridge Study in Delinquent Development
einen Zusammenhang zwischen väterlichem bzw. mütterlichem straffälligen Verhal-
ten mit auffälligem Verhalten bei Jungen im Alter von 8 bis 10 Jahren, wobei das
Geschlecht des missbräuchlichen, d. h. gewalttätigen Elternteils keine wesentliche
Rolle spielte. Tzoumakis u. a. (2019, 5) betonen, die Übertragung straffälligen Ver-
haltens auf die nächste Generation beginne bereits in der frühesten Entwicklungspha-
se, also bereits im Alter ab der Geburt (vgl. auch Tremblay 2015), ein Großteil der
Forschung habe sich allerdings auf Adoleszente und Erwachsene konzentriert. Die
312 Helmut Kury

Autorinnen der Studie von Tzoumakis u. a. (2019) untersuchten den Zusammenhang


zwischen elterlichem straffälligen Verhalten und den Auswirkungen auf die Kinder
in der frühen und mittleren Kindheit in Australien (New South Wales) und fanden
auch hier, dass Mütter mit einer eigenen Geschichte von straffälligem Verhalten zahl-
reiche Benachteiligungen erfahren haben und zahlreiche Risikofaktoren für die Aus-
übung eigener Gewalt und Straffälligkeit zeigten, wie sozioökonomische Benachtei-
ligung oder geistige Behinderungen. Diese Mütter hatten auch vermehrt Partner mit
ebenfalls erheblichen Defiziten, u. a. Straffälligkeit. Es zeigte sich ein Zusammen-
hang zwischen mütterlichem und väterlichem straffälligem Verhalten und einer ge-
steigerten Vulnerabiltiät bei den Kindern in der frühen und mittleren Kindheit. Die
Studie zeigt, dass diese Einflüsse und Transmissionsprozesse früh im Lebenslauf der
Kinder beginnen. Kinner u. a. (2007) fanden in einer weiteren Studie in Australien
dagegen keinen Zusammenhang zwischen einer Inhaftierung des Vaters und dem
Verhalten eigener 14-jähriger Kinder.
Neben den Einflüssen einer elterlichen Verurteilung auf die Kinder führt etwa Be-
semer (2012, 108 f.) weitere gesellschaftliche Faktoren an, die zu einer Steigerung
des Kriminalitätsrisikos durch eine Inhaftierung eines Elternteils, vor allem des Va-
ters, beitragen können, wie eine stärkere Anbindung der Nachkommen an Peers, eine
Stigmatisierung der Betroffenen aufgrund der Strafverfolgung, ökonomische Proble-
me, da bei einer Inhaftierung in der Regel der Haupternährer wegfällt, was zu finan-
ziellen Problemen und einer Zunahme kindlicher Auffälligkeiten führen kann. Hier-
bei zeigte sich in den Studien immer wieder, dass vor allem Eltern, die vermehrt straf-
fällig wurden, in der Regel in soziale Milieus eingebunden sind, die das abweichende
Verhalten fördern und „normalisieren“, was wiederum die Einbindung der Nach-
kommen in straffälliges Verhalten begünstigt.
Mehrere Studien konnten auch einen Zusammenhang zwischen Gewalt unter den
Eltern und kindlichem Missbrauch zeigen. Gewalt in (schwer) gestörten familiären
Beziehungen wird hiernach vielfach nicht nur gegenüber dem Partner ausgeübt, son-
dern auch gegenüber den Kindern. Apple & Holden (1998) fanden in ihrer Analyse
von 31 Studien über häusliche Gewalt, dass Kinder, die in Familien aufwachsen, in
welchen Gewalt zwischen den Partnern stattfindet, einem erhöhten Risiko von Kin-
desmisshandlung ausgesetzt sind.
Auch Sijtsema u. a. (2020) untersuchten in ihrer Analyse unter Berücksichtigung
von Ergebnissen internationaler Studien Risikofaktoren hinsichtlich eines gemeinsa-
men Vorkommens von Kindesmisshandlung und Gewalt zwischen den Partnern. Die
Autoren fanden bei ihrer Recherche 132 relevante Studien, die zwischen 1985 und
2019 veröffentlicht wurden und sich auf die Untersuchung eines gemeinsamen Vor-
kommens von Partnergewalt und Kindesmissbrauch konzentrierten. Häusliche Ge-
walt wurde nach den Ergebnissen von beiden Geschlechtern ausgeübt, bei den Vätern
kam es allerdings neben der Gewalt gegenüber der Partnerin in 57,3 % gleichzeitig
auch zu Kindesmisshandlung, bei den Müttern in 26,4 %. Ferner geschah die Miss-
handlung gegenüber den Partnerinnen als auch den Kindern durch die Väter häufiger
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 313

mit Gewalteinsatz, weniger in Form von Vernachlässigung (Sijtsema u. a. 2020, 125).


Neben dem Geschlecht der Eltern waren von Einfluss auf die Gewaltausübung ge-
genüber Partner und Kindern vor allem ein geringes Ausbildungsniveau und finan-
zielle Probleme.
Die World Health Organization – WHO (2007) weist in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass Menschen, die als Kinder missbraucht wurden, eine erhöhte Wahr-
scheinlichkeit haben, später selbst mit einem gewalttätigen Partner zusammen zu
leben, was einen „Cycle of Violence“ unterstützt. Offensichtlich haben die Betrof-
fenen von Kindheit an „gelernt“, dass Gewalt in engen Beziehungen „normal“ ist
und dazugehört. Vor diesem Hintergrund mag sie ein gewalttätiges Verhalten des
Partners auch weniger vor einem weiteren Zusammenleben mit ihm abzuschrecken.
Insgesamt betont Besemer (2012a) in mehreren einschlägigen Veröffentlichun-
gen, dass vor allem Söhne von Vätern, die wegen Gewalttaten verurteilt wurden,
ein höheres Risiko haben, selbst wiederum wegen Gewaltkriminalität verurteilt zu
werden. Die Autorin fand auch eine Spezifizierung der Übertragung straffälligen
Verhaltens auf die nächste Generation insoweit, als Söhne von Gewalttätern im Ver-
gleich zu solchen von Eigentumstätern ein signifikant höheres Risiko hatten, selbst
wegen Gewalttaten auffällig zu werden (Besemer 2012a, 18). Die Übertragung von
gewalttätigem Verhalten auf die nächste Generation sei vor allem auch dadurch be-
dingt, dass soziales Lernen hinsichtlich gewalttätigen Verhaltens stärker ausgeprägt
sei als bei anderen leichteren Straftaten. Kinder, die Aggression in der eigenen Fa-
milie erleben würden, lernen, dass dies ein legitimes Verhalten sei, Probleme zu
lösen. Bei der Übertragung von gewalttätigem Verhalten könnten auch biologische
Faktoren eine deutlichere Rolle spielen. Impulsivität etwa sei stärker bezogen auf
Gewalttaten, werde von neurologischen Prozessen beeinflusst (Besemer 2012a, 5).
Auch Van de Weijer u. a. (2014) fanden in ihrer Studie in den Niederlanden bei Ge-
walttaten eine stärkere Übertragung von straffälligem Verhalten von den Vätern auf
die Söhne.
Was das Geschlecht der Eltern betrifft, betonen Goodwin & Davis (2011), dass
dieses hinsichtlich eines Einflusses auf eine „transgenerational transmission of
crime“ wenig untersucht sei. Frauen sind deutlich weniger straffällig als Männer.
Nach Tzoumakis u. a. (2019, 5) wurde in neueren Studien zunehmend die Rolle
der Mutter hinsichtlich einer Weitergabe straffälligen Verhaltens an die nächste Ge-
neration untersucht. In einer eigenen Studie fanden Tzoumakis u. a. (2014), dass müt-
terliches straffälliges Verhalten in Zusammenhang mit erhöhten Aggressionswerten
vor allem bei kleinen Kindern steht. Wenn Mütter straffällig werden, liegen meist
erhebliche belastende Faktoren vor, wie soziale Isolation, Drogengebrauch, junges
Alter, Armut, eigene Gewalterfahrungen – auch im Erwachsenenalter, so etwa in
der Beziehung –, Ängste und Depressionen (Child Welfare Information Gateway
2016, 3). Wenn sie inhaftiert werden, dürften die Schäden für eigene kleine Kinder
deutlich größer sein als bei einer Inhaftierung eines Vaters, auch wegen einer deut-
licheren Stigmatisierung der Familien. Besemer u. a. (2017, 164) fanden in ihrer Ana-
314 Helmut Kury

lyse, dass nur 37 % der inhaftierten Frauen angegeben haben, dass während ihrer
Haft ihr Partner die Kindererziehung übernommen habe. Wenn dagegen der Vater
inhaftiert wird, übernehmen 88 % der Frauen die weitere Kindererziehung. Eine In-
haftierung der Mutter hat somit in aller Regel weitreichendere Auswirkungen auf
vorhandene noch kleine Kinder als eine Inhaftierung des Vaters (Besemer 2012). Jun-
gen äußern die hier entstehenden Probleme einer Trennung von einer Erziehungsper-
son mehr in externalisierten Aktionen, wie Delinquenz, Aggression bzw. antisozia-
lem Verhalten; Mädchen internalisieren dagegen ihre erlebten Probleme eher, indem
sie etwa Ängste bzw. Depressionen entwickeln (Besemer 2012, 16).
Nach der Analyse von Besemer u. a. (2017) war die Übertragung des straffälligen
Verhaltens von einer Generation zur nächsten deutlicher von Müttern auf die Töchter,
gefolgt von Müttern auf die Söhne, Väter auf die Töchter und Väter auf die Söhne.
Elterliches kriminelles Verhalten ist ein Risikofaktor für Mädchen und Jungen. Ein
Großteil der Forschung hat sich auf den Effekt väterlichen Verhaltens auf die eigenen
Kinder bezogen, weniger auf die Mütter (Tzoumakis u. a. 2019, 8). Farrington u. a.
(2009) fanden, dass väterliches straffälliges Verhalten einen größeren Effekt auf
kindliches straffälliges Verhalten hatte als mütterliches, einige Autoren fanden glei-
che Übertragungswahrscheinlichkeiten bei beiden Elternteilen (Beaver 2013). Tzou-
makis u. a. (2019, 24) fanden, dass in der frühen und mittleren Kindheit mütterliches
straffälliges Verhalten einen größeren Effekt auf kindliche Abweichungen zu haben
scheint. Werden weitere Risikofaktoren berücksichtigt, nähern sich die Werte dem
Einfluss der Väter an.
Es konnte auch gezeigt werden, dass hochkriminelle Väter ihr abweichendes Ver-
halten umso mehr auf die Kinder übertragen, je mehr sie mit diesen zusammen sind
(Jaffee u. a. 2003). Besemer u. a. (2017) fanden weiterhin, dass die Zusammenhänge
stärker waren bei den vor 1981 geborenen Kohorten, was sie mit einem Wechsel in
der Kriminalpolitik hin zu härteren Reaktionen nach den 1980er Jahren erklären
(2017, 161).
„… in the 1950s, 1960s and even 1970s most penal policies were focused on rehabilitation
and reintegration, but the 1980s marked a shift toward more punitive sentencing, in Europe
as well as the United States“ (Besemer u. a. 2017, 164).

Straus u. a. (1980) fanden, dass Kinder, die von einem Elternteil desselben Ge-
schlechts missbraucht wurden, mit größerer Wahrscheinlichkeit selbst aggressive
Straftaten ausüben, als wenn der missbrauchende Elternteil vom anderen Geschlecht
ist.
Gerade auch hinsichtlich organisierter Kriminalität zeigten sich deutliche Zusam-
menhänge zwischen elterlichem straffälligem Verhalten und kindlicher Auffälligkei-
ten. Einschlägige Ergebnisse von Spapens & Moors (2019) zeigen bei Männern einen
deutlichen Zusammenhang von entsprechendem straffälligem Verhalten über die Ge-
nerationen hinweg, auch bei Frauen waren die Zusammenhänge allerdings deutlich.
Die Familien schotteten sich weitgehend ab, waren Teil einer Subkultur, neue Mit-
glieder wurden vor diesem Hintergrund gezielt ausgewählt.
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 315

Nach bisherigen Untersuchungen kann zusammenfassend festgestellt werden


(Besemer u. a. 2017, 163):
„Persons involved in CB [Criminal Behavior, Anm. d. Autors] are more likely to have chil-
dren at a younger age, experience structural adversity, continue to engage in antisocial be-
havior as a parent, have increased substance use, experience more stress, and have weaker
prosocial bonds in adulthood. All of these factors, in turn, lead to difficulties in childrearing,
such as a lack of supervision and monitoring of children, erratic parenting styles, and lower
levels of affection between parent and child, each of which is a risk factor for CB in children
and adolescents.“

Kinder, deren Eltern straffällig wurden, können weniger humanes und soziales
Kapital entwickeln, haben weniger Gelegenheiten für eine gute Ausbildung und wei-
sen somit Defizite auf, die sie ihrerseits wieder an ihre eigenen Kinder weitervermit-
teln (Hagan & Parker 1999).

3. Theoretische Erklärungsansätze
Die theoretischen Hintergründe für eine Übertragung straffälligen Verhaltens von
einer Generation zur folgenden werden in unterschiedlichen Zusammenhängen ge-
sehen, so nach Besemer u. a. (2017, 163) oder Farrington (2011) vor allem etwa in
sozialen Lernprozessen, einer kriminogenen Umgebung, dem Umgang des Krimi-
naljustizsystems mit den Abweichlern und dadurch einer Stigmatisierung der Betrof-
fenen, der Tendenz vor allem Jugendlicher aus belasteten Familien, sich mit Gleich-
gesinnten zusammenzuschließen, oder in genetischen Faktoren.
Nach der sozialen Lerntheorie wird das Verhalten von Kindern insbesondere von
den Eltern und der näheren sozialen Umgebung geprägt. Eltern stellen in der Regel
die wesentlichen Kontaktpersonen vor allem kleiner Kinder dar. Kinder übernehmen,
insbesondere bei engen und guten Kontakten, Einstellungen und Verhaltensweisen
von ihren Eltern, auch was abweichendes Verhalten betrifft (Child Welfare Informa-
tion Gateway 2016). Bandura (1977) betonte die Bedeutung von Rollenmodellen für
das Verhalten der Kinder.
Eine weitere wesentliche Ursache für eine Übertragung straffälligen Verhaltens
von Generation zu Generation, die auch soziale Lernprozesse unterstützt, wird in
einer „kriminogenen Umgebung“, welche Risikofaktoren enthält, gesehen. Zu
dem Syndrom werden etwa gezählt das Aufwachsen in einem Umfeld mit hoher Ar-
beitslosigkeit, großer Armut mit Verwahrlosungserscheinungen, Drogenmissbrauch,
Alkoholproblemen oder einem hohen Anteil an Bewohnern mit einer unklaren Le-
bensperspektive bzw. aggressivem Verhalten (Becket & Sasson 2004).
In diesem Kontext wird kriminelles Verhalten etwa nicht nur direkt durch die El-
tern vermittelt, sondern durch ein Zusammentreffen antisozialer und kriminogener
Umstände im Umfeld. Jugendliche, die in einem solchen Umfeld aufwachsen, grup-
pieren sich, vor allem bei gestörten oder von den Eltern wenig unterstützenden und
316 Helmut Kury

kontrollierenden Kontakten zu ihnen, vielfach mit anderen sozialisationsgestörten


Jugendlichen, was die Entstehung straffälliger Aktionen eher fördert (Sampson &
Laub 1997; Laub & Sampson 2003; Eifler & Schepers 2018). Vor allem Jugendliche
haben die Tendenz, sich mit anderen Gleichgesinnten zusammenzuschließen, ein Be-
mühen, das insbesondere bei denen ausgeprägt ist, die sich in ihrer Herkunftsfamilie
wenig eingebunden, akzeptiert und unterstützt fühlen.
Moffitt u. a. (2001, 185) beschreiben dieses „assortative mating“ als Tendenz, „to
affiliate with those who are similar to them, and antisocial people tend to marry or
cohabit and have children with other antisocial people“. Der Zusammenschluss mit
Gleichgesinnten kann straffälliges Verhalten begünstigen, was sich auch darin zeigt,
dass Jugendkriminalität weitgehend Gruppenkriminalität ist. So gaben etwa in unse-
rer Befragung von jugendlichen Inhaftierten in Baden-Württemberg 42,1 % an, sie
hätten die Straftaten nur in Gruppen begangen (Kury 1979; vgl. oben; Thornberry
u. a. 1994; Oberwittler 2018, 299 ff.).
Bei diesen Zusammenhängen muss vor allem auch beachtet werden, dass sie vor-
wiegend für schwerer und über einen längeren Zeitraum straffällig gewordene Ju-
gendliche gelten. Es müssen in der Regel mehrere ungünstige Faktoren zusammen-
kommen, um bei einem Jugendlichen straffälliges Verhalten zu bewirken. „Die
Frage, ob und ggf. wie durch Benachteiligungen gekennzeichnete Lebensbedingun-
gen zu strafrechtlich relevanten Handlungen führen, ist … deliktspezifisch zu stellen
und sie muss die konkreten sozialen Kontexte und Prozesse berücksichtigen, in denen
die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation dazu führen kann, dass sich
strafbare Praktiken ggf. als eine notwendig oder legitime [sic] darstellen“ (Scherr
2018, 291). Hierbei sind vor allem auch Selektionsprozesse der Strafverfolgungsbe-
hörden zu berücksichtigen.
Eine wesentliche Rolle hinsichtlich einer Übertragung straffälligen Verhaltens auf
die nächste Generation wird vor allem auch im Vorgehen der Vertreter des Kriminal-
justizsystems etwa der Polizei oder der Gerichte gesehen, in einem bestehenden „of-
ficial bias“, einer selektiven Strafverfolgung „Auffälliger“ (vgl. Besemer u. a. 2017,
163). Hier können negative Voreinstellungen gegenüber straffälligen Familien beste-
hen, die dazu führen, dass deren Mitglieder im Sinne eines Labeling eine höhere
Wahrscheinlichkeit haben, als Straftäter verfolgt und registriert zu werden (Albrecht
1993, 498 f.).
Besemer (2012, 99) betont in diesem Kontext, „police are more likely to patrol
large public housing projects or deprived neighbourhoods rather than the suburbs
or richer areas, and, consequently, people living in those areas are more likely to
be arrested“. Manche Bürger haben somit ein höheres Verurteilungsrisiko, nicht
weil sie mehr Straftaten begehen, sondern lediglich weil ihre Eltern straffällig wur-
den oder sie in ärmeren, mehr problembelasteten Stadtteilen oder Landesteilen auf-
wachsen, was insbesondere für die USA in verschiedenen Studien deutlich gezeigt
wurde (vgl. etwa Becket & Sasson 2004).
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 317

Ein Einfluss von Labeling-Prozessen ist nach verschiedenen Studien stärker bei
Menschen, die bereits in einer benachteiligten Situation sind, etwa weil sie einen ver-
urteilten Elternteil haben. Eine Bestätigung für diese Annahme fanden Besemer u. a.
(2013) auch in den Resultaten der Cambridge Study of Delinquent Development. Die
Daten zeigen, dass die Verurteilung eines Elternteils zu einem erhöhten Verfolgungs-
risiko bei den Nachkommen führte (Besemer u. a. 2017, 163). West & Farrington
(1977) stellten auch eine erhöhte Rate selbstberichteter Delinquenz bei Söhnen
von straffälligen Vätern im Vergleich zu nicht verurteilten Eltern fest. Das zuge-
schriebene Label als „Krimineller“ beeinflusst mit großer Wahrscheinlichkeit
auch die Selbstwahrnehmung der Betroffenen. Angehörige von marginalisierten
Gruppen haben in der Regel auch eine geringere Beschwerdemacht, sind meist we-
niger gut über das Strafverfolgungssystem und Möglichkeiten informiert, sich gegen
eine Strafverfolgung zu wehren, auch aufgrund finanzieller Einschränkungen. Wird
die Strafe von den Betroffenen etwa als unfair oder ungerecht erlebt, kann dies zu
einer weiteren negativen Einstellung gegenüber Strafverfolgungsorganen und
einer Reduzierung der Mitarbeit führen. So fand Farrington (1977) bei Verurteilten
eine zunehmende Ablehnung und eher feindliche Einstellung gegenüber der Polizei.
Ein Labeling benachteiligter Gruppen ist vor allem auch aus ethischen Gründen
nicht zu akzeptieren. „We live in a democratic, fair society where everyone should be
treated equally and thus official bias should be avoided“ (Besemer 2012, 102). Das
vor allem auch deshalb, weil die Autorin in ihrer Studie nachweisen konnte, dass eine
benachteiligende Behandlung Betroffener durch staatliche Organe wie Polizei und
Justiz zu einer Zunahme straffälligen Verhaltens beitrug. „Instead of decreasing or
preventing crime, by their actions the official agencies appear to increase offending
behavior“ (Besemer 2012, 102). Vergleichbare Zusammenhänge fanden etwa auch
McAra & McVie (2005, 5).
Auch ein Einfluss genetischer Faktoren wird als Grund für eine Übertragung straf-
fälligen Verhaltens auf die nächste Generation gesehen (Besemer u. a. 2017, 163;
Farrington 2011; González-Tapia & Obsuth 2015). Nach Besemer u. a. (2017)
haben Untersuchungen auf physiologische Ursachen für straffälliges, antisoziales,
insbesondere gewalttätiges aggressives Verhalten hingewiesen, die zumindest teil-
weise vererbt werden können, wie etwa ein erhöhter Testosteronspiegel (Olweus
1987) oder eine niedrige Ruhe-Herzfrequenz (Farrington 2007). „These biological
bases tend to be (partly) hereditary and as such they could explain intergenerational
transmission“ (Besemer 2012, 6 f.). Die Autorin führt zahlreiche Untersuchungen an,
die einen solchen Zusammenhang unterstützen, betont allerdings einschränkend: „A
genetic predisposition for aggressive behavior does not necessarily mean that some-
one will actually develop this behaviour; it is not a deterministic process. The einvi-
ronment will influence how the genetic potential develops“.
Auch Junger u. a. (2013, 125 f.) betonen, es gebe zahlreiche Forschungsergebnis-
se, die eine genetische Komponente bei der Übertragung straffälligen Verhaltens von
einer Generation auf die nächste unterstützen würden. Eine Metaanalyse von ein-
318 Helmut Kury

schlägigen Untersuchungen von Rhee & Waldman (2002) kommt zu dem Ergebnis,
dass 32 % der Varianz in Messungen antisozialen Verhaltens genetischen Effekten
zugeschrieben werden könne.
Zusammenhänge zwischen sozialen und körperlichen Prozessen werden in zahl-
reichen Studien belegt, etwa aus der Säuglings- oder Therapieforschung (Goleman
2006). Wie etwa auch Oyama (2000) betont, gibt es keinen genetischen Determinis-
mus, es bestehe vielmehr ein „developmental system“. Kreissl (2018, 193) betont in
diesem Zusammenhang: „Die Befunde der neueren Biowissenschaften, von Genetik
über Neurowissenschaften bis hin zu den vielen Spezialisierungen der sogenannten
Life-Sciences, sind wichtig und können für die Soziologie, auch für die soziologische
Erklärung abweichenden Verhaltens, einiges beitragen. Dazu wäre es allerdings er-
forderlich, dass auch die Sozialwissenschaften ein präziseres Verständnis von sozia-
len Prozessen entwickeln. … Es gibt kaum disziplinübergreifende Untersuchungen
über die Genese abweichenden Verhaltens, die soziologische und neurowissenschaft-
liche Befunde in einer nicht-reduktionistischen Art und Weise verknüpfen“.

4. Präventionsmaßnahmen
Die Prävention straffälligen Verhaltens, vor allem auch dessen „Weitergabe“ von
einer Generation zu den folgenden, sollte ein ausgesprochen wichtiger Bereich von
Kriminalpolitik sein, auch aus finanziellen Gründen. Kosten-Nutzen-Untersuchun-
gen haben, auch für Deutschland, immer wieder überzeugend gezeigt, dass sich In-
vestitionen gerade in die Prävention häuslicher Gewalt langfristig auszahlen (Sacco
2017). In der Literatur finden sich zahlreiche Ansätze und konkrete Vorschläge für
Präventionsprogramme. Sherman (1998, 44 ff.) etwa beschreibt spezifische Präven-
tionsansätze, wie z. B. Trainings- und Unterstützungsprogramme für problembelas-
tete Eltern und Familien. Bei Tomison (1996) lassen sich Beispiele von Hilfseinrich-
tungen für Familien mit Problemen in Australien und deren Ansätze finden.
Gefährdete Kinder können bereits in den ersten Jahren nach ihrer Geburt identi-
fiziert werden (Junger u. a. 2013, 125). Die Betroffenen zeigen später nicht nur eine
höhere Kriminalitätsbelastung, sondern auch in vielen anderen Bereichen Belastun-
gen, wie Depressionen, Persönlichkeitsstörungen oder Abhängigkeiten von Drogen
bzw. Alkohol, Probleme, die neben dem Leid insbesondere auch erhebliche gesell-
schaftliche Kosten verursachen. Serbin u. a. (1998) fanden, dass aus aggressivem
Verhalten und depressiven Symptomen bei Mädchen in der Schule bereits im
Alter von 5 bis 13 Jahren vorausgesagt werden konnte, wieweit deren Kinder nahezu
20 Jahre später ein aggressives bzw. zurückgezogenes Verhalten zeigten. Es muss vor
allem um Hilfe hinsichtlich der Bewältigung von Belastungen gehen und nicht vor-
rangig um eine Bestrafung des abweichenden Verhaltens. „Purely punitive or deter-
rent measures showed zero or even negative effects“ (Lösel 2012, 197). Vor allem
sollte bei schwer geschädigten Kindern auch deren Beziehung zur Herkunftsfamilie
geklärt werden (Child Welfare Information Gateway 2016, 4).
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 319

Nach Lowenstein (1986) erlitten 40 % der Kinder mit inhaftierten Eltern emotio-
nale und Gesundheitsprobleme, oft Albträume, Furcht vor Dunkelheit oder Isolie-
rung. Vielfach entwickeln die Kinder Posttraumatische Belastungsstörungen (Mc-
Closkey & Walker 2000). Kinder werden durch die Verhaftung eines Elternteils
oft völlig unvorbereitet aus ihrer sozialen Umgebung gerissen, kommen etwa zu Ver-
wandten oder Freunden der Familie, die oft auch finanzielle Probleme haben, oder in
ein Heim (Mumola 2000). Die Kinder von Inhaftierten werden von der Gesellschaft
weitgehend vergessen und bleiben vielfach unbeachtet (Kury 2020b; 2020c), teilwei-
se waren die Kinder schon vor einer elterlichen Inhaftierung „auffällig“ (Huebner &
Gustafson 2007), den Familien wird dann allzu schnell generell die alleinige Verant-
wortung für ihre Situation zugeschrieben. Man fühlt sich in der Öffentlichkeit in der
alten Regel bestätigt: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ (Thornberry 2009).
Vielfach verleugnen die Mütter gegenüber kleinen Kindern die Inhaftierung des
Vaters, um sie zu schützen, was allerdings nur bei kleinen Kindern funktionieren wird
und die Situation in der Regel verkompliziert. Der Freiburger „Verein für systemi-
sche Therapie von straffällig gewordenen Menschen, deren Angehörigen sowie Men-
schen in schwierigen Lebenssituationen“ (Cocon e.V. Freiburg 2020, 2) macht deut-
lich, wie die Mütter sich vielfach bemühen, die Kinder vor den wahren Hintergrün-
den der Abwesenheit des Vaters zu „verschonen“. Die Belastung des Familienzusam-
menhaltes kann dazu führen, dass sich die Kinder vermehrt Peers zuwenden und
diese für sie mehr und mehr bevorzugte Rollenmodelle darstellen (Hagan & Dino-
vitzer 1999, 123).
Die Bedeutung von familienzentrierten Interventionsprogrammen, vor allem
auch bei Kindern Inhaftierter, wird immer wieder betont (Besemer 2012, 146). Da-
neben sollten die Familien vor allem auch finanziell unterstützt werden. Die sozialen
Hintergründe für das straffällige Verhalten sollten möglichst beachtet werden. Be-
handlungsansätze für geschädigte Familien können sich auch aus Erfahrungen zur
Behandlung von Betroffenen anderer traumatischer Erlebnisse ergeben (vgl. Drexler
2019). Der Kontakt zwischen Inhaftierten und Kindern sollte durch die Vollzugsan-
stalten möglichst unterstützt werden, etwa durch großzügige Besuchsmöglichkeiten,
insbesondere bei Langzeitinhaftierten. Gerade bei dieser Gruppe zeigte sich nach Be-
semer (2012, 125) ein stabiler positiver Zusammenhang zwischen der Länge und der
Zahl der elterlichen Inhaftierungen einerseits und dem straffälligen Verhalten der
Nachkommen andererseits.
Die Gestaltung und Praktizierung des Strafvollzugs können zur Verringerung der
Schäden bei den Familienangehörigen, vor allem auch bei den Kindern beitragen. So
führt etwa Besemer (2012, 122) die von ihr gefundenen geringeren negativen Aus-
wirkungen einer Inhaftierung eines Elternteils auf die Kinder in den Niederlanden
im Vergleich zu England darauf zurück, dass der Strafvollzug in den Niederlanden
wesentlich humaner gestaltet ist als in England. So waren vor allem auch die Kon-
taktmöglichkeiten der Gefangenen zu ihren Kindern besser. Weiterhin betont die Au-
torin, dass die Kriminalpolitik zur Zeit der Datenerhebung (1946 – 1981) in den Nie-
320 Helmut Kury

derlanden deutlich liberaler war als in England. Auch die Unterstützung von Fami-
lien von Inhaftierten war in den Niederlanden als „Wohlfahrtsstaat“ deutlich besser
ausgeprägt als in England.

5. Diskussion
Die empirisch-kriminologische Forschung zeigt deutlich und weitgehend einheit-
lich einen Zusammenhang zwischen straffälligem Verhalten von Eltern bzw. Erzie-
hungspersonen, vor allem aggressiven Taten, und abweichendem Verhalten bei den
Nachkommen, ein Ergebnis, dass unter Berücksichtigung theoretischer Überlegun-
gen nicht überraschen kann. Längsschnittstudien können Zusammenhänge deutlich
machen, allerdings blieben diese nicht ohne Kritik. So betonen etwa Gottfredson &
Hirschi (1987), Längsschnittstudien könnten kaum Kausalzusammenhänge aufzei-
gen, diese seien sehr komplex, vielfach würden latente Variablen eine Rolle spielen,
die nicht umfassend erfasst würden. Lebensereignisse würden keine unabhängigen
Einflussgrößen auf den Verlauf von Delinquenz darstellen, vielmehr seien sie von
Eigenschaften der Betroffenen abhängig, einzelne Ereignisse träfen Personen
nicht zufällig. Auch Parsons-Pollard (2011) weist auf methodische Probleme bei vie-
len Studien hin, die eine Verallgemeinerbarkeit der Resultate vielfach einschränken.
Gerade was Kriminalität gegenüber Kindern angeht ist insbesondere auch von
einem hohen Dunkelfeld auszugehen, vor allem was Straftaten in der Familie betrifft.
Die World Health Organization – WHO (2007, 1) etwa betont in ihrem Bericht: „Pre-
valence studies on child abuse and neglect involving victim surveys indicate that the
number of people who have been maltreated in childhood is ten times greater than
that reported.“
Das soziale Umfeld, in welchem Kinder aufwachsen, prägt deren Einstellungen
und das eigene Verhalten, je enger die Beziehung zu den Erziehungspersonen ist,
umso intensiver und stabiler, das gilt offensichtlich nicht nur für positives, sondern
auch für negatives unerwünschtes Verhalten. Besemer & Murray (2015) betonen,
schlimm sei nicht die eigentliche Inhaftierung für die Kinder, sondern das antisoziale
straffällige Verhalten, das dazu führt.
Ein positiver Effekt ist lediglich dann zu erwarten, wenn durch eine Inhaftierung
ein (schwer) missbräuchlicher Elternteil aus der Familie genommen wird und Kinder
nun eine bessere Entwicklungsmöglichkeit haben. Hagan & Dinovitzer (1999, 123)
betonen in diesem Zusammenhang: „there obviously are cases involving the impri-
sonment of negligent, violent, and abusive parents where the imprisonment of the
parents benefits the children by removing serious risks of current and future
harm“. In solchen Fällen kann sich die Inhaftierung auch positiv auf die Entwicklung
des Sozialkapitals der Kinder auswirken (Jaffee u. a. 2003).
Nach Hagan & Dinovitzer (1999, 128) habe die Forschung deutlich machen kön-
nen, „that imprisoned parents and their children are already different from parents
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 321

and their children who are not imprisoned, prior to the imposition of a prison sent-
ence“. Sampson & Laub (1997) sprechen von einer „Life-Course Theory of Cumu-
lative Disadvantage“. Auch Murray & Farrington (2008, 163) betonen, dass „paren-
tal criminality, parental mental illness, and other environmental risks before parental
imprisonment might cause child behaviour problems, rather than parental imprison-
ment itself“. Die Inhaftierung eines Elternteils spielt hinsichtlich der weiteren Ent-
wicklung der Nachkommen allerdings insofern eine wesentliche, in aller Regel ne-
gative Rolle, als dadurch eine (zusätzliche) erhebliche Stigmatisierung der Betroffe-
nen eintritt (Kury 2020c).
Die Auswirkungen einer Inhaftierung eines Elternteils auf die höhere Kriminali-
tätsrate der Nachkommen ist nach Besemer
„not necessarily because they commit more crime, but because their parents are known off-
enders and because they live in poorer social circumstances characterised by having a father
with a poor job record, low family income and poor housing. … This is a crucial finding, and
at the same time ethically undesirable. This finding conflicts with the UN Convention on the
Rights of the Child“ (Besemer 2012, 147).

Artikel 2 der UN – Kinderrechtskonvention (UNICEF) betont, dass die Vertrags-


staaten sich verpflichten,
„dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds
oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge
zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie
alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen.“

Artikel 3 betont ergänzend:


„Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz
verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behör-
den festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Ge-
sundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung des Personals und des Be-
stehens einer ausreichenden Aufsicht.“

Die Entwicklung der Kriminalpolitik ist trotz solcher Forderungen vielfach noch
mehr auf Sanktionen und Einschränkungen der Betroffenen ausgerichtet. Was etwa
die USA betrifft, wird nach Parsons-Pollard (2011) geschätzt, dass ca. 809.800 der
Inhaftierten eigene Kinder haben (53,3 %), die Zahl der inhaftierten Frauen habe
stärker zugenommen als bei Männern. Mehr als 7 Millionen Kinder hätten in dem
Land Eltern, die unter einer Form von strafrechtlicher Kontrolle stehen. Hairston
u. a. (2004) fanden, dass 54 % der US-Gefangenen mit kleinen Kindern diese seit
ihrer Inhaftierung nicht mehr gesehen haben. Die meisten Kinder haben, wenn über-
haupt, meist nur schriftlichen bzw. telefonischen Kontakt zu dem inhaftierten Eltern-
teil. Nach Mumola (2000) sind 60 % der inhaftierten Eltern in State Prisons und 85 %
derjenigen in Federal Prisons mehr als 100 Meilen von ihrem letzten Wohnort ent-
fernt untergebracht, was bedeutet, dass Besuche erhebliche Kosten verursachen kön-
322 Helmut Kury

nen, die von den vielfach einkommensschwachen Angehörigen nicht gedeckt werden
können, abgesehen von insgesamt restriktiven Besuchsbedingungen.
Auch Besemer (2012, 126) betont, dass die Einflüsse einer Inhaftierung der Eltern
auf die Nachkommen heute bei einer vielfach punitiveren Politik eine größere Be-
deutung bekommen, da mehr Kinder mit der Inhaftierung eines Elternteils konfron-
tiert werden. Sie hebt als Präventionsmaßnahme auf eine Ausweitung der Kontakt-
möglichkeiten zwischen Gefangenen und ihren Kindern ab, etwa die Einrichtung be-
sonderer Besuchsmöglichkeiten für Kinder und eine finanzielle Unterstützung für
die zurückgebliebenen Familien. Vor allem ältere Kinder und Heranwachsende soll-
ten unterstützt werden, da die Einflüsse der Inhaftierung hier besonders gravierend
seien. Für Deutschland wirkt sich hinsichtlich der Problematik eine in den letzten
Jahrzehnten zurückgehende Gefangenenrate günstig aus.
Es liegen inzwischen, trotz aller Einschränkungen aufgrund methodischer Proble-
me bei einzelnen Studien, überzeugende Ergebnisse vor, etwa über den Einfluss so-
zialer Bedingungen hinsichtlich einer Entwicklung von Kriminalität, vor allem auch
über die in aller Regel negativen Auswirkungen einer Inhaftierung auf die Nachkom-
men, weiterhin die erheblichen Kosten der praktizierten Sanktionspolitik. Gleichzei-
tig wurden überzeugende Vorschläge von wissenschaftlicher Seite in Bezug auf ein
besseres Vorgehen hinsichtlich einer Prävention von Kriminalität gemacht. Trotzdem
sind Veränderungen in der Praxis nur schwer zu erreichen. „It appears as if prison and
criminal justice policies have too often ignored viable theories or valid empirical
data“ (Besemer u. a. 2017, 171).
Politiker sind in aller Regel wenig über kriminologische Forschungsergebnisse
informiert, und vor allem auch nur eingeschränkt daran interessiert. Nach ihrem
Empfinden sind in einem ständigen parteipolitischen Wettkampf die Ergebnisse
von Umfragen zur Einstellung der Bevölkerung, etwa auch zum Umgang mit Straf-
tätern, bedeutender, die ihnen Auskunft über die Akzeptanz ihrer Politik und damit
ihrer Chancen, (wieder)gewählt zu werden geben, „investing in more criminal justice
seems a waste of time and money“ (Junger u. a. 2013, 128).
Graebsch (2018, 212) kommt aufgrund ihrer Analyse unterschiedlicher Vorge-
hensweisen zur Reduzierung von Jugendkriminalität zu dem Ergebnis: „Es
spricht … ausgesprochen wenig dafür, dass Forschungsergebnisse, die die Unwirk-
samkeit oder gar Schädlichkeit von Sanktionen oder Programmen für das Ziel der
Rückfallreduktion zeigen, zu entsprechenden Veränderungen in Politik und Praxis
führen“. Auch die Vorstellung von Farrington (2013), dass Kosten-Nutzen-Analy-
sen, die immer wieder zeigen konnten, dass die gegenwärtige Kriminalpolitik deut-
lich teurer ist als längst vorgeschlagene Alternativen, helfen könnten, die Politiker zu
einem Umdenken zu motivieren, scheint nur eingeschränkt erfolgversprechend. Die
Politik richtet sich vor dem Hintergrund eigener Interessen nach der Einstellung der
Öffentlichkeit, dasselbe gilt weitgehend für die Medienberichterstattung. In den letz-
ten Jahrzehnten ist der Wunsch nach mehr Sicherheit in Zusammenhang mit einer
umfangreicheren und vor allem selektiven Berichterstattung über Kriminalität
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 323

(vgl. Hestermann 2016) immer mehr in den Vordergrund getreten. In diesem Zusam-
menhang erweitert nach Klimke (2008, 42) „der Populismus der Kriminalpolitik …
den Umfang des Strafrechts“. Hassemer betont in diesem Zusammenhang, das Straf-
recht bewege sich vor allem „wie andere Bereiche unseres Lebens auch, im Span-
nungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit seit geraumer Zeit hin zum Pol der Si-
cherheit. In dieser Bewegung verschärft sich das Strafrecht, es verbessert sich nicht.
… Es antwortet damit auf eine wachsende Angst der modernen Gesellschaft vor un-
beherrschbaren Risiken, auf verbreitete Kontrollbedürfnisse, auf Prozesse normati-
ver Desorientierung, in denen Gewissheiten verblassen, auf die wir uns früher blind
verlassen haben“ (Hassemer 2009, 285 f.). Eine Veränderung dürfte wohl nur zu er-
reichen sein, wenn es gelingt, die Öffentlichkeit mehr und mehr vom Nutzen einer
besseren Kriminalpolitik zu überzeugen. Da ist dann vor allem die Kriminologie ge-
fordert.

Literaturverzeichnis
Albrecht, G. (1990): Möglichkeiten und Grenzen der Prognose krimineller Karrieren, in: Deut-
sche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendberichtshilfe – DVJJ (Hrsg.), Mehrfach Auf-
fällige – Mehrfach Betroffene. Erlebnisweisen und Reaktionsformen. Bad Godesberg, S. 99 –
116.
Albrecht, G. (1993): Stigmatisierung, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. Heidelberg, S. 495 – 500.
Albrecht, G., Howe, C.-W. & Wolterhoff, J. (1991): Familienstruktur und Delinquenz: Rene
König zur Vollendung des 85. Lebensjahres gewidmet. Soziale Probleme 2/2, S. 107 – 156.
Albrecht, H.-J. (1993): Kriminelle Karrieren, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schell-
hoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. Heidelberg, S. 301 – 308.
Apple, A.E. & Holden, G.W. (1998): The co-occurrence of spouse and physical child abuse: A
review and appraisal. Journal of Family Psychology 12, S. 578 – 599.
Bandura, A. (1977): Social Learning Theory. Englewood Cliffs/NJ.
Beaver, K.M. (2013): The familial concentration and transmission of crime. Criminal Justice
and Behavior 40, S. 139 – 155.
Becket, K. & Sasson, T. (2004): The Politics of Injustice. Crime and Punishment in America.
Thousand Oaks/California.
Besemer, S. (2012): Intergenerational transmission of criminal and violent behaviour. Diss. In-
stitute of Criminology, University of Cambridge, Netherlands Institute for the Study of Crime
and Law Enforcement. Leiden.
Besemer, S. (2012a): Specialized Versus Versatile Intergenerational Transmission of Violence:
A New Approach to Studying Intergenerational Transmission from Violent Versus Non-Vio-
lent Fathers: Latent Class Analysis. Journal of Quantitative Criminology 28, S. 245 – 263.
324 Helmut Kury

Besemer, S., Ahmad, S.I., Hinshaw, S.P. & Farrington, D.P. (2017): A systematic review and
meta-analysis of the intergenerational transmission of criminal behaviour. Aggression and
Violent Behavior 37, S. 161 – 178.
Besemer, S. & Farrington, D.P. (2012): Intergenerational transmission of criminal behaviour:
Conviction trajectories of fathers and their children. European Journal of Criminology 9,
S. 120 – 141.
Besemer, S., Farrington, D.P. & Bijleveld, C.C.J.H. (2013): Official Bias in Intergenerational
Transmission of Criminal Behaviour. The British Journal of Criminology 53, S. 438 – 455.
Besemer, S. & Murray, J. (2015): Incarceration and Development of Delinquency, in: T.P. Beau-
chaine & S.P. Hinshaw (Hrsg.), The Oxford Handbook of Externalizing Spectrum Disorders.
Oxford.
Brendgen, M., Dionne, G., Girard, A., Boivin, M., Vitaro, F. & Pérusse, D. (2005): Examining
genetic and environmental effects on social aggression: A study of 6-year-old twins. Child
Development 76, S. 930 – 946.
Child Welfare Information Gateway (2016): Determining the Best Interests of the Child. Wash-
ington.
Cocon e.V. Freiburg (2020): Jahresbericht 2018/2019. Freiburg Verein für systematische The-
rapie von straffällig gewordenen Menschen, deren Angehörigen sowie Menschen in schwie-
rigen Lebenssituationen. Freiburg.
Drexler, K. (2019): Ererbte Wunden heilen. Therapie der transgenerationalen Traumatisierung.
Stuttgart.
Dugdale, R.L. (1877): The Jukes: A study in crime, pauperism, and heredity. New York, NY.
Egeland, B., Jacobvitz, D. & Papatola, K. (1987): Intergenerational continuity of abuse, in:
R. Gelles & J. Lancaster (Hrsg.), Child abuse and neglect: biosocial dimensions. New
York, S. 255 – 276.
Eifler, S. & Schepers, D. (2018): Theoretische Ansatzpunkte für die Analyse der Jugendkrimi-
nalität, in: B. Dolliner & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Inter-
disziplinäre Perspektiven. Wiesbaden, S. 219 – 239.
Farrington, D.P. (1977): The effects of public labeling. British Journal of Criminology 17,
S. 112 – 125.
Farrington, D.P. (2007): Origins of violent behavior over the life span, in: D.J. Flannery, A.T.
Vazsonyi & I.D. Waldman (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Violent Behaviour and Ag-
gression. Cambridge, S. 19 – 48.
Farrington, D.P. (2011): Families and crime, in: J.Q. Wilson & J. Petersilia (Hrsg.), Crime and
Public Policy. Oxford, S. 130 – 157.
Farrington, D.P. (2013): Encouraging policy makers and practitioners to make rational choices
about programs based on scientific evidence on developmental crime prevention. Criminol-
ogy & Public Policy 12, S. 295 – 301.
Farrington, D.P., Coid, J.W. & Murray, J. (2009): Family factors in the intergenerational trans-
mission of offending. Criminal behaviour and mental health: CBMH 19, S. 109 – 124.
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 325

Gil, D.G. (1970): Violence against Children: Physical Child Abuse in the United States. Cam-
bridge/MA.
Goddard, H.H. (1912): The Kallikak family: A study in the heredity of feeble-mindedness. New
York/NY.
Goleman, D. (2006): Soziale Intelligenz. München.
González-Tapia, M.I. & Obsuth, I. (2015): „Bad genes“ & criminal responsibility. International
Journal of Law and Psychiatry 39, S. 60 – 71.
Goodwin, V. & Davis, B. (2011): Crime families: Gender and the intergenerational transfer of
criminal tendencies. Trends & Issues in Crime and Criminal Justice 414. Australian Institute
of Criminology, S. 1 – 6.
Gottfredson, M. & Hirschi, T. (1987): The Methodological Adequacy of Longitudinal Research
on Crime. Criminology 25, S. 581 – 614.
Graebsch, C.M. (2018): What works? Who cares? Evidenzorientierte Kriminalprävention und
die Realität der Jugendkriminalpolitik, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.),
Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden, S. 197 – 216.
Hagan, J. & Dinovitzer, R. (1999): Collateral consequences of imprisonment for children, com-
munities, and prisoners. Crime and Justice, Vol. 26, Prisons, S. 121 – 162.
Hagan, J. & Parker, P. (1999): Rebellion beyond the classroom: A life-course capitalization
theory of the intergenerational causes of delinquency. Theoretical Criminology 3, S. 259 –
285.
Hairston, C.F, Rollin, J. & Jo, H. (2004): Family connections during imprisonment and priso-
ners’ community reentry. Research brief: Children, families, and the criminal justice system;
http://www.uic.edu/jaddams/college/research_public_service/files/familyconnections.pdf.
Hassemer, W. (2009): Warum Strafe sein muss. Ein Plädoyer. Berlin.
Hestermann, T. (2016). „Violence Against Children Sells Very Well“. Reporting Crime in the
Media and Attitudes to Punishment, in: H. Kury, S. Redo & E. Shea (Hrsg.), Women and
Children as Victims and Offenders: Background, Prevention, Reintegration. Suggestions
für Succeeding Generations. Vol. 1. Cham/Switzerland, S. 923 – 947.
Huebner, B.M. & Gustafson, R. (2007): The effect of maternal incarceration on adult offspring
involvement in the criminal justice system. Journal of Criminal Justice 35/3, S. 283 – 296.
Jaffee, S.R., Moffitt, T.E., Caspi, A. & Taylor, A. (2003): Life with (or without) father: The be-
nefits of living with two biological parents depend on the father’s antisocial behavior. Child
Development 74, S. 109 – 126.
Junger, M., Greene, J., Schipper, R., Hesper, F. & Estourgie, V. (2013): Parental Criminality,
Family Violence and Intergenerational Transmission of Crime Within a Birth Cohort. Euro-
pean Journal on Criminal Policy and Research 19, S. 117 – 133.
Kinner, S.A., Alati, R., Najman, J.M. & Williams, G.M. (2007): Do paternal arrest and impri-
sonment lead to child behaviour problems and substance use? A longitudinal analysis. Jour-
nal of Child Psychology and Psychiatry, and Allied Disciplines 48, S. 1148 – 1156.
Klimke, D. (2008): Wach- & Schließgesellschaft Deutschland. Sicherheitsmentalitäten in der
Spätmoderne. Wiesbaden.
326 Helmut Kury

Kreissl, R. (2018): Neurowissenschaftliche Befunde, ihre Wirkung und Bedeutung für ein Ver-
ständnis der Jugendkriminalität, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch
Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden, S. 183 – 195.
Kury, H. (1979): Sozialstatistik der Zugänge im Jugendstrafvollzug Baden-Württemberg. Be-
richt aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Nr. 8.
Freiburg.
Kury, H. (2020a): Umgang mit psychischen Erkrankungen im (Jugend-)Strafvollzug. Zeit-
schrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe – ZJJ 31, S. 36 – 43.
Kury, H. (2020b): Zu den Folgeschäden von Freiheitsstrafen. Auswirkungen einer Inhaftierung
auf die eigene Familie (zur Veröffentlichung eingereicht).
Kury, H. (2020c): Frauen und Kinder von Inhaftierten. Eine internationale Perspektive. Forum
Strafvollzug. Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe 69, S. 31 – 35.
Laub, J.H. & Sampson, R.L. (2003): Shared Beginnings, Divergent Lives. Delinquent Boys to
Age 70. Cambridge.
Lösel, F. (2012): Towards a third phase of „what works“ in offender rehabilitation, in: R. Loeber
& B.C. Welsh (Hrsg.), The future of criminology. Oxford, S. 196 – 203.
Lowenstein, A. (1986): Temporary single parenthood: The case of prisoners’ families. Family
Relations: An Interdisciplinary Journal of Applied Family Studies 35/1, S. 79 – 85.
McAra, L. & McVie, S. (2005): The usual suspects? Street-life, young people and the police.
Criminology and Criminal Justice 5, S. 5 – 36.
McCloskey, L.A. & Walker, M. (2000): Posttraumatic stress in children exposed to family viol-
ence and single-event trauma. Journal of the American Academy of Child and Adolescent
Psychiatry 39, S. 108 – 115.
McCord, J. (1977): A comparative study of two generations of native Americans, in: R.F. Meier
(Hrsg.), Theory in Criminology. Contemporary Views. Beverly Hills, S. 83 – 92.
Moffitt, T.E., Caspi, A., Rutter, M. & Silva, P.A. (2001): Sex Differences in Antisocial Beha-
viour: Conduct Disorder, Delinquency, and Violence in the Dunedin Longitudinal Study.
Cambridge.
Mumola, C.J. (2000): Incarcerated parents and their children. Bureau of Justice Statistics Spe-
cial Report 2000, Aug, Article NCJ 182335. http://bjs.ojp.usdoj.gov/index.cfm?ty=pbdetai
l&iid=981.
Murray, J. & Farrington, D.P. (2008): The effects of parental imprisonment on children, in:
M. Tonry (Hrsg.), Crime and justice: A review of research, Vol. 37. Chicago/Il, S. 133 – 206.
Murray, J., Loeber, R. & Pardini, D. (2012): Parental involvement in the criminal justice system
and the development of youth theft, marijuana use, depression, and poor academic perfor-
mance. Criminology. An Interdisciplinary Journal 50, S. 255 – 302.
National Research Council (1993): Understanding Child Abuse and Neglect. Washington DC.
Nickolai, W. (2020): Versöhnen statt strafen – integrieren statt ausgrenzen. Zum Selbstverständ-
nis der Sozialen Arbeit in der Straffälligenhilfe. Freiburg i.Br.
Oberwittler, D. (2018): Jugendkriminalität in sozialen Kontexten. Zur Rolle von Wohngebieten
und Schulen bei der Verstärkung von abweichendem Verhalten Jugendlicher, in: B. Dollinger
Zum Transfer straffälligen Verhaltens über Generationen 327

& H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspekti-


ven. Wiesbaden, S. 297 – 316.
Olweus, D. (1987): Testosterone and adrenaline: Aggressive antisocial behavior in normal ado-
lescent males, in: S.A. Mednick, T.E. Moffitt & S.A. Stack. (Hrsg.), The causes of crime:
New biological approaches. Cambridge/UK, S. 263 – 282.
Ostendorf, H. (2018): Ursachen von Kriminalität. Bundeszentrale für Politische Bildung,
Nr. 306. Berlin; https://m.bpb.de/izpb/268217/ursachen-von-kriminalitaet.
Oyama, S. (2000): The ontogeny of information. Developmental systems and evolution. Cam-
bridge.
Parsons-Pollard, N. (2011): Methodological concerns in the study of intergenerational trans-
mission of criminal behavior and children of incarcerated parents. Open Family Studies Jour-
nal 4, S. 96 – 100.
Raine, A. (2002). Biosocial studies of antisocial and violent behaviour in children and adults: A
review. Journal of Abnormal Child Psychology 30, S. 311 – 326.
Rhee, S.H. & Waldman, I.D. (2002): Genetic and environmental influences on antisocial beha-
vior: A Meta-Analysis of twin and adoption studies. Psychological Bulletin 128, S. 490 – 529.
Sacco, S. (2017). Häusliche Gewalt. Kostenstudie für Deutschland. Gewalt gegen Frauen in
(ehemaligen) Partnerschaften. Cottbus-Sentenberg.
Sack, F. (1993): Familie, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss (Hrsg.), Kleines
Kriminologisches Wörterbuch. Heidelberg, S. 124 – 131.
Sampson, R.J. & Laub, J.H. (1997): A Life-Course Theory of Cumulative Disadvantage and the
Stability of Delinquency, in: T. Thornberry (Hrsg.), Developmental Theories of Crime and
Delinquency. New Brunswick, S. 133 – 161.
Scherr, A. (2018): Jugendkriminalität. Soziale Benachteiligungen und Belastungen, in: B. Dol-
linger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Per-
spektiven. Wiesbaden, S. 281 – 296.
Schumann, K.F. (2018): Jugenddelinquenz im Lebenslauf, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Se-
misch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden,
S. 261 – 279.
Serbin, L.A., Cooperman, J.M., Peters, P.L., Lehoux, P.M., Stack, D.M. & Schwartzman, A.E.
(1998): Intergenerational transfer of psychosocial risk in women with childhood histories of
aggression, withdrawal, or aggression and withdrawal. Developmental Psychology 34,
S. 1246 – 1262.
Sherman, L.W. (1998): Family-Based Crime Prevention, in: L.W. Sherman, D. Gottfredson, D.
MacKenzie, J. Eck, P. Reuter & S. Bushway (Hrsg.), Preventing Crime: What Works, What
doesn’t, What’s Promising. A Report to the United States Congress. Chap. 4. Washington;
https://www.ncjrs.gov/works/chapter4.htm.
Sijtsema, J.J., Stolz, E.A. & Bogaerts, S. (2020): Unique Risk Factors of the Co-Occurrence Be-
tween Child Maltreatment and Intimate Partner Violence Perpetration. European Psycholo-
gist 25, S. 122 – 133.
Smith, C.A. & Farrington, D.P. (2004). Continuities in antisocial behavior and parenting across
three generations. Journal of Child Psychology and Psychiatry 45/2, S. 230 – 247.
328 Helmut Kury

Spapens, A. & Moors, H. (2019): Intergenerational transmission and organised crime: A study
of seven families in the south of the Netherlands. Trends in Organized Crime, S. 1 – 15.
Straus, M.A., Gelles, R.J. & Steinmetz, S.K. (1980): Behind Closed Doors: Violence in the Ame-
rican Family. New York.
Thornberry, T.P. (2009): The apple doesn’t fall far from the tree (or does it?): Intergenerational
patterns of antisocial behavior. Criminology 47, S. 297 – 325.
Thornberry, T.P., Lizotte, A.J., Krohn, M.D., Farnworth, M. & Jang, S.J. (1994): Delinquent
Peers, Beliefs, and Delinquent Behavior. A Longitudinal Text of Interactional Theory. Crimi-
nology 32, S. 47 – 83.
Tomison, A.M. (1996): Intergenerational transmission of maltreatment. Australian Institute of
Family Studies – NCPC 6; https://aifs.gov.au/cfca/publications/intergenerational-transmissi
on-maltreatment.
Tremblay, R.E. (2015): Antisocial Behavior Before the Age-Crime Curve: Can Developmental
Criminology Continue to Ignore Developmental Origins?, in: J. Morizot & L. Kazemian
(Hrsg.), The Development of Criminal and Antisocial Behavior. Switzerland, S. 39 – 49.
Tzoumakis, S., Burton, M., Carr, V.J., Dean, K., Laurens, K.R. & Green, M.J. (2019): The int-
ergenerational transmission of criminal offending behaviours. Report to the Criminology Re-
search Council, Australia.
Tzoumakis, S., Lussier, P. & Corrado, R.R. (2014): The persistence of early childhood physical
aggression: Examining maternal delinquency and offending, mental health, and cultural dif-
ferences. Journal of Criminal Justice 42, S. 408 – 420.
UNICEF (1989). Die UN-Kinderrechtskonvention. Regelwerk zum Schutz der Kinder welt-
weit. New York.
Van de Rakt, M.G.A., Ruiter, S., de Graaf, N.D. & Nieuwbeerta, P. (2010): When does the apple
fall from the tree? Static versus dynamic theories predicting intergenerational transmission of
convictions. Journal of Quantitative Criminology 26, S. 371 – 389.
Van de Weijer, S.G., Bijleveld, C.C. & Blokland, A.A. (2014): The intergenerational transmission
of violent offending. Journal of Family Violence 29, S. 109 – 118.
Waldman, I. & Rhee, S. (2006): Genetic and environmental influences on psychopathy and an-
tisocial behaviour, in: C.J. Patrick (Hrsg.), Handbook of psychopathy. New York, N.Y.,
S. 205 – 228.
West, D.J. & Farrington, D.P. (1977): The Delinquent Way of Life. London.
World Health Organization – WHO (2007): The cycles of violence. The relationship between
childhood maltreatment and the risk of later becoming a victim or perpetrator of violence.
Key facts. WHO – Regional Office for Europe, Copenhagen.
Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel
mit der Kriminologie zu tun?
Von Rita Haverkamp

1. Einleitung
Hans-Jörg Albrecht zeichnet ein breites wissenschaftliches Œuvre aus. Zu seinen
vielfältigen Forschungsinteressen gehört auch die Umweltkriminalität (Albrecht
1983, 278 ff.; 1993, 555 ff.; 1987, 1 ff.). Immer noch handelt es sich bei der Umwelt-
kriminologie um eine kriminologische Nische. Etwas besser sieht es im Strafrecht
aus. Seit im Jahr 1980 die Gesetzgebung das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Um-
weltkriminalität (1. UKG) im neu geschaffenen 28. Abschnitt in das Strafgesetzbuch
einfügte, ist in den letzten vier Jahrzehnten ein Schrifttum im Allgemeinen und im
Besonderen entstanden (vgl. nur Thomas 2015). In diesem Kontext kommt Hans-
Jörg Albrecht in jüngerer Zeit das Verdienst zu, eine kriminologische Doktorarbeit
zur Vollzugspraxis des Umweltstrafrechts und Umweltordnungswidrigkeitenrechts
im Längsschnitt angestoßen und betreut zu haben (Klüpfel 2016). Angesichts des an-
thropogenen Klimawandels verwundert das weitgehende Schweigen in der deut-
schen Kriminologie hierzu. Während sich im angloamerikanischen Raum mittler-
weile eine Kriminologie des Klimawandels etabliert hat (White 2018), steckt diese
in Deutschland – wohlwollend formuliert – in ihren Kinderschuhen (Gnüchtel
2013, 14 ff.). Vorliegend werden Erkenntnisse aus der Green Criminology und der
deutschen Forschung vorgestellt, um dann auf den Klimawandel aus kriminologi-
scher Sicht einzugehen.

2. Kriminologie der „Umwelt“


Zunächst ist die Bezeichnung „Kriminologie der Umwelt“ irreführend, denn bei
der Onlinerecherche finden sich unter dem Stichwort „Umwelt“ und „Kriminologie“
andere kriminologische Forschungstraditionen. Zum einen stellt sich innerhalb der
Kriminalitätstheorien seit Jahrzehnten die Frage nach den Wechselwirkungen zwi-
schen Anlage und Umwelt für kriminelles Verhalten (vgl. nur Dölling & Hermann
2001, 153 ff.). Zum anderen sind die Begriffe mit der Chicagoer Schule assoziiert,
nach der unter dem Emblem „Sozialökologie“ das Verhältnis zwischen der räumli-
chen Umwelt, den Anwohnenden und kriminellem Verhalten erkundet wurde (hierzu
330 Rita Haverkamp

Bruinsma & Weisburd 2014, 2164 ff.). Hieraus entwickelten sich verschiedene Spiel-
arten der ökologischen Kriminalitätstheorien. Als klassisch gilt die sozialökologi-
sche Theorie der sozialen Desorganisation (Shaw & McKay 1972 (1942), 435 ff.),
am prominentesten dürfte aber der kriminalökologische Broken-Windows-Ansatz
(Willson & Kelling 1996, 116 ff.) sein. Aufgrund dessen hat sich in der angloameri-
kanischen Kriminologie die Bezeichnung „Green Criminology“ als Oberbegriff
durchgesetzt.1

2.1 Green Criminology

Im Laufe der 1990er Jahren entstand in der angloamerikanischen Wissenschaft


die „Green Criminology“ als ein kritischer und nachhaltiger Ansatz zur Erforschung
von Umweltkriminalität (South 1998, 225). Allgemein formuliert, umfasst die Green
Criminology die biophysikalischen und sozioökonomischen Folgen von Umwelt-
schäden; infolgedessen überschreitet sie die Grenzen der Kriminologie und erfordert
die Einbeziehung theoretischer und empirischer Erkenntnisse anderer Wissen-
schaftsdisziplinen (Lynch 2020, 51). Entsprechend breit ist das interdisziplinäre For-
schungsspektrum angelegt und erstreckt sich nicht nur auf Umweltschäden, sondern
auch auf deren Ursachen und Erklärungen, die Gesetzgebung, die Implementation
und den Vollzug von Umweltschutzgesetzen sowie auf Umweltgerechtigkeit und
die Viktimisierung von Mensch, Tier und Umwelt (South et al. 2014, 2177).
Seit ihren Anfängen verknüpfen Anhängerinnen und Anhänger die Green Crimi-
nology mit einer politischen Agenda. Das diesbezügliche Meinungsspektrum geht
auseinander und reicht von einer antikapitalistischen Position (Lynch & Stretsky
2003, 232 f.) über den Schutz der Umwelt und einem natürlichen Ressourcenmana-
gement innerhalb des Rechts bis hin zur globalen und ökologischen Orientierung der
Forschung verbunden mit der Entwicklung neuer Konzepte zur besseren Erfassung
der Natur und der Dynamiken von Umweltschäden. Diese Politisierung lähmt wo-
möglich die Theoriebildung (White 2018, 1980), die bislang nur in Ansätzen aus
der herkömmlichen Kriminologie vorhanden ist (z. B. Agnew 2013, 58 ff.; Überblick
bei Brisman 2014, 22 ff.), und ebenso die empirische Forschung, vor der die meisten
Vertreterinnen und Vertreter der Green Criminology bislang zurückscheuen (Lynch
2020, 57). Aufgrund dessen stellt die Green Criminology weniger einen Forschungs-
zweig als eine Forschungsperspektive innerhalb der Kriminologie dar (South 1998,
212).
Die erste Begriffsbestimmung von Green Criminology stammt von Lynch aus dem
Jahr 1990 (Lynch 1990, 2 f.). Danach sind Green Crimes „(1) harms caused to living
beings through the creation of environmental hazards; (2) existing at the local and
global levels; (3) outcomes tied to corporate and state crimes; and (4) as the subject
1
In der Encyclopedia of Criminology and Criminal Justice erläutern White (2014, 1976 ff.)
die Green Criminology und South et al. (2014, 2172) deren Geschichte und verwenden im
Text oft den Begriff „Environmental Crime“.
Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? 331

matter of radical criminology and political economic theory/analysis, and its concern
with class analysis“ (Lynch 2020, 52). Seither ist eine Vielzahl von unterschiedlichen
und umstrittenen Definitionen hinzugekommen (White 2014, 1977). Innerhalb dieser
Definitionsfülle lassen sich zwei Richtungen ausmachen: Während sich nach der
engen Auslegung Umweltkriminalität auf entsprechende Straftaten und Ordnungs-
widrigkeiten beschränkt, geht es – wie bei der vorerwähnten Definition von
Lynch – bei der dominanten weiten Auslegung um Schäden an der Umwelt und Tier-
welt ungeachtet von deren Strafbarkeit (Lynch 2020, 1977). Eine andere weite De-
finition von Umweltkriminalität oder -schaden umfasst White (2014, 1977) zufolge:
„[t]ransgressions that are harmful to humans, environments, and nonhuman animals, regard-
less of legality per se [and] [e]nvironmental-related harm that are facilitated by the state, as
well as corporations and other powerful actors, insofar as these institutions have the capacity
to shape official definitions of environmental crime in ways that allow or condone environ-
mentally harmful practices.“

Vor allem bei der weiten Auslegung tun sich Parallelen zur White-Collar-Krimi-
nalität bzw. Wirtschaftskriminalität, Regierungskriminalität, Makrokriminalität und
Kriminalität der Mächtigen auf (Lynch 2020, 51). In Wirtschafts- und Umweltsachen
hemmen der schwierige Zugang zu Akten und Interwiewpartnerinnen und -partnern
sowie die Komplexität von größeren Fällen verbunden mit einem großen Aktenauf-
kommen eine (Weiter-)Entwicklung der empirischen Forschung (Lynch 2020, 51).
Im Angesicht des Klimawandels ist ein Bedeutungszuwachs der Green Criminology
zu erwarten und damit einhergehend ein stärkerer Fokus auf die Theoriebildung und
die empirische Forschung.
Außerhalb des englischsprachigen Kosmos finden Abhandlungen zur Umweltkri-
minalität in anderen Sprachen in der angloamerikanischen Kriminologie kaum Be-
achtung (South et al. 2014, 2173).2 Diese Feststellung gilt ebenso für die Forschung
hierzu aus Deutschland, auf die im Folgenden eingegangen wird.

2.2 Umweltkriminalität in Deutschland

Unter Umweltkriminalität versteht Albrecht (1993, 555) Anfang der 1990er Jahre
zuvörderst Verstöße gegen die Straftatbestände im heutigen 29. Abschnitt des Straf-
gesetzbuches. Daneben gibt es noch entsprechend der Bezeichnung in der Polizeili-
chen Kriminalstatistik Straftaten im Strafgesetzbuch mit Umweltrelevanz (z. B.
Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen gem. §§ 307 – 312 StGB, gemeingefährliche
Vergiftung gem. § 314 StGB), Straftaten im Zusammenhang mit Lebens- und Arz-
neimitteln (z. B. ArzneimittelG) und Straftaten gegen strafrechtliche Nebengesetze
auf dem Umwelt- und Verbraucherschutzsektor (z. B. Chemikaliengesetz). Albrechts
Begriffsbestimmung stimmt demnach mit der weniger vertretenen, engen Auslegung

2
So gilt der Slowene Janez Pečar als Vorreiter der Green Criminology (nach Eman 2011,
314 ff.).
332 Rita Haverkamp

der Green Criminology (vgl. unter 2.1) überein.3 Umweltkriminalität im Kernstraf-


recht beschreibt Albrecht (1993, 556) als „[…] einen Normtypus, der Umweltverwal-
tungsrecht und Strafrecht sowie Umweltverwaltungshandeln und das Handeln der
Strafverfolgungsorgane und der Strafjustiz miteinander verschränkt“. Der Grundsatz
der Verwaltungsakzessorietät4 prägt das Umweltstrafrecht und „führt zu besonderen
Problemen“ (Albrecht 1993, 557). Die mannigfach geübte Kritik hieran ist im Laufe
der letzten beiden Jahrzehnte verhaltener geworden, da ein gewisses Umdenken in
Richtung der Notwendigkeit eines verwaltungsakzessorischen Umweltstrafrechts
stattfand und die Gesetzgebung (Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkrimi-
nalität von 1994) nachjustierte (Saurer 2017, 363 f.).5
Die nachlassende Kritik wird auch mit dem Rückgang der registrierten Umwelt-
straftaten in Verbindung gebracht (Saurer 2017, 364). In der Tat ist die Entwicklung
der polizeilich registrierten Umweltdelikte frappierend. Ausgangspunkt für deren
Erfassung bildet die Einführung der Umweltstraftaten in das Strafgesetzbuch im
Jahr 1980, so dass im Jahr 1981 vor der Wiedervereinigung erstmals 5.844 derartige
Fälle ausgewiesen wurden (Bundeskriminalamt 1981, 146). In den nächsten Jahren
stiegen die Zahlen kontinuierlich an und erreichten ihren Höhepunkt mit 41.381 Fäl-
len in den alten und neuen Bundesländern im Jahr 1998 (Bundeskriminalamt 2012,
232).6 In den anschließenden Jahren brach deren Anzahl massiv ein, wobei der Rück-
gang immer noch anhält: Im Jahr 2018 fiel die Fallzahl auf 11.296 Umweltstraften
nach dem 29. Abschnitt des Strafgesetzbuchs (Bundeskriminalamt 2019, 187). Diese
markante Verringerung und die ohnehin geringe praktische Bedeutung lassen sich
auf mehrere Ursachen zurückführen. Mit der Auflösung polizeilicher Umweltspezi-
aleinheiten ging nicht nur Expertenwissen verloren, sondern auch die polizeiliche
Kontrollaktivität zurück (Klüpfel 2016, 27 f.). Die Umgestaltung des Abfallrechts
durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz im Jahr 1996 zog durch eine Ver-
besserung der zugelassenen Entsorgungsmöglichkeiten eine deutliche Senkung der
Abfallkriminalität nach sich (Klüpfel 2016, 29). Modernisierung und technische Auf-
rüstung verbesserten in Betrieben die Einhaltung von Umweltstandards (Klüpfel
2016, 31 f.). Das Anzeigeverhalten spielt ebenfalls eine Rolle. Der Personalabbau
in Verwaltungsbehörden wirkte sich auf den Rückgang ebenso aus wie die geänderte

3
Ein merklicher Einfluss der Green Criminology auf die hiesige Kriminologie ist bislang
nicht ersichtlich.
4
Unionsrechtsakzessorietät spätestens seit der EU-Richtlinie 2008/99/EG des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der
Umwelt, ABl. 2008, L 328/28) (näher Saurer 2017, 349 ff.).
5
Albrecht (1987, 6 ff.) äußerte dezidierte Kritik an der Verwaltungsakzessorietät im Um-
weltstrafrecht, allerdings lehnt er diese nicht rundweg ab, sondern fordert „[…] über eine
verbindliche Verankerung von Emissionsgrenzen oder Einleitungsgrenzen nachzudenken, um
den Strafverfolgungseinrichtungen klarere Anknüpfungspunkte an die Hand zu geben, ande-
rerseits den Normadressaten deutlichere Verhaltensvorschriften zu setzen“ (Albrecht 1987,
16).
6
Seit dem Jahr 1993 enthält die Polizeiliche Kriminalstatistik Daten aus den alten und
neuen Bundesländern.
Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? 333

Kontrollpraxis gegenüber nunmehr zertifizierten Entsorgungsfachbetrieben (Klüpfel


2016, 31). Zudem erwies sich die Anzeigebereitschaft in der Bevölkerung als rück-
läufig, was an einem nachlassenden Umweltbewusstsein in der Gesellschaft auch in-
folge einer zurückgehenden Berichterstattung liegen könnte (Klüpfel 2016, 30 f.) Im
Jahr 2020 ist durch die junge Klimabewegung („Fridays for Future“) der Klimawan-
del und damit der Schutz der Umwelt medial und gesellschaftlich wesentlich prä-
senter als zuvor. Es fragt sich, ob hierdurch die Anzeigebereitschaft in der Bevölke-
rung wieder gestiegen ist.7
In der deutschen Kriminologie ist die Theoriebildung im Bereich der Umweltkri-
minalität bedeutungslos, allerdings entstand eine Reihe von empirischen Studien
hierzu. Deren Blütezeit liegt gewissermaßen in den 1980er und 1990er Jahren und
hat einen Schwerpunkt in der Implementationsforschung und den Problemen der
Strafverfolgung im Umgang mit der Umweltkriminalität (Hümbs-Krusche & Kru-
sche 1983; Rüther 1986 und 1991; Leffler 1993; Hoch 1994; Lutterer & Hoch
1997; Schirrmacher 1998).8 Die Vergleichbarkeit der empirischen Studien ist einge-
schränkt, da die Rechtslage nicht einheitlich ist (z. B. vor Einführung des Umwelt-
strafrechts 1980 Hümbs-Krusche & Krusche 1983), unterschiedlichen Fragestellun-
gen nachgegangen wurde (z. B. Beurteilung des Umweltstrafrechts und dessen
Rechtsanwendung Hoch 1994; Einstellungen nach § 153a StPO Schirrmacher
1998) und unterschiedliche Methoden gewählt wurden (z. B. Aktenanalyse Rüther
1986, 12; Expertengespräche und schriftliche Befragungen Leffler 1993, 51 ff.)
sowie verschiedene Bundesländer bzw. Regionen einbezogen wurden (z. B. neue
Bundesländer Saar 2004; Hannover Pinski 2006). Die bislang einzige Längsschnitt-
studie von Klüpfel (2016) orientiert sich an der Untersuchung von Lutterer & Hoch
(1997). Im Überblick stimmen einige Studien darin überein, dass insbesondere min-
der schwere Umwelttaten verfolgt werden und damit die Absicht der Gesetzgebung,
Strafrecht als ultima ratio einzusetzen, in gewissem Maße konterkariert wird
(Hümbs-Krusche & Krusche 1983, 284; Leffler 1993, 291; Lutterer & Hoch 1997,
274 ff.; Schirrmacher 1998, 285; Klüpfel 2016, 224). Durchweg kennzeichnen die
Praxis Durchführungs- und Organisationsdefizite, die auf einer materiell und perso-
nell dürftigen Ausstattung beruhen (Hümbs-Krusche & Krusche 1983, 287; Rüther
1986, 249 f.; Leffler 1993, 291 ff.; Hoch 1994, 506 f., 518; Hoch & Lutterer 1997,
282 f.; Saar 2004, 174; Pinski 2006, 92; Klüpfel 2016, 28). In der Kritik steht vor
allem die unzureichende Kontrolltätigkeit der Umweltverwaltungsbehörden verbun-
den mit einem restriktiven Anzeigeverhalten (Hümbs-Krusche & Krusche 1983,
288 f.; Rüther 1986, 245; Pinski 2006, 86 f.; Klüpfel 2016, 31). Auch verläuft die Ko-
operation zwischen Umweltverwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden nicht opti-
mal (Rüther 1986, 250; 1991, 272; Hoch 1994, 503 f.); dadurch wird die notwendige
Trennung zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht gewährleistet (Hoch
7
Es stellt sich die Frage, ob die Covid-19 Pandemie und deren Folgen den Klimawandel
erneut in den Hintergrund drängen.
8
Im 21. Jahrhundert kamen bislang noch drei empirische Arbeiten (Saar 2004; Pinski
2006; Klüpfel 2016) hinzu.
334 Rita Haverkamp

& Lutterer 1997, 282). Im Längsschnittvergleich fallen einerseits eine verbesserte


arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischen Umweltverwaltungs- und Strafverfol-
gungsbehörden sowie andererseits der Bedeutungsverlust der Umweltstrafsachen in-
folge der rückläufigen Fallzahlen auf (Klüpfel 2016, 226 f.). Insgesamt lässt sich kon-
statieren, dass die Umweltkriminologie hierzulande durch das Umweltstrafrecht ge-
prägt wird.9

3. Kriminologie des Klimawandels


Aus der Green Criminology ist mittlerweile ein Zweig der „Climate Change
Criminology“ (White 2018) entstanden. Bereits seit Ende der 1980er Jahre und spä-
testens seit Ende der 1990er Jahre herrscht in der Klimaforschung Einigkeit über die
Existenz des durch den Menschen hervorgerufenen Klimawandels (vgl. nur Deut-
scher Bundestag 1988, 177). Die anthropogene globale Erwärmung zeigt sich in
einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur der Atmosphäre und der Weltmeere,
dem großflächigen Abschmelzen von Schnee- und Eisflächen (z. B. Gletscher) und
dem dadurch bedingtem Anstieg des Meeresspiegels (Intergovernmental Panel on Cli-
mate Change 2014, 40). Als menschengemachte Verursacher gelten Treibhausgase
durch Verbrennen von fossilen Energieträgern, der Methanausstoß bei der Viehhal-
tung und die Freisetzung von Kohlendioxid bei der Herstellung von Zement sowie die
großflächigen Rodungen von Waldgebieten (z. B. brasilianischer Regenwald) (In-
tergovernmental Panel on Climate Change 2014, 45 ff.). Der Klimawandel bedroht
nicht nur Flora und Fauna, sondern auch die Menschheit. In Küstenregionen sind die
Lebensräume durch Überflutungen und in anderen Regionen durch Dürre und Hitze
gefährdet. Parallel dazu nehmen weltweit die Luft- und Wasserverschmutzung und
extreme Wetterereignisse zu. Unbewohnbar werdende Landstriche treiben die dort
Lebenden in die Flucht (Farrall 2012, 20 ff.). Betroffen sind vor allem ohnehin Be-
nachteiligte, d. h. Arme, Frauen, Kinder und Betagte in Entwicklungsländern (Agnew
2012, 14). In Entwicklungsländern führt die wachsende Konkurrenz um knapper
werdende Ressourcen wie (nährstoffreiche) Nahrung, (sauberes) Trinkwasser oder
eine Unterkunft zu steigenden sozialen Konflikten (Agnew 2012, 14).
Hieraus ergeben sich vielfältige Fragestellungen für die Kriminologie, vor allem
was vermehrte soziale Konflikte angeht und damit die Sicherheit auf Mikro-, Meso-
und Makroebene berührt (White 2018, 9). White (2018, 10 ff.) identifiziert vier
Schlüsselthemen: Kriminalität und Schaden, globale Verbundenheit und Öko-Ge-
rechtigkeit, Ursachen und Konsequenzen sowie Macht und Interessen. Entsprechend
der Green Criminology liegt Kriminalität und Schaden ein weites Verständnis zu-
grunde, das sich sowohl auf strafrechtlich relevante als auch auf nicht strafrechtlich
relevante Umweltschäden erstreckt; maßgeblich ist dann die Bewertung als sozial

9
Eine andere Perspektive wählte Albrecht (2005, 1273 ff.), als er sich der organisierten
Kriminalität in Bezug auf die Umwelt widmete.
Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? 335

und ökologisch schädlich (White 2018, 12). Des Weiteren geht es um die Anerken-
nung von Umweltstraftaten als malum in se („was an sich falsch ist“) (White 2018,
12). Denn die gewöhnlich als malum prohibitum („falsch ist, was verboten ist“) auf-
gefassten Taten gelten als nicht so schwerwiegend und leisten der Kriminalität der
Mächtigen insofern Vorschub, als es weniger um die Strafbarkeit als um die Balance
zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen geht (White 2018, 11 f.). Da
der Klimawandel nicht vor nationalen Grenzen Halt macht, handelt es sich um ein
globales Phänomen, das Sensibilität auch für die vulnerablen, besitzlosen, benach-
teiligten und ignorierten Menschen voraussetzt (White 2018, 13). In diesem Kontext
ist Öko-Gerechtigkeit weit zu verstehen und erfasst das Beziehungsgefüge zu den
Menschen und zur Natur mit Rücksicht auf das Befinden der Biosphäre an sich
wie auch der Flora und Fauna (White 2018, 13). Öko-Gerechtigkeit hat darüber hin-
aus ihren Platz bei den Ursachen und Konsequenzen, wo es um die Täter und Opfer in
einem weiten Sinne geht. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass Umweltgerechtig-
keit mit dem Fokus auf Unterschieden innerhalb der Menschheit, ökologische Ge-
rechtigkeit mit dem Fokus auf der Umwelt und Arten-Gerechtigkeit für den Erhalt
und Fortbestand der Artenvielfalt und Abwehr von Tiermissbrauch eine Rolle spielen
(White 2018, 15). Der Part der Mächtigen mitsamt den politischen und wirtschaftli-
chen Systemen ist ebenso von Bedeutung, wenn es um die Bedingungen für den Kli-
mawandel und das Abschieben von Verantwortlichkeiten im Zusammenhang damit
geht (White 2018, 15).
In theoretischer Hinsicht wendet Robert Agnew die von ihm entwickelte General
Strain Theory (Allgemeine Drucktheorie) im Rahmen der Green Criminology und
folgerichtig auch des Klimawandels an (Agnew 2012, 17 ff.). Nach dieser Theorie
entsteht sozial abweichendes Verhalten durch drei Belastungen: erstens das wahrge-
nommene Verfehlen intendierter Ziele, zweitens das Vorhandensein schädlicher Im-
pulse und drittens der Wegfall positiv besetzter Stimuli (Agnew 1992, 50 ff.). Deren
Auftreten beschränkt sich nicht auf spezifische Milieus, sondern kann wie der Kli-
mawandel die Bevölkerung an sich betreffen. Der klimawandelbedingte Druck ba-
siert u. a. auf extremen Wetterereignissen, Nahrungs- und Trinkwassermangel,
dem drohenden Verlust der individuellen Lebensgrundlage, Krankheiten und Ge-
sundheitsschädigungen, Zwangsmigration, der Betroffenheit von gewalttätigen Kon-
flikten und Kriminalität sowie unterschiedlichen Belastungen für Arm und Reich
(Agnew 2012, 18 f.). Agnew zufolge erhöhen diese Belastungen zwar das absolute
Ausmaß der Besorgnis über den Klimawandel, aber nicht die darauf bezogene rela-
tive Priorität (Agnew 2012, 17 f.). Dies liegt daran, dass sich der Fokus auf die Be-
wältigung der wahrgenommenen genannten Belastungen und nicht auf den Klima-
wandel richtet: „A hungry person, for example, searches for food rather than
more sustainable methods of farming“ (Agnew 2012, 19). Desolate Lebensverhältnis-
se vermögen also den unmittelbaren Eigennutz zu fördern, statt auf Langzeitwirkun-
gen des eigenen Verhaltens und auf ihre Wirkungen für andere zu achten; mitunter
können hieraus strafbare oder schädigende Taten erwachsen, die den Klimawandel
unterstützen (z. B. Abholzen von Wäldern zur Energiegewinnung und Verbrennen
336 Rita Haverkamp

weniger hochwertiger Kohle) (Agnew 2012, 19). Agnew (2012, 23) betont, dass nicht
nur der Eigennutz dominiert, sondern auch altruistische Tendenzen in Belastungssi-
tuationen auftreten, und leitet hieraus Forschungsbedarf für Fallstudien und quanti-
tative Forschung ab.
Ähnlich der Green Criminology hat die Kriminologie des Klimawandels in der
deutschen Kriminologie noch nicht Fuß gefasst. Ausgehend von der Friedens- und
Konfliktforschung gibt es einzelne Vorstöße zu den Auswirkungen des Klimawan-
dels auf Konflikte und Kriminalität (Gnüchtel 2013, 14 ff.). Gnüchtel (2013,
25 ff.) präsentiert ein dreigeteiltes Devianz-Modell aus individueller und kollektiver
Gewalt- und Eigentumskriminalität in der Ereignisregion, punktueller Gewaltkrimi-
nalität und strukturierter transnationaler Kriminalität infolge des Wettbewerbs um
Ressourcen in den Nachbarstaaten sowie wirtschaftlich motivierte und migrations-
bedingte Kriminalität in den Industriestaaten. Ausgehend von diesen verschiedenen
Konflikt- und Gewaltkonstellationen sieht Gnüchtel eine Interventionspflicht aus
einer globalen, menschlichen und staatenübergreifenden Verantwortung, aus der in-
ternationalen Verantwortung der Verursacher-Staaten wie auch aus der nationalen
Sicherheit. Dieses Modell dient ihm als Impuls für einen Klimadiskurs aus krimino-
logischer Perspektive im Sinne einer „klimawandelbedingten Kriminalität“ in
Deutschland (Gnüchtel 2013, 27).

4. Fazit
Der Streifzug in den Klimawandel aus kriminologischer Perspektive verdeutlicht
einmal mehr das bereits eingangs festgestellte und weit verbreitete Desinteresse der
deutschen Kriminologie an Forschungsthemen rund um die Umwelt. Eine Ausnahme
stellt die von Hans-Jörg Albrecht über Jahrzehnte hinweg verfolgte Forschung zur
Umweltkriminalität dar. Die Unterschiede zur Green Criminology sind aber größer
als die Gemeinsamkeiten, was schon beim Begriffsverständnis anfängt. Während in
der Green Criminology der Schutz von Mensch und Umwelt in einem weiten Sinne
an der Schädlichkeit für die Flora und Fauna ungeachtet von deren Strafbarkeit fest-
gemacht wird, ist in der deutschen Kriminologie ein enges Verständnis, das auch das
empirische Forschungsinteresse lenkt, abhängig von der Strafbarkeit verbreitet. Dar-
über hinaus positionieren sich die Vertreterinnen und Vertreter der Green Crimino-
logy politisch – wenngleich unterschiedlich – und fordern Engagement ein:
„Climate Change Criminology involves and supports public engagement and social inter-
ventions that challenge the status quo by focusing on climate justice for humans and
non-human environmental entities“ (White 2018, 144).

In der deutschen Kriminologie hingegen ist überwiegend eine Wertneutralität im


Weberschen Sinne zu beobachten. Abschließend bleibt zu wünschen, dass sich die
Kriminologie in Deutschland in stärkerem Umfang als bisher der Kriminologie
der Umwelt zuwendet und an den Diskursen außerhalb Deutschlands teilhat. For-
Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? 337

schung hierzu bietet sich hierzulande an, schon allein weil der Klimawandel überall
stattfindet.

Literaturverzeichnis

Agnew, R. (1992): Foundation for a general strain theory of crime and delinquency. Criminology
30/1, S. 47 – 88.
Agnew, R. (2011): Dire forecast: A theoretical model of the impact of climate change on crime.
Theoretical Criminology 16/1, S. 21 – 46.
Agnew, R. (2012): It’s the end of the world as we know it: The advance of climate change from a
criminological perspective, in: R. White (Hrsg.), Climate Change from a Criminological Per-
spective. New York, S. 13 – 25.
Agnew, R. (2013): The ordinary acts that contribute to ecocide: A criminological analysis, in:
N. South & A. Brisman (Hrsg.), Routledge International Handbook of Green Criminology.
London, S. 58 – 72.
Albrecht, H.-J. (1983): Probleme der Implementierung des Umweltstrafrechts. Monatsschrift
für Kriminologie und Strafrechtsreform 66/5, S. 278 – 294.
Albrecht, H.-J. (1987): Umweltstrafrecht und Verwaltungsakzessorietät – Probleme und Folgen
einer Verknüpfung verwaltungs- und strafrechtlicher Konzepte. Kriminalsoziologische Bio-
graphie 55, S. 1 – 22.
Albrecht, H.-J. (1993): Umweltkriminalität, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl. Heidelberg, S. 555 – 565.
Albrecht, H.-J. (2005): Organisierte Umweltkriminalität – Konzepte, Ausmaß und Strukturen,
in: J. Arnold & A. Eser (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht. Festschrift für Albin Eser.
München, S. 1273 – 1291.
Brisman, A. (2014): Of Theory and Meaning in Green Criminology. International Journal for
Crime, Justice and Social Democracy 3/2, S. 21 – 34.
Brisman, A. & South, N. (2019): Green Criminology and Environmental Crimes and Harms.
Sociology Compass 13, S. 1 – 12.
Bruinsma, G. & Johnson, S.D. (2018): The Oxford Handbook of Environmental Criminology.
New York.
Bruinsma, G. & Weisburd, D. (2014): History of Geographic Criminology Part II: Twentieth
Century, in: G. Bruinsma & D. Weisburd (Hrsg.), Encyclopedia of Criminology and Criminal
Justice. New York, S. 1976 – 1984.
Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2012): Polizeiliche Kriminalstatistik 2011. Wiesbaden.
Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2019): Polizeiliche Kriminalstatistik 2018. Band 4: Einzelne
Straftaten/-gruppen und ausgewählte Formen der Kriminalität. Wiesbaden.
Cohen, L.E. & Felson, M. (1979): Social change and crime rate trends: A routine activity ap-
proach. American Sociological Review 44/4, S. 588 – 608.
338 Rita Haverkamp

Deutscher Bundestag (1988): Erster Zwischenbericht der ENQUETE-KOMMISSION Vorsor-


ge zum Schutz der Erdatmosphäre; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/11/032/1103246.pdf
[27. 02. 2020].
Dölling, D. & Herrmann, D. (2001): Anlage und Umwelt aus Sicht der Kriminologie – Theo-
retische, empirische und kriminalpolitische Aspekte, in: M. Wink (Hrsg.), Vererbung und
Milieu. Berlin/Heidelberg, S. 153 – 182.
Eman, K. (2011): Ekološka kriminaliteta v kriminologiji: razvoj nove veje kriminologije v Slo-
veniji. Revija za kriminalistiko in kriminologijo 62/4, S. 312 – 324.
Farrall, S. (2012): Where might We Be Headed? Some of the Possible Consequences of Climate
Change for the Criminological Research Agenda, in: S. Farrall, T. Ahmed & D. French
(Hrsg.), Criminological and Legal Consequences of Climate Change. Oxford/Portland, Ore-
gon, S. 7 – 26.
Gnüchtel, R. (2013): Klimawandel: Konflikte und Kriminalität. Eine neue sicherheitspolitische
Herausforderung im 21. Jahrhundert. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
96/1, S. 14 – 29.
Hoch, H. (1994): Die Rechtswirklichkeit des Umweltstrafrechts aus der Sicht von Umweltver-
waltung und Strafverfolgung. Freiburg.
Hümbs-Krusche, M. & Krusche, M. (1983): Die strafrechtliche Erfassung von Umweltbelastun-
gen. Stuttgart.
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC) (2014): Climate Change 2014. Synthesis
Report; www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/05/SYR_AR5_FINAL_full_wcover.pdf
[27. 02. 2020].
Klüpfel, C.C. (2016): Die Vollzugspraxis des Umweltstraf- und Umweltordnungswidrigkeiten-
rechts. Eine empirische Untersuchung zur aktuellen Anwendungspraxis sowie zur Entwick-
lung des Fallspektrums und des Verfahrensgangs seit den 1980er Jahren. Berlin.
Leffler, N. (1993): Zur polizeilichen Praxis der Entdeckung und Definition von Umweltstrafsa-
chen. Eine empirische Untersuchung im Land Nordrhein-Westfalen. Bonn.
Lutterer, W. & Hoch, H. (1997): Rechtliche Steuerung im Umweltbereich. Freiburg.
Lynch, M.J. (1990): The greening of criminology: a perspective for the 1990’s. The Critical
Criminologist 2/3, S. 1 – 5.
Lynch, M.J. (2020): Green Criminology and Environmental Crime: Criminology That Matters
in the Age of Global Ecological Collapse. Journal of White Collar and Corporate Crime I/I,
S. 50 – 61.
Lynch, M.J. & Stretsky, P.B. (2003): The meaning of green: Contrasting criminological perspec-
tives. Theoretical Criminology 7/2, S. 217 – 238.
Noack, M. (2015): Methodische Probleme bei der Messung von Kriminalitätsfurcht und Vikti-
misierungserfahrungen. Wiesbaden.
Pinski, M. (2006): Straftaten gegen die Umwelt im Landgerichtsbezirk Hannover. Eine empi-
rische Untersuchung. Berlin.
Rüther, W. (1986): Ursachen für den Anstieg polizeilich festgestellter Umweltschutzdelikte.
Berlin.
Heiß und hitzig – Was hat der Klimawandel mit der Kriminologie zu tun? 339

Rüther, W. (1991): Die behördliche Praxis bei der Entdeckung und Definition von Umweltstraf-
sachen – unter besonderer Berücksichtigung des ,Zusammenarbeits-Erlasses‘ von 1985.
Bonn.
Saar, K. (2004): Die Entdeckung und Definition von Umweltdelikten durch die Polizei in den
neuen Bundesländern. Stuttgart.
Saurer, J. (2017): Die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts – Eine Koordinations-
strategie im Wandel. Die Verwaltung 50, S. 339 – 365.
Schirrmacher, G. (1998): Neue Reaktionen auf umweltdeliktisches Verhalten – Zugleich ein
Beitrag zur Konkretisierung des Anwendungsbereichs des § 153a StPO. Osnabrück.
Shaw, C.R. & McKay, H.D. (1972): Juvenile Delinquency and Urban Areas – A Study of Rates
of Delinquency in Relation to Differential Characteristics of Local Communities in Ameri-
can Cities. Published in 1942. Chicago.
South, N. (1998): A green field for criminology? A proposal for a perspective. Theoretical
Criminology 2/2, S. 211 – 233.
South, N., Eman, K. & Meško, G. (2014): History of Green Criminology, in: G. Bruinsma & D.
Weisburd (Hrsg.), Encyclopedia of Criminology and Criminal Justice. New York, S. 2172 –
2181.
Sutherland, E.H. (1947): Principles of criminology. 4. ed. Philadelphia.
Thomas, K. (2015): Asbest und Umweltstrafrecht. Baden-Baden.
White, R. (2014): Green Criminology, in: G. Bruinsma & D. Weisburd (Hrsg.), Encyclopedia of
Criminology and Criminal Justice. New York, S. 1976 – 1984.
White, R. (2018): Climate Change Criminology. Bristol.
Wilson, J.W. & Kelling, G.L. (1996): Polizei und Nachbarschaftssicherheit. Zerbrochene Fens-
ter. Kriminologisches Journal 28, S. 116 – 137.
Korruption in der Wirtschaft –
individuelle oder organisationale Devianz?
Von Dieter Dölling und Ludmila Hustus

Der verehrte Jubilar hat darauf hingewiesen, dass im Wirtschaftsleben begangene


Korruptionsdelikte in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit gefunden haben
(Albrecht 2003, 38, 40, 52). Der vorliegende Beitrag befasst sich mit diesem Krimi-
nalitätsbereich. Es geht um die Frage, inwieweit bei aktiver Korruption – also ille-
galer Vorteilsgewährung – im Wirtschaftsleben (zum Begriff der Korruption vgl.
Dölling 2007, 2 f.) individuelle oder organisationale Devianz vorliegt. Denkbar
ist, dass die Täter die Delikte begehen, um einen persönlichen Vorteil zu erlangen –
insoweit kann von „individueller Devianz“ gesprochen werden. Möglich ist aber
auch, dass die Täter im Interesse der Organisation handeln, der sie angehören,
und den Taten korruptionsbegünstigende informelle Regeln der Organisation zu-
grunde liegen. Dies kann als „organisationale Devianz“ bezeichnet werden (zum
Konzept der organisationalen Devianz siehe Pohlmann & Höly 2017, 187 ff.). In ähn-
licher Weise wird häufig zwischen occupational crime und corporate crime unter-
schieden (vgl. Bussmann 2016, 7 ff.). Die Untersuchung ist Teil des von der Volks-
wagenStiftung geförderten interdisziplinären Forschungsprojekts „Der Kampf
gegen Korruption und Manipulation – Regulierung und Selbstregulierung in Medizin
und Wirtschaft“ (Leitung: Markus Pohlmann, Gerhard Dannecker, Dieter Dölling
und Dieter Hermann).
Die Untersuchung der Frage, inwieweit in Fällen aktiver Korruption in der Wirt-
schaft individuelle oder organisationale Devianz gegeben ist, erfolgt im Wege einer
Analyse von Strafakten über deutsche Fälle der aktiven Korruption durch Mitarbeiter
von Wirtschaftsunternehmen. Strafverfahren und damit Strafakten erfassen zwar nur
einen Teil aller Korruptionsdelikte, und Strafakten bilden die Wirklichkeit nur par-
tiell ab. Strafakten kann aber eine Reihe für die Forschungsfrage relevanter Daten
entnommen werden, sodass es sinnvoll ist, die Methode der Strafaktenanalyse zu ver-
wenden (vgl. zur Aussagekraft von Strafakten Dölling 1984 und Hermann 1987).
Um einschlägige Strafakten für die Auswertung zu erhalten, wurden im Juli 2015
15 deutsche Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftskriminalität ange-
schrieben und gebeten, die Auswertung der jeweils letzten beiden rechtskräftig ab-
geschlossenen Strafverfahren wegen aktiver Korruption durch Mitarbeiter von Wirt-
schaftsunternehmen zu gestatten. Zehn Staatsanwaltschaften erlaubten die Akten-
auswertung. Es wurden insgesamt 20 Strafverfahren analysiert. Da bei einigen
Staatsanwaltschaften nur ein Strafverfahren ausgewertet werden konnte, wurden
342 Dieter Dölling und Ludmila Hustus

bei zwei Staatsanwaltschaften drei bzw. vier Akten analysiert. Die Akten wurden uns
teilweise zur Auswertung geschickt, teilweise wurden sie von uns in den Räumen der
jeweiligen Staatsanwaltschaft ausgewertet. Die Akten stammten von Staatsanwalt-
schaften aus zehn Bundesländern, die im Norden und Süden sowie im Westen und
Osten Deutschlands liegen.
Die Akten wurden mit einem standardisierten Erhebungsbogen ausgewertet. Er-
hoben wurden insbesondere Merkmale des Beschuldigten, des Unternehmens, für
das der Beschuldigte handelte, sowie der Gang und das Ergebnis der Strafverfolgung.
Bei mehreren Beschuldigten wurde auf den zentralen Akteur der Bestechungsvor-
gänge abgestellt. Für jede korruptive Beziehung dieses Akteurs zu einem bestimmten
Vorteilsnehmer wurde zusätzlich ein Unterbogen ausgefüllt, in dem Merkmale des
Korruptionsgeschehens (z. B. die Höhe der Bestechungssumme) festgehalten wur-
den. Es wurden 123 Unterbögen erstellt.
Die Sanktionierungen der Beschuldigten erfolgten in acht Verfahren wegen Kor-
ruption von Amtsträgern (§§ 333 ff. StGB, Gesetz zur Bekämpfung internationaler
Bestechung) und in sieben Verfahren wegen Bestechung von Angestellten von Un-
ternehmen (§§ 299, 300 StGB). In fünf Fällen wurde nach §§ 263, 266 StGB oder
§ 370 Abgabenordnung sanktioniert. Diese Sanktionierungen standen im Zusam-
menhang mit Korruptionsvorgängen, sodass sie in die Untersuchung aufgenommen
wurden (vgl. zu den Straftatbeständen Tabelle 1).
Tabelle 1
Straftatbestände, wegen derer sanktioniert wurde
Straftatbestände n %
Korruption von Amtsträgern (§§ 333 ff. StGB, ggf. i.V.m. IntBestG) 8 40,0
Angestelltenbestechung (§§ 299, 300 StGB) 7 35,0
§§ 263, 266 StGB; § 370 AO 5 25,0
Gesamt 20 100,0

Die häufigste Strafe war mit neun Verurteilungen die Freiheitsstrafe mit Bewäh-
rung. Die kürzeste der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen betrug ein Jahr,
die drei längsten beliefen sich auf zwei Jahre. Es wurden zwei Freiheitsstrafen ohne
Bewährung verhängt (Dauer: drei und fünf Jahre). Drei Verurteilte erhielten eine
Geldstrafe. In einem weiteren Verfahren wurde neben der Freiheitsstrafe ohne Be-
währung zusätzlich eine Geldstrafe verhängt. In einem Fall wurde eine Verwarnung
mit Strafvorbehalt ausgesprochen. Gegen fünf Beschuldigte wurde das Verfahren
gegen eine Auflage eingestellt (siehe zu den Sanktionen Tabelle 2). Da auch diese
Beschuldigten in Form der Auflage eine Sanktion erhielten, wurden sie in die Unter-
suchung einbezogen. Im Interesse der besseren Lesbarkeit werden alle sanktionierten
Beschuldigten als Verurteilte bezeichnet.
Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz? 343

Tabelle 2
Sanktionen
Sanktion n %
Einstellung gegen Auflage nach § 153a StPO 5 25,0
Verwarnung mit Strafvorbehalt 1 5,0
Geldstrafe 3 15,0
Freiheitsstrafe mit Bewährung 9 45,0
Freiheitsstrafe ohne Bewährung 2 10,0
Gesamt 20 100,0

Die ausgewerteten Akten betrafen umfangreiche und komplexe Verfahren. Vier-


zehn Verfahren richteten sich gegen fünf und mehr Beschuldigte und sechs Verfahren
gegen weniger als fünf Beschuldigte. Die Gesamtseitenzahl der ausgewerteten Akten
betrug in 17 Verfahren über 500 Seiten, darunter waren acht Verfahren mit mehr als
2.000 Seiten (vgl. Tabelle 3).
Tabelle 3
Gesamtseitenzahl der ausgewerteten Akten
Gesamtseitenzahl n %
100 bis 500 1 5,0
501 bis 1.000 3 15,0
1.001 bis 1.500 2 10,0
1.501 bis 2.000 4 20,0
2.001 und mehr 8 40,0
Keine Angabe 2 10,0
Gesamt 20 100,0

Die Verurteilten waren in verschiedenen Wirtschaftszweigen tätig, z. B. Bauwe-


sen, Maschinenbau, Elektrotechnik, Energieversorgung, Bürobedarf und Medizin-
technik. Die Bestechungen eines bestimmten Vorteilsnehmers erfolgten überwie-
gend über einen längeren Zeitraum. In etwa einem Drittel der 123 korruptiven Be-
ziehungen erstreckte sich der Zuwendungsfluss auf einen Zeitraum von bis zu
zwei Jahren, in 26,0 % der Fälle dauerte er mehr als zwei bis drei Jahre und in
38,2 % länger als drei Jahre (siehe Tabelle 4).
344 Dieter Dölling und Ludmila Hustus

Tabelle 4
Dauer der Bestechungszuwendungen zwischen Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer
Dauer der Bestechungszuwendungen n %
Bis 2 Jahre 40 32,5
Mehr als 2 bis 3 Jahre 32 26,0
Mehr als 3 Jahre 47 38,2
Keine Angabe 4 3,3
Gesamt 123 100,0

Bei 8,9 % der Bestechungsfälle bestand ein Auslandsbezug. Bestochen wurde


überwiegend mit Geldzahlungen, Sachzuwendungen und Bewirtungen, wobei Geld-
zahlungen dominierten (vgl. Tabelle 5).
Tabelle 5
Art der Bestechung (Mehrfachnennungen möglich)
Art der Bestechung n %
Geldzahlung 89 62,2
Sachzuwendung 29 20,3
Bewirtung 19 13,3
Finanzierung von Reisen 5 3,5
Softwarekauf, Personalentleihung 1 0,7
Gesamt 143 100,0

Die Höhe der in den einzelnen korruptiven Beziehungen jeweils gewährten Vor-
teile variierte stark. Überwiegend war der Wert der Vorteile hoch. Während der Wert
in 13,0 % der Fälle bis 100 Euro und in 8,9 % der Fälle 101 bis 1.000 Euro betrug,
belief er sich in 2,4 % der Fälle auf 1.001 bis 10.000 Euro und in 58,5 % der Fälle auf
10.001 bis 100.000 Euro; in 12,2 % der Fälle betrug er 100.001 bis 1 Million Euro
und in 3,3 % der Fälle überstieg er eine Million Euro (siehe Tabelle 6).
Tabelle 6
Wert der in einer korruptiven Beziehung zugewendeten Vorteile
Wert n %
Bis 50 Euro 6 4,9
51 bis 100 Euro 10 8,1
101 bis 1.000 Euro 11 8,9
1.001 bis 10.000 Euro 3 2,4
10.001 bis 100.000 Euro 72 58,5
100.001 bis 1 Million Euro 15 12,2
Über 1 Million Euro 4 3,3
Keine Angabe 2 1,6
Gesamt 123 100,0
Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz? 345

Der Wert der von den Verurteilten insgesamt erbrachten Bestechungsleistungen


betrug bei 10,0 % der Verurteilten bis 10.000 Euro, bei 25,0 % 10.001 bis
100.000 Euro, bei 30,0 % 100.001 bis 1 Million Euro und bei 25,0 % mehr als
eine Million Euro (vgl. Tabelle 7). Es wurden somit überwiegend sehr erhebliche Be-
träge zugewendet.
Tabelle 7
Wert der insgesamt zugewendeten Vorteile
Wert n %
Bis 10.000 Euro 2 10,0
10.001 bis 100.000 Euro 5 25,0
100.001 bis 1 Million Euro 6 30,0
Über 1 Million Euro 5 25,0
Keine Angabe 2 10,0
Gesamt 20 100,0

Von den 20 Verurteilten waren 19 männlich. Siebzehn waren Deutsche, einer war
Grieche und zu zwei Verurteilten lagen keine Angaben zur Staatsangehörigkeit vor.
Fünfzehn Verurteilte waren verheiratet, zwei geschieden und einer ledig. Zu zwei
Verurteilten fehlten die entsprechenden Angaben. Bei 80,0 % der Verurteilten
ergab sich aus den Akten, dass sie Kinder hatten. Soweit Angaben zum Schulab-
schluss vorlagen, bestand dieser in der Mittleren Reife oder einem höheren Schulab-
schluss (siehe Tabelle 8).
Tabelle 8
Höchster allgemeinbildender Schulabschluss der Verurteilten
Schulabschluss n %
Abitur oder fachgebundene Hochschulreife 4 20,0
Fachhochschulreife 2 10,0
Mittlere Reife 6 30,0
Keine Angabe 8 40,0
Gesamt 20 100,0

Hinsichtlich des beruflichen Ausbildungsabschlusses ging aus den Akten hervor,


dass 30,0 % der Verurteilten einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss hatten.
Weitere 30,0 % hatten eine sonstige Berufsausbildung abgeschlossen und ein Verur-
teilter hatte keinen Berufsabschluss (vgl. Tabelle 9).
346 Dieter Dölling und Ludmila Hustus

Tabelle 9
Höchster beruflicher Ausbildungsabschluss der Verurteilten
Ausbildungsabschluss n %
Hochschulabschluss 4 20,0
Fachhochschulabschluss 2 10,0
Sonstiger Abschluss einer Berufsausbildung 6 30,0
Kein beruflicher Abschluss 1 5,0
Keine Angabe 7 35,0
Gesamt 20 100,0

Die Verurteilten nahmen in den Unternehmen überwiegend eine herausgehobene


Stellung ein. 35,0 % waren Firmeninhaber oder Teilhaber. Ein Verurteilter war Vor-
standsvorsitzender und 25,0 % waren Geschäftsführer. 15,0 % hatten die Position
eines Prokuristen inne. Ein Verurteilter fungierte als Bereichsleiter/Abteilungsleiter,
einer als Projektleiter und zwei Verurteilte waren Vertriebsmitarbeiter/Außendienst-
mitarbeiter (siehe Tabelle 10).
Tabelle 10
Stellung des Verurteilten im Unternehmen
Stellung im Unternehmen n %
Firmeninhaber oder Teilhaber 7 35,0
Vorstandsvorsitzender 1 5,0
Geschäftsführer 5 25,0
Prokurist 3 15,0
Bereichsleiter/Abteilungsleiter 1 5,0
Projektleiter 1 5,0
Vertriebsmitarbeiter/Außendienstmitarbeiter 2 10,0
Gesamt 20 100,0

Überwiegend waren die Verurteilten im Zeitpunkt der ersten Tat bereits mehrere
Jahre für das Unternehmen tätig. Lediglich ein Verurteilter war weniger als zwei
Jahre in dem Unternehmen beschäftigt. Bei 30,0 % betrug die Beschäftigungszeit
zwei bis zehn Jahre und bei 55,0 % mehr als zehn Jahre (vgl. Tabelle 11).
Eine Belastung mit einer Vorstrafe konnte den Akten für keinen der Verurteilten
entnommen werden. Es handelte sich bei den Verurteilten somit um gesellschaftlich
eingegliederte Personen mit gehobener sozialer Stellung (zu ähnlichen Befunden
über die Täter von Korruptionsdelikten in anderen Untersuchungen siehe Dölling
2007, 23, 28 ff.).
Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz? 347

Tabelle 11
Dauer der Tätigkeit für das Unternehmen im Zeitpunkt des ersten Korruptionsdelikts
Dauer der Tätigkeit n %
Unter 2 Jahren 1 5,0
2 bis 5 Jahre 3 15,0
Mehr als 5 bis 10 Jahre 3 15,0
Mehr als 10 bis 20 Jahre 3 15,0
Mehr als 20 Jahre 8 40,0
Keine Angabe 2 10,0
Gesamt 20 100,0

Die Korruption wurde von den Verurteilten überwiegend intensiv betrieben. Le-
diglich sechs Verurteilte wurden nur wegen einer Tat, einer wegen zwei Taten und
zwei Verurteilte jeweils wegen drei Taten sanktioniert. Während bei einem Verurteil-
ten 8 Taten den Gegenstand der Verurteilung bildeten, lagen bei sieben Verurteilten
dem Urteil 10 bis 20 bzw. über 20 Taten zugrunde (siehe Tabelle 12).
Tabelle 12
Zahl der den Verurteilungen zugrunde liegenden Taten
Zahl der Taten n %
Eine Tat 6 30,0
2 bis unter 10 Taten 4 20,0
10 bis 20 Taten 3 15,0
Über 20 Taten 4 20,0
Keine Angabe 3 15,0
Gesamt 20 100,0

Die Mehrfachtäter begingen die Korruptionsdelikte systematisch. Bei 50,0 % der


Verurteilten konnte eine Zwischenschaltung von Firmen oder natürlichen Personen
zur Vertuschung von korruptiven Zahlungen festgestellt werden. Teilweise wurde der
eigene Unternehmensapparat für die korruptiven Aktivitäten eingesetzt. Ein Unter-
nehmen hatte ein Computerprogramm installiert, in dem die Vorteilsnehmer, die zu-
gewendeten Vorteile und die enthaltenen Aufträge gespeichert waren. Bei den Zu-
wendungen wurde nach der „Wertigkeit“ der Vorteilsnehmer differenziert. Ein ande-
res Unternehmen führte eine tabellarische Kartei der Vorteilsnehmer. Anhand dieser
Kartei wurden Zuwendungen an eine dreistellige Zahl von Vorteilsnehmern veran-
lasst. Teilweise war eine erhebliche Zahl von Mitarbeitern des Unternehmens mit
den Korruptionsdelikten befasst. Da dies durch die Firmeninhaber bzw. die Firmen-
leitung veranlasst war, kann insoweit von einer „organisationalen Devianz von oben“
gesprochen werden. Die Korruption war Teil des wirtschaftlichen Handlungsstils des
Unternehmens. Teilweise lag ein eingespieltes Zusammenwirken des Verurteilten
mit einem bestimmten Vorteilsnehmer vor (vgl. zu solchen „gewachsenen Beziehun-
gen“ Bannenberg 2002, 90). Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass bei 35,0 %
348 Dieter Dölling und Ludmila Hustus

der Verurteilten den Akten entnommen werden konnte, dass die Korruptionsdelin-
quenz von dem späteren Vorteilsnehmer ausging.
Im Hinblick auf die Frage, ob bei den Taten individuelle oder organisationale De-
vianz vorlag, ist zunächst festzustellen, dass 35,0 % der Verurteilten Firmeninhaber
oder Teilhaber waren. In dieser Konstellation fielen individuelles und organisationa-
les Interesse zusammen. Durch die Bereicherung des Unternehmens bereicherte sich
auch der Verurteilte. Eine über das Individualinteresse hinausreichende Handlungs-
orientierung kann bei diesen Verurteilten nicht festgestellt werden.
25,0 % der Verurteilten waren nicht Firmeninhaber, bereicherten sich aber durch
die Korruptionsdelikte auch persönlich. Bei diesen Beschuldigten spielten also Indi-
vidualinteressen jedenfalls auch eine Rolle. Bei den verbleibenden 40,0 % der Ver-
urteilten geht aus den Akten nicht hervor, dass sie mit den Korruptionstaten auch
einen persönlichen Vorteil anstrebten. Daher könnte bei diesen Verurteilten die
Handlungsorientierung durch organisationale Devianz bestimmt sein (siehe auch
Hoven 2018, 252; danach hatten in den untersuchten Fällen der Auslandsbestechung
die bestechenden Unternehmensmitarbeiter überwiegend das Interesse ihres Arbeit-
gebers im Blick).
Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei diesen Verurteilten auch
individuelle Interessen wie der Ausbau oder Erhalt des persönlichen Status im Un-
ternehmen durch Erfolge bei der Beschaffung von Aufträgen eine Rolle spielten.
Über die genaue Motivlage der Verurteilten gaben die Akten keinen Aufschluss.
Es könnte sich bei individueller und organisationaler Devianz nicht um zwei streng
getrennte Phänomene handeln, sondern diese Devianzformen könnten sich auch
überlagern. In zwei Verfahren ergab sich aus den Akten, dass Vorgesetzte korruptive
Handlungen billigten. In einem dieser Fälle lag auch eine persönliche Bereicherung
des Vorteilsgebers vor. Dies weist auf die vom Jubilar dargestellte Komplexität der
Entstehung von Wirtschaftskriminalität hin (vgl. Albrecht 2003, 59 f.), die der wei-
teren Analyse bedarf.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2003): Forschungen zur Wirtschaftskriminalität in Europa: Konzepte und em-
pirische Befunde, in: H.-J. Albrecht & H. Entorf (Hrsg.), Kriminalität, Ökonomie und Euro-
päischer Sozialstaat. Heidelberg, S. 37 – 69.

Bannenberg, B. (2002): Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle. Eine kri-
minologisch-strafrechtliche Analyse. Neuwied u. a.

Bussmann, K.-D. (2016): Wirtschaftskriminologie I. Grundlagen – Markt- und Alltagskrimina-


lität. München.

Dölling, D. (1984): Probleme der Aktenanalyse in der Kriminologie, in: H. Kury (Hrsg.), Me-
thodologische Probleme in der kriminologischen Forschungspraxis. Köln u. a., S. 265 – 286.
Korruption in der Wirtschaft – individuelle oder organisationale Devianz? 349

Dölling, D. (2007): Grundlagen der Korruptionsprävention, in: D. Dölling (Hrsg.), Handbuch


der Korruptionsprävention für Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Verwaltung. Mün-
chen, S. 1 – 40.
Hermann, D. (1987): Die Konstruktion von Realität in Justizakten. Zeitschrift für Soziologie 16/
1, S. 44 – 55.
Hoven, E. (2018): Auslandsbestechung. Eine rechtsdogmatische und rechtstatsächliche Unter-
suchung. Baden-Baden.
Pohlmann, M. & Höly, K. (2017): Manipulationen in der Transplantationsmedizin. Ein Fall von
organisationaler Devianz? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 69/2,
S. 181 – 207.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s
Expansion into North-West Europe
By Cyrille Fijnaut

1. Introduction
In around 1990 it became very clear to Hans-Jörg Albrecht that the creation of the
European Union would have major implications in the domain of crime and punish-
ment. In 1991, therefore, he did not hesitate when I suggested that he join me in
founding a journal dedicated to promoting the academic discourse on the subject.
That journal was the European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Jus-
tice.1 Naturally, the growing relevance of the problem of organised crime for the Eu-
ropean Union’s policy on criminal justice was a regular topic of discussion at our fre-
quent meetings to plan successive issues of the journal. Thanks in part to input from
Professor Letizia Paoli, who had written an important thesis on the ’Ndrangheta in
1997 and had moved from the European University Institute in Florence to the Max-
Planck Institute in Freiburg in 1998, in around 2000 those discussions led to the idea
of writing a book on the history and manifestations of organised crime and the meas-
ures taken to combat it in the European Union and its member states.2 The project
commenced in 2002 and culminated, in 2004, in the publication of a major volume
covering those three topics with contributions from a range of prominent researchers
from throughout the European Union.3
When I was asked to write a piece for this liber amicorum in July 2019, my
thoughts immediately returned to our happy collaboration in launching the European
journal and in writing that unique book. Prompted by those memories, I decided to
choose a theme for this liber amicorum that would to some extent reflect those two
initiatives and our collaboration. After some reflection, I decided that my contribu-
tion would focus on the prediction that the Italian mafia would expand to other Euro-
pean Union member states made by the legendary Italian investigating judge Giovan-
ni Falcone at a symposium on organised crime in Europe organised by the Bundes-
kriminalamt in November 1990. In this article, I use the example of Germany in en-
deavouring to answer the question of whether his prediction has come true. Why take

1
Fijnaut 2013, XVI–XVIII.
2
Paoli 2003. See also Paoli 1999.
3
Fijnaut & Paoli 2004; Woodiwiss 2015, 102 – 103.
352 Cyrille Fijnaut

Germany as an example? For two reasons. First, the four main branches of the Italian
mafia – the Sicilian Cosa Nostra, the Calabrian ’Ndrangheta, the Neapolitan Camorra
and the Sacra Corona Unita in Apulia – have maintained a significant presence in
Germany since the 1960s. Second, and partly connected with their lengthy presence
in the country, there is a relatively large amount of information available about their
illegal activities in Germany. My attempt to answer the question posed is structured
as follows.
The article opens with a summary of the substance of the prediction that Falcone
made in 1990, but also a discussion of the complications that are connected with its
evaluation. That is followed by an analysis of the debate about the Italian mafia that
was conducted in Germany prior to 1990. There is then a review of the investigation
ordered by the Bundeskriminalamt into the mafia’s illegal activities in the country
shortly after 1990. The following section relates to the organisation and operations
of the Italian mafia in Germany in the present day. The concluding section contains an
assessment of the implications of the findings in the article for the value that can be
attached to Falcone’s prediction in 1990.

2. Giovanni Falcone’s Prediction


2.1 The Prediction in Five Points

What precisely did Falcone predict in that speech in 1990?4 Essentially, the pre-
diction can be encapsulated in the five following points.
– First, he said that one must not lose sight of the fact that – similarly to what had
happened in the United States, Canada and Australia5 – when migrants from Sicily
and Calabria moved to Belgium, France, Germany and other countries in North-
West Europe they, as it were, brought the mafia with them.6 Furthermore, it was
logical that the large Italian communities that developed in those countries could
easily fall under the sway of criminal organisations from their regions of origin
(i. e., the Sicilian Cosa Nostra and the Calabrian ’Ndrangheta).
– Second, he argued that by abolishing controls on the internal borders the European
Union would inevitably facilitate the expansion of mafia-style practices to the
countries of North-West Europe. By extension, bloody conflicts between mafia
clans, similar to those that occurred in the south of Italy, could also be expected
to spread to those countries.

4
Falcone 1992, 395 – 398; Falcone 1994, 57 – 63. For more about this study day, see
Poerting & Störzer 1990.
5
On the migration of the mafia to the United States, see Lupo 2015; Critchley 2009;
Lombardo 2010.
6
In this context, see Roth & Frey 1992; Roth, Frey & Fijnaut 1994; Calvi 1993.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 353

– Third, he stressed that a European version of the mafia would not be a precise copy
of the original because it would have to operate in a different cultural and political
environment. He therefore considered it unlikely that the code of silence, omerta,
would play as large a role in the aforementioned countries as it did in the south of
Italy, or that the mafia would figure so prominently in terms of generating votes for
local political parties in those countries. On the other hand, he did not exclude the
possibility that the mafia would attempt to bribe public officials in countries like
Germany and Belgium.
– Fourth, he stressed that in the northern European countries the mafia would seek to
collaborate with local criminal organisations in carrying out various forms of
crime, such as kidnapping wealthy individuals. In that context, he regarded it
as entirely possible that international criminal organisations, including the
mafia, would seek to avoid conflicts, particularly in the drug market, by forming
alliances or, where that proved impossible, by resolving disputes peacefully rather
than with violence.
– Fifth, he said that one had to be aware that criminal groups in the northern Euro-
pean countries might increasingly mirror their organisation and operations on
those of the Italian mafia. This could mean, among other things, that they
would try to infiltrate public administration and the economy and would use var-
ious forms of violence against public servants.
In his talk, Falcone also referred to the expansion of the various branches of the
mafia into the north of Italy, although he did not explicitly link that migration to their
expansion into North-West Europe.7 That is rather peculiar, since it seems evident
that the two developments could reinforce one another. In any case, the mafia
could, and still can, plan and carry out operations in the North-West of Europe
more easily and rapidly from the north of Italy than from the south of the country.
In his speech, Falcone also failed to mention the close cooperation that the Sicilian
Cosa Nostra had established with the American Cosa Nostra in the transatlantic trade
in heroin and cocaine in the 1970s.8
There is obviously not enough room to explore all of Falcone’s propositions in
depth in this article. There is only scope to examine the first three points he made.
However, that constraint does not affect the social relevance of this piece of research,
since it remains possible to say something about the warnings given for years to coun-
tries like France, Belgium, Germany, the Netherlands and the United Kingdom by
Italian prosecutors, judges and journalists: that they seriously underestimate the
threat posed by the Italian mafia to their public administration, their economy and
their society, and consequently fail to adopt the legislative and organisational meas-
ures required to address that threat in time.9 On 19 December 2019 – following the

7
As regards the mafia’s expansion in Italy itself, see, inter alia, Calderoni 2011.
8
Blumenthal 1988; Sterling 1990; Palmieri 1992.
9
Fijnaut 2012, 134.
354 Cyrille Fijnaut

murder of the lawyer of a crown witness in Amsterdam – a number of Italian journal-


ists remarked in one of the Dutch newspapers: “The Netherlands is naive”.10

2.2 The Absence of Thorough Evaluation

The major problem with this warning – and hence also with Falcone’s prediction –
is that even today it has still not been directly and thoroughly evaluated. Nor can a
thorough evaluation be conducted indirectly on the basis of the research that has been
carried out up to now. Not only has there been no comprehensive empirical research
into the organisation and the operations of the Italian mafia in the territories of the
aforementioned member states, there has also been no rigorous comparative research
into the situation in those countries and the situation in Italy itself. The growing body
of literature on the expansion of the Italian mafia in Europe, and specifically Germa-
ny in this case, must therefore be treated with caution.11 After all, since much of the
literature is entirely based on non-German sources and therefore fails to correspond
in important respects with what has actually happened in Germany or what has been
written about the Italian mafia in this country.12 This doesn’t mean, however, that in
recent years no important analyses have been made of the organisation and opera-
tions of the mafia in Germany on the basis of Italian sources. Felia Allum’s study
of the nature, the scale and the process of the Camorra’s expansion through Europe
is also extremely informative with respect to Germany. Nevertheless, even that study
would have benefited from the integration of the research based on Italian sources
with research in relation to German sources.13
Be that as it may, it is incontrovertible that mafiosi on the run from the Italian law
enforcement authorities still hide out in countries such as the Netherlands, France and
Germany. This is obvious from the incessant stream of newspaper reports about the
arrest of mafiosi in these countries. Crime reporting also leaves no doubt that for
many years mafiosi have been engaged in various illegal activities, in particular
drug trafficking, in these and other North-West European countries. Furthermore,
anyone who looks a little more deeply into the reporting on the Italian mafia
knows that mafiosi use legitimate businesses, such as restaurants and transport com-
panies, to facilitate and camouflage their illegal activities in those countries.
The point immediately has to be made, however, that the three aforementioned
activities are in no way a distinctive feature of the Italian mafia in the European
Union member states: members of criminal organisations have traditionally hidden
in other countries to avoid the police and prosecution authorities in their own country;
criminal organisations are, by definition, systematically involved in illegal activities,
10
M. Leijendekker, Italiaanse mafia-experts: ‘Nederland is naief’, NRC-Handelsblad,
19. 12. 2019.
11
See Varese 2011; Allum 2016; Sergi & Lavorgna 2016, 53 – 70.
12
Sergi & Lavorgna 2016, 58 – 60; Dagnes, Donatiello & Storti 2019, 194 – 196.
13
Allum 2016, 64 – 104. See also Sciarrone & Storti 2013.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 355

in particular drug trafficking; and organised criminal gangs around the world com-
monly use legitimate businesses as a cover for their illegal enterprises. In other
words, the question to be answered with an evaluation of the accuracy of Falcone’s
prediction is whether the Italian mafia employs methods that are typically character-
istic of it, and which therefore distinguish it from other criminal organisations, in Eu-
ropean countries other than Italy.
In light of the contemporary analyses of the organisation and operations of the
mafia in Italy, this means that the first question to be answered is whether, in cities
or regions of another country, mafia groups take significant steps to gain control over
or acquire a monopoly in particular sectors of the economy (hospitality, construction,
agro-industries, waste processing, etc.) or systematically employ some form of ex-
tortion on every possible company in a sector. The second question that needs to be
answered is whether mafiosi endeavour to gain control over political parties and/or
local authorities (or key persons in them) in cities and regions in those other coun-
tries.14 And, until these two questions have been properly answered, it is in any case
inappropriate to make outspoken assertions regarding the Italian mafia’s expansion
into North-West Europe. In the current circumstances it is certainly incorrect to
equate the situation in Italy in general terms with that in countries in North-West Eu-
rope. As Falcone remarked, it has to be recognised that the Italian mafia is organised
and operates differently in other countries than in Italy because the political, cultural
and economic conditions are so different.
Naturally, that is not to say that the three ways in which the Italian mafia has long
manifested itself in European countries other than Italy could not lead, in time, to
situations that are apparently commonplace throughout Italy today. But it is precisely
in order to identify the precise threat posed by an entrepreneurial capitalist mafia – to
paraphrase Pino Arlacchi – early on that it is so important to look in detail at develop-
ments that are occurring in countries like the Netherlands and Germany and to com-
pare them as far as possible with those in the Italian mafia’s own country.15

3. The Discussion in the 1980s


A survey of the literature on the growth of the Italian mafia in Germany in the
second half of the twentieth century shows that the growing threat from organised
crime has been the subject of debate since the 1960s.16 Until the late 1980s, however,
prominent police chiefs, and even members of the public prosecution service, were

14
Fijnaut 2012, 134 – 135. On the current situation in Italy, see, inter alia, Sciarrone 2010;
Serenata 2014; Scalia 2016; Di Gennaro & La Spina 2017; Massari & Martone 2019; Allum,
Marinaro & Sciarrone 2019.
15
Arlacchi 1986.
16
Early publications include Steinke 1966, 148 – 150; Zühlsdorf 1974. See also Kinzig
2004, 46 – 60, 243 – 265; Luczak 2004, 175 – 262.
356 Cyrille Fijnaut

very circumspect when speaking in public about the criminal activities of the Italian
mafia in German territory.17 But this reticence on the part of the law enforcement au-
thorities could not be maintained forever.
To begin with, striking examples of large-scale criminal activities involving the
Italian mafia in various places in Germany were given at confidential meetings in
the early 1980s, based on criminal investigations. The crimes mainly involved extor-
tion and arson attacks on Italian pizzerias and ice cream parlours.18 In addition, at the
end of the 1980s articles appeared in various police journals about crimes committed
by the Italian mafia in Germany itself and committed in Italy from Germany. These
articles referred not only to extortion and arson attacks against Italian businesses in
the hospitality sector, but also to car theft, murder, robbery, drug trafficking and
money laundering operations along the Germany-Italy axis. A number of the articles
also mentioned the enormous difficulty faced by the authorities in solving these
crimes because suspects and witnesses refused to make statements for fear of the con-
sequences – in Germany itself or in Italy.19
A second point to be made in this context is that three sensational books by jour-
nalists about organised crime, and in particular the Italian mafia, were published in
Germany in the period 1987 – 1989: Der Mob by Dagobert Lindlau, Mafia: Ziel
Deutschland by Werner Raith, and Die Absahner by Butz Peters. These books descri-
bed illegal gambling operations in Hamburg, extortion of pizzerias and casinos in the
Ruhr region, and murders at various locations in Germany in a quite alarming, not to
say alarmist tone. The authors also made the serious accusation that, despite every-
thing, the competent authorities turned a blind eye to the Italian mafia and failed to
take the necessary measures to control the problem.20
Did German criminologists not engage in the political and media discussion about
the mafia’s expansion in the country? Given that Henner Hess had written a famous
book about the mafia in Sicily (published in German in 1970 and in English in 1973),
one would have thought that the only possible answer was yes.21 But nothing could be
further from the truth. It was only in 1989 that Carola Reiners defended an important
thesis containing a comparative survey of organised crime, and in particular the Ital-
ian mafia, in the United States, Italy and Germany. In the thesis, she wrote about
groups of Italian criminals in Frankfurt, Mainz and other large German cities –
with close connections to one another and to criminal organisations in Italy – that

17
Rebscher & Vahlenkamp 1987 and 1988; Dörmann, Koch, Risch & Vahlenkamp 1990.
See also, for example, Jacobi 1990; Sielaff 1990; Zachert 1990; Ostendorf 1991.
18
Sielaff 1983, 42 – 44; Müller 1983, 88 – 109.
19
Lenhard 1990, 58; Prinz 1990, 657 – 661; Stümper 1985, 11; Weigand 1988, 7, 10;
Weigand 1989, 191 – 192. For a specific example of what happened in some places, see Ulrich
2005, 94 – 125.
20
Lindlau 1987, 140 – 141, 177 – 179, 184 – 188, 202 – 210, 214 – 219, 230 – 243, 256 – 270;
Raith 1989, 54 – 63, 84 – 93, 172 – 205; Peters 1990, 170 – 176, 248 – 250, 256 – 262, 280, 285.
21
Hess 1973.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 357

committed every conceivable form of crime: widespread extortion of Italian restau-


rants, robbery, illegal gambling, spreading counterfeit currency, and money launder-
ing in the real estate sector. And, she added, anyone – journalists and judges – who
tried to learn more about their illegal activities was seriously threatened. In that re-
spect, she stated, the situation in a city like Frankfurt was no longer very different
from what happened in Italy. In fact, she also found that the American Cosa Nostra
was making efforts to take control of the illegal gambling market in Hamburg.
Nonetheless, her final conclusion was that whereas organised crime had become a
permanent fixture of society in Italy and the United States, in Germany it was gen-
erally more a spin-off from the Wirtschaftswunder and was therefore closely linked to
organised economic crime. However, she also stressed that the operating methods of
the Sicilian Cosa Nostra, the Neapolitan Camorra and the American Cosa Nostra on
German territory were similar to those they employed in Italy and the United States,
and that their long-term impact on German society should not be underestimated.22

4. The Findings in the 1990s


In light of the above analysis of the situation in Germany prior to November 1990,
it is all the more relevant to explore whether Falcone’s speech at the Bundeskrimi-
nalamt in November 1990 has had any effect on the debate and the policy relating to
the Italian mafia in Germany. After all, this cannot be ruled out. In any case, in the
course of 1991 – 1992 the Bundeskriminalamt collected all the information about the
organisation and operations of the four branches of the Italian mafia that had been
gathered through criminal investigations in the federal states. The results of the anal-
ysis of this information were compiled into a confidential report running to around
300 pages. In 1992 – 1993 journalists, as well as officials of the Bundeskriminalamt,
published an overview of the findings, together with their personal observations.23
Broadly speaking, the findings were as follows:
– In the period 1989 – 1991, 62 investigations were carried out into the activities of
the Sicilian Cosa Nostra (24), the Camorra (16), the ’Ndrangheta (6) and the Sacra
Corona Unita (5). Most of the investigations took place in Baden-Württemberg,
North Rhine-Westphalia, Hesse and Bavaria.
– The principal criminal activities of these four groups in Germany were drug traf-
ficking, cigarette smuggling, car theft, arms trafficking, robbery, illegal gambling,
the sale of counterfeit clothing, extortion with violence, arson and money launder-
ing. The mafia groups committed these forms of crime on a far larger scale than

22
Reiners 1989, 194 – 196, 199, 201 – 202, 205 – 206, 241 – 244.
23
Gehm & Link 1992; Leyendekker, Rickelman & Bönisch 1992a, 243 – 275; Leyendekker,
Rickelman & Bönisch 1992b; Zachert 1993.
358 Cyrille Fijnaut

had been believed up to then. The majority of Italian restaurants in Munich and
Cologne had to pay “protection money”; in Mainz, the figure was at least 80%.
– There was no longer anywhere in Germany that members of the mafia had not set-
tled. For example, in and around the small town of Kempten, there were around
130 mafiosi living and 30 members of the Sicilian Cosa Nostra were systemati-
cally extorting compatriots. A chief of detectives in Naples estimated the number
of members of the Camorra operating in the east of Germany at 2,000.
– The mafia clans fought out conflicts in Germany, but also from Germany in their
cities and villages of origin. Evidence connected with the murders of Falcone and
Borsellino was also traced back to Germany. Falcone had at one point received a
death threat in a letter that was postmarked in Wuppertal.
These findings were discussed at a meeting between Germany’s Minister of the
Interior, Rudolf Seiters, and his Italian counterpart, Nicola Mancino, in Bonn on 7
September 1992. The press release published after the meeting referred to the
need to end the activities of organised crime, in particular the mafia, because of
the serious threat it posed to the state and to society. The press release went on to
say that according to the information available to the security services, Germany
had also become one of the mafia’s areas of operation – partly due to the fact that
many Italians had come to live and work in the country.24
Remarkably enough, even the Bundeskriminalamt’s report failed to lead to an up-
surge in scientific research into organised crime. The principal outcome was a few
conferences devoted to the manifestations of this form of crime and the possibilities
and complications of tackling it.25 This is evident from the overview provided by Jörg
Kinzig and Anna Luczak in their contribution to the book on organised crime in Eu-
rope by Paoli and myself in 2004.26 One of the few exceptions was the study by Nor-
bert Pütter of the consequences that efforts to combat organised crime would have for
the legal regulation and de facto organisation of investigations and prosecutions.27
In his postdoctoral thesis, Kinzig in fact studied the situation in the state of Baden-
Württemberg in the 1990s in more depth. The conclusion to be drawn from that anal-
ysis is that representatives of the various branches of the Italian mafia were mainly
involved in various forms of car theft, spreading counterfeit currency, extortion of
pizzerias, and trafficking of drugs and weapons, as well as the murder of a relative
of a crown witness.28

24
Innere Sicherheit, no. 4, 12, 30. 10. 1992.
25
Mayerhofer & Jehle 1996.
26
Kinzig & Luczak 2004. See also Kaiser 1996, 416 – 417.
27
Pütter 1998.
28
Kinzig 2004, 392 – 424.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 359

5. An Impression of the Current Situation


According to a press release from the Bundeskriminalamt on 12 December 2007
announcing the establishment of a German-Italian task force to combat the Italian
mafia, 65 mafiosi had been arrested in Germany since 1997, and in 2006 criminal
investigations had been conducted into 26 Italian criminal organisations, half of
which had to be regarded as mafia groups. The creation of the task force was a direct
response to the murder of six members of the Pelle-Romeo clan from San Luca, Cala-
bria, who were killed in front of the Da Bruno pizzeria in Duisburg by members of the
Strangio-Nirta clan, which came from the same town. The murders not only high-
lighted the presence of the ’Ndrangheta in Germany, but also the close links between
its clans in Italy and their members in Germany.29
In a secret report on the ’Ndrangheta in 2009, the Bundeskriminalamt wrote that
this branch of the mafia had 229 families, comprising around 900 members, in Ger-
many and that they were engaged mainly in arms trafficking, money laundering, drug
trafficking, illegal waste processing, and extortion.30 A year later, Francesco For-
gione, a former chairman of Italy’s parliamentary anti-mafia commission, published
a book on the expansion of the Italian mafia in Europe, which contained maps show-
ing precisely which German cities were home to branches of specific clans of the
’Ndrangheta, the Camorra and the Sicilian Cosa Nostra. In the book, he also ex-
plained that the murders in Duisburg were closely linked to the conflict between
the clans concerned for dominance of the international drugs and arms trafficking
market. He also referred to the multifunctional character of the pizzerias owned
by the mafia in Germany: they can be used to launder money, as suitable meeting
places for planning criminal enterprises, as depots for storing drugs and weapons,
etc.31
In the ensuing years the German media continued to report frequently on the arrest
of mafiosi, at the request of the Italian authorities or otherwise. However, now and
again there were also major criminal investigations. A good example is the investi-
gation of the Italian “Bau-Mafia” in the Ruhr region. It was targeted at building com-
panies, which were controlled by members of the Sicilian Cosa Nostra or the ’Ndran-
gheta but were run by strawmen, that paid neither taxes nor social security contribu-
tions, and consequently engaged in unfair competition and undermined the legitimate
building industry.32 Another well-known example is the lengthy investigation into a

29
Sprenger 2017, 17 – 20, 63 – 80, 151 – 172. For more about San Luca and about the chief
of detectives who led the investigation, see Reski 2008, 50 – 84, 187 – 199. See also Reski 2012,
52 – 77.
30
Reski, Die Mafiosi von nebenan, Die Zeit, 13. 08. 2009.
31
Forgione 2010, 105 – 128. See also Gratteri & Nicaso 2009, 245 – 248; Dietz 2011, 191 –
222.
32
X, Großrazzia gegen italienische Baumafia, Köln Nachrichten, 17. 01. 2013; Diehl,
Schmid & Ulrich, Staatsanwaltschaft klagt mutmaßliche Baumafiosi an, Spiegelonline, 30. 10.
360 Cyrille Fijnaut

string of illegal activities carried out by the Sicilian Cosa Nostra and the ’Ndrangheta
in Baden-Württemberg, primarily drugs and arms trafficking, arson and extortion.33
Another example that really stands out is the joint investigation by the Italian and
German police into the Sicilian Cosa Nostra in Cologne that engaged in drug traffick-
ing, but also tried to seize control of the fish trade from Rome and Milan to Germa-
ny.34
Naturally, recent annual reviews of organised crime by the Landeskriminalämter
in the states of North Rhine-Westphalia and Bavaria can provide a clearer general
impression of the current level of illegal activity by the ’Ndrangheta, the Sicilian
Cosa Nostra and the Camorra (and the investigations into them) in Germany. Crimes
that are repeatedly mentioned in these reviews are drug trafficking, money launder-
ing, armed robbery of jewellery stores, tax evasion, illegal arms trafficking, car theft,
currency counterfeiting and forgery. A more unusual example is the report of the suc-
cessful effort by several ’Ndrangheta clans to compel important sections of the Italian
hospitality sector in Bavaria to buy wine, fish and pastry from their companies in
Calabria (“Agromafia”).35 It is also noteworthy that the reports refer to the fact
that the illegal activities are generally closely linked to the clans’ illegal activities
in their regions of origin and that they are also organised and controlled from
those regions.36
For an impression of the situation at the federal level, the primary source of in-
formation is the Bundeslagebild Organisierte Kriminalität. This annual summary
of the situation is published by the Bundeskriminalamt. According to the surveys
for the period 2017 – 2018, an average of roughly 13 or 14 criminal investigations
are conducted each year into various branches of the Italian mafia in Germany, in
particular the ’Ndrangheta and the Sicilian Cosa Nostra. These investigations mainly
concern cocaine trafficking, but also money laundering, extortion, robbery and car
theft.37 Another relevant source in this context is the fairly recent replies by the Bun-

2013. See also Bülles 2013, 103 – 127; Schraven & Meuser 2017, 166 – 182; Reski 2012, 149 –
155.
33
E. Wein, Eine Nummer zu klein für die Mafia, Stuttgarter Zeitung, 20. 04. 2018; R. Soldt,
Dunkle Geschäfte im Schwarzwald, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 09. 2018. In this
context, see also Landtag von Baden-Württemberg, Italienische Mafia in Baden-Württemberg
im Jahr 2019, Drucksache 16/6378, 04. 06. 2019. For a sketch of a specific situation, see Ulrich
2005, 214 – 219. See also Schraven & Meuser 2017, 58 – 64, 82 – 89; Reski 2012, 164 – 170.
34
X, Erfolgreicher Schlag gegen die Mafia in Deutschland und Italien, Aktuell Deutsch-
land, 04. 10. 2017.
35
See also Schraven & Meuser 2017, 142 – 145; Reski 2012, 173 – 188.
36
Polizei Nordrhein-Westfalen, Landeskriminalamt, Organisierte Kriminalität: Lagebild
NRW 2015 & Lagebild NRW 2017; Bayerisches Landeskriminalamt/Staatsanwaltschaften in
Bayern, Organisierte Kriminalität: Gemeinsames Lagebild Justiz/Polizei 2017. See also the
letter from the Minister of the Interior of North Rhine-Westphalia H. Reul to the Landtag of
11. 02. 2019 on efforts to combat the mafia in the state.
37
Bundeskriminalamt, Organisierte Kriminalität: Bundeslagebild 2017 & Bundeslagebild
2018.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 361

desregierung to three questions from members of the Bundestag regarding the illegal
activities of the Italian mafia in the country.38 In a nutshell, and in as far as they are
relevant for the purposes of this article, these fairly detailed replies contain the fol-
lowing findings and insights:
– As far as is known, more than 560 members of the Italian mafia are living in Ger-
many; in 2017 there were 87 members of the Camorra (31 clans), 124 members of
the Sicilian Cosa Nostra (24 clans), 333 members of the ’Ndrangheta (51 clans)
and 18 members of the Apulian Sacra Corona Unita (9 clans). Some of these fig-
ures were slightly higher in 2019 – there were 344 members of the ’Ndrangheta,
belonging to 61 clans, for example.
– However, the estimate of the number of members of the Italian mafia living in Ger-
many includes a large ‘dark number’. For example, the ’Ndrangheta is believed to
have 18 to 20 support points in Germany – mainly in North Rhine-Westphalia, Ba-
varia, Baden-Württemberg and Hessen – each of which could have up to 50 mem-
bers. In other words, the actual number of ’Ndrangheta members in Germany
could be between 800 and 1,000.39
– Criminal investigations into the Italian mafia have been a priority for the Bundes-
kriminalamt since the 1990s. In 2017, there were 14 such investigations.40
– The members of these organisations – particularly members of the Sicilian Cosa
Nostra and the ’Ndrangheta – were mainly active in drug trafficking (primarily
cocaine), economic crime, violence, waste processing, fiscal crime, money laun-
dering, crimes against property, counterfeiting and illegal gambling.
– In some cases, it was found that the ’Ndrangheta forced Italian restaurants to buy
food from Italy. The restaurants need the products anyway and many of the res-
taurateurs are from the same regions in Italy and therefore did not have to be co-
erced: they know that refusing the offer could have repercussions.
– In 16 investigations in the past few years it was found that the mafia had exerted
pressure of one form or another on politicians, media, public authorities, the ju-
diciary or the economy; no evidence of corruption was found in investigations car-
ried out during this period; three attempts had been made to exert pressure on a
person in the one of the above categories in 2017.
– The Italian mafia consciously conducts itself very defensively in Germany and ab-
stains as far as possible from committing violence in order to avoid revealing its
illegal activities as far as possible.

38
Bundestag, Drucksache 18/13320, 15. 08. 2017; Drucksache 19/4104, 31. 08. 2018;
Drucksache 19/10541, 31. 05. 2019.
39
For examples, see Ulrich 2005, 256 – 258; Reski 2012, 101 – 125.
40
On the difficult progress with these investigations, see, inter alia, Schraven & Meuser
2017, 204 – 216.
362 Cyrille Fijnaut

A further point that has to be made here is that at several points the government
says it has no clear picture of the actual situation. For example, it is impossible to say
anything about the mafia’s total turnover in the country or about its investments in
real estate, gastronomy and the building industry.

6. Conclusion
Assessing the first three assertions made by Falcone in light of the above narrative,
the following conclusions can be drawn for each of them.
As regards the first assertion:
– Given the reports from the 1980s, it can only be acknowledged here that the var-
ious mafia groups co-emigrated, as it were, with the large number of workers from
the south of Italy who travelled to find work in Germany after the Second World
War.
– It is clear, in particular from the violent acquisition of control of Italian restaurants,
that these groups almost immediately began exerting pressure on the Italian com-
munities that were being formed at that time.
– These communities not only formed a good hiding place for mafiosi who had fled
from Italy, but also provided an effective cover for various illegal activities that
were carried out in Germany but organised in Italy, and vice versa.
In relation to the second assertion:
– It is indeed possible that the abolition of controls on the internal borders of the
European Union facilitated the expansion of mafia practices, but even before
then the controls had not constituted an obstacle to the mafia’s expansion into Ger-
many and other countries in North-West Europe. It can therefore be argued that
Falcone probably overestimated the impact of the abolition of border controls.
– As the bloodbath in Duisburg showed, Falcone was correct in referring to the risk
that bloody conflicts similar to those in Italy itself might occur in these countries or
that such conflicts, once started in Italy, could also spread outside the country to a
certain extent.
With regard to the third assertion:
– It is clear that the mafia groups develop (or seek to develop) illegal activities in
various places in Germany and in various sectors of the legitimate economy,
but there is so far no evidence that they systematically control, let alone have a
monopoly in, specific economic sectors in a particular city or region. Nor has it
been found that they interfere in the elections in Germany or are guilty of
large-scale bribery of public officials.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 363

– That latter point is a ground for endorsing Falcone’s assertion that these groups
behave differently in Germany than in Italy, but also the German government’s
reply on 31 May 2019 to the third parliamentary request, namely that it could
not be asserted, on the basis of the criminal investigations that had been launched,
that the ’Ndrangheta was penetrating increasingly into German society by means
of corruption and violence.
– However, it cannot be concluded from this that omerta does not play a major role in
Germany, as Falcone suggested: it still plays a major role in Italian communities in
Germany and in the German branches of the various mafia groups.
These conclusions in relation to the first three assertions show that although they
are very plausible in many respects, the predictions made by Falcone in 1990 are
highly debatable in others. They are not, in any case, the final word on the expansion
of the Italian mafia into Germany and should therefore be seen mainly as an incentive
to conduct further in-depth empirical research into the mafia’s expansion into that
country and other member states of the European Union. Not only to provide nuance
and underpinning for the views Falcone expressed to the Bundeskriminalamt in 1990,
but also to bridge the very wide substantive gap that has existed for many years in
Germany between the prominent journalism on the subject and the very meagre re-
ports from the political, judicial and police authorities at the federal level and in the
federal states.41 Such research could also provide an opportunity for a realistic dis-
cussion with Italian judges and journalists about the expansion of the mafia into
North-West Europe.

References

Allum, F. (2016): The Invisible Camorra: Neapolitan Crime Families Across Europe. Ithaca.
Arlacchi, P. (1986): Mafia Business: The Mafia Ethic and the Spirit of Capitalism. London.
Blumenthal, R. (1988): Last Days of the Sicilians: At War with the Mafia: the FBI Assault on the
Pizza Connection. London.
Bülles, E. (2013): Deutschland Verbrecherland? Mein Einsatz gegen die organisierte Krimina-
lität. Berlin.
Calandra, F. (2017): Between Local and Global: The ’Ndrangheta’s Drug Trafficking Route.
International Annals of Criminology 55/1, pp. 78 – 98.
Calderoni, F. (2011): Where is the Mafia in Italy? Measuring the Presence of the Mafia across
Italian Provinces. Global Crime 12/1, pp. 41 – 69.
Critchley, D. (2009): The Origin of Organized Crime in America: The New York City Mafia,
1891 – 1931. New York.

41
See in this context also Dietz 2008.
364 Cyrille Fijnaut

Dagnes, J., Donatiello, D. & Storti, L. (2019): Italian Mafias across Europe, in: F. Allum, I.
Marinaro & R. Sciarrone (eds.), Italian Mafias Today: Territory, Business and Politics. Chel-
tenham, pp. 191 – 207.
Di Gennaro, G. & La Spina, A. (eds.) (2017): Mafia-type Organisations and Extortion in Italy:
The Camorra in Campania. Oxon.
Dietz, G. (2008): Mythos der Mafia im Spiegel intermedialer Präsenz. Göttingen.
Dietz, G. (2011): Der geheime Aufstieg der kalabrischen Mafia. Weinheim.
Dörmann, U., Koch, K.-F., Risch, H. & Vahlenkamp, W. (1990): Organisierte Kriminalität – Wie
groß ist die Gefahr? Wiesbaden.
Falcone, G. (1992): La criminalité organisée: un problem mondial; la mafia italienne en tant que
modèle pour la criminalité organisée operant à niveau international. Revue Internationale de
Criminologie et de Police Technique 45/4, pp. 391 – 398.
Falcone, G. (1994): What is the Mafia? Four Essays on Organized Crime, 1984 – 1990. Milan.
Forgione, F. (2010): Maffia export: hoe ’ndrangheta, cosa nostra en camorra de wereld hebben
gekoloniseerd. Amsterdam.
Fijnaut, C. (1993): De maffia in Nederland. Delikt en Delinkwent 23/9, pp. 617 – 620.
Fijnaut, C. (2012): Twenty Years Ago: The Assassinations of Giovanni Falcone and Paolo Bor-
sellino. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 20/2, pp. 132 – 136.
Fijnaut, C. (2013): Introduction, in: H.-J. Albrecht & A. Klip (eds.), Crime, Criminal Law and
Criminal Justice in Europe: A Collection in Honour of Prof. em. dr. dr. h.c. Cyrille Fijnaut.
Leiden, pp. XIII–XXII.
Fijnaut, C. (2014): European Union Organized Crime Control Policies, in: L. Paoli (ed.), Hand-
book of Organized Crime. Oxford, pp. 572 – 593.
Fijnaut, C. (2019): A Peaceful Revolution: The Development of Police and Judicial Coopera-
tion in the European Union. Cambridge.
Fijnaut, C. & Paoli, L. (eds.) (2004): Organized Crime in Europe: Concepts, Patterns and Con-
trol Policies in the European Union and Beyond. Dordrecht.
Gehm, V. & Link, M. (1992): Organisierte Kriminalität: das aktuelle Lagebild. Kriminalistik 46/
8 – 9, pp. 491 – 496.
Gratteri, N. & Nicaso, A. (2009): Bloedbroeders: de geschiedenis, de verhalen, de bazen en de
business van de ’ndrangheta, de machtigste maffiaclan ter wereld. Amsterdam.
Hess, H. (1973): Mafia & Mafiosi: The Structure of Power. Westmead.
Jacobi, K. (1990): Das Lagebild Organisierte Kriminalität – Bedeutung, Kritik, Möglichkeiten
der Erarbeitung. Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie, no. 3 – 4, pp. 35 – 50.
Kaiser, G. (1996): Kriminologie. 3rd ed. Heidelberg.
Kinzig, J. (2004): Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen Organisierter Krimina-
lität. Berlin.
Lenhard, H. (1990): Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in einem Flächenstaat. Schrif-
tenreihe der Polizei-Führungsakademie, no. 3 – 4, pp. 53 – 62.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 365

Leyendekker, H., Rickelmann, R. & Bönisch, G. (1992a): Mafia im Staat. Göttingen.


Leyendekker, H., Rickelmann R. & Bönisch, G. (1992b): Letzte Warnung aus Wuppertal. Der
Spiegel, no. 35, pp. 26 – 36.
Lindlau, D. (1987): Der Mob: Recherchen zum Organisierten Verbrechen. Hamburg.
Lindlau, D. (1991): Die Fabel von Buridans Esel: Organisiertes Verbrechen unter der Lupe. Kri-
minalistik 45/11, pp. 691 – 694.
Lombardo, R. (2010): The Black Hand: Terror by Letter in Chicago. Urbana.
Luczak, A. (2004): Organisierte Kriminalität im internationalen Kontext: Konzeption und Ver-
fahren in England, den Niederlanden und Deutschland. Freiburg im Breisgau.
Lupo, S. (2015): The Two Mafias: A Transatlantic History, 1888 – 2008. New York.
Massari, M. & Martone, V. (eds.) (2019): Mafia Violence: Political, Symbolic, and Economic
Forms of Violence in Camorra Clans. New York.
Müller, K.-H. (1983): Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Niedersachsen – darge-
stellt am Beispiel des Einsatzes der Sonderkommission “Zitrone”, in: Organisierte Krimina-
lität III – Straftaten im Zusammenhang mit dem Nachtleben. Münster, pp.79 – 114.
Müller, P. (1990): Die Mafia in der Politik. München.
Ostendorf, H. (1991): Organisierte Kriminalität: eine doppelte Herausforderung für die Justiz.
Kriminalistik 45/8 – 9, pp. 509 – 514.
Palmieri, L. (1992): Organized Crime in Italy. Revue Internationale de Police Criminelle 435,
pp. 30 – 35.
Paoli, L. (1999): Die italienische Mafia: Paradigma oder Spezialfall Organisierter Kriminalität.
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 82/6, pp. 425 – 440.
Paoli, L. (2003): Mafia Brotherhoods: Organized Crime, Italian Style. Oxford.
Paoli, L. (ed.) (2014): The Oxford Handbook of Organized Crime. Oxford.
Poerting, P. & Störzer, H. (1990): Heimliche Aktivitäten – unheimliche Bedrohung. Krimina-
listik 44 /12, pp. 618 – 621.
Prinz, H. (1990): Aspekte der Ausländerkriminalität. Kriminalistik 44/12, pp. 657 – 661.
Pütter, N. (1998): Der OK-Komplex: Organisierte Kriminalität und ihre Folgen für die Polizei in
Deutschland. Münster.
Raith, W. (1989): Mafia: Ziel Deutschland: Vom Verfall der politischen Kultur zur Organisier-
ten Kriminalität. Köln.
Rebscher, E. & Vahlenkamp, W. (1987): Noch nicht unangreifbar: Organisierte Kriminalität:
Rechtliches Instrumentarium nicht ausreichend. Kriminalistik 41/12, pp. 634 – 640.
Rebscher, E. & Vahlenkamp, W. (1988): Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik
Deutschland. Wiesbaden.
Reski, P. (2008): Mafia: Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern. München.
Reski, P. (2012): Von Kamen nach Corleone: die Mafia in Deutschland. Hamburg.
Roth, J. & Frey, M. (1992): Die Verbrecher Holding: das vereinte Europa im Griff der Mafia.
München.
366 Cyrille Fijnaut

Roth, J., Frey, M. & Fijnaut, C. (1994): Het verenigd Europa van de maffia. Amsterdam.
Scalia, V. (2016): Crime, Networks and Power: Transformation of Sicilian Cosa Nostra. Cham.
Scherer, P. (1993): Das Netz: Organisiertes Verbrechen in Deutschland. Frankfurt.
Schraven, D. & Meuser, M. (2017). Die Mafia in Deutschland: Kronzeugin Maria G. packt aus.
Berlin.
Sciarrone, R. (2010): Mafia and Civil Society: Economico-criminal Collusion and Territorial
Control in Calabria, in: J.-L. Briquet & G. Favarel-Garrigues (eds.), Organized Crime and
States: The Hidden Face of Politics. New York, pp. 173 – 196.
Sciarrone, R. & Storti, L. (2013): The Territorial Expansion of Mafia-type Organized Crime:
The Case of the Italian Mafia in Germany. Crime, Law & Social Change 61/1, pp. 37 – 60.
Serenata, N. (ed.) (2014): The ’Ndrangheta and Sacra Corona Unita: The History, Organization
and Operations of Two Unknown Mafia Groups. Cham.
Sergi, A. & Lavorgna, A. (2016): ’Ndrangheta: The Global Dimensions of the most Powerful
Italian Mafia. Cham.
Sielaff, W. (1983): Phänomenologie und Bekämpfungsansätze der Organisierten Kriminalität in
Hamburg, in: Organisierte Kriminalität III – Straftaten im Zusammenhang mit dem Nacht-
leben. Münster, pp. 25 – 56.
Sielaff, W. (1990): Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in einem Stadtstaat. Schriften-
reihe der Polizei-Führungsakademie 3 – 4, pp. 65 – 78.
Sprenger, H. (2017): Der wahre Schimanski: Meine spektakulärsten Fälle als Duisburger Chef-
ermittler. München.
Steinke, R. (1966): Die Mafia: Geißel der Vergangenheit oder Schrecken der Zukunft?, in:
H. Hoeveler (ed.), Internationale Bekämpfung des Verbrechens. Hamburg, pp. 128 – 150.
Sterling, C. (1990): Octopus: How the Long Reach of the Sicilian Mafia Controls the Global
Narcotics Trade. New York.
Stümper, A. (1985): 150 Milliarden Mark jährlicher Schaden. Kriminalistik 39/1, pp. 8 – 17.
Uesseler, R. (1993): Herausforderung Mafia: Strategien gegen Organisierte Kriminalität. Bonn.
Ulrich, A. (2005): Das Engelsgesicht: Die Geschichte eines Mafia-Killers aus Deutschland.
München.
Varese, F. (2011): Mafias on the Move: How Organized Crime Conquers New Territories.
Princeton.
Weigand, H. (1988): Phänomenologie der Organisierten Kriminalität am Beispiel von Fällen
aus Baden-Württemberg. Die Kriminalpolizei 6/2, pp. 5 – 12.
Weigand, H. (1989): Lagebild: Organisierte Kriminalität. Die Kriminalpolizei 7/4, pp. 189 –
199.
Woodiwiss, M. (2015): The Analysis and Containment of Organized Crime in Europe: An Inter-
view with Cyrille Fijnaut. Trends in Organized Crime 18/1 – 2, pp. 94 – 106.
Zachert, H. (1990): Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland – der Versuch
eines Lagebildes. Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 3 – 4, pp. 21 – 31.
Giovanni Falcone’s Prediction of the Italian Mafia’s Expansion 367

Zachert, H. (1993): Organisierte Kriminalität in einem Europa offener Grenzen. Magazin für
die Polizei 24/212, pp. 32 – 39.
Zühlsdorf, H. (1974): Bekämpfung Organisierter Verbrechen. Stuttgart.
Reflections on the Money Trail
By Michael Levi

1. Introduction
Following the Money Trail was introduced to deal with ‘Organized Crime’, a
‘floating signifier’ in Levi-Strauss’ anthropological terms, which has been an impor-
tant theme of Professor Hans-Jörg Albrecht’s work. Somehow, the following of the
money trail has also morphed into dealing with ‘organized economic crime’. ‘Eco-
nomic crime’ now includes
1. frauds of different types with different victims, sometimes badged under the cat-
egory of ‘vulnerable’ (which can be tautological);
2. ‘market abuse’ such as insider dealing/trading;
3. money laundering (of all crimes);
4. financing of terrorism (mostly since 2001) and (since 2008) of proliferation fi-
nancing, including weapons of mass destruction; and
5. transnational bribery (usually, but not necessarily, from OECD country corpora-
tions to public officials in the Global South).
Anglophone lawyers brought up with constructs such as mala in se and mala pro-
hibita might find some difficulties in adapting to these changes, because these taken-
for-granted labels often are taken to equate to old crimes and new crimes: yet quite
apart from the compliance costs, lengthy sentences and (in nominal terms) huge fi-
nancial penalties are imposed for violations thereof, at least on the relatively rare oc-
casions when formal action is taken. It may be useful to regard ‘economic crime’ and
two of its sub-sets – ‘money laundering’ and ‘corruption’ – as a category of illicit
capitalism which reflects the successes (and failures) of the pressure group politics
of criminalization and of functionally equivalent methods of control. An almost uni-
versal core component of this is the passage of criminal laws and regulatory processes
that meet evolving Financial Action Task Force (FATF) criteria.
Historically, there have been varied global estimates of the size of what used to be
called ‘the hidden economy’ and latterly, illicit financial flows. The EU requires
member states to provide estimates because of the implications for ‘true’ GDP
and national contributions to the EU budget (Eurostat 2018). Reuter (2013) has ex-
pressed strong scepticism about both the feasibility and the value of such money laun-
370 Michael Levi

dering estimates, and in practice, the main significance of such figures is to signal
that this is a big problem and more needs to be done about ‘the problem’. The
moral claims of the AML entrepreneurs also made it culturally and reputationally
challenging for the financial sector in any country to explicitly attack controls:
hence the curious death of ‘customer confidentiality’ as a discourse in the public
arena. There is no evidence that any of the global figures generated is used operation-
ally as a baseline for assessing the effectiveness of Anti-Money Laundering (AML)
or of any other policy: if it was, as with the various forms of ‘wars on drugs’, the
policy framework might have to be abandoned or seriously modified.

2. Data and Evaluation


Even in those countries where evidence-based policing is not a mantra, however,
some performance data are called for, though countries struggle to utilise sensibly
their analytical value as proxies for effectiveness. As the experience of Germany
– in 2020 preparing for its Mutual Evaluation Report – also illustrates, the FATF
and FATF-style evaluations ask countries to show evidence of ‘good performance’
in AML by, e. g. the number of suspicious activity reports (SARs), criminal launder-
ing prosecutions (including standalone ones unaccompanied by predicate crimes
such as drugs and human trafficking), asset freezing and confiscation, etc., but pre-
ventative activities and their impacts are assumed rather than measured. The easiest
way to please the evaluators is to show an increase in SARs, to prosecute more self-
laundering cases and thus increase recorded ‘money laundering’ and ‘financial
crimes’, accompanied by a narrative of how this reflects their greater efforts against
laundering. Halliday et al. (2014) were rather critical of the earlier Third Round
FATF evaluation process, likening it at times to the Tsarist Potemkin Villages in
which an appearance of compliance and formal structures were often sufficient to
impress. It remains an open question to what extent this has changed in the post-
2013 era (Ferwerda & Reuter 2019; Levi et al. 2018; Pol 2019; van Duyne et al.
2019). What is clear is that the majority of countries have begun already to experi-
ment with national risk assessments based around this evaluation process, aided by
consultants with experience of using (or in some cases, gaming) the system to gain
better marks.
There have been few attempts to develop a coherent policy for all the disparate
acts that fall under the umbrella term ‘financial crime’, nor is there any obvious pri-
oritisation outside activities regarded as important for ‘national security’ and busi-
ness interests, such as protection from (primarily Iranian and North Korean) financ-
ing of nuclear proliferation and from broader state-sponsored attacks on corporate/
national infrastructure and cybersecurity.
The control of at least some of the offences in the five sub-categories above has
become the responsibility of national regulators of financial services and of the pro-
fessions, often termed ‘gatekeepers’. Curiously, this regulatory remit excludes most
Reflections on the Money Trail 371

frauds by volume, since in the UK, for example, only those frauds committed against
or by regulated firms that achieve the Financial Conduct Authority (FCA)-undefined
category of ‘significant’ are in scope, and even there, nothing is known about the fol-
low up to such reports. However the banking industry representative body’s UK Fi-
nance is a member of the Economic Crime Board of the UK government, both for its
AML/sanctions roles and for its anti-fraud role because identity fraud and payment
card fraud are the most visible parts of the ‘organised’ economic crime spectrum, and
affect directly the largest number of people of any economic crime or indeed any
other crime for gain. The criminalisation of transnational (and sometimes national)
bribery affects banks directly via risks (should they fail to report any suspicions they
may have) of money laundering charges (a) against their own individual Money
Laundering Reporting Officers and (b) perhaps against the banks themselves. It
also affects banks indirectly because of the risks (however remote in practice) that
companies to whom they have lent money might be damaged by severe penalties
should they be convicted of corruption. The implications of these developments
are important.
‘Economic crime’ comprises crimes with different categories and levels of harm,
committed by and impacting upon highly diverse sectors of the population. Their
sub-components are investigated (and investigatable) by very different policing
and regulatory methodologies both before and after ‘crime’ commission. As a
legal category, ‘laundering’ does not enable us to distinguish between licensed pro-
fessionals who launder, professional (i. e. regular) knowing money launderers, peo-
ple who launder money from their own crimes (like burglars putting money into their
own bank accounts in their own names), and banks who intentionally or recklessly
ignore their obligations to report suspected money laundering or who turn a wilfully
blind eye to ‘smurfing’ by customers to manipulate deposits to fall below the routine
reporting threshold. Banks generally counter that any laundering is the result of rotten
apple rather than institutionally supported misconduct, and without smoking gun
emails/ recorded conversations, or verified whistle-blower accounts, or some ‘market
testing’ exercise as conducted by Findlay et al. (2014), it is difficult to test this or
validly falsify such claims. What is certain, however, is that violations by institutions
great and small continue, despite occasional regulatory and rare criminal institutional
sanctions. Some more subtle thinking is needed on metrics of reoffending. Given its
size, is a violation at Deutsche Bank ‘the same’ as one at a much smaller institution?
In this era of globalisation, problems also arise for crime statisticians – and note
that jurisdictions are mandated to conduct national risk assessments, presumably
with their own country’s risks as the central organising concept (see Ferwerda & Reu-
ter 2019, for an early review). There are also EU supranational risk assessments in
2017 and 2019. Normally, when we think of risk, we think of harms that can be plau-
sibly or potentially done to a natural person or an organisation/legal person (and per-
haps to a sector). This has commonly been extended to ‘reputational risk’ with its
implications for individuals and businesses’ future capabilities and profits. Apart
372 Michael Levi

from summing up these at a national level, sanctions against jurisdictions for their
deemed failures to meet AML/tax transparency standards need to be factored in.
One might take SARs or STRs as alerts to possible malefaction: but it would be
reasonable to conclude that rather than reflecting reporters’ own normative beliefs
that action ought to follow, SARs reflect regulated persons’ blind obedience to
rules and/or fluctuating terror at being punished by regulators or criminal courts
for not seeing that transactions are acts about which ‘something should be done’.
The analogy could be criticised on the grounds that (except for lawyers, whose beliefs
that funds are proceeds of crime need to be ‘reasonable’ before overriding client con-
fidentiality in the UK) SARs are only suspicions about predicate offences. But racial-
ly motivated offending/hate crime also involves a subjective judgment about moti-
vation rather than an objective fact. However to my knowledge, no government or
statistical office has yet taken seriously the task of creating criminal statistics for
money laundering beyond prosecutions or convictions, which may be set out in jus-
tice statistics rather than in crime statistics.
It is impossible properly to evaluate the impact of AML if there are no before and
after data – but although the UK government has commissioned a series of ‘gap fill-
ing’ studies on serious and organised crime, they appear to have (perhaps reasonably)
concluded that a lightly funded RUSI survey and seminar was sufficient to write off
the possibility of ‘a figure’ for money laundering (Moisienko & Keatinge 2019).
Given the range of predicate crimes of poor estimatability and our ignorance
about the savings ratios of offenders, even working out an order-of-magnitude figure
with a large range raises the question of what is our motivation or perception of value
for performing such an exercise (see Reuter 2013).
There have been more modest data-gathering exercises on particular dimensions
of money laundering. One that held promise was the de Boyrie et al. (2004) attempt to
develop price discrepancy analysis for testing over and under-invoicing of physical
goods. Publicly this has not been verified or falsified as a model, and given the se-
crecy of tax bodies, it is difficult to infer whether their proposals were impractical or
whether the political economy pressures (of a kind highlighted by the Tax Justice
Network) or bureaucratic ones have inhibited take up. We even have little under-
standing of the impact of Panama Papers, Swiss Leaks and other scandals, despite
the best efforts of the Süddeutsche Zeitung and other worthy investigative media
that are part of the important phenomenon of the International Consortium of Inves-
tigative Journalism. There has been little clamour for evidence-led or even evidence-
influenced policy in AML, except mutedly from those banks who would like to spend
less money or the same money more effectively on anti-laundering measures.
Reflections on the Money Trail 373

3. Proceeds of Crime
Another component of the Wars on Organised Crime, Drugs and Economic
Crimes which has interested both Hans-Jörg Albrecht and Michael Kilchling at
the Max Planck Institute is the confiscation or recovery of proceeds of crime. The
reform of law is a political process, and the elements of underlying political pressures
– as well as the difficulties thrown up by cases brought or wanted to be brought – have
a strong influence on prioritisation of issues in the scarce space available in parlia-
mentary timetables, whether in Germany, the UK or around the world. This section
will review the cultural and political background behind measures to combat pro-
ceeds of crime, the history of legislation and implementation, and the contemporary
case for change.
The proceeds of crime confiscation are socially and politically attractive for a
range of reasons. Confiscation and forfeiture are socially restorative in a visible
way that takes away something criminals have acquired and feel that they have own-
ership of, even if they know it is not legal; they offer a chance at general deterrence or
at least crime reduction, through the common sense assumption (not proven empiri-
cally) that criminals will not offend at all or will offend less if they ‘realise’ that they
will not be able to keep the funds that they have ‘acquired’; and they offer some com-
pensation to identifiable victims, to society and (via a sometimes controversial incen-
tives scheme, especially in the US) to police, prosecutors and the courts for the re-
covery of enforcement costs or even profits in the use of financial investigation, asset
freezing and other mechanisms to pursue assets.
Confiscation and asset recovery also offer something for diverse political and even
ideological constituencies. For non-governmental organisations and development
aid agencies in the Global North and South, there are prospects of deprivation of
the proceeds of Grand Corruption (which usually involves offences committed in
other jurisdictions, in which one or more major financial centres are trusted locations
for assets and may also be where the bribe-paying companies – if not their actual
bribe-paying intermediaries – are located). See successive Siemens scandals as an
example. Sanctions and asset freezing supplement banking and corporate due dili-
gence by placing some funds ‘beyond use’, thereby reducing terrorism capacity
for legally designated individuals, networks and rogue states – an impact also claim-
ed for freezing and confiscation on transnational organised criminals. For the public,
stripping undeserving criminals – from local dealers to transnational traffickers and
from full time criminals to otherwise respectable fraudsters – of the fruits of their
crimes offers the hope that this will reduce the extent to which they serve as negative
role models for young people in their communities and offers some symbolic satis-
faction. In societies which crave public signals to offenders to deter them from vice
and to show the virtuous that crime does not pay, proceeds of crime freezing and re-
covery is important. Its absence is also important.
Consequently, the public failure to achieve those objectives humiliates the State
and civil society. By any reasonable criteria, levels of proceeds confiscation have
374 Michael Levi

failed to meet hopes and claims for major impact anywhere in the world. A good way
of thinking about this is to compare the amounts confiscated not just in money terms
but as a proportion of the proceeds of or profits from crime. The public, like the media
and indeed governments, may not ‘connect up’ the large (if empirically contested by
scholars) ‘estimates’ of money laundering and the ‘costs of organised crime’ with the
relatively puny criminal assets confiscated or even frozen: however it is not intellec-
tually tenable to argue that confiscation is successful at the same time as asserting that
criminals are making sums in the trillions while confiscation globally barely strug-
gles into the billions of dollars, euros or pounds. It appears that criminals are mocking
the state’s efforts to inhibit their lifestyle.
Added to the dramatic demonology of crime itself, this somehow makes the griev-
ance of lack of redress and ‘just deserts’ worse. If it turns out that offenders’ vehicles
and other apparent ‘assets’ are hired or borrowed and are beyond the reach of con-
fiscation or forfeiture, and that suspects and convicted persons cannot be stopped
from making use of these ‘undeserved’ facilities, it may evoke the same resentments
(or sometimes envy) at lack of entitlement as the stereotype of social security fraud,
and even worse if the public can see (or imagine) them continuing to do visible harm
in their neighbourhoods. It may contribute to de-legitimate the state’s claims about its
capacity and motivation to control ‘serious crime’.
Often, these issues are analysed only in a national framework, and sometimes this
is a very parochial one. Despite the narrow framework of UK National Audit Office
and Parliamentary reports, it is important to appreciate that the problems of pursuing
offender assets are neither new nor are they restricted to any one country. A reader of
UK reports would be unaware of the EU network of member states’ Asset Recovery
Offices, the Europol-based Camden Asset Recovery Inter-Agency Network, and the
wealth of British, Dutch, German and Italian – indeed pan-EU and Council of
Europe – empirical as well as legal research on this subject (see Levi 2018; Levi
& Soudijn 2020). Whether pre- or post-Brexit, the UK and Germany must deal
with their crime problems on a national basis as well as by cooperation or pressure
in international cases, which has improved in recent years. More critical detailed at-
tention is needed to the sorts of cases that generate larger and unsuccessful recoveries
internationally, to examine whether success and failure are associated with case mix
rather than particularities of confiscation regimes, and also the issue of criminal as-
sets held overseas that were neglected when legislation was drafted.
The choice between metrics of asset recovery performance – per capita popula-
tion, per recorded crime (or sub-set of crimes), per amount reasonably estimated to be
proceeds of crime domestically and imported, per amount frozen or only actually
confiscated or recovered – have not received serious analysis in formal papers by
the Financial Action Task Force, International Financial Institutions (IMF, World
Bank), governments or audit bodies internationally. Although we should be much
wearier than the evangelists of change usually are about whether there is a universal
‘what works’ package to be found in this realm, these experiences may and should
Reflections on the Money Trail 375

teach us that there are broader issues we need to consider even if we are focused sole-
ly on restraint and confiscation cases in our own country. Indeed the ‘in’ here should
be carefully considered: the assets of offenders convicted (or investigated) in the UK
or Germany may be overseas, while assets may be held in the UK or Germany by
offenders (including but not restricted to kleptocrats) who reside overseas. No coun-
try can itself determine extra-territorial restraint and confiscation (though worldwide
freezing orders – formerly known as Mareva injunctions – were developed by the
English civil courts to deal with financial claims, including misconduct such as
Grand Corruption anywhere in the world).
Implicit in many official money laundering reports is the assumption that crimi-
nals are Protestant ethic capitalists aiming principally at accumulation of capital and
on integration of their illicitly acquired proceeds into the respectable economy. It is
true that empirical studies of offender lifestyles are thin on the ground, but Freako-
nomics insights such as its chapter ‘Why Do Drug Dealers Still Live With Their
Moms?’, as well as more formal academic studies, yield some grounds for scepticism
about the centrality of accumulation in criminal motivation (Levitt & Dubner 2006;
van Duyne & Levi 2005; Levi & Soudijn 2020). Offender expenditure of significant
sums on restaurants, clubs, gambling, holidays as well as on personal drugs consump-
tion is unavailable for recovery. (Online and offline betting firms and casinos would
put more effort into customer due diligence if the money lost by criminals from crim-
inality was repayable by them!) This high lifestyle expenditure (by an unknown per-
centage of serious offenders as well as by most petty offenders) undermines some of
the deterrence argument for proceeds confiscation, which relies on a significant pro-
portion of the proceeds being saved rather than spent as offenders go along.
Thus, the elapsed time between the offence or obtaining proceeds and access to
funds being stopped by post-conviction orders or pre-conviction asset restraint be-
comes the critical period both for deterrence and for asset recovery prospects.
Some criminals are apprehended by the police or revenue agencies in possession
of cash, which can be seized immediately with, one might expect, stronger cognitive
effects on offenders (and on the agencies). However, to understand deterrence and
deterrability better, we need to avoid the tendency to lump different ‘types of crim-
inal’ together so that it becomes hard to distinguish motivation and to identify how to
discourage it. We might therefore look at the difference between criminals who fit the
definition of criminal lifestyle and those who do not. As defined by the UK’s Pro-
ceeds of Crime Act (POCA) 2002, ‘criminal lifestyle’ is not about how the money
is spent but about how (and how repeatedly) it is obtained. However, we might con-
sider also how money is spent or saved. (Not that the lifestyles of many wealthy busi-
nesspeople show proportionately high savings either: culturally, we are a world away
from Max Weber’s era Germany.) To the extent that offenders have saved their pro-
ceeds, those funds or assets purchased with them will still be available in theory: but
whatever moral position politicians may adopt in relation to their recuperability, it is
unrealistic to think that would ever happen.
376 Michael Levi

It is instructive 25 years on to revisit the executive summary of the first British


empirical research study (Levi & Osofsky 1995): despite the massive expansion of
the anti-money laundering regime in the private sector and legislation globally,
and the attention given to the proceeds of crime issues at regular cross-government
committees, it is arguable that substantively, not much has changed.
In summary, although practitioners have (plausibly) told this author that criminals
get very upset when their money is taken away from them, inefficiency and ineffec-
tiveness combine with a lack of timeliness and lack of focus to dilute the deterrent
effect on offenders to the point of irrelevance. As far as can be deduced from their
judgments, some trial and appellate judges at that time were unenthusiastic about
or actively resistant to the changes in post-conviction reversal of the burden of
proof, and comments from lawyers and NGOs to this researcher allege that the Eng-
lish judiciary – taken as a whole – still are largely unmotivated and not always well-
informed on this complex area of law. This may apply to at least some other European
countries also.
The attempt to concentrate expertise was one reason why initially all restraint or-
ders nationally were channelled through a small number of judges at the High Court
in London. However, the political enthusiasm for increasing the number of restraint
and confiscation cases led to the abandonment of that model, and there has been in-
sufficient empirical analysis of the reasons behind what is generally agreed to be the
under-utilisation of restraint orders, which have declined in the latest dataset. Inter-
views by this author for the then Prime Minister’s Strategy Unit a decade ago sug-
gested that the main reasons were the reluctance to employ professional accountants
as receivers due to the high gross and net of recoveries prices of the specialist ac-
counting firms; the cost to a financially constrained prosecution budget of applying
for orders; and the pressurising impact of restraint orders on the time available to
complete the investigation: there is no reason to think that this has changed substan-
tially, despite the Serious Crime Act 2015. These are not problems that will occur
everywhere.
Most of the attention given to proceeds of crime efforts focusses on the police and
anti-organised crime agencies, but as the scope of ‘organised crime’ has broadened, it
is important for reformers to take account of private sector lawsuits in economic
crime and perhaps specialist regulatory bodies like BAFIN in Germany or environ-
mental crime agencies. The evidence shows how little financial investigation is used
as a tool in dealing with environmental crimes. This may be partly because these vi-
olators are not members of organised crime networks who need to be traced or proven
to be connected with the violation but instead are rather otherwise licit corporations.
However, the shading between licit and illicit commerce may be difficult to discern in
the case of small and medium-sized enterprises (SMEs) and individuals targeted by
the Scottish Environmental Protection Agency (SEPA) and, to a lesser extent, the UK
Environment Agency, which has not used proceeds of crime provisions much against
local offenders. The most powerful Scottish gangs were undercutting legitimate op-
Reflections on the Money Trail 377

erators by ignoring environmental standards or avoiding tax by mixing high-harm


waste – that attracts higher rates of taxation for dumping – with low-risk rubbish.
One may question to what extent these ‘under-performance’ issues are due to
problems with legislation, and to what extent they are to do with attitudes, culture,
resources and finance. This may require reform of both law and institutions of
legal administration: but are these necessary but not sufficient components for en-
hancing proceeds confiscation, or indeed are they neither necessary nor sufficient
conditions?

4. Conclusion
In many EU member states, there remains policy indifference and mixed perform-
ance that has been difficult to shift into the active harmonised whole evangelised by
the European Commission and the Union. Overall, it remains to be seen what appetite
politicians and the public have for further legislative and institutional change. The
global history of proceeds of crime forfeiture – whether civil or criminal – is a history
in which expectations and rhetoric are not matched by criminal justice inputs (finan-
cial investigations and processing of cases to criminal and regulatory action nation-
ally and internationally), outputs (like funds frozen and/or confiscated) or outcomes
(like demonstrable impacts of such freezes, forfeitures and confiscations on different
forms of criminal behaviour). This chapter has reviewed a range of material that is
relevant to understanding those challenges and considering the other elements ana-
lysed here may highlight the limitations of seeing ‘law reform’ and an endless series
of EC Directives as a sufficient rather than as a necessary but not sufficient part of
social welfare.

References

De Boyrie, M., Pak, S. & Zdanowicz, J. (2004): Money laundering and income tax evasion: the
determination of optimal audits and inspections to detect abnormal prices in international
trade. Journal of Financial Crime 12/2, pp. 123 – 130.
Eurostat (2018): Handbook on the compilation of statistics on illegal economic activities in na-
tional accounts and balance of payments; https://ec.europa.eu/eurostat/documents/3859598/
8714610/KS-05-17-202-EN-N.pdf/eaf638df-17dc-47a1-9ab7-fe68476100ec.
Ferwerda, J. & Reuter, P. (2019): Learning from money laundering National Risk Assessments:
the case of Italy and Switzerland. European Journal on Criminal Policy and Research 25/1,
pp. 5 – 20.
Findley, M.G., Nielson, D.L. & Sharman, J.C. (2014): Global shell games: Experiments in trans-
national relations, crime, and terrorism. Cambridge.
Halliday, T., Levi, M. & Reuter, P. (2014): Global Surveillance of Dirty Money: Assessing Assess-
ments of Regimes To Control Money-Laundering and Combat the Financing of Terrorism. Chi-
378 Michael Levi

cago; www.lexglobal.org/files/Report_Global%20Surveillance%20of%20Dirty%20Money%
201.30.2014.pdf
Kruisbergen, E.W., Kleemans, E.R. & Kouwenberg, R.F. (2016): Explaining attrition: Investi-
gating and confiscating the profits of organized crime. European Journal of Criminology 13/
6, pp. 677 – 695.
Levi, M. (2018): Reflections on Proceeds of Crime: A New Code for Confiscation?, in: J. Child
& A. Duff (eds.), Criminal Law Reform Now. Oxford.
Levi, M. & Osofsky, L. (1995): Investigating, seizing, and confiscating the proceeds of crime.
Crime Detection and Prevention Series Paper 61. London.
Levi, M., Reuter, P. & Halliday, T. (2018): Can the AML/CTF System Be Evaluated Without
Better Data? Crime, Law and Social Change 69/2, pp. 307 – 328.
Levi, M. & Soudijn, M. (2020): Understanding the Laundering of Organized Crime Money.
Crime and Justice: An Annual Review. Chicago.
Levitt, S. & Venkatesh, S. (2000): An economic analysis of a drug selling gang’s finances. Quar-
terly Journal of Economics 115/3, pp. 755 – 789.
Moiseienko, A. & Keatinge, T. (2019): The Scale of Money Laundering in the UK: Too Big to
Measure? London.
Pol, R. (2019): Anti-money laundering ratings: uncovering evidence hidden in plain sight. Jour-
nal of Money Laundering Control 22/4, pp. 836 – 857.
Public Accounts Committee (2016): Confiscation Orders: Progress Review (HC 124). London.
Reuter, P. (2013): Are estimates of the volume of money laundering either feasible or useful?, in:
B. Unger & D. van der Linde (eds.), Research Handbook on Money Laundering. Cheltenham.
US Department of Justice (2017): 10-yr Summary of Financial Report Data. Washington DC.
US Presidential Commission on Organized Crime (1986): The Cash Connection: Organized
Crime, Financial Institutions, and Money Laundering. Washington, DC.
Van Duyne, P.C., Harvey, J.H. & Gelemerova, L.Y. (2019): The Critical Handbook of Money
Laundering: Policy, Analysis and Myths. London.
Van Duyne, P.C. & Levi, M. (2005): Drugs and Money: Managing the Drug Trade and Crime-
Money in Europe. London.
Tausendsassa Alkoholverbot
… im Dienste von Gesundheit, Kriminalität und Kommerz

Von Roland Hefendehl

1. Hinführung zum Thema*


Vor 100 Jahren wurde das Prohibitionsgesetz in den USAverabschiedet. Und auch
wenn man das in den Worten des späteren US-Präsidenten Herbert Hoover so be-
zeichnete „große soziale und ökonomische Experiment“1 überwiegend für geschei-
tert erklärte, hat es seitdem viele Nachahmer gefunden. Gerade auch in Baden-Würt-
temberg und insbesondere in Freiburg, dem Lebensmittelpunkt2 von Hans-Jörg Al-
brecht, war man insoweit bis in die jüngste Zeit besonders rührig. Vielfach ist dies
dem vergleichsweise großen Einfluss grüner Politik in dieser Region zugeschrieben
worden.3
Verbote und deren Wirkungen haben Ökonomen schon immer fasziniert. So las-
sen sich deren verschiedene theoretische Modelle vielfach über dieses Instrument
bzw. den Verzicht hierauf charakterisieren und beruhen auf der Maßfigur des
Homo oeconomicus. Bis in die jüngste Zeit haben sich Ökonomen daher gerade
auch der Prohibition angenommen.
Mit dem Hinweis nicht lediglich auf die Theorie, sondern auch auf die Wirkung
eines Verbots ist zweierlei angesprochen: Zum einen ist die empirische Sozialfor-
schung und somit eines der zentralen Betätigungsfelder von Hans-Jörg Albrecht ge-
fragt. Zum anderen ist zu klären, worum es so ganz genau bei den Alkoholverboten
geht. Denn das sollte man schon wissen, bevor man sich mit der Wirkungsforschung
befasst.
Nicht zuletzt spielt auch das Recht bei diesen Verboten eine nicht unerhebliche
Rolle, das der Jurist Hans-Jörg Albrecht bei aller Liebe zur Empirie immer mitbe-
denkt. So ist eines bei unserer Fragestellung zumindest sicher: Es werden grund-
rechtlich geschützte Handlungsfreiheiten beschnitten. Wenn der Verhältnismäßig-

* Für wertvolle vorbereitende Hilfe danke ich meinem Mitarbeiter Jakob Bach herzlich.
1
Hoover 1974, 511.
2
Wenn man das bei seinen intensiv gelebten Kontakten zum Ausland überhaupt so sagen
darf.
3
Vgl. Hefendehl 2014, 69.
380 Roland Hefendehl

keitsgrundsatz die Geeignetheit eines Verbots zur Zweckerreichung verlangt, wird


zudem deutlich, dass sich hier Empirie und Recht zwingend begegnen – ganz so,
wie es auch Hans-Jörg Albrecht lebt.

2. Die Alkoholverbote in Freiburg und Baden-Württemberg –


ein Kommen und Gehen
Freiburg schafft es immer wieder, sich zumindest bundesweit Aufmerksamkeit zu
verschaffen: In aller Regel über das Wetter, die Fahrradfahrer oder den so sympathi-
schen Fußballverein, dem es natürlich in erster Linie um Werte und nicht um Geld
geht.
Aber nicht allein hierüber: 2007 sorgte das Alkoholverbot im sog. Bermudadrei-
eck für Aufsehen, das aber ein Jahr später auf Anordnung des VGH Mannheim schon
wieder in diesem verschwand. Stadt und Polizei vergossen bittere Tränen.
Das nächtliche Alkoholverkaufsverbot in Baden-Württemberg von 22 Uhr bis
5 Uhr überlebte hingegen länger, und zwar von Ende 2010 bis Ende 2017. Just
nach dem für viele überraschenden Ende eröffnete § 10a PolG BW die immer wieder
vehement geforderte Möglichkeit ein weiteres Mal, örtliche Alkoholkonsumverbote
zu erlassen.
Kurioserweise winkte Freiburg gleich einmal ab,4 obwohl hier nahezu jeder damit
gerechnet hatte, dass man hiervon ohne jedes Zögern sogleich Gebrauch machen
würde. Was ist nur in diese Stadt gefahren, ist man plötzlich gelassen geworden?
Nein, die so bezeichnete „Partnerschaft sicherer Alltag“5 beweist das Gegenteil:
Indem auf Videoüberwachung und verdachtsunabhängige Kontrollen an den so apo-
strophierten gefährlichen Orten und damit in ein weiteres Mal im „Bermudadreieck“
gesetzt wird, hat man eine ähnliche Klientel im Auge.
Immerhin entschloss man sich in Karlsruhe, die neue Möglichkeit zu nutzen und
am Werderplatz ein befristetes Alkoholkonsumverbot zu erlassen.

3. Worum geht es – oder soll es gehen?


Schon seit mindestens 100 Jahren – vermutlich seit jeher – verbergen sich hinter
den vorgeblichen Zielen von Alkoholverboten immer noch weitere, ich nenne sie

4
Vgl. den Beitrag „Kommunen können nun Alkoholverbote erteilen – tun es aber nicht“ in
der Wochenzeitung Der Sonntag v. 10. 12. 2017; https://www.badische-zeitung.de/kommunen-
koennen-nun-alkoholverbote-erteilen-tun-es-aber-nicht-146396843.html [24. 01. 2021].
5
Vgl. die Vereinbarung der „Sicherheitspartnerschaft“ zwischen der Stadt Freiburg und
dem Land Baden-Württemberg; https://www.presseportal.de/download/document/410362-
20170303-anlage-partnerschaftsichereralltag.pdf [24. 01. 2021].
Tausendsassa Alkoholverbot 381

„Ziele hinter den Zielen“6. Über sie mutiert die Evaluationsforschung endgültig zu
einem Feigenblatt.7 Denn werden die eigentlichen Ziele erreicht, ist alles andere eher
egal.
Als Beispiel für diese Ziele hinter den Zielen kann gleich der anfangs erwähnte
National Prohibition Act herhalten: Offiziell angetreten war das Gesetz mit dem
Schutz der Bevölkerung vor den negativen Wirkungen des Alkohols, vielleicht
auch mit der Reduzierung der Kriminalität. Tatsächlich standen jedoch ganz maß-
geblich fremdenfeindliche und rassistische Motive Pate.8
Und heute? Mit der im „Bermudadreieck“ geltenden Verordnung wollte die Stadt
den vorgeblich starken Anstieg von Gewaltdelikten bekämpfen, für den sie den Al-
koholkonsum verantwortlich machte.9 Gerade die Möglichkeit des sog. Vorglühens
einige Schritte von der erfassten Örtlichkeit entfernt sowie die unbeschränkten und
erwünschten Gelegenheiten des Alkoholkonsums in Clubs und Gaststätten dieses
Viertels haben aber schnell den Verdacht aufkommen lassen, dass es möglicherweise
doch darum ging, die Infrastruktur in der Innenstadt auch am Abend attraktiver zu
gestalten und diesen Raum wirtschaftlich zu stärken.10
Ziel des baden-württembergischen Alkoholverkaufsverbotsgesetzes wiederum
war es ausweislich der Gesetzesbegründung, „alkoholbeeinflussten Straftaten und
Ordnungswidrigkeiten im öffentlichen Raum während der Nachtzeit entgegenzutre-
ten sowie Gesundheitsgefahren zu begegnen, die mit einem übermäßigen Alkohol-
konsum infolge des auch in den Nachtstunden jederzeit möglichen Erwerbs von Al-
kohol in Verkaufsstellen verbunden sind.“11 Möglicherweise ging es aber auch maß-
geblich darum, den nächtlichen Alkoholkonsum in und an Tankstellen einzudäm-
men,12 oder war es jedenfalls nicht so wichtig, dass die Straftat tatsächlich auf
dem Alkohol beruhte.

4. Normative Grundlagen und empirische Bedingungen


Nachfolgend möchte ich in einem Dreischritt die erwähnten vergangenen und ge-
genwärtigen Alkoholverbote vor dem Hintergrund von Kriminologie und Recht einer

6
Zu derartigen Zielen hinter den Zielen im Kontext der Videoüberwachung bereits Stolle
& Hefendehl 2002, 267 f.
7
Siehe eindrücklich unten 4.2.1.
8
https://www.deutschlandfunk.de/vor-100-jahren-verabschiedet-prohibitionsgesetz-zum-
schutz.871.de.html?dram:article_id=461986 [24. 01. 2021].
9
Vgl. aus dem Freiburger Gemeinderat die Drucksache G-08/148, 3; https://orangenfalter.
files.wordpress.com/2008/07/polvo-alkoholverbot.pdf [24. 01. 2021].
10
Hierzu im Einzelnen Hefendehl 2014, 79, 81 f.
11
LT-Drs. 14/4850 vom 21. 07. 2009, 1.
12
Dazu die Gesetzesbegründung zum Entwurf des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes (LT-
Drs. 14/4850 vom 21. 07. 2009), 8, 17.
382 Roland Hefendehl

kritischen Analyse unterziehen. Ein Schwerpunkt wird dabei auf dem nächtlichen
Alkoholverkaufsverbot liegen, das zweifach evaluiert worden ist.

4.1 Freiburger Alkoholkonsumverbot

Wir beginnen im Juli 2008. Die Stadt Freiburg hatte eine „Polizeiverordnung zur
Begrenzung des Alkoholkonsums im öffentlichen Straßenraum“ erlassen. Durch
deren § 2 Abs. 1 war es in einem festgelegten räumlichen Bereich der Freiburger In-
nenstadt, dem sog. Bermudadreieck, auf den öffentlich zugänglichen Flächen außer-
halb konzessionierter Freisitzflächen verboten, insbesondere in den Abend- und
Nachtstunden am Wochenende alkoholische Getränke jeglicher Art zu konsumieren
sowie alkoholische Getränke in Konsumabsicht mit sich zu führen. Mit der zunächst
auf zwei Jahre befristeten Verordnung wollte die Stadt vorgeblich den Anstieg von
Gewaltdelikten bekämpfen, für den sie den Alkoholkonsum verantwortlich machte.
Gestützt wurde die Verordnung auf die baden-württembergische Verordnungs-
Generalermächtigung im Polizeigesetz (§ 10 PolG BW). Sie lässt das Verbot von
Verhaltensweisen zu, wenn von diesen eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Si-
cherheit oder Ordnung ausgeht. Damit sind nach herkömmlicher Lesart solche Hand-
lungen gemeint, die bei generell-abstrakter Betrachtungsweise typischerweise zum
Eintritt eines Schadens führen.13 Auf das Alkoholkonsumverbot in Freiburg übertra-
gen: Der Nachweis hätte erbracht werden müssen, dass all diejenigen, die an den Wo-
chenendnächten im Geltungsbereich der Verordnung mitgebrachten Alkohol konsu-
mieren oder in Konsumabsicht mit sich führen, regelmäßig gewalttätig werden.
Dieser Nachweis misslang gründlich. Die Urteilsgründe des VGH Mannheim
legen ein beredtes Zeugnis über die Hybris der Stadt ab, wie diese mit vagen poli-
zeilichen Zahlen und Vermutungen die gesetzlichen Voraussetzungen einer Frei-
heitseinschränkung zu unterlegen versuchte. So setzte man ohne jede Skrupel auf
die Polizeiliche Kriminalstatistik mit ihren bekannten Erkenntnisproblemen, die
zudem keinen Aufschluss darüber gab, wann genau und wo, im öffentlichen
Raum oder in einem Gebäude, sich die Verdachtsfälle ereigneten.
Das genügte dem VGH Mannheim natürlich nicht. Ein Rückgang der registrierten
Gewaltdelikte seit Einführung des Verbots um 16 %14 begründe lediglich einen Ge-
fahrenverdacht hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Alkoholkonsum und Ge-
walt. Auf einen solchen dürfe der Verordnungserlass jedoch nicht gestützt werden.
Möglicherweise bestehe gar ein bloßer Scheinzusammenhang statt eine (mit)kausale
Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gewaltdelikten. Es sei möglich, dass sich
Alkoholtäter leichter überführen ließen und daher bei den polizeilichen Erhebungen
überrepräsentiert seien.15

13
BVerwG NVwZ 2003, 95 (96).
14
VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (58); in absoluten Zahlen: um (lediglich) 13 Fälle.
15
VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (57).
Tausendsassa Alkoholverbot 383

Und so kippte der VGH Mannheim das Freiburger Alkoholkonsumverbot nur ca.
ein Jahr nach dessen Inkrafttreten wieder.16

4.2 Nächtliches Alkoholverkaufsverbot

Ein knappes Jahr später war eine neue Idee am Start: Am 1. März 2010 trat in
Baden-Württemberg das Gesetz zur Abwehr alkoholbeeinflusster Störungen der öf-
fentlichen Sicherheit und Ordnung während der Nachtzeit und zum Schutz vor alko-
holbedingten Gesundheitsgefahren (Alkoholverkaufsverbotsgesetz) in Kraft. In das
baden-württembergische Ladenöffnungsgesetz wurde ein neuer § 3a mit der amtli-
chen Überschrift „Verkauf alkoholischer Getränke“ eingefügt. Nach dessen Absatz 1
Satz 1 durften „in Verkaufsstellen […] alkoholische Getränke in der Zeit von 22 Uhr
bis 5 Uhr nicht verkauft werden.“
Eine gegen das Alkoholverkaufsverbot gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde
vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 29. September 2010 nicht zur
Entscheidung angenommen. Die verfassungsrechtlichen Fragen, die das Gesetz auf-
werfe, seien bereits geklärt.17 Insbesondere sei die Annahme des Gesetzgebers nicht
zu beanstanden, die zeitliche Einschränkung der Erwerbsmöglichkeiten verringere
die mit einem missbräuchlichen Konsumverhalten einhergehenden Gefahren.
Bezeichnenderweise spricht das Bundesverfassungsgericht im Folgenden die Ge-
fahren durch Straftaten und Ordnungsstörungen allerdings nicht mehr an, sondern
hält es für ausreichend, dass sich das Verbot zur Reduktion des Alkoholkonsums
im öffentlichen Raum eigne. So könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass
das Alkoholverkaufsverbot ab 22 Uhr zu einer stärkeren Bevorratung von alkoholi-
schen Getränken im Zeitraum vor 22 Uhr führe. Es erscheine jedoch naheliegend,
dass die Entscheidung zum Erwerb von weiteren Alkoholika gerade bei jungen Men-
schen oftmals erst nach bereits begonnenem Konsum spontan sowie stimmungs- und
bedürfnisorientiert erfolge und daher durch eine Begrenzung der zeitlichen Verfüg-
barkeit die Entstehung von Szenetreffs und der vermehrte Alkoholkonsum an sol-
chen Orten eingedämmt werden könnten.18 Auch bei der Erforderlichkeit und der
Verhältnismäßigkeit i. e. S. hat das BVerfG keine Bedenken. Der existierende Beur-
teilungs- und Prognosespielraum bei ersterer sei nicht überschritten, der Eingriff sei
schließlich auch nicht übermäßig belastend.
Die ernüchternde Erkenntnis lautet: Über die zurückgenommene Interpretation
des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes im Sinne der schlichten Reduzierung des Ange-
bots und weg von der Zielsetzung der Einflussnahme auf die Gewaltkriminalität läuft
das Merkmal der Geeignetheit schlicht leer.

16
VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55.
17
BVerfG NVwZ 2011, 355.
18
BVerfG NVwZ 2011, 355 (356).
384 Roland Hefendehl

4.2.1 Die erste Evaluation des Gesetzes

In Art. 3 Abs. 2 des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes war vorgesehen, die Rege-


lungen zum nächtlichen Verkaufsverbot für alkoholische Getränke spätestens drei
Jahre nach ihrem Inkrafttreten zu evaluieren. Die hausgemachte Kurz-Evaluation er-
folgte 2013 und wurde durch die Landesregierung in einem Bericht festgehalten.19
Zur Untersuchung der Kriminalitätsentwicklung diente die Polizeiliche Kriminal-
statistik als einzige Datenquelle. Hier wurde die Entwicklung der Tatverdachtsfälle
für bestimmte Delikte bzw. Deliktsgruppen (Gewaltkriminalität, gefährliche und
schwere Körperverletzung, Widerstandsdelikte, einfache Körperverletzung) und
für bestimmte Tatzeiten (22 Uhr bis 5 Uhr, also die Geltungsdauer des Alkoholver-
kaufsverbots) in den Jahren 2009 bis 2012 untersucht. In keiner dieser Deliktsgrup-
pen konnte man in dem genannten Zeitraum einen signifikanten Rückgang der Tat-
verdachtsfälle beobachten. Vielmehr sind die registrierten Tatverdachtsfälle mit Tat-
zeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr in den Bereichen der einfachen Körperverletzung
und der Widerstandsdelikte von 2009 bis 2012 angestiegen. Lediglich für die Gewalt-
kriminalität und die – diese Deliktszusammenfassung maßgeblich prägende – ge-
fährliche und schwere Körperverletzung konnte ein Rückgang der registrierten Tat-
verdachtsfälle mit dieser Tatzeit in den genannten Jahren beobachtet werden.
Verglichen wurde die Entwicklung der Verdachtsfälle mit Tatzeit zwischen
22 Uhr und 5 Uhr mit Verdachtsfällen, bei denen die Tatzeit zwischen 20 Uhr und
22 Uhr angegeben wurde. Hier konstatierte man, dass die Entwicklung im Zeitraum
zwischen 22 Uhr und 5 Uhr – mit Ausnahme der Widerstandsdelikte – positiver ver-
lief als im Zeitraum zwischen 20 Uhr und 22 Uhr.
Im Bericht zur Evaluation des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes stellt die Landes-
regierung selbst fest, es könnten „keine verlässlichen Aussagen getroffen werden, in-
wieweit das Alkoholverkaufsverbot tatsächlich ursächlich für die Deliktsentwick-
lung war.“ Das vorliegende Zahlenmaterial lasse „keine konkreten Rückschlüsse
zu, ob das Alkoholverkaufsverbot oder andere Faktoren – z. B. auch die nahezu zeit-
gleich in Kraft getretene Sperrzeitverkürzung – die Kriminalitätsentwicklung beein-
flusst haben.“20
Und tatsächlich war die Evaluation der Landesregierung methodisch derart miss-
glückt bzw. uninspiriert, dass jede Aussage im Sinne einer Wirksamkeit des Alkohol-
verkaufsverbots zur Kriminalprävention unmöglich wurde. So hatte man die Tatver-
dachtsfälle für die genannten Deliktsgruppen erst ab dem Jahr 2009 – ein Jahr vor
Inkrafttreten des Alkoholverkaufsverbots – untersucht. Ob es sich bei den Entwick-
lungen der Tatverdachtsfälle seit Inkrafttreten des Verbots um einen Trend handelte,
der bereits einige Jahre zuvor einsetzte, oder um eine Veränderung aufgrund des Al-
koholverkaufsverbots, lässt sich bereits aus diesem Grund nur mutmaßen.

19
LT-Drs. 15/3666 vom 19. 06. 2013.
20
LT-Drs. 15/3666 vom 19. 06. 2013, 2 f.
Tausendsassa Alkoholverbot 385

Daneben wurden in der Evaluation nur die Tatverdachtsfälle berücksichtigt, die


nachts begangene Straftaten betrafen. Stellt man hier fest, die Straftaten nachts hätten
zugenommen, sagt dies noch nichts über die fehlende Wirkung des Alkoholverkaufs-
verbots aus. Denn hätte es einen noch viel größeren Anstieg der Tatverdachtsfälle für
tagsüber begangene Straftaten gegeben, so wäre eine tatsächliche Wirkung des Al-
koholverkaufsverbots nicht auszuschließen.
Methodisch hätte neben der Versuchsgruppe eine Kontrollgruppe eingeführt wer-
den müssen. Auch die Landesregierung hat dies im Ansatz versucht, als Kontroll-
gruppe jedoch einzig Tatverdachtsfälle mit einer Tatzeit zwischen 20 Uhr und
22 Uhr herangezogen.
Erstens liegt hierin bereits keine geeignete Kontrollgruppe. Denn damit werden
die Tatverdachtsfälle mit Tatzeit in einem Zeitraum von lediglich zwei Stunden er-
fasst, der noch dazu – ebenso wie der Zeitraum der Versuchsgruppe – am Abend liegt.
Zweitens wurde der Vergleich mit dieser Kontrollgruppe nur unzureichend durchge-
führt. So wurde lediglich verglichen, wie sich die Fallzahlen über einen Zeitraum von
insgesamt vier Jahren (von 2009 bis 2012) für die verschiedenen Tatzeiten entwickelt
haben. Das ist deshalb unzureichend, weil hierbei jegliche Schwankungen im Rah-
men dieses Zeitraums ausgeblendet werden. Man hätte also die Entwicklungen für
die Versuchs- und die Kontrollgruppe Jahr für Jahr miteinander vergleichen müssen.
Weit hergeholt ist es deshalb, wenn die Landesregierung meint, der Vergleich mit
den Tatverdachtsfällen zwischen 20 und 22 Uhr könne als Indiz dafür gewertet wer-
den, „dass das Alkoholverkaufsverbot auch in Bezug auf die Deliktsentwicklung
Wirkung entfaltet hat.“21
Schließlich wurde aufgrund der gewählten Methodik nur die Entwicklung der
Fallzahlen in Baden-Württemberg insgesamt untersucht. Sämtliche regionalen Be-
sonderheiten, die die Schwankungen der Tatverdachtsfälle in den einzelnen Delikts-
gruppen im Beobachtungszeitraum erklären könnten, wurden dabei ausgeblendet.
Auch solche Faktoren wurden nicht berücksichtigt, die eine Veränderung der Tatver-
dachtsfälle sowohl tags als auch nachts zur Folge haben könnten.
Zusammenfassend erweist sich die Untersuchung der Landesregierung damit als
nicht geeignet, um Zusammenhänge zwischen dem Alkoholverkaufsverbot und der
Straftatenentwicklung auch nur im Ansatz zu untersuchen.

4.2.2 Die zweite Evaluation des Gesetzes

Eine zweite Evaluation des Alkoholverkaufsverbotsgesetzes, die 2019 veröffent-


licht wurde,22 stößt in das gleiche Horn und verweist auf die Untauglichkeit der eben

21
LT-Drs. 15/3666 vom 19. 06. 2013, 3.
22
Baumann u. a. 2019; deutsche Zusammenfassung der Untersuchung: Baumann u. a.
2020.
386 Roland Hefendehl

genannten „Untersuchung“.23 Dieses Mal hatten Wissenschaftlerinnen und Wissen-


schaftler der Universitäten Bonn und Marburg die Wirkungen des Gesetzes mit
einem methodisch tiefergehenden Ansatz untersucht. Sie verglichen nicht lediglich
die gemeldeten Straftaten vor und nach der Einführung des Verkaufsverbots, sondern
führten eine sog. Differenz-von-Differenzen-Analyse durch.
Hierzu wurde die Einführung des Alkoholverkaufsverbots im Jahr 2010 als natür-
liches Experiment begriffen, das in einem ersten Schritt die Bildung zweier Ver-
gleichsgruppen ermöglichte. Als Versuchsgruppe wurden die Tatverdachtsfälle aus
den 44 Landkreisen Baden-Württembergs für nachts (22 Uhr bis 5 Uhr) begangene
Straftaten gewählt.24 Als Kontrollgruppe dienten die Tatverdachtsfälle aus den ent-
sprechenden Landkreisen für tags (5 Uhr bis 22 Uhr) begangene Straftaten. Ausge-
hend von zu beobachtenden parallelen Entwicklungen der Tatverdachtszahlen in den
Vergleichsgruppen vor Einführung des Alkoholverkaufsverbots gingen die Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass sich dieser Trend auch nach 2010
fortgesetzt hätte, wenn es keine Intervention (also: kein Alkoholverkaufsverbot) ge-
geben hätte.25 Etwaige Abweichungen von diesem letztlich kontrafaktischen Verlauf
sollten dann als Indiz für die Kausalität des Verbots gewertet werden.
Etwaige sonstige und damit „störende“ Einflussfaktoren auf die Fallzahlen, die
beide Vergleichsgruppen gleichermaßen betrafen, wurden dabei durch die dem Dif-
ferenz-von-Differenzen-Ansatz eigene Methodik eliminiert. Anderweitige ausge-
machte Einflussfaktoren, über die statistisches Datenmaterial vorlag, die aber zwi-
schen den Landkreisen und über die Zeit hinweg variierten, fanden als sog. Kontroll-
variablen Eingang in die Analyse.
In einem zweiten Schritt wurde der Differenz-von-Differenzen-Ansatz um eine
weitere Kontrollgruppe ergänzt. Hierbei handelte es sich um die Landkreise des Bun-
deslandes Hessen, in dem im Untersuchungszeitraum kein entsprechendes Alkohol-
verkaufsverbot bestand.

4.2.2.1 Ergebnisse

Tatsächlich ließ sich eine annähernd parallele Entwicklung der Tag- und Nacht-
kriminalität in den Jahren von 2007 bis 2009 – also in den Jahren vor Einführung des
Alkoholverkaufsverbots – bei den Straftatengruppen „einfache Körperverletzung“,
„qualifizierte Körperverletzung“ und „Raub“ feststellen. In diesen Deliktsgruppen
waren nach dem Ansatz also die tags begangenen Fälle als Kontrollgruppe für die

23
Baumann u. a. 2020, 60.
24
Hierbei wurde nicht danach differenziert, ob diese Straftaten unter Alkoholeinfluss be-
gangen wurden oder nicht. Denn die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst den Alkoholeinfluss
lediglich bei Tatverdächtigen, nicht hingegen bei Tatverdachtsfällen, da hier oftmals – bei den
nicht aufgeklärten Fällen – kein Tatverdächtiger und damit auch nicht dessen Alkoholisierung
festgestellt werden kann.
25
Vgl. Kugler u. a. 2014, 121.
Tausendsassa Alkoholverbot 387

Versuchsgruppe (nachts begangene Tatverdachtsfälle) zu verwenden. Anders stellte


sich dagegen der Befund hinsichtlich der Sexualdelikte dar. Hier ließ sich bereits in
den drei Jahren vor 2010 keine parallele Entwicklung der Tag- und Nachtkriminalität
ausmachen, weshalb sich in dieser Deliktsgruppe mit einem Vergleich der tags und
nachts begangenen Straftaten keine Aussagen über die Wirksamkeit des 2010 einset-
zenden Verbots treffen ließen.
In der Folge konnte für den Zeitraum von 2010 bis 2013 beobachtet werden, dass
die Entwicklung für die nachts begangenen Straftaten (Versuchsgruppe) gegenüber
der Entwicklung der tags begangenen Straftaten (Kontrollgruppe) in den Delikts-
gruppen „einfache Körperverletzung“ und „qualifizierte Körperverletzung“ signifi-
kant besser ausfiel (geringere Zunahme bzw. stärkere Abnahme).26 Hieraus wird ein
Effekt des Alkoholverkaufsverbots gefolgert. Beim Raub konnten hingegen keine si-
gnifikanten Unterschiede in den Entwicklungen von Versuchs- und Kontrollgruppe
ausgemacht werden. Hier verliefen die Entwicklungen für nachts und tags begangene
Straftaten in den beobachteten Zeiträumen also in etwa parallel.
Der Vergleich mit den Entwicklungen der Fallzahlen in Hessen wird als Bestäti-
gung dieses Ergebnisses gewertet.

4.2.2.2 Kritische Würdigung

Die von der Studie beschriebenen Effekte des Alkoholverkaufsverbots beschrän-


ken sich auf das Deliktsfeld der Körperverletzungsdelikte, während für die Bereiche
der Raub- und der Sexualdelikte aus den genannten Gründen keine Wirkungen fest-
gestellt werden konnten. Das ist insoweit bemerkenswert, als das Alkoholverkaufs-
verbotsgesetz ausweislich der Gesetzesbegründung darauf zielte, die Gewaltkrimi-
nalität zu reduzieren – ein Deliktsbereich, der zwar maßgeblich, aber eben nicht al-
lein durch Körperverletzungen geprägt wird. Hinzu kommt, dass auch für die Kör-
perverletzungsdelikte von 22 bis 5 Uhr lediglich moderate Rückgänge von 8 %
(leichte Körperverletzungen) bzw. 11 % (qualifizierte Körperverletzungen) relativ
zum erwarteten Niveau zu beobachten waren. Vor dem Hintergrund der zutreffenden
Einschätzung des VGH Mannheim zum Freiburger Alkoholkonsumverbot, nach der
gerade nicht jede Kriminalitätsreduzierung ausreichend sei, sondern es zur Legitima-
tion entsprechender Maßnahmen eines „massiven Rückgangs“ bedürfe,27 ist die von
Baumann et al. festgestellte Wirksamkeit des Alkoholverkaufsverbots angesichts der

26
Das dem Verf. vom Freiburger Polizeipräsidium übermittelte Zahlenmaterial legt nahe,
dass ein ähnlicher Befund für den Bereich der einfachen Körperverletzung auch in Freiburg
festgestellt werden kann. Für die Fallzahlen mit einer Tatzeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr
waren in Freiburg ab 2010 fast durchweg stärkere Abnahmen bzw. geringere Zunahmen –
verglichen mit der Tatzeit zwischen 5 Uhr und 22 Uhr – zu verzeichnen. Für die qualifizierte
Körperverletzung ergeben die nach Tatzeit differenzierten Fallzahlen für Freiburg kein derart
klares Bild. Zudem ist dieses Zahlenmaterial nicht in vergleichbarer Weise auch hinsichtlich
der Kontrollvariablen wie die o.g. Studie aufbereitet.
27
VGH Mannheim NVwZ-RR 2010, 55 (58).
388 Roland Hefendehl

vorgelegten Zahlen zu relativieren. Dabei soll nicht verkannt werden, dass der be-
rechnete Effekt größer und präziser ermittelt ist, als er für Freiburg ausgemacht
wurde.
Daneben haben sich die Autorinnen und Autoren der Studie weit aus dem Fenster
gelehnt und den von ihnen gewählten Differenz-von-Differenzen-Ansatz in der so-
zialwissenschaftlichen Evaluationsliteratur als „gängige Praxis“ bezeichnet.28
Er ist in der Tat in der Ökonometrie gebräuchlich, um die Wirkung politisch-öko-
nomischer Maßnahmen zu untersuchen.29 So wurde der Ansatz bereits häufig ange-
wendet, um die Effekte von Mindestlohnregelungen (Lohn- sowie Beschäftigungs-
effekte) zu untersuchen.30 Er diente beispielsweise der Evaluierung des Einflusses
von Arbeitslosenunterstützung auf die Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu bekom-
men, sowie den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und der Untersuchung der Effekte des
Kündigungsschutzgesetzes auf die Schaffung von Stellen in kleinen Unternehmen.31
Wer Kriminalität letztlich als das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Abwägung be-
greift, mag geneigt sein, entsprechende Analysemodelle der Wirtschaftswissen-
schaften auch im Bereich der empirisch-kriminologischen Forschung anzuwenden.32
Der Nachweis der Effektivität einer Präventionsmaßnahme mittels des Differenz-
von-Differenzen-Ansatzes erscheint dann als Vorstufe zur Frage der volkswirtschaft-
lichen Effizienz derselben.33
Tatsächlich wurde die Differenz-von-Differenzen-Methode in den vergangenen
Jahren nicht lediglich von Baumann et al., sondern auch anderweitig zur Erfolgsmes-
sung von Kriminalpräventionsmaßnahmen herangezogen.34
Die Hoffnung, mit der Differenz-von-Differenzen-Methode auch in der Krimino-
logie Kausaleffekte nachweisen zu können, soll hier gar nicht in Abrede gestellt wer-
den. Durch die Zugrundelegung von Differenzwerten eignet sich die Methode durch-
aus, um Drittfaktoren auszuschließen und eine Entwicklung auf eine bestimmte In-
tervention oder gesetzgeberische Maßnahme zurückzuführen. Gleichwohl ergeben
sich nachfolgend aufzuzeigende limitierende Faktoren eines derartigen Ansatzes
für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand.

28
Baumann u. a. 2020, 62.
29
Kugler u. a. 2014, 120 ff.
30
Vgl. etwa Card & Krueger 1994, 778 f.; König & Möller 2008, 330 f.; Bossler u. a.
2018, 19 ff.
31
Zu Ersterem Winter-Ebmer 2003, 262 ff.; zu Letzterem Bauernschuster 2013, 297 f.
32
Vgl. Entorf & Spengler 2005, 17 ff.
33
Dazu Entorf & Schulan 2018, 371; Thomsen 2015, 84 ff.
34
Sie diente etwa zur Messung von Effekten der infolge eines terroristischen Anschlages in
Buenos Aires lokal verstärkten Polizeipräsenz auf Autodiebstähle (Di Tella & Schargrodsky
2004, 121 f.) oder zur Messung der Auswirkungen des in Bogotá und Medellín eingeführten
Verbots, Schusswaffen zu tragen, auf Todesfälle infolge von Schusswaffengebrauch (Vecino-
Ortiza & Guzman-Tordecillab 2020, 171 ff.).
Tausendsassa Alkoholverbot 389

Die von Baumann et al. eingeführten Kontrollvariablen erwecken auf den ersten
Blick Zweifel. Lassen sie Rückschlüsse auf ein vielleicht überkommenes theoreti-
sches Verständnis von Baumann et al. zu den Ursachen von Kriminalität zu? Bricht
man die allesamt auf der Makroebene angesiedelten Daten auf den Einzelnen herun-
ter, liegt ein Zusammenhang mit den kriminogenen Faktoren der klassischen, ätio-
logisch orientierten Kriminologie nahe. Berücksichtigen Baumann et al. also die
Scheidungsrate, die Arbeitslosenquote, das Pro-Kopf-Einkommen, den Ausländer-
anteil oder die Fruchtbarkeitsrate, kommt der Verdacht auf, die Abstammung aus
einem geschiedenen, arbeitslosen, armen, nichtdeutschen, kinderreichen Elternhaus
bzw. sozialen Umfeld sei als kriminogener Faktor anzusehen.
Eine Interpretation dieser Kontrollvariablen erscheint jedoch auch in einem zu-
rückgenommenen Sinne denkbar, dass diese empirisch gesehen lediglich die Zu-
schreibung von Kriminalität begünstigen könnten. So ließe sich argumentieren,
der Ausländeranteil oder das Pro-Kopf-Einkommen fänden allein deshalb Berück-
sichtigung, weil die Ausländereigenschaft oder die Zugehörigkeit zu einer niedrigen
sozialen Schicht zu einem verstärkten Labeling führe und daher „herauszurechnen“
seien, wenn man lediglich die Wirkung des Alkoholverkaufsverbots in den Blick
nehmen wolle.
Man hätte sich bei der Untersuchung gleichwohl gewünscht, dass Kriminalitäts-
ursachen und Kriminalisierungsrisiken stärker auseinandergehalten worden wären.
Wird die Entwicklung der Tatverdachtsfälle im Bundesland Hessen zur Kontrolle
der zuvor berechneten Differenzen ergänzend herangezogen, so ist zudem zu hinter-
fragen, ob hier tatsächlich eine Vergleichbarkeit gegeben ist, die die Zahlen aus Hes-
sen zu einer geeigneten Kontrollgruppe macht. Baumann et al. ziehen politische und
ökonomische Kennzahlen zum Vergleich der beiden Bundesländer heran (Arbeitslo-
senquote, Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, Länderfinanzausgleich, Regie-
rungsparteien).35 Hiermit bringen sie ein weiteres Mal ihre Präferenz für ökonomi-
sche Querschnittsdaten zum Ausdruck, die als theoretisches Grundgerüst für die For-
schungsfrage nicht geeignet erscheinen. Auch das zweite Argument, warum die
Wahl auf Hessen fiel, nämlich dass hier anders als in weiteren Bundesländern hin-
reichende Daten für den Untersuchungszeitraum ab 2007 vorgelegen hätten,36 schafft
insoweit kein besonderes Vertrauen.
Wäre es nach dem Gesagten ein voreiliger Schluss, allein in der Auswahl der Kon-
trollvariablen ein kriminologisches Defizit zu sehen, so findet sich ein solches aller-
dings an zentraler Stelle, nämlich der gänzlich fehlenden Auseinandersetzung mit
der Frage, wie das Alkoholverkaufsverbot überhaupt wirkt. Innerhalb des Studiende-
signs ist das zunächst kein Manko: Bedient man sich des Differenz-von-Differenzen-
Ansatzes zur Untersuchung der Effektivität eines Gesetzes, so kann tatsächlich die
Frage nach den Bedingungen für die Wirksamkeit des Gesetzes völlig ignoriert wer-

35
Baumann u. a. 2019, 5.
36
Baumann u. a. 2019, 2.
390 Roland Hefendehl

den. Diese Bedingungen lassen sich schlicht als nicht einsehbare „Blackbox“ behan-
deln.37 Das Ergebnis einer solchen Untersuchung kann dann aber allenfalls die Tat-
sache sein, dass es irgendeinen Zusammenhang gibt – wie auch immer dieser im Ein-
zelnen beschaffen sein mag.
Nach Weisburd und Hinkle liegt hierin ein zentrales Problem von Evaluationen im
Bereich der Kriminologie und des Strafrechts: Soll eine solche Evaluation herausfin-
den, warum ein Programm funktioniert, dann muss dieser Untersuchung vorausge-
setzt sein, dass das zu untersuchende Programm selbst auf einer gut entwickelten
Theorie fußt. Sie muss die spezifischen kausalen Zusammenhänge benennen, die
von Kriminalpräventionsprogrammen gezielt angegangen werden sollen.38
Eine eben solche valide Theorie fehlt aber im Fall der Alkoholverkaufsverbote.
Behauptet werden hier Auswirkungen der Maßnahme auf die Kriminalitätsbelastung
deshalb, weil eine geringere Alkoholverfügbarkeit zu einem geringeren Alkoholkon-
sum führe, und man davon ausgeht, der Konsum von Alkohol habe eine kriminogene
Wirkung. Dies wird als Grundannahme vorausgesetzt, konnte jedoch bislang nicht
bestätigt werden. Alle Erklärungsansätze, die eine kriminogene Wirkung des Alko-
hols nachweisen wollen, benennen eine Vielzahl anderer Faktoren, die den Einfluss
von Alkohol auf Kriminalität vermitteln.39 Ein direkter Zusammenhang zwischen
Alkohol und Kriminalität erscheint insoweit nur bei solchen Delikten denkbar, bei
denen der Alkoholkonsum selbst Teil des Tatbestands ist (z. B. § 316 StGB). Modelle
aus der Aggressionsforschung unterstellen zwar zum Teil eine akute, psychopharma-
kologische Wirkung von Alkohol, die sich auf die Straftatenbegehung auswirke,
diese Wirkung könne jedoch durch Drittvariablen („Moderatoren“) verringert oder
verstärkt werden.40 Alkohol komme allgemein eine stimulierende Wirkung zu,41
die sich sowohl in Euphorie als auch in Aggression niederschlagen könne.42
Den fehlenden empirischen Nachweis einer kriminogenen Wirkung des Alkohol-
konsums kann auch die Studie von Baumann et al. nicht überwinden. Und entspre-
chend sind die Ergebnisse von Studien, die den Zusammenhang zwischen zeitlicher
Alkoholverfügbarkeit und Kriminalität mittels des Differenz-von-Differenzen-An-
satzes untersuchten, höchst unterschiedlich.43 So analysierten Norström und Skog
im Jahr 2005 die Wirkungen eines schwedisches Gesetzes, mit dem der Verkauf
37
Weisburd & Hinkle 2018, 289 ff.
38
Weisburd & Hinkle 2018, 305.
39
Vgl. Friedemann & Rettenberger 2019, 146; Foerster & Dreßing 2015, 192.
40
Friedemann & Rettenberger 2019, 146.
41
Kerner (2000, 20) spricht vom Alkohol als „facilitator“ bzw. „Erleichterer“, wobei er
ausdrücklich darauf hinweist, dass es keine biologisch-psychologisch fest determinierten Al-
koholwirkungen gebe (2000, 19). Bestimmte Verhaltensweisen im Anschluss an den Alko-
holkonsum seien „kulturell überformt“, weshalb die Alkoholisierung in manchen Gesell-
schaften eher zu friedlichem, in anderen eher zu einem ausufernden Verhalten führen könne
(2000, 19).
42
Friedemann & Rettenberger 2019, 147.
43
Vgl. zusammenfassend Carpenter & Dobkin 2011, 310 ff.
Tausendsassa Alkoholverbot 391

von Alkohol an Samstagen liberalisiert wurde, und kamen zu dem Ergebnis, diese
Maßnahme habe keine Auswirkungen auf die gemessene Kriminalität gehabt.44
Eine Analyse desselben Gesetzes von Grönqvist und Niknami aus dem Jahr 2014
machte hingegen eine Wirkung der liberalisierten Alkoholverfügbarkeit auf die Kri-
minalität aus. Insbesondere die Eigentumskriminalität sei signifikant angestiegen.45
Ein weiterer Kritikpunkt zeigt sich im Zusammenhang mit möglichen durch das
Alkoholverkaufsverbot hervorgerufenen Verdrängungseffekten. Denn im Rahmen
der von der Studie gewählten Differenz-von-Differenzen-Methode sind entsprechen-
de Effekte bei der Abgrenzung von Kontroll- und Versuchsgruppe zwingend zu be-
rücksichtigen.46
Baumann et al. kommen insoweit allerdings zu dem Ergebnis, die untersuchten
Delikte würden regelmäßig aus kurzfristigen und unkontrollierten Impulsen heraus
begangen. Verdrängungs- bzw. Verlagerungseffekte dergestalt, dass potenzielle
Täter dazu übergehen, die Delikte infolge des Verbots vor 22 Uhr zu begehen, wer-
den vor diesem Hintergrund zutreffend als unwahrscheinlich angesehen.47
Auch wenn die Frage nach Verdrängungseffekten im Rahmen des Forschungsde-
signs in diesem Sinne Berücksichtigung gefunden hat, zeigt sich in diesem Kontext
die Limitiertheit wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsansätze im Bereich der
Kriminalität. Man ist auf Daten angewiesen, die in diesem Fall allein die Polizeiliche
Kriminalstatistik zu liefern vermag. Für diese ist es aber schlicht ein auch von der
Polizei gar nicht bestrittener Gemeinplatz, dass sie das tatsächliche Kriminalitätsauf-
kommen nicht abzubilden vermag, weil das Dunkelfeld keine Berücksichtigung fin-
det.48 Die von Baumann et al. getroffene Aussage, es handele sich um ein „wirksames
Gesetz“, kann angesichts dessen jedenfalls nicht in dieser Absolutheit Geltung für
sich beanspruchen.
Wirksam ist das Gesetz mit Sicherheit dahingehend, dass der öffentliche Raum ab
22 Uhr für bestimmte Personengruppen an Aufenthaltsqualität verliert. Wer nach
dieser Zeit noch Alkohol konsumieren möchte, ist gezwungen, in zu diesem Zeit-
punkt noch geöffnete Gaststätten, Bars oder Kneipen auszuweichen. Womöglich be-
steht auch die Möglichkeit, auf einen Vorrat in der eigenen Wohnung zurückzugrei-
fen. Jedenfalls verlagert sich der Konsum von frei zugänglichen öffentlichen Plätzen
in den privaten Raum. Hier verlieren sich dann etwaige begangene Gewaltdelikte im
Dunkeln. Die Anzeigebereitschaft im persönlichen Nahbereich sinkt, entsprechend
wächst das Dunkelfeld.

44
Norström & Skog 2005, 767 ff.
45
Grönqvist & Niknami 2014, 77 ff.
46
Vgl. im Kontext einer Differenz-von-Differenzen-Studie zu Mindestlohneffekten König
& Möller 2008, 343.
47
Baumann u. a. 2019, 2.
48
BMI (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik 2019: Ausgewählte Zahlen im Überblick, 8.
392 Roland Hefendehl

4.3 Das Polizeirecht als Türöffner für Alkoholkonsumverbote


in der Gegenwart?

Und wie steht es heute? Nachdem der VGH Mannheim im Jahr 2009 auf die all-
gemeine polizeirechtliche Verordnungsermächtigung gestützte kommunale Alko-
holkonsumverbote mangels Vorliegens einer abstrakten Gefahr für rechtswidrig er-
klärt hatte, machten sich die Länder daran, in den Polizeigesetzen eigene Befugnis-
normen zu schaffen, die es den Kommunen ermöglichen sollen, weiterhin den Alko-
holkonsum auf bestimmten Flächen zu verbieten. Als eines der ersten Bundesländer
führte Sachsen im Jahr 2011 § 9a SächsPolG (seit 01. 01. 2020: § 33 SächsPBG)
ein.49 Baden-Württemberg zog Ende 2017 nach und brachte mit § 10a PolG BW
eine Ermächtigung zum Erlass örtlicher Alkoholkonsumverbote auf den Weg.50
„Die Ortspolizeibehörden können durch [zeitlich begrenzte] Polizeiverordnung untersagen,
an öffentlich zugänglichen Orten […] alkoholische Getränke zu konsumieren oder zum
Konsum im Geltungsbereich des Verbots mitzuführen, wenn (1.) sich die Belastung dort
durch die Häufigkeit alkoholbedingter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten oder deren Be-
deutung von der des übrigen Gemeindegebiets deutlich abhebt, (2.) dort regelmäßig eine
Menschenmenge anzutreffen ist, (3.) dort mit anderen polizeilichen Maßnahmen keine
nachhaltige Entlastung erreicht werden kann und (4.) Tatsachen die Annahme rechtfertigen,
dass dort auch künftig mit der Begehung alkoholbedingter Straftaten oder Ordnungswidrig-
keiten zu rechnen ist.“

4.3.1 Verfassungsmäßige Zweifel

Die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm wird aus guten Gründen bestritten.51 Das
Verbot des Mitführens von Alkohol „zum Konsum“ sei zu unbestimmt und verstoße
gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Bestimmtheitsgrundsatz. Unter dem Ge-
sichtspunkt der Bestimmtheit sei zudem zu kritisieren, wenn vorausgesetzt werde,
dass „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort [im Geltungsbereich des Ver-
bots] auch künftig mit der Begehung alkoholbedingter Straftaten oder Ordnungs-
widrigkeiten zu rechnen ist.“52 Die Norm greife zudem unverhältnismäßig in die
durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit ein, da sie man-
gels Gefährlichkeit des Alkoholkonsums bereits nicht geeignet, erst recht aber nicht
angemessen sei.

49
§ 9a SächsPolG wurde eingeführt mit Wirkung vom 29. 10. 2011 durch Gesetz vom
04. 10. 2011 (SächsGVBl. 370) und reformiert durch das „Gesetz zur Neustrukturierung des
Polizeirechtes des Freistaates Sachsen“ vom 11. 05. 2019 (SächsGVBl. 358).
50
§ 10a PolG BW wurde eingeführt mit Wirkung vom 08. 12. 2017 durch das „Gesetz zur
Abwehr alkoholbedingter Störungen der öffentlichen Sicherheit“ vom 28. 11. 2017 (GBl.
Nr. 24, S. 631); vgl. zudem im Bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetz Art. 30
LStVG.
51
Vgl. Brückner 2012, 202 ff. zur Parallelnorm im Sächsischen Polizeigesetz.
52
Brückner 2012, 203 zu einer ähnlichen Formulierung in § 9a SächsPolG a.F.
Tausendsassa Alkoholverbot 393

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht war hingegen der Ansicht, verfassungs-


rechtliche Bedenken seien nicht veranlasst, soweit der Gesetzgeber als Rechtferti-
gung zum Erlass eines örtlichen Alkoholverbots mittels Polizeiverordnung keinen
streng kausalen Zusammenhang zwischen den zugrunde gelegten Straftaten und
der Alkoholeinwirkung voraussetze.53 Fordere die Befugnisnorm lediglich Tatsa-
chen, die die Annahme rechtfertigten, dass sich dort [im Geltungsbereich des Ver-
bots] Personen aufhielten, die alkoholbedingte Straftaten begangen hätten, so
seien darunter alle Straftaten zu verstehen, die unter Alkoholeinfluss begangen wur-
den. Zur Reduzierung dieser Straftaten sei § 9a SächsPolG (a.F.) durchaus geeignet,
erforderlich und angemessen.
Dem ist weder für § 9a SächsPolG (a.F.) noch für die Parallelnorm im baden-würt-
tembergischen Polizeigesetz beizupflichten. Denn wie soll die gesetzgeberische For-
mulierung, insbesondere die Voraussetzung der Alkoholbedingtheit von Straftaten,
den Kausalnachweis des Alkohols für die Straftat erleichtern? Das mag zwar die In-
tention der Landesgesetzgeber in Reaktion auf das Urteil des VGH Mannheim gewe-
sen sein. Wollte man sich mit der Einführung der neuen Befugnisnormen aber den
Nachweis einer abstrakten Gefahr des Alkoholkonsums für eine Straftatbegehung er-
sparen, ist das nicht gelungen.54
So drückt das Suffix „-bedingt“ bereits aus, „dass die beschriebene Sache [hier:
die Straftat] durch etwas [hier: den Alkohol] hervorgerufen wird, in etwas begründet
ist“.55 Zwar muss hinsichtlich der Prognose alkoholbedingter Straftaten lediglich ein
Gefahrenverdacht vorliegen (vgl. die Formulierung „Tatsachen die Annahme recht-
fertigen“), der Verdacht muss jedoch hinsichtlich solcher Straftaten bestehen, für die
der Alkohol mitursächlich war.56 Insoweit erleichtert die Voraussetzung eines bloßen
Gefahrenverdachts nicht den Nachweis der Mitursächlichkeit des Alkohols.
Auch das Normtelos spricht für eine solche Auslegung des Merkmals der alkohol-
bedingten Straftaten. Kommt es der Norm darauf an, Straftaten zu bekämpfen, indem
der Alkoholkonsum verboten wird, so kann dies nur so verstanden werden, dass man
den Konsum von Alkohol als mitursächlich für bestimmte Taten ansieht. Entspre-
chend behalten die Grundaussagen des VGH Mannheim auch nach Inkrafttreten
des § 10a PolG Gültigkeit. Diese Norm überwindet nicht das Kausalitätserfordernis
zwischen Alkoholkonsum und Schutzgutgefährdung.57
53
OVG Bautzen SächsVBl. 2017, 278 (282).
54
Ebenso Pschorr 2019, 392; vgl. auch Reinhardt 2020, Rn. 8.
55
Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/_bedingt [24. 01. 2021]; dazu Pschorr 2019,
392.
56
Das Sächsische OVG (SächsVBl. 2017, 278 [282 f.]) scheint diese beiden Ebenen nicht
klar zu trennen, wenn es meint, es sei kein streng kausaler Zusammenhang zwischen den
zugrunde gelegten Straftaten und der Alkoholeinwirkung vorausgesetzt, sondern es genügten
Tatsachen, „die die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen aufhalten, die alkohol-
bedingte Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum be-
gangen haben.“
57
Pschorr 2019, 394.
394 Roland Hefendehl

Es bleibt damit bei unserer Aussage von 2017: „Entweder unterstellt das Gesetz
schlicht bei Alkoholisierung die Alkoholbedingtheit der Straftaten oder aber es
würde eines validen Nachweises bedürfen. Ersteres wäre verfassungswidrig, Letzte-
res bedürfte der empirischen Erkenntnisse, die jedenfalls uns bislang nicht bekannt
sind.“58

4.3.2 Und was die Praxis macht …

Wie bereits geschildert, erwies sich die über § 10a PolG eröffnete Möglichkeit,
Alkoholkonsumverbote zu erlassen, glücklicherweise bislang als wahrer Ladenhüter.
Nun probiert es immerhin Karlsruhe aus.59 Die „Einzelbegründung zur Polizeiver-
ordnung über ein Alkoholkonsumverbot auf dem Werderplatz“60 legt den Finger un-
bewusst auf die Wunde, indem sie ohne erkennbares System zwischen den Begriff-
lichkeiten der alkoholbedingten und der alkoholbeeinflussten Straftat hin und her
changiert. Vielleicht meint sie sogar nur eine alkoholbegleitete Straftat, die wieder-
um der Regelfall sein dürfte. Womit wir wieder beim Freiburger Alkoholkonsumver-
bot im „Bermudadreieck“ und damit unserem Ausgangspunkt wären.

5. Fazit
Ist das Alkoholverbot also tatsächlich der anfangs so apostrophierte Tausendsas-
sa? Der Gesundheit würde es wohl trotz der existierenden Umgehungsmöglichkeiten
schon dienen. Wie man es mit ihr hält, ist aber eben weitgehend und zum Verdruss der
Paternalisten Privatsache. Auch deshalb kommt die Reduzierung der Gewaltkrimi-
nalität ins Spiel, zumindest deren Bekämpfung sollte ja eine genuine Aufgabe des
Staates sein. Womit wir beim eigentlichen Kern wären: Wie lässt sich der Zusam-
menhang von Alkoholkonsum und Kriminalität beschreiben? Weil die Antwort
auf diese Frage ein wenig sperrig daherkommt, wird sie in aller Regel nicht gestellt.
Man gibt sich damit zufrieden, dass die Kriminalität bei den diversen Alkoholverbo-
ten „irgendwie“ verschwindet, vielleicht aber auch nur aus dem öffentlichen Raum.
Und vielleicht hatte die Kriminalität gar nichts mit dem Alkohol zu tun. Aber ein
solcher Zustand des Verschwindens wäre im Sinne des Kommerzes möglicherweise
gar nicht so schlecht, für den der „ordentlich erworbene und konsumierte“ Alkohol
eine zentrale Rolle spielt.
Das gewählte Beispiel erscheint somit geradezu als ein Musterbeispiel für die
Notwendigkeit eindeutiger Forschungsfragen im Kontext der Wirkungsforschung.
58
http://www.strafrecht-online.org/nl-2017-07-28 [24. 01. 2021], 5.
59
Vgl. den Artikel „Karlsruhe probiert ein begrenztes Alkoholverbot aus“ in der Badischen
Zeitung v. 14. 12. 2018; https://www.badische-zeitung.de/karlsruhe-probiert-ein-begrenztes-al
koholverbot-aus [24. 01. 2021].
60
https://web3.karlsruhe.de/Gemeinderat/ris/bi/getfile.php?id=606531&type=do& [24. 01.
2021].
Tausendsassa Alkoholverbot 395

Und es zeigt zwei Risiken auf: Möglicherweise wird die Kriminologie als Steigbü-
gelhalter für solche Ziele missbraucht, die sie eigentlich gar nicht im Auge hatte.
Oder aber die Evaluation wird vom Staat gleich einmal selbst in die Hand genommen,
kann doch nicht so schwer sein.
Doch, verantwortungsbewusste Kriminologie ist schwer. Hans-Jörg Albrecht be-
herrscht sie.

Literaturverzeichnis

Bauernschuster, S. (2013): Dismissal protection and small firms’ hirings: evidence from a
policy reform. Small Business Economics 40, S. 293 – 307.
Baumann, F., Buchwald, A., Friehe, T., Hottenrott, H. & Mechtel, M. (2019): The effect of a ban
on late-night off-premise alcohol sales on violent crime: Evidence from Germany. Interna-
tional Review of Law and Economics 60, S. 1 – 6.
Baumann, F., Buchwald, A., Friehe, T., Hottenrott, H. & Mechtel, M. (2020): Beschränktes Al-
koholverkaufsverbot in Baden-Württemberg: wirksames Gesetz abgeschafft. Wirtschafts-
dienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, S. 60 – 63.
Bossler, M., Gürtzgen, N., Lochner, B., Betzl, U., Feist, L. & Wegmann, J. (2018): Auswirkungen
des gesetzlichen Mindestlohns auf Betriebe und Unternehmen. Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung, Forschungsbericht 4/2018. Nürnberg.
Brückner, G. (2012): Die Verfassungsmäßigkeit des § 9a SächsPolG – Grenzen abstrakt-gene-
reller Alkoholverbote im öffentlichen Raum. Landes- und Kommunalverwaltung (LKV),
S. 202 – 207.
Card, D. & Krueger, A.B. (1994): Minimum Wages and Employment: A Case Study of the Fast-
Food Industry in New Jersey and Pennsylvania. American Economic Review 84, S. 772 – 793.
Carpenter, C. & Dobkin, C. (2011): Alcohol Regulation and Crime, in: J. Cook, J. Ludwig &
J. McCrary (Hrsg.), Controlling Crime: Strategies and Tradeoffs. Chicago, S. 291 – 329.
Di Tella, R. & Schargrodsky, E. (2004): Do Police Reduce Crime? Estimates Using the Allo-
cation of Police Forces After a Terrorist Attack. American Economic Review 94, S. 115 –
133.
Entorf, H. & Schulan, A. (2018): Kosten-Nutzen-Analyse in der Kriminalprävention, in:
M. Walsh, B. Pniewski, M. Kober & A. Armborst (Hrsg.), Evidenzorientierte Kriminalprä-
vention in Deutschland. Wiesbaden, S. 369 – 383.
Entorf, H. & Spengler, H. (2005): Ökonometrie der Kriminalität. ifo Schnelldienst 58, S. 13 –
25.
Foerster, K. & Dreßing, H. (2015): Störungen durch Alkohol, in: H. Dreßing & E. Habermeyer
(Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung. 6. Aufl. München, S. 192 – 199.
Friedemann, S.F. & Rettenberger, M. (2019): Delikte unter Alkoholeinfluss, in: Deutsche
Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hrsg.), DHS Jahrbuch Sucht 2019. Lengerich, S. 142 – 151.
Grönqvist, H. & Niknami, S. (2014): Alcohol availability and crime: Lessons from liberalized
weekend sales restrictions. Journal of Urban Economics 81, S. 77 – 84.
396 Roland Hefendehl

Hefendehl, R. (2014): Der lebenswerte öffentliche Raum: Ein Auslaufmodell? Oder worum es
bei den Alkoholverboten wirklich geht, in: F. Neubacher & M. Kubink (Hrsg.), Kriminolo-
gie – Jugendkriminalrecht – Strafvollzug, Gedächtnisschrift für Michael Walter. Berlin,
S. 69 – 82.
Hoover, H. (1974): Address Accepting the Nomination, August 11, 1928, in: Public Papers of
the Presidents of the United States: Herbert Hoover, Containing the Public Messages, Spee-
ches, and Statements of the President, March 4 to December 31, 1929. Washington, S. 499 –
520.
Kerner, H.-J. (2000): Alkohol, Strafrecht und Kriminalität, in: R. Egg & C. Geisler (Hrsg.), Al-
kohol, Strafrecht und Kriminalität. Wiesbaden, S. 11 – 26.
König, M. & Möller, J. (2008): Mindestlohneffekte des Entsendegesetzes? Eine Mikrodatenana-
lyse für die deutsche Bauwirtschaft. Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung 41, S. 327 – 346.
Kugler, F., Schwerdt, G. & Wößmann, L. (2014): Ökonometrische Methoden zur Evaluierung
kausaler Effekte der Wirtschaftspolitik. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 15, S. 105 – 132.
Norström, T. & Skog, O.-J. (2005): Saturday opening of alcohol retail shops in Sweden: an ex-
periment in two phases. Addiction 100, S. 767 – 776.
Pschorr, S. (2019): § 10a PolG BW – Kodifikation ohne Auswirkung. Die Öffentliche Verwal-
tung (DÖV), S. 389 – 394.
Reinhardt, T. (2020): § 10a PolG BW, Ermächtigung zum Erlass örtlicher Alkoholkonsumver-
bote, in: M. Möstl & C. Trurnit (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum Polizeirecht
Baden-Württemberg. 19. Edition. München.
Stolle, P. & Hefendehl, R. (2002): Gefährliche Orte oder gefährliche Kameras? Die Videoüber-
wachung im öffentlichen Raum. Kriminologisches Journal 34, S. 257 – 272.
Thomsen, S.L. (2015): Gutachten für den 20. Deutschen Präventionstag: Kosten und Nutzen von
Prävention in der Ökonomischen Analyse, in: Marks, E. & Steffen, W. (Hrsg.), Prävention
rechnet sich. Zur Ökonomie der Kriminalprävention. Mönchengladbach, S. 51 – 124.
Vecino-Ortiza, A.I. & Guzman-Tordecillab, D.N. (2020): Gun-carrying restrictions and gun-re-
lated mortality, Colombia: a difference-in-difference design with fixed effects. Bull World
Health Organ 98, S. 170 – 176.
Weisburd, D. & Hinkle, J.C. (2018): Die Bedeutung von randomisierten Experimenten bei der
Evaluation von Kriminalprävention, in: M. Walsh, B. Pniewski, M. Kober & A. Armborst
(Hrsg.), Evidenzorientierte Kriminalprävention in Deutschland. Wiesbaden, S. 289 – 312.
Winter-Ebmer, R. (2003): Benefit duration and unemployment entry: A quasi-experiment in
Austria. European Economic Review 47, S. 259 – 273.
Gibt es die ideale Polizei?
Von László Korinek

Der Jubilar hat im Jahre 2006 in der zentralen, theoretischen Zeitschrift der un-
garischen Polizei in ungarischer Sprache eine weitreichende Studie1 veröffentlicht.
Seine Gedanken habe ich seitdem mindestens hundertmal in Ungarisch zitiert gese-
hen. Das zeigt wie häufig und wie schnell viele über die Gedanken von Professor Al-
brecht räsoniert haben. All dies autorisiert den Verfasser dieser Zeilen, den ein langes
– über 38-jähriges – von gegenseitigem Respekt und Freundschaft geprägtes Verhält-
nis mit dem Jubilar verbindet, dazu die Gedanken von Professor Albrecht weiterzu-
führen und darüber nachzudenken, ob es eine ideale Polizei gibt.

***
Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem Ordnungswesen beschäftigen, ver-
gleichen oft die bewährten Ansätze der einzelnen Staaten und suchen jene allgemei-
nen, guten Lösungen, die überall eingesetzt werden können. Mit anderen Worten:
Ziel und Sinn unserer Anstrengungen ist es, die Institution des Ordnungswesens
zu verbessern. Unausgesprochen suchen wir die ideale Lösung. Es ist selbstverständ-
lich, dass Forschende ebenso wie Fachleute auch in wichtigen Fragen verschiedene
Ansichten vertreten. Gibt es aber Konsens über die ideale Organisation und das ideale
System? Wie sollte die Polizei aussehen, wenn wir frei ihre Struktur und Tätigkeit
bestimmen könnten?

1. Gesellschaft ohne Polizei?


Keinen Dissens gibt es mutmaßlich darüber, dass die beste Polizei jene ist, die
nicht existiert, weil sie sich überflüssig gemacht hat. Das wäre aber eher eine utopi-
sche Gesellschaft als ein utopisches Ordnungswesen. Bekanntlich hat es Versuche
gegeben, eine solche Gesellschaft zu gründen.
Karl Marx hat in der Kritik des Gothaer Programmes erläutert, dass die Lebens-
umstände der Menschen verschieden sind; daher muss auch das Recht – um Unge-
rechtigkeiten zu vermeiden – ungleich sein. Er glaubt, dass auf einer höheren Stufe

1
Albrecht 2006.
398 László Korinek

der kommunistischen Entwicklung „der enge Horizont des Bürgerrechtes“ über-


schritten werden kann, die Arbeit zum menschlichen Bedarf wird, und der Reichtum
die Verteilung nach Bedürfnissen ermöglicht.2 Lenin hat im Einklang damit am Vor-
abend der kommunistischen Machtübernahme ausgeführt, dass die Menschen sich in
dem neuen System an die Einhaltung der Gesellschaftsnormen gewöhnen, so wird
der Machtapparat mit dem Verschwinden der Klassengesellschaft überflüssig.3
Die Wirklichkeit hat aber auch die Politiker, die von dem Ende des Staates träum-
ten, wieder auf den Boden zurückgebracht. Man muss akzeptieren, dass man in einer
durch verschiedene Interessen gespaltenen Gemeinschaft, in der sich die Menschen
unterschiedlich zur bestehenden Ordnung stellen – die selbst aus komplexen Syste-
men entsteht –, einen Apparat benötigt, der sich berufsmäßig mit dem Schutz der ak-
zeptierten Normen beschäftigt. Heute wissen wir, dass Lenins Vorstellungen nicht
nur wegen des Untergangs des ganzen kommunistischen Systems unerreicht blieben;
auch zu Zeiten der Existenz des Systems konnte man nicht einmal Anfänge in Rich-
tung der vorgestellten Entwicklung erkennen. Im Gegenteil, es ist allgemein bekannt,
dass die sozialistischen Staaten – einschließlich der Ungarischen Volksrepublik – in
ihrer letzten Phase einen raschen Anstieg der Kriminalität verbucht haben.
Interessanterweise hatte selbst Marx festgestellt, dass die Unterschiede zwischen
den Menschen nicht ausschließlich aus dem Klassenunterschied resultieren.4 Er war
allerdings der Meinung, dass die anderen Unterschiede mit Abschaffung des größten
Unterschiedes unwichtig werden. Er hat sich geirrt. Nach heutigem Kenntnisstand
wird sich – jedenfalls in einer absehbaren Zukunft – keine Gesellschaft entwickeln,
in der zur Regeldurchsetzung kein Zwang mehr nötig ist. In komplexen Systemen
sind Sicherheitsorgane unverzichtbar. Die Existenz spezialisierter Subsysteme erfor-
dert die Einrichtung und Unterhaltung einer Institution, die sich auf die Sicherheit
spezialisiert hat. Anzumerken ist, dass eine solche als policing benannte Tätigkeit
auch in der Tierwelt – zum Beispiel bei einzelnen Bienen- oder Ameisenarten –
zu erkennen ist.5

2. Polizei in der interessengespaltenen Gesellschaft


Nach dem eben Gesagten und dem Stand der Wissenschaften können wir also
nicht damit rechnen, dass in naher Zukunft das Bedürfnis für eine Polizei verschwin-
den oder sich auch nur ernsthaft vermindern würde. So können wir auch beim Träu-
men über deren Organisation das Umfeld nicht außer Acht lassen, in der diese Or-
ganisation, die der öffentlichen Sicherheit dient, tätig ist.

2
Marx 1953.
3
Lenin 1973, 125 – 126.
4
Marx 1953, 13.
5
Helanterä 2007; Ratnieks et al. 1989.
Gibt es die ideale Polizei? 399

2.1 Polizei in der Diktatur

Es ist eine falsche Annahme, dass die Abwesenheit von Demokratie a priori gren-
zenlose Macht der Polizei bedeutet. Die Untertanen können es natürlich so empfin-
den, und dies durchaus nicht grundlos, dass ihr keine Grenzen gesetzt sind. In Wirk-
lichkeit gibt es Grenzen, und zwar von oben gesetzte. Die Behörden der Staatsmacht,
die den Apparat aufrechterhalten – der Herrscher oder unter anderen Umständen die
Leiter der „führenden Partei“ – wollen, dass von den Hütern der öffentlichen Sicher-
heit ihre Interessen gewahrt werden. Dabei ist zu bemerken, dass die Bemühungen
zur Erarbeitung der Theorien des Ordnungswesens dem bürgerlichen Wandel voran-
gegangen sind; die Vermeidung unbeschränkter Willkür – natürlich im Interesse der
herrschenden Person oder der herrschenden Gruppen – wurde also schon vor der Ent-
stehung des Verfassungsstaates als Ziel definiert.6 Das gehört freilich nicht unmittel-
bar zu unserem Thema, da unsere Gedanken, unsere Wünsche bezüglich der Polizei,
nach der Wende in die Rahmenbedingungen des demokratischen Rechtsstaates ein-
gegliedert werden müssen.

2.2 Ideale Polizei in einer demokratischen Gesellschaft

Wenn wir die wichtigste Aufgabe der Polizei nicht in der Unterdrückung, sondern
in der Aufrechterhaltung der Ordnung – die auf dem öffentlichen Willen und dem
öffentlichen Interesse beruht – sehen, können grundsätzlich zwei Auffassungen
zur Rolle der Polizei existieren. Und so ist es auch. Nach der einen kann im Grunde
von einer Gemeinschaftsfunktion gesprochen werden, wo jeder an dem Prozess des
„Ordnungshütens“ teilhaben kann.

2.2.1 Nähe zur Gesellschaft

Gemäß der Konzeption einer Polizei, die in die Gemeinschaft der Bürger einge-
gliedert ist, benötigt diese für ihre Tätigkeit keine hochspezialisierten Kenntnisse,
sondern gesunden Menschenverstand. Der Polizist ist also nichts anderes als ein Bür-
ger in Uniform, der als Beruf den Dienst erfüllt, der im Grunde genommen Pflicht
von uns allen ist.
Ein verbreiteter Witz lautet:
„In einer idealen Welt ist der Polizist Engländer, der Koch Franzose, der Mechaniker Deut-
scher, der Liebhaber Italiener, und der Schweizer organisiert alles. In unseren Albträumen
ist der Polizist Deutscher, der Mechaniker Franzose, der Koch Engländer, der Liebhaber
Schweizer, und der Italiener organisiert alles.“7

6
Zum Beispiel Koi 2014.
7
Zitiert nach Csapó 2008, 138.
400 László Korinek

Dieser Witz bezieht sich natürlich auf die Eigenschaften von Privatpersonen aus
einzelnen Nationen, aber es kann kein Zufall sein, dass die Engländer mit ihren Po-
lizisten im Wunsch-Universum vertreten sind. Es ist auch eine Tatsache, dass die ge-
sellschaftliche Akzeptanz des britischen (vor allem englischen und walisischen)
„Bobbys“ traditionell ein hohes Niveau hat. Die Frage ist also, ob wir der Behaup-
tung: die Organisation des Öffentlichkeit-Schutzes ist desto besser, je mehr sie sich
dem englischen Vorbild annähert, zustimmen. Im Inselstaat selbst lebt bis heute diese
offizielle Sichtweise, der die grundsätzliche Ähnlichkeit der Polizei und der Gesell-
schaft zugrunde liegt. Man ergänzt es höchstens damit, dass man das Prinzip den heu-
tigen Lebensbedingungen anpassen muss.8
Diese Art der Polizeitätigkeit ist auch anderswo zu finden. Als Beispiel kann man
das im Mittelalter entstandene, auf Selbstständigkeit der Städte und Teilnahme der
Bürgerschaft aufgebaute Sicherheitsmodell nehmen. In den Vereinigten Staaten –
wie wir es in den Western-Filmen sehen können – entstand das Posse Comitatus.
Es bedeutet eine vom gewählten Polizisten (Sheriff, Marshall) aus den Reihen der
Einheimischen rekrutierte Gruppe, ad hoc zusammengestellt zur Verfolgung einer
heißen Spur, also zur Festnahme des flüchtigen Übeltäters. Der Zuständige für die
öffentliche Sicherheit hatte aber auch im Allgemeinen das Recht, Privatpersonen
zur Unterstützung hinzuziehen. Das Posse Comitatus-Gesetz aus dem Jahre 1878
verbot es, sich zu diesem Zwecke der Armee zu bedienen. Dieser Schritt zeigt,
dass offensichtlich auch der Gesetzgeber die gesellschaftliche Teilnahme der öffent-
lichen Gewalt präferiert.9
Ferner ist festzustellen, dass die Verneinung des Staatsmacht-Charakters des Ord-
nungshütens – oder jedenfalls die Bemühungen zur Minimierung dieses Charakters –
im bis heute einflussreichsten und unverändert auf dem Prinzip der Gemeinschafts-
polizei aufgebauten amerikanischen (aber inzwischen auch anderswo weit verbrei-
teten) Modell markant vorhanden ist.10 Dieser Ansatz sieht den Weg zum Erfolg
nicht in der Weiterentwicklung der technischen Ausrüstung, sondern in der Zusam-
menarbeit – basierend auf gegenseitigem Vertrauen – mit Menschen und Gemeinde-
Institutionen. Für die Polizei folgt daraus logischerweise eine erhöhte soziale Verant-
wortung, das Kümmern um die Gemeinden und deren Mitglieder.
Das angelsächsische Modell kann auf jeden Fall reizvoll, in einer demokratischen
Gesellschaft sogar wünschenswert erscheinen. Wenn wir uns eine Utopie ausmalen,
dann können wir die geschichtlichen Gegebenheiten, die abweichende kontinentale
Machtdefinition, außer Acht lassen. Festzustellen ist aber auch, dass die Einbettung
in die Gesellschaft sich bei Weitem nicht so entwickelt hat, wie es die Befürworter
des englisch-amerikanischen Modells betonen.

8
Marshall 2014, V.
9
Matthews 2006.
10
Siehe z. B. Miller et al. 2015.
Gibt es die ideale Polizei? 401

Sir Robert Mark, der ehemalige Leiter der – im Übrigen staatlichen – Londoner
Polizei betonte nicht die gesellschaftliche Einbettung, sondern den unparteiischen
Dienst an den demokratisch verabschiedeten Gesetzen.11 Andere merken allerdings
– durchaus nicht unbegründet – an, dass der Schutz der Öffentlichkeit im Inhalt und in
der Ausrichtung in Wirklichkeit nie vollkommen unparteiisch und unvoreingenom-
men war.12 Eine offizielle Untersuchung hat sogar festgestellt, dass die Tätigkeit der
Londoner Polizei durch institutionellen Rassismus geprägt ist.13 Die amerikanische
Polizeipraxis ist sogar seit langem berüchtigt wegen ihrer auf Rassevorurteilen ge-
gründeten Verdächtigungen (racial profiling)14. Das Posse Comitatus-Gesetz, dessen
Grundlage die Ablehnung des militärischen Ordnungsmodells ist, liegt wegen der
verbreitenden Ausnahmen weithin in Trümmern, die Militarisierung der amerikani-
schen Polizei ist ein Faktum.15
Nach alldem kann man nicht behaupten, dass die englische oder amerikanische
Polizei die ideale Lösung zum Schutze der öffentlichen Sicherheit ist. Diese Schluss-
folgerung bedeutet selbstverständlich nicht, dass man – mit gegebener Kritik und Ad-
aption – nicht einzelne Institutionen bzw. Normen übernehmen könnte.

2.2.2 Fokus auf der Relevanz des Fachwissens

Der andere Ansatz der idealen Polizei baut auf der Grundidee auf, dass der Pro-
fessionalismus die Grundlage des Erfolges ist. So kann die Organisation sich nicht in
der Gesellschaft materialisieren. Man braucht eine gut abgegrenzte, eventuell zentra-
lisierte Struktur, in der die Kenntnisse und die durch diese Kenntnisse erlangten Fä-
higkeiten für den Erfolg ausschlaggebend sind.
Hierzu ist anzumerken, dass neben der traditionell hochgeachteten englischen Po-
lizei eine stark zentralisierte, militarisierte Organisation zu den besten der Welt ge-
hört. Dies ist die Kanadische Königliche Berittene Polizei (Royal Canadian Mounted
Police), die – wie es die französische Benennung klar zeigt – eigentlich eine auf mi-
litärische Basis gegründete Gendarmerie ist: Gendarmerie royale du Canada.16
Neben den hervorragenden Fachkenntnissen und der zentralen Leitung ist die gute
Zusammenarbeit mit der Bevölkerung eine weitere explizite Zielsetzung. Trotz
der Zentralisierung wird der größte Teil der tatsächlichen Tätigkeit in den örtlichen
Filialen (detachments) ausgeführt. Das setzt gute Kenntnisse über die örtlichen Ver-
hältnisse voraus. Gleichzeitig versucht die Leitung den Gefahren des lokalen Einflus-

11
Mark 1977, 35 – 36.
12
Buckley 2015.
13
Holdaway 2006.
14
Chaney & Robertson 2013.
15
Rizer 2016; Lieblich & Shinar (2018).
16
https://www.wonderslist.com/10-countries-best-police-forces/ [02. 02. 2019].
402 László Korinek

ses entgegenzuwirken, indem die Polizisten häufig in andere Einheiten versetzt wer-
den.17
Gendarmerien gelten allgemein als Eliteeinheiten und genießen im pluralen Sys-
tem des Öffentlichkeitsschutzes ein hohes Ansehen. So war es auch in Ungarn. Hazai
Samu, pensionierter ungarischer Verteidigungsminister meinte:
„Hingabe, eiserne Disziplin, beispielhafte Pflichterfüllung haben die Ungarische Königli-
che Gendarmerie zu solch einer hervorragenden Organisation gemacht, die zurecht landes-
weite Anerkennung erreicht hat.“18

Dem widerspricht die Vorübergehende Nationale Regierung im Jahr 1945 mit


dem Erlass Nummer 1.690/1945 m. E. über die Auflösung der Organisation mit
der Begründung, dass
„sie die volksfeindlichen Regierungen der Vergangenheit mit bedingungslosem Gehorsam
unterstützt hat, gnadenlos versucht hat die ungarischen demokratischen Bewegungen zu zer-
stören, und gegen die ungarische Bauer- und Arbeiterschicht zahllose Gewaltverbrechen
verübt hat.“

Mehrere – so auch József Parádi – vertreten die Ansicht, dass nach heutiger Be-
wertung die kollektive Verfasstheit der Gendarmerie keine Akzeptanz mehr finden
kann. Die Körperschaft hat übrigens, als Teil der ungarischen bürgerlichen Verwal-
tung, den Dienst an der Gemeinschaft sogar als ihre wichtigste Aufgabe erachtet.19
Bezüglich der ersten Feststellung kann man mit dem Verfasser einverstanden sein.
Es ist aber eine Tatsache, dass solche Organisationen – als Teil der Armee, oder an
den Aufbau und die Funktionsweise der Armee angelehnt – nicht auf der Grundlage
selbstständiger Entscheidungsbefugnis, sondern zur Unterstützung einer effektiven
Exekutive entstehen. In dieser Funktion können sie positiv bewertet werden, denn
ihr Hauptmerkmal – die „eiserne Disziplin“ – schützt auch vor Willkür und Macht-
missbrauch. Wegen der bedingungslosen Erfüllung der Befehle können solche Orga-
nisationen aber auch für Zwecke eingesetzt werden, die in einer demokratischen Ge-
sellschaft unakzeptabel sind. Bleiben wir beim Beispiel der Ungarischen Königli-
chen Gendarmerie: zu Zeiten des Holocausts war die Beihilfe zum Zusammentreiben
und Transport der Menschen eine unmenschliche Tat, auch wenn die Entscheidung
dazu nicht von der Körperschaft selbst getroffen wurde.
Wenn wir unsere Gedanken auf Grundlage demokratischer Werte machen, lohnt
es sich kaum, das ideale Modell in einem militärisch organisierten Apparat zu su-
chen. Wie es Géza Finszter mehrseitig bewiesen hat,
„zeigen die Funktionen des Militärs und des Ordnungswesens sogar bei der ähnlichsten Tä-
tigkeit, beim Truppeneinsatz, wesentliche Unterschiede. Ziel der Armee ist den Feind zu
besiegen, wobei sogar die Vernichtung in Kauf genommen wird. Die Polizei muss aber

17
Thomson & Clairmont 1991.
18
Zitiert nach Rektor 1980, 356.
19
Parádi 2012, 137 – 138.
Gibt es die ideale Polizei? 403

auch die Rechte derer schützen – also selbstverständlich auch die Menschen selbst –, gegen
die sie vorgeht.“20

Wir sind also so weit, dass wir die beste Polizei in einem System suchen, das zwar
durch Interessen gespalten ist, aber versucht die Konflikte binnen demokratischer
Grenzen zu lösen. Wir sind mit dem Gedanken von Géza Finszter vollkommen ein-
verstanden. Freilich kann man die Frage stellen, wie eine Organisation mit strenger
Hierarchie zur Stärkung oder mindestens zum Schutz der Werte eines Verfassungs-
staates beitragen kann. Wahrscheinlich auf dieselbe Art und Weise, wie die Gefäng-
nisse, als totalitäre Institutionen, zur Erziehung von verantwortungsvollen, wertüber-
zeugten Menschen beitragen.
Die ideale Polizei gibt binnen eigener Möglichkeiten Sicherheit. Unter diesem
Aspekt lohnt es sich die Feststellungen der Firma Team Consult, die die ungarische
Polizei überprüft hat, zu zitieren: Sicherheit kann nur der geben, der selbst sicher
ist.21 Man könnte ergänzen: gerecht kann nur derjenige handeln, der selbst Gerech-
tigkeit erfährt. Die Menschenwürde – als obersten Wert – kann der am meisten ehren,
der selbst als Mensch und nicht als eine Sache oder ein Mittel zum Zweck behandelt
wird. Der Soldat ist traditionell nicht im vollen Besitz der Grundrechte, sondern eine
Marionette, die vom Kommandanten bewegt wird.
Nach alledem können wir feststellen, dass das militärische Modell mit dem demo-
kratischen Verständnis der Sicherheitsgewährleistung nicht zu vereinbaren ist. Die
Polizei muss sich ins zivile Verwaltungswesen eingliedern, sonst kann sie nur solche
Werte der Gesellschaft vermitteln, die unakzeptabel sind.

3. Über die Verfahrensgerechtigkeit


Gehen wir zurück zu unserem Ausgangspunkt. Wenn wir über die Polizei nach-
denken, entsteht in unseren Gedanken auch eine Welt, in der wir in größtmöglicher,
selbstredend aber niemals vollkommener Sicherheit leben. Die marxsche-leninisti-
sche Gesellschafts-Utopie beiseitelassend kann man trotzdem die Erwartung definie-
ren, dass die Polizei auf ihre Art und Weise ihr Möglichstes für die Zurückdrängung
der Kriminalität wie auch für die allgemeine Gesetzestreue unternimmt.
Bei der Vision des idealen Öffentlichkeits-Schutzes gilt es zu beachten, was
Győző Concha22 wie folgt definiert hat:
„Die Polizeitätigkeit […] wirkt immer als eine fremde, äußere Macht auf die einzelnen, das
Fehlen der automatischen Zusammenarbeit kann zeitweilig durch Befehl oder Verbot ersetzt
werden.“

20
Finszter 2003, 58 – 67.
21
Zitiert nach Finszter 2001, 901.
22
Concha 1901, 306 – 308.
404 László Korinek

Nach dem Verständnis dieses Klassikers des Ordnungswesens schafft nicht die
Polizei die öffentliche Ordnung, sondern nur deren Bedingungen durch den Schutz
der Bürgerrechte, durch die Verhinderung von Angriffen und durch die Hilfeleistung
zur Wiederherstellung der Rechtsordnung. Wir können ergänzen: auch die Sicherheit
wird nicht von der Polizei geschaffen, sie leistet nur ihren Beitrag dazu. Wenn wir
mehr als einen Beitrag von der Polizei erwarten würden, würden wir die Gelegenhei-
ten zum Eingriff in die normalen Lebensverhältnisse der Gesellschaft erweitern, und
das ist überhaupt nicht wünschenswert – insbesondere dann nicht, wenn wir zur
Kenntnis nehmen, dass der Apparat eine solche Subkultur kreieren kann, und typi-
scherweise auch kreiert, die nicht in jeder Hinsicht der allgemeinen demokratischen
Werten entspricht.23 Aber davon abgesehen, in einer freien und demokratischen Ge-
sellschaft ist die Freiheit des Privatlebens einer der herausragendsten Werte (das un-
garische Grundgesetz – Absatz VI – hält es sogar für wichtiger als die freie Mei-
nungsäußerung oder die Versammlungsfreiheit), und diese Freiheit setzt selbstver-
ständlich eine größtmögliche Freistellung von öffentlichen Eingriffen voraus.
Klar gesagt: eine „Zero“-Polizei ist in einer interessengespaltenen Gesellschaft
nicht vorstellbar, die Begrenzung auf ein Minimum, auf ein unbedingt notwendiges
Eingriffsniveau aber sehr wohl. Im Gegensatz dazu verbinden die Politiker oft kri-
tiklos die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit mit der Erhöhung der Zahl der
Polizeibeamten. Kontrát Károly, Staatssekretär im ungarischen Innenministerium,
hat zum Beispiel im Parlament als Antwort auf eine entsprechende Frage ständig
von Personalaufstockung, höherer Effizienz, besserer öffentlicher Sicherheit gespro-
chen und damit eindeutig diese beiden Aspekte verknüpft.24
Nach dem heutigen Stand der Wissenschaften kann die Polizei die besten Ergeb-
nisse durch konsequente Anwendung der Gerechtigkeit und Lauterkeit im Verfahren
erreichen. Für die Menschen wird die öffentliche Macht am meisten von der Orga-
nisation selbst repräsentiert und vermittelt.25 Das Benehmen, das Auftreten der Po-
lizistinnen und Polizisten, gilt auf jeden Fall als richtungsweisend, im Idealfall als
beispielhaft für die Gesellschaft. Wenn die Menschen eine korrekte, angemessene
Behandlung von der Organisation und ihrem Personal erfahren, dann verstärkt
sich die gegenseitige Achtung, und das ist die Grundlage für eine gute Zusammen-
arbeit. Umgekehrt gilt: wenn man beobachtet, dass die Polizei Fallen stellt, und Un-
ehrlichkeit, möglicherweise sogar Misshandlung erlebt, dann wird dies selbstver-
ständlich so gewertet, dass es sich nicht lohnt selbst ehrlich und lauter im Strafpro-
zess zu sein. Die Verfahrensgerechtigkeit verbessert unmittelbar das Verhältnis zwi-
schen den Institutionen und den Menschen, was im Endeffekt zu einer hören Norm-
Achtung führt, die die beste Grundlage für Verbrechensverhütung ist. Die Wirkung
tritt allerdings nicht unmittelbar ein und ist schwer zu quantifizieren. Eine andere
Wahl gibt es aber nicht.

23
Siehe z. B. Skolnick 1994; Chan 2011.
24
Kontrát, Antwort in der Parlamentssitzung vom 16. 10. 2017.
25
Hough et al. 2017; Hinds & Murphy 2007.
Gibt es die ideale Polizei? 405

Selbstverständlich gilt auch für die Tätigkeit der Polizei die Feststellung des un-
garischen Verfassungsgerichtes: „die rechtsstaatliche Anforderung der materiellen
Gerechtigkeit kann binnen der Institutionen und Garantien zur Rechtssicherheit ver-
wirklicht werden.“ Die „Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit“ kann die Ver-
fassung nicht als subjektives Recht gewährleisten, wie auch kein subjektives Recht
darauf existiert, dass ein Urteil niemals gesetzeswidrig ist. Das sind Ziele und Auf-
gaben des Rechtsstaates; zu deren Verwirklichung müssen entsprechende – durch
verfahrensrechtliche Garantien geschützte – Institutionen geschaffen und die betrof-
fenen subjektiven Rechte garantiert werden. Die Verfassung gibt also das Recht zu
einem Verfahren, das zur Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit nötig, und in
den meisten Fällen auch geeignet ist.26
Es gibt Fälle, wo die Frage der Lauterkeit seitens der Betroffenen überhaupt nicht
in Frage kommt. So schließen zum Beispiel verdeckte Ermittlungen selbstverständ-
lich die Zusammenarbeit mit den Betroffenen aus. In solchen Fällen werden die le-
benden Informationsquellen als Werkzeuge benutzt, das verletzt selbstverständlich
die Menschenwürde.27 Das Gesetz Nummer XC aus dem Jahr 2017 über die Straf-
prozessordnung erlaubt die Anwendung von verdeckten Ermittlungen, was einen
Eingriff in die Grundrechte des Privatgeheimnisses, Briefgeheimnisses und des
Schutzes persönlicher Daten bedeutet – auch in Fällen, in denen nicht einmal der ein-
fache Verdacht einer Straftat besteht; das Ziel besteht gerade darin zu ermitteln ob ein
Verdacht vorhanden ist.28 So können die Strafverfolgungsbehörden, vor allem die Po-
lizei, praktisch einen unbegrenzten Einblick in das alltägliche Leben der Menschen
gewinnen. Wenn diese Möglichkeit professionell verwendet werden soll, kommt es
zwangsläufig zu Diskriminierungen, denn bestimmte Rechtsverletzungen können
bestimmten Gesellschaftsschichten zugeordnet werden. So entsteht quasi die Aufga-
be diese Schichten zu beobachten. Dies folgt aus der Logik der Sache, auch wenn wir
die Gefahr der politischen, parteipolitischen Bestrebungen außer Acht lassen.

4. Die ideale Polizei


Zum Schutze der öffentlichen Sicherheit sind vielerlei Institutionen entstanden.
Ihre organisatorische Ausgestaltung hängt von vielen Faktoren ab. Die gute Polizei
orientiert sich an den Aufgaben – die sich verändern, aber natürlich nicht täglich. Die
meisten Probleme sind lokaler Natur, daher ist die Dezentralisation (zumindest bei
der Zuständigkeit) im Allgemeinem wünschenswert; die zentrale Leitung muss dann
durch entsprechende Rechtsvorschriften ersetzt werden. Die Verfolgung eines Mili-
tärmodells ist für die Werte einer demokratischen Gesellschaft fremd. Daher ist es

26
(9/1992(I.30.) AB Urteil des ungarischen Verfassungsgerichtes.
27
Siehe das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006, 1
BvR 357/05.
28
§ 36 Abs. 1, § 340 Abs. 1 Ungarische Strafprozessordnung.
406 László Korinek

wichtig, dass die Polizei sich in die allgemeine Verwaltungsstruktur das jeweiligen
Staates eingliedert.
Das Wesentliche ist schließlich, dass die Polizei die – vermeintlichen – Sicher-
heitsaspekte nicht zu Lasten der Freiheit verfolgt und in ihrer Tätigkeit den Wert,
ja sogar den Nutzen der Rechtsbefolgung ausdrückt und vermittelt.29

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2006): A biztonságkoncepció átalakulása és ennek következményei az európai


bel- és jogpolitikára. Rendészeti Szemle 2, S. 3 – 26.
Buckley, S.B. (2015): The State, the Police and the Judiciary in the Miners’ Strike: Observations
and Discussions, Thirty Years on. Capital & Class 39/3, S. 419 – 434.
Chan, J. (2011): Racial Profiling and Police Subculture. Canadian Journal of Criminology and
Criminal Justice 53/1, S. 75 – 78.
Chaney, C. & Robertson, R.V. (2013): Racism and Police Brutality in America. Journal of Af-
rican American Studies 17/4, S. 480 – 505.
Concha, G. (1901): A rendőrség természete és állása szabad államban, akadémiai székfoglaló
értekezés. Magyar Tudományos Akadémia. Budapest.
Csapó, C. (2008): Távlatos gondolkodás – a korszerű rendőrség alapja. Hadtudomány 1,
S. 131 – 142.
Finszter, G. (2000): Rendőrségek a XXI. Században. Belügyi Szemle 1, S. 64 – 74.
Finszter, G. (2001): A büntető jogalkalmazás csapdái. Magyar Tudomány 46/8, S. 899 – 909.
Finszter, G. (2003): A rendészet elmélete. KJK KERSZÖV. Budapest.
Helanterä, H. & Sundström, L. (2007): Worker Policing and Nest Mate Recognition in the ant
Formica fusca. Behavioral Ecology and Sociobiology 61/8, S. 1143 – 1149.
Hinds, L. & Murphy, C. (2007): Public Satisfaction with Police. Using Procedural Justice to
Improve Police Legitimacy. Australian & New Zealand Journal of Criminology 40/1,
S. 27 – 42.
Holdaway, S. (2006): Institutional Racism after Macpherson: An Analysis of Police Views. Po-
licing and Society 16/4, S. 349 – 369.
Hough, M., Jackson, J. & Bradford, B. (2017): Policing, Procedural Justice and Prevention, in:
N. Tilley & A. Sidebottom (Hrsg.), Handbook of Crime Prevention and Community Safety.
Abingdon, UK, S. 274 – 293.
Koi, G. (2014): A közigazgatás-tudomány kezdetei és a Polizeiwissenschaft szerepe Magya-
rországon. Állam- és Jogtudomány LV/ 2, S. 27 – 49.
Lenin, V.I. (1973): Állam és forradalom. Kossuth Könyvkiadó. Budapest.
Lieblich, E. & Shinar, A. (2018): The Case Against Police Militarization. Michigan Journal of
Race and Law 23/1, S. 105 – 153.

29
Finszter 2000, 72.
Gibt es die ideale Polizei? 407

Mark, R. (1977): Policing a Perplexed Society. George Allan and Unwin Ltd. London.
Marshall, A. (2014): Előszó az angol és walesi rendőrség etikai kódexéhez. College of Policing,
Ryton-on-Dunsmore, Coventry.
Marx, K. (1953): A gothai program kritikája. Szikra. Budapest.
Matthews, M. (2006): The Posse Comitatus Act and the United States Army: A Historical Per-
spective. Combat Studies Institute Press, Fort Leavenworth. Kansas.
Miller, E., Toliver, J. & Schanzer, D. (2015): Promising Practices for Using Community Policing
to Prevent Violent Extremism. Police Executive Research Forum. Washington D.C.
Parádi, J. (2012): A Magyar Királyi Csendőrség. Szemere Bertalan Rendvédelem-történeti Tu-
dományos Társaság. Budapest.
Ratnieks, F.L.W. & Visscher, P.K. (1989): Policing in the Honeybee. Nature 342, S. 796 – 797.
Rektor, B. (1980): A Magyar Királyi Csendőrség oknyomozó története. Árpád Könyvkiadó.
Cleveland, Ohio.
Rizer, A. (2016): Trading Police for Soldiers: Has the Posse Comitatus Act Helped Militarize our
Police and Set the Stage for More Ferguson? Nevada Law Journal 16/2, S. 467 – 513.
Skolnick, J.H. (1994): Justice Without Trial: Law Enforcement in Democratic Society. 3rd ed.
New York, Toronto.
Thomson, A. & Clairmont, L. (1991): Police and Community: Small Town and Rural Policing in
the Annapolis Valley. Atlantic Institute of Criminology. Halifax, Nova Scotia.
Von der Policey zur PolizAI
Vorüberlegungen zur weiteren Aufklärung
eines zukunftsfesten Polizeibegriffs

Von Detlef Nogala

Diejenigen, die sich der kriminologischen Zunft zugehörig fühlen, beschäftigen


sich nicht allein mit Erscheinungsformen, Ursachen oder statistischen Auszählungen
von gemeinhin als Verbrechen eingestuften sozialen Vorkommnissen, sondern es fal-
len auch die sozialen Mechanismen und institutionellen Einrichtungen zu deren Be-
wältigung und Verarbeitung ihrem wissenschaftlichen Interesse anheim.1 Im Zuge
der fortschreitenden Ausdifferenzierung und Reflexivität moderner Gesellschaften
seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts hat sich auch das disziplinäre Interesse
der Kriminologie zunehmend den Formen und Wirkungen der Instanzen formalisier-
ter Sozialkontrolle zugewandt. Beigetragen hat dazu sicherlich, dass das Berichten,
Diskutieren und Nachdenken über Kriminalitätsgeschehen mit einem verallgemei-
nerten, im medial-politischen Raum verankerten Sicherheitsdiskurs verknüpft wor-
den ist. Folgerichtig haben sich daraus neue kriminologische Aufgabenfelder und
Forschungsperspektiven ergeben (Albrecht 2007), die – eingedenk des immanenten
Spannungsfelds zwischen Verhindern, Entdecken und Sanktionieren kriminogener
bzw. krimineller Akte – die intendierten, propagierten und möglichen kontraproduk-
tiven Effekte strafrechtlich sanktionierter Eingriffe staatlicher Kontrollinstitutionen
nicht aus dem Blick verlieren wollen (vgl. Albrecht 2013). Ein solcher Ansatz rückt
die (überwiegend) staatlich organisierte Instanz der Polizei sowie ihr Tun in den
Fokus auch wissenschaftlichen Interesses.2
„Die Polizei“ ist im gesellschaftlichen medialen Diskurs omnipräsent und eta-
blierter Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung, mal in affirmativer, mal in
kritischer Thematisierung. Es ist aber gerade der ubiquitäre und überwiegend kon-
textlose Gebrauch des Begriffs Polizei, der dessen Bedeutung diffus werden lässt

1
Vgl. hierzu als Beispiel unter vielen Albrecht (1993), Kunz & Singelnstein (2016) sowie
die unzähligen Beiträge in den einschlägigen deutschsprachigen Periodika („Kriminologi-
sches Journal“, „Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform“ und weitere).
2
Mit zulässiger Vergröberung lässt sich konstatieren, dass die deutschsprachige Polizei-
forschung zunächst aus soziologischer beziehungsweise politologischer Neugier betrieben
wurde, um sich dann, keineswegs zufällig, an den kriminologischen Diskurs angedockt hat.
Eine zusammenfassende Geschichte bzw. Analyse deutschsprachiger Polizeiforschung steht
m. W. noch aus.
410 Detlef Nogala

und einer tiefergehenden, auch theoretisch nutzbaren Verständigung im Wege stehen


kann.
Über Begriffe lässt sich streiten – gerne oder gerade auch im akademisch-wissen-
schaftlichen Milieu. Aber die Mühe lohnt sich gelegentlich auch, weil darüber der
empirisch-interessierte Blick geleitet und das Weltverstehen assoziativ neu kalibriert
werden kann. Diesem Beitrag geht es darum, den geläufigen Begriff der Polizei in
einem kriminologisch-soziologischen Sinne neu auszuleuchten.

Alltags-Anschein von Polizei


Eine Karikatur, deren Urheber mir leider entfallen ist, hat den, wie ich ihn hier
nennen möchte, deskriptivistischen Polizeibegriff mit einfachen Mitteln veranschau-
licht: Verwegen dreinblickende Insassen eines mit „Verdächtige“ seitlich beschrifte-
ten Fahrzeugs werden von uniformierten Beamten im analog mit „Polizei“ titulierten
Streifenwagen verfolgt. Damit liefert der Zeichner einen ersten ontologischen Hin-
weis auf die Frage, was es mit der Polizei auf sich haben könnte: Da, wo „Polizei“
draufsteht, ist auch – mit hoher Wahrscheinlichkeit – „Polizei“ drin. Soweit jeden-
falls die alltagsevidente Erfahrung.
Als Polizei im öffentlichen Raum, uniformiert und mit besonders gekennzeichne-
ten Fahrzeugen unterwegs, ist sie im kollektiven Bewusstsein alltagspraktisch veran-
kert und somit plakative Manifestation und Symbol staatlicher Exekutiv-Macht zu-
gleich. Zudem wird unablässig über die Aktivitäten von Polizei medial berichtet
und – bei gegebenem Anlass – auch zuweilen kritisch diskutiert, sei es in der Tages-
presse, den Rundfunkanstalten, im Fernsehen oder auch den verschiedenen Plattfor-
men und Kanälen des Internets. Unzählige polizeiliche Akteure aus Fernsehserien
und Filmwerken haben die kollektive Imagination der Medienkonsumenten über
das Wesen und die Facetten polizeilichen Handelns angestiftet, befeuert und ge-
formt.3
Im Durchschnitt, mit gelegentlichen dramaturgischen Ausnahmen, werden die
polizeilichen Akteure als Beschützer, Aufklärer und Retter dargestellt, die das
„Gute und Richtige“ repräsentieren und Störungen bzw. Verletzungen gesetzlicher
wie moralischer Ordnungen aktiv entgegentreten, eo ipso den Gültigkeitsanspruch
jener herrschenden Ordnungen wieder durchzusetzen trachten. Es liegt daher für
den (durchschnittlichen) Alltagsverstand nahe, in der Polizei die zuständige staatli-
3
Von generationenübergreifenden Manifestationen der Figur des deutschen Fernsehkom-
missars (nun häufiger auch der Kommissarin) über ein international populäres Spektrum von
mehr oder weniger geschickt und regelkonform ermittelnden Inspektoren wie „Dirty Harry“,
Colombo oder Clouseau, bis hin zu den zahlreichen Vorabendserien und Streaming-Reihen,
die sich eher den Abenteuern und Herausforderungen der „normalisierten“ Streifenbeamten
oder auch nerdiger Forensiker widmen – dem durchschnittlichen Leser oder Zuschauer kann
man es nicht verdenken, sich ein ausreichend gesättigtes fiktionales Bild von der Polizei und
der Tätigkeit ihrer diversen Unter- und Spezialabteilungen geformt zu haben.
Von der Policey zur PolizAI 411

che Instanz für die Gewährleistung und Durchsetzung von Ruhe und Ordnung, Si-
cherheit und gesellschaftlichen inneren Frieden zu sehen.4
Bekanntlich ist die Polizei eine der wenigen staatlich organisierten gesellschaft-
lichen Institutionen, die rund um die Uhr im Schichtbetrieb bereit und gefordert sind,
sich um eine ganze Bandbreite von als sozial beschreibbaren Problemen und Konflik-
ten, insbesondere solcher gewaltaffiner bzw. -durchsetzter Natur, zu kümmern. Nicht
von ungefähr belegt die Polizei bzw. die Berufsgruppe der Polizisten in den Vertrau-
ensskalen der bekannteren Meinungsforschungsinstitute konstant die oberen
Ränge – zumindest gilt das in Perioden (und Regionen), in denen gesellschaftliche
Konflikte unterhalb von Eskalationsschwellen verbleiben.
Zum vollständigen Bild gehört aber eben auch, dass die allgemeine demoskopi-
sche zertifizierte Wertschätzung der Institution Polizei von individuell oder kollek-
tiv-situativen Erfahrungen verstärkt oder aber auch negativ überformt werden kann:
abhängig davon, ob polizeiliches Aktivwerden als Form widerfahrener Hilfe und
praktischem Beistand oder eben als konfrontativ, illegitim oder gar übergriffig erlebt
wird, als „Dienstleistungsbetrieb oder Institution staatlicher Herrschaftssicherung“
reüssiert (vgl. Lehne 1992). Insbesondere in den (nun historischen?) Fällen, in
denen Polizei von den jeweilig Regierenden dazu instrumentalisiert wurde, gesell-
schaftliche Klassenprivilegien abzusichern oder bestimmte problematische Projekte
gegen den Willen relevanter Bevölkerungsteile durchzusetzen, ist der Herrschaftsas-
pekt in der öffentlichen Meinung gegenüber dem „Freund und Helfer“-Image hervor-
getreten.
Wenn sich Polizei in funktionaler Perspektive trefflich als gewaltbewehrte und
(konditional) gewaltanwendungslegitimierte Konfliktbearbeitungsinstitution be-
schreiben lässt, dann kommen unweigerlich auch die (möglichen oder tatsächlichen)
Szenarien illegalen bzw. illegitimen Exekutierens des polizeilichen Auftrags in den
Blick; beispielsweise wenn relevante soziale Gruppen sich im aktiven Widerspruch
zum politischen Durchsetzungswillen der Staatsmacht befinden (etwa bei Demon-
strationen) oder Polizei für die Unterdrückung von politischen Dissidenten oder Min-
derheiten instrumentalisiert wird.
Mit guten Gründen lässt sich die Auffassung vertreten, dass die (sozial-)wissen-
schaftliche Auseinandersetzung mit der Polizei und ihrem Tun erst mit dem politi-
schen Schaden der gewaltsamen Bearbeitung gesellschaftlich-sozialer Probleme –
wie etwa die race-riots in den sechziger Jahren in den USA oder die im Anschluss
an die 68-Studentenrevolte sich entwickelnden, in Opposition zu rüstungs- bzw. um-
weltrelevanten Großprojekten stehenden sozialen Bewegungen in Europa – ihren

4
Von den hohen durchschnittlichen Zustimmungswerten, die in demoskopischen Umfra-
gen in Deutschland zum Ansehen und zur Vertrauenswürdigkeit der Polizei regelmäßig er-
hoben werden, ist in öffentlichen Debatten der Vergangenheit immer mal wieder, durchaus
plausibel, Gebrauch gemacht worden. Allerdings kann die Lage in europäischen, und insbe-
sondere in außereuropäischen Ländern, gänzlich anders aussehen vgl. Sato et al. (2017),
Meško et al. (2017), Kääriäinen (2017).
412 Detlef Nogala

Anfang genommen und Aufschwung erfahren hat.5 Hier waren es vor allem soziolo-
gische und historische Analysen, die den Gegenstand Polizei an den zeitgenössischen
kriminologischen Diskurs, beginnend in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahr-
hunderts, anschlussfähig gemacht haben.
Zugleich lässt sich im Rückblick auf jenes vergangene dreiviertel Jahrhundert ein
mit gehöriger zeitlicher Verzögerung einsetzender Prozess der sozialwissenschaft-
lich evozierten Reflexion und Revision der polizeilichen Strukturen und Arbeitswei-
sen selbst konstatieren, der als Ausweis einer kontinuierlichen Modernisierung der
Apparate verstanden werden kann. Allerdings haben höchstrichterliche Rechtspre-
chung, staatstheoretische Erwägungen beziehungsweise politische Opportunitäten
einen weit stärkeren Einfluss auf das Selbstverständnis bzw. die „Eigenbegrifflich-
keit“ der Polizei als Institution, einschließlich ihrer Akteure.
Wenn also, wie hier, von einer allgemeinen Alltags-Begrifflichkeit von Polizei in
den hypermodernen Gesellschaften die Rede ist, dann speist sich diese aus drei we-
sentlichen, disparaten Quellen:
• erstens: aus einem in staats- und verwaltungrechtlichen Setzungen verankerten
und codierten Diskurs, der im Zweifelsfall nichtsdestotrotz einem regierungsprak-
tischen Primat unterworfen bleibt;
• zweitens: einer mächtigen, von unablässig sprudelnden medialen Quellen gespeis-
ten fiktiv-dokumentarischen Wimmelbildwelt uniformierter, fall-lösender, be-
helmt-bewaffneter Akteure; und
• drittens: einem verästelten, zunehmend weniger marginalisierten akademischen
Diskurs, der versucht, die verschiedenen Aspekte und Erscheinungsformen der In-
stitution und ihres Handelns empirisch einzufangen, zu analysieren und, falls
möglich, auf den theoretisch wie anleitungpraktisch relevanten Punkt zu bringen.
Diese drei Verdichtungspunkte von Vorstellung und Rede über Polizei folgen
ihren eigenen diskursiven Regelungen, sind aber miteinander verwoben und inter-
chargieren – was Verständigung über den Gegenstand eigentlich förderlich sein soll-
te, aber nicht selten zum Gegenteil führt: Eine Rede von „der Polizei“ (als solcher) ist
eigentlich, zumindest im wissenschaftlichen Sinne, unangemessen bis unmöglich,
sofern man nicht zumindest die historischen, territorialen und aufgabenspezifischen
Parameter explizit oder implizit kenntlich macht oder benennt. Gerade im Interesse
eines wissenschaftlich angeleiteten tieferen Verständnisses der Institution Polizei
sollten die interessierten Beteiligten des „Diffusionsrisikos“ einer unvermittelten
Vermischung medial-fiktiver, interessengeleitet-narrativer sowie empirisch gesi-
cherter Elemente gewahr werden.

5
Insbesondere die Bindung an (staatliche) Gesetzgebung sowie die Zweckbestimmung,
gesellschaftliche Probleme und Konflikte notfalls mit entsprechender Gewaltanwendung zu
bearbeiten, verankert das Thema „Polizei“ unablösbar im Diskurs der (internationalen) Kri-
minologie – zumindest, wenn man, wie der Autor, die Kriminologie selbst als Konfliktwis-
senschaft versteht (Nogala 2005).
Von der Policey zur PolizAI 413

Wissen (schaffen) über (die) Polizei


Fast zwei Jahrzehnte liegt der Versuch des Autors zurück, in Zusammenarbeit mit
Hans-Jörg Albrecht den (damaligen) Stand der internationalen Polizeisoziologie
komprimiert zusammenzufassen. Schon damals stellte sich die Aufgabe, den Gegen-
stand adäquat zu definieren:
„Sociology of police as a specialised area of study can be defined as the empirical and theo-
retical analysis of those organisational agencies – usually but not exclusively established by
state governments – that are charged with investigation and prevention of crime and/or of-
fences against formally adopted routines and rules as well as with maintaining public order,
safety and peace. It embraces the systematic sociological enquiry about the role of police in
modern societies, the general characteristics of policing bodies and their relation to other
institutions, the institutional development and internal structure of police forces, the collec-
tive and individual behaviour of their members, and the interactions or relations of those
agencies with individuals, different social groups, institutions and the public in general“ (Al-
brecht & Nogala 2002, 11532).

Der Beitrag beschäftigte sich mit der Phänomenologie von Polizei in ihren diver-
sen institutionellen Varianten, ging auf die Entwicklungsphasen und Themen der bis
dahin vor allem anglo-amerikanischen akademischen Wissensproduktion ein und
thematisierte die Hürden das akademisch-analytischen Zugangs, die nicht zuletzt
in der potenziellen Unschärfe eines pragmatistischen Polizeibegriffs begründet sind:
„Finally, the term ,police‘ might be a category too broad when it comes to empirical analysis
and theoretical conclusions. Not only that national police systems embrace a variety of more
or less specialised forces, with specific, sometimes unique ways of division of labour among
units. Police organisations also refer to very different geographical ranges of jurisdiction.
This situation becomes more complicated, when nationally focused studies are compared
on an international level: for a full comprehension of the differences and convergences, na-
tional particulars have to be taken into account“ (Albrecht & Nogala 2002, 11535).

Allein in der Bundesrepublik hat man es mit 16 separaten Länderpolizeien und


drei auf Bundesebene angesiedelten Organisationsformen mit den ihnen eigens zu-
gedachten Aufgabenbereichen und Spezifitäten zu tun. In den Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union existieren zentrale neben dezentralen und multiplen nationalen
Polizeisystemen (vgl. Devroe & Ponsaers 2017); ganz zu schweigen von den USA,
die mit ihrem System von Bundes- (FBI, DEA, ect.), Staats- und Lokalbehörden
(Sheriffs) das klassische Beispiel einer multiplen institutionellen Polizeikonstellati-
on abgeben. Hinzu kommen noch Europol und Interpol als international aufgestellte
Instanzen sowie die verschiedenen Polizeimissionen. Das potenzielle empirische
Feld für Einzel- wie komparative Studien ist also geradezu immens.6

6
Besondere Erwähnung gebührt in diesem Zusammenhang dem höchst interessanten An-
satz von Sebastian Roché, in dem er den Begriff „police form“ einführt, um die im interna-
tionalen Vergleich hervortretenden verschiedenen Variablen und Konstellationen von Polizei
und polizeiähnlichem Organisationen und Kräften empirisch besser fassen und einordnen zu
können, die wiederum Polizeisysteme bilden: „We assume that police forms evolve inside a
414 Detlef Nogala

In den 20 Jahren seit der Jahrtausendwende hat der Ausstoß an Studien zur und
über die Polizeiarbeit signifikant zugenommen. Im deutschsprachigen Bereich
zum Beispiel haben sich neben den schon damals etablierten Periodika7 eine Hand-
voll von spezialisierten Zeitschriftentiteln etablieren können, etwa „Polizei & Wis-
senschaft“ (ab 2000) oder das „SIAK-Journal“ (ab 2005), herausgegeben vom öster-
reichischen Innenministerium. Im internationalen englischsprachigen Bereich sind
mit „Police Practice and Research“ (seit 2000), und „Policing: A Journal of Policy
and Practice“ (seit 2007), sowie dem „European Police Science and Research Bulle-
tin“ (seit 2009, ab 2018 umbenannt in „European Law Enforcement Research Bulle-
tin“) und dem „European Journal of Police Studies“ (seit 2012) weitere Titel auf den
Markt gekommen. Hinzuzuzählen wäre noch eine Reihe von weiteren, auf spezifi-
sche Deliktbereiche oder Handlungsfelder spezialisierte Periodika, sowie die be-
kannten einschlägigen kriminologischen Publikationen, die regelmäßig polizeibezo-
gene Artikel veröffentlichen. Darüber hinaus reißt auch die Produktion von Mono-
graphien und Sammelbänden keineswegs ab.
Es erscheint keineswegs abwegig, vor allem mit Blick auf das internationale An-
gebot, das prinzipiell verfügbare Wissen über Polizei und ihre Tätigkeiten inzwi-
schen als in jedem Falle vielfältig, wenn nicht gar als schier überwältigend zu be-
zeichnen. Geradezu erstaunlich wäre es, würde jemand für sich reklamieren, nicht
nur einen vollständigen Überblick über die Wissensproduktion zur Polizei zu
haben, sondern das Material auch zu rezipieren.
In diesem Zusammenhang stellen sich m. E. Fragen nach möglicherweise aus die-
sem Umstand resultierenden epistemologischen Hürden und Herausforderungen:
• Gibt es, zum Beispiel, eine wirklichkeitsverzerrende Ungleichgewichtigkeit be-
ziehungsweise Vernachlässigung im empirischen Erforschen schutz-, kriminal-
und bereitschaftspolizeilicher Tätigkeiten? Dafür mag es plausible Zugänglich-
keitsgründe geben, aber bestimmte systemrelevante Aufgabenkreise polizeilicher

social and institutional environment. It is constituted of civilian government, the army (in
some countries the army is a branch of the state together with the legislature, the executive and
the judiciary), of civil society and of other actors (independent authorities or NMIs, the media
for example). We intend to describe the traits of police forms (the characteristics of the
entities, forces or services that do policing) and the nature of the links of police forms to their
environment“ (Roché 2017, 52). Jene Polizeiformate, die gemäß Roché den Vorteil haben,
nicht von legalistischen Definitionen abzuhängen, setzen sich für ihn aus einer Reihe von
Grundelementen und Maßen zusammen; dazu gehören: Status (militärisch oder zivil organi-
siert), Natur (öffentlich- bzw. privatrechtlich), Charakteristik der Führungsstruktur, Befehls-
und Inspektionslinien, Größe, Grad der Zentralisation, Zuständigkeit und Professionalisie-
rungsgrad (56). Der Reiz dieses Ansatzes liegt darin, die teils verwirrende Vielfältigkeit und
anscheinend schiere Inkompatibilität von nationalen Konfigurationen von Polizei in eine
systematische empirische Vergleichbarkeit überführen zu können und darüber ihre grund-
sätzlich verbindende Grundarchitektur sichtbar werden zu lassen.
7
Zu den etablierten Zeitschriften wären die polizeinahe „Kriminalistik“ und „Die Polizei“,
auf der kritischen Seite „Bürgerrechte und Polizei (CILIP)“ zu zählen.
Von der Policey zur PolizAI 415

Tätigkeiten, insbesondere solche, die in den geheimdienstlichen Bereich überlap-


pen, im Zustand der Unterbelichtung.
• Von dieser vermuteten Fehlverteilung ableiten lässt sich ein paradoxer Effekt des
gleichzeitig existierenden Wissensmangels und Wissensüberschusses: Über die
Masse der vielen zu publizierenden akademischen Qualifikaktionsarbeiten und
Projektberichte stellt sich ein gewisser Hang zur Kleinteiligkeit ein, der auch
von der modischen Forderung nach möglichst unmittelbar praktisch umsetzbaren
Forschungsergebnissen befördert wird. So gibt es kaum einen Aspekt oder Neben-
bereich polizeilichen Wirkens, der nicht schon detailliert beforscht und beschrie-
ben worden wäre; gleichzeitig ist die letzte mir bekannte umfassende systemati-
sche Monographie zur Polizei in Deutschland noch vor dem Fall der Mauer er-
schienen (Busch et al. 1984) – und damit inzwischen weitgehend überholt. Über-
spitzt formuliert könnte man meinen, dass vor allem empirisch-praktisch verortete
Polizeiforschung der Verführung zu erliegen scheint, bei aller Fokussierung auf
die quasi „beschrifteten“ Details der sichtbaren und erfassbaren Oberflächenstruk-
tur von Polizei, ihre eigentliche soziale Substanz, ihr Wirken in die Gesellschaft
und ihre Strukturen hinein, zu vernachlässigen und damit zu verfehlen.
• Weiter oben wurde schon behauptet, dass die unvermittelte und unspezifizierte
Rede von „der Polizei“ eine womöglich unbedachte Einladung in diskursives
Sumpfgebiet sei, da es „die Polizei“ als singuläre Entität so gar nicht gäbe, und
damit zur allgemeinen wissenschaftlichen Mißverständigung beitrage8. Diese Be-
hauptung ist hilfreich, aber als solche unvollständig. Sie wäre gar irreführend in-
sofern sie dazu verführte, den Blick auf den durchaus beschreibbaren Katalog von
originären polizeilichen Kernfunktionen und -tätigkeiten zu verschließen, der jen-
seits aller, vor allem im international komparativen Zugriff, nachweisbaren Idio-
synkrasien und Inkompatibilitäten zwischen Polizeisystemen und -kulturen exis-
tiert und im Englischen subsummarisch mit dem Begriff des „policing“ zu erfassen
versucht wird. Mit der Überführung in die Prädikationsform wird das assoziative
Denken über den Gegenstand „Polizei“ erweitert, indem die Aufmerksamkeit auf
das polizeitypische Handeln gelenkt, und nicht auf die mannigfaltigen institutio-
nell-organisatorischen Erscheinungsformen fixiert wird.9

8
So auch Sebastian Roché: „What if police is not, never was and never will be ,one thing‘?
What if the quest for the essence of police was misleading from the start? What if, on the
contrary, what matters for understanding police is who installs the police as an organisation
with special operational powers? And how is the police (whatever its names and functions)
tied to its environment?“ (2017, 48).
9
Damit wird keineswegs die Bedeutung der Organisationsform für die möglichen und
optimalen Handlungsoptionen in Abrede gestellt. Es macht in der Tat einen Unterschied, ob
Polizei in einem Territorium zentral oder dezentral organisiert ist, oder, wie in den promi-
nenten Fällen von Frankreich und Spanien, duale Systeme etabliert werden. Der Gewinn einer
aktivitätszentrierten Perspektive liegt in ihrer leichteren interaktionistischen Aufschlüsselung
angesichts der Zielobjekte.
416 Detlef Nogala

Inmitten der Fülle von internationalen Veröffentlichungen zum Thema Polizei


finden wir nur relativ wenige Ansätze, die anstreben, den Gegenstand des Interesses
nicht nur in seinen Teilaspekten empirisch möglichst präzise zu skizzieren, sondern
ihn in seiner ganzen Komplexität auch theoretisch zu erfassen.
Nachhaltigen Einfluss hatte hier der frühe Ansatz von Egon Bittner, der mit An-
leihen an die Soziologie Max Webers, den Schlüssel zum Verständnis von Polizei in
ihrer exklusiven Verfügung über legitimen Einsatz von Gewalt gefunden zu haben
meinte:
„(…) the role of the police is best understood as a mechanism for the distribution of non-
negotiably coercive force employed in accordance with the dictates of an intuitive grasp
of situational exigencies“ (Bittner 1970; 1990, 131).10

Gewaltanwendung als sanktionierte Handlungsoption, gleichsam als Wesenskern


von Polizei zu verstehen, hat über lange Jahre insbesondere die angloamerikanische
Polizeisoziologie dominiert; eigentlich bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine von Mi-
chel Foucault inspirierte Lesart von Unterdrückungs- und Zwangsverhältnissen sich
unter dem Stichwort „Gouvernmentalität“ den Institutionen organisierter sozialer
Kontrolle und damit auch zwangsläufig dem polizeilichen Feld zuwandte. Einer
der prominentesten Vertreter dieser Variante ist Clifford Shearing, der das Konzept
des „nodal policing“ einführte, welches sehr viel stärker auf die Aktivitäten von Kon-
troll- und Zwangs-Organisationen statt ihrer institutionellen Verfassung rekurriert
und darüber dann auch gezielter nicht-staatlich organisierte Formen von Sozialkon-
trolle, wie etwa kommerzielle Sicherheitsunternehmen oder Bürgerwehren (vigilan-
tees) verschiedenster Ausprägung, ins analytische Visier nimmt:
„If policing rather than the police was to be our focus, we needed to think of policing as a
regulated network of participatory ,nodes‘ – each with authority, capacity and knowledge
that together provide for the governance security. Implicit in this was a wider conception
of governance as founded in knowledges and capacities that were not the exclusive preserve
of state officials“ (Shearing 2001, 261).

Im Zuge der Foucault-Mode um die Jahrtausendwende herum hat dieser Ansatz


unter denen der Polizei zugewandten Theoretikern eine beachtliche Anhängerschaft
gefunden, ohne aber im allgemeinen Diskurs dominant zu werden. Der Ertrag in die-
ser neuen Perspektive ist aber nicht von der Hand zu weisen, da er in der Tat dazu
beigetragen hat, einerseits die nicht-institutionellen und nicht-gewaltförmigen Ele-
mente organisierter Sozialkontrolle analytisch deutlicher wahrzunehmen und
damit andererseits das empirische Feld, insbesondere in kriminologischer Perspek-
tive, zu erweitern. Allerdings stehen die Ein- und Ansichten jener Denkschule oft in
starkem Kontrast zu alltagspraktischen und konventionellen Polizeikonzeptionen –
was gelegentlich zu Missverständnissen und Missverständigungen führen kann.

10
Bezüglich einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Bittnerschen Paradigma und
seiner Rezeption in der wissenschaftlichen Polizeiforschung siehe Brodeur (2010) im Kapitel
„Elements of a Theory of Policing“.
Von der Policey zur PolizAI 417

Immerhin hat diese Debatte zu einem erfreulich hohen Niveau und einer ausdif-
ferenzierten theoretischen Beschäftigung mit dem Gegenstand Polizei geführt, die
weit über das oben beschriebene allgemein-alltägliche „Anscheinwissen“ hinaus-
führt. Dafür sei an dieser Stelle wegen der notwendigen Kürze nur auf zwei heraus-
ragende Beispiele verwiesen.
Da ist zu einem das von Ben Bowling und Janet Foster verfasste Kapitel „Policing
and the Police“ in der dritten Auflage des 2002 erschienenen Oxford Handbook of
Criminology zu nennen, das, in verstärktem Rückgriff auf die Arbeiten von Robert
Reiner, über gut 50 Seiten hinweg eine kompakte und informierte Zusammenfassung
der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Polizei im 20. Jahrhundert darstellt
und auch gut 20 Jahre später wenig von seinem analytischen Wert eingebüßt hat. Dort
beschreiben die Autoren zum Beispiel die Eigenschaften kontrastierender bezie-
hungsweise konkurrierender Polizeimodelle, thematisieren die Eigenheiten von Po-
lizeikultur und gehen auf die Aspekte transnationaler und globaler Polizei-Koopera-
tion ein (vgl. Bowling & Foster 2002).
Zum anderen ist die 2010 erschienene Monographie von Jean-Paul Brodeur „The
Policing Web“ zu erwähnen. Der kanadische Autor, der auf dem Hintergrund einer
soliden philosophischen Ausbildung unter anderem mit der Unterscheidung von
„low“ und „high policing“ international reüssierte (Brodeur 1983), hat sich in seinem
Spätwerk auf das Sorgfältigste mit dem Stand der Forschung und des Wissens über
Polizei sowie deren theoretischen Aspekte auseinandergesetzt. In Vorwegnahme der
eingangs skizzierten Perspektive hatte Brodeur festgehalten:
„It is generally resolved by assuming that the proper object of a theory of policing is the most
visible part of the police apparatus, that is, the public police in uniform. This position seems
to me unduly narrow and uncritical, one that merely accepts the dictum of sensory percep-
tion: the police are to be equated with a group of persons outwardly displaying the signs of
being police“ (Brodeur 2010, 17).

Zur angemessenen Beschreibung der Komplexität und Multiplizität des Gegen-


stands präferiert Brodeur den Ausdruck „police assemblage“, der sich vielleicht
am ehesten mit „Polizei-Verbund“ übersetzen ließe – und der es gestattet, Verbindun-
gen in das Lager der Shearingschen „nodal-policing“-Vertreter zu knüpfen, ohne
gleich in dieses überzulaufen.11

Entstehen von „Polizei“


Eine gründliche Erörterung des Polizeibegriffs, insbesondere unter dem An-
spruch, ihn zeitgemäßer zu formulieren und zu fassen, kommt nicht um die Ausein-
andersetzung mit historischen Entwicklungen und Formaten der Polizeifunktion
11
Siehe dazu auch die sehr ausführliche Rezension der Brodeurschen Monographie durch
den schon erwähnten Clifford Shearing (2011), die schon für sich allein eine lesenswerte
Einführung in die allgemeine Debatte darstellt.
418 Detlef Nogala

herum. Der an Früh- und Vorläuferformen interessierte Zweig moderner Polizeifor-


schung hat nicht nur immer wieder interessante geschichtliche Details zu Tage ge-
fördert, sondern auch den Blick auf lange Entwicklungslinien, Kontingenzen
sowie supranationale Konvergenzen eröffnet. Die wissenschaftliche Befassung mit
der Frage nach den Ursprüngen der Polizei als Organisationsform staatlich veranker-
ter Sozialkontrolle ist gewisslich mehr als erzählerisch-unterhaltendes Beiwerk im
Repertoire zeitgenössischer Polizeiwissenschaft.
Erst kürzlich hat sich Antonio Vera (2019) in Verfolgung einer Rekonstruktion des
heute gängigen Polizeibegriffs auf die Suche nach der „Polizei vor der Polizei“ ge-
macht und dabei eine lange Entwicklungslinie vom alten Ägypten über das antike
Griechenland und Rom, weiter über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit und Mo-
derne gezogen. Um die funktionalen Äquivalente der vormodernen polizeilichen Er-
scheinungsformen und Einrichtungen aufzeigen zu können, bedarf es allerdings
eines aktionistisch-funktional gewendeten Interpretationsansatzes:
„By policing is meant the maintenance of order, the control of disorder, the prevention of
crime and the detection of offenders, and by the police is meant those officials concerned
with policing matters“ (Rawlings 2008 – zitiert bei Vera 2019, 2).

Ähnlich interessantes historisches Anschauungsmaterial, etwa zu Lektoren im


alten Rom, Vorstufen des russischen Polizeiwesens oder der Beschreibung der Ent-
wicklungslinien in der Bundesrepublik Deutschland nach Ende des Zweiten Welt-
krieges, findet sich in einem von der Universität Potsdam veröffentlichten Sammel-
band, der der vergleichenden Polizeisoziologie gewidmet ist (vgl. Grutzpalk et
al. 2010).
Gut nachverfolgen lässt sich diese Spurensuche auch in dem von Clive Emsley,
einem der führenden englischsprachigen Polizeihistoriker, unter dem Titel „Theories
and Origins of the Modern Police“ herausgegebenen Sammelband (Emsley 2016a),
der eine Reihe von schon publizierten Beiträgen europäischer Autoren (hauptsäch-
lich aus den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts) zusammenfasst und damit
nationalstaatlich übergreifende historische Entwicklungen transparenter macht.
Die Aufsätze beziehen sich darin nicht nur auf die überwiegend gut erforschte
und publizierte angelsächsische Entwicklungsgeschichte, sondern auch auf deutsch-
sprachige, französische und russische Herrschaftsgebiete. In seiner lesenswerten zu-
sammenfassenden Einleitung räumt Emsley dabei auch mit dem oft zitierten Mythos
auf, dass die Geschichte der modernen Polizei eigentlich erst mit der Einrichtung der
Metropolitan Police of London unter Home Secretary Robert Peel 1829 einsetzt (vgl.
Emsley 2016b).
Einen nochmals erweiterten europäischen Kreis in der geschichtlichen Rückschau
auf die Entstehung von „Policey im Europa der Frühen Neuzeit“ zieht der von Mi-
chael Stolleis publizierte Band, der unter Inanspruchnahme von mehr als einem Dut-
zend weiteren Autoren auch die Evolution von Polizeiarchitektur und -funktion in
Italien, Spanien, Polen, Schweden und den Niederlanden ins Blickfeld rückt und
Von der Policey zur PolizAI 419

damit einen eher kontinentaleuropäischen Schwerpunkt der historischen Polizeifor-


schung setzt (vgl. Stolleis 1996).
In einer Rezension wird dazu summarisch festgehalten:
„Der Begriff der Policey – wo er in den einzelsprachlichen Varianten gebraucht wurde –,
taucht nirgends vor dem ersten Drittel des 16. Jh. auf und umschreibt im Anschluß an
die politie des Aristoteles zunächst einen auf die christliche Heilsordnung bezogenen und
aus ihr legitimierten Anspruch auf obrigkeitliche Gestaltung der sozialen Ordnung und
des Zusammenlebens. Die weitere Entwicklung des Begriffs ist gekennzeichnet durch
seine nachhaltige Säkularisierung und damit dann verbunden durch die fortschreitende Ver-
lagerung des Legitimitationshorizontes auf den Staat selbst“ (Schlögl 2001, 476).

Knemeyer hebt mit Blick auf Reichs- und Ländergesetze bis zum Ausgang des
18. Jahrhunderts die Bedeutung des Begriffs Polizey als Zustand guter Ordnung
im Gemeinwesen hervor,
„wo der Bürger oder Untertan sich ordentlich, züchtig, gesittet, ehrbar verhielt, wo das
menschliche Zusammenleben im Gemeinwesen geordnet war“ (Knemeyer 1967, 155).

Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass insbesondere die forschende Betrachtung


der Entwicklung im deutschsprachigen Raum sich um den Begriff der Policey und
die Untersuchung der damit einhergehenden Policeyordnungen zentriert.12
Ohne an dieser Stelle auf die reichhaltige Literatur im Einzelnen näher eingehen
zu können, ist hervorzuheben, dass jene Policeyverordnungen eben zwangsdurchset-
zungsbewehrte Direktiven waren, die in der Regel auf die Bedürfnisse und Positionen
der jeweiligen Landes- oder Stadtherren zugeschnitten waren und damit unter der
Perspektive von Herrschaftsdurchsetzung und -sicherung auf soziale Kontrolle
und Disziplinierung bestimmter Bevölkerungsgruppen und -schichten abzielte.13
Wenngleich die „gute Policey“ – im Sinne einer „guten“ Verwaltung und Rege-
lung des Gemeinwesens – auch in manchen Fällen die Interessen der Untertanen mit-
einbezogen und transportiert haben mag (Iseli 2009), kritisch dazu (Härter 2010b),
so waren Policeyverordnungen doch ein willkommenes Mittel der sich vom Feuda-
lismus zum Absolutismus hin entwickelnden administrativen Herrschaftsapparate,
des Souveräns Verlangen auch gegen Opposition und nach Maßgabe mit (militäri-
scher) Gewalt durchzusetzen. Was allgemeine „Wohlfahrt“ sei, wurde schlichtweg
von der Obrigkeit bestimmt.
Der vormoderne Begriff der Polizei – mit ey – ist also viel weniger institutionell
als vielmehr normativ, wenn nicht gar idealistisch geprägt – insbesondere in der

12
Vor allem der deutschsprachigen Rechtsgeschichte gewidmete Lehrstühle haben zu
dieser Begrifflichkeit und ihrer Verbindung zu Staatslehre und Staatsräson vielfältig publi-
ziert. Siehe hierzu die Arbeiten von Maier (1965/2009), Knemeyer (1978), Stolleis (1996),
Knöbl (1998), Iseli (2009) und Härter (2010a) .
13
Siehe hierzu auch den Begriff der „Sozialdisziplinierung“ bei Gerhard Oestreich (1969),
und in kritischer Auseinandersetzung mit weiteren Hinweisen Behrens (1999) und Freitag
(2001).
420 Detlef Nogala

sprachlichen Wendung der „guten Policey“ spiegeln sich die idealisierten Ordnungs-
vorstellungen einer ständisch organisierten und durch-hierarchisierten Feudal- bzw.
Ständegesellschaft.
Hier liegt wiederum der Anknüpfungspunkt der Proklamation einer „guten Poli-
cey“ an unsere jüngere Gegenwart und die steile Karriere, die dem Begriff der Sicher-
heit im staats- und gesellschaftstheoretischen Diskurs hypermoderner Gesellschaften
zu Teil wurde:
„Seit dem 16. Jahrhundert entwickelte sich Sicherheit zu einer zentralen Kategorie der guten
Policey, was sich in entsprechenden politisch-staatsrechtlichen Diskursen der Policeywis-
senschaft und vor allem in einer zunehmenden obrigkeitlichen Ordnungsgesetzgebung ma-
nifestierte, die Bedrohungen von Sicherheit und damit Sicherheitsnarrative definierte und
die entsprechenden präventiven/exekutiven Sicherheitsmaßnahmen oder Institutionen regu-
lierte“ (Härter 2016, 30).

Verschiedene Arbeiten der historischen Polizeiforschung haben im Einzelnen dar-


gelegt, dass im heutigen Kontext kommunitaristisch anmutende Entwürfe „guter Po-
lizey“ gleichwohl schon mit dem Einsetzen der Industrialisierung im weniger euphe-
mistisch ausfallenden Begriff des Polizeistaats preußischer Prägung seine negative
Entsprechung gefunden hatte. In einem Polizeistaat exekutiert die Polizei als Insti-
tution, egal ob in offener oder geheimer Manier, die Willkür einer Obrigkeit, die sich
über legitime demokratische Freiheits- sowie ökonomische Interessen Einzelner, von
gesellschaftlichen Gruppen oder gar der Bevölkerungsmehrheit hinwegsetzt.
Der bis hierher geführte Rekurs auf die in der Vormoderne sich entwickelnde Vor-
stellung von (guter) Policey ist für unsere Aktualität und Begriffsdiskussion insofern
von Bedeutung, als dass er die historischen Kontinuitäten in der Herstellung, Bewah-
rung und Durchsetzung idealisierter gesellschaftlicher Ordnung durch herrschaftlich
befugte und beauftragte administrative Apparate in Erinnerung ruft. Mit diesem Hin-
weis kann und soll an dieser Stelle die ebenso aufschlussreiche wie vielfältige Evo-
lution von Polizei im Zuge der Entwicklung der Nationalstaaten in der Moderne über-
sprungen werden. Denn die Geschichte der Polizei, oder besser gesagt der Polizei-en,
ist im Verlauf des 19. und des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen eine nationalstaat-
lich verfasste.14 Die Divergenzen hinsichtlich jeweiliger institutioneller Architektur
und polizeikultureller Prägung sind in unzähligen international komparativen Studi-
en nachgewiesen worden; gleichzeitig lässt sich eine Überschneidungs-menge poli-
zeilicher Kernfunktion ausmachen: Überwachen der Einhaltung gesetzlicher und so-
zialer Normen, Ausfindig-machen und Identifizieren von Rechtsbrechern, Interve-
nieren unter Einsatz legalisierter Gewaltmittel.
Die These, die an dieser Stelle aufgemacht wird, lautet, dass sich ein adäquater
erweiterter Polizeibegriff am ehesten über die Reflexion der geltenden gesellschaft-
lichen Entwicklungsstufe erschließt. Seit dem Industriezeitalter ist diese zweifelsoh-
14
Diese Annahme steht keineswegs im Widerspruch zu der Evidenz von Frühformen in-
ternationaler polizeilicher Kooperation (vgl. insbesondere Deflem 2002), die sich etwa am
bekanntesten in Form von Interpol und Europol institutionell manifestiert haben.
Von der Policey zur PolizAI 421

ne in zunehmendem Maße von der technologischen Durchdringung von Arbeits-,


Produktions- und Lebenswelten im globalen Maßstab gekennzeichnet.

Polizei (in) der Hypermoderne


Die zuverlässige Belieferung mit zeitdiagnostischen Gesellschaftsbegriffen ist
bekanntlich Sache der soziologischen Zunft; „Postindustrielle Gesellschaft“ (Bell
1976), „Informationsgesellschaft“, „Wissensgesellschaft“, „Risikogesellschaft“
(Beck 1986), „Netzwerkgesellschaft“ (Castells 2001) sind einige der analytischen
Währungen, die in den internationalen diskursiven Kreisläufen Akzeptanz gefunden
haben. Sie alle versuchen, die komplexen sozialen und technischen Veränderungs-
prozesse auf einen handhabbaren Begriff zu bringen und heben dabei jeweils
einen besonderen Aspekt hervor. Unter Berücksichtigung langwelliger sozio-histo-
rischer Entwicklungslinien erscheint die Einteilung in Perioden der „Vormoderne“,
„Moderne“, „Postmoderne“ und neuerdings „Hypermoderne“ allerdings analyti-
scher weittragender. Verwandt mit Zygmunt Baumans (2013) Beschreibung einer
„Liquid Modernity“ hält diese Epoche wohl nur ein eher gebrochenes oder gar zwie-
spältiges Fortschrittsversprechen bereit:
„Hypermodernity thus amounts to a radical modernity characterized by the exacerbation
and intensification of that modern logic by which human rights and democracy have been
made into mandatory values, by the market having become a global economic reference
system reaching the remotest places on the planet and invading every sphere of our exist-
ence, and by science as an only partly controllable instrument that now throws even the
notion of humanity itself into question by opening the possibility of human cloning“
(Charles 2009, 392)

Bei allem technologisch bedingtem Zuwachs an informatisierten Kapazitäten und


globalisierter Vernetzung nähren die damit gleichzeitig einhergehende Beschleuni-
gung und wachsende Komplexität von Lebenswelten ein unterschwellig kollektives
Gefühl von Ungewissheit und Überforderung. Nimmt man dann an, dass jede gesell-
schaftliche Epoche unter spezifischen politischen, sozialen und kulturellen Konstel-
lationen eine ihr typisch eigene „Polizeikonfiguration“ hervorbringt, dann erweist
sich der weiter oben skizzierte alltagspraktische Polizeibegriff in Bezug auf tiefer-
reichende wissenschaftliche Analysen als tendenziell defizitär.
Es gibt wenig begründeten Zweifel daran, dass technologische Fortschritte seit
der Moderne ungeahnte neue Produktivkräfte entfaltet haben und auch die polizei-
lichen Institutionen stufenweise und meist nachholend davon erfasst, organisato-
risch reformiert und in ihren Aktionsmöglichkeiten geprägt worden sind. Die Über-
nahme allgemeiner Innovationen wie etwa Telegrafie, Telefonie, motorisierter
Fahrzeuge und ab etwa der späteren zweiten Hälfte des Jahrhunderts des Compu-
ters – zumindest in den entwickelten Industriestaaten – hatte einen nicht zu unter-
422 Detlef Nogala

schätzenden formativen Einfluss auf polizeiliche Kapazitäten und organisatorische


Strukturen.15
Der eigentliche Treibstoff polizeilicher Aktivitäten ist seit jeher die Sammlung
von Information: „Security policies and policing have always been based on syste-
matic data collection and data banks“ (Albrecht 2020, 5). Zwar ist diese Einsicht
nicht neu. Es lohnt sich in unserem Themenzusammenhang jedoch, noch einmal
daran erinnert zu werden, was vor einem halben Jahrhundert im deutschen Polizei-
apparat noch als halbwegs revolutionäre Einsicht gelten konnte: dass Polizeiarbeit
zuvorderst Informationsarbeit sei (vgl. Herold 1970, 1977). Leistungsfähige Rechen-
anlagen, Möglichkeiten zur Erfassung und Speicherung großer Datenmengen sowie
die Vernetzung disparater Datenbestände waren die damaligen disruptiven Techno-
logien, die neue Polizeiformate vorstellbar und möglich gemacht hatten. In Kombi-
nation mit der Verfeinerung, Leistungssteigerung und Diffusion maschineller Senso-
rik (Audio, Video, Bewegung, Lokalisierung etc.) hat sich ein polizeiliches Technik-
arsenal herausgebildet, dessen Einsatz, Potenzial sowie die damit verbundenen Ri-
siken vielfach in der deutschen wie internationalen kriminologischen und
polizeiwissenschaftlichen Literatur untersucht und kritisch beschrieben worden
sind.16
Die fortschreitende Digitalisierung hypermoderner Gesellschaften in Kombinati-
on mit immer performativerer informationstechnischer Apparatur hat fast schon wie-
der vergessenen Ideen einer präventionspolizeilichen Interventionsmächtigkeit
neuen Auftrieb gegeben. Nachdem eine Zeit lang der Ansatz des „intelligence-led
policing“ die internationale Polizeidiskussion beschäftigt hatte, ist mit dem Hype
um „Big Data“ und der Marktverfügbarkeit von kommerziellen Analyse- und Vor-
hersageprogrammen das Thema – und Versprechen – des „predictive policing“ in
den Vordergrund gerückt. Dahinter verbirgt sich die einfache und verführerische
Idee, die Polizei soweit informationsmächtig aufzurüsten, dass sie in die Lage ver-
setzt wird, potenzielle Tatorte oder Gebiete zu antizipieren und damit in die Chance
hätte, Tätern zuvorzukommen und Straftaten pre-emptiv zu vereiteln. Inwieweit in
dieser Ansatz von Erfolg gekrönt ist oder zumindest zu einem solchen geführt wer-
den kann, wird unter Experten polizeilicher oder kriminologischer Provenienz ge-
genwärtig in der internationalen Literatur noch kontrovers diskutiert (vgl. Edwards
2017; Seidensticker 2017; Egbert 2018; Hardyns & Rummens 2018; Vittorio 2019;
Richardson et al. 2019; Gerstner 2019).
Das Schlagwort „predictive policing“ führt aber schon über zu dem „letzten
Schrei“ im Consulting Business, auf den Seiten der Feuilletons, sowie auf den Markt-

15
Eine Sonderrolle nimmt hier vielleicht die DNA-Analytik ein, die erst durch ihre fort-
schreitende polizeilich- forensische Anwendung als neuartige Identifikationstechnologie ihre
profunde lebensweltliche Bedeutung für die Aufklärung bzw. den (retrogarden) Nachweis von
sozialen Beziehungen errungen hat (vgl. hierzu auch Nogala 2003).
16
Als Beispiele unter vielen: Nogala 1995; Marx 2007; Byrne & Marx 2011; Marx 2016.
Von der Policey zur PolizAI 423

foren strategischer Sicherheitsexperten: der „artificial intelligence“, oder kurz


„AI“17.
Zu den bekanntesten Anwendungen unter dieser Flagge zählt die automatisierte
Gesichtserkennung („facial recognition“). Genau genommen handelt es sich bei die-
ser Sache um eine Technik des maschinellen Bildabgleichs in Verbindung mit einem
Akt der datenbankgestützten De-Anonymisierung von gespeicherten Personenprofi-
len. Diese Technik ist schon seit vielen Jahren in Erprobung, scheint aber erst in den
letzten Jahren einen für die Praxis verwertbaren Reifegrad erreicht zu haben.18 Was
aus polizeilicher Sicht in erster Linie einen signifikanten Rationalisierungsgewinn
für Fahndungs- und Überwachungszwecke darstellt, erscheint vielen Bürgerrechts-
aktivisten, amtlich bestellten Datenschützern und kritischen Beobachtern als erheb-
licher, wenn nicht gar illegitimer Eingriff in allgemeine geschützte Persönlichkeits-
und demokratische Freiheitsrechte (Nogala 2019).
Für fortschrittsoffene Polizeiorganisationen ist das Zeitalter der „artificial intel-
ligence“ schon längst eingeläutet – dies gilt sowohl hinsichtlich neuer polizeilicher
Anwendungsbereiche als auch für das Heraufziehen neuartiger krimineller Bedro-
hungen sowie die Vorbereitung darauf. So hat Interpol in Zusammenarbeit mit
dem United Nations Interregional Crime and Justice Research Institute (UNICRI)
im neu eröffneten Innovation Centre im Singapurer Hauptquartier schon im Juli
2018 eine globale Konferenz unter dem Titel „Artificial Intelligence And Robotics
For Law Enforcement“ einberufen. Zu den dort vorgestellten Initiativen und Projek-
ten zählte unter anderem (vgl. Interpol & UNICRI 2019):
• Advanced virtual autopsy tools to help determine the cause of death.
• Autonomous robotic patrol systems.
• Predictive policing and crime hotspot analytics.
• Computer vision software to identify stolen cars.
• Tools that identify vulnerable and exploited children.
• Behaviour detection tools to identify shoplifters.
• Fully autonomous tools to identify and fine online scammers.

17
Im Deutschen spricht man von „künstlicher Intelligenz“. Jedoch tauchen schon bei an-
fänglicher näherer Beschäftigung mit der Thematik Zweifel daran auf, ob die landläufige
Übersetzung des englischen Begriffs diese substanzielle Bedeutung des Phänomens tatsäch-
lich trifft. „Intelligence“ kann nämlich auch als Einsicht, Aufklärung oder Auffassungsver-
mögen übersetzt werden. Insbesondere der Anwendungstypus, der auf maschinellem Lernen,
d. h. auf dem Erkennen von wiederkehrenden Mustern, basiert, lässt sich mit humanoiden
kreativen Intelligenzleistung nur unzureichend vergleichen.
18
Dabei stellt die Gesichtserkennung nur einen Anwendungsfall des so genannten Feldes
der „visual analytics“ dar – vgl. hierzu im Einzelnen und mit vielen anschaulichen Beispielen
Stanley (2019).
424 Detlef Nogala

Mit ähnlichem Interesse wendet sich auch Europol dieser Thematik zu, wie aus
einer kürzlich erschienenen und poetisch betitelten Broschüre „Do Criminals
Dream of Electric Sheep? How Technology Shapes the Future of Crime and Law En-
forcement“ hervorgeht (Europol 2019). In noch ausführlicherer Weise hat sich auch
das britische Home Office mit zukünftigen sicherheitsrelevanten Technologietrends
auseinandergesetzt und dabei die Potenziale maschinell simulierter Intelligenz sowie
deren erweitertem technologischen Ökosystem betrachtet (Home Office 2019). Glo-
bale Beratungsfirmen wie DeLoitte bieten hilfsbereit und mit Eifer ihre professionel-
le Unterstützung im Prozess der digitalen Transformation hin zur Gestaltung neuer
Polizeiformate an (Gash & Hobbs, 2018). Auch die niederländische Polizei ist dabei.
sich proaktiv in vielen kleinen Projekten auf die neue Realität einzustellen (vgl. etwa
Brinkhoff, 2017; Dechesne et al., 2019).
Zum Beleg, dass maschinelle Erkennung und Entscheidungsysteme schon in den
Alltag formalisierter sozialer Kontrolle einzudringen sich anschicken, sei hier nur auf
eine beschränkte Auswahl von thematischen Schlagzeilen in traditionell-etablierten
Medien hingewiesen:
• „Police ,may need AI to help cope with huge volumes of evidence‘“ (The Guardian
08 Feb 2018).
• „Police trial AI software to help process mobile phone evidence“ (The Guardian
27 May 2018).
• „Home Office to fund use of AI to help catch dark web paedophiles“ (The Guar-
dian 17 Sep 2019).
• „Gesichtserkennung: Die Firma, die uns alle identifizieren will“ (Die Zeit 20. 01.
2020).
• „Artificial Intelligence could help protect victims of domestic violence“ (LSE
27. 02. 2020).
• „KI erkennt Smartphone-Nutzung am Lenkrad: Jetzt werden Strafen fällig“
(Heise online 03/2020).
Überlegungen zu Einrichtungen und Systemen, die unter dem Stichwort „Auto-
mated Law Enforcement“ verhandelt werden und selbstlaufend verknüpfte Detek-
tions- und Sanktionskreisläufe beschreiben, gab es auch schon vor vielen Jahren;19
allerdings sind heute die technischen, vielleicht auch die sozialen, Voraussetzungen

19
An diesem Punkt kommt man nicht umhin, noch einmal an die intensiv und kontrovers
geführte Debatte um die, in der Rückschau nicht anders als visionär zu bezeichnenden, pu-
blizierten Ideen und Vorstellungen des in den siebziger Jahren amtierenden Präsidenten des
Bundeskriminalamts, Horst Herold, zu erinnern. Dieser hatte, unter Bezugnahme auf die da-
mals aktualisierte Kybernetik, die sich abzeichnenden Potentiale neuer Informationstechnik
auf die zukünftig erweiterten Erkenntnis- und Interventionsmöglichkeiten für die Polizei
projektiert und den Gedanken einer informatisierten „Selbstregulation“ formalisierter Sozi-
alkontrolle kultiviert (vgl. beispielsweise Herold 1974; 1976; 1984 und Nogala 1989 mit
weiteren Nachweisen).
Von der Policey zur PolizAI 425

zur Implementation realistischer geworden (vgl. zur Diskussion Shay et al. 2016;
Petit 2018).
Selbstverständlich sind diese Entwicklungen Gegenstand der Beobachtung, Ana-
lyse und Kritik einer multidisziplinären globalen scholarly community geworden.
Die Vielzahl der informativen und weiterführenden Beiträge hier darstellen und dis-
kutieren zu wollen, würde den gegeben Rahmen dieser Abhandlung leider komplett
sprengen. Dieser Hinweis nur zur ausstehenden Untermauerung meiner Annahme,
dass sich eine neue, für die angebrochene Hypermoderne typische Polizeikonfigura-
tion abzuzeichnen beginnt, die eine Revision des alltagspraktischen wie auch des tra-
dierten akademischen Polizeibegriffs angeraten erscheinen lässt. Zukünftige Histo-
riker der neueren Geschichte werden möglicherweise die Anfangsdekaden des
21. Jahrhunderts als die Periode identifizieren, während der man dazu überging, Po-
lizei mit „AI“, nämlich als „Polizai“ zu schreiben.

Conclusio
Der Anstoß zu diesen hier dargelegten Überlegungen rührt aus einer gewissen un-
terschwelligen intellektuellen Unzufriedenheit, nicht so sehr mit der empirischen kri-
minologie-affinen Forschungslage und dem damit generierten Wissensstand zu
Polizei und polizeilichen Aktivitäten, sei es in nationalen oder internationalen Zu-
sammenhängen, als vielmehr mit einem wahrgenommenen Mangel an Willen und
Anstrengung, diesen Gegenstand gerade auch theoretisch nachhaltiger zu durchdrin-
gen und in umfassendere gesellschaftliche Analysen und Zusammenhänge einzubet-
ten. Dabei spielt auch die Sorge eine Rolle, dass in der medialen Darstellung von und
Kommunikation über Polizei und deren Aktivitäten deren essenzielle soziale und po-
litische Rolle in Staat und Gesellschaft sträflich unterkomplex kommuniziert wird.
Dies gilt sowohl für die positiven wie negativen Einwirkungen auf Individuen als
auch auf die Gesamtgesellschaft. Im wissenschaftlichen Forschungsdiskurs hinge-
gen vermeine ich eine Tendenz wahrzunehmen, die über die anschwellende Produk-
tion von kleinteiliger Empirie die theoretische Essenz von Polizei und Polizieren
außer Acht lässt und damit letztendlich verfehlt.
Um hier selbst einen forschen Schritt auf das akklamierte Terrain zu riskieren,
habe ich versucht, eine Verbindungslinie zwischen prämodernen Entwicklungsstu-
fen staatlich organisierter formaler Sozialkontrolle und ihrer legitimatorischen Be-
gründung („gute Policey“) und den zeitgenössischen, unter einem technologischen
Imperativ sich entwickelnden, hypermodernen Polizeikonfigurationen zu ziehen.
Denn auch der von den Verheißungen der „artifical intelligence“ inspirierten Polizai
des 21. Jahrhunderts unterliegt das Versprechen der Herstellung eines „guten“, har-
monisierten gesellschaftlichen Zustands, in dem kriminelles Tun wenn nicht pre-
emptiv bis präventiv unterbunden, so doch mittels vielfältiger technischer Kontroll-
und Zugriffsschichten eingehegt werden kann. Inwieweit sich dieses Versprechen
unter sich abzeichnenden krisenhaften Entwicklungen halten lässt oder von einer
426 Detlef Nogala

harmonisierten Sicherheitsutopie in eine dystopische Polizei- und Überwachungge-


sellschaft umzuschlagen droht, lässt sich selbstverständlich nur über empirisch-kri-
tische Begleitung beurteilen.20
Dass noch viele lose Enden im Versuch der Schärfung eines zukunftsfesten Poli-
zeibegriffs im kriminologisch-disziplinären Kontext der weiteren und engeren Ver-
knüpfung harren, sei dahingestellt. Wenn dieser Beitrag auf das Problem der empi-
rischen Fehlausleuchtung bei gleichzeitiger theoretischer Unschärfe eines unzeitge-
mäßen Polizeibegriffs, der das Risiko des Scheiterns wissenschaftlicher wie politi-
scher Verständigungsprozesse perpetuiert, hingewiesen haben sollte, wäre es der
Mühe wert gewesen.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1993): Kriminologie, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3., neubearb. u. erw. Aufl. Heidelberg,
S. 555 – 566.

Albrecht, H.-J. (2007): Perspektiven kriminologischer Forschung. Der Wandel im Konzept der
Sicherheit und neue Aufgabenfelder der Kriminologie, in: K. Liebl (Hrsg.), Kriminologie im
21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 177 – 201.

Albrecht, H.-J. (2013): Innere Sicherheit und soziale Kontrolle. Wieviel Freiheit ist möglich?,
in: S. Hradil (Hrsg.), Deutsche Verhältnisse: Eine Sozialkunde. Frankfurt a. M., New York,
S. 209 – 228.

Albrecht, H.-J. (2020): Data, Data Banks and Security. European Journal for Security Research
5, S. 5 – 23.

Albrecht, H.-J. & Nogala, D. (2002): Police, Sociology of, in: Baltes, P.B. & Smelser, N.J.
(Hrsg.), International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences. Amsterdam,
S. 11532 – 11535.

Bauman, Z. (2013): Liquid modernity. Frankfurt a. M.

Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M.

20
Die Vorstellung einer überinformierten und übermächtigen Polizei ist zumindest unter
den rechtsstaatlichen Bedingungen westlich geprägter europäischer Demokratien system-
fremd und wird aus den unterschiedlichsten Interessenslagen abgelehnt werden. Rufe nach
Abschaffung der Institution als solcher, wie sie jüngst im Zusammenhang exzessiver polizei-
liche Übergriffe und Aufdeckung tiefgreifender struktureller Fehlentwicklungen vor allem in
den USA laut geworden sind (vgl. Vitale 2017; Loick 2018), haben aber unter den gegen-
wärtigen gesellschaftlichen Bedingungen wenig Aussicht auf Nachhall und Erfolg. Hyper-
komplexe Sozialsysteme wie unsere globalisierte Gesellschaft der Gesellschaften kämen ohne
eine spezifisch angepasste Form der Organisation polizeitypischen Agierens nicht aus und
müssten eine solche Institution neu erfinden, wenn es sie nicht schon gegeben hätte. Aller-
dings kommt es in der Tat aus der Sicht einer freiheitlich verfassten und den verbrieften
Menchenrechten sich verpflichteten Gesellschaft auf die konkreten Details und Balancen
jenes zeitgemässen Polizeiformats an.
Von der Policey zur PolizAI 427

Behrens, U. (1999): „Sozialdisziplinierung“ als Konzeption der Frühneuzeitforschung. Genese,


Weiterentwicklung und Kritik. Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 12, S. 35 –
68.
Bell, D. (1976): The Coming of Post-industrial Society. New York.
Bittner, E. (1970): The functions of the police in modern society: A review of background fac-
tors, current practices, and possible role models. Washington D.C.
Bowling, B. & Foster, J. (2002): Policing and the Police, in: M. Maguire, R. Morgan & R. Reiner
(Hrsg.), The Oxford Handbook of Criminology. 3rd ed. Oxford, New York, S. 980 – 1033.
Brinkhoff, S. (2017): Big Data Data Mining by the Dutch Police: Criteria for a Future Method of
Investigation. European Journal for Security Research 2, S. 57 – 69.
Brodeur, J.-P. (1983): High Policing and Low Policing: Remarks About the Policing of Political
Activities. Social Problems 30, S. 507 – 520.
Brodeur, J.-P. (2010): The policing web. Oxford, New York.
Busch, H., Funk, A., Krauß, U., Narr, W.-D. & Werkentin, F. (1984): Die Polizei in der Bundes-
republik. Frankfurt a. M., New York.
Byrne, J. & Marx, G. (2011): Technological Innovations in Crime Prevention and Policing. A
Review of the Research on Implementation and Impact. Cahiers Politiestudies 20, S. 17 – 40.
Castells, M. (2001): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Das Informationszeitalter. Lever-
kusen.
Charles, S. (2009): For a Humanism Amid Hypermodernity: From a Society of Knowledge to a
Critical Knowledge of Society. Axiomathes 19, S. 389.
Dechesne, F., Dignum, V., Zardiashvili, L. & Bieger, J. (2019): AI & Ethics at the Police: To-
wards Responsible use of Artificial Intelligence in the Dutch Police. Leiden, Delft (White
Paper).
Deflem, M. (2002): Policing World Society: Historical Foundations of International Police Co-
operation. Oxford.
Devroe, E. & Ponsaers, P. (2017): European national police systems and metropolitan realities,
in: E. Devroe, A. Edwards & P. Ponsaers (Hrsg.), Policing European Metropolises: The Po-
litics of Security in City-Regions. Abingdon, Oxon, New York: S. 23 – 73.
Edwards, A. (2017): Big data, predictive machines and security. The minority report, in:
M. McGuire & T.J. Holt (Hrsg.), The Routledge Handbook of Technology, Crime and Justice.
Abingdon, Oxon, S. 451 – 461.
Egbert, S. (2018): Predictive Policing in Deutschland. Grundlagen, Risiken, mögliche Zukunft,
in: Strafverteidigervereinigungen, Organisationsbüro (Hrsg.), Räume der Unfreiheit, Texte
und Ergebnisse des 42. Strafverteidigertages Münster, 02. – 04. 03. 2018. Berlin, S. 241 –
265 (Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen).
Emsley, C. (Hrsg.) (2016a): Theories and origins of the modern police. London, New York.
Emsley, C. (Hrsg.) (2016b): Introduction, in: C. Emsley (Hrsg.), Theories and origins of the mo-
dern police. London, New York: S. xi – xxiv.
Europol (2019): Do Criminals Dream of Electric Sheep? How Technology Shapes the Future of
Crime and Law Enforcement. The Hague.
428 Detlef Nogala

Freitag, W. (2001): Mißverständnis eines „Konzeptes“: Zu Gerhard Oestreichs „Fundamental-


prozeß“ der Sozialdisziplinierung. Zeitschrift für Historische Forschung 28, S. 513 – 538.
Gash, T. & Hobbs, R. (2018): Policing 4.0 – Deciding the future of policing in the UK. London.
Gerstner, D. (2019): Using Predictive Policing to Prevent Residential Burglary, in: D. Nogala,
T. Görgen, J. Jurczak, B. Mèszáros, P. Neyroud, L.G. Pais & B. Vegrichtovà (Hrsg.), Inno-
vations in Law Enforcement – Implications for practice, education, and civil society. Luxem-
bourg, S. 113 – 123, (European Law Enforcement Research Bulletin – Special Conference
Edition 4).
Grutzpalk, J., Bruhn, A., Fatianova, J., Harnisch, F., Mochan, C., Schülzke, B. & Zischke, T.
(Hrsg.) (2009): Beiträge zu einer vergleichenden Soziologie der Polizei. Potsdam.
Hardyns, W. & Rummens, A. (2018): Predictive Policing as a New Tool for Law Enforcement?
Recent Developments and Challenges. European Journal on Criminal Policy and Research
24, S. 201 – 218.
Härter, K. (2010a): Security and „Gute Policey“ in Early Modern Europe: Concepts, Laws and
Instruments. Historical Social Research 35/4, S. 41 – 65.
Härter, K. (2010b): Policey kompakt. Rechtsgeschichte – Legal History 2010, S. 195 – 197.
Härter, K. (2016): Sicherheit und gute Policey im frühneuzeitlichen Alten Reich, in: B. Dollin-
ger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Sicherer Alltag? Politiken und Mechanismen der Sicher-
heitskonstruktion im Alltag. Wiesbaden, S. 29 – 55.
Herold, H. (1970): Kybernetik und Polizeiorganisation. Die Polizei 61, S. 33 – 37.
Herold, H. (1974): Künftige Einsatzformen der EDV und ihre Auswirkungen im Bereich der
Polizei. Kriminalistik 28, S. 385 – 392.
Herold, H. (1976): Rationalisierung und Automation in der Verbrechensbekämpfung. Univer-
sitas 31, S. 63 – 74.
Herold, H. (1977): Polizeiliche Informationsverarbeitung als Basis der Prävention, in: Deutsche
Kriminologische Gesellschaft (Hrsg.), Prävention und Strafrecht. Tagungsberichte der Deut-
schen Kriminologischen Gesellschaft vom 4. Dezember 1976. Heidelberg, S. 23 – 35.
Herold, H. (1984): CILIP Interview mit Horst Herold II. Bürgerrechte und Polizei/CILIP 18,
S. 30 – 46.
Home Office (2019): Future technology trends in security. London.
INTERPOL & UNICRI (2019): Artificial Intelligence and Robotics for Law Enforcement. Tori-
no: Unicri; http://www.unicri.it/news/article/Artificial_Intelligence_Robotics_Report.
Iseli, A. (2009): Gute Policey: Öffentliche Ordnung in der frühen Neuzeit. Stuttgart.
Kääriäinen, J. (2017): Why Trust in the Police Varies Between European Countries, in: D. No-
gala, K. Neidhardt, T. Görgen, J. Kersten, J.-M. Fiquet & G. Meško (Hrsg.), Policing civil
societies in times of economic constraints. Contributions to the 2013 CEPOL European Po-
lice Research and Science Conference Münster, Germany, 11.–13. September 2013. Luxem-
bourg, S. 91 – 100.
Knemeyer, F.-L. (1967): Polizeibegriffe in Gesetzen des 15. bis 18. Jahrhunderts: Kritische Be-
merkungen zur Literatur über die Entwicklung des Polizeibegriffs. Archiv des öffentlichen
Rechts 92, S. 153 – 180.
Von der Policey zur PolizAI 429

Knemeyer, F.-L. (1978): Polizei, in: O. Brunner, W. Conze & R. Kosseleck (Hrsg.), Geschicht-
liche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland.
Stuttgart, S. 875 – 897.
Knöbl, W. (1998): Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozess: Staatsbildung und innere
Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700 – 1914. Frankfurt a. M., New York.
Kunz, K.-L. & Singelnstein, T. (2016): Kriminologie: Eine Grundlegung. UTB. Bern.
Lehne, W. (1992): Die Polizei – Dienstleistungsbetrieb oder Institution staatlicher Herrschafts-
sicherung. Kriminologisches Journal, Beiheft Nr. 4, S. 34 – 45.
Loick, D. (Hrsg.) (2018): Kritik der Polizei. Frankfurt a. M.
Maier, H. (1965): Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre. München.
Marx, G.T. (2007): The Engineering of Social Control: Policing and Technology. Policing 1/1,
S. 46 – 56.
Marx, G.T. (2016): Windows into the Soul: Surveillance and Society in an Age of High Tech-
nology. Chicago, London.
Meško, G., Fields, C., Šifrer, J. & Eman, K. (2017): Understanding Trust in Police and Legiti-
macy in Central Eastern Europe, in: D. Nogala, K. Neidhardt, T. Görgen, J. Kersten, J.-M.
Fiquet & G. Meško (Hrsg.), Policing civil societies in times of economic constraints. Con-
tributions to the 2013 CEPOL European Police Research and Science Conference Münster,
Germany, 11. – 13. September 2013. Luxembourg, S. 73 – 82.
Nogala, D. (1989): Polizei, avancierte Technik und soziale Kontrolle. Funktion und Ideologie
technikbesetzter Kontrollstrategien im Prozeß der Rationalisierung von Herrschaft – Mit
einem Vorwort von Fritz Sack. Pfaffenweiler (Hamburger Studien zur Kriminologie Band 6).
Nogala, D. (1995): The future role of technology in policing, in: J.-P. Brodeur (Hrsg.), Com-
parison in policing: an international perspective. Avebury, S. 191 – 210.
Nogala, D. (2003): Des Erkennungsdienstes Kern. Gegenwart und Zukunft von genetischen
Fingerabdrücken, in: Humanistische Union (Hrsg.), Innere Sicherheit als Gefahr. Berlin,
S. 286 – 302.
Nogala, D. (2005): To be on someone’s side – Kriminologie als Konfliktwissenschaft, in: A. Pil-
gram & C. Prittwitz (Hrsg.), Jahrbuch für Rechts- und Kriminalsoziologie 2004. Baden-
Baden, S. 73 – 93.
Nogala, D. (2019): Polizei, avancierte Technik und soziale Kontrolle – wie geht’s dem Frosch
heute? Vorgänge – Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, S. 21 – 32.
Oestreich, G. (1969): Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Ber-
lin.
Petit, N. (2018): Artificial Intelligence and Automated Law Enforcement: A Review Paper. Ro-
chester, NY: Social Science Research Network; https://papers.ssrn.com/abstract=3145133
[08. 06. 2020].
Rawlings, P. (2008): Policing before the police, in: Newburn, T. (Hrsg.), Handbook of policing.
2nd ed. Cullompton, S. 47 – 71.
430 Detlef Nogala

Richardson, R., Schultz, J.M. & Crawford, K. (2019): Dirty Data, Bad Predictions: How Civil
Rights Violations Impact Police Data, Predictive Policing Systems, and Justice. New York
University Law Review 94, S. 193 – 233.
Roché, S. (2017): Police science: science of the police or science for the police? Conceptual
clarification and taxonomy for comparing police systems, in: Nogala, D., Fehérváry, J.,
Jaschke, H.-G. & den Boer, M. (Hrsg.), Police Science and Police Practice in Europe: Con-
tributions to CEPOL European Police Research and Science Conferences – Bramshill, Müns-
ter, Traiskirchen, Badhoevedorp, Oslo and Lyon. European Police Science and Research
Bulletin, Special Conference Edition Nr. 3, Luxembourg, S. 47 – 74.
Sato, M., Haverkamp, R. & Hough, M. (2017): Trust in the German Police, in: D. Nogala,
K. Neidhardt, T. Görgen, J. Kersten, J.-M. Fiquet & G. Meško (Hrsg.), Policing civil societies
in times of economic constraints. Contributions to the 2013 CEPOL European Police Rese-
arch and Science Conference Münster, Germany, 11.–13. September 2013. European Police
Science and Research Bulletin, Special Conference Edition Nr. 1. Luxembourg, S. 83 – 90.
Schlögl, R. (2001): Rezension von „Policey im Europa der Frühen Neuzeit“ (Jus commune, Son-
derhefte, Bd. 83). Der Staat 40, S. 476 – 478.
Seidensticker, K. (2017): Prädiktive Analysen in Raum und Zeit. Monatsschrift für Kriminolo-
gie und Strafrechtsreform 100, S. 291 – 306.
Shay, L.A., Hartzog, W., Nelson, J., Larkin, D. & Conti, G. (2016): Confronting automated law
enforcement. Robot Law, S. 235 – 273.
Shearing, C. (2001): A nodal conception of governance: Thoughts on a policing commission.
Policing and Society 11, S. 259 – 272.
Shearing, C. (2011): Re-considering the Field of Policing: A Review of The Policing Web. Ca-
nadian Journal of Criminology and Criminal Justice 53, S. 325 – 341.
Stanley, J. (2019): The Dawn of Robot Surveillance – AI, Video Analytics, and Privacy. ACLU
American Civil Liberties Union; https://www.aclu.org/sites/default/files/field_document/
061819-robot_surveillance.pdf.
Stolleis, M. (Hrsg.) (1996): Policey im Europa der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M.
Vera, A. (2019): „Die Polizei vor der Polizei“ – Die geschichtliche Entwicklung der Polizei in
Antike, Früher Neuzeit und Mittelalter. Archiv für Polizeigeschichte 16, S. 2 – 10.
Vitale, A.S. (2017): The end of policing. London.
Vittorio, M. (2019): The Effectiveness of Predictive Policing. ACJS Today, S. 19 – 27.
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei –
präventiv oder (doch nur) repressiv
Ergebnisse zur Akzeptanz und Wirksamkeit in Bayern

Von Peter Sutterer

1. Einleitung und Forschungsstand


Beleidigungen und Behinderungen von sowie körperliche Angriffe auf Rettungs-
und Einsatzkräfte werden seit geraumer Zeit öffentlich problematisiert. Der Gesetz-
geber hat auf diese Entwicklung durch eine Reform der §§ 114, 115 und 323c StGB
zur „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ im
Jahr 2017 reagiert (Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 30). Quantitativ wie qualitativ richtet
sich der Fokus vorwiegend auf das Phänomen der „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamte“1. Angesichts gerade medial vielfach thematisierter Zunahmen
von Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte wurde
2011 von der Innenministerkonferenz (IMK) beschlossen, Lagebilder zu Gewaltta-
ten gegen Polizeibeamte nach einheitlichen Standards zu erstellen. Diese werden
jährlich in vollständiger und detaillierter Form vom Bundeskriminalamt (BKA) her-
ausgegeben. Ein Anstieg der Fallzahlen, vor allem von 2017 auf 2018, wird partiell
auf die angeführte Rechtsänderung zurückgeführt. Zurecht wird daher auf die Pro-
blematik der Vergleichbarkeit zu vorausgegangenen Statistikjahren aufgrund geän-
derter und neu gefasster Straftatbestände, v. a. hinsichtlich der Einführung des „tät-
lichen Angriffs auf die Staatsgewalt“, hingewiesen (BKA 2019, 7). In einzelnen Län-
derstatistiken und dazugehörigen Pressemeldungen der Innenministerien werden zu
den Gewaltdelikten gegen Polizeibeamte – typischerweise Widerstandshandlungen
oder der tätliche Angriff – auch Beleidigungen hinzugezählt. Entsprechend wurde in
Bayern für 2018 von „7.689 Fällen physischer und psychischer Gewalt“ berichtet.
Diese richteten sich gegen insgesamt 17.367 Polizeibeamte (Bayerischen Staatsmi-
nisterium des Innern, für Sport und Integration (BY StMI 2019a). Der Anteil der Be-
leidigungen an den Fallzahlen beträgt rd. 39 % (2.967 Fälle). Auch Befragungen von
Polizeibeamten, etwa durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen
(KFN),2 belegen diese Entwicklung in den einschlägigen Hellfeldstatistiken zur „Ge-
1
Nachfolgend wird das generische Maskulinum verwendet, ohne dass damit eine ge-
schlechterbezogene Aussage verbunden ist.
2
Vgl. etwa Ellrich, Baier & Pfeiffer (2011).
432 Peter Sutterer

walt gegen Polizeibeamte“3. Die Fallzahlen der vergangenen Jahre – einschließlich


Beleidigungsdelikte – haben Bundes- und Länderpolizeien dazu bewogen, erste Ver-
suche des Einsatzes von Körperkameras durchzuführen. Durch den Einsatz offen ge-
tragener Körperkameras, sogenannter Bodycams, sollen Maßnahmen zur Bekämp-
fung der Gewaltkriminalität optimiert und rechtswidrige Taten wie Beleidigungen
und Gewaltanwendungen gegen Polizeibeamte wirksam reduziert werden.
Der Einsatz der Bodycams ist vorwiegend als präventivpolizeiliche Maßnahme
konzipiert, die insbesondere in Kontrollsituationen zur Anwendung kommt, in
denen mit einem problematischen, entweder gefährlichen oder beweiserheblichen,
Verlauf zu rechnen ist. Mit dem Einsatz der Körperkameras werden somit im Wesent-
lichen zwei Ziele verfolgt. Zum einen erhofft man sich durch die offen und gut sicht-
bar getragene Kamera – das Einschalten der Kamera wird vorher angekündigt – eine
deeskalierende Wirkung beim polizeilichen Gegenüber. Ferner können die aufge-
zeichneten Video- und Audiosequenzen zur Beweissicherung in einem späteren
Strafverfahren verwendet werden (Arnd 2016, 104 ff.). Es wird diesen Aufzeichnun-
gen ein „bedeutender Stellenwert“ für eine Beweisführung beigemessen (Arnd 2017,
29). Erste Erfahrungen mit der Bodycam an den bayerischen Versuchsdienststellen
weisen in die gleiche Richtung. Gleichwohl besteht weiterer Forschungsbedarf. Sys-
tematische Untersuchungen und Evaluationen zum justiziellen Umgang mit dem Vi-
deomaterial, insbesondere bzgl. der Verwertbarkeit bzw. repressiven Wirksamkeit
der Bodycam im Zuge des Strafverfahrens, liegen bisher nicht vor.
In Deutschland werden Bodycams als Einsatzmittel bei den Länderpolizeien und
der Bundespolizei eher punktuell oder versuchsweise eingesetzt. Ein regelmäßiger
und flächendeckender Einsatz erfolgt bei den meisten Länderpolizeien bislang
nicht. In Bayern wird die Bodycam für uniformierte Streifenbeamte seit November
2019 flächendeckend eingesetzt (BY StMI 2019b). Im regelmäßigen Einsatz waren
dort zuletzt rd. 1.400 Bodycams. Der Einführung ging eine einjährige Pilotierungs-
phase voraus, in der zwischen dem 01. 12. 2016 und dem 20. 11. 2017 drei verschie-
dene Kameramodelle an insgesamt sieben Dienststellen von rd. 300 Beamten erprobt
wurden.4 Der Fachbereich Polizei der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bay-
ern (HfoeD) wurde vom Staatsministerium des Innern damit beauftragt, diese Pilo-
tierungsphase wissenschaftlich zu begleiten und u. a. die Wirksamkeit und Akzep-
tanz der Bodycam zu untersuchen.

