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Von
Stephan Ast
Herausgegeben von
Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder
em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und
Dr. Andreas Hoyer
ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
Band 286
Handlung und Zurechnung
Von
Stephan Ast
An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Joachim Renzikowski. Er hat diese
Arbeit ermöglicht – auch, indem er mir in seiner unkonventionellen und un-
bestechlich-kritischen Art große wissenschaftliche Freiheit gab und die Ge-
duld aufbrachte, die erforderlich ist, wenn Fragen und Ideen verfolgt werden,
deren Produktivität und Folgen nicht von vornherein absehbar sind: „Ma-
chen!“
Allerhöchsten Respekt zolle ich den beiden weiteren Gutachtern, Prof. Dr.
Dr. h. c. mult. Urs Kindhäuser und Prof. Dr. Henning Rosenau. Ihnen danke
ich für die zügige und fundierte Begutachtung der Arbeit.
Während der Konzeptionierung konnte ich noch mit Prof. Dr. Knut Ame-
lung diskutieren, zum Abschluss dann sehr intensiv mit PD Dr. phil. Alexan-
der Aichele. Beider Weitblick und analytische Schärfe haben mich sehr
beeindruckt. Den Tod von Prof. Amelung empfinde ich noch immer als
schmerzlichsten Verlust.
Unschätzbar sind all die anderen Freunde und Kollegen sowie die Familie
und meine Frau.
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
I. Der Stand der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
II. Der Begriff der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1. Der abstrakte Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2. Der Begriff der verbotsgegenständlichen Handlung . . . . . . . . . . . . . . . 16
III. Gang und Charakter der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
B. Handlung und normative Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
I. Die Begriffe von Handlung und Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1. Definition der Handlung durch die Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2. Der Begriff der normativen Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3. Der Begriff der normativen Zurechnung bei Baumgarten und Kant . . 22
4. Der Begriff der normativen Zurechnung bei Kelsen . . . . . . . . . . . . . . 24
II. Besonderheiten der strafrechtlichen Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1. Die Frage nach der verbotsgegenständlichen Handlung . . . . . . . . . . . . 26
2. Der nichtnormative Charakter der verbotsgegenständlichen Hand-
lung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3. Verbotsgegenständliche und erfolgsdefinierte Handlungsart . . . . . . . . 30
4. Untersuchungsanliegen und -methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
III. Der kausale, objektive Handlungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1. Die Konzeption bei v. Liszt und Radbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
a) Der Begriff der Handlung bei Radbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
b) Berücksichtigung des Handlungssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
c) Irrelevanz der Intention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
d) Vergleich mit der philosophischen kausalen Handlungstheorie . . . 36
2. Die tatbestandliche als verbotsgegenständliche Handlungsart . . . . . . . 38
a) Der Begriff der tatbestandlichen Handlungsart . . . . . . . . . . . . . . . . 38
b) Das Verhältnis von tatbestandlicher Handlungsart und Tatbestand . 40
c) Tatbestandliche und verbotsgegenständliche Handlung –
alternative Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
d) Die Begriffe tatbestandlicher Handlungen zwischen Normativität
und Deskriptivität und die Unterscheidung von Tatbestand und
Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
e) Tatbestandliche Handlungsart und Rechtfertigungsmerkmale . . . . . 59
3. Die Handlung als willkürliche Körperbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
a) Die Definition der Handlung als willkürliche Körperbewegung . . 66
b) Die Handlung als vortatbestandliche Prüfungsstufe . . . . . . . . . . . . 67
8 Inhaltsverzeichnis
1 Vgl. demgegenüber die Bemerkung von Seher (2013) S. 220 f. dass bei den heu-
tigen Autoren „der Kernbegriff der Zurechnung im Nebel liegt,“ obgleich „der
Sprechakt des Zurechnens als Schlüsselschritt angewandter Straftatdogmatik gilt.“
12 A. Einleitung
Lehren die Tatbestandsmerkmale – den Taterfolg, die Kausalität und die fi-
nale Lehre auch den Vorsatz – als Merkmale des Begriffs der tatbestandli-
chen Handlung verstanden haben. Im Gegensatz dazu fasst man heute die
Merkmale der Straftat – die Tatbestandsmerkmale ebenso wie die Urteile
über Rechtswidrigkeit und Schuld – zumeist fragmentiert je für sich auf,
ohne in deren Interpretation einen Bezug zum Handlungsbegriff herzustel-
len.2 Demgegenüber kann die Grundlegung jener Merkmale im Begriff der
Handlung Wesentliches zu ihrer Deutung beitragen. Das wird am Verständnis
der Kausalität, des Vorsatzes und des Unterlassungsdelikts zu zeigen sein.
Insofern wird der Handlungsbegriff auch für die Beurteilung von Fällen
praktisch relevant.
2. Sofern ein Zusammenhang des Handlungsbegriffs zu den einzelnen
Deliktsmerkmalen nicht hergestellt wird, erscheint auch die Handlung selbst
zusammenhanglos im Deliktssystem. Sie gilt nur als ein Tatbestandsmerkmal
unter anderen. Ihrem Begriff wird lediglich die Funktion zugemessen, die
Strafbarkeit wegen eines Körperverhaltens auszuschließen, das nicht willkür-
lich und deshalb keine Handlung sei.3
Dass der Handlungsbegriff derart marginalisiert wird, verdankt er einer
Aporie, in welche die Diskussion der strafrechtlichen Handlungslehren gera-
ten ist. Man akzeptierte den Anspruch, alle Arten der Straftaten bereits ohne
Rücksicht auf das Urteil über die Rechts- bzw. Normwidrigkeit und in die-
sem Sinne vornormativ als Handlungen auszuweisen. Einlösen konnte die
kausale und finale Lehre diesen Anspruch für das Unterlassungs- und Fahr-
lässigkeitsdelikt aber nicht.4
Deshalb weicht man auf Handlungsdefinitionen aus, die ohne Aussagekraft
sind, weil sie bloß diffuse Merkmale enthalten und relevante Fragen nur
verschieben. Handlung sei ein „Verhalten“ bzw. ein „Sachverhalt“, welcher
in einem Tun oder Unterlassen einer Person besteht,5 oder eine
„Persönlichkeitsäußerung.“6 Dass für eine Handlung die Sinn- und Sozialdi-
mension wesentlich ist, wird zwar konstatiert, aber nicht weiter analysiert,
weshalb die behaupteten Ergebnisse unzureichend begründet werden.7
Derartigen Handlungsbegriffen kommt keine vergleichbare systematische
Bedeutung zu, wie sie dem Handlungsbegriff früher zugemessen wurde und
die sich in allgemein anerkannten Ergebnissen wie der Etablierung des Be-
griffs der tatbestandlichen Handlung und der Einbeziehung des Vorsatzes in
den Begriff dieser Handlung niederschlug. An die Stelle der Handlungslehre
tritt insoweit die Lehre von der objektiven Zurechnung, die ihrerseits zu ei-
ner Änderung der Tatbestandslehre führte.8
Auf breiter Linie ist ferner eine Abkehr vom finalen hin zu objektivieren-
den Handlungsbegriffen zu verzeichnen, welche in der Tradition der kausalen
Lehre stehen. Weil der Vorsatz nicht mehr im Handlungsbegriff verankert
wird, fällt die systematische Grundlage für den finalistischen Verbrechens-
aufbau weg. Der Erfolgseintritt und darauf bezogene Vorsatz werden nicht
mehr auf die Handlung bezogen, sondern vom Strafzweck her gedeutet.9
Systematisch würde dem eine Neuordnung der Strafbarkeitsmerkmale
nach Verhaltensnormwidrigkeit und Strafzweckgesichtspunkten entspre-
chen.10 Die Verhaltensnormwidrigkeit bzw. das Unrecht wird dann allein
durch das „unerlaubte Risiko“, den Sorgfaltspflichtverstoß begründet. Die
Straftatlehre geht vom Fahrlässigkeitsdelikt aus, zu welchem das Vorsatzde-
likt nur als ein Spezialfall erscheint.11
3. Die Handlungslehre wird somit von primär strafzweck- bzw. präven
tionsbezogenen Theorien entweder verdrängt oder zumindest geprägt – so
bei Jakobs. Er sieht die Straftat als solche als Handlung an,12 deutet aber
deren Merkmale primär vom Strafzweck der positiven Generalprävention her
und meint sogar, dass sich auch über den Begriff der Handlung selbst „ohne
Blick auf die Aufgabe des Strafrechts schlechthin nichts sagen lässt“13 –
weshalb er mit der „Vermeidbarkeit einer Erfolgsdifferenz“ einen rein straf-
rechtsbezogenen Handlungsbegriff postuliert.14
Nicht jede Handlung ist jedoch eine Straftat, weshalb Begriff und soziale
Funktion der Handlung zunächst unabhängig vom Strafrecht bestimmbar sein
müssen. Erst wenn dieser Schritt getan ist, kann man fragen, ob die Straf-
rechtsdogmatik Gesichtspunkte außer Acht lassen kann, die für die alltägliche
Praxis von Handlungszuschreibungen bedeutsam sind, bzw. ob Besonderhei-
ten im Strafrecht gelten oder gelten sollten, welche eine weiter oder weniger
weit reichende Zurechnung erfordern. Für eine Wissenschaft ist es jedenfalls
unabdingbar, diese Differenzen offen zu legen und zu reflektieren.