3
Siehe dazu die PKS und die seit 2010 in den Bundesländern neu eingerichtete Datenbank
„Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte“ (GewaPol), in der zusätzlich Informationen
und Sachverhalte erfasst werden.
4
An der Pilotierung waren die Polizeiinspektionen (PI) Rosenheim und PI Augsburg-Mitte
sowie fünf Münchner Dienstellen (PI 11, PI14, PI21 und die Ergänzungsdienste ED1 und
ED2) beteiligt.
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 433

1.1 Fragestellungen/Forschungsstand

Zur Wirkung und Akzeptanz von Körperkameras als polizeiliches Einsatzmittel


lagen im deutschsprachigen Raum bis zum Beginn der Studie kaum belastbare Unter-
suchungen/Ergebnisse vor.5 Eine Metaevaluation von Zander (2016) macht dies
deutlich. In dieser werden überwiegend amerikanische Studien betrachtet. In den
USA liegt die Zielrichtung von Bodycam-Einsätzen allerdings eher auf der Doku-
mentation und Nachvollziehbarkeit polizeilichen Verhaltens (Lehmann 2017,
30-31, 36) und unterscheidet sich somit konzeptionell deutlich von der stärker prä-
ventiv und repressiv ausgerichteten Zielsetzung in Deutschland. Als einzige damals
verfügbare deutsche Studie wurde ein Evaluationsbericht aus Hessen zum Bodycam-
Einsatz in Frankfurt (Alt-Sachsenhausen 2012) in die vergleichende Metaevaluation
einbezogen. Zander (2016) weist dabei jedoch auf erhebliche methodische Mängel
innerhalb dieser Studie hin (52). Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu Wirk-
samkeit und Akzeptanz der Verwendung von Körperkameras im Polizeieinsatz fin-
den sich in den Studien der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz für Rheinland-
Pfalz (Arnd & Staffa, 2016; Arnd 2017, 24 ff.; Hallenberger et al. 2017). Im Kern
widmen sich die Studien der Akzeptanz gegenüber „Bodycams als Einsatzmittel“,
v. a. auch aus der Perspektive der Bürger. In den Untersuchungen zeigt sich eine über-
wiegend positive Resonanz auf die Bodycam. Die Analysen von Hallenberger et al.
(2017, 28 – 38) ergaben, dass auch diejenigen, die entweder mittelbar oder unmittel-
bar von polizeilichen Maßnahmen betroffen waren, also auch Beschuldigte, einen
Bodycam-Einsatz als „gut“ bewerten. Befragt wurden allerdings nur 118 Personen,
wovon 92 Zeugen und lediglich 9 Beschuldigte waren (Hallenberger et al. 2017, 32).
Methodisch anspruchsvoll auf der Grundlage eines experimentellen Designs ist
Manzoni & Baier (2018a, 6). Sie untersuchten über einen Zeitraum von 36 Wochen
im Jahr 2017 die Wirkung von Bodycams auf das Gewaltaufkommen in der Stadt
Zürich und die Einstellung von Polizeibeamten gegenüber dem neuen Einsatzmittel
(Baier & Manzoni 2019). Bei drei von fünf Regionalwachen wurden die Streifenbe-
amten im Wochenwechsel (randomisiertes Design) mit/ohne Bodycams ausgestattet.
Im Ergebnis wurde eine insgesamt positive Einschätzung der Beamten zur Bodycam
festgehalten. Auch wenn sich die Resultate weitestgehend als nicht signifikant erwei-
sen und „weder Eskalation noch De-Eskalation […] sich wissenschaftlich für den
Einsatz von Bodycams nachweisen“ (Baier & Manzoni 2018b, 690) lassen, kommen
die Autoren zu dem Schluss, dass sich die „physische Gewalt gegen Polizistinnen und
Polizisten […] bei Einführung von Bodycams den Befunden folgend um ca. ein Drit-
tel senken“ lässt (Baier & Manzoni 2018b, 691). Die Autoren weisen, u. a. mit Blick
auf den kurzen Zeitraum des Experiments sowie seine räumliche und sozialstruktu-
relle Begrenztheit, auf mögliche Grenzen der Studie hin und fordern deshalb weitere
Evaluationsuntersuchungen, die nicht nur das Gewaltaufkommen im Blick haben
5
Erste Pilotierungen von Körperkameras in zwei Präsidien in Rheinland-Pfalz wurde von
Arnd & Staffa (2016, 190 ff.) untersucht. Diese Studie liefert interessante Hinweise zur
Wirksamkeit der Bodycam. Die Datenbasis ist allerdings wenig belastbar (Befragungen; N =
~ 40).
434 Peter Sutterer

(Baier & Manzoni 2018b, 691). Eine Studie von Kersting et al. (2019) kommt für
Nordrhein-Westfalen zu ähnlich positiven Resultaten. In einem Zeitraum von rd.
neun Monaten (Mai 2017 bis Januar 2018) wurden in sechs Pilotwachen zu Versuchs-
zwecken Köperkameras mitgeführt. In diesen Wachen wurde die Schicht jeweils
hälftig mit und ohne Bodycam ausgestattet. Im Ergebnis konstatieren Kersting et
al. (2019, 6, 119) eine deeskalierende Wirkung durch die Bodycams, obwohl der An-
teil „der registrierten geschädigten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den
Schichten mit Bodycam über dem Anteil in den Schichten ohne Bodycam“ lag (Kers-
ting et al. 2019, 6, 119). Dies führen sie auf ein unangemessen zurückhaltendes Ein-
schreiten und eine formalere Sprache während des Bodycam-Einsatzes, insbesonde-
re durch Polizeibeamtinnen, zurück (Kersting et al. 2019, 6, 119). Die Autoren sehen
eine abschreckende Wirkung durch die Bodycam im Sinne des Rational-Choice-An-
satzes (Kersting et al. 2019, 7, 13 f., 44). Allerdings erstaunt, dass beispielsweise in
Situationen mit Alkoholeinfluss, bei denen ein geringeres rationales Wahlhandeln zu
erwarten ist, die Bodycam dennoch Wirkung entfaltet. Die Autoren stellen fest: „Die
Annahme, dass die Bodycam keine oder eine geringere Wirkung auf Personen mit
Beeinträchtigungen des Erlebens und Verhaltens (insb. Alkohol- und Drogenein-
fluss) ausübt, bestätigte sich nicht“ (Kersting et al. 2019, 6, 82 f.).
Ähnlich den aufgeführten Studien für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und
Zürich wurde von der Bayerischen Polizei über einen Zeitraum von zwölf Monaten
(01. 12. 2016 bis 30. 11. 2017) eine umfängliche Pilotierung in insgesamt sieben
Dienststellen in den Städten Rosenheim, Augsburg und München durchgeführt.
Die Zuständigkeit der Dienststellen beinhalteten auch sog. „Hot Spots“ (Bahnhofs-
bereich, „Feiermeilen“ u. Ä.). Der Fachbereich Polizei der Hochschule für den öf-
fentlichen Dienst in Bayern (HfoeD) wurde nach bereits vorliegenden polizeiinter-
nen Vorausplanungen kurz vor dem Start der Pilotierungsphase mit der wissenschaft-
lichen Begleitung betraut. Ein Einfluss auf das Erprobungsdesign war deshalb nur
noch im vorgegebenen Rahmen möglich.6

1.2 Pilotprojekt Bodycam in Bayern: Ziele/Fragestellungen

Mit dem Bodycam-Einsatz sind verschiedene Zielsetzungen und Fragestellungen


verknüpft. Entlang der Fragestellungen in den Studien der anderen Bundesländer
stand auch in Bayern die Untersuchung einer eventuellen (kriminal-)präventiven
Wirkung der Bodycam, der unterstellten Fähigkeiten sowie möglicher Grenzen
ihres Einsatzes im Mittelpunkt der Betrachtung.7 So wurde in erster Linie eine dees-
kalierende Wirkung auf gewaltbereite Personen angenommen. Konkret ging es in der
Studie u. a. darum, ob der präventiv ausgerichtete Einsatz einen wirkungsvollen Bei-
trag zum Schutz der Polizeibeamten vor Beleidigungen und vor Gewalttaten leistet.

6
Vor allem ein „echtes“ randomisiertes Design konnte nicht mehr hergestellt werden.
7
Zu den präventiven und repressiven Erwartungen der polizeilichen Projektgruppe an die
Bodycam siehe Sutterer & Stangl (2018, 17).
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 435

Zudem wurde untersucht, ob der Einsatz der Bodycam die Durchsetzung polizeili-
cher Maßnahmen erleichtert sowie zur Beweiserhebung und Beweissicherung bei-
trägt. Gleichzeitig sollte festgestellt werden, ob sich der Einsatz auf das Beschwer-
deaufkommen auswirkt. Im Zentrum der Studie standen außerdem Fragen zur Ak-
zeptanz bei Polizeibeamten und in der Bevölkerung. Aus polizeilicher Sicht wurden
die Einstellung zur Bodycam generell, Erwartungen an ihren Nutzen, aber auch
denkbare Befürchtungen im Zusammenhang mit Bodycam-Aufnahmen – etwa das
Gefühl einer erweiterten Dienstaufsicht oder allgemein einer verstärkten Verhaltens-
kontrolle – thematisiert. Ein nicht oder wenig akzeptiertes Einsatzmittel wird erfah-
rungsgemäß nicht genutzt. Zur Akzeptanz seitens der Polizeibeamten tragen maß-
geblich ein erkennbarer Nutzen und geringe persönliche Befürchtungen bei.8

1.3 Einjährige Pilotierung in Bayern

Im Rahmen der einjährigen Erprobung wurden drei Kameramodelle an sieben


Dienststellen eingesetzt. Die drei Kameramodelle wurden nach jeweils vier Monaten
an den Pilotierungsdienststellen reihum gewechselt. Das Pre-Recording9 wurde wäh-
rend der Versuchsphase technisch unterbunden. An den beteiligten Dienststellen
wurde ein Teil der Beamten mit den Bodycams ausgerüstet und dafür eigens recht-
lich, taktisch und technisch im Umgang mit den Geräten geschult. Die Teilnahme war
freiwillig. Es wurden verschiedene Rollen mit unterschiedlichen Berechtigungen
eingeführt. Rolle 1 war auf den kameraführenden Beamten zugeschnitten10. Die Rol-
len 2 und 3, Beamte mit Vorgesetztenfunktion und Administratoren, hatten erweiterte
Befugnisse, wie beispielsweise die Zuweisung der Kameras, die Prüfung des ord-
nungsgemäßen Überspielens der Aufzeichnungen oder die Sichtung der Filmsequen-
zen. Für Administratoren (Rolle 3) kam die Pflege des Betriebssystems, die Rechte-
vergabe und vieles mehr hinzu. Die Aufzeichnungen wurden auf lokalen Servern in
den Dienststellen und nicht in der Cloud gespeichert. Mittels einer „Poollösung“ mit
insgesamt 27 Kameras in den jeweiligen Dienststellen war sichergestellt, dass jede
Pflicht- und Inspektionsstreife (i. d. R. Doppelstreifen) eine Bodycam mitführen
konnte. Eine explizite „Mannausstattung“, d. h. eine Bodycam für jeden Streifenbe-
amten, war nicht vorgesehen. Rund 300 Beamte nahmen an diesem Versuch teil. Auf
Veranlassung der Projektleitung beim PP München11 wurden die Erfahrungen unmit-
telbar nach Einsatzende von den kameraführenden Beamten auf Dokumentationsbö-
gen festgehalten. Die Bodycam wurde rd. 41.000 Stunden im Streifendienst (Dop-

8
Zu den Fragestellungen und den verwendeten Methoden siehe Sutterer & Stangl (2018).
9
Die Kameras sind i. d. R. technisch so eingerichtet, dass, sobald der kameraführende
Beamte die Aufzeichnung auslöst, im internen Kameraspeicher auch die Film-/Tonsequenzen
vor diesem Auslösen festgehalten werden (meist 30 – 60 Sekunden).
10
Der Hinweise „keine Rolle“ referiert in den nachfolgenden Tabellen auf Beamte ohne
Bodycam.
11
Die Projektleitung für die bayerische Erprobung des Einsatzmittels Bodycam lag beim
PP München, Herrn LPD Andreas Schaumaier.
436 Peter Sutterer

pelstreife) und zusätzlich rd. 1.400 Stunden in Einsatzgruppen bei den Herbstvolks-
festen, wie etwa beim Münchner Oktoberfest, mitgeführt.12 In 954 Fällen wurden
Aufzeichnungen gefertigt.

2. Methoden der Begleitstudie


Die wissenschaftliche Untersuchung zum Pilotprojekt „Bodycam“ in Bayern
stützt sich auf verschiedene Datenquellen und Erhebungsverfahren. Methodisch
wird auf ein multimethodales Vorgehen (Mixed-Methods-Ansatz) im Sinne der Me-
thodentriangulation zurückgegriffen.13 Dabei werden sowohl quantitative als auch
qualitative Methoden berücksichtigt, um ein umfassendes Bild zur Bodycam als
neues Einsatzmittel zu erhalten (siehe Abbildung 1, Untersuchungsplan).
Die vorliegenden Befunde basieren auf vier Befragungswellen im Abstand von
jeweils vier Monaten in den Pilotierungsdienststellen (t1 bis t4a). Die erste Befra-
gung (t1: Vorbefragung) fand unmittelbar vor der Einführung des Bodycam-Ver-
suchs statt. Nach wiederholten Befragungen im Abstand von vier Monaten (t2 und
t3) wurde eine „Abschlussbefragung“ kurz nach dem Ende der einjährigen Erpro-
bungsphase in den beteiligten Dienststellen (t4a) durchgeführt. Die Zielgruppe der
Befragung war die Gesamtheit der Vollzugsbeamten in den jeweiligen Dienststellen.
Da nur ein Teil der Beamten (rd. 300 Beamte) am Bodycam-Trageversuch teilnahm,
wird in den Befragungen und den Auswertungen zwischen Beamten mit und ohne
Bodycam-Rolle unterschieden. Bei der dritten Befragungswelle (t3) handelte es
sich um eine Befragung mit Kurzfragebogen. Bei der „Abschlussbefragung“ wurden
zusätzlich vergleichbare Dienststellen14 einbezogen, die nicht am Bodycam-Versuch
teilgenahmen (t4b). Die Anzahl der Items unterschied sich in den vier Befragungs-
wellen. Insgesamt stützt sich die Studie auf 1.245 Einzelbefragungen in den insge-
samt fünf Befragungssets.15 In den Analysen wurden ferner Beschwerdestatistiken,
Statistiken zur Gewalt gegen Polizeibeamte sowie die Daten aus den Dokumentati-
onsbögen der kameraführenden Beamten berücksichtigt. Die beteiligten Pilotie-
rungsdienststellen wurden gebeten, im Viermonatsrhythmus anhand leitfadenge-
stützter Abfragen ihre Bodycam-Erfahrungen festzuhalten. Neben diesen wurden
erste, vorläufige Erfahrungsberichte der Justiz zu Bodycam-Aufnahmen im Rahmen
des Weiteren justiziellen Verfahrens einbezogen. Letzteres hat derzeit nur einen heu-

12
Zur Sonderevaluation „Herbstvolksfeste“ (Oktoberfest in München) siehe Sutterer &
Stangl (2018, 110 ff.).
13
Zum „Mixed Methods“-Ansatz siehe etwa Johnson, Onwuegbuzie & Turner 2007.
14
Zu den Vergleichsdienststellen zählen die Polizeiinspektionen PI Bamberg Stadt, PI
Nürnberg Mitte, PI Ingolstadt, PI Landshut und die PI Regensburg Süd.
15
An der Vorbefragung (t1) nahmen 311 Befragte, an der ersten Folgebefragung (t2) nach
vier Monaten 207 und an der zweiten Folgebefragung (t3) nach weiteren vier Monaten 301
Befragte teil. An der Abschlussbefragung (t4a) nahmen 249 Beamte und der Vergleichs-
befragung (t4b) 177 Beamte teil (Sutterer & Stangl 2018, 27 f.).
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 437

ristischen Wert, da fundierte Analysen zu den polizeilichen und justiziellen Verfah-


ren im Zusammenhang mit Audio-/Videoaufzeichnungen aufgrund geringer Fallzah-
len zum Untersuchungszeitpunkt nicht möglich waren.
Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse basieren auf den genannten unter-
schiedlichen Datenquellen. Die Erfahrungen der Bodycam-Träger (mit BC-Rolle)
an den einbezogenen Dienststellen basieren auf insgesamt 7.773 Bodycam-Mitnah-
men (t2: 2.338; t3: 3.428; t4a: 2.007) innerhalb des Versuchszeitraums (Sutterer &
Stangl 2018, 32).

Abbildung 1: Untersuchungsplan zum Pilotprojekt „Bodycam“ in Bayern

3. Ergebnisse
Die Einstellung zur Bodycam, die Erwartung an ihren Nutzen, aber auch mögliche
Befürchtungen wurden in den Befragungen thematisiert. Wird beispielsweise erwar-
tet, dass der präventive Druck auf das polizeiliche Gegenüber erhöht wird, dass Be-
leidigungen oder das Gewaltverhalten gemindert werden oder kommt es zu Befürch-
tungen, dass gar gegenteilige Effekte, etwa eine Aggressionssteigerung durch die Ka-
mera, erzeugt werden? Gibt es ferner seitens des Beamten, der die Kamera einsetzt,
Befürchtungen dahingehend, dass er in der Einsatzsituation beobachtbar und kon-
trollierbar wird? Wird deshalb etwa befürchtet, dass Ermessens- und Entscheidungs-
spielräume eingeengt werden oder dass der Beamte einer erhöhten Dienstaufsicht/
Beobachtung durch das neue Einsatzmittel ausgesetzt wird? Schließlich stellt sich
die Frage, wie sich die Akzeptanz dieses neuen Einsatzmittels insgesamt erweist.
Entlang dieser Fragen wird untersucht, (1) inwiefern solche Erwartungen und Be-
fürchtungen überhaupt vorliegen, es (2) mit zunehmender Bodycam-Erfahrung Ver-
änderungen in der Einstellung der Beamten zu diesem neuen Einsatzmittel gibt und
438 Peter Sutterer

sich (3) hierin ggf. Beamte mit und ohne unmittelbare Bodycam-Erfahrung unter-
scheiden. Neben der Akzeptanz beim Beamten stellt sich die Frage nach der (4) Ak-
zeptanz beim unbeteiligten Bürger. Sodann sind dies (5) Fragen zu einer von Body-
cam-Beamten perzipierten präventiven Wirkung, zu den Rahmenbedingungen unter
denen dieses neue Einsatzmittel Wirkung entfalten kann, bzw. eben nicht entfaltet
sowie Fragen nach einem (6) Nachweis derartiger Effekte. Dieser wird zunächst (in-
tern) anhand von dokumentierten Bodycam-Einsätzen und anschließend (extern)
über einschlägige Statistiken zur Gewalt gegen Polizeibeamte geführt. Zuletzt
wird auf die Frage nach (7) möglichen repressiven Wirkungen von Bodycam-Auf-
zeichnungen eingegangen. Das Datenmaterial beruht zum Untersuchungszeitpunkt
auf Wahrnehmungen von Polizeibeamten, Berichten von Dienststellenleitern an
den Versuchsdienststellen und der Staatsanwaltschaft. Aufgrund der bislang gerin-
gen Fallzahlen von Aufzeichnungen, die in ein justizielles Verfahren eingebracht
wurden, ist eine abschließende empirische Beurteilung zur repressiven Wirkung je-
doch nicht möglich.

3.1 Interne Akzeptanz (Erwartungen/Befürchtungen)

Insgesamt zeigt sich, dass die Erwartungen an die Bodycam überwiegend positiv
konnotiert sind. Man verspricht sich generell einen zusätzlichen Nutzen im täglichen
Einsatzgeschehen. Dies betrifft sowohl Befragte mit als auch ohne Bodycam-Erfah-
rung.
Von den Mitarbeitern an den Pilotierungsdienststellen wird von der Bodycam als
Einsatzmittel eine mittlere bis hohe präventive Wirksamkeit erwartet, beispielswei-
se, dass „Gewaltverhalten (Widerstand/KV) beim polizeilichen Gegenüber gemin-
dert wird und Beleidigungen zurückgehen“, und dass „durch den Einsatz der Body-
cam das Ziel der polizeilichen Maßnahmen schneller erreicht wird“.16 Weiterhin wird
angenommen, dass sich ganz allgemein der „präventive Druck auf das polizeiliche
Gegenüber erhöht“. Ebenso wird von den Beamten eine repressive Wirkung für den
weiteren Verlauf des (Straf-)Verfahrens erwartet.
Die interne Akzeptanz gegenüber der Bodycam ist somit hoch. Die Bodycam-Trä-
ger haben sich bereits nach kurzer Zeit mehrheitlich an die Kamera gewöhnt, ledig-
lich auf ein Viertel trifft dies nur teilweise zu. Die Bodycam wird nach einer zwölf-
monatigen Erprobung von der Mehrheit der Beamten (rd. 70 %; siehe Tabelle 1) als
fest etabliertes Einsatzmittel auf der Dienststelle angesehen. Dieses hohe Maß an
Vertrautheit teilen auch diejenigen Beamten, die bei diesem Versuch keine eigene
Bodycam-Rolle einnahmen.

16
Zu den wörtlichen Zitaten und zitierten Items siehe Sutterer & Stangl (2018).
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 439

Tabelle 1
Positive Erwartungen/Erfahrungen bzgl. der Bodycam (Beamte mit einer BC-Rolle)
Befragung* N Mean STD % von N für
Zustimmung**
1. Auswirkungen auf den BC-Träger: t3 292 2,18 0,83 70,5 %
„Ich fühle mich abgesichert in der
Durchsetzung von Maßnahmen t4a nicht erhoben
aufgrund der BC-Dokumentation.“
2. Allgemeine Beurteilung zur BC: t3 294 2,10 0,78 73,1 %
„Die Bodycam ist nach … [8/12]
Monaten ein fest etabliertes Einsatz- t4a 114 2,09 0,96 68,4 %
mittel auf der Dienststelle.“

53,9 %
t3 219 2,58 1,21
(25,1 %
3. „Ich selbst habe mich an die = teils-teils)
Kamera gewöhnt“
57,0 %
t4a 165 2,42 1,20
(24,2 %
= teils-teils)
Item 1 und 2: vierstufige Skala (1 = trifft voll zu … 4 = trifft gar nicht zu)
Item 3: fünfstufige Skala (1 = trifft voll zu … 5 = trifft gar nicht zu)
* t3 nach 8 Mon., t4 nach 12 Mon.
**„trifft voll zu“ und „trifft eher zu“

Gerade im Vorfeld der Einführung werden positive Möglichkeiten mit Blick auf
Prävention und Repression antizipiert. Nach Beendigung des Versuchs befürwortet
eine deutliche Mehrheit die Einführung der Bodycam (83 %).17 Die hohen Akzep-
tanzwerte decken sich mit den Ergebnissen anderer Studien (etwa Arnd 2017, 26).
Befürchtungen im Zusammenhang mit dem neuen Einsatzmittel werden von den
Beamten eher verneint. Gefragt wurde u. a. nach auf den Träger bezogene Befürch-
tungen. Konkret geht es darum, ob „die Videoaufnahmen ein falsches Bild vom Ver-
halten des Beamten in der Einsatzsituation abgeben“, ob die Verwendung „zu ver-
mehrten Disziplinar-/Strafverfahren gegen Polizeibeamte führt“ oder, ob es insge-
samt zu „einer erhöhten Dienstaufsicht/Beobachtung gegenüber den Beamten
kommt“. Ein ambivalentes Gefühl dazu ist bei den Beamten durchaus vorhanden,
auch wenn die Befürchtungen tendenziell eher verneint werden. Deutlicher werden
Befürchtungen eines Mehraufwandes in Form zunehmender Sachbearbeitung (ver-
mehrte Schreibarbeit, Datenerfassung, Auf-/Abrüstzeiten etc.) im Vorfeld der Erpro-
bung geäußert. Dennoch fallen die Zustimmungswerte für eine Einführung der Bo-
dycam bei der bayerischen Polizei durchgängig sehr hoch aus. Etwaige Befürchtun-
gen bzgl. einer negativen Wirksamkeit, beispielsweise in der Form, dass „die Body-
17
Siehe Sutterer & Stangl 2018, 41. Nähere Informationen zu den nachfolgend darge-
stellten Ergebnissen siehe Sutterer & Stangl 2018, 31 ff.
440 Peter Sutterer

cam die Aggression beim Gegenüber eher erhöht“, bestätigen sich grundsätzlich
nicht. Sie scheinen nur in einzelnen, speziellen Einsatzkonstellationen begründet
(so z. B. unter Alkoholeinfluss).
Insgesamt zeigen sich keine Differenzen zwischen der Befragung an den Pilotie-
rungsdienststellen vor dem Bodycam-Versuch (t1) und einer ein Jahr späteren Befra-
gung an jenen Vergleichsdienststellen, die nicht in den Versuch eingebunden waren
(t4b) (siehe Abbildung 2a/b). Das heißt, solange noch keine einschlägigen Bodycam-
Erfahrungen gesammelt werden konnten, lagen die gleichen (positive/negative) Er-
wartungen vor. Interessant sind dagegen die neuen Einschätzungen nach einer gewis-
sen Zeit mit Bodycam-Erfahrung.

* Vierstufige Skala (1 = trifft voll zu … 4 = trifft gar nicht zu). Bei t4b zusätzliche Items abgebildet.

Abbildung 2a/b:(a) Positive Erwartungen an die Bodycam und


(b) Befürchtungen wegen der Bodycam; Vergleich von Vorbefragungen
an Pilotierungsdienststellen vor der Einführung (t1) und Befragungen
an vergleichbaren Dienststellen ohne BC-Projektbeteiligung
nach zwölf Monaten (t4b)*
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 441

3.2 Realitätsanpassung der Erwartungen und Befürchtungen


durch die Bodycam-Praxis
Die Folgebefragungen nach vier, acht und zwölf Monaten Praxiserfahrung mit der
Bodycam im Einsatz zeigen eine partielle Abnahme der zunächst deutlich positiven
Anfangserwartungen (siehe Tabelle 2a). Die Veränderung in der Erwartungshaltung
ist statistisch signifikant, bleibt in der Tendenz aber positiv. So werden einzelne, in
der Vorbefragung noch deutlicher positiv konnotierte Erwartungen an die Bodycam
als Einsatzmittel nach ersten Praxiserfahrungen nicht mehr so deutlich positiv beur-
teilt. Dies betrifft etwa den präventiven Druck auf das polizeiliche Gegenüber. Eine
Ausnahme bildet die Erwartung an die repressiven Möglichkeiten, die durch die Bo-
dycam eröffnet werden. Durch die Praxiserfahrung erhöht sich hier die Anzahl der
Beamten, die dem Bodycam-Einsatz eine repressive Wirkung beimessen. In diesem
Spannungsfeld zwischen Prävention und Repression wird vermutlich von den Beam-
ten implizit eine Art „präemptive“ Wirkung von der Kamera erhofft. Dieses Einsatz-
mittel wird eher nicht im Sinne einer langfristig und nachhaltig gedachten Prävention
gesehen. Die Bodycam ist analog zu einem „präemptiven“ Konzept ein Mittel für
„Maßnahmen, die unmittelbar an [..] Situationen und Personen ansetzen, von und
in denen besondere Risiken vermutet werden“. Solche Risiken hinsichtlich potenzi-
eller Gewalt gegen Polizeibeamte sollen durch „(…) sofortigen Eingriff und direkte
(!sic) Abschreckung neutralisiert werden“ (Albrecht 2016, 226).
Auch die Einschätzung hinsichtlich der Befürchtungen im Zusammenhang mit
der Bodycam (siehe Tabelle 2b) verändert sich. So wird in den Folgebefragungen bei-
spielsweise seltener die Befürchtung geäußert, dass es zu vermehrten Disziplinar-/
Strafverfahren gegen Polizeibeamte kommen könnte. Die Pilotierungsdienststellen
berichten ebenso (siehe Erfahrungsberichte), dass etwaige Vorbehalte gegen den
Einsatz der Bodycam im Laufe des Projekts größtenteils abgebaut werden. Die Be-
amten des Einzeldienstes reagieren allerdings weiterhin sensibel auf eine drohende
Verhaltenskontrolle bzw. eine erweiterte Dienstaufsicht. Bereits Gerüchte dahinge-
hend, dass die Bodycam als Kontrollmittel gegen die Polizeibeamten eingesetzt
werde, könnten dazu führen, dass die Bodycam in Einsätzen nicht mehr mitgenom-
men wird. Für die Akzeptanz der Bodycam bei den Beamten sind klar geregelte und
nachvollziehbare Verfahrensabläufe ausschlaggebend.
Es ist also eine Realitätsanpassung erkennbar. Sowohl die anfänglich zu hohen
Erwartungen als auch zu großen Befürchtungen bestätigten sich nicht und wurden
der „Einsatz- und Dienstwirklichkeit“ angepasst.
442 Peter Sutterer

Tabelle 2a
„Erwartungen“ an die Bodycam – Veränderungen im Laufe der Erprobung

Tabelle 2b
„Befürchtungen“ wegen der Bodycam – Veränderungen im Laufe der Erprobung
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 443

3.3 Erfahrungshintergrund: Beamte mit vs. ohne Bodycam

Bestätigt wird das Phänomen der „Realitätsanpassung an die Einsatz- und Dienst-
wirklichkeit“ dadurch, dass sich Beamte ohne eine Bodycam-Rolle – zwar nur leicht,
dennoch statistisch signifikant – zu den Erwartungen an die Bodycam insgesamt po-
sitiver äußern als Beamte mit einer Bodycam-Rolle. Sie erwarten eher als die Body-
cam-Träger selbst, dass sich beispielsweise der „präventive Druck auf das polizeili-
che Gegenüber erhöht“ bzw. insgesamt das „Gewaltverhalten gemindert wird“. Da-
gegen schätzen Bodycam-Beamte bereits nach acht Monaten Erprobung diese Er-
wartungen an das Einsatzmittel realistischer ein.18
Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Einsatzmittel Bodycam werden ge-
nerell als „eher unzutreffend“ beurteilt (s. o.). Interessant ist, dass Beamte mit
einer Bodycam-Rolle tendenziell mehr Befürchtungen äußern als Beamte ohne Bo-
dycam-Rolle.
Von beiden Vergleichsgruppen wird die Annahme einer „geringeren Sachbearbei-
tung bei der Sachverhaltsschilderung aufgrund der Videodokumentation“ verneint –
deutlicher von den Bodycam-Trägern. Diese äußern, dass in der Praxis ein Mehrauf-
wand an Schreibarbeit, Datenerfassung oder Auf-/Abrüstzeiten anfällt.

3.4 Akzeptanz beim unbeteiligten Bürger

Es stellt sich außerdem die Frage, wie der unbeteiligte, also nicht in eine Konflikt-
situation involvierte, Bürger auf das neue Einsatzmittel reagiert. Hierzu wäre eine
repräsentative Bevölkerungsbefragung, in der auch der Kontakt zu Bodycam-Trä-
gern berücksichtigt wird, das Mittel der Wahl. Auf dieser Basis liegen bisher
kaum belastbare Erkenntnisse zur Akzeptanz von Bodycam-Einsätzen vor (vgl.
etwa Hallenberger et al. 2017). Für Rheinland-Pfalz wurde unter Leitung von Dr. Su-
sanne Weis eine nichtrepräsentative Onlinebefragung mit 3.627 Bürgern durchge-
führt (Raab & Ast 2017). Insgesamt erfährt die Bodycam bei dieser Befragung
hohe Zustimmungswerte in der (unbeteiligten) Bevölkerung. Ein Phänomen, das
sich generell, wie die internationale Akzeptanzforschung zur Videoüberwachung
im öffentlichen Raum zeigt, sogar unabhängig von Evaluationsergebnissen zur Wirk-
samkeit, in „hohen Zustimmungsquoten“ niederschlägt (Albrecht 2016, 224 f.).
In der vorliegenden Untersuchung wird die Sichtweise und die Einstellung des Bür-
gers aus der Perzeption der Bodycam-tragenden Polizeibeamten abgeleitet.19 Body-
cam-erfahrene Beamte (mit Rolle) wurden gebeten die Wirkung und den Nutzen
der Bodycam vor dem Hintergrund eigener Praxiserfahrung einzuschätzen. Die Aus-
wertung beruht auf den Angaben von insgesamt 389 Beamten mit rd. 5.800 Tragever-
suchen im Einzeldienst. Im direkten Bürgerkontakt sehen sie einerseits die Reaktionen
18
Siehe dazu Sutterer & Stangl 2018, 48 f.
19
Als Datengrundlage dienten wiederholte Befragungen der Bodycam-Träger, Dienststel-
lenberichte und Erkenntnisse aus den teilnehmenden Beobachtungen.
444 Peter Sutterer

des „unbeteiligten“ Bürgers auf die Kamera, andererseits die des „beteiligten, betrof-
fenen“, möglicherweise alkoholisierten Bürgers in der konflikthaften Situation.
Die vorliegenden Ergebnisse decken sich mit den Erkenntnissen aus den Studien
von Hallberger et al. (2017) und Raab & Ast (2017). Es scheint so, dass die Bevöl-
kerung den Einsatz der Bodycam eher befürwortet oder ihm neutral, jedenfalls selten
ablehnend, gegenübersteht. Aus Sicht des Bodycam-Beamten nimmt der unbeteiligte
Bürger die Kamera kaum wahr, wenn doch, dann eher positiv. Diese hindert ihn
zudem nicht daran mit einem Polizeibeamten in Kontakt zu treten (Sutterer & Stangl
2018, 55). Es ist denkbar, dass die Einschätzungen der Polizeibeamten hinsichtlich
der Gewöhnungseffekte beim Bürger letztlich auf Projektionen des eigenen, mittler-
weile vertrauten Empfindens im täglichen Umgang mit der Bodycam beruhen. Ge-
spräche zwischen Bürgern und Bodycam-Beamten haben gezeigt, dass beim Bürger
häufig die Annahme besteht, die Kamera zeichne dauerhaft auf. Der Bürger weiß
i. d. R. nicht, dass eine Aufzeichnung nur anlassbezogen und nach vorheriger Ankün-
digung ausgelöst wird. Hier gibt es offensichtlich Informationsdefizite.

3.5 Wirkung der Bodycam

3.5.1 Wahrnehmung/Einschätzung durch die beteiligten Polizeibeamten


(Befragung)

Hinsichtlich der Wirkung der Bodycam auf betroffene Bürger wurden die Beam-
ten explizit nach ihren spezifischen Erfahrungen bei Einsätzen und deren Rahmen-
bedingungen (Alkoholeinfluss, Androhung einer Aufzeichnung, eingeschaltete Ka-
mera) befragt.
Hierbei zeigt sich eine gewisse Skepsis bzw. Unentschlossenheit in der Beurtei-
lung. Die Bodycam-Träger sind mehrheitlich unentschieden („teils, teils“: 41 %), ob
bei angedrohter oder eingeschalteter Kamera einer polizeilichen Ansprache oder
Maßnahme mehr Nachdruck verliehen wird. Abgesehen davon, gehen tendenziell
mehr Beamte davon aus, dass der „Ansprache/Maßnahme“ durch die Möglichkeit
des Androhens oder Einschaltens der Bodycam mehr Nachdruck verliehen wird
(35 %), als umgekehrt (24 %). Anders verhält es sich bei der Annahme, dass aggres-
sives Verhalten zurückginge und die Bodycam deeskalierend wirke. Hier gibt es eine
noch größere „Unentschiedenheit“ („teils-teils“: 48 %) bei den befragten Beamten
mit einer Bodycam-Rolle. Zugleich wird die Möglichkeit einer aggressivitätsmin-
dernden, deeskalierenden Wirkung tendenziell eher verneint (28 %). Insgesamt
24 % stimmen „eher zu“ bzw. „voll zu“. Das bedeutet, bei Ansprachen und polizei-
lichen Maßnahmen kann die Bodycam tendenziell unterstützend wirken. Zum Ver-
such mit Hilfe der Kamera bereits laufenden Eskalationsprozessen entgegenzuwir-
ken, ergibt die Untersuchung kein klares Bild. Ob der Einsatz der Bodycam (oder
die bloße Ankündigung des Einschaltens) zu vermehrten Diskussionen mit dem be-
troffenen Bürger führt, wird ebenfalls überwiegend mit „teils-teils“ bewertet und
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 445

bleibt somit vage. Die Ergebnisse der ersten Folgebefragung nach vier Monaten (t2)
und der Abschlussbefragung (t4a) unterscheiden sich kaum.20
Eine generelle präventive Wirkung wird von den Bodycam-Beamten eher bejaht.
Etwa ein Drittel der Beamten sieht das nicht so eindeutig und stuft die Wirkung „teils-
teils“ ein. Gleichzeitig geht nur ein sehr kleiner Teil der Bodycam-Erfahrenen von
einer eindeutigen Nichtwirksamkeit aus. Detailliert betrachtet zeigt sich, dass für
Gewaltverhalten, im Sinne von Widerstand oder Körperverletzung gegen Polizeibe-
amte, ein Großteil der Bodycam-Träger (rd. 43 %) bereits nach den ersten Monaten
Praxiserfahrung zunehmend unschlüssig ist, ob die Bodycam eine Reduktion des Ge-
waltverhaltens bewirkt. Teilweise unterstellen sie dem Einsatz der Bodycam diesen
Effekt. Etwa ein Viertel der Bodycam-Beamten hat eine derartige Wirkung bei lau-
fender Kamera wahrgenommen. Dagegen zeigt sich mit Blick auf einen potenziellen
Rückgang von Beleidigungen gegen Polizeibeamte eine eindeutigere Bewertung.
Hier wird eher eine positive Wirkung bei Einsatz der Bodycam konstatiert (siehe Ab-
bildung 3).

Präventionseffekte: Wenn die Body-Cam läuft, Präventionseffekte: Wenn die Body-Cam läuft,
verringert sich die Gefahr .. verringert sich die Gefahr ..
50 40
42.7
30.6 30.6
40 30
25.5
30
Prozent
Prozent

24.8
19.1 20
20
10.2 8.3
10 10
3.2 5.1
0 0
trifft voll zu trifft eher zu teils-teils trifft eher nicht trifft gar nicht trifft voll zu trifft eher zu teils-teils trifft eher nicht trifft gar nicht
zu zu zu zu
.. körperlich angegangen zu werden (t2; mit BC-Rolle) .. verbal angegangen zu werden (t2; mit BC-Rolle)

Abbildung 3a/b: Perzipierte Wirkung der Bodycam bzgl. Gewalt und


Beleidigungen von Beamten nach viermonatigem Bodycam-Einsatz
Präventionseffekte: (a) „körperlich angegangen“ (b) Beleidigungen

3.5.2 Rahmenbedingungen

Die kameraführenden Beamten weisen auf eine eingeschränkte präventive Wirk-


samkeit der Bodycam im Zusammenhang mit dem Alkoholisierungsgrad bzw. dem
Grad der Intoxikation des polizeilichen Gegenübers hin (siehe Tabelle 3). Je höher
der Grad der Alkoholisierung, desto weniger entfaltet sich die präventive Wirkung.
Dagegen wäre eine eskalierende Wirkung durch die Kamera denkbar. Solche Eska-
lationsprozesse werden eher verneint.21 Ebenso verhält es sich bei psychisch auffäl-
ligen Personen. Wahrnehmungsbedingt zeigt der Einsatz der Bodycam bei diesen

20
Zu den Ergebnissen siehe Sutterer & Stangl 2018, 56 – 57.
21
Ariel et al. (2016, 750 ff.) kommen in ihrer Studie zu gegenläufigen Ergebnissen. Die
Autoren berichten von einer erhöhten Verletzungswahrscheinlichkeit bei kameraführenden
Beamten. Offen bleibt, ob eine Eskalation auf die Kamera oder die bereits aufgeheizte Polizei-
Bürger-Interaktion zurückzuführen ist (Ariel et al. 2016, 752).
446 Peter Sutterer

Personengruppen überwiegend keine Verhaltensänderung. In der Versuchsphase tru-


gen die Bodycam-Träger sehr groß dimensionierte, auffällige Hinweisschilder auf
dem Rücken und der Brust. Einer derart auffälligen Kennzeichnung wird seitens
der Bodycam-Träger mit Skepsis begegnet. Auch eine präventive Wirkung wird
einer überdimensionierten Kenntlichmachung des Bodycam-Trägers abgesprochen
und eine Kennzeichnung bspw. durch Hinweise an der Kamera für ausreichend er-
achtet. Dass die Kamera im Einsatzgeschehen potenzielle Solidarisierungshandlun-
gen und Aggressionen von Begleitpersonen oder Umstehenden verhindere, wird
nicht eindeutig bejaht.
Tabelle 3
Rahmenbedingungen: Beurteilung der Bodycam unter taktischen Gesichtspunkten
(Alkoholisierte, Kennzeichnung und Solidarisierungshandlungen) durch Beamte
mit Bodycam-Rolle nach 4 Mon. (t2) und nach 12 Mon. (t4a)
Befragung N Mean STD
Alkohol/Intoxikation (Eskalation/Deeskalation)
Die Wirkung der Bodycam ist abhängig vom t2 157 1,96 1,07
Alkoholisierungsgrad/ der Intoxikation des Betroffenen t4a 165 2,04 1,07
t2 157 3,28 0,96
Die Bodycam wirkt bei Alkoholisierten eskalierend
t4a 165 3,21 0,95
Kennzeichnung des BC-Trägers (Akzeptanz)
Die deutliche Kennzeichnung des Bodycam-Trägers ist t2 157 3,20 1,19
für die präventive Wirkung der Bodycam erforderlich t4a 164 3,51 1,17
Solidarisierungshandeln
Die Bodycam verhindert Aggressionen/Solidarisie- t2 nicht erhoben
rungshandlungen von Begleitpersonen/Umstehenden t4a 165 3,10 0,97
Fünfstufige Skala (1 = trifft voll zu … 3 = teils-teils … 5 = trifft gar nicht zu)

3.5.3 Wirkung auf den Bodycam-Träger

Befürchtungen und Erwartungen beziehen sich ebenso auf den Träger der Kamera
selbst und seinen empfundenen Handlungsspielraum. Das Tragen der Kamera könnte
sich positiv durch erhöhtes Sicherheitsgefühl und damit größerer Handlungssicher-
heit im Einsatz niederschlagen. Eine klare Videodokumentation von Konfliktsitua-
tionen kann für ein weiteres Verfahren (repressive Zwecke) dienen – bspw. zur Ab-
sicherung gegen falsche Behauptungen oder Anschuldigungen des polizeilichen Ge-
genübers. Umgekehrt könnten ebenso Befürchtungen zum Ausdruck kommen. Sie
könnten beispielsweise darin liegen, dass Beamte im Umgang mit dem polizeilichen
Gegenüber gehemmter agieren, dass sie sich selbst kontrollierter fühlen.
Die Untersuchung zeigt, dass das Gefühl einer Stärkung der eigenen Sicherheit
(„sich sicherer vor körperlichen Angriffen als ohne Bodycam zu fühlen“) von
knapp der Hälfte der Befragten (t2: 47 %; „trifft voll zu“ und „trifft eher zu“) geteilt
wird (Sutterer & Stangl 2018, 60). Hingegen sehen 53 % (t2) der Befragten das nicht
so. Deutlich positiv wird die Aussage bewertet, dass der Bodycam-Träger „sich in der
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 447

Durchsetzung von Maßnahmen aufgrund der BC-Dokumentation abgesichert fühlt“.


Hier stimmen rd. 71 % der Befragten nach einer rd. achtmonatigen Erprobung zu
(t3). Dieses Ergebnis erweist sich auch in der Abschlussbefragung (vierte Befragung,
t4a) als konstant (siehe Tabelle 4). Aus der Befragung geht deutlich hervor, dass den
Beamten das Mittel der Video-/Audiodokumentation beim Durchsetzen polizeilicher
Maßnahmen hilft und dass sie sich im polizeilichen Agieren, gerade in Konfliktsitua-
tionen, abgesichert fühlen. Gemeint sind Situationen, in denen der Bodycam-Beamte
mit Beschwerden gegen polizeiliches Handeln rechnet oder Fallkonstellationen, in
denen von ihm selbst eine Anzeige, etwa wegen Beleidigung oder Widerstandshand-
lungen, erstattet wird. Die Video-/Audioaufzeichnung kann als Beweismittel in
einem eventuellen späteren Verfahren zur Klärung des Sachverhalts herangezogen
werden. Die Bodycam-Beamten sind zudem der Ansicht, dass unbegründete Be-
schwerden durch den Kameraeinsatz zurück gehen. Diese Annahme findet sich
auch in den Erfahrungsberichten der Pilotierungsdienststellen. Allerdings lässt
sich dies nicht eindeutig anhand von Sonderauswertungen vorliegender Statistiken
zu den Beschwerden/Strafverfahren gegen Polizeibeamte belegen (Sutterer & Stangl
2018, 84 ff.). Die Beschwerden/Strafverfahren gehen im Längsschnittvergleich zum
entsprechenden Vorjahreszeitraum ohne Bodycam an den Pilotierungsdienststellen
zwar etwas zurück. Die lediglich schwache Tendenz in den Beschwerdestatistiken
erweist sich jedoch u. a. wegen geringer Fallzahlen als nicht (statistisch) signifikant.
Zudem ist für den gleichen Zeitraum für Dienststellen aus dem gleichen Präsidialbe-
reich, die nicht am Pilotprojekt teilgenommen haben,22 ebenfalls ein geringfügiger
Rückgang feststellbar.
Zum Eindruck bzw. Gefühl durch die Kamera selbst „stärker kontrolliert zu wer-
den“, hält sich Zustimmung und Verneinung bei den Befragten in etwa die Waage
(51 % zu 49 %; siehe Tabelle 4). Die Befürchtung einer erweiterten Dienstaufsicht
ist zwar nicht dominant, aber durchaus gegeben. Die Berichte der beteiligten
Dienststellen zeigen, dass wenige Einzelfälle ausreichen, bei denen anhand von Vi-
deoaufzeichnungen das Einsatzverhalten kritisch beleuchtet wurde, um bei vielen
Bodycam-Beamten ein Unbehagen und eine geringere Akzeptanz der Bodycam zu
evozieren. Grundsätzlich stufen Vorgesetzte (Dienststellenberichte) einen potenzi-
ellen Effekt der „Selbstdisziplinierung“ im Einsatzgeschehen als positiv und wün-
schenswert ein.

22
Zum Vergleich wurden die Beschwerdestatistiken von Dienststellen ohne Bodycam aus
dem gleichen Präsidialbereich verwendet.
448 Peter Sutterer

Tabelle 4
Perzipierte Auswirkung der Bodycam auf den Bodycam-Träger selbst
Befragung (voll) (gar) Mean STD
zutref- nicht zu-
fend* treffend*
„Ich fühle mich … % %
t2 51,0 49,0 2,44 0,95
… selbst stärker kontrolliert als
t3 51,0 49,0 2,51 0,90
ohne Bodycam.“
t4a 48,5 51,5 2,56 0,86
t2 38,0 62,0 2,75 0,92
… in meinem Verhalten gehemmter als
t3 36,0 64,0 2,70 0,90
ohne Bodycam.“
t4a 41,6 58,4 2,60 0,86
… abgesichert in der Durchsetzung von t2 nicht erhoben
Maßnahmen aufgrund der BC- t3 71,0 29,0 2,18 0,83
Dokumentation.“ t4a 71,7 28,3 2,26 0,81
* Die (vier- bzw. fünfstufige) Skala wurde dichotomisiert in „trifft voll zu“ und „trifft zu“ vs. „trifft nicht zu“ und
„trifft gar nicht zu“. Dargestellt sind die jeweiligen Anteile in Prozent (%).
N: t2 = 190, Miss. = 17; t3 = 292, Miss. = 9; t4a = 177, Miss. = 72 (fünfstufige Skala bei t4a. Die mittlere
Kategorie, „teils-teils “, wurde als fehlender Wert definiert).

3.5.4 Von den Bodycam-Beamten dokumentierte Wirkung


(Dokumentationsbögen)

Die Mitnahme und Wirkung der Bodycam wurde bei der Rückkehr auf die am
Versuch beteiligten Dienststellen schriftlich dokumentiert. Es wurden Informationen
zu allen Einsätzen von den kameraführenden Beamten in einem eigens von der Pro-
jektgruppe Bodycam (PP München) entworfenen Formular festgehalten (Dokumen-
tationsbögen). Eingetragen wurde beispielsweise, ob eine Aufzeichnung ausgelöst
wurde, was der Einsatzanlass war, ob Alkoholisierung/Intoxikation etc. vorlag
und ob „eine Verhaltensänderung durch den Bodycam-Einsatz“ eingetreten ist.
Auf Grundlage dieser Dokumentationsbögen wurden die Bodycams von den Be-
amten an den Erprobungsdienststellen rd. 6.000mal bei rd. 41.000 Einsatzstunden
mitgeführt (siehe Tabelle 5).23 Dabei wurde in 16 % der Mitnahmen mindestens
eine Aufzeichnung ausgelöst. Gemessen an der Anzahl der Mitnahmen und der Ein-
satzstunden „mit Bodycam“ wurde diese nicht überzogen eingesetzt, von ihr wurde
im Gegenteil eher zurückhaltend Gebrauch gemacht. In 230 Fällen (rd. 26 %) wurden
die Aufnahmen in ein Ermittlungsverfahren eingebracht.
Im Zusammenhang mit den 888 Aufnahmen/BC-Einsätzen, wurde von den Be-
amten ein gutes Viertel der Bodycam-Einsätze als deeskalierend, rd. dreiviertel
als neutral und lediglich 2 % (18 Fälle) als eskalierend eingestuft (Datenfeld: „Ver-
haltensänderung durch die Bodycam“). Offensichtlich tritt das Phänomen, dass es zu
23
Die Angaben basieren auf aktualisierten Auswertungen der polizeichen Projektgruppe
Body-Cam. Vgl. dazu Sutterer & Stangl 2018, 120 f.
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 449

negativen Effekten, insbesondere zur „Eskalation“ durch die Bodycam kommt, le-
diglich marginal auf. Dagegen erweist sie sich in einem nennenswerten Umfang
in den dokumentierten Einsätzen als wirksam. Beim größten Teil der Fälle hingegen
scheint weder eine positive noch negative Wirkung vorzuliegen, wobei die inhaltli-
che Bedeutung der Kategorie „neutral“ nicht sonderlich trennscharf erscheint.

Tabelle 5
Auswertung der Dokumentationsbögen der kameraführenden Beamten
Bodycam-Einsatzstunden: 40.947,9 Std.
Anzahl %
Bodycam-Mitnahmen 5.961 100,0 Bodycam im Außendienst
mitgeführt.
Bodycam-Aufzeichnungen (PAG) 888 16,0 Aufzeichnungen nach Polizei-
aufgabengesetz (% bezogen
auf die Mitnahmen)
darunter dokumentierte Wirkung Anzahl %
deeskalierend 233 26,2 in .. % der Aufnahmen gem.
PAG wurde von den Kamera-
führenden eine deeskalierende
Wirkung beim polizeilichen
Gegenüber dokumentiert.
neutral 637 71,7 in .. % wurde die Wirkung
mit neutral (weder noch; i.S. von
gleichbleibend) beschrieben.
eskalierend 18 2,0 in .. % wurde von den Kamera-
führenden eine (negative i.S. von)
eskalierende Wirkung beim polizei-
lichen Gegenüber festgestellt
(i. d. R. nur im verbalen Bereich;
d. h. mit eher geringem Ausmaß).
Rein präventive Aufzeichnungen 658 74,1 In diesen Fällen blieb es bei
rein präventiven Aufzeichnungen
(Ant. an PAG-Fällen).
Ermittlungsverfahren 230 25,9 In diesen Fällen wurden die Auf-
zeichnungen in ein Ermittlungs-
verfahren eingebracht (Ant. an
PAG-Fällen).
Zeitraum: 01. 12. 2016 – 30. 11. 2017; N = 5.961
Quelle: Dokumentationen der Projektleitung Bodycam beim PP München, 26. 11. 2018

Zusammenfassend zeigt sich, dass sowohl die (wiederholten) Befragungen als


auch die Auswertung der Dokumentationsbögen der Bodycam-Dienststellen zu ähn-
lichen Ergebnissen führen. Aus Sicht des kameraführenden Beamten hat die Body-
cam eine deutlich präventive Wirkung. Dagegen wird eine schädliche, eskalierende
Wirkung eher als sehr gering eingestuft. Von den kameraführenden Beamten werden
Vorteile im Hinblick auf die repressive Wirksamkeit von Bodycam-Aufzeichnungen
450 Peter Sutterer

gesehen. Die Aufzeichnungen werden für ein Ermittlungs- und justizielles Verfahren
als repressive Komponente genutzt.

3.5.5 Wirkung der Bodycam: Gewalt gegen Polizeibeamte


(GewaPol-Statistik)

Die präventive Wirkung, mithin die Reduzierung von Gewalt und Beleidigungen
gegen Polizeibeamte, wurde in den vorausgegangenen Analysen aus Sicht der Body-
cam-Beamten (wahrgenommene Wirkung) und/oder aus Sicht der Beamten ohne
Bodycam (Erwartungen) beleuchtet. Es bleibt die Frage, ob sich eine derart präven-
tive, abschreckende Wirkung der Bodycam in gewalthaltigen Konfliktsituationen
zwischen der Polizei und dem Bürger ebenso in objektiven Hellfeldzahlen der Poli-
zeistatistik niederschlägt und ob die Zahlen der GewaPol-Statistik24 durch diese
Maßnahme statistisch signifikant zurückgehen.
Für die am Versuch beteiligten Dienststellen wurde das Mengengerüst der Gewa-
Pol-Zahlen vor und nach Einführung der Bodycam für jeweils einen Zeitraum von
neun Monaten verglichen. Das Mengengerüst vor der Einführung der Bodycam ist
qualitätsgesichert (Stichwort Ausgangsstatistik). Dies gilt jedoch nicht für die Zah-
len nach der Einführung (Stichwort Eingangsstatistik).25 Letztere Daten wurden trotz
dieser Einschränkungen, mangels vorliegender langfristiger und qualitätsgesicherter
Daten, verwendet.26 Die Auswertungen zu den GewaPol-Daten der am Versuch be-
teiligten Dienststellen ergeben ein sehr heterogenes Bild (Sutterer & Stangl 2018,
93 ff.). An einigen Dienststellen gehen die Zahlen im Versuchszeitraum zurück, wo-
hingegen diese bei anderen Versuchsdienststellen ansteigen. In Gesamtbayern findet
sich ein geringfügiger Rückgang entsprechender Straftaten. Belastbare Aussagen auf
der Basis dieser Daten sind derzeit kaum möglich. Die Fallzahlen (insgesamt) bewe-
gen sich bei fast allen beteiligten Dienststellen im zweistelligen Bereich. Nach Straf-
taten aufgeschlüsselt finden sich erwartbar die höchsten Fallzahlen zu Beleidigung
und die niedrigsten Zahlen zu gefährlicher/schwerer Körperverletzung. Letztere ran-

24
„GewaPol“ steht für „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“. In der Da-
tenbank IGVP (Integrierte Vorgangsverwaltung Polizei, Bayern) werden zu den erfassten
Taten, die gegen Polizeibeamte gerichtet sind, zusätzliche Informationen für die einschlägigen
Lageberichte erfasst. Der Begriff wird an dieser Stelle um Beleidigungsdelikte erweitert
(siehe dazu Einleitung).
25
Die Daten wurden vom Bayerischen Landeskriminalamt zur Verfügung gestellt. „Nicht
qualitätsgesichert“ verweist dabei auf den Umstand, dass die Zahlen während des laufenden
Projektes den Stellenwert einer Eingangsstatistik haben und noch fortlaufenden Änderungen
unterliegen. Üblicherweise gelten Statistikdaten der Polizei (siehe analog dazu die PKS) erst
nach Abschluss der Ermittlungen und Abgaben an die Staatsanwaltschaft (Ausgangsstatistik)
als qualitätsgesichert.
26
Später können anhand längerfristiger Zeitreihen und Vergleichen zu Nicht-Bodycam-
Dienststellen qualitätsgesicherte Vergleiche hergestellt werden. Gleichwohl werden auch dann
die ausgeführten statistischen Probleme, z. B. starkes „Rauschen“ wegen geringer Fallzahlen,
eine maßgebliche Rolle spielen.
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 451

gieren erfreulicherweise im einstelligen Bereich. Ein statistischer Nachweis dürfte


deshalb bereits wegen der geringen Fallzahlen, insbesondere bei Gewaltverhalten
an den wenigen Erprobungsdienststellen scheitern. Zudem gilt es zu bedenken,
dass an den Projektdienststellen zwar alle Pflichtstreifen die Bodycam mitführen
konnten, dies jedoch nicht verpflichtend war. Unklar ist daher auf wen und auf wel-
che Effekte mögliche Veränderungen im Mengengerüst der GewaPol-Zahlen zurück-
geführt werden sollen. Ferner lässt sich nicht bestimmen, welchen Einfluss kurzfris-
tige lokale oder strukturelle Veränderungen – etwa das Wegfallen „gefährlicher Orte“
(beispielsweise Verlagerung: Kunstpark Ost in München) – auf die Entwicklung der
Zahlen nehmen. Schließlich geht aus den Daten nicht hervor, wie sich die neue Mög-
lichkeit der Dokumentation von Ereignissen mittels Bodycam auf das Anzeigever-
halten von Polizisten auswirkt. Gerade in eher niederschwelligen Deliktbereichen,
etwa der Beleidigung, könnte das neue Dokumentationsmittel der Bodycam dazu
führen, dass es partiell zu einem Anstieg der Zahlen kommt. Fälle, die früher
keine Anzeige nach sich zogen, werden nun angezeigt, da sie bereits (hinreichend)
dokumentiert sind. Entsprechende Äußerungen an den beteiligten Dienststellen wei-
sen übrigens auf einen solchen „net-widening-effect“ hin. In den Gesprächen mit Bo-
dycam-Beamten findet sich in Bezug auf erlebte Beleidigungen häufig die Aussage,
dass „die Aufnahmen jetzt eh vorliegen“. Das heißt, der nächste Schritt, dies akten-
kundig zu machen, liegt für den Bodycam-Beamten nahe: „Jetzt mache ich auch eine
Anzeige daraus.“ Mit solchen statistisch evidenten Verlagerungen aus dem Dunkel-
ins Hellfeld ist deshalb vermehrt zu rechnen.
Ein Nachweis für intendierte Bodycam-Effekte in Form einer Reduktion von Ge-
waltverhalten und Beleidigungen gegenüber Polizeibeamten, lässt sich somit anhand
der GewaPol-Statistiken nicht fundiert führen. Im Fall von Beleidigungen ist sogar
eher mit einer Zunahme im Hellfeld zu rechnen.

3.6 Repressive Wirkung der Bodycam: Justiz

Aus den Mitarbeiterbefragungen (vgl. Tabelle 2a) und vor allem den Erfahrungs-
berichten der Pilotierungsdienststellen zum Bodycam-Einsatz geht hervor, dass der
Bodycam eine spezifisch repressive Wirkung unterstellt wird. Die Beamten sehen in
dem aufgezeichneten Video-/Audiomaterial eine große Erleichterung für eine be-
weiskräftigere Strafverfolgung, insbesondere im justiziellen Strafverfahren. Ebenso
werden die Vorzüge von Bodycam-Aufzeichnungen in Fällen vorgeschalteter inter-
ner Ermittlungen gegen Vollzugsbeamte durch das Bayerische Landeskriminalamt
betont.
Die Datenlage zu laufenden oder abgeschlossenen Ermittlungs- und justiziellen
Verfahren mit Bodycam-Bezug ist mit der Beendigung des Bodycam-Projektes
noch sehr gering.27 Eine systematische, wissenschaftliche Untersuchung wird erst
27
Für die beteiligten Staatsanwaltschaften liegen zum Untersuchungszeitpunkt nur wenige
Fälle mit Bodycambezug vor (Sutterer & Stangl 2018, 128 ff.).
452 Peter Sutterer

zu einem späteren Zeitpunkt, nach Vorliegen ausreichender Zahlen von justiziell ab-
geschlossenen Verfahren, möglich sein. Dennoch weisen bereits erste Erfahrungsbe-
richte beteiligter Staatsanwaltschaften28 und die Auswertungen der Erfahrungsbe-
richte der beteiligten Bodycam-Dienststellen auf eine zusätzliche repressive Wirk-
samkeit der Bodycam-Aufnahmen hin. Die Bodycam als neues Einsatzmittel
wurde von den Staatsanwaltschaften übereinstimmend und durchgängig positiv be-
wertet. Sowohl die Staatsanwaltschaft München als auch die Staatsanwaltschaften
Augsburg und Rosenheim29 heben die gute Bildqualität (auch bei Nacht), die gute
Tonqualität und die damit verbundene große Beweiskraft hervor.
Durch die Videodokumentation wird vor allem auch die Entwicklung der Einsatz-
situation und der tatsächliche Handlungsablauf wiedergegeben. Zudem wird die kör-
perliche und psychische Verfassung des/der Beschuldigten zum Tatzeitpunkt doku-
mentiert. Die Staatsanwälte bezeichnen die vorliegenden Bild- und Tonaufzeichnun-
gen insbesondere für die Sachverhaltsbewertung als sehr hilfreich, da sie die „nüch-
ternen schriftlichen Sachverhaltsschilderungen beleben“, die subjektiven
Wahrnehmungen objektivieren und somit eine realistischere Beurteilung der Situa-
tion ermöglichen. Als Nebeneffekt einer intendierten „deeskalierenden Wirkung“
der Bodycam wird von einer Staatsanwaltschaft auf einen potenziell „reinigenden
Effekt“ für das polizeiliche Handeln, also einer vermehrten Selbstdisziplinierung
der Beamten, verwiesen.
Insgesamt werden die Bodycam-Aufzeichnungen als gutes Beweismittel angese-
hen und allein die Tatsache, dass Aufzeichnungen vorlagen, machte in vielen Fällen
das Abspielen in der Hauptverhandlung entbehrlich (z. B. der Beschuldigte geständig
war).30
Übereinstimmend argumentieren alle betroffenen Staatsanwaltschaften, dass kein
genereller Anspruch auf die Bodycam als Beweismittel generiert werden kann.31 Ist
eine Aufzeichnung vorhanden, so kann diese, wie jedes andere Beweismittel auch,
ins Verfahren aufgenommen werden.
Zusammenfassend waren die Äußerungen zu Bodycam-Aufzeichnungen im Er-
mittlungs- und Strafverfahren von Seiten der Staatsanwaltschaften durchweg positiv
28
München I, Augsburg und Traunstein.
29
Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Traunstein (zuständig für Beamtendelikte
und Widerstandshandlungen) und der Zweigstelle Rosenheim. Zum Untersuchungszeitpunkt
war bislang erst ein Fall zu verzeichnen, bei dem die Bodycam-Aufzeichnungen als Beweis-
mittel (im Strafverfahren) in einer Hauptverhandlung vorgeführt wurden. In weiteren Fällen
kam es aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Verhandlung.
30
Laut Aussage der beteiligten Staatsanwaltschaften kann das Vorhandensein und Ab-
spielen einer Bodycam-Aufzeichnung die Geständnisbereitschaft fördern und eventuell auch
Reue beim Beschuldigten hervorrufen. Dies kann nach Ansicht der Staatsanwaltschaft mög-
licherweise zu einer milderen Strafe führen. Ein empirischer Nachweis kann auf der vorlie-
genden Datenbasis nicht aufgeführt werden.
31
Entsprechende Befürchtungen wurden von Bodycam-Beamten geäußert. Vgl. dazu auch
Kersting et al. (2019, 73).
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 453

konnotiert und wurden einstimmig begrüßt. Hervorgehoben wurde insbesondere die


hohe Beweiskraft der Aufzeichnungen, welche vor allem bei differierenden Aussa-
gen zwischen Polizeibeamten, beschuldigten Personen und Zeugen Sicherheit und
Objektivität gewährleisten. Die Bodycam-Aufzeichnungen erleichtern die Einschät-
zung der konkreten Situation und Stimmungslage vor Ort, verkürzen im Einzelfall
die Beweisaufnahme und unterstützen die Gerichte bei der Beurteilung der Strafzu-
messung. Weiterführende systematische Studien zum Ermittlungs- und justiziellen
Verfahren, die über diese wenigen auf die Pilotdienststellen bezogenen Expertenmei-
nungen hinausgehen, wären allerdings erforderlich, um belastbare Ergebnisse zu be-
gründen.

4. Zusammenfassung und Ausblick


Der Pilotversuch zeigt eine hohe Akzeptanz der Bodycam bei den beteiligten Po-
lizeibeamten. Die Erwartungen an ihre präventive und repressive Wirksamkeit sind
eingangs hoch. Gleichzeitig werden Befürchtungen, etwa einer erweiterten Dienst-
aufsicht – die im Vorfeld der Einführung partiell vorhanden waren – eher verneint.
Beide, zu hohe Erwartungen – ausgenommen die Erwartungen zur repressiven Wirk-
samkeit – und zu große Befürchtungen, gehen mit zunehmender Praxiserfahrung mit
der Bodycam zurück. Es findet eine Realitätsanpassung bzgl. der Möglichkeiten und
Gefahren dieses Einsatzmittels statt. Unbeteiligte Bürger akzeptieren aus Sicht der
Beamten die Bodycam. Die befragten Beamten sehen in der Bodycam kein Hindernis
für einen unbefangenen Kontakt zum Bürger.32 Die beteiligten Dienststellen berich-
ten zudem, dass durch die Bodycam die Bürgerbeschwerden zurückgehen. Auf der
Basis vorliegender interner Beschwerdestatistiken sind zwar marginale Tendenzen in
diese Richtung erkennbar, aber, u. a. wegen geringer Fallzahlen und mangels adäqua-
ter Vergleichsgruppen, nicht (statistisch) signifikant belegbar. Die Beamten fühlen
sich durch die Kamera selbst stärker geschützt und verbinden mit ihr keine allzu gro-
ßen Befürchtungen – etwa hinsichtlich einer erweiterten Dienstaufsicht. Für die Be-
amten überwiegen ihre Vorteile.
Eine präventive Wirkung im Hinblick auf Gewalt gegen Vollzugsbeamte wird von
den erfahrenen Bodycam-Beamten zwar bejaht, allerdings nicht mehrheitlich. Die
Mehrheit ist in diesem Bereich unentschieden. Eindeutig verneint wird hingegen,
dass die Bodycam Eskalationen evoziere. Die Wirksamkeit der Bodycam hängt
von den Rahmenbedingen der jeweiligen Einsatzsituation ab. So schwindet die prä-
ventiv ausgerichtete Wirkung der Bodycam erwartungsgemäß mit dem Alkoholisie-
rungsgrad oder dem Grad der Intoxikation des Betroffenen. Im Kontext polizeilicher
Einsätze findet gewalttätiges Handeln vom Bürger häufig unter Alkohol- oder Dro-

32
Die Sichtweise des beteiligten/unbeteiligten Bürgers gegenüber der Bodycam wurde
nicht erhoben. Positive oder neutrale Einschätzungen zur Bodycam durch den Bürger finden
sich etwa bei Hallenberger et al. (2017, 28 – 38).
454 Peter Sutterer

geneinfluss, aber ebenso unter hoher affektiver, emotionaler Beteiligung statt.33


Unter diesen Rahmenbedingungen dürfte die Bodycam, die als präventiv konzipier-
tes Einsatzmittel eher an rationales Handeln im Sinne einer Kosten-Nutzen-Abwä-
gung des Gegenübers appelliert, an ihre präventiven Grenzen stoßen. Auf der Grund-
lage von Statistiken zur Gewalt gegen Polizeibeamte lässt sich ein Rückgang von Ge-
walt und Beleidigungen gegen Polizeibeamte nicht belastbar nachweisen. Das bei
dieser Studie vorliegende Material zeigt eher indifferente Entwicklungen. Während
etwa bei einer Bodycam-Dienststelle im zeitlichen Verlauf (vor und während der Pi-
lotierung) ein tendenzieller Rückgang zu verzeichnen ist, zeigt sich bei einer anderen
Dienststelle ein Anstieg. Es gibt keinen signifikanten einheitlichen Verlauf an allen
sieben Versuchsdienststellen. Ebenso verhält es sich bei vergleichbaren Dienststellen
ohne Bodycam-Bezug. Gründe dafür dürften das typische „statistische Rauschen“
bei geringen Fallzahlen, (zu) kurze Vergleichszeiträume, lokale strukturelle Ände-
rungen (z. B. die Verlagerung von frequentierten Ausgehorten am Wochenende), spe-
zifische Handhabungen an einzelnen Dienststellen (Anzeigeverhalten von Polizeibe-
amten) u.v.m. sein. Auffallend war an manchen Bodycam-Dienststellen eine Zunah-
me an angezeigten Beleidigungen. Da nunmehr beweiskräftige Video-/Audioauf-
zeichnungen vorlagen, wurden diese vermehrt angezeigt. Es kam dabei zu einer
Verlagerung aus dem Dunkel- ins Hellfeld, in gewisser Hinsicht zu einem „net-wi-
dening-effect“ durch die Bodycam und zu einer Verlagerung hin zu repressiven Mög-
lichkeiten.
Die repressiven Möglichkeiten werden in den Befragungen von den kamerafüh-
renden Beamten und den Pilotdienststellen regelmäßig betont. Es gibt vor allem zwei
Faktoren, die diese Sicht tragen. Zum einen fühlen sich die Beamten allein durch die
antizipierte Möglichkeit oder bereits tatsächlich gefertigter Aufzeichnungen poten-
ziell im polizeilichen Handeln geschützt. Ein strittiger Sachverhalt lässt sich durch
die Aufzeichnungen generell leichter klären. Zum anderen besteht die Erwartung,
dass Bodycam-Aufzeichnungen zu beweiskräftigeren Ermittlungs- und Strafverfah-
ren bei angezeigten Straftaten führen. Tatsächlich wurden von den knapp 900 Body-
cam-Aufzeichnungen während der Versuchsphase gut ein Viertel in ein Ermittlungs-
verfahren eingebracht. Partiell führt dies zu einer Ausweitung der Anzeigebereit-
schaft von Vollzugsbeamten bei eher niederschwellig gelagerten Delikten. Die re-
pressive Wirksamkeit wird von Seiten der Justiz bestätigt. Die beteiligten
Staatsanwaltschaften betonen, dass durch die Bodycam-Dokumentation u. a. die Ent-
wicklung des Geschehens und der physische und psychische Zustand des Beschul-
digten zum Tatzeitpunkt besser beurteilt werden könne. Hervorgehoben wird die
hohe Beweiskraft der Aufzeichnungen etwa bei sich widersprechenden Aussagen
von Beschuldigten und Polizeibeamten. Nach Ansicht der Justiz verkürzen die Bo-
dycam-Aufzeichnungen in Einzelfällen die Beweisaufnahme und führen häufiger zu
einem Geständnis. Allerdings beruhen die Einschätzungen der Justiz bislang nur auf
wenigen Fällen von Strafverfahren mit Bodycam-Bezug.

33
Zu Alkohol und Gewalt siehe Özsöz 2014.
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 455

Ob und inwieweit es tatsächlich zu Verkürzungen im Ermittlungs- und justiziellen


Verfahren kommt, inwiefern sich Video-/Aufzeichnungen auf die Beweislage, die
Geständnisbereitschaft und vor allem auf das Strafmaß auswirken, bedarf einer wei-
tergehenden Untersuchung, um wissenschaftlich belastbare Ergebnisse zu begrün-
den. In solchen Studien sollten zudem die Reaktionen von Beschuldigten sowie
deren Rechtsstellung im Strafverfahren unter den zunehmenden Bedingungen vorge-
haltener Audio-/Videobeweise, die eine „neue Sprache“ sprechen, in den Blick ge-
nommen werden.
Ebenso wären zur präventiven Wirksamkeit der Bodycam im Hinblick auf Gewalt
gegen Polizeibeamte Untersuchungen anhand längerer Zeitreihen wünschenswert.
Denn trotz tendenziell positiver Ergebnisse zum Bodycam-Einsatz, wäre zu untersu-
chen, ob die Belastungszahlen zur Gewalt gegen Polizeibeamte auch tatsächlich und
signifikant feststellbar zurückgehen.
Offen bleibt vorläufig, ob mit der Bodycam ein Konzept verfolgt werden kann, das
sich in nachhaltig angelegte Prävention einbetten lässt oder sich eher mit kurzfristi-
gen Maßnahmen der unmittelbaren Abschreckung und Neutralisierung von Risiken
begnügt. Insoweit rückt der Bodycam-Einsatz in den Bereich „präemptiver“ Krimin-
alpolitik (vgl. Albrecht 2016).

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit?
Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in:
S. Fischer & C. Masala (Hrsg.), Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und
(immer) neue Sicherheitsmaßnahmen? Wiesbaden, S. 209 – 229.
Ariel, B. et al. (2016): Wearing body cameras increases assaults against officers and does not
reduce police use of force: Results from a global multi-site experiment. European Journal of
Criminology, pp. 744 – 755.
Arnd, H. (2016): Einsatz von Körperkameras bei der Polizei. Kriminalistik 2, S. 104 – 108.
Arnd, H. (2017): Landesweiter Einsatz der Bodycam soll Gewalt gegen Polizei reduzieren.
Deutsche Polizei 3, S. 24 – 29.
Arnd, H. & Staffa V. (2016): Einsatz von Bodycams bei der Polizei Rheinland-Pfalz. Erste Er-
gebnisse einer begleitenden Untersuchung zur Akzeptanz und Wirkung von Bodycams im
polizeilichen Einzeldienst. Die Polizei 7, S. 190 – 196.
Baier, D. & Manzoni, P. (2018a): Evaluation des Pilotprojekts zum Einsatz von „Bodycams“ bei
der Stadtpolizei Zürich und der Transportpolizei; https://www.zhaw.ch/storage/shared/soziale
arbeit/News/schlussbericht-bodycam-ZHAW-S.pdf [10. 05. 2020].
Baier, D. & Manzoni, P. (2018b): Reduzieren Bodycams Gewalt gegen Polizistinnen und Po-
lizisten? Kriminalistik 11, S. 685 – 691.
Baier, D. & Manzoni, P. (2019): Die Einstellungen von Polizistinnen und Polizisten zu Body-
cams. Veränderungen im Zeitraum eines Pilotprojekts. SIAK-Journal – Zeitschrift für Poli-
zeiwissenschaft und polizeiliche Praxis 1, S. 23 – 38.
456 Peter Sutterer

Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (BY StMI) (2019a): Pres-
semitteilung vom 8. Juli 2019; https://www.stmi.bayern.de/med/aktuell/archiv/2019/
190708gewalt/ [26. 03. 2020].
Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (BY StMI) (2019b): Pres-
semitteilung 22. November 2019; https://www.stmi.bayern.de/med/aktuell/archiv/2019/
191122_ausstattung_bodycam/index.php [27. 03. 2020].
Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 30 (2017): Zweiundfünfzigstes Gesetz zur Änderung des Strafge-
setzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften vom
23. Mai 2017. Ausgegeben zu Bonn am 29. 05. 2017; https://www.bundesgerichtshof.de/
SharedDocs/Downloads/DE/Bibliothek/Gesetzesmaterialien/18_wp/StrAendG_52_Schutz_
Vollstreckungsbeamte/bgbl.pdf?__blob=publicationFile&v=1 [11. 02. 2020].
Bundeskriminalamt (BKA) (2019): Bundeslagebild Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen
und Polizeivollzugsbeamte 2018; https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publika
tionen/JahresberichteUndLagebilder/GewaltGegenPVB/GewaltGegenPVBBundeslage
bild2018.pdf?__blob=publicationFile&v=4 [26. 03. 2020].
Ellrich, K., Baier, D. & Pfeiffer, C. (2011): Polizeibeamte als Opfer von Gewalt. Ergebnisse
einer Befragung von Polizeibeamten in zehn Bundesländern; https://www.innenminister
konferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/12-06-01/Anlage20.pdf?__blob=publication
File&v=2 [06. 05. 2020].
Hallenberger, F., Telser, C., Wels, A. & Beyer, S. (2017): Akzeptanz des Einsatzes von Body-
cams bei der Bevölkerung. Polizei & Wissenschaft 3, S. 28 – 38.
Innenministerkonferenz (IMK) (2011): Projektgruppe Gewalt gegen Polizeibeamter-Lagebild-
erstellung-Schlussbericht, Stand: 05. 05. 2011. Ständige Konferenz der Innenminister und
-senatoren der Länder – kurz Innenministerkonferenz (IMK); https://www.innenminister
konferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/11-06-22/anlage27.pdf?__blob=publicationFi
le&v=2, zuletzt aktualisiert am 06. 03. 2020 [06. 06. 2020].
Johnson, R.B., Onwuegbuzie, A.J. & Turner, L.A. (2007): Toward a Definition Mixed Methods
Research. Journal of Mixed Methods Research, S. 112 – 133.
Kersting, S., Naplava, T., Reutemann, M., Heil, M. & Scheer-Vesper, C. (2019): Die deeskalie-
rende Wirkung von Bodycams im Wachdienst der Polizei Nordrhein-Westfalen: Abschluss-
bericht. Gelsenkirchen: Institut für Polizei- und Kriminalwissenschaft der Fachhochschule
für öffentliche Verwaltung NRW; https://www.hspv.nrw.de/fileadmin/user_upload/190429_
Bodycam_NRW_Abschlussbericht.pdf [28. 03. 2020].
Lehmann, L. (2017): Die Erprobung von Bodycams bei der Polizei. Unterschiede in den Ver-
einigten Staaten, Österreich und Deutschland, SIAK-Journal @ Zeitschrift für Polizeiwissen-
schaft und polizeiliche Praxis 2, S. 28 – 38.
Özsöz, F. (2014): Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluss bei jungen Menschen in Bayern; https://
www.polizei.bayern.de/content/4/3/7/25_alkohol_gewalt.pdf [29. 04. 2020].
Raab, L. & Ast, K. (2017): Studentischer Evaluationsbericht einer Bürgerbefragung zur Akzep-
tanz des Einsatzes von Bodycams bei der Polizei in Rheinland-Pfalz. Betreut von Dr. Susanne
Weis; Methodenzentrum. Unversität Koblenz-Landau; https://www.uni-koblenz-landau.de/
de/methodenzentrum/projekte-forschung/projabgeschl/bcrlpbericht.pdf [30. 03. 2020].
Bodycams als Einsatzmittel der Polizei 457

Sutterer, P. & Stangl, S. (2018, unveröffentlicht): Forschungsbericht zum Pilotprojekt „Body-


cam der Bayerischen Polizei“. Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern – Fachbe-
reich Polizei. Fürstenfeldbruck.
Zander, J. (2016): Bodycams im Polizeieinsatz. Grundlagen und eine Meta-Evaluation zur
Wirksamkeit. Frankfurt.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt
und ihre teilweise Akzeptanz?
Ein Literaturüberblick und eine Analyse anhand des World Values Survey

Von Horst Entorf † und Gabriele Lichmann

1. Einleitung
Häusliche Gewalt ist nicht nur ein Problem in Schwellen- oder Entwicklungslän-
dern. Deutschland ist zwar eines der fortschrittlichsten Länder der Welt und belegte
2018 im UN-Index der menschlichen Entwicklung den 4. Platz (gemeinsam mit
Hongkong); wer aber denkt, in einem Land wie Deutschland sei die Toleranz für
häusliche Gewalt minimal und die daraus folgenden Probleme nicht existent, der
irrt sich. Auch in der Bundesrepublik sind häusliche Gewalt und ihre Folgen omni-
präsent. Basierend auf den Daten des World Values Survey des Jahres 2013, der dieser
Untersuchung zugrunde liegt, zeigt sich, dass 26 % der befragten Personen das
Schlagen der eigenen Frau nicht grundsätzlich als völlig ungerechtfertigt ansieht,
bei den Kindern sind es 36 %. In der Stichprobe der Männer sind es sogar 33 %
bzw. 40 %, die Schlagen unter Umständen „in Ordnung“ finden. Diese Prozentzah-
len belegen, dass ein beträchtlicher Anteil der Haushalte in Deutschland gefährdet
ist.
Laut Bundeskriminalamt sind im Jahr 2018 136 Kinder gewaltsam zu Tode ge-
kommen. Bei den Zahlen zu Misshandlungen ist ein leichter Rückgang von 4.247
im Jahr 2017 auf 4.180 betroffene Kinder zu verzeichnen (Bundeskriminalamt &
Deutsche Kinderhilfe 2019). Die dem BKA bekannten Fallzahlen für partnerschaft-
liche Gewalt lagen 2012 bei 120.758 und sind seither kontinuierlich bis auf 140.755
im Jahr 2018 (+16,6 %) angestiegen (Bundeskriminalamt 2019). Hierbei handelt es
sich um die Hellfeldziffer, da die Zahlen nur über die zur Anzeige gebrachten Fälle
abgeleitet sind. Da Straftaten innerhalb der Familie als Privatsache behandelt wer-
den, kommen sie kaum zur Anzeige (Schneider 1994, 16). Somit ist unklar, ob die
Steigerung von 2012 bis 2018 tatsächlich auf der Zunahme von häuslichen Gewalt-
taten oder eher auf einer Erhöhung von gemeldeten Fällen durch die Sensibilisierung
der Bevölkerung zurückzuführen ist. Um die Realität einigermaßen wahrheitsgetreu
abzubilden, benötigt man die Dunkelfeldforschung und Viktimisierungsstudien (Al-
brecht 2014). Der Feldzugang und die Datenerhebung erweisen sich jedoch als
schwierig, da innerfamiliäre Gewalt ein gesellschaftliches Tabuthema darstellt
460 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

(Dlugosch 2010, 46, 52). Die repräsentative und umfangreiche Untersuchung des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005) ist eine der
wenigen in Deutschland durchgeführten Dunkelfeldforschungen zu häuslicher Ge-
walt. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass 2005 in Deutschland 25 % der Frauen im
Alter zwischen 16 und 85 Opfer von Gewalthandlungen durch ihre Beziehungspart-
ner waren. In Europa beträgt die Spanne der Gewalthandlungen gegen Frauen in
Paarbeziehungen zwischen 10 % und 32 % (Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend 2005, 33). Damit liegen die Werte der deutschen Studie im
europäischen Vergleich im mittleren bis oberen Bereich. Solche Vergleiche zu ande-
ren europäischen Ländern sind nur begrenzt möglich, da die Erhebung, Methoden
und Definitionen von Gewalt sich stark unterscheiden (Bundesministerium für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, 33 – 34). Dennoch kann es zu einer groben
Orientierung innerhalb der EU dienen.
Durch häusliche Gewalt werden nicht nur die Opfer und deren Umfeld in Mitlei-
denschaft gezogen, sondern letztlich die gesamte Gesellschaft. Gemäß einer Studie
von Sacco (2017) betragen die durch häusliche Gewalt verursachten direkten und in-
direkten volkswirtschaftlichen Kosten in Deutschland pro Jahr 3,8 Milliarden Euro,
das sind 74 Euro pro erwerbsfähigem Einwohner. Vor allem die Kosten im Gesund-
heitssektor steigen durch häusliche Gewalt stark an, denn missbrauchte Frauen haben
mehr als doppelt so viele Arztbesuche, eine achtmal höhere Nutzung der psychischen
ärztlichen Betreuung und eine höhere Krankenhausaufenthaltsrate im Vergleich zu
nicht missbrauchten Frauen (Alhabib, Nur & Jones 2010, 369). Weitere Belastungen
entstehen durch so genannte intangible Kosten, wie etwa Traumata und Verlust an
Lebensqualität, die in dem berechneten Betrag von Sacco (2017) unberücksichtigt
bleiben.
Gewalt und Gewaltprävention sind zentrale Themen aller Gesellschaften. Ent-
sprechend existieren bereits zahlreiche Studien, die sich mit den Faktoren erlebter
häuslicher Gewalt auseinandersetzen. Diese Arbeit unterscheidet sich von der bishe-
rigen Literatur dadurch, dass sie sich nicht mit der erlebten, sondern mit der Gefähr-
dung von Familien und Haushalten durch potenzielle häusliche Gewalt beschäftigt.
Und zwar wird der Nährboden möglicher häuslicher Gewalt mittels der Befragungs-
studie des World Values Survey untersucht, in dem die Teilnehmer zu ihren Einstel-
lungen bezüglich der Rechtfertigung und Tolerierung von Schlägen gegenüber Frau-
en und Kindern interviewt wurden. Zwar können nicht nur Frauen und Kinder Opfer
häuslicher Gewalt werden, sondern auch Männer, aber hierzu gibt es weit weniger
Untersuchungen und die Zahl der Fälle ist im Verhältnis gering (Dlugosch 2010).
Empirische Ergebnisse einer Erhebung von Hohendorf (2018) deuten allerdings dar-
auf hin, dass junge Frauen in Beziehungen nicht nur Opfer, sondern auch Täter sind,
und dass das Ausmaß von Opfer- und Täterschaft bei Männern und Frauen nahezu
ausgeglichen sei. Leider können wir in unserer Studie dieses Thema nicht weiter ver-
folgen, da im World Values Survey nur die Einstellung zur Gewalt gegen Frauen und
Kinder abgefragt wird, aber nicht gegenüber Männern.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 461

In unserer Studie gehen wir der Frage nach, ob gängige Theorien und Hypothesen
zu den Hintergründen erlebter häuslicher Gewalt auch für die Einstellung von Män-
nern und Frauen bezüglich der Rechtfertigung von Gewalt Bestand haben. Dabei un-
terscheiden wir die Erklärungsansätze in sozioökonomische, demographische, kul-
turelle und aus individuellen Grundüberzeugungen und Wertevorstellungen abgelei-
tete Einflussbereiche. Unter anderem wird hinterfragt, ob persönliche Einstellungen
zur Gleichberechtigung von Mann und Frau oder zur Religion einen Einfluss haben.
Ferner untersuchen wir die Rolle von Faktoren des persönlichen und familiären
Stresses, sei es aus Gründen von Arbeitslosigkeit, Finanznot oder Kinderzahl.
Unsere Ergebnisse bestätigen empirische Ergebnisse aus der Literatur zur erleb-
ten häuslichen Gewalt, teilweise ergeben sich jedoch auch abweichende Resultate.
Unter anderem finden wir, dass ein Werteverständnis, dass die Wichtigkeit von Frau-
enrechten in einer Demokratie als sekundär erachtet, mit einer deutlich stärkeren
Rechtfertigung von Gewalt einhergeht (sowohl gegenüber Frauen als auch Kindern).
Teilweise im Widerspruch zur Literatur steht hingegen das Ergebnis, dass Arbeits-
lose signifikant weniger tolerant gegenüber innerfamiliärer Gewalt sind als nichtar-
beitslose Personen.1
Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: Im nachfolgenden Kapitel 2 geben wir einen
Überblick der bisherigen Literatur und eine Zusammenfassung der gängigen Hypo-
thesen. In Kapitel 3 werden die Daten und die deskriptiven Statistiken vorgestellt.
Anschließend werden in Kapitel 4 die empirischen Ergebnisse einer multivariaten
Analyse präsentiert und diskutiert. Kapitel 5 fasst die Ergebnisse zusammen und lie-
fert gesellschaftsökonomische und kriminalpolitische Schlussfolgerungen.

2. Bisherige Forschung
2.1 Gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten
durch häusliche Gewalt

Laut der Studie der World Health Organization (2002) stellt Gewalt gegen Frauen
und Kinder ein globales Gesundheitsrisiko dar. Gewalt beeinflusst die Arbeitsfähig-
keit, das Wohlbefinden und die Lebenserwartung der betroffenen Frauen und Kinder.
Studien von Aziz et al. (2018), Brzank (2009) und Dlugosch (2010) zeigen, dass häus-
liche Gewalt bei Frauen und Kindern zu einer Vielzahl von körperlichen und psychi-
schen Problemen und in den schlimmsten Fällen bis hin zu einer Steigerung der Sui-
zidgefahr (Devries et al. 2011) führen kann. Zusätzlich erstreckt sich die Wirkung
von Gewalt auf Familie, Freunde und Gesellschaft, da diese unmittelbar und mittel-
bar in Mitleidenschaft geraten (Aziz et al. 2018). Beispielsweise sind bei Kindern, die
Gewalt gegen ihre Mutter miterleben, negative Folgen in Form verschiedener psychi-
1
„Nichtarbeitslose“ umfassen generell alle übrigen Gruppen, also Vollzeitbeschäftigte,
Teilzeitbeschäftigte, Ruheständler, nicht am Arbeitsmarkt Aktive, sich in Ausbildung befin-
dende Personen, Selbständige und „Sonstige“.
462 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

scher Verhaltensauffälligkeiten und Störungen festzustellen (Kitzmann 2012; Fan-


tuzzo et al. 1991), welche sich unter anderem auf ihre Schulleistungen auswirken
können (Kolbo et al. 1996). Weiterhin können die Kinder, die häusliche Gewalt mit-
erleben, aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern zeigen (Brandon & Lewis
1996; Graham-Bermann & Brescoll 2000). All diese Folgen ähneln zum Teil den be-
obachteten Störungen bei Kindern, die selbst misshandelt werden (Brzank 2009). Zu
diesem Ergebnis gelangen auch Brandon & Lewis (1996).
Zusätzliche gesellschaftliche Verluste zeigen sich im Erwerbsleben aufgrund von
Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit von Betroffenen (Brzank 2009). Häusliche
Gewalt hat erhebliche negative Auswirkungen auf die Arbeitsplatzstabilität und
damit auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Frau (Adams et al. 2012; Tolman
et al. 2015; Renzetti 2009). Diese Effekte halten bis zu drei Jahren nach Ende des
Erlebens häuslicher Gewalt an und können zum Verlust von Sozialleistungen und
zu Arbeitslosigkeit oder fehlender Beschäftigungsstabilität führen (Adams et
al. 2012). Adams et al. (2012) stellten fest, dass die Jahresarbeitszeit einer Frau,
die häusliche Gewalt erleidet, im Durchschnitt 137 Stunden geringer ist als bei
einer Frau, die keine Gewalt erlebt. Ein Grund dafür ist, dass viele gewaltanwenden-
de Männer bewusst eine Reihe von Kontrolltaktiken anwenden, die direkt und indi-
rekt die Bemühungen der Frauen um die Suche nach und den Erhalt von Arbeitsplät-
zen beeinträchtigen (Adams et al. 2012; Brzank 2009; Renzetti 2009). Solche Takti-
ken werden als „wirtschaftlicher Missbrauch“ bezeichnet und beinhalten die Beschä-
digung oder Zerstörung von Gegenständen, die mit ihrer Arbeit oder ihrer
Berufsausbildung verbunden sind, sowie Prellungen, Schrammen oder andere sicht-
bare Verletzungen, die verhindern den Arbeitsplatz aufzusuchen (Renzetti 2009).
Ohne stabile Beschäftigung oder finanzielle Unterstützung sind geschlagene Frauen
gezwungen, sich zwischen dem Verbleiben bei gewalttätigen Partnern oder extremen
wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entscheiden (Tolman et al. 2015, 11 – 13). Die
Ergebnisse von Tolman et al. (2015, 11) deuten darauf hin, dass häusliche Gewalt
insbesondere für aktuelle oder ehemalige Sozialhilfeempfänger ein schwerwiegen-
der und anhaltender Faktor des geringeren wirtschaftlichen Wohlbefindens von Frau-
en ist. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass häusliche Gewalt hohe ge-
sellschaftliche Kosten verursacht und die Wirtschaftskraft eines Landes durch ver-
mehrte Kosten im Gesundheitssektor und im Bereich der Strafverfolgung (Bundes-
kriminalamt 2019) sowie infolge des Verlusts von Arbeitskräften (Brzank 2009)
belastet. Ebenso haben die Kosten, wie die durch häusliche Gewalt verursachte Ar-
beitsunfähigkeit, einen „Dominoeffekt“ auf andere Bereiche der Gesellschaft (Laing
& Bobic 2002).
Bisher liegt zu dem Thema der volkswirtschaftlichen Kosten durch häusliche Ge-
walt in Deutschland eine Studie von Sacco (2017) vor. In der Studie wurden alle di-
rekten und indirekten Kosten zusammengestellt. Dabei wurden nicht nur die Kosten
der Polizeiarbeit, im Gesundheitswesen und für Unterstützungsangebote berücksich-
tigt, sondern genauso die indirekten Kosten, beispielsweise durch Ausfall der Er-
werbsarbeit. Dabei kommt Sacco (2017) auf Gesamtkosten von mindestens 3,8 Mil-
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 463

liarden Euro pro Jahr. Diese Kosten würden sich weiter erhöhen, wenn man imma-
terielle Kosten wie etwa den Verlust an langfristiger Lebensqualität einbeziehen
würde. Sacco (2017) errechnet hierfür den hohen Betrag von 18 Mrd. Euro als so ge-
nannte Lebenszeitkosten, den die Autorin jedoch nicht auf Jahresbasis umrechnet
und der so im Ergebnis von jährlich 3,8 Mrd. Euro unberücksichtigt ist.
Um die hohe durch häusliche Gewalt entstehende gesellschaftliche Belastung zu
senken, müssen die Ursachen erkannt und effektive Maßnahmen erarbeitet werden.
In den folgenden Unterkapiteln werden wir daher versuchen, die wesentlichen indi-
viduellen Beweggründe für eine eher permissive oder ablehnende Einstellung zur
häuslichen Gewalt herauszuarbeiten. Da den Verfassern dieses Artikels keine bishe-
rige einschlägige Studie zur Untersuchung der Einstellung zur häuslichen Gewalt be-
kannt ist, wird die Diskussion der Hintergrundfaktoren naheliegenderweise aus der
Literatur der erlebten häuslichen Gewalt abgeleitet.

2.2 Stressbelastungen aus beruflichen, finanziellen


und familiären Gründen

Studien belegen, dass häusliche Gewalt zwar nicht durch Armut, Arbeitslosigkeit
und Wirtschaftskrisen verursacht wird, diese Faktoren jedoch das Risiko häuslicher
Gewalt erhöhen (Monahan 2020; Abiona & Koppensteiner 2016; Dlugosch 2010;
Albert 2008). Weitere Untersuchungen stellten heraus, dass hierbei Stressbelastung
die zentrale intervenierende Variable darstellt (Ziegler 1990). Denn die Arbeitslosig-
keit verursacht nicht nur finanzielle, sondern auch soziale und psychische Probleme
(Ziegler 1990). Somit besagt die Hypothese der Stressbelastung, dass diese Gewalt
ausgelöst werden kann (Kaselitz & Lercher 2002; Dlugosch 2010, 36 – 37). Derarti-
ger psychischer Druck kann jedoch auch durch niedrige Einkommen, einen niedrigen
Bildungsstand oder berufliche und familiäre Probleme ausgelöst werden (Dlugosch
2010). Viele Studien sprechen auch dafür, dass bei einer großen Anzahl von Kindern
das Risiko der häuslichen Gewalt zunimmt (Bender & Lösel 2005, 320). Je stärker die
Familie belastet ist, desto höher ist das Risiko von häuslicher Gewalt (Brandon &
Lewis 1996; Egger & Schär Moser 2008). Zu den belastenden Faktoren gehört
auch die finanzielle Situation des Haushaltes (Benson et al. 2003; Benson & Fox
2005). Studien haben belegt, dass mit einer Verbesserung der finanziellen Situation
die innerfamiliäre Gewalt zurückgegangen ist (Renzetti 2009, 2).
Hinsichtlich des Effektes von Arbeitslosigkeit auf häusliche Gewalt kommen An-
derberg et al. (2016) sowohl theoretisch als auch empirisch zu einem anderen Ergeb-
nis als allgemein erwartet wird. In einem spieltheoretischen Ansatz weisen sie nach,
dass ein Mann, der arbeitslos ist, seiner Frau oder Lebensgefährtin nicht seine gewalt-
tätige Seite offenbart, da sie dadurch einen höheren Anreiz hätte, ihn zu verlassen.
Dieser Anreiz begründet sich dadurch, dass die finanzielle Abhängigkeit geringer
ist, als wenn der Partner beschäftigt wäre. Ihre empirischen Ergebnisse deuten ins-
besondere darauf hin, dass ein Anstieg der männlichen Arbeitslosenquote um einen
464 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

Prozentpunkt zu einem Rückgang der Inzidenz von körperlichem Missbrauch an


Frauen um rund 3 Prozent führt, während ein entsprechender Anstieg der weiblichen
Arbeitslosenquote den gegenteiligen Effekt hat. Beides bestätigt die These, dass mit
steigender (sinkender) finanzieller Unabhängigkeit das Risiko von Frauen sinkt
(steigt), Opfer häuslicher Gewalt zu werden (Aizer 2010). Die Studie von Aizer
(2010) zeigt weiterhin, dass sowohl das relative, als auch das potenzielle Einkommen
der Frauen einen sinkenden Einfluss auf das Risiko von häuslicher Gewalt hat. Dies
bedeutet, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktbedingungen für Frauen die Ge-
walt auch in Haushalten verringert, in denen Frauen nicht arbeiten (Pollak 2005).
Die Erhöhung der Unabhängigkeit der Frau kann zu einer Statusinkonsistenz füh-
ren (Kaselitz & Lercher 2002; Godenzi 1996, 112), die wiederum Paarbeziehungen
zu problematisieren vermag. Die Hierarchie im Haus kommt für den Mann umso stär-
ker ins Wanken, je wirtschaftlich unabhängiger die Partnerin ist. Diese Unterlegen-
heit eines Mannes in Bezug auf Einkommen und berufliche Position wird als gewalt-
fördernd angesehen (Kaselitz & Lercher 2002), speziell wenn er eine bisher überge-
ordnete Position durch die Veränderungen als bedroht erachtet. Somit wird Gewalt
zum Zweck der Aufrechterhaltung der Struktur innerhalb der Familie genutzt (Ka-
selitz & Lercher 2002). Ferner sind gemäß Aizer (2010) Frauen durch eine Verringe-
rung des Abstands zum Einkommen des Mannes eher dazu geneigt, die Beziehung zu
beenden, was wiederum im Einklang mit den Ergebnissen von Anderberg et al.
(2016) steht.

2.3 Soziodemographische Hintergründe

Eine häufig genannte These lautet, dass unzureichende Bildung häusliche Gewalt
begünstigt. Ein Grund hierfür wäre, dass Bildung mit dem Erziehungsstil zusammen-
hängt. Dies ließe darauf schließen, dass in gebildeteren Bevölkerungsgruppen ge-
walttätige Formen der Konfliktlösung häufiger abgelehnt würden. Tatsächlich besagt
die bisherige Literatur, dass der Zusammenhang von häuslicher Gewalt und Bildung
nicht so klar ist wie gemeinhin angenommen. So legen Ergebnisse bei Bussmann
(2005) zwar nahe, dass Eltern, die ihre Kinder schlagen, einen durchschnittlich nied-
rigeren Bildungsgrad aufweisen als die Eltern, die gewaltfrei erziehen, dennoch kön-
nen laut dieser Studie die schweren Gewalthandlungen nicht nur den Eltern aus den
unteren Bildungsschichten zugeordnet werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt
eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (Schröttle 2008). Eine der Studie zugrundeliegende Befragung von Frauen
in Bezug auf die Schul- und Ausbildungsabschlüsse der aktuellen Partner hat erge-
ben, dass Partner, die keinen qualifizierten Schul- und/oder Ausbildungsabschluss
haben, in höherem Maße (schwere) körperliche und/oder sexuelle Gewalt gegen
die Partnerin ausüben (Schröttle 2008, 30). Die gleiche Quelle kommt jedoch
auch zu dem Ergebnis, dass Männer mit höheren Bildungsressourcen nicht generell
weniger gewalttätig gegenüber der Partnerin sind als Männer mit mittleren oder ge-
ringen Bildungs- und Ausbildungsressourcen. Bei den Frauen deutet die Studie nicht
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 465

darauf hin, dass Frauen aus unteren Bildungssegmenten generell höher belastet sind
als Frauen aus höheren Bildungsschichten (Schröttle 2008, 28).
Verbunden mit der Schichtzugehörigkeit kann auch die Wohngegend eine Rolle
im Hinblick auf das Gewaltaufkommen spielen (Bender & Lösel 2005, 330). Dies
kann darauf zurückgeführt werden, dass eine durch eine hohe Gewaltrate gekenn-
zeichnete Nachbarschaft das Risiko von Gewalt im eigenen Haushalt erhöhen
kann. Somit führen nicht nur innerfamiliäre Faktoren, wie Gewalt tolerierende
und gutheißende Wertvorstellungen, sondern auch die Gewaltbereitschaft im Wohn-
umfeld zu einer potenziell höheren Gefährdung durch häusliche Gewalt (Dlugosch
2010, 36 – 37).
Einwandererfamilien sind stärker von häuslicher Gewalt betroffen als gebürtig
deutsche Familien. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Reihe von Studien (Schröttle
2008; Albert 2008, 91 – 92; Pfeiffer et al. 1998, 18). Die erhöhte Belastung durch
häusliche Gewalt in Familien mit Migrationshintergrund lässt sich laut dieser Studi-
en nicht so sehr auf die unterschiedlichen kulturbedingten Wertvorstellungen zurück-
führen. Viel eher sind die treibenden Faktoren dieselben, die auch zu häuslicher
Gewalt in Paarbeziehungen ohne Migrationshintergrund führen (Helfferich & Kave-
mann 2012). Bedingt durch mangelnde Integration und durch eine unklare Rechts-
lage in Deutschland treten ökonomische und soziale Schwierigkeiten in Einwande-
rerfamilien häufiger auf als bei einheimischen Haushalten (Helfferich & Kavemann
2012). Zudem werden in vielen Fällen berufliche und akademische Qualifikationen
nicht anerkannt, was die finanzielle Abhängigkeit von Frauen verstärkt, die sich häu-
fig mit schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen zufriedengeben müssen
(Sharma 2001). So kann eine Familie mit Migrationshintergrund stärker als einhei-
mische Familien durch einen geringen Bildungsgrad, fehlende Beschäftigung und
somit niedriges Einkommen und allem voran durch Sprachdefizite und mangelnde
berufliche und soziale Integration geprägt sein (Lehmann 2015, 27 – 31). Dies sind
genau die Faktoren, die allgemein das Risiko von innerfamiliärer Gewalt erhöhen.
Hinzu kommt bei Migrantinnen eine extreme Isolierung und Machtlosigkeit, die
durch Sprachprobleme verstärkt wird (Sharma 2001). Das erschwert die Möglichkeit
einer Beendigung einer gewalttätigen Partnerschaft in einem noch fremden Land zu-
sätzlich. Zudem ist der Aufenthaltsstatus in vielen Fällen für mehrere Jahre vom Ehe-
mann abhängig, ein Aspekt, der bei deutschen Staatsbürgerinnen keine Rolle spielt
(Helfferich & Kavemann 2012).
Auch wenn die hohe Gewaltbetroffenheit von Frauen mit Migrationshintergrund
vor allem auf eine ressourcenarme soziale Lage der Familie zurückzuführen ist, so
spielen die kulturellen Hintergründe des Heimatlandes dennoch eine Rolle. In man-
chen Kulturen bestehen Männlichkeitsbilder, die Dominanz und Gewalt gegenüber
Frauen legitimieren (Oyewuwo-Gassikia 2016; Lehmann 2015, 27). Eine Abhängig-
keit von Gewalt als Durchsetzungs- und Kommunikationsmittel tritt oft bei Männern
auf, die aus Ländern ausgewandert sind, in denen diktatorische Regime den Einsatz
von Gewalt und Zwang zur Dominanz und Kontrolle legitimiert haben (Sharma
466 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

2001). Männer aus diesen Ländern neigen eher dazu, auch in den Gastländern die
gleichen Mittel anzuwenden, um ihre Familie zu kontrollieren.

2.4 Der Einfluss kultureller Faktoren sowie


traditioneller Grundüberzeugungen und Wertevorstellungen

Kultur wird mithilfe einer Reihe von Merkmalen definiert, wie zum Beispiel
Überzeugungen, Praktiken, Werte, Normen und Verhaltensweisen, die von Mitglie-
dern einer Gesellschaft geteilt werden (Kasturirangan, Krishnan & Riger 2004, 319).
Studien zeigen, dass trotz der vielen Unterschiede zwischen den existierenden Kul-
turen keine der ethnischen oder sozioökonomischen Gruppen immun gegen Gewalt
ist, auch nicht hinsichtlich häuslicher Gewalt (Alhabib et al. 2010; Albert 2008, 91 –
92). Wie im vorherigen Abschnitt erläutert, können diese unterschiedlichen Werte-
vorstellungen und Normen die gewaltfreie Integration von Einwandererfamilien er-
schweren. Während zum Beispiel hierzulande Scheidungen gesellschaftlich akzep-
tiert werden und auch ein fester Bestandteil der Gesellschaft sind, gelten sie in an-
deren Kulturen als verboten oder zumindest als ein Affront gegen die eigene Familie
(Shirwadkar 2004). In dem Versuch, kulturelle Werte zu wahren, ermutigen viele Ge-
meinschaften Frauen, gewalttätige Beziehungen nicht zu verlassen bzw. zu schwei-
gen und den Missbrauch zu leugnen (Kasturirangan et al. 2004).
Auch bei zahlreichen einheimischen Familien und Haushalten existieren nach wie
vor Wertvorstellungen, die hinsichtlich Hierarchie und Rollenverständnis keine
Gleichberechtigung von Mann und Frau vorsehen. Im traditionellen Familienbild
wurde das Ausüben von Gewalt der Männer gegenüber ihren Frauen zu einem gewis-
sen Grad gesellschaftlich toleriert (Godenzi 1996). Dasselbe gilt für die Eltern-Kind-
Beziehung. Diese basiert auch heutzutage teilweise auf traditioneller autoritärer Er-
ziehung, was wiederum auf der gesellschaftlichen Akzeptanz und Toleranz von Ge-
walt beruht (Kaselitz & Lercher 2002). Die gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz
entwickeln sich aus vielen verschiedenen Faktoren. In der Literatur wird dabei die
Bedeutung der sozialen Lerntheorie hervorgehoben, die dazu führt, dass das Hierar-
chiedenken und kulturell-traditionelle Wertvorstellungen von den Eltern an die Kin-
der weitergegeben werden.
Die soziale Lerntheorie beschreibt, dass Erfahrungen der Eltern mit Gewalt in
ihrer Kindheit oder Jugend an die nächste Generation weitergegeben werden (Bender
& Lösel 2005; Abramsky et al. 2011). Nach diesem Ansatz wird Aggression nicht als
Trieb oder als unumgängliche Reaktion auf nicht erfüllte Erwartungen, sondern als
durch Lernvorgänge gesteuert angesehen (Schweikert 2000, 81; Dlugosch 2010, 32).
Die Studie von Bowlus & Seitz (2006) belegt, dass bei Männern, die häusliche Gewalt
als Kind beobachtet haben, die Wahrscheinlichkeit, die eigene Frau zu missbrauchen,
je nach Alter der Frau 1,9- bis 5,3-mal höher ist als bei einem Mann, der keine häus-
liche Gewalt erlebt hat. Damit wird zwar nicht ausgeschlossen, dass bestimmte
Handlungen angeboren sein können, jedoch bestimmt der Lernprozess, ob und
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 467

wie gehandelt wird (Schweikert 2000, 81). Hierarchiedenken, inklusive der Annah-
me, die Frau wäre dem Mann in Beziehungen und im gesellschaftlichen Leben un-
tergeordnet, werden den Kindern vorgelebt und so über Generationen hinweg wei-
tergegeben (Schweikert 2000, 86).
Zwar kann durch staatliche Maßnahmen (wie z. B. eine Frauenquote) eine formale
Gleichstellung geschaffen werden, dies reicht jedoch nicht aus, um das Hierarchie-
denken innerhalb der Gesellschaft erfolgreich zu verbannen. Auch die Einführung
von Gesetzen zur Strafbarkeit häuslicher Gewalt ist allein nicht ausschlaggebend.
So hatte die Einführung des Verbotes von Gewalt in der Erziehung von Kindern
im Jahre 1979 in Schweden besonders deshalb die erwünschte Wirkung eines unmit-
telbaren Rückgangs von Gewalt in der Erziehung von Kindern, weil es mit einer in-
tensiven Begleitkampagne gekoppelt wurde (Bussmann et al. 2008). Eine Befragung
von Bussmann et al. (2008) von 1.000 repräsentativ ausgewählten Eltern im Jahre
2007 hat gezeigt, dass etwa 90 % der Schweden Gesetzeskenntnis hatten, während
dies bei weniger als einem Drittel der österreichischen und deutschen Eltern der Fall
war. Dies lässt vermuten, dass nicht nur Gesetze nötig sind, sondern dass auch die
Verbreitung der Inhalte der Gesetze eine wichtige Rolle spielt, damit sie in das Be-
wusstsein der Gesellschaft vordringen und umgesetzt werden können (Peacock &
Barker 2014). Kindergärten und Schulen tragen hierbei eine besondere Verantwor-
tung.
Ein wichtiger kultureller Aspekt betrifft die Religion. Wertvorstellungen sind in
vielen Ländern stark religiös beeinflusst. Unter den Weltreligionen haben zum Bei-
spiel das Christentum, das Judentum und der Islam gemeinsam, dass sie zumindest in
ihrem Ursprung die Frau dem Mann unterordnen (Fortune & Enger 2005). White-
head (2012) deckt einen Zusammenhang zwischen dem männlichen Gottesbild
und der Einhaltung traditioneller Geschlechterrollen und konventionelle Vorstellun-
gen von Ehe und Familie auf. Im Allgemeinen beinhalten solche Vorstellungen, dass
Männer sich im öffentlichen Raum bewegen, während Frauen sich um den häusli-
chen und privaten Bereich kümmern. Dabei sind über verschiedene Religionen hin-
weg diejenigen, die ihre heiligen Schriften hochschätzen, eher bereit, traditionelle
Geschlechterideologien zu unterstützen (Whitehead 2012, 141).

3. Daten und deskriptive Statistik


Die Definition von häuslicher und innerfamiliärer Gewalt ist in der Literatur um-
stritten (Albert 2008, 31). Grob lässt sich häusliche Gewalt in drei Erscheinungsfor-
men untergliedern: in physische, psychische und sexuelle Gewalt (Kaselitz & Ler-
cher 2002). Für unsere Untersuchung gilt es eine Definition zu wählen, die der Da-
tenerhebung des World Values Survey entspricht. Für unsere Zwecke empfiehlt es
sich, nur die physische Gewalt zu betrachten, da in der vorliegenden Studie die Teil-
nehmer nach der Rechtfertigung von Schlägen befragt wurden. Dabei definieren
Lamnek et al. (2013, 114 – 116) leichte Gewalthandlungen als die Handlungen, die
468 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

in einigen Gesellschaften akzeptiert werden, zum Beispiel „Erziehungsmaßnahmen“


wie etwa ein Klaps auf den Po oder die Ohrfeige. Alle darüber hinaus gehenden Ge-
walthandlungen, die gesellschaftlich weit weniger toleriert werden, sind als schwere
Form der Gewalt definiert (Lamnek et al. 2013, 114 – 116) und würden den Fragestel-
lungen im World Values Survey nicht entsprechen.

3.1 Datenbeschreibung

Für die folgende empirische Analyse werden die Daten des World Values Survey
(WVS) genutzt. Dabei handelt es sich um ein länderübergreifendes Projekt, das sich
mit dem Thema Wertewandel und dessen Auswirkungen beschäftigt. Es wird von
einem internationalen Forscherteam der WVS Association und dem WVSA-Sekre-
tariat mit Sitz in Wien, Österreich, koordiniert und geleitet. Jede Umfragewelle führt
repräsentative nationale Umfragen zu den Grundwerten und Überzeugungen von In-
dividuen in einem großen Querschnitt von fast 100 Ländern durch, und zwar mit
einem gemeinsamen Fragebogen. Dieser enthält Fragen zu demografischen Daten
(Alter, Geschlecht, Bildung usw.), selbstberichteten wirtschaftlichen Merkmalen,
wie Einkommen und soziale Schicht, und möchte Antworten auf Fragen zu morali-
schen, religiösen und politischen Wertvorstellungen einholen. Der WVS ist die größ-
te nicht-kommerzielle länderübergreifende Längsschnittuntersuchung menschlicher
Überzeugungen und Werte. Die wichtigste Methode der Datenerhebung in der WVS-
Umfrage ist die persönliche Befragung am Wohnort der Befragten oder am Telefon.
Die erste Erhebungswelle wurde 1981 gestartet, gefolgt von sechs aufeinanderfol-
genden Wellen. Die in unserer Studie verwendeten Daten stammen aus der sechsten
Welle des WVS (2010 – 2014), die Erhebung in Deutschland fand im Jahr 2014 statt.
Dieser Datensatz umfasst 2.046 Interviews. Die Anzahl valider Antworten (ohne feh-
lende oder offensichtlich falsche Angaben) liegt, je nach Surveyfrage, zumeist knapp
unter 2.000 (siehe Tabelle 1 im Anhang).
Die Großzahl bisheriger Studien zu häuslicher Gewalt analysiert Erfahrungen mit
häuslicher Gewalt und untersucht, warum es dazu gekommen ist. Der World Values
Survey hingegen fragt nicht, ob die befragte Person Gewalt im Haushalt ausübt oder
erfahren hat. In dieser Studie werden die Einstellungen der Befragten zu häuslicher
Gewalt durch folgende zwei Surveyfragen erfasst, die mit einer gemeinsamen Ein-
leitung versehen sind:
Können Sie mir bitte für jede der folgenden Handlungen sagen, ob Sie sie in jedem Fall für in
Ordnung halten, unter keinen Umständen für in Ordnung halten, oder irgendwas dazwi-
schen. Nennen Sie mir bitte zu jedem Punkt einen Wert anhand der Liste. 1 bedeutet:
„Unter gar keinen Umständen in Ordnung“. 10 bedeutet: „In jedem Fall in Ordnung“.
Mit den Werten dazwischen können Sie ihre Angabe abstufen.
* Variable 208: Wenn einem Mann bei seiner Frau mal die Hand ausrutscht.
* Variable 209: Wenn Eltern ihre Kinder schlagen.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 469

Somit wird nicht untersucht, ob es bereits zu Gewalthandlungen gekommen ist,


sondern es geht um die Einstellung zur häuslichen Gewalt. Der Vorteil dieses Vorge-
hens ist, dass es irrelevant ist, ob die befragte Person bereits häusliche Gewalt aus-
geübt oder erlebt hat oder nicht, und dass nicht nur der finale Schritt eines gewaltsam
endenden kognitiven Prozesses im Datensatz als dokumentiertes Ereignis zählbar
wird. Wenn eine Handlung als gerechtfertigt betrachtet wird, ist der Schritt zur Ver-
wirklichung dieser Handlung zudem nicht mehr groß (Bohner 2002, 266). Durch
diese Art der Befragung werden nicht nur eventuelle Täter, sondern auch potenzielle
Täter erfasst. Hinzu kommt, dass Täter bei der Frage nach der Einstellung ehrlicher
sind als bei der direkten Frage nach ausgeübten Gewalthandlungen (Hiawatsch &
Krickl 2019, 358). Schließlich ist zu bedenken, dass möglicherweise eine Rechtfer-
tigung besonders dann zum Ausdruck gebracht wird, wenn ihr die Erfahrung einer
Tat vorausgegangen ist.

3.2 Deskriptive Statistik und Vorstellung der Variablen

Der multivariaten Analyse unserer Studie liegen unterschiedliche Abgrenzungen


des Gesamtdatensatzes zugrunde (siehe Tabellen 1 und 2 im Anhang). Wir untersu-
chen die Gültigkeit der Determinanten häuslicher Gewalt zunächst in einer für die
Gesamtbevölkerung repräsentativen Gesamtstichprobe, in der entsprechend auch all-
einstehende Personen mit und ohne Kinder vertreten sind (Tabelle 1). Zum zweiten
beschränken wir uns auf die Gruppe aller Paargemeinschaften (Ehepaare oder Le-
bensgemeinschaften mit und ohne Kinder), zu der wir weiterhin alleinstehende Per-
sonen hinzufügen, sofern sie Kinder haben. Damit fokussieren wir auf Gewalt in
Paargemeinschaften und gleichzeitig erfassen wir mögliche Konstellationen mit Ge-
walt gegen Kinder. Die dritte Teilstichprobe unterscheidet sich von der zweiten da-
durch, dass nur Personen bis maximal (einschließlich) 65 Jahre berücksichtigt wer-
den. In Tabelle 2 konzentrieren wir uns schwerpunktmäßig auf Männer als die ver-
mutliche Hauptgruppe der Täter. Auch hier starten wir mit der Gesamtgruppe, dann
betrachten wir die Gruppe der in Paargemeinschaften lebenden Männer, zu der wir
wiederum die alleinstehenden Väter hinzufügen. In der dritten Spalte beschränken
wir das Alter auf maximal 65 Jahre und schließlich haben wir in der vierten Spalte
zum Vergleich noch die analog abgegrenzte Gruppe der Frauen. Die Darstellung der
deskriptiven Statistik beruht auf gewichteten Zahlen (mittels des im Datensatz ver-
fügbaren Gewichts V258; Gewichtungen erfolgten nach Alter*Geschlecht, Bundes-
land*Ortsgröße und höchster Schulabschluss, siehe Ipsos 2013, 11). Alle deskripti-
ven Statistiken, außer für Alter, basieren auf binären (1/0) Variablen, so dass die An-
gaben in den Tabellen 1 und 2 (außer bei Alter) Anteile von bejahenden Antworten
(Anteile von Antworten mit der Ausprägung 1) darstellen.
Ob Männer oder Frauen Gewalt grundsätzlich ausschließen oder unter Umständen
„in Ordnung“ finden, wird, wie oben erläutert, durch zwei Surveyfragen erfasst, an-
hand der Nennung von einer Zahl zwischen 1 („auf keinen Fall in Ordnung“) bis 10
(„in jedem Fall in Ordnung“). Wir definieren für unsere nachstehende Analyse eine
470 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

binäre Variable, die den Wert 0 annimmt, falls die befragte Person die Kategorie 1
gewählt hat („auf keinen Fall in Ordnung“). In allen anderen Fällen (Werte zwischen
2 und 10) nehmen die Variablen der „gerechtfertigten Gewalt“ gegen Frauen oder
Kinder den Wert 1 an. Diese beiden resultierenden binären Variablen stellen die
zu erklärenden Variablen unserer Untersuchung dar. Tabelle 1 zeigt, dass der Anteil
derjenigen, die Gewalt gegen Frauen nicht kategorisch ausschließen, bei 26 % in der
Gesamtbevölkerung liegt. Wie in Tabelle 2 zu sehen ist, liegt der entsprechende An-
teil bei Männern in der Gesamtbevölkerung noch einmal deutlich höher, nämlich bei
33 %, bei Männern in Paarbeziehungen und alleinstehenden Vätern sogar bei 35 %.
Auch 17 % der Frauen (unter 65) halten Gewalt gegen sie als nicht in jedem Fall un-
gerechtfertigt, was auf ein ausgeprägt patriarchalisches Geschlechterverständnis bei
einem nicht unerheblichen Teil der Haushalte in Deutschland hindeutet.
Gewalt gegen Kinder wird offensichtlich in einem noch stärkeren Maße toleriert.
In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil bei 36 %, bei Männern sogar bei 40 %.
Dieser Prozentsatz ist nur geringfügig geringer, nämlich 38 %, wenn man die älteren
Männer über 65 Jahre und kinderlose alleinstehende Männer ausschließt. Jedoch
kann auch in der betrachteten Untergruppe der Frauen von einer gewaltlosen Erzie-
hung keine Rede sein, denn immerhin 28 % finden das Schlagen ihrer Kinder unter
Umständen „in Ordnung“.
In der bisherigen Literatur spielen kulturell verwurzelte Grundüberzeugungen
und Wertevorstellungen eine wichtige Rolle. Dazu gehört die Beziehung zur Religi-
on. Im Fragebogen wird gefragt, ob Religion im Leben der Befragten „sehr wichtig,
ziemlich wichtig, nicht sehr wichtig oder überhaupt nicht wichtig“ ist. In unserer
Analyse definieren wir die Religionsvariable als 1 falls Religion als „sehr wichtig“
im Leben angesehen wird, 0 sonst. Tabelle 2 zeigt, dass hier die Wichtigkeit bei Män-
nern und Frauen leicht unterschiedlich ist. In den vergleichbaren Gruppen der bis zu
65-Jährigen ist für 28 % der Männer Religion sehr wichtig, während dies für 23 %
der Frauen der Fall ist.
Ein traditionelles Rollenverständnis dürfte mit der Gleichberechtigung von Mann
und Frau nicht immer vereinbar sein. Um die individuelle Einschätzung der Gleich-
berechtigung quantitativ erfassen zu können, nutzen wir eine Frage, in der auf einer
Skala von 1 („gehört keinesfalls zur Demokratie“) bis 10 („gehört in jedem Fall zur
Demokratie“) die folgende Aussage bewertet werden soll: „Frauen haben die glei-
chen Rechte wie Männer“. Die von uns konstruierte binäre Variable „Frauenrechte
werden als nicht wichtig erachtet“ bekommt den Wert 1, falls die Befragten einen
Wert kleiner als 7 angeben, ansonsten wird die Variable mit 0 codiert. Auch hier
ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen (Tabelle 2) besonders hervorzu-
heben. Während 11,4 % der Männer Frauenrechte als nicht wichtig erachten, sind es
nur 5 % bei den Frauen.
Stressfaktoren werden in unserer Untersuchung in verschiedener Form erfasst,
und zwar als berufliche, finanzielle und familiäre Belastungen. Neben Arbeitslosig-
keit werden selbstberichtete Einschätzungen der Einkommenshöhe und der finanzi-
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 471

ellen Situation berücksichtigt. Bezüglich der Einkommenshöhe wurden Teilnehmer


nach dem Perzentil befragt, in dem sie sich ihrer Meinung nach befinden. Wir defi-
nieren einen Indikator für „geringes Einkommen“, falls sich Personen bei den unte-
ren 40 % der Einkommensbezieher sehen (1, falls ja, 0 sonst). Als weiteren ökono-
mischen Stressfaktor nutzen wir die Frage zur Selbsteinschätzung der finanziellen
Situation des Haushalts der oder des Befragten, die auf einer Skala von 1 („vollkom-
men unzufrieden“) bis 10 („vollkommen zufrieden“) eingeschätzt werden soll. Wir
codieren die entsprechende Indikatorvariable mit 1 (und sonst mit 0), falls sich die
Probanden zwischen 1 und 4 einsortieren. Hierbei scheinen Männer etwas unzufrie-
dener zu sein als Frauen (siehe Tabelle 2, Gruppe der bis zu 65-Jährigen: 21 % ge-
genüber 17 %).
Weiterhin erfassen wir, ob eine Person Hauptverdienerin ist (oder nicht), da dies
ebenfalls eine (psychische) Belastung sein kann. Interessanterweise sehen sich 82 %
der Männer als Hauptverdiener, aber auch 45 % der Frauen (siehe Tabelle 2, Männer
und Frauen bis 65). Eine Erklärung für diese scheinbare Inkonsistenz dürfte sein, dass
bei einem beträchtlichen Anteil der Paare beide Partner ungefähr vergleichbare Ein-
kommen beziehen und/oder sich als gleichberechtigte Verdiener ansehen. Neben den
ökonomischen Stressfaktoren spielen familiäre Lebensumstände eine Rolle. Die Li-
teratur besagt, dass eine hohe Kinderzahl eine problematische Belastung darstellen
könnte. In unserer Studie drehen wir das Argument um und formulieren die Hypo-
these, dass das Umfeld einer familiären Gemeinschaft mit geringer Kinderzahl eine
gewaltverneinende Einstellung begünstigt, und zwar nicht nur relativ zur Gruppe der
Kinderreichen, sondern auch zur Gruppe der Kinderlosen. Dazu formulieren wir die
Binärvariable „Kinderzahl: 1 oder 2“, die mit 1 codiert ist, falls die befragte Person
ein oder zwei Kinder hat. Alternativ erfolgt eine Kodierung mit 0 für Personen mit 3
oder mehr Kindern, aber auch für Personen ohne Kinder. In der Gesamtbevölkerung
haben 54 % der befragten Personen 1 oder 2 Kinder, bei der Gruppe der Personen
unter 65 bestehend aus Paaren und Alleinstehenden mit Kindern sind es 69 %.
Unsere Analyse basiert ferner auf einer Reihe von Standardvariablen, die die so-
ziodemographische und regionale Situation der Befragten und ihrer Haushalte be-
schreibt. Das Gesamtsample erfasst Personen zwischen 17 und 94 Jahren, das Durch-
schnittsalter liegt bei 49,5 Jahren (und 46 Jahre in der Gruppe der bis zu 65-Jährigen).
Wir untersuchen auch die Rolle der Bildung, wobei wir binär zwischen der Gruppe
der höheren (mindestens Abitur, „höhere Bildung“ = 1) und der mittleren und unte-
ren Bildungsschicht (unterhalb Abitur, „mittleren und unteren Bildung“ = 0) unter-
scheiden. Nach dieser Unterscheidung werden ca. 22 % bis 23 % der unter 65-Jäh-
rigen zu der Gruppe der höher gebildeten Personen gerechnet. In den von uns betrach-
teten Stichproben leben, je nach Abgrenzung, 18 % bis 20 % in Ostdeutschland und
25 % bis 28 % in einer Großstadt. Von besonderer Bedeutung ist die Variable zum
Einwanderungsstatus (1, falls im Ausland geboren, 0 sonst). Sie erlaubt im multiva-
riaten Kontext (nach Kontrolle für andere sozioökonomische und demographische
Faktoren) Hinweise darauf, ob mangelnde Integration in unserer Gesellschaft ein
Grund für die bedingte Akzeptanz häuslicher Gewalt in Deutschland sein kann. In
472 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

unserem Datensatz haben ca. 13 % bis 14 % einen Geburtsort im Ausland, was in


Deutschland in der Mehrzahl der Fälle ein nicht-westliches Ursprungsland bedeutet.

4. Empirische Ergebnisse
In der empirischen Analyse der Determinanten der Rechtfertigung häuslicher Ge-
walt verwenden wir ein statistisches Probit-Verfahren (siehe z. B. Wooldridge 2013),
das der dichotomen 1/0 Ausprägung der beiden abhängigen Variablen gerecht wird.
Wir schätzen die beiden Gleichungen
PðYc ¼ 1Þ ¼ Fðb0 þ b1 x1 þ :::bK xK Þ; c ¼ 1; 2;
für die Wahrscheinlichkeit P, dass die Variable Yc den Wert 1 annimmt bzw. dass
die betreffende Aussage zutrifft. Hierbei repräsentieren Yc , c = 1, 2, die abhängigen
Variablen „Rechtfertigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen“ und „Rechtferti-
gung von häuslicher Gewalt gegen Kinder“. Die nichtlineare Link-Funktion F
wird durch die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung gebildet. In den
nachfolgenden Tabellen 3 bis 5 (siehe Anhang) werden die (durchschnittlichen) mar-
ginalen Effekte der erklärenden Variablen dokumentiert. Der so genannte „durch-
schnittliche marginale Effekt“ beschreibt in unserem Fall die geschätzte durch-
schnittliche Veränderung der individuellen Wahrscheinlichkeiten einer Rechtferti-
gung, also D PðYc ¼ 1Þ, die sich bei einer Erhöhung der erklärenden Variable um
eine Einheit ergeben würde. Da es sich mit der Ausnahme von Alter jeweils um di-
chotome Erklärungsfaktoren handelt, beschreibt der marginale Effekt in der Regel
die Veränderung der Wahrscheinlichkeit, die sich bei einem hypothetischen Ver-
gleich von Personen mit unzutreffenden (X = 0) und zutreffenden (X = 1) Merkma-
len ergeben würde, wobei unterstellt wird, dass die Personen ansonsten identisch sind
(Ceteris-Paribus-Bedingung). Im Falle der Altersvariablen misst der Koeffizient ana-
log die Veränderung der Wahrscheinlichkeit, die sich bei einer Erhöhung des Lebens-
alters um ein Jahr ergeben würde.
Im Folgenden gliedern wir die Darstellung der Ergebnisse entsprechend der in der
bisherigen Literatur identifizierbaren Faktoren (siehe Abschnitt 2.). Dabei werden
die als statistisch signifikant messbaren Effekte im Vordergrund stehen.

4.1 Wertevorstellungen und Überzeugungen

Der Einfluss von Religion als wichtiger Lebensinhalt hat zwar in den Tabellen 3
bis 5 durchgehend ein negatives Vorzeichen, jedoch wird der dämpfende Einfluss von
Religion nur in 2 von 10 Abgrenzungen der Stichprobe statistisch schwach signifi-
kant (zum 10 % Signifikanzniveau). Insbesondere bei den Gruppen mit Probanden
bis zu 65 Jahren ist kein signifikanter Effekt messbar.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 473

Eine stark ausgeprägte Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen, mit durchweg
hochsignifikanten Schätzwerten (p < 1 %), wird hingegen bei jenen Männern fest-
gestellt, die die Gleichberechtigung von Frauen und Männern als nicht wichtig erach-
ten. Bei Frauen ist dieser Effekt nicht signifikant. Betrachtet man z. B. die Gruppe
aller in Paarbeziehungen lebenden Männer bis zu 65 Jahren (inklusive der Gruppe
von alleinstehenden Vätern), so zeigt sich dort ein Schätzwert von 0,34 (siehe Tabelle
4). Männer, die Frauenrechte als wichtig erachten, haben also im Durchschnitt eine
um 34 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, Gewalt gegen Frauen als ge-
rechtfertigt anzusehen, als Männer, die Frauenrechte als nicht wichtig erachten. Be-
trachtet man die Tolerierung von Gewalt gegen Kinder, so ist der geschätzte Koef-
fizient in der gleichen Gruppenabgrenzung mit 0,18 zwar ebenfalls hoch, aber nur
noch auf dem 10 % Niveau schwach signifikant (siehe Tabelle 5). Insgesamt gesehen
bestätigen unsere Ergebnisse die Erfahrungen aus der Literatur, dass Männer mit
einem eher traditionellen Rollenverständnis von Mann und Frau stärker zu häuslicher
Gewalt neigen.
Hinsichtlich der Interpretation der geschätzten marginalen Effekte sei an dieser
Stelle darauf hingewiesen, dass eine kausale Deutung problematisch sein kann. So-
wohl die Einstellung zur Gewalt als auch ein die gleichen Rechte verneinendes Frau-
enbild kann Ursachen in gemeinsamen Faktoren haben, z. B. in Form von negativen
Erfahrungen im eigenen Elternhaus, die in der Regression wegen ihrer Unbeobacht-
barkeit unberücksichtigt bleiben (müssen).

4.2 Stressfaktoren

Der Einfluss von Arbeitslosigkeit ist in der Literatur umstritten. Unsere auf Ein-
stellung zur häuslichen Gewalt abzielende Untersuchung spricht für einen die Ge-
waltbereitschaft mindernden Einfluss von Arbeitslosigkeit. Wenn es um den Effekt
von Arbeitslosigkeit geht, ist die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von beson-
derem Interesse. In diesen Teilstichproben hat Arbeitslosigkeit mit Bezug zur Gewalt
gegen Frauen in 2 von 4 der betrachteten Populationen ein signifikantes (p < 5 %)
negatives Vorzeichen, mit Effekten zwischen -0,15 und -0,18. Rechtfertigung häus-
licher Gewalt gegen Kinder wird durch Arbeitslosigkeit deutlich um 30 Prozentpunk-
te reduziert, bei Frauen ist der Effekt nicht signifikant. Der Effekt bei Männern be-
stätigt die Ergebnisse von Anderberg et al. (2016) und Aizer (2010), wonach Arbeits-
losigkeit Gewaltanwendung zu reduzieren vermag, weil sich durch fehlende Be-
schäftigung der Männer die relative Abhängigkeit der Frauen abschwächt und
gewalttätige Männer eher befürchten müssen, von Frau und Kind verlassen zu wer-
den.
Der ebenfalls mit negativem Vorzeichen versehene deutliche Effekt der Arbeits-
losigkeit auf die Rechtfertigung häuslicher Gewalt gegen Frauen innerhalb der Grup-
pe der Frauen (siehe letzte Spalte von Tabelle 4) ist nicht ohne weiteres durch eine
Erhöhung der finanziellen Abhängigkeit zu erklären. Gemäß der Standardhypothese
474 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

von Arbeitslosigkeit als Stressfaktor würde man eigentlich ein positives Vorzeichen
erwarten.
Die marginalen Einflüsse des Indikators einer schwierigen finanziellen Situation
des Haushaltes sind hingegen wie allgemein erwartet. Finanzielle Engpässe erhöhen
die Wahrscheinlichkeit von akzeptierter häuslicher Gewalt in deutlicher Weise – al-
lerdings nur bei Männern. In der Gruppe der Frauen spielen finanzielle Probleme of-
fensichtlich keine besondere Rolle. Hauptverdiener zu sein oder nicht scheint weder
für Frauen noch Männer einen Einfluss zu haben.
Auch eine hohe Kinderzahl ist als Belastungsfaktor aus der Literatur bekannt. Un-
sere Ergebnisse zeigen, dass die Kinderzahl für häusliche Gewalt gegen die Frau
keine Rolle spielt, wohl aber bei häuslicher Gewalt gegen Kinder. Hier sind Männer
deutlich weniger gewaltaffin, wenn sie (nur) ein oder zwei Kinder haben (siehe Ta-
belle 5). Bei Frauen ist der Effekt statistisch insignifikant.

4.3 Soziodemographische und regionale Einflüsse

Wie zu erwarten, haben Männer eine in hochsignifikanter Weise höhere Rechtfer-


tigungsrate von häuslicher Gewalt gegen Frauen als die betroffenen Frauen selbst
(Tabelle 3). Aber auch bei Gewalt gegen Kinder ist der Effekt bei Männern höher
als bei Frauen, wenngleich nur um sechs Prozentpunkte und schwach signifikant (Ta-
belle 5).
Das Niveau der Schulbildung wird in unserer Analyse als wenig relevant identi-
fiziert. In nur einer von 10 Schätzungen existiert ein schwach signifikant positives
Vorzeichen, nämlich in der Gruppe der bis zu 65-jährigen Männer (Tabelle 5).
Das Ergebnis bestätigt jedoch damit frühere Ergebnisse von Schröttle (2008), wo-
nach höhere Bildung keineswegs mit einer geringeren Neigung zur häuslichen Ge-
walt verbunden sein muss.
Das Alter hat keinen messbaren Einfluss auf die Einstellung bezüglich der inner-
familiären Gewalt gegen die Frau. Hier sind alle Altersschichten gleichermaßen be-
troffen. Einen sehr starken Einfluss hat das Lebensalter hingegen auf die Einstellung
zum Schlagen von Kindern, und zwar sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Be-
schränkt man das Alter in der Stichprobe auf maximal 65 Jahre (Tabelle 5), so ist ein
Unterschied von 10 Lebensjahren bei Männern durchschnittlich mit einer um rund
sieben Prozentpunkten höheren Rechtfertigungsquote verbunden, bei den Frauen
mit ca. fünf Prozentpunkten. Es wird also sehr deutlich, dass sich in der Kindererzie-
hung ein Generationswandel vollzogen hat. Bei jüngeren Eltern hat sich im Vergleich
zu den Eltern früherer Zeit eher die Überzeugung durchgesetzt, dass Erziehung ge-
waltfrei zu sein habe.
Eingewanderte Männer und Frauen haben keine signifikant andere Einstellung
zum Schlagen von Kindern als die in Deutschland geborenen Personen (Tabelle
5). Zwischen Einwanderinnen und Einwanderern sind jedoch bemerkenswerte Un-
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 475

terschiede hinsichtlich der Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen zu beobachten,


wie Tabelle 4 zeigt. Während sich die im Ausland geborenen Männer nicht von den in
Deutschland geborenen Männern unterscheiden, sind die im Ausland geborenen
Frauen deutlich (+0,18) und in hochsignifikanter Weise toleranter gegenüber männ-
licher häuslicher Gewalt als die in Deutschland geborenen Frauen. Da ein substan-
tieller Anteil der Einwanderer in Familien mit traditionellen Geschlechterrollen ver-
wurzelt ist, bestätigt dies zumindest für Frauen frühere Ergebnisse, wonach ein tra-
ditionelles Familienbild das Ausüben von Gewalt der Männer gegenüber ihren Frau-
en zu einem gewissen Grad gesellschaftlich toleriert. Interessanterweise sind die
Unterschiede zu Nicht-Einwanderern jedoch nur bei den Frauen zu beobachten,
nicht aber bei Männern. Dies könnte daran liegen, dass bereits bei „einheimischen“
Männern die Einstellung zur Gewalt recht permissiv ist, oder dass eingewanderte
Männer wegen ihrer stärkeren Einbindung in das hiesige Berufsleben besser in die
Gesellschaft integriert sind als eingewanderte Frauen.
In unserer Analyse sind keine bemerkenswerten Unterschiede zwischen den ur-
banen Gebieten der Großstädte und den übrigen Regionen feststellbar. Zwischen
Ost- und Westdeutschland sind jedoch Abweichungen zu erkennen. Zwar ist für
Ost und West hinsichtlich der Einstellung zur Gewalt bei Kindern keine Differenzie-
rung vorzunehmen, jedoch scheint auf dem Gebiet der früheren DDR bezüglich der
Gewalt gegen Frauen eine weniger zustimmende Einstellung vorzuherrschen. Im
Osten liegt die Rechtfertigungsquote um ca. sechs Prozentpunkte unterhalb der
des Westens. Dies wird anhand von Tabelle 3 deutlich, in der Männer und Frauen
gemeinsam erfasst werden, was eine größere Beobachtungszahl und damit trenn-
schärfere Schätzergebnisse erlaubt. Ein Grund für die Unterschiede könnte sein,
dass in der früheren DDR Frauen durch ihre höhere Arbeitsmarktpartizipation stärker
in die Gesellschaft integriert waren als in der alten Bundesrepublik, was sich bis
heute in einem anderen Rollenverständnis von Mann und Frau manifestiert.

4.4 Robustheitsprüfung

Bei Anwendung eines Linearen Wahrscheinlichkeitsmodells (also von Ordinary


Least Squares, OLS) anstatt von Probit zeigen sich keine wesentlichen Abweichun-
gen. Alle in den Tabellen 3 bis 5 gekennzeichneten Signifikanzen und Nicht-Signi-
fikanzen zeigen sich genauso auch mit der Methode der kleinsten Quadrate. In den
marginalen Schätzkoeffizienten sind aufgrund der unterstellten Linearität hier und da
leicht veränderte Schätzwerte festzustellen. Typischerweise weichen die OLS-Koef-
fizienten ein bis zwei Hundertstel nach oben oder unten von den marginalen Probit-
effekten ab, z. B. 0,16 mit OLS statt 0,14 mit Probit im Gesamtsample der Tabelle 3.
Die stärkste Abweichung hat sich bei dem Effekt der Frauenrechtsanerkennung im
Sample der bis zu 65-Jährigen in Tabelle 3 ergeben, bei dem mit Probit 0,23 geschätzt
wurde und 0,28 mit OLS.
476 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

Ungewichtete Schätzungen erbringen grundsätzlich sehr ähnliche Ergebnisse, je-


doch wird für die Variablen „arbeitslos“, „finanzielle Situation“ und „Ostdeutsch-
land“ keine Signifikanz festgestellt.

5. Schlussbemerkungen
Die von uns auf der Datenbasis des World Value Surveys durchgeführte Analyse
der Determinanten häuslicher Gewalt basiert auf einem ausführlichen Überblick über
die Literatur zu diesem Thema. Unsere empirischen Ergebnisse liefern Bestätigun-
gen, aber auch Widersprüche zu bisherigen Erkenntnissen, zum Teil werden bisher
kaum beachtete Zusammenhänge neu aufgedeckt. So bestätigen wir zwar einerseits,
dass finanzieller Stress mit höheren Rechtfertigungsquoten verbunden ist, finden je-
doch andererseits, dass arbeitslose Personen Gewalt weniger „in Ordnung“ finden.
Dieses Resultat steht zwar im Gegensatz zur klassischen Stresstheorie, wurde jedoch
(mit britischen Opferdaten) auch schon von Anderberg et al. (2016) gefunden. Wei-
terhin zeigen unsere Ergebnisse, dass traditionelle Wertvorstellungen zur Bedeutung
von Frauenrechten mit deutlich höheren Quoten der Rechtfertigung häuslicher Ge-
walt einhergehen. Wir finden, wie andere Studien auch, dass bei im Ausland gebo-
renen Personen eine höhere Toleranz von Gewalt zu beobachten ist. Neu ist aller-
dings, dass wir das Ergebnis nur dann erhalten, wenn wir die im Ausland geborenen
Frauen mit den in Deutschland geborenen Frauen vergleichen. Innerhalb der Gruppe
der Männer können wir keine signifikanten Unterschiede zwischen Einwanderern
und Nicht-Einwanderern feststellen. Weiterhin in bisherigen empirischen Studien
wenig beachtet ist die starke Altersabhängigkeit der Gewalt gegen Kinder, die auf
einen Wandel hin zu einer deutlich weniger gewaltaffinen Elterngeneration hindeu-
tet. Im Übrigen konnten wir feststellen, dass Männer und Frauen in Ostdeutschland
weniger bereit sind innerfamiliäre Gewalt gegen Frauen zu rechtfertigen als in West-
deutschland, was möglicherweise mit einer höheren Partizipation von Frauen in das
Erwerbsleben der ehemaligen DDR erklärbar sein könnte.
Es ist eventuell diskutierbar, ob eine auf individuellen Einstellungen bezüglich
häuslicher Gewalt (und nicht auf erlebter Gewalt) basierende Studie einen relevanten
Beitrag zur Literatur zu liefern vermag. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Art und
Weise, wie die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft über häusliche Gewalt urteilen,
auch einen großen Einfluss auf realisierte häusliche Gewalt haben dürfte. Insbeson-
dere hinsichtlich einer Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kindern sind Ein-
stellungen von entscheidender Bedeutung. Wenn Gewalthandlungen gesellschaftlich
toleriert sind und gemeinhin als gerechtfertigt erachtet werden, dann gilt es zunächst
die Einstellungen zu ändern, bevor sinnvolle Maßnahmen zur Gewaltverringerung
durchsetzbar sein können.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 477

Literaturverzeichnis

Abiona, O. & Koppensteiner, M.F. (2016): The impact of household shocks on domestic vio-
lence: Evidence from Tanzania. University of Leicester, Working Paper No. 16/14. Leicester,
UK.
Abramsky, T., Watts, C.H., Garcia-Moreno, C., Devries, K., Kiss, L., Ellsberg, M. & Heise, L.
(2011): What factors are associated with recent intimate partner violence? Findings from the
WHO multi-country study on women’s health and domestic violence. BMC Public Health 11/
109, S. 1 – 17.
Adams, A.E., Tolman, R.M., Bybee, D., Sullivan, C. M. & Kennedy, A.C. (2012): The impact of
intimate partner violence on low-income women’s economic well-being: The mediating role
of job stability. Violence Against Women 18/12, S. 1345 – 1367.
Aizer, A. (2010): The gender wage gap and domestic violence. American Economic Review 100/
4, S. 1847 – 1859.
Albert, I. (2008): Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder – eine kriminologische und rechtliche
Betrachtung der Erscheinungsformen, Ursachen und Möglichkeiten der Bekämpfung, Würz-
burger Schriften zur Kriminalwissenschaft. Frankfurt am Main.
Albrecht, H.-J. (2014): Sicherheit, Sicherheitswahrnehmung und Viktimisierungsstudien. An-
sätze und Ergebnisse, in: H. Hoch & P. Zoche (Hrsg.), Sicherheiten und Unsicherheiten.
Münster, S. 75 – 88.
Alhabib, S., Nur, U. & Jones, R. (2010): Domestic violence against women: Systematic review
of prevalence studies. Journal of Family Violence 25/4, S. 369 – 382.
Anderberg, D., Rainer, H., Wadsworth, J. & Wilson, T. (2016): Unemployment and domestic
violence: Theory and evidence. The Economic Journal 126/597, S. 1947 – 1979.
Aziz, N.N.A., Idris, S.A.M., Ishak, M., Wahid, N.A. & Yazid, Z.N.A. (2018): Factors affecting
domestic violence against women: A conceptual model and research propositions. Interna-
tional Journal for Studies on Children, Women, Elderly and Disabled 4, S. 191 – 198.
Bender, D. & Lösel, F. (2005): Misshandlungen von Kindern: Risikofaktoren und Schutzfakto-
ren, in: G. Deegner & W. Körner (Hrsg.), Kindesmisshandlungen und Vernachlässigung: Ein
Handbuch. Göttingen, S. 317 – 346.
Benson, M.L. & Fox, G.L. (2004): When violence hits home: How economics and neighborhood
play a role. U.S. Department of Justice, National Institute of Justice Washington, D.C.
Benson, M.L., Fox, G.L., DeMaris, A. & Van Wyk, J. (2003): Neighborhood disadvantage, in-
dividual economic distress and violence against women in intimate relationships. Journal of
Quantitative Criminology 19, S. 207 – 235.
Bohner, G. (2002): Einstellungen, in: W. Stroebe, K. Jonas & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsy-
chologie: Eine Einführung. Heidelberg, S. 265 – 315.
Bowlus, A. & Seitz, S. (2006): Domestic violence, employment, and divorce. International Eco-
nomic Review 47/4, S. 1113 – 1149.
Brandon, M. & Lewis, A. (1996): Significant harm and children’s experience of domestic vio-
lence. Child and Family Social Work 1/1, S. 33 – 42.
478 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

Brzank, P. (2009): (Häusliche) Gewalt gegen Frauen: sozioökonomische Folgen und gesell-
schaftliche Kosten. Bundesgesundheitsarbeitsblatt 3, S. 330 – 338.
Bundeskriminalamt (2019): Partnerschaftsgewalt: Kriminalistische Auswertung; https://www.
bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Partner
schaftsgewalt/Partnerschaftsgewalt_2018.html?nn=63476ps://www.bka.de/SharedDocs/
[31. 12. 2019].
Bundeskriminalamt & Deutsche Kinderhilfe (2019): Gemeinsame Presssekonferenz der Deut-
schen Kinderhilfe mit BKA-Präsident Holger Münch; https://www.bka.de/SharedDocs/Kurz
meldungen/DE/Kurzmeldungen/190606_PKDeutscheKinderhilfe.html [31. 12. 2019].
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005): Lebenssituation, Sicher-
heit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt
gegen Frauen in Deutschland. Bonn.
Bussmann, K.-D. (2005): Verbot elterlicher Gewalt gegen Kinder – Auswirkungen des Rechts
auf gewaltfreie Erziehung, in: W.K.G. Deegner (Hrsg.), Kindesmisshandlungen und Ver-
nachlässigung: Ein Handbuch. Göttingen, S. 243 – 258.
Bussmann, K.-D., Erthal, C. & Schroth, A. (2008): Wirkung von Körperstrafenverboten: Erste
Ergebnisse der europäischen Vergleichsstudie zu den Auswirkungen eines gesetzlichen Ver-
bots von Gewalt in der Erziehung. Recht der Jugend und des Bil-dungswesens 56/4, S. 404 –
422.
Devries, K., Watts, C., Yoshihama, M., Kiss, L., Schraiber, L.B., Deyessa, N. & Garcia-Moreno,
C. (2011): Violence against women is strongly associated with suicide attempts: Evidence
from the WHO multi-country study on women’s health and domestic violence against
women. Social Science and Medicine 73/1, S. 79 – 86.
Dlugosch, S. (2010): Mittendrin oder nur dabei? Miterleben häuslicher Gewalt in der Kindheit
und seine Folgen für die Identitätsentwicklung. Berlin.
Egger, T. & Schär Moser, M. (2008): Gewalt in Paarbeziehungen: Ursachen und in der Schweiz
getroffene Maßnahmen. Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann,
Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien. Bern.
Fantuzzo, J.W., DePaola, L.M., Lambert, L., Martino, T., Anderson, G. & Sara, S. (1991): Ef-
fects of interparental violence on the psychological adjustment and competencies of young
children. Journal of Consulting and Clinical Psychology 59/2, S. 258 – 265.
Fortune, M.M. & Enger, C.G. (2005): Violence against women and the role of religion. National
Online Resource Center on Violence against Women; https://vawnet.org/material/violence-
against-women-and-role-religion [07. 01. 2020].
Godenzi, A. (1996): Gewalt im sozialen Nahraum. Basel.
Graham-Bermann, S.A. & Brescoll, V. (2000): Gender, power and violence: Assessing the fa-
mily stereotypes of children of batterers. Journal of Interpersonal Violence 14/4, S. 600 – 612.
Helfferich, P.D.C. & Kavemann, P.D.B. (2012): Gewalt in Ehe und Partnerschaft: Unterschiede
beim Unterstützungsbedarf und bei Beratungsbarrieren und die spezifische Situation von Mi-
grantinnen – Neue Forschungsergebnisse aus Deutschland, in: S. von Steinsdorff & H. Ruf-
Uçar (Hrsg.), Implementierung von Rechtsnormen: Gewalt gegen Frauen in der Türkei und in
Deutschland. Heidelberg.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 479

Hiawatsch, A. & Krickl, T. (2019): Einstellungen zu Befragungen, in: N. Baur & J. Blasius
(Hrsg.), Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden, S. 357 – 364.
Hohendorf, I. (2018): Viktimisierung und Täterschaft in Paarbeziehungen junger Menschen –
Erste deskriptive Ergebnisse einer Hochschulbefragung, in: K. Boers & M. Schaerff (Hrsg.),
Kriminologische Welt in Bewegung. Mönchengladbach, S. 317 – 329.
Ipsos (2013): World Values Survey, 6th Wave. Methodenbericht; http://www.worldvaluessur
vey.org/WVSDocumentationWV6.jsp [04. 01. 2019].
Kaselitz, V. & Lercher, L. (2002): Gewalt in der Familie – Rückblick und neue Herausforderun-
gen, Gewaltbericht 2001. Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen.
Kasturirangan, A., Krishnan, S. & Riger, S. (2004): The impact of culture and minority status on
women’s experience of domestic violence. Trauma, Violence and Abuse 5/4, S. 318 – 332.
Kitzmann, K.M. (2012): Domestic violence and its impact on the social and emotional develop-
ment of young children. Encyclopedia on Early Childhood Development; http://www.child-
encyclopedia.com/sites/default/files/textes-experts/en/779/domestic-violence-and-its-impact-
on-the-social-and-emotional-development-of-young-children.pdf [07. 01. 2020].
Kolbo, J.R., Blakely, E.H. & Englemann, D. (1996): Children who witness domestic violence.
Violence and Victims 11/2, S. 281 – 293.
Laing, L. & Bobic, N. (2002): Economic costs of domestic violence: literature review. Austra-
lian Domestic and Family Violence Clearinghouse; https://catalogue.nla.gov.au/Record/
5036715 [07. 01. 2020].
Lamnek, S., Luedtke, J., Ottermann, R. & Vogl, S. (2013): Tatort Familie – häusliche Gewalt im
gesellschaftlichen Kontext. Wiesbaden.
Lehmann, K. (2015): Professionelles Handeln gegen häusliche Gewalt – Der Platzverweis aus
der Sicht von Polizei, Beratung und schutzsuchender Frauen. Berlin.
Monahan, E.K. (2020): Income instability and child maltreatment: Exploring associations and
mechanisms. Children and Youth Services Review 108, S. 1 – 16.
Oyewuwo-Gassikia, O.B. (2016): American Muslim women and domestic violence service
seeking: A literature review. Affilia, 31/4, S. 450 – 462.
Peacock, D. & Barker, G. (2014): Working with Men and Boys to Prevent Gender-based Viol-
ence: Principles, Lessons Learned, and Ways Forward. Men and Masculinities 17/5, S. 578 –
599.
Pfeiffer, C., Delzer, I., Enzmann, D. & Wetzels, P. (1998): Ausgrenzung, Gewalt und Krimina-
lität im Leben junger Menschen. Kinder und Jugendliche als Opfer und Täter. Sonderdruck
zum 24. Deutschen Jugendgerichtstag in Hamburg. Hannover.
Pollak, R.A. (2005): Bargaining power in marriage: Earnings, wage rates and household pro-
duction. National Bureau of Economic Research Working Paper No 11239.
Renzetti, C.M. (2009): Economic stress and domestic violence. Center of Research on Violence
against Women; https://uknowledge.uky.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1000&context=
crvaw_reports [07. 01. 2020].
Sacco, S. (2017): Häusliche Gewalt – Kostenstudie für Deutschland. Gewalt gegen Frauen in
(ehemaligen) Partnerschaften. Hamburg.
480 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

Schneider, H.J. (1994): Kriminologie der Gewalt. Stuttgart.


Schröttle, M. (2008): Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen – Eine sekundäranalytische
Auswertung zur Differenzierung von Schweregraden, Mustern, Risikofaktoren und Unter-
stützung nach erlebter Gewalt. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend.
Schweikert, B. (2000): Gewalt ist kein Schicksal: Ausgangsbedingungen, Praxis und Möglich-
keiten einer rechtlichen Intervention bei häuslicher Gewalt gegen Frauen unter besonderer
Berücksichtigung von polizei- und zivilrechtlichen Befugnissen. Wiesbaden.
Sharma, A. (2001): Healing the wounds of domestic abuse: Improving the effectiveness of fe-
minist therapeutic interventions with immigrant and racially visible women who have been
abused. Violence against Women 7/12, S. 1405 – 1428.
Shirwadkar, S. (2004): Canadian domestic violence policy and Indian immigrant women. Viol-
ence against Women 10/8, S. 860 – 879.
Tolman, R.M., Danziger, S.K. & Rosen, D. (2015): Domestic violence and economic well-being
of current and former welfare recipients. Michigan Program on Poverty and Social Welfare
Policy.
Whitehead, A.L. (2012): Gender ideology and religion: Does a masculine image of God matter?
Review of Religious Research 54/2, S. 139 – 156.
Wooldridge, J.M. (2013). Introductory econometrics: A modern approach. New York.
World Health Organization (2002): World report on violence and health.
Ziegler, F. (1990): Kinder als Opfer von Gewalt. Ursachen und Interventionsmöglichkeiten.
Freiburger Beiträge zur Psychologie 6, Freiburg (Schweiz).
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 481

Anhang
Tabelle 1
Deskriptive Statistiken, Teil 1
(Teil-)Stichprobe
In Paarbeziehung lebend oder:
alleinstehend + Vater/Mutter
Variable Gesamt Gesamt Max.
65 Jahre alt
Unter Umständen in Ordnung: 26,0 25,7 25,5
Mann rutscht bei Frau Hand aus (2003) (1595) (1199)
Unter Umständen in Ordnung: 36,1 35,1 32,7
Eltern schlagen ihre Kinder (2003) (1595) (1199)
Religion wird als „sehr wichtig“ 25,6 22,9 25,4
im Leben erachtet (1995) (1590) (1196)
Frauenrechte nicht wichtig für 9,8 8,5 8,1
Demokratie erachtet (1994) (1588) (1194)
Arbeitslos 4,3 3,5 4,7
(2003) (1595) (1199)
Einkommen: Gruppe der unteren 40 % gemäß Selbsteinschät- 40,7 38,1 36,9
zung (2003) (1595) (1199)
Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrieden 18,5 18,3 19,0
(Einstufung bis 4 auf Skala 1 – 10) (1989) (1591) (1196)
Hauptverdiener 65,7 67,5 63,0
(1971) (1574) (1181)
Kinderzahl: 1 oder 2 53,6 68,4 68,6
(1990) (1595) (1199)
Geschlecht: Männlich 48,7 47,9 48,7
(2003) (1595) (1199)
Alleinstehend (geschieden, getrennt, 41,9 25,8 18,9
verwitwet, Single) (1991) (1593) (1197)
Höchster Schulabschluss: 21,7 19,2 22,5
Mindestens Abitur (2003) (1595) (1199)
Alter 49,5 53,6 46,2
(2003) (1595) (1199)
Einwanderer/Einwanderin 13,2 13,4 13,3
(nicht in Deutschland geboren) (2001) (1593) (1198)
Wohnort: Ostdeutschland 18,0 19,5 19,2
(2003) (1595) (1199)
Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) 27,7 26,0 25,6
(1995) (1588) (1197)
Anmerkungen: Stichproben aus Befragung des World Value Survey für Deutschland; Angaben betreffen die jewei-
ligen Anteile in den (Teil-) Stichproben; Min. und Max. der Altersangaben der vier betrachteten Gruppen: [17, 94],
[18,94], [18,65], [19,65]. Alle Beobachtungen sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258
gewichtet. Siehe den Text für weitere Erläuterungen der Variablen.
482 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

Tabelle 2
Deskriptive Statistiken, Teil 2
(Teil-)Stichprobe
In Paarbeziehung lebend oder:
alleinstehend + Vater/Mutter
Variable Männer Männer Männer, Frauen,
gesamt max. 65 Jahre max. 65 Jahre
alt alt
Unter Umständen in Ordnung: Mann rutscht bei 32,9 35,2 34,3 17,1
Frau Hand aus (986) (760) (558) (641)
Unter Umständen in Ordnung: Eltern schlagen 40,1 40,2 37,8 28,0
ihre Kinder (986) (760) (558) (641)
Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben er- 29,3 25,6 27,7 23,3
achtet (982) (757) (556) (640)
Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie er- 11,7 12,5 11,4 5,0
achtet (981) (756) (555) (639)
Arbeitslos 4,1 2,9 3,9 5,5
(986) (760) (558) (641)
Einkommen: Gruppe der unteren 40 % gemäß 38,4 35,7 35,9 37,8
Selbsteinschätzung (986) (760) (558) (641)
Mit finanzieller Situation des Haushalts unzu- 19,5 19,1 21,1 16,9
frieden (981) (758) (556) (640)
(Einstufung bis 4 auf Skala 1 – 10)
Hauptverdiener 78,5 84,6 82,3 44,8
(969) (748) (547) (634)
Kinderzahl: 1 oder 2 52,3 68,0 68,5 68,6
(981) (760) (558) (641)
Alleinstehend (geschieden, 36,3 17,1 12,5 24,8
getrennt, verwitwet, Single) (984) (760) (558) (639)
Höchster Schulabschluss: 23,5 20,7 23,2 21,9
Mindestens Abitur (986) (760) (558) (639)
Alter 48,9 53,5 46,7 45,7
(986) (760) (558) (641)
Einwanderer/Einwanderin 14,4 14,0 13,0 13,6
(nicht in Deutschland geboren) (986) (760) (558) (640)
Wohnort: Ostdeutschland 18,0 19,1 19,4 19,1
(986) (760) (558) (641)
Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) 26,5 24,5 24,5 26,6
(983) (758) (558) (639)
Anmerkungen: Stichproben aus Befragung des World Value Survey für Deutschland; Angaben betreffen die jewei-
ligen Anteile in den (Teil-) Stichproben; Min. und Max. der Altersangaben der vier betrachteten Gruppen: [17, 94],
[18,94], [18,65], [19,65]. Alle Beobachtungen sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258
gewichtet. Siehe den Text für weitere Erläuterungen der Variablen.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 483

Tabelle 3
Rechtfertigung der Gewalt gegen Frauen, marginale Effekte nach Probitschätzung
(Teil-)Stichprobe
In Paarbeziehung lebend oder:
alleinstehend+
+ Vater/Mutter
Erklärende Variablen Gesamt Gesamt Max.
65 Jahre alt
Werte und Überzeugungen:
Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet -0,05* -0,06* -0,03
(0,03) (0,04) (0,04)
Frauenrechte nicht wichtig für 0,20*** 0,19*** 0,23***
Demokratie erachtet (0,05) (0,05) (0,06)
Beruflicher, finanzieller oder familiärer Stress:
Arbeitslos -0,11 -0,15** -0,18**
(0,07) (0,07) (0,07)
Einkommen: Gruppe der unteren 40 % -0,01 -0,02 -0,01
gemäß Selbsteinschätzung (0,03) (0,04) (0,04)
Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrieden (Einstu- 0,14*** 0,12*** 0,11**
fung bis 4 auf Skala 1 – 10) (0,04) (0,04) (0,05)
Hauptverdiener 0,05 -0,01 0,00
(0,04) (0,04) (0,04)
Kinderzahl: 1 oder 2 0,03 0,01 -0,03
(0,03) (0,03) (0,04)
Soziodemographische Faktoren:
Geschlecht: Männlich 0,11*** 0,17*** 0,15***
(0.03) (0,03) (0,04)
Alleinstehend 0,01 0,05 0,07
(geschieden, getrennt, verwitwet, Single) (0,03) (0,04) (0,05)
Höchster Schulabschluss: -0,02 -0,02 -0,04
Mindestens Abitur (0,03) (0,04) (0,04)
Alter x 10 -0,000 0,003 0,015
(0,001) (0,010) (0,015)
Einwanderer/Einwanderin 0,05 0,09* 0,10*
(nicht in Deutschland geboren) (0,04) (0,05) (0,05)
Regionale Einflüsse:
Wohnort: Ostdeutschland -0,06** -0,05* -0,07**
(0,03) (0,03) (0,03)
Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) -0,04 -0,02 0,01
(0,03) (0,04) (0,04)
Pseudo R2 (Mc Fadden) 0,079 0,092 0,103
Anzahl der Beobachtungen 1933 1553 1169
Anmerkungen: Durchschnittliche marginale Effekte („margins“ in Stata) nach Probitschätzung. Beobachtungen
sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Robuste Standardfehler (in Klammern)
wurden mit der Delta-Methode berechnet. Lesebeispiel, Spalte 1: Ist die befragte Person mit der finanziellen Situa-
tion im Haushalt unzufrieden, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass für diese Person Gewalt gerechtfertigt ist,
um 14 Prozentpunkte gegenüber einer vergleichbaren Person, die jedoch mit der finanziellen Situation zufrieden ist.
***), **), *) repräsentiert statistische Signifikanz auf dem Niveau von 1 %, 5 %, und 10 %.
484 Horst Entorf und Gabriele Lichmann

Tabelle 4
Rechtfertigung der Gewalt gegen Frauen, marginale Effekte nach Probitschätzung,
Untergruppen von Männern und Frauen
(Teil-)Stichprobe
In Paarbeziehung lebend oder:
alleinstehend + Vater/Mutter
Erklärende Variablen Gruppe Männer Männer, Frauen,
aller max. 65 Jahre max. 65 Jahre
Männer alt alt
Werte und Überzeugungen:
Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet -0,07 -0,06 -0,04 -0,02
(0,05) (0,05) (0,06) (0,05)
Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie erachtet 0,22*** 0,26*** 0,34*** 0,10
(0,07) (0,08) (0,09) (0,08)
Beruflicher, finanzieller oder
familiärer Stress:
Arbeitslos -0,18** -0,14 -0,15 -0,17**
(0,09) (0,12) (0,12) (0,07)
Einkommen: Gruppe der unteren 40 % gemäß -0,02 0,00 0,02 -0,02
Selbsteinschätzung (0,05) (0,06) (0,06) (0,05)
Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrie- 0,19*** 0,17*** 0,13* 0,01
den (0,05) (0,07) (0,07) (0,07)
(Einstufung bis 4 auf Skala 1 – 10)
Hauptverdiener 0,07 -0,00 -0,00 0,04
(0,06) (0,07) (0,07) (0,05)
Kinderzahl: 1 oder 2 -0,01 -0,04 -0,08 0,03
(0,05) (0,05) (0,06) (0,04)
Soziodemographische Faktoren:
Alleinstehend 0,01 0,07 0,10 0,06
(geschieden, getrennt, verwitwet, Single) (0,05) (0,07) (0,09) (0,07)
Höchster Schulabschluss: -0,03 -0,02 -0,04 -0,05
Mindestens Abitur (0,05) (0,05) (0,06) (0,05)
Alter x 10 0,001 0,014 0,034 0,002
(0,013) (0,015) (0,023) (0,017)
Einwanderer/Einwanderin 0,03 0,02 0,00 0,18***
(nicht in Deutschland geboren) (0,07) (0,07) (0,08) (0,06)
Regionale Einflüsse:
Wohnort: Ostdeutschland -0,06 -0,07* -0,07 -0,05
(0,04) (0,04) (0,05) (0,04)
Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) 0,00 0,02 0,04 -0,04
(0,05) (0,06) (0,06) (0,06)
Pseudo R2 (Mc Fadden) 0,070 0,085 0,103 0,068
Anzahl der Beobachtungen 949 738 541 628
Anmerkungen: Durchschnittliche marginale Effekte („margins“ in Stata) nach Probitschätzung. Beobachtungen
sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Robuste Standardfehler (in Klammern)
wurden mit der Delta-Methode berechnet. Lesebeispiel, Spalte 1: Ist die befragte Person arbeitslos, so verringert sich
die Wahrscheinlichkeit, dass für diese Person Gewalt gerechtfertigt ist, um 18 Prozentpunkte gegenüber einer ver-
gleichbaren Person, die nicht arbeitslos ist. ***), **), *) repräsentiert statistische Signifikanz auf dem Niveau von
1 %, 5 %, und 10 %.
Welche Faktoren beeinflussen häusliche Gewalt und ihre teilweise Akzeptanz? 485

Tabelle 5
Rechtfertigung der Gewalt gegen Kinder, marginale Effekte nach Probitschätzung
(Teil-)Stichprobe
In Paarbeziehung lebend oder:
alleinstehend + Vater/Mutter,
max. 65 Jahre alt
Erklärende Variablen Gesamt Männer Frauen
Werte und Überzeugungen:
Religion wird als „sehr wichtig“ im Leben erachtet -0,05 -0,06 -0,02
(0,04) (0,08) (0,06)
Frauenrechte nicht wichtig für Demokratie erachtet 0,15** 0,18* 0,10
(0,06) (0,10) (0,10)
Beruflicher, finanzieller oder familiärer Stress;
Arbeitslos -0,12 -0,30** -0,14
(0,08) (0,13) (0,12)
Einkommen: Gruppe der unteren 40 % 0,02 0,02 0,05
gemäß Selbsteinschätzung (0,04) (0,07) (0,06)
Mit finanzieller Situation des Haushalts unzufrieden (Einstu- 0,12*** 0,14* 0,01
fung bis 4 auf Skala 1 – 10) (0,04) (0,08) (0,08)
Hauptverdiener 0,04 0,02 0,04
(0,04) (0,08) (0,06)
Kinderzahl: 1 oder 2 -0,08** -0,13** -0,06
(0,03) (0,06) (0,05)
Soziodemographische Faktoren:
Geschlecht: Männlich 0,06* _ _
(0,03)
Alleinstehend 0,01 -0,07 0.02
(geschieden, getrennt, verwitwet, Single) (0,04) (0,09) (0,08)
Höchster Schulabschluss: Mindestens Abitur 0,01 0,10* 0,04
(0,03) (0,06) (0,05)
Alter x 10 0,023** 0,071*** 0,053***
(0,010) (0,024) (0,021)
Einwanderer/Einwanderin -0,04 -0,08 0,06
(nicht in Deutschland geboren) (0,05) (0,09) (0,08)
Regionale Einflüsse:
Wohnort: Ostdeutschland -0,02 -0,01 -0,03
(0,03) (0,05) (0,05)
Wohnort: Großstadt (> 100 Tsd.) -0,02 -0,09 0,06
(0,04) (0,06) (0,06)
Pseudo R2 (Mc Fadden) 0,036 0,070 0,033
Anzahl der Beobachtungen 1940 542 630
Anmerkungen: Durchschnittliche marginale Effekte („margins“ in Stata) nach Probitschätzung. Beobachtungen
sind mittels des im WVS angegebenen Gewichtungsfaktors V258 gewichtet. Robuste Standardfehler (in Klammern)
wurden mit der Delta-Methode berechnet. Lesebeispiel, Spalte 1: Ist die befragte Person mit der finanziellen Situa-
tion im Haushalt unzufrieden, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass für diese Person Gewalt gerechtfertigt ist,
um 12 Prozentpunkte gegenüber einer vergleichbaren Person, die jedoch mit der finanziellen Situation zufrieden ist.
***), **), *) repräsentiert statistische Signifikanz auf dem Niveau von 1 %, 5 %, und 10 %.
Understanding Offender and Victim
of Intimate Partner Homicide in China – Compared
with Previous Findings in Other Countries
By Shuhong Zhao

It is an honor to contribute to a volume which celebrates the birthday of Prof.


Hans-Jörg Albrecht. In China, Prof. Albrecht is warmly addressed as Prof. “A” in
our law circles. In the past two decades, Prof. Albrecht has devoted his energy to
the academic cooperation and exchange in the field of criminal law between
China and Germany. Specifically, he accepted many students and young scholars
from China. These young fellows, nowadays, have become the main force in the
criminal justice and are active at the forefront of criminal law research in China.
Prof. Albrecht has made outstanding contributions to the development and progress
of the science of Chinese criminal law. The research experience of Prof. Albrecht
shows that he continues to focus on the violent crime. Relative discussion will be
made below in the Chinese context.

1. Introduction
Intimate partner homicide (IPH), occurring when one person kills their current or
ex-intimate partner (Kivisto 2015; Szalewski, Huff-Corzine & Reckdenwald 2019),
has been recognized as a serious global public health issue in urgent need of increased
attention (Murphy, Liddell & Bugeja 2016; Stansfield et al. 2019; Stöckl et al. 2013).
A recent global study on homicide conducted by the United Nations Office on Drugs
and Crime (UNODC) reported that, on a global level, the number of women killed by
their intimate partners was 30,000, meaning that more than one third of all women
intentionally killed worldwide, or 82 every day, are killed by their intimate partners
(UNODC 2019). According to Stockl et al. (2013), IPH represents 14% of all hom-
icides, and one in seven homicides is committed by an intimate partner. Though re-
search and information on IPH is relatively limited in countries outside the West,
there are still exceptions. For example, in South Africa, a national mortuary study
of female homicides showed that, in 1999 and 2009, around 50% of murdered
women were killed by an intimate partner (Abrahams et al. 2013).
With public awareness and policy responses to domestic violence, research on
IPH has steadily increased in recent years (Caman et al. 2017; Matias et al. 2020;
Reckdenwald & Parker 2012). In the 1990s, some countries experienced a major
488 Shuhong Zhao

transformation in all sectors of society in response to IPH, including the criminal jus-
tice system, social services, health care, and public opinion (Renzetti, Edleson & Ber-
gen 2001). With these improvements, the incidence of IPHs has steadily decreased in
the U.S. and Western Europe (Caman et al. 2017; Weiss et al. 2016). However, IPH
and other family-related homicides continue to be rather widespread and constant
over time compared with other types of homicide (UNODC 2019). In fact, the overall
decline in some countries reflects a steady decline in female-perpetrated IPH, but not
in male-perpetrated IPH (Dawson, Bunge & Balde 2009). This fact highlights that
IPH is still a widespread public health concern (Petrosky et al. 2017). Therefore,
with an aim to reduce and prevent this serious crime, current exploratory studies
focus on examining risk factors for the perpetrator and the victim of IPH as well
as identifying the characteristics of IPH (Dawson, Bunge & Balde 2009; Du et
al. 2020; Spencer & Stith 2018). In these studies, even though some have indicated
the characteristics of the perpetrator and the victim of IPH (Caman et al. 2017b;
Mize, Shackelford & Shackelford 2009), the in-depth research on the characteristics
associated with the perpetrators, the victims and their intimate relationship in the
context of China today, which is very important in understanding IPH, is very scarce.
In China today, especially with its rapidly increasing process of urbanization and
modernization, the country is currently witnessing a soaring increase in IPH
(Zhao 2020). So, in order to gain further insight into IPH in China, an in-depth
and comprehensive study on the characteristics of the perpetrator and the victim
of IPH is required.

2. Existing Findings
2.1 Perpetrator of IPH

To some extent, IPH is gender-based lethal violence (Eriksson & Mazerolle 2013;
Suonpää & Savolainen 2019). According to Stöckl et al. (2013), 38.6% of homicides
committed against women and 6.3% of homicides committed against men are com-
mitted by an intimate partner. Correspondingly, many studies have proved that
women comprise a disproportionately higher percentage of IPH victims than men
(Hodell et al. 2014; Raj & Silverman 2002; Spencer & Stith 2018). The gender
ratio in the previous studies indicates that killings by women are approximately
10 times greater in intimate partner homicides than any other homicide category
(Fox & Fridel 2017). Therefore, the “gender perspective” holds that the most prom-
inent aspect of IPH is the gendered nature of the crime (Biroscak, Smith & Post 2006;
Campbell et al. 2007; DeJong, Pizarro & McGarrell 2011; Vittes & Sorenson 2008).
According to this perspective, male perpetrators of IPH primarily use violence to
maintain control and power, whereas female perpetrators primarily use violence in
fear or self-protection (Johnson & Ferraro 2000; Melton & Belknap 2003). With re-
gards to these gender differences in IPH, the male sexual proprietariness theory and
self-defense theory try to provide their own explanation to the research field. Accord-
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 489

ing to the first perspective, when men perceive that they are at risk of losing the con-
trol of their intimate partner, they will desire to control their intimate partner (Dobash
& Dobash 1984; Serran & Firestone 2004). For this, some studies found that male
IPH perpetrators may have a certain degree of domination, sexual proprietaries, fi-
delity, separation or divorce, child custody issues, substance abuse, problems on job,
suicidal behavior, and mental illness (Angela et al. 2011; Garcia, Soria & Hurwitz
2007; Kivisto 2015). According to the second perspective, battered women are more
likely to kill their partner in response to an attack on themselves or following a threat
from the abuser to harm another, usually their child (Matthew et al. 2006; O’Keefe
1997; Tyson, Kirkwood & Mckenzie 2016). As a result, some researchers found that
IPH with female perpetrators were a result of women’s inability to protect themselves
from their male partner’s aggression (Browne 1987; Ho & Chantagul 2016).
Contrary to the gender perspective, the general violence theory emphasizes that
there is no difference in the etiologies of violence against an intimate partner and
other victims (Kivivuori & Lehti 2012). Accordingly, in line with this perspective,
when a man with violent tendencies keeps his current power structure, it might be
likely to focus his efforts toward his female partner (Karlsson et al. 2018). In addi-
tion, when the violence of an intimate partner has shown more widespread antisocial
behavior, offenders would manifest this tendency in multiple domains of life and
across different life stages (Caman et al. 2017; Kivivuori & Lehti 2012). For this,
many studies showed that the male perpetrator with violent experiences in IPH is
quite ordinary and that any man can transgress and use violence against their intimate
partners (Edin et al. 2008; Messner & Savolainen 2001).
The theoretical controversy leads to the ongoing debate on whether the perpetra-
tors of IPH are distinct from other violent offenders due to demographic character-
istics (Felson & Lane 2010; Thomas, Dichter & Matejkowski 2011). In this regard,
some studies found that IPH perpetrators do not often fit the preconceived profile of a
“dangerous killer”. On the contrary, they are more “conventional” than perpetrators
of violent crimes in general: better educated and more often employed (Dobash et
al. 2004; Kivivuori & Lehti 2012; Kivivuori, Suonpää & Lehti 2014; Thomas, Dicht-
er & Matejkowski 2011). Accordingly, they are typical violent offenders who have no
difference in their characteristics and experiences, such as a history of violence, al-
cohol or drug abuse, family problems, or a criminal career (Dobash et al. 2004; Fel-
son & Lane 2010). Indeed, one study identified that intimate perpetrators were sub-
stantially no different from nonintimate perpetrators that have used violence against
women (Dobash et al. 2004).

2.2 Victim Characteristics in IPH

It is recognized that the majority of IPH victims is female; simultaneously, when


females do commit homicide, they are more likely to perpetrate violence against an
intimate partner (Caman et al. 2017; Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Juodis et
490 Shuhong Zhao

al. 2014; Stöckl et al. 2013). Thus, IPH is characterized by gender asymmetry: while
female victims are more likely to be victimized by a male intimate partner than by any
other type of killer, male victims are more likely to be victimized by acquaintances or
strangers (Stöckl et al. 2013; Winstock & Straus 2014). It is with this fact that most
studies to date have focused mainly on the perpetrators of IPH rather than the victims,
especially on the characteristics of perpetrators, which creates gaps in reaching a bet-
ter understanding of IPH (Gnisci & Pace 2016).
In spite of this fact, some studies have identified the significance of a more com-
prehensive understanding of victims in IPH (Eriksson & Mazerolle 2013; Gnisci &
Pace 2016). These studies either briefly identified a certain percentage of female vic-
tims (Caman et al. 2017; Salari & Sillito 2016) or presented only high-level epide-
miological information on victimization (Corradi & Stöckl 2014; Holder 2019;
Spencer & Stith 2018). Among them, some previous research studies showed that
victims of IPH were older than victims of non-IPH, and there appeared to be no dif-
ference with regard to the victim’s ethnicity (DeJong, Pizarro & McGarrell 2011).
Furthermore, some previous studies found that young women from 15 to 34 years of
age were at the highest risk of being victimized (Pratt & Deosaransingh 1997). With
regard to the age gap between perpetrators and victims, some research identified that
female victims of male perpetrators were younger than the male victims of female
perpetrators (Garcia, Soria & Hurwitz 2007; Vatnar, Friestad & Bjørkly 2019). Al-
drige and Browne (2003) found that an age difference of 10 years or more between
intimate partners was a risk factor for all victims of IPH.
To develop the strategies necessary to prevent victimization in IPH, it demands
detailed understanding of the wide range of individual, social, economic, cultural
and environmental factors that can contribute to victimization in IPH (Heise & Kot-
sadam 2015). In terms of factors, some research showed that people with lower socio-
economic status were more likely to be victims of IPH (Cunradi et al. 2000; Kuru-
villa & Jacob 2007). For the victims of IPH, they were more socially disadvantaged
than the victims of non-IPH. According to the study of Leth (2009), 13% of IPH vic-
tims were employed at the time of the offense compared with 32% of non-IPH vic-
tims. In other previous studies, social disadvantage and chronic substance abuse were
also identified as risk factors for the victim of IPH (Jones-Webb & Wall 2008). With
regards to alcohol, one study identified that victims of IPH are more likely to suffer
from chronic alcohol abuse compared to the victims of non-IPH (Leth 2009). As such,
the value of identifying the characteristics of victims in IPH, is clear, and a challenge
to better understanding the victim is obtaining comprehensive, in-depth information
on the victim in IPH. In this regard, McPhedran et al. (2018) suggested that gaining
improved victim-focused knowledge on IPH, taking effective policies and practices
to assess risk, and effectively supporting women are critical to the goal of reducing
IPH victimization.
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 491

2.3. Intimate Relationship Between Perpetrator


and Victim in IPH

As early as 1958, some research has identified that homicides occur more often
between individuals with a close relationship. That is, the intimate relationships ap-
pear to be more prone to lethal violence than other relationships (Wolfgang 1958).
Additionally, the causes of homicides that occur within intimate relationships differ
from the causes of homicides that occur between strangers (Silverman & Kennedy
1995). So far, scholarly attention has focused on the role of the intimate relationship
between the perpetrator and that victim in order to deeply understand IPH (Gruene-
wald & Pridemore 2009; Haynie & Armstrong 2006; Matias et al. 2020; Regoeczi &
Riedel 2003). In this series of studies, some emphasized that the relationship was an
important factor in understanding the offending behavior (Cao, Hou & Huang 2008;
Osho & Williams 2013). Other research pointed out that the state and status of the
relationship as risk factors are equally important in understanding IPH (Lund &
Smorodinsky 2001; Reckdenwald & Simone 2017).
Even though most previous studies presented and analyzed the risk factors for an
IPH perpetrator and victim (Aldrige & Browne 2003; Garcia, Soria & Hurwitz 2007;
Murphy, Liddell & Bugeja 2016; Perova & Reynolds 2017), some limited studies pro-
vided an in-depth analysis on the risk factors along with the influence of the intimate
relationship state and status on IPH (Mackay et al. 2018). With regards to the status of
an intimate relationship in IPH, some research has addressed differences in the risk
for victims in cohabiting relationships versus marital relationships. For example,
some research established that cohabiting women were 8.4% times more likely to
be killed by their partners than married women, and cohabiting men were 15
times more likely than their legally married counterparts to be killed by their partners
(Shackelford 2001; Wilson, Daly & Wright 1993). In fact, women in cohabiting re-
lationships have been found to be at greater risk for lethal intimate partner violence
than women in marital and dating relationships (Shackelford 2001). For example,
Wilson, Daly & Wright (1993) found women in cohabiting relationships are 9
times more likely to be killed by a partner than married women.
For the female victims with different relationship statuses, they faced the different
risks of being victimized at different age stages. For example, women in their 20s,
who were in a marital relationship, were at greatest risk of being killed by their part-
ners. In contrast, women, who were in their mid-30s and 40s, were at greatest risk of
uxoricide when they were within cohabiting relationships (Wilson, Johnson & Daly
1995). For the male perpetrator, the risk of killing a partner was highest for married
men in the youngest age group and generally decreased with the man’s age. On the
contrary, for cohabiting men, the risk of killing their partner was highest in the young-
est age group (Shackelford & Mouzos 2005). In this regard, some research provides
the possible explanation of the difference in demographic characteristics between
those persons in cohabiting versus marital relationships. For example, the persons
in cohabiting relationships tend to be younger, have lower education, occupation
492 Shuhong Zhao

and income levels and they have much more experience using alcohol (Kenney &
McLanahan 2006; Mize et al. 2009; Shackelford 2001).

3. Research Question
In recent years, China witnessed a soaring increase in IPH with the process of
rapid urbanization and modernization. In order to deepen our knowledge of IPH
in China and to improve prevention strategies in the future, we should conduct
more research on characteristics connected with perpetrators, victims and the perpe-
trator-victim relationship. In comparison with the findings in the previous literature,
this research is undertaken to identify the characteristics of IPH in the Chinese con-
text. Thereby, we examine all available data of perpetrators and victims of IPH from
979 cases as the primary source of this research. In addition, we analyze the intimate
relationship between the perpetrator and victim in IPH. The official research question
addressed in this study is as follows:
Compared with the findings in previous studies, what are the same or different
characteristics of IPH in China? From these characteristics, what can be used to
give an explanation in the context of China today?

4. Data and Methods


In 2014, in accordance with the requirements from the Supreme People’s Court of
China, all the criminal judgements must be available online, for the purpose of pro-
moting justice in the judicial system and enhance judicial credibility. Therefore, ex-
cept for the judgement involving state secrets and personal privacy, the court must
make all judgements publicly available online. Up to now, the Chinese Judgements
Online website has already publicized up to 8,794,278 criminal judgments. For cases
of IPH, such judgements are almost entirely publicized online because they do not
involve state secrets and rarely involve personal privacy. From this judgement data-
bank, we firstly chose 28,986 intentional homicide judgments, which occurred in all-
important Chinese provinces from 1990 to 2015, and then, from these results, we
chose 1,500 judgments, in which the perpetrator and victim are intimate partners
(male and female). Therefore, the IPH events of this research are truly representative
of them during this period in China.
With the purpose of research and referring to previous research in other countries,
we originally designed a questionnaire with 63 variables concerning the basic infor-
mation of the perpetrators and the victims and their intimate relationship in IPH. In
these published criminal judgments, some information is removed before publication
in order to protect privacy or for other purposes. Additionally, some courts believe
that certain information in the judgment is not important, such as the profession
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 493

and the family background of the perpetrator or the victim, so they removed this kind
of information from the publicized judgements, but such information is necessary to
identify the characteristics of IPH in China. For example, the variable “duration of the
intimate relationship” is very important, but it has a missing value up to 76% in the
1,500 elected judgments. Therefore, we deleted these variables with high missing
values and eventually retained 40 variables in the questionnaire. With these reserved
variables, we did a further examination of the 1,500 judgments and found that some
of them still missed some information from the forty variables. For example, the var-
iable “living situation when murdered” was missing in some judgments. Therefore,
we deleted these judgments from the selected 1,500 judgments. In the end, we deleted
521 judgments from the selected 1,500 judgments and retained 979 judgments as the
sample for this research. For the 979 samples, each of them does not lack information
from the 40 variables.
Thus, the sample in this research was chosen roughly in two steps. The first step
was to choose 1,500 IPH judgments from 28,986 intentional homicide judgments.
After collecting data from these 1,500 judgements according to the questionnaire,
we found that variables were missing a great deal of value in some judgments. There-
fore, we deleted these variables with missing significant value and finally retained 40
variables in the questionnaire. For these 40 variables, we found that some judgments
of these 1,500 judgments still lacked some information on these variables. Therefore,
the second step was to delete from these 1,500 judgments those in which important
variables were missing. Finally, we got 979 judgment as sample in this study. These
judgments were deleted simply because they were missing important variables, but
not for any other purpose. Therefore, although 521 judgments were deleted from the
sample, the remaining judgments still met the randomness principle of sample selec-
tion in the study.
With an in-depth understanding of such a lethal form of domestic violence, the
previous research collected the following meaningful data as variables from the sam-
ples: “gender”, “employment”, “marriage satisfaction”, “family background”,
“where happened”, “crime record”, “experience using violence” (Block & Christa-
kos 1995; Caman et al. 2017; Eke et al. 2011; Liem, Postulart & Nieuwbeerta 2009;
Messner & Savolainen 2001; Sabri, Campbell & Dabby 2016; Salari & Sillito 2016).
Based on these previous findings, the primary aim in this study is to identify the char-
acteristics of IPH in China after comparing with previous studies in other countries.
Therefore, we also selected information to be used as variables from these studies.
Additionally, we found that the relationship between the perpetrators and the victims
in cases of IPH played an important role in understanding IPH in China. Therefore,
we also selected the variables about the intimate partnership, such as “intimate rela-
tionship status”, “intimate relationship state”, “what caused the relationship to be
broken”. Finally, we chose factors related to the incident of IPH, such as “direct-
ly-caused-homicide events”, which directly led to the homicide. These events in-
clude: “break up”, “trivial matter”, and “suspicion of being betrayed” and similar
494 Shuhong Zhao

events. Here, a “trivial matter” means an event of little importance such as mundane
chores or domestic matters.

5. Results
5.1 Perpetrator Characteristics in Cases of IPH in China

Table 1 presents the demographic characteristics of perpetrators among IPHs in


China, including gender, profession, experience using violence, criminal record,
family background, marital status and satisfaction with the marriage.
For gender, the number of male perpetrators of IPH were almost 5 times more than
the number of female perpetrators in China (male: 82%, female: 18%). In terms of the
profession, we find that almost all perpetrators are peasants (48%) and migrant work-
ers (47%). However, it is very rare for a student and an individual proprietor to com-
mit IPH (both 1%). For the perpetrator in IPH, almost all of them come from peasant
families (97%). In addition, we also find that very few perpetrators have experience
using violence (4%) and have a criminal record (3%). With regards to the marital
status, 57% of perpetrators were married. However, for divorced people, the propor-
tion of perpetrators were relatively low (6%). As for satisfaction with the marriage,
we find that for the perpetrators who were married, almost all of them were unsatis-
fied with their own marriage (53%). Only less than 1% of them were satisfied with
their marriage.
Table 1
Characteristics of Perpetrator Among IPH
Gender Male Female
802(81.9) 177(18.1)
Profession Unemployed Peasant Student
41(4.2) 465(47.5) 4(0.4)
Migrant workers White-collar Individual proprietor
459(46.9) 2(0.2) 8(0.8)
Family background Peasant Worker Intellectual
952(97.2) 24(2.5) 3(0.3)
Experience using violence Yes No
38(3.9) 941(96.1)
Crime record Yes No
31 3.2 948 96.8)
Marital status Unmarried Married Divorced
365(37.3) 560(57.2) 54(5.5)
Satisfaction with the marriage Satisfied Unsatisfied
3(0.5) 557(99.5)
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 495

5.2 Victim Characteristics in Cases of IPH

Table 2 demonstrates the characteristics of the victim among IPH in China. We


find that the victim was mostly female (83%). In respect of profession, like the per-
petrators, almost all of the victims were migrant workers (49%) and peasants (46%).
Compared with other professions, white-collar and individual proprietors, are very
rarely victims among IPH in China (both less than 1%).
In terms of family background, we can identify that almost all the victims come
from a peasant family (98%). Similar to perpetrators, almost all the victims have no
experience using violence (96%). Additionally, few victims had experienced mal-
treatment (less than 4%). As for the marital status, 60% of the victims were married.
Just like the perpetrators, almost all the victims were considerably unsatisfied with
their own marriage (99%).
Table 2
Victim Characteristics of IPH
Gender Male Female
171(17.5) 808(82.5)
Profession Unemployed Peasant Student
27(2.8) 453(46.3) 12(1.2)
Migrant workers White-collar Individual proprietor
479(48.9) 0(0) 8(0.8)
Marital status Unmarried Married Divorced
334(34.1) 583(59.6) 62(6.3)
Satisfaction for the marriage Satisfied Unsatisfied
4(0.7) 579(99.3)
Family background Peasant Worker Intellectual
959(98) 20(2) 0(0)
Experienced maltreatment Yes No
38(3.9) 941(96.1)
Experience using violence Yes No
51(5.2) 928(94.8)

5.3 Relationship Status and State Among IPH

The intimate relationship between perpetrators and victims in IPH can be shown
in Table 3. As for the relationship status, most of the perpetrators and victims in IPH
were spouses (49%) and lovers (47%), but ex-spouses are very scarce (4%). There-
fore, spouses and lovers have the most important status of an intimate partnership in
China.
Moreover, with regard to the relationship state, more than 91% of the IPHs hap-
pened when the perpetrator and victim kept their intimate partner relationship in ex-
istence. Only 9% of the IPHs occurred after the intimate partnership between them
496 Shuhong Zhao

was finished. In practice, what causes the relationship to be broken is also an impor-
tant consideration. In this regard, we can find that an affair is an important reason for
breaking the intimate partnership (24%). However, unexplained trivial matters are
dominant (62%).
Table 3
Descriptive Characteristics of Intimate Relationship Among IPHs
Status of relation- Spouse Ex-spouse Lover
ship
476(48.6) 39(4) 464(47.4)
State of partner- Existing Previous
ship
887(90.6) 92(9.4
What caused Having Opposition Living Domestic Others
the relationship an affair from separately violence
to be broken family for a
long time
241(24.6) 51(5.2) 16(1.6) 62(6.3) 609(62.2)

5.4 Profession of Perpetrator by Intimate Relationship

For the relationship status, is there any difference in the profession of the perpe-
trator? The correlation between the profession of the perpetrator and the status of the
intimate relationship is shown in Table 4. When the relationship between the perpe-
trator and the victim is a spouse, most of the perpetrators are peasants (67%) and mi-
grant workers (27%), but students and individual proprietors are very scarce (0%;
2%). For the perpetrator in the relationship of an ex-spouse, most of them are also
peasants and migrant workers (49%; 46%). Among these two kinds of relationships,
the highest rate of profession is farmer, followed by migrant worker. However, in the
intimate relationship of “lover”, the highest rate of profession for the perpetrators are
migrant workers (68%) and the second highest percentage is still among peasants
(27%).
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 497

Table 4
Relationship Status and Profession of Perpetrator
Relationship status
Spouse Ex-spouse Lover
Unemployed 22 (4.6) 2 (5.1) 17 (3.7)
Peasant 321 (67.4) 19 (48.7) 125 (26.9)
Student 0 (0.0) 0 (0.0) 4 (0.9)
Profession (p)
Migrant workers 126 (26.5) 18 (46.2) 315 (67.9)
White-collar 0 (0.0) 0 (0.0) 2 (0.4)
Individual proprietor 7 (1.5) 0 (0) 1 (0.2)
Pearson Chi-Square P
Chi-Square Tests 185.588 0.000

5.5 Relationship Status and Profession of Victim in IPH

Table 5 illustrates the profession of the victim by the different relationship status.
When the victim and perpetrator are spouses, most of the victims are peasants (66%),
followed by migrant workers (29%). The other four types of professions, such as stu-
dent (0%), white-collar (1%), individual proprietor (1%) and unemployed (4%), ac-
count for a very small percentage. Compared with other professions, peasant (49%)
and migrant worker (46%) dominate most for victim profession when the victim and
perpetrator are the ex-spouse. Similarly, among lovers, most victims are migrant
workers (69%) and peasants (26%), but other professions, such as unemployed
(1%), white-collar (1%), student (3%) and individual proprietor (1%) are very rare.
Table 5
Relationship Status and Profession of Victim
Kind of relationship
Spouse Ex-spouse Lover
Unemployed 19 (4) 2 (5.1) 6 (1.3)
Peasant 315 (65.5) 19 (48.7) 119 (25.5)
Student 0 (0.0) 0 (0.0) 12 (2.6)
Profession (v)
Migrant workers 137 (28.5) 18 (46.2) 324 (69.4)
White-collar 5 (1.0) 0 (0.0) 3 (0.6)
Individual proprietor 5 (1.0) 0 (0.0) 3 (0.6)
Pearson Chi-Square P
Chi-Square Tests
179.235 0.000

5.6 Relationship Status and Perpetrator with Experience Using Violence

The correlation between the relationship status and the experience of the perpe-
trator using violence has also been useful to consider in the explanation of violence in
IPH.
498 Shuhong Zhao

As shown in Table 6, most of the perpetrators have no experience using violence in


IPH. In all three types of intimate relationships, nearly 94% of the perpetrators have
no experience using violence. For the limited number of perpetrators with experience
using violence, their intimate relationship status with the victim is primarily as the
spouse (7%). In other relationship statuses, such as ex-spouse and lover, perpetrators
with experience using violence are very scarce.
Table 6
Correlation Between Relationship and Experience of Perpetrator to Use Violence
Kind of relationship
Spouse Ex-spouse Lover
Experience using
Yes 31 (6.5) 0 (0.0) 7 (1.5)
violence (p)
No 445 (93.5) 39 (100) 457 (98.5)
Pearson Chi-Square P
Chi-Square Tests 17.410 0.000

5.7 Relationship Status and Victim with Experience of Violence

Like the perpetrators, victims also rarely used violence in IPH. Despite this, the
rate of victims using violence is still higher than that of perpetrators. As shown in
Table 7, the rate of using violence by victims is a little high in both the intimate re-
lationship of spouse (10%), as well as in ex-spouse (5%) and lovers (6%). Relatively
speaking, victims in the intimate relationship of spouse have a little more experience
using violence (10%).
Table 7
Relationship Status and Experience of Violence Among Victim
Kind of relationship
Spouse Ex-spouse Lover
Experience to use
Yes 46 (9.7) 2 (5.1) 3 (6.1)
violence (v)
No 430 (90.3) 37 (94.9) 46 (93.9)
Pearson Chi-Square P
Chi-Square Tests 38.691 0.000

5.8 Directly-Caused IPH Events and Relationship Status

For the occurrence of IPH, what events eventually led to this lethal form of do-
mestic violence? As is shown in Table 8, among the intimate relationship status of
spouse, of all the events which directly cause the occurrence of IPH, “trivial matter”
is the most important event (46%). Followed by the event of “to be betrayed” (19%),
which is close to a third of the event “trivial matter”. However, other events, such as
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 499

“menaced by partner” (1%) and “forced sex” (2%) have very limited significance. In
the relationship status of ex-spouse, the two most significant directly-caused-homi-
cide events are “break up” (36%) and “trivial matter” (26%). Some other events, such
as “menaced by partner” (0%) and “forced sex” (3%) have a limited impact. Among
the relationship of lovers, the event of “break up” has absolute decisive significance
(49%), but other events, such as “forced sex” (2%) and “menaced by partner” (3%)
have a limited significance.
Table 8
Directly-caused-homicide Events and Relationship Status
Relationship Status
Spouse Ex-spouse Lover
Break up 45 (9.5) 14 (35.9) 228 (49.1)
Trivial matter 220 (46.2) 10 (25.6) 59 (12.7)
Menaced by partner 4 (0.8) 0 (0.0) 12 (2.6)
Directly-caused-
Suspicion of being betrayed 79 (16.6) 3 (7.7) 52 (11.2)
homicide events
To be betrayed 88 (18.5) 6 (15.4) 43 (9.3)
Economic dispute 33 (6.9) 5 (12.8) 63 (13.6)
Forced sex 7 (1.5) 1 (2.6) 7 (1.5)
Pearson Chi-Square P
Chi-Square Tests 252.385 0.000

6. Discussion
With China witnessing a soaring increase in IPH, an in-depth understanding of
IPH, especially the characteristics of the perpetrator and the victim, is in need of
more attention. The present study sought to explore the characteristics of IPH in
China. After comparing with the previous studies in other countries, we identify
the characteristics of the perpetrators and victims in IPH with the aim to deeply un-
derstand this lethal form of domestic violence. Furthermore, we try to give our ex-
planation of this kind of lethal domestic violence in the current, actual situation of
China.
Consistent with other findings, this study confirms that IPH is a gendered crime,
whereby males are overrepresented as offenders of IPH; although, when women kill,
they are more likely to kill an intimate partner than someone else (Black et al. 2011;
Cheng & Jaffe 2019; Hamby 2017; Puzone et al. 2000; Sabri et al. 2016). As far as
this fact is concerned, the pattern, which women were more likely to be killed by their
intimate partners than men, is consistent across time and countries (Caman et
al. 2017; Dobash et al. 2004; Leth 2009; Matias et al. 2020; Oram et al. 2013;
Smucker, Kerber & Cook 2018). Therefore, it is a theoretical consensus that IPH
is a gender-specific crime, and its theoretical basis is the gender perspective (Spencer
& Stith 2020; Vatnar, Friestad & Bjørkly 2019). In line with the “gender perspective”,
500 Shuhong Zhao

some findings proved that the risk of IPH increases when men believe they have a
right to control and believe that they are at risk of losing control over their female
partners (Block & Christakos 1995; Dobash et al. 2007; Sabri et al. 2016). As a
whole, the threat of losing sexual exclusivity or entitlement over their partner
could be suspicions or actual events of infidelity, or the woman wishing to end the
relationship entirely (Spencer & Stith 2018). In this regard, the finding in this
study shows that almost half of the IPHs in China were caused by the reason to
break up the intimate partnership and a suspicion of being betrayed.
On the importance of identifying the risk factors for IPH, the previous studies have
continued to pay much more attention (Campbell 1986; Mackay et al. 2018; Sheehan
et al. 2015). In this regard, some arguments showed that an intimate relationship was
a power system and the lack of power may entice males to regain their power through
using violence in a relationship, especially for men with lower socioeconomic status
(Adhia et al. 2019; Eriksson & Mazerolle 2013; Mancera, Dorgo & Provencio-Vas-
quez 2017). For females, some studies assert that a lower socioeconomic status makes
it less likely that they easily leave their partner and gives them a higher endurance for
violence from their intimate partner (Holvoet 2005; Spencer & Stith 2018). In the
theoretical research, even though there stand other opposing explanations, the find-
ings in many previous studies have found that a correlation exists between lower so-
cioeconomic status and risk of IPH (Dalal 2011; Matias et al. 2020; Reichel 2017;
Reichel 2017). In this regard, this study proved that individuals with lower socioe-
conomic status have a bigger chance to be perpetrators and victims of IPHs. In
China, more than 95% of the perpetrators and 95% of the victims were peasants
and migrant workers. These people are generally regarded as those of lower socio-
economic status in China. For these people, they rarely received a good childhood
education, and they have a very small chance of finding stable jobs and earning higher
incomes in such a competitive society as that of China today (Chan & O’Brien 2019;
Zhang et al. 2016). Moreover, we can also identify socioeconomic status from the
family background of the perpetrator and victim of IPH. The findings identified
that more than 97% of the perpetrators and victims were from peasant families,
but only less than 1% of them were from a white-collar worker’s family, and
these people are considered to have a high socioeconomic status in China.
Furthermore, many previous studies sought to systemically integrate findings on
risk factors for attempted and completed IPH in order to develop risk assessment
tools as well as identify risk factors (Dawson, Bunge & Balde 2009; Garcia,
Soria & Hurwitz 2007; Spencer & Stith 2020). With the risk assessment tools,
some findings illustrated that the IPH perpetrator is a dangerous person (Garcia,
Soria & Hurwitz 2007; Sheehan et al. 2015). In contrast, other findings illustrated
that the perpetrators of IPH did not fit the preconceived profile of a “dangerous kill-
er”, but fit the profile of “ordinary men”: without a history of violence, alcohol or
drugs, with a good income and more often employed (Dobash et al. 2004; Salari
& Sillito 2016). In line with this, we found that the perpetrator in IPH fit the profile
of “ordinary men” in many ways. In general, violence is considered to have strong
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 501

associations with IPH and most of the perpetrators have a history of violence (Camp-
bell et al. 2007; Peterson et al. 2019). Consistent with this, our finding showed that
95% of IPH perpetrators and victims had no experience using violence and most of
the perpetrators had no criminal record (97%). In addition, our findings showed that
94% of the perpetrators had a job when the IPH happened, and only 6% of them were
out of work. As far as risk factors are concerned, there has been a growing body of
research that identified the influence of relationship status and state on IPH (Johnson
et al. 2015; Shackelford & Mouzas 2005). Comparing IPH within marital relation-
ships, the risk of IPH was more often greater than in cohabiting or dating relation-
ships (Dawson & Gartner 1998; Sebire 2017; Sutton & Dawson 2018). On the con-
trary, the present research revealed that a “lover”, including cohabiters and dating
individuals, regardless of the gender of the perpetrator, was just as likely to engage
in IPH as married individuals (spouse: 49%; lover: 47%). Nevertheless, as a signifi-
cant risk factor, the present study revealed that almost all of the perpetrators and vic-
tims of IPH were not satisfied with their marriage (perpetrator, 99.5%; victim,
94.8%). Moreover, risk factors were identified in IPH based on situational perspec-
tives (Mize et al. 2009; Szalewski, Huff-Corzine & Reckdenwald 2019; Thomas,
Dichter & Matejkowski 2011). According to Wilkinson and Hamerschlag (2005),
some perpetrators always suffered from reactions to situational circumstances, espe-
cially distress over the termination of the relationship. In line with the previous find-
ings, this finding was replicated by the present research that most of IPHs were
caused by the termination of the relationship, especially when the perpetrator and
victim are lovers (49%) and ex-spouses (36%).
For the relationship between perpetrator and victim in IPH, the significance is not
only discussed as a risk factor, but it plays a leading role in deeply understanding such
lethal domestic violence in China. The previous studies also dealt with the intimate
relationship, but some researchers only provided a simple description of it (Dobash et
al. 2007; Kristoffersen et al. 2014; Shackelford & Mouzos 2005). Others made in-
depth studies on the role of relationship state and status in understanding IPH (Reck-
denwald & Simone 2017; Shackelford 2001). In this study, through examining the
correlation between the variables of intimate relationships and other variables,
such as characteristics of IPH and risk factors, further understandings of IPH in
China come to light.
Why is the intimate relationship of significance in a deep understanding of IPH in
China? With the rapid development of modernization and urbanization, China has
experienced the largest population migration in history. Correspondingly, on the
one hand, this large-scale population migration has caused a major change in the Chi-
nese traditional family structure (Mu & Jeung 2019; Yang 2016). On the other hand,
the rapid economic development and cultural progress have provided widespread
support for marriage and sexual freedom (Delia 2018; Donner & Santos 2016;
Xie 2020). Accordingly, traditional Chinese ideas of love and marriage have corre-
spondingly undergone great changes and people are pursuing alternate forms of in-
timate relationships and family life. Today, the intimate partner relationship is not
502 Shuhong Zhao

only limited to wife and husband in the traditional family, various types of intimate
partner relationships have correspondingly arisen in China. With regard to this, some
studies revealed that most Chinese people have extramarital affairs and keep a
“lover” relationship status with others outside their marriage (Densley et al. 2017;
Sun 2019). However, marriage and family are very important in Chinese society
and culture and they are often associated with individual social responsibility. In
fact, although the traditional concepts of marriage and love have undergone tremen-
dous changes in China today, the core position of this concept in personal marriage
and family evaluation has not changed (Dias et al. 2011; Wu 2019). It is currently the
main reason causing the occurrence of IPH in China. Therefore, an intimate partner-
ship is an important clue to understanding and explaining IPH in the context of to-
day’s China.
In this respect, the findings in this study reveal that approximately 60% of partners
are married (perpetrator, 57%, victim: 60%). However, as far as the status of the in-
timate relationship is concerned, as many as 48% of them are lovers, while the rela-
tionship status of spouse is only 49%. Additionally, almost half of the perpetrators
and victims in the study maintain their intimate partner relationships with people
other than their own spouses. Why do so many Chinese people maintain such an ex-
tramarital intimate partnership today? What is its effect on the rates of IPH in China?
All of this must be understood in the present context of China’s society. Nowadays,
with the large-scale urbanization in China, a large number of peasants work in the
cities, but they have no way to settle in the city and live a normal family life because
their female spouses must either stay in their villages to care for the family, or even if
they can work in the same city, their limited income is unlikely to allow them to afford
the high costs of rent (Brian, Melissa & Carl 2019; Keung Wong, Li & Song 2007;
Xue 2013). With such a lengthy separation, the marriages of migrant workers exist
only in name (Dai et al. 2015; Keung Wong, Li & Song 2007). In addition, the pop-
ularity of the internet and smartphones, as well as the dating websites and apps,
makes it convenient for people to find their intimate partners. As a result, extramarital
affairs have sprung up among migrant workers in recent years, who make up about
one-fifth of China’s population. All of these factors make Chinese traditional mar-
riages unstable and many extramarital intimate partnerships appear. Therefore, the
intimate relationship between the perpetrator and victim in IPH is a good perspective
to understand in connection to lethal violent crime in China.

7. Limitations and Future Directions


Even though this current study is a step towards a better understanding of the IPH
perpetrator and victim in China, some limitations point to the need for the future re-
search. For example, the samples in this study come from criminal judgments pub-
lished by the Supreme People’s Court of China. For privacy protection or other rea-
sons, some important private information was deleted from the judgements when
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 503

they were published, e. g. “duration of the intimate relationship”, “income”, “moti-


vation”. Therefore, the information, which is necessary to deeply understand the of-
fender and victim of IPH, is missing.
With an aim to get a much more reasonable understanding of the perpetrator and
victim in IPH, further research not only needs to continue identifying the character-
istics of IPH, but also needs to broaden the perspectives through which we can ex-
plain this form of lethal domestic violence in China. For example, systematic re-
search should examine the differences in the nature of IPH among different intimate
relationships that vary in the degree of intimacy and level of commitment. In addi-
tion, the gender difference in the victims and perpetrator characteristics also require
systemic analysis. With such research, we can not only learn the characteristics of the
intimate killer but also identify whether the surrounding circumstances of IPH really
differ according to the various states of an intimate relationship. Further, it is still
unclear why such a large number of IPHs still occur among migrant workers because
of extramarital affairs, despite growing tolerance for nonmarital intimate relation-
ships in China today. Therefore, it is of great significance for an in-depth understand-
ing of IPH in China’s specific development period. At the same time, this may en-
courage developing countries such as China, in their process of modernization
and urbanization, to pay more attention to protecting the rights of migrant workers
and invest more in prevention programs aimed at decreasing the risk of IPH.

References

Abrahams, N., Mathews, S., Martin, L.J., Lombard, C. & Jewkes, R. (2013): Intimate partner
femicide in South Africa in 1999 and 2009. PLoS Med 10/4, p.e1001412.
Adhia, A., Kernic, M.A., Hemenway, D., Vavilala, M.S. & Rivara, F.P. (2019): Intimate Partner
Homicide of Adolescents. JAMA Pediatrics 173/6, 571 – 577.
Aldrige, M.L. & Browne, K.D. (2003): Perpetrators of spousal homicide. A review. Trauma, Vi-
olence & Abuse 4, 265 – 276.
Angela, W.E., Hilton, N.Z., Grant, T.H., Marnie, E.R. & Ruth, E.H. (2011): Intimate partner
homicide: Risk assessment and prospects for prediction. Journal of Family Violence 26,
211 – 216.
Biroscak, B.J., Smith, P.K. & Post, L.A. (2006): A practical approach to public health surveil-
lance of violent deaths related to intimate partner relationships. Public Health Reports 121,
393 – 399.
Black, M.C., Basile, K.C., Breiding, M.J., Smith, S.G., Walters, M.L. & Merrick, M.T. (2011):
National intimate partner and sexual violence survey. Atlanta, GA: Centers for Disease Con-
trol, National Center for Injury Prevention and Control, Division of Violence Prevention.
Block, C.R. & Christakos, A. (1995): Intimate partner homicide in Chicago over 29 years. Crime
& Delinquency 41, 496 – 526
504 Shuhong Zhao

Brian, J.H., Melissa, R.G., & Carl A.L. (2019): Work life, relationship, and policy determinants
of health and well-being among filipino domestic workers in china: a qualitative study. BMC
public health; https://doi.org/10.1186/s12889-019-6552-4.
Browne, A. (1987): When battered women kill. New York.
Caman, S., Kristiansson, M., Granathb, S. & Sturup, J. (2017): Trends in rates and character-
istics of intimate partner homicides between 1990 and 2013. Journal of Criminal Justice 49,
14 – 21.
Campbell, J.C. (1986): Nursing assessment for risk of homicide with battered women. Advan-
ces in Nursing Science 8, 36 – 51.
Campbell, J.C., Glass, N., Sharps, P.W., Laughon, K. & Bloom, T. (2007): Intimate partner
homicide: Review and implications of research and policy. Trauma, Violence & Abuse 8,
246 – 269.
Cao, L., Hou, C. & Huang, B. (2008): Correlates of the Victim-Offender Relationship in
Homicide. International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology 52/6,
658 – 672.
Chan, A.T. & O’Brien, K.J. (2019): Phantom services: deflecting migrant workers in China. The
China Journal 81, 103 – 122.
Cheng, P. & Jaffe, P. (2019): Examining Depression Among Perpetrators of Intimate Partner
Homicide. Journal of Interpersonal Violence; https://doi.org/10.1177/0886260519867151.
Corradi, C. & Stöckl, H. (2014): Intimate partner homicide in 10 European countries: Statistical
data and policy development in across-national perspective. European Journal of Criminol-
ogy 11, 601 – 618.
Cunradi, C.B., Caetano, R., Clark, C. & Schafer, J. (2000): Neighborhood poverty as a predictor
of intimate partner violence among white, black, and Hispanic couples in the United States: A
multilevel analysis. Annals of Epidemiology 10, 297 – 308.
Dai, W., Gao, J., Gong, J., Xia, X., Yang, H., Shen, Y., Gu, J., Wang, T., Liu, Y., Zhou, J., Shen, Z.,
Zhu, S. & Pan, Z. (2015): Sexual behavior of migrant workers in Shanghai, China. BMC Pub-
lic Health 15, 1067 – 1075.
Dalal, K. (2011): Does economic empowerment protect women from intimate partner violence?
Journal of Injury and Violence Research 3, 35 – 44.
Dawson, M. & Gartner, R. (1998): Differences in the characteristics of intimate femicides the
role of relationship state and relationship status. Homicide Studies 2, 378 – 399.
Dawson, M., Bunge, V.P. & Balde, T. (2009): National trends in intimate partner homicides:
Explaining declines in Canada, 1976 to 2001. Violence Against Women 15/3, 276 – 306.
DeJong, C., Pizarro, J.M. & McGarrell, E.F. (2011): Can situational and structural factors dif-
ferentiate between intimate partner and “other” homicide? Journal of Family Violence 26,
365 – 376.
Delia, D. (2018): ‘Free-choice Marriage’ in China: The Evolution of an Ideal, in: S. Allen &
D.L. Barker (eds.), Sexual Divisions and Society-Process and Change. London.
Densley, J.A., Hilal, S.M., Li, S.D. & Wei Tang, W. (2017): Homicide-suicide in China: an ex-
ploratory study of characteristics and types. Asian Journal of Criminology 12/3, 199 – 216.
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 505

Dias, J., Chan, A., Ungvarsky, J., Oraker, J. & Cleare-Hoffman, H.P. (2011): Reflections on
Marriage and Family Therapy Emergent from International Dialogues in China. The Human-
istic Psychologist 39/3, 268 – 275.
Dobash, R.E., Dobash, R.P., Cavanagh, K. & Lewis, R. (2004): Not an ordinary killer – Just an
ordinary guy: When men murder an intimate woman partner. Violence Against Women 10,
577 – 605.
Dobash, R.E. & Dobash, R.P. (1984): The nature and antecedents of violent events. The British
Journal of Criminology 24, 269 – 288.
Dobash, R.E., Dobash, R.P., Cavanagh, K. & Medina-Ariza, J. (2007): Lethal and nonlethal
violence against an intimate female partner: Comparing male murderers to nonlethal abusers.
Violence Against Women 13, 329 – 353.
Donner, H. & Santos, G. (2016): Love, Marriage, and Intimate Citizenship in Contemporary
China and India: An introduction. Modern Asian Studies 50/4, 1123 – 1146.
Du, J., Stith, S., Durtschi, J. & Spencer, C. (2020): Relationship Dynamics and Perpetration of
Intimate Partner Violence Among Female Chinese College Students. Journal of Interpersonal
Violence; https://doi.org/10.1177/0886260519897332.
Edin, K.E., Lalos, A., Högberg, U. & Dahlgren, L. (2008): Violent Men: ordinary and deviant.
Journal of Interpersonal Violence 23, 225 – 244.
Eke, A.W., Hilton, N.Z., Harris, G.T., Rice, M. E. & Houghton, R.E. (2011): Intimate partner
homicide: Risk assessment and prospects for prediction. Journal of Family Violence 26,
211 – 216.
Eriksson, L. & Mazerolle, P. (2013): A general strain theory of intimate partner homicide. Ag-
gression and Violent Behavior 18, 462 – 470.
Felson, R.B. & Lane, K.J. (2010): Does Violence Involving Women And Intimate Partners Have
A Special Etiology? Criminology 48, 321 – 338.
Fox, J.A. & Fridel, E. (2017): Gender differences in patterns and trends in U.S. homicide, 1976 –
2015. Violence and Gender 4, 37 – 43.
Garcia, L., Soria, C. & Hurwitz, E.L. (2007): Homicides and intimate partner violence: A lit-
erature review. Trauma Violence & Abuse 8, 370 – 383.
Gnisci, A. & Pace, A. (2016): Lethal domestic violence as a sequential process: Beyond the tra-
ditional regression approach to risk factors. Current Sociology 64, 1108 – 1123.
Gruenewald, J.A. & Pridemore, W.A. (2009): Stability and change in homicide victim, offender,
and event characteristics in Chicago, 1900 and 2000. Homicide Studies 13, 355 – 384.
Hamby, S. (2017): A Scientific Answer to a Scientific Question: The Gender Debate on Intimate
Partner Violence. Trauma, Violence & Abuse 18, 145 – 154.
Haynie, D.L. & Armstrong, D.P. (2006): Race and gender-disaggregated homicide offending
rates. Homicide Studies 10, 3 – 32.
Heise, L.L. & Kotsadam, A. (2015): Cross-national and multilevel correlates of partner violence:
An analysis of data from population-based surveys. The Lancet Global Health 3, 332 – 340.
506 Shuhong Zhao

Ho, R.T.K. & Chantagul, N. (2016): An exploration of Thai public perceptions of defenses in
cases of women who kill their domestically violent spouses. Australian & New Zealand Jour-
nal of Criminology 50, 602 – 622.
Hodell, E.C., Wasarhaley, N.E., Lynch, K.R. & Golding, M.J. (2014): Mock juror gender biases
and perceptions of self-defense claims in intimate partner homicide. Journal of Family Vio-
lence 29, 495 – 506.
Holder, R.L. (2019): A cross-national data collaboration of domestic violence specialist courts:
a research note. International Journal of Comparative and Applied Criminal Justice; DOI:
10.1080/01924036.2019.1599971.
Holvoet, N. (2005): Credit and women’s group membership in South India: Testing models of
intrahousehold allocative behaviour. Feminist Economics 11, 27 – 62.
Johnson, M.P. & Ferraro, K.J. (2000): Research on domestic violence in the 1990s: Making
distinctions. Journal of Marriage & Family 62, 948 – 963.
Johnson, W.L., Manning, W.D., Giordano, P.C. & Longmore, M.A. (2015): Relationship context
and intimate partner violence from adolescence to young adulthood. Journal of Adolescent
Health 57/6, 631 – 636.
Jones-Webb, R. & Wall, M.J. (2008): Neighborhood racial/ethnic concentration, social disad-
vantage, and homicide risk: An ecological analysis of 10 U.S. cities. Journal of Urban Health
85, 662 – 676.
Juodis, M., Starzomski, A., Porter, S. & Woodworth, M. (2014): A comparison of domestic and
non-domestic homicides: Further evidence for distinct dynamics and heterogeneity of do-
mestic homicide perpetrators. Journal of Family Violence 29, 299 – 313.
Karlsson, L.C., Malén, T., Kaakinen, J.K. & Antfolk, J. (2018): The Effect of Sex and Perpe-
trator-Victim Relationship on Perceptions of Domestic Homicide. Journal of Interpersonal
Violence; https://doi.org/10.1177/0886260518775162.
Kenney, C.T. & McLanahan, S.S. (2006): Why are cohabiting relationships more violent than
marriages? Demography 43, 127 – 140.
Keung Wong, D.F., Li, C.Y. & Song, H.X. (2007): Rural migrant workers in urban China: Living
a marginalised life. International Journal of Social Welfare 16/1, 32 – 40.
Kivisto, A.J. (2015): Male perpetrators of intimate partner homicide: A review and proposed
typology. Journal of the American Academy of Psychiatry and the Law 43, 300 – 312.
Kivivuori, J. & Lehti, M. (2012): Social Correlates of intimate partner homicide in Finland: Dis-
tinct or shared with other homicide types? Homicide Studies 16, 60 – 77.
Kivivuori, J., Suonpää, K. & Lehti, M. (2014): Patterns and theories of European homicide re-
search. European Journal of Criminology 11, 530 – 551.
Kristoffersen, S., Lilleng, P.K., Mæhle, B.O. & Morild, I. (2014): Homicides in Western Norway,
1985 – 2009, time trends, age and gender differences. Forensic Science International 238,
1 – 8.
Kuruvilla, A. & Jacob, K.S. (2007): Poverty, social stress & mental health. Indian Journal of
Medical Research 126, 273 – 278.
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 507

Leth, P.M. (2009): Intimate partner homicide. Forensic Science, Medicine and Pathology 5,
199 – 203.
Liem, M., Postulart, M. & Nieuwbeerta, P. (2009): Homicide-suicide in the Netherlands: An
epidemiology. Homicide Studies 13, 99 – 123.
Lund, L.E. & Smorodinsky, S. (2001): Violent death among intimate partners: a comparison of
homicide and homicide followed by suicide in California. Suicide & Life-Threatening Be-
havior 31/4, 451 – 459.
Mackay, J., Bowen, E., Walker, K. & Doherty, L.O. (2018): Risk factors for female perpetrators
of intimate partner violence within criminal justice settings: A systematic review. Aggression
and Violent Behavior 41, 128 – 146.
Mancera, B.M., Dorgo, S. & Provencio-Vasquez, E. (2017): Risk factors for hispanic male in-
timate partner violence perpetration. American Journal of Men’s Health 11, 969 – 983.
Matias, A., Gonçalves, M., Soeiro, C. & Matos, M. (2020): Intimate partner homicide: A meta-
analysis of risk factors. Aggression and Violent Behavior; https://doi.org/10.1016/j.avb.2019.
101358.
Matthew, T.H., Tomkins, A.J., Garbin, C.P., Schopp, R.F. & Kilian, A. (2006): Battered women
who kill their abusers: An examination of commonsense notions, cognitions, and judgments.
Journal of Interpersonal Violence 21/8, 1063 – 1080.
McPhedran, S. (2018): An evaluation of the impacts of changing firearms legislation on Aus-
tralian female firearm homicide victimization rates. Violence Against Women 24/7, 798 –
815; https://doi.org/10.1177/1077801217724450.
Melton, H.C. & Belknap, J. (2003): He hits, she hits: Assessing gender differences and similar-
ities in officially reported intimate partner violence. Criminal Justice and Behavior 30, 328 –
348.
Messner, S.F. & Savolainen, J. (2001): Gender and the victim/offender relationship in homicide:
A comparison of Finland and the United States. International Criminal Justice Review 11,
34 – 57.
Mize, K.D., Shackelford, T.K. & Shackelford, V.A. (2009): Hands-on killing of intimate partners
as a function of sex and relationship status. Journal of Family Violence 24, 463 – 470.
Mu, Z. & Yeung, W.J.J. (2019): Internal migration, marriage timing and assortative mating: a
mixed-method study in China. Journal of Ethnic and Migration Studies; https://doi.org/10.
1080/1369183X.2019.1585009.
Murphy, B., Liddell, M. & Bugeja, L. (2016): Service Contacts Proximate to Intimate Partner
Homicides in Victoria. Journal of Family Violence 31, 39 – 48.
O’Keefe, M. (1997): Incarcerated battered women: a comparison of battered women who killed
their abusers and those incarcerated for other offenses. Journal of Family Violence 12, 1 – 19.
Oram, S., Flynn, S.M., Shaw, J., Appleby, L. & Howard, L.M. (2013): Mental illness and domes-
tic homicide: A population-based descriptive study. Psychiatric Services 64, 1006 – 1011.
Osho, G.S. & Williams, F. (2013): An investigation of offender and victim relationships in a
sample of juvenile homicides in California. Journal of Sociological Research 4/1, 185 – 194.
508 Shuhong Zhao

Perova, E. & Reynolds, S.A. (2017): Women’s police stations and intimate partner violence: Evi-
dence from Brazil. Social Science & Medicine 174, 188 – 196.
Peterson, C., Liu, Y., Merrick, M., Basile, K.C. & Simon, T.R. (2019): Lifetime number of per-
petrators and victim-offender relationship status per U.S. victim of intimate partner, sexual
violence, or stalking. Journal of Interpersonal Violence; https://doi.org/10.1177/088626051
8824648.
Petrosky, E., Blair, J.M., Betz, C.J., Fowler, K.A., Jack, S.P. & Lyons, B.H. (2017): Racial and
ethnic differences in homicides of adult women and the role of intimate partner violence –
United States, 2003 – 2014. Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR) Surveillance
Summaries 66/28, 741 – 746.
Pratt, C. & Deosaransingh, K. (1997): Gender differences in homicide in Contra county, Cal-
ifornia: 1982 – 1993. American Journal of Preventive Medicine 13, 19 – 24.
Puzone, C.A., Saltzman, L.E., Kresnow, M.J., Thompson, M.P. & Mercy, J.A. (2000): National
trends in intimate partner homicide: United States, 1976 – 1995. Violence Against Women 6,
409 – 426.
Raj, A. & Silverman, J. (2002): Violence against immigrant women: The role of culture, context,
and legal immigrant status on intimate partner violence. Violence Against Women 8, 367 –
398.
Reckdenwald, A. & Simone, S. (2017): Injury patterns for homicide followed by suicide by the
relationship between victims and offenders. Homicide Studies 21, 111 – 132.
Reckdenwald, A. & Parker, K.F. (2012): Understanding the change in male and female intimate
partner homicide over time: A policy-and theory-relevant investigation. Feminist Criminol-
ogy 7, 167 – 195.
Regoeczi, W.C. & Riedel, M. (2003): The application of missing data estimation models to the
problem of unknown victim/offender relationships in homicide cases. Journal of Quantitative
Criminology 19, 155 – 183.
Reichel, D. (2017): Determinants of intimate partner violence in Europe: The role of socioeco-
nomic status, inequality, and partner behavior. Journal of Interpersonal Violence 32, 1853 –
1873.
Renzetti, C.M., Edleson, J.L. & Bergen, R.K. (2001): Sourcebook on violence against women.
Thousand Oaks.
Sabri, B., Campbell, J.C. & Dabby, F.C. (2016): Gender differences in intimate partner hom-
icides among ethnic sub-groups of Asians. Violence Against Women 22, 432 – 453.
Salari, S. & Sillito, C.L.F. (2016): Intimate partner homicide-suicide: Perpetrator primary intent
across young, middle, and elder adult age categories. Aggression and Violent Behavior 26,
26 – 34.
Sebire, J. (2017): The value of incorporating measures of relationship concordance when con-
structing profiles of intimate partner homicides: A descriptive study of IPH committed within
London, 1998 – 2009. Journal of Interpersonal Violence 32/10, 1476 – 1500.
Serran, G. & Firestone, P. (2004): Intimate partner homicide: A review of the male proprietar-
iness and the self-defense theories. Aggression and Violent Behavior 9, 1 – 15.
Understanding Offender and Victim of Intimate Partner Homicide in China 509

Shackelford, T.K. & Mouzos, J. (2005): Partner-killing by men in cohabiting and marital rela-
tionships: A comparative, cross-national analysis of data from Australia and the United
States. Journal of Interpersonal Violence 20, 1310 – 1324.
Shackelford, T.K. (2001): Cohabitation, marriage, and murder: Woman-killing by male roman-
tic partners. Aggressive Behavior 27, 284 – 291.
Sheehan, B.E., Murphy, S.B., Moynihan, M.M., Dudley-Fennessey, E. & Stapleton, J.G. (2015):
Intimate Partner Homicide: New Insights for Understanding Lethality and Risks. Violence
Against Women 21, 269 – 288.
Silvermann, R. & Kennedy, L. (1995): Deadly deeds: Murder in Canada. Canadian Journal of
Criminology 37/1, 103 – 105.
Smucker, S., Kerber, R.E. & Cook, P.J. (2018): Suicide and additional homicides associated with
intimate partner homicide: North Carolina 2004 – 2013. Journal of Urban Health 95, 337 –
343.
Spencer, C.M. & Stith, S.M. (2018): Risk factors for male perpetration and female victimization
of intimate partner homicide: A meta-analysis. Trauma, Violence & Abuse; https://doi.org/
10.1177/1524838018781101.
Spencer, C.M. & Stith, S.M. (2020): Risk factors for male perpetration and female victimization
of intimate partner homicide: A meta-analysis. Trauma, Violence & Abuse 21/3, 527 – 540.
Stöckl, H., Devries, K., Rotstein, A., Abrahams, N., Campbell, J., Watts, C. & Moreno, C.G.
(2013): The global prevalence of intimate partner homicide: A systematic review. The Lancet
382, 859 – 865.
Stansfield, R., Mancik, A., Parker, K.F. & Delacruz, M. (2019): County variation in intimate
partner homicide: A comparison of hispanic and non-hispanic victims. Journal of Interper-
sonal Violence; https://doi.org/10.1177/0886260519861657.
Sun, W.N. (2019): Rural migrants and their marital problems: discourses of governing and
knowledge production in China. Journal Critical Policy Studies 13, 43 – 60.
Suonpää, K. & Savolainen, J. (2019): When a Woman Kills Her Man: Gender and Victim Pre-
cipitation in Homicide. Journal of Interpersonal Violence 34/11, 2398 – 2413.
Sutton, D. & Dawson, M. (2018): Differentiating characteristics of intimate partner violence: do
relationship status, state, and duration matter? Journal of Interpersonal Violence; https://doi.
org/10.1177/0886260518795501.
Szalewski, A., Huff-Corzine, L. & Reckdenwald, A. (2019): Trading places: microlevel predic-
tors of women who commit intimate partner homicide. Homicide Studies 23/4, 344 – 361.
Thomas, K.A., Dichter, M. E. & Matejkowski, J. (2011): Intimate versus nonintimate partner
murder: A comparison of offender and situational characteristics. Homicide Studies 15,
291 – 311.
Tyson, D., Kirkwood, D. & Mckenzie, M. (2016): Family violence in domestic homicides: A
case study of women who killed intimate partners post-legislative reform in Victoria, Aus-
tralia. Violence Against Women 23, 559 – 583.
United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) (2019): Global Study on Homicide 2019
Vienna, Austria. Retrieved https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/gsh/Book
let_5.pdf.
510 Shuhong Zhao

Vatnar, S.K.B., Friestad, C. & Bjørkly, S. (2019): A Comparison of Intimate Partner Homicide
With Intimate Partner Homicide-Suicide: Evidence From a Norwegian National 22-Year Co-
hort. Journal of Interpersonal Violence; https://doi.org/10.1177/0886260519849656.
Vittes, K.A. & Sorenson, S.B. (2008): Restraining orders among victims of intimate partner
homicide. Injury Prevention 14, 191 – 195.
Weiss, D.B., Santos, M.R., Testa, A. & Kumar, S. (2016): The 1990s homicide decline: Awestern
world or international phenomenon? A research note. Homicide Studies 20, 321 – 334.
Wilson, M., Johnson, H. & Daly, M. (1995): Lethal and nonlethal violence against wives. Cana-
dian Journal of Criminology 37, 331 – 361.
Wilson, M.I., Daly, M. & Wright, C. (1993): Uxoricide in Candada: Demographic risk patterns.
Canadian Journal of Criminology 35, 263 – 291.
Winstock, Z. & Straus, M.A. (2014): Gender differences in the link between intimate partner
physical violence and depression. Aggression and Violent Behavior 19, 91 – 101.
Wolfgang, M. E. (1958): Patterns in Criminal Homicide. Philadelphia.
Wu, Y.L. (2019): The impact of culture on Chinese young people’s perceptions of family respon-
sibility in Hong Kong, China. Intellectual Discourse 27/1, 131 – 154.
Xie, K. (2020): Chasing Happiness: The role of marriage in the aspiration of success among
China’s middle-class women, in: J. Carter & L. Arocha (eds.), Romantic relationships in a
time of ‘Cold Intimacies’. Palgrave Macmillan Studies in Family and Intimate Life. Cham.
Xue, J. (2013): Study on peasant-workers’ marriage quality influenced by working in Cities.
Science Economy Society 3/3, 148 – 157.
Yang, H. (2016): Impact of rural-to-urban migration on family and gender values in China.
Asian Population Studies 12/3, 251 – 272.
Zhang, L., Sharpe, R.V., Li, S. & Darity, W.A. (2016): Wage differentials between urban and
rural-urban migrant workers in China. China Economic Review 41, 222 – 233.
Zhao, S.H. (2020): Characteristics of intimate partner homicide in China: Compared with pre-
vious studies in other countries. International Journal of Offender Therapy and Comparative
Criminology 64/2 – 3, 210 – 231.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy
in Research Funding
A Case Study from the Balkans1

By Anna-Maria Getoš Kalac

1. Introduction and Background


Most of us in academia will have had their fair share of bureaucratic adventures
throughout their research careers. Those among us with a more long-running track
record might perhaps still remember the old days, when there was not a special ad-
ministrative or financial form in need of filling out and someone’s preapproval for
every step along the way of doing research. For my own part, I have no such mem-
ories. I belong to an academic generation that has been bred to regard such bureauc-
racy as given and as a crucial part of daily academic business. In that sense I am prob-
ably not fully equipped to question its meaningfulness – and so I won’t. However,
with regards to its reasonability, alike any other fellow researcher, I am both compe-
tent and called upon to critically question it. Moreover, as a criminologist and in case
I have good reason to suspect such bureaucracy might be displaying harmful behav-
iour, I am essentially predestined to scientifically investigate it. The paper at hand is
the result of such a criminological investigation and presents first findings on (cyber)
bullying by faceless bureaucracy in the domain of public research funding.
In terms of transparently providing for the background of our case study, three
decisive factors need to be addressed. The first of these factors relates to the crucial
impact the Croatian Science Foundation (CSF) has had on our study. Without the dil-
igent work of CSF’s unnamed administrators or the dedicated activities of around a
dozen renowned Croatian academics engaged in CSF’s main bodies, we probably
never would have come up with the idea of conducting a victimisation survey on cy-
berbullying in Croatia. The second factor comes down to the pure necessity of having

1
The research for this publication has been conducted as part of the CroViMo project,
jointly funded by the Croatian Science Foundation and University of Zagreb’s Faculty of Law
(www.violence-lab.eu). The publication has partly (Sect. 3.2 and 3.3) also been prepared wi-
thin the framework of Balkan Criminology, funded by the Global Initiative Against Trans-
national Organised Crime’s Resilience Fund (www.balkan-criminology.eu). An extended ver-
sion of the paper, including numerous examples for each of the “bureaucratic cyberbullying”
characteristics in Sect. 2.2, is available online: https://www.bib.irb.hr/1054936 [04. 02. 2020].
512 Anna-Maria Getoš Kalac

to design and conduct a meaningful study on cyber harassment in Croatia within three
months, including the publication of its findings.2 Last but not least, the third factor
relates to my own professional experience and a somewhat specific academic back-
ground.3 Having had the opportunity to autonomously lead and manage several large
research projects and two own research groups during the past 15 years and (up to
now) never having had any difficulties with diverse funding agencies, I permit myself
a certain level of expertise in recognising the differences between ordinary public
project administration and excessive faceless bureaucracy or its systemic dysfunc-
tionalities. In addition to that and academically speaking, I basically grew up mother-
less and as a lonely child, self-raised on the streets of criminology-land, somewhere
in between Germany and Croatia. No one ever took me motherly by the hand or of-
fered to lead me through the great plains of criminology-land. In that sense, I might
probably appear to be some sort of unfortunate academic orphan, perhaps even the
sad result of lacking care or grooming of the academic offspring. Such perception
would, however, largely disregard that in the realm of academia grooming as well
as mothering have a well-known tendency of getting confused with smothering,
which clearly undermines any notion of freedom or autonomy – the very foundations
academia builds upon, and which we commonly take for granted – until compro-
mised.
But how can one be expected to recognise these very foundations have been com-
promised, if one was not ‘misfortunate’ enough to grow up by truly living them? In
that sense, my patron raised me well by supporting and protecting me whenever need-
ed, while essentially letting me enjoy all the benefits and challenges of a truly free
and autonomous academic childhood. Now, academically grown up, I can actually
recognise when academic freedom and autonomy are compromised, just as I can rec-
ognise harmful behaviour when I see it. This brings me to the paper’s broader subject
and its specific research question.
The broader research subject my question is imbedded in is manifold and com-
plex. At its very core it deals with potential misconducts of (faceless) bureaucracy
which has meanwhile inflated academia, research and its funding.4 Such inflation
has long reached the point where it seems compelling to take a closer look at the po-
rous line that separates mere bureaucracy form (cyber) bullying and (cyber) harass-
ment, administrative censorship and the infringement of academic freedom as a fun-

2
The almost impossible timeframe is the result of CSF denying our project adjustment
request which asked for a minor substantial change in the workplan, by replacing an add-on
cyber harassment-component with a new component on preschool violence. Since the re-
placement component on preschool violence had already been long approved, we were com-
pletely taken by surprise. Notification on CSF’s unreasoned denial was received on November
18th 2019, whereas the adjustment request dates back almost a year prior to that (December
5th 2018).
3
For more details, see www.violence-lab.eu/teams/anna-maria-getos-kalac [04. 02. 2020].
4
For example, see Martin 2016; Nehring 2016; Glaser 2015.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 513

damental human right.5 This issue inevitably touches upon the ongoing discussion on
academic capitalism globally,6 but even more in transitional societies, like those
found in the Balkans.7 Here, in the Balkans, where corruption meets criminal state
capture and dictates daily public and private business,8 one must seriously doubt
that the sector of public9 research funding might somehow miraculously prove to
be immune to its (criminal) tycoonisation10. Such immunity appears to be as likely
as bureaucrats’ or academics’ overall immunity to deviant behaviour, misconduct,
corruption, or, for that matter, any kind of criminal behaviour at all.
Not only is the topic of criminal tycoonisation as such at the very core of a long-
standing research focus of Balkan Criminology, but it also provides preliminary ideas
on the aetiology of (cyber) bullying by faceless bureaucracy. This broader research
subject also vividly portrays the overall social and academic context in which our
case study is embedded in.
The specific research question is in no way less complex or manifold, than its
overarching research subject. It deals with issues such as:
• How (in)appropriate are funding priorities, funding rules, reporting and control
mechanisms of public research funding?11
5
Academic freedom includes “three aspects: (a) Far-reaching individual rights to ex-
pressive freedoms for members of the academic […]; (b) Collective or institutional autonomy
for the academy in general and/or subsections thereof […]. Said autonomy implies that de-
partments, faculties and universities as a whole have the right (and obligation) to preserve and
promote the principles of academic freedom […]; (c) An obligation for the public authorities
to respect and protect academic freedom and to take measures in order to ensure an effective
enjoyment of this right and to promote it.” Cit. Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 117.
6
For a condensed overview of ‘academic capitalism’ see Münch 2016, or in more detail
see, e. g. Slaughter & Rhoades 2004.
7
According to Sundhaussen, one should distinguish a broader concept of Southeast Europe
and the narrower concept of the Balkans. Southeast Europe ranges from the western part of the
former Kingdom of Hungary, the present Slovakia, over Hungary and the Republic of Mol-
dova to approximately Odessa on the Black Sea, and everything that lies below this line is
Southeast Europe. The Balkan includes Bosnia and Herzegovina, Serbia, Kosovo, Monten-
egro, North Macedonia, Bulgaria, the European part of Turkey (Eastern Thrace), Greece, and
Albania, as well as the corridor between the Lower Danube and the Black Sea. Sundhaussen
2014, 8.
8
See European Commission (2018), 3; Pejić 2019; Perry & Keil 2018; 2018 special issue
42/1 of Southeastern Europe; etiologically very insightful Richter & Wunsch 2020.
9
Public in relation to research funding indicates that the funding source is the state budget.
10
The term (criminal) tycoonisation denotes the process of (criminally or mysteriously)
acquiring exceptional wealth, power and influence by individuals or interest groups. In the
Balkans it is used with a negative connotation due to the criminal privatisation process and war
profiteering which have led to an unexplainable accumulation of wealth and influence by
entrepreneurs. First findings on criminal tycoonisation of public research funds were pre-
sented in February 2020 at the conference “Tackling serious and organised crime in the
Western Balkans”, organised by the Government of the United Kingdom and supported by the
United Nations Office on Drugs and Crime.
11
For example, see Graeber 2015.
514 Anna-Maria Getoš Kalac

• At what point, how and why does ordinary public project administration turn into
faceless bureaucracy?
• What happens when such faceless bureaucracy starts (cyber) bullying its clients,
the project managers, instead of assisting them in efficiently managing public re-
search funds?
• Would such (cyber) bullying by faceless bureaucracy constitute a unique type of
(cyber) bullying, and should it therefore be studied as a manifestation of (cyber)
harassment?
• If yes, should such manifestation of (cyber) harassment be scientifically investi-
gated within the framework of criminological violence research?
After having addressed these questions on a conceptual level (Sect. 2), the paper
presents a criminological case study on (cyber) bullying by faceless bureaucracy
from the Balkans12 (Sect. 3). The case study itself follows two lines of research.
First, it deals with the issue of capturing and measuring cyber bullying by faceless
bureaucracy in the sector public research funding, termed as “bureaucratic cybully-
ing” (Sect. 3.1), while presenting findings from an exploratory victimisation survey
conducted among project managers whose research is (co)founded by CSF (Sect.
3.2). Second, the case study provides a first analytical overview of the survey’s im-
plications and the impact these have so far had on the Croatian and European research
community (Sect. 3.3). In addition to that, I will argue that Croatia’s failure to adopt
appropriate legislative, administrative and other measures towards the full realisation
of academic freedom in the domain of public research funding constitutes a breach of
its obligation to ensure academic freedom by actively creating, establishing and
maintain the conditions for its optimal realisation (Sect. 3.4).13 This will not only
be based on an overall analysis of the relevant normative, judicial and administrative
vacuums in Croatia, but also be discussed within the framework of the actual case
study.

2. Conceptualising Cyber Harassment


in the Context of Criminological Violence Research
The necessity of literally spelling out this section title as it is, arises out of the fact
that in Croatia there seems to be some kind of doubt about the nonsynonymous mean-

12
The term ‘Balkans’ is used broadly in light of the Croatian case study, since Croatia is in
fact located in Southeast Europe. However, due to the embeddedness of the research question
in the broader subject of Balkan-specific crime phenomena, an exception in this regard is
justified.
13
Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 138. Croatia’s obligation to respect and protect
academic freedom also arises from article 69 of the Croatian constitution.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 515

ing of the words ‘topic’ and ‘title’ of a paper.14 Be that as it may, this section aims to
provide conceptual clarification so as to why cyber harassment should not be mis-
taken for cyber violence with the consequence of studying it within violence re-
search. Conceptually and terminologically the section also deals with (cyber) bully-
ing by faceless bureaucracy as a type of (cyber) harassment.

2.1 Unravelling the Conceptual Chaos of Cyber Violence

Back in early 2017, within a project application for a research grant of the CSF, I
argued that one of the greatest challenges in current violence research is the lack of a
commonly accepted definition of the core subject itself: violence (Heitmeyer &
Hagan 2002; Imbusch 2002). The perception of what violence actually is has
changed over time (Aebi & Linde 2016), although the undisputed core of violence
still is the intentional infliction of physical harm upon another person (Popitz
1992; Nadelmann 1997). New dimensions such as psychological, verbal, economic,
etc. have vastly broadened the subject scope of violence research. There is a clear
trend towards indefinitely stretching the term violence, up to the point where almost
everything is labelled as violence with the consequence that eventually almost noth-
ing presents itself as violence any more (Meyer 2002). This still reflects my scientific
position on the matter of a consensually acceptable core subject and scope of violence
research – anything beyond, though fully legit, cannot build upon the idea of a broad
scientific consensus.
However, being aware of all the divergent positions on the topic and wanting to
assemble a truly transdisciplinarity project team, flexibility was needed and compro-
mises had to be made. Therefore, I half-heartedly, yet obviously very convincingly
argued that there seems to be only one justifiable exception regarding broadening
violence research’s core subject: cyber violence, or to be terminologically more pre-
cise, cyber harassment, if we acknowledge the fact that violence is to be understood
strictly in relation to physical harm. The virtual environment of cyber space has un-
doubtedly created new forms of threats, danger and human suffering that are by far
more harmful than the mere use of a computer as modus operandi or the internet as
locus operandi. Cyber harassment is in its quality a much more severe form of har-
assment than the conventional one. Its ease of infliction, anonymity, accessibility and
opportunity, apparent virtual distance and simultaneous intimacy with the victim, and
the potential spread of its hurtful consequences, together with cyber space’s stamped-
ing invasion of our everyday reality, justify the study of cyber harassment in the con-
text of delinquent violence (UN Broadband Commission 2015; Greenfield 2010; To-
14
Unfortunately our CSF co-funded project workplan foresees as one of its results
“D.2.1.5. 1 journal article submitted for publishing (topic: conceptualising cyber harassment
in context of delinquent violence)”. Now, obviously this paper’s topic is cyber harassment, as
its subject is cyber bullying, whereas it is clearly embedded in the broader discussion of
(delinquent) violence. Yet, based on last year’s annual project evaluation, we know that CSF’s
anonymous domestic evaluators are of the opinion that the word topic is a synonym for title.
516 Anna-Maria Getoš Kalac

kunaga 2010; Corcoran et al. 2015; Vejmelka et al. 2017). I was awarded the project
grant and a year later we started working on our first task – the operationalisation of
our project’s research subject and scope. Little did I know back then that even minor
adjustments or updates to the initial project workplan, esp. if scientifically justified,
would completely run against CSF’s bureaucracy.
The subject and scope of our violence research project was operationalised based
on a consensual working definition that understands violence as “any intentional
physical harming or killing of another person”. Clearly, by finetuning the subject
and scope of our study, on a conceptual level, we discovered that cyber harassment
does no longer correspond to our project’s overall purpose, nor to our understanding
of violence. So, we tried to replace the add-on cyber-component with a new compo-
nent on (physical) violence in the preschool context, which would be in line with the
project’s purpose and overall conceptualisation of violence (and cyber harassment).
After a whole year of back and forth with CSF’s faceless bureaucracy on the matter of
(unsuccessfully) excluding the project’s cyber-component, at the end of last year I
basically caved in light of the approaching annual evaluation and we quickly started
working on a cyber harassment survey for Croatia (Sect. 3.2).
In brief, on a conceptual level, the phenomenon of cyber harassment, understood
as any “harassment by means of email, text (or online) messages or the internet”15 is
unreconcilable with a study of violence, that is based on the understanding of vio-
lence as any intentional physical harming or killing of another person. However,
this by no means implies that cyber harassment is not harmful or painful for its vic-
tims, or that it might not escalate towards (physical) violence. It simply acknowledg-
es that apples are not oranges.
If one conceptually and terminologically constructs violence as a generic term
which as two subtypes covers physical and cyber violence, then the question arises
what the overarching understanding of violence should be? Most of the relevant lit-
erature on cyber violence skips to address, let alone solve, this generic problem. In-
stead of further trying to unravel the conceptual and terminological chaos created by
the idea of cyber violence, an example shall demonstrate the diffusion.
If cyber violence is to be considered violence, and cybercrime a type of cyber vi-
olence, then data interference or computer-related forgery, logically, are a form of
violence (see Graphic 1). Basically, such conceptualisation and terminology com-
pletely disregard the nonsynonymous meaning of the words crime and violence,
just as CSF disregards the nonsynonymous meaning of the words topic and title.
How such conceptual and terminological incoherence might advance our under-
standing of (cyber) violence remains unclear. There are no correct or wrong concepts
and definitions – their quality arises out of their ability to capture a phenomenon ei-
ther well, or poorly. In that sense the above example might be considered a rather poor

15
Cit. European Institute for Gender Equality, cyber harassment definition; https://eige.
europa.eu/thesaurus/terms/1486 [01. 12. 2019].
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 517

Graphic 1: Types of Cyberviolence as Used by the Council of Europe’s Cybercrime


Convention Committee (2018), p. 6.

attempt to capture the phenomena of cyber violence and cyber harassment in relation
to their overarching embeddedness in a coherent concept or terminology of violence
or crime. To violence research, just as to our project, cyber harassment has become an
add-on topic, although it would deserve to be studied in its own realm, together with
closely related phenomena and within a sensible framework. Looking at both phe-
nomena, there are significant differences in perpetrator and victim profiles, crimino-
genic, victimogenic and contextual factors, their modus operandi, the legal frame-
work that deals with them, or the criminal justice responses applied to them. This
is an essential difference for which’s rebutting empirical evidence would be needed.
Yet, as I will show throughout the next sections, practically, it is possible to fit the
study of cyber harassment into (physical) violence research, to gain valuable insights
on its unique nature, and do all this inspite the above detected lack of any logic.

2.2 “Bureaucratic Cybullying” as a Unique Type of Cyber Harassment

After having argued that cyber harassment does neither conceptually nor termi-
nologically fit into (physical) violence research, the question remains where and
how it should be allocated? I propose to position it within the realm of harmful be-
518 Anna-Maria Getoš Kalac

haviour (see Graphic 2), since it clearly is a type of behaviour that results in harm,
and as such is the subject of criminology, as well as numerous other disciplines such
as psychology, sociology, social work, psychiatry, law, communicology, and educa-
tional studies, to mention but a few.

Graphic 2: (Cyber) Harassment, (Cyber) Bullying and Bureaucratic (Cy) Bullying


as a Type of Harmful Behaviour

The proposed concept allows for endless stretching of the generic term of harmful
behaviour and its continuous adjustment to the changing (harmfulness of the) world
around us. Harmful behaviour indeed must include not only physical harm, but also
psychological, social, economic, ecologic etc. The notion of cyber within such con-
ceptual approach indicates that it is being realised by means of email, text (or online)
messages or the internet. Clearly, the cyber dimension significantly changes the na-
ture and scope of any harmful behaviour, mainly due to ease of access and the dis-
inhibition effect of cyberspace.16
Coming back to the paper’s specific research question, it is necessary to provide an
explanation for focusing on (cyber) bullying in the domain of public research fund-
ing, and thus to further define the basic terms. As noted earlier, the Violence Research
Lab has been established within the framework of a CSF co-funded research project.
Although our research agenda focuses on studying (physical) violence in Croatia via
court and prosecution case file analysis, as an add-on component our Lab also covers
16
See, e. g. Suler 2004 or 2016. Suler explores the causes of the “online disinhibition
effect” and analyses several factors that might help explain “why people say and do things in
cyberspace that they wouldn’t ordinarily say or do in the face-to-face world”: dissociative
anonymity; invisibility; asynchronicity; solipsistic introjection; dissociative imagination;
minimizing authority; personality variables; personal and cultural values. Cit. Suler available
online http://truecenterpublishing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019].
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 519

the topic of cyber harassment in Croatia. Now, through managing the CSF co-funded
project I detected what first appeared to me as some sort of excessive bureaucracy
combined with systemic dysfunctionalities and lack of any insight into how research
works on the side of CSF.17 As exposure to the noted challenges occurred repeatedly
and went on over a long period of time, I started feeling agitated, helpless, frustrated
and unnecessarily exposed to nonsense whenever corresponding with CSF. With no
means of effective protection or defence, in a context of clear imbalance of power and
complete anonymity on the side of CSF, these feelings turned chronical. Little did I
know (until recently) how well this describes the phenomenon of (cyber) bullying
and harassment.
Similar experiences and reactions were confirmed by fellow project team mem-
bers and faculty colleagues who (had) managed their own CSF projects. The most
common ‘complaints’ with regards to their project related CSF relationship may
be summarised by the following six characteristics: (1) excessive bureaucracy, (2)
cyber correspondence, (3) facelessness, (4) transparent arbitrariness, (5) absolute au-
thority, and (6) nonsense. These characteristics essentially describe what I termed
“bureaucratic cybullying” and what we consequently explored in the domain of Cro-
atian public research funding:18
• excessive bureaucracy, characterised by being coerced into fulfilling trivial or un-
pleasant administrative tasks, being given tasks below one’s competence, persis-
tent ungrounded criticism of work and effort, and attempts to find fault, which re-
sults in waste of time for research, feelings of being exposed to work-unrelated
bureaucratic nonsense and a presumed culpability for an unspecified (potential)
misconduct;
• cyber correspondence, meaning that the only way of ‘communication’ is in writing
and via e-mail, characterised by what Suler highlights as “asynchronicity”19 and

17
In early 2019, I did some desk research on the matter and found a very insightful study
on the question ‘where the Croatian scientific research system might be heading to’. It ap-
peared to be off track and lost somewhere in between rational reform and entropy with sy-
stemic failure. The study, among other things, highlighted serious concerns about CSF’s work,
including incompetence as well as corruption (p. 49). Based on the presumption that the
quality of CSF’s work is inextricably connected to the quality of scientific research work,
since the acting principles of CSF reflect on the functioning of the whole Croatian scientific
community, the study surveyed researchers’ attitudes towards CSF’s work. The results were
devastating, as CSF had failed to positively impact any of the aspects of upgrading Croatian
scientific research activity (1. upgrading the quality of research projects; 2. upgrading of
scientific excellence; 3. upgrading evaluation methods; 4. limiting the influence of interest
groups on scientific activity – corruption). As much as 73% of surveyed researchers stated that
CSF has not contributed to limit corruption in the scientific system (p. 50). See Institut
društvenih znanosti Ivo Pilar 2018, 49 – 54.
18
For examples on all the characteristics, see the paper’s extended version as referenced in
Fn. 1.
19
Suler nicely explains “In real life, it would be like saying something to someone, ma-
gically suspending time before that person can reply, and then returning to the conversation
520 Anna-Maria Getoš Kalac

“invisibility”20. This results in feelings of being turned into the object or mere ad-
dressee of communication, rather than being an active part of it, as well as it am-
plifies misinterpretations due to lack of verbal expression (phone) and body lan-
guage (face-to-face);
• facelessness,21 meaning that the e-mail correspondence is not attributable to any
individual ‘real’ person, it is signed as “Croatian Science Foundation”, which is
characterised by what Suler denotes “dissociative anonymity”22, and imposes
the fiction of (corresponding with) an CSF that exists as such in the real world
(like a person), while creating the perception, as well as self-presentation of
CSF’s bureaucracy as faceless;
• transparent arbitrariness, which arises out of apparent transparency of procedures
combined with unreasoned decision making on all levels, that is thus obvious/
transparent in its arbitrariness and leads to feelings of demotivation, frustration,
helplessness or revolt towards one’s own scientific work;
• absolute authority (germ. Machtvollkommenheit), which reflects an extreme or
excessive imbalance in power, illegitimately or unnecessarily imposed hierarchy
or coerced subordination,23 resulting in feelings of helplessness, abandonment and
‘malignant vulnerability’24;
• nonsense (germ. Blödsinn; cro. budalaštine), characterised by inquiries, respons-
es, requests, instructions or decisions that lack any logic, meaningful purpose, are
impossible to comply with, or do not correspond to the issue at stake, resulting in
feelings of offendedness, helplessness, frustration, revolt and inexplicableness.

when you’re willing and able to hear the response.” Cit. Suler available online http://true
centerpublishing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019].
20
Invisibility partly overlaps with anonymity, but “even with everyone’s identity visible,
the opportunity to be physically invisible amplifies the disinhibition effect”. Cit. Suler avai-
lable online http://truecenterpublishing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019].
21
The term ‘faceless’ in relation to bureaucracy, harassment and bullying has been adopted
from the European Agency for Safety and Health at Work (2010, 22): “Usually, harassment is
considered to take place between people, but a situation created by ‘faceless bureaucracy’,
referring to a situation in which an individual feels defenceless against actions of a bureau-
cratic organisation, has also been called bullying”.
22
Suler explains that due to their anonymity people “don’t have to own their behavior by
acknowledging it within the full context of who they “really” are”, whereas such “anonymity
works wonders for the disinhibition effect”. Cit. Suler available online http://truecenterpublis
hing.com/psycyber/disinhibit.html [01. 12. 2019]. In the context of ‘faceless bureaucracy’ this
becomes even more troublesome, since own behaviour is presented as CSF’s behaviour, just as
personal responsibility is replaced with institutional responsibility.
23
The phenomenon of bureaucratic cybullying already encompasses a certain level of
imbalance of power between the bullying faceless bureaucratic body and the victim of such
type of cyber harassment. In that sense absolute authority is not merely an ordinary or natural
imbalance of power, but rather an excessiveness or absoluteness for which there are no rea-
sonable grounds.
24
On academic vulnerability, see Jackson 2018 and the following paragraphs.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 521

Clearly, there are varying severity degrees of the just presented bureaucratic cy-
bulling characteristics, just as there are different combinations of various two up to all
six characteristics. And just as with bullying in general, it is always a case-by-case
assessment of whether a specific harmful behaviour is to be classified as bureaucratic
cybulling or not. Two decisive criteria are the repeating or chronic nature of such in-
cidents, as well as the absoluteness of authority on the side of faceless bureaucracy.
The more extreme the absoluteness of authority, the lower the severity of single in-
cidents must be in order to be considered bureaucratic cybullying, just like the rise in
frequency and presence of all six characteristics with a high severity allows for lower
levels of absolute authority. The exact base-line distinguishing such bullying from
being exposed to (unwanted) unpleasant behaviour is generally unknown. Yet, in
the context of work-related bullying the bar must be set much higher, as here
there is basically little if any voluntariness on the side of exposing oneself to bullying
in work-related and contractually binding relationships. This brings us to the issue of
vulnerability and the question of whether CSF (co)funded project managers (in Cro-
atia), or more broadly (Croatian) academics, might be considered a (particularly) vul-
nerable group of victims.
The issue of academic vulnerability is closely related to the different policy ap-
proaches in public funding of science, research and higher education. In that respect,
the level of academic capitalism, as well as academia’s particular vulnerability “to
political and other pressures which undermine academic freedom”25, are two decisive
factors that need to be considered when assessing whether a certain academic com-
munity in a particular state or domain should be considered (particularly) vulnerable.
The notion of ‘particularly’ indicates a higher level of vulnerability than should be
expected considering the normative and actual conditions for realisation of funda-
mental human rights and academic freedom in a specific country and its regional con-
text. Since all the Balkan states, as well as Croatia, are bound to the Charter of Fun-
damental Rights of the European Union, one could argue that there should be no (par-
ticular) academic vulnerability. Yet, looking at the national normative and adminis-
trative framework in Croatia, as well as findings from our bureaucratic cybullying
victimisation survey and its impact analysis (Sect. 3), clearly in Croatia academia
is not only vulnerable, but actually ‘particularly’ vulnerable. That makes it plausible
to study bureaucratic cybullying among project managers of CSF (co)funded re-
search projects within our project’s focus on particularly vulnerable groups of vic-
tims.
Academic vulnerability in Croatia has emerged as a pressing concern, as CSF’s
research grants are the only source of domestic public research funding and since
project managers of CSF (co)funded research projects are financially vulnerable

25
Cit. Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 121. The afore mentioned authors point out
that “The UNESCO Recommendation specifically refers to “untoward political pressures,
which could undermine academic freedom” due to the “vulnerability of the academic com-
munity” for such pressures (UNESCO Recommendation, preamble)”. Cit., p. 137.
522 Anna-Maria Getoš Kalac

and fully personally accountable to outside (non-host institution) stakeholders.26


Jackson explains that the problem is not vulnerability as such, but rather “how it
is experienced differently across individuals – and differently across systems, univer-
sities and disciplines – as tensions between academic values and market values man-
ifest in diverse ways across contexts”.27 Jackson’s argument is that the common as-
sumption that to be vulnerable is to be susceptible to risks and challenges, that as such
vulnerability equals weakness, is a negative and deficient view of vulnerability that is
found in literature on academics in higher education.28 Referring to Gilson she points
out that
“there is something positive about vulnerability from the view of individual and social learn-
ing: vulnerability enables learning. It entails an openness to being proven wrong or having
one’s views challenged. If one’s beliefs or perspectives are ‘invulnerable’, he or she cannot
learn or grow. This has important implications for education and for reforming systems and
enhancing environments. Learners and stakeholders who seek positive change at individual
or community levels should possess and even develop vulnerability, to be open to new and
creative pathways for improvement.”29

In this sense, academics are (or at least should be) vulnerable by default. Now,
whereas this positive notion of academic vulnerability might “work in harmony
with neoliberal orientations which cast vulnerability as a personal issue”, vulnerabil-
ity “in terms of systemic (institutional) failures”, just as vulnerability to violence,
harmful behaviour (such as bureaucratic cybullying) and forms of oppression, is
to be considered negative and to be avoided, prevented and decreased.30
To conclude with, “vulnerability is a normal part of being a person” and “there are
cases where vulnerability can be seen not as a liability, but as something with poten-
tially positive benefits despite its ‘troublesome’ dimensions”.31 In this sense benefi-
cial vulnerability is at the very essence of academia’s true nature. So, when it comes
to (beneficial, as well as harmful) academic vulnerability, the question is not if there
is vulnerability, but rather how it is distributed among all relevant stakeholders in
public research funding and whether an extremely unfair distribution makes a vul-
nerable academic community particularly vulnerable. Within this question also
lies the answer on how to best avoid, prevent and decrease (malignant) academic
(particular) vulnerability – by vulnerability’s fair distribution among all stakehold-
ers. Eventually, such fair redistribution of vulnerability might simultaneously pro-
vide non-vulnerable stakeholders, such as CSF, access to (benignant) vulnerability.

26
See in more detail on academic vulnerability, e. g. Jackson 2018. Such financial and
personal vulnerability clearly arises out of the current contractual set-up of CSF (co)funded
research projects and the normative, judicial and administrative vacuum surrounding CSF.
27
Cit. Jackson 2018, 2.
28
Jackson 2018, 2.
29
Cit. Jackson 2018, 2 and 3.
30
Cit. Jackson 2018, 3.
31
Cit. Jackson 2018, 7.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 523

This, as we have seen, is a basic precondition for social learning and as such a val-
uable resource for any stakeholder engaged in public research or its funding.

3. (Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy – A Case Study


The following sections present main findings from a case study conducted end of
2019 and early 2020 in Croatia. The case study’s first line of research investigates the
question of whether and how public administration can turn into faceless bureauc-
racy, and if such faceless bureaucracy in the domain of public research funding
does cyberbully its clients (Sect. 3.1). The second line of research analyses the im-
plications (effects) of the conducted cyberbullying survey in public research funding
and their impact. It demonstrates how bureaucratic cybullying may escalate into
(real-life) bullying and eventually lead to an infringement of fundamental human
rights (Sect. 3.2). The case study concludes with key findings from an analysis of
the current normative, judicial, administrative, inspectional and control vacuum in
the domain of Croatian public research funding, which allows for first ideas on
the aetiology of bureaucratic (cy)bullying, and likewise provides an exploratory
glimpse into (the potentials for) criminal tycoonisation of public research funds in
Croatia.

3.1 Exploring Bureaucratic Cybulling in Croatian Public Research Funding

‘Bureaucratic cybullying’ is an abbreviated term for the phenomenon of cyber


bullying by faceless bureaucracy as conceptually and phenomenologically defined
earlier (Sect. 2.2) and within this section refers to the domain of public research fund-
ing in Croatia. The goal of our study has been to conduct an empirical survey into
cyber harassment in Croatia.32 When deciding on the type of cyber harassment we
would focus on, time, lack of any budget and little expertise on cyber harassment re-
search were three decisive factors, which eventually determined our focus on cyber
bullying and the domain of public research funding.
Our research objective was to explore whether there might be bureaucratic cybul-
ling in public research funding in Croatia and, in case there is, whether such cyber
harassment might be related to any of the following factors: success and experience
in prior project management, duration of ongoing project management, scientific
field of inquiry, assessment of quality of cooperation with funding agency, sources
of dissatisfaction, predominant feelings due to cooperation with funding agency, as-
sessment of (im)balance of power, assessment of quality of funding agency decisions,

32
As noted earlier (Fn. 2), we asked CSF to replace the project’s cyber harassment com-
ponent and clearly did not want to engage in this research topic. It would therefore be a blunt
lie to state that with the survey initially we had any other goal, then to fulfil our project
contract.
524 Anna-Maria Getoš Kalac

type of communication, help and support networks, willingness to report potential


illegal conduct of funding agency, choice of addressee of such illegal conduct, assess-
ment of relevant authority in charge for control of funding agency’s quality and legal-
ity of conduct, satisfaction with contractual arrangements and the way these were
defined, assessment of need for involvement in funding agency’s overall manage-
ment, feeling of predominant (dis)satisfaction as project manager, assessment of ne-
cessity for funding agency’s annual work evaluation by project managers, assessment
of quality of funding agency’s communication, and gender. In addition to these sets of
variables, our objective was to collect qualitative data on the phenomenology of con-
crete cases of bureaucratic cybullying and for this purpose defined them as ‘examples
of feelings of helplessness’.
In terms of methodology we opted for an on-line victimisation survey via ques-
tionnaire as our research instrument and for collecting quantitative data, with the
qualitative addition of the just noted ‘examples of feeling helpless’ and a general
open-ended question on ‘further things to point out’. This was a quick and inexpen-
sive way to conduct our explorative survey. In order to make the survey least time
consuming for potential participants, no scales were used, while particular attention
was paid to user-friendliness. Such considerations emerged out of the fact that we
were well aware of the chronic time deficits of project managers and the relatively
frequent influx of on-line survey inquiries in academia.
The method of victimisation survey had previously been approved by the Univer-
sity of Zagreb Law Faculty’s Ethical Committee and was explicitly agreed as a re-
search method with the CSF. With regards to sampling, and since we had already de-
cided to focus on the domain of public research funding, we opted for CSF (co)fund-
ed research projects, as CSF is the only national source of domestic public research
funds in Croatia. For the on-line survey, we used a free Google-form and sent it via
our official project e-mail account to the individual official institutional e-mail ad-
dresses of prospective survey participants. The mailing list was created using the
CSF publicly available database on (co)funded projects. The survey was completely
anonymous, whereas the survey participation was voluntary.
The survey topic, as well as its objectives were clearly identified, while the back-
ground of the research question was transparently explained to prospective partici-
pants, esp. by highlighting a relevant study on the Croatian scientific research system
and its reform, as well as own victimisation experience.33 The implementation of the
survey was clearly attributed to our research project. We thus acknowledged CSF’s
co-funding of our project. Due to time constraints and the impossibility to establish
feasible contact with CSF, as well as potential negative impacts on survey responses
33
This included providing reference to two relevant prior studies and their findings (In-
stitut društvenih znanosti Ivo Pilar 2018; European Agency for Safety and Health at Work
2010), as well as admitting own victimisation experience. Now, neither of the two should pose
a question as to our study’s objectivity. We consciously opted for transparency in choice of
research question – something that frequently is missing in research and remains well-hidden
from criticism.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 525

and the openness of project managers to frankly report on their potential bureaucratic
cybullying victimisation experience, we decided to implement the survey without
CSF coordination. Considering CSF’s reactions that paralleled and followed our sur-
vey implementation, this has proven to be a wise decision. In this sense it needs to be
pointed out that prior CSF notification or approval was not a requirement for the sur-
vey’s implementation.
The survey covered 96% of a full national sample, including former and current
project managers who had been awarded CSF (co)funded project grants from 2013
onwards (provided the CSF database is correct and complete).34 The survey was
launched December 2nd 2019 at 15:24 under the title “Survey on CSF bureaucracy
within the framework of cyber harassment (Violence Research Lab)” and asked
its addressees to (anonymously and voluntarily) participate in a survey on bullying
by faceless bureaucracy, defined as “a situation in which an individual feels helpless
towards the actions of a bureaucratic organisation”. It was transparently explained
that we were interested in investigating the feeling of helplessness and general (dis)
satisfaction amongst managers of CSF (co)funded research projects. We asked po-
tential respondents to take 10 – 15 minutes of their time, and by sharing their own
experience in working with CSF, enable detection of possible bullying in the domain
of public research funding in Croatia.
The survey’s response rate, although extremely high within the first day of its im-
plementation, eventually turned out to be 12% (89 out of 734 contacted individuals).
One can only speculate about the sudden decrease in responses, but based on expert
opinion,35 as well as the content of approx. 50 e-mails received from CSF (co)funded
project managers related to the survey, the main reason for non-participation in the
survey was fear from negative CSF reactions. Public reactions to preliminary survey
findings from the Croatian research community stressed that due to the relatively low
response rate one should not doubt the survey’s findings, and pointed out that such
34
Out of a total of 765 individual project managers identified in the CSF database (808, but
some of them were listed twice), for a total of 734 project managers we were able to detect e-
mails.
35
Former minister of science and education Prof. Dr. Gvozden Flego expressed his expert
opinion on CSF’s reaction to the launch of our survey: “The letter sent to project managers [by
CSF] can be perceived as a warning not to participate in the survey of colleague Getoš Kalac”.
He assessed the first reaction of CSF’s Managing Director towards our project’s survey as a
dangerous precedent which might result in far-reaching consequences. In his view the CSF
position that the research topic does not depend on how the project manager and project team
understand it, but rather how CSF administration understands it, appears particularly dange-
rous and completely unauthentic, esp. since the CSF administration may revoke funds to
projects which content the administration holds inappropriate. Those people in an institution
aimed at caring for science, who have not grasped the immanent logic of doing science, that
most is learned from critique, are not up to their task – if they want to stop the harassment of
their ‘clients’, then the leadership of CSF, as well as anyone involved in scientific work, should
thank colleague Anna-Maria Getoš Kalac and her associates, and encourage them to further
analyse cyber and bureaucratic harassment of project managers by CSF administrators, Flego
explained. HINA 12. 01. 2020.
526 Anna-Maria Getoš Kalac

response-rate-based critique of the survey is a critique aimed at silencing critique,


and not an actual concern about our survey’s ‘scientificity’.36 Be it as it may, due
to the survey’s response rate of 12%, we could not test correlations, but were never-
theless able to reach the survey’s objective – detection of possible exposure to bu-
reaucratic cybullying among CSF (co)funded project managers.
The survey sample is representative in terms of acknowledged senior (75%) and
perspective junior (25%) project managers, as well as regarding their distribution
within different science fields (life sciences 17%, social sciences and humanities
30%, natural and technical sciences 51%). With this in mind and taking into account
the numerous ‘examples of helplessness’ almost half of all respondents provided in
detail in the survey, as well as the approx. 50 e-mails received by (non)participants of
the survey with further ‘examples of helplessness’, it is safe to assume that the sur-
vey’s findings are valid.
Almost two thirds of all 89 respondents assess their overall cooperation with CSF
as satisfactory (70%), whereas approx. one third assess it as dissatisfactory (30%).
This makes sense in light of CSF official data about results of annual project evalu-
ations, which are almost evenly graded as either A or B (excellent or good progress),
and only exceptionally as C (questionable progress). Out of 57 respondents, 90% al-
located responsibility for causes of their dissatisfaction on the side of CSF, only 10%
on the side of project managers. Respondents reported rather high dissatisfaction due
to managing/administrative obligations which can be attributed to the bureaucratic
cybullying characteristic of excessive bureaucracy. Respondents thus reported on
predominant feelings of frustration, exposure to nonsense and helplessness, as
well as revolt towards their scientific research in their role as project managers
and in relation to their CSF cooperation (see Table 1).
Table 1
Responses on Feelings of CSF (Co)funded Project Managers
in Their Project-Related Cooperation with CSF
Regarding my cooperation with CSF as project manager I feel …
… dissatisfied due to managing/administrative obligations on my project (N=89) 65%
… predominantly frustrated (N=88) 55%
… predominantly exposed to nonsense (N=89) 49%
… predominantly helpless (N=88) 40%
… predominantly revolted in terms of my scientific research (N=88) 25%

It is important to note that such feelings were expressed in terms of their predom-
inance, and not merely incident based, which is particularly relevant when it comes to
bureaucratic cybullying and the decisiveness of determining a repeating or chronic
nature of single bullying incidents through a longer period.
Another decisive characteristic of bureaucratic cybullying is the imbalance of power
and the absoluteness of authority. Both aspects have been addressed by the survey. The
36
HINA 12. 01. 2020.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 527

first one by explicitly asking respondents about their feeling as an equal contractual
party (Table 2), the second one by asking the respondents about their assessment of
oversight and control of CSF’s quality and legality of work, as well as respondents’
readiness to report on potential illegal conduct by CSF (Graphic 3).

Table 2
Respondents’ Perceived (Im)Balance of Power Due to Financial Negotiations
and Contracting with CSF
Perceived Balance of Power Perceived Imbalance
of Power
1 56% 44%
2 42% 58%
3 38% 62%
4 29% 71%
Legend: 1) “I am satisfied with the contractual obligations and rights” (yes/no); 2) “During contracting my CSF
project I had the possibility to actually negotiate (in terms of content and/or funding)” (yes/no); 3) “The CSF project
I am managing was contracted following the principle of ‘take it, or leave it’” (no/yes); 4) “I feel that I am, as a
project manager, an equal contractual party, with same obligations and rights as CSF” (yes/no). Note: all 89 re-
spondents replied to 4 questions.

Only one third of 89 respondents feel as an equal contract party, whereas even 70%
feel unequal. Moreover, asked about their assessment of own position in relation to
their CSF cooperation, 65% of 89 respondents assessed their position as subordinat-
ed, whereas only 33% as equal, and 2% as superior. This clearly confirms an imbal-
ance of power between CSF and project managers, which is particularly worrisome
since (at least contractually) their cooperation is conceptually set-up as one between
equal partners, and thus includes their host institutions, basically (contractually)
shifting the balance positively towards the side of the project managers. However,
in terms of CSF project (co)funding contracts, the distribution of rights and obliga-
tions clearly constitutes an imbalance of power, foresees far-reaching obligations for
project managers, but little if any responsibilities on the side of CSF. This imbalance
of power is well reflected in respondents’ (dis)satisfaction with the contracting and
so-called financial negotiations (see Table 2).
With regards to CSF’s absolute authority, half of 84 respondents reported that they
would in case of illegal conduct on the side of CSF and related to their project report
such illegal conduct to CSF (51%), whereas only one fourth of them (25%) would
report it to their host institutions, with 14% responding they would not report
such illegal CSF conduct at all, and only 7% responding they would report CSF’s
illegal conduct to relevant state authorities (police, public prosecutor, ombudsper-
son). Interestingly, only one respondent would report CSF’s illegal conduct to the
Croatian Parliament, who is in fact CSF’s founding body. When asked about their
opinion on the responsible public authority in charge of overseeing CSF’s work in
terms of its quality and legality (responsibility for active and appellate oversight
of CSF), the majority of 85 respondents replied that no one is in charge (44%) or
that the CSF it-self is in charge of its own oversight (26%). 17% of respondents iden-
528 Anna-Maria Getoš Kalac

Graphic 3: Readiness and Addressee of Reporting Illegal CSF Conduct (Left, N=84)
and Assessment of Authority Overseeing CSF (Right, N=85)

tified the Ministry of science and education as responsible for oversight, whereas in
fact only 6 respondents (7%) identified the Croatian Parliament as responsible (see
Graphic 3).
All 89 survey participants confirmed that they predominantly communicate with
CSF in writing via e-mail, which fulfils the criteria of cyber correspondence, as well
as facelessness of the CSF bureaucracy, due to individual CSF staffs’ anonymity and
lack of personal or phone contacts. With almost half of responses (49,4%) confirming
a predominant feeling of being exposed to nonsense, and compared to only 18% feel-
ing exposed to justifiable professional challenges, the criteria of nonsense has also
been confirmed. Now, the criteria of transparent arbitrariness proved difficult to ex-
plore by using the question “CSF decisions on my requests are best described by the
following qualities …” (Table 3). However, interpreting the findings in light of ex-
amples provided by survey respondents, as well as in context of survey feedback re-
ceived by project managers allows for first thoughts. It appears as if the just presented
findings might very well reflect the characteristic of transparent arbitrariness, but the
results in this respect are not conclusive, neither was the question well posed. Basi-
cally, one would have needed to ask respondents more specifically about various
types of CSF decisions regarding requested project adjustments, evaluations, finan-
cial decisions, micromanagement etc. In that sense the findings might best be con-
sidered as indicative and overall as rather critical towards CSF decisions.
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 529

Table 3
Exploring Transparent Arbitrariness as a Characteristic
of Bureaucratic Cybullying (N=88, Multiple Choice)
CSF decisions on my requests are best described by the following qualities …
… inflexible 50%
… timely 43%
… arbitrary 38%
… according to rules 38%
… non-transparent 31%
… unreasoned 28%
… scientifically unjustified 28%
… reasoned 26%
… untimely 23%
… transparent 22%
… flexible 19%
… scientifically justified 10%

Finally, the vast majority of respondents (89% of 84 respondents) asserted that


CSF should at least once a year have its work evaluated by project managers, whereas
respondents (N=81, multiple choice) also asserted that project managers should be
represented in CSF’s Managing Board (83% acknowledged project managers; 56%
perspective project managers), as should their host institutions (43%), mentors of
CSF funded PhD researchers (37%) and CSF funded PhD researchers themselves
(17%). This last survey finding on participation rights of project managers in CSF
management is highly interesting, since one of the main reasons for setting up
CSF as an independent funding agency outside the framework of the Ministry of Sci-
ence and Education, was to implement the concept of researchers’ self-governance of
public research funds. This is thought to have been successfully achieved by simply
appointing researchers to CSF’s Managing Board by the Croatian Parliament (based
on preselection by Croatian Government). Our survey’s findings show that the ma-
jority of CSF (co)funded project managers does not feel represented by their fellow
academic colleagues. Whether CSF can in that sense be realistically understood as a
form of researchers’ self-governance of public research funds is dubious (at best).
In sum, the findings of our explorative survey on bureaucratic cyberbullying in
Croatian public research funding clearly show that 5 out of 6 bureaucratic cybullying
characteristics have been detected, whereas for 1 the findings are not conclusive:
• surveyed project managers communicate with anonymous CSF staff predominant-
ly in writing and by e-mail (cyber correspondence and facelessness);
• most surveyed project managers are dissatisfied due to administrative project ob-
ligations (65%) (excessive bureaucracy);
• a significant share of surveyed project managers feels predominantly frustrated
(56%), predominantly exposed to nonsense (49%), and predominantly helpless
(40%);
530 Anna-Maria Getoš Kalac

• approx. half of surveyed project managers provided detailed examples of feelings


of helplessness, which characterise the phenomenon of cyberbullying by faceless
bureaucracy;
• most of surveyed project managers would report illegal CSF conduct to CSF
(51%) or not at all (14%), whereas the majority (44%) believes that no one is re-
sponsible for CSF oversight in terms of controlling legality and quality of its work,
or that CSF itself is in charge of its own oversight (26%) (absolute authority);
• transparent arbitrariness seems to play a role in bureaucratic cybullying, but find-
ings in this regard are not fully conclusive and need further exploration;
• the concept of researchers’ self-governance of public research funds in Croatia is
not perceived as representing the interests of project managers, whereas it is rea-
sonable to expect that CSF’s non-perception of interests of the research commun-
ity would be even worse if not only project managers, but also project applicants
were to be included in the survey.
Further research is needed to address potential causes of perceived bureaucratic
cybullying, as well as various levels and factors of exposure to such harmful behav-
iour. It would also be necessary to investigate cybullying self-perception and justi-
fication on the side of CSF’s management and staff, as well as CSF’s foreign and do-
mestic evaluators, or CSF’s panel members. The phenomenon is extremely complex
and it would be unreasonable to expect simplistic solutions for its prevention and re-
duction. It also appears very likely that bureaucratic cybullying might be detectable
in other domains of public administration in Croatia, as well as throughout the Bal-
kans, where service-oriented governance is still the exception, and not a rule.

3.2 From Bureaucratic Cybullying to Bullying


and Infringement of Academic Freedom

This section provides for a brief overview of the main implications and the impact
of the just presented survey on bureaucratic cybullying among CSF (co)funded proj-
ect managers and in relation to their CSF cooperation. The case analysis in this re-
spect demonstrates how easily bureaucratic cybullying may escalate into real-life
bullying, and, when it comes to the survey’s setting within the research domain,
how this can result in the infringement of academic freedom.
Immediately after the launch of the explorative victimisation survey among CSF
(co)funded project managers, CSF posted an anonymous warning on its webpage,37
and anonymously via e-mail informed all CSF (co)funded project managers, as well
as mentors of CSF funded PhD researchers, that our on-line survey was not part of
any CSF funded project and that CSF had neither provided contact details nor its per-
mission for conducting the survey. I received a similar anonymous warning and was

37
See www.hrzz.hr/default.aspx?id=2636 [26. 02. 2020].
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 531

requested to immediately inform survey participants about CSF’s position. In line


with the request, the on-line survey form was annotated and a relevant statement pub-
lished on our project’s website.38 CSF’s position was made clear, as well as our under-
standing that the study of cyber harassment (and as such the explorative survey on
bureaucratic cybullying in public research funding) had been contractually agreed
with CSF, and is as such foreseen in seven components of our project’s workplan.
We thus raised concerns that CSF’s anonymous ‘warning’ and the CSF position itself
are an attempt of bureaucratic censorship. As a project team we were not informed
about the anonymous reasoning of CSF’s position, nor its scientific justification, even
after having repeatedly requested such information.
Now, one might assume that that was it in terms of divergent opinions and publicly
raised concerns on the matter, but CSF went one step further and (again) did what
CSF commonly does not (and should not) do – it commented on specific CSF
(co)funded projects. CSF’s Managing Director published a lengthy public statement
on CSF’s website, basically implying that our victimisation survey was not part of our
CSF co-funded project.39 The main line of argument was that the survey on bureau-
cratic cybullying was not explicitly named in the project application’s summary and
therefore does not constitute a part of our project. In this sense CSF publicly pro-
claimed that the study of cyber harassment is not part of our project, which was sim-
ply outrageous, esp. after we had been coerced by CSF into conducting the cyber har-
assment study at hands.40 Reacting to such blunt repeated public defamation, which
as such is a well-recognised type of bullying behaviour, we published a public state-
ment on “CSF’s bureaucratic cyber nonsense”,41 and a few days later the whole topic
was picked up by the media and widely reported on under the title “Scandal in the
scientific community: project managers complain about cyber harassment, they
say they are humiliated by tonnes of nonsense”.42 Further media coverage followed
and Croatia’s state news agency HINA published several texts on our survey, as well
as CSF’s reactions and the lack of any relevant authority’s dealing with the matter.
Mid-January 2020, less than one and a half months after having conducted the
survey, the dean of our project’s host institution and myself received a letter from
CSF’s Managing Director informing us that CSF’s Managing Board had decided
to conduct an “additional evaluation” of our project through means of organising
an “official visit” – in short, an extraordinary control measure, commonly imposed
on project managements that show difficulties or shortcomings in project implemen-
tation. CSF’s Managing Board decision was based on the decision of CSF’s Ethical
Committee, which had found me guilty of having breached several general ethical

38
See www.violence-lab.eu/news/anketa-o-faceless-bureaucracy-u-kontekstu-cyber-harass
ment [26. 02.2020].
39
See www.hrzz.hr/default.aspx?id=2641 [26. 02. 2020].
40
For more details, see Fn. 2.
41
See www.violence-lab.eu/news/kiberneticke-budalastine-zaklade [26. 02. 2020].
42
HINA 15. 12. 2019.
532 Anna-Maria Getoš Kalac

principles of CSF’s Ethical Codex, as well as one ethical rule on “inappropriate com-
munication with CSF employees and evaluators”. The letter we received cited a sec-
tion form CSF Ethical Committee’s decision, but we were not even provided with the
decision itself, nor with the actual decision of CSF’s Managing Board. Since such
procedure of CSF and its Ethical Committee was clearly in breach of several proce-
dural provisions of CSF’s own Ethical Codex, as well as the European Code of Con-
duct for Research Integrity, the Faculty dismissed CSF’s Managing Board decision
on conducting the extraordinary control measure as void, and thus reported CSF’s
misconduct to the Ministry of Science and Education, Zagreb University’s Rector
and the relevant Parliamentary Committee, while also informing the Rectors’ Coun-
cil and the National Science Council about CSF’s misconduct. He thus called for en-
suring the lawfulness of CSF’s procedures and decisions. None of the addressed in-
stitutions officially replied, nor did the CSF (for the time being) conduct the extra-
ordinary control measure, which might result in termination of the project, loss of
project funds, as well as 3 PhD researcher positions. CSF upon written request even-
tually provided for a copy of its Ethical Committee’s decision – needless to point out
that neither myself as the accused/convicted/sentenced, nor my dean, had any clue
there had been an ethical investigation initiated back in late December 2019, or a rul-
ing and sentencing delivered. Basically, we were simply informed on the CSF Man-
aging Board’s decision implementing CSF Ethical Committee’s sentence.
Interestingly, CSF’s Ethical Committee delivered its decision in line with an un-
specified and non-available phantom-request of CSF’s Managing Board. CSF’s Eth-
ical Committee literally states that
“during the discussion the Committee did not go into the specifics of the project in question,
but discussed elements from the provided documentation and publicly available informa-
tion, for which there is a basis for determining inconsistency with principles of scientific
conduct and rules of CSF’s Ethical Codex. […] Based on the available documentation
the Committee had a discussion and has determined that assoc. prof. dr. Getoš Kalac breach-
ed the principles of the Ethical Codex, specifically articles 5, 6 and 14 (basic ethical prin-
ciples, professional conduct and responsible scientific conduct).”

Then the decision continues by partially citing e-mail correspondence with CSF’s
faceless bureaucracy and interpreting that appeals against unreasoned CSF decisions
constitute “disrespect of CSF decisions”, that requests for information constitute
“disrespect of hierarchy”, that argumentation provided within project adjustment re-
quests constitutes “disrespect of CSF procedures”, all of which “may be classified as
inappropriate conduct in communication with CSF employees and evaluators”. Now,
besides the obvious lack of basic legal knowledge and the inherent nonsense of such
deliberations, clearly the just stated (even if true) in CSF Ethical Committee’s own
words also may not be classified as such conduct. Whereas the first part of the deci-
sion is completely unspecified in terms of exact conduct that might be considered
unethical (although it is obviously somehow related to the survey we conducted),
the decision’s second part lacks any reasoning on why the e-mail correspondence
must be considered an ethical misconduct. As such, the CSF Ethical Committee’s
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 533

decision and sentencing, imposing all possible proscribed penal measures (for an al-
leged “minor ethical misconduct”), is nonsense at best, but much more likely CSF’s
real-life bullying and an attempt at disciplining a critically thinking (and acting) proj-
ect manager.
Clearly, the conducted explorative victimisation survey on bureaucratic cybully-
ing among CSF (co)funded project managers was not to the liking of CSF’s Manag-
ing Director, nor the members of its Managing Board, or members of its Ethical Com-
mittee. Such ‘disliking’ of a research topic, let alone a legit research survey, is not
unusual within any research community and is frequently the subject of opposing po-
sitions in academic papers. What is however highly unusual, and simultaneously ex-
tremely dangerous, is the abuse of position by ‘fellow’ academics through managing
bodies of public research funding agencies, aimed at disciplining, punishing and si-
lencing critical scientific opinion and making an example for the whole research
community. Not only does such bullying have severe implications on the individual
victim, as well as the whole project team and the relevant host institution, but it also
threatens the overall scientific community by imposing self-censorship and coercing
project managers, as well as future project applicants into presumably CSF-endorsed
research topics.
Such CSF-conduct self-evidently infringes the individual as well as institutional
and collective fundamental right of academic freedom. Even in case there would have
been any legitimate grounds for CSF’s divergent opinion on what does and does not
constitute a part of our joint research project, the mere lack in contractual specifica-
tion of the project’s cyber harassment component does not provide CSF’s faceless
bureaucracy with the discretionary right to unilaterally, anonymously and without
any reasoning specify the meaning or the content of our project’s research subject.43
It remains to be seen what legal and ethical implications will arise for CSF, the mem-
bers of its managing and ethical bodies, but it is clear that the relevant international
academic community has already decided on the matter and ascertained its firm po-
sition that academic freedom is not up for discussion, nor may it be revoked simply on
the grounds of a funding agency’s disliking of particular research subject or method,
let alone its discontent with specific findings of a scientific survey.44

43
“If and when specific requirements about the subject or topic of research, the method and
the mode of analysis are in place, they should be clearly established and mutually agreed upon
beforehand. In case of external funding, the respective rights of sponsors and researchers over
the output should be made clear as well.” Cit. Vrielinka, Lemmens & Parmentier 2011, 125.
Out of this arises an obligation of funding agencies to mutually agree with project partners on
potentially needed specification of research subject or topic, method and mode of analysis.
44
The European Society of Criminology is “concerned about a case which has come to its
attention relating to academic freedom” and in this regard has underlined “its commitment to
the principle of academic freedom. This is a foundational component of any democratic so-
ciety and a driving ethos of University research. Academic freedom requires: fair and trans-
parent processes for the funding and review of research; the capacity for critical thinking and
capacity for the academy to speak truth to power, and always and everywhere challenging
censorship and rights violations.” See www.esc-eurocrim.org/index.php/activities/news [26. 02.
534 Anna-Maria Getoš Kalac

3.3 Potentials for (Criminal) Tycoonisation of Public Research Funds

This part of the case study on bureaucratic (cy)bullying in public research funding
in Croatia will highlight main findings from a thorough normative analysis. The find-
ings are thus confirmed by the just described real-life bullying case study and in a
nutshell present a total normative, judicial, inspectional and administrative vacuum
when it comes to CSF quality control and oversight of legality of conduct and deci-
sions. To start off with the most easily detectable normative vacuum – the one on
quality control. In essence the only quality control of CSF’s work is being performed
by the Croatian Parliament. However, even this control mechanism is a fictional, rath-
er than an actual control mechanism, since the Parliament’s only competence is to
accept or not accept CSF’s own annual report. Even in the highly unlikely event
that the Parliament were not to accept CSF’s report, no consequence is foreseen.
Next in line is the question of overall administrative and/or inspectional oversight
of CSF as a legal person with public authority. In short – neither the Ministry of Sci-
ence and Education, nor any other government body, have competence on adminis-
trative or inspectional control of legality of CSF’s work. Only with regards to control
over CSF’s disposal of public funds the Ministry has together with the Ministry of
Finance oversight and control competences. Not even the relevant City Office in
charge of regularly inspecting the work and conduct of foundations has any compe-
tence over CSF, since such inspection competences would have to be explicitly fore-
seen in the Act on CSF (obviously they are not).
Now, as a measure of last resort one might think about the courts. There should be
some sort of legal procedure in court that might provide for legal oversight of legality
and correctness of individual CSF decisions, one might think, and one would be mis-
taken. The High Administrative Court of Croatia has already decided that individual
CSF decisions do not constitute such type of decisions that would fall within the com-
petence of administrative jurisdiction. Currently it is under investigation whether not
at least the Croatian Constitutional Court might prove to be a judicial oversight and
correction mechanism. Nevertheless, the normative vacuum is complete and leaves
CSF overall, as well as any of its individual decisions, as untouchable and incontest-
able, outside of the framework of any normative, administrative, inspectional or qual-
ity control mechanism.
In context of such a control vacuum it needs to be pointed out that CSF’s Manag-
ing Board has been acting despite the expiry of its own mandate approx. 3 years ago,
and solemnly based on CSF’s own statute (enacted by the current CSF Managing
Board in 2013). CSF’s Statute foresees that the Managing Board can keep acting in-
definitely after the expiry of its mandate, basically until its current members are re-

2020]. The German KrimG has informed CSF about similar concerns, whereas the Société
internationale de défense sociale pour une politique criminelle humaniste has issued a “State-
ment related to the infringement of academic freedoms and bullying criminologists by the
Croatian Science Foundation”. See www.violence-lab.eu/news/issd [26. 02. 2020].
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 535

voked, or new members nominated by Parliament. The respective public call for
nominating new CSF Managing Board members closed back in February 2018 –
no one knows why no new CSF Managing Board has been nominated during the
past two years. It is highly unlikely that the statutory legal grounds for the continuous
acting of CSF’s current Managing Board (despite expiry of its members’ mandate)
are in consistency with the relevant legal provisions on duration of Board Members’
mandate provided in the Act on CSF. Regarding CSF’s Managing Board another
problem needs to be addressed and this relates to potential conflict of interest and
a lack of publicly declared personal and professional networks that might interfere
with CSF Managing Board members’ impartiality when deciding on specific project
applications or annual project reviews, as well as selecting international and domestic
evaluators.
As a last oversight vacuum I need to highlight the complete lack of any publicly
available information on either the criteria or the procedure for selecting foreign and
domestic anonymous CSF evaluators in charge of reviewing project applications, as
well as annual project reports. Not even the members of CSF’s Panels on different
scientific fields have any idea about who decides, and how, on such evaluators,
nor is there any transparency in terms of who decides about which of the evaluators
get assigned to any given project application or evaluation, nor how many such re-
views are inquired and how many or which of these reviews are then used by CSF
Panels or the CSF Managing Board to base their decision upon. It is only known
that CSF Panels as well as project managers should receive a minimum of two sep-
arate reviews. Regarding annual project evaluations, it is not even known whether the
anonymous domestic evaluators are selected from the relevant discipline in which the
project has been approved, nor whether the evaluators themselves have experience in
(CSF) project management or for that matter any competence on the actual project
subject. Finally, foreign as well as domestic evaluators are expected to self-report on
potential conflict of interest, but without any oversight on CSF’s work this remains a
huge unknown, just as any potential conflict of interest on the side of vastly anony-
mous CSF administrative staff. This is particularly worrisome in a country like Cro-
atia with a small and highly intertwined academic community.
To conclude with, any of the just described oversight and control vacuums on their
own would probably raise little if any concern on potentials for (criminal) tycooni-
sation of public research funds in Croatia. Yet, all of them taken together and put in
the broader context of pandemic corruption, as well as criminal state capture in the
Balkans (and Croatia), raise serious concerns about (at least very evident potentials
for) criminal ‘tycoonisation’ of public research funds. Even though this is a com-
pletely different criminological phenomenon as such, at the same time it is also a
plausible first assumption on probable aetiological roots for the detected phenomen-
on of bureaucratic cybullying in the domain of public research funding, as well as its
real-life escalation into bullying and infringement of academic rights. Here further
criminological research is urgently needed, whereby particular attention should be
paid to statistical anomalies in awarded CSF project grants to host institutions of
536 Anna-Maria Getoš Kalac

members of CSF’s Managing Board and/or their close relatives and members of their
professional networks.

4. Conclusions with Food for Thought on Science Activism


The paper aimed to provide numerous empirical findings and broadly discusses its
specific research question on bureaucratic cybullying in public research funding
within the wider context of its overall research subject. First, cyber harassment, as
a criminological phenomenon and concept, is not reconcilable with a consensually
acceptable concept of violence, that understands violence in line with its undisput-
able core – the intentional physical harming or killing of another person. As such,
cyber harassment needs to be studied within the realm of conceptually and phenom-
enologically similar types of harmful behaviour. Squeezing everything under the ge-
neric term of cyber violence creates more problems than it might ever be able to
solve, whereas conceptually and terminologically the idea of cyber violence is un-
justified and misleading. A more meaningful conceptualisation might build upon
the idea of harmful behaviour, which includes both violence, as well as harassment.
By introducing the generic term of harmful behaviour, conceptual clarity as well as
terminological consistency is guaranteed, whereas the cyber dimension in relation to
harassment does not undermine a clear understanding of violence as physical. Within
such a set-up, bureaucratic cybullying is a type of bullying, which is a form of harass-
ment and as such harmful behaviour.
Second, the term bureaucratic cybullying denotes the phenomenon of cyberbul-
lying by faceless bureaucracy, which is characterised by excessive bureaucracy,
cyber correspondence, facelessness, transparent arbitrariness, absolute authority
and nonsense, whereas the repeating or chronic nature of single incidents through
a longer period is decisive for determining its existence as such. There is no exact
base-line distinguishing such bullying from being exposed to (unwanted) unpleasant
behaviour, but in the context of work-related bullying the bar must be set much high-
er, as there is little if any voluntariness on the side of exposing oneself to bullying in
work-related or contractually binding relationships. In the context of public research
funding and particularly vulnerable victims, bureaucratic cybullying becomes even
more harmful. Vulnerability should be at the very core of any true academic’s nature,
and while such benignant academic vulnerability is a valuable resource, unfair dis-
tribution of malignant academic vulnerability might be one of the main causes of bu-
reaucratic cybullying in public research funding. In Croatia, academics are not sim-
ply vulnerable, but in fact “particularly” vulnerable considering the state’s obvious
failure to provide for a normative, judicial, administrative or practical framework that
guarantees effective realisation of academic freedom as a fundamental human right.
First practical measures to provide instant relief to Croatia’s academic community
would be a fair redistribution of academic vulnerability among all stakeholders en-
gaged in public research and its funding (esp. CSF), as well as immediate normative
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 537

action on the side of the legislator, accompanied by administrative effective control


mechanisms of the relevant ministries (both science and finance).
Third, our explorative bureaucratic cybullying victimisation survey among CSF
(co)funded project managers detected the existence of five out of six characteristics
within Croatia’s public research funding, as well as it provided clear evidence for
chronic exposure to this type of harmful behaviour. The findings on transparent ar-
bitrariness are not fully conclusive and need to be further explored with respect to
specific types of decisions on different types of subjects. Survey results clearly in-
dicate that CSF can not be understood as having (thus far) successfully implemented
the concept of researchers’ self-governance of public research funds. As the case
study demonstrates, CSF, as Croatia’s only source of public research funding, has
deviated considerably from its original founding mission and presents itself as a face-
less bureaucracy that rather (cyber) bullies its clients, than contributes to society’s
overall advancement through enabling and promoting excellence in research. In al-
locating responsibility for CSF’s stumbling away from its legitimate path, one must
first and foremost call upon the Croatian academic community and every single one
of its members, including myself. Neither the detected oversight vacuum preventing
any kind of normative, administrative, inspectional, or quality control of CSF’s per-
formance and individual decisions, nor the high potential for (criminal) tycoonisation
of Croatian public research funds will come as a complete surprise to most of us. In
that sense it is questionable whether the Croatian academic community is able or even
willing to self-govern public research funds, solemnly based on principles of scien-
tific excellence, transparency and objectivity. There currently appears to be a serious
lack of a critical academic mass subscribing to these principles, which raises the
question of possible solutions and actions?
Forth, and as a response to the aforementioned question on what to do, we plead
for science activism. We plead for it when objectively choosing our research topics
and research questions, when opting for trendy or fund worthy instead of socially re-
sponsible or impactful, when publishing full-fledged findings in journals with high
impact factors rather that presenting first findings to the public and the media. All of
these (and many more) are objectives that can be well-balanced and co-exist in har-
mony. And all of them build upon the firm belief that academic freedom is a funda-
mental right, but that it comes with responsibilities and obligations towards the aca-
demic community and the society it is embedded in. Detecting and analysing any
given problem, as well as providing for solutions is good. However, making sure
the problem gets solved is even better. That is how I understand science activism
and here I believe to have discovered for myself and practically tested the huge hid-
den potential of science activism and academic freedom. Admittedly, I have so far
only managed to scientifically detect and roughly analyse the problem. I am far
from having provided full-fledged answers for its actual solution. However, I am al-
ready on the (right) way of making sure it gets solved.
538 Anna-Maria Getoš Kalac

This criminological investigation and the here presented first findings on the phe-
nomenology and aetiology of (cyber) bullying by faceless bureaucracy in the domain
of public research funding, will hopefully be one of the finer examples of the great
scientific and personal influence my patron has had on my academic development. It
would be inappropriate to designate him simply as my mentor, since his role, in its
very essence, is undoubtably more that of a benevolent patron, than that of an inci-
dental mentor. Whoever had the privilege of working with or for him knows that
Hans-Jörg Albrecht is not the lovely kind of mothering accomplished colleague,
who would take you by the hand and lead you through the great plains of criminol-
ogy-land or, for that matter, do any kind of planning or thinking for you, let alone
instead of you. By supporting and protecting me whenever needed, while simultane-
ously allowing me to academically grow up freely and autonomously, he has in fact
raised me to become the academic I am today. He equipped me with the tools for
detecting seemingly hidden deviances and thus empowered me to ask provocative
research questions, even when others won’t. Finally, his patronage has allowed
me to relatively fearlessly stand my scientific and academic grounds, regardless
of pragmatic conveniences or potentially harmful consequences. I only wish more
fellow academics in this part of Europe and from CSF could have enjoyed such pa-
tronage and the privilege of being raised by truly living academic freedom – the topic
of this paper surely would have been another one.

References

Aebi, M.F. & Linde, A. (2016): Long-Term Trends in Crime: Continuity and Change, in:
P. Knepper & A. Johansen (eds.), The Oxford Handbook of the History of Crime and Criminal
Justice. New York, 57 – 87.

Corcoran, L., Mc Guckin, C. & Prentice, G. (2015): Cyberbullying or Cyber Aggression? A


Review of Existing Definitions of Cyber-Based Peer-to-Peer Aggression. Societies 5/2,
245 – 255.

Cybercrime Convention Committee (2018): Mapping study on cyberviolence. Strasbourg;


https://rm.coe.int/t-cy-2017-10-cbg-study-provisional/16808c4914 [17. 01.2020].

European Agency for Safety and Health at Work (2010): Workplace Violence and Harassment:
a European Picture. Luxembourg.

European Commission (2018): A credible enlargement perspective for and enhanced EU en-
gagement with the Western Balkans, COM (2018) 65 final, 06. 02. 2018. Strasbourg.

Glaser, E. (2015): Bureaucracy: why won’t scholars break their paper chains? Times Higher
Education; https://www.timeshighereducation.com/features/bureaucracy-why-wont-schol
ars-break-their-paper-chains/2020256.article [05. 01. 2020].

Graeber, D. (2015): The Utopia of Rules: On Technology, Stupidity and the Secret Joys of Bu-
reaucracy. New York; https://libcom.org/files/David_Graeber-The_Utopia_of_Rules_On_
Technology_St.pdf [05. 01. 2020].
(Cyber) Bullying by Faceless Bureaucracy in Research Funding 539

Greenfield, P. & Yan, Z. (2006): Children, adolescents, and the Internet: A new field of inquiry in
developmental psychology. Developmental Psychology 42/3, 391 – 394.
Heitmeyer, W. & Hagan, J. (2002): Gewalt. Zu den Schwierigkeiten einer systematischen inter-
nationalen Bestandsaufnahme, in: W. Heitmeyer & J. Hagan (Hrsg.), Internationales Hand-
buch der Gewaltforschung. Wiesbaden, 15 – 25.
HINA (15. 12. 2019): Skandal u znanstvenoj zajednici: Voditelji projekata žale se na kiberne-
tičko zlostavljanje, kažu da su ’poniženi hrpom budalaština’ by Ivo Lučić; www.tportal.hr/
vijesti/clanak/skandal-u-znanstvenoj-zajednici-voditelji-projekata-zale-se-na-kiberneticko-
zlostavljanje-kazu-da-su-ponizeni-hrpom-budalastina-20191215 [19. 02. 2020].
HINA (12. 01. 2020): Nova epizoda skandala s kibernetičkim zlostavljanjem: Burne reakcije
uglednih znanstvenika, javila se i ministrica Divjak by Ivo Lučić; www.tportal.hr/vijesti/cla
nak/nova-epizoda-skandala-s-kibernetickim-zlostavljanjem-burne-reakcije-uglednih-znanst
venika-javila-se-i-ministrica-divjak-foto-20200112 [19. 02. 2020].
Imbusch, P. (2002): Der Gewaltbegriff, in: W. Heitmeyer & J. Hagan (Hrsg.), Internationales
Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, 26 – 57.
Institut društvenih znanosti Ivo Pilar (2018): Kamo ide hrvatski znanstvenoistraživački sustav:
prema racionalnoj reformi ili prema entropiji i urušavanju? Zagreb; www.pilar.hr/wp-con
tent/uploads/2018/03/Izvjesce.pdf [27. 11. 2019].
Jackson, L. (2018): Reconsidering vulnerability in higher education. Tertiary Education and
Management 24, 232 – 241; DOI: 10.1080/13583883.2018.1439999.
Martin, B.R. (2016): What’s happening to our universities? Prometheus 34/1, 7 – 24.
Meyer, T. (2002): Politische Kultur und Gewalt, in: W. Heitmeyer & J. Hagan (Hrsg.), Interna-
tionales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, 1195 – 1214.
Münch, R. (2016): Academic Capitalism. Oxford Research Encyclopedia of Politics; https://ox
fordre.com/politics/view/10.1093/acrefore/9780190228637.001.0001/acrefore-97801902286
37-e-15 [03. 01. 2020].
Nadelmann, B. (1997): Gewaltsoziologie am Scheideweg. Die Auseinandersetzungen in der ge-
genwärtigen und Wege der künftigen Gewaltforschung, in: T. v. Trotha (Hrsg.), Soziologie
der Gewalt. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 37, 59 – 85.
Nehring, D. (2016): The Deskilled Academic: Bureaucracy Defeats Scholarship. Social science
space; www.socialsciencespace.com/2016/02/the-deskilled-academic-bureaucracy-defeats-
scholarship/ [03. 01. 2020].
Pejić, J. (2019): All Western Balkan countries need “Priebe Reports” to measure state capture.
European Western Balkans – Centre for Contemporary Politics, 08. 02. 2019. Belgrade;
https://europeanwesternbalkans.com/2019/02/08/priebe-report-state-capture-western-bal
kans/ [22. 02. 2020].
Perry, V. & Keil, S. (2018): The Business of State Capture in the Western Balkans: An Introduc-
tion. Southeastern Europe 42/1, 1 – 14.
Popitz, H. (1992): Phänomene der Macht. Tübingen.
Richter, S. & Wunsch, N. (2020): Money, power, glory: the linkages between EU conditionality
and state capture in the Western Balkans. Journal of European Public Policy 27/1, 41 – 62.
540 Anna-Maria Getoš Kalac

Slaughter, S. & Rhoades, G. (2004): Academic Capitalism and the New Economy: Markets,
State, and Higher Education. Baltimore.
Suler, J.R. (2004): The Online Disinhibition Effect. CyberPsychology & Behavior 7/3, 321 –
326.
Suler, J.R. (2016): Psychology of the digital age: Humans become electric. Cambridge.
Sundhaussen, H. (2014): The Balkan Peninsula: A Historical Region Sui Generis, in: A.-M. Ge-
toš Kalac, H.-J. Albrecht & M. Kilchling (eds.), Mapping the Criminological Landscape of
the Balkans: A Survey on Criminology and Crime with an Expedition into the Criminal Land-
scape of the Balkans. Berlin, 3 – 22.
Tokunaga, R.S. (2010): Following you home from school: A critical review and synthesis of
research on cyberbullying victimization. Computers in Human Behavior 26/3, 277 – 287.
UN Broadband Commission (2015): Cyber Violence against Women and Girls: A world-wide
wake-up call; https://www.unwomen.org/~/media/headquarters/attachments/sections/library/
publications/2015/cyber_violence_gender%20report.pdf?v=1&d=20150924T154259
[17. 02. 2010].
Vejmelka, L., Strabić, N. & Jazvo, M. (2017): Online aktivnosti i rizična ponašanja adolescenata
u virtualnom okruženju. Društvena istraživanja: journal for general social issues 26/1, 59 –
78.
Vrielinka, J., Lemmens, P. & Parmentier, S. (2011): Academic Freedom as a Fundamental Right.
Procedia Social and Behavioral Sciences 13, 117 – 141.
III. Strafe und Strafzumessung –
Punishment and Sentencing
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht
von Hans-Jörg Albrecht
Von Albin Eser

1. Einführung
Wenn man für einen Festschriftbeitrag zum 70. Geburtstag eines Kollegen, mit
dem man viele Jahre in der Leitung eines Forschungsinstituts tätig war, ein beider-
seits einschlägiges Themenfeld finden möchte, liegt es im Falle von Hans-Jörg Al-
brecht nahe, im Bereich von Straftheorien auf die Suche zu gehen. Seinerseits war
aus kriminologischer Sicht schon bei seiner Freiburger Dissertation zur Strafzumes-
sung bei Geldstrafen1 an Straftheorien nicht vorbeizukommen, und dies noch weni-
ger bei seiner Freiburger Habilitation zur Strafzumessung bei schwerer Kriminalität.2
Auch meinerseits ließ sich aus strafrechtlicher Sicht kaum ein Problem voll erfassen,
ohne dabei letztlich nicht auch Sinn und Zweck von Strafe im Blick zu haben.3
Schaut man allerdings etwas genauer hin, drängt sich bei Albrecht ein reservierter
Eindruck auf – so als ob er sich straftheoretisch nicht so recht festlegen wollte. Nicht
als ob sich überhaupt eine Straftheorie „aus einem Guss“ entwickeln ließe oder diese
gar in „axiologischer Geschlossenheit“ zu konzipieren sei.4 Doch wie schon in einer
Rezension seines Hauptwerks zu Strafzumessung bei schwerer Kriminalität be-
merkt, bleibe Albrecht straftheoretisch selbst bei seiner Stellungnahme zu der für
sein Strafzumessungsmodell wesentlichen Tatproportionalität im Ergebnis unent-
schieden.5 Umso reizvoller erscheint es, gleichsam im Sinne einer Spurensuche
der Frage nachzugehen, ob er nicht doch ein gewisses Grundverständnis von Strafe
im Hinterkopf hatte, ohne dieses jedoch in einer Gesamtschau darstellen zu wollen,
um sich nicht vorschnell in eine bestimmte Richtung festlegen zu lassen.
Zu diesem Rekonstruktionsversuch sind aber gleich einige Vorbehalte zu machen.
Das betrifft vor allem die Wahl und Zahl der in dieser Untersuchung berücksichtigten
1
Albrecht 1980.
2
Albrecht 1994.
3
Zu meinem eigenen grundsätzlichen Verständnis vom Sinn und Zweck der Strafe vgl.
unten Abschnitt 10 mit Nachweisen in den Fn. 88 ff.
4
Wie Letzteres von Pawlik (2004, 53) gefordert, jedoch in der – soweit ersichtlich – wohl
jüngsten monographischen Analyse von Straftheorien von Hörnle (2011, 2 bzw. 4) in beiderlei
Hinsicht zu Recht infrage gestellt wird.
5
Streng 1997, 184.
544 Albin Eser

Publikationen von Albrecht. Da diese, wie aus seinem Schriftenverzeichnis zu ent-


nehmen, sehr zahlreich sind und darunter möglicherweise nur wenige wären, in
denen nicht irgendwelche strafrelevanten Aspekte angesprochen sein könnten, war
nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf den hier vorgegebenen Rahmen eine Auswahl
zu treffen. In diese wurden neben seinen bereits genannten Hauptwerken zur Straf-
zumessung6 nur solche Schriften einbezogen, die sich, wie sein Wörterbuchartikel
zur Generalprävention7, ganz speziell mit einer bestimmten Straftheorie befassen
oder bei denen von ihrem Titel her gewisse straftheoretische Aussagen zu erwarten
waren – was nicht ausschließt, dass man auch bei anderen seiner Publikationen hätte
fündig werden können. Ein zweiter Vorbehalt ist in disziplinärer Hinsicht zu machen:
Soweit es um empirische Daten und Analysen geht, und das ist nun einmal die Kern-
kompetenz und Sichtweise von Albrecht, ist meinerseits mangels eigener Sachkunde
Zurückhaltung geboten – weswegen von mir gezogene Schlussfolgerungen aus sei-
ner primär empirischen Herangehensweise nicht zweifelsfrei sein mögen. Wenn des
Weiteren im Titel dieses Beitrags das Reflektieren von Straftheorien aus der Sicht
von Albrecht angesagt ist, soll dies nicht etwa in Form einer Gegenüberstellung sei-
nes Strafverständnisses mit einer kaum noch überschaubaren Theorievielfalt gesche-
hen, sondern weitaus bescheidener in der Weise, dass ich einige seiner straftheore-
tischen Positionen zu eruieren und zu überdenken versuche – woraus sich auch er-
klären mag, dass bei dieser Art von Zwiegespräch – unter Verzicht auf den ohnehin
untauglichen Versuch einer Gesamtpräsentation einschlägiger Literatur – vornehm-
lich eigene Auffassungen zu Wort kommen sollen.
Auch was den dabei anzusprechenden Stoff betrifft, ist in diesem Rahmen eine
Auswahl zu treffen. Beginnend mit der Suche nach der vermutlichen Grundeinstel-
lung von Albrecht zu Straftheorien (2.) sowie zu Begriff, Inhalt und Zweck der Strafe
(3.) sind das Strafziel des Rechtsgüterschutzes (4.) sowie seine Ablehnung von Abo-
litionismus (5.) und Vergeltungsstrafrecht (6.) näher zu beleuchten, gefolgt von sei-
nen Einschätzungen von Generalprävention (7.), Spezialprävention (8.) und den von
Strafbegründungstheorien zu unterscheidenden Strafzumessungstheorien (9.). Ab-
schließend sei mein eigenes Strafverständnis zusammenfassend gegenübergestellt
(10.).

2. Grundeinstellung zu Straftheorien
Wie schon angedeutet, erschien es Albrecht offenbar nicht geboten, eine eigene
„Straftheorie“ zu entwickeln. Das soll nicht heißen, dass er sich jeder Äußerung
zu Sinn und Zweck der Strafe enthalten hätte, ist doch selbst bei einer empirischen
Arbeit zur Strafzumessung kaum daran vorbeizukommen, sich zu deren Zielsetzung
zu verhalten; wohl aber hat er – im Unterschied zu sonst üblichen Vorgehensweisen –

6
Albrecht 1980 und 1990.
7
Albrecht 1985 und 1993.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 545

davon abgesehen, seine straftheoretischen Vorstellungen in geschlossener Form vor-


anzustellen, um sie stattdessen dort einzubringen, wo sie für die Lösung einer Frage
relevant erscheinen. Als Beispiel für das Bestreben, auf diese Weise nicht in mögli-
cherweise unnötige Theoriediskussionen hineingezogen zu werden, kann bereits die
aus seiner Dissertation hervorgegangene Untersuchung zur Strafzumessung bei
Geldstrafen dienen, in der auf bestimmte Strafzwecke nur insoweit eingegangen
wird, als sich damit im Rahmen des „kriminalpolitisch funktionalen und legitimier-
baren Anwendungsbereichs“ der seinerzeit bemerkenswerte Übergang von der Frei-
heitsstrafe zur Geldstrafe erklären lässt.8 Auch wenn in der aus seiner Habilitations-
schrift hervorgegangenen Untersuchung zur Strafzumessung bei schwerer Krimina-
lität weitaus umfangreicher auf Straftheorien eingegangen wird, geschieht dies nicht
um ihrer selbst willen, sondern um damit die „normativen Grundlagen der Strafzu-
messung“ abzustecken9 – wobei selbst hier relevante Theorien oft nur präsentierend
statt sich dezidiert dazu positionierend.
Fragt man nach möglichen Gründen dieser – anders als bei Kriminalitätstheorien
jedenfalls straftheoretisch zu beobachtenden – Zurückhaltung, liegen zwei Erklärun-
gen nahe: zum einen die mehrfach beklagte Krise der Straftheorien, die noch nicht
zur Ruhe gekommen seien,10 und zum anderen die notwendige Unterscheidung zwi-
schen Straftheorien und Strafzumessungstheorien11 – wobei sich aus Ersteren, da zu-
vörderst für die gesetzliche Strafandrohung relevant, nicht ohne weiteres Vorgaben
für die richterliche Strafverhängung ableiten ließen.12

3. Begriff, Inhalt und Zweck der Strafe


Genau besehen hält sich Albrecht vornehmlich nur bei Festlegungen zu Strafzwe-
cken zurück, und selbst da nicht in jeder Hinsicht. Soweit es nämlich um den häufig
zu wenig beachteten Unterschied zwischen Begriff, Inhalt und Zweck der Strafe geht,
wird von ihm deren Differenzierungsbedürftigkeit betont.13 Da begrifflich mit Strafe
nicht mehr gesagt werde, als dass sie „ein Übel zu sein habe, das auf Kosten des

8
Albrecht 1980, 8 ff.
9
Albrecht 1994, 18 ff.
10
Albrecht 1994, 3, 5.
11
Albrecht 1994, 23 ff. bzw. 37 ff.; vgl. auch S. 4 zur Mehrdimensionalität der Strafzu-
messung.
12
Gerade wenn aber dem so ist, nämlich die für die Strafzumessung im Einzelfall we-
sentlichen Zwecke andere als die für die allgemeine Strafandrohung erforderlichen sein kön-
nen, mag verwundern, dass P.-A. Albrechts „Drei-Säulen-Theorie“ (1985, 832 f.), wonach für
die einzelnen Stationen der gesetzlichen Strafandrohung, der strafprozessualen Strafverhän-
gung und des Strafvollzugs jeweils unterschiedliche theoretische Akzentuierungen denkbar
sind, von Albrecht zurückgewiesen wird (1994, 31). Vgl. dazu auch unten 10.
13
Albrecht 1994, 25 ff.
546 Albin Eser

Rechtsbrechers gehen müsse oder einen Eingriff in dessen Rechtsgüter darstelle“,14


sei damit weder etwas über ihren Zweck (der kriminalpolitisch von absoluten bis zu
relativen Konzeptionen reichen könne) noch über ihren Inhalt (als Freiheitsbeschrän-
kung oder Entzug materieller Ressourcen) ausgesagt,15 wobei hinzugefügt sein mag,
dass Zweck und Inhalt der Strafe hinsichtlich Androhung, Verhängung und Vollzug
unterschiedlich sein können, während sie begrifflich auf allen Ebenen dieselbe
bleibt.
Worin sich sein Strafverständnis zudem von dem anderer abhebt, ist die Betonung
ihrer staatlich-gesellschaftlichen Kontingenz: „Was Strafe meint, wie Strafe verstan-
den werden kann, lässt sich ohne Rückgriff auf die staatliche Verfassung und den
Stand der Vergesellschaftung nicht beantworten. Strafe ist offensichtlich, wird ihr In-
halt betrachtet, Eingriff und Leistung. Dabei geht es jedoch nicht nur um denjenigen,
den die Strafe trifft. Vielmehr handelt es sich auch um Eingriffe und Leistungen, die
die Gesellschaft insgesamt betreffen“.16 Diese Beschreibung erscheint mir in zwei-
erlei Hinsicht bedeutsam: zum einen insoweit, als durch Mitberücksichtigung der
Einbußen der Gesellschaft – neben denen des Täters – bereits der Begriff der Strafe
(und nicht nur deren Inhalt) eine überindividuelle Öffnung erfährt,17 und zum ande-
ren dahingehend, dass dadurch auch die soziale Dimension der Strafzwecke erweitert
wird.18

4. Strafziel Rechtsgüterschutz
Bei den im Einzelnen zu betrachtenden Strafzwecken, aus denen die wie auch
immer gestaltete Strafe ihre Legitimation beziehen und als dementsprechende
„Straftheorie“ zu verstehen sein soll, könnte es nahe liegen, in klassischer Weise zwi-
schen absoluten und relativen Theorien differenzierend vorzugehen. Aber nicht nur,
dass diese Unterscheidung fragwürdig erscheint, kann doch selbst bei einem schein-
bar zweckfreien „punitur quia peccatum est“ in dem damit verfolgten Schuldaus-
gleich ein Zweck gesehen werden,19 weswegen Albrecht nicht ohne Grund wohl
14
Albrecht 1994, 27; vgl. auch Albrecht 2015a, 8, wonach “penal sanctions have a unique
potential of inflicting pain, exerting power and serving as a regulatory instrument in the moral
economy of a society“.
15
Albrecht 1994, 26 f.
16
Albrecht 1994, 28.
17
Wobei hinsichtlich der gesellschaftlichen Kosten zu Recht auch immer wieder an die
„Ökonomie der Strafe“ erinnert wird (vgl. Albrecht 1980, 12 f.; 1994, 10, 54 f.; 2001, 297,
310 ff.; 2008, 131, 135; 2015a, 10, 14) und neben dem Täter und der Gesellschaft auch an das
Opfer zu denken ist (Albrecht 2008, 129).
18
Wie insbesondere hinsichtlich der Entlastungsfunktion des Strafrechts dargetan (Al-
brecht 2008).
19
Wobei allerdings insofern ein Unterschied bleibt, als es bei Bestrafung wegen der Tat um
rückwärtsgewandte Vergeltung geht, während ein „punitur nec peccetur“ auf die Verhinderung
künftiger Taten ausgerichtet ist: vgl. Eser 1992, 10.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 547

auch in Bezug auf absolute von „verdeckt-relativen“ Straftheorien sprechen kann.20


Vielmehr wäre bei einer Ausbreitung des Theorienstreits an dieser Stelle auch vieles
vorzutragen, wozu Albrecht nicht abschließend Stellung bezogen hat bzw. was in den
nachfolgenden Abschnitten noch zur Sprache kommen wird. Deshalb sollen hier di-
rekt jene Strafbegründungen angesprochen werden, zu denen er sich dezidiert posi-
tioniert hat. Das ist zum einen der Rechtsgüterschutz und zum anderen die Gleich-
mäßigkeit des Strafens.
Da es bei der Herstellung von Gleichbehandlung im Strafen um ein Postulat rich-
terlicher Strafverhängung und administrativen Strafvollzugs geht, wird darauf in
dem der Strafzumessung gewidmeten Abschnitt (9) näher einzugehen sein. Soweit
es dagegen um Rechtsgüterschutz geht, ist bereits die gesetzliche Strafandrohung an-
gesprochen.
Während Rechtsgüterschutz als Legitimationsgrund staatlichen Strafens im Zu-
sammenhang mit generalpräventiven Erwägungen zwar auch schon in früheren sei-
ner Arbeiten anklingt,21 findet sich dies, soweit ersichtlich, doch erst in neueren Ver-
öffentlichungen derart explizit postuliert: „Criminal punishment serves solely [!] the
goal of protecting fundamental individual and collective interests and draws its legi-
timacy [!] and acceptance from preventing damage to such interests“22 bzw. kürzer
gefasst: „Criminal law is […] justified solely [!] by the task of prevention of crime
and protection of ,legal goods‘ (Rechtsgüterschutz)“23. Davon ausgehend, dass Al-
brecht mit diesen Zitaten nicht nur den „viewpoint of modern criminal law and cri-
minal law doctrine“24 wiedergeben, sondern sich auch selbst damit identifizieren
wollte, erweisen sich aus der Proklamierung des Rechtsgüterschutzes als einzigem
Legitimationsgrund staatlichen Strafens zwei weitere straftheoretische Positionen
als folgerichtig: einerseits die Entkräftung von Abolitionismus und andererseits
die Verwerfung reinen Vergeltungsstrafrechts.

5. Abolitionismus
Obgleich sich bei Abfassung seiner Hauptwerke zur Strafzumessung unter dem
Schlagwort „Abolitionismus“ das Strafrecht von Grund auf in Frage gestellt sah,25
hat sich Albrecht von Forderungen nach Alternativen oder gar den Verzicht auf Straf-
recht nicht sonderlich beeindrucken lassen. So ist in seiner Dissertation zur Geldstra-
fe (1980), sofern nicht übersehen, von Abolitionismus überhaupt keine Rede, und in
seiner Habilitationsschrift zu schwerer Kriminalität (1994) nur insofern als er „abo-
20
Albrecht 1994, 26.
21
Wie etwa in Albrecht 1995, 17 f. zu „Rechtsgüterschutz durch Generalprävention“.
22
Albrecht 2015a, 9.
23
Albrecht 2018, 196.
24
Albrecht 2015a, 9.
25
Vgl. den kritischen Überblick von Kaiser 1996, 191, 284 ff., 132, 126 f.
548 Albin Eser

litionistischen Strömungen“ zwar erhebliche Auswirkungen auf die Theorie der Re-
sozialisierung und das Präventionskonzept zugesteht, diese jedoch ohne dramatische
Folgen geblieben seien.26 Offenbar hielt er es zu jener Zeit nicht für nötig, die Exis-
tenzberechtigung des Strafrechts ausdrücklich zu begründen: Bei aller Kritik an des-
sen Zustand erschienen ihm lediglich Verbesserungen erforderlich.
Diese Skepsis klingt auch in seinen weiteren einschlägigen Veröffentlichungen
durch, wie vor allem dort, wo es die Unentbehrlichkeit des Strafrechts gegen dessen
angebliche Ersetzbarkeit durch zivilistische Restitution oder private Konfliktbewäl-
tigung zu verteidigen galt. Dabei offensichtlich von Rechtsgüterschutz als Grundziel
des Strafrechts ausgehend, gesteht er in seinen – erkennbar Ignoranz monierenden –
„Antworten auf nicht gestellte Fragen“ zu „restorative justice“27 den verschiedenen
Formen von Wiedergutmachung, Mediation oder Täter-Opfer-Ausgleich zwar
durchaus eine wichtige Ergänzungsfunktion zu,28 doch würde dadurch eine letztmög-
liche Sanktionierung keineswegs entbehrlich. Ohne hier die verschiedenen Krimina-
litätstheorien nachzeichnen zu können, die von Albrecht als unzulänglich entlarvt
werden, um ohne jegliches Strafrecht auszukommen, kommt er zu dem Ergebnis,
dass die „justification of punishment“ als gelöst betrachtet werden könne29 und dem-
zufolge die Frage nur noch lauten könne, „inwieweit belastende Sanktionen [im
Sinne von Strafen] im Inhalt reduziert oder modifiziert werden können, damit die
Normgeltung erhalten bleibt und die Erwartungen gesichert bleiben“.30 Soweit es
beispielsweise um die Ersetzung von Strafe durch Wiedergutmachung gehe,
werde verkannt, dass die vom Täter für den Schadensersatz abverlangten Kosten nie-
mals die durch die Straftat erlangten Vorteile überwiegen würden: „Costs of criminal
behaviour may outweigh its benefits only if the costs exceed the mere elimination of
the acquired benefits.“31 Oder soweit Streitschlichtung als Alternative für Strafe er-
wogen werde, sei deren erfolgreiches Funktionieren „vollständig von dem Vorhan-
densein der Rekursmöglichkeit auf staatliche Streitentscheidung und hiermit verbun-
denem Zwang abhängig“.32 Kurzum: auch wenn „das Strafrecht, die Strafe wie ihre
Anwendung im Einzelfall nur Teil eines Gesamtsystems der Verhaltenskontrolle“

26
Albrecht 1994, 4.
27
Albrecht 2001, 295 ff. Grundlegend zu der – aus seiner damaligen Sicht noch erfor-
schungsbedürftigen, aber eher skeptisch einzuschätzenden – Rolle der Wiedergutmachung im
Strafrecht vgl. bereits Albrecht 1990, 43 ff.
28
Albrecht 2001, 300; in gleichem Sinne auch in einem Beitrag, in dem er „die zentrale
Frage, ob staatliches Strafrecht und staatliche Strafe Entlastung oder Belastung für Täter,
Opfer und Gesellschaft mit sich bringen“, letztlich in ersterem Sinne beantwortet: Albrecht
2008, 128 ff., 144.
29
Albrecht 2001, 305.
30
Albrecht 2008, 141.
31
Albrecht 2001, 301; im gleichen Sinne Albrecht 2008, 133, 136.
32
Albrecht 2008, 143.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 549

darstellen,33 bietet Abolitionismus für Albrecht keine Lösung, vielmehr muss für
wirksamen Rechtsgüterschutz über Wiedergutmachung und Meditationsmaßnah-
men hinaus Strafrecht als letztes Mittel verfügbar bleiben.

6. Vergeltungsstrafrecht
Muss Strafe sein, muss sie doch nicht um ihrer selbst willen sein. Wenngleich
nicht mit diesen Worten, so doch in diesem Sinne stößt auch das entgegengesetzte
Extrem eines reinen Vergeltungsstrafrechts bei Albrecht auf Ablehnung. So sah er
bereits in seiner Dissertation bei der von funktionalen und humanistischen Argumen-
tationsmodellen eingeleiteten und demzufolge von zweckrationalen Zielsetzungen
wie Spezial- und Generalprävention beförderten Ablösung der Freiheitsstrafe
durch die Geldstrafe den „Sinn von Strafe als Selbstzweck“ (oder besser als Aus-
druck „göttlicher Gerechtigkeit“) aufgelöst“.34 Auch soweit es um die (letztlich ver-
neinte) Tauglichkeit von Vereinigungs- und Spielraumtheorien geht, könne eine
„zweckfreie Vergeltung von Schuld“ nicht mehr als tragfähige Begründung von Stra-
fe anerkannt werden.35
Auch wenn er vergeltende Rache als mutmaßlich in Vergessenheit geraten sieht36
und den vor fünf Jahrzehnten namentlich von Ulrich Klug proklamierten „Abschied
von Kant und Hegel“ als angeblichen Protagonisten absoluter Straftheorien wohl
ebenfalls begrüßt hat, findet er dieses „farewell“ neuerdings „remembered with feel-
ings of nostalgia and thoughtfulness“,37 ohne dass allerdings klar zu erkennen wäre,
ob er diesen „punitive turn“38 lediglich registrieren, nicht aber ohne weiteres auch
akzeptieren will. Wie auch immer, soweit er die gegenwärtige Transformierung
des Strafrechts in ein Sicherheitsrecht und in Verbindung damit eine Verlagerung
der Strafziele von Rehabilitation und Integration hin zu mehr Abschreckung und Un-
schädlichmachung zu konstatieren hat,39 geschieht dies nicht ohne kritischen Unter-
ton.

33
Albrecht 1995, 21; vgl. auch Albrecht 2001, 307 f. sowie 2008, 141 f. zur Rolle infor-
meller Regelungsmechanismen, wie insbesondere bei zu befürchtender Ablehnung durch Fa-
milie und Freundeskreis (Albrecht 1993, 162 f.), neben dem staatlichen System der Rechts-
durchsetzung. Eingehend neuerdings zu strafrechtlicher Sozialkontrolle Albrecht 2016.
34
Albrecht 1980, 8 f.
35
Albrecht 1994, 29 f.
36
Albrecht 2008, 139.
37
Albrecht 2018, 196.
38
Näher zu dessen Art und Ausmaß, vor allem im Vergleich mit der Entwicklung in den
USA, vgl. Albrecht 2017, 186 f., 189 f., 193 ff.
39
Albrecht 2015a, 18 ff.; 2018, 196 ff.
550 Albin Eser

7. Generalprävention
Obwohl historisch betrachtet die Überwindung absoluter Straftheorien durch Prä-
ventionsmodelle ganz wesentlich von spezialpräventiven Zielsetzungen ausgegan-
gen ist,40 sei hier mit Albrechts Darstellung der Generalprävention begonnen – als
übrigens der einzigen in einem eigenen Wörterbuchartikel präsentierten Straftheo-
rie.41 Während die Spezialprävention naturgemäß mehr die Einwirkung auf den ein-
zelnen Straftäter zum Ziel hat und demzufolge vornehmlich für die Strafverhängung
und den Strafvollzug bedeutsam ist, spielt die Generalprävention schon für die Straf-
androhung die Hauptrolle. Wie allgemein angenommen, sieht auch er „die kriminal-
politische Entscheidung, bestimmte Verhaltensweisen überhaupt unter die Andro-
hung staatlicher Strafe zu stellen, sowie die Festlegung der Strafrahmen durch
Rechtsgüterschutzerwägungen und damit auch durch generalpräventive Gründe be-
stimmt“.42 Auch geht es dabei mittlerweile nicht nur um den Schutz vor effektiven
Rechtsgutsverletzungen, vielmehr stellte er schon vor der heutigen Sicherheits-
rechtsdiskussion einen Wandel des modernen Strafrechts von einem Erfolgs- zu
einem Risikostrafrecht fest.43
Auch wenn in gewohnten Bahnen zwischen negativer Abschreckungsprävention
und positiver Integrationsprävention unterscheidend,44 zeichnet sich Albrechts Ana-
lyse sowohl durch dogmatische Vertiefung als auch durch sozialwissenschaftliche
Beleuchtung aus. Ersteres gilt etwa für das Verhältnis von Schuld und Generalprä-
vention45 und die generalpräventive Deutung der für die Strafverhängung zu berück-
sichtigenden „Verteidigung der Rechtsordnung“,46 während als sozialwissenschaft-
lich erhellend vor allem die Differenzierung zwischen einer Makro- und einer (seit
den 70er Jahren dahin tendierenden) Mikroebene der Abschreckung zu nennen ist
und dabei nach dem Modell des „homo oeconomicus“ auch an Verfolgungs- und Ver-
urteilungswahrscheinlichkeit orientierte Kosten-Nutzen-Erwägungen eine wichtige
Rolle spielen.47 Danach zu vollziehende Bilanzierungen lassen sich aus negativ ab-
schreckend-generalpräventiver Sicht nicht zuletzt auch einer abolitionistischen Er-
setzung von Strafe durch Restitution entgegenhalten, überwiegen die Kosten der
Straftat deren Nutzen doch erst dann, „wenn die Reaktion auf die Straftat mehr
sein kann als bloßer Nutzenwegfall“.48 Was zum anderen die positiv normstabilisie-
rend-generalpräventive Komponente betrifft, wird wiederholt für wichtig erachtet,
40
Albrecht 2008, 139 mit Verweis auf das kriminalpolitische Programm von Franz v. Liszt.
41
Albrecht 1985 bzw. 1993; eine gewisse Sonderbehandlung haben allerdings auch die
„restorative justice“ (Albrecht 2001) und die Resozialisierung (Albrecht 2015b) erfahren.
42
Albrecht 1993, 157.
43
Albrecht 1995, 18.
44
Albrecht 1993, 157 f.; 1994, 63; 1995, 17 f.
45
Albrecht 1994, 32 ff.
46
Albrecht 1994, 25, 63 f., 79 ff.; vgl. auch Albrecht 1980, 192 f.
47
Albrecht 1993, 158 ff.; 1994, 64 f.
48
Albrecht 2008, 136.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 551

dass die Normgeltung erhalten bleibt und die trotz Verletzung daran geknüpften Er-
wartungen der rechtstreuen Bevölkerung gesichert bleiben.49
Da derart essentiell für den Rechtsgüterschutz, muss die Feststellung, „eine em-
pirische Theorie der Generalprävention gibt es nicht“, weswegen man sich mit mehr
oder weniger gut belegten kriminalpolitischen Hypothesen begnügen müsse,50 für
Albrecht frustrierend gewesen sein. Aber könnten die empirischen Methoden und
die daran geknüpften Erwartungen, wenn mir dies als Strafrechtler zu hinterfragen
erlaubt sei, nicht auch überspannt sein? Selbst wenn sich mit keiner der von ihm über-
prüften Theorien, wie insbesondere auch anhand der Todesstrafe dargetan,51 ein-
wandfrei generalpräventive Wirkungen nachweisen lassen, könnte da nicht schon
die Alltagserfahrung, dass sich Verkehrsverhalten ändert, wenn für Verstöße Strafe
angedroht wird, dass Steuerehrlichkeit erhöht wird, wenn im Falle der Entdeckung
mit öffentlicher Ahndung zu rechnen ist, dass die Androhung lebenslanger Freiheits-
strafe zwar nicht jeden, aber wenigstens den einen oder anderen Mord zu verhindern
vermag, kurzum: könnten nicht schon solche, gleichsam auf der Hand liegende Be-
funde genügen, um der Strafandrohung einschließlich ihrer zu erwartenden Verhän-
gung einen – und sei es auch nur begrenzten und durch informelle Mechanismen so-
zialer Kontrolle zu ergänzenden52 – Effekt zu attestieren, und zwar sowohl in ab-
schreckender als auch in normstabilisierender Richtung?

8. Spezialprävention
Ist mit Spezialprävention „die Einwirkung auf einen Straftäter mittels strafrecht-
licher Sanktionen“ gemeint,53 so hebt sie sich von der Generalprävention in zweierlei
Hinsicht ab: Während diese primär an die Allgemeinheit gerichtet ist und insoweit
vor allem zukunftsgerichtet zur Legitimierung der gesetzlichen Strafandrohung
dient, ist Adressat der Spezialprävention der einzelne Straftäter, und zwar einerseits
eher rückwärtsgewandt, da an eine bereits begangene und abgeurteilte Tat anknüp-
fend und demzufolge mehr für die richterliche Strafverhängung bedeutsam, anderer-
seits aber auch vorwärtsgewandt, da durch Einflussnahme auf den Verurteilten auf
die Verhinderung künftiger Straftaten ausgerichtet. Dieses Ziel lässt sich nach Al-
brecht in drei Ansätzen verfolgen: indem die Erinnerung an die erlittene Strafe als

49
Albrecht 1994, 63 f.; 1995, 17 f.; 2001, 305; 2008, 141; vgl. aber auch Albrecht 1980, 9 –
mit Verweis auf Popitz – zu der für die Integrationsfunktion nicht unwesentlichen Rolle des
Dunkelfelds und der nur selektiven Verhängung von Freiheitsstrafe.
50
Albrecht 1993, 158 ff.; vgl. allerdings auch Albrecht 1994, 67 ff. zu präventiven Folgen
von Strafrecht und Strafe, bzw. 1980, 37 zum Mangel an empirischen Untersuchungen zur
Geldstrafe.
51
Albrecht 2013; zu meiner eigenen Verwerfung der Todesstrafe vgl. Eser 1995, 17 ff.;
2007, 2435 f.
52
Vgl. oben zu Fn. 33.
53
Albrecht 1995, 16.
552 Albin Eser

Warnung dienen soll, indem der Verurteilte durch Erziehung, Behandlung oder Re-
sozialisierung eine Besserung erfahren soll, und indem Prävention durch Sicherung
und Abschreckung erreicht werden soll.54 Insofern hat auch die Spezialprävention
eine positive und eine negative Zielsetzung, sodass Albrecht, ohne allerdings die der-
art differenzierende Kennzeichnung zu verwenden, auch von Spezialprävention in
„rehabilitativem und abschreckendem Sinn“ sprechen kann.55
Von diesen spezialpräventiven Zielsetzungen haben insbesondere die verfas-
sungs- und menschenrechtlichen Grundlagen der Resozialisierung seine eindringli-
che Aufmerksamkeit erfahren.56 Ausgehend von der wegweisenden Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der durch eine lebenslange Frei-
heitsstrafe ohne Entlassungsmöglichkeit den Art. 3 der EMRK verletzt sah57 – wobei
er sich nicht zuletzt auf die bereits vorausgegangene Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts stützen konnte, wonach ein Straftäter „die Chance erhalten (müsse),
sich nach Verbüßung der Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen“58 –, ver-
mag Albrecht in dem damit eingeräumten „Anspruch auf Resozialisierung“59 keinen
direkt durchsetzbaren rechtlichen Anspruch zu erblicken, könne ein solcher doch
nicht einmal ansatzweise in Form von die Resozialisierung sicher herbeiführenden
Programmen und Maßnahmen konkretisiert werden.60 Auch im Europa- und Völker-
recht, wenngleich am Ziel der Befähigung zu einem selbstverantwortlichen Leben
und an der Wiedereingliederung orientiert, sei „kein ausdrücklich anerkanntes
Recht auf Resozialisierung“ zu finden.61 Gleichwohl verlange aber das aus den Frei-
heits- und Persönlichkeitsrechten der Art. 1 und 2 des Grundgesetzes entnommene
Bild eines „freien und zu selbstverantwortlichem Handeln fähigen Menschen“ –
und somit über bloßen „Schutz vor indoktrinierender Behandlung“ hinaus – „eine
Gestaltung des Vollzugs, die die noch vorhandenen Fähigkeiten zu selbstverantwort-
lichem Handeln nicht über das durch die Freiheitsentziehung notwendigerweise be-
dingte Maß hinaus beeinträchtigt, ferner eine Gestaltung, die den Erhalt und die Ent-
wicklung dieser Fähigkeiten fördert“.62
Was die Effizienz spezialpräventiver Bemühungen betrifft, waren wegen des dies-
bezüglichen Mangels an empirischen Untersuchungen63 keine belastbaren Befunde

54
Albrecht 1995, 16.; vgl. auch Albrecht 1994, 65 f., wo zwischen Abschreckungs-, Re-
habilitations- und Sicherungsprävention differenziert worden war.
55
Albrecht 1980, 13; vgl. auch Albrecht 1994, 65.
56
Albrecht 2015b.
57
EGMR, Urteil vom 9. Juli 2013 – Vinter v. Vereinigtes Königreich, Az. 66069/09, 130/
10, 3896/10.
58
BVerfGE 98, 169 (200).
59
BVerfGE 45, 187 (239).
60
Albrecht 2015b, 26.
61
Albrecht 2015b, 31 ff.
62
Albrecht 2015b, 27.
63
Vgl. Albrecht 1980, 32 ff., 43 f.; 1994, 66 ff., 156 ff., 475 ff.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 553

zu erwarten. Wie gleichwohl angesichts der in den siebziger Jahren zu konstatieren-


den Krise insbesondere des spezialpräventiven Strafrechts nicht zu verkennen,64 sah
Albrecht „die optimistische Grundhaltung, die mit einer resozialisierenden Ausge-
staltung und der präventiven Bemessung der Strafe einstmals verbunden war“, abge-
löst durch „zunehmenden Pessimismus im Hinblick auf die Gestaltungskraft des
Strafrechts insgesamt wie im Hinblick auf das präventive Potenzial der Einzelstra-
fe“.65 Umso erfreulicher ist der Optimismus, mit dem er 20 Jahre später „das krimi-
nalpolitische Projekt der Resozialisierung [als] nicht untergegangen“ findet. Aller-
dings gehe es dabei nicht mehr um eine eng verstandene Resozialisierung im
Sinne rückfallreduzierender Maßnahmen als vielmehr um „das Recht auf einen frei-
heits- und inklusionsbestimmten Vollzug von Sanktionen“, wobei nicht zuletzt „die
Einbeziehung von Opfer, Wiedergutmachung und Versöhnung in Konzepte der Wie-
dereingliederung unabdingbar“ sei.66
Daraus zu schöpfende Hoffnungen werden allerdings dadurch gedämpft, dass –
wie von Albrecht nicht ohne kritischen Unterton vermerkt – infolge neuartiger Si-
cherheits- und Risikobedenken in Form eines bereits erwähnten „punitive turn“
eine Verschiebung von spezialpräventiver Rehabilitation zu generalpräventiver „de-
terrence and incapacitation“ zu registrieren ist,67 wobei Letztere im Sinne v. Liszt-
scher „Unschädlichmachung“ des einzelnen Verurteilten natürlich auch eine spezial-
präventive Komponente enthält.