8 Ebenso Schroeder (2003) S. 651. Vgl. Roxin AT I (2006) § 11 Rn. 44 ff., 50.
9 Frisch (1983) S. 102 ff., ders. (1988) S. 516 ff.
10 Frisch (1983) S. 502 ff., Stein (2009) passim, Walter (2006) S. 212 f.
11 Roxin AT I (2006) § 11 Rn. 49.
12 Jakobs (1992) S. 44.
13 Jakobs AT (1991) S. VII.
14 Jakobs AT (1991) 6 / 27, S. 141. Hierzu unter B.III.4.
14 A. Einleitung
nahe, die den sozialen Sinn und die soziale Funktion der Handlung betonen
und dabei oft auch den Begriff der Zurechnung einbeziehen.17
Selbst Handlungen, die nur in der Selbstbeobachtung des Handelnden und
nicht in der Beobachtung durch andere konstituiert werden, weisen eine so-
ziale Dimension auf, schon weil die Selbstdeutung das soziale, sprachlich
verankerte Schema der Handlung übernimmt: die Zurechnung auf die eigene
Person. Rechtlich relevante Handlungen werden aber immer auch durch eine
Fremdbeobachtung konstituiert.
Zur sozialen Dimension der Handlung gehört auch der Bezug auf Normen
und Werte, den Handlungen allgemein aufweisen können und als rechtlich
relevante immer aufweisen. Handlungen können Gegenstand einer Bewer-
tung sein oder diese begrifflich implizieren, so die Begriffe einzelner Strafta-
ten. Diese normative Dimension kann im Zurechnungsbegriff integriert wer-
den, weil eine Norm der Zurechnungsgrund innerhalb einer Handlung sein
kann.
2. Die strafrechtlichen wie philosophischen Handlungstheorien stellen
sich die Handlung demgegenüber zumeist als ein willkürliches Körperverhal-
ten vor, das durch den Willen gesteuert wird und gegebenenfalls bestimmte
Folgen in der Welt verursacht.
Dieses Modell der Handlung mag der Alltagsvorstellung entsprechen, doch
hat es nur begrenzte Erklärungskraft. Es ist zu vereinfachend und zugleich
nicht abstrakt genug: Wenn die Handlung eine relationale Struktur zwischen
verschiedenen, aufeinander bezogenen Elementen aufweist, ist es unange-
messen vereinfachend, ein einzelnes Element – das Körperverhalten – für
das Ganze zu nehmen, indem man in der Definition das Ganze und das Ele-
ment gleichsetzt. Infolgedessen können andere Elemente nicht plausibel inte-
griert werden. Wie über das Körperverhalten hinausgehende Erfolge zur
Handlung gehören, bleibt ebenso ungeklärt wie die Relevanz dessen, was der
Handelnde über das Körperverhalten hinausgehend will. In der Definition
des Begriffs kommen diese Elemente nicht vor, weshalb sie als etwas für die
Handlung Unwesentliches erscheinen müssen.
Die Definition der Handlung als Körperverhalten ist zugleich nicht abs-
trakt genug, weil es nicht alle Erscheinungsformen der Handlung deuten
17 Vgl. Larenz (1927) S. 75 ff., Welzel (1931) S. 718 ff. = (1975) S. 19 ff., Roxin
(1968) S. 262, Schmidt (1969) S. 340 f., Hruschka (1976) S. 12 f., Kindhäuser (1980a)
S. 156 ff., 197 ff., (1984) S. 16 ff., (2011) S. 41 ff., Jakobs (1992) S. 27 ff. Vgl. aus
soziologischer Sicht Luhmann (1965) S. 65, (1978) S. 237 f., (1984) S. 228 f. Aus
philosophischer Sicht Lenk (1978) S. 292 ff., 323 f. Vgl. auch Hart (1948), hierzu
Feinberg (1977), S. 186 ff., Kindhäuser (1980a) S. 163 ff., Koriath (1994) S. 379 ff.,
Mañalich (2009) S. 186 ff.
16 A. Einleitung
ständlich, wenn man sie auf die Frage bezieht, wie der Begriff dieser Hand-
lungen zu definieren ist.
Im Gegensatz zum Begriff der Straftat hat dieser Begriff nichtnormativen
Charakter, insofern als er nicht bereits durch die Verbotswidrigkeit definiert
sein kann: Die verbotsgegenständliche Handlung wird erst durch das hinzu-
tretende, auf sie bezogene Verbot als verboten ausgewiesen und kann diese
Bedeutung nicht schon implizieren.
Somit verfügt die Strafrechtsdogmatik mit den beiden Begriffen der Straf-
tat und der verbotsgegenständlichen Handlung über Handlungsbegriffe, die
für sie spezifisch sind. Das begründet die Besonderheit und zugleich die
Berechtigung einer eigenständigen strafrechtlichen Handlungslehre. Dabei
war der Begriff der verbotsgegenständlichen Handlung in der Diskussion der
kausalen und finalen Handlungslehre von vorrangigem Interesse, weil beide
Lehren von der Prämisse ausgingen, dass sich Verbote nur auf Handlungen
richten können. Diese These liegt dem Begriff und dem Aufbau des Verbre-
chens als tatbestandlicher, rechtswidriger, schuldhafter und somit verbotener
Handlung (bzw. gebotswidriger Unterlassung) zugrunde.
2. Dass die vorliegende Untersuchung von einem anderen Handlungsbe-
griff ausgeht als jene beiden Handlungslehren, lässt diese keineswegs als
obsolet erscheinen. Das jeweilige Modell der Handlung ist nur ein Aspekt
einer Handlungstheorie. Die Wahl eines anderen Modells macht die je behan-
delten Fragen nicht überflüssig. Die Antworten werden vielmehr in eine an-
dere begriffliche Sprache übersetzt. So kann der Gegensatz von kausaler und
finaler Lehre auf die Frage bezogen werden, welche Zurechnungsgründe die
verbotsgegenständliche Handlung konstituieren können – ob entweder allein
die subjektive Sinnsetzung des Handelnden ausschlaggebend ist oder objek-
tivierende, beschreibende Kriterien wie die Verursachung oder Vermeidbar-
keit.
Das Zurechnungskonzept der Handlung beantwortet die Frage nach der
verbotsgegenständlichen Handlung übereinstimmend mit der finalen Lehre.
Eine Zurechnung von Ereignissen auf Personen kann nicht plausibel gemacht
und legitimiert werden, indem man ein Geschehen als vermeidbar bloß be-
schreibt, auch wenn diese Beschreibung als soziales Deutungsmuster be-
hauptet wird. Unter dem Blick des Rechts wird aus einem alltäglich-sozialen
sofort ein juristisch-konstruktiver Begriff, wofür die kausale Lehre und ihr
folgende objektivierende Lehren ein Beispiel geben.