9. Strafzumessung
Wie bereits angedeutet, sind die für die gesetzliche Strafandrohung wesentlichen
Straftheorien nicht ohne weiteres mit den für die richterliche Strafverhängung maß-
geblichen Strafzumessungstheorien gleichzusetzen,vielmehr bleibt mit Albrecht zu
fragen, „was aus einzelnen Straftheorien an Strafzumessungstheorien bzw. für die
Konkretisierung der Strafe im Einzelfall abgeleitet werden kann“.68 Demzufolge
werden diese Theoriekomplexe zwar noch nicht in seiner Strafzumessung bei Geld-
strafen, wohl aber zur schweren Kriminalität jeweils eigens behandelt.69
Der demnach erforderlichen Differenzierung wird allerdings dadurch eine be-
stimmte Richtung vorgegeben, dass nicht einfach allgemein nach der Geeignetheit
bestimmter Strafzwecke für die Strafzumessung gefragt wird, sondern dass „die
Frage nach der Erklärung und Begründung von Unterschieden im Strafmaß und in
der Strafart, also die Strafmaß- und Strafartdifferenzierung“ im Mittelpunkt von Al-
64
Vgl. Eser 1974.
65
Albrecht 1994, 3.
66
Albrecht 2015b, 39.
67
Albrecht 2015a, 8, 18; 2016, 91 ff.; 2017, 195 ff.; vgl. auch oben zu Fn. 38.
68
Albrecht 1994, 37.
69
Albrecht 1994, 23 ff. bzw. 37 ff.
554 Albin Eser

brechts Forschungsinteresse steht.70 Wesentliches Untersuchungsziel war daher, wie


in gleichsinnigen Varianten immer wieder betont, das Problem der Gleichmäßigkeit
des Strafens und damit der Gleichbehandlung und Differenzierung in der Strafzu-
messungsentscheidung.71 Dies legt natürlich die Frage nahe, ob etwa eine an
einem generellen Maßstab ausgerichtete Gleichmäßigkeit jedem individuellen Straf-
täter gerecht werden kann. Falls Albrecht dieses Problem meint damit lösen zu kön-
nen, dass „das Ziel der Rechtsrichtigkeit der Strafe [im Sinne ihrer Übereinstimmung
mit den verbindlichen Strafzwecken] und dasjenige der Gleichmäßigkeit der Strafe
nicht in einem Ausschlussverhältnis“ stünden und „nur die Strafe richtig (sei), die
dem positiven Recht und aus ihm entwickelten Maßstäben entsprechende Unter-
schiede setzt und gerade deshalb auch gleichzeitig in ihrem Unterschied zu anderen
Strafen erklärt werden kann“72, bleibt gleichwohl die weitere Frage, wonach der
Gleichmäßigkeitsmaßstab zu bestimmen ist und welche tat-, täter- oder umständebe-
dingten Abweichungen dabei berücksichtigt werden können – ganz abgesehen von
der grundsätzlichen Frage, welchem Ziel bei einem Konflikt, der – entgegen Al-
brechts Vertrauen auf die sich nicht ausschließende Rechtsrichtigkeit und Gleichmä-
ßigkeit der Strafe – zwischen der Herstellung individueller Strafgerechtigkeit und der
Unterwerfung unter generelle Gleichbehandlung eintreten könnte, der Vorzug zu
geben wäre.
Doch wie auch immer, geleitet von der Frage, anhand welchen Strafzwecks am
besten eine Gleichbehandlung im Bestrafen zu erreichen wäre, werden die seinerzeit
geläufigsten Strafzumessungstheorien durchforstet73 – wobei jedoch, wie von ihm
bereits zuvor postuliert, der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Strafzumessung
nicht auf ein Differenzierungsverbot beschränkt werden dürfe, sondern gleicherma-
ßen auch ein Differenzierungsgebot enthalte.74 Beginnend mit der von der Rechtspre-
chung favorisierten „Spielraumtheorie“ werde von dieser zwar ein Spielraum für
schuldangemessenes Strafen eingeräumt, ohne dass sie aber wirksame Anweisungen
zu geben vermöchte, da sie sich im Wesentlichen darauf beschränke, die Grenzen der
Kontrolle der Strafmaßentscheidung festzulegen.75 Mit denselben Problemen seien
die „Punktstrafentheorie“ und die „Theorie des sozialen Gestaltungsakts“ belastet.76
Von der zwischen einer rein schuldbegründenden Strafhöhenbemessung und weite-
ren strafartbezogenen Zumessungsschritten trennenden „Stufentheorie“ wird zwar

70
Albrecht 1994, 1 (Hervorhebungen bereits im Original). Dazu wäre es interessant zu
erfahren, ob sich aus seiner neuerlichen Feststellung, dass die Strafzumessungsforschung vor
allem in den 1970er und 1980er Jahren von der Frage nach Ungleichheit oder Ungleichmä-
ßigkeit umgetrieben werden sei (Albrecht 2017, 185), herauslesen ließe, dass er heute einem
solchen Forschungsvorhaben geringere Priorität einräumen würde.
71
Albrecht 1994, V, 1, 5 f., 10 f., 16, 471, 492 ff. und passim.
72
Albrecht 1994, 16.
73
Albrecht 1994, 37 ff.
74
Albrecht 1994, 23 (Hervorhebungen bereits im Original).
75
Albrecht 1994, 37 ff., 52.
76
Albrecht 1994, 41 ff., 52.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 555

als vorteilhaft betrachtet, dass darin die Vermischung von spezialpräventiven, gene-
ralpräventiven und Schuldgesichtspunkten aufgegeben werde, ohne dass aber damit
die in der Konkretisierung der Strafhöhe selbst liegende Unbestimmtheit und Offen-
heit gelöst werde.77 Auch die „Theorie der Tatschuldvergeltung“ sei schon von ihrem
Ansatz her verfehlt, weil sie, da generalpräventive und spezialpräventive Zweckset-
zungen als illegal kennzeichnend, wieder „hinter den Paradigmawechsel von der Be-
gründung des Strafrechts durch Vergeltung hin zu Strafrechtsbegründung durch
Rechtsgüterschutz“ zurückfalle – ganz abgesehen von dem praktischen Problem,
dass „Schuldquanten nicht einfach in Strafquanten umgerechnet werden könnten“.78
Der in verschiedenen Varianten beleuchteten „Theorie positiver Generalprävention“
wird, soweit mit Strafe Normgeltung auf Kosten des Straftäters demonstriert werden
soll, richtungweisende Bedeutung für die Strafzumessung abgesprochen.79 Sofern
man von einer durch Prävention und Schuld getragenen Strafe ausgehe und es
damit im Wesentlichen um „die durch Gerechtigkeitserwägungen gebremste sozial
nützliche Strafe“ gehe, stelle sich die letztlich nicht beantwortbare Frage nach einer-
seits begrenzenden und andererseits konkretisierenden Kriterien.80
Damit verbleibt schließlich als einzige Theorie, die Albrecht zu akzeptieren ver-
mag, die „Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung“.81 Ausgehend vom prä-
ventiven Paradigmawechsel in der Strafrechtsbegründung und der auf eine strafbe-
grenzende Funktion reduzierten Schuldkategorie, sei das Strafmaß unrechtszentriert
am objektiven Umfang der Rechtsgutverletzung auszurichten, mit dem sich daraus
ergebenden Vorteil, dass die Strafzumessung von den grundsätzlich nicht lösbaren
Problemen der validen und verlässlichen Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen
entlastet werde,82 wobei von der Zurechnung des strafbaren Verhaltens nur dasjenige
als Grundlage für die Strafzumessung dienen dürfe, was vom Verschulden erfasst
wird.83
Was die Brauchbarkeit der Tatproportionalitätstheorie für die Konkretisierung
und die für das Untersuchungsziel relevante Gleichmäßigkeit und/oder Differenzier-
barkeit der Strafzumessung betrifft, besteht freilich, wie von Albrecht im Zuge seiner
vornehmlich kriminalitätstheoretischen Folgenorientierung im Grunde selbst einge-
räumt,84 kein Anlass für hohe Erwartungen. Soweit einerseits dadurch, dass mit der
Tatproportionalitätstheorie das Unrecht ins Zentrum der Strafzumessung gerückt
wird, ein objektiv leichter operationalisierbarer Maßstab zu erlangen ist, wird dies

77
Albrecht 1994, 43 f., 52.
78
Albrecht 1994, 44 ff., 53; vgl. dazu auch schon Albrecht 1980, 13, 24.
79
Albrecht 1994, 47 f.
80
Albrecht 1994, 49 f.
81
Albrecht 1994, 50 ff.
82
Albrecht 1994, 53, 498 f.
83
Albrecht 1994, 51, 53. Vgl. auch Albrecht 1995, 16, wonach einem nur durch Präventi-
onsziele begrenzten Ausmaß der Strafe der Schuldgrundsatz entgegenstehe.
84
Albrecht 1994, 57 ff.
556 Albin Eser

andererseits mit einem Verzicht auf die – meines Erachtens schwerlich zu entbehren-
de – Berücksichtigung der Persönlichkeit des Täters erkauft. Und soweit durch Be-
schränkung des Schuldelements auf eine strafbegrenzende Funktion mehr Freiraum
für die Berücksichtigung präventiver Strafzwecke gewonnen wird, ist dieser kaum
auszunutzen, wenn weder generalpräventive noch spezialpräventive Bedürfnisse
hinreichend quantifizierbar seien, um als Basis für die Strafzumessung zu dienen,85
und somit insgesamt festzustellen sei, „dass spezial- oder generalpräventive Zweck-
erwägungen zur Konkretisierung von Strafe nicht verwendet werden können“.86
Nach diesem ernüchternden Resümee – so jedenfalls hinsichtlich der Strafzumes-
sung, wenn auch weniger der Strafandrohung, wird diese doch generalpräventiv für
hinreichend legitimiert befunden87 – fällt es schwer, eine gleichermaßen konsistente
und operationalisierbare Konzeption staatlichen Strafens noch für möglich zu halten.
Doch trotz aller Bedenken bleibt Beschäftigung mit Strafrecht nicht denkbar, ohne
sich über den Sinn der Strafe – und sei dies auch ohne Anspruch auf letzte Kohärenz –
Gedanken gemacht zu haben und bei der Behandlung strafrechtlicher Themen davon
leiten zu lassen. In diesem Sinn sei abschließend man eigenes Strafverständnis kurz
vorgestellt.

10. Eigenes Strafverständnis


In der hier gebotenen Kürze aktualisiert zusammenfassend, was ich bereits in mei-
ner sanktionsrechtlichen Habilitationsschrift skizziert habe,88 sehe ich mich mit Al-
brecht darin einig, dass Strafrecht als Zweckrecht zu verstehen ist: Es muss auf die
Gewährleistung und Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden zwischen den
Menschen unter den Bedingungen gleicher Würde und Freiheit gerichtet sein.
Daher ist die Strafe nicht schon mit der Verwirklichung von Gerechtigkeit als solcher
zu rechtfertigen, sondern setzt über eine bloße Vergeltung um der Vergeltung willen
einen weitergehenden zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zweck vor-
aus.89 Das ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam.
Erstens: Als eine Art „gesellschaftlicher Notwehr“ hat das Strafrecht zwecks
Rechtsgüterschutz die Aufgabe, elementare Werte des individuellen Menschen
und der kollektiven Allgemeinheit (Rechtsgüter) vor Verletzung oder Gefährdung
zu bewahren und eine bestimmte Ordnung in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten:
durch Abschreckung potentieller Täter (im Sinne negativer Generalprävention)
und durch (Re-)Stabilisierung der Rechtstreue der Bevölkerung (im Sinne positiver
Generalprävention und auf Wiederherstellung des Rechtsfriedens gerichteter Inte-
85
Albrecht 1994, 66 ff.; vgl. aber demgegenüber auch Albrecht 1980, 13, 24.
86
Albrecht 1994, 77.
87
Vgl. oben Abschnitt 4.
88
Eser 1969, 108 ff.; vgl. auch Eser 1992, 9 ff.; 2002, 195 ff.
89
Eser 2000, 174.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 557

grationsfunktion). Insofern ist Generalprävention die legitimierende Existenzgrund-


lage des Strafrechts überhaupt und dieses durch andere Formen von Sozialkontrolle
allenfalls teilweise einschränkbar, aber keinesfalls voll ersetzbar.90
Zweitens: Obgleich diesem generalpräventiven Zweck letztlich auch die Einzel-
sanktion dient, rückt bei der konkreten Strafverhängung das spezialpräventive Ziel in
den Vordergrund: durch (Re-)Sozialisierung des Täters. Insofern wird das general-
präventive Gesamtziel der Strafandrohung ergänzt und mediatisiert durch das Nah-
ziel spezialpräventiver Einwirkung auf den Täter mittels Strafverhängung und Straf-
vollzug.91
Drittens: Zu der hinsichtlich ihrer Ambivalenz oft nicht erkannten Rolle der Wie-
dergutmachung ist zweierlei zu unterscheiden:
Einerseits ist in der Regel weder von der bloßen Androhung, den durch die Straftat
angerichteten Schaden ersetzen zu müssen, noch von einer Verurteilung dazu eine
allgemein abschreckende oder den Täter beeindruckende Wirkung zu erwarten,
wird dieser damit doch zu nicht mehr verpflichtet, als was er schon zivilrechtlich
zu befürchten hat. Um ihm klarzumachen, dass sich ein Verbrechen nicht nur
nicht lohnt, sondern mit nachteiligen Einbußen verbunden sein kann, bedarf es der
Auferlegung eines über bloße Wiedergutmachung hinausgehenden Übels in Form
einer Strafe. Insofern erlangt diese de facto den Charakter vergeltender Repression.
Andererseits kann die Bestrafung der Wiedergutmachung nicht entbehren, wenn
zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens nicht auch das Tatopfer in das Verfahren
einbezogen und ihm Genugtuung verschafft wird.92 Insofern geht es hier – anders als
zuvor – nicht um eine abolitionistische Ersetzung der Strafe durch Restitution als
vielmehr um eine Verstärkung der Befriedungsfunktion zwischen Täter und
Opfer: indem dessen Entschädigung als Voraussetzung und Teil der strafrechtlichen
Sanktionierung zu verstehen ist.93

90
Vgl. dazu auch Eser 1995, 5 ff.
91
Eingehend zur Resozialisierungsproblematik Eser 1974, 508 ff.
92
Näher zu dieser mich schon seit längerem beschäftigenden Reintegrierung der Restitu-
tion in das Strafrecht Eser 1969, 116 ff.; 1990, 2 f., 348, 350 f., 395 f. 399; 1995, 8, 13; 1996,
1020 ff., 1023; 2000, 175 ff.
93
Eser 2000, 177. In diesem Sinne wäre die zu einer Separierung von privatrechtlicher
Restitution und strafrechtlicher Sanktionierung führende Auseinanderentwicklung von Zivil-
und Strafverfahren ebenso wie die entindividualisierende Vergeistigung des Rechtsgutsbe-
griffes auf Kosten des konkreten Opfers zumindest teilweise rückgängig zu machen. Näher zu
diesen beiden, aufgrund von Überspitzungen kontraproduktiven Fehlentwicklungen Eser
1995, 10 ff., 13 ff.; 1996, 1006 ff., 1020 ff.; 2000, 175 ff. Auch bei Albrecht (2008, 132 ff.)
findet sich die das betroffene Individuum zugunsten des Staates verdrängende Tendenz im
Sinne einer Transformation von einem „Unrecht an einer Person“ zu einem „Unrecht an der
Gesamtgesellschaft“ angesprochen; dies jedoch in einer die Wiedergutmachung eher abwer-
tenden Richtung, indem ihr die Geeignetheit, im Sinne von Diversion die Strafe zu ersetzen,
abgesprochen wird, während es in dem hier gemeinten Sinne gerade umgekehrt darum geht,
die Wiedergutmachung als wesentliche Voraussetzung sinnerfüllenden Täter-Opfer-Aus-
558 Albin Eser

Viertens: Hinsichtlich seiner Form und Ausgestaltung findet das Strafrecht so-
wohl an der Unantastbarkeit der Menschenwürde als auch durch das Übermaßverbot
eine Grenze. Das ist nicht nur für das Maß der generalpräventiven Erforderlichkeit
bei der Strafandrohung und Strafverhängung von Bedeutung, sondern auch für die
Art der spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter durch die Strafverhängung
und deren Vollzug. Dementsprechend muss auch die Strafe den Täter in seiner selbst-
verantwortlichen Persönlichkeit unangetastet lassen und sich darauf beschränken,
seine Eigenkräfte zu rechtsloyaler Sozialisation zu wecken und zu fördern. Das
hat nur dort Aussicht auf Erfolg, wo der Verurteilte das ihm auferlegte Übel als sinn-
voll, tat- und schuldgerecht empfinden kann. Insofern hat das Schulderfordernis
nicht nur eine verurteilungsbegründende sondern auch strafbegrenzende Funktion.94
Insgesamt betrachtet begründet sich somit die Legitimation staatlichen Strafens
aus dem Abwehrrecht der Gesellschaft, in Art und Maß beschränkt durch die Ach-
tung der Menschenwürde und das an gerechtem Schuldausgleich ausgerichtete Über-
maßverbot. Für die verschiedenen Straftheorien bedeutet das, dass keiner der tradi-
tionellen Aspekte, seien sie absoluter Art wie Sühne und Vergeltung um höherer Ge-
rechtigkeit willen oder in relativem Sinne präventiven Zwecken dienend, verabsolu-
tiert werden darf, sondern jeder auf seine Weise zur Sinnerfüllung der Strafe
beizutragen hat. Dies jedoch weniger in einem schlicht additiven Verfahren95 als viel-
mehr in Form einer integrativen Verschränkung: indem den verschiedenen Strafzwe-
cken und Bestrafungsgrenzen je nach Strafandrohungs-, Strafverhängungs- oder
Strafvollzugsebene eine mehr oder weniger maßgebliche Funktion zukommt.

11. Schlussbemerkung
Sicherlich wären im reichhaltigen kriminalwissenschaftlichen Schrifttum von Al-
brecht noch weitere Aussagen zu finden, die straftheoretisch von Belang sein könn-
ten. Vermutlich würden diese auch ähnlich reserviert bis kritisch ausfallen, wie es
sich in der hier berücksichtigten Auswahl gezeigt hat. Für eine solche Zurückhaltung
gibt es jedoch durchaus gute Gründe: so vor allem aus der Sicht eines Kriminologen,
der mit seinem empirischen Instrumentarium manche normativ unanfechtbar er-
scheinenden Straftheorien einem Praxistest unterworfen hat, den sie nicht bestanden
haben. Für dieses stets aufklärerische Engagement, von dem nicht zuletzt ich selbst in
gemeinsamer Direktorenzeit am Max-Planck-Institut immer wieder profitieren
konnte, gebührt dem verehrten Jubilar aufrichtiger Dank, verbunden mit der Hoff-
nung, dass ihm noch viel Zeit und Kraft für weiteres Forschen verbleiben möge.

gleichs im Rahmen der strafrechtlichen Sanktionierung zu verstärken. Grundlegend für eine


engere Verbindung von Widergutmachung und Strafe auch Walther 2000.
94
Zu weiteren Erfordernissen eines menschengerechten Strafrechts vgl. Eser 1995, 14 ff.;
2002, 196 ff.
95
Wie sich bei Albrecht (1994, 28) die Vereinigungstheorie interpretiert findet.
Straftheorien – reflektiert aus der Sicht von Hans-Jörg Albrecht 559

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen unter Berücksichti-
gung des Tagessatzsystems. Berlin.
Albrecht, H.-J. (1985): Generalprävention, in: G. Kaiser u. a. (Hrsg.), Kleines Kriminologisches
Wörterbuch. Heidelberg, 2. Aufl., S. 132 – 139, 3. Aufl. 1993, S. 157 – 163.
Albrecht, H.-J. (1990): Kriminologische Perspektiven der Wiedergutmachung. Theoretische
Ansätze und empirische Befunde, in: A. Eser, G. Kaiser & K. Madlener (Hrsg.), Neue
Wege der Wiedergutmachung im Strafrecht. Freiburg, S. 43 – 72.
Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, Berlin.
Albrecht, H.-J. (1995): Strafe und Prävention: eine Herausforderung für Rechtswissenschaft
und Justiz. Diskurs 5/1, S. 15 – 22.
Albrecht, H.-J. (2001): Restorative Justice – Answers to Questions that Nobody had Put For-
ward, in: E. Fattah & S. Parmentier (Hrsg.), Victim policies and criminal justice on the
road to restorative justice. Essays in honour of Tony Peters. Leuven, S. 295 – 314.
Albrecht, H.-J. (2008): Strafrecht und Strafe: Belastung oder Entlastung?, in: G. Schlee &
B. Turner (Hrsg.), Vergeltung. Eine interdisziplinäre Betrachtung der Rechtfertigung und Re-
gulation von Gewalt. Frankfurt, S. 127 – 148.
Albrecht, H.-J. (2013): The Death Penalty, Deterrence and Policy Making, in: L. Arroyo Zapa-
tero et al. (Hrsg.), Death Penalty: A Cruel and Inhuman Punishment. Castilla-La Mancha,
S. 29 – 44.
Albrecht, H.-J. (2015a): Criminal Sanctions and Crime Control: Past, Presence and Future in
Europe, in: E. Kambellari (Hrsg.), International Scientific Symposium: Criminal Justice Sys-
tem and the Social Welfare. 05 – 06 March 2015. Tirana, S. 8 – 27.
Albrecht, H.-J. (2015b): Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen der Resozialisie-
rung, in: T. Rotsch u. a. (Hrsg.), Strafrecht – Jugendstrafrecht – Kriminalprävention in Wis-
senschaft und Praxis. Festschrift für Heribert Ostendorf zum 70. Geburtstag. Baden-Baden,
S. 23 – 39.
Albrecht, H.-J. (2016): Strafrechtliche soziale Kontrolle, Kriminalität und die Kriminologie, in:
H.-J. Albrecht (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, Strafvollzug und Menschen-
rechte. Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Günther Kaiser am 23. Ja-
nuar 2009. Berlin, S. 81 – 98.
Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: C. Safferling u. a. (Hrsg.),
Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Heidelberg, S. 185 – 199.
Albrecht, H.-J. (2018): Criminal Law, Security and Criminal Policies: German and Korean Per-
spectives, in: Y. Bu et al. (Hrsg.), Relationship between the Legislature and the Judiciary –
Contributions to the 6th Seoul-Freiburg Law Faculties Symposium. Baden-Baden, S. 195 –
215.
Albrecht, P.-A. (1985): Spezialprävention angesichts neuer Tätergruppen. Zeitschrift für die ge-
samte Strafrechtswissenschaft 97, S. 831 – 870.
560 Albin Eser

Eser, A. (1969): Die strafrechtlichen Sanktionen gegen das Eigentum. Dogmatische und rechts-
politische Untersuchungen zu Einziehung, Unbrauchbarmachung und Gewinnverfall. Tübin-
gen.
Eser, A. (1974): Resozialisierung in der Krise? Gedanken zum Sozialisationsziel des Strafvoll-
zugs, in: J. Baumann & K. Tiedemann (Hrsg.), Einheit und Vielfalt des Strafrechts. Fest-
schrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag. Tübingen, S. 505 – 518; www.freidok.uni-frei
burg.de/data/3605.
Eser, A. (1989): Eröffnungsansprache, in: A. Eser, G. Kaiser & K. Madlener, Neue Wege der
Wiedergutmachung im Strafrecht. Freiburg, S. 1 – 6.
Eser, A. (1992): Strafzwecke: Sinn und Legitimation staatlichen Strafens, in: A. Eser & B. Burk-
hardt, Strafrecht I Schwerpunkt Allgemeine Verbrechenselemente. 4. Aufl. München, S. 9 –
15; www.freidok.uni-freiburg.de/data/4062.
Eser, A. (1995): A Vision of a „Humane“ Criminal Justice. Sketch of a Criminal Law and Pro-
cedure System oriented towards Man as an Individual and as a Social Being. University of
Pretoria, Prestige Lectures 1995 No. 1. Pretoria; www.freidok.uni-freiburg.de/data/4067.
Eser, A. (1996): Rechtsgut und Opfer: Zur Überhöhung des einen auf Kosten des anderen, in:
U. Immenga, W. Möschel & D. Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker.
Baden-Baden, S. 1005 – 1024; www.freidok.uni-freiburg.de/data/3386.
Eser, A. (2000): „Menschengerechte“ Strafjustiz im Zeitalter von Europäisierung und Globali-
sierung, in: J. Czapska et al. (Hrsg.), Zasady procesu karnego wobec wyzwań współcze-
sności. [Strafprozeßrechtsgrundsätze angesichts der Herausforderungen der Gegenwart]
Festschrift für Stanisław Waltós. Warszawa 2000, S. 169 – 192; www.freidok.uni-freiburg.
de/data/3696.
Eser, A. (2002): Welches Strafrecht braucht und verträgt der Mensch? Einige Gedanken zu ver-
nachlässigten Grundfragen, in: C. Prittwitz u. a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus Lüderssen.
Baden-Baden, S. 195 – 204; www.freidok.uni-freiburg.de/data/3668.
Eser, A. (2007): The Nature and Rationale of Punishment. Cardozo Law Review 28, S. 2427 –
2436; www.freidok.uni-freiburg.de/data/6198.
Hörnle, T. (2011): Straftheorien. Tübingen.
Kaiser, G. (1996): Kriminologie. Ein Lehrbuch. 3. Aufl. Heidelberg.
Pawlik, M. (2004): Personen, Subjekt, Bürger. Zur Legitimation von Strafe. Berlin.
Streng, F. (1997): Literaturbericht: Albrecht, Hans-Jörg: Strafzumessung bei schwerer Krimi-
nalität. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 109, S. 183 – 204.
Walther, S. (2000): Vom Rechtsbruch zum Realkonflikt. Grundlagen und Grundzüge einer Wie-
dergutmachung und Strafe verbindenden Neuordnung des kriminalrechtlichen Sanktionen-
systems. Berlin.
The Twilight of Capital Punishment
By William Schabas

Every five years, for half a century, the United Nations Secretary-General has pub-
lished a report on the global status of capital punishment. The latest of the quinquen-
nial reports, issued July 2020, describes an unrelenting trend towards the abolition of
the death penalty throughout the world. According to the Secretary-General, only 31
states continue to impose capital punishment, and several of these states do so only
occasionally.1 Most of these retentionist states manifest declines in the number of
crimes subject to the death penalty, reductions in the overall numbers of those
being sentenced to death and executed, and various procedural reforms, all testifying
to the fact that they are actually part of the trend towards abolition. Of the 168 states
described as abolitionist by the Secretary-General, with rare exceptions the commit-
ment appears irreversible. Only in exceptional and indeed quite unique circumstan-
ces do states that have abolished the death penalty in law or passed a period of ten
years without actually carrying out an execution reverted to the practice. For the over-
whelming majority of states, the movement is in only one direction.
The first of the Secretary-General’s quinquennial reports actually covered only
two years. That was because of an earlier report presented to the Economic and Social
Council on the situation as it stood in 1972.2 According to that initial report, publish-
ed in 1975, the first abolition of the death penalty by any country had taken place in
1863. Since that date, only 22 states had removed capital punishment from their crim-
inal law. The report said that seven countries had abolished the death penalty subse-
quent to the signing of the Charter of the United Nations. As of 1975, only nine mem-
ber states of the United Nations were fully abolitionist in law. Some 23 were consid-
ered abolitionist “by custom”, meaning that although their laws provided for capital
punishment they had not executed anyone or sentenced anyone to death for at least 40
years. This was compared with 101 states where the death penalty was retained, al-
though the report added that the total number of offences for which it could be im-
posed had been declining progressively in many parts of the world.3
The first of the quinquennial reports was skeptical about the existence of any trend
towards abolition of the death penalty.4 The second report, issued in 1980, said the
1
Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the
rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2020/53, para. 6.
2
Capital punishment, UN Doc. E/5242 and Add.1.
3
Capital punishment, UN Doc. E/5616, paras. 18 – 19.
4
Capital punishment, UN Doc. E/5616, para. 48.
562 William Schabas

situation was “relatively unchanged” over the five-years since the first report.5 Ac-
knowledging “a small increase in the number of abolitionist countries”, the report
said this was “not sufficient to allow for the optimism envisaged by the United Na-
tions”.6 The 1980 report counted 119 retentionist states and 34 abolitionist states.7
The conclusions of the third report, published in 1986, were similarly ambivalent,8
yet the numbers it provided actually told a more positive story: there were 120 reten-
tionist states to 50 abolitionist states.9 The fourth report, issued in 1990, recognized
that the data in the third report “showed that the movement towards abolition had
progressed somewhat”.10 According to the 1990 report, there were 77 countries
that had abolished the death penalty in law or in practice as opposed to 92 that re-
tained it.11 Unquestionable, then, by 1985 there was a discernable trend towards abo-
lition, something that all of the subsequent quinquennial reports have confirmed.

The Role of International Law


The Universal Declaration of Human Rights recognizes that “[e]veryone has the
right to life …”. When the text was being drafted, there was a range of views about
whether or not to address the subject of capital punishment. Some delegates believed
it should be an explicit exception to the right to life, given the overwhelming state
practice at the time. Others, including Eleanor Roosevelt, believed any such refer-
ence might hinder the progressive development of criminal law, and their view pre-
vailed. However, when the Declaration was transformed into binding treaties, reten-
tionist states insisted on adding provisions to shelter the practice of capital punish-
ment. Here the paradigm is the European Convention on Human Rights, adopted less
than two years after the Universal Declaration, in late 1950. Article 2(1) of the Euro-
pean Convention declares that “No one shall be deprived of his life intentionally save
in the execution of a sentence of a court following his conviction of a crime for which
this penalty is provided by law”.
As momentum grew for abolition, new legal instruments were adopted enabling
abolitionist states to affirm their new commitments. The first of these was the sixth
Protocol to the European Convention of Human Rights. It was adopted in 1983 and
entered into force two years later upon obtaining the requisite five ratifications (Aus-
tria, Denmark, Luxembourg, Spain and Sweden). Similar abolitionist protocols were
5
Capital punishment, UN Doc. E/1980/9, para. 10.
6
Capital punishment, UN Doc. E/1980/9, para. 83.
7
Capital punishment, UN Doc. E/1980/9, Annex.
8
Capital punishment, UN Doc. E/1985/43/Corr.1, para. 28
9
Capital punishment, UN Doc. E/1985/43/Corr.1, Annex.
10
Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing the protection of
those facing the death penalty, UN Doc. E/1990/38/Rev.1, para. 10.
11
Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing the protection of
those facing the death penalty, UN Doc. E/1990/38/Rev.1, para. 15.
The Twilight of Capital Punishment 563

soon adopted with respect to the International Covenant on Civil and Political Rights
and the American Convention on Human Rights.
A process of judicial innovation accompanied the adoption of the new treaties, as
judges found interpretative techniques whereby the perverse exception of capital
punishment to the sacred principle of the right to life was narrowed. The first
major development in this area involved a German national charged with a murder
in the United States who had fled to the United Kingdom. There, he obtained a ruling
from the European Court of Human Rights whereby extradition to the United States
was conditional on an undertaking that capital punishment not be imposed.12 That
judgment, issued in 1989, resisted the view that the reference to capital punishment
in Article 2(1) of the Convention should be deemed to be archaic and therefore in-
operative. It would take another quarter of a century for the European Court to take
that step. In Al Nashiri v. Poland, the European Court of Human Rights wrote that “[j]
udicial execution involves the deliberate and premeditated destruction of a human
being by the state authorities”.13
The 2020 quinquennial report of the Secretary-General says there are now 109
states that have assumed international legal obligations that prevent them from rein-
stating capital punishment. Besides counting the states parties to the abolitionist pro-
tocols of the three human rights systems, numbering about ninety, the Human Rights
Committee also considers that states parties to the International Covenant on Civil
and Political Rights that have also abolished the death penalty through domestic leg-
islation are prevented by the Covenant from returning to the practice. Several states
fall into this category: Brazil, Burkina Faso, Burundi, Cambodia, Chad, Côte
d’Ivoire, Fiji, Gambia, Guatemala, Guinea, Israel, Kazakhstan, Peru, Russian Feder-
ation, Samoa, Senegal, Suriname and Vanuatu. During the survey period, as men-
tioned above, there were initiatives in four abolitionist States to re-introduce the
death penalty.14
The conclusion that abolitionist states that have ratified the International Cove-
nant but not the Second Optional Protocol as being found at international law not
to reinstate capital punishment is premised upon an interpretation of Article 6(2)
of the Covenant by the United Nations Human Rights Committee in General Com-
ment 36, adopted in November 2018.15 As in the case of the European Court, the
Human Rights Committee was required to depart from earlier precedent in adopting
a progressive interpretation of the text, informed by evolution in state practice. A pe-

12
Soering v. United Kingdo’m, 7 July 1989, Series A no. 161.
13
Al Nashiri v. Poland, no. 28761/11, 24 July 2014, paras. 576 – 577. Also Al Nashiri v.
Romania, no. 33234/12, 31 May 2018, paras. 726 – 727.
14
Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the
rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2020/53, para. 51.
15
General comment No. 36 (2018) on article 6 of the International Covenant on Civil and
Political Rights, on the right to life, UN Doc. CCPR/C/GC/36, para. 34.
564 William Schabas

culiar consequence of this interpretation is to make ratification of the Second Option-


al Protocol rather superfluous.
Only a few states that have abolished the death penalty de jure have yet to under-
take an international legal commitment on the subject. Most of these are small island
states in the Pacific who profess no objection in principle and cite practical difficul-
ties in assuming additional treaty obligations. The Secretary-General points to a few
states that have ratified abolitionist treaties despite retaining the death penalty in their
own legislation. Such states are deemed de facto abolitionist because they have not
conducted an execution for ten years. The quinquennial report encourages more
states in this category to ratify or accede to the abolitionist protocols.

The Threat of Reintroduction of the Death Penalty


During the 2014 – 2018 quinquennium, leaders of four states bound by abolitionist
treaty obligations threatened to restore capital punishment. During the same period,
the threats to reinstate capital punishment were accompanied by dramatic increases
in the number of executions in some other states.16 This prompted concerns that the
trend towards abolition that had been so pronounced for many decades might be com-
ing to an end.
In two of the states where reintroduction of capital punishment was being mooted,
Turkey and Mongolia, the demagogic threats of leaders do not appear to have led to
any significant legislative initiatives. Perhaps international pressure, including re-
minders about the international legal commitments, has cooled any enthusiasm for
the return of the death penalty. In the Philippines, however, the initiatives have
been more concrete, and death penalty legislation was even passed by the lower
house of parliament before being blocked in the upper house.
Reinstatement of the death penalty would put the Philippines in breach of its sol-
emn international obligations of which ratification of the Second Optional Protocol
to the International Covenant on Civil and Political Rights is the centrepiece. It is not
possible for the Philippines to withdraw from the Second Optional Protocol or from
the International Covenant itself. There is no denunciation clause in either treaty. The
Human Rights Committee has made it clear to the Philippines that denunciation of
the treaties is not possible under international law.17 Moreover, the Philippines is
aware that breach of the abolitionist treaties may have repercussions that go well be-
yond the narrow issue of capital punishment and even human rights in general. A state
that openly defies treaty obligations that it has undertaken with other states risks be-
coming an international pariah.

16
Question of the death penalty, UN Doc. A/HRC/39/19, paras. 12 – 15.
17
Letter from Chairperson Yuji Iwasawa to Ambassador Maria Teresa T. Almojuela (27
March 2017).
The Twilight of Capital Punishment 565

Concern about the spike in numbers of executions during the quinquennium


proved to be short-lived. It was in fact attributable to developments in four countries,
Egypt, Iran, Pakistan and Saudi Arabia. In 2014, Pakistan had been several years
without any execution. In 2015, 326 people were put to death in Pakistan. Then
the numbers declined abruptly, and in 2018 Pakistan executed 14 people. Iran,
too, has been responsible for huge rates of execution in recent years, mainly relating
to drug crimes. In 2015, nearly 1,000 people were put to death in Iran. Then, legis-
lative reforms raised the threshold for death sentences in trafficking cases and the
number of executions dropped to 253 in 2018. The total estimate for executions glob-
ally in 2019 was probably the lowest since statistics have been kept, that is to say, the
lowest in human history.

De facto Versus de jure Abolition


The 2020 quinquennial report of the Secretary General records 49 states as being
de facto abolitionist, about the same number as in the 2015 report. There was actually
considerable change in the category, as several States “graduated” from being abo-
litionist in practice to being fully abolitionist in law. In the meantime, the de facto
category was replenished as other states left the retentionist category after passing
ten years without an execution. Thus, the Secretary-General reported that at the
end of 2018 there were 49 de facto abolitionist states and 30 retentionist states.
On the other hand, Amnesty International, which produces detailed annual reports
on the status of capital punishment, arrives at a different conclusion. Its 2018 report
said that there were twenty-eight de facto abolitionist states and 56 retentionist
states.18 This has consequences in the overall figures as well, where the various cat-
egories of abolitionist states (abolitionist de jure, abolitionist de facto and abolitionist
for ordinary crimes) are consolidated. The Secretary-General’s 2020 report con-
cludes that 167 states are abolitionist, whereas Amnesty International’s total is a
more modest 142.
The discrepancy is explained by differences in methodology. The Secretary-Gen-
eral deems a state to be abolitionist de facto if ten years have passed without an ex-
ecution being conducted. Amnesty International adds a subjective dimension to its
assessment, considering to be abolitionist in practice states that “have not executed
anyone during the last ten years and are believed to have a policy or established prac-
tice of not carrying out executions”.19 For this reason, several States that have not
conducted executions over a protracted period, in some cases for more than 25
years, are excluded from the Amnesty International list whereas they are included
in that of the Secretary-General.

18
Amnesty International, Death Sentences and Executions, 2018, 48.
19
Amnesty International, Death Sentences and Executions, 2018, 49.
566 William Schabas

To the extent that there is any return to the death penalty by de facto abolitionist
states, the results will necessarily vary depending upon the time frame that is adopted.
The selection of ten years without an execution is somewhat arbitrary. The early re-
ports by the Secretary-General suggest that a much longer period, of 40 years, was
considered prudent. In the 2010 report, the Secretary-General examined patterns
since the first of the quinquennial reports in order to assess whether any States in
the de facto category reverted to capital punishment. A comparison of the 2000 report
with the 1995 report shows that seven of the 30 de facto abolitionist States resumed
executions. But the rate of resumption declined in the next five-year period, with only
three of the 38 states that were de facto abolitionist returning to the practice of capital
punishment.20 For the next quinquennium, none of the states deemed de facto abo-
litionist in the 2000 report had undertaken executions in the five years that followed.21
In the 2015 report, the Secretary-General noted that one state deemed abolitionist
de facto in 2010 had subsequently conducted executions.22 The Gambia, which had
not conducted executions since 1988, reverted to the practice in 2012 but then sub-
sequently confirmed that a moratorium was in place. The Gambia is the only de facto
abolitionist state to have resumed capital punishment in more than a decade. If noth-
ing else, this confirms the utility of a ten-year test for de facto abolition. It now seems
to be about as unlikely that a state that has been without an execution for a decade will
ever resume the practice as it is that a state that has become de jure abolitionist will do
so.
It is not without interest to note that prior to the 2012 executions Amnesty Interna-
tional considered The Gambia to be de facto abolitionist.23 Moreover, after the 2010
debate in the General Assembly on the moratorium resolution, The Gambia noted
that although it had been recorded as voting against the resolution, it had actually
intended to abstain.24 In other words, Amnesty International’s subjective test, by
which states are deemed to be retentionists if they are not “believed to have a policy
or established practice of not carrying out executions”,25 does not seem to provide any
additional value in predicting whether or not a state will resume the practice of capital
punishment.
The differences in approach of the Secretary-General and Amnesty International
recall the familiar metaphor of the glass that is either half-full or half-empty. Amnes-
ty International’s approach may shame states that have not made an ideological com-

20
Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the
rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2005/3, para. 21.
21
Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the
rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2010/10, para. 22.
22
Capital punishment and implementation of the safeguards guaranteeing protection of the
rights of those facing the death penalty, UN Doc. E/2015/49, para. 13.
23
Amnesty International, Death sentences and executions in 2011, 58.
24
Amnesty International, Death sentences and executions in 2010, 52 fn. 50.
25
Amnesty International, Death Sentences and Executions, 2018, 49.
The Twilight of Capital Punishment 567

mitment to abolition but the Secretary-General’s methodology gives a more accurate


portrait of the practical reality. Obviously, it is valuable to encourage states to pro-
ceed further along the road, copper-fastening their commitment to abolition by re-
pealing legislation allowing for capital punishment, incorporating provisions on
the right to life and the prohibition of capital punishment in their constitutions,
and ratifying the relevant international instruments. These steps create obstacles
that make any attempt to revive the practice of capital punishment more difficult.
But the record shows that de facto abolition, that is, a ten-year period without an ex-
ecution, regardless of the existence of any subjective commitment by the state to a
moratorium or to eventual abolition, is almost as reliable an indicator of the end of
capital punishment as de jure abolition. Indeed, actions do seem to speak louder than
words.

Conclusions
The first quinquennial report, which failed to sense any trend in state practice, sug-
gested that “[p]eriods of abolition or non-use may be succeeded by widespread ex-
ecutions in a highly unstable political situation or by a sudden return to the death pen-
alty as a sanction where a state feels insecure”.26 That observation has proven to be
unfounded. The 2020 report of the Secretary-General provides confirmation that the
trend towards both reduction of use of the death penalty and its abolition is constant
and inexorable, and is apparently largely immune to other developments in global
politics.
In the 1970s, when the United Nations began its periodic reporting mechanism on
capital punishment the phenomenon would have seemed to many as a necessary com-
ponent of the criminal justice system. Some were more clairvoyant, and optimistic,
about the evolution of law and practice respecting criminal punishment. Writing in
the late 1950s, Albert Camus said that “[d]ans l’Europe unie de demain (…) l’abo-
lition solennelle de la peine de mort devrait être le premier article du Code européen
que nous espérons tous.”27
Even earlier, when the Universal Declaration of Human Rights was being drafted,
Eleanor Roosevelt urged that there be no reference to capital punishment in the right
to life provision because there was a movement underway in some states to abolish
the death penalty.28
Prediction is very difficult, especially if it is about the future, said Niels Bohr. But
if the past is any guide, the number of retentionist states will continue to decline, year
on year, quinquennium on quinquennium, until the practice of state-sanctioned mur-
26
Capital punishment, UN Doc. E/5616, para. 48.
27
Camus, A. (1979): Réflexions sur la guillotine, in: A. Koestler & A. Camus, Réflexions
sur la peine capitale. Paris, 176.
28
U.N. Doc. E/CN.4/AC.1/SR.2, p. 10.
568 William Schabas

der as a component of criminal justice will disappear. There will almost certainly be
another quinquennial report in 2025 and probably in 2030. Moving forward from
there, it is more difficult to have any certainty. In the fifty years since the quinquen-
nial reports have been issued by the Secretary-General, the number of abolitionist
states has increased by a multiple of more than five, while the list of retentionist states
is about a quarter of what it was. At some point, sooner rather than later, the United
Nations will stop producing reports about the practice of capital punishment because
there will be nothing left to write about.
Contemporary Death Penalty Issues in China
By Liling Yue

1. Introduction: Historical Background


There is no consensus in China about the origins of the death penalty and how it
was used in ancient times as the severest penalty. Some legal historians believe that
the death penalty had started from the Shun Yu ( ) time on (around 4100 years ago
and before the Xia Dynasty).1 Some legal historians argue that, in Shun Yu times, there
was no state, and that we should not think of the death penalty as a state-based pun-
ishment. Only from the Xia Dynasty on, when a state was founded, there were pun-
ishments prescribed by law.2 The most popular view on the origin of the death penalty
dates from the Xia Dynasty (2059 BC). By that time, criminal law was called “Yu
Xing”, in which five punishments were provided, among them, the “Da Bi” which
means death penalty.3 In the following dynasties, the death penalty, as one of the
main punishments, was gradually codified. Until the last dynasty, the Qing Dynasty,
in the Great Qing Code, there were around 840 articles related to the death penalty.4
The methods of execution mainly were two. One was strangulation and another was
beheading. For the most serious offences, other cruel methods of execution were used
as well, such as “death by torture” (ling chi). This can be traced back to the Liao Dy-
nasty (916 – 1129).5
In modern history, the focus will be on the following periods.

1
Ning 1986, 64 – 65. In this book, the author believes that, in the middle of Shun Yu time,
there was a reform of punishments which included the death penalty, after which the only
execution method that remained was cutting the throat.
2
Hu 1985, 27 – 28.
3
The five punishments were listed in the Yu Xing as: Tattooing (mo), amputation of nose
(yi), amputation of legs (fei), castration (gong), and the death penalty (dapi). See Mühlhahn
2009, 29.
4
Hu 1995, 42.
5
In this form of execution, the executioner makes a number of cuts with a knife upon the
offender, with the final cut consisting of cutting off the head. See Mühlhahn 2009, 32 – 34.
570 Liling Yue

1.1 Founding of the PRC to the End of the Cultural Revolution


(1949 – 1978)

In 1949, the Communist Party (CP) led by Mao Zedong, won the Civil War, and
the People’s Republic of China (PRC) was founded. In the following years, the Gov-
ernment and the CP faced significant challenges of social transformation. The Na-
tionalist (guo min dang, GMD) laws were totally abolished and the legal institutions
were firstly shut down and then later slowly replaced by the new Government’s ad-
ministration. The new Government then started to build a new legal system. However,
the tasks of consolidation of its rule and maintaining order were time and resource
consuming. Although the Government planned to introduce several new codes quick-
ly, it took some time to finalize the first codes. For example, in 1950, an Outline of a
new Criminal Law was drafted, which carried 35 statutory offences eligible for the
death penalty. However, this Outline never came into force. In order to meet require-
ments coming up during the social transformation, several rules, regulations and res-
olutions have been adopted. Among those regulations, two played an important role
for the criminal justice system: One concerned a Regulation on Punishing Counter-
Revolutionary Activity (1951), consisting of 11 counter-revolutionary offences all of
which were eligible for the death penalty. On the basis of another Regulation on
Counter-corruption, the death penalty was also applicable for economic offences.
In 1954, a Draft Guideline of Criminal Law was presented. This Guideline is similar
to the Outline of Criminal Law of 1950. 31 offences were eligible for the death pen-
alty. This Draft Guideline, however, didn’t become law either. According to the
above mentioned regulations, the death penalty could be imposed for most of so
called “counter-revolutionary crimes”,6 such as the crime of betraying the mother-
land, the crime of assembling others to rebel with arms, the crime of plotting rebel-
lion, espionage crimes, the crime of supplying arms and ammunition or other military
materials to an enemy, the crime of utilizing superstitious sects, secret society, and
evil religious organizations to commit counter-revolutionary offenses, the crime of
counterfeiting money, the crime of graft and bribery, etc. Besides the above-men-
tioned offences eligible for the death penalty, in practice, courts imposed the
death penalty for conventional crimes as well, such as intentional murder, intentional
assault and rape, serious theft, etc.7 That means, by that time, courts imposed the
death penalty not only on the basis of formal regulations but also based on criminal
policies.8 This situation remained until the end of the Cultural Revolution. During
this period, the legislative work was interrupted by political fights. Since the 1954
Draft Guideline of Criminal Law 33 versions of the Criminal Code have been pub-

6
Gao 2004, 23.
7
See the Supreme People’s Court (SPC) report of 1956 where the criminal offences and the
punishments were listed. This report has been included in the Judicial Interpretation of the
SPC of 1994. See also, Gao 2004, 23 – 24.
8
The policy has been expressed as “Balancing leniency with severity” ( , kuan yan
xiang ji). See also Gao 2004, 24.
Contemporary Death Penalty Issues in China 571

lished.9 At the end of the Cultural Revolution, the legislative discussions were based
on the 33th version of Criminal Law. Finally, in 1979, the first Criminal Code Book
(CCL) was enacted which came into force in January 1, 1980.

1.2 The 1979 Criminal Code Book

The 1979 Criminal Code Book (CCL) was based on former drafts of criminal law.
As regards death penalty issues it still remained strongly influenced by a political
character. However, main principles of international treaties with respect to the
death penalty were respected in this law. So, for example, the law provided that
the death penalty should only be applied to the most serious crimes (Art. 43 of the
1979 Criminal Code). The law also introduced a two years suspension of execution
(Art. 43)10 ; this is not considered an independent punishment, but a special way of
application of the death penalty. The suspended death penalty has played a significant
role in reducing immediate execution. According to the 1979 Code, the final review
power concerning the death penalty belonged to the Supreme People’s Court (SPC)
(Art. 43). It helped the SPC to apply a consistent standard on the death penalty in the
whole of China. The law also provided that the death penalty should not be applied to
juveniles who were under 18 at the time of commission of the crime, and that it is also
not to be applied to women who are pregnant at the time of trial (Art.44). However,
the same articles of the law left the possibility to impose the death penalty suspended
on juveniles whose age was between 16 and 18 when committing a particularly grave
crime. The most critical problem in the 1979 Criminal Code concerns the list of of-
fenses eligible for the death penalty. In the 1979 Code there were a total of 28 such
offences11, with some 15 of those offences falling into the category of “counter-rev-
olutionary” crimes. Some scholars made positive comments and argued that those
offences were properly chosen to carry the death penalty.12 However, other scholars
recognized that in comparison with other countries’ criminal laws, the offenses eli-
gible for the death penalty were too numerous.13

1.3 The Development of Death Penalty Laws (1979 – 1996)

Since the fall of the so-called “Gang of Four”, Chinese society has rapidly devel-
oped. However, right after the enactment of the 1979 CCL, the legislative organ and
the Government recognized that in the early 1980s the law hardly followed the rapid
changes and a new crime situation. They felt that more comprehensive regulations

9
Gao 2002, 44.
10
With this penalty, the sentence can be reduced to life imprisonment if the offender will
not commit serious crimes within two years.
11
Prof. Gao Ming Xuan counted 27 offences, see Gao 2004, 24.
12
Ma 1985.
13
Lei 2009, 345.
572 Liling Yue

were needed to deal with new types of crime and the need to suppress the rise of crim-
inality. During this period, more than 23 special regulations related to criminal law
have been adopted. For example, in 1981, The Standing Committee of the National
People’s Congress (NPC) adopted PRC Provisional Regulations on punishing mili-
tary personnel for violation of duty, through which 13 additional offences were made
eligible for the death penalty. In 1982, The Decision regarding the severe punishment
of criminals who seriously sabotage the economy added further 7 statutory offences
which carried the death penalty. In 1983, the campaign of “Striking Hard” (yan da)
started, the Decision regarding the severe punishment of criminals who seriously en-
danger public security added another 10 offences for which death penalty could be
applied. There were other regulations with each one adding one to three death penalty
offences. In the series of regulations, a total of 54 offences14 for which capital punish-
ment can be applied were added, whereas in the meantime five such offences were
removed. Altogether, 49 new offences provided then for the death penalty. If these
offences are added to the 28 death penalty eligible offenses originally provided in
the CCL, there were then a total of 77 criminal offenses for which capital punishment
could be imposed.15 By that time, from an international perspective, there were only
17 countries that had criminal statutes which have assigned various forms of non-vi-
olent economic crimes as capital crimes.16 According to this trend, in the authors’
view, Chinese criminal law does not provide for a proper choice of criminal offences
for which the death penalty can be applied. Although there were debates on the crim-
inal justice policies related to the death penalty, top criminal law scholars hold the
view that during that period the death penalty had been strengthened significantly.17

2. The Legal Framework


2.1 The International Legal Framework

China signed the International Covenant on Civil and Political Rights (hereafter
ICCPR) on 5 October 1998. This political act has proved the Chinese Government’s
willingness to enter into commitments towards the protection of human rights in the
State with the planet’s biggest population. However, until now the National People’s
Congress, i. e., the responsible legislative organ, has not yet ratified the ICCPR, and
there is no official explanation about the reasons of not ratifying the ICCPR. Some
scholars hold the belief that the death penalty issue is one of the most difficult sub-
jects in the ratification process because of the legal and practical situation of the death
penalty in China. It is argued that the vast number of death penalty crimes need to be

14
Some scholars adopted a different way to account for that and said it were 50 offences.
See also Hu 1999, 202.
15
Ma 1995, 119.
16
Hood 2004, 80 – 81.
17
Zhao 2001, 86 – 87.
Contemporary Death Penalty Issues in China 573

removed before the ratification can be realized in the future.18 The author also be-
lieves that it would not be a proper way to make too many reservations when
ICCPR will be ratified.19
As regards public awareness on ICCPR and attitudes towards the death penalty,
the outcome of a survey was, on the one hand, not so promising, but, on the other
hand, also not too disappointing. The survey has shown that 36.2% of the respondents
answered that they had heard about the ICCPR,20 but when they were asked about
their attitude towards restricting the application of the death penalty to the most seri-
ous crimes, almost half of the respondents (49%) held the view that the Government
should follow the UN proposal.21 This can be interpreted as a positive development
seen from the perspective of proponents of a reduction of the scope of the death pen-
alty in China.
In China, both legal scholars and practitioners play a most important role in car-
rying out research on death penalty issues. In practice, a slow progress in reducing the
application of the death penalty was observed. Since the ICCPR was signed, research
in China on the gap between UN standards and Chinese criminal law continues. The
starting point was a domestic survey on public opinion toward death penalty that was
conducted by scholars and research institutes. The earliest survey had been carried
out by the Law Institute of the Chinese Academy of Social Science and the National
Bureau of Statistics. The results of the survey show that 95% of the respondents sup-
ported the death penalty. In the report the data have been analyzed and discussed.22
This survey has shown that it will be a long journey to reach compliance with the
expectations of the international community.
Since China’s signature of ICCPR, research on human rights law has been grow-
ing. Legal scholars started to do research on international human rights law of which
the right to life and death penalty issues are essential parts.23 From the key publica-
tions we can learn that some of the leading scholars already have a deeper knowledge
on international human rights law. Although in the Chinese Constitution there are no
provisions which directly provide the right to life, the death penalty is discussed in the

18
Hu 1999, 285 – 288.
19
Yue 2007, 2.
20
Oberwittler & Qi 2009, 24.
21
The question was: “Do you think that China should follow the proposal of UN or should
China not follow?” See Oberwittler & Qi 2009, 23.
22
The survey was carried out in 1995, the report was formally published in the book
written by Hu 1999, 341 – 346. The survey was based on the simple question on “what’s your
attitude towards the death penalty?” The response options have been divided into four cate-
gories: too many [convictions], not too many, proper number, and too few. The research group
received a total of 4,983 answers. 42.2% of respondents think that the death penalty is not
imposed too often, 31.5% say that the death penalty has a proper extent, and 22.5% think that
there are too few death penalties imposed. Counting these three categories together, we can
conclude that 95% of the respondents were supporters of the death penalty.
23
The main works are Xu 2004 and Yue 2007.
574 Liling Yue

scholarly research work from the perspective of the right to life.24 Some legal scholars
explained their recognition by the development of UN’s general attitude toward the
death penalty. They divided the development into three periods: the tacit period
(1948 – 1965), the restriction period (1966 – 1988), and the abolitionist period
(1989–present).25 Chinese scholars’ interpretation and explanation of the UN
human rights treaties have recognized the gap between the UN standards and law
and legal practice in China. The main critiques can be summarized as follows:
(1.) The most critical issue is the question of how to interpret Article 6, section 2
ICCPR which provides that the death penalty may be imposed only for “the most
serious crimes”. The top legal scholars have come to the conclusion that the range
of criminal offences eligible for capital punishment is too broad in China.26 Non-vi-
olent offences, such as economic offences, should not fall under the threat of the
death penalty.27 Some scholars comment in a more detailed way on the “most serious
crime” and argue that political crimes should be excluded from the list and further say
that among violent crimes, raping adult women should also be taken from the list.
However, some other scholars have doubts with respect to the meaning of “political
crimes” and whether the crimes of terrorism and treason should stay as capital
crimes.28
(2.) Top scholars have also recognized the absence of the right to seek pardon or
commutation from the sentence of death penalty in Chinese law. In China’s Consti-
tution, Art. 67 provides the power of the Standing Committee of the NPC to pardon
convicted and sentenced offenders. However, as regards the death penalty, both,
Criminal Law and Criminal Procedure Law haven’t provided standards and proce-
dural details of pardon, and in practice commutation is only applied for defendants
who have been convicted to the death penalty with two years suspension.
As regards regional influences on the development of the death penalty in China,
the European Union (EU) plays a very important role. In 1995, China and the EU
established regular human rights dialogues. Since 1997 these dialogues have been
held twice a year, and more than four times their agenda included the exchange of
ideas on the death penalty. Several research projects on death penalty issues
which have been supported by the EU had in general a very positive impact and con-
tributed to maintaining the process of abolition of the death penalty in China.29

24
Hu 1999, 282 – 284; Xu 2004, 214 – 215; Yue 2007, 13 – 28.
25
Hu 1999, 285 – 288.
26
The details of domestic law issues will be discussed in the following sections.
27
Xia 2005, 66 – 70; Gao & Li 2004, 57 – 61.
28
Xia 2005, 67 – 68.
29
The author participated in three of those human rights dialogues and was also involved in
several research projects.
Contemporary Death Penalty Issues in China 575

2.2 The National Legal Framework

2.2.1 Substantive Criminal Law

In 1997, the legislator started efforts to reform the criminal law by way of amend-
ing the special regulations. In the amendments, the counter-revolutionary offence
statutes were abolished and replaced by crimes of endangering the national security.
In regard to the death penalty policies, in the author’s view, the Chinese legislator is
continuously moving toward the right direction (abolition), but developments are
rather slow. In the General Part of the CCL, the clause according to which juveniles
between 16 and 18 years of age could be sentenced to death with two years suspen-
sion has been deleted. This means that there is no way anymore that would allow to
impose the death penalty on delinquent juveniles under the age of 18. Problems re-
main in the Special Part. On the overall, offences eligible for capital punishment have
been reduced from 77 to 68. However, among these 68 offences, there are still 44
offences of a non-violent nature (i. e., 64.7% of all offences eligible for the death pen-
alty).30 Today there is consensus among legal scholars in China that the starting point
of abolition of the death penalty will be the exclusion of non-violent offenses from the
death penalty.
Since the 1997 amendment of the CCL was enacted, the reform process regarding
the death penalty in China accelerated. The legislator then considered to enter new
ways to reform the CCL. Until now, there were 10 amendments enacted, most of them
related to economic crimes. No further rise of death penalty offences could be ob-
served. In the 8th Amendment,31 13 offences for which death penalty could be applied
in the past have been downgraded to lesser categories of penalties. Those 13 offences
are all of a non-violent nature, such as smuggling, financial fraud and serious theft. In
practice, the death penalty was in fact rarely imposed for these crimes. This reform is
significant as it can be considered to represent a starting point of a systematic removal
of the death penalty from a range of non-violent crimes. Some scholars expect that the
statutory changes would not result in a real reduction, neither of the number of death
penalties imposed nor of the number of executions, but the author believes that this
legislative act is of tremendous importance. The reforms underline the move towards
the reduction of the death penalty and a move towards a clarification and rationali-
zation of the law.
Further efforts are then visible in 2015, when the Ninth Amendment to Criminal
Law removed nine further offences from the death penalty list; among these offences
are serious smuggling, such as the smuggling of weapons, ammunition, nuclear ma-
terials or counterfeit money, and other serious financial fraud. Now there are still 46
offences eligible for death penalty; the list still includes some non-violent offences
30
The CCL consists of a total of 421 statutory offences, among them 358 non-violent
offences. There are debates on the definition of violent and non-violent crimes, see Zhao &
Schabas 2009, 242 – 244.
31
It was enacted in February 2011 and came into force in May 2011.
576 Liling Yue

committed by civil servants. The author thinks that retaining these death penalty of-
fences is influenced by the current anti-corruption movement.

2.2.2. Criminal Procedure Law

2.2.2.1 Jurisdiction of Death Penalty Cases

China’s first Code of Criminal Procedure (CCP) was enacted in 1979. Since it first
came into force, three important revisions were passed in 1996, 2012, and 2018. Ac-
cording to the CCP, the jurisdiction of death penalty cases starts at the intermediate
courts.32 If the first instance court comes to impose a death sentence, the convict has
the right to appeal to the higher court. If the higher court does not repeal the death
penalty, the judgment becomes final but the accused shall not be executed yet. The
case has to go through the Supreme People’s Court’s (SPC) final review.

2.2.2.2 Final Review Proceeding

Under the 1979 and 1996 CCP the authority of final review of the death penalty
cases belongs to the SPC. However, as was mentioned above, in 1983 the Chinese
government became very concerned about the growth of crime. In order to reduce
the significantly increased crime rates, the government took strong action in the
form of “striking hard” campaigns. The government’s new policy sought to simplify
and speed up the trial procedures for cases of serious crimes. The law also decentral-
ized the process of judicial review. Serious crimes such as murder, robbery and rape
no longer went to the SPC for a final review procedure. In these serious cases, the
review was conducted by the higher courts on the provincial level. Only cases of eco-
nomic crime in which the convicted person was sentenced to death could be reviewed
by the SPC. The “striking hard” policy and the statutory changes have created large
disparities in the use of death sentences among the 30 provinces. A lot of criticism
followed the observation of disparity in sentencing and the use of the death penalty.
Finally, in 2007, the Legislative Committee of the NPC made a decision, which gave
the authority of a final review of death sentences back to the SPC. The motives for this
reform were twofold: One concerns international pressure which mainly came from
Europe. A second reason can be found in the domestic criticism of the quality of judg-
ments in death penalty cases, and the inconsistency in the imposition of death sen-
tences and the large variation between provinces.33 Several cases of miscarriage in-
volving death sentence cases were disclosed.34 Therefore part of the reform was fo-

32
In China courts have 4 levels: local courts, intermediate courts, higher courts and the
Supreme Court. The intermediate courts are located in bigger cities or the capital city of
provinces.
33
Yue 2007, 23 – 26.
34
In 2005 Legal Daily published a report about the case of Mr. She Xianglin. The case
initiated from an unidentified body which was found in a Jingshan township reservoir. Just by
Contemporary Death Penalty Issues in China 577

cused on re-establishing standards for prosecution, sentencing, and evidence. In


2010, the SPC, the SPP, the Ministry of Justice and the Ministry of Security issued
a Regulation on evidence rules for handling death penalty cases. This regulation es-
tablished a higher and more comprehensive standard of proof. It requires that the con-
clusion has to be based on the beyond reasonable doubt standard. This standard even-
tually has been also adopted in the 2012 and 2018 amendment of the CCP (Art. 55).

2.2.2.3 Criminal Defence in Death Penalty Cases

When defendants who are facing the death penalty cannot afford a lawyer, they
enjoy the right to free legal aid assistance (Art. 35 of the 2018 CCP). However,
there are problems persisting in the provisions of law and also in the application
of the laws.
(1) The first issue is whether and to what extent defendants can get legal aid lawyers’
assistance during the death penalty review proceedings. According to the au-
thor’s understanding, free assistance by a legal aid lawyer should be available
during the entire proceedings, that means from the beginning of the investigation
to the end of proceedings.35 The 2012 CCP has made some progress on this point.
The law says that while the SPC reviews a death penalty case and if the defence
lawyer wants to present an opinion, the SPC shall take account of the lawyer’s
opinion (Art. 240 of the 2012 CCP). However, both the 2012 and 2018 amend-
ments did not mention whether or not the Supreme People’s Court could appoint
a legal aid lawyer if defendants do not have a lawyer. Even if a defendant would
have the right to get assistance by a legal aid lawyer, the question is still open
which court should appoint a lawyer. Another issue concerns the question
where lawyers can meet their clients. On April 29, 2019, the Supreme Court pub-
lished “Several Provisions of the Supreme People’s Court on Safeguarding the
Lawful Rights and Interests of the Parties in the Procedures of Death Sentence

coincidence, Ms. Zhang, She’s wife who has a light mental disorder, disappeared in January
1994. Later investigation showed that right before Ms. Zhang walked away, she and Mr. She
had a quarrel. Then the local police asked Ms. Zhang’s other family members to identify the
body, but they did not complete a DNA test, because by that time, in small cities or even
regional police station DNA test capacities were not yet available. After the confirmation of
the identity of Ms. Zhang’s body by the relatives, Mr. She became the prime suspect and was
arrested in April 1994. Media reports showed that he was tortured by the police. Mr. She was
convicted of murder and sentenced to death at first instance. After a change of the jurisdiction
of the case and an appeal by Ms. She the final sentence was reduced in 1998 to 15 years of
imprisonment because the higher court’s judges had doubts in relation to the confession and
other evidence. While Mr. She served his sentence for about 11 years, his former ‘dead’ wife’s
memory had recovered, and she came back to the village. In April 2005, the case was re-
opened, and Mr. She was acquitted. Later he received compensation for wrongful conviction
from the court. Legal Daily of April 1st, 2005 (in Chinese); see also www.cecc.gov/publica
tions/commission-analysis/hubei-man-convicted-of-wifes-murder-ten-years-ago-exonerated
[10. 10. 2020].
35
Yue 2010, 162.
578 Liling Yue

Review and Execution.” (hereafter: The Provisions). In Art. 1 it states that “when
serving a legally rendered judgment of death sentence on a defendant, the higher
People’s court shall notify the defendant that he or she has the right to entrust a
defence lawyer at the stage of death sentence review by the Supreme People’s
Court.” However, the provisions do not directly provide for proceedings on
how to assign legal aid lawyers. It can only be assumed from Art. 2 which
says that an assignment of free legal aid lawyers will be possible. The author as-
sumes that detailed arrangements are still under discussion.
(2) The quality of defence in death penalty cases must also be considered. This issue
has been discussed for several years and a general guideline for death penalty
cases has been proposed. Several provincial level lawyers’ associations have is-
sued local guidelines for death penalty defence cases, but until now the China
Lawyers Association has not produced/published a countrywide guideline for
the handling of death penalty defence. In August 27, 2017, the China Lawyers
Association published a Guideline for Criminal Cases Defence. In its Chapter 11
(Art. 199 to 205) it provides rules for the death penalty final review. These rules
provide special requirements for the meeting with relatives of defendants and for
the review of case files, and list detailed aspects which a lawyer should pay spe-
cial attention to. They concern also the submission of defence opinions to the
Supreme Court. In the above mentioned “Jointly issued regulations 2008”,
Art. 3 especially mentions that when legal aid institutions appoint legal aid law-
yers, they shall appoint experienced trial lawyers as defence lawyers for death
sentence defendants. This shows that the Supreme Court and the Ministry of Jus-
tice intended to improve the quality of defence for death penalty cases. However,
a system of quality evaluation has not yet been established.
(3) The quality of defence also depends on how the lawyers are remunerated. Ac-
cording to the survey which has been carried out jointly by the (former) Max-
Planck-Institute for Foreign and International Criminal Law36 and several Chi-
nese research institutions, the fee for defence in death penalty cases varies from
region to region. The fee paid for legal aid lawyers ranged from 500 to 1,000
RMB yuan.37 Obviously this amount of payment hardly guarantees an efficient
defence.
Then, there are debates on the nature of the final review proceedings for death
penalty cases. Some scholars argue that these proceedings are special trial pro-
ceedings, because the relevant provisions of the CCP are included in its Part
Three (adjudication). If the review belongs to the trial proceedings, then the prin-
ciples of the criminal trial must be respected. For example, the review proceed-
ings should be public. If the defendant has no lawyer, the SPC should appoint a
legal aid lawyer for him. However, in practice, the review proceeding has been

36
In 2020, the Institute has been restructured and the name changed into Max-Planck-
Institute for the Study of Crime, Security and Law.
37
Albrecht 2006, 148.
Contemporary Death Penalty Issues in China 579

conducted by the SPC in a more or less administrative way. Although the CCP as
amended in 2018 provides that in the review proceeding the accused shall be in-
terrogated (Art. 251), the entire proceeding is held in camera. As regards the
legal aid lawyer’s assistance in the final review process, the above-mentioned
Supreme Court’s Provision did not provide a clear solution.

2.2.2.4 Execution

The CCP regulates also the proceedings of execution. Normally, after the final
review, when the trial court receives the order from the SPC for execution, the exe-
cution shall be carried out within seven days. Some scholars think this time frame is
too short. Under the 1979 CCP, the only method of execution was shooting; in 1996,
the lethal injection has been added. The reason for the introduction of lethal injection
was to provide a less painful way of execution, and to show the humanity in the ex-
ecution of criminal sanctions. The medicine to be used for execution was approved by
the State Food and Drug Administration. The medicine and execution facilities are
prepared and assembled by institutions authorized by the Supreme Court.38 The Kun
Ming Intermediate Court (Yun Nan Province) was the first court to use lethal injec-
tion in 199739 after the 1997 CCP was enacted. Gradually execution by shooting has
been replaced meanwhile by lethal injection in most of intermediate courts, and the
SPC established finally a guideline for the proceedings of execution.
As was mentioned above, according to the ICCPR, Art. 6 section 4, “anyone sen-
tenced to death shall have the right to seek pardon or commutation of the sentence.”
The Chinese Constitution provides that the NPC and its Standing Committee have the
authority to decide on special pardons (Art. 67 Constitution). But in the modern his-
tory of China, the Government only issued pardon to war criminals. It never issued
pardon to criminals who were sentenced to the death penalty. Some scholars strongly
suggest that with respect to pardon comprehensive research should be carried out,
and special proceedings for pardon be established in criminal procedure law.40

3. Case Studies
The only source of published death sentence judgments is the Supreme Court
web41. Since 2013 a total of 481 final review death sentence judgments have been
published. If the cases are broken down to the years in which the judgments were
uploaded to the webpage then the following distribution arises:

38
See http://baike.baidu.com [15. 01. 2020].
39
See http://info.phamacy.hc360.com [15. 01. 2020].
40
Yue 2007, 27 – 28.
41
See www.court.gov.cn [18. 12. 2019].
580 Liling Yue

• 2016: 10 cases,
• 2015: 305 cases,
• 2014: 125 cases,
• 2013: 54 cases.
The author reviewed the 30 most recent death sentence judgments (see Table 1).
The cases, however, cannot be considered to be a random sample of death penalty
sentences imposed in China. They represent a selection by the Supreme Court’s ad-
ministration.

Table 1
Inventory of Selected Death Penalty Cases
No. Gender Age* Offence Residence Education Occupation Appeal Review
area term**
1 M 21 Intended Rural, mi- Technical Migrant N 7 m.
murder grant secondary worker
school
2 M 47 Intended Rural Middle Farmer Y 4 m.
murder school
3 M 25 Kid- Rural, mi- Middle Migrant Y 6 m.
napping, grant school worker
rape
4 M 29 Intended Rural Middle Farmer Y 5 m.
murder school
5 M 30 Drug Rural Middle Farmer Y 5 m.
trafficking school
6 M 24 Intended Rural Middle Farmer Y 7 m.
assault, school
theft
7 M 23 Robbery Urban, Middle Unemployed Y 5 m.
city school
8 M 41 Intended Urban, Middle Unemployed Y 5 m.
murder city school
9 M 25 Intended Rural Middle Farmer Y 6 m.
murder school
10 M 23 Intended Urban, Middle Farmer Y 4 m.
assault city school
11 M 45 Robbery Urban, Primary Farmer Y 9 m.
city school
12 M 44 Intended Rural Primary Farmer Y 4 m.
murder school
13 M 43 Rape Urban, Primary Farmer N 12 m.
city school
Contemporary Death Penalty Issues in China 581

Table 1 (Continued)
14 M 41 Intended Rural Middle Farmer Y 6 m.
murder, school
arson
15 M 44 Intended Urban, Illiterate Migrant Y 15 m.
murder city worker
16 M 24 Intended Urban, Middle Farmer Y 12 m.
murder, city school
robbery
17 M 34 Robbery Rural Primary Farmer Y 4 m.
school
18 M 36 Robbery Rural High Farmer Y 10 m.
school
19 M 26 Intended Rural Primary Migrant Y 5 m.
murder school
20 M 41 Intended Urban, Primary Unemployed Y 7 m.
murder city school
21 M 41 Intended Rural Middle Migrant N 4 m.
murder school worker
22 M 26 Intended Rural Junior col- Farmer Y 6 m.
murder lege
23 M 46 Robbery Urban, Primary Unemployed N 3 m.
city school
24 M 64 Intended Rural Primary Farmer Y 10 m.
murder school
25 M 30 Intended Urban, Middle Unemployed Y 10 m.
murder city school
26 M 40 Intended Urban, Middle Unemployed Y 9 m.
murder city school
27 M 24 Robbery Rural Middle Unemployed Y 6 m.
school
28 M 24 Kid- Urban, Middle Unemployed Y 5 m.
napping city school
29 M 34 Kid- Rural Middle Farmer Y 8 m.
napping school
30 M 51 Intended Rural Primary Farmer N 5 m.
murder school
* The age is calculated on the basis of the first instance trial.
** Review term shown in months.
582 Liling Yue

3.1 Substantive Law Elements

From the criminal offence perspective, among the 481 final review cases, a group
of 9 main offences can be identified among the full list of 46 death penalty offences in
the current Criminal Law.42 The distribution of these offences is as follows: 280 cases
of intended murder, 162 robbery cases, 58 drug-related cases, 39 rape-related cases,
30 kidnappings, 27 intended assaults, 6 explosion crimes, and 4 mafia cases. Except
for the drug related cases, all the crimes have resulted in the death of victims. There
was only one drug trafficking case among the above listed 30 cases (see table), the
offender was convicted of trafficking around 60 kg of Ketamine. The overview shows
that, with the exception of the drug-related cases, there are already today no more
non-violent offence crimes among the published death penalty cases. In particular,
also cases related to corruption have resulted in fewer death sentences. Although
that will not mean that courts will not impose death sentences for non-violent offen-
ces at all, but at least it means, that courts and judges have adopted practices which
limit the application of death sentences in such cases.

3.2 Criminological Elements

Seen from the age perspective and calculating the age on the basis of the first in-
stance trial, the average age of the 30 convicts is 35 years. The youngest offender is 21
years old, the oldest one is 64 years. A group of 10 offenders are aged between 20 to
29 years (33%), 8 offenders are aged between 30 and 36 years old (27%), 10 offenders
are aged from 40 to 47 years (33%), and two offenders were 50 years and older. Our
analysis shows that the death penalty as the harshest penalty statistically affects rel-
atively young offenders. Especially the 10 death penalty cases published in 2016
show, that most of the offenders (8) are under 30 years old. This situation should
be taken as an impetus for developing sentencing practices where more attention
should be devoted to policies of rehabilitation and education.
In regard to prior deviance, the data show that among the 30 convicts, eight of-
fenders were recidivists who had previous convictions (27%), among them, the L.
case (case no. 23), when he committed his last robbery, he was 46 years old and
had no less than six previous convictions; Mr. Y. (no. 13) committed a series of
rape crimes; he raped 18 women and had five previous convictions. When he was
sentenced to death he was 43 years old. These cases demonstrate that some serious
crime offenders had been on the road of a criminal career since they were young.
Further and comprehensive research should be carried out on the causes of these
criminal careers, with a particular attention to the strengthening of correctional pol-
icies.

42
The analysis is based on a key word search. Some of the offenders were convicted for
multiple offences. Therefore, the number of offences is larger than the total number of cases.
Contemporary Death Penalty Issues in China 583

From the perspective of the relatively new research area on criminal decision mak-
ing, it should be interesting to look at whether there were alternative perspectives to
influence the offenders’ decision making. This could be done from angles like social
psychology, behavioral economics and neuroscience.43 In the above listed 30 cases,
there are eight murder cases, in which the causes for the commission of the homicides
were evidently rooted in the offender-victim relationships. In these cases, a partner-
ship was interrupted and the partner was killed during the process of separation. This
phenomenon shows that on the one hand, the partnership is a very important factor in
the life course, while on the other hand, it also becomes apparent that, when partner-
ships fail, conflicts may escalate and ultimately result in offenders not capable to con-
trol their anger and killing their partner. This demonstrates an obvious lack of self-
control and a lack of capability to consider and weigh various options of behavior.
Insofar, research should in the future put emphasis on self-control and how self-con-
trol can be strengthened in order to protect potential victims. In three cases, the mo-
tivations for killing victims have been described in the factual part of the final review
decision, as the decision to kill the victim was obviously triggered by trivial matters.
Among these three offenders, two of them killed the victims although there were no
direct links with feelings of disappointment. Among them, Mr. L. even mutilated the
victim’s body (case no. 26). Supposedly, the behavior in these cases fell outside the
range of normal reactions to small conflicts, and may hardly be explained by conven-
tional factors of deviance. There were another three cases, in which the offenders had
originally planned to commit rape or robbery without killing the victims. However,
after committing those crimes, they were afraid of becoming known to authorities
and then decided to kill their victims. This illustrates that the death penalty may
have some degree of deterrence, however, it also shows that the threat of the
death penalty may also raise the number of victims.
From the education and profession perspective we can see that among these 30
offenders, 17 have passed the middle school level,44 one was in high school and
two in a professional training school. Nine offenders have only achieved the prelimi-
nary school level, and one is illiterate. 21 offenders are peasants, among them there
were four migrant workers and nine unemployed persons. The relationship between
education and crime is a complicated criminological issue, but some conclusions of
research show that “schooling significantly reduces criminal activity”.45 In light of
this simple statistic, the question of schooling, especially in the rural area, may be
raised. However, it must also be considered that the death penalty is most prevalent
on the lowest levels of society, exposing poor and uneducated offenders to the risk of
receiving death sentences.

43
Van Gelder 2013, 745 – 763.
44
In China, it has nine years free education policy, middle school level means, at least they
enrolled the middle school, but we don’t know if they graduated from the school.
45
Lochner & Moretti 2004.
584 Liling Yue

3.3 Procedural Law Elements

From a procedural perspective, 24 offenders appealed to high courts, and all the
death sentence cases went through the first review by the high courts on the provincial
level. There was only one case (W., robbery and homicide, see case no. 16) which,
after the first appeal, was sent back to the first instant trial court for a retrial. The
final judgment confirmed the death sentence. On a second appeal, the death penalty
was upheld. The proceedings lasted for three years. The average final review time is
6.6 months. The Supreme Court approved all of those 30 death penalty cases.

4. Conclusions and Future Perspectives


In China, most legal scholars and practitioners agree with the opinion that the
death penalty should be abolished. Opinions vary as to the question when the
death penalty should be abolished. Most legal scholars hold the view that death pen-
alty cannot be abolished at the present time because of the political, economic and
crime situation. Politicians and some legal practitioners still believe that the death
penalty serves as an effective deterrent, notwithstanding the facts that any surveys
which would prove that presumption have never been carried out in the country
and that there is no scientific evidence on the international level there to support
this opinion.
The majority of legal scholars and practitioners further agree that there are too
many offence statutes in the criminal code book which carry the death penalty;
there is also agreement that those offences should be reduced gradually, especially
the non-violent offences. In fact, the legislative authority is moving toward this di-
rection. One of the problems in this regard concerns that some leading scholars are
still in favor of using death penalty for punishing the crime of corruption. It may need
some time to convince them that the most important method of anti-corruption will be
a proper preventive system rather than repressive punishment.
Legal practitioners, especially judges, have recognized that an effective way of
reducing the death penalty in China is a change of the sentencing policies. Even if
the death penalty would remain on the criminal code book judges should be able
to apply alternatives to the death penalty. In fact, in China, the judges of the SPC
are following this method and by doing so play an important role in reducing the ap-
plication of the death penalty.
Public opinion is also still playing a very important role in the movement of abo-
lition of the death penalty. In the author’s view, the Government should guide the pub-
lic opinion through education and discussion instead of just following public opinion.
In general, history and current developments support the view that China is on the
way of abolishing the death penalty.
Contemporary Death Penalty Issues in China 585

References

Albrecht, H.-J. (1998): The Death Penalty in China from a European Perspective. Konferenz-
und Arbeitspapiere aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht. Freiburg i. Br.; https://csl.mpg.de/de/publikationen/the-death-penalty-in-china-from-a-
european-perspective-2/ [31. 08. 2020].
Gao, M. (2004): On Chinese Legislation Concerning the Death Penalty and its Trend, in:
B. Zhao (ed.), The Road of the Abolition of the Death Penalty in China. Beijing, pp. 23 – 24.
Gao, M. (ed.) (2002): Special Treaties on Criminal Law. Beijing.
Gao, M. & Li, W. (2004): On the Perfection of the Legislation concerning the death penalty and
its Trend, in: B. Zhao (ed.), The Road of the Abolition of the Death Penalty in China. Beijing,
pp. 57 – 61.
Hood, R. (2004): From Restriction to Abolition of the Death Penalty – An historical and Com-
parative Note, in: B. Zhao (ed.), The Road of the Abolition of the Death Penalty in China.
Beijing, pp. 80 – 81.
Hu, Y. (1995): The Study on Death Penalty. Beijing.
Hu, Y. (1999): Reserving or Abolishing (cun yu fei). Beijing.
Johnson, D. & Zimring, F. (2009): The Next Frontier. Oxford.
Lei, J. (2009): On the Legislative Control of Death Penalty, in: B. Zhao & W. Schabas (eds.),
Studies on Legislative Reform of Death Penalty, Beijing, pp. 341 – 363.
Lochner, L. & Moretti, E. (2004): The Effective of Education on Crime: Evidence from Prison
Inmates, Arrests, and Self-reports. American Economic Review, 94/1, pp. 155 – 189; https://
eml.berkeley.edu/~moretti/lm46.pdf [31. 08. 2020].
Ma, K. (1985): Death Penalty in Chinese Criminal Law, in: Reference of Criminal Law. Beijing.
Ma, K. (1995): A General Survey on Punishment. Wuhan.
Mühlhahn, K. (2009): Criminal Justice in China. Cambridge, Mass.
Ning, H. (1986): The History of Chinese Criminal Law, Vol. 2. Liao Ning.
Oberwittler, D. & Qi, S. (2009): Public Opinion on the Death Penalty in China. Results from a
General Population Survey, Conducted in three Provinces in 2007/2008. forschung aktuell j
research in brief, Vol. 41. Freiburg i.Br.
Van Gelder, J.L. (2013): Beyond Rational Choice: the Hot/Cool Perspective of Criminal Deci-
sion Making. Psychology, Crime & Law 19/9, pp. 745 – 763.
Xia, Y. (2005): Death Penalty and Most Serious Crimes Comments on Article 6, paragraph 2 of
ICCPR, in: Z. Chen (ed.), Death penalty – the Global Focus. Beijing, pp. 66 – 70.
Xu, X. (ed.) (2004): International Human Rights Law. Beijing.
Yue, L. (2007): ICCPR and Criminal Justice in China. Beijing.
Yue, L. (2010): Criminal Trial and Human Rights Protection, Beijing.
Zhao, B. (ed.) (2004): The Road of the Abolition of the Death Penalty in China. Beijing.
Zhao, B. & Schabas, W. (2009): Studies on Legislative Reform of Death Penalty. Beijing.
Zhao, Z. (2001): Restriction of Death Penalty. Wuhan.
Schuldangemessene Strafzumessung
im Völkerstrafrecht
Von Thomas Weigend

Hans-Jörg Albrecht, dem ich diese Zeilen in alter freundschaftlicher Verbunden-


heit zu seinem 70. Geburtstag widme, hat die Forschung zu zahlreichen kriminolo-
gischen und kriminalpolitischen Themen wesentlich bereichert. Ganz besonders gilt
das für das Feld der Strafzumessung, die er nicht nur in seiner Dissertation1 und seiner
Habilitationsschrift,2 sondern auch in vielen weiteren Arbeiten bis in die Gegenwart
hinein3 behandelt hat. Sein 1994 veröffentlichtes opus magnum „Strafzumessung bei
schwerer Kriminalität“ brachte viele gängige Denkschemata in der Diskussion über
Strafzumessung ins Wanken. In seinem Buch zeigte Albrecht aufgrund einer mit
höchster juristischer und sozialwissenschaftlicher Expertise ausgeführten Untersu-
chung der Strafzumessungspraxis zu Raub, Einbruchsdiebstahl und Vergewaltigung
in Deutschland und Österreich, dass die Strafen nicht – wie zuvor und auch teilweise
heute noch angenommen – nach irrationalen Maßstäben in arbiträrer Weise zugemes-
sen werden, sondern dass das Problem eher in der geringen Zahl der faktisch bedeut-
samen Zumessungsfaktoren4 sowie in der Diskrepanz zwischen den wirklichen und
den im Urteil genannten Strafzumessungserwägungen5 liegt. Tatsächlich ist nach Al-
brechts Ergebnissen eine sehr überschaubare Zahl tatbezogener Faktoren maßgeb-
lich, nämlich vor allem die Schwere der eingesetzten Tatmittel (Drohung, Gewalt)
und die Tatfolgen sowie die Vorstrafenbelastung des Täters. Die rechtspolitischen
Desiderate, die Albrecht aus seinen Ergebnissen ableitet (Anerkennung der Tatpro-
portionalität als auch normativ entscheidender Maßstab für die Festsetzung der Sank-
tion, Absenkung der gesetzlichen Strafrahmen auf das tatsächlich von den Gerichten
genutzte Maß6) sind bisher bedauerlicherweise vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen
worden, haben jedoch die theoretische Debatte insbesondere zur Bedeutung des Pro-
portionalitätsgedankens durchaus befruchtet.7

1
Albrecht 1980.
2
Albrecht 1994.
3
Siehe etwa Albrecht 2017, 185; Albrecht 2019, 165.
4
Albrecht (Fn. 2), 331 ff., 497 f.
5
Albrecht (Fn. 2), 408 ff., 498.
6
Albrecht (Fn. 2), 499 f.
7
Siehe etwa Hörnle 1999; Frisch, von Hirsch & Albrecht 2003; Teixeira 2014.
588 Thomas Weigend

1. Strafzumessung im Völkerstrafrecht
Ein neues, durch besondere Faktoren kompliziertes Anwendungsfeld für Theorie
und Praxis der Strafzumessung bildet das Völkerstrafrecht. Die Anfänge einer straf-
rechtlichen Verantwortlichkeit individueller Täter auf der Grundlage des Völker-
rechts liegen bekanntlich in den Verfahren gegen deutsche und japanische Kriegsver-
brecher nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem Nürnberger Prozess gegen die deutschen
Hauptkriegsverbrecher lag das Londoner Statut vom 08. 08. 1945 zugrunde. Es ent-
hielt zur Strafzumessung in Artikel 27 lediglich die Regelung: „The Tribunal shall
have the right to impose upon a Defendant, on conviction, death or such other punish-
ment as shall be determined by it to be just.“8 Auf dieser Grundlage wurden von den
schuldig gesprochenen 19 Angeklagten zwölf zum Tode, drei zu lebenslanger Frei-
heitsstrafe und vier zu zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt, ohne dass das Urteil Be-
gründungen zu den unterschiedlichen Strafmaßen enthielt.
Nach einer fast ein halbes Jahrhundert währenden Latenzphase kehrte das Völker-
strafrecht Anfang der 1990er Jahre in das öffentliche Bewusstsein zurück, als der Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen internationale Strafgerichtshöfe für Straftaten
auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien (1993)9 und in Ruanda (1994)10 einsetzte.
Die Statuten dieser beiden Gerichtshöfe enthielten etwas eingehendere Regelungen
zur Strafzumessung. So beschränkte Art. 24 des Statuts für den Jugoslawien-Ge-
richtshof11 die Sanktionen auf Freiheitsstrafen und die Einziehung von Vermögens-
gegenständen, die durch Straftaten erlangt waren, und Abs. 2 dieser Vorschrift gab
den Kammern vor, dass sie „should take into account such factors as the gravity
of the offence and the individual circumstances of the convicted person“.12 Eine stär-
ker differenzierte Regelung enthält das Römische Statut des Internationalen Strafge-
richtshofs (IStGH) von 1998, auf dessen Grundlage der IStGH seit 2002 in Den Haag
über die Täter der gravierendsten völkerrechtlichen Verbrechen (Genozid, Verbre-
chen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, seit 2017 auch Verbrechen
der Aggression) zu Gericht sitzt. Nach Art. 77 (1) des Statuts kann der Gerichtshof
Freiheitsstrafen bis zu 30 Jahren verhängen, außerdem lebenslange Freiheitsstrafen
„when justified by the extreme gravity of the crime and the individual circumstances
of the convicted person“.
8
Fast wortgleich Art. 16 Tokyo Charter of the International Military Tribunal for the Far
East von 1946. Das Tokioter internationale Militärtribunal verurteilte sieben Angeklagte zum
Tode; 16 Angeklagte erhielten lebenslange und zwei Angeklagte zeitige Freiheitsstrafen.
9
Statute of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia v. 25. 05. 1993,
Security Council Resolution 827 (1993).
10
Statute of the International Criminal Tribunal for Rwanda v. 08. 11. 1994, Security
Council Resolution 995 (1994).
11
Inhaltsgleich Art. 23 des Statuts für den Ruanda-Gerichtshof.
12
Rule 101 der Rules of Procedure and Evidence des Jugoslawien-Gerichtshofs enthielt
darüber hinaus weitere Hinweise für die Strafzumessung, u. a. die Regel, dass eine „substantial
cooperation with the Prosecutor by the convicted person“ als Strafmilderungsgrund anzusehen
ist.
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht 589

Ebenso wie die beiden ad-hoc-Strafgerichtshöfe soll der IStGH bei der Bemes-
sung der Strafe „the gravity of the crime and the individual circumstances of the con-
victed person“ berücksichtigen (Art. 78 (1) IStGH-Statut). Nähere Richtlinien ent-
hält Rule 145 der Rules of Procedure and Evidence des IStGH. Danach soll die Kam-
mer bei der Bemessung der Strafe zunächst beachten, dass „the totality of any sent-
ence of imprisonment and fine … must reflect the culpability of the convicted
person“ (Rule 145 (1) (a)). Insbesondere sind dabei das Ausmaß des angerichteten
Schadens, die Art des unrechten Verhaltens und die Mittel, die der Täter verwendet
hat, das Maß seiner Beteiligung an der Tat und seines Vorsatzes, die Umstände, die
Zeit und der Ort der Tatbegehung sowie das Alter, die Ausbildung und die soziale und
wirtschaftliche Situation des Verurteilten zu berücksichtigen (Rule 145 (1) (c)). Dar-
über hinaus enthält Rule 145 (2) eine Liste von zwei mildernden13 und sechs straf-
schärfenden Umständen. Bei all dem bleibt die Schuldangemessenheit der wesent-
liche Maßstab für die Sanktion; dementsprechend können die Parteien die Strafzu-
messung mit dem Rechtsmittel des Appeal angreifen, indem sie ein Missverhältnis
(disproportion) zwischen der Tat und der Strafe rügen (Art. 81 (2) (a) IStGH-Statut).

2. Maß der Schuld als Bezugspunkt der Strafzumessung


Angesichts dieser rechtlichen Vorgaben überrascht es nicht, dass sowohl die ad-
hoc-Gerichtshöfe als auch der IStGH betonen, dass die Strafe der Schuld des Täters
zu entsprechen habe. So heißt es in einem Urteil des Jugoslawien-Strafgerichtshofs
(ICTY) aus dem Jahre 2005:
„… the principle of proportionality implies that a sentence must reflect the predominant
standard of proportionality between the gravity of the offence and the degree of responsi-
bility of the offender“.14

Auch der IStGH hebt immer wieder hervor, dass „gravity of the crime“ ein we-
sentlicher Gesichtspunkt sei.15 Dabei geht es nicht so sehr um das (relative) Gewicht
des Straftatbestandes als solchen, sondern – in Übereinstimmung mit Rule 145 (1) (a)
der Rules of Procedure and Evidence – um „culpability of the convicted person“, also

13
Genannt werden das Vorliegen von Umständen, die die strafrechtliche Verantwortlich-
keit zwar nicht ausschließen, aber herabsetzen sowie das Nachtatverhalten des Täters, insbe-
sondere eine Entschädigung des Verletzten sowie die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof.
14
Pros. v. Nikolic, ICTY, Appeals Chamber, IT-94 – 2-A, Decision on Sentencing, 4
Feb. 2005, para. 21; ähnlich Pros. v. Delalic, ICTY, Appeals Chamber, IT-96 – 21-A20, Judg-
ment, 20 Feb. 2001, para. 731.
15
Pros. v. Lubanga Dyilo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/06, Decision on Sentence,
10 July 2012, para. 36; Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on
Sentence, 23 March 2014, para. 39; Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/
05 – 01/08, Decision on Sentence, 21 June 2016, para. 11.
590 Thomas Weigend

den persönlichen Anteil des Täters im Rahmen einer von Mehreren begangenen Ge-
samttat, wie sie für völkerstrafrechtliche Sachverhalte typisch ist.16
Damit wird deutlich, dass die internationalen Strafgerichtshöfe den Ausgleich der
persönlichen Tatschuld des Täters als hauptsächlichen Zweck der Strafe betrachten.17
Jenseits der positivrechtlichen Verankerung der „culpability“ in den Statuten stellt
sich freilich die Frage nach der Legitimität einer retributiv ausgerichteten Sanktio-
nierung in einem säkularen (internationalen) Strafrechtssystem.18 Ansätze zu einer
modernen Begründung rekurrieren teilweise auf die Idee der im Gesellschaftsvertrag
begründeten Solidarität der Bürger,19 teilweise auf den Gedanken ausgleichender Ge-
rechtigkeit, wonach dem Straftäter der durch die Rechtsbeeinträchtigung angemaßte
(ideelle) Vorteil durch die Strafe wieder entzogen werden soll.20 In jedem Fall ver-
langt eine retributive Zwecksetzung der Strafe zwingend nach einer Sanktion, die
der Schuld des Täters entspricht.
Hier stellt sich jedoch zunächst das grundsätzliche Problem der fehlenden Kom-
mensurabilität zwischen dem Unrecht, das der Täter schuldhaft verwirklicht, und
dem Sanktionsrepertoire des Staates, das im Wesentlichen aus dem Entzug von Be-
wegungsfreiheit und von Vermögen besteht. Es liegt auf der Hand, dass die Herstel-
lung einer bestimmten Relation zwischen diesen beiden Größen rational nicht be-
gründbar ist, sondern letztlich nur durch willkürliche Setzung vorgenommen werden
kann.21 So lässt sich kein intersubjektiv verbindlicher Grund dafür angeben, dass bei-

16
Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on Sentence, 23
March 2014, para. 43. S. dazu auch Hola, Bijleveld & Smeulers 2011, 745, 752.
17
Wegen des beschränkten Umfangs dieses Beitrags kann nicht näher auf den Anteil spe-
zialpräventiver Zwecksetzungen an der Sanktionsbemessung durch internationale Strafge-
richtshöfe eingegangen werden. Nach allgemeiner Auffassung sind dort die Ziele einer Bes-
serung des Täters sowie seiner Abschreckung von weiteren Taten jedenfalls nicht von haupt-
sächlicher Bedeutung; dies liegt u. a. daran, dass die typischen Täter zum Zeitpunkt der Ver-
urteilung ihren politischen Einfluss verloren haben und daher nicht in der Lage sind, weitere
völkerstrafrechtliche Taten zu begehen. S. näher zu diesen Fragen Pros. v. Delalic, ICTY,
Appeals Chamber, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, paras. 805 – 806; Pros. v. Miluti-
novic et al., ICTY, Trial Chamber, IT-05 – 87-T, Judgment, 26 February 2009, para. 1146;
Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on Sentence, 23 March
2014, paras. 88, 91, 117; Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/05 – 01/08,
Decision on Sentence, 21 June 2016, para. 11. S. aber auch die positivere Einschätzung der
Spezialprävention bei Epik 2017, 123 ff.
18
Siehe hierzu die kritische Würdigung retributiver Theorien bei Albrecht (Fn. 2), 36 f.,
44 ff. Aus jüngerer Zeit Hörnle 2019, § 12 Rn. 7.
19
Pawlik 2012, 90 ff.
20
Zur Anwendung dieses Gedankens im Völkerstrafrecht s. Melloh 2010, 106 ff.
21
Von „grundsätzlich nicht lösbaren Äquivalenzproblemen“ spricht in diesem Zusam-
menhang Albrecht (Fn. 2), 51. S. dazu auch Lacey 2016, 27, 40 sowie die empirischen Un-
tersuchungen von Robinson & Darley 2007, 1 und Robinson 2013, die übereinstimmend zu
dem Ergebnis kommen, dass die Einschätzung der relativen Schwere von Straftaten interna-
tional und – kulturell sehr ähnlich ist, dass sich aber die „absolute“ Setzung von Ankerwerten
stark unterscheidet.
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht 591

spielsweise ein Raub22 mit Gewalteinsatz und einem Schaden von 1.000 Euro nicht
mit einem, zwei, fünf, sechs oder zehn Jahren, sondern mit vier Jahren Freiheitsstrafe
sanktioniert werden soll. Hat man einen solchen Ankerwert aber einmal festgelegt, so
gebietet es der Grundsatz der relativen Proportionalität, einen Raub ohne Gewaltein-
satz und mit einem sehr geringen Vermögensschaden des Opfers bei sonst gleichen
Umständen milder (also etwa mit drei Jahren Freiheitsstrafe) und eine Tat, bei der der
Täter eine Waffe verwendet hat, ceteris paribus strenger (also etwa mit fünf Jahren
Freiheitsstrafe) zu bestrafen. Retributive Strafgerechtigkeit kann – und muss – also
nur in relativer Gleichbehandlung bestehen.23
Bei internationalen Strafgerichtshöfen kommt das Problem hinzu, ein Äquivalent
für die teilweise unfassbar schweren und vielfachen Rechtsverletzungen zu finden,
für die die Angeklagten verantwortlich sind. Der Jugoslawien-Gerichtshof hat diese
Schwierigkeit plastisch zum Ausdruck gebracht:
„A sentence, however harsh, will never be able to rectify the wrongs, and will be able to
soothe only to a limited extent the suffering of the victims, their feelings of deprivation, an-
guish, and hopelessness.“24

Andererseits gibt es seit der Abschaffung der lex talionis ohnehin keine „absolute“
Entsprechung von Tat und Strafe mehr, sondern ein „Umrechnungsschlüssel“ wird –
wie erwähnt – allein durch Konvention festgesetzt.25 Dies bedeutet, dass auch für die
schwersten Verbrechen eine angemessene Strafe existiert – eben die schwerste in
dem jeweiligen Rechtssystem verfügbare Sanktion.

3. Probleme bei der Verwirklichung relativer Strafgerechtigkeit


Das Problem der Verwirklichung relativer Strafgerechtigkeit hat für internationa-
le Strafgerichtshöfe besonderes Gewicht, da sie im Blickpunkt der Öffentlichkeit ste-
hen und ihre Urteile in Verfahren, die unterschiedliche Konfliktfelder betreffen, auch
als politische Entscheidungen interpretiert werden können. Deshalb hat der Jugosla-
wien-Gerichtshof zu Recht hervorgehoben, dass Gleichmäßigkeit bei der Strafzu-
messung ein grundlegendes Element eines rationalen und fairen Strafjustizsystems
sei26 – was ganz besonders für die internationale Strafgerichtsbarkeit gilt. Dessen un-
geachtet wird die Tätigkeit des IStGH und der ad-hoc-Gerichtshöfe, die bisher ins-

22
Der gesetzliche Strafrahmen reicht nach § 249 StGB – unter Einbeziehung minder
schwerer Fälle – von sechs Monaten bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe.
23
Siehe dazu von Hirsch 1992, 55, 79 ff.; Ashworth & von Hirsch 2005, 139.
24
Pros. v. Krajisnik, ICTY, Trial Chamber, IT-00 – 39-T, 27. September 2006, § 1146.
25
Melloh (Fn. 20), 118 f.
26
Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 756. Ähnlich
Melloh (Fn. 20), 37.
592 Thomas Weigend

gesamt etwa 150 Personen verurteilt haben,27 hinsichtlich der Gleichmäßigkeit der
Strafzumessung wenig günstig, sondern als „disparate, uncertain and inconsistent“28
beurteilt.
Die Anklagebehörden und die Verteidigung greifen bei ihren Stellungnahmen zur
Strafzumessung häufig auf das Postulat der relativen Gerechtigkeit zurück und ver-
weisen auf frühere Strafzumessungsentscheidungen, um das Gericht zu einer – je
nach Standpunkt – strengen oder milden Strafmaßentscheidung zu bewegen. Die
ad-hoc-Gerichtshöfe haben solche Vergleiche überwiegend mit dem Argument zu-
rückgewiesen, dass jeder Fall besonders sei und dass die Unterschiede zwischen
ihnen größer als etwaige Gemeinsamkeiten seien.29 Die Berufungskammer des
ICTY hob allerdings vereinzelt Strafzumessungsentscheidungen mit der Begrün-
dung auf, dass sie außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu Strafmaßen für
gleichartige, unter ähnlichen Umständen begangene Verbrechen lägen.30
Im Jahre 2019 kam auch das Nachfolge-Gericht des Jugoslawien-Gerichtshofs,
der International Residual Mechanism for Criminal Tribunals (IRMCT), im Fall
von Radovan Karadzic, des politischen Führers der berüchtigten bosnisch-serbi-
schen Truppen in den jugoslawischen Konflikten der 1990er Jahre, zu einem solchen
Ergebnis. Nach Art. 24 des ICTY-Statuts können Freiheitsstrafen in beliebiger Höhe
verhängt werden, nach Rule 101 (A) der ICTY Rules of Procedure and Evidence auch
eine Freiheitsstrafe „for a term including the remainder of the convicted person’s
life“. Maßgebliche Faktoren für die Bemessung der Strafe sollen die Schwere der
Tat und die individuellen Umstände des Verurteilten sein. Radovan Karadzic war
durch die Verfahrenskammer des ICTY wegen einer Vielzahl von Einzeltaten verur-
teilt und mit einer Gesamt-Freiheitsstrafe von 40 Jahren belegt worden. Auf das
Rechtsmittel des Anklägers hin verhängte der nunmehr zuständige IRMCT gegen
Karadzic eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Richter sahen durch den Ausspruch
einer nur zeitigen (wenn auch sehr langen) Freiheitsstrafe das Prinzip der relativen
Proportionalität verletzt, da andere Beteiligte an denselben Taten, die im Rang unter

27
Der Jugoslawien-Gerichtshof hat Strafen gegen 90 Personen verhängt (http://www.icty.
org/node/9590), der Ruanda-Gerichtshof gegen 62 Personen (https://unictr.irmct.org/en/tribu
nal) und der IStGH gegen vier Personen. Einen empirischen Überblick über die Strafzumes-
sung der Gerichtshöfe auf dem Stand von 2013 geben Smeulers, Hola & van den Berg 2013, 7,
21.
28
Ambos 2014, 268 (m.w.N. in Fn. 166). S. auch Bagaric & Morss 2006, 191, 193; Sloane
2007, 713, 716 f.; Scalia 2011, 669.
29
Siehe z. B. Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 719;
Pros. v. Nikolic, ICTY, Appeals Chamber, IT-94 – 2-A, Decision on Sentencing, 4 Feb. 2005,
para. 19. Demgegenüber verweist Ewald 2010, 365, 385, 388 darauf, dass die Richter bei der
Entscheidung über das Strafmaß stets – bewusst oder unbewusst – ihnen bekannte, (ver-
meintlich) ähnlich gelagerte Fälle zum Maßstab nehmen. Kritisch zu der Rechtsprechung auch
Sloane (Fn. 28), 713, 718 f.
30
Pros. v. Jelisic, ICTY, IT-95 – 10-A, Appeals Chamber, Judgment, 5 July 2001, para. 96;
Pros. v. Nikolic, ICTY, Appeals Chamber, IT-94 – 2-A, Decision on Sentencing, 4 Feb. 2005,
para. 16.
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht 593

Karadzic standen, lebenslange Freiheitsstrafen erhalten hatten. Daher habe die Ver-
fahrenskammer ein Strafmaß gewählt, das „so unreasonable and plainly unjust“ ge-
wesen sei, dass ein offensichtlicher Fehlgebrauch des Strafzumessungsermessens
vorliege.31
Damit trat ein, was der Jugoslawien-Gerichtshof schon in einer früheren Entschei-
dung vorausgesagt hatte: es werde sich ein Strafzumessungsfallrecht entwickeln, an
dem sich der ICTYorientieren werde, um eine Erosion des öffentlichen Vertrauens in
die Gerichtsbarkeit durch ungerechtfertigte Strafmaß-Unterschiede zu verhindern.32
Dieser Ansatz zu einem schrittweisen Vorgehen in Richtung auf eine konsistente und
doch differenzierende Strafzumessungspraxis dürfte eine vernünftige Lösung für das
eigentlich unlösbare Problem darstellen, relative Strafgerechtigkeit bei der Ahndung
schwerster Verbrechen herzustellen.
Ob der IStGH denselben Weg gehen wird, muss sich angesichts der bisher sehr
geringen Zahl an Verurteilungen, noch dazu in eher untypischen Fällen, noch erwei-
sen. Als der IStGH zum ersten Mal eine Strafmaßentscheidung zu treffen hatte, ver-
suchte die Anklagebehörde einen Pflock zur Orientierung einzuschlagen: Sie schlug
vor, als Ausgangspunkt für jede Strafzumessungsentscheidung 24 Jahre Freiheits-
strafe zu nehmen, also 80 % des vom Statut vorgesehenen Höchstmaßes der zeitigen
Freiheitsstrafe von 30 Jahren; Strafmilderungs- und -schärfungsgründe sollten Ab-
weichungen von diesem Richtmaß erlauben. Das Gericht lehnte jedoch eine solche
Festlegung ab, da sie im Statut nicht vorgesehen sei und überdies die Berücksichti-
gung der Umstände des Einzelfalles zu sehr einschränken würde.33
Verschiedene Autoren haben legislatorische Maßnahmen vorgeschlagen, um star-
ke Diskrepanzen in der Strafzumessung der internationalen Strafgerichtshöfe zu ver-
meiden. Genannt werden eine Spezifizierung engerer Strafrahmen für die einzelnen
völkerstrafrechtlichen Tatbestände34 sowie die Schaffung „weicher“ Strafzumes-
sungsrichtlinien, von denen die Richter nur mit Begründung abweichen können.35
Es fragt sich allerdings, ob diese Vorschläge tatsächlich zu einer einheitlicheren
Strafzumessung führen können. Was die Einführung engerer Strafrahmen betrifft,
so wird man bei den völkerrechtlichen Verbrechen kaum ohne die Androhung lebens-
langer Freiheitsstrafe für Fälle schwerster Schuld auskommen. Andererseits enthal-
ten die Tatbestandskataloge der Kriegsverbrechen auch Tatvarianten, die im Einzel-
fall vergleichsweise weniger schwer wiegen können, so dass auch relativ kurze Frei-

31
Pros. v. Karadzic, IRMCT, MICT-13 – 55-A, Appeals Chamber, Judgment, 20 March
2019, paras. 766 f., 772 f.
32
Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 757.
33
Pros. v. Lubanga Dyilo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/06, Decision on Sentence,
10 July 2012, paras. 92 f.
34
D’Ascoli 2011, 283 f.; Hoven 2013, 137, 154, 167; Ambos (Fn. 28), 286.
35
Harmon & Gaynor 2007, 683, 710 f.; Ambos (Fn. 28), 302 f.
594 Thomas Weigend

heitsstrafen in Betracht kommen.36 Für Genozid und Humanitätsverbrechen kämen


allerdings Untergrenzen von fünf bzw. drei Jahren Freiheitsstrafe in Frage;37 niedri-
gere Strafen werden jedoch schon nach geltendem Recht kaum verhängt.
„Weiche“ Strafzumessungsrichtlinien dürften nicht viel mehr leisten können als
die derzeitige Strafzumessungspraxis wiederzugeben, die freilich beim IStGH
wegen der geringen Zahl der Fälle noch nicht recht erkennbar ist. Wenn die Kammern
von den vorgeschlagenen Strafrahmen oder -maßen abweichen können, ist zu erwar-
ten, dass Richtlinien nur den Effekt haben, den (ohnehin schon sehr großen) Begrün-
dungsaufwand der Kammern zu erhöhen. Es ist daher wohl vorzuziehen, auch für den
IStGH darauf zu setzen, dass sich einheitliche Maßstäbe im Laufe der Zeit durch
Richterrecht herausbilden und dass „Ausreißer“ durch die Rechtsmittelkammern
korrigiert werden.

4. Spezifisch völkerstrafrechtliche Fragen


Bei der Suche nach der schuldproportionalen Strafe stellen sich im Völkerstraf-
recht einige zusätzliche, spezifische Probleme. Dazu gehört zunächst die Komplexi-
tät der völkerrechtlichen Verbrechen, die typischerweise von internationalen Straf-
gerichtshöfen abgeurteilt werden.38 Groß angelegte genozidale oder kriegsverbre-
cherische Aktionen sind schon untereinander kaum vergleichbar, und erst recht be-
reitet die wertende Einordnung der Beiträge der einzelnen Tatbeteiligten erhebliche
Schwierigkeiten. Beim IStGH kommt hinzu, dass Art. 25 (3) des Statuts nicht erken-
nen lässt, ob die Reihenfolge der dort aufgeführten Formen der Verantwortlichkeit
(„Individual criminal responsibility“), die von eigenhändiger Täterschaft bis zur Un-
terstützung von Gruppen mit kriminellen Absichten reicht, zugleich eine Rangfolge
ihrer Schwere zum Ausdruck bringen soll. Auch wenn dies überwiegend angenom-
men wird,39 fällt es schwer, Unterschiede in der Intensität der Tatbeteiligung in Straf-
zumessungsentscheidungen umzusetzen, zumal weder bestimmte Strafrahmen für

36
Zu denken ist etwa an den Angriff auf ein nach humanitärem Völkerrecht geschütztes
Fahrzeug (Art. 8 (2) (e) (iii) IStGH-Statut) oder die Beschlagnahme des Eigentums einer
gegnerischen Partei ohne militärische Notwendigkeit (Art. 8 (2) (e) (xii) IStGH-Statut).
37
Das deutsche Recht setzt für minder schwere Fälle des Völkermordes eine Mindeststrafe
von fünf Jahren fest (§ 6 Abs. 2 VStGB). Für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten für
die Einzeltatbestände unterschiedliche Mindeststrafen, die in manchen Fällen (Körperverlet-
zung und Freiheitsberaubung) nur ein Jahr betragen (§ 7 Abs. 2 VStGB).
38
Siehe deGuzman 2015, 932, 953 ff.
39
Für die Annahme einer solchen Rangfolge Pros. v. Lubanga Dyilo, ICC, Appeals
Chamber, ICC-01/04 – 01/06, Judgment of 1 Dec. 2014, § 462; aus der Literatur Weigend
2011, 91, 102 f.; Ambos (Fn. 28), 146 f.; Werle & Burghardt 2014, 851, 855 ff.; Werle &
Jeßberger 2016, Rn. 544 f. Für ein Einheitsmodell der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
dagegen Stewart 2012, 165, 205 ff.
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht 595

die einzelnen Tatbestände noch Milderungsregeln für bestimmte Beteiligungsformen


existieren.40
Ein damit verbundenes typisches Problem bei völkerstrafrechtlichen Straftaten
liegt im Umgang mit der Stellung der Verurteilten in einer organisatorischen Hier-
archie. Viele Angeklagte vor den ad-hoc-Gerichtshöfen ebenso wie vor dem
IStGH waren keine unmittelbaren Täter von Kriegs- oder Menschlichkeitsverbre-
chen, sondern befanden sich in einer mehr oder wenigen hohen Position innerhalb
einer militärischen oder zivilen Kommandostruktur. Im Völkerstrafrecht wurden ver-
schiedene Rechtsfiguren entwickelt, die die besondere Verantwortlichkeit des Füh-
rungspersonals, das sich selbst nicht die Hände schmutzig macht, erfassen sollen.
Dazu gehören etwa die von den ad-hoc-Gerichtshöfen häufig verwendete umfassen-
de Täterschaftsmodalität der Joint Criminal Enterprise,41 beim IStGH die mittelbare
Täterschaft mittels eines selbst schuldhaft handelnden Tatmittlers (Tatbegehung
„through another person, regardless of whether that other person is criminally re-
sponsible“; Art. 25 (3) (a) IStGH-Statut)42 sowie die im Wesentlichen das schuldhaf-
te Unterlassen der Tatverhinderung erfassende Command Responsibility (Art. 28
IStGH-Statut).43 Bei der Strafzumessung gehen die internationalen Straftribunale
von dem Grundsatz aus, dass die Verantwortlichkeit (und damit auch die Strafe)
eines Täters ansteigt, je machtvoller seine Position in einer Hierarchie ist. So schrieb
die Verfahrenskammer II des IStGH in der Strafmaß-Entscheidung in der Sache
Bemba Gombo, des militärischen Führers einer Armee, deren Soldaten zahlreiche
Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik begangen hatten:
„… in accordance with the principle of gradation in sentencing, high-level leaders, regard-
less of the mode of liability, generally bear heavier criminal responsibility than those further
down the scale. Although once or several times physically removed from the acts of his or
her subordinates, the culpability of a superior and his or her degree of moral blameworthi-
ness might, depending on the concrete circumstances, be greater than that of his or her sub-
ordinates.“44

Empirische Studien zur Strafzumessungspraxis des Ruanda-Tribunals haben ge-


zeigt, dass auch dort der militärische oder zivile Rang des Angeklagten ein starker

40
Rule 145 (1) (c) der Rules of Procedure and Evidence des IStGH beschränkt sich darauf,
„the degree of participation of the convicted person“ als einen von vielen Faktoren zu nennen,
die bei der Strafzumessung berücksichtigt werden sollen.
41
Aus dem reichen Schrifttum dazu s. nur Haan 2008; Olásolo 2009, 263; Werle & Jeß-
berger (Fn. 39), Rn. 552 ff.; Yanev 2019, 121 ff.
42
Siehe dazu Werle & Burghardt 2011, 85; Ohlin, van Sliedregt & Weigend 2013, 725;
Weigend 2015, 538 ff.; Kiss 2019, 30 ff.
43
Siehe dazu Burghardt 2008; Ambos (Fn. 28), 197 ff.; Karsten 2010; Meloni 2010;
Jackson 2019, 409 ff.
44
Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/05 – 01/08, Decision on Sentence,
21 June 2016, para. 17. S. auch schon Pros. v. Aleksovski, ICTY, Appeals Chamber, IT-95 –
14/1-A, Judgment, 24 March 2000, para. 183.
596 Thomas Weigend

Indikator für die Höhe der gegen ihn verhängten Strafe war.45 Diese Orientierung des
Strafmaßes an der hierarchischen Verantwortung des Täters entspricht einem retri-
butiven Ansatz, der weniger auf das objektive Ausmaß des insgesamt verwirklichten
Unrechts als auf das Maß der Schuld abstellt, die dem Angeklagten persönlich zur
Last fällt.46 Dies bedeutet allerdings nicht, dass Untergebene von den internationalen
Straftribunalen besonders milde behandelt werden – insbesondere dann nicht, wenn
sie aus eigener Initiative oder mit besonderer Grausamkeit handeln.47
Ein besonderes Problem der Strafzumessung im Völkerstrafrecht liegt darin be-
gründet, dass es die Gerichte fast durchweg mit überaus schweren Straftaten, oft mit
Hunderten von Opfern, zu tun haben. Jede einzelne Tat würde nach nationalem Recht
eine langjährige, im Fall von vorsätzlicher Tötung sogar eine lebenslange Freiheits-
strafe nach sich ziehen.48 Können und sollen die internationalen Gerichte bei der
Strafzumessung dennoch zwischen furchtbaren und besonders furchtbaren Taten49
differenzieren? Für den IStGH ist diese Lösung durch Art. 77 (1) (b) seines Statuts
vorgeschrieben: Danach darf er eine lebenslange Freiheitsstrafe nur verhängen
„when justified by the extreme gravity of the crime and the individual circumstances
of the convicted person.“ Diese Voraussetzung wurde bei keinem der vier bisher Ver-
urteilten bejaht, und angesichts der Schwere der meisten angeklagten Delikte fragt es
sich, welche Umstände eine „extreme gravity“ begründen könnten.
Nimmt man eine Differenzierung der Sanktionen in der völkerstrafrechtlichen
Gerichtsbarkeit vor, so stellt sich das Problem, dass die meisten der Angeklagten
wegen derselben Taten in nationalen Gerichten die jeweilige Höchststrafe zu erwar-
ten hätten:50 Was auf internationaler Ebene etwa ein „Durchschnittsfall“ der Tötung
von Zivilpersonen ist, würde sich in einem nationalen Gericht als mehrfacher Mord
darstellen.51 Bezieht man dies in die Gerechtigkeitsanalyse ein, so zeigt sich ein Un-
gleichgewicht zwischen der Behandlung „einfacher“ Mörder in den nationalen
Rechtsordnungen und der Strafmaßbestimmung in völkerstrafrechtlichen Tribuna-
45
Hola, Bijleveld & Smeulers (Fn. 16), 753, 755, 771; Pruitt 2014, 148, 161.
46
Für einen solchen Ansatz D’Ascoli (Fn. 34), 293.
47
Siehe etwa Pros. v. Delalic, ICTY, IT-96 – 21-A20, Judgment, 20 Feb. 2001, para. 847:
„In certain circumstances, the gravity of the crime may be so great that even following
consideration of any mitigating factors, and despite the fact that the accused was not senior in
the so-called overall command structure, a very severe penalty is nevertheless justified.“
48
Teilweise wird daher vorgeschlagen, die lebenslange Freiheitsstrafe im Völkerstrafrecht
als „normale“ Strafe einzusetzen und kürzere Freiheitsstrafen nur bei besonderen mildernden
Umständen zu verhängen; s. etwa Ohlin 2011, 323; Hoven 2013, 137, 157 ff.; s. auch Szoke-
Burke, 2012, 561, 566 ff. (der die milde Strafpraxis des Ruanda-Tribunals kritisiert).
49
Siehe Hola, Bijleveld & Smeulers (Fn. 16), 754 (Unterscheidung zwischen „serious and
horrendous“ und „even more serious and horrendous“ Straftaten).
50
Vgl. dazu Harmon & Gaynor (Fn. 35), 686 ff.
51
Sowohl für den Jugoslawien-Gerichtshof als auch für den Ruanda-Gerichtshof sahen die
Rules of Procedure and Evidence vor, dass sie sich (unter anderem) an den jeweiligen natio-
nalen Strafmaß-Vorschriften orientieren sollten. Dies ist jedoch in der Praxis offenbar kaum
geschehen. Kritisch dazu Szoke-Burke (Fn. 48), 576 f.; Epik (Fn. 17), 100 ff.
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht 597

len. Dieses Dilemma lässt sich nicht in völlig zufriedenstellender Weise lösen. Der
bessere Ansatz liegt wohl darin, die internationale Gerichtsbarkeit als eigenes Sys-
tem zu betrachten und nach der Verwirklichung relativer Gerechtigkeit nur innerhalb
dieses Systems zu streben. Dies mag dazu führen, dass Täter, die von internationalen
Strafgerichtshöfen abgeurteilt werden, mit milderen Sanktionen davonkommen als
wenn sie nach nationalem Recht verurteilt würden. Dabei ist jedoch zu berücksich-
tigen, dass der IStGH einen Fall nach dem Komplementaritätsprinzip (Art. 17 (1) (a)
IStGH-Statut) nur dann aburteilen kann, wenn die zuständige nationale Gerichtsbar-
keit nicht willens oder in der Lage ist, dies zu tun; für die betroffenen Täter stellt also
eine Sanktionierung nach nationalem Recht keine praktikable Alternative dar. Au-
ßerdem haben die internationalen Strafgerichtshöfe auch bei einer abgestuften Sank-
tionierung völkerrechtlicher Verbrechen in vielen Fällen langjährige Freiheitsstrafen
verhängt, so dass man nicht annehmen kann, dass Personen, die für den Tod anderer
Menschen verantwortlich sind, in der internationalen Strafgerichtsbarkeit mit milden
Sanktionen belegt werden.

5. Die expressive Funktion der Strafe


Ein mit dem Gedanken des Schuldausgleichs verbundener Aspekt der Kriminal-
strafe, der in jüngerer Zeit vermehrt in den Vordergrund gerückt wurde, ist der de-
monstrative Ausdruck der Ablehnung der rechtswidrigen Tat sowie des Tadels ge-
genüber dem Täter durch die Rechtsgemeinschaft.52 Dieser Gedanke eines „expres-
siven“ Zwecks der Strafe spielt im Völkerstrafrecht insofern eine wichtige Rolle, als
die ausdrückliche Feststellung von Unrecht und Schuld einzelner Täter(gruppen) die
Balance zwischen Tätern und Opfern nach einem Konflikt wiederherstellt und so zu
einer Befriedung der betroffenen Gesellschaft beitragen kann. Außerdem wird durch
die Sanktionierung der Täter klargestellt, dass die von ihnen verletzten Normen des
Völkerrechts unverändert auch gegenüber Personen in Machtstellungen gelten und
durchgesetzt werden.53 Dies hat die Rechtsmittelkammer des Jugoslawien-Gerichts-
hofs schon im Jahre 2000 zum Ausdruck gebracht:
„… a sentence of the International Tribunal should make plain the condemnation of the in-
ternational community of the behaviour in question and show that the international commu-
nity was not ready to tolerate serious violations of international humanitarian law and human
rights.“54

52
Siehe dazu etwa Günther 2002, 205; Hörnle (Fn. 18), § 12 Rn. 34 – 36. Überblick über
die anglo-amerikanische Diskussion dieses Aspekts bei deGuzman (Fn. 38), 939 ff.
53
Siehe dazu Pros. v. Katanga, ICC, Trial Chamber, ICC-01/04 – 01/07, Decision on
Sentence, 23 March 2014, para. 38; Pros. v. Bemba Gombo, ICC, Trial Chamber, ICC-01/
05 – 01/08, Decision on Sentence, 21 June 2016, para. 11; Epik (Fn. 17), 140 ff.
54
Pros. v. Aleksovski, ICTY, Appeals Chamber, IT-95 – 14/1-A, Judgment, 24 March 2000,
para. 185, unter Hinweis auf Prosecutor v. Kambanda, ICTR, Judgment, 4 Sept. 1998,
para. 28.
598 Thomas Weigend

Aus dem Gedanken der symbolischen Verurteilung des Fehlverhaltens ergibt sich
allerdings keine eigene Richtlinie für die Bemessung der Sanktion, sondern er ver-
weist auf den Maßstab der Tatschuldangemessenheit zurück: Die Schärfe der sym-
bolischen Verurteilung hat der Schwere der Schuld zu entsprechen und soll auch ge-
genüber den Verletzten zum Ausdruck bringen, dass der Täter ihnen schweres Leid
zugefügt hat.55
Eine in dieser Weise schuldangemessene Strafe kann zugleich insofern general-
präventiv wirken, als sie Machthabern in aller Welt vor Augen führt, dass sie sich
nicht auf Dauer darauf verlassen können, dass ihre politische Stellung sie vor Straf-
verfolgung schützt, und dass sie unter Umständen selbst dann durch den IStGH zur
Verantwortung gezogen werden können, wenn in ihrem eigenen Land kein geeigne-
tes Gericht zur Verfügung steht.56 Andererseits zeigt sich bei einem Blick auf die ak-
tuelle Weltlage von 2020 mit ihren zahlreichen blutigen Konflikten, die häufig ohne
Rücksicht auf die Begrenzungen durch das humanitäre Völkerrecht ausgetragen wer-
den, keine nachhaltig befriedende oder zivilisierende Wirkung der Bemühungen des
IStGH. Die wenigen Personen, die dort bisher verurteilt wurden, erscheinen überwie-
gend als unlucky losers aus militärischen Auseinandersetzungen in Afrika. Solange
die mächtigen Staaten dieser Welt, wie die USA, die VR China, Russland, aber auch
die Türkei und Israel die Mitwirkung am IStGH ablehnen, wird sich an diesem Zu-
stand und an der sehr begrenzten Wirkung seiner Tätigkeit bei der Verhinderung völ-
kerrechtlicher Verbrechen auch nicht viel ändern.57

6. Schlussbemerkung
Die Aufgabe, bei der Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen relative Gerechtig-
keit zu verwirklichen, stellt die Richter internationaler Strafgerichtshöfe vor fast un-
überwindbare Schwierigkeiten. In den maßgeblichen Rechtsvorschriften, insbeson-
dere den Statuten der Gerichtshöfe, sind keine brauchbaren Maßstäbe für die Straf-
zumessung im Einzelfall zu finden. Die zur Aburteilung gestellten Fälle lassen sich
kaum miteinander vergleichen, und auch die Rolle der einzelnen Angeklagten bei

55
Siehe dazu Melloh (Fn. 20), 114 ff.; Ambos (Fn. 28), 86; DeGuzman (Fn. 38), 956 ff.
Hoven 2013, 137, 155 schließt aus dem „expressiven“ Charakter der Bestrafung, dass die
Täter völkerstrafrechtlicher Verbrechen normalerweise zu lebenslanger Freiheitsstrafe verur-
teilt werden sollten. Siehe demgegenüber jedoch Pros. v. Karadzic, International Residual
Mechanism for Criminal Tribunals, Appeal judgment, 29 March 2019, Dissenting opinion of
Judge de Prada Solaesa, paras. 847 ff. (lebenslange Freiheitsstrafe verstoße gegen den
Grundsatz der Menschlichkeit).
56
Der Gedanke der allgemeinen Abschreckung wird hervorgehoben z. B. in Pros. v. Bla-
skic, ICTY, Trial Chamber, IT-95 – 14-T, Judgment, 3 March 2000, para. 761; Pros. v. Ruta-
ganda, ICTR, Trial Chamber, ICTR-96 – 3, Judgment and Sentence, 2 February 1999,
para. 456. S. hierzu auch D’Ascoli (Fn. 34), 299 f.; Melloh (Fn. 20), 137 ff.; Hoven 2013, 137,
148.
57
Ähnlich die Einschätzung bei Grono & de Courcy Wheeler 2014, 1225, 1240 ff.
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht 599

den jeweiligen Tatkomplexen ist schwer in ein nachvollziehbares Schwere-Raster zu


bringen. Hinzu kommt das Problem, dass viele der angeklagten Taten nach nationa-
lem Recht mit der Höchststrafe zu sanktionieren wären, die internationalen Gerichts-
höfe aber eine Differenzierung vorzunehmen bestrebt sein müssen. Dennoch haben
sich die Richter bemüht, die Schuld jedes einzelnen Angeklagten in ein Strafmaß um-
zusetzen, das – auch unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle – seiner individu-
ellen Verantwortlichkeit gerecht wird. Die internationale Strafrechtswissenschaft
kann und sollte versuchen, durch fortlaufende kritische Beobachtung der Rechtspre-
chung – so wie dies Hans-Jörg Albrecht schon vor Jahrzehnten für Deutschland und
Österreich getan hat – die faktisch maßgeblichen Faktoren herauszuarbeiten und so
zu größerer Gleichmäßigkeit der Strafmaßentscheidungen beizutragen.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin.


Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: H. Safferling et al. (Hrsg.),
Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Heidelberg.
Albrecht, H.-J. (2019): Sanktionswirkungen, Rückfall und kriminelle Karrieren, in: A. Dess-
ecker, S. Harrendorf & K. Höffler (Hrsg.), Angewandte Kriminologie – Justizbezogene For-
schung. Göttingen.
Ambos, K. (2014): Treatise on International Criminal Law, vol. II. Oxford.
Ashworth, A. & Hirsch, A. von (2005): Proportionate Sentencing: Exploring the Principles. Ox-
ford.
Bagaric, M. & Morss, J. (2006): International Sentencing Law: In Search of a Justification and
Coherent Framework. International Criminal Law Review 6, S. 191 – 255.
Burghardt, B. (2008): Die Vorgesetztenverantwortlichkeit im völkerrechtlichen Straftatsystem.
Berlin.
D’Ascoli, S. (2011): Sentencing in International Criminal Law. The approach of the two UN ad
hoc Tribunals and future perspectives for the International Criminal Court. Oxford.
deGuzman, M. (2015): Proportionate Sentencing at the ICC, in: C. Stahn (Hrsg.), The Law and
Practice of the International Criminal Court. Oxford.
Epik, A. (2017): Die Strafzumessung bei Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Berlin.
Ewald, U. (2010): ,Predictably Irrational‘ – International Sentencing and its Discourse against
the Backdrop of Preliminary Empirical Findings on ICTY Sentencing Practices. International
Criminal Law Review 10, 365 – 402.
Frisch, W., von Hirsch, A. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2003): Tatproportionalität. Normative und
empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung. Heidelberg.
Grono, N. & Courcy Wheeler, A. de (2014): The Deterrent Effect of the ICC on the Commission
of International Crimes by Government Leaders, in: C. Stahn (Hrsg.), The Law and Practice
of the International Criminal Court. Oxford.
600 Thomas Weigend

Günther, K. (2002): Die symbolisch-expressive Bedeutung der Strafe, in: C. Prittwitz (Hrsg.),
Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag am 2. Mai 2002. Baden-Baden.
Haan, V. (2008): Joint Criminal Enterprise. Die Entwicklung einer mittäterschaftlichen Zurech-
nungsfigur im Völkerstrafrecht. Berlin.
Harmon, M.B. & Gaynor, F. (2007): Ordinary Sentences for Extraordinary Crimes. Journal of
International Criminal Justice 5, 683 – 712.
Hirsch, A. von (1992): Proportionality in the Philosophy of Punishment. Crime and Justice 16,
55 – 98.
Hola, B., Bijleveld, C. & Smeulers, A. (2011): Punishment for Genocide – Exploratory Analysis
of ICTR Sentencing. International Criminal Law Review 11, 745 – 773.
Hörnle, T. (1999): Tatproportionale Strafzumessung. Berlin.
Hörnle, T. (2019): Straftheorien, in: E. Hilgendorf, H. Kudlich & B. Valerius (Hrsg.), Handbuch
des Strafrechts, Bd. 1. Heidelberg, S. 507 – 538.
Hoven, E. (2013): Elf Stunden für ein Menschenleben – Zur Strafzumessung im Völkerstraf-
recht. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 125, S. 137 – 168.
Jackson, M. (2019): Command Responsibility, in: J. de Hemptinne, R. Roth & E. van Sliedregt
(Hrsg.), Modes of Liability in International Criminal Law. Cambridge.
Karsten, N. (2010): Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des nicht-militärischen Vorgesetzten.
Berlin.
Kiss, A. (2019): Indirect Commission, in: J. de Hemptinne, R. Roth & E. van Sliedregt (Hrsg.),
Modes of Liability in International Criminal Law, 30 – 57.
Lacey, N. (2016): The Metaphor of Proportionality. Journal of Law and Society 43, 27 – 44.
Melloh, F. (2010): Einheitliche Strafzumessung in den Rechtsquellen des ICC-Statuts. Berlin.
Meloni, Ch. (2010): Command Responsibility in International Criminal Law. Den Haag.
Ohlin, J.D. (2011): Proportional Sentences at the ICTY, in: B. Swart, A. Zahar & G. Sluiter
(Hrsg.), The Legacy of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia. Ox-
ford.
Ohlin, J.D., van Sliedregt, E. & Weigend, Th. (2013): Assessing the Control-Theory. Leiden
Journal of International Law 26, 725 – 746.
Olásolo, H. (2009): Joint criminal enterprise and its extended form: A theory of co-perpetration
giving rise to principal liability, a notion of accessorial liability or a form of partnership in
crime? Criminal Law Forum 20, 263 – 287.
Pawlik, M. (2012): Das Unrecht des Bürgers. Grundlinien der Allgemeinen Verbrechenslehre.
Tübingen.
Pruitt, W.R. (2014): Aggravating and Mitigating Sentencing Factors at the ICTR – An Explo-
ratory Analysis. International Criminal Law Review 14, 148 – 176.
Robinson, P.H. (2013): Intuitions of Justice and the Utility of Desert. New York.
Robinson, P.H. & Darley, J.M. (2007): Intuitions of Justice: Implications for Criminal Law and
Justice Policy. Southern California Law Review 81, 1 – 67.
Schuldangemessene Strafzumessung im Völkerstrafrecht 601

Scalia, D. (2011): Long-Term Sentences in International Criminal Law: Do They Meet the Stan-
dards Set Out by the European Court of Human Rights? Journal of International Criminal
Justice 9, 669 – 687.
Sloane, R.D. (2007): Sentencing for the ,Crime of Crimes‘. Journal of International Criminal
Justice 5, 713 – 734.
Smeulers, A., Hola, B. & van den Berg, T. (2013): Sixty-Five Years of International Criminal
Justice: The Facts and Figures. International Criminal Law Review 13, 7 – 41.
Stewart, J.G. (2012): The End of ,Modes of Liability‘ for International Crimes. Leiden Journal
of International Law 25, 165 – 219.
Szoke-Burke, S. (2012): Avoiding Belittlement of Human Suffering: A Retributivist Critique of
ICTR Sentencing Practices. Journal of International Criminal Justice 10, 561 – 580.
Teixeira, A. (2014): Grundlagen einer tatproportionalen Strafzumessungslehre. Baden-Baden.
Weigend, Th. (2011): Perpetration through an Organization: The Unexpected Career of a Ger-
man Legal Concept. Journal of International Criminal Law 9, 91 – 111.
Weigend, Th. (2015): Indirect Perpetration, in: C. Stahn (Hrsg.), The Law and Practice of the
International Criminal Court. Oxford.
Werle, G. & Burghardt, B. (2011): Foreword. Journal of International Criminal Justice 9, 85 –
89.
Werle, G. & Burghardt, B. (2014): Täterschaft und Teilnahme im Statut des Internationalen
Strafgerichtshofs, in: M. Heger, B. Kelker & E. Schramm (Hrsg.), Festschrift für Kristian
Kühl zum 70. Geburtstag. München.
Werle, G. & Jeßberger, F. (2016): Völkerstrafrecht. 4. Aufl. Tübingen.
Yanev, L.D. (2019): Joint Criminal Enterprise, in: J. de Hemptinne, R. Roth & E. van Sliedregt
(Hrsg.), Modes of Liability in International Criminal Law. Cambridge.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität?
Von Franz Streng

1. Einleitung
In seiner großen, empirisch wie theoretisch angelegten Studie „Strafzumessung
bei schwerer Kriminalität“ betont Hans-Jörg Albrecht, dass „ein Umrechnungsmaß-
stab, der Schuld in Strafe übersetzt, nicht vorhanden sein kann … und daß die Ori-
entierung an der Strafzumessungsschuld ein unverbindlicher Programmsatz bleibt“.
„Eine Tatproportionalitätstheorie der Strafzumessung dagegen … stellt … einen
theoretischen Rahmen für die Ausbildung eines rechtlich begründbaren Maßstabs
für die Strafmaßdifferenzierung oder -abstufung zur Verfügung“.1
Mit dem Jubilar verbindet mich nicht nur die jahrzehntelange regelmäßige Teil-
nahme an den Kolloquien der Südwestdeutschen Kriminologischen Institute,2 son-
dern auch das besondere Interesse an Fragen der Strafzumessung. Eben dieser ge-
meinsame Forschungsschwerpunkt veranlasst mich dazu, im Folgenden Hans-
Jörg Albrechts oben angedeutete Positionen zum zentralen Bezugspunkt der Straf-
zumessungsentscheidung aufzugreifen und zu diskutieren.

2. Strafzumessungsschuld und Sanktion


2.1 Was meint Schuld bei der Strafzumessung?

Wenn wir von Schuld im Sinne von Strafzumessungsschuld (§ 46 Abs. 1 S. 1


StGB) sprechen, meinen wir verschuldetes Unrecht.3 Es geht also nicht um den
Schuldbegriff des Verbrechensaufbaus, bezüglich dessen für die Bejahung einer
Strafbarkeit ein bloßes „Ja“ ausreicht. Auch geht es nicht allein um subjektive Di-
mensionen, wie das Ausmaß der moralischen Verfehlungen, der inneren Schwäche

1
Albrecht 1994, 53.
2
Vgl. zu den alljährlich stattfindenden, ebenso familiären wie informativen Arbeitsta-
gungen etwa Störzer & Streng 1977; Albrecht & Sieber 1984; Bartsch, Brandenstein, Grun-
dies, Hermann, Puschke & Rau 2017.
3
Vgl. etwa Jescheck & Weigend 1996, 887 ff.; Frisch 2011, 16 f.; Zipf & Dölling, in:
Maurach, Gössel & Zipf 2014, § 63 Rn. 19 ff.; Meier 2019, 190 ff.; Schäfer, Sander & van
Gemmeren 2017, Rn. 577 ff.; Kühl, in: Lackner & Kühl 2018, § 46 Rn. 23.
604 Franz Streng

oder der situativen Überforderung des Täters. Vielmehr meint Strafzumessungs-


schuld eine quantifizierende Dimension aus objektiven und subjektiven Elementen,
nämlich den Grad der Vorwerfbarkeit mit Blick auf das verwirklichte Erfolgs- und
Handlungsunrecht. Allein schon die gemäß der Unrechtsart und -schwere differen-
zierenden tatbestandlichen Strafdrohungen sowie die deutlich geringere Pönalisie-
rung des Versuchstäters gegenüber dem Vollendungstäter machen deutlich, dass es
um mehr geht als um das, was dem Täter auf einer rein subjektiven Ebene vorgewor-
fen werden kann.
Das Unrecht muss vom Täter schuldhaft verwirklicht worden sein. Auf dieser
Grundlage erfolgt in einem zweiten Schritt eine Quantifizierung der Schuld,
wobei es um den Umfang der Vorwerfbarkeit des Verhaltens geht. Die hier zu berück-
sichtigenden Umstände betreffen eine Bewertung des rechtswidrigen Täterhandelns,
wobei über die Phase der eigentlichen Tathandlung hinausgegriffen wird, nämlich
Vortatverhalten und auch Nachtatverhalten berücksichtigt werden. Allein auf diesem
Wege ist für die Strafzumessungswertung ein lebensnahes – und nur so bewertbares –
Gesamtbild herstellbar. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB weist darauf hin, wenn dort etwa vom
„Vorleben des Täters“ und auch vom „Verhalten nach der Tat“ als Strafzumessungs-
umstände die Rede ist. Man ist sich einig darin, dass der Vorstrafenbelastung ganz
erhebliche Bedeutung für die Schuldwertung und für das Strafmaß zukommt;4 durch-
aus unabhängig von einer hier sich andeutenden erhöhten Rückfallgefahr und ent-
sprechender sicherungsorientierter Sanktionierung wird eine wiederholte Aufleh-
nung gegen die Rechtsordnung als besonders vorwerfbar und damit schuldrelevant
eingestuft. Hingegen besteht Meinungsstreit um die unmittelbare oder nur indirekte
Schuldrelevanz von Nachtatverhalten.5 Insoweit fällt ins Gewicht, dass der Gesetz-
geber ein schadensminderndes Nachtatverhalten in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB als straf-
mildernd besonders hervorgehoben hat; naheliegend ist, dass hier das Nachtatverhal-
ten die Gesamtbewertung des Täterverhaltens beeinflusst, dass also die Schadens-
minderung auch den Strafzumessungs-Schuldvorwurf gegen den Täter mindert.6

2.2 Gibt es Schuldeinheiten und braucht man die überhaupt?

Fühlt man sich so auf – zumindest straftheoretisch – einigermaßen sicherem


Boden, lässt sich dennoch Hans-Jörg Albrechts Aussage nicht umgehen, es sei ein
Umrechnungsmaßstab, der Schuld in Strafe übersetzt, nicht vorhanden. Mithin

4
Ausführlich dazu Streng 2012, Rn. 565 ff.; Kaspar 2018, C 66 ff. – Daten dazu etwa bei
Albrecht 1994, 333 ff., 381 ff.; Höfer 2003, 105 ff.; Streng 2006, 453 f., 456 ff.
5
Für unmittelbare Schuldrelevanz etwa Schaffstein 1973, 113; Streng 2012, Rn. 527; Zipf
& Dölling, in: Maurach, Gösssel & Zipf 2014, § 63 Rn. 52 ff., 55; Kinzig, in: Schönke &
Schröder 2019, § 46 Rn. 9 f. – Zur Indizkonstruktion der h.M., vgl. Eschelbach, in: Satzger,
Schluckebier & Widmaier 2018, § 46 Rn. 117; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017,
Rn. 641; Kühl, in: Lackner & Kühl 2018, § 46 Rn. 36, 40, 43.
6
Vgl. Streng 2012, Rn. 527, 572 ff.; unmittelbarer auf Normbestätigungsbedürfnisse ab-
stellend Kunz 2011, 137 ff.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? 605

fragt sich, inwieweit Schuld in ihrer Quantifizierung darstellbar ist: Gibt es „Schuld-
einheiten“, die dann in einem zweiten Schritt in Strafeinheiten umrechenbar wären?
Dafür könnte sprechen, dass gem. § 46 Abs. 1 S. 1 StGB die Schuld des Täters
„Grundlage für die Zumessung der Strafe“ ist. Und man könnte auch anführen,
dass gem. § 57a Abs. 1 S. 1 StGB zu entscheiden ist, ob eine besondere Schwere
der Schuld vorliegt, die eine Strafrestaussetzung bereits zum 15-Jahres-Zeitpunkt
ausschließt. Bedenklich an diesem Modell ist allerdings, dass schon die Aussage,
es handele sich um eine besonders schwere Schuld, einigermaßen vage bleibt.
Daran würde auch eine Mathematisierung des Schuldurteils nichts ändern können.
Zerlegt man nämlich die Schuldschwere irgendeines Delikts z. B. in 100 Schritte
von extrem leicht bis äußerst schwer, dann würde der Urteilende wohl in große Ver-
wirrung gestürzt, wenn er entscheiden sollte, ob die Tat den Wert 43 oder 49 oder 55
erreicht. Zu konstatieren bleibt also, dass es an adäquaten Ausdrucksmöglichkeiten
für eigentliche Schuld-Grade letztlich fehlt.7
Auch auf der nächsten Ebene dieses zweistufigen Modells, nämlich beim gesetz-
lichen Strafrahmen, aus dem die Strafe mittels Umrechnung aus „Schuldeinheiten“
entnommen werden soll, ergeben sich Probleme. Die gesetzlichen Strafrahmen sind
zum einen regelmäßig sehr weit und geben von daher dem Rechtsanwender nur
wenig Orientierung; überdies sind sie vielfach überaltert und entsprechen daher
nicht mehr den Wertungen bzw. Strafvorstellungen der heutigen Zeit. Kaum besser
sieht die Sache bei den Strafrahmen der neueren Gesetzgebung aus, die unter den
Vorzeichen von „symbolischer Gesetzgebung“ vielfach eher der Beruhigung der Be-
völkerung durch Demonstration politischer Handlungsfähigkeit dienen sollen, als
den Gerichten eine glaubwürdige Strafskala für gerechte Strafzumessung vorzuge-
ben.8 Da wohl kein Richter ein ungerechtes Urteil sprechen möchte, führt das zu
einer Distanzierung gegenüber der „gesetzlichen Schwereskala“ des Strafrahmens.9
Dementsprechend zeigt ein Blick in die Rechtspflegestatistik, dass die Gerichte sehr
viel stärker den unteren Bereich der gesetzlichen Strafrahmen für die Strafzumes-
sung nutzen als den mittleren oder gar den oberen Bereich10 – ganz abgesehen
von den gem. §§ 153, 153a StPO nach Opportunität eingestellten Verfahren.
Es zeigt sich somit, dass ein zweistufiges Modell der Findung einer schuldentspre-
chenden Strafe, nämlich zunächst in Form einer Schuldquantifizierung nach
„Schuldeinheiten“ mit anschließender Umrechnung der Schuldquanten anhand der
gesetzlichen Schwereskala des Strafrahmens in Strafquanten, in hohem Maße fehler-
anfällig und letztlich fiktiv ist; die Praxis geht daher – mit guten Gründen – andere
Wege, indem sie sich um Konsens bemüht und am „Üblichen“ orientiert. Nicht ein-
mal die Schuldschwere-Klausel des § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB lässt eine positivere
7
Vgl. schon v. Liszt 1905, 331 f.; Stratenwerth 1972, 35 f.; Streng 2012, Rn. 531.
8
Ausführlich zur Strafrahmen-Problematik Hettinger 2007, 95 ff.; 2014, 891 ff.
9
Vgl. für die Schwereskala-Lehre Dreher 1947, 61 ff.; dazu Jescheck & Weigend 1996,
874 f.; Streng 2012, Rn. 641 ff.; Fischer 2020, § 46 Rn. 17 ff.
10
Vgl. Götting 1997, 95 ff., 231 f.; Schott 2004, 227 ff., 291 ff.
606 Franz Streng

Stellungnahme zu. Denn auch hier folgt die nachträgliche Strafzumessungsentschei-


dung des Vollstreckungsgerichts allenfalls selten einer abstrakten Schuldquantifizie-
rung. Vielmehr führt eine in concreto als schuldangemessen angesehene Strafhöhe,
die erheblich über der gesetzlichen Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren liegt, zur
Bejahung der Kategorie „besondere Schwere der Schuld“, wenn sich hierfür dann
auch hinreichende anerkannte Gründe anführen lassen, etwa die Zahl der Opfer
oder die Zahl der verwirklichten Mordmerkmale.11
Dem hier – ganz in Übereinstimmung mit Hans-Jörg Albrecht – kritisierten zwei-
stufigen Modell einer Errechnung der Strafe aus einer vorgängigen Schuldquantifi-
zierung lässt sich folglich ein einstufiges Modell gegenüberstellen. Danach wäre die
bei der Sanktionsbemessung getätigte Quantifizierung der Strafe selbst nichts ande-
res als der eigentliche Ausdruck der Schuldwertung. Mit anderen Worten: Es gibt
kein allgemeinverständliches Schuldmaß, das ohne Darstellung in einem Strafmaß
auskommen könnte. Auf einen Umrechnungsmaßstab kommt es demnach überhaupt
nicht an. Dass es keine „rein“ darstellbare Schuldeinheiten gibt, spricht demnach
nicht gegen die Praxisrelevanz der Strafzumessungsschuld.

3. Tatproportionalität, Verhältnismäßigkeit und Strafzumessung


3.1 Der Tatproportionalitätsansatz

Ganz im Sinne von Hans-Jörg Albrechts oben wiedergegebener Stellungnahme


hat in den letzten Jahrzehnten der Gedanke tatproportionaler Strafzumessung großen
Rückhalt gewonnen.12 Als Maßgesichtspunkt tritt hier die Tatschwere besonders in
den Vordergrund, wobei diese ein Produkt des verschuldeten Erfolgsunwerts und –
begrenzt – auch des Handlungsunwerts darstellt. Anhand dieser Tatschwereorientie-
rung geht es um die Gewährleistung „ordinaler Proportionalität“ im Sinne relativer
Angemessenheit und „kardinaler Proportionalität“ im Sinne absoluter, d. h. unabhän-
gig von Vergleichsüberlegungen zu konstatierender, Angemessenheit der Sanktion.13
Wesentliches Anliegen dieser Lehre ist es, willkürlich ungleicher Strafzumessung,
wie sie insbesondere bei Betonung präventiver Strafzwecke und betonter Rückfall-
schärfung entstehen kann, entgegenzuwirken.14

11
Vgl. Streng 2012, Rn. 294 ff.; Fischer 2020, § 57a Rn. 9 ff; vgl. zu den Begründungs-
elementen Kett-Straub 2011, 250 ff.
12
Vgl. von Hirsch 1993, bes. 88 ff.; Albrecht 1994, 50 ff.; Hörnle 1999; Frisch 2003, 1 ff.;
Ashworth 2010, 104 ff.; ferner Schünemann 1987, 209, 224 ff.; Kilchling 2000, 30 ff.; Melloh
2010, 110 ff., 514 ff.; Giannoulis 2014, 13 ff.
13
Zu den Begriffen von Hirsch & Jareborg 1991, 25; von Hirsch 2003, 61 ff.; Duff 2003,
29 f.
14
Vgl. Albrecht 1994, 50 f.; Hörnle 1999, 159 ff., 394 ff.; von Hirsch 2003, 48, 72;
Schünemann 2003, 187 ff.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? 607

Eine stabile Bewertungsperspektive hinsichtlich der zentralen Erfolgsunrechts-


Dimension sucht man etwa durch eine opferzentrierte Betrachtung im Sinne des Ab-
stellens auf Lebensqualitäts-Einbußen zu gewinnen.15 Auf dieser Grundlage fehlen
der Tatproportionalitätslehre allerdings Möglichkeiten zu verlässlicher Schwereein-
schätzung bezüglich Versuchskonstellationen, Delikten gegen Kollektivrechtsgüter
und Gefährdungstatbeständen.16
Komplementär zur Tatschwere müssen Standards für die Bestimmung einer an-
gemessenen Schwere der zu verhängenden Sanktion entwickelt werden; nur dies er-
möglicht die theorieentsprechende proportionale Antwort auf die Tat. Vorgeschlagen
wird etwa, durch Richtlinienkommissionen erstellte und parlamentarisch legitimier-
te Strafzumessungsrichtlinien heranzuziehen, um „kardinale“ Ankerwerte für die
Bildung „ordinaler“ Proportionalität im konkreten Strafzumessungsakt zu gewin-
nen.17
Unter den Anhängern dieser Lehre besteht (noch) keine Klarheit darüber, ob im
Sinne positiver Proportionalität die proportionale Strafe zu verhängen ist, also unter
weitestgehendem Ausschluss präventiver Momente, oder ob es im Sinne negativer
Proportionalität allein um den Ausschluss disproportionaler, insbesondere schuld-
überschreitender Strafe geht.18 Speziell auf der Basis eines Ansatzes „negativer“ Pro-
portionalität entfernt man sich auch hinsichtlich der einer Strafzumessungswertung
zugrunde zu legenden Umstände nur begrenzt von den etablierten Standards des
Schuldstrafrechts. Während die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters als
unverzichtbarer Bestandteil feststeht, werden als mögliche Bestandteile der Tatpro-
portionalität etwa die „kriminelle Energie“ des Täters19, das Mitverschulden des Op-
fers, das rechtsgutbezogene Vortat- und Nachtatverhalten des Täters sowie seine
Strafempfindlichkeit20 diskutiert.21 Eine zunächst als systemwidrig abgelehnte Rück-
fallschärfung wird durch eine Strafmilderung bei keinen oder wenigen Vorstrafen er-
setzt.22 Damit stehen zu wesentlichen Teilen wieder dieselben Streitpunkte zur De-
batte, wie im Rahmen jeder Schuldstrafe – was wenig erstaunlich ist, da das Rekur-
rieren auf das Tatschwereprinzip nicht von der Verpflichtung entbindet, die straf-

15
Vgl. von Hirsch 1993, 31 ff.; 2003, 67 ff.; Hörnle 1999, 223 ff., 373 ff.; Giannoulis
2014, 176 ff.; zust. Horstkotte 1992, 165; Duff 2003, 33.
16
Vgl. etwa Ashworth 2010, 111 ff.; 2003, 86 f.; Hörnle 2003, 110 ff.
17
Vgl. Reichert 1999, 273 ff., 295; von Hirsch 2003, 61 ff.; Giannoulis 2014, 315 ff.,
406 ff.
18
Für letzteres Duff 2003, 36 ff., 44 f.; Weigend 2003, 205 f.; zum Ganzen Frisch 2003,
5 ff.
19
Vgl. Schünemann 2003, 191, 194 f.
20
Bejahend Schünemann 1987, 226 f.; restriktiv Giannoulis 2014, 152 ff.; ablehnend Al-
brecht 1994, 52; Hörnle 1999, 167 ff.
21
Ausführl. Hörnle 1999, 195 ff.; ferner Schünemann 1987, 209, 227 f.; Ashworth 2003,
88.
22
Vgl. Ashworth 2003, 91 f.; von Hirsch 2003, 72 ff.; Giannoulis 2014, 140 ff., 288 ff.;
ablehnend Hörnle 1999, 164 ff.
608 Franz Streng

rechtliche Verantwortungszuschreibung insgesamt als strafzweckkonform und ge-


recht auszuweisen.23
Angesichts der unübersehbaren Widersprüche zur Regelung des § 46 StGB ist
eine Anwendbarkeit der Proportionalitätslehre de lege lata nur sehr bedingt mög-
lich.24 Denn der Ausschluss von Präventionserwägungen jedenfalls aus der Strafhö-
henbemessung und teils auch aus der Sanktionsauswahl steht mit dem Gesetz nicht in
Übereinstimmung.25 Unverkennbar ist überdies, dass die Tatproportionalitätslehre
sich von der herkömmlichen Dominanz der Einzelfallgerechtigkeit distanziert.
Eine Reduzierung der berücksichtigbaren Tat- und Tätermerkmale soll verlässliche
Wertungen fördern, wofür auf eine maximale Schuldindividualisierung der Strafe
verzichtet wird.26

3.2 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip

Eng verwandt mit der Tatproportionalitätslehre ist der zunehmend vertretene An-
satz einer am verfassungsrechtlich fundierten Verhältnismäßigkeitsprinzip orientier-
ten Strafzumessung. Neuere Versuche, ein Strafrecht ohne das Schuldprinzip zu kon-
struieren, setzen als Regulativ für die im Kern zweckhaft begründete Strafe auf eine
spezifisch strafrechtliche Ausformulierung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßig-
keitsprinzips.27 Diese Ansätze wurden in Kritik zu dem als vage eingestuften und
mit der Gefahr selbstgerechten Strafens behafteten Schuldprinzip bzw. zum Zwecke
effizienterer Zurückdrängung des weithin nur unsicher zu bemessenden Präventions-
einsatzes entwickelt. In dem älteren Ansatz von Baurmann etwa richtet sich die „So-
zialschädlichkeit“ als wesentlicher Bezugspunkt „nach dem Wert und dem Grad der
Gefährdung des betroffenen Rechtsguts und nach der persönlichen und sozialen Si-
tuation, in der die Tat ausgeführt wird“; hinzukommen soll die Berücksichtigung der
„Motivierbarkeit“ des Täters.28 Es muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip also letzt-
lich genauso komplexe Wertungen beinhalten wie das Schuldprinzip, wenn es dem
Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung Rechnung tragen will. Die hier deutlich wer-
dende, enge inhaltliche Verwandtschaft mit den Kriterien einer herkömmlichen

23
Vgl. auch Stratenwerth 1977, 36 ff., 41; Müller-Dietz 1979, 23 f.; Jung 1992, 201 ff.;
Dölling 1999, 195; Kaspar 2014, 332 ff., 788 f.
24
Überlegungen zu einer Implementierung ins deutsche Strafrecht bei Schünemann 1987,
224 ff.; von Hirsch & Jareborg 1991, 35 ff.; Albrecht 1994, 50 ff., 473 f.; Hörnle 1999,
324 ff.; Reichert 1999, 121 ff., 255 ff.
25
Vgl. Ellscheid 2001, 204 ff.; Dölling 2003, 57 f.; Schott 2004, 148 ff.; Haas 2008,
296 f.; Epik 2017, 190 f.; eingeräumt von Hörnle 1999, 191 ff., 326 ff.; relativierend von
Hirsch & Jareborg 1991, 56 ff.
26
Vgl. Schünemann 1987, 226 f.; Hörnle 1999, 133 f.; Reichert 1999, 66 f.
27
Vgl. Ellscheid & Hassemer 1970, 27 ff.; Baurmann 1987; Scheffler 1987, 79 ff., 138 ff.;
für das Jugendstrafrecht Ostendorf, in: Ostendorf 2016, § 5 Rn. 3.
28
Baurmann 1987, 303 f.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? 609

Schuldzuschreibung desavouiert unübersehbar den gegenüber dem Schuldgedanken


vorgetragenen Überlegenheitsanspruch des Verhältnismäßigkeitsprinzips.29
Einen neuesten Ansatz dieser Art stellt das von Kaspar vertretene Modell „ver-
hältnismäßiger Generalprävention“ dar. Es soll der dem Strafrecht primär zugrunde-
liegende generalpräventive Ansatz in rechtsstaatlich gebotener Weise, d. h. mittels
des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wirkungsvoll begrenzt werden.30 Der Verzicht
auf das Schuldprinzip als Strafbemessungskriterium hinterlässt jedoch eine zu fül-
lende Lücke. Daher räumt Kaspar ein, dass die Sanktion als „gerecht“ wahrnehmbar
sein muss31 und er verweist auf die Berücksichtigung empirisch messbarer Strafein-
stellungen der Bevölkerung.32 Letztlich wird so anerkannt, dass die Erfüllung der ge-
neralpräventiven Funktion des Gesetzes für die konkrete Strafzumessung handhab-
barer Kriterien bedarf, welche nur außerhalb der präventiven Zweckverfolgung als
solcher zu finden sind.33 Im Unterschied zum klassischen Vergeltungsprinzip folgt
aus Kaspars Ansatz, dass im Sinne des Erforderlichkeitsgedankens dann bei der
Strafzumessung eine Orientierung an der Schuldschwere unzulässig ist, wenn und
soweit eine solche Strafe durch Strafzweckaspekte nicht geboten erscheint. In der
Tendenz ähnelt dies einem in der Lehre verbreiteten Ansatz, der das Schuldprinzip
allein als Schuldübermaßverbot, nicht aber als Schulduntermaßverbot versteht.34

4. Fazit und Ausblick


Die Schwächen des Schuldprinzips sind seit langem bekannt. Schuldwertungen
sind per se subjektiv geprägt, nämlich von Sozialisationshintergrund, Lebens- und
Berufserfahrung beeinflusst, überdies von der jeweiligen Fähigkeit des Bewertenden
zur Zusammenschau auch komplexer Sachverhalte abhängig.35 Schon von daher sind
erhebliche Divergenzen zwischen verschiedenen Richtern zu erwarten. Überdies ist
nicht ausgemacht, dass Bewertungen einer spezifischen Fallkonstellation reliabel
sind, also bei Wiederholung durch dieselbe Person wirklich gleichartig ausfallen.36

29
Vgl. schon Stratenwerth 1977, 36 ff., 41; Müller-Dietz 1979, 23 f.; Kaufmann 1986,
227 f.; Kim 1987, 102 ff., 104; Jung 1992, 201 f.; Roxin 1993, 531 ff.; Neumann 2008, 424 ff.
30
Vgl. Kaspar 2014, 703 ff.; 2018, C 25 ff.; ferner Weigend 1999, 926 f.
31
Vgl. Kaspar 2014, 297, 821, 875 f.; Kaspar 2018, C 25 f.
32
Vgl. Kaspar 2018, C 26 f.
33
Näher dazu Frisch 2013, 251 ff.; Streng 2014, 840 ff.; Jung 2015, 468; Gärditz 2016,
644.
34
Vgl. etwa Lackner 1978, 25; Schünemann 1987, 210 f.; Günther 1989, 1029; Schäfer
1992, 185 f.; Frisch 1998, 786; Roxin 2006, § 3 Rn. 50; Streng 2012, Rn. 547; Meier 2019,
171 f.; Radtke, in: MüKo 2020, Vor § 38 Rn. 57; Kinzig, in: Schönke & Schröder 2019, Vor
§ 38 Rn. 21.
35
Vgl. schon Hogarth 1971, 351; relativierend Albrecht 1994, 202 f.; Überblick bei Streng
2012, Rn. 487 ff.
36
Vgl. zu derartigen Inkonsistenzen Streng 2012, Rn. 500 f.
610 Franz Streng

Hinzu kommt, dass die derzeit extrem weiten gesetzlichen Strafrahmen wenig taug-
lich dafür sind, dem Urteilenden eine wirkliche Hilfestellung für das Finden einer
schuldangemessenen Sanktion zu bieten. Auch das Urteilen in Kollegialgerichten
und die dort mögliche Konsensbildung dämpft diese Unsicherheit nur begrenzt.37
Allerdings haben auch die Erörterungen zu Tatproportionalitäts- und Verhältnis-
mäßigkeitsansätzen gezeigt, dass kein Weg an komplexen Wertungen vorbeiführt,
wenn man der Aufgabe des Strafrechts gerecht werden will. Eine Strafbemessung
proportional nur zum Deliktsschaden – falls ein solcher überhaupt quantifizierbar
ist – führt evident nicht zu verlässlich akzeptablen Ergebnissen, wenngleich immer-
hin eine gewisse Reduzierung der herkömmlich berücksichtigten Tat- und Täter-
merkmale möglich erscheint. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wiederum beinhaltet
kein eigenständiges Maßprinzip, sondern bezieht sich auf Strafmaßvorstellungen,
die aus anderen Prinzipien (Strafzwecke; Schuldprinzip) gewonnen werden. Wie
oben zu zeigen war, mussten Vertreter beider Strafzumessungslehren daher einräu-
men, dass auf eine Orientierung auch an Gerechtigkeitsstandards letztlich nicht ver-
zichtet werden kann.
Tatsächlich ist man sich in der deutschen Strafrechtswissenschaft weitestgehend
einig darin, dass die Wertorientierungen der Bevölkerung zu respektieren sind, dass
das Strafrecht sogar dazu berufen ist, im Sinne „positiver Generalprävention“ auf
eine Bewahrung oder gar Stärkung dieser Werthaltungen hinzuwirken.38 Ganz in die-
sem Sinn haben empirische Untersuchungen hinlänglich belegt, dass der inneren
Normbindung bzw. dem Glauben des Individuums an die Verbindlichkeit etablierter
Verhaltensnormen größere Bedeutung für ein angepasstes Sozialverhalten zukommt
als strafrechtlicher Abschreckung.39
Das unmittelbar die Gerechtigkeitsdimension anzielende Schuldprinzip ist daher
mitnichten obsolet geworden. Ein Überlegenheitsanspruch der Tatproportionalitäts-
lehre wie auch des Verhältnismäßigkeitsansatzes lässt sich nicht begründen. Dies
heißt aber nicht, dass man diese Konkurrenz zur an Strafzumessungsschuld orientier-
ten Strafzumessung geringschätzen sollte. Tatsächlich bietet sich die Tatproportiona-
litätslehre dazu an, einige dem herkömmlichen Schuldprinzip eigene Schwächen der
Straflimitierung zu vermeiden. Hat es sich doch gezeigt, dass bei erheblicher krimi-
neller Vorbelastung des zu Verurteilenden vielfach ein allzu bedenkenloses Abstra-
fen von Lebensführungsschuld unter Vernachlässigung der Tatschuld stattfindet. Be-
sonders augenfällig ist dieser Vorgang, wenn häufig rückfällige Bagatelltäter zu Frei-
heitsstrafen verurteilt werden, die mit der Tatschwere an sich überhaupt nichts mehr
37
Immerhin im Längsschnitt wird für Deutschland übergreifend eine relativ stabile Straf-
zumessungsstruktur betont von Albrecht 2017, 192 ff.
38
Für Nachweise vgl. bei Hörnle 1999, 89 f.; Streng 2012, Rn. 24 ff.; Epik 2017, 37 f.;
Hassemer & Neumann, in: NK-StGB 2017, Vor § 1 Rn. 288 ff.
39
Vgl. etwa Dölling 1983, 69 ff.; Schöch 1985, 1099 ff.; Schumann, Berlitz, Guth &
Kaulitzki 1987, z. B. 152, 158 f.; ferner Albrecht 1980, 318 ff.; Hermann & Dölling 2001,
74 ff.; Hermann 2003, 122 ff., 185 ff., 195 ff., 332 f.; Mesko, Hirtenlehner & Bertok 2015,
308 ff.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? 611

zu tun haben. Eine anhand Tatproportionalitätsüberlegungen erfolgende Rückbesin-


nung auf ein genuines Tatschuld-Strafrecht erweist sich hier als angebracht.40
Dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch bei einer tatschuldgeleiteten Strafzu-
messung Geltung beansprucht, kann angesichts dessen verfassungsrechtlicher Fun-
dierung kaum zweifelhaft sein. Belastende staatliche Maßnahmen müssen diesem
Prinzip gerecht werden, auch wenn sie Straftäter treffen. Obschon das Schuldprinzip
als spezifische Ausformung des Verhältnismäßigkeitsprinzips verstanden werden
kann,41 reicht es nicht aus, sich als Richter darauf zu berufen, dass die verhängte Stra-
fe innerhalb des Schuldrahmens liege, also ebenso gerecht wie „verdient“ sei.42 Viel-
mehr ist der Strafzweckeinsatz nicht nur am straflimitierenden Schuldrahmen zu ori-
entieren, sondern auch daran, ob die Strafe für die Realisierung anerkannter und im
konkreten Fall relevant erscheinender Strafzwecke geeignet, erforderlich und ange-
messen ist. Dabei muss der Richter die Tauglichkeit der Strafe für die Strafzweck-
realisierung allerdings nicht beweisen, nachdem dies beim heutigen Stand der Wis-
senschaft nicht leistbar ist.43 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt von ihm aber
immerhin, sich mit dem als notwendig erscheinenden Strafmaß zu begnügen. Dies
bedeutet, dass er im Spielraum des Schuldrahmens sich in Richtung auf dessen Un-
tergrenze zu orientieren hat, soweit ihm nicht Anhaltspunkte für die Sinnhaftigkeit
einer höheren Strafe zur Verfügung stehen. Man könnte hier von einer „asymmetri-
schen Spielraumtheorie“ der Strafzumessung sprechen.44 Ob das Verhältnismäßig-
keitsprinzip auch eine Unterschreitung der Schuldrahmen-Untergrenze vorgeben
kann, erscheint zumindest dann zweifelhaft, wenn man mit derartigen Schuldunter-
schreitungen eine Düpierung des Rechtsgefühls der Bevölkerung riskieren würde.45
Überzeugend erscheint nach alledem eine Ergänzung der Spielraumtheorie der
Strafzumessung (Schuldrahmen-Theorie) durch Aspekte der Tatproportionalität
und eines strafzweckbezogenen Verhältnismäßigkeitsprinzips: Es geht um tatschuld-
angemessenes und erforderliches Strafen – wobei die hier genannte Reihenfolge von
(zunächst) Tatschuld und (dann) verhältnismäßiger Prävention nicht zufällig erfolgt.
40
Durchaus in diesem Sinne bezieht man sich in Teilen der obergerichtlichen Rechtspre-
chung für ein Verhindern von Strafexzessen zu Lasten wiederholt rückfälliger Bagatelltäter
auf Verhältnismäßigkeitsüberlegungen, die an das verschuldete Tatunrecht anknüpfen; vgl.
etwa OLG Nürnberg, StV 2001, 411, 412; OLG Braunschweig, NStZ-RR 2002, 75 f.; OLG
Stuttgart, NJW 2002, 3188 f.; OLG Karlsruhe, NJW 2003, 1825 f.; OLG Karlsruhe, StV 2005,
275 f.; OLG Frankfurt/M., StV 2014, 486, 487; dazu Kinzig 2010, 655 ff., 664 ff.; Streng, in:
NK-StGB 2017, § 47 Rn. 7; zurückhaltend aber BGHSt 52, 84, 87 ff.; OLG Nürnberg, StraFo
2006, 502 ff.; OLG Stuttgart NJW 2006, 1222, 1223; OLG Hamm, NStZ-RR 2015, 205, 206.
41
Vgl. Appel 1998, 460 ff., 525 ff.; Streng 2001, 894 f.; Frisch 2013, 252.
42
Kritik am Vergeltungsprinzip bei Streng 2014, 827 ff.
43
Vgl. auch Albrecht 1994, 67 ff.; Weigend 1999, 924; Frisch 2013, 251; Gärditz 2016,
645.
44
Vgl. Streng 2001, 893 ff.; 2018, 597 f.; dazu Kaspar 2014, 796.
45
Für eine Zulässigkeit von strafzweckkompatiblen Schuldunterschreitungen vgl. etwa
Lackner 1978, 25; Günther 1989, 1029; Frisch 1998, 786; Weigend 1999, 929; Streng 2012,
Rn. 547; Meier 2019, 171 f.; Radtke, in: MüKo-StGB 2020, Vor § 38 Rn. 57.
612 Franz Streng

Denn ganz in diesem Sinne fordert der Wortlaut von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB ein: „Die
Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe“. Und tatsächlich lässt
sich eine tatschuldangemessene und damit auch tatproportionale Strafe am sichers-
ten dann garantieren, wenn dieser normativ vorrangige Wertungsgesichtspunkt auch
im Entscheidungsablauf im Vordergrund steht.46 Erst wenn sich der Richter über den
angemessenen Schuldrahmen für die abzuurteilende Tat klar geworden ist, sollte er
bei seiner Entscheidungsfindung auf den Präventionseinsatz eingehen. Bestätigt wird
dieses Postulat durch psychologische Befunde zu Ankereffekten (Anchoring) bei
schwierigen bzw. unsicheren Wertungsaufgaben. Diese haben deutlich gemacht,
dass der erste Wertungsvorschlag, der von Dritten eingebracht wird, großen Einfluss
auf die durch den Entscheidungszuständigen letztlich getätigte Wertung ausübt.47
Man wird daraus folgern können, dass dies analog auch für den Fall gilt, in welchem
der Wertende selbst sich einen ersten Wertungsvorschlag zunächst unter einem von
letztlich mehreren zu berücksichtigenden Blickwinkeln erarbeitet. Und dieser erste
Wertungsschritt betrifft angesichts der Aussage des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB zur Straf-
zumessungsgrundlage notwendig die Strafzumessungsschuld im Sinne des verschul-
deten Tatunrechts.
Die seit langem zwischen verschiedenen Regionen, Gerichten und Richtern zu be-
obachtenden Strafzumessungsdiskrepanzen48 werden aber durch eine nun stärker be-
tonte Bezugnahme auch auf Tatproportionalität und/oder Verhältnismäßigkeit allen-
falls geringfügig zurückgehen. Daher plädieren Vertreter auch dieser Ansätze für In-
strumente zur Bekämpfung der großen Wertungsunsicherheit. Es geht um deutlich
engere gesetzliche Strafrahmen, konsensfördernde Strafzumessungs-Informations-
systeme und vom Gesetzgeber legitimierte Strafzumessungsrichtlinien.49 Die Ein-
führung eines flexiblen computergestützten Strafzumessungs-Informationssystems
erscheint dabei als besonders erfolgversprechende Maßnahme. Wenn derart eine Da-
tenbasis zur Strafzumessungspraxis in Deutschland insgesamt zur Verfügung gestellt
würde, wäre den Gerichten, den Staatsanwaltschaften und den Verteidigern ein Ab-
fragen der bundesweiten Strafmaßverteilung anhand der wesentlichen Merkmale des
jeweils abzuurteilenden Falles möglich. Dies könnte auffälligen Strafzumessungsun-
terschieden, die das Gerechtigkeitsgefühl der betroffenen Verurteilten wie der Bevöl-
kerung insgesamt belasten, wirksam entgegensteuern.50

46
Zur Vernachlässigung dieses Erfordernisses in der Praxis vgl. Streng 2012, Rn. 629.
47
Vgl. etwa Englich & Mussweiler 2001, 1535 ff.; dazu Streng 2012, Rn. 498.
48
Dazu Streng 1984, 5 ff.; Albrecht 1994, 169 ff.
49
Vgl. etwa Reichert 1999, 273 ff., 295; Giannoulis 2014, 296 ff., 406 ff.; Kaspar 2018,
C 113 ff.; Hörnle 2019, 287 ff.
50
Dazu näher Streng 1984, 308 ff.; 2012, Rn. 768 f.; 2018, 599; zum in Japan jüngst
entstandenen Strafzumessungsinformationssystem für Schöffengerichte vgl. Nakagawa 2011,
206 ff.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? 613

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1980): Die generalpräventive Effizienz von strafrechtlichen Sanktionen, in:
Forschungsgruppe Kriminologie am MPI Freiburg (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Frei-
burg i.Br., S. 305 – 327.
Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Eine vergleichende theore-
tische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: C. Safferling, G. Kett-
Straub, C. Jäger & H. Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Hei-
delberg, S. 185 – 199.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (1984): Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Kriminologische
Kolloquien. Freiburg i.Br.
Appel, I. (1998): Verfassung und Strafe. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen staatlichen
Strafens. Berlin.
Ashworth, A. (2003): Kriterien für die Proportionalität der Strafe, in: W. Frisch, A. von Hirsch &
H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative und empirische Aspekte einer tatpro-
portionalen Strafzumessung (Buchenbach-Symposium 1999). Heidelberg, S. 83 – 97.
Ashworth, A. (2010): Sentencing and Criminal Justice. 5. Aufl. Cambridge.
Bartsch, T., Brandenstein, M., Grundies, V., Hermann, D., Puschke, J. & Rau, M. (2017):
50 Jahre Südwestdeutsche und Schweizerische Kriminologische Kolloquien. Berlin.
Baurmann, M. (1987): Zweckrationalität und Strafrecht. Argumente für ein tatbezogenes Maß-
nahmerecht. Opladen.
Dölling, D. (1983): Strafeinschätzungen und Delinquenz bei Jugendlichen und Heranwachsen-
den, in: H.-J. Kerner, H. Kury & K. Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen zur Kriminalitäts-
entstehung und Kriminalitätskontrolle. Köln, S. 51 – 85.
Dölling, D. (1999): Über die Strafzumessung bei Raub, in: K.H. Gössel & O. Triffterer (Hrsg.),
Gedächtnisschrift für Heinz Zipf. Heidelberg, S. 177 – 196.
Dölling, D. (2003): Über die Höhenbemessung bei der Freiheits- und der Jugendstrafe, in:
K. Amelung, W. Beulke, H. Lilie, H. Rüping, H. Rosenau & G. Wolfslast (Hrsg.), Strafrecht –
Biorecht – Rechtsphilosophie. Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag.
Heidelberg, S. 55 – 62.
Dreher, E. (1947): Über die gerechte Strafe. Heidelberg.
Duff, R.A. (2003): Was ist Tatproportionalität, und warum ist dieses Prinzip wichtig?, in:
W. Frisch, A. von Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative und em-
pirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung (Buchenbach-Symposium 1999).
Heidelberg, S. 23 – 46.
Ellscheid, G. (2001): Tatproportionale Strafzumessung und Strafaussetzung zur Bewährung, in:
G. Britz, H. Jung, H. Koriath & E. Müller (Hrsg.), Grundfragen staatlichen Strafens – Fest-
schrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag. München, S. 201 – 212.
Ellscheid, G. & Hassemer, W. (1970): Strafe ohne Vorwurf – Bemerkungen zum Grund straf-
rechtlicher Haftung. Civitas IX, 27 – 49.
614 Franz Streng

Englich, B. & Mussweiler, T. (2001): Sentencing Under Uncertainty: Anchoring Effects in the
Courtroom. Journal of Applied Social Psychology 31, S. 1535 – 1551.
Epik, A. (2017): Die Strafzumessung bei Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Tübingen.
Fischer, T. (2020): Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen. 67. Aufl. München.
Frisch, W. (1998): Individualprävention und Strafzumessung. Zur unterschiedlichen Angewie-
senheit strafrechtlicher Normprogramme auf empirische Befunde, in: H.-J. Albrecht, F. Dün-
kel, H.-J. Kerner, J. Kürzinger, H. Schöch, K. Sessar & B. Villmow (Hrsg.), Internationale
Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburts-
tag. Berlin, S. 765 – 792.
Frisch, W. (2003): Hintergrund, Grundlinien und Probleme der Lehre von der tatproportionalen
Strafe, in: W. Frisch, A. von Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative
und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung (Buchenbach-Symposium
1999). Heidelberg, S. 1 – 21.
Frisch, W. (2011): Zur Bedeutung von Schuld, Gefährlichkeit und Prävention im Rahmen der
Strafzumessung, in: W. Frisch (Hrsg.), Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deut-
scher und japanischer Sicht. Tübingen, S. 3 – 26.
Frisch. W. (2013): Schuldgrundsatz und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Neue Zeitschrift für
Strafrecht 33, S. 249 – 256.
Gärditz, K.F. (2016): Demokratizität des Strafrechts und Ultima Ratio-Grundsatz. Juristenzei-
tung 71, S. 641 – 649.
Giannoulis, G. (2014): Studien zur Strafzumessung. Ein Beitrag zur Dogmatik, Rechtstheorie
und Rechtsinformatik mit Vertiefung in den Eigentums- und Vermögensdelikten. Tübingen.
Götting, B. (1997): Gesetzliche Strafrahmen und Strafzumessungspraxis. Eine empirische Un-
tersuchung anhand der Strafverfolgungsstatistik für die Jahre 1987 bis 1991. Frankfurt a. M.
Günther, H.-L. (1989): Systematische Grundlagen der Strafzumessung. Juristenzeitung 44,
S. 1025 – 1030.
Haas, V. (2008): Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur. Zur Ausübung hoheitlicher
Gewalt durch Staatsanwaltschaft und erkennendes Gericht im deutschen Strafverfahren. Tü-
bingen.
Hermann, D. (2003): Werte und Kriminalität. Konzeption einer allgemeinen Kriminalitätstheo-
rie. Wiesbaden.
Hermann, D. & Dölling, D. (2001): Kriminalprävention und Wertorientierungen in komplexen
Gesellschaften. Analysen zum Einfluss von Werten, Lebensstilen und Milieus auf Delin-
quenz, Viktimisierung und Kriminalitätsfurcht. Mainz.
Hettinger, M. (2007): Die Strafrahmen des StGB nach dem Sechsten Strafrechtsreformgesetz,
in: M. Hettinger, T. Hillenkamp & M. Köhler (Hrsg.), Festschrift für Wilfried Küper zum
70. Geburtstag. Heidelberg, S. 95 – 121.
Hettinger, M. (2014): Zur Entwicklung der Strafrahmen des StGB, in: R. Hefendehl, T. Hörnle
& L. Greco (Hrsg.), Streitbare Strafrechtswissenschaft – Festschrift für Bernd Schünemann
zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 891 – 904.
Hirsch, A. von (1993): Censure and Sanctions. Oxford.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? 615

Hirsch, A. von (2003): Begründung und Bestimmung tatproportionaler Strafen, in: W. Frisch,
A. von Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative und empirische As-
pekte einer tatproportionalen Strafzumessung (Buchenbach-Symposium 1999). Heidelberg,
S. 47 – 82.
Hirsch, A. von & Jareborg, N. (1991): Strafmaß und Strafgerechtigkeit. Die deutsche Strafzu-
messungslehre und das Prinzip der Tatproportionalität. Bonn.
Höfer, S. (2003): Sanktionskarrieren. Eine Analyse der Sanktionshärteentwicklung bei mehr-
fach registrierten Personen anhand von Daten der Freiburger Kohortenstudie. Freiburg.
Hogarth, J. (1971): Sentencing as a Human Process. Toronto.
Hörnle, T. (1999): Tatproportionale Strafzumessung. Berlin.
Hörnle, T. (2003): Kriterien für die Herstellung von Tatproportionalität, in: W. Frisch, A. von
Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative und empirische Aspekte
einer tatproportionalen Strafzumessung (Buchenbach-Symposium 1999). Heidelberg,
S. 99 – 127.
Hörnle, T. (2019): Zur Lage der Strafzumessung in Deutschland. Goltdammer’s Archiv für
Strafrecht 166, S. 282 – 295.
Horstkotte, H. (1992): Gleichmäßigkeit und Schuldangemessenheit der Strafzumessung, in:
J.-M. Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung. Ein Gespräch zwischen Straf-
justiz und Kriminologie. Wiesbaden, S. 151 – 180.
Jescheck, H.-H. & Weigend, T. (1996): Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. 5. Aufl. Ber-
lin.
Jung, H. (1992): Sanktionensysteme und Menschenrechte. Bern und Stuttgart.
Jung, H. (2015): Zu Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht.
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 162, S. 463 – 470.
Kaspar, J. (2014): Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht.
Baden-Baden.
Kaspar, J. (2018): Sentencing Guidelines versus freies richterliches Ermessen – Brauchen wir
ein neues Strafzumessungsrecht? Gutachten C zum 72. Deutschen Juristentag. München.
Kaufmann, A. (1986): Unzeitgemäße Betrachtungen zum Schuldgrundsatz im Strafrecht. Jura
@ Juristische Ausbildung, S. 225 – 233.
Kett-Straub, G. (2011): Die lebenslange Freiheitsstrafe. Legitimation, Praxis, Strafrestausset-
zung und besondere Schwere der Schuld. Tübingen.
Kilchling, M. (2000): Tatproportionalität in den theoretischen und empirischen Grundlagen der
Strafzumessung. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 83, S. 30 – 35.
Kim, Y.-W. (1987): Zur Fragwürdigkeit und Notwendigkeit des strafrechtlichen Schuldprinzips.
Ein Versuch zur Rekonstruktion der jüngsten Diskussion zu „Schuld und Prävention”. Ebels-
bach.
Kinzig, J. (2010): Knast für den Diebstahl einer Milchschnitte?, in: D. Dölling, B. Götting,
B.-D. Meier & T. Verrel (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift für
Heinz Schöch zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 647 – 668.
616 Franz Streng

Kunz, K.-L. (2011): Vorleben und Nachtatverhalten als Strafzumessungstatsachen, in: W. Frisch
(Hrsg.), Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht. Tübin-
gen, S. 135 – 150.
Lackner, K. (1978): Über neue Entwicklungen in der Strafzumessungslehre und ihre Bedeutung
für die richterliche Praxis. Heidelberg.
Lackner, K., Kühl, K. & Heger, M. (2018): StGB – Strafgesetzbuch. Kommentar. 29. Aufl. Mün-
chen.
Liszt, F. von (1905): Kriminalpolitische Aufgaben, in: Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge,
1. Band. Berlin, S. 290 – 467.
Maurach, R., Gössel, K.H. & Zipf, H. (2014): Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 2,
8. Aufl. Heidelberg.
Meier, B.-D. (2019): Strafrechtliche Sanktionen. 5. Aufl. Berlin.
Melloh, F. (2010): Einheitliche Strafzumessung in den Rechtsquellen des ICC-Statuts. Berlin.
Mesko, G., Hirtenlehner, H. & Bertok, E. (2015): Situational Action Theory’s Prinzip der be-
dingten Relevanz von Kontrolle. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 98,
S. 297 – 317.
MüKo-StGB (2020): Münchener Kommentar zum StGB. 4. Aufl. München.
Müller-Dietz, H. (1979): Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems. Heidelberg.
Nakagawa, H. (2011): Die Strafzumessung in der Tatsacheninstanz, in: W. Frisch (Hrsg.),
Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht. Tübingen,
S. 201 – 216.
Neumann, U. (2008): Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, in: L. Kot-
salis, N. Courakis, C. Mylonopoulos & I. Giannidis (Hrsg.), Strafrechtswissenschaften –
Theorie und Praxis. Festschrift für Anna Benakis. Athen, S. 409 – 433.
NK-StGB (2017): Nomos Kommentar zum StGB. 5. Aufl. Baden-Baden.
Ostendorf-JGG (2016): Jugendgerichtsgesetz. 10. Aufl. Baden-Baden.
Reichert, C. (1999): Intersubjektivität durch Strafzumessungsrichtlinien. Eine Untersuchung
mit Bezug auf die „sentencing guidelines“ in den USA. Berlin.
Roxin, C. (1993): Das Schuldprinzip im Wandel, in: F. Haft, W. Hassemer, U. Neumann,
W. Schild & U. Schroth (Hrsg.), Strafgerechtigkeit. Festschrift für Arthur Kaufmann zum
70. Geburtstag. Heidelberg, S. 519 – 535.
Roxin, C. (2006): Strafrecht. Allgemeiner Teil. Band I. 4. Aufl. München.
Satzger, H., Schluckebier, W. & Widmaier, G. (2018): Strafgesetzbuch. Kommentar. 4. Aufl.
Köln.
Schäfer, G. (1992): Spezialpräventive Erwägungen bei der richterlichen Entscheidungsfindung,
in: J.-M. Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung. Ein Gespräch zwischen
Strafjustiz und Kriminologie. Wiesbaden, S. 183 – 207.
Schäfer, G., Sander, G.M. & van Gemmeren, G. (2017): Praxis der Strafzumessung. 6. Aufl.
München.
Strafzumessungsschuld oder/und Tatproportionalität? 617

Schaffstein, F. (1973): Spielraum-Theorie, Schuldbegriff und Strafzumessung nach den Straf-


rechtsreformgesetzen, in: K. Lackner, H. Leferenz, E. Schmidt, J. Welp & E.A. Wolff (Hrsg.),
Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 99 – 116.
Scheffler, U. (1987): Grundlegung eines kriminologisch orientierten Strafrechtssystems – unter
Berücksichtigung wissenschaftstheoretischer Voraussetzungen und des gesellschaftlichen
Strafbedürfnisses. Frankfurt a. M.
Schöch, H. (1985): Empirische Grundlagen der Generalprävention, in: T. Vogler, J. Herrmann,
J. Krümpelmann, R. Moos, O. Triffterer, R. Leibinger, D. Schaffmeister, J. Meyer & P. Hüne
(Hrsg.), Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 1081 – 1105.
Schönke, A. & Schröder, H. (2018): Strafgesetzbuch. Kommentar. 30. Aufl. München.
Schott, T. (2004): Gesetzliche Strafrahmen und ihre tatrichterliche Handhabung. Eine empiri-
sche Untersuchung zu Gesetzessystematik und Rechtstatsächlichkeit bei ausgewählten De-
liktsbereichen. Baden-Baden.
Schumann, K.F., Berlitz, C., Guth, H.W. & Kaulitzki, R. (1987): Jugendkriminalität und die
Grenzen der Generalprävention. Neuwied.
Schünemann, B. (1987): Plädoyer für eine neue Theorie der Strafzumessung, in: A. Eser &
K. Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen in der Kriminalpolitik. Beiträge zu einem deutsch-
skandinavischen Strafrechtskolloquium. Freiburg i.Br., S. 209 – 238.
Schünemann, B. (2003): Die Akzeptanz von Normen und Sanktionen aus der Perspektive der
Tatproportionalität, in: W. Frisch, A. von Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportiona-
lität. Normative und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung (Buchen-
bach-Symposium 1999). Heidelberg, S. 185 – 197.
Störzer, U. & Streng, F. (1977): Bericht über das 13. Colloquium der südwestdeutschen krimi-
nologischen Institute. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 60, S. 375 –
384.
Stratenwerth, G. (1972): Tatschuld und Strafzumessung. Tübingen.
Stratenwerth, G. (1977): Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips. Heidelberg.
Streng, F. (1984): Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Eine Untersuchung zu rechtli-
chen, psychologischen und soziologischen Aspekten ungleicher Strafzumessung. Heidel-
berg.
Streng, F. (2001): Praktikabilität und Legitimität der „Spielraumtheorie“, in: G. Britz, H. Jung,
H. Koriath & E. Müller (Hrsg.), Grundfragen staatlichen Strafens – Festschrift für Heinz Mül-
ler-Dietz zum 70. Geburtstag. München, S. 875 – 903.
Streng, F. (2006): Verfahrensabsprachen und Strafzumessung. Zugleich ein empirischer Beitrag
zur Strafzumessung bei Delikten gegen die Person, in: T. Feltes, C. Pfeiffer & G. Steinhilper
(Hrsg.), Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Festschrift für Professor
Dr. Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag. Heidelberg, S. 447 – 467.
Streng, F. (2012): Strafrechtliche Sanktionen. Die Strafzumessung und ihre Grundlagen.
3. Aufl. Stuttgart.
Streng, F. (2014): Schuldausgleich im Zweckstrafrecht?, in: R. Hefendehl, T. Hörnle &
L. Greco (Hrsg.), Streitbare Strafrechtswissenschaft – Festschrift für Bernd Schünemann
zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 827 – 842.
618 Franz Streng

Streng, F. (2018): Perspektiven für die Strafzumessung? Strafverteidiger 38, S. 593 – 600.
Weigend, T. (1988): Richtlinien für die Strafzumessung, in: H.J. Hirsch (Hrsg.), Festschrift der
Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln. Köln, S. 579 –
602.
Weigend, T. (1999): Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Grenze staatlicher Strafgewalt,
in: T. Weigend & G. Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag.
Berlin, S. 917 – 938.
Weigend, T. (2003): Sind Sanktionen zu akzeptieren, die sich am Maß der Tatschuld orientie-
ren?, in: W. Frisch, A. von Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative
und empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung (Buchenbach-Symposium
1999). Heidelberg, S. 199 – 207.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung
Ein Nachwort zum 72. Deutschen Juristentag 2018

Von Wolfgang Frisch

Zu den Hauptgebrechen der Strafzumessung gehört seit Jahrzehnten die Unein-


heitlichkeit der Strafzumessungspraxis. Über sie wurde schon kurz nach dem Inkraft-
treten des StGB von 1871 geklagt. Die Klagen sind in der Folgezeit nicht verstummt.
Bis in das 20. Jahrhundert hinein war von „anstößigen Ungleichheiten“1 und einer
„unerträglichen Verschiedenheit der Strafe“2 die Rede, von einem geradezu „anar-
chischen Zustand“3 und einem „Chaos“ der Strafzumessungspraxis4. Die Klagen
kamen dabei nicht nur aus dem Munde von Strafrechtswissenschaftlern. Auch re-
nommierte Praktiker wie der frühere Senatspräsident des 5. Strafsenats des BGH,
Werner Sarstedt, hielten mit harter Kritik nicht zurück.5

1. Niederschläge und Belege der Ungleichheit


Grundlage dieser und vieler anderer kritischer Äußerungen und Klagen waren zu-
nächst vor allem persönliche Beobachtungen und individuelle Eindrücke gelegent-
lich der eigenen Tätigkeit oder von Forschungsprojekten, die eigentlich auf anderes
als die Strafzumessung zielten. Ein plastisches Beispiel für Ersteres bildet die Be-
merkung Sarstedts, er habe es „als Revisionsrichter mit zwei benachbarten Strafkam-
mern zu tun“ gehabt, deren eine „im Allgemeinen das Vierfache von dem zu verhän-
gen pflegte, was bei der anderen zu erwarten war“.6 Ein Beispiel für das Letztere bil-
den die Begleitergebnisse, die Karl Peters in seinen Arbeiten über „Fehlerquellen im
Strafprozeß“ im Zusammenhang mit mehr als vierzig versehentlichen Doppelverur-
teilungen zu Tage gefördert hat: Die Erst- und die Zweitverurteilung stimmten hier

1
Kahl 1906, 895.
2
Mannheim 1921, 40, 41.
3
Drost 1930, 117.
4
von Weber 1956, 19.
5
Sarstedt 1955, D 30, 39.
6
Sarstedt 1955, D 39.
620 Wolfgang Frisch

selten überein; in den krassesten Fällen lag die eine Entscheidung um das Sechsfache
über der anderen.7
Freilich stützt sich das Bild von einer insgesamt uneinheitlichen Strafzumes-
sungspraxis nicht nur auf derartige gelegentliche Beobachtungen, die man mögli-
cherweise als zufällig abtun könnte. In dieselbe Richtung weisen gezielt auf die Er-
forschung der Strafzumessungspraxis gerichtete empirische Untersuchungen. So hat
z. B. Franz Exner auf der Basis statistischer Untersuchungen schon für die dreißiger
Jahre des 20. Jahrhunderts Unterschiede vom bis zu Vierfachen im Strafmaß nach-
gewiesen,8 und der von mir hochgeschätzte Jubilar hat im Rahmen einer Untersu-
chung zur Geldstrafenpraxis in Baden-Württemberg festgestellt, dass „im Süden
mehr als dreimal so häufig niedrige Geldstrafen unter 100 DM ausgesprochen (wur-
den) wie im Norden, während umgekehrt hohe Geldstrafen über 200 DM im Norden
fünfmal so häufig verhängt (wurden) wie im Süden“.9 Eine gewisse empirische Be-
stätigung des Bildes der Uneinheitlichkeit vermitteln auch Befragungen von Rich-
tern und Staatsanwälten dazu, welches Strafmaß sie für bestimmte fiktiv gebildete
Fälle für richtig hielten. Franz Strengs Befragung von 500 Richtern, Staatsanwälten
und Assessoren aus Niedersachsen förderte hier weit auseinanderklaffende Strafma-
ße zu Tage;10 andere vergleichbare Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen.11
Zwar liegen die solch drastische Unterschiede konstatierenden Untersuchungen
mittlerweile einige Jahrzehnte zurück. Die wenigen gezielten Untersuchungen aus
der jüngeren Vergangenheit zeichnen z. T. ein weniger dramatisches Bild – der Jubi-
lar selbst konnte für die Strafzumessung bei schwerer Kriminalität eine relative
Gleichmäßigkeit feststellen.12 Freilich wäre es wohl doch eine etwas zu euphorische
Bewertung der Gesamtsituation, wenn man angesichts gewisser erfreulicher Anglei-
chungsprozesse annehmen wollte, das Thema der Ungleichheit der Strafzumessung
habe sich erledigt.13 Dass das nicht der Fall ist, zeigt sich nicht nur an schwer erklär-
baren Strafzumessungsentscheidungen im Einzelfall – etwa im Zusammenhang mit
revisionsgerichtlichen Aufhebungen, an erstaunlichen Divergenzen bei der Behand-

7
Peters 1972, 51, 60; weit. Nachw. zu den Untersuchungen von Peters bei Streng 1984,
10 f.
8
Vgl. Exner 1931, 46 ff. (zu örtlichen Unterschieden); vgl. auch schon Woerner 1907, 23,
53.
9
Albrecht 1980a, 88, 206 f.
10
Streng 1984, 75 ff., 78 ff., 95 ff., 102 ff.
11
Vgl. etwa Opp & Peukert 1971; Hood 1972, 143; Peters 1973; weit. Nachw. bei Streng
1984, 59 ff. und Streng 2018, 593 f.
12
Vgl. Albrecht 1994, 492 f.; ferner Albrecht 2017, 185; ähnlich Hoppenworth 1991, 23 ff.,
54 ff., 258 ff., 266; weit. Überblick und Nachw. bei Maurer 2005, 31 ff., 37 ff.
13
Im Sinne der Annahme einer gewissen Angleichung, aber doch weiterbestehender Un-
terschiede mit Beispielen auch das Fazit von Maurer 2005, 43 ff. und Hörnle 1999, 67 f.;
zuletzt wieder Kaspar 2018, C 16 ff. m.w.N.; Mosbacher & Raum DJT 2019, II 1 M 23 bzw. II
2 M 147 ff.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 621

lung von Mittätern14 und an schwer nachvollziehbaren Unterschieden der Strafmaße


auch bei nochmaligen Entscheidungen über denselben Sachverhalt. Wie weit die
Strafzumessung auch heute noch auseinanderklafft, hat in aller Deutlichkeit in jüngs-
ter Zeit nochmals die statistische Untersuchung von Altenhain15 deutlich gemacht,
die Unterschiede in der Honorierung des Geständnisses bei Absprachen zu Tage ge-
fördert hat, die in der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht von den Be-
teiligten fassungslos zur Kenntnis genommen wurden. Dass bei solchen Divergenzen
in Bezug auf einen viel diskutierten Strafzumessungsumstand hinsichtlich der Straf-
zumessung im Übrigen von relativer Einheitlichkeit ausgegangen werden dürfe, er-
scheint alles andere als naheliegend.
Vor diesem Hintergrund wird zugleich verständlich, dass sich auch der Deutsche
Juristentag im Jahre 2018 erneut mit Fragen der Strafzumessung beschäftigt hat. Das
für die Tagung speziell gewählte Thema – „Sentencing Guidelines versus tatrichter-
liches Ermessen“16 – lässt dabei bereits erkennen, auf welchem Weg sich die Veran-
stalter der Tagung eine Verbesserung der Strafzumessung und darin eingeschlossen
natürlich auch deren Vereinheitlichung möglicherweise hätten vorstellen können. Ob
diese Einschätzung in Bezug auf das Ziel einer einheitlicheren Strafzumessung rea-
listisch ist, hängt von den Ursachen der (heutigen) Uneinheitlichkeit sowie davon ab,
ob das als Verbesserung Gedachte diese Ursachen wirklich trifft und sie beseitigt.
„Sentencing Guidelines“ könnte ein erheblich zu unspezifisches, vielleicht auch
gar nicht sonderlich adäquates Programm sein – und das, worauf es wirklich an-
kommt und was helfen könnte, lässt sich möglicherweise mit deutschen Begriffen
sogar treffender ausdrücken.

2. Zu den Ursachen der Uneinheitlichkeit


Lange Zeit herrschte die Vorstellung, dass der Grund für die Uneinheitlichkeit der
Strafzumessung im Fehlen gesetzlicher Regelungen zur Strafzumessung liege. Tat-
sächlich enthielt das StGB von 1871 an Anhaltspunkten für die Strafzumessung ja im
Wesentlichen nur die weiten Strafrahmen des Besonderen Teils und im Allgemeinen
Teil einige Rahmenmilderungen (z. B. zum Versuch, zur verminderten Schuldfähig-
keit), Regelungen über das Mindest- und Höchstmaß der Strafarten (Zuchthausstrafe,
Gefängnisstrafe, Einschließung, Haft- und Geldstrafe) sowie über das Verhältnis die-
14
Vgl. zu solchen Sachverhalten z. B. BGHSt 28, 318 ff., 324; BGH StV 1981, 122 f.; BGH
StV 1987, 435 f.; BGH StV 1995, 557; BGH StV 2009, 244 f.; BGH NJW 2011, 2597 ff. = JR
2012, 249 ff. m. Anm. Streng; weit. Nachw. bei Streng 2012, Rn. 664; Maurer 2005, 152 ff.
15
Altenhain, Dietmeyer & May 2013, 116 f., 182, 183; siehe dazu auch Frisch 2017, 685,
697 ff.
16
Vgl. Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentags Leipzig 2018, Bd. I, Gutachten,
Kaspar 2018 C 1 – 129 und Bd. II, Referate und Sitzungsberichte, Bd. II 1 M 7 – 65 (Referate
von Fünfsinn, Kilian & Mosbacher); Bd. II 2 M 77 – 187 (Diskussion), M 189 – 193 (Be-
schlüsse); s. dazu auch noch die Begleitaufsätze von Kudlich & Koch 2019, 2762 ff.; Streng
2018, 593 ff. und Verrel 2018, 811 ff.
622 Wolfgang Frisch

ser Strafarten zueinander. Dagegen fehlten Regelungen zu den Zwecken und den
Maßstäben, nach denen die Strafe zu bemessen war, ebenso wie Vorschriften, die
sich darüber verhielten, welche Umstände strafzumessungsrelevant sind und wie
man von diesen Umständen zu einer konkreten Strafgröße kommen kann und zu
kommen hat. All das blieb dem Ermessen des Richters überlassen,17 für den die Straf-
zumessung damit ein „Griff ins Dunkle“18 war.
Dementsprechend war es ein zentrales Anliegen aller Reformentwürfe seit 1909,
hier für Abhilfe, mehr Klarheit und damit auch Einheitlichkeit zu sorgen. Da man die
komplexe Gesamtdimension der eigentlich zu beantwortenden Fragen noch gar nicht
richtig erfasste, war das Ergebnis dieser Bemühungen freilich zunächst relativ be-
scheiden: bis zum E 1930 boten die Entwürfe zunächst nichts weiter als eine Aufzäh-
lung der für die Strafzumessung „insbesondere“ in Betracht kommenden Umstän-
de.19 Gewisse Antworten auf andere bei der Strafzumessung zu lösende Probleme
finden sich erst in den Reformarbeiten der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahr-
hunderts,20 die schließlich in den Jahren 1969 – 1975 zu den heutigen Strafzumes-
sungsregelungen des StGB führten. Diese enthalten – nach langem Ringen – endlich
auch eine Aussage zu dem grundsätzlichen Maßstab der Strafzumessung und eine
begrenzte Aussage zum Strafzweck. Die Strafe soll danach auf der Grundlage der
Schuld (also nicht, wie von anderen gefordert, der Gefährlichkeit) bemessen werden
(§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB), wobei auch die Wirkungen auf den Täter, also spezialprä-
ventive Gesichtspunkte, zu berücksichtigen seien (§ 46 Abs. 1 S. 2). Diese grund-
sätzlichen Aussagen werden in § 46 Abs. 2 StGB durch eine beispielhafte Aufzäh-
lung der wichtigsten strafzumessungsrelevanten Umstände sowie durch detaillierte
Regelungen ergänzt, die durch hohe Anforderungen an die Verhängung kurzer Frei-
heitsstrafen (so § 47 StGB) und erweiterte Möglichkeiten der Strafaussetzung (so
§ 56 StGB) um eine weitgehende Zurückdrängung der (vollstreckten) Freiheitsstrafe
bemüht sind.
Die von vielen gehegte Hoffnung, dass durch diese – im Verhältnis zum ursprüng-
lichen StGB – doch recht detaillierte Regelung der Strafzumessung allmählich auch
mehr Einheitlichkeit und Gleichmaß in die Strafzumessungspraxis einkehren würde,
erfüllte sich indessen nicht – oder doch allenfalls begrenzt. Auch die Jahre nach 1969
sind – wie oben (1.) dargelegt – noch durch erhebliche Divergenzen in der Strafzu-
messungspraxis gekennzeichnet. Verwunderlich ist diese relative Wirkungslosigkeit
des Gesetzes nicht. Tatsächlich schrieb dieses ja in Vielem nur das fest, was zuvor
schon seitens der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung richterrechtlich praktiziert
worden war und nur sehr begrenzt Strafmaßgleichheit zu gewährleisten im Stande

17
Ausdruck dessen in der Rechtsprechung etwa RGSt 8, 76, 77; RG JW 1937, 3302
(Nr. 4); eingeh. dazu Frisch 1971, 67 ff. 75 ff. m.w.N.
18
von Liszt 1905, 290, 393.
19
Darstellung der einschlägigen Vorschriften der Reformentwürfe bei Bruns 1967, 104,
106 ff.
20
Siehe dazu Bruns 1967, 287 ff.; Kaspar 2018, C 58 ff.; je m.w.N.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 623

war. Es war damit von Anfang an eine Fehlintuition zu glauben, dass eine gesetzliche
Festschreibung dessen, was bisher schon höchstrichterlich praktiziert worden war
und zur Gewährleistung von Strafmaßgleichheit nicht ausreichte, zu einem wesent-
lichen Wandel in der Strafzumessungspraxis führen würde.
Bleibt die Frage, warum die gesetzlichen Regelungen (und ihre richterrechtlichen
Vorläufer) nicht ausreichten, um das wünschenswerte Gleichmaß und die wün-
schenswerte Gleichbehandlung gleicher Fälle in der Strafzumessungspraxis zu ge-
währleisten. Die Antwort ist einfach: Das Gesetz bietet zwar für einen Teil der zu
lösenden Probleme Lösungen; gerade die entscheidenden und schwierigen Fragen
beantwortet es aber nicht. Weitgehend unbeantwortet blieb und bleibt auch heute
noch beispielsweise, wie der Richter von einer Reihe festgestellter strafzumessungs-
relevanter Umstände zu einer Aussage über das Maß der Schuld und von dieser Be-
wertung weiter zu einer Aussage über ein konkretes Strafmaß gelangen soll.21 Wo
findet er die Maßstäbe für all das? Wo findet er Maßstäbe für die ihm in § 46
Abs. 2 S. 2 StGB abverlangte Abwägung der strafzumessungsrelevanten Umstände?
Muss der Abwägung nicht auch eine Gewichtung der Umstände vorausgehen?
Woher nimmt man die hierfür benötigten Maßstäbe? – Relativ (allein) auf die in die-
ser Hinsicht äußerst bescheidenen Aussagen des Gesetzes gleicht die dem Richter
abverlangte Bemessung einer konkreten Strafe damit auch heute noch durchaus
einem „Griff ins Dunkle“, dessen Kompass in vielen Fällen nur noch das persönlich
für richtig Gehaltene sein dürfte, das keinerlei Garantie für eine einheitliche Straf-
zumessung enthält.
Soll das weitgehende Schweigen des Gesetzgebers zu den eigentlichen Maßfra-
gen der Strafzumessung nicht zu einer inakzeptablen Uneinheitlichkeit der Strafzu-
messungspraxis führen, so benötigt der Rechtsanwender (Richter, Staatsanwalt) für
die Bewältigung der entscheidenden Phasen der Strafzumessung zusätzliche – geset-
zeskompatible – Anhaltspunkte, die ihn bei der Bestimmung der Strafe im konkreten
Fall leiten und, allgemein beachtet, eine relative Einheitlichkeit gewährleisten. Die
Frage nach den insoweit der Art nach in Betracht kommenden Hilfen ist das eigent-
liche Kardinalproblem einer Strafzumessung auf der Basis eines relativ schweigsa-
men Gesetzes. Dieser Problematik sind daher die folgenden Abschnitte dieses Bei-
trags gewidmet. Erst wenn Klarheit über die inhaltliche Beschaffenheit, die Ange-
messenheit und die Umsetzbarkeit der insoweit denkbaren Hilfen besteht, stellt
sich die Frage, ob das, was als Hilfe materiell angemessen erscheint, zumindest par-
tiell auch gesetzlich festgeschrieben werden kann und sollte. Der sofortige Ruf nach
„Sentencing Guidelines“, die mehr enthalten als das schon geltende Recht, droht so
eine entscheidende Reflexionsstufe zu überspringen oder doch zumindest zu unter-
thematisieren.

21
Eingehend zu diesen Phasen der sog. Abwägung und Umwertung die gleichnamige
Monografie von Montenbruck 1989, passim, sowie Giannoulis 2014, 169 ff., 251 ff.
624 Wolfgang Frisch

3. Gleichmäßige (und voraussehbare) Strafmaße


durch Mathematisierung der Strafzumessung?
Den wohl ambitioniertesten Ansatz, um bei einer in den Kernfragen der Strafzu-
messung ausgesprochen kargen gesetzlichen Regelung zu einer einheitlichen Straf-
zumessung zu gelangen, stellt sicher der Versuch einer Mathematisierung der Straf-
zumessung dar. Er ist in Deutschland wiederholt unternommen worden.22 Im Kern –
und zugleich in der einfachsten Form23 – könnte ein solches berechenbares Strafmaß
dadurch erreicht werden, dass den einzelnen strafzumessungsrelevanten Umständen
Punktwerte zugeordnet werden, etwa positive für mildernde Umstände und negative
für strafschärfende. Anhand spezifischer Punktwerttabellen und der strafzumes-
sungsrelevanten Umstände des konkreten Falles würde dabei in einem ersten Schritt
zunächst die den Fall kennzeichnende Gesamtpunktezahl ermittelt, die gewisserma-
ßen die relative Schwere des Falles ausdrückt. In einem zweiten Schritt würde dann
anhand einer weiteren Tabelle, die den Gesamtpunktezahlen konkrete Strafgrößen
zuordnet, die für den Fall vorgesehene Strafgröße ermittelt. Einem ähnlichen Grund-
muster folgen auch die schon oben 1. (a.E.) erwähnten Sentencing Guidelines des
US-amerikanischen Strafrechts, soweit sie über Vorgaben zu den Strafrahmen hinaus
zugleich Vorgaben zum konkreten Strafmaß enthalten.24
Dass Strafzumessungsgrundsätze der eben skizzierten Art eine gewisse Berechen-
barkeit und auch Einheitlichkeit der Strafzumessung gewährleisten können, ist zuzu-
geben – jedenfalls wenn sie hinreichend ausdifferenziert sind, also Regeln für alle
Strafzumessungsfaktoren enthalten. Aber wie steht es mit ihrer Durchführbarkeit?
Und kann man auf diese Weise ohne Weiteres auch zu akzeptanzfähigen (und – et-
waigen – gesetzlichen Vorwertungen25 entsprechenden) Strafmaßergebnissen gelan-
gen?
Durchführbar sind solche Konzepte der Strafzumessung nur, wenn es konsensfä-
hige, verfügbare Maßstäbe dafür gibt, welche Punkte oder Werte bestimmten Straf-
zumessungsumständen richtigerweise zuzuordnen und welche Strafmaße bei be-
stimmten Gesamtpunktezahlen oder bei bestimmtem Gesamtgewicht zu verhängen
sind. Solche Maßstäbe fehlen – jedenfalls wenn man, was aber unverzichtbar ist, kon-

22
So von Bruckmann ZRP 1973, 30 ff.; Haag 1970; von Linstow 1974; Kohlschütter 1998
und zuletzt Giannoulis 2014, insbes. 315 ff.
23
Die folgenden Ausführungen des Textes orientieren sich in etwa an dem Modell von
Linstows, das auf einer Merkmalsverknüpfung mittels Addition und Multiplikation beruht,
und über tatbezogene Verknüpfungsregeln zu einer „Strafrohzahl“ führt (1974, 10 f.). Aus
dieser wird dann über weitere tatbestandsunabhängige Entscheidungsregeln die konkrete
Strafe bestimmt (1974, 27 ff.). Zu anderen Ansätzen vgl. Frisch 2003, 171 ff.; Maurer 2005,
80 ff.
24
Siehe dazu näher z. B. Reichert 1999, 166 ff.; Fischer 1999, 119 ff., 128 ff.; Kaspar 2018,
C 76 ff.; weit. Nachw. bei Frisch 2003, 167 f.; Maurer 2005, 71 ff.; Streng 2012, Rn. 764 ff.
25
Siehe dazu nachfolgend 4.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 625

sentierte oder konsensfähige Maßstäbe fordert.26 Setzt man bei dieser Sachlage ir-
gendwelche Punktwerte für Einzelumstände und bestimmte Strafmaße für Gesamt-
punktwerte einfach fest, so droht es zu nicht akzeptanzfähigen Strafen zu kommen.27
Will man das vermeiden und zu akzeptanzfähigen Strafmaßen kommen, so muss man
dafür Sorge tragen, dass dem Gesamtpunktwert eines Falles eine Strafgröße zugeord-
net wird, die als Strafe für diesen Fall akzeptanzfähig ist, also (z. B.) dem Maß des
Unrechts und der Schuld des Täters entspricht.
Spätestens an dieser Stelle wird sichtbar, dass das Verfahren einer Mathematisie-
rung der Strafzumessung zur Erzielung einer einheitlichen und voraussehbaren Straf-
zumessungspraxis, wenn es zu akzeptanzfähigen (und mit etwaigen Vorwertungen
des Gesetzes kompatiblen) Ergebnissen führen soll, im Grunde selbst bereits die
Kenntnis jener akzeptanzfähigen Strafgrößen voraussetzt, die über Punktewerte
dann „errechnet“ werden sollen. Kennt man jene Strafgrößen nicht und kann man
sie auch nicht anderweitig bestimmen, so droht die Konstruktion von Punktwerten
und Punktwerttabellen sowie zugeordneten Strafgrößen zu einem Strafmaßbestim-
mungsverfahren zu werden, das nicht verantwortet werden kann, weil es Strafgrößen
produziert, die zufällig sind und keine Gewähr bieten, akzeptanzfähig zu sein. Kennt
man die akzeptanzfähigen Strafgrößen aber bereits oder kann man sie (anderweitig)
bestimmen, so ist deren mathematische Reproduktion und Berechnung aus zu erstel-
lenden Punktwerttabellen ganz überflüssig und nichts weiter als eine scheinrationale
Verkomplizierung der Strafzumessung.28
Die vorstehenden Überlegungen zeigen freilich nicht nur, dass die mathematische
Bestimmung des Strafmaßes eine Scheinlösung und Sackgasse ist. Sie machen auch
deutlich, dass man, wenn man zu einer akzeptanzfähigen einheitlichen Strafzumes-
sung kommen will, sich zunächst einmal an jene Maßstäbe und Wertungen halten
muss, die eine Chance bieten, zu akzeptanzfähigen Strafmaßen zu führen. In
einem Rechtsstaat sind das zu allererst die jenseits der expliziten Aussagen in der
Rechtsordnung (bzw. seinem einschlägigen Teil) steckenden Grundgedanken, Kon-
zepte und Wertungen.

4. Die Idee einer im Strafrahmen enthaltenen Schwereordnung


und Strafenstaffel
Ein erster in dieser Hinsicht weiterführender Gedanke ist mit einem bestimmten
Verständnis jener Strafrahmen verbunden, denen nach dem Gesetz die für einen be-

26
Zutreffend Streng 1984, 314.
27
Zutreffend Maurer 2005, 87: „eher willkürliche“ Zahlenwerte.
28
Frisch 2003, 155, 172; weitere Bedenken bei Streng 1984, 314 f.; Maurer 2005, 80 ff.,
88 f. – Übereinstimmend Hassemer 1978, 64, 76 f.; Kaspar 2018, C 99; Köberer 1996, 60 ff.,
103 ff., 167 ff.; weit. Nachw. bei Frisch 2003, 171 ff.; aus der Rspr. z. B. BGH NStZ 2008,
233 f.; NStZ-RR 2010, 40 und 75.
626 Wolfgang Frisch

stimmten Fall sachgerechte und akzeptanzfähige Strafe entnommen werden soll. Der
Gedanke ist – soweit ich sehe – mit großer Deutlichkeit erstmals von Dreher formu-
liert worden,29 hat aber sicherlich ältere Wurzeln. Der Strafrahmen ist danach nicht
etwas, das dem Strafrichter für die Einordnung seines Falles mit allen darin enthal-
tenen Strafgrößen zur Verfügung steht und aus dem er nach seinen persönlichen Vor-
stellungen das angemessene Strafmaß zu bestimmen hat – wie sich das viele in den
ersten Jahrzehnten der Geltung des StGB noch vorgestellt hatten (eine Auffassung,
die zugleich die Grundlage der lange Zeit herrschenden Annahme war, dass die Be-
stimmung einer Strafe, die innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens liegt, weitge-
hend unangreifbar [irrevisibel] sei30). Der Strafrahmen wird vielmehr so verstanden,
dass er für die denkbare Skala der von ganz leicht bis ganz schwer aufsteigenden
Fälle eines Delikts (die so genannte relative Schwereskala der Fälle) eine parallel
laufende Strafenskala bereithält. Der Schwereskala denkbarer Fälle sind danach
die aufsteigenden Strafgrößen des Strafrahmens zugeordnet.31
Praktisch bedeutet das, dass für die Beurteilung bestimmter Fälle – z. B. leichter
Fälle, mittelschwerer Fälle usw. – niemals die ganze Bandbreite der Strafgrößen des
Strafrahmens, sondern nur ein bestimmter engerer Bereich in Betracht kommt: für
die leichten Fälle z. B. nur Strafgrößen in unteren Bereich des Strafrahmens, für
leichte bis mittelschwere Fälle Strafgrößen, die bereits deutlich über der Mindeststra-
fe, aber doch noch in der unteren Hälfte des Strafrahmens liegen usw. Auf dieser
Grundlage hat die revisionsgerichtliche Rechtsprechung z. B. eine Strafzumessung
beanstandet, bei der ein erfahrungsgemäß häufig vorkommender, nicht allzu schwe-
rer Fall mit einer Strafe aus der Mitte des Strafrahmens belegt worden war.32 Gleiches
würde gelten, wenn für einen sehr schweren Fall die Mindeststrafe des Strafrahmens
oder eine nur wenig darüber liegende Strafgröße verhängt würde.
Es ist nicht zu bestreiten, dass ein solches – meines Erachtens im Ansatz richti-
ges33 – Verständnis des Strafrahmens dem Rechtsanwender bei der Bestimmung des
Strafmaßes im Einzelfall eine allererste Groborientierung geben kann. Ein Leitmaß,
das ihn bis hin zu einem konkreten Strafmaß (einer konkreten Strafgröße) führt, ist

29
Dreher 1947, 61 ff.
30
Vgl. etwa RGSt 8, 76, 77: Irrevisibilität der Strafzumessung, wenn sich die Strafe „in-
nerhalb der gesetzlichen Strafdrohung hält und nicht von rechtsirrtümlichen Voraussetzungen
ausgeht“. Eingeh. weit. Nachw. dazu bei Frisch 2005, 257, 259 f.
31
Zu dieser Konzeption der Strafrahmen (für das deutsche Recht) z. B. BGHSt 27, 2 ff.;
BGH StV 1983, 102 und 117; BGH StV 1984, 114; zuvor schon OLG Stuttgart MDR 1961,
443; OLG Hamm VRS 31, 288; aus der Literatur z. B. Bruns 1974, 81 ff.; 1985, 60 ff.; Dreher
1947, 61 ff.; 1978, 141, 149 ff.; Frisch 1971, 161 ff. m.w.N.; Meier 2015, 234 f.; Montenbruck
1989, 35 f., 39 f.; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1165 ff.; krit. Hettinger 1982,
129 ff., 149; Streng 1984, 42 ff.
32
So BGHSt 27, 2, 4 f.
33
Näher Frisch 1971, 161 ff.; 2003, 155, 159 ff.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 627

sie aber ganz bestimmt nicht.34 Ob etwa ein leichter bis mittelschwerer Fall in einem
Strafrahmen von drei Monaten bis zu zehn Jahren eine Strafe von ein, zwei oder drei
Jahren oder eine der vielen dazwischenliegenden Strafgrößen verdient, lässt sich an-
hand eines so groben Rasters nicht beantworten. Hinzu kommt, dass es ja auch ge-
wisser umsetzbarer objektiver Maßstäbe dazu bedürfte, wann ein leichter, wann ein
mittelschwerer oder irgendein sonstiger derart qualitativ bezeichneter Fall vorliegt.
Allzu viel Feinheit lässt sich mit dem Instrumentarium der Schwereskala auch des-
halb nicht erzielen, weil das Arsenal der zur Verfügung stehenden Qualifikationsbe-
griffe (leicht, mittel, schwer usw.) begrenzt ist. Überdies leidet der Gedanke der
Strafrahmen als Schwereskala aber auch noch darunter, dass viele Strafrahmen
heute veraltet sind – etwa ganz unrealistisch hohe Obergrenzen aufweisen.35 Hier ob-
liegt es der Rechtsanwendung, überhaupt erst einmal die richtige Obergrenze zu fin-
den. Und auch wenn für die Beurteilung einer Straftat mehrere Strafrahmen zur Ver-
fügung stehen, stellen sich dem Rechtsanwender Fragen, auf die die Theorie der
Schwereskala keine unmittelbar umsetzbaren Antworten gibt, es vielmehr offenbar
zusätzlicher Maßstäbe bedarf.
All diese offenen Fragen und Schwächen ändern freilich nichts daran, dass das
Verständnis des Strafrahmens als Strafenstaffel für eine Skala von leicht nach schwer
ansteigender Fälle des jeweiligen Delikts das einzig sinnvolle Verständnis von diver-
gierenden Strafrahmen darstellt und deshalb als dem Gesetz entsprechende Grund-
idee den Ausgangspunkt der Strafzumessung zu bilden hat. Die begrenzte eigene
Leitfähigkeit der Grundidee bedeutet nur, dass es zu ihrer Umsetzung im Sinne
einer einheitlichen Strafzumessung noch einer Reihe von Ergänzungen und Festle-
gungen bedarf. Solche Festlegungen können dabei nicht nur die – im Folgenden aus-
geklammerte – Frage betreffen, welche Sachverhalte so unbedeutend erscheinen,
dass sie überhaupt nicht mehr mit Strafen belegt werden (sollen), sondern von
ihrer Verfolgung abgesehen werden kann. Denkbar und notwendig erscheinen vor
allem zusätzliche Festlegungen dergestalt, dass bei Berücksichtigung des Grundge-
dankens der relativen Schwereskala, der jeweiligen Strafrahmengrenzen und dessen,
was gegenwärtig als adäquates Strafmaß (für verschuldetes Unrecht) akzeptanzfähig
ist, für bestimmte Sachverhalte bestimmte Strafgrößen als sachgerecht, dem Unrecht
und der Schuld des Täters entsprechende Strafen anzusehen seien. Die Idee der re-
lativen Schwereskala wird dann durch gewisse „Ankerwerte“ weiter konkretisiert.

34
Ebenso Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1167: nur grobe Eckpunkte; siehe
auch Frisch 2003, 155, 160 f. und Kaspar 2018, C 47 ff.
35
Dreher 1978, 141, 150 ff.; Streng 1984, 44 f. und 2018, 593, 594 f. m.w.N.; siehe erg.
Frisch 1987, 751, 789 ff.; Schlothauer DJT 2018, II 2, M 107 f. und Verrel 2018, 811, 813.
628 Wolfgang Frisch

5. Strafen für Regel- und Durchschnittsfälle als Konkretisierung


der relativen Schwereskala
Beispielhaft für solche als „Ankerwerte“ fungierenden Fälle werden immer wie-
der vor allem der sogenannte Durchschnittsfall und der Regel- oder auch Normalfall
genannt.36 Als gedanklicher Durchschnittsfall wird dabei der Fall bezeichnet, der in
der Mitte zwischen dem denkbar leichtesten und dem denkbar schwersten Fall eines
Tatbestandes liegt und daher die in der Mitte des Strafrahmens liegende Strafe, also
den Durchschnitt der Extremwerte, verdient (oder verdienen soll). Der Begriff des
Regelfalles bezieht sich dagegen auf die Realität der Ausformungen einer Straftat.
Er dient zur Bezeichnung des Falles eines Delikts, der in der Praxis „regelmäßig“,
statistisch am häufigsten, vorkommt. Dieser Fall ist – darüber besteht weitgehende
Einigkeit – mit dem gedanklichen Durchschnittsfall keineswegs identisch. Denn die
Mehrzahl der Straftaten eines Delikts erreicht erfahrungsgemäß nur einen verhältnis-
mäßig geringen Schweregrad.37 Dementsprechend liegt auch die für den Regelfall
angemessene Strafe nicht in der Mitte, sondern mehr oder weniger deutlich unter
der Mitte des Strafrahmens – wobei immer wieder das untere Drittel des Strafrah-
mens genannt,38 es aber auch als möglich angesehen wird, dass die der Strafwürdig-
keit des Regelfalles entsprechende Strafe an der unteren Grenze des Strafrahmens
liegt.39 Gewinn für die Strafzumessung verspricht man sich von der Verdeutlichung
des jeweiligen Regelfalles und des Durchschnittsfalles und der für den Regelfall je-
weils in Betracht kommenden Strafgröße(n) nicht nur in Bezug auf die Behandlung
dieser Fälle selbst, also z. B. im Sinne einer einheitlichen Behandlung der Fälle, die
als Regelfälle oder Durchschnittsfälle anzusehen sind. Der „Regelfall“ und der
„Durchschnittsfall“ lassen sich – der Idee nach – auch für die Beurteilung abweichen-
der Fälle einsetzen, indem man sich das Maß der Abweichung des konkreten Falles
von diesen Orientierungssachverhalten vergegenwärtigt und diesem durch eine dem
Maß dieser Abweichung entsprechende Modifizierung der für den Regelfall oder den
Durchschnittsfall vorgesehenen Strafe Rechnung trägt.40
Die Versuche, die Strafzumessung durch die Angabe von Strafen für den Regelfall
und die Verdeutlichung jener Fälle zu rationalisieren und zu vereinheitlichen, für die
die mittlere Strafe des Strafrahmens in Betracht kommt, sind sicherlich realistischer
als jene Versuche, die dieses Ziel über eine präzise rechnerische Gewichtung der ein-
zelnen Strafzumessungsumstände (oben 3.) zu erreichen trachten. Freilich ist der auf

36
Zu den Begriffen vgl. z. B. Bruns 1974, 85 ff.; 1988a, 63 ff.; 1988b, 1053 ff.; Götting
1997, 60 ff., 213 ff.; Neumann 1992, 435, 444 ff.; Ostermeyer 1966, 2301 ff.; Schoene 1967,
1118 ff.; krit. zu Durchschnitts- und Regelfällen Montenbruck 1983, 30 ff., 38: „leere Hül-
sen“.
37
BGHSt 27, 2, 4 f.; Bruns 1974, 85; Ostermeyer 1966, 2301, 2302.
38
Vgl. etwa Meier 2015, 237; Ostermeyer 1966, 2301, 2302; Verrel 2018, 811, 813; Em-
pirie bei Götting 1997, 221 ff.
39
Vgl. etwa Bruns 1974, 85.
40
In diesem Sinne Bruns 1974, 85 f.; siehe auch schon Sturm 1913, 64, 69.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 629

diesem Weg zu erreichende Ertrag wohl eher doch begrenzt.41 Ein hohes Maß an Ein-
heitlichkeit ist so nur für den Regelfall und den Durchschnittsfall selbst zu erreichen.
Je weiter sich der konkret zu beurteilende Fall von diesen Leitfällen entfernt, desto
geringer wird die leitende und vereinheitlichende Funktion des Ansatzes. Selbst die-
sen durchaus begrenzten Ertrag vermag der Ansatz indessen gegenwärtig nicht zu
erbringen. Denn es fehlt weithin an intersubjektiv konsentierten oder auch nur kon-
sensfähigen Informationen darüber, welche Sachverhalte bei den einzelnen Delikten
des StGB und des Nebenstrafrechts die Regelfälle und die Durchschnittsfälle bilden.
Zu alledem nehmen weder die Kommentare noch die Judikatur bislang Stellung. Um-
setzbar würde der Ansatz damit überhaupt erst, wenn man sich für die praktisch be-
deutsamen Delikte intensiv mit der Identifizierung der Regel- und der Durchschnitts-
fälle beschäftigte und es gelänge, innerhalb absehbarer Zeit ein konsentiertes System
der bislang fehlenden Orientierungswerte zur Verfügung zu stellen.
Ob eine solche intensive Beschäftigung mit der Identifizierung der Regelfälle und
der Durchschnittsfälle sinnvoll und ertragreich ist, erscheint indessen überaus zwei-
felhaft. Tatsächlich können die Regel- und Durchschnittsfälle der einzelnen Delikte
doch nur auf der Basis einer relativ umfassenden und detaillierten Dokumentation
und Statistik der Ausprägungsformen der Begehung der einzelnen Delikte bestimmt
werden. An einer solchen Dokumentation fehlt es bislang – die herkömmlichen, un-
terhalb der Ebene der einzelnen Delikte regelmäßig nicht mehr weiter aufgefächerten
Statistiken sind dafür viel zu merkmalsarm. Doch selbst wenn derartige hinreichend
detailreiche Dokumentationen einigermaßen „flächendeckend“ zur Verfügung stün-
den, könnte nicht dazu geraten werden, nun für die einzelnen Delikte die jeweiligen
Regel- und Durchschnittsfälle (einschließlich der angemessenen Strafe[n] für die Re-
gelfälle) zu bestimmen, um so von diesen Orientierungswerten her die Strafzumes-
sung zu vereinheitlichen. Der Aufruf dazu, das zu tun, droht neue, unergiebige Streit-
fragen zu produzieren und ist auf dem Weg zu einer einheitlichen, rationalen Straf-
zumessung in Wahrheit ein Umweg.
Tatsächlich dürfte auch dann, wenn eine hinreichende Dokumentation der Aus-
prägungsformen der einzelnen Delikte verfügbar ist, ja nur selten sofort auch klar
sein, welcher der dokumentierten Fälle der Regelfall und welcher der sogenannte
Durchschnittsfall ist. Man wird darüber vielmehr – wie unter Juristen häufig – durch-
aus verschiedener Auffassung sein. Der Zwang dazu, Regelfälle und Durchschnitts-
fälle zu benennen, dürfte daher bei vielen Delikten zu Diskussionen und Streitfragen
führen, die die ohnehin bescheidenen Kapazitäten der Strafzumessungslehre zusätz-
lich binden. Das wiederum wäre deshalb bedauerlich, weil es zur Herbeiführung
einer einheitlicheren Strafzumessung gar nicht notwendig ist, bei jedem Delikt
genau zu wissen, welcher Sachverhalt der Regelfall und welcher der Durchschnitts-
fall ist. Völlig ausreichend ist es vielmehr zu wissen, welche Strafmaße für bestimm-
te Sachverhalte nur überhaupt angemessen erscheinen – wobei es sich bei den Sach-
verhalten um tatsächlich geschehene dokumentierte Straftaten mit dokumentierten

41
Mit Recht krit. insoweit auch Kaspar 2018, C 50 f., 97 m.w.N.
630 Wolfgang Frisch

Strafen, aber ebenso (wie bei der sogenannten fiktiven Strafzumessung in durchge-
führten kriminologischen Untersuchungen42) um gedachte Fälle und diesen zugeord-
nete Strafen handeln kann. Bereits wenn man das weiß, hat man brauchbare und leit-
fähige Anhaltspunkte für eine einheitlichere Strafzumessung: Man weiß dann, dass
den vorbewerteten Fällen entsprechende Fälle mit den bereits als angemessen bewer-
teten Strafen zu belegen sind und dass Fälle, die von den vorbewerteten Sachverhal-
ten bestimmte Abweichungen aufweisen, eine dem Maß der Abweichung entspre-
chende Strafe erhalten müssen. Je größer das Netz der insoweit vorbewerteten
Fälle ist und je homogener das Netz der zur Verfügung stehenden Vorbewertungen
ist, umso mehr ist damit auch gewährleistet, dass eine sich an diesen Vorbewertungen
orientierende Strafzumessung in neuen Fällen relativ einheitlich ausfällt. Welche
Fälle die jeweiligen Regelfälle sind und welche Sachverhalte den Durchschnittsfall
bezeichnen, braucht man zur Gewährleistung einer einheitlichen Strafzumessung
nicht zu wissen – die Diskussion darüber ist auf dem Weg zu einer einheitlichen Straf-
zumessung ein Umweg. Davon geht – unausgesprochen – auch eine Reihe jener Ver-
suche aus, mit denen die juristische Praxis auf dem Weg zu einer einheitlichen Straf-
zumessung voranzukommen versucht.

6. Strafmaße für bestimmte typische Deliktsverwirklichungen:


Richtlinien usw.
Die Uneinheitlichkeit der Strafzumessung ist nicht nur an der Strafzumessung in-
teressierten Theoretikern, sonders seit langem auch vielen in der Justizpraxis Tätigen
ein „Dorn im Auge“. Das gilt vor allem bei massenhaft begangenen Delikten und
starker Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit der Deliktsbegehung sowie bei alternativ
zu beantwortenden Fragen. Deutliche Unterschiede in der Ahndung ähnlicher De-
liktsbegehungen oder konträre Antworten auf offenbar gleiche Fragen erscheinen
hier nicht nur besonders deutlich als Ungleichbehandlung und Verstoß gegen die An-
forderungen der relativen Gerechtigkeit. Sie sind auch geeignet, das Ansehen der
Strafrechtspflege und deren Akzeptanz zu beeinträchtigen. Und sie sind schlecht
für die positive Generalprävention in Gestalt der Bestärkung des Rechts- (und des
Unrechts-)Bewusstseins, da von ihnen eher irritierende als das Rechtsbewusstsein
bestärkende Botschaften ausgehen. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade
auch die Justizpraxis seit geraumer Zeit darum bemüht ist, eine größere Einheitlich-
keit der Strafzumessungspraxis zu erreichen.

42
Zu deren Wesen Streng 1984, 64 ff., 75 ff. und 2018, 593 f.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 631

6.1 Verkehrsrichterliche Strafenkataloge –


Richtlinien der Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden

Eine gewisse Vorreiterrolle spielte dabei die verkehrsgerichtliche Praxis, insbe-


sondere zum Fahren in angetrunkenem Zustand, zur Unfallflucht und zu Körperver-
letzungen im Zusammenhang mit Verkehrsübertretungen. Die insoweit oft gegebene
Ähnlichkeit der Fälle ließ stark divergierende Strafmaße und konträre Antworten auf
die Frage der Strafaussetzung hier schon Ende der fünfziger und im Laufe der sech-
ziger Jahre des 20. Jahrhunderts als Ärgernis erscheinen, das intensiv insbesondere
auch auf den sogenannten Verkehrsgerichtstagen diskutiert wurde. Als Mittel zur Ge-
währleistung einer einheitlicheren Strafzumessung wurden dabei Kataloge entwi-
ckelt, die für gewisse typische Ausprägungsformen anhand einiger weniger wichti-
ger Kriterien (z. B. des Grades der Alkoholisierung, der Länge der Fahrstrecke usw.)
bestimmte Strafmaße (oder kleinere Bandbreiten von Strafen) vorschlugen und z. B.
auch über das Gesetz deutlich hinausgehende Aussagen zur Strafaussetzung enthiel-
ten – insbesondere dazu, wann eine solche nicht (mehr) in Betracht kam.43 Natürlich
waren diese Kataloge für den Tatrichter nicht verbindlich; es handelte sich um bloße
Empfehlungen und Orientierungshilfen, und es stand im Ermessen des mit einer ent-
sprechenden Sache befassten Richters, ob er der Empfehlung folgen wollte oder
nicht.
Etwas mehr Verbindlichkeit – wenn auch nur indirekt – entfalten insoweit die
Richtlinien der Generalstaatsanwaltschaften, die auf der Basis von Beschlüssen
der Justizministerkonferenzen eine gewisse Einheitlichkeit der Strafzumessung in
bestimmten Bereichen sicherzustellen versuchen.44 Die Richtlinien ähneln in Aufbau
und Inhalt den Katalogen von Straftaxen der Verkehrsrichter, erfassen wie diese vor
allem auch die Verkehrsdelikte, gehen aber doch über diese hinaus und enthalten
auch Aussagen über Strafmaße zu einigen anderen Deliktsgruppen, wie z. B. den Be-
täubungsmitteldelikten. Natürlich vermögen diese Richtlinien den schließlich urtei-
lenden Richter im Hinblick auf dessen verfassungsrechtlich verbürgte Unabhängig-
keit (Art. 97 GG) nicht zu binden; für ihn sind sie auch nicht gedacht. Sie wenden sich
an die mit entsprechenden Fällen befassten Staatsanwälte, denen sie als Grundlage
für ihre Strafmaßanträge im Strafbefehlsverfahren und in der Hauptverhandlung die-
nen sollen. Indirekt werden die Richtlinien damit freilich auch für die Inhalte rich-
terlicher Entscheidungen bedeutsam; das belegt auch die kriminologische For-
schung. Sie macht deutlich, dass für Entscheidungen in wenig durchnormierten Be-
reichen gewisse der richterlichen Entscheidung vorausgehende Stellungnahmen in
der Regel von erheblicher Bedeutung sind – weil sie so etwas wie Ankerwerte bilden,
43
Eingehende Darstellung der Hintergründe und der Ausgestaltung derartiger Strafmaß-
kataloge durch richterliche Strafzumessungsabsprachen bei Bruns 1974, 187 ff.; Maurer 2005,
175 ff.; Rastätter 2017, 145 ff.; Streng 1984, 50 f. und 2018, 593, 598 f., je m.w.N. – Im Sinne
einer grundsätzlichen Verteidigung solcher Strafempfehlungen Giannoulis 2014, 296 ff.
44
Siehe dazu z. B. Bruns 1974, 187; Rastätter 2017, 145 ff. Beispiele für derartige Richt-
linien „einer großen Staatsanwaltschaft“ für den Bereich der Straßenverkehrsdelikte bei
Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1719 ff.
632 Wolfgang Frisch

an denen sich der Entscheidende auch dann orientiert, wenn er ihnen nicht ganz
folgt.45 Die Anträge der Staatsanwaltschaft haben die Funktion solcher Ankerwerte –
nicht nur wegen der der Staatanwaltschaft in der Regel zugestandenen Sachkompe-
tenz, sondern auch deshalb, weil der Richter damit rechnen muss, dass die Staatsan-
waltschaft bei gravierender Abweichung der Entscheidung von einem den Richtlini-
en entsprechenden Strafzumessungsantrag Rechtsmittel einlegen wird.
Eine vergleichbare Bedeutung wie die eben genannten Richtlinien der Staatsan-
waltschaft für gewisse Bereiche der allgemeinen Kriminalität haben für den Bereich
des Steuerstrafrechts seit langem die Richtlinien der Finanzbehörden.46 Auch sie zie-
len darauf – für den Bereich des Steuerstrafrechts –, eine einheitliche Ahndung von
Steuerstraftaten zu gewährleisten. In Aufbau und Inhalt ähneln sie den Richtlinien
der Staatsanwaltschaft. Für das Strafverfahren bedeutsam werden sie deshalb,
weil die Finanzbehörden bei Steuerstraftaten im Strafbefehlsverfahren die Funktion
der Staatsanwaltschaft wahrnehmen und auf der Basis der Richtlinien ihre Strafmaß-
anträge stellen; in den sonstigen Verfahren, in denen die Finanzbehörde nur Neben-
beteiligte ist, pflegt sich die Staatsanwaltschaft bei ihren Anträgen in der Regel an
diesen Richtlinien zu orientieren. Freilich hat sich in die Bemühungen um eine Ver-
einheitlichung im Steuerstrafrecht neuerdings auch die revisionsgerichtliche Recht-
sprechung durch die Formulierung gewisser Vorgaben für eine sachgerechte Ahn-
dung eingeschaltet – darauf wird zurückzukommen sein.47

6.2 Zur Bewertung und Wirkung der Richtlinien und Strafenkataloge

Die Urteile über die dargestellten Bemühungen um mehr Einheitlichkeit der Straf-
zumessung fallen durchaus unterschiedlich aus. Insoweit teilen die skizzierten Ver-
suche das Schicksal der sogenannten Sentencing Guidelines,48 denen sie als Vorga-
ben für die Strafzumessung in bestimmten Teilbereichen funktional entsprechen.
Auch wenn man der Adäquität der genannten Richtlinien – wie manche Richter
und Strafzumessungstheoretiker – kritisch gegenübersteht,49 wird man freilich eines
schwerlich bestreiten können: dass es im Gefolge des Erlasses und der Anwendung
dieser Richtlinien durch die Staatsanwaltschaften zu einer gewissen Vereinheitli-
chung der Strafzumessung in bestimmten Kriminalitätsbereichen gekommen ist.
Jene gravierenden Unterschiede, die man Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger
Jahre vor allem im Bereich der Verkehrskriminalität und zu den Fragen der Strafaus-

45
Vgl. etwa Englich & Mussweiler 2001, 1535 ff.; Streng 2012, Rn. 498; Kaspar 2018, C
17 f., je m.w.N.; in der Diskussion auf dem 72. DJT z. B. Schromek DJT 2018, II 2, M 157 f.
46
Vgl. dazu Meine 1990, Rn. 120 ff.; eingeh. Rastätter 2017, 297 ff.
47
Vgl. unten 8.2.
48
Zu diesen vgl. die Nachw. oben Fn. 24.
49
Scharf ablehnend z. B. Jagusch 1970a, 401 ff.; 1970b, 1865 ff.; siehe auch das Ergebnis
einer Umfrage unter Richtern bei Streng 1984, 102 f.; klar abl. auch die Beschlüsse des Ju-
ristentags 2018, II 2, M 189.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 633

setzung feststellen konnte, finden sich heute nicht mehr.50 Dass die Strafzumessung
(einschließlich der Strafaussetzung) insoweit einheitlicher geworden ist, ist dabei im
Blick auf die schon erwähnte „Ankerfunktion“ der Anträge der Staatsanwaltschaft
wesentlich auch auf die genannten Strafenkataloge und Richtlinien zurückzuführen.
Dies sollte im Sinne einer Relativierung der Kritik an den Strafenkatalogen und den
Richtlinien selbst dann berücksichtigt werden, wenn die Kritik an diesen Instrumen-
ten der Vereinheitlichung im Übrigen berechtigt wäre. Indessen ist es sehr fraglich,
ob die immer wieder geäußerte Kritik wirklich berechtigt ist.
In ihrem Kern wirft die Kritik den erwähnten Strafenkatalogen und den auf einige
wenige Umstände abhebenden Richtlinien einen inadäquaten Schematismus vor; sie
huldigten einem Taxenwesen, das die vielfältigen, im Einzelfall relevanten Strafzu-
messungsumstände in inadäquater Weise auf einige wenige Faktoren reduziere.51
Auf diese Weise unterbleibe die vom Gesetz geforderte individualisierende Bestim-
mung der Strafe. Vernachlässigt werde bei einer solchen Vorgehensweise vor allem
der persönliche Eindruck vom Angeklagten, der für eine sachgerechte Strafzumes-
sung jedoch von zentraler Bedeutung sei.52 Die Kritik gipfelt bisweilen darin, dass
ein solches Verfahren der Strafzumessung entwürdigend und unzumutbar sei.53
In dieser Kritik gehen Richtiges und Falsches durcheinander. Falsch dürfte der in
der Kritik erweckte Eindruck sein, dass derartige, auf wenige Umstände abhebende
Kataloge und Richtlinien im Vergleich zu einer ohne solche Richtlinien betriebenen
Strafzumessung zu einer Verkürzung der im Rahmen der Strafzumessung berück-
sichtigten Umstände führe. Kriminologische Untersuchungen zur Strafzumessung
bei Delikten, für die solche Richtlinien nicht existieren, haben ergeben, dass auch
hier in die Strafzumessung nur wenige Umstände eingehen – nach einer Untersu-
chung des Jubilars sollen es in der Regel nicht mehr als drei sein.54 Im Vergleich
zur realen Strafzumessung dürften die Strafzumessungsrichtlinien damit kaum
eine Verkürzung bringen – jedenfalls dann nicht, wenn sie auf die richtigen, auch
ohne Richtlinien als bedeutsam angesehenen Umstände abheben. Gemessen an die-
ser Praxis könnte man gegen die Arbeit mit Richtlinien allenfalls noch einwenden,
dass diese eine möglicherweise problematische Praxis nicht auch noch bestätigen
und zementieren sollten.
Indessen verliert selbst dieser Einwand an Gewicht, wenn man nur die Richtlinien
sachgerecht formuliert – nämlich so, dass den zwei oder drei Merkmalen nicht etwa
ein starres Strafmaß, sondern nur eine engere Bandbreite von Strafgrößen innerhalb

50
Vgl. etwa Maurer 2005, 43 ff., 62 f.
51
Jagusch 1970a, 401, 402 f.; siehe auch Peters 1955, 34; weit. Nachw. zu Äußerungen in
dieser Richtung bei Streng 1984, 64 f.
52
Jagusch 1970a, 401, 403; weit. Nachw. solcher Bedenken bei Streng 1984, 68 f.
53
Vgl. die bei Streng (1984, 102 f.) wiedergegebenen Äußerungen im Rahmen einer
Richterbefragung.
54
Vgl. etwa Albrecht 1980b, 235, 244 ff.; ähnlich Verrel 2018, 811, 815; weit. Nachw. bei
Streng 1984, 65 f.
634 Wolfgang Frisch

des Strafrahmens zugeordnet ist. Innerhalb dieser Bandbreite, die ein gewisses Maß
an Einheitlichkeit gewährleistet, kann weiteren als bedeutsam angesehenen Strafzu-
messungsumständen sachgerecht Rechnung getragen werden. Hier kann insbesonde-
re auch der persönliche Eindruck vom Angeklagten berücksichtigt werden, soweit er
überhaupt strafzumessungsrechtlich bedeutsam ist.
Die Strafzumessungsrelevanz des persönlichen Eindrucks sollte man bei alledem
nicht zu hoch einschätzen.55 Es gibt eine Reihe von Fragen, wie z. B. die Frage, ob die
Verteidigung der Rechtsordnung eine Freiheitsstrafe erfordert oder die Vollstreckung
der Strafe gebietet –, für die es auf den persönlichen Eindruck überhaupt nicht an-
kommt. Aber auch für die eigentliche Strafzumessung (die Höhe des Strafmaßes)
gilt: Der Angeklagte wird nicht wegen des persönlichen Eindrucks in der Hauptver-
handlung, sondern wegen einer lange vor der Hauptverhandlung begangenen Tat be-
straft. Das Persönliche an der Tat, das für die Strafzumessung bedeutsam ist, ist die
damalige psychische Situation des Angeklagten, für die der persönliche Eindruck in
der Hauptverhandlung allenfalls eine (sehr) begrenzte Funktion als Indiz haben
mag.56 Eine größere Bedeutung hat der über Richtlinien nicht zu erfassende persön-
liche Eindruck vom Angeklagten nur bei bestimmten spezialpräventiven Fragen –
wie der Frage, ob dem Angeklagten zuzutrauen ist, dass er sich bei einer zur Bewäh-
rung ausgesetzten Strafe straffrei führen werde. Insoweit müssen die Richtlinien hier
so (zurückhaltend) formuliert sein, dass dem Richter die Möglichkeit einer sachge-
rechten Entscheidung verbleibt.
Tragen Richtlinien den vorstehend formulierten Anforderungen Rechnung, so be-
deuten sie einen Gewinn für die Strafzumessung. Sie verbinden dann die Vorteile
einer gewissen Vereinheitlichung mit allen Vorteilen sachgerechter Individualisie-
rung – von Schematismus kann dann keine Rede sein. Die eigentliche Problematik
der Richtlinien liegt nicht an dieser Stelle. Sie ist von ganz anderer Art. Sie hat damit
zu tun, dass Richtlinien als Instrument zur Vereinheitlichung nur begrenzt taugen –
und zwar nicht nur deswegen, weil es kaum möglich sein dürfte, in naher Zukunft für
die Strafzumessung sachgerechte Richtlinien „flächendeckend“ zu formulieren, son-
dern auch deswegen, weil es Delikte oder Formen der Kriminalität gibt, für die sich
Strafgrößen zuordnende Richtlinien aus sachlichen Gründen kaum formulieren las-
sen, wie etwa für die Tötungsdelikte.
Will man auch in diesem keineswegs kleinen Bereich zu einer einheitlicheren
Strafzumessung kommen, so muss man sich anderer Instrumente als der bisher be-
handelten Richtlinien bedienen. Diese Instrumente müssen so gestaltet sein, dass sie
vor allem eines verhindern: dass es mangels verfügbarer objektiver Richtpunkte so-
fort zum Zugriff auf das individuell für richtig Gehaltene kommt. Denn dieser sofor-
tige Zugriff auf das individuell für richtig Gehaltene bildet den Grund für die z. T.
weit auseinanderklaffenden Strafmaße. Will man diesen sofortigen Zugriff auf das
55
Übereinstimmend Streng 1984, 68 f.; eingeh. zur aus zutreffender normativer Sicht re-
lativ geringen Bedeutung des persönlichen Eindrucks Frisch 1971, 275 ff. m.w.N.
56
Vgl. Bruns 1974, 707 ff.; Frisch 1971, 275 ff. m.w.N.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 635

individuell für richtig Gehaltene verhindern, so muss man dem zur Entscheidung
Aufgerufenen objektive Hilfen bieten – Hilfen, die den selbst an einheitlicher und
gleichmäßiger Strafzumessung Interessierten in die Lage versetzen, zu einer einheit-
licheren Strafzumessung beizutragen.

7. Informationen über die Strafzumessungspraxis – Dokumentation


Sachlich kann eine solche Hilfe beim gegenwärtigen Stand der Strafzumessungs-
lehre zunächst nur in einer Information bestehen – in einer Information darüber, wie
Gerichte ähnliche Fälle wie den, über den der Richter zu entscheiden hat, bisher ent-
schieden haben.57 Mehr, etwa Empfehlungen, die angesichts der zu erwartenden
Streubreite der Strafmaßentscheidungen mehr Einheitlichkeit anstreben, ist in
naher Zukunft – schon aus Gründen begrenzter Ressourcen – wohl kaum zu leisten.
Auch die bloße Information über den Ist-Zustand ist schon mit erheblichem Aufwand
verbunden, denn sie fordert eine intersubjektiv zugängliche Dokumentation.

7.1 Information durch Dokumentation in einer Datenbank

Eine solche Dokumentation, die an der Strafzumessung Interessierten leicht zu-


gänglich jene Informationen gibt, die diese für von ihnen zu treffende Strafzumes-
sungsentscheidungen benötigen, wäre noch vor wenigen Jahrzehnten kaum realisier-
bar gewesen. Die Möglichkeit, bestimmte Sachverhalte elektronisch so zu speichern,
dass sie für Interessierte über das Internet jederzeit abrufbar sind, hat die Erstellung
einer solchen leicht zugänglichen Dokumentation in der Zwischenzeit ohne Weiteres
realisierbar gemacht. Das gilt jedenfalls dann, wenn man an die Dokumentation
keine übertriebenen Anforderungen – wie etwa die Speicherung älterer archivierter
Entscheidungen – stellt und sich damit begnügt, die zu bestimmten Delikten neu er-
gehenden Entscheidungen aufzunehmen. Dann erscheint es ausreichend, dass der
Richter seine ohnehin elektronisch abgesetzte Entscheidung an eine bestimmte zen-
trale Stelle sendet, die diese in eine Datenbank aufnimmt, und dass er der Entschei-
dung einen ebenfalls in die Datenbank aufzunehmenden Kurzsachverhalt (nach der
Art der zu beurteilenden fiktiven Fälle in Fragebogenuntersuchungen) beifügt, der
auch die wenigen zentralen Strafzumessungsmerkmale sowie die festgesetzte Strafe
(oder sonstige Rechtsfolgenentscheidung) enthält. Der nach ähnlichen Vor-Entschei-
dungen suchende Richter (oder sonstige Interessierte) könnte dann durch die Eingabe
des Delikts und bestimmter in „seinem“ Fall entscheidender Strafzumessungsum-

57
Übereinstimmend Streng 1984, 304 ff.; 2012, Rn. 768 f. und nochmals eindrucksvoll in
der Diskussion auf dem Juristentag 2018, DJT 2018, II 2, M 93 f.; Kaspar 2018, C 112 ff., 115;
Maurer 2005, 91 ff., 219 f. und Mosbacher DJT 2019, II 1, M 36; je m.w.N. – Auch der 72.
Deutsche Juristentag 2018 hat sich mit deutlicher Mehrheit für „die Einrichtung einer zen-
tralen Entscheidungsdatenbank zur Erweiterung des richterlichen Horizonts“ entschieden
(vgl. DJT 2019, II 2, M 190).
636 Wolfgang Frisch

stände in eine Suchmaske sehr rasch im Sinne einer Erstinformation jedenfalls zu


diesen Kurzsachverhalten gelangen, soweit die Datenbank bereits Dokumentationen
zu vergleichbaren Fällen enthält. Er erhielte, soweit solche Dokumentationen vor-
handen sind, zugleich Informationen über die bislang verhängten Strafen, könnte
bei mehreren Entscheidungen etwa vorhandene Schwankungen in der Sanktionie-
rung erkennen, könnte die Vergleichbarkeit dieser Fälle und die Vergleichbarkeit sei-
nes Falles mit dem dokumentierten Material überprüfen usw. Falls für diesen Ver-
gleich oder auch die eigene Entscheidung die Kenntnis des ganzen Urteils notwendig
sein sollte, müsste es möglich sein, über einen Link zu dieser vollständigen Entschei-
dung zu gelangen.
Dass die Errichtung einer solchen Datenbank zur Erleichterung und Vereinheit-
lichung der Strafzumessung möglich ist, zeigt das Beispiel Japans.58 Dort ist im Zu-
sammenhang mit der Einführung des Schöffengerichtssystems eine vergleichbare
Datenbank eingerichtet worden, um den Schöffen landesweit eine Information dar-
über zu geben, wie andere Gerichte bisher zur Strafzumessung entschieden haben,
welche Umstände für die Strafzumessung bedeutsam waren und mit welchen Strafen
die jeweiligen Fallkonstellationen belegt worden sind. Zwar ist das dortige System
auf bestimmte Gewaltdelikte beschränkt (da nur insoweit Schöffen mitwirken), doch
bestehen keine prinzipiellen Hindernisse, die Datenbank auch auf andere Delikte
auszudehnen.
Würde dieser Weg beschritten, so wäre bei vielen Delikten schon innerhalb des
kurzen Zeitraums von ein bis drei Jahren eine durchaus informative Dokumentation
über die Strafzumessung bei bestimmten Delikten und in bestimmten Fällen verfüg-
bar. Auch hier sind die Erfahrungen mit der schon erwähnten japanischen Datenbank
aufschlussreich: Diese verfügte bereits nach wenigen Jahren über ein höchst instruk-
tives Netz von Informationen über die Strafzumessung japanischer Gerichte zu den –
nicht zu den Massendelikten gehörenden! – Tötungsdelikten, das von den Richtern
und anderen Rechtsanwendern als wertvolle Orientierungshilfe bei der Beurteilung
der Strafzumessungsfrage in den von ihnen zu entscheidenden Fällen empfunden
wurde.59

7.2 Mögliche Einwände –


Zur einheitsfördernden Funktion der Dokumentation

Natürlich liegen gegenüber dem hier entwickelten Vorschlag Einwände nahe. Von
dem Einwand, dass die Erstellung einer solchen Datenbank einiges koste, sollte man
sich freilich nicht irritieren lassen. Zum einen sind die Kosten nicht so hoch, dass sie
nicht aufgebracht werden könnten – das zeigt die Existenz vergleichbarer Datenban-
58
Vgl. dazu Nakagawa 2011, 201, 206 f., 214 ff.; Harada 2011, 237, 245.
59
So das Ergebnis einer Informationsveranstaltung am Obersten Gerichtshof Japans, an
der der Verfasser des Beitrags mit einer Delegation deutscher und japanischer Strafrechts-
lehrer im September 2009 teilgenommen hat.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 637

ken im In- und Ausland. Zum anderen sollte die Gewährleistung einer einheitlichen
Rechtsprechung und die Verwirklichung des verfassungsrechtlichen Postulats der
Gleichbehandlung einem finanziell gut ausgestatteten Gemeinwesen doch so viel
wert sein, dass es die zur Verwirklichung dieses Postulats notwendigen begrenzten
Kosten aufzubringen bereit ist.
Ernster zu nehmen sind die Einwände, die bestreiten, dass durch die hier vorge-
schlagenen Dokumentationen zu mehr Einheitlichkeit der Strafzumessung zu gelan-
gen sei. Wie – so könnte man fragen – soll die Dokumentation einer Strafzumes-
sungspraxis, die nach dem früher zum Zustand der Strafzumessung Gesagten in be-
stimmten Bereichen weit auseinanderliegt, zu mehr Einheitlichkeit beitragen? Die
Dokumentation führt doch nur dazu, dass das, was offenbar als Sachverhalt besteht,
nun auch dokumentiert ist. Nicht weniger mag man fragen, wie eine solche Daten-
bank weiterhelfen soll, wenn zu einem Delikt unter Umständen nur wenige, auch
nicht genau passende Entscheidungen vorliegen oder es an Vorentscheidungen über-
haupt fehlt.
Tatsächlich erscheint die hier vorgeschlagene Errichtung einer die Strafzumes-
sung dokumentierenden Datenbank keineswegs nur insoweit sinnvoll, als sie
schon relativ einheitliches Strafzumessungsverhalten dokumentiert – wie in dem Be-
reich, in dem für die Staatsanwaltschaft Richtlinien bestehen – und die Orientierung
an der dokumentierten Strafzumessung anderer Gerichte damit die Gefahr einer unter
Umständen abweichenden Entscheidung aus Unkenntnis der sonst üblichen Ent-
scheidungen reduziert. Die Dokumentation ist auch für die Bereiche sinnvoll, für
die sie erhebliche Streubreiten der verhängten Strafen trotz relativ ähnlicher Strafzu-
messungssachverhalte ausweist. Sie macht dem Richter (oder sonstigen Rechtsan-
wender) insoweit bewusst, dass er sich bei der Entscheidung über seinen Fall in
einem besonders kontrovers beurteilten Bereich befindet und mahnt ihn damit zur
Vorsicht gegenüber einer schnellen, wenig reflektierten Entscheidung. Ein Richter,
der die Gleichbehandlung gleicher Fälle als einen wichtigen Wert erachtet, wird sich
durch die von ihm vorgefundene Situation regelmäßig zugleich dazu aufgerufen füh-
len, mit seiner Entscheidung zur Verwirklichung einer einheitlicheren Strafzumes-
sung beizutragen. Die Einsicht, dass eine solche Einheitlichkeit sich erfahrungsge-
mäß am ehesten durch eine mittlere Linie erzielen lässt,60 wird ihn zugleich regelmä-
ßig davon absehen lassen, sich einer extrem milden oder extrem scharfen Linie an-
zuschließen und ihn nach einer Strafe im mittleren Bereich der Vorbeurteilungen
greifen lassen – jedenfalls, wenn eine solche ihm persönlich vertretbar erscheint.
Auch die Dokumentation von Ungleichbehandlung kann so einen Beitrag zu mehr
Einheitlichkeit leisten. Dass das nicht nur Spekulation ist, bestätigen abermals die
Erfahrungen mit vergleichbaren Datenbanken in Japan: Das Interesse an Gleichbe-
handlung gleicher Fälle drängte auch dort zur Entwicklung einer mittleren Linie, die
60
Vgl. schon Aristoteles, Nikomachische Ethik, II. Buch, 5. Kapitel (1106a), wo als das
richtige Maß das „Mittlere“ (zwischen Übermaß und Mangel) bezeichnet wird; für die richtige
Strafzumessung aufgenommen und weitergeführt von Spendel 1954, 170 ff., 172 f. und Bruns
1974, 85.
638 Wolfgang Frisch

für die meisten Urteilenden am ehesten vertretbar erscheint.61 Natürlich schließt das
„Ausreißer“ nicht aus – ihnen muss man ggf. mit anderen Mitteln entgegentreten.
Aber auch wenn die Datenbank zu einem Delikt nur relativ wenige Einträge ent-
hält, ist dies unter dem Aspekt der Gewährleistung einer einheitlichen Strafzumes-
sungspraxis nicht ohne Wert. Handelt es sich um die Bestrafung in einem gleichge-
lagerten Fall, so liefert die Dokumentation einen Ankerwert,62 der die Bildung einer
einheitlichen Linie fördert, wenn der Richter die vorgefundene Sanktionierung für
vertretbar hält. Ist das nicht der Fall und entscheidet er sich daher mit guten Gründen
erheblich abweichend, so kann seine Entscheidung anderen Urteilenden, die selbst
ähnlich entscheiden würden, die Entscheidung erleichtern und so wieder zur Bildung
einer einheitlichen Linie beitragen, welche die ursprüngliche abweichende Entschei-
dung zu einer fragwürdigen Abweichung werden lässt.
Selbst wenn die Datenbank zu einem Delikt nur Einträge über Sachverhalte ent-
hält, die sich von dem zu beurteilenden Sachverhalt mehr oder weniger deutlich un-
terscheiden, ist dies unter dem Aspekt der Förderung einer einheitlichen Strafzumes-
sungspraxis nicht völlig ohne Wert. Die vorfindbaren Entscheidungen können auch
in diesem Fall doch zumindest zur Verdeutlichung der Schwereskala denkbarer
Fälle63 beitragen und, wenn der jetzt urteilende Richter die in diesen Fällen verhäng-
ten Strafmaße für vertretbar hält, Anhaltspunkte für eine sich in diese Beurteilung
einpassende Bemessung der Strafe im eigenen Fall bilden (indem der Richter die
Strafe hier in angemessenem, den Unterschiedlichkeiten Rechnung tragendem Ab-
stand zu den in den früheren Fällen verhängten Strafen bestimmt).
Ohne Wert für die Ausbildung eines einheitlichen Strafzumessung ist eine auf bis-
her getroffene Entscheidungen beschränkte Dokumentation nur, wenn die Daten-
bank im Einzelfall einmal praktisch keine weiterführenden Informationen enthält –
wie z. B. bei neugeschaffenen Delikten, zu denen noch keine Rechtsprechung vor-
liegt (obwohl auch hier nicht selten Informationen aus dem Bereich anderer Delikts-
tatbestände bedeutsam sein können). Indessen ist das kein Argument gegen den Wert
der hier vorgeschlagenen Dokumentation für eine einheitlichere Strafzumessung,
sondern belegt nur, dass eine sich in der Wiedergabe der bisherigen Strafzumessung
erschöpfende Dokumentation nicht alle Fragen löst, sondern Defizite aufweist, über
deren Kompensation nachgedacht werden sollte.

7.3 Optimierungen der Dokumentation – Nicht Lösbares

Eine Optimierung der Dokumentation, die auch gewisse Defizite einer bloßen
Entscheidungsdokumentation beheben könnte, kommt vor allem in zweierlei Hin-
61
So wiederum das Ergebnis der in Fn. 59 erwähnten Informationsveranstaltung am
Obersten Gerichtshof Japans.
62
Zur Bedeutung von Entscheidungen und Stellungnahmen als „Ankerwerte“ für nach-
folgende Entscheidungen vgl. die Nachw. oben in Fn. 45.
63
Dazu oben 4. m. Nachw.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 639

sicht in Betracht: soweit die Strafzumessungsentscheidungen zu bestimmten Delik-


ten eine besonders große Streubreite aufweisen und in Bezug auf neue Delikte, zu
denen noch keine Rechtsprechung vorliegt. Für eine Vereinheitlichung der Strafzu-
messung bei vorfindbaren großen Streubreiten wären Kommentierungen hilfreich,
die die einschlägigen Sachverhalte und die vorhandenen Streubreiten klar erfassen
und analysieren und auf dieser Basis Vorschläge zu einer sachgerechten einheitliche-
ren Behandlung entwickeln. Die Strafzumessung zu neugeschaffenen Tatbeständen
könnte wesentlich dadurch erleichtert werden, dass in die Datenbank zunächst straf-
zumessungsbezogene Ausführungen aus den Gesetzesmaterialien und aus gewissen
das Inkrafttreten des Gesetzes begleitenden literarischen Beiträgen aufgenommen
werden.
Freilich sind dies lediglich Optimierungen der dokumentierenden Datenbank.
Wertvolle Dienste auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung kann
diese – wie dargelegt – auch schon ohne diese Optimierungen leisten. Allerdings
kann sie dies nur, wenn und soweit Richter bereit sind, sich an dem Dokumentierten
zu orientieren und an der Entwicklung von Rechtsprechungslinien zu beteiligen, die
die Chance haben, allgemeiner akzeptiert zu werden. Wo es an dieser Bereitschaft
fehlt und Positionen vertreten werden, die von dem allgemeiner Konsensfähigen
sehr deutlich abweichen – aber auch, wenn Vereinheitlichungslinien problematisch
sind –, hilft allein noch die externe Kontrolle und Korrektur, die in Deutschland vor
allem in den Händen der Revisionsgerichte liegt.

8. Die Rolle der Revisionsgerichte auf dem Weg


zu einer einheitlicheren Strafzumessung
Wer in Deutschland zur Gewährleistung einer einheitlicheren Strafzumessung in
Bezug auf die Höhe der Strafe nach den Revisionsgerichten ruft, fordert von diesen
nun freilich etwas, was lange Zeit außerhalb des Aufgabenbereichs der Revisionsge-
richte zu liegen schien. Zu einer Wandlung ist es insoweit erst in den letzten Jahr-
zehnten gekommen – wobei das letzte Jahrzehnt nochmals durch eine sehr markante
Steigerung der Einflussnahme des Bundesgerichtshofs (als des wichtigsten Revisi-
onsgerichts) auf die Strafzumessung gekennzeichnet ist.

8.1 Zum Wandel der Rechtsprechung der Revisionsgerichte


in Bezug auf die Kontrolle des Strafmaßes

Revisionsgerichte sind nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dazu berufen,


Urteile aufzuheben, die auf Gesetzesverletzungen beruhen (§ 337 StPO). Als Geset-
zesverletzung werden dabei die fehlerhafte Anwendung und die Nichtanwendung
des Gesetzes angesehen. Ob der Richter die Tatsachen zutreffend festgestellt hat,
sollte demgegenüber nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der Revision entzo-
640 Wolfgang Frisch

gen sein; es galt als irrevisible Tatfrage (im Gegensatz zur allein revisiblen Rechts-
frage).64 Diese Sichtweise wurde auch auf die Strafzumessung übertragen: Auf die
Revision hin aufgehoben werden konnte die Strafzumessung nur, wenn sie auf
einer Gesetzesverletzung beruhte – etwa den Strafrahmen überschritt oder sonst
gegen ein Gesetz verstieß. Soweit das nicht der Fall war, galt die Strafzumessung
als irrevisible Tatfrage und „Domäne des Tatrichters“.65 Mit der Rüge, dass die in-
nerhalb des Strafrahmens liegende Strafe zu hoch oder zu niedrig sei, konnte der Re-
visionsführer daher lange Zeit nicht durchdringen. Daran änderte sich selbst dann
nichts, als man anerkannte, dass eine Gesetzesverletzung bei der Strafzumessung
auch denkbar sei, wenn Umstände zu Unrecht als für die Strafzumessung bedeutsam
angesehen oder bedeutsame Umstände übersehen worden waren. Die richtige Be-
messung der Strafe der Höhe nach blieb in den ersten sechs Jahrzehnten nach
dem Inkrafttreten der StPO als Domäne des Tatrichters für das Revisionsgericht
tabu.66
Eine erste Wandlung vollzog sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Da
hier nach den Vorschriften des Alliierten Kontrollrats die Verhängung „grausamer,
übermäßig hoher und ungerechter Strafen“ verboten war,67 wurde die Strafzumes-
sung nunmehr auch unter diesem Aspekt durch die Revisionsgerichte überprüft.68
Im Gefolge dieser Judikatur und auf der Basis strafrechtstheoretischer Untersuchun-
gen, die eingehend darlegten, dass es bei der Bemessung der Strafhöhe rechtstheo-
retisch nicht um eine Tat-, sondern um eine Rechtsfrage gehe,69 änderte sich dann
allmählich auch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und des BGH.70 Zwar
betont der BGH nach wie vor im Sinne einer Eingangsformel, dass die Strafzumes-
sung Sache (eine Domäne) des Tatrichters sei und vom Revisionsgericht nur auf das
Vorhandensein von Rechtsfehlern überprüft werden könne.71 Als Rechtsfehler
kommt nach der neueren Rechtsprechung des BGH mittlerweile aber auch ein „Ver-
greifen in der Höhenlage“ des Strafmaßes in Betracht.72 Als derartigen Rechtsfehler
in Bezug auf das Strafmaß sah der BGH es im Jahre 1976 z. B. an, dass ein Fall, der
zum Kreis der normalerweise weniger schweren häufigen Fälle eines Delikts gehör-

64
Vgl. dazu Hahn 1885, 249 f.
65
Hahn 1885, 250 f.
66
Vgl. dazu näher Frisch 2005, 255, 259 f.
67
So durch Art. IV Nr. 8 MRG 1.
68
Siehe etwa OGHSt 1, 172, 174; weit. Nachw. bei Frisch 2005, 255, 267.
69
Eingehende Nachw. dazu bei Frisch 2005, 255, 262; 1971, 114 ff., 179 ff.; 2018, § 337
Rn. 147 ff., 168 ff.
70
Näher dazu Frisch 2005, 255, 267 ff. und Frisch 2018, § 337 Rn. 158, 174 – 176.
71
Vgl. etwa BGHSt 17, 35, 36; BGHSt 29, 319, 320; BGHSt 57, 123, 137; i.d.S. auch
Mosbacher DJT 2019, II 1 M 26 f.; weit. Nachw. bei Frisch 2018, § 337 Rn. 148.
72
So früher schon Bruns 1974, 82, 714; i.S. einer schärferen „Ergebniskontrolle“ aus
revisionsrechtlicher Sicht jüngst Raum DJT 2019, II 2, M 148 f.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 641

te, als ein sogenannter nicht allzu schwerer Regelfall mit einer Strafe aus der Mitte
des Strafrahmens belegt worden war.73
In der Folgezeit entwickelte der BGH dann vor allem zwei Argumentationen, um
auch Entscheidungen aufzuheben, die – ohne erkennbare sonstige Fehler – nur in
Bezug auf das vom Tatrichter verhängte Strafmaß problematisch erschienen. Die
erste Argumentation knüpft daran an, dass – aus der Sicht des BGH – zu bestimmten
Fallkonstellationen eine Art übliche (und vom BGH gebilligte) Bemessungspraxis
hinsichtlich der Strafe vorhanden bzw. erkennbar ist. Bei dieser Sachlage werden
Entscheidungen, die sich von dieser Praxis deutlich entfernen, regelmäßig aufgeho-
ben, wenn sie dies ohne (oder ohne zureichende) Begründung tun.74 Die Entschei-
dung leidet dann unter einem sogenannten Begründungsmangel (in dem der BGH
einen sachlich rechtlichen Rechtsfehler sieht). Einen solchen Begründungsmangel
nimmt der BGH auch an, wenn zwei Mittäter bei etwa gleichen Tatbeiträgen ohne
hinreichende Erklärung mit sehr unterschiedlichen Strafen belegt worden sind und
der mit der schwereren Strafe Belegte deshalb Revision einlegt.75 Anders begründet
der BGH die Aufhebung, wenn es wegen der Unterschiedlichkeit der Ausprägungen
eines Delikts oder aus sonstigen Gründen zu dem von ihm revisionsrechtlich zu be-
urteilenden Fall so etwas wie eine übliche Praxis (noch) nicht gibt, er die Entschei-
dung des Tatrichters aber aus eigener Anschauung für nicht akzeptabel hält. Hier
wird das vom Tatrichter verhängte Strafmaß mit der Begründung aufgehoben,
dass die Strafe aus dem Rahmen des noch Vertretbaren herausfalle, etwa unvertretbar
hoch oder milde sei. Der BGH sieht also auch die aus seiner Sicht gegebene bloße
Unvertretbarkeit des Maßes der verhängten Strafe inzwischen als Rechtsfehler an.76
Neuere Arbeiten zur Strafzumessungspraxis zeigen, dass diese Aufhebungspraxis
des BGH Wirkungen entfaltet – sie sorgt dafür, dass seitens der Tatgerichte bei ver-
gleichbaren Fällen gewisse Bandbreiten eingehalten werden, weil aus diesen Band-
breiten ausbrechende Entscheidungen mit einer Aufhebung rechnen müssen.77 In
dieser sich auf das Strafmaß erstreckenden intensiveren Kontrollpraxis des BGH
und der vereinheitlichenden Wirkung der schon erwähnten Richtlinien und Strafen-
kataloge im Bereich bestimmter Massendelikte78 liegt wohl auch der Grund dafür,
dass kriminologische Untersuchungen zur Strafzumessungspraxis aus jüngerer
Zeit nicht mehr jene großen Streubreiten der Strafzumessung festzustellen vermoch-
73
BGHSt 27, 2, 4 f.; aus der späteren Rechtsprechung z. B. BGH NStZ-RR 2003, 52, 53;
BGH StV 2010, 418; weit. Nachw. bei Frisch 2018, § 337 Rn. 174 ff.
74
Eingehende Nachw. zur einschlägigen Rechtsprechung des BGH bei Frisch 2018, § 337
Rn. 175; siehe auch Streng 2012, Rn. 662 und 2018, 593, 598 zu korrespondierenden Ein-
stellungen von Tatrichtern.
75
Vgl. dazu die Nachw. oben Fn. 14.
76
Vgl. etwa BGHSt 45, 312, 318 f.; BGHSt 53, 71, 86; BGHSt 57, 123, 130 f.; weit.
Nachw. bei Frisch 2018, § 337 Rn. 174 – 176.
77
Siehe dazu die Analyse der Rechtsprechung bei Maurer 2005, 128 ff., 140 ff., 147 ff.
(letzteres zu den Betäubungsmittel- und Sexualdelikten).
78
Oben 6.1.
642 Wolfgang Frisch

ten, die bezüglich der Strafzumessungspraxis der fünfziger und sechziger Jahre des
20. Jahrhunderts aufgewiesen werden konnten.
Es bleibt die Frage, ob mit der eben skizzierten Intensivierung der revisionsge-
richtlichen Kontrolle die Möglichkeiten der Revisionsgerichte, an der Vereinheitli-
chung der Strafzumessung mitzuwirken, bereits ausgeschöpft sind. Ich glaube nicht,
dass das der Fall ist. Das Wirken der Revisionsgerichte in Richtung auf eine einheit-
lichere Strafzumessung könnte in doppelter Hinsicht verbesserungsfähig sein.

8.2 Optimierungsmöglichkeiten revisionsgerichtlicher Bemühungen


um Rechtseinheit bei der Strafzumessung

Eine erste Möglichkeit der Optimierung der revisionsgerichtlichen Bemühungen


besteht insoweit, als es sich darum handelt, tatrichterliche Strafmaßentscheidungen
an der zu vergleichbaren Fällen üblichen Praxis zu messen. Die Revisionsgerichte
sind wiederholt gefragt worden, woher sie eigentlich das Wissen um diese Praxis
nehmen und wie verlässlich dieses Wissen ist. Sicher ist jedenfalls, dass es sich in-
soweit um ein bisweilen zufälliges und begrenztes Wissen handelt. Das schränkt die
Möglichkeiten ein, Strafmaßentscheidungen unter Hinweis darauf aufzuheben, dass
sie sich ohne (hinreichende) Begründung von der zu solchen Fällen üblichen Praxis
entfernten. Die Möglichkeit, Entscheidungen mit solcher Argumentation – auch
guten Gewissens – aufzuheben, würde durch die hier empfohlene Dokumentation tat-
richterlicher Strafzumessungsentscheidungen in einer Datenbank entscheidend ver-
bessert. Eine solche Datenbank kommt nicht nur dem nach Orientierung Suchenden
und um eine einheitliche Strafzumessung ringenden Tatrichter zugute. Sie ist auch
für die Tätigkeit der Revisionsgerichte bedeutsam.79 Aus ihr lässt sich die übliche
Praxis, von der in manchen revisionsgerichtlichen Entscheidungen bislang nur die
Rede ist, auch tatsächlich entnehmen. Eine solche Dokumentation bietet den Revi-
sionsgerichten aber vor allem auch Möglichkeiten der Ausübung ihrer „Vereinbar-
keitskontrolle“ in Bereichen, in denen ihnen eine verlässliche empirische Basis bis-
her fehlt, aus der Dokumentation aber klar hervorgeht, dass sich das zu überprüfende
Urteil erheblich von dem entfernt, was in der tatrichterlichen Praxis für derartige
Fälle sonst verhängt wird. Lässt sich von einer üblichen Praxis noch nicht sprechen,
so kann die Dokumentation doch zumindest Hinweise zum Vertretbaren geben.
Die Dokumentation der bislang zu bestimmten Delikten vorfindbaren Strafzu-
messungspraxis eröffnet den Revisionsgerichten noch eine weitere Möglichkeit, ver-
einheitlichend auf die Strafzumessungspraxis Einfluss zu nehmen. Die Streubreite
der Strafzumessungspraxis zu bestimmten Fällen fällt ja nicht nur dem mit einem
vergleichbaren Fall befassten Tatrichter auf, dem sie Anlass geben sollte, an der Ent-
wicklung einer allgemein vertretbaren Linie mitzuwirken. Sie ist auch für das Revi-
sionsgericht erkennbar, dem ein solcher Fall vorliegt und dessen Aufgabe es gerade-

79
Übereinstimmend Streng 2018, 593, 599, 600; ähnlich Verrel 2018, 811, 815.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 643

zu ist, für Rechtseinheit zu sorgen.80 Ist das Revisionsgericht der Auffassung, dass der
Tatrichter bei seiner Strafzumessung ein Strafmaß gefunden hat, das geeignet ist, als
vernünftige Linie der Reaktion auch von anderen Tatrichtern in Zukunft akzeptiert
werden zu können, so sollte es dies im Interesse der Gewährleistung einheitlicher
Ahndung gleichgelagerter Fälle klar sagen und so selbst zur Verwirklichung einer
konsensfähigen Strafmaßlinie beitragen. Ist es andererseits der Auffassung, dass
das vom Tatrichter verhängte Strafmaß problematisch ist und von anderen Gerichten
schwerlich akzeptiert werden dürfte – etwa, weil es sich am oberen oder unteren
Rand der Streubreite bewegt und offenbar Ausdruck eines allgemeiner nicht akzep-
tanzfähigen persönlichen Kurses der Vorinstanz ist –, so sollte es dies im Interesse der
Verwirklichung einer einheitlichen Behandlung gleichgelagerter Fälle ebenfalls
deutlich sagen und das Urteil aufheben. Völlig unproblematisch ist dies, wenn das
Urteil ohnehin an Rechtsfehlern leidet, die auch die Aufhebung der Strafmaßent-
scheidung nach sich ziehen (wie bei Fehlern zu „vorgreiflichen“ Fragen). Die Revi-
sionsgerichte sollten sich aber auch nicht scheuen, so zu verfahren – also aufzuheben
und zugleich die (im Sinne einer Vereinheitlichung) richtige Richtung zu weisen –,
wenn das Urteil keine sonstigen Rechtsfehler aufweist und nur im Strafmaß proble-
matisch ist, nämlich ein Strafmaß enthält, das das Revisionsgericht selbst für kaum
vertretbar hält und das ersichtlich ungeeignet dafür ist, dass andere Richter es sich für
ihren Fall als adäquates Strafmaß zu eigen machen. Ein solches Urteil ist im Blick auf
die Aufgabe des Revisionsgerichts, für Rechtseinheit zu sorgen, schon deshalb
rechtsfehlerhaft, weil ihm etwas abgeht, was zum Wesen des Rechts gehört – nämlich
als allgemeines „Gesetz“ für die richtige Behandlung des infrage stehenden Falles
bzw. entsprechender Fälle gelten zu können.81
Natürlich ist der Einwand zu erwarten, dass das Revisionsgericht sich damit etwas
anmaße, was ihm nicht zukomme und Fragen entscheide, zu denen es nicht berufen
ist. Doch dieser Einwand ist alles andere als überzeugend. Dass es Aufgabe des Re-
visionsgerichts ist, die Rechtseinheit zu wahren, lässt sich nicht ernsthaft bestreiten.
Und warum ein mit drei oder fünf erfahrenen Berufsrichtern besetzter Senat nicht zu
dem in der Lage sein und berufen sein soll, was man jedem Tatrichter ohne Zögern
zugesteht, ist schlicht nicht nachvollziehbar.
Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass sich Revisionsgerichte inzwi-
schen nicht mehr allein damit begnügen, im Einzelfall kontrollierend tätig zu wer-
den, sondern auch bereit sind, ihre Auffassung vom richtigen Strafmaß klar zum Aus-
druck zu bringen und dies sogar in der Weise zu tun, dass sie Vorgaben über die rich-
tige Behandlung bestimmter Fallkonstellationen formulieren. Diesen Weg hat in bei-
spielhafter Weise der in Deutschland für die Revision in Steuerstrafsachen
zuständige Erste Senat des BGH beschritten. Er hat in mehreren aufsehenerregenden

80
Zur Gewährleistung von Rechtseinheitlichkeit als der zentralen Aufgabe der Revisi-
onsgerichte vgl. Frisch 2018, Vor § 333 Rn. 14 ff. mit eingeh. weit. Nachw.
81
Zur Generalisierbarkeit einer Regel als Kriterium des Rechts schon Kant 1797, § C;
siehe auch Henkel 1964, 354 ff.; Radbruch 1963, 127, 128, 206.
644 Wolfgang Frisch

Entscheidungen sehr deutliche strafzumessungsrechtliche Leitlinien für das Straf-


maß in Fällen der Steuerhinterziehung ausgegeben.82 In diesen Leitlinien ist nicht
nur gesagt, welche Fälle sich für die Verhängung nur einer Geldstrafe eignen und
welche dafür nicht in Betracht kommen.83 Der BGH macht auch deutlich, wann
z. B. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in Betracht kommen und von welcher Grö-
ßenordnung des hinterzogenen Betrages und der Dauer der Hinterziehung an höhere
Strafen zum Ausgleich der Schuld und zur Verteidigung der Rechtsordnung notwen-
dig sind.84 Desgleichen entwickelt der BGH weit über das Gesetz hinausgehende
Vorgaben dazu, wann Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt und
wann nicht.85 Mit all dem leistet der BGH einen wichtigen Beitrag zur Gewährleis-
tung größerer Einheitlichkeit der Strafzumessung. Es wäre wünschenswert, dass
diese Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Strafzumessung nicht auf den Be-
reich der Steuerstraftaten beschränkt bleiben.86
Mit diesen sicher diskussionsbedürftigen Überlegungen87 muss es hier sein Be-
wenden haben. Ich widme die vorstehenden Ausführungen Hans-Jörg Albrecht, mei-
nem hochgeschätzten Freiburger Kollegen, der zur empirischen Erforschung der
Strafzumessung Grundlegendes beigetragen hat, mit herzlichem Dank für viele Ge-
spräche und den besten Wünschen zu seinem 70. Geburtstag.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1980a): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin.


Albrecht, H.-J. (1980b): Die Geldstrafe als Mittel moderner Kriminalpolitik, in: H.-H. Jescheck
& G. Kaiser (Hrsg.), Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissenschaft und der Kri-
minologie. Berlin, S. 235 – 255.
Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Berlin.
Altenhain, W., Dietmeyer, F. & May, M. (2013): Die Praxis der Absprache im Strafprozess.
Baden-Baden.
Aristoteles (1995): Nikomachische Ethik (Ausgabe der WBG). Hamburg.

82
Vgl. insbes. BGHSt 53, 71, 84 f.; BGHSt 57, 123, 130 f.; BGH NJW 2012, 1015, 1016;
BGH StV 2012, 219; dazu Giannoulis 2014, 302 ff. und eingeh. nunmehr die von mir und dem
Jubilar betreute Freiburger Dissertation von Rastätter 2017, 158 ff., 160 ff.
83
Vgl. BGHSt 53, 71, 86 f.
84
Vgl. BGHSt 53, 71, 86; BGHSt 57, 123, 131 ff.
85
Vgl. BGHSt 53, 71, 86; BGHSt 57, 123, 131 f.
86
Im Sinne einer zu wünschenden Erhöhung der Kontrolldichte und der Leitfunktion der
Revisionsgerichte auch die BGH-Richter Mosbacher DJT 2019, II 1, M 27, 37 und Raum DJT
2019, II 2, M 147 ff.
87
Siehe allein die kontroversen Diskussionsbeiträge auf dem 72. DJT zur Frage der An-
gemessenheit von Sentencing Guidelines, zu einer stärkeren Führung durch die Revisionsge-
richte und zur Vermittlung von Orientierungswerten durch Datenbanken, in: DJT 2019, II 2, M
77 – 187.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 645

Bruckmann, E.O. (1973): Vorschlag zur Reform des Strafzumessungsrechts. Zeitschrift für
Rechtsphilosophie 6, S. 30 – 34.
Bruns, H.-J. (1967): Strafzumessungsrecht. Köln.
Bruns, H.-J. (1974): Strafzumessungsrecht. Gesamtdarstellung. Köln.
Bruns, H.-J. (1985): Recht der Strafzumessung. Köln.
Bruns, H.-J. (1988a): Neues Strafzumessungsrecht? Köln.
Bruns, H.-J. (1988b): Die Bedeutung des Durchschnitts-, des Regel- und des Normalfalles im
Strafrecht. Juristenzeitung 43/22, S. 1053 – 1058.
DJT (2018): Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages Leipzig 2018, Bd. I (2018), Gut-
achten (Kaspar), Bd. II 1 (2019), Referate (Fünfsinn, Kilian, Mosbacher), M 7 – 65, Bd. II 2
(2019), Sitzungsberichte und Beschlüsse, M 77 – 193. München.
Dreher, E. (1947): Über die gerechte Strafe. Heidelberg.
Dreher, E. (1978): Über Strafrahmen, in: W. Frisch & W. Schmid (Hrsg.), Festschrift für Hans-
Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag. Köln, S. 141 – 164.
Drost, H. (1930): Das Ermessen des Strafrichters. Berlin.
Englich, B. & Mussweiler, F. (2001): Sentencing under uncertainty. Anchoring effects in the
Courtroom. Journal of Applied Social Psychology 31, S. 1535 – 1551.
Exner, F. (1931): Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte. Leipzig.
Fischer, D. (1999): Die Normierung der Strafzumessung nach Vorbild der U.S. Sentencing
Guidelines. Baden-Baden.
Frisch, W. (1987): Gegenwärtiger Stand und Zukunftsperspektiven der Strafzumessungsdog-
matik. Teil II. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 99, S. 751 – 805.
Frisch, W. (1971): Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung. Köln.
Frisch, W. (Hrsg.) (2003): Maßstäbe der Tatproportionalität und Veränderungen des Sanktio-
nenniveaus, in: W. Frisch, A. von Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Hei-
delberg, S. 155 – 184.
Frisch, W. (2005): Die erweiterte Revision, in: J. Arnold, B. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Menschen-
gerechtes Strafrecht. Festschrift für Albin Eser. München, S. 257 – 290.
Frisch, W. (2017): Schuldprinzip und Absprachen, in: C. Safferling, G. Kett-Straub, C. Jäger &
H. Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Heidelberg, S. 685 –
702.
Frisch, W. (2018): Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung. Bd. 7, 5. Aufl. Köln.
Giannoulis, G. (2014): Studien zur Strafzumessung. Tübingen.
Götting, B. (1997): Gesetzliche Strafrahmen und Strafzumessungspraxis. Frankfurt a. M.
Haag, K. (1970): Rationale Strafzumessung. Köln.
Hahn, C. (1885): Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen. Bd. 3, 2. Aufl. Berlin.
Harada, K. (2011): Die Überprüfung der Strafzumessung an japanischen Appellationsgerich-
ten, in: W. Frisch (Hrsg.), Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japa-
nischer Sicht. Tübingen, S. 237 – 252.
646 Wolfgang Frisch

Hassemer, W. (1978): Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung. Zeitschrift für die


gesamte Strafrechtswissenschaft 90, S. 64 – 99.
Henkel, H. (1964): Rechtsphilosophie. München.
Hettinger, M. (1982): Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen.
Berlin.
Hörnle, T. (1999): Tatproportionale Strafzumessung. Berlin.
Hood, R. (1972): Sentencing the Motoring Offender. London.
Hoppenworth, E. (1991): Strafzumessung beim Raub. München.
Jagusch, H. (1970a): Gegen Strafzumessungskartelle im Bereich des Straßenverkehrsrechts.
Neue Juristische Wochenschrift, S. 1865 – 1867.
Jagusch, H. (1970b): Strafzumessungsempfehlungen von Richtern im Bereich der Straßenver-
kehrsgefährdung. Neue Juristische Wochenschrift, S. 401 – 403.
Kahl, W. (1906): Reform der Strafzumessung. Deutsche Juristen-Zeitung 11, S. 895 – 901.
Kant, I. (1797): Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre. Königsberg
(Ausgabe der WBG Darmstadt 1985).
Kaspar, J. (2018): Sentencing Guidelines vs. freies tatrichterliches Ermessen – Brauchen wir
ein neues Strafzumessungsrecht?, in: DJT 2018, Bd. I. München, C 1 – 129.
Köberer, W. (1996): Iudex non calculate. Frankfurt a. M.
Kohlschütter, H. (1998): Die mathematische Modellierung der Strafzumessung. Marburg.
Kudlich, H. & Koch, J. (2018): Das Ringen um die richtige Strafzumessung. Neue Juristische
Wochenschrift 71/38, S. 2762 – 2766.
Linstow, B. von (1974): Berechenbares Strafmaß. Berlin.
Liszt, F. von (1905): Kriminalpolitische Aufgaben (1889 – 1892), in: F. von Liszt, Strafrechtli-
che Aufsätze und Vorträge. 1. Bd. Berlin, S. 290 – 467.
Mannheim, H. (1921): Über Gleichmäßigkeit und Systematik in der richterlichen Strafzumes-
sung. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 54, S. 40 – 61.
Maurer, M. (2005): Komparative Strafzumessung. Berlin.
Meier, B.-D. (2015): Strafrechtliche Sanktionen. 4. Aufl. Berlin.
Meine, H.-G. (1990): Die Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung. Heidelberg.
Montenbruck, A. (1989): Abwägung und Umwertung. Berlin.
Nakagawa, H. (2011): Die Strafzumessung in der Tatsacheninstanz, in: W. Frisch (Hrsg.),
Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht. Tübingen,
S. 201 – 213.
Neumann, U. (1992): Zur Bedeutung von Modellen in der Dogmatik des Strafzumessungs-
rechts, in: M. Seebode (Hrsg.), Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag. Berlin,
S. 435 – 449.
Opp, K.D. & Peukert, R. (1971): Ideologie und Fakten in der Rechtsprechung. München.
Ostermeyer, H. (1996): Die Regelstrafe. Neue Juristische Wochenschrift, S. 2301 – 2303.
Auf dem Weg zu einer einheitlicheren Strafzumessung 647

Peters, D. (1973): Richter im Dienst der Macht. Stuttgart.


Peters, K. (1955): In welcher Weise empfiehlt es sich, die Grenzen des strafrichterlichen Ermes-
sens zu regeln?, in: Verhandlungen des 41. Deutschen Juristentages. Bd. I 2. Tübingen, S. 1 –
56.
Peters, K. (1972): Praxis der Strafzumessung und Sanktionen, in: H. Göppinger & R. Hartmann,
Kriminologische Gegenwartsfragen. Heft 10. Stuttgart, S. 51 – 67.
Radbruch, G. (1963): Rechtsphilosophie. 6. Aufl. Stuttgart.
Rastätter, M.-R. (2017): Strafzwecke und Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung. Berlin.
Reichert, Ch. (1999): Intersubjektivität durch Strafzumessungsrichtlinien. Berlin.
Sarstedt, W. (1955): In welcher Weise empfiehlt es sich, die Grenzen des strafrichterlichen Er-
messens … zu regeln …?, in: Verhandlungen des 41. Deutschen Juristentags. Bd. 2. Tübin-
gen, D 30 – 53.
Schäfer, G., Sander, G. & van Gemmeren, G. (2017): Praxis der Strafzumessung. 6. Aufl. Mün-
chen.
Schoene, H. (1967): Regelstrafe. Neue Juristische Wochenschrift 38, S. 1118 – 1120.
Spendel, G. (1954): Zur Lehre vom Strafmaß. Frankfurt.
Streng, F. (1984): Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heidelberg.
Streng, F. (2012): Strafrechtliche Sanktionen. 3. Aufl. Stuttgart.
Streng, F. (2018): Perspektiven für die Strafzumessung. Strafverteidiger, S. 593 – 600.
Sturm, F. (1913): Zur Lehre vom Strafmaß. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
34, S. 64 – 71
Verrel, T. (2018): Brauchen wir ein neues Strafzumessungsrecht? Juristenzeitung, S. 811 – 815.
Weber, H. von (1956): Die richterliche Strafzumessung. Karlsruhe.
Woerner, O. (1907): Die Frage der Gleichmäßigkeit der Strafzumessung im deutschen Reich.
München.
Einheitlichere und transparentere Strafzumessung
durch Strafzumessungsrichtlinien?
Die englischen Sentencing Guidelines als lohnenswertes Untersuchungsobjekt

Von Kai Ambos*

1. Einleitung
Hans-Jörg Albrecht hat der Strafzumessung einen großen Teil seiner wissen-
schaftlichen Tätigkeit gewidmet, insbesondere im Rahmen seiner Dissertations-
und Habilitationsschrift.1 Seine empirischen Erkenntnisse zur Strafzumessung er-
möglichen aufgrund ihrer besonderen Detailliertheit und Ausführlichkeit neue Ein-
blicke in die Strafzumessungspraxis. Jüngst bescheinigte Albrecht dem System der
deutschen Strafenpraxis eine „bemerkenswerte Stabilität“, welche sich etwa durch
ein konstantes Strafniveau im unteren Bereich der Strafrahmen auszeichne und ins-
besondere durch gerichtsintern produzierte Lernmuster aufrechterhalten werde.2
Allerdings bietet das deutsche Strafzumessungsrecht durchaus Anlass zu Kritik
und dies nicht erst seit den Erkenntnissen empirischer Strafzumessungsforschung.3
Schon Franz von Liszt hat die Strafzumessung vor nunmehr über 100 Jahren mit dem
ominösen „Griff ins Dunkle“ verglichen4 und seitdem ließen sich immer wieder kri-
tische Stimmen vernehmen, die das Dunkel – zunehmend auch unter Rückgriff auf

* Ich danke meinem Mitarbeiter und Doktoranden Eric Armbrecht für die Erstellung eines
ersten Entwurfs und sonstige wertvolle Unterstützung. Ich danke Prof. Julian Roberts, Uni-
versität Oxford, UK (Mitglied des Sentencing Council 2009 – 2018), Prof. Jenia Turner, SMU
Dedman School of Law, Dallas sowie Prof. Stephen Thaman für wertvolle Hinweise.
1
Albrecht 1980; 1994.
2
Albrecht 2017, 189, 197 ff.
3
Die Anfänge empirischer Strafzumessungsforschung reichen allerdings schon bis ins
späte 19 Jh. zurück. So stellte etwa das Reichs-Justizamt im Rahmen einer Auswertung der
Reichskriminalstatistik für das Jahr 1882 fest, dass „bezüglich der Anwendung der einzelnen
Strafarten und Strafstufen in den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken Verschiedenheiten
obwalten, […] welche […] auf eine verschiedene Handhabung des Gesetzes bei Ausmessung
der Strafe seitens der Gerichte zurückgeführt werden müssen“ (Statistik des deutschen Rei-
ches, Bd. 8 Teil 2, Kriminalstatistik für das Jahr 1882, 54). Die Untersuchung Woerners (1907)
und die – als „Meilenstein“ (Meier 2019, 259) bzw. „Höhepunkt“ (Heinz 1992, 122) be-
zeichnete – Studie Exners (1931, 46 ff.) belegen schon zu Beginn des 20 Jh. regionale Un-
terschiede in der Strafzumessungspraxis.
4
v. Liszt 1905, 393.
650 Kai Ambos

empirische Untersuchungen – etwas mehr zu erhellen suchten.5 Die Welle der Kritik
ebbte gegen Ende des 20. Jahrhunderts etwas ab,6 hat aber jüngst durch die Beratun-
gen der strafrechtlichen Abteilung des 72. Deutschen Juristentags (September 2018)7
neuen Auftrieb erhalten. Im Mittelpunkt steht nun (wieder) die Frage, wie sich mehr
Konstanz und Einheitlichkeit in der Strafzumessung erreichen lässt. Die Reformbe-
dürftigkeit der gegenwärtigen Praxis wird im Wesentlichen mit drei Kritikpunkten
begründet: der zu großen Weite der Strafrahmen, Auslegungsproblemen des § 46
StGB und (zu) großen regionalen Unterschieden in der Strafzumessungspraxis.
Nach einer zusammenfassenden Darstellung dieser Kritikpunkte (unten 2.),
wende ich mich dem Modell der Strafzumessungsrichtlinien als einer Alternative
zu (3.). Ich werde zeigen, dass insbesondere die englischen Strafzumessungsrichtli-
nien (Sentencing Guidelines) ein transparent(er)es und systematisch(er)es Strafzu-
messungssystem anbieten (3.3), mit dem zugleich eine besser nachvollziehbare
und einheitlichere Strafzumessungspraxis erreicht werden kann (beispielhaft zur
vollendeten Körperverletzung 3.4). Dabei handelt es sich allerdings – aus Zeit-
und Platzgründen – um vorläufige Überlegungen, die aber immerhin doch deutlich
machen sollten, dass der grenzüberschreitende Blick – weg vom US-amerikanischen
Modell hin zum englischen Ansatz – lohnt.

2. Hauptkritikpunkte der gegenwärtigen Praxis


2.1 Weite der Strafrahmen

Die erhebliche Weite der tatbestandlichen Strafrahmen, mitunter bis zu vierzehn


Jahre,8 führt zu Problemen unterschiedlichster Art. So ergibt sich aus empirischen
Untersuchungen,9 dass die Gerichte die existierenden Strafrahmen in aller Regel
nicht voll ausschöpfen, sondern eine signifikante Verlagerung des Strafniveaus in
den unteren Bereich der einschlägigen Strafrahmen stattfindet.10 Dann erscheint

5
Grassberger 1932, 80 f.; Dubs 1963, 20 ff.; Haag 1970, 77, 79; Stratenwerth 1972, 26 ff.;
Hassemer 1978, 95 ff.
6
Radtke 2019, M9; Albrecht 2017, 185; Kaspar 2018, C14.
7
„Sentencing Guidelines vs. freies tatrichterliches Ermessen – Brauchen wir ein neues
Strafzumessungsrecht?“, vgl. Fünfsinn, Kilian & Mosbacher 2019. Begleitend vgl. Kudlich &
Koch 2018, 2762; Verrel 2018, 811; Grosse-Wilde 2019, 130; Hoven, 2018, 276; Hörnle
2019a, 282. Aus diesem Anlass hat das Göttinger Institut für Kriminalwissenschaften auch ein
Strafzumessungskolloquium mit besonderem Fokus auf die angloamerikanische Praxis ver-
anstaltet, s. Ambos 2020 sowie Freixo, in ebd., 321 ff.
8
Siehe beispielhaft §§ 249 Abs. 1, 177 Abs. 4 und 5, 306a Abs. 1 und 2 StGB sowie § 29a
Abs. 1 BtMG mit Strafrahmen von nicht unter einem Jahr bis 15 Jahre (§ 38 Abs. 2 StGB).
9
Verrel 2013, 804; Götting 1997, 210, 231 f.; Albrecht 2017, 192.
10
So lagen nach Verrel (2013, 804) 99,9 % der im Jahr 2011 wegen Diebstahls ausge-
sprochenen Geldstrafen in der unteren Hälfte des gem. § 40 Abs. 1 S. 1 StGB von 5 bis 360
Tagessätze reichenden Strafrahmens und die wegen derselben Tat ausgeurteilten Freiheits-
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 651

aber eine gesetzgeberische Anpassung („nach unten“) vonnöten,11 zumindest bei sol-
chen Tatbeständen, die in der Praxis größtenteils nur noch unter Zuhilfenahme des
Rechtsinstituts der „minder schweren Fälle“ geahndet werden.12
Ferner trägt die erhebliche Weite der Strafrahmen dazu bei, dass zu wenig Einheit-
lichkeit und Konstanz in der Strafzumessungspraxis herrscht. Das ist nicht verwun-
derlich, denn je weiter die Strafrahmen sind, desto größer sind auch die tatrichterli-
chen Strafzumessungsspielräume und die Gerichte machen davon regen Gebrauch.13
Damit geht zugleich eine mangelnde Voraussehbarkeit der konkreten Strafzumes-
sung in casu für Betroffene einher.14
Die (zu) weiten Strafrahmen erschweren aber auch die Arbeit der Praxis,15 denn es
stellt gerade für junge Richter*innen eine große Herausforderung dar, die tat- und
schuldangemessene Strafe in einem konkreten Fall zu bestimmen.16 Erschwerend
kommt die große Zahl von Sonderstrafrahmen hinzu, welche zum Teil „in kaum
mehr verständlicher Weise“17 Überschneidungen mit den Normalstrafrahmen auf-
weisen.18 Zu denken ist etwa an Fälle, in denen nebeneinander sowohl der Strafrah-
men eines minder schweren Falles als auch ein (wegen Vorliegen eines vertypten
Milderungsgrunds) gem. § 49 Abs. 1 StGB gemilderter Strafrahmen zur Anwendung
kommen kann.19 Ein weiteres Beispiel betrifft die von der höchstrichterlichen Recht-
sprechung uneinheitlich beurteilte Frage des Strafrahmens im Falle einer durch § 29a
Abs. 1 BtMG bewirkten Sperrwirkung des minder schweren Falles des § 30a Abs. 3
BtMG.20 Dadurch werden die Richter dazu verleitet, sich an bekannten Entscheidun-

strafen zu 99,7 % in der unteren Hälfte des gem. § 242 Abs. 1 StGB mit Mindeststrafe von
einem Monat und Höchststrafe von 5 Jahren bedrohten Strafrahmens. S. a. Kaspar 2018,
C16 m.w.N.
11
Albrecht 1994, 500.
12
Eine häufige Anwendung der minder schweren Fälle lässt sich etwa für die Raubdelikte
annehmen (dazu Albrecht 2017, 193, wonach im Jahr 2014 1/3 der gem. § 249 Abs. 1 StGB
Verurteilten und ca. die Hälfte der gem. § 250 Abs. 1, 2 StGB Verurteilten unter Rückgriff auf
§ 249 Abs. 2 StGB bzw. § 250 Abs. 3 StGB bestraft wurden). Laut Albrecht 1994, 326; 2017,
193; Kudlich & Koch 2018, 2765 sowie Streng 2017, Rn. 200 findet ein häufiger Rückgriff auf
minder schwere Fälle überdies im Rahmen von Tötungs- und Vergewaltigungsdelikten sowie
bei § 30a BtMG und § 316a StGB statt.
13
Streng 2012, Rn. 507 m.w.N.
14
Hörnle 2019a, 283.
15
Vgl. Kaspar 2018, C107.
16
Hörnle 2019a, 282; Verrel 2013, 799.
17
Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1167.
18
Fischer 2020, § 46 StGB Rn. 17c.
19
BGH, Beschluss v. 04. 06. 2015, Az. 5 StR 201/15; Schäfer, Sander & van Gemmeren
2017, 933.
20
Während der 3. Strafsenat des BGH bei Vorliegen eines minder schweren Falls gem.
§ 30a Abs. 3 BtMG, neben dem nicht auch § 29a Abs. 2 BtMG verwirklicht ist, den Straf-
rahmen von § 29a Abs. 1 BtMG (1 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe) für anwendbar erklärt, gehen
die anderen Strafsenate von einem kombinierten Rahmen (1 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe) aus,
652 Kai Ambos

gen in ähnlich gelagerten Fällen zu orientieren,21 was wiederum zu starken Simpli-


fizierungen von nur vordergründig gleich erscheinenden Fällen führen kann.22 Die
mit all dem einhergehenden Unsicherheiten erklären auch die Existenz informeller
(staatsanwaltschaftlicher oder gerichtlicher) Tabellen oder Richtlinien, die für eine
Vereinheitlichung und Vereinfachung zumindest in einem Gerichtsbezirk oder Bun-
desland sorgen sollen.23

2.2 Auslegungsprobleme des § 46 StGB

§ 46 StGB wirft zahlreiche Auslegungsprobleme auf. Aus der Inbezugnahme der


Schuld als „Grundlage der Strafzumessung“ in Abs. 1 S. 1 ergibt sich die Frage des
insoweit vertretenen Schuldbegriffs.24 Zwar herrscht mittlerweile Klarheit darüber,
dass § 46 Abs. 1 S. 1 StGB die Strafzumessungsschuld meint und diese von der Straf-
begründungsschuld i.S.v. §§ 20 ff. StGB zu unterscheiden ist.25 Gegenstand der die
Strafbarkeit begründenden Schuld ist die Vorwerfbarkeit des durch die Tatbestands-
verwirklichung begangenen Unrechts, weil sich der Täter – trotz Vermeidemöglich-
keit – gegen das (Straf-)Recht entschieden hat.26 Über den genauen Inhalt der Strafzu-
messungsschuld besteht allerdings nach wie vor keine Einigkeit.27
Aus § 46 Abs. 1 S. 2 StGB ergibt sich außerdem, dass die Strafe eben nicht nur
zum Schuldausgleich dient, sondern auch spezialpräventive Zwecke („Wirkun-
gen … für das künftige Leben des Täters …“) mit ihr verfolgt werden;28 doch welche

vgl. BGH, Beschluss v. 03. 02. 2015, Az. 3 StR 632/14, Rn. 6; Urteil v. 07. 09. 2017, Az. 3 StR
278/17; demgegenüber BGH, Beschluss v. 25. 05. 2010, Az. 1 StR 59/10, Rn. 17; Beschluss v.
14. 08. 2013, Az. 2 StR 144/13; Urteil v. 19. 12. 2013, Az. 4 StR 303/13, Rn. 5; s. a. Körner et
al. 2019, § 30a Rn. 121; Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1773 mit Fn. 512.
21
Kaspar 2018, C13, C64; Hörnle 2019a, 283; Streng 2012, Rn. 496, 768; s. a. die Er-
gebnisse der empirischen Untersuchung von Streng (1984, 239 f.), wonach 28 % der 522
befragten Strafrichter und Staatsanwälte eine Orientierung an vergleichbaren Fällen bei der
Strafbemessung für „sehr“ wichtig und 51 % für „mittel“ wichtig erachteten.
22
Eschelbach 2019, Rn. 193.
23
Vgl. Kaspar 2018, C13, C88 f.; Kudlich & Koch 2018, 2763; Eschelbach 2019, Rn. 3;
Meier 2011, 37 f.
24
Eschelbach 2019, Rn. 74.
25
Aus theoretischer Sicht instruktiv zur Unterscheidung Bung 2018, 182 f.
26
Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, 574; Radtke 2020, Rn. 15.
27
Während teilweise angenommen wird, dass auch dem Vor- und Nachtatverhalten un-
mittelbare Schuldrelevanz zukommt (sog. erweiterter Tatbegriff), wirken sich solche außer-
halb der Tatausführung selbst liegende Umstände nach der von der Rspr. entwickelten Lehre
von der Indizkonstruktion nur mittelbar aus, indem sich daraus ggf. Rückschlüsse auf den
unmittelbar bei Tatbegehung bestehenden Schuldgehalt ableiten lassen. Nach einem neueren
Ansatz soll die Strafzumessungsschuld im Umfang nicht weiter reichen als die Strafbegrün-
dungsschuld und stattdessen eine diese limitierende Funktion einnehmen, sodass bei gemin-
derter Schuld eine entsprechende, sich im konkreten Strafmaß widerspiegelnde Milderung des
Tatunrechts erfolgt, vgl. zusf. m.w.N. Streng 2012, Rn. 528 ff.; 2017, Rn. 23 f.
28
Eschelbach 2019, Rn. 28; Streng 2017, Rn. 33; Kaspar 2018, C61.
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 653

dies genau sind/sein sollen, ist unklar und strittig.29 Die dabei vertretenen Ansätze
divergieren im Wesentlichen in der Frage, ob Strafe im Sinne der präventiven Ver-
einigungstheorie der Verfolgung spezial- und generalpräventiver Zwecke dient oder
ob sie – wie von der Theorie der positiven Generalprävention vertreten – die Gültig-
keit der durch die Tat angegriffenen Rechtsnorm (gleichsam kontrafaktisch) bestä-
tigt.30 Die damit einhergehende Unklarheit wirft die weitere Frage auf, ob eine solche
Delegation der Inhaltsbestimmung auf die Judikative überhaupt den Ansprüchen des
Gesetzesvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots genügt.31
Auch die in § 46 Abs. 2 StGB – nicht abschließend („namentlich“) – genannten
Strafzumessungsumstände bieten Anlass zur Kritik.32 Zum einen sind sie häufig nur
schwer voneinander abgrenzbar und weisen deutliche Überschneidungen auf (etwa
„Beweggründe“, „Ziele“, „Gesinnung“, „kriminelle Energie“).33 Zum anderen erhö-
hen die sehr offenen Formulierungen (etwa „Vorleben“, „persönlichen und wirt-
schaftlichen Verhältnisse des Täters“) die Gefahr, dass strafzumessungsrechtlich
auch Gesichtspunkte einer „Lebensführungsschuld“34 berücksichtigt werden, die
in keinerlei Zusammenhang mit der konkret verwirklichten Tat stehen, womit letzt-
lich einem Täterstrafrecht35 der Boden bereitet wird.36

2.3 Regionale Ungleichheiten in der Strafzumessung

Die genannten Probleme könnten von der Rechtsprechung aufgefangen werden,


wenn es ihr gelänge, mit ihrem „geheimen Metermaß“37 eine konstante und einheit-
liche Bestrafung zu gewährleisten. Gerade dies ist aber nicht der Fall, wie empirische
Untersuchungen zeigen.38 Insbesondere in einer aktuellen Studie von Grundies, die
sich mit regionalen Unterschieden im Hinblick auf Freiheitsstrafen befasst,39 wird

29
Maier 2020, Rn. 48 ff.
30
Maier 2020, Rn. 50; m.w.N. Hörnle 1999, 84 ff.
31
Kaspar 2018, C63; zum Bestimmtheitsgebot etwa auch Eschelbach 2019, Rn. 13.
32
Albrecht 1989, 25.
33
Kaspar 2018, C66.
34
Vgl. Mezger 1937, 688.
35
Zu Lebensführungsschuld (Mezger) und Täterstrafrecht im NS-Strafrecht s. Ambos
2019, 58, 112 ff., 119 ff.
36
Horn & Wolters 2016, Rn. 144; Hörnle 1999, 49 ff.; Timm 2012, 259; Kaspar 2018,
C66.
37
Dreher 1961, 344.
38
Schiel 1969, 55 f.; Albrecht 1980, 86 ff.; 1994, 348 ff.; Schöch 1973, 111 f.; Lewrenz et
al. 1968, 117 f.; Pfeiffer & Savelsberg 1989, 25 ff.; Langer 1994, 238 ff.; Hupfeld 1999,
347 ff. Albrecht hat allerdings jüngst darauf hingewiesen (2017, 185), dass es um die Un-
gleichmäßigkeit des Strafens ohnehin ruhiger geworden sei; stattdessen habe sich die Frage
nach der Punitivität in den Vordergrund geschoben.
39
Grundies 2016, 511 (Auswertung der im Bundeszentralregister gespeicherten Daten zu
sämtlichen Erledigungen nach dem StGB in den Jahren 2004 und 2007).
654 Kai Ambos

nachgewiesen, dass die Strafen zwischen zwei zufällig ausgewählten Gerichtsbezir-


ken im Durchschnitt um 15 % voneinander abweichen. Ferner belegt Grundies, dass
zwischen den Gerichtsbezirken, namentlich denen der Oberlandesgerichte, bedeu-
tende Ungleichheiten in der Strafzumessungspraxis bestehen.40 Diese sind nicht zu-
fällig verteilt, sondern fügen sich zu geographischen Mustern. Eine sehr anschaulich
gestaltete Karte macht deutlich, dass Differenzen insbesondere zwischen den Ge-
richtsbezirken der verschiedenen Bundesländer bestehen.41 So fallen die Strafen in
Baden-Württemberg und den meisten norddeutschen Bundesländern eher niedrig
aus, wohingegen in Bayern und einigen mitteldeutschen Ländern offensichtlich
eine schärfere Sanktionspraxis vorherrscht.
Empirisch weit weniger gut belegt,42 aber deswegen nicht weniger relevant sind
Varianzen innerhalb von Gerichtsbezirken. So ist davon auszugehen, dass sich die
regionalen Unterschiede auch auf lokaler Ebene auf einzelne Gerichte projizieren
lassen.43 Solche intragerichtlichen – auf eine unterschiedliche Spruchkörperpraxis
zurückgehenden – Differenzen sind statistisch nur schwer nachweisbar, da das ver-
fügbare Zahlen- und Datenmaterial ausschließlich aggregierte Werte für gesamte Be-
zirke44 oder Bundesländer45 ausweist.46 Somit würde die lokal uneinheitliche Straf-
zumessungspraxis im Rahmen einer statistischen Erhebung auf einen Mittelwert re-
duziert, welcher im Vergleich mit anderen Gerichtsbezirken keine größere Auffällig-
keit aufweisen dürfte.47

3. (Englische) Strafzumessungsrichtlinien
(Sentencing Guidelines) als Alternative?
3.1 Vorbemerkung

Wenn hierzulande von „Sentencing Guidelines“ gesprochen wird, so wird in der


Regel auf die U.S. Federal Sentencing Guidelines Bezug genommen,48 so etwa auch

40
Grundies 2016, 517 ff.
41
Grundies 2016, 519.
42
Eine Ausnahme stellt die Untersuchung Albrechts dar (1994, 354 ff.), der zu dem Er-
gebnis kommt, dass durchaus „unsystematische und damit ungewollte Abweichungen“ in der
innergerichtlichen Strafzumessungspraxis bestehen.
43
Vgl. Streng 2012, Rn. 486 ff.
44
So etwa in der o.g. Studie von Grundies.
45
So die Strafverfolgungsstatistik 2017, Fachserie 10, Reihe 3, Rechtspflege, 194 f.
46
Verrel 2018, 811.
47
Hörnle 2019a, 283.
48
Grosse-Wilde 2019, 131; exemplarisch Streng 2017, Rn. 199; Maurer 2005, 71 ff.;
Reichert 1999, 137 ff.; Uphoff 1998, 80 ff.; Radke 2018, 252. Auch auf andere Guidelines-
Systeme Bezug nehmend Jescheck & Weigend 1996, 883 f.; Giannoulis 2014, 257 f.
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 655

im DJT-Gutachten Kaspars.49 Diese sind jedoch schon deshalb auf die deutschen Ver-
hältnisse nicht übertragbar, weil sie in der Regel viel höhere Strafen als vergleichbare
deutsche Vorschriften vorsehen, also punitiver sind.50 So ist es auch wenig verwun-
derlich, dass Kaspar zu dem Schluss kommt, dass die Federal Guidelines kein taug-
liches Instrument zur Verbesserung der deutschen Strafzumessungspraxis sind.51
Damit ist das Thema „Strafzumessungsrichtlinien“ aber keineswegs erledigt und
zwar nicht einmal mit Blick auf die USA. Insoweit ist nämlich zunächst darauf hin-
zuweisen, dass der Großteil der dort verfolgten Straftaten gar nicht in die Zuständig-
keit der Bundesjustiz,52 sondern die der Kriminaljustiz der 51 Bundesstaaten sowie
zahlreicher lokaler Jurisdiktionen fällt.53 Deren Strafzumessungsrecht und -praxis
unterscheiden sich aber teilweise grundlegend und nur weniger als die Hälfte der
Bundesstaaten verfügt überhaupt über Strafzumessungsrichtlinien;54 diese sind wie-
derum sehr unterschiedlich,55 wobei etliche weniger punitiv als die Federal Sentenc-
ing Guidelines sind.56 Insgesamt lässt sich deshalb überhaupt nicht von einem ein-
heitlichen US-amerikanischen Strafzumessungsrecht,57 sondern eher von einem
„crazy quilt“58 bzw. „hodge-podge of policies“59 sprechen. Im Übrigen finden sich
49
Kaspar 2018, C76 ff.
50
Vgl. näher und diff. Hörnle 2019a, 287; 2019, 905 (zu den Gründen unterschiedlicher
Punitivität Hörnle 2019, 906 ff.).
51
Kaspar 2018, C82 ff., C116 betont die unterschiedliche historische Ausgangslage zwi-
schen Deutschland und den USA und äußert strukturelle Bedenken an den U.S.-Guidelines,
welche insbesondere die starke Simplifizierung des Zumessungsvorgangs und die detaillierte
Ausdifferenzierung der Strafen im Hinblick auf die Einzelfallgerechtigkeit betreffen; kritisch
ebenfalls Frisch 2003, 166 ff.; Maurer 2005, 79 f.
52
Die strafgerichtliche Zuständigkeit des Kongresses ergibt sich aus Art. 1, sect. 8 der US-
Verfassung, die in die Bundeskompetenz fallenden (mehrere tausend) Delikte finden sich in
zahlreichen Bundesgesetzen, etwa in 18 U.S.C.A. § 7. Die Bundesjustiz verfolgt insbesondere
Betäubungsmitteldelikte, Delikte organisierter Kriminalität, große Wirtschaftsstrafsachen,
Waffenbesitzdelike s. Abrams, Beale & Klein 2015, 13 ff.
53
Bundesstrafsachen („federal cases“) machen nur einen geringen Teil (2 – 5 %) der Kri-
minaljustizfälle in den USA aus, vgl. etwa Beale 1995, 993 („… states are still handling more
than ninety-five percent of all violent crime prosecutions.“); Klein & Grobey 2012, 7 (5 %
aller „felonys“ [Verbrechen] betreffen Bundeszuständigkeit); s. a. Grosse-Wilde 2019, 132;
Hörnle 2019a, 287.
54
Frase 2019, 79 (wonach 22 Bundesstaaten seit 1980 Guidelines angenommen haben und
derzeit noch 19 über solche verfügen); für einen Überblick s. die (immer aktualisierte) Web-
site des Robina Institute der Universität Minnesota, abrufbar unter: https://sentencing.umn.
edu/ [20. 10. 2020].
55
Frase 2019, 79, 82 ff., 127 („no single, or even clear, ,consensus model‘ of sentencing
guidelines …“ [79]); Hester 2020, 104 ff.
56
Speziell mit dem Verweis auf die Sentencing Guidelines Minnesotas Grosse-Wilde 2019,
132.
57
Vgl. etwa Reitz 2001, 223: „[T]here really is no such thing as ,U.S. sentencing prac-
tice‘“.
58
Tonry 2013, 141.
59
Hester 2020, 158.
656 Kai Ambos

Strafzumessungsrichtlinien in einer Vielzahl anderer Jurisdiktionen, – etwa in Eng-


land und Wales, Schottland, Neuseeland, Südafrika und Israel – und diese unterschei-
den sich wiederum von den US-amerikanischen aber auch untereinander mitunter
erheblich.60
Besonders lohnenswert erscheint insofern eine nähere Betrachtung der Strafzu-
messungsrichtlinien von England und Wales („englische Guidelines“),61 denn
diese werden von einem vor allem aus Richtern bestehenden Expertengremium ent-
wickelt und ständig angepasst (näher unten 3.2). Sie sind insgesamt auf große Ak-
zeptanz (vor allem in der Richterschaft) gestoßen und dienen zahlreichen anderen
Staaten als Vorbild.62 Vergleicht man die englischen mit den U.S. Federal Guidelines,
so fallen die strukturellen Unterschiede beider Modelle sofort ins Auge: Die engli-
schen Guidelines folgen zwar einem einheitlichen Aufbau, sind dabei aber delikts-
spezifisch (gleichsam induktiv von unten nach oben) ausgestaltet – jedem Straftat-
bestand ist eine entsprechende Sentencing Guideline zugeordnet. Demgegenüber
steht bei den Federal Guidelines eine zentral für alle Delikte geltende Strafzumes-
sungstabelle („sentencing table“) im Mittelpunkt (deduktiver Ansatz von oben
nach unten). Dieser Tabelle lassen sich anhand zweier Faktoren (Tatschwere und Vor-
strafenbelastung) konkrete Strafmaße entnehmen, welche den Gerichten für die kon-
krete Strafzumessung oftmals nur einen Rahmen von sechs Monaten belassen. Wäh-
rend die englischen Guidelines die richterliche Autonomie bei der konkreten Straf-
bemessung im Grundsatz anerkennen und eher als Anleitung zur Strukturierung des
Strafzumessungsakts denn als (abstrakte) Determination eines konkreten Strafmaßes
operieren, versuchen die (allerdings nicht – mehr – bindenden)63 Federal Guidelines,
mittels einer starken Reduktion der Komplexität der Fälle64 möglichst konkrete Stra-
fen festzulegen. Damit geht jedoch die Gefahr einher, dass die konkreten Umstände
unterschiedlicher Strafzumessungssachverhalte nivelliert werden und das eigentli-
che Ziel der Schaffung von mehr Einzelfallgerechtigkeit verfehlt wird.65 Dies wie-
derum gerät mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Konflikt, denn dieser will ge-
rade die Einzelfallgerechtigkeit absichern.66 Überdies kann eine Verletzung des

60
Grosse-Wilde 2019, 133 f. Zur kanadischen Strafzumessung unter besonderer Berück-
sichtigung des dortigen Verhältnismäßigkeitsprinzips s. Berger 2020, 191 ff.
61
Zur Strafzumessung in England und Wales s. Roberts & Padfield 2020, 33 ff.
62
Siehe etwa zur Implementierung sog. Starting Point Sentences in Neuseeland Roberts
(2013, 7). Als weitere Länder, die sich stark an den englischen Guidelines orientieren, sind
Bahrain, Schottland und Südkorea zu nennen (diese Information verdanke ich Julian Roberts).
63
Der U.S. Supreme Court hat in U.S. v. Booker/Fanfan (543 U.S. 220 (2005)) eine Bin-
dungswirkung für verfassungswidrig erklärt, weil sie mit dem 6. Amendment und dem daraus
folgenden Gebot der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar sei, s. Scott 2011, 197 f. Zur
Bindungswirkung näher Frase 2019, 99 ff. („… binding force … as a continuum, not a simple
mandatory-advisory dichotomy“ [99]).
64
Kaspar 2018, C83.
65
Streng 1984, 315.
66
Kaspar 2014, 833; 2018, C83.
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 657

Gleichheitssatzes darin gesehen werden, dass nur vordergründig gleich gelagerte


Fälle gleich behandelt werden.67

3.2 Entstehungsgeschichte der englischen Guidelines

Sentencing Guidelines existieren in England und Wales seit ca. 1980. Die ersten
Guidelines wurden vom Court of Appeal als sog. „guideline judgements“ aufge-
stellt.68 Dieser Zustand änderte sich insbesondere auf Drängen der Labour Party
mit der Schaffung des Sentencing Advisory Panel im Jahr 1998.69 Dieses Gremium
sollte den Court of Appeal bei der Ausübung seiner bisher sehr fragmentarisch auf
einzelne Rechtsbereiche beschränkten rechtsfortbildenden Tätigkeit beraten und
damit auch seine entsprechende Befugnis zum Erlass von Guidelines beschränken.70
Im Jahre 2003 wurde die Ermächtigung zum Erlass neuer Guidelines vom Court of
Appeal auf den neu geschaffenen Sentencing Guidelines Council übertragen. Mit der
Etablierung des Kommissionsmodells71 sollte die Aufstellung der Richtlinien von der
Rechtsprechung des Court of Appeal gelöst werden, um nicht länger von dessen
spruchrichterlicher Befassung abhängig zu sein.72
Mit dem Coroners and Justice Act 2009 kam es alsdann zu weitreichenden Än-
derungen, u. a. auch im Strafzumessungsrecht. Anlass zu dieser grundlegenden Re-
form gab insbesondere die ab ca. 1995 – auch im internationalen Vergleich – rasant
ansteigende Gefangenenpopulation in England und Wales.73 Durch eine verstärkte
Bindungswirkung74 der Guidelines und die Etablierung des (permanenten, unabhän-
gigen und richterdominierten75) Sentencing Council76 (in Nachfolge des o.g. Senten-
cing Guidelines Council und des Sentencing Advisory Panel) sollte landesweit wie-
der mehr Konstanz, Einheitlichkeit und Transparenz in der Strafzumessung und

67
Kaspar 2018, C83.
68
Ashworth 2015, 23, 38; Wasik 2014, Rn. 2.06.
69
Ashworth & Roberts 2013, 4.
70
So wurde die Berechtigung des Court of Appeal, Guideline Judgements zu erlassen, auf
solche Fälle begrenzt, in denen vorher eine Beratung durch das Sentencing Advisory Panel
stattgefunden hat, s. Ashworth 2015, 23; Wasik 2014, Rn. 2.06; Roberts 2013, 2.
71
Zum Kommissionsmodell vs. den legislativen Ansatz aus rechtsvergleichender Sicht s.
Hörnle 2019, 897 f.
72
Ashworth & Roberts 2013, 4 f.; Wasik 2014, Rn. 2.06.
73
Vgl. Roberts 2019, 193; Roberts & Ashworth 2016, 333, 349 f.; s.a. den der Reform
vorausgegangenen, von der Regierung in Auftrag gegebenen Bericht Carters 2007, 4 f.
74
Vgl. Coroners and Justice Act 2009, sect. 125(1) (a), wonach das Gericht „must …
follow any sentencing guidelines which are relevant to the offender’s case …“. Nach der
früheren Rechtslage musste das Gericht die relevante Guideline berücksichtigen („have re-
gard“) (Criminal Justice Act 2003, sect. 172(1)).
75
Zu Zusammensetzung etc. s. https://www.sentencingcouncil.org.uk/about-us/council-
members/ [20. 10. 2020].
76
Coroners and Justice Act 2009, sect. 118.
658 Kai Ambos

damit auch eine Entlastung der Strafvollzugsanstalten erreicht werden. Dabei sollte
jedoch weder der richterliche Entscheidungsspielraum über Gebühr beschnitten noch
einer „Mathematisierung“ der Strafzumessung Vorschub geleistet werden.77 Dem
Sentencing Council wurde neben der Erarbeitung der eigentlichen Guidelines eine
Fülle neuer Aufgaben übertragen, etwa die Prognostizierung der Auswirkungen
neuer und die Evaluierung bereits existierender Guidelines sowie die Erstellung
eines Jahresberichts mit relevanten statistischen Informationen.78

3.3 Struktur und grundsätzliche Funktionsweise der englischen Guidelines

Der erwähnte Coroners and Justice Act 2009 sieht vor, dass jedem – gesetzlich
kodifizierten oder dem (gewohnheitsrechtlichen) common law entstammenden – De-
likt eine darauf zugeschnittene Strafzumessungsrichtlinie zugeordnet wird; daneben
kann es auch allgemeine Guidelines geben.79 Die Guidelines sind auf der Internetsei-
te des Sentencing Council abrufbar,80 wobei wegen der unterschiedlichen sachlichen
Zuständigkeit zwischen Guidelines für den Magistrates’ und Crown Court unter-
schieden wird.81 Sie gelten solange bis eine neue Guideline zu dem gleichen Delikt
erlassen wird, welche dann die alte Guideline ersetzt.82 Die Neuformulierung durch
den Coroners and Justice Act 2009 verstärkte, wie schon erwähnt,83 die Bindungs-
wirkung der Guidelines.84 Ein Gericht kann jedoch von der Anwendung der einschlä-
gigen Guideline abweichen, sofern es dies aus „Interessen der Gerechtigkeit“ für ge-
boten hält;85 dies kommt aber in der Praxis nur selten vor,86 nicht zuletzt weil es sich
77
Roberts 2013, 3.
78
Vgl. Coroners and Justice Act 2009, sect. 119, 120(9), 123, 127 – 132 sowie https://www.
sentencingcouncil.org.uk/about-us/ [20. 10. 2020]; s. a. Roberts 2013, 3 f.
79
Coroners and Justice Act 2009, sect. 120; zu den allgemeinen (deliktsübergreifenden)
Guidelines s.a. Roberts/Padfield 2020, 45 ff.
80
https://www.sentencingcouncil.org.uk/ [20. 10. 2020].
81
Magistrates’ Courts sind für leichtere Delikte („summary only offences“) ausschließlich
zuständig, Crown Courts für die schwereren „indictable offences“. Eine konkurrierende Zu-
ständigkeit besteht bezüglich Delikten, die „triable either way“ sind, wobei insoweit die
schwereren in die Zuständigkeit des Crown Court fallen, s. Magistrates’ Courts Act 1980 und
Courts Act 1971 (für Crown Court). Es ist allerdings zu beachten, dass alle Delikte im Ma-
gistrates’ Court beginnen und nur einige wenige nach den Eingangsplädoyers zum Crown
Court gelangen; mehr als 90 % der Fälle beginnen und enden im Magistrates’ Court, vgl.
https://www.judiciary.uk/you-and-the-judiciary/going-to-court/magistrates-court/ [20. 10. 2020]
sowie Leake et al. 2019, 341 ff.
82
Roberts 2013, 4 f.; Ashworth & Roberts 2013, 5 f.
83
Oben Fn. 74.
84
Roberts & Ashworth 2016, 307 („statutorily binding“).
85
Coroners and Justice Act 2009, sect. 125(1) a.E.: „unless the court is satisfied that it
would be contrary to the interests of justice to do so“. S. auch Roberts & Ashworth 2016, 337.
86
Vgl. den Crown Court Sentencing Survey, abrufbar unter: https://www.sentencingcoun
cil.org.uk/wp-content/uploads/CCSS-Annual-2014.pdf [20. 10. 2020]. Danach liegen nur 3 %
der im Jahr 2014 wegen Körperverletzungsdelikten und Einbruchsdiebstählen ausgesproche-
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 659

bei „Interessen der Gerechtigkeit“ um ein unbestimmtes, normatives Kriterium han-


delt.87
Was die konkrete Anwendung der Guidelines angeht, so sind neun Schritte vor-
gesehen, die charakteristisch für die Struktur jeder (deliktsspezifischen) Guideline
sind88 und von dem aburteilenden Gericht in der festgelegten Reihenfolge abzuarbei-
ten sind:
(1) Der erste Schritt betrifft die (dreistufige) Kategorisierung der jeweils angeklag-
ten Tat nach Schweregraden („offence categories“) anhand von tatspezifischen,
in der jeweiligen Richtlinie genannten Faktoren. Während es sich bei der ersten
Kategorie um Taten handelt, durch die (erfolgsunrechtlich) ein großer Schaden
(harm) verursacht wurde und deren Begehung (handlungsunrechtlich)89 ein
hohes Maß an Schuld (culpability) auf Täterseite impliziert, sind für Taten
der zweiten Kategorie ein hoher Schaden oder Schuldgehalt erforderlich;90
Taten der dritten Kategorie zeichnen sich durch einen niedrigen Schaden und ge-
ringe Schuld aus. Jeder Kategorie wird von der entsprechenden Richtlinie eine
bestimmte Ausgangsstrafe und ein Strafrahmen zugeordnet (mit abnehmender
Tendenz von der ersten zur dritten Deliktskategorie).91
(2) Im zweiten Schritt hat das Gericht ausgehend von der für die entsprechende De-
liktskategorie vorgegebenen Ausgangsstrafe („starting point“) strafschärfende
sowie -mildernde Umstände zu berücksichtigen. Dafür hat es sich ebenfalls
an tat- oder täterspezifischen, von der jeweiligen Guideline bereitgestellten Fak-
toren zu orientieren. Diese haben jedoch keinen abschließenden Charakter und
das Gericht kann bei besonderen Umständen vom vorgeschriebenen Strafrah-
men („category range“) abweichen und einen anderen Strafrahmen anwenden.92
Diese ersten beiden – besonders wichtigen – Schritte werden unten (3.4) anhand
einer vollendeten Körperverletzung exemplifiziert.

nen Strafen außerhalb der von den Guidelines vorgegebenen Strafrahmen (39, 41). Bei der
Bestrafung von Betäubungsmitteldelikten wurde im gleichen Zeitraum in nur 2 % aller Fälle
von den Vorgaben der Guidelines abgewichen (42). Vgl. auch Ashworth 2015, 31; Roberts
2019, 221.
87
Vgl. Ashworth 2015, 31; Roberts 2012, 439 ff. – Zur Bedeutung des identischen Krite-
riums im Völkerstrafprozessrecht (Art. 53 (1) (c) Statut des Internationalen Strafgerichthofs)
vgl. Ambos 2016, 387 ff.
88
Ich folge hier der – gleichermaßen für Magistrates’ und Crown Court geltenden –
Guideline zu „Assault occasioning actual bodily harm / Racially or religiously aggravated
ABH“; https://www.sentencingcouncil.org.uk/offences/magistrates-court/item/assault-occasion
ing-actual-bodily-harm-racially-religiously-aggravated-abh/ [20. 10. 2020].
89
Zur erfolgs-/handlungsunrechtlichen Parallele s. Hörnle 2019a, 289.
90
„Greater harm … and lower culpability; or lesser harm and higher culpability“, s. As-
sault Guideline, o. Fn. 88, Herv. im Original.
91
Roberts 2013, 6; Ashworth 2015, 24 f.
92
Ashworth 2015, 25 f.; Roberts 2013, 6 ff.
660 Kai Ambos

(3) Schritt drei bezieht sich auf etwaiges kooperatives Nachtatverhalten, das (ähn-
lich wie bei § 46b StGB)93 strafmildernd berücksichtigt wird.94
(4) Die strafzumessungsrechtlichen Auswirkungen eines Geständnisses werden im
vierten Schritt behandelt. Dabei gilt das Prinzip, dass sich ein Geständnis umso
stärker strafmildernd auswirkt, je früher es erfolgt. Insoweit regelt eine spezifi-
sche Guideline,95 dass die Strafe bei einem Geständnis zum frühestmöglichen
Zeitpunkt (i. d. R. die erste Vernehmung) um 1/3 zu reduzieren ist, während
die Ermäßigung bei einem Geständnis zum letztmöglichen (von der Guideline
erfassten) Zeitpunkt (erster Prozesstag) 1/10 beträgt. Bei späteren Geständnissen
hat das Gericht den Strafrabatt weiter entsprechend zu verringern.96
(5) Der fünfte Schritt betrifft die Frage, ob von einem Angeklagten eine besondere
Gefährlichkeit ausgeht,97 die eine Freiheitsentziehung – der deutschen Siche-
rungsverwahrung vergleichbar98 – aus Gründen des Schutzes der Öffentlichkeit
(„imprisonment for public protection“) notwendig macht.99
(6) Der sechste Schritt ruft das „totality principle“ in Erinnerung, wonach bei meh-
reren Taten oder laufender Strafvollstreckung wegen einer früheren Tat bei Bil-
dung der Gesamtstrafe („total sentence“) in besonderem Maße darauf zu achten
ist, dass diese gerecht („just“) und verhältnismäßig („proportionate“) ist.100
(7) In Schritt sieben hat das Gericht ggf. eine Entschädigung des Opfers oder sons-
tige Maßnahmen anzuordnen.101
(8) Im achten Schritt soll das Gericht die konkrete Strafe begründen und ihre Wir-
kungen erklären, was auch organisatorische Einzelheiten der Verbüßung und
vorzeitigen Haftentlassung einschließt.102
(9) Im neunten Schritt ist etwaige schon in U-Haft verbüßte oder auf Kaution ver-
brachte Zeit anzurechnen.103

93
Dazu nun eingehend Ambos 2020a, 24 ff.
94
Ashworth 2015, 26, 188 f.; Roberts 2013, 10.
95
„Reduction in sentence for a guilty plea – first hearing on or after 1. June 2017“; https://
www.sentencingcouncil.org.uk/overarching-guides/magistrates-court/item/reduction-in-sent
ence-for-a-guilty-plea-first-hearing-on-or-after-1-june-2017/ [20. 10. 2020].
96
Ashworth 2015, 26, 179 ff.; Roberts 2013, 10.
97
Zu den Gefährlichkeitskriterien vgl. Criminal Justice Act 2003, Part. 12, Chapter 5.
98
Wobei allerdings das englische Recht kein vikariierendes System mit der Unterschei-
dung schuldabhängiger Strafen und schuldunabhängiger Maßregeln der Besserung und Si-
cherung kennt.
99
Ashworth 2015, 26, 237 f.
100
Ashworth 2015, 26, 279 f.
101
Ashworth 2015, 26, 377 ff.
102
Diese Aufklärungspflicht wurde durch den Criminal Justice Act 2003, sect. 174 einge-
führt; dazu Ashworth 2015, 27, 435 ff.
103
Ashworth 2015, 27.
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 661

3.4 Beispiel: vollendete Körperverletzung

Zur Veranschaulichung sollen im Folgenden die besonders wichtigen ersten bei-


den Schritte des beschriebenen Strafzumessungsprogramms anhand der Guideline104
für das sehr praxisrelevante Delikt einer vollendeten Körperverletzung („assault oc-
casioning actual bodily harm“) dargestellt werden.
Zunächst (erster Schritt) ist die Tat mit Blick auf die Schwere des durch sie ver-
ursachten Schadens und der Schuld des Täters einer der drei oben genannten Kate-
gorien zuzuordnen. Die Guideline nennt und erläutert Faktoren, die Art und Maß von
Schaden und Schuld „indizieren“ („factors indicating …“). Von einem hohen Scha-
den ist etwa auszugehen, wenn das Opfer ernsthafte Verletzungen erleidet oder über
einen längeren Zeitraum misshandelt wird. Eine geringere Schuldschwere wird bei-
spielsweise durch ein besonders provokatives Verhalten des Opfers105 oder psychi-
sche Störungen des Täters indiziert.
Nach der Kategorisierung erfolgt im zweiten Schritt eine erste (vorläufige) Be-
stimmung der Strafhöhe. Dafür hat sich das Gericht an der von der Guideline für
jede Kategorie bereitgestellten Ausgangsstrafe („starting point“) und dem Strafrah-
men („category range“) zu orientieren. Die hier zugrunde gelegte Assault Guideline
sieht insoweit Folgendes vor:
Kategorie
Ausgangsstrafe Strafrahmen
der Tat
1 Jahr und 6 Monate
1 1 bis 3 Jahre Freiheitsstrafe
Freiheitsstrafe
Niedrige („low level“) „community order“106
2 26 Wochen Freiheitsstrafe
bis 51 Wochen Freiheitsstrafe
Mittlere („medium level) Geldstrafe („fine“) bis hohe („high level“)
3
„community order“ „community order“

Die von der Kategorie abhängige Ausgangsstrafe wird anschließend unter Be-
rücksichtigung erschwerender oder mildernder tat- bzw. täterbezogener Umstände
innerhalb des entsprechenden Strafrahmens justiert. Dafür sehen die Guidelines
eine – allerdings nicht abschließende – Liste von Faktoren vor, deren Vorliegen
eine Anpassung der Ausgangsstrafe entweder nach oben oder unten indiziert. Straf-

104
Vgl. schon o. Fn. 88.
105
„A greater degree of provocation than normally expected“, s. Guideline, o. Fn. 88.
106
Als „community order“ wird eine Sanktion bezeichnet, die ihrer Intensität nach zwi-
schen Geld- und Freiheitsstrafe einzuordnen ist. Dabei kann das Gericht aus einer Vielzahl von
Sanktionsmöglichkeiten (etwa gemeinnützige Arbeit, Hausarrest oder Aufenthaltsverbot)
wählen, denen der Gedanke einer (gesellschaftlichen) Schadenswiedergutmachung gemein-
sam ist. Darüber hinaus ist auch eine Kombination von community order und Geldstrafe
möglich. Vgl. die (allg.) Guideline zur Verhängung von „community orders“ und Freiheits-
strafen; https://www.sentencingcouncil.org.uk/overarching-guides/magistrates-court/item/impo
sition-of-community-and-custodial-sentences/ [20. 10. 2020].
662 Kai Ambos

schärfend wirken sich etwa einschlägige Vorstrafen, die Tatbegehung an bestimmten,


besonders schützenswerten Orten wie Schulen oder Krankenhäusern oder eine be-
sondere Erniedrigung des Opfers aus. Strafmildernd ist beispielsweise eine bisher
straffreie Lebensführung, (glaubhafte) Reue oder die Bereitschaft zur Durchführung
einer Therapie zu bewerten. Unter Beachtung aller relevanten Umstände erfolgt auf
diese Weise die Modellierung der Ausgangsstrafe der jeweiligen Kategorie mit Blick
auf den ihr zugeordneten Strafrahmen. In den oben beschriebenen Schritten drei bis
neun nimmt das Gericht dann die weitere Präzisierung der provisorischen hin zur
endgültigen Strafe vor.

4. (Vorläufige) Schlussfolgerungen
Ein Vergleich der untersuchten Assault Guideline mit dem deutschen Pendant der
vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB zeigt die grundsätzliche
Überlegenheit des englischen Ansatzes mit Blick auf Vorhersehbarkeit bzw. Be-
stimmbarkeit der konkreten Strafe und Nachvollziehbarkeit des Strafzumessungs-
akts. Während der Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB (von Geldstrafe bis zu fünf
Jahren Freiheitsstrafe) den Rechtsunterworfenen bei der Einschätzung der konkreten
Strafhöhe weitgehend im Unklaren lässt, kann er anhand der Assault Guideline re-
lativ genau die zu erwartende Strafe bestimmen. Auch die hiesige tatrichterliche
Strafzumessungsbegründung107 kompensiert das Erklärungsdefizit des konkreten
Strafzumessungsvorgangs nicht. Sie erfolgt zum einen erst nach der Aburteilung
im Rahmen der (mündlichen) Urteilsbegründung und erschöpft sich zum anderen re-
gelmäßig in der Nennung weniger Kriterien, im Falle vorsätzlicher Körperverletzung
etwa des Einlassungsverhaltens oder des Vorliegens von Vorstrafen.108 Damit bleibt
der Strafzumessungsvorgang für den Rechtsunterworfenen wie schon zu von Liszts
Zeiten eine „black box“ („Griff ins Dunkle“); er kann nicht nachvollziehen, wie das
Gericht angesichts des weiten Strafrahmens gerade zu dem konkreten Strafausspruch
gekommen ist.
Demgegenüber ermöglicht das englische Modell eine systematische und logische
Subsumtion unter einen bestimmten Strafzumessungssachverhalt anhand der ein-
schlägigen Deliktsrichtlinie („Offence Guideline“) und zwar schon vor Aburteilung
über die leicht zugängliche und erschließbare Website des Sentencing Council. Der
eigentliche richterliche Strafzumessungsakt wird dadurch ebenfalls (leichter) nach-
vollziehbar. Alles in allem erweist sich demnach das englische Strafzumessungssys-
tem – trotz der relativ hohen Ausgangsstrafen109 – durchaus als Modell, das auch hier-
zulande größere Beachtung und eine gründliche(re) Untersuchung verdient.110

107
Vgl. Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1352 ff.
108
Kaspar 2014, 833.
109
Die Ausgangsstrafen liegen in der Regel über den deutschen Mindeststrafen, vgl. z. B.
§ 223 StGB (Geldstrafe oder ein Monat Freiheitsstrafe, § 38 Abs. 2 StGB) und die Assault
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 663

Literaturverzeichnis

Abrams, N., Beale, S.S. & Klein, S.R. (2015): Federal Criminal Law and Its Enforcement.
6. Aufl. Saint Paul.
Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafe. Berlin.
Albrecht, H.-J. (1989): Die Entwicklung des Strafzumessungsrechts im internationalen Ver-
gleich, in: W. Melnizky & O.F. Müller (Hrsg.), Strafrecht, Strafprozessrecht und Krimino-
logie. Wien, S. 11 – 30.
Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: C. Safferling, G. Kett-
Straub, C. Jäger & H. Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Hei-
delberg, S. 185 – 199.
Ambos, K. (2016): Treatise on International Criminal Law. Volume III. International Criminal
Procedure. Oxford.
Ambos, K. (2019): Nationalsozialistisches Strafrecht. Baden-Baden.
Ambos, K. (2020): Strafzumessung/Sentencing – Angloamerikanische und deutsche Einblicke/
Anglo-American and German Insights. Göttingen.
Ambos, K. (2020a): Die Kronzeugenregelung in Deutschland. Zeitschrift für die gesamte Straf-
rechtswissenschaft 132, S. 24 – 55.
Ashworth, A. (2015): Sentencing and Criminal Justice. 6. Aufl. Cambridge.
Ashworth, A. & Roberts, J.V. (2013): The Origins and Nature of the Sentencing Guidelines in
England and Wales, in: A. Ashworth & J.V. Roberts (Hrsg.), Sentencing Guidelines – Explor-
ing the English Model. Oxford, S. 1 – 13.
Beale, S.S. (1995): Too Many and Yet Too Few: New Principles to Define the Proper Limits for
Federal Criminal Jurisdiction. Hastings Law Journal 46/4, S. 979 – 1018.
Berger, B. (2020): Richterliches Ermessen und der Aufstieg der Individualisierung – Der kana-
dische Strafzumessungsansatz, in: K. Ambos (Hrsg.), Strafzumessung/Sentencing – Anglo-
amerikanische und deutsche Einblicke/Anglo-American and German Insights. Göttingen,
S. 191 – 225.
Bung, J. (2018): Strafgesetzgebung und Strafgerechtigkeit im materiellen Strafrecht, in:
B. Zabel (Hrsg.), Strafrechtspolitik. Baden-Baden, S. 181 – 194.
Carter, P.R. (2007): Securing the Future – Proposals for Efficient and Sustainable Use of Cus-
tody in England and Wales. London.