Eine zentrale These der Untersuchung ist vielmehr, dass für das Strafrecht
als Zurechnungsgründe einer Handlung ausschließlich die subjektive Sinnset-
zung durch eine Intention oder die objektive durch eine Norm in Betracht
kommen. Diese These wird in der Diskussion der strafrechtlichen Hand-
lungslehren bestätigt werden.
18 A. Einleitung
tention entspricht oder einer Norm widerspricht (C.IV.1.). Aus der Parallelität
von Norm und Intention werden Anhaltspunkte für deren Verständnis und
Definition gewonnen (C.IV.2.).
Schließlich wird gefragt, wie die intentionale und normative Zurechnung
verknüpft werden. Dabei wird mit der Behandlung des vorsätzlichen Bege-
hungsdelikts der Bogen zurück zur Ausgangsfragestellung nach der verbots-
gegenständlichen Handlung geschlagen (C.V.1. f)). In Wiederaufnahme der
Unterscheidung von erfolgsdefinierten und ‑verursachenden Handlungen
(B.III.4.) wird eine allgemeine teleologische Struktur der normativen Zurech-
nung aufgezeigt, welche auch die Lehre von der objektiven Zurechnung ex-
pliziert hat (C.V.3.). Abschließend wird gezeigt, dass und wie eine normativ
begründete Zurechnung ohne vorherige intentionale Zurechnung möglich ist.
Das betrifft zum einen das Fahrlässigkeits- und zum anderen das Unterlas-
sungsdelikt (C.V.4. und 5.).
3. Das Zurechnungskonzept der Handlung, welches die normative Zurech-
nung umfasst, macht deutlich, dass die strafrechtliche Handlungstheorie eng
mit der Normentheorie verknüpft ist. – Norm und Handlung sind gleichsam
die Grundbausteine des Straftatsystems. Dieses kann nur durch eine Kombi-
nation aus Handlungs- und Normentheorie fundiert werden. Deshalb knüpft
die Untersuchung im Hinblick auf die Normentheorie an die vorangehende
Monographie an, insbesondere in der Analyse teleologischer Normenbezie-
hungen.20
4. Die beiden Hauptabschnitte der Untersuchung können unabhängig von-
einander gelesen werden. Der erste zeigt in der Kritik der überlieferten Leh-
ren Vorteile des Zurechnungskonzepts der Handlung. Im zweiten Teil wird
dieses Konzept systematisch entwickelt.
Die Grenzen von Theorie und Dogmatik sowie zwischen allgemeiner und
strafrechtlicher Handlungstheorie spiegeln sich nicht in der Einteilung der
Kapitel, sondern bleiben immanent.
Mit Blick auf die normative Beurteilung von strafrechtlichen Problemen
zeigt die Arbeit einerseits Problemstrukturen und Begründungsprämissen (ins-
besondere zur Irrtumslehre, B.III.2.e), C.V.2.). Andererseits werden mit Hilfe
der Theorie Legitimationsanforderungen klarer formulierbar: Der Kern des
Handlungsbegriffs besteht aus hiesiger Sicht in der Legitimationsfrage, wie
die Zurechnung begründet wird und, normativ gewendet, begründet werden
soll. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Limitierung von Zurechnungs-
gründen (B.V.), strafrechtliche Fragen der Kausalität (C.III.), der normativen
Zurechnung (C.V.3. und 4.) sowie die Vorsatzdogmatik (C.IV.2. und C.V.5.).
20 Ast (2010).
B. Handlung und normative Zurechnung
Verbot) missachtet hat. Nur diese Art der normativen Zurechnung ist mit
Blick auf die Straftat zu behandeln.
2. Die Annahme, dass das Zurechnungssubjekt eine Norm missachtet hat,
ist der Grund der normativen Zurechnung. Ihr Gegenstand ist derjenige
Sachverhalt, welcher der Norm widerspricht. Er ergibt sich aus dem Gegen-
stand der Norm und kann positiv oder negativ bestimmt sein. Bezeichnet die
Norm eine Veränderung, die nicht eintreten soll (z. B. beim Verbot zu töten),
wird der Eintritt dieser Veränderung zugerechnet (im Beispiel: dass eine an-
dere Person gestorben ist); bezeichnet sie eine Veränderung, die eintreten soll
(z. B. beim Gebot, eine Summe Geldes zu zahlen), wird inhaltlich negativ
zugerechnet, dass diese Veränderung nicht eingetreten ist.
Wenn Gegenstand eines Verbots oder Gebots eine Handlung ist, wird de-
ren Ergebnis oder das Ausbleiben deren Ergebnisses zugerechnet. Das Hand-
lungsergebnis kann seinerseits positiv oder negativ bestimmt sein. Positiv
bestimmt ist es etwa bei der Handlung „töten“. Negativ bestimmt ist es bei
den Handlungen „retten“, „abwenden“, „vermeiden“ und „verhindern“, da
das Ergebnis hier das Ausbleiben einer Veränderung ist. Missachtet man das
Gebot einer solchen Handlung, wird positiv zugerechnet, dass die Verände-
rung eingetreten ist.
3. Zurechnungssubjekt der normativen Zurechnung ist das Normsubjekt
(der Adressat der Norm, der Normunterworfene). Die Zurechnung setzt inso-
weit eine namhaft gemachte, als identisch angenommene Person voraus, die
auch bei „natürlichen Personen“ nicht einfach mit dem Menschen oder des-
sen Psyche gleichzusetzen ist.2
Das Zurechnungssubjekt kann an der Normsetzung beteiligt gewesen sein
und sich dadurch selbst der Norm unterworfen haben (bei Versprechen, Ver-
abredung oder Vertrag). Die Norm kann aber auch ohne Rücksicht auf seine
Zustimmung an ihn gestellt sein (generell: Rechtsnormen, singulär: Befehl).
Jedenfalls ist mindestens ein Zweipersonenverhältnis vorausgesetzt.
4. Derjenige, der ein Zurechnungsurteil fällt, ist der Beurteiler. Das kann
der Normsetzer, das Zurechnungssubjekt selbst oder ein Dritter sein. Zurech-
nungsurteile verschiedener Beurteiler können divergieren. Einem Beurteiler
kann die Befugnis zukommen, für alle verbindlich über die Zurechnung zu
entscheiden, so im Hinblick auf die rechtliche Zurechnung der Richter bzw.
das Gericht. Kant unterscheidet insoweit zwischen rechtskräftiger und beur-
teilender Zurechnung (imputatio iudiciaria s. valida und imputatio diiudica
toria).3
3. Die aus dem 18. Jahrhundert stammende Tradition hat für die neuere
Diskussion Hruschka wieder aufgenommen.8 Er wendet in Anschluss an
Daries ein, dass das normative Zurechnungsurteil nicht wie bei Baumgarten
mit der applicatio legis gleichgesetzt werden könne, sondern ihr nachfolge.
Die applicatio legis entspreche dem heutigen Rechtswidrigkeitsurteil, die
imputatio iuris dem Schuldurteil, mit welchem die rechtswidrige Handlung
dem Subjekt zugerechnet werde.9
Sieht man es so, fehlt aber eine klare Definition des Begriffs der imputatio
iuris, wie sie Baumgarten gegeben hat. Die Gleichsetzung von applicatio
legis und imputatio iuris bedeutet demgegenüber, dass nicht das Rechtswid-
rigkeits‑, sondern erst das Schuldurteil den Normverstoß feststellt.10
Diese Position kann hier nicht ausführlich begründet werden. Jedoch
wird ein normentheoretisches Konzept entwickelt, das zeigen kann, dass die
Annahme eines Normverstoßes und mithin das Zurechnungsurteil voraus-
setzt, dass der Normadressat zurechnungsfähig, das heißt in der Lage war,
die Norm zu befolgen. Hierfür ist lediglich zwischen der Bestimmungs-
und Bewertungsperspektive auf die Norm zu differenzieren.11 Das Zurech-
nungsurteil nimmt die Bewertungsperspektive ein. In dieser ist es nur dann
legitimierbar, jemandem mitzuteilen, dass er sich nach der jeweiligen Norm
hätte richten sollen, wenn man aufzeigt, dass er es gekonnt hätte.12 Dem-
nach ist das Rechtswidrigkeitsurteil nur ein Teilaspekt der applicatio legis.
Über die Berechtigung, zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld zu differen-
zieren, ist damit nichts gesagt. Ebenso offen bleiben muss, ob der spezi-
fisch strafrechtliche Schuldbegriff durch ergänzende Merkmale zu definie-
ren ist, um alle strafrechtlichen Schuldausschlussgründe adäquat erklären zu
können.13
4. Baumgartens und Kants Definitionen des Begriffs der normativen Zu-
rechnung setzen voraus, dass zunächst als Handlung und darauf folgend
normativ zugerechnet wird. Die Anbindung der normativen Zurechnung an
8 Hruschka (1976) S. 34 ff. Hierzu Joerden (2010) S. 136 ff., 261 ff. Zu den Grün-
den für das zwischenzeitliche Verschwinden des Zurechnungsbegriffs Stübinger
(2011) S. 170 ff., Pawlik (2012) S. 289 ff. Zur Opposition von Feuerbach (1799)
S. 150 ff. gegen die Zurechnungslehre Hardwig (1957) S. 46 ff., Reinhold (2009)
S. 82 ff.
9 Hruschka (1976) S. 35 f.; (1984) S. 672 ff., 692 ff., (1987) S. 136 f., 166, (1991)
S. 452. Ebenso Blöser (2014) S. 23 ff. Kritisch Reinhold (2009) S. 72 ff., 80, Pawlik
(2012) S. 263 f.
10 So Renzikowski Matt / Renzikowski-StGB (2013) Vor § 13 Rn. 39 f. m. w. N.
11 Vgl. C.V.4.f) und h).
12 Zum Prinzip ultra posse nemo obligatur C.V.4.e).
13 So Roxin (1974) S. 181 ff.
24 B. Handlung und normative Zurechnung
den Begriff der freien Handlung hat beginnend mit Aristoteles Tradition.14
Sie erfasst die Fahrlässigkeitszurechnung aber nur als Ausnahme:15 Die actio
non libera in se sed in sua causa wird „außerordentlich“ zugerechnet.16
Wenn auch die außerordentliche Zurechnung ein Fall der normativen Zu-
rechnung ist, kann deren Begriff nicht durch eine Voraussetzung definiert
werden, welche nur für die ordentliche Zurechnung zutrifft (eine freie Hand-
lung). Deshalb ist dieser Begriff formal als Annahme eines Normverstoßes
zu definieren.17 Dass die „ordentliche“ Zurechnung eine freie Handlung vor-
aussetzt, ergibt sich dann daraus, dass Gegenstand des zurechnungsbegrün-
denden Verbots eine solche Handlung ist. Die Frage, ob nur Handlungen
Gegenstand von Verboten sein können, ist von der Definition des Begriffs
der normativen Zurechnung deutlicher zu trennen. Nur dann ist es auch mög-
lich, die ordentliche und außerordentliche Zurechnung in einem Gesamtkon-
zept zu vereinen, so dass die „außerordentliche“ Zurechnung nicht als syste-
matisch nicht integrierbare Ausnahme erscheint.
Kelsen hat den Begriff der Zurechnung im normativen Sinn in den „Haupt-
problemen der Staatsrechtslehre“ ebenfalls rein formal definiert: „Die auf
Grund der Norm vorgenommene Verknüpfung zwischen einem Seinstatbe-
stande und einem Subjekte ist die Zurechnung.“18 Er meint damit zunächst
die Zurechnung eines normwidrigen Tatbestands an ein Subjekt. Dass dieser
14 Aristoteles Eth. Nic. (1985) III 1–3, 1109b 30 ff., V 10, 1135a 22 ff. [hierzu
Loening (1903), zu diesem wiederum Koriath (1994) S. 102 ff., Hardwig (1957)
S. 11 ff., Stuckenberg (2007) S. 506 ff.]; Pufendorf (1679) liber I caput I §§ 2, 17
[hierzu Welzel (1958) S. 21 f., 84 ff., Hardwig (1957) S. 35 ff., Hruschka (1984), Rein
hold (2009) S. 12 ff.]; Thomasius (1705) liber I caput II, §§ 52 ff., S. 26 ff.; Hegel
(1981) § 113 ff. Kritisch Luhmann (1965) S. 64 f.
15 Aristoteles Eth. Nic. (1985) III 7, 1113b 24 ff. [hierzu Loening (1903) S. 210 ff.,
Hardwig (1957) S. 16 ff.], Kant (1907) S. 224.
16 Hruschka (1976) S. 28, 65 ff., (1984) S. 664 ff., 690 ff., (1987) S. 144 ff., (1991)
S. 454 ff.
17 Ebenso Hardwig (1957) S. 121: „Zurechnung ist wenigstens im entscheidenden
abschließenden Urteil die formale Feststellung, dass es dieser bestimmte Rechtsver-
pflichtete gewesen ist, der die Rechtspflicht verletzt hat.“ Materielle Zurechnungsvo-
raussetzung ist bei Hardwig statt der Handlung die Vermeidbarkeit des Geschehens;
er trennt dann selbst aber nicht deutlich genug zwischen Begriffsdefinition und mate-
riellen Voraussetzungen, Hardwig (1957) S. 120, 151. Das erschwert die Rezeption,
so bei Koriath (1994) S. 130. Kritisch Kahlo (2001) S. 47 ff., 53 ff.
18 Kelsen (1911) S. 72, hierzu Hardwig (1957) S. 107 ff., Pohlmann (1984)
S. 86 ff., Koriath (1994) S. 146 ff., Renzikowski (2002), Paulsen (2004), Reinhold
(2009) S. 30 ff., 72 f., Stübinger (2011) S. 155 m. w. N.
I. Die Begriffe von Handlung und Zurechnung25
„auf Grund der Norm“ zugerechnet wird, bedeutet, dass der Seinstatbestand
als der Norm widersprechend beurteilt wird; das Geschehen wird unter eine
Norm subsumiert. Kelsen bemerkt, dass prinzipiell sowohl eine akausale als
auch eine ateleologische Zurechnung möglich ist – so beim Unterlassungs-
bzw. Fahrlässigkeitsdelikt.19 Offenbar muss aber in der missachteten Norm
irgendeine Relation zwischen dem Zurechnungssubjekt als Normadressat und
dem Zurechnungsgegenstand hergestellt werden und sei es nur durch die
Anknüpfung an das Eigentum des Normadressaten.20
Die Bestimmung der Art dieser Relation und sonstiger materieller Zurech-
nungsvoraussetzungen wird aus dem Strukturbegriff der Zurechnung ausge-
lagert, weil sie die Legitimation der zurechnungsbegründenden generellen
wie singulären Normen betrifft. Die Reine Rechtslehre enthält sich inhaltli-
cher Vorgaben, entsprechend ihrem Selbstverständnis als einer Strukturtheo-
rie des Rechts. Aus ihrer Sicht beginnt hier das Feld der praktisch-dogmati-
schen Rechtswissenschaft. Doch es ist auch ein Thema der Rechtstheorie, die
Praxis der normativ wie der nicht normativ begründeten Zurechnung zu be-
schreiben und zu reflektieren.