Guideline (26 Wochen Freiheitsstrafe bei Taten der Kategorie 2, allerdings nur „community
order“ bei Kategorie 3 Taten, s. Tabelle im Haupttext); vgl. auch Hörnle 2019, 906. Zu
beachten ist auch, dass die Ausgangsstrafen innerhalb der vorgegebenen Schrittfolge noch
nach oben oder unten angepasst werden, so dass sich auch wesentlich geringere Strafen er-
geben können.
110
Eine solche Untersuchung wird in meiner Göttinger Abteilung von Eric Armbrecht
durchgeführt.
664 Kai Ambos

Dreher, E. (1961): Anmerkung zu OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 08. 1960 – 1 Ss 348/60. Monats-
schrift für Deutsches Recht, S. 343 – 344.
Dubs, H. (1963): Analytische Bewertung als Grundlage richterlicher Strafzumessung, in: Juris-
tische Fakultät der Universität Basel & Basler Juristenverein (Hrsg.), Festgabe zum Schwei-
zerischen Juristentag. Basel, S. 9 – 23.
Eschelbach, R. (2019): Kommentierung zu § 46 StGB, in: H. Satzger & W. Schluckebier
(Hrsg.), Strafgesetzbuch Kommentar. 4. Aufl. Köln.
Exner, F. (1931): Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte. Leipzig.
Fischer, T. (2020): Strafgesetzbuch Kommentar. 67. Aufl. München.
Frase, R.S. (2019): Forty Years of American Sentencing Guidelines: What Have We Learned?
Crime and Justice 48/1, S. 79 – 135.
Freixo, I. (2020): Bericht über das Kolloquium: Sentencing/Strafzumessung – Comparative In-
sights, in: K. Ambos (Hrsg.), Strafzumessung/Sentencing – Angloamerikanische und deut-
sche Einblicke/Anglo-American and German Insights. Göttingen, S. 321 – 327
Freund, G. (1999): Straftatbestand und Rechtsfolgenbestimmung. Goltdammer’s Archiv für
Strafrecht, S. 509 – 538.
Frisch, W. (2003): Maßstäbe der Tatproportionalität und Veränderungen des Sanktionenni-
veaus, in: W. Frisch, A. von Hirsch & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Tatproportionalität. Heidelberg,
S. 155 – 184.
Fünfsinn, H., Kilian, I. & Mosbacher A. (2019): Sitzungsbericht über die Verhandlungen der
Abteilung Strafrecht, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhand-
lungen des 72. Deutschen Juristentages Band II/1. München, S. M1–M67.
Giannoulis, G. (2014): Studien zur Strafzumessung. Tübingen.
Götting, B. (1997): Gesetzliche Strafrahmen und Strafzumessungspraxis. Frankfurt am Main.
Grassberger, R. (1932): Die Strafzumessung. Wien.
Grosse-Wilde, T. (2019): Brauchen wir ein neues Strafzumessungsrecht? Zeitschrift für Inter-
nationale Strafrechtsdogmatik 14/2, S. 130 – 143.
Grundies, V. (2016): Gleiches Recht für alle? – Eine empirische Analyse lokaler Unterschiede
in der Sanktionspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, in: F. Neubacher & N. Bögelein
(Hrsg.), Krise – Kriminalität – Kriminologie. Mönchengladbach, S. 511 – 525.
Haag, K. (1970): Rationale Strafzumessung. Köln.
Hassemer, W. (1978): Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung. Zeitschrift für die
gesamte Strafrechtswissenschaft 90, S. 64 – 99.
Heinz, W. (1992): Strafzumessungspraxis im Spiegel der empirischen Strafzumessungsfor-
schung, in: J.-M. Jehle (Hrsg.), Individualprävention und Strafzumessung. Wiesbaden,
S. 85 – 149.
Hester, R. (2020): Sentencing in US-American Jurisdictions, in: K. Ambos (Hrsg.), Strafzumes-
sung/Sentencing – Angloamerikanische und deutsche Einblicke/Anglo-American and Ger-
man Insights. Göttingen, S. 151 – 182.
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 665

Horn, E. & Wolters, G. (2016): Kommentierung zu § 46 StGB, in: J. Wolter (Hrsg.), Systema-
tischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 2. 9. Aufl. Köln.
Hörnle, T. (1999): Tatproportionale Strafzumessung. Berlin.
Hörnle, T. (2019): Comparative Assessment of Sentencing Laws, Practices, and Trends, in:
D.K. Brown, J.I. Turner & B. Weisser (Hrsg.), The Oxford Handbook of Criminal Process.
New York, S. 887 – 909.
Hörnle, T. (2019a): Zur Lage der Strafzumessung in Deutschland. Goltdammer’s Archiv für
Strafrecht, S. 282 – 295.
Hoven, E. (2018): Die öffentliche Wahrnehmung von Strafzumessungsentscheidungen – Anlass
für Reformen? Kriminalpolitische Zeitschrift 5, S. 276 – 290.
Hupfeld, J. (1999): Richter- und gerichtsbezogene Sanktionsdisparitäten in der deutschen Ju-
gendstrafpraxis. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 82, S. 342 – 358.
Jescheck, H.H. & Weigend, T. (1996): Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil. 5. Aufl. Berlin.
Kaspar, J. (2014): Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht.
Baden-Baden.
Kaspar, J. (2018): Sentencing Guidelines versus freies tatrichterliches Ermessen – Brauchen
wir ein neues Strafzumessungsrecht?, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages
(Hrsg.), Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages, Band I. München, S. C1–C129.
Kinzig, J. (2019): Kommentierung zu § 46 StGB, in: A. Schönke & H. Schröder (Hrsg.), Straf-
gesetzbuch Kommentar. 30. Aufl. München.
Klein, S.K. & Grobey, I.B. (2012): Debunking Claims of Over-Federalization of Criminal Law.
Emory Law Journal 62/1, S. 1 – 120.
Körner, H.H., Patzak, J., Volkmer, M. & Fabricius, J. (2019): Betäubungsmittelgesetz. 9. Aufl.
München.
Kudlich, H. & Koch, J. (2018): Das Ringen um die richtige Strafzumessung. Neue Juristische
Wochenschrift 71/38, S. 2762 – 2766.
Langer W. (1994): Staatsanwälte und Richter – Justitielles Entscheidungsverhalten zwischen
Sachzwang und lokaler Justizkultur. Baden-Baden.
Leake, S., Branston, G., Carter, W., Ikram, T., Mccormag, K., Rai, H., Shay, S., Stockdale, M. &
Cowen, L. (2019): Archbold Magistrates’ Courts Criminal Practice 2020. 16. Aufl. London.
Lewrenz, H., Bochnik, H.J., Broszio, E., Donike, H., Pittrich, W. & Wilbrand, K. (1968): Die
Strafzumessungspraxis bei Verkehrsdelikten in der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg.
Liszt, F. von (1905): Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge. Erster Band. Berlin.
Maier, S. (2020): Kommentierung zu § 46 StGB, in: W. Joecks & K. Miebach (Hrsg.), Münche-
ner Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 2. 4. Aufl. München.
Maurer, M. (2005): Komparative Strafzumessung. Berlin.
Meier, B.-D. (2011): Regionale Justizkulturen in der Strafrechtspraxis – ein Problem für den
Rechtsstaat?, in: A. Dessecker & R. Egg (Hrsg.), Justizvollzug und Strafrechtsreform im
Bundesstaat. Wiesbaden, S. 31 – 49.
Meier, B.-D. (2019): Strafrechtliche Sanktionen. 5. Aufl. Berlin.
666 Kai Ambos

Mezger, E. (1938): Die Straftat als Ganzes. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
57, S. 675 – 701.
Pfeiffer, C. & Savelsberg, J.J. (1989): Regionale und altersgruppenbezogene Unterschiede der
Strafzumessung, in: C. Pfeiffer & M. Oswald (Hrsg.), Strafzumessung. Stuttgart, S. 17 – 41.
Radtke, H. (2018): Begrenzungen tatrichterlicher Strafzumessung? Deutsche Richterzeitung
96, S. 250 – 253.
Radtke, H. (2019): Eröffnung der Verhandlungen der Abteilung Strafrecht, in: Ständige Depu-
tation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages
Band II/1. München, S. M7–M10.
Radtke, H. (2020): Vorbemerkung zu § 38 StGB, in: W. Joecks & K. Miebach (Hrsg.), Mün-
chener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 2. 4. Aufl. München.
Reichert, C. (1999): Intersubjektivität durch Strafzumessungsrichtlinien. Berlin.
Reiz, K.R. (2001): The Disassembly and Reassembly of U.S. Sentencing Practices, in: M. Tonry
& R.S. Frase (Hrsg.), Sentencing and Sanctions in Western Countries. Oxford, S. 222 – 258.
Roberts, J.V. (2012): Points of Departure: Reflections on Sentencing Outside the Definitive
Guidelines Ranges. Criminal Law Review 6, S. 439 – 448.
Roberts, J.V. (2013): Sentencing Guidelines in England and Wales: Recent Developments and
Emerging Issues. Law and Contemporary Problems 76/1, S. 1 – 26.
Roberts, J.V. (2019): The Evolution of Sentencing Guidelines in Minnesota and England and
Wales. Crime and Justice 48, S. 187 – 253.
Roberts, J.V. & Ashworth, A. (2016): The Evolution of Sentencing Policy and Practice in Eng-
land and Wales, 2003 – 2015. Crime and Justice 45, S. 307 – 358.
Roberts, J.V. & Padfield, N. (2020): Strafzumessung in England und Wales, in: K. Ambos
(Hrsg.), Strafzumessung/Sentencing – Angloamerikanische und deutsche Einblicke/
Anglo-American and German Insights. Göttingen, S. 33 – 58.
Schäfer, G., Sander, G.M. & van Gemmeren, G. (2017): Praxis der Strafzumessung. 6. Aufl.
München.
Schiel, J. (1969): Unterschiede in der deutschen Strafrechtsprechung. Hamburg.
Schöch, H. (1973): Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz. Stuttgart.
Scott, B. (2011): United States v. Booker: System Failure or System Fix? University of Penn-
sylvania Law Review Online 160/1, S. 195 – 208.
Stratenwerth, G. (1972): Tatschuld und Strafzumessung. Tübingen.
Streng, F. (1984): Strafzumessung und relative Gerechtigkeit. Heidelberg.
Streng, F. (2012): Strafrechtliche Sanktionen. 3. Aufl. Stuttgart.
Streng, F. (2017): Kommentierung zu § 46 StGB, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeff-
gen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Band 1. 5. Aufl. Baden-Baden.
Timm, F. (2012): Gesinnung und Straftat. Berlin.
Tonry, M. (2013): Sentencing in America, 1975 – 2015. Crime and Justice 42, S. 141 – 199.
Einheitlichere u. transparentere Strafzumessung durch Strafzumessungsrichtlinien? 667

Uphoff, R. (1998): Die deutsche Strafzumessungspraxis unter dem Blickwinkel amerikanischer


Strafzumessungsrichtlinien. Bielefeld.
Verrel, T. (2013): Die normative Kraft des Faktischen, in: M.A. Zöller, H. Hilger, W. Küper &
C. Roxin (Hrsg.), Gesamte Strafrechtswissenschaft in internationaler Dimension. Berlin,
S. 799 – 813.
Verrel, T. (2018): Brauchen wir eine neues Strafzumessungsrecht? Juristenzeitung 73/17,
S. 811 – 815.
Wasik, M. (2014): A Practical Approach to Sentencing. 5. Aufl. Oxford.
Woerner, O. (1907): Die Frage der Gleichmäßigkeit der Strafzumessung im deutschen Recht.
München.
Comparing Sentencing for Robbery
with “Strafzumessung für Raub”
By Stephan S. Terblanche*

1. Introduction
It is a safe assumption that robbery exists, as a crime, in virtually every legal sys-
tem. Very broadly spoken, it is a crime that consists of the forceful taking of another
person’s property. Robbery is often regarded as one of the more serious crimes that
can be committed. Such seriousness is then reflected in the severity of the sentence
imposed on the robber. However, not all robberies are equally serious.
What factors determine that one robbery is more or less serious than another?
From a South African perspective, the answer to this question is far from certain.
This uncertainty exists even though robbery is prevalent – in other words, there is
much potential in South African criminal justice to provide a more certain answer.
This contribution explains how South African courts approach sentencing for rob-
bery. It starts by briefly discussing the definition of robbery and then moves to prin-
ciples governing sentencing in South Africa in general, and the sentencing of robbery
in particular.1 I then briefly discuss the same subject matter in German law. Finally,
the contribution analyses the most pressing issues afflicting sentencing in South Af-
rica and, in this process, contrast the legal principles that are in place in Germany. I
close by briefly explaining Hans-Jörg Albrecht’s connection to the above-mentioned
considerations.

* The research in this contribution was made possible with the financial assistance of the
Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law, Freiburg, Germany, which is
hereby gratefully acknowledged. The views expressed in the article are those of the author and
cannot be attributed to the aforementioned Institute.
1
It should be noted that this contribution deals with the sentencing of adult offenders
only – child offenders are dealt with in terms of the Child Justice Act 75 of 2008.
670 Stephan S. Terblanche

2. South African Law on Robbery


2.1 The Crime of Robbery: a Common-Law Offence

It is important to note that South Africa does not have a criminal code. Many of the
more common offences are governed by common law which, in the case of criminal
law, is Roman-Dutch law. Robbery is a good example of this position – it is not de-
fined as a crime in any legislation. Instead, its elements come from common law, as
interpreted in the judgments of our courts. Little controversy remains about these el-
ements, although technological advances may create new problems, as they do in any
legal system.
Essentially, robbery amounts to theft of property, committed by means of violence
or threats of violence.2 A more detailed definition reads as follows:3
“Robbery consists in theft of property by unlawfully and intentionally using:
(a) violence to take the property from somebody else; or
(b) threats of violence to induce the possessor of the property to submit to the taking of the
property.”

The violence can be slight – the victim need not suffer any injuries.4 However,
there must be a causal link between the violence and the taking of the property.5

2.2 More and Less Serious Cases of Robbery

South African criminal law does not distinguish different grades of robbery, de-
spite the fact that robbery can range from a rather petty offence (property of very little
value is taken with the slightest threat of violence) to gravely serious crime (an or-
ganised and armed gang takes millions of Rands with much violence, including the
use of explosives or military weapons).
The Criminal Procedure Act 51 of 1977 contains a definition for “robbery with
aggravating circumstances”. Such robbery involves the “wielding of a firearm or
any other dangerous weapon” or the infliction or threat of “grievous bodily
harm”.6 This definition does not create a new offence, which remains the com-
mon-law offence of robbery.7 Originally, the definition was limited to describing cir-

2
Snyman 2014, 508. See also, generally, S v Mokoena 1975 (4) SA 295 (O); S v Macdonald
1980 (2) SA 939 (A).
3
Snyman 2014, 508.
4
Snyman 2014, 508.
5
Snyman 2014, 509. The facts of a case can complicate the search for such connection – cf
S v Moloto 1982 (1) SA 844 (A).
6
Section 1 of the Act.
7
Cf S v Moloto 1982 (1) SA 844 (A).
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 671

cumstances under which the death penalty could be imposed for robbery.8 When the
death penalty was declared unconstitutional,9 it became almost irrelevant, until resus-
citated by the minimum sentences legislation – this is discussed in more detail
below.10

2.3 General Principles of Sentencing for Common-Law Offences

As with other common-law offences, the definition of robbery is not accompanied


with any prescribed penalty or other penalty clause. The legality principle is, how-
ever, satisfied by the general principles applicable in these situations, which limits
both the kinds of sentences that may be imposed and the duration (or quantum) of
such sentences.11 No court may just impose whatever sentence it wants, at its own
whim. And, as can be expected from a country with a common-law legal system,
a well-developed scheme of appeals and reviews ensures some consistency regarding
the kinds and lengths of sentences imposed.12
The kinds of sentences that may be imposed are listed in section 276(1) of the
Criminal Procedure Act. For serious crime, such as robbery, imprisonment is by
far the commonest sentence, but other possibilities include sentences such as fines
and correctional supervision.
The court imposing sentence must also determine the extent of any sentence. Dif-
ferent courts have different powers in this regard. Because of these different powers,
the majority of robbery trials take place in regional magistrates’ courts, but the pros-
ecuting authority may bring a suspected robber before any of the trial courts.13 These
trial courts are the magistrates’ courts (consisting of district courts and regional
courts) and the high courts. A district court may impose up to three years’ imprison-
ment and regional court up to 15 years’ imprisonment.14 These powers apply per sin-
gle charge and, therefore, get multiplied by the number of charges involved.15 No leg-
islation expressly limits the sentencing powers of the high courts.16

8
Hiemstra 1987, 7, 629 – 630.
9
In S v Makwanyane 1995 (2) SACR 1 (CC).
10
See 2.4.
11
Director of Public Prosecutions, Western Cape v Prins 2012 (2) SACR 183 (SCA).
12
Cf Terblanche 2016, 133. The main principle regarding appeal against sentences is that
it, “is trite that sentencing is pre-eminently the domain of the trial court. … The appeal court
can interfere with the sentence of the court a quo if it is inappropriately severe to the extent that
it induces a sense of shock” or if the trial magistrate or judge misdirect themselves regarding
the law or the facts – S v Matewane 2013 JDR 2755 (GNP), para [16].
13
Cf S v Sehoole 2015 (2) SACR 196 (SCA), para [10].
14
Section s 92(1)(a) of the Magistrates Courts Act 32 of 1944.
15
Terblanche 2016, 17.
16
Joubert 2017, 45. The Constitution of the Republic of South Africa, 1996 provides for
the judicial authority and its different courts in ch 8.
672 Stephan S. Terblanche

Judge-made law determines the principles that govern which sentence to impose
in a particular case. The general principles have been summarised in S v Zinn:17
“What has to be considered is the triad consisting of the crime, the offender and
the interests of society”. In addition, the courts are expected to consider the purposes
of punishment, namely retribution, deterrence, prevention and rehabilitation.18 Over
the years, many commentators have remarked on the vagueness of this basic set of
principles, but it remains in place.19 The vagueness is especially problematic regard-
ing the determination of the seriousness of the crime, which is largely left to the dis-
cretion of the sentencer. There is no refinement to this element, such as that the seri-
ousness of a crime should be determined by its harmfulness and the offender’s blame-
worthiness.20

2.4 Robbery and Minimum Sentences

Legislation plays an increasingly important role in the criminal justice of South


Africa. The Criminal Law Amendment Act 105 of 1997 came into operation on 1
May 1998. Inter alia, it prescribes a variety of minimum and mandatory sentences
for a range of offences.21 Originally intended as a short-term attempt to reduce the
level of serious crime in South Africa,22 it has become a permanent fixture, with
no indication that it is due for replacement.23
Given the topic of this contribution, it is best to explain the operation of this legis-
lation directly in relation to robbery.
The Act prescribes a minimum sentence of 15 years’ imprisonment24 for robbery
“(a) when there are aggravating circumstances; or (b) involving the taking of a motor
vehicle”.25 Our courts have generally, and without much discussion, assumed that this
reference to “aggravating circumstances” is the same as the definition in the Criminal
Procedure Act, in other words, that it refers to robbery when committed with a dan-

17
1969 (2) SA 537 (A) 540G–H.
18
Cf Director of Public Prosecutions, KwaZulu-Natal v P 2006 (1) SACR 243 (SCA), para
[13]; S v Rabie 1975 (4) SA 855 (A), 861.
19
Cf Van der Merwe 1991, 5-1 – 5-4F.
20
The South African Law Commission 2000, para 3.1.4, proposed such a refinement.
21
The sentences are contained in s 51(1) and (2) of the legislation, and the crimes involved
in a series of parts to schedule 2 of the Act.
22
Initially, it would have fallen away automatically after two years, unless reinstated by the
President – cf S v Vilakazi 2009 (1) SACR 552 (SCA), para [9].
23
The Criminal Law (Sentencing) Amendment Act 38 of 2007 repealed the renewal pro-
vision.
24
This minimum is increased to 20 years’ imprisonment for one previous conviction of
aggravated robbery, and to 25 years’ imprisonment for more than one previous conviction –
s 51(2).
25
Item 2 in Part II of Schedule 2 to the Act.
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 673

gerous weapon (including a firearm) or when serious bodily injury is inflicted or


threatened.26
It certainly is problematic that the minimum sentences legislation makes no dis-
tinction whether the robbery is committed with a pocketknife or an AK47 assault
rifle; or whether the taken motor vehicle is a piece of scrap worth R20,000 or a super-
car of R5 million, or whether it is the victim’s only means of transport or not.
Robberies not involving these aggravating circumstances or the taking of a motor
vehicle are not affected by the minimum sentences legislation. For them, the sentence
is determined in accordance with the general principles explained in the previous
paragraph.
The minimum sentences legislation contains an escape clause, which allows a
court to impose a lesser sentence when it is satisfied that there are “substantial
and compelling circumstances” justifying such a lesser sentence.27 Thousands of
pages have been written in courts about the meaning of this phrase, but S v Malgas28
remains the leading authority as to its interpretation. Accordingly, courts should take
the prescribed sentences as point of departure, which should normally be imposed.
Courts should only depart from this sentence when there are “truly convincing rea-
sons” to do so. At the same time, when a departure is required, for example when the
prescribed sentence would be unjust, courts should not hesitate to do so. In this proc-
ess, courts should still apply the general principles, including the triad of Zinn.

2.5 The Sentences Imposed for Robbery

There is no central database of the sentences that are imposed in South Africa. One
of the legal publishers has a database, maintained since 2013, of some sentences, ar-
ranged according to the offence of conviction. It is limited to high court judgments
and, in the case of robbery, mostly following appeals from regional court trials. Most
robbery cases are not, therefore, recorded in this database. Nevertheless, it has some
value, as can be seen from the following tables. They set out the basic sentences, with
the number of such sentences imposed, for ‘common’ robbery (Table 1) and aggra-
vated robbery (Table 2) respectively.

26
S v Fortune 2014 (2) SACR 178 (WCC), para [11].
27
Section 51(3) of the CLA.
28
2001 (1) SACR 469 (SCA).
674 Stephan S. Terblanche

Table 1
‘Common’ Robbery
Sentence Number
Fine (R4000) 129
16 months imp 130
2 years imp 2
3 years imp 2
5 years imp 4
6 years imp 1
7 years imp 231

Table 2
Aggravated Robbery
Sentence Number
3 years imp 1
5 years imp 3
7 years imp 4
8 years imp 8
10 years imp 39
12 years imp 19
13 years imp 4
14 years imp 1
15 years imp 127
16 years imp 2
17 years imp 2
18 years imp 8
20 years imp 9
Total 227

The majority of sentences imposed for aggravated robbery (55.9%) are for 15
years, the prescribed minimum sentence for such robberies.32
It should be reiterated that these numbers are limited to reported judgments, only
since 2013. More severe sentences are imposed. It happened, for example, in S v Msi-

29
S v Ncongwane 2014 JDR 2247 (GP).
30
S v Nogxaza 2014 JDR 1209 (ECB).
31
Two sentences imposed in one case – S v Madlebe 2016 JDR 1576 (GP).
32
This fact confirms the conclusion by Joubert 2008, 168, that courts do not readily depart
from the prescribed minimum sentences.
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 675

manga,33 where an effective sentence of 24 years’ imprisonment was imposed for two
armed robberies involving motor vehicles.

2.6 Practical Examples of the Sentences Imposed

To get a sense how our courts approach the sentencing of robbery, it is important to
look at a few relevant judgments. It should be noted that, although not included in
each discussion, each court would have applied the general sentencing principles,
or the law in connection with the minimum sentences, as set out above.

2.6.1 Common Robbery

In S v Ncongwane,34 the victim was riding his bicycle when harassed by a group of
three men. He ended up in the bushes alongside the road and the attackers left with his
bicycle, backpack and cell phone, all to the value of over R3,000. The district court
convicted the appellant of robbery and imposed a sentence of three years’ imprison-
ment. However, the appeal court replaced the sentence with a fine of R4,00035 or,
alternatively, six months’ imprisonment – it found that the magistrate had not exer-
cised the sentence discretion properly. The appeal court took into account that the
victim had not been injured, that he got back his bicycle and that the appellant
was a 27-year-old first offender and sole breadwinner of his family.
A sentence at the other end of the scale was imposed in S v Madlebe.36 The case
involved two similar robberies that took place about a week apart. In each instance, a
group of three or four people attacked the victim and got away with a cell phone and
cash (from R100 to R1,200). Only the appellant appeared before the court of appeal.
He was convicted of ‘common’ robbery, as there was no evidence of any weapons
being involved. During the trial, the appellant was 29 years old, he had a wife and
children, and stable living conditions. He had various previous convictions, also
for violent crime such as robbery. At the time of the appeal he was unemployed,
being in custody awaiting finalisation of another case. The appeal court imposed
7 years’ imprisonment on each count but ordered the sentences to be served concur-
rently.
It is difficult, if not impossible, to explain the vast difference in sentences imposed
in the two cases discussed above. The violence involved was not much different; the
value of property stolen was, if anything, higher in the first case; there was no mean-
ingful difference in the personal circumstances of the offenders. The second appel-
lant’s previous convictions certainly cannot fully explain the difference.

33
2005 (1) SASV 377 (O).
34
2014 JDR 2247 (GP).
35
In Feb 2020, the exchange rate is about R16,50 to E1.
36
2016 JDR 1576 (GP).
676 Stephan S. Terblanche

2.6.2 Robbery with Aggravating Circumstances

One of the least severe sentences was imposed in S v Matewane.37 One night, as the
victim was walking along a street illuminated by streetlights, a group of five men
attacked him, threatening to stab him with a knife. While assaulting him, they
took his wallet and cell phone, as well as his running shoes. When the assailants start-
ed squabbling amongst themselves, the victim managed to get away. Only the appel-
lant appears to have been convicted, of robbery with aggravating circumstances. His
sentence of three years’ imprisonment was confirmed by the appeal court.
This sentence appears to be completely inconsistent with other sentences imposed
for aggravated robbery, or when compared to S v Madlebe, discussed under “com-
mon” robbery. Normally, an attack by a gang of people, armed with a knife and
then taking items of a substantial value, is a serious matter that should attract a longer
sentence.
In fact, a much longer sentence was imposed in S v Davids.38 The appellant and a
friend came across the victim and, after a brief conversation, produced a knife and
grabbed the victim’s cell phone, telling him to go so that he does not get hurt. The
appellant pleaded guilty to robbery and admitted the aggravating circumstances,
as he had threatened the victim with the knife. The appellant was 27 years old,
and the breadwinner of his family. The trial court found no substantial and compel-
ling circumstances to be present and imposed the prescribed sentence of 15 years’
imprisonment. The appeal court declined to interfere with this judgment.
The prescribed minimum sentences were also imposed in the next two cases. In S v
Mxolisi39 the two appellants (and their co-accused) had firearms when they violently
took R332,000 from a bank. And in S v Mahlamuza,40 the two appellants were part of
a group of five people who attacked an elderly farmer and his wife on their farm. This
group had at least a revolver and a knife amongst them. The victims sustained bruises
and a few lacerations. The police arrived while the robbery was taking place, which
meant no property was actually removed – the value of the property is not mentioned
in the judgment.

2.6.3 Discussion of Practical Examples

It should be clear that sentences for robbery are widely divergent. Many more
practical examples could have been included in this discussion. However, experience
has proven that, far from giving rise to clearer principles, adding more judgments
merely tends to further confuse the issue. Without more specific principles at the
foundation of sentencing, more consistent sentences cannot be expected.
37
2013 JDR 2755 (GNP).
38
2016 JDR 1864 (ECM).
39
2018 JDR 0586 (GJ).
40
2014 JDR 2551 (SCA).
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 677

2.7 Robbery is a Common Crime in South Africa

Just how big a problem is robbery in South Africa? Official crime figures from the
South Africa Police Service (SAPS) provide a starting point for answering this ques-
tion. Just a few sample figures are retained in the table below, but the graph gives the
full picture from 1995 to 2019.41
Table 3
Number of Robberies Reported to the SA Police Service
Year Robbery Robbery
(common) (aggravating)
1995 32,659 84,785
2000 74,711 98,813
2003 101,537 126,905
2004 95,551 133,658
2005 90,825 126,789
2010 56,993 113,200
2015 54,927 129,045
2019 51,765 140,032

41
Data obtained from South African Institute of Race Relations 2019, 846 – 851 and South
African Police Service 2019. https://www.saps.gov.za/services/crimestats.php.
678 Stephan S. Terblanche

As crime rates, in other words per 100,000 of the population, aggravated robberies
average around 200, reaching its peak in 2004 (288) and currently at 244. The rate for
common robbery is much lower and has also fluctuated more. It varied from 84
(1995) to 223 (2003) to the current 89 (2019).
Crime figures published by the SAPS are notoriously unreliable.42 Because of all
kinds of extraneous factors, the police are especially unwilling to officially report less
serious crime. Although the data for aggravated robbery is likely to be fairly accurate,
common robbery must be heavily underreported. Nothing else can explain, first, why
there are fewer common than aggravated robberies and, secondly, the decline in num-
bers for common robbery.
The data in Germany provides an interesting comparison. In the former West Ger-
many, there were 3,684 robberies in 1955, which increased to 20,362 in 1975, 51,154
in 1995 and 57,513 in 1997.43 From 1993, data from the former East Germany was
also included, and robberies in the reunited Germany rose to 69,569 in 1997.44 The
numbers have subsequently stabilised. In 2010 it numbered 48,166 or 59 robberies
per 100,000 of the population.45 According to the latest official data, the total number
of robbery offences have ranged from 48,021 in 2011 to 48,711 in 2012, dropping
consistently since then to 44,666 in 2015, and 36,756 in 2018 (44 per 100,000).46

3. Robbery in German Law


3.1 The Definition of Robbery

The definition of robbery in German law is, in many respects, very similar to that
in South African law. Raub is defined in section 249(I) of the German Criminal Code
(Strafgesetzbuch), in the following terms: “Whoever appropriates movable property
belonging to another with force, or with an equivalent threat of danger to life or limb,
is punishable …”.47 Essentially, it is considered a combination of theft and coercion
(Nötigung).
The Criminal Code describes further “forms” of robbery, such as aggravated rob-
bery48 and robbery leading to death.49 These forms tend to use the definition of Raub

42
See Hosken 2018, including an interview with well-known criminologist Prof Rudolph
Zinn, especially regarding under-reporting.
43
Dölling 1999, 177. Inevitably, these increases caused major concern for the feeling of
security within German society.
44
Schmelz 2002, 22.
45
Bundeskriminalamt 2012, 60.
46
Bundeskriminalamt 2015, 85; Bundeskriminalamt 2018, 37.
47
For a detailed discussion of the details of this provision, cf Mitsch 2015, 492 – 520.
48
Section 250.
49
Section 251.
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 679

in section 249 and then qualify it, typically with certain aggravating circumstances, in
order to associate such conduct with different prescribed sentences.50
As is typical of the approach followed in the Criminal Code and in compliance
with German understanding of the legality principle, the crime definition also serves
to set out the sentence range (der Strafrahmen) for such conduct.51 Accordingly, sec-
tion 249(I) also states that someone who robs another person is punishable with im-
prisonment of not less than a year. This, as with any penalty clause that refers only to
the minimum or the maximum sentence, must be read with section 38(2) of the Crim-
inal Code. In terms of this provision, the maximum duration of determinate impris-
onment is 15 years, and the minimum is 1 month.52 Therefore, the sentence range for
“common” robbery is one to 15 years’ imprisonment.

3.2 Aggravated Robbery

Aggravated robbery amounts to the same conduct as common robbery, but is


qualified by certain specific aggravating factors, mostly involving weapons, for
which increased sentence ranges are prescribed.
The first group of aggravating circumstances is provided for in section 250(I)(1)
and essentially involve situations where the robbers (or their accomplices) equip
themselves with the potential to cause more harm during the robbery – for example,
by carrying “a weapon or other dangerous instrument” or by acting in a manner that
places the victim “in danger of serious harm to his health”. For these offences the
minimum sentence is three years’ imprisonment.53 When, for example, these weap-
ons are actually used, or a victim is severely physically abused, or placed in danger of
being killed, for example, the minimum sentence is further increased to five years’
imprisonment.54
Someone who attacks the “life or limb” of a driver of (or passenger in) a vehicle, in
order to commit robbery, is punishable with imprisonment of at least five years.55 This
crime is considered a more severe form of robbery as drivers are considered more
vulnerable (they have to concentrate on their driving and are often unfamiliar with
their surroundings) and because such attacks negatively impacts traffic safety.56

50
Mitsch 2015, 491 – 492.
51
These ranges are typically quite broad, “thus allowing significant leeway for judicial
sentencing discretion” – Weigend 2001, 189.
52
Cf Gropengieber & Kreicker 2004, 3.
53
Section 250(I).
54
Section 250(II).
55
Section 316a(I). For a discussion of the details of this provision, cf Mitsch 2015, 641 –
671.
56
Fischer 2017, § 316a rn 2.
680 Stephan S. Terblanche

In all these instances, the maximum sentences are 15 years’ imprisonment, as pro-
vided for by section 38(2) of the Criminal Code.

3.3 The Sentence Ranges for the Different Forms of Robbery

Now that it has been explained how the sentence range of each offence is deter-
mined, with some examples, the other offences involving robbery and their sentence
ranges can be summarised. Roughly in order from the highest to the lowest, the sen-
tence ranges for robbery in the German Criminal Code are as follows:
• Robbery (or robbery-like attacks on drivers) leading to death: life imprisonment,
or not less than 10 years’ imprisonment57
• Severe forms of aggravated robbery: 5 – 15 years’ imprisonment58
• Robbery-like attacks on drivers: 5 – 15 years’ imprisonment59
• Aggravated robbery: 3 – 15 years’ imprisonment60
• Simple robbery (and robbery-like theft61): 1 – 15 years’ imprisonment62
• Less severe forms of aggravated robbery: 1 – 10 years’ imprisonment63
• Less severe robbery-like attacks on drivers: 1 – 10 years’ imprisonment64
• Less severe forms of common robbery (and robbery-like theft): 6 months – 5
years’ imprisonment65

3.4 “Less Severe Cases”

As can be seen from the list above, reduced sentence ranges are prescribed for
“less severe cases” (minder schwere Fälle).66 According to the Federal Court of Jus-
tice (Bundesgerichtshof), all circumstances that would appear to make the normal
sentence range inappropriate, can be taken into account when determining whether
a case should be considered less severe.67 This determination involves all factors,68
57
Section 251.
58
Section 250(II).
59
Section 316a(I).
60
Section 250(I).
61
Section 252.
62
Section 249(I).
63
Section 250(III).
64
Section 316a(II).
65
Section 249(II).
66
Schäfer et al. 2017, rn 1100.
67
Judgment of 19. 03. 1975 – 2 StR 53/75.
68
Cf Sander 2017, § 249 rn 76.
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 681

whether relevant to an assessment of the crime or the blameworthiness of the offend-


er; and regardless as to whether it forms an essential part of the crime, or whether it
relates to conduct before or following the crime.69
These less severe cases tend to be unique to each separate crime.70 In case of rob-
bery, for example, Albrecht found that less severe instances of robbery typically in-
volved more than average level of reduced blameworthiness, fewer previous convic-
tions, and less extensive injuries.71

4. Sentencing Robbery:
Comparisons Between South Africa and Germany
There is no doubt that robbery, and especially aggravated robbery, is much more
common in South Africa than in Germany. The question is to what extent, then, there
is any sense in comparing the sentencing systems of these two jurisdictions. In this
section, I attempt to provide an answer to this question.

4.1 The Interests Involved

German law expressly identifies what interests are protected by the crime of rob-
bery. The literature emphasises that robbery is a combination of theft and coercion
(Nötigung), yet an independent crime. As such, robbery protects both legal interests,
namely property and its possession on the one hand, and freedom to decide for one-
self and to act accordingly, on the other.72 This is important for sentencing, as the
extent to which any individual robbery violates each of these interests provides a
point of departure for an appropriate sentence.
Although the same interests underlie the crime of robbery in South Africa, one is
unlikely to see them expressly articulated.73

4.2 The Range of Sentences for Robbery

The range of sentences in South Africa is either virtually unlimited or, in the case
of aggravated robbery, pegged at a single sentence of 15 years’ imprisonment.74 As

69
Fischer 2017, § 46 rn 85; Schäfer et al. 2017 rn 1101.
70
Fischer 2017, § 46 rn 85.
71
Albrecht 1994, 306 – 307.
72
Fischer 2017, § 249 rn 2; Schäfer et al. 2017 rn 1678.
73
Neither of the main South African works on criminal law (Snyman 2016; Burchell 2016)
mentions these interests.
74
This fact applies notwithstanding the increases for previous convictions – see Fn. 24.
682 Stephan S. Terblanche

shown above, this single sentence is the point of departure for criminal acts that can
vary a lot regarding their harm and culpability.
In contrast, in Germany, robbery is accompanied with a range of sentences that
explicitly increases for logical reasons attached to the protected legal interests.
The emphasis is on dangerous means of coercion, which increasingly threatens
the lives of the victims through the use of weapons and the activities of criminal
gangs (or organised crime). This is a far better, in every respect, than the current sit-
uation in South Africa.

4.3 The Basic Principles of Sentencing

Basic sentencing principles of South African law are stuck in the 1960s. While it
requires that the seriousness of the crime, the offender and the interests of society be
taken into account, it is pure coincidence if the blameworthiness of the offender fea-
tures in the application of these principles.
In contrast, the basic principles of sentencing in German law are much better de-
veloped. Because of space constraints, it is impossible to provide more than a brief
exposition of its basic principles.
The starting point is section 46(I) of the Criminal Code, which reads as follows:75
“The offender’s guilt (Schuld) is the basis (Grundlage) for the imposition of punish-
ment. The consequences that the punishment can be expected to have on the offend-
er’s future life in society shall be taken into account.”76 This is followed by section
46(II), where the courts are advised to weigh up all the circumstances that count for or
against the offender. Then follows a list of factors, mostly related to the offender’s
circumstances or blameworthiness,77 which must be taken into account. Much sim-
plified, these factors are (1) the offender’s motive; (2) the offender’s recklessness or
carelessness, and the way in which the crime was committed; (3) whether he acted in
breach of any responsibilities; (4) the consequences of the crime; (5) the offender’s
personal circumstances, including his criminal history; and (6) the offender’s subse-
quent conduct, in particular his efforts at restoration.
Section 46(I) has been subjected to much criticism over the years.78 But the legis-
lation has been heavily supplemented by a substantial body of case law. In terms of
the jurisprudence of the Federal Court of Justice, the foundation for sentencing is the
seriousness of the crime and its implications for the harmed or damaged legal order,

75
It is difficult to reflect the German text into English. For some other attempts, see
Weigend 2001, 204; Bohlander 2012, 179.
76
The second sentence does not have much practical effect on sentencing in courts – it is
generally regarded as referring to considerations of prevention: cf Robbers 2017, 127.
77
Fischer 2017, § 46 rn 25 ff.
78
Cf Streng 2002, 222.
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 683

as well as the personal blameworthiness of the offender.79 This approach accords with
the principle of proportionality (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz), a central principle
in German law.80 The challenge remains to find the proportionality that is required
between crime and punishment.81 The Federal Court of Justice “has therefore in con-
sistent jurisprudence adhered to the so-called Spielraumtheorie or ‘margin model’ –
there is a certain (narrow) margin of adequate and just punishment …”.82 In trans-
forming the facts into a specific sentence, the “[t]rial courts are guided … by tradi-
tional standards and conventions that differ locally”.83
The Federal Court of Justice has also developed the concept of “the offender’s
guilt” in section 46(I). This guilt should be distinguished from the guilt requirement
for criminal liability and is a wider concept, which also includes behaviour before and
after the crime.84 Essentially, it refers to “the extent to which the offender can be
blamed for the crime” – in other words, the offender’s blameworthiness.85

4.4 The Duration of Sentences

The most common sentence for aggravated robbery in South Africa is, as shown
above, 15 years’ imprisonment. This is the same as the maximum sentence for aggra-
vated robbery in German law, but more than the maximum of 10 years’ imprisonment
for a less severe instance of aggravated robbery.
It is also uncommon, in South Africa, to see a sentence for robbery that cannot be
divided by 5 years. In contrast, as is common knowledge in Germany, German courts
impose sentences in relatively small increments, often using months in addition to
years.
A number of research projects have reported the sentences actually imposed for
robbery in German courts. The results are basically as follows:86
• For aggravated robbery, sentences average 44 to 58 months’ imprisonment.
• Less severe instances of aggravated robbery: 26 to 33 months’ imprisonment.
• Common robbery: 19 to 24 months’ imprisonment.
• Less severe instances of common robbery: 16 months’ imprisonment.

79
Cf Albrecht 2001, 140.
80
Robbers 2017, 43.
81
Cf Albrecht 2001, 141.
82
Bohlander 2012, 191. Cf also Fischer 2017, § 46 rn 20.
83
Weigend 2001, 205.
84
Eisele 2014, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. rn 111; Bohlander 2012, 182.
85
Schäfer et al. 2017 rn 575; Bohlander 2012, 177.
86
Albrecht 1994, 279; Hoppenworth 1991, 57 – 61; Schmeltz 2002, 90 – 91.
684 Stephan S. Terblanche

These numbers point towards a mild approach to sentencing, which is generally


true. However, it is also an indication that typical robberies, also in aggravated form,
are far less serious than typical South African cases. Research indicates that senten-
ces for robbery in Germany are not all that mild, compared to the rest of the world.87
German courts impose relatively long terms of imprisonment88 on robbers who use
dangerous weapons and have scant regard for the humanity of victims.

4.5 Multiple Offences

Robbers often repeat their robberies, or are also guilty of other offences, such as
assault or unlawful possession of firearms.89 In such cases, sentencing courts must
impose a sentence for more than one crime, which can quickly result in a “cumulative
effect” – in other words, “that the sum of all the different sentences is simply too high,
too severe, out of proportion to what is deserved by the offender”.90
In South Africa, all that is demanded of the courts is to prevent this cumulative
effect from developing.91 This is a discretionary process, which in theory requires
the court to determine an appropriate sentence for each individual offence, then con-
sider what sentence would be appropriate for the totality of criminal behaviour,
which would then be imposed as the effective sentence.92 Often, the most appropriate
process to achieve this objective is ordering different sentences of imprisonment to be
served concurrently.93
In contrast, German law has a sophisticated arrangement to determine how multi-
ple offences should be dealt with. The point of departure is that a single criminal act
(as expressed by the offender’s will) should also be dealt with procedurally as one,
whereas substantively independent criminal acts should procedurally be treated as
independent.94 The Criminal Code distinguishes, for these purposes, between act uni-
formity (Tateinheit) and act plurality (Tatmehrheit).95 In case of Tateinheit, when the
87
Sentences for robbery in Germany lie within the upper spectrum of international prac-
tices – Vogel 2010, Vor §§ 249 ff rn 81.
88
Albrecht 1994, 279 found that 2% of sentences for aggravated robbery was in excess of
10 years.
89
Cf Hoppenworth 1991, 44: most of the cases in the sample involved several different
crimes (47%), followed by single acts of robbery (40%) and multiple acts of robbery (13%).
90
Terblanche 2016, 198.
91
Cf, e g., S v Muller 2012 (2) SACR 545 (SCA), para [9]; S v Ndlanzi 2014 (2) SACR 256
(SCA), para [48].
92
Terblanche 2016, 198 – 199.
93
In terms of section 280 of the Criminal Procedure Act. Section 39(2)(a)(i) of the Cor-
rectional Services Act 111 of 1998 causes all sentences imposed with life imprisonment
automatically to be served concurrently.
94
Fischer 2017, Vor § 52 rn 1. Cf also, in general, Bohnert 1993, 846 – 870; Reichenbach
2012, 9 – 14.
95
Cf Bohlander 2012, 195.
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 685

same criminal conduct fits the definition of more than one distinct offence, only one
sentence is imposed.96 In such cases, the highest sentence provided for these different
offences determines the upper limit of the Strafrahmen.97 In case of Tatmehrheit,
multiple distinct offences would have been committed, in which event the court
must impose a composite (or aggregate) sentence (Gesamtstrafe).98 In creating a
composite sentence, the court should determine an appropriate sentence for each dis-
tinct offence,99 and then increase the most severe one of these sentences. The com-
posite sentence must be less than the sum of sentences allowed by the different pen-
alty clauses, and it may normally not exceed 15 years’ imprisonment.100 In practice,
the courts will mention the sentences it considers appropriate for the individual of-
fences, but it imposes a single sentence, called the individual sentence (Einzelstrafe).
In its judgment, the court only announces the Gesamtstrafe, which is also the only
sentence that is executed.101

5. Conclusion
The introduction posed the question, “What factors determine that one robbery is
more or less serious than another?” Despite being a common crime in South Africa,
the answer is unclear and largely left within the discretion of the sentencer. This ap-
proach results in much disparity in sentencing, which is not assisted by legislation
that sets a single term of imprisonment of at least 15 years’ imprisonment for “rob-
bery with aggravating circumstances”, when some of those circumstances are much
more severe than others.
In large part, the problems with sentencing in South Africa can be traced to weak
(or even absent) general principles. In this respect, there is much to be learnt from
German law. These lessons range from an express recognition of the interests that
are protected by robbery (or any other offence, for that matter). It is also essential
that assessment of “the seriousness of the crime” become more principled, as recom-
mended by the South African Law Commission:102 nothing prevents our courts from
accepting that the seriousness of crimes should be determined by the degree of harm-
fulness (or risk of harmfulness) of the offence and the degree of culpability of the
offender.

96
Section 52.
97
Section 52(II). See Fischer 2017, § 52 rn 2 – 4.
98
Section 53(I).
99
Section 54.
100
Section 54 (II). The upper limit of 15 years can be exceeded when more than one
composite sentence has been imposed – Stree & Kinzig 2014, § 38 rn 4.
101
Fischer 2017, § 54 rn 12.
102
South African Law Commission 2000, para 3.1.4.
686 Stephan S. Terblanche

Judges and magistrates in South Africa often resort to emotional language in their
judgments. The following example, from S v Msimanga,103 is typical of this ap-
proach:
“Armed robberies and, more particularly, armed car hijackings, are the order of day. In this
country no one who dares to drive a motor vehicle is safe anymore. The sword of Damocles
persistently hangs over the driver and his passengers, that their vehicle could be hijacked,
often with deadly consequences. The public has the right to use the roads safely and without
interference, for the purpose they are intended. This right is currently being brutally disrupt-
ed by overly high levels of hijackings. This crime is committed purely out of greed. The
criminals have no concern for the body and property of the victims. If they resist, the victims
are usually summarily executed.”

Apart from the fact that the truth of such pronouncements is debatable, they make
no contribution to a rational sentencing system.
The main objective of German criminal law reform in the twentieth century was
the recognition that punishment is required, but that “the convicted criminal remains
a human being and his human dignity must accordingly be respected”.104 German
courts approach sentencing modestly, not trying to force their sentences to solve a
major crime problem, which they are unable to do. German sentences for robbery
remained stable when robberies increased significantly in the 1990s, and when
they subsequently dropped by a third. In the meantime, the courts did what they
are best suited for – to mete out sentences in proportion with the extent to which
the offenders can be blamed for the harm they had caused.

6. Hans-Jörg Albrecht and South Africa


The South African Law Commission launched a major reform project regarding
sentencing, which resulted in a discussion paper, published on 13 April 2000. This
was followed by a process of consultation and comments were invited and received
from the judiciary, academics and a wide range of other stakeholders.105 The original
proposals were reconsidered during a three-day seminar in Cape Town, which includ-
ed international experts on the law of sentencing.106 These experts played an impor-
tant role in the Commission’s final report, especially as far as they “persuaded the
Commission that the penalty structure could be simplified and modernised”.107
Hans-Jörg Albrecht was one of these international experts on sentencing. Our
meeting in Cape Town opened many doors for me and prompted the first of many

103
2005 (1) SACR 377 (O), para [8] – this is a translation from the original Afrikaans.
104
Eser 1989, 11.
105
SA Law Commission 2000, para 1.42.
106
SA Law Commission 2000, para 1.45.
107
SA Law Commission 2000, para 2.24.
Comparing Sentencing for Robbery with “Strafzumessung für Raub” 687

visits to the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law in Frei-
burg in 2002. I learnt so much from him over the years.
It is such a pity that none of the proposals of the Law Commission has been im-
plemented. So much of what is still wrong with sentencing in South Africa, and which
have been highlighted in this contribution, could have been addressed in the interven-
ing years.

References

Albrecht, H-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theore-
tische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Berlin.
Albrecht, H-J. (2001): Sentencing and punishment in Germany, in: M. Tonry (ed.), Penal Re-
form in Overcrowded Times. Oxford, pp. 139 – 145.
Bohlander, M. (2012): Principles of German Criminal Procedure. Oxford.
Bohnert, J. (1993): Warum Gesamtstrafenbildung? Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswis-
senschaft 105, pp. 846 – 870.
Bundeskriminalamt (2012): Polizeiliche Kriminalstatistik 2011: Bundesrepublik Deutschland.
Wiesbaden.
Bundeskriminalamt (2015): Statistische Information zu ausgewählten Straftaten/-gruppen in
der Bundesrepublik und in den Bundesländern sowie deren Hauptstädte. Wiesbaden.
Bundeskriminalamt (2018): Police Crime Statistics Federal Republic of Germany Report,
abridged version. Wiesbaden.
Burchell, J. (2016): Principles of Criminal Law. 5th ed. Cape Town.
Dölling, D. (1999): Über die Strafzumessung beim Raub, in: K.H. Gössel & O. Triffterer (eds.),
Gedächtnisschrift für Heinz Zipf. Heidelberg, pp. 177 – 196.
Eisele, J. (2014): Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. StGB (Grundlagen der Strafbarkeit), in: Eser,
A. (ed.), Schönke/Schröder Strafgesetzbuch. 29th ed. München.
Eser, A. (1989): Hundred years German penal legislation – Development and trends. De Jure 22,
pp. 1 – 22.
Fischer, T. (2017): Strafgesetzbuch: mit Nebengesetzen. 64th ed. München.
Gropengießer, H. & Kreicker, H. (2004): Germany, in: U. Sieber (ed.), The Punishment of Seri-
ous Crime: A comparative analysis of sentencing law and practice (Volume 2: Country Re-
ports). Freiburg i. Br.
Hiemstra, V.G. (1987): Suid-Afrikaanse Strafproses [South African Criminal Procedure]. 4th ed.
Durban.
Hoppenworth, E. (1991): Strafzumessung beim Raub. München.
Hosken, G. (2018): Are the SAPS #CrimeStats accurate?’ TimesLive, 11 Sep 2018; https://
www.timeslive.co.za/news/south-africa/2018-09-11-are-the-saps-crimestats-accurate/
[11. 09. 2018/12. 02. 2020].
688 Stephan S. Terblanche

Joubert, D.J. (2008): Die misdaad roof in die Suid-Afrikaanse reg [The crime robbery in South
African law]. Unpublished LLD, University of South Africa.
Joubert, J.J. (ed.) (2017): Criminal Procedure Handbook. 12th ed. Cape Town.
Le Roux, J. (2005): Vonnisoplegging by roof met verswarende omstandighede [Sentencing for
robbery with aggravating circumstances]. Journal of Juridical Science 30/1, pp. 146 – 152.
Mitsch, W. (2015): Strafrecht, Besonderer Teil 2: Vermögensdelikte. 3rd ed. Berlin.
Reichenbach, P. (2012): Die Kriterien der Revisionsgerichte für die Bildung der Gesamtstrafe.
Anmerkungen aus tatrichterlicher Perspektive. Juristische Rundschau 1, pp. 9 – 14.
Robbers, G. (2017): An Introduction to German Law. 6th ed. Baden-Baden.
Sander, G.M. (2017): Band 4 §§ 185 – 262, in: W. Joecks & K. Miebach. (eds.), Münchener
Kommentar zum StGB. 3rd ed. München.
Schäfer, G., Sander, G.M. & van Gemmeren, G. (2017): Praxis der Strafzumessung. 6th ed. Mün-
chen.
Schmelz, G. (2002): Raub/Räuberischer Diebstahl. Hilden.
Snyman, C.R. (2014): Criminal law. 6th ed. Durban.
South African Institute of Race Relations (2019): South Africa Survey 2019. Johannesburg.
South African Law Commission (2000): Report: A new sentencing framework. Pretoria.
South African Police Service (2019): Crime Statistics 2018/2019. https://www.saps.gov.za/serv
ices/crimestats.php. [12. 03. 2020].
Stree, W. & Kinzig, J. (2014): § 38 StGB Dauer der Freiheitsstrafe, in: A. Eser (ed.), Schönke/
Schröder Strafgesetzbuch. 29th ed. München.
Streng, F. (2002) Strafrechtliche Sanktionen: Die Strafzumessung und ihre Grundlagen. 2nd ed.
Stuttgart.
Terblanche, S.S. (2016): A guide to sentencing in South Africa. 3rd ed. Durban.
Van der Merwe, D.P. (1991): Sentencing. Updated to 1998. Cape Town.
Vogel, J. (2010): Vol. 8 – §§ 242 – 256, in: K. Tiedemann et al. (eds.), Strafgesetzbuch: Leipziger
Kommentar. 12th ed. Berlin.
Weigend, T. (2001): Sentencing and Punishment in Germany, in: M. Tonry & R.S. Frase (eds.),
Sentencing and Sanctions in Western Countries. Oxford, pp. 188 – 221.
IV. Strafrechtliche Sozialkontrolle und Sanktionen –
Penal Social Control and Sanctioning
Torture and Inhumanity
By Luis Arroyo Zapatero

Recollections of a Young Criminologist from


the Max-Planck Institute of Freiburg, in 1982
In the summer of 1982, Hans-Heinrich Jescheck gave, as he was accustomed to
giving after his voyages abroad, a presentation of the academic and cultural affairs
that he had recently completed in Turkey, a little more than one year after the brutal
military coup d’état of 1980. The images of Greek and Roman remains from wher-
ever you like were shown that had so deeply impressed the director during his travels
following the Abitur (secondary school examinations). If he came to mention the
government, it was purely for the sake of appearances. Suddenly, a young researcher,
bedecked with lengthy and quite Germanic blond hair, stood up at the back of audi-
torium of the institute and shouted out with great vibrancy, seizing the attention of all
assembled: Folter! Folter! [Torture! Torture!]. Reiteratively pronounced, it was one
in the eye for the director, and with it the young man was denouncing the terror of the
military regime that tortured as a way of life. He was a valiant young man, with no
permanent position, whom very fortunately had been well treated in his life, as over
the years, he came to occupy the post of Director of the Institute. I always recall that
young man when I see Hans-Jörg Albrecht and when someone wishes to wrest im-
portance from the crime of torture, an old institution that is always awaiting a return
in an inexorable Rückkehr der Folter [Return to Torture]. It is all reason enough and
more to return to the anthropological and political origins of its absolute prohibition.1
There are three reasons to speak again of torture today: the first, because torture
and the debate that surrounds it, especially the judicial aspects, explained by Cesare
Beccaria and Pietro Verri, are from the commencement of modern criminal praxis,
from the Europe of the Age of Reason and the Enlightenment.2 The second, because
of the recent publication posthumous to the death of Jorge Semprún, with his most
intimate memories of the resistance, the Nazi death camps, and torture: “Exercises de
survie”, in which he includes a debate on torture with Jean Améry, long since depart-
ed. And the third reason, because the emergence of radical Islamic international and

1
For a description of the scene see Zapatero 2011; http://blog.uclm.es/luisarroyozapatero/
files/2016/07/vortrag_arroyozapatero_2011.pdf [18. 05. 2020]; also in Zapatero 2016, 108 ff.
2
On all of that time, see Vormbaum, Malarino & Jacobs 2008.
692 Luis Arroyo Zapatero

global terror has caused the resumption of the practices of torture and even extraju-
dicial executions.

1. Introduction
One cold day towards the end of a Castilian winter, the narrator of this story and
another young man from the same course, and even the Rector of the University that
we were to visit, Ignacio Berdugo Gómez de la Torre, set off towards Salamanca from
our University of Valladolid, accompanying our teacher of criminal law Marino Bar-
bero Santos. It was 1971, and a seminar on “Current Criminal Law Problems” was to
be held in Salamanca. Professor Barbero Santos was to speak at a conference that the
authorities had on other occasions wished to suspend. It consisted of a critique of
military justice and special courts, those where the offenses of political organizations
that employed armed violence were judged. It should be recalled that hardly a few
months had passed since the so-called trial of Burgos at which various founders
of the terrorist organization ETA had been condemned. The court had pronounced
six death sentences, commuted only after immense national and international mobi-
lizations. The atmosphere was tense in the classroom of the old building of the Uni-
versity that celebrated its 800th anniversary in the year 2019, and the applause was
tremendous. At the conference, a Professorial Chair of the History of Law from
that university stood up, who had talked on the subject of “Judicial torture and its
possible survival”. Nevertheless, he had not spoken only of legal torture at the con-
ference, but also of police torture over those interminable years towards the end of
Francoism. The title, however, had its explanation: as ever stupid as it is troublesome,
censorship had added the adjective “judicial” to authorize the book that Tomás y Va-
liente was preparing and that was then published, in 1973, with the definitive title La
tortura en España [Torture in Spain], replacing the reference to “judicial” matters
with the addition of “historic studies”. The last censor was a judge and so, “the
pudic blanket of history covered the excesses and camouflaged the survivors”
says the author in the introduction to his Complete Works.3
With democracy, Francisco Tomás y Valiente was appointed Justice and President
of the Constitutional Court. Having concluded a fruitful period, he returned to the
autonomous university of Madrid and there, in his modest office, with the door
half open for students to enter freely, he perhaps glimpsed the muzzle of the gun
that shot him down. And 30 years after his conference on torture, ETAwas still killing
and continued to do so, up until 2010, and very significatively, in 2006, when they
exploded a gigantic bomb that destroyed one of the four parking blocks at a Madrid
airport terminal. It killed two immigrants who were asleep in their respective vehicles
and it could have killed 200. One sad case, was the one that ended before the Euro-
pean Court of Human Rights, with the recent sentence, in 2018, in which the court at

3
Tomás y Valiente 1997, 761 ff.
Torture and Inhumanity 693

Strasbourg found against Spain, because, contrary to the judgement of the Spanish
National Court, the Spanish Supreme Court had not seen fit to recognize that injuries
had occurred in the case, although not torture. ETA continued murdering up until
2010 (with a number of ten murders from 2007 up to 2010: two of them in 2007,
four in 2008, three in 2009 and one in 2010). Among the victims, in their majority
members of the law enforcement bodies, a local Socialist politician and a Basque
nationalist businessman stand out. The pain and fear that ETA has brought with it
over these 40 years of Spanish life, the extra effort both from and within the law en-
forcement bodies, with the consequent lack of protection against other threats, the
thousands of people who have had to live alongside bodyguards throughout Spain,
among many other aspects, contrast sharply with the situation at present.4
And once again a personal question; Police torture has always existed, especially
in my years as a student. The much-repeated question that all anti-fascist militants of
that age asked themselves awakened tremendous concern and unease within me:
would I be able to withstand torture, could I avoid informing on companions?

2. In the Beginning, There was Beccaria


The rejection of torture came to Spain, as with almost everything of any good for
the criminal system, from the hand of the Marquis de Beccaria. His book was well
known for the intellectuality and the cult politics of the age. He ended the last para-
graph with words on crimes and punishments –without citing the source. The refer-
ence was in fact to a dramatic work that had met with great success, the equivalent
today of an outstanding television series. It was perhaps written by Melchor de Jo-
vellanos, at the time the Chief Attorney of Seville and who was to become president
of the government over the very last years of the 18th c., or Meléndez Valdés, lawyer
and poet, or Sempere y Guarinos, or Valentin Foronda, also the author of a grim tirade
against torture, which was not published until many decades later.5
Beccaria’s book came to Spain and an Austrian diplomat sent to Madrid foretold
great success for the book raising expectations ever higher. Although Beccaria ar-
rived, and his work was seen and read, it never triumphed. Beccaria and the promot-
ers of the translation, none other than the government of the nation itself at the time of
4
Can be seen in Zapatero 2005, 193 – 214.
5
Zapatero & Caballero 2013; http://blog.uclm.es/academicsforabolition/files/2016/04/
ap27.pdf [18. 05. 2020], also in the work Zapatero 2015, 61 – 68 Cesare Beccaria y la abolición
de la pena capital [Cesare Beccaria and the abolition of capital punishment], in Dei delitti e
delle pene a 250 anni della publicacione. Lezione di Cesare Beccaria, CNDPS, Giuffré, Milan.
And, most recently, in Arroyo, Nieto & Estrada 2017, where the complete text of Gonzalo
Quintero Olivares can also be found, first presented at the commemorative congress of Li-
vorno: “Beccaria y el iluminismo italiano en la cultura jurídica hispana” [Beccaria and the
Italian enlightenment in Spanish legal culture] as well as in the work of García Ramirez 2015,
p. 53 and ff. and p. 23 and ff. respectively; http://rabida.uhu.es/dspace/handle/10272/15196
[18. 05. 2020].
694 Luis Arroyo Zapatero

the most erudite king Charles III, who had originally been the King of Naples, were
overwhelmed by the Inquisition. All was summed up by the Grand Inquisitor. In the
administrative records of the conflict between the Royal Council and the General In-
quisitor, it can be read that the latter warned of and criticized the calls from Beccaria
for the impunity of crimes and the blasphemous abolition of the death penalty. The
Minister of Justice who wished to placate the Inquisitor argued that the Marquis did
not seek impunity for crimes, “but to deliver the punishments out of a love for human-
ity”. The initial authorization was from the government, driven no more no less than
by the attorney general, Campomanes, and by the Academy of History, of which the
attorney general was president. The Justice Secretary at the time, don Manuel de la
Roda, suggested that if the book could not be published in full, it could be expurged,
by removing phrases or paragraphs, to which the Inquisitor retorted that neither by
expurging phrases nor by expurging paragraphs would the book cease to proclaim
ideas deserving condemnation that were in his opinion interspersed throughout
the text (p. 396). Fortunately, the edict of prohibition was issued when the book
had already been printed and it was, albeit very reservedly, distributed in Spain
and in Latin America. Naturally, as well as the argument of impunity and that the
proposal for the abolition of the death penalty was blasphemous, the Inquisitor de-
nounced contractualism, which undoubtedly gave some food-for-thought to the
Monarchy. The criticism of torture also concerned the Inquisitor to the utmost, be-
cause it was presented as if it were purely an inquisitorial matter and not of the whole
justice system. After the very severe criticism of torture within Spain in those years,
the worst thing was that such criticism of torture made ridicule of the Inquisition as a
whole, as nobody could believe that absolutely anything would never be confessed
under torture.

3. Origins of the Crime of Torture


The most serious crime of all against an individual victim is, without any doubt,
torture and I believe that it is highlighted in the debate between Jean Améry and Jorge
Semprún.
Jean Améry was an Austrian Jew whose real name was Hans Mayer (Vienna,
1912). He fled in good time to Belgium before Anschluss, but had no luck when
the Nazis invaded Belgium. He immediately joined the resistance and was detained
and tortured by the Gestapo. He was then deported to Auschwitz and from there he
walked in the death marches to both Buchenwald and Bergen-Belsen where he was
liberated in 1945. He had been condemned to forced labor at Auschwitz III, Buna
Monowitz, the criminal factory of IG Farben. He waited for over 20 years before writ-
ing about his experience of torture and the concentration camps: “Par-delà le crime et
le châtiment” [Beyond guilt and expiation], in 1964, which he completed with “Le
suicide: un discours sur la mort volontaire” [On suicide. A discourse on voluntary
death]. He wrote later about his experience and, as many deportees who had lived
Torture and Inhumanity 695

through absolute evil, he took his own life, in 1978; like Primo Levi and so many
others marked by the new horror.
The same was not so for Jorge Semprún, who in my opinion was the most exem-
plary and significant Spanish and European citizen in the 20th c. After the Spanish
Civil War, with his aristocratic, Catholic and Republican family sheltering in occu-
pied Paris, he enrolled as a student of philosophy at the Sorbonne and he joined the
Resistance in occupied Paris, in one of the networks linked to de Gaulle, despite his
relationship with the Communist Party and its proximity to the FTP (Franc-Tireurs et
Partisans). For over one year, he carried out acts of sabotage, coordinated with para-
chutists, and was finally betrayed by a victim of torture. He was in turn tortured by the
Gestapo and sent to the concentration camp for political prisoners throughout all of
Europe: Buchenwald. His extraordinary knowledge of Spanish, French, and German
meant that he was sent to work with the administrative and the statistical services of
the camp and he participated in the international clandestine resistance committee, as
well as in the final uprising before the arrival of the American army. Following the
war, he worked for UNESCO, at the hotel Majestic, precisely where the headquarters
of the German High Command had been in France. A member of the central com-
mittee and an executive of the Spanish Communist Party, he was sent as the chief
coordinator to the interior of Spain in 1953, where miraculously he lived for almost
10 years, surrounded by workers, university students, poets, novelists, and cinema
directors, until the first crisis of the European communist movement. His successor
in clandestinity, Julián Grimau, was detained after only a few months and shot, de-
spite massive international campaigns. Jorge Semprún was expelled from the Span-
ish Communist Party in 1964; today, we might say for being a “Eurocommunist” be-
fore their day. He published at that time his first work on the camps in France: Le
Grand Voyage [The Long Voyage]. It was awarded a relevant prize that situated
him in the literary world and then in the world of cinematography, as a script writer
and a friend of Costa Gavras and Alain Resnais. In the context of this work on torture,
a film called The confession deserves to be mentioned. Semprún composed an extra-
ordinary list of the horror of the camps, which he completed in subsequent works
such as “L’Écriture ou la Vie”.6
He took up a role in Spanish democratic politics as the Minister of Culture in the
government of Felipe González between 1988 and 1991. And he dedicated his final
years to upholding the memory of the fight against Nazism and the denouncement of
Stalinist communism, with personalities such as Elli Wiessel and Dominique Villepin,
alongside whom he has upheld the best concept of Europe.7 But, in none of the books
published in his life did he approach the question of torture, of which it was known
that he had been a victim. He nevertheless left a written record of it and it was pub-
lished in 2016, five years after his death in Paris at 87 years old, with a prologue from

6
Semprún 1994; Semprún 2015 and Semprún 2001 Spanish version; on Semprún, Augstein
2008; Leuzinguer 2018.
7
Semprún & Villepin 2005.
696 Luis Arroyo Zapatero

his friend Mario Vargas Llosa8: The front cover carries a photo of the camp orchestra,
which accompanied the work groups leaving the camp and upon their return, and
sounded out during the executions in the respective Appellplatz (Roll Call Area).
A wagon with the condemned prisoners was hauled behind the musicians.9
In this posthumous work, Semprún approached his experience under torture and
offered an opinion that contrasted with Jean Améry’s in the previously cited work
(Par-delà le crime et le châtiment) [Beyond guilt and expiation]). Semprún was al-
ways optimistic; it is enough to recall that he participated in the uprising of the clan-
destine organization of the concentration camp when they foresaw that the SS were
going to abandon it and were preparing to execute all who remained. In fact, on 24
April, when the first American jeep drove in, it passed by work-groups of hundreds of
corpse-like workers dressed in striped suits, in perfect marching formation, and rais-
ing aloft an unlikely armament. They all closed ranks around the group that held up
the terrible Panzerfaust [anti-tank weapon], as Semprún himself related, as well as
the two characters in the American jeep, Fleck and Tenenbaum.10
And the fact is that the purely political victims of Nazi repression better withstood
the pain and the terror. Those that suffered it because they were also Jews, or only for
that reason, had a more difficult time of it. Political persecution may have a somewhat
comprehensible human sense, yet racial persecution is animal and inhuman. The
American officials saw some very different Hungry looking men than those they
had seen since their entry into Germany, a journey followed by the front-line war cor-
respondents, which Annette Wieviorka related so marvellously in all of its tragedy.11
Those from Buchenwald were not staring with sad eyes and a lost gaze. They
marched with a motley array of arms and Semprún himself was among the last
armed with the Panzerfaust. Weapons wrested from their oppressors and carried
with exuberant jubilation that “symbolized not only the freedom regained, but
much more, a dignity reconquered”.12 Moreover, if the common determination in
the camps was to try to survive, some had the privilege of saving the lives of others,
which would later give rise to debate and criticism. However, Semprún was confided
the task of finding the identities of the dead to hide the identity of those that they
wanted to keep alive: “I will live with his name, he will die with mine”.13 Semprún
related that he was taught by a member of the resistance, Henri Frager, who assisted
the head of the network, about what he might expect were he ever seized by the Ge-
stapo and who presented the instruments and modus operandi of each procedure to
8
Semprún 2012, 21, English translation from the Spanish edition 2016. The two officials
cited in Tenenbaum & Fleck 1945, https://archive.org/details/EdwardTenenbaumEgonFleckPre
liminaryBuchenwaldReport/page/n8 [18. 05. 2020].
9
Semprún 2012.
10
See Tenenbaum & Fleck 1945; https://archive.org/details/EdwardTenenbaumEgonFleck
PreliminaryBuchenwaldReport/page/n8 [18. 05. 2020].
11
Wieviorka 2015.
12
Semprún 2015, 58.
13
Semprún 2015.
Torture and Inhumanity 697

him in order and by their effects. “The dry, burning pain, yet not very persistent and
more volatile, of the wooden club, was not comparable to the dumbing pain of the
rubber truncheon filled with lead, easier to withstand on impact, but much deeper
and harsher”.14 One day in the autumn of 1944, some thirty prisoners arrived at Bu-
chenwald who were dispatched to a particular block, the majority French and some
British. The clandestine international committee received special instructions to save
some of the most valuable to the allies and the European resistance. Among them was
one who some 50 years later would achieve global celebrity with his essay “Indignez-
vous?” [Time for outrage].15 Stefan Hessel, in a small book of recollections, had no
recollection of having had his name changed with the name of a dead man so he might
live, in other words, he did not recall that they saved his life. Moreover, he criticized
what he saw as the immense power of the communists in the clandestine network.
However, in its management and that of his group, in addition to the organization
and the communists at the camp, Eugen Kogon was a decisive force, a notorious Aus-
trian Christian-democrat and trade unionist, and a prisoner since the start of Hitler-
ism. As Kogon was a sociologist with a doctorate, upon his liberation, the Americans
commissioned a book on the camps from him that made a fortune: Der SS-Staat.16
Without speaking about anything, and with a sort of fear and strange rejoicing, at
his meetings with old members of the resistance, Semprún explained that he could
be sure that they all shared an emotion that was exclusive to them alone, which sep-
arated them from common mortals: the memory of torture.17 “Both Frager – his chief
in the French resistance who arrived with the group of Stefan Hessel – and myself, we
agreed in that it would be absurd and inhuman, even disastrous for a just conception
of the possible humanism of man, to consider stiff resistance to torture as an absolute
moral criterion. A man is not authentically human only because he has withstood tor-
ture. Values and virtues that are properly human, in other words, essential enough to
support the transcendence of their ideals of the altruist ego, can neither be conceived
nor overcome solely on the basis of a capability to withstand torture”.18 “The expe-
rience of torture is neither solely nor even principally that of suffering, that of the
abominable solitude of suffering. It is also, above all, without doubt, that of frater-
nity”.19 Semprún experienced this conviction that he talked over with Frager a little
before the latter was executed, during his 10 years of Madrilenian clandestinity in
Spain during the harshest years of Francoism, in which he was not denounced by
any of the many victims of torture that surrounded him, nor arrested in consequence,
which reaffirmed for him that withstanding torture is that experience of fraternity.

14
Semprún 2015, 36 fn. 6.
15
Hessel 2012.
16
Original version from Kogon 1946; the English edition by Norden 1965; the Spanish
edition by Gimbernat Ordeig 2005.
17
Semprún 2015, 52 fn. 6.
18
Semprún 2015, 54 fn. 6.
19
Semprún 2015, 57 fn. 6.
698 Luis Arroyo Zapatero

Among the methods of torture by their order that were explained to him, Semprún
withstood being suspended with his hands handcuffed behind his body and arrived at
the bath, in which the Gestapo tipped freezing water, rotten food and repugnant
things, which he managed to overcome despite a phobia before his immersion in
the water. They left him in peace and he admitted that he would not have known
what he could have done to continue on the viacrucis with the extraction of his finger-
nails, the electric shocks… And the fact is that nothing can properly prepare a person
for torture:
“that experience cannot be anticipated in the flesh, torture is unforeseeable, unpredictable, in
its effects, in its devastation, in its consequences on bodily identity. Nobody can foresee nor
guard against the possible rebellion of one’s body under torture, devoutly -brutally even-
demanding a capitulation from within the soul, from one’s will, from one’s ideal self, un-
conditionally, shameful, but human, far too human”.20

And he continued:
“what is inhuman, in truth, excessively human, in any case, is imposing on your body an
unending resistance to infinite suffering. Imposing on your body that only wishes to live,
still devalued, miserable, still overwhelmed by humiliating recollections, the smooth and
glacial perspective of death”.21

The person who is immersed in the pain of torture feels his body as never before.
The flesh is totally felt in its self-negation. This idea of Améry’s22 was confirmed
when he recalled that, instead of his tortures, he had the sensation of not having
had a body at all “as if the pain pervaded throughout my flesh, as if it made me dis-
cover the body at the same time, the fragility, its miseries, its limits”23 and he pro-
tested when he read that Améry had affirmed:
“whoever has been subjected to torture is incapable thereafter of feeling at home in the
world. The trust in the world disappears because as soon as the first blow strikes home, tor-
ture puts an end to that trust in a complete and irrecoverable way”.24

Personally, I am more with Semprún when he says that “that affirmation is the re-
flection of a profound personal wound, of a horrible despair, of an intimate violent
secret that suddenly explodes”.25 For Semprún, the experience taught him that it will
not be the victim, but the executioner, who will not feel at home in the world. The
victim, on the contrary, and not only if he survives the torture, is shackled to his si-
lence of multiplying his links with the world, laying roots, branching out, proliferat-

20
Semprún 2015, 36 fn. 6.
21
Semprún 2015, 36 – 37 fn. 6.
22
Améry 2004; the English edition by Sidney & Rosenfeld 1980; the German edition Améry
1966; Améry 2019, especially 103 – 158 on torture.
23
See Semprún 2015, 56 fn. 6.
24
Semprún 2015, 56 fn. 6.
25
Semprún 2015, 56 fn. 6.
Torture and Inhumanity 699

ing, the reasons for feeling at home in the world.26 Most nights asleep the nightmare
of being “within” the picture of Joaquín Patinir, El paso de la laguna Estigia [Land-
scape with Charon Crossing the Styx],27 perturbed him, as much as it had impressed
him as a child so much when he visited the Prado Museum with his father. Always
therefore between heaven and hell.
I believe that these reflections of Jorge Semprún on this dialogue with Améry will
allow everybody, especially the young, to come to understand the essence and the
destructive force of torture and thereby understand from today’s perspective what
it is that we are fighting against. It is that destructive capability of torture which in-
cites our rebellion, even when the victim is not the defender of a flag and such a noble
cause as resistance against Nazis and fascists. I do not believe that the feeling of being
at home in the world extends to the terrorists of our time, murderers of both military
and civilians, of men, women, and children, snatched away by the criminal passion of
dogmatism, political and religious fanatism, and nationalism. However, we also neg-
ate the right of the state to inflict torture upon them. The state that tortures crosses the
line of civilization, of humanity.
As you have been able to see, we are referring to traditional torture, to the blows,
the dislocation of members, water, whether in the bath or the soaking rag in the
mouth. The imagination of the torturers is not vast. When we were informed of
the methods of torture of the Bush administration, proposed by its Attorney General,
they surprised me, as I thought I was once again reading a chapter of the Quijote by
Cervantes, chapter XXII, where it relates the causes and misfortunes of those who
were led in chains to serve his majesty the King in his galleys, such as Galeote.
The guard said of one of them that he was there for “singing”, of course, for singing
while in torment: the prisoner immobilized lying down has a damp rag placed in this
mouth and water is dropped onto it, drop by drop, and with each drop he is overcome
by the anxiety of death by drowning. I was deeply moved to see Barak Obama signing
his first law: the act that repealed the authorization of torture.28
Torture is the act of causing pain and physically unbearable humiliation and as
humiliating as it is at a spiritual level, it is as such the enemy, the principal
enemy, and we have also to express concern over abusive “inhuman and degrading”
treatment. Through the evocation of the experiences and the reflections of Améry,
without any doubt Jorge Semprún helps us to understand the relevance of the prin-
ciples of total proscription of torture enshrined in article 3 of the Universal Declara-
tion of Human Rights: “No one shall be subjected to torture or to inhuman or degrad-
ing treatment or punishment.” It is the most radical proscription of treatment by the
state and its citizens, which is qualified as one of the crimes against humanity.

26
Semprún 2015, 64 fn. 6.
27
Find online at https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/el-paso-de-la-lagun
a-estigia/ [18. 05. 2020].
28
Bassiouni 2010.
700 Luis Arroyo Zapatero

Mireille Delmas-Marty reminds us that the political notion of the crime against
humanity and civilization was coined for the first time by Chateaubriand when learn-
ing, in 1799, of the massacre of prisoners that Napoleon had carried out in Jaffa,
Egypt, killing more than 3,000 prisoners. However, it only acquires that legal defi-
nition of a crime in the statutes of Nuremberg and in its judgement, although with
certain confusing imprecisions that are not relevant today.29

4. Crimes Against Humanity and Genocide:


the Genetics of Two Concepts
Over recent years, numerous monographs have been published on the crimes of
national-socialism and on the construction of the allied response of the first United
Nations to the highest-ranking Nazis on trial before an international criminal Court.
Its effects on the concept of criminal liability, on structures of power and on the birth
of international criminal law are evident today.
Jonathan Littell – a North-American Jew who wrote in French and lived in Bar-
celona – managed to convey the question of the atrocity of the facts and their authors
with his Goncourt Prize of 2005, Les Bienveillantes30 and, in 2010, Christian Ingrao
published a summary of his extraordinary thesis of state, Croire et détruire.31
Interest in Nuremberg in all of its dimensions has begun to be broadly expressed,
above all since the time of the launch of the International Criminal Court. In turn, the
archives of the United Nations War Crimes Commission have been opened, which in
the first weeks of the Cold War, at the end of 1948, had remained closed.32 They had
been converted into the “best kept secret” in this field, as William Schabas said at the
opening of the first congress on this question, in 2013. The past 2017 saw the appear-
ance of the work of Philippe Sands, edited with the not very accurate title in English,
East West Street, in contrast with the French or German edition: Retour à Lemberg.33
It is an essential book, which highlights the genesis of the ideas that sustained the
fundamental legal innovations that crystallized in Nuremberg and the lives of the per-
sonalities and the vital events of those who advanced them. Sands, professor of In-
ternational Law at Cambridge and a Human Rights litigation lawyer before interna-
tional courts was well known for his books on international environmental law, nu-
clear arms, and the International Court of Justice, and on crimes against humanity.
But what was to bring him universal renown was this book that he decided to compose
one day in search for the origins of his family, from that land of Central Europe along
with all of its people that over 40 years came to belong to Austria, Poland, Germany,
29
Delmas-Matry et al. 2009, 3.
30
Littel 2009: see for Spanish edition Littel 2007.
31
Ingrao 2015; see for the Spanish edition Monreal 2017.
32
Schabas et al. 2014, 1; Kochavi 2005; Plesch 2017.
33
Sands 2016; see, for the German version, Sands 2018.
Torture and Inhumanity 701

Russia, and what is today the Ukraine. Its capital Lemberg, in Germany, or Lwów in
Polish, and now Lviv (Ukranian) was a relevant city with a university to which people
came to study from the region that bore the name of Galithia-Volhynia. A multieth-
nic, multicultural, and multinational region. But of all the “nationalities” or cultures,
the ones that lived through the worst part of all the suffering were the Jews, victims
first of displacements, of ethnic cleansing, and then of direct extermination. Sands’s
grandfather had already fled to Vienna to study and from there had the good luck to
emigrate to France, before Hitler closed the frontiers and cast the net over all the
Jews. Only his mother and an aunt, in a spectacular adventure, were saved from
among scores of relatives. What surprised him in addition was that the University
of Lemberg to which they had invited him to give a conference, was the one in
which, hardly 4 years earlier, the father of his master Hersh Lauterpacht, founder
of scientific international law in Great Britain and another very relevant person in
our field, Rafael Lemkin, had studied. Thus, the very detective-like search to discover
the history of his family incorporated the lives of the aforementioned jurists who were
to represent two mainstream contemporary legal principles. In the first place, Lau-
terpacht, who constructed the idea of a declaration of human rights internationally
guaranteed to guard against states with a right over the life and the liberty of
“their” citizens that had to be negated. Lemkin, better known by the public in general,
was the creator of the concept of genocide and, although he never managed to intro-
duce it into the catalogue of crimes at Nuremberg, he did afterwards manage to con-
vince the whole world and to launch the International Convention against Genocide
in 1948.
There are numerous publications on Lemkin. Antonio Elorza and Araceli Manjón-
Cabeza34 prepared, in 2015, a compendium of his writings among which the speech
that he could only send to the organizers of the Congress of the International Union
for the Unification of Criminal Law that Don Luís Jimenez de Asúa organized in Ma-
drid. Lemkin, by then an attorney in Warsaw, was not seen fit by his Ministry of Jus-
tice to travel to Madrid. It must have appeared too much to them that yet another Jew
was to appear as the principal Polish invitee and, in addition, as a qualified speaker at
the Congress, together with Emil Stanislas Rappoport, university chair of Warsaw
and magistrate of the Supreme Court who after over one year of imprisonment by
the Nazis was, following the liberation, named its president. Despite everything,
and although his work was not under debate, he managed to have it published
with the minutes of the Congress. Lemkin in those years had an intense academic ac-
tivity, translating Soviet criminal legislation and lending general attention to the new
criminal Law authorities, especially in Italy. He fled before the invasion of Poland
and took refuge in Stockholm where he started to collect all the general official Ger-
man gazettes and those from the occupied territories, which he obtained thanks to his
contacts with various embassies. He amassed a gigantesque archive that he was to
transport with great difficulty from Sweden, passing through Russia (at the time

34
Lemkin 2015.
702 Luis Arroyo Zapatero

the USSR) until his arrival at Seattle, in order to take up the post of an invited pro-
fessor at the countryside campus of Duke University. Such a wealth of documentation
that has been increasing through his contacts in Washington brings together the ex-
pository essay of the horror legislated by the Nazis: Axis Rule in occupied Europe,
that its sponsor, the Carnegie Endowment for International Peace, in USA had pub-
lished, at the early date of August 1944. From those works he was able to find a name
for the atrocity that when Winston Churchill learnt of it, exclaimed that it was a
“crime without a name”: genocide.35
Lauterpacht had finished his doctoral studies at the London School of Economics
in 1925, after passing through the Faculty of Law at Lemberg, from which the Jews
were expelled, and at Vienna where he was a student of Hans Kelsen. He abandoned
Poland en route to England, after failing, due to reasons relating to racial discrimi-
nation, to be appointed to a university chair at Lemberg, with the idea of continuing
his training in international criminal law there, and so that his young wife could fol-
low her musical studies. All his work was motivated by the concern to prevent states
from exercising a right of life or death over their citizens. He worked towards the
acknowledgement that all human beings deserve international protection against
any form of despotism, beyond the mere protection of social groups and other minor-
ities, established after Versailles. Special emphasis was placed on the recently con-
stituted independent nation of Poland, which angrily protested, and that has these
days once again protested against the demands of the Council of the European Union.
Lemkin composed his “Axis Rule” at Duke University and constructed the concept
of genocide as an instrument of singular protection of groups and minorities. At the
same time, Lauterpacht who mistrusted that protection of groups, constructed a gen-
eral theory of international protection of the human rights of all individuals, which
would be presented in 1945 as An International Bill of Rights of Man, from which the
concept of “crimes against humanity” was to emerge.36
It was only in Nuremberg that Lauterpacht and Lemkin came to know that their
respective families had been exterminated, the first very probably when the Soviet
Prosecutor read out the initial accusation and provided information on the extermi-
nation of the Jewish community of Lemberg. During the judgement, among the 22
accused, they could see Hans Frank the General Governor of Poland, formerly the
legal adviser to Hitler and the Minister of Justice. He had been directly responsible
in that land for the extermination of the Jews and the families of the two aforemen-
tioned jurists, at the hand of Wachter, governor of Galithia, of over 130,000 people in
a single month, August 1942. The Russian Prosecutor made the news public in the
presentation of the accusation.
Philippe Sands received an informal invitation to the University of Lemberg that he
accepted with a keen interest in visiting the place of his ancestors and the opportunity to

35
Collected papers in http://www.preventgenocide.org/lemkin/ [18. 05. 2020].
36
Lauterpacht with an introduction by Sands 2013; Vrdoljak 2010, 1163 – 1194.
Torture and Inhumanity 703

enter into contact with some surviving family members. At that point in time he an-
nounced the detective-like search for information on his family, on the other protago-
nists, in official files, and in private ones from Europe and America. The search for his
own family required the labors of a detective, but he managed to clarify the reasons that
might have explained why his grandfather emigrated in 1938, his grandmother stayed
in Vienna, but his grandfather’s daughter, Sands’s own mother, moved to Paris with
only a few months of life. He reconstructed the life – and the death – of almost all
of them and in the process discovered the terrible fate of European Jews. Not even Ein-
stein could save his two sisters. Sands’s grandmother lived in the same street of the
small city close to Lemberg, the city in which Hersch Lauterpacht had lived, the Lem-
bergstrasse, in German times, or East-West street in all the others.
Mark Mazower, in his review of the work of Sands,37 said that the greater part of
the most intimidating material in the book is personal. Thus, we learnt that Lauter-
pacht was inspired to write his treatise on human rights listening to the music and the
words of the Passion according to Saint Matthew and that, in turn, it was the piece that
was performed more than any other in the Castle of the “King” of occupied Poland,
who was to transport Lauterpacht’s family and all of his relatives to the great beyond.
We also know that their executioner, Otto von Wachter, sought by the Soviets together
with Hans Frank, avoided two trials and execution, protected by the Nazi bishop
Hudal, rector of the Teutonic college of Saint Mary of Anima, in the clandestinity
of Rome. He was very soon to die there of a raging hepatitis contracted from the
cold and contaminated waters of the Tiber in 1949, and for his consolation in the Hos-
pital of the Holy Spirit. Mazower was right, there was a lot of “personal” baggage in
the book.

5. Final Conclusions
In brief, it was at Nuremberg, in the acts that were under judgement and in the lives
of its leading figures, where the cry that the world gave out against crimes against
humanity could be understood. So too the reasons that shed light on both the new
attempt at world government that the conference of San Francisco represented,
the creation of the United Nations and the adoption of the Universal Declaration
of Human Rights in 1948. It is by following the testimony of the experiences of
those that suffered torture and extermination that the two worst crimes may be under-
stood today and, therefore, the two most radical prohibitions, whether torture and
genocide.
The right not to be a victim of torture is, within the fundamental rights, the one that
is formulated with no restrictions at all, a right ranked second in the set of fundamen-
tal rights of the Declaration. However, even the right to life has (will have) restric-
tions; not so the right to exclude torture from the behaviour of the state and its agents.
37
Sands 2016.
704 Luis Arroyo Zapatero

The same norm has been reaffirmed in subsequent texts following the Universal
Declaration and the European Convention, thus, under article seven of the Interna-
tional Covenant of Political and Civil Rights, in the American Convention on Human
Rights of 1969, under article 5; in the Convention against Torture and Other Cruel,
Inhuman or Degrading Treatment, of 10th December 1984; in the statutes of the In-
ternational ad hoc Tribunals and in the Rome Statute of the International Criminal
Court of 1998; in the Charter of Fundamental Rights of the European Union,
under article 4; as well as the jurisprudence that is systematically applied in the re-
spective jurisdictional fields. Article 3 of the European Convention of Human Rights
proclaims that: “No one shall be subjected to torture or to inhuman or degrading treat-
ment or punishment.” The “Prohibition of torture”, as article 3 is titled, and inhuman
and degrading treatment, as Schabas says, is frequently cited as one of the most ab-
solute and sacred of the fundamental human rights. Its fundamental meaning is to
stand up to the “necessities” of the fight against crime and the reason of state itself.
Schabas reproduces a text presented by the British Labour parliamentarian, Seymour
Cocks, at the Consultative Assembly that drafted the text of the convention:
“The Consultative Assembly takes this opportunity of declaring that all forms of physical
torture, whether inflicted by the police, military authorities, members of private organisa-
tions or any other persons are inconsistent with civilised society, are offences against heaven
and humanity and must be prohibited”.38

and declares that


“this prohibition must be absolute and that torture cannot be permitted by any purpose what-
soever, neither by extracting evidence for saving life nor even for the safety of the State”.39

The Assembly believes “that it would be better even for Society to perish than for
it to permit this relic of barbarism to remain”.40 Although this text was not finally
approved, the dry and dogmatic text reproduced above was adopted, and the fact
is that prohibition is effectively understood as absolute and irrevocable and constit-
utive of ius cogens.41
The radical, obligatory prohibition of ius cogens completely disqualifies any at-
tempt at legitimizing the exceptions that are alleged in favor of the supposed criminal
law of the enemy, of the so-called tortures of salvation, as Francisco Muñoz Conde
has broadly justified in his recent work published in honor of Santiago Mir42 and I

38
Collected edition of the “travaux preparatoires” of the European Convention on Human
Rigths, Martinus Nijhof, I, 1975, 36 – 38.
39
Collected edition of the “travaux preparatoires” of the European Convention on Human
Rigths, Martinus Nijhof, I, 1975, 36 – 38.
40
Collected edition of the “travaux preparatoires” of the European Convention on Human
Rigths, Martinus Nijhof, I, 1975, 36 – 38.
41
Schabas 2015, 154 ff.
42
Muñoz Conde 2017, 769 ff.
Torture and Inhumanity 705

conclude as he did, by turning to Massimo La Torre: it is quite illegitimate for the


state to act senza pietà and to resort to torture.43

References

Améry, J. (1966): Jenseits von Schuld und Sühne: Bewältigungsversuche eines Überwältigten.
München.
Améry, J. (1980): At the Mind’s Limits: Contemplations by a Survivor on Auschwitz and Its
Realities. Bloomington.
Améry, J. (2004): Más allá de la culpa y la expiación: Tentativas de la superación de una víctima
de la violencia. Editorial Pre-Textos. 2nd edition. Valencia.
Ataria, Y., Kravitz, A. & Pitcovski, E. (2019): Jean Améry: Beyond the Mind’s Limits.
Augstein, F. (2008): Von Treue und Verrat: Jorge Semprún und sein Jahrhundert. München.
Bassiouni, M.C. (2010): The Institutionalization of Torture by the Bush Administration: Is Any-
one Responsible? Antwerp; Portland, OR.
Caballero, J.B. & Zapatero, L.A. (2013): Francisco de Goya. Contra la crueldad de la pena de
muerte. Madrid: Ediciones de la Universidad de Castilla-La Mancha.
Centro Nazionale de Prevenzione e Difessa Sociale (CNDPS) (2015): Cesare Beccaria y la abo-
lición de la pena, in: CNDPS (ed.), Dei delitti e delle pene a 250 anni della publicacione.
Lezione di Cesare Beccaria. Milan, pp. 61 – 68.
Costerbosa, M.L. & Torre, M.L. (2013): Legalizzare la tortura? Ascesa e declino dello Stato di
diritto. Bologna.
Council of Europe (1975): Collected Edition of the “Travaux Preparatoires” of the European
Convention on Human Rights, Martinus Nijdhof, I, 1975.
Delmas-Marty, M., Fouchard, I., Fronza, E. & Neyret, L. (2009): Le crime contre l’humanité.
Paris.
Hessel, S. (2012): Indignez-Vous! Montpellier.
Ingrao, C. (2017): Creer y destruir: los intelectuales en la máquina de guerra de las SS. Barcelona.
Kochavi, A.J. (2005): Prelude to Nuremberg: Allied War Crimes Policy and the Question of
Punishment. New ed. London.
Kogon, E. (1946): Der SS-Staat – das System der deutschen Konzentrationslager. München.
Kogon, E. (1965): The Theory and Practice of Hell: The German Concentration Camps and the
System Behind Them. Revised ed. New York.
Kogon, E. & Gimbernat Ordeig, E. (2005): El estado de la SS: el sistema de los campos de con-
centración alemanes. Barcelona.
Lauterpacht, H. (2013): An International Bill of the Rights of Man. Updated ed. Oxford, United
Kingdom.
Lemkin, R. (2015): Genocidio. Escritos, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales. Madrid.

43
La Torre & Lalatta 2013.
706 Luis Arroyo Zapatero

Leuzinger, M. (2018): Jorge Semprún: Frontières/Fronteras. Tübingen.


Littell, J. (2007): Las benévolas. Translation ed. Barcelona.
Littell, J. (2009): The Kindly Ones. New York.
Muñoz Conde, F. (2017): Estado de necesidad y tortura: “Necessitas non habet legem”? Estud
Derecho Penal Homen. Al Profr. Santiago Mir Puig 2017, pp. 769 – 785. B de F
Plesch, D. (2017): Human Rights after Hitler. Washington, DC.
Ramírez, S.G. (2015): Beccaria en nuestra América. Revista Penal México 8, 29 – 47.
Sands, P. (2016): East West Street: On the Origins of “Genocide” and “Crimes Against Human-
ity”. New York.
Sands, P. (2018): Rückkehr nach Lemberg: Über die Ursprünge von Genozid und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit. Frankfurt am Main.
Schabas, W.A. (2015): The European Convention on Human Rights: A Commentary. Oxford.
Schabas, W.A., Stahn, C., Powderly, J., Plesch, D. & Sattler, S. (2014): The United Nations War
Crimes Commission and the Origins of International Criminal Justice. Criminal Law Forum
25/1, 1 – 7.
Semprún, J. (1994): Literature or Life. Paris.
Semprún, J. (2001): Viviré con su nombre, morirá con el mío – Jorge Semprún. Planeta de Li-
bros. Barcelona.
Semprún, J. (2012): Exercices de survie. Paris.
Semprún, J. (2015): La mort qu’il faut. Paris.
Semprún, J. (2016): Ejercicios de supervivencia. Barcelona.
Semprún, J. & Villepin, D. de (2005): L’homme européen. Paris.
Tenenbaum, E. & Fleck, E. (1945): Buchenwald: A Preliminary Report.
Tomás y Valiente, F. (1997): Obras completas, I. Madrid.
Vrdoljak, A.F. (2009): Human Rights and Genocide: The Work of Lauterpacht and Lemkin in
Modern International Law, Part I. ID 1401234, Social Science Research Network. Rochester,
NY.
Wieviorka, A. (2015): 1945. La découverte. Paris.
Zapatero, L.A. (2016): Hans-Heinrich Jescheck: Die Bildung eines Charakters, in: U. Sieber
(eds.), Strafrecht in einer globalen Welt: Internationales Kolloquium zum Gedenken an Pro-
fessor Dr. Hans-Heinrich Jescheck vom 7. bis 8. Januar 2011. Herausgegeben zum 50-jäh-
rigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht.
Freiburg, 108 – 127.
Zapatero, L.A., Michel, R.E., Martín, A.N. & Alvarado, A. (2016): Metáfora de la crueldad: la
pena capital de Cesare Beccaria al tiempo presente. Ediciones de la Universidad de Castilla
La Mancha.
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause:
Findings from the Eastern Carribean
A Contribution in Honour of Professor Albrecht’s Initiative in China

By Roger Hood †

1. Introduction: Albrecht’s Initiative in China


Thirty years ago, in a report to the United Nations on the status of the death penalty
worldwide, I noted that even though public opinion was “quite frequently cited as a
major factor in the decision whether to abolish, restrain, or reinstate the death pen-
alty”, surveys of public opinion on this issue were virtually unknown outside of the
United States and Western Europe.1 Hans-Jörg Albrecht is to be praised for leading
the first major project to remedy this situation.
In 2003, the Max Planck Institute had collaborated with the Chinese Academy of
Social Sciences (CASS) on a modest empirical study, funded by European Initiative
for Democracy and Human Rights and administered by the Great-Britain China Cen-
tre in London, of the outcome of so-called ‘death-penalty cases’ – meaning those in
which the defendant was at risk of being sentenced to death – tried in the Intermediate
People’s Courts.2 I was privileged to be invited to take part in the seminar in Beijing at
which the findings were discussed and noted how often the issue of public support for
the death penalty entered the debate. At that time, the only evidence of the level of
support was the survey carried out by Professor Hu Yunteng of the Law Institute of the
Chinese Academy of Social Science (CASS), along with the National Bureau of Sta-
tistics of China, in three provinces in 1995 which had asked the single, broadly word-
ed, question: “what is your attitude towards the death penalty”, from which the in-
vestigators had concluded that 95 percent of the respondents were in favour of it.3
We had been made aware that one of the prime reasons put forward by govern-
mental, judicial and academic authorities in China for not following European na-
tions towards worldwide abolition of capital punishment was the belief that execu-
tions had such strong support among the general population and criminal justice pro-
fessionals that any attempt to reduce their scope and application too quickly, let alone

1
Hood 1989, 148.
2
Albrecht 2006.
3
See Oberwittler & Qi 2009, 4.
708 Roger Hood

to abolish them altogether, would be an affront to public opinion, incompatible with


Chinese cultural values, and likely to undermine public feelings of security at a time
of large-scale demographic and other social change. For instance, although the ques-
tion of the scope and use of the death penalty was on the agenda of an EU-China
Human Rights Seminar that Professor Albrecht and I attended in Beijing in 2001,
we learned that at the same time a “strike hard” campaign had resulted in over a
1,000 executions in one month.4
Following the successful endeavour of the Max-Plank Institute in 2003 to open the
subject to empirical enquiry, the European Commission announced in 2005 that it
would support an initiative to try to ‘move the debate forward’ in China. Hans-
Jörg, who had been deeply sceptical whether the extensive use of capital punishment
in China was in fact so strongly supported by public opinion, made the bold proposal
to mount a sophisticated and large-scale public opinion survey to provide an empiri-
cal basis for discussion of the prospects for death penalty reform. The acceptance of
Hans-Jörg’s proposal signalled confidence in his scientific integrity, although the
Chinese authorities may also have felt that the findings of a public opinion survey
would not challenge, but reinforce, what they held to be self-evident.
“Moving the Debate Forward: China’s Use of the Death Penalty”, was a collab-
orative project of research and seminars, co-ordinated by the Great Britain-China
Centre in London. The participants were the Max-Plank Institute for Foreign and In-
ternational Criminal Law, the College of Criminal Law Science of Beijing Normal
University, Wuhan University, the London-based Death Penalty Project, and the Irish
Centre for Human Rights.

1.1 The Significance of the Max-Planck Initiative in China

The Max-Planck public opinion survey, carried out with the assistance of the Re-
search Center for Contemporary China at Peking University, was on different scale
and of an altogether superior methodology than what had been attempted before in
China, or in any other nation outside of the USA. It gathered responses from a sci-
entifically drawn sample of nearly 4,500 citizens (69% of those approached) in Hubei
and Guangdong provinces and in Beijing who were personally interviewed between
1st November 2007 and 20th January 2008.5
To a considerable extent the survey, designed, analysed and written by Dietrich
Oberwittler and Shenghui Qi (a Chinese doctoral student at Max-Planck) under Pro-

4
See Hood 2009, 3.
5
A similar survey of criminal justice personnel drawn from various professionals in the
criminal justice system with knowledge of and responsibility for the imposition of the death
penalty in China was carried out at the same time by a trained team of doctoral and master’s
degree candidates at Wuhan University’s Criminal Law Research Centre, under the direction
of Professor Mo Hongxian. Regrettably there is not space here to report on its findings. The
author of this article was honoured to be appointed Consultant to both surveys.
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 709

fessor Albrecht’s direction, dispelled the myth that members of the public had a deep
and inflexible commitment to the current use of capital punishment in China. It was
surprising that only 58 percent said that they were in favour of the death penalty in
general and that in addition, over a quarter were undecided about their attitude.6 This
was backed up by their reactions when asked to decide on the appropriate penalty
when presented with several ‘scenarios’ of murder convictions presented to them.
For example, when told that:
“A man robbed a convenience shop with a gun and killed the shop owner by shooting him in
the head. He took away with him 2000 Yuan cash. He had been in prison twice for robbery.”

less than half of the sample thought that an immediate death sentence would be the
appropriate punishment.7
Asked whether they thought that China should ‘speed up’ towards abolition of the
death penalty, only 53 percent opposed this view and, again, a large minority (a third)
said they were not sure what the policy should be. Although only one fifth thought
that China should immediately follow other countries in abolishing the death penalty
(a majority believing that China should go at its own pace in relation to its own cir-
cumstances) the fact that so many were unsure what they thought about the subject of
the death penalty indicated that they may well have been prepared to follow political
leadership on this issue. Certainly, these and other findings (which there is not room
to discuss here) suggested that the central question might best be reformulated from
“How many people are in favour of the status quo” to “Is public opinion so inflexibly
resistant to the policy of abolition of capital punishment to make it politically impos-
sible to enact in law”?
Not only did the independent evaluator appointed by the EU praise the Max-
Planck opinion survey (and the survey of the opinions of criminal justice personnel
carried out in parallel by Wuhan University) as “without doubt the most important
part of this project”, it was also welcomed by Chinese academics favourable to
death penalty reform. But it appears that the authorities and judges remained either
ignorant, or at best sceptical, of the findings of the Max-Planck Research. Interviews
with judges and criminal justice professionals working both at the national and pro-
vincial levels revealed that they remained convinced, on the basis of their own expe-
rience and the information they gleaned from the internet of punitive reactions ex-
pressed by so-called ‘netizens’ in response to egregious incidents of murder, that pub-
lic opinion was still strongly in favour of capital punishment.8 They criticised the na-
tional opinion survey on the grounds of sample size, the limited number and
characteristics of the provinces surveyed, and the nature of the questions posed.

6
Although when asked specifically whether they favoured the death penalty for murder
78% said Yes. Even so, this was well below the 95% reported by Hu Yunteng.
7
See Oberwittler & Qi 2009, 12 and 14.
8
See Miao 2013, 510 – 512; Liu 2019.
710 Roger Hood

This was a disappointing outcome,9 but the research had a much wider value and
impact. It acted as a stimulus to researchers to explore public opinion in greater depth
in several other retentionist countries. All had maintained, in one way or another, that
public opinion and public sentiments are so culturally different and dependent on na-
tional circumstances that the question of the death penalty is “first and foremost an
issue of the criminal justice system and an important deterring element vis-à-vis the
most serious crimes”. Furthermore, “that [capital punishment] is not a question of
human rights” but to be “determined by each State, taking fully into account the senti-
ments of its own people, the state of crime and criminal policy”.10
Hans-Jörg’s initiative, and the excellent report produced by his colleagues Ober-
wittler and Qi, inspired others to explore whether the claims made by many retention-
ist governments accurately reflect public attitudes and what they would be willing to
accept if leadership were to be exercised by the political elite.11

1.2 The Wider Significance of Public Opinion Surveys


on the Death Penalty

In a recently published article, I have reviewed the findings of similar surveys in


eight retentionist nations, including China.12 It shows that a salient factor is the
strength of opinion in favour of the retention or abolition of capital punishment.
When this is considered, it suggests that although the immediate response of the ma-
jority may be that they favour the status quo, this does not mean necessarily that they
would be opposed to its abolition. For example, the survey in Taiwan, carried out by
Professor Chiu Hei-Yuan, found that while 85% of respondents said they were op-
posed to abolition, only 32% said they were strongly opposed. In Ghana, Tankabe
found that the balance of opinions was greatly in favour of those who had strong feel-
ings against capital punishment: while 48% were intensely opposed to it only nine
9
It should be acknowledged that at this time China began to proceed with a number of
legal reforms, most notably to bring the review of all death penalty judgements under the
control of the People’s Supreme Court and reduce the scope of offences subject to capital
punishment.
10
This is the justification of states which have recorded their “persistent objection to any
attempt to impose a moratorium on the use of the death penalty or its abolition,” in a Note
Verbale sent to the UN Secretary-General after each occasion since December 2007 that the
General Assembly has passed by a majority a resolution entitled “Moratorium on the use of
the death penalty.” For the latest Note Verbale, see Promotion and Protection of Human
Rights: Human Rights Questions, Including Alternative Approaches for Improving the Ef-
fective Enjoyment of Human Rights and Fundamental Freedoms, in: Note Verbale dated Sept.
7, 2017 from the Permanent Mission of Egypt to the United Nations addressed to the Se-
cretary-General, U.N. Doc. A/71/1047 (Sept. 13, 2017), 3 – 4.
11
See Hood & Hoyle 2016, 426 – 432.
12
Hood 2018, 218 – 242. The countries were: The People’s Republic of China (Oberwittler
& Qi 2009), Trinidad (Hood & Seemungal 2011); Malaysia (Hood 2013); Singapore (Cheong
et al. 2016); Taiwan (Chiu 2019); Ghana (Tankebe et al. 2015); Japan (Sato 2013; 2014; Sato
& Bacon 2015); Belarus (Penal Reform International 2017).
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 711

percent of respondents “expressed intense approval”. Even more remarkable was the
response found by Chan Wing-Cheong and colleagues in Singapore: while 70% said
that they were generally in favour of the death penalty, only nine percent chose “I am
strongly in favour of it:” When the option “should [the death penalty] definitely be
kept” was introduced in a survey by Mai Sato of Japanese opinion only 44% of re-
spondents endorsed it, whereas the government’s survey had found that as many as
86% had agreed that the “death penalty is unavoidable in some cases”.13 Sato and
Bacon also found that although three-quarters of respondents had said they agreed
that the death penalty should “definitely” or “probably” be kept, as many as seven
out of ten admitted that they would “simply accept abolition as government policy
if the government decided to exercise its leadership.”14 Such was their commitment to
capital punishment!
When respondents were asked whether they would favour the death penalty if it
were to be proven that innocent persons had been executed, support for it had plum-
meted from nine out of ten to only a third in China. There was virtually the same re-
sponse when this was asked of citizens in Malaysia, Singapore, Trinidad, Taiwan and
Ghana: strong evidence that in many countries support for the death penalty is con-
tingent on the belief that it is administered without error. There was a remarkable
degree of concordance between judgments made by respondents from different coun-
tries, on the appropriateness of imposing a sentence of death when they were present-
ed with scenarios of real cases. In every survey where this technique was employed,
only a minority favoured the death penalty when mitigating circumstances were pres-
ent. Even in cases with aggravating factors, the proportion choosing death, as the
China survey had shown, was considerably lower than the proportion who had sup-
ported the death penalty “in the abstract.” In countries where the death penalty was
the mandatory punishment for murder and drug trafficking, support for it proved to be
very low when respondents were faced with judging cases with differing factual cir-
cumstances. In Malaysia, for example, where 56% of the sample said they were in
favour of the mandatory death penalty for murder15 only 14% of them actually
chose to “impose” the death penalty in all three of the murder cases they judged,
as required by the law. Thus, only eight percent of the total of over 1,500 respondents
both said they favoured the mandatory sentence and imposed it in practice.16 They
accepted that to treat all cases the same as if they were of equal culpability would
amount to injustice.
In fact, one of the most remarkable findings was that, when respondents were
asked to compare the likely effectiveness of five social and criminal justice policies
aimed to reduce violent crimes leading to death in Malaysia and in Singapore, “great-

13
Sato 2014, 105 – 107.
14
Sato & Bacon 2015, 27.
15
88% of the 56% were actually “strongly in favour”.
16
Hood 2013, 20 – 21.
712 Roger Hood

er number of executions” was ranked last by the largest proportion of respondents in


Malaysia (48%) and in Singapore (74%) and first by only 12% and 5% respectively.17
Of perhaps greater significance is that these surveys have revealed that the balance
of views, values and judgments on the death penalty, made by respondents inter-
viewed in retentionist countries drawn from the Caribbean, Asia, Africa and Eastern
Europe, far from being country-specific and unique, were based on commonly shared
norms. Furthermore, in every country, opinions on the death penalty, whether in its
favour or expressing opposition to its abolition, were far more nuanced and moderate
than governments apparently believed or were prepared to accept. It is not surprising
therefore that Frank Zimring and David Johnson concluded, from their reflections on
the public opinion survey in China, that:
“[…] public opinion seems to tolerate substantial changes in execution policy notwithstand-
ing general support for the death penalty as an abstraction. Changes in government death
penalty policy are rarely inspired by public sentiment, and the efforts of government to
shift policy are usually tolerated by the citizenry.”18

2. Understanding the Persistence of ‘Abolition de Facto’


Through the Views of Opinion Formers
I take this opportunity to discuss an opinion survey relevant to the issues discussed
above, but in relation to different circumstances: namely to question well-informed
prominent citizens why, in their view, their government had not abolished capital
punishment despite the fact that no executions have been carried out for many years.
The assumption has often been made that citizens will come to accept abolition
once executions have no longer been carried out for a considerable period of time.
This could be because it would demonstrate that they were no longer regarded as
an essential element of deterrence to murder or other grave crimes, or no longer re-
garded as an appropriate or proportionate response, but have simply become one of
the cruelties inflicted by past generations and are now incompatible with developing
standards of human rights. This is why the United Nations and many other pro-abo-
litionist organisations have categorised countries that retain the death penalty in law
but have not executed anyone for at least 10 years, as “abolitionist de facto” and fre-
quently include them in a composite total of countries “abolitionist in law or in prac-
tice”. At present there are 46 such countries. Only Amnesty International distin-
guishes between those they have reasons to believe are committed not to execute any-
one sentenced to death (amounting to 28) and those that are in reality in favour of
retention (18) but for various reasons concerned with violations of human rights
standards, have not been able to carry out executions for 10 or more years. All of
them, of course, could revert to executions provided that they amended their proce-
17
Hood 2018, 240.
18
Zimring & Johnson 2012, 191 – 192.
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 713

dures and statute law so that it no longer violated internationally agreed human rights
standards.
The author and Florence Seemungal have very recently completed a study for The
Death Penalty Project, the London-based NGO, entitled ‘Sentenced to Death With-
out Execution’, which aimed to explore the views of leading opinion-formers in the
six member countries of the Organisation of Eastern Caribbean States (OECS),19 as
well as the neighbouring non-member larger island of Barbados, as to why capital
punishment has not yet been abolished. All retain the death penalty for murder,
but with the exception of Grenada (which is the only one of them to be classed by
Amnesty as ‘abolitionist in practice’), the other six account for a third of the 18
de facto countries that Amnesty believes should still be regarded as retentionist.
Yet, with the exception of St Kitts and Nevis, nobody has been judicially executed
in any of the other countries for more than 20 years; and in three of them (Dominica,
Grenada, and Barbados) for more than 30 years.20 Furthermore, death sentences have
been imposed within the past 10 years only in St Lucia and Barbados; and in four of
these seven nations there were no persons still under sentence of death on ‘death row’
in 2018.21 Why then had the death penalty been retained on the statute books?
One hundred ‘opinion formers’, drawn from the seven jurisdictions were asked
why, they either continued to support the policy of retaining the death penalty or
were in favour of its abolition and what factors, beliefs, and assumptions about public
opinion and sentiments, appeared to account for their government’s unwillingness to
embrace complete abolition. The interviewees identified as ‘opinion formers’ were
selected by knowledgeable local informants, and drawn from four broad categories of
citizens: from politics (27), criminal justice and the law (34), the clergy (10), and civil
society, including the media (29). They encompassed leaders in government and op-
positional parties and senior civil servants; prison chiefs, senior police officers, prac-
ticing lawyers and a few judges; senior clergy from several denominations; workers
in voluntary organisations, well-known businessmen, media personalities and other
prominent and respected representatives of civil society.22 They were interviewed by

19
Hood & Seemungal 2020. The countries were: Antigua and Barbuda, Dominica, Gre-
nada, St Kitts and Nevis, St Lucia, St Vincent and the Grenadines, and Barbados.
20
The last execution in St Kitts and Nevis took place in 2008 (after a gap of 10 years). The
last execution in the other nations was: Antigua & Barbuda (1991), Dominica (1986) Grenada
(1978) St Lucia (1995), St Vincent and the Grenadines (1995), and Barbados (1984).
21
One in Grenada, one in St Vincent and the Grenadines, and 11 in Barbados. All 11 in
Barbados are due to be resentenced now that Barbados has renounced the mandatory death
penalty for murder and it looks likely that, after the facts in these cases have been reconsidered
and a discretionary penalty applied, the number remaining on death row will be much reduced.
22
Of the 100 interviewees, 70 were males and 30 female and 58 were aged between 30 and
60. Thirty-nine said they were Roman Catholic or Anglican and 44 were non-conformist or
belonged to a Christian sect. Only 17 identified themselves as non-religious. Among the 27
‘politicians’, eleven supported the party in power and nine supported the opposition, seven
were independent. Taking into account all respondents, 22 said that they supported the gov-
ernment and 19 supported the opposition. In order to ensure confidentiality, the findings are
714 Roger Hood

my research associate, Dr Florence Seemungal, a citizen of Trinidad and Tobago, and


by Ms Amaya Athill, a qualified barrister from Antigua.
Those who responded to the invitation to take part in the study were, in general,
well informed about 10 main facts relating to the scope, practice and procedures re-
garding use of the death penalty in their country.23 However, only a minority were
aware of their country’s negative response to efforts by the international community
at the UN General Assembly since 2007 to support a moratorium on death sentences
and executions throughout the world.24

2.1 The Level of Support for Retaining the Death Penalty

Respondents were first asked whether personally they were strongly/firmly in fa-
vour of retaining the death penalty; tended to favour retaining it; tended to favour
abolishing it; or were strongly/firmly in favour of abolishing it. They happened to
be almost equally divided: 48 in favour of retention and 52 favouring abolition,
but a higher proportion (22/52) of those in favour of abolition were strongly/firmly
in favour of it (58%), whereas only 18 of the 48 in favour of retention (38%) held this
opinion strongly.25
When those who favoured retention were asked what was their own main reason
for doing so 84% chose a retributive response: “It is necessary to show that murder is

reported for the six OECS countries and Barbados as a ‘block’, and we believe that this is
justified by the fact that all the states involved have, with a few exceptions, followed a similar
(and perhaps united) policy on the subject of capital punishment. Given that we would need to
keep the interview relatively short, a structured questionnaire was devised and the questions
mainly asked the respondent to choose which of a number of optional statements or reasons
best reflected their opinion, and to rank the main reason 1. If they wished to choose other
reasons as well, these were to be ranked 2 or 3 etc. They were under no obligation to rank any
other reason if they did not regard it as relevant. This method of choosing ‘no rank’ had the
advantage of highlighting how many informants regarded a possible reason as of no si-
gnificance or relevance.
23
In the hope of gaining a good response rate, the invitations were kindly sent by the Dean
of the Law Faculty of the University of the West Indies.
24
As many as 61% (43/71) of respondents from five countries (Barbados, Grenada, St
Lucia, St Kitts and Nevis, St Vincent and the Grenadines) had been unaware that since De-
cember 2007 and up to December 2018 their government had consistently voted against the
Resolution brought forward biannually at the UN General Assembly by a majority of nations
in favour of instituting a universal moratorium on death sentences and executions. Only 20 of
the 100 interviewed from the seven countries had known that all these countries (with the
exception of Dominica) had, in 2017, signed the Note Verbale sent to the UN Secretary
General protesting against such a resolution and dissociating themselves from it. See footnote
10, above.
25
It should be noted, of course, that this does not show what proportions would have taken
one view or the other if it had been possible to collect a truly representative sample of all so-
called “opinion formers” in the population of these countries. Nevertheless, the difference is
large enough to be indicative.
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 715

the very worst crime” (44%), or, “There will always be some murderers who deserve
to be executed” (40%). Only 10% chose as their main reason the deterrence argu-
ment: [that] “murders would increase”, and none chose “Because I believe public
opinion is opposed [to abolition] and I am a democrat” as their main reason. Indeed,
90% of them did not even choose (rank) this as a reason. And among those who were
in favour of abolition the main reasons given by two-thirds were that “Death has no
extra deterrent effect than long imprisonment”, or it is “an abuse of human rights/
murder by the state”, or because “wrongful conviction and execution is possible”.
These were all positive reasons for abolition: only eight percent chose as their
main reason the opinion it was redundant: “pointless with no executions”.
Subsequently they were asked why they thought that their governments had failed
to support abolition of capital punishment. Then, the majority of respondents thought
that it was mainly “because [their government] believed that the majority of citizens
are still in favour of it, [so] there is no pressure to do so” (46% chose this as the main
reason and another 38% as another reason: only 16% failed to mention it as a reason
at all). Twenty-four percent thought that the main reason was that “politicians think
support for abolition would make them unpopular and/or stir up opposition in the
media”; and another 21% chose, as their main reason, that their government“, like
other OECS countries and Barbados, believe it is [an] especially necessary deterrent
to control the incidence of murder”.
So, there was a large gap between what the informed respondents had stated was
their justification for retaining capital punishment and the reasons they attributed to
their governments for not abolishing the death penalty. In particular, none of the
‘opinion formers’ who favoured retention of the death penalty had chosen “public
opinion is opposed” as the main reason for being in favour (and 90% had not chosen
it as a reason at all), whereas the majority of them thought that the government be-
lieved that the majority of citizens were in favour of retention and not ready to em-
brace abolition.
So, were those among this body of well-informed opinion-leaders as committed to
retention of the death penalty, and opposed to its abolition, as they believed that their
government is?
Certainly, the majority of the 48 retentionist informants were not in favour of
changing the already very restrictive scope and application of the death penalty in
their country.26 Half selected the option “to leave the law and practice as it is”, ex-
pressing themselves content that it was now restricted to “the ‘worst of the worst’
26
The Eastern Caribbean Court of Appeal and the United Kingdom Privy Council laid
down in the case of Trimmingham v The Queen [2009] UKPC 25, that the death penalty can
only be imposed on the ‘worst of the worst’ cases where there is absolutely no prospect of the
reformation of the defendant. And, the Judicial Committee of the Privy Council in Pratt and
Morgan v The Attorney General for Jamaica [1993] 4 All ER 769, (PC), ruled that to retain a
person under a death sentence for longer than five years on death row is unconstitutional,
being a cruel and inhuman punishment. After five years, if the person has not been executed,
the death sentences should be commuted to life or other terms of imprisonment.
716 Roger Hood

murders […] in circumstances that warrant the death penalty […]” [and] “is not being
used frivolously or recklessly” […] “and only in extremely rare cases”. Another six of
the 48 endorsed the view that it should be “restricted in use still further if possible”.
Only 18 of the 48 (18% of the total 100 persons interviewed) endorsed the statement
“the death penalty should be retained but made less restrictive, so that it could be
implemented more effectively”. Some of them mentioned the need for more certainty
of punishment – including more effective policing and not allowing the length of the
appeal process to restrict the carrying out of the sentence – but most wanted the no-
tion of the “worst of the worst” to be extended to include certain specific types of ill-
defined murder, such as:
“Death penalty for malicious murders, killing of law-enforcement officials, domestic mur-
ders, death penalty for crimes of passion”; “for malicious murders, family annihilations,
cold-hearted killers”; or “when people show no remorse and glorify a crime, then [the
death penalty] should be used”.

As mentioned earlier, several surveys have asked respondents how they would
compare the likely effectiveness of a policy of “more executions” as a way of con-
trolling violent crime leading to death, compared with other social and criminal jus-
tice policies.27 The 100 ‘opinion formers’, both retentionists and abolitionists were
asked to rank in order of effectiveness a selection of nine social and criminal justice
policies (see Table 1). Only 10 (six retentionists and four abolitionists) endorsed
“more executions” as likely to be effective: only two ranked it first as the most ef-
fective and 90% did not choose it as an effective measure at all. The proportions
of retentionists and abolitionists who rejected the policy of more executions was
very similar: 79% and 83% respectively. This was also the case when ranking ‘longer
prison sentences’, which 88% of retentionists and 92% of abolitionists declined to
endorse.
In contrast, 76% chose first either “better moral education of young people against
the use of violence”, or “more effective policing in bringing offenders to justice”, or
“reducing poverty and improving housing” as the most effective policies. A slightly
higher proportion of the abolitionists favoured the educational and ameliorative ap-
proach. Retentionists more often than abolitionists chose ‘more effective policing in
bringing offenders to justice’.

27
Hood 2018, 239 – 240.
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 717

Table 1
More Executions Ranked Against Alternative Policies
Aimed to Control Violent Crime Leading to Death (N = 100)
Nine policies Ranked Chosen as Not Total
first additional chosen N
policy
Better moral education of young people against
45* 28 100
the use of violence28
More effective policing in bringing
16** 35 49 100
offenders to justice29
Reduce poverty and improve housing 15*** 34 51 100
The three main policies chosen 76
Better control of the drug trade 4 44 52 100
Better control and possession of firearms 6 42 52 100*
Better services to prevent
3 41 56 100
domestic violence
Better preventive treatment of the mentally ill 4 28 68 100
Longer prison sentences 5 14 81 100
More executions 2 8 90 100
Note: * 50% of retentionists and 40% of abolitionists; ** 21% of retentionists and 12% of abolitionists; *** 8% of
retentionists and 21% of abolitionists.

What did the 100 respondents think the effect would be on the behaviour of the
general population if the government were to proceed to legislate for complete abo-
lition? Table 2 shows that when presented with various possible outcomes, only 19
(seven of the 52 abolitionists and 12 of the 48 retentionists) endorsed the view that
“there would be strong public dissatisfaction, in the media and elsewhere, against the
decision and repeated calls for its reinstatement”. Even though only eight of the 100
respondents believed that the majority of the public would accept abolition immedi-
ately, a large majority (68) agreed with the opinion that there “might be some dem-
onstrations or expressions of dissatisfaction leading up to abolition, but the majority
of the public would come to accept it once the law was passed”. Altogether, this
amounted to 76 of the 100 informants, including two-thirds (66%) of those who
said they were in favour of retaining the death penalty.
It is clear that supporting retention of capital punishment did not imply that the
majority of our informants believed abolition would be unacceptable to the majority
of the population of their country once it had passed into legislation.

28
One abolitionist (a lecturer) said: “It is not about moral education; we have an educa-
tional system that is not sufficient, which allows people to funnel into criminal activities. We
don’t need more ‘Jesus’, we need a better educational system.”
29
A senior criminal justice administrator noted: “The justice system is very important, and
we need to improve it and restore the faith of citizens in the justice system.”
718 Roger Hood

“There would be objection to abolishing it but not at the level of demonstrations. There is no
push back [my country] will eventually accept it.”
“If we were to have demonstrations it would have been done already, because it has already
been de facto abolished.”

Table 2
Estimated Public Reaction if the Death Penalty were to be Abolished
(N = 100, Percentages Rounded)
Likely public reaction Reten- Abolition- Total
tionists ists
N % N %
Demonstrations of strong public dissatisfaction,
in the media and elsewhere, 12 26 730 14 19
and repeated calls for its reinstatement.
Some demonstrations or expressions of dissatisfaction
leading up to abolition, but the majority of the public 27 56 41 79 68
would come to accept it once the law was passed.
The majority of the public would immediately
5 11 3 6 8
accept it.
Relatives of victims or others might take law
4 9 1 2 5
into their own hands.
Total 48 52 100

With regard to the position they would take themselves were the government of
their country to bring forward legislation to abolish the death penalty all informants
were asked: “Would you personally be willing to either support or not to oppose an
act of parliament to abolish capital punishment completely in your country?”. This
revealed that only 12 of the 100 informants, all of them retentionists, said they would
strongly oppose such legislation by “definitely” voting against it. This included only
seven of the 18 who had said they were strongly and vigorously in favour of retention.
In fact, 70 of the 100 informants said they would either support the legislation (51), or
at least not oppose it (19): the remaining 18 would confine themselves to raising ob-
jections or were not prepared to commit themselves to a decision at this time. The
supporters of an abolition act were fairly evenly balanced between those who said
they would give vigorous support (27) and those who would support but “not take
the lead” (24).
It appeared, therefore, that the majority of ‘opinion formers’ interviewed who fav-
oured retention of the death penalty:
30
It is interesting to note that one criminal justice professional who favoured abolition
believed that people had been calling for the death penalty because of an increase in crime and
therefore suggested that it “would make sense to take into consideration victims’ rights […] a
balance between thinking about defendants’ rights and victims’ rights, including the provision
of victim support, whether in terms of access of information, physical and emotional support,
or financial assistance”.
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 719

• Were not in favour of increasing its scope and enforcement.


• Did not believe that more executions were an effective policy to combat violent
crime.
• Did not fear that abolition would be unacceptable to the majority of citizens.
• Would not themselves vote against it if a bill were to be introduced to abolish the
death penalty completely.

2.2 How Could Complete Abolition be Achieved?

However, there was little consensus among those who said they favoured abolition
as to how this could best be achieved. None of the alternative strategies put to them
was ranked first by more than a quarter of them. Nevertheless 31 of the 52 (60%) gave
some support to “by creating an influential civil society pressure group Citizens
Against the Death Penalty”; and half supported “by a legal challenge to the consti-
tutionality of the death penalty”. But, significantly, only a handful favoured “by the
government announcing an official moratorium and signing the next UN resolution in
favour of a universal moratorium”.31 Nor was looking to political leadership from the
apex of government a favoured tactic. In fact, 90 per cent showed no hope that “seek-
ing to persuade the prime minister to lead a movement for abolition” would be worth-
while. Nevertheless, these findings may well prove valuable to those in the region
who wish to promote abolition.

2.3 The Need to Confront Isolation


from International Trends and Opinion

As mentioned above, a substantial majority of the respondents had been unaware


that their country had, since 2007 consistently voted against a resolution, brought
forward by a majority of nations at the UN General Assembly, to institute a world-
wide moratorium on the death penalty and executions. An even larger proportion had
also been unaware that their country had (with the exception of Dominica in 2017)
signed a Note Verbale to the UN General Assembly protesting against and dissoci-
ating itself from the bringing forward and adoption of the moratorium resolution and
its claim that the use of capital punishment was a ‘human rights issue’, rather than
simply an issue to be decided – as a matter of national sovereignty – by each nation
according to its circumstances and culture.32

31
Favoured as first choice by 3 (6%) and not chosen at all by 40 (77%). “By persuading the
Prime Minister to lead a movement for abolition” was chosen as first choice by only one of the
52 and not chosen at all by 47 (90%).
32
See footnote 10, above.
720 Roger Hood

This survey showed that almost all the informants who favoured retention shared
their government’s view that the question of abolition should not be influenced by, or
follow the policy adopted by, the majority of nations. When asked:
“Does the fact that, in recent years, since 1989, the number of counties worldwide that have
completely abolished [the death penalty] has now risen from 35 to 106 – [and] that eight
states of the USA have abolished capital punishment [New York, Illinois, New Mexico, Con-
necticut, Maryland, New Jersey, Delaware and Washington] – alter your view on whether
your country should follow the international trend?”,33

forty-four of the 48 (92%) answered No: “it makes no difference; I would still
support the death penalty”; four said they were “not sure” or expressed no opinion;
but none said Yes.
Their reasons for rejecting these facts as a guide to policy were all concerned with
their view that:
• “Each country must consider its own, even unique, circumstances”;
• “Do not follow the multitude; take a society position on the matter, consider the
values of a society; because [our country] is independent and capable of making its
own decisions”;
• “Doesn’t mean what they are doing is the right thing. Other countries have differ-
ent social issues and lobby groups who pressure for change. We don’t have that
here”;
• “I don’t believe that the morality and perspective that influence the views of other
countries is correct and relevant to [my country]. I don’t think they are more en-
lightened”;
• “We are a sovereign state”.
Similarly, when retentionists were told that “only two countries in South and Cen-
tral America (Guyana and Belize) retained the death penalty but had not enforced it
for many years”, and were asked whether this affected their view on whether their
country should join the majority of abolitionist nations in its region, only two of
the 48 said this would change their mind. So, 94% said definitely “No: I would
still be opposed”.34
However, when informants who lived in the five countries35 that had always voted
against the resolution at the UN calling for a worldwide moratorium on the death pen-
alty and executions were asked whether they thought their government’s policy
should be reconsidered and reversed, more than half (56%) thought that it should.
But this was because more than three-quarters (78%) of the supporters of abolition

33
See Hood & Hoyle 2015, 10 – 48; also Hood & Hoyle 2018.
34
One respondent did not express an opinion.
35
Barbados, Grenada, St Kitts and Nevis, St Lucia, and St Vincent and the Grenadines (but
not Antigua and Barbuda or Dominica).
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 721

favoured this change of policy. In fact, only a third of the retentionists did so and only
26% of retentionists favoured reversal of the policy of always signing the Note Ver-
bale of dissent to the moratorium.36
This is very strong evidence that most of these retentionist informants, drawn from
the ‘opinion formers’ in these countries, gave no weight to the international or region-
al movement to embrace abolition. Furthermore, they were the most resistant to their
country moving forward to associate itself with the universal trend towards complete
elimination of capital punishment.
The overwhelming reason which emerged from these questions of why abolition-
ist and retentionist informants thought their government was opposed to joining the
international movement for abolition is clear from the following opinions:
• “Because it would be unpopular among citizens. Easy way out (abolitionist).”
• “The government is afraid to lose political capital because the people think it is a
deterrent to crime (abolitionist).”
• “Because the law has a view that is in keeping with the views of the people and they
don’t want to emulate the international community (retentionist).”
• “Because our politicians are driven solely by the desire to do or not to do what is
politically expedient. Politicians believe that the public would be against the abo-
lition of the death penalty because our people believe in revenge and punishment
(abolitionist).”
• “They are led by the opinions of the people – that is democracy (retentionist).”
• “Because the government is hiding behind a collective CARICOM [Caribbean
Community] approach […]. It is a deep sense of ‘culture that still rules how we
deal with violence and crime. They [the government] do not have the political
will to stand up for human rights’ (abolitionist).”

3. In Conclusion
To sum-up: According to the ‘opinion formers’ interviewed for this survey, the
reasons why these governments have failed to bring forward legislation to abolish
capital punishment completely is their unwillingness to follow international trends,
on the grounds of national sovereignty, cultural exceptionalism, assumptions about
the deterrent effect of having the death penalty on the statute book, the strength of
public sentiments and concern for maintaining electoral popularity.
Yet the findings of this survey suggest that those ‘opinion formers’ who supported
the retention of the death penalty and their government’s resistance to the internation-
al moratorium, did not personally accept that assumptions about the strength of pub-

36
The informants in Dominica were not asked this question.
722 Roger Hood

lic opposition to abolition should determine the issue. When questioned more closely,
most of these knowledgeable and influential citizens did not believe that a policy of
executing those convicted of murder was likely to be effective in reducing violent
crime leading to death, nor did they predict that there would be a serious reaction
from the public if the death penalty were to be abolished completely and – with
only a few exceptions – they would not oppose or reject total abolition of capital pun-
ishment if their government were to take the lead.

References

Albrecht, H.-J. (2006): Strengthening the Defence in Death Penalty Cases in the People’s Re-
public of China: Empirical Research into the Role of Defence Councils in Criminal Cases
Eligible for the Death Penalty. Freiburg.
Chan, W.C., Tan, E.S., Lee, J.T. & Mathi, B. (2017): How Strong is Public Support for the Death
Penalty in Singapore. Asian Journal of Criminology; https://link.springer.com/article/10.
1007/s11417-017-9260-y.
Chiu, H.-Y. (2019): For or Against Abolition of the Death Penalty: Evidence from Taiwan
(R. Hood, ed.). London; www.deathpenaltyproject.org/wp-content/uploads/2019/03/Tai
wan-Public-Opinion-FINAL-ENG.pdf.
Hood, R. (1989): The Death Penalty: A World-wide Perspective. Oxford.
Hood, R. (2009): Abolition of the Death Penalty: China in World Perspective. City University of
Hong Kong Law Review 1/1, pp. 1 – 21.
Hood, R. (2013): The death penalty in Malaysia: Public opinion on the mandatory death penalty
for drug trafficking, murder and firearms offences. London.
Hood, R. (2018): Is Public Opinion a Justifiable Reason Not to Abolish the Death Penalty? A
Comparative Analysis of Surveys of Eight Countries. Berkeley Journal of Criminal Law 23/2,
pp. 218 – 242.
Hood, R. & Hoyle, C. (2016): The Death Penalty: A World-wide Perspective. 5th ed. Oxford.
Hood, R. & Hoyle, C. (2018): Towards the Global Elimination of the Death Penalty: A Cruel,
Inhuman and Degrading Punishment in: P. Carlen & L. Ayres França (eds.), Alternative Crim-
inologies. Abingdon, Oxon, pp. 400 – 422.
Hood, R. & Seemungal, F. (2011): Public opinion on the mandatory death penalty in Trinidad.
London.
Hood, R. & Seemungal, S. (2020): Sentenced to Death Without Execution: Why capital punish-
ment has not yet been abolished in the Eastern Caribbean and Barbados. London.
Liu, J.Z. (2019): The Internet Echo Chamber and the Misinformation of Judges: The case of
Overestimating Public Support for the Death Penalty in China; https://papers.ssrn.com/
sol3/papers.cfm?abstract_id=3480896.
Miao, M. (2013): The Politics of China’s death penalty reform in the context of global aboli-
tionism’. British Journal of Criminology 53/3, pp. 500 – 519.
Public Opinion Surveys and the Abolitionist Cause 723

Oberwittler, D. & Qi, S. (2009): Public Opinion on the Death Penalty in China: Results from a
General Population Survey Conducted in Three Provinces in 2007/08. Freiburg.
Penal Reform International (PRI) (2013): Crime and Punishment: Public Perception, Judge-
ment and Opinion. London.
Sato, M. (2013): Public Attitudes to the Death Penalty in Japan, in: The Death Penalty Project,
The Death Penalty in Japan. London, pp 31 – 51.
Sato, M. (2014): The Death Penalty in Japan. Will the Public Tolerate Abolition? Wiesbaden.
Sato, M. & Bacon, P. (2015): The Public Opinion Myth: Why Japan Retains the Death Penalty.
London.
Tankebe, J., Boakye, J. & Atupare, P.A. (2015): Public Opinion on the Death Penalty in Ghana.
Accra.
Zimring, F.E. & Johnson, D. (2012): Public Opinion and Death Penalty Reform in the People’s
Republic of China. City University of Hong Kong Law Review 3, pp. 189 – 196.
Dynamiken der Punitivität
Konsistenz und Ambivalenz als Strukturmerkmale der Einstellung
zur Todesstrafe, 1964 – 2014

Von Karl-Heinz Reuband

1. Einleitung
Zu keiner anderen Sanktionsart als der Todesstrafe hat es in der Vergangenheit
eine so breite Diskussion über das Verhältnis von öffentlicher Meinung, Kriminalpo-
litik und Kriminaljustiz gegeben.1 Und zu keiner anderen Sanktionsart wurden welt-
weit – auch in Deutschland – derart häufig Fragen in Bevölkerungsumfragen gestellt,
von Markt- und Meinungsforschungsinstituten ebenso wie von Kriminologen und
Sozialwissenschaftlern. Dies hat zu einer Vielfalt von Ergebnissen geführt, wie es
sie bei vielen Themen, auch in ihrer partiellen zeitlichen Verdichtung, nicht gibt.
Die Vielfalt der Erhebungen und Befunde hat es ermöglicht, die Dynamik des
Wandels über längere Zeiträume hinweg zu beschreiben. Sie hat aber auch gezeigt:
Die Ergebnisse können institutsbedingt gelegentlich sehr stark voneinander abwei-
chen, die Mehrheitsverhältnisse sich sogar in ihr Gegenteil verkehren. Während 1978
z. B. eine Umfrage des Instituts für Demoskopie für die Befürwortung der Todesstra-
fe einen Anteil von 31 % erbrachte, für die Gegner von 51 % und für die Unentschie-
denen von 18 %, lagen die Prozentzahlen in einer EMNID-Umfrage aus dem gleichen
Jahr (in der gleichen Abfolge) bei 58 %, 40 % und 1 %. Während in dem einen Fall
die Gegner in der Mehrheit waren, waren es im anderen Fall die Befürworter (Reu-
band 1980, 541 f.).
Auch wenn der unterschiedliche Umgang mit der Kategorie für Meinungslosig-
keit (bzw. dem Umgang mit den Angaben „unentschieden“, „weiß nicht“ oder „keine
Angabe“) eine Teilerklärung liefert2, dürfte der eigentliche Grund für die unter-

1
Zum Verhältnis von öffentlicher Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz siehe Al-
brecht (2004) und mit Bezug speziell zur Todesstrafe Albrecht (2013).
2
Während in den Umfragen des Instituts für Demoskopie die Kategorie „unentschieden“
dem Interviewer bei dieser Frage üblicherweise zur Verfügung steht, gibt es in den EMNID-
Umfragen lediglich eine Residualkategorie für „keine Angaben“. Eine derartige Praxis be-
wirkt einen niedrigen Anteil von Personen, die sich zu der Frage nicht äußern können oder
wollen. In welcher Weise diejenigen antworten, die vom Interviewer zur Meinung gedrängt
werden und sich schließlich doch noch Position beziehen, scheint von den gesellschaftlichen
726 Karl-Heinz Reuband

schiedlichen Ergebnisse doch in der jeweiligen Spezifikation von Tat und Täter zu
suchen sein: Während in der Erhebung des Instituts für Demoskopie mit der dort üb-
lichen Standardfrage gefragt wurde: „Sind Sie grundsätzlich für oder gegen die To-
desstrafe?“, hieß es in der Umfrage des EMNID Instituts (in der dort gebräuchlichen
Standardfrage) „Sind Sie dafür oder dagegen, dass ein Mörder, für den keine mildern-
den Umstände sprechen, mit dem Tode bestraft wird?“
Den Täter mit einem Mord in Verbindung zu bringen und mildernde Umstände
unter den Begehungsbedingungen auszuschließen, schafft zwangsläufig einen ande-
ren kognitiven Bezugsrahmen als eine Formulierung, in der die Todesstrafe als ab-
strakte Sanktion bloß genannt wird. Dass der Anteil an Befürwortung umso höher
liegt, je schwerwiegender das genannte Delikt ist, lässt sich auch aus anderen Um-
frageergebnissen ableiten (vgl. u. a. Noelle-Neumann & Köcher 1997, 766; Zittel-
mann 1998). Es handelt sich also um kein Spezifikum des hier gewählten Vergleichs.
Das aber bedeutet: Die Befunde reflektieren einen Widerspruch. Wer „grundsätz-
lich“ gegen die Todesstrafe ist, kann logischerweise auch nicht in Ausnahmefällen
dafür sein.

2. Widersprüchliche Befunde – ein Zeichen für „Non-Attitudes“?


Wenn unterschiedliche Frageformulierungen zum gleichen Thema größere Unter-
schiede in den Antwortverteilungen hervorbringen und die Antworten zudem logisch
inkonsistent erscheinen, wird dies in der Umfrageforschung gewöhnlich als ein Zei-
chen dafür verstanden, dass die Befragten über den Sachverhalt zuvor nicht näher
nachgedacht haben und in erratischen Weise ad hoc antworten (vgl. u. a. Cantril
& Rugg 1965; Turner 1984). Dass ein derartiges Verhalten weiter verbreitet ist als
gewöhnlich angenommen, hat Philip Converse in seinem epochalen Beitrag „The
Nature of Belief Systems in Mass Publics“ eindrucksvoll dokumentiert (Converse
1964, 1970).
So wies Converse an Fragen zum Thema Politik nach, dass in Umfragen häufig
nicht nur die Interkorrelationen der jeweiligen Indikatoren zum gleichen Sachverhalt
extrem schwach, sondern auch die Antworten der Befragten höchst instabil sind. Man
könnte, so meint er, die Antworten ebenso gut auswürfeln. Auf der Aggregatebene
müsse sich dies nicht auswirken, da sich die zufälligen Antworten auf der Individu-
alebene ausgleichen. Converse hat diesen Zustand der Meinungslosigkeit als „Non-
Attitudes“ bezeichnet und vermutet, dass diese bei Themen besonders weit verbreitet
sind, die – wie im Fall Politik – dem Alltagsleben der Bürger weitgehend entrückt
sind. Beim Thema „Law and Order“ allerdings sah er eine andere Situation und un-
terstellte eher auskristallisierte, in sich konsistente und stabile Einstellungen (ohne
freilich empirische Belege dafür vorzulegen).

Rahmenbedingungen nicht unabhängig und damit zeitlich z. T. auch variabel zu sein (vgl.
Reuband 1990).
Dynamiken der Punitivität 727

Aber ist die Diskrepanz, die sich im Fall der Fragen zur Todesstrafe darbietet, ein
Hinweis für die Existenz von „Non-Attitudes“, von Meinungslosigkeit oder Indiffe-
renz auf Seiten der Befragten? Ist sie ein Hinweis dafür, dass sich die Befragten mit
der Thematik nicht auseinandergesetzt haben und eher spontan, ad hoc und erratisch
antworten? Oder sind dafür primär andere Einflussgrößen verantwortlich? Schließ-
lich müssen Inkonsistenzen auf der Einstellungsebene nicht nur ein Ausdruck von
Meinungslosigkeit oder Indifferenz sein. Sie können auch aus Ambivalenzen er-
wachsen, können Ausdruck einer unentschiedenen Haltung sein.
Paul F. Lazarsfeld (1968/1944) hat als Erster in seinen wahlsoziologischen Arbei-
ten widersprüchliche soziale Einflüsse zum Thema gemacht und in diesem Zusam-
menhang den Begriff der „cross pressures“ eingeführt. Für ihn erwachsen die „cross
pressures“ aus multipler Gruppenzugehörigkeit, die mit divergierenden Interessen,
Orientierungen und Erwartungen auf Gruppenebene verbunden sind und den Einzel-
nen dadurch widersprüchlichen Einflüssen aussetzen (vgl. auch Berelson, Lazarsfeld
& McPhee 1968/1954). Letztlich spiegeln sich die „cross pressures“ (auch wenn La-
zarsfeld dies nicht weiter ausführt) auf der Einstellungsebene wider und wirken von
hier auf das Verhalten ein. So ist es mehr als folgerichtig, dass das „cross pressures“-
Konzept, an Lazarsfeld anknüpfend, von anderen Autoren gelegentlich auch mit
Fokus auf der Einstellungsebene angewandt wurde (so bei Kriesberg 1949). Eine ei-
gene Forschungstradition entwickelte sich daraus freilich nicht.
In der Folgezeit fiel das Konzept von Lazarsfeld weitgehend der Vergessenheit
anheim. Zwar erlebte es in den letzten Jahren im Hinblick auf die Einstellungsebene
unter dem Begriff der „Ambivalenz“ (von anderen Ansätzen ausgehend, ohne Rekurs
auf Lazarsfeld) in der neueren sozialpsychologischen und politikwissenschaftlichen
Literatur in veränderter Form eine Art Wiederauferstehung (vgl. u. a. Craig & Mar-
tinez 2005). Von einer Rezeption dieser Perspektive ist man allerdings in der sozial-
wissenschaftlichen und kriminologischen Forschung bislang noch weit entfernt. Die
Widersprüchlichkeit und Ambivalenz, die Einstellungen auszeichnet, wird zu wenig
reflektiert und noch weniger zum Thema gemacht.
„Cross pressures“ oder „Ambivalenzen“ auf der Einstellungsebene ausgesetzt zu
sein, bedeutet, unterschiedliche Erfahrungen, Bewertungen und Einstellungen einzu-
nehmen, die eine eindeutige Position in Entscheidungssituationen erschweren. Es
gibt Kognitionen und Argumente sowohl für als auch gegen den Sachverhalt. Und
je nach Aktivierung des Bezugsrahmens ist es unter diesen Umständen für den Ein-
zelnen subjektiv naheliegend, mal eher in die eine oder andere Richtung zu tendieren,
sich z. B. unter bestimmten Umständen mal eher für die Todesstrafe und mal eher
gegen die Todesstrafe auszusprechen. Die Tatsache, dass spektakuläre kriminelle Er-
eignisse die Zahl der Befürworter der Todesstrafe in die Höhe treiben, ist dafür ein
Beispiel (vgl. Oppeln-Bronikowski 1970). Und die Effekte unterschiedlicher Frage-
formulierungen, mal mit und mal ohne Bezüge zu Tat und Täter, sind dafür ein wei-
teres Beispiel. Als funktional äquivalent dazu könnte man ebenfalls Folgefragen oder
konfrontative Nachfragen ansehen, die neue Akzente setzen und den Bezugsrahmen
728 Karl-Heinz Reuband

verschieben (dazu vgl. Reuband 1989; 2008). Fragen dieser Art sind bislang in der
Forschung eine Rarität gewesen, weswegen das Wissen darüber, unter welchen Be-
dingungen wie geantwortet wird, rudimentär ist.

3. Zielsetzung und methodisches Vorgehen


Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich die Einstellung zur Wiedereinfüh-
rung der Todesstrafe in der Bundesrepublik im Zeitverlauf entwickelt hat und wie
sehr sich durch Nachfragen Meinungsverhältnisse ändern. Es geht um das Ausmaß
des dadurch bedingten Wechsels und die Faktoren, die darauf Einfluss nehmen, ins-
besondere um die Effekte von Meinungslosigkeit und Ambivalenzen auf der Einstel-
lungsebene.
Empirische Grundlage sind zwei bundesweite Umfragen in der Bevölkerung ab
16 bzw. 18 Jahren. Die eine fand 1964 statt und wurde face to face durch das
DIVO Institut durchgeführt und von uns einer Sekundäranalyse unterzogen.3 Die an-
dere wurde von uns 50 Jahre später – im Jahr 2014 – in einer Telefonumfrage über das
CATI-Telefonlabor des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Düsseldorf
durchgeführt. Dass face-to-face-Umfragen durch telefonische Befragungen ersetzt
werden, ist in den letzten Jahren eine übliche Praxis geworden und stellt keine Be-
sonderheit unserer Studie dar.4 Bei beiden Erhebungen handelt es sich um Mehrthe-
menumfragen. Fragen zum Thema Kriminalität und Strafverlangen stellten allenfalls
einen kleinen Teil des Frageprogramms dar. Von einer thematisch bedingten Über-
repräsentation von Personen mit Interesse am Thema Kriminalität oder Strafverlan-
gen ist mithin nicht auszugehen.
Beide Erhebungen stützen sich auf Randomstichproben: die DIVO-Umfrage auf
eine Random-Route-Stichprobe, die Telefonbefragung auf zufallsgenerierte Fest-
netznummern in Kombination mit der Last-birthday-Auswahl der Befragten.5
Dass Festnetznummern die Auswahlbasis bilden und Personen mit ausschließlicher
Mobilfunknutzung ausgeklammert sind, war zur Zeit der Erhebung – anders als
heute – noch kein bedeutsames Problem. Die Zahl der betroffenen Personen und
die Effekte auf die hier behandelte Thematik sind praktisch vernachlässigenswert.6

3
Der Datensatz ist im GESIS-Datenarchiv unter der Nr. ZA 0054 archiviert.
4
So wurden z. B. die Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen lange Zeit face-to-face
durchgeführt, ehe man auf einen telefonischen Befragungsmodus überging. In den akademisch
ausgerichteten Studien – wie ALLBUS, General Social Survey – ist man hingegen bei den
face-to-face-Befragungsmodalitäten geblieben, nicht zuletzt auch weil man auf die Vorlage
von Listen nicht verzichten und so die Möglichkeit des Langzeitvergleichs nicht kontami-
nieren wollte.
5
Die zufallsgenerierten Festnetznummern wurden freundlicherweise für uns von GESIS
nach dem Gabler-Häder-Verfahren generiert.
6
Die meisten Bürger waren zum Zeitpunkt der Erhebung noch über Festnetz erreichbar
(Reuband 2014), eine Analyse von Personen mit und ohne Zugang über Festnetz (untersucht
Dynamiken der Punitivität 729

Desgleichen dürfte der Wechsel des Befragungsmodus – von face to face zu telefo-
nisch – ohne größere Auswirkungen sein. Untersuchungen zu den Auswirkungen der
beiden Erhebungsverfahren bei anderen Themen haben in der Regel keine oder keine
bedeutsamen Effekte auf der inhaltlichen Ebene erbracht.
In der Frageformulierung differieren die Erhebungen leicht. In der Umfrage von
1964 war der Frage zur Todesstrafe zunächst die Frage vorgeschaltet, ob man gehört
oder gelesen habe, dass in letzter Zeit die Wiedereinführung der Todesstrafe gefor-
dert worden sei („Haben Sie davon gehört, dass in letzter Zeit die Wiedereinführung
der Todesstrafe gefordert wurde?“). Wurde die Frage bejaht – dies war bei nahezu
allen Befragten der Fall (94 %) – schloss sich die Frage an: „Und wie ist Ihre persön-
liche Einstellung dazu: Sind Sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe oder sind
Sie dagegen?“.7
In der Erhebung von 2014 wurde die Vorfrage in die Frage zur Todesstrafe inte-
griert: „Hin und wieder wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob man die Todesstrafe
wieder einführen sollte. Wie ist Ihre persönliche Einstellung dazu: Sind Sie für die
Wiedereinführung der Todesstrafe oder sind Sie dagegen?“ Die Vorfrage wie in der
Erhebung von 1964 zu stellen, hätte keinen Sinn gemacht, da es zum Zeitpunkt der
Erhebung keine öffentliche Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe
gab und es auch in den vorangegangenen Jahren keine gegeben hatte.
Wurde die Todesstrafe abgelehnt, so folgte in beiden Erhebungen: „Sind Sie unter
allen Umständen gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe oder sollte sie für be-
stimmte schwere Verbrechen wieder eingeführt werden?“. Sprach sich jemand dar-
aufhin für die Todesstrafe aus, nachdem er sie zuvor noch abgelehnt hatten, so folgte
1964 als offene Frage: „Für welche Verbrechen sollte man die Todesstrafe wieder
einführen?“ (2014 wurde diese Frage nicht gestellt). In der Erhebung von 1964 wur-
den insgesamt 1.879 Personen befragt, in der Umfrage von 2014 waren es 1.013 Per-
sonen, davon 843 in Westdeutschland. Aus Gründen der Vergleichbarkeit stellen die
westdeutschen Befragten die Basis der folgenden Analysen dar. Wo Vergleiche über
die Zeit angestellt werden, wird der gewichtete Datensatz verwendet, ansonsten der
ungewichtete.8

am Beispiel von Düsseldorf und gestützt auf eine postalische Befragung von uns mit Adressen
aus dem Einwohnermelderegister) erbrachte keine nennenswerten Unterschiede. Die Art des
Telefonbesitzes übte auch bei den Jüngeren unter 30 Jahren keinen statistisch signifikanten
Einfluss aus auf die Forderung nach härteren Strafen („Um Kriminalität zu verhindern, brau-
chen wir in Deutschland strengere Strafen“) oder die Befürwortung der Todesstrafe („Sind Sie
grundsätzlich für oder gegen die Todesstrafe?“).
7
Als Antwortkategorien standen dem Interviewer zur Verfügung: „Für die Wiedereinfüh-
rung – Dagegen – Keine Meinung“. Analog die Kategorien in der Erhebung von 2014, wobei
die Kategorien „Weiß nicht“ und „Keine Angabe“ für den Interviewer in Klammern jeweils
mit dem Vermerk „nicht vorlesen“ versehen waren.
8
In der 1964er Erhebung wird der Gewichtungsfaktor verwendet, wie er von DIVO zur
Verfügung gestellt wurde. Für 2014 wird ein Gewichtungsfaktor verwendet, der von uns auf
der Basis der Merkmale Geschlecht, Alter und Bildung – in Anlehnung an den Mikrozensus –
erstellt wurde.
730 Karl-Heinz Reuband

4. Die Einstellung zur Todesstrafe im Wandel


Die Frage des DIVO Instituts, welche die Basis der folgenden Diskussion dar-
stellt, unterscheidet sich von der Standardfrage des Instituts für Demoskopie
(„Sind Sie grundsätzlich für oder gegen die Todesstrafe?“) dadurch, dass nicht die
„grundsätzliche“ Befürwortung oder Gegnerschaft zur Todesstrafe erfragt wird, son-
dern nur, ob man für oder gegen die Todesstrafe sei (im vorliegenden Fall ergänzt
durch den Hinweis, dass dies eine „Wiedereinführung“ der Todesstrafe sei). Ähnlich
wie beim Institut für Demoskopie – und anders als beim EMNID Institut mit seiner
Standardfrage – wird dem Interviewer im Fragebogen die Möglichkeit der Antwort
„Keine Meinung“, „Unentschieden“ oder „Weiß nicht“ eingeräumt.
Damit nimmt die Frageformulierung von DIVO eine Mittelstellung zwischen der
Formulierung des Instituts für Demoskopie und des EMNID Instituts ein. Und ent-
sprechend liegen die Werte für Anhängerschaft und Gegnerschaft der Todesstrafe
zwischen den Erhebungen der anderen Institute. So bekundeten in der Umfrage
des Instituts für Demoskopie aus dem Jahr 1960 (für 1958 gibt es keine) 54 %
eine Befürwortung der Todesstrafe, in der (relativ) zeitnahen Umfrage des DIVO In-
stituts aus dem Jahr 1958 72 % und in der Umfrage des EMNID Instituts aus dem Jahr
1958 80 %. Nicht viel anders im Jahr 1961, wo das Institut für Demoskopie in seiner
Erhebung einen Anteil von 51 % ermittelte, das DIVO Institut von 63 % und das
EMNID Institut von 71 % (zu den Vergleichszahlen siehe Reuband 1980, 541 f.).
Tabelle 1
Einstellungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe im Zeitverlauf (in %)
1954 1958 1961 1964* 2014
Dafür 72 75 63 55 15
Dagegen 15 15 22 33 81
Unentschieden/weiß nicht 13 10 15 12 4
100 100 100 100 100
* Bezogen auf Befragte, die von öffentlicher Debatte über die Todesstrafe gehört hatten (= 94 %)
Quelle: 1954 – 1961: DIVO, Face-to-face-Umfrage; zit. nach DIVO (1959); Erskine (1970, 301). 2014: eigene Er-
hebung, CATI-Telefonumfrage.

Ähnlich wie bei EMNID setzt der rückläufige Trend in den Erhebungen von DIVO
etwas früher ein als in den Umfragen des Instituts für Demoskopie. So sprachen sich
bei DIVO, wie man Tabelle 1 entnehmen kann, in den Jahren 1954 und 1958 72 % der
Bundesbürger für die Wiedereinführung Todesstrafe aus, 1961 war der Anteil auf
63 % gesunken und belief sich 1964 unter den Befragten, die von der öffentlichen
Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe gehört hatten (das waren
fast alle), auf 55 %. Würde man diejenigen, die bisher nichts von der öffentlichen Dis-
kussion gehört hatten, auf den Kreis der übrigen Befragten aufteilen – hier sind ver-
schiedene Szenarien denkbar9 – , würde sich der Anteil der Befürworter und der Geg-

9
Eine wahrscheinliche Variante wäre, entweder die Befragten in ähnlicher Weise aufzu-
teilen wie diejenigen, die von der Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe gehört
Dynamiken der Punitivität 731

ner erhöhen, aber an dem Tatbestand eines rückläufigen Trends würde sich nichts
ändern.
Und wie verhält es sich mit dem Meinungsbild heutzutage? 50 Jahre später ist der
Anteil der Befürworter auf 15 % geschrumpft. Der niedrige Wert ist kein Spezifikum
der Frageformulierung der Untersuchung. Ein annähernd vergleichbares Niveau
weist eine Umfrage des Instituts für Demoskopie aus jüngerer Zeit aus: Hier wählten
im Jahr 2016 auf die Frage zur Beurteilung verschiedener Maßnahmen der Verbre-
chensbekämpfung aus der vorgegebenen Liste 17 % der Befragten die Option „To-
desstrafe für besonders schwere Verbrechen“ (Köcher 2016, 5, Tabelle A8). Auf
ein ähnlich niedriges Niveau der Zustimmung deuten Befunde der Standardfrage
des Instituts für Demoskopie zur Todesstrafe („grundsätzlich für oder gegen“) aus
den Vorjahren hin.
Nicht viel anders die Voten, die in Hessen beim Volksentscheid über die Abschaf-
fung der Todesstrafe aus der Landesverfassung im Oktober 2018 im Kontext der
Landtagswahl anfielen. 17 % der Bürger stimmten gegen die Abschaffung des ent-
sprechenden Passus, 83 % stimmten dafür (Zeit-Online 2018). Ob sich die hohe
Zahl derer, die für eine Abschaffung des Paragraphen votierten, primär auf eine ent-
sprechend hohe Zahl an Gegnern der Todesstrafe gründet oder auf die Erkenntnis der
Irrelevanz des Paragraphen – Bundesrecht gilt vor Landesrecht (und auf Bundesebe-
ne ist mit dem Grundgesetz die Todesstrafe abgeschafft) –, ist allerdings eine offene
Frage. Würde man die Frage zur Todesstrafe formulieren wie einst das EMNID In-
stitut, würde sich für die neuere Zeit (so einer eigenen Umfrage von 2012 zufolge)
zwar ein etwas höherer Wert ergeben als in der hier verwendeten DIVO Fragekon-
struktion, aber es würde sich an dem Grundtatbestand einer überwiegenden Ableh-
nung der Todesstrafe nichts ändern.10
Auffällig am Vergleich der DIVO Umfragen aus den 1950er und den frühen
1960er Jahren mit der Umfrage aus dem Jahr 2014 ist, dass nicht nur die Zahl der
Befürworter in der Zwischenzeit erheblich gesunken ist, sondern auch die Zahl
derer, die keine Meinung äußerten. Dass dieser Anteil gesunken ist, hat nichts mit
unterschiedlichen Optionen für die Interviewer zu tun – denn auch in der Erhebung
von 2014 standen ihnen diese Kategorien explizit zur Verfügung (sie waren nur
nicht – ebenso wie 1964 – den Befragten vorzulesen).
Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass der Wechsel des Befragungsmodus für den
Rückgang verantwortlich ist. Für einen höheren Anteil an unentschiedenen Antwor-

haben, oder sich an den sozialen Merkmalen der Befragten zu orientieren und die Daten
entsprechend zu gewichten. In den Umfragen des Instituts für Demoskopie, die auf den Aspekt
des „Grundsätzlichen“ rekurrieren, ist der Rückgang weniger stark als in den Umfragen des
DIVO Instituts. Waren beim Institut für Demoskopie 1952 55 % grundsätzlich für die Todes-
strafe, waren es 1960 54 % und 1964 49 % (Reuband 1980, 541).
10
Unter Verwendung der EMNID-Frageformulierung kamen wir in einer bundesweiten
Telefonumfrage, durchgeführt über das CATI-Telefonlabor des Instituts für Sozialwissen-
schaften der Universität Düsseldorf – gestützt auf eine Zufallsstichprobe und der Last-birth-
day-Methode – auf einen Wert von 24 % (unveröffentlicht).
732 Karl-Heinz Reuband

ten in Telefonbefragungen als in Face-to-face-Umfragen gibt es zwar aus Studien zu


anderen Themen empirische Indizien (Noelle-Neumann & Petersen 2000, 190), aber
der Effekt ist nicht groß genug, um die Differenz zu erklären. Für weitaus bedeutsa-
mer halten wir, dass es in Deutschland seit Jahrzehnten keine öffentliche Diskussion
mehr über die Wiedereinführung der Todesstrafe gegeben hat. Die Einstellungen der
Bürger dürften daher stärker auskristallisiert und durch weniger Ambivalenzen ge-
prägt sein als in früheren Jahren. Der Anteil der „Unentschiedenen“ müsste aufgrund
dessen niedriger liegen als 1964.11

5. Von der Gegnerschaft zur Befürwortung:


Konversionspotentiale und ihre Prägungen
Wie stabil sind die Antworten, wenn die Befragten mit Nachfragen konfrontiert
werden? Wie viele Gegner der Todesstrafe lassen sich durch den Verweis auf „schwe-
re Verbrechen“ zu einer Befürwortung bewegen? Und wie stellt sich diese Tendenz in
den beiden Erhebungsjahren dar? Dass sich das Ausmaß des Wechsels unterscheidet,
ist nicht unwahrscheinlich. Denn in einer Zeit, in der eine Mehrheit der Bevölkerung
die Todesstrafe befürwortet und in der Öffentlichkeit nur noch gelegentlich den Ruf
nach Wiedereinführung der Todesstrafe laut wurde – wie in den 1960er Jahren –, sind
die Rahmenbedingungen andere als in einer Zeit, in der die Gegner überwiegen und
seit Langem keine Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe mehr statt-
gefunden hat.
Während im erstgenannten Fall die Gegner der Todesstrafe dissonanten Informa-
tionen ausgesetzt sind, sind diese im anderen Fall reduziert. Sie sind keinen Informa-
tionen und Argumenten mehr ausgesetzt, die geeignet wären, das eigene Selbstver-
ständnis zu hinterfragen. Hinzu kommt eine Art Kompositionseffekt: In einer Zeit, in
der die Zahl der Befürworter der Todesstrafe rückläufig ist, wie dies in den 1960er
Jahren der Fall ist, wechselt ein nennenswerter Teil der Befürworter in die Kategorie
der Gegner (ein anderer in die Kategorie „unentschieden“). Was bedeutet, dass nun
zu den Gegnern viele Personen zählen, die früher Befürworter waren. Sie dürften
nach wie vor zum Teil Kognitionen aufweisen und Argumente vertreten, denen
eine gewisse Affinität zur Befürwortung der Todesstrafe eigen ist12 und die sie – un-
11
Dem steht auf den ersten Blick entgegen, dass man bei den Umfragen des Instituts für
Demoskopie im betrachten Zeitraum keinen Rückgang in der Zahl der Befragten mit den
Antworten „unentschieden“ feststellen kann. Vermutlich hat dies aber primär etwas mit der
Globalität der Frage („grundsätzlich“) zu tun: Je globaler die Formulierung ist, desto eher
dürften sich Personen finden, welche eine Antwort geben, die von den vorgegebenen Optionen
„dafür“ und „dagegen“ abweicht.
12
Man muss sich den Einstellungswandel als einen allmählichen Übergang vorstellen, bei
dem manche Argumente an Bedeutung verlieren, andere an Bedeutung gewinnen und sich das
kognitive Überzeugungssystem sukzessiv verschiebt. Die Herausbildung eines in sich stim-
migen, konsistenten Überzeugungssystems ist demnach nicht eine automatische Folge des
Wandels, sondern eher das Endstadium eines längeren Prozesses des Wandels und der Akti-
Dynamiken der Punitivität 733

ter gegebenen Umständen – für eine Mobilisierung zugunsten der Todesstrafe (wie-
der) anfällig machen.
Grundlegend anders die Situation, in welcher die Gegner die Mehrheit bilden und
Veränderungen auf der Aggregatebene nicht (mehr) stattfinden. Weder gibt es einen
Meinungsdruck auf die Gegner der Todesstrafe, noch gibt es eine Art „Kompositi-
onseffekt“, der aus Austauschprozessen auf der Aggregatebene herrührt. Unter die-
sen Bedingungen müsste man unter den Gegnern eher stabile, auskristallisierte Ein-
stellungen erwarten als im zuvor genannten Fall. Die Übergangsrate zur Befürwor-
tung müsste schwächer sein.
Die Ergebnisse entsprechen der Erwartung: 1964 lag der Anteil derer, die durch
die Nachfrage zu den Befürwortern wechselte, bei 54 % der Befragten, 2014 waren es
nur noch 20 %. Der Wert hat sich mehr als halbiert (vgl. Abbildung). Durch den
Wechsel in das Lager der Befürworter verschieben sich die Gesamtwerte. In der Er-
hebung von 1964 steigt der Anteil an Befürwortung auf 77 % (ein Wert, der sich von
denen der 50er Jahre nicht mehr unterscheidet). In der Erhebung von 2014 ist der
Anstieg in der Befürwortung aufgrund der geringeren Wechselrate hingegen weniger
groß, die Gegner bleiben in der Mehrheit.

Abbildung 1: Wechsel von der Gegnerschaft zur Befürwortung der Todesstrafe,


1964 und 2014 (in %)

Welche Art von Delikten haben die Befragten im Blick, wenn sie sich trotz zuvor
deklarierter Gegnerschaft auf Nachfrage hin für die Todesstrafe entscheiden? Dazu
stehen Befunde nur aus der Erhebung von 1964 zur Verfügung. Es handelt sich bei
den Delikten – wie eine offene Anschlussfrage deutlich macht – nahezu ausschließ-

vierung, in dessen Verlauf kognitive Inkonsistenzen „bereinigt“ werden. Unter diesen Bedin-
gungen besteht in der Übergangsphase der Ambivalenz und kognitiven Inkonsistenz eine
Zeitlang eine „Anschlussfähigkeit“ an unterschiedliche Positionen.
734 Karl-Heinz Reuband

lich um Mord und Totschlag, in geringerem Umfang um Sexualverbrechen und Kin-


desentführung. Andere Delikte spielen so gut wie keine Rolle. Vermutlich ist dies
nicht viel anders bei den Befragten, die sich im Interview von vornherein für die To-
desstrafe aussprachen. Dies legen die Befunde einer Umfrage des Instituts für Demo-
skopie aus dem Jahr 1958 nahe, in der unter den Befürwortern der Todesstrafe eben-
falls Morddelikte das Spektrum der Nennungen dominierten (vgl. Noelle & Neumann
1965, 341).
Tabelle 2
Gründe für die Ablehnung der Todesstrafe durch Befragte,
die nach Nachfrage weiterhin Gegner der Todesstrafe bleiben, 1964 –
(Antworten auf offene Fragen, Mehrfachnennung in %)
Prozent
Gefahr des Justizirrtums 28
Kein Recht zur Todesstrafe 27
Ablehnung aus religiösen Gründen 12
Keine abschreckende Wirkung 12
Keine ausreichende Sühne 11
Missbrauch bei politischen Delikten 10
Todesstrafe zu harte Sanktion 4
Keine Möglichkeit der Besserung 3
Stillt nur Sensationslust des Publikums 1
Andere Antworten 3
(N=) (274)

Und was sind die Gründe, welche Befragte trotz Nachfrage dazu bringen, auf der
Position der Gegnerschaft zu verbleiben (hierzu liegen ebenfalls nur für 1964 Daten
vor)? Wie man Tabelle 2 entnehmen kann, werden am häufigsten ethische Begrün-
dungen angeführt: die Menschen hätten kein Recht, anderen Menschen das Leben
zunehmen. Es entspräche nicht den religiösen Prinzipien. Es bestehe die Gefahr
eines Justizirrtums. Es bestehe die Möglichkeit des politischen Missbrauchs. Und
nicht wenige Befragte zweifeln an der abschreckenden Wirkung der Todesstrafe
überhaupt. Dass sie keine ausreichende Sühne sei, wird von einem Zehntel der Be-
fragten angeführt (was als Aussage etwas mehrdeutig ist: Meinen sie, dass jedem
Menschen die Möglichkeit gegeben werden soll, sich seiner Schuld zu stellen?
Oder dass man viel härter mit den Tätern umgehen müsse?).

6. Meinungslosigkeit, Kooperation im Interview


und kognitive Dissonanzreduktion
Wie ist der Wechsel, der durch die Nachfrage bei einem Teil der Befragten ein-
setzt, zu beurteilen? Stellt er eine mehr oder minder zufällige Reaktion in der Inter-
viewsituation dar oder handelt es sich um eine Reaktion, die in Konformität mit dem
eigenen Überzeugungssystem steht und Ambivalenz und Inkonsistenz auf der Ein-
Dynamiken der Punitivität 735

stellungsebene reduziert? Sollte der Wechsel eine mehr oder minder zufällige Kon-
stellation sein, so könnte er – dem „Non-Attitudes“-Konzept von Converse folgend –
aus Meinungslosigkeit oder Ignoranz erwachsen. Es könnte aber auch eine nachläs-
sige Art des Umgangs mit der Interviewsituation widerspiegeln – Ausdruck einer ge-
ringen Kooperationsbereitschaft, bei der sich der Befragte nur begrenzt darum be-
müht, die Fragen so genau wie möglich zu beantworten und wo die Antworten erra-
tische Züge tragen.
Wir können der Thematik lediglich in der Erhebung von 2014 nachgehen, da nur
hier auch Fragen zum Interviewverlauf gestellt wurden. Diese waren vom Interview-
er am Schluss der Befragung zu beantworten. Als Indikator für kognitive Kompeten-
zen, wie sie mit der Meinungslosigkeit verbunden ist, kann man das vom Interviewer
wahrgenommene Frageverständnis heranziehen, desgleichen das vom Befragten be-
kundete politische Interesse. Je geringer das Frageverständnis und je geringer das po-
litische Interesse, desto häufiger dürfte die Beantwortung eher zufällig erfolgt und
ein Ausdruck von Meinungslosigkeit sein.
Als Indikator für die Motiviertheit des Befragten kann man die vom Interviewer
wahrgenommene Kooperationsbereitschaft verwenden sowie den Eindruck, dass der
Befragte die Fragen so genau wie möglich zu beantworten versuchte. Je geringer die
Kooperationsbereitschaft und je geringer das Bemühen um eine genaue Beantwor-
tung, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Fragen mit einer gewissen Nach-
lässigkeit beantwortet werden und die Antworten eher Konstellationen als wahre
Einstellungen widerspiegeln.13
Für Auswirkungen der kognitiven Kompetenz und der Motiviertheit auf das Ant-
wortverhalten zur Todesstrafe ergeben sich in der Tat gewisse Hinweise. Wessen Fra-
geverständnis vom Interviewer als „mittelmäßig“ oder „schlecht“ eingestuft wird,
wechselt häufiger von der Gegnerschaft zur Befürwortung der Todesstrafe als je-
mand, dessen Verständnis vom Interviewer als „sehr gut“ oder „gut“ beurteilt
wird. Desgleichen wechselt jemand, der kein oder geringes politisches Interesse
hat, häufiger als jemand, der sich „sehr stark“ oder „stark“ politisch interessiert.
So wechseln z. B. unter denen, die überhaupt kein politisches Interesse haben,
36 % in die Gruppe der Befürworter, während es unter denen, die „sehr stark“ poli-
tisch interessiert sind, nur 16 % sind. Befragte mit mittlerem politischem Interesse
nehmen eine Zwischenposition ein.
Nicht nur die kognitive Kompetenz, sondern ebenfalls die Motiviertheit übt einen
Effekt auf die Wechselneigung aus. Unter denen, deren Kooperationsbereitschaft im
Interview als „sehr gut“ eingestuft wird, wechseln 13 % zur Befürwortung, unter
denen, die dies „mittelmäßig“ tun, sind es 25 %. Bei der Frage, wie sehr der Befragte

13
Wahrgenommene Fragenkompetenz und Kooperationsbereitschaft sind nicht unabhän-
gig voneinander. Offensichtlich schlägt sich die geringe Motiviertheit der Befragten darin
nieder, sich weniger ernsthaft mit der Frage auseinanderzusetzen, vielleicht gar nicht genau
zuzuhören und allzu schnell eine Antwort zu geben. Im Rahmen einer OLS-Regressionsana-
lyse unter Kontrolle sozialer Merkmale ergibt sich ein beta von .38 (p < 0,001).
736 Karl-Heinz Reuband

bemüht war, die Fragen so genau wie möglich zu beantworten, zählen unter denen,
denen der Interviewer ein „sehr starkes“ Bemühen zubilligte, 16 % zu den Wechslern.
Und unter denen, denen ein geringes Bemühen attestiert wurde, 31 %. Freilich: In
allen der hier genannten Fälle bilden die Befragten die überwältigende Mehrheit,
denen die Interviewer eine hohe Kompetenz und hohe Motiviertheit attestieren.
Die Auswirkungen der weniger Kompetenten und wenig Motivierten auf das Ant-
wortverhalten halten sich in Grenzen.
Und wie verhält es sich mit den inhaltlichen Orientierungen der Befragten, die den
Wechsel vollziehen? Wie sehr spiegelt sich in dem Wechsel eine Hinwendung zu
mehr Konsistenz und zu einer Reduktion von Ambivalenz wider? Dass der Wechsel
zur Befürwortung nicht einem bloßen Zufall geschuldet ist, sondern aus Sicht der
Befragten subjektiv durchaus Sinn macht und einer Art ideologischer Systematik un-
terliegt, wird an den Antworten auf Fragen zur Kriminalität und Kriminalitätsbe-
kämpfung deutlich (vgl. Tabelle 3): Die Wechsler nehmen eine Zwischenposition
zwischen den Befürwortern und den Gegnern der Todesstrafe ein, wobei sie erkenn-
bar mehr Gemeinsamkeiten mit den Befürwortern als den Gegnern aufweisen. Dies
gilt für die Wahrnehmung der persönlichen Bedrohung ebenso wie für die Wahrneh-
mung der Kriminalitätsentwicklung. Und es gilt für die Beurteilung der abschrecken-
den Wirkung harter Strafen ebenso wie für die Ansicht, die Gerichte würden zu milde
urteilen.
Tabelle 3
Einstellung zu Kriminalität unter Befragten mit stabiler und
wechselnder Einstellung zur Todesstrafe, 2014 (in %)
Gegnerschaft Wechsel zur Befürwortung
Befürwortung
Persönliche Kriminalitätsfurcht 36 45 47
Kriminalitätszunahme in der
40 62 67
Bundesrepublik
Abschreckung durch harte Strafen 33 56 70
Justiz: zu milde Strafen 52 73 88
Frageformulierungen: „Manche Menschen haben ja Angst, es könnte ihnen etwas passieren, sie könnten Opfer
eines Verbrechens werden. Wie sehr fühlen Sie sich durch Verbrechen bedroht? Würden Sie sagen, Sie fühlen
sich sehr bedroht – etwas bedroht – oder nicht bedroht?“ (hier: sehr bedroht, etwas bedroht); „Haben Sie den Ein-
druck, dass die Zahl der Verbrechen in Deutschland insgesamt zunimmt oder würden Sie das nicht sagen?“ (Split:
zunimmt – stabil ist – oder abnimmt?)“; „Glauben Sie, dass man durch harte Strafen die Kriminalität senken
kann?“ (Split: … senken kann oder glauben Sie das nicht?)“; „Finden Sie, dass die deutschen Gerichte mit den
Angeklagten im Allgemeinen zu hart oder zu milde umgehen?“

Rechnet man eine logistische Regressionsanalyse, in welche die Variablen für


Meinungslosigkeit, sozial erwünschte Antwortneigungen und Einstellungen zur Kri-
minalität einbezogen sind14, so zeigt sich (Tabelle 4): Nicht alle Variablen wirken
14
Gerechnet wurde mit dichotomisierten Variablen (anstelle von quasi-metrischen unab-
hängigen, die partiell ebenfalls möglich gewesen wären), um auch die Antworten „weiß
nicht“, „unentschieden“, die z. T. durchaus nennenswerte Größenordnungen erreichen, mit-
einbeziehen zu können.
Dynamiken der Punitivität 737

gleichermaßen stark ein, aber es ist unverkennbar, dass die genannten Variablenkom-
plexe einen Effekt ausüben, und zwar sowohl in Form des situationsspezifischen Ein-
flusses (wie Kooperationsbereitschaft im Interview) als auch der kriminalitätsbezo-
genen Vorstellungen (wie Glaube an die abschreckende Wirkung harter Strafen). Die
persönliche Kriminalitätsfurcht bleibt hingegen unbedeutend, und auch das Ver-
ständnis der Fragen erreicht keine bedeutsame Effektstärke, das politische Interesse
als Indikator für kognitive Reflexion hingegen sehr wohl.
Bezieht man zusätzlich als Kontrollvariablen die sozialen Merkmale Geschlecht,
Alter und Bildung ein, die mit diesen Variablen im Zusammenhang stehen, aber
ebenfalls einen eigenständigen Effekt ausüben könnten15, so wird deutlich: Von
den sozialen Merkmalen ergibt sich lediglich für die Bildung ein eigenständiger Ef-
fekt. Je niedriger die Bildung, desto größer die Wahrscheinlichkeit des Meinungs-
wechsels. Die anderen, zuvor genannten Variablen inhaltlicher Art behalten davon
unabhängig in der Regel ihren Einfluss bei. Dies gilt für das Kooperationsverhalten
ebenso wie für die kriminalitätsbezogenen Vorstellungen (wobei sich der Effekt der
wahrgenommenen Kriminalitätszunahme als etwas grenzwertig erweist).16
Die Indikatoren für kognitive Kompetenz und Meinungslosigkeit schwächeln hin-
gegen und erreichen nicht das Signifikanzniveau (und davon ist nun auch das poli-
tische Interesse betroffen). Womöglich ist die Erfassung kognitiver Kompetenz und
Meinungslosigkeit in unserer Untersuchung etwas zu global und müsste stärker
issue-spezifisch ausgerichtet sein, um die Bedeutung für die Einstellung zur Todes-
strafe angemessen zu erfassen. Vermutlich ist aber auch das vom Interviewer wahr-
genommene Verständnis der Fragen stärker situationsbedingt als gedacht, so dass
dessen Effekt geschwächt wird, sobald die Kooperationsbereitschaft als Variable
in der Analyse berücksichtigt wird.17

15
In der Analyse wurden Alter und Bildung als metrische bzw. (quasi-)metrische Variablen
eingeführt. Würde man die Variablen jeweils dichotomisieren (Fachhochschulreife/Abitur) vs.
andere, unter 50 Jahre vs. 50 Jahre und älter) würde sich an den grundlegenden Befunden
nichts ändern.
16
Der Effekt verfehlt knapp das 0,05-%-Niveau. Wenn man jedoch die Ostdeutschen
miteinbezieht, wird dies Niveau erreicht (was partiell der höheren Fallzahl geschuldet sein
dürfte, aber auch einer etwas stärkeren Bedeutung dieser Variablen unter den ostdeutschen
Befragten).
17
Dafür spricht: Rechnet man das Frageverständnis und das politische Interesse unter
Kontrolle der Bildung, ergeben sich für das Fragverständnis und das Interesse signifikante
Effekte. Führt man das Kooperationsverhalten zusätzlich ein, reduziert sich jedoch der Effekt
des Frageverständnisses und ist nicht mehr signifikant. Das politische Interesse verschwindet
als signifikanter Effekt, wenn man die Wahrnehmung der Strafpraxis als zu milde als Variable
einführt.
738 Karl-Heinz Reuband

Tabelle 4
Wechsel zur Befürwortung der Todesstrafe nach Nachfrage an die Gegner
in Abhängigkeit von kognitiver Kompetenz, Motiviertheit und Einstellungen
zur Kriminalität (Odds Ratios der logistischen Regressionsanalyse)
Verständnis der Fragen (-) 1,14 1,13
Politisches Interesse (-) 1,60* 1,38
Kooperation im Interview (-) 2,10** 2,04**
Bemühen Beantwortung (-) ,82 ,80
Kriminalitätszunahme 1,58+ 1,58+
Justiz: zu milde Strafen 1,84* 1,72*
Abschreckung durch harte Strafen 1,75* 1,64*
Persönliche Kriminalitätsfurcht 1,14 1,13
Geschlecht – ,93
Alter – ,99
Bildung – ,74**
Nagelkerke R2 .121 .141
– nicht in Modellrechnung einbezogen
+ p < 0,10 *p < 0,05 **p < 0,01
Frageformulierungen: (Fragen an Interviewer): „Generelles Verständnis der Fragen durch den Befragten: sehr gut –
gut – mittelmäßig – schlecht – sehr schlecht – keine Einschätzung/weiß nicht“; (Fragen an Befragten): „Wie stark
interessieren Sie sich für Politik? Sehr stark – stark – mittel – wenig oder überhaupt nicht“; (Fragen an Interviewer):
Kooperationsbereitschaft des Befragten im Verlauf des Interviews: sehr gut – gut – mittelmäßig – schlecht – sehr
schlecht – anfangs gut, später schlechter – anfangs schlecht, später besser – keine Einschätzung/weiß nicht“; „Wie
stark war der Befragte bemüht, die Fragen ernsthaft und möglichst genau zu beantworten: sehr stark – stark – wenig –
überhaupt nicht“. (Übrige Frageformulierungen siehe Tabelle 3).
Variablen jeweils dichotomisiert (0,1). Codierung = 0 bei Fragenverständnis = sehr gut; Politikinteresse = sehr
stark/stark; Kooperation = sehr gut; Bemühen Beantwortung = sehr stark; Kriminalitätszunahme = nimmt zu; Jus-
tiz zu milde Strafen = zu milde; Abschreckung = Ja; Codierung = 1 bei Persönliche Kriminalitätsfurcht = sehr
bedroht/etwas bedroht. Referenzkategorie (= 0) die restlichen Antworten der jeweiligen Fragen (einschl. weiß
nicht). Geschlecht 0 = Mann, 1 = Frau; Alter in Jahren; Bildung 1 = Volks-/Hauptschule, 2 = mittlere Reife,
3 = Fachhochschulreife, 4 = Abitur.

7. Schlussbemerkungen
Die Sanktionseinstellungen der Bürger sind komplexer als gewöhnlich angenom-
men. Dies hat sich am Beispiel der Einstellung zur Todesstrafe gezeigt, dürfte für
diese jedoch nicht allein typisch sein. Je nach den Akzenten, die in den Frageformu-
lierungen gesetzt werden, unterscheiden sich die Antwortverteilungen in Umfragen
z. T. erheblich. Es kann sogar zeitweise dazu kommen, dass sich mal eine Mehrheit
und mal eine Minderheit für die jeweilige Sanktion – für oder gegen die Todesstrafe –
ausspricht. Konfrontative Nachfragen, so zeigte die vorliegende Analyse, können
eine ähnliche Wirkung entfalten, wobei sich das Ausmaß des dadurch hervorgerufe-
nen Wandels je nach Zeitperiode unterscheidet.
So ist in einer Zeit, in welcher die Mehrheit zu den Befürwortern der Todesstrafe
zählt, die Bereitschaft der Gegner, infolge der Nachfrage zu den Befürwortern über-
zuwechseln, größer als in Zeiten, in denen die Gegnerschaft in der Bevölkerung über-
Dynamiken der Punitivität 739

wiegt. Diese dürfte auf Seiten des Individuums mit dem Ausmaß kognitiver und so-
zialer Stützung für die jeweilige Position zu tun haben. Und es dürfte, so unsere An-
nahme, auch etwas mit der Dynamik des Einstellungswandels und den Zu- und Ab-
stromquoten zu tun haben, die vom Lager der Befürworter und der Gegner ausgehen
und spezifische Kompositionseffekte begründen.
Wie viele Befragte durch die Nachfrage von der einen Position zur anderen über-
wechseln, dürfte nicht nur von der Verbreitung von Befürwortung und Gegnerschaft
in der Gesellschaft abhängen, sondern auch von dem Bezugsrahmen, der durch die
Fragen geschaffen wird. Allgemein zu fragen, ob man sich bei „bestimmten schwe-
ren Verbrechen“ eine Ausnahmesituation vorstellen könne, schafft ein weniger be-
drohliches Szenario als die Nennung konkreter schwerer Delikte (wie Mord oder Se-
xualverbrechen). Dementsprechend ist unter gegebenen Umständen von einem noch
etwas größeren Mutationspotential im Interview auszugehen, als es die Zahlen über
die Wiedereinführung der Todesstrafe für „schwere Verbrechen“ aussagen.
Dass ein nennenswerter Teil der Befragten durch Nachfragen zu einer anderen Po-
sition wechselt, macht deutlich, wie sehr unterschiedliche Kognitionen und Vorstel-
lungen auf Seiten des Befragten nebeneinander bestehen können und dadurch eine
Anschlussfähigkeit für unterschiedliche Positionen besteht – sowohl auf Seiten
der Gegner der Todesstrafe, die in diesem Beitrag Gegenstand der Analyse waren,
als auch auf Seiten der Befürworter (die wie anderen Studien zeigen, ebenfalls
einem Wandlungspotential unterliegen und durch Nachfragen mehrheitlich zur Ab-
lehnung der Todesstrafe gebracht werden können, dazu vgl. Reuband 2008).
Auch wenn ein Teil der Befragten den Wechsel aus eher zufälligen, erratischen
Momenten heraus vollzieht, ist doch unverkennbar, dass ein maßgeblicher Effekt
von der Dissonanzreduktion ausgeht: Die Befragten wechseln in eine Richtung,
die eine größere Überstimmung mit ihren sonstigen Überzeugungen herstellt. Es
wird vermehrt eine kognitive Konsistenz im Bereich der „Law and Order“-Orientie-
rungen geschaffen. Aus dieser Sicht findet eine Art „ideologische“ Bereinigung statt.
Wie sehr das neue Antwortmuster bei weiteren Folgefragen stabil bleiben würde
(oder auch eine Rückkehr zur Ausgangsposition stattfinden könnte), ist eine andere,
bislang nicht untersuchte Fragestellung.

Literatur

Albrecht, H.-J. (2004): Die öffentliche Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz, in:
M. Walter, H. Kania & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität: Indi-
viduelle und gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung.
Münster. S. 491 – 520.

Albrecht, H.-J. (2013): The Death Penalty. Deterrence and Policy Making, in: L. Zapatero,
W. Schabas & K. Takama (Hrsg.), Death Penalty: A Cruel and Inhuman Punishment. Cuence,
S. 29 – 44.
740 Karl-Heinz Reuband

Berelson, B., Lazarsfeld, P.F. & McPhee, W.N. (1968 [1954]): Voting. A Study of Opinion For-
mation in a Presidential Campaign. Chicago, London.
Cantril, H. & D. Rugg (1965): Die Formulierung von Fragen, in: R. König (Hrsg.), Das Inter-
view. Köln, Berlin, S. 86 – 114.
Converse, P.E. (1964): The Nature of Belief Systems in Mass Publics, in: D.E. Apter (Hrsg.),
Ideology and Discontent. New York, S. 206 – 261.
Converse, P.E. (1970): Attitudes and Non-Attitudes, in: E.R. Tufte (Hrsg.), The Quantitative
Analysis of Social Problems. Reading/Mass, S. 168 – 189.
Craig, S.C. & Martinez, M.D. (Hrsg.) (2005): Ambivalence and the Structure of Public Opinion.
New York.
DIVO (1959): Umfragen. Ergebnisse und Probleme der Zeit im Urteil der Bevölkerung. Band 2.
Frankfurt am Main.
Erskine, H. (1970): The Polls: Capital Punishment. Public Opinion Quarterly 34, S. 290 – 307.
Köcher, R. (2016): Die diffusen Ängste der Deutschen. Eine Dokumentation des Beitrags in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 40 vom 17. Februar 2016. Allensbach; ifd-allens-
bach.de.
Kriesberg, M. (1949): Cross-Pressures and Attitudes. A Study of the Influence of Conflicting
Propaganda in Opinions Regarding American-Soviet Relations. Public Opinion Quarterly
13, S. 5 – 16.
Lazarsfeld, P.F., Berelson, B. & Gaudet, H. (1968 [1944]): The People’s Choice. How the Voter
Makes Up His Mind in a Presidential Campaign. New York, London.
Noelle, E. & Neumann, P. (1965): Jahrbuch der öffentlichen Meinung. 1956 – 1964. Allensbach,
Bonn.
Noelle-Neumann, E. & Köcher, R. (1997): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie. 1993 –
1997. Allensbach.
Noelle-Neumann, E. & Petersen, Th. (2000): Das halbe Instrument, die halbe Reaktion. Zum
Vergleich von Telefon und Face-to-Face Umfragen, in: V. Hüfken (Hrsg.), Methoden in Te-
lefonumfragen. Wiesbaden, S. 183 – 200.
Oppeln-Bronikowski, H.-Ch. (1970): Das Bild des Strafrechts in der öffentlichen Meinung. Göt-
tingen.
Reuband, K.-H. (1980): Sanktionsverlangen im Wandel. Die Einstellung zur Todesstrafe in der
Bundesrepublik Deutschland seit 1950. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsycho-
logie 32, S. 535 – 558.
Reuband, K.-H. (1989): Wechselnde Mehrheiten bei Fragen zum Rechtsbewusstsein: Was die
„Meinungswechsler“ von den „Stabilen“ unterscheidet. Kölner Zeitschrift für Soziologie und
Sozialpsychologie 41, S. 690 – 700.
Reuband, K.-H. (1990): Meinungslosigkeit im Interview. Erscheinungsformen und Folgen un-
terschiedlicher Befragungsstrategien. Zeitschrift für Soziologie 19, S. 428 – 443.
Reuband, K.-H. (2008): Die Todessstrafe im Meinungsbild der Bevölkerung. Wie sich unter-
schiedliche Antwortkategorien und konfrontative Nachfragen im Interview auf das Antwort-
muster von Befragten auswirken, in: Th. Görgen, K. Hoffmann-Holland, H. Schneider &
Dynamiken der Punitivität 741

J. Stock (Hrsg.), Interdisziplinäre Kriminologie. Festschrift für Arthur Kreuzer zum 70. Ge-
burtstag. Frankfurt, S. 577 – 597.
Reuband, K.-H. (2014): Vom Festnetz zum Mobiltelefon. Veränderungen im Kommunikations-
verhalten und öffentliche Sichtbarkeit. Stadtforschung und Statistik. Zeitschrift des Verban-
des deutscher Städtestatistiker, S. 51 – 55.
Turner, C.F. (1984): Why Do Surveys Disagree? Some Preliminary Hypotheses and Some Dis-
agreeable Examples, in: C.F. Turner & E. Martin (Hrsg.), Surveying Subjective Phenomena,
Vol. 2. New York, S. 159 – 214.
Zeit-Online (21. 11. 2018): Hessen schafft die Todesstrafe ab.
Zittelmann, R. (1998): Mehrheit plädiert für Todesstrafe, in: DIE WELT v. 14. 08. 1998.
Transitional Justice in Deutschland –
die Mauerschützen vor Gericht
Von Walter Perron

Hans-Jörg Albrecht hatte von 1993 bis 1997 einen Lehrstuhl an der Technischen
Universität Dresden inne und war mit dem Prozess der Wiedervereinigung, seinen
Folgen und insbesondere den Problemen der strafrechtlichen Aufarbeitung der soge-
nannten „DDR-Regierungskriminaliät“ täglich konfrontiert. Später bildete das
Thema der „Transitional Justice“ einen zentralen Schwerpunkt der von ihm mitge-
gründeten und maßgeblich getragenen „International Max Planck Research School
on Retaliation, Mediation and Punishment“ (REMEP). Seinen 70. Geburtstag, der
zwischen den 30. Jahrestagen des Mauerfalls und der deutschen Wiedervereinigung
liegt, nehme ich zum Anlass, einen Blick zurück auf den Umgang der bundesdeut-
schen Justiz mit den Schüssen an der deutsch-deutschen Grenze zu werfen.
„Transitional Justice“ bedeutet wörtlich „Übergangsjustiz“. Gemeint ist damit die
Aufarbeitung eines gerade überwundenen Zustands der Diktatur oder eines autoritä-
ren Staatssystems durch Gerichte des nachfolgenden Staates, hauptsächlich in der
Form strafrechtlicher Verfolgung, aber auch durch Entschädigung und Rehabilitie-
rung der Opfer.1 Die Bundesrepublik Deutschland musste sich im 20. Jahrhundert
zweimal mit einer solchen Übergangssituation auseinandersetzen: erstens nach
ihrer Gründung im Jahre 1949 mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen2
und zweitens ab 1990 nach dem Zerfall der Deutschen Demokratischen Republik
mit dem Vorgehen der Befehlshaber und Funktionsträger der Deutschen Demokra-
tischen Republik gegen die eigenen Bürger. In beiden Fällen war die juristische Auf-
arbeitung des vergangenen Unrechts mit schwierigen Problemen behaftet und verlief
nicht in jeder Hinsicht optimal. Ich werde zunächst kurz auf die strafrechtliche Auf-
arbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen eingehen, weil die dabei ge-
wonnenen Erfahrungen die Basis für den Umgang mit der sogenannten „DDR-Re-
gierungskriminalität“ bildeten. Danach werde ich mich näher mit der Verfolgung
der DDR-Fälle befassen und am Ende fragen, ob die Anwendung des Völkerstraf-
rechts eine bessere Alternative gewesen wäre.

1
Vgl. Arnold, in: Eser, Sieber & Arnold 2000, 44.
2
Zur strafrechtlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen durch
die Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vgl. z. B. Rottleuthner 2016, 254 f.
sowie näher Keldungs 2019, 90, 113, 173, 186, 202, 228, 247; Jasch & Kaiser 2017, 42, 153,
182.
744 Walter Perron

1. Der Umgang der bundesdeutschen Justiz


mit den Nazi-Verbrechen
Die Verbrechen des Nazi-Regimes waren vielleicht die schlimmsten der Weltge-
schichte. Nicht nur hatte Deutschland ganz Europa und Teile der übrigen Welt mit
einem mörderischen Krieg überzogen, der unendlich viel Leid hervorgerufen und
etwa 65 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, sondern vor allem die systema-
tische Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung und anderer Personen-
gruppen mit insgesamt über 13 Millionen Toten stellt ein in dieser Form bis dahin
noch nicht bekanntes Phänomen von Grausamkeit und Allmachtswahn dar.3 Für
mich als Deutschen sind diese Geschehnisse auch deshalb bis heute unfassbar,
weil es sich nicht um Einzeltaten psychopathischer Demagogen handelt, die das
deutsche Volk getäuscht haben – nein, ein großer Teil der deutschen Bevölkerung
bis hin zu den geistigen Eliten in Justiz und Wissenschaft unterstützte und verteidigte
die Nazi-Ideologie mit großer Begeisterung.4 Das Problem der bundesdeutschen
Nachkriegsgesellschaft bestand daher vor allem darin, dass die Täter nach wie vor
„unter uns“ lebten und schon wieder hohe Positionen einnahmen. Sehr viele Funk-
tionsträger in der nachkriegsdeutschen Regierung, Verwaltung und Justiz waren auf
die eine oder andere Weise für das Naziregime tätig gewesen, und fast alle hatten ihre
juristische oder sonstige Ausbildung in der Nazizeit erhalten.5
Es war deshalb aus heutiger Sicht ein großes Glück, dass die vier Siegermächte
USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich das Nürnberger Militärtribunal
errichteten und dort die wichtigsten noch lebenden Funktionsträger des „Dritten Rei-
ches“ anklagten und aburteilten.6 Deutschland selbst hätte dazu niemals die Kraft ge-
habt, und ohne die Nürnberger Prozesse wäre die historische Wahrheit nicht so
schnell bekannt geworden. Parallel zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland
änderte sich dann aber das politische Klima. Der neue Gegensatz zwischen der NATO
und dem Warschauer Pakt nahm alle Kräfte in Anspruch, und in dieser neuen Situa-
tion war Westdeutschland plötzlich ein wichtiger Partner gegen den Kommunismus.
Die juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen war jetzt nur noch eine Angele-
genheit der bundesdeutschen Justiz, die die Vergangenheit möglichst ruhen lassen
wollte.7 Nur langsam kam die Verfolgung dieser Gewalttaten ernsthaft in Gang,
und bis heute müssen wegen der Verzögerungen und der von den Gerichten aufge-
3
So Schätzungen bei Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Tote_des_Zweiten_Weltkrie
ges [20. 09. 2019]) unter Berufung auf Daten des Militärgeschichtlichen Forschungsamts.
4
Vgl. etwa Aly 2006, 11 ff. und passim; Wehler 2003, 675 ff. Die Erzählungen meiner
Eltern, Schwiegereltern und Verwandten, die bei Kriegsende zwischen 17 und 20 Jahre alt
waren, bestätigten diesen Eindruck.
5
Zur Situation im Bundesjustizministerium vgl. Görtemaker & Safferling 2016; zur
Bundesanwaltschaft vgl. das Interview von Safferling in Badische Neueste Nachrichten vom
29. 06. 2019, 6; https://www.str1.rw.fau.de/files/2019/08/GBA-Interview_BNN-2019.pdf
[29. 09. 2019]). S. auch Rottleuthner 2016, 257.
6
Vgl. z. B. Jasch & Kaiser 2017, 14 ff.; Keldungs 2019, 20 ff.
7
Vgl. Werle 1992, 2530 f.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 745

bauten und erst spät beseitigten Hindernisse immer wieder neue Anklagen erhoben
und Prozesse geführt werden, auch wenn die über 90 Jahre alten Täter wahrschein-
lich kein Gefängnis mehr von innen sehen werden.8
Die Unzulänglichkeiten der strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen der Na-
zizeit hatten zwei wesentliche Ursachen:9 Zum einen die grundlegende Entschei-
dung, die betreffenden Taten an den Maßstäben des allgemeinen deutschen Straf-
rechts zu messen. Wegen des damit geltenden Rückwirkungsverbots mussten die
Taten nach dem zur Tatzeit geltenden Recht strafbar sein, obwohl die Täter damals
faktisch sicher sein konnten, dass sie nicht verfolgt würden. Die Gerichte lösten die-
ses Problem dadurch, dass sog. „Führerbefehle“, d. h. Anweisungen Adolf Hitlers,
die insbesondere die Judenverfolgung betrafen, nicht als Rechtsnormen eingestuft
und daher als irrelevant angesehen wurden.10 Außerdem wurden die schlimmsten
förmlichen Gesetze gemäß der sogenannten Radbruchschen Formel als unwirksam
erachtet, soweit sie in unerträglichem Widerspruch zur Gerechtigkeit standen und die
Gleichheit aller Menschen bewusst verleugneten.11 Mit diesen Maßnahmen konnten
zwar die größten Strafbarkeitslücken vermieden werden, aber der historischen Wahr-
heit, dass das Rechtssystem im Nationalsozialismus völlig korrumpiert war, wurde
man damit nicht gerecht.12
Zum anderen wurden die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts in einer extrem
täterfreundlichen Weise ausgelegt. Bahnbrechend war die zu einem anderen Sach-
verhalt im Jahr 1962 ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Staschyn-
skij-Fall:13 Ein russischer Geheimagent hatte zwei russische Emigranten in München
auf Befehl seines vorgesetzten Offiziers ermordet, wobei Letzterer die Tatmodalitä-
ten (Ort, Zeit, Waffe etc.) genau festgelegt hatte. Der Bundesgerichtshof sah diesen
Offizier als mittelbaren Täter an, während der die Tat unmittelbar ausführende Ge-
heimagent lediglich als Gehilfe eingestuft und zu einer deutlich gemilderten Strafe
verurteilt wurde, weil er keinen „Täterwillen“ gehabt, sondern lediglich den Willen
seines Vorgesetzten in die Tat umgesetzt habe.14 Diese Haltung wurde in der Folge
immer wieder auch auf die Täter des Nationalsozialismus angewendet. Selbst KZ-
Wächter, die eigenhändig den Gashahn aufdrehten oder bei Massenerschießungen
Hunderte ermordeten, kamen als Gehilfen mit Strafen von knapp über drei Jahren
Gefängnis davon.15 Eine im Jahr 1968 wirksame Änderung des Strafgesetzbuches
hatte außerdem zur Folge, dass viele Fälle der Mordbeihilfe rückwirkend schon

8
Vgl. Keldungs 2019, 189 ff.; Rottleuthner 2016, 263.
9
Vgl. Werle 1992, 2533 ff.
10
OLG Frankfurt a. M., HESt 1, 67, 71; s. auch BGHSt 2, 234, 237; Papier & Möller 1999,
3290.
11
Etwa in BGHSt 2, 234, 237; s. auch Papier & Möller 1999, 3290 f.
12
Vgl. Werle 1992, 2534.
13
BGHSt 18, 87.
14
BGHSt 18, 87, 89 ff.
15
Vgl. Kuchenbauer 2009, 17 f.; Rottleuthner 2016, 259; Werle 1992, 2533.
746 Walter Perron

1960 verjährten und nicht mehr verfolgt werden durften.16 Schließlich verschonte der
Bundesgerichtshof die Richter des Nationalsozialismus nahezu vollständig: kein ein-
ziger Richter des sogenannten Volksgerichtshofs wurde für seine grob menschen-
rechtswidrigen Urteile strafrechtlich belangt.17 Erst spät haben andere Richter des
Bundesgerichtshofs diese Haltung bedauert und teilweise auch für die Zukunft kor-
rigiert.18

2. Zusammenbruch der DDR, Wiedervereinigung und Verfolgung


der sogenannten Regierungskriminalität
Deutlich anders verlief die Entwicklung in den 1990er Jahren nach der Wieder-
vereinigung. Die aus der sowjetischen Besatzungszone hervorgegangene und von der
Sowjetunion bis zum Ende politisch und militärisch beherrschte Deutsche Demokra-
tische Republik war kein mit Nazi-Deutschland vergleichbares Verbrecherregime.
Dennoch kann man sie nicht als Rechtsstaat bezeichnen, weil sie in einigen Berei-
chen systematische Menschenrechtsverletzungen verübte und die Opfer völlig
schutzlos waren.19
Die den Funktionsträgern der DDR vorgeworfenen Straftaten waren vielfältig:20
An erster Stelle zu nennen sind die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze.
Ungefähr 300 Personen – eine genaue Statistik gibt es nicht – starben durch die Waf-
fen der Grenzsoldaten, Minen oder Selbstschussanlagen, nur weil sie versuchten, aus
der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zu fliehen. Daneben gab es aber auch
viele andere Formen systematischer Unterdrückung oder unredlichen Verhaltens: So
wurden die in der DDR abgehaltenen Wahlen regelmäßig manipuliert, insbesondere
durch Nichtberücksichtigung von Gegenstimmen oder bewusst ungültig gemachten
Stimmzetteln. Bürger, die aus der DDR ausreisen wollten und dies öffentlich kund-
taten, wurden von den Gerichten wegen strafbarer Beeinträchtigung staatlicher oder
gesellschaftlicher Tätigkeit gem. § 214 DDR-StGB zu langjährigen Freiheitsstrafen
verurteilt. Zahlreiche Zivilpersonen arbeiteten als inoffizielle Mitarbeiter für das Mi-
nisterium für Staatssicherheit und gaben an diese Informationen über regimekritische
Äußerungen, Fluchtvorhaben etc. weiter, was regelmäßig zu massiven Repressalien
bis hin zu strafrechtlichen Verurteilungen der Betroffenen führte. Das Ministerium
für Staatssicherheit selbst unterhielt ein beispielloses Bespitzelungssystem und be-
trat heimlich Wohnungen, hörte systematisch Telefone ab oder öffnete Briefe und
Postsendungen, um deren Inhalt zu lesen sowie Geld oder Wertsachen, die aus

16
Vgl. Rottleuthner 2016, 259; Werle 1992, 2531.
17
Vgl. BGHSt 41, 317, 339 f.; Rottleuthner 2016, 258.
18
BGHSt 41, 317, 339 f.
19
Vgl. näher Marxen & Werle 1999, 7 ff.; Zimmermann, in: Eser & Arnold 2000, 17 ff.
20
Vgl. die Überblicke bei Kreicker et al., in: Eser & Arnold 2000, 49 ff.; Marxen & Werle
1999, 8 ff.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 747

dem Westen an Verwandte oder Freunde in der DDR geschickt worden waren, zu ent-
nehmen. In den Haftanstalten der DDR wurden Strafgefangene immer wieder grob
misshandelt. Die großen sportlichen Erfolge der DDR, insbesondere bei Olympi-
schen Spielen, wurden durch systematisches Doping erreicht, ohne dass den Sport-
lern oder ihren Eltern mitgeteilt wurde, welche Präparate sie einnahmen und mit wel-
chen gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen dies verbunden war. Schließ-
lich war die Führungselite der DDR durchaus korrupt und beging in nicht geringem
Ausmaß Amtsmissbrauch zur Steigerung des eigenen Lebensstandards.
Alle diese Missstände führten zu einer großen Unzufriedenheit der Bevölkerung.
Als dann massive wirtschaftliche Probleme hinzukamen und die Sowjetunion zer-
brach, die durch politischen und militärischen Druck wie auch finanzielle und wirt-
schaftliche Unterstützung das DDR-Regime installiert und am Leben gehalten hatte,
erzwang die Bevölkerung mit Demonstrationen und massenhaften Ausreiseversu-
chen die Öffnung der Grenzen und den Rücktritt der Machthaber.21 Es fanden
freie demokratische Wahlen statt und das neue ostdeutsche Parlament beschloss
mit Zweidrittelmehrheit, die DDR aufzulösen und der Bundesrepublik Deutschland
beizutreten. Die Einzelheiten wurden zwischen den beiden Staaten ausgehandelt und
in einem „Einigungsvertrag“ festgeschrieben.22 Konsequenz dieses Beitritts war,
dass mit einem Schlag das gesamte Rechtssystem der Bundesrepublik auch auf
die neuen, zuvor zur DDR gehörenden Territorien anzuwenden war. Sehr schnell
nach der Wiedervereinigung wurden deshalb Gerichte und Staatsanwaltschaften
nach dem bundesdeutschem System aufgebaut und zu einem weit überwiegenden
Anteil mit Personen besetzt, die ihre Ausbildung in Westdeutschland erhalten hatten.
Die eigenen Juristen der DDR waren demgegenüber schon deshalb in der Minder-
zahl, weil die DDR als sozialistischer Staat sehr viel weniger Juristen benötigte; au-
ßerdem wurden viele, die mit dem alten Regime zu stark verbunden waren, nicht in
das neue System übernommen. De facto waren es deshalb westdeutsche Gerichte, die
nach der Wiedervereinigung über die Taten der Repräsentanten der DDR zu urteilen
hatten.23
Was die strafrechtliche Aufarbeitung der sogenannten DDR-Regierungskrimina-
lität anging, so legte der Einigungsvertrag fest, dass eine Verurteilung nur möglich
21
Vgl. z. B. die Webseite „Chronik der Wende“ (https://www.chronikderwende.de/ [24. 09.
2019]) des Rundfunk Berlin-Brandenburg.
22
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen
Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (BGBl. 1990 II
889).
23
Mein Vater war bis zu seiner Pensionierung im Februar 1992 Richter in Rheinland-Pfalz
gewesen. Kurz darauf wurde er für den Aufbau der Justiz in Thüringen reaktiviert und arbei-
tete noch fünf Jahre in Erfurt, die meiste Zeit als Vorsitzender einer Zivilkammer am Land-
gericht. In seiner Kammer waren vier weitere Richterinnen und Richter tätig: Ein erfahrener
Rechtsanwalt und zwei junge Assessorinnen aus Hessen sowie ein Richter, der seine Ausbil-
dung in der DDR erhalten hatte und in die bundesdeutsche Thüringer Justiz übernommen
wurde. Das Zahlenverhältnis von vier Westrichtern und einem Ostrichter dürfte typisch ge-
wesen sein.
748 Walter Perron

war, wenn es sich sowohl nach dem Recht der Bundesrepublik als auch nach dem
Recht der DDR um eine Straftat handelte.24 Damit sollte der Tatsache Rechnung ge-
tragen werden, dass die Soldaten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte der DDR
deren damaliges Rechtssystem anwendeten und eine rückwirkende Ersetzung dieses
Rechts durch das Recht der Bundesrepublik mit dem Grundsatz „nullum crimen sine
lege“ nicht vereinbar wäre. Eine strafrechtliche Verfolgung der Funktionsträger der
DDR war damit nur zulässig, wenn diese mit ihren Taten auch gegen das DDR-Recht
verstoßen hatten.

3. Die strafrechtliche Verfolgung der „Mauerschützen“


Im Vordergrund der Bemühungen der Staatsanwaltschaften und Gerichte wie
auch der wissenschaftlichen Diskussionen standen die Gewalttaten an der
deutsch-deutschen Grenze.25 In der weit überwiegenden Zahl handelte es sich um
Fälle, in denen DDR-Bürger versuchten, über die Mauer oder Grenzzäune zu klet-
tern, von den Wachsoldaten entdeckt wurden, trotz Warnschüssen sowie der Auffor-
derung, stehen zu bleiben, weiterrannten und sodann durch gezielte Schüsse tödlich
verletzt wurden.26 Vereinzelt gab es auch Exzessfälle, in denen die Opfer den Flucht-
versuch aufgaben und sich den Grenzsoldaten stellten, von diesen dann aber trotzdem
erschossen wurden.27 Schließlich kamen auch Flüchtende durch Tretminen oder
Selbstschussanlagen ums Leben, ohne dass ein Grenzsoldat geschossen hätte.28
Die rechtliche Beurteilung dieser Fälle war in mehrfacher Hinsicht schwierig.
Aufgrund der Vorgaben des Einigungsvertrages musste die Strafbarkeit parallel so-
wohl nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland als auch dem Recht der DDR
geprüft und sodann das für die Angeklagten günstigere Recht angewendet werden.
Auf der Ebene der deliktischen Einstufung ging es beim insoweit milderen bundes-
deutschen Recht zunächst um die Frage, ob der Mordtatbestand oder nur der Tot-
schlagstatbestand verwirklicht war.29 Im Unterschied zu den nationalsozialistischen
Gewalttaten wurde bei den Grenzsoldaten – von Exzessen abgesehen – nur Totschlag
angenommen, weil aufgrund der allgemein bekannten Grenzschutzmaßnahmen die
Tötungen nicht heimtückisch waren und die Soldaten aufgrund der Befehlslage auch
nicht aus niederen Beweggründen handelten.30 Deutlich problematischer war in vie-

24
Vgl. Art. 315 Abs. 1 S. 1 EGStGB.
25
Vgl. zu den Sachverhalten näher Rummler 2000, 7 ff.
26
So der Sachverhalt in der ersten, grundlegenden Entscheidung BGHSt 39, 1.
27
So der BGHSt 39, 353 zugrunde liegende Sachverhalt.
28
Vgl. BGHSt 40, 218, 219.
29
Nach § 112 DDR-StGB war jede vorsätzliche Tötung als Mord zu bestrafen, sofern nicht
besondere mildernde Umstände vorlagen.
30
Vgl. Rummler 2000, 477 ff.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 749

len Fällen dagegen der Nachweis des Tötungsvorsatzes.31 Da die Angeklagten im


Prozess zumeist auf wenig glaubhafte Weise angaben, sie hätten nur die Überwin-
dung der Grenze durch Beinschüsse verhindern, aber nicht die Flüchtenden töten
wollen, musste ihre subjektive Einstellung aus dem objektiven Geschehen erschlos-
sen werden. Die Gerichte lösten dieses Problem auf relativ pauschale Art und Weise:
Wurden die Opfer durch die Schüsse nicht tödlich verletzt, so nahm man regelmäßig
auch keinen Tötungsvorsatz an, der eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags
begründet hätte.32 Starben die Opfer dagegen an ihren Verletzungen, dann wurde zu-
meist der Tötungsvorsatz bejaht, und zwar sowohl für die Grenzsoldaten, die die töd-
lichen Schüsse abgaben, als auch für alle ihre Vorgesetzten bis hin zur militärischen
und politischen Führung der DDR.33 Hatten mehrere Soldaten parallel auf die Flüch-
tenden geschossen, so wurde bei tödlichem Ausgang für diejenigen, die nicht getrof-
fen oder keine tödlichen Verletzungen verursacht hatten, häufig der Tötungsvorsatz
verneint.34 Diese Differenzierungen hatten, wie gleich zu zeigen sein wird, nicht nur
auf der Tatbestandsebene, sondern vor allem auch auf der Ebene der Schuld wichtige
Konsequenzen.
Die größte Schwierigkeit bestand in der Beurteilung der Rechtswidrigkeit. Das
Grenzregime der DDR wurde von der Partei- und Regierungsspitze in den 1950er
Jahren beschlossen, aber erst 1982 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Seit dieser
Zeit regelte § 27 des Grenzgesetzes der DDR, dass von der Schusswaffe nur im äu-
ßersten Notfall Gebrauch gemacht werden durfte. Würde man diese Vorschrift nach
rechtsstaatlichen Maßstäben auslegen, dann wären alle Fälle der Erschießung Flüch-
tender nicht gerechtfertigt gewesen. Die Tötung eines Menschen, der lediglich seine
Ausreise durch Flucht erzwingen will, würde völlig außer Verhältnis zum Ziel der
Sicherung der Staatsgrenze stehen.35 Faktisch erhielten die Soldaten jedoch den Be-
fehl, Grenzdurchbrüche in jedem Fall zu verhindern und dabei auch die Tötung der
Flüchtenden in Kauf zu nehmen.36 Kein Soldat hatte etwas zu befürchten, wenn er
eine flüchtende Person erschoss – im Gegenteil wurde er zumeist belobigt und als
Vorbild hingestellt. Für die bundesdeutschen Gerichte stellte sich daher die schwie-
rige Frage, ob nur der Buchstabe der DDR-Gesetze oder das tatsächlich praktizierte
Recht maßgeblich sein sollte.
Im bundesdeutschen juristischen Schrifttum entstand deswegen eine heftige Dis-
kussion.37 So befürwortete etwa Klaus Lüderssen die Rekonstruktion einer „sozialis-

31
Eingehend Rummler 2000, 253 ff.
32
Vgl. Rummler 2000, 260.
33
Vgl. Rummler 2000, 254, 268 ff.
34
Vgl. Rummler 2000, 254.
35
Siehe auch BGHSt 39, 1, 20 f.
36
Vgl. BGHSt 39, 1, 3, 11 ff. sowie eingehend zum Grenzregime der DDR und zur Be-
fehlslage der Soldaten Rummler 2000, 68 ff., 161 ff.; siehe auch Kreicker, in: Eser & Arnold
2000, 63 ff.
37
Überblick bei Rummler 2000, 278 ff., 353 ff.
750 Walter Perron

tischen Rechtsstaatlichkeit“, die in weiten Teilen des DDR-Rechts auch tatsächlich


bestanden habe und an der die politische Strafjustiz gemessen werden könne.38 Da-
nach wären die Schüsse an der deutsch-deutschen Grenze in den meisten Fällen
rechtswidrig gewesen, weil dem auch im DDR-Recht anerkannten Verhältnismäßig-
keitsgrundsatz nicht Rechnung getragen worden sei. Die Gegenposition wurde u. a.
von Günther Jakobs vertreten:39 Die Menschenrechtsverletzungen könnten nicht als
falsche Handhabung der am Tatort geltenden Rechtsordnung begriffen werden, son-
dern nur als Pervertierung des Rechts selbst. Die Praxis an der deutsch-deutschen
Grenze sei das Recht der DDR gewesen. Eine systemimmanente Strafbarkeit ihrer
Protagonisten sei daher undenkbar. Einen dritten Weg hatte demgegenüber Robert
Alexy vorgeschlagen:40 Zwar ersetzte auch seiner Meinung nach eine erst nachträg-
lich vorgenommene einschränkende Auslegung der Rechtfertigungsgründe des
DDR-Rechts nicht ein zur Tatzeit bestehendes Gesetz, auf welches die Strafbarkeit
der DDR-Funktionsträger gestützt werden könnte. Jedoch dürfe ausnahmsweise auf
das Erfordernis eines solchen Tatzeitgesetzes verzichtet werden, wenn die betreffen-
den Täter nach Sinn und Zweck des Art. 103 Abs. 2 GG, der den Grundsatz „nullum
crimen sine lege“ als verfassungsmäßiges Grundrecht garantiert, nicht schutzwürdig
seien. Das Gebot eines zur Tatzeit bestehenden schriftlichen Gesetzes solle den Ein-
zelnen vor richterlicher Willkür schützen, es solle ihn vor Strafe für eine Tat bewah-
ren, deren Unrecht er bei ihrer Begehung nicht klar erkennen konnte, und es solle ihn
in die Lage versetzen, die rechtlichen Folgen seiner Handlungen zu kalkulieren.
Wenn die deutschen Gerichte nach der Wiedervereinigung den extremen Menschen-
rechtsverletzungen durch DDR-Funktionsträger eine Rechtfertigung verweigerten,
so sei das aber weder Willkür noch fehle es an der Erkennbarkeit des Unrechts
und der Vorhersehbarkeit der Bestrafung. Die Täter hätten durchaus damit rechnen
müssen, dass das Unrechtsregime der DDR zusammenbricht und sie danach zur Re-
chenschaft gezogen werden. Mehrheitlich sprachen sich die deutschen Strafrechts-
professoren damit gegen eine Rechtfertigung der Soldaten und Befehlshaber der
DDR aus.
Der Bundesgerichtshof fand schließlich eine ähnliche Lösung:41 Grundsätzlich
sei das DDR-Recht so anzuwenden, wie es die Gerichte der DDR selbst getan hatten.
Soweit es sich aber um schwere Menschenrechtsverletzungen handelte, seien Inter-
pretationen des DDR-Rechts, die zur Straflosigkeit solcher Handlungen führen wür-
den, als unbeachtlich anzusehen. Die DDR selbst habe den Internationalen Pakt über
bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet und sich damit zu den Menschen-
rechten, insbesondere auch zur nach Art. 12 Abs. 2 dieses Pakts garantierten Ausrei-
sefreiheit bekannt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz „nullum crimen sine lege“
wurde deshalb verneint: „Die Erwartung, das Recht werde, wie in der Staatspraxis
38
Lüderssen 1991, 485 f.; 1992, 747 ff.
39
Jakobs 1994, 1 ff.
40
Alexy 1993, 10 ff., 30 ff.
41
Grundlegend BGHSt 39, 1, 15 ff.; siehe auch BGHSt, 39, 168, 183 ff.; 40, 241, 242 ff.;
41, 101, 103 ff.; Laufhütte 2001, 523 ff. sowie eingehend Rummler 2000, 298 ff.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 751

zur Tatzeit, auch in Zukunft so angewandt werden, daß ein menschenrechtswidriger


Rechtfertigungsgrund anerkannt wird, ist nicht schutzwürdig.“42 Diese Haltung
wurde in der Folge auch vom Bundesverfassungsgericht43 und vom Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte44 bestätigt.
Als schwierig erwies sich weiterhin die Beurteilung der Schuld der Grenzsolda-
ten.45 Gemäß § 5 Abs. 1 des bundesdeutschen Wehrstrafgesetzbuchs handelt ein Sol-
dat, der einen Befehl ausführt, ohne Schuld, wenn er nicht erkennt, dass es sich um
eine Straftat handelt und dies auch nicht offensichtlich ist. Ähnlich bestimmte § 258
Abs. 1 des DDR-StGB, dass die Ausführung eines Befehls nur dann strafbar ist, wenn
dieser offensichtlich gegen die Strafgesetze oder die anerkannten Normen des Völ-
kerrechts verstößt. Der Bundesgerichtshof ging – mit Ausnahme der Exzesshandlun-
gen – in allen Fällen des Schusswaffengebrauchs an der Grenze vom Vorliegen eines
Schießbefehls aus. Soweit die Soldaten aufgrund dieses Befehls vorsätzlich tödliche
Schüsse abgaben, sei dessen Strafrechtswidrigkeit jedoch offensichtlich gewesen.46
Auch junge Soldaten, die im SED-Regime aufgewachsen waren, hätten erkennen
müssen, dass das Gebot der Menschlichkeit eine Tötung unbewaffneter Flüchtlinge
verbietet. Aus diesem Grunde sei auch ein Verbotsirrtum im Sinne von § 17 StGB,
aufgrund dessen die Soldaten sich zur Abgabe der tödlichen Schüsse befugt gesehen
hätten, vermeidbar gewesen und schlösse die Schuld nicht aus.47 Wurde dagegen nur
mit Körperverletzungsvorsatz auf die Beine gezielt, um die Opfer fluchtunfähig zu
machen, dann sei für die Soldaten ein solcher Verstoß nicht offensichtlich und ein
Verbotsirrtum unvermeidbar gewesen.48 Diese Haltung hatte zur Folge, dass in
allen Fällen, in denen der Tötungsvorsatz verneint worden war, eine Strafbarkeit
der Grenzsoldaten nicht mehr in Frage kam. In der Literatur wurde dagegen teilweise
auch bei vorsätzlichen Tötungen die Schuld der Grenzsoldaten verneint:49 Die Sol-
daten seien ideologisch massiv indoktriniert und die Schüsse an der Mauer von keiner
maßgeblichen Seite öffentlich kritisiert worden; auch habe die Staatengemeinschaft
die Grenzpraxis der DDR ohne klare und nachhaltige Verurteilung hingenommen.
Weitere rechtliche Herausforderungen hatten die Gerichte bei der Verteilung der
Verantwortlichkeit auf die verschiedenen Beteiligten und der darauf abgestimmten
42
BGHSt 39, 1, 29 f.
43
BVerfGE 95, 96, 130 ff.
44
EGMR v. 22. 03. 2001, 34044/96, 35532/97, 44801/98 (Streletz, Keßler, Krenz/Deutsch-
land), abgedruckt u. a. in NJW 2001, 3035; EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97 (K.-H.W./
Deutschland), NJW 2001, 3042.
45
Vgl. dazu ausführlich Rummler 2000, 384 ff.
46
Vgl. BGHSt 39, 1, 33 f.
47
Vgl. BGHSt 39, 168, 191 f.
48
Vgl. BGH NStZ 1993, 488, 489.
49
Vgl. z. B. Ebert 1999, 531 f.; ebenso die abweichenden Meinungen der Richter Cabral
Barreto sowie Pellonpää und Zupančič in EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97 (K.-H. W./
Deutschland – in NJW 2001, 3042 nicht abgedruckt). Weitere Nachweise bei Rummler 2000,
411 f.
752 Walter Perron

Strafzumessung zu bestehen. So wurden alle Soldaten, die selbst die tödlichen Schüs-
se abgaben, im Unterschied zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen als un-
mittelbare Täter und nicht als Gehilfen angesehen.50 Ihre Vorgesetzten, die als Zwi-
schenglieder in der Befehlskette zwischen der politischen Spitze und den ausführen-
den Soldaten standen, wurden im Falle konkreter Einzelbefehle als Anstifter, bei le-
diglich allgemeinen „Vergatterungen“ dagegen als Gehilfen verurteilt.51 Die
Mitglieder der politischen Führung, insbesondere des Nationalen Verteidigungsrats,
wurden demgegenüber als mittelbare Täter eingestuft:52 Trotz der uneingeschränkten
Verantwortlichkeit der Grenzsoldaten hätten die Handlungen der Hintermänner „na-
hezu automatisch“ zur Tatbestandsverwirklichung geführt. Die Hintermänner hätten
die Organisationsstrukturen der DDR und die darauf beruhende unbedingte Bereit-
schaft der Grenzsoldaten, die Befehle auszuführen, benutzt und dadurch das Gesche-
hen weit mehr beherrscht als dies in vielen anderen anerkannten Fallgruppen der mit-
telbaren Täterschaft der Fall sei.53
Diese Einstufungen wirkten sich auch nachhaltig auf die Strafzumessung aus.
Ganz allgemein ließen die Gerichte hier zumeist große Milde walten. So wurde
bei Grenzsoldaten, die die tödlichen Schüsse abgaben, in aller Regel nur ein minder
schwerer Fall des Totschlags angenommen und eine Freiheitsstrafe von unter zwei
Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.54 Den Ange-
klagten wurde zugutegehalten, dass es sich um eine historische Ausnahmesituation
gehandelt hatte, deren Wiederholung nicht zu befürchten sei, sowie dass sie in einem
Dienstverhältnis standen, auf Befehl handelten und im Falle der Weigerung erheb-
liche Repressalien zu befürchten hatten;55 sie seien in gewisser Weise ebenfalls
Opfer des Systems der DDR gewesen.56 Von den Vorgesetzten der mittleren
Ebene, die die Beschlüsse und Befehle der politischen Führung nach unten weiter-
gaben, wurden nur sehr wenige verurteilt, und alle nur zu Freiheitsstrafen unter zwei
Jahren, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde. Lediglich
die insgesamt 16 Mitglieder der politischen Führungsebene, die man noch zur Ver-
antwortung ziehen konnte, wurden mehrheitlich zu längeren Freiheitsstrafen zwi-
schen drei und siebeneinhalb Jahren verurteilt und mussten tatsächlich ins Gefängnis
gehen.57

50
Vgl. BGHSt 39, 1, 31 f.; zu den Konstellationen der Mittäterschaft bei gemeinsamem
Handeln mehrerer Soldaten vgl. Rummler 2000, 433 ff.
51
Vgl. Rummler 2000, 440 ff.
52
BGHSt 40, 218, 230 ff.; siehe auch BGHSt 45, 270.
53
BGHSt 40, 218, 236; BGHSt 45, 270, 296.
54
Vgl. Rummler 2000, 52.
55
Vgl. Rummler 2000, 489 ff. mit umfassenden Nachweisen zu den Entscheidungen der
Landgerichte in erster Instanz.
56
BGHSt 39, 1, 36; BGHSt 39, 168, 193.
57
Vgl. näher Rummler 2000, 52 ff.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 753

Insgesamt hat sich die bundesdeutsche Justiz im klaren Gegensatz zur Verfolgung
der NS-Verbrechen um eine zügige und umfassende strafrechtliche Aufarbeitung der
DDR-Regierungskriminalität bemüht. Im Ergebnis kam es freilich nur zu wenigen
Anklagen und noch viel weniger Verurteilungen: So wurden zwar knapp 75.000 Er-
mittlungsverfahren gegen Funktionsträger der DDR eingeleitet.58 Anklagen wurden
dagegen nur in 1.737 Fällen erhoben; in 753 Fällen kam es zu Verurteilungen, 336
Verfahren endeten mit Freisprüchen und der Rest wurde eingestellt.59

4. Anwendung des Völkerstrafrechts als Alternative?


Die Haltung der Gerichte ist von verschiedenen Seiten heftig kritisiert worden.
Teilweise wurde von einer viel zu weitgehenden „Siegerjustiz“ gesprochen, während
vor allem viele Opfer nicht mit den milden Urteilen einverstanden waren.60 Den
Richtern war jedenfalls bewusst, dass die Bevölkerung der DDR zu einem großen
Teil die Ideen des Sozialismus befürwortete und ihren Staat trotz aller Kritik an
den Beschränkungen der Reisefreiheit und Versorgung mit Gütern grundsätzlich
für gut gehalten hatte. Ein zu strenges Vorgehen hätte deshalb die Akzeptanz der Wie-
dervereinigung, die bei vielen DDR-Bürgern durchaus problematisch war, gefährdet.
Der Umgang der bundesdeutschen Gerichte mit der DDR-Regierungskriminalität
wird heute zumeist als im Wesentlichen gelungen angesehen.61
Aus juristischer Sicht problematisch war vor allem, dass die Strafbarkeit zuguns-
ten der Täter nach dem zur Tatzeit in der DDR geltenden Strafrecht beurteilt werden
musste, obwohl sich diese im Einklang mit dem eigenen Recht sahen und keinerlei
Strafverfolgung zu befürchten hatten. Die bundesdeutschen Gerichte standen des-
halb vor der Schwierigkeit, nachträglich eine abweichende Rechtsauslegung anwen-
den zu müssen, ohne mit dem Rückwirkungsverbot in Konflikt zu geraten. Die ge-
fundene Lösung konnte daher nur einen Kompromiss darstellen. Auf der einen Seite
mussten Teile des zur Tatzeit gelebten Rechts nachträglich für unwirksam erklärt
werden, und auf der anderen Seite kamen viele Täter mit sehr milden Strafen
davon oder wurden überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen.62
Eine rechtlich einwandfreie Lösung war zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung
aber auch nur in Ansätzen erkennbar. Man konnte zwar die sogenannten Nürnberger
Prinzipien und insbesondere den Straftatbestand des Verbrechens gegen die Mensch-

58
Vgl. Marxen, Werle & Schäfter 2007, 25.
59
Vgl. Marxen, Werle & Schäfter 2007, 39 ff.
60
Vgl. z. B. Marxen & Werle 1999, 252 ff.; Rossig & Rost, in: Eser & Arnold 2000, 521 ff.;
Rummler 2000, 527 ff.
61
Vgl. z. B. Kreicker & Ludwig, in: Eser & Arnold 2000, 537 ff.; Laufhütte 2001, 528;
Marxen & Werle 1999, 241 ff.; kritisch dagegen wegen der milden Strafen und der geringen
Zahl der Verurteilungen Schroeder 2000, 3022; Wassermann 2000, 404.
62
Vgl. Marxen 2012, 90 f.
754 Walter Perron

lichkeit als schon zur Tatzeit bestehendes Völkergewohnheitsrecht ansehen und hätte
möglicherweise eine Bestrafung der Funktionsträger der DDR darauf stützen kön-
nen.63 Das Völkerstrafrecht war damals aber noch nicht so weit entwickelt, dass
die Verhandlungspartner des Einigungsvertrages darauf ohne zusätzliche Präzisie-
rungen hätten zurückgreifen können. Heute sieht es dagegen anders aus. Insbeson-
dere beinhaltet das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs eine gut ausge-
arbeitete Regelung, die zudem in Deutschland mit dem Völkerstrafgesetzbuch auch
in das nationale Recht transferiert wurde. Zumindest die schlimmsten Formen der
DDR-Regierungskriminalität würden sich danach als Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit einstufen lassen.64
Für die bundesdeutschen Gerichte hätte eine Anwendung des Völkerstrafrechts
freilich keine wesentliche Erleichterung bedeutet. Einige Probleme wären zwar weg-
gefallen, aber dafür hätten andere hohe Hürden überwunden werden müssen. Es wäre
zwar nicht notwendig gewesen, auf das zur Tatzeit geltende innerstaatliche Recht zu-
rückzugreifen. Das Recht der DDR konnte schon deshalb kein angemessener Beur-
teilungsmaßstab sein, weil der wesentliche Charakter von Systemunrecht gerade in
der formellen Legalisierung solcher Verbrechen durch die jeweiligen Machthaber
liegt. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit könnten sich die Täter auch nicht
darauf berufen, sie hätten nur Befehle ausgeführt.65 Schließlich wäre es mit dem völ-
kerstrafrechtlichen Instrument der Vorgesetztenverantwortlichkeit leichter gewesen,
die Befehlshaber und Mitglieder der politischen Führung für die Taten der Soldaten,
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit etc. strafrechtlich haftbar zu ma-
chen.66
Auf der anderen Seite stellt der Tatbestand des Verbrechens gegen die Mensch-
lichkeit aber sehr hohe Anforderungen an eine Verurteilung.67 So muss es sich
nicht nur um besonders schwere Einzeltaten handeln, die in Art. 7 des Rom-Statuts
und § 7 VStGB enumerativ aufgelistet sind. Diese Taten müssen vielmehr darüber
hinaus einen objektiven Teil eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs
gegen die Zivilbevölkerung bilden, und der Täter muss dies subjektiv auch wissen.68
Im Fall der Mauerschützen und der zu Freiheitsstrafen verurteilten Ausreisewilligen
dürften diese Merkmale des sogenannten „Kontext-Elements“ zweifellos verwirk-
licht sein:69 Die politische Führung der DDR befürchtete – nicht ganz ohne
63
Die Richter Cabral Barreto sowie Pellonpää und Zupančič bezweifeln in ihren abwei-
chenden Meinungen zur Entscheidung EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97 (K.-H. W./Deutsch-
land) dies freilich. Eindeutig bejahend dagegen Werle 2001, 3005.
64
Siehe auch Werle 2001, 3005.
65
Vgl. Art. 33 Abs. 2 des Statuts des IStGH.
66
Vgl. Art. 28 des Statuts des IStGH.
67
Vgl. die Kommentierung zu Art. 7 IStGH-Statut bei Triffterer & Ambos 2016, 144 ff.;
Ambos 2018, 261 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 419 ff.; siehe auch Barthe 2012, 249 ff.
68
Vgl. Triffterer & Ambos 2016, 165 ff.; Ambos 2018, 267 ff.; Werle & Jeßberger 2016,
427 ff.; siehe auch BGH NJW 2019, 2627, 2633; NJW 2019, 1818, 1825 f.
69
Vgl. Werle 2001, 3005.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 755

Grund – ein Ausbluten ihres Staates durch Abwanderung und verfolgte deshalb sys-
tematisch, planvoll und mit dem politischen Ziel der Bestandserhaltung fast alle, die
die DDR verlassen wollten. Ausgehend von einer extrem restriktiven Verwaltungs-
praxis bei der Erteilung von Ausreiseerlaubnissen über die strafrechtliche Verfol-
gung und Verurteilung von Personen, die ihren Willen zum Verlassen der DDR öf-
fentlich kundtaten, bis hin zu den Todesschüssen an der Grenze sollten die Bürger mit
allen Mitteln von einer Auswanderung insbesondere in die Bundesrepublik Deutsch-
land abgehalten werden. Dieser systematische Angriff richtete sich auch gegen einen
konkreten Teil der Zivilbevölkerung, der durch den Willen, den Staat zu verlassen
und dies in die Tat umzusetzen, hinreichend abgrenzbar und zahlenmäßig groß
genug war, um den Anforderungen des Völkerstrafrechts zu genügen.70 Soweit es da-
gegen um Personen ging, die sich innerhalb der DDR auflehnten, um Veränderungen
zu erreichen, und deshalb auf vielfältige Weise schikaniert, teilweise auch länger ein-
gesperrt und körperlich misshandelt wurden, dürfte der Nachweis eines systemati-
schen, planvoll organisierten Angriffs schwerer fallen, auch wenn ein solcher Angriff
ebenfalls naheliegt.
Darüber hinaus erfassen die einschlägigen Straftatbestände nicht jeden Beitrag zu
einem solchen systematischen Angriff, sondern nur besonders schwere Einzeltaten.
An erster Stelle steht insoweit „Mord“, der nicht wie im deutschen StGB eine qua-
lifizierte Form der Tötung voraussetzt, sondern im Wesentlichen dem deutschen Tot-
schlagstatbestand entspricht.71 Dementsprechend begnügt sich das deutsche VStGB
mit der bedingt vorsätzlichen Tötung eines Menschen, während der Internationale
Strafgerichtshof wegen des insoweit abweichenden Wortlauts des Rom-Statuts
einen direkten Tötungsvorsatz verlangt.72 Würde man dem Internationalen Strafge-
richtshof folgen, dann könnten die jungen Soldaten, die die Todesschüsse an der
deutsch-deutschen Grenze abgegeben hatten, zumeist nicht wegen eines Verbrechens
gegen die Menschlichkeit belangt werden, weil sie den Tod der Flüchtenden regel-
mäßig zwar in Kauf nahmen, zumeist aber nicht als sicher und notwendig ansahen.73
Ihre höheren Vorgesetzten und die militärischen und politischen Führungspersonen
der DDR wären dagegen auch nach Ansicht des Internationalen Strafgerichtshofs
strafbar: Aus deren distanzierter Perspektive war nämlich sicher, dass zumindest
in einigen Fällen Flüchtende getötet würden.
Die Verurteilung von Regimegegnern und Ausreisewilligen zu längeren Freiheits-
strafen kann grundsätzlich ebenfalls ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar-

70
Vgl. Hall & Ambos, in: Triffterer & Ambos 2016, 172 ff.; Werle & Jeßberger 2016,
427 ff.; siehe auch Gierhake 2019, 1781.
71
Vgl. Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 178 ff.; Werle & Jeßberger 2016, 446 f.
72
Vgl. Werle 2018, § 7 VStGB Rn. 47.
73
In diese Richtung wohl auch die Richter Cabral Barreto sowie Pellonpää und Zupančič
in ihren abweichenden Meinungen zur Entscheidung EGMR v. 22. 03. 2001, 37201/97
(K.-H. W./Deutschland).
756 Walter Perron

stellen.74 Allerdings müssen solche Freiheitsentziehungen neben einer durch längere


Vollstreckungsdauern zum Ausdruck gebrachten Mindestschwere auch auf der Ver-
letzung fundamentaler völkerrechtlicher Grundsätze beruhen. Typisch für solche
völkerrechtswidrigen Praktiken sind insbesondere willkürliche Verhaftungen ohne
Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens.75 Politisch motivierte Strafver-
fahren waren nun in der DDR nicht rechtsstaatlich, in einzelnen Fällen stellten sie
sogar groteske Schauinszenierungen dar,76 und die den Angeklagten vorgeworfenen
Verfehlungen bestanden oft in nichts anderem als dem Einfordern völkerrechtlich ga-
rantierter Rechte, etwa auf Ausreisefreiheit oder Meinungsfreiheit. Auch ist das so-
genannte Rechtsbeugungsprivileg, das die Strafbarkeit eines Richters wegen Frei-
heitsberaubung davon abhängig macht, dass dieser zugleich eine vorsätzliche
Rechtsbeugung begangen hat, dem Völkerstrafrecht unbekannt. Gleichwohl hätten
bundesdeutsche Gerichte schwierige Beweisfragen zu bewältigen, wenn sie DDR-
Richter wegen ihrer politischen Urteile eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit
schuldig sprechen wollten.
Schließlich könnten die vielfach praktizierten Misshandlungen von Gefangenen
in den DDR-Gefängnissen als „Folter“ im Sinne von Art. 7 des Rom-Statuts und § 7
VStGB angesehen und im Hinblick auf die übergeordnete Politik der rigorosen Ver-
folgung von Regimegegnern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft
werden.77 Der Bundesgerichtshof hat in einigen aktuellen Entscheidungen die Hür-
den hierfür deutlich gesenkt, indem er zwar schwerere Misshandlungen als bei einer
einfachen Körperverletzung, aber keine Verursachung bleibender Gesundheitsschä-
digungen oder extremer Schmerzen verlangt.78 Ob die Praktiken in den Strafvoll-
zugsanstalten der DDR aber als Teil eines systematischen Angriffs auf die Zivilbe-
völkerung angesehen werden können und den Tätern dies auch bewusst war, könnte
problematisch sein. Nicht ausreichen würde es jedenfalls, wenn es sich nur um eine
allgemeine Strafvollzugspraxis gehandelt haben sollte, die nicht auf einem überge-
ordneten Plan beruhte, sondern „nur“ auf einer in den Kreisen des Vollzugspersonals
vorherrschenden Geringschätzung der Menschenrechte.
Andere Formen der Verfolgung von Regimegegnern, etwa durch Verweigerung
einer angemessenen Ausbildung oder Arbeit, unberechtigte Kündigungen, Abhören
der Wohnung und des Telefons sowie Brieföffnungen, Wahlfälschungen oder Kor-
ruptionshandlungen könnten dagegen von vornherein nicht mit dem Völkerstrafrecht
geahndet werden, weil solche Verhaltensweisen nicht von dessen Straftatbeständen
74
Vgl. Ambos 2018, 279 f.; Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 198 ff.; Werle &
Jeßberger 2016, 463 f.
75
Vgl. Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 203; Werle & Jeßberger 2016, 464.
76
Vgl. z. B. die Strafverfahren gegen den Regimekritiker Robert Havemann, dokumentiert
bei Vollnhals 1998, 42 ff., 82 ff.
77
Vgl. Ambos 2018, 280 f.; Hall & Stahn, in: Triffterer & Ambos 2016, 204 ff.; Werle &
Jeßberger 2016, 464 ff.
78
BGH NJW 2019, 2627, 2633 f.; siehe auch BGH AK 47/19 vom 05. 09. 2019, BeckRS
2019, 22694.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 757

erfasst sind. Ob es deshalb bei Anwendung des Völkerstrafrechts zu noch weniger


Verurteilungen gekommen wäre, ist damit aber noch nicht gesagt. Angesichts der
Tatsache, dass auf der Basis der im Einigungsvertrag vereinbarten Lösung fast
98 % aller Ermittlungsverfahren ohne Erhebung einer Anklage eingestellt wurden
und die Verurteilungen zumeist nur wegen der Gewalthandlungen an der Grenze
sowie Rechtsbeugungen durch Richter der DDR erfolgten,79 hätte sich das praktische
Ergebnis wahrscheinlich nicht wesentlich anders dargestellt. Außerdem wären die
Gerichte nicht gehindert gewesen, in klaren Exzessfällen die Täter auch außerhalb
des Völkerstrafrechts wegen Verstoßes gegen das DDR-Recht zur Verantwortung
zu ziehen.
Hätte man statt auf ein nachträglich korrigiertes Strafrecht der DDR auf das Völ-
kerstrafrecht zurückgegriffen, dann wäre die strafrechtliche Aufarbeitung des DDR-
Unrechts den Gerichten zwar nicht leichter gemacht worden. Man hätte aber das zen-
trale Legitimationsproblem, dass Täter rückwirkend für etwas verurteilt wurden, was
nach dem anzuwendenden Recht zur Tatzeit als rechtmäßig galt, vermieden. Mög-
licherweise hätten dadurch die Ergebnisse von der DDR-Bevölkerung leichter akzep-
tiert werden können. Vielen Opfern wäre aber auch auf diesem Weg keine ausrei-
chende Genugtuung zuteil geworden.

Literaturverzeichnis

Alexy, R. (1993): Mauerschützen: zum Verhältnis von Recht, Moral und Strafbarkeit, Göttingen.
Aly, G. (2006): Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt
a. M.
Ambos, K. (2018): Internationales Strafrecht, 5. Aufl. München.
Barthe, C. (2012): Der Straftatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in § 7 VStGB
in der staatsanwaltlichen Praxis. Neue Zeitschrift für Strafrecht 5, S. 247 – 252.
Ebert, U. (1999): Strafrechtliche Bewältigung des SED-Unrechts zwischen Politik, Strafrecht
und Verfassungsrecht, in: U. Ebert u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum
70. Geburtstag. Berlin, New York, S. 501 – 538.
Eser, A. & Arnold, J. (Hrsg.) (2000): Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Vergleichende
Einblicke in Transitionsprozesse, Teilband 2. Deutschland. Freiburg i.Br.
Eser, A., Sieber, U. & Arnold, J. (Hrsg.) (2012): Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht. Ver-
gleichende Einblicke in Transitionsprozesse, Teilband 14, Transitionsstrafrecht und Vergan-
genheitspolitik. Berlin.
Gierhake, K. (2019): Delikte nach dem Völkerstrafgesetzbuch – Tatbestandsprobleme und Be-
teiligungsfragen. Neue Juristische Wochenschrift 25, S. 1779 – 1781.
Görtemaker, M. & Safferling, C. (2016): Die Akte Rosenburg: Das Bundesministerium der Jus-
tiz und die NS-Zeit. 2. Aufl. München.

79
Vgl. Marxen, Werle & Schäfter 2007, 41.
758 Walter Perron

Jakobs, G. (1994): Untaten des Staates – Unrecht im Staat. Strafe für Tötungen an der Grenze
der ehemaligen DDR? Goltdammer’s Archiv für Strafrecht 1, S. 1 – 19.
Jasch, H.-C. & Kaiser, W. (2017): Der Holocaust vor deutschen Gerichten. Amnestieren, Ver-
drängen, Bestrafen. Ditzingen.
Keldungs, K.-H. (2019): NS-Prozesse 1945 – 2015. Eine Bilanz aus juristischer Sicht. Düssel-
dorf.
Kuchenbauer, K. (2009): Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen und die Verfolgung
nationalsozialistischer Verbrechen. Neue Juristische Wochenschrift 1 – 2, S. 14 – 20.
Laufhütte, H.W. (2001): Strafrechtliche Probleme nach der Wiedervereinigung der beiden deut-
schen Staaten und ihre Bewältigung durch die Strafsenate des BGH. Zeitschrift für Vermö-
gens- und Immobilienrecht 10, S. 521 – 528.
Lüderssen, K. (1991): Zu den Folgen des „Beitritts“ für die Strafjustiz der Bundesrepublik
Deutschland. Strafverteidiger 10, S. 482 – 487.
Lüderssen, K. (1992): Kontinuität und Grenzen des Gesetzlichkeitsprinzips bei grundsätzli-
chem Wandel der politischen Verhältnisse. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen-
schaft 104, S. 735 – 784.
Marxen, K. (2012): Die strafrechtliche Aufarbeitung des SED-Unrechts. Eine Bilanz, in:
A. Apelt, R. Grünbaum & M. Gutzeit (Hrsg.), Von der SED-Diktatur zum Rechtsstaat.
Der Umgang mit Recht und Justiz in der SBZ/DDR. Berlin, S. 86 – 92.
Marxen, K. & Werle, G. (1999): Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht. Eine Bi-
lanz. Berlin.
Marxen, K., Werle, G. & Schäfter, P. (2007): Die Strafverfolgung von DDR-Unrecht. Fakten und
Zahlen. Berlin.
Papier, H.-J. & Möller, J. (1999): Die rechtsstaatliche Bewältigung von Regime-Unrecht nach
1945 und nach 1989. Neue Juristische Wochenschrift 45, S. 3289 – 3297.
Rottleuthner, H. (2016): Zum Umgang der Justiz mit System-Unrecht in der Bundesrepublik
und in der DDR. Neue Kriminalpolitik 3, S. 251 – 267.
Rummler, T. (2000): Die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze vor Gericht. Berlin.
Schroeder, F.-C. (2000): Zehn Jahre strafrechtliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Neue Ju-
ristische Wochenschrift 41, S. 3017 – 3022.
Triffterer, O. & Ambos, K. (2016): Rome Statute of the International Criminal Court. Third Edi-
tion. Baden-Baden.
Vollnhals, C. (1998): Der Fall Havemann. Berlin.
Wassermann, R. (2000): Zur Bewertung der strafrechtlichen Aufarbeitung des DDR-Unrechts.
Neue Juristische Wochenschrift 6, S. 403 – 405.
Wehler, H.-U. (2003): Deutsche Gesellschaftsgeschichte 4. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs
bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914 – 1949. München.
Werle, G. (1992): Der Holocaust als Gegenstand der bundesdeutschen Strafjustiz. Neue Juris-
tische Wochenschrift 40, S. 2529 – 2535.
Transitional Justice in Deutschland – die Mauerschützen vor Gericht 759

Werle, G. (2001): Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität. Neue Juristische Wochenschrift


41, S. 3001 – 3008.
Werle, G. (2018): Kommentierung zu § 7 VStGB, in: C. Safferling (Hrsg.), Münchener Kom-
mentar zum Strafgesetzbuch, Band 8: Nebenstrafrecht III. 3. Aufl. München.
Werle, G. & Jeßberger, F. (2016): Völkerstrafrecht. 4. Aufl. Tübingen.
Elektronische Überwachung in Europa –
kriminologische und kriminalpolitische Überlegungen
Von Frieder Dünkel

1. Einleitung
Mit Hans-Jörg Albrecht verbindet mich vor allem die „Frühzeit“ seiner wissen-
schaftlichen Karriere, als wir gemeinsam am Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht in Freiburg – sozusagen Tür an Tür – unsere Disser-
tationen erstellten, die wir am selben Tag Anfang 1979 mit dem Rigorosum beende-
ten. Nach der Habilitation haben sich unsere Wege getrennt, er kehrte letztlich zurück
nach Freiburg, die Distanz zu Greifswald hätte räumlich nicht größer sein können.
Dennoch verbanden und verbinden uns immer wieder gleiche Forschungsfragen,
von denen ich eine für seine Festschrift aufgreifen möchte: Die elektronische Über-
wachung (EÜ) von Straftätern. Auch wenn unsere Sichtweisen kriminalpolitisch
nicht immer kongruent waren,1 so möchte ich als Gemeinsamkeit das Bemühen
um eine kritische Reflexion und eine Orientierung an einem maßvollen Strafrecht
hervorheben, wie sie beispielhaft bereits in unserem Beitrag in der Monatsschrift
für Kriminologie 1981 über die „Empirische Begründbarkeit von Kriminalpolitik“
zum Ausdruck kam (Albrecht, Dünkel & Spieß 1981).
Die Frage, wie Straftäter erfolgreich ohne Freiheitsentzug wiedereingegliedert,
kontrolliert und überwacht werden können, beschäftigt die Strafrechtswissenschaf-
ten mindestens seit Ende des 19. Jahrhunderts als die Suche nach Alternativen zur
damals eindeutig dominierenden Freiheitsstrafe (FS) in der kriminalpolitischen De-
batte einen ersten Höhepunkt erreichte. Franz von Liszt beeinflusste diese Debatte
wesentlich, indem er vor allem die kurze Freiheitsstrafe für schädlich erachtete
und Alternativen wie die Geldstrafe jedenfalls für die Gruppe der sog. Gelegenheits-
täter auszubauen empfahl (von Liszt 1905, 171, 173). In der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts wurden die Geldstrafe und die Strafaussetzung zur Bewährung
bzw. Bewährungsstrafen i.S. der englischen probation als Antwort auf die sich ver-
schärfende Krise des mit zunehmender Überbelegung konfrontierten Strafvollzugs

1
Gerade zum vorliegenden Thema ist meine kriminalpolitische Sicht zum Potenzial der
EÜ deutlich zurückhaltender vgl. Dünkel, Thiele & Treig 2017; Dünkel 2017; 2018 und
nachfolgend, während Albrecht sich dazu eher positiv geäußert hatte, vgl. Albrecht 2002;
2003; 2005; eher zurückhaltend wird das Potenzial der EÜ auch in der von Albrecht betreuten
Dissertation von Meuer 2019 eingeschätzt.
762 Frieder Dünkel

gefunden. Die Suche nach einer effektiveren Kontrolle von Straftätern im Rahmen
ambulanter Sanktionen war die Begleitmusik der punitiven Wende („punitive
turn“) der 1980er und 1990er Jahre, die von Garland 2008 als „Kultur der Kontrolle“
treffend charakterisiert wurde. Die jüngste Weiterentwicklung in dieser Richtung
wurde durch die Entwicklung von neuen Formen der Überwachungstechnik ermög-
licht, zunächst durch radiofrequenzgestützte Technik (RF) telefonischer Kontrollan-
rufe im Rahmen des elektronisch überwachten Hausarrests, in jüngerer Zeit aber
überwiegend durch GPS-gestützte Systeme, die den Aufenthalt des Probanden ermit-
teln und zugleich die Etablierung von Ge- und Verbotszonen des Aufenthalts ermög-
lichen (Elektronische Aufenthaltsüberwachung, EAÜ, vgl. Haverkamp 2014). Die
EÜ bzw. EAÜ darf man sicherlich als eines der dynamischsten Entwicklungsfelder
des strafrechtlichen Sanktionensystems ansehen mit aktuell weitreichender Aus-
strahlungswirkung in den Bereich des Polizeirechts, etwa wenn es um die Überwa-
chung von Gefährdern bzw. potenziellen Terroristen u. ä. geht (vgl. hierzu den „Aus-
blick“ von Meuer 2019, 169 ff.). Die Entwicklung fordert eine kritische Betrachtung
nicht nur unter der Perspektive der „Modern Penality“ bzw. der Einflussnahme pri-
vaten Unternehmertums auf das Sanktionenrecht (Page 2013; Feely 2016), sondern
auch mit Blick auf die kriminologische Evidenz zur Frage der Effizienz in spezial-
und generalpräventiver Sicht (vgl. die vielfältigen Meta-Analysen zum Thema „what
works?“) sowie in strafrechtsdogmatischer bzw. menschenrechtlicher Sicht zur
Frage der Beachtung der traditionellen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und
nicht zuletzt der Menschenwürde. Der nachfolgende Beitrag stützt sich u. a. auf Er-
kenntnisse eines EU-geförderten Projekts (Hucklesby et al. 2016, das die Länder Bel-
gien, England/Wales, Deutschland, die Niederlande und Schottland betraf) und ein
umfassenderes Anschlussprojekt unter Einschluss von 12 weiteren Ländern, das sich
aktuellen kriminalpolitischen Entwicklungen und verfassungsrechtlichen Fragen der
EÜ widmete (Dünkel, Thiele & Treig 2017).

2. Die Ausweitung der Elektronischen Überwachung von Beschuldigten


und Verurteilten in den europäischen Kriminaljustizsystemen
Die elektronische Überwachung von Straftätern hat in Europa eine vergleichswei-
se kurze Geschichte, die eng mit der allgemeinen technologischen Entwicklung ver-
bunden ist.
Erste Experimente mit EÜ entstanden in Europa in den frühen 1990er Jahren in
England & Wales, nachdem bereits ca. 10 Jahre zuvor in den USA erste Erfahrungen
gesammelt wurden. Es folgten Mitte der 1990er Jahre Pilotprojekte in Schweden und
den Niederlanden.2 In den letzten Jahren wurden in der sog. SPACE II-Statistik des
Europarats statistische Daten erfasst, die zwar lücken- und teilweise fehlerhaft waren

2
Vgl. Nellis 2014; speziell zu den Entwicklungen in den USA vgl. Lilly & Nellis
2013, 21 ff.
Elektronische Überwachung in Europa 763

und sind, jedoch den wohl zutreffenden Eindruck vermitteln, dass die EÜ zumindest
in Form von Pilotprojekten in der überwiegenden Zahl der Europaratsmitgliedsstaa-
ten eingeführt wurde (vgl. zuletzt Aebi & Hashimoto 2018, 18 f.).
Betrachtet man die Zahlen der pro Stichtag unter EÜ stehenden Personen oder die
Fallzahlen pro Jahr, so werden die Probleme der Europaratsstatistiken evident, denn
in SPACE II wurden für 2018 nur bzgl. 24 von 35 Ländern, die EÜ als strafrechtliche
Sanktion oder zur U-Haftvermeidung einsetzen, Daten mitgeteilt.3 Renzema &
Mayo-Wilson berichteten für das Jahr 2003 eine überschlägig berechnete Zahl von
100.000 elektronisch überwachten Straftätern in den USA und etwa 9.000 im gesam-
ten Europa, davon 77 % allein im Vereinigten Königreich.4 Seither gab es einen ge-
radezu atemberaubenden weiteren Anstieg in Europa, wie die Zahlen in einigen der
hier betrachteten Länder zeigen. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass sich in jüngs-
ter Zeit der „Boom“ gelegt hat und mit dem allgemeinen Rückgang der registrierten
Kriminalität und der Verurteilten- sowie (teilweise auch) Gefangenenraten in etli-
chen Ländern auch die EÜ-Zahlen sinken (z. B. England & Wales, Schweden).
Den im Ausmaß erstaunlichen Zuwachs des Gebrauchs von EÜ in Europa kann
man im Zusammenhang mit den kommerziellen Interessen der privaten Betreiberfir-
men sehen, die über eine starke Lobby verfügen und schon in den 1980er Jahren in
den USA durch fast schon aggressive Werbekampagnen ihre Technik „verkauften“
(vgl. Gable 2015; Feely 2016). Insoweit ist eine neue Qualität des strafrechtlichen
Umgangs mit Tätern entstanden (vergleichbar der Privatisierungstendenzen im Straf-
vollzug in den USA), die die Grundlagen des Staatsverständnisses und des staatli-
chen Gewaltmonopols tangiert und gefährden kann. Traditionell bestimmt der
Staat die Strafzwecke und wie Strafen vollstreckt werden sollen. In einigen Berei-
chen sind nunmehr private Unternehmer „ins Spiel“ gekommen, z. B. im Jugendhil-
fe- und Jugendstrafrecht. Allerdings sind diese „Mitspieler“ zumindest in den kon-
tinentaleuropäischen Staaten, insbesondere Deutschland, nicht auf Gewinnerzielung
angelegte („non-profit“) Organisationen (häufig im Wesentlichen durch die Kommu-
nen finanziert oder bezuschusst). Mit dem Eintritt von profit-orientierten Unterneh-
men bei der Privatisierung von Gefängnissen ebenso wie bei der EÜ ändert sich die
Struktur und darauf basierend die Kriminalpolitik entscheidend, denn der private
Sektor tritt jetzt mit ganz anderen Methoden der Kommerzialisierung und der Ver-
3
Zugleich werden Unzulänglichkeiten bzgl. der berichteten Zahlen offensichtlich, wenn
etwa zum 31. 12. 2014 für England & Wales 271 angegeben werden, während der Landesbe-
richt in unserer Studie eine Zahl von knapp 14.000 Fällen ausweist, vgl. Hucklesby &
Holdsworth 2017, 184. Die enorme Diskrepanz könnte dadurch zustande gekommen sein, dass
in SPACE II nur die EÜ-Fälle im Rahmen der Unterstellung unter Bewährungsaufsicht ge-
meldet werden, während die in England & Wales hauptsächlich angewendete Form die EÜ als
eigenständige („stand-alone“), nur von den privaten Betreiberfirmen begleitete Sanktion ist.
4
Vgl. Renzema & Mayo-Wilson 2005, 215. Der elektronisch überwachte Hausarrest wurde
in den USA 1983 eingeführt, vgl. Weigend 1989, 299; vgl. zu den Anfängen auch Gable 2015,
6, der detailliert die ökonomischen Zusammenhänge beschreibt und u. a. auf das Marketing für
GPS-Systeme seit 1998 verweist; zu den Lobby-Interessen der privaten Betreiberfirmen vgl.
insbesondere auch Feely 2016.
764 Frieder Dünkel

marktung mit dem Ziel der Expansion der von ihm angebotenen Sanktionen und
Maßnahmen auf.5 Rationale Kriminalpolitik und insbesondere eine reduktionistische
Strategie der Vorrangstellung weniger eingriffsintensiver Sanktionen wird dadurch
erschwert. Wie auch die Länderstudien in Dünkel, Thiele & Treig 2017 zeigen,
gehen die privaten Betreiber ganz gezielt auf Regierungen zu und setzen sie mit Ver-
tragsgestaltungen unter Druck, die ihnen eine bestimmte Abnahme von Geräten ga-
rantiert (siehe etwa das Beispiel Litauen).6 Eine ähnliche Zurückhaltung und niedrige
Akzeptanz bei der Justiz kann man in Griechenland erkennen.7
Obwohl sich die EÜ in einigen Ländern sehr dynamisch entwickelt hat (insbeson-
dere in England & Wales, Norwegen, Frankreich, Schottland und Belgien), muss man
doch die insgesamt marginale Rolle, die die verschiedenen Formen der EÜ im Ge-
samtsystem der strafrechtlichen Sozialkontrolle spielen, hervorheben.
Die SPACE II-Statistik des Europarats weist seit 2013 den Anteil von Personen
mit EÜ an der Gesamtzahl ambulanter Sanktionen Verbüßender aus, die von Bewäh-
rungshilfeorganisationen betreut werden. Im Durchschnitt waren es im Jahr 2013
3 % (Median: 1,0 %) mit den Spitzenwerten von 4,4 % in Belgien, 5,4 % in Frank-
reich und 7,8 % in Norwegen (vgl. Aebi & Chopin 2014, 17 f.). Der Survey für 2016
wies einen Median von 1,2 % mit den Spitzenwerten von 3,3 % in Belgien, 5,6 % in
Frankreich und 12,9 % in Norwegen aus (Aebi & Chopin 2018, 18 f.).
Die SPACE II-Statistik für Ende Januar 2018 ergibt einen Anteil von im Median
1,2 % an den von der Bewährungshilfe betreuten Personen mit EÜ, wobei für Frank-
reich (6,1 %) und Norwegen (13,3 %) erneut ein leichter Anstieg, in einigen anderen
Ländern (z. B. Belgien) aber auch rückläufige bzw. stagnierende Zahlen erkennbar
werden. In Deutschland mit 0,04 % spielt die EÜ ebenso wie in den in Abbildung 1
ausgewiesenen Ländern in Ost- und Südeuropa praktisch keine Rolle.8

5
Diese Kritik ist nicht neu, sondern wurde schon in der Anfangsphase der Einführung von
EÜ von Kritikern hervorgehoben, vgl. insbesondere Lindenberg 1997; Albrecht 2005, 7 f. war
bei seinem internationalen Überblick zur EÜ zurückhaltender und sah direkt auf die Sankti-
onspraxis Einfluss nehmende kommerzielle Interessen nur in England & Wales und den USA
als gegeben und keinesfalls als vorherrschend. Die Beispiele bei Dünkel, Thiele & Treig 2017
zeigen allerdings, dass kommerzielle Interessen in vielen Ländern klar erkennbar sind,
wenngleich ohne gravierenden Einfluss auf die Sanktionspraxis, insbesondere was die Redu-
zierung der Gefangenenraten anbelangt, vgl. dazu unten 4.
6
Vgl. Sakalauskas 2017, 397 ff.. Die Regierung mietete im Beispielsfall eine bestimmte
Anzahl von Geräten an und bezahlte viel Geld als Fixpreis, egal wie häufig – oder besser
selten – die Richter die EÜ-Maßnahme anordneten. Demgemäß war die EÜ in den ersten
Jahren teurer als der Strafvollzug und die Regierung musste bei den Praktikern für eine häu-
figere Anordnung zur Verbesserung der Kosten-Nutzen-Bilanz werben (was aus menschen-
rechtlicher Sicht inakzeptabel ist, weil Grundsätze der Verhältnismäßigkeit außen vor blei-
ben).
7
Vgl. Pitsela 2017, 376 ff.
8
Die Tabelle 2.1 in SPACE-II für 2018 gibt für Serbien einen Anteil von 25,1 % elektro-
nisch überwachter Bewährungshilfeprobanden an, vgl. Aebi & Hashimoto 2018, 18 (429 von
1.707); da die absoluten Zahlen von Bewährungshilfeprobanden bei absolut mehr als 10.000
Elektronische Überwachung in Europa 765

Quelle: Aebi, M.F. & Hashimoto, Y. Z. (2018): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE II,
survey 2018. Strasbourg, Council of Europe, Tabelle 3, S. 18 – 19 (ohne Serbien mit einem ausgewiesenem Anteil
von 25,1 %.

Abbildung 1: Elektronische Überwachung im Rahmen der Arbeit


von Bewährungshilfeorganisationen („under the supervision of probation agencies“)
im europäischen Vergleich, 2018

Ein vergleichbares Bild ergibt sich bei Betrachtung der unter elektronischer Über-
wachung stehenden Probanden der Bewährungshilfe pro 100.000 der Wohnbevölke-
rung (Abbildung 2). Belgien, Frankreich und Schottland kommen hier auf beachtli-
che Raten. Setzt man sie in Vergleich zu den Gefangenenraten (ebenfalls pro 100.000
der Wohnbevölkerung, in Belgien: 88; Frankreich: 104; Schottland: 143), so wird
deutlich, dass das Verhältnis von Gefangenen zu EÜ-Probanden im günstigsten
Fall bei 6,5 : 1 (F), 6,8 : 1 (BE) bzw. 8,7 : 1 (SCO) liegt, in allen anderen Ländern
macht die EÜ nur einen Bruchteil von z. B. knapp 30 : 1 (Schweden) oder 24 : 1
(Österreich) aus, was die allenfalls Nischenfunktion der EÜ im Gesamtsystem der
strafrechtlichen Sozialkontrolle verdeutlicht.

Gefangenen so extrem niedrig erscheinen, wurde der Wert als fragwürdig eingestuft und nicht
in Abbildung 1 aufgenommen.
766 Frieder Dünkel

Quelle: Eigene Berechnungen anhand von Aebi, M.F. & Hashimoto, Y. Z. (2018): SPACE II – Council of Europe
Annual Penal Statistics: SPACE II, survey 2018. Strasbourg, Council of Europe, Tabelle 2, S. 16 f.

Abbildung 2: Elektronische Überwachung im Rahmen der Bewährungshilfe pro 100.000


der Wohnbevölkerung im europäischen Vergleich, 2018

Neuerdings werden in der auf den Strafvollzug bezogenen Statistik SPACE-I des
Europarats die Zahlen und Anteile von Gefangenen erfasst, bei denen die Gefängnis-
strafe (teilweise) unter elektronischer Überwachung vollstreckt wird (z. B. in Verbin-
dung mit Hausarrest). In diesen Fällen stellt die EÜ eine vollstreckungsrechtliche
Modifikation der Freiheitsstrafe dar, sie ist statistisch gesehen keine Alternative
zur FS, da die Überwachten weiterhin als Gefangene gezählt werden. Funktional
stellt sie allerdings eine Alternative dar, die insofern bzgl. eines Net-widening we-
niger problematisch ist, als sie tatsächlich Freiheitsentzug ersetzt. Einschränkend
ist allerdings auch hier zu hinterfragen, ob nicht auch weniger eingriffsintensive For-
men der Kontrolle und Aufsicht z. B. im Rahmen einer vorzeitigen Entlassung in
Frage gekommen wären. Ein Net-widening ist damit nicht gänzlich auszuschließen.
Aus Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass die Vollstreckung unbedingter Freiheitsstrafen
unter EÜ in Österreich, Polen und vor allem Frankreich9 beachtliche Anteile aus-
macht, im Übrigen quantitativ jedoch bedeutungslos bleibt.

9
Die Zahlen für Frankreich haben für die Berechnung von Überbelegungsquoten folgen-
reiche Konsequenzen. Aebi & Tiago 2018, 65 berechnen bei 59.548 Haftplätzen eine Bele-
gungsquote von 116,3 % und damit die zweithöchste Überbelegungsquote im europäischen
Vergleich. Zieht man jedoch von den absoluten Gefangenenzahlen von 69.596 die 10.241
unter elektronischer Überwachung ab, so kommt man auf eine tatsächliche Belegung von
59.355, die nominell knapp unter der Belegungsfähigkeit des Strafvollzugs liegt.
Elektronische Überwachung in Europa 767

Tabelle 1
Anteil von Gefangenen unter elektronischer Überwachung
im europäischen Vergleich, 2018
Land Gefangene insgesamt Davon: unter elektronischer Anteil
(31. 01. 2018) Überwachung in %
Deutschland 64.193 0 0,0 %
Griechenland 10.036 6 0,06 %
Georgien 9.407 10 0,1 %
Zypern 643 1 0,2 %
Russland 602.176 6.753 1,1 %
Niederlande 9.315 245 2,6 %
Spanien
59.129 1.927 3,3 %
(insg.)
Österreich 8.960 363 4,1 %
Polen 73.822 4.709 6,4 %
Frankreich 69.596 10.241 14,7 %
Quelle: Eigene Berechnungen anhand von Aebi & Tiago 2018, Tabelle 2.1, 24 f.

3. Ziele und Zielgruppen der EÜ – unterschiedliche Orientierungen


im europäischen Kontext
In den meisten Ländern, die die EÜ eingeführt haben, stand das Bemühen, die Ge-
fängnispopulation zu reduzieren oder zumindest den Anstieg der Gefängnisbelegung
zu begrenzen, im Vordergrund (z. B. Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Li-
tauen), z. T. durch die Rechtsprechung des EGMR oder nationaler Obergerichte for-
ciert, die die durch Überbelegung bedingten unmenschlichen Haftbedingungen kri-
tisierten (vgl. Italien).10
EÜ kommt als Front-door-Variante zur Vermeidung von Untersuchungshaft sowie
als Alternative zur Freiheitstrafe in Betracht, wobei im letzteren Fall häufig ungeklärt
ist, inwieweit Freiheitsentzug tatsächlich vermieden wird (Problematik des Net-wi-
dening). Als Back-door-Variante soll sie im Rahmen der bedingten Entlassung zur
Verkürzung der vollstreckten Freiheitsstrafe beitragen. Zielgruppen waren und
sind in vielen Ländern Täter aus dem Bereich der gering- oder mittelschweren Kri-
minalität, häufig sog. Low-risk-offenders im Hinblick auf die zukünftige Begehung
schwerer, insbesondere Gewaltstraftaten (z. B. Straßenverkehrsdelinquenten, ge-
waltlose Eigentums- und Vermögensdelinquenten u. Ä., die in Deutschland das klas-
sische Klientel der Geld- und Bewährungsstrafe darstellen). Deshalb wurden in Län-
dern wie Schweden zunächst nur Täter mit kurzen Freiheitsstrafen von bis zu 3, spä-
10
Vgl. hierzu Guido 2017, 382 und den Hinweis auf die sog. Torregiani-Entscheidung von
2013.
768 Frieder Dünkel

ter bis zu 6 Monaten erfasst. In Dänemark waren Trunkenheitsfahrer mit FS von bis
zu 3 Jahren die Zielgruppe bei der Einführung 2005, später erfolgte eine Ausweitung
auf maximal 5 Monate FS, in Norwegen werden bis zu 4 Monate FS durch EÜ ersetzt,
in Finnland kommt die Front-door-Variante nur in Betracht, wenn die vorrangige Al-
ternative der Gemeinnützigen Arbeit als aussichtslos erscheint. Im Übrigen wird in
Finnland hauptsächlich die Back-door-Variante im Rahmen einer bis zu 6-monatigen
Vorverlegung des Entlassungszeitraums vor der regulären bedingten Entlassung nach
zwei Drittel oder der Hälfte der Strafe verfolgt. Schweden (bis 6 Monate), Dänemark
und Norwegen (bis 4 Monate) haben diese Variante ebenfalls eingeführt (vgl. Lappi-
Seppälä 2019). In Österreich kommt die Back-door-Variante bei Strafresten bis zu
einem Jahr in Betracht.
Die Ausweitung der EÜ im „Feld des Strafrechts“ („penal field“)11 hat viel mit der
Entwicklung von technischen Überwachungsmöglichkeiten in der Gesellschaft all-
gemein zu tun. In Zeiten der sich ausweitenden Videoüberwachung, freiwilligen
Selbstüberwachung (z. T. aus medizinischen Gründen) und der Offenlegung des Pri-
vaten im Internet verlieren die EÜ und die Privatisierung der strafrechtlichen Sozi-
alkontrolle gewissermaßen ihren Schrecken (Nellis 2017, 280). Der Datenschutz
wird nicht mehr in dem Maße als ein schützenswertes Grundrecht erlebt, wenn Men-
schen freiwillig intimste Dinge ins Netz stellen. All das kann auch die Einstellung zur
EÜ als mehr oder wenig eingriffsintensive Maßnahme verändern, wenngleich EÜ in
dem Zwangskontext der Führungsaufsicht – wie die Studie von Bräuchle zeigt – als
durchaus sehr eindrücklich und belastend erlebt wird.12
Die Gründe für die Einführung und Ausweitung der EÜ waren in den meisten Län-
dern der hohe Belegungsdruck (Überbelegung) im Strafvollzug der 1980er, bis an-
fangs der 2000er Jahre. Deshalb war das dominierende Motiv die Reduzierung der
Gefangenenraten. Allerdings blieb auch das Resozialisierungsziel von Bedeutung,

11
Vgl. zur spezifischen Begrifflichkeit Page 2013, 152 ff., der unter Bezugnahme auf
Konzepte von Bourdieu das „Feld“ und Variationen des kriminalpolitischen Outputs im
Kontext der Akteure, ihrer kulturell geprägten Handlungsroutinen, ihrer Sozialisation und
ihres „Habitus“ im Zusammenspiel mit verschiedenen Interessensgruppen analysiert (vgl.
hierzu auch Nellis 2017, 283). Bei an sich ähnlichen ökonomischen Strukturen mag dieser
Ansatz dazu beitragen, die Sonderrolle Deutschlands zu erklären, indem ein grundlegendes
Misstrauen der (im guten Sinn) konservativen Justiz eine breite Anwendung von EÜ bislang
im Gegensatz zu einigen Nachbarländern ausschließt. Gleiches kann man auch in den süd-
europäischen Ländern erkennen. Möglicherweise war der Siegeszug der EÜ in England &
Wales gerade deshalb möglich, weil es der Regierung politisch gelang die gegenüber der EÜ
negativ eingestellten Bewährungshilfeorganisationen weitgehend auszuschalten bzw. zu neu-
tralisieren. Ähnlich ist die Entwicklung in Belgien einzuschätzen, wo die EÜ in weitem
Umfang als „Stand-alone“-Sanktion ohne begleitende Maßnahmen der Bewährungshilfe aus-
gebaut wurde. Dass gleiche Tendenzen in Baden-Württemberg nicht funktioniert haben (siehe
hierzu Dünkel, Thiele & Treig 2017, 13 sowie Schwedler & Wössner 2015 m.jew.w.N.), hängt
mit einem in Deutschland wichtigen und möglicherweise entscheidenden Faktor (oder
„Spieler“ im „penal field“) zusammen: Der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, die Pri-
vatisierungstendenzen enge (im Allgemeinen nahezu unüberwindbare) Grenzen setzt.
12
Vgl. Bräuchle 2017, 139 ff., 147 ff., 149; ausführlich auch Bräuchle 2016, 143 ff.
Elektronische Überwachung in Europa 769

weil man glaubte, dass die EÜ mehr zur Wiedereingliederung beitragen kann als der
herkömmliche Strafvollzug (s. dazu unten 5.). Zugleich wurde insbesondere in den
skandinavischen Ländern, Österreich und den Niederlanden die wesentliche Bedeu-
tung der Bewährungshilfe und anderer sozialer Unterstützungssysteme hervorgeho-
ben und die EÜ als (zusätzliches) Mittel gesehen, die Resozialisierungsmaßnahmen
i.S. der sozialen Integration zu unterstützen, sei es im Rahmen der unmittelbaren
Strafaussetzung zur Bewährung oder im Zusammenhang mit den Entlassungsvorbe-
reitungsmaßnahmen sowie der Nachbetreuung (z. B. bei der bedingten Entlassung
oder Führungsaufsicht).
Im Gegensatz dazu haben England & Wales und (für den Bereich kurzer Freiheits-
strafen bis zu einem Jahr) auch Belgien die EÜ als alleinstehende Sanktion ohne so-
zialarbeiterische Begleitung eingeführt. In diesen Fällen stellt die EÜ eine Art Frei-
heitsbeschränkungsstrafe dar, die keinerlei resozialisierungsorientierte Hilfeangebo-
te beinhaltet.
Die neue Technologie der GPS-basierten Überwachung ermöglichte es zum
Schutz von (potenziellen) Opfern Inklusions- und Exklusionszonen einzurichten,
mit denen eine Annäherung des Täters an das Opfer (z. B. in Fällen häuslicher Gewalt
oder eines Sexualdelikts) unterbunden werden kann. EÜ mit dieser Zielsetzung wird
in einigen wenigen Ländern und nur in wenigen Einzelfällen, z. B. in England &
Wales, Deutschland, den Niederlanden und Spanien, praktiziert.
Ein im Vergleich zu den o.g., eher auf Täter mit geringen Risiken orientierten EÜ-
Maßnahmen divergierender kriminalpolitischer Ansatz wird in Deutschland, Frank-
reich, den Niederlanden oder der Schweiz mit der Einbeziehung auch besonders „ge-
fährlich“ erscheinender Täter erkennbar, die u. U. auch über den Zeitraum der Ver-
büßung einer Freiheitsstrafe hinaus überwacht werden können, wenn von ihnen kon-
krete Risiken im Hinblick auf die Begehung schwerster Taten gegen Leib und Leben
ausgehen. Sie sollten nach Vollverbüßung ihrer Freiheitsstrafe eigentlich freie Men-
schen sein, jedoch akzeptiert die Gesellschaft in diesen wenigen Einzelfällen nicht,
dass sie gänzlich ohne Überwachung entlassen werden. In den genannten Ländern
sind daher der deutschen Führungsaufsicht bzw. der Bewährungsaufsicht vergleich-
bare Überwachungssanktionen geschaffen worden. Auch hier gilt allerdings, dass die
EÜ ultima ratio der Überwachung in Ergänzung zu sozialarbeiterischen Hilfeange-
boten der Bewährungs- bzw. Führungsaufsichtshilfe sein soll.13 In Deutschland stand
die Einführung der GPS-basierten Überwachung im Jahr 2011 im Zusammenhang
mit der vom EGMR aufgrund eines Urteils von 2009 aus Rechtsgründen (Verstoß
gegen Art. 5 EMRK) angeordneten Freilassung von nach wie vor als „gefährlich“
eingestuften Gefangenen aus der Sicherungsverwahrung.14 In Frankreich lag der
Fokus mehr auf terroristischen Tätern und ihrem sozialen Umfeld, eine Frage die

13
Beispielhaft wird dies daran deutlich, dass in Deutschland 2015 bei ca. 37.000 Füh-
rungsaufsichtsfällen (die alle eine Negativprognose aufweisen) nur knapp 75 unter elektroni-
scher Überwachung standen, Reckling 2016, 113 ff.; Dünkel, Thiele & Treig 2017a, 485.
14
Vgl. zu den Details und Hintergründen Dünkel, Thiele & Treig 2017, 20.
770 Frieder Dünkel

nach dem Anschlag in Berlin im Dezember 2016 in Deutschland zu entsprechenden


Änderungen des Polizeirechts führte.15

4. Ausweitung der Sozialkontrolle (Net-widening) oder


Reduzierung der Gefängnispopulation durch EÜ?
Eine der wesentlichen Fragen der empirischen Forschung ist, in welchem Umfang
das Ziel, die Gefängnispopulation zu reduzieren (oder wenigstens deren weiteren
Anstieg zu verhindern), erreicht wurde und wird, oder anders ausgedrückt in wel-
chem Umfang die EÜ sich lediglich als Alternative zu anderen Alternativen zum
Freiheitsentzug darstellt. Im letzteren Fall kann EÜ ein zusätzliches Kontroll- und
Überwachungselement im Bereich der gemeindebezogenen Sanktionen und Maß-
nahmen (Alternativen) sein, durch das das Netz sozialer Kontrolle jenseits der „nor-
malen“ Bewährungsaufsicht ausgeweitet bzw. intensiviert wird. Eine derartige Inten-
sivierung kann u. U. durchaus gerechtfertigt sein, wenn die herkömmliche Arbeit der
Bewährungshilfe und -aufsicht sich als unzureichend erweist und empirisch begrün-
dete Anhaltspunkte dafür existieren, dass der zusätzliche Kontrollbedarf mit dieser
technischen Form der Überwachung hilfreich und notwendig ist. Die Befürworter der
EÜ führen als Argument ins Feld, dass die EÜ unstrukturierten und instabilen (labi-
len) Straftätern hilft, eine besser strukturierte Alltagsroutine zu entwickeln, was in
der Tat in Einzelfällen zutreffen mag. Allerdings bleibt die Frage offen, was nach
der meist ja nur kurzen Zeit elektronischer Überwachung geschieht, wenn die Über-
wachungstechnik entfernt wurde. Es ist eine empirische Frage, welche Lernprozesse
in der kurzen Zeit zu erwarten und möglich sind und inwieweit sich ggf. nachhaltige
Effekte einstellen. Dazu gibt es – soweit ersichtlich – wenig Forschung (s. u.), jedoch
zeigt sich im Parallelbereich der atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperren bei Trun-
kenheitstätern, dass mit der Entfernung der Atemalkoholtestapparatur die Alkohol-
fahrten wieder zunehmen.16
In der vorliegenden Studie bezogen auf 17 Europäische Länder konnten wir nur in
wenigen Fällen und ggf. nur in sehr begrenztem Ausmaß „Indizien“ dafür finden,
dass die EÜ zu einer Reduktion der Gefangenenraten beigetragen hat. Ein gutes Bei-
15
Siehe hierzu Meuer 2019, 170 ff. sowie bereits Dünkel, Thiele & Treig 2017, 71 ff. Das
Problem ist dabei, dass gegen sog. „Gefährder“ präventiv (jedenfalls soweit noch keine Vor-
verurteilungen vorliegen) nicht mit den Mitteln des Strafrechts agiert werden kann, da es sich
hierbei um eine typische polizeirechtliche Problematik handelt. Die entsprechenden Neure-
gelungen aus dem Jahr 2018 finden sich demgemäß in § 56 BKAG; vgl. auch § 56a AufenthG
und die Regelungen in den Landespolizeigesetzen.
16
Es handelt sich hierbei um die in einigen europäischen Ländern praktizierten Systeme
der Alkohol-Ignition-Interlocks (AII), vgl. zu den Kurz- und Langzeiteffekten zusammenfas-
send Klipp et al. 2009; Willis, Lybrand & Bellamy 2004. Auch hier ist die auffallende Parallele
bedeutsam: Die Programme sind längerfristig nur dann wirksam, wenn die technische Kon-
trolle mit rehabilitativen Elementen (Beratung, therapeutischen Kurzinterventionen, sozialar-
beiterischen Hilfestellungen etc.) verbunden werden, vgl. auch Dünkel 2010a, 117.
Elektronische Überwachung in Europa 771

spiel könnten die Niederlande sein. Der „dramatische“ Rückgang der Gefangenen-
rate von 128 pro 100.000 der Wohnbevölkerung im Jahr 2006 auf 85 im Jahr 2012 und
schließlich 53 im Jahr 2018 (vgl. Dünkel 2018a) fand im Wesentlichen statt, bevor die
EÜ zu einer quantitativ bedeutsamen Maßnahme wurde (vgl. zur Entwicklungen von
Gefangenenraten im europäischen Vergleich Dünkel 2017a; 2018a m.w.N.). Der An-
stieg von elektronisch überwachten Straftätern mit einer durchschnittlichen Überwa-
chungsdauer von 4 Monaten könnte in gewissem Umfang den weiteren Rückgang der
Gefangenenraten nach 2012 befördert haben, doch zeigen die Feinanalysen, dass der
Großteil des Rückgangs mit den gesunkenen Zahlen registrierter (schwerer) Delin-
quenz einerseits und der Ausweitung alternativer Sanktionsformen, insbesondere der
Strafaussetzung zur Bewährung, jenseits der EÜ-Programme zu tun hatte (vgl. Dün-
kel 2017a).
Deutschland hat nur ca. 70 Straftäter unter GPS-basierter EÜ (als zusätzliches
Kontrollelement im Rahmen der Führungsaufsicht für Straftäter, die eine längere
Freiheitsstrafe voll verbüßt haben oder aus dem Maßregelvollzug trotz weiterhin be-
stehender Gefährlichkeit entlassen werden mussten) und weitere 80 Straftäter unter
RF-basierter EÜ in einem der 16 Bundesländer (Hessen), das als einziges diese Form
der EÜ praktiziert. Die Frage, ob EÜ einen Beitrag zur Reduzierung der Gefangen-
raten leistet oder geleistet hat, stellt sich schon von den quantitativen Verhältnissen
(bei ca. 64.000 Gefangenen) in Deutschland nicht. Wie in den Niederlanden auch ist
die Strafvollzugsbelegung in Deutschland seit Mitte der 2000er Jahre vor allem
wegen des Rückgangs schwerer registrierter Kriminalität gesunken (Dünkel 2018a).
In unserem europäischen Vergleich fanden wir Indikatoren für einen positiven
Einfluss von EÜ auf die Gefängnispopulation nur in den Ländern, die rechtliche „Si-
cherungen“ eingeführt haben, die bewirken, dass die EÜ tatsächlich nur ansonsten zu
vollstreckende Freiheitsstrafen ersetzt, beispielsweise indem die EÜ nur als Vollstre-
ckungsersatz bei bereits verhängten unbedingten Freiheitsstrafen angeordnet werden
kann. Eine solche Strategie kann insbesondere gelingen, wenn die Bewährungshil-
feorganisationen eingebunden werden, die exzessivem Gebrauch und Net-wide-
ning-Strukturen entgegenwirken können. Entsprechende rechtliche Absicherungen
funktionieren z. B. in England & Wales nicht oder kaum, weil die Bewährungshilfe-
organisationen weitgehend aus den Strukturen, in denen die EÜ praktiziert wird, her-
ausgenommen wurden. Die privaten Betreiberfirmen stellen nicht nur die Technik
bereit, sondern sind auch für die Überwachung zuständig (die allerdings keine sozi-
alarbeiterischen Hilfestellungen beinhaltet).
Gute Beispiele für die Vermeidung eines schlichten Net-widening sind Finnland,
Österreich und in gewissem Umfang (im Vorfeld der Strafrestaussetzung zur Bewäh-
rung) die Niederlande (s. o.).
In Österreich wird die EÜ bei Gefangenen angewandt, die die letzte Phase (ma-
ximal 1 Jahr) ihrer Freiheitsstrafe zu Hause in Form des Hausarrests verbüßen kön-
nen. Voraussetzung ist, dass der Gefangene über eine Arbeit und Wohnung verfügt,
Gewalt- und Sexualtäter sind ausgenommen, d. h. die EÜ ist auf gut sozial integrierte
772 Frieder Dünkel

Täter mit günstiger Prognose fokussiert. Das Problem ist nicht so sehr ein mögliches
Net-widening, da die EÜ tatsächlich nur in Fällen zur Anwendung gelangt, die sich
im Strafvollzug befinden oder bei denen Strafvollzug unausweichlich erscheint. Al-
lerdings bleibt die Frage unbeantwortet, ob diese Fälle günstiger Prognose nicht auch
ohne EÜ im Rahmen der normalen (oder ggf. intensivierten) Bewährungshilfe aus-
reichend überwacht werden könnten.
In Finnland ist die EÜ als gerichtliche Sanktion vorgesehen, aber mit der doppel-
ten „Absicherung“ gegen ein Net-widening, indem sowohl die vorrangige Geldstrafe
wie auch der Ersatz durch Gemeinnützige Arbeit als ungeeignet erscheinen müssen,
d. h. die EÜ ist die absolute ultima ratio vor einem ansonsten unausweichlichen Frei-
heitsentzug. Auch im Rahmen der vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug folgt
der finnische Gesetzgeber einem tatsächlich haftersetzenden (d. h. die Vollzugspopu-
lation reduzierenden) Ansatz, indem den Gefangenen die Gelegenheit gegeben wird
bis zu 6 Monate vor der „regulären“ bedingten Entlassung (die in Finnland quasi-au-
tomatisch erfolgt) die Strafe (i.V.m. EÜ) zu Hause zu verbüßen. Aus diesem Grund
werden in diesen Fällen tatsächlich Haftplatzkapazitäten eingespart (Lappi-Seppälä
& Lähteenmäki 2017). Allerdings gibt es auch in Finnland problematische Entwick-
lungen, die man als Net-widening-Strategien ansehen kann. Seit einigen Jahren tra-
gen Gefangene im offenen Vollzug elektronische Überwachungsgeräte, z. B. wenn
sie sich außerhalb des Anstaltsareals zu Freizeitaktivitäten aufhalten. Dies soll die
Vollzugsbediensteten von lästigen Kontrollmaßnahmen entlasten und die Feststel-
lung ermöglichen, wo sich die entsprechenden Insassen gerade aufhalten. Hierbei
handelt es sich ohne Zweifel um eine zusätzliche und intensivierte (und in vielen Fäl-
len vermutlich unnötige) Maßnahme sozialer Kontrolle.
Auch in Schweden hat der Gesetzgeber betont, dass die EÜ lediglich unbedingte
Freiheitsstrafen und nicht andere Alternativen zur Freiheitsstrafe ersetzen soll. Inso-
fern könnte man annehmen, dass der in den letzten Jahren beobachtbare Rückgang
der Gefangenenrate in Schweden17 etwas mit der Ausweitung der EÜ zu tun hat. In
der Tat weist Lappi-Seppälä (2019) sowohl für Schweden wie auch für Norwegen
nach, dass mit der Ausweitung der EÜ zeitgleich die Strafvollzugsbelegung zurück-
ging. Allerdings ist der Beitrag der EÜ begrenzt, da durch die EÜ nur kurze Freiheits-
strafen von bis zu 6 Monaten erfasst werden.18 Zugleich zeigt Lappi-Seppälä 2019 für

17
Von 78 im Jahr 2010 auf einen historischen Tiefstand von 53 pro 100.000 im Jahr 2016
(= -32 %), vgl. Dünkel 2017a; 2018a.
18
50 % der EM-Sanktionen 2013 – 2015 ersetzten Freiheitsstrafen von bis zu einem Monat,
weitere 30 % von bis zu 3 Monate und nur 20 % FS von 3 – 6 Monaten, vgl. Yngborn 2017,
428. In den Anfangsjahren nach der Einführung der EÜ wurden infolge der Einführung der EÜ
Gefängnisse geschlossen und es gab Probleme, die Strafvollzugsbediensteten weiter zu be-
schäftigen. Die Zahlen von Personen unter EÜ sind in den letzten 10 Jahren u. a. deshalb
rückläufig, weil Schweden auf die Ausweitung der weniger eingriffsintensiven Alternative der
Gemeinnützigen Arbeit baut. Gegenwärtig wird gleichwohl auch über einen Ausbau der EÜ
diskutiert, um dem sich abzeichnenden Belegungsdruck entgegenzuwirken und den Neubau
von Haftplätzen zu vermeiden, vgl. https://www.svt.se/nyheter/inrikes/fler-borde-kunna-avt-
Elektronische Überwachung in Europa 773

Dänemark und Finnland, dass ein entsprechender Rückgang der Gefangenenraten


vor allem mit der Ausweitung der Gemeinnützigen Arbeit korreliert, während der
EÜ insoweit eine allenfalls marginale Bedeutung zukommt. Die EÜ hat daher im re-
lativ ähnlichen kulturellen Kontext der skandinavischen Länder nicht dieselbe Be-
deutung als haftvermeidende Maßnahme. Die schwedische Kriminalpolitik zeichnet
sich seit jeher dadurch aus, dass für relativ wenig schwere Delikte wie Trunkenheits-
fahrten (ohne Unfall) kurze unbedingte Freiheitsstrafen verhängt werden. Dem wird
nunmehr mit dem Einsatz der EÜ gegenzusteuern versucht. Der deutsche Gesetzge-
ber hat eine entsprechende Sanktionspraxis schon 1969 mit der Großen Strafrechts-
reform geändert und für diese Delikte die Geldstrafe stark ausgeweitet (weshalb für
die EÜ in diesem Bereich niemals ein Anwendungsbereich gegeben war). In Schwe-
den scheinen sich nunmehr ähnliche Tendenzen der Ausweitung von Geldstrafen im
unteren Kriminalitätsbereich ansatzweise durchzusetzen, weshalb gleichzeitig die
Bedeutung der EÜ abnimmt.19
Eine andere kritische Frage betrifft die Zielgruppen der EÜ. Lediglich in Deutsch-
land, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz werden auch die sog. „gefähr-
lichen“ Straftäter als Zielgruppe erfasst. In allen anderen Ländern ist die EÜ allen-
falls bei Kriminalität mittlerer Schwere oder gar bei günstig zu prognostizierenden
Tätern mit geringer Deliktsschwere vorgesehen („low-risk offenders“). Dies führt zu
der Frage, ob und warum die weniger eingriffsintensiven herkömmlichen Kontroll-
und Aufsichtsformen seitens der Bewährungshilfe nicht ausreichend erscheinen bzw.
warum die bekannten Alternativen zur Freiheitsstrafe wie Geldstrafe oder Gemein-
nützige Arbeit nicht mehr geeignet oder als glaubwürdig („credible“) genug einge-
schätzt werden. Der letztere Aspekt spielte in der englischen Kriminalpolitik eine
wesentliche Rolle, als im Zuge einer „punitiven“ Trendwende nach härteren und
„glaubwürdigen“ Alternativen zur Freiheitsstrafe gesucht wurde.20 In der Tat hat
der Ruf nach „glaubwürdigen“ und „harten“ Alternativen die Tür geöffnet, um
rein technische Lösungen zu implementieren und die traditionellen Bewährungshil-
feorganisationen weitgehend zu entmachten. In gewisser Weise haben die Bewäh-
rungshilfeorganisationen zu dieser Entwicklung selbst mit beigetragen, indem sie
die Mitarbeit an irgendwelchen EÜ-basierten Sanktionsoptionen kategorisch ablehn-
ten (Nellis 2017, 291 ff., 293 ff.).
Die Kernfrage, wie ernsthaft die einzelnen Länder mit der Frage der Verhältnis-
mäßigkeit umgehen, ergibt sehr unterschiedliche kriminalpolitische Lösungsansätze
im europäischen Vergleich, gelegentlich auch hinsichtlich unterschiedlicher Einsatz-
formen der EÜ innerhalb eines Landes.

jana-straff-med-fotboja. Ich danke Rita Haverkamp für den Hinweis auf diese bemerkens-
werte Entwicklung in Schweden, vgl. im Übrigen auch Lappi-Seppälä 2019.
19
Vgl. i.E. Yngborn 2017, 429 ff.; Lappi-Seppälä 2019.
20
Vgl. hierzu zusammenfassend mit Blick vor allem auf das Jugendstrafrecht Horsfield
2015, 40 ff.
774 Frieder Dünkel

In Belgien wird die EÜ in verschiedenen Formen eingesetzt. Bei längeren Frei-


heitsstrafen von mehr als drei Jahren kann sie bei der Vorbereitung der Entlassung
genutzt werden, indem der Gefangene bis zu 6 Monate vor einer bedingten Entlas-
sung die Strafe zu Hause verbüßen kann, was zweifellos Haftplatzkapazitäten frei
werden lässt, d. h. zur Reduzierung der Inhaftiertenzahl beiträgt. In diesen Fällen
werden die Bewährungshilfeorganisationen eingebunden und die EÜ unterstützt
deren Arbeit. Andererseits hat man die EÜ vor wenigen Jahren als alleinstehende
Sanktion bei Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr ohne jegliche Unterstützung
durch die Bewährungshilfe eingeführt und ohne normative Vorgaben, unter welchen
Bedingungen andere weniger eingriffsintensive Alternativen Vorrang haben sollten
oder könnten.
In Dänemark kann man die sog. Back-door-Variante, die letzten 6 Monate Frei-
heitsstrafe vor einer Entlassung zu Hause zu vollstrecken, als „reduktionistische“
Strategie ansehen, während die EÜ als ambulante Sanktion wahrscheinlich weitge-
hend nur im Austausch mit anderen Alternativen zur Freiheitsstrafe fungiert (s. o.).
Frankreich setzt eine Vielzahl unterschiedlicher Sanktionsoptionen mit EÜ ein,
und auch hier kann wohl nur die Back-door-Variante einer zeitig vorverlegten Ent-
lassung (mit EÜ) als potenziell haftreduzierend angesehen werden. Obwohl die EÜ-
Zahlen steigen, leidet das Land an einer der höchsten Überbelegungsraten in Europa,
allerdings hat die ambulante Vollstreckung von Freiheitsstrafen i.V.m. EÜ die Über-
belegung nominell faktisch beseitigt (s. o. 2. und Tabelle 1).
In allen drei genannten Ländern bleibt aber die entscheidende Frage, ob die Vor-
verlagerung des Entlassungszeitpunkts durch den Hausarrest nicht auch ohne elek-
tronische Überwachung ausreichend und effektiv wäre (Problem des Net-widening),
letztlich unbeantwortet.
Eng mit der Frage, ob die EÜ wirklich zu einer Reduzierung der Gefangenenraten
beiträgt, ist der Aspekt der Kosten bzw. der Kosteneinsparungen verbunden. Ist die
EÜ wirklich eine billigere Alternative, wie dies ihre Befürworter, insbesondere die
privaten Betreiberfirmen, die die Technik verkaufen, immer wieder propagieren?
Ein auf den ersten Blick überzeugendes Argument scheint, dass die Tagessatzkos-
ten pro überwachter Person geringer sind als ein Tag Freiheitsentzug. Alle Berichte
des auf 17 Länder bezogenen Vergleichs zeigen, dass die Kosten der EÜ zwar be-
trächtlich variieren (zwischen ca. 4,– E in Spanien und 100,– E pro Tag in Dänemark
oder Norwegen), aber stets unter den Tageskosten eines Gefangenen liegen (Dünkel,
Thiele & Treig 2017a, 520 f.; zum hessischen Modellprojekt Albrecht, Jessen &
Gerstner 2008). Allerdings ist diese Berechnung nur richtig, wenn 1. die EÜ tatsäch-
lich Freiheitsentzug ersetzt und 2. eine billigere Alternative wie die einfache bedingte
Entlassung bzw. unmittelbare Strafaussetzung ohne EÜ nicht möglich oder geeignet
erscheinen.
Diese zweite Abwägung, ob geeignete weniger kostenintensive Sanktionsoptio-
nen als die EÜ zur Verfügung stehen, wird häufig vernachlässigt. Eine der fatalen
Elektronische Überwachung in Europa 775

Konsequenzen dieser kurzsichtigen Betrachtungsweise ist die Einführung der EÜ als


alleinstehende Maßnahme bei Low-risk-Tätern z. B. in England & Wales und neuer-
dings in Belgien. Es ist offensichtlich, dass in diesem Fall andere (kostengünstigere)
Sanktionsoptionen wie Geldstrafen und Gemeinnützige Arbeitsweisungen nicht aus-
reichend in Betracht gezogen werden.
Man kann damit zusammenfassend festhalten,
• dass die Einführung und Ausweitung der elektronischen Überwachung von Straf-
tätern in Europa keinen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Gefange-
nenraten gehabt hat und in den meisten Fällen das Ziel der Lösung des Überbele-
gungsproblems im Strafvollzug verfehlt hat (vgl. z. B. England & Wales, Italien,
Polen, und zumindest bis vor kurzem Belgien; als offen ist die Antwort bzgl.
Frankreich anzusehen). Positive haftreduzierende Effekte sind in den skandinavi-
schen Ländern und in geringem Maß in Österreich und den Niederlanden erkenn-
bar),21
• dass in vielen Fällen die EÜ eine zusätzliche Form intensivierter sozialer Kontrolle
darstellt,
• dass sie in einigen Ländern zur Ausschaltung oder Verminderung der Bedeutung
der herkömmlichen sozialen Hilfesysteme wie der Bewährungshilfeorganisatio-
nen beigetragen hat, indem die EÜ als alleinstehende Maßnahme eingeführt
wurde (so z. B. in England & Wales, Belgien oder Schottland, im letzteren Fall
allerdings mit einem derzeit zu beobachtenden Trend zur Rückkehr zu einer wie-
der stärkeren Einbeziehung der Bewährungshilfe), und
• dass in anderen Fällen die EÜ Teil des resozialisierungsorientierten Gesamtsys-
tems ambulanter Sanktionen unter der führenden Beteiligung der Bewährungshil-
feorganisationen und der Strafvollzugsverwaltungen wurde (Österreich, die Nie-
derlande, Schweden, die Schweiz oder zunehmend wieder Schottland, und – so-
weit überhaupt praktiziert – auch für die wenigen Fälle in Deutschland).

5. Kriminologische Aspekte der EÜ – Rückfallprävention


und/oder Abschreckung durch EÜ?
Aus evaluationstheoretischer Perspektive sind die unterschiedlichen Formen der
EÜ zu differenzieren. Bei der EÜ als einer integrativen, in die Arbeit und Hilfean-
gebote der Bewährungshilfe und der kommunalen Leistungsträger eingebundenen
21
Der zusammenfassende Bericht des EU-geförderten Ausgangsprojekts zur EÜ in Bel-
gien, Deutschland, England & Wales, den Niederlanden und Schottland als beteiligten Pro-
jektpartnerländern gelangt zu dem paradox erscheinenden Schluss, dass „eine weniger häufige
Anwendung von EÜ … mit einer langfristigen Reduzierung der Gefängnispopulation und
geringeren Inhaftierungsraten assoziiert“ ist. „Im Gegensatz dazu sind hohe Gefangenenraten
mit einer extensiveren Nutzung von EÜ assoziiert“, vgl. Hucklesby et al. 2017, 180 sowie
Hucklesby et al. 2016.
776 Frieder Dünkel

Resozialisierungsmaßnahme ist es schwierig den (zusätzlichen) Wirkungsbeitrag der


EÜ methodisch sauber isoliert zu erfassen. Allerdings könnte man theoretisch Ver-
gleichsgruppen von Bewährungsprobanden bilden, die einmal mit, zum anderen
ohne EÜ „behandelt“ wurden, ggf. sogar im Rahmen eines randomisierten Experi-
ments.
EÜ als eigenständige Maßnahme kann theoretisch einfacher evaluiert werden.
Das Problem ist, dass die theoretischen Grundannahmen fragwürdig sind: Warum
sollten Straftäter weniger rückfällig werden, wenn sie elektronisch überwacht wer-
den, ohne dass ihnen Resozialisierungshilfen angeboten werden? Die einzige sinn-
volle kriminalitätstheoretische Überlegung könnte man mit Blick auf die Abschre-
ckungsforschung darin sehen, dass der Straftäter – jedenfalls für den Zeitraum der
Überwachung – (vernünftigerweise) kalkuliert (oder besser kalkulieren sollte),
dass er mit größerer Wahrscheinlichkeit im Falle erneuter Tatbegehung entdeckt wer-
den wird, und dass er die erneute Inhaftierung lieber vermeiden will.22
Legt man die Ergebnisse der Generalpräventionsforschung zugrunde, so könnte
man immerhin moderate Effekte von der EÜ erwarten, da durch die elektronische
Überwachung die Entdeckungswahrscheinlichkeit steigt, allerdings nur für den Zeit-
raum der Überwachung und vor allem mit der GPS-Technik. Andererseits sind auch
negative Effekte der Stigmatisierung zu berücksichtigen, wenn das Tragen der Fuß-
fessel für Mitmenschen erkennbar wird (z. B. weil die Geräte relativ groß und schwer
zu verbergen sind), die mögliche schwache Abschreckungseffekte neutralisieren
können.23 Auch andere Beschränkungen des Alltagslebens können sich negativ aus-
wirken und die Mitarbeitsbereitschaft (compliance) schmälern. So wurde z. B. in
Evaluationsstudien berichtet, dass die Mitarbeit bzgl. der EÜ als U-Haftalternative
geringer war als bei anderen EÜ-Varianten, weil die Zeit unter EÜ (im Gegensatz
zur Untersuchungshaft) nicht auf eine später verhängte Freiheitsstrafe angerechnet
wird (Renzema 2013, 258 ff. m.w.N.).
Hinsichtlich der spezialpräventiven Effizienz der EÜ gelangen Renzema & Mayo-
Wilson zusammenfassend zum Schluss, dass EÜ-Kriminalität während der Überwa-
chungsperiode verhindern kann, aber – mit wenigen Ausnahmen – nicht im Zeitraum
danach.24 Der Forschungsstand ist trotz zahlreicher Studien angesichts methodischer
Mängel (z. B. fehlende Kontrollgruppen), häufig zu kleinen Fallzahlen und ggf. auch
Unzulänglichkeiten der Implementation nach wie vor unbefriedigend und die Ergeb-

22
Dies ist eine klassische Frage der Generalpräventionsforschung („deterrence“), auf die
hier aus Raumgründen nicht näher eingegangen werden kann, vgl. dazu im Kontext der EÜ
Dünkel 2018, 70 ff. m.w.N.
23
Vgl. Bales et al. 2010, XI, die im Rahmen des qualitativen Teils ihrer Untersuchung
negative Effekte der Stigmatisierung in verschiedenen Bereichen (etwa Arbeitsplatzsuche)
feststellen konnten; ebenfalls Nellis 2015, 26 und Meuer 2019, 121 ff.
24
Vgl. Renzema & Mayo-Wilson 2005, 231; Renzema 2013, 258 ff., 260 f.; zusammen-
fassend Meuer 2019, 21 ff.
Elektronische Überwachung in Europa 777

nisse sind nicht immer eindeutig interpretierbar.25 Immerhin zeichnen sich anhand
der nachfolgend zusammengefassten Studien einige Erkenntnisfortschritte, zugleich
aber auch wiederkehrende Probleme ab.
Kanadische Forschung zeigte, dass im Vergleich von elektronisch überwachten
Probanden mit EÜ gegenüber Bewährungsprobanden unter „normaler“ Bewährungs-
aufsicht ohne EÜ keine geringere Rückfälligkeit der elektronisch Überwachten er-
kennbar war (vgl. Wallace-Capretta & Roberts 2013, 51). Wallace-Capretta & Ro-
berts 2013, 51 stellten weiterhin fest: „Ein signifikanter Anteil der Straftäter mit
elektronischer Überwachung waren Straftäter mit niedrigen Risikoskalenwerten,
die möglicherweise ebenso erfolgreich“ im Rahmen der herkömmlichen Bewäh-
rungshilfemaßnahmen hätten betreut werden können, was natürlich die Frage
eines Net-widening aufwirft.
Das Ergebnis, dass ein Rückfall während der Zeit elektronischer Überwachung
die Ausnahme bleibt, geht mit den Ergebnissen der oben aufgeführten Generalprä-
ventionsforschung konform, wonach die wahrgenommene erhöhte Entdeckungs-
wahrscheinlichkeit einen gewissen individuellen Abschreckungseffekt (zugleich
auch i.S.d. negativen Spezialprävention) bewirkt. Allerdings stellt Renzema in sei-
nem aktuellen Evaluationsbericht fest: „EÜ ist heutzutage eine schlichte und billige
Bestrafungsform geworden, die mit Resozialisierung nichts zu tun hat. Dementspre-
chend versuchen die meisten Anwender der EÜ bei ihrem Ansatz abzuschrecken
sowie einigermaßen human und kostengünstig zu strafen, schon gar nicht, der EÜ
irgendeinen resozialisierenden Effekt als Zielvorstellung beizugeben“ (Renzema
2013, 266).
Meta-Analysen zur Evaluation der EÜ zeigen i. d. R. keine überlegenen Effekte
der EÜ im Hinblick auf die Rückfallvermeidung im Vergleich zu den traditionellen
ambulanten Sanktionen,26 dafür aber eine Fülle von Problemen der EÜ-Probanden in
anderen Bereichen des Alltagslebens wie Stress in der Familie, das Empfinden der
Überwachung als schwere (psychische) Belastung, mögliche Stigmatisierungen in
der Gemeinde, bei der Freizeit (z. B. beim Sport). Dies entspricht den deutschen For-
schungsergebnissen zur Klientel der Führungsaufsichtsprobanden mit EÜ (alle
Hochrisikotäter), die das Tragen der elektronischen Fußfessel als große Belastung
empfanden (vgl. Bräuchle 2017, 147 f.).
Ein eher positiv evaluiertes Projekt betrifft die schwedische Studie von Marklund
& Holmberg 2009. Allerdings muss man die positiven Ergebnisse bezogen auf EÜ-
Probanden im Kontext des schwedischen Resozialisierungsmodells sehen, da die EÜ

25
Insofern hat sich an dem Befund von Albrecht 2002, 103, dass „gravierende For-
schungslücken, die sich zunächst auf der methodischen Seite bemerkbar machen und sich
sodann insbesondere auf die Frage des Net-widening beziehen …“, nicht viel geändert.
26
So auch schon Albrecht 2002, 96 f., 103 f. Leider fehlt es in Deutschland, abgesehen von
der insoweit schon von der Fallzahl her nicht aussagekräftigen Evaluationsstudie bzgl. der
Modellphase (vgl. Mayer 2004) nach wie vor an einer umfassenden Auswertung des hessi-
schen Projekts, vgl. hierzu auch Dünkel, Thiele & Treig 2017 sowie Rehbein 2017.
778 Frieder Dünkel

dort in das Gesamtsystem resozialisierungsorientierter Hilfemaßnahmen (Arbeits-,


Wohnungsvermittlung, und andere Angebote der Bewährungshilfe und der kommu-
nalen Versorgung) eingebettet ist.27 Der isolierte Wirkungsbeitrag der EÜ in diesem
Kontext konnte daher nicht erfasst werden, zumal lediglich eine Gruppe von Gefan-
genen mit EÜ-Probanden verglichen wurde, nicht aber mit „normalen“ Bewährungs-
hilfefällen ohne EÜ.
Eine aktuelle Studie in Frankreich bewertet die EÜ in der Front-door-Variante po-
sitiv im Vergleich zu Fällen, in denen eine kurze Freiheitsstrafe verbüßt wurde (vgl.
Henneguelle, Monnery & Kensey 2016). In der Studie wurden alle 580 EÜ-Fälle aus
dem Zeitraum 2000 – 2003 mit grundsätzlich für EÜ in Betracht kommenden Verur-
teilten, die eine (kurze) unbedingte Freiheitsstrafe verbüßten, nach einem Risikozeit-
raum von 5 Jahren verglichen. Die EÜ-Fälle zeigten eine 14 – 15 % niedrigere Rück-
fallquote als die Gefangenengruppe. Allerdings schrumpfte dieser Unterschied bei
Kontrolle von verschiedenen delinquenzbezogenen bzw. (legal-)biographischen Va-
riablen auf 6 – 7 Prozentpunkte. Dies verdeutlicht eine deutlich positive Selektion der
EÜ-Fälle, indem die geringer risikobelasteten Verurteilten bevorzugt in den „Ge-
nuss“ der EÜ-Alternative kamen. Weiter differenzierende Analysen zeigten, dass
Hauptgründe für die geringere Rückfälligkeit der EÜ-Gruppe sozialintegrative Un-
terstützungsmaßnahmen wie Hausbesuche durch die Bewährungshilfe und Beschäf-
tigungsprogramme waren, an denen die Probanden teilzunehmen verpflichtet waren.
Leider verglich die Studie nicht die Alternative der Strafaussetzung zur Bewährung
mit Bewährungsaufsicht, aber ohne EÜ, sodass der selbständige Wirkungsbeitrag der
EÜ nicht ermittelt werden konnte. Die Ergebnisse deuten an, dass die unterstützen-
den Maßnahmen jenseits der EÜ den entscheidenden Einfluss auf die reduzierten
Rückfallquoten im Vergleich zur Strafgefangenengruppe hatten, was die traditionel-
len Formen der Bewährungshilfe und -aufsicht stützt, keineswegs aber die EÜ. Dies
wird vor allem durch die Daten zur Dauer der EÜ nahegelegt, die im Durchschnitt bei
lediglich 73 Tagen (Median: zwei Monate) lag (vgl. Henneguelle, Monnery & Kensey
2016, 650 ff.), und auf die Tatsache gestützt, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit
sich in der ersten und späteren Phasen der Überwachung nicht unterschieden. In
der Zeit nach 2003 wurde die Praxis der Hausbesuche fast vollständig aufgegeben
und die Dauer der elektronischen Überwachung sank auf durchschnittlich weniger
als 50 Tage, wodurch sich die postulierten „Effekte“ der EÜ weiter relativieren
und gegen Null tendieren dürften (so auch Henneguelle, Monnery & Kensey 2016,
655). Insgesamt gesehen ergeben die Daten der französischen Studie keine evidenz-
basierten Belege für einen zusätzlichen rückfallmindernden Effekt im Vergleich zu
den traditionellen Formen der Strafaussetzung zur Bewährung bzw. Bewährungshil-
fe. Andererseits wird bestätigt, dass ambulante Sanktionsformen allgemein und ins-
besondere wiedereingliederungsorientierte Betreuungs- und Unterstützungsmaß-
nahmen unbedingten Freiheitsstrafen überlegen sind. Die Konsequenzen einer feh-

27
Vgl. Marklund & Holmberg 2009; Renzema 2013, 259; Wennerberg 2013, 121 ff.
Elektronische Überwachung in Europa 779

lenden Überlegenheit der EÜ im Vergleich zu herkömmlichen Bewährungsstrafen


wird unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten unter 6. erörtert).
Ein weiteres wichtiges Forschungsergebnis ist, dass EÜ erfolgversprechender bei
Straftätern mit mittlerem bis hohem anstatt niedrigem Rückfallrisiko ist. Bei Tätern
mit a priori niedrigem Rückfallrisiko konnte keine weitergehende Rückfallreduzie-
rung durch den Einsatz von EÜ ermittelt werden.28 Der Kommentar zu den EÜ-Rules
des Europarats stellt in diesem Kontext fest: Die GPS-gestützte Aufenthaltsüberwa-
chung an sich kann keine Änderungen von Einstellungen oder des Verhaltens in der
Weise bewirken, wie sie in zahlreichen Programmen und in der „normalen“ Arbeit
der Bewährungs- und Straffälligenhilfe üblicherweise konzipiert werden. Die empi-
rische Evidenz zeigt, dass das Tragen einer Fußfessel oder einer ähnlichen Apparatur
einen „Beschämungseffekt“ auslösen kann, der aber für sich genommen nicht zu
langfristigen Verhaltens- oder Einstellungsänderungen beiträgt. Wenn die soziale
Wiedereingliederung und eine Distanz zum straffälligen Verhalten erreicht werden
soll, muss die EÜ mit sozial konstruktiven Maßnahmen verbunden werden, die
dazu wirklich beitragen können, und zwar auf die individuellen Lebens- und Pro-
blemlagen der Straftäter abgestimmt (Drogen-, Alkoholbehandlung, Umgang mit ei-
genen Aggressionen, Entwicklung von beruflichen Fertigkeiten, Hilfe bei der Ar-
beitsplatz- und Wohnungssuche etc.).29
Es gibt gelegentlich aber auch Forschung, die Anhaltspunkte dafür liefert, dass
EÜ in Einzelfällen bei jungen Tätern dazu beigetragen hat, gewisse Alltagsroutinen
und eine Tagesstruktur zu vermitteln und dadurch für die Stabilisierung des Lebens
von Straftätern hilfreich waren, die andernfalls Resozialisierungsprogramme nicht
durchgestanden hätten, und die dadurch von diesen Behandlungsangeboten profitie-
ren konnten. Dies wird in gewisser Weise durch das Projekt in Hessen bestätigt, wo
EÜ häufiger dazu eingesetzt wurde sicherzustellen, dass die überwachten Personen
tatsächlich an den mit der Bewährungshilfe vereinbarten Programmen und Maßnah-
men außerhalb der eigenen Wohnung teilnahmen (vgl. Rehbein 2017, 128 ff.).
Einige der empirischen spezialpräventiven Fragestellungen wurden in einer aktu-
ellen von H.-J. Albrecht betreuten Dissertation untersucht (Meuer 2019). In einem
methodisch differenzierten Design wurde anhand verschiedener Experimental-
und Kontrollgruppen untersucht, ob die EÜ ein eigenständiges Resozialisierungspo-
tenzial neben der Entlassungsvorbereitung mit Hausarrest bzw. dem Freigang im

28
Vgl. Renzema & Mayo-Wilson 2005; Renzema 2013, 258 m.jew.w.N.; ähnlich Henne-
guelle, Monnery & Kensey 2016, 649 (stärkere „Effekte“ bei Probanden mit früherer Inhaf-
tierung); soweit handelt es sich in allen Studien um kombinierte Maßnahmen therapeutischer
bzw. sozialarbeiterischer Interventionen i.V.m. EÜ; auch insoweit sind die Ergebnisse aller-
dings nicht einheitlich: In der schwedischen Studie von Marklund & Holmberg 2009 waren die
Rückfallraten der Low- und Medium-risk-Täter nach einem Risikozeitraum von drei Jahren
signifikant niedriger, während bei den High-risk-Tätern keine signifikanten Unterschiede zur
Vollzugsgruppe auftraten.
29
Vgl. Council of Europe 2014, Rec. (2014) 4, Commentary to Rule 8, unter Verweis auf
Wennerberg 2013, s. o.
780 Frieder Dünkel

Rahmen der Entlassungsvorbereitung aufweist. Im Ergebnis zeigte sich, dass Pro-


banden, die Lockerungen in Haft erhielten, signifikant weniger Rückfälle aufwiesen
als Probanden ohne Lockerungen, jedoch ergab sich in keiner Variablenkombination
unter Berücksichtigung von legal- und sozialbiographischen Merkmalen ein eigen-
ständiger zusätzlicher Effekt der elektronischen Überwachung auf die Rückfälligkeit
i.S. erneuter strafrechtlicher Registrierung (Wiederverurteilung) in der Variante einer
Entlassung über den Hausarrest mit EÜ (vgl. Meuer 2019, 61 ff.). Die Rückfallge-
fahr war bei Entlassenen mit ausgeprägtem Substanzmissbrauch auch bei der Vari-
ante einer Entlassung i.V.m. Freigang, d. h. Vollzugslockerungen, erhöht. In dieser
Variante erwies sich zusätzlich zu den Lockerungen die vorzeitige bedingte Entlas-
sung als signifikant rückfallreduzierender Faktor. Ein eigenständiger Effekt der EÜ
ließ sich auch hier nicht nachweisen (Meuer 2019, 64 ff.). Obwohl die jeweiligen Un-
tersuchungsgruppen relativ klein waren, ist das Ergebnis der Studie aufgrund des sehr
sorgfältigen methodischen Vorgehens aussagekräftig und von erheblicher Bedeu-
tung. In qualitativen Interviews bestätigten sich die quantitativen Ergebnisse einer
nicht nachweisbaren spezialpräventiven Effizienz der EÜ, z. B. mit Blick auf eine
bessere Strukturierung des Alltags, eine nachhaltig (d. h. nach Beendigung der
EÜ) erhöhte Selbstkontrolle der EÜ-Probanden etc., andererseits wurden auch die
Negativeffekte bzgl. einer Stigmatisierung durch das Tragen der Fußfessel deutlich
(Meuer 2019, 101 ff., 121 ff.). Meuer (2019, 129) gelangt zusammenfassend zu der
auch in der oben zitierten Forschungsliteratur und von internationalen Menschen-
rechtsstandards30 empfohlenen Schlussfolgerung, dass die EÜ allenfalls i.V.m. rein-
tegrativen Begleitmaßnahmen wie der frühzeitigen Entlassungsvorbereitung, Locke-
rungen und „individuellen (psycho)sozialen Maßnahmen … das Rückfallrisiko
nachhaltig senken“ kann.

30
Vgl. dazu Dünkel 2018, 63 ff. mit Hinweis auf Nr. 57 der Probation Rules (Rec. [2010]
1), wonach elektronische Überwachung als Teil der (Bewährungs-)Aufsicht mit anderen In-
terventionen und Hilfeangeboten i.S. des Resozialisierungsgrundsatzes kombiniert werden
soll, um die soziale Integration und einen Ausstieg aus der kriminellen Karriere („desistance“)
zu fördern.“ In Rule 8 der Empfehlungen zum Electronic Monitoring (Rec. [(2014] 4) wird zur
Möglichkeit, EÜ als alleinstehende Überwachungsmaßnahme einzusetzen, betont, dass:
„Elektronische Überwachung … zwar auch als alleinstehende Maßnahme der Aufsicht und
Kontrolle genutzt werden“ kann, „um während der Zeit der Überwachung Straftaten zu ver-
hindern. Um aber längerfristige rückfallreduzierende Wirkungen zu erzielen, sollte EÜ mit
anderen professionellen Interventionen und Unterstützungsmaßnahmen verbunden werden,
die die soziale Integration von Straftätern fördern.“ Im Kommentar zu den Empfehlungen wird
ausführlich auf die möglichen Wirkungen im Hinblick auf den Abbruch von kriminellen
Karrieren Bezug genommen, vgl. Dünkel, Thiele & Treig 2017a, 506 f.
Elektronische Überwachung in Europa 781

6. Perspektiven der Stellung elektronischer Überwachung


in einem das Verhältnismäßigkeitsprinzip konsequent
beachtenden Sanktionensystem
Zusammengefasst gesagt ist die elektronische Überwachung kein Allheilmittel,
und zwar weder zur Reduzierung von Gefangenenraten noch zur Reduzierung der
Rückfälligkeit bzw. Förderung der sozialen Integration von Straftätern. Es ist die
Aufgabe kritischer empirischer Begleitforschung herauszufinden, unter welchen Be-
dingungen und bei wem die EÜ eine konstruktive Rolle bei der Erreichung der von
seinen Befürwortern propagierten Ziele spielen kann.31 Jenseits empirischer Evidenz
wurde jedoch auch der menschenrechtliche Ansatz weitgehend vernachlässigt. Die
elektronische Überwachung stellt eine eingriffsintensive Maßnahme dar und muss
sich gegenüber weniger eingriffsintensiven Maßnahmen legitimieren. Der Verhält-
nismäßigkeitsgrundsatz fordert daher in jedem Einzelfall zu überprüfen, ob EÜ ge-
eignet, erforderlich und verhältnismäßig i. e.S. ist. Daher sollte EÜ nur in den Fällen
genutzt werden, in denen andere Alternativen zur Freiheitsstrafe nicht ausreichend
bzw. wirksam genug erscheinen, um die o.g. Ziele der Rückfallvermeidung und
der sozialen Wiedereingliederung zu erreichen.
Eine konkrete Politikempfehlung wäre daher EÜ nur für Fälle gesetzlich einzu-
führen, bei denen
1. andernfalls eine unbedingte Freiheitsstrafe unvermeidlich wäre, und
2. andere, weniger eingriffsintensive Alternativen zur Freiheitsstrafe aufgrund kon-
kreter Tatsachen nicht ausreichend bzw. geeignet erscheinen.
Dieser zweite Aspekt der Voraussetzungen, unter denen EÜ akzeptabel sein kann,
wird zumeist vernachlässigt32 und man darf deshalb begründet eine weitgehend un-
verhältnismäßige Anwendungspraxis annehmen. Das Problem ist daher nicht weitere
Anwendungsbereiche der EÜ zu erkunden, sondern den Anwendungsbereich auf ein
vernünftiges und rechtsstaatlich gebotenes Maß zu begrenzen. Man sollte Deutsch-
land in diesem Kontext als Land sehen, das den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
ernst genommen hat und damit den Forderungen der internationalen Menschen-
rechtsstandards (dazu vgl. Dünkel 2017b; 2018, 63 ff.) entspricht. Nur in wenigen
Ländern im vorliegenden internationalen Vergleich werden entsprechende rechts-
staatliche Überlegungen in vergleichbarer Weise erkennbar, am deutlichsten wohl
in Finnland (s. o.).

31
Das hat schon Albrecht 2002, 103 f. angemahnt. Forschungslücken bestehen in
Deutschland und international weiterhin mit Blick auf das unter Verhältnismäßigkeitsge-
sichtspunkten vertretbare Anwendungspotenzial; zur Wirkung von EÜ zur Rückfallvermin-
derung wurden mit der Dissertation von Meuer 2019 nunmehr bedeutsame Erkenntnisse vor-
gelegt, vgl. i.E. oben 5.
32
Auch in den am EU-finanzierten Ausgangsprojekt beteiligten Ländern spielten abgese-
hen von Deutschland derartige Überlegungen keine Rolle, vgl. dazu den zusammenfassenden
Beitrag von Hucklesby et al. 2017, 247 ff.
782 Frieder Dünkel

Wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wirklich ernst genommen wird,


kann die EÜ nur in den wenigen Fällen Anwendung finden, in denen keine alternative
Sanktion bzw. Ausgestaltung von Alternativen zum Freiheitsentzug möglich oder ge-
eignet erscheint.33
Im Rahmen von sog. Back-door-Varianten muss die bedingte Entlassung mit
einem ggf. engmaschigen Netz von herkömmlichen Weisungen als definitiv nicht
ausreichend erscheinen, d. h. nur durch die zusätzliche Unterstellung unter EÜ
muss die bedingte Entlassung als vertretbar erscheinen.
EÜ ist nach den Erfahrungen im Ausland sowohl in der Front-door- wie Back-
door-Variante nur für einen relativ kurzen Zeitraum einsetzbar, und wird in der
Regel nur für einen Zeitraum von bis zu 6 Monate, selten für mehr als ein Jahr ge-
nutzt. Dies ergibt sich u. a. aus der Eingriffsintensität der Maßnahme und den Belas-
tungen auch im sozialen Umfeld (Mitbewohner, Familie) der Überwachten. Da im
Bereich der kurzen Freiheitsstrafen die Geldstrafe wie die Strafaussetzung zur Be-
währung in Deutschland sich ausgesprochen gut bewährt haben (vgl. zur Entwick-
lung der Sanktionspraxis Heinz 2017), bleibt für die EÜ nur der schmale Bereich
von Fällen übrig, in denen diese keine befriedigende Lösung versprechen.34
Problemfälle, die in diesem Zusammenhang für ein Nachdenken über die Geeig-
netheit der EÜ im Rahmen des deutschen Sanktionensystems sprechen könnten, sind
die – trotz der gesetzgeberischen Einschränkungen des § 47 StGB – immer noch
zahlreichen unbedingten kurzen Freiheitsstrafen und die u. U. ebenfalls kurzen wi-
derrufenen Freiheitsstrafen oder Strafreste nach einer bedingten Entlassung (vgl.
hierzu bereits Albrecht 2002, 90).
Was die originäre kurze Freiheitsstrafe anbelangt, so lag in Deutschland der An-
teil von unbedingten Freiheitsstrafen unter 6 Monaten 2017 bei beachtlichen 23,2 %
in absoluten Zahlen: 7.716 Verurteilte).35 Bevor man allerdings hinsichtlich der EÜ in

33
In diesem Sinn bereits Albrecht 2003, 258 ff., der mit Blick auf Front-door-Varianten den
„intermediären“ Charakter des elektronisch überwachten Hausarrests zwischen herkömmli-
chen Bewährungsstrafen oder Gemeinnütziger Arbeit und der unbedingten Freiheitsstrafe
hervorhebt.
34
Bei trotz Tagessatzsystem mit einkommensabhängigen Tagessatzhöhen und Ratenzah-
lungsmöglichkeiten nicht bezahlten Geldstrafen, die in der Ersatzfreiheitsstrafe enden (vgl.
§ 43 StGB), könnte man einen Anwendungsbereich sehen. Gerade dort werden aber in den
meisten Bundesländern mit Projekten der Gemeinnützigen Arbeit ebenfalls erfolgreiche
Haftvermeidungsmodelle praktiziert, sodass für die EÜ nur die Fälle verbleiben, die sowohl
die Geldstrafe nicht bezahlen, als auch bei der Ersatzsanktion der Gemeinnützigen Arbeit
scheitern. Diese Klientel bringt allerdings angesichts der desolaten Lebenslagen, instabilen
Lebenssituation und persönlichkeitsbezogenen Auffälligkeiten die Voraussetzungen für die
Anordnung der EÜ i. d. R. nicht mit (zum Ganzen Dünkel & Scheel 2006, 167 ff. m.w.N.). Das
baden-württembergische Modellprojekt, das diese Klientel als eine von drei Zielgruppen an-
visierte, scheiterte u. a. deshalb und wurde dementsprechend beendet, vgl. Schwedler & Wö-
ssner 2015).
35
Berechnet nach Strafverfolgungsstatistik 2017, 160; vgl. zur langfristigen Entwicklung
Heinz 2017, 217 ff., 223 ff., der zu Recht darauf verweist, dass die Strafrechtsreform von 1969
Elektronische Überwachung in Europa 783

diesem Zusammenhang Initiativen ergreifen sollte, wird man über weitere Möglich-
keiten der Ersetzung kurzfristiger Freiheitsstrafen durch die Einführung der Gemein-
nützigen Arbeit als originäre Sanktion oder Ersatzsanktion nachdenken müssen, was
der deutsche Gesetzgeber bislang nachhaltig versäumt hat. Zudem handelt es sich bei
den zu einer unbedingten kurzen Freiheitsstrafe Verurteilten um eine großenteils er-
heblich problembelastete Personengruppe, die für die EÜ i. d. R. ungeeignet er-
scheint.
Gleiche Vorbehalte sind Überlegungen entgegenzuhalten, bei kurzen widerrufe-
nen Strafaussetzungen oder Strafrestaussetzungen die EÜ zur Widerrufsvermeidung
einzusetzen. Auch hier dürfte das Potenzial – auch wenn man von einer Widerrufs-
quote von ca. 30 % bei den Freiheitsstrafen mit Unterstellung unter Bewährungshilfe
ausgeht36 – angesichts des weitreichenden und u. U. ausbaufähigen Instrumentariums
des § 56 f StGB37 auf Einzelfälle beschränkt bleiben.
Von daher gibt es im Bereich der Front-door-Varianten im deutschen Sanktionen-
system keinen sinnvollen (substantiellen) Anwendungsbereich. Eine Einführung der
EÜ hätte entweder zur Folge, dass sie weitgehend unverhältnismäßig eingesetzt
würde, indem weniger eingriffsintensive Sanktionen nicht hinreichend genutzt wer-
den, oder sie bliebe auf wenige Einzelfälle beschränkt, was mit erheblichen Kosten
verbunden wäre.
Ebenfalls zur Front-door-Variante bzgl. Freiheitsentzugsvermeidung gehört die
Anwendung der EÜ zur Untersuchungshaftvermeidung. Ein sinnvoller Anwen-
dungsbereich ist schon rechtsdogmatisch nicht erkennbar (so auch Harders
2014, 119, 263 f.): Soweit „Fluchtgefahr“ vorliegt, kommt die EÜ grundsätzlich
nicht in Betracht, weil sie die Flucht nicht wirklich verhindern kann. Ist keine Flucht-
gefahr gegeben, kommt die Untersuchungshaft nicht in Betracht. Es bleibt allenfalls
die dogmatisch problematische Grauzone einer gewissen Fluchtgefahr, die durch die
EÜ beseitigt werden kann.
Es gibt weiterhin empirische Anhaltspunkte dafür, dass die EÜ nur dann im Hin-
blick auf die Rückfallvermeidung vielversprechend ist, wenn die elektronische Über-
wachung in ein sozialarbeiterisches/sozialpädagogisches Gesamtkonzept der Be-
währungs- und Straffälligenhilfe unter dem Primat des Resozialisierungsgrundsatzes
integriert ist, wie dies beispielhaft in Schweden, Österreich und den Niederlanden
praktiziert wird (vgl. oben 5.). EÜ als eine alleinstehende Maßnahme für Täter
mit geringem Rückfallrisiko, wie sie nach der Sanktionspolitik und -praxis in Eng-
land und (teilweise Belgien) vorgesehen ist, ist deshalb entschieden abzulehnen.

mit der nur noch ausnahmsweise zu verhängenden kurzen Freiheitsstrafe unter 6 Monaten
einen nachhaltigen Erfolg mit Blick auf den Bedeutungszuwachs der Geldstrafe hatte, dass die
kurze Freiheitsstrafe aber andererseits nach wie vor eine bedeutende Rolle spielt.
36
Vgl. zuletzt Bewährungshilfestatistik 2011, 17 ff.
37
Insbesondere die Erteilung anderer Auflagen und Weisungen oder die Verlängerung der
Bewährungszeit, vgl. § 56 f Abs. 2 StGB.
784 Frieder Dünkel

Es gibt eine andere Gruppe von Straftätern, bei denen die EÜ auch unter verfas-
sungsrechtlichen bzw. menschenrechtlichen Aspekten gerechtfertigt werden kann,
ohne dass es um die Ersetzung von Freiheitsentzug im eigentlichen Sinn geht, da
hier überragende Gesichtspunkte des Opferschutzes eine tragende Rolle spielen.38
Gemeint ist die Führungsaufsicht gem. § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB. Erneut ist
Deutschland ein gutes Beispiel für einen im Wesentlichen angemessenen und zu-
rückhaltenden Gebrauch dieser besonders eingriffsintensiven (GPS-gestützten)
Maßnahme. Entwickelt wurde sie im Anschluss an die Rechtsprechung des
EGMR, die 2009 dazu führte, dass etliche als besonders gefährlich geltende Insassen
aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten (s. o. 2.). Demgemäß han-
delt es sich um Tätergruppen, die entweder die Freiheitsstrafe voll verbüßt haben
oder aus dem Maßregelvollzug aus verfassungsrechtlichen Gründen zu Entlassen-
de,39 die jeweils als besonders gefährlich im Hinblick auf die konkrete Gefahr der
Begehung von schweren Gewalt- oder Sexualdelikten anzusehen sind. Die Führungs-
aufsicht oder ähnliche Sanktionen für gefährliche Täter, die ihre Strafe voll verbüßt
haben, gibt es auch in Frankreich und den Niederlanden. Der Rechtsstaat muss aller-
dings gewährleisten, dass in relativ kurzen Abständen eine Prüfung vorgenommen
wird, ob die weitere elektronische Überwachung jenseits der „normalen“ Bewäh-
rungsaufsicht geboten ist. Zeitlich unbefristete EÜ-Maßnahmen, wie sie in Deutsch-
land theoretisch möglich sind, sind verfassungsrechtlich nicht vertretbar.
Perspektiven für Deutschland könnte man allein in der Variante einer Vorverle-
gung der bedingten Entlassung vor der regulären Entlassung nach der Hälfte oder
zwei Dritteln der Strafe sehen. Insofern sind die Erfahrungen in Finnland und Öster-
reich u. U. richtungsweisend. Allerdings ist auch hier stets zu prüfen, ob eine solche
vorverlegte Entlassung „auf Probe“ nicht auch im Rahmen der herkömmlichen Be-
gleitung durch die Bewährungshilfe leistbar wäre (zumal es sich ja um Fälle mit eher
günstiger Prognose handelt), sodass sich die EÜ ggf. als zusätzliche Beschwer und
damit unverhältnismäßige Maßnahme darstellen könnte, wofür es Hinweise in Öster-
reich gibt (s. o.).
Alles in allem wird deutlich, dass bei einem richtigen verfassungsrechtlichen Ver-
ständnis die EÜ über ein „Nischendasein“ nicht hinausgelangen kann und wird. Ge-
rade in medial aufgeregten Zeiten und überzogenen (weil nicht einlösbaren) Sicher-
heitsversprechen wird die Politik gut daran tun, eine Kriminalpolitik mit Augenmaß

38
So hält Kaiser die gegenwärtige Regelung des § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB in der engen
Begrenzung auf Gewalt- und Sexualtäter, von „denen eine besonders hohe Gefahr ausgeht“
mit dem GG und der EMRK vereinbar ist, eine Ausweitung auf andere Tätergruppen aber
nicht, „da sie zu einer Unverhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe führen würde“, vgl.
Kaiser 2015, 237 f.
39
Normalerweise werden aus dem Maßregelvollzug (psychiatrisches Krankenhaus oder
Sicherungsverwahrung, §§ 63, 66 StGB) nur Insassen entlassen, deren Rückfallrisiko mit
Blick auf weitere Straftaten niedrig ist (vgl. § 67d Abs. 2 StGB, § 454 Abs. 2 StPO), jedoch
kann u. U. aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Weitervollstreckung nicht mehr ver-
fassungsgemäß sein, vgl. z. B. BVerfGE 70, 297, 312 f.
Elektronische Überwachung in Europa 785

zu verfolgen und ein zweifaches Hinsehen und Abwägen40 anstatt populistischer


„Schnellschüsse“ vorzusehen. Das Strafrecht kann zur Lösung der Probleme dieser
Welt meistens nichts oder nicht viel beitragen und sollte sich deshalb auf sein Kern-
geschäft der angemessenen Reaktion auf Straftaten beschränken. Das präventive
Strafrecht im Grenzbereich der Gefahrenabwehr – und dafür ist die elektronische
Überwachung ein markantes Beispiel – kann allenfalls in Einzelfällen akzeptabel
sein, und Deutschland hat hier im Gegensatz zu manchen anderen Ländern (bislang)
Augenmaß bewahrt.

Literaturverzeichnis

Aebi, M.F. & Chopin, J. (2014): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE
II survey 2013. Strasbourg: Council of Europe Publishing.
Aebi, M.F. & Chopin, J. (2018): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics: SPACE
II survey 2016. Strasbourg: Council of Europe Publishing.
Aebi, M.F. & Hashimoto, Y.Z. (2018): SPACE II – Council of Europe Annual Penal Statistics:
SPACE II survey 2018. Strasbourg: Council of Europe Publishing.
Aebi, M.F. & Tiago, M.M. (2018): SPACE I – Council of Europe Annual Penal Statistics: Prison
populations. Survey 2018. Strasbourg: Council of Europe Publishing.
Albrecht, H.-J. (2002): Der elektronische Hausarrest. Das Potential für Freiheitsstrafenvermei-
dung, Rückfallverhütung und Rehabilitation. Monatsschrift für Kriminologie 85/2, S. 84 –
104.
Albrecht, H.-J. (2003): The Place of Electronic Monitoring in the Development of Criminal Pu-
nishment and Systems of Sanctions, in: M. Mayer, R. Haverkamp, & R. Lévy (Hrsg.), Will
Electronic Monitoring Have a Future in Europe? Freiburg i.Br., S. 249 – 264.
Albrecht, H.-J. (2005): Electronic Monitoring in Europe. A Summary and Assessment of Recent
Developments in the Legal Framework and Implementation of Electronic Monitoring. Inter-
netpublikation: http://www.mpicc.de/shared/data/pdf/albrecht.pdf.
Albrecht, H.-J., Dünkel, F. & Spieß, G. (1981): Empirische Sanktionsforschung und die Be-
gründbarkeit von Kriminalpolitik. Monatsschrift für Kriminologie 64/5, S. 310 – 326.
Albrecht, H.-J., Jessen, R. & Gerstner, F. (2008): Kostenberechnung zur elektronischen Über-
wachung im Rahmen des Fußfesselprojekts in Hessen. Freiburg.
Bales, W., Mann, K., Blomberg, T., Gaes, G., Barrick, K., Dhungana, K. & McManus, B. (2010):
A Quantitative and Qualitative Assessment of Electronic Monitoring. Washington, D.C.

40
So schon Schüler-Springorum 1991, 281: „Eine Politik des Zweimaldenkens würde nie
agieren, ohne erst zu reflektieren, würde die nächstliegende Reaktion immer erst einmal in
Frage stellen, bevor sie zu ihr oder einer anderen greift, würde Kritik internalisieren und nicht
bloß absorbieren. … Eine solche Kriminalpolitik würde die Folgen ihres Handelns voraus-
denken …“ Diese Aussagen von Schüler-Springorum sind heute aktueller denn je, und zu-
gleich gibt es wenig Hoffnung, dass sich die Kriminalpolitik aus dem medial aufgeheizten
Verstärkerkreislauf des „more of the same“ lösen könnte.
786 Frieder Dünkel

Bishop, N. (2003): Social Work and Electronic Monitoring, in: M. Mayer, R. Haverkamp &
R. Lévy (Hrsg.), Will Electronic Monitoring Have a Future in Europe? Freiburg i. Br.,
S. 227 – 235.

Bräuchle, A. (2016): Die Elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im


Rahmen der Führungsaufsicht. Tübingen.

Bräuchle, A. (2017): Evaluation der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der


Führungsaufsicht, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische Überwachung
von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Perspektiven. Mön-
chengladbach, S. 139 – 150.

DBH, Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik (2016): 40 Jahre Füh-
rungsaufsicht. Evaluation, Geschichte und Zahlen. DBH-Materialien Nr. 75. Köln: Eigenver-
lag DBH.

Dünkel, F. (2017): Electronic monitoring – Some critical issues, in: C. Bijleveld & P. van der
Laan (Hrsg.), Liber Amicorum Gerben Bruinsma. Den Haag: Nederlands Studiecentrum Cei-
minalitet en Rechtshandhaving (NSCR), S. 108 – 117.

Dünkel, F. (2017a): European Penology – The rise and fall of prison population rates in Europe
in times of migrant crises and terrorism. European Journal of Criminology 14/6, S. 629 – 653.

Dünkel, F. (2017b): Resozialisierung und internationale Menschenrechtsstandards, in: H. Cor-


nel (Hrsg.), Resozialisierung, Handbuch. 4. Aufl. Baden-Baden, S. 103 – 116.

Dünkel, F. (2018): Electronic Monitoring in Europe – a Panacea for Reforming Criminal Sanc-
tions Systems? A Critical Review. Kriminologijos studijos, Vilnius University Press 6, S. 58 –
77. Internetpublikation: https://doi.org/10.15388/CrimLithuan.2018.6.3.

Dünkel, F. (2018a): Freiheitsstrafe – Für wen? Aktuelle Daten zur Entwicklung des Strafvoll-
zugs, der Rückfallforschung, Straftäterbehandlung und zu Perspektiven einer „reduktionis-
tischen“ Kriminalpolitik, in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), Räume der Unfreiheit,
Texte und Ergebnisse des 42. Strafverteidigertages Münster, 2. – 4. März 2018. Berlin: Straf-
verteidigerorganisationen, Organisationsbüro, S. 77 – 122.

Dünkel, F. & Scheel, J. (2006): Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Ar-
beit. Mönchengladbach.

Dünkel, F., Thiele, C. & Treig, J. (2017): Rechtlicher Rahmen und praktische Umsetzung der
Elektronischen Überwachung, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische
Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Per-
spektiven. Mönchengladbach, S. 11 – 82.

Dünkel, F., Thiele, C. & Treig, J. (2017a): Elektronische Überwachung von Straffälligen und
Beschuldigten in Europa – Zusammenfassender Vergleich und Perspektiven für die Krimi-
nalpolitik, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische Überwachung von Straf-
fälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Perspektiven. Mönchenglad-
bach, S. 475 – 540.

Dünkel, F., Thiele, C. & Treig, J. (2017b): „You’ll never stand-alone“: Electronic monitoring in
Germany. European Journal of Probation 9/1, S. 28 – 45; http://journals.sagepub.com/eprint/
kpuVBex3FqFAuF2yZkSm/full.
Elektronische Überwachung in Europa 787

Feely, M.M. (2016): Entrepreneurs of Punishment: How Private Contractors Made and Are Re-
making the Modern Criminal Justice System – An Account of Convict Transportation and
Electronic Monitoring. Criminology, Criminal Justice, Law & Society 17/3, S. 1 – 30.
Gable, R.S. (2015): The Ankle Bracelet I History: An Informal Review of the Birth and death of
a Monitoring Technology. The Journal of Offender Monitoring 27/4, S. 4 – 8.
Garland, D. (2008): Kultur der Kontrolle. Verbrechensbekämpfung und soziale Ordnung in die
Gegenwart. Frankfurt am Main.
Guido, E. (2017): Italien, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische Überwa-
chung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Perspektiven.
Mönchengladbach, S. 379 – 388.
Harders, I. (2014): Die elektronische Überwachung von Straffälligen. Entwicklung, Anwen-
dungsbereiche und Erfahrungen in Deutschland und im europäischen Vergleich. Mönchen-
gladbach.
Haverkamp, R. (2014): Electronic monitoring, in: G. Bruinsma & D. Weisburd (Hrsg.), Encyc-
lopedia of Criminology and Criminal Justice. London, New York, S. 1329 – 1338.
Heinz, W. (2017): Kriminalität und Kriminalitätskontrolle in Deutschland – Berichtsstand 2015
im Überblick. Stand: Berichtsjahr 2015; Version: 1/2017. Konstanzer Inventar zur Sanktions-
forschung (KIS). Internetpublikation: http://www.ki.uni-konstanz.de/kis/.
Henneguelle, A., Monnery, B. & Kensey, A. (2016): Better at Home than in Prison? The Effects
of Electronic Monitoring on Recidivism in France. Journal of Law and Economics 59,
S. 629 – 676.
Horsfield, P. (2015): Jugendkriminalpolitik in England und Wales – Entwicklungsgeschichte,
aktuelle Rechtslage und jüngste Reformen. Mönchengladbach.
Hucklesby, A. (2008): Vehicles of Desistance? The impact of electronically monitored curfew
orders. Criminology and Criminal Justice 8/1, S. 51 – 71.
Hucklesby, A., Beyens, K., Boone, M., Dünkel, F. & Graham, H. (2017): Abschließender Ver-
gleich des EU-Projekts, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische Überwa-
chung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Perspektiven.
Mönchengladbach, S. 247 – 274.
Hucklesby, A., Beyens, K., Boone, M., Dünkel, F., McIvor, G. & Graham, H. (2016): Creativity
and Effectiveness in the Use of Electronic Monitoring as an Alternative to Imprisonment in
EU Member States. Final Report. Internetpublikation; http://emeu.leeds.ac.uk/.
Hucklesby, A. & Holdsworth, E. (2017): England und Wales, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig
(Hrsg.), Elektronische Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Be-
standsaufnahme und Perspektiven. Mönchengladbach, S. 177 – 204.
Kaiser, A. (2015): Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung. Entwick-
lung, Rechtsgrundlagen, Verfassungsmäßigkeit. Wiesbaden.
Lappi-Seppälä, T. (2019): Trends in Incarceration and Community Sanctions in the Light of
Recent European and Nordic Correctional Statistics. Vortag Internationales Expertensemi-
nar, Hiddensee, 04. 07. 2019.
788 Frieder Dünkel

Lappi-Seppälä, T. & Lähteenmäki, N. (2017): Finnland, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig
(Hrsg.), Elektronische Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Be-
standsaufnahme und Perspektiven. Mönchengladbach, S. 325 – 342.
Lilly, J.R. & Nellis, M. (2013): The limits of techno-utopianism: electronic monitoring in the
United States of America, in: M. Nellis (Hrsg.), Electronically monitored punishment. Lon-
don, S. 21 – 44.
Lindenberg, M. (1997): Bestrafungs-Industrie. Neue Kriminalpolitik 9/1, S. 8 – 10.
Liszt, F. von (1882/1905): Der Zweckgedanke im Strafrecht, in: Strafrechtliche Aufsätze und
Vorträge. Band 1 (1875 – 1891). Berlin.
Marklund, F. & Holmberg, S. (2009): Effects of early release from prison using electronic tag-
ging in Sweden. Journal of Experimental Criminology 5/1, S. 41 – 61.
Meuer, K. (2019): Legalbewährung nach elektronischer Aufsicht im Vollzug der Freiheitsstrafe.
Eine experimentelle Rückfallstudie zum baden-württembergischen Modellprojekt. Freiburg
i.Br.
Meyer, M. (2004): Modellprojekt elektronische Fußfessel. Studien zur Erprobung einer umstrit-
tenen Maßnahme. Freiburg i.Br.
Nellis, M. (2014): Understanding the Electronic Monitoring of Offenders in Europe: expansion,
regulation and prospects. Crime, Law and Social Change 62/4, S. 489 – 510.
Nellis, M. (2015): Standards and Ethics in Electronic Monitoring. Strasbourg.
Nellis, M. (2017): Die elektronische Überwachung von Straftätern: Standards, ethische Grund-
lagen und Kriminalpolitik im digitalen Zeitalter, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.),
Elektronische Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnah-
me und Perspektiven. Mönchengladbach, S. 267 – 289.
Page, J. (2013): Punishment and the Penal Field, in: J. Simon & R. Sparks (Hrsg.), The Sage
Handbook of Punishment and Society. Los Angeles et al., S. 152 – 166.
Pitsela, A. (2017): Griechenland, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische
Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Per-
spektiven. Mönchengladbach, S. 363 – 378.
Rehbein, S. (2017): Darstellung und Analyse der operativen Umsetzung der elektronischen
Überwachung in Deutschland, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische
Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Per-
spektiven. Mönchengladbach, S. 113 – 138.
Renzema, M. (2013): Evaluative Research on Electronic Monitoring, in: M. Nellis, K. Beyens &
D. Kaminski (Hrsg.), Electronically Monitored Punishment: international and critical per-
spectives. London, S. 247 – 270.
Renzema, M. & Mayo-Wilson, E. (2005): Can Electronic Monitoring Reduce Crime for Medium
to High Risk Offenders? Journal of Experimental Criminology 1/2, S. 215 – 237.
Sakalauskas, G. (2017): Litauen, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische
Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Per-
spektiven. Mönchengladbach, S. 389 – 400.
Schüler-Springorum, H. (1991): Kriminalpolitik für Menschen. Frankfurt/M.
Elektronische Überwachung in Europa 789

Schwedler, A & Wössner, G. (2015): Elektronische Aufsicht bei vollzugsöffnenden Maßnah-


men – Implementation, Akzeptanz und psychosoziale Effekte des baden-württembergischen
Modellprojekts. Freiburg i.Br.
Wallace-Capretta, S. & Roberts, J. (2013): The evolution of electronic monitoring in Canada.
From corrections to sentencing and beyond, in: M. Nellis, K. Beyens & D. Kaminski (Hrsg.),
Electronically Monitored Punishment: international and critical perspectives. London,
S. 44 – 62.
Weigend, T. (1989): Privatgefängnisse, Hausarrest und andere Neuheiten. Bewährungshilfe 36/
4, S. 289 – 301.
Wennerberg, I. (2013): High level of support and high level of control, in: M. Nellis, K. Beyens
& D. Kaminski (Hrsg.), Electronically Monitored Punishment: international and critical per-
spectives. London, S. 113 – 127.
Willis, C., Lybrand, S. & Bellamy, N. (2004): Alcohol ignition interlock programmes for reduc-
ing drink driving recidivism. Cochrane Database Systematic Reviews 2004 Oct 18/4.
Yngborn, A. (2017): Schweden, in: F. Dünkel, C. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische Über-
wachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Perspekti-
ven. Mönchengladbach, S. 425 – 436.
Geld- statt Freiheitsstrafen:
Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis
Wenig beachtete Folgen der Reform des schweizerischen
Sanktionenrechts von 2002/2007

Von Martin Killias

1. Grundzüge der Reform von 2002/2007


Die schweizerische Strafrechtsreform von 2002, die zu Beginn des Jahres 2007 in
Kraft trat, hat über viele Jahre hinweg die schweizerische Politik beschäftigt. Nach dem
ersten Entwurf von Professor Hans Schultz aus dem Jahre 1982 (Schultz 1987) arbeitete
eine Expertenkommission während Jahren an dessen Austarierung. Es folgte eine drei
Jahre dauernde Beratung in den zwei Kammern des schweizerischen Parlaments, das
den Gesetzestext am 13. Dezember 2002 verabschiedete. Bis zum Inkrafttreten dauerte
es dann nochmals vier Jahre, u. a. weil man nach der Verabschiedung schwerwiegende
Inkohärenzen im neuen System ausmachte, die das Parlament in einer Korrekturvor-
lage aus der Welt zu schaffen versuchte, bevor dieses in Kraft trat.
Die Absicht des Gesetzgebers war, die in der Schweiz bis dahin dominierende – in
aller Regel bedingte1 – kurze Freiheitsstrafe durch eine nach dem System der Tages-
satz-Buße ausgestaltete Geldstrafe zu ersetzen. Dies gelang perfekt, wie die Daten
des Bundesamts für Statistik zeigen: Die bedingten kurzen Freiheitsstrafen ver-
schwanden ab 2007 vollständig. Da in der Schweiz traditionell die weitaus meisten –
bis 2006 rund 80 % – der Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten bedingt aus-
gesprochen wurden, ersetzte die neu eingeführte Geldstrafe vor allem bedingte, we-
niger hingegen vollzogene kurze Freiheitsstrafen. Von den zu einer bedingten Frei-
heitsstrafe Verurteilten mussten in der Folge nur gut 10 % diese Strafe tatsächlich ver-
büßen, da die Gerichte auch bei erneuter Straffälligkeit in der Mehrzahl der Fälle von
einem Widerruf des „bedingten“ absahen. Aus diesen Gründen hat die „Revolution“
die Gefängnispopulation kaum vermindert. Im Gegenteil hat die Anzahl verurteilter
Gefangener (einschließlich vorzeitiger Strafantritt, aber ohne Untersuchungshaft)

1
In der schweizerischen Terminologie entspricht die „bedingte“ Strafe (Art. 42 StGB) der
Strafaussetzung zur Bewährung.
792 Martin Killias

sogar von rund 3.000 auf über 5.000 zugenommen. Unter diesem Gesichtspunkt war
die Reform tatsächlich ein Misserfolg (Simmler 2016)2.
Die hohe Popularität des „Bedingten“ hat sich besonders während der Beratung
der Vorlage im Parlament gezeigt. Entgegen den Entwürfen von Schultz, der Exper-
tenkommission und des Bundesrates beschlossen die Parlamentarier, dass auch Geld-
strafen bedingt ausgesprochen werden können, wovon die Gerichte heute in etwa im
gleichen Umfang wie früher bei den Freiheitsstrafen Gebrauch machen. Der Durch-
schnittsverurteilte verlässt das Gericht heutzutage auch bei relativ schweren Verbre-
chen mit einer bedingten Geld- oder Freiheitsstrafe (Killias 2018)3. Nachdem dies
vom Parlament so beschlossen war, „entdeckten“ Praktiker, dass bei der Schnittstelle
von Übertretungen zu Vergehen mit schweren Inkonsistenzen zu rechnen wäre.
Übertretungen werden nämlich gemäß Art. 103 StGB ausschließlich mit Bußen
(im Sinne von Art. 106 StGB) bestraft. Diese können nicht bedingt aufgeschoben
werden4, sind also innert einer gewissen Frist zu begleichen, wobei das Gericht im
Urteil direkt festlegt, in wie viele Tage Freiheitsentzug die Buße bei Nichtbezahlung
umzuwandeln ist. Wer beispielsweise mit einer Alkoholintoxikation von mehr als 0,5
(aber weniger als 0,8) Promille am Steuer erwischt wird, begeht eine Übertretung
(Art. 103 StGB) und wird somit mit einer Buße bis zu 10.000 Franken bestraft.
Auch wenn bei deren Bemessung das Gericht gemäß Art. 106 Abs. 3 StGB die finan-
ziellen Umstände des Verurteilten zu berücksichtigen hat, geschieht dies recht sum-
marisch und trifft dementsprechend Betroffene unter Umständen relativ hart. Ent-
schließt sich jemand, der um diese Abstufungen weiß, den spätabendlichen Trinkan-
lass mit einer weiteren Runde zu beenden, um auf über 0.8 Promille zu kommen, wird
er vom Gericht eines Vergehens (Art. 91 Abs. 2 lit. a SVG5) schuldig gesprochen –
mit der Folge, dass er mit einer normalerweise bedingten Geldstrafe davonkommen
wird, die er in aller Regel nie zu bezahlen haben wird.