Die hier relevante „Zurechnung eines Unrechtstatbestands“ ist für Kelsen
allerdings von untergeordneter Bedeutung.21 Da er den Begriff der Rechts-
norm inhaltlich auf die Sanktionsanordnung festlegt, erkennt er die Verhal-
tensnormen (Pflichten) nicht als eigenständige Rechtsnormen an.22 Dement-
sprechend unterscheidet er eine innere, pflichtenbegründete von der äußeren,
rechtsnormbegründeten Zurechnung; zum einen, wie dargelegt, die Zurech-
nung des Unrechtstatbestands an den Täter, zum anderen die Zurechnung der
Sanktion als Folge des Unrechtstatbestands.23
Beide Zurechnungsbegriffe sind indessen unverträglich, da im ersten Fall
das der Norm Widersprechende (der Unrechtstatbestand), im zweiten das der
Norm Entsprechende (die Sanktion), im ersten etwas vom Täter zu Verant-
wortendes, im zweiten von ihm zu Erleidendes „zugerechnet“ wird. Die äu-
ßere Zurechnung der Sanktion setzt dabei die innere Zurechnung eines Un-
rechts voraus. Umgekehrt ist die innere nicht notwendig mit einer äußeren
Zurechnung verbunden. Es gibt etwa rechtswidrige oder schuldhafte Taten,
die nicht bestraft werden. Wesentlich für den Begriff der Zurechnung ist
deshalb allein die Verknüpfung von Normsubjekt und Unrechtstatbestand,
nicht aber die Sanktionsfolge.24
oder als Versuche einer Synthese zugeordnet werden, je nachdem, wie sie
sich zu der genannten Frage verhalten.
Die Beschäftigung mit dem Handlungsbegriff im Strafrecht muss von bei-
den Grundpositionen ausgehen. An ihnen können die Möglichkeiten, Gren-
zen und Probleme von Theorieannahmen aufgezeigt werden. Erst nachdem
der Überblick gewonnen ist, kann beurteilt werden, welche Positionen haltbar
und anschlussfähig sind. Einzelne Probleme werden aber bereits zuvor ge-
klärt – so der Begriff der tatbestandlichen Handlung, die Möglichkeit einer
vortatbestandlichen Handlungsfeststellung sowie die Relevanz des Erfolgs
für den Handlungsbegriff.
Erst im Anschluss an die Diskussion beider Handlungslehren wird das
Zurechnungskonzept der Handlung entwickelt. Es ist in der Theoriedarstel-
lung nicht bereits vorausgesetzt. Ziel der Arbeit ist es, einen Neuansatz für
die strafrechtliche Handlungslehre zu erarbeiten. Die bisher bestehenden
Theorieangebote sollen dabei so weit wie möglich ausgeschöpft, differenziert
und in geklärter Form in Gebrauch genommen werden.
1. Radbruch definierte, dass für eine Handlung erforderlich sei „Wille, Tat
und eine Beziehung zwischen beiden,“ wobei „Tat“ „eine Körperbewegung
in kausaler Verbindung mit dem Erfolg“ sei.32 Die Beziehung zwischen Wille
und Tat wird als eine Verursachung aufgefasst.33 Die These, dass der Wille
seinerseits verursacht sei,34 ist für die Definition des Handlungsbegriffs nicht
entscheidend.35
Wichtig ist, dass der Inhalt des Willens zur Bestimmung der Tat nicht re-
levant wird: Der Handelnde muss weder den Erfolg noch die Körperbewe-
gung vorhergesehen oder gewollt haben.36 Der Wille wird aber durchaus
nicht als „inhaltslos“ gedacht, wie kritisiert wurde.37 Selbstverständlich muss
der Handelnde etwas Bestimmtes gewollt haben – nur eben nicht zwingend
das Verwirklichte. Die Zurechnung wird nicht auf das Gewollte begrenzt,
auch deshalb, weil die fahrlässige Verursachung als Handlung darstellbar
sein sollte.38
Mit der Definition des Handlungsbegriffs verfolgte Radbruch vor allem
ein strafrechtssystematisches Interesse: Spricht man von der Straftat als einer
rechtswidrigen und schuldhaften Handlung, setzt das einen Begriff der Hand-
lung voraus, der bei sämtlichen Deliktsarten – also auch dem Fahrlässigkeits-
delikt – anwendbar ist und den Sinngehalt der Merkmale „rechtswidrig und
schuldhaft“ nicht bereits impliziert.39
2. Nach Radbruch gibt es einen solchen Begriff aber letztlich nicht, weil
ein vom Körperverhalten ausgehender Handlungsbegriff die Unterlassung
nicht erfassen kann.40 Radbruch postulierte deshalb eine grundlegende Zwei-
teilung des Straftatsystems in Handlungs- und Unterlassungsdelikte, wofür er
kritisiert wurde.41
Jedoch ist zu bedenken, dass Verbote die normwidrige und Gebote die
normgemäße Handlung bezeichnen. Daraus folgt, dass nur das Urteil über
den Verbotsverstoß eine Handlung voraussetzt und dass sich nur beim Bege-
hungsdelikt die Urteile über Rechtswidrigkeit und Schuld auf eine Handlung
beziehen müssen. Beim Unterlassungsdelikt hingegen genügt die Feststel-
lung, dass der Handelnde die gebotsgegenständliche Handlung nicht verwirk-
licht hat; hierauf beziehen sich die Urteile von Rechtswidrigkeit und Schuld.42
Das Verbrechen setzt aus dieser Perspektive die rechtswidrig-schuldhafte
Verwirklichung oder Nichtverwirklichung einer Handlung voraus.
Definiert man die Handlung als Körperbewegung, stellt man für den abs-
trakten Handlungsbegriff einen rein physischen Aspekt in den Vordergrund.
36 Radbruch (1904a) S. 110 ff., 127–131. Zur Frage, ob die Körperbewegung ge-
wollt sein muss, mit Blick auf „ungeschickte Bewegungen“ a. a. O. S. 128 f.
37 Hruschka (1976) S. 10, Kindhäuser (1980a) S. 183, Koriath (1994) S. 332 f.
38 Radbruch (1904a) S. 82–85, 101–103, 128–130.
39 Radbruch (1904a) S. 71 f., 115 ff.; unzutreffend deshalb die Deutung von Schild
(1995) S. 102.
40 Radbruch (1904a) S. 131 ff., 140 ff.
41 Wolff (1964) S. 10 f., Kindhäuser (1980a) S. 182, Koriath (1994) S. 333, Zabel
(2007) S. 199.
42 Vgl. zu den Konsequenzen dieses Unterschieds unter C.V.5.
34 B. Handlung und normative Zurechnung
Es fragt sich deshalb, ob und wie der Sinn einer Handlung im Handlungsbe-
griff berücksichtigt wird.
Sinn kann man sehr abstrakt durch eine relationale Struktur bestimmen:
Wenn ein Gegenstand durch seinen Sinn gekennzeichnet ist, verweist er auf
anderes. Sinnaspekte einer Handlung können zum einen die sprachliche oder
sonstige kommunikative Bedeutung sein, zum anderen aber auch die Absicht
des Handelnden, das Handlungsergebnis zu verwirklichen. Sinn liegt auch
noch grundlegender darin, dass jede Handlung auf unbestimmte andere Mög-
lichkeiten des Handelns verweist, da sie sonst nicht Handlung wäre.43
Nur den zuletzt genannten, grundlegenden Aspekt berücksichtigt die kausale
Lehre. Die Handlung ist nach v. Liszts ursprünglicher Konzeption die „kausal-
wirkende willkürliche Körperbewegung (Kontraktion der Muskeln). Willkür
aber ist bewusste und gewollte (d. h. durch Vorstellungen bestimmte und moti-
vierte) Erregung der motorischen Nerven […], ist also gleichbedeutend mit
Innervation.“44 Da die Bestimmung durch Vorstellungen kontingent ist, wird
zumindest insoweit ein Sinnaspekt aufgenommen. Darüber hinaus sind Sin-
naspekte einer Handlung für die kausale Lehre nicht begriffswesentlich.