2
Die Hauptursachen waren die Verlängerung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer,
dies wegen der Popularität stationärer therapeutischer Maßnahmen, die überwiegend in Ge-
fängnissen vollzogen werden, sowie die Verschiebung der Strafskala nach oben als Folge der
höheren Limiten für den bedingten Strafvollzug (von 18 auf 24 bzw. 36 Monate) – letzteres hat
Kuhn (1993) präzise vorausgesagt.
3
Anhand von Daten des European Sourcebook of Crime and Criminal Justice Statistics
(Aebi et al. 2010, Tab. 3.2.3.6, 3.2.3.7 und 3.2.3.10) konnte Killias (2018) zeigen, dass bei
Delikten wie (schwerer) Körperverletzung, Vergewaltigung und Raub von 100 Verurteilten in
der Schweiz weitaus weniger ins Gefängnis wandern als in fast allen anderen 21 Ländern mit
verfügbaren Daten, nämlich maximal 4 von 10. Diese Daten bezogen sich auf das Jahr 2006,
neuere sind leider nicht erhältlich. Es darf vermutet werden, dass die 2007 in Kraft getretene
Strafrechtsreform die Extremposition der Schweiz (als das Land, „wo man nicht ins Gefängnis
kommt“) noch akzentuiert hat.
4
Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass die Bestimmungen über die bedingte Strafe auf
Übertretungen nicht anwendbar sind (Art. 105 Abs. 1 StGB).
5
Straßenverkehrsgesetz, in Verbindung mit der Verordnung der Bundesversammlung über
Alkoholgrenzwerte im Straßenverkehr.
Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis 793

Um diese Schnittstellenproblematik zu entschärfen, hat der Gesetzgeber in


Art. 42 Abs. 4 StGB dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, neben einer bedingten
Freiheits- oder Geldstrafe in allen Fällen – also auch wenn keine Übertretung vor-
liegt – eine (notwendigerweise) unbedingte Buße zu verhängen. In der Praxis ma-
chen die Gerichte inzwischen von dieser Möglichkeit in einem sehr weiten Umfang
Gebrauch.
Was die Bemessung der Geldstrafe – d. h. vor allem der Höhe der Tagessätze –
anbelangt, hat sich der Gesetzgeber entgegen aller Kritik damit begnügt, nur sehr all-
gemeine Grundsätze festzulegen. Zu berücksichtigen sind das Einkommen, die Le-
bensumstände, Unterstützungspflichten und das Existenzminimum. Es fehlen dage-
gen Richtlinien etwa zur Bemessung der Abzüge für Kinder in Ausbildung, zur Höhe
„notwendiger“ Lebenskosten infolge von Krankheit, der Berücksichtigung des Ein-
kommens mitverdienender Ehegatten u.v.a. Auch ist nach der Rechtsprechung6 das
Vermögen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, womit das System definitiv Per-
sonen mit relativ geringen (bekannten) Einkünften, aber hoher Liquidität gegenüber
meist jüngeren Beschuldigten begünstigt, die relativ hohe Einkommen erzielen, aber
kaum Vermögen gebildet haben7. Das schweizerische Recht steht damit zumindest in
der Theorie auf dem Boden des Netto-Einkommensprinzips, wo diese Fragen an sich
klar geregelt werden müssten – wogegen ein pragmatisches „Durchwursteln“ unter
dem in anderen Ländern geläufigen Einbußeprinzip eher möglich erscheint (Chi-
michella 2006, 64 ff.). Der Gesetzgeber hat sich in den letzten Jahren weniger
damit als mit der Zurückdrängung allzu tiefer, ja geradezu trivialer Tagessätze be-
fasst und in einem weiteren „Korrekturgesetz“8 einen Mindestbetrag von 30 Franken
pro Tag festgelegt, der in Fällen besonderer Bedürftigkeit bis auf 10 Franken herab-
gesetzt werden kann9. Zuvor war es in der Praxis zuweilen zu extremen Urteilen ge-
kommen, wo Beschuldigte für 360 Tagessätze zu 1 Franken zu absolut lächerlichen
Beträgen verurteilt wurden. Dies ist nun nicht mehr möglich, wird aber möglicher-
weise das Problem verschärfen, mit dem wir uns hier befassen, nämlich die Frage,
was geschieht, wenn unbedingte Geldstrafen und Bußen unbezahlt bleiben.

2. Unbezahlbare Geldstrafen und Bußen?


Ergebnisse einer Studie im Kanton Zürich
Während der langen Debatten über die Strafrechtsreform wurde zwar von verein-
zelten Stimmen auch auf die Gefahr hingewiesen, dass Verurteilte, die sich außer
6
So BGE 142 IV 315 E. 5.3.3 (entgegen dem Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 StGB).
7
Zu den Schwierigkeiten der Bemessung der Tagessätze Killias et al. 2017, Rz 1319 –
1330.
8
Gesetz vom 15. Juni 2015 über die Änderung des Sanktionenrechts (in Kraft ab 01. 01.
2018).
9
So Art. 34 Abs. 2 StGB i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 15. 06. 2015 (in Kraft seit
01.01. 2018).
794 Martin Killias

Stande sehen, die ihnen auferlegten finanziellen Sanktionen zu bezahlen, am Ende im


Gefängnis landen könnten. Damals wurden – trotz warnender Stimmen (Raselli
1994)10 – diese Bedenken ziemlich selbstsicher weggewischt. Inzwischen hat dieses
Problem jedoch Proportionen angenommen, die nicht völlig unter den Teppich ge-
kehrt werden können. Immerhin gelangen laut den neuesten Zahlen des Bundesamts
für Statistik (für 2018) rund 4.500 Personen in ein Gefängnis, weil sie eine fällige
finanzielle Sanktion nicht beglichen haben11 – dies bei jährlich rund 9.000 ordentli-
chen Einweisungen in den Strafvollzug12. Mehr als die Hälfte der Eintritte in ein Ge-
fängnis entfallen somit auf umgewandelte Bußen und Geldstrafen. Im Auftrag der
Direktion für Justiz und Inneres des Kantons Zürich, die hier als Pionierin für Trans-
parenz sorgen wollte, wurde von unserem Team untersucht, wie viele Personen wes-
halb und unter welchen Begleitumständen in diese Lage geraten (Biberstein & Killias
2019), und zwar im Kanton Zürich, dessen Bevölkerung etwas weniger als einen
Fünftel des Landes ausmacht.
Zusammen mit dem Amt für Justizvollzug wurde die Untersuchung so geplant,
dass alle Fälle, die zwischen Februar und März 2017 der intern zuständigen Stelle
wegen Uneinbringlichkeit gemeldet wurden, näher untersucht wurden. Berücksich-
tigt wurde, wie sich die Erledigung dieser Geschäfte bis zum Herbst 2018 entwickelt
hatte. Die Studie bezog sich auf eine Stichprobe von 447 Fällen.
Die Analyse der Fälle zeigte eine Reihe unerwarteter Ergebnisse. So waren bei
55 % der Betroffenen mindestens zwei Strafurteile zu vollziehen – mit einer sehr
schiefgipfligen Verteilung (der Spitzenreiter brachte es auf 25 Urteile). Die Dauer
der angeordneten Ersatzfreiheitsstrafe variierte im gleichen Ausmaß: in einem Ex-
tremfall war eine Ersatzfreiheitsstrafe von über zwei Jahren zu verbüßen, in der Hälf-
te der Fälle betrug diese jedoch höchstens 15 und sehr oft sogar nur einen Tag.
Allerdings kommt es durchaus nicht in allen Fällen zu einer Ersatzfreiheitsstrafe.
Von den beim Amt für Justizvollzug13 wegen Uneinbringlichkeit gemeldeten Fällen
verjährten in der Folge 35 bis 40 %, was vor allem bei Bußen vorkommt, da diese (wie
auch deren Vollzug) nach drei Jahren verjähren (Art. 109 StGB). Dies betrifft vorwie-
10
Damals ein junger Kantonsrichter, hat der spätere Bundesrichter Raselli anhand einer
Stichprobe von Strafurteilen (und den Steuerdaten) aus seinem Kanton Obwalden ermittelt,
wie sich das neue System ausgewirkt hätte. Danach wäre mehr als die Hälfte kaum oder nur
mit Mühe in der Lage gewesen, eine Geldstrafe zu begleichen. Dass die Auswirkungen nach
2007 weniger dramatisch waren, lag wohl vor allem an der pragmatischen „Anpassung“ der
Höhe und Anzahl der Tagessätze an die realen Möglichkeiten.
11
Die Anzahl Bußen, die in Freiheitsentzug umgewandelt wurden, schwankte zwischen
2007 und 2018 jährlich zwischen 2.234 (2007) und 3.430 (2009). Im Jahre 2017 waren es
3.300 und im Jahr darauf 3.080. Vor der Reform waren dies mit wenigen Ausnahmen weit
unter 1.000. Dazu kommen mindestens 1.000 in Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelte Geld-
strafen (2017: 1.612, 2018: 1.423).
12
Seit der Strafrechtsrevision von 2007 wurden jährlich zwischen 8.425 und 9.723 (2013)
Personen eingewiesen. Im Jahre 2017 waren dies 9.246, im folgenden Jahr noch 8.444 Per-
sonen.
13
Neuerdings „Justizvollzug und Wiedereingliederung“.
Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis 795

gend Verurteilte ohne festen Wohnsitz in der Schweiz, was insofern einleuchtet, als
Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber Personen im Ausland weitaus weniger Er-
folgsaussichten haben. Von den verbleibenden Fällen werden 50 % bezahlt – vom
Verurteilten oder häufiger von ihm nahestehenden Personen. In weniger als 10 %
kommt es schließlich zu einer vollzogenen Ersatzfreiheitsstrafe, was belegt, dass
sich die mit diesen Geschäften befassten Stellen intensiv bemühen, andere Lösungen
zu finden.
Unter den nicht-bezahlten finanziellen Sanktionen machen die Bußen mit 90 bis
95 % den Löwenanteil aus. Dies erscheint verständlich, weil Bußen – wie oben er-
läutert – immer unbedingt ausgesprochen und die Modalitäten der Umwandlung
schon im Urteil festgelegt sind (Art. 106 Abs. 2 StGB). Geldstrafen werden demge-
genüber nur selten unbedingt verhängt und können, wenn sie nicht bezahlt werden,
nur auf richterliche Anordnung hin – also in einem neuen Verfahren – in Ersatzfrei-
heitsstrafen umgewandelt werden (Art. 36 Abs. 1 StGB). Dazu werden Bußen rou-
tinemäßig – wie erläutert – auch in Fällen von Vergehen oder Verbrechen neben einer
anderen (bedingten) Strafe ausgesprochen. Dies führt dazu, dass Bußen insgesamt
weit häufiger vorkommen als unbedingte Geldstrafen.
Wie steht es nun mit den ausstehenden Beträgen? Auch hier zeigt sich bei den
Bußen eine sehr große Bandbreite, die tiefste betrug gerade mal 19, die höchste
5.000 Franken. In 75 % der Fälle betrug die Buße maximal 350 Franken, in 25 %
sogar nur 100 Franken oder weniger. Dabei werden tiefere Bußenbeträge eher begli-
chen, wenn auch allenfalls „last minute“ und von Dritten, während die in Ersatzfrei-
heitsstrafe umgewandelten und vollzogenen Bußen im Durchschnitt deutlich höher
waren. Bei den Geldstrafen zeigt sich dasselbe Bild, wenn auch die Beträge deutlich
höher sind. Die höchste Geldstrafe betrug 27.000, die tiefste 30 Franken, wobei der
ausstehende Betrag in der Hälfte der Fälle über 1.800 Franken ausmachte.
Was die Art der Delikte anbelangt, zeigt sich, dass Strafen wegen Straßenver-
kehrsdelikten eher verjähren (wohl vor allem bei im Ausland wohnenden Verurteil-
ten) oder aber bezahlt werden. Bei den vollzogenen Ersatzfreiheitsstrafen dominie-
ren Verurteilungen wegen Schwarzfahrens in öffentlichen Verkehrsmitteln14, was
wohl mit dem sozialen Profil dieser Gruppe zusammenhängt. Umgekehrt dürften
Straßenverkehrsdelinquenten besser situiert sein, was an sich bereits durch den Be-
sitz eines Motorfahrzeugs nahegelegt wird. Tatsächlich bestätigen die beigezogenen
Steuerdaten diesen Befund.
Wie schon in verschiedenen früheren Untersuchungen, wurden unserem Team
auch für die vorliegende Untersuchung die Daten des Steueramtes zur Verfügung ge-
stellt15. Dabei zeigte sich, dass nur bei wenigen der verjährten Fälle bei den Steuer-
behörden Daten verfügbar waren – offensichtlich überwiegen auch nach dieser Quel-
14
Einer Übertretung, Art. 57 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz.
15
Die damit zusammenhängenden datenschutzrechtlichen Fragen konnten in einer ein-
wandfreien Weise (anonymisiert) gelöst werden. Wir verweisen dazu auf den Schlussbericht
(Biberstein & Killias 2019).
796 Martin Killias

le in dieser Gruppe Verurteilte ohne Wohnsitz in der Schweiz. Von den übrigen Ver-
urteilten hat nur die Hälfte eine Steuererklärung eingereicht. Offenbar handelt es sich
hier oft um Personen ohne regelmäßiges Einkommen – oder aber solche, die generell
im Umgang mit Amtsstellen Mühe bekunden, ihren Verpflichtungen nachzukom-
men. Soweit Angaben vorliegen, verfügen von der Umwandlung in Freiheitsentzug
Betroffene über deutlich weniger Einkünfte als diejenigen, die sich diesem Ausgang
in letzter Minute zu entziehen wussten.
Diese Informationen aus amtlichen Akten wurden ergänzt durch eine Befragung
der mit dem Inkasso direkt befassten Personen sowie einer Befragung aller infolge
der Umwandlung in den Strafvollzug eingewiesenen Verurteilten. Die Insassen-Be-
fragung war als Vollerhebung konzipiert. Zielgruppe waren alle 185 Betroffenen, von
denen sich 106 (oder 57 %) an der Befragung beteiligten. Die Ausschöpfungsrate war
somit angesichts der Umstände, die nicht unbedingt optimale Kooperation erwarten
ließen, erfreulich hoch.
Zu den Gründen, weshalb es zur Umwandlung einer finanziellen Sanktion über-
haupt gekommen ist, sagten gut 80 %, dass sie nicht über die nötigen Mittel verfügt
hätten, um den ausstehenden Betrag zu begleichen. Daneben sagten aber immerhin
9 %, dass sie nicht bezahlen wollten, und weitere 12 %, dass es ihnen leichter falle,
die Strafe im Freiheitsentzug zu verbüßen als zu bezahlen. Es zeichnet sich hier be-
reits ab, was vertiefte Analysen bestätigten. Einerseits sind Personen in prekären fi-
nanziellen Verhältnissen häufiger von Ersatzfreiheitsstrafen betroffen, was an sich
nicht erstaunt. Nicht weniger als 70 % sind auch nicht zum ersten Mal in einem Ge-
fängnis. Weniger bekannt sein dürfte, dass es sich zu einem großen Teil um Men-
schen ohne ein relevantes soziales Netzwerk handelt, das sie in solchen Lagen mo-
bilisieren könnten. Einsamkeit ist insofern ein erheblicher Risikofaktor. Viele Gefan-
gene äußern denn auch die Hoffnung, sie würden noch vor Ende ihrer Strafe auf ir-
gendeine Weise „ausgelöst“, wobei nicht beurteilt werden kann, wie realistisch
solche Hoffnungen tatsächlich sind.
Daneben gibt es aber auch eine kleinere Gruppe von Betroffenen, die sich mit sehr
hohen Beträgen konfrontiert sehen. Oft geschieht dies infolge des Widerrufs einer
bedingten Geldstrafe mit hohen Beträgen. In aller Regel lag der Anlass in erneuter
Straffälligkeit während der Probezeit. Was immer auch die Gründe gewesen sein
mögen, Verurteilte sehen sich unter solchen Umständen mit sehr hohen Forderungen
konfrontiert, die sie aus den laufenden Einkünften oder ihrem Vermögen kaum be-
zahlen können. Wenn nun noch, wie bei Bußen, der Freiheitsentzug zeitlich begrenzt
ausfällt, d. h. maximal drei Monate beträgt (Art. 106 Abs. 2 StGB), befinden sich sol-
che Personen nur selten in der Lage, die nötigen Beträge im verfügbaren Zeitraum
legal zu beschaffen. In solchen Fällen mag in der Tat die Entscheidung, die Strafe
lieber in Form einer Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen, einer gewissen – zumindest
ökonomischen – Rationalität nicht entbehren.
Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis 797

3. War die Ersatzfreiheitsstrafe unvermeidlich?


Fragen kann man sich natürlich, ob es nicht Möglichkeiten gegeben hätte, die Um-
wandlung in Freiheitsentzug durch die Leistung gemeinnütziger Arbeit zu umgehen.
Dazu muss man wissen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Verbüßung einer
Buße in dieser Form zwar zulassen wollte (Art. 107 Abs. 1 StGB), jedoch nicht nach
unbenütztem Ablauf der Zahlungsfrist. Andernfalls bestünde angesichts der Vollstre-
ckungsverjährung von Bußen schon nach drei Jahren (Art. 109 StGB) die nicht zu
unterschätzende Gefahr, dass sich Betroffene durch solche Gesuche schließlich in
die Verjährung „retten“ könnten. Im Zeitpunkt, da das Dossier beim Amt für Justiz-
vollzug wegen Uneinbringlichkeit eingeht, besteht diese Möglichkeit somit nicht
mehr. Unbedingt ausgesprochene oder widerrufene bedingte Geldstrafen können
ebenfalls in Form gemeinnütziger Arbeit verbüßt werden – allerdings nur solange,
als die Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe noch nicht verfügt worden ist
(Art. 79a Abs. 2 StGB). Man darf also davon ausgehen, dass bei den von uns Befrag-
ten diese Möglichkeit schon von Gesetzes wegen ausgeschlossen war, ohne dass wei-
ter geprüft werden müsste, ob dazu die weiteren Bedingungen erfüllt wären.
Eine andere Frage ist, ob bei den Verurteilten mit hohen Geldstrafen die Tages-
sätze adäquat bestimmt worden sind. Maßgeblich sind dazu die Umstände im Zeit-
punkt des Urteils, doch faktisch werden sich die Gerichte auf die Unterlagen der
Steuerämter stützen, die indessen kaum der in diesem Zeitpunkt gegebenen Situation
entsprechen dürften. Noch weniger tragen sie wohl der absehbaren Zukunft Rech-
nung, die für viele Verurteilte einen markanten sozialen Abstieg bringen dürfte,
oft geprägt von Paartrennung und Stellenverlust, und zwar wohl mehr wegen der
Straftat an sich als wegen des oft nicht sehr beeindruckenden Strafurteils (das meis-
tens, wie erwähnt, auf eine bedingte Geldstrafe lautet). Zwar bestand im Zeitraum der
Untersuchung theoretisch die Möglichkeit, das Gericht später um Anpassung der Be-
träge zu ersuchen, wenn sich diese wegen veränderter Verhältnisse als unangemessen
hoch erwiesen (Art. 36 Abs. 3 lit. b aStGB), doch bleibt offen, weshalb dies in den
untersuchten Fällen offenbar nicht versucht wurde16. Vermuten darf man, dass die
Gerichte die Bemessung in vielen Fällen nicht allzu tragisch nehmen, weil sie
schließlich davon ausgehen, dass der Verurteilte diese angesichts des bedingten
Strafvollzugs ohnehin nie wird bezahlen müssen.17 Bei von Anfang an unbedingten
Geldstrafen handelt es sich regelmäßig um rückfällige Angeklagte, bei denen die fi-
nanziellen Verhältnisse ohnehin keine hohen Tagessätze erwarten lassen. Bleiben sie
am Ende unbezahlt, ist dies eher der marginalen Lebenslage der Betroffenen als den
16
Inzwischen sind die entsprechenden Erleichterungen durch das Gesetz über die Ände-
rung des Sanktionenrechts (vom 15. 06. 2015, in Kraft seit 01. 01. 2018) abgeschafft worden.
Gleichzeitig wurde (in Art. 36 Abs. 1 StGB) die Zahlungsfrist von zwölf auf sechs Monate
verkürzt.
17
In dieser Hinsicht hat der Gesetzgeber seine Konkretisierungspflicht klarerweise ver-
letzt. Was würde man sagen, wenn im Steuerrecht der Gesetzgeber den Steuerämtern allein
vorgeben würde, die Steuern „nach den finanziellen Verhältnissen des Steuerpflichtigen nach
pflichtgemässem Ermessen“ festzusetzen? Dazu Killias et al. 2017, Rz 1325 – 1330.
798 Martin Killias

unrealistisch hohen Beträgen zuzuschreiben. Es wurde schon lange moniert, dass die
Festsetzung der Tagessätze viel zu wenig sorgfältig geschieht, dies nicht aus Nach-
lässigkeit der Gerichte, sondern weil der Gesetzgeber und die Exekutive den Gerich-
ten keinerlei Richtlinien in die Hand geben, wie schwierige Situationen (wie etwa
diejenigen von vermögenden aber einkommenslosen Verurteilten, oder von solchen
ohne bekannte bzw. regelmäßige Einkünfte) zu handhaben sind.18

4. Der mühsame Weg zurück


Rückblickend mag man sich fragen, weshalb dieses Problem nicht im Voraus er-
kannt wurde. Zwar war bereits zur Zeit der Reformdiskussion in der Schweiz be-
kannt, dass Ersatzfreiheitsstrafen in Deutschland einen erheblichen Anteil an den
Einweisungen in den Strafvollzug ausmachen (Villmow, Sessar & Vonhoff 1993),
doch wirklich hören wollte das damals niemand. Inzwischen liegen die Dinge in
der Schweiz mutmaßlich schlimmer als anderswo. Ein möglicher Grund könnte
sein, dass Geldstrafen und Bußen seit der Strafrechtsreform von 2002/2007 in der
Schweiz einen extrem weiten Anwendungsbereich gefunden haben, wie er sonst
kaum irgendwo zu beobachten ist. Es gibt, außerhalb des Bereichs der allerschwers-
ten Straftaten, kaum solche, wo sie nicht anwendbar wären, und kaum eine Täterka-
tegorie, für die sich nicht in Frage kämen. Daher treten Probleme, die sich andernorts
auch zeigen mögen, in der Schweiz wohl deutlicher zu Tage. Dies gilt auch für die
Akzeptanz des neuen Sanktionensystems, das in weiten Teilen der Öffentlichkeit
schon kurz nach dessen Einführung abgelehnt wurde (Haering et al. 2012), wenn
sich auch inzwischen eine Art Gewöhnungseffekt eingestellt zu haben scheint.
Vor allem die bedingte Geldstrafe stößt indessen immer noch auf großes Unverständ-
nis. Die neueste „Korrekturvorlage“, das Gesetz vom 15. Juni 2015 über die Ände-
rung des Sanktionenrechts, hat wohl einige Probleme geklärt, so etwa die absoluten
Trivial-Tagessätze zugunsten eines Mindestbetrags von 30 Franken (mit der Mög-
lichkeit der Herabsetzung auf bis zu 10 Franken in „Ausnahmefällen“) beseitigt
(Art. 34 Abs. 2 StGB). Die groß verkündete „Wiedereinführung“ der kurzen Frei-
heitsstrafe war zwar gewiss ein Schritt in die richtige Richtung, in den praktischen
Auswirkungen jedoch bescheiden, da auch diese fast immer bedingt verhängt wer-
den. Ebenso folgenlos war die Herabsetzung der Obergrenze von Geldstrafen von
360 auf noch 180 Tage (Art. 34 Abs. 1 StGB), wie auch die Zurückstufung der ge-
meinnützigen Arbeit von einer selbständigen Sanktion zu einer Vollzugsform ande-
rer Strafen (Art. 79a Abs. 1 StGB).19

18
Dazu Killias et al. 2017, Rz 1326 – 1328.
19
Vor der Strafrechtsreform von 2002/2007 wurde Gemeinnützige Arbeit sehr häufig und
überwiegend erfolgreich praktiziert, allerdings nicht als eigenständige Sanktion, sondern als
Vollzugsform kurzer unbedingter Freiheitsstrafen. Ab 2007 wurde sie eine Hauptstrafe und
konnte daher nur noch von Gerichten verhängt werden. In der Folge brachen (wie leicht
vorauszusehen war) die Zahlen völlig ein (Simmler 2016; Michlig 2011). Mit dem Gesetz über
Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis 799

Für das Problem der Ersatzfreiheitsstrafen folgenschwerer könnte die Heraufset-


zung des Mindestbetrags eines Tagessatzes von 1 auf ausnahmsweise 10 und in der
Regel 30 Franken werden (Art. 34 Abs. 2 StGB). Damit werden auch Verurteilte in
prekären finanziellen Verhältnissen voraussichtlich deutlich höhere Beträge aufer-
legt erhalten, was sich bei mehrfach (und daher zu unbedingten Geldstrafen) Verur-
teilten wie auch im Falle des Widerrufs einer bedingten Geldstrafe praktisch auswir-
ken wird. Das Problem der exzessiv zahlreichen Ersatzfreiheitsstrafen wird sich
daher wohl verschärfen.

5. „Sinnlose“ Ersatzfreiheitsstrafen?
Schließlich stellt sich auch die Frage nach dem ökonomischen „Sinn“ der Ersatz-
freiheitsstrafe. Diese wurde auch in Deutschland unlängst massiv in Frage gestellt
(Lobitz & Wirth 2018, 16 ff.; Treig & Pruin 2018, 10 ff.; Wirth, Pfalzer & Gerlach
2018, 9). In der vorliegenden Untersuchung wurde daher mit Hilfe der Spezialisten
des Amts für Justizvollzug auch untersucht, wie sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis
konkret präsentiert. Bei einer solchen Rechnung stellt sich stets die Frage, inwieweit
indirekte Kosten (wie der Unterhalt von Gefängnissen, die Finanzierung von Verwal-
tungsabteilungen usw.) zu berücksichtigen sind. Werden die Einnahmen vor allem
aus bezahlten Bußen und Geldstrafen allen Kosten (einschließlich Personalaufwand,
Unterbringungskosten von Gefangenen usw.) gegenübergestellt, ergibt sich für den
Kanton Zürich ein Defizit von 28 Franken pro Tag vollzogener Ersatzfreiheitsstrafe.
Ohne die erwähnten indirekten bzw. Fixkosten resultiert dagegen ein Ertrag von
knapp unter 190 Franken pro Hafttag. Verglichen mit dem Strafvollzug im Allgemei-
nen erweist sich das System der Eintreibung von Geldstrafen und Bußen über die
(Drohung mit) Haft als sehr preisgünstig oder, je nach Berechnungsart, sogar ertrag-
reich20.
Nun darf aber nicht allein der buchhalterische Verlust oder Ertrag berücksichtigt
werden. Würde die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft, wäre mit einer stark verringer-
ten Glaubwürdigkeit des ganzen Sanktionensystems zu rechnen. Es darf davon aus-
gegangen werden, dass die immerhin häufige Bezahlung dieser Schulden häufig un-
terbliebe, wenn die Betroffenen den Eindruck gewännen, dies alles beruhe letztlich
auf ihrem guten Willen und geschehe damit „freiwillig“. Ebenso würde das System
einen starken Legitimationsverlust erreichen, wenn in der Öffentlichkeit die Er-
kenntnis Platz greifen würde, die Bezahlung solcher Sanktionen sei letztlich den Be-
troffenen anheimgestellt. Ein Laborexperiment am Institut von Ernst Fehr an der
Universität Zürich hat gezeigt, dass Menschen viel dafür investieren, damit Leute,
die die Regeln brechen, bestraft werden (de Quervain et al. 2004). Eine rein rechne-

die Änderung des Sanktionenrechts von 2015 wurde sie wieder zu einer Vollzugsform
(Art. 79a Abs. 1 StGB). Es bleibt offen, ob sie zu ihrer alten Bedeutung zurückfindet.
20
Zu den Einzelheiten siehe den Schlussbericht sowie Biberstein & Killias 2019 sowie
Killias & Biberstein 2020.
800 Martin Killias

rische Betrachtungsweise nach dem Nutzen und den Kosten solcher Sanktionen trägt
diesen symbolischen Bedürfnissen zweifellos nicht Rechnung. Die Durchsetzung fi-
nanzieller Sanktionen über die Umwandlung in andere Vollzugsformen einschließ-
lich der Ersatzfreiheitsstrafe „lohnt“ sich daher vermutlich sehr wohl. Dies gilt auch
für die Umwandlung unbezahlter Bußen wegen der Benützung öffentlicher Ver-
kehrsmittel ohne Bezahlung des Fahrpreises. Würden solche Sanktionen am Ende
nicht mehr vollstreckt, ergäbe sich sehr bald die Nebenwirkung, dass der Kauf
eines Fahrausweises letztlich „freiwillig“ sei und nur „Dumme“ diesen bezahlten.
Dabei dürfen die Nachteile eines kürzeren Freiheitsentzugs nicht überbewertet
werden. Wie die Kontakte mit den Beamten des Amtes für Justizvollzug zeigten, be-
mühen sich diese intensiv, die kurze Haftzeit zu einer Stabilisierung der Lebensver-
hältnisse der Betroffenen zu nutzen. Oft ohne Tagesstruktur, würden diese andern-
falls wohl langfristig auf dieser Bahn verharren. Die These ist hier nicht, dass kurzer
Freiheitsentzug „nütze“, aber dennoch zeigen die Beobachtungen der Vollzugsorga-
ne, dass die meisten Betroffenen nach mehrmaligem Kurzaufenthalt in einem Ge-
fängnis ihrem Leben eine andere Wendung zu geben versuchen. Im Übrigen
haben systematische Literaturübersichten – etwa im Rahmen des Campbell-Netz-
werkes – gezeigt, dass Gefängnisaufenthalte (vor allem solche von kürzerer
Dauer) zwar nicht an sich „nützen“, aber auch nicht unbedingt schaden (Villettaz,
Gilliéron & Killias 2014, 49 ff.). Es wäre an der Zeit, dass sich die Kriminalpolitik
von den überholten Vorstellungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts21 löst und diese
Fragen unaufgeregter angeht – wie dies der Jubilar bereits in seiner Doktorarbeit (Al-
brecht 1980) angeregt hatte.

6. Auch eine Frage der Gerechtigkeit


Die Strafrechtsreform von 2002/2007 stand ganz im Zeichen vermehrter „Effizi-
enz“. Kurze Freiheitsstrafen, deren Sinn nicht eingesehen wurde und die als „schäd-
lich“ gebrandmarkt waren, sollten durch „nützlichere“ Sanktionen ersetzt werden,
seien dies gemeinnützige Arbeit oder Geldstrafen, die wenigstens fiskalisch interes-
sant sein mögen. Dabei haben gerade die Arbeiten des Jubilars (so schon Albrecht
1980), der von uns heute zu Recht als eigentlicher Pionier gefeiert wird, deutlich ge-
zeigt, dass sich die Diffamierung des Gefängnisses als „Schule des Verbrechens“ in
keiner Weise bewahrheitete.22 Das Gefängnis sollte dem damaligen und noch immer

21
Prägend war hier nicht, wie allgemein vermutet wird, Franz von Liszt (1883), sondern
der französische Strafrichter und Philanthrop Arnould Bonneville de Marsangy (1864). Die
Vorstellung, kurze Gefängnisaufenthalte seien schädlich, entwickelte er in Analogie zur Be-
obachtung von Medizinern seiner Zeit, dass Spitäler oft Brutstätten aller möglichen Viren sind
und man sich auch bei kurzem Aufenthalt dort anstecken könne. Kriminalität galt damals
bekanntlich als eine Art ansteckende Krankheit.
22
Solche Studien gab etwas später auch in der Schweiz (Stemmer & Killias 1992). Sie
fanden kaum Eingang in die Literatur zur Strafrechtsrevision, ganz im Gegensatz zu krass
Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis 801

nachwirkenden Zeitgeist zufolge indessen vor allem als Ort zur Behandlung (oder
was immer man darunter verstand) dienen, in aussichtslosen Fällen allenfalls auch
zur bleibenden Verwahrung. Es kam in den Jahren nach 2007 somit zu einer massiven
Ausweitung der mit einer Maßnahme auf unbestimmte Zeit einsitzenden Gefange-
nen (Simmler 2016).
Letztlich haben unsere Daten bestätigt, dass ein sehr erheblicher Teil der Bußen
und Geldstrafen weiterhin im Gefängnis „bezahlt“ werden. Vor diesem Hintergrund
war die Warnung vor der Verabschiedung der Strafrechtsreform in der Schweiz, dass
es in der Folge weniger zu einer Abschaffung als einer Umverteilung der Freiheits-
strafe kommen könnte, nicht unberechtigt. Solche Warnungen wurden damals in den
Wind geschlagen.23 Inzwischen hat sich dies in damals unvorstellbarem Ausmaß be-
wahrheitet. Wenn über die Hälfte – 2018 genau 53 % – der Einweisungen in ein Ge-
fängnis auf umgewandelte Bußen und Geldstrafen entfallen, kann man nicht von
einer Bagatelle sprechen, auch wenn von allen Bußen und Geldstrafen nur wenige
Prozente umgewandelt werden. Dabei ist dies alles nur ein Teil des Problems.
Dazu kommt nämlich die Regelung in Art. 41 Abs. 1 lit. a und b StGB, wonach
das Gericht eine unbedingte24 Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten verhängen
kann, wenn dies (lit. a) zur Abschreckung des Täters oder (lit. b) erforderlich er-
scheint, weil eine andere Strafe voraussichtlich nicht vollzogen werden könnte.
Diese Bestimmung war bereits im ersten Vorentwurf von Schultz (1987) enthalten
und hat in der Folge alle Beratungen überstanden. In der Praxis wird sie vor allem
gegenüber mittellosen ausländischen Beschuldigten angewendet, die – etwa nach
Einbrüchen – in Untersuchungshaft versetzt und in der Folge mit einem Strafbefehl
belegt werden, in welchem ihnen eine Freiheitsstrafe (typischerweise in der Länge
der erlittenen Haft) auferlegt wird, bevor sie ausgeschafft werden. Im Jahre 2007 be-
traf dies noch 1.904 Verurteilte, in den folgenden Jahren jedoch bis zu 4.462 (im Jahre
2013)25 und noch immer 2.941 im Jahre 2018. Da diese Verurteilten während ihrer
gesamten Haftzeit in der Regel in Untersuchungshaft verbleiben, erscheinen sie nicht
in der Statistik der Einweisungen in den Strafvollzug, sind also in den Eintritten
(2018: 8.444) nicht inbegriffen. Würde man sie dazurechnen, ergäbe sich somit
eine Gesamtzahl der „Eintritte“ von 11.385. Davon wäre 7.444 Personen26 nur des-

fehlerhaften Analysen (wie die Studie von Knaus 1973; dazu Killias 1994), die bis heute in
den Kommentaren munter weiter zitiert werden.
23
Gelegentlich auch sehr heftig. Dem Autor wurde zum Beispiel an einem Kolloquium
entgegengeschleudert: „Mit solchen Behauptungen verlassen Sie den Boden einer sachbezo-
genen Diskussion.“
24
Mit dem Gesetz über die Änderung des Sanktionenrechts (in Kraft seit 01. 01. 2018)
können diese Kurzstrafen theoretisch auch bedingt verhängt werden.
25
In den Jahren zwischen 2011 und 2014 war die Schweiz von einer Welle internationaler
Einbruchskriminalität betroffen, die sich in diesen Zahlen niederschlug.
26
Nämlich 3.080 umgewandelte Bußen, 1.423 umgewandelte Geldstrafen und 2.941 un-
bedingte Kurzstrafen gemäß Art. 41 StGB.
802 Martin Killias

halb die Freiheit vorübergehend entzogen worden, weil sie mittellos waren. Das
wären dann genau 65 %.
Vor diesem Hintergrund kann man wohl kaum bestreiten, dass die Schweiz die
kurzen Freiheitsstrafen nicht abgeschafft, sondern sozial umverteilt hat. Der Vorwurf
der Klassen-Justiz, der sich implizit gegen die Gerichte und Justizpersonen richtet,
wäre unberechtigt. Geschaffen wurde vielmehr eine Art Klassen-Strafrecht, demzu-
folge das Gefängnis einer untersten Schicht vorbehalten bleibt. Das erinnert stark an
das römische Strafrecht, wo die „humiliores“ in die Metalla (Bergwerke) eingewie-
sen wurden27, wogegen die „honorationes“ mit Vermögenskonfiskation und/oder
Verbannung belegt wurden (Mommsen 1990, 1009 f., 1046 f.). Anders als in früheren
Zeiten, wo es für die obersten Zehntausend allenfalls Sonderregelungen mit Privile-
gien gab, verhält es sich in der Schweiz heute so, dass die Durchschnittsbevölkerung
kaum mit dem Gefängnis konfrontiert ist, da dieses nur einer relativ kleinen untersten
Schicht (sowie ausländischen Beschuldigten ohne inländischen Wohnsitz) vorbehal-
ten ist, also gewissermaßen den untersten Zehntausend. Vielleicht sichert gerade dies
heute dem reformierten Strafrecht der Schweiz eine erstaunlich breite soziale Akzep-
tanz. Auch trägt dies wohl wesentlich zum Fehlen eines jeglichen Problembewusst-
seins in der schweizerischen Öffentlichkeit und sogar unter den Strafrechtlern bei.
Menschen am Rande der Gesellschaft haben bekanntlich keine Stimme und ihre Er-
fahrungen teilen sich der breiteren Öffentlichkeit kaum mit. Ob das aber auch „ge-
recht“ genannt werden darf? Die Zweifel bleiben, und der Jubilar war immer ein be-
sonders intensiver Zweifler, gerade auch, wenn es um Fragen der Ungleichheit und
der Behandlung der untersten Schichten geht. Ihm gebührt unser Dank, vor allem
auch weil er immer wieder und hartnäckig auf das Schicksal derer hingewiesen
hat, die vor lauter Sorge um „Effizienz“ (zu) leicht vergessen gehen.

Literaturverzeichnis

Aebi, M.F. et al. (2010): European Sourcebook of Crime and Criminal Justice Statistics 2010.
4. Aufl. Den Haag.
Albrecht, H.-J. (1980): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Frei-
burg i.Br.
Biberstein L. & Killias, M. (2019): Ersatzfreiheitsstrafen im Kanton Zürich. Schlussbericht für
das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich.
Bonneville de Marsangy, A. (1864): De l’amélioration de la loi criminelle en vue d’une justice
plus prompte, plus efficace, plus généreuse et plus moralisante. 2 Bände. Paris.

Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine


Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes
sowie zu einem Bundesgesetzüber das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998. Bundes-
blatt 1999, S. 1979 ff.

27
So die Digestenstelle D. 48, 19, 38, 3.
Geld- statt Freiheitsstrafen: Die Mittelschicht kommt nicht ins Gefängnis 803

Chimichella, S. (2006): Die Geldstrafe im Schweizer Strafrecht. Bern.


De Quervain, D.J.-F., Fischbacher, U., Treyer, V., Schellhammer, M., Schnyder, U., Buck, A. &
Fehr, E. (2004): The neural basis of altruistic punishment. Science 305, 1254 – 1258.
Haering, B., Grütter, M., Rageth, L., Reber, C., Joris, C., Binder, A. & Bock, S. (2012): Evalua-
tion der Wirksamkeit des revidierten AT-StGB. Zürich.
Killias, M. (2018): „Wissenschaftliche“ Strafzumessung? Zur Rolle von Experten und anderen
Menschen bei der Herstellung von Gerechtigkeit. Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht
136, S. 77 – 84.
Killias, M. (1994): Der Kreuzzug gegen kurze Freiheitsstrafen: Historische Hintergründe, neue
Erwartungen und die verdrängten Folgen, in: Reform der strafrechtlichen Sanktionen. Zü-
rich/Chur, S. 111 – 139.
Killias, M., Aebi, M.F. & Kuhn, A. (2019): Précis de criminologie. 4. Aufl. Bern.
Killias, M. & Biberstein, L. (2020): „The poor end in prison“ – pitfalls of monetary sanctions, in:
E. Kantorowicz-Reznichenko & M. Faure (Hrsg.), Taking Wealth Seriously: European Prac-
tice with Day Fines. Cambridge.
Killias, M., Markwalder, N., Kuhn, A. & Dongois, N. (2017): Grundriss des Allgemeinen Teils
des Schweizerischen Strafgesetzbuchs. 2. Aufl. Bern.
Knaus, J. (1973): Das Problem der kurzfristigen Freiheitsstrafe. Zürich.
Kuhn, A. (1993): Punitivité, politique criminelle et surpeuplement carcéral, ou comment réduire
la population carcérale. Bern.
Kunz, K.-L. (1988): Leitlinien der Strafrechtsreform im Sanktionenbereich. Recht 6/2, S. 61 –
66.
Lobitz, R. & Wirth, W. (2018): „Wer ist inhaftiert und warum? Ersatzfreiheitsstrafe nach Akten-
lage“. Forum Strafvollzug 1, S. 16 – 18.
Liszt, F. von (1883): Der Zweckgedanke im Strafrecht. Zeitschrift für die gesamte Strafrechts-
wissenschaft 3, S. 1 – 47.
Michlig, M. (2011): Die gemeinnützige Arbeit – ein Auslaufmodell? Schweizerische Zeitschrift
für Strafrecht 129/1, S. 595 ff.
Mommsen, T. (1990): Römisches Strafrecht. 2. Neudruck der Ausgabe 1899. Aalen.
Raselli, N. (1994): Auswirkungen der Geldstrafe gemäss Vorentwurf zur StGB-Revision. Kri-
minologisches Bulletin 20/1, S. 71 – 86.
Schultz, H. (1987): Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Schweizerischen
Strafgesetzbuches. Bern.
Simmler, M. (2016): „Sieben enttäuschte Hoffnungen? Zur statistischen Überprüfung der realen
Folgen der AT-Revision“. Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 134/1, S. 73 – 99.
Stemmer, B. & Killias, M. (1992): La récidive après une peine ferme et non ferme: la fin d’une
légende? Revue internationale de criminologie et de police technique 43/1, S. 43 – 58.
Treig, J. & Pruin, I. (2018): „Ersatzfreiheisstrafe in Deutschland“. Forum Strafvollzug 1, S. 10 –
15.
804 Martin Killias

Villettaz, P., Gilliéron, G. & Killias, M. (2014): The effects on re-offending of custodial versus
non-custodial sanctions. Stockholm; www.campbellcollaboration.org.
Wirth, W., Pfalzer, S. & Gerlach, S. (2018): „Ersatzfreiheitsstrafe – lohnt sich das?“ Forum
Strafvollzug 1, S. 9.
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische
Akteur im System strafrechtlicher Sozialkontrolle
Von Wolfgang Heinz

Vorbemerkung
Angesichts der Vielfalt von Forschungsinteressen des Jubilars gibt es kein Thema,
über das ich schreiben könnte, das nicht eine enge Berührung mit Forschungsarbeiten
von Hans-Jörg Albrecht aufwiese. Die Auswahl, worüber zu Ehren des Jubilars ein
Beitrag verfasst werden könnte, fällt deshalb schwer. Dass ich mich letztlich für die
Staatsanwaltschaft entschieden habe, hat mehrere Gründe. Strafrechtliche Sozial-
kontrolle und deren Akteure sind der basso continuo aller Studien seit Gründung
der Forschungsgruppe Kriminologie des MPI. Fragen der Gleichheit der Rechtsan-
wendung, wie sie auch im folgenden Beitrag aufgeworfen werden, galt schon sehr
früh das Erkenntnisinteresse des Jubilars. Mit Rolle und Bedeutung der Staatsanwalt-
schaft haben sich sowohl Günther Kaiser als auch Hans-Jörg Albrecht explizit aus-
einandergesetzt. Deshalb schien es mir nicht allzu fernliegend, anknüpfend an mei-
nen Beitrag zur Staatsanwaltschaft in der Festschrift für Günther Kaiser1, nunmehr
auch Hans-Jörg Albrecht eine Studie zur Staatsanwaltschaft zu widmen, die dank des
inzwischen ausgeweiteten und statistisch verfügbaren Materials bisherige Befunde
auf breiter gewordenen Datenbasis überprüfen und neuen Fragestellungen nachge-
hen kann.

1. Die Statistik der Staatsanwaltschaft als Erkenntnismittel –


Grundzüge, Analysemöglichkeiten und -grenzen
Auf der 42. Konferenz der Justizminister und -senatoren 1973 wurde beschlossen,
ergänzend zur „Justizstatistik in Straf- und Bußgeldsachen“ (Justizgeschäftsstatistik
der Strafgerichte) zum 01. 01. 1976 eine bundeseinheitliche „Zählkartenerhebung in
Ermittlungsverfahren und Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz bei den
Staats- und Amtsanwaltschaften (StA-Statistik)“ einzuführen. Die JuMiKo hielt
diese Statistik für „erforderlich, um eine bessere Durchschaubarkeit der Tätigkeit

1
Heinz 1998.
806 Wolfgang Heinz

der Staatsanwaltschaften zu erreichen.“2 1976 termingerecht eingeführt werden


konnte die StA-Statistik aber nur in Bayern, dem Saarland und in Rheinland-
Pfalz. Wegen zunächst fehlender Personal- und Sachmittel begannen Bremen, Ham-
burg und Nordrhein-Westfalen erst mit dem Berichtsjahr 1977. Baden-Württemberg
folgte 1979, Niedersachsen im Jahr 1980. Das Statistische Bundesamt (StatBA) ver-
öffentlichte die Ergebnisse dieser acht Länder erstmals für das Berichtsjahr 1981. In
den Folgejahren konnten die räumlichen Nachweise erweitert werden, und zwar ab
1985 für Berlin-West (bis 1992 einschl., seither Berlin insg.), ab 1988 für Hessen und
ab 1989 für Schleswig-Holstein. In den neuen Bundesländern wurde die Führung der
StA-Statistik 1993 in Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgenommen; 1994 in Branden-
burg und in Thüringen, 1995 in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 1995 liegen dem-
nach auch Daten für sämtliche neuen Bundesländer vor. Die Veröffentlichung der
bundesweiten Ergebnisse durch das StatBA erfolgte zunächst als sog. Arbeitsunter-
lage „Staatsanwaltschaften“, 2002 sodann in Fachserie 10: Rechtspflege, Reihe 2.6:
Staatsanwaltschaften, seit 2003 ausschließlich in elektronischer Form.3
Eine bundesgesetzliche Grundlage gibt es weder für die StA-Statistik noch für die
anderen Strafrechtspflegestatistiken. Es handelt sich um sog. koordinierte Ländersta-
tistiken, die auf Verwaltungsanordnungen und Liefervereinbarungen der Länder be-
ruhen. Mangels gesetzlicher Grundlage, die die flächendeckende Erfassung gewähr-
leisten würde, kam es nicht nur zur teilweise verspäteten Einführung, sondern auch
zu Erfassungs- bzw. Aufbereitungslücken. In Hamburg war die StA-Statistik 1990
sowie 1997 und 1998 ausgesetzt, in Schleswig-Holstein für die Berichtsjahre 1998
bis 2003.4
Bei der StA-Statistik handelt es sich um eine Verfahrensstatistik. Nachgewiesen
werden u. a. die Art der Geschäftserledigung, die Verfahrensdauer und die Art der
Einleitungsbehörde in Verfahren gegen bekannte Täter (Js-Register). Anzeigen
gegen unbekannte Täter werden lediglich der Summe nach mitgeteilt.
Zu den Berichtsjahren 1998 und 2004 wurden der Erhebungskatalog und das Auf-
bereitungsprogramm grundlegend überarbeitet. Insbesondere 1998 führte dies zu
einer Verzögerung der Berichterstattung, also zu einer Untererfassung.
Seit 1998 werden die Erledigungsarten nicht nur differenziert für Verfahren, son-
dern auch für die von Ermittlungsverfahren betroffenen Personen nachgewiesen.5
Von einem Verfahren sind im Schnitt 1,1 bis 1,2 Personen betroffen. Zwischen
einer verfahrens- und einer beschuldigtenbezogenen Aufbereitung und Datenanalyse
ist deshalb zu unterscheiden. Statistisch wird bei der verfahrensbezogenen Aufberei-
2
Hirschmann 1973, 431. Zur StA-Statistik vgl. Baumann 2015.
3
https://www.destatis.de/GPStatistik/receive/DESerie_serie_00000106.
4
Für HH bildete das StatBA für das Berichtsjahr 1990 Durchschnittsdaten aus den Jahren
1989 und 1991, für 1997 wurden die Daten des Vorjahres eingesetzt. Für SH wurden in den
Jahren 1998 bis 2003 die Werte aus 1997 eingesetzt (= 134.178 Verfahren). Dies führte über
die Zeit zu einer Unterschätzung. 2003 wurden 161.869 Verfahren erledigt.
5
Bis 1998 wurde nur die Gesamtzahl der Personen mitgeteilt.
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 807

tung, unabhängig von der Zahl der Beschuldigten, nur die schwerste, das Verfahren
beendende Erledigungsart nachgewiesen. Wird beispielsweise in einem Verfahren
gegen drei Beschuldigte, bei einem Beschuldigten Anklage erhoben, bei dem Zwei-
ten das Verfahren gem. § 153a StPO und beim dritten Beschuldigten gem. § 170 II
StPO eingestellt, dann wird statistisch nur die Anklage ausgewiesen. Bei der perso-
nenbezogenen Aufbereitung wird dagegen die Erledigungsart bei Verfahren gegen
mehrere Beschuldigte für jeden Einzelnen differenziert erfasst, allerdings auch je-
weils nur die schwerste (also Anklage, wenn ein Teil angeklagt, ein anderer Teil ein-
gestellt wird). Weiterhin nicht erfasst werden aber soziodemografische Merkmale
des/der Beschuldigten, wie Alter und Geschlecht.
Angaben zu den Delikten, die den Ermittlungsverfahren zugrunde lagen, wurden
zunächst nur für „Vergehen im Straßenverkehr“ erhoben.6 1986 wurde die StA-Sta-
tistik erweitert auf „Besondere Wirtschaftsstrafsachen“,7 1998 wurden auch „Betäu-
bungsmittelstrafsachen“, „Umweltstrafsachen“ und „Strafsachen gegen die sexuelle
Selbstbestimmung“ aufgenommen, wobei zusätzlich danach unterschieden wurde,
ob es sich um eine Straftat der „Organisierten Kriminalität“ handelt. Seit dem Be-
richtsjahr 2004 wird das Verfahrensaufkommen bei den Staatsanwaltschaften nach
einem Sachgebietskatalog der verletzten Strafvorschriften differenziert, der derzeit
32 Positionen umfasst.8 In der veröffentlichten StA-Statistik werden die Erledigungs-
arten allerdings nur für folgende Sachgebiete detailliert ausgewiesen: „Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, „vorsätzliche Körperverletzungen“, „Dieb-
stahl und Unterschlagung“, „Betrug und Untreue“, „Straftaten im Straßenverkehr“,
„Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren, Geldwäschedelikte“, „Straftaten nach dem
Betäubungsmittelgesetz“. Seit 2016 werden in der veröffentlichten Statistik auch
nachgewiesen „Einschleusung von Ausländern und Straftaten nach dem Aufenthalts-
und dem Asylgesetz und dem Freizügigkeitsgesetz / EU“. Die Nachweise beschrän-
ken sich in der veröffentlichten StA-Statistik auf Ermittlungsverfahren. Die jeweilige
Zahl der betroffenen Personen wird nur nachrichtlich mitgeteilt. Intern werden die
Erledigungsarten aber für jedes Sachgebiet und auch für die Personen aufbereitet.
Für den vorliegenden Beitrag werden diese personenbezogenen Daten ausgewertet.9
Die Nachweise zur Erledigungsart beschränken sich auf deren Art. Inhaltliche
Differenzierungen fehlen weitgehend. Über die bei § 45 JGG angeregten bzw. ange-
ordneten Auflagen und Weisungen fehlen jegliche Nachweise. Entsprechendes gilt
für Einstellungen nach § 37 Abs. I BtMG. Eine Ausnahme bildet lediglich die Ein-
6
Die Nachweise für dieses Sachgebiet beschränkten sich bis 1997 auf Erledigung durch
Anklage, Strafbefehl, Einstellung mit Auflage, Privatklage und sonstige Erledigung.
7
Diese Erweiterung sollte die vom MPI Freiburg ausgewertete, bis 1985 durchgeführte
„Erhebung über Wirtschaftsstrafsachen bei den Staatsanwaltschaften“ ablösen.
8
Seit 2014 werden die Sachgebiete 30 und 31 für die „Serien-, Banden- und Gewaltkri-
minalität“ nicht mehr erhoben. Ergänzt wurden die Sachgebiete 2009 durch die drei Sachge-
biete 52, 53, 54 für Straftaten von Amtsträgern. Der Katalog der Sachgebiete ist jeweils im
Anhang der amtlichen Veröffentlichung der StA-Statistik wiedergegeben.
9
Der Verf. ist dem StatBA für die Überlassung dieser Daten zu Dank verpflichtet.
808 Wolfgang Heinz

stellung nach § 153a I StPO; freilich sind die Nachweise auf die Art der Auflagen/
Weisungen beschränkt.
Bei den nachgewiesenen Erledigungsarten, also auch bei Einstellungen aus Op-
portunitätsgründen, wird nicht danach differenziert, ob sie gegen Jugendliche, Her-
anwachsende oder Erwachsene, ob sie unter Anwendung von Jugendstrafrecht oder
unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht erfolgten. Infolgedessen lassen sich
die auf Strafbefehlsanträge oder auf die verschiedenen Opportunitätseinstellungen
entfallenden Anteile nicht exakt berechnen.
Bei Opportunitätseinstellungen, die durch die Erfüllung von Auflagen, Weisun-
gen oder erzieherischen Maßnahmen aufschiebend bedingt sind, war ursprünglich
eine Wartefrist von einem Monat einzuhalten, ehe die Zählkarte ausgefüllt werden
durfte.10 Diese Regelung wurde 1994 geändert: „Bei vorläufiger Einstellung gilt
das Verfahren mit der entsprechenden Verfügung des Staatsanwalts als erledigt;
eine Erfüllung von Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen ist
nicht abzuwarten.“11 Seitdem ist hier mit einer gewissen, mangels vergleichender
Prüfung in ihrer Höhe unbekannten Überschätzung zu rechnen, insbesondere bei Ein-
stellungen gem. § 153a StPO.
Im Unterschied zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die seit 1984 Mehr-
fachtatverdächtige auf Länderebene und seit 2009 auf Bundesebene nicht mehr dop-
pelt erfasst (sog. echte Tatverdächtigenzählung) werden in der StA-Statistik sowohl
Verfahren als auch Personen so oft im Berichtsjahr gezählt, wie Verfahren abge-
schlossen werden. Die Zahl der Verfahren, also der statistische Geschäftsanfall, ist
deshalb davon beeinflusst, ob z. B. gegen mehrere Beschuldigte nur ein Verfahren
geführt wird oder aber mehrere selbständige Verfahren geführt werden. Entsprechen-
des gilt bei Verfahrenstrennung oder bei Aufnahme von Verfahren gegen Personen,
die in den polizeilichen Ermittlungsakten namentlich aufgeführt werden. Diese
Mehrfachzählung mag teilweise erklären, weshalb die Zahl der Beschuldigten in
der StA-Statistik – bereinigt sowohl um die Zahl der Beschuldigten in Verkehrsstraf-
sachen als auch um den Anteil der nicht von der Polizei eingeleiteten Verfahren12 –
um den Faktor 1,7 höher ist als die Zahl der Tatverdächtigen desselben Berichtsjah-
res.13

10
§ 8 III der Anordnung über die Zählkartenerhebung StA-Statistik 1978. Diese Regelung
wurde 1981 präzisiert, indem durch bundeseinheitliche Anordnung bestimmt wurde, dass „bei
Einstellung mit Auflage … die Zählkarte erst nach Erledigung der Auflage auszufüllen“ ist.
11
§ 6 II der Anordnung über die Zählkartenerhebung StA-Statistik 1994.
12
Rund 80 % aller Ermittlungsverfahren werden von der Polizei eingeleitet.
13
Vgl. Heinz 2020, Schaubild 156.
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 809

2. Erledigungsstrukturen und deren Entwicklung im Überblick –


verfahrensbezogene Betrachtungsweise
2018 haben die Staatsanwaltschaften und Amtsanwaltschaften14 beim Landge-
richt insgesamt 8.078.736 Ermittlungsverfahren erledigt. Hiervon richteten sich
39 % (3.139.562) gegen unbekannte Tatverdächtige, die lediglich bilanzierend in
der StA-Statistik erfasst werden. Die Verfahrenserledigung im Einzelnen wird nur
für Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige (2018: 4.939.174) nachge-
wiesen.
Die in der StA-Statistik differenziert ausgewiesenen Erledigungsarten lassen sich
in folgenden fünf großen Kategorien zusammenfassen:
Erforderliche Sanktionierung (Sank. erforderl.): Zusammengefasst werden hier
die Erledigungen, in denen aus staatsanwaltschaftlicher Sicht wegen hinreichenden
Tatverdachts und im Hinblick auf die Schwere von Tat und Schuld eine Sanktionie-
rung erforderlich und wahrscheinlich ist. Dies ist der Fall bei Anklagen i.w.S.,15
Strafbefehlsanträgen und Opportunitätseinstellungen mit Auflagen gem. § 153a I
StPO, § 45 III JGG, § 37 I BtMG bzw. § 38 II i.V.m. § 37 I BtMG.
Sanktionsverzicht wegen Geringfügigkeit (Sank.Verz. wg. Bagatelle): Opportuni-
tätseinstellungen ohne Auflagen i.e.S. gem. §§ 153 I, 153b I StPO einschl. § 29 V
BtMG, § 45 I, II JGG, § 31a BtMG oder Verweisungen auf den Weg der Privatklage.
Scheinbarer bzw. vorläufiger oder aufgeschobener Sanktionsverzicht (scheinba-
rer Sank.Verz.): Zusammengefasst werden hier Einstellungen gem. §§ 153c I–III,
154 I, 154b I–III, 154c–f StPO. 65 % dieser Gruppe entfallen auf § 154 I StPO.
Diese Einstellungen sind nur scheinbar ein Sanktionsverzicht. Denn die Einstellung
erfolgt im Hinblick darauf, dass die ausreichende und erforderliche Sanktion in
einem anderen Verfahren verhängt werden wird oder worden ist. Weiter zählen zu
dieser Gruppe Einstellungen wegen Klärung einer zivil- oder verwaltungsrechtlichen
Vorfrage (§ 154d StPO), wegen eines anhängigen Straf- oder Disziplinarverfahrens
(§ 154e StPO) oder wegen längerer Abwesenheit des Beschuldigten (§ 154f StPO).
Diese Einstellungen schließen eine spätere Verfahrensaufnahme und deren Erledi-
gung durch Anklage/Strafbefehl nicht aus. Die Nichtverfolgung von Auslandstaten
oder bei Abschiebung (§§ 153c, 154b StPO) erfolgt u. a. auch im Hinblick auf die
erfolgte oder zu erwartende Strafe im Ausland. Das Absehen von der Strafverfolgung
bei Opfern einer Nötigung oder Erpressung (§ 154c StPO) soll zwar die Anzeigebe-
reitschaft fördern, ist aber auch im Hinblick auf die Opferrolle zu sehen.
Sanktionsverzicht mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 II StPO): Einstel-
lungen gem. § 170 II StPO bzw. wegen Schuldunfähigkeit.

14
Nicht berücksichtigt wird im Folgenden die quantitativ bedeutungslose Zahl der Er-
mittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften beim Oberlandesgericht.
15
Anklagen vor dem Amtsgericht oder Landgericht, Antrag auf Entscheidung im be-
schleunigten Verfahren, Antrag auf vereinfachtes Jugendverfahren.
810 Wolfgang Heinz

Verfahrenstechnische Erledigungen (verf.techn. Erl.): Abgaben,16 sonstige Ein-


stellungen17 sowie sog. objektive Verfahren (Sicherungsverfahren und Einziehungs-
verfahren).
Empirisch betrachtet ist die StA eine Einstellungsbehörde. Die StA hält derzeit
nur noch in einem Viertel der Verfahren gegen bekannte Tatverdächtige eine Sank-
tionierung für erforderlich und hinreichend wahrscheinlich (Abbildung 1). 2018
wurde eine Sanktionierung in 23,3 % der erledigten Verfahren für erforderlich erach-
tet. In 18,1 % wurde auf Sanktionierung wegen Geringfügigkeit verzichtet. Ein
scheinbarer Sanktionsverzicht erfolgte in 10,7 % der Verfahren. In 28,6 % fehlte
nach Auffassung der StA hinreichender Tatverdacht. Weitere 19,2 % wurden verfah-
renstechnisch erledigt.

Quelle: StA-Statistik

Abbildung 1: Erledigung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren


gegen bekannte Tatverdächtige. Deutschland 2018

Entsprechend dem Anstieg der polizeilich registrierten Kriminalität bzw. der poli-
zeilich ermittelten Tatverdächtigen ist auch der erledigte Geschäftsanfall der StA an-
gestiegen. Die Entwicklung der absoluten Zahlen erledigter Ermittlungsverfahren18 ist

16
Abgaben an die Verwaltungsbehörde als Ordnungswidrigkeit, Abgaben an eine andere
Staatsanwaltschaft.
17
Verbindungen mit einer anderen Sache, vorläufige Einstellungen (ohne Opportunitäts-
einstellungen) sowie sog. anderweitige Erledigungen.
18
Zeitreihendarstellungen ab 1981 sind nur verfahrensbezogen möglich, weil erst ab 1998
die Erledigungsarten personenbezogen differenziert aufbereitet worden sind.
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 811

freilich auch durch die sukzessive Einbeziehung von 8 Ländern, also durch die räum-
liche Erweiterung der StA-Statistik, beeinflusst (Abbildung 2). Aber auch bei Be-
rücksichtigung nur jener 8 Länder, die bereits 1981 die StA-Statistik eingeführt hat-
ten, sind die absoluten Zahlen von 2,1 Mio auf zuletzt (2018) 3,3 Mio. gestiegen.

Quelle: StA-Statistik

Legende:
objektive Verfahren: Eröffnung eines Sicherungsverfahrens, Durchführung eines objektiven Verfahrens
sonstige Erledigungen: sonstige (vorläufige) Einstellung (keine Opportunitätseinstellung), Verbindung mit einer
anderen Sache, sonstige Erledigungsart
Abgaben an andere …: Abgabe an die Verwaltungsbehörde als Ordnungswidrigkeit, Abgabe an eine andere Staats-
anwaltschaft
170 II StPO: Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts, Schuldunfähigkeit des Beschuldigten (§ 20 StGB)
sonstige Opp.Einst. ohne Auflagen: Opportunitätseinstellungen gem. §§ 153c I–III, 154 I, 154b I–III, 154c–f StPO
Opp.Einst. ohne Auflagen i.e.S.: Einstellungen gem. §§ 153 I, 153b I StPO einschl. § 29 V BtMG, § 45 I, II JGG,
§ 31a BtMG
Opp.Einst. mit Auflagen: Einstellungen gem. § 153a I StPO, § 45 III JGG, § 37 I BtMG bzw. § 38 II i.V.m. § 37 I
BtMG
Anklage i.w.S.: Anklagen vor dem Amtsgericht oder Landgericht, Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Ver-
fahren, Antrag auf vereinfachtes Jugendverfahren

Abbildung 2: Erledigung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren. Absolute Zahlen.


Deutschland (sukzessive Einführung der StA-Statistik)

Nicht entscheidbar ist, inwieweit die Veränderung des Geschäftsanfalls „hausge-


macht“ ist, also auf Verfahrensabtrennungen beruht, auf Verfahrenseröffnungen
gegen Personen, die in den polizeilichen Ermittlungsakten namentlich genannt
812 Wolfgang Heinz

sind usw. Damit ließe sich ein Teil der Zunahmen bei § 170 II StPO erklären. Ent-
scheidbar wäre dies erst dann, wenn die StA-Statistik, wie die PKS, eine „echte“ Be-
schuldigtenzählung hätte und mit den Daten der PKS in verlaufsstatistischen Analy-
sen verknüpfbar wäre.
Im statistisch überblickbaren Zeitraum 1981 bis 2018 haben sich die Erledigungs-
strukturen der StA deutlich geändert. Der Anstieg der absoluten Zahlen führte in den
acht Ländern, die seit 1981 die StA-Statistik führen, nicht zu einem entsprechenden
Anstieg von Anklagen/Strafbefehlsanträgen; deren absolute wie relative Zahlen gin-
gen vielmehr deutlich zurück. Der steigende Geschäftsanfall wurde stattdessen auf-
gefangen vor allem durch Sanktionsverzicht, teils durch Sanktionsverzicht wegen
Bagatelle, teils durch scheinbaren Sanktionsverzicht. Zu einem deutlich geringeren
Maße wurde die Zunahme auch durch vermehrte verfahrenstechnische Erledigungen
aufgefangen.19

Quelle: StA-Statistik
Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 3: Verfahrenserledigung durch die Staatsanwaltschaft. Relative Zahlen.


Früheres Bundesgebiet, ohne Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein

19
Kein anderes Bild ergibt sich, wenn auf die Erledigungsarten im gesamten Bundesgebiet
abgestellt wird. Die Werte für 2018 ändern sich nur geringfügig (in Klammern Werte für das
frühere Bundesgebiet ohne BE, HE, SH): Anklagen i.w.S.: 9,0 % (9,1 %), Strafbefehl: 10,9 %
(11,5 %), Opp.Einst. mit Aufl.: 3,4 % (3,6 %), Sank.Verz. wg. Bagatelle: 18,1 % (17,6 %),
scheinbarer Sank.Verz.: 10,7 % (10,2 %), 170 II StPO: 28,6 % (27,9 %), verf.techn. Erl.:
19,2 % (20,1 %).
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 813

Die aus der Sicht der Öffentlichkeit, der Medien und der Politik bedrohlich „stei-
gende Kriminalität“ wurde demnach von der StA durch Einstellungen, und zwar ganz
überwiegend als Bagatelle, „erledigt“. Ob dies darauf beruht, dass geringfügige
Straftaten zugenommen haben oder darauf, dass sich die Schwereeinschätzung der
Staatsanwaltschaft geändert hat oder aber auf der Einsicht, dass spezialpräventiv
häufig bereits der Umstand genügt, dass gegen den Täter wegen einer Straftat ermit-
telt wird und deshalb eine Bestrafung nicht erforderlich ist, lässt sich den statisti-
schen Zahlen allerdings nicht entnehmen.

3. Erledigungsstrukturen bei ausgewählten Sachgebieten


im zeitlichen Längs- und im regionalen Querschnitt –
beschuldigtenbezogene Betrachtungsweise
3.1 Geschäftsanfall nach Sachgebieten

Die 1986, 1998 sowie vor allem 2004 erfolgte Differenzierung der Nachweise
nach Sachgebieten hat die Aussagemöglichkeiten wesentlich erweitert. Seit 2004
wird nicht mehr nur, wie zuvor, die Art der Erledigung für die Ermittlungsverfahren
mitgeteilt (unabhängig von der Zahl der Beschuldigten in diesen Verfahren), sondern
auch für die Beschuldigten. Damit ist erstmals eine Analyse möglich, deren Grund-
gesamtheit die Zahl der von Ermittlungsverfahren betroffenen Beschuldigten (Mehr-
fachzählungen eingeschlossen) ist.
Für die Erfassung des Sachgebiets in der StA-Statistik ist der Deliktschwerpunkt
des Ermittlungsverfahrens maßgebend. Der derzeit geltende Sachgebietskatalog um-
fasst insgesamt 32 Sachgebiete, die in 12 Sachgebietsgruppen gegliedert sind. Deren
zahlenmäßige Besetzung weist erwartungsgemäß große Unterschiede auf (Tabelle
1). Auf die Mehrzahl aller Einzelsachgebiete entfallen weniger als 1 % aller Beschul-
digten. Zwei Drittel aller Beschuldigten finden sich in den fünf Sachgebieten „vor-
sätzliche Körperverletzungen“ (10,0 %), „Diebstahl und Unterschlagung“ (12,9 %),
„Betrug, Untreue“ (19,3 %), „Verkehrsstraftaten“ (16,6 %) sowie „Straftaten nach
dem Betäubungsmittelgesetz“ (7,8 %).
Diese anteilmäßige Verteilung der Beschuldigten auf die Einzelsachgebiete
blieb im Zeitraum 2005 bis 2018 weitestgehend konstant. Ausnahmen bildeten
„Betrug, Untreue“ sowie „Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz“, deren
Anteile 2018 um 3,7- bzw. 2,3 %-Punkte höher lagen als 2005; der Anteil der Sach-
gebietsgruppe „Diebstahl und Unterschlagung“ ging dagegen um 3,7 %-Punkte zu-
rück. Auf den nicht weiter differenzierten Rest („sonstige Straftaten“) entfielen
22,8 %.
814 Wolfgang Heinz

Tabelle 1
Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene Personen
nach Sachgebietsgruppen. Deutschland 2018
Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene
5.622.962 100
Personen
SG 10 – 13: Staatsschutzsachen 44.671 0,79
SG 15, 16: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 79.705 1,42
SG 20, 21: Straftaten gegen das Leben und die körperliche
571.827 10,17
Unversehrtheit
dar.: SG 21: vorsätzliche Körperverletzungen (564.374) (10,04)
SG 25, 26: Eigentums- und Vermögensdelikte 1.808.668 32,17
dar.: SG 25: Diebstahl und Unterschlagung (725.999) (12,91)
dar.: SG 26: Betrug, Untreue (1.082.669) (19,25)
SG 35, 36: Verkehrsstraftaten 934.793 16,62
SG40 – 44: Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, Geldwäschedelikte 173.139 3,08
dar.: SG 40, 41, 44: Wirtschaftsstrafsachen § 74c GVG, sonstige
(98.753) (1,76)
Wirtschaftsstrafsachen
SG 45: Straftaten gegen die Umwelt 19.680 0,35
SG 50 – 54: Korruptionsdelikte und Straftaten von Amtsträgern 57.515 1,02
SG 55, 56: Einschleusung von Ausländern und Straftaten nach dem
Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz sowie dem Freizügigkeitsge- 201.898 3,59
setz/EU
SG 60, 61: Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz 439.977 7,82
SG 65, 66: Sonstige besondere Straftaten 7.170 0,13
SG 90, 98, 99: Sonstige Straftaten 1.283.919 22,83
Quelle: StA-Statistik

3.2 Differentielle Erledigungsstrukturen bei den quantitativ


bedeutsamsten Sachgebieten im Überblick

3.2.1 Erledigungsstrukturen aus der Perspektive


der Staatsanwaltschaft

Die Art der Erledigung unterscheidet sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Sach-
gebiet ganz erheblich. Um Zufallsschwankungen auszugleichen, wurden für die fol-
gende Auswertung Durchschnittswerte der gegen Personen in den Jahre 2005 bis
2018 erledigten Verfahren gebildet. Dass die Erledigungsarten angesichts von Unter-
schieden sowohl hinsichtlich des Tat- und Schuldnachweises als auch von Beweis-
schwierigkeiten deutlich differieren, ist erwartungsgemäß (Abbildung 4).
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 815

Quelle: StA-Statistik
Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 4: Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene Beschuldigte


nach Sachgebietsgruppen. Durchschnitt 2005 – 2018. Deutschland

Die Bandbreite der für erforderlich erachteten Sanktionierung reichte bei den hier
untersuchten Sachgebieten im Schnitt der Jahre 2005 bis 2018 von 17 % bis zu 34 %.
Die höchste Sanktionierungsrate weisen – und zwar in jedem einzelnen Jahr – die
Verkehrsstraftaten auf. Die Wirtschaftsstrafsachen weisen dagegen die geringste
Sanktionierungswahrscheinlichkeit auf, lediglich in wenigen Jahren der jüngsten
Zeit weisen die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Körperverletzun-
gen und Betrug teilweise noch geringere Sanktionierungsraten auf. Erwartungsge-
mäß ist die Anklagerate bei Kapitalverbrechen am höchsten, und zwar ausnahmslos.
Erwartungswidrig ist dagegen, dass die Anklagerate bei Wirtschaftsstrafsachen bis
2011 am geringsten war; erst seit 2012 ist die Anklagerate bei Verkehrsstraftaten
um gut 1 %-Punkt geringer. Erwartungsgemäß ist dagegen wiederum, dass sowohl
die Strafbefehlsrate als auch die Rate der Opportunitätseinstellungen mit Auflagen
durchgängig bei Verkehrsstraftaten am höchsten, bei Kapitalverbrechen am gerings-
ten sind.
Am häufigsten kommt es zu Sanktionsverzicht wegen Bagatelle bei Betäubungs-
mittelstraftaten, lediglich 2007 bis 2009 wiesen die Verkehrsstraftaten eine etwas hö-
here Rate auf. Dass bei Kapitalverbrechen kaum Anlass besteht (im Schnitt 1,5 %),
von dieser Einstellungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, versteht sich.
816 Wolfgang Heinz

Nicht überraschend weisen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in


sämtlichen Jahren zwischen 2005 und 2018 die höchste Rate an Beschuldigten
auf, deren Verfahren gem. § 170 II StPO eingestellt worden ist. Im Schnitt wurden
57 % dieser Verfahren gem. § 170 II StPO eingestellt. Ebenfalls nicht überraschend
ist, dass bei Verkehrsstraftaten mit durchschnittlich 23 % am seltensten Anlass für
eine Einstellung gem. § 170 II StPO bestand.
Verfahrenstechnische Erledigungen sind, erwartungsgemäß, bei Verkehrsstrafta-
ten fast ausnahmslos am höchsten und bei vorsätzlichen Körperverletzungen am ge-
ringsten. Diese Rangordnung bleibt auch dann erhalten, wenn Abgaben an andere …
sowie die sonstigen Erledigungen getrennt betrachtet werden. Bei Abgaben an ande-
re … handelt es sich bei Verkehrsstraftaten weit überwiegend um Abgaben an die
Verwaltungsbehörde als Ordnungswidrigkeit, ansonsten, und zwar insbesondere
bei Wirtschaftsstrafsachen sowie bei Betrug/Untreue, um Abgaben an eine andere
Staatsanwaltschaft. Die „sonstigen Erledigungen“ bestehen insgesamt zu 90 % aus
„Verbindungen mit einer anderen Sache“. Ausnahmen bilden vor allem Verkehrs-
strafsachen, Kapitalverbrechen und Wirtschaftsstrafsachen, bei denen häufiger
eine nicht näher differenzierte „anderweitige Erledigung“ in der StA-Statistik erfasst
wird.

3.2.2 Erledigungsstrukturen aus der Perspektive


der Beschuldigten

Aus der Perspektive der Beschuldigten ist die alle Erledigungsarten berücksich-
tigende Betrachtungsweise nicht angemessen. Denn aus Sicht des Beschuldigten
wird durch die verfahrenstechnischen Erledigungen die Entscheidung über eine
Sanktionierung nur aufgeschoben; in den Fällen des scheinbaren Sanktionsverzichts
wurde oder wird in anderer Sache sanktioniert. Da auf diese aufschiebenden Ent-
scheidungen je nach Sachgebiet zwischen 10 % und 40 % aller Entscheidungen ent-
fallen, verändert sich entsprechend den daraus resultierenden Unterschieden in den
jeweiligen Grundgesamtheiten auch die Höhe der jeweiligen Erledigungsarten sowie
zum Teil auch die Rangordnung der einzelnen Sachgebietsgruppen. Im Folgenden
werden deshalb nur noch die das jetzige Verfahren aus Sicht den Beschuldigten ab-
schließenden Sanktionierungsentscheidungen berücksichtigt, die entweder lauten
auf „Sanktionierung erforderlich“ oder auf „Sanktionsverzicht“, entweder wegen
Bagatelle oder mangels hinreichenden Tatverdachts. Die Gegenüberstellung der An-
teile der Erledigungsarten aus staatsanwaltschaftlicher und aus der Beschuldigten-
perspektive verdeutlicht die Unterschiede.
Auch aus Beschuldigtenperspektive bleibt hinsichtlich der Sanktionierungs-
wahrscheinlichkeit die Spitzenstellung der Verkehrsstraftaten – auch über alle
Jahre hinweg – erhalten. Im Durchschnitt weisen zwar weiterhin die Wirtschafts-
strafsachen die geringste Sanktionierungswahrscheinlichkeit auf. Seit 2010 ist sie
jedoch sowohl bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung als auch bei
Tabelle 2
Von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren betroffene Personen nach Sachgebietsgruppen in Abhängigkeit
von unterschiedlichen Grundgesamtheiten. Durchschnitt 2005 – 2018. Deutschland
Endgültig erledigte Verfahren
Alle erledigten Verfahren (Perspektive der StA)
(Perspektive des Beschuldigten)
Sank. Sank. Verz. Sank.
§ 170 II StPO „aufgeschoben“ Sank. Verz. wg. Bagatelle § 170 II StPO
erforderl. wg. Bagatelle erforderl.
alle Sachgebiete 24,5 18,2 31,3 26,0 33,1 24,6 42,3
SG 15: sexuelle Selbstbest. 22,8 5,6 57,0 14,6 26,7 6,6 66,8
SG 20: Kapitalverbrechen 31,1 1,5 54,0 13,4 35,9 1,7 62,4
SG 21: vors. Körperverl. 23,3 22,7 42,9 11,1 26,2 25,5 48,3
SG 25: Diebstahl/Unterschl. 30,6 19,2 24,5 25,8 41,2 25,8 33,0
SG 26: Betrug/Untreue 23,2 12,8 25,6 38,4 37,6 20,7 41,7
SG 35, 36: Verkehrsstraft. 34,2 11,2 23,4 31,2 49,8 16,3 34,0
SG 40, 41, 44: Wirtschaftsstr. 16,9 22,8 29,2 31,2 24,5 33,1 42,4
SG 60, 61: BtMG-Straftaten 26,5 26,2 28,3 19,0 32,7 32,3 35,0
Quelle: StA-Statistik
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur
817
818 Wolfgang Heinz

vorsätzlicher Körperverletzung noch geringer, seit 2013 auch bei Betäubungsmit-


telstrafsachen.
Im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2018 haben Wirtschaftsstrafsachen zwar
eine geringfügig höhere Rate der Einstellungen wegen Geringfügigkeit als Betäu-
bungsmittelstrafsachen. Dies beruht jedoch auf „Ausreißern“ in den Jahren 2006
bis 2009.
Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts sind auch bei dieser Betrach-
tungsweise am häufigsten bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, ledig-
lich 2017 wiesen Kapitalverbrechen eine geringfügig höhere Einstellungsrate auf.
Wegen der überproportional hohen Rate von verfahrenstechnischen Erledigungen
bei Verkehrsstraftaten verändert sich bei dieser Sachgebietsgruppe die Höhe der ein-
zelnen Erledigungsarten am stärksten. Die geringste Rate von Einstellungen gem.
§ 170 II StPO weist nunmehr nicht mehr diese Gruppe auf, sondern in der Mehrzahl
der Jahre die Gruppe „Diebstahl/Unterschlagung“.

3.3 Differentielle Erledigungsstrukturen


bei ausgewählten Sachgebieten im regionalen Querschnitt
der Jahre 2005 bis 2018 – Beschuldigtenperspektive

Für den regionalen Querschnittsvergleich wurden die aus der Beschuldigtenper-


spektive nicht endgültigen staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen ausgeklam-
mert, also die verfahrenstechnischen Erledigungen sowie die Fallgruppen des schein-
baren Sanktionsverzichts. Erneut wurden die Durchschnittswerte der Jahre 2005 bis
2018 zugrunde gelegt, um Zufallsschwankungen auszugleichen. Hierbei handelt es
sich wiederum um Durchschnittswerte der einzelnen Staatsanwaltschaften, die ihrer-
seits Durchschnittswerte der einzelnen Entscheider sind. Aber bereits die Gegen-
überstellung der länderspezifischen Durchschnittswerte weist auf eine große Varianz
in den staatsanwaltschaftlichen Erledigungsstrukturen hin.
Ein Vergleich setzt voraus, dass die Sachgebietsgruppen in den Ländern ungefähr
vergleichbar sind. Davon wird nicht auszugehen sein bei Sachgebieten mit relativ
kleinen Fallzahlen in den einzelnen Ländern. Bei „Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung“ (1,4 %), „Kapitalverbrechen i.S.v. § 74 II GVG“ (0,1 %) und
„Wirtschaftsstrafsachen i.e.S.“ (1,8 %) ist nicht auszuschließen, dass die Zahlen in
den Ländern teilweise sehr klein sind und die Tat- und Tätergruppen zwischen
den Ländern erheblich differieren. Sie werden deshalb nur mit den zentralen Ergeb-
nissen tabellarisch dargestellt (Tabelle 3).
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 819

Tabelle 3
Erledigungsstrukturen in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren
der SG 15, 20 und 40, 41, 44. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018 nach Ländern
SG 15: SG 20: SG 40, 41, 44:
Straftaten gegen Kapitalverbrechen Wirtschaftsstrafsachen
die sexuelle i.S.v. § 74 II GVG i.e.S.
Selbstbestimmung
Sank. Sank. § 170 Sank. Sank. § 170 Sank. Sank. § 170
erfor- Verz. wg. II erfor- Verz. wg. II erfor- Verz. wg. II
derl. Bagatelle StPO derl. Bagatelle StPO derl. Bagatelle StPO
BW 29,2 4,8 66,1 36,4 1,3 62,3 23,6 31,7 44,7
BY 31,1 3,1 65,9 36,9 1,3 61,8 34,2 22,2 43,6
BE 24,8 2,9 72,2 24,7 0,6 74,7 20,2 19,9 59,8
BB 24,1 6,0 69,9 30,6 1,0 68,4 45,7 22,6 31,6
HB 30,1 4,8 65,2 49,5 1,4 49,1 32,3 27,3 40,3
HH 26,7 7,3 66,1 47,8 1,0 51,2 22,9 27,6 49,5
HE 27,8 7,7 64,5 41,3 3,1 55,6 17,3 27,5 55,2
MV 26,8 6,7 66,5 35,5 1,8 62,7 27,8 30,1 42,1
NI 25,1 6,2 68,7 41,0 2,1 56,9 30,1 24,5 45,5
NW 25,0 8,4 66,5 32,0 1,4 66,7 23,6 34,7 41,7
RP 24,3 7,9 67,8 34,7 2,0 63,4 31,1 23,1 45,7
SL 31,7 4,2 64,1 47,2 1,8 51,0 32,9 21,3 45,8
SN 30,7 4,7 64,6 37,6 0,8 61,5 38,7 23,5 37,7
ST 25,4 7,2 67,4 48,5 1,3 50,2 27,6 27,4 45,0
SH 22,2 8,7 69,1 33,0 4,3 62,7 41,2 29,6 29,2
TH 30,4 5,5 64,1 45,8 2,1 52,1 28,0 30,2 41,8
BRD 26,6 6,5 66,8 35,9 1,7 62,4 27,1 29,0 43,9
Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik; Strafverfolgungsstatistik

Bei SG 15 reicht die Bandbreite der für erforderlich gehaltenen Sanktionierung


(durch Anklage/Strafbefehlsantrag oder durch Opportunitätseinstellung mit Aufla-
gen) von 22,2 % (SH) bis 31,7 % (SL). Größer sind dagegen die diesbezüglichen Un-
terschiede bei „Kapitalverbrechen“, wo sie von 24,7 % (BE) bis 49,5 % (HB) rei-
chen. Und noch einmal größer sind die Unterschiede bei Wirtschaftsstrafsachen
(SG 40, 41 und 44) mit einer Spannweite von 17,3 % (HE) bis 45,7 % (BB). Auffal-
lend ist hier die erwartungswidrig hohe Rate von Einstellungen aus Bagatellgründen,
die von 19,9 % (BE) bis 34,7 % (NW) reicht. Denn als Wirtschaftsstrafsachen sind
nur Vergehen i.S. von § 74c GVG definiert. Anklagen zum Strafrichter oder Strafbe-
fehlsanträge, über den der Strafrichter zu entscheiden hat, fallen nicht darunter. Des-
halb wären eher hohe Schadenssummen und keine Bagatellen zu erwarten. Dass
indes bei Wirtschaftsstrafsachen andere Maßstäbe angelegt werden, ist freilich
820 Wolfgang Heinz

schon aus den Untersuchungen der „Bundesweiten Erfassung von Wirtschaftsstraf-


taten nach einheitlichen Gesichtspunkten“ bekannt und belegt.20
Bei SG 21 „vorsätzliche Körperverletzung“ wird zwischen 20 % (SH) und 34 %
(SN) eine Sanktionierung für erforderlich erachtet. Etwas größer sind die Unterschie-
de zwischen den Ländern hinsichtlich der Einstellungen gem. § 170 II StPO (HE:
40 % – BE: 66 %) und noch etwas größer bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle
(BE: 10 % – NW: 33 %).

Quelle: StA-Statistik
Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 5: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 21:


„Vorsätzliche Körperverletzung“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Im Zeitraum 2005 bis 2018 nahm in allen Ländern der Anteil von Einstellungen
mangels hinreichenden Tatverdachts zu, zumeist in der Größenordnung von um die
10 %-Punkte. Der entsprechende Rückgang erfolgte vor allem bei Anklagen sowie
bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle.
Bei SG 25 „Diebstahl und Unterschlagung“ betragen die Unterschiede zwischen
den drei Messgrößen um die 20 %-Punkte. Am geringsten sind sie bei Einstellungen
gem. § 170 II StPO mit 17,9 %-Punkten (HH: 26,1 % – BB: 44,0 %), gefolgt von
erforderlicher Sanktionierung mit 20,2 %-Punkten (MV: 33,7 % – BY: 53,9 %). Re-

20
Vgl. Meinberg 1985, 121 f.
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 821

lativ am größten sind sie bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle mit 22,6 %-Punkten
(BY: 16,5 % – HH: 39,1 %).

Quelle: StA-Statistik
Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 6: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 25:


„Diebstahl und Unterschlagung“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Zwischen 2005 und 2018 hat sich die Erledigungspraxis wenig geändert. Die Ver-
änderungen betragen zumeist weniger als 5 %-Punkte. Tendenziell sind die Ankla-
gen und die Opportunitätseinstellungen mit Auflagen leicht zurückgegangen, die
Strafbefehlsanträge und die Einstellungen gem. § 170 II StPO dagegen leicht gestie-
gen.
Aktuell kommen auf 100 für erforderlich erachtete Sanktionierungen insgesamt
zwischen 94 (BY) und 211 (HH) Einstellungen, und zwar entweder als Sanktionsver-
zicht wegen Bagatelle (BY: 33 – HH: 129) oder als Einstellungen gem. § 170 II StPO
(BY: 61 – ST: 128). Von drei Beschuldigten wird in HH nur bei einem eine Sanktio-
nierung angestrebt, in BY dagegen bei gut jedem Zweiten.
Im Unterschied zu SG 25 sind bei SG 26 „Betrug und Untreue“ die Unterschiede
zwischen den Ländern bei Einstellungen gem. § 170 II StPO mit 26,3 %-Punkten am
größten (HB: 27,5 % – BB 53,8 %). Die Spannweite der für erforderlich gehaltenen
Sanktionierungen beträgt 21,2 %-Punkte (SH: 27,0 % – HB: 48,2 %). Geringfügig
geringer ist die Spannweite bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle mit 19,6 %-Punk-
ten (BY: 11,0 % – HH 30,6 %).
822 Wolfgang Heinz

Seit 2005 sind die auf angestrebte Sanktionierungen entfallenden Anteile in fast
allen Ländern leicht rückläufig. Aufgefangen wurde dies teils durch Einstellungen
gem. § 170 II StPO, teils durch Sanktionsverzicht wegen Bagatelle.

Quelle: StA-Statistik
Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 7: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 26:


„Betrug und Untreue“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Auf 100 angestrebte Sanktionierungen kamen 2018 zwischen 122 (HB) und 354
(HB) Einstellungen, und zwar entweder als Sanktionsverzicht wegen Bagatelle (BY:
37 – HH: 152) oder als Einstellung gem. § 170 II StPO (HB: 66 – SH: 231).
Mit die größten Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der Sanktionie-
rungswahrscheinlichkeit bestehen bei SG 35, 36 „Verkehrsstraftaten“. Der Unter-
schied zwischen BE mit 36,2 % als erforderlich erachteter Sanktionierung und
BW mit 65,6 % beträgt immerhin 29,4 %-Punkte. Diese Differenz beruht vor
allem auf Unterschieden bei Einstellungen gem. § 170 II StPO. BW hat hier nur
einen Anteil von 21,5 %, BE von 48,7 %. Nicht sehr groß sind dagegen die Unter-
schiede zwischen den Ländern bei Sanktionsverzicht wegen Bagatelle (BY:
9,7 % – SH: 21,8 %).
Die Anteile der durch Anklage i.w.S. erledigten Verfahren sind gegenüber 2005
leicht zurückgegangen, im Schnitt um 5 %-Punkte. Überwiegend trifft dies auch auf
Strafbefehlsanträge zu. Hinsichtlich der auf Opportunitätseinstellungen entfallenden
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 823

Anteile ist die Entwicklung gegenläufig; in einigen Ländern sind sie leicht gestiegen,
in anderen dagegen zurückgegangen.
2018 reichte die Bandbreite der Einstellungen pro 100 angestrebte Sanktionierun-
gen von 58 (BW) bis 200 (BE).

Quelle: StA-Statistik
Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 8: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 35, 36:


„Verkehrsstraftaten“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

Erwartungsgemäß bestehen bei SG 60 u. 61: „Betäubungsmittelstraftaten“ die


größten Unterschiede in der staatsanwaltschaftlichen Erledigungsstruktur. Die Band-
breite der für erforderlich erachteten Sanktionierung reicht von 13,3 % (SH) bis 48 %
(BY), weist also einen Unterschied von 34,7 %-Punkten auf. Ebenfalls sehr große
Unterschiede weisen sowohl die Raten des Sanktionsverzichts wegen Bagatelle
auf (SN: 18,3 % – SH: 57,1 %) als auch der Einstellungen gem. § 170 II StPO
(HH: 17,6 % – RP: 51,3 %).
Die Entwicklung der Erledigungsstruktur in den Ländern ist relativ uneinheitlich.
Lediglich der Anteil der Anklagen ist – im Schnitt um 6 %-Punkte – fast ausnahmslos
zurückgegangen, der Anteil der Strafbefehlsanträge ist überwiegend leicht gestiegen.
Von Einstellungen mangels hinreichenden Tatverdachts wird in der Mehrzahl der
Länder teilweise häufiger, z. T. um mehr als 10 %-Punkte, Gebrauch gemacht,
eine Minderzahl weist dagegen Rückgänge auf. Opportunitätseinstellungen mit/
ohne Auflagen haben sich in den Ländern uneinheitlich entwickelt.
824 Wolfgang Heinz

Dass dementsprechend auch die Unterschiede der Einstellungen, bezogen auf für
erforderlich erachtete Sanktionierungen, extrem groß sind, ist erwartungsgemäß. Sie
reichen 2018 von 130 (BY) bis 711 (SH), was vor allem auf den Unterschieden in den
Raten des Sanktionsverzichts wegen Bagatelle beruht (SN: 62 – SH 478).

Quelle: StA-Statistik
Legende: vgl. Legende zu Abb. 2.

Abbildung 9: Beschuldigtenbezogene Erledigungsarten im SG 60 u. 61:


„Betäubungsmittelstraftaten“ nach Ländern. Arithmetisches Mittel 2005 – 2018

4. Zusammenfassung
Bis zur Einführung der StA-Statistik war über die Erledigungsstrukturen der
Staatsanwaltschaft nur aus einigen wenigen, regional und zeitlich beschränkten Ak-
tenanalysen etwas bekannt. Aus der Gegenüberstellung der Tatverdächtigen- und der
Verurteiltenzahlen war ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft diejenige Institution
ist, die die Mehrzahl aller Tatverdächtigen ausfiltert. Die 1981 eingeführte Verfah-
rensstatistik sollte eine bessere Durchschaubarkeit der Tätigkeit der Staatsanwalt-
schaften ermöglichen. Durch wiederholte Erweiterung der Erhebungs- und Aufberei-
tungsmerkmale, insbesondere durch die 2004 eingeführten Sachgebiete, sind die
Nachweise inzwischen differenzierter geworden. Freilich bestehen weiterhin erheb-
liche Mängel, die die Analysemöglichkeiten beschränken. Infolge ihrer Eigenschaft
als Verfahrensstatistik ist nicht abschätzbar, inwieweit die Veränderung des Ge-
Die Staatsanwaltschaft – „der“ kriminalpolitische Akteur 825

schäftsanfalls nur extern oder auch intern, z. B. durch Verfahrenstrennungen, beein-


flusst ist. Abhilfe würde erst eine der „echten“ Tatverdächtigenzählung der PKS ver-
gleichbare Beschuldigtenstatistik schaffen, die überdies verlaufsstatistische Analy-
sen unter Einbezug der PKS ermöglichen sollte. Vergleichbar der Strafverfolgungs-
statistik sollten ferner die Straftatbestände erfasst und die Höhe der angeregten/auf-
erlegten Auflagen/Weisungen dokumentiert werden.
Dass die Staatsanwaltschaft, empirisch betrachtet, keine Anklage-, sondern eine
Einstellungsbehörde ist, belegt bereits der Vergleich von PKS und StVerfStat. Die
StA-Statistik zeigt die Größenordnungen der einzelnen Erledigungsmöglichkeiten.
Ersichtlich ist, dass der Geschäftsanfall seit 1981, also in dem statistisch überblick-
baren Zeitraum deutlich gestiegen ist. An die Gerichte weitergegeben wurde dieser
Anstieg nicht. Sowohl absolut als auch relativ sind die Zahlen der für erforderlich
erachteten Sanktionierungen (Anklage/Strafbefehl, Einstellung mit Auflagen) deut-
lich rückläufig. Bezogen auf alle Verfahren, bei denen eine Sanktionierung entweder
für erforderlich erachtet oder Sanktionsverzicht wegen Geringfügigkeit oder man-
gels Tatverdachts geübt wurde, ging die Sanktionierungsrate in den Ländern, die
die StA-Statistik seit 1981 führen, um 18,8 %-Punkte (Deutschland: 20,2 %-Punkte)
zurück. Aufgefangen wurde die Zunahme des Geschäftsanfalls überwiegend durch
Opportunitätseinstellungen ohne Auflagen i. e.S.
Zwar gibt es derzeit insgesamt 32 Sachgebiete. Diese weisen indes eine extrem
unterschiedliche zahlenmäßige Stärke auf. Auf die Mehrzahl aller Sachgebiete ent-
fallen weniger als 1 % der Beschuldigten. Zwei Drittel aller Beschuldigten verteilen
sich auf insgesamt 5 Sachgebiete. Wegen der Heterogenität der jeweils zusammen-
gefassten Straftatbestände, die z. B. vom Ladendiebstahl bis zum schweren Raub rei-
chen, sind Analysen nur beschränkt möglich. Hinzu kommt, dass weder zu den Be-
schuldigten (Alter, Geschlecht, Vorbelastung) noch zu den angeregten/auferlegten
Auflagen/Weisungen Informationen erhoben werden. Es lässt sich deshalb nicht fest-
stellen, bei welchen Tat- und Tätergruppen weshalb angeklagt oder auf Sanktionie-
rung verzichtet wird.
Eine Zeitreihenanalyse der Erledigungsstrukturen der Länder für die 5 quantitativ
bedeutsamsten Sachgebiete zeigt im jeweiligen Land eine große Konstanz. Verände-
rungen um mehr als 5 %-Punkte sind die seltene Ausnahme und treten fast nur bei
vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten auf. Diese konstante Erledigungspraxis
im jeweiligen Landesdurchschnitt geht aber einher mit erheblichen Unterschieden
zwischen den Ländern. Die StA-Statistik zeigt über die Zeit hinweg konstante Un-
terschiede, die in dieser Größenordnung mit Unterschieden der Tat- und Täterstruk-
turen nicht erklärbar sind. Die Bandbreite für erforderlich erachteter Sanktionierung
reicht – gemessen als Durchschnitt im Zeitraum 2005 bis 2018 – bei „vorsätzlicher
Körperverletzung“ von 20 % bis 34 %, bei „Diebstahl und Unterschlagung“ von
34 % bis 54 %, bei „Betrug und Untreue“ von 27 % bis 48 %, bei „Verkehrsstrafta-
ten“ von 36 % bis 66 % sowie bei „Betäubungsmittelstraftaten“ von 13 % bis 48 %.
Entsprechend der grundgesetzlichen Kompetenzordnung sind bestehende Konkreti-
826 Wolfgang Heinz

sierungsspielräume bei der Anwendung von Bundesgesetzen durch die Exekutive


und die Gerichte der Länder auszufüllen. Divergierender Gesetzesvollzug ist deshalb
grundsätzlich hinzunehmen. Diese Spielräume dienen freilich der Verwirklichung
von Einzelfallgerechtigkeit. Wenn aber über die Zeit hinweg große und – auch in
der Größenordnung – stabile Unterschiede bestehen, dann handelt es sich offenkun-
dig nicht um Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit, sondern ist Ausdruck re-
gional unterschiedlicher Justizkulturen. Eine systematisch kriminalpolitische Ak-
zentsetzung im Bereich der den Einzelnen besonders belastenden Strafverfolgung
ist aber durch die grundgesetzliche Kompetenzerteilung nicht gedeckt. In einigen
Entscheidungen hat das BVerfG deshalb zutreffend eine kompetenzverengende Ver-
pflichtung der Länder zu einem „im Wesentlichen“ einheitlichen Vollzug von Bun-
desgesetzen angenommen. Unter anderem in seiner Cannabis-Entscheidung hat das
BVerfG diese Verpflichtung für das „den Einzelnen besonders belastende(n) Gebiet
der Strafverfolgung“ bejaht.21 Der Anscheinsbeweis einer grundgesetzwidrigen
Handhabung kann nur durch eine Tat- und Tätermerkmale differenzierte Beschuldig-
tenstatistik der StA entkräftet (oder auch bestätigt) werden, wie sie schon wiederholt
gefordert22 und nunmehr auch in der beim BMJV eingerichteten Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe „Strafrechtspflegestatistikgesetz“ diskutiert worden ist.

Literaturverzeichnis

Baumann, T. (2015): Staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit in Deutschland. Umfang und


Struktur der Verfahrenserledigung. Wirtschaft und Statistik 3, S. 74 – 87.
Heinz, W. (1998): Die Staatsanwaltschaft. Selektions- und Sanktionsinstanz im statistischen
Graufeld, in: H.-J. Albrecht, F. Dünkel, H.-J. Kerner u. a. (Hrsg.), Internationale Perspektiven
in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für Günther Kaiser. Berlin, S. 85 – 125.
Heinz, W. (2020): Sekundäranalyse empirischer Untersuchungen zu jugendkriminalrechtlichen
Maßnahmen, deren Anwendungspraxis, Ausgestaltung und Erfolg. Gutachten im Auftrag
des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz; https://krimpub.krimz.de/front
door/deliver/index/docId/142/file/Gutachten_JGG_Heinz_insg_01.pdf.
Hirschmann, K. (1973): 42. Konferenz der Landesjustizminister und -senatoren. Deutsche
Richterzeitung 51, S. 430 – 432.
Meinberg, V. (1985): Geringfügigkeitseinstellungen von Wirtschaftsstrafsachen. Freiburg i.Br.
Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (2020): Weiterentwicklung der Kriminal- und Strafrechts-
pflegestatistik in Deutschland, Output Nr. 7, 6. Berufungsperiode, Februar 2020; https://
www.ratswd.de/dl/RatSWD_Output7.6_Kriminalstatistik.pdf.

21
BVerfGE 90, 145, 190 f.
22
Vgl. zuletzt Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten 2020, 23 ff.
„Und immer geht’s ums Geld“
Einstellung gegen Geldauflage, Verwarnung mit Strafvorbehalt
und Geldstrafe im Vergleich

Von Jörg Kinzig

1. Einleitung
Den Jubilar, dem dieser Beitrag mit den besten Wünschen zu seinem runden Ge-
burtstag gewidmet ist, kenne ich seit nunmehr über 30 Jahren, genauer gesagt seit
1989. Damals habe ich als frischgebackener Absolvent des Ersten Juristischen
Staatsexamens an einer Sommerakademie der Studienstiftung des Deutschen Volkes
in der ländlichen Idylle von Alpbach in Österreich teilgenommen. Dieses Seminar
wurde von meinem späteren Doktorvater, Günther Kaiser, zusammen mit Hans-
Jörg Albrecht geleitet. Im selben Jahr begann ich – das Einstellungsgespräch führte
Hans-Jörg Albrecht – am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht (MPI)1 zunächst neben dem Referendariat als wissenschaftlich geprüfte
Hilfskraft. Kurz nach meiner Promotion im Jahr 1996 wurde Hans-Jörg Albrecht Di-
rektor des MPI und zugleich Leiter der Forschungsgruppe Kriminologie. Er betreute
fortan meine Habilitationsschrift über Organisierte Kriminalität2, wofür ich ihm noch
heute zu besonderem Dank verpflichtet bin.
Gemäß dem von Hans-Heinrich Jescheck geprägten, geflügelten Wort vom
„Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach“,3 das die Forschungstätigkeit des
früheren MPI über Jahrzehnte ausgezeichnet hat, lassen sich auch wesentliche Arbei-
ten von Hans-Jörg Albrecht als eine geglückte Verbindung normativer und empiri-
scher Untersuchungen beschreiben. Belege dafür sind in erster Linie seine beiden
großen Qualifikationsschriften über die Geldstrafe und die Strafzumessung bei
schwerer Kriminalität.4

1
Das „MPI“ firmiert seit Anfang des Jahres 2020 als Max-Planck-Institut zur Erforschung
von Kriminalität, Sicherheit und Recht.
2
Kinzig 2004.
3
Siehe dazu den Titel des Kolloquiums zum 90. Geburtstag Jeschecks (Albrecht & Sieber
2006).
4
Albrecht 1980 sowie Albrecht 1994.
828 Jörg Kinzig

Das möglicherweise am häufigsten vom Jubilar in seinen zahlreichen Publikatio-


nen beackerte Themengebiet ist das der Geldstrafe. Von 19785 bis zur Gegenwart
(2019) habe ich jedenfalls nicht weniger als 18 Beiträge gezählt, in denen diese Sank-
tion schon im Titel eines Artikels von Hans-Jörg Albrecht auftaucht. Dazu gehören
bis in die jüngste Zeit die Kommentierungen der Vorschriften über die Geldstrafe,
genauer die §§ 40 – 43 StGB, im NomosKommentar zum Strafgesetzbuch.6
Daher möchte ich mit meinem Beitrag an die im Jahr 1980 veröffentlichte, weg-
weisende Dissertation des Jubilars mit dem Titel „Strafzumessung und Vollstreckung
bei Geldstrafen unter Berücksichtigung des Tagessatzsystems“ anknüpfen. Der em-
pirisch-normativen Untersuchung lag unter anderem eine Auswertung einer Stich-
probe von 1.823 Strafverfahrensakten von Personen zugrunde, die im Jahr 1972 in
Baden-Württemberg wegen eines Straßenverkehrs-, Eigentums- oder Vermögens-,
Körperverletzungs- oder Delikts des Nebenstrafrechts rechtskräftig verurteilt wur-
den. Zudem wurden Akten von 451 Personen analysiert, bei denen die Verurteilungen
aus dem Jahr 1975, also der Zeit nach der Strafrechtsreform, stammten.7
Die Erhebungen, die an dieser Stelle im Einzelnen nicht nachgezeichnet werden
können, führten zu einem abschließenden Kapitel unter der Überschrift „Kriminal-
politische Überlegungen und Schlußfolgerungen“.8 An dessen Ende nimmt Hans-
Jörg Albrecht auch Alternativen zur Geldstrafe ins Visier. Dazu zählt er zu Recht
die Einstellung unter Auflagen nach § 153a StPO und dabei insbesondere die in des-
sen Abs. 1 S. 2 Nr. 2 normierte Auflage, „einen Geldbetrag zugunsten einer gemein-
nützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen“ sowie die ebenfalls von Hans-
Jörg Albrecht im NomosKommentar erläuterte Verwarnung mit Strafvorbehalt
(§§ 59 – 59c StGB). Auf diese drei Sanktionen9 soll sich mein Beitrag zu seinen
Ehren beziehen.
Nach dieser Einleitung (1.) möchte ich zunächst die normativen Gemeinsamkei-
ten und Unterschiede der drei genannten Rechtsinstitute herausarbeiten (2.). Daran
anschließen wird sich ein kleiner empirischer Überblick (3.) darüber, was wir über
den Gebrauch dieser drei Instrumente wissen, die am Ende eines Strafverfahrens ste-
hen können. Im Folgenden (4.) will ich mich speziell der Frage zuwenden, welche
Kriterien die Wahl zwischen diesen drei Sanktionen nach dem normativen Programm
bestimmen. Am Ende (5.) dieses Beitrags soll ein kleines Fazit gezogen werden.

5
Bis ins Jahr 1978 geht der Aufsatz von Albrecht (1978) zurück.
6
Albrecht 2017.
7
Albrecht 1980, 53 ff.
8
Albrecht 1980, 315 ff.
9
Daran, dass auch den Auflagen und Weisungen im Wege des § 153a StPO Sanktions-
charakter zukommt, besteht heutzutage kaum Zweifel, vgl. nur Beulke 2008, § 153a Rn. 8.
„Und immer geht’s ums Geld“ 829

2. Einstellung gegen Geldauflage,


Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe:
Normative Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Die Einstellung gegen Geldauflage, die Verwarnung mit Strafvorbehalt und die
Geldstrafe weisen normative Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf. Eine
erste, eher triviale Gemeinsamkeit dieser drei Rechtsinstitute, die gleichwohl ihre
vergleichende Betrachtung rechtfertigt, besteht darin, dass alle Einrichtungen in
eine Geldzahlung des Beschuldigten einer Straftat münden können. Zwangsläufig
ist das aber nur bei der Einstellung gegen Geldauflage und der Geldstrafe der
Fall.10 Demgegenüber stellt das Gericht bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt
nach Ablauf von ein bis zwei Jahren (vgl. § 59a Abs. 1 StGB) im Falle einer Bewäh-
rung nach § 59b Abs. 2 StGB fest, dass es bei der Verwarnung sein Bewenden hat und
somit die Verpflichtung zur Zahlung der vorbehaltenen Geldstrafe entfällt. In diesem
Fall ist der Verwarnte wie auch diejenige Person, gegen die das Verfahren gegen eine
Geldauflage eingestellt wird, kein Verurteilter.
Damit die Rechtsfolgen dieser drei Sanktionen eintreten können, müssen prinzi-
piell jeweils Staatsanwaltschaft und Gericht mitwirken. Träger einer Einstellung
gegen Geldauflage ist nach § 153a Abs. 1 S. 1 StPO die Staatsanwaltschaft, die
für ihre Entscheidung regelmäßig auf die Zustimmung des für die Eröffnung des
Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten angewiesen ist.11
Nach Erhebung der Klage geht die Einstellungskompetenz nach § 153a Abs. 2
S. 1 StPO auf das Gericht über, das sich nun seinerseits vor einer Einstellung der Zu-
stimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten versichern muss. Dem-
gegenüber trifft die Entscheidung über die Verwarnung mit Strafvorbehalt und die
Geldstrafe allein das Gericht. Freilich ist diese Entscheidung im Fall eines vorange-
henden Strafbefehlsantrages weitgehend durch die Staatsanwaltschaft vorstruktu-
riert (vgl. §§ 407 Abs. 2 Nr. 1, 408 Abs. 3 S. 1 StPO). Im Übrigen hat der Verwarnung
mit Strafvorbehalt und der Geldstrafe regelmäßig eine Anklage der Staatsanwalt-
schaft voranzugehen.
Ein erster eher banaler Unterschied liegt in den verschiedenen Kodifikationen, in
denen die drei Rechtsinstitute geregelt sind. Die Einstellung gegen Geldauflage hat
ihren Standort in der Strafprozessordnung (§ 153a Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO), wäh-

10
Diese Aussage gilt, streng genommen, nur eingeschränkt. So bleibt dem Beschuldigten
die Möglichkeit, nach einer vorläufigen Einstellung nach § 153a Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO den
festgelegten Geldbetrag nicht zu bezahlen, was freilich wegen des in § 153a Abs. 1 S. 1 StPO
normierten Zustimmungserfordernisses des Beschuldigten und der sonst drohenden Anklage
durch die Staatsanwaltschaft nur ausnahmsweise der Fall sein wird. Selbst die Geldstrafe muss
nicht zwangsläufig eine Geldzahlung zur Folge haben. Jedoch riskiert die betreffende Person
bei ihrer etwaigen Uneinbringlichkeit, eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten zu müssen (vgl. § 43
StGB).
11
Vgl. aber die Ausnahme des § 153a Abs. 1 S. 7 StPO mit einem Verweis auf § 153a
Abs. 1 S. 2 StPO.
830 Jörg Kinzig

rend die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§ 59 – 59c StGB) und die Geldstrafe
(§§ 40 – 43 StGB) im Strafgesetzbuch normiert sind.
Allen drei Instituten kann eine Anklage nach § 170 Abs. 1 StPO vorausgehen.
Während dies bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt und der Geldstrafe häufig
der Fall sein dürfte,12 ist selbiges bei der Einstellung gegen Geldauflage eher die Aus-
nahme.
Unterschiede existieren auch, was den Grad des erforderlichen Tatverdachts bzw.
den Schuldnachweis angeht. Während sowohl eine Verwarnung mit Strafvorbehalt
als auch eine Geldstrafe nach § 261 StPO die Überzeugung des Gerichts von der
Schuld des Angeklagten voraussetzen, ist der für die Einstellung gegen Geldauflage
erforderliche Verdachtsgrad in § 153a StPO nicht explizit normiert. Für die Ausle-
gung bedeutend ist hier zunächst, dass sich die Formulierungen in § 153a Abs. 1
S. 1 StPO („kann die Staatsanwaltschaft … von der Erhebung der öffentlichen
Klage absehen … wenn … die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“) und
§ 153 Abs. 1 S. 1 StPO („kann die Staatsanwaltschaft … von der Verfolgung abse-
hen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre“) voneinander unter-
scheiden. Hier wird aus der indikativen Fassung des § 153a Abs. 1 S. 1 StPO für
den Schuldnachweis und dem expliziten Rekurs auf das Absehen von der Erhebung
der öffentlichen Klage gegenüber dem Absehen von der bloßen Strafverfolgung in
§ 153 Abs. 1 S. 1 StPO gefolgert, dass für die Anwendung des § 153a Abs. 1 S. 1
StPO ein höherer Verdachtsgrad vorausgesetzt ist.13 Gemeinhin wird ein hinreichen-
der Tatverdacht für erforderlich gehalten. Eine förmliche Feststellung der Schuld er-
folgt jedoch nicht.14 Während Urteile, in denen eine Verwarnung mit Strafvorbehalt
ausgesprochen oder eine Geldstrafe verhängt wird, nach § 267 StPO begründet wer-
den müssen, wird dies bei einem Vorgehen nach § 153a StPO weder für die Einstel-
lung an sich noch für die Art und/oder Höhe der Auflage verlangt.15
Ein weiterer Unterschied zwischen den drei Normkomplexen liegt darin, dass
§ 153a Abs. 1 S. 1 StPO nur auf Vergehen Anwendung findet, während eine Verwar-
nung mit Strafvorbehalt und eine Geldstrafe auch eine strafrechtliche Reaktion auf
ein Verbrechen darstellen können. Am Beispiel einer Verurteilung wegen Raubes
nach § 249 StGB: Während der Normalstrafrahmen in Abs. 1 von einem Jahr bis

12
Neben einer Anklage kommen hier auch eine Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 2 StPO,
ein Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren nach §§ 417, 418 StPO und weitaus
häufiger die Einreichung eines Strafbefehlsantrages nach §§ 407 Abs. 1, 2 Nr. 1, 409 StPO in
Betracht.
13
Vgl. Beulke 2008, § 153a Rn. 39.
14
Vgl. Stuckenberg 2016, 372 m.w.N.; Weigend 2016, 418 m.w.N.
15
Vgl. Diemer 2019, § 153a Rn. 34; Weigend 2016, 419; Beulke 2008, § 153a Rn. 125 für
den Gerichtsbeschluss; vgl. aber Nr. 89 Abs. 3 RiStBV, die vorsieht, dass dem Anzeigeer-
statter ein mit Gründen versehener Bescheid erteilt wird.
„Und immer geht’s ums Geld“ 831

15 Jahren reicht, kann es etwa im Fall eines Versuchs über die Regelung der §§ 49
Abs. 1, 47 Abs. 2 StGB16 zur Verhängung einer Geldstrafe kommen.
Zudem weichen die Obergrenzen der von dem Beschuldigten maximal zu entrich-
tenden Geldbeträge voneinander ab. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang, dass
ausgerechnet der vergleichsweise wenig formalisierte § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO
keine Obergrenze der zu zahlenden Geldsumme enthält, wenngleich teilweise in der
Literatur aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Begrenzung abgeleitet wird,
ohne diese jedoch genauer zu konkretisieren.17 Berühmt geworden ist der Fall des
Formel-1-Managers Bernie Ecclestone, in dem das Landgericht München I das
wegen des Vorwurfs der Korruption geführte Verfahren gegen eine Rekordsumme
von 100 Millionen US-Dollar (rund 75 Millionen Euro) einstellte.18 „The sky‘s the
limit“ hat daraufhin Thomas Weigend anschaulich formuliert.19 Demgegenüber ist
eine Geldstrafe nach § 40 Abs. 1 S. 2 StGB auf 360 Tagessätze, im Fall der Bildung
einer Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 2 S. 2 StGB auf maximal 720 Tagessätze be-
schränkt. Da der maximale Tagessatz nach § 40 Abs. 2 S. 3 StGB auf 30.000 Euro
festgesetzt werden kann, endet demnach die Geldstrafe schon bei einer Gesamtsum-
me von 10,8 bzw. 21,6 Millionen Euro.20 Die bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt
nach § 59 Abs. 1 S. 1 StGB in Aussicht gestellte Geldstrafe ist bei 180 Tagessätzen
gekappt, darf also einen Betrag von 5,4 Millionen Euro nicht übersteigen.
In kostenrechtlicher Hinsicht haben sowohl der zu Geldstrafe Verurteilte als auch
der mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt Sanktionierte nach § 465 Abs. 1 S. 1
und 2 StPO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Bei der Einstellung gegen Geldauf-
lage fallen die Auslagen der Staatskasse nach § 467 Abs. 1 StPO dieser zu Last. Die
notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden dagegen nach § 467 Abs. 5
StPO der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach § 153a StPO am
Ende endgültig eingestellt wird.
Unterschiede ergeben sich auch im Registerrecht. Nach § 4 Nr. 1 BZRG sind
rechtskräftige Entscheidungen einzutragen, in denen auf Strafe erkannt wird, also
auch eine Geldstrafe. Dies gilt nach Nr. 3 auch für die Verwarnung mit Strafvorbe-
halt. Demgegenüber wird eine Einstellung gegen Geldauflage nicht im Bundeszen-
tralregister erfasst.21

16
Vgl. etwa Kinzig 2019, § 47 Rn. 9. Für das Jahr 2018 weist die Strafverfolgungsstatistik
(vgl. Tabelle 3.3, 222) 24 Fälle des § 249 StGB aus, die mit einer Geldstrafe endeten.
17
So etwa Peters 2016, § 153a Rn. 68; Diemer 2019, § 153a Rn. 13.
18
Weitere prominente Beispiele für die Anwendung des § 153a StPO finden sich bei
Brüning 2018, 586.
19
Weigend 2016, 414.
20
Darauf machen zu Recht Gaede & Kubiciel (2014) in einer Kommentierung der Ein-
stellung im Falle Bernie Ecclestone aufmerksam.
21
Kritik daran bei Köhler 2019, 33. Es erfolgt jedoch nach § 492 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 StPO
eine Eintragung in das zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister.
832 Jörg Kinzig

3. Einstellung gegen Geldauflage,


Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geldstrafe:
ein kleiner empirischer Überblick
Aus dem Umstand, dass es die Staatsanwaltschaft ist, die in der Regel nach § 153a
Abs. 1 StPO die Einstellung gegen Geldauflage beschließt, ergibt sich, dass zentrale
empirische Daten zur Art und Weise dieser Entscheidung der Staatsanwaltschaftssta-
tistik zu entnehmen sind, die zuletzt für das Jahr 2018 publiziert wurde.22
So waren im Jahr 2018 gut 5,5 Millionen (5.622.962) Personen durch von der
Staatsanwaltschaft beim Landgericht und von der Amtsanwaltschaft erledigte Er-
mittlungsverfahren betroffen. Haupterledigungsform war die Einstellung mangels
hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO, in deren Genuss fast ein Drittel
(31,5 %; 1.772.844) der Beschuldigten kam. Gegen ein knappes Viertel (23,6 %;
1.326.510) wurde das Verfahren ohne Auflagen eingestellt, insbesondere nach
§ 153 Abs. 1 StPO. Gegen 9,8 % der Beschuldigten (549.934) wurde ein Strafbefehl
beantragt, weitere 8,5 % (478.655) wurden zu den verschiedenen Gerichten ange-
klagt. Eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens unter Auflagen wurde gegen
3,1 % (174.365) der beschuldigten Personen beschlossen.23
Tabelle 1 weist aus, dass zuletzt von der Einstellung unter Auflagen gegenüber
rund 180.000 Personen jährlich Gebrauch gemacht wurde, bei seit dem Jahr
200224 quantitativ und prozentual rückläufiger Tendenz.25 Hinweise darauf, dass
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verständigung im Strafverfah-
ren26 zu einem vermehrten Ausweichen auf die Erledigungsform des § 153a StPO
geführt hätte, lassen sich also der Staatsanwaltschaftsstatistik nicht entnehmen.
Unter den möglichen Auflagen und Weisungen dominiert die uns hier besonders in-
teressierende Geldauflage mit einem Anteil, der stabil über 80 % liegt. An zweiter
Stelle rangiert mit weitem Abstand der in § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 5 StPO geregelte
Täter-Opfer-Ausgleich, auf den zuletzt im Jahr 2018 6,8 % (11.770) der Einstellun-
gen unter Auflagen entfielen. Über die Höhe der jeweiligen Geldauflagen verrät die
Statistik nichts.

22
Statistisches Bundesamt 2019. Zu den defizitären Angaben in dieser Statistik vgl. Rat für
Sozial- und Wirtschaftsdaten 2020, 23 ff.
23
Dazu gehören nicht nur Einstellungen nach § 153a StPO, sondern etwa auch solche nach
§ 45 Abs. 3 JGG; vgl. zur Erledigungspraxis der Staatsanwaltschaft auch Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz 2019, 19 ff.
24
Das Jahr 2002 wurde als Ausgangspunkt gewählt, weil es sich um das erste Jahr handelt,
das im Internet unter www.destatis.de in der Statistik erfasst ist.
25
Zur personenbezogenen Entwicklung bei den staatsanwaltschaftlichen Erledigungen vgl.
auch Heinz 2017, 66 ff.
26
BVerfGE 133, 168.
„Und immer geht’s ums Geld“ 833

Tabelle 1
Von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht und von der Amtsanwaltschaft
erledigte Ermittlungsverfahren/Zahl der von Ermittlungsverfahren
betroffenen Personen von 2002 bis 201827
Jahr Personen, Einstellung unter darunter § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO
gegen die Auflagen (Geldbetrag für gemeinnützige
ermittelt wurde Einrichtung oder Staatskasse)
2002 5.437.811 269.877 (5,0 %) keine Angabe
2005 5.865.447 268.494 (4,6 %) 219.488 (81,7 %)
2010 5.428.911 209.195 (3,9 %) 167.586 (80,1 %)
2015 5.723.811 182.773 (3,2 %) 147.516 (80,8 %)
2016 5.922.002 181.798 (3,1 %) 147.567 (81,2 %)
2017 5.559.507 176.625 (3,2 %) 144.852 (82,0 %)
2018 5.622.962 174.365 (3,1 %) 144.514 (82,9 %)

Doch können Einstellungen unter Auflagen, wie gesehen, auch durch die Gerichte
erfolgen (§ 153a Abs. 2 StPO). Angaben darüber finden sich in der Statistik der Straf-
gerichte. Von den Verfahren, die die Amtsgerichte im Jahr 2018 gegen 711.704 Be-
schuldigte erledigten, wurde gegen deutlich mehr als 50.000 Personen und damit bei
zuletzt 7,7 % das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt (Tabelle 2). Dieser
Anteil ist seit Jahren recht stabil, während die absolute Zahl dieser Erledigungsart
seit dem Jahr 2005 um mehr als 25 % zurückgegangen ist. In 73,8 % dieser Einstel-
lungen (2018) wurde dem Angeklagten die Zahlung eines Geldbetrags auferlegt.
Demnach gewinnen in diesem Stadium des Verfahrens die nicht enumerativ aufge-
zählten sonstigen Auflagen oder Weisungen (10,3 %) und die Wiedergutmachung
des Schadens nach § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO (6,4 %) an Relevanz.

27
Quelle: Staatsanwaltschaftsstatistik, zuletzt Tabelle 2.4.1.
834 Jörg Kinzig

Tabelle 2
Vor dem Amtsgericht erledigte Verfahren von 2002 bis 201828
Jahr Zahl der Einstellung gegen Auflage oder Geldbetrag für gemeinnützige
einzelnen Weisung nach § 153a StPO Einrichtung oder Staatskasse
Beschuldigten (Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
2002 962.228 71.030 (7,4 %) 53.977 (76,0 %)
2005 999.406 73.829 (7,4 %) 53.071 (71,9 %)
2010 888.322 68.235 (7,7 %) 46.982 (68,9 %)
2015 739.848 57.603 (7,8 %) 41.206 (73,8 %)
2016 728.441 55.854 (7,8 %) 40.176 (71,9 %)
2017 717.864 55.374 (7,7 %) 40.258 (72,7 %)
2018 711.704 54.866 (7,7 %) 40.479 (73,8 %)

Doch nicht nur vor dem Amtsgericht, auch vor dem Landgericht 1. Instanz können
Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt werden. Wie Tabelle 3 ausweist, ist
die Verfahrensbeendigung vor diesem Gericht mit nur rund 400 Fällen jährlich aller-
dings selten, was in erster Linie darauf zurückzuführen sein dürfte, dass in dieser Ein-
gangsinstanz ganz überwiegend Verbrechen verhandelt werden.
Tabelle 3
Vor dem Landgericht 1. Instanz erledigte Verfahren von 2002 bis 201829
Jahr Zahl der Einstellung gegen Auflage oder Geldbetrag für gemeinnützige
einzelnen Weisung nach § 153a StPO Einrichtung oder Staatskasse
Beschuldigten (Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
2002 19.611 311 (1,6 %) 231 (74,3 %)
2005 19.413 346 (1,8 %) 290 (83,8 %)
2010 19.635 411 (2,1 %) 314 (76,4 %)
2015 17.953 460 (2,6 %) 370 (80,4 %)
2016 18.136 529 (2,9 %) 438 (82,8 %)
2017 18.224 446 (2,4 %) 365 (81,8 %)
2018 18.515 388 (2,1 %) 316 (81,4 %)

Zahlenmäßig häufiger sind dagegen Verfahren, die vor dem Landgericht mit einer
Einstellung gegen Auflagen nach § 153a Abs. 2 StPO in der Berufungsinstanz enden
(Tabelle 4). Dies betraf in den letzten Jahren etwas mehr als 2.000 Beschuldigte jähr-
lich bei ebenfalls in absoluten Zahlen rückläufiger Tendenz. Auch hier spielt die
Geldauflage nach § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO eine quantitativ bedeutende Rolle.

28
Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte 2018, Angaben nach einzelnen Beschul-
digten; zuletzt Tabelle 2.3.
29
Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte 2018, Angaben nach einzelnen Beschul-
digten; zuletzt Tabelle 4.3.
„Und immer geht’s ums Geld“ 835

Tabelle 4
Vor dem Landgericht in der Berufungsinstanz erledigte Verfahren von 2002 bis 201830
Jahr Zahl der Einstellung gegen Geldbetrag für gemeinnützige
einzelnen Auflage oder Weisung Einrichtung oder Staatskasse
Beschuldigten nach § 153a StPO (Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
2002 58.544 3.015 (5,1 %) 2.390 (79,3 %)
2005 60.377 2.813 (4,7 %) 2.179 (77,5 %)
2010 55.377 2.506 (4,5 %) 1.894 (75,6 %)
2015 47.049 2.268 (4,8 %) 1.700 (75,0 %)
2016 48.178 2.263 (4,7 %) 1.667 (73,7 %)
2017 47.768 2.243 (4,7 %) 1.670 (74,5 %)
2018 47.947 2.240 (4,7 %) 1.646 (73,5 %)

Wenden wir uns nun der Verwarnung mit Strafvorbehalt und damit der Strafver-
folgungsstatistik zu. Wie Tabelle 5 ausweist, fristet die Verwarnung mit Strafvorbe-
halt seit Jahrzehnten ein Schattendasein. Nur rund 1 % aller Verurteilten31 wird mit
dieser Sanktion bedacht. Das Anliegen des Reformgesetzgebers des Jahres 2006,
„eine moderate Erweiterung der Verwarnung mit Strafvorbehalt“ zu bewirken,32
hat sich somit allenfalls ansatzweise erfüllt.33 Zu einer stärkeren Anwendung des
§ 59 StGB hat auch nicht der in absoluten Zahlen deutliche Rückgang der Einstel-
lungen nach § 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft beigetragen (vgl. Tabelle 1).
Im Vergleich zur Verwarnung mit Strafvorbehalt sind allein die amtsgerichtlichen
Einstellungen nach § 153a Abs. 2 StPO fast zehn Mal häufiger (vgl. Tabelle 2). In
knapp der Hälfte der Fälle eines Vorgehens nach § 59 StGB liegt die vorbehaltene
Strafe zwischen 31 und 90 Tagessätzen, wobei der Anteil derjenigen Personen,
denen eine Geldstrafe von (nur) 16 bis 30 Tagessätzen in Aussicht gestellt wird,
in der Vergangenheit fast kontinuierlich angestiegen ist.
Schaut man, wegen welcher Tatbestände eine Verwarnung nach § 59 StGB er-
folgt, ergibt sich folgendes Bild: Unter den 6.153 im Jahr 2018 Verwarnten dominier-
ten solche wegen (einfachen) Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) mit 1.280 (20,8 %). Es
folgten die einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) mit 621 (10,1 %), einfacher
Diebstahl (§ 242 StGB) mit 405 (6,6 %), Verkehrsdelikte ohne Trunkenheit mit
374 (6,1 %), Beleidigung (§ 185 StGB) mit 341 (5,5 %) sowie Straftaten nach
dem BtmG mit 288 (4,7 %) Angeklagten.34

30
Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte 2018, Angaben nach einzelnen Beschul-
digten; zuletzt Tabelle 5.3.
31
Inklusive der Verwarnten mit Strafvorbehalt.
32
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisie-
rung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 16/3038, 25.
33
Zur Anwendung zwischen 1975 und 1994 vgl. Neumayer-Wagner 1998, 74: Zwischen
1986 und 1994 lag der Anteil der Verwarnten durchweg zwischen 0,5 % und 0,6 %.
34
Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabelle 3.4.
836 Jörg Kinzig

Tabelle 5
Verurteilte mit Hauptstrafen nach allgemeinem Strafrecht und Verwarnte
mit Strafvorbehalt von 2002 bis 2018a)
Jahr Verurteilte mit Verwarnte 5 – 15 16 – 30 31 – 90 91 – 180
Hauptstrafe mit Straf- Tagessätze Tagessätze Tagessätze Tagessätze
nach allgemei- vorbehalt
nem Strafrechtb)
2002 5.101 439 1.454 2.567 641
623.370
(0,8 %) (8,6 %) (28,5 %) (50,3 %) (12,6 %)
2005 7.074 633 1.983 3.708 750
681.078
(1,0 %) (8,9 %) (28,0 %) (52,4 %) (10,6 %)
2010 8.083 987 2.657 3.731 708
712.885
(1,1 %) (12,2 %) (32,9 %) (46,2 %) (8,6 %)
2015 7.015 791 2.444 3.203 577
681.160
(1,0 %) (11,3 %) (34,8 %) (45,7 %) (8,2 %)
2016 6.461 711 2.341 2.874 535
682.606
(0,9 %) (11,0 %) (36,2 %) (44,5 %) (8,3 %)
2017 6.492 716 2.344 2.880 552
662.868
(1,0 %) (11,0 %) (36,1 %) (44,4 %) (8,5 %)
2018 6.153 644 2.367 2.674 468
659.213
(0,9 %) (10,5 %) (38,5 %) (43,5 %) (7,6 %)
a)
Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabellen 3 und 3.4.
b)
Addiert wurden dazu die Verwarnten mit Strafvorbehalt.

Werfen wir nun einen Blick auf die Praxis der Geldstrafe. Tabelle 6 weist ein-
drucksvoll die unveränderte Dominanz der Geldstrafe bei den Verurteilten mit
Hauptstrafe nach allgemeinem Strafrecht aus.35 Sie ist seit dem Jahr 2002 sogar
noch gestiegen, so dass nunmehr (2018) gegen 84,3 % der genannten Personengrup-
pe eine Geldstrafe verhängt wird. Dabei nimmt seit einiger Zeit der prozentuale An-
teil der Geldstrafen mit höheren Tagessätzen ab 31 zu. Während noch im Jahr 2002
der Anteil der Verurteilten mit 31 und mehr Tagessätzen bei insgesamt (nur) 49,4 %
lag, beträgt er derzeit immerhin 57,8 %. Dabei hat speziell der Anteil der zu Tages-
sätzen zwischen 91 und 180 Verurteilten von absolut rund 25.000 (2002) auf mehr als
43.000 und damit von 5,0 % auf 7,9 % zugelegt. Ganz so düster ist die Lage also nicht
mehr, wie sie der Jubilar noch im NomosKommentar beschreibt.36
Im Vergleich der Tagessatzhöhen von Verwarnung mit Strafvorbehalt und Geld-
strafe zeigen sich zudem unterschiedliche Entwicklungen. Während bei dem Vorge-
hen nach § 59 StGB der Anteil der höheren Tagessatzzahlen zwischen 31 und 180
von 62,9 % im Jahr 2002 auf 51,1 % im Jahr 2018 zurückgegangen ist (vgl. Tabel-
le 5), stieg er im gleichen Zeitraum bei den Geldstrafen von 48,9 % auf 57,2 % (Ta-
belle 6).
35
Zur Entwicklung der Geldstrafe vgl. auch Heinz 2017, 111 ff.
36
Albrecht 2017, § 40 Rn. 3 f.
Tabelle 6
Verurteilte mit Hauptstrafen nach allgemeinem Strafrecht und zu Geldstrafe Verurteilte von 2002 bis 2018a
Jahr Verurteilte mit Hauptstrafe davon 5 – 15 16 – 30 31 – 90 91 – 180 181 – 360 361
nach allgemeinem Geldstrafe Tagessätze Tagessätze Tagessätze Tagessätze Tagessätze Tagessätze
Strafrecht und mehr
2002 493.083 68.394 181.285 216.364 24.653 2.050 337
618.269
(79,8 %) (13,9 %) (36,8 %) (43,9 %) (5,0 %) (0,4 %) (0,1 %)
2005 545.971 66.289 196.367 250.672 29.671 2.620 352
674.004
(81,0 %) (12,1 %) (36,0 %) (45,9 %) (5,4 %) (0,5 %) (0,1 %)
2010 575.068 65.196 202.618 268.952 34.882 3.063 357
704.802
(81,6 %) (11,3 %) (35,2 %) (46,8 %) (6,1 %) (0,5 %) (0,1 %)
2015 567.054 57.359 198.900 269.002 38.414 3.114 265
674.145
(84,1 %) (10,1 %) (35,1 %) (47,4 %) (6,8 %) (0,5 %) (0,0 %)
2016 568.314 54.688 198.147 271.347 40.624 3.248 260
676.145
(84,1 %) (9,6 %) (34,9 %) (47,7 %) (7,1 %) (0,6 %) (0,0 %)
2017 551.957 48.594 188.809 269.733 41.455 3.110 256
656.376
(84,1 %) (8,8 %) (34,2 %) (48,9 %) (7,5 %) (0,6 %) (0,0 %)
2018 550.312 45.784 186.222 271.511 43.301 3.270 224
„Und immer geht’s ums Geld“

653.060
(84,3 %) (8,3 %) (33,8 %) (49,3 %) (7,9 %) (0,6 %) (0,0 %)
a
Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabellen 3 und 3.3.
837
838 Jörg Kinzig

In seiner Dissertation stellte der Jubilar anhand eines Vergleichs von Geld- und
Freiheitsstrafe fest, dass im oberen Bereich von 180 bis 360 Tagessätzen (entspre-
chend einer Freiheitsstrafe von sechs bis zwölf Monaten) die Geldstrafe statistisch
„kaum mehr eine Rolle“ spiele.37 Die Zahlen aus dem Jahr 2018 belegen (Tabelle
7), dass die Geldstrafe auch in diesem Bereich maßvoll an Bedeutung gewonnen
hat. Betrug der Anteil der Geldstrafe im Bereich von sechs bis zwölf Monaten im
Jahr 1976 nur 2,3 %, ist er nunmehr (2018) auf immerhin 9,0 % angestiegen.
Zudem wird in diesem Bereich mit der Freiheitsstrafe mit Bewährung von einer wei-
teren ambulanten Sanktion vermehrt Gebrauch gemacht (Anstieg von 60,8 % auf
71,3 %). Der Befund einer zunehmenden Bedeutung der Geldstrafe gilt in etwas ge-
ringerem Ausmaß auch für den Bereich bis zu 180 Tagessätzen/zu sechs Monaten
(Anstieg von 89,3 % auf 93,3 %) und – auf deutlich niedrigerem Niveau – auch
für den Bereich über 360 Tagessätzen/über einem bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe
(Anstieg von 0,8 % auf 1,1 %).38 Der Vergleich zwischen den Jahrgängen 1976 und
2018 belegt im Übrigen den dramatischen Bedeutungsverlust der Freiheitsstrafe
ohne Bewährung. Betrug im Jahr 1976 im Bereich von eins bis zwei Jahren der Anteil
der Freiheitsstrafen ohne Bewährung noch 88,5 %, waren es zuletzt im Jahr 2018 nur
noch 29,9 %.39
Betrachtet man zuletzt die Entwicklung der Höhe der Tagessätze (Tabelle 8), zeigt
sich vor allem ein deutlicher Rückgang der Geldstrafen mit Tagessätzen von bis zu
fünf Euro. Wiesen diese im Jahr 1990 noch einen Anteil von 11,9 % auf,40 lag er 2002
bei 7,4 %, um mittlerweile nach einem stetigen Rückgang nur noch 1,5 % zu betra-
gen. Die Praxis scheint in diesem Bereich auch ohne Änderung des Normprogramms
des § 40 Abs. 2 S. 3 StGB die zum Teil im Schrifttum geäußerte Kritik nachvollzo-
gen zu haben, wonach sich mit diesem Mindestmaß „Ernst und Bedeutung der Kri-
minalstrafe – auch bei Minderbemittelten – nicht deutlichmachen“ lasse.41 Der Preis
für den zunehmenden Verzicht auf die Verhängung niedriger Tagessatzhöhen kann
jedoch ein Anstieg von Ersatzfreiheitsstrafen sein.42

37
Albrecht 1980, 199 ff.
38
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang, dass eine Geldstrafe über 360 Tagessätze nur
bei einer Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 2 S. 2 StGB möglich ist.
39
Vgl. zu dieser Entwicklung auch Heinz 2017, 118 ff., insbesondere Schaubild 60.
40
Heinz 2017, 115.
41
Grube 2020, Vor § 40 Rn. 12; Radtke 2016, § 40 Rn. 54; zuvor bereits Kintzi 2001,
201 f.; dagegen: Albrecht 2017, § 40 Rn. 18; vgl. auch OLG Naumburg, B. v. 10. 05. 2012 – 1
Ss 8/12.
42
Vgl. den Anstaltsleiter der JVA Plötzensee, Dr. Uwe Meyer-Odewald, in seiner Stel-
lungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zum Gesetzent-
wurf BT-Drs. 19/1689 vom 18. April 2018 – Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe – am 03. 04.
2019, der für eine zu hohe Festsetzung des Tagessatzes insbesondere das Vorgehen per
Strafbefehl verantwortlich macht.
„Und immer geht’s ums Geld“ 839

Demgegenüber hat der Anteil der Geldstrafen mit einer Tagessatzhöhe ab 25 Euro
deutlich zugelegt. Entfielen darauf im Jahr 2002 noch 26,2 % aller Geldstrafen,
waren es im Jahr 2018 immerhin 37,0 %.
Tabelle 7
Geldstrafe und Freiheitsstrafe im Vergleich 1976 und 201843
FS bis 6 Monate FS bis 12 Monate FS 1 bis 2 Jahre
(= 180 Ts.) (= 360 Ts.) (> 360 Ts.)
1976 abs. % abs. % abs. %
Geldstrafe 491.883 89,3 % 608 2,3 % 70 0,8 %
FS mit Bewährung 44.695 8,1 % 16.288 60,8 % 878 10,7 %
FS ohne Bewährung 14.390 2,6 % 9.807 37,0 % 7.260 88,5 %
Insgesamt 550.968 100,0 % 26.803 100,0 % 8.208 100,0 %

2018
Geldstrafe 546.818 93,3 % 3.270 9,0 % 224 1,1 %
FS mit Bewährung 29.240 5,0 % 25.857 71,3 % 14.407 69,1 %
FS ohne Bewährung 10.042 1,7 % 7.163 19,7 % 6.228 29,9 %
Insgesamt 586.100 100,0 % 36.290 100,0 % 20.859 100,0 %

Eindrucksvoll ist der hohe Anteil von Verurteilungen nach der Abgabenordnung,
wenn hohe Anzahlen an Tagessätzen mit hohen Tagessätzen zusammentreffen. Von
326 Personen im Jahr 2018 mit einer Geldstrafe von 181 – 360 Tagessätzen, bei denen
der Tagessatz zugleich mehr als 50 Euro betrug, wurden allein 231 und damit 70,9 %
wegen Straftaten nach der Abgabenordnung verurteilt.44

43
Zahlen aus dem Jahr 1976 nach Albrecht 1980, 201; im Übrigen vgl. Statistik Strafver-
folgung Tabellen 3.1. und 3.3.
44
Quelle: Statistik Strafverfolgung 2018, Tabelle 3.3.
Tabelle 8
840
Höhe der Tagessätze von 2002 bis 2018a
Jahr Geldstrafe bis 5 Euro 5 – 10 Euro 10 – 25 Euro 25 – 50 Euro mehr als 50 Euro
2002 492.746 36.508 (7,4 %) 113.903 (23,1 %) 213.408 (43,3 %) 120.197 (24,4 %) 8.730 (1,8 %)
2005 545.619 30.196 (5,5 %) 154.366 (28,3 %) 221.380 (40,6 %) 129.200 (23,7 %) 10.477 (1,9 %)
2010 574.711 17.852 (3,1 %) 185.703 (32,3 %) 222.580 (38,7 %) 135.966 (23,7 %) 12.610 (2,2 %)
2015 566.789 12.144 (2,1 %) 170.232 (30,0 %) 214.562 (37,9 %) 154.339 (27,2 %) 15.512 (2,7 %)
2016 568.054 11.719 (2,1 %) 163.656 (28,8 %) 211.653 (37,3 %) 164.587 (29,0 %) 16.439 (2,9 %)
2017 551.701 9.611 (1,7 %) 147.568 (26,7 %) 203.174 (36,8 %) 173.276 (31,4 %) 18.072 (3,3 %)
2018 550.088 8.493 (1,5 %) 136.927 (24,9 %) 201.273 (36,6 %) 183.240 (33,3 %) 20.155 (3,7 %)
a
Quelle: Statistik Strafverfolgung, zuletzt Tabellen 3 und 3.3.
Jörg Kinzig
„Und immer geht’s ums Geld“ 841

4. Kriterien für die Wahl zwischen einer Einstellung


gegen Geldauflage, einer Verwarnung mit Strafvorbehalt
und einer Geldstrafe
Die vorhin (unter 2.) beschriebenen Unterschiede der drei Sanktionen würden ei-
gentlich erwarten lassen, dass für den Gesetzesanwender klare Maßstäbe dafür vor-
handen sind, wie er zwischen den genannten Rechtsinstituten zu wählen hat. Zudem
hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Vermögensstrafe be-
tont, dass es „dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auferlegt (sc. ist), dem Rich-
ter für die Auswahl der Strafarten Leitlinien an die Hand zu geben, damit dieser im
Einzelfall eine schuldangemessene und vorhersehbare Reaktion bemessen und be-
gründen kann.“45 Wie gleich zu sehen sein wird, sind die Vorgaben aber keineswegs
so klar, wie erhofft, und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eigentlich erforder-
lich.46
Dies gilt in besonderer Weise für die Einstellung unter Auflagen und Weisungen.
Die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage nach
§ 153a Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 StPO sind notorisch vage.47 Das positive formulierte Kri-
terium der Eignung von Auflagen oder Weisungen, das öffentliche Interesse an der
Strafverfolgung zu beseitigen und die negative Anforderung des Nicht-Entgegenste-
hen-Dürfens der Schwere der Schuld werden mit einer Rechtsfolge kombiniert, die
im Ermessen des Entscheiders steht.48 Wie bereits erwähnt, macht das Gesetz zudem
zur Bestimmung der Höhe des zu entrichtenden Geldbetrages keinerlei Vorgaben.
Ein Blick in die RiStBV hilft nicht sehr viel weiter. Bemerkenswert ist zunächst,
dass Nr. 16 Abs. 1 RiStBV der Staatsanwaltschaft bei einem möglichen Vorgehen
nach § 153a StPO wie vor der Erhebung der Anklage auferlegt, regelmäßig eine Aus-
kunft aus dem Zentralregister einzuholen. Darüber hinausgehende Direktiven lassen
sich den RiStBV nicht entnehmen.49
Auch in der Kommentar- und sonstigen Literatur lassen sich nur vereinzelt kon-
krete Hinweise dazu finden, wann aufgrund der Schwere der Schuld nur noch eine
Anklage und daher potentiell eine Verwarnung mit Strafvorbehalt oder gar eine Geld-
strafe in Frage kommen. Nach Meyer-Goßner & Schmitt darf es sich für eine Einstel-
lung nach § 153a StPO „höchstens um eine Schuld im mittleren Bereich handeln“,
45
BVerfGE 105, 135 (160).
46
Vgl. auch Loos 1995, 568, der es „schwer erträglich“ findet, „daß es keine klaren Di-
rektiven dafür gibt, wann ein Beschuldigter im Bereich der mittleren Kriminalität mit einer
beträchtlichen Strafsanktion rechnen muß und wann er mit einer Quasisanktion im entkrimi-
nalisierenden Verfahren nach § 153a StPO davonkommt“.
47
Vgl. auch Stuckenberg 2016, 372: wenige Tatbestandsvoraussetzungen, die zur Hälfte
diffus seien.
48
Ob hier den Strafverfolgungsbehörden ein Ermessen eröffnet ist, ist freilich streitig, vgl.
Beulke 2008, § 153a Rn. 46 mit Verweis auf § 153 Rn. 38 f.
49
Nr. 93 RiStBV, der ebenfalls die Einstellung nach § 153a StPO adressiert, bezieht sich
mit wenigen Bestimmungen nur auf Art und Höhe der Auflage.
842 Jörg Kinzig

wobei die Vorschrift „insbesondere (aber nicht nur) gegen Ersttäter Anwendung“
finde.50 Auch Beulke hält § 153a StPO bei einer Schuld „im mittleren Bereich“
für anwendbar. Davon könne dann nicht mehr die Rede sein, „wenn Freiheitsstrafen
in Rede stehen, bei denen eine Strafaussetzung nicht mehr möglich wäre.“51 Nach
Diemer brauche „die Schuld nicht gering zu sein“, dürfe „aber auch nicht schwer
sein, so dass von einem mittleren Schuldausmaß auszugehen ist.“52 Nach Peters
komme „§ 153a nur in Fällen der ,mittleren Kriminalität‘ und nur bei mittlerer
Schuld in Betracht“, nicht mehr bei einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung
nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne.53
Soweit sich präzisere Aussagen finden, nehmen diese zur Bestimmung der
„Schwere der Schuld“ in § 153a Abs. 1 S. 1 StPO auch auf die Verwarnung mit Straf-
vorbehalt und die Geldstrafe Bezug. Teilweise wird dabei vorgeschlagen, dass § 153a
StPO nur anwendbar sei, wenn im Falle einer Verurteilung eine Geldstrafe erfolgen
würde.54 Andere Stimmen ziehen einen Vergleich zur Verwarnung mit Strafvorbehalt
und vertreten die Ansicht, die Grenze der Schwere der Schuld sei bei einer Geldstrafe
von bis zu 180 Tagessätzen zu ziehen.55 Diese Ansicht überzeugt zum einen aufgrund
der Intention des Gesetzgebers des Jahres 1974, mit der Einführung des § 153a StPO
durch das EGStGB ein prozessuales Gegenstück zur Verwarnung mit Strafvorbehalt
nach § 59 StGB zu schaffen.56 Zum anderen erscheint es sinnwidrig, wenn Einstel-
lungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren zur Verfügung stünden, die über die in
einem Urteil nach Hauptverhandlung möglichen mildesten Sanktionsmöglichkeiten
hinausgehen.57

50
Meyer-Goßner & Schmitt 2019, § 153a Rn. 7.
51
Beulke 2008, § 153a Rn. 32; vgl. auch Beukelmann 2019, § 153a Rn. 12 f., wonach ein
Vorgehen nach § 153a StPO bei im Fall einer Verurteilung zur Bewährung auszusetzenden
Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr möglich sei.
52
Diemer 2019, § 153a Rn. 10.
53
Peters 2016, § 153a Rn. 12. Vgl. auch Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017,
Rn. 30, 37: Anwendung bis in die mittlere Kriminalität hinein. Die Formulierung „mittlere
Kriminalität“ geht auf die Begründung des Bundesrates zu dem Entwurf eines Gesetzes zur
Entlastung der Rechtspflege aus dem Jahr 1991 zurück (BT-Drs. 12/1217). Dort heißt es auf
S. 34: „Die vorgeschlagene Regelung … gibt … der Praxis die Möglichkeit, auch im Bereich
der mittleren Kriminalität von der Erhebung der öffentlichen Klage gegen Auflagen und
Weisungen abzusehen.“
54
So Radtke 1994, 207 f.; Loos 1995, 572; Scheinfeld 2008, 856; dazu ausführlich, aber
ablehnend Kluth 2016, 116 ff.
55
Kluth 2016, 129 ff., 131 ff. mit weiteren Nachweisen zu Autoren, die geringere Tages-
satzzahlen für maßgebend erachten.
56
Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Einführungsgesetzes zum
Strafgesetzbuch (EGStGB), Bt-Drs 7/550, S. 297 unter Bezug auf § 59 StGB: „Die Einstel-
lung unter Auflagen oder Weisungen würde in zahlreichen Fällen auch im Verfahren bis zur
Hauptverhandlung eine entsprechende Erledigung ermöglichen.“
57
Vgl. Kluth 2016, 131 ff., 142 f.
„Und immer geht’s ums Geld“ 843

Damit stellt sich aber unweigerlich ein Problem, das der Jubilar in seiner Kom-
mentierung zu § 59 StGB zu Recht aufgeworfen hat: Welche Fälle bleiben nach
der Ausweitung des § 153a StPO für eine Verwarnung mit Strafvorbehalt überhaupt
noch übrig?58 Die Frage stellt sich umso drängender, als die Verwarnung mit Straf-
vorbehalt im Gegensatz zu § 153a StPO deutlich stärker konturiert ist. Zu den Vor-
aussetzungen des § 59 StGB zählen: – die Verwirkung einer Geldstrafe bis zu 180
Tagessätzen; – eine günstige Legalprognose; – besondere Umstände von Tat und
Täter und – das Nichtgebotensein einer Verurteilung zu Strafe zur Verteidigung
der Rechtsordnung. Schaut man auf die oben genannten einer Verwarnung mit Straf-
vorbehalt regelmäßig zugrunde liegenden Delikte, ist zunächst nicht einsichtig,
warum bei einem einfachen Betrug, einer einfachen Körperverletzung oder einem
einfachen Diebstahl nicht das Verfahren schon durch die Staatsanwaltschaft vor An-
klageerhebung oder spätestens durch das Gericht im Hauptverfahren eingestellt
wurde, zumal ein Vorgehen nach § 59 Abs. 1 StGB ja voraussetzt, dass sich Tat
und Täter durch die darin genannten Besonderheiten auszeichnen.
Daher scheint es eher erklärungsbedürftig, warum die Strafverfolgungsstatistik
immer noch Fälle von Verwarnungen mit Strafvorbehalt aufweist, wenn doch ihre
vergleichsweise engen normativen Voraussetzungen spätestens im Stadium der
Hauptverhandlung eine Ahndung nach § 153a StPO nahelegen. Es kommt hinzu,
dass die deutlich formlosere und sanktionsärmere Einstellung gegen eine Auflage
auch den Verfahrensbeteiligten nur Vorteile bringt.59
Dass ein Vorgehen nach § 153a StPO nicht normativ genauer von der Verwarnung
mit Strafvorbehalt abgeschichtet wurde, ist auch deswegen erstaunlich, weil bemer-
kenswerterweise bereits der Gesetzgeber die Vorteile eines Vorgehens nach § 59
StGB gegenüber einer Einstellung nach § 153a StPO betont hat. So werden der Ver-
warnung mit Strafvorbehalt im bereits erwähnten Entwurf des 2. Justizmodernisie-
rungsgesetzes gegenüber der Anwendung des § 153a StPO „wesentliche Vorzüge“
attestiert. Denn sie werde „in einem unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten abgesi-
cherten Verfahren verhängt“ und ihr liege „eine gerichtliche Schuldfeststellung zu-
grunde.“60
Erklären lässt sich das Überleben der Verwarnung mit Strafvorbehalt wohl nur mit
zwei Phänomenen. Zum einen kann es für eine Einstellung an den erforderlichen Zu-
stimmungen der Prozessbeteiligten fehlen. Das wird in erster Linie die Staatsanwalt-
schaft sein. Fallkonstellationen dieser Art hat Dencker bereits im Jahr 1986 als solche
des „Amtsrichters Rache“ beschrieben.61 Denkbar sind auch Situationen, in denen es
„der schwierige Angeklagte“ ist, der die Zustimmung verweigert. Als Beispiel kann

58
Albrecht 2017, § 59 Rn. 7.
59
Vgl. Neumayer-Wagner 1998, 86 ff.
60
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisie-
rung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz), BT-Drs. 16/3038, 58; vgl. auch Heintschel-
Heinegg 2020, § 59 Rn. 5.
61
Dencker 1986, 399 ff.
844 Jörg Kinzig

ein Verfahren des AG Wuppertal aus dem Jahr 2007 dienen. Dort erhielt der Ange-
klagte aufgrund sogenannten „Schwarzsurfens im Internet“ wegen eines tateinheit-
lichen Verstoßes gegen §§ 89 S. 1, 148 Abs. 1 S. 1 TKG (Verstoß gegen das Abhör-
verbot für Nachrichten) und gegen §§ 44, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG (unbefugtes Bereit-
halten personenbezogener Daten) eine Verwarnung mit Strafvorbehalt. Einer ur-
sprünglich ins Auge gefassten Einstellung des Verfahrens, für die der Angeklagte
allerdings auf seinen Laptop hätte verzichten müssen, hatte der Angeklagte nicht zu-
gestimmt.62
Zum anderen dürfte der Rückgriff auf eine Schuldfeststellung nach § 59 StGB ge-
genüber dem Weg über § 153a StPO nicht selten der Symbolkraft geschuldet sein, die
man sich von einem Urteil erhofft.63 Als ein Beleg dafür kann der berühmt gewordene
Fall Daschner angeführt werden. Daschner, damaliger Polizeivizepräsident von
Frankfurt/M., hatte bekanntlich während der Entführung eines Jungen im Jahr
2002 angeordnet, dass dem Verdächtigen Gäfgen mit dem Einsatz physischen
Zwangs zu drohen sei, um ihn zur Preisgabe des Verstecks des Kindes zu veranlassen.
Hier begründete das Landgericht Frankfurt/M. seine Verwarnung bemerkenswerter-
weise damit, die Verteidigung der Rechtsordnung habe es geboten, „dass ein Schuld-
spruch erfolgt, nicht aber eine Bestrafung. Es musste klargestellt werden, dass die
bestehenden Gesetze und die in ihnen verkörperten Verfassungsgrundsätze von Re-
präsentanten der Staatsgewalt beachtet werden, auch in Situationen, in denen es per-
sönlich sehr schwer fallen mag, sich danach zu richten.“64 Hierzu sei in Erinnerung
gerufen, dass eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB
voraussetzt, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe
nicht gebietet. In der Lesart des Landgerichts ist also die schwierige Unterscheidung
zu treffen, ob die schillernde Rechtsfigur der Verteidigung der Rechtsordnung zwar
bereits einen Schuldspruch (dann ist kein Vorgehen nach § 153a StPO mehr mög-
lich), aber noch nicht die Verurteilung zu einer Geldstrafe erfordert.
Die genannten Schwächen des § 153a StPO und dessen weitgehend mit der Ver-
warnung mit Strafvorbehalt deckungsgleicher Anwendungsbereich führen folgerich-
tig zu Vorschlägen, eine Abschaffung der Einstellung gegen Auflagen durch einen
Ausbau des Anwendungsbereichs des § 59 StGB zu kompensieren.65
Im Übrigen wird die Wahl zwischen einer Verwarnung mit Strafvorbehalt und der
Verhängung einer Geldstrafe im Bereich bis zu 180 Tagessätzen im Wesentlichen
durch die Voraussetzung des § 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB gesteuert. Danach setzt
die Verwarnung mit Strafvorbehalt voraus, dass nach der Gesamtwürdigung von

62
AG Wuppertal, NStZ 2008, 161.
63
Neumayer-Wagner 1998, 99 ff. sieht darin eine Fallgruppe zur „Aufrechterhaltung des
sozialethischen Unwerturteils“.
64
LG Frankfurt, NJW 2005, 692 (696).
65
Siehe umfassend Bommer, Deiters, Eser u. a. 2019, die § 153a StPO abschaffen und die
„Verwarnung“ nach § 59 StGB dagegen ausbauen wollen; vgl. auch Deiters 2015.
„Und immer geht’s ums Geld“ 845

Tat und Persönlichkeit des Täters besondere Umstände vorliegen, die eine Verhän-
gung von Strafe entbehrlich machen.66
Ist der Weg zu einer Geldstrafe frei, ist abschließend noch auf die Schwierigkeit
hinzuweisen, im Bereich von Strafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr zwi-
schen der Anordnung einer Geld- und einer Freiheitsstrafe zu differenzieren. Hans-
Jörg Albrecht schreibt dazu: „Abgesehen von dem durch § 47 geregelten Verhältnis
kurzer Freiheitsstrafen zur Geldstrafe fehlt es bislang an Kriterien für die Entschei-
dung zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe bei Strafen zwischen sechs Monaten
und einem Jahr, wenn man von einer zweifelhaften, aber in der Praxis dominierenden
Berücksichtigung der (einschlägigen) Vorstrafenbelastung absieht.“67
Die Praxis räumt in diesem Bereich in einer bemerkenswerten Uniformität immer
noch ganz weitgehend Freiheitsstrafen den Vorrang gegenüber der Geldstrafe ein.
Die vor einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nach § 47 StGB gesetzlich veran-
kerte Bremse scheint im Bereich darüber fast völlig gelöst.68 Das belegen die oben in
Tabelle 7 genannten Zahlen mit der eindeutigen, wenn auch etwas verringerten Do-
minanz der Freiheitsstrafe.
Thematisiert wird das Problem, wie zwischen Freiheits- und Geldstrafe im Be-
reich zwischen sechs und zwölf Monaten zu wählen ist, nur selten. Im Praktikerkom-
mentar von Fischer wird die Frage – soweit ersichtlich – gar nicht angesprochen.69 Im
Übrigen fallen die Stimmen in der Literatur, wie in diesem Bereich zu verfahren ist,
sehr unterschiedlich aus: Teilweise wird eher affirmativ die gängige Praxis wieder-
gegeben.70 Unter Gleichheitsaspekten nicht unproblematisch erscheint der an ande-
rer Stelle erteilte Rat, „bei vermögenden Tätern, die erfahrungsgemäß gegenüber
einer höheren Geldstrafe recht empfindlich sind“, verstärkt von einer Geldstrafe Ge-
brauch zu machen.71
Demgegenüber stellen andere Autoren den explizit oder impliziert propagierten
Vorrang der Freiheitsstrafe infrage. Nach Miebach & Maier seien in diesem Bereich
„der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Maß der Schuld sowie präventive Überle-
gungen“ für die Wahl der Strafart maßgebend. Könne danach auf das gewichtigere
Unwerturteil, das mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe gegenüber einer Geldstra-

66
Vgl. etwa Kinzig 2019, § 59 Rn. 11 ff.
67
Albrecht 2017, § 40 Rn. 16.
68
Vgl. Streng 2012, Rn. 164.
69
Erschwert wird die Suche des Rechtsanwenders nach Hinweisen für ein geeignetes
Vorgehen dadurch, dass unklar ist, wo Informationen zu einem Problem zu finden sind, zu dem
keine explizite Regelung existiert: bei den Erläuterungen zu § 40, zu § 46 oder zu § 47 StGB?
70
Vgl. etwa Grube 2020, Vor § 40 Rn. 40, wobei es nicht von vornherein ausgeschlossen
sei, „auch in diesen Fällen … auf eine angemessen hohe Geldstrafe zu erkennen.“ Heintschel-
Heinegg 2020, § 46 Rn. 126 spricht gar von einer „Umwandlung“ der Freiheits- in eine
Geldstrafe.
71
Schäfer, Sander & van Gemmeren 2017, Rn. 1193.
846 Jörg Kinzig

fensanktion verbunden ist, verzichtet werden, sei eine Geldstrafe festzusetzen.72 Ver-
gleichsweise ausführlich hat sich Wolters der Thematik gewidmet. Er wendet sich
zunächst zutreffend gegen eine schlichte Umkehr des Grundsatzes des § 47 StGB
in diesem Bereich mit der Folge, „dass die Verhängung der Strafe als Freiheitsstrafe
die Regel und die Geldstrafe die Ausnahme“ sei,73 wobei er im Folgenden mit von
sechs Monaten bis zu einem Jahr steigendem Strafquantum „eine lineare Entwick-
lung“ hin von einer Geld- zu einer Freiheitsstrafe favorisiert.74
Die genannten unterschiedlichen Ansichten sind auf eine nur schwer mit der Ver-
fassung vereinbare Abstinenz des Gesetzgebers in einer wichtigen Frage zurückzu-
führen, bei der immerhin die Würfel über die Freiheitsentziehung eines Angeklagten
fallen.75 Jedenfalls ist dem Gesetz kein Vorrang der Freiheits- gegenüber der Geld-
strafe zu entnehmen. Im Übrigen hat das Gericht in diesem grundrechtssensiblen Be-
reich seine Entscheidung sorgfältig zu begründen. Dabei wird, je näher sich die Stra-
fe der Grenze von einem Jahr nähert, desto eher eine Freiheitsstrafe in Betracht kom-
men. Reicht jedoch eine Geldstrafe aus, wäre eine Freiheitsstrafe schon aus Gründen
der Verhältnismäßigkeit verfehlt.76

5. Zusammenfassung
Ein normativer und rechtstatsächlicher Vergleich von Geldauflage, Verwarnung
mit Strafvorbehalt und Geldstrafe lässt sich wie folgt resümieren.
1. Die Voraussetzungen der drei Sanktionen, mit denen ein Beschuldigter in einem
Strafverfahren zur Zahlung eines Geldbetrages verpflichtet werden kann, sind un-
terschiedlich dicht ausgestaltet. Die auch nach der Gesetzesreform des Jahres
2006 restriktive Normierung der Verwarnung mit Strafvorbehalt korrespondiert
nach wie vor mit einem geringen Anwendungsbereich.
2. § 153a StPO ist sowohl in seinen Anforderungen als auch in seinem Umfang, ins-
besondere was die Höhe der Geldauflage angeht, geradezu obszön vorausset-
zungsarm. Schon deswegen ist ein Vorgehen nach § 153a StPO an sich auf
Fälle „geringfügiger Kriminalität“ zu beschränken.77 Dabei empfiehlt es sich,
72
Miebach & Maier 2016, § 46 Rn. 132.
73
Wolters 2016, vor § 46 Rn. 22.
74
Wolters 2016, § 47 Rn. 7 ff.
75
Dies gilt, auch wenn Albrecht zu Recht auf eine zunehmende Konvergenz zwischen
Geld- und Freiheitsstrafe im Bereich von bis zu einem Jahr hinweist, vgl. Albrecht 2017, § 40
Rn. 7.
76
Vgl. Kinzig 2019, § 46 Rn. 64; in diese Richtung auch Miebach & Maier 2016, § 46
Rn. 132.
77
Auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verständigungsgesetz
(vgl. BVerfGE 133, 168 (226)) wird ein „Absehen von der Strafverfolgung“ auf Fälle ge-
ringfügiger Kriminalität begrenzt, „in denen der Rechtsfrieden nicht ernsthaft beeinträchtigt
und eine Kriminalstrafe zum Schuldausgleich nicht zwingend geboten ist, so dass ein öffent-
„Und immer geht’s ums Geld“ 847

die Grenze der Schwere der Schuld, bis zu der noch eine Einstellung gegen eine
(Geld-)Auflage in Betracht kommt, bei einer Geldstrafe von bis zu 180 Tagessät-
zen zu ziehen.
3. „De lege ferenda“ scheint es angebracht, das Verhältnis zwischen § 153a StPO
und § 59 StGB (mindestens) neu zu justieren, § 153a StPO zu präzisieren oder
gar ganz abzuschaffen. Dabei sind auch die Rückwirkungen auf das Rechtsinstitut
der Verständigung im Strafverfahren in den Blick zu nehmen. Der AE – Abge-
kürzte Strafverfahren im Rechtsstaat erscheint dafür als taugliche Diskussions-
grundlage.
4. In rechtstatsächlicher Hinsicht scheint das Potential eines Vorgehens nach § 153a
StPO derzeit ausgeschöpft. Daran hat auch die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts zum Verständigungsgesetz augenscheinlich nichts geändert. Dem-
gegenüber hat die Geldstrafe seit Beginn dieses Jahrhunderts auf hohem Niveau
weiter an Bedeutung gewonnen. Dies gilt in moderater Art und Weise auch für
den Bereich zwischen 91 bis 180 Tagessätzen.
5. Dass im Bereich zwischen sechs und zwölf Monaten keine gesetzlichen Vorgaben
darüber existieren, ob eine Freiheits- oder eine Geldstrafe anzuordnen ist, ist
rechtsstaatlich bedenklich. Die in der Praxis vorherrschende Einstellung, die Frei-
heitsstrafe als Regel und die Geldstrafe als Ausnahme vorzusehen, hat keine nor-
mative Grundlage.
Diese Thesen können erst den Anfang einer noch zu führenden Diskussion bilden.
Es ist zu wünschen, dass sich auch Hans-Jörg Albrecht daran in gewohnter und be-
währter Weise beteiligen wird.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1978): Statistische Angaben über die Geldstrafe in der Bundesrepublik
Deutschland, in: H.-H. Jescheck & G. Grebing (Hrsg.), Die Geldstrafe im deutschen und aus-
ländischen Recht. Baden-Baden, S. 165 – 191.
Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen unter Berücksichti-
gung des Tagessatzsystems. Berlin.
Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität: Eine vergleichende theore-
tische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2017): §§ 40 – 43 und §§ 59 – 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeff-
gen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, NomosKommentar. 5. Aufl. Baden-Baden.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (2006): Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach:
Kolloquium zum 90. Geburtstag von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck
am 10. Januar 2005. Berlin.

liches Interesse an einem Schuldspruch nicht besteht oder durch die Erfüllung von Auflagen
oder/und Weisungen beseitigt werden kann.“
848 Jörg Kinzig

Beukelmann, S. (2019): § 153a, in: J.-P. Graf (Hrsg.), BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra.
36. Edition, Stand 01. 10. 2019. München.
Beulke, W. (2008): § 153a, in: V. Erb, K. Graalmann-Scheerer, C.-F. Stuckenberg u. a. (Hrsg.),
Löwe/Rosenberg. Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz: StPO,
Band 5: §§ 151 – 212b. 26. Aufl. Berlin.
Bommer, F., Deiters, M., Eser, A. u. a. (2019): Alternativ-Entwurf Abgekürzte Strafverfahren im
Rechtsstaat (AE-ASR). Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, S. 1 – 128.
Brüning, J. (2015): Die Einstellung nach § 153a StPO. Moderner Ablasshandel oder Rettungs-
anker der Justiz? Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 12, S. 586 – 592.
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.) (2019): Strafrechtspflege in
Deutschland. Fakten und Zahlen von Jörg-Martin Jehle. 7. Aufl. Berlin.
Deiters, M. (2015): Plädoyer für die Abschaffung des § 153a StPO und die Einführung eines
neuen abgekürzten Verfahrens. Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, S. 371 – 386.
Dencker, F. (1986): Ein Plädoyer für § 59 StGB. Strafverteidiger 6, S. 399 – 405.
Diemer, H. (2019): § 153a, in: R. Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessord-
nung mit GVG, EGGVG und EMRK. 8. Aufl. München.
Gaede, K. & Kubiciel, M. (2014): Klug oder frech? Legal Tribune Online vom 05. 08. 2014;
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-muenchen-beschluss-5kls405js16174111-einstel
lung-bestechung-ecclestone/.
Grube, A. (2020): Vor § 40, in: G. Cirener, H. Radtke, R. Rising-van-Saan u. a. (Hrsg.), Straf-
gesetzbuch. Leipziger Kommentar Strafgesetz, Vierter Band: §§ 38 – 55. 13. Aufl. Berlin.
Heintschel-Heinegg, B. (2020): § 46, § 59, in: B. v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), BeckOK StGB.
46. Edition, Stand 01. 05. 2020. München.
Heinz, W. (2017): Kriminalität und Kriminalitätskontrolle in Deutschland – Berichtsstand 2015
im Überblick, Stand: Berichtsjahr 2015; Version: 1/2017; http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/
Kriminalitaet_und_Kriminalitaetskontrolle_in_Deutschland_Stand_2015.pdf.
Kintzi, H. (2001): Die Geldstrafe – eine ausbaufähige Sanktion. Deutsche Richterzeitung,
S. 198 – 206.
Kinzig, J. (2004): Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Krimina-
lität. Berlin.
Kinzig, J. (2019): Vorbem. vor §§ 38 ff.–51, in: A. Eser u. a.: Schönke/Schröder Strafgesetz-
buch: StGB. 30. Aufl. München.
Kluth, C. (2016): Die „Schwere der Schuld“ in § 153a StPO: Zugleich ein Vorschlag zur Pa-
rallelisierung mit § 59 StGB de lege ferenda. Münster.
Köhler, P. (2019): „Freispruch“ gegen Geld: der Problemlöser § 153a StPO. Der Kriminalist 10,
S. 32 – 35.
Loos, F. (1995): Zur „schadensbegrenzenden“ Auslegung strafprozessualer Vorschriften des
Justizentlastungsgesetzes, in: J. Goydke, D. Rauschning, R. Robra u. a. (Hrsg.), Festschrift
für Walter Remmers „Vertrauen in den Rechtsstaat“. Köln, S. 565 – 576.
Meyer-Goßner, L. & Schmitt, B. (2019): Strafprozessordnung: StPO. 62. Aufl. München.
„Und immer geht’s ums Geld“ 849

Miebach, K. & Maier, S. (2016): § 46, in: W. Joecks & K. Miebach (Hrsg.), Münchener Kom-
mentar zum StGB, Band 2: §§ 38 – 79b. 3. Aufl. München.
Neumayer-Wagner, E.-M. (1998): Die Verwarnung mit Strafvorbehalt. Ihre Entstehung, gegen-
wärtige rechtliche Gestaltung, praktische Handhabung und ihr Entwicklungspotential. Kri-
minologische und sanktionenrechtliche Forschungen (KSF), Band 9. Berlin.
Peters, S. (2016): § 153a, in: H. Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur StPO, Band 2:
§§ 151 – 332 StPO. 1. Aufl. München.
Radtke, H. (1994): Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entschei-
dungen im Strafprozess. Bern.
Radtke, H. (2016): § 40, in: W. Joecks & K. Miebach: Münchener Kommentar zum StGB,
Band 2: §§ 38 – 79b. 3. Aufl. München.
Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (Hrsg.) (2020): Weiterentwicklung der Kriminal- und
Strafrechtspflegestatistik in Deutschland. RatSWD Output 7/6. Berlin.
Schäfer, G., Sander, G. & van Gemmeren, G. (2017): Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Mün-
chen.
Scheinfeld, J. (2008): Die Verfahrenseinstellung in großen Wirtschaftsstrafsachen – Zu den Vor-
aussetzungen des § 153a StPO, in: H. Putzke, B. Hardtung, T. Hörnle u. a. (Hrsg.), Strafrecht
zwischen System und Telos. Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag. Tü-
bingen, S. 843 – 870.
Streng, F. (2012): Strafrechtliche Sanktionen. 3. Aufl. Stuttgart.
Stuckenberg, C.-F. (2016): Gründe für die Abschaffung des § 153a StPO, in: F. Herzog,
R. Schlothauer, W. Wohlers & J. Wolter (Hrsg.), Rechtsstaatlicher Strafprozess und Bürger-
rechte. Gedächtnisschrift für Edda Weßlau. Schriften zum Strafrecht (SR), Band 297. Berlin,
S. 369 – 389.
Weigend, T. (2016): Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO: praktikabel, aber nicht legitim, in:
F. Herzog, R. Schlothauer, W. Wohlers & J. Wolter (Hrsg.), Rechtsstaatlicher Strafprozess
und Bürgerrechte. Gedächtnisschrift für Edda Weßlau. Schriften zum Strafrecht (SR),
Band 297. Berlin, S. 413 – 425.
Wolters, G. (2016): § 46, § 47, in: J. Wolter (Hrsg.), SK-StGB: Systematischer Kommentar zum
Strafgesetzbuch, Band II: §§ 38 – 79b. 9. Aufl. Köln.
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen
auf den Verlauf des Strafverfahrens in der Türkei
Von Feridun Yenisey

1. Einführung
Die erste Aktenuntersuchung über den Verlauf des Strafverfahrens in der Türkei
von 1998, deren Ergebnisse als wissenschaftliche Grundlage für eine Reform1 des
Strafverfahrens im Jahr 2004 gedient haben, wurde unter der Betreuung des verehr-
ten Jubilars Hans-Jörg Albrecht durchgeführt. Zusammen mit meinem Lehrer Sulhi
Dönmezer haben wir 1.117 Gerichtsakten von Istanbuler Strafgerichten mit Ent-
scheidungen untersucht, die vor 1998 rechtskräftig geworden waren.2 Damals galten
Verfahrensverzögerungen und die Verletzung des Fair-Trial-Prinzips als die wich-
tigsten Probleme. In den Akten wurden deswegen die einzelnen Handlungen der Ver-
fahrensbeteiligten untersucht, und es zeigte sich, dass es im Allgemeinen sehr lange
Wartezeiten zwischen einzelnen Handlungen gab, die Ermittlungen oberflächlich
und innerhalb von kurzer Zeit geführt wurden und die Hauptverhandlung zusammen
mit der Rechtsmittelphase Jahre dauerte. Nach dem Inkrafttreten der neuen Strafpro-
zessordnung3 (Ceza Muhakemesi Kanunu; CMK), hat die Bahçeşehir Universität
zwischen Oktober 2011 und Februar 2012 die zweite Aktenuntersuchung durchge-
führt, wieder unter der wissenschaftlichen Betreuung von Hans-Jörg Albrecht (465
Akten vom Friedensgericht, 322 vom Amtsgericht und 212 vom Schwurgericht).4
Auch die Ergebnisse dieser zweiten Aktenuntersuchung haben bei den jüngsten Än-
derungen indirekt Auswirkungen auf die Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung
und zur Untersuchungshaft gehabt.

1
Die 1985 eingesetzte Kommission zur Erarbeitung eines neuen Strafgesetzbuchentwurfs
unter dem Vorsitz von Sulhi Dönmezer stellte den ersten Entwurf im Jahr 1987 fertig. Später
wurde die Aufgabe der Reformkommission erweitert und mehrere Gesetze wurden vorberei-
tet, zu denen die Strafprozessordnung, das Strafvollzugsgesetz und das Jugendschutzgesetz zu
zählen sind, die ein gesamtes System bilden. Die neuen Gesetze wurden im September 2004
verabschiedet und traten 2005 in Kraft; Tellenbach 2008, 2.
2
Dönmezer & Yenisey 2000.
3
Für die deutsche Übersetzung und Einführung siehe Arslan 2017. Das neue Gesetz hat im
Allgemeinen die Grundprinzipien des alten, von der deutschen StPO fast wortwörtlich rezi-
pierten Gesetzes Nr. 1412 von 1929 übernommen. Es gibt aber einige grundlegende Abwei-
chungen, über die wir im Folgenden sprechen werden.
4
Yenisey & Nuhoğlu 2015, 7.
852 Feridun Yenisey

In diesem Beitrag werde ich einige Ergebnisse beider Aktenuntersuchungen ver-


gleichen. Dabei will ich einige Auswirkungen der Aktenuntersuchung von 1998 auf
die Gesetzgebung von 2004 zeigen, anhand von Beispielen aus Istanbuler Akten dar-
legen, wie die neuen Gesetze den Gang des Strafverfahrens beeinflusst haben, und
schließlich einige neueste Änderungen skizzieren, deren Auswirkungen bislang
noch nicht untersucht sind.

2. Ermittlungsverfahren
Das Strafverfahren läuft in der Türkei in zwei Phasen ab: Ermittlungsphase und
Verfolgungsphase. Die Ermittlungsphase beginnt mit der Feststellung des Staatsan-
walts, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine begangene Straftat vorliegen. Falls
dies bei einem angezeigten Sachverhalt nicht der Fall ist, ermittelt er überhaupt
nicht und entscheidet darüber, dass er nicht einschreiten wird (Art. 158/6 CMK).
Diese Betonung der Unschuldsvermutung wurde im Jahre 2017 durch die Änderung
in der Strafprozessordnung durch die Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft (KHK)
Nr. 694 verstärkt, die durch Gesetz Nr. 7078 im Jahr 2018 bestätigt wurde.5 Dieser
rechtstaatliche Schutz des Bürgers vor möglichen strafprozessualen Zwangsmaßnah-
men wurde schon vor vielen Jahren vorgeschlagen und ist zu begrüßen.6
Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen, wenn hinrei-
chende tatsächliche Anhaltspunkte einen Tatverdacht begründen (Art. 160 CMK;
wie StPO 152/2). Die Beurteilung erfolgt gemäß der Einschätzung einer durch-
schnittlichen Person, d. h. ob im Allgemeinen ein solcher Anschein entsteht
(Art. 160/1 CMK).
Die Staatsanwaltschaft führt die Ermittlungen entweder selbst durch oder beauf-
tragt damit die Kriminalpolizei (Art. 161/1 CMK).7 Die Kriminalpolizei darf nur
dann ermitteln, wenn der Staatsanwalt es angeordnet hat. Eine eigenständige Ermitt-
lung durch die Polizei wurde in der Türkei in Reaktion auf die Ergebnisse der Ak-
tenuntersuchung verboten.8 Trotzdem wurden Anzeigen über Straftaten oder Straf-
5
Yenisey & Nuhoğlu 2019, 571.
6
Unter dem Begriff ,staatsanwaltschaftlicher Bescheid über Nichteinschreiten‘
(koğuşturmama kararnamesi) hatte Kunter ein wissenschaftliches Prinzip formuliert (Kunter
1989, 797). Bei unseren Vorschlägen nach der Aktenuntersuchung 1998 hatten wir zur Stär-
kung von Beschuldigtenrechten dieses Erfordernis ebenfalls betont (Dönmezer & Yenisey
2000, 268).
7
Die Aufgaben der Kriminalpolizei sind in Art. 164 CMK geregelt, aber eine besonders
ausgebildete organisatorische Einheit innerhalb der Sicherheitskräfte gibt es nicht. Beamte
von verschiedenen Dezernaten werden vorübergehend auf diese Posten berufen und führen
dann die justiziellen Anordnungen des Staatsanwalts aus. Die Gründung einer Kriminalpolizei
in der Türkei wird immer diskutiert, aber bis heute ohne Erfolg (Yenisey 2015, 417 ff.).
8
Nach den Ergebnissen der Aktenuntersuchung hat die Staatsanwaltschaft in den 1.117
Akten in 143 Fällen selbst zusätzliche Ermittlungen durchgeführt, aber in 906 Fällen keine
(Dönmezer & Yenisey 2000, 154) und die Zusammenfassung der polizeilichen Ermittlungs-
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen 853

anträge9 vor und nach der Reform im Allgemeinen bei der Polizei eingereicht.10 Das
Hauptanliegen des Gesetzgebers von 2005 war die Stärkung der Befugnisse der
Staatsanwaltschaft, um die Polizei unter einer rechtlichen Kontrolle zu halten,
was aber tatsächlich nicht umgesetzt wurde. Die Polizei ist noch immer die führende
Kraft bei Ermittlungen.11
Die Polizei hat als erste Ermittlungshandlung am häufigsten Vernehmungen durch-
geführt.12 Die polizeiliche Tatortarbeit, Bringen des Beschuldigten zum Tatort13, Ge-
genüberstellung des Beschuldigten mit dem Zeugen oder dem Verletzten, und die kör-
perliche Untersuchung waren die übrigen Ermittlungshandlungen der Polizei.
Eine Vernehmung des Beschuldigten vor der Klageerhebung ist in der Türkei ge-
setzlich nicht vorgeschrieben.14 Trotzdem wurde der Beschuldigte am häufigsten von
der Polizei vernommen.15
Die Aussagebereitschaft des Beschuldigten ändert sich auch nach der Art des Vor-
wurfs, je nach dem aburteilenden Gericht.16 Der Gesetzgeber hat Maßnahmen getrof-
fen, um unzulässige Vernehmungsmethoden zu verhindern. Zu diesem Zwecke hat

ergebnisse in eine Anklageschrift umgewandelt (Dönmezer & Yenisey 2000, 168). Dieses
Verhalten, was zu Verzögerungen in der Hauptverhandlung führte, wurde mit der enormen
Arbeitslast der Staatsanwälte erklärt.
9
Die Zahl der eigenständigen Ermittlungen ist jedoch gesunken (auf 294 gegenüber 367
vor 1998). Von den mutmaßlich begangenen Straftaten erfuhren die Verfolgungsbehörden
meistens durch einen Strafantrag oder eine Anzeige (501 gegenüber 1998 nur 274 + 7 durch
Privatklage). Die Zahl von Anzeigen ist gesunken (183 gegenüber 437 vor 1998) (Dönmezer
& Yenisey 2000, 91).
10
Vor der Reform erhielten von den begangenen Straftaten in 1.117 Akten in 560 Fällen die
Polizei und in 398 Fällen die Staatsanwaltschaft Kenntnis. Nach 2005 erhielten von den
Straftaten in 1.000 untersuchten Akten 515 zuerst die Polizei, 8 die Gendarmerie und 397 die
Staatsanwaltschaft Kenntnis. Bei einzelnen Straftaten erhielten auch sonstige Behörden zuerst
Kenntnis (Dönmezer & Yenisey 2000, 91).
11
Die gesetzwidrigen eigenständigen Ermittlungen der Polizei machen die dadurch ge-
wonnenen Beweismittel unbrauchbar (Gökçen et al. 2018, 540).
12
Es gab 167 Vernehmungen vor 1998, 204 Vernehmungen vor 2012, 74 Personendurch-
suchungen vor 2012, 104 vor 1998 sowie 64 vorläufige Festnahmen vor 2012 und 52 vor 1998
(Dönmezer & Yenisey 2000, 95). Es gibt aber Fälle, wo die Polizei überhaupt nicht ermittelte,
dann nämlich, wenn die Strafsache unter die Zuständigkeit der später abgeschafften Frie-
densgerichte fiel.
13
Eine der Vorschriften, die durch die Ergebnisse der Aktenuntersuchung (Dönmezer &
Yenisey 2000, 105) berührt worden sind, ist die Tatortbesichtigung des Staatsanwalts, wobei
der Beschuldigte den Tatort zeigt (Art. 85 CMK). Vorher gab es Angriffe der Bevölkerung
gegen den mutmaßlichen Beschuldigten, der durch die Polizei eigenständig zum Tatort ge-
bracht wurde. Nunmehr soll der Staatsanwalt darüber entscheiden und selber dabei sein.
14
Wir hatten vorgeschlagen, dies als eine Sollvorschrift einzuführen (Dönmezer & Yenisey
2000, S. 101), was aber nicht geschah.
15
Dönmezer & Yenisey 2000, 102.
16
Dönmezer & Yenisey 2000, 103.
854 Feridun Yenisey

man auch eine ärztliche Kontrolle eingeführt. So wird der Beschuldigte zum Beispiel
kurz nach der Festnahme und alle 24 Stunden körperlich untersucht.
Die körperliche Untersuchung zur Beweisgewinnung ist ausführlich geregelt in
Art. 75 CMK, wobei die Ergebnisse17 der ersten Aktenuntersuchung berücksichtigt
wurden. Auf diese Weise war ein Rückgang an solchen Fällen zu beobachten. Die
Einwilligung des Verletzten wurde eingeholt in 13 Fällen bei der ersten Aktenunter-
suchung, was bei der körperlichen Untersuchung eine wichtige Rolle spielt. Warte-
zeiten auf die gerichtsmedizinischen Untersuchungen sind eine Ursache für Verzö-
gerungen im Strafverfahren, die aber für die Wahrheitsfindung von erheblicher Be-
deutung sind. Die meisten von ihnen wurden in polizeilichen Labors durchgeführt.18
Die Zeugen der Tat wurden auch meistens von der Polizei vernommen,19 es gab
überwiegend nur einen Zeugen, manchmal gibt es aber mehrere Zeugen.
Die Opfer wurden geladen und vom Staatsanwalt vernommen.20 Die Opferrechte
sind nun im Strafprozess geregelt, was in den vorherigen Gesetzen mangelhaft war.
Das Gesetz regelt umfangreiche Rechte für den Verletzten, die 2019 durch das Gesetz
Nr. 7188 noch ausgeweitet worden sind (Art. 236 CMK). Obwohl der Beschuldigte
in der Türkei im Ermittlungsverfahren vor der Anklageerhebung nicht angehört wer-
den muss, ist die Ladung und Anhörung des Verletzten und des Antragstellers im Er-
mittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft, und im Hauptverfahren durch das
Gericht oder den Vorsitzenden als eine „Soll“-Vorschrift ausgestaltet worden
(Art. 233 CMK). Das Opfer und der Antragsteller haben ein Antragsrecht auf Be-
weiserhebung, Akteneinsicht und die Beauftragung eines Opferanwalts für bestimm-
te Delikte in der Ermittlungsphase (Art. 234/1 CMK). Das Opfer, das durch die be-
gangene Straftat seelisch belastet worden ist, darf während des ganzen Verfahrens
nur einmal und in Anwesenheit eines Experten vernommen werden (Art. 236
CMK); diese Vernehmung wird auf Video aufgenommen (Art. 52/3 CMK). Die Ver-
letzten haben aber von ihren Rechten in den letzten Jahren nicht sehr viel Gebrauch
gemacht.
Die Zahl der richterlichen Anordnungen über Durchsuchungen beim Beschuldig-
ten selbst und seiner Wohnung betrug in den Akten aus der Zeit vor 1998 nur 7, und in
232 Fällen hatte die Polizei ohne eine richterliche Anordnung oder staatsanwalt-
schaftliche Weisung Personen und Wohnungen durchsucht.21 Die Polizei machte da-

17
In den 1.117 Akten gab es 232 körperliche Untersuchungen. Darunter wurde das Opfer
bei 87,29 % der Sexualstraftaten untersucht, ob es noch Jungfrau ist (Dönmezer & Yenisey
2000, 106). Diese Feststellung führte zur Einführung eines neuen Straftatbestandes von Ge-
nitaluntersuchung im neuen Strafgesetzbuch in Artikel 287 TCK: Wer ohne Beschluss eines
zuständigen Richters eine Person zur Genitaluntersuchung schickt oder eine solche vornimmt,
wird mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft.
18
Dönmezer & Yenisey 2000, 108.
19
Dönmezer & Yenisey 2000, 104.
20
Soyaslan 2018, 495.
21
Dönmezer & Yenisey 2000, 150.
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen 855

mals also die Hausdurchsuchungen meistens ohne richterliche Anordnung und holte
die mündliche Einwilligung des Betroffenen ein, als ob es um einen eiligen Fall
ginge. Diese Befunde der Aktenuntersuchung bewegten den Grundgesetzgeber zur
Abschaffung von Durchsuchungen aller Art ohne vorherige schriftliche Erlaubnis
des Richters, in Eilfällen einer sonstigen zuständigen Stelle (Art. 20 tVerf). Heute
hat sich dieses Problem durch die strenge Haltung des Kassationsgerichts erledigt:
unrechtmäßig erlangte Beweise sind verboten und unverwertbar (Art. 217/2 CMK).
Die Handhabung von Untersuchungshaft war und ist noch immer ein Problem in der
Türkei.22 Die türkische Strafprozessordnung erfordert für die Anordnung der Untersu-
chungshaft einen dringenden Tatverdacht, einen besonderen Haftgrund und die Ver-
hältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (Art. 100/1 CMK).23 Diese materiellen Vor-
aussetzungen sind strenger als die in Art. 5/1c EMRK.24 Der Haftbefehl muss in An-
wesenheit25 des Beschuldigten erlassen werden (Art. 100/1 CMK).26 Auch die Prüfung
der Untersuchungshaft erfolgt nach Anhörung des Beschuldigten oder seines Verteidi-
gers (Art. 108/1 CMK). Der Erlass eines Steckbriefs in Abwesenheit ist möglich, ist
aber nur erlaubt nach Nichterscheinen des Beschuldigten auf eine ordnungsgemäße La-
dung (Art. 98/1 CMK). Der Beschuldigte, der aufgrund eines Streckbriefs festgenom-
men wird, wird innerhalb von vierundzwanzig Stunden dem zuständigen Richter vor-
geführt. Falls dies nicht möglich ist, so wird die Vernehmung durch den Einsatz von
Ton- und Bildübertragung durchgeführt (Art. 94/2 CMK).
Die Strafprozessordnung von 1929 sah nur sehr beschränkte Möglichkeiten der
Pflichtverteidigung vor, der Beschuldigte konnte sich aber in allen Fällen einen Ver-
teidiger wählen oder sich von der Rechtsanwaltskammer einen solchen bestimmen
lassen (Art. 136 ff.). Wir mussten dennoch feststellen, dass in der Aktenuntersuchung
von 1998 in 300 der 1.117 Akten der Beschuldigte keinen Verteidiger hatte.27 Ein
Pflichtverteidiger war in 48 Fällen vorhanden.28

22
In den 1.117 Akten gab es 178 Untersuchungshaftanordnungen (Dönmezer & Yenisey
2000, 143). Meistens wurden die Haftgründe nicht mit konkreten Tatsachen verbunden.
23
2004 wollte der Gesetzgeber die Häufigkeit der Untersuchungshaft senken, indem er die
Formulierung der Untersuchungshaftgründe umfangreich beschrieben hat und verlangte, dass
der Richter bei der Begründung seiner Entscheidung die Beweise, die den dringenden Tat-
verdacht, das Vorliegen der Haftgründe und die Angemessenheit der Verhaftungsmaßnahme
genau anführt (Art. 101/2 CMK).
24
Arslan 2018, 37.
25
Damals gab es 13 Fälle, die in Abwesenheit des Beschuldigten entschieden wurden
(Dönmezer & Yenisey 2000, 114).
26
Şahin & Göktürk 2019a, 307.
27
Dönmezer & Yenisey 2000, 91.
28
Die Verteidigung war gegenüber den Zwangsmaßnahmen eher passiv und hat gegen die
richterlichen Entscheidungen selten Einspruch erhoben. Es gab bei der Untersuchungshaft 32
Fälle von Einsprüchen gegen die richterliche Anordnung; nur 2 Einsprüche waren erfolgreich
(Dönmezer & Yenisey 2000, 152).
856 Feridun Yenisey

Das Gesetz sieht heute eine Pflichtverteidigung in Fällen vor, in denen es um eine
Tat geht, die mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (Art. 150 CMK).
Der Verteidiger wird von der Anwaltskammer berufen, wenn der Beschuldigte selbst
keinen wählt.29

3. Abschluss der Ermittlungen


Der Staatsanwalt erstellt eine Anklageschrift, falls ein hinreichender Verdacht
vorliegt (Art. 170 CMK) andernfalls stellt er das Verfahren ein (Art. 172 CMK).
Das Legalitätsprinzip wird durch das Klageerzwingungsverfahren gesichert. Das
Weisungsrecht des Justizministers wurde in der Türkei schon 2004 abgeschafft.
Nachdem die Polizei die von dem Staatsanwalt übertragene Ermittlungsaufgaben
erledigt hat, leitet sie die Befunde der Staatsanwaltschaft zu (Art. 160 CMK). Die
Staatsanwaltschaft beruft dann manchmal einen Sachverständigen,30 um die Beweis-
mittel sachlich richtig zu bewerten oder entscheidet über ihre örtliche Unzuständig-
keit. Wenn die erhobenen Beweise nicht ausreichend sind, eine Anklageschrift ein-
zureichen, dann stellt sie das Verfahren aus sachlichen Gründen ein (Art. 172 CMK).
Der Bestimmtheitsgrundsatz und das Gleichheitsprinzip verlangen, dass der Ge-
setzgeber die Ausübung der Strafgewalt selbst bestimmt und nicht der Staatsanwalt-
schaft überlässt. Die Staatanwaltschaft hat unmittelbar eine Anklageschrift vorzule-
gen, wenn hinreichender Verdacht vorliegt.31 Das Opportunitätsprinzip kommt daher
in der Türkei nur in wenigen Fällen (Art. 171/1 CMK) zur Anwendung.32 Bei tätiger
Reue und bei persönlichen Strafausschließungsgründen ist die Staatsanwaltschaft er-
mächtigt, zwischen Anklageerhebung und Verfahrenseinstellung zu wählen.
Die türkische Strafprozessordnung kennt heute eine weitere Gruppe von Ausnah-
men, wo trotz bestehenden Tatverdachts der Anklagezwang durchbrochen werden
kann: i.) die Verfahrenseinstellung gegen Zahlung der Mindeststrafe (Art. 75 Straf-
gesetzbuch, im Folgenden TCK, önödeme), ii.) die Mediation im Strafverfahren

29
Bei der Aktenuntersuchung vor 2012 haben wir 80 Akten festgestellt, in denen ein
Pflichtverteidiger bestellt war (Dönmezer & Yenisey 2000, 126).
30
So wurden vor 1998 in 39 Akten Sachverständige beauftragt (Dönmezer & Yenisey 2000,
157); die Zahl in der Zeit vor 2012 betrug 232. Eine ausführliche Aufklärung des Sachverhalts
im Ermittlungsverfahren ist dienlich für den zügigen Ablauf der Hauptverhandlung. Deswe-
gen ist es zu begrüßen, dass die Zahl der Sachverständigengutachten im Ermittlungsverfahren
gestiegen ist. Die Wartezeit auf ein Gutachten sollte verkürzt werden, weil seine Länge ein
regelmäßiges Problem im Bereich der Verfahrensverzögerung ist. Es ist aber im Interesse
einer zügigen Hauptverhandlung, ein langes Ermittlungsverfahren durchzuführen.
31
Dieses strenge Legalitätsprinzip wurde vor 2004 gelockert durch Antragsdelikte, Pri-
vatklage und Strafbefehl (so gab es in den 1.117 Akten z. B. 187 Fälle, die durch Strafbefehl
erledigt wurden; Dönmezer & Yenisey 2000, 162). Der Gesetzgeber hat diese Ausnahmen
erweitert, wie wir unten sehen werden.
32
Karakehya 2016, 419.
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen 857

(uzlaştırma) (Art. 253, 254 CMK), iii.) die vorläufige Einstellung der Klageerhebung
(kamu davasının açılmasının ertelenmesi) (Art. 171/2 CMK) und iv.) der Strafbefehl
des Staatsanwalts (seri muhakeme usulü) (Art. 250 CMK).33
Verfahrensdauer und Effizienz der Strafjustiz sind wichtige Bausteine eines fairen
Verfahrens. Die Zahl der eingehenden Strafsachen und die Kapazitäten der Rechts-
pflege müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Zu diesem
Zwecke hatte die Reform von 2004 die Übertretungen aus dem Strafgesetzbuch her-
ausgenommen und als Ordnungswidrigkeiten in einem besonderen Gesetz geregelt.
Die Privatklage, das Adhäsionsverfahren und der Strafbefehl wurden abgeschafft. An
deren Stelle wurden neue Institute eingeführt, die den Schadensersatz für das Opfer
in den Vordergrund stellen, wie Mediation (Art. 253 CMK) und Sicherheitsleistung
bei der Justizkontrolle34 (Art. 109 CMK). In dem Gesetzestext sind einige konsen-
suale Aspekte und einige Elemente aus dem akkusatorischen Verfahrensmodell ein-
gefügt worden. Die erwartete Entlastung der ordentlichen Gerichte war dabei eben-
falls ein gewichtiges Argument, aber die zusätzliche Arbeitslast der Staatsanwalt-
schaft konnte man nicht vorhersehen. Da aber der Großteil der Arbeitslast der Ge-
richte bei kleiner und mittlerer Kriminalität liegt, hat der Gesetzgeber 2019 als
zusätzliche Alternativen zur Aburteilung vor Gericht zwei Strafbefehle türkischer
Art eingeführt (Art. 250 und 251 CMK), die wir unten beschreiben werden.
Die Arbeitslast der ordentlichen Gerichte ist immer ein Problem der türkischen
Strafjustiz gewesen. So hat man schon im Strafgesetz von 1925 einen Ausweg gefun-
den, indem man für Straftaten, die im Gesetz aufgezählt sind und die nur eine Geld-
strafe nach sich ziehen oder bei denen die gesetzlich vorgesehene Höchststrafe drei
Monate Gefängnisstrafe nicht überschreitet, keine öffentliche Klage erhebt, falls der
Täter die Mindeststrafe zusammen mit den Verfahrenskosten auf die Aufforderung
der Staatsanwaltschaft hin binnen zehn Tagen im Voraus bezahlt (jetzt Art. 75/1
TCK). Wo die Sache direkt bei Gericht anhängig ist, entfällt die öffentliche
Klage, wenn der Täter auf die Mitteilung des Richters hin den Betrag zusammen
mit den Verfahrenskosten zahlt (Art. 75/2 TCK). Bei Delikten, die durch Mediation
erledigt werden können, ist dieses Verfahren nicht anwendbar.
Die Mediation ist eines der wichtigsten Rechtsinstrumente zur Entlastung der Jus-
tiz, die die Dönmezer-Reformkommission vorgeschlagen und durchgesetzt hat. Die
Einführung der Mediation war dann auch eine der Voraussetzungen für einen Beitritt
der Türkei zur EU und wurde als eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip (Art. 253
CMK) ausgestaltet. Die vorteilhafte Regelung zur Mediation im Jugendschutzgesetz
33
Nach der Anklage gibt es noch die Möglichkeit des gerichtlichen Strafbefehls (basit
yargılama usulü) (Art. 251, 252 CMK) und der „vorläufigen Einstellung der Urteilsverkün-
dung unter Auflagen mit Einwilligung des Angeklagten“ (hükmün açıklanmasının geri
bırakılması), siehe unten unter 4.
34
Die Justizkontrolle ist eine Art der „Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls“ (§ 116
StPO), wobei im türkischen Recht die Justizkontrolle eine eigenständige Entscheidung ist, und
ein Haftbefehl erst dann erlassen wird, wenn der Beschuldigte die auferlegten Maßnahmen,
wie z. B. Sicherheitsleistung, nicht erfüllt.
858 Feridun Yenisey

von 2005 (Çocuk Koruma Kanunu, Art. 24) wurde ebenfalls im Jahr 2006 der kom-
plizierten Erwachsenen-Mediation gleichgestellt. Die Einzelheiten des Mediations-
verfahrens sind durch eine Durchführungsverordnung geregelt (Art. 253/24 CMK).
Bei Straftaten, bei denen die Mediation zulässig ist und hinreichender Tatverdacht
vorliegt, macht der Mediator dem Beschuldigten und dem Opfer oder dem Verletzten
nach Ablauf einer „Abkühlungsperiode“ einen Mediationsvorschlag. Wenn der Be-
schuldigte am Ende des Mediationsverfahrens die Leistung in einem einzigen Akt
erbringt, wird das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt. Wird ein Ausgleich
erzielt, so verliert das Opfer sein Recht, eine Schadensersatzklage zu erheben;
falls eine Klage anhängig ist, so wird diese Klage als zurückgenommen erachtet.
Falls der Beschuldigte die Leistung nicht erbringt, so wird der Mediationsbericht
oder das Mediationsschriftstück als Dokument erachtet, das im Sinne des Art. 38
Vollstreckungs- und Konkursgesetz Nr. 2004 vom 09. 06. 1932 einem Urteil gleich-
gestellt ist (Art. 253/19 CMK).
Bei Straftaten, die auf Strafantrag hin ermittelt oder verfolgt werden, ist ein Aus-
gleichsversuch (Mediation) zwischen dem Beschuldigten und dem Opfer, der eine
natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts ist, gesetzlich vorgeschrie-
ben (Art. 253/1 CMK). Die Zahl der Frauen, die Opfer einer Straftat waren, ist eben-
so wie die Zahl der Antragsdelikte gestiegen, was für die Anwendung der Mediation
von Bedeutung ist.35 Außerdem ist die Mediation zulässig bei Straftaten, die im Ge-
setz abschließend aufgezählt sind (Art. 253/1 CMK). Bei Straftaten gegen die sexu-
elle Integrität und bei Straftaten, bei denen eine Regelung über tätige Reue vorgese-
hen ist, ist ein Mediationsverfahren ausgeschlossen, auch wenn sie Antragsdelikte
sind. Obwohl die Mediation in vielen Ländern auch bei häuslicher Gewalt erfolgreich
angewendet wird, wird sie in der Türkei im Allgemeinen abgelehnt.
Wenn jemandem ein Mediationsvorschlag unterbreitet wird, wird er über das
Wesen der Mediation und die rechtlichen Konsequenzen der Annahme oder der Ab-
lehnung der Mediation belehrt (Art. 253/5 CMK). Das Mediationsverfahren ist nicht-
öffentlich durchzuführen. Der Beschuldigte, das Opfer, der Verletzte, der gesetzliche
Vertreter, der Verteidiger und der bevollmächtigte Vertreter dürfen an den Media-
tionsverhandlungen teilnehmen.
Die Erklärungen, die während der Mediationsverhandlungen abgegeben werden,
dürfen nicht als Beweismittel bei irgendeiner Ermittlung oder Verfolgung oder bei
einer Anklage verwendet werden; es gibt also ein Beweisverbot (Art. 253/20 CMK).
Die Entscheidungen, die am Ende der Mediation getroffen werden, können mit
den ordentlichen Rechtsmitteln angegriffen werden (Art. 253/23 CMK).
35
In den Aktenuntersuchungen war die Zahl der Offizialdelikte 855 vor 1998 und sank auf
561 vor 2012; demgegenüber betrug die Zahl der Antragsdelikte 232 vor 1998 und stieg auf
401 vor 2012 an. Strafantrag wurde in 184 Fällen an die Staatsanwaltschaft, in 84 Fällen bei
der Polizei und in 8 Sachen bei der Gendarmerie gestellt; 132 von ihnen wurden zurückge-
zogen. Laut Gesetz wird eine Festnahme bei Antragsdelikten der berechtigten Person mitge-
teilt (Art. 90/3 CMK), was in 18 Sachen geschah.
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen 859

Die Einstellung des Verfahrens kann auch erfolgen in Anwendung des Opportu-
nitätsprinzips (Art. 171/1 und 2 CMK), was in der Gesetzespraxis außerordentlich
selten vorkam (nur bei 3 Fällen vor 1998).36 Deswegen wurde 2006 eine neue Rege-
lung über die vorläufige Einstellung der Klageerhebung unter Auflagen eingeführt,
die dem Staatsanwalt die Möglichkeit dazu bietet, wenn bestimmte Voraussetzun-
gen37, die alle zusammen erfüllt sein müssen, vorliegen. Sie ermöglicht, unter Auf-
lagen für fünf Jahre die Erhebung der öffentlichen Klage aufzuschieben, obwohl hin-
reichender Tatverdacht besteht (Art. 171/2 CMK). Falls der Beschuldigte den Scha-
den in vollem Umfang ersetzt und innerhalb der Bewährungsfrist keine weitere vor-
sätzliche Straftat begeht, wird das Verfahren eingestellt (Art. 171/4 CMK).
Diese Regelung war nur anwendbar bei Antragsdelikten, die mit Gefängnisstrafe bis
zu einem Jahr bedroht sind. Der Gesetzgeber hat durch die Novelle von 2019 (Gesetz
Nr. 7188) die vorläufige Einstellung der Klageerhebung ausgeweitet, indem man die
Strafobergrenze auf bis zu drei Jahren erweitert und das Erfordernis, dass es sich
um ein Antragsdelikt handeln muss, aufgehoben hat. Nunmehr ist zu erwarten, dass
mit diesem alternativen Instrument eine stärkere Entlastung der Gerichte eintreten
wird.
Es gibt noch eine weitere Regelung im Strafgesetzbuch über die Verfahrensein-
stellung bei Rauschgiftkonsum oder bei Besitz von Betäubungsmitteln nur zum Ei-
genverbrauch.38 In solchen Fällen muss die Staatsanwaltschaft die Anklage für fünf
Jahre aussetzen, von denen mindestens ein Jahr unter Bewährung vergehen muss
(Art. 191/3 TCK). Die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen nach fünf Jahren
ein, falls der Beschuldigte die Bewährungsauflagen erfüllt (Art. 191/7 TCK).
Wenn der Beschuldigte innerhalb der Bewährungszeit die Auflagen der Behandlung,
Verbot von Ankauf und Konsum von Betäubungsmittel nicht erfüllt, so wird gegen
ihn Anklage erhoben (Art. 191/4 TCK). Die Zuwiderhandlungen gegen diese Aufla-
gen werden nicht als eine selbständige Tat verfolgt (Art. 191/5 TCK).

36
Vor 2005 wurde die Strafklage vorläufig eingestellt, wenn der Entführer oder der Ver-
gewaltiger das Opfer heiratete (Art. 434 des alten Strafgesetzes Nr. 765). Es gab auch andere
Beispiele von verschleierten Amnestien im Pressewesen.
37
Die Voraussetzungen sind: (a.) der Beschuldigte darf nicht bereits vorher wegen einer
vorsätzlichen Tat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden sein (eine Verurteilung zu Geld-
strafe bildet also kein Hindernis); (b.) die Staatsanwaltschaft muss anhand der Ermittlungen
davon überzeugt sein, dass der Beschuldigte keine weiteren Straftaten mehr begehen wird; (c.)
die vorläufige Einstellung muss in dem Einzelfall für ihn und die Öffentlichkeit von größerem
Nutzen sein als es ein Strafverfahren wäre; (d.) der Schaden, der durch die Begehung der
Straftat für das Opfer und für die Allgemeinheit entstanden ist, muss im Wege der Zurücker-
stattung, durch in integrum restitutio oder durch Schadensersatz im vollen Umfang wieder-
gutgemacht worden sein (Art. 171 Abs. 3 CMK).
38
Wenn sich während des Hauptverfahrens herausstellt, dass die wegen Verkaufs von Be-
täubungsmitteln angeklagte Person mit der Absicht von Eigenkonsum gehandelt hatte, so wird
die Urteilsverkündung nach Art. 191 TCK aufgeschoben. Dieser Aufschub der Urteilsver-
kündung ist sehr verschieden vom Aufschub der Urteilsverkündung nach Schuldspruch gem.
Art. 231/5 CMK, da dies bereits am Anfang der Hauptverhandlung geschieht.
860 Feridun Yenisey

Der Strafbefehl der abgeschafften Strafprozessordnung von 1929 wurde in das


neue Gesetz nicht aufgenommen. Der Gesetzgeber hat aber 2019 mit dem Gesetz
Nr. 7188 zwei Regelungen eingeführt, die sich „beschleunigtes Verfahren“ (seri
muhakeme usulü) (Art. 250 CMK) und „vereinfachte Aburteilung“ (basit yargılama
usulü) (Art. 251, 252 CMK) nennen. Inhaltlich analysiert, sind beide als eine Art von
Strafbefehl anzusehen, der erste wird vom Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren ver-
hängt, der zweite beim Gericht im Hauptverfahren.
Beim beschleunigten Verfahren macht der Staatsanwalt dem Beschuldigten bei
bestimmten Tatbeständen39 den Vorschlag eines Urteils am Ende der Ermittlungen,
wenn laut Art. 171/2 CMK von der Erhebung der öffentlichen Klage nicht abgesehen
worden war. Die Sanktion wird unter Anwendung der Strafzumessungskriterien des
Art. 61/1 TCK bestimmt, die Grundstrafe wird um die Hälfte gemildert und der Vor-
schlag wird in Gegenwart des Verteidigers gemacht (Art. 250/4 CMK). Bei Annahme
stellt der Staatsanwalt einen schriftlichen Antrag an das zuständige Gericht.
Das Gericht verhört den Beschuldigten in Gegenwart des Verteidigers und kon-
trolliert nur, ob die Tat einen der aufgelisteten Straftatbestände erfüllt und ob die An-
nahme freiwillig war. Bei positiver Beurteilung wandelt das Gericht den Antrag in
ein Urteil um (Art. 250/9 CMK), gegen das nach den allgemeinen Bestimmungen
Beschwerde zulässig ist (Art. 250/14 CMK).
Andernfalls lehnt das Gericht den Antrag ab und sendet die Akten zurück an den
Staatsanwalt. Das weitere Verfahren läuft dann nach den allgemeinen Bestimmungen
ab, d. h. der Staatsanwalt bereitet nun eine Anklageschrift vor und leitet sie dem Ge-
richt zu. In der Hauptverhandlung darf die Annahme des Beschuldigten nicht als Ge-
ständnis bewertet werden (Art. 250/10 CMK).

4. Hauptverfahren
Begründen die beim Abschluss des Ermittlungsverfahrens erhobenen Beweise
einen hinreichenden Verdacht, dass die Straftat begangen wurde, so bereitet der
Staatsanwalt eine Anklageschrift vor (Art. 170/2 CMK) und leitet sie dem zuständi-
gen Gericht zu. Die öffentliche Klage ist aber in dieser Phase noch nicht anhängig;
erst wenn das Gericht die Anklageschrift annimmt, gilt die Klage als erhoben
(Art. 175/1 CMK). In der Anklageschrift werden die Geschehnisse, welche die
dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat begründen, in ihren Zusammenhängen

39
Diese im Gesetz erschöpfend aufgezählten meistens opferlosen Tatbestände sind einige
aus dem dritten Teil des Strafgesetzbuches, Straftaten gegen die Gesellschaft: Besitzstörung,
vorsätzliche Gefährdung der Allgemeinheit, Gefährdung der Verkehrssicherheit, Lärmverur-
sachung, Geldfälschung, Siegelbruch, falsche Erklärung bei der Ausstellung einer öffentlichen
Urkunde, Bereitstellen von Orten und Möglichkeiten zum Glückspiel, Nutzung eines fremden
Personalausweises und vier weitere Straftaten aus besonderen Gesetzen. Diese Auswahl
wurde getroffen, um circa 200.000 Gerichtsakten jährlich rasch erledigen zu können.
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen 861

mit den vorhandenen Beweisen dargestellt (Art. 170/4), im Schlussteil werden die
den Beschuldigten entlastenden Umstände angeführt (Art. 170/5 CMK).
Eine Anklageschrift, die diese notwendigen Erfordernisse nicht erfüllt, ist an die
Staatsanwaltschaft zurückzugeben (Art. 174 CMK). Wenn das Gericht die Anklage-
schrift innerhalb von 15 Tagen nicht zurückgegeben hat, gilt sie als zugelassen
(Art. 174/3). Das Gericht kann die Anklageschrift zurückweisen (iddianamenin ia-
desi) (Art. 174 CMK), wenn ungenügend ermittelt wurde oder die Voraussetzungen
für eine Anklageschrift nicht erfüllt sind. Die Staatsanwaltschaft kann eine neue An-
klageschrift vorlegen, eine zurückgewiesene Anklageschrift hat keine Rechtswir-
kung. In der Türkei gibt es also kein echtes Zwischenverfahren.40
Dieses Zwischenverfahren türkischer Art wurde von der Dönmezer-Kommission
anhand der Ergebnisse der ersten Aktenuntersuchung von 1998 vorgeschlagen. In der
Zeit bis 2012 hat diese neue Bestimmung nur wenig Anwendung gefunden aufgrund
kollegialer Unterstützung zwischen Staatsanwälten und Richtern. Falls die Rückga-
be jedoch tatsächlich vorkam, entstanden öfter gespannte Beziehungen zwischen
beiden. Dieses Instrument wurde durch die Reform von 2004 eingefügt, weil sich
in der Aktenuntersuchung herausgestellt hatte, dass das Ermittlungsverfahren durch-
schnittlich 10 Tage und das Hauptverfahren Monate und Jahre dauerte.41 Der Gesetz-
geber wollte vermeiden, dass noch nicht ausreichend bearbeitete Akten vor das zu-
ständige Gericht kommen konnten. Die Erwartungen, dass in der Hauptverhandlung
nur umfassend ermittelte Sachverhalte vorgelegt und mangelhafte Ermittlungen ver-
mieden werden, die zu einer Zurückweisung der Anklageschrift führen, haben sich
leider nicht erfüllt. Die hohe Zahl von Freisprüchen belegt, dass noch häufig Ankla-
gen ohne hinreichende Ermittlungen erhoben werden.42
Das Hauptverfahren beginnt mit der Annahme der Anklageschrift, umfasst die
Hauptverhandlung und reicht bis zur Rechtskraft des Urteils. Es gibt jedoch einige
abweichende Regelungen im neuen Gesetz im Vergleich zum alten: Wird die Ankla-
geschrift zugelassen, so ist der öffentlichen Klage stattgegeben und das Hauptverfah-
ren eröffnet (Art. 175/1 CMK). Der Beschluss über die Zulassung der Anklageschrift
wird am Beginn der Hauptverhandlung verlesen (Art. 191/1 CMK). Die gerichtliche
Untersuchung ist durch die Erhebung der Klage bedingt (Art. 170, 175 CMK), und
das Urteil darf nur auf Beweismittel gestützt werden, die in der Hauptverhandlung
vor dem Gericht mündlich vorgetragen worden sind (Art. 217/1 CMK).43
Bei der vereinfachten Aburteilung hingegen hat das Gericht allgemeiner Zustän-
digkeit bei Straftaten, die mit Geldstrafe und/oder Gefängnis von höchstens zwei Jah-
ren bestraft werden, ein Ermessen, nach der Zulassung der Anklageschrift die Sache
40
Centel & Zafer 2018, 575.
41
Dönmezer & Yenisey 2000, 203.
42
Die Zahl der Freisprüche liegt bei ca. 20 % (so machten z. B. im Jahr 2013 Freisprüche
19,5 % aus, Verurteilungen 37,3 %, der vorläufige Aufschub der Urteilsverkündung 17,6 %
und die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung 10,3 %; Yücel 2019, 249).
43
Ünver & Hakeri 2019, 539.
862 Feridun Yenisey

nach den allgemeinen Bestimmungen abzuurteilen oder das vereinfachte Verfahren


anzuwenden (Art. 251/1 CMK). Die Kriterien für die Ausübung dieses Ermessens
sind im Gesetz nicht erwähnt, aber wenn das Gericht diesen Weg einschlägt, dann
teilt es dem Angeklagten schriftlich mit, dass das Urteil ohne Hauptverhandlung er-
gehen wird und verlangt die Einreichung einer schriftlichen Verteidigung innerhalb
von 15 Tagen (Art. 251/2). Danach fällt es ein Urteil gemäß Art. 61 TCK. Das Urteil
kann ein Freispruch oder alle übrigen Urteilsmodalitäten sein. Im Falle einer Verur-
teilung mildert das Gericht die Grundstrafe um ein Viertel (Art. 251/3 CMK). Das
Urteil wird rechtskräftig, wenn es nicht in der Rechtsmittelfrist angefochten wird
(Art. 252/1 CMK).
Rechtsmittel ist hier eine Beschwerde, die jedoch zunächst nur auf Statthaftigkeit
zu prüfen ist. Die materiellen Feststellungen dürfen nicht geprüft werden, sondern
nur ob die Frist für die Einlegung gewahrt und der Beschwerdeführer dazu berechtigt
ist (Art. 252/6 CMK). Falls die Beschwerde statthaft ist, eröffnet das Gericht die
Hauptverhandlung und verhandelt nach den allgemeinen Regeln. Die Hauptverhand-
lung darf in Abwesenheit der Beteiligten durchgeführt werden. Wenn der Angeklagte
nach eigener Beschwerde verurteilt wird, ist das Gericht nicht an die gemilderte Stra-
fe gebunden; wenn aber die Beschwerde nicht von dem Angeklagten stammt, son-
dern von sonstigen Verfahrensbeteiligten, dann wird die Milderung von einem Vier-
tel gewahrt (Art. 252/3 CMK). Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig.
Im alten Gesetz sammelte der Richter in seiner Funktion als „Gericht“ von Anfang
der Hauptverhandlung an die Beweismittel, leitete die Verhandlung und sprach das Ur-
teil. So beruhte die Struktur des türkischen Strafprozesses in der Strafprozessordnung
von 1929 und der Nr. 1412 (Ceza Muhakemeleri Usulü Kanunu; CMUK) auf dem Prin-
zip der richterlichen Wahrheitserforschung. Bahri Öztürk kritisiert die alleinige Verfah-
rensherrschaft des Richters, weil zwei Prozessrollen (Ermittlung und Aburteilung) in
der Person des erkennenden Richters in der Hauptverhandlung vereinigt sind.44 Dieses
Prinzip ist im CMK nicht ausdrücklich erwähnt, obwohl im Ermittlungsverfahren die
Rollen der Verfahrensbeteiligten streng voneinander getrennt sind. Die Bestimmungen
in der aufgehobenen Strafprozessordnung von 1929, die wie im deutschen Recht die
Erforschung der Wahrheit (StPO 244/2) dem Gericht als Pflicht auferlegt haben,
sind in dem neuen Gesetz nicht enthalten. Es gibt Ansichten in der Lehre, die meinen,
dass in der Ermittlungsphase alle Beweismittel erschöpfend ermittelt sein sollten.
Ist die Strafe, die am Ende eines Strafprozesses zu verhängen wäre, Freiheitsstrafe
von zwei Jahren oder weniger oder eine Geldstrafe, so kann das Gericht nach der Ein-
holung der Einwilligung des Angeklagten die Urteilsverkündung unter Auflagen vor-
läufig aufschieben (hükmün açıklanmasının geri bırakılması).45 Die Regelungen

44
Öztürk 2019, 335.
45
Die Voraussetzungen der vorläufigen Einstellung der Urteilsverkündung sind: (a.) der
Angeklagte darf vorher nicht wegen einer vorsätzlichen Tat verurteilt worden sein; (b.) das
Gericht muss anhand der persönlichen Merkmale des Angeklagten und seines Verhaltens und
seines Verhaltens während der Hauptverhandlung davon überzeugt sein, dass der Angeklagte
Die Auswirkungen von zwei Aktenuntersuchungen 863

über eine Mediation bleiben vorbehalten. Der Beschluss46 über die vorläufige Ein-
stellung der Urteilsverkündung kann mit der Beschwerde angefochten werden
(Art. 231/12 CMK).
Der vorläufige Aufschub der Urteilsverkündung verhindert, dass das Urteil für
den Angeklagten rechtliche Folgen entfaltet (Art. 231/5 CMK), aber der Angeklagte
unterliegt einer Bewährungsfrist von fünf Jahren. Das Gericht kann beschließen, dass
der Angeklagte bestimmte Verpflichtungen47 zu erfüllen hat. Die Verfolgungsverjäh-
rung ruht während der Bewährungszeit (Art. 231/8 CMK). Wurde während der Be-
währungszeit keine vorsätzliche neue Straftat begangen und hat sich der Angeklagte
entsprechend den Verpflichtungen gut geführt, so wird das Urteil, dessen Verkün-
dung vorläufig eingestellt worden ist, aufgehoben und ein Beschluss über die Einstel-
lung der öffentlichen Klage gefasst (Art. 231/10 CMK).48 Begeht der Angeklagte
während der Bewährungszeit eine neue Straftat oder handelt er entgegen den ihm
auferlegten Verpflichtungen, so verkündet das Gericht das Urteil.

5. Schlusswort
Die Diversion bei Streitigkeiten dient der Entlastung der Strafgerichtsbarkeit. Das
türkische Recht hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und zum Teil parallel
konstruierte Rechtsfiguren wie Verfahrenseinstellung gegen Zahlung der Mindest-
strafe, Mediation, vorläufige Einstellung der Klageerhebung unter Auflagen, be-

nicht erneut Straftaten begehen wird; (c.) der Schaden, der durch die Begehung der Straftat für
das Opfer und für die Allgemeinheit entstanden ist, muss im Wege der Zurückerstattung,
durch in integrum resitutio, oder durch Schadensersatz im vollen Umfang wiedergutgemacht
worden sein. Die Entscheidung über die vorläufige Einstellung der Urteilsverkündung wird
(d.) nicht getroffen, falls der Angeklagte damit nicht ,einverstanden‘ ist (Art. 231/6). Diese
letzte Voraussetzung wurde später eingefügt, um dem Angeklagten ein Wahlrecht zwischen
Beschwerde und Revision einzuräumen: nach der Rechtsprechung des Kassationsgerichts,
darf der Angeklagte gegen den Beschluss der vorläufigen Einstellung nur Beschwerde einle-
gen, und das Urteil nicht mit der Revision anfechten. Wenn er aber mit der vorläufigen Ein-
stellung der Urteilsverkündung nicht einverstanden ist, dann kann er direkt Revision einlegen.
Daher wurde dieses Wahlrecht eingeführt! Der vorläufige Aufschub der Urteilsverkündung ist
unzulässig bei Straftaten in Reformgesetzen der Republik, die unter dem Schutz des Artikels
174 der türkischen Verfassung stehen (Şahin & Göktürk 2019, 194).
46
Der Beschluss über die vorläufige Einstellung der Urteilsverkündung wird in dem dafür
vorgesehenen Computersystem gespeichert. Diese Daten dürfen nur dann für einen in Art. 231
CMK vorgesehenen Zweck verwendet werden, wenn der Staatsanwalt, der Richter oder das
Gericht es in Verbindung mit einem Ermittlungs- oder Hauptverfahren beantragt (Art. 231/13
CMK).
47
Falls er keinen Beruf oder kein Gewerbe erlernt hat, zu diesem Zweck an einem Erzie-
hungsprogramm teilzunehmen, falls er einen Beruf oder ein Gewerbe erlernt hat, in einer
öffentlichen Einrichtung oder privat unter der Aufsicht eines anderen, der in diesem Beruf
tätig ist, gegen Lohn zu arbeiten, bestimmte Orten zu meiden oder aufzusuchen oder eine nach
Ermessen zu bestimmende andere Verpflichtung zu erfüllen.
48
Özbek et al. 2019, 709.
864 Feridun Yenisey

schleunigtes Verfahren, vereinfachte Aburteilung und Aufschub der Urteilsverkün-


dung geschaffen. Es ist zu bemerken, dass diese Instrumente für viele Straftaten ne-
beneinander anwendbar sind. Diese Überschneidung wollte die Gesetzesänderung
von 2019 eigentlich vermeiden. Die detaillierten verfahrenstechnischen Vorgaben er-
schweren die Durchführung.
Unseres Erachtens sollten diese Regelungen nach Überprüfung durch neue Be-
funde neuer wissenschaftlicher Forschungen vereinfacht werden. Die Aktenuntersu-
chung von 1998 hatte bei der Vorbereitung der Reformgesetze von 2004 eine große
Rolle gespielt, und viele Bestimmungen im Gesetz wie Mediation und weitere Al-
ternativen sowie die Einführung von Zwischenverfahren wurden nach diesen wissen-
schaftlichen Vorgaben eingeführt. Es wäre wünschenswert, dass die notwendigen
neuen kriminologischen Forschungen dieser Art weiter unter der Betreuung von
Hans-Jörg Albrecht fortgeführt würden.

Literaturverzeichnis

Arslan, M. (2017): Die türkische Strafprozessordnung – Ceza Muhakemesi Kanunu. Berlin.


Arslan, M. (2018): Haft im Strafprozess. Ein Vergleich zwischen EMRK und türkischem Recht.
Berlin.
Centel, N. & Zafer, H. (2018): Ceza Muhakemesi Hukuku. 15. Aufl. İstanbul.
Dönmezer, S. & Yenisey, F. (2000): Ceza Adalet Sisteminin Etkinliği 1998. İstanbul.
Gökçen, A., Balcı, M., Alşahin, M. E. & Çakır, K. (2018): Ceza Muhakemesi Hukuku. 3. Aufl.
Ankara.
Karakehya, H. (2016): Ceza Muhakemesi Hukuku. 2. Aufl. Ankara.
Kunter, N. (1989): Muhakeme Hukuku Dalı Olarak Ceza Muhakemesi Hukuku. 9. Aufl. İstanbul.
Özbek, V.Ö., Doğan, K. & Bacaksız, P. (2019): Ceza Muhakemesi Hukuku. 12. Aufl. Ankara.
Öztürk, B. (Hrsg.) (2019): Nazari ve Uygulamalı Ceza Muhakemesi Hukuku. 13. Aufl. Ankara.
Şahin, C. & Göktürk, N. (2019a): Ceza Muhakemesi Hukuku – I. 10. Aufl. Ankara.
Şahin, C. & Göktürk, N. (2019b): Ceza Muhakemesi Hukuku – II. 9. Aufl. Ankara.
Soyaslan, D. (2018): Ceza Muhakemesi Hukuku. 7. Aufl. Ankara.
Tellenbach, S. (2008): Einführung, in: S. Tellenbach (Hrsg.), Das türkische Strafgesetzbuch –
Türk Ceza Kanunu. Berlin.
Ünver, Y. & Hakeri, H. (2019): Ceza Muhakemesi Hukuku. 16. Aufl. Ankara.
Yenisey, F. (2015): Kolluk Hukuku. 2. Aufl. İstanbul.
Yenisey, F. & Nuhoğlu, A. (2015): Tutuklama Kurumunun Uygulanması Hakkında Görüşler. Bah-
çeşehir Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi. Özel Sayı Tutuklama 10/125 – 126 (Jan./Feb.).
Yenisey, F. & Nuhoğlu, A. (2019): Ceza Muhakemesi Hukuku. 7. Aufl. Ankara.
Yücel, M.T. (2019): Yargı Sistemi Üzerine Denemeler. Ankara.
Analysen zur Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus
nach § 63 StGB
Von Carina Tetal

1. Einleitung
Wesentlich für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kran-
kenhaus als eine Maßnahme der Besserung und Sicherung ist, dass diese Anordnung
nicht durch die Tatschuld begründet und begrenzt wird, sondern mit dem Ziel des
Gesellschaftsschutzes begründet wird (Albrecht 2007, 524). Anders als bei Freiheits-
strafen ist im Strafgesetzbuch keine Höchstfrist für die gerichtlich angeordnete Un-
terbringung in der Psychiatrie angegeben (siehe dazu auch Schreiber & Rosenau
2015, 134 ff.). Mit der dauerhaften Unterbringung soll die Gesellschaft vor gefähr-
lichen Straftätern geschützt werden (Albrecht 2007, 556). Forensische Sachverstän-
dige beurteilen dann regelmäßig die Gefährlichkeit der untergebrachten Personen,
bewerten die Rückfallgefahr und haben somit Einfluss auf die Dauer der Unterbrin-
gung. Hans-Jörg Albrecht beschäftigte sich schon in den 1990er Jahren mit dem The-
menkomplex Gefährlichkeit und Prognose und wünschte sich mehr Studien und
Längsschnittuntersuchungen zu diesem Thema (Albrecht 1998).
Anhand der Daten der bundesweiten Rückfalluntersuchung (Jehle et al. 2016),
die seit 2008 an der Universität Göttingen und am Freiburger Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales Strafrecht (nunmehr: Max-Planck-Institut
zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht) durchgeführt wird, werden
in diesem Beitrag die Anordnungen, Beendigungen und die Dauer der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus im Zeitraum von 2004 bis 2016 untersucht.

2. Rechtliche Grundlagen
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gehört zu
den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung des deutschen
Strafrechts. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als Folge
einer rechtswidrigen Tat erfolgt, wenn die Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit
wegen seelischer Störungen (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldunfähigkeit
(§ 21 StGB) begangen wurde. Eine weitere Voraussetzung der Unterbringung ist,
866 Carina Tetal

dass „die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge
seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb
für die Allgemeinheit gefährlich ist“ (§ 63 StGB 1. Januar 1975 – 1. August 2016).
Mit dem Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychia-
trischen Krankenhaus nach § 63 StGB und zur Änderung anderer Vorschriften vom
28. April 2016 ist der Begriff der rechtswidrigen Tat deutlich konkretisiert worden. In
der geänderten Fassung des § 63 heißt es seit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August
2016:
„rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt
oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird,
zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.“

Und ein zweiter Satz wurde hinzugefügt.


„Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1
erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände
die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche
rechtswidrige Taten begehen wird.“

In § 67 StGB wird die Reihenfolge der Unterbringung geregelt, wenn neben der
Unterbringung auch eine Freiheitsstrafe angeordnet wurde. Die Maßregel sollte vor
der Freiheitsstrafe vollzogen werden, wobei es von dieser Regel Ausnahmen gibt.
„Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit
des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe er-
ledigt sind“ (§ 67 StGB Abs. 4). Der Rest der Freiheitsstrafe kann zur Bewährung
ausgesetzt werden.
Möglich ist, dass die Anordnung der Unterbringung gleichzeitig mit der Ausset-
zung der Vollstreckung zur Bewährung erfolgt (§ 67b StGB). In diesem Fall wird
Führungsaufsicht angeordnet.
Wurde die Freiheitsstrafe vor der Unterbringung vollzogen, besteht die Möglich-
keit, dass die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 67c Abs. 1 StGB).
Ist die Unterbringung drei Jahre nach der Anordnung nicht erfolgt, muss die Un-
terbringung vom Gericht neu angeordnet werden (§ 67c Abs. 2 StGB). Auch hier
könnte die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden
oder das Gericht die Maßregel für erledigt erklären.
Die Dauer der Unterbringung wird in § 67d StGB geregelt. Die Entlassung aus der
Unterbringung in der Psychiatrie erfolgt in der Regel, indem die Unterbringung zur
Bewährung ausgesetzt wird, „wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außer-
halb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“
(§ 67d Abs. 2 StGB 1. Juni 2013 – 1. August 2016). Mit der Gesetzesänderung aus
dem Jahr 2016 wurde das Wort erheblich eingefügt. Seitdem heißt es „keine erheb-
lichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“ (§ 67d Abs. 2 StGB). Bei Entlas-
sung aus der Unterbringung auf Bewährung wird Führungsaufsicht angeordnet.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 867

Die Maßregel kann des Weiteren durch Erledigung der Unterbringung gemäß
(§ 67d Abs. 6) beendet werden. „Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung
der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Vorausset-
zungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maß-
regel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt“ (§ 67d Abs. 6). Mit der
Gesetzesänderung 2016 wurden in § 67d Abs. 6 zwei Sätze eingefügt, damit sehr
lange Unterbringungszeiten speziell geprüft werden. „Dauert die Unterbringung
sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn
nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebli-
che rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körper-
lich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder
seelischen Schädigung gebracht werden“ (§ 67d Abs. 6 Satz 2). Im neuen Satz 3 geht
es um eine Unterbringungsdauer von zehn Jahren, hier soll das Gericht die Maßregel
für erledigt erklären, „wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erheb-
liche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich
schwer geschädigt werden.“ Für die Fortsetzung der Unterbringung nach sechs Jah-
ren reicht das Risiko, dass Opfer in Gefahr einer schweren Schädigung gebracht wer-
den. Bei der Überprüfung nach zehn Jahren tritt an die Stelle der Gefahr einer schwe-
ren Schädigung, die Schädigung durch Tötungs-, schwere Körperverletzungs- und
Sexualdelikte (Schmidt-Quernheim 2020, 260). Auch bei Erledigung der Unterbrin-
gung wird im Normalfall Führungsaufsicht angeordnet. Hier besteht aber auch die
Möglichkeit, dass das Gericht den Nichteintritt der Führungsaufsicht anordnet.
Das Gericht muss spätestens jährlich prüfen, ob die Unterbringung in der Psych-
iatrie noch berechtigt ist (§ 67e StGB).
Kommt es während der Führungsaufsicht erneut zu einer rechtswidrigen Tat oder
wird gegen die Weisungen der Führungsaufsicht verstoßen, kommt es zum Widerruf
der Bewährung und erneut zur Unterbringung (§ 67g StGB). Die Bewährung kann
auch widerrufen werden, wenn rechtswidrige Taten zu erwarten sind (§ 67g
Abs. 2 StGB).

3. Die Datenlage
Für die Forschung allgemein zugängliche Daten, um Analysen zur Unterbringung
in der Psychiatrie nach § 63 StGB durchzuführen, sind kaum vorhanden. Querengäs-
ser et al. haben in ihrem im Jahr 2017 erschienenen Artikel „Versorgungsforschung
im Maßregelvollzug oder das Stochern im Nebel“ auf die missliche Lage hingewie-
sen, in der sich die Versorgungsforschung im Bereich des Maßregelvollzugs in
Deutschland seit Längerem befindet. So stellte etwa das statistische Bundesamt
die Veröffentlichung bundesweiter Eckdaten im Bereich des Maßregelvollzugs im
Jahre 2015 ein. Zuletzt wurden Daten für die Jahre 2013/2014 publiziert. Damit
ist selbst die Erfassung einer groben demografischen Struktur der im Maßregelvoll-
zug Untergebrachten seither gänzlich dem Eigenengagement einzelner Personen
868 Carina Tetal

überlassen, obwohl die Antworten auf Fragen wie etwa der Unterbringungsdauer und
die Effizienz der Behandlungsmethoden gesamtgesellschaftlich von Bedeutung sind,
weil in diesem Bereich im Besonderen sowohl das Wohle und die Menschenwürde
des Einzelnen als auch die finanziellen Ressourcen1 und die Sicherheit der Gesell-
schaft als Ganzes betroffen sind.
Querengässer et al. (2017, 1293 f.) weisen auf den seit 2006 von der privaten
Firma ceus consulting GmbH erstellten Kerndatensatz Maßregelvollzug hin. Für die-
sen Datensatz werden in allen deutschen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern
und Baden-Württemberg Daten erhoben. Es wird eine Online-Erhebung von Klini-
ken auf Länderebene durchgeführt, und jährliche Auswertungen werden vorgenom-
men. Die Länder bekommen vergleichende Ergebnisse geliefert. Querengässer et al.
(2017) kritisieren, dass der Datensatz für die Forschung nicht zugänglich ist. Aber
auch der Datensatz selbst wurde kritisiert. Unter anderem deshalb, weil es sich
um eine Querschnittserhebung handelt und Längsschnittuntersuchungen nicht mög-
lich sind.
Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die wenigen für die Forschung zu-
gänglichen Daten gegeben.
In der Strafverfolgungsstatistik2 werden jährlich die Anordnungen der Maßregeln
der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB), seit 2007 für das gesamte Bundesge-
biet, erfasst. So findet man hier die in einem Jahr angeordneten Unterbringungen in
einem psychiatrischen Krankenhaus, aufgeteilt nach Deliktsgruppen, Geschlecht,
Altersgruppen (Erwachsene, Heranwachsende und Jugendliche) und Angaben zur
Schuldfähigkeit.
Wollte man bis 2013 eine Aussage über die Situation des Maßregelvollzugs in
Deutschland treffen, so konnte man auf die Datenauswertung des statistischen Bun-
desamts3 zurückgreifen. Die dort erhobenen Daten bezogen sich auf die alten Bun-
desländer, einschließlich Gesamt-Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Sie gaben
differenziert nach den einzelnen Bundesländern Auskunft über die Art der strafrecht-
lich angeordneten Unterbringung, also ob eine Unterbringung nach § 63 StGB
(psychiatrisches Krankenhaus), nach § 64 StGB (Entziehungsfälle, mit und ohne
Trunksucht) oder nach § 126a StPO (einstweilige Unterbringung in einem psychia-
trischen Krankenhaus bzw. Entziehungsanstalt) erfolgte. Des Weiteren erfuhr man,

1
Die Kosten für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus betrugen 2015
in Deutschland zwischen 232,22 E und 357,78 E, durchschnittlich wurde somit ein Betrag von
etwa 280 E pro Tag und Patient erreicht (vgl. Bundesrat Drucksache 539/15 vom 06. 11. 2015,
2 f.).
2
DeStatis Statistisches Bundesamt: Rechtspflege Strafverfolgung.
3
DeStatis Statistisches Bundesamt: Strafvollzugsstatistik. Im Psychiatrischen Kranken-
haus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte
(Maßregelvollzug). Diese Veröffentlichung gab es für die Berichtsjahre 2007 bis 2013 jähr-
lich.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 869

wie hoch die Gesamtbestandszahl der Maßregelpatienten4, die Anzahl der Neuanord-
nungen und die Anzahl der Entlassungen in den einzelnen Jahren war. Für die Ge-
samtgruppe der Maßregelpatienten gab es Auskunft über personenbezogene Merk-
male wie das Geschlecht, Alter und Familienstand.
Angaben über die Anzahl der aufgrund strafrichterlicher Anordnung in einem
psychiatrischem Krankenhaus Untergebrachten erhielt man von 1970 bis 2014
durch die Strafvollzugsstatistik.5
Die Kriminologische Zentralstelle (KrimZ) gab für die Berichtsjahre 2002 bis
2006 Veröffentlichungen zur Dauer der Unterbringung in der Psychiatrie und zu
den Gründen für die Beendigung des Aufenthalts heraus. Die letzte Veröffentlichung
dazu erschien von Dessecker 2008 für das Berichtsjahr 2006. Erfasst wurden die Mit-
teilungen aller Bundesländer mit Ausnahme von Hessen. Weitere Angaben waren
das Geschlecht, die Nationalität, Altersgruppen und Deliktsgruppen.
Traub & Weithmann (2014) untersuchten anhand von Daten, die die Forschungs-
datenzentren der Länder für die Strafverfolgungsstatistik erstellten, und anhand der
vom Statistischen Bundesamt erstellten Strafvollzugsstatistik für den Maßregelvoll-
zug die Entwicklung der Anordnungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus und der Anzahl an untergebrachten Maßregelpatienten von 1995 bis
2009. Untersucht wurde auf Länderebene für die alten Bundesländer inwiefern
sich soziodemografische und deliktsbezogene Merkmale veränderten. Sie stellten
fest, dass bei der Zunahme der Anordnungen in den vierzehn Jahren der Anteil
der mittelschweren Delikte wie Körperverletzung und Brandstiftung anstieg, aber
der Anteil von Personen, für die wegen einer schweren Straftat, wie einem Tötungs-
delikt oder einem Sexualdelikt, der Maßregelvollzug angeordnet wurde, abnahm.
In der Konstanzer Inventar- und Sanktionsforschung (KIS), die zuletzt 2017 mit
dem Berichtsstand 2015 von Heinz herausgegeben wurde, wurden die Informationen
zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung, die die Strafverfolgungsstatistik, die
Strafvollzugsstatistik und die Maßregelvollzugsstatistik enthielten, weiter analysiert
(Heinz 2017, 141 ff.). So wurde unter anderem die Zahl der Anordnungen der Unter-
bringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in Verbindung gesetzt mit der
Gesamtzahl der Aburteilungen pro Jahr. Der Höhepunkt der Anordnungen wurde
2008 erreicht. Seitdem waren die Zahlen der Anordnung in der Psychiatrie rückläu-
fig. Aber wegen der langen durchschnittlichen Unterbringungsdauer nahmen die
Zahlen der im psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten weiter zu. Im Jahr
2015 waren zum ersten Mal wieder seit den frühen 1970er Jahren im früheren Bun-
desgebiet mehr Personen im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) unterge-
bracht als Gefangene mit einer voraussichtlichen Vollzugsdauer von mehr als fünf
4
Meist wird in dem vorliegenden Beitrag der Begriff Maßregelpatient verwendet, da der
Großteil der Personen, die nach § 63 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht
sind, Männer sind.
5
DeStatis Statistisches Bundesamt: Rechtspflege Strafvollzug. Diese Publikation erscheint
immer noch jährlich, aber ohne Angaben zum Maßregelvollzug.
870 Carina Tetal

Jahren (einschließlich lebenslänglich) (Heinz 2017, 146 f.). Heinz geht davon aus,
dass die Sicherungsfunktion der langen Freiheitsstrafe zunehmend durch die Unter-
bringung im psychiatrischen Krankenhaus ersetzt wird.
Allein mit diesen Informationen können aktuell keine Aussagen zum eigentlichen
Ziel der Maßregelvollzugsunterbringung – der Besserung und Sicherung des Einzel-
nen und damit dem Schutz der Allgemeinheit vor Rückfallstraftaten – getroffen wer-
den. Im Folgenden wird versucht, mit den Daten der bundesweiten Rückfalluntersu-
chung etwas Licht in das Dunkel zu bringen. Dabei wird untersucht, wie sich die An-
ordnungen und Beendigungen der Unterbringung seit 2004 verändert haben. Speziell
untersucht werden die primäre Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung und
die Dauer der Unterbringung.

4. Die Anordnung der Unterbringung


Die Grundlage dieser Untersuchung bilden Daten des Bundeszentralregisters
(BZR), die für die an der Universität Göttingen und am Max-Planck-Institut für aus-
ländisches und internationales Strafrecht6 in Freiburg durchgeführten Legalbewäh-
rungsstudie (Jehle et al. 2016) verwendet wurden. Die Daten der Legalbewährungs-
studie umfassen alle justiziellen Registrierungen in Deutschland, die zum Zeitpunkt
April 2008 (1. Welle), April 2010/2011 (2. Welle), April 2013/2014 (3. Welle) und
April 2016/2017 (4. Welle), im Bundeszentralregister eingetragen waren. Die Daten
der unterschiedlichen Wellen wurden bei denselben Personen mittels eines kryptifi-
zierten Personenschlüssels zusammengeführt.
Die Daten für die Analyse in diesem Beitrag umfassen Personen mit der Anord-
nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in
Deutschland. Auswertungen wurden für die Bezugsjahre der Legalbewährungsstudie
2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 durchgeführt. Wie in Tabelle 1 zu sehen ist, nahm
die Zahl der Anordnungen seit 2007 ab. Im Jahr 2007 gab es 1.214 Anordnungen zur
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, 2016 waren es 870. Im Bun-
deszentralregister waren zwischen 6 % (2004) und 10 % (2013) mehr Anordnungen
zur Unterbringung eingetragen, als in der vom Statischen Bundesamt veröffentlich-
ten Strafverfolgungsstatistik erfasst wurden. Dies kann unter anderem mit dem Zeit-
punkt der Erstellung der Strafverfolgungsstatistik zusammenhängen. Einige Anord-
nungen werden wohl erst zu einem Zeitpunkt gemeldet, an dem die Strafverfolgungs-
statistik schon erstellt wurde. Heinz (2017, 142) spricht in diesem Zusammenhang
von einer vermutlich bestehenden Untererfassung in der Strafverfolgungsstatistik.
Etwa 90 % der Personen, bei denen die Unterbringung in der Psychiatrie angeord-
net wurde, waren Erwachsene. Wobei sich eine Tendenz zeigte, dass bei weniger Ju-
gendlichen und Heranwachsenden im Verhältnis zur Gesamtzahl die Unterbringung
6
Seit März 2020 Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und
Recht.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 871

angeordnet wurde. 2007 war der Anteil der Erwachsenen 88,6 %, 2016 lag der Anteil
bei 91,8 %. Annähernd 90 % der Anordnungen zur Unterbringung betrafen Männer,
wobei der Frauenanteil zwischen 2007 und 2016 leicht zunahm: 2007 lag der Frau-
enanteil knapp unter 10 %, 2016 betrug er 11,3 %. Zur Anordnung der Unterbringung
in der Psychiatrie kam es deutlich häufiger bei Männern als bei Frauen. Das Verhält-
nis bei allen Straftätern beträgt etwa 75 % Männer und 25 % Frauen.
Tabelle 1
Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
Deutsche
Gesamt Erwachsene7 Männlich Staats-
angehörigkeit
Jahr der Rechtskraft8 n n % n % n %
2004 1.177 1.054 89,5 1.059 90,0 976 82,9
2007 1.214 1.075 88,6 1.096 90,3 1.002 82,5
2010 1.036 920 88,8 914 88,2 858 82,8
2013 902 826 91,6 804 89,1 715 79,3
2016 870 799 91,8 772 88,7 654 75,2

Der Anteil an Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, für die die Unterbrin-
gung in der Psychiatrie angeordnet wurde, stieg in der Zeit von 2004 bis 2016 von
17 % auf 25 %. Der Anteil an Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit war
aber in der gesamten Zeitspanne höher als bei allen Abgeurteilten. Bei allen Abge-
urteilten war das Verhältnis 2004, 2007 und 2010 drei Viertel Deutsche und ein Vier-
tel nichtdeutsche Straftäter, 2013 betrug der Anteil der deutschen Straftäter zwei
Drittel und 2016 hatten 58 % der Abgeurteilten eine deutsche Staatsangehörigkeit.
Das Alter der Personen zum Zeitpunkt der Anordnung der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus betrug im Durchschnitt 36 Jahre. Für die an-
teilsmäßig meisten Personen wurde 2004, 2007 und 2010 die Unterbringung in
der Psychiatrie im Alter von Mitte zwanzig, 2013 und 2016 im Alter von etwa dreißig
Jahren angeordnet (Abbildung 1). Nach dem Peak fällt die Alterskurve stark ab und
es kommt zu einem zweiten Peak, was am deutlichsten bei den Anordnungen von
2004 mit einem Alter von annähernd 40 Jahren zu sehen ist. Knapp ein Drittel der
Anordnungen zur Unterbringung entfiel auf die Altersgruppe der 21- bis 30-Jährigen,
auf die Altersgruppe der 31- bis 40-Jährigen entfielen weniger als 30 %, 2010 sogar
nur 22 %. Ab dem Alter von 40 Jahren fielen die Alterskurven ab, wobei es aber auch
noch für über 80-Jährige Anordnungen in die Unterbringung gab.

7
Alter zum Zeitpunkt der Tat 21 Jahre oder älter.
8
Die aufgeführten Jahre sind die Bezugsjahre der Legalbewährungsstudie.
872 Carina Tetal

.04
2004
2007
2010
2013
.03

2016
Anteile (normiert)
.02
.01
0

20 30 40 50 60 70 80
Alter
Abbildung 1: Alter bei Anordnung der Unterbringung in der Psychiatrie
im Jahr der Rechtskraft

Tabelle 2
Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
mit und ohne Freiheits-/Jugendstrafe
Unterbringung
Isolierte Unterbringung
in der
Gesamt Unterbringung in der Psychiatrie
Psychiatrie
in der Psychiatrie neben F/JoB*
neben F/JmB*
Jahr der
n n % n % n %
Rechtskraft
2004 1.177 785 66,7 305 25,9 79 6,7
2007 1.214 811 66,8 320 26,4 79 6,5
2010 1.036 737 71,1 246 23,7 51 4,9
2013 902 677 75,1 177 19,6 42 4,7
2016 870 673 77,4 162 18,6 30 3,4
* F/JoB Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung, F/JmB Freiheits- oder Jugendstrafe mit Bewährung

Bei zwei Dritteln aller Anordnungen zur Unterbringung in der Psychiatrie wurde
die Maßregel 2004 und 2007 isoliert angeordnet, 26 % der Personen wurden zeit-
gleich zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung und 7 % mit Bewährung
verurteilt (Tabelle 2). Ab 2007 nahm der Anteil der isolierten Anordnung der Maß-
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 873

regel zu. 2010 gab es 71 %, 2013 75 % und 2016 77 % isolierte Anordnungen zur Un-
terbringung.
In Tabelle 3 sind die Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus in Verbindung mit Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) und in Verbindung
mit verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) dargestellt. Es gab auch Personen, in
deren gerichtlicher Entscheidung Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähig-
keit festgestellt wurde. Dazu konnte es kommen, wenn mehrere Taten in einer Ent-
scheidung abgeurteilt wurden. Die Anzahl der wegen Schuldunfähigkeit in einem
psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten blieb über die Jahre hinweg in
etwa gleich, obwohl die Zahl der Anordnungen in den Jahren abnahm. Somit
nahm der Anteil der Schuldunfähigen im Laufe der Jahre zu. Waren es 2004 und
2007 unter 50 %, stieg der Anteil im Jahr 2010 auf 50 %, 2013 auf 61 % und 2016
auf 64 %. Die Personen mit verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nahmen im
gleichen Zeitraum etwas ab, von 30 % im Jahr 2004 auf 24 % im Jahr 2016. Insgesamt
nahm der Personenkreis mit Schuldunfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit
um 10 Prozentpunkte zu, von 71,3 % auf 81,5 %.
Tabelle 3
Anordnungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
aufgrund Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB)
Schuldunfähig-
Schuldun- Verminderte
Gesamt keit/verminderte
fähigkeit Schuldfähigkeit
Schuldfähigkeit
Jahr der
n n % n % n %
Rechtskraft
2004 1.177 535 45,5 355 30,2 839 71,3
2007 1.214 586 48,3 343 28,3 867 71,4
2010 1.036 522 50,4 315 30,4 777 75,0
2013 902 552 61,2 227 25,2 729 80,8
2016 870 553 63,6 209 24,0 709 81,5

Die maßgeblichen Straftaten, die zur Unterbringung in einem psychiatrischen


Krankenhaus führten, kamen hauptsächlich aus dem Gewaltbereich (Tabelle 4).
Die größte Gruppe bildeten die Körperverletzungsdelikte, wobei der Anteil von
2004 bis 2013 zunahm. 2004 wurden 33 % der Anordnungen zur Unterbringung in
der Psychiatrie wegen eines Körperverletzungsdelikts ausgesprochen, 2007 waren
es 35 %, 2010 37 % und 2013 41 %. 2016 lag der Anteil der Körperverletzungsdelikte
bei 39 %. Sehr groß ist der Anteil der Tötungsdelikte, wenn man bedenkt, dass Tö-
tungsdelikte nur etwa 0,2 % aller abgeurteilten Delikte ausmachen. Der Anteil der
Tötungsdelikte nahm von 12 % 2004 auf 16 % 2016 zu.
874 Carina Tetal

Tabelle 4
Häufigkeiten und prozentualer Anteil der maßgeblichen Straftat bei der Anordnung
der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
2004 2007 2010 2013 2016
Jahr der Rechtskraft n % n % n % N % n %
Sexueller
70 6,7 69 6,5 47 4,9 29 3,5 35 4,4
Missbrauch
Vergewaltigung 101 9,7 70 6,6 67 7,0 47 5,6 27 3,4
Tötungsdelikte 122 11,7 139 13,0 128 13,4 121 14,4 127 15,9
Körperverletzung 107 10,2 110 10,3 125 13,1 115 13,7 98 12,3
Schw. Körper-
239 22,8 259 24,3 229 24,0 226 26,9 211 26,4
verletzung
Diebstahl 15 1,4 12 1,1 8 0,8 11 1,3 10 1,3
Schwerer Diebstahl 42 4,0 35 3,3 27 2,8 9 1,1 22 2,8
Raub 59 5,6 71 6,7 44 4,6 53 6,3 48 6,0
Schwerer Raub 37 3,5 60 5,6 48 5,0 40 4,8 5 2 6,5
Brandstiftung 145 13,9 133 12,5 122 12,8 103 12,3 117 14,6
Sonst 109 10,4 108 10,1 110 11,5 86 10,2 52 6,5
Alle Delikte 1.046 100 1.066 100 955 100 840 100 799 100
Fehlende Werte9 131 148 81 62 71
Gesamt 1177 1214 1036 902 870

Beträchtlich war auch der Anteil an Personen, bei denen im Zusammenhang mit
einem Sexualdelikt die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet wurde. Hier ist
der Anteil von 2004 bis 2016 aber abnehmend. 2004 wurden 16 % aller Anordnungen
wegen eines Sexualdelikts ausgesprochen, 2016 waren es noch 8 %. Alle justiziellen
Aburteilungen nahmen in der Zeit von 2007 bis 2016 ab.10 Auch die Anzahl der Ab-
urteilungen wegen einer Sexualstraftat nahmen in diesem Zeitraum ab. Aber beim
prozentualen Anteil der Sexualstraftaten an allen Straftaten gab es bei Betrachtung
aller Aburteilungen kaum einen Unterschied. 2007 betrug der Anteil der Aburteilun-
gen wegen eines Sexualdelikts von allen Aburteilungen nach StGB ohne Straßenver-
kehr 1,5 %, 2010, 2013 und 2016 waren es 1,3 %. Seifert & Leygraf (2016, 240) stell-
ten einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Anordnungen zur Unterbrin-
gung im Maßregelvollzug wegen sexuellen Missbrauchs als maßgeblicher Straftat
und dem Rückgang von verminderter Schuldunfähigkeit her. Laut Seifert & Leygraf
kommt es zur Einstufung vermindert schuldfähig häufig bei persönlichkeitsauffälli-
gen Personen, die wegen eines Sexualdelikts abgeurteilt wurden. Als ursächlich für
den Rückgang von verminderter Schuldunfähigkeit sehen Seifert & Leygraf einer-
seits, dass der Bundesgerichtshof gerade bei dieser Gruppe eine besonders gründli-
che Überprüfung der Unterbringungsvoraussetzungen anmahnte, andererseits ist an-
9
Die fehlenden Werte betreffen etwa zur Hälfte Fälle mit verstorbenen Maßregelpatienten
und zur anderen Hälfte Fälle, die im Bundeszentralregister als fehlerhafte Eintragung ge-
kennzeichnet sind.
10
Siehe Strafverfolgungsstatistik.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 875

zunehmen, dass die Strafverteidiger versuchen, die Einstufung einer verminderten


Schuldfähigkeit wegen der langen Unterbringungszeiten zu verhindern.
Von allen Unterbringungsanordnungen beruhten zwischen 2004 und 2016 zwi-
schen 12,3 % und 14,6 % auf einem Brandstiftungsdelikt und zwischen 13,4 % und
16,7 % auf Raub- oder sonstigen Eigentumsdelikten. Unter sonstigen Delikten ver-
bargen sich hauptsächlich Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Betrug, Sachbe-
schädigung und Betäubungsmitteldelikte. Der Anteil an sonstigen Delikten lag in
den Jahren 2004, 2007, 2010 und 2013 bei 10 % bis 11 %. 2016 gab es einen Rück-
gang auf 6,5 %, was hauptsächlich daran lag, dass Betrug als maßgebliche Straftat der
Unterbringung kaum noch vorlag und Anordnungen, denen ein Betäubungsmittelde-
likt zu Grunde lag, stark abnahmen.

5. Die Beendigung der angeordneten Unterbringung


Zuletzt wurden für 2006 von Dessecker (2008, 34 ff.) in einer Veröffentlichung
der Kriminologischen Zentralstelle ausführliche Ergebnisse zur Dauer der Unter-
bringung und zu den Gründen der Beendigung der Unterbringung herausgegeben.
Seit 2007 gibt es für Deutschland in dieser Ausführlichkeit keine bundesweiten Ver-
öffentlichungen zum Ende der Unterbringung mehr.
Weitere Erkenntnisse zu den Entwicklungen des psychiatrischen Maßregelvoll-
zugs finden sich in Veröffentlichungen, die auf dem von der privaten Firma ceus con-
sulting GmbH erstellten Kerndatensatz Maßregelvollzug beruhen. Hier ist vor allem
die Veröffentlichung von König (2018) zu erwähnen. Darin befinden sich unter an-
derem Angaben über die durchschnittlichen Unterbringungszahlen in den Jahren von
2008 bis 2015, über die Anzahl der Aufnahmen und Beendigungen gemäß § 63 StGB
und über die durchschnittliche Unterbringungsdauer zum Zeitpunkt der Entlassung
und zum Stichtag 31.12.
Traub & Schalast kritisieren die Auswertungen von ceus consulting, unter ande-
rem, weil sich schon die Zahlen der Neuanordnungen von den Angaben zu Anord-
nungen in der Strafverfolgungsstatistik unterscheiden (siehe Traub & Schalast 2017,
151).
Im Folgenden werden Analysen zur Beendigung der Unterbringung anhand der
Daten der Legalbewährungsstudie durchgeführt.

5.1 Primäre Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung

Nicht jede Anordnung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


führt auch zu einem Aufenthalt im Maßregelvollzug. Durch § 67b StGB besteht die
Möglichkeit, dass gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung die Aussetzung
der Vollstreckung zur Bewährung erfolgt. In den Jahren 2007 und 2010 wurden 30 %,
876 Carina Tetal

2004 und 2013 knapp unter 30 % der Anordnungen zur Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus direkt mit Inkrafttreten der Rechtskraft zur Bewährung
ausgesetzt (Tabelle 5). 2016 kam es zu einer Verringerung der primären Aussetzung
zur Bewährung, bei knapp 20 % der Verurteilten erfolgte die Aussetzung zur Bewäh-
rung sofort mit dem Urteil.
Tabelle 5
Primäre Aussetzung der Maßregel zur Bewährung (§ 67b StGB)
Primäre Aussetzung Anordnung Psychiatrisches
Jahr der Rechtskraft
der Unterbringung Krankenhaus (§ 63)
n % n
2004 331 28,1 1.177
2007 367 30,2 1.214
2010 310 29,9 1.036
2013 249 27,6 902
2016 169 19,4 870

Kam es gleichzeitig mit der Anordnung der Unterbringung zu einer Verurteilung


zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, wurde die Unterbringung nicht sofort zur
Bewährung ausgesetzt. Aber wenn mit der Anordnung der Unterbringung auch eine
Freiheitsstrafe auf Bewährung einherging, wurde auch die Unterbringung in den
meisten Fällen sofort zur Bewährung ausgesetzt.
Beruhte die Entscheidung mit der Anordnung zur Unterbringung auf einem Tö-
tungsdelikt, kam es nur in seltenen Fällen zu einer primären Aussetzung der Unter-
bringung. War die maßgebliche Straftat eine Körperverletzung, kam es deutlich häu-
figer als im Durchschnitt zu einer sofortigen Aussetzung der Maßregel zur Bewäh-
rung.

5.2 Die Beendigung des Maßregelvollzuges

Die Zahl der Maßregelpatienten, die in den Jahren 2004, 2007, 2010, 2013 und
2016 den Aufenthalt in der Psychiatrie beendeten, nahm über die Jahre hinweg
zu, und zwar von 449 im Jahr 2004, 541 im Jahr 2007 auf 697 im Jahr 2016 (Tabel-
le 6). Im Jahr 2004 wurde nach einem Aufenthalt im psychiatrischen Krankenhaus
nach § 63 StGB bei 373 Maßregelpatienten die Unterbringung zur Bewährung aus-
gesetzt, weitere 76 Maßregelpatienten wurden entlassen, ohne dass die Maßregel zur
Bewährung ausgesetzt wurde. Erfasst wurde hier das erste Ende der Unterbringung.
Falls es jedoch durch einen Widerruf zu einer erneuten Unterbringung in der Psych-
iatrie kam und somit zu einer erneuten Entlassung, wurden diese Fälle hier nicht er-
fasst.
2016 wurden 535 Unterbringungen zur Bewährung ausgesetzt, und für 162 Per-
sonen endete die Maßregel, ohne dass sie zur Bewährung ausgesetzt wurde. 2007 und
2010 nahmen insbesondere die Aussetzungen der Unterbringung zu, 2013 und 2016
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 877

kam es zu einer deutlichen Zunahme der Erledigungen der Unterbringung. Ein Grund
für die Zunahme der Beendigungen der Unterbringung in der Psychiatrie könnte eine
Gesetzesänderung des § 463 StPO – Vollstreckung der Maßregeln der Besserung und
Sicherung – sein, die am 20. 07. 2007 in Kraft trat. Mit Artikel 2 des Gesetzes zur
Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer
Entziehungsanstalt vom 16. 07. 2007 wurde in § 463 Abs. 4 StPO eingeführt, dass
bei der gerichtlichen Überprüfung der Berechtigung der Unterbringung in der Psych-
iatrie alle fünf Jahre das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden muss.
Des Weiteren wurde mit der oben erwähnten Gesetzesänderungen zum § 67d Abs. 6
StGB vom April 2016 eingeführt, dass bei Maßregelpatienten mit einer Unterbrin-
gungsdauer von sechs und zehn Jahren speziell überprüft werden muss, ob die Vor-
aussetzung zur Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus noch vorliegt. Dem-
gemäß wurde § 463 Abs. 4 StPO dahingehend geändert, dass alle drei Jahre das Gut-
achten eines Sachverständigen eingeholt werden muss bzw. ab einer Unterbringungs-
zeit von sechs Jahren alle zwei Jahre.
Tabelle 6
Ende der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
Aussetzung Anordnung
der Unterbringung Ende der Unterbringung
Unterbrin- erledigt Unterbringung ohne primäre
gung Aussetzung
Jahr n % n % gesamt n
2004 373 83,1 76 16,9 449 846
2007 443 81,9 98 18,1 541 847
2010 520 84,4 96 15,6 616 726
2013 554 81,2 128 18,8 682 653
2016 535 76,8 162 23,2 697 701

Vergleicht man die Anzahl der Personen, die in einem Jahr in den Maßregelvoll-
zug hineinkamen (letzte Spalte Tabelle 6), mit der Zahl derer, die den Maßregelvoll-
zug verließen, zeigt sich, dass es in den Jahren 2004, 2007 und 2010 mehr Zugänge
als Abgänge gab. Wobei das Plus an Zugängen mit den Jahren abnahm. 2004 gab es
etwa 400 Zugänge mehr als Abgänge, 2007 waren es 300 und 2010 etwa 100. 2013
gab es etwas weniger Zugänge als Abgänge und 2016 kamen etwa genau so viele
Personen in den Maßregelvollzug hinein wie hinaus.
Die Entwicklung der Zugänge und Abgänge im Maßregelvollzug zeigt sich auch
in den durchschnittlichen jährlichen Belegungszahlen. Bis 2013 gab es dazu Anga-
ben in der Strafvollzugsstatistik für die alten Bundesländer und Berlin. Seit 2008 gibt
es Angaben über die Belegung des Maßregelvollzugs von ceus consulting für alle
Bundesländer mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg. König (2018,
104) veröffentlichte die durchschnittlichen Unterbringungszahlen von 2008 bis
2015 (ceus consulting 2017). Die Belegungszahlen nahmen bis 2012 zu und danach
ab. 2014 und 2015 sanken die Belegzahlen relativ stark. Weitere Angaben gab es von
878 Carina Tetal

Schmidt-Quernheim (2020, 257) für Nordrhein-Westfalen für die Jahre 2015 bis 2018
(ceus consulting 2020). Die durchschnittliche Belegung nahm 2016 weiter ab, 2017
gab es keine Veränderung und 2018 wieder eine deutliche Abnahme.
Tabelle 7
Ende der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
mit und ohne Freiheits-/Jugendstrafe
Isolierte Unterbringung in Unterbringung in
Gesamt Unterbringung in der Psychiatrie der Psychiatrie
der Psychiatrie neben F/JoB* neben F/JmB*
Jahr der
Beendigung n n % n % n %
der Unterbringung
2004 449 257 57,2 183 40,8 9 2,0
2007 541 345 63,8 189 34,9 7 1,3
2010 616 381 61,9 227 36,9 8 1,3
2013 682 429 62,9 250 36,7 3 0,4
2016 697 412 59,1 277 39,7 8 1,1
* F/JoB Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung, F/JmB Freiheits- oder Jugendstrafe mit Bewährung

In Tabelle 7 werden die Fälle der Beendigung der Unterbringung in einem psych-
iatrischen Krankenhaus differenziert für Personen mit isolierter Maßregelanordnung
einerseits und Personen mit einer gleichzeitigen Verurteilung zu einer Freiheits- oder
Jugendstrafe andererseits dargestellt. Bei etwa 40 % der Personen, die ihre Unterbrin-
gung beendet hatten, lag auch eine Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe
ohne Bewährung vor. Hier zeigten sich von 2004 bis 2016 kaum Veränderungen. Zu
einer Entlassung aus der Unterbringung mit gleichzeitig vorliegender Bewährungs-
strafe kam es kaum, da es in diesen Fällen selten zur Unterbringung in der Psychiatrie
kam. Im Allgemeinen wurde in diesen Fällen sofort mit dem Urteil die Unterbrin-
gung zur Bewährung ausgesetzt.

5.3 Unterbringungsdauer

Die durchschnittliche Dauer der Unterbringung11 in einem psychiatrischen Kran-


kenhaus am Ende der Unterbringung nahm von 2004 bis 2016 um drei Jahre, 45 %, zu
(Tabelle 8). 2004 betrug die durchschnittliche Unterbringungsdauer 6,6 Jahre, 2016
waren es 9,6 Jahre. Auch die maximale Unterbringungsdauer nahm in dieser Zeit um
fast 50 % zu, und zwar von 25,6 Jahre im Jahr 2004 auf 38,2 Jahre im Jahr 2016.
Deutlich zugenommen hat der Anteil der Maßregelpatienten, die eine Unterbrin-
gungsdauer von mehr als zehn Jahren aufwiesen. Dies waren bei Beendigung der Un-

11
Die Dauer der Unterbringung wird anhand des Zeitpunkts der Aussetzung der Unter-
bringung bzw. der Erledigung der Unterbringung und des Zeitpunkts der Anordnung der Un-
terbringung (Rechtskraftdatum) berechnet.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 879

terbringung 2004 17,6 % und 2016 40,7 %. Bereits 2013 war fast jeder dritte Maßre-
gelpatient länger als zehn Jahre im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
Tabelle 8
Unterbringungsdauer am Ende der Unterbringung
Ende der Ø Unter- Max. Unter- Unterbringungsdauer
Unterbringung bringungsdauer bringungsdauer mehr als 10 Jahre
Jahr n in Jahren in Jahren %
2004 449 6,6 25,6 17,6
2007 541 7,0 31,2 19,8
2010 616 7,5 34,5 25,2
2013 682 8,8 36,1 31,1
2016 697 9,6 38,2 40,7

In der Untersuchung von Dessecker (2008, 34) betrug die mittlere Unterbrin-
gungsdauer 2006 6,5 Jahre (alle Bundesländer außer Hessen). Bei 17 % der Maßre-
gelpatienten betrug die Unterbringungsdauer mehr als 10 Jahre, das Maximum lag
bei 43 Jahren.
Die mittlere Unterbringungsdauer stimmt mit der von ceus consulting ermittelten
Unterbringungsdauer in etwa überein, wobei die Daten von ceus consulting die An-
gaben von Bayern und Baden-Württemberg nicht enthielten (siehe König 2018, 110.
Die Daten stammen aus ceus consulting 2017). Ceus consulting ermittelte die durch-
schnittliche Dauer der Unterbringung sowohl am 31.12. jeden Jahres seit 2009 als
auch für manche Jahre bei Beendigung der Unterbringung. Wobei hier auffällt,
dass 2010 die durchschnittliche Dauer der Unterbringung bei Beendigung überein-
stimmte mit der durchschnittlichen Dauer am Stichtag 31.12., jeweils 7,4 Jahre, aber
2012 ein deutlicher Unterschied zwischen der durchschnittlichen Dauer bei Entlas-
sung und der am 31.12. bestand. Bei Entlassung betrug die durchschnittliche Unter-
bringungsdauer 8,5 Jahre, am 31.12. waren es 7,7 Jahre. 2015 war diese Differenz
noch deutlich höher, 9,9 Jahre bei Entlassung und 8,1 Jahre am 31.12. Somit war
der Anstieg der Unterbringungsdauer am Stichtag 31.12. von 2010 bis 2015 nur ge-
ring, der Anstieg der Unterbringungsdauer der Beender in dieser Zeit mit 33 % aber
sehr deutlich.
Traub & Schalast (2017) schätzten die Unterbringungsdauer für die Jahre 1985 bis
2013 anhand der Angaben von jährlichen Anordnungen der Unterbringung in der
Strafverfolgungsstatistik und anhand der Zahl der Untergebrachten an einem Stich-
tag in der Strafvollzugsstatistik. Traub & Schalast (2017, 149) berechneten die „Epi-
demiologische Verweildauer (EV)“ als Schätzwert für die Dauer der Unterbringung
anhand der Formel:
EVJahr1 = BelegungJahr1/NeuanordnungenJahr1
Diese Schätzung ergab für die alten Bundesländer 1993 eine Unterbringungsdau-
er von 4,6 Jahren und 2013 von 9,1 Jahren. Nach dieser Berechnung verdoppelte sich
die Unterbringungsdauer in den 20 Jahren von 1993 bis 2013 nahezu. Am Ergebnis
880 Carina Tetal

von 2013 zeigt sich, dass Traub & Schalast (2017) mit ihrer Schätzung der Unterbrin-
gungsdauer eine gute Annäherung liefern. Jaschke & Jaschke (2017), die die Unter-
suchung von ceus consulting durchführten, beanstanden die Schätzungen von Traub
& Schalast zur Unterbringungsdauer auf Länderebene.12
Den Ergebnissen von ceus consulting ist zu entnehmen, dass die Unterbringungs-
dauer aller am 31.12. Untergebrachten von 2010 bis 2015 um 10 % anstieg. Viel deut-
licher aber mit 33 % war der Anstieg der Unterbringungsdauer bei Beendigung der
Unterbringung. Dies und die starke Zunahme des Anteils der Patienten mit einer Un-
terbringungsdauer von mehr als zehn Jahren weisen darauf hin, dass der Anstieg der
Unterbringungsdauer auch darauf zurückzuführen ist, dass besonders viele Langzeit-
patienten die Unterbringung beendeten. Inwiefern die Gesetzesänderung von 2007,
die Einführung von externen Prognosegutachten (§ 463 Abs. 4 StPO), einen Einfluss
auf diese Entwicklung hatte, kann nicht mit Gewissheit bestimmt werden.

5.4 Unterbringungsdauer ab Anordnung der Unterbringung

Im Folgenden wird die Unterbringungsdauer ab der Anordnung der Unterbrin-


gung berechnet. So wird ersichtlich, wie viele Maßregelpatienten nach wie vielen
Jahren immer noch untergebracht waren (Abbildung 2).
So gab es im Jahr 2004 1.177 Anordnungen zur Unterbringung in einem psych-
iatrischen Krankenhaus. Von diesen wurden 331 primär zur Bewährung ausgesetzt
und 27 Personen waren verstorben, ohne dass es zuvor zu einer Beendigung der Un-
terbringung kam. Somit blieben 819 Personen, die im Maßregelvollzug unterge-
bracht wurden und für die die Dauer der Unterbringung bis 2016 berechnet werden
konnte. Von diesen 819 Personen, für die 2004 eine Unterbringung in einem psych-
iatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, waren nach sechs Jahren noch 490 Per-
sonen, 60 %, im Maßregelvollzug, nach neun Jahren noch 43 % und nach zwölf Jah-
ren noch 28 % untergebracht.
Auch bei den Maßregelpatienten, für die 2007 und 2010 die Unterbringung ange-
ordnet wurde, war der Anteil der lang Untergebrachten ähnlich hoch wie bei den Per-
sonen mit Beginn der Unterbringung 2004. 2007 wurde in 1.214 Fällen die Unter-
bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. In 367 Fällen wurde
die Unterbringung primär ausgesetzt und 38 Maßregelpatienten waren vor der Ent-
lassung verstorben. Von den 809 Maßregelpatienten, die 2007 in den Maßregelvoll-
zug kamen, waren nach sechs Jahren noch 58 % und nach neun Jahren noch 41 % in
der Unterbringung.
2010 wurde für 1.036 Personen die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet. Bei 310 Personen erfolgte sofort mit der Anordnung der
Unterbringung die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung. Zehn Personen

12
Heinz Jaschke ist Geschäftsführer von ceus consulting.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 881

1.00

2004
2007
2010
0.75
Survival (Kaplan−Meier)
0.25 0.50
0.00

0 4 8 12
Zeit [Jahre]
Abbildung 2: Dauer der Unterbringung seit der Anordnung der Unterbringung

waren vor Beendigung der Unterbringung verstorben. Von den 707 Maßregelpatien-
ten waren nach sechs Jahren noch 58 % untergebracht.
Damit zeigte sich kein signifikanter Unterschied bei den lang Untergebrachten bei
Beginn der Unterbringung in den Jahren 2004, 2007 und 2010. In den ersten drei Jah-
ren nach Anordnung der Unterbringung kam es selten zu einer Beendigung, nur 14 %
der Maßregelpatienten beendeten ihre Unterbringung innerhalb von drei Jahren. Die
meisten Beendigungen der Unterbringung gab es nach vier, fünf und sechs Jahren
nach der Anordnung der Unterbringung. Hier wurden im Schnitt 9 % jährlich entlas-
sen. Mit einer Unterbringungszeit von mehr als sechs Jahren nahm der Anteil der
jährlichen Entlassungen wieder ab. In der Gruppe der Maßregelpatienten, die seit
2004 in der Unterbringung waren, zeigte sich, dass es nach zehn Jahren Unterbrin-
gung zu einer leichten Zunahme der Beendigungen (7 %) kam im Vergleich zu in den
Jahren kurz davor und danach.

6. Fazit
Die Zahl der Anordnungen der Unterbringung gemäß § 63 StGB nahm von 2007
bis 2016 ab. Insbesondere nahmen die Anordnungen der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus mit gleichzeitiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe
ab. Des Weiteren ist ein deutlicher Rückgang bei der Anordnung der Maßregel in Ver-
882 Carina Tetal

bindung mit einer verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zu sehen. Seifert & Ley-
graf (2016, 240) weisen darauf hin, dass dies häufig persönlichkeitsauffällige Perso-
nen betrifft, die wegen eines Sexualdelikts abgeurteilt werden.
Die Bestandszahlen der im Maßregelvollzug Untergebrachten nahmen seit den
1980er Jahren bis 2013 zu.13 Die Zunahme der Bestandszahlen bei gleichzeitiger Ab-
nahme der Anordnungen zur Unterbringung im Maßregelvollzug weist auf eine deut-
liche Zunahme der Unterbringungsdauer in diesem Zeitraum hin.
Die Zahl der Maßregelpatienten, die die Unterbringung beendeten, nahm in der
Zeit von 2004 bis 2016 zu. Wird die Unterbringungsdauer vom Zeitpunkt der Ent-
lassung aus betrachtet, nahm die durchschnittliche Unterbringungsdauer von 2004
bis 2016 deutlich zu, und vor allem die Zahl der Maßregelpatienten mit einer Unter-
bringungsdauer von mehr als zehn Jahren nahm stark zu. 41 % der Maßregelpatien-
ten, bei denen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus 2016 been-
det wurde, waren länger als zehn Jahre untergebracht. 2007 war der Anteil der Be-
ender mit einer Unterbringungszeit von mehr als zehn Jahren 20 %.
Wird die Unterbringungsdauer aller am 31.12. Untergebrachten betrachtet, gab es
nur einen geringen Anstieg der Dauer von 2010 bis 2015. Dies und der starke Anstieg
des Anteils der Beender mit einer Unterbringungszeit von mehr als zehn Jahren wei-
sen darauf hin, dass die längere durchschnittliche Unterbringungsdauer bei Entlas-
sung dadurch zustande kam, dass überdurchschnittlich viele Langzeituntergebrachte
entlassen wurden.
Wird die Unterbringungsdauer prospektiv betrachtet, zeigt sich seit 2004 keine
Veränderung im Anteil der Personen mit langen Unterbringungszeiten. Nach
sechs Jahren sind nach Anordnungen der Unterbringung 2004 60 %, 2007 und
2010, 58 % der Untergebrachten weiterhin im Maßregelvollzug. Die Unterbrin-
gungsdauer im Maßregelvollzug sollte weiter mit Längsschnittdaten untersucht wer-
den, um zu überprüfen, ob die Gesetzesänderungen 2016 in § 67d Abs. 2 und Abs. 6
zu Veränderungen der Dauer der Unterbringung geführt haben.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1998): Kriminologische und rechtspolitische Desiderate in der Gestaltung der
Forschungsperspektiven Forensischer Psychiatrie, in: H.-L. Kröber & K.-P. Dahle (Hrsg.),
Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz, Verlauf – Behandlung – Opferschutz. Heidelberg,
S. 135 – 150.
Albrecht, H.-J. (2007): Rechtliche Grundlagen der Forensischen Psychiatrie – eine international
vergleichende Perspektive, in: H.-L. Kröber, D. Dölling, N. Leygraf & H. Sass (Hrsg.), Hand-
buch der Forensischen Psychiatrie, Band 1 Strafrechtliche Grundlagen der Forensischen
Psychiatrie. S. 511 – 573.

13
Siehe DeStatis Statistisches Bundesamt: Strafvollzugsstatistik. Im Psychiatrischen
Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Unterge-
brachte (Maßregelvollzug) 2015, Berichtsjahr 2013, Bestandszahlen für alte Bundesländer.
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB 883

Dessecker, A. (2008): Lebenslange Freiheitsstrafe, Sicherungsverwahrung und Unterbringung


in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dauer und Gründe der Beendigung im Jahr 2006.
Wiesbaden.
DeStatis Statistisches Bundesamt (2015): Strafvollzugsstatistik. Im Psychiatrischen Kranken-
haus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte
(Maßregelvollzug), Berichtsjahr 2013. Wiesbaden.
DeStatis Statistisches Bundesamt (2017): Rechtspflege Strafverfolgung Fachserie 10 Reihe 3,
Berichtsjahre 2004 – 2016. Wiesbaden.
DeStatis Statistisches Bundesamt (2017): Rechtspflege Strafvollzug – Demographische und
kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3., Fachserie 10 Reihe
4.1, Berichtsjahre 2004 – 2016. Wiesbaden.
Heinz, W. (2017): Kriminalität und Kriminalitätskontrolle in Deutschland – Überblick 2015,
Internet-Publikation: Konstanzer Inventar Sanktionsforschung; www.ki.uni-konstanz.de/kis
Version 1/2017 [28. 05. 2020].
Jaschke, H. & Jaschke, P. (2017): Analyse der Unterbringungsdauer im Maßregelvollzug
gemäß § 63 StGB im Zeitverlauf. Eine Auseinandersetzung mit der Methodik und den Er-
gebnissen von Traub und Schalast auf Basis des Kerndatensatzes Maßregelvollzug. Recht
und Psychiatrie 35, S. 156 – 161.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und
2004 bis 2013. Mönchengladbach.
König, A. (2018): Quantitative Entwicklungen des psychiatrischen Maßregelvollzugs, in:
F. Schmidt-Quernheim & T. Hax-Schoppenhorst (Hrsg.), Praxisbuch Forensische Psychia-
trie: Behandlung und ambulante Nachsorge im Maßregelvollzug. Bern, S. 103 – 112.
Querengässer, J., Bezzel, A., Hoffmann, K., Mache, W. & Schiffer, B. (2017): Versorgungsfor-
schung im Maßregelvollzug oder das Stochern im Nebel. Konsenspapier zur Notwendigkeit
einheitlicher und besserer Daten. Der Nervenarzt 88, S. 1292 – 1297.
Schmidt-Quernheim, F. (2020): Das Hereinkommen erschwert, das Herauskommen erleichtert?
Auswirkungen der Novellierung des Rechts der Unterbringung gemäß § 63 StGB auf Auf-
nahme- und Entlassungspraxis im Maßregelvollzug. Bewährungshilfe 67/3, S. 253 – 268.
Schreiber, H.-L. & Rosenau, H. (2015): Rechtliche Grundlagen der psychiatrischen Begutach-
tung, in: H. Dreßing & E. Habermeyer (Hrsg.), Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches
Handbuch für Ärzte und Juristen. 6. Aufl. München, S. 89 – 152.
Seifert, D. & Leygraf, N. (2016): Entwicklung und Stand des psychiatrischen Maßregelvollzugs
(§ 63 StGB). Zeitschrift für Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 10, S. 233 –
242.
Traub, H.-J. & Schalast, N. (2017): Ansteigende Verweildauer im Maßregelvollzug. Recht &
Psychiatrie 35, S. 147 – 155.
Traub, H.-J. & Weithmann, G. (2014): Gemeinsame Entwicklung, unterschiedliche Inzidenz.
Die Zuweisungen gemäß § 63 StGB von 1995 – 2009 (in den alten Bundesländern). Zeit-
schrift für Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 8, S. 199 – 207.
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten
Von Volker Grundies

1994 erschien die Habilitationsschrift des Jubilars. Darin thematisierte er die


Strafzumessung bei schwerer Kriminalität (Vergewaltigung, Raub und schwerer
Diebstahl). Als zentrale Ergebnisse seiner Aktenanalyse zeigte sich, dass sich die
Strafen auf das untere Drittel des Strafrahmens konzentrierten und dass der minder-
schwere Fall sowie gesetzliche Milderungsgründe von großer Bedeutung waren, um
den vorgesehenen Strafrahmen zu unterschreiten. Und letztlich zeigte sich, dass, ob-
gleich viele (gesetzlich vorgeschriebene) Erwägungen in den Urteilen erwähnt wur-
den, nur wenige Punkte tatsächlich bei der Bestimmung der Strafdauer relevant
waren. Nachdem inzwischen über drei Jahrzehnte vergangen sind – die von Albrecht
(1994) analysierten Fälle stammen aus den Jahren 1980/81 – ist es möglich anhand
von Bundeszentralregisterdaten der Legalbewährungsstudie (Jehle et al. 2016) aus
den Jahren 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 zu prüfen, inwieweit die aktuelle Sank-
tionspraxis eine ähnliche Struktur aufweist. Die in den BZR-Auszügen enthaltenen
Angaben sind stark eingeschränkt, da keine Angaben zu der Schwere der Tat und
ihren Folgen, der Täter-Opfer-Beziehung etc. vorliegen. Vielmehr sind nur die ange-
wandten Normen aufgelistet und es muss offen bleiben, welche konkreten Tatum-
stände jeweils zu deren Anwendung führten. Damit sind noch weitreichendere Be-
reiche der Strafzumessungsentscheidung nur als Black Box vorhanden, als dies
schon bei der von Albrecht durchgeführten Aktenanalyse der Fall war. Die Auswer-
tungen ergeben aber, dass alleine mit den in den Auszügen enthaltenen Angaben die
Strafzumessung gut erklärt werden kann. Nicht zuletzt wegen der großen Anzahl der
Entscheidungen in diesem Datensatz ist es möglich, selbst auf dieser hoch abstrahier-
ten Ebene Entscheidungsstrukturen zu erkennen und insbesondere auch Fragen zu
regionalen Unterschieden zu klären. Die von Albrecht gefundenen Strukturen werden
im Wesentlichen bestätigt.
Im Folgenden werden Verurteilungen wegen sexueller Nötigung und Vergewalti-
gung (§ 177 a.F.1 im Folgenden nur mit Vergewaltigung bezeichnet) von erwachse-

1
§ 177. Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung. (Fassung 1. April 1998 – 10. November
2016)
(1) Wer eine andere Person
1. mit Gewalt,
2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder
3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos
ausgeliefert ist,
886 Volker Grundies

nen Tätern analysiert. Sie sind in den ausgewerteten fünf Jahren in 5.869 Fällen das
schwerste Delikt oder zumindest neben einem anderen in Tateinheit verwirklichten
Delikt als gleich schwer eingestuft.2 Hierbei waren alle Fälle, in denen das Datum der
letzten abgeurteilten Tat3 vor dem April 1998 lag, ausgeschlossen, da hier eine Aus-
wertung aufgrund der am 1. April 1998 erfolgten Gesetzesänderung zu komplex ge-
worden wäre. Gleichfalls wurde die Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178) nicht er-
fasst, da sie zu selten angegeben war4. In Tabelle 1 sind die Häufigkeiten und die je-
weilige Sanktion differenziert nach den Absätzen des § 177 angegeben. In ca. 1 %
der Fälle wurde eine Geldstrafe und in fünf Fällen eine Verwarnung unter Strafvor-
behalt ausgesprochen. In 84 Fällen des § 177 war kein Absatz spezifiziert. Hier ließ
sich auch aufgrund der ausgesprochenen Sanktion vermuten, dass es sich meist um
Fälle des Absatzes 1 handelte. Aufgeführt sind in Tabelle 1 auch die sechs Fälle, bei

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter
oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) [1] In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren.
[2] Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an
dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen läßt, die dieses besonders
erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden
sind (Vergewaltigung), oder
2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person
durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3. das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2. das Opfer
a) bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu
fünf Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 auf Freiheitsstrafe von einem
Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.2 Die Schwereeinstufung erfolgte wie in der Straf-
verfolgungsstatistik anhand der Strafrahmen. Nicht berücksichtigt wurden damit 49 Fälle von
Mord und Totschlag, 40 Fälle des Missbrauchs von Kindern, 24 Fälle des (schweren) Raubs
und 15 Fälle gegen die persönliche Freiheit, in Tateinheit mit Vergewaltigung, wobei letztere
aber mit einer geringeren Strafandrohung verbunden war als das Hauptdelikt.
3
In den Daten ist nur das Datum der letzten abgeurteilten Tat angegeben. Leider fehlt es in
ca. 9 % der Fälle gänzlich.
4
Es konnten in den betrachteten fünf Jahren nur zwei Fälle eindeutig identifiziert werden.
Dabei wurden alle Fälle ignoriert, in denen kein Tatdatum angegeben war und die als Tat den
§ 178 Abs. 1 aufführten, den es in der relevanten Fassung des § 178 nicht gibt. Wie diese
geringe Anzahl zustande kommt ist nicht klar, zumal in der Strafverfolgungsstatistik im Mittel
4 Fälle/Jahr aufgeführt werden. Bezüglich des § 177 stimmen die in der Strafverfolgungssta-
tistik genannten Anzahlen mit dem Vorkommen im BZR im Großen und Ganzen überein,
wobei es in den einzelnen Jahren aber zu Abweichungen nach oben oder unten kommt. Dies
wird dadurch verursacht, dass in der Auswertung der BZR-Daten das Datum der Entscheidung
benutzt wurde, während die Strafverfolgungsstatistik das Rechtskraftdatum zu Grunde legt.
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 887

denen als schwerstes Delikt nur der minderschwere Fall (§ 177 Abs. 5) genannt
wurde. Diese sind offenbar Erfassungsfehler, da der minderschwere Fall nur in Zu-
sammenhang mit den anderen Absätzen des § 177 vorkommt, zumal die in ihm ge-
regelte Milderung von der Qualifizierung der Tat abhängt.
Tabelle 1
Häufigkeit und Sanktionen bei Vergewaltigung (2004, 7, 10, 13 und 16)
Paragraph Strafrahmen N Mittlere Median Anteil FoBa Anteil FmBb
Strafdauer Strafdauer
[Monate]
177 > 1 Jahr 81 25 21 27 % 72 %
177 (1) > 1 Jahr 2.606 19 16 21 % 77 %
177 (2) > 2 Jahre 2.553 38 30 59 % 41 %
177 (3) > 3 Jahre 215 49 42 73 % 26 %
177 (4) > 5 Jahre 408 70 69 89 % 11 %
177 (5) 6 18 21 50 % 17 %
a b
Freiheitsstrafe ohne Bewährung Freiheitsstrafe mit Bewährung

Die Vergewaltigung war in 62 % der Fälle mit einem oder mehreren anderen De-
likten verknüpft. In 34 % gab es zusätzlich eine Körperverletzung, in 16 % der Fälle
einen Missbrauch (von Kindern, Abhängigen oder Jugendlichen), in 11 % ein Delikt
gegen die persönliche Freiheit (Geiselnahme, erpresserischer Menschenraub) und in
2 % einen Raub.

Verteilung der Strafdauern bei Vergewaltigung


und Strafmilderungsgründe
In Abbildung 1 sind die Verteilungen der Höhe der ausgesprochenen Strafen dif-
ferenziert nach den Strafrahmen, die durch die verschiedenen Absätze des § 177 a.F.
vorgegeben sind, dargestellt. Der zackige Verlauf der Verteilungen (jeder zweite
Punkt ist erhöht) resultiert aus der Bevorzugung ganzer Strafmaße im 6-Monats-
Rhythmus, wobei die vollen Jahre meist nochmals stärker besetzt sind. Andere Straf-
maße kommen in einer Differenzierung von einem Monat zwar auch vor, werden
aber nicht häufig genutzt. Offensichtlich werden die Strafen nur in einem gröberen
Raster differenziert, als dies vom Gesetz her möglich wäre. Albrecht (1994, 289 f.)
diskutiert in diesem Zusammenhang, ob diese auf tatsächlich realisierte typische Tat-
begehungen zurückzuführen sei, die sich dann schon an einem Merkmal festmachen
ließen und damit weitere Differenzierungen unnötig werden ließen. Er hält dies aber
nur bei sehr häufig vorkommenden Delikten (z. B. Einbruch) für möglich und
schließt dies für Schwerkriminalität aus. Allgemein stellt sich hier eher die Frage,
wie weit differenziert werden kann, insbesondere wenn genaue Referenzengrößen
fehlen (siehe auch mit ähnlicher Schlussfolgerung Albrecht 1994, 291).
888 Volker Grundies

Strafrahmen
70

> 1 Jahr (/10)


> 2 Jahre (/10)
60

> 3 Jahre
> 5 Jahre
50
Anzahl
30 20
10
0 40

0 1 2 3 5 7 9 11 13 15
Dauer der Strafe [Jahre]
Vergewaltigung

Abbildung 1: Verteilung der Strafdauern bei Vergewaltigung (§ 177 a.F.)5

Der Median der Verteilungen der Strafhöhen (siehe Tabelle 2) verdoppelt sich fast
von Abs. 1 nach Abs. 2 (x 1,9), er verdreifacht sich fast (x 2,6) von Abs. 1 zu Abs. 3
und er vervierfacht (x 4,3) sich von Abs. 1 nach Abs. 4. Damit spiegeln sich hier die
aufsteigenden Mindeststrafen der Absätze wider, wenn auch deren Steigerungen bei
den Absätzen 3 und 4 nicht ganz erreicht werden. In ähnlicher Weise werden die Ver-
teilungen von Absatz zu Absatz breiter. In Tabelle 2 sind dazu die Werte der 5 %- und
95 %-Perzentile (p5 und p95) angegeben, zwischen denen dann 90 % (p5 – p95) der
Fälle zu verorten sind. Die Spannweite der Verteilungen (hier erfasst durch p5 – p95)
ist jeweils in etwa doppelt so groß wie der entsprechende Median. Mithin steigt die
Variation der Strafen mit der als normal angesehenen Schwere des Delikts. Dabei
nehmen auch die hier als Grenzen des Strafbereichs angenommenen 5 %- und
95 %-Perzentile ungefähr in ähnlicher Weise wie die Mediane jeweils relativ zu
den Werten für den 1. Absatz zu. Entsprechend dem Anstieg des 95 %-Perzentils
nimmt auch die Ausschöpfung der Strafrahmen zu, wobei dieser Effekt hauptsäch-
lich durch die Verengung der Strafrahmen verursacht wird, die durch die ansteigen-
den Mindeststrafen bei gleichbleibender Höchststrafe entsteht.

5
Es wurden jeweils Zeiträume von 3 Monaten (jeweils inklusive der Obergrenze und
exklusive der Untergrenze) zusammengefasst und in der Mitte des Zeitraums abgetragen.
Beispielsweise wurden Strafen > 21 Monaten bis < = 24 Monate bei 22,5 Monaten abge-
tragen. Strafen von genau zwei Jahren sind hier dann enthalten.
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 889

Tabelle 2
Ausschöpfung der Strafrahmen entlang der Absätze des § 177 a.F. (Monate)
Median p5 p95 p5–p95 Ausschöpfung
Abs. 1 16 6 42 36 18 %
Abs. 2 30 14 82 68 37 %
Abs. 3 42 12 106 93 48 %
Abs. 4 69 25 134 110 62 %

Weiter ist das knappe Viertel der Sanktionen, die unter der Untergrenze der
Strafrahmen zu liegen kommen, festzuhalten. Dies ist rechtlich nur bei dem Vor-
liegen von Milderungsgründen möglich. In Tabelle 3 ist aufgelistet, welche Milde-
rungsgründe jeweils angeführt wurden.6 Liegt die Strafdauer unter der regulären
Untergrenze des Strafrahmens, so wurde in ca. Dreivierteln aller Fälle mindestens
ein Milderungsgrund aufgeführt. Dies ist zwar wesentlich häufiger als bei Sanktio-
nen innerhalb des Strafrahmens (Milderungen in ca. einem Drittel der Fälle), doch
zu erwarten wären hier 100 % gewesen. Es ist zu vermuten, dass hier die Meldun-
gen an das BZR unvollständig waren. Eine Kontrolle der freitextlichen Deliktsbe-
schreibung ergab, dass nur in wenigen Fällen (ca. 1 %) in der freitextlichen Delikts-
beschreibung ein minderschwerer Fall erwähnt wurde, der im „Paragraphenfeld“
keine Entsprechung (§ 177 Abs. 5) hatte.7 Mithin gab es für knapp ein Viertel
der Fälle, bei denen die Sanktionsdauer unter der Untergrenze des Strafrahmens
lag, keine direkte Erklärung.
Tabelle 3
Anteile der Fälle des § 177 mit Sanktionen unter bzw. über der Untergrenze
des Strafrahmens sowie Anteile der erwähnten Milderungsgründe
Sanktionen unterhalb der Untergrenze des normalen Strafrahmens
§ 177 Fälle Minderschwer Beihilfe Verm. Versuch TOA Mind. 1
Schuldf. § 46a Milderung o.
minderschwer
Abs. 1 26,5 % 64,5 % 0,3 % 15,9 % 18,3 % 0,9 % 82,2 %
Abs. 2 17,6 % 14,9 % 1,1 % 26,2 % 30,9 % 2,7 % 64,4 %
Abs. 3 34,9 % 54,7 % 2,7 % 17,3 % 34,7 % 4,1 % 83,8 %
Abs. 4 37,5 % 52,9 % 0,0 % 25,5 % 20,3 % 0,7 % 77,8 %
Sanktionen über der Untergrenze des normalen Strafrahmens
Abs. 1 73,5 % 15,5 % 0,3 % 11,6 % 15,8 % 0,7 % 36,6 %
Abs. 2 82,4 % 2,5 % 0,7 % 15,0 % 11,6 % 1,3 % 27,1 %
Abs. 3 65,1 % 7,1 % 0,7 % 17,9 % 13,6 % 1,4 % 33,8 %
Abs. 4 62,5 % 0,4 % 19,2 % 15,7 % 1,2 % 37,5 %

6
Unter den Milderungsgründen wurden zwei Fälle, in denen der Versuch der Beteiligung
(§ 30) erwähnt war, nicht aufgeführt.
7
Andere Milderungsgründe, die im Paragraphenfeld keine Entsprechung gehabt hätten,
tauchten nicht auf.
890 Volker Grundies

Auch bei ca. einem Drittel der Fälle, deren Sanktion innerhalb des entsprechenden
Strafrahmens liegt, wurde mindestens ein Milderungsgrund aufgeführt. Hier wurden
die verminderte Schuldfähigkeit oder der Versuch (jeweils ca. 14 %) erwähnt und in
8 % der Fälle auch der minderschwere Fall. Sehr selten wurde die Beihilfe genannt
(0,5 %). Der Täter-Opfer-Ausgleich wurde in etwa 1,2 % der Fälle aufgeführt.
Allgemein dominiert unter den Milderungsgründen die Einstufung als minder-
schwerer Fall, d. h. die Erwähnung des 5. Absatzes.8 Dass dies gelegentlich auch
dann der Fall war, wenn der Abs. 2 als schwerstes Delikt erfasst wurde und somit
ein minderschwerer Fall ausgeschlossen scheint, liegt einerseits wohl daran, dass
in diesen Fällen gelegentlich zusätzlich Tathandlungen nach Abs. 1 vorlagen, auf
die sich dann der Abs. 5 beziehen mag (die Zuordnung der einzelnen im „Paragra-
phenfeld“ erwähnten Normen untereinander ist jeweils eine Frage der Interpretation
und kann nicht eindeutig erfasst werden). Andererseits ist nach der Rechtsprechung
(BGH 3 StR 253/99)
„trotz Vorliegens eines Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall (z. B. § 177 Abs. 2
StGB) zu prüfen ob nicht Umstände vorliegen, die der Tat trotz Erfüllung eines Regelbei-
spiels das Gepräge eines minderschweren Falles geben könnten. Diese müßten allerdings in
einem ganz außergewöhnlichen Umfang schuld-mildernd sein.“ (siehe auch BGH 4 StR
163/05 u. a.).

Allgemein kann noch festgehalten werden, dass die als minderschwer eingestuf-
ten Fälle mit einer geringeren Vorstrafenbelastung assoziiert sind als die normalen
Fälle, wobei allerdings die Einstufung als minderschwerer Fall nicht oder nur mini-
malst von den Vorstrafen abhängt.
In ca. 28 % der Fälle wurden auch die verminderte Schuldfähigkeit (15,4 %) oder
der Versuch (16 %) aufgeführt, wobei die Überschneidung mit den minderschweren
Fällen gering ist.9 Dabei ist der Versuch unauffällig entlang der Absätze verteilt, wäh-
rend die verminderte Schuldfähigkeit entlang der Absätze häufiger konstatiert wird.10

8
Insgesamt wird in 17,4 % der Entscheidungen der minderschwere Fall erwähnt, bei der
Untersuchung von Albrecht (1994, 300) mit Fällen von 1980 aus fünf LG-Bezirken Baden-
Württembergs war diese Quote mit ca. 35 % doppelt so hoch. Sie ist jedoch nicht vergleichbar,
da damals das Gesetz noch anders strukturiert war und wohl große Teil des Abs. 1 (i. d. F. vom
1. April 1998) damals zu den minderschweren Fällen gerechnet wurden. Über die untersuch-
ten Jahre 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 zeigt sich keine Veränderung der Quote. Zwar
differieren die Quoten über die OLG-Bezirke in der aktuellen Untersuchung zwischen 8 und
24 %, für Baden-Württemberg liegen sie im bundesweiten Mittel. Aus den vorliegenden Daten
können die Gründe für eine Einstufung zu einem minderschweren Fall nicht bestimmt werden,
gleichwohl wird eine solche wahrscheinlicher, wenn keine Vorstrafen vorliegen.
9
In 4 % aller Fälle ist sowohl der minderschwere Fall erwähnt als auch der Versuch oder
die verminderte Schuldfähigkeit. Der Anteil der Versuche ist bei als minderschwer einge-
stuften Fällen leicht niedriger (14,7 %) als bei den Normalfällen (16,3 %). Dies gilt auch für
die verminderte Schuldfähigkeit mit 15,8 % bei den Normalfällen und 13,9 % bei den mind-
erschweren Fällen. Beide Ergebnisse sind aber nicht signifikant.
10
Anteile verminderter Schuldfähigkeit: Abs. 1 13 %, Abs. 2 17 %, Abs. 3 18 % und Abs. 4
21,5 % (statistisch signifikant).
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 891

Damit variiert der Anteil verminderter Schuldfähigkeit systematisch und spiegelt die
Schwere der Mindeststrafandrohungen wider (siehe auch Albrecht 1994, 321 ebenso
mit der Feststellung der Unabhängigkeit der Versuchsanteile). Auch eine höhere Vor-
strafenbelastung schließt die verminderte Schuldfähigkeit nicht aus, vielmehr wur-
den sie dann wohl eher erwogen. Dabei ist dieser Effekt unabhängig davon, dass mit
zunehmender Qualifikation über die Absätze auch die Vorstrafenbelastung ansteigt.
Die gesetzlich fixierte Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 wurde in ca. 10 %
der Fälle fast ausnahmslos zusammen mit einem entsprechenden Milderungsgrund
aufgeführt. Er wurde offensichtlich seltener erwähnt als die auf ihn verweisenden
Milderungsgründe selbst.
Bezüglich der verhängten Strafen bei minderschweren Fällen bleibt festzuhalten,
dass die Strafdauern im Wesentlichen unterhalb der Mindeststrafe des entsprechen-
den Absatzes zu liegen kommen. „Offensichtlich verfolgt die Praxis eine Konzeption
der Sanktionsabschichtung, die die Mindeststrafandrohung des höher ansetzenden
Strafrahmens im Regelfall als Obergrenze des darunterliegenden Strafrahmens aus-
weist“ (Albrecht 1994, 314; siehe auch Greger 1987, 265). Dies ist in Abbildung 2 für
alle Absätze des § 177 a.F. zu sehen. Dort wird nochmals deutlich, dass halbjährige
Strafmaße bevorzugt werden und der 2-Jahresgrenze eine besondere Bedeutung zu-
kommt.11
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die minderschweren Fälle des
§ 177 Abs. 3 und 4 a.F., in denen eine Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren an-
gedroht wird, härter bestraft wurden als der Normalfall des Abs. 1, bei dem die Straf-
androhung theoretisch höher ist (> 1 Jahr). Dies lässt sich auch nicht durch höhere
Anteile des Versuchs oder der verminderten Schuldfähigkeit erklären, da diese An-
teile im Fall des Abs. 1 niedriger sind als für die minderschweren Fälle der Absätze 3
und 4. Ebenso können eine höhere Vorstrafenbelastung oder eine häufigere Kombi-
nation mit anderen Straftaten als Ursache ausgeschlossen werden.
Tabelle 4
Strafdauern (Monate) des normalen und minderschweren Falls
der verschiedenen Absätze bei Vergewaltigung (§ 177 a.F.)
normal minderschwer
Abs. N Mittel Median N Mittel Median
1 1906 21,5 18 746 11,8 10
2 2399 38,3 30 115 24,4 21
3 163 56,5 51 50 26,0 24
4 309 79,3 78 97 40,0 39

Auffällig ist die Häufung von Fällen an der Zweijahresgrenze, die noch zur Be-
währung ausgesetzt werden können. Dagegen fehlen, verglichen mit einem fiktiven
glatten Verlauf, Fälle direkt oberhalb der zwei Jahre. Es scheinen hier also Fälle unter
11
Nach Albrecht (1994, 285) ist dies aber nur bei Vergewaltigung der Fall, nicht aber bei
Raub (§ 250 Abs. 3).
892 Volker Grundies

Abs. 1 Abs. 2
400

600
mind.schw. minder schwer
200 300

400
Anzahl

200
100
0

0
0 1 2 3 4 5+ 0 1 2 3 5 7 9 11 13 15
20

Abs. 3 Abs. 4

30
mind.schw. mind.schw.
10 15
Anzahl

20
5

10
0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10+
0

Dauer der Strafe [Jahre] 0 1 2 3 5 7 9 11 13 15


(jeweils 3 Monate Obergrenzen inklusive) Dauer der Strafe [Jahre]

Abbildung 2: Strafdauern bei normalen und minderschweren Fällen (§ 177 a.F.)

die Zweijahresgrenze gedrückt worden zu sein. Falls dies durch die Aussetzbarkeit
der Strafe motiviert ist, sollte sich dies auch in einer höheren Aussetzungsrate dieser
zweijährigen Strafen verglichen mit etwas kürzeren Strafen zeigen. Tatsächlich sinkt
die Aussetzungsrate beginnend von fast 100 % bei Strafdauern von 6 Monaten bis auf
ca. 87 % bei Strafdauern von 18 bis 21 Monaten um dann an der Zweijahresgrenze
wiederum auf ca. 94 % anzusteigen (vgl. Abbildung 5 und Albrecht 1994, der aller-
dings keine höhere Aussetzungsquote der zweijährigen Strafen feststellen konnte
und für Strafen zwischen einem und zwei Jahren eine wesentlich geringere Ausset-
zungsquote unter 20 % verzeichnet).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Länge der Strafen bei Ver-
gewaltigung im Mittel zwischen dem 1,2- (Abs. 4) und 1,5-Fachen (Abs. 1+2) der
Mindeststrafen liegen. Um diesen Mittelwert verteilen sich die Strafen recht gleich-
mäßig mit einer Spannweite (p95–p5), die zwischen dem 1,9-Fachen der mittleren
Strafe (Abs. 1) und dem 1,5-Fachen (Abs. 4) variiert.12 Wie in Abbildung 3 darge-
stellt, ergeben sich damit Verteilungen, die weit unterhalb der Mindeststrafe im Ex-
tremfall bei einer Verwarnung beginnen, ihren Höhepunkt etwas oberhalb der Min-
deststrafe erreichen und bis etwa zum 3-Fachen der Mindeststrafe reichen. Damit
kommt der Strafrahmenobergrenze keine Bedeutung zu und die Mindeststrafe ist
eher ein Orientierungspunkt für die Mittlere Strafdauer als eine sich deutlich auswir-
12
Das entspricht etwa dem 2- (Abs. 4) bis 3-Fachen (Abs. 1) der Mindeststrafe.
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 893

kende Untergrenze. In die Nähe der Obergrenze kommen nur im Fall des Abs. 3 und 4
einige sehr wenige Fälle. Die maximal verhängte Strafe betrug 14 Jahre.
800

800
600

600
Anzahl

Anzahl
400

400
200

200
0

0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Strafdauer §177 Abs.1 [Jahre] Strafdauer §177 Abs.2 [Jahre]
40

40
30

30
Anzahl

Anzahl
20

20
10

10
0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Strafdauer §177 Abs.3 [Jahre] Strafdauer §177 Abs.4 [Jahre]

Abbildung 3: Verteilungen der Strafdauern entlang der qualifizierenden Absätze des § 177 a.F.
mit jeweils angepassten Normalverteilungen

Analyse der verhängten Strafhöhen


Die Analyse der Strafdauer setzt in dieser Untersuchung zwangsläufig erst nach der
Ermittlung des Tatbestands und damit der materiellrechtlichen Einordnung an,13
gleichwohl kann die Auswirkung wichtiger Strafzumessungsgründe, wie z. B. die Mil-
derungsgründe, weitere Tatumstände oder der Legalbiographie des Täters, bestimmt
werden. Anhand der weiteren in den Daten vorhandenen Informationen (25 Variablen,
wie z. B. angewandte Normen, Vorstrafen etc.) wird die Varianz der Strafdauer bei Ver-
gewaltigungsfällen zu 69 % erklärt. Dies ist ein recht guter Wert, da nur noch 31 % un-
erklärte Varianz bei den Einzelfällen verbleibt, und dies, obgleich die Schwere physi-
scher und psychischer Verletzungen des Opfers sowie die Täter-Opfer-Beziehung nicht
berücksichtigt werden konnten.14 Allerdings ist neben den qualifizierenden Absätzen

13
Vgl. hierzu Sessar (1981) sowie Steinhilper (1986).
14
Nach Albrecht (1994, 293 ff.) war insbesondere die Täter-Opfer-Beziehung ausschlag-
gebend für die Einstufung zum minderschweren Fall. Fälle mit einer engen Täter-Opfer-
Beziehung wurden wesentlich häufiger als minderschwer eingestuft als Fremddelikte. Nach
der Rechtsprechung soll ein minderschwerer Fall vor allem dann in Betracht kommen, wenn
894 Volker Grundies

der § 177 a.F. durch die Variable Landgericht vs. Amtsgericht ein guter Proxy für die
Schwere der Fälle in der Regression enthalten.
In Tabelle 5 sind die Häufigkeiten sowie die Bedeutung der einzelnen Variablen für
die Erklärung der Sanktion aufgelistet. Die Häufigkeit des Vorkommens ist meist als
prozentualer Anteil der Fälle (N = 5785) angegeben. Die Wirkung wird durch den Re-
gressionsparameter beschrieben, der die durch die Variable verursachte Veränderung
auf der logarithmierten Skala der Strafdauer erfasst.15 Hier sei auf seine Interpretation
als prozentuale Veränderung hingewiesen: diese ergibt sich exakt als exp(Parameter)-1.
Als Daumenregel kann der Parameter selbst als prozentuale Veränderung interpretiert
werden, zumindest, wenn er klein ist. Allerdings ist die Wirkung nicht ganz zur Null
symmetrisch16. Somit sind die einzelnen Parameter in Tabelle 5 als relative Verände-
rung der Sanktionsdauer beim Vorliegen dieses Parameters zu interpretieren. Z. B. ver-
ringert sich die Strafdauer, wenn ein minderschwerer Fall (§ 177 Abs. 5) erwähnt
wurde, im Mittel um -35 % (Parameter = -0,44) oder die Strafe verlängert sich, falls
eine Anstiftung (§ 26) erwähnt ist, um 49 % (Parameter = 0,4). Etwas komplexer ist
die Interpretation des zum Tatbestand gehörigen Strafrahmens. Diese Variable hat ent-
sprechend der Absätze 1 – 4 insgesamt vier Ausprägungen, wobei der schwerste Straf-
rahmen (mindestens 5 Jahre § 177 Abs. 4) als Referenz erfasst ist. Die anderen Straf-
rahmen werden relativ zu diesem bewertet. D. h. liegt z. B. der Abs. 3 als schwerstes
Delikt vor, so verringert sich die Strafdauer relativ zum Vorliegen des Abs. 4 um ca.
-25 % (Parameter -0,28) etc. Rechnet man relativ zum Abs. 1, so verlängert sich die
Strafe für den Abs. 2 relativ zum Abs. 1 um das 1,5-Fache (Abs. 3 das 1,8-Fache
und Abs. 4 das 2,4-Fache). Vergleicht man damit die Mediane der tatsächlich verhäng-
ten Strafen (Tabelle 1 oder Tabelle 2) so erhält man wesentlich größere Unterschiede
(Abs. 2 das 1,9-Fache, Abs. 3 das 2,6-Fache und Abs. 4 das 4,3-Fache jeweils relativ zu
Abs. 1). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die in der Regression berechneten Werte
unter Kontrolle der anderen Variablen bestimmt wurden, d. h. sie werden so berechnet,
als ob diese anderen Variablen unabhängig vom Strafrahmen wären und bei allen Straf-
rahmen jeweils gleich häufig auftreten. Dies ist aber keineswegs der Fall, so steigt z. B.
der Anteil der vor Landgerichten abgeurteilten Fälle und damit der Anteil der von der

zwischen Täter und Opfer bereits vor dem inkriminierten Akt sexuelle Beziehungen gegeben
waren oder wenn ein Täter aus einer bereits bestehenden Beziehung heraus „echte Liebesbe-
ziehungen“ anstrebt (BGH NStZ 1982, 26; BGH MDR 1963, 62). Weiter stellt Albrecht fest,
dass die Tatmittel und das Ausmaß der Gewalt und der Folgen nur einen geringen Einfluss auf
die Einstufung als minderschweren Fall haben. Wichtiger erscheint diesbezüglich die Legal-
biographie. Insgesamt könne aber nicht gut determiniert werden. Auch in der vorliegenden
Untersuchung ist zwischen der Einstufung als minderschwerem Fall und der Legalbiographie
ein zwar signifikanter aber wenig erklärender Zusammenhang festzustellen. Wie schon Al-
brecht feststellte, ist kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem minderschweren Fall
und dem Versuch vorhanden.
15
Weiterführendes zur Methodik findet sich in Grundies (2018) und Grundies (2016).
16
Zum Beispiel entspricht ein Parameter von 0,1 einer prozentualen Veränderung von
+10,5 %; -0,1 & -9,5 %; 0,2 & 22 %; -0,2 & -18 %; 0,3 & 35 %; -0,3 & -26 %; 0,5 & 65 %; -0,5
& -40 %; 1 & 172 %; -1 & -63 %.
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 895

Staatsanwaltschaft als schwer eingestuften Fälle vom Abs. 1 mit ca. 20 % über 52 %
(Abs. 2) und 74 % (Abs. 3) auf 94 % bei Fällen des Abs. 4. Die Werte in Tabelle 1
oder Tabelle 2 spiegeln hauptsächlich die Kombination der beiden Variablen Strafrah-
men und Landgericht wider, während die berechneten Parameter „nur“ die Verände-
rung mit dem Strafrahmen wiedergeben. Dies gilt analog auch für die anderen Parame-
ter, allerdings gehen dort meist keine so starken Veränderungen in den anderen Varia-
blen einher.
Bei der Interpretation der Parameter der kontinuierlichen Variablen (Alter, loga-
rithmierte Summe der Dauer früherer Freiheitsstrafen) ist zu beachten, dass hier die
Parameter mit der Veränderung der Variablen zu multiplizieren sind. So erhält bei-
spielsweise ein 30-Jähriger im Mittel eine um 3 % kürzere Strafe als ein 20-Jähriger
(10*0,003 = 0,03). Eine entscheidende Variable ist der Unterschied zwischen Amts-
gericht und Landgericht. Die Fälle, die vor einem Landgericht abgeurteilt wurden,
führen zu ca. 65 % längeren Strafen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, werden
doch nur die schwereren Fälle vor den Landgerichten verhandelt.
Weggelassen wurden die Angaben zur Täterschaft (§ 25), da sie keine signifikan-
ten Auswirkungen hatten (N 235 4 %). Ebenfalls wurde die Erwähnung des § 49
(7,2 % aller Fälle) ignoriert, da in 98 % dieser Fälle der entsprechende Milderungs-
grund (Versuch, Beihilfe, verminderte Schuldfähigkeit und Täter-Opfer-Ausgleich)
verzeichnet war und dies somit zu einer Verdopplung der Angaben geführt hätte (der
§ 49 zeigte entsprechend auch keine relevante Auswirkung).
Unter den Variablen, die die Legalbiographie erfassen, erwies sich die aufsum-
mierte Dauer vorheriger Geldstrafen nicht als relevant. Angesicht der Schwere des
verhandelten Delikts spielen frühere Bagatelldelikte wohl keine Rolle. Anders ist
dies, wenn früher schon Freiheitsstrafen verhängt wurden, hier erwies sich die loga-
rithmierte17 Summe der Längen früherer Freiheitsstrafen als relevant. Zusätzlich zu
dieser Summe der Längen von Freiheitsstrafen mit oder ohne Bewährung war es von
Bedeutung, ob schon einmal eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt worden
war, und ob es schon eine oder mehrere einschlägige Vorstrafen gab. Ausschlagge-
bend ist hier aber, ob es eine solche Strafe schon gegeben hat und weniger wie viele.
So wurden bezüglich der einschlägigen Vorstrafen nur die Kategorien keine, eine und
mehr als eine berücksichtigt. Wie die Parameter zeigen, steigert vor allem die Dif-
ferenz von keiner zu einer einschlägigen Vorstrafe die Länge der Strafe um ca. 10 %,
weitere einschlägigen Vorstrafen (egal wie viele) führen dann aber nur noch zu einer
geringen Steigerung von zusätzlich ca. plus 3 % (zur Vorstrafenbelastung siehe auch
die Beispiele weiter unten und Tabelle 5).

17
Die Bildung des Logarithmus über die Summe der (bzw. auch einer einzelnen) Straf-
länge bewirkt, dass insbesondere eine erste Strafe (bzw. eine auch kurze Länge) von größerer
Bedeutung ist, als wenn bei schon gegebenen Strafen eine weitere hinzukommt oder eine
Strafe etwas länger ausfällt. Die Bedeutung weitere Straflängen wird immer geringer, je grö-
ßer die schon vorhandene Summe von Straflängen ist.
896 Volker Grundies

Das Geschlecht (0,6 % der Täter waren Frauen) war ebenfalls, auch aufgrund der
geringen Fallzahl, nicht signifikant. Die Nationalität war wegen der teilweise gerin-
gen Fallzahlen sinnvoll nur in Deutsch vs. Nichtdeutsch zu unterteilen. Hier werden
Ausländer etwa 6 % härter bestraft als Deutsche.18
Über die Jahre 2004, 2007, 2010, 2013 und 2016 ergaben sich keine Unterschiede
in der Härte der verhängten Sanktionen. Auffällig war in diesem Zusammenhang
aber der Rückgang der Fallzahlen (2004: 1792, 2007: 1597, 2010: 1118, 2013:
861 und 2016: 653).
Unter den strafmildernden Faktoren steht an erster Stelle der minderschwere Fall.
Sein Vorliegen reduziert die Strafe um 36 %. Es folgen die Beihilfe und der Täter-
Opfer-Ausgleich mit einer Reduktion von ca. 21 %. Beide sind aber sehr selten
(0,5 % bzw. 1,2 % der Fälle). Größere Bedeutung kommt dem Versuch (16 % der
Fälle) und der verminderten Schuldfähigkeit (15,4 % der Fälle) mit durchschnittlich
um 16 % bzw. 12 % niedrigeren Strafdauern zu.
Fasst man die einzelnen Variablen zu den Themenbereichen Delikt (qualifizierte
Tat + zusätzliche Tathandlungen), Tatumstände (minderschwerer Fall, Versuch, Tat-
mehrheit, verminderte Schuldfähigkeit etc.) und Legalbiographie zusammen, so er-
gibt sich, dass das Delikt zu ca. 37 % die Sanktion bestimmt. Des Weiteren wird die
Sanktion durch die Tatumstände (ca. 28 %), die Verurteilung vor einem Landgericht
(ca. 14 %) und die Legalbiographie (ca. 14 %) beeinflusst. Die weiteren nonlegalen
Faktoren (Alter, Nationalität und Geschlecht) erklären schließlich noch die restli-
chen 6 %.

18
Dieses Ergebnis zeigt sich allerdings erst in der multivariaten Analyse. Rein bivariat
betrachtet ergeben sich keine Sanktionsunterschiede. Entsprechend gibt es zwischen Deut-
schen und Ausländern einige Differenzen in der Tatbegehung: So ist die Vorstrafenbelastung
der Ausländer im Allgemeinen geringer. Dagegen ist der Anteil der minderschweren Fälle bei
Ausländern (10 %) geringer als bei Deutschen (17 %), ebenso wird bei Ausländer seltener eine
verminderte Schuldfähigkeit festgestellt (Ausländer 11 %, Deutsche 18 %). Die Häufigkeit der
Versuche ist gleich (16 %). In der multivariaten Analyse, bei der alle diese Unterschiede
kontrolliert werden, ergeben sich aber die genannten um 6 % verlängerten Strafen. Hier zeigen
sich gegenüber der Untersuchung von Albrecht (1994, 346 f.) einige Veränderungen: Dort
wurden Ausländer tendenziell leichter sanktioniert, was Albrecht vor allem auf den niedrige-
ren Anteil an Fremddelikten (Ausländer 11 %, Deutsche 29 %) und dem in Folge erhöhten
Anteil minderschwerer Fälle (Ausländer 44 %, Deutsche 35 %) zurückführte. Zugleich wurden
damals bei Ausländern mehr Versuche (42 %) registriert als bei Deutschen (33 %).
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 897

Tabelle 5
Deskription und Regressionsparameter bei Vergewaltigung (N = 5785, R2 = 0,69)
Anzahl Anteil Parameter Fehler p-Wert
Strafrahmen
> 5 Jahre 408 7,1 % Referenz
> 3 Jahre 215 3,7 % -0,28 0,03 0
> 2 Jahre 2.553 44,1 % -0,48 0,02 0
> 1 Jahre 2.693 46,6 -0,90 0,02 0

Minderschwer (§ 177 Abs. 5) 16,6 % -0,44 0,02 0


Zusätzlich Missbrauch 15,5 % 0,12 0,02 0
Zusätzlich Körperverletzung 34,5 % 0,06 0,02 0
Zusätzlich Raub 1,7 % 0,25 0,04 0
Angabe mehrere Delikte 24,6 % 0,18 0,02 0
Tateinheit § 52 49,1 % 0,09 0,02 0
Tatmehrheit § 53 40,5 % 0,18 0,02 0
Beihilfe (§ 27) 0,5 % -0,23 0,08 0,003
Anstiftung (§ 26) 0,1 % 0,41 0,16 0,008
Verm. Schuldfähig. (§ 21) 15,4 % -0,13 0,02 0
Vollrausch (§ 323a) 0,2 % -0,66 0,13 0
Versuch 16 % -0,18 0,02 0

Entscheid Landgericht 2.512 41,7 % 0,49 0,01 0


Log. Summe d. Dauern
Mittel: 2,17 0,02 0,00 0
frühere Freiheitsstrafen

Einschlägige Vorstrafen: 0 5.543 92,1 % Referenz


1 360 6,0 % 0,10 0,02 0
>=2 102 1,7 % 0,13 0,04 0,003
Vorherige Freiheitsstrafe oB. (0/1) 16,6 % 0,08 0,02 0,001

Alter Mittel: 38,4 0,003 0,000 0


Nationalität:
Deutsch 4.149 69,9 % Referenz
Nicht deutsch 1.781 30,1 %< 0,06 0,01 0

Täter-Opfer-Ausgleich (§46a) 1,2 % -0,26 0,05 0

Konstante 6,24 0,05 0

Regionale Differenzen in der Sanktionspraxis


Nachdem mit der linearen Regression die Varianz der Länge der verhängten Stra-
fen zu 69 % erklärt werden konnte, stellt sich nun die Frage, inwieweit die verblei-
bende Restvarianz den Einzelfällen, d. h. den damit verbundenen nicht erfassten Grö-
898 Volker Grundies

ßen wie z. B. der Täter-Opfer-Beziehung, dem physischen/psychischen Schaden des


Opfers19 oder den ggf. regional unterschiedlich harten Sanktionspraxen zuzuschrei-
ben ist.
Um die Unterschiede zwischen den Regionen (hier die Landgerichtsbezirke) zu
erfassen, wird die verbleibende Varianz durch eine Mehrebenenanalyse dahingehend
analysiert, welcher Anteil an Varianz der Basisebene der einzelnen Entscheidungen
und welcher Anteil der übergeordneten Ebene den einzelnen Landgerichtsbezirken
zugeschrieben werden kann. Dieser Anteil wird methodisch durch die Einführung
eines „random intercepts“ auf der Ebene der Landgerichtsbezirke realisiert. Damit
wird die durch die lineare Regression, die in der Mehrebenenanalyse die Basisebene
erfasst, nicht erklärbare verbleibende Varianz aufgeteilt in die durch Gemeinsamkei-
ten innerhalb der Landgerichtsberichtsbezirke erklärbare Varianz und die Varianz,
die weiterhin den einzelnen Entscheidungen als Restvarianz zugeordnet bleibt.
Anzumerken ist hier, dass durch das zusätzlich in die Regression eingeführte ran-
dom intercept nur global der Anteil der auf der Ebene der Bezirke liegende Anteil der
Restvarianz bestimmt wird. Einzelne Werte für die Bezirke werden dabei nicht er-
mittelt. Es ist aber im Nachhinein möglich, konkrete Werte für die einzelnen Bezirke
zu bestimmen (Bayes prediction20). In der folgenden Abbildung sind diese in prozen-
tuale Abweichungen umgerechneten Werte dargestellt.
Führt man eine solche Analyse durch, so kann 3 % der verbleibenden Restvarianz
der Ebene der Landgerichtsbezirke zugeordnet werden. Dabei ergeben sich im Ein-
zelnen Abweichungen von bis zu : 10 %, wobei 80 % der Bezirke in einem Bereich
von : 7 % liegen (50 % der Bezirke innerhalb : 3,8 %). Damit sind die regionalen
Abweichungen bei Vergewaltigung geringer als bei anderen Delikten. In einer frü-
heren Analyse hat sich gezeigt, dass bei allen Delikten (StGB + BtMG) 28 % der
LG-Bezirke außerhalb : 10 % liegen, bei Gewaltdelikten 32 % der LG-Bezirke,
bei Diebstahl und Unterschlagung 47 %, bei BtM-Delikten 45 % und schließlich
bei Verkehrsdelikten 39 %. Einzig bei Raub sind ähnlich geringe Abweichungen
der LG-Bezirke vom Durchschnitt der BRD festzustellen (4,3 % außerhalb :
10 %). Betrachtet man alle Sexualdelikte (13. Abschnitt des StGB), so zeigen sich

19
Soweit dieser nicht schon durch die Qualifizierungen der einzelnen Absätze erfasst
wurde.
20
Bei der Bayes prediction werden die für die jeweiligen Gerichtsbezirke unter Verwen-
dung des Hauptteils der Regression gewonnenen Mittelwerte der Residuen mit der ermittelten
Verteilung des random intercepts gefaltet. Dadurch werden die Mittelwerte der Residuen
etwas zur Mitte hin verschoben, und zwar umso stärker, je weiter außen sie liegen und je
größer ihr jeweiliger Fehler ist. Dadurch erhält man gerade für Bezirke mit geringen Fall-
zahlen wesentlich stabilere Ergebnisse, als wenn man direkt die gemittelten Residuen ver-
wenden würde. Die Bayes predictions werden in der Statistik als best linear unbiased predictor
angesehen (dazu und zu Mehrebenenmodellen allgemein Rabe-Hesketh & Skrondal 2005,
111).
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 899

wiederum etwas größere regionale Differenzen (17 % der LG-Bezirke liegen außer-
halb : 10 %).21

Abweichungen in der Strafhärte bei Vergewaltigung [%]

(7.1,16.0]
(4.0,7.1]
(−0.4,4.0]
(−3.5,−0.4]
(−6.6,−3.5]
[−12.0,−6.6]

Abbildung 4: Abweichungen in den Landgerichtsbezirken von der mittleren Strafdauer


bei Vergewaltigung [%]

Die Karte in Abbildung 4 zeigt, wie die Abweichungen von der mittleren Sank-
tionshärte über die Bundesrepublik verteilt sind. Sie zeigt in Grenzen ein ähnliches
Bild wie bei ,allen‘ Delikten: leichtere Sanktionen in Schleswig-Holstein und Baden,
härtere Sanktionen in Bayern. Allerdings gibt es auch einige Besonderheiten: So fällt
in Baden das LG-Karlsruhe durch härtere Sanktionen auf. Während über alle Delikte
ganz Südhessen hart sanktionierte, ist dies bei der Vergewaltigung nur das LG Frank-
furt usw. Insgesamt korrelieren die Abweichungen über die LG-Bezirke bei Verge-
waltigung nur mäßig mit den entsprechenden Abweichungen über ,alle‘ Delikte (r:
0,33). Am höchsten ist noch die Korrelation mit den Abweichungen bei Raub
(0,46).22

21
Grundies (2018) sowie weitere nicht publizierte Berechnungen des Autors.
22
Eine Faktorenanalyse über die verschiedenen deliktsspezifischen Abweichungen in der
Sanktionshärte ergab nur einen Faktor, d. h. es ist von einer gemeinsamen grundlegenden Basis
900 Volker Grundies

In LG-Bezirken, in denen milder sanktioniert wird, wird auch etwas häufiger auf
verminderte Schuldfähigkeit erkannt.23 Weitere Assoziationen etwa mit den Anteilen
des Versuchs, der minderschweren Fälle oder der Legalbiograhie sind nicht vorhan-
den.

Die Aussetzung der Strafe


Circa 60 % der bei Vergewaltigung verhängten Strafen können nach dem § 56 aus-
gesetzt werden, da es sich um Freiheitsstrafen bis maximal zwei Jahre handelt. Tat-
sächlich werden diese Strafen in 93 % der Fälle auch zur Bewährung ausgesetzt.24
Damit liegt die Aussetzungsrate deutlich über den 77 %, die über ,alle‘ Delikte
(StGB + BtMG) ermittelt werden. Dies kann zum Teil auf die im Verhältnis zu
,allen‘ Delikten etwas geringere Vorstrafenbelastung, die ja nicht unwesentlich in
die Entscheidung der Strafaussetzung eingeht, zurückgeführt werden. Nimmt man
bei Vergewaltigung fiktiv die über alle Delikte übliche Vorstrafenbelastung an, so
ergibt sich eine Aussetzungsrate von 85 %. Damit verbleibt eine Restdifferenz, die
nur deliktsspezifisch zu erklären ist.
Auch bei der Vergewaltigung ist bezüglich der Aussetzungsentscheidung die Vor-
strafenbelastung der entscheidende Faktor, insbesondere bei einschlägigen, nicht
ausgesetzten Freiheitsstrafen25. Eine Besonderheit bei diesem Delikt ist die zum
Teil sehr lange Zeitspanne zwischen der Tat und der Aburteilung (bei ca. 15 % der
Verfahren ist sie länger als 2 Jahre, der Maximalwert der vorliegenden Daten beträgt
18 Jahre). Tatsächlich werden Fälle, bei denen diese Zeitspanne in der Nähe oder grö-
ßer als zwei Jahre ist, häufiger ausgesetzt (tatsächlich 96 %, fiktiv bei Kontrolle der
anderen Variablen 99,9 %). Hier erlaubt die schon vergangene Zeit möglicherweise
eine bessere Prognose.

(Punitivität) auszugehen. Allerdings ergibt die Faktorenanalyse sowohl für die Vergewalti-
gung wie auch für BtM-Delikte eine große Uniqueness von ca. 0,65 (Cronbachs a einer ge-
meinsamen Skala ist mit .88 sehr gut).
23
corr = -.22 (p: 0,02). Hier sollte aber keineswegs geschlossen werden, dass die Sank-
tionen in diesen LG-Bezirken niedriger sind, weil vermehrt auf verminderte Schuldfähigkeit
erkannt wurde. Dieser Effekt wurde zumindest in erster Näherung herausgerechnet. Vielmehr
scheint eine geringere Punitivität mit einer höheren Bereitschaft auf verminderte Schuldfä-
higkeit zu erkennen einherzugehen.
24
Das ist eine wesentlich höhere Aussetzungsrate als die 63 %, die Albrecht (1994) für
Fälle aus den Jahren 1980/81 feststellte. Allerdings sind die allgemeinen Aussetzungsraten für
1 bis 2-jährige Freiheitsstrafen von ca. 20 % 1980 bis auf ca. 70 % im Jahr 2010 angestiegen.
Auch für Freiheitstrafen von 6 bis 12 Monate stiegen die Aussetzungsraten in dieser Zeit von
ca. 70 % auf 80 % (Heinz 2014, 202).
25
Zum Beispiel beträgt die Odd Ratio bei einer 2-jährigen einschlägigen nicht ausgesetz-
ten Freiheitsstrafe gegenüber keiner Vorstrafe 0,03. D. h., dass fiktiv in diesen Fällen nur noch
ca. 29 % der Freiheitstrafen bis 2 Jahre ausgesetzt wurden (die über alle Fälle gemittelte
Aussetzungsrate bei Vergewaltigung beträgt ca. 93 %).
Die Sanktionierung von Vergewaltigungsdelikten 901

1
1000

.95
800
Anzahl Verurteilungen

Anteile Bewährung
600

.9
400

.85
200

.8
0

0 3 6 9 12 15 18 21 24
Strafdauer (Monate, Obergrenze inklusive)

Anzahl Verurteilungen Anteil Bewährung Glättungen

Abbildung 5: Anteile der Aussetzung zur Bewährung entlang der Strafdauer (§ 177)

Zusammenfassung: Trotz der hoch abstrahierten Ebene der Daten konnten die ver-
hängten Strafdauern sehr gut erklärt werden, nicht zuletzt wegen der die Schwere des
Delikts widerspiegelnden Absätze des § 177 a.F. und der schon fixierten Entschei-
dung, ob vor einem Amts- oder Landgericht zu verhandeln sei. Auf dieser Basis
ergab sich im Gegensatz zu den Ergebnissen insbesondere bei leichteren Delikten
eine relativ gleichmäßige Sanktionspraxis in der gesamten BRD. Die Bedeutung
des minder schweren Falls in der Sanktionspraxis für die Unterschreitung der Min-
deststrafen, die schon von Albrecht (1994) herausgearbeitet wurde, zeigte sich auch
in diesen Daten. Die minder schweren Fälle überschreiten selten die Mindeststrafe
des Regelfalls. Die unteren Grenzen der Strafrahmen stellen einen guten Anhalts-
punkt für die Dauer der verhängten Strafen dar: Ein Drittel liegen unterhalb dieses
Wertes und entsprechend zwei Drittel darüber. Je niedriger die Minimalstrafe, desto
geringer ist die Ausschöpfung des Strafrahmens. Bestätigt wurde auch, dass der Dif-
ferenzierungsgrad der Strafen geringer ist, als dies nach der Gesetzeslage möglich
wäre. Soweit dies auf dem abstrakten Niveau der angewandten Normen möglich
war, konnten die von Albrecht herausgearbeiteten Zusammenhänge in der Strafzu-
messungspraxis repliziert werden.
902 Volker Grundies

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Berlin.


Gebauer, E. (2020): Strafzumessung bei Vergewaltigung. Dogmatik und Rechtswirklichkeit,
insbesondere Ausschöpfung von Strafrahmen. Hamburg.
Greger, R. (1987): Strafzumessung bei Vergewaltigung. Monatsschrift für Kriminologie und
Strafrechtsreform 70, S. 261 – 277.
Grundies, V. (2016): Gleiches Recht für alle? – Eine empirische Analyse lokaler Unterschiede
in der Sanktionspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, in: F. Neubacher & N. Bögelein
(Hrsg.), Krise – Kriminalität – Kriminologie. Mönchengladbach, S. 511 – 525.
Grundies, V. (2018): Regionale Unterschiede in der gerichtlichen Sanktionspraxis in der Bun-
desrepublik Deutschland. Eine empirische Analyse, in: D. Hermann & A. Pöge (Hrsg.), Kri-
minalsoziologie. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden, S. 295 – 315.
Heinz, W. (2014): Das strafrechtliche Sanktionensystem und die Sanktionierungspraxis in
Deutschland 1882 – 2012 http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Sanktionierungspraxis-in-
Deutschland-Stand-2012.pdf.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und
2004 bis 2013. (Hrsg. vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz). Mön-
chengladbach.
Sessar, K. (1981): Rechtliche und soziale Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität.
Freiburg.
Steinhilper, U. (1986): Definitions- und Entscheidungsprozesse bei sexuell motivierten Gewalt-
delikten. Konstanz.
Croatian Drug Policy
Penal Liberalisation, its Impact, and Current Trends

By Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

1. Introduction
The issue of drug control through criminal law has been a major topic in Western-
European criminal justice since the end of the nineteen-sixties, whereas comparable
trends of strengthening the criminal law approach to drug control in Croatia took off
rather delayed in the mid-1990s, after Croatia declared independence from the for-
mer Socialist Federal Republic of Yugoslavia (hereinafter: Yugoslavia). Prior to that,
in the former Yugoslavia, drug abuse and drug crime were not a topic of discussion as
a matter of criminal justice. Alike in other socialist/communist countries any notion
of a drug (or drug related) crime problem would have run against the stereotype of the
exemplary youth which in the ideal socialist/communist society is not susceptible to
the wicked temptations of the corrupt capitalist West. Ever since the question of penal
drug liberalisation1 has been a hot-topic in public and political debate, but it also
evolved into a well-established core topic in criminal law and criminology.
Amongst the scholars who largely contributed to the ongoing discussions on ille-
gal drug policy, Hans-Jörg Albrecht indeed stands out, as he not only critically and
innovatively has been scientizing the debate for decades, but also accomplished to do
this by truly living the idea of “criminal law and criminology under one roof”2. He

1
The terms “penal drug liberalisation” or “liberalisation policy” respectively, stand for the
decriminalisation of the mere possession of narcotic drugs without the intention of their
further resale and/or distribution (hereinafter: mere possession).
2
“Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach” has been the leitmotif of the former
Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law in Freiburg im Breisgau
(MPI) for decades. Looking back at the fruitful cooperation between MPI’s criminology de-
partment, as headed by Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Jörg Albrecht, and the Zagreb Faculty of
Law’s criminal law department, as headed by Prof. Dr. Davor Derenčinović, one can only
confirm the significance and meaningfulness of this leitmotif, as well as its excellent trans-
position into practice. They are well-documented by countless success stories, ranging from
several collaborative research projects, a joint research group on ‘Balkan Criminology’
(www.balkan-criminology.eu), 6 PhDs at the MPI within less than one decade, 2 of these as
cotutelle PhDs together with the Zagreb Faculty, 3 co-organised annual international courses
like the one on ‘Crime Prevention Through Criminal Law & Security Studies’ (www.pravo.
unizg.hr/KP/crimeprevention), a co-edited and co-published criminological book series (www.
904 Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

skilfully manages to approach the broad field of illegal drug policy from the perspec-
tive of a criminal law scholar, a (critical) criminologist and a sociologist, thereby not
only unravelling the countless complexities of all the different issues at stake, but also
providing for inter- and transdisciplinary, as well as open-minded findings.
Early on he realised (and empirically backed up) that:
“[…] quite paradoxical effects seem to be the consequence of tough drug laws and strict
enforcement. Large black markets, marginalized subcultures of drugs with tremendous dan-
gers for health and life of addicts, organization and rationalization of drug trafficking seem
to be the result of emphasizing repression and control as central elements in societal respons-
es to drug problems, an emphasis which can be demonstrated by the ongoing process of en-
larging police rights in controlling drug related behavior as well as increasing minimum and
maximum penalties up to grossly excessive levels.” (cit. Albrecht 1986, 17).

Some twenty years later in analysing the developments and impact of drug pol-
icies in Europe he finds that not only the promise of evidence-based drug policies
has still not been fulfilled, but also that:
“Criminal law based drug control continues to be a leading element in drug policies. The
increase in minimum and maximum criminal penalties for drug offences unfolding in the
1980ies is still impacting on sentencing and the prison system. Seen from available supply
data, nothing suggests that criminal law has had significant effects in cutting down the avail-
ability of various drugs, in discouraging drug trafficking or driving prices up” (cit. Albrecht
2010, 21).

Apparently the only significant thing that has changed is the dropping public con-
cern about illegal drugs and the nowadays rather unsensational coverage of drug-re-
lated news by the media, as well as the increase in nexus-discourses, linking drugs to
conflicts, violence, terrorism, organised crime, etc. (Albrecht 2010). The current sit-
uation in Croatia is no different in this regard – one could actually say that the country
is even less concerned with drug control, most likely due to the apparent lack of open
drug scenes as noticeable in most Western-European countries.
Given the still rather recent penal liberalisation in Croatian drug policy we reflect
on Albrecht’s highly valuable insights on drug control and critically assess the impact
and trends such liberalisation has so far produced in Croatia. Following his bright
example, we take a criminal law and criminological perspective, while embedding
our analysis in the overall Croatian social context. Given that slightly less than a dec-
ade has passed since Croatia ‘decriminalised’ the largest share of its criminal drug

csl.mpg.de/en/publications/institute-publications/balkan-criminology-series), countless jointly


organised conferences and workshops, as well as numerous research stays of researchers from
Zagreb at the MPI. It is not only this tremendously successful cooperation for which we owe
deep gratitude and acknowledgement to our dear colleague and friend, mentor and patron, but
also his inexhaustible enthusiasm for and deep understanding of this part of the world. The
revival of criminology in Croatia, as well as throughout Southeast Europe, under the slogan
“criminal law and criminology under one roof” is Hans-Jörg Albrecht’s righteous scientific
legacy which we want to honour with the paper at hand.
Croatian Drug Policy 905

offences, by down tuning possession for personal use to a misdemeanour, our anal-
ysis is both timely and necessary, while filling a considerable gap in European drug
policy research. After providing an overview of the past and present penal drug pol-
icy, with focus on the main policy justifications and their transposition into criminal
law, we address specific normative and practical challenges the Croatian criminal
justice system faces in implementing such liberalisation. These findings are then fur-
ther analysed and scrutinised in light of criminal justice statistics, public health sta-
tistics, seized narcotics statistics and prison statistics, in order to assess the overall
impact the liberalisation has had thus far and to detect most likely future trends.3 Fi-
nally, instead of simply taking a pro or con stand on the question of penal drug lib-
eralisation in general, and particularly in Croatia, we will conclude the paper at hand
by arguing that a one-size-fits-all approach in matters of illegal drug policy common-
ly disregards cultural, moral and even behavioural differences between countries, so-
cieties and regions, and that relevant policy decisions need to be rooted in scientific
knowledge, rather than opposing ideologies or world-views.

2. Croatian Penal Drug Control


In the Republic of Croatia, various forms of drug abuse have been prescribed as a
criminal offence and a misdemeanour throughout the past decades. The main norma-
tive framework for the suppression of drug abuse comprises of the Criminal Code
(hereinafter: CC) and the Drug Abuse Prevention Act (hereinafter DAPA). Probably
the best indicator of the shift in criminal policy approaches for combating drug abuse
in Croatia in the last twenty years were the amendments to these statutes regulations.
The amendments were deeply rooted in different, occasionally even opposing narra-
tives about drug liberalisation policy, which in turn are to be understood in context of
opposing political ideologies and their specifics in Croatia.4
Drug offences within the CC were first considered a threat to “other social values”,
back at a time when Croatia was still a republic within Yugoslavia. Such policy ap-

3
We are fully aware of all the pitfalls, misfits and dangers of simply contrasting data on
consumption, drug crimes, seizures, etc. with changes in penal drug policy, and drawing
conclusions about causal relationships solely on such a basis. “Drug use in general and in
particular the development of drug or addiction careers are the outcome of complex and not
yet fully understood processes which include individual risk components, social and economic
contexts.” (cit. Albrecht 2010, 13).
4
Highly simplified and put in a nutshell, there are basically two main political options/
parties in Croatia. The ‘left’ one, which essentially grew out of the former communist party
that ruled the former Yugoslavia for decades (Socijaldemokratska partija Hrvatske, SDP), and
the ‘right’ one which emerged at the end of the 1980’s (Hrvatska demokratska zajednica,
HDZ) leading up to the first free democratic elections in Croatia, while relying on a more
conservative discourse about issues of public interest. Although labelled ‘left’ and ‘right’,
neither of these two main Croatian political options actually fits the Western-European idea
about ‘left’ and ‘right’.
906 Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

proach remained intact even after Croatia gained independence in 1991 and until
1998, when drug offences started being considered a threat to “values protected
by international law”. This shift nicely reflects the growing concern with drug
crime and places drug offences within a chapter of the CC that deals with most threat-
ening types of crimes for the state as well as for the international community as a
whole, like crimes against international humanitarian law, genocide, terrorism, etc.
Nowadays drug offences are considered “criminal offences against peoples’
health” and placed in the CC right after the criminal offence of “careless inspection
of meat used as food” and before the criminal offence of “unauthorized production
and circulating of substances forbidden in sports”. This last reallocation of drug of-
fences within different chapters of the CC again nicely reflects the decreased concern
with drug crime, while it moves the emphasis from its threat to the state and interna-
tional community as a whole to its threat to public and individual health. So, one
could say that Croatia picked up the criminal law approach to drug control with a
considerable delay in the mid-90s by criminalising mere possession,5 but that it
has meanwhile caught up with Western-European trends on drug policy liberalisa-
tion.
In 1996 the revised article 196, paragraph 1 criminalised “unauthorized posses-
sion of substances or preparations that have been declared narcotics by regulation”.
For this criminal offence, a fine was prescribed alternatively to imprisonment for up
to one year. That regulation remained in force until the adoption of the new Criminal
Code in 1997, which entered into force on 1st of January 1998 (hereinafter: CC97).
That law criminalised the mere possession in article 173, paragraph 1. The penalty
remained the same – fine or imprisonment for up to one year. Another clear indication
of harshening crime policy regarding drug offences was the significant increase of the
penalties for the most dangerous aggravated forms of the offence (organising a net-
work of resellers or intermediaries) – long-term imprisonment (up to forty years).
Prior to that, the maximum penalty for the same offence was imprisonment up to fif-
teen years.
The subsequent changes in the legislative framework in 2003 were primarily the
result of political debate on the concept of liberalisation. With that amendment, the
government of the left-wing coalition repealed Article 173 para. 1 of CC97, thus de-
criminalising mere possession. Consequently, mere possession remained solely pun-
ishable as a misdemeanour. However, this amendment was quashed on procedural
grounds by the Constitutional Court (Odluka Ustavnog suda Republike Hrvatske
broj: U-I-2566/2003, U-I-2892/2003). The double-track regime of criminal and mis-

5
In this regard, it needs to be noted that in the 1990s Croatia struggled with numerous other
challenges like state independence, aggression, armed conflict, refugees from occupied do-
mestic territories as well as neighbouring war affected countries, etc., to the effect that the
drug-threat and related moral panic discourses where far less prominent topics in political and
public discourse. One might even argue that Croatia in that sense never had such a drug-related
discourse, but rather skipped immediately to the topic of organised crime.
Croatian Drug Policy 907

demeanour penalisation was reinstated and remained in force for the next eight years.
Just until the next change of government.
In the new CC, which was adopted on the proposal of the right-wing coalition gov-
ernment in 2011 (hereinafter: CC11), mere possession was kept as a separate offence
with the following explanation:
“Special attention is paid to the criminal offence of drug abuse because it accounts for 15%
of all convictions. Within the Working Group, a discussion was held on the incrimination of
possession of drugs for personal needs under Article 173, paragraph 1 of the CC97. The in-
crimination was retained in the Final Draft of the Criminal Code to have a more substantial
preventive effect on future potential drug users” (Konačni prijedlog Kaznenog zakona 2011,
205).