Wenn die Bedeutung eines Körperverhaltens ganz ausgeblendet wird, ist
es konsequent, auch die Erfolge zunächst rein „physiologisch“ und „materi-
ell“ zu deuten, so beim frühen v. Liszt. Die Beleidigung wird mit Blick auf
ihren allgemeinen Handlungscharakter als „Erregung von Luftschwingungen
und … physiologischen Prozessen in dem Nervensystem des Angegriffenen“
beschrieben.45 Der „ideelle“, „juristische“, „nur begrifflich existierende“
Sinn tritt dann lediglich hinzu.46
Jener Sinn ist nun für die Begriffe speziellerer Handlungsarten wie die
Täuschung oder Ehrverletzung ganz offensichtlich wesentlich, schon weil
diese, berücksichtigt man allein das körperliche Geschehen, gar nicht identi-
fiziert werden können. Der Bedeutungsaspekt etwa einer sprachlichen Äuße-
rung kann für die kausale Lehre zwar nicht deren Handlungscharakter be-
gründen. Wohl aber kann er differentia specifica einer bestimmten Hand-
lungsart sein. Weil Gegenstand von Verboten nur Handlungen von bestimmter
Art sind, kommt es für die kausale Lehre gegebenenfalls allein darauf an,
dass der Begriff einer Handlungsart durch einen Bedeutungsgehalt definiert
wird.
Gleichwohl bleibt für eine allgemeine Handlungstheorie entscheidend, ob
nicht erst der Sinn und gegebenenfalls welcher Sinn eine Handlung konstitu-
Auch die kausale Lehre kann und muss somit Sinnaspekte als Handlungs-
bestandteil anerkennen, schon weil die Arten kommunikativer Handlungen
wie etwa die Beleidigung durch einen bestimmten Sinn definiert sind. Diese
Sinnaspekte ordnet man im Strafrecht dem objektiven Tatbestand zu. Objek-
tiv sind sie insofern, als eine Äußerung sich hier auf konventionale Bedeu-
tung insbesondere der Sprache bezieht.
Nicht in den Handlungsbegriff aufgenommen werden indes die subjektiven
Absichten des Handelnden. Der subjektiv gemeinte Sinn einer Handlung
wird nach der strafrechtlichen kausalen Lehre weder in der Definition des
allgemeinen Handlungsbegriffs noch in den Definitionen der Begriffe von
Handlungsarten berücksichtigt.50 Er ist gegebenenfalls bloß eine unwesent
liche, akzidentielle Eigenschaft der verbotsgegenständlichen Handlungen.
Diese werden nach dem Sinnverständnis eines Beurteilenden definiert, das
dieser als objektiv, also allgemeingültig behaupten muss.
Das erklärt sich nicht aus dem Anliegen, auch das Fahrlässigkeitsdelikt als
Handlung zu beschreiben. Hierzu würde es genügen, den abstrakten Oberbe-
griff entsprechend zu definieren. Es folgt vielmehr aus der objektiven Un-
rechts- und der (psychologischen) Schuldlehre, die mit der kausalen Hand-
lungslehre verbunden ist.
Die kausale Lehre konzipiert die Unterscheidung von Unrecht und Schuld
als eine von Objektivem und Subjektivem. Unrecht und somit verbotswidrig
ist das Verursachen eines rechtswidrigen Zustands.51 Schuld ist die insoweit
47 Radbruch (1930) S. 161 f. S. 161 f. Vgl. Wolff (1964) S. 11, Kindhäuser (1980a)
S. 184; Koriath (1994) S. 334, Zabel (2007) S. 199.
48 A.II.1.2.
49 v. Liszt / Schmidt (1932) § 28, S. 154, 157; zur sozialen Handlungslehre unten
B.III.5.b), B.V.3.
50 Beling (1906) S. 140 f.,178 f., Mezger (1952) § 18.II.2.b. S. 40. Vgl. demgegen-
über zur philosophischen kausalen Handlungstheorie unten d).
51 Jhering (1879) S. 159 ff., Mezger (1924) S. 239 ff.
36 B. Handlung und normative Zurechnung
sie gegen ein Verbot verstößt; schuldhaft, wenn sie vorsätzlich oder fahrläs-
sig ist.64 Diese Merkmale setzen einander begrifflich voraus: Das Verbot
bezieht sich auf eine Handlung, schuldhaft kann nur eine verbotswidrige
Handlung sein, und strafbar nur eine schuldhafte Handlung.
Allein das Merkmal der Strafbarkeit ist ein spezifisch strafrechtliches. Wer
einem anderen ein Buch wegnimmt, um es zu lesen und es anschließend
wieder zurückzubringen, handelt rechtswidrig und schuldhaft, ist aber nicht
wegen Diebstahls strafbar, weil er sich das Buch nicht zueignen wollte. Die
Rechts- und Verbotswidrigkeit kann wie in diesem Beispiel primär zivilrecht-
lich zu bestimmen sein; in anderen Fällen ergibt sich das Verbot erst im
Rückschluss aus der Strafdrohung, so bei den Straftaten gegen den Staat.
Nun interessieren den Strafrechtler zivil- und öffentlichrechtlich begrün-
dete Verbote nur insoweit, als sie strafrechtlich sanktioniert werden. Wenn
jemand ohne Erlaubnis ein Haus baut, fehlt es von vornherein an einem
strafrechtlich sanktionierten Verbot. Es ist eigentlich überflüssig, eine Straf-
barkeit in Betracht zu ziehen, doch wenn man sie prüft, muss man zunächst
Rechtswidrigkeit und Schuld bejahen und kann erst auf der anschließenden
dritten Systemstufe die Strafbarkeit verneinen.
Es liegt deshalb nahe, die Prüfung von Handlung und Rechtswidrigkeit
von vornherein auf diejenigen Handlungsarten zu beschränken, die in den
einzelnen Strafbestimmungen beschrieben sind, sowie auf diejenigen Ver-
bote, die in jenen vorausgesetzt sind. Diese systematische Alternative wird
durch den Begriff des Tatbestands bzw. genauer: der tatbestandlichen Hand-
lung eröffnet.
3. Die tatbestandliche ist die für eine Verbrechensart charakteristische,
verbotsgegenständliche Handlung.65 Das heutige StGB verwendet für sie den
Begriff „Tat“ (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 5, §§ 32, 34 StGB). Die Prüfung von
Rechtswidrigkeit und Schuld bezieht sich nur auf diese Handlungsart.
Dementsprechend kann das Verbrechen als schuldhafte rechtswidrige Tat
(tatbestandliche Handlung) definiert werden. In dieser Definition ist die Tat-
bestandlichkeit ein handlungsdefinierendes Merkmal. Rechtswidrigkeit und
Schuld sind hingegen nicht Merkmale des Begriffs der tatbestandlichen
Handlung. Sie treten zur tatbestandlichen Handlung hinzu und bezeichnen
Eigenschaften, die für diese unwesentlich sind.
Der Tatbestand beschreibt die tatbestandliche Handlungsart und scheidet
dadurch wesentliche von unwesentlichen Eigenschaften einer tatbestandli-
chen Handlung. Unwesentlich ist etwa für die tatbestandliche Handlungsart
„töten“, welcher Art Täter, Opfer und Mittel sind. Eine tatbestandliche Hand-
lungsart kann demgegenüber definiert sein durch die Spezifizierung des
Handlungssubjekts oder -objekts, des Sinns, des Ergebnisses, der Modalität
sowie von Zeit und Ort.
Eine Straftat kann auch aus mehreren tatbestandlichen Handlungen zusam-
mengesetzt sein. So sind beim Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) eine Täuschung,
eine Irrtumserregung, eine Schädigung und eine zumindest versuchte Berei-
cherung tatbestandlich; beim Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) sind es eine Weg-
nahme, eine Drohung oder Gewaltanwendung und Nötigung sowie eine zu-
mindest versuchte Zueignung.
4. Die „objektiven“ Merkmale der tatbestandlichen Handlungsart(en) sind
der Bezugspunkt des Vorsatzes. Das folgt nicht erst aus der finalen Hand-
lungslehre, sondern gilt bereits für die kausale: Weil diese das Verbrechen als
schuldhafte tatbestandliche Handlung definiert, das Merkmal der Schuld also
auf die tatbestandliche Handlung bezieht und den Vorsatz als Schuldform
auffasst, begründet die Definition der tatbestandlichen Handlungsart zugleich,
welche Handlungsumstände vom Vorsatz umfasst sein müssen.