However, the new left-wing coalition government that in the meantime came into
office in 2012 changed this provision due to the long period of vacation before the
adopted law entered into force. So, the CC11 version of art. 173 was revoked before it
even came into force. Then for the second time, mere possession was decriminalised
and remained only as a misdemeanour under the DAPA. Arguments for decriminal-
isation were, inter alia, the avoidance of double prosecution and punishment for mere
possession, European trends of liberalisation, and an overload of the criminal justice
system (Prijedlog Zakona o izmjenama i dopunama Kaznenog zakona 2012, 1 – 4).
A key argument in favour of decriminalisation was a judgment of the European
Court of Human Rights (Tomasović v. Croatia), which found a violation of Article 4
of Protocol No. 7 (right not to be tried or punished twice in the same case). The ap-
plicant with whom a small amount of heroin was found was first fined for a misde-
meanour under the provisions of the DAPA, and then given a suspended sentence of
imprisonment for the criminal offence under Article 173, paragraph 1 of the CC97.6 It
is very clear that, in executing the ECtHR decision, Croatia could have proceeded
otherwise than by amending the CC and decriminalising mere possession. For in-
stance, by amending the DAPA, by issuing instructions/guidelines of the State Attor-
ney’s Office, etc. (Tripalo 2003). Therefore, the argument of the Tomasović decision
was obviously used only as a pretext for the implementation of pre-election an-
nouncements about decriminalising mere possession anyway.
Finally, despite another change in government from left to right, for the past four
years mere possession remained a misdemeanour only. This indicates that the current
decriminalisation of mere possession, along with harsh punishment for criminal ac-
tivities along the drug supply and distribution chain, will remain in place in the future.
It is highly unlikely that the current right political option would in case of winning the
2020 parliamentary elections and after a full mandate go back to criminalising pos-
6
Previously, the Croatian Constitutional Court determined that this was not a violation of
the ne bis in idem principle. Still, the ECtHR corrected it and established the responsibility of
the state for the breach (ECtHR, Tomasović v. Croatia). The decision of the ECtHR, in this
case, was well-founded, given that there was indeed no difference in the essential elements of
the misdemeanour prescribed by DAPA and Article 173, paragraph 1 of the CC97.
908 Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

session, as it is even more unlikely that the left political option, if successful at the
elections, would suddenly change direction on the issue of illicit drug liberalisation.

3. Impact and Trends of Penal Drug Liberalisation


The effects of the criminalisation of the mere possession were well reflected in the
official crime statistics. Between 1998 and 2007, the share of drug-related criminal
offences known to the police amounted up to 7.5% of all registered crimes. The share
of drug-related offences was even higher in relation to indictments (10.7%) and final
convictions (14.3%). This means that almost every seventh adult perpetrator was con-
victed of some form of criminal drug abuse. It is interesting to observe the trends
during these ten years (1998 – 2007). At the beginning of that period, the percentage
of persons reported for the criminal offence of drug abuse was 5.9%, the rate of those
who were accused 4.2%, and those convicted 8.5%. At the end of that period (2007),
the percentage of reported persons increased to 7.7%, with the accused ones account-
ing for 12.1% and the convicted ones for 15.2% of all persons convicted for any type
of criminal offence (Državni zavod za statistiku 2010, 30). More generally speaking,
such increase in share of reported towards indicted and finally convicted persons is
atypical for (Croatian) crime statistics, where commonly there is a rather significant
drop out of cases throughout the different stages of the criminal justice procedure
(Derenčinović & Getoš 2008, 9). While a significant share of cases of other types
of crime reported by and to the police normally drops out at the stage of indictment
and then again at the stage of final conviction, with drug offences it is exactly the
other way around.
The share of drug offences among juvenile offenders has been even more pro-
nounced during this prohibition period, particularly when looking at final convic-
tions: as many as 17.9% of the total number of convicted juveniles were convicted
for some type of drug offence. However, it is interesting that after 2002, when that
share reached 26%, meaning that every fourth convicted juvenile was convicted for a
drug offence, there was a significant decline. In 2007 the share almost halved and now
made up only about 13% of all juvenile convictions. At the same time, there was a
significant drop in the number of juvenile charges for drug offences, which can be
explained by the frequent dismissals of criminal charges by invoking the principle
of opportunity or on the ground of insignificancy of the offence by the public pros-
ecution (Državni zavod za statistiku 2010, 33).
More than 75% of the persons convicted from 1998 – 2007 for a drug-related crim-
inal offence referred to in Article 173 of the CC97 were convicted for mere posses-
sion. It is safe to assume that this share would have been much bigger if there had not
been the frequent dismissal of criminal charges on various grounds by the state at-
torney prosecution. Thus, out of a total of slightly less than 13,000 dismissed criminal
complaints (which is about 30% of the prosecutorial decisions), more than 90% were
rejected for mere possession, mainly invoking the principle of opportunity or insig-
Croatian Drug Policy 909

nificancy. This means that law enforcement agencies were not quite convinced about
the danger and social harmfulness of the committed crimes and gave preference to
out-of-court and treatment models for drug abusers (Državni zavod za statistiku
2010, 68).
The increased leniency in sentencing policy for mere possession in the referenced
period was, as has already been explained, accompanied by an opposing tendency to
tighten penalties prescribed by the law for the production and distribution of narcotic
drugs. As mentioned before, the punishment for mere possession remained un-
changed with the then prevailing narrative that the focus must remain on more severe
forms of drug-related crime (production, distribution, organised crime) in respect of
which criminal policy needs to be tougher. At the same time, keeping mere posses-
sion criminalised was justified with the importance of general prevention and a de-
terrent effect on potential drug users that also should have an impact on the reduction
of demand. From the perspective of evidence-based policy it is important to note that
there is no relevant study in Croatia that might provide solid evidence for this claim,
just as there is no study that might provide an empirical basis for the counter argu-
ments in favour of decriminalisation. Like in most crime areas, criminological re-
search in Croatia is still scarce and mainly has to rely on official state produced sta-
tistics and reports (Getoš Kalac & Bezić 2014).
As explained in more detail earlier, as of January 2013, mere possession is con-
sidered only a misdemeanour and is punishable by a fine, although in certain cases
misdemeanour convictions in Croatia may lead to imprisonment of up to 90 days
(Herceg Pakšić & Kovač 2019). Such an approach to drug offences reflects the divi-
sion of drug related crime and its offenders into two main categories – drug users and
addicts who ought to be treated rather than punished, and drug dealers, producers or
providers, as well as organised criminals who ought to be severely punished.
According to available official data provided by the Croatian Institute of Public
Health (EMCDDA’s national focal point) for 2017, Croatia is primarily a transit
country due to its location along the southern part of the Balkan route. In the past,
this route has been mainly used for smuggling heroin from Afghanistan, whereas
now along this route other narcotics and precursors are being smuggled towards
and from Western Europe. Most cannabis substances, mainly plant cannabis, origi-
nate from Albania, although cannabis is also being produced in Croatia (usually for
personal use). Cocaine, which traditionally originates from Southern and Central
American countries, is smuggled towards Croatia by sea or land from Western Eu-
rope. Amphetamine and other synthetic stimulating drugs are smuggled towards Cro-
atia from the Netherlands and Belgium. Plant cannabis remains the most frequently
seized narcotic in Croatia. More recent data indicate an intensification of smuggling
in heroine, although large seizures in this regard remain sporadic. There has been a
reported rise in seizures of pharmaceutical substances like methadone and benzodia-
zepine (EMCDDA Croatia).
910 Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

Number of seizures
12000 MDMA
Heroin
Herbal cannabis
10000
Cocaine
Cannabis resin
8000 Cannabis plants
Amphetamine

6000

4000

2000

0
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Source: EMCDDA Croatia

Figure 1: Drug Seizures in Croatia: Trends in Number of Seizures (Left)


and Quantities Seized (Right), 2006 – 2017

The data show a declining trend with a low point in 2009, followed by a conse-
quent rise back to 2006 levels in 2013. Interestingly, as of 2013, when mere posses-
sion had been decriminalised (which had basically already been publicly announced
in 2011 when the new CC that entered into force in 2013 was passed) Croatia has been
witnessing a rather dramatic rise in drug seizures, esp. MDMA, amphetamines, but
also cannabis. Whether this recent increase in the number of seizures is the conse-
quence of more frequent detection activities, better information and intelligence,
or a rise in criminal activities and drug markets is difficult to assess, since data in
this regard is not available. Nevertheless, there could be a connection to the decrim-
inalisation of drug abuse for personal consumption, that might be causing a rise on the
demand side that is being mirrored by an increase on the supply side. It is thus im-
portant to note the number of MDMA seizures has been continuously on the rise,
whereas heroin seizures have a declining trend.
Looking at the 2019 country drug report for Croatia and specifically the issue of
drug consumption the following picture on prevalence among young adults (15 – 34
years of age) in 2018 emerges: cannabis 16.0% (rather on the higher end in EU com-
parison); cocaine 1.6% (middle-lower end in EU comparison); MDMA 1.4% (mid-
level in EU comparison); amphetamines 2.3% (rather high in EU comparison); high
risk opioid use rate 3.1 per 1,000 (middle in EU comparison); drug induced mortality
rate among adults aged 15 – 64 years 23.4 cases/million (middle-lower end in EU
comparison); no HIV infections newly diagnosed and attributed to injecting drug
use (EMCDDA Croatia).
When it comes to registered criminal offences related to narcotics and psychotrop-
ic substances it must be pointed out that most criminal offences as well as misde-
Croatian Drug Policy 911

meanours have traditionally been related to personal usage. However, due to the 2013
penal liberalisation of mere possession, the criminal case load has dropped in recent
years and now accounts for approx. 2,000 cases per year, whereas the misdemeanour
case load has increased proportionally (see Figure 2). Regarding the phenomenology
of detected and prosecuted drug-crimes it should be noted that they are only excep-
tionally related to organised crime. So, for example in 2016 only 1 adult person was
even reported for this offence to the police, whereas in 2018 there were 33 reported
cases of unauthorised production and distribution of drugs committed by a criminal
organisation, and in 2019 only 21 such cases were reported.

10000
drug offences drug misdemeanours
9000
8000
7000
6000
5000
4000
3000
2000
1000
0
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018

Source: Ministry of Interior


2019

Figure 2: Impact of Penal Liberalisation on Cases of Reported Criminal Drug Offences (2000 – 2019)
and Drug Misdemeanours (2002 – 2019)

As expected and intended, the 2013 penal liberalisation had a major impact on the
drop of the drug-related case load of the criminal justice system. Although misde-
meanour courts are considered part of the criminal justice system in Croatia (as pre-
scribed/statutory misdemeanours are considered to be part of penal law in the broader
sense) the achieved drop in case load for criminal courts is rather significant. How-
ever, little (statistical) effects of the decriminalisation are noticeable when it comes to
the overall trend in prohibited abuse and trade in narcotic drugs, since both figures
taken together eventually provide for a rather constant level of reported incidents
(crimes and misdemeanours), after a somewhat anomalistic decrease in 2013 (see
Figure 3). This decline is clearly to be attributed to the new CC entering into
force and the misdemeanour novelty, rather than to a real decline of drug consump-
tion or the drug market. While the drug-related criminal offences display a much
more stable trend during the past 7 years, the misdemeanours of mere possession
show slightly more fluctuation, but also appear stable for the past 4 years, with a
slight decline. Whether and in what direction this trend will evolve should be closely
observed in future years, esp. considering the thesis that decriminalisation of drug
912 Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

abuse for own purposes might be related to a rise in consumption and thereby obvi-
ously result in a rise on the demand side, leading to a rise on the supply side, too. This
would then have a consequent impact on illicit trade in narcotics and the whole crim-
inal milieu surrounding it.
16000
drug offences drug misdemeanours
14000
5494
5178

5191
12000

4596
4341

4607

9185
8722
4315

8314
8903
10000
2102

2313

7292
2195

2594

6709
8000

5546
6000

4000

2000
8717

7992

7529

8186

8346

7952

7882

7063

7784

7767

7295

2713

2729

2878

2838

2589

2274

2871
0
2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019
Source: Ministry of Interior

Figure 3: Impact of Penal Liberalisation on Overall Trend of Reported Drug Crime


(Criminal Offences and Misdemeanours) from 2002 to 2019

What have been further effects of the decriminalisation of mere possession? Stat-
istical indicators suggest a significant decline in the number of reported, accused, and
convicted persons for drug related criminal offences under Articles 190 and 191 of
the CC11. Thus, in 2016, the share of finally convicted offenders for these criminal
offences fell below 5% (Livazović & Vuletić 2018, 273). This is also well reflected in
official police recorded incidents on criminal offences (see Figure 4).
Consequently, law enforcement, judiciary, and the prison system were all relieved
from the heavy caseload they had before due to handling drug cases. According to a
report by the Council of Europe, in recent years, the percentage of persons convicted
of drug abuse in the prison system has been around 18% (Aebi & Tiago 2020, 7),
while after decriminalisation of mere possession in Croatia, this percentage fell
below the European median:
“The trend of reducing the number of drug addicts is associated with a decrease in the total
number of prisoners, probation on an increasing scale, but also with the entry into force of the
new Criminal Code (CC/11) on 1st of January 2013, according to which owning drugs for
one’s own needs has shifted from criminal to misdemeanour liability, and this trend contin-
ued in 2017” (Ministry of Justice 2018, 38).
Croatian Drug Policy 913

100%
61040

69742

69188

72385

77887

71760

72702

67905

66689

66434

65544

67853

64876

59995

54122

56355

52986

51657

49013

53123
90%

80%

70%
total criminal offences
60%
drug offences
50%

40%

30%

20%
8717
8609
7338

7882
7952
8346
8186

7767
7784

7295
7992

7063
7529

2838

2871
2729

2878

2589

2274
2713
10%

0%
2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019
Source: Ministry of Interior

Figure 4: Impact of Penal Liberalisation on Police Recorded Criminal Case Load Overall
from 2000 to 2019

Another positive effect of decriminalisation is the removal of the criminal label


from drug users, who are often addicts themselves. This is particularly relevant in
the context of juveniles whose criminal labelling, in conjunction with other factors,
creates increased risk of their re-offending (recidivism).
However, there have also been some adverse side effects of decriminalisation.
Thus, for example, the new procedural position of a person found to have possessed
a narcotic drug without the intention of further resale complicates criminal prosecu-
tion for a criminal offence under Article 190 CC11 (as well as Article 191 CC11 –
facilitating the consumption of narcotics). Namely, according to the previous legal
regime under which mere possession was criminalised, such persons were usually
charged as co-defendants. Faced with criminal liability, in most cases, they testified
against the supplier (in exchange for more lenient sentencing or dropping of charges).
Now, without facing criminal liability, in the role of witnesses, they very often claim
that they cannot remember the circumstances they are testifying about, which, in the
absence of other evidence, makes it significantly difficult to prosecute drug providers
and members of criminal associations (Tripalo 2003).
Likewise, there is no evidence that decriminalisation has had the effect of reduc-
ing demand and a subsequent decrease of supply or availability of drugs on the illegal
market. The appearance of many new drugs on the market (especially synthetic ones)
is also worrying, as is the further proliferation of organised crime in this field. Further
reason for concern is the discrepancy between liberalisation trends on one side and an
increase in the opiate overdose mortality rate in most European countries (including
914 Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

Croatia, especially when it comes to methadone overdose) since 2013 (Vlada Repub-
like Hrvatske s.a., 5) on the other side. However, as noted earlier, we are fully aware
of all the pitfalls, misfits and dangers of simply contrasting data on consumption,
drug crime, seizures, opiate overdose. etc. with changes in penal drug policy, and
drawing conclusions about causal relationships solely on such a basis. Available re-
search on the matter has so far shown that the rate of drug-usage and the incidence of
drug problems are not dependent on a country’s particular type of drug policy, nor do
the demand for drugs and drug use depend on variations in criminal drug laws or drug
law enforcement (Albrecht & van Kalmthout 1999, 29).

4. Conclusions and Outlook


In the context of a meaningful criminal policy, it is disputable to treat the phenom-
enon of drug abuse exclusively as a public health issue. In other words, drug abuse is,
in a sense, a threat to the national health system. Still, it also has far broader social and
sociological, legal, and other global implications. It affects not only the health but
also the human dignity of those most endangered (addicts). Furthermore, narcotic
drug production and distribution is one of the most profitable activities of organised
crime. These illicit enterprises seriously undermine the very foundations of contem-
porary societies as well as the conscience of humanity. Therefore, the classification
of criminal offences of drug abuse under the section of crimes against public health
should be reconsidered and these criminal offences eventually moved to the chapter
of criminal offences against humankind and human dignity. This goes primarily for
crimes related to production and distribution of drugs, whereas the penal liberalisa-
tion of mere possession, although showing no significant impact on decrease or in-
crease in consumption or markets, seems sensible to remain outside criminal law pro-
visions in the stricter sense and well allocated within penal law in the broader sense as
a misdemeanour. This is, however, more of a criminal policy conclusion than a sci-
entific one, rooted in solid empirical evidence, since the only traceable effect of such
policy approach is a drop in drug-related criminal cases. In order to support the cur-
rent approach Croatia has taken, evaluation research would be desperately needed.
Evaluation research that does not only look at quantitative criminal justice-related
indicators, but also at quantitative as well as qualitative social, economic, education-
al, and further indicators. Without such a solid and methodologically sound empirical
basis any assessment of positive or negative impacts of the penal liberalisation re-
mains superficial and purely speculative.
To sum up, notwithstanding the opposing narratives discussed in this paper, pol-
icymakers must encourage in-depth scientific and professional analysis of the advan-
tages and disadvantages of the penal and treatment approach and the general strategy
for combating drug abuse in Croatia. Only such an analysis can be a stronghold of a
sustainable criminal policy in this domain. One-size-fits-all approaches in matters of
illegal drug policy commonly disregard cultural, moral and even behavioural differ-
Croatian Drug Policy 915

ences between nations and regions. As demonstrated in the paper at hand, relevant
Croatian drug policy decisions have so far never been rooted in scientific knowledge
or sound empirical analysis, but in opposing ideologies and world-views, which are
publicly discussed only exceptionally with regards to political elections. This is not
only disappointing in terms of how (criminal) policy in Croatia works, but also sends
mixed messages to the public – there seems to be no consolidated political standpoint
on the dangers and harms of drug consumption. Considering thus the threats of drug-
related organised crime and illegal markets in Croatia as well as throughout the whole
region, the very least one could hope for is further training and the allocation of re-
sources for law enforcement agencies in the fight against organised crime, and not
lastly the fulfilment of the evidence-based policy promise in matters of drug
crime – on the European and on the national level. The issue is far too important
as to be left up to the sphere of pure speculation and ideologically rooted experimen-
tation.

References

Aebi, M.F. & Tiago, M.M. (2020): Prisons and Prisoners in Europe 2019: Key Findings of the
SPACE I Report.
Albrecht, H.-J. (1986): Criminal Law and Drug Control. International Journal of Comparative
and Applied Criminal Justice 10, pp. 41 – 60.
Albrecht, H.-J. (2010): Drug Policies in Europe, in: M. Groenhuijsen, T. Kooijmans & T. de
Roos (eds.), Fervet Opus: Liber Amicorum Anton van Kalmthout. Apeldoorn, pp. 11 – 21.
Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1999): Methods, Concepts and Findings from Evaluation
Research on European Drug Policies, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht (eds.),
Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Freiburg i.Br., pp. 11 – 34.
Derenčinović, D. & Getoš, A.-M. (2008): Uvod u kriminologiju s osnovama kaznenog prava.
Zagreb.
Državni zavod za statistiku (2010): Zlouporaba opojnih droga 1998 – 2007, Studije i analize.
Zagreb.
ECtHR, Tomasović v. Croatia, Application no. 53785/09, 18. October 2011.
EMCDDA Croatia (2020): Country Drug Report 2019; https://www.emcdda.europa.eu/coun
tries/drug-reports/2019/croatia_en [21. 06. 2020].
Getoš Kalac, A.-M. & Bezić, R. (2017): Criminology, crime and criminal justice in Croatia. Eu-
ropean Journal of Criminology 14/2, pp. 242 – 266.
Herceg Pakšić, B. & Kovač, N. (2020): Prekršajno pravo u službi suzbijanja zlouporabe droga u
Republici Hrvatskoj: posjedovanje droge bez namjere stavljanja u promet. Pravni vjesnik 36/
1, pp. 79 – 98.
Kazneni zakon 1997 (CC97): Narodne novine, 110/1997, 27/1998, 50/2000, 129/2000, 84/2005,
51/2001, 111/2003, 190/2003, 105/2004, 71/2006, 110/2007, 152/2008, 57/2011, 77/2011,
125/2011, 143/2012.
916 Davor Derenčinović and Anna-Maria Getoš Kalac

Kazneni zakon 2011 (CC11): Narodne novine, 125/2011, 144/2012, 56/2015, 101/2017, 118/
2018, 126/2019.
Konačni prijedlog Kaznenog zakona, Zagreb, 2011.
Livazović, G. & Vuletić, I. (2018): Obitelj kao etiološki čimbenik kaznenih djela povezanih sa
zlouporabom opojnih droga kod adolescentske populacije. Policija i sigurnost 27/3, pp. 271 –
290.
Ministry of Justice (2018): Izvješće o stanju i radu kaznionica, zatvora i odgojnih zavoda za
2017. godinu. Zagreb.
Odluka Ustavnog suda Republike Hrvatske broj: U-I-2566/2003, U-I-2892/2003 od 27. stude-
noga 2003, Narodne novine 190/2003.
Prekršajni zakon: Narodne novine, 107/2007, 39/2013, 157/2013, 110/2015, 70/2017, 118/
2018.
Prijedlog Zakona o izmjenama i dopunama Kaznenog zakona, Zagreb, 2012.
Tripalo, D. (2003): Kaznenopravni aspekti zlouporabe droga. Hrvatski ljetopis za kazneno
pravo i praksu 10/2, pp. 553 – 585.
Vlada Republike Hrvatske – Ured za suzbijanje zlouporabe droga (s.a.): Usporedba stanja prob-
lematike droga u Republici Hrvatskoj i Europi (prema podacima iz 2015.); https://drogeiovis
nosti.gov.hr/UserDocsImages//dokumenti/Me%C4%91unarodni%20dan//Usporedba%20stan
ja%20RH_EU_2015_2016_FINAL%20s%20logom.pdf [22. 06. 2020].
Zakon o suzbijanju zlouporabe droga (DAPA): Narodne novine, 107/2001, 87/2002, 163/2003,
141/2004, 40/2007, 149/2009, 84/2011, 80/2013, 39/2019.
A Difficult Relationship: Coexistence
Between a Regulated Cannabis Market
and a Prohibitionist Banking Policy
By Pablo Galain Palermo

1. Introduction
I feel a deep affinity with Professor Albrecht, a student-teacher bond in which my
admiration is to the fore and at the same time a friendship based on complicity and
affection. Hans-Jörg Albrecht may not be aware of his “responsibility” in awakening
in many Latin Americans (in general captivated by the systematic elaboration of the
German doctrinal study of law and abstract thought) an interest in a comprehensive
analysis of criminal law, which also includes national and international policy and an
understanding of social conflicts on the basis of an empirical knowledge of data on
the reality that precedes the norm and prohibitions and influences the charges brought
and the nature and type of sanction. The person in whose honour this book is pub-
lished has dedicated part of his profuse academic life to the quantitative and quali-
tative analysis of the legal and social problems related to public policy on crime. He
has particularly maintained a critical view of drug policies1 (particularly on the
“American Style Drug War”)2 and the consequences of them in relation to consump-
tion. Hans-Jörg Albrecht has taken an interest in violence,3 in the organised criminal
groups that operate transnationally4 and in other acts that occur in illegal markets5 and
preventative6 control and conflict resolution measures provided for in various legal
and/or social systems, in complex or traditional societies.7 One alternative to prohib-
ition and the policy of fighting drugs through the use of criminal law or other legal
sanctions is the regulation of the markets for substances that were formerly prohib-
ited, which does not require a new paradigm but rather providing spaces where they
are permitted or tolerated without breaking with the principles of prohibition. Of

1
Albrecht 2010, 11 – 21. Together with Paoli 2002, 75 – 89.
2
Albrecht 2001, 49 – 60.
3
Albrecht 2010a, 31 – 47.
4
Albrecht 2017, 207 – 218.
5
Albrecht 2004, 453 – 469.
6
Albrecht 2017a, 329 – 347.
7
Albrecht 2006, 1 – 12.
918 Pablo Galain Palermo

course, such a policy could end up contradicting the spirit of the international treaties
that serve as the normative framework for global policy in the area of drugs.8 In my
contribution to such a well-deserved tribute, I refer to the Uruguayan experiment in
regulating the cannabis market for recreational use, which has not led to a paradigm
shift but rather an exemption as part of a harm reduction policy for the legally pro-
tected asset (i. e. public health). I deal with the problems that the implementation of
this regulated market has had since 2013 due to endogenous factors (mistakes made
in the implementation) and exogenous ones (the fierce opposition of the banks to re-
ceiving money generated by this industry). This problem with the banks is not a minor
one as it endangers the proper functioning of the regulated market.

2. International Drug Policy and the Break


with the Consensus by Some Dissident States
Since the 1960s, international policy and the institutions charged with the drug
problem have continued to adhere to a prohibitionist interpretation of international
treaties, euphemistically referred to as the war on drugs.9 International criminal pol-
icy on drugs assumes Carl Schmitt’s friend-enemy distinction and the treatment of a
policy linked to public health should not be based on the dialectic of consumption/
punishment, but rather on harm reduction through prevention (information on risks
associated with consumption). The international treaties do not explicitly prohibit
drug consumption, however many states have interpreted them in such a manner,
as if they demanded complete prohibition that punishes the mere consumption as
a question of submission to a state policy and allows for the characterisation of
those who consume as if they were political dissidents.10 This criminal policy on
drugs leads to excesses within the friend-enemy confrontation and allows some states
to cross certain lines in using punitive measures, applying the death penalty to cases
related to simple trafficking. Thus, the international system allows for the violation of
international treaties protecting human rights in order to comply with drug policy.11
An extremely grave punitive policy such as this one relies on the international drug
treaties and their control bodies (the United Nations (UN) International Narcotics
8
Albrecht 2001, 57 ff.
9
Cannabis presents a more complex issue to the international system as it is a plant with a
variety of uses, some of which are medicinal. According to some experts, such as Francisco
Thoumi, who are part of the control of drugs at an international level, cannabis is not a drug, it
is a plant with different components, some of which may have a psychoactive effect, as
happens with THC; https://www.bluradio.com/nacion/la-marihuana-no-es-una-droga-experto-
de-la-jife-advierte-riesgos-por-consumo-207826-ie3509872 [11. 09. 2020].
10
On the problem of drugs and counterculture, on the issue of prohibition as a question of
political dissidence, see Samper 2013, 182 ff.
11
Of the 35 countries that have the death penalty for drug related crimes, in 2018, 4,366
people were executed, 3,975 of them in Iran; https://www.hri.global/death-penalty-drugs-2018
[11. 09. 2019].
A Difficult Relationship 919

Control Board [INCB]) which semantically and symbolically unites – under the one
roof – everything to do with “drug” prevention and the prevention and repression of
crimes (UNODC).12
The 1998 United Nations General Assembly Special Session (UNGASS) on drugs
proclaimed as its goal “a drug free world”;13 however, recently the monolithic dis-
course and the international consensus on the issue seems to be cracking in some as-
pects related to cannabis.14 Following UNGASS’ drugs session in April 2016, a crack
emerged in this rigid discourse15 and so far, some states have resorted to experiments,
without breaking with the international legal system, not just with public policies on
legalisation and/or tolerance of consumption (non-criminal prosecution), but also
with the creation of regulated markets for recreational and medicinal use (legisla-
tive-administrative regulation).16 This new policy has become known as the “third
way”.17
In 2013 Uruguay became the first country in the world to regulate the productive
market and distribution of cannabis for recreational, medicinal and industrial use.
The personal consumption of drugs had been legalised since 1974 (Decree
14.294) and group consumption was tolerated in line with the jurisprudence on
non-prosecution.18 This regulated market needed time to comply with the objectives
set out in Art. 1 of Law 19,17219 as it overcame obstacles related to the ways of ob-
taining the product, precisely that which places the sale in the hands of a state mo-
nopoly.20 The implementation of the market has been marked by a complicated bu-
reaucracy to set in motion the methods of obtaining cannabis, a supply shortage,21 and

12
https://www.unodc.org/unodc/index.html [11. 09. 2020].
13
https://www.tni.org/en/article/the-unwritten-history-of-the-1998-united-nations-general-as
sembly-special-session-on-drugs [11. 09. 2020].
14
Bewley-Taylor, Blickman & Jelsma 2014, 36 ff.
15
Bewley-Taylor & Jelsma 2016 [Accessed 11. 09. 2020]; Jelsma 2016 [11. 09. 2020].
16
Galain Palermo, 2018, 859 – 908.
17
Fijnaut & De Ruyver 2015, 30 ff.
18
On this issue see my articles: Galain Palermo 2014, 34 – 53; 2015, 55 – 82; 2018, 859 –
908.
19
Art.1: “It is hereby declared to be in the public interest those actions aimed at protecting,
promoting and improving the public health of the population through a policy aimed a mini-
mising the risks and reducing the harm from the use of cannabis, that provides proper in-
formation, education and prevention on the consequences and prejudicial effects linked to the
said consumption as well as the treatment, rehabilitation and social reintegration of pro-
blematic drug users.”
20
On the legislative process and the implementation of the regulated market see: Gutiérrez
2016; Musto 2017; Sanjurjo 2013; Garat 2012; 2014; Compare with, Shannon 2016, 43 – 53.
21
http://www.ircca.gub.uy/aviso-sobre-dispensacion-en-farmacias/; https://www.elobserva
dor.com.uy/el-estado-y-empresarios-se-echan-culpas-el-faltante-cannabis-n1170921 [11. 09.
2020].
920 Pablo Galain Palermo

a lack of variety in the cannabis22 with a low concentration of THC23 and few points of
sale. Along with Hans-Jörg Albrecht24 we have observed the rise of a grey market25
which operates by taking advantage of possible failings in the law (e. g. prohibition on
the sale to tourists,26 exclusive sale through pharmacies, delays in implementing the
regulated medicinal market27) and the possible mistakes in the implementation (e. g.
political-bureaucratic red tape in the implementation of the medicinal market).28 Fur-
thermore, as well as these inconveniences there is the added absence and lack of pre-
cise official figures in various areas (for example, public health and criminal justice)29

22
Whilst in Canada 250 types of cannabis with different levels of Tetrahidrocannabinol
(THC, psychoactive component) and Cannabidiol (CBD, medicinal component) are produced,
in Uruguay just two types of recreational cannabis and one medicine whose component has to
be imported from Switzerland have been authorised. In Uruguay, the rules continue to be set
by Big Pharma. http://monitorcannabis.uy/regulacion-del-cannabis-en-canada-conferencia-del-
dr-mark-ware/?_sf_s=mark+ware; http://www.expocannabis.uy/cannabis-medicinal-las-difi
cultades-para-acceder-producir-y-recibir-farmacos-desde-el-exterior/ [11. 09. 2020].
23
This was stated by Dr Raquel Peyraube, president of the Uruguayan Society of Endo-
cannabinology http://www.porro.com.uy/la-marihuana-del-estado-pega-nada-segun-especiali
sta/. See also, https://www.pagina12.com.ar/71920-uruguay-con-sindrome-de-abstinencia
[11. 09. 2020].
24
https://csl.mpg.de/en/research/projects/implementation-and-consequences-of-legalizing-
marijuana-in-uruguay-2/.
25
http://monitorcannabis.uy/a-tres-anos-de-la-aprobacion-mercados-grises/ [11. 09. 2019].
The existence of a grey market is a controversial issue as the diversion of cannabis from the
regulated or white market for its (illegal) sale is according to Prof Albrecht a black market.
However, I am of the opinion that even though the logic of this market is that of a black
market, there is a difference between the grey market (made up of products diverted from the
regulated market) and the black market due to the legal origin of the product. I think one can
distinguish between an operator in the black market who sells a product that is totally unlawful
in origin and the operator of the grey market, who is regulated and forms part of the white
market in any one of its forms (self-grower, member of a cannabis club or a producer-seller
licensed by the state) and sells the substance produced when they are not authorised to do so.
Boyd and Peters defend the existence of the grey market as the setting in which products that
were legally produced are illegally distributed or sold. See Boyd & Peters 2006, 106 – 120. But
Albrecht also accepts the existence of grey markets for crimes related to trafficking and un-
lawful markets Albrecht 2001b, 89, 95.
26
http://internacional.estadao.com.br/noticias/geral,maconha-legalizada-no-uruguai-chega-
ao-trafico-e-a-turistas-governo-reage,70002176525 [11. 09. 2020].
27
https://www.elpais.com.uy/informacion/cannabis-medicinal-accede-recetas.html [11. 09.
2020].
28
The number of purchasers reached 33,239 by January 21st of 2019 and there were 17
pharmacies that sold it in all of Uruguay; http://monitorcannabis.uy/informe-de-dificultades-
en-la-implementacion-de-la-regulacion-del-cannabis-de-uso-medico-en-uruguay/ [11. 09.
2020]. In July 2020 the purchasers increased to 41,372 and the number of pharmacies fell to
14; https://www.ircca.gub.uy/ [18. 08. 2020].
29
This is how Baudean puts it in various reports on the application of justice, security and
social harmony, Baudean 2019.
A Difficult Relationship 921

for the proper analysis of regulation in terms of those areas set out in the law.30 Whilst
these problems are being overcome, a new problem has arisen which has further com-
plicated the supply of the market: the relationship and interaction of regulated market
operators with the banks and the financial world.31
In 2017, the private banks and even the Bank of the Republic of Uruguay (BROU)
announced that they would no longer offer their services to any agents involved in the
regulated (legitimate) cannabis market, arguing that to accept money from these ac-
counts would lead to difficulties in their foreign operations and with their payments
and securities clearance processes with bank headquarters located in the USA,32
whose federal system views cannabis as a forbidden substance and those who deal
in it as possible money launderers.33 The prohibition that pertains to the US banks
indirectly affects foreign banks that have accounts in correspondent banks in
order to process their transfers in US dollars.34 Thus, a legitimate market operating
at a national level bears the brunt of a public policy (in banking) that is based on the
legal situation pertaining to a third-party state. On the basis of not being able to carry
out inter-banking operations (clearance of payments and securities, mainly), the
banks have forced some pharmacies (points of sale of regulated cannabis produced
and supplied by the Uruguayan state) to desist from the sale of cannabis,35 putting at
risk the supply of the product to more than 41,000 duly registered consumers.

3. Brief Reference to the Situation


in the Regulated Cannabis Markets in the USA
When the state of California legalised medicinal cannabis in 1996, the banks
placed themselves on alert to prevent the opening of accounts connected to that in-
dustry. The conflict worsened in 2012 when the states of Colorado and Washington
legalised the recreational use of cannabis. By mid-2020, 33 US states and the District
of Columbia legalised medicinal use and 11 did the same for recreational cannabis

30
The regulatory process has been severely criticised by the international press: “The
secrecy and the lack of information are other factors in this unique Uruguayan process that
should bring the transparency of the legal world to the drugs world … Which is why the
legalisation sometimes takes on the airs of a great farce.”; https://elpais.com/internacional/
2016/12/11/america/1481489820_396161.html [11. 09. 2020].
31
https://findesemana.ladiaria.com.uy/articulo/2017/9/bancos-y-marihuana/#subscribe-foo
ter [11. 09. 2020].
32
https://www.telesurenglish.net/news/Mujica-Battles-Banks-Over-Legal-Cannabis-Sales-
in-Uruguay-20170817-0029.html [Accessed 11. 09. 2020].
33
https://edition.cnn.com/2019/03/14/perspectives/cannabis-businesses-banking/index.html
[11. 09. 2020].
34
http://www.bbc.com/mundo/noticias-41019446 [11. 09. 2020]. See Kilmer 2017,
www.rand.org [11. 09. 2020].
35
Jordan 2018.
922 Pablo Galain Palermo

use.36 Almost all of the states that have regulated recreational cannabis did so in re-
sponse to popular demand that through public consultations forced legislative
change.37 The regulation of the recreational cannabis markets is in clear conflict,
not only with US federal law, but also international treaties. This situation has led
to the banks that operate at a federal level deciding to avoid any type of transaction
with people who participate in any fashion in the regulated market of a substance that
is prohibited at a national level.
Due to the conflict with the banks, the cannabis industry in the USA has become a
cash-industry in which almost all transactions are made in cash,38 in a market which
in 2016, in Colorado alone, moved around one billion dollars.39 Those who wish to go
through banks employ strategies to get around the banking compliance systems,
through which societies are created to wipe clean any trace of the money coming
from the legal sale of cannabis, which is legal at a state level but illegal at a federal
level. In the USA, these operations could be considered as money laundering as the
production and sale of cannabis is forbidden under federal law. As far as substantive
criminal law is concerned, money laundering can only occur when one wants to wipe
clean any trace of the illicit origin of money arising from certain criminal activities
considered to be numerus clausus (predicate crimes) and not in any other circumstan-
ces.40 In Uruguay there could be no money laundering when the origin of the money is
lawful e. g. there is no money laundering when the money arises from any of the trans-
actions in the regulated market. As can be seen in the US case, the legal cannabis
industry is forced by the banking system to make one of three decisions: a) dispense
with their services and operate in cash; b) use local banks that take on the responsi-
bility vis à vis the federal banking norms; or c) behave illegally in order to remain
within it.
In the USA, the specialist literature holds that the only solution to the problem is
the removal by Congress of cannabis from Schedule I of the list (where the drugs that
cause greatest harm to health, with which there is a danger of addiction and have no
medicinal use are to be found) and to be relocated to Schedule II, along with the con-
trolled substances and those that have a medicinal use.41

36
Alaska, California, Colorado, Illinois, Maine, Massachusetts, Nevada, Oregon, Wash-
ington, Washington D.C., Vermont; https://thecannabisindustry.org/ [07. 08. 2020].
37
https://www.tni.org/files/gdpo1.pdf [11. 09. 2020]. The only case where it was a govern-
mental decision was in Vermont; https://legislature.vermont.gov/bill/status/2018/H.511 [11. 09.
2020].
38
https://www.reuters.com/article/us-usa-house-cannabis/bill-to-let-banks-work-with-canna
bis-companies-advances-in-us-house-idUSKCN1R91R6 [11. 09. 2020].
39
http://www.businessinsider.de/americas-marijuana-companies-cant-put-money-in-banks-
2015-11?r=US&IR=T [11. 09. 2020].
40
Galain Palermo 2020, 116 ff.
41
Personal communication of the author with Drs. Rosalie Liccardo Pacula and Beau
Kilmer from the RAND Drug Policy Research Center (20. 01. 2018). See https://www.rand.org/
[11. 09. 2020].
A Difficult Relationship 923

4. The Regulated Cannabis Market in Uruguay


According to the National Household Survey of 2014, there were approximately
160,000 cannabis consumers in the previous year.42 It was found that “23.3% of peo-
ple between the ages of 15 and 65 years of age had consumed marihuana at some
point in their lives, and 9.3% stated they had consumed the substance in the previous
12 months (161,000 people) and 6.5% in the previous 30 days.”43 The report talks in
terms of 21,255 daily consumers, half of whom were problematic consumers.44
Law 19,172 of 2013 regulated the medicinal, industrial (hemp) and recreational
cannabis market. To do so, Uruguay determinedly faced down the drug prohibition
system at an international level,45 of which it demanded an interpretation of policy
and the conventions that took into account human rights treaties46 and at a local
level, a harm reduction health policy that administratively regulated the production
and routes of access to the product and even created “Manuals for Action” for the
police in order to provide greater security for consumers.47 The creation of this mar-
ket, however, was announced in 2012 as part of a public security policy, one of 13
measures the government proposed to achieve greater social cohesion and to fight
crime.48 Thus, Uruguay placed itself in the experimental line of separating markets
which countries like the Netherlands had done,49 though internally the Uruguayan
government did not announce it as a public health and harm reduction policy but rath-
er as a crime and public security policy. Internationally, according to what was stated
42
https://www.gub.uy/junta-nacional-drogas/comunicacion/publicaciones/vi-encuesta-nacio
nal-en-hogares-sobre-consumo-de-drogas-2016, p. 63 [11. 09. 2020]. According to the IRCCA,
which uses the same document as a baseline, the number of consumers is 147,000; https://
www.ircca.gub.uy/wp-content/uploads/2018/05/InformeMercadoReguladoCannabis-
05abr2018.pdf, p. 2 [11. 09. 2020].
43
See footnote 68, 63.
44
Ibídem, 68, 70.
45
Jelsma 2013; https://www.tni.org/en/article/incb-vs-uruguay-the-art-of-diplomacy-0
[11. 09. 2020]; Von Hoffmann 2016, 30; https://www.elpais.com.uy/informacion/uruguay-res
ponde-onu-exige-actualice-estrategia-antidrogas.html [11. 09. 2020].
46
Estrategia Nacional para el abordaje del problema Drogas 2016.2020, JND, 11 ff.; http://
www.pensamientopenal.com.ar/system/files/2016/07/doctrina43806.pdf; http://www.infodro
gas.gub.uy/index.php?option=com_content&view=article&id=1690:uruguay-confirma-estrate
gia-sobre-marihuana-ante-organismo-de-la-onu&catid=14:noticias&Itemid=59 [11. 09. 2020].
AAVV 2014, 14.
47
https://www.minterior.gub.uy/images/stories/ProtocoloCannabis_doblepagina.pdf [11. 09.
2020].
48
Repetto 2014, 13 ff.; http://www.scielo.edu.uy/pdf/rucp/v23n1/v23n1a05.pdf [04. 10.
2020].
49
Thus it was stipulated in the Unified Draft Bill sent by the Executive in 2012 to the
parliament for the regulation of the cannabis market; https://medios.presidencia.gub.uy/jm_
portal/2012/noticias/NO_F156/proyecto.pdf [11. 09. 2020]. The former president José Mujica
referred to the regulation proposal as a “socio-political experiment to deal with such a serious
problem as drug trafficking”; http://www.bbc.com/mundo/noticias/2013/12/131210_uruguay_
marihuana_legalizacion_aprueba_diplomacia_narco_irm [11. 09. 2020].
924 Pablo Galain Palermo

in international fora at the time, the goals of the Uruguayan policy were broader and
dealt with questions of: a) public health (harm reduction); b) social inclusion and pro-
tection of freedom (non-criminalisation of the consumer); c) fight against drug traf-
ficking and greater legal security (criminal policy) and d) uniting drug policy with the
duty to protect human rights (amalgamation of both international duties).50 The rea-
sons behind announcing different aims for the same policy locally and internationally
is not easy to explain, but the strong opposition of public opinion to the regulation of
the cannabis market as a harm reduction measure surely played a role. Fighting in-
security seems to be an easier accepted motive by a public that felt a fear of crime.
Although the policy on cannabis was announced as a public security measure,
from the objective data collated from the Uruguayan criminal system in the years
2009 and 2014 (cases prosecuted for drugs and murder), there is no noticeable rela-
tionship between cannabis and (lethal) violence that could lead one to believe that
regulating the market for this drug would result in a reduction in violent crime.
The data suggests that the hard illegal drug most associated with violence is cocaine
paste (crack),51 due to easy supply, low cost, highly addictive nature and a greater
capacity to destroy the body of the problematic consumer. At the same time the
legal cases indicate that the legal drug associated with violence is alcohol. 52 As
for cocaine paste, a criminal policy consisting of a hardening of criminal law was
proposed; whilst for alcohol some restrictions were placed on its sale and zero tol-
erance on driving under the influence.53 As for cannabis, a totally state-regulated sys-
tem for the production, transportation and sale was proposed.54
According to the law, the state assumes: “the control and regulation of the activ-
ities of importation, exportation, planting, growing, harvesting, production, procure-
ment in any form, storage, sale and distribution of cannabis and its derivatives, or
hemp when applicable.” (Art. 2 Law 19,172). To control these processes and act
as both police and judge in the administration and sanctioning of them, Art. 17 set
up the Institute for the Regulation and Control of Cannabis (IRCCA) as a non-
state legal body under public law.55 The law sets out three ways of obtaining cannabis:

50
See 2014, Expert Dialogue on Cannabis Regulation Models; https://www.tni.org/files/
download/informefinalsansebastian.pdf [11. 09. 2020].
51
This can also be seen in a recent study by the National Drugs Board (JND) carried out in
the “emergency ward” of a public hospital; https://www.gub.uy/junta-nacional-drogas/comuni
cacion/publicaciones/iii-estudio-sobre-consumo-de-drogas-en-consultantes-de-la-emergencia-
del [11. 09. 2020].
52
This data is analysed in a specific project on the regulation of the cannabis market in
Uruguay by the Max Planck Institute for the Study of Crime, Security and Law; https://csl.
mpg.de/en/research/projects/implementation-and-consequences-of-legalizing-marijuana-in-ur
uguay-2/ [20. 08. 2020]. On the problematic consumption of alcohol, see VI Encuesta Nacional
en Hogares sobre Consumo de Drogas, 2016 [12. 10. 2020].
53
Silva 2016.
54
Galain Palermo 2018; 2015; 2014; Walsh & Ramsey 2016.
55
See Cajarville 2016, 62 ff.
A Difficult Relationship 925

1. Home growing; 2. Membership of a cannabis club and 3. Purchase through phar-


macies. The consumers must enrol and chose just one of these routes. Access is only
permitted for over 18-year-old legally residing in Uruguay, who may obtain up to 480
grams per annum (40 grams per month). The IRCCA controls the quantity and quality
of production by private licensees. At the time of writing, there were 8,555 home
growers, 158 clubs (made up of between 15 and 45 members, with a total of
4,905) and 41,372 purchasers through pharmacies.56
The monopoly on the sale of cannabis has not been free from problems. Distribu-
tion is every fortnight with up to two kilos per delivery to the 14 pharmacies that pro-
vide it throughout the country (six of them in Montevideo). In order for every regis-
tered user to obtain 40 grams per month, the regulated market should have 800 points
of supply for the product. At the same time, the sale price is subsidised not only to
compete with the black market, but to be placed at an advantage in relation to it. The 5
grams per week that the pharmacies sell cost around 270 Uruguayan pesos (approx-
imately 5.37 Euros). The system was built to compete with and destroy the black mar-
ket, through an oligopoly that is characterised by a low price and level of production.
The result is that the legal market has become attractive due to the low price paid for a
quality product, but the other side of the coin is the low level of production and supply
shortages. The problem is that the state has to some degree encouraged a (legal) con-
sumption but cannot supply all the registered users. Thus, the consumers are once
again at the mercy of a clandestine supply from the black or grey market.57
As for the struggle for the market, the regulated system began to fully function
from July 2017 onwards. In the first year and a half of the full functioning of the regu-
lated market, the consumers could be supplied with one tonne through the pharma-
cies when it is calculated that they would need around nine tonnes to meet the de-
mand. In August 2020, the pharmacies received two tonnes when the market was cal-
culated to be around ten tonnes, which is why the IRCCA awarded three new licences
in the second semester of 2019 for the “state” production of recreational cannabis.58
Unlike the other regulated cannabis markets already functioning in the USA, the
Uruguayan one was not designed to encourage sales, although it has a profit-making
purpose through an oligopoly production with a set price for the five grams to be sup-
plied. This is a price-controlled market for which the IRCCA sets the price for the sale
through the pharmacies in order to maintain a “competitive” or “low” price in relation
to the illegal market. The “liberal” school of thought rejects price controls as it holds
that artificially maintaining a low price leads to that price not being governed by the
equation of costs plus profit margin = sale price.59 So, it encourages an excessive
consumption until the legal supply of the product in the regulated market has
56
https://www.ircca.gub.uy/ [07. 08. 2020].
57
Galain Palermo 2018; 2014.
58
Up to August 2020; https://www.ircca.gub.uy/ [07. 08. 2020].
59
See Lajugie 2006; Hayek 2008. On the relationship between capitalism and social
theory, see Guiddens 1971.
926 Pablo Galain Palermo

been exhausted. The low and interrupted amount of cannabis produced and supplied
in addition to the low price means that the legal cannabis supplied is quickly con-
sumed and many users are left with no supply. As there is an unmet demand and
there is a shortage in the market the supply from the illegal markets is strengthened.
Therefore, if this situation continues in the long term it will not compete with the
illegal market, but rather stimulate its development. The problem just described sug-
gests that the coverage of the system (production, distribution and points of sale)
should be quickly increased as it leaves legal consumers dissatisfied and unserved,
who may then turn to the grey or black market.
It is important to bear in mind that a regulated market monopoly requires a strict
system of control and oversight to avoid the diversion of the legal product and its
illegal distribution, as the emergence of grey markets is characteristic of monopolies
as has happened with alcohol and gambling to mention some examples governed by
the specialised doctrine.60
According to the calculations of the Cannabis Monitor in 2017, if every person
registered to obtain the product, received his or her 40 grams per month, the regulated
market would have taken 50% of the annual demand for cannabis in Uruguay from
the black market, which is equivalent to 22.5 million dollars not being received by the
black market operators.61 The international press has stated that “the system is col-
lapsing as production cannot keep up with demand.”62 For its part, the IRCCA report-
ed that in under a year of the whole regulated system being put into action, it had
already reached 54% of consumers in the market.63 In the period between 19. 07.
2017 and the 05. 04. 2018 there were 150,431 sales of 5 gram packets of cannabis
with a total of 752,155 grams being legally sold to 75.8% of the registered consum-
ers.64 Up to February 2nd 2019 each packet was priced at 220 Uruguayan pesos (ap-
proximately 6 Euros), thus the total value of sales was 902,580 Euros. According to
Daniel Radio, the new General Secretary of the National Drugs Board under the gov-
ernment of President Luis Lacalle, since 2017, the legal market has barely taken five
million dollars away from the illegal market so “the supply of psychoactive cannabis
for non-medical use is not sufficient, we are not able to meet demand.”65

60
Caulkins et al. 2012, 194, 221 ff.
61
According to the estimates of the Uruguayan Association of Cannabis Studies 80% of
the Uruguayan market is made up of Paraguayan cannabis. Ramsey 2013, 6; https://www.
insightcrime.org/images/PDFs/2016/uruguay_legalization.pdf [11. 09. 2020].
62
https://elpais.com/internacional/2018/04/16/mundo_global/1523868317_283821.html
[11. 09. 2020].
63
https://www.ircca.gub.uy/wp-content/uploads/2018/05/InformeMercadoReguladoCanna
bis-05abr2018.pdf, p. 2 [11. 09. 2020].
64
Ibídem, 7.
65
Semanario Búsqueda, Thursday 23rd of July 2020, 48.
A Difficult Relationship 927

5. Regulated National Market Subordinated


to National Foreign Policy
In the USA, banks have closed down accounts of operators in the regulated can-
nabis markets to avoid committing the crime of money laundering as cannabis is a
forbidden substance and hence makes all transactions connected to it unlawful. This
logic cannot be applied to the Uruguayan banks, except in the case of money gener-
ated in the black or grey markets.66 Unlike the USA, where all sale of the product is
prohibited at a federal level, in Uruguay it is permitted within the regulated market.
At a national level, market operators – regulated and under special administrative
control – should not have any problems carrying out commercial transactions within
this system. In the Uruguayan case, we are dealing with a market that is subjected to
strict control on registration of the consumers and the sellers, as well as a strict control
on licences and the production quantities authorised by the IRCCA, which means it is
not impossible to determine the source and amounts of money that come from the
regulated market. The companies licenced to produce cannabis to supply the recrea-
tional market pay an annual fee for the licence, their monthly production is capped,
and they have a profit rate similar to that of the agricultural producers of 15% and
have to pay taxes equivalent to 10% of sales. The pharmacies for their part are exempt
from paying tax and receive a profit of 30% on sales; i. e. they use the same regime for
cannabis as they do for medicines.67 Furthermore, all purchases and sales are made
with corresponding receipts through the IRCCA.68 The consumers are officially reg-
istered and can only acquire up to 40 grams per month of a product that has a set price.
The IRCCA has access to the register from which the monthly transaction figures are
obtained. There may not be in Uruguay a greater more precise and thorough control
of the source of money and the amount of transactions than that which exists in the
regulated market of cannabis. Given that one of the basic aims of the recommenda-
tions on money laundering is transparency, an increase in controls and facilitating
international cooperation, it is surprising that the Uruguayan authorities have not in-
formed the US federal banking authorities on the strict regulations and control in
place, in order to avoid the emergence of the same problem that has existed for
years between the banks and the cannabis industry in the regulated US markets.

66
Such a possibility had been foreseen in the USA, as one of the concerns of the regulators
of the Colorado model was the possible diverting of cannabis produced by private home
growers in the regulated market. See Pardo 2014, 734. An example of this is the cannabis
“tastings” offered by clubs to tourists; http://www.busqueda.com.uy/nota/turistas-apelan-
aplicaciones-y-tours-para-catar-marihuana-uruguaya/ls-283-356d86e01a49a9255822 [11. 09.
2020].
67
According to the press “for every sale of 2 kilos of cannabis the pharmacies earn 20,000
Uruguayan pesos”; https://www.elobservador.com.uy/gobierno-impulsa-la-creacion-minimerca
dos-marihuana-n1146892 [11. 09. 2020]. Twenty thousand Uruguayan pesos is approximately
570 Euros.
68
Data is from personal communication with the IRCCA on April 10th 2018.
928 Pablo Galain Palermo

This omission and lack of foresight should be seen as a serious endogenous defect of
the process of implementing a regulated market in Uruguay.
This endogenous defect, has however, been exacerbated by exogenous factors.
The problem that has arisen between the banks and the legal cannabis market,
goes far beyond what the law’s promoters could have foreseen when it came to im-
plementing an alternative path to the total prohibition of drugs internationally viewed
as illegal. Of course, the BROU cannot hold bank accounts for, nor work with, people
linked to the illegal cannabis market, who should be reported to the criminal justice
system where there is the slightest suspicion of a money laundering crime being com-
mitted; however, as for the operators in the legal cannabis market, the bank’s refusal
to open accounts is one of simple commercial interests that prioritise the international
banking system. That said, it should be clear that the situation of the banks in Uru-
guay and the USA is quite distinct, as in the USA what could be considered money
laundering under federal law (which prohibits all transactions with a prohibited sub-
stance), in Uruguay there is no offence as along as the money is not from an unlawful
source or a conduct that is typified as a predicate crime for money laundering. Thus,
there is no basis to the argument of preventing money laundering as a justification for
the Uruguayan banks’ actions regarding operators in the regulated cannabis market.
The private and state banks of Uruguay decided to close their doors on the regu-
lated market out of fear of losing their correspondence functions in the USA, with
which they operate in dollars at an international level. For the Uruguayan financial
system, the norms that regulate banking seem to take precedence over the norms on
public health, public security and human rights, which is the argument that was used
by Uruguay to defend Law 19,172 before UN bodies responsible for drug policy (in
Vienna, UNODC, and in New York, UNGASS 2016).69 Are we faced with competing
political interests that follow a logic different to that of the regulation of the Uruguay-
an cannabis market and which are decided upon according to the economic criteria of
maximising financial income and forces us to rethink the design of the regulated mar-
ket? If our starting point is that the cannabis law is a product of Parliament: What
democratic legitimacy validates the Uruguayan public banks’ position? It is true
that the banks are connected and globalised and that there exists a tacit principle
of not clashing with the norms of another bank with which there is a relevant business
relationship. However, a state bank should prioritise the common good and the util-
itarian principle of the greater good of the citizens, so on a cost-benefit basis, they
would have to decide between prioritising the local law or defend a good commercial
relationship at an international level. This is a clear example of the complexity con-
comitant with the implementation of national laws on (illegal) drugs, that propose to
consider them a (legal) product in the market.
69
Uruguay promoted Resolution 51/12 of 2008 which sought to adjust international human
rights instruments to encompass aspects related to drug policies. See also Junta Nacional de
Drogas, 2016; http://docplayer.es/80492685-Repercusiones-del-problema-mundial-de-las-dro
gas-en-el-ejercicio-de-los-derechos-humanos.html [04. 10. 2020]. On UNGASS 2016, Galain
Palermo 2018, 348 ff.
A Difficult Relationship 929

6. Final Remarks
From a political point of view, the Uruguayan authorities have stated that the only
possible solution to the problems between the regulated recreational cannabis market
and the banking system is for the USA to reclassify cannabis placing it in Schedule II
alongside controlled substances and substances for medical use.70 This is a simplistic
solution as it demands that they implement something which Uruguay itself has not
implemented. If it were the only possible solution this would mean that we would be
dealing with a situation where a law on national public drug policy was totally de-
pendent for its implementation on changes to a foreign legal system.
The partial implementation of the regulated recreational cannabis market has led
to inconveniences in the supply, a situation which has been worsened by the refusal of
the banks to receive funds from it, which has prevented more sales points from join-
ing the system. The state faces difficulties in guaranteeing the functioning of the mar-
ket, on the one hand, it cannot ensure access to cannabis for registered users and on
the other hand, it cannot provide financial security to those who have to supply con-
sumers. Thus, it has put at risk not only the proper functioning of the market but also
its very existence.
Meanwhile, the illegal (black and grey) markets continue to operate to meet the
demand of those who have not opted for the other legal means of procurement and
those tourists who are prevented from doing so.71 The regulated market policy should
be strengthened as in the case of a retreat or abandoning of it, it is the illegal market
that will be strengthened and as happens in the prohibitionist regimes, the only path-
way open to protect public health will be the application of criminal law, which as we
know has failed right from the beginning.
Uruguay should think in terms of a more developed regulated cannabis market,
with a greater volume of production and sales, with more providers in addition to
the pharmacies i. e. a market that without giving up on prevention and control of con-
sumption within a framework of discouraging it, can at the same time pursue trans-
parent financial and tax goals. It would be a regulated market orientated towards
harm reduction and human rights without preventing the participants in the market
meeting their economic aims (who will have to carry out significant investments to
set up a financial system outside that of the traditional one dominated by the banks)
nor the Uruguayan state which needs to collect taxes with which it can finance the
IRCCA, programmes for the prevention and the repression of drug trafficking, pro-
grammes for prevention and responsible consumption, the research programmes on
medicinal cannabis, the industrial initiatives and furthermore maintain a competitive
price and quality product without the need for it to be subsidised.

70
http://www.elobservador.com.uy/peligra-la-venta-marihuana-falta-solucion-bancaria-
n1106834 [11. 09. 2020].
71
http://www.montevideo.com.uy/Noticias/Uruguay-tuvo-el-mayor-aumento-en-consumo-
de-cocaina-y-cannabis-en-Sudamerica-uc336269 [11. 09. 2020].
930 Pablo Galain Palermo

The situation with the banks seems to force the regulated system to seek an extra
financial alternative and to proceed like those who carry out money laundering op-
erations, or in the end, carry out all operations in cash, which does not seem compat-
ible with a public policy that was implemented in order to improve security indica-
tors.
The conflict between the banks and the regulated cannabis market operators gives
rise to a complicated and irrational situation from a political point of view, which
endangers all the aims pursued by public policy on the issue of cannabis. On the
one hand, Uruguay is the first country in the world to regulate the cannabis market
for medicinal, industrial and recreational use, and on the other hand, it is the first one
where the finance and banking system forces the operators in the national legal mar-
ket to act according to the logic of a money laundering operation in order to keep their
accounts open, as if they were criminals participating in an illegal market.

References

AAVV (2014): Percepciones institucionales sobre los alcances de la implementación de la ley


de regulación de marihuana, Open Society Foundation/Friedrich Ebert Stiftung, September.
Montevideo.
Albrecht, H.-J. (2001): The International System of Drug Control: Developments and Trends,
in: J. Gerber & E.L. Jensen (eds.), Drug War American Style. The Internationalization of
Failed Policy and Its Alternatives. New York, pp. 49 – 60.
Albrecht, H.-J. (2004): Kontrolle der Cannabismärkte: zwischen freiem Markt und strafrecht-
licher Prohibition, in: C. Grafl & U. Medigovic (Hrsg.), Festschrift für Manfred Burgstaller
zum 65. Geburtstag. Wien, pp. 453 – 469.
Albrecht, H.-J. (2006): Conflict Perspectives: Dealing with Wrongs in the Middle East, in: H.-J. Al-
brecht, J.-M. Simon, H. Rezai, H.-C. Rohne & E. Kiza (eds.), Conflicts and Conflict Resolution
in Middle Eastern Societies – Between Tradition and Modernity. Berlin, pp. 1 – 12.
Albrecht, H.-J. (2010a): Drug Policies in Europe, in: M. Groenhuijsen, T. Kooijmans & T. de
Roos (eds.), Fervet Opus: Liber Amicorum Anton van Kalmthout. Apeldoorn, pp. 11 – 21.
Albrecht, H.-J. (2010b): Gewaltkriminalität – Ursachen und Wirkungen, in: D. Dölling, B. Göt-
ting, B.-D. Meier & T. Verrel (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift für
Heinz Schöch zum 70. Geburtstag am 20. August 2010. Berlin, pp. 31 – 47.
Albrecht, H.-J. (2017): The Shift of Security: Changing Concepts of Security?, in: Z. Chen &
Z. Zhou (eds.), New Reports in Criminal Law 10. Beijing, pp. 329 – 347.
Albrecht, H.-J. & Paoli, L. (2002): Cannabis Policies in Frankfurt, in: Ministry of Justice [The
Netherlands] (ed.), European City Conference on Cannabis Policy, 6, 7, 8 December 2001.
Conference book. Utrecht, pp. 75 – 89.
Baudean, M. (2019): Five years of cannabis regulation in Uruguay: What are the changes in
health, security and justice? What can we learn from the Uruguayan experience of regula-
tion? 13rd Conference of the International Society for the Study of Drug Policy. Paris,
14 – 17 May 2019.
A Difficult Relationship 931

Bewley-Taylor, D., Blickman, T. & Jelsma, M. (2014): The rise and decline of cannabis prohi-
bition. The history of cannabis in the UN drug control system and options for reform. Trans-
national Institute. Amsterdam.
Bewley-Taylor, D. & Jelsma, M. (2016): UNGASS 2016: A Broken or B-r-o-a-d Consensus? UN
summit cannot hide growing divergence in the global drug policy landscape. Drug Policy
Briefing, 45, June; https://www.tni.org/files/publication-downloads/dpb_45_04072016_web.
pdf.
Boyd, J. & Peters, C. (2006): The underground mall: An investigation of factors influencing
gray market consumption. International Journal of Retail & Distribution Management 34,
pp. 106 – 120.
Cajarville, J. (2016): Régimen jurídico administrativo de la marihuana, en: A.A. Gutiérrez et al.
(eds.), La regulación del cannabis en Uruguay. Montevideo, pp. 41 – 72.
Caulkins, J., Hawken, A., Kilmer, B. & Kleiman, M. (2012): Marijuana Legalization. What
everyone needs to know. New York.
Fijnaut, C. & De Ruyver, B. (2015): The Third Way. A plea for a Balanced Cannabis Policy.
Leiden.
Galain Palermo, P. (2014): ¿Regular o prohibir? Cuestiones abiertas ante la regulación jurídica
del cannabis en Uruguay. Revista Penal 34, pp. 34 – 53.
Galain Palermo, P. (2015): ¿Existe un nuevo modelo de regulación jurídica del cannabis? Cues-
tiones abiertas ante la regulación jurídica del cannabis en Uruguay. Anatomia do Crime 2,
pp. 55 – 82.
Galain Palermo, P. (2018): The Uruguayan Model of Regulating Cannabis – Legal and geopol-
itical questions. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 130 (3), pp. 859 – 908.
Galain Palermo, P. (2020): El delito de lavado de activos: ¿cómo y hasta dónde dirigir la política
criminal internacional de lucha contra enemigos cuando se trata de los amigos?, in: R. He-
fendehl & P. Galain Palermo, El Derecho Penal Económico en su dimensión global. Dogmá-
tica, criminología y política criminal, Bdf. Buenos Aires, Montevideo, pp. 73 – 176.
Garat, G. (2012): Marihuana y otras yerbas. Prohibición, regulación y uso de drogas en Uru-
guay, Debate. Montevideo.
Garat, G. (2014): El Camino. Como se reguló el cannabis en Uruguay según sus actores polít-
icos y sociales. Friedrich Ebert Stiftung. Montevideo.
Guiddens, A. (1971): Capitalism and modern social theory. Cambridge.
Gutiérrez, A. (ed.) (2016): La regulación del cannabis en Uruguay. FCU. Montevideo.
Hayek, F. (2008): Prices and Production and Other Works: F.A. Hayek on money, the business
cycle, and the gold standard. Ludwig von Mises Institute. Alabama.
Hoffmann, J. von (2016): The international dimension of drug policy reform in Uruguay. Inter-
national Journal of Drug Policy 34, pp. 27 – 33.
Jelsma, M. (2013): INCB vs Uruguay: the art of diplomacy; https://www.tni.org/en/article/incb-
vs-uruguay-the-art-of-diplomacy-0.
Jelsma, M. (2016): UNGASS 2016: Watershed event or wasted opportunity?; https://www.tni.
org/en/article/ungass-2016-watershed-event-or-wasted-opportunity.
932 Pablo Galain Palermo

Jordan, E. (2018): Marijuana legalisation in Uruguay; https://www.centreforpublicimpact.org/


case-study/marijuana-legalisation-in-uruguay/.
Junta Nacional de Drogas (2016): Repercusiones del problema mundial de las drogas en el ejer-
cicio de los derechos humanos. Aporte de Uruguay a la implementación de la resolución Con-
tribución del Consejo de Derechos Humanos a la Sesión Especial de la Asamblea de ONU
sobre el Problema Mundial de las Drogas 2016; http://docplayer.es/80492685-Repercusiones-
del-problema-mundial-de-las-drogas-en-el-ejercicio-de-los-derechos-humanos.html.
Junta Nacional de Drogas (2016): VI Encuesta Nacional en Hogares sobre Consumo de Drogas,
2016. Informe de investigación; https://www.gub.uy/junta-nacional-drogas/sites/junta-nacio
nal-drogas/files/documentos/publicaciones/201609_VI_encuesta_hogares_OUD_ultima_rev.
pdf.
Kilmer, B. (2017): Considering Cannabis Legalization in Canada. Prices, Taxes, and Interna-
tional Implications. Before the Standing Committee on Health House of Commons of Can-
ada, September 14, Rand Corporation; www.rand.org.
Lajugie, J. (2006): Los sistemas económicos, Eudeba. Buenos Aires.
Musto, C. (2017): Regulating Cannabis Markets. The construction of an innovative drug policy
in Uruguay, (PhD) thesis, University of Kent, Utrecht University.
Pardo, B. (2014): Cannabis policy reforms in the Americas: A comparative analysis of Colo-
rado, Washington, and Uruguay. International Journal of Drug Policy 25, pp. 727 – 735.
Ramsey, G. (2013): Uruguay: Marijuana, Organized Crime and the Politics of Drugs; https://
www.insightcrime.org/images/PDFs/2016/uruguay_legalization.pdf.
Repetto, L. (2014): Regulación del cannabis: ¿Un asunto de seguridad? Entrada y mantenimien-
to en agenda de un problema de política pública, Revista Uruguaya de Ciencia Política, pp. 6 –
34; http://www.scielo.edu.uy/pdf/rucp/v23n1/v23n1a05.pdf.
Samper, E. (2013): Drogas. Prohibición o legalización. Una nueva propuesta, Debate. Colom-
bia.
Sanjurjo, D. (2013): Análisis del Proyecto de Ley. La conveniencia de regular el Mercado de
cannabis en Uruguay. Universidad Autónoma de Madrid. Madrid.
Shannon, B. (2016): Decriminalization of Cannabis in Portugal, Uruguay and Netherlands: Les-
sons Learned, in: N.E. Marion & J.B. Hill (eds.), Legalizing Marijuana. A Shift in Policies
Across America. Durham, North Carolina, pp. 43 – 53.
Silva, D. (2016): Drogas y derecho penal en el Uruguay. FCU. Montevideo.
Thoumi, F. (2019): La marihuana no es una droga; https://www.bluradio.com/nacion/la-marihua
na-no-es-una-droga-experto-de-la-jife-advierte-riesgos-por-consumo-207826-ie3509872.
Turner, J. (2016): Recreational Marijuana Implementation in Colorado and Washington: Ref-
erendum v. Initiative, in: N.E. Marion & J.B. Hill (eds.), Legalizing Marijuana. A Shift in
Policies Across America. Durham, North Carolina, pp. 71 – 88.
Walsh, J. & Ramsey, G. (2016): Uruguay’s Drug Policy: Major Innovations, Major Challenges;
https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2016/07/Walsh-Uruguay-final.pdf.
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia
Legal Approaches and Comparative Analyses

By Georgi Glonti

Introduction
There is growing support for drug decriminalization – the elimination of criminal
penalties for drug use and possession. Increasingly, international organizations and
countries around the world are changing their drug policies by ending the criminal-
ization of those who use and possess drugs for their own personal use. The Chief Ex-
ecutives Board of the United Nations (UN), representing 31 UN agencies, have
adopted a common position on drug policy that endorses decriminalization of pos-
session and use.This event comes just days before a key meeting of the Commission
on Narcotic Drugs in Vienna, which will review the UN’s 10-year Global Drug Strat-
egy, and plan for the next one.1
The statement also positions drug policy clearly within public health, human
rights, and sustainable development agendas. Previously, the UN and World Health
Organization (WHO) in a joint statement had expressed their support for countries
that decriminalize laws related to drug use and the possession of drugs for personal
use.2 A little earlier, the WHO has called for drug decriminalization as a necessary
measure for public health but this joint statement with the UN represents another sig-
nificant step in the global movement for drug decriminalization.3
However, the implementation of this approach is far from uniform; in some coun-
tries with decriminalization, people continue to face prison sentences for possessing
small quantities of drugs.4 One such country is Georgia, where decriminalization of
1
UN Chief Executives Board for Coordination. Second regular session of 2018 Manhasset,
NY, 07 and 08. 11. 2018; https://transformdrugs.org/un-chief-executives-endorse-decriminalisa
tion/.
2
Joint United Nations statement on ending discrimination in health care settings. 27 June
2017 Statement; https://www.drugpolicy.org/blog/united-nations-and-world-health-organiza
tion-call-drug-decriminalization.
3
UN and the WHO call for decriminalization of drugs; https://www.opulens.se/english/un-
and-the-who-call-for-decriminalisation-of-drugs/.
4
Harsh Punishment. The Human Toll of Georgia’s Abusive Drug Policies 13. 08. 2018;
https://www.hrw.org/report/2018/08/13/harsh-punishment/human-toll-georgias-abusive-drug-
policies.
934 Georgi Glonti

Drugs consumption legislation already exists. However, there is a lot of confusion


and so-called black holes in specific legal acts that allow the criminal justice system
to continue to detain and convict people.

Drug Policies in Georgia During the Period 2003 to 2012


Georgia was known for its harsh drug policies and, like many post-Soviet coun-
tries, mainly focused on the prosecution and punishment of people who use drugs. In
2006, President Micheil Saakashvili announced a “zero-tolerance” policy against all
crimes, including drug possession. In 2006 he appealed to the Parliament of Georgia:
“I am announcing a new draft law with zero tolerance for petty crimes. I will introduce
amendments to the Criminal Code, which will abolish probation sentences for burglary,
mugging, pick-pocketing and possession of drugs. There will be no probation sentences. No
judge will be able to release someone based on their own views on humane reasons. Who
commits these crimes will go to prison because they damage our society.”5

After such a fiery speech by the President, real repressions against drug users were
started. Penalties for drug-related crimes harshened significantly. Drug crimes (Ar-
ticle 260 of Criminal Code) received the qualification of, especially grave crimes.
Most articles of the criminal code related to drugs envisaged high fines and impris-
onment of up to 14 years and even life imprisonment, exceeding punishments for
theft, murder, rape, and so on. The legislation did not differentiate between drug
users and dealers. This made it possible to judge a person who purchased narcotic
substances for personal use and a person who did this for distribution on equal
legal grounds and to sentence them with penalties of equal severity.6
Thousands of Georgian citizens were criminalized for the use of drugs. Drug users
and their families moreover were often the ones paying money through plea-bargain-
ing. Data has shown that over 44 million GEL was collected from people who use
drugs between 2008 and 2009 while only 2 million GELwas spent on their treatment
and other rehabilitation services offered annually.7
The grim reality in Georgia, which followed was mass incarceration of people
who use drugs, total street-testing practices, and a serious deterioration of health
and social conditions of the community of drug users. One-third of the country’s pris-
5
President Mikheil Saakashvili’s Annual Report to the Parliament of Georgia, February 14,
2006 at the Spring Session, Pages 26 – 27 (on Georgian, translated to English by Author);
https://bit.ly/20XKbl.
6
Crime and Excessive Punishment: The Prevalence and Causes of Human Rights Abuse in
Georgia’s Prisons – Report 2014, Chapter 2. Criminal Justice Policy and Practices 2003 –
2012, page18; http://issa-georgia.com/files/publications/ENGLISH/OSGF/OSGF.pdf [06. 07.
2020].
7
Human Rights Education and Monitoring Center, Unethical Drug Policy, 2014; https://
emc.org.ge/en/products/araetikuri-narkopolitika-erovnuli-kanonmdeblobisa-da-praktikis-analizi
[06. 07. 2020].
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 935

on population was incarcerated for drug-related offences, mostly for the possession
of illicit drugs for personal use. According to the criminal laws adopted in that time,
possession of drugs without the intent to distribute or supply in the amount of more
than small were a serious criminal violation, punishable with 20 years or lifetime im-
prisonment, depending on the amount involved.
The Georgian government’s zero-tolerance policy ended in complete collapse.
The number of inmates in Georgian prisons increased approximately threefold
which led to massive violations of human rights in the system (see table 1.) These
phenomena were the beginning of the end of the Saakashvili regime. His party “Na-
tional Movement” lost the parliamentary election in 2012.
Table 1
Number of Convicted Offenders and Prison Inmates in Georgia, 2001 – 20198
2001 2007 2012 2013 2016 2017 2018 2019
Number of Convicted
8,897 21,170 10,922 15,166 15,654 14,517 15,840 15,765
Offenders
Number of Prison
7,618 18,309 22,340 9,093 9,344 9,280 9,775 9,877
Inmates
Illegal production,
manufacturing,
acquisition, storage, 854 1,919 1,100 2,660 1,759 1,677 1,807 1,890
transportation and
sale of drugs

Changes in Drug Policies During the Period 2012 – 2019


The new government, under the leadership of party “Georgian Dream”,9 has de-
clared a liberalization of the criminal justice policy. As table 1 shows, the number of
prison inmates which had been 22,340 in 2013 was reduced to 9,093 after an amnesty
announced10 by the new government and has remained virtually unchanged for the
next seven years. However, the policy of liberalization only to a lesser extent impact-
ed on the policy related to decriminalization drug consumption. As we see in table 1,
the number of convicted offenders for drug crimes remained virtually unchanged
from 2007. This phenomenon is quite easy to explain, as the government had and
still has many opponents who try to hinder the real decriminalization of drug posses-
sion, such as the Orthodox Church, opposition parties, some scholars and medical

8
http://pc-axis.geostat.ge/PXweb/sq/cfce988a-5d59-4c5b-b6a3-c97434e4d0ff.
9
https://en.wikipedia.org/wiki/Georgian_Dream [06. 07. 2020].
10
The Law of Georgia on Amnesty was adopted on 12 January 2013. According to the
information of the Ministry of Corrections and Legal Assistance of Georgia, a total of 8,734
inmates were released from corrections facilities from 12 January 2013 to November 2014.
936 Georgi Glonti

professionals. Also, the prosecutors offered plea bargaining to the majority of drug
offenders which included the imposition of unlimited fines.

Figure 1: Drug Tests in Georgia, 2010 – 201811

Under public pressure, the new government had tightened preventive measures.
Thus, according to figure 1 during the three years from 2013 to 2015 more than
150,000 citizens were mandatorily tested for drugs by the police, among which
only 47,000 – roughly a third – had a positive result.
In 2015, the Georgian Ministry of Internal Affairs (MIA) issued a new special in-
struction – ordinance No. 725 – which included step-by-step guidelines on how to
administrate mandatory drug testing. The Administrative Offences Code of Georgia
provided punishment for first-time offenders, a 500 GEL fine, and administrative de-
tention up to 15 days for the purchase or storage of a small amount of drugs without
the intent to sell and/or use a drug without a doctor’s prescription. Reoffending is
expected to increase accountability and punished with higher fines and up to one-
year imprisonment, and in aggravating circumstances, the punishment can reach
14 years or life sentences.12
Such harsh practices of the government have caused discontentment among the
public. In the period between 2015 and 2018, civil society was actively pushing
the government to adopt alternative drug laws which would include: administrative
liability instead of the criminal for the possession of small quantities for personal use;
setting the quantities of the substances for the personal use above a one-day period;
changes of the norms on mandatory drug testing (grounds for testing should be stipu-
lated before a test is administered). Unfortunately, none of these changes was adopt-
ed, and Georgia continues to apply harsh laws on people who use drugs. One of the
main accusations is that Georgian authorities use this harsh drug policy as a weapon

11
https://info.police.ge/uploads/5c374ea780a6a.pdf [04. 07. 2020].
12
https://matsne.gov.ge/en/document/view/2994508?publication=0 [06. 07. 2020].
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 937

against their opposition, and as a significant resource to bolster the state’s income.
According to experts, this is why Georgia has not been in a hurry to liberalize legis-
lation. The state received more than GEL 13 million between 2009 and 2012 from the
payments of administrative violations. From 2013 to 2014 the country had received
GEL 11.1 million in the same way.13
During 2015 to 2018, human rights activists have begun the fight for the decrim-
inalization of drug possession by using such methods as unauthorized demonstra-
tions, flash mobs and other forms of protests. In December 2016, the organization
“White Noise Movement”14 held a protest outside the Parliament building calling
for the decriminalization of drugs, including cannabis.15 On New Year’s Eve of
2016, Girchi Party16 activists planted cannabis plants in 84 pots in the party’s Tbilisi
headquarters, in defiance of Georgian drug policy.17 Georgian police officers arrived
and confiscated the plants, but did not charge party members with any criminal of-
fence.18 On October 20 2018, Girchi Party activists held the Cannabis Legalization
Festival in the downtown of Tbilisi protesting the new aim of Parliament of
Georgia to pass a bill restricting the consumption of cannabis.19

The Role of the Constitutional Court in the Decriminalization


of Drug Consumption
One of the main tactics of fighting the rigorous drug policy has become the prac-
tice to appeal to the Constitutional Court of Georgia. The Constitutional Court of
Georgia has supported some cases related to the decriminalization of Marijuana.
Georgian citizen Tsikarishvili vs Parliament Georgia Constitutional Court October
24, 2015,20 was the first case in which the Court considered the constitutionality
of punishment for drug-related crimes. By its decision, the Court upheld the lawsuit
of a Georgian citizen Beka Tsikarishvili and declared the provisions of the law pro-
viding for the possibility of sentencing in the form of imprisonment for acquiring and
storing 70 grams of dried Marijuana for personal use to be unconstitutional. The

13
https://jam-news.net/marijuana-decriminalized-in-georgia/ [05. 07. 2020].
14
The White Noise Movement (Georgian: ) is a political
group founded in 2015 in the Republic of Georgia focused on drug decriminalization.
15
https://www.opendemocracy.net/en/odr/fighting-back-against-georgia-s-war-on-drugs/
OpenDemocracy. 2016-12-15 [06. 07. 2020].
16
Girchi (Georgian: , “pine cone”) is a libertarian political party in Georgia.
17
https://en.wikipedia.org/wiki/Cannabis_in_Georgia_(country).
18
https://www.theguardian.com/world/2017/jan/24/georgia-eases-draconian-law-cannabis-
landmark-ruling [06. 07. 2020].
19
https://www.voanews.com/europe/green-defiance-challenges-law-power-georgia [05. 07.
2020].
20
Georgian citizen Tsikarishvili vs. Parliament Georgia Constitutional Court case 1/4/592
of October 24, 2015; https://constcourt.ge/en/judicial-acts?legal=1043.
938 Georgi Glonti

Court regarded the practice of instituting criminal proceedings and imprisonment for
the consumption of Marijuana as unconstitutional and declared that “everyone has
the right to choose their own method of relaxation, including the use of marijuana,
as this is a personal, protected sphere of human life” and stated that the abolishment
of such practices is necessary.
In this regard the decision of the Constitutional Court of Georgia No. 1/13/732 of
November 30, 2017, should be noted, in which the Court, unlike in other cases, did
not consider the constitutionality of the punishment imposed for one of the criminal
acts, but assessed specific actions related to criminal prosecution for a drug crime. In
particular, in its decision on constitutional lawsuit No. 725, the Court ruled that it was
clearly not disproportionate in general to deprive a person for specific actions of his
liberty, but that the severity of the imposed punishment – imprisonment from six to
twelve years, with accordance to Criminal Code of Georgia, was disproportionate.
In addition to the above-mentioned decisions, the Constitutional Court subse-
quently accepted for consideration five more constitutional lawsuits related to
drugs and supported all five of them. All decisions on this subject adopted by the Con-
stitutional Court have a common structure and reasoning, but differ in specific char-
acteristics, among them:
Georgian citizen J. Gvianidze, D. Chomeriki, and L. Gagishvili vs. Parliament of Georgia:21
The authors of the constitutional lawsuit requested that the content of Article 265 (2) of the
Georgian Criminal Code should be declared unconstitutional, because of the punishment by
imprisonment from seven to ten years for illicit sowing, growing or cultivating of the plant
containing narcotics (cannabis) in large quantities;
Georgian citizen Lasha Bakhutashvili vs the Parliament of Georgia:22 The authors of the
constitutional lawsuit requested that the following sanction should be declared unconstitu-
tional: Punishment by imprisonment from five to eight years for manufacturing, purchasing
and storage of 0.00009 grams dorsomorphin.

A Comparison of Some Drug-Related Articles in the Criminal Code


of Georgia 2006 – 2018
The decisions of the Constitutional Court of 2015 to 2018 led to significant
changes in the Georgian Criminal Code. For illustrative purposes, we compare
some articles of the Criminal Code of 2006 and 2017 of the editorial office (see
the texts in the appendix).

21
Citizen of Georgia Jambul Gvianidze, Davit Khomeriki and Lasha Gagishvili v. the
Parliament of Georgia Recording Notice 71/21/701, 722, 725 the Constitutional Court of
Georgia.
22
Citizen of Georgia Lasha Bakhutashvili v. the Parliament of Georgia Recording Notice
71/2/696.
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 939

An analysis of the development of the criminal law related to drugs over the past
three years shows that there have been serious changes in the field of decriminaliza-
tion of consumption and liberalization of punishments in Georgia. In particular, there
was complete decriminalization of marijuana consumption, partial for storage and
cultivation (depending on quantity), sanctions for other drug crimes decreased on
average by 40 – 50%, with the exception of smuggling drugs on an especially
large scale.
In the 2018 Edition of Georgia’ Criminal Code, in comparison with the 2007
edition, articles: 260 Illegal Manufacturing, Production, Purchase, Storage, Trans-
portation, Transfer or Sale of Drugs, Their Analogs and Precursors, 265 Illegal
sowings or growing of plants containing narcotics, and Article 273. Illegal Produc-
tion, Purchase, Storage, Carrying, Transfer and/or Illegal Consumption without
Medical Prescription of a Narcotic Drug, it is Analog or a Precursor in Small Quan-
tity, were supplemented with a special clause that, in connection with the decrim-
inalization of purchase and possession (in a certain amount up to 100 grams) and
consumption of light drugs (Marijuana), providing for the exclusion of criminal
punishment for these acts.
The article 260 of the Criminal Code 2018 edition was supplemented with special
clause, which, following the decision of the Constitutional Court of Georgia, declares
unlawful the criminal punishment for possession of any drug by a minimum (micro-
scopic) amount, in particular, the drug Dorsomorphin in quantity (0.00009 gr.)
Also, Article 260 of the Criminal Code 2018 edition was supplemented with a spe-
cial note: which explains what should be considered as a voluntary rejection of con-
sump-tion of drugs and other psychoactive substances. In particular, a person must,
before the commencement of the investigation, declare in writing or through any
technical means of communication, about the intention to deliver drugs, their ana-
logues, precursors, new psychoactive substances, psychotropic substances, their an-
alogues or potent substances and actively assist in their seizure.
The article 265 of the Criminal Code 2018 edition was supplemented with a spe-
cial clause under the decision of the Constitutional Court of Georgia, declaring crim-
inal punishment unlawful for illegal sowing or growing of plants containing narcotics
(marihuana), for personal consumption purposes (amount up to 64 gr.), and declaring
imprisonment unlawful for a term of “six to twelve years” for the same action,
(amount up to 266 gr.)
Article 173.1 was newly included into the Georgian Criminal Code, which clearly
defines the penalties for the repeated purchase, possession, transportation, use and
sale of drugs. This provision significantly limits the application of measures related
to deprivation of liberty at the legislative level.
940 Georgi Glonti

Consequences of Drug Possession (Marijuana) Decriminalization


in Contemporary Georgia
For the initiation of the process for decriminalizing the consumption, storage and
production (cultivation) of Marijuana in Georgia, serious efforts were required from
active citizens and CSOs. Their intentions were actively opposed by the authorities,
especially law enforcement agencies, medical services and the church. However, the
perseverance and the right tactics for using the Georgian constitutional Court made it
possible to develop a mechanism for mitigating legal repressions against drug users
and relieved prisons.
The decriminalization of drug-related crimes allowed Georgia, along with several
European and other countries, to implement new humane approaches to drug addic-
tion which regard it as a disease and not as a crime.
After the ratification by the Parliament of Georgia of progressive changes in the
Criminal Code related to the decriminalization of drug consumption, it took about
two years for their impacts on the crime situation in Georgia to materialize (see
table 2).
A comparative analysis of the total number of registered crimes between 2016 and
2019 shows a relative increase in the total number of crimes in 2019 by about 40%, as
well as drug-related crimes by about 54% (+ 2142 crimes). However, fines or other
non-custodial sanctions were imposed for most of these crimes.

Conclusion
The study showed that the reform of the criminal legislation, in particular the lib-
eralization of the punishment for drug crimes and the decriminalization of the con-
sumption, purchase, possession, transportation of small quantities of drugs, in gen-
eral, was successful. Despite a slight increase in the figures for drug crimes, the num-
ber of persons sentenced to imprisonment has not increased, and also the number of
victims was sharply reduced to whom law enforcement officials planted drugs with
the purpose of blackmailing.
Table 2a
2016 2017 2018 2019
% register- % solv- % register- solv- %s
registered solved solved registered
solved ed solved ed solved ed ed solved
Total registered crimes 35,097 – – 35,998 – – 37,987 – – 58,402
Total drug crimes 5,196 4,782 92% 4,762 4387 92% 3,961 3,322 84% 6,103 4,573 75%
Among them:
Art. 260 – Purchase, storage
2,473 2,163 82% 2,327 2063 89% 2,450 2,039 83% 3,071 2,338 76%
and selling drugs
Art. 261 – Purchase, storage
and selling of psychotropic 96 91 95% 79 77 97% 57 34 60% 127 92 72%
substances
Art. 262 – Drug smuggling 248 204 82% 200 164 82% 183 121 66% 190 106 56%
Art. 263 – Smuggling of
20 19 95% 18 8 44% 19 6 32%
psychotropic substances
Art. 265 – Illegal sowing,
growing or cultivation of 178 173 97% 128 121 94% 379 354 93% 796 716 90%
plants containing narcotics
Art. 273, 273’ – Repeated
2,165 2,123 98% 1,998 1941 97% 863 765 89% 1,884 1,306 69%
consumption of drugs
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia

other Art. 264, 266 – 72, 274 9 2 22% 10 2 20% 11 1 9% 16 9 56%


a
Source: https://info.police.ge/page?id=247&parent_id=115.
941
942 Georgi Glonti

Appendix – Articles from the Criminal Code of Georgia,


200723 and 201824 Compared
2007

Article 260 – Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation,


transfer or sale of drugs, their analogs and precursors
1. Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation, transfer or sale of
drugs, their analogs or precursors, – shall be punished by imprisonment for up to six years.
2. The same action perpetrated:
a) in large quantities;
b) by a prior consent of a group;
c) by using one’s official position;
d) repeatedly;
e) by the one who has previously committed one of the offenses referred to in this Chapter
of this Code, – shall be punishable by imprisonment ranging from six to twelve years in
length.
3. The action referred to in Paragraph 1 or 2 of this Article, perpetrated:
a) in especially large quantities;
b) by an organized group, shall be punished by imprisonment for a term of twenty to a life
sentence.

Note: Criminal liability for committing the offenses referred to in this Chapter shall be lifted
up from the person who voluntarily hands over narcotics, analogy or precursor thereof, psycho-
tropic substance, its analogy or powerful substance if his/her action bears no signs of any other
crime.

2018

Article 260 – Illegal manufacturing, production, purchase,


storage, transportation, transfer or sale of drugs, their analogs,
precursors or new psychoactive substances
1. Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation, transfer or sale of
drugs, their analogs or precursors, – shall be punished by imprisonment for up to six years.
(The normative content of Section one, under which imprisonment may be imposed as a
criminal punishment for illegal purchase and storage of drugs namely of dried Marijuana
indicated in horizontal row 92 of Annex 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psy-
chotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance, shall be considered
void)

23
https://matsne.gov.ge/en/document/download/16426/157/en/pdf.
24
https://www.legislationline.org/documents/section/criminal-codes/country/29/Georgia/
show.
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 943

– Ruling No 3/1/708,709,710 of the Plenary Session of the Constitutional Court of Georgia


of February 26 2016 – website, 15. 03. 2016
(The normative content of Section one, under which imprisonment may be imposed as a
criminal punishment for purchase and storage of drugs, namely of raw Marijuana (up to
100 grams) indicated in horizontal row 92 of Annex 2 of the Law of Georgia on Narcotic
Drugs, Psychotropic Substances and Precursors, and Narcological Assistance, shall be
considered void)
– Decision No 3/1/855 of the Constitutional Court of Georgia of February 15 2017 – web-
site, 21. 02. 2017
2. Illegal manufacturing, production, purchase, storage, transportation or transfer of a new psy-
choactive substance, – shall be punished by imprisonment for up to five years.
3. The act defined in paragraph 1 or 2 of this Article that has been committed:
a) in large quantities, –
b) by a group of persons with a preliminary agreement;
c) using an official position, –
d) repeatedly;
e) by a person who has previously committed any of the offenses defined in this Chapter, –
shall be punished by imprisonment for a term of five to eight years.
(The normative content of Section Three, which provides for the possibility of applica-
tion of imprisonment as a criminal punishment for produc-tion, purchase, and storage of
a narcotic drug defined in the horizontal cell 33 of Annex No 2 of the Law of Georgia on
Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assistance,
namely of Desomorphine of an amount disputed by the claimant (0.00009 gr.), was de-
clared unconstitutional) – Decision No 1/8/696 of the Constitutional Court of Georgia of
July 13 2017 – website, 20. 07. 2017
4. Illegal sale of drugs, their analogs, precursors or new psychoactive substances, – shall be
punished by imprisonment for a term of six to eleven years.
5. The act defined in paragraph 4 of this Article that has been committed:
a) in large quantities,
b) by a group of persons with a preliminary agreement;
c) using an official position, – d) repeatedly;
d) by a person who has previously committed any of the offenses defined in this Chapter, –
shall be punished by imprisonment for a term of seven to fourteen years.
6. The act defined in this Article that has been committed:
a) in particularly large quantities;
b) by an organized group; – shall be punished by imprisonment for a term of eight to twenty
years or by life imprisonment.
Note:
1. Persons who voluntarily turn in drugs, their analogs, precursors, new psychoactive substan-
ces, psychotropic substances, their analogs or potent substances shall be released from crim-
944 Georgi Glonti

inal liability stipulated for the crimes defined in this Chapter unless there are elements of
another offense in their actions.
2. For the purposes of this Chapter, voluntary turning in shall mean only such actions when a
person, before the commencement of investigation declared in writing or through any tech-
nical means of communication, about the intention to deliver drugs, their analogs, precur-
sors, new psychoactive substances, psychotropic substances, their analogs or potent substan-
ces and actively assists in their seizure.
3. For an act defined in this Article, a legal person shall be punished by liquidation or depri-
vation of the right to carry out activities and a fine.
4. Paragraphs two and four of this Article shall apply to any quantity of a new psychoactive
substance.
5. The aggravating circumstances provided for by paragraphs 3(a), 5(a) and 6(a) of this Article
shall not apply to new psychoactive substances.
6. This Article (except for paragraphs 1 and 2 of the note of this Article) shall not apply to
narcotic drugs, namely to cannabis plant and Marijuana, defined in the cells 73 and 92 of
the list “Narcotic Drugs” provided for in the table of Annex No 2 of the Law of Georgia
on Narcotic Drugs, Psychotropic
7. Substances and Precursors, and Narcological Assistance.
Law of Georgia No 3530 of July 25 2006 – LHG I, No 37, 07. 08. 2006, Art. 271
Law of Georgia No 5184 of July 3 2007 – LHG I, No 28, 18. 07. 2007, Art. 281
Law of Georgia No 2236 of April 16 2014 – website, 28. 04. 2014
Law of Georgia No 3975 of July 8 2015 – website, 17. 07. 2015
Ruling No 3/1/708,709,710 of the Plenary Session of the Constitutional Court of Georgia of
February 26 2016 – website, 15. 03. 2016
Decision No 3/1/855 of the Constitutional Court of Georgia of February 15 2017 – website,
21. 02. 2017
Decision No 1/8/696 of the Constitutional Court of Georgia of July 13 2017 – website,
20. 07. 2017
Law of Georgia No 1221 of July 26 2017 – website, 28. 07. 2017

2007

Article 265 – Illegal sowing, growing or cultivation of plants


containing narcotics
1. Illicit sowing, growing or cultivating of the plant containing narcotics, shall be punishable
by fine or by imprisonment for up to five years in length.
2. The same action perpetrated:
a) in large quantities;
b) by prior consent of a group;
c) by using one’s official position;
d) repeatedly;
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 945

e) by the one who has previously committed one of the offenses referred to in this Chapter
of the Code,
– shall be punishable by prison sentences ranging from two to seven years in length.
3. The action referred to in Paragraph 1 or 2 of this Article, perpetrated:
a) in especially large quantities;
b) by an organized group, shall be punishable by prison sentences ranging from five to ten
years in length.

2018

Article 265 – Illegal sowing, growing or cultivation of plants


containing narcotics
1. Illegal sowing, growing or cultivation of plants containing narcotics, – shall be punished by a
fine or imprisonment for a term of two to five years.
(The normative content of Section One, which provides for imprisonment as a punishment
for illegal sowing or growing of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73 of Annex No
2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and
Narcological Assistance, name-ly of cannabis (plant), for personal consumption purposes,
was declared unconstitutional)
– Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 –
website, 20. 07. 2017
2. The same act committed:
a) in large quantities, –
b) by a group of persons with a preliminary agreement;
c) using an official position,
d) repeatedly;
e) by a person who has previously been convicted of committing any of the offenses de-
fined in this Chapter, shall be punished by imprisonment for a term of four to seven years.
(The normative content, which provides for imprisonment as a punishment for illegal sowing
or growing of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73 of Annex No 2 of the Law of
Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narcological Assis-
tance, namely of cannabis (plant) of an amount disputed by the claimant (up to 64 gr.), for per-
sonal consumption purposes, was declared unconstitutional)
– Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 – web-
site, 20. 07. 2017
(The normative content, which provides for imprisonment as a punishment for illegal sow-
ing, growing or cultivation of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73 of Annex No 2 of
the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Precursors, and Narco-
logical Assistance, namely of cannabis (plant) of an amount disputed by the claimant (up to 151
gr.), for personal consumption purposes, was declared unconstitutional)
946 Georgi Glonti

– Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 – web-
site, 20. 07. 2017
3. An act defined in paragraph 1 or 2 of this Article that has been committed:
a) in particularly large quantities;
b) by an organized group; shall be punished by imprisonment for a term of six to twelve
years.
(The normative content, which provides for imprisonment for a term of “six to twelve years”
as a punishment for illegal sowing or growing of a narcotic drug defined in the horizontal cell 73
of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs, Psychotropic Substances, and Pre-
cursors, and Narcological Assistance, namely of cannabis (plant) of an amount disputed by
the claimant (up to 266 gr.), for personal consumption purposes, was declared unconstitutional)
– Decision No 1/9/701, 722, 725 of the Constitutional Court of Georgia of July 14 2017 – web-
site, 20. 07. 2017
Note: For the commission of an act under this Article, a legal person shall be punished by a
fine, deprivation of the right to carry out activities or by liquidation and a fine.
Law of Georgia No 2937 of April 28 2006 – LHG I, No 14, 15. 5. 2006, Art. 90
Law of Georgia No 3530 of July 25 2006 – LHG I, No 37, 7. 8. 2006, Art. 271
Law of Georgia No 5184 of July 3 2007 – LHG I, No 28, 18. 7. 2007, Art. 281

2007

Article 273 – Illegal Preparation Purchase, Keeping


of Small Quantities of Narcotics, Its Analogy or Precursor for Personal Use
or Their Use without Doctor’s Prescription

Illegal preparation purchase, keeping of small quantities of narcotics, its analogy or precur-
sor for personal use or their use without doctor’s prescription, perpetrated after awarding an ad-
ministrative sentence for such practice,
– shall be punishable by fine or by socially useful labor from one hundred and twenty to one
hundred and eighty hours in length, or by jail time up to three months or by imprisonment for
the term not in excess of one year.

2018

Article 273 – Illegal Production, Purchase, Storage, Carrying, Transfer


and/or Illegal Consumption without Medical Prescription of a Narcotic Drug,
it is Analog or a Precursor in Small Quantity

Illegal production, purchase, storage, carrying, transfer or illegal consumption without med-
ical prescription of a narcotic drug, it is analog or a precursor in small quantity, committed by a
person who was subjected to an administrative penalty for committing an administrative offense
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 947

under Article 45 of the Administrative Offences Code of Georgia, or who was convicted for this
crime,
– shall be punished by a fine or community service from 120 to 180 hours or by imprisonment
for up to one year.
(The normative content of the words of Article 273 “illegal consumption without medical
prescription”, which provides for criminal liability for the consumption of Marijuana, a narcotic
drug defined in the horizontal cell 92 of Annex No 2 of the Law of Georgia on Narcotic Drugs,
Psychotropic Substances and Precursors, and Narcological Assistance, was declared invalidat-
ed)
– Decision No 1/13/732 of the Constitutional Court of Georgia of November 30 2017 – web-
site, 04. 12. 2017
Note: The fine under this Article shall not be less than twice the amount of the fine defined by
the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the commission of the
respective act.
Law of Georgia No 2937 of April 28 2006 – LHG I, No 14, 15. 05. 2006, Art. 90
Law of Georgia No 5184 of July 3 2007 – LHG I, No 28, 18. 07. 2007, Art. 281
Ruling No 3/2/771, 775, 776, 777, 786, 787, 788 of the Plenary Session of the Constitutional
Court of Georgia of September 29 2016 – website 11. 10. 2016
Ruling No 1/16/770 of the Plenary Session of the Constitutional Court of Georgia of Decem-
ber 22 2016 – website 27. 12. 2016
Law of Georgia No 1221 of July 26 2017 – website, 28. 07. 2017
– Decision No 1/13/732 of the Constitutional Court of Georgia of November 30 2017 – web-
site, 04. 12. 2017

Article 273.1 – Illegal purchase, storage, carrying, transfer and/or sale25


1. Illegal purchase, storage, carrying, transfer and/or sale in small quantities of the cannabis
plant, or of Marijuana committed by a person who was subjected to an administrative pen-
alty for committing an administrative offense under Article 451(1) of the Administrative
Offences Code of Georgia, or who was convicted for this crime,
– shall be punished by a fine or community service for a term of 100 to 160 hours.
2. Illegal purchase, storage, carrying or transfer of the cannabis plant or Marijuana,
– shall be punished by a fine or community service for a term of 160 to 220 hours.
3. An act under paragraph 2 of this Article committed:
a) by a group of persons with prior agreement;
b) repeatedly;
c) by a person who has previously committed any crime under this Chapter,
– shall be punished by a fine and/or community service for a term of 220 to 300 hours.

25
https://www.legislationline.org/documents/section/criminal-codes/country/29/Georgia/
show.
948 Georgi Glonti

4. An act under paragraph 2 of this Article committed in large quantities,


– shall be punished by a fine and/or community service for a term of 300 to 400 hours, or
by imprisonment for a term of up to two years.
5. An act under paragraph 4 of this Article committed:
– by a group of persons with prior agreement;
– repeatedly;
– by a person who has previously committed any crime under this Chapter,
– shall be punished by a fine and/or community service for a term of 400 to 500 hours,
or by imprisonment for a term of up to three years.
6. An act under paragraph 2 of this Article committed in particularly large quantities,
– shall be punished by imprisonment for a term of two to six years.
7. An act under paragraph 6 of this Article committed:
a) by a group of persons with prior agreement;
b) repeatedly;
c) by a person who has previously committed any crime under this Chapter,
– shall be punished by imprisonment for a term of three to seven years.
8. Illegal sale of the cannabis plant or Marijuana,
– shall be punished by imprisonment for a term of three to eight years.
9. An act under paragraph 8 of this Article committed:
a) in large quantities;
b) by a group of persons with prior agreement;
c) with the use of the official position;
d) repeatedly;
e) by a person who has previously committed any crime under this Chapter,
– shall be punished by imprisonment for a term of four to nine years.
10. An act under paragraph 8 of this Article committed:
a) in particularly large quantities;
b) by an organized group of persons,
– shall be punished by imprisonment for a term of five to ten years.
Note:
1. The fine under paragraph 1 of this Article shall not be less than triple the amount of the fine
defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the
commission of the respective act.
2. The fine under paragraph 2 of this Article shall not be less than four times the amount of the
fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the
commission of the respective act.
Decriminalization of Drug-Related Crimes in Georgia 949

3. The fine under paragraph 3 of this Article shall not be less than five times the amount of the
fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the
commission of the respective act.
4. The fine under paragraph 4 of this Article shall not be less than six times the amount of the
fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the
commission of the respective act.
5. The fine under paragraph 5 of this Article shall not be less than seven times the amount of the
fine defined by the respective Article of the Administrative Offences Code of Georgia for the
commission of the respective act.
6. For the commission of an act under paragraphs 2 – 10 of this Article, a legal person shall be
punished by liquidation, or by deprivation of the right to carry out activities and a fine.
Law of Georgia No 1221 of July 26 2017 – website, 28. 07. 2017
Ruling No 1/2/1282 of the Constitutional Court of Georgia of April 27 2018 – website,
03. 05. 2018
Law of Georgia No 3775 of November 30 2018 – website, 20. 12. 2018
V. Jugendkriminalität und Jugendkriminalrecht –
Youth Crime and Juvenile Justice
Rückgang der Kriminalität junger Menschen
im Kontext des Wandels der Jugendphase
Von Thomas Naplava

1. Einleitung
Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Jugendkri-
minalität in Deutschland war über viele Jahrzehnte hinweg vor allem von dem Be-
fund eines mehr oder weniger kontinuierlichen Anstiegs der registrierten Straftaten
junger Menschen geprägt. Der traditionell überwiegend besorgte Blick der Erwach-
senen auf die jeweils heranwachsende Generation fand in der Zunahme der von jun-
gen Menschen begangenen Straftaten immer neue Bestätigung, wodurch eine pro-
blemorientierte Betrachtung der Jugendkriminalität bestärkt wurde. Auch wenn
Zweifel an der Annahme eines realen Kriminalitätsanstiegs geäußert wurden (Cre-
mer-Schäfer 2011; Estrada 2001), war es für die Wahrnehmung und Bewertung der
Kriminalität junger Menschen wie bei anderen sozialen Problemen in der Regel auch
letztlich unerheblich, inwieweit diese Entwicklungstendenzen auf tatsächlichen Ver-
änderungen des Handelns junger Menschen oder auf veränderten gesellschaftlichen
Wahrnehmungs- und Reaktionsprozessen beruhten. Die Forschung zur Jugendkrimi-
nalität sowie die repressiv und präventiv ausgerichtete Kriminalpolitik erhielten un-
abhängig von dieser Frage fortlaufend neue Impulse und Rechtfertigungen, galt es
doch, ein stetig wachsendes soziales Problem zu verstehen und darauf aufbauend Lö-
sungen zu entwickeln. Dabei hat sich die Annahme weitgehend durchgesetzt, dass
Jugendliche nicht nur Probleme verursachen, sondern diese überwiegend erst auf-
grund ungünstiger Lebensumstände entstehen. Steigende Kriminalitätsraten führten
daher zu dem (Neben-)Effekt, dass Wissenschaft und Politik auch die Sozialisations-
bedingungen junger Menschen stärker in den Blick genommen haben. Dennoch blieb
zumindest in der (medialen) Öffentlichkeit der Fokus vor allem auf die jungen Straf-
täter und ihre Taten gerichtet, ohne dabei die sozialen und gesellschaftlichen Hinter-
gründe gebührend zu berücksichtigen. Rückblickend lässt sich sagen, dass von stei-
genden Kriminalitätsraten junger Menschen viele gesellschaftliche Akteure jeweils
auf ihre Weise profitiert haben: Die Medien konnten über steigende Kriminalitätsra-
ten berichten, die Politik konnte mit Strafverschärfungen und präventiven Maßnah-
men Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen, die Soziale Arbeit konnte sich im Rah-
men erweiterter Handlungsfelder kümmern und die Forschung konnte den gesell-
schaftlich und politisch nachgefragten Wissensbedarf bedienen.
954 Thomas Naplava

Seit einigen Jahren hat sich diese Situation gravierend verändert, ohne dass dies in
der Fachöffentlichkeit bislang große Aufmerksamkeit erzeugt hat (Albrecht 2014).
Nach der „Hochphase“ der (registrierten) Jugendkriminalität zwischen Ende der
1990er Jahre und Mitte der 2000er Jahre setzte ein kontinuierlicher Rückgang der
Kriminalität junger Menschen ein, wobei dieser Trend in einen langfristigen Rück-
gang der Kriminalität in Westeuropa und darüber hinaus eingebettet ist (Aebi & Linde
2010; Tseloni et al. 2010). Über nahezu alle Delikte hinweg sind die Kriminalitäts-
raten der Jugendlichen gesunken, teilweise bis auf drei Viertel im Vergleich zum
langfristigen Maximum (Albrecht 2014, 2016; Pfeiffer et al. 2018). Dass diese Ver-
änderungen bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben sind, dürfte auf mehrere
Gründe zurückzuführen sein: Der Leitspruch „only bad news are good news“ gilt
nicht nur für Medien, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit für ein Thema zu gewin-
nen. Unter der Bedingung einer tatsächlichen bzw. wahrgenommenen Problemver-
schärfung ergeben sich aussichtsreichere Möglichkeiten der Begründung und Finan-
zierung von problemorientierter Forschung sowie von Präventionsbemühungen. Aus
Sicht der Forschenden ist zudem in Rechnung zu stellen, dass Themen, die mit einem
zunehmenden gesellschaftlichen Problembewusstsein bedacht werden, ein deutlich
größeres Reputationspotential versprechen. Ein als stagnierend oder gar als schwin-
dend wahrgenommenes Problem hingegen erzeugt weniger Aufmerksamkeit und
steht zudem in größerer Konkurrenz zu anderen Themen. Mit Blick auf die jüngere
Entwicklung der Jugendkriminalität dürfte daher eine Beschäftigung mit diesem so-
zialen Problem im Angesicht der Thematisierung von Terrorismus und politischem
Extremismus schwieriger zu platzieren sein. Schließlich war die Auseinanderset-
zung mit Jugendkriminalität seit den 1990er Jahren in besonderer Weise von Gewalt-
delikten geprägt (Albrecht 1998; 2010). Da sich deren Rückgang im Vergleich zu an-
deren Delikten allerdings erst zeitverzögert vollzogen hat und sich im Zuge der
gesellschaftlichen Sensibilisierung gegenüber Gewalt der Blick auf immer weitere
Phänomene wie häusliche Gewalt, Gewalt in der Erziehung, Gewalt gegen Polizei-
beamte, Amoktaten, Terror und extremistische Gewalt erweitert hat, sind andere De-
likte und ihre Entwicklung insgesamt eher unberücksichtigt geblieben.
Vor diesem Hintergrund wird zunächst der Rückgang der Jugendkriminalität in
Deutschland in Kürze beleuchtet, um anschließend Antworten zur Frage nach Ursa-
chen des Rückgangs im Kontext einer sich verändernden Jugendphase zu erörtern.
Ausgangspunkt dabei ist, dass eine Vielzahl an sozialen Indikatoren zu den Soziali-
sationsbedingungen und zur Lebenswelt der Jugendlichen herangezogen werden
können, die in Verbindung mit theoretischen Ansätzen zur Erklärung abweichenden
Verhaltens einen Beitrag zum Verständnis des Rückgangs der Jugendkriminalität
leisten können. Diese Befunde werden abschließend mit den dem Wandel der Ju-
gendphase zugrunde liegenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Zusam-
menhang gesetzt und diskutiert.
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 955

2. Rückgang der Jugendkriminalität


Die Verbreitung und Entwicklung der Jugendkriminalität kann u. a. auf der
Grundlage von Angaben zu polizeilichen Registrierungen der 14- bis unter 18-jäh-
rigen Tatverdächtigen abgelesen werden. Neben den jährlichen Häufigkeitsangaben
zu den Tatverdächtigen in der Polizeilichen Kriminalstatistik kann zudem die sog.
Tatverdächtigenbelastungsziffer (TVBZ) als ein Maß der Kriminalitätsrate berech-
net werden, die die Relation der Häufigkeitsangaben zu den betreffenden Bevölke-
rungszahlen widergibt und damit die Kriminalitätsbelastung der jugendlichen
Tatverdächtigen abbildet. Dies ist allerdings nur für Jugendliche mit deutscher
Staatsangehörigkeit möglich, da nicht alle Tatverdächtigen ohne deutsche Staatsan-
gehörigkeit in den Bevölkerungsstatistiken enthalten sind. Zudem ist zu berücksich-
tigen, dass Angaben zu den Tatverdächtigen für Gesamtdeutschland erst ab 1993 vor-
liegen und erst ab 2009 eine über alle Bundesländer hinweg korrigierte Zählung der
Tatverdächtigen eingeführt wurde, so dass die Angaben vor diesem Jahr mit denen
danach streng genommen nicht vergleichbar sind (Bundeskriminalamt 2019).1 Im
Folgenden werden nur die zentralen Veränderungen erläutert, da an anderer Stelle
der Rückgang der Jugendkriminalität ausführlich dokumentiert ist (Albrecht 2014;
2016; Pfeiffer et al. 2018).
Die Kriminalitätsbelastung deutscher Jugendlicher über alle Delikte hinweg er-
reichte im Jahr 1998 nach einem kontinuierlichen langfristigen Anstieg in den Vor-
jahren einen Höhepunkt, um bis zum Jahr 2008 bei geringen jährlichen Schwan-
kungen zu stagnieren (Abbildung 1). Von 2009 an bis 2016 sank die Kriminalitäts-
rate um fast zwei Fünftel auf einen Wert, der leicht unter dem Wert des Jahres 1993
lag. Die Kriminalitätsraten der männlichen und weiblichen Jugendlichen verliefen
jeweils nach dem gleichen Muster, allerdings fällt der Abschwung der Kriminali-
tätsbelastung der männlichen Jugendlichen mit fast zwei Fünftel größer aus als der
Rückgang der weiblichen Jugendlichen mit etwa einem Drittel. In den letzten bei-
den Jahren ist die Kriminalitätsrate der Jugendlichen wieder leicht angestiegen,
wobei der Anstieg der Rate der männlichen Jugendlichen etwas größer ausfällt
als die der weiblichen.

1
Korrigiert wurde die Zählweise der in unterschiedlichen Bundesländern mehrfach regis-
trierten Tatverdächtigen zu einer „echten“ Zählung, bei der die Tatverdächtigen (je Delikt) nur
einmal ausgewiesen werden.
956 Thomas Naplava

Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online


Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 1: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher


über alle Delikte nach Geschlecht

Die Entwicklungen der Kriminalitätsraten der deutschen Jugendlichen seit 1993


getrennt nach ausgewählten Delikten sind in den Abbildungen 2 bis 4 dargestellt.
Mit Blick auf die Gewaltdelikte in Abbildung 2 zeigt sich, dass die Raten zu Raub-
straftaten seit dem Maximum der TVBZ von 286,0 im Jahr 1997 bis zum Jahr 2016
einen Rückgang auf einen Wert von 121,3 aufweisen, dies entspricht einer Reduktion
über einen Zeitraum von zwanzig Jahren um fast 60 Prozent. Zeitverzögert sind die
Raten zu Körperverletzungen seit dem Maximum der TVBZ von 1.793,5 im Jahr
2008 ebenfalls bis 2015 auf eine TVBZ von 968,6 um etwa zwei Fünftel gesunken.2
Zudem zeigt sich, dass die Raten zu Raubstraftaten und Körperverletzungen in den
letzten Jahren stagnieren bzw. wieder leicht ansteigen.
Abweichend davon ist zu erkennen, dass die Kriminalitätsraten zu Sexualstrafta-
ten über den gesamten Zeitraum bis auf wenige Ausnahmen kontinuierlich angestie-
gen sind.

2
Die Prozentangabe bezieht sich auf den Zeitraum von 2009 bis 2018, da die Ziffern
zwischen 2008 und 2009 einen deutlichen Sprung verzeichnen, der u. U. auch aufgrund der
korrigierten Zählweise aufgetreten sein kann.
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 957

Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online


Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 2: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher nach Gewaltdelikten

Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online


Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 3: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher nach Eigentumsdelikten

Die in Abbildung 3 enthaltenen Kriminalitätsraten zu einfachen und schweren


Diebstahlsdelikten lassen jeweils einen massiven Rückgang seit Mitte bzw. Ende
der 1990er Jahre erkennen, also ebenfalls seit etwa zwanzig Jahren wie der Rückgang
der Raubstraftaten. Die Rate schwerer Diebstahlsdelikte ist ausgehend von einem
Maximum der TVBZ von 1.210,4 im Jahr 1995 auf einen Wert von 338,3 im Jahr
2018 gesunken, dies entspricht einem Rückgang von insgesamt 72 Prozent. Etwas
zeitverzögert ist auch die Kriminalitätsrate einfacher Diebstahlsdelikte seit dem Ma-
958 Thomas Naplava

ximum der TVBZ von 3.314,2 im Jahr 1998 bis 2016 auf einen Wert von 1.280,7 um
etwa 60 Prozent gefallen, wobei die Rate in den letzten beiden ausgewiesenen Jahren
wiederum leicht angestiegen ist.
Wie in Abbildung 4 zu erkennen ist, ist die Kriminalitätsrate zu Sachbeschädigun-
gen ebenfalls seit 2009 rückläufig. Nach dem Maximum der TVBZ von 1.443,7 im
Jahr 2008 ist die Rate bis zum Jahr 2018 auf einen Wert von 641,5 um etwas über
50 Prozent gesunken.3
Einen etwas anderen Verlauf weisen die Kriminalitätsraten zu Rauschgiftdelikten
auf, da diese einerseits zwischen 2004 und 2007 deutlich eingebrochen und nach
einer Phase der Stagnation seit 2012 wieder deutlich angestiegen sind. Der Rückgang
Mitte der 2000er Jahre betrug etwas unter 50 Prozent, der jüngere Anstieg seit den
2010er Jahren liegt etwas über 50 Prozent.

Quellen: Zeitreihen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (www.bka.de), Genesis-Online


Datenbank des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 4: Entwicklung der TVBZ deutscher Jugendlicher nach Rauschgiftdelikten


und Sachbeschädigungen

Der massive Rückgang der Kriminalitätsraten junger Menschen in den letzten


zehn bis zwanzig Jahren kehrt die zeitlich davor liegenden langfristigen Anstiege
je nach Delikt (mit Ausnahme der Entwicklung der Rauschgiftdelikte und Sexual-
straftaten) zum Teil vollständig um. Mit Blick auf die zeitliche Reihenfolge der Ent-
wicklungen ist zu erkennen, dass zunächst die Kriminalitätsraten der Eigentumsde-
likte gesunken sind, gefolgt von den Raten der Rauschgiftdelikte und zuletzt den der
Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Diese Entwicklungen spiegeln sich
auch in den Angaben zu polizeilich registrierten Opfern wider (Albrecht 2014)
3
Auch diese Prozentangabe bezieht sich auf den Zeitraum von 2009 bis 2018, da die
Ziffern zwischen 2008 und 2009 einen deutlichen Sprung verzeichnen, der u. U. auch aufgrund
der korrigierten Zählweise aufgetreten sein kann.
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 959

und können vor allem auf „den deutlichen Rückgang der Beteiligung junger Männer
an schweren Formen der Kriminalität“ (Albrecht 2016, 398) im Hellfeld zurückge-
führt werden. Zudem zeigen sich Rückgänge auch bei Kindern (8 bis unter 14-Jäh-
rige) und Heranwachsenden (18 bis unter 21-Jährige), wobei der Rückgang der Kri-
minalitätsrate der Kinder zeitlich vor dem Rückgang der Rate der Jugendlichen und
dieser wiederum vor dem der Heranwachsenden eingesetzt hat (Albrecht 2016). Dar-
über hinaus liegen Hinweise darauf vor, dass auch die Kriminalitätsraten von Jugend-
lichen ohne deutsche Staatsangehörigkeit einen Rückgang aufweisen, der sogar den
der deutschen Jugendlichen übertrifft (Walburg 2016), und dass sich parallele Ver-
änderungen auch im Dunkelfeld der von Jugendlichen berichteten Delinquenz zeigen
(Pfeiffer et al. 2018), so dass die Entwicklungen im Hellfeld nicht ausschließlich auf
veränderte Registrierungsprozesse zurückgeführt werden können. Da die leichten
Anstiege der Kriminalitätsbelastung bei Körperverletzungen und einfachen Dieb-
stahlsdelikten in den letzten Jahren dem allgemeinen Trend widersprechen, muss
an dieser Stelle offen bleiben, worauf dies zurückzuführen ist. Möglicherweise ste-
hen diese leichten Anstiege im Zusammenhang mit den jüngsten Zuwanderungspro-
zessen und damit einhergehenden Registrierungsprozessen (Glaubitz & Bliesener
2019). Der langfristige Anstieg der Sexualstraftaten im Hellfeld wiederum dürfte
Folge diverser Gesetzesänderungen, der Sensibilisierung gegenüber Kindesmiss-
brauch und der gesellschaftlichen Diskussion um sexuelle Opfererfahrungen sein,
Entwicklungen, die sich offenbar auch auf die Jugendlichen und deren Wahrneh-
mung auswirken (Hoffmann 2014).

3. Wandel der Jugendphase und Jugendkriminalität


Die Analyse der Entstehung und Entwicklung der Jugendkriminalität kann sich
einer großen Vielzahl an theoretischen Ansätzen bedienen, die neben sog. klassi-
schen auch neuere (Albrecht 2003) und neueste Theorien wie die situationale Hand-
lungstheorie von Wikström (2006) umfassen. Mit Blick auf den Rückgang der Ju-
gendkriminalität in Deutschland wurden u. a. die Bedeutung des demographischen
Wandels, der wirtschaftlichen und sozioökonomischen Entwicklung, der Entwick-
lung der Drogenmärkte und des Drogenkonsums, der sicherheitspolitischen und
an der Prävention ausgerichteten Entwicklungen sowie der Veränderungen in Bil-
dung, Erziehung und Freizeitverhalten thematisiert. Dabei zeichnen sich Hinweise
darauf ab, dass der Rückgang der Jugendkriminalität mit verbesserten ökonomischen
Lebensverhältnissen und damit einhergehend günstigeren Rahmenbedingungen in
Schule, Familie und Freizeit in gewissem Zusammenhang stehen (Albrecht 2003;
2014; Pfeiffer et al. 2018). Was diesen Analysen bislang fehlt, ist eine theoretisch
begründete und darauf aufbauend eine empirisch gestützte gemeinsame Betrachtung
der Entwicklung der Kriminalitätsbelastung, langfristiger Veränderungen der Struk-
turen der (informellen) Sozialkontrolle sowie von Verhaltensmustern und Freizeitak-
tivitäten junger Menschen im Kontext des Wandels von Jugend und Jugendkulturen
960 Thomas Naplava

in der Gesellschaft (Albrecht 2014; 2016). Vor diesem Hintergrund werden zunächst
ausgewählte Indikatoren zum Wandel der Sozialisationsbedingungen der Jugend-
phase vorgestellt und deren Relevanz für die Erklärung von Jugendkriminalität in
Verbindung mit kriminalsoziologischen Ansätzen erörtert. Abschließend werden
diese Überlegungen mit allgemeinen Veränderungen der Jugendphase auf der Grund-
lage gesellschaftstheoretischer Diagnosen in Beziehung gesetzt.
Der Begriff der Sozialisation umfasst zum einen die Vergesellschaftung des Indi-
viduums, also den Prozess, bei dem Individuen Mitglied einer Gesellschaft werden,
indem sie u. a. Werte, Normen, (Rollen-)Erwartungen und Handlungsmuster erlernen
und internalisieren, d. h. in ihr Selbstbild übernehmen. Zum anderen meint Soziali-
sation den Prozess der Individuation, bei dem Individuen das Selbstverständnis einer
eigenverantwortlich handelnden Persönlichkeit entwickeln. In Anlehnung an Mead
(1993) setzt sich die Persönlichkeit aus dem Verhältnis zwischen den inneren Antrie-
ben (das sog. „I“), den gesellschaftlichen Zuschreibungen (das sog. „Me“) und dem
Selbstbild bzw. der Identität (das sog. „Self“) zusammen. Sozialisation findet dem-
nach in einem wechselseitigen Prozess zwischen Gesellschaft und Individuum statt.
Die Persönlichkeitsentwicklung vollzieht sich dabei im Rahmen einer aktiven und
wechselseitigen Auseinandersetzung der eigenen Person mit der sozialen Umwelt.
So, wie die „äußere Realität“ die Personwerdung beeinflusst, so wirkt sich die „in-
nere Realität“ auf die individuelle Verarbeitung und Auseinandersetzung mit der so-
zialen Umwelt aus (Hurrelmann & Bauer 2015).
Aus sozialisationstheoretischer Perspektive werden in modernen Gesellschaften
den Lebensbereichen Familie, Bildung sowie Freizeit, Freunde und Konsum für
die Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter die größte Bedeutung beigemessen.
Allgemein ist für die Jugendphase charakteristisch, dass sich Jugendliche in Bezug
auf ihr Selbstverständnis und ihre biographische Orientierung sukzessive von den El-
tern und der Familie lösen und dafür stärker an Gleichaltrigen sowie an allgemeinen
gesellschaftlichen Erwartungen, Anforderungen und Möglichkeiten ausrichten, und
dass dabei die familiären Bindungen im Allgemeinen weiterhin eine gewisse prägen-
de Funktion behalten (Hurrelmann & Bauer 2015; Hurrelmann & Quenzel 2016).
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Perspektive, dass die Entstehung von Jugend-
kriminalität in die Lebensverhältnisse der Jugendlichen eingebettet ist und daher ge-
wisse Zusammenhänge zwischen zeitlichen Veränderungen der Sozialisationsbedin-
gungen einerseits und der Kriminalitätsbelastung junger Menschen andererseits be-
stehen.

3.1 Familie

Hinsichtlich der Familie als primäre Sozialisationsinstanz, in der sich die Grund-
lagen der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder vollziehen, können für die vergan-
genen Jahrzehnte insbesondere Veränderungen der Familienformen und der Er-
werbstätigkeit der Mütter konstatiert werden (Hurrelmann & Quenzel 2016). Die Fa-
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 961

milienformen haben sich u. a. dahingehend verändert, dass die Scheidungsquoten


langfristig bis zum Jahr 2004 angestiegen sind, in den Folgejahren allerdings
einen rückläufigen Trend aufweisen (Abbildung 5). Der Anstieg der Ehescheidungen
deutet darauf hin, dass die Ehe (und Familie) als Institution an gesellschaftlicher Bin-
dungskraft verloren hat, wobei der Rückgang der Ehescheidungen bei leicht anstei-
gender Heiratsneigung seit 2000 eine Stabilisierung der Ehen (und Familien) anzeigt.
Da die Entscheidung zur Heirat anders als zu früheren Zeiten weniger durch gesell-
schaftliche und familiäre Erwartungen und Zwänge beeinflusst wird, kann vermutet
werden, dass der Entschluss, zu heiraten, individuell und bewusst getroffen wird und
sich dies positiv auf die Stabilität der Ehe auswirkt. In Verbindung mit dieser Ent-
wicklung ist der Anteil der Alleinerziehenden von 14 Prozent im Jahr 1996 auf
20 Prozent im Jahr 2011 angestiegen und stagniert seitdem bis zum Jahr 2016.
Auch wenn weiterhin etwa 70 Prozent aller Jugendlichen mit ihren leiblichen und
verheirateten Eltern in einer Familie zusammenleben (Hurrelmann & Quenzel
2016, 143), können beide Entwicklungen als Ausdruck von größeren gesellschaftlich
zugestandenen Freiheiten in der individuellen Lebensführung und damit einherge-
hend einer Abschwächung normativer Vorstellungen des familiären Zusammenle-
bens verstanden werden.

Quellen: Angaben zu Scheidungsziffern vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung anhand von Daten des Sta-
tistischen Bundesamtes (www.bib.bund.de/Permalink.html?id=10237654), Angaben zu Alleinerziehenden vom
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung anhand von Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts
(www.bib.bund.de/Permalink.html?id=10308622), Angaben zur Erwerbstätigkeit der Frauen vom Wirtschafts-
und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Boeckler-Stiftung (www.boeckler.de/53509.htm).

Abbildung 5: Entwicklung der Scheidungsziffern (rechte Achse), des Anteils der Alleinerziehenden
und der Erwerbstätigkeit von Frauen (linke Achse)

Neben diesem Wandel der Familienformen hat sich die Erwerbsbeteiligung von
Frauen verändert, die vor 2007 bei Werten unter 60 Prozent stagnierte, seit 2007 deut-
lich angestiegen ist und im Jahr 2017 einen Wert von über 70 Prozent erreichte. Die
962 Thomas Naplava

Erwerbstätigenquote von Müttern liegt zwar insgesamt darunter, doch mit dem Alter
des jüngsten Kindes steigt die Quote bis auf den Wert aller Frauen.4 Sicherlich kann
die höhere Erwerbstätigenquote von Frauen nicht nur als Ausdruck gestiegener Frei-
heiten interpretiert werden, doch hinsichtlich der Sozialisationsbedingungen für die
Kinder und Jugendlichen folgt daraus, dass die Vorstellung einer traditionellen Ar-
beitsteilung zwischen Müttern und Vätern weiterhin an Bedeutung verliert und die
Eltern zunehmend als gleichberechtigte Partner in einem ausgeglichenen Machtge-
füge in der Familie gesehen werden können. Den Kindern wird nicht nur die gesell-
schaftliche Bedeutung von Erwerbsarbeit für die Lebensführung an sich, sondern
auch Eigenverantwortlichkeit, Selbstständigkeit und Leistungsorientierung dadurch
vermittelt, dass (auch) Mütter in der Erwerbsarbeit eine finanzielle Absicherung in
der Gegenwart und im Ruhestand sowie gesellschaftliche Anerkennung anstreben
(Bertram & Bertram 2018; Hurrelmann & Quenzel 2016). Auch wenn das elterliche
Erziehungsverhalten solche Effekte überdecken kann, signalisieren diese Verände-
rungen ungeachtet der denkbaren unmittelbaren Folgen für die Sozialisationsbedin-
gungen der Kinder und Jugendlichen die Möglichkeiten und die Bedeutung autono-
mer Entscheidungen für die eigene biographische Entwicklung.
Diese Aspekte sind für die Erklärung des Rückgangs der Jugendkriminalität in
Anlehnung an die Individualisierungsthesen von Beck (1986) insoweit von Bedeu-
tung, als sich dadurch den Jugendlichen am Beispiel der Eltern zeigt, welche mög-
lichen Konsequenzen biographische Entscheidungen nach sich ziehen können und
dass dabei allgemeingültige gesellschaftliche Vorgaben weitgehend fehlen, weswe-
gen die Risiken der Entscheidungen eigenverantwortlich abgewogen werden müs-
sen. Damit dies im Einklang mit persönlichen Bedürfnissen und Interessen gelingt,
ist eine möglichst langfristige Orientierung von biographischen Vorstellungen not-
wendig, auch wenn bei erweiterten Entscheidungsfreiheiten gewisse Umorientierun-
gen möglich sind. Trotz bzw. aufgrund dieser Freiheiten ist das Risiko hoch, dass Ent-
scheidungen nicht zum erhofften Ziel führen. Dies kann dazu beitragen, ein Bewusst-
sein für die Verantwortung eigenen Handelns zu entwickeln und die längerfristigen
Folgen dabei zu bedenken. Der allgemeinen Kriminalitätstheorie von Gottfredson
und Hirschi (1990) zufolge sind dies Bedingungen, unter denen soziale Abweichung
unwahrscheinlicher ist. Die von Gottfredson und Hirschi postulierte und in der frü-
hen Kindheit angelegte Persönlichkeitseigenschaft der Selbstkontrolle besteht u. a.
gerade darin, die (langfristigen) Folgen eigenen Handelns zu bedenken und daher
auf unmittelbare Belohnungen (eher) zu verzichten sowie Risiken abzuwägen
bzw. zu meiden. Die Anforderungen der Individualisierung an das Individuum müs-
sen daher nicht zwangsläufig zu den von Heitmeyer et al. (1998) angesprochenen
Desintegrationserscheinungen aufgrund der mit den Freiheiten verbundenen Unsi-
cherheiten führen, sondern können auch die von Beck (1986) beschriebenen neuen
Kontroll- und Reintegrationsprozesse hervorbringen.

4
Angaben des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Boeckler-
Stiftung (www.wsi.de/genderdatenportal).
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 963

3.2 Bildung

Neben der Familie beeinflusst der Besuch von Einrichtungen des Bildungssys-
tems wie Kindertagesstätten und Schulen als Beispiele sekundärer Sozialisationsin-
stanzen die Persönlichkeitsentwicklung und den Verlauf der Jugendphase sowie die
sich daran anschließenden biographischen Entscheidungen. Insbesondere durch den
Schulbesuch entwickeln Jugendliche ihre Leistungsorientierung im Rahmen der
Qualifizierung für die Berufsausbildung und sie erweitern ihre sozialen Rollen
und sozialen Bindungen mit entsprechenden gesellschaftlichen Umgangsformen au-
ßerhalb der Familie (Hurrelmann & Bauer 2015). Hinsichtlich der Beteiligung von
Jugendlichen im Bildungssystem sind für die vergangenen zwei Jahrzehnte ebenfalls
zum Teil gravierende Veränderungen zu beobachten. Zunächst ist festzustellen, dass
sich die Verteilung der Schulabschlüsse deutlich verschoben hat (Abbildung 6).
Während mittlere Abschlüsse über den beobachteten Zeitraum nahezu unverändert
von zwei Fünfteln der Schülerinnen und Schüler erzielt wurden, ist der Anteil der
Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss von ausgehend über einem Vier-
tel seit dem Jahr 2005 auf knapp ein Sechstel im Jahr 2017 gesunken. Der Anteil der
Schülerinnen und Schüler mit (Fach-)Hochschulreife hingegen lag bis 2004 nahezu
konstant bei einem Viertel, um in den Folgejahren auf etwas über ein Drittel deutlich
anzusteigen. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die ohne Abschluss geblieben
sind, lag bis zum Jahr 2001 bei etwas unter 10 Prozent, um in den nachfolgenden Jah-
ren auf etwa 5 Prozent zu sinken.

Quelle: Zeitreihen des Statistischen Bundesamtes (www-genesis.destatis.de), eigene Berechnung.

Abbildung 6: Entwicklung der Schulabschlüsse an allgemeinbildenden Schulen (Prozent)

Dieser Trend zu höheren Schulabschlüssen impliziert zunächst erweiterte Mög-


lichkeiten der Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit der Jugendlichen und damit
verbesserte Chancen auf einem Arbeitsmarkt, der u. a. von steigenden (kognitiven)
964 Thomas Naplava

Qualifikationen und wachsender Flexibilität geprägt ist, die als Voraussetzungen für
einen sicheren Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt den (sozialen) Druck vor allem auf
junge Erwerbspersonen verstärken (Luedtke 2014). Höhere Bildungsabschlüsse
gehen zudem mit einer optimistischeren Perspektive der Jugendlichen auf die eigene
Zukunft und deren Gestaltbarkeit einher (Leven et al. 2019a), auch wenn die damit
verbundenen größeren Entscheidungsfreiheiten individuell eine Herausforderung
darstellen können. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass mit höherer (schuli-
scher) Bildung auch die Ansprüche bzw. Erwartungen an Beruf und Einkommen stei-
gen, wodurch eine an Leistung und Erwerbsarbeit ausgerichtete biographische Aus-
richtung gefördert wird (Leven et al. 2019b). Dass sich solche Aspirationen in Bezug
auf die eigene Biographie bereits vor dem Schulabschluss ausbilden können, ist auch
daran abzulesen, dass sich die Schülerinnen und Schüler der siebten bis neunten Jahr-
gangsstufen in den vergangenen zehn Jahren zu etwa 50 Prozent weg von Hauptschu-
len und zu etwa einem Drittel weg von Realschulen, dafür jeweils etwa doppelt so
häufig zu Schulen, die mehrere Bildungsgänge anbieten, sowie zu integrierten Ge-
samtschulen hin orientieren.5 Diese Entwicklungen können als Hinweis darauf ge-
wertet werden, dass Jugendliche (und ihre Eltern) den biographischen Werdegang
frühzeitig zielgerichtet strukturieren und dabei Optimierungsmöglichkeiten zu rea-
lisieren suchen. Vor allem der Besuch einer integrierten Gesamtschule als vergleichs-
weise offene Schulform bietet in diesem Zusammenhang größere Möglichkeiten,
den individuell maximal erreichbaren Schulabschluss zu erreichen. Eine weitere
Grundlage für diese biographische Ausrichtung der Jugendlichen ist zudem in der
gegenüber früheren Zeiten höheren Bildung und beruflichen Qualifikation der Müt-
ter zu sehen, die als Ressourcen zur Förderung kognitiver Kompetenzen der Kinder
und Jugendlichen genutzt werden und dadurch auch die elterlichen Erwartungen an
die kindliche Leistungsfähigkeit steigern können (Bertram & Bertram 2018).
Im Einklang mit diesen Entwicklungen zeigt sich zudem, dass der Anteil der
Schülerinnen und Schüler, die ihre Schulzeit in Ganztagsschulen verbringen, in
den vergangenen Jahren in allen Schulformen weiterhin angestiegen ist (Sekretariat
der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik
Deutschland 2018). Dies dürfte zum einen den Veränderungen der Organisation
des familiären Zusammenlebens wie der häufigeren Erwerbstätigkeit der Mütter ge-
schuldet sein, zum anderen kann dies auch als ein Ausdruck einer stärkeren Ausrich-
tung der Lebensführung im Jugendalter am Bildungssystem und der damit verbun-
denen Leistungsorientierung interpretiert werden. Dies wird unterstützt durch die
massiv angestiegene Nutzung bezahlter Nachhilfeangebote 17-jähriger Schülerinnen
und Schüler, deren Quote in den Jahren 2000 bis 2003 noch bei 27 Prozent lag und in
den Jahren 2009 bis 2013 einen Wert von fast 50 Prozent erreichte (Hille et al. 2016).
In diesen Zusammenhang kann auch die gestiegene Nutzung von Privatschulen ge-
stellt werden, die gegenwärtig in Deutschland bei etwa 9 Prozent aller Schülerinnen
und Schüler liegt (Görlitz et al. 2018). Je nach Finanzierungsart einer Privatschule
5
Angaben der Kultusministerkonferenz (www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/
Dokumentationen/SKL_Teil_B.1_Schueler_allg_2017.xlsx).
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 965

sind zwar die Möglichkeiten des Besuchs vom Wohlstand der Familienhaushalte ab-
hängig, doch verweisen diese Entwicklungen insgesamt auf die steigende Bedeutung
einer Investition in die Bildung der Kinder und Jugendlichen und können daher als
weiterer Indikator für die zielgerichtete Optimierung der Bildungs- und späteren Be-
rufskarriere gedeutet werden. Schließlich verweisen die Anstiege der monatlichen
Ausgaben privater Familienhaushalte insbesondere für den Besuch der unter dreijäh-
rigen Kinder in Kindertageseinrichtungen darauf, dass neben der berufsbedingten
außerfamiliären Betreuungsnotwendigkeit von jungen Kindern auch die frühkindli-
che Ausrichtung der Sozialisation an Bildungseinrichtungen im Sinne einer Investi-
tion in die Zukunft zur gesellschaftlichen Normalität wird (Schmitz et al. 2017).
Diese Veränderungen im Bildungsbereich der Jugendlichen können ebenfalls mit
dem Rückgang der Jugendkriminalität in Zusammenhang gestellt werden, da zahl-
reiche Studien zur Jugenddelinquenz enge Korrelationen zwischen der besuchten
Schulform und der Delinquenzbelastung nachgewiesen haben. Höhere Bildungsaspi-
rationen und schulische Erfolge gehen mit geringerer Delinquenzbelastung Jugend-
licher auf der Grundlage von Selbstberichten einher (u. a. Oberwittler et al. 2014).
Die höheren Schulabschlüsse und die biographisch frühe Ausrichtung an Aspekten
wie Qualifikation und Leistung können als Investitionen in die (berufliche) Zukunft
auch im Sinne der Kontrolltheorie von Hirschi (1969) mit dem Rückgang der Jugend-
kriminalität in Zusammenhang gestellt werden. Der Kontrolltheorie folgend werden
Individuen von Normabweichungen aufgrund ihrer sozialen Bindungen zu anderen,
zu sozialen Gruppen und zu gesellschaftlichen Institutionen abgehalten, da Norm-
verletzungen den Verlust der sozialen Bindungen bedeuten können. Die engere Bin-
dung der Jugendlichen an Bildungsinstitutionen (attachment) und die stärkere Über-
nahme von Verpflichtungen gegenüber diesen (commitment) rechnen sich als Inves-
titionen in die eigene Biographie nur, wenn sie nicht durch mögliche gesellschaftli-
che Sanktionen als Folge einer Normabweichung einem hohen Risiko ausgesetzt
werden. Dazu zählen zudem Überzeugungen und Wertevorstellungen (belief), die
auch in Anlehnung an die Anomietheorie von Merton (1968) als Anerkennung
von legitimen Mitteln wie Bildung und Leistung gelten können, um gesellschaftlich
anerkannte Ziele wie Beruf, Einkommen und Ansehen zu erreichen. Schließlich sind
die Jugendlichen aufgrund der Zeit, die sie in der Schule bzw. mit Aktivitäten zur
Qualifikation verbringen, seltener Situationen und sozialen Kontexten ausgesetzt,
in denen dem Ansatz der Routine-Activities folgend aufgrund ineffektiver Sozial-
kontrolle häufiger Straftaten begangen werden (Cohen & Felson 1979).

3.3 Freizeit, Freunde und Konsum

Die Lebensbereiche Freizeit, Freunde und Konsum stellen ausgewählte Bereiche


der Lebenswelt dar, die mit steigendem Alter in der Jugendphase zunehmend an Be-
deutung gewinnen und als sog. tertiäre Sozialisationsinstanzen bezeichnet werden,
da sie nicht ausdrücklich auf die Beeinflussung der Persönlichkeitsentwicklung aus-
gerichtet sind, ihnen aber gleichwohl in Bezug darauf im Zusammenspiel mit Familie
966 Thomas Naplava

und Schule große Bedeutung zugesprochen wird (Hurrelmann & Bauer 2015). Hin-
sichtlich der Lebensbereiche Freizeit, Freunde und Konsum zeigen sich ebenfalls
zum Teil deutliche Veränderungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Obwohl
für die Freizeitgestaltung Jugendlicher die Zeit mit Freunden weiterhin dominiert,
orientieren sich Jugendliche tendenziell mehr als früher an Unternehmungen mit
der Familie und weniger an Aktivitäten mit Freunden und Besuchen von Partys
und Discotheken. So ist der Anteil der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren,
der in der Freizeit täglich oder mehrmals in der Woche etwas mit der Familie unter-
nimmt, von 17 Prozent im Jahr 1998 über 22 Prozent im Jahr 2008 auf 38 Prozent im
Jahr 2018 kontinuierlich gestiegen (Medienpädagogischer Forschungsverbund Süd-
west 2018), eine Entwicklung, die auch die Shell-Jugendstudien aufgedeckt haben
(Wolfert & Leven 2019). Diesem Trend steht gegenüber, dass der Anteil der 12-
bis 19-Jährigen, der sich täglich oder mehrmals in der Woche mit Freunden trifft,
von 85 Prozent im Jahr 1998 auf 71 Prozent im Jahr 2018 gesunken ist, wiederum
eine Entwicklung, die auch andere Studien belegen (Bohmann & Schupp 2016; Wol-
fert & Leven 2019). Dieser Rückgang der Freizeitbeschäftigung mit Freunden geht
damit einher, dass der Anteil der 12- bis 25-Jährigen, der regelmäßig Clubs oder Par-
tys besucht, von 31 Prozent im Jahr 2002 auf 24 Prozent im Jahr 2019 gefallen ist
(Wolfert & Leven 2019). Zudem verbringen Jugendliche darüber hinaus ihre Freizeit
häufiger im Kontext von Organisationen wie Sportvereine und Musikschulen (Boh-
mann & Schupp 2016; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018;
Hille et al. 2013).6
Diese Veränderungen zusammenfassend zeigt sich, dass für das Freizeitverhalten
der 17-Jährigen zwischen den Jahren 2001 und 2012 eine stärkere Ausrichtung an
bildungsorientierten Freizeitangeboten wie Musik, Ehrenamt und Sport von ausge-
hend unter 50 Prozent auf über 60 Prozent und demgegenüber eine gewisse Abkehr
von einer informellen Freizeitgestaltung wie Fernsehen, Computer spielen, Abhän-
gen und Freunde treffen von ausgehend etwa zwei Dritteln zu 55 Prozent zu beob-
achten ist (Hille et al. 2013). Die für die Freizeitgestaltung Jugendlicher insgesamt
große Bedeutung von Computern, Internet und Formen der Online-Kommunikation
werden durch mehrere Quellen angezeigt. Es sind nicht nur nahezu alle Jugendlichen
im Alter zwischen 12 und 19 Jahren mit Smartphones ausgestattet (Medienpädago-
gischer Forschungsverbund Südwest 2018), auch der Anteil der 17-jährigen Jugend-
lichen, der täglich Computer und das Internet nutzt, ist von etwas unter 30 Prozent in
den Jahren 2001 bis 2003 auf etwa 85 Prozent in den Jahren 2012 bis 2014 gestiegen,
wobei die Online-Kommunikation mit etwa 80 Prozent gegenüber Computerspielen
mit etwa 30 Prozent dominiert (Bohmann & Schupp 2016; Wolfert & Leven 2019).
Dies deutet darauf hin, dass Freunde bzw. Gleichaltrige nicht an Bedeutung für die
Jugendlichen eingebüßt, sondern sich die Kommunikationsformen in gewissem Um-

6
Dies belegen auch Zahlen des Deutschen Olympischen Sportbundes (Bestandserhebun-
gen unter www.dosb.de/medien-service/statistiken) und des Verbands deutscher Musikschulen
(Angaben des Deutschen Musikinformationszentrums unter www.miz.org/statistiken.html).
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 967

fang auf Messenger-Dienste im Internet verlagert haben und daher häufiger in ande-
ren sozialen Kontexten als früher stattfinden.
Diese Veränderungen werden einerseits von einem längerfristigen Rückgang des
Alkoholkonsums und andererseits von einem erneuten Anstieg des Cannabiskon-
sums junger Menschen in den letzten Jahren begleitet (Abbildung 7). Die Jugendli-
chen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren gaben bis 2007 bei gewissen Schwankun-
gen zu etwa 20 Prozent an, Alkohol regelmäßig zu konsumieren. Dieser Anteil ist in
den Folgejahren bis 2018 kontinuierlich auf einen Wert von etwas unter 10 Prozent
gesunken. Diese Entwicklung steht im Einklang damit, dass Jugendliche weniger
Zeit mit Freunden verbringen und seltener Clubs und Partys besuchen (s. o.).
Zudem widerspricht diese Entwicklung den durch Medienberichte erzeugten Ein-
druck einer „immer besoffeneren Jugend“, die durch Alkoholexzesse (sog. Koma-
saufen) vor allem die eigene Gesundheit gefährdet (Werse 2014). Im Gegensatz
dazu hat sich die 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums dieser Altersgruppe
ausgehend von einem Wert von etwa 5 Prozent im Jahr 1994 auf einen Wert von
etwa 10 Prozent im Jahr 2004 verdoppelt, um bis zum Jahr 2010 wieder auf einen
Wert von etwa 5 Prozent zu fallen. In den Folgejahren ist der Wert wieder angestie-
gen und erreichte im Jahr 2018 etwa 8 Prozent. Diese Veränderungen spiegeln sich
auch in der Entwicklung der TVBZ Jugendlicher bei Rauschgiftdelikten wider (s. o.).

Quelle: Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (2019a, 2019b), angegeben sind Anteile des regelmäßigen
Alkoholkonsums und die 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums.

Abbildung 7: Entwicklung des Alkohol- und Cannabiskonsums


der 12- bis 17-Jährigen (Prozent)

Auch die Bedeutung des Freizeitverhaltens für delinquentes Handeln wurde in


vielen empirischen Studien aufgezeigt (u. a. Oberwittler et al. 2001), so dass es
nicht überraschend ist, dass der Rückgang der Jugendkriminalität mit Veränderungen
des Freizeitverhaltens Jugendlicher einhergeht. Dabei ist die stärkere Orientierung
der Jugendlichen an Familie und geregelten Aktivitäten in formalen Organisationen
968 Thomas Naplava

von Bedeutung, ein Trend, der im Einklang mit der bereits beschriebenen stärkeren
biographischen Orientierung an (schulischer) Qualifikation und Leistung steht.
Beide Entwicklungen können als Ausdruck einer stärkeren Bindung der Jugendli-
chen an konventionelle Wertevorstellungen der Gesellschaft im Sinne der Kontroll-
theorie von Hirschi (1969) verstanden werden. Der Rückgang der Jugendkriminalität
dürfte zudem dadurch beeinflusst worden sein, dass die Jugendlichen in größerem
Umfang als in den Jahrzehnten zuvor den besonderen Formen informeller Sozialkon-
trolle im familiären und schulischen Kontext ausgesetzt sind. Die gewisse Abwen-
dung der Jugendlichen von Freizeitaktivitäten wie Freunde treffen und (abends) aus-
gehen in Verbindung mit seltenerem Alkoholkonsum kann ebenfalls mit sinkenden
Delinquenzraten der Jugendlichen in Zusammenhang gebracht werden, denn damit
sind gerade diejenigen Freizeitaktivitäten seltener geworden, die in Anlehnung an
den Routine-Activity-Ansatz (Cohen & Felson 1979) typischerweise in sozialen
Kontexten mit vergleichsweise geringer Sozialkontrolle und vielfältigen Gelegen-
heiten zu Normabweichungen stattfinden. Diese Muster des Freizeitverhaltens der
Jugendlichen reduzieren schließlich auch die Wahrscheinlichkeit von Kontakten
zu anderen delinquenten Jugendlichen und delinquenten Cliquen, deren Bedeutung
für den Entstehungszusammenhang von Jugenddelinquenz nicht nur von der Lern-
theorie (Akers 1973) postuliert, sondern auch empirisch als belegt gelten kann
(u. a. Oberwittler et al. 2001). Inwieweit der jüngere Anstieg des Cannabiskonsums
mit Jugenddelinquenz in Beziehung steht, ist bei dem aktuellen Forschungsstand un-
klar (Baier et al. 2016; Rocca et al. 2019; Lu et al. 2019; Tcherni et al. 2016).

4. Jugendliche Sozialisation im gesellschaftlichen Wandel


Der Rückgang der Jugendkriminalität geht einher mit äußeren bzw. strukturellen
Veränderungen der Jugendphase hinsichtlich Familie, Bildung und Freizeit sowie in-
neren Haltungen wie Leistung, Qualifikation und biographisch früher Eigenverant-
wortung, die wiederum mit den Sozialisationsbedingungen in Familie, Bildung und
Freizeit in Beziehung stehen. Um aus sozialisationstheoretischer Perspektive die die-
sen Entwicklungen zugrundeliegenden makrostrukturellen Veränderungen nachzu-
spüren, sind nach Albrecht (2016) Kohorteneffekte derjenigen Jugendlichen aufzu-
decken, die in den 1990er Jahren als Kinder aufgewachsen sind. Dabei sind Aspekte
des gesellschaftlichen Wandels sowie zeitgeschichtliche Ereignisse zu analysieren,
aus denen heraus die aufgezeigten Veränderungen der Jugendphase entstanden sein
können. Als Annäherung an solche Hintergründe kann zum einen auf die bereits an-
geführten Auswirkungen der Individualisierungsprozesse verwiesen werden, die das
Modell einer Normalbiographie auf der Grundlage tradierter Festlegungen infrage
gestellt haben, so dass eine Entgrenzung der Jugendphase aufgrund individueller bio-
graphischer Verläufe und Übergänge zu konstatieren ist. Daraus resultiert die Not-
wendigkeit zu individuellen Entscheidungen in Verbindung mit hoher Eigenverant-
wortung für die eigene Biographie, die es zu optimieren gilt. Der dadurch entstande-
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 969

ne Qualifizierungsdruck kann als Antwort auf den Vertrauensverlust in die Zukunft


und deren Gestaltbarkeit interpretiert werden (Scherr 2018). In dieses Bild fügt sich
die Beobachtung der Shell-Jugendstudien ein, dass die Jugendlichen einerseits hin-
sichtlich (Aus-)Bildung, Beruf und sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft ein aus-
geprägtes Sicherheitsbedürfnis entwickelt haben, und andererseits vor dem Hinter-
grund der potentiell zur Verfügung stehenden vielfältigen Optionen mit einem prag-
matischen Blick in die Zukunft sehen (Shell Deutschland Holding 2019).
Eine weitere Annäherung ergibt sich aus der Überlegung, dass sich nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs und der damit einhergehenden politischen Entspannung seit
den 1990er Jahren der Neoliberalismus als ein nachhaltiger Motor der Globalisierung
durchgesetzt hat, wodurch insbesondere aufgrund der Liberalisierung der weltweiten
Finanzmärkte die Nationalstaaten und deren Wirtschaftssysteme unter fortdauernden
Druck gesetzt worden sind. Folgen davon waren in Deutschland u. a. soziale und öko-
nomische Unsicherheiten aufgrund des Strukturwandels des Arbeitsmarktes bei stei-
gender Arbeitslosigkeit und beginnendem Rückbau des Sozialstaats. Dies hat zu
einer Ökonomisierung gesellschaftlicher Teilbereiche und einem nochmaligen Be-
deutungszuwachs der Erwerbsarbeit für die Vergesellschaftung des Individuums ge-
führt. Die Wirkung der ökonomischen Leitkultur ist bis in das familiäre Leben ge-
drungen, da eine frühzeitige Vermittlung marktrelevanter Persönlichkeitsmerkmale
konstatiert werden kann (Lange & Reiter 2018). Zu solchen Merkmalen können z. B.
Leistung, Selbstdisziplin, Aufschub von Belohnungen und rationale Risikoabwä-
gung gezählt werden. Kinder werden somit im Familienverband zu Investitionsgü-
tern, so dass sich die Elternschaft am Erfolg der Investitionstätigkeiten bemisst, wo-
durch eine biografisch vorausschauende Eigenverantwortung und Risikokalkulation
des eigenen Verhaltens gefördert wird (Lange & Reiter 2018).
Der Rückgang der Jugendkriminalität kann demnach in den Kontext gesellschaft-
licher Veränderungen hin zu einer Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens
mit den Folgen einer ausgeprägten Optimierung der eigenen Biographie bei gestie-
genen Anforderungen an die individuelle Selbstkontrolle gestellt werden. Diese Ent-
wicklungen lassen sich mit kriminalsoziologischen Ansätzen zur Erklärung von Ju-
genddelinquenz auf plausible Weise in Beziehung setzen. Im Ergebnis zeigt sich
damit, dass diese Überlegungen für eine stärkere Verzahnung von allgemeiner Ju-
gendforschung im Kontext gesellschaftlichen Wandels und der kriminologischen
Forschung zur Jugenddelinquenz sprechen. Inwiefern dabei die „gute“ Nachricht
des Rückgangs der Jugendkriminalität mit als wünschenswert und als förderlich
zu bewertenden Veränderungen der Sozialisationsbedingungen einhergeht, kann
nur im gesellschaftlichen Diskurs zur Jugend als Lebensphase ausgehandelt werden.
Die beschriebenen Veränderungen der Bedingungen jugendlicher Sozialisation kön-
nen aber auch kritisch als Herausforderungen für die Identitätsentwicklung gesehen
werden, da die gesellschaftlichen Anforderungen an das individuelle marktkonforme
„Funktionieren“ gewachsen und somit die Möglichkeiten und gesellschaftlich zuge-
standenen Freiräume zur Entfaltung und Selbstfindung junger Menschen gesunken
sind. Jugenddelinquenz ist dann nicht mehr „normal“, wenn sich das gesellschaftli-
970 Thomas Naplava

che Verständnis von Jugend als Schon- und Reifezeit hin zu einer Vorstellung von
Jugend als Phase der frühzeitigen und eigenverantwortlichen Qualifizierung und Op-
timierung verschiebt. Vor diesem Hintergrund könnte der Anstieg des Cannabiskon-
sums junger Menschen als Versuch gedeutet werden, den individuell erlebten Druck
gesellschaftlicher Erwartungen auszugleichen.

Literaturverzeichnis

Aebi, M.F. & Linde, A. (2010): Is There a Crime Drop in Western Europe? European Journal of
Criminal Policy and Research 16, S. 251 – 277.
Akers, R.L. (1973): Deviant Behavior. A Social Learning Approach. Belmont.
Albrecht, G. (2003): Jugend, Recht und Kriminalität, in: H.-H. Krüger (Hrsg.), Handbuch der
Jugendforschung. 3. Aufl. Opladen, S. 743 – 794.
Albrecht, H.-J. (1998): Jugend und Gewalt. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsre-
form 81/6, S. 381 – 398.
Albrecht, H.-J. (2003): Arbeitslosigkeit: Exklusion aus dem Erwerbsleben und soziale Desin-
tegration, in: J. Raithel & J. Mansel (Hrsg.), Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hell-
und Dunkelfeldbefunde im Vergleich. Weinheim, S. 117 – 133.
Albrecht, H.-J. (2010): Gewaltkriminalität – Ursachen und Wirkungen, in: D. Dölling, B.-D.
Meier, T. Verrel, & B. Götting (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift
für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag am 20. August 2010. Berlin, S. 31 – 47.
Albrecht, H.-J. (2014): „Die Kriminalität sinkt!“ – Warum geht die Jugendkriminalität zurück?
Recht der Jugend und des Bildungswesens 62/3, S. 363 – 380.
Albrecht, H.-J. (2016): Der Rückgang der Jugendkriminalität setzt sich fort. Recht der Jugend
und des Bildungswesens 64/4, S. 395 – 413.
Baier, B., Schepker, K. & Bergmann, M.C. (2016): Macht Kiffen friedlich und Saufen aggressiv?
Zum kausalen Zusammenhang von Cannabis- und Alkoholkonsum und delinquentem Ver-
halten. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 27/4, S. 324 – 332.
Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a. M.
Bertram, B. & Bertram, H. (2018): Familie, elterliches Wohlbefinden und die Zukunft von Kin-
dern, in: K. Böllert (Hrsg.), Kompendium Kinder- und Jugendhilfe. Wiesbaden, S. 1497 –
1532.
Bohmann, S. & Schupp, J. (2016): IT und Kommunikationstechnologien dominieren die Frei-
zeit von Jugendlichen. DIW Wochenbericht 83/46, S. 1092 – 1102.
Bundeskriminalamt (2019): Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland. Ge-
schichtliche Entwicklung. Wiesbaden.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2019a): Der Alkoholkonsum Jugendlicher und
junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2018 und Trends.
BZgA-Forschungsbericht. Köln.
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 971

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2019b): Der Cannabiskonsum Jugendlicher


und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2018 und Trends.
BZgA-Forschungsbericht. Köln.
Cohen, L.E. & Felson, M. (1979): Social Change and Crime Rate Trends: A Routine Activity
Approach. American Sociological Review 44, S. 588 – 608.
Cremer-Schäfer, H. (2011): Die Jugendkriminalitätswelle und andere Kriminalisierungsereig-
nisse, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Wies-
baden, S. 187 – 201.
Estrada, F. (2001): Juvenile Violence as a Social Problem. Trends, Media Attention and Societal
Response. British Journal of Criminology 41, S. 639 – 655.
Glaubitz, C. & Bliesener, T. (2019): Flüchtlingskriminalität – Die Bedeutung des Aufenthalts-
status für die kriminelle Auffälligkeit. Eine Untersuchung der Deliktbelastung von Geflüch-
teten in den Jahren 2013 bis 2016. Neue Kriminalpolitik 31/2, S. 142 – 161.
Görlitz, K., Spieß, C.K. & Ziege, E. (2018): Fast jedes zehnte Kind geht auf eine Privatschule –
Nutzung hängt insbesondere in Ostdeutschland zunehmend vom Einkommen der Eltern ab.
DIW Wochenbericht 85/51, S. 1104 – 1111.
Gottfredson, M.R. & Hirschi, T. (1990): A General Theory of Crime. Stanford.
Heitmeyer, W., Collmann, B., Conrads, J., Matuschek, I., Kraul, D., Kuehnel, W., Moeller, R. &
Ulbrich-Hermann, M. (1998): Gewalt. Schattenseiten der Individualisierung aus unter-
schiedlichen Milieus. 3. Aufl. Weinheim.
Hille, A., Arnold, A. & Schupp, J. (2013): Freizeitverhalten Jugendlicher: Bildungsorientierte
Aktivitäten spielen eine immer größere Rolle. DIW Wochenbericht 80/40, S. 15 – 25.
Hille, A., Spieß, C.K. & Staneva, M. (2016): Immer mehr Schülerinnen und Schüler nehmen
Nachhilfe, besonders in Haushalten mit mittleren Einkommen. DIW Wochenbericht 83/6,
S. 111 – 120.
Hirschi, T. (1969): The Causes of Delinquency. Berkeley.
Hoffmann, D. (2014): Täuschende Einfachheit und ihre Folgen – Problemkonstruktionen und
mediale Diskurse über Liebe, Sex und Pornos, in: A. Groenemeyer & D. Hoffmann (Hrsg.),
Jugend als soziales Problem – soziale Probleme der Jugend? Weinheim, S. 158 – 183.
Hurrelmann, K. & Bauer, U. (2015): Einführung in die Sozialisationstheorie. Das Modell der
produktiven Realitätsverarbeitung. 11. Aufl. Weinheim.
Hurrelmann, K. & Quenzel, G. (2016): Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwis-
senschaftliche Jugendforschung. 13. Aufl. Weinheim.
Lange, A. & Reiter, H. (2018): Gesellschaftsdiagnostische Annäherungen an die Rahmenbedin-
gungen des Aufwachsens in der späten Moderne, in: A. Lange (Hrsg.), Handbuch Kindheits-
und Jugendsoziologie. Wiesbaden, S. 13 – 34.
Leven, I., Quenzel, G. & Hurrelmann, K. (2019a): Bildung: Immer noch entscheidet die soziale
Herkunft, in: Shell Deutschland Holding (Hrsg.), Jugend 2019. Eine Generation meldet sich
zu Wort. Weinheim, S. 163 – 185.
972 Thomas Naplava

Leven, I., Quenzel, G. & Hurrelmann, K. (2019b): Beruf und Karriere: Im Falle des Falles zählt
die Sicherheit des Arbeitsplatzes, in: Shell Deutschland Holding (Hrsg.), Jugend 2019. Eine
Generation meldet sich zu Wort. Weinheim, S. 187 – 211.
Lu, R., Willits, D., Stohr, M.K., Makin, D., Snyder, J., Lovrich, N., Meize, M., Stanton, D., Wu, G.
& Hemmens, C. (2019): The Cannabis Effect on Crime: Time-Series Analysis of Crime in
Colorado and Washington State. Justice Quarterly; https://www.tandfonline.com/doi/full/
10.1080/07418825.2019.1666903.
Luedtke, J. (2014): Die Arbeitsgesellschaft unter Wandlungsdruck – Auswirkungen auf die
Lage und Zukunft der Jugendlichen, in: A. Groenemeyer & D. Hoffmann (Hrsg.), Jugend
als soziales Problem – soziale Probleme der Jugend? Weinheim, S. 76 – 96.
Mead, G.H. (1993 [1934]): Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt a. M.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2018): JIM-Studie 2018. Jugend, Informa-
tion, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart.
Merton, R.K. (1968): Social Theory and Social Structure. New York.
Oberwittler, D., Blank, T., Köllisch, T. & Naplava, T. (2001): Soziale Lebenslagen und Delin-
quenz von Jugendlichen. Ergebnisse der MPI-Schulbefragung 1999 in Freiburg und Köln.
Freiburg i.Br.
Oberwittler, D., Schwarzenbach, A. & Gerstner, D. (2014): Polizei und Jugendliche in multi-
ethnischen Gesellschaften. Ergebnisse der Schulbefragung 2011 „Lebenslagen und Risiken
von Jugendlichen“ in Köln und Mannheim. Freiburg i.Br.
Pfeiffer, C., Baier, D. & Kliem, S. (2018): Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland. Schwer-
punkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer. Zürich.
Rocca, G., Verde, A. & Gatti, U. (2019): Impact of Alcohol and Cannabis Use on Juvenile De-
linquency: Results from an International Multi-City Study (ISRD3). European Journal on
Criminal Policy and Research 25, S. 259 – 271.
Scherr, A. (2018): Jugend als gesellschaftliche Institution und Lebensphase, in: B. Dollinger &
H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Wiesbaden, S. 17 – 33.
Schmitz, S., Spieß, C.K. & Stahl, J.F. (2017): Kindertageseinrichtungen: Ausgaben der Familien
sind von 1996 bis 2015 mitunter deutlich gestiegen. DIW Wochenbericht 84/41, S. 889 – 903.
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik
Deutschland (2018): Allgemeinbildende Schulen in Ganztagsform in den Ländern in der
Bundesrepublik Deutschland. Statistik 2012 bis 2016. Berlin.
Shell Deutschland Holding (Hrsg.) (2019): Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort.
Weinheim.
Tcherni, M., Davies, A., Lopes, G. & Lizotte, A. (2016): The Dark Figure of Online Property
Crime: Is Cyberspace Hiding a Crime Wave? Justice Quarterly 33/5, S. 890 – 911.
Tseloni, A., Mailley, J., Farrell, G. & Tilley, N. (2010): Exploring the International Decline in
Crime Rates. European Journal of Criminology 7/5, S. 375 – 394.
Walburg, C. (2016): Migration und Kriminalität – Kontinuitäten und neue Perspektiven, in: F.
Neubacher & N. Bögelein (Hrsg.), Krise – Kriminalität – Kriminologie. Mönchengladbach,
S. 53 – 66.
Rückgang der Kriminalität junger Menschen 973

Werse, B. (2014): Die Mär von der immer besoffeneren Jugend. Alkohol-Konsumtrends unter
Heranwachsenden und die öffentliche Wahrnehmung, in: A. Groenemeyer & D. Hoffmann
(Hrsg.), Jugend als soziales Problem – soziale Probleme der Jugend? Diagnosen, Diskurse
und Herausforderungen. Weinheim, S. 199 – 217.
Wikström, P.-O. (2006): Individuals, Settings, and Acts of Crime: Situational Mechanisms and
the Explanation of Crime, in: P.-O. Wikström & R.J. Sampson (Hrsg.), The Explanation of
Crime. Context, Mechanisms and Development. Cambridge, S. 61 – 107.
Wolfert, S. & Leven, I. (2019): Freizeitgestaltung und Internetnutzung: Wie Online und Offline
ineinandergreifen, in: Shell Deutschland Holding (Hrsg.), Jugend 2019. Eine Generation
meldet sich zu Wort. Weinheim, S. 231 – 246.
Juvenile Delinquency in Greece
An Analysis of Prevention Mechanisms

By Effi Lambropoulou

D|sir d’ ok_cg te v_kg te1


Ol^qou ‘Od}sseia n4 57

1. Introduction2
This article presents the preliminary results from the Third Round of the Interna-
tional Self-Report Delinquency Study (ISRD3) in Greek schools carried out in April
and May of 2016 on 12 – 15 year old students.
Three rounds of the ISRD project have presently been carried out and a fourth one
will soon begin. The ISRD study consists of a large international network of resear-
chers, coordinated by the ISRD Steering Committee.3 The ISRD has a standard sur-
vey instrument (ISRD3 questionnaire) for all countries, and standardized data entry
software (EpiData).
The target group of the ISRD3 project is children in grades 7 to 9 (12 – 15 years of
age). The students are questioned about their experiences as offenders and victims of
crime. They are also questioned about their everyday lives and opinions.4 The present
article will only focus on the delinquency of juveniles, their family relationships and
their views about the police.

1
To Professor H.-J. Albrecht.
2
I am very much obliged to Dr. Dimitris Kalamaras, whose help and advice on this project
I was constantly looking for and sincerely appreciate.
3
See https://web.northeastern.edu/isrd/steering-committee/ [17. 02. 2020].
4
See https://web.northeastern.edu/isrd/summary/ [17. 02. 2020].
976 Effi Lambropoulou

2. Current Study
2.1 Research Questions

ISRD3 focuses on the empirical integration of situational action theory, institutio-


nal anomie theory and procedural justice theory, as well as theories of social control
(social bonding), criminal opportunity and social disorganization.5
The present analysis is based on Travis Hirschi’s theory of control and Tom Tyler’s
theory of procedural justice. The following hypotheses are tested: If the self-reported
delinquency of the students is low, then it should correlate with close bonds with fa-
mily members, a high level of parental supervision, feelings of shame or embarrass-
ment in case their illegal act is discovered by them, confidence of the students in the
police, and the degree to which students follow the police’s instructions.
Dependent variables are self-reported delinquency (lifetime prevalence) and trust
in the police. Independent variables are family bonds, parental supervision and fee-
lings of shame that they may have in case of their actions being discovered.

2.2 Theoretical Framework

Control theory, contrary to the majority of crime theories, examines why a person
obeys the law and not why a person violates it.6 The answer lies in the bonds develo-
ped by the person with people, institutions and values. These bonds work protectively
so as not to lead to deviant behavior and, according to Hirschi, when these are absent,
inadequate or loose, deviance can be the result.7
Overall, social control theory’s major theses have received substantial empirical
support. According to sociology professor Barbara J. Costello, “control theory has
uncovered several clear facts of delinquency”.8 Delinquent youths have lower levels
of attachment to parents and school, lower levels of commitment to conventional
goals, especially striving to achieve long-term goals. They also tend to have a low
level of belief in the moral validity of laws and norms, they lack a sense of respon-
sibility and shame towards society and disregard social disapproval.
Therefore, they are more tolerant of crime and more likely to engage in deviant
behavior.9
Procedural justice (or procedural fairness) is the impartiality that is followed in
the proceedings of those who have the power to make decisions. Early research, in-

5
See https://web.northeastern.edu/isrd/ [17. 02. 2020]. For the objectives of ISRD, see
Enzmann et al. 2010, 161.
6
Pratt et al. 2011.
7
Hirschi 1969.
8
Costello 2010, 457.
9
Costello 2010, 457.
Juvenile Delinquency in Greece 977

itiated by Thibaut & Walker (1975), found that the perceived fairness of the legal
processes involving citizens was directly related to the citizens’ level of respect
and cooperation with the authorities.10 Moreover, later research by Tyler and others
concludes that when citizens make general evaluations about the legitimacy of power
holders (e. g. police officers, judges, probation officers), they are more concerned
about procedural fairness, namely how they are treated, than they are about the out-
come of the dispute.11
The research interest in procedural justice, particularly with regard to policing,
has increased since the mid-1990s, where studies have shown that the police can
gain greater acceptance of the legality of their actions and thus, achieve cooperation
and citizens’ compliance when dealing with them in procedural fairness.12 Eamon
Aloyo has made an interesting distinction between “regulatory” and “empirical” le-
gality. Regulatory legality refers to a set of standards by which an institution or status
is evaluated. Empirical legality refers to whether citizens consider a statute or an in-
stitution to be legitimate.13

3. Data and Methods


3.1 Data Collection Procedures

In the ISRD3 questionnaire self-reported delinquency is measured by 15 offenses.


These can be grouped into crimes against property (e. g. shoplifting, burglary) and
violent crimes (e. g. group fighting, animal cruelty). The questionnaire asks about
committing an illegal act at any time (‘ever’-lifetime prevalence) but also in the
last 12 months (previous year prevalence).
The (Greek) Educational Policy Institute/IEP, from which our research group14
requested authorization for the study and submitted the questionnaire for approval,
did not allow direct questions about students’ drug use and drug dealing, questions
about family environment disorder (e. g. physical violence between parents and/or
against the child) and questions about their view on police bribery.
The questionnaire consists of 11 sections (three parts)15 with subsections and its
Greek translation extends to 24 pages. It is admittedly long and the children were
pressured to respond within one teaching hour, the time provided to the researchers
by the school principals. Questionnaires were completed in the classroom with paper
10
Tyler 2003, 283.
11
Tyler 1990; Bennett et al. 2018.
12
Tyler & Yuen 2002.
13
Aloyo s.d.
14
Olga Matskidou (MA) and Ioanna Horti (MA).
15
See more in Haen Marshall et al. 2013, 13. The questionnaire can be filled in through
paper and pencil or electronically.
978 Effi Lambropoulou

and pencil, in the presence of one teacher and one or two interviewers.16 All partici-
pants had the written permission of their parents (mother or father).

3.2 Sample17

The ISRD3 project uses city sampling and it is recommended that each country
targets at least two cities (i. e. a total of 1,800 – 2,000 participants per country). The
majority of countries uses city-based samples, but some countries use national sur-
veys.
In the research conducted in Greece, students from 12 schools from the city centre
as well as the Greater Athens area participated in the survey.18 They represented 2.5%
of the public middle schools in the Central, North, East and West Attica Prefecture
(N: 475).19 These municipalities, including the city centre, make up a total of 1.5 mil-
lion inhabitants. From these schools, 1,251 valid questionnaires were collected.
The second Greek city used for the study was Komotini, the main city of the Thra-
ce prefecture in Northern Greece (approx. 55,000 inhabitants). Students from four
(80%) of the city’s five public middle schools participated, resulting in 668 valid que-
stionnaires.
In total, there were 1,919 valid questionnaires: 65.2% from Greater Athens and
34.8% from Komotini.
Girls made up 52.1% of the sample, and boys 47.7%. 95.1% of the respondents
were born in Greece.
For 87.4% of the respondents, their family’s income came from earnings, pension,
and property of their parents, 10.2% from unemployment benefits, and, for 2.3% of
the respondents, from other sources (e. g. alimony, money from relatives, e. g. support
from a grandparents’ pension); 4.7% of the sample did not respond. In addition, 49%
of the sample considered their family’s ability to meet its financial obligations “the
same as other families”, 22% more difficult than other families, while 29% found
their family’s easier to handle.

16
PhD candidates O. Matskidou (MA) and I. Horti (MA), the graduate students of the 4th
and 6th semester of the Department of Sociology at Panteion University (2016 – 17): S. Mal-
liou, K. Batzeli, T. Micha, A. Papailiou, I. Sarantou, S. Tatsi, E. Tsolakou and N. Horti. The
data entry to the EpiData was carried out by O. Matskidou, I. Horti, K. Batzeli & G. Kapsali.
Dr. D. Kalamaras converted the data from EpiData to SPSS (25), so that we can process it for
our research needs.
17
Due to the limited scope of the article, the information about the sample is rudimentary.
18
The Greater Athens region consists of the Athens municipality (City of Athens with 7
communities) and 34 more municipalities, divided in four regional units (Central, North,
South and West Athens), accounting for 2,641,511 people (in 2011).
19
Ilioupoli, Elliniko-Argyroupoli, Palaio Faliro, Kallithea, Ilion, Petroupoli, Peristeri,
Egaleo, Alimos, Nea Smyrni and Zografou.
Juvenile Delinquency in Greece 979

4. Findings
4.1 Self-Reported Delinquency and Feelings of Shame

Overall, the rate of students who reported that they had never committed an illegal
act ranges from 82.2% to 99.3%, with the exception of illegal downloading (57%).
Thus, the delinquency rates of the sample are low and, as they replied, of their peer
group too. The answer to the question “Does your peer group get used to occasionally
committing offenses/delinquent acts?”, 12.1% answered “Yes”, while 77.2% of the
sample answered “No”. Somewhat lower rates are recorded in the question “If a
member of your peer group commits an illegal act, is this accepted by the other mem-
bers or not?”, 18.3% of the sample answered “Yes” compared to 70.9% who said
“No, it is not acceptable”.
The only exception is a high rate of downloading pirated music and/or movies
with the knowledge that the act is illegal (Figure 1). Specifically, 43.1% of the sample
said that they had downloaded pirated music and movies at least once in the past,
41.9% said they had done so in the last year, and from them 58.4% more than six
times in the last year.

Figure 1: Property Crimes in % (Lifetime Prevalence)

Concerning property crimes, as Figure 1 shows, apart from illegal downloading


(43.1%; n: 789), the highest rates of delinquency are for stealing something from a
person without force or threat (“skimming”) at 8.5% (n: 158), followed by shoplifting
at 6.3% (n: 117) and stealing off or from a car (car break) at 2.6% (n: 49).
980 Effi Lambropoulou

As regards violent offences (Figure 2), group fights and clashes in a football sta-
dium, on the street or other public place have the highest rate with 17.8% (n: 329).
Next is graffiti with 15.3% (n: 286), carrying a weapon, i. e. a dangerous object such
as a knife, a chain, or a stick of wood with 9.9% (n: 184). Beating someone up or
hurting someone with a dangerous object rises to 4.7% (n: 86) and is at about the
same level as vandalism (4.6%; n: 85).

Figure 2: Violent Crimes in % (Lifetime Prevalence)

The most frequent property offences, which were committed in the last year, cor-
respond to the lifetime prevalence of property offences, i. e. illegal downloading,
stealing/skimming, shoplifting, and car break. The most frequent violent offences,
similarly, are group fights, graffiti, carrying a dangerous object, battery and assault
with a dangerous object and vandalism.
The largest proportion of students from the total sample (45.4%), who admitted to
stealing from friends and other students, had committed it once and 29.2% twice. The
same applies to shoplifting, where 53.8% reported a theft once, and 22% twice.
Moreover, 50% of those who reported having stolen from a car had done so once
and 34% twice. A special case is illegal downloading, where 58.7% of the sample
who admitted to downloading, had committed it seven times and more, while only
7.3% once.
Juvenile Delinquency in Greece 981

As for the frequency of violent offences, 58.4% of juveniles who reported parti-
cipating in group fights had committed it once or twice, while 26% more than five
times. 57.1% of the youths who reported graffiti had done it up to two times, as had
done 85.6% of the sample who reported carrying a dangerous object. 72% of students
who admitted vandalism committed it up to two times (once: 51%, twice 21%), while
17.3% five and more.
As for drug law violations, the few questions, which were permitted to ask, show
that 98.4% of the sample had never used drugs and 99.1% had not used drugs in the
last 30 days.
In order to test whether the results for low delinquency confirm the hypotheses of
our research, we examined the bonds of students with their families. Thus, in the que-
stion “Who is involved in raising you?” 87.8% answered both mother and father,
which generally indicates a non-disorganized family (“broken home”). Furthermore,
in another question “How well do you get along with your parents?” a high rate of
students “totally agreed” that they were getting along well with their mother and fa-
ther. In more detail, 61.8% of the sample totally agreed that “they were getting along
well with their father”, and 68.9% totally agreed that “they were getting along well
with their mother”. Additionally, 73% strongly agreed that they “can easily get emo-
tional support and care from their parents”, and 77.6% strongly agreed that they
would “feel very bad disappointing their parents”, while only 1.4% completely dis-
agreed with this statement (Table 1). From the previous findings, it is evident that the
degree of attachment of students to their family is high.
According to Hirschi, loyalty to reference persons, such as parents (friends, te-
achers and school), is considered to be the most important factor through which
the individual creates social awareness, respect for the laws and for others, and ge-
nerally contributes to the internalization of social control. Having a person of refer-
ence is crucial to one’s mental balance, cultivating respect for others and lawful be-
havior.
Hirschi’s position that strong family bonding develops a sense of control is rein-
forced as, in this sample, high rates of attachment to parents (harmonious relation-
ships) are directly correlated to a low level of delinquent behavior.
The chi-squared test applied to determine whether emotional support from pa-
rents, as students perceive it, relates to any crimes against property, shows that in
most crimes against property there is a statistically significant difference between
those who feel emotional support from those who do not feel emotional support
(X2 ranges from 10.628 to 149.307; df 4, 5; p < .00120), apart from stealing of or
from a car, where the difference is not significant.

20
W2 (4) = 10.628; p = 0.059 only in the case of burglary, and X2 (5) = 15.782; p = .003
in the case of illegal downloading.
982 Effi Lambropoulou

Table 1
Family Bonds and Emotional Support (%)
I get along just my my I can easily get I would feel
fine with father mother emotional support and very bad
care from my parents disappointing
my parents
totally agree 61.8 68.9 73.0 77.6
rather agree 21.4 19.4 11.1
neither/nor 7.7 5.2 5.6 4.4
rather disagree 2.3 1.3 1.4 1.8
totally disagree 1.3 0.9 0.5 1.4
there is no such person 3.4 2.2 0.1 3.6
ambiguous
0.1 0.1 0.1
answer
TOTAL % 100.0 100.0 100.0 100.0

Quite similar are the results regarding violent crimes. There is found a statistically
significant difference between those who feel emotional support from those who do
not in several crimes (X2 ranges from 16.757 to 51.996; df 4, 5; and p < .001 in all
cases), apart from purposely hurting an animal, beating and causing physical harm to
someone, and participating in group fights.
A statistically significant difference also appears to exist between students who
declare that they wouldn’t “feel bad disappointing their parents” with those who
would feel bad in the majority of property crimes and, in particular, in car theft
(X2 (6) = 25.875; p < .001), shoplifting (X2 (6) = 19.605; p < .001), theft (X2 (6) =
19.127; p < .001), and burglary (X2 (6) = 14,909; p < .05). There is also a statisti-
cally significant relationship between students’ admitted disinterest whether they
would frustrate their parents, with few violent crimes, i. e. vandalism (X2
(5) = 27.058; p < .001), carrying a weapon/dangerous object (X2 (6) = 23.555;
p < .001) and group fights (X2 (6) = 21.047; p < .005).
Concerning parental supervision, most students answered that their parents know
where they are when they go out (87.6%) and with whom (85.4%), as well as that they
should call their parents if they are out and will get home late (85.3%).
Parents’ checking homework occurs to a lesser extent, where rates are evenly dis-
tributed across the scale, from “very often” to “not at all”. However, 40% declared
that their homework was always/most often checked by their parents, and 37% for the
films they watched.
The chi-squared test was likewise applied to determine whether parental supervi-
sion relates to any property and violent crimes. It was found a significant difference in
all property crimes between the juveniles saying that their parents had known where
they had been, what they were doing, and what friends they had been with, with those
Juvenile Delinquency in Greece 983

who said that their parents hadn’t known (X2 ranges from 18.113 to 92.920; df 4, 5;
p < .00121).
Furthermore, there is a significance difference in all violent crimes between the
juveniles saying that their parents had known where they had been, what they were
doing, and what friends they had been with, with those who said that their parents
hadn’t known (W2 ranges from 15.002 to 120.472; df 4; p < .001), apart from
“hurt an animal on purpose”.22
Therefore, the first conclusion is that strong family bonds combined with proper
parental supervision reduce the chances of delinquent behavior.
Afterwards it was examined whether a lack of shame for the “significant others” in
the student’s home, school, and peer group is associated with delinquency. 61.7% of
the students said they would feel ashamed if their best friend heard that they were
“arrested by the police for committing an illegal act”, 75.9% if their teacher found
out about it and 89.6% their parents (Table 2). Therefore, the second conclusion is
that parents are the strongest force of social control in adolescence and the most Si-
gnificant Other. In any case, the above results on the role of social control authorities
(family, teachers and school, friends) require further analysis.23
Table 2
Feelings of Shame (%)
Yes,
Imagine you were arrested by the police for committing a No, not Yes, a
very
crime, would you feel ashamed if … at all little
much
your best friend found out about it 11.7 26.5 61.7
your teacher found out about it 10.0 14.0 75.9
your parents found out about it 3.7 6.7 89.6

4.2 Trust in the Police and Students’ Favor in Conventional Behavior

Starting with Tom Tyler’s Theory of Procedural Justice (PJT),24 we next examined
the students’ trust in the police and, in particular, their view of how police respond to
offenders and how this response is estimated by the juveniles.
As already discussed, for this theory, fair, lawful and respectful behavior of the
representatives of justice is not only morally desirable but also a prerequisite for ef-
fective justice. In particular, PJT focuses on how police authorities and other law en-
forcement agencies interact with the public, and how the characteristics of these in-
21 2
X (4) = 13.416; p = .010 only in the case of burglary and in one of the three main
questions checked.
22 2
X (5) =5192; p = 0.393 and in one of the three main questions checked.
23
Gottfredson & Hirschi 1990; see also Cohen & Felson 1979.
24
Tyler 2003.
984 Effi Lambropoulou

teractions influence citizens’ views of the police and affect their willingness to com-
ply with law.25 Consequently, the impact of the behavior of social control authorities/
law enforcement agencies (police, judges, etc.), as perceived by minors, is important
for the acceptance and internalization of social rules and laws by them.
Table 3
What Do Students Think About Police Discrimination
and How are they Treated by the Police (%)
When victims report crimes to the police, do you think the police treat people
of different races, different ethnic groups, or of foreign origin equally? (%)
No 57.4
Yes 42.5
(ambiguous answer) 0.2
Would you say the police generally treat young people with respect? (%)
(almost) never 14.2
sometimes 55.2
often 24.0
(almost) always 6.5
How often, would you say, the police make fair decisions when dealing with young
people? (%)
(almost) never 10.4
sometimes 49.8
often 31.3
(almost) always 8.3
(ambiguous answer) 0.2
How often, would you say, the police explain their decisions and actions to young people?
(%)
(almost) never 30.2
sometimes 43.3
often 20.3
(almost) always 6.2
The police are appreciative of how young people think (%)
agree strongly 5.7
agree 19.8
neither agree/nor disagree 34.4
disagree 30.1
disagree strongly 10.0

25
Tyler 1990; Tyler, Degoey & Smith 1996; Rawls 1999, 73 – 78.
Juvenile Delinquency in Greece 985

In this light, the following are some of the results of the views and attitudes toward
the police of 611 ninth-grade students (third middle-school class in Greece), from the
16 schools participating in our study.
The question as to whether the police treat victims of different races, different eth-
nic groups, or of foreign origin equally when they report crimes to the police is cru-
cial. 57.4% believe that the police do not treat all victims equally, while 42.5% be-
lieve that they treat everyone equally and they do not discriminate. According to the
first group, the police treat differently “immigrants, people of different ethnicity or
religion, people of low social income, Africans, anarchists, sports fans and crimi-
nals”. It is obvious that students in most cases may not have personal experience,
but that their perception is influenced by their environment, media, peers, and family.
However, it is interesting that many students find the police generally treating
young people with respect. 30.5% think this happens (almost) always/often,
14.2% (almost) never, and 55.2% sometimes.
Even more interesting is the answer to the question “How often would you say that
the police make fair decisions when dealing with young people?”: 39.6% believe this
happens (almost) always/often, 10.4% (almost) never, and 49.8% sometimes. More-
over, 26.8% believe that the police explain their decisions and actions to young peo-
ple (almost) always/often, 30.2% (almost) never and 43.3% sometimes. Yet, the re-
spondents of the sample seem to have a different view about whether the “police are
appreciative of how young people think”. 25.5% of the sample agree that the police
take into account how young people think, 34.4% neither agree nor disagree, but a
remarkable rate of 40.1% disagrees (Table 3).
More equally split are the answers of the juveniles to the question whether they
support the way the police act: 30.6% of students agree, 38.9% neither agree nor dis-
agree, while 30.6% disagree (Figure 3).
Interestingly, these responses of 15-year-old students correspond to the responses
of adult citizens from Greece in the European Social Survey (ESS) in 2010, which
also examined whether citizen respondents agree with the way police operate. The
sample responses (N: 2,562) in 2010 were as follows: 36% agree with the way police
usually operate, 39% neither agree nor disagree, while 25.2% disagree.26
The fact that the responses of adults to ESS research in 2010 and those of students
six years later do not vary much, probably reflects the impact of adults’ views on the
younger generation. Otherwise, the answer to the question “To what extent is it your
duty to do what the police tell you, even if you don’t understand or agree with the
reasons?” would be different. 58.3% of the students believe they are very obliged
to follow the instructions of the police, 28.2% said to feel quite obliged, and
13.6% not to feel obliged (Figure 4).

26
ESS Online analysis, ESS round 5 – 2010; https://www.europeansocialsurvey.org/fin
dings/topline.html.
986 Effi Lambropoulou

Figure 3: I Generally Support How the Police Usually Act (%)

Figure 4: To what Extent is it your Duty to Do what the Police Tell you,
Even if you Don’t Understand or Agree with the Reasons? (%)
Juvenile Delinquency in Greece 987

The chi-squared test was applied to examine whether the students’ feelings of
shame (or not) in the case that they were arrested by the police for committing a
crime, and parents, friends or teachers would hear about it, relate to students’ feelings
of obligation to follow the instructions of the police. The differences in following
police instructions were found to be significant between those who said that they
would feel ashamed and those who wouldn’t in case of arrest (X2 ranges from
54.888 to 61.015; df 20; p < .001).
It was tested as well, whether the commitment of students to follow police instruc-
tions is related with their view about impartiality of police operations and equal treat-
ment of all people. No statistically significant differences were found between those
students who regard police acting in a discriminatory manner and those who think
that police treat all people equally or not in following police instructions
(X2 = 12.810; df 20; p = .89). This finding needs further examination too.
Concerning the effectiveness of the police and, in particular, the speed at which
they react to a crime (burglary or violent crime) near the students’ home, 29.3% be-
lieve that the police will be late, 44.4% that they will come in a reasonable time and
26.1% believe that the police will come quickly. Thus, the view of the students about
the effectiveness of the police is rather positive.
In conclusion, the respondents generally seem to have a neutral view of how the
police act, which may affect their subsequent behavior in relation to their involve-
ment in offenses and disorder, but mainly their belief in social rules. Despite the neu-
tral police view, the low self-reported delinquency by the students implies that the
majority follows law-abiding behaviors because they feel obliged to do so, rather
than because they trust in the police and respect the way they operate. And this com-
mitment to lawful and moral behavior appears to be the result of constructive soci-
alization and education strategies, namely the outcome of informal social control.
However, the fact that students strongly believe that the police generally treat
young people with respect (85.7%) and make fair decisions when dealing with
young people (89.4%), in relation with the obligation to follow police instructions
(86.5%), seems to override their neutral view and confirms Tyler’s theory of proced-
ural justice.
The percentages above coincide with the first findings of Greece’s recent partici-
pation in the seventh wave of the World Values Survey (WVS).27 The Greek survey
was carried out from 8 September 2017 to 16 October 2017 with 1,200 participants
over 18 years of age.28 In the results of this survey, police rank third in the list of tru-
sted institutions (65.4%), after universities and the armed forces, and even higher
than the church, which usually has a high trust level. Specifically, 20% of the sample

27
Until now, the Network of WVS carried out six surveys and the seventh is ongoing.
Greece participated in the 3rd and 4th through the EVS.
28
Koniordos 2018, Table D1, 15.
988 Effi Lambropoulou

trust the police very much and 51% quite much, i. e. 71% of the sample generally trust
the police.29

5. Other Studies
The limited scope of the article allows only to present in summary the studies exa-
mined30 by the author. They show that violent acts represent a significant rate of ju-
venile delinquency. Learning disabilities and repeated serious conflicts between fa-
mily members, parents having problems with alcohol or drugs related with unemp-
loyment often result in deviant behavior of the juveniles, which in turn lead adoles-
cents to be referred to official control authorities, whether these are counseling
stations or social workers appointed by the juvenile service or the courts. According
to the reviews, drugs do not appear to be a problem for young people, nevertheless
frequent alcohol use is noticeable, although the rates are low. Their findings confirm
that lack of emotional support from parents and frustration from the family are di-
rectly linked to delinquency.
In relation to drugs and alcohol use the overall findings of the ESPAD (European
School Survey Project on Alcohol and Other Drugs)31 research of 2015, which is
chronologically close to the Greek ISRD3 research in 2016, reveal that the drug
use of Greek students were below the European average to all illegal addictive sub-
stances, below the average to use in the age under 13, and to the access to illicit sub-
stances. The research was carried out by the Greek Monitoring Centre for Drugs that
participates in the ESPAD project on 3,202 Greek students at the age of 16.32
The average in lifetime use of cannabis was reported by 9.1% of the Greek stu-
dents, compared to the overall average of 16.5%. For lifetime use of illicit drugs other
than cannabis, tranquilizers or sedatives without prescription and New Psychoactive
Substances (NPS) the Greek results are somewhat below to the average results. By
contrast, lifetime use of inhalants is more common among the Greek students (13% to
7% ESPAD). Moreover, 66% of the Greek juveniles reported that alcohol use had
taken place during the last 30 days, which is above the average for all countries
(48%), and a slightly higher proportion (38%) than the ESPAD average (35%) repor-
ted that heavy episodic drinking had taken place during the same period. Cigarette
use in the last 30 days was also more or less in line with the ESPAD average (21% to
19% ESPAD). As the ESPAD report underlines “Even though several key indicators
were more or less in line with the ESPAD average, the overall picture for Greece in the

29
Dianeosis 2018, 106, 107, 113; Koniordos 2018, Table B3.3a, 44.
30
Kotaridi, Valassi-Adam & Malikiosi-Loizou 2007; Papazoglou 2011; Karamperi 2016;
Tamichtsis 2016.
31
EMCDDA 2016.
32
EKTEPN-Mental Health Research Institute 2017, Figure 2, 15; see also Kokkevi et
al. 2016.
Juvenile Delinquency in Greece 989

ESPAD context is a slightly mixed one, with lower results for cannabis use but higher
rates for alcohol use”.33
As for the previous rounds of ISRD, Greece has participated only in the first one
(1992 – 93).34 Its findings have surprisingly several similarities but also differences
with the third round.
The difference is observed in the rates of overall delinquency, but not particularly
in its structure. Thus, 96.9% of respondents said they had committed an offense at any
time in their lives, and 85.1% in the last year.35 The high delinquency rates might be
related to the age range of the ISRD1 (14 – 21 years),36 as well as the big number of
offenses (33) included in its list, especially “youth offences” (e. g. fare dodging tram/
bus/metro, truancy, and driving without licence).
65.3% of the sample had committed property offenses in their lifetime, 61% vio-
lent crimes, 12.2% drug law violations and 87% “juvenile offenses”: high rates were
reported for truancy (68.9%) and alcohol consumption (95.6%). Shoplifting is the
most common property crime (28%) committed in the last year, followed by burglary
(21%) and theft from vending machines or telephone booths (17.7%). Vandalism
(63.4%), group fights (34.5%), and graffiti (31.2%) are the most common violent cri-
mes in the last year, and fare dodging from the “youth” related offences (66.4%).37
In Greek ISRD3, the highest rates of property offenses are theft (“skimming”)
against a classmate or peer, followed by shoplifting and car break. Of the violent cri-
mes, the highest rates are group fights in playing fields, on the street or other public
place before or after an athletic event and graffiti.38
Boys had significantly committed more offences than girls (91% to 79.3% last
year),39 as in our survey, however at a much lower rate.40 The differences in all crimes
between boys and girls are significant (p < .001), apart from car and bicycle theft and
extortion. In the ISRD1 Greek research, adolescents aged 14 – 17 reported higher
rates of violent crimes than the 18 – 21 age group (63% to 39%); the 20 – 21 age

33
See http://www.espad.org/country/greece [17. 02. 2020].
34
Spinellis et al. 1994. Other self-report surveys have been carried out in the past, which
unfortunately cannot be presented here, see more in Spinellis et al. 1999, 293 – 294.
35
Spinellis et al. 1994, Table 3, 299.
36
Spinellis and her associates report that for financial reasons the sample was deviated
from the suggested random sampling and a modified proportionate sample was constructed for
the purposes of the inquiry. Specifically, the 1992 sample consisted of 400 students, 50% boys
and 50% girls, 288.
37
Spinellis et al. 1994, Table I, 310 – 311.
38
See Figures 1 and 2 respectively; about last year prevalence see section 4.1 of the present
article.
39
Spinellis et al. 1994, Table 5, 302.
40
Up to 57% of the boys had committed an illegal act last year, while up to 47% of the
girls; up to 22.2% of the boys, while up to 10.8% of the girls had committed a violent crime
last year, and up to 46% of the boys, while up to 38.4% girls a property crime last year.
990 Effi Lambropoulou

group reported most violations against drug law (19.7%), while the age group of 14 –
15 years reported the least of them (1.9%).41
Very interesting and generally similar to ours are the findings of young people’s
relationship with their family and their school commitments, even though the rese-
arch was conducted 24 years ago.
Systematic parental control and supervision is overall associated with lower crime
rates (82.1%) than inadequate control (92.7%).42 And while the difference is statis-
tically significant between these two groups in property offenses (30.8% to 46%),
juvenile offenses (69.3% to 91%) and drug law offenses (2.3% to 23.7%), it is not
for violent crimes (30.8% to 46.9%).43 Furthermore, the students with close family
relationships, in particular good relationships with the father, have fewer violations
of drug laws (3.1% to 14.9%), and the difference is statistically significant from those
who don’t. “Problem behavior” (e. g. fare dodging, truancy), besides, is strongly re-
lated, to a bad relationship with the father (36.3% to 84%).44
School interest and involvement in school activities is generally associated with
low rates of delinquency, i. e. “juvenile delinquency” and “problematic” behavior.
Finally, overall school repetition has a statistically significant relationship with
high rates of delinquency.45

6. Discussion
The preceding empirical analysis confirmed the working hypotheses of this arti-
cle. The low delinquent rates of students in the sample is related to close ties with
their family and good relationships with their parents, emotional support from
them, a high level of parental supervision, and feelings of shame in the event of
an illegal act being discovered by their relatives.
Therefore, Hirschi’s theory about the importance of attachment to meaningful
persons is reinforced, in association with belief in social norms and institutions
(school, police), as well as the belief that these are important.
From the responses of our subsample of 15-year-old students about the police,
despite their reserve and neutral attitude, their willingness to comply with their in-
structions is remarkable and initially confirms Tyler’s theory of Procedural Justice,
which surely needs to be further tested by the Greek study. Commitment to obeying
the law and being true and honest (and the opposite) are primarily - but not exclusiv-
ely, products of constructive socialization, nurturing and education strategies, i. e. the
41
Spinellis et al. 1994, Table 6, 302.
42
Spinellis et al. 1994, Table VII, 304, 316.
43
Spinellis et al. 1994, 304.
44
Spinellis et al. 1994, Table IX, 317.
45
Spinellis et al. 1994, Table WII, 317.
Juvenile Delinquency in Greece 991

outcome of informal and not of formal social control. If this acceptance and willing-
ness to obey laws is encouraged and developed not only by the family, but also by the
school and the state, it will strengthen students’ trust in the legitimacy of police de-
cision-making and the necessity of obeying laws, provided that the police themselves
will make professional and impartial decisions, as well as stay in close proximity to
the younger generation. Finally, the influence of peers and (social) media is important
too and these aspects will be included in the next ISRD survey.

References*
Aloyo, E. (2019): Fostering a Sense of Legitimacy – For Students, Educators, and Trainers. Be-
yond Intractability – Moving Beyond Intractability – CR Info, Knowledge base; https://www.
beyondintractability.org/userguide/legitimacy-educators [17. 10. 2020].
Bennett, S., Hine, L. & Mazerolle, L. (2018): Procedural Justice. Oxford Bibliographies in
Criminology; https://www.oxfordbibliographies.com/view/document/obo-9780195396607/
obo-9780195396607-0241.xml [17. 10. 2020].
Cohen, L.E. & Felson, M. (1979): Social change and crime rate trends: A Routine activity ap-
proach. American Sociological Review 44/4, pp. 588 – 608.
Costello, B. (2010): Hirschi, Travis: Social Control Theory, in: F.T. Cullen & P. Wilcox (eds.),
Encyclopedia of Criminological Theory. Thousand Oaks, pp. 451 – 458.
Dianeosis (2018): World Values Survey, Wave 7. Greek research – Results’ report. Athens.
EKTEPN-Mental Health Research Institute (2017): The Situation of Drug and Alcohol Use in
Greece. Athens.*
EMCDDA & ESPAD (2016): ESPAD Report 2015, Results from the European School Survey
Project on Alcohol and Other Drugs. Luxembourg.
Enzmann, D., Haen Marshall, I., Killias, M., Junger-Tas, J., Steketee, M. & Gruszczynska, B.
(2010): Self-reported youth delinquency in Europe and beyond: First results of the Second
International Self-Report Delinquency Study in the context of police and victimization data.
European Journal of Criminology 7/2, pp. 159 – 183.
European Social Survey (2010): ESS Round 5; https://www.europeansocialsurvey.org/data/
download.html?r=5 [17. 10. 2020].
Gottfredson, M.R. & Hirschi, T. (1990): A General Theory of Crime. Stanford.
Haen Marshall, I., Enzmann, D., Hough, M., Killias, M., Kivivuori, J. & Steketee, M. (2013):
International Self-Report Delinquency Questionnaire 3 (ISRD-3), Background paper to ex-
plain ISRD2-ISRD3 changes. Boston.
Hirschi, T. (1969): Causes of Delinquency. Berkeley.
Karamperi, E.A. (2016): Juvenile Delinquency. Sociological Approach to the Institutions of
Formal Social Control. The example of Thessaloniki’s Juvenile Court. Thessaloniki.

* References with asterisk * are in Greek language and their titles are translated into
English.
992 Effi Lambropoulou

Kokkevi, A., Fotiou, A., Kanavou, E., Stavrou, M. & Richardson, C. (2016): Smoking, alcohol,
and drug use among adolescents in Greece – 2015 update and secular trends 1984 – 2015.
Archives of Hellenic Medicine 33/2, pp. 249 – 257.
Koniordos, S. (2018): Report of the World Value Survey – Wave 7 for Greece. Athens.*
Kotaridi, G., Valassi-Adam, E. & Malikiosi-Loizou, M. (2007): Growing up in Athens. Quality
of life of children and adolescents. Synchrona Themata 3/Special issue. Athens.*
Papazoglou, E. (2011): Extreme Social Behaviours: Student Delinquency in the Greek Educa-
tion System (2002 – 2008). Corfu.*
Pratt, T.C., Gau, J.M. & Franklin, T.W. (2011): Key idea: Hirschi’s Social Bond/Social Control
Theory, in: T.C. Pratt, J.M. Gau & T.W. Franklin, Key Ideas in Criminology and Criminal
Justice. Los Angeles, pp. 55 – 70.
Rawls, J. (1999): A Theory of Justice: Revised Edition. Cambridge.
Spinellis, C.D., Apospori, E., Kranidioti, M., Symiyianni, Y. & Angelopoulou, N. (1994): Key-
findings of a preliminary self-report delinquency study in Athens, Greece, in: J. Junger-Tas,
G.J. Terloq & M. W. Klein (eds.), Delinquent Behavior Among Young People in the Western
World. Amsterdam, pp. 288 – 318.
Tamichtsis, I. (2016): Juvenile Delinquency and School: Forms of Delinquent Behaviour and
Social Control of High School Students in Athens. The Role of School. Athens.*
Tyler, T., Degoey, P. & Smith, H. (1996): Understanding why the justice of group procedures
matters: A test of the psychological dynamics of the group-value model. Journal of Persona-
lity and Social Psychology 70/5, pp. 913 – 930.
Tyler, T.R. (1990): Why People Obey the Law. New Haven.
Tyler, T.R. (2003): Procedural justice, legitimacy, and the effective rule of law. Crime and Justice
30, pp. 283 – 357.
Tyler, T.R. & Yuen, J.H. (2002): Trust in the Law: Encouraging Public Cooperation with the Po-
lice and Courts. New York.
Eine sozialräumliche Perspektive
auf den Kriminalitätsrückgang
Die Entwicklung der Jugenddelinquenz in Köln
nach den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011

Von Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

1. Einführung
Dass die Kriminalitätshäufigkeit in vielen Ländern seit vielen Jahren sinkt, wurde
als „das wichtigste kriminologische Phänomen der Gegenwart“ bezeichnet (Farrell
et al. 2014, 421) und hat international eine entsprechende Aufmerksamkeit erfahren
(Baumer et al. 2018; Farrell et al. 2011; Tcherni-Buzzeo 2019; Tonry 2014; van Dijk
et al. 2012; Zimring 2006). Dabei steht die Entwicklung der Jugendkriminalität be-
sonders im Mittelpunkt. Aus vielen westlichen Ländern wird übereinstimmend über
sinkende Zahlen der Jugendkriminalität berichtet: So aus Spanien (Fernández-Mo-
lina & Bartolomé Gutiérrez 2020), Finnland (Salmi 2009; Elonheimo 2014), Däne-
mark (Balvig 2011), Schweden (Estrada 2019; Svensson & Ring 2007; Svensson &
Oberwittler 2021; Vasiljevic et al. 2020), den USA (Arnett 2018; Grucza et al. 2018;
Moss et al. 2019), England & Wales (Griffiths & Norris 2020), Schottland (Matthews
& Minton 2018), den Niederlanden (Berghuis & de Waard 2017; van der Laan et
al. 2019) und ebenso auch aus Deutschland. Hans-Jörg Albrecht (2014, 2016) hat
sich anhand der deutschen Entwicklung mehrfach mit dem Rückgang der Jugendkri-
minalität befasst und dabei zu Recht auf die unbefriedigende Forschungslage hinge-
wiesen, sowohl was die Datengrundlage und Messung der Kriminalitätsentwicklung
– besonders in Deutschland –, als auch was das Angebot an überzeugenden Erklä-
rungen betrifft. Letztlich hat der starke Kriminalitätsrückgang seit den 1990er Jahren
alle überrascht, und niemand hat bislang eine wirklich schlüssige Erklärung geliefert,
die als empirisch gesichert gelten kann (siehe auch Naplava in diesem Band).
Für eine befriedigende Datengrundlage mangelt es in Deutschland an regelmäßi-
gen, national-repräsentativen Dunkelfeldbefragungen zur selbstberichteten Jugend-
delinquenz, wie es sie in einigen europäischen Ländern, z. B. in Schweden, gibt
(siehe die oben zitierte Literatur). Daher wird in Deutschland häufig mit der polizei-
lich registrierten Jugendkriminalität argumentiert. Diese verzeichnet bei Eigentums-
delikten und Raub schon seit den 1990er Jahren dramatische Rückgänge der jugend-
lichen Tatverdächtigen, während bei Körperverletzungsdelikten der Trend noch bis
994 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

in die Mitte der 2000er Jahre nach oben zeigte und sich erst dann drehte (Albrecht
2016; Naplava, in diesem Band). Es steht zu vermuten, dass der lange Anstieg der
registrierten Jugendgewalt, der nicht durch eine entsprechende Tendenz in den ver-
fügbaren Dunkelfeldstudien begleitet wird, zu einem bedeutsamen Anteil auf ein ver-
ändertes Anzeige- und Registrierungsverhalten von Opfern und Polizei zurückzufüh-
ren ist (Baier 2020; Köllisch 2007; 2009; Oberwittler & Köllisch 2004; Pfeiffer et
al. 2018; vgl. international Kivivuori 2014; O’Brien 2003; Weaver et al. 2019).
Bei den in Deutschland durchgeführten wiederholten Dunkelfeldbefragungen
handelt es sich um lokale und bestenfalls regionale Studien. Die Befragungen des
Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) konnten einen sinken-
den Trend der Jugenddelinquenz unabhängig von der Polizeilichen Kriminalstatistik
– sowohl bei Eigentums- als auch Gewaltdelikten – seit dem Ende der 1990er Jahre
belegen (Baier 2020; Baier & Windzio 2008; Pfeiffer et al. 2018). Der Anteil der be-
fragten Jugendlichen, die in den letzten zwölf Monaten mindestens ein Gewaltdelikt
begangen hatten (also die Prävalenzrate), sank im rechnerischen Mittel einer Reihe
von lokalen und regionalen Studien des KFN zwischen 1998 und 2015 von 18,4 % auf
4,9 % (Pfeiffer et al. 2018: 15). Die Prävalenzrate des Ladendiebstahls halbierte sich
zwischen 1998 und 2005 von 32,7 % auf 16,9 % (Baier & Windzio 2008). Auf der
Basis wiederholter repräsentativer Befragungen an bayerischen Schulen kamen
Fuchs et al. (2009, 97) zu dem Ergebnis, dass die schulische Gewalt zwischen
1994 und 2004 „auf breiter Front und in allen Schularten zurückgegangen ist“.
Obwohl Dunkelfeldbefragungen größere Chancen als die Polizeiliche Kriminal-
statistik bieten, nicht nur die Entwicklung der Jugenddelinquenz zu beschreiben, son-
dern diese auch mithilfe von Fragen zu kriminologisch relevanten Dimensionen wie
Eltern-Kind-Beziehung, Einstellungen und Freizeitroutinen zu erklären, sind ent-
sprechende Analysen noch unterentwickelt. Häufig werden lange Zeitreihen der Kri-
minalität mit entsprechenden Zeitreihen von potenziellen Beeinflussungsfaktoren
wie Bildungsabschlüsse, Arbeitslosenraten etc. verglichen und daraus denkbare Zu-
sammenhänge abgeleitet, die aber letztlich nicht belegt werden können (Albrecht
2016; Baumer et al. 2018; Naplava in diesem Band; Pfeiffer et al. 2018). Eine neuere
niederländische Studie bietet erstmals eine systematische multivariate Analyse der
Bedeutung verschiedener Einflussfaktoren für den Delinquenzrückgang, indem
drei Querschnitts-Wellen einer national-repräsentativen Dunkelfeldbefragung ge-
meinsam ausgewertet werden (van der Laan et al. 2019). Weitere Fortschritte in
der Erklärung des Kriminalitätsrückgangs sind von komplexeren Analysen unter
Einschluss von Faktoren sowohl auf der Mikroebene individueller Neigungen, Ein-
stellungen und Verhaltensroutinen als auch auf der Makroebene gesellschaftlicher
Veränderungen zu erwarten. Doch selbst dadurch ist es unwahrscheinlich, dass
wir die unerwartete Entwicklung restlos aufklären können.
Dieser Beitrag unternimmt gar nicht erst den Versuch, einen Überblick über den
Erkenntnisstand zum Rückgang der Jugenddelinquenz zu geben oder vertiefende
Analysen zu einzelnen Aspekten vorzustellen. Stattdessen wollen wir zum einen
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 995

die Verfügbarkeit der im Abstand von zwölf Jahren durchgeführten Dunkelfeldbefra-


gungen des Max-Planck-Instituts in Köln dazu nutzen, eine weitere Lokalstudie zum
Puzzle der Entwicklung der Jugenddelinquenz in Deutschland hinzuzufügen. Zum
anderen möchten wir einen ersten, explorativen Einblick in die Bedeutung urbaner
Sozialräume für die Veränderung von Jugenddelinquenz geben. Denn regionale oder
gar nationale Zeitreihen verdecken, dass solche Veränderungen weniger flächende-
ckend, sondern vielmehr an spezifischen sozialen Orten stattfinden. Ein lohnender
Analyseansatz (von vielen unterschiedlichen) kann daher darin bestehen, sich auf
diese sozialen Orte zu konzentrieren, in denen Veränderungen der Jugenddelinquenz
sehr viel intensiver ablaufen, als dies aus der Vogelperspektive nationaler Trends
sichtbar ist. Wir können diese Analysen mit den MPI-Schulbefragungen 1999 und
2011 durchführen, die ohne die Unterstützung und Förderung Hans-Jörg Albrechts
nicht stattgefunden hätten.1

2. Datengrundlage
Die MPI-Schulbefragungen fanden 1999 und 2011 im Abstand von zwölf Jahren
in jeweils zwei Städten statt: 1999 in Köln und Freiburg (Oberwittler et al. 2001a),
2011 in Köln und Mannheim (Oberwittler et al. 2014). Die MPI-Schulbefragung
1999 wurde außerdem auch in Gemeinden des Landkreises Breisgau-Hochschwarz-
wald durchgeführt (Oberwittler et al. 2001b; Oberwittler & Köllisch 2003) und hatte
einen kleineren Vorläufer in einer Schulbefragung in der Stadt Emmendingen im sel-
ben Jahr (Oberwittler & Würger 1999), womit im Abstand von 25 Jahren an eine
frühe Selbstberichtsstudie des Max-Planck-Instituts im gleichen Ort angeknüpft
wurde (Villmow & Stephan 1983). Dieser Vergleich der selbstberichteten Delinquenz
über eine Generation erbrachte starke Indizien dafür, dass der Anstieg der Jugend-
kriminalität in der offiziellen Kriminalstatistik auch von einer Zunahme des Anzei-
geverhaltens getrieben wurde (Köllisch & Oberwittler 2004a; Oberwittler & Köl-
lisch 2004).
Beide MPI-Schulbefragungen waren Teil von DFG-geförderten Forschungspro-
jekten.2 Bei der MPI-Schulbefragung 1999 lag der Fokus neben der Bedeutung
der sozialräumlichen Kontexte auch auf der Methodik von Schulbefragungen und
der Validierung von Selbstberichten (Naplava & Oberwittler 2002; Köllisch & Ober-
wittler 2004b), auf den Mechanismen des Übergangs vom Dunkel- ins Hellfeld (Köl-
lisch 2005; 2009) sowie auf der interethnischen Gültigkeit von Delinquenztheorien
1
Außerdem möchten wir auch allen Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen am MPI danken,
die zum Erfolg der beiden Befragungen sehr viel beigetragen haben: Harald Arnold, Beate
Ehret, Tilman Köllisch, Thomas Naplava, Stefan Schiel und Michael Würger sowie allen stu-
dentischen Hilfskräften und Interviewer*innen in Freiburg, Köln und Mannheim, mit einem
besonderen Dank an Rebekka Endler. GESIS hat uns dankenswerterweise bei beiden Befra-
gungen logistisch unterstützt. Die MPI-Schulbefragung 2011 wurde in Köln in Kooperation
mit dem Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln durchgeführt.
2
1999: Ob 134/3 – 1 und 3 – 2; 2011: Al 376 – 11/1.
996 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

(Naplava 2005, 2010). Die MPI-Schulbefragung 2011 legte besondere Schwerpunk-


te auf die sozialen Netzwerke von Jugendlichen (Gerstner & Oberwittler 2015, 2018;
Gerstner 2020) und auf das Verhältnis zwischen Polizei und Jugendlichen (Oberwitt-
ler 2016; Oberwittler & Schwarzenbach 2014; Schwarzenbach 2020). Die MPI-
Schulbefragung 2011 war Teil eines deutsch-französischen Kooperationsprojekts
und wurde mit einem weitgehend identischen Erhebungsinstrument auch in Lyon
und Grenoble durchgeführt (Oberwittler & Roché 2018, under review).
Beide MPI-Schulbefragungen wurden noch „konventionell“ mit Papierfragebö-
gen durchgeführt, die von den Schüler*innen während des Schulunterrichts in ein
oder zwei Schulstunden in Anwesenheit von geschulten studentischen Interview-
er*innen und bei Abwesenheit der Lehrer*innen ausgefüllt wurden. Da es zu beiden
Befragungen Methodenberichte gibt (Oberwittler & Blank 2003; Oberwittler &
Gerstner 2019), beschränken wir uns hier auf das Wichtigste: In Köln nahmen
1999 41 Schulen (einschließlich Sonderschulen) an der Befragung teil, 2011
waren es 30 Schulen. Das entspricht Ausschöpfungsquoten auf Schulebene von
79 % (1999) und 68 % (2011). Befragt wurden 1999 insgesamt 3.445 Schüler*innen
und 2011 4.128 Schüler*innen der Jahrgangstufen 8 bis 10 im Alter von etwa 13 bis
16 Jahren. Die Ausschöpfungsquoten innerhalb der ausgewählten Schulklassen
lagen 1999 bei 85 % und 2011 noch bei 79 %. Da wir 2011 einen höheren Anteil
der potenziell verfügbaren Klassen innerhalb der Jahrgangsstufen ausgewählt
haben, war die Netto-Stichprobe der Schüler*innen 2011 größer als 1999, obwohl
weniger Schulen teilnahmen. Da zur zweiten Schulbefragung auch alle Schulen ein-
geladen wurden, die bereits an der ersten Befragung teilgenommen hatten (und au-
ßerdem noch weitere), kommt es zu einer großen Überlappung der beiden Stichpro-
ben: 10 der 14 Gymnasien, alle 7 Realschulen und 8 der 14 Hauptschulen aus der
Stichprobe 1999 nahmen auch an der zweiten Befragung teil (siehe Tabelle 1). Da
Hauptschulen ein Auslaufmodell sind, waren drei Hauptschulen aus der ersten Stich-
probe zum Zeitpunkt der zweiten Befragung bereits aufgelöst worden, und weitere
folgten kurz nach der zweiten Befragung. Auf der anderen Seite hatte 1999 keine der
angefragten Kölner Gesamtschulen an der Studie teilgenommen, 2011 waren es
zwei.
Tabelle 1
Teilnehmende Schulen in Köln bei den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011
1999 2011 1999 & 2011
Schulen Befragte Schulen Befragte Schulen Befragte
Gymnasium 14 1696 12 2128 10 3106
Gesamtschule 0 0 2 309 0 0
Realschule 7 704 8 1050 7 1662
Hauptschule* 14 920 8 641 8 1235
Summe 35 3320 30 4128 25 6003
* davon wurden 3 Hauptschulen vor 2011 aufgelöst.
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 997

Für die folgenden Auswertungen haben wir die Befragten an Sonderschulen in der
MPI-Schulbefragung 1999 weggelassen. In den meisten Auswertungen verwenden
wir die jeweils verfügbaren Stichproben – 3.320 Befragte an 35 Schulen im Jahr
1999, 4.128 Befragte an 30 Schulen im Jahr 2011, bei einigen Auswertungen jedoch
nur Befragte an den Schulen, die sowohl 1999 als auch 2011 dabei waren. Dieser Zu-
schnitt hat den Charme, dass man den Wandel im abweichenden Verhalten von Ju-
gendlichen nachfolgender Alterskohorten für die exakt gleiche Stichprobe von Schu-
len in Köln betrachten kann. Die Ergebnisse unterscheiden sich in beiden Varianten
jedoch kaum voneinander.
Das in beiden Befragungen identische Erhebungsinstrument der selbstberichteten
Delinquenz war eine Liste von 14 strafbaren Handlungen, bei denen die Schüler*in-
nen jeweils angeben sollten, ob sie diese bereits jemals in ihrem Leben begangen hat-
ten, wie oft in den letzten zwölf Monaten – wobei keine Häufigkeiten vorgegeben
wurden, sondern eine Zahl in ein leeres Feld einzutragen war –, und wie oft die Po-
lizei davon erfahren hatte. Der Wortlaut aller Items ist in Tabelle 2 (im Anhang) wie-
dergegeben. Jeweils drei Items deckten Sachbeschädigungen, leichte und schwere
Eigentumsdelikte sowie Gewaltdelikte ab; außerdem wurde nach dem Konsum
und dem Verkauf illegaler Drogen gefragt. In den folgenden Auswertungen verwen-
den wir außerdem ein Instrument, anhand dessen die Schüler*innen als Mitglieder
von devianten und gewaltbereiten Cliquen identifiziert wurden. Weitere Einzelheiten
zum Erhebungsinstrument sind in Blank et al. 2003 sowie auch in der online zugäng-
lichen Sammlung sozialwissenschaftlicher Skalen ZIS dokumentiert (Oberwittler et
al. 2002).3
Aufgrund des identischen Studien- und Stichprobendesigns und Erhebungsinstru-
ments können wir mit einigem Vertrauen davon ausgehen, dass Veränderungen zwi-
schen den beiden Befragungen keine methodischen Artefakte sind, sondern Ände-
rungen im delinquenten Verhalten der Jugendlichen reflektieren.

3. Ergebnisse
3.1 Starker Rückgang der selbstberichteten Delinquenz

Wir beschränken uns in diesem Beitrag weitgehend auf einfache, deskriptive Aus-
wertungen und verzichten auf elaborierte und multivariate Analysen, die notwendig
wären, um unsere Interpretationen und Schlussfolgerungen weiter zu verfolgen.
Daher ist die folgende Darstellung eher als ein explorativer Einstieg in das Thema
Kriminalitätsrückgang zu verstehen.
Wie zu erwarten bestätigen unsere Ergebnisse insgesamt das Bild, das bereits
durch andere Selbstberichtsstudien bekannt ist (Pfeiffer et al. 2018): Die Neigung
von Jugendlichen zum delinquenten Verhalten ist deutlich gesunken. Tabelle 2
3
https://doi.org/10.6102/zis160 [15. 10. 2020].
998 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

(im Anhang) bietet einen detaillierten Überblick über die Prävalenzraten aller 14 De-
likte nach Jahr und Geschlecht. Die Prävalenzraten geben an, wie viele Jugendliche
ein bestimmtes Delikt mindestens einmal im Jahr begangen haben. So sank der Anteil
der Jugendlichen, die im letzten Jahr einen (oder mehrere) Ladendiebstahl begangen
hatten, von 27 % im Jahr 1999 auf 15 % im Jahr 2011; das entspricht nur noch 56 %
des Ausgangsniveaus (Spalte „Rückgang um Faktor“). Während die Prävalenzraten
von Graffiti Sprühen und anderen Sachbeschädigungen weniger stark abgenommen
haben, ist der Rückgang beim Autoaufbruch (49 % des Ausgangsniveaus) und beim
Diebstahl eines Autos oder motorisierten Zweirades (34 % des Ausgangsniveaus) be-
sonders auffällig. Dies könnte eine teilweise Bestätigung der „security hypothesis“
(Farrell et al. 2011) sein, nach der die Einführung der elektronischen Wegfahrsperre
den Diebstahl von Motorfahrzeugen effektiv verhindert hat.
Der fallende Trend bei der Delinquenz gilt grundsätzlich für Jungen und Mädchen
gleichermaßen. Allerdings gibt es unterschiedliche Tendenzen beispielsweise beim
Ladendiebstahl, der bei Mädchen weniger stark zurückgegangen ist als bei Jungen,
und bei den Prävalenzraten der Körperverletzung, die im Gegensatz dazu bei Mäd-
chen ca. um die Hälfte und bei Jungen nur um ca. ein Drittel gesunken sind.
In den Abbildungen 1a – c fassen wir die einzelnen Delikte zu Deliktsbereichen zu-
sammen und berichten die Prävalenzraten des letzten Jahres differenziert nach Schul-
typen. Für diese Auswertungen haben wir die Stichproben auf diejenigen Kölner Schu-
len beschränkt, die an beiden Befragungen teilgenommen haben (siehe Tabelle 1, rech-
te Spalte). Die Ergebnisse unterscheiden sich jedoch kaum von denen der Gesamtstich-
proben. 1999 hatten 12,8 % der befragten Schüler*innen an Gymnasien mindestens
eines von drei Gewaltdelikten begangen, zwölf Jahre später waren es noch 9,7 %.
Bei Schüler*innen an Realschulen fiel die Prävalenzrate der Gewaltdelikte von
24,4 % auf 18,2 %, und bei Hauptschüler*innen von 31,5 % auf 18,8 %. Besonders
drastisch ist die Entwicklung bei der Zugehörigkeit zu devianten und gewaltbereiten
Cliquen, die sich bei Real- und Hauptschüler*innen mehr als halbiert hat. Bei Gym-
nasiast*innen spielten solche Cliquen dagegen nie eine bedeutende Rolle. Hier wird
sehr deutlich, dass der Rückgang der Jugenddelinquenz nicht gleichmäßig in allen
sozialen Schichten und Lebenslagen, sondern am stärksten in den unteren Bildungs-
schichten stattgefunden hat, in denen Delinquenz zuvor auch besonders verbreitet
war (vgl. Albrecht & Howe 1992). Durch den besonders starken Rückgang der De-
linquenz bei Jugendlichen aus diesen unteren Bildungsschichten ist es im Zeitverlauf
zu einer Nivellierung der sozialen Unterschiede in der Jugenddelinquenz gekom-
men: Schüler*innen der unterschiedlichen Schulformen haben sich in ihrem Verhal-
ten angenähert. Besonders auffällig ist dies bei den leichten Eigentumsdelikten
(Laden-, Fahrrad- und sonstiger Diebstahl, Abbildung 1b): 1999 begingen annähernd
doppelt so viele Hauptschüler*innen wie Gymnasiast*innen solche Eigentumsdelik-
te (42,3 % vs. 24,2 %), 2011 lagen die Schüler*innen der drei Schulformen nur noch
wenig auseinander (Hauptschule 22,7 %, Realschule 22,2 %, Gymnasium 18,4 %).
Beim Konsum illegaler Drogen gab es 2011 sogar gar keine nennenswerten Unter-
schiede der Prävalenzraten mehr, während 1999 noch die Realschüler*innen an der
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 999

Prävalenz im letzten Jahr


31.5%
1999 2011

24.4%
23.4%

18.2% 18.8%
17.2%

12.8%
11.1%
9.7%
7.6%
6.5%
4.2%

Gewaltdelikte dev. Clique Gewaltdelikte dev. Clique Gewaltdelikte dev. Clique


Gymnasium Realschule Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben (1999 N=2518, 2011 N=3485)

Abbildung 1a: Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahr mindestens
ein Gewaltdelikt begangen haben oder einer devianten Clique angehören
(1999 und 2011, nach Schultyp)

Prävalenz im letzten Jahr

1999 2011 42.3%


39.8%

24.2%
22.2% 22.7%
18.4%
13.1%
8.1%
3.7% 5.0%
2.2% 1.7%

leichte Delikte schwere Delikte leichte Delikte schwere Delikte leichte Delikte schwere Delikte
Gymnasium Realschule Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben (1999 N=2518, 2011 N=3485)

Abbildung 1b: Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahr mindestens
ein leichtes bzw. schweres Eigentumsdelikt begangen haben
(1999 und 2011, nach Schultyp)

Spitze der Schultypen gelegen hatten. Unsere Befunde widersprechen denen von
Fuchs et al. (2009), die über einen in etwa gleichbleibenden Abstand im Gewaltver-
halten zwischen den Schulformen Gymnasium, Realschule und Hauptschule berich-
teten. Sie haben jedoch nur die Gewalt im Schulkontext untersucht und das wesent-
lich bedeutsamere delinquente Verhalten außerhalb der Schule ausgeklammert.
1000 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

Prävalenz im letzten Jahr

1999 2011 21.9%


19.2%

14.4%
12.6%
11.7% 11.3%

Gymnasium Realschule Hauptschule

Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben (1999 N=2518, 2011 N=3485)

Abbildung 1c: Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahr mindestens
einmal illegale Drogen konsumiert haben (1999 und 2011, nach Schultyp)

Neben der Prävalenzrate spielt auch die Inzidenz, also die Häufigkeit, mit der De-
likte auch mehrfach begangen werden, eine sehr wichtige Rolle für den Kriminali-
tätsrückgang. Wir haben in den Abbildungen 2a – b die Inzidenzraten der Täter*innen
für einige Deliktsbereiche dargestellt und differenzieren wiederum nach dem Schul-
typ. Die durchschnittliche Zahl der Taten bezieht sich jeweils nur auf die Täter*in-
nen, die in dem entsprechenden Deliktsbereich mindestens eine Tat angegeben
haben. Diese arithmetischen Mittelwerte werden stark von einer kleinen Anzahl
von Jugendlichen beeinflusst, die extrem viele Taten berichtet haben. Dies ist aber
keine statistische Verzerrung, sondern spiegelt den allgemeingültigen Befund wie-
der, dass eine kleine Minderheit von Tätern*innen für rund die Hälfte aller Straftaten
verantwortlich ist (Boers 2019). Die Abbildungen 2a – b zeigen, dass bei Gewalt- und
schweren Eigentumsdelikten die durchschnittlichen Häufigkeiten der Mehrfach-Tat-
begehungen bei Real- und Hauptschüler*innen gefallen sind, während Befragte an
Gymnasien 2011 erwartungswidrig mehr Delikte berichten als 1999. Allerdings be-
ruhen die Werte für Schüler*innen an Gymnasien auf den Angaben von jeweils nur
rund 30 Befragten, so dass dieses Ergebnis vielleicht mit mangelnder Robustheit zu
erklären ist.
Betrachtet man den Rückgang der Prävalenzraten und der Inzidenzraten zusam-
men, so ergibt sich aus den MPI-Schulbefragungen ein rechnerischer Rückgang der
Jugendkriminalität in Köln, gemessen an dem Volumen der von Jugendlichen began-
genen Delikte, im Bereich der Gewaltdelikte um ca. 60 % und der schweren Eigen-
tumsdelikte um ca. 70 %. Dies ist ein wahrhaft dramatischer Rückgang innerhalb von
zwölf Jahren.
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 1001

Inzidenz der Täter im letzten Jahr

7.7
1999 2011 7.0

5.3 5.5

3.5
3.1

Gymnasium Realschule Hauptschule


Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben und mind. ein entsprechendes Delikt berichtet
haben (1999 N=512, 2011 N=471)

Abbildung 2a: Durchschnittliche Anzahl der Gewaltdelikte von Tätern, die im letzten Jahr
mindestens ein Gewaltdelikt begangen haben (1999 und 2011, nach Schultyp)

Inzidenz der Täter im letzten Jahr


5.6
1999 2011
4.0
3.7
3.4

1.9 2.0

Gymnasium Realschule Hauptschule


Nur Befragte an Schulen, die 1999 und 2011 teilgenommen haben und mind. ein entsprechendes Delikt berichtet
haben (1999 N=162, 2011 N=98)

Abbildung 2b: Durchschnittliche Anzahl der schweren Eigentumsdelikte von Tätern,


die im letzten Jahr mindestens ein schweres Eigentumsdelikt begangen haben
(1999 und 2011, nach Schultyp)

3.2 Der soziale Ort des Kriminalitätsrückgangs:


sozial benachteiligte Stadtviertel

Zum Abschluss unseres Beitrags kommen wir auf einen wichtigen Aspekt zu spre-
chen, der unseres Erachtens in der bisherigen Diskussion viel zu kurz gekommen ist:
Der Kriminalitätsrückgang ist ein Prozess des sozialen Wandels, der in bestimmten
1002 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

Sozialräumen verortet werden kann. Ebenso wie Kriminalität (zumindest die Krimi-
nalität in öffentlichen Räumen) räumlich extrem ungleich verteilt und besonders
stark in einigen relativ eng umgrenzten Sozialräumen konzentriert ist (Sherman et
al. 1989), so ist auch der Rückgang der Kriminalität kein sozialer Prozess, der die
Gesellschaft gleichmäßig erfasst, sondern er ist ebenfalls sozialräumlich relativ
eng eingrenzbar und betrifft bestimmte soziale Orte ganz besonders. Diese Erkennt-
nis ist auch in Hinblick auf die Suche nach den Ursachen und Triebkräften des Kri-
minalitätsrückgangs nicht zu unterschätzen. Eine Analogie ist der ebenfalls drama-
tische Rückgang der Mordraten in den USA nach 1993: Dieser ereignete sich nicht
flächendeckend in den gesamten USA und in allen soziodemographischen Gruppen
gleichermaßen, sondern beinahe ausschließlich in den sozial besonders benachteilig-
ten Stadtvierteln der Großstädte und in der Gruppe der jugendlichen und jungerwach-
senen afroamerikanischen Männer (Becker 2018; Friedson & Sharkey 2015). Natür-
lich liegt dies zunächst daran, dass die Mordrate zuvor in eben diesen Sozialräumen
und soziodemographischen Gruppen entsprechend stark angestiegen war. Es wäre
jedoch ein Fehler, dies als ein lediglich statistisches Phänomen anzusehen. Vielmehr
ruft es dazu auf, sich eingehender mit den spezifischen sozialen Bedingungen zu be-
fassen, die in diesen Orten sowohl für eine besonders hohe Kriminalitätsbelastung
gesorgt haben als auch dazu führen können, dass diese Belastungen überwunden
oder zumindest deutlich reduziert werden können. Eine lange Tradition der krimino-
logischen Forschung tut eben dies mit Hilfe entsprechender Ansätze, angefangen mit
den klassischen Theorien der Sozialen Desorganisation und der Subkulturen (Cullen
2015; Krivo et al. 2018; Sampson et al. 2018).
Als erste Näherung an die sozialräumliche Dimension des Kriminalitätsrückgangs
haben wir die selbstberichteten Delikte in den MPI-Schulbefragungen 1999 und 2011
nach dem Kriterium des Wohnsitzes der befragten Jugendlichen den Kölner Stadtvier-
teln zugeordnet. Da die MPI-Schulbefragungen von Anfang an einen sozialräumlichen
Analyseansatz verfolgt haben, wurden die Jugendlichen anhand ihrer Wohnadressen
den ungefähr 280 Kölner Stadtvierteln zugeordnet. Die Kölner Stadtviertel sind eine
relativ kleinräumliche Gliederungsebene mit durchschnittlich etwa 3.500 Einwohnern.
Dies ermöglichte komplexe Analysen des Zusammenwirkens der individuellen und so-
zialräumlichen Einflüsse auf das delinquente Verhalten von Jugendlichen im Rahmen
von Mehrebenenmodellen (Oberwittler 2004a; 2004b; 2018). Die nachfolgenden Ab-
bildungen der Delinquenzhäufigkeiten nach Stadtviertelkontexten können solche
Mehrebenenmodelle nicht ersetzen und sind explorativ gemeint.
In den Abbildungen 3a–d geben kurvilineare Regressionslinien die bivariaten Zu-
sammenhänge der durchschnittlichen Delinquenzhäufigkeiten der befragten Jugend-
lichen mit der konzentrierten Benachteiligung der Stadtviertel wieder, gemessen
durch die amtliche Rate der Sozialhilfe bzw. Hartz IV-Empfänger im Alter bis
14 Jahre. Diese Regressionslinien repräsentieren den Zusammenhang zwischen bei-
den Merkmalen und berücksichtigen, dass dieser über den Wertebereich unterschied-
lich ausgeprägt sein könnte. Dabei werden nur Stadtviertel betrachtet, in denen min-
destens 20 Jugendliche befragt wurden. Die schwarze Linie repräsentiert den jewei-
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 1003

ligen Zusammenhang im Jahr 1999 und die graue Linie im Jahr 2011. Bei allen vier
Indikatoren der Jugenddelinquenz zeigt sich im Zeitvergleich eine entscheidende
Veränderung: Während 1999 ein deutlicher Anstieg der Delinquenzneigung mit
der zunehmenden Konzentration sozialer Benachteiligungen in den Stadtvierteln
zu beobachten ist, signalisieren die weitgehend flachen Linien für das Jahr 2011
die Abwesenheit eines solchen Zusammenhangs. Beim Drogenkonsum hat sich
der Zusammenhang mit der sozialräumlichen Benachteiligung sogar umgedreht:
2011 konsumierten die Jugendlichen in den wohlhabendsten Stadtvierteln Kölns
am häufigsten illegale Drogen, 1999 waren ihnen die Jugendlichen in den benachtei-
ligten Viertel noch voraus gewesen. Der Rückgang der Jugenddelinquenz hat sich
also nicht gleichmäßig vollzogen, sondern ganz besonders in den am meisten benach-
teiligten Wohngebieten Kölns. In gewisser Weise ist dies logisch, denn dort war die
Delinquenzneigung der Jugendlichen zuvor besonders stark. In den „besseren“ Vier-
teln Kölns konnte sie dagegen kaum noch sinken, weil sie schon 1999 recht gering
war.

Gewaltdelikte

95% CI 1999
2011
3
durchschn. Anzahl Delikte
1 1.5 2
.5
0 2.5

−1 0 1 2 3
konzentrierte soziale Benachteiligung
Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt)
95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3a: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit der Gewaltdelikte


mit konzentrierter sozialer Benachteiligung in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011
1004 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

Mitglied in devianter Clique


30
95% CI 1999
2011
20
Anteil in %
10
0

−1 0 1 2 3
konzentrierte soziale Benachteiligung
Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt)
95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3b: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit der Zugehörigkeit


zu devianten und gewaltbereiten Cliquen mit konzentrierter sozialer Benachteiligung
in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011

schwere Eigentumsdelikte
1

95% CI 1999
2011
.8
durchschn. Anzahl Delikte
.2 .4
0 .6

−1 0 1 2 3
konzentrierte soziale Benachteiligung
Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt)
95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3c: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit


der schweren Eigentumsdelikte mit konzentrierter sozialer Benachteiligung
in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 1005

Konsum illegaler Drogen

95% CI 1999
2011
durchschn. Anzahl Delikte
2 3 4 5 6 1
0

−1 0 1 2 3
konzentrierte soziale Benachteiligung
Stadtviertelebene (20+ Befragte), 1999 N=49 / 2011 N=55 (1 Ausreißer entfernt)
95% CI = Konfidenzintervall

Abbildung 3d: Zusammenhang von durchschnittlicher Häufigkeit des Konsums


illegaler Drogen mit konzentrierter sozialer Benachteiligung
in Kölner Stadtvierteln, 1999 und 2011

Doch hat das Einebnen der sozialräumlichen Unterschiede Konsequenzen für die
Erklärungsmodelle der Jugenddelinquenz: Die Befunde zu den sozialräumlichen
Verstärkungseffekten der Jugenddelinquenz – das bedeutendste Ergebnis der MPI-
Schulbefragung 1999 (Oberwittler 2004a; 2004b) – lässt sich mit den Daten der
MPI-Schulbefragung 2011 nicht mehr replizieren; die Prädiktoren der konzentrier-
ten Benachteiligung in den Wohngebieten bleiben in Mehrebenenmodellen bedeu-
tungslos. Die empirische Bestätigung und Allgemeingültigkeit der Theorieansätze,
die zur Erklärung von Einflüssen des sozialräumlichen Kontexts auf das Verhalten
von Jugendlichen herangezogen werden, erscheinen dadurch „gefährdet“, oder bes-
ser gesagt abhängig von der jeweiligen Kriminalitätslage und dem sozialhistorischen
Kontext. Dieser unerwartete Befund fordert dazu auf, sich eingehender mit den so-
zialen Triebkräften zu beschäftigen, die in diesen Stadtvierteln den dort ganz beson-
ders starken Rückgang der Jugenddelinquenz bewirkt haben könnten.

4. Zusammenfassung
Der starke Rückgang der Kriminalität seit mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten
stellt die Kriminologie vor große Herausforderungen. An der Tatsache dieses Rück-
gangs gibt es angesichts unterschiedlicher empirischer Daten aus vielen Ländern kei-
nen Zweifel mehr. Besonders gut dokumentiert ist der Rückgang des straffälligen
Verhaltens von Jugendlichen dank wiederholt – in Deutschland allerdings nur
1006 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

lokal oder regional – durchgeführter Dunkelfeldbefragungen. Die MPI-Schulbefra-


gungen in Köln ergeben einen Rückgang des Volumens der von Jugendlichen began-
genen Gewaltdelikte um ca. 60 % und der schweren Eigentumsdelikte um ca. 70 %
zwischen 1999 und 2011. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass an die Stelle „tra-
ditioneller“ Formen straffälligen Verhaltens neue Formen beispielsweise von aggres-
sivem Verhalten treten, die ebenfalls Anlass zur Sorge bieten. Cybermobbing ist
zweifelsohne ein unter Jugendlichen verbreitetes Problem, angesiedelt in einer un-
klaren Grauzone zwischen antisozialem Verhalten und Kriminalität (Olweus & Lim-
ber 2018; Petermann & von Marées 2013). Auch in der MPI-Schulbefragung 2011
lagen die Prävalenzraten des Cybermobbings deutlich über denen der physischen Ge-
walt (Oberwittler et al. 2014, 13). Diese Entwicklung sollte jedoch nicht gegen die
drastischen Rückgänge der „konventionellen“ Gewalt- und Eigentumsdelinquenz
aufgerechnet werden. Insbesondere die Entwicklung bei schwerer Körperverletzung,
Raub, Einbruchs- und Kfz-Diebstahl dürfte für den deutlichen Rückgang der Verur-
teilungen und Freiheitsstrafen von Jugendlichen und Heranwachsenden seit der Jahr-
tausendwende verantwortlich sein, der in einer kriminologischen Lebenslaufper-
spektive besonders erfreulich ist, da er kriminelle Karrieren unwahrscheinlicher
macht.
Den Kriminalitätsrückgang zu erklären fällt der Kriminologie deutlich schwerer.
Zahlreiche Hypothesen wurden diskutiert, ohne dass sich ein überzeugender Erklä-
rungsansatz herausgebildet hätte. Zweifelsohne haben sich die Alltagswelten und die
Einstellungen und Präferenzen von Jugendlichen in einer Art und Weise verändert,
die delinquentes Verhalten weniger provozieren oder weniger attraktiv erscheinen
lassen als vor einer Generation. Unser Beitrag hat diese Diskussionen bewusst aus-
gespart, zu denen bislang erst wenige empirisch gesicherte Erkenntnisse vorliegen
(vgl. Albrecht 2014, 2016; Svensson & Oberwittler 2021; Naplava in diesem
Band). Wir haben den Fokus stattdessen auf die sozialräumliche Dimension des
Rückgangs der Jugenddelinquenz gerichtet, die zumindest in Deutschland bislang
noch gar keine Beachtung gefunden hat. Die MPI-Schulbefragungen zeigen, dass
die Dynamik der zeitlichen Veränderungen im straffälligen Verhalten von Jugendli-
chen räumlich sehr stark auf die sozial benachteiligten Stadtviertel der Großstädte
konzentriert ist. Über die Entwicklung der Jugenddelinquenz außerhalb der Groß-
städte, in Mittel- und Kleinstädten und in ländlichen Gemeinden, liegen im Übrigen
kaum Erkenntnisse vor. Aus unserem Befund folgt für die weitere Forschung zu den
Hintergründen des Kriminalitätsrückganges, dass es sich lohnt, die bislang eher glo-
bale und unspezifische Perspektive gegen eine sehr fokussierte Perspektive auf die
Jugendlichen in den großstädtischen, sozial benachteiligten Wohngebieten einzutau-
schen und zu untersuchen, welche spezifischen sozialen Bedingungen an diesen so-
zialen Orten dazu beigetragen haben, dass Jugenddelinquenz seltener geworden ist.
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 1007

Literaturverzeichnis

Albrecht, G. & Howe, C.-W. (1992): Soziale Schicht und Delinquenz. Verwischte Spuren oder
falsche Fährte? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 44, S. 697 – 730.
Albrecht, H.-J. (2014): „Die Kriminalität sinkt!“ – Warum geht die Jugendkriminalität zurück?
Recht der Jugend und des Bildungswesens 62, S. 363 – 380.
Albrecht, H.-J. (2016): Der Rückgang der Jugendkriminalität setzt sich fort. Recht der Jugend
und des Bildungswesens 64, S. 395 – 413.
Arnett, J.J. (2018): Getting better all the time: Trends in risk behavior among American ado-
lescents since 1990. Archives of Scientific Psychology 6, S. 87 – 95.
Baier, D. (2020): Entwicklung der Jugendkriminalität im deutschsprachigen Raum. Forensische
Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 14, S. 141 – 148.
Baier, D. & Windzio, M. (2008): Zur Entwicklung der Jugendgewalt seit 1998 in den Städten
München, Stuttgart, Hannover und Schwäbisch Gmünd, in: K.-S. Rehberg (Hrsg.), Die
Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für
Soziologie in Kassel 2006. Frankfurt am Main, S. 4560 – 4575.
Balvig, F. (2011): Lovlydig ungdom. Glostrup: Det Kriminalpræventive Råd.
Baumer, E.P., Velez, M.B. & Rosenfeld, R. (2018): Bringing Crime Trends Back into Crimino-
logy: A Critical Assessment of the Literature and a Blueprint for Future Inquiry. Annual Re-
view of Criminology 1, S. 39 – 61.
Becker, J.H. (2018): Within-Neighborhood Dynamics: Disadvantage, Collective Efficacy, and
Homicide Rates in Chicago. Social Problems 66, S. 428 – 447.
Berghuis, B. & Waard, J.D. (2017): Verdampende jeugdcriminaliteit: Verklaringen van de in-
ternationale daling. Justitiële Verkenningen 43, S. 10 – 27.
Blank, T., Naplava, T., Oberwittler, D. & Köllisch, T. (2003): MPI-Schulbefragung 1999/2000:
Skalendokumentation. Freiburg.
Cullen, F.T. (Hrsg.) (2015): Challenging Criminological Theory. The Legacy of Ruth Rosner
Kornhauser. Advances in Criminological Theory, Vol. 19. New Brunswick.
Dijk, J. van, Tseloni, A. & Farrell, G. (Hrsg.) (2012): The International Crime Drop. New Direc-
tions in Research. New York.
Elonheimo, H. (2014): Evidence for the crime drop: Survey findings from two Finnish cities
between 1992 and 2013. Journal of Scandinavian Studies in Criminology and Crime Preven-
tion 15, S. 209 – 217.
Farrell, G., Tseloni, A., Mailley, J. & Tilley, N. (2011): The Crime Drop and the Security Hy-
pothesis. Journal of Research in Crime and Delinquency 48, S. 147 – 175.
Farrell, G., Tilley, N. & Tseloni, A. (2014): Why the Crime Drop?, in: M. Tonry (Hrsg.), Why
crime rates fall and why they don’t. Crime and Justice, Vol. 43. Chicago, S. 421 – 490.
Fernández-Molina, E. & Bartolomé Gutiérrez, R. (2020): Juvenile crime drop: What is happen-
ing with youth in Spain and why? European Journal of Criminology 17, S. 306 – 331.
1008 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

Friedson, M. & Sharkey, P. (2015): Violence and Neighborhood Disadvantage after the Crime
Decline. The ANNALS of the American Academy of Political and Social Science 660,
S. 341 – 358.
Fuchs, M., Lamnek, S., Luedtke, J. & Baur, N. (2009): Gewalt an Schulen 1994 – 1999 – 2004.
2. Aufl. Wiesbaden.
Gerstner, D. (2020). Freundschaftsnetzwerke und Delinquenz von Jugendlichen. Eine empiri-
sche Untersuchung mit Methoden der Sozialen Netzwerkanalyse. Dissertation Universität
Freiburg.
Gerstner, D. & Oberwittler, D. (2015): Wer kennt wen und was geht ab? Ein netzwerkanalyti-
scher Blick auf die Rolle delinquenter Peers im Rahmen der „Situational Action Theory“.
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 98, S. 204 – 226.
Gerstner, D. & Oberwittler, D. (2018): Who’s hanging out and what’s happening? A look at the
interplay between unstructured socializing, crime propensity and delinquent peers using so-
cial network data. European Journal of Criminology 15, S. 111 – 129.
Griffiths, G. & Norris, G. (2020): Explaining the crime drop: contributions to declining crime
rates from youth cohorts since 2005. Crime, Law and Social Change 73, S. 25 – 53.
Grucza, R.A., Krueger, R.F., Agrawal, A., Plunk, A.D., Krauss, M.J., Bongu, J., Cavazos-Rehg,
P.A. & Bierut, L. (2018): Declines in prevalence of adolescent substance use disorders and
delinquent behaviors in the USA: a unitary trend? Psychological Medicine 48, S. 1494 –
1503.
Kivivuori, J. (2014): Understanding Trends in Personal Violence: Does Cultural Sensitivity
Matter?, in: M. Tonry (Hrsg.), Why crime rates fall and why they don‘t. Crime and Justice,
Vol. 43. Chicago, S. 289 – 340.
Köllisch, T. (2004): Vom Dunkelfeld ins Hellfeld. Anzeigeverhalten und Polizeikontakte bei
Jugenddelinquenz. Dissertation Universität Freiburg. Freiburger Dokumentenserver;
http://freidok.ub.uni-freiburg.de/volltexte/1686/.
Köllisch, T. (2007): Risikomanagement und selektive Punitivität als Kriminalpolitik von unten:
Zum Zeitverlauf des Hell-Dunkelfeldverhältnisses der Jugendgewalt in Deutschland zwi-
schen 1986 und 2003. Kriminologisches Journal 39, S. 243 – 259.
Köllisch, T. (2009): Vom Dunkelfeld ins Hellfeld: Zur Theorie und Empirie selektiver Krimi-
nalisierung Jugendlicher bei Körperverletzungsdelikten. Monatsschrift für Kriminologie und
Strafrechtsreform 92, S. 28 – 53.
Köllisch, T. & Oberwittler, D. (2004a): Sozialer Wandel des Risikomanagements bei Kindern
und Jugendlichen. Eine Replikationsstudie zur langfristigen Zunahme des Anzeigeverhal-
tens. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 24, S. 49 – 72.
Köllisch, T. & Oberwittler, D. (2004b): Wie ehrlich berichten männliche Jugendliche über ihr
delinquentes Verhalten? Ergebnisse einer externen Validierung. Kölner Zeitschrift für Sozio-
logie und Sozialpsychologie 56, S. 708 – 735.
Krivo, L.J., Velez, M.B., Lyons, C.J., Phillips, J.B. & Sabbath, E. (2018): Race, crime, and the
changing fortunes of urban neighborhoods, 1999 – 2013. Du Bois Review: Social Science Re-
search on Race 15, S. 47 – 68.
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 1009

Laan, A. van der, Rokven, J., Weijters, G. & Beerthuizen, M. (2019): The Drop in Juvenile De-
linquency in The Netherlands: Changes in Exposure to Risk and Protection. Justice Quarterly
(early access).
Matthews, B. & Minton, J. (2018): Rethinking one of criminology’s ‘brute facts’: The age crime
curve and the crime drop in Scotland. European Journal of Criminology 15, S. 296 – 320
Moss, S.L., Santaella-Tenorio, J., Mauro, P.M., Keyes, K.M. & Martins, S.S. (2019): Changes
over time in marijuana use, deviant behavior and preference for risky behavior among US
adolescents from 2002 to 2014: testing the moderating effect of gender and age. Addiction
114, S. 674 – 686.
Naplava, T. (2005): Jugenddelinquenz im Interethischen Vergleich. Erklärungsmöglichkeiten
delinquenten Verhaltens einheimischer und immigrierter Jugendlicher. Dissertation Univer-
sität Bielefeld. Universitätsbibliothek Bielefeld (urn:nbn:de:hbz:361 – 10128).
Naplava, T. (2010): Jugenddelinquenz im interethnischen Vergleich, in: B. Dollinger & H.
Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Kriminologie und Sozialpädago-
gik im Dialog. Wiesbaden, S. 293 – 306.
Naplava, T. & Oberwittler, D. (2002): Methodeneffekte bei der Messung selbstberichteter De-
linquenz von männlichen Jugendlichen – Ein Vergleich zwischen schriftlicher Befragung in
der Schule und mündlicher Befragung im Haushalt. Monatsschrift für Kriminologie und
Strafrechtsreform 85, S. 401 – 423.
Oberwittler, D. (2004a): A Multilevel Analysis of Neighbourhood Contextual Effects on Seri-
ous Juvenile Offending. The Role of Subcultural Values and Social Disorganization. Euro-
pean Journal of Criminology 1, S. 201 – 235.
Oberwittler, D. (2004b): Stadtstruktur, Freundeskreise und Delinquenz. Eine Mehrebenenana-
lyse zu sozialökologischen Kontexteffekten auf schwere Jugenddelinquenz, in: D. Oberwitt-
ler & S. Karstedt (Hrsg.), Soziologie der Kriminalität. Kölner Zeitschrift für Soziologie und
Sozialpsychologie, Sonderheft 43. Wiesbaden, S. 135 – 170.
Oberwittler, D. (2016): Jugendliche und Polizei. Eine vergleichende Untersuchung zur Rolle
verdachtsunabhängiger Personenkontrollen in französischen und deutschen Städten. Recht
der Jugend und des Bildungswesens 64, S. 414 – 427.
Oberwittler, D. (2018): Jugendkriminalität in sozialen Kontexten. Zur Rolle von Wohngebieten
und Schulen bei der Verstärkung von abweichendem Verhalten Jugendlicher, in: B. Dollinger
& H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität: Interdisziplinäre Perspekti-
ven. 3. Aufl. Wiesbaden, S. 297 – 316.
Oberwittler, D. & Blank, T. (2003): Methodenbericht MPI-Schulbefragung 1999. Freiburg.
Oberwittler, D., Blank, T., Köllisch, T. & Naplava, T. (2001a): Soziale Lebenslagen und Delin-
quenz von Jugendlichen. Ergebnisse der MPI-Schulbefragung 1999 in Freiburg und Köln.
Arbeitsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht 1. Freiburg.
Oberwittler, D. & Gerstner, D. (2019): MPI-Schulbefragung 2011 „Lebenslagen und Risiken
von Jugendlichen“: Methodenbericht. Freiburg.
Oberwittler, D. & Köllisch, T. (2003): Jugendkriminalität in Stadt und Land. Sozialräumliche
Unterschiede im Delinquenzverhalten und Registrierungsrisiko. Jugendforschung, in: J. Rai-
1010 Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

thel & J. Mansel (Hrsg.), Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hell- und Dunkelfeldbe-
funde im Vergleich. Weinheim, S. 135 – 160.
Oberwittler, D. & Köllisch, T. (2004): Nicht die Jugendgewalt, sondern deren polizeiliche Re-
gistrierung hat zugenommen. Ergebnisse einer Vergleichsstudie nach 25 Jahren. Neue Kri-
minalpolitik 16, S. 81 – 120.
Oberwittler, D., Köllisch, T., Naplava, T. & Blank, T. (2001b): MPI-Schulbefragung Breisgau/
Markgräfler Land 2000 – Ergebnisbericht. Freiburg.
Oberwittler, D., Köllisch, T. & Würger, M. (2002). Selbstberichtete Delinquenz bei Jugendli-
chen, in: Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). Mannheim:
GESIS; https://doi.org/10.6102/zis160.
Oberwittler, D. & Roché, S. (2018): Ethnic disparities in police-initiated contacts of adolescents
and attitudes towards the police in France and Germany: a tale of four cities, in: D. Oberwitt-
ler & S. Roché (Hrsg.), Police–Citizen Relations Across the World. Comparing Sources and
Contexts of Trust and Legitimacy. London, S. 73 – 107.
Oberwittler, D. & Roché, S. (under review): How national contexts matter in shaping police-
adolescent encounters. A study of France and Germany.
Oberwittler, D. & Schwarzenbach, A. (2014): Polizei und Jugendliche in multiethnischen Ge-
sellschaften – Ergebnisse einer vergleichenden Jugendbefragung in deutschen und französi-
schen Großstädten. SIAK-Journal. Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und Polizeiliche Praxis
4, S. 54 – 65.
Oberwittler, D., Schwarzenbach, A. & Gerstner, D. (2014): Polizei und Jugendliche in multi-
ethnischen Gesellschaften. Ergebnisse der Schulbefragung 2011 „Lebenslagen und Risiken
von Jugendlichen“ in Köln und Mannheim. research in brief/forschung aktuell Nr. 47. Frei-
burg.
Oberwittler, D. & Würger, M. (1999). Emmendinger Schülerbefragung zur Jugenddelinquenz
1999. Freiburg.
O’Brien, R.M. (2003): UCR violent crime rates, 1958 – 2000: Recorded and offender-generated
trends. Social Science Research 32, S. 499 – 518.
Olweus, D. & Limber, S.P. (2018): Some problems with cyberbullying research. Current Opin-
ion in Psychology 19, S. 139 – 143.
Petermann, F. & von Marées, N. (2013): Cyber-Mobbing: Eine Bestandsaufnahme. Kindheit
und Entwicklung 22, S. 145 – 154.
Pfeiffer, C., Baier, D. & Kliem, S. (2018): Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland. Schwer-
punkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer. Zürich.
Salmi, V. (2009): Self-reported juvenile delinquency in Finland 1995 – 2008. English Summary,
Research Report No. 246. Helsinki.
Sampson, R.J., Wilson, W.J. & Katz, H. (2018): Reassessing „Toward a Theory of Race, Crime,
and Urban Inequality“: Enduring and New Challenges in 21st Century America. Du Bois Re-
view: Social Science Research on Race 15, S. 13 – 34.
Schwarzenbach, A. (2020): Youth-Police Relations in Multi-Ethnic Cities. A study of police
contacts and attitudes toward police in Germany and France. Berlin.
Eine sozialräumliche Perspektive auf den Kriminalitätsrückgang 1011

Sherman, L., Gartin, P.R. & Buerger, M. E. (1989): Hot spots of predatory crime: Routine ac-
tivities and the criminology of place. Criminology 27, S. 27 – 55.
Svensson, R. & Oberwittler, D. (2021): Changing routine activities and the decline of youth
crime: A repeated cross-sectional analysis of self-reported delinquency in Sweden, 1999 –
2017. Criminology (im Druck)..
Svensson, R. & Ring, J. (2007): Trends in self-reported youth crime and victimization in Swe-
den, 1995 – 2005. Journal of Scandinavian Studies in Criminology and Crime Prevention 8,
S. 185 – 209.
Tcherni-Buzzeo, M. (2019): The „Great American Crime Decline“: Possible explanations, in:
M.D. Krohn (Hrsg.), Handbook on Crime and Deviance. 2nd ed. New York, S. 309 – 340.
Tonry, M. (2014): Why Crime Rates Are Falling throughout the Western World. in: M. Tonry
(Hrsg.), Why crime rates fall and why they don’t. Crime and Justice, Vol. 43. Chicago, S. 1 –
63.
Vasiljevic, Z., Svensson, R. & Shannon, D. (2020): Immigration and crime: a time-trend analysis
of self-reported crime in Sweden, 1999 – 2017. Nordic Journal of Criminology 21, S. 1 – 10.
Villmow, B. & Stephan, E. (1983): Jugendkriminalität in einer Gemeinde: Eine Analyse erfrag-
ter Delinquenz und Viktimisierung sowie amtlicher Registrierung. Freiburg: Max-Planck-In-
stitut für ausländisches und internationales Strafrecht.
Weaver, V.M., Papachristos, A. & Zanger-Tishler, M. (2019): The Great Decoupling: The Dis-
connection Between Criminal Offending and Experience of Arrest Across Two Cohorts.
RSF: The Russell Sage Foundation Journal of the Social Sciences 5, S. 89 – 123.
Zimring, F.E. (2006): The Great American Crime Decline. Oxford.
Anhang 1012

Tabelle 2
Anteil der befragten Jugendlichen, die im letzten Jahre mindestens einmal ein Delikt begangen haben (1999 und 2011)
1999 2011 Rückgang
Ich habe in den letzten 12 Monate (alleine oder mit anderen zusammen) … total Jungen Mädchen total Jungen Mädchen um Faktor
… mit einer Spraydose irgendwo Sprüche oder Bilder (Graffiti)
1 10.4 % 15.1 % 6.5 % 8.7 % 13.2 % 4.8 % 0.84
aufgesprüht.
… etwas absichtlich in der Schule, in Parks, Telefonzellen,
2 15.5 % 21.9 % 10.1 % 11.8 % 16.0 % 8.1 % 0.76
in der U-Bahn beschädigt oder zerstört.
3 … Autos, Motorräder oder Motorroller usw. absichtlich beschädigt. 5.2 % 8.6 % 2.3 % 2.9 % 4.9 % 1.1 % 0.55
… ein Fahrrad oder ein Teil eines Fahrrads gestohlen
4 11.7 % 21.6 % 3.4 % 6.5 % 10.9 % 2.7 % 0.56
(z. B. Sattel, Rad).
5 … in einem Geschäft etwas gestohlen. 26.9 % 30.7 % 23.7 % 14.9 % 16.0 % 14.0 % 0.56
6 …. jemandem eine Sache oder Geld gestohlen. 9.6 % 12.0 % 7.6 % 7.2 % 9.7 % 5.0 % 0.75
7 … ein Auto aufgebrochen. 1.7 % 2.9 % 0.7 % 0.8 % 1.5 % 0.3 % 0.49
8 … ein Auto, Motorrad, Motorroller usw. gestohlen. 3.3 % 5.7 % 1.2 % 1.1 % 1.8 % 0.5 % 0.34
… irgendwo eingebrochen, um etwas zu stehlen
9 3.6 % 6.4 % 1.2 % 1.9 % 2.9 % 1.0 % 0.53
(in ein Haus, Keller, Laden).
10 … Drogen genommen (Haschisch, Ecstasy usw.). 17.2 % 20.3 % 14.5 % 12.2 % 14.7 % 10.0 % 0.71
11 … Drogen an andere verkauft. 5.0 % 8.2 % 2.3 % 2.8 % 4.2 % 1.6 % 0.57
Dietrich Oberwittler und Dominik Gerstner

… jemanden so geschlagen oder verprügelt, dass er/sie verletzt war


12 17.2 % 26.1 % 9.8 % 11.4 % 18.3 % 5.4 % 0.66
oder blutete.
… jemanden bedroht oder erpresst, um ihm/ihr wirklich Angst
13 6.6 % 8.6 % 4.9 % 3.8 % 5.0 % 2.8 % 0.59
zu machen, oder um Geld oder eine bestimmte Sache zu bekommen.
… jemandem mit Gewalt etwas weggenommen
14 5.4 % 8.7 % 2.6 % 3.1 % 4.8 % 1.7 % 0.58
(durch Festhalten, Schlagen usw.).
irgendein Delikt 44.1 % 55.1 % 35.0 % 33.4 % 42.2 % 25.6 % 0.76
Stichproben 1999 N = 3320 / 2011 N = 4128. Alle Unterschiede zwischen 1999 und 2011 signifikant p < 0.05
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts
in Griechenland
Von Angelika Pitsela

1. Einführung
Die jugendstrafrechtlichen Bestimmungen als ein Teil der griechischen Strafge-
setzgebung sind vom Inkrafttreten des Strafgesetzbuches1 und der Strafprozessord-
nung, jeweils am 01. 01. 1951, bis zur ersten umfassenden Reform im Jahre 2003 für
mehr als fünfzig Jahre fast unverändert geblieben.2 Durch das Gesetz über die Reform
der Jugendstrafgesetzgebung und andere Vorschriften (Gesetz Nr. 3189/2003), das
am 21. 10. 2003 in Kraft getreten ist, haben die materiell- und verfahrensrechtlichen
Regelungen eine grundlegende Novellierung erfahren.3 Ein eigenständiges Jugend-
gerichtsgesetz ist aber nicht geschaffen worden. Immerhin ist seit dem 01. 01. 1951
ein besonderer Abschnitt innerhalb des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches für
Jugendliche vorgesehen. Es handelt sich um den achten Abschnitt, der ursprünglich
den Titel Minderjährige Straftäter hatte und mit der ersten Reform in Spezielle Re-
gelungen für Minderjährige umbenannt worden ist. Die Position des Kindes in der
griechischen Rechtsordnung ist nach dem Jahrtausendwechsel durch die Gründung
der unabhängigen Verwaltungsbehörde des griechischen Ombudsmanns bzw. des
Ombudsmanns für Kinder wesentlich gestärkt worden. Der Ombudsmann für Kinder
hat die Aufgabe, die Kinderrechte zu verteidigen und zu fördern (Art. 3 Abs. 1 des

1
Das griechische Strafgesetzbuch (grStGB) von 1950 (in Kraft seit dem 01. 01. 1951) ist
ins Deutsche übersetzt von Karanikas 1953. Ferner ist das grStGB ins Englische übersetzt von
Lolis 1973 mit einer Einführung von Mangakis 1973, 1 – 33. Ferner ist das griechische Straf-
gesetzbuch im Jahre 2017 von Billis herausgegeben und ins Englische übersetzt worden von
Chalkiadaki & Billis 2017, 65 f. Über das griechische Strafrecht und das strafrechtliche
Sanktionensystem siehe Philippides 1954, 408 f.; Androulakis 1980, 138 f.; Pitsela 1988,
149 f.; Spinellis & Spinellis 1999, 35. f.; Anagnostopoulos & Magliveras 2000, 103 f.
2
Beispielsweise Literatur auf Deutsch vor der ersten umfassenden Reform der griechi-
schen jugendstrafrechtlichen Regelungen im Jahre 2003 siehe Middendorff 1956, 102 f.;
Pasiotopoulou-Poulea 1986; Rupp-Diakojanni 1990; Petoussi & Stavrou 1996, 146 f.; Pitsela
1997, 155 f.; 1998, 1085 f.; 2000, 131 f.; Chaidou 2002, 191 f.; Pitsela 2004, 355 f.
3
Dazu Spinellis & Tsitsoura 2006, 309 f.; Spinellis 2007, 171 f.; Pitsela 2010b, 1183 f.;
2011b, 505 f., 512 f., 522 f.
1014 Angelika Pitsela

Gesetzes Nr. 3094/2003),4 und gilt in Griechenland inzwischen als eine unverzicht-
bare Errungenschaft.
Sieben Jahre nach dem ersten Reformgesetz hat das zweite Reformgesetz
Nr. 3860/2010 über die Verbesserungen der Jugendstrafgesetzgebung. Vorbeugung
und Bekämpfung der Viktimisierung und der Kriminalität von Minderjährigen, das
am 12. 07. 2010 in Kraft getreten ist, wesentlich zur Modernisierung des (materiellen
und formellen) Jugendstrafrechts sowie des Jugendhilferechts beigetragen.5 Im Jahre
2015 haben zwei weitere Gesetze die jugendstraf- und jugendhilferechtlichen Be-
stimmungen nachhaltig reformiert und die Kinderrechte in der Jugendgerichtsbarkeit
gestärkt.6 Mit den vorerwähnten Reformgesetzen wurde aber nur eine Auswahl der
Reformgesetze angesprochen, die seit der Jahrtausendwende grundsätzlich zu einer
Milderung des Jugendstrafrechts und zu einer Stärkung der rechtlichen Stellung Ju-
gendlicher beigetragen haben. Anders als in Westeuropa und den USA geht die Ent-
wicklung in Griechenland nicht hin zu mehr Strafhärte für jugendliche Rechtsbre-
cher.7 Schließlich sind am 01. 07. 2019 das neue Strafgesetzbuch (Ratifizierung
durch das Gesetz Nr. 4619/2019) und die neue Strafprozessordnung (Ratifizierung
durch das Gesetz Nr. 4620/2019) Griechenlands in Kraft getreten.8 Die jugendstraf-
rechtlichen Bestimmungen haben auch wichtige Neuerungen und grundlegende Än-
derungen erfahren.

2. Harmonisierungsbemühungen
der jugendstrafrechtlichen Bestimmungen mit
den internationalen Menschenrechtsstandards
Die griechische Jugendstrafrechtsgesetzgebung befindet sich somit seit Anfang
des 21. Jahrhunderts – nach einem langjährigen legislativen Stillstand – in einem
Modernisierungs- sowie Anpassungsprozess: d. h. Anpassung an die veränderten ge-
sellschaftlichen Verhältnisse (Stichwörter: Europäische Integration, Zuwanderung
aus den Nachbarländern und griechischstämmiger Personen aus dem Gebiet der ehe-

4
Zu Interventionen und Feststellungen des Ombudsmanns für Kinder über die Anwendung
der Kinderrechte in Griechenland, Sonderbericht über die Anwendung der Internationalen
Kinderrechtskonvention in Griechenland 2012 – 2018, siehe www.synigoros.gr [25.06.20].
5
Dazu Pitsela 2012, 478 f.; Pitsela & Giagkou 2013, 1003 f., 1014 f.; siehe im Allgemei-
nen Billis 2013, 187 f., 203 f.
6
Gesetz Nr. 4322/2015 „Reform strafrechtlicher Bestimmungen, Abschaffung der Haft-
anstalten von Typ C und andere Vorschriften“, in Kraft seit dem 27. 04. 2015 und Gesetz
Nr. 4356/2015 „Pakt über das Zusammenleben, die Ausübung von Rechten sowie strafrecht-
liche und sonstige Regelungen“, in Kraft seit dem 24. 12. 2015.
7
Gesetzliche Verschärfungen im strafrechtlichen Umgang mit Jugendlichen sind z. B. in
Frankreich im Zeitraum von 2002 bis 2012 zu beobachten; dazu Décarpes 2015, 305 f.; siehe
auch Stump 2003, 88 f., 184 f.; siehe ferner Marek 2009, 635 f.
8
Siehe Bitzilekis, Kaiafa-Gbandi & Symeonidou-Kastanidou 2020, 253 f., 257 f., 262 f.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1015

maligen Sowjetunion, Flüchtlinge, insbesondere unbegleitete minderjährige Flücht-


linge bzw. Asylsuchende), Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Verhält-
nisse (Stichwörter: Finanz- und Wirtschaftskrise, Schulden- und Staatskrise, Depres-
sion, Beschäftigungskrise) und Anpassung an die verbindlichen Regelungen der Kin-
derrechtskonvention (KRK)9, des Internationalen Paktes über bürgerliche und poli-
tische Rechte (IPbürgR) und der zwei Fakultativprotokolle zum IPbürgR10 und
anderer Menschenrechtskonventionen11 sowie Anpassung an (weitere) internationale
Menschenrechtsstandards12. Bei der zuletzt genannten Kategorie handelt es sich um
unverbindliche Rechtsinstrumente, um nicht bindendes Völkerrecht, wie die Allge-
meine Erklärung der Menschenrechte (Art. 23 und 24), die Mindestgrundregeln der

9
Ratifizierung der KRK durch das Gesetz Nr. 2101/1992. Ferner hat Griechenland sowohl
das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den
Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (durch das Gesetz
Nr. 3625/2007) ratifiziert (in Kraft seit dem 24. 12. 2007) als auch das Fakultativprotokoll zum
Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an be-
waffneten Konflikten (durch das Gesetz Nr. 3080/2002, in Kraft seit dem 10. 12. 2002). Das
Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mittei-
lungsverfahren (Resolution A/RES/66/138 der Generalversammlung der Vereinten Nationen
vom 19. Dezember 2011), in Kraft seit dem 14. April 2014, ist von Griechenland weder un-
terzeichnet noch ratifiziert worden.
10
Erst durch das Gesetz Nr. 2462/1997 ratifiziert. Der Internationale Pakt über bürgerliche
und politische Rechte enthält spezielle Garantien zugunsten der straffällig gewordenen Ju-
gendlichen, wie das Verbot der Verhängung der Todesstrafe in Art. 6 Abs. 5, die getrennte
Unterbringung von jugendlichen und erwachsenen Beschuldigten in Art. 10 Abs. 2b, die ge-
trennte Unterbringung von jugendlichen und erwachsenen Tätern sowie die altersgemäße
Behandlung in Art. 10 Abs. 3 Satz 2, die nichtöffentliche Verkündung des Urteils bei entge-
genstehenden Interessen des Jugendlichen in Art. 14 Abs. 1 und die Verfahrensgestaltung, die
auf das Alter und die Förderung der Wiedereingliederung der Jugendlichen Rücksicht nimmt
in Art. 14 Abs. 4 IPbürgR.
11
Siehe den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (durch
das Gesetz Nr. 1532/1985 ratifiziert); das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau (durch das Gesetz Nr. 1342/1983 und ihr Fakultativprotokoll durch
das Gesetz Nr. 2952/2001 ratifiziert); das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (durch das Gesetz Nr. 782/1988
ratifiziert); das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihr
Fakultativprotokoll (durch das Gesetz Nr. 4074/2012 ratifiziert). Das Fakultativprotokoll zum
Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Be-
handlung oder Strafe (OPCAT: Optional Protocol to the UN Convention against Torture) ist
durch das Gesetz Nr. 4228/2014 ratifiziert worden, während die Aufgabe des Nationalen
Präventionsmechanismus gegen Folter und Misshandlung der griechische Ombudsmann
wahrnimmt; Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor erzwungenem
Verschwindenlassen ist durch das Gesetz Nr. 4268/2014 ratifiziert worden. Griechenland hat
aber die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Migranten und Mitglieder
ihrer Familien von 1990, die am 01. 07. 2003 in Kraft trat, noch nicht ratifiziert.
12
Exemplarisch dazu Höynck, Neubacher, Ernst & Zähringer 2020, 29 f., 363 f., 819 f.;
Neubacher 2009, 275 f.; Pitsela 2009, 645 f.; Jung 1998, 1047 f.
1016 Angelika Pitsela

Vereinten Nationen über die Jugendgerichtsbarkeit13 sowie die Handlungsanleitun-


gen für den Umgang mit Minderjährigen im Kriminaljustizsystem14.
Besonders hervorzuheben ist, dass in den Einführungs- bzw. Begründungsberich-
ten zu den Gesetzentwürfen über die Reform der griechischen Jugendstrafgesetzge-
bung nicht nur die verbindlichen Instrumente der Vereinten Nationen, insbesondere
die Kinderrechtskonvention, das wichtigste internationale Menschenrechtsinstru-
ment für Kinder, explizit Berücksichtigung fanden, sondern auch das sogenannte
weiche Recht („soft law“), das einstimmig von der Generalversammlung der Verein-
ten Nationen angenommen wurde, wie die Mindestgrundsätze für die Jugendge-
richtsbarkeit, die Richtlinien zur Prävention der Jugenddelinquenz15, die Regeln
zum Schutz von Jugendlichen im Freiheitsentzug16. Schließlich wurde auch auf
die Allgemeine Bemerkung Nr. 10 (2007) des UN-Kinderrechtsauschusses über Kin-
derrechte in der Jugendgerichtsbarkeit17 hingewiesen.
Menschenrechte im Strafverfahren, die einem Beschuldigten unabhängig von sei-
nem Alter zustehen, sind in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschen-
rechte und Grundfreiheiten fest verankert, dem wichtigsten Menschenrechtsinstru-
ment des Europarats. Ziel des Europarates ist es, im Wege einer Harmonisierung
der Rechtsvorschriften eine größere Einheit unter seinen 47 Mitgliedstaaten herzu-
stellen. Die unaufhaltsamen Bestrebungen des Europarates, einheitliche Menschen-
rechtsstandards zu formulieren und durchzusetzen bis hin zur Harmonisierung des
Jugendstrafrechts auf europäischer Ebene,18 haben auch Impulse zur Umgestaltung
der jugendstrafrechtlichen Vorschriften gegeben.19 In den Einführungs- bzw. Begrün-
dungsberichten zu den griechischen Gesetzentwürfen fanden verbindliche Instru-
13
Die „United Nations Standard Minimum Rules for the Administration of Juvenile Jus-
tice“ oder „the Beijing Rules“ wurden durch die Resolution 40/33 der Generalversammlung
der Vereinten Nationen angenommen; dazu Schüler-Springorum 1987, 809 f.
14
Die „Guidelines for Action on Children in the Criminal Justice System“ oder „the Vi-
enna Guidelines“ wurden durch die Resolution 1997/30 vom 21. Juli 1997 des Wirtschafts-
und Sozialrates der Vereinten Nationen angenommen.
15
Die „United Nations Guidelines for the Prevention of Juvenile Delinquency“ oder „the
Riyadh Guidelines“ wurden durch die Resolution 45/112 der Generalversammlung der Ver-
einten Nationen angenommen; dazu Kaiser 1989, 44 f.; Schüler-Springorum 1992, 169 f.
16
Die „United Nations Rules for the Protection of Juveniles Deprived of their Liberty“
oder „the Havana Rules“ wurden durch die Resolution 45/113 der Generalversammlung der
Vereinten Nationen angenommen; dazu Dünkel 1988, 361 f.
17
Siehe UN Committee on the Rights of the Child (CRC), General Comment No. 10
(2007): Children’s Rights in Juvenile Justice, 25. 04. 2007, CRC/C/GC/10; dazu Bochmann
2009, 25; siehe auch Radtke 2011, 120 f. Gegenwärtig beschäftigt sich der UN-Kinder-
rechtsausschuss mit der Überarbeitung der Nr. 10 Allgemeinen Bemerkung über Kinderrechte
in der Jugendgerichtsbarkeit. Schließlich hat General Comment No. 24 (2019) on children’s
rights in the Child Justice System, 18. 09. 2019, CRC/C/GC/24 General Comment No. 10
(2007) on children’s rights in Juvenile Justice ersetzt.
18
Vgl. Rau 1997, 519 f.; Bundesministerium der Justiz & Deutsche Vereinigung für Ju-
gendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. 2001, 94 f.; Kerner & Czerner 2004, 1 f.
19
Dazu Dünkel 2014, XVII f.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1017

mente des Europarates wie die Europäische Konvention über die Ausübung von Kin-
derrechten20 sowie folgende Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates
explizit Beachtung: die Empfehlung Nr. R (87) 20 über die gesellschaftlichen Reak-
tionen auf Jugendkriminalität, die Empfehlung Rec (2000) 20 über die Rolle des
frühzeitigen psychosozialen Einschreitens zur Verhütung kriminellen Verhaltens,
aber auch die Empfehlung Rec (2003) 20 über „Neue Wege im Umgang mit Jugend-
delinquenz und die Rolle der Jugendgerichtsbarkeit“21.
Die Bemühungen zur Harmonisierung der griechischen jugendstrafrechtlichen
Vorschriften mit den Bestimmungen der Kinderrechtskonvention, insbesondere
mit den Empfehlungen des Ausschusses für die Rechte der Kinder in den „Abschlie-
ßenden Bemerkungen“ (Concluding Observations 2002, 2012)22, sowie mit den
Empfehlungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und un-
menschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT)23 spiegeln sich in
mehreren Reformgesetzen wider. Die Empfehlungen beider Ausschüsse werden
sehr ernst genommen und erfahren zunehmende Akzeptanz.
Auf der Ebene der Europäischen Union werden im Zusammenhang mit den ju-
gendstrafrechtlichen Menschenrechtsstandards – abgesehen von der EU-Grundrech-
techarta – drei Dokumente erwähnt: die Mitteilung der Kommission im Hinblick auf
eine EU-Kinderrechtsstrategie (2006), die Stellungnahme des Europäischen Wirt-
schafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verhütung von Jugendkriminalität,
Wege zu ihrer Bekämpfung und Bedeutung der Jugendgerichtsbarkeit in der Euro-
päischen Union“ (2006) sowie der „Bericht über Jugenddelinquenz: die Rolle der
Frau, der Familie und der Gesellschaft“ vom Ausschuss des Europäischen Parla-
ments für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (2007)24.
Die EU-Richtlinie 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
11. Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige
oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (ABl. L 132 vom 21. 05. 2016,

20
Ratifizierung durch das Gesetz Nr. 2501/1997.
21
Zumindest explizit fanden keine Beachtung die Empfehlung CM/Rec (2008) 11 über die
Europäischen Grundsätze für die von Sanktionen und Maßnahmen betroffenen jugendlichen
Straftäter sowie die Leitlinien für eine kindergerechte Justiz (Guidelines on child-friendly
Justice); exemplarisch dazu Dünkel, Baechtold & van Zyl Smit 2009, 297 f.
22
Siehe CRC/C/GRC/2 – 3, paras. 68 und 69 (2012) und CRC/C/15/Add. 170, para. 79
(2002).
23
Exemplarisch dazu Kaiser 1994, 66 f.; Nowak 1988, 537 f. Das CPT hat bis heute sieben
periodische und neun ad hoc Besuche in griechischen Hafteinrichtungen im Zuständigkeits-
bereich des Justizministeriums abgestattet. Zusätzlich hat das CPT eine öffentliche Stellung-
nahme (Public Statement) am 15. 03. 2011 abgegeben, die schärfste Maßnahme, über welche
diese Institution gegenüber einer Vertragspartei verfügt (siehe Art. 10 Abs. 2 des Europäi-
schen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Strafe). Der Strafvollzug liegt seit Juli 2019 im Zuständigkeitsbereich des
Ministeriums für Bürgerschutz (vorher: Ministerium für öffentliche Ordnung und Bürger-
schutz).
24
Siehe Geng 2014, 27.
1018 Angelika Pitsela

S. 1), befasst sich u. a. mit der Ausweitung des Rechts auf Zugang zu einem Vertei-
diger (Art. 6), des Rechts auf individuelle Begutachtung (Art. 7) und dem Ausbau des
Anwendungsbereichs der audiovisuellen Aufzeichnung von Beschuldigtenverneh-
mungen (Art. 9)25. Übergeordnetes Ziel der Richtlinie ist die Stärkung des gegensei-
tigen Vertrauens für ein gemeinsames Verständnis von Rechtstaatlichkeit durch Min-
deststandards.26 Deshalb verdient besondere Aufmerksamkeit, dass diese gemeinsa-
men Mindeststandards innerhalb der Europäischen Union Anwendung finden. Grie-
chenland hat die EU-Richtlinie 2016/800 durch das Gesetz Nr. 4689/2020 in der
nationalen Gesetzgebung umgesetzt.

3. Überblick über die Reform


der jugendstrafrechtlichen Bestimmungen
Die erste umfangreiche Reform der Jugendkriminalgesetzgebung (2003) erhöhte
die untere Anwendbarkeitsgrenze des jugendstrafrechtlichen Sanktionssystems vom
7. auf das 8. Lebensjahr und die obere vom 17. auf das 18. Lebensjahr. Personen, die
noch nicht das 13. Lebensjahr vollendet hatten, waren strafrechtlich nicht verant-
wortlich, so dass die Strafmündigkeit mit Vollendung des 13. Lebensjahrs eintrat.
Die Jugendstrafe – sowie die Untersuchungshaft – durfte erst mit Vollendung des
13. Lebensjahrs verhängt werden. Die allgemeine strafrechtliche Verantwortung
tritt seither mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein und Personen ab dem vollende-
ten 18. bis zum noch nicht vollendeten 21. Lebensjahr sind Heranwachsende. Die
zeitlich unbestimmte Jugendstrafe (Rahmenstrafe) wurde abgeschafft27 und durch
die Jugendstrafe von bestimmter Dauer ersetzt.
Die Reformgesetzgebung unterstrich die ambulante erzieherische Behandlung,
stärkte den Opferschutz (Einführung des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Wieder-
gutmachung als eigenständige Erziehungsmaßnahmen)28, führte die ambulante the-
rapeutische Behandlung ein, unterstützte die Gestaltung des Freiheitsentzugs als ul-
tima ratio, führte die bestimmte Jugendstrafe ein, wertete die Rolle des Staatsanwalts
u. a. durch die Einführung des Absehens von der Verfolgung (Diversion)29 auf, ver-
besserte die rechtliche Stellung der jugendlichen Beschuldigten und erweiterte sub-

25
Ausführlich dazu Bock & Puschke 2019, 224 f.
26
Dazu Drenkhahn 2015, 288 f. (292).
27
Bereits in den 1970er Jahren war die unbestimmte Jugendstrafe in den skandinavischen
Ländern (z. B. in Dänemark im Jahre 1973, Norwegen im Jahre 1975 und Schweden im Jahre
1979), in Schottland sowie England und Wales, aber auch in anderen Ländern Europas
(nämlich im Jahre 1988 in Österreich und im Jahre 1990 Deutschland) abgeschafft worden, die
eine Vorbildfunktion für die griechische Strafgesetzgebung hatten.
28
Ausführlich hierzu Panagos 2017, 1685 f., 1694 f.; Pitsela 2014, 359 f.; Artinopoulou
2013, 101 f.; Pitsela 2011, 623 f., 664 f.; Artinopoulou 2009, 237 f.
29
Dazu Lambropoulou 2010, 905 f.; Giovanoglou 2015, 331 f.; Giovanoglou & Parosanu
2015, 81 f.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1019

stantiell den Aufgabenbereich der Jugendgerichtshilfe.30 Das Rechtsmittelrecht stell-


te einen Grundstein der Reform dar. Es wurde die Möglichkeit geschaffen, die be-
stimmte Jugendstrafe, unabhängig von ihrer Dauer, vor einer höheren Instanz zu
überprüfen: Alle Strafurteile mit einer Jugendstrafe sind seither berufungsfähig.
Nach der vorherigen Regelung war eine Berufung gegen Jugendstrafen, deren Min-
destdauer sechs Monate bis einschließlich ein Jahr betrug, ausgeschlossen gewesen.
Ferner wurden durch Art. 26 des Gesetzes Nr. 3904/2010 Rationalisierung und Ver-
besserung der Strafrechtspflege und andere Vorschriften (in Kraft seit dem 23. 12.
2010) sowohl die Urteile mit Erziehungs- oder Heilmaßnahmen als auch Strafurteile
mit einer obligatorisch gemilderten Freiheitsstrafe31, unabhängig von ihrer Höhe,
stets berufungsfähig.
Das zweite Reformgesetz zur Jugendstrafgesetzgebung (2010) schränkte die An-
ordnungsvoraussetzungen der Jugendstrafe ein (Ultima-ratio-Stellung der Jugend-
strafe) und verkürzte die Strafrahmen bzw. Straflängen der Jugendstrafe. Die rechts-
staatlichen Verfahrensgarantien wurden verstärkt. Die Untersuchungshaft wurde als
letztes Mittel gestaltet. Als Haftalternativen speziell für jugendliche Beschuldigte ab
dem 15. Lebensjahr stehen seitdem alle ambulanten Erziehungsmaßnahmen des Ju-
gendstrafrechts zur Verfügung. Wenn einem jugendlichen Beschuldigten eine Tat zur
Last gelegt wird, die bei einem Erwachsenen ein Verbrechen wäre, ist seither die Be-
stellung und Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung obligatorisch
(Art. 340 Abs. 1 Satz 3 grStPO). Schließlich sah die Reform besondere Qualifikatio-
nen für die Jugendrichter vor. Danach sollte der Jugendrichter den Rang eines Land-
gerichtspräsidenten haben und die Amtszeit für Jugendrichter und Jugendstaatsan-
wälte drei Jahre betragen, aber mit Zustimmung der Betroffenen um weitere drei
Jahre verlängert werden dürfen.32
Die wichtigsten Änderungen im jugendstrafrechtlichen Bereich der griechischen
Reformgesetze im Jahr 2015 (Gesetz Nr. 4322/2015 und Gesetz Nr. 4356/2015) be-
treffen vor allem die klare und deutliche Heraufsetzung des Strafmündigkeitsalters
auf das 15. Lebensjahr, die strikteren Anwendungsvoraussetzungen der U-Haft und
der Jugendstrafe und dadurch die Bekräftigung der Ultima-ratio-Stellung aller frei-
heitsentziehenden Sanktionen und Maßnahmen, die Herabsetzung der Höchstdauer
der Untersuchungshaft sowie der Jugendstrafe, die grundsätzliche Stärkung der
30
Detailliert hierzu Pitsela 2012, 480 f., 483 (Fn. 5); 2011a, 664 f. (Fn. 28); 2010b, 1187 f.
(Fn. 3).
31
Wenn ein Jugendlicher bis zum Zeitpunkt der Aburteilung seiner Strafsache das 18.
Lebensjahr vollendet hatte, konnte das erkennende Gericht statt der Verhängung einer Ju-
gendstrafe, die zwar für notwendig, deren Vollzug jedoch nicht mehr für zweckmäßig erachtet
wird, die für die Tat vorgesehene Strafe verhängen und diese nach den Vorschriften des Art. 83
grStGB obligatorisch mildern (Art. 130 grStGB). Statt der Verhängung der Jugendstrafe
wurde durch den Rückgriff auf die gemilderten Strafen des allgemeinen Strafrechts in der
Gerichtspraxis meistens die Gefängnisstrafe verhängt (10 Tage bis 5 Jahre), die aber in der
Regel ausgesetzt oder in eine Geldstrafe umgewandelt wurde; ausführlich hierzu Pitsela 1997,
166 f. (Fn. 2).
32
Detailliert hierzu Pitsela 2012, 484 f. (Fn. 5); 2011a, 664 f. (Fn. 28).
1020 Angelika Pitsela

Rechte der Kinder in der Jugendgerichtsbarkeit und die Abschaffung der Strafregis-
tereintragung der Gerichtsurteile mit Erziehungsmaßnahmen. Somit beschränkt sich
in Griechenland die Registereintragung auf die Jugendstrafe. Ein Erziehungsregister
gibt es nicht.
Die jugendstrafrechtlichen Bestimmungen im achten Abschnitt des Allgemeinen
Teils des grStGB waren auch Gegenstand der Reformbemühungen, die deren Moder-
nisierung durch die Verabschiedung der neuen Strafgesetzgebung im Jahr 2019 her-
beigeführt haben. Die wichtigsten Änderungen im jugendstrafrechtlichen Bereich
lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Begriff des Minderjährigen und der
des jungen Erwachsenen sind neu bestimmt worden. Als Minderjährige gelten nun-
mehr Personen, die zur Zeit der Tatbegehung 12 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt
sind (Art. 121 Abs. 1 grStGB). Zuvor lag die Grenze gemäß dem grStGB von 1950
bei 7 Jahren und beim ersten Reformgesetz von 2003 bei 8 Jahren. Minderjährige im
Alter von 12 bis unter 15 Jahren sind per Gesetzesdefinition zwar nicht strafrechtlich
verantwortlich (Art. 126 Abs. 1 grStGB), doch unterliegen sie trotz ihrer Strafun-
mündigkeit ab dem vollendeten 12. Lebensjahr der Strafverfolgung. Ferner müssen
sie vor einem Jugendgericht erscheinen, das nach Art. 1 des grStPO ein Strafgericht
ist, und die Erziehungs- oder Heilmaßnahmen werden auf sie angewendet. Da die 12-
bis unter 15-Jährigen nicht strafbar sind, können sie nicht zur Jugendstrafe verurteilt
werden. Ab 15 Jahren werden Jugendliche strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
Kinder unter 12 Jahren können strafrechtlich nicht verfolgt werden. Sie kommen
weder vor ein Jugendgericht, noch dürfen ihnen gegenüber Erziehungs- oder Heil-
maßnahmen angeordnet werden.
Die im Gesetz vorgesehenen ambulanten Erziehungsmaßnahmen (Art. 122
grStGB) sind nach ihrer Schwere eingestuft und haben Vorrang: Dabei handelt es
sich um den Verweis/Verwarnung, die Unterstellung des Minderjährigen unter die
Erziehungsverantwortung der Eltern oder des Vormunds, die Unterstellung des Min-
derjährigen unter die Erziehungsverantwortung einer Pflegefamilie, die Unterstel-
lung des Minderjährigen unter die Fürsorge von Jugendschutzvereinigungen, Ju-
gendeinrichtungen oder Jugendgerichtshelfern, die Vermittlung zwischen dem min-
derjährigen Täter und dem Opfer, um sich beim Opfer zu entschuldigen, und im All-
gemeinen um die außergerichtliche Regelung der Tatfolgen, die Entschädigung des
Opfers oder die sonstige Beseitigung oder Minderung der Tatfolgen, die Teilnahme
an sozialen und psychologischen Programmen von staatlichen, städtischen, kommu-
nalen oder privaten Trägern, den Besuch von Berufsschulen oder anderen Ausbil-
dungs- oder Berufsausbildungseinrichtungen und die Teilnahme an speziellen Ver-
kehrserziehungsprogrammen. Nachrangig sind demgegenüber die Leistung gemein-
nütziger Arbeit, die Unterstellung des Minderjährigen unter die Fürsorge und Auf-
sicht von Jugendschutzvereinigungen oder Jugendgerichtshelfern und die
Unterbringung des Minderjährigen in einem geeigneten staatlichen, städtischen,
kommunalen oder privaten Erziehungsheim. Die Anordnung der Unterbringung in
einem Erziehungsheim, die einzig vorgesehene stationäre Erziehungsmaßnahme,
kommt nur dann vor, wenn alle anderen milderen Maßnahmen bereits gescheitert
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1021

sind, um den Minderjährigen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (Ul-
tima-ratio-Stellung der Heimunterbringung). Sowohl das Subsidiaritäts- als auch das
Proportionalitätsprinzip werden explizit anerkannt.

4. Die Entwicklung der Anordnungsvoraussetzungen


und der Dauer der Jugendstrafe
Die Jugendstrafe (Einschließung, Unterbringung oder Freiheitsentzug in einer Ju-
gendstrafanstalt) ist die einzige im Jugendstrafrecht vorgesehene Kriminalstrafe.33
Sie ist das letzte Mittel34, auf welches das Gericht bei bestimmten schweren Strafta-
ten zurückgreifen darf. Das ergibt sich aus den jugendstrafrechtlichen Vorschriften
(Art. 126 Abs. 2 i.V.m. Art. 127 Abs. 1 grStGB), dem Grundsatz des Wohls des Kin-
des in Art. 3 Abs. 1 der Kinderrechtskonvention (the best interests of the child) und
Art. 24 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (the child’s best
interests), folgt aber auch aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit (Art. 25 Abs. 1 Satz 4 grVerfassung). Deshalb darf sie erst angewendet
werden, wenn weniger eingreifende Sanktionen ausscheiden.
Das griechische Jugendstrafrecht sieht keine ambulanten Strafen vor.35 Die Ju-
gendstrafe ist stets eine freiheitsentziehende Strafe, die eine persönlichkeitsgebun-
dene ungünstige Prognose beinhaltet. Deshalb besteht keine Möglichkeit der Ausset-
zung der Jugendstrafe zur Bewährung.36 Gemäß den Neuregelungen im grStGB kann
jedoch die Jugendstrafe durch die Leistung gemeinnütziger Arbeit teilweise ersetzt
werden (siehe Art. 128 Abs. 2 grStGB). Ferner ist es möglich, die Jugendstrafe durch
Hausarrest ganz oder teilweise zu ersetzen (siehe Art. 128 Abs. 1 grStGB).
Die Voraussetzungen für die Verhängung der Jugendstrafe (Art. 127 Abs. 1
grStGB) wurden in den Jahren 2010 und 2015 neu geregelt. War die Jugendstrafe
bis zur Reform von 2010 noch als Strafe für Vergehen oder Verbrechen vorgesehen,
so ist sie seither auf bestimmte Verbrechenskategorien beschränkt. Nach der Reform
von 2010 verurteilte das Gericht einen Jugendlichen, der das 15. Lebensjahr vollen-

33
Ausführlich hierzu Bitzilekis, Kaiafa-Gbandi & Symeonidou-Kastanidou 2020, 259 f.
(Fn. 8).
34
Im Allgemeinen darf der Freiheitsentzug bei einem Menschen unter 18 Jahren nur „als
letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit“ eingesetzt werden (siehe Art. 37b
der Kinderrechtskonvention, Mindestgrundregeln der Vereinten Nationen über die Jugendge-
richtsbarkeit, Nr. 13, 19.1) und nur auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben (siehe Regeln der
Vereinten Nationen zum Schutz von Jugendlichen im Freiheitsentzug, Nr. 1 und 2).
35
Über das jugendstrafrechtliche Sanktionensystem siehe Pitsela 2016, 581 f., 589 f.; im
Allgemeinen siehe Pitsela & Chatzispyrou 2017, 174 f., 190 f.; über den Hausarrest mit
elektronischer Überwachung siehe Pitsela 2017, 363 f.; für einen Einblick in die gemeinde-
bezogenen Sanktionen und Maßnahmen siehe Tsitsoura 2002, 271 f.; Courakis 1994, 257 ff.
36
Dazu Pitsela & Sagel-Grande 2004, 208 f.
1022 Angelika Pitsela

det hatte,37 zur Jugendstrafe, wenn die Tat ein Verbrechen war und Gewaltelemente
enthielt, sich gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit richtete oder be-
rufsmäßig oder fortgesetzt begangen wurde.38 Demnach war die Verhängung einer
Jugendstrafe bei der Aburteilung eines Vergehens ausgeschlossen. Ferner musste
sich aus der speziellen und umfassenden Begründung des Gerichtsurteils ergeben,
warum die Erziehungs- oder Heilmaßnahmen unter Berücksichtigung der besonde-
ren Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters in dem vorliegenden Fall nicht
ausreichten (Art. 127 Abs. 1 grStGB). Selbst bei diesen Verbrechen hatten die Erzie-
hungs- oder Heilmaßnahmen Vorrang bzw. stellten die „normale“ Reaktion dar. Nur
wenn die Erziehungs- oder die Heilmaßnahmen nicht ausreichten und die Verhän-
gung der Jugendstrafe als notwendig erachtet wurde, verhängte das Gericht diese
Strafe.
Gemäß den Neuregelungen aus dem Jahr 2015 wurde die Jugendstrafe gegenüber
Personen verhängt, die das 15. Lebensjahr vollendet hatten, wenn ihre Tat bei einem
Erwachsenen ein Verbrechen wäre, das mit lebenslanger Freiheitsstrafe sanktioniert
werden kann. Es handelte sich dabei um schwere Verbrechen, die in der Praxis relativ
selten vorkommen und kaum von Jugendlichen begangen werden (z. B. vorsätzliche
Tötung in Art. 299 Abs. 1 grStGB, Raub mit Todesfolge in Art. 380 Abs. 2 grStGB
und Brandstiftung mit Todesfolge einer großen Anzahl von Menschen in Art. 264
Abs. 1 grStGB). Die Jugendstrafe konnte ferner bei Vergewaltigungstaten
(Art. 336 grStGB) eines 15 bis 18-Jährigen verhängt werden, wenn das Opfer jünger
als 15 Jahre alt war. Die Jugendstrafe konnte schließlich gegenüber einem Jugend-
lichen ab 15 Jahren verhängt werden, wenn er während der zuvor verhängten Unter-
bringung in einem Erziehungsheim eine Straftat beging, die bei einem Erwachsenen
ein Verbrechen gewesen wäre. Beging ein 15- bis 18-Jähriger eine Straftat, die bei
einem Erwachsenen ein Verbrechen gewesen wäre, konnte ihm die Einweisung in
ein Erziehungsheim angedroht werden.
Die Anordnungsvoraussetzungen der Jugendstrafe haben sich im neuen grStGB
von 2019 wieder geändert. Seither darf die Jugendstrafe gegenüber Jugendlichen, die
das 15. Lebensjahr vollendet haben, verhängt werden, wenn die Tat ein Verbrechen39

37
Für einen Vergleich der Altersgrenzen strafrechtlicher Verantwortlichkeit siehe Dünkel
2015, 527 f., 536 f. Das Strafmündigkeitsalter liegt in Dänemark, Finnland und Schweden bei
15 Jahren, siehe Nemitz 2002, 137 f., 140; Cornils 2002, 27 f., 29; Haverkamp 2002, 337 f.,
339. Siehe auch Dünkel 1999, 291 f.
38
Diese Bestimmung ist stark von Nr. 17.1c der Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen
für die Jugendgerichtsbarkeit beeinflusst.
39
Das neue grStGB hat die Dichotomie der Straftaten in Verbrechen und Vergehen ein-
geführt, welche im Wesentlichen der Zweiteilung der Freiheitsstrafen in Zuchthaus (zeitig,
lebenslang) und Gefängnis (10 Tage bis 5 Jahre) entspricht. Verbrechen sind rechtswidrige
Taten, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren oder darüber bedroht sind.
Vergehen sind rechtswidrige Taten, die mit einer Freiheitsstrafe von 10 Tagen bis 5 Jahre oder
mit Jugendstrafe oder mit Geldstrafe oder mit der Leistung gemeinnütziger Arbeit bedroht
sind (Art. 18 StGB). Abweichend von der Zweiteilung der Straftaten nach den allgemeinen
Bestimmungen in Verbrechen und Vergehen ist jede Tat, die mit der Jugendstrafe – unab-
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1023

ist und Gewaltelemente enthält oder sich gegen das Leben oder die körperliche Un-
versehrtheit richtet (Art. 127 Abs. 1 grStGB).
Der Strafrahmen der Jugendstrafe wurde im Jahre 2003 (Gesetz Nr. 3189/2003)
nicht reformiert. Die Dauer der Jugendstrafe betrug damals mindestens fünf und
höchstens zwanzig Jahre, wenn die begangene Tat im allgemeinen Strafrecht mit
einer Freiheitsstrafe von über zehn Jahren bedroht war. In jedem anderen Fall betrug
sie mindestens sechs Monate und höchstens zehn Jahre. Diese Regelung stammte aus
dem grStGB von 1950 und wurde erst im Jahre 2010 geändert. Erstmals wurde durch
die Reform von 2003 aber festgelegt, dass die Dauer der Unterbringung in einer Ju-
gendstrafanstalt im Gerichtsurteil genau bestimmt werden muss (Art. 127 Abs. 2
grStGB). Seit 2003 gibt es nur noch die bestimmte Jugendstrafe, deren Dauer wie
im allgemeinen Strafrecht vom Gericht durch das Strafurteil festgesetzt wird.
Nach der Reform von 2010 (Gesetz Nr. 3860/2010) betrug das Mindestmaß der
Jugendstrafe sechs Monate und ihr Höchstmaß fünf Jahre, wenn die begangene
Tat im allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren be-
droht war. Wenn die begangene Tat im allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstra-
fe von über zehn Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht war, durfte die
Dauer der Unterbringung in einer Jugendstrafanstalt weder zwei Jahre unterschreiten
noch zehn Jahre übersteigen und bei besonders schweren Straftaten konnte in Aus-
nahmefällen eine Jugendstrafe von bis zu fünfzehn Jahren verhängt werden. Somit
blieb die Mindestdauer der Jugendstrafe sechs Monate, während das Höchstmaß
der Jugendstrafe von zwanzig Jahren auf zehn Jahre bzw. in Ausnahmefällen auf
fünfzehn Jahre reduziert wurde.40
Die Dauer der Jugendstrafe betrug nach den Bestimmungen des Gesetzes
Nr. 4322/2015 mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, wenn für die begangene
Tat Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe vorge-
sehen war; in jedem anderen Fall reichte die Dauer von mindestens sechs Monaten
bis höchstens fünf Jahre (Art. 54 a.F. grStGB). Somit betrug das Mindestmaß der Ju-
gendstrafe sechs Monate und das Höchstmaß fünf Jahre (wie bei der Reform von
2010: sechs Monate bis fünf Jahre, davor 1951 – 2003 sechs Monate bis zehn
Jahre), wenn die begangene Tat nach dem allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheits-
strafe von bis zu zehn Jahren bedroht war. Ferner durfte die Dauer der Jugendstrafe

hängig von ihrer Dauer – bestraft wird, ein Vergehen. Demnach wird auch die schwerwie-
gendste von Jugendlichen begangene strafbare Handlung per Gesetzesdefinition als Vergehen
bezeichnet, da die Jugendstrafe die einzige Strafe ist, die ihnen auferlegt werden kann. Somit
erfolgt die rechtliche Einordnung der Tat eines Jugendlichen nicht wie im allgemeinen
Strafrecht. Die Jugendstrafe, die eingriffsintensivste Sanktion des Jugendstrafrechts, darf als
Reaktion auf Verbrechen im Sinne des allgemeinen Strafrechts verhängt werden (Art. 127
Abs. 1 grStGB). Das Alter des Täters beeinflusst somit die rechtliche Natur der begangenen
Straftat. Strafbare Handlungen verlieren ihren Charakter als Verbrechen, wenn sie von Ju-
gendlichen begangen werden. Die Tat behält ihren rechtlichen Charakter als Vergehen, auch
wenn der Jugendliche nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs abgeurteilt wird.
40
Dazu Pitsela 2012, 484 f. (Fn. 5).
1024 Angelika Pitsela

weder zwei Jahre unterschreiten noch zehn Jahre übersteigen (bei der Reform von
2010: 2 – 10 bzw. 15 Jahre, davor 1951 – 2003: 5 – 20 Jahre), wenn die begangene
Tat nach dem allgemeinen Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe von über zehn Jahren
oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht war. Die Möglichkeit, in Ausnahmefäl-
len eine Freiheitsstrafe von bis zu fünfzehn Jahren zu verhängen, war also entfallen.
Das Höchstmaß der Jugendstrafe hat sich also zwischen 2010 und 2015 halbiert.
Nach der geltenden Rechtsbestimmung (Art. 54 grStGB) beträgt die Dauer der
Jugendstrafe mindestens sechs Monate und höchstens fünf Jahre, wenn die begange-
ne Tat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht ist. Wenn die began-
gene Tat mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von über zehn
Jahren bedroht ist, kann die Dauer der Unterbringung in einer Jugendstrafanstalt
weder zwei Jahre unterschreiten noch acht Jahre übersteigen. Somit beträgt die
Dauer der Jugendstrafe mindestens sechs Monate (unverändert seit 1951) und höchs-
tens acht Jahre.
Die Jugendgerichte sind grundsätzlich zurückhaltend bei der Verhängung frei-
heitsentziehender Sanktionen. In der jugendgerichtlichen Sanktionenpraxis domi-
nierten bis zum Jahre 2010 – nicht zuletzt wegen der begrenzten Kapazitäten und
der desolaten Verhältnisse im Erziehungswesen und im Strafvollzug41 – die ambulan-
ten Erziehungsmaßnahmen.42 Die Entwicklung der Dauer der Jugendstrafe ist durch
mildere Strafen infolge der Herabsetzung der oberen Grenze des Strafrahmens ge-
kennzeichnet, obwohl das Höchst- und Mindestmaß der Jugendstrafe in Griechen-
land im Vergleich zu anderen Ländern (z. B. Niederlande, Schweiz) ziemlich hoch
ist.

5. Junge Erwachsene
Eine Einbeziehung der jungen Erwachsenen (18- bis unter 25-Jährige) in das Ju-
gendstrafrecht43 hat durch die Reformen des Jugendstrafrechts von 2010 und 2015
bedauerlicherweise nicht stattgefunden. Junge Erwachsene werden in der Regel
nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Das Jungerwachsenensein des Täters kann
dann bei der Strafzumessung allenfalls mildernd berücksichtigt werden.44 Wenn Mil-
derungsgründe vorliegen, verbüßen junge volljährige Straftäter ihre Freiheitsstrafe
im Jugendstrafvollzug (Art. 133 grStGB, 12 grStVollzGB), der im Hinblick auf
41
Siehe Pitsela 2010a, 409 ff., 372 f.; Papadopoulou, Moisiadis & Pitsela 2010, 683 ff.
Vgl. Lambropoulou 2001, 33 f.
42
Es ist das letzte Jahr, für das Daten des griechischen Statistischen Amtes über die Ge-
richtsstatistik elektronisch zur Verfügung stehen: www.statistics.gr [25.06.20]; zu den Ver-
besserungsmöglichkeiten der griechischen Kriminalstatistiken siehe Spinellis & Kranidioti
1995, 67 f.
43
Über die internationalen Entwicklungen beim kriminalrechtlichen Umgang mit Heran-
wachsenden siehe Neubacher 2017, 121 f.; Sagel-Grande 2017, 1713 f.
44
Vgl. Persson 2015, 378 f.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1025

die Behandlungsangebote (schulische Angebote, Ausbildungsmöglichkeiten, sport-


liche Aktivitäten) besser ausgestattet ist als der Erwachsenenstrafvollzug, der eher
ein Verwahrvollzug ist.
Die Europaratsempfehlungen Rec (2003) 20 „Neue Wege im Umgang mit Ju-
genddelinquenz und die Rolle der Jugendgerichtsbarkeit“ (Präambel und Regel
Nr. 11)45 und CM/Rec (2008) 11 „Europäische Grundsätze für die von Sanktionen
und Maßnahmen betroffenen jugendlichen Straftäter und Straftäterinnen“ themati-
sieren die Ausweitung des Jugendstrafrechts auf junge Erwachsene (Regel
Nr. 17). Nach diesen Regeln sollen jungerwachsene Täter gegebenenfalls als Jugend-
liche zu betrachten und als solche zu behandeln sein.
Zudem hat der XVII. Internationale Kongress im Jahre 2004 in Beijing in Section I
über die strafrechtliche Verantwortlichkeit in der nationalen und internationalen
Rechtsordnung eine Resolution junge Erwachsene betreffend beschlossen. Diese Re-
solution macht darauf aufmerksam, dass die Adoleszenz bis in das junge Erwachsen-
sein (25 Jahre) ausgeweitet worden ist. Diesem Umstand muss die Gesetzgebung
Rechnung tragen: Auf junge Erwachsene ist wie bei Minderjährigen zu reagieren.
Die Anwendung der Erziehungsmaßnahmen oder alternativer Sanktionen, die sich
auf die Resozialisierung konzentrieren, soll bis zum Alter von 25 Jahren auf Antrag
der betroffenen jungen Menschen ausgeweitet werden können. In Bezug auf die
Straftaten, die von über 18-Jährigen begangen werden, soll die Anwendung der Son-
derregelungen für Minderjährige bis zum Alter von 25 Jahren verlängert werden kön-
nen46.
Das geltende griechische StGB sieht vor, dass es bei jungen Erwachsenen (18- bis
25-Jährige) unter bestimmten Voraussetzungen zur Verhängung der Jugendstrafe
kommen kann. Wenn der Täter zur Zeit der Tat sein 25. Lebensjahr nicht vollendet
hat, kann das Gericht a) die Einschließung in einer Jugendstrafanstalt (Art. 54
grStGB) anordnen, wenn es der Auffassung ist, dass die Tatbegehung auf die man-
gelnde Entwicklung seiner Persönlichkeit wegen des Jugendalters zurückzuführen
ist und diese Einschließung zur Vermeidung der Begehung anderer Straftaten ausrei-
chen würde oder b) auf eine geminderte Strafe erkennen (Art. 83 grStGB). Dabei
steht es im Ermessen des Gerichts, eine Jugendstrafe oder eine geminderte Strafe
zu verhängen. Die jungen erwachsenen Strafgefangenen verbringen ihre Strafzeit

45
Das Ministerkomitee des Europarates erwägt in der Präambel, dass das Alter der ge-
setzlichen Volljährigkeit nicht unbedingt mit dem Alter der Reife übereinstimmt und dass bei
jungen erwachsenen Straftätern bestimmte Reaktionen erforderlich sein können, die mit denen
für jugendliche Straftäter vergleichbar sind. Deshalb empfiehlt es den Regierungen der Mit-
gliedstaaten sich bei der Gesetzgebung und in ihrer Politik und Praxis von den in dieser
Empfehlung enthaltenen Grundsätzen und Maßnahmen leiten zu lassen, wie etwa um der
Verlängerung der Übergangszeit zum Erwachsenenalter Rechnung tragen zu können, junge
Erwachsene unter 21 Jahren wie Jugendliche zu behandeln sowie die gleichen Maßnahmen
auf sie anzuwenden, wenn der Richter der Meinung ist, dass sie noch nicht so reif und ver-
antwortlich für ihre Taten sind, wie es von Erwachsenen zu erwarten ist.
46
Siehe De la Cuesta & Blanco Cordero 2015, 406 f.
1026 Angelika Pitsela

im Strafvollzug getrennt von den sonstigen erwachsenen Strafgefangenen gemäß


Art. 130 Abs. 3 Satz b grStGB (Art. 133 grStGB). Eine Erstreckung der Anwendung
jugendspezifischer Rechtsfolgen, nämlich der Erziehungsmaßregeln, wie etwa der
Teilnahme an sozialen und psychologischen Programmen, dem Besuch von Berufs-
schulen oder anderen Ausbildungs- oder Berufsausbildungseinrichtungen und der
Leistung gemeinnütziger Arbeit, auf junge Erwachsene fand jedoch nicht statt. Lei-
der ist die Möglichkeit der Anordnung ambulanter Erziehungsmaßnahmen bei jung-
erwachsenen Tätern nicht vorgesehen. Dennoch ist durch das neue StGB – trotz der
partiellen Einbeziehung in das jugendstrafrechtliche Reaktionssystem – eine wesent-
liche Verbesserung der Rechtsposition der jungen Erwachsenen festzustellen.

6. Ausblick
Einflüsse auf das griechische Jugendstrafrecht ergeben sich aus völkerrechtlichen
Verpflichtungen, insbesondere aus der Kinderrechtskonvention. Diese Konvention,
aber auch andere internationale Menschenrechtsstandards zur Jugendgerichtsbarkeit
dienen oft als ein willkommener Anlass für notwendige Reformen im Bereich des
Jugendstrafrechts. Dazu gehören die Einführung der strafrechtlichen Verantwortlich-
keit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, die Anhebung des Strafmündigkeits-
alters auf das vollendete 15. Lebensjahr,47 die Einführung der staatsanwaltlichen Di-
version, die Bereicherung des Katalogs der ambulanten Erziehungsmaßnahmen, die
Einführung der ambulanten therapeutischen Behandlung, die Abschaffung der zeit-
lich unbestimmten Sanktionen, die Absenkung der Strafrahmen der Jugendstrafe, die
Stärkung der Rechtsstellung jugendlicher Täter (etwa das Recht des Kindes auf An-
hörung beim Absehen von der Verfolgung und bei der Gewährung der bedingten Ent-
lassung, das Recht auf Berufung bei allen Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts, das
Recht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers oder die Abschaffung der Strafregis-
tereintragung der Gerichtsurteile mit Erziehungsmaßnahmen).
Die Arbeiten an dem Gesetzentwurf über Jugendhilfeeinrichtungen für junge
Menschen, der Diagnose- und Therapiezentren, offene und halboffene Begegnungs-
stätten sowie halboffene Einrichtungen für die soziale Wiedereingliederung vorsieht,
sind bereits abgeschlossen. Der Gesetzentwurf bezieht sich auf gefährdete, drogen-
abhängige und delinquente Jugendliche sowie auf Jugendliche mit psychischen Pro-
blemen. Angesichts der erforderlichen personellen und sachlichen (organisatori-
schen, technologischen, finanziellen) Ressourcen, die für die Umsetzung der Rechts-
normen in der Praxis bereitgestellt werden müssten, ist es jedoch eher unwahrschein-
lich, dass der Gesetzesentwurf – auch wenn er in naher Zukunft als Gesetz in Kraft
treten sollte – tatsächlich umgesetzt werden kann.
Ferner werden die Gesetzesbestimmungen zum Aufgabenbereich der Jugendge-
richtshilfe überarbeitet. Eine besondere Herausforderung stellt die Betreuung und
47
Siehe Nikolaou 2017, 1661 f., 1670 f.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1027

Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen dar. Die Jugendge-


richtshilfe ist personell und sachlich nicht ausreichend ausgestattet, um diese Aufga-
be zu übernehmen. Die drastischen Reduzierungen des Personals bzw. die fehlenden
Neueinstellungen im Bereich der sozialen Dienste der Justiz zählen zu den großen
Problemen, mit denen der griechische Staat zu kämpfen hat. Zu diesen Problemen
gehören außerdem die Zusammenlegung, zumindest auf regionaler Ebene, der Ju-
gendgerichtshilfe mit der Bewährungshilfe, eine überlange Verfahrensdauer, Über-
belegung und inakzeptable Haftbedingungen in den Gefängnissen wie auch in
einen noch bestehenden Erziehungsheim für männliche Jugendliche und schließlich
eine unzureichende Betreuung von (ausländischen) unbegleiteten Kindern. Die zu-
letzt genannte Aufgabe wird häufig von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) er-
füllt.
Fast alle Reformvorhaben des Justizministeriums im Bereich des Jugendstraf-
rechts dienen grundsätzlich der Reduzierung des Freiheitsentzugs und der Stärkung
der Kinderrechte. Verschärfungen des Jugendstrafrechts sind auf legislativer Ebene
nicht zu beobachten, es sind eher Strafmilderungen im strafrechtlichen Umgang mit
jungen Menschen festzustellen (etwa Einschränkung der Anordnungsvoraussetzun-
gen der Jugendstrafe, Absenkung der Strafrahmen der Jugendstrafe). In Bezug auf
die Verhängung von ambulanten Erziehungsmaßnahmen ist ein Rückgang der Unter-
stellungen der Minderjährigen unter die Betreuung der Jugendgerichtshilfe und eine
Zunahme bei den Unterstellungen unter die Erziehungsverantwortung der Eltern
feststellbar. Die Nicht-Ausschöpfung der vorhandenen Möglichkeiten, die neuen Er-
ziehungsmaßnahmen anzuordnen, scheint darauf zurückzuführen zu sein, dass die
Regierung nicht die Mittel zu ihrer Implementation bereitstellen kann (z. B. ist die
Leistung gemeinnütziger Arbeit wegen fehlender Sozialversicherung der jungen
Menschen selten möglich und es gibt keine Ausbildungsprogramme). Die Jugend-
strafrechtsreform von 2015 hat wesentlich zur Entspannung der Situation im ge-
schlossenen Jugendstrafvollzug beigetragen. Nicht nur ein Rückgang von jugendli-
chen U-Häftlingen und Strafgefangenen ist festzustellen, sondern auch ein Absinken
der Insassenpopulation insgesamt. Die Gesamtzahl der Gefangenen ist im Zeitraum
2015 bis 2016 von über 12.000 auf unter 10.000 Personen zurückgegangen.
Der Rückgang der Belegung in den Jugendstrafanstalten ist eine bewusste Aus-
richtung der Kriminalpolitik für junge Menschen gewesen, denn wie sich aus den
programmatischen Erklärungen des Justizministers ablesen lässt,48 bezwecken die
Gesetzesänderungen die faktische „Abschaffung“ des Jugendstrafvollzugs, um mit
den knappen vorhandenen Mitteln (fehlendes Personal, insbesondere Fachpersonal,

48
Der (ehemalige) Justizminister setzte sich für eine drastische Einschränkung des An-
wendungsbereichs der Jugendstrafe ein. Die Jugendstrafe sollte fast nur noch für die vor-
sätzliche Tötung vorgesehen sein. Da Jugendliche dieses Verbrechen äußerst selten begehen,
wird mit einer Abschaffung der Jugendgefängnisse gerechnet. Siehe Pitsela 2015, 202 f. (210).
1028 Angelika Pitsela

unzureichende Beschäftigungsmöglichkeiten und Behandlungsangebote) die spe-


zialpräventive Aufgabe des Jugendstrafrechts49 besser umsetzen zu können.
Abschließend kann festgestellt werden, dass der Reformeifer in Griechenland von
der Regierung und dem Parlament mitgetragen wird. In der aktuellen Legislaturpe-
riode sind daher noch weitere Reformen zu erwarten.

Literaturverzeichnis

Anagnostopoulos, I.G. & Magliveras, J.D. (2000): Criminal Law in Greece. The Hague u. a.
Androulakis, N. (1980): Strafrecht, in: K.-D. Grothusen (Hrsg.), Südosteuropa-Handbuch.
Vol. 3: Griechenland. Göttingen, S. 138 – 146.
Artinopoulou, V. (2009): Victim Offender Mediation in family violence cases – The Greek ex-
perience, in: M.P. Kranidioti (Hrsg.), Criminology and European Crime Policy. Essays in
Honor of Aglaia Tsitsoura. Athens, Thessaloniki, S. 237 – 266.
Artinopoulou, V. (2013): Restorative Justice in Greece, in: A. Pitsela & E. Symeonidou-Kasta-
nidou (Hrsg.), Restorative Justice in Criminal Matters. Comparative Research in 11 European
Countries. Athens, Thessaloniki, S. 101 – 124.
Billis, E. (2013): National Characteristics, fundamental principles, and history of criminal law
in Greece, in: U. Sieber, K. Jarvers & E. Silverman (Hrsg.), National Criminal Law in a Com-
parative Legal Context. Vol. 1.2: Introduction to National Systems. Berlin, S. 187 – 290.
Billis, E. (Hrsg.) (2017): The Greek Penal Code. English translation by V. Chalkiadaki & E. Bil-
lis. Berlin.
Bitzilekis, N., Kaiafa-Gbandi, M. & Symeonidou-Kastanidou E. (2020): Länderbericht Grie-
chenland, in: H. Satzger (Hrsg.), Harmonisierung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäi-
schen Union. Harmonisation of Criminal Sanctions in the European Union. Baden-Baden,
S. 253 – 293.
Bochmann, Ch. (2009): Entwicklung eines europäischen Jugendstrafrechts. Baden-Baden.
Bock, St. & Puschke, J. (2019): Heilung gesetzgeberischer Untätigkeit? Überlegungen zur Wir-
kung der nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinie (EU) 2016/800 über Verfahrensgarantien
in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren
sind. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 30/3, S. 224 – 234.
Bundesministerium der Justiz & Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichts-
hilfen e.V. (Hrsg.) (2001): Internationale Menschenrechtsstandards und das Jugendkriminal-
recht – Dokumente der Vereinten Nationen und des Europarates. Fusammenstellung und
Kommentierung von T. Höynck, F. Neubacher & H. Schüler-Springorum. Mönchenglad-
bach.
Chaidou, A. (2002): Jugendstrafrecht in Griechenland, in: H.-J. Albrecht & M. Kilchling
(Hrsg.), Jugendstrafrecht in Europa. Freiburg i.Br., S. 191 – 203.
49
Über die spezialpräventive Aufgabe des Jugendstrafrechts siehe Kaiafa 1981, 100, 108;
Giannopoulos 1984, 112.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1029

Cornils, K. (2002): Jugendstrafrecht in Dänemark, in: H.-J. Albrecht & M. Kilchling (Hrsg.),
Jugendstrafrecht in Europa. Freiburg i.Br., S. 27 – 49.
Courakis, N. (1994). Alternative Penal Sanctions in Greece. The Journal of Asset Protection and
Financial Crime 2, S. 257 – 264.
De la Cuesta, J.L. & Blanco Cordero, I. (Hrsg.) (2015): Resolutions of the Congresses of the
International Association of Penal Law (1926 – 2014). International Review of Penal Law 86,
S. 406 – 407.
Décarpes, P. (2015): Jugendstrafrecht, New Punitiveness und Reformeifer in Frankreich. Zeit-
schrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 26/3, S. 305 – 310.
Drenkhahn, K. (2015): Aktuelle Aktivitäten der EU im Jugendstrafrecht. Richtlinien über Ver-
fahrensgarantien im Strafverfahren für verdächtige und beschuldigte Kinder. Zeitschrift für
Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 26/3, S. 288 – 293.
Dünkel, F. (1988): Zur Entwicklung von Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen zum
Schutze inhaftierter Jugendlicher. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 100,
S. 361 – 384.
Dünkel, F. (1999): Strafmündigkeit im internationalen Vergleich. Recht der Jugend und des Bil-
dungswesens 47, S. 291 – 305.
Dünkel, F. (2014): Vorwort, in: A. Gensing, Jugendgerichtsbarkeit und Jugendstrafverfahren im
europäischen Vergleich. Mönchengladbach, S. XVII–XXVI.
Dünkel, F. (2015): Jugendkriminalpolitik in Europa und den USA: von Erziehung zu Strafe und
zurück?, in: DVJJ (Hrsg.), Jugend ohne Rettungsschirm. Herausforderungen annehmen.
Mönchengladbach, S. 527 – 565.
Dünkel, F., Baechtold, A. & van Zyl Smit, D. (2009): Die Europäische Empfehlung für inhaf-
tierte und ambulant sanktionierte jugendliche Straftäter („European Rules for Juvenile Off-
enders Subject to Sanctions or Measures“, ERJOSSM), in: Bundesministerium der Justiz
(Hrsg.), Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforderungen? Jenaer Symposium. Mön-
chengladbach, S. 297 – 316.
Geng, A. (2014): Jugendgerichtsbarkeit und Jugendstrafverfahren im europäischen Vergleich.
Mönchengladbach.
Giannopoulos, A. (1984): Die Berücksichtigung generalpräventiver Umstände bei der Zumes-
sung der Strafe nach deutschem und griechischem Recht. Gießen.
Giovanoglou, S. (2015): Greece, in: F. Dünkel, J. Grzywa-Holten & Ph. Horsfield (Hrsg.),
Restorative Justice and Mediation in Penal Matters – A stocktaking of legal issues, imple-
mentation strategies and outcomes in 36 European countries. Mönchengladbach, S. 331 –
366.
Giovanoglou, S. & Parosanu, A. (2015): Greece, in: F. Dünkel, Ph. Horsfield & A. Parosanu
(Hrsg.), European Research on Restorative Juvenile Justice. Vol. I. Research and Selection
of the Most Effective Juvenile Restorative Justice Practices in Europe. Snapshots from 28 EU
Member States. International Juvenile Justice Observatory. Brussels, Belgium, S. 81 – 85.
Haverkamp, R. (2002): Jugendstrafrecht in Schweden, in: H.-J. Albrecht & M. Kilchling
(Hrsg.), Jugendstrafrecht in Europa. Freiburg i.Br., S. 337 – 360.
1030 Angelika Pitsela

Höynck, Th., Neubacher, F., Ernst, St. & Zähringer, U. (2020): Internationale Menschenrechts-
standards und das Jugendkriminalrecht. Dokumente der Vereinten Nationen, des Europarates
und der Europäischen Union. Mönchengladbach.
Jung, H. (1998): Zur Entwicklung internationaler Standards im Jugendkriminalrecht, in:
H.-J. Albrecht, F. Dünkel, H.-J. Kerner, J. Kürzinger, H. Schöch & K. Sessar (Hrsg.), Inter-
nationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für Günther Kaiser. Ber-
lin, S. 1047 – 1067.
Kaiafa, M. (1981): Moderne Tendenzen bei der Strafzumessung im griechischen und deutschen
Strafrecht. Jur. Diss. Göttingen.
Kaiser, G. (1989): Die Entwicklung von Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen zur Prä-
vention von Jugendkriminalität und zum Schutz inhaftierter Jugendlicher. Recht der Jugend
und des Bildungswesens 37, S. 44 – 58.
Kaiser, G. (1994): Europäischer Antifolterausschuß und der Schutz der Gefangenenrechte, in:
M. Busch, G. Edel & H. Müller-Dietz (Hrsg.), Gefängnis und Gesellschaft. Gedächtnisschrift
für Albert Krebs. Pfaffenweiler, S. 66 – 77.
Karanikas, D. (1953): Das griechische Strafgesetzbuch, in: A. Schönke (Hrsg.), Sammlung au-
ßerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung. Bd. 59. Berlin.
Kerner, H.-J. & Czerner, F. (2004): Zur Einführung: Die Empfehlungen des Europarates zum Frei-
heitsentzug im Kontext europäischer und internationaler Instrumentarien zum Schutz der Men-
schenrechte, in: Bundesministerium der Justiz Berlin, Bundesministerium der Justiz Wien &
Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement Bern (Hrsg.), Empfehlungen des Europarates
zum Freiheitsentzug 1962 – 2003. Mönchengladbach, S. 1 – 27.
Lambropoulou, E. (2001): The „End“ of Correctional Policy and the Management of Correc-
tional „Problem“ in Greece. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice
9, S. 33 – 55.
Lambropoulou, E. (2010): Alternative dispute resolution and restorative justice schemes for ju-
venile offenders in Greece – Potentials and open questions, in: M. Galanou (ed.), Interdiszi-
plinary Criminological Pathways. Essays in Honour of Professor C.D. Spinellis. Athens, Ko-
motini, S. 905 – 927.
Mangakis, G.A. (1973): Introduction to the Greek Penal Law, in: The Greek Penal Code, tran-
slated by N.B. Lolis. South Hackensack, N.J., London, S. 1 – 33.
Marek, A. (2009): Die neuesten Entwürfe zur Verschärfung des Jugendstrafrechts, in: J.C. Joer-
den, U. Scheffler, A. Sinn & G. Wolf (Hrsg.), Vergleichende Strafrechtswissenschaft. Fest-
schrift für Andrzej J. Szwarc. Berlin, S. 635 – 644.
Middendorff, W. (1956): Jugendgerichtsbarkeit und Jugendkriminalität in Griechenland. Ju-
gendwohl 37, S. 102 – 106.
Nemitz, J.Ch. (2002): Jugendstrafrecht in Finnland, in: H.-J. Albrecht & M. Kilchling (Hrsg.),
Jugendstrafrecht in Europa, S. 137 – 156.
Neubacher, F. (2009): Internationale Menschenrechtsstandards zum Jugendkriminalrecht –
Quellen, Inhalte, Relevanz, in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Das Jugendkriminal-
recht vor neuen Herausforderungen. Jenaer Symposium. Mönchengladbach, S. 275 – 296.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1031

Neubacher, F. (2017): Der kriminalrechtliche Umgang mit Heranwachsenden –Stimmiges, Un-


stimmiges, Unbekanntes, in: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
(Hrsg.), Berliner Symposium zum Jugendkriminalrecht und seiner Praxis. Mönchenglad-
bach, S. 121 – 154.
Nikolaou, F. (2017): A comparative review of civil and criminal liability of minors in Greek law,
in: C.D. Spinellis, N. Theodorakis, E. Billis & G. Papadimitrakopoulos (Hrsg.), Europe in
Crisis: Crime, Criminal Justice, and the way forward. Essays in Honour of Nestor Courakis,
Vol: II. Athens, S. 1661 – 1684.
Nowak. M. (1988): Die Europäische Konvention zur Verhütung der Folter. Europäische
GRUNDRECHTE-Zeitschrift 15, S. 537 – 542.
Panagos, K. (2017): On being a mediator in victim-offender mediation: the case of the Greek
juvenile justice system, in: C.D. Spinellis, N. Theodorakis, E. Billis & G. Papadimitrakopou-
los (Hrsg.), Europe in Crisis: Crime, Criminal Justice, and the way forward. Essays in Honour
of Nestor Courakis. Vol. II. Athens, S. 1685 – 1712.
Papadopoulou, Ch.L., Moisiadis, Ch.A. & Pitsela, A.G. (2010): Diagnosis of the State of Higher
Education in Prison Institutions in Greece, in: A.G. Pitsela (Hrsg.), Criminology: Searching
for Answers. Essays in Honour of Professor Stergios Alexiadis. Athens, Thessaloniki,
S. 683 – 722.
Pasiotopoulou-Poulea, M. (1986): Rechtsfolgen der Straftat eines Jugendlichen im griechi-
schen materiellen Jugendstrafrecht. Jur. Diss. München.
Persson, L. (2015): Heranwachsende im schwedischen Strafrechtssystem. Zeitschrift für Ju-
gendkriminalrecht und Jugendhilfe 26/4, S. 378 – 384.
Petoussi, V. & Stavrou, K. (1996): Greece, in: D.J. Shoemaker (Hrsg.), International Handbook
on Juvenile Justice. Westport, S. 146 – 159.
Philippides, T. (1954): Das System der Strafen und sichernden Maßregeln im Griechischen
StGB vom 01. 01. 1951. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 66, S. 408 – 422.
Pitsela, A. (1988): Greece, in: A.M. van Kalmthout & P.J.P. Tak (Hrsg.), Sanctions-Systems in
the Members-States of the Council of Europe. Part I. Deprivation of Liberty, Community Ser-
vice, and other Substitutes. Deventer et al., S. 149 – 170.
Pitsela, A. (1997): Griechenland, in: F. Dünkel, A. van Kalmthout & H. Schüler-Springorum
(Hrsg.), Entwicklungstendenzen und Reformstrategien im Jugendstrafrecht im europäischen
Vergleich. Mönchengladbach, S. 155 – 191.
Pitsela, A. (1998): Jugendgerichtsbarkeit und Jugenddelinquenz in Griechenland, in: H.-J. Al-
brecht, F. Dünkel, H.-J. Kerner, J. Kürzinger, H. Schöch & K. Sessar (Hrsg.), Internationale
Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für Günther Kaiser. Halbbd. II. Ber-
lin, S. 1085 – 1107.
Pitsela, A. (2000): Vorschläge für einen rationalen Umgang mit der Jugenddelinquenz, in:
C. Prittwitz & I. Manoledakis (Hrsg.), Strafrechtsprobleme an der Jahrtausendwende.
Deutsch-Griechisches Symposium. Rostock 1999. Baden-Baden, S. 131 – 144.
Pitsela, A. (2004): Greece. Criminal Responsibility of Minors in the National and International
Legal Orders. Revue Internationale de Droit Pénal 75, S. 355 – 378.
1032 Angelika Pitsela

Pitsela, A. (2009): Die Bedeutung internationaler Mindeststandard-Regelungen für den Um-


gang mit delinquenten Jugendlichen in Griechenland, in: J.C. Joerden, U. Scheffler,
A. Sinn & G. Wolf (Hrsg.), Vergleichende Strafrechtswissenschaft. Frankfurter Festschrift
für Andrzej J. Szwarc. Berlin, S. 645 – 663.
Pitsela, A. (2010a): Länderbericht Griechenland, in: F. Dünkel, T. Lappi-Seppälä, Ch. Morgen-
stern & D. van Zyl Smit (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalpolitik, strafrechtliche Sanktionspra-
xis und Gefangenenraten im europäischen Vergleich. Bd. 1. Mönchengladbach, S. 409 – 468.
Pitsela, A. (2010b): Zur neuesten Reform des Jugendkriminalrechts in Griechenland, in: L. Kot-
salis, N.E. Courakis & Ch. Mylonopoulos (Hrsg.), Festschrift für Argyrios Karras. Athen,
Komotini, S. 1183 – 1212.
Pitsela, A. (2011a): Greece, in: F. Dünkel, J. Grzywa, Ph. Horsfield & I. Pruin (Hrsg.), Juvenile
Justice Systems in Europe. Current Situation and Reform Developments. Bd. 2. 2nd ed. Mön-
chengladbach, S. 623 – 670.
Pitsela, A. (2011b): Youth Justice and Probation, in: L.K. Cheliotis & S. Xenakis (Hrsg.), Crime
and Punishment in Contemporary Greece: International Comparative Perspectives. Oxford,
S. 505 – 527.
Pitsela, A. (2012): Die neusten Entwicklungen des Jugendstrafrechts in Griechenland, in: E. Gil-
gendorf & R. Rengier (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz. Baden-Baden, S. 478 – 491.
Pitsela, A. (2014): Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendkriminalrecht in Griechenland, in: F. Neu-
bacher & M. Kubink (Hrsg.), Kriminologie – Jugendkriminalrecht – Strafvollzug. Gedächt-
nisschrift für Michael Walter. Berlin, S. 359 – 377.
Pitsela, A. (2015): Kriminalpolitik in Griechenland. Neue Kriminalpolitik 27/2, S. 202 – 211.
Pitsela, A. (2016): Zur Situation der strafrechtlichen Sanktionen und Maßnahmen gegenüber
jungen und erwachsenen Menschen in Griechenland, in: Festschrift für Professor Nikolaos
K. Klamaris. Athen, Thessaloniki, S. 581 – 598.
Pitsela, A. (2017): Griechenland, in: F. Dünkel, Ch. Thiele & J. Treig (Hrsg.), Elektronische
Überwachung von Straffälligen im europäischen Vergleich – Bestandsaufnahme und Per-
spektiven. Mönchengladbach, S. 363 – 378.
Pitsela, A. & Chatzispyrou, Th. (2017): Alternative measures and sanctions in the Greek Justice
System, in: E.W. Plywaczewski & E.M. Guzik-Makaruk (Hrsg.), Current Problems of the
Penal Law and Criminology. Aktuelle Probleme des Strafrechts und der Kriminologie. Wars-
zawa, S. 174 – 196.
Pitsela, A. & Giagkou, A. (2013): Institutions in the Greek legal order promoting the best in-
terest of the child and the principle of education, in: Istanbul Üniversitesi. Hukuk Fakültesi
Mecmuasi. Essays in Honour of Prof. Dr. Füsun Sokullu-Akinci’ya Armagan. Vol. II. Istan-
bul, S. 1003 – 1020.
Pitsela, A. & Sagel-Grande, I. (2004): Jugendstrafrechtliche Sanktionen mit Freiheitsentzug in
Griechenland und in den Niederlanden. Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe 53,
S. 208 – 217.
Radtke, H. (2011): Europäisches Jugendstrafrecht? Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Ju-
gendhilfe 22/2, S. 120 – 126.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in Griechenland 1033

Rau, W. (1997): Zur Arbeit des Europarates im Bereich der Jugendkriminalpolitik, in: F. Dün-
kel, A. van Kalmthout & H. Schüler-Springorum (Hrsg.), Entwicklungstendenzen und Re-
formstrategien im Jugendstrafrecht im europäischen Vergleich. Mönchengladbach,
S. 519 – 527.
Rupp-Diakojanni, Th. (1990): Die Schuldfähigkeit Jugendlicher innerhalb der jugendstraf-
rechtlichen Systematik. Ein Vergleich zwischen dem deutschen und dem griechischen Ju-
gendstrafrecht. Jur. Diss. Pfaffenweiler.
Sagel-Grande, I. (2017): Kinder, Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene im nie-
derländischen Strafrecht, in: C.D. Spinellis, N. Theodorakis, E. Billis & G. Papadimitrako-
poulos (Hrsg.), Europe in Crisis: Crime, Criminal Justice, and the way forward. Essays in
Honour of Nestor Courakis. Vol. II. Athens, Komotini, S. 1713 – 1732.
Schüler-Springorum, H. (1987): Die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Jugend-
gerichtsbarkeit. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 99, S. 809 – 844.
Schüler-Springorum, H. (1992): Die Richtlinien der Vereinten Nationen für die Prävention der
Jugendkriminalität (Riyadh-Richtlinien). Übersetzung in deutscher Sprache mit Kommentar.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 104, S. 169 – 189.
Spinellis, C.D. (2007): The Juvenile Justice System in Greece, in: V. Patanè (Hrsg.), European
Juvenile Justice Systems. Vol. 1. Milano, S. 171 – 199.
Spinellis, C.D. & Kranidioti, M. (1995): Greek Crime Statistics, in: J.-M. Jehle & Ch. Lewis
(Hrsg.), Improving Criminal Justice Statistics. Wiesbaden, S. 67 – 88.
Spinellis, C.D. & Tsitsoura, A. (2006): The Emerging Juvenile Justice System in Greece, in:
J. Junger-Tas & S.H. Decker (Hrsg.), International Handbook of Juvenile Justice. Dordrecht,
S. 309 – 324.
Spinellis, D.D. & Spinellis, C.D. (1999): Criminal Justice System in Greece. Helsinki.
Stump, B. (2003): „Adult time for adult crime“ – Jugendliche zwischen Jugend- und Erwach-
senenstrafrecht. Eine rechtshistorische und rechtsvergleichende Untersuchung zur Sanktio-
nierung junger Straftäter. Jur. Diss. Mönchengladbach.
Tsitsoura, A.M. (2002). Community Sanctions and Measures in Greece, in: H.-J. Albrecht &
A. van Kalmthout (Hrsg.), Community Sanctions and Measures in Europe and North Ame-
rica. Freiburg i.Br., S. 271 – 283.
Jugend als Strafschärfungsgrund?
Zur Rechtswirklichkeit der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis

Von Gerhard Spiess

„Einigkeit besteht sicher darin, dass nur das präventiv Nützliche gewollt ist und dass Straf-
recht und Freiheitsentziehung selbstverständlich Ausdruck einer ultima ratio staatlichen
Handelns seien, bewährte Aussagen .., die nicht einmal mehr im Ansatz verdecken können,
dass darunter völlig unterschiedliche Praktiken nicht nur verstanden, sondern auch imple-
mentiert werden können“ (H.-J. Albrecht, Gutachten D zum 64. Dt. Juristentag 2002, 1.1)

1. Modernisierung des strafrechtlichen Sanktionensystems


und Sonderrolle des JGG
Dass die strafrechtliche Sanktionspraxis in Deutschland sich – auch im interna-
tionalen Vergleich – durch eine vergleichsweise zurückhaltende Anwendung von
Freiheitsstrafe auszeichnet (Albrecht 2013), ist Ergebnis eines längerdauernden Re-
formprozesses. Sein rechtsstaatlicher Ertrag ist die Eingrenzung des staatlichen
Strafanspruchs durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit,1
durch das Postulat der Berücksichtigung der zu erwartenden Strafwirkung (§ 46
StGB Abs. 1 S. 2) und die besondere Gewichtung des Resozialisierungsziels in
der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202).
Erklärtes Hauptziel des Jugendstrafrechts ist die Spezialprävention; um dieses
Ziel zu erreichen, sind Verfahrensgestaltung und Rechtsfolgen „vorrangig am Erzie-
hungsgedanken auszurichten“ (§ 2 Abs. 1 JGG); „bedeutsamer Ausdruck und Folge“
des Erziehungsgedankens ist die „Subsidiarität des Strafverfahrens“ (Brunner &
Dölling 2017, 42): Vorrang haben sollen informelle Erledigungsformen (Diversion);
formelles Strafverfahren und förmliche Bestrafung sollen erst dann zur Anwendung
kommen, wenn eine eingriffsintensive Reaktion präventiv erforderlich oder wegen
der Schwere der Schuld geboten ist. Hauptsächlich wegen der Ausdifferenzierung

1
Zur kriminalpolitischen Gesamtkonzeption der Strafrechtsreform s. die BGH-Entschei-
dung 1 StR 353/70 (BGHSt 24, 40, hier: 42 f.), nach der „die Strafe nicht die Aufgabe hat,
Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern nur gerechtfertigt ist, wenn sie sich
zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts
erweist. … Grundsätzlich geht deshalb die Geldstrafe der Freiheitsstrafe, die Aussetzung dem
Vollzug vor, soweit dies der Rechtsgüterschutz im Hinblick auf die zu erwartende kriminal-
politische Wirksamkeit zulässt“.
1036 Gerhard Spiess

eines Inventars ambulanter Alternativen wurde dem Jugendstrafrecht in der Literatur


Schrittmacherfunktion in der Modernisierung des deutschen Strafrechts zugeschrie-
ben, so bei der Erprobung von Strafaussetzung und Bewährungshilfe, den sog. Neuen
Ambulanten Maßnahmen mit Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisung, sozialem
Trainingskurs und der Ausweitung der Diversion. Dies, wie auch die Abkopplung
von den Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts und die Begrenzung der Höchst-
dauer von Freiheitsstrafen, brachte dem Jugendstrafrecht im rechts-politischen Dis-
kurs den Vorwurf übertriebener Milde („Kuschelstrafrecht“) ein, verbunden mit der
Forderung, die Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts bei den 18- bis unter 21-jähri-
gen Heranwachsenden einzuschränken oder abzuschaffen.
Die Überwindung der Dominanz des Freiheitsentzugs in Deutschland (vor Ende
des 19. Jahrhunderts noch mehr als 75 % der verhängten Strafen) ist indessen weni-
ger der angeblich besonderen Milde des Jugendstrafrechts und der vermehrten Aus-
setzung von Freiheitsstrafen zur Bewährung geschuldet als vielmehr der Durchset-
zung der Geldstrafe als Alternative zur Freiheitstrafe (Albrecht 1981; 1982) und der
weiteren Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafen; dies aber notabene im Er-
wachsenen-, nicht im Jugendstrafrecht: Während der Anteil unbedingter Freiheits-
strafen an den Verurteilungen Heranwachsender und Erwachsener nach den allge-
meinen Vorschriften auf zuletzt 5 % zurückging, wurden 2018 von den nach Jugend-
gerichtsgesetz (JGG) Verurteilten 6,3 % zu unbedingter Freiheitsstrafe („Jugendstra-
fe“ in der Diktion des JGG) verurteilt, weitere 16 % zu Jugendarrest – insgesamt
somit 23 % zu unbedingtem Freiheitsentzug. Dies trotz der erklärten Absicht der
JGG-Reform (1. JGGÄndG, 1990), durch den Ausbau ambulanter Alternativen
(„Neue Ambulante Maßnahmen“ nach § 10 JGG wie Täter-Opfer-Ausgleich, sozia-
ler Trainingskurs, Betreuungsweisung) freiheitsentziehende Sanktionen soweit als
möglich durch pädagogisch ausgestaltete Maßnahmen zu ersetzen. Zusätzlich zu
der ohnehin hohen jugendstrafrechtlichen Internierungsrate geht Untersuchungshaft
den zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafen nicht seltener, sondern häufiger vor-
aus als bei Verurteilungen zu bedingter Freiheitsstrafe (2018: 16 % vs. 13 %).2
In seinem Gutachten zum 64. Deutschen Juristentag 2002 („Ist das deutsche Ju-
gendstrafrecht noch zeitgemäß?“) hat Hans-Jörg Albrecht denn auch kritisiert, dass
sich das als Erziehungsstrafrecht etikettierte Jugendstrafrecht tatsächlich nicht zum
Vorteil, sondern zu Lasten junger Straffälliger ausgewirkt habe – als Folge einer er-
zieherisch etikettierten Entgrenzung der Eingriffsintensität jugendstrafrechtlicher
Sanktionen.
Wieweit dieses Verdikt auch heute noch begründet ist, soll im Folgenden anhand
aktueller Daten der Justizstatistiken3 geprüft werden. Dabei müssen drei naheliegen-

2
Berechnung nach Strafverfolgungsstatistik 2018, Tab. 3.1, 4.1, 6.2.
3
Ausgewertet werden, jew. zuletzt für 2018, Daten der StA-Statistik (Fachserie 10 Reihe
2.6: Staatsanwaltschaften) und der der (unveröff.) Statistik Einzelsachgebiete Beschuldigte;
Justizgeschäftsstatistik Strafsachen (FS 10 Reihe 2.3: Strafgerichte) und StV-Statistik (FS 10
Reihe 3: Strafverfolgung) des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden www.destatis.de.
Jugend als Strafschärfungsgrund? 1037

de Einwände gegen die einfache Gegenüberstellung der Internierungsraten nach all-


gemeinem (5 %) und nach Jugendstrafrecht (23 %) geprüft werden, die sich auf die
Besonderheiten der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis beziehen und häufig als
Indiz für eine besondere Milde des Jugendstrafrechts angeführt werden.

2. Drei Besonderheiten des Jugendstrafrechts


(1) Mehr als zwei Drittel der anklagefähigen4 Ermittlungsverfahren nach JGG wur-
den in den letzten Jahren ohne förmliche Verurteilung auf dem Wege der jugend-
strafrechtlichen Diversion erledigt – häufiger als in Verfahren gegen Erwachsene
(ca. 50 %).
(2) Bei der Aburteilung Heranwachsender wird derzeit zu 62 % Jugendstrafrecht
angewendet – überdurchschnittlich oft bei Delikten mit höherer Straferwartung,
dagegen nach allg. Strafrecht häufiger bei leichteren und Verkehrsdelikten; nach
JGG erfolgt Freiheitsentzug zudem häufig in Form des vergleichsweise kurzen
Jugendarrests mit einer maximalen Dauer von 4 Wochen.
(3) Anders als das allgemeine Strafrecht kennt das JGG eine breite Palette ambulan-
ter pädagogischer Alternativen zu punitiven Sanktionen.