Dass und in welchem Umfang Vorsatz erforderlich ist, ist systematisch
somit sowohl nach der kausalen als auch der finalen Handlungslehre im Be-
griff der tatbestandlichen Handlung verankert.
stands“, die nicht auf den allgemeinen Handlungsbegriff bezogen sind, keine
definierenden Merkmale der tatbestandlichen Handlungsart sein.
Diese Auffassung des Tatbestands findet sich schon bei Beling selbst.66
Systematisch entwickelt hat sie Erik Wolf in seiner Analyse von „Typen der
Tatbestandsmäßigkeit.“ Er hat auf der Grundlage des kausalen Begriffs
Handlungselemente und -umstände unterschieden. Handlungs elemente
seien – entsprechend den Definitionsmerkmalen des kausalen Handlungsbe-
griffs – nur der Willensentschluss, die Willensbetätigung und der Erfolg in
ihren jeweiligen tatbestandlichen Ausprägungen. Handlungsumstände seien
demgegenüber etwa Ort und Zeit, aber auch der Sinn der Handlung.67
Gegen Wolfs Konzept hat Engisch eingewendet, dass es zweifelhaft sei, ob
jedes Merkmal eines Unterbegriffs – des Begriffs der tatbestandlichen Hand-
lung – aus den Merkmalen eines Oberbegriffs – des allgemeinen Handlungs-
begriffs – konkretisierend entwickelt werden müsse.68 Eine Gegenkritik kann
gegen die Fassung des Oberbegriffs gewendet werden: Ein Oberbegriff sollte
nicht durch bloßes Weglassen von Merkmalen eines Unterbegriffs, sondern
durch Abstraktion gewonnen werden, so dass die Merkmale eines Unterbe-
griffs auf Merkmale des Oberbegriffs bezogen und aus ihnen heraus spezifi-
zierend entwickelt werden können.69
2. Eine Konzeption wie die Wolfsche führt jedenfalls dazu, dass die Be-
schreibung der tatbestandlichen Handlungsart nur ein Element des „Tatbe-
stands“ unter anderen ist. Man muss dementsprechend im Einzelfall unter-
scheiden zwischen dem Vorliegen einer Handlung von tatbestandlicher Art
und der „Tatbestandsmäßigkeit“ dieser Handlung in dem Sinn, dass auch die
übrigen Umstände erfüllt sind, welche im „Tatbestand“ beschrieben sind. Die
„Merkmale“ des Tatbestands teilen sich demnach in Merkmale der Hand-
lungsart (nach Wolf „Handlungselemente“) und in Tatbestandsvoraussetzun-
gen, die unwesentliche Eigenschaften der tatbestandlichen Handlung be-
schreiben („Handlungsumstände).
Am plausibelsten erklärbar wird dies an einer etwas komplizierteren Tat
wie dem Schwangerschaftsabbruch nach §§ 218 Abs. 1 i. V. m. 218a Abs. 1
66 So schon Beling (1906) S. 203 f. Ganz ähnlich heute Puppe. Sie definiert wie
Beling den allgemeinen Begriff der Handlung durch Tun durch das Merkmal der will-
kürlichen Körperbewegung, Puppe NK-StGB (2017) Vor §§ 13 ff. Rn. 41, 61. Wohl
deshalb zählt sie etwa den Handlungserfolg und Eigenschaften des Handlungssub-
jekts nicht zum Begriff der tatbestandlichen Handlung, Puppe NK-StGB (2017)
Vor §§ 13 ff. Rn. 4, 33.
67 Wolf (1931) S. 427 mit einer Übersicht nach S. 438, zum Handlungsbegriff auf
S. 389.
68 Engisch (1968) S. 170 f.
69 Vgl. Cassirer (1910) S. 27 ff.
42 B. Handlung und normative Zurechnung
liert, welche er als Arten des Verschuldens dem „Verbrechen“ und somit der
Sanktionsnorm zuordnete.90 Dass er gleichwohl nicht eine objektive Un-
rechtslehre vertrat, erklärt sich daraus, dass das Verschulden – unabhängig
von der Art des Verschuldens – Deliktsvoraussetzung ist.91 Es wird der Sa-
che nach durch ein Fahrlässigkeitsurteil begründet: Jede Norm verpflichte
implizit zur Aufmerksamkeit.92 Ein Delikt liegt deshalb nur vor, wenn der
Handelnde im Einzelfall erkennen sollte, dass er die deliktstatbestandliche
Handlung verwirklicht, und wenn er es nicht vermieden hat, sie zu verwirk-
lichen, weil er dieses nicht erkannt hat oder obgleich er es erkannte.93
4. Während Binding im Hinblick auf den Erfolg Verletzungsverbote an-
nahm, gründen seine „Nachfolger“ ihre Konzeptionen auf Gefährdungsver-
bote, was Binding entschieden abgelehnt hätte.94
Für Frisch ist Gegenstand des Verbots, das den Straftatbeständen zugrunde
liegt, das „tatbestandsmäßige Verhalten“. Es besteht bei Erfolgsdelikten ge-
rade nicht aus einer Handlung der vom Strafgesetz bezeichneten, durch den
Erfolgseintritt definierten Art (z. B. „töten“), sondern aus einer Handlung von
im Strafgesetz nicht beschriebener Art, die durch die Schaffung einer Er-
folgsgefahr definiert wird (z. B. „eine Todesgefahr schaffen“, Unterart: „auf
jemanden schießen“).95 Das Verbot dieser Handlungsart ist auch dann miss-
achtet, wenn der Erfolg nicht eintritt. Der Erfolgseintritt ist eine bloße
Sanktionsvoraussetzung,96 weswegen die „Erfolgszurechnung“ allein nach
strafzweckbezogenen Kriterien begründet wird.97 Da die Handlungsart, wel-
che durch die Gefahr definiert wird, bereits aufgrund ihrer objektiv erkenn-
baren Gefährlichkeit verboten ist, ist auch ein subjektiver Bezug des Han-
delnden hierauf nicht zwingend erforderlich. Der Vorsatz ist daher ebenfalls
nur Sanktionsvoraussetzung.98
begründen: zum Erfolg Stein (2009) S. 61–85, zum Vorsatz S. 229 ff., 249 ff., 278 ff.,
307 ff., zum Unterschied zu Frischs Normentheorie S. 309 f.
99 Binding Normen II (1914) S. 161, 230 f.; ders. Grundriss (1913) S. 86. Hierzu
Heinitz (1926) S. 20.
100 Binding Handbuch (1885) S. 504.
101 Binding Handbuch (1885) S. 503, hierzu Armin Kaufmann (1954) S. 18 ff.
102 Vgl. Binding Normen II (1914) S. 230 ff.
103 Binding Normen I (1890) S. 92 ff., Handbuch (1885) S. 503, 565 f.
104 Frisch (1983) S. 60, Freund AT (2009) § 1 Rn. 34.
105 Vgl. auch Stein (2009) S. 344, der zwischen dem Tatschuldurteil und dem Ur-
teil über die Strafbedürftigkeit der Tatschuld differenziert. Vgl. zur vorbelingschen
Konzeption B.III.2.a)2.
106 Am Beispiel des Einverständnisses mit der Wegnahme Ast (2013) S. 306 f.
52 B. Handlung und normative Zurechnung
119 B.II.2.
56 B. Handlung und normative Zurechnung
1. Prämisse:
Wenn es verboten ist zu täuschen und eine Person getäuscht hat, so hat die Per-
son das Verbot zu täuschen missachtet.
2. Prämisse:
Nun ist es verboten zu täuschen, und A hat getäuscht.
3. Schluss:
Also hat A das Verbot zu täuschen missachtet.
Die Urteile, dass eine tatbestandliche und somit verbotsgegenständliche
Handlung vorliegt und dass diese verboten ist, sind logisch verschieden.