2.1 Diversion: Begünstigung junger Beschuldigter durch Diversion?

Rechtsbrüche junger Menschen sind überwiegend bagatellhaft und entwicklungs-


gebunden; sie gehen in der Regel auf dem Weg der Spontanremission ohne justizielle
Reaktion in ihrer Häufigkeit zurück. Wo immer innerhalb gleichgelagerter Fallgrup-
pen ein Vergleich möglich war, zeigten sich bei formeller Sanktionierung gegenüber
Diversion keine oder aber nachteilige Unterschiede in der Legalbewährung.5 Der Ge-
setzgeber der JGG-Reform trug dieser Erkenntnislage Rechnung durch das Prinzip
der Subsidiarität strafrechtlicher Sanktionen zugunsten der Diversion und, wo diese
nicht ausreicht, sozialpädagogisch ausgestalteter ambulanter Maßnahmen, im Regie-
rungsentwurf zum 1. JGG-ÄndG 1990 ausdrücklich begründet mit der Befundlage,
wonach
– „die stationären Sanktionen des Jugendstrafrechts (Jugendarrest und Jugendstra-
fe) sowie die Untersuchungshaft schädliche Nebenwirkungen für die jugendliche
Entwicklung haben können“;

4
Verfahren, die von der StA entweder durch Diversion (§§ 45 JGG; 153, 153a StPO),
durch Strafbefehlsantrag oder Anklage abgeschlossen wurden.
5
Eine umfassende Darstellung der Befundlage findet sich inzwischen in dem Gutachten
Heinz 2020.
1038 Gerhard Spiess

– ahndende Sanktionen wie Geldbußen, Jugendarrest durch ambulante und sozial-


pädagogisch ausgestaltete Maßnahmen ohne Einbuße an spezialpräventiver
Wirksamkeit ersetzt werden können;
– „informelle Erledigungen als kostengünstigere, schnellere und humanere Mög-
lichkeiten der Bewältigung von Jugenddelinquenz auch kriminalpolitisch im Hin-
blick auf Prävention und Rückfallvermeidung wirksamer sind“.6
Vorrangig ist deshalb zu prüfen, ob das Verfahren – mit oder ohne Auflagen – be-
reits durch die Jugendstaatsanwaltschaft auf dem Weg der Diversion abgeschlossen
werden kann. Durch die Neufassung des § 45 JGG im 1. JGGÄndG wurde „klarge-
stellt, dass der StA nach den Abs. I und II“ (Einstellung ohne Anregung von Ermah-
nung, Auflagen oder Weisungen durch den Jugendrichter) nicht nur verfahren kann,
sondern „verfahren muss, wenn deren Voraussetzungen vorliegen“, vorrangig, insbe-
sondere bei Vorliegen der Geringfügigkeitsvoraussetzungen des § 153 StPO, ohne
Auflagen gem. § 45 Abs. 1 JGG (Brunner & Dölling 2017 § 45 Rn 22).
Dass in Verfahren gegen junge Beschuldigte die Voraussetzungen für eine Einstel-
lung schon aus Gründen der geringeren Schuld und des alterstypisch überwiegenden
Bagatellcharakters häufiger vorliegen als bei Erwachsenen, ist offensichtlich: der
Anteil an Bagatelldelikten7 beträgt bei jugendlichen Tatverdächtigen 67 % , bei Ju-
gendlichen und Heranwachsenden zusammen 62 %, bei Erwachsenen ab 21 Jahren
55 %. Entgegen der in § 45 JGG festgelegten Rangfolge geht die höhere staatsan-
waltliche Diversionsrate nach JGG allerdings nicht auf Einstellungen ohne Auflagen
wegen Vorliegen der Geringfügigkeitsvoraussetzungen (§ 45 Abs. 1 JGG / § 153
StPO) zurück, sondern ausschließlich auf intervenierende Diversion, insb. gem.
§ 45 Abs. 2 JGG.
Auffallend hoch ist darüber hinaus die jugendstaatsanwaltliche Anklagequote in
Sachgebieten mit hohem Anteil jugendtypischer Delikte wie SG 25: Diebstahl/Un-
terschlagung (darin insb. Ladendiebstahl); SG 26: Betrug/Untreue (darin: Leistungs-
erschleichung, ,Schwarzfahren‘) – im Gegensatz zu den wesentlich häufigeren Ge-
ringfügigkeitseinstellungen ohne Auflagen (§ 153 StPO) in durch professionell agie-
rende Erwachsene besetzten Sachgebietsgruppen (SG 40..44: Wirtschafts- und Steu-
erstrafsachen, Geldwäsche, SG 50: Korruptionsdelikte) mit entsprechend häufiger
anwaltlicher Vertretung schon im Ermittlungsverfahren (Schaubild 1).

6
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (1. JGGÄndG)
vom 27. 11. 1989 (BT-Drs. 11/5829), A. Zielsetzung, S. 1 (Hervorhebungen hinzugefügt).
7
Als Bagatelldelikte wurden zusammengefasst die Schlüsselzahlen der PKS 2018, Tab. 20
(www.bka.de): SZ 2240 Vorsätzl. einfache Körperverletzung § 223 StGB; SZ 2250 Fahrl.
Körperverletzung § 229 StGB; SZ 326* Einf. Ladendiebstahl; SZ 5150 Erschleichen von
Leistungen § 265a StGB; SZ 6730 Beleidigung §§ 185 – 187, 189 StGB; SZ 67400 Sachbe-
schädigung §§ 303 – 305a StGB, jedoch ohne gemeinschädliche Sachbeschädigung SZ
674020; SZ 7250 Straftaten gg. d. Aufenthalts-, Asyl-, Freizügigkeitsgesetz/EU.
Jugend als Strafschärfungsgrund? 1039

Schaubild 1: Anklage- und Einstellungspraxis der StA nach allg. Vorschriften und nach JGG8

Die keiner rechtlichen Kontrolle unterliegende jugendstaatsanwaltliche Aufla-


genpraxis ermöglicht zudem einen Wildwuchs an – im Einzelfall exzessiven – Prak-
tiken unter dem Etikett der Anregung oder Einleitung ,erzieherischer‘ Maßnahmen
gem. § 45 Abs. 2 JGG, so die Auferlegung von Arbeitsstunden (im Umfang von teils
mehr als 100, im Einzelfall bis zu 200 Stunden, etwa beim Ladendiebstahl eines Paa-
res Sneaker: 1 Stunde pro E des Kaufpreises) oder das ,Angebot‘ des Staatsanwalts,
von Anklage abzusehen, wenn der Beschuldigte sich ,freiwillig‘ einem sog. Schüler-
gericht stellt. Hier hat er sich vor Gleichaltrigen, die von der Staatsanwaltschaft an-
hand der Ermittlungsakte über Täter und Tatvorwurf unterrichtet wurden, für seine
Verfehlung zu rechtfertigen und die von diesen erdachten Sanktionen (etwa: Abgabe
des Handys für einen bestimmten Zeitraum), im Einzelfall auch bloßstellende Maß-
nahmen, „die weder der Richter anordnen noch der StA anregen darf“, Heinz 2020,
852), zu akzeptieren, widrigenfalls der Staatsanwalt Anklage erheben wird. Der Ver-
stoß gegen grundlegende Normen – vom Schutz der Verfahrensdaten (StPO § 474 ff.)
bis zum Nichtöffentlichkeitsgrundsatz des JGG – ist offensichtlich.9
Fazit (1): Trotz des überwiegenden Bagatellcharakters jugendtypischer Rechts-
brüche wird nach JGG seltener als in Verfahren gegen erwachsene Beschuldigte fol-
genlos eingestellt. Der gesetzliche Vorrang der Einstellung ohne Auflagen bei Vor-
liegen der Geringfügigkeitsvoraussetzungen des § 45 Abs. 1 JGG / § 153 StPO wird
in der jugendstaatsanwaltlichen Praxis missachtet. Die höhere Diversionsrate nach
JGG geht ausschließlich auf intervenierende Einstellungen zurück; diese werden
in der Praxis auch für rechtlich nicht vertretbare Verfahrensweisen und Sanktionen
genutzt.

8
Berechnung nach Daten der (unveröffentl.) StA-Statistik Einzelsachgebiete Beschuldigte
2018; % bezogen auf die durch Anklage (einschl. Antrag auf vereinfachtes Jugendverfahren),
Strafbefehlsantrag oder staatsanwaltliche Diversion (§§ 45 JGG; 153, 153a StPO) abge-
schlossenen Verfahren.
9
Beispiele bei Spiess 2012b m.w.N.; zur rechtlichen Bewertung („Maßnahmenexzesse“)
Heinz 2020, 847 ff.
1040 Gerhard Spiess

2.2 Heranwachsende im Jugendstrafrecht: mildere Behandlung,


kürzerer Freiheitsentzug dank Jugendarrest?

Standardargument für eine behauptete Begünstigung Heranwachsender durch


Anwendung von Jugend- anstelle von allgemeinem Strafrecht (§ 105 JGG) ist
(neben der Denunziation der im JGG verfügbaren ambulanten Erziehungsmaßregeln
als „Kuschelstrafrecht“, dazu unten 2.3), dass im JGG die Strafrahmen des allgemei-
nen Strafrechts nicht gelten (§ 18 JGG) und dass das Höchstmaß der Jugendstrafe nur
zehn Jahre, bei besonderer Schwere der Schuld bei Mord 15 Jahre beträgt (JGG § 105
Abs. 3). Lange Freiheitsstrafen (Jugendstrafen) mit einer Dauer von mehr als 5 Jah-
ren finden sich bei den nach JGG verurteilten Heranwachsenden mit einem Anteil
von 0,13 % seltener als bei den nach allgemeinem Strafrecht verurteilten Erwachse-
nen (0,28 %). Abgesehen von dieser kleinen Extremgruppe von weniger als 0,3 %
aller Verurteilten werden Jugend-/Freiheitsstrafen von mehr als 2 Jahren gegen
nach JGG verurteilte Heranwachsende mehr als doppelt so häufig (3,4 %) verhängt
wie nach allgemeinem Strafrecht gegen Erwachsene (1,5 % der jew. Verurteilten).
Hinzu kommt, dass von den Freiheitsstrafen nach allg. Strafrecht 68 % zur Bewäh-
rung ausgesetzt werden, dagegen nur 60 % der Jugendstrafen; von den zur Bewäh-
rung ausgesetzten Jugendstrafen wird zudem jede 8. mit Jugendarrest nach § 16a
JGG („Einstiegsarrest“) verbunden; 18 % der bedingt verhängten Jugendstrafen
geht zudem Freiheitsentzug in Form der Untersuchungshaft voraus – häufiger als
bei bedingten Freiheitsstrafen nach allg. Strafrecht (13 %)10.
Die Abstufung der Strafschwere bei der gerichtlichen Strafzumessung folgt
dabei – im JGG nicht weniger als im allgemeinen Strafrecht – einem tatstrafrechtli-
chen Taxenmuster in Abhängigkeit insbesondere von Vorbelastung und Delikts-
schwere (Höfer 2003), dies jedoch mit einem der Anwendung des JGG geschuldeten
Zuschlag: Während Jugend- bzw. Freiheitstrafe bei dem harten Kern der nach diesen
Kriterien besonders belasteten Verurteilten verhängt wird, trifft Jugendarrest über-
wiegend eine Zielgruppe, gegen die auch nach allgemeinem Strafrecht Freiheitsstra-
fe nicht in Betracht käme, sondern allenfalls Geldstrafe. Eine Begünstigung Heran-
wachsender durch die Anwendung angeblich milderen Jugendstrafrechts wird man
hierin schwerlich erkennen, zumal zusätzlich der Anteil unbedingten Freiheitsent-
zugs von mehr als 6 Monaten bei den Heranwachsenden mit 5,1 % (sogar schon
bei den Jugendlichen mit 4,1 %) höher ist als bei den Erwachsenen (3,6 %) (Schau-
bild 2).

10
Nach Daten der Tab. 6.2 der StV-Statistik 2018; bedingte Jugendstrafen ohne solche i.V.
mit § 16a JGG.
Jugend als Strafschärfungsgrund? 1041

Schaubild 2: Freiheitsentziehende Strafen nach Altersgruppen und angewandtem Strafrecht11

Im Ergebnis wird gegen Heranwachsende – nicht trotz, sondern wegen der An-
wendung von Jugendstrafrecht – häufiger als gegen Erwachsene unbedingte Frei-
heitsstrafe (Jugendstrafe) verhängt; zusammen mit Jugendarrest wird jeder 7. Her-
anwachsende und jeder 5. Jugendliche freiheitsentziehend sanktioniert; von den
(durchschnittlich erheblich höher vorbelasteten!) Erwachsenen nur jeder 20.
Die 2012 neu eingeführte Möglichkeit der Verhängung eines sog. Einstiegs- oder
Warnschussarrests (§ 16a JGG) in Verbindung mit einer zur Bewährung ausgesetzten
Jugendstrafe ist als „Kriminalpolitik wider besseres Wissen“12 in der Fachwelt über-
wiegend ablehnend aufgenommen worden.13 Einstiegsarrest neben bedingter Ju-
gendstrafe „darf nur verhängt werden, um die Aussichten für eine erfolgreiche Be-
wältigung der Bewährungszeit und damit die Vermeidung künftiger Straftaten zu
verbessern“ (Brunner & Dölling 2017, § 16a Rn 2). Dagegen ergab die durch das
Bundesjustizministerium beauftragte Evaluation des § 16a im Querschnittsvergleich
der regional extrem unterschiedlichen Praxis, dass § 16a JGG tatsächlich nicht zur
häufigeren Strafaussetzung von Jugendstrafen, sondern als zusätzliches Strafübel ge-
nutzt wird (Klatt et al. 2016, 209 f.). Dies zeigen auch die Daten der Strafverfol-
gungsstatistik seit Einführung des § 16a (Schaubild 3): Der zunehmende Einsatz
von § 16a-Arresten führte nicht etwa zu einer höheren Aussetzungsrate, vielmehr
scheint er in der Praxis dazu genutzt zu werden, den Arrest zusätzlich mit einer an-
11
Prozent bezogen auf Verurteilte der jew. Gruppe; Straftaten insgesamt; Daten der
Strafverfolgungsstatistik 2018.
12
So Verrel & Käufl 2008; zu den ernüchternden internationalen Befunden zu vergleich-
baren Praktiken („shock probation“, „short sharp shock“, „scared straight“ u. a.) siehe schon
Albrecht et al. 1981, 321 f.; Heinz 2006, 91 f., 96 m.w.N.
13
So auch das ablehnende Votum der strafrechtlichen Abteilung des 64. Deutschen Ju-
ristentages (München 2002, Bd. II/1, N 109 ff.; www.djt.de).
1042 Gerhard Spiess

schließenden Bewährungsaufsicht aufzurüsten; dies allerdings um den Preis einer


zusätzlich verhängten bedingten Jugendstrafe von dann mindestens 6 Monaten,
die bei ungünstigem Verlauf zu vollstrecken ist.

Schaubild 3: Jugendstrafe und Jugendarrest nach Einführung des § 16a JGG („Einstiegsarrest“)14

Dass der Verlauf durch Jugendarrest tatsächlich überwiegend alles andere als
günstig beeinflusst wird, war schon anhand der notorisch schlechten Legalbewäh-
rung in allen bisherigen Jahrgängen der Rückfallstatistik zu erwarten.15 „Eine spe-
zialpräventive Überlegenheit von Jugendarrest gegenüber formellen ambulanten
Sanktionen konnte bisher empirisch nicht bestätigt werden. In sämtlichen Legalbe-
währungsstudien war die Rückfallrate nach Jugendarrest höher als nach formellen
ambulanten Sanktionen, selbst bei der nach Auffassung der Richter wegen schädli-
cher Neigungen stärker rückfallgefährdeten Gruppe, deren Jugendstrafe zur Bewäh-
rung ausgesetzt worden war“ (Heinz 2020, 2250 f.).16

14
Prozent bezogen auf die Zahl der im jew. Jahr zu Jugendstrafe oder Jugendarrest Ver-
urteilten.
15
Die Raten erneuter Registrierung innerhalb von 3 Jahren nach Tab. B 2.2.3.a in Jehle et
al. 2016, 299 waren beim Jugendarrest mit 64 % höher als nach bedingten (61 %) und ebenso
so hoch wie nach unbedingten Jugendstrafen (64 %); bei den nach JGG informell oder formell
Sanktionierten insgesamt 41 %; nach Erziehungsmaßregeln und ambulanten Zuchtmitteln
52 %.
16
Auch die o.g. Evaluation der § 16a-Praxis (Klatt et al. 2016 mit allerdings noch kurzen
Untersuchungszeitraum) konnte keinen Beleg für eine signifikante Verbesserung der Rück-
fallraten finden; „Wie man das bewerten möchte, ist vor allem eine rechtspolitische Frage.
Wollte man radikal verfassungsrechtlich-rechtsstaatlich argumentieren, läge die Forderung
nach Abschaffung der mit § 16a JGG neu eingeführten Sanktion nahe. Ein mehr an Frei-
heitsentzug bedarf starker Gründe, die die bisher verfügbaren Daten nicht liefern“ (S. 217).
Jugend als Strafschärfungsgrund? 1043

Unterschiedliche Rückfallraten „lassen sich selbstverständlich nicht als Ergebnis


von Wirkungen der jeweiligen Sanktionen interpretieren. Denn die richterliche Straf-
zumessung sorgt für eine Auswahl und Zuordnung zu den verschiedenen Sanktions-
arten, die vor allem wegen der erheblichen Bedeutung der Vorstrafenbelastung für
die Erklärung der Unterschiede die Selektion selbst heranziehen lässt“ (Albrecht
2019, 167). Durch diesen Selektionseffekt nicht zu erklären ist allerdings die so auf-
fällig hohe Rückfallrate nach Jugendarrest: Denn der ,harte Kern‘ der am stärksten
belasteten jungen Verurteilten wird (sogar häufiger als Erwachsene) mit unbedingter
Freiheitsstrafe sanktioniert, während der selbständig verhängte Jugendarrest eine
Tat- und Tätergruppe trifft, für die qua Vorstrafenbelastung (bei Jugendlichen und
Heranwachsenden ohnehin geringer als bei Erwachsenen) oder Deliktsschwere
eine Jugend-/Freiheitsstrafe noch nicht in Betracht kommt (und mit Vollendung
des 21. Lebensjahres deshalb allenfalls Geldstrafe). Das heißt: Sobald JGG nicht
mehr anwendbar ist, findet innerhalb derselben Zielgruppe ein Austausch zwischen
Jugendarrest und Geldstrafe statt. Für Heranwachsende, die nach JGG zu Jugendar-
rest verurteilt wurden, weist die Rückfallstatistik 59 % erneut Registrierte aus, für
nach allg. Strafrecht zu Geldstrafe Verurteilte dagegen 41 % (Jehle et al. 2016,
47, Tab. B 3.1.1). Beim aussagekräftigeren Vergleich innerhalb einer homogenen
Fallgruppe – wegen einfachen Diebstahls zum 2. Mal straffällige deutsche Heran-
wachsende – wurden nach Jugendarrest erneut verurteilt: 55 %; bei der benachbarten
Altersgruppe der 21- bis 23-Jährigen nach Geldstrafe: 38 % (Spiess 2012a, 28). Nicht
nur der Rückfall war nach Jugendarrest häufiger, auch wurde in der Folge doppelt so
häufig zu einer Jugend-/Freiheitsstrafe verurteilt als nach Geldstrafe. In der dem JGG
eigenen Logik der Sanktionseskalation erhöht Jugendarrest das Risiko des Über-
gangs zur Jugend-/Freiheitsstrafe, während nach allg. Strafrecht auch nach wieder-
holter Verurteilung zu Geldstrafen der Übergang zur Freiheitstrafe seltener, der Kar-
riereabbruch wahrscheinlicher ist.
Von „Kuschelpädagogik“ wird man demnach schwerlich sprechen können; allen-
falls lassen sich Relikte einer schwarzen (was den Jugendarrest als genuin national-
sozialistisches Rechtsinstitut betrifft, eher braunen) Pädagogik erkennen: Der 1940
als „nationalsozialistische Neuschöpfung“17 von der Justizpraxis als das „modernste
nationalsozialistische Erziehungsmittel“ (Reichsjugendführer Axmann 1940) be-
geistert aufgenommene Jugendarrest soll nach seinem frühen Befürworter Schaff-
stein (1939) die erzieherische Funktion erfüllen, „die im Leben außerhalb der recht-
lichen Sphäre bei einem Jungen eine kräftige Tracht Prügel haben kann.“18 Immer-

17
Ostendorf 2015, 32 f. m.w.N.
18
Schaffstein 1939, 129. Zutreffend nennt Schumann (2017, 328) bei den unbestreitbaren
„Kontinuitäten zur NS-Zeit“ neben der Jugendstrafe wegen „schädlicher Neigungen“ § 17
Abs. 2 JGG auch die Rechtsmittelbeschneidung in § 55 JGG und die Verweigerung des Rechts
auf notwendige Verteidigung bei Verhängung von Jugendarrest; letztere in eklatantem Wi-
derspruch zu Art. 40 Abs. 2 b (v) UN-Kinderrechtskonvention und Art. 6 EU-Richtlinie 2016/
800 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren gegen Minderjährige (dokumentiert in Höynck
et al. 2020, 89 – 116; 859 – 874).
1044 Gerhard Spiess

hin, diese Einordnung wird – was die spezialpräventive Wirkung betrifft19 – durch die
erschreckend hohen Rückfallraten nach Jugendarrest eindrucksvoll bestätigt.
Fazit (2): Nicht die Anwendung des JGG begünstigt die Heranwachsenden, allen-
falls die Nicht-mehr-Anwendbarkeit des JGG (und damit des Jugendarrests) nach
Vollendung des 21. Lebensjahres.

2.3 Ambulante pädagogische Alternativen


zu freiheitsentziehenden Sanktionen

Die Erweiterung der Palette ambulanter Auflagen und Weisungen im JGG war, so
die Intention des JGGÄndG 1990, dazu bestimmt, stationäre Sanktionen zu ersetzen
durch pädagogisch sinnvolle Maßnahmen, die geeignet sind, Lernprozesse und Ver-
antwortungsübernahme zu fördern. Dieses begrüßenswerte Ziel ist in der Entwick-
lung der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis überwiegend unterlaufen worden:
Unverändert hoch blieb der Anteil der freiheitsentziehenden Sanktionen; nicht ein-
getreten ist der erwartete Bedeutungsgewinn erzieherisch ausgestalteter Erziehungs-
maßregeln, zugenommen hat der Anteil der ahndenden Zuchtmittel zu Lasten des
Anteils von Erziehungsmaßregeln. Unter den ambulanten Zuchtmitteln dominiert
mit zuletzt 70 % die Arbeitsauflage; mit 5 % nur marginal ist der Anteil von Aufla-
gen, die auf Wiedergutmachung zielen (Schaubild 4). Fachlich begleitete ambulante
Maßnahmen wie Täter-Opfer-Ausgleich oder soziale Trainingskurse bleiben in der
Praxis weitgehend ungenutzt (Spiess 2015). Erziehungsmaßregeln werden überwie-
gend nicht als eigenständige Reaktion, sondern zu zwei Dritteln neben Zuchtmitteln
verhängt. „Nur helfende, stützende, betreuende, chancenverbessernde Maßnahmen
sind in der jugendstrafrechtlichen Urteilspraxis die seltene Ausnahme, ahndende
Sanktionen sind die Regel“ (Heinz 2020, 1591, 1620).
Fazit (3): Auch an den kaum ausgeschöpften – und wenn, dann überwiegend im
Rahmen eines punitiven Sanktionscocktails eingesetzten – erzieherischen Reakti-
onsmöglichkeiten des JGG zeigt sich, wie sehr „der Erziehungsgedanke im Jugend-
gerichtsgesetz verkommen (ist) zu einem Rechtfertigungsinstrument unangemesse-
ner Ahndung“ (Viehmann 1989, 114).

3. Wieviel Strafe muss sein? Wieviel Strafe darf sein?


Die von Albrecht (2002) befürwortete Abkehr vom „Erziehungsziel als Begrün-
dung des Jugendstrafrechts und als Leitlinie der Bemessung von jugendstrafrechtli-
chen Sanktionen“ zugunsten eines „Schuld- und Proportionalitätsprinzip(s)“ (Al-
brecht 2002, 6.2.2) wurde erwartungsgemäß kontrovers aufgenommen.20 Zu kurz
19
Zur kriminogenen Wirkung gewalttätiger Erziehungspraktiken Baier & Pfeiffer
2015 m.w.N.
20
Vgl. statt vieler Dünkel & Morgenstern 2003.
Jugend als Strafschärfungsgrund? 1045

Schaubild 4: Nach JGG im Urteil verhängte Sanktionen („Sanktionscocktail“)

greift die Diskussion, wenn sie, wie auch weithin die Kommentarliteratur, auf die
Vorzüge der eigentlich erzieherisch nutzbaren Reaktionsmöglichkeiten des JGG
und seiner Verfahrensflexibilität abhebt, ohne vorrangig Überlegungen anzustellen,
wie einer notorisch unverhältnismäßigen Sanktionspraxis begegnet werden kann,
einer Sanktionspraxis, die zudem durch die rechtsstaatswidrige (selbstredend „erzie-
herisch“ begründete) Verkürzung der Verfahrensrechte und Verteidigungsmöglich-
keiten im JGG insbesondere bei der Verhängung von Jugendarrest begünstigt wird.21
Die Sanktionspraxis des Allgemeinen Strafrechts hat sehr weitgehend (und sehr
erfolgreich) Freiheitsentzug durch nichtfreiheitsentziehende Alternativen und förm-
liche Sanktionierung durch Diversion ersetzt – ohne dass präventiv nachteilige Fol-
gen zu belegen sind. Die empirische Bestätigung der Austauschbarkeitsthese22 gilt
nicht minder für das Jugendstrafrecht; sie hat „für die rechtspolitische Ausgestaltung
des Sanktionensystems weitreichende Bedeutung, da eine Bestätigung derselben
auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit sowie
des Grundsatzes ,in dubio pro libertate‘ eine weitere Verlagerung hin zu weniger ein-
greifenden und humaneren Sanktionen nahelegt“ (Albrecht et al. 1981, 314). Es gibt
gute Gründe, auch gegen den metaphysischen Appeal klassischer und neoklassischer

21
Deutliche Kritik am Zurückbleiben hinter internationalen Standards des Europarats und
der Vereinten Nationen bei Dünkel 2014; Handlungsempfehlungen bezüglich Schlechterstel-
lung und Rechtswegeinschränkungen im JGG im Gutachten Heinz 2020.
22
Zur Austauschbarkeitsthese siehe schon Albrecht, Dünkel & Spiess 1981; Albrecht 1982,
zuletzt Albrecht 2019, 168.
1046 Gerhard Spiess

Ansätze, an dem rechtsstaatlichen Ertrag der Strafrechtsreform festzuhalten: Strafe


muss nicht in jedem Falle sein, schon gar nicht um ihrer selbst willen.23 „Nur die not-
wendige Strafe ist gerecht. Die Strafe ist uns Mittel zum Zweck. Der Zweckgedanke
aber verlangt Anpassung des Mittels an den Zweck und möglichste Sparsamkeit in
seiner Verwendung. Diese Forderung gilt ganz besonders der Strafe gegenüber; denn
sie ist ein zweischneidiges Schwert: Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüterverlet-
zung. Es läßt sich eine schwerere Versündigung gegen den Zweckgedanken gar
nicht denken als verschwenderische Verwendung der Strafe“ (v. Liszt 1905, 161).
Als gravierendster Eingriff staatlicher Gewalt ist Strafe nur soweit gerechtfertigt,
als sie erforderlich und tauglich ist, um das legitime Ziel des effektiven Rechtsgü-
terschutzes zu erreichen; und auch dann nur in den Grenzen der Verhältnismäßig-
keit – im Verhältnis zur Schwere der Rechtsgutverletzung und dem Maß der Verant-
wortung des Rechtsbrechers. Schon deswegen ist sie gegen junge Menschen im So-
zialisationsprozess allenfalls subsidiär (und damit auch zurückhaltender als gegen-
über erwachsenen Beschuldigten) indiziert. Die Sanktionspraxis zeigt, dass es – auch
und besonders im Verfahren nach Jugendstrafrecht – rechtlicher Garantien und Be-
schwerdemöglichkeiten bedarf für die Einhaltung der Grenzen der Verhältnismäßig-
keit, von „Verfahrensfairness und Fairness in der Sanktionsverhängung“ (Albrecht
2002, 6.2.2), damit nicht länger zu Lasten junger Beschuldigter im Übermaß frei-
heitsentziehende Sanktionen verhängt werden, deren spezialpräventive Untauglich-
keit zur Genüge belegt ist. Was nicht wirksam, was nicht belegbar besser wirksam ist
als weniger eingriffsintensive Sanktionsalternativen, kann nicht als erforderlich be-
gründet werden. Insbesondere die Abschaffung des Jugendarrests wäre ein – seit
1945 überfälliger – Schritt zur Abkehr von unheilvollen Altlasten im deutschen Ju-
gendstrafrecht.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1981): Alternativen zur Freiheitsstrafe: Das Beispiel der Geldstrafe. Monats-
schrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 265 – 278.

Albrecht, H.-J. (1982): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten, Frei-
burg.

Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Gutachten D zum
64. Deutschen Juristentag Berlin 2002. München

Albrecht, H.-J. (2013): Sentencing in Germany: Explaining Long-Term Stability in the Struc-
ture of Criminal Sanctions and Sentencing. Law and Contemporary Problems 76, S. 211 –
236.

23
Vgl. die prägnante Formulierung in BGH 1 StR 353/70 (BGHSt 24, 42), wonach „die
Strafe nicht die Aufgabe hat, Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern nur
gerechtfertigt ist, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven
Schutzaufgabe des Strafrechts erweist.“
Jugend als Strafschärfungsgrund? 1047

Albrecht, H.-J. (2019): Sanktionswirkungen, Rückfall und kriminelle Karrieren, in: A. Dess-
ecker, S. Harrendorf, & K. Höffler (Hrsg.), Angewandte Kriminologie – Justizbezogene For-
schung. Göttingen, S. 165 – 180.
Albrecht, H.-J., Dünkel, F. & Spiess, G. (1981): Empirische Sanktionsforschung und die Be-
gründbarkeit von Kriminalpolitik. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
64, S. 310 – 326.
Axmann, A. (1940): Das modernste nationalsozialistische Erziehungsmittel. Das junge
Deutschland 12, S. 277 – 279.
Baier, D. & Pfeiffer, C. (2015): Gewalterfahrungen und Gewaltverhalten, in: W. Melzer, D. Her-
mann, U. Sandfuchs, M. Schäfer, W. Schubarth & P. Daschner (Hrsg.), Handbuch Aggressi-
on, Gewalt und Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen. Bad Heilbrunn, S. 238 – 243.
Brunner, R. & Dölling, D. (2017): Jugendgerichtsgesetz: Kommentar. 13. Aufl. Berlin.
Dünkel, F. (2014): Reformen des Jugendkriminalrechts als Aufgabe rationaler Kriminalpolitik.
Recht der Jugend und des Bildungswesens 62, S. 294 – 298.
Dünkel, F. & Morgenstern, C. (2003): Aktuelle Probleme und Reformfragen des Sanktionen-
rechts in Deutschland. Juridica International VIII, S. 24 – 35.
Heinz, W. (2006): Was richten Richter an, wenn sie richten?, in: DVJJ (Hrsg.), Verantwortung
für Jugend. Dokumentation des 26. Deutschen Jugendgerichtstages 2004. Mönchengladbach,
S. 62 – 107.
Heinz, W. (2020): Sekundäranalyse empirischer Untersuchungen zu jugendkriminalrechtlichen
Maßnahmen, deren Anwendungspraxis, Ausgestaltung und Erfolg. Gutachten im Auftrag
des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz. Berlin (Web-Publikation: krim-
pub.krimz.de; Zusammenfassung: www.bmjv.de).
Höfer, S. (2003): Sanktionskarrieren. Eine Analyse der Sanktionshärteentwicklung bei mehr-
fach registrierten Personen anhand von Daten der Freiburger Kohortenstudie. Freiburg.
Höynck, T., Neubacher, F., Zähringer, U. & Ernst, S. (Hrsg.) (2020): Internationale Menschen-
rechtsstandards und das Jugendkriminalrecht. Dokumente der Vereinten Nationen, des Eu-
roparates und der Europäischen Union. Mönchengladbach.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und
2004 bis 2013 (hrsg. vom Bundesministerium der Justiz). Berlin.
Klatt, T., Ernst, S., Höynck, T., Baier, D., Treskow, L., Bliesener, T. & Pfeiffer, C. (2016): Eva-
luation des neu eingeführten Jugendarrestes neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe
(§ 16a JGG) Abschlussbericht im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Ver-
braucherschutz 2016. Berlin. – Ausgewählte Ergebnisse. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht
und Jugendhilfe 27, S. 354 – 362.
Liszt, F. von (1905): Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882), in: Strafrechtliche Aufsätze und
Vorträge Band 1 (1875 – 1891). Berlin, S. 126 – 179.
Ostendorf, H. (2015): Jugendstrafrecht. 8. Aufl. Baden-Baden.
Schaffstein, F. (1939): Die strafrechtliche Behandlung der Jugendlichen. Gesellschaft für deut-
sches Strafrecht (Tagungsbericht). Berlin, S. 122 – 140.
1048 Gerhard Spiess

Schumann, E. (2017): Die DVJJ und die NS-Zeit. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Ju-
gendhilfe 28, S. 313 – 332.
Spiess, G. (2012a) Sanktionspraxis und Rückfallstatistik. Die Bedeutung rückfallstatistischer
Befunde für die Dokumentation und Bewertung der Entwicklung des Sanktionensystems.
Bewährungshilfe 59, S. 17 – 39.
Spiess, G. (2012b): Was soll (und was darf) Diversion?, in: DVJJ (Hrsg.), Achtung (für) Jugend!
Praxis und Perspektiven des Jugendkriminalrechts. Dokumentation des 28. Deutschen Ju-
gendgerichtstages. Mönchengladbach, S. 441 – 476.
Spiess, G. (2015): Das Jugendstrafrecht und die ambulanten Maßnahmen: Vielfalt der Möglich-
keiten – Einfalt der Praxis?, in: DVJJ (Hrsg.), Jugend ohne Rettungsschirm. Dokumentation
des 29. Deutschen Jugendgerichtstages. Mönchengladbach, S. 421 – 445.
Verrel, T. & Käufl, M. (2008): „Warnschussarrest“ – Kriminalpolitik wider besseres Wissen?
Neue Zeitschrift für Strafrecht 28, S. 177 – 181.
Viehmann, H. (1989): Anmerkungen zum Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht aus recht-
schaffender Sicht, in: M. Walter (Hrsg.), Beiträge zur Erziehung im Jugendkriminalrecht.
Köln, S. 111 – 133.
Juvenile Criminal Justice in Mainland China
Between Welfare and Justice

By Jing Lin

1. Introduction
In ancient China, dominated by the Confucianism philosophy, rites (Li, ) rather
than law played a major role in social order maintenance. Accordingly, old Chinese
strongly believed in the power of education in shaping people’s thoughts and behav-
iors. As the old saying stated “all humans are born with good nature” (ren-zhi-chu,
xing-ben-shan, , ), educational approaches shall be carried out for ju-
venile offenders. Though the educational approach and sympathizing with juvenile
offenders have a long history in China, it was generally perceived that juvenile jus-
tice, in modern sense, has not been established until the 1980s in mainland China.
During the republican rule of the Kuomintang government, juvenile justice in the
sense of institutional construction began to form. In 1933, a juvenile prison was es-
tablished in Ji’nan and, a year later, one more in Wuchang.1 However, these institu-
tions were closed along with the collapse of the transitional government.2 A mile-
stone in the development of the juvenile institutional system in modern sense
could be traced back to the era of the Peoples Republic of China in the year 1984,
when the first juvenile tribunal was set up in Changning district, Shanghai.3 In com-
parison to Germany’s first juvenile court setting up in 1908 in Frankfurt, and the first
juvenile prison in 1911,4 juvenile justice in the sense of institutional construction in
mainland China has a shorter history.
In comparison to German Youth Court Law (Jugendgerichtsgesetz, JGG) issued in
1923, the separation of juvenile justice from adult criminal justice is a remarkable
new conception in China. A particular code similar to Youth Court Law – a special
code for handling juvenile cases – cannot be found in today’s China. Provisions on
juvenile justice scatter in adult criminal law and criminal procedural law. The amend-
ment to the Criminal Procedure Code (CPC) in 2012 (the Amendment) is widely
deemed a milestone for the reform of juvenile justice, as it includes a particular chap-
1
See Zhao 2014, 104.
2
See Yang 2018.
3
See Yao 2001.
4
See Albrecht 2004, 445.
1050 Jing Lin

ter entitled “Criminal Procedure for Minors” (art. 266 – 276 CPC, hereafter juvenile
chapter of the CPC). Some rules which apply to juvenile offenders exclusively have
been introduced by the Amendment, such as conditional non-prosecution and sealing
up criminal records. Since then, juvenile justice has sought to distance itself from
adult criminal justice.
Notwithstanding, leniency for juvenile offenders could be traced back to Zhou dy-
nasty (BC1046-BC 771). In the Rites of Zhou (Zhouli, ), the juvenile was pro-
vided as one of the three vulnerable groups (the juvenile, the elderly and the mentally
disabled) with sentencing leniency. Similar provisions could be found in later rules in
ancient China. In accordance with article 30 of Minglilv ( ), the first chapter of
Tanglv ( ), people who are over seventy years old, younger than fifteen, or dis-
abled can be punished with a financial penalty instead, in case they commit a crime
with sentencing less than exile.5 This was further developed by article 11 of the Code
of Qing Dynasty ( ), prescribing that criminals under the age of twelve can-
not be held criminally responsible, yet meanwhile, reformatory education should be
implemented.
Influenced by German “modern school of criminal law” represented by Franz von
Liszt, the idea of rehabilitation has growing influence in recent China. Punishment is
no longer a single goal of criminal justice. Other values including rehabilitation and
resocialization have been stressed, in particular, in the fields of juvenile justice.
Liszt’s argument is perceived to be in line with cost-benefit thinking and a conception
of social welfare as a basic task of the state,6 and thus has its wide influence beyond
Germany.
In China, the justice model of juvenile justice has been challenged by the juvenile
chapter of the CPC, in which the principle of juvenile justice has been regulated as
“education shall play a major role, while punishment serves as secondary instrument
for juvenile cases” (art. 266 CPC). Youth courts in China are specially designed to
visualize the goal of education and persuasion. Defendant-friendly style round-
table settings in courtrooms have been used to ease the tension between parties,
and to demonstrate the approach of cooperation and persuasion.
Meanwhile, the growth of cases of youth violence has been targeted as a result of
excessive leniency for juvenile offenders. The argument by a twelve-year old offend-
er – “I ONLY kill my mom, not someone else”7 – shocks the public and causes a heat-
ed discussion on the rationality of the current youth justice. A recent debate on the
minimum age of criminal liability could be perceived as a signal of rethinking of a
critical question, i. e., whether juvenile offenders are overprotected, while other
stakeholders’ interests such as the rights of victims are not properly fulfilled? Similar

5
See Zhao 2014, 104.
6
See Albrecht 2004, 444.
7
For more details of this case, see https://news.china.com/social/1007/20181211/346473
47_all.html [01. 02. 2019].
Juvenile Criminal Justice in Mainland China 1051

reconsideration of juvenile justice accrued in other jurisdictions such as Germany in


the beginning of this century.8
This paper explores whether current juvenile justice in China is based on welfare
or justice principles. It starts with an observation of juvenile crime and focuses on
juvenile justice in action, including substantive and procedural criminal law. This
paper argues that Confucianism philosophy of moderation (Zhong-yong, )
plays a significant role in this routine. When the valuation of welfare goes too far,
which risks jeopardizing other values such as safety of community and general pre-
vention effect of juvenile criminal law, it will then swing back to accommodate val-
ues of security and justice to offset the imbalance. Eventually, a dynamic balance is
achieved.

2. Trends and Patterns in Juvenile Crime


Through a literature review, Zhang has drawn a profile of juvenile delinquency in
modern China.9 However, as stated by Zhang, data collected in these studies are of
obvious limitation, i. e., “they were commonly collected from convenience samples
with a limited number of measures”. A systematic and comprehensive survey lies in
transparency and accessibility of official statistics, which was however criticized as
unsystematic, incomplete and questionable.10 The deficiency of official statistics is,
however, no longer a major problem along with judicial transparency and official
data accessibility. Besides the traditional form of yearbook, including the Law Year-
book of China (China Law Society) and the China Statistical Yearbook (National Bu-
reau of Statistics of China), digital data issued by the government11 as well as non-
government research institutes and data service agents enable an enriched overview
of juvenile crime in China. However, systematic police and court statistics as in Ger-
many have not yet been published in China, neither a translation to English for in-
ternational interests.

2.1 Juvenile Crime Trends

As shown in Figure 1, the overall number of offenders has fluctuated and shows an
upward trend in the past decades. The overall number of offenders has doubled, in-
creasing from approximately 0.6 million in 1990 to more than 1.2 million in 2016.
Since 2010, the overall number remains more than one million with a peak in 2015
(1,232,695). In contrast, the number of juvenile (under the age of 18) and young (ages

8
See Albrecht 2002.
9
Zhang 2008.
10
See Shen & Hall 2014, 274.
11
See http://wenshu.court.gov.cn/index [20. 11. 2019].
1052 Jing Lin

18 to 25) offenders has fluctuated slightly and shows a steadily downward trend since
2008.

Figure 1: Number of Offenders by Age, 1990 – 201612

As visualized in Figure 2, young offenders aged between 18 and 25 commit crimes


more often as compared to juvenile offenders under the age of 18. This could be ex-
plained by the regulation of criminal liability in China (see below). After the first
peak in 1990, the number of juvenile and young offenders reaches a new peak in
2008. However, a slight difference of the two peaks could be found. That is, the
peak in 2008 could be explained by the increased number of juvenile offenders
(under the age of 18), while the peak in 1990 by the large number of young offenders
(ages 18 to 25). This can be explained by an increase of violence crimes in these
years.
As shown in Figure 3, the number of juvenile and young offenders as a percentage
of all offenders has steadily decreased, from approximately 57% in 1990 to 16.8% in
2016. The decrease is mainly in the number of young offenders aged between 18 and
25, from approximately 50% in 1990 to 13.8% in 2016. The percentage of juvenile
offenders under the age of 18 has fluctuated and reached its peak of 10% in 2005,
followed by a steady decrease afterwards. The number has reached its bottom of ap-
proximately 3% in 2016.

12
Sources of statistics for figure 1 – 3, see Law Yearbook of China (1991 – 2017). All
numbers relate to convicts.
Juvenile Criminal Justice in Mainland China 1053

Figure 2: Number of Juvenile and Young Offenders, 1990 – 2016

Figure 3: Percentage of Juveniles and Young Offenders


Among all Offenders, 1990 – 2016

2.2 Juvenile Crime Patterns

Official data do not provide specific information on any patterns of juvenile crime.
With the help of literature derived from previous studies, a basic profile has been
drawn by Zhao et al.13 which suggests that the majority of crimes committed by ju-
veniles and young offenders are property-related crimes, opportunistic crimes (rather
than premeditated case) and carried out by groups (rather than individual crime); they
occur in public areas such as plazas, bus stops, railway stations, entertainment cen-
ters, and so on. The offenders usually have poor education, and their average age is
declining these years. That is also visualized by the crime trend of reduced percen-

13
Zhao et al. 2014.
1054 Jing Lin

tages of young offenders between the age of 18 and 25. In addition, residential sta-
bility and family stability is highly related to juvenile crimes. That is, juvenile im-
migrants in urban areas and “left behind” juveniles in rural areas (“migrant/floating
population”) are more likely to commit crimes in comparison to other groups of ju-
veniles.14
A semi-official research institute initiated by the Supreme Court – China Justice
Big Data Research Institute – has issued the Big Data Report on Juvenile Offenses,
which illustrates juvenile crimes patterns in recent years. In accordance with the sta-
tistics for the year 2016 and 2017, more than 14,000 cases belong to the category of
theft, followed by robbery with more than 4,000 cases. Other quite frequently com-
mitted crimes are assault (approx. 4,000), gang violence (approx. 4,000), and rape
(approx. 2,000).15 The statistics are consistent with the above-mentioned research
findings, i. e., the dominancy of property-related crimes. As regards the education
of these offenders, the data are again in line with the above research findings:
1.19% of the offenders belong to the group of illiteracy and 17.7% only went to pre-
liminary school (for 5 – 6 years), which yet violated the nine-year compulsory edu-
cation. The majority of offenders (68.08%) went to middle school, that is three more
years after preliminary school, which is still perceived as insufficient-educated in to-
day’s China. In comparison to female juveniles, males are more likely to commit a
crime, who account for 93.44% of overall juvenile offenders. As regards regional dis-
tribution, juveniles in rural areas (82.06%) are more likely to commit a crime, as com-
pared to those from urban areas (17.94%). This could be explained by the phenom-
enon of left-behind children in rural areas while their parents as part of the migrant
labor force are moving to city areas. Those left-behind children are less disciplined by
the family bonds. In almost 6,000 cases, the juvenile offenders are from “migrant/
floating” families, followed by other abnormal family structures including divorced
family (approx. 3,000 cases) and other single family (approx. 1,000 cases). Again, it
is in line with the above finding that the factor “migrant/floating population” signif-
icantly relates to juvenile offense.16

3. Juvenile Criminal System in Action


3.1 Definition of Juvenile and Criminal Liability

The legal term “wei-cheng-nian-ren” (non-adults) regulated in the Law on the


Protection of Minors refers to juveniles under eighteen years of age (art. 2). In
terms of criminal liability, current Chinese criminal justice system classifies individ-
uals into four categories according to age, i. e. children without criminal responsibil-
ity (ages under fourteen), minors with criminal responsibility for extreme severe
14
Zhao et al. 2014, 141 – 142.
15
See China Justice Big Data Research Institute 2017.
16
See China Justice Big Data Research Institute 2017.
Juvenile Criminal Justice in Mainland China 1055

crimes exclusively (ages fourteen to sixteen), minors with full criminal responsibility
yet with sentencing leniency (ages sixteen to eighteen) and adults (ages above eigh-
teen). A concept of young adult (Heranwachsender in German), which stems from
the idea that the concept of adolescence requires flexibility because of variations in
maturation,17 is not fully acknowledged in China. Minors aged sixteen to eighteen
bear full criminal responsibility yet with sentencing leniency and shall be prosecuted
in accordance with the juvenile procedural rules regulated in the juvenile chapter of
CPC. However, unlike the German concept of individual assessment of young adults,
judges in China do not have discretion on the utilization of the juvenile chapter of
CPC according to the standard treatment of this age group.

3.2 Measures and Sanctions

The principle of education is accepted and recognized in Chinese juvenile justice


and takes influence on sentencing. As argued by Albrecht, a major difference be-
tween juvenile and adult criminal justice is in their general reasoning of sentencing.18
That is, sentencing in adult crime cases reflects the seriousness of the offense, per-
sonal guilt, and special and general prevention, while sentencing in juvenile criminal
justice solely aims at special prevention.19
Each offense in the Chinese Criminal Law carries a range defined by a minimum
and a maximum penalty. In line with the primary goal of sentencing for juvenile of-
fenders – education and rehabilitation – a principle rule of leniency for juvenile of-
fenders is provided in both Law on the Protection of Minors (article 54) and Chinese
Criminal Law (article 17). Thus, the minimum penalty does not apply to juvenile of-
fenders under eighteen; a less severe sentencing than the minimum could be imposed
for juveniles. The most criticized and most severe sanction – death penalty – cannot
be imposed on juvenile offenders under eighteen.
In addition to criminal penalties, special disciplinary measures apply to delin-
quent minors. For instance, juvenile offenders who lack of criminal liability could
be sheltered and rehabilitated by the government (shou-rong-jiao-yang, ,
art. 17 CPC); delinquent minors could be sent to reformatory schools (gong-du-
xue-xiao, ) for correction and education, where additional legal courses
will be delivered (art. 35, 36 Law on the Prevention of Juvenile Delinquency). The
disciplinary measure of “shou-rong-jiao-yang” is however controversial and criti-
cized by some scholars as it restrains freedom of juveniles.20
Though it is assumed that non-custodial sanctions including community service
and pecuniary sanction shall be widely used for juvenile offenders, there is no official

17
See Albrecht 2004, 451.
18
See Albrecht 2004, 451.
19
See Albrecht 2004, 453.
20
See Xue & Liu 2004, 65 – 74.
1056 Jing Lin

data available to support this argument. In accordance with statistics21, a slight sen-
tencing leniency in regard to imprisonment can however be observed. As shown in
Figure 4, a lower percentage of juveniles have been sentenced to a longer prison term
(more than 5 years) while the percentages of juveniles who have been sentenced to
less than 5 years and less than 3 years respectively are somewhat higher.

Figure 4: Sentencing Leniency for Juveniles, 2015 – 2016

3.3 Juvenile Criminal Proceedings

A variety of special rules apply to juvenile offenders in juvenile criminal proceed-


ings from investigation, prosecution, to court hearings and the enforcement of court
decisions. Some rules demonstrate very vague boundary of courts’ tasks as a judicial
organ or a social welfare institution. Taking art. 485 CPC Interpretations by the Su-
preme Court as an example, a didactic work by judicial court shall be offered to a
convicted juvenile. The contents of such didactic work focus on legal and moral is-
sues, including oral persuasion, educational behavior and even handing a gift with
special meaning (e. g. a new pair of shoes stands for a bright way for the future). In-
terestingly, such a welfare-oriented task is led by juvenile judges rather than social
workers. It does not end with the trial, but rather continues during the stage of en-
forcement. Juvenile judges could visit juvenile offenders in prisons, in reformatory
schools and in community (art. 491 – 495 CPC Interpretations by the Supreme
Court). They are supposed to continuously contribute to rehabilitation and resocial-
ization of the juveniles. Their suggestions on choice and enforcement of education
measures will often be followed by supervision persons and institutions. “Judge-
mama” is a honorable name for those female juvenile judges who are trusted and
even loved by juvenile offenders. Besides juvenile judges, juvenile prosecutors
are responsible for similar tasks. Guidelines for Criminal Prosecution Involving Mi-
nors (for Trial Implementation) (hereafter Guidelines) issued by the Supreme Procu-
ratorate require the procuratorate to intervene in case of a psychological crisis and
even offer face-to- face consultation to the juvenile’s family. To carry out these du-

21
Sources of statistics for juveniles see Justice Big Data Research Institute (2017), for
adults see Law Yearbook of China (2015; 2016).
Juvenile Criminal Justice in Mainland China 1057

ties, juvenile procurators are encouraged to attend training courses, and even to ob-
tain a professional qualification of psychological consultant (art. 58 – 64 Guidelines).
The following rules regulated in the juvenile chapter of the CPC apply to juvenile
offenders as special provisions. Some rules are countermeasures against the labeling
effect, such as conditional non-prosecution and seal of criminal records. Some rules
focus on extra support and protection due to the immaturity of juvenile offenders,
including restriction of pretrial detention, exclusion of public trial, compulsory de-
fense and on-site support from proper adults. All together, these rules indicate that the
legislator pursues to balance between justice and welfare elements in juvenile justice.

3.3.1 Restriction of Pretrial Detention

Pretrial detention in the context of Chinese criminal justice includes criminal de-
tention (xing-shi-ju-liu, , art. 82 CPC) and arrest (dai-bu, , art. 81
CPC). Both of these compulsory measures enforced by the police restrain the free-
dom of suspects. A major difference lies in the approval authority, i. e., criminal de-
tention applies in emergency (e. g., suspects are committing crimes) and an order is
issued within the police authority, while arrest shall be approved by procuratorates.
Pretrial detention is restricted in juvenile proceedings. In accordance with the
Rules for Criminal Procedure of the Procuratorate issued by the Supreme Procura-
torate in 2019, an arrest order cannot be issued for a juvenile suspect in case that (1.)
there is no suspicion of a severe crime but rather of a minor crime, (2.) no or only
slight danger for social security, (3.) and his family or school or the local community
and residents’ committee have necessary facilities and competence for custody or
assistance and education (art. 463). In case the suspect has shown repentance, he
might also not be arrested even if he has committed a severe crime (art. 463). Before
approving an arrest order, a procuratorate shall arraign a juvenile criminal suspect
and hear the opinion of a defense lawyer (art. 280 CPC). Figure 5 shows that the num-
ber of approved pretrial detentions by procuratorates have been declining steadily in
recent years. In 2013, 74.77% of the arrest application have been approved; until
2017 it declined to 66.41%. In addition, juvenile suspects shall be detained in sep-
aration from adults (art. 280 CPC), to prevent exposure of juveniles to crime through
contact with adult offenders. However, in comparison to other jurisdictions, the rate
of pretrial detention is still high in China. The rate remains lower than 7% for both
juveniles and adults in Germany,22 while it is more than 60% in China.23

22
Statistics for the period from 1975 to 2015, see Heinz 2015, 152.
23
Statistics for the period from 2011 to 2015, see Law Year Book of China, 2012 – 2016.
1058 Jing Lin

Figure 5: Arrest of Juvenile Suspects, 2013 – 201724

3.3.2 Background Investigation

Unlike in cases with adult suspects, investigators gather information on personal


and social circumstances relevant for evaluating the personality of the juvenile sus-
pects and the choice of sanction (art. 279 CPC). This investigation is carried out by
judicial organizations or commissioned institutions and persons, including judicial
offices (government for judicial administration), social workers and other proper
adults. Such background investigation shall commence at the stage of investigation
by police. However, in practice, background investigation during investigation by po-
lice is often insufficient and a further background investigation will often be initiated
by prosecutors before deciding whether a case shall be dismissed. A more detailed
background investigation can also be initiated by the court, if more information is still
required for the choice of sanction. Similar to the social inquiry reports under German
juvenile justice that the court must hear in accordance with general procedural rule
that any evidence relevant to the finding of guilt and the appropriate sentence must be
heard,25 the background investigation report in Chinese juvenile justice shall also be
accepted by the court and serves as an important reference document in sentencing
(art. 476, art. 484 Judicial Interpretations of CPC by the Supreme Court).
However, a potential risk of disclosure of a case to the public exists in the process
of background investigation, which brings a labeling effect without trial. A case han-
dled by Jiangsu Huan’an procuratorate is a typical example: in May 2015, a 17-year
old suspect was under a background investigation in a theft case. Unfortunately, the
case information leaked out in the community, which brought great pressure to the
suspect. He tried to commit suicide twice. To handle this situation, the procuratorate
worked together with a psychiatrist in order to intervene and support the recreation of
his self-esteem. Finally, the minor case was dismissed.26 Notwithstanding, the neg-

24
Statistics see Wang 2019.
25
See Albrecht 2004, 471.
26
Details of the case see http://www.jsjc.gov.cn/wsjcy/gs/wcnrxxjc/201612/t20161215_
109727.shtml [01. 11. 2019].
Juvenile Criminal Justice in Mainland China 1059

ative impact for the 17-year-old remains, despite of the efforts from both the procu-
ratorate and psychiatrist.

3.3.3 Conditional Non-prosecution

Similar to German criminal procedure, in which the principle of legality (Legal-


itätsprinzip) applies, prosecutors in China are obliged to file a charge in every case,
including juvenile cases, where there is reasonable evidence that the suspect has com-
mitted a crime. Nonetheless, exceptions permit non-prosecution concerning minor
offenses on opportunity grounds for both juveniles and adults (art. 177 CPC).
Based on the rationales of avoiding labeling effects and striving for resocialization
of juvenile offenders, conditional non-prosecution has been recognized and accepted
by the 2012 Amendment, yet exclusively for juveniles. In the case that juvenile sus-
pects may be sentenced to fixed-term imprisonment of one year or less, and the ju-
venile suspect has shown repentance, a procuratorate may make a conditional non-
prosecution decision (art. 282 CPC). Upon full compliance with specified condi-
tions, such as obeying laws and regulations and reporting obligations as well as cor-
rection efforts, a non-prosecution decision shall be made upon expiration of the pro-
bation period (six months to one year) (art. 283 CPC). By issuing the conditional non-
prosecution, a fundamental juvenile policy has been demonstrated according to
which formal sentencing shall be last resort.
During the probation period for conditional non-prosecution, a procuratorate shall
supervise and inspect the juvenile suspect, with the assistance of other institutions
and persons (art. 283 CPC). In judicial practice, the enforcement of conditional
non-prosecution substantially depends on supervisory human resources. Thus,
those whose residence is identical with their parents and those who live in a commun-
ity where a sufficient number of social workers are in place have priority in the en-
forcement. Nevertheless, the conditional non-prosecution is not favored by most of
prosecutors due to the high cost of supervision. The percentage of the conditional
non-prosecution reads approx. 6% according to a recent empirical study.27

3.3.4 Legal Aid and Compulsory Defense

In a juvenile case, a defense lawyer shall be offered to juvenile offenders free of


charge, in case no lawyer has been hired (art. 278 CPC). Such compulsory defense
arrangement is based on the rationale that, compared to adult offenders, juveniles are
a vulnerable group who cannot defense themselves effectively. Though police are
also entitled (and obliged) to notify a legal aid agency to assign a lawyer, in judicial
practice, they tend not to initiate the legal aid, but rather leave this task to the pros-
ecutors, or even to judges. Thus, during the process of investigation, when the sus-
pects’ rights are most likely to be infringed, the legal aid is often not provided. This is

27
He 2019.
1060 Jing Lin

an effect resulting from the ambiguity of the legislation which provides that, “for a
juvenile criminal suspect or defendant who has not retained a defender, a court, a
procuratorate, [or (and)] a public security authority shall notify a legal aid agency
to assign a lawyer to defend him or her” (art. 278 CPC). It is however quite vague
and unclear who shall be obliged to initiate legal aid – either of these three institu-
tions, or all of them.
In addition, guardians of a juvenile offender shall be notified to be present during
the police interrogation and court hearings. In case this is not feasible or not proper
(e. g., if the guardians are victims), other suitable adults including social workers can
be involved instead (art. 281 CPC). As Albrecht argued, involvement of social work
professions strengthens the welfare approach and enlarges mistrust toward criminal
law and criminal justice.28 Such arrangement is however of great significance in cur-
rent China, since legal aid lawyers, in most cases, have not yet been involved at the
stage of investigation.
From 2013 to 2015, in total, approx. 150,000 juvenile suspects (offenders) have
been provided legal aid services, and around 220,000 suitable adults have been in-
volved in the interrogation or court hearings.29 In accordance with national statistics
during the period, 150,071 juvenile offenders have been tried during the same peri-
od.30 That is, almost all juvenile offenders have professional support from legal aid
providers and spiritual support from proper adults during the court hearings. From
this point, the rule of legal aid for juvenile offenders has been soundly followed.

3.3.5 Seal of Criminal Record

Criminal records bear the risk of labeling effects for convicted juveniles. Influ-
enced by German Youth Courts Law (JGG), which allows deletion of the criminal
record for a law-abiding individual after youth penalty, the juvenile chapter of the
CPC accepts sealing of criminal record for a juvenile. However, some slight differ-
ences exist. The Chinese model focuses on the severity of a crime, i. e., it applies to
juveniles sentenced to a fixed-term imprisonment of no more than five years (art. 286
CPC), while the German model focuses on personal characteristics of the juveniles,
i. e., progress in rehabilitation: clearance applies when the juvenile has proved by be a
law-abiding individual (art. 97 JGG). In addition, in China the record will not be de-
leted completely, but rather be sealed, and it can be disclosed to a judicial authority
for the investigation and trial of other cases. However, no specific rules clarify how
shall the criminal record be used by the judicial authority. In practice, it will either be
considered in deciding a pretrial detention or in sentencing, based on the rule of se-
vere punishment for recidivism. Besides, a none-criminal-record certificate, which is
often required in seeking for a job or for similar purposes, is often failed to be issued
28
See Albrecht 2004, 449.
29
Statistics see http://gjwft.jcrb.com/2016/5y/wj30n/index.shtml [01. 11. 2019].
30
Statistics from Law Yearbook of China, 2014 – 2016.
Juvenile Criminal Justice in Mainland China 1061

for juvenile offenders whose criminal record have been sealed. Though the procura-
torates are obliged to issue such a certificate in accordance with the art. 88 of Guide-
lines for Criminal Prosecution Involving Minors (for Trial Implementation), in prac-
tice, community police are responsible for such applications. Since this Guideline is
issued by the Supreme Procuratorate, it does not apply to the police and can be hardly
followed. Thus, the primary goal – avoiding labeling effect – can hardly be achieved
in practice.

4. Evaluation and Conclusion


By a deep observation of its legal reform and judicial practice, Albrecht argued
that “German juvenile justice was never dominated by a social welfare model and
never adopted more than marginal traces of welfare and social support”.31 That is,
the Youth Court Law is firstly criminal (procedural) law32, and the juvenile justice
system remains a subsystem in the general criminal justice system. Doob argued
that juvenile justice in Canada starts with a law based on welfare principles (in
1908) and turns to a law based on criminal law principles and proportionality (in
2003).33
In contrast, this analysis shows a more complex profile of juvenile justice in main-
land China. It is based on the conception that punishment and education could be
reconciled within the framework of juvenile justice. Thus, it reflects an amalgam
of values that derive from adult criminal (procedure) law (focusing on the justice
model) and youth welfare law (focusing on welfare model). It swings between justice
to welfare and strives to achieve a balance between the two. The rule of bidirectional
protection (balance between the protection of juvenile offenders and the interests of
other stakeholders)34 visualizes such efforts, which is in line with Confucianism phi-
losophy of moderation or harmony (Zhong-yong, ), i. e., preventing extremism
and avoiding conflicts. A distinct orientation (of either justice model or welfare
model) has never been realized by the legislature, which is neither of their interest.
Meanwhile, an obvious gap between law in books and law in action exists. On the
one hand, juvenile tribunals are obliged to carry out some tasks which are, in essence,
welfare-oriented, and have nothing to do with justice (e. g., appointment of a psycho-
logical consultant). On the other hand, they often fail to fully comply with rules stipu-
lated in the juvenile chapter of the CPC. Tensions between high expectation from the
31
Albrecht 2004, 450.
32
See Albrecht 2002.
33
See Doob & Sprott 2004.
34
The Guidelines for Criminal Prosecution Involving Minors (for Trial Implementation)
( ( ), issued by the Supreme Procuratorate, stipulate that the
Procuratorate shall follow the rule of bidirectional protection, i. e., balance the protection of
juvenile offenders and interests of other stakeholders including the rights of victims in hand-
ling juvenile cases (art. 21).
1062 Jing Lin

legislator and limited enforcement capacity lead to a peculiar profile of current ju-
venile justice. Notwithstanding, considering the short history of the juvenile chapter
of the CPC (2012), a prosperous future of juvenile justice in China may be expected.
More than 7,200 judges serve at juvenile tribunals in today’s China exclusively.35 The
Supreme Procuratorate has set up a special department for juvenile criminal cases in
2019. In addition, Law on Community Service that came into force in July 2020 is
vital for sound enforcement of juvenile justice.

References

Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Gutachten D zum 64.
Deutschen Juristentag 2002. München.
Albrecht, H.-J. (2004): Youth Justice in Germany. Crime and Justice 31, 443 – 493. London.
China Justice Big Data Research Institute (2017): Big Data Report on Juvenile Offenses; http://
data.court.gov.cn/pages/research.html [01. 11. 2019].
Doob, A.N. & Sprott, J.B. (2004): Youth Justice in Canada. Crime and Justice 31, 185 – 242.
He, T. (2019): Futiaojian Buqisu Zhidu Shishi Zhuangkuang Yanjiu (
). Chinese Journal of Law ( ) 41/6, 150 – 171.
Heinz, W. (2015): Kriminalität und Kriminalitätskontrolle – Berichtsstand; http://www.uni-kon
stanz.de/rtf/kis/Kriminalitaet_und_Kriminalitaetskontrolle_in_Deutschland_Stand_2015.pdf
[01. 10. 2019].
Law Year Book of China ( ) (1991 – 2017), Beijing.
Research Team for Shou-rong-jiao-yang (2016): Sansheng Shourong Jiaoyang Gongzuo Dia-
ocha Baogao ( ). Fanzui yu Gaizao Yanjiu (
), 26 – 36.
Shen, A. & Hall, S. (2014): The Same the Whole World Over? A Review Essay on Youth Of-
fending from the 1980s and Youth Justice in Contemporary China. International Journal of
Law, Crime and Justice 43, 273 – 291.
Wang, Zhenhui (2019): Weichengnianren Yange Xianzhi Shiyong Daibucuoshi de Xianzhuang
Diaocha ( ). Journal of National Pros-
ecutors College ( ) 4, 56 – 73.
Xue, C.& Liu, G (2004): Lun Gaige he Wanshan Shourong Jiaoyang Zhidu (
). Journal of Chinese People’s Public Security University
4, 65 – 74.
Yang, M. (2018): Minguo shiqi hubei shaonian jianyu fazhanshi yanjiu (
). Fanzui yu gaizao yanjiu ( ) 5, 62 – 73.
Yao, J. (2001): Zhongguo Shaonian Sifa Zhidu Fazhan Zhong De Wenti Yu Shaonian Fayuan De
Chuangshe ( ). Youth Studies
( ) 12, 1 – 5.

35
http://www.court.gov.cn/zixun-xiangqing-17212.html [01. 11. 2019].
Juvenile Criminal Justice in Mainland China 1063

Yue, L. (2002): Youth Justice in China, in: J. Winterdyk (ed.), Juvenile Justice Systems: Interna-
tional Perspectives. 2nd ed. Toronto, 103 – 126.
Zhang, L. (2008): Juvenile Delinquency and Justice in Contemporary China: A Critical Review
of the Literature over 15 Years. Crime, Law and Social Change 50, 149 – 160.
Zhao, G. (2014): Juvenile Criminal Justice in China, in: L. Cao, I.Y. Sun & B. Hebenton (eds.),
The Routledge Handbook of Chinese Criminology. London, 103 – 115.
Zhao, R., Zhang, H. & Liu, J. (2014): China’s Juvenile Justice: A System in Transition, in:
J. Winterdyk (ed.), Juvenile Justice: International Perspectives, Models, and Trends. Boca
Raton, 137 – 162.
The Juvenile Justice System in the Czech Republic:
Successes and Failures
By Helena Válková

1. Introduction
It is not so long since we in the Czech Republic welcomed the adoption of a new,
special legislation aimed at responding more effectively to crimes committed by ju-
venile delinquents aged 15 up to 18. Children under the age of fifteen, who have com-
mitted crimes for which juveniles and adult offenders face criminal charges, have not
been neglected by this law either.1
The Youth Justice Act came into effect on 1 January 2004.2 The period of more
than fifteen years of its application in practice offers us a good opportunity to sum-
marize which of its objectives have been achieved, and to what extent. Only an in-
dependent criminological research, which unfortunately has not been carried out yet,
would be able to reveal the real effectiveness of this law in the necessary detail. The
official statistics which are meanwhile available must be interpreted with caution and
with a view to their considerable limits; therefore, it is difficult to offer an objective
answer to our question, albeit certain conclusions can be drawn.
What can already be drawn from the available sources is that over the past fifteen
years there has been a gradual decline in the extent of both the recorded criminal ju-
venile delinquency and otherwise punishable criminal offenses by children under the
age of 15 – not only in absolute figures, but also in terms of the relative proportion of
delinquent juveniles in the total number of adolescents of the relevant age categories.
However, whether this positive long-term trend can be attributed solely or predom-
inantly to the new system of treatment of delinquent youths as codified in a particular
piece of law – The Youth Justice Act of 2003 –, or to other factors contributing sig-
nificantly to this favorable development, such as the increased latency of some cur-
rent forms of crime (especially cybercrime), or to changes of macro-social signifi-
cance that our society is undergoing at the beginning of the 21st century – the answer
1
Under the Youth Justice Act, children under 15 can only be penalized by “educational
obligations” or educational restictions, by “verbal reprimand with a warning”, by imposing an
“outpatient educational programme”, supervision by a probation officer, protective education,
or by protective medical treatment.
2
Act No. 218/2003 Coll. of Laws, On The Liability of Youth for Unlawful Acts and
Judiciary in Youth Matters (The Youth Justice Act).
1066 Helena Válková

to this question is difficult to find without research monitoring these factors which
potentially influence the current scale, structure and intensity of youth delinquency.3

2. Changes in Legislation:
Governing Judicial Practice in Youth Matters
Since its adoption in 2003 to the present time (i. e., 2020), the Youth Justice Act
remained largely unchanged in substance, although it has been amended no less than
twenty times. Having said that, none of the amendments reconfigured its basic prin-
ciples and original systematics, or introduced measures or procedures that would
contradict its original philosophical foundations based on the principles of restorative
justice. It can therefore be stated that after the adoption of the Youth Justice Act, crim-
inal policy – at least as regards the pertinent legislation – has remained stable over the
past fifteen years.
Of course, the current juvenile justice concept has also stimulated fundamental
changes in the penal code, the code of criminal procedure, and in other related pieces
of legislation. In view of the importance of these changes, it is necessary to mention
above all the major reform of substantive criminal law implemented by the adoption
of the new Criminal Code which came into effect on 1 January 2010.4 Some of the
innovations introduced with its adoption have been successfully tested exactly in the
field of youth justice. Of particular importance is the emphasis on the broader appli-
cation of alternative procedures and sanctions stipulated by a number of provisions of
the new Criminal Code. Furthermore, the importance of cooperation between crim-
inal judges, prosecutors and probation officers, who have gradually become indis-
pensable collaborators imposing and enforcing alternative sanctions, was strength-
ened. The very inspiration from the good practice of the application of the Youth Jus-
tice Act, which were taken as a blueprint for a number of corresponding provisions of
the new Criminal Code, makes it possible to assess Act No. 218/2003 Coll. of Laws
as a piece of successful legislative work.
On the other hand, it is also worth noting that opposite voices attempting to push
the criminal liability of juvenile delinquents and the related punishment in the direc-
tion of stricter criminal repression, were up to now fortunately not successful. The
common denominator of such policy concepts has always been the intention to pro-
mote rapid, populist responses to exceptional, severe case scenarios (usually a mur-
der or a crime with a sexual motive, committed by a child under 15 or by a juvenile).
As a rule, proponents of such views would plea for a reduction of the minimum age of
criminal liability from the current limit of fifteen years down to fourteen and even
thirteen. At the same time, it was proposed that penalties for murder, rape with serious
consequences, and other severe crimes committed by juvenile delinquents should be
3
For more details, see Válková, Kuchta, Hulmáková et al. 2019, pp. 277 – 307.
4
Act No. 40/2009 Coll. of Laws, The Criminal Code.
The Juvenile Justice System in the Czech Republic: Successes and Failures 1067

dramatically raised. Until now, the advocates of stricter measures have not been able
to launch such legislative adjustments which could significantly tighten up criminal
policy towards delinquent youth in the Czech Republic.5 Their failure is, in a way, an
indirect indication that the basic parameters of the original legislation are adequate.
Indeed, Czech legislation is fully compatible with European standards as tradition-
ally enforced by the Council of Europe6 and, in the last ten years or so, also with those
laid down in EU regulations.7 In comparison with the current legislation of other EU
member states, the Czech youth justice law can be rated – in terms of the extent of the
rights guaranteed to juvenile offenders and the system of sanctions applicable to
them – among the most balanced ones. This can, however, not yet be said about
its application practice where considerable hesitance towards the use of all the stat-
utory options offered to the competent authorities and institutions still prevails.8

3. The Most Recent Amendment to the Youth Justice Act


As already mentioned above, the provisions of the Youth Justice Act with its over-
all concept and systematic approach are in accordance with the requirements of Euro-
pean regulations. Nevertheless, the EU Directive on procedural safeguards for chil-
dren who are suspects or accused persons in criminal proceedings9 (hereinafter: The
Directive) has extended and specified the requirements for procedural safeguards for
criminally liable minors under 18 who are suspects or accused persons in criminal
proceedings, or are in custody under the European arrest warrant. Member states
were obliged to transpose the provisions into their domestic law by June 2019.
The Czech legislature implemented the required adjustments by adopting Amend-
ment Act No. 203/2019 Coll. of Laws that came into effect on 1 September 2019.

5
Válková 2018, pp. 333 – 343.
6
The European Convention on the Protection of Human Rights and Fundamental Free-
doms (domestically introduced through Act No. 2019/1992 Coll. of Laws) which, in the field
of penal youth justice, is further elaborated in a number of important documents such as, e. g.,
the Guidelines of the Committee of Ministers of the Council of Europe on Child-friendly
Justice, adopted on Nov. 17, 2010; notwithstanding its formal character of a set of legally non-
binding recommendations, the document is a strong political appeal to all member states, all
the more in light of the fact that it is regularly referenced and applied in the case law of the
European Court on Human Rights.
In June 2014, the Parliamentary Assembly of the Council of Europe passed its Resolution
on the Child-friendly Juvenile Judicial System, which stressed the necessity to treat minors
who are at odds with law, on the basis of their rights and with respect for their needs.
7
At EU level, it is, first of all, Article 24 of the Charter of Fundamental Rights of the
European Union which is designed to ensure respect for the interests of the child in all cases in
which any of the EU’s legal norms is applied.
8
For similar conclusions, see Hulmáková 2020.
9
Directive (EU) 2016/800 of the European Parliament and of the Council of 11 May 2016
on procedural safeguards for children who are suspects or accused persons in criminal pro-
ceedings, O.J. L 132/1.
1068 Helena Válková

Summarizing the main changes in the existing juvenile criminal law, those are few
in number, but certainly not marginal in regard to their potential impact. Their prac-
tical application in criminal proceedings against a juvenile could, in the future, con-
tribute significantly to making the juvenile justice system more efficient.
Specifically, these amendments provide for:
* the legal rule that a person, whose age of 18 is uncertain, is considered to be a child;
* an extended and specified catalogue of information on their rights and possibilities
of exercising them, which must be communicated to the juvenile in a comprehen-
sible form appropriate to their age, mental maturity and state of health, and with
regard for the ongoing stage of criminal proceedings;
* extended grounds for the necessary defense for juveniles who have not reached the
age of 21, from the moment when measures under the Youth Justice Act are applied
against the person or when acts under the Code of Criminal Procedure are carried
out, if the court and the prosecutor consider it appropriate in the light of the
achieved level of intellectual and moral maturity of the juvenile and with regard
of the circumstances of the case;
* extended rights of the juvenile person to have a legal guardian or another adult
person of trust designated by the juvenile participating in the criminal proceed-
ings; if the juvenile fails to propose a concrete person as guardian, or proposes
someone who may reasonably be expected to be unable to properly defend the
child’s interests, the judge or the chair of the chamber or senate and in the pre-
trial period the prosecutor shall appoint someone else; such a qualified adult
can be someone close to the juvenile, or an officer from a socio-legal child protec-
tion authority, or a person with experience in youth education, or a lawyer;
* additional obligation to explore the individual background of the juvenile ‘without
undue delay’, in other words, at the earliest appropriate stage, preferably before the
indictment is filed; at the same time, it is necessary to ensure that the individual
assessment of the juvenile is kept up-to-date in regard to any event of a substantial
change in their situation, both in the preparatory phase and in the course of the
main trial;
* codification of the preferential treatment of the accused child and provision of the
audiovisual recording of the questioning of the child, if this is appropriate and tech-
nically possible given the circumstances of the case and those of the child;
* the legal obligation to separate a juvenile from adults in custody even after he/she
has reached the age of 18, if justified by their personal circumstances and not con-
trary to the interests of other juveniles sharing the same place.
Overall, the 2019 amendments of the Youth Justice Act are in line with the require-
ments of the 2016 EU Directive. The new provisions are a further step in the right
The Juvenile Justice System in the Czech Republic: Successes and Failures 1069

direction. They also correspond to the current pan-European trend of strengthening


the rights of adolescents in court proceedings.10
In particular, one should welcome the introduction at the national level of the pos-
sibility for a juvenile to nominate a guardian of their trust, and the corresponding ob-
ligation of the competent authority to take into account the person’s request and, un-
less serious obstacles exist, to give priority to the child’s choice over a specialized
social worker or lawyer. It is not unimportant to explain to a juvenile the course
of the criminal proceedings in a more comprehensible way, to make them better un-
derstand what is happening in their case. No less important for the selection of an
appropriate procedure or measure by the court and/or the prosecutor is the obligation
to provide for up-to-date information on the life situation of the minor, which may
change during the course of the proceedings, thus requiring an early update by the
competent authorities as outlined in the Youth Justice Act.
Finally, the extension of the age category of adolescents for whom legal defense is
obligatory to include young adults up to the age of 21 in cases where the court or the
prosecutor deem it appropriate, should, of course, also be welcomed, since juveniles
have not automatically acquired deeper intellectual abilities at the day of their 18th
birthday, so that they could properly defend themselves and use all their procedural
rights – especially in more complicated and prolonged criminal cases.

4. Implementation of the Youth Justice Act in Practice11


In contrast to the Criminal Code, the Youth Justice Act defines its philosophical
basis and criminal policy objectives differently. The emphasis of the latter is laid
upon reintegrating the juvenile, preventing recidivism and restoring disturbed social
relationships between the juvenile offender and the victim, by instructing the young
delinquent to take responsibility for their actions and actively seek to remedy their
consequences. To this end, a variety of measures can be imposed: penal, protective
and, above all, educational ones.
Here, probation programs play an important role, in which juveniles are encour-
aged to change their (previous) problematic attitudes. A prerequisite for the effective-
ness of these programs is that they are “tailor-made” to suit the individual juvenile,
and that their quality is constantly monitored. Therefore, the professional level of
these programs has to be guaranteed by the Ministry of Justice through accreditation.

10
For an overview of legal documents adopted by the Council of Europe and the European
Union on the protection of children under 18 and young adults up to 21, see Válková, Kuchta,
Hulmáková et al. 2019, ref. 30.
11
This chapter contains statistics and charts used with the kind consent by their originator
Jana Hulmáková as they were first presented at the international expert conference “Fifteen
Years of the Youth Justice Act”, held in Prague on 14 May 2019.
1070 Helena Válková

The Youth Justice Act further emphasizes the protection of the juvenile from stig-
matization, and the preference for the use of diversionary procedures combined with
restorative elements, which is a manifestation of the codified provision of the sub-
sidiarity of repression according to which, for example, an unconditional custodial
sentence should only be used as an extreme, exceptional sanction for cases of the
most severe crimes.
The answer to the question whether these principles have actually been adhered to
in practice, is provided, albeit partially, by the prosecutorial and judicial statistics.
However, when evaluating them, i. e., when analyzing trends and the current situation
in the area of the punishment of juveniles, we have to take into account some further
significant legislative developments, especially the adoption of new Criminal Code
No. 40/2009 Coll. of Laws, as well as the effects of the presidential amnesty of 2013.
When comparing the absolute numbers of the sanctions imposed, it is also necessary
to take into consideration the general trends in juvenile delinquency records which
reveal a significant gradual decline in the number of juveniles brought to criminal
justice since the Youth Justice Act came into force.
8,000

7,000

6,000

5,000

4,000

3,000

2,000

1,000

0
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
prosecuted persons 7,374 5,959 5,248 5,317 6,080 5,845 5,417 3,990 3,786 3,654 2,951 2,571 2,248 2,061 2,094 2,107
indicted persons 6,006 4,590 4,191 4,055 4,508 4,339 4,147 3,177 3,091 3,033 2,389 2,116 1,846 1,674 1,729 1,779
convicted persons 3,558 3,235 3,069 2,773 2,949 2,882 2,718 2,389 2,203 2,186 1,983 1,593 1,403 1,312 1,231 1,278
unconditional sentence of imprisonment (persons) 213 213 190 181 174 200 220 201 190 159 82 88 76 67 63 58

Figure 1: Criminal Policy Towards Juveniles (absolute numbers)12

Within the structure of sanctions imposed on juveniles, a ‘simple’ conditional sen-


tence of deprivation of liberty dominates. The second most commonly applied mea-
sure is community service. Conditional convictions also have a significant share. In
contrast, unconditional imprisonment accounts for only 5 % of all sanctions (see
Figure 1).
As for unconditional imprisonment, its structure has changed significantly in
terms of the length of prison terms. After the Youth Justice Act came into effect,
the proportion of shorter unconditional sentences of up to one year was approximate-
ly two-thirds; in 2003, i. e., the last year before the Act came into force, it was still
close to three-quarters. In 2018 it was only half. On the other hand, there has been an
12
Source: Overviews of prosecuted and convicted juveniles, Ministry of Justice of the
Czech Republic, CSLAV.
The Juvenile Justice System in the Czech Republic: Successes and Failures 1071

increase in the longer terms of one to five years. This shift is closely related to the
change in the structure of juveniles sentenced to unconditional prison sentences
(see Figure 2). Obviously, there is an increased number of chronic offenders with
a number of risk factors that call for personalized intensive treatment so as to min-
imize the likelihood of recidivism after their release.
100%

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
up from 5 to 10 years 1 2 3 1 3 2 1 0 0 0 3 1 5 2 0
up from 1 to 5 years 28 33 32 28 24 26 34 29 33 45 37 53 45 38 47
up to 1 year 72 66 65 71 74 71 66 71 67 55 60 46 51 60 53

Figure 2: Length of Unconditional Prison Sentences (in percent)13

Finally, one of the further objectives of the Youth Justice Act is the realization of
the principles of restorative justice. Accordingly, particular emphasis is placed on the
use of diversion combined with restorative elements at the earliest possible moment
in the preliminary proceedings. However, additional statistics show that in practice
only conditional discontinuation of criminal proceedings against juveniles is more
often pronounced, whereas settlement or termination of criminal proceedings is
used very sporadically. In this respect, the restorative orientation of criminal policy,
unfortunately, has not yet become more prominent in the Czech judicial practice.
Despite these adverse aspects of the application practice, it can be pointed out that
over the past 15 years, a rather significant change has occurred in the general ap-
proach towards the treatment of delinquent youth prioritizing educational measures
and, consequently, the reduction of criminal repression to its necessary minimum.
Whether this trend will be maintained in the Czech Republic in the future will un-
doubtedly also depend on the direction in which the general criminal policy applied
to adult offenders will evolve.

13
Source: see footnote 12.
1072 Helena Válková

References

Hulmáková, J. (2020): The Youth Justice Act – 15 Years on, in: Collection of contributions at the
international expert conference “Fifteen Years of the Youth Justice Act”, held in Prague on 14
May 2019. Žilina: Publishing House Georg, pp. 22 – 31.
Válková, H. (2018): Criminal Policy in a Changing Society Through the Prism of MPs’ Motions
to Amend Criminal Legislation and Related Norms, in: T. Gřivna (ed.), Tribute to Pavel
Šámal on his 65th Birthday. Praha: C.H.Beck, pp. 333 – 343.
Válková, H., Kuchta, J., Hulmáková, J. et al. (2019): The Foundations of Criminology and
Criminal Policy. 3rd edition, Praha: C.H.Beck.
VI. Folgewirkungen von Strafe und Strafvollzug –
Consequences of Conviction and the Correctional System
Strafen über Strafen
Strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Zusatzsanktionen in Deutschland

Von Michael Kilchling

1. Einleitung
Die in den Strafgesetzen vorgesehenen Strafandrohungen determinieren im We-
sentlichen die mit dem Schuldausgleich und den anderen Strafzwecken verbundenen
Rechtsfolgen, die der (potenzielle) Straftäter bzw. die (potenzielle) Straftäterin1 im
Falle strafrechtlich relevanter Devianz zu gewärtigen hat. Mit diesem Kodifikations-
konzept verbunden ist jedenfalls implizit, auch im Sinne des verbindlichen verfas-
sungsrechtlichen Rahmens der strafrechtlichen Sanktionierung – Vorhersehbarkeit,
Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit, richterliches Strafmonopol, u.v.a.m. –, die
Erwartung einer strikten Begrenzung der staatlichen Eingriffsgewalt auf die gesetz-
lich angedrohte (Kriminal-)Strafe.
Die Realität ist freilich eine ganz andere und lässt die eben formulierte Annahme
in zahlreichen Lebensbereichen als Fiktion erscheinen. Hans-Jörg Albrecht ist einer
der wenigen, der sich wissenschaftlich seit langer Zeit mit den vielfältigen Formen
weiterer, in der Fachwelt wie auch der größeren Öffentlichkeit nur wenig thematisier-
ten Beschränkungen bestimmter politischer und bürgerlicher Rechte Verurteilter und
manchmal auch bloß Verdächtig(t)er, die niemals angeklagt und/oder verurteilt wer-
den, befasst. Ein aktuelles rechtsvergleichendes Forschungsprojekt, das der Jubilar
noch in seiner Zeit als Direktor und Leiter der kriminologischen Abteilung des (ehe-
maligen) Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht an-
gestoßen hat und dessen Ergebnisse in Kürze publiziert werden,2 hat den Versuch un-
ternommen, die Vielzahl der strafrechtlichen und nichtstrafrechtlichen Zusatzsank-
tionen, die auf eine strafrechtliche Verurteilung folgen können, systematisch zusam-
menzustellen und (rechts-)vergleichend3 zu analysieren. Entsprechende Regelungen

1
Aus Platzgründen wird im Weiteren bei funktional-abstrakten Rollen-, Funktions-, Tä-
tigkeits- und Berufsbezeichnungen in nicht-personalisierten Sinnzusammenhängen auf Gen-
derdopplungen verzichtet.
2
Ein erster Überblick ist publiziert bei Fitrakis 2018. Der finale Forschungsbericht, hrsg. v.
Michael Kilchling (Freiburg), Angelika Pitsela (Thessaloniki) und Lucija Sokanović (Split),
wird 2021 in der Publikationsreihe des MPI im Verlag Duncker & Humblot, Berlin erscheinen.
3
Siehe auch den Beitrag von José Luis de la Cuesta (in diesem Band).
1076 Michael Kilchling

gibt es in den meisten Ländern, nicht nur in Europa. Der vorliegende Beitrag präsen-
tiert einige ausgewählte Beispiele aus Deutschland.
Ein gutes Beispiel sind die strafrechtlichen Wahl- und Amtsbeschränkungen, ge-
regelt in § 45 StGB. Albrecht, der diese Regelungen im Nomos-Großkommentar be-
arbeitet, spricht diesbezüglich schon in der ersten Auflage von vormodernen und stig-
matisierenden Rechtsfolgen, die an Ehrenstrafen erinnerten und mit einem moder-
nen, auf Schuldausgleich und Prävention ausgerichteten Strafrecht unvereinbar
seien.4 Ihre Hochphase erlebten diese Strafen, deren Ursprünge bis ins Römische
Recht zurückverfolgt werden können, im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert.5
Mit ihrem stigmatisierenden Charakter zielten sie darauf ab, ehemalige Straftäter
von der (vollwertigen) Teilnahme am bürgerlichen Leben auszuschließen. Albrecht
erkennt in den strafrechtlichen Beschränkungen des passiven Wahlrechts und Zu-
gangs zu öffentlichen Ämtern mit gutem Grund auch Elemente eines Berufsverbo-
tes.6 Tatsächlich ergeben sich im Hinblick auf die Auswirkungen für die Betroffenen
auch Parallelen zu dem (präventiv-strafrechtlichen) Berufsverbot im Maßregelrecht.
Berufsbezogene Restriktionen haben freilich eine weit größere Dimension, als der
beschränkte Fokus auf die strafrechtlichen Regeln zunächst erkennen lässt.
Neben den erwähnten dogmatischen Widersprüchen stehen insbesondere die viel-
fältigen berufsbezogenen Barrieren im Hinblick auf ihren Umfang und ihre wenig
resozialisierungsfreundlichen Auswirkungen in seltsam offenem Kontrast zu den
klaren Konturen, die das Recht auf Resozialisierung durch die Rechtsprechung
des deutschen Bundesverfassungsgerichtes erfahren hat.7 Im Grunde konterkarieren
sie die vielfältigen und im Wortsinne oft mühsamen Bemühungen um Resozialisie-
rung geradezu – der englische Begriff der reintegration bringt den diametralen Ge-
gensatz zur Exklusion sogar noch deutlicher zum Ausdruck. Schon in den frühen
1970er Jahren hat das BVerfG die Devise ausgegeben, dass die Resozialisierung
als verfassungsrechtliches Prinzip nötigenfalls auch gegen resozialisierungsfeindli-
che gesellschaftliche Tendenzen durchgesetzt werden müsse.8 Gerade der berufliche
(Wieder-)Einstieg ist bekanntlich eine entscheidende Bedingung für gelingende Re-
sozialisierung.9 Nichtsdestotrotz scheint es so, dass die in früheren Zeiten vorwie-
gend strafrechtlich ausgestalteten restriktiven Eingriffe10 in die Berufsausübung

4
Albrecht 1995 u. 2017, jew. § 45 Rn. 1.
5
Siehe zur Geschichte der Ehrenstrafen ausführlich Weinrich 2009, 79 ff.
6
Albrecht 2017, § 45 Rn. 7.
7
Grundlegend etwa BVerfG, 1 BvR 14/76 v. 21. 06. 1977, BVerfGE 45, 187 ff., 238 f.; auf
diese Leitpassage verweist das Gericht in späteren Entscheidungen zur Resozialisierung re-
gelmäßig.
8
BVerfG, 1 BvR 536/72 v. 05. 06. 1973 (Lebach-Entscheidung), BVerfGE 35, S. 202 ff.,
236 f.
9
Ausführlicher hierzu z. B. Jacobs & Larrauri 2016.
10
Auffallend ist auch die terminologische und inhaltliche Parallele zu den vielfältigen sog.
„restriktiven Maßnahmen“, die auf UN- und EU-Ebene als neuartige nicht-punitive Sanktio-
nen gegen Terrorverdächtige und andere missliebige Individuen, Gruppen und Staaten ent-
Strafen über Strafen 1077

und viele andere Lebensbereiche strafrechtlich auffälliger Personen infolge des all-
gemeinen Paradigmenwechsels zur Prävention heute sogar wieder deutlich an Be-
deutung gewonnen haben. Statt wie früher im strafrechtlichen kehren diese heutzu-
tage eher im verwaltungsrechtlichen Gewand auf die gesellschaftliche Bühne zurück.
Auch in anderen Rechtsbereichen wie dem Arbeits- und Wirtschaftsrecht gibt es ver-
gleichbare Entwicklungen. Besonders exemplarisch zeigt sich der Bedeutungszuge-
winn der außerstrafrechtlichen Disziplinierungs- und Sanktionierungsregime auch in
der immer rigideren Compliance-Kultur,11 die die kapitalistische Wirtschaft offenbar
in eine Art moralisches Paradies zu verwandeln sucht, in dem jeder Regelverstoß
weitreichende persönliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Zusätzliche Dynamik hat die Entwicklung hin zur nachstraflichen gesellschaftli-
chen Exklusion schließlich auch durch den Ausbau der intensiven Überwachung mit
dem Instrument der fortschreitend restriktiveren, elektronisch überwachten Aus-
schlusszonen erhalten. Als besonders krasses Beispiel kann hier die Situation in ei-
nigen US-Bundesstaaten gelten. Miracle Village im Bundesstaat Florida12 ist ein aus
der Not ehemaliger Sexualstraftäter heraus entstandener (Nicht-)Ort, die sich dort
niedergelassen haben, weil sie nach ihrer Haftentlassung aufgrund der dann einset-
zenden weitreichenden Bewegungs- und Aufenthaltsrestriktionen und Näherungs-
verbote kaum eine reale Chance auf ein Leben in besiedelten Gegenden (sprich:
der bürgerlichen Zivilisation) haben.13

wickelt wurden. Siehe nur die nach dem 11. 09. 2001 erlassene EU-Verordnung 881/2002
(ABl. L 139/9) oder die EU-Verordnung 2018/275 gegen Personen aus Belarus (ABl. L 54/1).
11
Erinnert sei beispielhaft an die kontroversen Diskussionen im Zusammenhang mit der
Verurteilung von Uli Hoeneß wegen seiner ausschließlich als Privatperson verschuldeten
Steuerhinterziehung. Als er nach verbüßter Freiheitsstrafe in seine Funktionen als Präsident
und Vorsitzender des Aufsichtsrats beim FC Bayern München zurückkehrte, wurde nicht nur
in Wirtschaftszeitungen ernsthaft die Frage erörtert, ob Vorstandsmitglieder anderer börsen-
notierter Unternehmen wie Adidas, BMW oder Siemens im Hinblick auf die Grundsätze der
Unternehmensethik ihrerseits weiter im – durch das Stigma der Vorstrafe des Herrn H.
scheinbar ebenfalls bemakelten (?) – Aufsichtsrat des Clubs verbleiben könnten. Vgl. z. B.
Süddeutsche Zeitung v. 10. 08. 2016: www.sueddeutsche.de/sport/fc-bayern-warum-hoeness-
auf-keinen-fall-aufsichtsratschef-werden-sollte-1.3114713 [30. 08. 2020].
Mit ähnlicher Stoßrichtung wurde kurz darauf die Forderung laut, der wegen des damals
gerade bekannt gewordenen Dieselskandals zurückgetretene VW-Chef Martin Winterkorn,
gegen den zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht strafrechtlich ermittelt wurde, müsse auch seinen
Posten als Mitglied des Aufsichtsrats bei dem Münchner Club umgehend aufgeben. Vgl. z. B.
Süddeutsche Zeitung v. 16. 08. 2016: www.sueddeutsche.de/sport/fussball-uli-hoeness-winter
korn-bleibt-bayern-aufsichtsrat-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160818-99-134388 [30. 8.
2020].
12
Eindrückliche Einblicke in die dortigen Lebensumstände geben z. B. Sanburn 2014 und
Iaboni 2015.
13
Rechtliche und kriminologische Perspektiven u. a. bei Tewksbury 2007, Levenson 2008,
Ehrhardt Mustaine 2014, Levenson & Zgoba 2015.
1078 Michael Kilchling

Albrecht weist also völlig zu Recht auf Parallelen zum Feindstrafrecht hin14 –
wobei dieses konzeptionell freilich auf eine kleine Gruppe nicht resozialisierungsge-
eigneter bzw. nicht resozialisierungswilliger gefährlicher Täter zugeschnitten ist,15
während die vielfältigen Lebensführungsbeschränkungen, die hier behandelt wer-
den, potenziell jede Person betreffen können, die einmal in Konflikt mit der Strafjus-
tiz geraten ist.

2. Spektrum relevanter Szenarien


Ein ganz alltägliches Bespiel aus Süddeutschland hat 2018 immerhin den Weg in
die Freiburger Lokalpresse16 gefunden. Der Betreiber eines der bei Einheimischen
wie Touristen gleichermaßen populären mobilen Bratwurststände auf dem bekannten
Freiburger Münstermarkt hatte einen Strafbefehl wegen steuerlicher Unregelmäßig-
keiten akzeptiert. Nach Eintritt der Rechtskraft wurde das städtische Ordnungsamt
aktiv und entzog dem Betrieb mit sofortiger Wirkung die Gewerbeerlaubnis. Im Er-
gebnis war nicht nur die wirtschaftliche Existenz des traditionsreichen Familienbe-
triebes zerstört; auch mehrere Angestellte verloren ihren Arbeitsplatz. Ein routine-
mäßiger Verwaltungsakt, in seinen Auswirkungen freilich weit einschneidender als
die Geldstrafe, und ungeachtet der unmittelbaren Akzessorietät zu dem strafrechtli-
chen Schuldspruch von keinem Strafgericht intendiert, geschweige denn kontrolliert.
Solche und ähnliche berufsbezogene (Folge-)Sanktionen sind ein sehr praxisrele-
vanter Einsatzbereich, der neben den strafrechtlichen Berufsbeschränkungen exis-
tiert. Es gibt sie bei Weitem nicht nur im beamtenrechtlichen Kontext, wo die Ent-
lassung aus dem Beamtenverhältnis, ähnlich wie im Kirchenrecht, als Spezifikum
eines historisch gewachsenen Sonderrechtsregimes unter Umständen vertretbar er-
scheinen mag. Auch in Ländern, die ein Beamtenrecht nach hiesigem Muster
nicht kennen, ist eine Verurteilung in bestimmten öffentlichen Berufen17 nicht selten
mit einer Zugangssperre bzw. der Aberkennung bestimmter (höherer) Dienstgrade,
gegebenenfalls sogar der (unehrenhaften) Entlassung verbunden; dasselbe gilt für
Auszeichnungen, Orden, Ehrenämter, Ehrentitel, usw. Eine Vielzahl approbierter
Berufe ist in ähnlicher Weise betroffen; auch diese haben häufig ein eigenes, justiz-
unabhängiges Berufs- und Disziplinarrecht. Vergleichbare Regeln gelten für die jus-
tiznahen Tätigkeiten; mögliche Restriktionen greifen hier für ein weites Spektrum
von der Zulassung als Anwalt oder Notar bis zum Schöffenamt. Ähnliche Restriktio-
nen existieren darüber hinaus auch in einer Vielzahl ,ziviler‘ Berufe, vom Bademeis-
14
Albrecht 2017, § 45 Rn. 1.
15
Jakobs 2000, Jakobs & Cancio Meliá 2006; siehe dazu auch Albrecht 2002, 66 ff.
16
Badische Zeitung v. 29. 01. 2018 u. 13. 09. 2018: www.badische-zeitung.de/muenster
wurst-verkaeufer-muss-mehr-als-50-000-euro-strafe-zahlen-148751840.html [30. 08. 2020]
bzw. www.badische-zeitung.de/gewerbeverbot-gegen-muensterwurst-braeter-wegen-steuer
betrugs--156648692.html [30. 08. 2020].
17
Zum Beispiel Militär, Polizei, Zivilschutz, Feuerwehr etc.
Strafen über Strafen 1079

ter bis zur Vorstandsvorsitzenden des börsennotierten Unternehmens. Auch Selb-


ständige können betroffen sein, insbesondere bei erlaubnis- bzw. genehmigungs-
pflichtigen oder konzessionierten Geschäftstätigkeiten wie dem Betrieb von Gast-
stätten, Bars, Hotels, Tabakverkaufsstellen, Lottoannahmestellen (und andere
Glücksspielbetriebe), Imbissbuden (siehe den obigen Freiburger Fall), Taxibetrie-
ben, dem Speditions- und Transportgewerbe, u.v.a.m. In Griechenland können Vor-
bestrafte nicht einmal mehr als Kellner arbeiten.18 Und im allgemeinen Arbeitsrecht
kann Straffälligkeit unter Umständen ebenfalls die Kündigung zur Folge haben.
Weitere praxisrelevante Beispiele finden sich etwa im Bildungssektor und in der
Wissenschaft. Die Zulassung zum (Staats-)Examen, akademische Titel, Stipendien
oder die Forschungsförderung aus öffentlichen Mitteln stehen häufig unter Aus-
schlussvorbehalt für den Fall bestimmter Registereinträge. Gerade auch die Bürokra-
tie der Europäischen Union hat in dem letzteren Bereich eine Vielzahl von Aus-
schlusskriterien implementiert, bei den großen Rahmenprogrammen ebenso wie
bei den thematischen Förderlinien: Personen mit bestimmten Vorstrafen können in-
folgedessen in der Regel weder als Antragstellerin bzw. Projektleiterin fungieren
noch über Projektmittel finanzierte Mitarbeiter sein.19 Ähnliches gilt für den weiten
Bereich staatlich lizensierter Tätigkeiten, sei es im beruflichen oder privaten Kon-
text; neben den unterschiedlichen Führerscheinen und Fluglizenzen unterliegen
zum Beispiel auch der Jagdschein oder die Waffenbesitzerlaubnis jederzeit der Ein-
ziehung; auch die Tierhaltung oder der Umgang mit Tieren kann in manchen Ländern
beschränkt werden. Ehrenamtliche wie auch berufliche Aktivitäten im Schul- und
Freizeitbereich sind in jüngerer Zeit ebenfalls verstärkt in den Fokus gerückt, insbe-
sondere im Sport und anderen situativen Kontexten, die Tatgelegenheiten für Miss-
brauch eröffnen. Auch der Bezug von bestimmten Sozialleistungen kann für (aktu-
elle bzw. ehemalige) Straftäter unter Umständen beschränkt werden, in manchen
Ländern auch das Wohnrecht im öffentlichen Wohnungssektor. Das gilt namentlich
auch für Zugewanderte. Für diese letztgenannte Gruppe können Vorstrafen aber noch
viel weitreichendere Konsequenzen haben. Neben der Bedeutung für die Visaertei-
lung zur Einreise hat das Legalverhalten vor und/oder nach Einreise in vielen Län-
dern mittelbaren oder unmittelbar Einfluss auf den Asyl- bzw. Aufenthaltsstatus.
Straffällig gewordene Ausländer riskieren gegebenenfalls sogar den Verlust ihres
Aufenthaltsrechts und die Abschiebung.

18
Vgl. Blitsa & Michalopoulou 2018.
19
Siehe z. B. den für Förderanträge relevanten Vordruck „Declaration on honour on ex-
clusion criteria and selection criteria“: https://eacea.ec.europa.eu/sites/eacea-site/files/declarati
ononhonour_rem_and_civ.pdf [30. 08. 2020]. Rechtsgrundlage für die zahlreichen Aus-
schlussszenarien ist u. a. Art. 13 der EU-Verordnung 390/2014 (Abl. L 115/3), der zum Schutz
der finanziellen Interessen der Union auch im Rahmen der Forschungsförderung „wirksame
Kontrollmaßnahmen“ […] „zur Vorbeugung gegen Betrug, Korruption und sonstige rechts-
widrige Handlungen“ [Hervorh. v. Verf.] verlangt. Das ist im Grunde eine Blankovollmacht
für die Erfindung weiterer Ausschlusstatbestände.
1080 Michael Kilchling

Bestimmte Regelungen im Zivil- und Familienrecht können in einzelnen Fällen


ebenfalls einschlägig sein. Auf bestimmte Straftaten hin können namentlich die Aus-
übung des elterlichen Sorgerechts oder das Adoptionsrecht beschränkt werden. Ehe-
und erbrechtliche Konsequenzen sind ebenfalls denkbar. Schließlich existieren in
nicht wenigen Ländern neben den genuin strafrechtlichen weitere Beschränkungen,
insbesondere des aktiven Wahlrechts für Strafgefangene oder Untergebrachte, gene-
relle wie etwa im Vereinigten Königreich, sektorale wie beispielsweise in den USA
oder gruppenbezogene wie bis vor Kurzem auch noch in Deutschland.

3. Ausgewählte strafrechtliche Regelungen


3.1 Wahlrecht und öffentliche Ämter

Das deutsche Strafrecht kennt mehrere Alternativen der Wahlrechtsbeschrän-


kung. Sie sind ein Eingriff in den Kernbereich staatsbürgerlicher Rechte. Das aktive
Wahlrecht kann im Falle bestimmter Straftaten20 für die Dauer von zwei bis fünf Jah-
ren vom Gericht aberkannt werden (§ 45 Abs. 5 StGB). Voraussetzung ist die Verur-
teilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten.
Neben dieser – zeitlich befristeten – strafrechtlichen Beschränkung existierte
lange Zeit ein weiterer, außerstrafrechtlich geregelter Wahlrechtsausschluss mit
strafrechtlichem Bezug, der erst 2019 vom BVerfG für verfassungswidrig erkannt
wurde.21 Danach waren alle wegen Schuldunfähigkeit formal freigesprochenen,
aber gleichzeitig gem. § 63 StGB in die Psychiatrie eingewiesenen Personen nach
dem Bundeswahlgesetz für die gesamte Dauer ihrer Unterbringung22 vom aktiven
Wahlrecht ausgeschlossen.23 Davon waren zuletzt etwa 6.500 Personen betroffen.24
Das Gericht verwarf diese Regelung u. a. wegen Verletzung des Grundsatzes der All-
gemeinen Wahl und Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Nicht be-
gründbar war für das Gericht insbesondere der vom Gesetzgeber angenommene Zu-
sammenhang zwischen Schuldunfähigkeit und pauschal unterstellter wahlrechtli-
cher Entscheidungsunfähigkeit. Anstelle einer solchen typisierenden Regelung,
die größere Gruppen betreffen kann, ließe das Gericht künftig allenfalls einzelfall-
bezogene oder auf der Basis von konkreten Indizien für eine Beeinträchtigung der
20
Dies betrifft u. a. Staatsschutzdelikte einschließlich der neueren Terrorismusbegleitde-
likte, Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen, Bestechung und sonstige Amtsdelikte, vgl.
§§ 92a, 101, 108c, 109i, 358 StGB.
21
BVerfG, 2 BvC 62/14 v. 29. 01. 2019, u. a. NJW 2019, 1201 ff. (und online). Dazu auch
Hillgruber 2019.
22
Die Unterbringungsdauer ist gesetzlich nicht begrenzt und kann ggf. lebenslang sein.
23
§ 13 Nr. 3 a.F. BWahlG; ähnliche Regelungen gab es in zahlreichen Landeswahlgeset-
zen. Die Entscheidung erstreckt sich mit identischem Tenor auf zivilrechtlich Untergebrachte
und sonstige unter Vollbetreuung stehende Personen gem. § 13 Nr. 2 a.F.
24
Schätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, vgl. BT-
Drucks. 18/11619 v. 22. 03. 2017, 6.
Strafen über Strafen 1081

Wahlentscheidungsfähigkeit beruhende Wahlrechtsbeschränkungen gelten; ein ab-


strakter Bezug zu strafrechtlich relevantem Verhalten kann eine solche jedenfalls
nicht (mehr) begründen.25,26 Das Urteil folgt im Übrigen der Linie des EGMR, der
pauschalisierte Wahlrechtsbeschränkungen, jedenfalls bei Strafgefangenen, eben-
falls nicht akzeptiert.27
Parallel zu der fakultativen Aberkennung des aktiven existiert auch eine entspre-
chende Möglichkeit hinsichtlich des passiven Wahlrechts und der Fähigkeit, öffent-
liche Ämter zu begleiten (§ 45 Abs. 2). Anwendungsbereich und Dauer sind in An-
lehnung an die des Abs. 5 geregelt; anders als beim aktiven Wahlrechtsverlust ist al-
lerdings die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr voraus-
gesetzt. Mit Rechtskraft verlieren auch schon amtierende Amtsträger ihr Amt und
alle damit verbunden Rechte. Das zeigt, dass es vor allem um die „Reinhaltung
des öffentlichen Lebens“28 geht.
Dieselbe Ratio trägt auch die dritte Variante: der automatische Verlust des passi-
ven Wahlrechts und der Amtsfähigkeit für die fixe Dauer von fünf Jahren bei Verur-
teilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr
(§ 45 Abs. 1). Die praktische Relevanz dieser Regelung ist erheblich größer als die
der beiden vorgenannten fakultativen29 Varianten. Basierend auf einer geschätzten
Anzahl von ca. 10.000 Personen, die jährlich wegen eines Verbrechens zu Freiheits-
strafe von einem Jahr oder mehr verurteilt werden,30 betrifft der fünfjährige Aus-
schluss permanent etwa 50.000 Personen.
Die dogmatische Einordnung der Rechtsfolgen des § 45 ist streitig; es soll sich um
(auch) punitiv orientierte Nebenfolgen handeln.31 Freilich verwischt die Kategorisie-
rung als Nebenfolgen ihre Bedeutung und Tragweite. Im Ergebnis handelt es sich um

25
Auf der Basis einer wenig später erwirkten einstweiligen Anordnung des BVerfG
konnten die Betroffenen bereits vor der Anpassung des BWahlG an der Europawahl im Mai
2019 teilnehmen; siehe BVerfG, 2 BvQ 22/19 v. 15. 04. 2019, NVwZ-RR 2019, 705 (und
online).
26
Die revidierte Fassung des § 13 BWahlG sieht einen Ausschluss demgemäß nur noch auf
der Grundlage richterlicher Einzelfallentscheidungen vor; vgl. Gesetz zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes und anderer Gesetze v. 18. 06. 2019, BGBl. I., 834.
27
Vgl. u. a. Hirst v. United Kingdom (74025/01), Frodl v. Austria (20201/04), Greens bzw.
M.T. v. United Kingdom (60041/08, 60054/08).
28
Albrecht 2017, Rn. 6 (m.w.N.).
29
2018 wurde lediglich eine Aberkennung gem. § 45 Abs. 2/5 registriert, vgl. Statistisches
Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 5.1; Angaben zu früheren Jahren bei Oelbermann
2011, 227 f.
30
Eigene Kalkulation auf der Basis der Einzeldeliktsnachweise bei Statistisches Bundes-
amt, Strafverfolgung 2018, Tab. 3.1.
31
Ausführlicher Nelles 1991, Sobota 2015 u. 2017.
1082 Michael Kilchling

Statusminderungssanktionen32 und in der Variante des Abs. 1 um ein temporäres ge-


setzliches Berufsverbot.

3.2 Berufsverbot

Ein weiteres, auch explizit als solches benanntes Berufsverbot findet sich im Maß-
regelrecht. Dieses kann gem. § 70 StGB verhängt werden aus Anlass einer rechtswid-
rigen Tat, die unter Missbrauch des Berufes oder Gewerbes oder unter grober Verlet-
zung der mit ihnen verbundenen Pflichten begangen wurde,33 wenn die Gefahr wei-
terer erheblicher Straftaten bei fortgesetzter Ausübung des Berufes oder Gewerbes
bestehen würde. Die Dauer des Verbotes beträgt regulär ein bis fünf Jahre; es
kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dass die Regelfrist zur Ab-
wehr der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Die Anordnung unterliegt
dem speziellen maßregelrechtlichen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt34 und kann zur
Bewährung35 ausgesetzt werden. Verstöße und Umgehungen sind als eigenes Status-
delikt pönalisiert.36 In der Praxis spielt das strafrechtliche Berufsverbot nur eine un-
tergeordnete Rolle;37 zumeist betrifft es spektakuläre Missbrauchsfälle im anwaltli-
chen, ärztlichen, pflegerischen oder pharmazeutischen Umfeld mit einer Vielzahl
von Opfern.38

3.3 Fahrverbot und Führerscheinentzug

Strafrechtliche Beschränkungen39 der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr exis-


tieren in einer punitiven und einer nicht-punitiven Variante. Als echte Nebenstrafe ist
das Fahrverbot (§ 44 StGB) ausgestaltet, das 2019 bekanntlich zu einer Universal-
sanktion aufgewertet worden ist, deren Einsatz nicht mehr auf Verkehrsstraftaten be-
schränkt ist; zugleich wurde die Dauer des Verbots von maximal drei auf maximal

32
Weinrich 2009, 190. Bezeichnend erscheint in diesem Kontext, dass die gerichtlichen
Anordnungen gem. § 45 Abs. 2/5 StGB in der amtlichen Strafverfolgungsstatistik als „Ab-
erkennung von Bürgerrechten“ tituliert werden (s. o. Fn. 29). Genau das ist es.
33
Ein solcher berufstypischer Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Tat wird verneint,
wenn die Berufsausübung dem Täter lediglich die Möglichkeit verschafft hat, Straftaten zu
begehen; vgl. z. B. BGH, 2 StR 182/07, StV 2008, 80.
34
§ 62 StGB.
35
§ 70a StGB.
36
§ 145c StGB sieht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor.
37
2018 wurden 83 Berufsverbote gem. § 70 StGB verhängt; Statistisches Bundesamt,
Strafverfolgung 2018, Tab. 5.
38
Lebenslange Berufsverbote wurden in jüngerer Zeit etwa im Fall des Bottroper Apo-
thekers Peter S. wegen der Abgabe gepanschter und dadurch mutmaßlich unwirksamer
Krebsmedikamente in 14.500 Fällen (2018) oder des Oldenburger Krankenpflegers Niels H.
wegen der Ermordung von 85 Patienten (2019) verhängt.
39
Nicht berücksichtigt sind an dieser Stelle ordnungsrechtliche Fahrverbote.
Strafen über Strafen 1083

sechs Monate verdoppelt.40 Die Ratio dieser „Denkzettel- und Besinnungsmaßnah-


me“41 wird in der Gesetzesbegründung klar auf den Punkt gebracht: „Die Möglich-
keit, ein Kraftfahrzeug zu führen, [… ist] Ausdruck individueller Mobilität und von
großem Wert für die Gestaltung des Arbeits- und Privatlebens, so dass sich […] das
Verbot, Kraftfahrzeuge zu führen, als spürbares, empfindliches Übel auswirkt.“42 Es
wird kumulativ mit einer Hauptstrafe verhängt. Als Nebenstrafe unterliegt das Fahr-
verbot allerdings dem Schuldprinzip, sodass die Anordnung im Rahmen der Gesamt-
betrachtung im Sinne des § 46 StGB zu einer Reduktion der Hauptstrafe führen kann.
Das eröffnet insbesondere bei der Bemessung der Freiheitsstrafe interessante Gestal-
tungsmöglichkeiten.43 Gelegentliche entlastende Effekte im Hinblick auf Art oder
Höhe der Hauptstrafe vermögen freilich nicht zwei wesentliche Probleme zu über-
decken: Zum einen handelt es sich um eine Sondersanktion, die ausschließlich Füh-
rerscheininhaber treffen kann; zum anderen ist mit der Loslösung von dem Konnex
zu Verkehrsstraftaten die Vorhersehbarkeit entfallen. Damit ist der Anwendungsbe-
reich heute nicht mehr sachlogisch vorgegeben; da auch sonstige gesetzliche An-
knüpfungspunkte fehlen,44 dürfte dieser empfindliche Eingriff in die Mobilität in
der Praxis mehr oder weniger zufallsgeleitet und aus Betroffenensicht willkürlich er-
scheinen.
Anderen Regeln folgt die formal non-punitiv konzipierte Entziehung der Fahrer-
laubnis (§ 69 StGB). Anders als beim Fahrverbot ist eine verkehrsspezifische Anlass-
tat45 erforderlich. Nominaler Zweck der Maßregel ist der Schutz der Allgemeinheit
vor Straßenverkehrsteilnehmern, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet
sind. Sie ist zusätzlich zur Kriminalstrafe anzuordnen, wenn auch in Zukunft rechts-
widrige, die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigende Straftaten zu erwarten
sind. Die Verbannung aus dem Straßenverkehr ist nicht so kurzzeitig angelegt wie das
Fahrverbot: Die Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis kann bis zu
fünf Jahre betragen; unter Umständen kann die Sperre auch permanent sein. Die Aus-
wirkungen können gravierend sein; neben der Einschränkung der Mobilität kann
diese Maßnahme für die Betroffenen mitunter weitreichende berufliche Konsequen-
zen nach sich ziehen, insbesondere für Pendler im ländlichen Raum oder Berufskraft-
40
Art. 1 des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Straf-
verfahrens v. 17. 08. 2017, BGBl. I, 3202.
41
BT-Drucks. 18/11272 v. 22. 02. 2017, 14.
42
BT-Drucks. 18/11272, aaO., unter Bezugnahme auf die Kommission zur Reform des
strafrechtlichen Sanktionssystems; ausführlich auch Verrel 2014.
43
So hat das LG Dortmund eine per se nicht aussetzungsfähige Freiheitsstrafe von mehr als
zwei Jahren mit einem zusätzlichen Fahrverbot auf unter zwei Jahre reduziert und damit
Bewährung gewähren können; NZV 2020, 157.
44
Ähnlich war die ehemalige Vermögensstrafe konstruiert, die vom BVerfG u. a. wegen
Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt worden war; BVerfG, 2
BvR 794/95 v. 20. 03. 2003, u. a. NJW 2002, 1779 ff. (und online).
45
Überbordende Tendenzen der Instanzgerichte zur Anwendung auch bei verkehrsunspe-
zifischen Anlasstaten hat der Große Senat des BGH bekanntlich mit seiner Leitentscheidung v.
27. 04. 2005 deutlich zurückführen können; BGHSt 50, 93 u. NJW 2005, 1957.
1084 Michael Kilchling

fahrer.46 Diese sind rechtlich jedoch grundsätzlich unbeachtlich. Hinzu kommen


nicht unerhebliche Kosten und bürokratische Hürden wie die berüchtigte medizi-
nisch-psychologische Untersuchung.47 Die konkrete Dauer der Sperre soll sich
nach der voraussichtlichen Dauer der Ungeeignetheit richten. Hier wird die Schwä-
che der maßregelrechtlichen Konstruktion deutlich. Denn in der Praxis ist die ange-
nommene Dauer des Fahreignungsmangels eher Fiktion denn faktenbasierte, einzel-
fallbezogene Prognose. Im Ergebnis orientiert sich die Fristsetzung an abstrakt
pauschalisierten Zeitquanten,48 die an Straftaxen erinnern und jedenfalls aus Betrof-
fenensicht quasi-punitiv konnotiert ist. Die Maßnahme soll, ungeachtet aller gegen-
teiligen theoretischen Begründungslinien, faktisch eben doch auch generalpräventiv
wirken;49 sie dürfte in der Realität sogar der entscheidende Abschreckungsfaktor
sein. Ein Unterschied zu der systematisch eigentlich dem Fahrverbot vorbehaltenen
Funktion der Mobilitätsbeschränkung als „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme“
(siehe oben) ist daher nicht wirklich zu erkennen. Im Hinblick auf die teilweise ein-
schneidenden Folgewirkungen käme man unter dem Schuldprinzip jedenfalls in be-
achtliche Begründungsnöte. Durch die explizite Außerkraftsetzung der maßregel-
rechtlichen Verhältnismäßigkeitsklausel50 werden diese aber auch formal unbeacht-
lich. Der Gesetzgeber nimmt sämtliche Folgeeffekte mithin – wenn nicht gezielt so
doch mindestens billigend – in Kauf.
Addiert man beide Varianten, so wird jährlich etwa 120.000 Führerscheininha-
bern51 das mit der Fahrerlaubnis erworbene Recht zur Teilnahme am Straßenverkehr
mindestens temporär entzogen. Zusätzlich zur primären Strafe.

3.4 Exkurs

Spürbare Freiheitsbeschränkungen können im Übrigen im Rahmen der Führungs-


und Bewährungsaufsicht zum Tragen kommen. Sie sind freilich keine eigenständi-

46
§ 69a Abs. 2 ermöglicht Ausnahmen (nur) in besonderen Fällen, etwa für landwirt-
schaftliche Maschinen, Militärfahrzeuge oder Feuerlöschzüge. Böse 2017, § 69 Rn. 15 spricht
an anderer Stelle von „Gnadenentscheidungen“.
47
Die Kosten für einen Neuerwerb können mit E 1.500,– bis 2.700,– zu Buche schlagen.
Hinzu kommen ca. E 500 für die MPU. Angaben nach www.adac.de [15. 05. 2019].
48
Ausführlicher Böse 2017, § 69a Rn. 2 ff.
49
Als Indiz hierfür kann auch die Diskussion um die – vom BGH gebilligte – Verlängerung
der Sperrfrist contra legem um eine mögliche überschneidende Haftzeit betrachtet werden, die
zwar in der punitiven Variante vorgesehen ist (§ 44 Abs. 3 S. 2), bei § 69 aber eindeutig
systemwidrig ist; zum Ganzen Molketin 2001.
50
Vgl. § 69 Abs. 1 S. 2 StGB.
51
2018 wurden 27.417 Fahrverbote und 92.131 Fahrerlaubnisentziehungen verzeichnet;
Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 5. Flächendeckende Stichtagszahlen sind
nicht verfügbar; bei Zugrundelegung einer mittleren Sperrdauer von zweieinhalb Jahren er-
gäbe sich eine geschätzte Gesamtzahl von ca. 230.000 Personen, denen jeweils aktuell die
Fahrerlaubnis entzogen ist.
Strafen über Strafen 1085

gen52 Instrumente; vielmehr definieren sie die Vollstreckungsmodalitäten der Frei-


heitsstrafe bzw. Sicherungsverwahrung – modifizierend, substituierend oder ergän-
zend – und bleiben daher an dieser Stelle außer Betracht.

4. Ausgewählte nichtstrafrechtliche Regelungen


Anders als der insgesamt überschaubare Bestand strafrechtlicher Regeln können
die vielfältigen nichtstrafrechtlichen Anwendungsbereiche im Rahmen dieses Bei-
trages nicht annähernd erschöpfend behandelt werden. Als ein Beispiel mit hoher
Praxisrelevanz werden nachfolgend die wichtigsten berufsbezogenen Beschränkun-
gen exemplarisch herausgegriffen.

4.1 Beschränkungen der Berufsausübung

Die mit Abstand größte Gruppe, die zusätzlich zu den strafrechtlichen auch be-
rufs-, gegebenenfalls auch statusrechtliche Konsequenzen zu erwarten hat, sind
die beamteten Berufe.53 Neben den einfachen bzw. temporären Disziplinarsanktio-
nen fallen in unserem Kontext vor allem die statusrelevanten Sanktionen besonders
ins Gewicht: die Zurückstufung und die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
(§§ 9, 10 BDG); letztere zieht als weitere Konsequenz den Wegfall der Pensions-
und der privilegierten Krankenversorgungsansprüche nach sich.54 Bei Straftaten,
die im Ruhestand begangen werden, drohen Kürzung oder Verlust des Ruhegehalts
(§§ 11, 12 BDG). Der Verlust des Beamtenstatus ist zwingend bei Verurteilung zu
Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, bei bestimmten Staatschutz- und Amts-
delikten sechs Monaten.55 Fakultativ ist er bereits bei geringeren Strafen möglich,
auch bei Geldstrafe.56 Er ist um Übrigen irreversibel; eine erneute Aufnahme in
den öffentlichen Dienst ist nicht möglich, auch nicht im Angestelltenverhältnis
(§ 10 Abs. 5 BDG). Es gilt mithin die gesetzliche Prämisse, wer sich einmal als un-
würdig erwiesen hat, gilt für immer als unwürdig. Die beamtenrechtlichen Folgen
52
Anders, nämlich als individuelle Zusatzeinschränkung, könnte die fakultative Füh-
rungsaufsicht gem. § 68a Abs. 1 StGB zu bewerten sein. Sie wurde im Jahr 2018 lediglich in
21 Fällen verhängt; Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung 2018, Tab. 5. Auch hier gibt es
keine Stichtagszahlen; insgesamt standen 2014 ca. 36.700 Personen unter Führungsaufsicht;
Kinzig 2018, 142 f. Weitere Hinw. bei Dessecker 2019.
53
2019 hatten ca. 1,7 Mio. Angehörige des Öffentlichen Dienstes Beamtenstatus; hinzu
kommen ca. 170.000 Berufs- oder Zeitsoldaten; Statistisches Bundesamt online [15. 09.
2020].
54
Ausführlich zum Rechtsfolgensystem z. B. Brüning 2017, 80 ff.
55
Vgl. § 41 BBG für Bundes- bzw. § 24 BeamtStG für Landes- und Kommunalbeamte.
56
So wurde z. B. in Freiburg ein Lehrer in Probezeit nach Verurteilung zu einer Geldstrafe
von 120 Tagessätzen wegen Blendens eines Hubschraubers mit einem Laserpointer entlassen;
Badische Zeitung vom 27. 05. 2020: https://www.badische-zeitung.de/gundelfinger-nach-laser
pointer-attacke-auf-polizeihelikopter-zu-geldstrafe-verurteilt-185894475.html [30. 08. 2020].
1086 Michael Kilchling

sind im Rahmen der Strafzumessung gem. § 46 StGB unter dem Aspekt der Re- bzw.
Entsozialisierungsrelevanz zu berücksichtigen.57 Die Strafgerichte sind traditionell
darum bemüht, dies bei der Sanktionsfindung tatsächlich zu berücksichtigen und so-
weit vertretbar eine tatschuldunterschreitende Strafe von weniger als einem Jahr fest-
zusetzen;58 regelmäßig ist aus den Entscheidungsgründen veröffentlichter Urteile
eine hohe Sensibilität59 für und nicht selten auch ein gewisses Unbehagen über
diese weitreichenden Zusatzsanktionen herauszulesen.
Weniger bekannt sind in der Öffentlichkeit die berufsbeschränkenden Regelun-
gen außerhalb des Beamtenrechts. Das betrifft zunächst die approbierten Berufe,
die der Kontrolle durch Berufskammern und deren justizunabhängigem Berufs-
und Disziplinarrecht unterliegen. Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschafts-
prüfer, Angehörige medizinischer und pharmazeutischer Berufe, Architekten und
Bauingenieure sind die namhaftesten Beispiele. Rechtlicher Anknüpfungspunkt
der Nichtzulassung bzw. des temporären oder endgültigen Ausschlusses ist auch
hier, in Ablehnung an das Beamtenrecht, die – standesrechtliche – Unwürdigkeit auf-
grund beruflichen oder außerberuflichen Fehlverhaltens.60
Auch jenseits der öffentlich-rechtlich regulierten Berufe existieren in zahlreichen
privaten Berufszweigen rechtliche Rahmenbestimmungen, die im Falle strafrechtli-
cher Auffälligkeit negative Konsequenzen für die Berufsausübung auslösen können.
Dies gilt zunächst für Tätigkeiten, die eine behördliche Erlaubnis voraussetzen, etwa
nach der Gewerbeordnung, dem Gaststättengesetz, dem Personenbeförderungsge-
setz, dem Kreditwesengesetz oder dem Schornsteinfeger-Handwerksgesetz.61 Die er-
forderliche Erlaubnis, Genehmigung, Bestellung etc. kann von der zuständigen Be-
hörde wegen Fehlens der erforderlichen Zuverlässigkeit versagt bzw. eine bestehen-
de Erlaubnis etc. zurückgenommen oder die weitere Ausübung z. B. eines Gewerbes
untersagt werden. Im Fall der Gewerbeuntersagung (§ 35 GewO) sind die Verwal-
tungsbehörden an die strafgerichtlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen
der Untersagung gebunden, nicht jedoch hinsichtlich des eigenen Rechtsfolgener-
messens; bei negativer Prognose ist die Untersagung zwingend. Im Erlaubnisverfah-
ren gibt es keine solche Bindungswirkung. Unzuverlässigkeit ist ein typischer unbe-
stimmter Rechtsbegriff. Sie begründen kann nach ständiger Rspr. eine Straftat ebenso
wie eine Ordnungswidrigkeit. Diese müssen nicht rechtskräftig festgestellt sein;62 die

57
Vgl. Streng 2012, Rn. 716 ff. sowie bereits Streng 1988.
58
Dies kann eine mögliche Erklärung für die vergleichsweise geringe Zahl gerichtlicher
Anfechtungen sein; insgesamt wurden 2019 bei den Verwaltungsgerichten 621 Disziplinar-
fälle entschieden; Statistisches Bundesamt, Verwaltungsgerichte 2019, Tab. 1.2.5.1.
59
Die Richterschaft gehört ja selbst zu den potenziell Betroffenen.
60
Vgl. z. B. §§ 7 Nr. 5, 114 BRAO; dieses u. weitere Beispiele ausführl. bei Beck 2012.
61
§ 35 GewO; §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 15 GastG; §§ 13 Abs. 1 Nr. 2, 25 PBefG; §§ 33 Abs. 1
Nr. 2 u. 3, 35 Abs. 2 Nr. 3 KWG; §§ 9a Abs. 2 Nr. 7a–c, 12 Abs. 1 Nr. 2 SchfHwG; u.v.a.m.
62
Vgl. Marcks 2019, § 35 Rn. 42. Es genügt der Anfangsverdacht gem. § 170 Abs. 1 StPO;
unerheblich ist, ob die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt auch verfolgt (OVG Münster, NJW
2015, 3387). Die Bewertung des – bei Einstellungen gem. § 170 Abs. 2 oder §§ 153 ff. StPO
Strafen über Strafen 1087

Verwaltungsbehörde kann über den Sachverhalt uneingeschränkt selbst entscheiden


(es sei denn, es existieren tatsächlich rechtskräftige Feststellungen, von denen zuun-
gunsten des Betroffenen nicht abgewichen werden darf, s. o.). Sie müssen auch nicht
unbedingt im Rahmen des Betriebes begangen worden sein; erforderlich ist lediglich
ein abstrakter Gewerbebezug.63 Daraus ergibt sich eine Vielzahl potenzieller Anwen-
dungsfälle.
Das Konzept der gewerbe- bzw. gaststättenrechtlichen Zuverlässigkeit geht
(ebenfalls) auf die vorkonstitutionelle Zeit zurück,64 ist aber bis heute aktuell und
wird auch in neuen Gesetzen65 nahezu unverändert übernommen. Der Fokus liegt
auf der Sorge für eine „ordnungsgemäße und redliche“66 Ausübung des Gewerbes;
hierzu zählt neben berufsbezogenen und technischen Aspekten (z. B. die Einhaltung
der Hygienevorschriften in Gaststätten) als weitere Komponente auch rechtskonfor-
mes Verhalten im Allgemeinen. Damit ist der Rekurs auf das Straf- und Ordnungs-
widrigkeitenrecht von Anfang an vorprogrammiert. 2018 wurden von den Gewerbe-
aufsichtsbehörden 246 Anträge auf Gewerbeerlaubnis mangels Zuverlässigkeit ab-
gelehnt und 4.612 Untersagungsverfügungen wegen Unzuverlässigkeit erlassen. Ins-
gesamt hatten am Ende des Jahres 144.377 Personen einen entsprechenden
Sperrvermerk im Gewerbezentralregister.67 Rechtsprechungsübersichten in den
Fachkommentaren geben einen eindrucksvollen Einblick in die Vielzahl betroffener
Geschäftsbereiche.68 Nicht selten trifft es selbständige Einzelhändler. Kleine Einper-
sonenbetriebe im Verkehrssektor (Taxi, Bus, Spedition, etc.) haben im Falle ver-
kehrsbezogener Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sogar ein zweifaches Risiko
auf zusätzliche Sanktionierung im hier verstandenen Sinne: neben Fahrverbot oder
Führerscheinentzug riskieren sie zusätzlich die Schließung ihres Betriebes, wenn sie
nicht unverzüglich jemanden finden, der für sie die Geschäfte weiterführt.
Neben selbständigen Gewerbetreibenden müssen auch abhängig Beschäftigte bei
Delinquenz mit schwerwiegenden beruflichen Konsequenzen (Abmahnung, Entlas-
sung) rechnen. Das Arbeitsrecht lässt eine Entlassung aus personen- und verhaltens-
bezogenen Gründen zu.69 Verhaltensbezogene Kündigungen sind bei arbeitgeber-
schädigendem Verhalten (Diebstahl, Unterschlagung, Untreue, Spesen- oder Ar-
beitszeitbetrug, etc.) möglich, ebenso bei Straftaten im Zusammenhang mit der Ar-

nur mutmaßlichen – strafrechtlichen Verhalten liegt also faktisch in der Hand der Verwal-
tungsbehörden und Verwaltungsgerichte.
63
Ausführlicher zu den Voraussetzungen Marcks 2019, § 35 Rn. 28 ff.
64
Die GewO trat erstmals 1883 in Kraft, das GastG im Jahr 1930.
65
Vgl. Fn. 61 zum Schornsteinfeger-Handwerksgesetz v. 26. 11. 2008, BGBl. I, 2242.
66
BVerwG, GewA 1982, 294.
67
Bundesamt für Justiz, Übersicht über die Eintragungen im Gewerbezentralregister
(Teilregister für natürliche Personen), Stand: 31. Dezember 2018, Tab. 01 u. 03. Die Zahl der
Entscheidungen mit deliktischem Bezug ist allerdings nicht separat ausgewiesen und dürfte
daher niedriger sein.
68
Siehe z. B. Marcks 2019, § 35 Rn. 34.
69
Vgl. § 1 Abs. 2 KSchG.
1088 Michael Kilchling

beit, betriebsinternen (z. B. Verleumdung, sexuelle Belästigung oder tätlicher Angriff


gegenüber Kollegen) ebenso wie externen (z. B. Diebstahl oder Betrug gegenüber
Kunden, Verkehrsdelikt mit dem Dienstfahrzeug). Die einschlägigen Kommentare
bieten eine schier unüberschaubare Vielzahl einschlägiger Beispiele. Häufig ist
sogar eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB möglich.
Selbst Diebstahlsvergehen, die strafrechtlich in den Bagatellbereich fallen und nie-
mals verfolgt würden, können eine solche Kündigung tragen.70 Erforderlich ist eine
fallbezogene Interessenabwägung.71 Eine personenbezogene Kündigung kann bei
Straftaten im Privatbereich ausgesprochen werden, wenn das delinquente Verhalten
den Arbeitnehmer als unzuverlässig oder als ungeeignet für die konkrete betriebliche
Tätigkeit erscheinen lässt. Dies kann etwa bei schweren Gewaltdelikten und je nach
beruflicher Tätigkeit auch bei Vermögens- und Steuerstraftaten, unter Umständen
selbst bei Drogendelikten der Fall sein.72 Auch Verdachtskündigungen sind möglich.
Darüber hinaus kann grundsätzlich auch eine Inhaftierung des Arbeitnehmers im
Hinblick auf die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung einen personen-
bezogenen Kündigungsgrund konstituieren.73
Die personenbezogene Ungeeignetheit strahlt im Übrigen schon auf das Vorfeld
aus. Straftaten aus der Vergangenheit können schon bei der Bewerbung eine entschei-
dende Rolle spielen. Das hängt auch damit zusammen, dass Aspekte der Risikomi-
nimierung für Arbeitgeber deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Die Einstellung
insbesondere spezifisch Vorbestrafter birgt in der Tat gewisse Risken nicht nur im
Hinblick auf künftige Straftaten im und gegen das Unternehmen, sondern auch Haf-
tungsrisiken für Schäden, die bei Kunden oder sonstigen Dritten eintreten können
und für die bei Nichtbeachtung von Vorstrafen bei der Einstellung gegebenenfalls
ein Haftungsausschluss bei der eigenen Versicherung für Haftungsschäden greifen
kann. Gegebenenfalls könnte einem Betriebsinhaber sogar die gewerberechtliche
Haftung für Unzuverlässigkeit der Betriebsleiter, Geschäftsführer, Prokuristen, lei-
tenden Angestellten etc. drohen.74 Daher kommt den (arbeits-)rechtlichen Grenzen
des Fragerechts des Arbeitgebers in Bewerbungsgesprächen zu möglichen Vorstra-

70
Man erinnere sich nur an die medial vieldiskutierte fristlose Kündigung der Berliner
Supermarktkassiererin wegen Unterschlagung zweier Pfandbons im Wert von insgesamt
E 1,30 (Fall „Emmely“), die erst in dritter Instanz vom BAG aufgehoben wurde. In Anbetracht
der über 30-jährigen Betriebszugehörigkeit sah das Gericht eine Abmahnung als angemessen
an. Grundsätzlich könne in vergleichbaren Fällen aber auch eine ordentliche Kündigung in
Frage kommen. Vgl. BAG, NZA 2010, 1227 (und online).
71
Diese ist nicht gleichzusetzen mit einer Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen dem
angerichteten Schaden und den mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen Nachteilen; vgl.
Ascheid et al. 2017, § 626 BGB, Rn. 277. Dies erklärt die immer wieder bekanntwerdenden
Bagatellfälle um belegte Brötchen, Frikadellen, Maultaschen, etc.; weiter Rspr.-Hinw. aaO.,
Rn. 275.
72
Rspr.-Hinw. z. B. bei Ascheid et al. 2017, § 1 KSchG, Rn. 256 ff.
73
Bei Untersuchungshaft rekurriert man auf die unabsehbare Dauer, bei Strafhaft hingegen
auf deren konkrete Dauer.
74
Vgl. § 35 GewO; dazu Morgenstern 2019, 68 ff.
Strafen über Strafen 1089

fen im Allgemeinen und Haftstrafen im Besonderen große Bedeutung zu. Diese las-
sen sich freilich umgehen, indem er sich vom Bewerber ein Führungszeugnis vorle-
gen lässt.75
Aber auch am anderen Ende der Einkommensskala lauern Risiken. Auch für
CEOs, Vorstände und Manager auf der Leitungsebene greifen bei bestimmten Straf-
taten gesetzliche Tätigkeitsverbote.76 Entsprechende Fälle bedeuten oft einen tiefen
Einschnitt in die berufliche Karriere der Betroffenen.77 Über den Bereich strafrecht-
lich relevanten Fehlverhaltens hinaus gewinnt im Unternehmensbereich auch die zu-
nehmende Dichte an Soft-law-Standards zu Unternehmensethik und Compliance,
insbesondere durch die Weiterentwicklung des Unternehmensstrafrechts, immer grö-
ßere Bedeutung. Sie haben mutmaßlich vergleichbare Abschreckungswirkung wie
die gesetzlichen Disqualifizierungsbestimmungen. Die geforderte Selbstunterwer-
fung unter diese zusätzlichen – nichtstaatlichen – Kontroll- und Disziplinierungsre-
gime gilt heute als selbstverständliche Voraussetzung für die Bestellung.

4.2 Adressatenkreis

Potenziell betroffen von den hier nur ausschnitthaft behandelten außerstrafrecht-


lichen Beschränkungen bzw. Verlusten von Rechten oder Rechtspositionen können
grundsätzlich alle Personen sein, die zu einem maßgeblichen Zeitpunkt mindestens
einen – aktiven – Registereintrag haben. Statistische Angaben zu der Gesamtzahl der
registrierten Personen sind nicht veröffentlicht; sie kann auf etwa 6,2 bis 6,5 Millio-
nen geschätzt werden.78 Das entspricht ziemlich genau einem Zehntel der (strafmün-
digen) Bevölkerung.79 Je nachdem können darüber hinaus freilich auch ältere, bereits
getilgte Vorstrafen noch entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen, wenn sie an-
derweitig bekannt werden. Die Lebenszeitprävalenz ist mutmaßlich höher, was den
Kreis der möglichen Adressaten noch erweitert.80 Darüber hinaus ist zu beachten,
dass bei Personen aus dem EU/EWR-Ausland auch ausländische Registereinträge

75
Zum Ganzen Milthaler 2006; kritisch Jacobs & Larrauri 2016, die von „criminal record-
based employment discrimination“ sprechen.
76
Z. B. § 76 Abs. 3 Nr. 2/3 AktG, § 6 Abs. 2 Nr. 2/3 GmbHG.
77
Zum Ganzen Martin 2007 (zit. S. 38).
78
Auf einer älteren Website des Bundesamtes für Justiz ist für Juli 2011 eine Gesamtzahl
von ca. 6,3 Millionen Personen angegeben, vgl. https://web.archive.org/web/20110719121935/
http://www.bundesjustizamt.de/cln_115/nn_2036868/DE/Themen/Buergerdienste/BZR/BZR__
node.html?__nnn=true [30. 8. 2020].
79
Strafmündige Bevölkerung: 63,8 Mio.; vgl. Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung
2018, 509.
80
Eine kriminologische Studie aus den späten 1970er Jahren hat auf der Basis verschie-
dener Modelle errechnet, dass etwa ein Drittel der Dreißigjährigen (Männer) in Deutschland
schon mindestens einmal im Leben wegen eines Vergehens oder Verbrechens verurteilt wurde;
vgl. Keske 1979.
1090 Michael Kilchling

Relevanz entfalten können.81 Schließlich setzen, wie beschrieben, nicht alle Maßnah-
men stets eine rechtskräftige Verurteilung voraus.

5. Ausblick
Als (Zwischen-)Ergebnis ist festzuhalten, dass Deutschland über einen komple-
xen Mix deliktsbezogener Zusatzsanktionen verfügt, die im Hinblick auf ihren Ur-
sprung, ihre Begründung, ihren Anwendungsbereich, ihren Rechtscharakter, ihre In-
tensität und Reichweite sowie ihre potentiellen weiteren Folgewirkungen einen ko-
härenten konzeptionellen Rahmen vermissen lassen. Eine grobe Zweiteilung ist
gleichwohl erkennbar. Die erste Gruppe betrifft die strafrechtlichen Begleitsanktio-
nen, die – mit Ausnahme der (ihrerseits hybriden) Eingriffe in das Recht zum Führen
von Kraftfahrzeugen – bereits normativ restriktiv angelegt sind und von der Gerichts-
praxis nur zurückhaltend angewendet werden. Die große Mehrzahl der Restriktio-
nen, gerade auch die berufsbezogenen, findet sich außerhalb des strafrechtlichen
Normenbestandes. José Luis de la Cuesta spricht zurecht von versteckten („hidden“)
Maßnahmen.82 Obwohl sie einen konkreten Bezug zu strafrechtlich relevantem Vor-
verhalten haben, sind die daran anknüpfenden Konsequenzen der strafrichterlichen
Entscheidung faktisch entzogen (es sei denn sie werden bei der Strafzumessung an-
tizipiert wie im Fall der beamtenrechtlichen ,Höchststrafe‘). Mitunter wird kritisiert,
dass das Straf- bzw. Strafprozessrecht mit seinen weitreichenden Verfahrensgaran-
tien durch das Ausweichen in das Verwaltungsrecht quasi ausgehebelt werde.83 In
der Tat macht es einen Unterschied, ob eine Maßnahme am Ende eines ordentlichen
Strafverfahrens richterlich angeordnet oder von einer Verwaltungsbehörde oder
sonstigen Stelle verfügt wird. Innerhalb der jeweiligen Bereiche, ebenso wie zwi-
schen ihnen, gelten beispielsweise ganz unterschiedliche Ermessensregeln und Ver-
hältnismäßigkeitsmaßstäbe. Noch problematischer als die verwaltungsrechtlichen
erscheinen unter systemischer Perspektive schließlich die parallelen privaten Sank-
tionsregime, da sie als echte Konkurrenz zum staatlichen Strafmonopol verstanden
werden könnten.
Das Prinzip als solches ist konzeptionell dem Grundsatz nach freilich bereits im
zweispurigen Sanktionensystem mit seiner Unterscheidung von schuldabhängiger
Strafe und zusätzlicher84 präventiver Intervention – einschließlich solcher mit fakti-
scher Sanktionswirkung – angelegt. Dabei sollen die präventiven Instrumente rein
81
Dies gilt im strafrechtlichen Kontext inzwischen flächendeckend und darüber hinaus
auch in anderen Bereichen wie z. B. im Rahmen der Beurteilung der gewerberechtlichen Zu-
verlässigkeit; vgl. § 11c Abs. 1 Nr. 2 GewO.
82
Siehe oben Fn. 3; Fitrakis 2018 tituliert sie, nicht weniger treffend, als „invisible pu-
nishments“.
83
Siehe z. B. Rauls & Feltes 2019.
84
Der kumulative Einsatz von Strafe und Maßregel ist statistisch die bei Weitem häufigste
Konstellation.
Strafen über Strafen 1091

prognosebasiert im Hinblick auf die mutmaßliche Gefährlichkeit verhängt werden.


Demselben Prinzip folgen auch viele der außerstrafrechtlichen Beschränkungen, zu-
meist auf der Basis einer (Un-)Zuverlässigkeitsprognose, die wenig konkrete Sub-
stanz aufweist und in viele Richtungen dehnbar ist. Man arbeitet im Wesentlichen
mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die jedenfalls umgangssprachlich moralische
bzw. charakterliche Wertungen implizieren und daher tendenziell für Sachverhalte
mit Verbindung zu deliktischem (Vor-)Verhalten offenstehen. Noch weniger steuer-
bar ist dies im Hinblick auf die möglichen Reaktionen auf vermeintliches strafrecht-
liches Fehlverhalten im privaten Rechtsverkehr. Die rechtliche Kontrolle der nicht-
strafrechtlichen Maßnahmen erscheint daher a priori schwächer als die der strafrecht-
lichen.
Einer der wichtigsten Bezugspunkte für die außerstrafrechtlichen Beschränkun-
gen ist das Strafregister als primäre Informationsquelle. Dabei scheint das Wesen des
Registereintrags dogmatisch nicht abschließend geklärt zu sein. Im Hinblick auf
seine Bedeutung als Ausgangspunkt mitunter gravierender Rechtsfolgen gibt es
gute Gründe dafür, die Eintragung selbst als eigenständige (automatische) Nebenfol-
ge der strafrechtlichen Verurteilung einzuordnen.85 Reformen beim Zugang zu den
registerrechtlichen Informationen könnten ein Weg sein, um die Nutzung in nicht-
strafrechtlichen Angelegenheiten zurückzufahren.
Zwei vielbeschriebene gesellschaftliche Entwicklungen tragen mit zu dem be-
ständigen Bedeutungszuwachs der versteckten Sanktionen bei und lassen auch für
die nähere Zukunft eher eine weitere Ausweitung denn ein Zurückfahren erwarten:
der preventive turn und der zunehmende Punitivismus, gepaart mit der immer rigi-
deren Moralisierung des öffentlichen Lebens im Allgemeinen und des Wirtschafts-
und Unternehmensrechts im Besonderen. Unter jedem dieser Aspekte erscheinen
Straftäter und ehemalige Straftäter zuallererst als Risikogruppe. Bei Betrachtung
der Vielfalt potenzieller Restriktionen, ihrer Eingriffsintensität und ihrer unter Um-
ständen langen Dauer können die Betroffenen auch heute noch als Bürger zweiter
Klasse erscheinen, die nur beschränkten Zugang zu den Ressourcen normaler bürger-
licher Lebensführung haben.86
Diese Entwicklung konterkariert ein Stück weit den zivilisatorischen Fortschritt
in den Strafkonzepten, wie Albrecht ihn noch zum Ende der 1990er Jahre in dem dtv-
Handbuch der europäischen Kulturgeschichte87 als [vermeintlich] unumkehrbare
Entwicklungslinie beschrieben hatte.

85
Zum Ganzen ausführlicher Morgenstern 2019, 72 ff. (m.w.N.).
86
In diesem Sinne Meijer et al. 2019, 1.
87
Albrecht 1999.
1092 Michael Kilchling

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1995): § 45, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild (Hrsg.), Nomos-Kommentar
zum Strafgesetzbuch. Band 2. Baden-Baden.
Albrecht, H.-J. (1999): Strafen, Sanktionen, Tabus, in: W. Köpke & B. Schmelz (Hrsg.), Das
gemeinsame Haus Europa. Handbuch zur europäischen Kulturgeschichte. München,
S. 382 – 394.
Albrecht, H.-J. (2002): Antworten der Gesetzgeber auf den 11. September – eine vergleichende
Analyse internationaler Entwicklungen. Journal für Konflikt- und Gewaltforschung 4/2,
S. 46 – 76; www.uni-bielefeld.de/ikg/jkg/2-2002/albrecht.pdf [30. 08. 2020].
Albrecht, H.-J. (2017): § 45, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos-
Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Band 1. Baden-Baden.
Ascheid, R., Preis, U. & Schmidt, I. (2017): Kündigungsrecht. 5. Aufl. München.
Beck, I. (2012): Auswirkungen der Straftatverwirklichung auf öffentlich-rechtlich geregelte Be-
rufsstellungen. Frankfurt a. M. u. a.
Blitsa, D. & Michalopoulou, Z. (2018): Greece, in: E. Fitrakis (Hrsg.), Invisible Punishments.
European Dimension – Greek Perspective. Hellenic Ministry of Justice, Transparency and
Human Rights. Athen, S. 74 – 93.
Böse, M. (2017): §§ 69 bis 69b, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.),
Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band 1. 5. Aufl. Baden-Baden.
Brüning. J. (2017): Das Verhältnis des Strafrechts zum Disziplinarrecht. Unter besonderer Be-
rücksichtigung der verfassungsrechtlichen Grenzen staatlichen Strafens. Baden-Baden.
Dessecker, A. (2019): Intensive Supervision of Sexual and Violent Offenders in Germany, in:
S. Meijer, H. Annison & A. O’Loughlin (Hrsg.), Fundamental Rights and Legal Consequen-
ces of Criminal Conviction. Oxford u. a., S. 189 – 207.
Ehrhardt Mustaine, E. (2014): Sex Offender Residency Restrictions. Successful Integration or
Exclusion? Criminology & Public Policy 13/1, S. 169 – 177.
Fitrakis, E. (Hrsg.) (2018): Invisible Punishments. European Dimension – Greek Perspective.
Hellenic Ministry of Justice, Transparency and Human Rights. Athen.
Hillgruber, C. (2019): Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsausschlüssen (§ 13 Nr. 2 u. 3
BWahlG). Juristische Arbeitsblätter, S. 476 – 479.
Iaboni, L. (2015): Welcome to Miracle Village. The Marshall Project (26. 01. 2015): www.the
marshallproject.org/2015/01/26/the-residents-of-miracle-village [30. 08. 2020].
Jacobs, J.B. & Larrauri, E. (2016): European Criminal Records and Ex-Offender Employment.
Oxford Handbooks online. Oxford.
Jakobs, G. (2000): Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen
der Gegenwart, in: A. Eser, W. Hassemer & B. Burkhardt (Hrsg.), Die deutsche Strafrechts-
wissenschaft vor der Jahrtausendwende. Rückbesinnung und Ausblick. München, S. 47 – 56.
Jakobs, G. & Cancio Meliá, M. (2006): Derecho penal del enemigo. Cizur Menor (Navarra):
Thomson Aranzadi.
Strafen über Strafen 1093

Keske, M. (1979): Der Anteil der Bestraften in der Bevölkerung – Ein Überblick über nationale
und internationale Prävalenzraten. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 62/
5, S. 257 – 272.
Kinzig, J. (2018): Die Führungsaufsicht: Grundlagen, Reformen, empirische Erkenntnisse und
normative Probleme, in: Deutsche Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), Räume der Unfrei-
heit. Texte und Ergebnisse des 42. Strafverteidigertags Münster 2018. Berlin: Schriftenreihe
der Strafverteidigervereinigungen, S. 123 – 156.
Levenson, J.S. (2008): Collateral consequences of sex offender residence restrictions. Criminal
Justice Studies 21/2, S. 153 – 166.
Levenson, J.S. & Zgoba, M. (2015): Sex Offender Residence Restrictions: The Law of Unin-
tended Consequences, in: R. Wright (Hrsg.), Sex Offender Laws: Failed Policies, New Direc-
tions. 2. Aufl. New York, S. 180 – 189.
Marcks, P. (2019): GewO § 35, in: R. v. Landmann & G. Rohmer (Hrsg.), Gewerbeordnung
Kommentar. München.
Martin, C. (2007): Berufsverbote für Gesellschafter von Kapitalgesellschaften. Frankfurt a. M.
u. a.
Meijer, S., Annison, H. & O’Loughlin, A. (2019): Introduction, in: S. Meijer, H. Annison &
A. O’Loughlin (Hrsg.), Fundamental Rights and Legal Consequences of Criminal Convic-
tion. Oxford u. a., S. 1 – 23.
Milthaler, A. (2006): Das Fragerecht des Arbeitgebers nach den Vorstrafen des Bewerbers.
Frankfurt a. M. u. a.
Molketin, R. (2001): Zur Sperrfristbemessung bei der Entziehung der Fahrerlaubnis und (teil-
weiser) Inhaftierung des Betroffenen (§ 69a I 1, 2 StGB). Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht,
S. 65 – 67.
Morgenstern, C. (2019): The ,Stain of Conviction‘ – Penal Theory, Fundamental Rights and
Criminal Records in Germany, in: S. Meijer, H. Annison & A. O’Loughlin (Hrsg.), Funda-
mental Rights and Legal Consequences of Criminal Conviction. Oxford u. a., S. 65 – 86.
Nelles, U. (1991): Statusfolgen als „Nebenfolgen“ einer Straftat (§ 45 StGB). JuristenZeitung,
S. 17 – 24.
Oelbermann, J. (2011): Wahlrecht und Strafe. Baden-Baden.
Rauls, F. & Feltes, T. (2019): Der administrative Ansatz zur Prävention und Bekämpfung von
Kriminalität. Wird das Strafrecht durch das Verwaltungsrecht ausgehebelt? Die Polizei,
S. 1 – 8.
Röth, T. (2012): Nebenfolgen strafrechtlicher Verurteilung. Strafverteidiger Forum, S. 354 –
362.
Sanburn, J. (2014): Life Inside a Community of Sex Offenders. TIME vom 16. 9. 2014: https://
time.com/3705637/life-inside-a-community-of-sex-offenders/ [30. 08. 2020].
Sobota, S. (2015): Die Nebenfolge im System strafrechtlicher Sanktionen. Berlin.
Sobota, S. (2017): Die „Nebenfolge“. Eigenständige Reaktion oder Auffangbecken des Sank-
tionenrechts? Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, S. 248 – 256.
1094 Michael Kilchling

Streng, F. (1988): Mittelbare Strafwirkungen und Strafzumessung – Zur Bedeutung disziplinar-


rechtlicher Folgen einer Verurteilung für die Bejahung minder schwerer Fälle. Neue Zeit-
schrift für Strafrecht, 485 – 487.
Streng, F. (2012): Strafrechtliche Sanktionen. 3. Aufl. Stuttgart.
Tewksbury, R. (2007): Exile at Home: The Unintended Collateral Consequences of Sex Offen-
der Residency Restrictions. Harvard Civil Rights-Civil Liberties Law Review 42/2, S. 531 –
540.
Verrel, T. (2014): Fahrverbot als Hauptstrafe. Bonner Rechtsjournal, S. 135 – 138.
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction
in the Spanish Criminal Justice System1
By José Luis de la Cuesta

According to the principle of legality – more specifically, to its penal guarantee –,


the nature and extent of penal intervention should be clearly defined by a legal text
approved by the Parliament. This applies to the various punishments and measures
which can be imposed due to the perpetration of a criminal act and offense: not only
to fines and prison sentences, but also to punishments (principal and/or accessory)
consisting in barring2 or deprivation and/or restriction of other individual rights,
whose length and specific content must be legally established and determined by
the penal sentence.
However, criminological research has underlined that restrictions of rights often
appear as an indirect or collateral effect of conviction: “invisible”3 in a certain way,
since they are not mentioned by the penal sentence and cannot be considered its direct
consequence.
There are two fields in the specific and sectorial legislation where examples of this
kind are particularly relevant: access to employment and immigration and foreign
nationals, which constitute “major issues of concern in Europe since the second
half of the 1980s”.4

1
GICCAS IT 1372 – 19. English translation by Dr. Miren Odriozola, Lecturer in Criminal
Law. University of the Basque Country (UPV/EHU).
2
Under Spanish Criminal Law, barring from public employment or office, as well as pro-
fession, trade, industry or commerce or any other right is a type of punishment; it can also
constitute a security measure (Article 96.3: 1 – 5 years) if the subject committed the offense by
abuse of the office or in relation thereto, and presents the danger of committing other similar
acts again (Article 107). There are two modalities of barring: absolute barring – a dys-
functional anachronism (De Vicente Remesal 2014, 60) that can range from 6 to 20 years – and
special barring (from 3 months to 20 years). However, in other legal systems, such as Germany,
they are considered accessorial consequences (Nebenfolgen). Albrecht 2017, 1907.
3
Díez Ripollés 2014, 6.
4
Albrecht 2000, 131.
1096 José Luis de la Cuesta

1. Access to Employment
Spanish labor law does not mention criminal records among the causes of prohib-
ited discrimination in employment,5 and the practice shows that – even if Article 73.2
of the 1979 Penitentiary Organic Act orders that criminal records should never justify
“social or juridical discrimination” – they can have a negative influence in employ-
ment after conviction.6
1.1 Traditionally a clean criminal record was legally (or by means of a regulation)
required to access a public position or employment in the Administration, in the Po-
lice, in the Army …
Nowadays, in the absence of a general legal regulation, sectorial rules in different
fields (security & justice, health, contact with vulnerable collectives, gambling, cus-
toms and taxes, transport …) refer to criminal records as an element that needs to be
considered to get access to a long list of professions in the public and private sector.
Experts mention the following at the national level:7 prosecutors, judges, judicial
secretaries, prison officers, civil servants in the Justice Ministry, lawyers, notaries,
fire department officers, gatekeepers in public spectacles and other recreational ac-
tivities, directors of private insurance services, private security guards, employees in
areas of special security at airports, staff of adoption agencies, owners of private
education centers, school transport drivers, dental professionals, medical veterinar-
ians, betting offices’ and lottery’s administrators, gambling licensees and employees
in gambling houses, customs and commission agents, employees at the Treasury and
Spanish Bank, tobacco commerce licensees, accounts auditors, managers of financial
and crowd funding companies, drivers of vehicles for the transport of persons and
goods, among others.
Regulations at the regional and local level demand similar requirements for other
professionals (such as taxi drivers in various cities).
1.2 The content of all these norms is not unitary and sometimes the decision maker
is given a frame of discretion. As a consequence, not having a clean criminal record
does not always entail an automatic exclusion of the candidate; instead, it tends to
depend more on the nature of the offense and other elements.
For example, Article 8.5 of Act 45/2015 on volunteer activities prevents the fol-
lowing from engaging in this kind of activities: individuals who have criminal re-
cords – unless they have already been or should have been canceled – for domestic
or gender violence and a list of various offenses against life, integrity, freedom, moral
integrity or sexual freedom or indemnity of the partner or children; or for illegal traf-

5
Jacobs & Larrauri 2012, 12 f.
6
Jacobs & Larrauri 2016, 1 ff.; Kurtovic & Rovira 2017, 505 ff.
7
Larrauri 2013, 1 ff.
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction 1097

ficking or clandestine immigration of persons, or terrorism in relation to programs


where beneficiaries have been or may be victims of such crimes.8
In a similar vein, according to Article 13.5 of the Act on the Juridical Protection of
Minors, which implements the 2010 Council of Europe Convention and the 2011/92/
UE European Directive, individuals convicted of offenses against sexual freedom
and indemnity (including sexual aggression and abuse, sexual harassment, sexual ex-
hibitionism and provocation, prostitution and sexual exploitation and corruption of
children), and human trafficking cannot get access to and exercise professions and
activities which entail regular contact with children. The Sex Offender Registry9
is the competent registry to issue the “Certificate of Sexual Offences” that is man-
datory to work or exercise volunteer activities with regard to children (Article 9).
1.3 In any case, the data related to criminal records are not public in Spain
(Article 137.4 PC). Certainly, judicial activities are public and judgments are pro-
nounced in public audience (Article 12 Spanish Constitution). Even more, “any in-
terested person” can get access to the text of the judgments (Articles 235 & 266 of the
Judicial Power Organic Act 6/1985), guaranteeing victims’ anonymity and with full
respect for privacy (Article 8 ECHR)10 and other personal rights. Nevertheless, a
strict interpretation of these provisions applies, since the publicity of convictions en-
tails in a certain way “an additional punishment”:11 In this sense, the Constitutional
Court has acknowledged that even if the penal conviction does not violate per se the
right to honor, the publication of the judgment may be considered a violation of this
right if it is not exceptionally covered by the right to freedom of speech (Decision 50/
1983), and this is only accepted if making public the information contributes to shape
public opinion.12 As a consequence, only those citizens who show a specific and sin-
gular link with the content of the process can get the judgment. Furthermore, the
Spanish Agency for Data Protection has repeatedly insisted that the publication of
judgments with the convicts’ names is contrary to the Organic Act on Data Protec-
tion,13 and the publication of judgments (even by the courts) usually erases the real
names or changes them to fictitious ones in order to protect the convict’s privacy.

8
This provision was very much criticized by the organizations working in this field, taking
into account that some volunteering activities are very much related to rehabilitation, and that
persons who have previously committed an offense take part successfully supporting other
people with their experience; https://www.eldiario.es/sociedad/ONG-rechazan-antecedentes-
obstaculo-voluntariado_0_379712597.html [20. 05. 2020].
9
Regulated by Royal Decree 1110/2015, whose constitutionality is questioned. Molina
Blázquez 2016; Marco Francia 2018, 1 ff.; see also Fernández-Pacheco Estrada 2019, 46 ff.
10
Larrauri Pijoan 2014, 723 ff.
11
Larrauri 2011, 54.
12
Jacobs & Larrauri 2016, 5.
13
Jacobs & Larrauri 2010, 17 ff. In the same line, Article 11 d) of Act 5/2001 (Castilla-La
Mancha) (abrogated in 2018), on the Prevention of Mistreatment and Protection of Battered
Women, which permitted the reproduction of the final convictions on domestic violence, was
considered unconstitutional by most experts. Bustos Gisbert 2002, 11 ff.
1098 José Luis de la Cuesta

The Central Register of Convicted Persons is the competent file in Spain and all
punishments14 imposed to natural and juridical persons by a final judicial decision
must be registered there. Established with the purpose of serving the needs of the ju-
dicial system regarding recidivism and the decisions related to the suspension of the
execution of punishments, entries concerning criminal records (including also those
derived from foreign judgments) can be notified exclusively to the competent judges
(if they have been canceled, indicating this fact), to the person concerned, and in the
cases strictly foreseen by the law (Article 137.4):15 for instance, by prosecutors and
the judicial police.16
Non-favorable police records can also have a negative incidence to obtain various
permits. Integrated in official files, these data refer to information related to the pre-
vention and investigation of penal offenses or administrative infractions17 and they
deserve the protection established by Organic Act 11/1999 on data protection.
In any case, long time ago, the Constitutional Court declared (Decision 77/1985)
that requiring criminal records for the access to certain professions is not unconstitu-
tional – since it does not entail an absolute exclusion of all kinds of employment – and
the non-public nature of these data and files is not necessarily an obstacle to consider
them in private employment selection processes,18 since requiring the person con-
cerned to provide a certificate is not legally forbidden19 in an explicit way.

2. Immigration
As in the other countries, the impact of conviction (and post-conviction) on the
status of foreigners is very relevant in Spain.
2.1 Criminal records are usually an obstacle for foreigners to get access to resi-
dence and/or work permits in Spain. The absence of prison records in Spain or in
14
According to Article 137, security measures are also registered, being “only recorded in
the certifications the Bureau issues for use by Judges or Courts of Law, or the administrative
authorities, and in the cases established by Law”.
15
In a similar vein, Article 8 of Royal Decree 1110/2015, establishes that direct access to
the data contained in the Sex Offender Registry is limited to judges and courts (that can even
have notice of the entries that have been canceled), prosecutors and the judicial police. Public
entities for the protection of children may also ask for data in order to evaluate the situation of
lack of protection of a child (Article 9.4).
16
With the same purpose, Article 6 of Royal Decree 95/2009 also mentions the competent
authorities in the control of passports and entry to Spain, together with the police in charge of
weapons licenses.
17
Article 43 of Organic Act 4/2015 on the Protection of Public Safety established the
Central Registry of Infringements against Public Security, which gathers the information
needed in order to appreciate recidivism in further administrative proceedings.
18
Critically, Larrauri 2016, 10 f.
19
Jacobs & Larrauri 2012, 3 refer that “it is widely believed that employers rarely make
such request”, but “there are no empirical studies to confirm that impression”.
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction 1099

the country where the applicant resided in the last five years is a general requirement
to obtain initial administrative permits. However, the presence of criminal records
does not necessarily prevent their renewal: these are to be considered taking into ac-
count the incidence of pardons or conditional sentences or the suspension of the
execution of sentences of deprivation of freedom (for instance Article 31 Organic
Act 4/2000); in this sense, the case law20 has repeatedly underlined that non-favor-
able police reports exclusively based on police records should not be sufficient in
order to reject the permit.
2.2 Access to Spanish nationality can also be denied due to the presence of criminal
or police records, since they can be understood as an evidence of the lack of the
necessary “good civil conduct” (Article 22.1 Civil Code). However, the case law con-
siders that this “anachronistic” juridical concept should not be automatically excluded
because of the presence of criminal records and should also be affirmed in the absence
of conducts against public order, public security or public health or when a normal ful-
fillment of the civic duties which can be reasonably required21 is appreciated.
2.3 According to Act 12/2009, criminal records related to serious crimes, together
with the fact of being a threat for the community, can result, among others, in exclu-
sion and denial of asylum (Article 9), subsidiary protection (Article 12 b), and family
reunification (Article 41.5); they are even key elements in order to decide the with-
drawal of previous decisions (Article 44.1 a & c). In line with Article 33.2 of the 1951
Geneva Convention, they can also be an obstacle to the recognition of the principle of
“non-refoulment”.22
2.4 With regard to foreigners’ freedom of movement and residence, even if
Article 19 of the Constitution only refers to Spanish citizens, the Constitutional
Court extended this right to foreigners (Decision 94/1993), allowing only the limi-
tations established by the law or by a judicial decision. Article 5.2 of Organic Act 4/
2000 includes, in this sense, the possibility of restriction of foreigners’ right to move-
ment and residence by reasons of public security. Such decision needs to be adopted
with full respect for the sanctioning proceeding and in an individualized, proportional
and motivated way. According to this Article, the restrictive measures will not over-
come the essential and proportional time according to the circumstances, and may
only consist in the periodical presentation before the competent authorities or in
moving away from certain borders or specific places.
2.5 Nevertheless, the greatest incidence of conviction refers to deportation.
2.5.1 Post-conviction deportation is foreseen in the Spanish Penal Code
– as a security measure, called to substitute other security measures applicable to
foreigners not legally resident in Spain (it forbids that they return before ten
years) (Article 108); and
20
See also Decision 46/2014 of the Constitutional Court.
21
Galparsoro & Bárcena 2014, 22 ff.
22
Galparsoro & Bárcena 2014, 25 ff.
1100 José Luis de la Cuesta

– as a general way of substituting imprisonment of more than one year imposed to


foreigners, forbidding that they return within a term between 5 and 10 years (Ar-
ticle 89); exceptionally, deportation may also be decided after the partial execution
of the punishment – when considered necessary (in such case, it cannot exceed two
thirds of the sentence). With regard to those convicted to more than 5 years, de-
portation will be decided after the partial or total execution of the punishment. In
any case, they will be deported once she/he has been classified in third penitentiary
degree and/or has access to parole.
– However, no deportation will be ordered if, taking into account the foreigner’s
roots in Spain, it is considered non-proportional.23
2.5.2 But deportation after conviction can be also an administrative decision,
based upon the presence of criminal records that have not been yet canceled.
In order to remain in Spain after a first period of 90 days, non-European Union
citizens24 must obtain a permit of residence and work that is rejected in principle
in the case of individuals who have criminal records in Spain or in the countries
of previous residence (Article 31.5 Organic Act 4/2000). However, administrative
discretion is broad and, in practice, even non-favorable police records – that can
refer either to a criminal offense, or to an infringement of the Organic Act on the Pro-
tection of Public Safety or to any police detention, for instance, on the occasion of a
control of foreigners – are taken into account for this purpose.25 The same applies to
the renewal of initial permits (Article 31.7), as well as to long-time residence without
working (Article 32), even if not explicitly mentioned.26 If the foreigner does not ob-
tain the permit or it is not renewed due to the presence of criminal records, an “in-
direct administrative deportation”27 will normally follow (Article 31.7 a & 57.1).
Furthermore, direct administrative deportation28 can be applied “after the execu-
tion of the punishment”29 due to criminal records that have not been yet canceled,
even if the penal judge had not decided it, since Article 57.2 of the Foreigners’ Or-
ganic Act considers the following a ground for deportation of foreigners: the fact of

23
Furthermore, deportation of a European Union citizen is exceptional (only when it
entails a serious risk against public order or public security) and stricter requirements apply to
deportation of a foreigner who has resided in Spain during the last ten years.
24
European Union citizens can reside in the territory of the Union and do not need an
initial authorization, but must register at the Central Register of Foreigners, acquiring the
status of permanent resident after 5 years. Nevertheless, entrance and residence can be res-
tricted by reasons of public order, public security or public health; and therefore, criminal
records can be an evidence of some of these reasons, within certain limits (see Article 15.5
Royal Decree 240/2007).
25
In a critical sense, Larrauri 2016, 8 f.
26
Larrauri 2016, 9 ff.; see also, Galparsoro & Bárcena 2014, 4 ff.
27
Larrauri 2016, 5.
28
Larrauri 2016, 5.
29
García España 2016, 4 ff.
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction 1101

having been convicted, inside or outside Spain, due to an intentional penal offense
which is punished with “deprivation of liberty”30 of more than one year.
Experts criticize the excessive administrative discretion connected to administra-
tive deportation, and particularly, the large extent of Article 57.2 and its automatism,
as well as its condition of “collateral consequence” (if not formally, at least materi-
ally) of a penal nature, which is added after the criminal sentence and infringes the
“ne bis in idem” rule. However, Decision 236/2007 of the Constitutional Court did
not accept this objection, since it considered that deportation as a punishment and
administrative deportation have a “different legal basis”.31
2.5.3 The adoption of a “unitary vision” of the legal regime of deportation is ab-
solutely urgent in order to put an end to the inconsistencies of the present “crimmi-
gration”32 approach, which results in an unacceptable violation of “basic principles
and rights” of our legal system. The 2015 reform of Article 89 of the Penal Code33
fought, in a positive way, against the automatism of deportation, introducing criteria
which allow a better “individualization of the punishment of foreigners”.34 It is some-
thing that should also be introduced in the administrative regulation following the
jurisprudence of the European Court of Human Rights.35 Nevertheless, there are
still various points that deserve to be reconsidered in order to avoid, for instance,
the excessively afflictive penal treatment of foreigners who have roots in the coun-
try,36 as well as deportation of persons living in Spain, whose minor children hold
Spanish nationality. This should be considered contrary to Article 39 of the Spanish
Constitution, since the child is placed in a very difficult alternative, generating a risk
against his/her psycho-affective stability. It is also contrary to the most basic princi-
ples of familiar protection: if they remain in Spain, they will be raised in the absence
of the holder of the parental rights; and if they want to maintain the relationship with
his/her parents, they are obliged to leave Spain.37
2.5.4 Last but not least, even if the arrest of foreigners and their internment in a
Penitentiary Establishment are, in principle, submitted to the general regulation ap-
plicable to Spanish citizens,38 foreigners awaiting repatriation, delivery or the exe-
30
García España 2016, 20 recalls that Article 89 PC refers, however, to “imprisonment” of
more than one year, leaving outside its frame of application other punishments which entail a
deprivation of liberty defined by Article 35 PC: particularly, the personal subsidiary res-
ponsibility for failure to pay fines and permanent traceability.
31
Critically, Larrauri 2016, 13.
32
García España 2016, 29.
33
See Iglesias Ríos 2015, 173 ff.
34
García España 2016, 15.
35
Roig Torres 2014, 423 ff.
36
García España 2018, 119 – 144. On the juridical and practical problems of long-term
permits of residence in case of criminal records, see also Galparsoro & Bárcena 2014, 6 ff.
37
Galparsoro & Bárcena 2014, 6 f.
38
No separate legal treatment is foreseen for foreign prisoners apart from some specific
provisions on certain aspects as communication with embassies and consulates, collaboration
1102 José Luis de la Cuesta

cution of an administrative deportation order can be confined (up to 60 days) in the


Internment Centres for foreigners (CIE). Characterized by less adequate facilities,
overpopulation and hard life conditions, their regime generates multiple and very im-
portant criticism, urging for improvement and even for the closure of these Centres.39

3. Other Restrictions
Notwithstanding the difficulties in the access to employment or in the treatment of
foreigners and immigration, there are more examples of negative effects related to
penal convictions that are not directly foreseen by the criminal code or the penal
legislation.
Leaving aside those cases of inconsistencies between penal and administrative
legislation (for instance, in the electoral field)40 which result in “invisible”41 conse-
quences not foreseen by the Penal Code or Penitentiary rules,42 further restrictions
related to criminal (and even police or administrative) records are particularly nota-
ble in other areas:
3.1 This is the case of certain licenses, such as the licenses for gun ownership and/
or hunting license (Article 97, Royal Decree 137/1993, Weapons Regulation) where
criminal and police records are usually considered as an indicator of the risk that pos-
sessing and using weapons can generate (Article 98 Royal Decree), leading as a con-
sequence to the refusal of the permit/license.43 Furthermore, with regard to the legis-
lation on the juridical regime of ownership of potentially dangerous animals, records

of interpreters in prison and deportation …). Santacruz Iglesias, 2014. However, the absence
of specific normative provisions – together with the automatic identification of the absence of
regular documentation with a high risk of evasion – results in a source of institutional dis-
crimination in the day-to-day prison life, since it does not help surmount the barriers to
participation in prison life, to the enjoyment of term-release permits and visits and to their
access to open regime and parole. De la Cuesta 2007, 751 ff.
39
García España 2017; Martínez Escamilla 2016, 18 ff.
40
Larrauri 2015, 154.
41
Mauer & Chesney-Lind 2002.
42
In fact, contrary to the restrictions introduced by the new Penal Code to the punishment
of barring in the electoral field, all those who are finally convicted to deprivation of liberty are
ineligible during the term of the sentence (Article 6.2), as well as those convicted by judicial
decision, even if not final, if the crimes committed are rebellion, terrorism, crimes against
Public Administration or against State institutions, Brandáriz García 2012, 2.
43
In this sense, the case law has insisted on the need for an adequate consideration of the
personal and specific conduct, since the absence of penal convictions, as such, does not ensure
the right to own and carry weapons, and it allows a less restrictive treatment concerning
hunting, where poaching, and other infringements of hunting and weapons regulation, together
with the personal dangerousness and administrative or penal offenses due to drunk-driving,
constitute the most frequent reasons for denying a license. Palacios Blanco 2003.
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction 1103

may be an obstacle to obtain a license to own dangerous dogs (Article 3.1.b & c of
Royal Decree 287/2002, implementing Act 50/1999).
3.2 Criminal records can also have negative consequences related to family law.
On the one hand, concerning guardianship, Article 243 of the Civil Code excludes
from the exercise of guardianship not only the individuals who have been judicially
deprived of (or suspended in) the exercise of parental rights, and safekeeping and
education rights, fully or partially, but also those convicted to imprisonment during
the term of the sentence. Individuals convicted for any offense that may entail that
they will not perform guardianship adequately and persons with bad conduct or
who lack a known way of living (Art. 244) cannot be guardians either.
On the other hand, even if criminal records are not mentioned by national legis-
lation as an obstacle to the declaration of eligibility for international adoption (see
Article 10 of Act 54/2007), regional legislation in this area proceeds differently
and often requires the absence of criminal records.44
3.3 Concerning pensions and social aids, the Constitutional Court (Decision 114/
1987), long time ago, declared unconstitutional to remove the payment of the retire-
ment pension as a consequence of the commission of a penal offense. Nevertheless,
there are various examples in regional regulations regarding social and welfare allow-
ances where criminal records are taken into consideration in the procedure of adopt-
ing a decision (for instance, Article 7 of Decree 115/2006 – Extremadura – related to
social housing). Similarly, even if victim compensation is not to be affected by the
commission of further offenses or by criminal records, according to Article 3 of Act
35/1995, on the assistance of victims of violent offenses and offenses against sexual
freedom, the behavior of the beneficiary (contributing directly or indirectly to the
crime), her/his relationship with the perpetrator or the fact of belonging to an organ-
ization dedicated to violent offenses can justify the denial or reduction of the com-
pensation, if it becomes contrary to equity or public order.
3.4 In the academic field, academic titles or examinations should not be affected
as such by criminal records,45 but several regulations include as a strict requirement
the absence of criminal records in order to have access to student loans and grants.46
44
Article 16 of Decree 45/2005, on the adoption of children in Castilla-La Mancha, refers
to the absence of criminal records that could be considered negative for the protection and
development of the child. Article 233 – 11 of Act 25/2010, concerning the second book of the
Catalan Civil Code, allows using criminal records in the proceedings on custody in order to
determine the suitability of the person concerned. And Article 11 & 12 of Decree 114/2008
(Historical Territory of Bizkaia, in the Basque Country) not only pays attention to the criminal
records of the petitioner, but also requires the presentation of the criminal records of all the
persons aged more than 18 who live with her/him.
45
Nevertheless, Articles 2 & 5 of the obsolete 1975 Decree on Academic Discipline define
as serious infringements “those constituting penal offenses”, which can be sanctioned with
definitive or temporal separation of the service (for teachers and employees) (Article 3 a) or
temporal or definitive barring and/or expulsion (Article 6 a) of students.
46
See, for instance, Article 3.1 f of Order 16/2016 (Generalitat Valenciana).
1104 José Luis de la Cuesta

3.5 Among many other examples, individuals who have criminal records because
of their participation in an intentional offense can neither be members of a Jury
(Article 9, Organic Act 5/1995) nor notaries in relation to a popular initiative
(Article 10, Organic Act 3/1984). Individuals who are punished because of the per-
petration of serious crimes against life, personal integrity, freedom, sexual freedom
or indemnity, terrorism or any other serious crimes that generate a serious risk for life,
health or physical integrity can be submitted to the practice of biological and DNA
sampling (even coercive) (Art. 129 bis Penal Code). Furthermore, according to Ar-
ticle 71 of Act 9/2017, adopted to implement Directives 2014/23/EU and 2014/24/
EU, natural and juridical persons (and their managers and/or representatives) can be
excluded from contracts in the public sector not only if they are punished with barring
from the exercise of a profession, industry or commerce, but also in case of conviction
due to a long list of offenses.

4. Final Remarks
Even if the nuclear effects of criminal sanctions are clearly established by the law
according to the corresponding nature of each punishment (deprivation of liberty,
property, restriction of freedom …), day-to-day life shows that many other conse-
quences that affect civil rights often arise in the implementation of sentences or as
an additional consequence of them, thus aggravating the social exclusion of ex-of-
fenders, even for the rest of their life.47
Leaving aside the well-known example of prison sentences – where inmates face
serious problems to exercise their civil and/or political rights not limited by the prison
sentence unless a special regulation ensures the means to make them compatible with
the prison regime –, these effects (if not hidden, at least less visible) often come from
sectorial regulations that go beyond the contents and extent of the penal code, for
instance, in the electoral field or concerning deportation, which is a particularly seri-
ous case of normative discordance that deserves, naturally, very hard criticism.
Furthermore, an analysis of sectorial norms and practices clearly shows how often
police and criminal records, notwithstanding their not public nature, produce impor-
tant consequences in convicts’ rights even after the execution of the punishment. This
is particularly the case of foreigners’ law, where previous convictions and criminal
(or even administrative) records can result not only in deportation, but also in the de-
termination of ineligibility for residence and/or work permits (and renewal) and the
denial of access to nationality and international protection measures.
In a more general sense, the absence of criminal records is too often a legal or
regulatory requirement to exercise certain rights or to get access to services, aids
… and, particularly, to employment. It can, thus, happen that the penal judge does

47
Díez Ripollés 2014, 8.
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction 1105

not impose barring for a certain employment or profession as a punishment48 or as a


security measure,49 but, by virtue of criminal records, the same effect takes place and
persists even after the execution of the sentence: depriving the convict of employ-
ment, office or the exercise of profession, trade, industry or commerce.
This is hardly acceptable, especially when Article 73.2 of the 1979 Penitentiary
Organic Act clearly orders that criminal records – which were born with the exclusive
purpose of facilitating the evidence of recidivism (an aggravated circumstance de-
fined by Article 22.8 PC) – should never serve as “a basis for social or juridical dis-
crimination”.
A complete revision of the sectorial legal and regulatory approaches – with insuf-
ficiently justified different regimes – is urgently needed, as well as the reconsidera-
tion of the social and juridical effects of criminal records in the sense of assuring a full
implementation of the principle established by Article 73.2 of the Penitentiary Act
and to prevent hidden punishments and ensure a general (and legally defined) inte-
gration of the values and principles that need to be respected with regard to the con-
tents and use of criminal records, and the juridical remedies designed to guarantee
individual rights.

References

Albrecht, H.-J. (2000): Foreigners, Migration, Immigration and the Development of Criminal
Justice in Europe, in: P. Green & A. Rutherford (eds.), Criminal Policy in Transition, Oñati
International Series on Law and Society. London, pp. 131 – 150.

Albrecht, H.-J. (2017): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45,
in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen, Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
Baden-Baden, pp. 1907 – 1909.

Brandáriz García, J.A. (2012): La inhabilitación especial para el derecho de sufragio pasivo:
fundamento y deficiencias de una pena de aplicación masiva. Diario La Ley 5937, 1 – 6.

Bustos Gisbert, R. (2002): Sobre la Publicación en Páginas Web de Listados de Condenados


Penalmente: Los Casos de las Listas de Pedófilos, Maltratadores, Torturadores y Errores
Médicos. Revista Vasca de Administración Pública 62, 11 – 34.

De la Cuesta, J.L. (2007): Chapter 24. Spain, in: A.M. van Kalmthout, F.B.A.M. Hofstee-van
der Meulen & F. Dünkel (eds.), Foreigners in European Prisons, Vol. 2. Nijmegen, 751 – 780.

De Vicente Remesal, J. (2014): La pena de inhabilitación profesional: consideraciones desde el


punto de vista de los fines de la pena. Cuadernos de Política Criminal 113, 45 – 104.

48
According to Article 45 of the Penal Code, it needs to “be duly reasoned and specified in
the sentence”.
49
In this case, the offense should have been committed “by abuse of office or in relation
thereto and when an evaluation of the circumstances concurring may lead to the conclusion of
the danger of him committing the same offense or other similar ones again” (Article 107 Penal
Code).
1106 José Luis de la Cuesta

Díez Ripollés, J.L. (2014): Sanciones adicionales a delincuentes y exdelincuentes. Contrastes


entre Estados Unidos de América y países nórdicos europeos. InDret 4, 1 – 37.
Faraldo Cabana, P. & Puente, L.M. (2013): Las penas privativas de derechos y otras alternativas
a la privación de libertad. Valencia.
Fernández-Pacheco Estrada, C. (2019): Medidas que afligen como penas. La inhabilitación
para delincuentes sexuales para profesiones de contacto con menores. Revista Penal 43,
46 – 63.
Galparsoro, J. & Bárcena, P. (2014): Los antecedentes penales y sus consecuencias en materia
de extranjería, asilo y nacionalidad. Bilbao.
García España, E. (2016): La expulsión como sustitutivo de la pena de prisión en el Código
Penal de 2015. ¿De la discriminación a la reinserción? Revista electrónica de Ciencia
penal y Criminología 18 – 07, 1 – 31.
García España, E. (2017): Centros de Internamiento de extranjeros: motivos para su desapa-
rición. Boletín Criminológico 172/5, 1 – 6.
García España, E. (2018): El arraigo de presos extranjeros: más allá de un criterio limitador de
la expulsión. Migraciones 44, 119 – 144.
Iglesias Ríos, M.A. (2015): La expulsión de extranjeros, in: G. Quintero Olivares (dir.), Comen-
tario a la reforma penal del 2015. Pamplona, 173 – 188.
Jacobs, J.B. & Larrauri, E. (2010): ¿Son las sentencias públicas? ¿Son los antecedentes penales
privados? Una comparación de la cultura jurídica de Estados Unidos y España. InDret 4,
1 – 52.
Jacobs, J.B. & Larrauri, E. (2012): A Spanish Window on European Law and Policy on Em-
ployment Discrimination Based on Criminal Record. New York University Public Law and
Legal Theory Working Paper, Paper 310, 1 – 21.
Jacobs, J.B. & Larrauri, E. (2016): European Criminal Records and Ex-Offender Employment
2016, printed from Oxford Handbooks online, pp. 1 – 26.
Kurtovic, E &, Rovira, M. (2017): Contrast between Spain and the Netherlands in the hidden
obstacles to re-entry into the labour market due to a criminal record. European Journal of
Criminology 14/5, pp. 505 – 521.
Larrauri, E. (2011): Conviction records in Spain: obstacles to reintegration of the offenders?
European Journal of Probation 3/1, pp. 50 – 62.
Larrauri, E. (2013): ¿En qué empleos se exigen los antecedentes penales?: Actualización del
artículo RECPC 13 – 09 (2011). Revista electrónica de Ciencia penal y Criminología 15 – 3,
1 – 14.
Larrauri, E. (2015): Antecedentes penales. Eunomía 8, 153 – 159.
Larrauri, E. (2016): Antecedentes penales y expulsión de personas inmigrantes. InDret 2, 1 – 29.
Larrauri Pijoan, E. (2014): Criminal Record Disclosure and the Right to Privacy. Criminal Law
Review 10, pp. 723 – 737.
Marco Francia, M.P. (2018): La inscripción en el Registro de Delincuentes Sexuales, una pena
de inhabilitación especial contraria al principio de legalidad. A propósito de la Sentencia
Hidden and Less Visible Consequences of Conviction 1107

núm. 37/2018 del Juzgado de lo Contencioso-Administrativo núm. 3 de Zaragoza. La Ley


7044, 1 – 11.
Martínez Escamilla, M. (2016): Centros de internamiento para extranjeros. Estado de la cues-
tión y perspectivas de futuro. Revista electrónica de Ciencia penal y Criminología 18 – 23,
1 – 38.
Mauer, M. & Chesney-Lind, M. (eds.) (2002): The Collateral Consequences of Mass Imprison-
ment. New York.
Molina Blázquez, C. (2016): A propósito de la constitucionalidad del Real Decreto 1110/2015
que regula el Registro de Delincuentes sexuales; https://repositorio.comillas.edu/rest/bit
streams/22841/retrieve.
Palacios Blanco, J. (2003): Cuestiones sobre denegación y revocación de licencias de armas de
caza. Jurisprudencia aplicable. Revista Jurídica de la Comunidad de Madrid, n. 17; http://
www.madrid.org/cs/Satellite?c=CM_Revista_FP&cid=1109168498776&esArticulo=
true&idRevistaElegida=1109168491182&pagename=RevistaJuridica%2FPage%2Fhome_
RJU&seccion=1109168469706 [20. 05.2020].
Roig Torres, M. (2014): La expulsión de los extranjeros en el Proyecto de reforma del Código
Penal. Análisis desde la perspectiva del TEDH. Unas notas sobre el Derecho británico. Es-
tudios Penales y Criminológicos 34, 423 – 509.
Santacruz Iglesias, C. (2014): Análisis crítico de los derechos de los extranjeros privados de
libertad en España. Barataria 17/2, 109 – 125.
Rechtliche und soziale Folgen von Strafen
Von Axel Dessecker

Strafen gelten heute als unverzichtbar. Nicht nur sind sie in der Alltagskultur tief
verwurzelt, sie werden in der Straftheorie als ein wesentliches Element betrachtet,
das den Zusammenhalt der Gesellschaft gewährleisten soll (Abraham 2018,
247 ff.; Hassemer 2009). Strafrecht lässt sich viel leichter einführen als abschaffen.
Selbst einzelne Tatbestände, deren Anwendung in der Praxis zu absurden Konse-
quenzen führen kann, lassen sich kaum sinnvoll einschränken, wenn sie einmal
von Parlamenten beschlossen und in Kraft getreten sind. Beispiele kann das Sexual-
strafrecht ebenso liefern (Simon 2017) wie der im Umfeld der Tötungsdelikte mar-
ginale, aber symbolisch umso stärker aufgeladene Tatbestand der Werbung für den
Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB; Frommel 2018).
In dieser Lage ist es angebracht, erneut darauf hinzuweisen, dass Strafen viele Fol-
gen haben: rechtliche und soziale, gewollte und ungewollte, unmittelbare und ferner
liegende. Das hat Hans-Jörg Albrecht schon früh getan, als er sich im Rahmen eines
Freiburger Großprojekts über die Geldstrafe im System strafrechtlicher Sanktionie-
rung mit der Legalbewährung nach Verurteilungen zu Geld- und Freiheitsstrafen be-
schäftigt hat (Albrecht 1982, 7 ff.). Damals bestand ein großes wissenschaftliches In-
teresse, die Praxis der Geldstrafe als dominierende strafrechtliche Normalsanktion
umfassend zu erforschen. Zugleich ging es darum, die Sanktionensysteme mehrerer
Länder zum Gegenstand von Strafrechtsvergleichung zu machen, die der Geldstrafe
unterschiedliche kriminalpolitische Positionen einräumten (Grebing 1978).
International vergleichende Forschungen über Systeme der Kriminaljustiz und
ihre Sanktionen haben seither bedeutend zugenommen. Damit hat sich comparative
criminal justice als neue Disziplin etabliert (Harrendorf 2017). Diese Forschungen
gehen davon aus, dass sich Systeme der Kriminaljustiz verschiedener Länder im Hin-
blick auf ihre Effektivität beurteilen lassen. Das soll unabhängig davon gelten, ob
man sie typologisch einem Modell der materiellen Gerechtigkeit (substantive justice
model) zuordnen kann, das wie in den meisten westeuropäischen Ländern beispiels-
weise durch eine politischen Einflüssen weitgehend entzogene Staatsanwaltschaft
gekennzeichnet ist, oder ob ein Modell der demokratischen Verantwortlichkeit (de-
mocratic accountability model) nach dem Vorbild der USA angemessener erscheint,
in dem das Justizpersonal weitgehend von Ergebnissen lokaler, regionaler oder na-
tionaler Wahlen abhängig ist (Tonry 2016a). Solche Vergleiche kann man darauf be-
ziehen, wie sich verschiedene Strafarten verteilen, welche Rolle besonders harte
Sanktionen wie etwa unbefristete Freiheitsstrafen im Verhältnis zu kurzen Freiheits-
1110 Axel Dessecker

entziehungen oder ambulanten Alternativen spielen und wie hoch die Gefangenen-
rate ausfällt. Wenn man sich auf die Hauptsanktionen des Strafrechts bezieht, über
deren Anwendung in den meisten Ländern annähernd vergleichbare amtliche Statis-
tiken geführt werden, gibt es offensichtlich gute Gründe dafür, diese Daten auch für
vergleichende Darstellungen heranzuziehen.
Was die rechtlichen Folgen von Verurteilungen betrifft, konzentrieren sich ver-
gleichende Untersuchungen zumeist auf Verteilungen der Hauptsanktionen und
deren Erklärung mit Merkmalen des Strafrechts, des Strafzumessungsrechts, des
Systems der Kriminaljustiz und des politischen Systems insgesamt (Albrecht
2017; Tonry 2016b). Vergleichende kriminologische Forschungen zur Legalbewäh-
rung, die weniger auf amtliche Statistiken als auf Daten der Strafregister aufbauen,
betrachten die Wirkungen bestimmter Sanktionsformen ebenfalls eher global
(Yukhnenko et al. 2019). Dem entspricht es, dass über die rechtliche Anwendung
eher unübersichtlich geregelter Kollateralfolgen wenig oder nichts zu erfahren ist,
obwohl auch diese einschneidende Wirkungen haben können.
Weniger umfassend erforscht sind andererseits die sozialen Folgen von Strafen.
Dies gilt trotz einer seit langem immer wieder formulierten Strafrechtskritik und
trotz des hohen Anspruchs, dass gerade der Strafvollzug zur Resozialisierung führen
soll. Soweit empirische Forschungsarbeiten zu Haftfolgen vorliegen, sind sie zu
einem guten Teil darauf angelegt, ausgefeiltere Therapieprogramme wie etwa solche
sozialtherapeutischer Einrichtungen mit dem Regelvollzug zu vergleichen (Wössner
2014). Die Möglichkeiten der Verallgemeinerung solcher Erkenntnisse sind schon
dadurch begrenzt, dass die Sozialtherapie zwar bis heute eine Orientierungsfunktion
für die Entwicklung des Justizvollzugs in Deutschland erfüllt, sich vom Regelvollzug
der Freiheitsstrafe aber schon im Hinblick auf die Personalausstattung der zuständi-
gen Vollzugseinrichtungen deutlich unterscheidet. Allgemein wird gerade aus prak-
tischer Sicht in den letzten Jahren das Erfordernis eines zwischen Vollzugseinrich-
tungen und ambulanten sozialen Diensten abgestimmten Übergangsmanagements
betont. Einschlägige Forschungen konzentrieren sich jedoch auf die Kooperations-
formen der beteiligten Stellen (Matt 2016; Wegel 2019). Dass auf der Seite ehema-
liger Gefangener soziale Defizite vorhanden sind, wird weitgehend als gegeben vor-
ausgesetzt. Umgekehrt interessiert sich die in den letzten Jahren vor allem im inter-
nationalen Maßstab ausgebaute Forschung zu Prozessen des Ausstiegs aus Krimina-
litätskarrieren weniger für Defizite, eher für Ressourcen ehemaliger Gefangener, die
imstande sind zu erklären, dass auf die Dauer nicht Rückfälligkeit, sondern legales
Verhalten der Normalfall ist (Graebsch 2019; Shapland & Bottoms 2017).
Der vorliegende Beitrag ist nicht darauf angelegt, rechtliche und soziale Folgen
von Strafen umfassend zu erörtern. Die weiteren Ausführungen beschränken sich
notwendig auf einige allgemeine Hinweise und ausgewählte Beispiele. Zunächst
ist zu betonen, dass die Vielfalt der Sanktionen, die an eine strafgerichtliche Verur-
teilung anknüpfen, in der kriminologischen Diskussion unzureichend berücksichtigt
wird (1.). Daran schließt der Vorschlag an, unmittelbare rechtliche Folgen und Kol-
Rechtliche und soziale Folgen von Strafen 1111

lateralfolgen einer Verurteilung zu unterscheiden (2.). Weiter wird erörtert, wie sich
soziale Folgen strafrechtlicher Verurteilungen aus der Sicht allgemeiner soziologi-
scher Handlungstheorien darstellen lassen (3.). Abschließend werden mit Arbeit
und Familie zwei Felder sozialen Handelns fokussiert (4.).

1. Das Spektrum kriminalrechtlicher Sanktionen


Das deutsche Sanktionenrecht wird gelegentlich als wenig elaboriert gekenn-
zeichnet, vor allem im internationalen Vergleich (Dünkel 2018, 52). Diese letztlich
auf Reformen zielende Kritik unterschätzt tendenziell die Komplexität eines Sank-
tionensystems, das dem Schuldprinzip einen zentralen Platz zuweist und weit über-
wiegend dem Zweck der Individualprävention folgt.
Die Grundstruktur dieses Sanktionenrechts lässt sich mit den beiden Hauptstrafen
der Freiheits- und Geldstrafe und den beiden traditionell unterschiedenen „Spuren“
der Strafen und Maßregeln leicht überblicken. Auf dieser Grundlage kann man in
einer Dimension danach unterscheiden, ob die Sanktion mit einer Freiheitsentzie-
hung verbunden ist oder nicht, und in einer anderen danach, ob die Sanktion notwen-
dig an einen Schuldvorwurf gebunden ist oder nicht. Während das Kriterium der
Freiheitsentziehung trotz der Möglichkeiten vollzugsöffnender Maßnahmen im Jus-
tizvollzug und erst recht im psychiatrischen Maßregelvollzug hinreichende Trenn-
schärfe besitzt, erscheint die Unterscheidung von Strafen und Maßregeln nicht
immer zwingend. Der vorübergehende Entzug der Berechtigung zur Führung
eines Kraftfahrzeugs lässt sich gesetzgeberisch als Nebenstrafe (§ 44 StGB) oder
auch als Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 69 StGB) ausgestalten. Und min-
destens unter dem Gesichtspunkt des Menschenrechtsschutzes wird erheblicher ar-
gumentativer Aufwand nötig, um die Sicherungsverwahrung als Maßregel und nicht
als unbefristete Freiheitsstrafe erscheinen zu lassen (Dessecker 2016, 428).
Wenn es darum geht, Zwischenformen, Ausnahmen und Besonderheiten zu be-
rücksichtigen, welche die Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte in einiger Vielfalt
hervorgebracht hat, bleibt eine solche Betrachtung viel zu einfach. Auch wenn die
Einheits-Freiheitsstrafe als historische Errungenschaft gelten kann, tritt die Frei-
heitsstrafe in der Praxis der Gerichte wie aus der Perspektive der Verurteilten betrach-
tet in höchst unterschiedlichen Formen auf. Es ergibt einen gravierenden Unter-
schied, ob sie unmittelbar nach Rechtskraft eines Urteils zu vollstrecken ist, ob
sie zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 56 StGB) oder ob sie als Ersatzfreiheitsstrafe
erst dann vollstreckt wird, wenn die Vollstreckung einer Geldstrafe auf anderen
Wegen gescheitert ist (§ 43 StGB). Aus empirischer Sicht liegt es nahe, zur Bewäh-
rung ausgesetzte Freiheitsstrafen als ambulante Sanktionen zu betrachten (Jehle et
al. 2016, 26). Aus kriminalpolitischer Sicht sind häufig vorkommende Ersatzfrei-
heitsstrafen kritikwürdig (Dünkel 2018, 57 ff.).
1112 Axel Dessecker

Manche Sanktionsformen passen nicht in das Schema von Strafen und Maßregeln.
Hier hilft es wenig, unter dem Einfluss aktueller Entwicklungen der Kriminalpolitik
immer neue Vorschläge vorzubringen, eine dritte Spur des Sanktionenrechts zu er-
öffnen (Dessecker 2004, 18 f.), sei es bezogen auf Wiedergutmachung oder Vermö-
gensabschöpfung oder eine andere Gruppe von Sanktionen. Nicht umsonst hat sich in
den letzten Jahrzehnten keiner dieser Vorschläge durchgesetzt.
Das deutsche Kriminalrecht kennt zahlreiche Nebenentscheidungen (Kett-Straub
& Kudlich 2017, 155 ff.), die sich rechtssystematisch nur schwer auf einen Nenner
bringen lassen. Mit dem Fahrverbot (§ 44 StGB) existiert zwar nur eine einzige aus-
drücklich so bezeichnete Nebenstrafe. Trotz ihrer Ausrichtung auf Fälle der leich-
teren Delinquenz im Straßenverkehr ist sie durch die Gesetzesänderung von 2017 er-
weitert worden. Mittlerweile wird das Fahrverbot dementsprechend auch wegen an-
derer Delikte verhängt.1
Darüber hinaus gibt es nicht wenige Nebensanktionen mit jeweils eigenen Zielen,
die teils im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs geregelt sind, teils in Spezialge-
setzen. Manche unter ihnen lassen sich als Strafen verstehen, andere nicht. Dass sie
einen Sanktionscharakter haben und für die Betroffenen gravierende Folgen haben
können, gilt unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung. Hinzu kommt die Erwä-
gung, dass präventive Zielsetzungen bei einigen dieser Nebenfolgen von Bedeutung
sind. Das lässt sich insbesondere für die in den letzten Jahrzehnten mehrfach erwei-
terten Instrumente der Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. StGB) annehmen (Saliger
2017, 1000 ff.). Folgt man einer neueren Auffassung zur dogmatischen Begründung
von Nebenfolgen im deutschen Strafrecht, sind diese insgesamt dadurch gekenn-
zeichnet, dass sie der positiven Generalprävention dienen. Das bedeutet andererseits,
dass traditionell als Nebenfolgen verstandene Sanktionen wie etwa die Bekanntgabe
der Verurteilung gerade nicht mehr mit diesem Begriff zu erfassen sind (Sobota 2015,
158 ff.).
Die Schwierigkeiten wachsen, wenn man die Grenzen des deutschen Kriminal-
rechts überschreitet und daran interessiert ist, nationale Sanktionensysteme mitein-
ander zu vergleichen. Zudem ist damit zu rechnen, dass sich Rechtsfolgen und sozia-
le Folgen von Strafen überlagern.

2. Unmittelbare Rechtsfolgen und Kollateralfolgen


Eine Möglichkeit, das Feld jenseits der Hauptstrafen zu charakterisieren, ohne
sich bereits begrifflich von einer einzelnen Rechtsordnung und ihren dogmatischen

1
Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens
vom 17. 08. 2017 (BGBl. I 3202) ist am 24. 08. 2017 in Kraft getreten. In den Jahren 2017 und
2018 erfolgten nach der Strafverfolgungsstatistik jeweils rund 17 % der Verurteilungen zu
Fahrverbot wegen Straftaten außerhalb des Straßenverkehrs (Statistisches Bundesamt 2019,
356).
Rechtliche und soziale Folgen von Strafen 1113

Vorannahmen abhängig zu machen, bietet das Konzept der „Kollateralfolgen“. Diese


Bezeichnung bietet trotz ihres angloamerikanischen Ursprungs den Vorteil, dass sie
für internationale Vergleiche geeignet ist und sich dort etabliert (Corda 2019; Klein-
feld 2016; Kurtovic & Rovira 2017). Sie könnte auch im Deutschen darauf hinwei-
sen, dass es um mehr geht als um Nebenfolgen im Sinne des deutschen Rechts. Wie
alle Begriffe weist sie aber auch Unschärfen auf.
Vor allem Rechtsordnungen, die traditionell durch das Modell des common law
geprägt sind, kennen eine Fülle von Kollateralfolgen strafrechtlicher Verurteilungen
(U.S. Commission on Civil Rights 2019). Wenn man diese Kategorie allgemeiner be-
trachtet, kann schon die Rechtslage so unübersichtlich werden, dass dafür eigene Da-
tenbanken erforderlich sind.2 Auch für Forschungszwecke geeignete Definitionen
schließen sich an solche Werkzeuge der Strafrechtspraxis an. Nach einer neueren Be-
griffsbestimmung sind Kollateralfolgen typischerweise außerhalb des Strafgesetz-
buchs geregelt, werden von Institutionen außerhalb der Kriminaljustiz durchgeführt
und nicht als Strafen interpretiert (Uggen & Stewart 2015, 1874). Damit eignet sich
das Konzept als Sammelbegriff für höchst unterschiedliche Interventionen, die in ir-
gendeiner Weise an einer strafrechtlichen Verurteilung anknüpfen, ohne unmittelba-
rer Bestandteil des Sanktionsausspruchs zu sein.
Das Konzept der Kollateralfolgen ist damit allgemeiner angelegt als die Kategorie
der Nebenfolgen im deutschen Sanktionenrecht. Die neuere deutsche Dogmatik der
Nebenfolge geht über das Verständnis einer Residualkategorie hinaus. Nebenfolgen
werden vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass sie kraft Gesetzes eintreten, wenn
eine Hauptstrafe verhängt wird und spezifische weitere Voraussetzungen erfüllt
sind, und dass sie dem Zweck der positiven Generalprävention dienen (Sobota
2015, 158 ff.).
Das Konzept der Kollateralfolgen ist auch allgemeiner angelegt als der Vorschlag,
civil disqualifications zu thematisieren (von Hirsch & Wasik 1997). Denn dort geht es
allein um den Verlust von Rechtspositionen, der bestimmten Risiken entgegenwirken
soll, nicht um die Auferlegung von Mitwirkungspflichten. Ob die Eintragung in
einem Register für eine besondere Untergruppe „gefährlicher Straftäter“ jedoch
von Amts wegen erfolgt oder ob für die Verurteilten eine Art Meldepflicht statuiert
wird, dürfte für die Folgen einer solchen Registrierung nebensächlich sein. Den Be-
troffenen kann es auch gleichgültig sein, ob solche Sanktionen vom Gesetzgeber als
strafrechtliche eingeordnet werden oder nicht.
Damit ist keineswegs gesagt, dass diese Begriffsbildung ohne Nachteile ist. Eine
gewisse Vorsicht empfiehlt sich schon aus sprachlichen Gründen. Man läuft Gefahr,
ungewollt den Eindruck zu erwecken, dass die Folgen strafrechtlicher Verurteilungen
verharmlost werden sollen, weil der Begriff etwa im Zusammenhang mit Kriegs-
handlungen oder mit Menschenrechtsverletzungen, die als Maßnahmen der Krimi-

2
Siehe für die USA das seit 2012 betriebene National Inventory of Collateral Conse-
quences of Conviction; https://niccc.csgjusticecenter.org/.
1114 Axel Dessecker

nalitätsbekämpfung gerechtfertigt werden, ein mediales Eigenleben führt (Dessecker


2018, 477). Diese umgangssprachliche Vorbelastung sollte einem wissenschaftli-
chen Sprachgebrauch auf den Feldern der Kriminologie und der vergleichenden
Strafrechtswissenschaft nicht blockieren.
Berichte von Publikumsmedien erinnern zudem daran, dass Fachbegriffe nicht da-
gegen gefeit sind, an unpassender Stelle oder in wenig präziser Weise verwendet zu
werden. In manchen Fällen mag es schlicht darum gehen zu thematisieren, dass Stra-
fen irgendwelche Folgen haben. Dabei geht es teilweise weniger um rechtliche als
um soziale Folgen – etwa um Formen von Stigmatisierung, die nicht notwendig ge-
zielt herbeigeführt werden, aber die Wirkungen von Strafen empfindlich verschärfen
können (Hoskins 2018). Insoweit mag man die Frage stellen, worin der Nutzen der
Einführung eines neuen Begriffs liegen sollte. Denn Stigmatisierung als Folge von
Bestrafung ist in der Tradition des labeling approach und darüber hinaus seit langem
ein Forschungsgegenstand der Kriminologie.

3. Soziale Folgen
Wenn von den sozialen Folgen des Strafens die Rede ist, dürften schlichte Etiket-
tierungsansätze zu kurz greifen. Sie lassen sich jedoch ebenso wie die im Folgenden
angesprochenen soziologischen Handlungstheorien in umfassendere Theorien der
Kriminalität (Hess & Scheerer 2004) integrieren.
Die klassische Formulierung des Problems der unbeabsichtigten Folgen sozialen
Handelns stammt bekanntlich von Robert K. Merton (1936). Auch in einer späteren
Stellungnahme warnt Merton (1968, 48) vor der
„Tendenz, die soziologischen Beobachtungen auf die positiven Beiträge zu beschränken, die
ein soziologisches Phänomen zu dem sozialen oder kulturellen System leistet, in das es ein-
gebunden ist (…).“

Wichtig ist gerade für empirische Forschungen die Annahme, dass ein Phänomen
mehrfache Folgen haben kann und dass es möglich ist, eine „Nettobilanz der Gesamt-
folgen“ zu berechnen, besonders im Zusammenhang mit der „Gestaltung und Um-
setzung von Politik“ (Merton 1968, 48 f.).
Neuere Theorien haben diesen Ansatz fortgeführt. So betont Hans Haferkamp
(1983), dass neben erkannten und geplanten Handlungsfolgen, die in mehr oder we-
niger großem Ausmaß (oder überhaupt nicht) eintreten, auch Verhaltenswirkungen
als unbeabsichtigte Verhaltenseffekte zu berücksichtigen sind. Er weist darauf hin,
dass vor allem in Handlungszusammenhängen – die von mehreren Akteuren organi-
siert werden und sich auf zeitlich und räumlich verteilte weitere Handlungen bezie-
hen – das Problem der Unüberschaubarkeit von Folgen auftritt (Haferkamp 1983,
82 ff.).
Rechtliche und soziale Folgen von Strafen 1115

Einen Extremfall bildet die Konstellation, in der nicht der ursprünglich in erster
Linie geplante Effekt eintritt, sondern das Gegenteil. Auf solche Pervertierungen
handlungsleitender Intentionen ist besonders Raymond Boudon (1979) eingegangen.
Die allgemeinere Kategorie paradoxer Effekte definiert er als
„individuelle oder kollektive Effekte, die sich aus dem Zusammentreffen individueller Ver-
haltenssequenzen ergeben, ohne Teil der von den Akteuren mit ihren Handlungen verfolgten
Absichten zu sein.“

Vorausgesetzt werden nicht notwendig rational, aber intentional handelnde Ak-


teure. Auf dieser Grundlage entwickelt er eine sehr fein gegliederte Typologie unbe-
absichtigter Handlungsfolgen (Boudon 1979, 61 ff.). Zusätzliche Erweiterungen sind
von anderen vorgeschlagen worden (Wippler 1981, 248 f.). Gleichwohl wird der Bei-
trag Boudons meist als eine lockerer angelegte Theorie rationaler Entscheidungen
wahrgenommen.
Als besonders einflussreich in der neueren Theorieentwicklung kann das umfang-
reiche Werk von James S. Coleman (1990) gelten, das von vornherein auf eine Ver-
knüpfung des Verhaltens von Individuen mit dem von Organisationen angelegt ist.
Seiner Theorie liegt ein teleologisches Handlungsmodell zugrunde, das – spezifi-
scher als Boudon – Rationalität im Sinne des methodologischen Individualismus
als Handlungsziel definiert und ausdrücklich von einem Menschenbild ausgeht,
das mit dem anderer Disziplinen einschließlich der Rechtswissenschaft übereinstim-
me. Danach haben Handlungen positive oder negative externe Effekte, also Konse-
quenzen für Akteure, die keine Kontrolle über diese Handlungen ausüben. Diese ex-
ternen Effekte verändern wiederum die Anreizstrukturen für weitere Handlungen
(Coleman 1990, 17 ff.). Der Erklärungsanspruch geht über ökonomische Entschei-
dungen weit hinaus.
Handlungstheorien werden häufiger bemüht, wenn es darum geht, informelle so-
ziale Kontrolle in Alltagssituationen nachzuvollziehen. Sie sind aber so allgemein
angelegt, dass sie das Handeln in Organisationen nicht auszuklammern brauchen,
sondern eher als Spezialfall thematisieren. Die empirische Strafzumessungsfor-
schung orientiert sich dagegen bisher, soweit sie ihre theoretischen Voraussetzungen
offenlegt, hauptsächlich an der Annahme unterschiedlicher Punitivität (Albrecht
2017). Allgemeinere soziologische Handlungstheorien können aber auch herangezo-
gen werden, um Sanktionsentscheidungen im System der Kriminaljustiz jenseits des
immer zu berücksichtigenden Normprogramms zu erklären (Epstein, Landes & Pos-
ner 2013; Lüdemann & Ohlemacher 2002, 161 ff.). Trotz einer weitgehenden Ver-
rechtlichung kriminalrechtlicher Sanktionen verfügen die zuständigen Akteure,
also vor allem Gerichte und Staatsanwaltschaften, über beträchtliche Entscheidungs-
spielräume. Staatsanwaltschaften in Deutschland haben ein kaum eingegrenztes Er-
messen bei der Bewertung von Schuld und der Beurteilung des öffentlichen Interes-
ses an einer Strafverfolgung (§§ 153 I 1, 153a I 1 StPO). Gerichte können sich bei fast
allen Straftatbeständen innerhalb weiter Strafrahmen bewegen und haben nicht sel-
ten sogar die Möglichkeit, zwischen mehreren Strafrahmen zu wählen. Weiter flexi-
1116 Axel Dessecker

bilisiert wird die Sanktionierung durch Aushandlungsprozesse zwischen den wich-


tigsten Prozessbeteiligten, die von Gesetzgeber und höchstgerichtlicher Rechtspre-
chung nur unter großer Mühe eingehegt werden können.

4. Beispiele
Was bisher entwickelt wurde, lässt sich anhand von Beispielen leicht konkretisieren.

4.1 Arbeit

Wer zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wird, wird nach Rechtskraft


des Urteils schnell zum Haftantritt aufgefordert – wenn sich die verurteilte Person
nicht ohnehin bereits in Untersuchungshaft befindet. Spätestens der Haftantritt
wird dazu führen, dass diese Person einen vorher vorhandenen Arbeitsplatz verliert.
Das ist keineswegs eine unmittelbare rechtliche Folge der Verurteilung. Denn es gibt
Arbeitsverhältnisse, die sich so ausgestalten lassen, dass sie grundsätzlich mit einem
Aufenthalt im Justizvollzug vereinbar sind. Auch das Vollzugsrecht sieht Möglich-
keiten vor, den Fortbestand eines externen Arbeitsverhältnisses mit der Strafverbü-
ßung zu vereinbaren.
Als Kollateralfolge einer Verurteilung ist der Verlust eines Arbeitsplatzes nach
deutschem Recht dagegen keine völlig untypische Erscheinung. Kraft Gesetzes ein-
tretende Statusfolgen beschränken sich zwar im Wesentlichen auf Beamte und Be-
rufsgruppen mit beamtenähnlichem Status; sie betreffen beispielsweise Verurteilun-
gen zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlichen Tat (§ 24
I 1 Nr. 1 Beamtenstatusgesetz). Das Arbeitsrecht anerkennt jedoch etliche Konstel-
lationen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen bereits anlässlich des schlichten
Verdachts einer Straftat (Kamanabrou 2017, 408 ff.).
Arbeitslosigkeit gilt in der Praxis der Straffälligenhilfe als im Anschluss an Voll-
zugsaufenthalte regelmäßig auftretendes Problem, das es zu vermeiden gilt. Dieser
Eindruck lässt sich durch Daten belegen (Roggenthin & Ackermann 2019). Die Resul-
tate empirischer Forschungen über die Frage, inwieweit der Ausschluss von regulärer
Arbeit sich als nachweisbare Folge von Inhaftierungen erklären lässt, scheinen jedoch
deutlich davon beeinflusst zu werden, wie gut Selektionseffekte der Sanktionspraxis
kontrolliert werden können (Loeffler 2013). Beispielsweise konnte eine aktuelle Un-
tersuchung aus Schweden negative Auswirkungen einer Inhaftierung auf die Integra-
tion in den Arbeitsmarkt in erster Linie für solche ehemaligen Gefangenen nachweisen,
die davor eine Beschäftigung hatten, während zuvor Arbeitslose nach der Entlassung
aus dem Justizvollzug nicht häufiger arbeitslos waren. Im Vergleich von Personen mit
Bewährungsstrafen und ehemaligen Strafgefangenen wies die letztere Gruppe in den
ersten Jahren nach Haftentlassung eine etwas höhere Arbeitslosenquote auf, nicht aber
auf längere Sicht (Bäckman, Estrada & Nilsson 2018).
Rechtliche und soziale Folgen von Strafen 1117

4.2 Familie

Das Normprogramm des modernen Strafrechts ist nicht darauf angelegt, die Fa-
milien verurteilter Personen in „Sippenhaft“ zu nehmen. Dass Ehe und Familie durch
den Staat geschützt werden, gilt unabhängig von einem Gefängnisaufenthalt (Art. 6 I
GG). Die neueren Strafvollzugsgesetze sind dementsprechend darauf angelegt, Kon-
takte zu Familienangehörigen bis hin zu Langzeitbesuchen zu unterstützen, sofern es
nicht – wie bei Straftaten gerade gegenüber diesen Personen – besondere Gründe für
Ausnahmen gibt.
Aus der Sicht des Jugendhilferechts liegt die Einordnung des Entzugs der elter-
lichen Sorge (§ 1666 BGB) als Kollateralfolge einer strafrechtlichen Verurteilung
ziemlich fern; es handelt sich um eine Ausnahme für besonders schwere Sorgerechts-
verletzungen. Dennoch wird gelegentlich über Einzelfälle berichtet, in denen ein
Sorgerechtsentzug im Zusammenhang mit der Strafverfolgung von Eltern zumindest
erwogen wurde. Die veröffentlichte Rechtsprechung der Familiengerichte liefert
weitere Beispiele.3
Dagegen spricht einiges für die Annahme, dass zumindest der Vollzug längerer
Freiheitsstrafen nicht selten zu sozialen Folgen führt, die nicht allein die Gefangenen
selbst betreffen, sondern genauso ihre Familienangehörigen. Allerdings ist der Be-
stand an Forschungsergebnissen zu dieser Frage begrenzt (Borchert 2018).

4.3 Ausblick

Diese Beispiele lassen erwarten, dass eine genauere Betrachtung rechtlicher Fol-
gen und sozialer Folgen von Strafen lohnen würde. In beiderlei Hinsicht scheinen
Praxis und Wissenschaft meist unausgesprochen davon auszugehen, welche Konse-
quenzen eine strafrechtliche Verurteilung für die betroffene Person haben wird. Das
unübersichtliche Feld der Kollateralfolgen lässt aber mindestens erahnen, dass schon
die rechtlichen Auswirkungen strafrechtlicher Verurteilungen weit über den Rege-
lungsgehalt des Strafgesetzbuchs hinaus reichen können. Was die sozialen Folgen
von Strafen betrifft, fällt auf, dass über Lebenslagen ehemaliger Strafgefangener
in Deutschland wenig systematische Informationen vorhanden sind, obwohl soziale
Integration als Ziel strafrechtlicher Interventionen sogar Verfassungsrang besitzt.

Literaturverzeichnis

Abraham, M. (2018): Sanktion, Norm, Vertrauen: zur Bedeutung des Strafschmerzes in der Ge-
genwart. Berlin.
Albrecht, H.-J. (1982): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Frei-
burg.

3
OLG Koblenz 02. 12. 2011 – 13 UF 839/11; OLG Brandenburg 29. 01. 2009 – 9 UF 105/08
(= FamRZ 2009, 1683).
1118 Axel Dessecker

Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: C. Safferling, G. Kett-


Straub, C. Jäger & H. Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Hei-
delberg, S. 185 – 199.
Bäckman, O., Estrada, F. & Nilsson, A. (2018): Locked up and locked out? The impact of im-
prisonment on labour market attachment. British Journal of Criminology 58, S. 1044 – 1065.
Borchert, J. (2018): Familienorientierung im Strafvollzug: zum Stand der Forschung, in: J. Bor-
chert (Hrsg.), Für eine Familienorientierung im Strafvollzug: Grundlagen, Praxisansätze,
Konzeptionsentwicklung. Freiburg, S. 9 – 52.
Boudon, R. (1979): Widersprüche sozialen Handelns. Darmstadt.
Coleman, J.S. (1990): Grundlagen der Sozialtheorie. Band 1: Handlungen und Handlungssys-
teme. 3. Aufl. München.
Corda, A. (2019): The collateral consequence conundrum: comparative genealogy, current
trends, and future scenarios, in: A. Sarat (Hrsg.), After imprisonment: special issue. Bingley,
S. 69 – 97.
Dessecker, A. (2004): Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit: eine Untersuchung zum Maßre-
gelrecht. Berlin.
Dessecker, A. (2016): Constitutional limits on life imprisonment and post-sentence preventive
detention in Germany, in: D. van Zyl Smit & C. Appleton (Hrsg.), Life imprisonment and
human rights. Oxford, S. 411 – 434.
Dessecker, A. (2018): Die Kollateralfolgen von Strafen, in: K. Boers & M. Schaerff (Hrsg.), Kri-
minologische Welt in Bewegung. Mönchengladbach, S. 476 – 486.
Dünkel, F. (2018): Wege und Irrwege der Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems in
Deutschland, in: F. Dünkel, C. Fahl, F. Hardtke, S. Harrendorf, J. Regge & C. Sowada
(Hrsg.), Strafrecht – Wirtschaftsstrafrecht – Steuerrecht: Gedächtnisschrift für Wolfgang
Joecks. München, S. 51 – 65.
Epstein, L., Landes, W.M. & Posner, R.A. (2013): The behavior of federal judges: a theoretical
and empirical study of rational choice. Cambridge, MA.
Frommel, M. (2018): Der Streit um § 219a StGB: das Verbot des öffentlichen Anbietens oder
anstößigen Werbens für Dienste, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind, in: S. Bar-
ton, R. Eschelbach, M. Hettinger, E. Kempf, C. Krehl & F. Salditt (Hrsg.), Festschrift für Tho-
mas Fischer. München, S. 1049 – 1063.
Graebsch, C. (2019): Desistance-Fokussierung und Strafvollzug: über die Beendigung delin-
quenzgeprägter Lebensphasen. Forum Strafvollzug 68, S. 137 – 141.
Grebing, G. (1978): Die Geldstrafe in rechtsvergleichender Darstellung, in: H.-H. Jescheck &
G. Grebing (Hrsg.), Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht. Baden-Baden,
S. 1183 – 1358.
Haferkamp, H. (1983): Soziologie der Herrschaft: Analyse von Struktur, Entwicklung und Zu-
stand von Herrschaftszusammenhängen. Opladen.
Harrendorf, S. (2017): Justizieller Umgang mit kriminellem Verhalten im internationalen Ver-
gleich: Was kann ,,comparative criminal justice“ leisten? Rechtswissenschaft 8, S. 113 – 152.
Hassemer, W. (2009): Warum Strafe sein muss: ein Plädoyer. Berlin.
Rechtliche und soziale Folgen von Strafen 1119

Hess, H. & Scheerer, S. (2004): Theorie der Kriminalität, in: D. Oberwittler & S. Karstedt
(Hrsg.), Soziologie der Kriminalität: Sonderheft 43 der Kölner Zeitschrift für Soziologie
und Sozialpsychologie. Wiesbaden, S. 69 – 92.
Hirsch, A. von & Wasik, M. (1997): Civil disqualifications attending conviction: a suggested
conceptual framework. Cambridge Law Journal 56, S. 599 – 626.
Hoskins, Z. (2018): Criminalization and the collateral consequences of conviction. Criminal
Law and Philosophy 12, S. 625 – 639.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen: eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und
2004 bis 2013. Mönchengladbach.
Kamanabrou, S. (2017): Arbeitsrecht. Tübingen.
Kett-Straub, G. & Kudlich, H. (2017): Sanktionenrecht. München.
Kleinfeld, J. (2016): Two cultures of punishment. Stanford Law Review 68, S. 933 – 1036.
Kurtovic, E. & Rovira, M. (2017): Contrast between Spain and the Netherlands in the hidden
obstacles to re-entry into the labour market due to a criminal record. European Journal of
Criminology 14, S. 505 – 521.
Loeffler, C.E. (2013): Does imprisonment alter the life course? Evidence on crime and employ-
ment from a natural experiment. Criminology 51, S. 137 – 166.
Lüdemann, C. & Ohlemacher, T. (2002): Soziologie der Kriminalität: theoretische und empiri-
sche Perspektiven. Weinheim.
Matt, E. (2016): Die Perspektive Übergangsmanagement im Straffälligenbereich: Ausstiegsfor-
schung, Soziale Arbeit und Restorative Justice. Monatsschrift für Kriminologie und Straf-
rechtsreform 99, S. 269 – 284.
Merton, R.K. (1936): The unanticipated consequences of purposive social action. American So-
ciological Review 1, S. 894 – 904.
Merton, R.K. (1968): Manifeste und latente Funktionen, in: R.K. Merton, Soziologische Theo-
rie und soziale Struktur. Berlin, S. 17 – 81.
Roggenthin, K. & Ackermann, C. (2019): Lebens- und Problemlagen straffällig gewordener
Menschen und ihrer Familien. Informationsdienst Straffälligenhilfe 27/2, S. 9 – 17.
Saliger, F. (2017): Grundfragen der Vermögensabschöpfung. Zeitschrift für die gesamte Straf-
rechtswissenschaft 129, S. 995 – 1034.
Shapland, J. & Bottoms, A. (2017): Desistance from crime and implications for offender reha-
bilitation, in: A, Liebling, S. Maruna & L. McAra (Hrsg.), The Oxford Handbook of Crimi-
nology. 6th ed. Oxford, S. 744 – 766.
Simon, E. (2017): Wertungswidersprüche und Systemwidrigkeiten im 13. Abschnitt des StGB,
in: Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Hrsg.), Abschlussbericht. Berlin, S. 1272 –
1289.
Sobota, S. (2015): Die Nebenfolge im System strafrechtlicher Sanktionen: eine Untersuchung
zur Dogmatik der Nebenfolge sowie zur Einordnung von Normen als Nebenfolge. Berlin.
Statistisches Bundesamt (2019): Strafverfolgung 2018. Wiesbaden.
1120 Axel Dessecker

Tonry, M. (2016a): Differences in national sentencing systems and the differences they make.
Crime and Justice 45, S. 1 – 16.
Tonry, M. (2016b): Equality and human dignity: the missing ingredients in American senten-
cing. Crime and Justice 45, S. 459 – 496.
Uggen, C. & Stewart, R. (2015): Piling on: collateral consequences and community supervision.
Minnesota Law Review 99, S. 1871 – 1910.
U.S. Commission on Civil Rights (2019): Collateral consequences: the crossroads of punish-
ment, redemption, and the effects on communities. Washington.
Wegel, M. (Hrsg.) (2019): Übergangsmanagement aus dem Straf- und Massnahmenvollzug:
Praxisberichte aus der Schweiz. Bern.
Wippler, R. (1981): Erklärungen unbeabsichtigter Handlungsfolgen: Ziel oder Meilenstein so-
ziologischer Theoriebildung?, in: J. Matthes (Hrsg.), Lebenswelt und soziale Probleme: Ver-
handlungen des 20. Deutschen Soziologentages zu Bremen 1980. Frankfurt/M., S. 246 – 261.
Wössner, G. (2014). Wie kann man in der Sozialtherapie Therapieerfolg feststellen oder mes-
sen? Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 8, S. 49 – 58.
Yukhnenko, D., Wolf, A., Blackwood, N. & Fazel, S. (2019): Recidivism rates in individuals re-
ceiving community sentences: a systematic review. PLOS ONE 14/9; https://journals.plos.
org/plosone/article?id=10.1371%2Fjournal.pone.0222495.
Prison Privatization as a Potential Hazard
to Democratic States1
By Anthozoe Chaidou

In view of the high cost and the limited government budgets for criminal justice,
and particularly the correctional system, the idea of privatization has been gaining
ground, mainly with respect to the construction and maintenance of facilities, but
also their management. Despite the firm faith in its public character prevailing in Eu-
ropean countries, there are clear signs of a trend towards various forms of privatiza-
tion in the correctional system, in accordance with the long-standing respective poli-
cies of the Anglosphere.2
It is no coincidence that the United States and the United Kingdom pioneered in
this process of privatization: Following the neoliberal doctrine of “more market, less
state” and the associated policies of Margaret Thatcher (after 1979) and Ronald Rea-
gan (after 1981), the criminal justice system became part of the liberalization agenda,
including the privatization of such crucial public sectors as security and corrections.3
As with other areas of public expenditure, such as education and health, the correc-
tional system was targeted as being too expensive and inefficient.4 The emphasis was
on the financial aspect, thus paving the way for the involvement of the private sector.
The first private facility in the United States, the Silverdale Detention Center in Ten-

1
Translated and edited by T. Serassis.
2
Australia, Canada, New Zealand, the United Kingdom, and the United States. “It is
interesting that the development of privately operated prisons has emerged in a few English-
speaking countries. Part of this results from language barriers, making it difficult for American
firms to penetrate markets where English is not spoken widely (such as France, where the
Mitterand Government held discussions with officials of the Corrections Corporations of
America in the 1980s)” (McDonald 1994, 36).
3
According to Serassis 2003, 376, “privatization has been on the front line of neo-li-
beralism, given that it deprives the state of several of its functions, degrading it to the mere
‘regulator’ of the market system. Moreover, privatization in the criminal justice system con-
stitutes a direct intrusion into the ‘hard core’ of the state, ultimately putting into question its
very existence”.
4
As Tom Beasley, co-founder of CoreCivic, put it: “For two hundred years, nobody but
government had operated our prisons and jails. That lack of a comparative operation, that
absolute lack of competition, had lulled states and local governments into indifference in
dealing with what had become the lowest priority of government responsibilities – prisons”.
“A New Industry Emerges to Meet a Very Real Need” (https://www.corecivic.com/about/hi
story) [10.03. 2020].
1122 Anthozoe Chaidou

nessee5 was contracted in 1984 to the Corrections Corporation of America, now


known as CoreCivic.6
The process of privatization was further boosted by another aspect of neo-liberal
politics, namely the “tough on crime” policies – such as the War on Drugs, mandatory
minimum sentencing, “three strikes” laws – which rocketed the prison population.7
The number of prisoners in state and federal correctional facilities rose from 165,796
in 1950 to 329,821 in 1980 and 463,866 in 1984.8 This was coupled with an escalation
in illegal immigration, which created the need for more facilities to detain undocu-
mented immigrants facing deportation and administrative hearings. In 1984 the Im-
migration and Naturalization Service (INS)9 contracted to CoreCivic a detention fa-
cility in Texas, the Houston Processing Center.10

5
https://www.corecivic.com/facilities/silverdale-detention-center [10. 03. 2020].
6
Mason 2012, 2; Deckert & Wood 2011, 219. CoreCivic manages today 125 facilities in
the United States; https://www.corecivic.com/facilities [10. 03. 2020]. The other industry lea-
der, GEO Group, manages 129 secure facilities and processing centers (https://www.geogroup.
com/Locations) [10. 03. 2020], including facilities in Australia, Scotland and South Africa. A
third company, Management and Training Corporation, operates 23 correctional facilities, 12
prison and detention medical departments, and 5 detention centers (https://www.mtctrains.
com/about-us) [10. 03. 2020]. In addition, there is a large number of firms which provide
services and products to the corrections sector, from health care and education to surveillance
and security equipment (Kirchhoff 2010, 27 – 29).
7
“The prison population began to climb in the late 1970s as states and the federal gover-
nment cracked down on crime. One turning point was New York State’s 1973 imposition of
mandatory sentencing laws for drug offenses, under the administration of Gov. Nelson
Rockefeller. Other states followed. Initiatives included mandatory sentences for repeat armed
career criminals. […] In 1994, California voters and legislators approved Proposition 184, the
so-called Three Strikes Law. Among other things, the law set a minimum sentence of 25 years
to life for three-time offenders with prior serious or violent felony convictions. As this wave of
laws took effect, the imprisonment rate – based on the number of adults sentenced to terms of
more than one year – jumped from 133 per 100,000 in 1979 to 504 per 100,000 at the end of
2008. More than 2.3 million people were in the custody of state or federal prisons and local
jails at the end of 2008.” (Kirchhoff 2010, 6 – 8). See also Brickner & Diaz 2011.
8
Cahalan & Parsons 1986, 33. According to the Bureau of Justice Statistics (2019, 3), at
the end of 2017, the number of prisoners was 1,489,363, after reaching a peak of 1,615,487 in
2009.
9
The United States Immigration and Naturalization Service (INS) was an agency of the
U.S. Department of Labor from 1933 to 1940 and the U.S. Department of Justice from 1940 to
2003. It ceased to exist under that name when most of its functions were transferred to three
new entities – U.S. Citizenship and Immigration Services, U.S. Immigration and Customs
Enforcement, and U.S. Customs and Border Protection – within the newly created Department
of Homeland Security. The Immigration and Customs Enforcement (ICE), which is re-
sponsible for the operation of detention centers for illegal immigrants, was formed under the
Homeland Security Act of 2002. ICE has consistently been the best client of the private prison
industry: Among the immigrant detention population, 26,249 people – 73% of the total– were
confined in privately run facilities in 2017. The privately detained immigrant population grew
by 442% since 2002 (The Sentencing Project 2019).
10
https://www.corecivic.com/facilities/houston-processing-center [10. 03. 2020]. See also
Mason 2012, 2; Deckert & Wood 2011, 219.
Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States 1123

A third factor that facilitated the further expansion of privatization is the economy
itself, in a twofold manner: The prison industry11 is a multi-billion one, based on pub-
lic contracts, while at the same time attracting huge amounts of money by investors
(banks and the stock market). In a rather precarious environment, the correctional
system presented itself as a relatively secure and profitable business opportunity.12
As Welch & Turner (2007 – 08, 57) describe the situation:
[…] on Wall Street the larger corrections industry has created a bull market – further evi-
dence that crime does indeed pay. Tremendous growth in the prison population, coupled with
astonishing increases in expenditures, has generated a lucrative market economy with seem-
ingly unlimited opportunities for an array of financial players: entrepreneurs, lenders, in-
vestors, contractors, vendors, and service providers. In 2000, the World Research Group
and the Reason Foundation hosted their Fifth Privatizing Correctional Facilities conference
in San Antonio, Texas, under the banner “Grow Profits and Maximize Investment Oppor-
tunities in This Explosive Industry”. Without much hesitation, corporate America has caught
the scent of new public money. The Dallas meeting included representatives from AT&T,
Merrill Lynch, Price Waterhouse, and other golden logo companies. The prison industry
also has attracted other capitalist heavyweights, including the investment houses of Gold-
man Sachs and Salomon Smith Barney, who compete to underwrite corrections construction
with tax-exempt bonds that do not require voter approval. Defense industry titans Westing-
house Electric, Alliant Techsystems, Inc., and GDE Systems, Inc. (a division of the old Gen-
eral Dynamics) also have entered the financial sphere of criminal justice, not to mention
manufacturers of name-brand products currently cashing in on the spending frenzy in cor-
rections.

On the other hand, the financial crisis and economic globalization in production
and trade led to the deterioration of many industrial and agricultural communities,
which were witnessing plants shutting down or agricultural production diminishing
in value, leaving large parts of the population unemployed or impoverished. Whereas
in the past a correctional facility constituted a negative element, triggering reactions
against the establishment of a new one or towards the removal of an existing one,
local authorities took to pains to attract private facilities (especially minimum-secu-
rity ones), which would secure jobs and businesses. In the words of Welch & Turner
(2007 – 08, 57):

11
Selman & Leighton (2010, 78) use the term “prison-industrial complex”, “which in turn
is part of a larger criminal justice–industrial complex. These terms derive from the idea of the
military-industrial complex that President (and former general) Dwight D. Eisenhower warned
of in his Farewell Address”. Chambliss (2001, 33) coined the broader term “law enforcement-
industrial complex”, which “is sustaining some of the fastest-growing corporations and some
of the most-powerful lobbies in the country. Providing equipment to law enforcement agencies
and food for 2 million prisoners is a huge industry. In addition, states are increasingly turning
over the ownership and management of prisons to private corporations.”
12
In a recent report Worth Rises (2019), “a non-profit advocacy organization dedicated to
dismantling the prison industry”, exposes over 3,900 companies profiting off the carceral state
across 12 sectors – ranging from construction to transportation and healthcare to tele-
communications; https://worthrises.org/picreport2019 [10. 03. 2020]. For a detailed description
of the prison industry see Kirchhoff 2010, 25 – 29.
1124 Anthozoe Chaidou

Imprisonment has become big business, and the bitter “not-in-my-backyard” attacks on pris-
ons have been replaced with proud proclamations, such as the sign in Canon City, Colorado,
reading “Corrections Capital of the World”. The mayor of Canon City boasts, “We have a
nice, nonpolluting, recession-proof industry here”. In Leavenworth, Kansas, a community
that recently added a private prison to an already extensive corrections system that features a
federal penitentiary, a state prison, and a military stockade, a billboard quips “How about
doin’ some TIME in Leavenworth?” Bud Parmer, site acquisition administrator for the Flori-
da Department of Corrections conceded, “There’s a new attitude… small counties want a
shot in the arm economically. A prison is a quick way to do it”. Economically strapped
towns induce jail and prison construction by offering land, cash incentives, and cut-rate
deals on utilities; in return for these accommodations, locals receive jobs and spurs to
other businesses such as department stores, fast-food chains, and motels, all of which con-
tribute to the tax base.

Ironically, deprived communities13 joined large corporations in making money out


of the correctional system.
Australia was the first country to follow: Its first private prison, the Borallon Cor-
rectional Centre in Queensland, opened in January 1990.14 Currently, Australia holds
the first place worldwide with respect to the percentage of prisoners (19.8%) held in
privately operated prisons, which comprise about 10% of the total prisons in the
country (10 out of a total of 103).15
At about the same time, in the United Kingdom the Conservative government also
fostered privatization in the prison system, since “Margaret Thatcher had a strong
desire to extend the free market in public services based on the contested assumption
that private sector provision would be more cost effective, efficient and catalyze sys-
tem-wide improvement” (Panchamia 2012, 1). In May 1992 HMP Wolds in East
Yorkshire, the UK’s first privately run prison, opened under the management of

13
According to a 2004 study by Iowa State University, “small towns that acquired a state
prison during the 1990s had higher poverty levels, higher unemployment, lower household
wages and lower housing values than similar towns without a prison” (Kirchhoff 2010, 31).
14
The operator was the Corrections Company of Australia (CCA), which is a consortium
equally owned by the Corrections Corporation of America, the John Holland construction
group, and Wormald’s Security Ltd. (Harding 1992, 1). In 2007 it was taken over by Serco. It
closed in 2012 and re-opened in 2016 under public control (“Borallon prison re-opens as
‘training centre’ jail”, Brisbane Times, 15 March 2016; https://www.brisbanetimes.com.au/
national/queensland/borallon-prison-reopens-as-training-centre-jail-20160315-gnj60h.html)
[10. 03. 2020].
15
Australian Government Productivity Commission: Report on Government Services 2020
– Section 8: Corrective services, released on 29 January 2020; https://www.pc.gov.au/research/
ongoing/report-on-government-services/2020/justice/corrective-services [10. 03. 2020]. In
terms of absolute numbers, the United States has the lead with 121,718 prisoners in 2017 (after
a peak in 2012 with 137,220), representing 8.2% of the total state and federal prison popula-
tion. Since 2000, the number of inmates in private prisons has increased 39% (The Sentencing
Project 2019, 1).
Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States 1125

G4S.16 The involvement of private companies continued in the next decades under
both Conservative and Labour Parties (Panchamia 2012, 1; Helyar-Cardwell
2012, 6), raising the number of private prisons, contractually managed by private
companies such as Sodexo Justice Services, Serco Custodial Services and G4S Jus-
tice Services, to 14.17
In Canada, Management and Training Corporation was awarded in 2001 by the
then provincial conservative government a contract to operate the Central North Cor-
rectional Centre, in Penetanguishene, Ontario. Following serious protests, the con-
tract was not renewed when a liberal government came to power. The same happened
with the Miramichi Youth Detention Facility in New Brunswick, a facility financed
and built by GEO, which the province has leased back from the company since
1998.18
In New Zealand the Auckland Central Remand Prison (Mount Eden Prison) be-
came in July 2000 the first private prison, operated by GEO Group Australia. In 2005
it was taken under public control by the Labor government and in 2010 it was con-
tracted to Serco by the National government, until it was given back to the New Zea-
land Department of Corrections in 2015, as a result of serious problems. Since then
New Zealand has turned to the Public-Private Partnership model.19
A Public-Private Partnership (PPP) can be defined as “a long-term contract be-
tween a private party and a government entity, for providing a public asset or service,
in which the private party bears significant risk and management responsibility and
remuneration is linked to performance”.20 These partnerships are primarily used in
various areas of state responsibility, such as health, education, and public utilities,
but they have been increasingly invading the justice system for the provision of
goods and services, even in sensitive areas, such as security or corrections. In the cor-
rectional system, they can include financing the building of a prison and operating
certain functions such as maintenance, healthcare, catering or the provision of reha-
bilitation and educational activities by private companies. Several European coun-

16
In 2012 it was brought under state control (“G4S loses Wolds prison contract”, BBC, 8
November 2012; https://www.bbc.com/news/uk-20252359) [10. 03. 2020].
17
See H.M. Prison Service: Contracted-out prisons; https://www.justice.gov.uk/about/
hmps/contracted-out [10. 03. 2020]. Two additional private prisons operate in Scotland on be-
half of the Scottish Prison Service; https://www.sps.gov.uk/Corporate/Prisons/Prisons.aspx
[10.03. 2020].
18
B. Poynter: “Private prison companies look to Canada as industry faces lawsuits in US”,
The Guardian, 19 June 2012; https://www.theguardian.com/world/2012/jun/19/private-prison-
companies-canada-lawsuits [10. 03. 2020].
19
In 2015 the Auckland South Corrections Facility was established. It is a high security
men’s prison for Maori, operated by Serco New Zealand under a Public-Private Partnership
with the Department of Corrections; https://www.corrections.govt.nz/about_us/getting_in_
touch/our_locations/auckland_south_corrections_facility [10. 03. 2020].
20
PPP Knowledge Lab Reference Guide; https://pppknowledgelab.org/guide/sections/1-in
troduction [10. 03. 2020].
1126 Anthozoe Chaidou

tries, including France and Germany,21 tend to employ this model of “soft” privati-
zation.22 It should be noted that – apart from its general popularity as a business tool –
the PPP model was also an “entrepreneurial maneuver” of the prison industry: Ac-
cording to Selman & Leighton (2010, 109),
the expansion of private prisons revealed a number of problems with their operations – riots,
escapes, and human rights violations to name just a few. In response to these events and the
media coverage of them, private prisons toned down their rhetoric about how poorly the gov-
ernment ran prisons and their own claims about superiority. The new talking points empha-
sized public-private partnerships and focused criticism on the contracts they had negotiated
with government agencies. This implicitly put the blame on government when the compa-
nies tended to have the upper hand because they had more expertise with contracts than gov-
ernment did. (p. 104) […] In response to problems at CCA [Corrections Corporation of
America – CoreCivic] facilities, spokesperson Susan Hart suggested, “Let’s all be working
together to come up with the best solution”. Apparently, the problem was not low wages,
high turnover, and minimal staffing; what was needed was “a better way to privatize”.
When the hype about superiority and managing an entire state prison system was no longer
tenable, the rhetoric became about public-private partnerships.

The efficiency of private prisons in comparison with public prisons – the main
argument of the neo-liberal model – has been extensively questioned and to a
large extent debunked.23 Both in financial terms and with respect to operation and
outcome, the private sector does not seem to have delivered what it proclaimed. Tak-
ing into consideration all relevant parameters, private prisons did not prove to be less
21
France started outsourcing maintenance services as early as 1987 (Guilbaud 2011). In
Germany, the Justizvollzugsanstalt Waldeck, which opened in July 1996, was built by a private
company and leased to the Ministry of Justice of Mecklenburg-Vorpommern; http://www.
justiz-in-mv.de/jvaw/facts-in-english [10. 03. 2020]. In January 2001, the Justizvollzugsanstalt
Hünfeld in Hessen was the first semi-private prison in Germany, constructed and maintained
by Serco GmbH; sovereign functions and security remained in state hands (Bericht der Ver-
einigung Hessischer Strafverteidiger; http://www.stvh.org/sites/default/files/jva.pdf [10. 03.
2020]. It is no surprise that the new prison was welcomed as an economic opportunity, espe-
cially for employment (V. Wolff: “Justizvollzugsanstalt Hünfeld gibt Arbeitslosen eine Chan-
ce”, Die Welt, 22 June 2005; https://www.welt.de/print-welt/article677687/Justizvollzugs
anstalt-Huenfeld-gibt-Arbeitslosen-eine-Chance.html) [10. 03. 2020]. For the situation in Ger-
many and the constitutional implications, see also Nowak 2017, 126 – 128.
In Greece, the newly elected conservative government, in regulating the relocation of the
Korydallos Prison Complex outside of Athens, introduced the PPP model for the construction
and maintenance of the new facilities (article 185 of Law 4662/07 – 02 – 2020). A similar
model is being used for immigrant detention centers, in view of the gravity and urgency of the
problem.
22
Penal Reform International (2015), 24 – 25. See also Cabral & Saussier 2013. As Nor-
wak (2017, 131) points out: “the separation of the security functions from the administrative
functions makes it difficult to create a uniform policy and to define goals and the global prison
industry is not that interested in investing in a public-private partnership with an unclear
division of labor and powers”.
23
See among others: Mason 2012, 6 – 12; Gran & Henry 2007 – 08, 175 – 177; Austin &
Coventry 2001; Brown 2004, 106 – 108. Selman & Leighton (2010) offer a detailed analysis in
chapter 5: A Critical Look at the Efficiency and Overhead Costs of Private Prisons (129 – 158).
Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States 1127

expensive and their operation has been rather problematic and subject to accusations
and lawsuits on several occasions. This situation is clearly demonstrated in a mem-
orandum on “Reducing the Use of Private Prisons” issued by Sally Yates, Deputy At-
torney General of the Obama Administration, on 18 August 2016:
Time has shown that private prisons compare poorly to our own Bureau [of Prisons] facili-
ties. They simply do not provide the same level of correctional services, programs, and re-
sources; they do not save substantially on costs; and as noted in a recent report by the De-
partment’s Office of lnspector General, they do not maintain the same level of safety and
security. The rehabilitative services that the Bureau provides, such as educational programs
and job training, have proved difficult to replicate and outsource – and these services are
essential to reducing recidivism and improving public safety.

Her memorandum included a quite ambitious statement: “For all these reasons, l
am eager to enlist your help in beginning the process of reducing – and ultimately
ending – our use of privately-operated prisons”.24
In addition to the criticism on cost-efficiency and performance it has received,
prison privatization raises an important issue regarding the role of the state.
On the basis of the Weberian definition of the state as “a human community that
(successfully) claims the monopoly of the legitimate use of physical force within a
given territory”,25 criminal justice is considered the “hard core” of the state, to be
administered and controlled solely by its institutions. This ensures the democratically
legitimized operation of the system, based on the rule of law. Privatization in correc-
tions violates this principle and jeopardizes the fundamental human rights to personal
liberty and dignity. In a milestone decision in 2009, the Supreme Court of Israel de-

24
The memorandum (https://www.justice.gov/archives/opa/file/886311/download [10. 03.
2020]) followed a damning investigation report by the Federal Bureau of Prisons (2016). As a
result, within an hour of the news on the government’s intention, the shares of the Corrections
Corporation of America (now CoreCivic), the nation’s biggest operator of private prisons, had
fallen in value by 52% and those of the GEO group, the second-largest private prison firm, also
fell by more than 45%. (For an extensive report, see Swaine, Laughland & Kasperkevic: US
Justice Department Announces it will End Use of Private Prisons, The Guardian, 18 August
2016; https://www.theguardian.com/us-news/2016/aug/18/us-government-private-prisons-use-
justice-department [10. 03. 2020]. However, on 9 November, the day after Donald Trump won
the elections, the Corrections Corporation of America saw its stock price jump 43 percent; its
leading competitor, the GEO Group, rose 21 percent. (“Under Mr. Trump, Private Prisons
Thrive Again”, Editorial, The New York Times, 24 February 2017; https://www.nytimes.com/
2017/02/24/opinion/under-mr-trump-private-prisons-thrive-again.html [10. 03. 2020]. On 21
February 2017, Jeff Sessions, Attorney General of the Trump Administration, rescinded Yates’
memorandum; https://www.justice.gov/oip/foia-library/attorney_general_memorandum_advi
sing_the_federal_bureau_of_prisons_that_the_department_will_continue_to_use_private_pri
sons.pdf/download [10. 03. 2020]. Stocks of the two companies rose more than 100 percent.
(Watkins & Tatum: “Private Prison Industry Sees Boon under Trump Administration”, CNN
Politics, 18 August 2017; https://edition.cnn.com/2017/08/18/politics/private-prison-depart
ment-of-justice/index.html) [10. 03. 2020].
25
Formulated in his 1919 essay “Politik als Beruf” (“Politics as a Vocation”). Weber 1991,
78.
1128 Anthozoe Chaidou

clared unconstitutional the “Prisons Ordinance Amendment Law, which was passed
by the Israeli Knesset (Parliament) and permitted the establishment of private pris-
ons. The ruling was based on an argument of principle (the purpose of the modern
democratic state) and not on a pragmatic argument (the pros and cons of prison pri-
vatization). According to Justice D. Beinisch:26
[T]he state – through the government and the various security services that are subordinate to
it – has exclusive authority to resort to the use of organized force in general, and to enforce
the criminal law in particular. […] The monopoly given to the state – through the executive
branch and the bodies acting through it – with respect to the use of organized force is of
importance in two spheres. In one sphere, we need to take into account that the democratic
legitimacy for the use of force in order to restrict the liberty of individuals and to deny var-
ious human rights relies on the fact that organized force exercised by and on behalf of the
state is what causes the violation of those rights. Were this force not exercised by the com-
petent organs of the state, in accordance with the powers given to them and in order to further
the general public interest rather than a private interest, this use of force would not have de-
mocratic legitimacy, and it would constitute de facto an improper and arbitrary use of vio-
lence. In the other sphere, the fact that the organized force is exercised by a body that acts
through the state and is subject to the laws and norms that apply to anyone who acts through
the organs of the state and also to the civil service ethos in the broad sense of this term is
capable of significantly reducing the danger that the considerable power given to those bod-
ies will be abused, and that the invasive powers given to them will be exercised arbitrarily or
in furtherance of improper purposes.

She raises the issue of transparency and accountability, which is of utmost impor-
tance and has been extensively discussed. For example, in the United States private
firms are generally not covered by the freedom of information and open records laws,
as are public prisons and other government functions, and are thus not obliged to dis-
close information about their operation, including incidents that occur in their facili-
ties.27 Instead, they have every reason to suppress serious incidents or scandals, as
these would eventually compromise their contracts and entrepreneurial reputation.
A more direct effect of prison privatization to the criminal justice system has to do
with prisoners, to the extent that, cynical as this may sound, they constitute the actual
clientele of private prisons. Whereas public prisons have no interest in increasing
their population (on the contrary, every effort is made to decrease the number of in-
mates), private firms rely on a steady input (even better an increase in the number) of
prisoners. Despite their proclamations and commitment, rehabilitation and preven-
tion of recidivism – which are the cornerstones of modern corrections – cannot be
financially favorable for corporations, which seek to increase their revenues and prof-
its. In addition, any legislation or policy involving decriminalization or leniency in
26
Decision HCJ 2605/05: Academic Center of Law and Business v. Minister of Finance,
64; https://versa.cardozo.yu.edu/sites/default/files/upload/opinions/Academic%20Center%20of
%20Law%20and%20Business%20v.%20Minister%20of%20Finance.pdf [10. 03. 2020].
27
L.-B. Eisen: “Private Prisons Lock Up Thousands of Americans With Almost No
Oversight”, Time, 8 November 2017; https://time.com/5013760/american-private-prisons-do
nald-trump [10. 03. 2020]. See also Gran & Henry 2007 – 08, especially 176 – 177.
Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States 1129

sentencing would threaten their business. Private firms have a vested interest in con-
trolling and expanding their “market”, in order to protect their investment. The sit-
uation is best reflected in the following quotation from a report by Corrections Cor-
poration of America:28
The movement toward privatization of correctional and detention facilities has encountered
resistance from certain groups, such as labor unions and others that believe that correctional
and detention facilities should only be operated by governmental agencies. Moreover, neg-
ative publicity about an escape, riot or other disturbance or perceived poor conditions at a
privately managed facility may result in publicity adverse to us and the private corrections
industry in general. […] Our growth is generally dependent upon our ability to obtain new
contracts to develop and manage new correctional and detention facilities. This possible
growth depends on a number of factors we cannot control, including crime rates and sen-
tencing patterns in various jurisdictions and acceptance of privatization. The demand for
our facilities and services could be adversely affected by the relaxation of enforcement ef-
forts, leniency in conviction and sentencing practices or through the decriminalization of
certain activities that are currently proscribed by our criminal laws. […] Legislation has
been proposed in numerous jurisdictions that could lower minimum sentences for some
non-violent crimes and make more inmates eligible for early release based on good behavior.
Also, sentencing alternatives under consideration could put some offenders on probation
with electronic monitoring who would otherwise be incarcerated. Similarly, reductions in
crime rates could lead to reductions in arrests, convictions and sentences requiring incarcer-
ation at correctional facilities.

Their strategies include lobbying, campaign contributions and donations to polit-


ical organizations,29 even dubious activities. One of the most notorious and extreme
cases of the latter was the “kids for cash” scandal in 2008, a scheme involving two
judges at the Luzerne County Court of Common Pleas in Pennsylvania, who received
2.8 million dollars in kickbacks from the owner and builder of two privately-run ju-
venile detention facilities in order to promote the close-down of the county’s own
juvenile detention center and steer juvenile offenders from their court to the private
facilities. As a result, thousands of cases were subsequently reversed and many of the
juveniles were released; the two judges received long-term sentences.30

28
Corrections Corporation of America: Annual Report to the U.S. Securities and Exchange
Commission 2005, 21 – 22; https://www.sec.gov/Archives/edgar/data/1070985/000095014
405002154/g93600e10vk.htm [10. 03. 2020]. An almost exact quotation is reproduced in every
yearly report, up to the most recent 2018 Report; https://corecivic.gcs-web.com/static-files/
60371436-e930-40bc-8cfa-830d12b4edd0 [10. 03. 2020].
29
See among others: The Sentencing Project 2018, 11; Deckert & Wood 2011, 231;
Brickner & Diaz 2011; Mason 2012, 12 – 16. The case of the memorandum on “Reducing the
Use of Private Prisons” issued by Sally Yates and revoked by Jeff Sessions (see above) is one of
the most indicative examples of the close interconnection of the corrections industry with
political power.
30
Mason 2012, 12 – 16; Brickner & Diaz 2011. For an extensive coverage of the case, see
W. Richey: “‘Kids for cash’ judge sentenced to 28 years for racketeering scheme”, The Chri-
stian Science Monitor, 11 August 2011; https://www.csmonitor.com/USA/Justice/2011/0811/
Kids-for-cash-judge-sentenced-to-28-years-for-racketeering-scheme [10. 03. 2020].
1130 Anthozoe Chaidou

In conclusion, in view of the serious legal and political issues raised, as well as the
problematic experience so far, prison privatization should be regarded as an alarming
phenomenon, even precarious for modern democratic states. It is a promising sign
that a reversal of the trend is apparent in some countries, where the state regains con-
trol of private correctional facilities. At the same time, however, conservative gov-
ernments – even in Europe – transfer sovereign powers to the private sector, under
the pressure of escalating social and economic problems, as well as of lobbying
and other strategies by the corporations. This could result in a further weakening
of the modern democratic state and in the consequent risk of deterioration in funda-
mental human rights.
As a recent editorial in the Guardian so eloquently put it:31
It should not be possible to make profits out of prisons. The power to lock people up, de-
priving them of their liberty and separating them from their families, is a responsibility
that should be the preserve of the state. Yet a pro-market ideology has seen private compa-
nies become responsible for about one in seven of the UK’s 92,000 prisoners – a proportion
second only to Australia. Allowing companies to make money out of punishing people,
which is what prisons are for – along with rehabilitation and public protection – was a
bad idea when it started under John Major’s government in the 1990s and remains one
today. This is a point of principle, one based upon the idea, evidenced by international stud-
ies, that private investment would distort public policy against more lenient sentencing and
discourage moves to prevent reoffending.

References

Austin, J. & Coventry, G. (2001): Emerging Issues on Privatized Prisons. Washington.


Brickner, M. & Diaz, S. (2011): Prisons for Profit: Incarceration for Sale, Human Rights Mag-
azine (American Bar Association) 38; https://www.americanbar.org/groups/crsj/publications/
human_rights_magazine_home/human_rights_vol38_2011/human_rights_summer11/pris
ons_for_profit_incarceration_for_sale [10.03. 2020].
Brown, A. (2004): Economic Aspects of Prison Privatisation: the Queensland Experience, in:
D. Biles & J. Vernon (eds.), Private Sector and Community Involvement in the Criminal Jus-
tice System. Canberra, 103 – 117.
Bureau of Justice Statistics (2019): Prisoners in 2017. Washington.
Cabral, S. & Saussier, S. (2013): Organizing Prisons through Public-Private Partnerships: A
Cross-Country Investigation. Brazilian Administration Review 10/1; https://doi.org/10.
1590/S1807-76922012005000010.
Cahalan, M. W. & Parsons, L.A. (1986): Historical Corrections Statistics in the United States
1850 – 1984. Washington.
Chambliss, W. (2001): Power, Politics, and Crime. Boulder.

31
“The Guardian view on private jails: Flaws in the system”, Editorial, The Guardian, 13
May 2019; https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/may/13/the-guardian-view-on-
private-jails-flaws-in-the-system [10. 03. 2020].
Prison Privatization as a Potential Hazard to Democratic States 1131

Deckert, A. & Wood W.R. (2011): Prison Privatization and Contract Facilities, in: W. Chambliss
(ed.), Corrections. Thousand Oaks, 219 – 231.
Federal Bureau of Prisons (2016): Review of the Federal Bureau of Prisons’ Monitoring of Con-
tract Prisons. Washington.
Gran, B. & Henry, W. (2007 – 08): Holding Private Prisons Accountable: A Socio-Legal Analy-
sis of “Contracting Out” Prisons. Social Justice 34/3 – 4, 173 – 194.
Guilbaud, F. (2011): La privatisation des prisons: entre marché et dogme sécuritaire, in: G. Ben-
guigui, F. Guilbaud & G. Malochet (eds.), Prisons sous tensions. Nîmes, 190 – 220.
Harding, R.W. (1992): Private Prisons in Australia. Canberra.
Helyar-Cardwell, V. (2012): Introduction – A changing landscape, in: V. Helyar-Cardwell (ed.),
Delivering Justice: The Role of the Public, Private and Voluntary Sectors in Prisons and Pro-
bation. London, 6 – 9.
Kirchhoff, S.M. (2010): Economic Impacts of Prison Growth. Washington.
Mason, C. (2012): Too Good to be True: Private Prisons in America. Washington.
McDonald, D.C. (1994): Public Imprisonment by Private Means: The Re-emergence of Private
Prisons and Jails in the United States, the United Kingdom, and Australia. The British Journal
of Criminology 34, 29 – 48.
Nowak, M. (2017): Human Rights or Global Capitalism: The Limits of Privatization. Philadel-
phia.
Panchamia, N. (2012): Competition in Prisons. London.
Penal Reform International (2015): Global Prison Trends 2015. London.
Selman, D. & Leighton, P. (2010): Punishment for Sale: Private Prisons, Big Business, and the
Incarceration Binge. Lanham.
Serassis, T. (2003): Police Corruption, Privatization, and Transnationalization in Late Moder-
nity: The Case of Greece, in: S. Einstein & M. Amir (eds.), Police Corruption: Paradigms,
Models and Concepts – Challenges for Developing Countries. Huntsville, 373 – 398.
The Sentencing Project (2018): Capitalizing on Mass Incarceration – U.S. Growth in Private
Prisons. Washington.
The Sentencing Project (2019): Private Prisons in the United States. Washington.
Weber M. (1991): Politics as a Vocation, in: H. Gerth & C.W. Mills (eds.), From Max Weber:
Essays in Sociology. London, 77 – 128.
Welch, M. & Turner F. (2007-08): Private Corrections, Financial Infrastructure, and Transpor-
tation: The New Geo-Economy of Shipping Prisoners, Social Justice 34/3 – 4, 56 – 77.
Worth Rises (2019): The Prison Industrial Complex: Mapping Private Sector Players. New
York.
Äquivalente Gesundheitsversorgung
in Pflegeheimen und Haftanstalten
Von Arthur Kreuzer

In dem überaus reichhaltigen, thematisch breit angelegten wissenschaftlichen


Oeuvre von Hans-Jörg Albrecht finden sich neben anderen zahlreiche Arbeiten
zur Straftäterbehandlung und zur Wahrung von Menschenrechten im Straf- und Re-
sozialisierungsgeschehen allgemein, einige Arbeiten zur Drogenpolitik und zur Kri-
minologie des Alters und Alterns im Besonderen. Mit Gegenständen solcher Berei-
che befassen sich die nachfolgenden Betrachtungen.1 Sie dürften also auf das Inter-
esse des Jubilars stoßen, dem sie in großer Wertschätzung gewidmet sind.

1. Äquivalenzprinzip für Gesundheitsversorgung


in stationären Einrichtungen
Zunächst der Leitgedanke: Grundsätzlich ist allen Bewohnern stationärer Ein-
richtungen die gleiche Gesundheitsversorgung zu gewähren wie sie zum Standard
außerhalb derartiger Institutionen gehört. Wir sprechen vom Äquivalenzprinzip in
der Gesundheitsversorgung. Die Umsetzung dieses Grundsatzes ist aber defizitär.
Das wird hier an zwei Beispielen dargestellt: Der psychotherapeutischen Betreuung
in Pflegeheimen und der Substitutionsbehandlung Intravenös-Drogen-(Opiat-)Ab-
hängiger in Haftanstalten. Auf eine äquivalente Versorgung drinnen wie draußen
muss rechtlich und tatsächlich hingewirkt werden.
Wie lässt sich das Äquivalenzprinzip historisch und verfassungsrechtlich begrün-
den? Artikel 1 Grundgesetz deklariert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Weitere
verfassungsrechtliche Anker des Äquivalenzprinzips sind diese: Das Gebot der
Gleichbehandlung in Artikel 3 mit dem Diskriminierungsverbot; danach dürfen sta-
tionär behandelte oder verwahrte Menschen in der Gesundheitsversorgung nicht
schlechter gestellt werden als andere; sodann das Sozialstaatsprinzip in den Artikeln
20, 28 Grundgesetz mit gleicher Konsequenz für stationär erfasste Menschen.
Schließlich weist in dieselbe Richtung das Verbot unmenschlicher Behandlung in Ar-
tikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

1
In einer früheren Vortragsfassung erstmals dargelegt auf dem 24. Deutschen Präventi-
onstag in Berlin am 20. 05. 2019.
1134 Arthur Kreuzer

Aber gilt das alles wirklich für alle Menschen, auch für inhaftierte Straftäter, psy-
chisch Kranke in Kliniken, demente alte Bewohner in Pflegeheimen, „verwahrloste“
Heimkinder, Schülerinnen und Schüler in kirchlichen oder reformpädagogischen In-
ternaten, Soldaten in Kasernen der Bundeswehr, Flüchtlinge in Abschiebeheimen?
Das war und ist nicht selbstverständlich und allseits akzeptiert. Von Goffman als „to-
tale Institutionen“ charakterisierte, mehr oder minder geschlossene Institutionen nei-
gen dazu, ihnen anvertraute Menschen zu verwalten, zu reglementieren, zu behan-
deln nach ideologischen und ökonomischen Verständnissen. Da ist wenig Platz für
freie Arztwahl, kostenintensive Behandlung, Beschwerden über Missbräuche aller
Art, die korrigierende Eingriffe von außen ermöglichen. Die Institutionen pflegen
sich abzuschotten gegenüber Kritik und Kontrolle (dazu z. B. Kreuzer 2012).
Sogar das Verständnis von der Geltung der Grundrechte an sich in diesen Institu-
tionen musste erst in Wissenschaft und Praxis geschaffen, in der Rechtsprechung
durchgesetzt werden. Man bediente sich rechtlich sogar lange eines Kunstgriffs,
grundrechtsfreie Räume zu legitimieren: das sogenannte „besondere Gewaltverhält-
nis“. Es gelte in Einrichtungen, in denen die Insassen in besonderer Weise gewaltun-
terworfen seien, in denen der Zweck der Anstalt gebiete, Gewaltunterworfenen zu-
mindest sachnotwendig Grundrechte vorzuenthalten. Im Strafvollzug verbiete
zudem das Wesen des Strafübels eine unbegrenzte Ausübung vieler Grundrechte.
So lernten wir es noch im Jurastudium in den sechziger Jahren.
Das Grundgesetz musste also erst rechtswissenschaftlich, in der Rechtsprechung
und in der Praxis für diese Einrichtungen „entdeckt“ und umgesetzt werden. Es ge-
schah nach und nach. Die Psychiatrie-Enquete etwa prüfte seit 1971 menschen-
rechtswidrige Zustände in geschlossenen Kliniken und Heimen. Sie resümierte
1975, „dass eine sehr große Zahl psychisch Kranker und Behinderter in den statio-
nären Einrichtungen unter elenden, zum Teil als menschenunwürdig zu bezeichnen-
den Umständen leben müssen“ (Deutscher Bundestag 1975). Grundlegende Refor-
men wurden daraufhin eingeleitet. Mit wenigen Strafvollzugswissenschaftlern
machten wir um 1970 auf Missstände in Haftanstalten aufmerksam; es dürfe
keine grundrechtsfreien Räume geben; in Grundrechte dürfe lediglich auf gesetzli-
cher Grundlage eingegriffen werden; auch ein Gefangener sei Rechtssubjekt und
Grundrechtsträger; der Begriff des „besonderen Gewaltverhältnisses“ sei einzig be-
schreibend, keine Rechtsquelle für Eingriffe und Grundrechtsschmälerungen (insbe-
sondere Schüler-Springorum 1969; ferner Kreuzer 1970). Dem folgte bald das Bun-
desverfassungsgericht und verwarf die Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis“2.
Es verlangte eine gesetzliche Grundlage für den Strafvollzug und etwaige Grund-
rechtseinschränkungen. Diese Gesetze gab es erst seit 1976 im Bund, später in
den Ländern.
Weitere grundrechtsferne Räume gilt es immer wieder zu entdecken. Meist tragen
Skandale zum Nachdenken bei. So befand kürzlich Heribert Prantl überpointiert zu
der hier anschließend punktuell zu untersuchenden Pflege insgesamt: „Das deutsche
2
Entscheidung v. 14. 03. 1972, BVerfGE 33, 1 ff.
Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten 1135

Pflegesystem verletzt die Rechte der Pflegebedürftigen; der Personalschlüssel in den


Alten- und Pflegeheimen ist ein Verbrechen; Strafgefangene haben de facto mehr
Rechte als alte und demente Menschen … Abschiebegefängnisse und Pflegeheime
sind derzeit die grundrechtsfernsten Orte in Deutschland.“3
Die beiden nun folgenden Beispielsbereiche defizitärer Gesundheitsversorgung
in stationären Einrichtungen werden von uns derzeit auch in Gremien des Hessischen
Landespräventionsrats erörtert, in den Arbeitsgruppen „Prävention für ältere Men-
schen“4 und „Suchtprävention“. Wertvolle Anregungen aus dortigen Diskussionen
fließen in diesen Beitrag ein.

2. Beispiel: psychologisch-psychotherapeutisch-psychiatrische
Behandlung in Pflegeheimen
2.1 Daten zur Situation

Der Anteil im Rentenalter Stehender hat sich in der Bevölkerung im Laufe von
vier Jahrzehnten auf 22 % verdoppelt. Dazu gehören zunehmend Hochaltrige und
Pflegebedürftige. Von den über 85-Jährigen sind etwa vier Fünftel pflegebedürftig.
Es sind überwiegend Frauen. Bei steigender Tendenz gibt es gegenwärtig 3,4 Millio-
nen pflegebedürftiger Menschen i.S.d. Pflegeversicherungsgesetzes, darunter etwa
ein Viertel mit Migrationshintergrund. Die meisten werden in der häuslichen Umge-
bung gepflegt. Rund 850.000 befinden sich in Einrichtungen vollstationärer Alten-
pflege.
In der stationären Pflege dominieren unter den psychischen Störungen die demen-
tiellen. Nach einer Studie von 2015 mit Daten der AOK waren davon über zwei Drit-
tel der in Heimen Betreuten betroffen. Diesen Störungen galt bislang das Hauptau-
genmerk der öffentlichen Diskussion. Aber sie gehen oft einher mit weiteren psychi-
schen Störungen. So sollen 20 bis 50 % in der stationären Betreuung unter Depres-
sionen leiden. Hinzu kommen bei vielen Wahnkrankheiten. Manche Störungen
haben langjährige Ursachen, etwa in nicht bewältigten traumatischen Lebensereig-
nissen. Außerdem sind psychosoziale Probleme zu beachten, die sich aus der Entste-
hung von Pflegebedürftigkeit, dem Wechsel in ein Heim, Einsamkeit und Auseinan-
dersetzungen im neuen Umfeld ergeben können.5

3
https://www.sueddeutsche.de/politik/pflege-aktion-sos-1.4306317 [18. 11. 2019].
4
Vgl. die Stellungnahme dieser Arbeitsgruppe, die vom Landespräventionsrat übernom-
men worden ist: „Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung für ältere Menschen
in der Stationären Pflege“ vom 01. 11. 2019 (demnächst auf der Website des Hess. LPR ein-
sehbar).
5
Zur Datenlage z. B.: Statistisches Bundesamt 2018; Schwinger, Jürchott & Tsiasioti 2017,
255 ff.
1136 Arthur Kreuzer

2.2 Rechtsanspruch

Wie steht es mit dem Rechtsanspruch auf entsprechende Behandlung? Was ver-
langt vor allem die Menschenwürde nach Art. 1 GG?
Reichweite und inhaltliche Konkretisierung von Menschenwürde sind immer
wieder neu zu klären. Das Menschenbild ist stets im Wandel. In manchen anderen
und vor allem früheren Gesellschaften war nicht einmal das Lebensrecht der
Alten gesichert, zumal, wenn sie als bloße Kostgänger erschienen. Das ist heute über-
holt. Zum jetzt unstrittigen Kern der Menschenwürde gehört neben dem Lebensrecht
an sich, dass niemand aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden darf, dass jeder
eine zweite Chance erhalten muss, dass keiner erniedrigt, gedemütigt, zum bloßen
Objekt degradiert werden darf. Nicht so selbstverständlich ist der Anspruch auf um-
fassenden Gesundheitsschutz. Er muss inhaltlich im gesellschaftlich-politischen
Diskurs allzeit nach sich wandelnden medizinischen Erkenntnissen, demografischer
Entwicklung, ökonomischen Lagen und sich ändernden sozialethischen Bewertun-
gen neu ausgehandelt werden.
Rechtlich gilt heute nach § 27 SGB V, dass alle Versicherten Anspruch haben „auf
Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen,
ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.“ Kran-
kenbehandlung umfasst dabei auch Psychotherapie durch Ärzte oder Psychothera-
peuten. Allerdings erscheint es angezeigt, dass dieser allgemein geltende Rechtsan-
spruch im Sinne des Äquivalenzprinzips gesetzlich und versicherungsrechtlich kon-
kretisiert wird für die Heimpflege. Zusätzlich sollten von den dafür zuständigen me-
dizinischen Organisationen Evidenz- und Konsens-basierte Leitlinien entwickelt
werden zu bestimmten psychologisch-psychotherapeutisch-psychiatrischen Be-
handlungserfordernissen und Behandlungsformen für Pflegeheim-Bewohner.

2.3 Tatsächliche Erfüllung des Rechtsanspruchs

Die tatsächliche Erfüllung eines solchen Rechtsanspruchs auf psychologisch-psy-


chotherapeutisch-psychiatrische Versorgung für stationär Gepflegte ist hingegen völ-
lig unzureichend. So haben nach dem Pflege-Report 2017 in einem Quartal nur gut
8 % der dementiell Belasteten psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen, von
allen anderen Pflegebedürftigen lediglich 4 %; psychotherapeutische Versorgung
gebe es fast gar nicht (Gutzmann et al. 2017, 112).
Wenn es darum geht, psychosoziale Nöte Betreuter zu erkennen und Hilfe anzu-
bieten, ist an erster Stelle sicherlich die tägliche persönliche Zuwendung durch den
Pflegedienst des Heimes gefordert. Aber bekanntermaßen wird der Pflegepersonal-
schlüssel dieser notwendigen Zuwendung nicht gerecht. Viele psychosoziale Störun-
gen könnten aufgefangen, gemildert oder behoben werden, wenn hinreichend ge-
schultes allgemeines Pflegepersonal zur Verfügung stünde. Schon insoweit ist von
einem Pflegenotstand zu sprechen. Erst recht fehlen spezifisch psychotherapeutisch
Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten 1137

ausgebildete Fachkräfte im Personal. Ergänzend zum Pflegepersonal können Ange-


hörige und ehrenamtliche Besuchsdienste helfen. Sie sind weiter zu ihren nicht hoch
genug einzuschätzenden wichtigen unterstützenden Diensten zu ermutigen. Wenige
Einrichtungen verfügen zusätzlich über eigene speziell für psychosoziale Arbeit mit
alten Heimbewohnern kompetente Psychologen; nur peripher werden ambulant psy-
chologisch-psychotherapeutische Fachdienste hinzugezogen. Psychiater oder andere
Fachärzte suchen Heimbewohner äußerst selten auf, weil sie ohnehin überlastet sind,
Heimbesuche den Praxisalltag zusätzlich belasten und die Vergütung durch Kranken-
kassen dem tatsächlichen Aufwand eines Besuchs vor Ort nicht entspricht; bei den-
noch durchgeführten Besuchen müssten sie überdies weit mehr Gewicht auf persön-
liche Untersuchungen der Patienten und Patientinnen legen, statt sich wesentlich auf
Angaben von Heimpersonal zu stützen. So müssten beispielsweise bei Prüfungen, ob,
wann und ggf. welche Fixierungen infrage kommen oder ob Medikamente an deren
Stelle treten dürfen, nicht nur Betreuungsrichter, sondern auch Fachärzte vor Ort tätig
werden.
Insgesamt ist also die psychotherapeutische Versorgung in Pflegeheimen äußerst
defizitär. An Kosten darf eine entscheidende Verbesserung jedenfalls rechtlich
grundsätzlich nicht scheitern. Schon gar nicht darf sie beeinträchtigt werden von pri-
mär ökonomischen, an Rentabilität und Profit ausgerichteten Interessen. Jedoch ist
über Grenzen und Begrenzungen zu befinden, so wie ja auch bei der Berücksichti-
gung Älterer auf Wartelisten für Organtransplantationen oder bei kostspieligen
Knie- und Hüftoperationen Grenzen gezogen werden. Selbst bei einer entsprechen-
den Verbesserung der Finanzierung werden aber praktische Schwierigkeiten bleiben,
die nur schwer zu beheben sind. Beispielsweise wird man eine freie Arztwahl kaum
ermöglichen können, wo bereits draußen fachärztliche Versorgung defizitär ist und
Fachärzte wegen der Entfernungen für Heime kaum erreichbar sind. Auch werden
bei den meisten Pflege-Patienten/Patientinnen psychotherapeutische Methoden aus-
scheiden, die langfristig und auf intellektuelle Mindestfähigkeiten ausgelegt sind.
Hilfen sind auf die individuelle Person und Situation auszurichten. Eine Standardi-
sierung im Sinne dessen, was die Menschenwürde gebiete, ist deswegen kaum mög-
lich. Aber dieses Problem, menschenwürdige Behandlung zu definieren, stellt sich
hier im Grundsatz nicht anders als etwa in der klinischen Versorgung schwer kranker
und sterbender alter und dementer Menschen; dort wird mitunter sogar zu viel des
vermeintlich Guten getan, menschenwürdiges Sterben kostenintensiv durch künstli-
ches Hinausschieben des Todes behindert; das hat zuletzt im April 2019 der Bundes-
gerichtshof gezeigt, als er entschieden hat, dass kein Schadensersatz verlangt werden
kann, wenn ärztlicherseits ein Sterben in Würde durch intensivmedizinisches Verlän-
gern des Leidensweges jahrelang verhindert wurde, weil die Ablehnung künstlicher
Lebensverlängerung nicht ermittelt werden konnte.6 Gleiches gilt für den rechtlichen
und tatsächlichen Umgang mit dauerhaft Demenzkranken oder im Koma Liegenden,
die Jahre, sogar Jahrzehnte ohne jede Kommunikation künstlich ernährt und versorgt

6
BGH Urt. v. 02. 04. 2019 – VI ZR 13/18.
1138 Arthur Kreuzer

und deren mögliche Patientenverfügungen mit einer Verweigerung solcher Behand-


lung nicht oder nicht mehr als gültig erachtet werden.

3. Beispiel: Substitutionsbehandlung intravenös


injizierender Opiatabhängiger in der Haft
3.1 Drogenabhängigkeit und Substitutionsbehandlung
außerhalb von Haftanstalten

Jährlich werden 155.000 Personen in Einrichtungen der Suchthilfe behandelt;


Hauptdiagnosen haben bei 48 % mit Alkohol zu tun, bei 18 % mit Cannabinoiden,
bei 13 % mit Opioiden, bei 6 % mit Stimulanzien, bei ebenso vielen mit pathologi-
schem Spielen, bei 3 % mit Kokain. Die Zahl Opiatabhängiger in Deutschland wird
auf 166.000 geschätzt, darunter 42.000 Frauen.7
Opiatabhängigkeit birgt nicht nur erhebliche Gesundheitsprobleme und erhöhte
Mortalitätsrisiken für die betroffenen Personen selbst, sondern auch Sicherheitsrisi-
ken für andere durch deren Abgleiten in Beschaffungs- und allgemeine Kriminalität,
außerdem erhebliche Infektionsgefahren; in dieser Hochrisikogruppe verbreiten sich
HIV- und Hepatitis-Infektionen wegen riskanter sexueller Praktiken sowie des Be-
nutzens und der Weitergabe nicht steriler, oftmals bereits gebrauchter Spritzutensi-
lien. 70 % aller intravenös injizierenden Opiat-Konsumenten sollen eine dieser In-
fektionen, ein Drittel beide haben.
In der Behandlung zumeist intravenös injizierender Opiatabhängiger ist neben
dauerhafter Drogenentziehung und -entwöhnung wichtigster Behandlungsansatz
die Substitution, die dauerhafte oder zumindest vorübergehende Umstellung auf
ärztlich verordnete Ersatzmedikamente; diese Medikamente werden oral eingenom-
men und vermitteln nicht den üblichen Rausch; das unterscheidet sie von der Dia-
morphin-Substitution. Substitutionsbehandlungen dürfen nur von dafür geschulten
Ärzten angeordnet und durchgeführt werden; Behandlungen sind zum Substitutions-
register zu melden; 2018 waren darin 79.400 Substituierte erfasst. Mit leicht abneh-
mender Tendenz beteiligen sich 2.585 Ärzte an der Substitution. Bei fast 40 % ist das
Substitut Methadon, bei 35 % Levomethadon, bei 23 % Buprenorphin und lediglich
bei unter einem Prozent, etwa 500 Opiatabhängigen, Diamorphin (Heroin). Substi-
tution ist noch immer sehr ungleich in den Bundesländern; so gibt es in Bremen je
100.000 Einwohner 260, in NRW 144, in Hessen 123, in Bayern 64, in Brandenburg 5
Substituierte. Dies, obwohl die Bundesärztekammer einheitlich für alle Länder 2010
Richtlinien zur Substitutionsbehandlung erlassen und darin festgehalten hat, dass
Opiatabhängigkeit eine schwere chronische Krankheit ist, bei der eine substitutions-

7
Zu Daten zur Verbreitung von Drogen, Drogenabhängigkeit, Behandlung und Substitu-
tion Opiatabhängiger z. B.: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e.V. 2019, insb. 11,
29 ff., 152 ff., 180 ff.; Pont et al. 2018.
Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten 1139

gestützte Behandlung indiziert ist.8 Die teilweise anzutreffende starke Zurückhal-


tung geht darauf zurück, dass sich Substitution an sich erst medizinisch und politisch
als Bestandteil einer außer auf Repression, Prävention und Behandlung auch auf
„harm reduction“ – pragmatisch auf Schadensminderung – ausgerichteten Drogen-
politik nach und nach durchsetzen musste. Das Abstinenz-Paradigma scheitert bei
allzu vielen Betroffenen. Sich auf weniger rigide, aber realistische Ziele der Behand-
lung einzulassen, hat sich seit Jahrzehnten bewährt.
Das gilt seit etwa einem Jahrzehnt auch für die Diamorphin-Substitution. Sie er-
möglicht im Gegensatz zu den anderen Substitutionsformen das Benutzen steriler
Spritzen, den legalen Erwerb von Heroin und den von dieser Droge erwarteten
Rausch, auf den Langzeit-Opiatabhängige mitunter nicht verzichten können. Die Zu-
lassung zur Diamorphin-Substitution ist nach den Richtlinien streng begrenzt u. a.
nach Alter, Eindeutigkeit und Länge der Opiatabhängigkeit, körperlichem Entzugs-
syndrom, Dominanz der Drogen im Sozialverhalten – früher hätte man von psycho-
sozialer Verwahrlosung gesprochen –, Scheitern zweier vorangegangener Behand-
lungen, darunter einer in einem Substitutionsprogramm, sowie Bereitschaft zu regel-
mäßigem, meist täglichem Aufsuchen der Abgabestelle und dauerhafter Urinkon-
trolle. Eine ärztliche individuelle Prüfung aller Besonderheiten ist geboten, so
dass diese Substitution auf Ausnahmen beschränkt ist, wenn realistisch Alternativen
nicht mehr erkennbar sind und die Diamorphinvergabe grundsätzlich als vorüberge-
hend geplant wird und soziale Stabilisierung verspricht.
Folgende Langzeiteffekte von allen Arten der Substitutionsbehandlung Opiatab-
hängiger wurden in einer Studie 2011 bei 2.300 repräsentativ ausgewählten Substi-
tuierten festgestellt (Wittchen et al. 2011): Eine hohe Haltequote zeigt sich darin,
dass 70 % noch am Ende der sechsjährigen Beobachtungsphase in der Substitution
verblieben. Nur 4 % waren zu dem Zeitpunkt stabil abstinent. Günstig wurde der Ver-
lauf insgesamt bei 55 %, ungünstig bei 30 % eingeschätzt. Verstorben sind 8 %. 13 %
hatten einen instabilen Verlauf. 3 % befanden sich in Haft oder stationärer Therapie.
Die Komorbiditätsquote erwies sich als hoch. Beigebrauch von Opioiden war noch
bei 12 % festzustellen, Beigebrauch anderer illegaler Drogen bei 20 – 30 %. Bemer-
kenswert ist vor allem, dass ungünstige Verläufe und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko
bei Befragten aus Einrichtungen mit starker Abstinenzorientierung festzustellen
waren.

3.2 Tatsächliche Bedeutung der Drogen in der Haft

Wohl keine Haftanstalt ist drogenfrei. Drogen, Drogenabhängigkeit und illegaler


Drogenhandel gehören zum Gefängnisalltag. Selbst rigide Kontrollen, etwa generel-

8
Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Be-
handlung Opiatabhängiger v. 19. 02. 2010, Deutsches Ärzteblatt 2010; 107(11): A-511/B-447/
C-439; überarbeitete Fassung v. 27./28. 04. 2017, Deutsches Ärzteblatt 2017; 114(40): A-
1829/B-1553/C-1519.
1140 Arthur Kreuzer

le Urintests, Zellen- und Personendurchsuchungen oder der Einsatz von Drogenspür-


hunden, können es nicht verhindern. Das zeigen unsere Dunkelfelduntersuchungen,
und das räumen Anstaltsleiter ein (dazu bereits Kreuzer 1975, 309 ff.; neuere Befun-
de: Pont et al. 2018, 17 ff.). Nur Politiker wollen es oft nicht zur Kenntnis nehmen.
Warum gehören Drogen zum Haftalltag? Etwa die Hälfte Inhaftierter hat bei Haft-
antritt schon Erfahrungen mit illegalen Drogen, bis zu einem Fünftel auch mit He-
roin. Nach einschlägigen Studien gelangen Drogenabhängige ganz überwiegend ir-
gendwann, oft mehrmals in Haft. Fast ein Drittel der Drogenabhängigen berichtet, in
Haft Drogen injiziert, jeder Zehnte, damit in der Haft begonnen zu haben. Nach
Schätzungen sind ein Viertel bis ein Drittel der männlichen und die Hälfte der weib-
lichen Inhaftierten drogenabhängig und gehören überwiegend zu den intravenös in-
jizierenden Drogenkonsumenten. Man muss von 15.000 ganz überwiegend Opiat-ab-
hängigen Inhaftierten ausgehen. Noch mehr dürften einen problematischen Alkohol-
umgang haben oder alkoholabhängig sein.
Die Gründe sind komplex. Inhaftierte bringen entsprechende Erfahrungen und
Abhängigkeiten mit in die Anstalt oder erwerben sie in ihr. Sie sind in ihrem Sozi-
alverhalten ohnehin problematisch. In der Haft erleben sie eine Zwangsgemeinschaft
mit Männern oder Frauen, Langeweile, den Druck ausbleibender Drogenversorgung,
Alkohol- und Drogenverbot und vor allem das aufgenötigte System einer Subkultur,
in das sie sich einfügen müssen. Subkultur kennt eine Hierarchie nach tatsächlicher
Macht; in ihr herrschen Rücksichtslosigkeit und Gewalt, eigene Regeln, die den of-
fiziellen oftmals entgegengesetzt sind, Umgehungen aller Verbote, ein flexibles Sys-
tem illegaler Beschaffung entbehrter Güter, auch aller Drogen. Im informellen An-
staltsmarkt haben Drogen einen hohen Stellenwert. Der entsprechende Markt mit
Herstellung, Einschleusung, Handel von Drogen bildet ein äußerst flexibles, anpas-
sungsfähiges, differenziertes System. Im Handelssystem mit seinen Ersatzwährun-
gen müssen noch rigidere Preise, Betrüge, Fälschungen und Schuldenbeitreibungen
in Kauf genommen werden als außerhalb. Am Einschleusen der Drogen haben Ge-
fangene als Urlauber und Rückkehrer, Besucher, mitunter Bedienstete teil oder Drit-
te, die beispielsweise gezielt verpackte Drogen von außen über die Mauer werfen.
Der illegale Handel bezieht auch in der Anstalt abgegebene oder sonst erreichbare
Medikamente und Substitutionsdrogen ein, einschließlich erworbenen oder ersatz-
weise hergestellten Injektionsgeräts. Die Infektionsgefahr ist entsprechend höher.
Mancher Gefangener hat sich in der Haft erstmals Drogen injiziert und dort HIV
oder Hepatitis zugezogen.
Einige opiatabhängige Inhaftierte nutzen die Haftzeit, von den Drogen frei zu
kommen oder auf weniger riskante Drogen und Konsumformen umzuwechseln.
Den meisten gelingt das nicht, zumal sie allenthalben in der Subkultur in Versu-
chungssituationen geraten.
Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten 1141

3.3 Äquivalente Substitutionsbehandlung

Dass nach dem Äquivalenzprinzip auch inhaftierten Opiatabhängigen Substituti-


onsbehandlung ermöglicht werden muss, lässt sich bereits auf den Angleichungs-
grundsatz in § 3 Abs. 1 StVollzG sowie die entsprechenden länderrechtlichen Rege-
lungen stützen und aus grundgesetzlichen Gewährleistungen wie dem Sozialstaats-
prinzip (Art. 20, 28 GG) herleiten (zu Rechtsgrundlagen der Substitutionsbehand-
lung: Pont et al. 2018; zu Rechtsfragen: Bendek 2017). In einem bayerischen Fall
hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in gleichem Sinn nach der
EMRK entschieden.9 Wegen der Bedeutung des Urteils für das Äquivalenzprinzip
und die Versorgung inhaftierter Drogenabhängiger seien zwei der Leitsätze zitiert:
„1. Aus Art. 3 EMRK folgt die positive Gewährleistungsverpflichtung, die Gesundheit eines
Gefangenen in Haft angemessen sicherzustellen, indem ihm die notwendige medizinische
Behandlung auf einem Niveau zuteil wird, das dem entspricht, an das sich die staatlichen
Stellen bei der Versorgung in Freiheit befindlicher Personen gebunden sehen; Gefangene
haben Anspruch auf medizinische Behandlung unter vergleichbaren Bedingungen, wie
sie Patienten in Freiheit genießen, und ihnen sollte ohne Diskriminierung aufgrund ihres
rechtlichen Status Zugang zur Gesundheitsfürsorge des betreffenden Staates gewährt wer-
den.“

Im 3. Leitsatz wird ein staatlicher Ermessensspielraum bei der Wahl der Behand-
lungsmethode anerkannt, der aber dem genannten Grundsatz gerecht werden muss.
Zur Substitutionsbehandlung wird ausgeführt:
„4. Die Verweigerung der Fortsetzung einer Substitutionsbehandlung kann jedenfalls dann
nicht damit begründet werden, den Gefangenen durch die in Haft erzwungene Überwindung
seiner Drogensucht zu resozialisieren und ihn so dazu zu befähigen, außerhalb der Haftan-
stalt ein drogenfreies Leben zu führen, wenn eine vorherige stationäre Suchttherapie man-
gels Erfolgsaussichten beendet worden war.“

Damit wird anerkannt, dass auch in Haftanstalten nicht realitätswidrig ein Absti-
nenz-Paradigma in der Behandlung durchgesetzt werden darf und kann – dieses ge-
stützt auf die rechtlichen Verpflichtungen, zu resozialisieren und Sicherheit in der
Haft zu gewährleisten durch striktes Unterbinden jeglichen Suchtmittelumgangs.
Süchtigen Gefangenen darf nicht eine Abstinenz aufgezwungen werden, die aner-
kanntermaßen Süchtige außerhalb der Haft überfordern und bei ihnen scheitern
würde. Es muss beachtet werden, dass Drogenabhängigkeit zugleich eine Krankheit
mit hohen Risiken der Rückfälligkeit ist. Alkohol- und Drogenabhängige gelangen
meist erst nach vielen Rückfällen in eine stabilere Entwicklung. Sicherheitsbelange
und Resozialisierungsbemühen müssen also pragmatisch ausbalanciert werden. Er-
kenntnisse zur Suchtbehandlung draußen müssen soweit möglich in der Haft eben-
falls umgesetzt werden.

9
EGMR, Urt. v. 01. 09. 2016 – 62303/13 (Wenner ./. Deutschland), Strafverteidiger 38,
2018, 619.
1142 Arthur Kreuzer

3.4 Behandlung Drogenabhängiger und Substitutionsmöglichkeiten


in der Haft

Noch immer ist Substitutionsbehandlung in der Haft nicht bei allen infrage kom-
menden Gefangenen möglich. Hinderungsgründe sind das als vorrangig geltende
Abstinenzziel, die Sorge um Sicherheit, der nicht überall als erfüllbar erscheinende
zusätzliche Verwaltungsaufwand, der Mangel an für solche Behandlungen spezifisch
geschultem ärztlichem Personal. Weiterhin besteht ein Nord-Süd- und Ost-West-Ge-
fälle in der haftinternen Substitutionsbehandlung. Von einem Abdecken des tatsäch-
lichen Bedarfs kann keine Rede sein. Die ehemalige Bundes-Drogenbeauftragte
Mortler hat vor kurzem im Bundestag den Mangel an Möglichkeiten der Substituti-
onsbehandlungen bereits außerhalb, erst recht innerhalb deutscher Haftanstalten ge-
rügt.10 Nur ein kleinerer Teil der infrage kommenden inhaftierten Drogenabhängigen
erhält die Chance. Doch die Lage verbessert sich. Vorbild könnten die vom nord-
rhein-westfälischen Justizministerium veranlassten, 2010 überarbeiteten Behand-
lungsempfehlungen sein.11 Schlusslicht waren bisher die süddeutschen Länder; Bay-
ern hat aber aufgrund der EGMR-Entscheidung inzwischen dafür gesorgt, dass es
nunmehr wenigstens in der Hälfte der Haftanstalten Substitution gibt.
Vor allem wird gegen das Äquivalenzprinzip verstoßen, wenn Substitutionsbe-
handlungen, die vor der Haft eingeleitet waren, in der Haft indikationswidrig abge-
brochen werden. Nur bei wenigen gelingt haftintern eine Entwöhnung. Was draußen
fachärztlich als angezeigt erschien, muss auch in der Haft angeordnet und fortgeführt
werden dürfen. Anderenfalls verstärken sich der Druck zu illegalen Praktiken, Mor-
talitätsrisiken nach Haftentlassung, schnelle Rückfälligkeit in Abhängigkeit und Kri-
minalität sowie Infektionsrisiken. Substitutionsbehandlung muss nach ärztlicher
Diagnose in Haftanstalten eingeleitet werden können entsprechend den Vorgaben
der Richtlinien der Bundesärztekammer. Ein Übergangsmanagement muss dafür
Sorge tragen, dass außerhalb oder innerhalb der Haft begonnene Substitutionsbe-
handlungen bei Haftantritt oder nach der Entlassung mit Unterstützung oder Umstel-
lung der jeweiligen Krankenversicherungsträger weitergeführt werden können.
Würden mehr infrage kommende Inhaftierte substituiert, leistete man wertvolle
Beiträge zur Vorbeugung gegen subkulturell-kriminelle Verstrickungen in der
Haft, zur Infektionsprophylaxe, zur rechtzeitigen Vorbereitung von Entlassungen
und Übergängen in haftexterne Behandlungen sowie langzeitiger Rehabilitation,
zur Minderung von Risiken weiteren sozialen Abgleitens und krimineller Rückfäl-
ligkeit sowie Mortalität nach der Entlassung. Dann ließen sich Überleitungen in haft-
externe Behandlungseinrichtungen rechtzeitig vorbereiten und die Kostentragung
nachfolgender Behandlung durch Krankenkassen gewährleisten.
10
https://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/Drogenbeauftragte/2_Themen/
2_Suchtstoffe_und_Abhaengigkeiten/7_Heroin/Downloads/ParlamentariParla_Abend_Substitu
tionstherapie_Rede_DdB_08_05_2019.pdf [09. 12. 2019].
11
Dazu: Justizministerium des Landes NRW 2010; zu Handlungsempfehlungen auch: In-
itiative Gesundheit in Haft 2019.
Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten 1143

Jedoch steht es gerade um die haftinterne Vorbereitung der Entlassung Drogen-


abhängiger schlecht. Nötig wären für sie etwa rechtzeitige Vollzugsöffnungen, um
früh in externe Behandlungseinrichtungen überleiten zu können, wie es in § 35
BtMG als „Therapie statt Strafe“ vorgesehen ist. Drogenabhängige werden indes
fast gänzlich ausgeschlossen von Vollzugsöffnungen wegen der Annahme hoher
Rückfälligkeit dieser Population; so erklärt die Verwaltungsvorschrift 2 zu § 10
der bundeseinheitlichen VVStVollzG: „(1) Für die Unterbringung im offenen Voll-
zug ungeeignet sind in der Regel namentlich Gefangene, die erheblich suchtgefähr-
det sind.“ Auch sonst wird das krankheitssymptomatische Rückfallrisiko bezüglich
erneuter Drogeneinnahme gleichgesetzt mit dem Risiko, erneut Straftaten zu bege-
hen. Dies muss sich ändern. Geht es nur um das krankheitstypische Rückfallrisiko,
muss das Resozialisierungs-Modell „Therapie statt Strafe“ Vorrang haben. Das sollte
alsbald in den Verwaltungsvorschriften zu den Strafvollzugsgesetzen von Bund und
Ländern geklärt werden. Hilfreich bei dieser Planung frühzeitiger Überleitung in An-
schluss-Behandlungs-Einrichtungen könnte eine verstärkte Zusammenarbeit mit
Einrichtungen der externen Drogenberatung sein. Nicht in allen Haftanstalten ist sol-
che nötige Kooperation vorgesehen.

3.5 Insbesondere haftinterne Diamorphin-Substitution


und Spritzenvergabe

Auf besondere politische, rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten stößt


selbstverständlich die Umsetzung einer haftinternen Diamorphin-gestützten Substi-
tution. Sie können nur angedeutet werden (Übersicht: Pont et al. 2018).
Bislang gibt es nirgendwo Diamorphin-Substitution in deutschen Haftanstalten
(zu Modellprojekten und Rechtsproblemen: Hoffmann et al. 2002). Das muss über-
dacht werden, vor allem bei Gefangenen, die bereits vor Haftantritt erfolgreich in
einem Diamorphin-Substitutionsprogramm waren.
Allerdings setzt diese Substitution voraus, dass den wenigen infrage kommenden
Opiatabhängigen sterile Einwegspritzen zum jeweiligen Konsum des ihnen mehr-
mals täglich zur Verfügung zu stellenden Substituts ausgehändigt und nach dem Kon-
sum wieder eingezogen werden. Ob das nach einem weitergehenden Spritzentausch-
Programm mit Automaten, die allen Gefangenen zugänglich sind, geschehen soll, ist
umstritten. In wenigen Anstalten wurde modellartig zeitweilig ein solches von der
Diamorphinabgabe unabhängiges Modell von Spritzentausch-Automaten in der
Haftanstalt erprobt. Lediglich in der Frauenhaftanstalt Lichtenberg in Berlin ist sol-
cher Spritzentausch geblieben. Es fehlte an politischem Willen zur Fortsetzung, es
dominierten Bedenken von Anstaltsbediensteten und wegen erheblicher Kosten,
und es gaben sicher auch einige negative Befunde der Evaluationen den Ausschlag.
Zu den positiven Befunden gehörte es, dass anonyme Spritzenvergabe machbar
erschien, dass viele Inhaftierte davon Gebrauch machten, dass keine Bedrohungen
oder Tätlichkeiten mit gebrauchten Spritzen gegen Mitgefangene oder Personal vor-
1144 Arthur Kreuzer

kamen, dass im Großen und Ganzen keine Zunahme des Drogenkonsums festgestellt
wurde. Zu den negativen Befunden gehörten die in unserer Vergleichsuntersuchung
2002 herausgestellten (Hoffmann et al. 2002, 63 ff.): Von den allen zugänglichen Au-
tomaten gehen Anreize für erneuten intravenösen Drogengebrauch bei Gefangenen
aus, die sich in der Haft vom Drogenumgang oder wenigstens vom intravenösen Kon-
sum lösen wollen. Aus Automaten bezogene Spritzen haben einen großen Stellen-
wert im illegalen intramuralen Markt. Sie werden – benutzt oder unbenutzt – oft
an andere weitergegeben. Nicht jeder Gefangene traut sich, selbst den Automaten
zu benutzen wegen der Gefahr, beobachtet und daraufhin stärker kontrolliert zu wer-
den. Es gab sogar ein Verhaltensmuster, wonach der Spritzenlieferant die Hälfte aus
der aufgezogenen Spritze erhält, die andere Hälfte der Drogenlieferant. Bei häufigen
Defekten von Automaten kommt es zu Zerstörungen und vermehrtem Einsatz ge-
brauchter Spritzen.
Wir kamen daher zu der Empfehlung, zunächst Modelle zu erproben, in denen
Diamorphin und Spritzen an für diese Substitution zugelassene Gefangene einzeln
in einem Gesundheitsraum kontrolliert zum unmittelbaren Gebrauch und zur Rück-
gabe der Spritzen daselbst abgegeben werden. Dann können Signalwirkungen, HIV-
und Hepatitis-Infektionen und subkultureller Missbrauch vermieden werden. Wer
dabei anhaltend vereinbarte Regeln bricht, muss vom Programm wieder ausgeschlos-
sen werden. Diese Ausgestaltung von Diamorphin-gestützter Substitution würde
indes nur sehr wenigen Gefangenen zugutekommen. Dem Verlangen nach Spritzen
bei anderen Gefangenen würde nicht entsprochen. Sogar nicht alle für Diamorphin-
Substitution infrage kommenden Gefangenen würden am Programm der Einzelver-
gabe teilnehmen, weil manche die Rahmenbedingungen des konkreten individuellen
Drogengebrauchs im Gesundheitsraum nicht selbst gestalten könnten.
Es gibt Fachleute wie Heino Stöver (2018, 458 – 463), die den hier vertretenen zu-
nächst restriktiven Standpunkt zu Spritzentausch-Programmen nicht teilen: Diamor-
phin- und Spritzenvergabe seien ausschließlich nach medizinischen Kriterien zu be-
urteilen; der Aspekt der Sicherheit in der Anstalt sei deswegen in diesem Zusammen-
hang nicht maßgeblich. Dagegen ist einzuwenden, dass Sicherheitserwägungen in
jeder Strafanstalt bei allen für andere riskanten Praktiken im Gesundheitsbereich
zu beachten sind. Das Äquivalenzprinzip kann nicht vernachlässigen, dass Spritzen-
tausch über Automaten außerhalb einer Anstalt ganz anders funktioniert als in der
Haft; es schafft draußen weniger Risiken des Missbrauchs, jedoch erhebliche Verbes-
serungen in der Infektionsprophylaxe, drinnen erhebliche Risiken. Mögliche Fremd-
schädigungen, die erkennbar von einer ansonsten gesundheitspolitisch positiv einzu-
schätzenden Maßnahme des Gesundheitsdienstes ausgehen, müssen daraufhin ge-
prüft und bewertet werden, ob sie auch in der Haft verantwortbar sind. Doch sollte
man den Weg weitergehen, an Modellen zu erproben, ob und wie eine Diamorphin-
gestützte Substitution und eventuell darüber hinaus gehender Spritzentausch am bes-
ten in Haftanstalten praktiziert werden können. Die Problematik der Spritzenvergabe
an Diamorphin-substituierte Opiatabhängige ließe sich außerdem künftig mindern,
wenn sich die Umstellung auf Praktiken oraler Einnahme des Substituts als gangbare
Äquivalente Gesundheitsversorgung in Pflegeheimen und Haftanstalten 1145

Alternative zu Injektionen erwiese. Allerdings wird man es derzeit nicht als rechts-
widrig ansehen müssen, wenn sich zuständige Ärzte in Haftanstalten bei der Ermes-
sensentscheidung, ob eine und welche Substitutionsbehandlung angezeigt sei, auf
den Standpunkt stellen, die mit einer Diamorphinsubstitution verbundenen Vorkeh-
rungen könnten nicht verwirklicht werden, zumindest seien die mit solcher Substi-
tution verbundenen Risiken nicht beherrschbar, weshalb nur eine Substitution mit an-
deren Medikamenten wie Methadon angeordnet werden könne. Nach Informationen
eines maßgeblich im Raum Frankfurt am Main für die Substitution Drogenabhängi-
ger zuständigen Psychiaters ist es möglich, bislang Diamorphinsubstituierte nach
Haftantritt in eine Behandlung mit einem anderen Substitut überzuführen und
nach Haftentlassung die ursprüngliche Diamorphinsubstitution wieder aufzuneh-
men.

Literaturverzeichnis

Bendek, C. (2017): Ein Plädoyer für die flächendeckende Etablierung der Substitutionsbehand-
lung im deutschen Strafvollzug. HRRS 18, S. 458 – 478.
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (Hrsg.) (2019): DHS Jahrbuch Sucht 2019. Lenge-
rich.
Deutscher Bundestag (1975): Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik
Deutschland, BT-Drucks. Nr. 7/4200, Bonn.
Gutzmann, H., Schäufele, M., Kessler, E.-M. & Rapp, M.A. (2017): Psychiatrische und psycho-
therapeutische Versorgung von Pflegebedürftigen, in: K. Jacobs, A. Kuhlmey, S. Greß,
J. Klauber & A. Schwinger (Hrsg.), Pflege-Report 2017: Schwerpunkt: Die Versorgung
der Pflegebedürftigen. Stuttgart, S. 107 – 117.
Hoffmann, K., Kreuzer, A. & Suleck, T. (2002): Spritzenvergabe im Strafvollzug. Rechtliche und
tatsächliche Probleme eines umstrittenen Modells der Infektionsprophylaxe. Baden-Baden.
Initiative Gesundheit in Haft (2019): „Prison Health is Public Health“ – 6 Eckpunkte-Papier
Haft. Wiesbaden; https://www.aidshilfe.de/sites/default/files/documents/6eckpunktepapier_
haft_09042019.pdf.
Justizministerium des Landes NRW (2010): Substitutionstherapie in der Haft. Ärztliche Be-
handlungsempfehlungen zur medikamentösen Therapie der Opioidabhängigkeit. Berlin;
https://www.akzept.org/experten_gespraech/pdf_4_10/husmann.pdf.
Kreuzer, A. (1970): Kontroverse Rechtsprechung zum Schriftenbezug im Strafvollzug – zu-
gleich ein Beitrag zur Frage der Einschränkbarkeit von Grundrechten im Strafvollzug. Golt-
dammers’ Archiv für Strafrecht 3, S. 65 – 80.
Kreuzer, A. (1975): Drogen und Delinquenz. Wiesbaden.
Kreuzer, A. (2012): Subkulturelle Gemeinsamkeiten bei Misshandlungen in staatlichen und ge-
sellschaftlichen Subsystemen, in: E. Hilgendorf & R. Rengier (Hrsg.), Festschrift für Wolf-
gang Heinz. Baden-Baden, S. 155 – 168.
Pont, J., Kastelic, A., Stöver, H., Ritter, C. & Knorr, B. (2018): Substitutionsbehandlung im
Strafvollzug – Ein praktischer Ratgeber. Berlin.
1146 Arthur Kreuzer

Schüler-Springorum, H. (1969): Strafvollzug im Übergang. Göttingen.


Schwinger, A., Jürchott, K. & Tsiasioti, C. (2017): Pflegebedürftigkeit in Deutschland, in:
K. Jacobs, A. Kuhlmey, S. Greß, J. Klauber & A. Schwinger (Hrsg.), Pflege-Report 2017:
Schwerpunkt: Die Versorgung der Pflegebedürftigen. Stuttgart, S. 255 – 303.
Statistisches Bundesamt (2018): Pflegestatistik: Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung:
Deutschlandergebnisse. Wiesbaden.
Stöver, H. (2018): Gesundheitliche und soziale Ungleichheiten in der Behandlung von Gefan-
genen, in: T. Bartsch, T. Görgen, K. Hoffmann-Holland, S. Kemme & J. Stock (Hrsg.), Mittler
zwischen Recht und Wirklichkeit: Festschrift für Arthur Kreuzer zum 80. Geburtstag. Frank-
furt, S. 429 – 463.
Wittchen, H.-U., Bühringer, G. & Rehm, J. (2011): PREMOS-STUDIE: Die Substitutionsbe-
handlung Opioidabhängiger. Suchtmedizin 13/5, S. 202 – 212.
Risikomanagement bei Straftätern
als interdisziplinäre Aufgabe
Von Norbert Nedopil

1. Geschichte: Verständigungsschwierigkeiten
in Forschung und Praxis
Als Hans-Jörg Albrecht und auch der Autor vor etwa 35 Jahren die Bühne der For-
schung in Kriminologie und Forensischer Psychiatrie betraten und sich etwas später
als Antragsteller in einem Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsge-
meinschaft kennenlernten, gab es gerade erste Ansätze fachübergreifender Zusam-
menarbeit und vor allem die Idee der Interdisziplinarität, die zu einer Intensivierung
der Forschung und zu einem Wissenstransfer zwischen den Forschern beitragen soll-
te. Tatsächlich waren beide Fächer aber zunächst weitgehend damit beschäftigt, die
Grundlagen für eigene empirisch quantitative Untersuchungen zu schaffen. Interdis-
ziplinäre Ansätze blieben auf vereinzelte Aktivitäten in Forschungsprojekten und in
der Lehre beschränkt. Wissenschaftliche Arbeiten in der Forensischen Psychiatrie
konnten immer noch durch den Satz von Bleuler über das „autistische, undiszipli-
nierte Denken in der Medizin“ (Bleuler 1962) charakterisiert werden. Die Praxis
war vor allem bei der Begutachtung weiterhin durch den Schulenstreit zwischen
den psychopathologisch orientierten Vorgaben der Heidelberger Schule (z. B.
Schneider 1929; Witter 1970) und den tiefenpsychologischen Ansätzen psychoana-
lytischer Verstehensmodelle (Schorsch & Becker 1977) oder den Erklärungsmodel-
len, die sich von einer Konstitutionspsychologie ableiteten (Kretschmer 1977), ge-
prägt.
Darüber hinaus spielte in den akademischen Auseinandersetzungen der Gnosti-
zismus-Agnostizismusstreit eine bedeutsame Rolle, nämlich die Frage, ob überhaupt
beurteilt werden kann, ob ein Mensch aufgrund eigener Entscheidung auch hätte an-
ders handeln können, als er dies bei seinem kriminellen Akt machte. Die agnostische
Position, die u. a. von Schneider, Witter, Haddenbrock vertreten wurde, ging von der
Annahme aus, dass die Frage nach der Willensfreiheit und den Einbußen an Steue-
rungsfähigkeit im Einzelfall wissenschaftlich nicht beantwortbar sei. Demgegenüber
vertraten die Verfechter einer gnostischen Position, z. B. Mende, Schüler-Springorum
oder Venzlaff, die Auffassung, dass wissenschaftlich begründete Aussagen über Ein-
sichts- und Steuerungsfähigkeit durchaus möglich seien (Müller & Nedopil 2017).
1148 Norbert Nedopil

Auch der Dialog zwischen Psychiatern und Juristen war von Verständigungs-
schwierigkeiten und manchmal auch von grundsätzlichen Meinungsverschiedenhei-
ten geprägt (Nedopil 1999).
Empirische Untersuchungen im engeren Sinn waren in der forensischen Psychia-
trie, aber auch in der Kriminologie, eher die Ausnahme. Es fehlte an verbindlichen
Begrifflichkeiten und Definitionen, sowie überhaupt an Maßstäben und quantitativer
Methodik, die über ein Abzählen von Fällen hinausging.
Eine vergleichbare Vielfalt an eher einzelgängerischen Denkmustern und Be-
handlungsstrategien fand sich im psychiatrischen Maßregelvollzug. Verbindliche
Behandlungskonzepte und Interventionsstrategien gab es oftmals nicht einmal inner-
halb einer Einrichtung, geschweige denn zwischen den einzelnen Akteuren unter-
schiedlicher Professionen (Psychiatrie, Psychologie, Arbeitstherapie, Pädagogik,
Sozialpädagogik, Strafvollstreckungskammern, Bewährungshilfe), die mit der Kli-
entel befasst waren.

2. Ansätze verbindlicher Sprachregelungen und Messmethoden


als Grundlagen des interdisziplinären Dialogs
All dies hat sich im Laufe der Zeit seit 1984 geändert. Beginnend mit der Einfüh-
rung von DSM-III (American Psychiatric Association 1980) und später ICD-10 (Dil-
ling et al. 1991) wurde eine operationalisierte, d. h. auch verbindliche und von außen
nachvollziehbare Klassifikation in der Psychiatrie eingeführt. Epidemiologische,
anamnestische und psychopathologische Begriffe wurden ebenfalls präzisiert und
quantifizierbar gemacht. Psychopathologische und kriminologische Zusammenhän-
ge und deren Interaktionen konnten quantitativ erfasst, neue Erkenntnisse abgeleitet
und für den Umgang mit Straftätern nutzbar gemacht werden.
Nirgendwo ist diese Entwicklung deutlicher geworden als in der Prognosefor-
schung, wie man damals diese Forschungsrichtung im deutschsprachigen Raum
nannte. Beginnend mit der Analyse von Straftätern, die nach ihrer Entlassung aus
gesicherten Einrichtungen erneut Straftaten begingen, wurden jene Merkmale iden-
tifiziert, die besonders hoch mit der Rückfallneigung korrelierten und bei den Nicht-
Rückfälligen nicht vorhanden waren und die deshalb als Risikofaktoren aufzufassen
waren. So entstanden der Violence Risk Appraisal Guide (VRAG, Harris et al. 1993)
und der Sexual Offender Risk Appraisal Guide (SORAG, Rice & Harris 1997). Auf-
grund der Analyse von Persönlichkeitsmerkmalen bei Strafgefangenen und Maßre-
gelvollzugspatienten, bei denen therapeutische und sozialpädagogische Verhaltens-
modifikationen scheiterten, wurde die Psychopathy-Checklist (PCL, Hare &
McPhearson 1984) entwickelt, die auf dem psychopathologischen Modell von
Cleckley (1976) basierte und zu dem Konzept von „Psychopathy“ und der später
weit verbreiteten PCL-R (Hare 1991) führte. Metaanalysen von Untersuchungen
über die Kriterien, die rückfällige von nicht-rückfälligen Sexualstraftätern unter-
Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe 1149

schieden, führten zur Entwicklung des Static 99 (Hanson & Thornton 1999). Mit
Hilfe der Untersuchung der Vorhersagemethoden erfahrener Sachverständiger und
der Analyse von deren Treffsicherheit wurde in Verbindung mit bereits veröffentlich-
ten empirischen Untersuchungen von Merkmalslisten zur Risikoerfassung bei psy-
chisch gestörten Straftätern die Integrierte Liste der Risikofaktoren (ILRV, Nedopil
1997) erarbeitet. Die damals erhobene Forderung nach der Errechnung von Basisra-
ten über die Rückfallhäufigkeit von Straftätern nach Haftentlassung, die in der ILRV
erfragt wurden, wurde von Kriminologen und dem Bundesjustizministerium aufge-
griffen. Deliktbezogene Rückfallraten wurden bislang drei Mal mit unterschiedlich
langen Beobachtungszeiträumen veröffentlicht (Jehle et al. 2003; 2010; 2016).
Mit unterschiedlichen empirischen Methoden wurde eine Vielzahl derartiger In-
strumente geschaffen, die empirische Untersuchungen und quantitative Aussagen er-
möglichten. Die Ergebnisse der Untersuchungen führten wiederum zu einer Verbes-
serung der Instrumente. Bereits 2010 wurden über 470 derartige Merkmalslisten ge-
schaffen, deren Konstruktion, Aussagekraft und Anwendungsmöglichkeiten selbst
für Fachleute nicht überschaubar sind (Chambers et al. 2009).
Entscheidend für die Entwicklung der Prognoseforschung, aber auch für das Fach
und die interdisziplinäre Zusammenarbeit insgesamt, ist nicht die Schaffung immer
neuer Instrumente, sondern dass durch diese Instrumente und deren Anwendung eine
gemeinsame, verbindliche und z. T. auch quantitativ differenzierende Sprache gefun-
den wurde.

3. Von der Prognose zu Risikoeinschätzung


und Risikomanagement
In dieser Zeit waren Forschung und Praxis sehr damit beschäftigt, zu untersuchen,
wie eine optimale Treffsicherheit von Prognosen hergestellt werden kann, und man
bemühte sich, diese Treffsicherheit zu verbessern. Man erkannte günstige und un-
günstige Prognosen und ein breites Mittelfeld dazwischen. Unter den damaligen wis-
senschaftlich orientierten Autoren wurde darum gerungen, wie diese Erkenntnis im
Einzelfall richtig (gesetzeskonform) erfasst, wie die Aussagen zur Individualprogno-
se auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt und für den Anwender sowie den
Betroffenen transparent gemacht werden können (Nedopil 2005).
Allerdings wurde auch immer wieder auf die begrenzte Aussagekraft derartiger
Prognosemethoden hingewiesen (z. B. Boetticher et al. 2006; Nedopil & Stadtland
2006). Auch der Jubilar hat sich wiederholt kritisch mit der Problematik derartiger
Prognosen auseinandergesetzt (Albrecht 2012).
In den letzten 15 Jahren haben sich sowohl die Gesetze als auch die Institutionen,
die sich mit der Behandlung psychisch kranker Rechtsbrecher befassen, geändert.
Gesetzliche und administrative Neuregelungen betrafen 2007 die Nachsorge und
das Risikomanagement nach einer Entlassung aus gesicherten Einrichtungen. Die
1150 Norbert Nedopil

Führungsaufsicht wurde auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt und die foren-
sischen Ambulanzen wurden in das Strafgesetzbuch (§§ 68a bis 68c, 68e, 68f) auf-
genommen. 2011 wurde die elektronische Aufenthaltsüberwachung, die eine weiter-
gehende Kontrolle der risikoträchtigen Patienten nach deren Entlassung ermöglicht,
legalisiert (§ 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB). 2016 erfolgten die Gesetzesrevisionen zum
Maßregelvollzug, die auch eine Differenzierung bezüglich des Restrisikos, welches
der Allgemeinheit zugemutet werden kann, enthielten (§§ 63, 64, 67, 67d StGB).
Etwas später kamen die Änderungen der landesrechtlichen Maßregelvollzugsgesetze
hinzu, die rechtliche Festschreibungen zur Unterbringung und Behandlung ein-
schlossen und somit auch therapeutisches Handeln weit mehr und rigider als früher
unter richterliche Kontrolle stellten.
Auch im klinischen Umgang mit den Untergebrachten und den aus der Unterbrin-
gung Entlassenen hat sich vieles geändert, namentlich die Einführung der ambulan-
ten Nachsorge für Patienten, die aus dem Maßregelvollzug entlassen wurden (Stüb-
ner & Nedopil 2009) und z. T. auch für Strafgefangene, die zuvor den Vollzug in so-
zialtherapeutischen Abteilungen absolviert hatten (Tippelt et al. 2012). Durch diese
Nachsorge soll verhindert werden, dass sich erkennbare Risiken zu realen Gefahren
wandeln. Es geht also nicht mehr um die Treffsicherheit einer Prognose, sondern um
das Vorbeugen und Verhindern einer Verwirklichung von Risiken und damit um das
Erkennen dieser Risiken (Nedopil 2013).
Von forensisch psychiatrischer bzw. von interdisziplinärer Seite hat sich das Kon-
zept der Prognose geändert. Es ist sehr viel deutlicher geworden, dass es um Risiko-
management und weniger um die Richtigkeit einer Prognose geht. Auch für die
Rückfallprognose bei Straftätern gilt die Aussage von Harari (2017): „Welchen
Sinn macht es Prognosen abzugeben, wenn diese nichts ändern? Einige komplexe
Systeme, wie z. B. das Wetter, sind sich der Prognosen nicht bewusst. Der Prozess
der menschlichen Entwicklung reagiert im Gegensatz dazu aber auf Prognosen. In
der Tat, je besser die Vorhersagen sind, desto mehr Reaktionen rufen sie hervor.
Es wird mehr Wissen geschaffen und Menschen ändern ihr Verhalten und damit wer-
den die Grundlagen unserer Prognosen und auch die Prognosen selbst überholt und
hinfällig.“ Es ist eine Feststellung, die medizinisches Wirken ausgesprochen oder un-
ausgesprochen schon lange beherrscht, bei der Neuorientierung der Prognosefor-
schung in der forensischen Psychiatrie in den 1990er Jahren allerdings vergessen
wurde.
Die heutige Frage lautet somit wissenschaftlich formuliert: Was können wir tun,
um eine ungünstige Prognose zu falsifizieren? Oder mit anderen Worten: Ziel von
Risikoeinschätzung und Risikomanagement ist nicht eine möglichst hohe Treffer-
quote, sondern die Falsifizierung der ungünstigen und die Verifizierung der günsti-
gen Prognose. Auch die Begrifflichkeiten werden den neuen Paradigmen angepasst.
Es geht nicht mehr um die Prognose, sondern um eine Risikoeinschätzung. Der
grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass Prognosen voraussagen sollen, was
geschehen wird. Ihre Richtigkeit erweist sich, wenn das eintrifft, was vorausgesagt
Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe 1151

wurde. Risikoeinschätzungen hingegen dienen dazu aufzuzeigen, was sich ändern


muss, damit eine Gefahr nicht zur Realität wird, sondern abgewendet werden
kann. Sie sind Voraussetzungen für ein optimales oder zumindest adäquates Risiko-
management. Ihre Richtigkeit erweist sich, wenn die Gefahr, die befürchtet wurde,
vermieden oder verhindert wurde.
Eine ähnliche Position hat Hart schon 2008 formuliert: „Prognosen sind am wir-
kungsvollsten, wenn wir die Realität für Prognosen selber schaffen.“ (s.a. Hart &
Cooke 2013). Heute werden die Bedingungen, für die eine günstige Prognose gelten
kann (Ausmaß von Betreuung, Fürsorge und Kontrolle) benannt und geschaffen.
Daraus leitet sich aber die Frage der Verhältnismäßigkeit unter ganz neuen Bedin-
gungen ab und auch die Frage, wie der Sachverständige korrekt dazu Stellung neh-
men soll (z. B. ist die vorgeschlagene Kontrolle beim ambulanten Risikomanagement
oder ist die Dauer des vorgeschlagenen Risikomanagements noch verhältnismäßig?).
Hierzu bedarf es des interdisziplinären Diskurses zwischen Jurisprudenz und Hu-
manwissenschaftlern, denn die Verhältnismäßigkeit bleibt ein von Juristen zu beach-
tendes und von Gerichten einzuhaltendes Rechtsstaatsprinzip, das Risikomanage-
ment hingegen eine interdisziplinäre Aufgabe, die bei psychisch gestörten Straftätern
federführend von Psychiatern und Psychologen durchgeführt wird.
Aber auch die Auffassungen von Risikomanagement und Therapie haben sich ge-
wandelt. Risikomanagement heißt das richtige Erkennen der richtigen Risikofakto-
ren zum richtigen Zeitpunkt und deren angemessene Behebung oder deren Ausgleich
durch protektive Faktoren. Die Konzepte der Rückfallprognose und der Behandlung
konvergierten zunehmend unter dem Gesichtspunkt des Risikomanagements. Damit
wird Prognosebegutachtung – wie es in der Praxis und auch bei den Empfehlungen
für Prognosegutachten (Boetticher et al. 2019; Kröber et al. 2019) fälschlicherweise
immer noch heißt – zur externen Risikoerfassung, die zudem Beurteilung, Anregung
und Hilfestellung für das Risikomanagement mit umfassen sollte. Behandlung im
Maßregelvollzug wird zum Risikomanagement, welches auf die richtige Erfassung
der Risikofaktoren angewiesen ist. Ziel der Behandlung ist „die günstige Prognose“;
Ziel der Prognosebegutachtung ist „die richtige Behandlung“. Die Vernetzung von
Begutachtung und Behandlung beginnt mit der Einweisungsprognose, die in den
Maßregelvollzug führt, und sie dauert über die Entlassungsprognose hinaus.

4. Behandlung und Risikomanagement


als interdisziplinäre Aufgabe
In der gleichen Zeit wurden auch Interventionsprogramme für verschiedene Tä-
tergruppen entwickelt und empirisch ausgewertet. Sie sollten ebenfalls den Anspruch
erfüllen, nicht nur einem theoretischen Konzept oder einer mehr oder weniger wis-
senschaftlich begründeten Schule zu folgen, sondern ihre Effektivität bezüglich der
Rückfallprävention und der sozialen Reintegration empirisch nachgewiesen zu
1152 Norbert Nedopil

haben. Dies gelang bisher am besten, wenn sie speziell auf die Risikomerkmale aus-
gerichtet waren, die sich als deliktrelevant erwiesen haben, d. h. die Neigung des Be-
treffenden zu Normverstößen, Gewalttätigkeiten oder sexueller Übergriffigkeit im
Fokus haben (Andrews & Bonta 1994; 2017). Auch in diesem Bereich ist die Anzahl
der therapeutischen Ansätze nur schwer zu überblicken. Die Grundsätze und Wirk-
prinzipien sind jedoch dahingehend relativ ähnlich, dass sie auf kognitiv-behaviora-
len Methoden beruhen und dass die Risiken und (kriminogenen) Bedürfnisse des Be-
troffenen angegangen werden müssen. Die Intensität der Behandlung soll sich an der
Gefährlichkeit des Täters orientieren. Menschen mit hohem Risiko sollen intensiver
behandelt werden als jene mit niedrigem Risiko. Die Therapie soll auf die änderbaren
Risikofaktoren (z. B. soziale Isolierung, antisoziale Einstellungen, begünstigende
Einstellungen zur Gewaltanwendung, fehlende Tagesstrukturierung, mangelnde
Ausbildung, ideologische Vereinseitigung, Substanzmissbrauch, misslungene fami-
liäre Beziehungen, Mangel an prosozialer, selbstbestätigender Freizeitgestaltung) im
Einzelfall fokussieren und der Ansprechbarkeit der Betroffenen in Bezug auf kogni-
tive Fähigkeiten, Lernstil, Motivation etc. angepasst sein.
Die Therapie sollte darüber hinaus zu einer Steigerung der Lebensqualität führen,
deren Verlust wiederum für den Betroffenen schmerzlich wäre und damit von ihm
vermieden werden würde (Good Lives Model Ward et al. 2007; Franqué & Briken
2013). Diese Therapiekonzepte werden getragen von einem interdisziplinären Be-
handlungsteam, in welchem alle Mitglieder, Psychiater, Psychologen, Sozialpädago-
gen, Ergotherapeuten und Pflegekräfte gemeinsam und übereinstimmend nicht nur
das gleiche Ziel verfolgen, sondern auch vergleichbare Rollenmodelle vorleben
und die gleiche Strategie vertreten sollten (Müller-Isberner et al. 2018).
In beiden Bereichen, Risikoeinschätzung und Behandlung bei psychisch gestör-
ten Straftätern, sind die individuellen und selten allgemein vermittelbaren Vorge-
hensweisen, die den jeweiligen persönlichen Interessen und klinischen Erfahrungen
einzelner Therapeuten entsprangen, zunehmend in den Hintergrund gedrängt und
durch allgemein verbindliche und für Außenstehende transparente Konzepte ersetzt
worden. Dadurch werden die Kommunikation vereinfacht, die Vorgehensweise über-
prüfbar, die Methoden lehr- und lernbar gemacht; gleichzeitig werden sie durch em-
pirische Auswertungen und Analysen auch verbesserbar und in ihrer Effektivität ge-
steigert.
Transparenz und Effektivitätsnachweis sind erforderlich, weil durch die Geset-
zesänderungen zunehmend die Strafvollstreckungskammern der Gerichte als weitere
Akteure in das therapeutische Setting mit eingreifen. Dies geschieht nicht nur zuneh-
mend häufiger bei Behandlungen gegen den Willen strafrechtlich untergebrachter
Patienten (Koller 2014; Nedopil 2016), sondern auch weil sie dazu verpflichtet
sind, zu überprüfen, ob eine adäquate Behandlung angeboten und kompetent durch-
geführt wurde (siehe Empfehlungen Kröber et al. 2019).
Vor diesem Hintergrund ist nahezu zwangsläufig eine multidisziplinäre Herange-
hensweise erforderlich, um gemeinsam die Aufgaben, namentlich die Sicherheit für
Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe 1153

die Allgemeinheit und das Wohlbefinden und die Wahrung der individuellen Rechte
des einzelnen Betroffenen, zu erfüllen.

5. Interdisziplinarität beim Risikomanagement


in der forensischen Nachsorge
Interdisziplinäres Arbeiten, oder im forensischen Kontext besser „Multi agency
work“, wird definiert als ein Zusammenwirken von Menschen unterschiedlicher Be-
rufe, Organisationen und Dienstleister, mit z. T. verschiedenen primären Aufgaben-
feldern, aber dem gemeinsamen Ziel, die Gefahr, die von den Betroffenen ausgehen
könnte, zu reduzieren und die öffentliche Sicherheit zu verbessern (Thomson et al.
2016).
Während früher die einzelnen Berufsgruppen, die für psychisch kranke Straftä-
ter – besonders nach deren Entlassung – verantwortlich waren, namentlich Bewäh-
rungshilfe, ambulante psychiatrische Versorgungseinrichtungen, Wohngemein-
schaften, Sozialämter und letztendlich auch die Polizei und die Strafvollstreckungs-
gerichte, weitgehend unabhängig voneinander agierten, trat mit der Änderung des
Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht von 2007 erstmals eine gewisse Ver-
pflichtung zur Zusammenarbeit ein. Gleichzeitig wurde auch erkannt, dass einerseits
wichtige Informationen übersehen werden, wenn die in der Für- und Nachsorge die-
ser Menschen Tätigen nicht zusammenarbeiten oder sich in ihren Aussagen nicht
verstehen, und andererseits die Gefahr besteht, dass die Klienten weit weniger ko-
operieren und Informationen zurückhalten, wenn sie wissen, dass diese Informatio-
nen von Ärzten oder der Bewährungshilfe an die Polizei weitergeleitet werden. Als
Lösung in Einzelfällen lohnt es sich deshalb, den Informationsaustausch zu institu-
tionalisieren, transparent zu machen und auch den Klienten gegenüber offenzulegen.
Derartige „runde Tische“ können ein wichtiges Element des Krisenmanagements
sein, in denen Risikoeinschätzung und Risikomanagement aus den verschiedenen
Perspektiven beleuchtet und gemeinsam tragbare Lösungen gefunden werden.
Zusammenarbeit beim Risikomanagement von psychisch gestörten Straftätern ist
am weitesten in Großbritannien entwickelt und institutionalisiert. Sowohl die Ge-
setzgebung für England und Wales (Home Office 2003) als auch für Schottland
(Scottish Government 2015) haben sogenannte Multi Agency Public Protection Ar-
rangements (MAPPA) gesetzlich festgelegt. Auch in Holland und in Dänemark (Ses-
toft et al. 2014) wurden interdisziplinäre Modelle der Nachsorge für psychisch ge-
störte Straftäter etabliert. Als Vorteile einer solchen Zusammenarbeit werden gese-
hen
– die Verantwortungsverteilung und die damit verbundene Absicherung, aber auch
– die Klarstellung der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Beteiligten,
1154 Norbert Nedopil

– die Möglichkeit der Betreuung besonders schwieriger Klienten, mit denen eine
Berufsgruppe allein überfordert wäre,
– eine Kostenreduktion,
– eine informelle Zusammenarbeit und die Entwicklung von Verständnis für die
Aufgaben und Probleme der anderen Berufsgruppen,
– die Verpflichtung zu dem erforderlichen Perspektivenwechsel, der bei der Nach-
sorge notwendig ist, und
– eine Verbesserung der Betreuungskonstanz.
Allerdings sollten auch die denkbaren Nachteile nicht übersehen werden. Sie be-
stehen darin,
– dass vertrauliche Informationen ausgetauscht werden und damit die Schweige-
pflicht unterhöhlt wird,
– dass eine größere Kontrolle und intensivere Eingriffe in das Leben der Betroffenen
über einen längeren Zeitraum erfolgen und
– dass der interdisziplinäre Arbeitsprozess auch mit Zeit und Kosten verbunden ist,
die möglicherweise ausgeglichen werden müssen.
Aus der Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen wird ersichtlich, dass es kla-
rer Regelungen von Verantwortlichkeiten, klarer Grenzsetzungen (z. B. über den
Umfang des Informationsaustausches) und einer Strukturierung der Zusammenarbeit
bedarf, dass unter solchen Bedingungen aber die praktischen Vorteile überwiegen
(Thomson et al. 2018).
Und wiederum ist damit eine Werteentscheidung verbunden, wie die Vor- und
Nachteile gegeneinander abgewogen werden. Damit wird ersichtlich, dass normati-
ves Denken in den Abwägungsprozess beim interdisziplinären Risikomanagement
mit einbezogen werden muss.
Eine solche interdisziplinäre Zusammenarbeit gelingt aber nur, wenn eine ge-
meinsame Sprache und ein gemeinsames Grundverständnis zwischen den Akteuren
gefunden wird und diese wiederum die Sichtweisen, Aufgaben und Grenzen der an-
deren Akteure in den Grundzügen verstehen.

6. Interdisziplinäre Weiterbildung als Voraussetzung


für interdisziplinäres Risikomanagement
Das Ziel einer interdisziplinären Zusammenarbeit in der forensischen Psychiatrie,
die primär für Risikoeinschätzung und Risikomanagement bei psychisch kranken
und gestörten Straftätern verantwortlich und gleichzeitig den Weisungen der Gerich-
te unterworfen ist, gelingt letztendlich aber nur, wenn auch deren Weiterbildung in-
terdisziplinär durchgeführt wird. Dieser Aufgabe hat sich der Autor seit vielen Jahren
Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe 1155

gestellt. Seit 1990 wurden die interdisziplinären, von Psychiatern, Psychologen und
Juristen gemeinsam durchgeführten Seminare zunächst in Niederpöcking und ab
2010 unter neuer Leitung in Tutzing für deutschsprachige Fachleute veranstaltet
(Nedopil 2008). Von 2004 bis 2012 wurden regelmäßige interdisziplinäre Seminare
mit der Spezialabteilung der Polizei, die in Bayern für die kriminalpräventive Nach-
sorge entlassener Sexualstraftäter verantwortlich ist (HEADS), veranstaltet (Horn &
Nedopil 2006), 2011 begannen nach dem gleichen Konzept wie zuvor in Niederpö-
cking englischsprachige Seminare, die von einer europäischen Gruppe forensischer
Psychiater, der 2004 gegründeten Ghent-Group (Gunn & Nedopil 2005) organisiert
werden (Nedopil et al. 2012). Der Jubilar hat, ohne zu zögern, die Bitte des Autors
zur Mitwirkung angenommen und ist von Anbeginn bis heute bei den jährlich ver-
anstalteten Sommer-Seminaren der Vertreter der Rechtswissenschaften, der mit der
ihm eigenen internationalen Erfahrung und Übersicht die juristische Perspektive der
jeweiligen Themen eingebracht und die psychiatrischen und psychologischen Sicht-
weisen hinterfragt hat. Er hat dabei vielen Teilnehmern nicht nur die Augen geöffnet
und ihnen Perspektivenwechsel ermöglicht, er hat ihnen auch die Scheu genommen,
mit Juristen in einen vertieften Diskurs zu treten. Beides, die Fähigkeit zum Perspek-
tivenwechsel und die Bereitschaft zum Diskurs, ist aber erforderlich, wenn man die
Aufgabe eines interdisziplinären Risikomanagements ernst nimmt.
Viele Aufgaben, die für eine funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit
beim Risikomanagement erforderlich sind, wurden inzwischen geleistet: Die sprach-
liche Verständigung wurde durch eine operationalisierte Terminologie vereinfacht,
die jeweiligen Ansätze wurden im Rahmen des Möglichen quantifizierbar und die
Effekte von Interventionen messbar, die Aufgabenstellung (des Risikomanagements)
ist von unerfüllbaren Forderungen (z. B. nach der Vorhersage langfristiger Straffrei-
heit nach einer Entlassung) auf erreichbare Zwischenziele (z. B. die mittelfristige
Kontrolle von Risiken) verlagert worden. Die Akteure dieser Aufgabenstellung
haben die Möglichkeit, gemeinsam sinnvolle Lösungen zu finden. Für die Human-
wissenschaftler wurden Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen, die ihnen die Per-
spektiven der anderen Akteure und insbesondere der Juristen nahebringen und ihnen
den Zugang zum Diskurs eröffnen. Bedauerlicherweise wird die Interdisziplinarität
von Seiten der Juristen kaum ernst genommen. Vergleichbare Anstrengungen für in-
terdisziplinäre Weiter- und Fortbildung, wie dies von Seiten der Humanwissenschaf-
ten geschieht, gibt es kaum, obwohl alle Juristen, die an den psychiatrischen Semi-
naren mitgewirkt haben, den Gewinn für das eigene Denken und die eigene Arbeit
anerkennen.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2012): Psychiatrie, Gefährlichkeit und Prognose, in: E. Yundina, S. Stübner,
M. Hollweg & C. Stadtland (Hrsg.), Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissen-
schaft. Festschrift zum Geburtstag von Norbert Nedopil. Berlin, S. 1 – 14.
1156 Norbert Nedopil

American Psychiatric Association (Hrsg.) (1980): Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders. 3rd ed. (DSM-III). Washington, D.C.
Andrews, D.A. & Bonta, J. (1994): The Psychology of Criminal Conduct. Cincinnati.
Andrews, D.A. & Bonta, J. (2017): The Psychology of Criminal Conduct. 6th ed. Cincinnati.
Bleuler, E. (1962): Das autistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwin-
dung. 5. Aufl. Berlin.
Boetticher, A., Koller, M., Böhm, K.M., Brettel, H., Dölling, D., Höffler, K., Müller-Metz, R.,
Pfister, W., Schneider, U., Schöch, H. & Wolf, T. (2019): Empfehlungen für Prognosegutach-
ten – Rechtliche Rahmenbedingungen für Prognosen im Strafverfahren. Neue Zeitschrift für
Strafrecht 39/10, S. 553 – 573.
Boetticher, A., Kröber, H.-L., Müller-Isberner, R., Müller-Metz, R. & Wolf, T. (2006): Mindest-
anforderungen für Prognosegutachten. Neue Zeitschrift für Strafrecht 26/10, S. 537 – 544.
Chambers, J.C., Yiend, J., Barrett, B., Burns, T., Doll, H., Fazel, S., Jenkinson, C., Kaur, A.
Knapp, M., Plugge, E., Sutton, L. & Fitzpatrick, R. (2009): Outcome measures used in foren-
sic mental health research: a structured review. Criminal Behaviour and Mental Health, 19/1,
S. 9 – 27.
Cleckley, H. (1976): The mask of sanity: An attempt to clarify some issues about the so called
psychopathic personality. 5th ed. St. Louis.
Dilling, H., Mombour, W., & Schmidt, M.H. (1991): Internationale Klassifikation psychischer
Störungen: ICD-10. 8. Aufl.. Bern.
Franqué, F. von & Briken, P. (2013): Das „Good Lives Model“ (GLM). Forensische Psychiatrie,
Psychologie, Kriminologie 7/1, S. 22 – 27.
Gunn, J. & Nedopil, N. (2005): European training in forensic psychiatry. Criminal Behaviour
and Mental Health 15/4, S. 207 – 213.
Hanson, R.K. & Thornton, D. (1999): Static 99: Improving actuarial risk assessments for sex
offenders. Ottawa.
Harari, Y.N. (2017): Homo Deus. London.
Hare, R.D. (1991): Manual for the Hare Psychopathy Checklist-Revised. Toronto.
Hare, R.D. & McPherson, L.M. (1984): Violent and aggressive behavior by criminal psycho-
paths. International Journal of Law and Psychiatry 7/1, S. 35 – 50.
Harris, G.T., Rice, M. E. & Quinsey, V.L. (1993): Violent recidivism of mentally disordered off-
enders: the development of a statistical prediction instrument. Criminal Justice and Behavior
20/4, S. 315 – 335.
Hart, S.D. & Cooke, D.J. (2013): Another look at the (im-)precision of individual risk estimates
made using actuarial risk assessment instruments. Behavioral Sciences & the Law 31/1,
S. 81 – 102.
Home Office (2003): Multi-agency public protection arrangements guidance. London.
Horn, A. (2006): Zusammenarbeit zwischen Fallanalyse und forensischer Psychiatrie, in:
C. Musloff & J. Hoffmann (Hrsg.), Täterprofile bei Gewaltverbrechen. Heidelberg,
S. 351 – 369.
Risikomanagement bei Straftätern als interdisziplinäre Aufgabe 1157

Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2010): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen 2004 bis 2007. Mönchengladbach.
Jehle, J.-M., Heinz, W. & Sutterer, P. (2003): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen.
Mönchengladbach.
Jehle, J.-M., Heinz, W. & Sutterer, P. (2016): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen.
3. Aufl. Mönchengladbach.
Koller, M. (2014): Zwangsbehandlung – eine Zwischenbilanz. Forensische Psychiatrie, Psycho-
logie, Kriminologie 8/4, S. 279 – 287.
Kretschmer, E. (1977): Körperbau und Charakter. 26. Aufl. Berlin.
Kröber, H.-L., Brettel, H., Rettenberger, M. & Stübner, S. (2019): Empfehlungen für Prognose-
gutachten – Erfahrungswissenschaftliche Empfehlungen für kriminalprognostische Gutach-
ten. Neue Zeitschrift für Strafrecht 39/10, S. 574 – 579.
Müller, J.L. & Nedopil, N. (2017): Forensische Psychiatrie. 5. Aufl. Stuttgart.
Müller-Isberner, R., Born, P., Eucker, S. & Eusterschulte, B. (2018): Therapie im Maßregelvoll-
zug. 3. Aufl. Berlin.
Nedopil, N. (1997): Die Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen für die Prognose künftiger
Delinquenz. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 80/2, S. 79 – 92.
Nedopil, N. (1999): Verständnisschwierigkeiten zwischen dem Juristen und dem psychiatri-
schen Sachverständigen. Neue Zeitschrift für Strafrecht 19/9, S. 433 – 440.
Nedopil, N. (2005): Prognosen in der forensischen Psychiatrie – ein Handbuch für die Praxis.
Lengerich.
Nedopil, N. (2008): Fort- und Weiterbildung in Forensischer Psychiatrie – Eine interdisziplinäre
Aufgabe, in: R. Michalke, W. Köberer, J. Pauly & S. Kirsch (Hrsg.), Festschrift für Rainer
Hamm. Berlin, S. 515 – 524.
Nedopil, N. (2013): Von der intuitiven Prognose zum evidenzbasierten Risikomanagement, in:
A. Dessecker & W. Sohn (Hrsg.), Rechtspsychologie, Kriminologie und Praxis. Festschrift
für Rudolf Egg zum 65. Geburtstag. Wiesbaden, S. 435 – 446.
Nedopil, N. (2016): Special Considerations in Forensic Psychiatry, in: B. Völlm & N. Nedopil
(Hrsg.), The use of coercive measures in forensic psychiatric care: Legal, ethical and practical
challenges. Berlin, S. 135 – 149.
Nedopil, N., Gunn, J. & Thomson, L. (2012): Teaching forensic psychiatry in Europe. Criminal
Behaviour and Mental Health 22/4, S. 238 – 246.
Nedopil, N. & Stadtland, C. (2006): Methodenprobleme der forensisch-psychiatrischen Progno-
sebeurteilung, in: F. Schneider (Hrsg.), Entwicklungen in der Psychiatrie. Heidelberg,
S. 361 – 374.
Rice, M. E. & Harris, G.T. (1997): Cross validation and extension of the Violence Risk Apprai-
sal Guide for child molesters and rapists. Law and Human Behavior 21/2, S. 231 – 241.
Schneider, K. (1929): Typenbildung in der Kriminalistik. Monatsschrift für Kriminologie und
Strafrechtsreform 20, S. 332 – 337.
Schorsch, E. & Becker, N. (1977): Angst, Lust, Zerstörung. Sadismus als soziales und kriminel-
les Handeln. Zur Psychodynamik sexueller Tötungen. Reinbek.
1158 Norbert Nedopil

Scottish Government (2015): Multi-agency public protection arrangements (MAPPA) in Scot-


land. Edinburgh.
Sestoft, D., Rasmussen, M.F., Vitus, K. & Kongsrud, L. (2014): The police, social services and
psychiatry cooperation in Denmark – a new model of working practice between government
sectors. A description of the concept, process, practice and experience. International Journal
of Law and Psychiatry 37/4, S. 370 – 375.
Stübner, S. & Nedopil, N. (2009): Ambulante Sicherungsnachsorge. Psychiatrische Praxis 36/7,
S. 317 – 319.
Thomson, L., Goethals, K., Nitschke, J. & Nedopil, N. (2018): Multi-agency work, in: K. Goet-
hals (Hrsg.), Forensic Psychiatry and Psychology in Europe – A Cross-Border Study. Berlin,
S. 143 – 153.
Thomson, L.D., Goethals, K. & Nedopil, N. (2016): Multi agency working in forensic psych-
iatry: Theory and practice in Europe. Criminal Behaviour and Mental Health 26/3,
S. 153 – 160.
Tippelt, S., Stübner, S. & Nedopil, N. (2012): Die psychotherapeutischen Fachambulanzen für
Sexualstraftäter in München und Nürnberg – Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitun-
tersuchung Forum Strafvollzug. Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe 61, S. 95 –
98.
Ward, T., Mann, R.E. & Gannon, T.A. (2007): Goodlives model of offender rehabilitation. Cli-
nical implications. Aggression and Violent Behavior 12/1, S. 87 – 107.
Witter, H. (1970): Grundriß der gerichtlichen Psychologie und Psychiatrie. Berlin.
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland
seit der Jahrtausendwende
Von Joachim Obergfell-Fuchs

1. Einleitung
Der Umgang mit Menschen, die gegen die Regeln der Gesellschaft verstoßen
haben, ist seit Jahrtausenden immer wieder Anlass für kontroverse Reaktionen gewe-
sen. Dominierten bis in die Neuzeit die Körperstrafen und übertrafen sich einige Jahr-
hunderte in der Grausamkeit der Sanktionen, so setzte sich ab dem 17. Jahrhundert
mehr und mehr der Gedanke durch, dass man Menschen auch durch den Entzug von
Freiheit bestrafen könne, zugleich verbunden mit dem ebenfalls positiven Effekt,
möglicherweise auch künftig gefährliche Personen von der Gesellschaft – zumindest
zeitweise – fernzuhalten. Erst später kam der Gedanke hinzu, man könne in dieser
Zeit des Strafvollzugs auch die Betreffenden bessern bzw. – modern – sie resoziali-
sieren. Geschah dies zu Beginn durch die Vorstellung, dass eine Bibel auf dem Haf-
traum, der Blick zum Himmel und gelegentlich ein wenig Aufenthalt an der frischen
Luft zur Buße und Einkehr und damit zu einem straffreien Leben motivieren könne,
versuchte man sich später in einer Vielzahl von Behandlungsstrategien, bis hin zu den
heutigen, teils standardisierten Programmen. Man könnte auch sagen, jede Epoche
und jede Kultur hat den Strafvollzug, den sie verdient, und nicht selten ist gerade
der Umgang mit den Rechtsbrechern ein Gradmesser und Indikator für das Maß
an Humanität in einer Gesellschaft (vgl. Matthews 2009).
Der emeritierte Direktor des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches
und internationales Strafrecht, heute Max-Planck Institut zur Erforschung von Kri-
minalität, Sicherheit und Recht, Hans-Jörg Albrecht hat sich in seinem umfangrei-
chen wissenschaftlichen Werk immer wieder den Themen Strafe und Strafvollzug,
intensiv angenommen. Hierzu gehören z. B. frühe Arbeiten zu den Alternativen
zur Inhaftierung (Albrecht 1979) oder zur Jugendstrafe (Albrecht 1986) ebenso
wie zur gemeinnützigen Arbeit (Albrecht 1988) und, fast schon logische Konse-
quenz, zur Ersatzfreiheitsstrafe, deren Norm er kommentiert (Albrecht 2017). Dar-
über hinaus hat sich Albrecht in seinem Werk mit einer Fülle weiterer strafvollzug-
licher Themen, wie dem elektronisch überwachten Hausarrest als Alternative zur
Freiheitsstrafe (z. B. Albrecht 2001), der Verfassungsmäßigkeit des Jugendstrafvoll-
zugs (Albrecht 2003), der Todesstrafe (Albrecht 2010) oder der Überbelegung des
1160 Joachim Obergfell-Fuchs

Strafvollzugs (Albrecht 2012) beschäftigt. Sein einschlägiges Werk hierzu aufzuzäh-


len, würde bei weitem den gegebenen Rahmen sprengen.
Im folgenden Beitrag soll ein enges Zeitfenster der Geschichte des Strafvoll-
zugs betrachtet werden, die vergangenen rund 20 Jahre seit der Jahrtausendwende.
Es soll der Frage nachgegangen werden, welche Entwicklungen der Strafvollzug
genommen hat, welche Ereignisse und gesellschaftlichen sowie politischen Verän-
derungen ihn geprägt haben. Dies geschieht insbesondere auf der Basis aggregier-
ter Daten der relevanten Rechtspflegestatistiken. Es ist unmöglich, alle Trends
nachzuzeichnen, gleichwohl ergeben sich teils überraschende Entwicklungen,
welche den Strafvollzug und seine Bediensteten immer wieder vor neue Herausfor-
derungen stellen.

2. Veränderungen im Justizvollzug
im 21. Jahrhundert
2.1 Strukturelle Veränderungen

Geht man der Frage nach, wie ein Wandel im deutschen Strafvollzug aussehen
könnte, so bietet sich zunächst der Blick auf die Veränderung der Gefangenenzahlen
und Sicherungsverwahrten an, wie sie das Statistische Bundesamt jährlich zum
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres ausweist. Dabei werden hier, wie auch in den nach-
folgenden Darstellungen, die Gesamtzahlen, d. h. Frauen und Männer, berücksich-
tigt, wobei der Anteil weiblicher Gefangener lediglich 5,9 % (31. 03. 2019) an der
Gesamtzahl der Inhaftierten ausmacht.
Wie Abbildung 1 zeigt, kann man erkennen, dass im Laufe der ersten Dekade des
21. Jahrhunderts zunächst die Gefangenenzahlen moderat anstiegen. Ab 2008
kommt es jedoch zu einem nennenswerten Rückgang bis 2016 um rund 27 %.
Erst in den vergangenen beiden Jahren scheint dieser Rückgang zu stagnieren. Aller-
dings findet man deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern.
Während in den ostdeutschen Ländern nahezu durchweg ein Rückgang der Gefan-
genenzahlen bis 2019 beobachtet werden kann, nehmen in z. B. den westlichen Stadt-
staaten Hamburg und Bremen die Zahlen nach 2016 wieder nennenswert zu: In Ham-
burg um rund 14 % und in Bremen um rund 7 %. Aber auch in Flächenländern wie
z. B. Baden-Württemberg (+ 10 %) können Zuwächse bei den Gefangenenzahlen
verzeichnet werden. Auf mögliche Gründe dieser Abweichungen soll am Ende
des Beitrags nochmal eingegangen werden.
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1161

70000

60000

50000

40000
N
30000

20000

10000

0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 1: Entwicklung der Gefangenenzahlen 2000 – 2019 in Deutschland


(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) –
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Vergleicht man die Gefangenenzahlen mit der allgemeinen Kriminalitätsbelas-


tung im Hellfeld, erfasst über die Fallzahlen sowie die Zahl der Tatverdächtigen
im selben Zeitraum, so kann man, wie Abbildung 2 zeigt, bis zum Jahr 2004
einen Anstieg bei beiden Zahlen feststellen, gefolgt von einem deutlichen Rückgang
bis 2013. Danach kommt es zu einem steilen Anstieg bis 2016 und danach zu einem
ebenso steilen Rückgang. Zwar ist ein solcher Vergleich nur mit äußerster Vorsicht
möglich, da es sich bei der PKS um eine reine Arbeitsstatistik der Polizei handelt, die
eine Vielzahl von Fällen enthält, die keine Inhaftierung zur Folge haben und sich
daher nicht in den Strafvollzugsstatistiken niederschlagen können, dennoch kann
man sie als einen groben Indikator dafür heranziehen, wie sich die Kriminalität in
Deutschland in den letzten Jahren entwickelt hat.
Die oben dargestellten Gefangenenzahlen erscheinen zwar weniger „dramatisch“
in ihren Ausschlägen, folgen aber in etwa demselben Trend mit einer Verzögerung
von etwa zwei Jahren. Berücksichtigt man die Zeiten der Fallermittlung und der
schlussendlichen Rechtskraft des Urteils, so entsprechen sich die beiden Bereiche
weitgehend. Dementsprechend, sollte der Trend einen prädiktiven Wert haben,
wäre zu erwarten, dass auch die Gefangenenzahlen in naher Zukunft wieder sinken
werden. Eine langfristige Analyse von Gefangenenzahlen zeigt ohnehin, dass sich
hier eine Art wellenförmiger Verlauf ergibt.
1162 Joachim Obergfell-Fuchs

6,800,000 2,500,000

Fallzahlen
6,600,000
Tatverdächtige 2,400,000

6,400,000
2,300,000
6,200,000

Tatverdächtige
6,000,000 2,200,000
Fälle

5,800,000 2,100,000

5,600,000
2,000,000
5,400,000

1,900,000
5,200,000

5,000,000 1,800,000
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr

Quelle: Bundeskriminalamt 2019.

Abbildung 2: Veränderungen der Fallzahlen und Tatverdächtigenzahlen 2000 – 2018


in Deutschland nach Polizeilicher Kriminalstatistik

Über den zeitlichen Verlauf der Gefangenenzahlen kann man im Grunde sagen,
dass in der Gesamtbetrachtung der ersten beiden Dekaden des neuen Jahrtausends
die Zahlen insgesamt eher rückläufig sind. Gleichwohl sind gerade seitens des Jus-
tizvollzugs in einigen Bundesländern in den vergangenen Jahren Stimmen laut ge-
worden, dass man vor einer erheblichen Überbelegung stünde und eine menschen-
würdige und rechtmäßige Unterbringung, nicht möglich sei (u. a. Südkurier 2019,
Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018). Man könnte nun angesichts der Zahlen erwi-
dern, dass noch vor 10 bis 15 Jahren alles sehr viel schlimmer gewesen sei und man
deutlich mehr Gefangene gehabt habe, es wird dann aber meist darauf verwiesen,
dass es zu strukturellen Veränderungen gekommen und die erhebliche Belastung
der letzten Jahre insbesondere durch eine Zunahme der Untersuchungsgefangenen
(U-Gefangenen) entstanden sei (Norddeutscher Rundfunk 2019a).
Betrachtet man die in Abbildung 3 dargestellten diesbezüglichen Zahlen, so kann
man tatsächlich feststellen, dass die Anzahl der U-Gefangenen seit 2013 erheblich,
nämlich um rund 19 % zugenommen hat. Dieser Trend entspricht nicht so ganz den
oben dargestellten Zahlen der verurteilten Gefangenen, hier ist der Anstieg deutlich
moderater und setzt auch erst später ein. Ebenfalls keine Entsprechung findet sich in
den Kriminalitätszahlen, dort kam es zwar ebenfalls seit 2013 zu einem Anstieg, al-
lerdings danach zu einem Rückgang der Fallzahlen, wohingegen die U-Gefangenen
auf hohem Niveau verharren. Auch eine Analyse der Haftgründe bietet keinen rech-
ten Aufschluss, zwar nimmt seit 2012 der Anteil des Grundes der Fluchtgefahr leicht
zu, allerdings mit einer nur sehr moderaten Steigerung von 92,1 % auf 94,1 % (Sta-
tistisches Bundesamt 2013b – 2019b).
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1163

40000

35000

30000
Untersuchungsgefangene

25000

20000

15000

10000

5000

0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001b – 2019b).

Abbildung 3: Entwicklung der Untersuchungsgefangenenzahlen 2000 – 2018


in Deutschland

Mehr Aufschluss scheint dagegen eine vom Norddeutschen Rundfunk beim Sta-
tistischen Bundesamt in Auftrag gegebene Sonderauswertung zur U-Haft zu geben.
Demnach sei es in den vergangenen Jahren zu einem besonders starken Anstieg auf-
grund einer deutlichen Zunahme ausländischer U-Gefangener gekommen (Nord-
deutscher Rundfunk 2019b). Man kommt zum Schluss, dass das Risiko ausländischer
Straftäter in U-Haft zu kommen, weit größer ist als das vergleichbarer deutscher
Täter, da bei diesen oftmals eine erhöhte Fluchtgefahr aufgrund geringerer sozialer
Integration angenommen wird. So weist Holznagel (2012) darauf hin, dass Migran-
ten aufgrund ihres ausländischen Passes oder zumindest der Verwandtschaft im Aus-
land selbst bei weniger schweren Delikten ein höheres Risiko als hier lebende Deut-
sche haben, in Untersuchungshaft zu kommen, da die Gefahr besteht, dass sie sich
dem Strafverfahren entziehen werden.
Bei aller Besorgnis, gerade über die Zunahme der U-Gefangenen, muss man je-
doch feststellen, dass trotz des aktuellen Anstiegs bei weitem nicht das Niveau wie zu
Beginn des Jahrtausends erreicht wird. Dies zeigt, in Verbindung mit den oben dar-
gestellten Zahlen der verurteilten Gefangenen, dass sich so etwas wie ein „punitive
turn“ (vgl. Pratt 2002; Frost 2006), wie er zu Beginn des Jahrtausends in den USA
beschrieben wurde, und ein „Überschwappen“ in die westlichen Länder Europas,
darunter auch Deutschland (vgl. Sack 2010), so nicht abzeichnet.
1164 Joachim Obergfell-Fuchs

Ungeachtet der Föderalismusreform von 2006, in deren Rahmen die Gesetzge-


bungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder überging, gehören
zu den vorrangigen Aufgaben des Justizvollzugs die Resozialisierung und die Wie-
dereingliederung des Gefangenen in ein soziales und straffreies Leben. Diese Be-
handlungsorientierung des Strafvollzugs findet sich in allen Justiz- oder Strafvoll-
zugsgesetzen der Länder. Ein ursprünglich befürchteter „Schäbigkeitswettbewerb“
(Dünkel & Schüler-Springorum 2006), in welchem die Bundesländer sich gegensei-
tig in der Ausgestaltung des Vollzuges unterbieten würden, ist so nicht eingetreten
(vgl. Dressel 2008, 26 f.) Ein wichtiger Bestandteil dieser Behandlungsorientierung
ist dabei die Unterbringung therapiebedürftiger und -bereiter Gefangener in Sozial-
therapeutischen Anstalten oder Abteilungen.
Wie Abbildung 4 zeigt, hat sich im Laufe der ersten beiden Dekaden des 21. Jahr-
hunderts sowohl die Zahl der Haftplätze wie auch der in den Sozialtherapeutischen
Anstalten untergebrachten Gefangenen in etwa verdoppelt. Allerdings kann man seit
2018 bei den Haftplätzen und seit 2016 bei den Gefangenenzahlen einen leichten
Rückgang feststellen. Weit interessanter als dieser geringfügige Rückgang in den
letzten Jahren ist jedoch die seit 2003 bestehende und zunehmend größer werdende
Diskrepanz zwischen Haftplätzen in der Sozialtherapie und den dort untergebrachten
Gefangenen. Dies zeigt, dass mehr und mehr Haftplätze in der Sozialtherapie nicht
belegt werden bzw. belegt werden können. Die Gründe hierfür mögen vielgestaltig
sein, eine Rolle spielt sicherlich das Vorhandensein geeigneter und motivierter Insas-
sen. Darüber hinaus ist die Zuweisungspraxis der in die Sozialtherapie entsendenden
Anstalten von Bedeutung. Sind Klima und Therapiebewusstsein ausgeprägt, so dürf-
te sich dies in höheren Zuweisungsquoten ausdrücken. Nicht zu vernachlässigen ist
jedoch die Zahl nicht-deutschsprachiger Gefangener. Da die Therapien in der Regel
auf kognitiv-behavioralen Ansätzen beruhen, ist mindestens ein Grundverständnis
der deutschen Sprache notwendig.
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1165

3000

Haftplätze
2500
Gefangene

2000

1500

1000

500

0
2000 2003 2006 2009 2012 2015 2018

Quelle: Etzler 2019.

Abbildung 4: Zahl der Haftplätze und der untergebrachten Gefangenen


in den Sozialtherapeutischen Anstalten und Abteilungen am 31.03. eines jeden Jahres

2.2 Veränderungen in der Gefangenenstruktur

Im Folgenden soll die Ebene der allgemeinen Zahlen verlassen und der Frage
nachgegangen werden, ob sich in den vergangenen beiden Dekaden des neuen Jahr-
tausends die Zusammensetzung der Gefangenen im deutschen Justizvollzug verän-
dert hat.
Ein erster Blick soll dabei auf die Altersstruktur der Gefangenen gerichtet werden.
Zwar ist der Fokus der Öffentlichkeit und durchaus auch der Kriminologie meist auf
junge Straftäterinnen und Straftäter gerichtet, zahllose Konzepte ranken sich um die
Vermeidung von Haft für junge Menschen sowie um deren Resozialisierung und ge-
eignete Wiedereingliederungsmaßnahmen (vgl. Dünkel 2017; Lutz 2017; Wirth
2017). Betrachtet man jedoch die Altersverläufe in Abbildung 5, so muss man fest-
stellen, dass seit der Jahrtausendwende der Anteil der jungen Gefangenen unter 25
Jahren deutlich abgenommen hat. So sank dieser von 21,1 % im Jahr 2000 auf 13,4 %
im Jahr 2019. Dieser Rückgang ist nicht nur in den relativen sondern auch in den ab-
soluten Zahlen erkennbar, waren 2000 12.853 junge Menschen inhaftiert, waren es
2019 noch 6.6798, nahezu eine Halbierung. Ein solcher Rückgang ist unter krimino-
logischen Gesichtspunkten begrüßenswert, denn der Strafvollzug ist sicherlich einer
der am wenigsten geeigneten Orte für eine gelingende Sozialisation junger Men-
schen (vgl. Kotynek u. a. 2012).
1166 Joachim Obergfell-Fuchs

60.0

50.0

40.0

% 30.0

20.0

10.0

0.0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr
unter 25 Jahre 25 - 39 Jahre 40 Jahre und älter

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 5: Veränderung der Alterszusammensetzung der Gefangenen 2000 – 2019 in Deutschland


(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) –
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres)

Dieser Rückgang geht allerdings „auf Kosten“ der älteren Inhaftierten jenseits des
40. Lebensjahres. Hier stieg der Anteil zwischen 2000 und 2019 von 25,7 % auf
35,6 % und auch der Anstieg in den absoluten Zahlen ist, wenngleich moderater
und nicht so deutlich wie der Rückgang bei den jungen Gefangenen, nennenswert
und erheblich (2000: 15.609; 2019: 18.010). Auch wenn man bei 40jährigen und Äl-
teren schwerlich von alten und gebrechlichen Menschen sprechen kann, so stellt eine
Zunahme der Zahlen in dieser Altersgruppe den Strafvollzug vor andere, neue Pro-
bleme. Mit steigendem Alter ist mit einer Zunahme der gesundheitlichen Probleme
der Insassen zu rechnen, was neben vermehrten Kosten im Strafvollzug auch die Not-
wendigkeit eines erhöhten Betreuungsaufwandes mit sich bringt. Zudem sind die
baulichen Bedingungen der Vollzugsanstalten, die oftmals Ende des 19., Anfang
des 20. Jahrhunderts erbaut wurden, nicht auf die Belange von älteren Menschen
mit vielfältigen Einschränkungen angelegt. Ebenfalls erschwert ist mit steigendem
Alter die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und das soziale Leben nach
der Haftentlassung. Solchen Entwicklungen wird im Vollzug in den letzten Jahren
durchaus Rechnung getragen, so finden sich spezielle Einrichtungen für ältere Ge-
fangene und auch die Themen ältere Gefangene, Krankheit, Sterben und Tod im Voll-
zug wurden in neuerer Vergangenheit immer wieder diskutiert (Görgen & Greve
2005; Legat 2008), wenngleich der Fokus weiterhin auf die jüngeren und jungen Ge-
fangenen ausgerichtet ist.
Ein indirekter Zusammenhang zum Alter ergibt sich mit der Dauer der zu verbü-
ßenden Freiheitsstrafe. Im Grunde sollten Strafmaß und Alter weitgehend voneinan-
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1167

der unabhängige Variablen sein. Lässt man Aspekte wie Jugend- vs. Erwachsenen-
strafrecht oder eine verfestigte kriminelle Persönlichkeit außer Acht, so könnte man
einen Altersanstieg, zumindest partiell, auch durch einen längeren Verbleib der Ge-
fangenen in den Anstalten erklären. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Ver-
weildauer in den deutschen Anstalten bei weitem nicht an das Maß z. B. der USA
heranreicht und lebenslange Freiheitsstrafen, Freiheitsstrafen von mehr als 10 Jahren
oder auch die Sicherungsverwahrung, d. h. Sanktionen bei denen die Gefangenen im
Strafvollzug nennenswert altern, eher selten sind (vgl. Walmsley 2018; Ferdinand &
Kury 2008).
Tatsächlich kann man aber feststellen, dass der Anteil der Gefangenen mit langer
Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren von 11,0 % im Jahr 2000 auf 7,7 % im Jahr 2019
abgenommen hat (Statistisches Bundesamt 2001a – 2020a). Auch der Anteil der Ge-
fangenen mit mittlerer Dauer der Freiheitsstrafe von 2 bis 5 Jahren hat von 2000
(24,0 %) zu 2019 (22,6 %) leicht abgenommen. Eine leichte Zunahme kann man da-
gegen bei Gefangenen mit lebenslanger Freiheitsstrafe feststellen, lag der Anteil
2000 bei 3,0 %, so ist er bis zum Jahr 2019 auf 3,9 % gestiegen. Diese Steigerung
kann jedoch nicht die Zunahme der älteren Gefangenen erklären.
Leichte Zunahmen ergeben sich ebenfalls bei den kürzeren Freiheitsstrafen. In der
Kategorie 9 bis 24 Monate zeigt sich zwischen 2000 und 2019 ein moderater Anstieg
von 26,0 % auf 28,3 % und in der Kategorie bis 9 Monate von 36,0 % auf 37,5 %.
Dies ist insofern bemerkenswert, da es sich um Freiheitsstrafen handelt, die – theo-
retisch – zur Bewährung hätten ausgesetzt werden können. Die Gründe, weshalb dies
nicht geschehen ist, mögen vielfältig sein: die Häufigkeit und Schwere früherer Stra-
fen, Umstände in der Person und Persönlichkeit des Verurteilten u.v.a.m. Für den
Strafvollzug bedeuten diese kürzeren Freiheitsstrafen jedoch, dass bei einem steigen-
den Anteil von Gefangenen die Möglichkeiten resozialisierender Maßnahmen einge-
schränkt sind. Behandlungsprogramme und insbesondere Therapien sind meist auf
eine längere Zeitdauer ausgerichtet und auch Maßnahmen der beruflichen (Re)Inte-
gration, wie z. B. Berufsausbildungen, können bei kurzen Strafen häufig nur begon-
nen aber nicht abgeschlossen werden, so dass es dem später Haftentlassenen bzw. den
Einrichtungen des Übergangsmanagements obliegt, die begonnenen Entwicklungen
möglichst positiv fortzusetzen. Dies wird jedoch oftmals durch die dann auftretende
Vielzahl destabilisierender Faktoren in Freiheit erschwert (Andrews u. a. 1990; Wö-
ssner u. a. 2016).
Als besonders kritisch sind in diesem Zusammenhang die Ersatzfreiheitsstrafen
zu erwähnen, die immerhin rund 7 % aller Insassen ausmachen (Deutscher Bundes-
tag 2018). Zum einen handelt es sich um eine meist sehr kurze Dauer der Inhaftie-
rung, zum anderen um eine oftmals recht schwierige Klientel, bei denen eine
Zwangsvollstreckung aussichtslos ist (vgl. Lobitz & Wirth 2018). Da gerade bei Er-
satzfreiheitsstrafen die Diskrepanz zwischen der Sanktion (teils nur dreistellige Be-
träge) und den Kosten für die Unterbringung im Strafvollzug (ca. 120 E pro Tag) of-
fensichtlich wird, ist hier das Bemühen groß, durch Verrichtung freier Arbeit die
1168 Joachim Obergfell-Fuchs

Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden (vgl. Cornel 2018). Allerdings


zeigt sich, dass dies zunehmend schwieriger wird. Konnten 2012 noch 38.009 Per-
sonen durch gemeinnützige Tätigkeit die Sanktion abwenden und so 1.284.601 Haft-
tage vermieden werden, so war dies 2018 bei nur noch 22.869 Personen der Fall, ent-
sprechend reduzierte sich die Zahl der Hafttage auf 793.837 (Statistisches Bundes-
amt 2013; 2019). Hinzu kommt, dass die freie Arbeit von einigen Autoren als un-
gleich härtere Sanktionierung für Menschen in Armut gesehen wird, die keinen
resozialisierenden Effekt hat (vgl. Wilde 2017).
Längere Haftstrafen und die Vollstreckung kurzer Freiheitstrafen tragen erheblich
zur Überbelegung der Vollzugsanstalten bei. Dies hat zur Folge, dass das Klima in
den Anstalten darunter leidet (vgl. Kurth & Grote 2019, 1337). Die gleiche Zahl
an Personal muss sich um mehr Gefangene kümmern, Freizeitmöglichkeiten bleiben
dabei häufiger auf der Strecke, der Vollzug wird nach innen härter und punitiver (vgl.
Ross u. a. 2008; Goerdeler 2011). Eine Möglichkeit der Umgehung bietet hier die
Zulassung zum offenen Vollzug, bei dem die Maßnahmen gegen mögliche Entwei-
chungen deutlich reduziert sind und die Gefangenen sich intern relativ frei bewegen
können. Im Idealfall wird dort auch die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen
großzügiger gehandhabt, so dass die Gefangenen im Rahmen des Freigangs draußen
ihrer Arbeit nachgehen und nur in der JVA „übernachten“ (vgl. Preusker 2010). Dies
setzt jedoch zum einen voraus, dass die Risiken für Flucht und Entweichung beim
Gefangenen gering sind, dass keine Ausweise- oder Abschiebeverfügungen bestehen
und zum anderen verlangt dies ein erhebliches Maß an Vertrauen der Anstalt in den
Gefangenen.
Wie Abbildung 6 zeigt, ist der Anteil der Gefangenen im offenen Vollzug seit Be-
ginn des 21. Jahrhunderts deutlich gesunken. Waren 2000 20,1 % der Gefangenen im
offenen Vollzug untergebracht, so waren es 2018 noch 14,5 %, d. h. rund ein Viertel
weniger. Dies mag fraglos mit der Zusammensetzung der Gefangenenpopulation zu
tun haben (s. u.), möglicherweise aber auch mit einem gestiegenen Sicherheitsden-
ken der Vollzugsbehörden. Gerade hierzu tragen Gerichtsentscheidungen wie das
2018 vom LG Limburg ergangene Urteil gegen zwei Vollzugsbeamte wegen fahrläs-
siger Tötung bei: Ein Gefangener war während des Freigangs mit seinem Fahrzeug in
den Gegenverkehr gefahren, wobei eine Frau getötet wurde (Arnold 2018). Auch
wenn die Beamten später vom Bundesgerichtshof vom Vorwurf freigesprochen wur-
den (BGH 2 StR 557/18, 26. 11. 2019), so hinterlässt allein schon das erstinstanzliche
Urteil die Sorge bei den Bediensteten beim Missbrauch der Gewährung vollzugsöff-
nender Maßnahmen oder des offenen Vollzugs „mit einem Bein“ selbst im Gefängnis
zu stehen. Dies dürfte fraglos die Bereitschaft reduzieren, solche Maßnahmen durch-
zuführen.
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1169

25.0

20.0

15.0

10.0

5.0

0.0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 6: Anteil Gefangene im offenen Vollzug 2000 – 2019 in Deutschland


(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) –
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Vielfach stellt der Strafvollzug in der kriminellen Karriere eines Straftäters die
„ultima ratio“ dar. Nach vielfältigen Verwarnungen, Auflagen, Strafbefehlen, Geld-
strafen und schließlich zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen wird dann ent-
weder, weil gewissermaßen „das Maß voll ist“ und die Betreffenden immer wieder
vor Gericht erscheinen, weil man in den Bewährungswiderruf hineinsteuert oder aber
schlicht, weil die Straftat zu schwer ist und nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt
werden kann, die unbedingte Freiheitsstrafe verhängt. Entsprechend sind bei den In-
sassen der Vollzugsanstalten Vorstrafen meist eher die Regel, als die Ausnahme. Dies
macht auch Abbildung 7 deutlich. Es ist auffallend, dass der Anteil der Vorbestraften
im neuen Jahrtausend deutlich angestiegen ist. Waren im Jahr 2000 noch 60,3 % der
Insassen vorbestraft, so stieg deren Anteil bis 2014 auf 71,7 %, ging danach aber,
wenn auch auf hohem Niveau, bis 2019 wieder leicht zurück auf 68,3 %. Hier
mag der noch zu diskutierende höhere Anteil nichtdeutscher Strafgefangener eine
Rolle spielen, selbst wenn diese in ihrem Heimatland bereits registriert worden
wären, so ist dies oftmals nicht bekannt.
1170 Joachim Obergfell-Fuchs

74.0
72.0
70.0
68.0
66.0
64.0
%

62.0
60.0
58.0
56.0
54.0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 7: Anteil vorbestrafte Gefangene 2000 – 2019 in Deutschland


(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) – Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Betrachtet man die vorbestraften Insassen im Strafvollzug genauer, so kann man,


wie Abbildung 8 zeigt, eine auffallende Entwicklung feststellen: So ging in der
Gruppe der Vorbestraften der Anteil der Insassen mit nur einer Vorstrafe von
25,8 % im Jahr 2000 auf 18,7 % im Jahr 2019 recht deutlich zurück. Auch in der Ka-
tegorie 2 bis 4 Vorstrafen kann man einen moderaten Rückgang von 36,0 % (2000)
auf 32,6 % (2019) feststellen. Dagegen steigen die beiden oberen Kategorien recht
deutlich an. Verzeichneten 2000 noch 28,0 % der Vorbestraften 5 bis 10 Vorstrafen,
so waren es 2019 ebenfalls bereits 32,6 % und in der Gruppe 11 und mehr Vorstrafen
kam es sogar zu einer Zunahme von rund 50 Prozent von 10,1 % im Jahr 2000 auf
16,2 % im Jahr 2019.
Dies hat sicherlich damit zu tun, dass, wie schon erwähnt, mit steigender Zahl der
Vorstrafen das Gericht weniger gewillt ist, ein milderes Urteil zu fällen, es bedeutet
aber für den Strafvollzug, dass die Klientel zunehmend schwieriger wird. Ohne den
belasteten Begriff des Hang- und Intensivtäters zu strapazieren, zeigen die Zahlen,
dass der Anteil an Personen mit einer verfestigten kriminellen Karriere gestiegen
ist. Dies erschwert in nicht unerheblicher Weise die Resozialisierung und stellt spä-
testens Bewährungshilfe und Nachsorge vor Herausforderungen, um ein Abgleiten
dann Entlassener in nicht wieder dasselbe Milieu zu verhindern oder zumindest
das entsprechende Risiko zu verringern.
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1171

40.0

35.0

30.0

25.0

20.0
%

15.0

10.0

5.0

0.0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr
1 Vorstrafe 2 - 4 Vorstrafen 5 - 10 Vorstrafen ≥ 11 Vorstrafen

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 8: Zahl der Vorstrafen bei vorbestraften Gefangenen 2000 – 2019 in Deutschland
(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) –
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Kritischer als die Vorstrafen wird v. a. in der Öffentlichkeit der Umstand der Wie-
dereinlieferung diskutiert. Immer wieder werden teils abstrus hohe Zahlen nicht nur
zur Wiederverurteilung, sondern auch zur erneuten Rückkehr in den Strafvollzug er-
wähnt. Dabei macht nicht selten der Begriff des „Drehtürvollzugs“ die Runde, mit
anderen Worten, kaum sind die Gefangenen zur Tür draußen, kommen sie auch
schon wieder und verbüßen die nächste Haftstrafe.
Wie Abbildung 9 zeigt, ist der Anteil der wiedereingelieferten Gefangenen, also
jener, die bereits zuvor schon inhaftiert waren, zwar hoch, aber nicht so überbor-
dend wie teils angenommen. Zwar muss man hier Alter, Ausländerstatus, soziale
Integration, Substanzmissbrauch, Einbindung in subkulturelle Aktivitäten und
viele weitere Variablen berücksichtigen, dies würde hier jedoch den Rahmen
sprengen. Arbeiten zur Desistance-Forschung können hierzu mehr Aufschluss
geben (vgl. Laub & Sampson 2003; Stelly & Thomas 2005). Waren im Jahr
2000 38,6 % der inhaftierten Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten bereits
zuvor schon mindestens einmal im Strafvollzug untergebracht gewesen, so stieg
der Anteil in den Folgejahren deutlich an und erreichte 2015 mit 41,1 % einen Hö-
hepunkt. Interessanterweise kam es danach bis 2019 zu einem nennenswerten und
stetigen Rückgang auf zuletzt 38,5 %. Bedeutet dies nun, dass die aktuellen Insas-
sen „braver“ geworden sind? – Wohl eher nicht. Auch hier dürfte der rasant ange-
stiegene und unten eingehender zu diskutierende Ausländeranteil im Strafvollzug
eine Rolle spielen. Bei ausländischen Gefangenen ist oftmals nicht bekannt, ob sie
1172 Joachim Obergfell-Fuchs

bereits zuvor im Heimatland eine Haftstrafe verbüßen mussten, dies gilt v. a. für die
Gruppierungen, die im Zusammenhang mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“
2015/2016 nach Deutschland kamen.
42.0

41.0

40.0

39.0

38.0
%

37.0

36.0

35.0

34.0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 9: Anteil wiedereingewiesener Gefangener 2000 – 2019 in Deutschland


(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) –
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

Ein auffallendes Bild ergibt sich, wenn man die Gruppe der Wiedereingewiesenen
eingehender betrachtet und der Frage nachgeht, wie groß der Abstand zwischen der
aktuellen und der letzten Inhaftierung war. Im Hinblick auf den Rückfall wurde
immer wieder bestätigt (vgl. Jehle u. a. 2016, 179 ff.), dass die ersten zwei bis drei
Jahre nach der Haftentlassung besonders kritisch sind. Mit Blick auf eine erneute In-
haftierung kann das anhand der Daten bis 2003 ebenfalls bestätigt werden (vgl. Ab-
bildung 10). Über die Zeit hinweg sinkt allerdings dieser Anteil. Waren im Jahr 2000
noch 31,5 % der Wiederinhaftierten im ersten Jahr nach ihrer Entlassung eingewie-
sen worden, so waren es 2019 nur noch 26,2 %. Und auch der Anteil derer, die im
zweiten Jahr nach der Entlassung erneut wiedereingewiesen wurden, ging, nach
einem Anstieg zwischen 2001 und 2006, bis 2019 auf 17,8 %, zurück. Ohnehin
scheint dieses zweite Jahr das vergleichsweise „günstigste“ zu sein. Recht deutlich
angestiegen ist allerdings der Anteil derjenigen, die im dritten bis fünften Jahr nach
Entlassung erneut eingewiesen wurden. Lag der Wert im Jahr 2000 bei 28,2 %, so
stieg er bis 2019 auf 31,6 %. Damit ist dieser Zeitraum mittlerweile der kritischste
für eine erneute Inhaftierung. Ebenfalls angestiegen ist der Anteil derjenigen, die be-
reits sechs Jahre und länger in Freiheit waren, von 20,1 % im Jahr 2000 auf 24,4 % im
Jahr 2019.
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1173

Über die Ursachen einer solchen Verschiebung kann man allenfalls spekulieren.
Sie zeigt aber, dass das „Drehtürargument“ zunehmend an Bedeutung verliert und
mehr Gefangene in den Strafvollzug kommen, die es draußen schon einmal längere
Zeit „probiert“ haben, letztlich aber doch gescheitert sind. Dies stellt neue Heraus-
forderungen an Resozialisierungsbemühungen und insbesondere an das Übergangs-
management und die Nachsorge, die einen längeren Zeitraum nach der Haftentlas-
sung ins Auge fassen muss, als dies vielleicht bislang üblich war. Gerade das
wenig kritische zweite Jahr mag hier die scheinbare Sicherheit schaffen, die oder
der Haftentlassene habe es nun geschafft und zur Reduktion der Anstrengungen füh-
ren, gerade wenn z. B. Bewährungszeiten auf drei Jahre angelegt sind.
Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auf die Über-
repräsentation ausländischer Gefangener im Strafvollzug im Vergleich zu ihrer
Häufigkeit in der Bevölkerung hingewiesen (Walter 2010). Mögliche Ursachen
hierfür, so Holznagel (2012), könnten neben der höheren Tatbelastung auch Kom-
munikationsbarrieren vor Gericht oder ein mangelndes Vertrauen in eine günstige
Sozialprognose aufgrund des Vorlebens, der Lebensverhältnisse oder des Verhal-
tens nach der Tat sein, so dass Freiheitsstrafen nicht zur Bewährung ausgesetzt wer-
den. Wegen erhöhten Fluchtrisikos aufgrund der Möglichkeit des Sich-Absetzens
ins Ausland werden vollzugsöffnende Maßnahmen blockiert und die Chance der
vorzeitigen Entlassung gemindert, so dass Ausländer länger im Strafvollzug ver-
bleiben (Walter 2010).
35.0

30.0

25.0

20.0
%

15.0

10.0

5.0

0.0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr
1. Jahr 2. Jahr 3. - 5. Jahr 6. Jahr und später

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 10: Abstand der Wiedereinweisung nach der Entlassung


bei wiedereingewiesenen Gefangenen 2000 – 2019 in Deutschland
(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) –
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres
1174 Joachim Obergfell-Fuchs

Abbildung 11 zeigt einen schlichtweg „dramatischen“ Zuwachs ausländischer


Gefangener seit 2009. Waren zu diesem Zeitpunkt 21,9 % der Strafgefangenen
und Sicherungsverwahrten ausländische Staatsbürger, so kann man bis 2018 einen
fast exponentiellen Anstieg auf 31,9 % feststellen, also eine Zunahme um rund
50 Prozent. Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ und die massive Zuwanderung von
Asylbewerbern nach Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 kann dafür nicht al-
lein verantwortlich gemacht werden, denn der Anstieg begann bereits früher, wenn
auch weniger steil. Schaffer & Obergfell-Fuchs (2018) hatten hierauf hingewiesen
und mögliche Gründe, wie z. B. eine Verschlechterung der Lebensbedingungen
und eine geringere soziale Integration diskutiert.

35.0

30.0

25.0

20.0
%
15.0

10.0

5.0

0.0
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
Jahr

Quelle: Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a).

Abbildung 11: Anteil ausländischer Gefangener 2000 – 2019 in Deutschland


(Strafgefangene und Sicherungsverwahrte insgesamt) –
Stichtag 31.03. eines jeden Jahres

3. Fazit
Die Analysen haben gezeigt, dass sich der Strafvollzug im Laufe der zurücklie-
genden nur 20 Jahre teils deutlich verändert hat. War bis zur Mitte des ersten Jahr-
zehnts des neuen Jahrtausends eine erhebliche Belegung der Haftanstalten kenn-
zeichnend, so gingen die Gefangenenzahlen danach deutlich zurück, was vielfach
zur Umstrukturierung der Vollzugslandschaft führte. Kleinere Einrichtungen und
Außenstellen wurden geschlossen, dadurch Haftplätze abgebaut und es erfolgte
eine Konzentration auf die wirtschaftlich rentableren mittelgroßen Einrichtungen
mit 400 bis 600 Plätzen. Diese wurden teils neu gebaut oder neu konzipiert (z. B.
in Baden-Württemberg die Anstalten Offenburg und Rottweil). Aufgrund der sinken-
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1175

den Gefangenenzahlen wähnte man sich beim Abbau von Haftplätzen auf der „siche-
ren Seite“. Allerdings setzte in der Strafhaft ab 2016, in der Untersuchungshaft be-
reits etwas früher, die Umkehr des Trends ein, die Gefangenenzahlen stiegen rapide
und deutlich an und trafen auf weniger Haftplätze als dies noch 10 Jahre zuvor der
Fall gewesen war. In der Folge kam es zu erheblicher Überbelegung mit oftmals nicht
rechtskonformer Unterbringung.
Verschärft wurde die Situation durch die deutlich steigende Zahl nichtdeutscher
Gefangener. Gerade im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 kamen
vermehrt junge Männer nach Deutschland, mit geringen Sprachkenntnissen, gerin-
gen schulischen und beruflichen Qualifikationen, jedoch mit großen Hoffnungen
und Erwartungen und nicht zuletzt vielfach traumatisiert. Vor allem in den westli-
chen Bundesländern war dieser Zuwachs an ausländischen Gefangenen recht
stark – in einigen Anstalten lag der Ausländeranteil zeitweise bei mehr als 70 Pro-
zent – in den ostdeutschen Ländern fiel er eher moderat aus, ein Grund für die ein-
gangs genannten Diskrepanzen zwischen den Bundesländern. Für den Strafvollzug
bedeutete dies eine enorme Herausforderung, der man mit Bild-Wörterbüchern,
Video-Dolmetschern (auch in Verbindung mit Telemedizin), Sprachkursen für Be-
dienstete u. Ä. zu begegnen versuchte. Darüber hinaus wurde auch durch die Ausbil-
dung Muslimischer Seelsorger versucht, den sich verändernden kulturellen und re-
ligiösen Gegebenheiten der neuen Gefangenenpopulation Rechnung zu tragen
(vgl. Schaffer & Obergfell-Fuchs 2018).
Auch wenn dies begrüßenswerte Entwicklungen sind, so ist es doch ein Kennzei-
chen der Vollzugspolitik, dass sie eher auf Herausforderungen reagiert, wenn sie ein-
getreten sind, als diesen proaktiv zu begegnen. Angesichts der oben gezeigten Trends
einer älter werdenden, schwierigeren und in Freiheit vielfach gescheiterten Klientel
sollte es, auch mit Blick auf die sich immer wieder verändernde Kriminalitätsent-
wicklung, eine Aufgabe der Vollzugspolitik sein, kurzfristigen Trends zu widerste-
hen, wie z. B. auf temporär sinkende oder steigende Gefangenenzahlen umgehend
und nachhaltig zu reagieren. Vielmehr gilt es Entwicklungen langfristig zu analysie-
ren und Vorausberechnungen durchzuführen. In aller Regel folgt dem Hoch ein Tief
und umgekehrt. Kriminologische Analysen langer Zeitreihen und eine Beobachtung
von Entwicklungen mit Augenmaß sind daher vonnöten.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (1979): Alternatives to incarceration, in: C.R. Dodge (Hrsg.), A world without
prison. Lexington, S. 159 – 179.

Albrecht, H.-J. (1986): Alternativen zur Jugendstrafe: Kriminologische Befunde zum Vergleich
freiheitsentziehender und ambulanter Sanktionen. Kriminologisches Bulletin 11, S. 47 – 76.

Albrecht, H.-J. (1988): Die gemeinnützige Arbeit auf dem Weg zur eigenständigen Sanktion?
Zeitschrift für Rechtspolitik 21, S. 278 – 283.
1176 Joachim Obergfell-Fuchs

Albrecht, H.-J. (2003): Verfassungsmäßigkeit des Jugendstrafvollzugs. Recht der Jugend und
des Bildungswesens 51/3, S. 352 – 360.
Albrecht, H.-J. (2004): Elektronischer Hausarrest. Das Konzept des hessischen Experiments, in:
H. Schöch & J.-M. Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicher-
heit. Mönchengladbach, S. 109 – 142.
Albrecht, H.-J. (2010): The death penalty in Europe. Criminal Law Review 22, S. 27 – 38.
Albrecht, H.-J. (2012): Prison overcrowding – finding effective solutions: Strategies and best
practices against overcrowding in correctional facilities. Forschung aktuell – research in
brief 43. Freiburg.
Albrecht, H.-J. (2017): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumannn, &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. Baden-Baden,
S. 1854 – 1876.
Andrews, D.A., Bonta, J. & Hoge, R.D. (1990): Classification for effective rehabilitation: Res-
dicovering psychology. Criminal Justice and Behavior 17/1, S. 19 – 52.
Arnold, M. (2018): „Das Aus des Offenen Vollzuges“. Legal Tribune Online 29. 06. 2018;
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-limburg-urteil-jva-mitarbeiter-fahrlaessige-toe
tung-offener-vollzug-aus/ [23. 12. 2019].
Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2019): Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutsch-
land. Jahrbuch 2018. Band 1 und 2. Wiesbaden.
Cornel, H. (2018): Vermeidung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe durch lebenswelt-
bezogene Soziale Arbeit. Forum Strafvollzug 67/1, S. 26 – 30.
Deutscher Bundestag (2018): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abge-
ordneten Niema Movassat, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/601: Handhabung und Bewertung von Ersatzfrei-
heitsstrafen. Drucksache 19/803, 20. 02. 2018.
Dressel, B. (2008): Das Hamburger Strafvollzugsgesetz. Hamburger Studien zur Kriminologie
und Kriminalpolitik Bd. 43. Münster.
Dünkel, F. (2017): Internationale Tendenzen des Umgangs mit Jugendkriminalität, in: B. Dol-
linger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Wiesbaden, S. 89 –
118.
Dünkel, F. & Schüler-Springorum, H. (2006): Strafvollzug als Ländersache? Der „Wettbewerb
der Schäbigkeit“ ist schon im Gange! Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe 55/3,
S. 145 – 149.
Etzler, S. (2019): Sozialtherapie im Strafvollzug 2019. Ergebnisübersicht der Stichtagserhe-
bung am 31. 03. 2019. Wiesbaden.
Ferdinand, T.N. & Kury, H. (2008): Punitivity in the United States, in: H. Kury & T.N. Ferdinand
(Hrsg.), International perspectives on punitivity. Bochum, S. 79 – 105.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (2018): Deutsche Gefängnisse stoßen an ihre Grenzen. 25. 04.
2018; https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/strafvollzug-gefaengnisse-stossen-an-ihre-
grenzen-15558894.html [10. 03. 2020].
Die Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland seit der Jahrtausendwende 1177

Frost, N.A. (2006): The punitive state: Crime, punishment, and imprisonment across the United
States. New York.
Goerdeler, J. (2011): Gewalt im Strafvollzug, in: J. Puschke (Hrsg.), Strafvollzug in Deutsch-
land. Strukturelle Defizite, Reformbedarf und Alternativen. Berlin, S. 105 – 134.
Görgen, T. & Greve, W. (2005): Alte Menschen in Haft: Der Strafvollzug vor den Herausfor-
derungen durch eine wenig beachtete Personengruppe. Bewährungshilfe 52/2, S. 116 – 131.
Holznagel, I. (2012): Migrantenkriminalität als gesellschaftliches und kriminologisches Pro-
blem, in: R. Shomaker, C. Müller & A. Knorr (Hrsg.), Migration und Integration als wirt-
schaftliche und gesellschaftliche Ordnungsprobleme. Schriften zu Ordnungsfragen der Wirt-
schaft, Bd. 95. Stuttgart, S. 143 – 161.
Jehle, J.-M., Albrecht, H-.J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen. Herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz und Ver-
braucherschutz. Mönchengladbach.
Kotynek, M., Lebert, S. & Müller, D. (2012): Die Schlechterungsanstalt. Zeit Online 16. 08.
2012; https://www.zeit.de/2012/34/DOS-Gefaengnisse-Deutschland-Gewalt [19. 03. 2020].
Kurth, K. & Grote, J. (2019): Größe und Ausgestaltung der Räume, in: H.-D. Schwind,
A. Böhm, J.-M. Jehle & K. Laubenthal (Hrsg.), Strafvollzugsgesetze – Bund und Länder.
7. Aufl. Berlin, S. 1329 – 1339.
Laub, J.H. & Sampson, R.J. (2001): Understanding desistance from crime. Crime and Justice. A
Review of Research 28, S. 1 – 69.
Legat, M.-R. (2008): Ältere Menschen und Sterbenskranke im Strafvollzug. Frankfurt/Main.
Lobitz, R. & Wirth, W. (2018): Wer ist inhaftiert und warum? Ersatzfreiheitsstrafe nach Akten-
lage. Forum Strafvollzug 67/1, S. 16 – 18.
Lutz, T. (2017): Wiedergutmachung statt Strafe? Restorative Justice und der Täter-Opfer-Aus-
gleich, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Wies-
baden, S. 601 – 615.
Matthews, R. (2009). Doing time. An introduction to the sociology of imprisonment. 2. Aufl.
Basingstoke.
Norddeutscher Rundfunk (2019a): Deutlich mehr Menschen in U-Haft, 24. 04. 2019; https://
www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Deutlich-mehr-Menschen-in-U-Haft,untersuchungs
haft102.html [19. 03. 2020].
Norddeutscher Rundfunk (2019b): Zahl der U-Häftlinge seit 2014 bundesweit um ein Viertel
gestiegen. 24. 04. 2019; https://www.presseportal.de/pm/6561/4252646 [27. 02. 2020].
Pratt, J. (2002): Punishment and civilization. Penal tolerance and intolerance in modern society.
London.
Preusker, H. (2010): Der offene Vollzug – Risiko oder Chance? Forum Strafvollzug 59/2, S. 65 –
68.
Ross, M. W., Diamond, P.M., Liebling, A. & Saylor, W.G. (2008): Measurement of prison social
climate. Punishment & Society 10/4, S. 447 – 474.
Sack, F. (2010): Der weltweite „punitive Turn“ – Ist die Bundesrepublik dagegen gefeit? in:
A. Groenemeyer (Hrsg.), Wege der Sicherheitsgesellschaft. Wiesbaden, S. 165 – 191.
1178 Joachim Obergfell-Fuchs

Schaffer, B. & Obergfell-Fuchs, J. (2018): Refugees and migrants in German prisons: Outlining
problems and solutions, in: H. Kury & S. Redo (Hrsg.), Refugees and migrants in law and
policy. Cham, S. 647 – 667.
Statistisches Bundesamt (2001a – 2020a): Rechtspflege. Strafvollzug – Demographische und
kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3. Fachserie 10 Reihe 4.1.
Statistisches Bundesamt (2001b – 2019b): Rechtspflege. Strafverfolgung. Fachserie 10 Reihe 3.
Statistisches Bundesamt (2013/2019): Rechtspflege. Staatsanwaltschaften 2012/2018. Fachse-
rie 10 Reihe 2.6.
Statistisches Bundesamt (2019): Statistisches Jahrbuch. Deutschland und Internationales 2019;
https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/statistisches-jahrbuch-2019-dl.
pdf?__blob=publicationFile [16. 12. 2019].
Stelly, W. & Thomas, J. (2005): Kriminalität im Lebenslauf. Tübinger Schriften und Materialien
zur Kriminologie Bd. 10. TOBIAS-Lib, Universitätsbibliothek Tübingen; https://bibliogra
phie.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/43716/pdf/Stelly_Thomas_Kriminali
taet.pdf?sequence=1&isAllowed=y [08. 03. 2020].
Südkurier (2019): „Ich weiß nicht, wo ich die Leute noch unterbringen soll“: Viele Gefängnisse
in Deutschland leiden unter Überbelegung, 02. 01. 2019; https://www.suedkurier.de/ueberre
gional/panorama/Ich-weiss-nicht-wo-ich-die-Leute-noch-unterbringen-soll-Viele-Gefaengnis
se-in-Deutschland-leiden-unter-UEberbelegung;art409965,10006512 [09. 03. 2020].
Walmsley, R. (2018): World prison population list. 12th ed.; https://www.prisonstudies.org/sites/
default/files/resources/downloads/wppl_12.pdf [19.03. 2020].
Walter, J. (2010): Minoritäten im Strafvollzug. Aus Politik und Zeitgeschichte 7/2010; https://
www.bpb.de/apuz/32979/minoritaeten-im-strafvollzug [19. 03. 2020].
Wilde, F. (2017): Wenn Armut zur Strafe wird. Die freie, gemeinnützige Arbeit in der aktuellen
Sanktionspraxis. Neue Kriminalpolitik 29/2, S. 205 – 219.
Wirth. W. (2017): Jugendstrafvollzug: Maßnahmen der Wiedereingliederung und Übergangs-
management aus kriminal- und sozialpolitischer Sicht, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Se-
misch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Wiesbaden, S. 711 – 728.
Wössner, G., Wienhausen-Knezevic, E. & Gauder, K.-S. (2016): „I was thrown in at the deep
end …“ Prisoner reentry: Patterns of transition from prison to community among sexual
and violent offenders. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht,
research in brief 48. Freiburg.
On the Relationships Needed to Be Properly Handled
in the Process of Penalty Execution in Prisons
By Wang Ping

At the meeting of the heads of the national Department of Justice (bureau) held at
the end of 2002, the Ministry of Justice of China for the first time systematically put
forward the requirements of promoting the legalization, scientization and socializa-
tion of prison work (hereinafter referred to as “three modernizations”). In 2003, the
Opinions on Further Promoting the Legalization, Scientization and Socialization of
Prison Work (hereinafter referred to as the Opinions) was officially issued by the
Ministry of Justice, which makes specific provisions on the guidelines and objectives
of promoting “three modernizations”, the main tasks and measures of “three modern-
izations”, and how to strengthen the leadership of promoting “three modernizations”.
This is the main measure taken by the Ministry of Justice since the beginning of the
21st century to improve the quality of education and treatment of criminals and the
overall level of prison work1. Since then, on the basis of “three modernizations”, the
Ministry of Justice has put forward the new requirements of the informatization and
standardization of prison management and the specialization of prison police, which
is the extension and further development of “three modernizations”.
Next, from the perspective of “three modernizations”, I am going to discuss sev-
eral relationships that need to be properly handled in the process of penalty execution
in prisons.

1. Legalization of Prison Work: Handling the Relationship


Between Prison Safety and Human Rights of Criminals
1.1 The Meaning of Legalization of Prison Work

The Opinions point out that the legalization of prison work is to form a complete
system of laws, regulations and rules, put all prison work into the track of legaliza-
tion, manage according to law, standardize operation and practically manage prison
according to law. The main tasks are to make the prison police2 firmly establish the
1
See the Ministry of Justice of China 2003.
2
In China, it in fact means all the formal staff who works in prison systems. For they all
have the titles of the prison officers (not only guard officers), they are usually and formally
called “prison police”.
1180 Wang Ping

concept of the supremacy of law, consciously develop a good sense of law enforce-
ment, comprehensively improve the legal literacy and law enforcement level, form a
strict and complete system of laws, regulations and rules and systems for prison work,
establish a fair, standardized, efficient and orderly prison legal work procedure and
supervision system, and ensure all aspects of law enforcement in prisons meet the
requirements of the law. For that, the specific measures taken mainly include:
1. Actively promoting the improvement and perfection of prison law and relevant
regulations, involving prison administration, prison production management,
prisoners’ rights and obligations, and law enforcement and then promoting the
argumentation and drafting of relevant rules and regulations matching the prison
law.
2. Standardizing the operation mechanism of law enforcement. Prison administra-
tive organs and prisons should formulate corresponding work plans, work disci-
plines, work norms and work standards to ensure the consistency of law enforce-
ment while tightening the procedures for prison law enforcement and working out
procedures and rules for prison law enforcement.
3. Improving the accountability system for law enforcement by establishing and im-
proving the publicity system for law enforcement, the assessment system for law
enforcement, and the accountability system for law enforcement mistakes, and by
strengthening the responsibility for law enforcement in prisons as well as estab-
lishing the supervision system of law enforcement and discipline enforcement
and the mechanism of power restriction, and strengthening the investigation
and punishment system of illegal and criminal acts.3
Generally speaking, the above formulation of the Opinions is appropriate except
for the wording of “legalization” instead of “rule of law”. “Rule of law” is different
from “legal system”. In theory, a correct understanding of the relationship and differ-
ence between “legal system” and “rule of law” is very important for a correct under-
standing and handling of the relationship between prison security and human rights
of criminals.
In the theory circle, the major difference between them is that the former stands for
rule by law while the latter stands for rule of law. “Legal system” refers to laws and
systems in a static sense, while in a dynamic sense, it refers to activities and processes
such as legislation, law enforcement, judicature, law-abiding, supervision of law en-
forcement, and handling affairs according to law. “Rule of law” emphasizes the man-
agement of the state and society through law, which represents rationality, efficiency,
civilization, democracy and order, and is opposite to “rule of man”. Legal system
belongs to the category of system while rule of law belongs to the category of meth-
od.4 Legal system emphasizes the role of law as a ruling tool, which is used by people,
so in which case, it is likely for some people to be above the law. And rule of law
3
See the Ministry of Justice of China 2003.
4
Jianming 1997.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1181

emphasizes the rule of law rather than the rule of people. Anyone must live under the
law. Even if above ten thousand people, you are still under the law. No one has the
privilege of transcending the law. In this way, on the one hand, everyone’s rights are
restricted, and on the other hand, everyone’s rights are protected. The connotation of
“rule of law” is richer than that of “legal system” and rule of law places more em-
phasis on harmony.5 Therefore, just as the concept of socialist rule of law, the wording
of rule of law in prison work may be better and in line with the general consensus of
the theoretical community. Although there are differences between rule of law and
legal system, they are not opposites. The legal system is the foundation and prereq-
uisite of the rule of law. To implement the rule of law, we must have a complete legal
system, and the rule of law is the foothold and final destination of the legal system.
Therefore, the two are interrelated. Of course, if someone claims that the two in the
above opinion have the same meaning, they should also give an explanation to avoid
misunderstanding by others.

1.2 Properly Handling the Relationship Between Prison Security


and Human Rights of Criminals

The core of the legalization of prison work is to deal with the relationship between
prison security and the protection of human rights of criminals. Sometimes there are
conflicts of values between prison security and criminals’ human rights. Overempha-
sis on prison safety and order may weaken some rights of criminals, such as the time
of entertainment activities, the frequency and time of meeting relatives and friends,
the protection of personal privacy, the ownership of personal hobbies, the opportunity
to contact with the outside society, etc. On the contrary, overemphasizing the rights of
criminals and giving them too many rights may bring harm to the prison security and
order. Things are not as simple as some people think. They think that as long as crim-
inals are given more rights, prison security and order will become better, as if the two
are always complementary. In fact, they are often opposites. After the criminals have
a strong sense of rights, even if they actually have more and more rights, which may
not meet their rising expectations, so that they will still feel dissatisfied, which will
have a negative impact on prison security and order. They may not be grateful to pris-
on administrators, because they think these rights are their own, regulated by law, not
the gift of prison administrators,6 which those who work in prison systems may often
encounter.7 In the 1960s, the surging human rights movement in American society led
to the frequent riots among American prison inmates, which is a typical example of
the conflict between prison security and criminals’ human rights.
5
Here legal system is just a sword while rule of law water. Of course water is more
harmonious than swords. The swords are stiff and cold while water is flexible and gentle.
6
They are right, in a sense that these rights are given by law, not by any individual prison
administrator.
7
On a visit to China, a foreign warden said at dinner that prisoners were like spoilt children
who would never be satisfied. The more you give them, the more they would cry.
1182 Wang Ping

“In the 1960s, the ant colonial struggle for national independence and democracy in the third
world was surging, which encouraged the American people. The increasingly awakened
American people set off a huge and far-reaching struggle for democratic rights. As an in-
tegral part of the whole struggle for democracy and rights, the riots in American prisons
have undergone fundamental changes, and the so–called ‘intentional prison riots‘ are
also on the rise.”8

In September 1971, the prisoner riot in Attica Prison, New York State, was the
bloodiest, most violent and deadliest prison riot in American prison history. 43 peo-
ple died and more than 80 people were injured, including prison guard officers and
prisoners.9
Prison is the organ of penalty execution, and safety and order are the basic prem-
ise. Generally speaking, the number and degree of prisoners’ rights should be based
on the fact that they do not affect prison safety and order. If prison safety and normal
order are not guaranteed, then the prison will not function properly, which is not al-
lowed in any country. In this sense, it can be said that prison safety and order is the
primary task of prison work.
On the other hand, since giving criminals a lot of rights will bring a lot of troubles
to prison safety and management, can we refuse to give them these? In a society ruled
by law, this is absolutely impossible. Prison theorists and practical departments have
the following different interpretations: first, because criminals are “human”, we
should stick to the humanitarianism and protect the rights of criminals; second, crim-
inals are “citizens”, enjoying the rights prescribed by law; third, this helps to change
criminals and protect the rights of criminals.
The above three explanations for the protection of the rights of criminals are dif-
ferent from each other, so the meanings given by them are also different. The first
explanation starts from a purely humanitarian standpoint (also can be said to be a
purely moral and ethical point of view) and holds that criminals are also human be-
ings and our own kind, so the rights of criminals should be protected. Some even be-
lieve that the protection of the rights of criminals is an end in itself, and cannot be
used as a means to achieve other purposes, or as a means to educate and change crim-
inals.
The second explanation is to understand the significance of protecting the rights of
criminals from the perspective of acting according to law. Because the Constitution
and laws stipulate that the rights of criminals should be protected, as law enforcers,
they should of course act according to law and protect the rights that criminals still
enjoy.
The third interpretation is to understand the protection of criminals’ rights as a
means, that is, as an effective means of educating and changing criminals. Only
by protecting the rights of criminals can we effectively educate and change criminals.
8
Zhiliang 2009, 88 – 89.
9
Zhiliang, 2009, 96.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1183

The above three different interpretations are correct in a certain sense, and people
often interpret the protection of the rights of criminals on the basis of the above three
different meanings at the same time, which makes the interpretation more compre-
hensive and reasonable, and to a certain extent avoids one-sidedness and absolute-
ness. But in my opinion, these explanations are far from enough. Protecting the rights
of criminals is ultimately to protect the rights of everyone.
In the sense of rule of law, the so-called power restriction mainly restricts the
power of the strong, because it is difficult for the weak to have any power; the so-
called right protection mainly protects the rights of the weak, because the rights
of the weak are more vulnerable to infringement. In the family, the protection of
rights mainly refers to the protection of the rights of wives and children, because
wives and children are usually weak. In schools, for teachers and students, the so-
called protection of rights mainly refers to the protection of students’ rights, because
students are comparatively weak. In prison, for the police officers and prisoners, the
so-called protection of rights mainly refers to the protection of prisoners’ rights, be-
cause prisoners are the weak and prison police officers are the strong. Although crim-
inals are vicious, they are also still vulnerable in prisons.
The significance of protecting the rights of the weak is not only to protect the
rights of the weak, embody humanitarianism, and educate and change them, but
also to have a deeper and higher goal in the sense of modern rule of law: that is,
to protect everyone’s rights from illegal infringement and for “justice for all”. If a
person is always strong, generally speaking, his rights will not be easily violated.
But few people in their life are always in a favorable situation; always the winner,
more often than not, he or she is hit, attacked and punished at some time, some
place and some circumstances. Therefore, the relationship between the weak and
the strong, the relationship between the minority and the majority, is not static,
but often in the process of development and change. In this dynamic analysis, it
can be clearly seen that only when the rights of the weak are effectively protected
can the rights of the majority of people and even the rights of all people finally be
truly protected. To protect the rights of the weak is actually to protect the rights of
each and every one of us, because each and every one of us may become the
weak. The operation mechanism of a democracy and rule of law society should be
to act according to the will of the majority and respect the rights of the minority.
The essence of the rule of law is to limit the power of the strong and protect the rights
of the weak.
On the one hand, criminals have committed serious acts endangering society, vio-
lated criminal law and have been punished according to law. Therefore, they are “vi-
cious groups” and should deserve the punishment and education accordingly. But on
the other hand, the social status of criminals in prisons is at the bottom of the society,
who are one of the most vulnerable groups in the vulnerable groups. So they are very
vulnerable to harm, and their rights regulated by law are very easy to be violated.
Therefore, the protection of the rights of criminals has a very special significance.
1184 Wang Ping

In this sense, it can be said that the protection of the rights of criminals is the last
barrier to protect the human rights of a country. Only when the rights of criminals
are effectively guaranteed can everyone’s human rights be ultimately and effectively
guaranteed. If the basic rights of criminals are effectively guaranteed, it can basically
show that this country is a country of rule of law and civilization, and this society is a
society of rule of law and civilization. Prison is one of the most sensitive parts of the
human rights situation in a country and society. Prison is the window of national and
social civilization. Now there are all kinds of “social insurance”. I believe that it is
one of the most important insurance in all social insurance to effectively protect the
rights of criminals. It guarantees that even if one day everyone is at the bottom of the
society and becomes a criminal, he still enjoys the dignity as a person and is still pro-
tected by the law of civilized society. This is the interpretation of the significance of
the rule of law for the prison to respect and protect the rights of criminals.10
As there are often contradictions and conflicts between prison safety and criminal
human rights in practice, but both are extremely important and cannot be abandoned,
so we can only seek moderation and balance and cannot go to extremes, so as not to
lead to excessive bias towards either side. China’s prison management department
claims that ensuring the safety and stability of the prison is the primary task, and ed-
ucating and changing criminals is the purpose. This is right and full of dialectical
unity. On the basis of that, this article makes some adjustments and supplements:
“to ensure the safety and stability of the prison is the primary task, education and
treatment of criminals and protection of the rights of criminals are the purpose of
prison work”, and the expression of “protection of the rights of criminals” may be
more comprehensive. Some people may wonder which of the two has the priority.
And I once was puzzled by it and felt that the official formulation was somewhat con-
tradictory. Now I think this formulation is appropriate, because the primary task and
the purpose are both opposites and unified, that is, the relationship between them is
dialectical. It can’t be said who is always in the first place. On the premise that the
security order can be ensured, the prison work should put the education and treatment
of criminals first; if there are serious problems in prison security and order in some
special periods, then ensuring prison security and order is the first task.

10
See my book Ping 2002, 12. The above point of view of mine had caused some con-
troversy in the past few years. Some people appreciated it, some people disagreed with it, and
some people felt puzzled, thinking how I can have such a strange idea .Now this concept as a
legal common sense has been accepted by more and more people.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1185

2. Scientific Education and Treatment:


Handling the Relationship Between Science and Belief
2.1 The Meaning of Scientific Prison Work

The Opinions point out that the scientization of prison work is to use scientific
methods to improve the overall level of prison work. The main tasks are to advocate
the scientific concept, study and grasp the working rules with scientific theories,
thoughts and methods; to perfect and innovate the prison working system and mech-
anism, to explore the effective ways and methods for the treatment of criminals, and
to enhance the effectiveness of educational treatment, to reasonably allocate the
human, material, financial and other resources of the prison, and to vigorously im-
prove the scientific culture of the prison police officers, and to improve the scientific
and technological content of prison management.11
It can be seen that the Opinions have a broad understanding of the scientific con-
cept of prison work, which is showed in: 1. the renewal of concepts and the scienti-
zation of thinking methods; 2. the scientization of education and treatment methods;
3. the improvement of the scientific and technological content of prison management
and the realization of the informatization of prison work; 4. the improvement of the
scientific and cultural quality of prison police officers. Here, I will only talk about my
own views on the scientific methods of educational treatment of criminals.
The Opinions put forward specific requirements for the scientific methods of ed-
ucation and treatment of criminals: we should actively explore and strengthen indi-
vidual treatment measures in the whole process of education and treatment. From the
beginning of entering prison, it is necessary to make a comprehensive analysis of the
criminal’s crime type, punishment term, crime reason, bad habit degree, personality
type, personal risk, gender, age, education level, occupation and other factors through
psychological test and other means, scientifically formulate the individual education
and treatment plan of the criminal and the specific education and treatment goal im-
plemented by stages, and explore the establishment of the treatment plan based on
this. We will improve the evaluation, feedback and control system for the quality
of criminal education and treatment. In the process of educational treatment; we
should give full play to the role of psychological counseling and psychotherapy of
criminals, and take psychological correction as an important part of educational treat-
ment of criminals.12
In terms of scientific ways and means of educational treatment of criminals, the
criminal quality evaluation system and criminal correction technology implemented
in Jiangsu, Beijing, Hunan, Xinjiang and other provinces and cities, as well as the
more widespread implementation of criminal psychological correction nationwide,

11
The Ministry of Justice of China 2003.
12
The Ministry of Justice of China 2003.
1186 Wang Ping

are representative, which indicates that the ways and means of educational treatment
of criminals in China are stepping into a scientific era.
At the end of 2003, in order to effectively promote the overall quality construction
strategy of rehabilitation of criminals in Jiangsu Province, and strive for a new break-
through in the work of rehabilitation of criminals, Jiangsu Provincial Prison Admin-
istration established the task force of „theory and practice of quality evaluation of
rehabilitation of criminals”, and began the research, design and theoretical explora-
tion of quality evaluation of criminal treatment. The research group drew lessons
from the advanced theories and practices of foreign countries, combined with the
new situation of national conditions and the change of criminal structure; considered
the realistic conditions, and met the forward-looking needs of the development of
treatment of criminals in the reform of prison system. They not only widely collected
relevant theoretical and practical data at home and abroad, but also visited other pro-
vincial prison systems that have carried out relevant theoretical and practical explo-
ration. On this basis, the research group designed 11 pre investigation tools, and con-
ducted relevant investigations in 11 prisons in Jiangsu Province with three prisons of
which selected for key retest. On the basis of researching more than one million data,
they finally completed the book “Quality Assessment of Criminal Rehabilitation” in
more than eight months, which was published by Law Press in October 2004.13 The
book summarizes and divides the practical operation contents of the evaluation of the
quality of criminal treatment into the following five aspects: the detection of crim-
inals in prison, the evaluation of the quality of the process of treatment of criminals,
the evaluation of the quality of the rehabilitation of criminals out of prison, the eval-
uation of the quality of the treatment of individual criminals of special groups, and the
individual treatment of criminals. Its operation content and technology are of high
scientific significance.
At present, the research results have been widely used in the prison system of
Jiangsu Province. Guangxi, Hainan, Jiangxi and other provinces have learned
from the prison system of Jiangsu Province and applied the research results and prac-
tical experience of Jiangsu Province in their prison work. Beijing Municipal Bureau
of Prison Administration, Hunan Provincial Bureau of Prison Administration and
Xinjiang Autonomous Region Bureau of Prison Administration have also set up a
task force for the quality assessment of criminal rehabilitation, to carry out the re-
search on the quality assessment of criminal rehabilitation, and to promote the re-
search results in the practice of prison criminal rehabilitation.
The evaluation of treatment quality solves the problems of scientific evaluation
tools, methods and procedures, but not the problem of how to change criminals ac-
cording to their criminal causes, especially the problem of scientific correction tech-
nology. For this reason, Jiangsu Provincial Prison Administration has set up a re-
search group since 2006 to carry out the research on the correction technology of
criminals and popularize it in the prison system of Jiangsu. The achievement of
13
Airong 2004, 268 – 269.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1187

the research, the Original Theory of Correction Technology, was published by Law
Press in March 2007. The book generalizes and divides the correction technology of
criminals into nine aspects: the classification and treatment technology of criminals,
the management technology of criminals, the education and correction technology of
criminals, the labor correction technology of criminals, the psychological correction
technology of criminals, the clinical treatment and rehabilitation technology of crim-
inals, the correction technology of individual cases of criminals, the evaluation tech-
nology of correction quality of criminals, and the information technology of correc-
tion of criminals.14 Induction and discussion are very comprehensive, systematic, in-
novative and at the leading level in the country.
It can be said that the scientific assessment of the quality of treatment of criminals
and the scientific correction technology of criminals are the “two wings” of the bird
of the scientific education and treatment of criminals. The organic combination of the
two sides will raise the scientific degree of the methods of education and treatment of
criminals to a new level.
Evidence-based correction is a new trend of scientific development of criminal
correction methods in western countries in recent years. The so-called evidence-
based correction refers to a series of correction activities carried out by practitioners
in the field of correction, which follow the principle of the best evidence, with the
support of the individual correction experience of practitioners and the correction ob-
jects, aiming at the criminal characteristics of the correction objects. The emergence
of evidence-based correction is the result of the infiltration of the spirit of natural
science into the field of correction practice. Traditional correction decision-making
and correction practices are more based on individual experience. Although these
correction practices are correct to some extent, they lack creativity, and it is difficult
to ensure the effectiveness of correction in the face of complex criminal individuals.
Evidence-based correction changes the traditional custom of “correction based on
individual experience”, and instead does the decision-making and implementation
of correction according to the best evidence proved by practice. These evidences re-
lated to criminals are often based on the meta-analysis of a large number of studies on
similar issues. Under the guidance of strict scientific norms, evidence-based correc-
tion tries to find out the individual needs of criminals, to reveal the crux of the cor-
rection problem and to prescribe the right medicine. Evidence-based correction re-
duces the reliance on individual experience of correction managers, improves the ac-
curacy of correction, promotes normalization of correction while paying attention to
correction facts, and realizes the unity of correction facts and norms to the greatest
extent.
The “best practice” of evidence-based correction originated in Canada, but it has
spread across the United States in the past decade and has been adopted by major
correction institutions and government organizations. Evidence-based correction
in Canada is also supported by legislation. For example, in the evidence-based cor-
14
Airong 2007, 31 – 33.
1188 Wang Ping

rection of some judicial districts in Canada, the provision of a correction plan for
criminals is authorized by legislation and clearly written in the correction policy.
However, according to the legislative practice of foreign countries, most countries
have not yet unified legislation to regulate evidence-based correction. In the United
States, for example, almost every state has evidence-based correction, but there is
still a lack of uniform legislation on evidence-based correction nationwide, only a
few states have made broad provisions on it. But almost every state has its own man-
ual on evidence-based correction. Studies in several countries have shown that clear
guidance can improve the correction effect, and these guidelines have been included
in the certification standards of the correction project.
In September 2012, the seminar on “evidence-based correction methods and prac-
tices and criminal correction in China” sponsored by the Institute of Crime Preven-
tion of the Ministry of Justice opened in the city of Yixing, Jiangsu Province. Five
experts from Canada, Hong Kong and Taiwan, China University of Political Science
and Law and Shanghai University of Political Science and Law made theme reports at
the seminar, and representatives from 24 provincial Departments of Justice (bu-
reaus), prison bureaus, relevant departments and institutions attended the seminar
and training. The leaders in charge of the Ministry of Justice attending the meeting
pointed out that on the basis of summing up China’s traditional experience and ab-
sorbing the successful experience of foreign criminal correction, the Ministry of Jus-
tice would carry out evidence-based correction trial work in some prisons and com-
munity correction institutions with good economic conditions, rich correction expe-
rience and good research foundation. This marked a new attempt to make the meth-
ods of correction more scientific.

2.2 Handling the Relationship Between Science and Belief

It should be noted that scientific education and treatment mainly refers to the sci-
entific methods of educating and rehabilitating criminals and the technicalization of
corrective measures, not the content of education and treatment itself. Prison educa-
tion and treatment of criminals generally includes three aspects: ideological educa-
tion, cultural education and vocational and technical education. The contents of ed-
ucation and treatment in these three aspects should be scientific, that is, the ways,
methods and correction techniques of ideological education, cultural education
and vocational and technical education of criminals should be scientific, so as to im-
prove the effect of ideological education, cultural education and vocational and tech-
nical education of criminals. The relationship between content of education and treat-
ment and the scientific methods of education and treatment is the one between pur-
pose and means, and cannot be confused.
In order to educate and change criminals scientifically, we need to properly handle
the relationship between content and form, and between purpose and means. Espe-
cially for the ideological education of criminals, we must deal with the relationship
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1189

between science and belief correctly, and should not overstate the role of scientific
education.
In a certain sense, we can say that man is a machine. We can use scientific methods
and means to change him, correct his psychology and behavior.15 But on the other
hand, man is not a machine. He has reason, thought and his own belief. This is
the essential attribute that distinguishes man from all other creatures.16 In this
sense, it is necessary to solve the problem of belief in education. The power of belief
is infinite, and the role of belief education in educating and changing criminals can-
not be ignored.
The problem of belief is what is commonly referred to as world outlook, outlook
on life, values, ideals and beliefs. What is the nature of the world, material or spiri-
tual? Where does life come from and how to face death? How can one live to be
meaningful, to give or to take? How to have value, struggle or enjoyment? These
problems cannot be completely solved by science, although science helps people
find the truth to some extent. Science and belief can be regarded as two juxtaposed
categories. Science cannot solve the problem of belief completely. If we say that sci-
ence can simply solve the problem of belief, it seems that people with high education
and high education level are more likely to have scientific world outlook, outlook on
life and values, correct ideals and beliefs than people with illiteracy, which is not the
case in fact.
Einstein said: “Science without faith is lame, and faith without science is blind.”
That is to say, when human beings lack science, they become ignorant because they
can’t see the real face of the material world; when human beings don’t have faith,
they become faltering because they lose their way ahead. Only the organic combi-
nation of science and belief can build a sound, healthy and harmonious society,
and individuals can have a good life.
Compared with western countries, ideological education of criminals is the char-
acteristic of China’s prisons. We not only offer ideological education courses, but
also attach great importance to the ideological education of criminals in practice,
and put it in the first place. Western countries tend to neglect the role of ideological
education and generally do not offer ideological education courses. For example, in
the United States, from society (including family and school) to prison, there is ba-
sically no ideological education system. Although there are priests and psychologists
in American prisons, the actual educational effect of priests is limited, and the work
15
There is a philosophical book called “Man is a Machine” by De La Mettrie, a French
philosopher of the enlightenment who lived from 1709 to 1751. His most famous work is
“Man is a Machine”, published in 1748. The Chinese version of this book was published by the
Commercial Press in September 1959. Based on a wealth of medical, anatomical, and phy-
siological evidence that the state of mind is determined by the state of the human organism, the
author holds that moving matter produces living creatures, sentient animals, and rational
human beings, refuting the idealist view that the mind is an independent spiritual entity while
emphasizing the dependence of the mind on matter.
16
So philosophers could write another book: Man is not a Machine.
1190 Wang Ping

done by psychologists is basically irrelevant to morality. The transformation of


human beings is fundamentally the transformation of ideology and morality. Only
the practical ideological education can make the prisoners in prison get real transfor-
mation. The lack of an effective ideological education system in American prisons is
one of the reasons for the low efficiency of American prisons.17
The content of ideological education is mainly social mainstream values and
ideology of the ruling class. At present, the ideological education of criminals in Chi-
na’s prisons mainly includes four basic principles: education, legal education, moral
education, situation, politics and future education, etc.
China’s prisons attach great importance to the ideological education of criminals,
and have achieved remarkable results, which is not accidental, but has a historical and
practical basis. In addition to the fundamental reason of the advantages of the social
system, the achievements are also the inevitable result of the influence of traditional
culture and traditional ethics to a large extent. People create their own history, but
they do not create it as they please, but under established conditions. For the survival
and development of any nation, its practices and thoughts are all influenced by and
branded with the historical traditions. Five thousand years of Chinese culture has ac-
cumulated in the deep structure of our psychology, which still greatly influences peo-
ple’s behavior patterns. The concept of “unity” in Chinese traditional culture is the
historical and cultural reason why Chinese prisons attach importance to the ideolog-
ical education of criminals and have achieved success.
In the traditional Chinese culture, the general spirit of “great unity” is to empha-
size the overall interests of the state and society, which are higher than the individual
interests. When there is a conflict between the overall interests and the individual
interests, the latter must give way to the former. Since the Western Han Dynasty,
the concept of “unification” has become the way of thinking of Chinese people. It
has a great influence on ancient Chinese society and even modern society. It has be-
come the recognized national spirit and traditional concept of the Chinese nation.
This unified way of thinking gives Chinese people’s thoughts the feature of conver-
gence, convergence in Confucianism. This is the so-called “people with the same
mind and reason”, or the so-called “people’s heart”. It is because of this convergence
that the Chinese people have a strong cohesive force, so that the Chinese nation has
survived thousands of disasters. Although there was chaos in the long history of
China such as in the Three Kingdoms, Eastern and Western Jin Dynasties and North-
ern and Southern Dynasties, Five Dynasties and Ten Kingdoms and disputes among
Song, Liao, Jin and Yuan Dynasties, the Chinese nation did not disintegrate and ba-
sically maintained a unified situation. This cohesion, when the country is unified,

17
Professor Huaizhi of Peking University once pointed out that there are two main reasons
for the low efficiency of American prisons: one is the lack of comprehensive labor reform
system, the other is the lack of effective ideological education system. And the comprehensive
labor reform system and the effective ideological education system are the strengths of our
prisons, and the traditions that we should not lose. For more details, see Huaizhi 1997, 491.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1191

plays a role in maintaining unity and preventing secession. When the country is div-
ided, the cohesion plays a powerful role in promoting unity and ending division.18
Especially at the time of national crisis, lofty aspirations such as “everyone is respon-
sible for the rise and fall of the nation”, “one should put the nation first”, and “one
should serve the country faithfully” among others that embody the unity of the nation,
have touched countless people with lofty ideals and inspired them to strive for the
whole nation.
“Great unity” includes both political and ideological unity. Therefore, the Chinese
nation has always stressed a high degree of unity in ideology and the social interven-
tion in individual ideology. If there are people who run counter to the will of the ruling
class, society always teaches them with great patience, which embodies the tradition-
al spirit of “educating people without tiredness”. In the process of changing crimi-
nals, prisons in China attach importance to the ideological education of criminals
and have achieved success, which, in a sense, is the result of this deep national cul-
tural tradition.
Traditional culture is often the coexistence of essence and dross. The “unified
view” emphasizes the overall interests and the consistency of people’s thoughts
and behaviors, which is conducive to maintaining social stability and ideological ed-
ucation for criminals. This is a positive aspect of traditional culture, but it also has its
negative effects, such as ignoring personal interests and rights. Therefore, when we
carry out ideological education for criminals, we must pay attention to the cultivation
of criminals’ awareness of rights and the protection of their actual rights. In this
sense, we can say that our inheritance of traditional culture is not a comprehensive
inheritance without analysis, but a critical inheritance, that is, to absorb its essence
and reject its dross.
New China had once been affected by the extreme left ideological trend for a rel-
atively long period when it had been often seen to politicize, moralize and ideologize
all people’s thoughts, opinions and behaviors and ideological education had seemed
to be everywhere, and become a good way for some people to persecute others. As a
result, people were in danger. Although these extreme left thinking trends have be-
come history, they should not be ignored. We must always reflect on them to prevent
the tragedy from repeating. But these tragedies, these extreme left thoughts, were not
caused by ideological education itself. On the contrary, the positive effect of ideolog-
ical education was seriously affected by these extreme left thoughts.
In recent years, due to the negative effects of market economy, coupled with many
vacuum and loopholes in the transformation process of the old and new systems, the
number of criminals has increased rapidly and the harm is very serious. Many social
evils that have long been extinct have resurrected. Corruption, bribery and other cor-
rupt phenomena have intensified. Money worship has a large market and the social
atmosphere has been seriously polluted. This phenomenon inevitably has affected the

18
Guitin 1990, 317.
1192 Wang Ping

prison’s ideological education of criminals. The moral and belief crisis has penetrat-
ed into some prisons. Some prison managers are influenced by the negative phenom-
ena in the current society, suffering from moral crisis, belief crisis, and right and
wrong crisis in varying degrees. This makes some prisons neglect the ideological ed-
ucation of criminals, and think that ideological education is dispensable, weakening
the ideological education of criminals in some prisons. In addition, the pressure in
prison production has also weakened the ideological education of criminals in
some prisons.
On the other hand, the current social background also makes the ideological edu-
cation of criminals in prison more difficult. If the contradiction between the content
and method of traditional education and the current social reality cannot be explained
reasonably, it will be difficult for criminals to be convinced, and the effect of ideo-
logical education will suffer, or even rarely work. Therefore, in view of the changed
objective environment, it is imperative to update the content and form of ideological
education for criminals to make them advanced, scientific and effective.
We stress the importance of ideological education for criminals, but we do not
stick to it blindly. To effectively educate and change criminals, we must combine
ideological education with other means of correction, which is the scientific attitude
we should adopt.

3. Socialization of Penalty Execution in Prisons:


Handling the Relationship Between Prison and Society
3.1 The Paradox of Penalty Execution in Prisons

Meaning ridiculousness, contradiction and irrationality, paradox is a very com-


mon phenomenon in human society. Due to the limitation of human rational design,
all kinds of cultures created by human beings (including concepts, systems and im-
plements) have varying degrees of structural and functional irrationality, inner con-
tradictions, ambiguity and uncertainty of mixed values and meanings, in a certain
sense.19 The grains cultivated by human beings and the silk, linen and cloth made
by human beings can not only support life, but also serve the gods and ghosts; the
broadsword, spear and fort created by human beings can not only defend or hunt ti-
gers, leopards, wolves to keep people safe from dangers, but also help people kill
each other bloodily; the artful design and decoration can not only bring pleasure
and aesthetic enjoyment, but might also be used as a symbol to distinguish the
noble from the humble, and help form the sense of honor and disgrace; various eti-
quette and rules and regulations created can not only widely educate people, develop
good customs and traditions while preventing chaos, eliminating disputes and resolv-
ing disputes, so that the society can be stable, but also can be a monster swallowing

19
Yunjie 1990, 4.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1193

numerous people. This kind of cultural contradiction and irrationality does not come
from the outside, but from the internal structure of culture, from the duality and un-
certainty of cultural meaning, value and function.20
There is also a paradox in penalty execution in prisons. If the limited function of
penalty execution in prisons is mainly due to the influence and restriction of various
external factors inside and outside prisons, then the paradox of penalty execution in
prisons is due to the inherent contradiction and irrationality of penalty execution in
prisons itself. The paradox of penalty execution in prisons has a series of manifes-
tations. I am going to mainly discuss two internal contradictions closely related to
the efficiency of education and treatment of criminals, that is, the contradiction be-
tween the adaptation of criminals in prisons and resocialization of criminals, and that
between the closed prison and the open society.

3.1.1 The Contradiction Between Adaptation of Criminals in Prisons


and Resocialization of Criminals

From the sociological point of view, anti-sociality is the essential feature of crim-
inal behavior. The process of prison education and treatment of criminals is the one
for the rehabilitation of criminals. The so-called anti-social nature of criminals refers
to the quality or tendency of criminals’ personality which is contrary to social norms
and social values. The anti-sociality of criminals is mainly formed in the process of
individual socialization. The so-called socialization refers to the psychological and
personality development process of human beings who have been learning and ac-
cepting social norms and social values since their birth, so as to change from a “bio-
logical person” to a “social person”. Through the study of certain social norms and
social values in the process of socialization, these social norms and social values
gradually get into the core of individual personality and become the internal self-
worth criterion. Therefore, the process of socialization is the one of individual per-
sonality formation. The normal socialization process can lead to the formation of pro-
social personality and the occurrence of prosocial behavior. And anti-socialization
(the process of individual learning and accepting values and norms that conflict
with traditional social values and norms, is also a form of socialization, but its content
and results are just opposite to normal socialization) and defective socialization may
lead to the anti-social personality tendency and the anti-social behavior, and the ex-
treme form of anti-social behavior is criminal behavior.
Since anti-sociality is mainly formed by learning, generally speaking, it should
also be able to be transformed. The treatment of anti-sociality of criminals is in
fact the process of resocialization of criminals. The mild anti-social nature can be
eliminated by one’s own efforts, while the anti-social nature of criminals can only
be transformed by external intervention and correction.21 One of the basic tasks of
20
Yunjie 1990, 5.
21
Mingzheng 1995, 122.
1194 Wang Ping

penalty execution in modern prisons is to re-socialize criminals, that is, to correct and
transform the anti-social nature of criminals through penalty execution in prisons, so
that their mentality and behavioral habits can conform to social norms and social
value standards, and becoming law-abiding citizens earning their own livings, in-
stead of breaking the law again. Therefore, resocialization of criminals is the core
of penalty execution in modern prisons.
But there have been many kinds of antinomy in history, and penalty execution in
prisons is no exception. In the resocialization of criminals, the penalty execution in
prisons often affects the process of resocialization and may even strengthen the anti-
sociality of criminals. One of the main reasons for this is the adaptation of criminals
in prisons.
The term “adaptation” was first proposed by Donald Clemmer, an American so-
ciologist. In the 1930s, he took the lead in investigating the subculture of male prisons
in the United States, and wrote the book Prison Community in which the term “adap-
tation” appeared for the first time.
According to Donald Clemmer’s explanation, adaptation refers to the process of
prisoners’ learning and internalization of prison culture. The specific content can be
divided into three aspects: first, the learning and acceptance of prison subculture; sec-
ond, the learning and acceptance of formal rules and systems formulated by prison
authorities; third, the learning and acceptance of prison general culture.22 Among
them, the study and acceptance of prison subculture by criminals is the core content
of adaptation.
There is a corresponding cultural system in every social organization, and prison
is no exception. Prison culture reflects the whole life of prison, which is a specific
social organization. It is a combination of concept culture, system culture and utensil
culture of prison. Prison culture in which prisoners live affects the behavior of pris-
oners in an all-round way.
“History is the mixture of merit and sin, and culture is the aggregation of civili-
zation and ignorance.”23 Every culture contains not only gold but also dirt. As a kind
of social culture, prison culture is a combination of mainstream culture and subcul-
ture. Mainstream culture is the ideology and culture of the ruling class in a specific
historical period. It is the sum total of moral ethics, social norms, aesthetic emotions
and religious beliefs that dominate in a specific historical period. Marx said: “The
ideology of the ruling class is the dominant ideology in every era. That is to say, a
class is not only the dominant material force in the society, but also the dominant
spiritual force in the society. The class that controls the means of material production
also controls the means of spiritual production. Therefore, the minds of those who
have no means of spiritual production are generally dominated by the ruling

22
See China University of Political Science and Law Press 1995.
23
Jin 1988.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1195

class.”24 So is the mainstream culture of prison, which is an official culture and the
expression of mainstream culture in prison. The mainstream culture of prison
changes with the development of society, and is generally recognized by the
whole society no matter in any era.
“Subculture refers to the unique cultural form different from the mainstream cul-
ture. Subculture always tends to deviate from mainstream culture more or less.”25
Subculture has the general cultural features of a society, but it also boasts its own
unique value orientation, lifestyle and code of conduct. Prison subculture is a unique
way of life for prison inmates, which is the sum of informal unwritten norms, values,
habits and unique behavior patterns that are popular in the criminal community. Pris-
on subculture is not only a part of human subculture system, but also a special man-
ifestation of subculture in a special region. Prison is the most intensive area of sub-
culture and the distribution center of subculture. The accumulation, adaptation, in-
heritance, integration and differentiation of many subcultures takes place here.
Therefore, prisoners in prison live in a dual cultural background. On the one
hand, they are educated by the mainstream culture of prison, on the other hand,
they are influenced and restricted by the subculture of prison; on the one hand,
they should accept the mainstream culture of prison, make efforts to realize rehabil-
itation; on the other hand, they have to respect the subculture of prison, so as to deep-
en the degree of adaptation.26
Some scholars have summarized the prison subculture phenomenon into the fol-
lowing aspects: 1. rules among criminals; 2. jargon among criminals; 3. tattoos
among criminals; 4. homosexuality among criminals, 5. violence among criminals.
Some scholars also put the anti-social consciousness of criminals, subgroups of crim-
inals, products of criminals’ spiritual activities, prison reaction, characteristics of
criminals, prison adaptation, prison personality, prison brand, etc. into the category
of prison subculture.27
On the characteristics of prison subculture, some scholars have summarized it into
the following aspects28 :
1. Low level. The culture with reason and conscience is a high-level culture and the
culture that should be pursued by human beings, while the prison subculture is a
low-level culture, which results in a series of limitations, crudeness and weirdness
in criminals’ thinking ability, aesthetic concept, life attitude, behavior mode, etc.,
such as tattoos among criminals and homosexuality among criminals.
2. Privacy. Prison subculture is “hidden” in the process of its generation, inheritance
and integration, and in both its form and content. The prison subculture can only
24
Marx & Engels 1972, 52.
25
Su-min 1990, 145.
26
Ping 1991.
27
Mingzheng 1992, 317 – 325.
28
Ping 1991.
1196 Wang Ping

operate in the prison subculture group due to the limitation of its activities, so it is
not easy to be found and perceived by people. Even after being discovered, the
prison subculture is often regarded as a mysterious thing and power, and it is dif-
ficult to find out its true meaning.
3. Antagonism. Prison subculture is a confrontation of prison mainstream culture,
which appears as anti-prison mainstream culture. The antagonism between main-
stream culture and subculture is especially strong in prison. This kind of antag-
onism mainly shows that prisoners rebel against the existing moral norms, fight
against the laws and regulations, and destroy the order of various prison regula-
tions. Many illegal and criminal activities in prison are the result of subculture
accumulation, or directly reflect the subculture of prison. For example, some pris-
oners, in order to avoid productive labor and to resist various supervision regu-
lations, would devour objects, cut off their hands or feet, and even commit suicide.
This is incredible for ordinary people, but it happens from time to time in prison.
4. The uniqueness of communication. Subculture exists in any society, while prison
culture spreads in its unique form, characterized by “concentration from outside
to inside and diffusion from inside to outside”. The generation and development
of prison subculture cannot be separated from the soil of the outside society and
the influence of the outside social subculture. Every new inmate is a carrier of the
subculture of the external society, at the same time, he is facing the problem of
adapting to the subculture of the prison. The prisoners in prison often face the
problem of the integration of the two subcultures. A new subculture of prison
will be formed after the integration of subculture of external society and original
subculture of prison. Prison is not only the place where the subculture of the out-
side world is concentrated, but also the starting point for the proliferation of the
prison subculture to the outside world. With the release or escape of prisoners,
those who have not been completely transformed spread the prison subculture
to every corner of the external society, so as to be a part of the subculture of
the external society. Recidivists and their reimprisonment bring the external so-
cial subculture, which integrates with the original subculture of prison. Such on-
going interaction between these two cultures has created a vicious circle of sub-
culture transmission. This is the basis for some people in the west to refer to pris-
ons as “dye vats” and “schools of crime”.
5. Continuity. Although the subculture of prison is opposed by the mainstream cul-
ture of prison, once the cultural mode is established, it tends to keep on. Even
under external pressure, the prisoners in prison will not easily give up their orig-
inal cultural preferences. Prison subculture has strong adhesiveness, and every
prisoner is affected by it to varying degrees. The prisoners who accept the
group culture and adapt to the “system” can obtain certain power and status
among the prisoners, otherwise they will be excluded by the criminal group.
Many subcultural phenomena in prison are treated as “prison customs” because
they are kept for a long time. Any culture is not a backwater. It should be inno-
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1197

vated and developed with the development of the times. However, due to cultural
inertia and conservatism, the rate of change is relatively slow. The change of pris-
on subculture is even more so. Prison subculture often treats the change of culture
not actively, but passively or even reactively, which results in the repetition and
simplification of prison subculture.
As a process of learning and accepting prison subculture, the prisoners’ adaptation
is the process of anti-socialization, and of criminalization to a certain extent. In the
process of adaptation, criminals learn each other’s criminal skills and bad habits,
leading to further decline of moral concepts and further loss of sense of shame.
The prisoners after adaptation accept the informal values, habits and norms of the
criminal community, and at the same time, they have immunity to the dominant val-
ues of society and the rules formulated by the prison authorities, which greatly re-
duces their positive impact. Therefore, the adaptation may not only make it more dif-
ficult to transform and re-socialize criminals, but also deepen the degree of anti-so-
cial behavior of criminals, resulting in a large number of recidivists.

3.1.2 The Contradiction Between Closed Prison and Open Society

Strictly speaking, the contradiction between the closed prison and the open soci-
ety should also belong to the category of the contradiction between the adaptation and
the resocialization of criminals. However, due to its outstanding influence on the pris-
on efficiency, it is necessary to discuss the contradiction between the closed prison
and the open society in particular. The traditional prison environment is far from the
normal social environment. As a full-control institution, prison, like other full-con-
trol institutions such as psychiatric hospitals, concentration camps and monasteries,
also strictly controls people’s behavior according to a set of special rules and prac-
tices. Prisoners live in an almost isolated environment. Closed environment and some
humiliating facilities, clothing, activities and rituals tend to cause mental trauma and
personality degradation to prisoners.
American professor Philip George Zimbardo did an experiment to prove the
above statement. He used the basement of a building at Stanford University as a si-
mulated prison to recruit a group of college students without criminal records for the
experiment. By lot, some students acted as “prisoners” and some as “guards”. Al-
though the participants in these trials had obvious normal human status, this environ-
ment (simulated prison) quickly presented the characteristics of the full control in-
stitution: three “prisoners” had serious trauma reactions in the first four days of the
trial, so they had to be “released” in advance. The rest of the “prisoners” and “guards”
soon behaved like real prisoners and guards. One third of the “guards” abused their
power and made the “prisoners” despondent. Although the remaining “guards” did
not take part in such actions, they did not stop others from abusing the “prisoners”.
That is to say, the “guards” and “prisoners” quickly showed the behavior pattern un-
derstood as conforming to the status in a way different from that in a free society a few
1198 Wang Ping

days ago. Professor Philip George Zimbardo had planned to carry out the experiment
for two weeks. Later, he felt that the mental damage to the participants was so great
that he had to stop the experiment after six days into the experiment.29
The gap between the closed prison and the normal social life inevitably affect the
efficiency of prison education and treatment of criminals and the larger the gap, the
lower the efficiency of prison education and treatment of criminals. In fact, it is very
difficult for a person to get out of a normal social life and into an abnormal social
environment, but at the same time act as in a normal social life. This is the paradox.
Professor Norval Morris with the University of Chicago in the United States has at
least revealed the essence of this problem to a certain extent: imprisonment is un-
doubtedly a kind of expulsion of criminals from human society, which expels crim-
inals into a worse place than the general social conditions, and criminals must return
to society from this worse place, so it can be said that this is a strange and useless
expulsion. After the criminals are expelled, not only can they not live a meaningful
life, but also they are cut off from the society, which damages their mental health and
sociality, making it more difficult for them to return to the society.30 Some western
scholars point out that under the condition of imprisonment, prisoners are deprived of
the minimum sense of responsibility. Like children, they are prescribed when to eat
and sleep, when to work and when to rest, all of which they do not need to nor can
decide by themselves. As a feature of a normal society, upholding one’s rights should
be encouraged. In prison, however, prisoners’ insistence on their rights is often re-
garded as disobedience to discipline and thus will be punished. Prison life, which
is different from the normal life of society, is deeply branded on every prisoner.
This brand is hard to disappear for a long time for some prisoners after they are re-
leased from prison, even goes with their whole lives, making them “prisoners” who
are not in prison.
The contradiction between the adaptation and the resocialization of criminals, be-
tween the closed prison and the open society, profoundly reveals the drawbacks and
defects of imprisonment and traditional prisons when it comes to the change of crim-
inals. In order to alleviate these contradictions and crises, western countries have
adopted many treatment programs. The main measures can be divided into two as-
pects:
The first is to control the source of the application of imprisonment in legislation
and trials, to get rid of the dependence of the society on imprisonment as much as
possible, and to make imprisonment become a tool that can only be used in case
of necessity. In western countries, some behaviors which do no serious harm to
the society constituted a crime according to the traditional concept of penalty, but
now they are no longer considered as a crime or a crime punished by deprivation
of liberty. This is the so-called decriminalization, or the trend of non-imprisonment
penalty. In the United States, for example, since 1963, many states have legalized one
29
See Huaizhi 1997, 510 – 511.
30
Ganmei 1979, 282.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1199

or more forms of gambling. By 1975, 29 states had legalized horse racing gambling, 8
states legalized casino gambling, and at least 6 states had other types of legal gam-
bling. In the 1960s and early 1970s, the United States treated possession of marijuana
as a felony. However, with the proliferation of drugs and drug abuse, some states fur-
ther relaxed control on marijuana. From 1973 to 1978, 11 state legislatures passed
laws to decriminalize possession of marijuana and not to deal with it as a crime.31
When entering the trial stage through the legislative checkpoint, there are new
checkpoints in front of the application of imprisonment, which is a large number
of choices of punishment types or punishment systems that limit or replace the im-
prisonment. The choice of punishment is mainly reflected in two aspects: one is to
choose a large number of fine penalties. In some western countries, the trend of pen-
alty system changing from imprisonment to fine penalty is obvious. The other is to
choose to apply the restrictive punishment. Limiting freedom punishment is not dep-
rivation of personal freedom, but restriction, that is, not detaining prisoners in a cer-
tain place, but allowing them to stay in society and maintain their normal life as usual
under certain conditions stipulated by law, such as community service in the United
States, social service orders in Britain, etc.
There are two main measures of the criminal system in this respect. One is to
choose the application of probation. In modern western countries, probation is a
force comparable to fine, and its impact on the status of imprisonment is the hot
topic of western scholars. Because probation is mainly applicable to the criminals
who commit minor crimes and should be punished with short-term imprisonment,
but for the consideration of criminal policy, it is not necessary to sentence or execute
the sentence for the time being, so probation has long been regarded as an important
means to replace short-term imprisonment. Since the Second World War, the appli-
cation of probation in western countries has been expanding day by day.
The other is to change the traditional way of execution of imprisonment, and im-
plement the open correction system, such as labor release system, learning release
system, homecoming system in which prisoners are given time off to go home for
a holiday, weekend detention system and so on. The main function of this measure
is not to cut off the relationship between criminals and the external society as much as
possible, so that criminals have sufficient psychological preparation and adaptability
for returning to society.
Before the reform and opening up, Chinese society was basically closed. At that
time, with the relatively small gap between the closed prison environment and the
external society and the favorable social macro environment, the efficiency of the
prison was relatively high, and the effect of changing criminals was relatively
good. However, since the reform and opening up, Chinese society has been more
and more open, and the distance between the traditional closed prison life and the
modern open social life has gradually widened, which is bound to affect the effect

31
See Yupei, Chunxi, & Wen 1991, 393 – 394.
1200 Wang Ping

of treatment of criminals in prison. In order to adapt to this changed situation and to


continue to change criminals effectively under the new situation, in recent years Chi-
na’s prisons have taken many new measures to change criminals, such as setting up
special schools in prisons so that criminals can receive better education while serving
their sentences. The implementation of the “three extensions” of the work of educat-
ing and changing criminals gives criminals more opportunities to contact the society
while serving their sentences in prison, and mobilizes various social forces to partic-
ipate in the treatment of criminals, etc. Its purpose is to coordinate the prison life of
criminals with the normal life of the society, so as to improve the efficiency of prison
education and treatment of criminals, so that criminals can return to the society
smoothly after they are released from prison, not to commit crimes again, and
hope to contribute to the society. These measures have achieved remarkable results
in practice. I believe that under the macro background of the continuous opening up
of today’s society, in order to avoid some disadvantages of the traditional prison ex-
ecution and to educate and change criminals more effectively, we should learn from
the good experience of western countries in correcting criminals and make further
efforts in the socialization of penalty execution according to the actual situation in
China.

3.2 The Socialization of Penalty Execution and Its Measures

The Opinions clearly define the concept, task and basic measures of the sociali-
zation of penalty execution in prisons. Socialization of prison work means that prison
work should make full use of social resources and social forces to do a good job in
prison work on the basis of adhering to the principle of giving priority to prison police
officers. The main task is to use social resources to gradually establish a multi-level
and all-round social assistance and education system, to create a socialized transfor-
mation environment, to realize the socialization of transformation strength, transfor-
mation means, transformation content and the socialization of prison work logistics
support, and to realize the benign interaction between prison work and the social en-
vironment.32 The specific measures are:
1. To create a transformation environment conducive to the reintegration of crimi-
nals. To create a socialized atmosphere in prison, we should try our best to keep
criminals in a socialized environment, shorten the distance between prison life
and social life, and improve the ability of criminals to adapt to social life after
they are released from prison. And we should also give a chance to criminals
to visit the society on a regular basis, so that criminals can personally feel the at-
mosphere of modern social life and the development of the society.
2. To establish and improve the network of social assistance and education. The
party and government organs, the army, schools, social organizations, community
organizations and other institutions, as well as people from all walks of life, will
32
See The Ministry of Justice of China 2003.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1201

be widely absorbed to participate in the education and treatment of criminals.


Gradually, an education and treatment force will be formed, with the prison police
as the main body and the representatives of part-time social workers, voluntary
helpers and educators, and released prisoners.
3. To make full use of social resources to carry out ideological, cultural and voca-
tional education for criminals. In particular, it is necessary to strengthen employ-
ment guidance and vocational training for criminals before they are released from
prison. The prison should, together with the local departments of labor, industry
and commerce, jointly carry out targeted employment guidance and vocational
training before the criminals return to society. Within the scope permitted by
law, criminals who are about to be released after serving their sentences may
be allowed to apply for their future jobs.33 It can be seen that the provisions of
the Opinions on the socialization of prison work are relatively comprehensive.34
Community correction is closely related to the socialization of penalty execution
in prisons. Since the 1990s, China’s prisons and correctional theorists have begun to
study the above-mentioned difficulties faced by penalty execution in prisons, and be-
lieved that China should gradually implement community correction to enhance the
effect of educating and changing criminals.
Compared with imprisonment, community correction has the following advantag-
es:
1. It is conducive to mobilizing the initiative of criminals’ education and treatment.
It can not only reduce and avoid the cross infection between prisoners in prison,
but also help eliminate their antipathy toward correction and mobilize their en-
thusiasm of self-improvement and self-conscious education.
2. It helps control the prison population and improves the quality of prison education
and treatment of criminals. The current situation of illegal activities and crimes in
China is very serious, and the number of crimes has increased dramatically. It can
be predicted that in the next period of time, the general trend of the rising number
of crimes in China will still continue, which indicates that the number of prisoners
in prison will increase accordingly. In this case, the prison will be overcrowded,
and for a prison full of people it is difficult to carry out the effective transformation
of criminals. Therefore, the implementation of community correction is one of the
effective measures to control the prison population, improve the prison environ-
ment and improve the quality of prison education.
3. It can be used as a bridge for prisoners to return to society. At the beginning of his
release from prison, the prisoner is at the most dangerous stage. Criminals lose
freedom completely in prison. Once getting out of prison, they suddenly get com-
33
See The Ministry of Justice of China 2003.
34
In this paper, “the socialization of penalty execution in prisons” and “the socialization of
prison work” are generally understood and applied in the same sense, while the socialization
of penalty execution in prisons has a broader content including community correction.
1202 Wang Ping

plete freedom, thus facing a dramatic change in their life. Without proper adjust-
ment, they are very easy to commit crimes again. Therefore, after the prisoners are
released from prison, they should still be supervised, managed and educated for a
certain period of time, so that they will not repeat their mistakes due to various
difficulties, and can smoothly return to society and become law-abiding citizens.
4. It is beneficial to mobilize community forces to educate and correct criminals.
Putting eligible criminals in the community and letting them live among the mass-
es can mobilize the public and all sectors of society to participate in the supervi-
sion, education and correction of criminals.
5. It is conducive to saving penalty execution resources and reducing the cost of pen-
alty execution. The high cost of imprisonment is a common problem in the world.
Compared with imprisonment correction, community correction can save the cost
of penalty execution and reduce the financial burden of the country.
6. It is conducive to the implementation of the criminal policy of tempering justice
with mercy. There are many reasons for criminals to commit crimes, and social
harmfulness of criminals varies. Some people’s crimes are minor and their sub-
jective malice is not serious. If all these criminals are sentenced to imprisonment,
this will not get the support of the public; if community correction is applied, we
not only maintain the dignity of the law, but also consider the actual situation of
the case, which has the effect of supporting the right and removing the evil. The
application of community correction to the defendant in the case of injury caused
by civil disputes is conducive to the defendant’s active performance of the obli-
gation of compensation, protection of the legitimate rights and interests of the vic-
tim, and the alleviation and elimination of conflicts. For the case that the defend-
ant is the main labor force in the family, the application of community correction
can maintain the livelihood of the family and avoid the family being broken be-
cause of the imprisonment of its family members.
Due to the promotion of academic circle and press as well as the urgent need of
reality, China began to consider the implementation of community correction. On
July 10, 2003, after full discussion and consultation, the Supreme People’s Court,
the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public Security and the Ministry
of Justice jointly distributed the Notice on Carrying Out the Pilot Work of Commun-
ity Correction, and decided to carry out the pilot work of community correction in
Beijing, Shanghai, Tianjin, Jiangsu, Zhejiang and Shandong since 2003.
The main contents of the above notice are as follows:35
1. Defining the nature of community correction.
2. Identifying the objects of community correction. The scope of application of
community correction mainly includes the following five kinds of criminals:

35
The Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public
Security & the Ministry of Justice 2003.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1203

those who have been placed under surveillance; those who have been given a re-
prieve; those who have been allowed to temporarily serve their sentences out of
prison, specifically including: those who have serious diseases and need to be
taken out of prison for medical treatment, those who are pregnant or are breast-
feeding their own babies, those whose life cannot be taken care of by themselves,
and are allowed to temporarily serve their sentences out of prison without the dan-
ger of doing harm to society, and those who are released on parole; those who are
deprived of political rights, and serving a sentence outside an incarceration facili-
ty. If the above conditions are met, minor offenders with minor crimes and minor
subjective maliciousness, old offenders, sick offenders and disabled offenders, as
well as the first offenders and negligent offenders with minor crimes, shall be
taken as the key objects to apply the above-mentioned non-custodial measures
and implement community correction.
3. The task of community correction has been determined. According to the criminal
law, criminal procedure law and other relevant laws, regulations and rules, we
should strengthen the management and supervision of community prisoners to
ensure the smooth implementation of punishment. Through various forms, we
should strengthen the ideological education, legal education and social moral ed-
ucation of the community prisoners, correct their bad psychology and behaviors,
and make them repent, abandon evil to good, and become law-abiding citizens. To
help community prisoners solve their difficulties in employment, life, law and
psychology, so as to help them adapt to social life smoothly.
4. The working mechanism of community correction is stipulated. The notice re-
quires the relevant departments of public prosecution, public security, judge
and judicial administration to perform their respective responsibilities and coop-
erate with and support each other to ensure the smooth implementation of the pilot
work.
In January 2005, the Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procurator-
ate, the Ministry of Public Security and the Ministry of Justice jointly issued the No-
tice on Expanding the Scope of the Pilot Work of Community Correction. Before the
2008 Beijing Olympic Games, the scope had been extended to 25 provinces. In Oc-
tober 2009, the Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the
Ministry of Public Security and the Ministry of Justice jointly issued the Opinions
on Comprehensively Promoting the Pilot Work of Community Correction, which
made it clear that the nationwide trial implementation of community correction
would start in 2009. On February 25, 2010, the Standing Committee of the National
People’s Congress passed the Criminal Law Amendment (8), which came into force
on May 1, 2010. The results of the above theoretical research and the experience of
judicial practice were included in the criminal code, and community correction even-
tually rose to the legal provisions.
On December 28, 2019, the 15th meeting of the Standing Committee of the 13th
National People’s Congress voted to pass the Community Correction Law of the Peo-
1204 Wang Ping

ple’s Republic of China, with a total of 9 chapters and 63 articles. It took China nearly
17 years to go from its first pilot work of community correction in July 2003 to July 1,
2020 when the Community Correction Law shall come into effect. According to
Jiang Aidong, director of the Administration of Community Correction of the Min-
istry of Justice, after years of efforts, community correction has developed rapidly
and achieved remarkable results. According to the data, in the past 16 years, 4.78
million people have received community correction and 4.11 million have been re-
leased. In recent years, the recidivism rate of community correction objects has been
kept at a low level of 0.2%.36 This shows that China’s community correction work
plays an important role in maintaining social harmony and stability, promoting the
construction of safe China and rule of law, and advancing the progress of judicial
civilization.
It should be noted that although the function of prison education and treatment of
criminals is limited, it has its own effect and should not be abandoned. On the con-
trary, I have always advocated that prison should make its own efforts in educating
and changing criminals as much as possible, so as to reduce the recidivism rate of
prisoners and make its own contribution. Franz von Liszt, the famous German crim-
inal law master once said: “correct the correctable criminals, and make the uncorrect-
able criminals do not harm”37, which means that due to the limited prison conditions,
some criminals may not be well rehabilitated. For those criminals who are not well
changed, the prison and the society should strive to prevent them from harming the
society. And most criminals can still be educated and changed through efforts. There-
fore, the prison should make the greatest efforts. In addition, prison not only has the
function of educating and changing criminals, but also has many others such as ret-
ribution, deprivation and deterrence. These functions are not only out of the pursuit of
penalty execution in prisons, but also of the need of reality. Under the historical con-
ditions of modern society, imprisonment and prison are still indispensable means of
punishment for defending society, maintaining social order and stability, and in a
sense, they are also one of the most powerful means of punishment. We can only
try our best to overcome their disadvantages, but it is impossible to abolish imprison-
ment and prison.

References

Airong, Y. (2004): Evaluation of the Quality of Criminal Rehabilitation. Beijing.


Airong, Y. (2007): The Original Theory of Correction Technology. Beijing.
China University of Political Science and Law Press (1995): Adaptation of Criminals in Pris-
ons – References on Prison Science. Beijing.
De La Mettrie, J.O. (1748): Man a Machine.

36
See Ningning 2020, 5.
37
See Von Liszt 2000, 13.
Relationships Needed to Be Properly Handled in Process of Penalty Execution 1205

Ganmei, Z. (1992): Criminal Policy. Taiwan, China.


Guitin, Z. (1990): Traditional Chinese Philosophy. Beijing.
Huaizhi, C. (1997): The Theory of Criminal Integration and Relational Criminal Law. Beijing.
Jianming, C. (1997): From “Legal System” to “Rule of Law”. Exploration and Contention 12/8,
p. 6.
Jin, C. (1988): Tragedy and Romance. Beijing.
Liszt, F. von (2000): Textbook of German Criminal Law (translated by Jiusheng, X). Beijing.
Marx, K. & Engels, F. (1972): Selected Works of Marx and Engels. Beijing.
Mingzheng, S. (1992): Review of the Legal Theory of Labor Treatment in China. Beijing.
Mingzheng, S. (1995): The Introduction to Prison Studies. Beijing.
Ningning, Z. (2020): Absorbing Pilot Experience to Provide Strong Legal Guarantee for Com-
munity Correction. Legal Daily, January 7, p. 5.
Ping, S. (1991): Research on Prison Subculture. Beijing.
Ping, W. (2002): Why to Protect the Rights of Criminals. Legal Daily, October 22, p. 12.
Su-min, X. (1990): Cultural Philosophy. Shanghai.
The Ministry of Justice of China (2003): The Opinions on Further Promoting the Legalization,
Scientization and Socialization of Prison Work. Beijing.
The Supreme People’s Court, the Supreme People’s Procuratorate, the Ministry of Public
Security & the Ministry of Justice (2003): The Notice on Carrying Out the Pilot Work of
Community Correction. Beijing.
Yunjie, S. (1990): Cultural Paradox. Shandong.
Yupei, G., Chunxi, Y. & Wen, Z. (1991): The New Theory of Crime and Penalty. Beijing.
Zhiliang, W. (2009): Riots in Foreign Prisons and Their Countermeasures. Guangxi.
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten
des Freistaates Sachsen
Vergleichende Rückfallanalysen

Von Gunda Wössner

1. Einleitung
Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straf-
taten, das im Jahr 1998 in Kraft trat, hatte zur Folge, dass Sexualstraftäter mit einer
Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ab dem Jahr 2003 in eine sozialtherapeuti-
sche Anstalt zu verlegen und dort zu behandeln waren (vgl. StVollzG § 9). Dies war
der Hintergrund, vor dem der Jubilar gemeinsam mit dem Sächsischen Staatsminis-
terium der Justiz und seinem Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Strafrecht, Strafpro-
zessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie der TU Dresden die Idee für eine
groß angelegte Längsschnittstudie zur Evaluation der Sozialtherapie entwickelte.
Denn es durfte durchaus kritisch hinterfragt werden, ob der Fokus auf die Behand-
lung der Zielgruppe der Sexualstraftäter1 gerechtfertigt war. Einerseits ergibt sich al-
lein aus der Tatsache, dass sexuelle Übergriffe auf Seiten der Opfer zu lebenslangen
psychischen und physischen Folgen führen können (vgl. Campbell 2002; Oshodi et
al. 2020; Romans et al. 2002), ein besonderer Behandlungsbedarf dieser Tätergrup-
pe. Andererseits können auch Gewaltstraftaten mit traumatisierenden Opfererfah-
rungen und schwerwiegenden Folgen bis hin zum Tod des Opfers verbunden sein
(vgl. Fetzer & Pezzella 2019; Krahé & Greve 2002). Zudem legen Zahlen zum Rück-
fallverhalten von Sexualstraftätern ein vergleichsweise geringes einschlägiges Rück-
fallrisiko nahe (Jehle et al. 2016). Und schließlich stellte sich die maßgebliche Frage,
ob die sozialtherapeutische Behandlung das erklärte Vollzugsziel (künftig ein Leben
ohne Straftaten zu führen) bei den Gefangenen, bei denen die Verlegung in die So-
zialtherapie zur Erreichung dieses Ziels angezeigt ist, überhaupt zu erreichen ver-
mag. Denn zu inkonsistent waren und sind die empirischen Ergebnisse zur Wirksam-
keit der Sexualstraftäterbehandlung (Albrecht & Ortmann 2000; Ortmann, Albrecht
& Obergfell-Fuchs 2004).

1
Um die Lesbarkeit zu erleichtern, werden die wegen eines Sexualdelikts bzw. Gewalt-
delikts verurteilten Personen im Folgenden als Sexual- bzw. Gewaltstraftäter bezeichnet,
wobei dabei ausdrücklich darauf hingewiesen werden soll, dass die Personen damit nicht
stigmatisiert werden sollen.
1208 Gunda Wössner

Durch die Föderalismusreform im September 2006 ging die Gesetzgebungskom-


petenz für die Regelung des Strafvollzugs zwar vom Bund auf die Länder über. Da die
einzelnen Bundesländer die Gesetzgebung zur Sozialtherapie in Anlehnung an das
StVollzG gestalteten oder nur unwesentlich veränderten (auch wenn „unterschiedli-
che Akzentuierungen“ beobachtbar sind, vgl. Wischka & van den Boogart 2018,
133), haben die Forschungsfragen und Ergebnisse dieses Projekts nichts an Aktua-
lität verloren.2

2. Behandlung von Sexualstraftätern


Die Behandlung von Sexualstraftätern ist nicht nur in Deutschland zusehends in
den Fokus gerückt, auch in anderen Ländern hat sich die Therapie im Strafvollzug
und im Zuge dessen auch die Forschung hierzu in den letzten Jahrzehnten immer
mehr auf die Gruppe der Sexualstraftäter konzentriert (Albrecht & Grundies 2007;
Schmucker & Lösel 2008, 15). Dabei zeichnet sich ein recht heterogenes Bild hin-
sichtlich der Ergebnisse der Wirksamkeit der Therapie von Sexualstraftätern ab. Ins-
gesamt wird allerdings vor einem übertriebenen Optimismus gewarnt (Hanson et
al. 2009; Marques et al. 2005) und mehrere Autorinnen und Autoren gehen sogar
davon aus, dass der Behandlungseffekt nahezu komplett verschwindet, sobald alle
Störfaktoren berücksichtigt werden (Eher & Pfäfflin 2011; Rice & Harris 2013).
Hierzu gehören Aspekte wie Stichprobengröße, institutionelles Setting der Behand-
lung (ambulant vs. intramural) oder Grad der Nähe des jeweiligen Evaluationsteams
zum Behandlungsprogramm, um nur einige Einflussfaktoren auf Evaluationsergeb-
nisse zu nennen (vgl. Schmucker & Lösel 2005, 2008). Zuletzt kam in England und
Wales das Sex Offender Treatment Programme (SOTP), auf dem das in Deutschland
seit mehreren Jahren etablierte Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS,
vgl. Wischka & van den Boogart 2018) aufbaut, wegen fehlender Wirksamkeit
nicht mehr zur Anwendung (Casciani 2017). Diese internationalen Befunde gelten
freilich nicht für die Sozialtherapie im Speziellen. Allerdings liegen für die Wirksam-
keit der Sozialtherapie einerseits generell eher heterogene Wirksamkeitsergebnisse
vor (vgl. Wössner 2014, 50 m.w.N.; Ortmann 2002), andererseits sind Erkenntnisse
zur Sozialtherapie bei Sexualstraftätern eher Mangelware. Schließlich kann die
Frage gestellt werden, ob die gesetzlich verankerte obligatorische Behandlung der
Gruppe der Sexualstraftäter nicht vielmehr ein Herrschaftsinstrument im Sinne
einer auf die Risikokontrolle von als besonders gefährlich und rückfallgefährdet gel-
tendene Straftäter abzielende Spezialprävention darstellt (Albrecht 2013a, XVII)
bzw. auf Symbolpolitik beruht (Hefendehl 2013, 8). Auch deshalb ist ein kritischer
Blick auf die Behandlung sowie das Rückfallverhalten geboten, wobei gerade der

2
Hefendehl (2013, 12 ff.) macht in diesem Zusammenhang auf die Relativierung des
Vollzugsziels der Resozialisierung aufmerksam und spricht gar von einem Paradigmenwech-
sel, durch den im Zuge der Föderalismusreform Resozialisierungsinteressen zugunsten des
Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit abgewertet wurden.
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1209

Vergleich mit der Tätergruppe Gewaltstraftäter und der Vergleich mit nicht sozialthe-
rapeutisch behandelten Tätern zu den angerissenen Fragen wichtige Erkenntnisse
liefern kann.
In Anbetracht des Umfangs des hier vorgestellten Langzeitprojekts vermag dieser
Beitrag nur einige ausgewählte Forschungsergebnisse zu skizzieren und – zur Ein-
ordnung dieser – eine kurze Darstellung des Studiendesigns zu geben. Im Fokus sol-
len grundlegende Ergebnisse zum Rückfallverhalten mit Blick auf die zentralen For-
schungsfragen stehen. Als Hauptkriterium wird hier der Rückfall laut Bundeszentral-
register, also dem Hellfeld, herangezogen. Auch wenn der Einsatz von Rückfall als
Erfolgskriterium etwa zum Zwecke der Evaluation und damit zur Beurteilung und
ggf. Weiterentwicklung kriminalpolitischer Maßnahmen kritisch gesehen werden
kann, so betont Albrecht (2013b), dass gerade im Bereich der schweren Kriminalität,
wie sie Sexualdelikte darstellen, der Rückgriff auf offizielle Rückfallstatistiken eine
zentrale Datengrundlage zur Risikoeinschätzung ist.

3. Methodischer Hintergrund des Projekts


Vor dem oben skizzierten Hintergrund wurde im Jahr 2003 mit der Durchführung
des hier vorgestellten Projekts begonnen (vgl. Ortmann et al. 2003). Die wissen-
schaftlichen Hauptziele umfassen die empirische Untersuchung der Rückfallkrimi-
nalität von Sexualstraftätern sowie diese beeinflussenden Faktoren und die Evalua-
tion der sozialtherapeutischen Behandlung. Zudem soll das theoretische Verständnis
zum Rückfallverhalten von Sexualstraftätern weiterentwickelt werden. Dies ge-
schieht vor allem ausgehend von der von Gottfredson & Hirschi (1990) formulierten
allgemeinen Kriminalitätstheorie (General Theory of Crime), wonach fehlende
Selbstkontrolle – im Zusammenspiel mit Gelegenheitsstrukturen – für jegliche
Form delinquenten Verhaltens, also auch dem Rückfall mit neuerlicher Sexualkrimi-
nalität, verantwortlich ist.3

3.1 Sozialtherapeutische Behandlung im Freistaat Sachsen

Die sozialtherapeutische Behandlung im Sächsischen Strafvollzug richtet sich


nach den vom Arbeitskreis Sozialtherapie erarbeiteten Mindeststandards. Sozialthe-
rapie im Strafvollzug ist demnach als integrative therapeutische Maßnahme konzi-
piert, bestehend aus Sozialarbeit, Psychotherapie, Bildungs- und Arbeitsmaßnah-
men, Freizeitinterventionen und Milieutherapie (vgl. Wischka & van den Boogart
2018). Die Evaluation der Sozialtherapie ist u. a. auch deswegen herausfordernd,
weil es nicht die eine Sozialtherapie gibt, sondern die konkrete Ausgestaltung in De-

3
Mittlerweile haben die Autoren die General Theory of Crime leicht modifiziert, siehe
Gottfredson & Hirschi 2020.
1210 Gunda Wössner

tails von Anstalt zu Anstalt variiert (vgl. Guéridon 2016; Wössner 2014). Zudem be-
finden sich die Interventionen in ständigem Wandel.4

3.2 Studiendesign und Erhebungsinstrumente

Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen, alle Sexualstraftäter mit einer Frei-


heitsstrafe von mehr als zwei Jahren sozialtherapeutisch zu behandeln, war ein ran-
domisiertes Experiment, wie es von Ortmann (2002) für die Evaluation der Sozial-
therapie Nordrhein-Westfalens in den 1990er Jahren realisiert wurde, nicht umsetz-
bar. Somit wurde ein quasi-experimentelles Untersuchungsdesign entworfen, bei
dem die teilnehmenden Probanden zu verschiedenen Messzeitpunkten exploriert
wurden (vgl. Abbildung 1). Der erste Untersuchungszeitpunkt lag zu Beginn der
Haftphase im Regelvollzug (bei im Regelvollzug verbliebenen Insassen) oder in
der Sozialtherapie (für Sozialtherapieteilnehmer bzw. Gefangene, die die Sozialthe-
rapie später abbrachen). Der zweite Erhebungszeitpunkt lag kurz vor Entlassung aus
dem Strafvollzug. Des Weiteren wurden die noch zur Teilnahme bereiten Probanden
im Mittel 1,5 Jahre nach der Haftentlassung exploriert. Zu einem vierten Erhebungs-
zeitpunkt wurden die Bundeszentralregisterauszüge der Probanden angefordert, um
für alle zum ersten Zeitpunkt teilnehmenden Probanden den offiziell registrierten
Rückfall zu analysieren. Diese Auszüge bilden die Datengrundlage der hier präsen-
tierten Rückfallanalysen. Die Teilnahme an der Untersuchung war freiwillig. Auf-
grund der Längsschnittstudien immanenten Problematik einer zunehmenden Stich-
probenmortalität reduzierte sich die Anzahl der Teilnehmer von n = 403 zum ersten
Erhebungszeitpunkt, auf n = 277 zum zweiten Erhebungszeitpunkt und n = 144
zum dritten Erhebungszeitpunkt. Die Stichproben der unterschiedlichen Erhebungs-
zeitpunkte setzten sich aus Sexual- und Gewaltstraftätern zusammen, also Personen,
die zum ersten Erhebungszeitpunkt entweder wegen eines Sexualdelikts (Vergewal-
tigung, sexueller Missbrauch) oder Gewaltdelikts (Körperverletzung, Raub, Geisel-
nahme, Tötungsdelikt) inhaftiert waren. In die Gruppe der Gewaltstraftäter wurden
nur solche Gefangenen aufgenommen, die in der Vergangenheit nicht wegen eines
Sexualdelikts verurteilt wurden.
Auf eine ausführliche Darstellung der Durchführung der Untersuchung soll hier
aus Platzgründen verzichtet werden (siehe hierzu Wössner et al. 2013). Es sei an die-
ser Stelle lediglich betont, dass die Datenerhebung von unabhängigen wissenschaft-
lichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts durchgeführt
wurde. Dies betraf sowohl die persönliche Exploration der Probanden mittels ausge-
wählter standardisierter psychometrischer Testverfahren und eigens für das Projekt
entworfener Interviewleitfäden und Fragebögen als auch die Analyse der Gefange-
nenpersonalakten (GPA). Mithilfe dieser verschiedenen Erhebungsinstrumente wur-
den diejenigen Merkmalsbereiche operationalisiert, von denen ein Zusammenhang

4
Näheres zum sozialtherapeutischen Behandlungskonzept Sachsens, das Gegenstand der
Studie ist, findet sich in Wössner, Hefendehl & Albrecht 2013.
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1211

bis bis 2012 2017


2003
12/2012 12/2013

t1 t2 t3 t4.1 t4.2

n = 403 n = 277
n = 144
- zu Beginn der - kurz vor der
- ca. 1,5 Jahre nach
Inha!ierung Ha!entlassung
der Entlassung
- halb- - Aktenanalyse,
- qualita"ve
strukturierte Mitarbeiter- Auskün!e aus dem
Interviews,
Interviews zur befragung,
selbstberichtete
Bundeszentralregister
Biografie Entlassungs-
Delinquenz
vorbereitung

Erfassung der
Maßnahmen in Ha!

Erfassung ausgewählter persönlichkeitsbezogener Merkmale

Abbildung 1: Untersuchungsdesign

mit dem Rückfallgeschehen bzw. der Legalbewährung theoretisch begründet ange-


nommen wurde (vgl. hierzu Wössner et al. 2013). Um den Einfluss der sozialthera-
peutischen Maßnahmen zu untersuchen, wurden Interventionen einerseits durch die
Befragung der Probanden und andererseits durch Erhebungen aus Informationen der
GPA erfasst. Potenzielle tatbezogene Merkmale wurden ebenfalls der GPA entnom-
men, biographische Risikomarker mithilfe des biographischen Interviews zu t1 er-
fasst. Die persönlichkeitsbezogenen Einflussfaktoren wurden zu den Befragungs-
zeitpunkten t1 und t2 erhoben und bezogen sich u. a. auf Selbstkontrolle (Fragebogen
zur Erfassung von Selbstkontrolle in Anlehnung an Grasmick et al. 1993), Empathie-
fähigkeit (E-Skala, Leibetseder et al. 2001), kognitive Fähigkeiten (z. B. mittels
MWT-B Intelligenztest, Lehrl 1999), emotionale Labilität, soziale Orientierung
und Aggressivität (NEO-FFI, Borkenau & Ostendorf 1993 und FPI-R, Fahrenberg,
Hampel & Selg 2001) sowie psychopathologische Aspekte wie dissoziale Persön-
lichkeit (SKID-II Strukturiertes Klinisches Interview nach DSM-IV, Fydrich et
al. 1997). Des Weiteren wurde das perzipierte Anstaltsklima erfragt (PRISKLIM-
Fragebogen, Ortmann 2002). Zum Zeitpunkt t3 wurden einige wenige ausgewählte
Tests wiederholt sowie die Sense of Coherence Scale (SOC, Singer & Brähler
2014) neu eingeführt5, im Zentrum der Nachbefragung stand allerdings ein halb-
strukturiertes Interview zur Lebenssituation der Probanden nach Haft und ein Frage-
bogen zur selbstberichteten Delinquenz.
Der hier dargestellte Überblick über die Ergebnisse zum Rückfallverhalten und
den damit zusammenhängenden Faktoren beruht vornehmlich auf quantitativen Me-
thoden (inferenzstatistische deskriptive Verfahren und logistische Regressionen).
5
Hiermit wird erfasst, inwiefern die Probanden ihr Leben verstehbar und handhabbar und
die Welt als geordnet betrachten.
1212 Gunda Wössner

Die zum dritten Erhebungszeitpunkt durchgeführten Interviews wurden auf einen


Audiodatenträger aufgenommen, später transkribiert und mittels qualitativer Metho-
den analysiert. Auf diese Analysen kann hier nicht eingegangen werden. Lediglich
die in einen Erhebungsbogen übertragenen Eckdaten etwa zur Erwerbssituation bei/
nach Haft flossen in die quantitative Rückfallanalyse mit ein.

3.3 Die Stichprobe

Grundlage für die Rückfalluntersuchung sind die Rückfalldaten des offiziell re-
gistrierten Hellfelds (BZR-Auszüge) bezogen auf die Ausgangsstichprobe von 403
Projektteilnehmern. Da hiervon sechs Probanden zum Zeitpunkt der Rückfallanaly-
sen verstorben waren, 22 sich noch in Haft bzw. Sicherungsverwahrung befanden und
für 14 Probanden falsche oder keine Bundeszentralregisterauszüge geliefert wurden,
umfasste die Stichprobe zur Analyse des Rückfalls 361 Probanden. Ein Überblick
über kriminalbiographische Merkmale sowie die Altersstruktur der Teilnehmer ist
Tabelle 1 zu entnehmen.6 Insgesamt nahmen 214 ursprünglich wegen eines Sexual-
delikts (53 %; davon 76 wegen Vergewaltigung und 138 wegen sexuellen Miss-
brauchs) und 189 wegen eines Gewaltdelikts (47 %) verurteilte Gefangene an der
Untersuchung teil. Dabei waren 192 Probanden als Sozialtherapieteilnehmer
(Sotha), 152 Probanden im Regelvollzug Untergebrachte und 59 als Sozialtherapie-
abbrecher (Sotha-Abbrecher) einzuordnen.
Tabelle 1
Kriminalbiographische Merkmale der Studienteilnehmer
Nach Vollzugsart
Regelvollzug Sotha Sotha-Abbruch
M SD M SD M SD
Alter bei erster Straftat 19,9 9,25 20,3 8,33 20,6 9,38
F (2, n = 339) = 0,13; p = 0,88
Anzahl Vorregistrierungen 5,8 4,24 4,3 4,16 5,8 4,67
F (2, n = 388) = 5,63; p < 0,01
Anzahl Vorstrafen 4,0 4,23 2,9 3,70 4,5 4,69
F (2, n = 368) = 4,94; p < 0,01
Alter bei Indexdelikt 28,7 11,69 27,8 9,48 29,6 11,01
F (2, n = 320) = 0,63; p = 0,53
Fortsetzung nächste Seite

6
Um einen Überblick über alle Teilnehmer zu erhalten, beziehen sich die Angaben auf die
Bruttostichprobe ohne die Sicherungsverwahrten und noch in Haft befindlichen Probanden,
soweit die Daten vorlagen. Dadurch können sich differierende Stichprobengrößen als Grund-
lage der Berechnungen ergeben.
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1213

Fortsetzung Tabelle 1
Nach Deliktsgruppen
Gewalt Vergewaltigung Missbrauch
M SD M SD M SD
Alter bei erster Straftat 17,1 4,32 20,0 7,12 25,6 12,22
Kruskal-Wallis7: chi2 (2, n = 339) = 47,42; p < 0,001
Anzahl Vorregistrierungen 5,9 3,96 4,6 4,25 4,2 4,64
F (2, n = 388) = 6,68; p < 0,01
Anzahl Vorstrafen 3,8 3,80 2,9 3,94 3,4 4,52
F (2, n = 368) = 1,30; p = 0,27
Alter bei Indexdelikt 23,5 7,04 28,8 9,74 34,9 11,48
Kruskal-Wallis: chi2 (2, n = 320) = 74,74; p < 0,001

4. Ergebnisse zum offiziell registrierten Rückfallverhalten


Untersucht man das Rückfallverhalten in einem Bezugszeitraum von 3 Jahren
nach Haftentlassung, so zeigt sich eine signifikant niedrigere allgemeine Rückfall-
rate (jede neue Verurteilung) für die Gruppe der Sexualstraftäter (siehe Tabelle 2;
Chi2(1) = 24,8; p < 0,001). Wegen eines einschlägigen Rückfalls (erneutes Sexual-
delikt bei Sexualstraftätern, erneutes Gewaltdelikt bei Gewaltstraftätern) wurden
8 % der Sexual- und 32 % der Gewaltstraftäter verurteilt.
Tabelle 2
Rückfallverhalten 3 Jahre nach Haftentlassung nach Tätergruppe
Gewaltstraftäter Sexualstraftäter Gesamt
(N = 174) (N = 187) (N = 361)
n % n % n %
Allgemeiner Rückfall 108 62,1 67 35,8 175 48,5
Einschlägiger Rückfall 55 31,6 15 8,0 70 19,4

Hinsichtlich des Rückfalls nach Vollzugsgruppen getrennt betrachtet, wurden


Teilnehmer der Sozialtherapie seltener rückfällig als Regelvollzugsprobanden und
Sozialtherapieabbrecher (siehe Tabelle 3; Chi2(1) = 9,98; p < 0,01).

7
Da die Voraussetzung der Varianzhomogenität für die Anwendung der einfachen Vari-
anzanalyse nicht gegeben war (Bartlett Test: p < 0,001; Levene Test: p < 0,01), wurde der
Kruskal-Wallis Test angewendet.
1214 Gunda Wössner

Tabelle 3
Rückfallverhalten 3 Jahre nach Haftentlassung nach Vollzugsart
Sozialtherapie Regelvollzug Sotha-Abbrecher Gesamt
(N = 185) (N = 130) (N = 46) (N = 361)
n % n % n % n %
75 40,5 72 55,4 28 60,9 175 48,5

In der logistischen Regression bestätigten sich die nach Vollzugsart und Täter-
gruppen gefundenen Unterschiede: Im Vergleich zu den Gewaltstraftätern war die
Wahrscheinlichkeit für den allgemeinen Rückfall bei den Vergewaltigungstätern
nur weniger als halb so hoch (OR = 0,4; p < 0,001). Die Rückfallwahrscheinlichkeit
der Missbrauchstäter entsprach nur etwa einem Drittel des Risikos der Gewaltstraf-
täter (OR = 0,3; p < 0,001). Die Sotha-Abbrecher hatten gegenüber den Sozialthe-
rapievollteilnehmern ein doppelt so großes Rückfallrisiko (OR = 2,2; p < 0,01),
wobei sich das Rückfallrisiko zwischen Sotha und Regelvollzug nicht signifikant un-
terschied (OR = 1,2; p = 0,26). Nimmt man in dieses Modell die Anzahl der Vorstra-
fen der Probanden und das Alter bei Indexdelikt mit auf, so verschwindet der täter-
gruppenspezifische Effekt (Vergewaltigungstäter: OR = 0,8; p = 0,42; Miss-
brauchstäter: OR = 0,9; p = 0,37). Die höheren Rückfallraten der Gewaltstraftäter
sind also vornehmlich mit den Prädiktoren Vorstrafe (OR = 1,2; p < 0,001) und
Alter bei Indexdelikt (OR = 0,9; p < 0,001) zu erklären (R2 = 0,20; obs = 284;
Chi2(4) = 78.6; p < 0,001). Der Effekt hinsichtlich der Vollzugsart verstärkt sich
bei Berücksichtigung der Vorstrafen: Die Sotha-Abbrecher hatten gegenüber den So-
zialtherapievollteilnehmern ein fast zweieinhalb mal so großes Rückfallrisiko
(OR = 2,4; p < 0,01), das Rückfallrisiko der Regelvollzugsprobanden war 1,7
mal höher als das der Sozialtherapieteilnehmer – ein Unterschied, der sich allerdings
auch in diesem Modell nicht als statistisch bedeutsam erwies (OR = 1,7; p = 0,50).
Im Regelvollzug verbliebene Sexualstraftäter wurden nicht einschlägig rückfäl-
lig. Die die Sozialtherapie abbrechenden Sexualstraftäter hatten diesbezüglich ein
höheres Rückfallrisiko als Sozialtherapieteilnehmer (OR = 4,23; p < 0,05; Vorstra-
fen: OR = 2,21; p < 0,05). Bei den Gewaltstraftätern lag für die Regelvollzugspro-
banden nur ein tendenziell signifikanter Effekt vor (OR = 2,0; p = 0,07), für die
Sotha-Abbrecher ließ sich überhaupt kein signifikanter Effekt finden (OR = 1,52;
p = 0,48; Vorstrafen: OR = 1,61; p = 0,07).
Die nach Täter- und Vollzugsgruppen differenzierende logistische Regression
unter Einbezug der Vorstrafen kann als Ausgangsmodell für die weiteren Analysen
etwa zum Einfluss verschiedener Merkmale auf den Rückfall betrachtet werden.
Gemäß der Logik der Anlage der Untersuchung werden Sexual- im Vergleich mit
Gewaltstraftätern untersucht und die Vollzugsart Sozialtherapie hinsichtlich ihres
Zusammenhangs mit Rückfall analysiert. Die kriminelle Vorbelastung ist studien-
übergreifend ein zentraler Prädiktor für Rückfallverhalten (vgl. Albrecht & Grundies
2007) und wurde daher (in logarithmischer Form) in das Grundmodell miteinbezo-
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1215

gen. Auf der Grundlage dieses Modells folgten weitere Analysen.8 Zunächst wurde
für jede einzelne Prädiktorvariable aus den Bereichen Biographie, Kriminalbiogra-
phie, Tatmerkmale, Persönlichkeit, Kriterien der Risikoeinschätzung, Nachentlas-
sungssituation und Behandlung während des Vollzugs sowie weitere vollzugliche
Marker eine Regressionsanalyse zum Rückfallverhalten durchgeführt, um den Ein-
fluss der jeweiligen Variablen zu prüfen.
Tabelle 4 gibt einen Überblick über die prominentesten signifikanten Prädiktor-
variablen zum allgemeinen Rückfall. Entgegen den Erwartungen hatten behand-
lungsbezogene Faktoren keinen Einfluss. Lediglich beim Interventionsbedarf, der
angibt, in wie vielen verschiedenen Bereichen der Gefangene laut Vollzugsplan In-
terventionsbedarf hatte, war über die beide Tätergruppen hinweg ein signifikanter
Zusammenhang mit dem Rückfall festzustellen: Das Rückfallrisiko stieg mit der
Häufigkeit der Bereiche, für die ein Interventionsbedarf ausgemacht wurde. Hierun-
ter fielen ganz verschiedene Aspekte, wie u. a. Störungseinsicht, Umgang mit der Tat,
Aggressionsbereitschaft, Impulskontrolle, adäquates Sozialverhalten, Arbeitskonti-
nuität, Schul- und Berufsausbildung, Entwicklung realistischer Zukunftsperspekti-
ven, Empathie, Emotionsregulation, Dominanzstreben, dissoziale Einstellung bzw.
Persönlichkeit und narzisstische Kränkbarkeit. Neben den in Tabelle 4 dargestellten
statistisch bedeutsamen Korrelaten des Rückfalls sank das Risiko für allgemeinen
Rückfall bei Gewaltstraftätern bedeutsam, wenn sie als Kind keinen körperlichen
Misshandlungen ausgesetzt waren (OR = 0,53; p < 0,10). Ferner wiesen Gewalt-
straftäter, deren Indexdelikt ein Tötungsdelikt war, eine geringere Rückfallwahr-
scheinlichkeit auf (OR = 0,28; p < 0,01). Angst vor Mithäftlingen (OR = 1,23;
p < 0,01) und die Infragestellung der Legitimität von Gesetzen9 (OR = 1,12;
p < 0,10) erhöhten das allgemeine Rückfallrisiko dieser Tätergruppe.
Interessant sind des Weiteren die Ergebnisse zur Nachentlassungssituation: Be-
sonders für die Gewaltstraftäter waren die Rückkehr an den gleichen Ort wie vor
der Haft, aber vor allem das Sichern des Lebensunterhalts durch andere Mittel als
reguläre Arbeit ein Hochrisikofaktor (Bezug von ALG II bzw. die Unterstützung
durch Dritte sowie „diverse Geschäfte“ wie Schwarzarbeit und anderes). Für Sexu-
alstraftäter waren keine zusätzlich zu den in Tabelle 4 dargestellten Prädiktoren im
Zusammenhang mit allgemeinem Rückfall von statistisch signifikanter Bedeutung.
Zu den nicht statistisch bedeutsamen Prädiktoren des allgemeinen Rückfalls zählten
tätergruppenübergreifend u. a.: Entlassungsvorbereitung, Teilnahme an diversen
Maßnahmen wie Einzelgespräche, soziales Kompetenztraining, Sucht oder auch In-
tensität der Behandlung (behandlungsbezogene Faktoren), Drogenprobleme in der
Herkunftsfamilie, Trennung der Eltern (Biographie), SOC (Nachentlassungssituati-
on). Tatmerkmale des Indexdelikts wie Täter-Opfer-Beziehung, Geschlecht der

8
Wurde in der logistischen Regression hinsichtlich der Tätergruppe feiner differenziert
zwischen Gewaltstraftätern, Vergewaltigungstätern und Missbrauchstätern, so ergab sich kein
Unterschied im Regressionsmodell.
9
Gemessen mit dem PRISKLIM zu t2.
1216 Gunda Wössner

Opfer und Anzahl der Opfer waren ebenfalls nicht statistisch für den allgemeinen
Rückfall bedeutsam.

Tabelle 4
Odds Ratios der logistischen Regression einzelner Einflussvariablen
zur Vorhersage allgemeinen Rückfallverhaltens
Gesamt Gewalt- Sexual-
straftäter straftäter
Behandlungsbezogene Faktoren
Interventionsbedarf 1,06 (p = 0,06) 1,07 1,04
Andere Vollzugsmerkmale
Lockerungen 0,85* 0,84 0,83
Verstöße im Vollzug10 50,87* 50,74** 48,3**
Keine Reststrafenaussetzung 1,93 * 1,66 2,28*
Persönlichkeitsbezogene und biographische Merkmale
Jahrgang 1,07*** 1,1*** 1,05**
Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter# 0,20*** 0,15** 0,28*
Keine Lehre 3,54** 2,87** 4,55**
Jemals in psychotherapeutischer Behandlung# 0,55* 0,6 0,43*
Alleinlebend zum Tatzeitpunkt 3,35** 6,89* 2,38
IQ 0,65* 0,56* 0.73
Ich-bezogene Unbeherrschtheit11 1,68*** 1,69* 1,69**
Kriminalbiographie
Alter erste Straftat 0,91*** 0,81*** 0,93**
Kriterien der Risikoeinschätzung
VRAG12 1,08*** 1,08** 1,08**

10
Der OR-Wert von 50 bei der Skala zu Vorkommnissen im Vollzug muss wie folgt in-
terpretiert werden: Normalerweise gibt der OR an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für den
Eintritt des Ereignisses (hier Rückfall) ist, wenn sich die Bezugseinheit um eine Einheit er-
höht. Bei der vorliegenden logarithmischen Skala lagen die Skalenwerte zwischen 0 und 1,2.
Das bedeutet, dass der jeweilige individuelle Skalenwert mit dem OR-Wert von 50 multipli-
ziert werden muss, um die tatsächliche Erhöhung des Rückfallrisikos zu erhalten. Drei Pro-
banden wiesen einen Skalenwert von größer als 1 auf, bei diesen Probanden liegt das Rück-
fallrisiko somit um 50mal höher als bei Probanden, die keine Verstöße aufwiesen. Dies traf auf
45 % der Probanden zu. Weitere 45 % haben einen Skalenwert von 0,06 bis 0,35. Bei diesen
Probanden ist das Rückfallrisiko um jeweils 50x0,06 bis 50x0,35 erhöht.
11
Faktor 1 der in vier Faktoren resultierenden Faktorenanalyse der psychometrischen
Testverfahren (Principal Factor Analyis mit Varimax Rotation) zum Zeitpunkt t1 (t2 :
OR = 1,70; p < 0,01; Gesamtsample). Faktor 2 konnte als emotionale Irritierbarkeit inter-
pretiert werden, Faktor 3 als Unsicherheit/Gehemmtheit und Faktor 4 als Einfühlungsvermö-
gen. Signifikante OR ergaben sich hier für das Gesamtsample für Faktor 3 zu t1: OR = 0,67;
p < 0,01 sowie Faktor 4 zu t1: OR = 0,74; p < 0,05).
12
Beim Violence Risk Appraisal Guide (VRAG) handelt es sich um ein von Quinsey et al.
(2006) entwickeltes Instrument, das bei Gewalt- und Sexualstraftätern eingesetzt werden
kann, um das Risiko einer erneuten Verurteilung mit einem Sexual- bzw. Gewaltdelikt ein-
zuschätzen (Rossegger, Gerth & Endrass 2013, 141).
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1217

Tabelle 4
Odds Ratios der logistischen Regression einzelner Einflussvariablen (Fortsetzung)
Gesamt Gewalt- Sexual-
straftäter straftäter
Führungsaufsicht anhängig 1,57* 1,47 1,66
Nachentlassungssituation
Arbeitsstelle bei Haftentlassung vorhanden## 0,29* 0,19* 0.35
Rückkehr gleicher Wohnort## 3,50** 4,24* 2,86
Lebensunterhalt (Konstante: Reguläre Arbeit)
„Diverse Geschäfte“ 4,30* 15,87* 1,67
ALG II (Hartz IV), Dritte 5,56** 24,42** 1,54
*** p < 0,001 ** p < 0,01 * p , 0,05 #1 = ja, 2 = nein ## 0 = nein, 1 = ja
Die Tabelle gibt die Ergebnisse getrennt durchgeführter logistischer Regressionen mit jeweils einer Einflussva-
riablen wieder.

Betrachtete man die Vorhersage des einschlägigen Rückfalls auf Einzelvariablen-


ebene (siehe Tabelle 5), so ging bei beiden Tätergruppen – wenn man die Sexual- und
Gewaltstraftäter jeweils nach getrennten Gruppen analysierte – vom Fehlen einer
Lehre, der Veränderung der Ich-bezogenen Unbeherrschtheit zwischen t1 und t2
sowie einem hohen VRAG-Wert ein signifikanter Einfluss auf einen höheren ein-
schlägigen Rückfall aus. Interessanterweise bezieht sich die Veränderung der Ich-be-
zogenen Unbeherrschtheit auf eine Zunahme dieser zwischen t1 und t2. Dieser Effekt
wird nachvollziehbar, wenn man die Probanden näher betrachtet, die für diesen Ef-
fekt sorgen: Er ist vor allem bei Gewaltstraftätern des Regelvollzugs und bei Sexu-
alstraftätern bei Sozialtherapieabbrechern (sowohl Missbrauchs- als auch Vergewal-
tigungstäter) zu beobachten.13 In der Gruppe der Sexualstraftäter verschwanden die
übrigen in Tabelle 4 dargestellten mit dem allgemeinen Rückfall zusammenhängen-
den Effekte darüber hinaus. Wie Tabelle 5 zu entnehmen ist, stieg das einschlägige
Rückfallrisiko bei Sexualstraftätern, je weniger sich diese über ihre Unzufriedenhei-
ten mit Behandlungsmaßnahmen beschwerten. Dies steht vermutlich im Zusammen-
hang mit einer angepassten bzw. eher selbstunsicheren und ängstlich-vermeidenden
Persönlichkeitsstruktur vieler Missbrauchstäter (Hörburger & Habermeyer 2020;
Wössner 2006). Erwartungsgemäß führten Vorstrafen mit einem Sexualdelikt zu
einem erhöhten Rückfallrisiko. Zusätzlich zu den in Tabelle 5 dargestellten Ergeb-
nissen ist festzuhalten, dass andere behandlungsbezogene Faktoren den Rückfall
nicht voraussagten. So wirkte sich etwa die Teilnahme am Behandlungsprogramm
für Sexualstraftäter (BPS) nicht auf die Rückfallwahrscheinlichkeit aus (OR =
1,0; p = 0,92). Aufgrund der Analyse der Gefangenenpersonalakten wurde festge-
stellt, ob bei den Probanden ein Interventionsbedarf hinsichtlich ihrer Sexualproble-

13
Hinsichtlich des allgemeinen Rückfalls wiesen die Gewaltstraftäter ein OR von 2,23 bei
der Differenz der Ich-bezogenen Unbeherrschtheit zwischen t1 und t2 auf (p < 0,05). Frühere
Analysen legen zudem nahe, dass die Probanden zum ersten Untersuchungszeitpunkt zu ex-
tremeren Antworttendenzen neigten, wohingegen sich beim zweiten Untersuchungszeitpunkt
eine Tendenz zur Mitte andeutete (Wössner & Schulz 2013, 126 f.).
1218 Gunda Wössner

matik konstatiert wurde. Hier zeigte sich ebenfalls kein statistisch signifikanter Zu-
sammenhang mit dem Rückfallverhalten (OR = 1,07; p = 0,92). Zudem ergab sich
hinsichtlich biographischer Merkmale bei den wegen eines Sexualdelikts verurteil-
ten Probanden, die vor der Haft Drogen konsumierten (nicht Alkohol oder Nikotin),
ein niedrigeres Rückfallrisiko (OR = 0,14; p < 0,01). Lebten die Probanden zum
Zeitpunkt der Tat in eher ungeordneten bzw. provisorischen Verhältnissen (mit
„Kumpel“, Geschwister, Großeltern, verschwägerten Verwandten), so war dies mit
einem OR von 6 verbunden (p = 0,06). Für die übrigen bereits oben aufgeführten
und hier nicht ausdrücklich erwähnten Prädiktorvariablen ließen sich darüber hinaus
keine statistisch bedeutsamen Effekte auf den einschlägigen Rückfall finden.
Wurde für die Auswertung des einschlägigen Rückfalls nicht nach Tätergruppen
differenziert, ließen sich Einflüsse feststellen, die vornehmlich auf den Einfluss der
Gewaltstraftäter in diesen Analysen zurückzuführen waren. Hervorstechende Prä-
diktoreinflüsse für einschlägigen Rückfall bei Gewaltstraftätern ging vor allem
davon aus, ob sie selbst in ihrer Kindheit Gewalt ausgesetzt waren und ob sich die
Probanden den Lebensunterhalt nach der Entlassung mit diversen Geschäften oder
über Dritte sicherten (vgl. Tabelle 5). Für den einschlägigen Rückfall bei den Gewalt-
straftätern ließ sich darüber hinaus ein signifikanter Zusammenhang mit dem Schul-
abschluss (vor Haft) finden: Ein mindestens der Mittleren Reife entsprechender
Schulabschluss senkte die Wahrscheinlichkeit des Rückfalls um zwei Drittel (OR
= 0,33; p = 0,06). Lockerungen und die Strafrestaussetzung zur Bewährung hatten
keinen Einfluss auf den einschlägigen Rückfall, weder bei den Sexual- noch bei den
Gewaltstraftätern (vgl. Tabelle 5). Sozialtherapieabbrecher zu sein war in diesen
Analysen jeweils ein signifikanter Prädiktor für den einschlägigen Rückfall der Se-
xual-, nicht jedoch der Gewaltstraftäter.
Die Vorstrafen hatten bei den einfachen auf dem Grundmodell basierenden Re-
gressionsmodellen fast ausnahmslos einen signifikanten Einfluss. Bezüglich des ein-
schlägigen Rückfalls ging der Einfluss der Vorstrafen jedoch bei einigen Variablen
verloren, so etwa für die Gewaltstraftäter bei den die Nachentlassungssituation erfas-
senden Prädiktoren, bei Merkmalen der Tat (Geschlecht der Opfer, Täter-Opfer-Be-
ziehung, Opferanzahl) oder wenn hinsichtlich dissozialer Einstellungen bzw. Persön-
lichkeit Interventionsbedarf bestand bzw. für die Sexualstraftäter bei Vorstrafen mit
Sexualdelikten, eigene Kinder zu t1, selbst Opfer von sexuellem Missbrauch und
ebenso bei den die Nachentlassungssituation erfassenden Prädiktoren. Beim allge-
meinen Rückfall waren die Vorstrafen in den Modellen für die Nachentlassungssitua-
tion nicht mehr signifikant, dies allerdings nur für die Gewaltstraftäter. Hier spielten
die Vorstrafen ebenso keine Rolle mehr, wenn die Prädiktorvariablen jeweils Tö-
tungsdelikte, das Anstaltsklima oder die psychometrisch erfassten Persönlichkeits-
merkmale waren.
Mit Blick auf die zum Erhebungszeitpunkt t3 eingeführte Sense of Coherence
Scale (SOC, Singer & Brähler 2014) ist noch folgendes Ergebnis von Interesse:
Die Sozialtherapieprobanden wiesen ein signifikant höheres Kohärenzgefühl auf
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1219

als die beiden anderen Gruppen, F(2, n = 141) = 6,69; p < 0,01. Probanden, die die
Sozialtherapie vollständig durchliefen, erlebten also zum Zeitpunkt des Interviews in
Freiheit ihr Leben als verstehbarer, geordneter, eher aus eigener Kraft beeinflussbar
und eher der Mühe wert, sich dafür anzustrengen, als die anderen Vollzugsgruppen.
Die Tätergruppen unterschieden sich diesbezüglich nicht.
Tabelle 5
Odds Ratios der logistischen Regression einzelner Einflussvariablen
zur Vorhersage einschlägigen Rückfallverhaltens
Gesamt Gewaltstraftäter Sexualstraftäter
Behandlungsbezogene Faktoren
Beschwerden eingelegt# 0,75 1,00 0,29+
t1-t2-Veränderung in Ich-bezogener
2,52** 1.94+ 2,57+
Unbeherrschtheit
Andere Vollzugsmerkmale
Lockerungen 1,01 1,03 0,86
Verstöße im Vollzug 3,56+ 5,37* 0,22
Keine Reststrafenaussetzung 0,79 1,04 1,19
Persönlichkeitsbezogene und biographische Merkmale
Jahrgang 1,08*** 1,09** 1,04
Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter# 0,25* 0,14** 1,52
Keine Lehre 4,98*** 2,68* 7,17**
Jemals in psychotherap. Beh. # 0,45* 0,34** 1,20
Körperliche Gewalt in Familie# 0,65 0,48* 1,78
Kriminalbiographie
Alter erste Straftat 0,91* 0,86 * 0,94
Vorstrafe Sexualdelikt 1,06 0,58 2,01*
Kriterien der Risikoeinschätzung
VRAG 1,10*** 1,11*** 1,07+
Führungsaufsicht anhängig 1,70* 1,54+ 2,27
Nachentlassungssituation
Rückkehr gleicher Ort## 2,96+ 1,99 7,32
Lebensunterhalt (Konstante: Reguläre Arbeit)
„Diverse Geschäfte“ 2,37 6,36+ -
ALG II (Hartz IV), Dritte 2,85+ 7,29* 0,77
*** p < 0,001 ** p < 0,01 * p < 0,05 + p , 0,10 # 1 = ja, 2 = nein ## 0 = nein, 1 = ja
Die Tabelle gibt die Ergebnisse getrennt durchgeführter logistischer Regressionen mit jeweils einer Einflussvaria-
blen wieder.

5. Fazit und Ausblick


Die hier dargestellten Ergebnisse sind lediglich als ein Ausschnitt der aus dem
Projekt resultierenden Befunde zu verstehen und als basale Resultate zu betrachten,
1220 Gunda Wössner

die in weiteren Analysen noch differenzierter bzw. im Rahmen eines Gesamtmodells


ausgewertet werden.14 Daher sind die folgenden zentralen Kernaussagen mit Zurück-
haltung zu genießen: (1) Wie auch in anderen nationalen und internationalen Studien
konstatiert (z. B. Hood et al. 2002; Jehle et al. 2016) weisen die Ergebnisse der So-
zialtherapiestudie Sachsens auf ein recht geringes einschlägiges Rückfallrisiko von
Sexualstraftätern hin. (2) In der Sozialtherapie behandelte Sexualstraftäter zeigen
zwar im Vergleich zu im Regelvollzug verbliebenen Sexualstraftätern geringere
Rückfallraten auf, was den allgemeinen Rückfall betrifft. Dieser Effekt scheint aller-
dings weniger auf die Behandlung als vielmehr auf Merkmale, die mit der Verlegung
in die Sozialtherapie korrelieren, zurückzuführen zu sein. Vor allem die Belastung
mit Vorstrafen und justiziellen Vorregistrierungen spielen hier eine Rolle. Es werden
vornehmlich solche Gefangene sozialtherapeutisch behandelt, die in diesem Sinne
weniger vorbelastet sind. Hinsichtlich des einschlägigen Rückfalls sind die im Re-
gelvollzug verbliebenen Sexualstraftäter nicht rückfällig geworden. (3) Zu den
Rückfall bedingenden Faktoren, die tätergruppenübergreifend wirksam werden, ge-
hören für den allgemeinen Rückfall u. a. Verstöße im Vollzug, Alter, Verhaltensauf-
fälligkeiten im Jugendalter und Ich-bezogene Unbeherrschtheit. (4) Für den ein-
schlägigen Rückfall sind vor allem tätergruppenspezifische Prädiktoren ausschlag-
gebend. Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter spielen z. B. bei den Sexualstraftä-
tern keine Rolle für den einschlägigen Rückfall, wohl aber für die Gewaltstraftäter.
Als ein Risikofaktor für einschlägige Rückfälle mit Sexualdelinquenz erwies sich
zudem, ob die Probanden im Zusammenhang mit der Behandlung Beschwerden ein-
legten oder nicht, was auf eine dahinterliegende deliktfördernde Persönlichkeits-
struktur hinweisen dürfte. Auch vorherige ungeordnete Lebensverhältnisse sind
ein wichtiger Prädiktor für den einschlägigen Rückfall mit Sexualkriminalität. Ins-
gesamt scheint die Arbeitssituation nach Haft für das Rückfallverhalten der Gewalt-
straftätergruppe eine bedeutsamere Rolle als bei den Sexualstraftätern zu spielen, so-
wohl für allgemeinen als auch für einschlägigen Rückfall. (5) Das laut der allgemei-
nen Kriminalitätstheorie von Gottfredson & Hirschi (1990) zentrale Merkmal der
Selbstkontrolle ist, im Vergleich zu anderen psychometrisch erfassten Persönlich-
keitsfaktoren, gemäß den hier präsentierten Ergebnissen tatsächlich von wesentli-
cher Bedeutung im Zusammenhang mit der Rückfallkriminalität.
Evaluationen dienen dazu, die zu evaluierende Maßnahme auf den Prüfstand zu
stellen und sie ggf. auf der Basis der Forschungsergebnisse weiterzuentwickeln. Prin-
zipiell teilen sozialtherapeutische Einrichtungen die Ziele des Strafvollzugs, gleich-
zeitig sind die Ziele der Sozialtherapie vielseitig formuliert (Guéridon 2016, 293). Es
wäre daher verkürzt, der Sozialtherapie auf der Grundlage von Ergebnissen quasiex-
perimenteller Studien wie dieser ihre Wirksamkeit abzusprechen oder aber – wie be-

14
Bereits publizierte Ergebnisse finden sich u. a. bei Gauder (in Vorbereitung), zum Zu-
sammenhang zwischen Hellfeld des Rückfalls und selbstberichteter Delinquenz Wössner &
Hefner (2020), zum Zusammenhang von therapeutischer Veränderung und Rückfall Wössner
& Schwedler (2014), zum Lebensverlauf nach Haftentlassung Wössner, Gauder & Czudno-
chowski oder abschließende Ergebnisse des Projekts bei Wössner (in Vorbereitung).
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1221

reits eingangs erwähnt – in übertriebenen Optimismus zu verfallen. Vorsichtig for-


muliert könnte man sagen, es ist gut, dass man für Straftäter, die die Verlegungskri-
terien in die Sozialtherapie erfüllen, sowohl das Potenzial der Sozialtherapie als auch
der Gefangenen selbst nutzt, um das Rückfallrisiko zu verringern. Eine von der So-
zialtherapie ausgehende rückfallreduzierende Wirkung kann aus den vorliegenden
Ergebnissen aber per se nicht abgeleitet werden. Auch wenn eine fundiertere Aus-
einandersetzung mit den Ergebnissen dieser von Hans-Jörg Albrecht maßgeblich
mit-initiierten Studie hier zu kurz kommt, so leisten die Resultate dennoch einen
wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Straftäterbehandlung bzw. der Sozial-
therapie sowie zum Verständnis der Rückfallkriminalität.

Literaturverzeichnis

Albrecht, H.-J. (2013a): Einführung, in: G. Wössner, R. Hefendehl & H.-J. Albrecht (Hrsg.),
Sexuelle Gewalt und Sozialtherapie – Bisherige Daten und Analysen zur Langzeitstudie „Se-
xualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Berlin,
S. XVII–XXVII.
Albrecht, H.-J. (2013b): Rückfallstatistiken im internationalen Vergleich. Monatsschrift für
Kriminologie und Strafrechtsreform 96/5, S. 400 – 410.
Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2007): Sexuelle Gewaltkriminalität im Lebenslängsschnitt: Die
Entwicklung von Sexualkriminalität an Hand von Daten der Freiburger Kohortenstudie, in:
F. Lösel, D. Bender & J.-M. Jehle (Hrsg.), Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpoli-
tik: Entwicklungs- und Evaluationsforschung. Mönchengladbach, S. 447 – 475.
Albrecht, H.-J. & Ortmann, R. (2000): Abschlussbericht. Längsschnittstudie zur Evaluation der
Wirkung der Sozialtherapie in Nordrhein-Westfalen sowie Ansätze zur Effizienzsteigerung.
Freiburg i.Br.
Borkenau, P. & Ostendorf, F. (1993): NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI). Handanwei-
sung. Göttingen.
Campbell, J.C. (2002): Health Consequences of Intimate Partner Violence. Lancet 359,
S. 1331 – 1336.
Casciani, D. (2017): Sex Offender Treatment in Prison Led to More Offending. BBC News
30. 06. 2017; https://www.bbc.com/news/uk-40460637 [23. 03. 2020].
Eher, R. & Pfäfflin, F. (2011): Adult Sexual Offender Treatment – Is it Effective?, in: D.P. Boer,
R. Eher, L.A. Craig, M.H. Miner & F. Pfäfflin (Hrsg.), International Perspectives on the As-
sessment and Treatment of Sexual Offenders: Theory, Practice, and Research. Chichester,
UK, S. 3 – 12.
Fahrenberg, J., Hampel, R. & Selg, H. (2001): Das Freiburger Persönlichkeitsinventar. FPI-R.
7. Aufl. Göttingen.
Fetzer, M.D. & Pezzella, F.S. (2019): The Nature of Bias Crime Injuries: A Comparative Ana-
lysis of Physical and Psychological Victimization Effects. Journal of Interpersonal Violence
35/18, S. 3864 – 3887.
1222 Gunda Wössner

Fydrich, T., Renneberg, B., Schmitz, B. & Wittchen, H.-U. (1997): Strukturiertes Klinisches In-
terview für DSM-IV – Achse II: Persönlichkeitsstörungen. Göttingen.
Gauder, K.-S. (in Vorbereitung): Normalitätswiederherstellung – Zur Bedeutung von Normali-
tät im Wiedereingliederungsprozess haftentlassener Sexualstraftäter. Berlin.
Gottfredson, M.R. & Hirschi, T. (1990): A General Theory of Crime. Stanford, CA.
Gottfredson, M.R. & Hirschi, T. (2020): Modern Control Theory and the Limits of Criminal Jus-
tice. Oxford.
Grasmick, H.G., Tittle, C.R., Bursik, J. & Arneklev, B.J. (1993): Testing the Core Empirical Im-
plications of Gottfredson and Hirschi’s General Theory of Crime. Journal of Research in
Crime and Delinquency 30/1, S. 5 – 29.
Guéridon, M. (2016): Ist eine Evaluation der Wirksamkeit von Sozialtherapie überhaupt mög-
lich? Eine überwiegend frustrierende Diskussion. Rechtspsychologie 2/3, S. 285 – 309.
Hanson, R.K., Bourgon, G., Helmus, L. & Hodgson, S. (2009): The Principles of Effective Cor-
rectional Treatment Also Apply to Sexual Offenders: A Meta-Analysis. Criminal Justice and
Behavior 36/9, S. 865 – 891.
Hefendehl, R. (2013): Die Sozialtherapie als Spielball von Kriminalpolitik und Praxis des Straf-
vollzugs?, in: G. Wössner, R. Hefendehl & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Sexuelle Gewalt und So-
zialtherapie – Bisherige Daten und Analysen zur Langzeitstudie „Sexualstraftäter in den so-
zialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Berlin, S. 1 – 15.
Hood, R., Shute, S., Feilzer, M. & Wilcox, A. (2002): Sex Offenders Emerging from Long-Term
Imprisonment. British Journal of Criminology 42, S. 371 – 394.
Hörburger, T.A. & Habermeyer, E. (2020): Zu den Zusammenhängen zwischen paraphilen Stö-
rungen, Persönlichkeitsstörungen und Sexualdelinquenz. Forensische Psychiatrie, Psycholo-
gie und Kriminologie 14, S. 149 – 157.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und
2004 bis 2013. Mönchengladbach.
Krahé, B. & Greve, W. (2002): Aggression und Gewalt: Aktueller Erkenntnisstand und Perspek-
tiven künftiger Forschung. Zeitschrift für Sozialpsychologie 33/3, S. 123 – 142.
Lehrl, S. (1999): Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest. MWT-B. 4. Aufl. Balingen.
Leibetseder, M., Laireiter, A.-R., Riepler, A. & Köller, T. (2001): E-Skala: Fragebogenkonstruk-
tion zur Erfassung von Empathie – Beschreibung und psychometrische Eigenschaften. Zeit-
schrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie 22/1, S. 70 – 85.
Marques, J.K., Wiederanders, M., Day, D.M., Nelson, C. & van Ommeren, A. (2005): Effects of
a Relapse Prevention Program on Sexual Recidivism: Final results from California’s Sex Of-
fender Treatment and Evaluation Project (SOTEP). Sexual Abuse: A Journal of Research and
Treatment 17/1, S. 79 – 107.
Ortmann, R. (2002): Sozialtherapie im Strafvollzug. Freiburg.
Ortmann, R., Albrecht, H.-J. & Obergfell-Fuchs, J. (2004): Sexualstraftäter in sozialtherapeu-
tischen Abteilungen des Freistaates Sachsen: Skizze einer Evaluationsstudie. Forschung ak-
tuell – Research in Brief. Freiburg i.Br.
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen 1223

Oshodi, Y., Macharia, M., Lachman, A. & Seedat, S. (2020): Immediate and Long-Term Mental-
Health Outcomes in Adolescent Female Rape Survivors. Journal of Interpersonal Violence
35/1 – 2, S. 252 – 267.
Quinsey, V.L., Harris, G.T., Rice, M. E. & Cormier, C.A. (2006): Violent Offenders – Appraising
and Managing Risk. Washington.
Rice, M. E. & Harris, G.T. (2013): Treatment for Adult Sex Offenders, in: K. Harrison & B. Rai-
ney (Hrsg.), The Wiley-Blackwell Handbook of Legal and Ethical Aspects of Sex Offender
Treatment and Management. Chichester, UK, S. 219 – 235.
Romans, S., Belaise, C., Martin, J., Morris, E. & Raffi, A. (2002): Childhood Abuse and Later
Medical Disorders in Women. Psychotherapy and Psychosomatics 71, S. 141 – 150.
Rossegger, A., Gerth, J. & Endrass, J. (2013): VRAG – Violence Risk Appraisal Guide, in:
M. Rettenberger & F. von Franqué (Hrsg.), Handbuch kriminalprognostischer Verfahren.
Göttingen, S. 141 – 158.
Schmucker, M. & Lösel, F. (2005): Die Wirksamkeit von Behandlung bei Sexualstraftätern: Na-
tionale und internationale Befunde, in: K.P. Dahle & R. Volbert (Hrsg.), Entwicklungspsy-
chologische Aspekte der Rechtspsychologie. Göttingen, S. 221 – 238.
Schmucker, M. & Lösel, F. (2008): Does Sexual Offender Treatment Work? A Systematic Re-
view of Outcome Evaluations. Psicothema 20/1, S. 10 – 19.
Singer, S. & Brähler, E. (2014): Die „Sense of Coherence Scale“. Göttingen.
Wischka, B. & van den Boogart, H. (2018): Sozialtherapie im Justizvollzug, in: B. Maelicke &
S. Suhling (Hrsg.), Das Gefängnis auf dem Prüfstand. Wiesbaden, S. 129 – 157.
Wössner, G. (2006): Typisierung von Sexualstraftätern – Ein empirisches Modell zur Generie-
rung typenspezifischer Interventionsansätze. Berlin.
Wössner, G. (2014): Wie kann man in der Sozialtherapie Therapieerfolg feststellen oder mes-
sen? Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie 8/1, S. 49 – 58.
Wössner, G. (in Vorbereitung): Dimensions of Recidivism among Sex and Violent offenders –
Results of a Longitudinal Study. New York.
Wössner, G., Gauder, K.-S. & Czudnochowski, D. (2019): Life Courses of Sex and Violent Off-
enders After Prison Release: The Interaction Between Individual- and Community-Related
Factors, in: K. Middlemass & C.J. Smiley (Hrsg.), Prisoner Reentry in the 21st Century: Cri-
tical Perspectives of Returning Home. New York, S. 66 – 78.
Wössner, G., Hefendehl, R. & Albrecht, H.-J. (2013): Sexuelle Gewalt und Sozialtherapie – Bis-
herige Daten und Analysen zur Langzeitstudie „Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen
Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Berlin.
Wössner, G. & Hefner, F. (2020): Criminal Recidivism after Imprisonment among Sex offenders
and Violent offenders: A Comparison Between Self-reported and Officially Recorded Reof-
fending Behaviour. CrimOJ.
Wössner, G. & Schulz, A. (2013): Sozialtherapeutisch behandelte Sexual- und Gewaltstraftäter:
Erste Ergebnisse, in: G. Wössner, R. Hefendehl & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Sexuelle Gewalt
und Sozialtherapie – Bisherige Daten und Analysen zur Langzeitstudie „Sexualstraftäter in
den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Berlin, S. 107 – 140.
1224 Gunda Wössner

Wössner, G. & Schwedler, A. (2014): Correctional Treatment of Sexual and Violent Offenders:
Therapeutic Change, Prison Climate, and Recidivism. Criminal Justice and Behavior 41/7,
S. 862 – 879.
Publikationsverzeichnis – List of Publications
von/by Hans-Jörg Albrecht
Albrecht, H.-J. (2020): Data, Data Banks and Security. European Journal for Security Research
5, pp. 5 – 23.
Albrecht, H.-J. (2020): Gewalt, Vergeltung und Schattenwirtschaften, in: K. Drenkhahn,
B. Geng, J. Grzywa-Holten, S. Harrendorf, C. Morgenstern & I. Pruin (Hrsg.), Kriminologie
und Kriminalpolitik im Dienste der Menschenwürde. Festschrift für Frieder Dünkel zum
70. Geburtstag. Mönchengladbach, S. 3 – 16.
Albrecht, H.-J. (2020): Kindheit und Strafrecht, in: I. Richter, L. Krappmann & F. Wapler
(Hrsg.), Kinderrechte. Handbuch des deutschen und internationalen Kinder- und Jugend-
rechts. Baden-Baden, S. 405 – 441.
Albrecht, H.-J. (2019): Measuring Human Trafficking, in: R. Haverkamp, E. Herlin-Karnell &
C. Lernestedt (eds.), What is Wrong with Human Trafficking? Critical Perspectives on the
Law. Oxford et al., pp. 37 – 51.
Albrecht, H.-J. (2019): Sanktionswirkungen, Rückfall und kriminelle Karrieren, in: A. Dess-
ecker, S. Harrendorf & K. Höffler (Hrsg.), Angewandte Kriminologie – Justizbezogene For-
schung. 12. Kriminalwissenschaftliches Kolloquium und Symposium zu Ehren von Jörg-
Martin Jehle, 22./23. Juni 2018. Göttinger Studien zu den Kriminalwissenschaften. Göttin-
gen, S. 165 – 180.
Albrecht, H.-J., Walsh, M. & Wienhausen-Knezevic, E. (eds.) (2019): Desistance Processes
among Young Offenders Following Judicial Interventions. Schriftenreihe des Max-Planck-
Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsbe-
richte Vol. K 182. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2018): Migration, Flucht und Kriminalität. Recht der Jugend und des Bildungs-
wesens 66, S. 378 – 381.
Albrecht, H.-J. (2018): Jugendstrafrecht in Europa. Recht der Jugend und des Bildungswesens
66, S. 382 – 400.
Albrecht, H.-J. (2018): New Developments in Legal Systems and Their Impact on Forensic
Psychiatry, in: K. Goethals (ed.), Forensic Psychiatry and Psychology in Europe – A
Cross-Border Study Guide. Cham, pp. 45 – 69.
Albrecht, H.-J. (2018): Criminal Law, Security and Criminal Policies: German and Korean Per-
spectives, in: Y. Bu, A. Bruns, J. von Hein, S. Meier, H. Merkt, M. Pawlik, E. Takahashi &
S. Vöneky (eds.), Relationship between the Legislature and the Judiciary. Contributions to
the 6th Seoul-Freiburg Law Faculties Symposium. Baden-Baden, pp. 195 – 215.
Albrecht, H.-J. & Wössner, G. (2017): Behandlung, Resozialisierung, Rückfallgefahr: Sexual-
straftäter in den sozialtherapeutischen Anstalten Sachsens. Jahrbuch 2017 der Max-Planck-
Gesellschaft.
1226 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2017): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden,
S. 1854 – 1876.
Albrecht, H.-J. (2017): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden,
S. 1876 – 1879.
Albrecht, H.-J. (2017): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden,
S. 1879 – 1883.
Albrecht, H.-J. (2017): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden,
S. 1884 – 1889.
Albrecht, H.-J. (2017): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45,
in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafge-
setzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 1907 – 1909.
Albrecht, H.-J. (2017): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neu-
mann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-
Baden, S. 1909 – 1910.
Albrecht, H.-J. (2017): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in: U. Kindhäu-
ser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
5. Aufl., Baden-Baden, S. 1910.
Albrecht, H.-J. (2017): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
5. Aufl., Baden-Baden, S. 2336 – 2341.
Albrecht, H.-J. (2017): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
5. Aufl., Baden-Baden, S. 2341 – 2342.
Albrecht, H.-J. (2017): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
5. Aufl., Baden-Baden, S. 2342 – 2343.
Albrecht, H.-J. (2017): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
5. Aufl., Baden-Baden, S. 2343 – 2344.
Albrecht, H.-J. (2017): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeff-
gen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 5. Aufl., Baden-Baden, S. 2344 –
2348.
Albrecht, H.-J. (2017): ——
: Strafzumessung bei schwerer Kriminalität – Eine vergleichende theoretische und
empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Beijing.

Albrecht, H.-J. (2017): ——


. (Q. Xiong, W. Wei, S. Zhao, Z. Zhou, L. Yue & W. Pan, transl.). Beijing.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1227

Albrecht, H.-J. (2017): The Shift of Security: Changing Concepts of Security? in: Z. Chen (ed.),
New Reports in Criminal Law. Beijing, pp. 329 – 347.
Albrecht, H.-J. (2017): Empirische Strafzumessungsforschung, in: C. Safferling, G. Kett-
Straub, C. Jäger & H. Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag. Hei-
delberg, S. 185 – 199.
Albrecht, H.-J. (2017): Police, policing and organised crime: lessons from organised crime re-
search, in: D. Nogala, J. Fehérváry, H.-G. Jaschke & M. den Boer (eds.), European Police
Science and Research Bulletin – Police Science and Police Practice in Europe, Special Con-
ference Edition Nr. 2. Luxembourg, pp. 207 – 218.
Albrecht, H.-J. (2016): Einleitung, in: Deutsche Gesetzbücher zum Strafprozess: StPO, GVG
und JGG. Beijing, S. 1 – 22.
Albrecht, H.-J. (2016): Sicherheit, Sicherheitserwartungen und Sicherheitsgefühle, in: L. Kecs-
kés, G. Finszter, L. Köhalmi & Z. Végh (eds.), Egy jobb világot hátrahagyni. Tanulmányok
Korinek László professzor tiszteletére. Pécs, S. 119 – 134.
Albrecht, H.-J. (2016): Wirtschaftskriminalität, in: J. Hübner, J. Eurich, M. Honecker, T. Jäh-
nichen, M. Kulessa & G. Renz (Hrsg.), Evangelisches Soziallexikon. Stuttgart, S. 1733 –
1740.
Albrecht, H.-J. (2016): Vorwort, in: H.-J. Albrecht (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle,
Strafvollzug und Menschenrechte. Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor
Dr. Günther Kaiser vom 23. Januar 2009. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des
Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schrif-
tenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdis-
ziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 23. Berlin, S. V – VII.
Albrecht, H.-J. (2016): Strafrechtliche Sozialkontrolle, Kriminalität und die Kriminologie, in:
H.-J. Albrecht (Hrsg.), Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, Strafvollzug und Menschen-
rechte. Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Günther Kaiser vom
23. Januar 2009. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für aus-
ländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schriftenreihe des Max-Planck-In-
stituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus
Strafrecht und Kriminologie Vol. I 23. Berlin, S. 81 – 98.
Albrecht, H.-J. (2016): Kriminologie und Strafrecht, in: U. Sieber (Hrsg.), Strafrecht in einer
globalen Welt. Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Hans-Heinrich
Jescheck vom 7. bis 8. Januar 2011. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des Max-
Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schriften-
reihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdiszi-
plinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 24. Berlin, S. 86 – 99.
Albrecht, H.-J. (2016): Wandel der Sicherheit – Von präventiver zu präemptiver Sicherheit?
Entwicklungen der Sicherheitspolitik in Systemen des öffentlichen Personentransports, in:
S. Fischer & C. Masala (Hrsg.), Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und
(immer) neue Sicherheitsmaßnahmen? Wiesbaden, S. 209 – 229.
Albrecht, H.-J. (2016): Legal Aspects of the Use of Coercive Measures in Psychiatry, in:
B. Völlm & N. Nedopil (eds.), The Use of Coercive Measures in Forensic Psychiatric
Care: Legal, Ethical and Practical Challenges. Cham, pp. 31 – 48.
1228 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2016): Prison Overcrowding – Finding Effective Solutions: Strategies and Best
Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities. Teheran [in Farsi].
Albrecht, H.-J. (2016): Prison Overcrowding – Finding Effective Solutions: Strategies and Best
Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities. Teheran.
Albrecht, H.-J. (2016): Direito Penal e Periculosidade: A política criminal entre prevenção,
combate e perigos e retribuição de culpa, in: M.R. de Assis Machado & F.P. Püschel
(eds.), Responsabilidade e pena no estado democrático de Direito. Desafios teóricos, políticas
públicas e o desenvolvimento da democracia. São Paulo, pp. 41 – 83.
Albrecht, H.-J. (2016): The Concept and Potential Value of Recidivism Statistics in the Perspec-
tive of Comparative Law. Issues on Juvenile Crimes and Delinquency 4, pp. 115 – 120.
Albrecht, H.-J. (2016): Introduction, in: Penology – Understanding Crime Responsology. Te-
heran, pp. 9 – 10 [in Farsi].
Albrecht, H.-J. (2016): Criminal Sanctions and Crime Control: Past, Presence and Future in Eu-
rope, in: National Legal Institute of Mongolia, Max Planck Institute for Foreign and Inter-
national Criminal Law, Max Planck Society & Law Enforcement University of Mongolia
(eds.), Proceedings of the German-Mongolian Seminar on Current Trends in Criminal Pu-
nishment. Ulaanbaatar, pp. 7 – 24.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2016): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 bis 2013 und
2004 bis 2013. Mönchengladbach.
Albrecht, H.-J. (2016): Der Rückgang der Jugendkriminalität setzt sich fort. Recht der Jugend
und des Bildungswesens 64, S. 395 – 413.
Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2016): Kriminalität, Kriminalitätskontrolle, Strafvollzug und Men-
schenrechte: Internationales Kolloquium zum Gedenken an Professor Dr. Günther Kaiser
vom 23. Januar 2009. Herausgegeben zum 50-jährigen Bestehen des Max-Planck-Instituts
für ausländisches und internationales Strafrecht am 1. Juli 2016. Schriftenreihe des Max-
Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschun-
gen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 23. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2015): Freiheit und Innere Sicherheit? in: S. Steiger, J. Schiller & L. Gerhold
(Hrsg.), Sicherheitsforschung im Dialog. Beiträge aus dem Forschungsforum Öffentliche Si-
cherheit. Frankfurt a. M., S. 161 – 186.
Albrecht, H.-J. (2015): Geleitwort, in: F. Kunz & H.-J. Gertz (Hrsg.), Straffälligkeit älterer Men-
schen. Interdisziplinäre Beiträge aus Forschung und Praxis. Berlin, S. V–VII.
Albrecht, H.-J. (2015): Verfassungs- und menschenrechtliche Grundlagen der Resozialisierung,
in: T. Rotsch, J. Brüning & J. Schady (Hrsg.), Strafrecht – Jugendstrafrecht – Kriminalprä-
vention in Wissenschaft und Praxis, Festschrift für Heribert Ostendorf zum 70. Geburtstag.
Baden-Baden, S. 23 – 39.
Albrecht, H.-J. (2015): Die Todesstrafe: Wege zur Abschaffung. Law Review (National Legal
Institute of Mongolia) 55/5, S. 29 – 46.
Albrecht, H.-J. (2015): Criminal Sanctions and Crime Control: Past, Presence and Future in Eu-
rope, in: E. Kambellari (ed.), International Scientific Symposium: Criminal Justice System
and the Social Welfare. Proceedings Book. Tirana. pp. 8 – 27.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1229

Albrecht, H.-J. (2015): Stalking: National and International Legal Policy and Legislative De-
velopment. Criminal Law Review 44, pp. 429 – 443.
Albrecht, H.-J. (2015): Juvenile Criminal Law and Justice in Germany: Accounting for Trends
in the German Juvenile Criminal Justice System, in: A. Sözüer (ed.), 3rd International Crime
and Punishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers (Vol. 2); 3. Uluslararası
Suç ve Ceza Film Festivali, Çocuk(ça) Adalet? Tebliğler (2. Cilt). 2nd edition, Ankara.
pp. 901 – 974.
Albrecht, H.-J. (2015): Almanya’da Çocuk Ceza Hukuku ve Adaleti Alman Çocuk Adaleti Sist-
emi Eğilimlerinin Muhasebesi, in: A. Sözüer (ed.), B. Çağ (transl.), 3. Uluslararası Suç ve
Ceza Film Festivali, Çocuk(ça) Adalet? Tebliğler (2. Cilt); 3rd International Crime and Pu-
nishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers (Vol. 2.). 2nd edition, Ankara,
pp. 975 – 1046.
Albrecht, H.-J. (2015): Criminal Sanctions and Crime Control: Past, Presence and Future in Eu-
rope, in: B. Zhao (ed.), Toward Scientific Criminal Law Theories – CCLS Tenth Anniversary
Anthology of Papers from International Academic Partners. Beijing, pp. 16 – 27.
Albrecht, H.-J. (2015): , in: B. Zhao
(ed.), S. Zhao (transl.), Toward Scientific Criminal Law Theories – CCLS Tenth Anniversary
Anthology of Papers from International Academic Partners. Beijing, pp. 3 – 15.
Albrecht, H.-J. (2015): The Incapacitation of the Dangerous Offender: Criminal Policy and
Legislation in the Federal Republic of Germany, in: R. Liu (ed.), Improving Criminal
Law Structure after the Abolition of Re-education through Labor. Beijing, pp. 523 – 548.
Albrecht, H.-J. (2015): Terrorism, Victimization and Compensation of Victims of Terrorism, in:
Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 8. Beijing, pp. 208 – 229.
Albrecht, H.-J. (2015): Tutuklama Hukuku ve Uygulaması Avrupa’da Karşılaştırmalı Bir Per-
spektif. Özel Sayı, Tutuklama 10/H. 125/126, pp. 29 – 53.
Albrecht, H.-J. (2014): „Die Kriminalität sinkt!“ – Warum geht die Jugendkriminalität zurück?
Recht der Jugend und des Bildungswesens 62, S. 363 – 380.
Albrecht, H.-J. (2014): Sicherheit, Sicherheitsmonitoring und Viktimisierungsstudien: Ansätze
und Ergebnisse, in: H. Hoch & P. Zoche (Hrsg.), Sicherheiten und Unsicherheiten. Soziolo-
gische Beiträge. Zivile Sicherheit. Schriften zum Fachdialog Sicherheitsforschung Band 8.
Berlin, S. 75 – 88.
Albrecht, H.-J., Becker, M. & Jehle, J.-M. (2014): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sank-
tionen: eine bundesweite Rückfalluntersuchung. Forum Kriminalprävention 2, S. 52 – 56.
Albrecht, H.-J. (2014): Terrorismus und Organisierte Kriminalität: Beziehungen, Zusammen-
hänge und Konvergenz, in: H. Arnold & P. Zoche (Hrsg.), Terrorismus und organisierte Kri-
minalität. Theoretische und methodische Aspekte komplexer Kriminalität. Zivile Sicherheit.
Schriften zum Fachdialog Sicherheitsforschung Band 9. Berlin, S. 17 – 31.
Albrecht, H.-J. (2014): Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten und
die Richtlinie 2006/24/EG, in: A. Nuhoğlu, S. Altunç & C.Z. Pirim (eds.), Prof. Dr. Feridun
Yenisey’e Armağan Cilt I. Istanbul, pp. 767 – 794.
Albrecht, H.-J. (2014): Remarks by Commentating Editor. Police Practice and Research an In-
ternational Journal 15, pp. 445 – 446.
1230 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2014): Safety, Crime Prevention and Criminal Law. People’s Procuratorial Se-
mimonthly 16, pp. 30 – 40.
Albrecht, H.-J. (2014): Concepts and Potentials of Recidivism Statistics: An International Com-
parison, in: H.-J. Albrecht & J.-M. Jehle (eds.), National Reconviction Statistics and Studies
in Europe – Nationale Rückfallstatistiken und -untersuchungen in Europa. Göttingen Studies
in Criminal Law and Justice. Göttingen, pp. 13 – 24.
Albrecht, H.-J. (2014): Sexual Offender Laws and Treatment in Europe: An introduction. Mo-
natsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 97, S. 3 – 6.
Albrecht, H.-J. (2014): Violência e esporte: fenomenologia, explicação e prevenção, in:
L. Schmitt de Bem & R. de Vicente Martínez (eds.), Direito desportivo. E conexões com
o direito penal. Curitiba, pp. 467 – 491.
Albrecht, H.-J. (2014): Pena de muerte, efecto disuasorio y formulación de políticas, in L. Ar-
royo Zapatero, A. Nieto Martín & W. Schabas (eds.), Pena de muerte: una pena cruel e in-
humana y no especialmente disuasoria. Cuenca: pp. 55 – 72.
Getoš Kalac, A.-M., Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (eds.) (2014): Mapping the Criminological
Landscape of the Balkans: A Survey on Criminology and Crime with an Expedition into the
Criminal Landscape of the Balkans. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländi-
sches und internationales Strafrecht: Publications of the Max Planck Partner Group for Bal-
kan Criminology Vol. BC 1. Berlin.
Albrecht, H.-J. & Jehle, J.-M. (eds.) (2014): National Reconviction Statistics and Studies in Eu-
rope: Nationale Rückfallstatistiken und -untersuchungen in Europa. Göttingen Studies in
Criminal Law and Justice. Göttingen.
Albrecht, H.-J. (2013): Die Jugendkriminalität ist weit überwiegend Eigentumskriminalität:
Kann die Entkriminalisierung der Jugenddelikte der Sozialisation und der Integration der Ju-
gendlichen dienen? Recht der Jugend und des Bildungswesens 61, S. 146 – 148.
Albrecht, H.-J. (2013): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden,
S. 1723 – 1744.
Albrecht, H.-J. (2013): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden,
S. 1744 – 1747.
Albrecht, H.-J. (2013): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden,
S. 1747 – 1752.
Albrecht, H.-J. (2013): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden,
S. 1752 – 1757.
Albrecht, H.-J. (2013): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45,
in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafge-
setzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 1770 – 1773.
Albrecht, H.-J. (2013): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neu-
mann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-
Baden, S. 1773 – 1773.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1231

Albrecht, H.-J. (2013): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in U. Kindhäu-
ser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
4. Aufl., Baden-Baden, S. 1773 – 1774.
Albrecht, H.-J. (2013): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
4. Aufl., Baden-Baden, S. 2174 – 2179.
Albrecht, H.-J. (2013): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
4. Aufl., Baden-Baden, S. 2179 – 2180.
Albrecht, H.-J. (2013): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
4. Aufl., Baden-Baden, S. 2180 – 2180.
Albrecht, H.-J. (2013): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
4. Aufl., Baden-Baden, S. 2180 – 2181.
Albrecht, H.-J. (2013): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeff-
gen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 4. Aufl., Baden-Baden, S. 2181 –
2185.
Albrecht, H.-J. (2013): Zur Lage der Kriminologie in Deutschland: eine Einführung. Monats-
schrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96, S. 73 – 80.
Albrecht, H.-J., Quensel, S. & Sessar, K. (2013): Freiburger Memorandum zur Lage der Krimi-
nologie in Deutschland. Neue Kriminalpolitik 25, S. 10 – 15.
Albrecht, H.-J. (2013): Innere Sicherheit und soziale Kontrolle: Wie viel Freiheit ist möglich?
in: S. Hradil (Hrsg.), Deutsche Verhältnisse. Eine Sozialkunde. Frankfurt, S. 209 – 228.
Albrecht, H.-J. (2013): Kriminalprognosen: Entwicklungen und Stand der Forschung, in:
G. Freund, U. Murmann, R. Bloy & W. Perron (Hrsg.), Grundlagen und Dogmatik des ge-
samten Strafrechtssystems. Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag. Berlin,
S. 1063 – 1076.
Albrecht, H.-J. (2013): Evaluation der sozialtherapeutischen Behandlung von Sexualstraftätern
in Sachsen: Eine Einführung, in: G. Wössner, R. Hefendehl & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Sexu-
elle Gewalt und Sozialtherapie: bisherige Daten und Analysen zur Längsschnittstudie „Se-
xualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Schriften-
reihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminolo-
gische Forschungsberichte Vol. K 161. Berlin, S. XVII–XXVII.
Albrecht, H.-J. (2013): Gefahren und Gefährder: Das Strafrecht als Baustein eines Sicherheits-
rechts (Threats and potentially dangerous persons – penal law as the constituent part of safety
law), in: Wydział Prawa i Administracji Uniwersytetu Marii Curie-Skłodowskiej (ed.), Stu-
dia Iuridica Lublinensia, Tom XX. Lublin, pp. 11 – 22.
Albrecht, H.-J. (2013): Rückfallstatistiken im internationalen Vergleich. Monatsschrift für Kri-
minologie und Strafrechtsreform 96, S. 400 – 410.
Albrecht, H.-J. (2013): Zur Lage der Kriminologie in Deutschland: eine Einführung. Monats-
schrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96, S. 73 – 80.
1232 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2013): NSA, GCHQ, Tempora, XKeyscore, Inferenz und Schnellkochtöpfe.
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96, S. 443 – 446.
Albrecht, H.-J. (2013): Juvenile Criminal Law and Justice in Germany: Accounting for Trends
in the German Juvenile Criminal Justice System, in: A. Sözüer (ed.), 3rd International Crime
and Punishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers. Istanbul, pp. 643 – 695.
Albrecht, H.-J. (2013): Almanya’da Çocuk Ceza Hukuku ve Adaleti Alman Çocuk Adaleti Sist-
emi Eğilimlerinin Muhasebesi, in A. Sözüer (ed.), B. Çağ (transl.), 3rd International Crime
and Punishment Film Festival. Juvenile Justice, Academic Papers. Istanbul, pp. 697 – 746.
Albrecht, H.-J. (2013): Criminal Law on Sexual Offences in Germany: Reforms and Results.
Criminal Law Review 35, pp. 336 – 358.
Albrecht, H.-J. (2013): Sentencing in Germany: Explaining Long-Term Stability in the Struc-
ture of Criminal Sanctions and Sentencing. Law and Contemporary Problems 76, pp. 211 –
236.
Albrecht, H.-J. (2013): The System of Sentencing and Criminal Sanctions in Germany, in: Z.
Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 7, Beijing, pp. 394 – 412.
Albrecht, H.-J. (2013): The Death Penalty, Deterrence and Policy Making, in: L. Arroyo Zapa-
tero, W. Schabas & K. Takayama (eds.), Death Penalty: A Cruel and Inhuman Punishment.
Cuenca, pp. 29 – 44.
Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2013): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen: Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und
2004 bis 2010. Mönchengladbach.
Albrecht, H.-J. & Klip, A. (eds.) (2013): Crime, Criminal Law and Criminal Justice in Europe. A
Collection in Honour of Prof. em. dr. dr. h.c. Cyrille Fijnaut. Leiden.
Wössner, G., Hefendehl, R. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2013): Sexuelle Gewalt und Sozialthe-
rapie: Bisherige Daten und Analysen zur Längsschnittstudie „Sexualstraftäter in den sozial-
therapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Schriftenreihe des Max-Planck-Insti-
tuts für ausländisches und internationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte
Vol. K 161. Berlin.
Albrecht, H.-J., Quensel, S. & Sessar, K. (Hrsg.) (2013): Zur Lage der Kriminologie in Deutsch-
land: Beiträge der Tagung vom 28. bis 30. Juni 2012 am Max-Planck-Institut für ausländi-
sches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br. Monatsschrift für Kriminologie und Straf-
rechtsreform 96 (Schwerpunktheft 2/3).
Albrecht, H.-J. (2012): Strafrecht, Sicherheit und Sicherungsverwahrung: internationale Ent-
wicklungen, in: J.L. Müller, N. Nedopil, N. Saimeh, E. Habermeyer & P. Falkai (Hrsg.), Si-
cherungsverwahrung – wissenschaftliche Basis und Positionsbestimmung. Was folgt nach
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 04. 05. 2011? Berlin, S. 183 – 194.
Albrecht, H.-J. (2012): Die Geldstrafe in Ländern der Europäischen Union – Normative Struk-
turen und praktische Anwendung, in: E. Hilgendorf & R. Rengier (Hrsg.), Festschrift für
Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag. Baden-Baden, S. 565 – 579.
Albrecht, H.-J. (2012): DNA, Ermittlungsverfahren und Sicherheitsvorsorge, in: Z. Chen (ed.),
New Reports in Criminal Law 6. Beijing, pp. 457 – 470.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1233

Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2012): Justizielle Registrierungen in Abhängigkeit vom Alter, in
Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 6. Beijing, pp. 513 – 531.
Albrecht, H.-J. (2012): Strafrecht, Gefährlichkeit und Sicherheit, in: T.A. Barabás (ed.), Ta-
nulmányok. Irk Ferenc professzor 70. születésnapja tiszteletére. Budapest, pp. 11 – 25.
Albrecht, H.-J. (2012): Psychiatrie, Gefährlichkeit und Prognose, in: E. Yundina, S. Stübner,
M. Hollweg & C. Stadtland (Hrsg.), Forensische Psychiatrie als interdisziplinäre Wissen-
schaft. Festschrift zum Geburtstag von Norbert Nedopil. Berlin, S. 1 – 14.
Albrecht, H.-J. (2012): Vorwort, in: P. Asprion, Gefährliche Freiheit? Das Ende der Sicherungs-
verwahrung. Freiburg/Basel/Wien.
Albrecht, H.-J. (2012): Empirische Strafverfahrensforschung, neue Ermittlungsmethoden und
Überwachungstechnologien, in: K. Boers (Hrsg.), Kriminologische Perspektiven. Wissen-
schaftliches Symposium zum 70. Geburtstag von Klaus Sessar. Münster, S. 85 – 105.
Albrecht, H.-J. (2012): Security, Crime Prevention and Secret Surveillance: How Criminal Law
Adjusts to the Challenges of a Global Risk Society, in: International Center for Criminal Jus-
tice of the Korean Institute of Criminology (ed.), Asian Criminological Society. 4th Annual
Conference: Development & Security: Rethinking Crime and Criminal Policies in Asia. Pro-
gram Book. Seoul, pp. 141 – 152.
Albrecht, H.-J. (2012): The Incapacitation of the Dangerous Offender: Criminal Policy and Le-
gislation in the Federal Republic of Germany, in: M. Malsch & M. Duker (eds.), Incapaci-
tation. Trends and New Perspectives. Farnham, pp. 39 – 61.
Albrecht, H.-J. (2012): Prison Overcrowding – Finding Effective Solutions: Strategies and Best
Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities. Forschung aktuell – research in
brief Vol. 43. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2012): La pena de muerte: Los caminos para su abolición, in: L. Arroyo, P. Big-
lino & W. Schabas (eds.), Contra el espanto. Por la abolición de la pena de muerte. Valencia,
pp. 39 – 68.
Albrecht, H.-J., Quensel, S. & Sessar, K. (Hrsg.) (2012): Freiburger Memorandum zur Lage der
Kriminologie in Deutschland. Online: https://static.mpicc.de/shared/data/pdf/freiburger_me
morandum_kriminologie_de_12.pdf [30. 11. 2020].
Albrecht, H.-J. (2011): Grausamkeit – eine juristische Perspektive, in: T. von Trotha & J. Rösel
(Hrsg.), On Cruelty Sur la cruauté Über Grausamkeit. Siegener Beiträge zur Soziologie.
* *

Köln, S. 388 – 400.


Albrecht, H.-J. (2011): Neue Bedrohungen? Wandel von Sicherheit und Sicherheitserwartun-
gen, in: P. Zoche, S. Kaufmann & R. Haverkamp (Hrsg.), Zivile Sicherheit. Gesellschaftliche
Dimensionen gegenwärtiger Sicherheitspolitiken. Bielefeld, S. 111 – 127.
Albrecht, H.-J. (2011): Bestrafung der Armen? Zu Zusammenhängen zwischen Armut, Krimi-
nalität und Strafrechtsstaat, in: B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Gerechte Aus-
grenzung? Wohlfahrtsproduktion und die neue Lust am Strafen. Wiesbaden, S. 111 – 129.
Albrecht, H.-J. (2011): Sicherheit und Prävention in strafrechtlichen Sanktionensystemen: Eine
kriminologische, komparative Untersuchung, in: H.-G. Koch (Hrsg.), Wegsperren? – Frei-
heitsentziehende Maßnahmen gegen gefährliche, strafrechtlich verantwortliche (Rück-
fall-)Täter im internationalen Vergleich. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für auslän-
1234 Publikationsverzeichnis – List of Publications

disches und internationales Strafrecht: Strafrechtliche Forschungsberichte Vol. S 130. Berlin,


S. 431 – 489.
Albrecht, H.-J. (2011): Sexualstrafrecht – Reformen und Ergebnisse. Recht der Jugend und des
Bildungswesens 59/2, S. 148 – 162.
Albrecht, H.-J. (2011): Grooming, das Internet und die Schließung von Sicherheits- und Straf-
barkeitslücken. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 94/2, S. I–IV.
Albrecht, H.-J. (2011): Geheime Ermittlungsmaßnahmen in Deutschland: ein Überblick, in:
F. Yenisey & U. Sieber (eds.), Criminal Law in the Global Risk Society. Risk Altındaki Glo-
bal Dünya Toplumu ve Ceza Hukuku. German-Turkish Colloquium in Honour of Prof. Dr. Dr.
h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck. Series of the Max Planck Institute for Foreign and Inter-
national Criminal Law and Bahçeşehir University Joint Research Group. Istanbul, pp. 545 –
570.
Albrecht, H.-J. (2011): Almanyadaki Gizli Soruşturma Tedbirleri Hakkında, in: F. Yenisey &
U. Sieber (eds.), F. Yenisey (transl.), Criminal Law in the Global Risk Society. Risk Altındaki
Global Dünya Toplumu ve Ceza Hukuku. German-Turkish Colloquium in Honour of Prof.
Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck. Series of the Max Planck Institute for Foreign
and International Criminal Law and Bahçeşehir University Joint Research Group. Istanbul,
pp. 521 – 545.
Albrecht, H.-J. (2011): Prison Overcrowding: Finding Effective Solutions. Strategies and Best
Practices Against Overcrowding in Correctional Facilities, in: United Nations Asia and Far
East Institute for the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders (UNAFEI) (ed.),
Report of the Workshop. Strategies and Best Practices Against Overcrowding in Correctional
Facilities: Twelfth United Nations Congress on Crime Prevention and Criminal Justice. Sal-
vador, Brazil, 12 – 19 April 2010. Tokyo, pp. 65 – 130.
Albrecht, H.-J. (2011): Criminalization and Victimization of Immigrants in Germany, in: S. Pa-
lidda (ed.), Racial Criminalization of Migrants in the 21st Century. Advances in Criminology.
Farnham, pp. 177 – 195.
Albrecht, H.-J. (2011): Secret Surveillance: Measures of Secret Investigation in the Criminal
Process. Revista Brasileira de Ciências Criminais 92, pp. 123 – 153.
Albrecht, H.-J. (2011): International Crime, Crimes Against Humanity and Markets of Viol-
ence, in: T. Spapens, M. Groenhuijsen & T. Kooijmans (eds.), Universalis. Liber amicorum
Cyrille Fijnaut. Cambridge et al., pp. 301 – 312.
Albrecht, H.-J. (2011): Criminalisation et victimation des immigrés en Allemagne, in: S. Palid-
da (ed.), Migrations critiques. Repenser les migrations comme mobilités humaines en Euro-
pe. Paris, pp. 271 – 287.
Albrecht, H.-J. (2011): Mie˛ dzynarodowe tendencje w rozwoju prawa karnego nieletnich (Inter-
nationale Tendenzen in der Entwicklung des Jugendstrafrechts), in: Wydział Prawa i Admi-
nistracji Uniwersytetu Marii Curie-Skłodowskiej (ed.), Studia Iuridica Lublinensia, Tom
XVI. Lublin, pp. 11 – 33.
Albrecht, H.-J. (2010): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden,
S. 1601 – 1621.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1235

Albrecht, H.-J. (2010): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden,
S. 1622 – 1624.
Albrecht, H.-J. (2010): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden,
S. 1625 – 1629.
Albrecht, H.-J. (2010): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden,
S. 1629 – 1634.
Albrecht, H.-J. (2010): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45,
in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafge-
setzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 1647 – 1649.
Albrecht, H.-J. (2010): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neu-
mann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-
Baden, S. 1649 – 1649.
Albrecht, H.-J. (2010): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in: U. Kindhäu-
ser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
3. Aufl., Baden-Baden, S. 1650 – 1650.
Albrecht, H.-J. (2010): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
3. Aufl., Baden-Baden, S. 2030 – 2035.
Albrecht, H.-J. (2010): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
3. Aufl., Baden-Baden, S. 2035 – 2036.
Albrecht, H.-J. (2010): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
3. Aufl., Baden-Baden, S. 2036 – 2037.
Albrecht, H.-J. (2010): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
3. Aufl., Baden-Baden, S. 2037 – 2037.
Albrecht, H.-J. (2010): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeff-
gen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 3. Aufl., Baden-Baden, S. 2037 –
2041.
Albrecht, H.-J. (2010): Gewaltkriminalität – Ursachen und Wirkungen, in: D. Dölling, B.-D.
Meier, T. Verrel & B. Götting (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung. Festschrift
für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 31 – 47.
Albrecht, H.-J. (2010): Strassenverkehr, schwere Verkehrsunfälle und (strafrechtliche) Sanktio-
nen: Ein internationaler Vergleich, in: M. Galanou (ed.), Essays in Honour of Professor C.D.
Spinellis. Interdisciplinary Criminological Pathways. Athen/Komotini, pp. 471 – 493.
Albrecht, H.-J. (2010): Internationale Tendenzen in der Entwicklung des Jugendstrafrechts, in:
B. Dollinger & H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Handbuch Jugendkriminalität. Kriminologie
und Sozialpädagogik im Dialog. Wiesbaden, S. 43 – 59.
1236 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2010): Organisierte Umweltkriminalität – Europäische Perspektive, in: F.


Comte, L. Krämer & O.L. Dubovik (Hrsg.), Umweltkriminalität in Europa. Moskau,
S. 86 – 121.
Albrecht, H.-J. (2010): Muslime, Radikalisierung und terroristische Gewalt. Recht der Jugend
und des Bildungswesens 58, S. 70 – 79.
Albrecht, H.-J. (2010): Rassistisch motivierte Gewalt und antirassistische Politik in Europa.
Rechtsstaat. Zeitschrift der Staatlichen Metschnikov-Universität Odessa 12, S. 15 – 34.
Albrecht, H.-J. (2010): Männliche Aggressivität – Maskuline Gewalt, in: Freiburger Interven-
tionsprojekt gegen häusliche Gewalt (FRIG) (Hrsg.), Gender und häusliche Gewalt – Wie
beeinflussen die Rollenerwartungen die mit häuslicher Gewalt befassten Professionen? Frei-
burg i.Br., S. 83 – 96.
Albrecht, H.-J. (2010): Telekommunikationsverkehrsdaten, Vorratsdatenspeicherung und Straf-
verfahren, in: A.G. Pitsela (ed.), Criminology: Searching for Answers. Essays in Honour of
Professor Stergios Alexiadis. Athen/Thessaloniki, pp. 1 – 21.
Albrecht, H.-J. (2010): Organisierte Kriminalität: theoretische Erklärungen und empirische Be-
funde. Revista da Faculdade de Direito da Universidade de São Paulo 105, S. 259 – 280.
Albrecht, H.-J. (2010): Drug Policies in Europe, in: M. Groenhuijsen, T. Kooijmans & T. de
Roos (eds.), Fervet Opus. Liber Amicorum Anton van Kalmthout. Apeldoorn et al.,
pp. 11 – 21.
Albrecht, H.-J. (2010): Race, Crime and Criminal Justice in Germany, in: A. Kalunta-Crumpton
(ed.), Race, Crime and Criminal Justice. International Perspectives. Hampshire, pp. 72 – 97.
Albrecht, H.-J. & Getoš, A.-M. (2010): Researching Terrorism and Organized Crime in South-
east Europe, in: W. Benedek, C. Daase, V. Dimitrijević & P. van Duyne (eds.), Transnational
Terrorism, Organized Crime and Peace-Building. Human Security in the Western Balkans.
Houndmills, pp. 117 – 148.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2010): Victims of Terrorism Policies: Should Victims of Ter-
rorism be Treated Differently? in: M. Wade & A. Maljević (eds.), A War on Terror?: The
European Stance on a New Threat, Changing Laws and Human Rights Implications. Dord-
recht et al., pp. 221 – 241.
Albrecht, H.-J. (2010): The Death Penalty in Europe. Criminal Law Review 22, pp. 27 – 38.
Albrecht, H.-J. (2010): Les peines alternatives en Allemagne: théorie et experience, in: Institut
Judiciaire Jordanien (réalisation) (ed.), Colloque Les peines alternatives à l’emprisonnement,
Amman 3 – 4 novembre 2010. Amman, pp. 24 – 28.
Albrecht, H.-J. (2010): Criminalización y victimización de inmigrantes en Alemania, in: S. Pa-
lidda & J.Á. Brandariz García (eds.), Criminalización racista de los migrantes en Europa.
Estudios de derecho penal y criminología. Granada, pp. 217 – 236.
Albrecht, H.-J. (2010): Criminalidade organizada na Europa: perspectivas teorética e empírica,
in: M.F. Palma, A.S. Dias & P. de Sousa Mendes (eds.), 2. congresso de investigação criminal.
Coimbra, pp. 73 – 99.
Albrecht, H.-J. (2010): Biztonság és bünmegelözés: Objektív biztonság – szubjektív biztonság,
in: G. Virág (ed.), Kriminológiai Tanulmányok 47: Megjelent az Országos Kriminológiai In-
tézet alapításának 50. évében. Budapest, pp. 17 – 35.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1237

Jehle, J.-M., Albrecht, H.-J., Hohmann-Fricke, S. & Tetal, C. (2010): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen: eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2004 bis 2007. Mön-
chengladbach.
Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2009): Justizielle Registrierungen in Abhängigkeit vom Alter.
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 92, S. 326 – 343.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2009): Die Überwachung von Telekommunikations-Verkehrs-
daten. Jahrbuch 2008 der Max-Planck-Gesellschaft.
Albrecht, H.-J. & Ciklauri-Lammich, E. (2009): Kriminologische Forschungen am Freiburger
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, in: Russische Akade-
mie der Wissenschaften, Institut für Staat und Recht (Hrsg.), Gegenwärtige Probleme der
Theorie und Praxis der Kriminalitätsbekämpfung. Moskau, S. 51 – 90.
Albrecht, H.-J. (2009): DNA, Ermittlungsverfahren und Sicherheitsvorsorge, in: T. Görgen,
K. Hoffmann-Holland, H. Schneider & J. Stock (Hrsg.), Interdisziplinäre Kriminologie: Fest-
schrift für Arthur Kreuzer zum 70. Geburtstag. 2. erweiterte Auflage, Frankfurt a. M., S. 21 –
37.
Albrecht, H.-J. (2009): Die Rolle der Kriminologie und internationale Standards – Diskussion,
in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Das Jugendkriminalrecht vor neuen Herausforde-
rungen? Jenaer Symposium, 9. – 11. September 2008. Mönchengladbach, S. 317 – 321.
Albrecht, H.-J. (2009): Organized Environmental Crimes: Concepts, Extent and Structures.
China Review of International Criminal Law – College for Criminal Law Science of Beijing
Normal University 3, pp. 29 – 45.
Albrecht, H.-J. (2009): DNA-Based Criminal Investigation: Problems and Prospects, in: Polska
Akademia Nauk, Instytut Nauk Prawnych, Zakład Kryminologii (ed.), Archiwum Krymino-
logii. Tom XXIX – XXX, 2007 – 2008. Warszawa, pp. 779 – 790.
Albrecht, H.-J. (2009): Criminalization and Victimization of Immigrants in Germany, in: S. Pa-
lidda (ed.), Criminalisation and Victimization of Migrants in Europe. Milano, pp. 118 – 138.
Albrecht, H.-J. (2009): Actualité de la question de l’irresponsabilité pénale au regard du droit
allemand, in: Institut Catholique d’Études Supérieures (ed.), L’irresponsabilité pénale. Re-
gards croisés: Droit – Santé – Culture. Actes du colloque organisé les 16 & 17 février 2008 par
le Centre de Recherches Hannah Arendt. Travaux du Centre de Recherches. Paris, pp. 13 – 23.
Albrecht, H.-J. (2009): Vigilância das Telecomunicações: Análise teórica e empírica da sua im-
plementação e efeitos, in: M. Ferreira Monte, M.C. Calheiros, F.C. Monteiro & F.N. Loureiro
(eds.), Que futuro para o direito processual penal? Simpósio em homenagem a Jorge de Fi-
gueiredo Días, por ocasião dos 20 anos do código de processo penal português. Coimbra,
pp. 725 – 743.
Albrecht, H.-J., Sieber, U. & Simon, J.-M. (2009): Prólogo, in: H.-J. Albrecht & E.R. Zaffaroni
(eds.), Criminalidad, evolución del derecho penal y crítica al derecho penal en la actualidad.
Buenos Aires, pp. VII–IX.
Albrecht, H.-J. (2009): Delincuencia internacional, economía de la violencia y crímenes contra
los derechos humanos, in: H.-J. Albrecht, U. Sieber, J.-M. Simon & F. Schwarz (eds.), Cri-
minalidad, evolución del Derecho penal y crítica al Derecho penal en la actualidad – Die Ge-
genwart der Kriminalität, der Strafrechtsentwicklung und Strafrechtskritik. Buenos Aires,
pp. 375 – 393.
1238 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2009): Rozważania na temat drobnych przeste˛ pstw i wykroczeń adminis-
tracyjnych, in: Lubelskie Towarzystwo Naukowe (ed.), Rozwój nauk penalnych w sześćdzi-
esie˛ cioleciu Wydziału Prawa i Administracji UMCS. Lublin, pp. 161 – 176.
Albrecht, H.-J., Sieber, U., Simon, J.-M. & Schwarz, F. (eds.) (2009): Criminalidad, Evolución
del Derecho Penal y Crítica al Derecho Penal en la Actualidad: Die Gegenwart der Krimi-
nalität, der Strafrechtsentwicklung und Strafrechtskritik. Buenos Aires.
Serassis, T., Kania, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (2009): Images of Crime III: Representations of
Crime and the Criminal. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und in-
ternationales Strafrecht: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 144. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2008): DNA, Ermittlungsverfahren und Sicherheitsvorsorge, in: T. Görgen,
K. Hoffmann-Holland, H. Schneider & J. Stock (Hrsg.), Interdisziplinäre Kriminologie. Fest-
schrift für Arthur Kreuzer zum 70. Geburtstag. Frankfurt a. M., S. 19 – 35.
Albrecht, H.-J., Grafe, A. & Kilchling, M. (2008): Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung
über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h der Strafprozessordnung,
in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), BT-Drucksache 16/8434. Köln, S. 1 – 300.
Albrecht, H.-J. (2008): Strafe und Herrschaft, in: H.-H. Gander, M. Fludernik & H.-J. Albrecht
(Hrsg.), Bausteine zu einer Ethik des Strafens: Philosophische, juristische und literaturwis-
senschaftliche Perspektiven. Studien zur Phänomenologie und praktischen Philosophie.
Würzburg, S. 95 – 115.
Albrecht, H.-J. (2008): Strafrecht und Strafe: Belastung oder Entlastung? In: G. Schlee &
B. Turner (Hrsg.), Vergeltung: Eine interdisziplinäre Betrachtung der Rechtfertigung und Re-
gulation von Gewalt. Frankfurt a. M. u. a., S. 127 – 148.
Albrecht, H.-J. (2008): Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Jugendliche aus kriminologi-
scher Sicht, in: Freiburger Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt (FRIG) (Hrsg.), Kin-
der und häusliche Gewalt – Zukunftshypothek oder gesellschaftliche Herausforderung? In-
terdisziplinäre Fachtagung am 16. November 2006 in Freiburg. Dokumentation. Freiburg
i.Br., S. 73 – 82.
Albrecht, H.-J. (2008): Gewaltzyklen: Familiäre Gewalt als Auslöser von Jugend- und Erwach-
senengewalt. Recht der Jugend und des Bildungswesens, 56, S. 126 – 134.
Albrecht, H.-J. (2008): Kosten und Nutzen technisierter Überwachung, in: S. Gaycken &
C. Kurz (Hrsg.), 1984.exe: Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner
Überwachungstechnologien. Bielefeld, S. 129 – 147.
Albrecht, H.-J. (2008): Organized Environmental Crimes: Concepts, Extent and Structures, in:
Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 4. Beijing, pp. 363 – 380.
Albrecht, H.-J. (2008): Terrorism, Risk, and Legislation. Journal of National Defense Studies 6,
Special Issue: New Perspectives on Terrorism, pp. 13 – 49.
Albrecht, H.-J. (2008): Germany, in: J. Winterdyk & G. Antonopoulos (eds.), Racist Victimiza-
tion: International Reflections and Perspectives. Aldershot, pp. 113 – 137.
Albrecht, H.-J. (2008): Victimización, víctimas, y acceso a la justiciar, in: Ministerio Público de
la Defensa (ed.), Defensa Pública: Garantía de Acceso a la Justicia. Buenos Aires, pp. 501 –
525.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1239

Albrecht, H.-J. (2008): Ewolucja prawa karnego nieletnich w Niemczech, in: T. Bojarski et al.
(eds.), Problemy reformy postepowania w sprawach nieletnich. Lublin, pp. 187 – 203.
Albrecht, H.-J. (2008): Uluslararası suçluluk, şiddet ekonomisi ve insan hakları suçları: Ceza
hukukunun cevapları, in: Atatürk Kültür, Dil ve Tarih Yüksek Kurumu, Atatürk Araştırma
Merkezi Başkanlığı & Türk Ceza Hukuku Derneği (eds.), Ord. Prof. Dr. Sulhi Dönmezer
– Armağanı 1. Ankara, pp. 467 – 479.
Albrecht, H.-J. (2007): Internationale Kriminalität, Gewaltökonomie und Menschenrechtsver-
brechen: Antworten des Strafrechts, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Internationale Po-
litik und Gesellschaft – International Politics and Society 2, S. 153 – 169.
Albrecht, H.-J. (2007): Kriminologische Forschung am Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht Freiburg, in: S. Höfer & G. Spieß (Hrsg.), Neuere Kriminolo-
gische Forschung im Südwesten: Eine Darstellung der Forschungsarbeit aus Anlass des 40.
Kolloquiums der Südwestdeutschen und benachbarten Kriminologischen Institute. 2. aktua-
lisierte Aufl., Freiburg i.Br., S. 67 – 98.
Albrecht, H.-J. (2007): Forensische Sachverständige im Strafverfahren – Entwicklungen aus
einer komparativen Perspektive, in: Juristische Fakultät der Aristoteles-Universität Thessa-
loniki (Hrsg.), Festschrift für Ioannis Manoledakis. Vol. II: Studien zu Strafrecht, Krimino-
logie und zur Geschichte des Verbrechens. Athen/Thessaloniki, S. 711 – 727.
Albrecht, H.-J. (2007): Perspektiven kriminologischer Forschung. Der Wandel im Konzept der
Sicherheit und neue Aufgabenfelder der Kriminologie, in: K. Liebl (Hrsg.), Kriminologie im
21. Jahrhundert. Wiesbaden, S. 177 – 201.
Albrecht, H.-J. (2007): Vergleichende Kriminologie, in: H. J. Schneider (Hrsg.), Internationales
Handbuch der Kriminologie. Band 1: Grundlagen der Kriminologie. Berlin, S. 255 – 288.
Albrecht, H.-J. (2007): Straffälligenhilfe, Kosten-Nutzen-Analyse und strafrechtliche Krimina-
litätsprävention, in: H. Schöch, R. Helgerth, D. Dölling & P. König (Hrsg.), Recht gestalten –
dem Recht dienen. Festschrift für Reinhard Böttcher zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 235 –
261.
Albrecht, H.-J. (2007): Rechtliche Grundlagen der Forensischen Psychiatrie: eine international
vergleichende Perspektive, in: H.-L. Kröber, D. Dölling, N. Leygraf & H. Sass (Hrsg.), Hand-
buch der Forensischen Psychiatrie. Band 1: Strafrechtliche Grundlagen der Forensischen
Psychiatrie. Heidelberg, S. 511 – 573.
Albrecht, H.-J. (2007): Jugendfreiheitsstrafe und Jugendstrafvollzug im europäischen Ausland.
Recht der Jugend und des Bildungswesens 55, S. 201 – 211.
Albrecht, H.-J. (2007): Internationale Kriminalität, Gewaltökonomie und Menschenrechtsver-
brechen: Antworten des Strafrechts. Internationale Politik und Gesellschaft 2, S. 153 – 169.
Albrecht, H.-J. & Grundies, V. (2007): Sexuelle Gewaltkriminalität im Lebenslängsschnitt: Die
Entwicklung von Sexualkriminalität an Hand von Daten der Freiburger Kohortenstudie, in:
F. Lösel, D. Bender & J.-M. Jehle (Hrsg.), Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpoli-
tik: Entwicklungs- und Evaluationsforschung. Neue Kriminologische Schriftenreihe. Mön-
chengladbach, S. 447 – 475.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2007): Victims of Terrorism Policies – Should Victims of Ter-
rorism be Treated Differently? European Journal on Criminal Policy and Research 13,
Schwerpunktheft “Fear v. Freedom Post 9/11 – the European Perspective”, pp. 13 – 31.
1240 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (2007): Stellungnahme zu dem Fragenkatalog des Bundesverfas-
sungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 392/07 zu § 173 Abs. 2 S. 2 StGB – Beischlaf zwi-
schen Geschwistern. Online: https://csl.mpg.de/media/filer_public/68/6f/686f978c-fe51-4a
45-849b-73f6f920374b/05-08-inzest_gutachten3.pdf [30. 11. 2020].
Albrecht, H.-J. (2007): Legitimacy and Criminal Justice: Inequality and Discrimination in the
German Criminal-Justice System, in: T. R. Tyler (ed.), Legitimacy and Criminal Justice. New
York, pp. 302 – 332.
Albrecht, H.-J. (2007): Trafficking in Humans and Human Rights, in: S. Parmentier & E.G.M.
Weitekamp (eds.), Crime and Human Rights. Vol. 9: Sociology of Crime, Law and Deviance.
Amsterdam et al., pp. 39 – 71.
Albrecht, H.-J. (2007): The Rule of Law and Protection of the Personal Right, in: J. Wang (ed.),
Personal Right and Rule of Law. China Forum on the Rule of Law Series. Beijing, pp. 28 – 38.
Albrecht, H.-J. (2007): International Organized Crime: Reaction in Germany, in: K. Ueda (ed.),
Current International Organized Crime: Global and in Japan. Human Security and Transna-
tional Organized Crime. Tokyo, pp. 194 – 224.
Albrecht, H.-J. (2006): Kriminologische Forschung am Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht Freiburg, in: S. Höfer & G. Spiess (Hrsg.), Neuere Krimino-
logische Forschung im Südwesten. Eine Darstellung der Forschungsarbeit aus Anlass des 40.
Kolloquiums der Südwestdeutschen und benachbarten Kriminologischen Institute. Freiburg
i.Br., S. 67 – 98.
Albrecht, H.-J. (2006): Elektronische Überwachung in Europa, in: N. Saimeh (Hrsg.) Gesell-
schaft mit beschränkter Haftung. Maßregelvollzug als soziale Verpflichtung. Eickelborner
Fachtagung zu Fragen der Forensischen Psychiatrie, 1. bis 3. März 2006. Bonn, S. 13 – 33.
Albrecht, H.-J. (2006): Fußball und Gewalt. Entwicklungen, Erklärungsansätze und Prävention.
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 89, S. 158 – 174.
Kania, H., Walter, M. & Albrecht, H.-J. (2006): Einführung zu: Alltagsvorstellungen von Kri-
minalität, in: M. Walter & F. Neubacher (Hrsg.), Neue Wege und Perspektiven der Krimino-
logie. Forschung am Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Kölner Schriften zur
Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 12. Berlin, S. 291 – 316.
Walter, M., Albrecht, H.-J. & Kania, H. (2006): Schlussbetrachtungen zu: Alltagsvorstellungen
von Kriminalität, in: M. Walter & F. Neubacher (Hrsg.), Neue Wege und Perspektiven der
Kriminologie. Forschung am Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Kölner
Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 12. Berlin, S. 317 – 322.
Albrecht, H.-J. (2006): Forensik – DNA-Analyse – Recht, Praxis und Entwicklungen. labor &
more 3, S. 28 – 29.
Albrecht, H.-J. (2006): Antworten auf Gefährlichkeit – Sicherungsverwahrung und unbestimm-
ter Freiheitsentzug, in: T. Feltes, C. Pfeiffer & G. Steinhilper (Hrsg.), Kriminalpolitik und
ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Festschrift für Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind zum
70. Geburtstag. Heidelberg, S. 191 – 210.
Albrecht, H.-J. (2006): Terrorismus und Strafrecht, in: R. Griesbaum, R. Hannich &
K.H. Schnarr (Hrsg.), Strafrecht und Justizgewährung. Festschrift für Kay Nehm zum 65. Ge-
burtstag. Berlin, S. 17 – 26.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1241

Albrecht, H.-J. (2006): Illegalität, Kriminalität und Sicherheit, in: J. Alt & M. Bommes (Hrsg.),
Illegalität. Grenzen und Möglichkeiten der Migrationspolitik. Wiesbaden, S. 60 – 80.
Albrecht, H.-J. (2006): Begrüßung, in: H.-J. Albrecht & U. Sieber (Hrsg.), Perspektiven der
strafrechtlichen Forschung. Amtswechsel am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländi-
sches und internationales Strafrecht 2004. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für aus-
ländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und
Kriminologie Vol. I 12. Berlin, S. 1 – 2.
Albrecht, H.-J. (2006): Stalking – Nationale und Internationale Rechtspolitik und Gesetzesent-
wicklung. Familie Partnerschaft Recht 12, S. 204 – 208.
Albrecht, H.-J. (2006): Imprisonment and Alternatives to Prisons: Changes and Prospects in a
Comparative Perspective. Revista Académica – Facultad de Derecho de la Universidad la
Salle III/6, pp. 27 – 50.
Albrecht, H.-J. (2006): Regaining Trust and Confidence in Post-Conflict Societies as a Way to
Prevent Terrorism, in: U. Ewald & K. Turković (eds.), Large-Scale Victimisation as a Poten-
tial Source of Terrorist Activities. Importance of Regaining Security in Post-Conflict Socie-
ties. Amsterdam, pp. 30 – 53.
Albrecht, H.-J. (2006): Counterterrorism Policies in Germany. Forschung aktuell – research in
brief Vol. 38. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. & Research Unit of the Death Penalty Cases Survey Institute of Law (2006):
Strengthening the Defence in Death Penalty Cases in the People’s Republic of China. Em-
pirical Research into the Role of Defence Councils in Criminal Cases Eligible for the Death
Penalty. Forschung aktuell – research in brief Vol. 37. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Victims of Terrorism – Policies and Legislation in Eu-
rope: An Overview on Victim-Related Assistance and Support [Expert Report], in: Council
of Europe (ed.), Victims – Support and assistance. Strasbourg, pp. 199 – 250.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Institutions and organisations responsible for victims
[Contacts], in: Council of Europe (ed.), Victims – Support and assistance. Strasbourg,
pp. 253 – 262.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Victimes du terrorisme – Politiques et législations eu-
ropéennes: Tour d’horizon des systèmes d’assistance aux victimes [Rapport d’expertise], in:
Conseil de l’Europe (ed.), Soutien et aide aux victimes. Strasbourg, pp. 209 – 265.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2006): Institutions et organisations responsables pour les vic-
times [Contacts], in: Conseil de l’Europe (ed.), Soutien et aide aux victimes. Strasbourg,
pp. 269 – 278.
Albrecht, H.-J. (2006): Conflict Perspectives: Dealing with Wrongs in the Middle East, in:
H.-J. Albrecht, J.-M. Simon, H. Rezaei, H.-C. Rohne & E. Kiza (eds.), Conflicts and Conflict
Resolution in Middle Eastern Societies – Between Tradition and Modernity. Schriftenreihe
des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdisziplinäre
Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 13. Berlin, pp. 1 – 12.
Albrecht, H.-J. (2006): Trafficking in Humans. The Phenomenon, Theory and Criminal Law
Based Responses, in: C. Fenyvesi, C. Herke & B. Mészáro (eds.), Bizonyítékok. Tiszteletkö-
tet Tremmel Flórián Egyetemi Tanár 65. Pécs, pp. 9 – 29.
1242 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2006): Counterterrorism Policies in Germany. Forschung aktuell – research in


brief 38. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2006): Corruption and Corruption Control, in: Z. Chen (ed.), New Reports in
Criminal Law Vol. 3. Beijing, pp. 331 – 352.
Albrecht, H.-J. (2006): Le système de sanctions et de condamnations pénales de la République
fédérale allemande, in: P. Poncela & R. Roth (eds.), La fabrique du droit des sanctions pénales
au Conseil de l’Europe. Paris, pp. 81 – 117.
Albrecht, H.-J. (2006): Respuestas legislativas al 11 de septiembre. Un análisis comparado de la
legislación antiterrorista, in: J.L. Guzmán Dálbora & A. Serrano Maíllo (eds.), Derecho penal
y criminología como fundamento de la política criminal – Estudios en homenaje al Profesor
Alfonso Serrano Gómez. Madrid, pp. 1139 – 1164.
Albrecht, H.-J. (2006): Extranjería, migración, inmigración y evolución de la justicia penal en
Europa. Nueva Doctrina Penal 2006/1, pp. 3 – 28.
Albrecht, H.-J. (2006): Sistemas de sanciones penales: presente y future, in: Instituto Nacional
de Ciencias Penales & Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
(eds.), Hacia la unificación del derecho penal. Logros y desafíos de la armonización y homo-
logación legislativa en México y en el mundo. Ciudad de México, pp. 803 – 851.
Albrecht, H.-J., Simon, J.-M. & Sieber, U. (2006): Reformas del Derecho Penal en México:
Sistemas Penales e Integración desde una Perspectiva Comparada, in: Instituto Nacional
de Ciencias Penales & Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
(eds.), Hacia la unificación del derecho penal. Logros y desafíos de la armonización y homo-
logación legislativa en México y en el mundo. Ciudad de México, pp. XXI – XXV.
Albrecht, H.-J. (2006): A biztonságkoncepció átalakulása és ennek következményei az európai
bel- és jogpolitkára, in: L. Korinek (Hrsg.), Belügyi Szemle – A Belügyminisztérium Szak-
mai, Tudományos Folyóirata 54/2, pp. 3 – 26.
Albrecht, H.-J. (2006): Analysis Report on Status of Defence Counsel, in: Z. Chen (ed.), Streng-
thening the Defence in Death Penalty Cases. Beijing, pp. 69 – 132.
Albrecht, H.-J., Simon, J.-M., Rezaei, H., Rohne, H.-C. & Kiza, E. (eds.) (2006): Conflicts and
Conflict Resolution in Middle Eastern Societies: Between Tradition and Modernity. Schrif-
tenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Interdis-
ziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 13. Berlin.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (2006): Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach. Kol-
loquium zum 90. Geburtstag von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck am
10. Januar 2005. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationa-
les Strafrecht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 14. Ber-
lin.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (2006): Perspektiven der strafrechtlichen Forschung. Amts-
wechsel am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
2004. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Straf-
recht: Interdisziplinäre Forschungen aus Strafrecht und Kriminologie Vol. I 12. Berlin.
Albrecht, H.-J. (2005): Umweltschutz durch Recht. Das Spannungsfeld strafrechtlicher und ver-
waltungsrechtlicher Instrumente, in: L.I. Gal & L. Köhalmi (eds.), Emlékkönyv. Losonczy
István professzor halálának 25. évfordulójára. Pécs, pp. 12 – 27.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1243

Albrecht, H.-J. (2005): Der Wandel im Konzept der Sicherheit und seine Folgen für die euro-
päische Innen- und Rechtspolitik. JURA. A Pécsi Tudományegyetem Állam- és Jog-
tudományi Karának tudományos lapja 11, pp. 7 – 19.
Albrecht, H.-J. (2005): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden,
S. 1354 – 1373.
Albrecht, H.-J. (2005): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden,
S. 1374 – 1376.
Albrecht, H.-J. (2005): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden,
S. 1377 – 1380.
Albrecht, H.-J. (2005): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Kindhäuser, U. Neumann &
H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden,
S. 1381 – 1385.
Albrecht, H.-J. (2005): Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45,
in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafge-
setzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1398 – 1400.
Albrecht, H.-J. (2005): Eintritt und Berechnung des Verlustes, § 45a, in: U. Kindhäuser, U. Neu-
mann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-
Baden, S. 1400 – 1400.
Albrecht, H.-J. (2005): Wiederverleihung von Fähigkeiten und Rechten, § 45b, in: U. Kindhäu-
ser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
2. Aufl., Baden-Baden, S. 1401 – 1401.
Albrecht, H.-J. (2005): Voraussetzungen der Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
2. Aufl., Baden-Baden, S. 1751 – 1755.
Albrecht, H.-J. (2005): Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, § 59a, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
2. Aufl., Baden-Baden, S. 1756 – 1756.
Albrecht, H.-J. (2005): Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe, § 59b, in: U. Kindhäuser,
U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
2. Aufl., Baden-Baden, S. 1757 – 1757.
Albrecht, H.-J. (2005): Gesamtstrafe und Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 59c, in: U. Kind-
häuser, U. Neumann & H.-U. Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch.
2. Aufl., Baden-Baden, S. 1758 – 1758.
Albrecht, H.-J. (2005): Absehen von Strafe, § 60, in: U. Kindhäuser, U. Neumann & H.-U. Paeff-
gen (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Aufl., Baden-Baden, S. 1759 –
1762.
Albrecht, H.-J. (2005): Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: A. Weiß & H. Winterer
(Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt. Interdisziplinäre Aspekte und Interventionsmöglich-
keiten. Freiburg i.Br., S. 12 – 38.
1244 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2005): Der erweiterte Sicherheitsbegriff und seine Folgen. RAV-Infobrief Nr. 91.
Albrecht, H.-J. (2005): Rechtstatsachenforschung zum Strafverfahren. Empirische Untersu-
chungen zu Fragestellungen des Strafverfahrens zwischen 1990 und 2003. München.
Albrecht, H.-J. (2005): Grenzgänger: Internationale Adoption und Kinderhandel, in: T. Ma-
rauhn (Hrsg.), Internationaler Kinderschutz. Politische Rhetorik oder effektives Recht? Tü-
bingen.
Albrecht, H.-J. (2005): Organisierte Umweltkriminalität – Konzepte, Ausmaß und Strukturen.
In: J. Arnold, B. Burkhardt, W. Gropp, G. Heine, H.-G. Koch, O. Lagodny, W. Perron &
S. Walther (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht: Festschrift für Albin Eser zum 70. Ge-
burtstag. München, S. 1273 – 1291.
Albrecht, H.-J. (2005): Kausalität und Zurechnung – eine vergleichende Analyse zur Verant-
wortlichkeit für Todesfälle nach Methadonabgaben. Suchtmedizin 7, S. 46 – 56.
Dorsch, C., Krüpe-Gescher, C. & Albrecht, H.-J. (2005): Rechtswirklichkeit und Effizienz der
Überwachung der Telekommunikation und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen.
Jahrbuch 2004 der Max-Planck-Gesellschaft.
Kilchling, M. & Albrecht, H.-J. (2005): Victims of Terrorism Policies and Legislation in Europe.
An Overview on Victim Related Assistance and Support. Forschung aktuell – research in
brief Vol. 30. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2005): Imprisonment and Alternatives to Prisons: Changes and Prospects in a
Comparative Perspective, in: S. García Ramírez (ed.), Derecho penal. Memoria del Congreso
Internacional de Culturas y Sistemas Jurídicos Comparados. III. Ejecución de penas. IV. Me-
nores infractores. V. Justicia penal internacional y sistemas nacionales. Ciudad de México,
pp. 3 – 30.
Albrecht, H.-J. (2005): Electronic Monitoring in Europe. A Summary and Assessment of Recent
Developments in the Legal Framework and Implementation of Electronic Monitoring. Con-
ference and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International
Criminal Law. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2005): Legislative Responses to 9/11: A Comparative Analysis of Anti-Terro-
rism Legislation. Criminology: Yesterday, Today, Tomorrow. Scientific journal of the St. Pe-
tersburg International Criminology Club No. 1(8): Terrorism and Terror in the Context of
World-Wide Social Violence. Proceedings of the 16th Baltic Criminological Seminar (Annual
International Conference of St. Petersburg Criminological Club), pp. 134 – 150.
Albrecht, H.-J. (2005): Simplification of Criminal Procedure: Settlements out of Court – A
Comparative Study of European Criminal Justice Systems. South African Law Commission,
Research Paper 19. Pretoria 2001 [also published in Conference and Working Papers from the
Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br.]
Albrecht, H.-J. (2005): Criminal Sanctions and Sentencing in Europe: Trends and Develop-
ments, in: H.-J. Albrecht & F. Irk (eds.), The Third German-Hungarian Colloquium on
Penal Law and Criminology. Systems and Developments of Penal Sanctions in Western
and Central Europe. Miskolc, pp. 65 – 99.
Albrecht, H.-J. (2005): Falü zhengce yujing xia de sixing (Death Penalty in the Frame Work of
Legal Policies). Peking University Law Journal 17, Special Issue: The Death Penalty,
pp. 534 – 542.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1245

Albrecht, H.-J. & Yue, L. (2005): Ouzhou zaishen zhidu zhi bijiao ji jingyan jiejian (Verglei-
chung und Erfahrungen der Wiederaufnahme-Systeme in Europa), in: G. Chen (ed.), Xingshi
zaishen chengxu yu renquan baozhang. Beijing, pp. 214 – 233.
Albrecht, H.-J. & Hotter, I. (2005): Gençlik Ceza Hukuku Alanındaki Reformlara İlişkin Öne-
rilerin Dökümü, in: K. İçel & Y. Ünver (eds.), Çocuklar ve Suç-Ceza. Ankara, pp. 159 – 175.
Albrecht, H.-J. (2005): Gençlik Ceza Hukuku Yaptırımlarının Uygulanması ve Evrimine İlişkin
Araştırmalar, in: K. İçel & Y. Ünver (eds.), Çocuklar ve Suç-Ceza. Ankara, pp. 177 – 193.
Albrecht, H.-J. (2005): Almanya’da Gençlik Adaleti, in: K. İçel & Y. Ünver (eds.), Çocuklar ve
Suç-Ceza. Ankara, pp. 533 – 576.
Albrecht, H.-J. & Irk, F. (eds.) (2005): The Third German-Hungarian Colloquium on Penal Law
and Criminology. Systems and Developments of Penal Sanctions in Western and Central Eu-
rope. Miskolc.
Albrecht, H.-J. (2004): Registrierten-/Bestraftenkohorten und Rückfallforschung, in: W. Heinz
& J.-M. Jehle (Hrsg.), Rückfallforschung. Kriminologische Zentralstelle, Wiesbaden, S. 55 –
70.
Albrecht, H.-J. (2004): Kontrolle der Cannabismärkte – zwischen freiem Markt und strafrecht-
licher Prohibition, in: C. Grafl & U. Medigovic (Hrsg.), Festschrift für Manfred Burgstaller
zum 65. Geburtstag. Wien, S. 453 – 469.
Albrecht, H.-J. (2004): Eine kritische Bilanz – Die Zentrale Stelle Ludwigsburg für NS-Verbre-
chen. Tribüne – Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 43, S. 188 – 194.
Albrecht, H.-J. (2004): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Telekommunikationsüberwa-
chung aus wissenschaftlicher Sicht, in: Justizministerium Baden-Württemberg (Hrsg.),
Die Überwachung der Telekommunikation – Ein strafprozessuales Instrument im Span-
nungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Tagungsbericht. Symposium „Die Überwa-
chung der Telekommunikation“ am 13. und 14. November 2003 in Triberg. Stuttgart,
S. 15 – 47.
Albrecht, H.-J. (2004): Elektronischer Hausarrest. Das Konzept des hessischen Experiments, in:
H. Schöch & J.-M. Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicher-
heit. Mönchengladbach, S. 109 – 142.
Albrecht, H.-J. (2004): Europäisierung des Strafrechts, in: A. Héritier, M. Stolleis &
F.W. Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State – Diffe-
rent Scopes and Multiple Levels. Baden-Baden, S. 139 – 162.
Kania, H., Walter, M. & Albrecht, H.-J. (2004): Einführung, in: M. Walter, H. Kania & H.-J. Al-
brecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität – Individuelle und gesellschaftliche
Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Kölner Schriften zur Krimi-
nologie und Kriminalpolitik Vol. 5. Münster, S. 5 – 21.
Walter, M., Albrecht, H.-J. & Kania, H. (2004): Schlussbetrachtungen, in: M. Walter, H. Kania
& H.-J. Albrecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität – Individuelle und gesell-
schaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Kölner Schriften
zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 5. Münster, S. 557 – 560.
Albrecht, H.-J. (2004): Öffentliche Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz, in: M. Walter,
H. Kania & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität – Individuelle und
1246 Publikationsverzeichnis – List of Publications

gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung. Kölner


Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik Vol. 5. Münster, S. 491 – 520.
Albrecht, H.-J. (2004): Sozialarbeit und Strafrecht: Strafbarkeitsrisiken in der Arbeit mit Pro-
blemfamilien, in: Kommission Kinderschutz – Kinderzukunft (Hrsg.), Schutz und Hilfe bei
Kindeswohlgefährdung. Saarbrücker Memorandum: Abschlussbericht. Saarbrücken,
S. 189 – 229.
Albrecht, H.-J. (2004): Antworten der Gesetzgeber auf den 11. September: eine vergleichende
Analyse. Poiniki Dikaiosini 23, S. 981 – 992.
Albrecht, H.-J. (2004): Pre-Trial Detention in Germany – The Empirical Situation, in: H.-J. Al-
brecht & G. Chen (eds.), Coercive Measures in a Socio-legal Comparison of the People’s Re-
public of China and Germany. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und
internationales Strafrecht, Freiburg i.Br.: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K 118.
Freiburg i.Br., pp. 117 – 136.
Albrecht, H.-J., Serassis, T. & Kania, H. (2004): Introduction, in: H.-J. Albrecht, T. Serassis &
H. Kania (eds.), Images of Crime II. Representations of Crime and the Criminal in Politics,
Society, the Media and the Arts. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches
und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br.: Kriminologische Forschungsberichte Vol. K
113. Berlin, pp. 1 – 8.
Albrecht, H.-J. (2004): Prisons and Alternatives to Prisons in Europe: Changes and Prospects,
in: Hungarian Society of Criminology (ed.), Special Edition of the Proceedings of Crimino-
logy – New Tendencies in Crime and Criminal Policy in Central and Eastern Europe. Inter-
national Course of the International Society for Criminology 11 – 14 March 2003, Miskolc/
Hungary. Miskolc, pp. 179 – 199.
Albrecht, H.-J. (2004): The Extent of Organized Environmental Crime – A European Perspec-
tive, in: F. Comte & L. Krämer (eds.), Environmental Crime in Europe – Rules of Sanctions.
Amsterdam, pp. 71 – 101.
Albrecht, H.-J. (2004): From Legal Doctrine to Criminology, in: J. Winterdyk & L. Cao (eds.),
Lessons from International/Comparative Criminology/Criminal Justice. Toronto, pp. 185 –
199.
Albrecht, H.-J. (2004): Security Gaps: Responding to Dangerous Sex Offenders in the Federal
Republic of Germany. Federal Sentencing Reporter 16, pp. 200 – 207.
Albrecht, H.-J. (2004): Youth Justice in Germany, in: M. Tonry & A.N. Doob (eds.), Youth
Crime and Youth Justice. Comparative and Cross-National Perspectives. London/Chicago,
pp. 443 – 493.
Albrecht, H.-J. (2004): The System of Penal Sanctions and Sentencing in the Federal Republic
of Germany – Alternatives and Community Sanctions, in: P. Poncela & R. Roth (eds.), La
Fabrique du Droit au Conseil de l’Europe: Promotion et mise an oeuvre des sanctions pénales
alternatives. Unpublished research report. Paris/Genève, pp. 79 – 116.
Albrecht, H.-J. (2004): Death Penalty: International and Human Rights Perspectives on the Fu-
ture of Capital Punishment, in: K.I. Vibhute (ed.), Criminal Justice. Lucknow/New Delhi,
pp. 257 – 271.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1247

Albrecht, H.-J. (2004): Delincuencia Juvenil y la Reforma en las Leyes Menores, in: INACIPE
(ed.), Congreso Internacional. Las Ciencias Penales en el Siglo XXI. Ciudad de México,
pp. 685 – 716.
Albrecht, H.-J. (2004): Terrorismo e Investigación Criminológica. Un Inventario, in: Ministerio
de Justicia y Derechos Humanos (ed.), Criminalidad Compleja – Terrorismo, Cybercrimina-
lidad. Buenos Aires, pp. 1 – 19.
Ortmann, R., Albrecht, H.-J. & Obergfell-Fuchs, J. (2004): Sexualstraftäter in sozialtherapeu-
tischen Abteilungen des Freistaates Sachsen: Skizze einer Evaluationsstudie. Forschung ak-
tuell – research in brief Vol. 21. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2004): Keiji shisetsu no tomei sei no kakuho – doitsu no shisetsu shingikai no
keiken. Jiyu to Seigi 55, pp. 64 – 70.
Walter, M., Kania, H. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2004): Alltagsvorstellungen von Kriminalität –
Individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestal-
tung. Kölner Schriften zur Kriminologie und Kriminalpolitik. Bd. 5. Münster.
Albrecht, H.-J., & Chen, G. (eds.) (2004): Coercive Measures in a Socio-legal Comparison of
the People’s Republic of China and Germany. Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für
ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i.Br.: Kriminologische Forschungsbe-
richte Vol. K 118. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2004): Xinshi fa qianyon, in: Z. Chen (ed.), New Reports in Criminal Law 1.
Beijing, pp. 212 – 236.
Albrecht, H.-J. (2003): Zusammenfassung und Resümee, in: K.-L. Kunz & C. Besozzi (Hrsg.),
Soziale Reflexivität und qualitative Methodik – Zum Selbstverständnis der Kriminologie in
der Spätmoderne. Bern u. a., S. 213 – 229.
Albrecht, H.-J. (2003): Verfassungsmäßigkeit des Jugendstrafvollzugs. Recht der Jugend und
des Bildungswesens 51, S. 352 – 360.
Albrecht, H.-J. & Hotter, I. (2003): Jüngste Vorschläge zu Reformen im Bereich des Jugend-
strafrechts. Recht der Jugend und Bildungswesens 51, S. 282 – 298.
Albrecht, H.-J. (2003): Forschungen zur Implementation und Evaluation jugendstrafrechtlicher
Sanktionen. Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 3, S. 224 – 232.
Albrecht, H.-J. (2003): Forschungen zur Wirtschaftskriminalität in Europa: Konzepte und em-
pirische Befunde, in: H.-J. Albrecht, H. Entorf (Hrsg.), Kriminalität, Ökonomie und Euro-
päischer Sozialstaat. Heidelberg, S. 37 – 69.
Albrecht, H.-J. & Entorf, H. (2003): Einleitung, in: H.-J. Albrecht & H. Entorf (Hrsg.), Krimi-
nalität, Ökonomie und Europäischer Sozialstaat. Heidelberg, S. 1 – 5.
Albrecht, H.-J. (2003): Tatproportionalität in der Strafzumessungspraxis, in: H.-J. Albrecht,
W. Frisch & A. von Hirsch (Hrsg.), Tatproportionalität. Normative und empirische Aspekte
einer tatproportionalen Strafzumessung. Heidelberg, S. 215 – 242.
Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwa-
chung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermitt-
lungsmaßnahmen. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für
ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 115. Freiburg i.Br.
1248 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C. (2003): Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwa-
chung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermitt-
lungsmaßnahmen. Forschung aktuell – research in brief Vol. 17. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2003): Arbeitslosigkeit: Exklusion aus dem Erwerbsleben und soziale Desin-
tegration, in: J. Raithel & J. Mansel (Hrsg.), Kriminalität und Gewalt im Jugendalter. Hell-
und Dunkelfeldbefunde im Vergleich. Weinheim/München, S. 134 – 177.
Albrecht, H.-J. (2003): Trafficking in Humans – Theory, Phenomenon and Criminal Law based
Response. Criminology: Yesterday, Today, Tomorrow. Scientific journal of the St. Petersburg
International Criminology Club No. 1(6), pp. 174 – 198 [in Russian].
Albrecht, H.-J. (2003): La Convención de las Naciones Unidas contra la Delincuencia Trans-
nacional, in: R. Macedo de la Concha.(ed.), Delincuencia organizada. Cindad de México,
pp. 273 – 294.
Albrecht, H.-J. (2003): Criminal Prosecution: AView on International Standards and Trends, in:
Danish Institute for Human Rights (ed.), Rule of Law and Fair Trial. Collected Papers from
the Second Roundtable under the EU-Iran Human Rights Dialogue. Copenhagen, pp. 51 – 80.
Albrecht, H.-J. (2003): The Role and Impact of Law and Enforcement in Reducing the Harms of
IDU and HIV/AIDS. Background paper. Proceedings Report of the 2nd International Policy
Dialogue on HIV/AID, Warsaw, 12 – 14. November 2003.
Albrecht, H.-J. (2003): The Informal Economy – A Summary and Perspectives, in: J. Shapland,
H.-J. Albrecht, J. Ditton & Th. Godefroy (eds.), The Informal Economy: Threat and Oppor-
tunity in the City. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für aus-
ländisches und internationales Strafrecht Vol. 114. Freiburg i.Br., pp. 399 – 424.
Albrecht, H.-J. (2003): The Fortress of Europe? Control of Illegal Immigration. –
Law – @aQS_, Scientific-Practical Juridical Journal (Georgia) 1 – 2, pp. 41 – 50.
Albrecht, H.-J. (2003): The Place of Electronic Monitoring in the Development of Criminal Pu-
nishment and Systems of Sanctions, in: M. Mayer, R. Haverkamp & R. Lévy (eds.), Will
Electronic Monitoring have a Future in Europe? Kriminologische Forschungsberichte aus
dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 110. Freiburg
i.Br., pp. 249 – 264.
Albrecht, H.-J. (2003): Foreigners, Migration, Immigration and the Development of Criminal
Justice in Europe, in: D. Melossi. & A. Dott (eds.), Migrazioni, interazioni e conflitti nella
costruzione di una democrazia europea. Milano, pp. 787 – 819.
Albrecht, H.-J. (2003): Pretrial Detention in Germany – The Empirical Situation, in: H.-J. Al-
brecht & G. Chen (eds.), Zhong-De qiangzhi cuoshi guoji yantaohui lunwenji. Proceedings of
the Sino-German Symposium on Coercive Measures during the Criminal Investigation. Bei-
jing, pp. 151 – 179.
Albrecht, H.-J. (2003): Shenqian jiya – shizheng de qingkuang, in: H.-J. Albrecht & G. Chen
(eds.), Zhong-De qiangzhi cuoshi guoji yantaohui lunwenji. Proceedings of the Sino-German
Symposium on Coercive Measures during the Criminal Investigation. Beijing, pp. 120 – 139.
Frisch, W., v. Hirsch, A. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2003): Tatproportionalität. Normative und
empirische Aspekte einer tatproportionalen Strafzumessung. Heidelberg.
Albrecht, H.-J. & Entorf, H. (Hrsg.) (2003): Kriminalität, Ökonomie und Europäischer Sozial-
staat. Heidelberg.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1249

Albrecht, H.-J. & G. Chen (eds.) (2003): Zhong-De qiangzhi cuoshi guoji yantaohui lunwenji.
Proceedings of the Sino-German Symposium on Coercive Measures during the Criminal In-
vestigation. Beijing.
Albrecht, H.-J. (2002): Organisierte Kriminalität: Zur sozialen Konstruktion einer Gefahr. Ein
Kommentar. In: Angewandte Sozialforschung 22, Schwerpunktheft Organisierte Kriminali-
tät – oder gesellschaftliche Desorganisation?, S. 155 – 160.
Albrecht, H.-J. (2002): Eine kriminologische Einführung zu Menschenschmuggel und Schleu-
serkriminalität, in: E. Minthe (Hrsg.), Illegale Migration und Schleuserkriminalität. Krimi-
nologische Zentralstelle, Wiesbaden, S. 29 – 53.
Albrecht, H.-J. (2002): Organisierte Wirtschaftskriminalität – Ein fassbarer Tatbestand? In: Po-
lizei-Führungsakademie (Hrsg.), Rechtliche und strategische Aspekte der Kontrolle der or-
ganisierten Wirtschaftskriminalität. Seminar vom 5. bis 8. Juni 2001. Münster, S. 123 – 144.
Albrecht, H.-J. (2002): Antworten der Gesetzgeber auf den 11. September – eine Analyse in-
ternationaler Entwicklungen. Journal für Konflikt- und Gewaltforschung 4/2, S. 46 – 76.
Albrecht, H.-J. (2002): Terrorismus und kriminologische Forschung. Eine Bestandsaufnahme.
Schweizerische Zeitschrift für Kriminologie 1, S. 5 – 17.
Albrecht, H.-J. (2002): Polizei, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit in multi-ethnischen
Gesellschaften, in: A. Donatsch, M. Forster & C. Schwarzenegger (Hrsg.), Strafrecht, Straf-
prozessrecht und Menschenrechte. Festschrift für Stefan Trechsel. Zürich, S. 355 – 372.
Albrecht, H.-J. (2002): Angehörige zwischen Strafzwecken des Staates und Integration des Tä-
ters, in: F. Riklin (Hrsg.), Mitgefangen: Die Gefangenen und ihre Angehörigen. Luzern,
S. 64 – 83.
Albrecht, H.-J. (2002): Ausländerkriminalität und die Entwicklung behördlicher Reaktionen,
in: A. Graduszewski & J. Vettermann (Hrsg.), „Fremder, kommst Du nach Deutschland …“.
Zum institutionellen Umgang mit Fremden in Staat und Gesellschaft. Münster, S. 108 – 139.
Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Gutachten D zum
64. Deutschen Juristentag, Berlin 2002. München.
Albrecht, H.-J. (2002): Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Bedarf es – und wenn
ja welcher – Veränderungen? NJW-Beilage zu Heft 23, S. 26 – 33.
Albrecht, H.-J. (2002): Effizienter Jugendschutz im Rundfunk durch Ordnungswidrigkeiten-
und Kriminalrecht? in: Bayerische Landeszentrale für neue Medien (Hrsg.), BLM-Sympo-
sion Medienrecht 2001 „Zwischen Intendantenbefugnis und Zensurverbot: Jugendschutz in
privaten Rundfunkangeboten in Bayern“. BLM-Schriftenreihe Vol. 71. München, S. 87 –
105.
Albrecht, H.-J. & Hotter, I. (2002): Rundfunk und Pornographieverbot – Eine (auch rechtsver-
gleichende) Untersuchung zur Reichweite des Pornographieverbots im Rundfunk im weite-
ren Sinne – Rechtsgutachten erstellt im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue
Medien. BLM-Schriftenreihe Vol. 68. München.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2002): Rechtsextremistische Gewalt, Strafrechtliche Sozial-
kontrolle, Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachungsansätze. Recht der Jugend und
des Bildungswesens 50, S. 82 – 93.
1250 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2002): Die Todesstrafe in China, in: C. Boulanger, V. Heyes & P. Hanfling
(Hrsg.), Zur Aktualität der Todesstrafe. Interdisziplinäre und globale Perspektiven. 2. über-
arbeitete und erweiterte Aufl., Berlin, S. 165 – 192.
Albrecht, H.-J. (2002): Kriminologische Erfahrungen und kriminalpräventive Räte, in: R. Prä-
torius (Hrsg.), Wachsam und kooperativ? Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent. Baden-
Baden, S. 22 – 40.
Albrecht, H.-J. (2002): Der elektronische Hausarrest. Das Potential für Freiheitsstrafenvermei-
dung, Rückfallverhütung und Rehabilitation. Monatsschrift für Kriminologie und Straf-
rechtsreform 85, S. 84 – 104.
Albrecht, H.-J. (2002): Entwicklungen im modernen Strafvollzug, in: A. Chaidou (Hrsg.), Das
Strafvollzugssystem: Fragen von Theorie und Praxis. Athen, S. 191 – 232.
Albrecht, H.-J. (2002): Juvenile Crime and Juvenile Law in the Federal Republic of Germany,
in: J.A. Winterdyk (ed.), Juvenile Justice Systems: International Perspectives. 2. Aufl., To-
ronto, pp. 171 – 205.
Albrecht, H.-J. (2002): The UN Transnational Crime Convention – An Introduction, in: H.-J. Al-
brecht & C. Fijnaut (eds.), The Containment of Transnational Organized Crime. Comments
on the UN Convention of December 2000. Kriminologische Forschungsberichte aus dem
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 108. Freiburg
i.Br., pp. 1 – 18.
Albrecht, H.-J. (2002): Preliminary Remarks. European Journal of Crime, Criminal Law and
Criminal Justice 2/3, Special Issue on War-Victimization-Security: The Case of the Former
Yugoslavia, pp. 87 – 89.
Albrecht, H.-J. (2002): Fortress Europe? Controlling Illegal Immigration. European Journal of
Crime, Criminal Law and Criminal Justice 10, pp. 1 – 22.
Albrecht, H.-J. (2002): Comparative Perspectives on Public Prosecution and Non-Prosecution
Policies in China and Germany, in: H.-J. Albrecht & G. Chen (eds.), Non-Prosecution Poli-
cies. A Sino-German Comparison. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kri-
minologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 7.
Freiburg i.Br., pp. 203 – 229.
Albrecht, H.-J. (2002): Community Sanctions in the Federal Republic of Germany, in: H.-J. Al-
brecht & A. van Kalmthout (eds.), Community Sanctions and Measures in Europe and North
America. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländi-
sches und internationales Strafrecht Vol. 101. Freiburg i.Br., pp. 243 – 270.
Albrecht, H.-J. (2002): Synthesis Report, in: H.-J. Albrecht, M. Kilchling & E. Braun (eds.),
Criminal Preventive Risk Assessment in the Law-Making Procedure. Kriminologische For-
schungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht Vol. 102. Freiburg i.Br., pp. 1 – 22.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (2002): Crime Risk Assessment, Legislation, and the Prevention
of Serious Crime – Comparative Perspectives. European Journal of Crime, Criminal Law and
Criminal Justice 10, pp. 23 – 38.
Albrecht, H.-J. (2002): The Death Penalty in China – Placing the Chinese Death Penalty Policies
in International Perspectives, in: Facultade de Direito, Universidad Nova de Lisboa (ed.), EU-
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1251

China Human Rights Dialogue. Working paper of the Third Seminar held in Lisbon 8 – 9 May
2000. Lisbon, pp. 11 – 57.
Albrecht, H.-J. (2002): Immigration, Crime and Unsafety, in: A. Crawford (ed.), Crime and In-
security. The Governance of Safety in Europe. Cullompton/Portland, pp. 159 – 185.
Albrecht, H.-J. (2002): Trafficking in Humans – Theory, Phenomenon and Criminal Law based
responses, in: International Association of Prosecutors (ed.), 7th Annual Conference and Ge-
neral Meeting of The International Association of Prosecutors, 8 to 12 September 2002 Lon-
don, United Kingdom. London, CD-ROM.
Albrecht, H.-J. (2002): Trafficking in Humans – Drugs and Money, in: International Association
of Prosecutors (ed.), 7th Annual Conference and General Meeting of The International Asso-
ciation of Prosecutors, 8 to 12 September 2002 London, United Kingdom. London, CD-
ROM.
Albrecht, H.-J. (2002): Xingshi susong zhong de biantong zhengce yiji jianchaguan zai fating
shenli kaishi qian de zuoyong (Politics of Discretion in Criminal Procedure and Role of Pro-
secutor Prior to Trial), in: Sifabu yufang fanzui yanjiusuo (Bianyin) [Institute for Crime Pre-
vention at the Ministry of Justice of the People’s Republic of China] (ed.), Zhong-De di-3 jie,
di-4 jie xingfaxue, fanzuixue yantaohui wenji (3rd and 4th German-Chinese Colloquium on
Criminal Law and Criminology). Beijing, pp. 160 – 175.
Albrecht, H.-J. (2002): A bünözésben mutatkozó változások, ezek okai és a kriminálpolitika
szerepe, in: L. Korinek (ed.), Belügyi Szemle – Külföldi Figyelö. Budapest, pp. 3 – 42.
Albrecht, H.-J. & Fijnaut, C. (eds.) (2002): The Containment of Transnational Organized
Crime: Comments on the UN Convention of December 2000. Kriminologische Forschungs-
berichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Vol. 108. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. & G. Chen (eds.) (2002): Non-Prosecution Policies: A Sino-German Compari-
son. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-In-
stituts für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 7. Freiburg i.Br.
Walter, M., Albrecht, H.-J. & Kania, H. (Hrsg.) (2002): Alltagsvorstellungen von Kriminalität.
Forschung aktuell – research in brief Vol. 11. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. & Kilchling, M. (Hrsg.) (2002): Jugendstrafrecht in Europa. Freiburg i.Br.
Paoli, L. & Albrecht, H.-J. (2001): Cannabis Policies in Frankfurt, in: Ministry of Justice (ed.),
Drug Policies in European Countries and Cities – Reference Book. The Hague, pp. 63 – 77.
Albrecht, H.-J. (2001): Geleitwort mit Inhaltsüberblick, in: G. Chen & H.-J. Albrecht (eds.),
Zhong De Buqisu Zhidu Bijiao Yanjiu (Comparative Research on Sino-German Non-Pro-
secution Policies – Vergleichende Forschung nach dem Absehen von Anklageerhebung zwi-
schen chinesischem und deutschem System). Beijing, pp. I – IV [in Chinese].
Albrecht, H.-J. (2001): Kapitel 2, in: G. Chen & H.-J. Albrecht (eds.), Zhong De Buqisu Zhidu
Bijiao Yanjiu (Comparative Research on Sino-German Non-Prosecution Policies – Verglei-
chende Forschung nach dem Absehen von Anklageerhebung zwischen chinesischem und
deutschem System). Beijing, pp. 52 – 61.
Albrecht, H.-J. (2001): Kapitel 13, in: G. Chen & H.-J. Albrecht (eds.), Zhong De Buqisu Zhidu
Bijiao Yanjiu (Comparative Research on Sino-German Non-Prosecution Policies – Verglei-
1252 Publikationsverzeichnis – List of Publications

chende Forschung nach dem Absehen von Anklageerhebung zwischen chinesischem und
deutschem System). Beijing, pp. 156 – 159.
Albrecht, H.-J. (2001): Transnationale Kriminalität und internationale Instrumente zu ihrer Be-
kämpfung, in: Polizei-Führungsakademie (Hrsg.), Planung der Kriminalitätskontrolle. Semi-
nar vom 10. bis 12. Januar 2001. Münster, S. 241 – 259.
Albrecht, H.-J. (2001): Entwicklungen der Kriminalität, Ursachen und die Rolle der Kriminal-
politik, in: H.J. Hirsch (Hrsg.), Krise des Strafrechts und der Kriminalwissenschaften? Ta-
gungsbeiträge eines Symposiums der Alexander von Humboldt-Stiftung, vom 1. bis 5. Okto-
ber 2000 in Bamberg. Schriften zum Strafrecht H. 129. Berlin, S. 17 – 58.
Albrecht, H.-J. (2001): Der Elektronische Hausarrest – Probleme und Potential als Alternative
zur Freiheitsstrafe, in: N. Courakis (Hrsg.), Die Strafrechtswissenschaften im 21. Jahrhun-
dert. Festschrift für Professor Dr. Dionysios Spinellis. Athen/Komotini, S. 13 – 36.
Albrecht, H.-J. (2001): Immigration, Kriminalität und Innere Sicherheit, in: G. Albrecht, O. Ba-
ckes & W. Kühnel (Hrsg.), Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität. Frankfurt
a. M., S. 259 – 281.
Albrecht, H.-J. (2001): Kriminalität, Kriminalitätsangst, Unsicherheitsgefühle, Kriminalpolitik
und deren Folgen, in: Criminologische Vereinigung (Hrsg.), Retro-Perspektiven der Krimi-
nologie – Stadt – Kriminalität – Kontrolle. Freundschaftsgabe zum 70. Geburtstag von Fritz
Sack. Hamburg/Freiburg, S. 59 – 76.
Albrecht, H.-J. (2001): Gibt es tatsächlich überzeugende Alternativen zur (staatlichen) Strafe?
Ethik und Sozialwissenschaften 12, S. 83 – 86.
Albrecht, H.-J. (2001): Kriminalitätstrends, in: B. Kolte, S. Prepeliczay, H. Schmidt-Semisch &
H. Stöver (Hrsg.), Gedankengefängnisse Aufbrechen. Festschrift zum 65. Geburtstag von
Stephan Quensel. CD-ROM.
Albrecht, H.-J. (2001): Informationsfeld „Rechtspflege/Gerichtsbarkeit/innere/äußere Sicher-
heit“, in: Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissen-
schaft und Statistik (Hrsg.), Wege zu einer besseren informationellen Infrastruktur. Baden-
Baden, CD-ROM.
Albrecht, H.-J. (2001): Das deutsche Konzept der verminderten Schuldfähigkeit in Deutschland
und Lösungen im ausländischen Strafrecht, in: H.-L. Kröber & H.-J. Albrecht (Hrsg.), Ver-
minderte Schuldfähigkeit und psychiatrische Maßregel. Baden-Baden, S. 7 – 32.
Albrecht, H.-J (2001): Migration und Kriminalität, in: J.-M. Jehle (Hrsg.), Raum und Krimina-
lität. Sicherheit der Stadt – Migrationsprobleme. Neue Kriminologische Schriftenreihe.
Mönchengladbach, S. 195 – 210.
Albrecht, H.-J. (2001): Grußwort, in: H.-J. Albrecht, J. Arnold & H.-G. Koch (Hrsg.), Wech-
selwirkungen. Beiträge zum 65. Geburtstag von Albin Eser. Freiburg i.Br., S. 1 – 6.
Albrecht, H.-J. (2001): Simplification of Criminal Procedure: Settlements out of Court – A
Comparative Study of European Criminal Justice Systems. Pretoria.
Albrecht, H.-J. (2001): Science and Society: Role of the Social Sciences and the Legal Systems,
in: UNESCO Venice Regional Bureau for Science (Roste) (ed.), Reconstruction of Scientific
Cooperation in South East Europe. International Conference of Experts, Venice, Italy, 24 – 27
March 2001 – Proceedings. Venice, pp. 247 – 249.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1253

Albrecht, H.-J. (2001): Opening of the Colloquium, in: A. Eser & C. Rabenstein (eds.), Neigh-
bours in Law. Are Common Law and Civil Law Moving Closer Together? Papers in honour of
Barbara Huber on her 65th birthday. Freiburg i.Br., pp. 3 – 6.
Albrecht, H.-J. (2001): Restorative Justice – Answers to Questions that Nobody has Put For-
ward, in: E. Fattah & S. Parmentier (eds.), Victim policies and criminal justice on the
road to restorative justice. Essays in honour of Tony Peters. Leuven, pp. 295 – 314.
Albrecht, H.-J. (2001): Sentencing and Punishment in Germany, in: M. Tonry (ed.), Penal Re-
form in Overcrowded Times. Oxford, pp. 139 – 145.
Albrecht, H.-J., Koukoutsaki, A. & Serassis, T. (2001): Introduction, in: H.-J. Albrecht, A. Kou-
koutsaki & T. Serassis (eds.), Images of Crime. Representations of Crime and the Criminal in
Science, the Arts and the Media. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-
Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 97. Freiburg i.Br., pp. 1 – 8.
Albrecht, H.-J. (2001): Preface, in: H.-J. Albrecht, A. Koukoutsaki & T. Serassis (eds.), Images
of Crime. Representations of Crime and the Criminal in Science, the Arts and the Media. Kri-
minologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und inter-
nationales Strafrecht Vol. 97. Freiburg i.Br., pp. V – VI.
Albrecht, H.-J. (2001): Postadjudication Dispositions in Comparative Perspective, in: M. Tonry
& R. Frase (eds.), Sentencing and Sanctions in Western Countries. Oxford/New York,
pp. 293 – 330.
Albrecht, H.-J. (2001): The International System of Drug Control: Developments and Trends,
in: J. Gerber & E.L. Jensen (eds.), Drug War American Style – The Internationalization of
Failed Policy and Its Alternatives. New York/London, pp. 49 – 60.
Albrecht, H.-J. (2001): Drug Policies in the Federal Republic of Germany: Development,
Trends, and Influences from North America, in: J. Gerber & E.L. Jensen (eds.), Drug War
American Style – The Internationalization of Failed Policy and its Alternatives. New
York/London, pp. 219 – 240.
Albrecht, H.-J. & Nogala, D. (2001): Police, Sociology of, in: P.B. Baltes & N.J. Smelser (eds.),
International Encyclopaedia of Social and Behavioural Sciences Vol. 17. Amsterdam,
pp. 11532 – 11535.
Albrecht, H.-J. (2001): Investigaciones sobre Criminalidad Económica en Europa: Conceptos y
Comprobaciones Empíricas, in: Universidad Nacional de Educación a Distancia (ed.), Mod-
ernas Tendencias en la Ciencia del Derecho Penal y en la Criminología. Actas del Congreso
internacional, Madrid, 6 – 10 de noviembre de 2000. Madrid, pp. 259 – 281.
Albrecht, H.-J. & Kvashis, V.E. (2001): Where does the capital punishment go? Law and Politics
6, pp. 64 – 74.
Albrecht, H.-J. (2001): La Delincuencia Organizada Transnacional y los Instrumentos Interna-
cionales de Control. Revista Catalana de Seguretat Pública 8, pp. 87 – 105.
Albrecht, H.-J. (2001): Criminalidad Transnacional, Comercio de Narcóticos y Lavado de Di-
nero. Colección de Estudios N8 19, Universidad Externado de Colombia, Bogotá.
Albrecht, H.-J. (2001): – – (Independence in Sys-
tems Based Upon the Rule of Law – A European Perspective). Conference and Working Pa-
pers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br.
1254 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (2001): –


– (Crime Risk Assessment, Crime Prevention, The Legislative Process and Law Reform – A
European Perspective). Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for
Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J., Kilchling, M. & Braun, E. (2001): Criminal Preventive Risk Assessment in the
Law-Making Procedure. Conference and Working Papers from the Max Planck Institute for
Foreign and International Criminal Law. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (2001): Violencia y Deporte. Fenomenología, Explicación y Prevención. Revista
Penal 7, pp. 25 – 39.
Albrecht, H.-J., Arnold, J. & Koch H.-G. (Hrsg.) (2001): Wechselwirkungen. Beiträge zum
65. Geburtstag von Albin Eser. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. & G. Chen (eds.) (2001): Zhong De Buqisu Zhidu Bijiao Yanjiu (Comparative
Research on Sino-German Non-Prosecution Policies – Vergleichende Forschung nach dem
Absehen von Anklageerhebung zwischen chinesischem und deutschem System). Beijing.
Kröber, H.-L. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (2001): Verminderte Schuldfähigkeit und psychiatrische
Maßregel. Baden-Baden.
Albrecht, H.-J. (2000): Rechtsstaatliche Grenzen, in: Polizei-Führungsakademie (Hrsg.), Ak-
tuelle Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Organisierten Krimina-
lität. Schlussbericht des Seminars vom 2. – 4. Februar 2000. Münster-Hiltrup, S. 45 – 66.
Albrecht, H.-J. (2000): Kriminologische Aspekte des Beigebrauchs von Drogen, in: C. Jellinek,
B. Westermann & G. U. Bellmann (Hrsg.), Beigebrauch: Offene Grenzen der Substitution.
Weinheim, S. 185 – 190.
Albrecht, H.-J. (2000): Die Europäisierung des Strafrechts und die Innere Sicherheit in Europa,
in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Kriminalitätsbekämpfung im zusammenwachsenden Euro-
pa. Vorträge und Diskussionen anlässlich der Arbeitstagung des BKA vom 23. – 25. 11. 1999.
BKA-Reihe Polizei und Forschung Vol. 2. Neuwied, S. 39 – 63.
Albrecht, H.-J. (2000): Konversionspolitik im Strafprozeß und die Rolle des Staatsanwalts vor
dem Beginn der Hauptverhandlung in Deutschland, in: H.-J. Albrecht, A. Eser & T. Richter
(Hrsg.), Drittes deutsch-chinesisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie. Wirt-
schaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Staatsanwaltschaft und Diversion, Strafvoll-
zugsanstalten und ihre Überfüllung. Interdisziplinäre Untersuchungen aus Strafrecht und
Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht
Vol. 2. Freiburg i.Br., S. 27 – 44.
Albrecht, H.-J. (2000): Rechtliche Bestimmungen und Rechtsprechung, in: A. Uchtenhagen &
W. Zieglgänsberger (Hrsg.), Suchtmedizin. Konzepte, Strategien und therapeutisches Mana-
gement. München/Jena, S. 519 – 565.
Albrecht, H.-J. & Eser, A. (2000): Geleitwort mit Inhaltsüberblick, in: V. Militello, J. Arnold, &
L. Paoli (Hrsg.), Organisierte Kriminalität als transnationales Phänomen: Erscheinungsfor-
men, Prävention und Repression in Italien, Deutschland und Spanien. Interdisziplinäre Un-
tersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches
und internationales Strafrecht Vol. 3.2. Freiburg i.Br., S. XI – XVIII.
Albrecht, H.-J. & Eser, A. (2000): Prefazione, in: V. Militello, J. Arnold & L. Paoli (eds.), Il
Crimine Organizzato Come Fenomeno Transnazionale. Interdisziplinäre Untersuchungen
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1255

aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internatio-
nales Strafrecht Vol. 3.1. Freiburg i.Br., pp. XI – XVIII.
Albrecht, H.-J., Arnold, H. & Schädler, W. (2000): Der hessische Modellversuch zur Anwen-
dung der „elektronischen Fußfessel“. Zeitschrift für Rechtspolitik 33, S. 466 – 469.
Albrecht, H.-J. (2000): Drug Policies and Drug Problems in the Federal Republic of Germany –
Development and Trends, in: The Judiciary of the Islamic Republic of Iran (ed.), Scientific-
Applied International Seminar on Different Aspects of Criminal Policy Vis-a-Vis Narcotic
Drugs, Tehran 9 – 11 May 2000. Collection of Lectures by the International Speakers 2. Te-
heran, pp. 290 – 323 [in Farsi].
Albrecht, H.-J. (2000): Criminal Prosecution: Developments, Trends and Open Questions in the
Federal Republic of Germany. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Jus-
tice 8, pp. 245 – 256.
Albrecht, H.-J. (2000): Foreigners, Migration, Immigration and the Development of Criminal
Justice in Europe. In: A. Rutherford & P. Green (eds.), Criminal Justice 2000: Foreigners,
Migration, Immigration and the Development of Criminal Justice in Europe. Workshop of
the International Institute for the Sociology of Law on “Criminal Policy in Transition: Cri-
minal Policy Trends into the New Millenium”, Oñati/Spain, 15 – 16 May 1998. London,
pp. 131 – 150.
Albrecht, H.-J. (2000): The Death Penalty in China from a European Perspective, in: M. Nowak
& C. Xin (eds.), EU-China Human Rights Dialogue. Proceedings of the Second EU-China
Legal Expert Seminar held in Beijing on 19 and 20 October 1998. Studienreihe des Ludwig-
Boltzmann-Instituts für Menschenrechte Vol. 4. Wien, pp. 95 – 118.
Albrecht, H.-J. & Teske, R. (2000): Crime and Crime Control in Germany, in: G. Barak (ed.),
Crime and Crime Control – A Global View. Westport/CT, pp. 29 – 63.
Albrecht, H.-J. (2000): Cong ouzhou jiaodu kann zhongguo de sixing wenti, in: R. Cheng et al.
(Hrsg.), Susong faxue xintan. Beijing, S. 867 – 875.
Albrecht, H.-J. (2000): A büntetöjog európaizálása és a belsö biztonság Európában (Europäi-
sierung des Strafrechts und Innere Sicherheit in Europa). Belügyi Szemle 3, S. 17 – 41.
Albrecht, H.-J., Eser, A. & Richter, T. (Hrsg.) (2000): Drittes deutsch-chinesisches Kolloquium
über Strafrecht und Kriminologie. Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Staats-
anwaltschaft und Diversion, Strafvollzugsanstalten und ihre Überfüllung. Interdisziplinäre
Untersuchungen aus Strafrecht und Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches
und internationales Strafrecht Vol. 2. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1999): Zur Entwicklung des Zusammenhanges zwischen Strafe und Therapie,
in: H. Oberarztbacher & K. Dornauer (Hrsg.), Das Strafbegehren der Suchtgesellschaft. Do-
kumentation des Symposiums im Rahmen der Europäischen Woche zur Suchtprävention,
Innsbruck 18.-20. 11. 1998. Innsbruck, S. 37 – 39.
Albrecht, H.-J. (1999): Forschungen zur Wirtschaftskriminalität in Europa – Konzepte und em-
pirische Befunde, in: S. Bauhofer, N. Queloz & E. Wyss (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität –
Criminalité économique. Chur/Zürich, S. 101 – 130.
Albrecht, H.-J. (1999): Vorwort, in: H.-J. Albrecht & H. Kury (Hrsg.), Kriminalität, Strafrechts-
reform und Strafvollzug in Zeiten des sozialen Umbruchs. Beiträge zum Zweiten deutsch-
1256 Publikationsverzeichnis – List of Publications

chinesischen Kolloquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Insti-


tut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 86. Freiburg i.Br., S. V – VI.
Albrecht, H.-J. (1999): Neue Erscheinungsformen der Kriminalität und Strafprozessreform in
Deutschland, in: H.-J. Albrecht & H. Kury (Hrsg.), Kriminalität, Strafrechtsreform und Straf-
vollzug in Zeiten des sozialen Umbruchs. Beiträge zum Zweiten deutsch-chinesischen Kol-
loquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländi-
sches und internationales Strafrecht Vol. 86. Freiburg i.Br., S. 277 – 316.
Albrecht, H.-J. (1999): Kriminologische Forschung am Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht, in: H.-J. Albrecht (Hrsg.), Forschungen zu Kriminalität und
Kriminalitätskontrolle am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht in Freiburg i.Br. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 82. Freiburg i.Br., S. 1 – 28.
Albrecht, H.-J. (1999): Anmerkungen zu Entwicklungen in der Kriminalpolitik, in: W. Feuer-
helm, H.-D. Schwind & M. Bock (Hrsg.), Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburts-
tag. Berlin, S. 765 – 788.
Albrecht, H.-J. (1999): Strafen, Sanktionen, Tabus in Europa, in: W. Köpke & B. Schmelz
(Hrsg.), Das gemeinsame Haus Europa. Handbuch zur Kulturgeschichte Europas. München,
S. 382 – 394.
Albrecht, H.-J. (1999): Die Determinanten der Sexualstrafrechtsreform. Zeitschrift für die ge-
samte Strafrechtswissenschaft 111, S. 863 – 888.
Albrecht, H.-J. (1999): Políticas (criminais) e o problema das drogas: evoluções e tendências na
República Federal da Alemanha. Revista Brasileira de Ciências Criminais 7, pp. 24 – 32.
Albrecht, H.-J. & Boers, K. (1999): La Investigación sobre la Delincuencia y el Systema de Jus-
ticia Criminal en Europa (1990 – 1998). Revista Catalana de Seguretat Pública 5, pp. 27 – 71.
Albrecht, H.-J., Derks, J. & van Kalmthout, A. (1999): General Introduction and some Remarks
on European Drug Policy Research, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht (eds.),
Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus
dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 88. Freiburg
i.Br., pp. 1 – 10.
Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1999): Methods, Concepts and Findings from Evaluation
Research on European Drug Policies, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht (eds.),
Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus
dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 88. Freiburg
i.Br., pp. 11 – 34.
Albrecht, H.-J. (1999): Drug Policies and Drug Problems in the Federal Republic of Germany:
Construction, Development and Trends, in: J. Derks, A. van Kalmthout & H.-J. Albrecht
(eds.), Current and Future Drug Policy Studies in Europe. Kriminologische Forschungsbe-
richte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Vol. 88. Freiburg i.Br., pp. 168 – 180.
Albrecht, H.-J. (1999): Penal Policies and Criminal Sanctions: A Look at Developments and
Trends in Europe, in: R. Hood (ed.), The Changing Face of Crime and Criminal Policy in
Europe. Occasional Paper No. 19. Centre for Criminological Research. Oxford, pp. 1 – 23.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1257

Albrecht, H.-J. (1999): Countries in Transition: Effects of Political, Social and Economic
Change on Crime and Criminal Justice – Sanctions and Their Implementation. European
Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 7, pp. 448 – 479.
Albrecht, H.-J. & Boers, K. (1999): Criminalité et justice criminelle en République fédérale
d’Allemagne: Évolution dans les années 1990, in: L. van Outrive & P. Robert (eds.),
Crime et Justice en Europe depuis 1990. Paris, pp. 25 – 69.
Albrecht, H.-J. (1999): Les recherches sur les drogues en Europe, in: C. Faugeron (ed.), Les
drogues en France – Politiques, marchés, usages. Genève, pp. 3 – 23.
Albrecht, H.-J. (1999): Xingshi susong zhong de biantong zhengce yiji jianchaguan zai fating
shenli kaishi qian de zuoyong (Politics of Discretion in Criminal Procedure and Role of Pro-
secutor Prior to Trial, translation by Zhao Yang), in: G. Chen & W. Jiang (eds.), Susong fa
luncong (collected papers on criminal procedural law) Vol. 3. 1. Aufl., Beijing, pp. 203 – 217.
Derks, J., van Kalmthout, A. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1999): Current and Future Drug Policy
Studies in Europe: Problems, Prospects and Research Methods. Kriminologische For-
schungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht Vol. 88. Freiburg i Br.
Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (1999): Forschungen zu Kriminalität und Kriminalitätskontrolle am
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i.Br. Krimi-
nologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und interna-
tionales Strafrecht Vol. 82. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. & Kury, H. (Hrsg.) (1999): Kriminalität, Strafrechtsreform und Strafvollzug in
Zeiten des sozialen Umbruchs. Beiträge zum Zweiten deutsch-chinesischen Kolloquium.
Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und in-
ternationales Strafrecht Vol. 86. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1998): § 10: Internationales Betäubungsmittelrecht und internationale Betäu-
bungsmittelkontrolle, in: A. Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts.
Zweiter Teil: Rechtliche Grundlagen. München, S. 651 – 695.
Albrecht, H.-J. (1998): § 23: Betäubungsmittelstrafrecht und Drogenpolitik in Nachbarstaaten:
Situation in der Schweiz, in: A. Kreuzer (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts.
Zweiter Teil: Rechtliche Grundlagen. München, S. 1523 – 1546.
Albrecht, H.-J. (1998): Kriminologische und rechtspolitische Desiderate in der Gestaltung der
Forschungsperspektiven Forensischer Psychiatrie, in: H.-L. Kröber & K.-P. Dahle (Hrsg.),
Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz – Verlauf – Behandlung – Opferschutz. Kriminalistik
– Wissenschaft & Praxis Bd. 35. Heidelberg, S. 135 – 150.
Albrecht, H.-J. (1998): Kriminalität, in: W. Korff (Hrsg.), Lexikon der Bioethik. Görres Gesell-
schaft zur Pflege der Wissenschaft. Gütersloh, S. 72 – 74.
Albrecht, H.-J. (1998): Abweichendes Verhalten – Rechtlich, in: W. Korff (Hrsg.), Lexikon der
Bioethik. Görres Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft. Gütersloh, S. 494 – 497.
Albrecht, H.-J. (1998): Organisierte Kriminalität und neuere Strafprozessreformen in Deutsch-
land, in: A. Eser (Hrsg.), Strafrechtsentwicklung und Kriminalpolitik. Festschrift für Haruo
Nishihara zum 70. Geburtstag. Baden-Baden, S. 311 – 338.
Albrecht, H.-J. (1998): Organisierte Kriminalität – Theoretische Erklärungen und empirische
Befunde, in: H.-J. Albrecht, F. Dencker, M. Kanther, G. Rauchs, H.-C. Schaefer,
1258 Publikationsverzeichnis – List of Publications

C. Steen-Sundberg, S. Waltos & F. Yenisey (Hrsg.), Organisierte Kriminalität und Verfas-


sungsstaat. Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission. Rechtsstaat in der
Bewährung. Heidelberg, S. 1 – 40.
Albrecht, H.-J. (1998): Die Untersuchungshaft in Deutschland angesichts neuerer Entwicklun-
gen der Kriminalität und der Maßnahmen zur Reduzierung der Anordnung und Vollstreckung
von Haftbefehlen, in: H.-J. Albrecht, F. Dünkel, H.-J. Kerner, J. Kürzinger, H. Schöch, K. Ses-
sar & B. Villmow (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Fest-
schrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag. Berlin, S. 1137 – 1159.
Albrecht, H.-J. (1998): Die neue Angst vorm schwarzen Mann. Was steckt hinter dem Gerede
von der Ausländerkriminalität? Der Überblick 34, S. 13 – 16.
Albrecht, H.-J. (1998): Die staatliche Abgabe von Heroin als Antwort auf das Drogenproblem –
Legal distribution of heroine as a response to the drug problem. Wissenschaftliche Zeitschrift
der TU Dresden 47, S. 39 – 42.
Albrecht, H.-J. (1998): Jugend und Gewalt. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsre-
form 81, S. 381 – 398.
Albrecht, H.-J. & Yue, L. (1998): Buchbesprechung zu R. Heuser, Th. Weigend: Das Strafpro-
zeßgesetz der Volksrepublik China in vergleichender Perspektive. Monatsschrift für Krimi-
nologie und Strafrechtsreform 81, S. 140 – 145.
Albrecht, H.-J. (1998): The Death Penalty in China from a European Perspective. Conference
and Working Papers from the Max Planck Institute for Foreign and International Criminal
Law. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1998): Differential Implementation of Drug Policies in the Federal Republic of
Germany, in: H. Waal (ed.), Patterns on the European Drug Scene. An Exploratory of Dif-
ferences. Report Based on a COST A6 Project. Oslo, pp. 46 – 62.
Albrecht, H.-J. (1998): Money Laundering and the Confiscation of the Proceeds of Crime – A
Comparative View on Different Models of the Control of Money Laundering and Confisca-
tion, in: T.G. Watkin (ed.), The Europeanisation of Law. United Kingdom Comparative Law
Series Vol. 18. Oxford, pp. 166 – 207.
Albrecht, H.-J. (1998): Criminological Research at the Max Planck Institute for Foreign and
International Criminal Law, in: H.-J. Albrecht & H. Kury (eds.), Research on Crime and Cri-
minal Justice at the Max Planck Institute. Summaries. Kriminologische Forschungsberichte
aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 83. Frei-
burg i.Br., pp. 1 – 12.
Albrecht, H.-J. (1998): Crime Institute Profile – Max Planck Institute for Foreign and Interna-
tional Criminal Law Freiburg i.Br. European Journal on Criminal Policy and Research 6,
pp. 617 – 622.
Albrecht, H.-J. (1998): Addiction, Intoxication, Criminal Law and Criminal Justice: An Intro-
duction. European Addiction Research 4/3 (Special Topic Section: Addiction and the Law,
guest editor H.-J. Albrecht), pp. 85 – 88.
Albrecht, H.-J. (1998): Penal Politics in the Nineties – The German Story, in: P. Kruize &
L. Ravn (eds.), Kriminalistisk Arbog 1997. Kriminalistik Skriftserie no. 3. Copenhagen,
pp. 33 – 52.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1259

Albrecht, H.-J. (1998): Politiques (criminelles) et problèmes de drogues: évolutions et tendan-


ces en République Fédérale d’Allemagne. Déviance et Société 22, pp. 77 – 87.
Albrecht, H.-J. (guest editor) (1998): European Addiction Research 4/3: Special Topic Section:
Addiction and the Law, pp. 85 – 127.
Albrecht, H.-J. & Kury, H. (eds.) (1998): Research on crime and criminal justice at the Max
Planck Institute. Summaries. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-In-
stitut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 83. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J., Dencker, F., Kanther, M., Rauchs, G., Schaefer, H.-C., Steen-Sundberg, C., Wal-
tos, S. & Yenisey, F. (Hrsg.) (1998): Organisierte Kriminalität und Verfassungsstaat. Deutsche
Sektion der Internationalen Juristen-Kommission. Rechtsstaat in der Bewährung Band 33.
Heidelberg.
Albrecht, H.-J., Dünkel, F., Kerner, H.-J., Kürzinger, J., Schöch, H., Sessar, K. & Villmow, B.
(Hrsg.) (1998): Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht. Festschrift für
Günther Kaiser zum 70. Geburtstag. 2 Bände. Berlin.
Albrecht, H.-J. (1997): Ethnische Minoritäten, Kriminalität, Strafjustiz und Diskriminierung,
in: Deutsche Vereinigung für Jugendrecht und Jugendgerichte (Hrsg.), Sozialer Wandel
und Jugendkriminalität. Dokumentation des 23. Jugendgerichtstages vom 23. bis 27. Septem-
ber 1995 in Potsdam. Bonn, S. 192 – 243.
Albrecht, H.-J. (1997): Der Schutz kindlicher Opfer im Strafverfahren – Neue Lösungsansätze
im internationalen Vergleich? in: Weisser Ring (Hrsg.), Kinder als Gewaltopfer – was kommt
danach? Strafprozessuale, sozialrechtliche und familienrechtliche Aspekte. Dokumentation
des 8. Mainzer Opferforums. Mainz, S. 19 – 28.
Albrecht, H.-J. (1997): Kriminalitätsumfang, Opferrisiken und Kriminalitätsfurcht in der
Schweiz, in: K.-L. Kunz & R. Moser (Hrsg.), Innere Sicherheit und Lebensängste. Berner
Universitätsschriften Bd. 42. Bern u. a., S. 37 – 84.
Albrecht, H.-J. (1997): Transnationale Kriminalität als Folge des Umbruchs und kriminalpoli-
tische Konsequenzen, in: K. Sessar (Hrsg.), Sozialer Umbruch und Kriminalität. Hamburger
Studien zur Kriminologie Bd. 23. Pfaffenweiler, S. 227 – 266.
Albrecht, H.-J. (1997): Die Entwicklung des Jugendstrafrechts im internationalen Vergleich, in:
H. Hubert & L. Hochgesand (Hrsg.), Entwicklungen im Bereich der Jugendstrafrechtspflege.
Entwicklungen im Jugendstrafrecht, Bagatellkriminalität, U-Haftvermeidung. Mönchen-
gladbach, S. 22 – 47.
Albrecht, H.-J. (1997): Zur Sicherheitslage der Kommunen, in: H. Kury (Hrsg.), Konzepte kom-
munaler Kriminalprävention. Sammelband der „Erfurter Tagung“ vom 7. bis 10. September
1995. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht Vol. 59. Freiburg i.Br., S. 147 – 165.
Albrecht, H.-J. (1997): Kriminologische Forschung: Erwartungen an die Zukunft, in: A. Eser
(Hrsg.), Kriminologische Forschung im Übergang. Festveranstaltung anläßlich des Amts-
wechsels von Günther Kaiser zu Hans-Jörg Albrecht am Max-Planck-Institut für ausländi-
sches und internationales Strafrecht am 28. Februar 1997. Kriminologische Forschungsbe-
richte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Vol. 77. Freiburg i.Br., S. 49 – 78.
1260 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1997): Ethnic Minorities, Crime and Criminal Justice in Germany, in: M. Tonry
(ed.), Crime and Justice. A Review of Research. Vol. 21. Chicago, pp. 31 – 99.
Albrecht, H.-J. (1997): Sentencing and Punishment in Germany, in: M. Tonry & K. Hatlestad
(eds.), Sentencing Reform in Overcrowded Times – A Comparative Perspective. New York/
Oxford, 181 – 187.
Albrecht, H.-J. (1997): Minorities, Crime and Criminal Justice in the Federal Republic of Ger-
many, in: I.H. Marshall (ed.), Minorities, Migrants, and Crime: Diversity and Similarity
Across Europe and the United States. London/New Delhi, pp. 86 – 109.
Albrecht, H.-J. (1997): Juvenile Crime and Juvenile Law in the Federal Republic of Germany,
in: J. Winterdyk (ed.), Juvenile Justice Systems – International Perspectives. Toronto,
pp. 233 – 269.
Albrecht, H.-J. (1997): Regulation and Control of Motor Vehicle Traffic in the Federal Republic
of Germany, in: G. Kellens & C. Pérez-Diaz (eds.), Le contrôle de la circulation routière dans
les pays de la CEE. Paris, pp. 11 – 45.
Albrecht, H.-J. (1997): Intermediate Penalties in Europe: Developments in the Conception and
Use of Non-Custodial Sanctions. CEP Bulletin 6, pp. 1 – 6.
Albrecht, H.-J. (1997): The Money Trail, Developments in Criminal Law, and Research Needs:
An Introduction. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 5, pp. 193 –
195.
Albrecht, H.-J. (1997): Dangerous Criminal Offenders in the German Criminal Justice System.
Federal Sentencing Reporter 10/3, pp. 69 – 73.
Albrecht, H.-J. (1997): L’économie du droit pénal et de l’exécution des peines. Evolution et ten-
dances de l’aspect économique du droit pénal. Revue Internationale de Criminologie et de
Police Technique 1, pp. 17 – 37.
Albrecht, H.-J. (1997): La criminalité organisée et la notion d’ordre, in: Presses Universitaires
d‘Aix-Marseille (ed.), Criminalité organisée et ordre dans la société. Colloque placé sous le
haut patronage du Ministère de la Justice. Aix-en-Provence, 5, 6 et 7 juin 1996. Aix- en-Pro-
vence/Marseille, pp. 17 – 27.
Albrecht, H.-J. (1997): A nemzetkösi bünözés mint a rendszerváltás következménye, in: F. Irk
(ed.), Társadalmi Átalakulás és Bünözés. Magyar-Német Kriminológiai Szimpózium, Buda-
pest 1995, Augusztus 20 – 25. Budapest, pp. 215 – 240.
Albrecht, H.-J. (1996): Die Ökonomie des Strafwesens und des Strafvollzugs – Entwicklungen
und Trends in der ökonomischen Betrachtung des Strafrechts, in: Caritas Schweiz (Hrsg.),
Ökonomie im Strafwesen. Werden die Mittel im Strafverfahren und im Strafvollzug effizient
eingesetzt? Luzern, S. 5 – 26.
Albrecht, H.-J. (1996): Geschichte und Kriminologie: Was kann der historische Zugang für Un-
tersuchungen kriminologischer Fragestellung leisten? in: U. Böker & C. Houswitschka
(Hrsg.), Literatur, Kriminalität und Rechtskultur im 17. und 18. Jahrhundert. Essen,
S. 36 – 53.
Albrecht, H.-J. (1996): Geldstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts.
Gruppe 8: Strafrecht. 2. überarb. und erw. Aufl., Neuwied, S. 380 – 386.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1261

Albrecht, H.-J. (1996): Vermögensstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des
Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. 2. überarb. und erw. Aufl., Neuwied, S. 1125 – 1129.
Albrecht, H.-J. (1996): Policy Options in Crime, Criminal Justice and Criminal Law Reform in
Namibia. Issue Paper presented by the Ministry of Justice. Windhoek.
Albrecht, H.-J. (1996): Sanctions and their Implementation. Council of Europe, Strasbourg.
Albrecht, H.-J. (1996): Drug Couriers: The Response of the German Criminal Justice System,
in: P. Green (ed.), Drug Couriers: A New Perspective. London, pp. 61 – 75.
Albrecht, H.-J. (1996): Ethnic Minorities, and Crime – The Construction of Foreigners’ Crime
in the Federal Republic of Germany, in: R. Godson (ed.), Trends in Organized Crime. Vol. 2.
New York, pp. 87 – 89.
Albrecht, H.-J. (1996): Juvenile Crime and Juvenile Criminal Law in Germany, in: J. Winterdyk
(ed.), Issues and Perspectives on Young Offenders in Canada. Toronto et al., pp. 279 – 291.
Albrecht, H.-J. (1996): Ethnic Minorities and Crime – the construction of foreigners’ crime in
the Federal Republic of Germany, in: Communauté européenne/European Community,
COST A2, Migrations/Migration (ed.), Délit d’immigration – Immigrant delinquency.
Bruxelles, pp. 83 – 102.
Albrecht, H.-J. (1996): Les politiques de la drogue en Allemagne. Construction d’un problème
en mouvement, in: A. Ehrenberg (ed.), Vivre avec les drogues. Paris, pp. 47 – 65.
Albrecht, H.-J. (1995): Strafe und Prävention – eine Herausforderung für Rechtswissenschaft
und Justiz. Diskurs 1, S. 15 – 22.
Albrecht, H.-J. (1995): Die Cannabis-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus krimi-
nologischer Sicht. Recht der Jugend und des Bildungswesens 43, S. 136 – 147.
Albrecht, H.-J. (1995): Verhängung in Tagessätzen, § 40, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild
(Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (27 S.).
Albrecht, H.-J. (1995): Geldstrafe neben Freiheitsstrafe, § 41, in: U. Neumann, I. Puppe &
W. Schild (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (5 S.).
Albrecht, H.-J. (1995): Zahlungserleichterungen, § 42, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild
(Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (6 S.).
Albrecht, H.-J. (1995): Ersatzfreiheitsstrafe, § 43, in: U. Neumann, I. Puppe & W. Schild
(Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (7 S.).
Albrecht, H.-J. (1995): Verhängung der Vermögensstrafe, § 43a, in: U. Neumann, I. Puppe & W.
Schild (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 2. Baden-Baden (11 S.).
Albrecht, H.-J. (1995): Wird die Jugend immer gewalttätiger? in: Kriminologische Forschungs-
stelle Köln (Hrsg.), Das Jugendkriminalrecht als Erfüllungsgehilfe gesellschaftlicher Erwar-
tungen? Eine Dokumentation des Bundesministeriums der Justiz. Bonn-Bad Godesberg,
S. 160 – 177.
Albrecht, H.-J. (1995): Kindliche Opferzeugen im Strafverfahren, in: L. Salgo (Hrsg.), Vom
Umgang der Justiz mit Minderjährigen. Schriftenreihe Familie und Recht Bd. 13. Neuwied,
S. 3 – 30.
Albrecht, H.-J. (1995): Die Effizienz von Strafen – Kriterien für eine Sanktionsprognose, in:
Schriftenreihe des Generalstaatsanwaltes des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.), Was kön-
1262 Publikationsverzeichnis – List of Publications

nen wir in der strafjustitiellen Praxis von den Erkenntnissen in den Sozialwissenschaften um-
setzen? Kiel, S. 55 – 73.
Albrecht, H.-J. (1995): Geldstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts.
Gruppe 8: Strafrecht. Nr. 8/580. Neuwied.
Albrecht, H.-J. (1995): Vermögensstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des
Rechts. Gruppe 8: Strafrecht. Nr. 8/580. Neuwied.
Albrecht, H.-J. (1995): Sentencing – Basic Issues in the Federal Republic of Germany. Over-
crowded Times 6/1, pp. 6 – 9.
Albrecht, H.-J. (1995): The Production of Order and Penal Control: Theoretical Issues, Empi-
rical Evidence and Research Trends in the Federal Republic of Germany, in: G. Robert (ed.),
Research, Crime and Justice in Europe. Sheffield, pp. 209 – 232.
Albrecht, H.-J. (1995): Drug Policies and National Plans to Combat Drug Trafficking and Drug
Abuse. A Comparative Analysis of Policies of Co-ordination and Co-operation, in: G. Estie-
venart (ed.), Policies and Strategies to Combat Drugs in Europe. Dordrecht, pp. 182 – 196.
Albrecht, H.-J. (1995): Ethnic minorities, culture conflicts and crime. Crime, Law and Social
Change 24, pp. 19 – 36.
Albrecht, H.-J. (1995): Environmental Crimes: Can the Courts Cope? in: G. Hanlon, J. Jackson
& A. Atkinson (eds.), Judging and Decision Making. Sheffield, pp. 36 – 43.
Albrecht, H.-J. (1995): Sentencing in the Federal Republic of Germany. Federal Sentencing Re-
porter 7/6, pp. 305 – 307.
Albrecht, H.-J. (1994): Das gesetzliche Instrumentarium zur Bekämpfung der Rauschgiftkrimi-
nalität, in: R. Sauer & J. Singer (Hrsg.), Keine Macht den Drogen. München, S. 65 – 79.
Albrecht, H.-J. (1994): Die Entwicklung des Züchtigungsrechts. Recht der Jugend und des Bil-
dungswesens 42, S. 198 – 207.
Albrecht, H.-J. (1994): Ist das Strafverfahren noch zu beschleunigen? Neue Justiz 9, S. 396 –
400.
Albrecht, H.-J. (1994): Funktionen und Chancen einer „Kriminalpolitik von unten“ – Grundla-
gen und Perspektiven lokal organisierter Kriminalitätsprävention, in: Deutsche Bewährungs-
hilfe e.V. (Hrsg.), DBH Materialien Nr. 24. Dokumentation des Themenschwerpunktes: Kri-
minalität im europäischen Entwicklungsprozess. Teil III. Bonn-Bad Godesberg, S. 65 – 75.
Albrecht, H.-J. (1994): Kinderhandel – Eine Untersuchung zum (gewerblichen) Handel mit
Kindern. Bonn.
Albrecht, H.-J. (1994): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Eine vergleichende theore-
tische und empirische Studie zur Herstellung und Darstellung des Strafmaßes. Berlin.
Albrecht, H.-J. (1994): Sentencing and Disparity – A Comparative Study. European Journal on
Criminal Policy and Research 2, pp. 98 – 104.
Albrecht, H.-J. (1994): Environmental Criminal Laws and Environmental Crimes in Europe –
Problems and Prospects. European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2,
pp. 168 – 179.
Albrecht, H.-J. & Kürzinger, J. (eds.) (1994): Kriminologie in Europa – Europäische Krimino-
logie? Criminology in Europe – European Criminology? Kolloquium aus Anlaß des 65. Ge-
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1263

burtstags von Günther Kaiser, Colloquium in Honour of the 65th Birthday of Günther Kaiser.
Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und in-
ternationales Strafrecht Vol. 71. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1993): Drogenpolitik und Strafrecht – Entwicklungen und Tendenzen. Bewäh-
rungshilfe 40, S. 5 – 25.
Albrecht, H.-J. (1993): Rechtsstaatliche Möglichkeiten der Vereinfachung des Strafverfahrens,
in: A. Eser, G. Kaiser & E. Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht:
kriminalpolitische Reformtendenzen im Strafrecht osteuropäischer Länder; internationales
Symposium in Buchenbach bei Freiburg im Breisgau vom 27. – 31. Mai 1992. Beiträge
und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht Vol. S 42. Freiburg i.Br., S. 557 – 578.
Albrecht, H.-J. (1993): Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum: Gleichbehandlung trotz Diffe-
renzierung, in: Festschrift für Prof. Dr. Hae-Mock Sonn. Seoul, S. 209 – 224.
Albrecht, H.-J. (1993): Europa 1992 – Konsequenzen (im Suchtbereich) aus strafrechtlicher
Sicht. Suchtgefahren 39, S. 102 – 104.
Albrecht, H.-J. (1993): Generalprävention, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 301 – 312.
Albrecht, H.-J. (1993): Kriminelle Karrieren, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schell-
hoss (Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 555 – 566.
Albrecht, H.-J. (1993): Kriminologie, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 555 – 566.
Albrecht, H.-J. (1993): Umweltkriminalität, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 3. Aufl., Heidelberg, S. 157 – 163.
Albrecht, H.-J. (1993): Confiscation of the Proceeds of Drug Trafficking – A Comparative View
on Different Models of Confiscation and Related Issues, in: Korean Institute of Criminology
(ed.), Measures for the Deprivation of the Proceeds of Drug Trafficking. Seoul, pp. 81 – 101.
Albrecht, H.-J. (1993): Confiscation of the Proceeds of Drug Trafficking – A Comparative View
on Different Models of Confiscation and Related Issues, in: Korean Institute of Criminology
(ed.), Measures for the Deprivation of the Proceeds of Drug Trafficking. Seoul, pp. 103 – 140
[in Korean language].
Albrecht, H.-J. (1993): Crime and Prevention Policy: The State of Knowledge in the Federal
Republic of Germany, in: P. Robert (ed.), Crime and Prevention Policy: Research and Eva-
luation. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht Vol. 60. Freiburg i.Br., pp. 33 – 48.
Albrecht, H.-J. (1993): Problemas Teoricos, Dades Empiriques y Orientación de la Recerca a
l’RFA, in: P. Robert & L. van Outrive (eds.), Recerca, Delincuencia y Justicia a Europa. Ava-
luacio y Recomanación. Barcelona, pp. 297 – 326.
Albrecht, H.-J. (1993): La production de l’ordre public et du contrôle pénal – Problèmes thé-
oriques, données empiriques et orientations de la recherche en R.F.A, in: P. Robert & L. van
Outrive (eds.), Crime et Justice en Europe. Etat des recherches, évaluations et recommanda-
tions. Paris, pp. 329 – 364.
1264 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1992): Neuere Kommentare zum Jugendgerichtsgesetz. Recht der Jugend und
des Bildungswesens 40, S. 158 – 164.
Albrecht, H.-J. (1992): Gemeinde und Kriminalität – Perspektiven der kriminologischen For-
schung, in: H. Kury (Hrsg.), Gesellschaftliche Umwälzung: Kriminalitätserfahrungen, Straf-
fälligkeit und soziale Kontrolle – das Erste Deutsch-Deutsche Kriminologische Kolloquium.
Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und in-
ternationales Strafrecht Vol. 54. Freiburg i.Br., S. 33 – 54.
Albrecht, H.-J. (1992): Präventive Notwendigkeit jugendkriminalrechtlicher Interventionen –
jenseits von Diversion und Täter-Opfer-Ausgleich, in: Bundesministerium der Justiz
(Hrsg.), Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung. Bonn, S. 254 – 269.
Albrecht, H.-J. (1992): The Role of Administrative Agencies and the Judiciary in the Prevention
and Suppression of Environmental Crimes, in: H.-J. Albrecht & S. Leppä (eds.), Criminal
Law and the Environment. Helsinki, pp. 196 – 210.
Albrecht, H.-J. (1992): Survey on Cooperation and Communication between Authorities in the
Field of Controlling Harm to the Environment, in: H.-J. Albrecht & S. Leppä (eds.), Criminal
Law and the Environment. Helsinki, pp. 228 – 249.
Albrecht, H.-J. & Teske, R. (1992): Prosecution and Sentencing Patterns in the Federal Republic
of Germany. International Criminal Justice Review 2, pp. 76 – 104.
Albrecht, H.-J. (1992): La production de l’ordre public et du contrôle pénal – Problèmes thé-
oriques, données empiriques et orientations de la recherche en R.F.A. Déviance et Société 16,
pp. 87 – 111.
Albrecht, H.-J. & Leppä, S. (eds.) (1992): Criminal Law and the Environment. Helsinki.
Albrecht, H.-J. (1991): Gewalt gegen Kinder aus kriminologischer Sicht, in: Bayerisches Staats-
ministerium für Arbeit, Familie und Sozialordnung (Hrsg.), Gewalt gegen Kinder. Dokumen-
tation. München, S. 67 – 98.
Albrecht, H.-J. (1991): Voraussetzungen und Konsequenzen einer Entkriminalisierung im Dro-
genbereich, in: Institut für Konfliktforschung (Hrsg.), Entkriminalisierung im Drogenbe-
reich? Köln, S. 1 – 38.
Albrecht, H.-J. (1991): Strafungleichheit – notwendiges Element einer sich verändernden Straf-
praxis oder Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens? In: W. Greve (Hrsg.), Mehr Transpa-
renz in der Strafjustiz. Loccumer Protokolle 3/1990. Loccum, S. 72 – 80.
Albrecht, H.-J. (1991): Evaluating the Impact of Criminal Law: The Case of Environmental Sta-
tutes, in: G. Albrecht & H.-U. Otto (eds.), Social Prevention and the Social Sciences. Theo-
retical Controversies, Research Problems, and Evaluation Strategies. Berlin/New York,
pp. 467 – 478.
Albrecht, H.-J. (1991): Ethnic Minorities: Crime and Criminal Justice in Europe, in: F. Heiden-
sohn & M. Farrell (eds.), Crime in Europe. London/New York, pp. 84 – 102.
Albrecht, H.-J. & Arnold, H. (1991): Research on Victimization and Related Topics in the Fe-
deral Republic of Germany – A Selection of Research Problems and Results, in: G. Kaiser,
H. Kury & H.-J. Albrecht (eds.), Victims and Criminal Justice: Victimological Research,
Stocktaking and Prospects. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Insti-
tut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 50. Freiburg i.Br., pp. 19 – 36.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1265

Albrecht, H.-J. (1991): Les politiques de prévention: Bilan des connaissances en République
Fédérale d’Allemagne, in: P. Robert (ed.), Les politiques de prévention de la délinquance.
A l’aune de la recherche. Paris, pp. 43 – 56.
Albrecht, H.-J. (1991): La législation sur la drogue et son application en matière d’abus et de
dépendance, in: Textes et Documents. 3èmes journées internationales des Maires contre la
Drogue. Paris, pp. 39 – 49.
Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice: Victimolog-
ical Research, Stocktaking and Prospects. Kriminologische Forschungsberichte aus dem
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 50. Freiburg i.Br.
Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice: Legal Pro-
tection, Restitution and Support. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-
Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 51. Freiburg i.Br.
Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice. Kriminolo-
gische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationa-
les Strafrecht Vol. 52.1. Freiburg i.Br.
Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1991): Victims and Criminal Justice. Kriminolo-
gische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationa-
les Strafrecht Vol. 52.2. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1990): Drogenpolitik in europäischen Metropolen – Ergebnisse einer Ver-
gleichsstudie, in: Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie (Hrsg.), Dokumentation
der Fachkonferenz: Drogenpolitik in den neunziger Jahren. Entkriminalisierung/Legalisie-
rung von Drogen? Berlin, S. 4 – 14.
Albrecht, H.-J. (1990): Die Gemeinnützige Arbeit im Strafrecht der Bundesrepublik Deutsch-
land, in: Caritas Schweiz (Hrsg.), Gemeinnützige Arbeit – eine Alternative zur Freiheitsstra-
fe. Luzern, S. 47 – 54.
Albrecht, H.-J. (1990): Gemeinnützige Arbeit – eine Alternative zur Freiheitsstrafe, in: Caritas
Schweiz (Hrsg.), Gemeinnützige Arbeit – eine Alternative zur Freiheitsstrafe. Luzern, S. 67 –
76.
Albrecht, H.-J. (1990): Braucht die Politik die Amnestie? Anmerkungen zum Problem der Am-
nestie aus der Perspektive der Rechtsentwicklung im Ausland, in: W. Greve (Hrsg.), Amnes-
tie, Gnade, Politik. Loccumer Protokolle 62/1988. Loccum, S. 67 – 95.
Albrecht, H.-J. (1990): Möglichkeiten und Grenzen des Umweltstrafrechts zur Erzwingung um-
weltverträglichen Verhaltens, in: Polizeiführungsakademie (Hrsg.), Umweltkriminalität.
Münster, S. 169 – 188.
Albrecht, H.-J. (1990): Kriminologische Perspektiven der Wiedergutmachung. Theoretische
Ansätze und Empirische Befunde, in: A. Eser, G. Kaiser & K. Madlener (Hrsg.), Neue
Wege der Wiedergutmachung im Strafrecht. Internationales strafrechtlich-kriminologisches
Kolloquium in Freiburg i.Br. Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für aus-
ländisches und internationales Strafrecht Vol. S 18. Freiburg, S. 43 – 72.
Albrecht, H.-J. (1990): Das Jugendstrafverfahren gegenüber „Mehrfachauffälligen“, in: Deut-
sche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.V. (Hrsg.), Mehrfach Auf-
fällige – Mehrfach Betroffene. Erlebnisweisen und Reaktionsformen. Bonn, S. 86 – 98.
1266 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1990): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität. Theoretische Konzeptionen


und empirische Befunde. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 102, S. 596 –
626.
Albrecht, H.-J. (1990): Die Suchtgiftgesetzgebung im internationalen Vergleich, in: C. Frank &
G. Harrer (Hrsg.), Drogendelinquenz – Jugendstrafrechtsreform. Forensia-Jahrbuch 2. Berlin
u. a., S. 69 – 87.
Albrecht, H.-J. (1990): Fines in the Criminal Justice System, in: H.-J. Kerner & K. Sessar (eds.),
Recent Developments in Crime and Crime Control Research. New York, pp. 150 – 169.
Albrecht, H.-J. (1990): Un travail d’intérêt général comme peine de substitution aux peines pri-
vatives de liberté, in: Caritas Suisse (ed.), Un travail d’intérêt général, une peine nouvelle.
Lucerne, pp. 41 – 56.
Kaiser, G. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1990): Crime and Criminal Policy in Europe: Proceedings of
the II. European Colloquium. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-In-
stitut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 43. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1989): Die Entwicklung des Strafzumessungsrechts im internationalen Ver-
gleich, in: W. Melnizky (ed.), Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. Festschrift
für Franz Pallin zum 80. Geburtstag. Wien, pp. 11 – 30.
Pallin, F., Albrecht, H.-J. & Fehérváry, J. (1989): Strafe und Strafzumessung bei schwerer Kri-
minalität in Österreich. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 37. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1989): Drogen und Recht. Das Spannungsfeld zwischen Strafschärfung und Li-
beralisierung, in: SPD-Landesverband/SPD-Landtagsfraktion (Hrsg.), Suchtabhängigkeit –
Herausforderung für das Leben. Stuttgart, S. 15 – 36.
Albrecht, H.-J. (1989): Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: J. Meyer, A. Dessecker
& J.R. Smettan (Hrsg.), Gewinnabschöpfung bei Betäubungsmitteldelikten. BKA-For-
schungsreihe, Sonderband. Wiesbaden, S. 25 – 84.
Albrecht, H.-J. (1989): Sozialwissenschaftliche Forschung und die Entwicklung des Daten-
schutzrechts, in: H.R. Schneider, K.P. Schön & L. Pleus (Hrsg.), Der Bürger im Datennetz?
Datenbedarf und Datenschutz in Sozialforschung, Sozialplanung und Praxisberatung. Biele-
feld, S. 69 – 86.
Albrecht, H.-J. (1989): Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, in: C. Pfeiffer & M. Oswald
(Hrsg.), Strafzumessung. Empirische Forschung und Strafrechtsdogmatik im Dialog. Stutt-
gart, S. 59 – 70.
Albrecht, H.-J. (1989): Alkoholprävention im Betrieb. Probleme sozialer Kontrolle bei der Um-
setzung von Alkoholpräventionsprogrammen, in: Hauptstelle gegen die Suchtgefahren
(Hrsg.), Suchtprobleme am Arbeitsplatz. Hamm, S. 123 – 135.
Albrecht, H.-J. (1989): Afrikanische Kriminologie. Forschungen zur Kriminalitätsentstehung
und Kriminalitätskontrolle in schwarz-afrikanischen Staaten, in: K. Madlener (Hrsg.), Jahr-
buch für Afrikanisches Recht. Band 6. Heidelberg/Karlsruhe, S. 103 – 118.
Albrecht, H.-J. (1989): „Geldstrafe“, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Lexikon des Rechts: Strafrecht,
Strafverfahrensrecht. Neuwied, S. 329 – 334.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1267

Albrecht, H.-J. & Geissler, I. (1989): Tagungsbericht: Die Kriminologie und ihre Konzeptionen:
Kriminalität als Herausforderung, Strategien der Bewältigung. Zeitschrift für die gesamte
Strafrechtswissenschaft 101, Berlin, S. 771 – 787.
Albrecht, H.-J. (1989): Ethnic Minorities, Crime and Public Policy, in: R. Hood (ed.), Crime and
Public Policy in Europe. Oxford, pp. 174 – 181.
Albrecht, H.-J. (1989): Comparative Research on Crime and Delinquency – The Role and Rel-
evance of National Penal Codes and Criminal Justice Systems, in: M.W. Klein (ed.), Cross-
national Research in Self-Reported Crime and Delinquency. Dordrecht et al., pp. 227 – 248.
Albrecht, H.-J. (1989): Drug Policy in the Federal Republic of Germany, in: H.-J. Albrecht &
A. van Kalmthout (eds.), Drug Policies in Western Europe. Kriminologische Forschungsbe-
richte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 41.
Freiburg i.Br., pp. 175 – 194.
Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1989): Preface, in: H.-J. Albrecht & A. van Kalmthout
(eds.), Drug Policies in Western Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus dem
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 41. Freiburg
i.Br., pp. 1 – 6.
Albrecht, H.-J. & van Kalmthout, A. (1989): European Perspectives on Drug Policies, in:
H.-J. Albrecht & A. van Kalmthout (eds.), Drug Policies in Western Europe. Kriminologische
Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht Vol. 41. Freiburg i.Br., pp. 425 – 473.
Albrecht, H.-J. (1989): Las Sanciones en el Derecho Penal de Menores. Una Comparación de las
Medidas Privativas de Libertad y no Privativas de Libertad bajo la Luz de la Investigación
Criminologica. Cuadernos del Instituto de Investigaciones Juridicas 4, pp. 155 – 188.
Albrecht, H.-J. (1988): Freie Straffälligenhilfe im internationalen Vergleich, in: Evangelische
Akademie Bad Boll (Hrsg.), Straffälligenhilfe – Quo Vadis? Vol. 20. Bad Boll, S. 12 – 21.
Albrecht, H.-J. (1988): Präventionsprogramme im Betrieb: Eine neue Form sozialer Kontrolle
am Arbeitsplatz? Drogalkohol 12, S. 37 – 57.
Albrecht, H.-J. (1988): Kriminell weil arbeitslos? Arbeitslos weil kriminell? Bewährungshilfe
35, S. 133 – 148.
Albrecht, H.-J. (1988): Die Effizienz der Kriminalprävention aus wissenschaftlicher Sicht, in:
Bundeskriminalamt (Hrsg.), Symposium: Der polizeiliche Erfolg. Wiesbaden, S. 159 – 172.
Albrecht, H.-J. (1988): Zur Reform des Jugendstrafrechts in der Bundesrepublik Deutschland,
in Österreich und in der Schweiz. Recht der Jugend und des Bildungswesens 36, S. 387 – 398.
Albrecht, H.-J. (1988): Klausur „Ausländerkriminalität“, in: H. Jung (Hrsg.), Fälle zum Wahl-
fach Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. JuS-Schriftenreihe. 2. Aufl., München,
S. 183 – 204.
Albrecht, H.-J. (1988): „Geldstrafe“, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts.
Gruppe 8: Strafrecht. 2. Bearbeitung, 8/580. Lieferung 33. S. 1 – 6.
Albrecht, H.-J. & Schädler, W. (1988): Die gemeinnützige Arbeit auf dem Weg zur eigenstän-
digen Sanktion? Zeitschrift für Rechtspolitik 21, S. 278 – 283.
Albrecht, H.-J. (1988): Particular Difficulties in Enforcing the Law arising out of basic Conflicts
Between the Different Agencies Regarding the Best Suited Reactions upon Highly Sensitive
1268 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Kinds of Crime, in: Council of Europe (ed.), Interactions within the Criminal Justice System.
Strasbourg, pp. 41 – 82.

Albrecht, H.-J. & Moitra, S. (1988): Escalation and Specialization. A comparative analysis of
patterns in criminal careers, in: G. Kaiser & I. Geissler (eds.), Crime and criminal justice:
criminological research in the 2nd decade at the Max Planck Institute in Freiburg. Krimino-
logische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internatio-
nales Strafrecht Vol. 36. Freiburg i.Br., pp. 115 – 136.

Albrecht, H.-J. (1988): Difficultés particulières qui découlent pour l’application du droit, de
conflits fondamentaux entre les divers organes quant aux réactions les plus appropriées
face à des sortes d’infractions très controverses, in: Conseil de l’Europe (ed.), Interactions
au sein du système de justice pénale. Strasbourg, 45 – 90.

Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (eds.) (1988): Criminological Research in the 80’s and
Beyond. Reports from the Federal Republic of Germany, German Democratic Republic, Aus-
tria, Switzerland. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für aus-
ländisches und internationales Strafrecht Vol. 33. Freiburg i.Br.

Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (1988): Kriminologische Forschung in den 80er
Jahren. Berichte aus der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Re-
publik, Österreich und der Schweiz. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-
Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 34. Freiburg i.Br.

Kaiser, G., Kury, H. & Albrecht, H.-J. (Hrsg.) (1988): Kriminologische Forschung in den 80er
Jahren. Projektberichte aus der Bundesrepublik Deutschland. Kriminologische Forschungs-
berichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Vol. 35.1 u. 35.2. Freiburg i.Br.

Albrecht, H.-J. (1987): Internationale Kooperation der Polizei, in: Strafverteidigervereinigung


(Hrsg.), 10. Strafverteidigertag. Bremen, S. 192 – 207.

Albrecht, H.-J. (1987): Der Streit um die Drogenpolitik – zu den Zusammenhängen zwischen
Drogenproblemen und Drogenkontrolle, in: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und
Jugendgerichtshilfen (Hrsg.), 20. Deutscher Jugendgerichtstag. München, S. 419 – 434.

Albrecht, H.-J. (1987): Landesbericht Deutschland, in: J. Meyer (Hrsg.), Betäubungsmittel-


strafrecht in Westeuropa: eine rechtsvergleichende Untersuchung im Auftrag des Bundeskri-
minalamts; with an English comparative analysis. Beiträge und Materialien aus dem Max-
Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. S 5. Freiburg i.Br.,
S. 63 – 168.

Albrecht, H.-J. (1987): Konzept und Supervision – Ihr Verhältnis bei gelungenen Alternativen in
der Strafrechtspflege, in: N. Lippenmeier (Hrsg.), Was kann Supervision leisten? Kassel,
S. 261 – 277.

Albrecht, H.-J. (1987): Die sanfte Minderheit – Mädchen und Frauen als Straftäterinnen. Be-
währungshilfe 34, S. 341 – 358.

Albrecht, H.-J. (1987): Drogenpolitik und Drogenstrafrecht. Bewährungshilfe 34, S. 267 – 279.

Albrecht, H.-J. (1987): Umweltkriminalität, in: K. Liebl (Hrsg.), Internationale Forschungser-


gebnisse auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität. Pfaffenweiler, S. 16 – 27.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1269

Albrecht, H.-J. (1987): Formen der Arbeitsteilung und Kooperation zwischen Personen und In-
stitutionen im Bereich sozialer Arbeit und Strafrecht. Bericht über das Forumsgespräch.
Rundbrief Soziale Arbeit und Strafrecht 4, S. 14 – 15.
Albrecht, H.-J. (1987): Umweltstrafrecht und Verwaltungsakzessorietät – Probleme und Folgen
einer Verknüpfung verwaltungs- und strafrechtlicher Konzepte. Kriminalsoziologische Bi-
bliographie 14, S. 1 – 22.
Münder, J., Sack, F., Albrecht, H.-J & Plewig, H.-J. (1987): Jugendarbeitslosigkeit und Jugend-
kriminalität. Neuwied.
Albrecht, H.-J. (1987): Ethnic minorities and the criminal justice system in the Federal Republic
of Germany. Howard Journal of Criminal Justice 26, pp. 272 – 286.
Albrecht, H.-J. (1987): Environmental Crimes, in: The National Center for Social and Crimi-
nological Research (ed.), The First Egyptian-German Colloquium on Criminal Law and
Criminology. Cairo, pp. 31 – 64.
Albrecht, H.-J. (1986): Theorie und Empirie in der kriminologischen Ausbildung, in: G. Lösch-
per, G. Manken & F. Sack (Hrsg.), Kriminologie als selbständiges, interdisziplinäres Hoch-
schulstudium. Pfaffenweiler, S. 233 – 247.
Albrecht, H.-J. (1986): Datenschutz und Forschungsfreiheit. Computer und Recht 2, S. 92 – 100.
Albrecht, H.-J. (1986): Strafrechtsvereinheitlichung in Europa – dargestellt anhand des Betäu-
bungsmittelstrafrechts, in: Berliner Strafverteidiger e.V. (Hrsg.), 9. Strafverteidigertag. Ber-
lin, S. 41 – 71.
Albrecht, H.-J., Heine, G. & Meinberg, V. (1986): Umweltstrafrecht und Umweltkriminalität,
in: M. Brusten, J.M. Häußling & P. Malinowski (Hrsg.), Kriminologie im Spannungsfeld von
Kriminalpolitik und Kriminalpraxis. Stuttgart, S. 193 – 228.
Albrecht, H.-J. (1986): Alternativen zur Jugendstrafe: kriminologische Befunde zum Vergleich
freiheitsentziehender und ambulanter Sanktionen. Kriminologisches Bulletin 11, S. 47 – 76.
Kaiser, G., Heinz, W., Albrecht, H.-J., Ortmann, R. & Spiess, G. (1986): Kohortenuntersuchun-
gen – Anlage und methodische Probleme von Forschungen zur Kriminalitätsentwicklung und
-entstehung, in: H. Kury (Hrsg.), Entwicklungstendenzen kriminologischer Forschung: In-
terdisziplinäre Wissenschaft zwischen Politik und Praxis. Köln u. a., S. 163 – 186.
Albrecht, H.-J. (1986): Ansätze und Perspektiven für die Gemeinnützige Arbeit in der Straf-
rechtspflege, in: H.-J. Kerner & O. Kästner (Hrsg.), Gemeinnützige Arbeit in der Strafrechts-
pflege. Bonn, S. 60 – 86.
Albrecht, H.-J. (1986): Jugendarbeitslosigkeit und Jugendkriminalität. Empirische Befunde zu
den Beziehungen zwischen zwei sozialen Problemen, in: Arbeitsgemeinschaft für Jugend-
hilfe. Deutscher Bundesjugendring (Hrsg.), Jugendarbeitslosigkeit. Analyse, Maßnahmen,
Konzepte. Ergänzungslieferung Nr. 5. S. 41 – 91.
Albrecht, H.-J. (1986): Entwicklungstendenzen des Jugendkriminalrechts und stationäre Frei-
heitsentziehung bei jugendlichen Straftätern in den USA, in: F. Dünkel & K. Meyer (Hrsg.),
Jugendstrafe und Jugendstrafvollzug. Stationäre Maßnahmen der Jugendkriminalrechtspfle-
ge im internationalen Vergleich. Teilband 2: Süd- und osteuropäische Länder sowie außer-
europäische Staaten. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für
ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 20/2. Freiburg i.Br., S. 1211 – 1306.
1270 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1986): Schwangerschaftsabbruch – empirische Untersuchungen zur Implemen-


tation der strafrechtlichen Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs, in: A. Eser, G. Kaiser
& E. Weigend (Hrsg.), Zweites Deutsch-Polnisches Kolloquium über Strafrecht und Krimi-
nologie. Baden-Baden, S. 195 – 223.
Adam, H., Albrecht, H.-J. & Pfeiffer, C. (1986): Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte in der
Bundesrepublik Deutschland. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-
Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 24. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J., Wolff, R. & Strunk, P. (1986): Gewalt gegen Kinder. Das Phänomen der Kin-
desmißhandlung aus sozialpsychologischer, kriminologischer und jugendpsychiatrischer
Sicht. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1986): Kankyo hanzai to kankyo keiho (Umweltkriminalität und Umweltstraf-
recht) (transl. K. Yamanaka). Hogaku Ronshu – The Law Review of Kansai University 36,
pp. 171 – 192.
Albrecht, H.-J. (1986): Criminal Law and Drug Control. International Journal of Comparative
and Applied Criminal Justice 10, pp. 41 – 60.
Albrecht, H.-J. (1986): Criminal Law and Drug Control – A Look at Western Europe, in: Pro-
ceedings of the 34th International Congress on Alcoholism and Drug Dependence. Calgary,
Alberta, pp. 133 – 141.
Albrecht, H.-J. & Schädler, W. (1986): The implementation of Community Service as an option
for fine defaulters in the Federal Republic of Germany, in: H.-J. Albrecht & W. Schädler
(eds.), Community Service, Gemeinnützige Arbeit, Dienstverlening, Travail d’Intérêt Géné-
ral. A new option in punishing offenders in Europe. Kriminologische Forschungsberichte aus
dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 25. Freiburg
i.Br., pp. 173 – 195.
Albrecht, H.-J. (1986): Przerwanie Ciazy: Badania Empiryczne Nad Stosowaniem Prawnokar-
rej Regulacyi Przerwania Ciazy. Wroclaw u. a., pp. 295 – 317.
Albrecht, H.-J. & Schädler, W. (eds.) (1986): Community Service, Gemeinnützige Arbeit,
Dienstverlening, Travail d’Intérêt Général. A new option in punishing offenders in Europe.
Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und in-
ternationales Strafrecht Vol. 25. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1985): Umweltkriminalität und Umweltstrafrecht. Aus Politik und Zeitge-
schichte H. 11, S. 17 – 29.
Albrecht, H.-J. (1985): Perspektiven der kriminologischen Forschung in der Bundesrepublik
Deutschland, in: H. Kury (Hrsg.), Kriminologische Forschung in der Diskussion: Berichte,
Standpunkte, Analysen. Köln u. a., S. 141 – 168.
Albrecht, H.-J. (1985): Generalprävention, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 2. Aufl., Heidelberg, S. 132 – 139.
Albrecht, H.-J. (1985): Umweltkriminalität, in: G. Kaiser, H.-J. Kerner, F. Sack & H. Schellhoss
(Hrsg.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch. 2. Aufl., Heidelberg, S. 495 – 502.
Albrecht, H.-J. (1985): Geldstrafe, in: G. Ulsamer (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts.
Gruppe 8: Strafrecht. 8/850. Lieferung 13. S. 1 – 5.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1271

Albrecht, H.-J. (1985): Gemeinnützige Arbeit – Ansätze und Perspektiven in der Strafrechts-
pflege. Bewährungshilfe 32, S. 121 – 134.
Albrecht, H.-J. (1985): Alkohol und Kriminalität – theoretische Verknüpfungen und empirische
Befunde. Bewährungshilfe 32, S. 345 – 357.
Albrecht, H.-J. (1985): Umweltkriminalität: Zusammenhänge zwischen Umweltstrafrecht und
offiziell registrierter Umweltkriminalität. Der Landkreis. Zeitschrift für kommunale Selbst-
verwaltung 55, S. 411 – 414.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1985): Bericht über das 20. Kolloquium der Südwestdeutschen
Kriminologischen Institute. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 68,
S. 244 – 248.
Albrecht, H.-J. (1985): Alcohol and Crime, in: C.H. Rosero (ed.), Alcohol, Drogas y Crimina-
lidad. Memorias del Trigesimo Quinto Curso Internacional de Criminologìa. Quito, pp. 161 –
181.
Albrecht, H.-J. (1984): Diversion durch den Jugendstaatsanwalt – Bedingungen für eine erfolg-
reiche Anwendung des § 45 JGG, in: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugend-
gerichtshilfen (Hrsg.), Jugendstrafverfahren und Kriminalprävention. München, S. 151 –
166.
Albrecht, H.-J. (1984): Kryminologiczne Aspekty Przestepcosci Powrotnej i Powrotu do Przes-
tepstwa, in: J. Skupinsky (ed.), Problemy recydywy. Warschau, pp. 75 – 98.
Albrecht, H.-J. (1984): Datenschutzrecht und sozialwissenschaftliche Forschung. Sozialwis-
senschaften und Berufspraxis 7, S. 5 – 21.
Albrecht, H.-J. (1984): Die Kriminalitätsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Be-
währungshilfe 31, S. 37 – 52.
Albrecht, H.-J. (1984): Präventive Aspekte der Verfahrenseinstellung im Jugendstrafrecht, in:
M. Walter & G. Koop (Hrsg.), Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendrecht. Vechta,
S. 51 – 78.
Albrecht, H.-J. (1984): Jugendarbeitslosigkeit und Jugendkriminalität. Kriminologisches Jour-
nal 16, S. 218 – 228.
Albrecht, H.-J. (1984): Zur Lage des Strafvollzugs in Hessen. Stenographische Niederschrift
über die 4. Sitzung des Rechtsausschusses. 7. Sitzung des Unterausschusses Justizvollzug
zur Situation des Strafvollzuges in Hessen, 6. 9. 1984. Wiesbaden, S. 34 – 38.
Albrecht, H.-J. (1984): Ambulante Straffälligenhilfe im internationalen Vergleich, in: B. Mae-
licke & H. Ortner (Hrsg.), Ambulante Straffälligenhilfe. Frankfurt, S. 15 – 48.
Albrecht, H.-J., Egg, R. & Frey, H.-P. (1984): Bericht über das 8. und 9. Treffen kriminologi-
scher Forschungsinstitute („Freiburg-Nürnberger Gespräche“). Monatsschrift für Kriminolo-
gie und Strafrechtsreform 67, S. 211 – 218.
Albrecht, H.-J., Heine, G. & Meinberg, V. (1984): Umweltschutz durch Umweltstrafrecht? Zeit-
schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 96, S. 943 – 998.
Albrecht, H.-J. (1984): Role and Response of the Juvenile Justice System to Delinquency in the
Federal Republic of Germany, in: ASPAC (ed.), Proceedings of the Third Asian-Pacific Con-
ference on Juvenile Delinquency. Seoul, pp. 63 – 87.
1272 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. (1984): General Prevention and Social Control. Annales UMCS, Sectio G: Ius,
pp. 147 – 164.
Albrecht, H.-J. (1984): Problems of Policing Ethnic Minorities in the Federal Republic of Ger-
many, in: J. Brown (ed.), Policing and Social Policy. London, pp. 28 – 35.
Albrecht, H.-J. (1984): Recidivism after Fines, Suspended Sentences, and Imprisonment. Inter-
national Journal of Comparative and Applied Criminal Justice 8, pp. 199 – 208.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (Hrsg.) (1984): Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Kriminologische
Kolloquien. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländi-
sches und internationales Strafrecht Vol. 18. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1983): Jugendkriminalität im Spiegel neuerer kriminologischer Literatur. Zeit-
schrift für Pädagogik 25, S. 117 – 137.
Albrecht, H.-J. (1983): Kriminologische Aspekte des Rückfalls und der Rückfallkriminalität,
in: H.-H. Jescheck & G. Kaiser (Hrsg.), Erstes Deutsch-Polnisches Kolloquium über Straf-
recht und Kriminologie. Baden-Baden, S. 101 – 131.
Albrecht, H.-J. (1983): Jugendkriminalität als internationales soziales Problem, in: M. Brusten
& P. Malinowski (Hrsg.), Jugend – ein soziales Problem? Opladen, S. 184 – 202.
Albrecht, H.-J. (1983): Die Bewährungshilfe im Strafrecht der DDR. Bewährungshilfe 30,
S. 283 – 291.
Albrecht, H.-J. (1983): Strafrecht und Strafaussetzung zur Bewährung in der Volksrepublik
China, in: F. Dünkel & G. Spieß (Hrsg.), Alternativen zur Freiheitsstrafe. Strafaussetzung
zur Bewährung und Bewährungshilfe im internationalen Vergleich. Kriminologische For-
schungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht Vol. 14. Freiburg i.Br., S. 332 – 352.
Albrecht, H.-J. (1983): Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit in der Strafzumessung, in:
H.-J. Kerner, H. Kury & K. Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentste-
hung und Kriminalitätskontrolle. Band 2. Köln u. a., S. 1297 – 1332.
Albrecht, H.-J. (1983): Probleme der Implementierung des Umweltstrafrechts. Monatsschrift
für Kriminologie und Strafrechtsreform 66, S. 278 – 294.
Albrecht, H.-J. (1982): Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten. Kri-
minologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und inter-
nationales Strafrecht Vol. 9. Freiburg i.Br.
Albrecht, H.-J. (1982): The Fine in the German Penal Sanctioning System, in: Criminological
Research Unit (ed.), Research in Criminal Justice – Stock-taking of Criminological Research
at the Max Planck Institute for Foreign and International Penal Law after a Decade. Krimi-
nologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Interna-
tionales Strafrecht Vol. 2. Freiburg i.Br., pp. 225 – 245.
Albrecht, H.-J. (1982): Criminal Law and General Prevention, in: Criminological Research Unit
(ed.), Research in Criminal Justice. Stock-taking of Criminological Research at the Max
Planck Institute for Foreign and International Penal Law after a Decade. Kriminologische
Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht Vol. 2. Freiburg i.Br., pp. 286 – 307.
Publikationsverzeichnis – List of Publications 1273

Albrecht, H.-J. (1981): Kindesmißhandlung und strafrechtliche Sozialkontrolle. Zentralblatt für


Jugendrecht und Jugendwohlfahrt 68, S. 4 – 10.
Albrecht, H.-J. (1981): Struktur der Zumessung und Beitreibung von Geldstrafen in der Bun-
desrepublik Deutschland. Österreichische Juristen-Zeitung 36, S. 10 – 14.
Albrecht, H.-J. (1981): Alternativen zur Freiheitsstrafe: Das Beispiel der Geldstrafe. Monats-
schrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 265 – 278.
Albrecht, H.-J. (1981): Bericht über das Kolloquium zum DFG-Schwerpunktprogramm „Em-
pirische Sanktionsforschung – Genese und Wirkung von Sanktionsnormen und Sanktionen“.
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 64, S. 383 – 388.
Albrecht, H.-J. & Dünkel, F. (1981): Die vergessene Minderheit – Alte Menschen als Straftäter.
Zeitschrift für Gerontologie 14, S. 259 – 273.
Albrecht, H.-J., Dünkel, F. & Spieß, G. (1981): Empirische Sanktionsforschung und die Be-
gründbarkeit von Kriminalpolitik. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
64, S. 310 – 326.
Albrecht, H.-J. (1980): Literaturbericht: Kriminologie und Kriminalsoziologie des romani-
schen Sprachbereichs. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 92, S. 306 – 349.
Albrecht, H.-J. (1980): Jugendstrafrecht – Kontrolle oder Hilfe? in: H. Wollenweber (Hrsg.),
Kinderdelinquenz und Jugendkriminalität. Paderborn, S. 75 – 97.
Albrecht, H.-J. (1980): Die generalpräventive Effizienz von strafrechtlichen Sanktionen, in:
Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empirische Kriminologie. Ein Jahrzehnt krimino-
logischer Forschung am Max-Planck-Institut Freiburg i.Br.; Bestandsaufnahme und Aus-
blick. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht Vol. 1. Freiburg i.Br., S. 305 – 327.
Albrecht, H.-J. (1980): Die Geldstrafe im System strafrechtlicher Sanktionierung – Prozesse der
Strafzumessung und Beitreibung von Geldstrafen, sowie die Legalbewährung von zu Geld-
strafe und Freiheitsstrafe Verurteilten, in: Forschungsgruppe Kriminologie (Hrsg.), Empiri-
sche Kriminologie. Ein Jahrzehnt kriminologischer Forschung am Max-Planck-Institut Frei-
burg i.Br. Bestandsaufnahme und Ausblick. Kriminologische Forschungsberichte aus dem
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Vol. 1. Freiburg i.Br.,
S. 242 – 263.
Albrecht, H.-J. (1980): Die Geldstrafe als Mittel moderner Kriminalpolitik, in: H.-H. Jescheck
& G. Kaiser (Hrsg.), Strafrechtsvergleichung und vergleichende Kriminologie. Berlin,
S. 235 – 255.
Albrecht, H.-J. (1980): Strafzumessung und Vollstreckung bei Geldstrafen. Berlin.
Albrecht, H.-J. & Weigend, T. (1980): Über die wesentlichen strafrechtlichen Bestimmungen
zum Schutz des Kindes in der Bundesrepublik Deutschland, in: Akademie der Staats- und
Rechtswissenschaften der DDR (Hrsg.), Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissen-
schaft: Der strafrechtliche Schutz des Kindes. Band 1. Potsdam-Babelsberg, S. 56 – 65.
Albrecht, H.-J. & Sieber, U. (1980): Evaluation von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug
und Wirtschaftsdelinquenz multinationaler Unternehmen. Monatsschrift für Kriminologie
und Strafrechtsreform 63, S. 162 – 172.
1274 Publikationsverzeichnis – List of Publications

Albrecht, H.-J. & Johnson, E.H. (1980): Fines and Justice Administration: The Experience of
the Federal Republic of Germany. International Journal of Comparative and Applied Crimi-
nal Justice 4, pp. 4 – 14.
Albrecht, H.-J. & Villmow, B. (1979): Die Vergleichung als Methode der Strafrechtswissen-
schaft und der Kriminologie. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 62,
S. 163 – 170.
Albrecht, H.-J. (1979): Alternatives to Incarceration, in: C.R. Dodge (ed.), A World Without
Prison. Lexington, pp. 159 – 179.
Albrecht, H.-J. (1978): Statistische Angaben über die Geldstrafe in der Bundesrepublik
Deutschland, in: H.-H. Jescheck & G. Grebing (Hrsg.), Die Geldstrafe im deutschen und aus-
ländischen Recht. Baden-Baden, S. 165 – 191.
Albrecht, H.-J. (1978): Tagungsbericht. Bericht über das Colloquium „Die Erledigung von
Wirtschaftsstrafsachen durch Staatsanwaltschaften und Gerichte“. Zeitschrift für die gesam-
te Strafrechtswissenschaft 89, S. 1088 – 1102.
Albrecht, H.-J. & Fenn, R. (1978): Härtere Strafen und weniger Psychologie? Kriminalistik 32,
S. 359 – 363.
Albrecht, H.-J. & Villmow, B. (1978): Mehr Mut bei der deutschen kritischen Kriminologie. Kri-
minologisches Journal 10, S. 308 – 314.
Albrecht, H.-J. (1978): Décriminalisation et politique criminelle. Rassegna di Studi. Quarderni
H.1: Politique criminelle et droit pénal, pp. 120 – 135.
Albrecht, H.-J., Kaiser, G. & Schöch, H. (1977): Antrag auf Einrichtung eines DFG-Schwer-
punkts Empirische Sanktionsforschung – Verfahren, Vollzug, Wirkungen und Alternativen.
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 60, S. 41 – 50.
Albrecht, H.-J. (1977): Diskussion über die Anträge auf Einrichtung eines neuen DFG-Schwer-
punktes im Rahmen der Disziplinen Kriminologie und Kriminalsoziologie. Monatsschrift für
Kriminologie und Strafrechtsreform 60, S. 185 – 186.
Albrecht, H.-J. (1977): Tagungsbericht. Bericht über das Colloquium „Die Erledigung von
Wirtschaftsstrafsachen durch Staatsanwaltschaften und Gerichte“. Zeitschrift für die gesam-
te Strafrechtswissenschaft 89, S. 1088 – 1102.
Autorinnen und Autoren – List of Authors
Ambos, Kai, Prof. Dr. Dr. h.c., Georg-August-Universität Göttingen, Abteilung für ausländi-
sches und internationales Strafrecht, Deutschland.
Armborst, Andreas, Dr., bis 2020 Leiter des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention,
Bonn, Deutschland.
Arnold, Harald, Dipl.-Psych., ehem. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Arnold, Jörg, Prof. Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und
Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Arroyo Zapatero, Luis, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., Universidad Castilla-La Mancha, Instituto
de Derecho Penal Europeo e Internacional, Ciudad Real, Spanien.
Chaidou, Anthozoe, Prof. Dr., Panteion-Universität für Politik- und Sozialwissenschaften,
Athen, Griechenland.
De la Cuesta, José Luis, Prof. Dr. Dr. h.c., Universität des Baskenlandes und Baskisches Institut
für Kriminologie, San Sebastián, Spanien.
Derenčinović, Davor, Prof. Dr., Universität Zagreb, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Zagreb,
Kroatien.
Dessecker, Axel, Prof. Dr., Georg-August-Universität Göttingen und Kriminologische Zentral-
stelle (KrimZ), Wiesbaden, Deutschland.
Dölling, Dieter, Prof. Dr., Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland.
Dünkel, Frieder, Prof. em., Dr., Universität Greifswald, Rechts- und Staatswissenschaftliche
Fakultät, Lehrstuhl für Kriminologie, Greifswald, Deutschland.
Entorf, Horst († 2020), Prof. Dr., ehem. Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Wirtschafts-
wissenschaften, Frankfurt am Main, Deutschland.
Eser, Albin, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., M.C.J., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kri-
minalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Feltes, Thomas, Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum, Deutschland.
Fijnaut, Cyrille, Prof. em., Dr. Dr. h.c., Tilburg University, Tilburg, Niederlande.
Frisch, Wolfgang, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg
im Breisgau, Deutschland.
Galain Palermo, Pablo, Prof. Dr., Universidad Andrés Bello, Santiago de Chile; Direktor, Ob-
servatorio Latinoamericano para la investigación en Política Criminal y en las reformas en el
Derecho Penal (OLAP), Montevideo, Uruguay.
Geissler-Frank, Isolde, Prof. Dr., Evangelische Hochschule Freiburg, Freiburg im Breisgau,
Deutschland.
1276 Autorinnen und Autoren – List of Authors

Gerstner, Dominik, M.A., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit


und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Getoš Kalac, Anna-Maria, Assoc. Prof. Dr., LL.M., Universität Zagreb, Rechtswissenschaftli-
che Fakultät, Zagreb, Kroatien.
Glonti, Georgi, Prof. Dr., Grigol Robakidze Universität, Tiflis, Georgien.
Görgen, Thomas, Univ.-Prof. Dr., Deutsche Hochschule der Polizei, Münster, Deutschland.
Grundies, Volker, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und
Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Gusy, Christoph, Prof. Dr., Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Bielefeld,
Deutschland.
Haverkamp, Rita, Prof. Dr., Eberhard Karls Universität Tübingen, Stiftungsprofessur für Kri-
minalprävention und Risikomanagement, Tübingen, Deutschland.
Hefendehl, Roland, Prof. Dr., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Kriminologie
und Wirtschaftsstrafrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Heinz, Wolfgang, Prof. em., Dr., Universität Konstanz, Deutschland.
Hood, Roger († 2020), Prof. em., Dr., University of Oxford, Oxford Law Faculty, Centre for
Criminology, and All Souls College, Oxford, Vereinigtes Königreich.
Hustus, Ludmila, Ass. Jur., LL.M. Eur., Mag. rer. publ., Ruprecht-Karls-Universität Heidel-
berg, Deutschland.
Irk, Ferenc, Prof. em., Dr., National Institute of Criminology, Budapest, Ungarn.
Kilchling, Michael, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und
Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Killias, Martin, Prof. em., Dr. Dr. h.c., Universitäten Zürich und Lausanne, Schweiz.
Kinzig, Jörg, Prof. Dr., Eberhard Karls Universität Tübingen, Institut für Kriminologie, Tübin-
gen, Deutschland.
Kőlhalmi, László, Prof. Dr. habil., Universität Pécs, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Abtei-
lung für Kriminologie and Strafvollzug, Pécs, Ungarn.
Korinek, László, Prof. em., Dr., D.Sc., Universität Pécs, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Ab-
teilung für Kriminologie and Strafvollzug, Pécs, Ungarn.
Krebs, Jessica, M.A., Evangelische Hochschule Freiburg, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Kreuzer, Arthur, Prof. em., Dr., Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland.
Kunz, Karl-Ludwig, Prof. em., Dr., Universität Bern, Schweiz.
Kury, Helmut, Prof. i.R., Dr. Dr. h.c. mult., ehem. Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Lambropoulou, Effi, Prof. Dr., Panteion-Universität für Politik- und Sozialwissenschaften,
Athen, Griechenland.
Levi, Michael, Prof. Dr., Cardiff University, Cardiff, Vereinigtes Königreich.
Lichmann, Gabriele, B.Sc., Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland.
Autorinnen und Autoren – List of Authors 1277

Lin, Jing, Assoc. Prof. Dr., China University of Political Science and Law (CUPL), Institute of
Evidence Law and Forensic Science, Beijing, V.R. China.
Lukas, Tim, Dr., Akad. Rat, Bergische Universität Wuppertal, Deutschland.
Naplava, Thomas, Prof. Dr., Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, Abtei-
lung Duisburg, Mülheim an der Ruhr, Deutschland.
Nedopil, Norbert, Prof. em., Dr., Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der
Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland.
Nogala, Detlef, Dr., CEPOL – European Union Agency for Law Enforcement, Budapest, Un-
garn.
Obergfell-Fuchs, Joachim, Dr., Leiter Bildungszentrum Justizvollzug und Kriminologischer
Dienst Baden-Württemberg, Stuttgart, Deutschland.
Oberwittler, Dietrich, Prof. Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicher-
heit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Palidda, Salvatore, Prof. em., Dr., Universität Genua, Italien.
Perron, Walter, Prof. Dr. Dr. h.c., Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Strafrecht
und Strafprozessrecht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Ping, Wang, Prof. Dr., China University of Political Science and Law (CUPL), Criminal Justice
Institute, Beijing, V.R. China.
Pitsela, Angelika, Prof. em., Dr., Aristoteles-Universität Thessaloniki, Rechtswissenschaftli-
che Fakultät, Thessaloniki, Griechenland.
Reuband, Karl-Heinz, Prof. em., Dr., Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Deutschland.
Schabas, William, Prof., LL.D. LL.D. h.c. mult., Middlesex University London, Department of
Law, Vereinigtes Königreich.
Sevenig, Eva, Dr., Deutsche Hochschule der Polizei, Münster, Deutschland.
Sieber, Ulrich, Prof. em., Dr. Dr. h.c. mult., Direktor Emeritus, Max-Planck-Institut zur Erfor-
schung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Spiess, Gerhard, Dipl.-Soz., Universität Konstanz, Fachbereich Rechtswissenschaft, Konstanz,
Deutschland.
Streng, Franz, Prof. em., Dr. Dr. h.c., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Er-
langen, Deutschland.
Sutterer, Peter, Magister Artium (M.A.), Hochschullehrer, Hochschule für den Öffentlichen
Dienst in Bayern, Fürstenfeldbruck, Deutschland.
Terblanche, Stephan S., Prof., J.D., University of South Africa (UNISA), College of Law, De-
partment of Criminal and Procedural Law, Pretoria, Südafrika.
Tetal, Carina, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht,
Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Válková, Helena, Prof. JUDr., CSc., Justizministerin a.D., Philosophische Fakultät der Karls-
Universität und College of Entrepreneurship and Law, Prag, Tschechische Republik.
Weigend, Thomas, Prof. em., Dr., Universität zu Köln, Deutschland.
1278 Autorinnen und Autoren – List of Authors

Winterdyk, John A., Prof. Dr., Mount Royal University, Faculty of Arts, Economics, Justice and
Policy Studies, Calgary, Alberta, Kanada.
Wittenberg, Jochen, Dr., Deutsche Hochschule der Polizei, Münster, Deutschland.
Wössner, Gunda, Dr., Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und
Recht, Freiburg im Breisgau, Deutschland.
Yenisey, Feridun, Prof. Dr., Bahçeşehir Universität Istanbul, Juristische Fakultät, Beşiktaş/Istan-
bul, Türkei.
Yue, Liling, Prof. Dr., China University of Political Science and Law (CUPL), Criminal Justice
Institute, Beijing, V.R. China.
Zhao, Shuhong, Assoc. Prof. Dr., Beijing Normal University, College for Criminal Law Sci-
ence, Beijing, V.R. China.

Das könnte Ihnen auch gefallen