Auch wenn das Verbot außer der tatbestandlichen Handlung keinen weiteren
Inhalt hätte, wäre das Urteil, dass diese Handlung gegeben ist, nicht gleich-
bedeutend mit dem Urteil, dass sie verboten ist, da die tatbestandliche als
verbotsgegenständliche Handlung nicht dadurch definiert sein kann, dass sie
verboten ist.
8. Belings Bemerkungen zur „Wertfreiheit“ des Tatbestands sind oft als
missverständlich kritisiert worden.127 Sie können wie folgt präzisiert werden:
Man muss unterscheiden zwischen (a) dem Begriff der tatbestandlichen
Handlung und (b) dem singulären Urteil, dass eine einzelne tatbestandliche
Handlung vorliege.
(a) Der Begriff einer tatbestandlichen Handlungsart ist nicht „wertfrei“,
weil er im normativen Kontext steht und dementsprechend ausgelegt wird.
Mit der Statuierung eines Straftatbestands legt der Gesetzgeber fest, welche
Handlungsart bei Strafe verboten ist. Der Begriff dieser Handlungsart ist
deshalb normativ geprägt.
(b) Gleichwohl ist das singuläre Urteil über die Tatbestandlichkeit wertfrei
in dem Sinn, dass ein negatives Werturteil über die einzelne Handlung mit
ihm weder explizit noch implizit verbunden ist. Da der Begriff einer tatbe-
standlichen Handlung nicht durch das Merkmal der Verbotswidrigkeit defi-
niert wird, sondern lediglich normativ geprägt, also seinem Inhalt nach von
einer Norm abgeleitet ist, kann auch das singuläre Urteil, dass eine solche
Handlung vorliegt, ein normatives Zurechnungsurteil nicht enthalten. Inso-
fern ist es rein deskriptiv; es stellt Tatsachen fest.
wird, der alle anderen Gründe ausschließt bzw. herabstuft. Ein Grund, der
Gegengründe zulässt, ist – in die Sprache der Normen zurückübersetzt – kein
Verbot, sondern nur eine relativierbare Bewertung, die im Einzelfall zurück-
treten kann.
4. Die normentheoretische These der Lehre von den negativen Tatbe-
standsmerkmalen ist zutreffend: Das Verbot einer Handlungsart und die kor-
respondierenden Erlaubnisse derselben Handlungsart ergänzen einander:
Dass eine Handlung nur erlaubt ist, wenn bestimmte Bedingungen vorlie-
gen (alternativ Notwehr oder Notstand oder andere Rechtfertigungsgründe),
heißt nichts anderes, als dass sie verboten ist, wenn diese Bedingungen nicht
vorliegen. Eine bedingte, abschließende „nur-wenn“-Erlaubnis ist mit dem
korrespondierenden bedingten „wenn-nicht“-Verbot gleichbedeutend. Diese
Erlaubnis ist lediglich ein negativ ausgedrücktes Verbot. Die Negation der
norminhaltlichen Bedingung und die Negation des Normoperators sind
gleichwertig und können gegeneinander ausgetauscht werden. Ist es nur bei
Grün erlaubt (= nicht verboten), über eine Ampel zu fahren, ist es verboten
zu fahren, wenn die Ampel nicht grün anzeigt (entsprechend umgekehrt,
wenn man Verbot und Erlaubnis auf die rote Ampel bezieht).
Die Erlaubnissätze, die den einzelnen Rechtfertigungsgründen wie Not-
stand und Notwehr zugrunde liegen, sind allerdings nicht im Sinn eines „nur
wenn“ abschließend bedingt. Sie sind lediglich durch ein „jedenfalls wenn“
bedingt. Sie verwenden somit die logische Relation der Implikation, während
die abschließende Erlaubnis eine Replikation ausdrückt. Verneint man die
Voraussetzungen einer solchen nicht abschließenden Erlaubnis, heißt das
nicht, dass die Handlung verboten ist. Es kann immer noch eine andere Er-
laubnis eingreifen. Wenn man Notwehr verneint, kann noch Notstand gege-
ben sein. Beachtet man aber sämtliche Erlaubnissätze, die sich auf eine
Handlung beziehen, und ist diese Handlung nicht von ihnen gedeckt, lässt
sich ein sicherer Rückschluss darauf ziehen, dass die Handlung verboten ist.
5. Das Verbot der tatbestandlichen Handlung ist somit dadurch bedingt,
dass die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe nicht vorliegen. Des-
halb wäre es prinzipiell möglich, jene negative Kennzeichnung der Hand-
lungssituation zugleich als Merkmal des Begriffs der verbotsgegenständli-
chen bzw. tatbestandlichen Handlungsart aufzufassen. Die normentheoreti-
sche These der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen zwingt aber
nicht zu einer bestimmten Konzeption der tatbestandlichen bzw. normgegen-
ständlichen Handlungsart.
Es ist zunächst durchaus möglich, dass eine tatbestandliche Handlung
durch negative Merkmale charakterisiert ist. Ein Beispiel hierfür ist das straf-
bewehrte Verbot, ohne Fahrerlaubnis Auto zu fahren (§ 21 Abs. 1 Nr. 1
StVG). Die negative Verbotsbedingung ist ein Merkmal des Begriffs der
III. Der kausale, objektive Handlungsbegriff63
sich allein, sondern nur in Verbindung mit dem Fehlen besonderer Unrechtsaus-
schließungsgründe. […] Der Tatbestand ist das Urteil darüber, dass die ihm unter-
fallende Handlung bis auf weiteres Unrecht ist.“138
Dass eine Handlung von tatbestandlicher Art bis auf weiteres oder prima
facie Unrecht ist, heißt aber, dass sie noch kein Unrecht ist. Die Informatio-
nen, die beim Handlungstatbestand in Betracht gezogen werden, genügen
nicht, um ein Unrechtsurteil zu begründen. Immerhin kann man feststellen,
dass eine Handlung von einer Art vorliegt, die der Gesetzgeber generell
missbilligt. Für die einzelne Handlung drückt das aber gerade keine Missbil-
ligung aus. Es ist nur eine generelle, nicht auf die Einzelhandlung bezogene
Bewertung, wie sie eben auch im „Akt der gesetzgeberischen Tatbestands-
schöpfung“ zum Ausdruck kommt.
8. Wenn man nicht vom Handlungs-, sondern vom Unrechtstatbestand
ausgeht, ermöglicht das Tatbestandsurteil hingegen, ohne weitere Tatsachen-
feststellungen das Unrechtsurteil zu fällen. Wenn alle tatsächlichen Voraus-
setzungen des Unrechtsurteils feststehen, kann in einem nächsten Schritt auf
die Rechtswidrigkeit geschlossen werden.
Gleichwohl sind beide Urteile zu unterscheiden. Das singuläre Urteil über
die Tatbestandlichkeit allein ist bloß deskriptiv. Der Schluss auf das Rechts-
widrigkeitsurteil ergibt sich erst in Verbindung mit der generellen normativen
Prämisse, dass jede Verwirklichung des „Unrechtstatbestands“ rechtswidrig
ist.139
Da der Begriff der Tatbestandlichkeit nicht durch den Begriff der Rechts-
widrigkeit, sondern nur als Inbegriff der tatsächlichen Voraussetzungen der
Rechtswidrigkeit definiert wird, impliziert die Tatbestandlichkeit begrifflich
nicht die Rechtswidrigkeit. Das Tatbestandsurteil ist deshalb nicht gleichbe-
deutend mit dem Rechtswidrigkeitsurteil, so dass, auch wenn man den Be-
griff des Gesamtunrechtstatbestands zugrunde legt, als Voraussetzungen des
Verbrechens Tatbestandlichkeit und Rechtswidrigkeit zu nennen sind.
Für Beling begründet die These von der logischen Gleichordnung der De-
liktsmerkmale Tatbestandlichkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld die Gleich-
rangigkeit der entsprechenden Prüfungsstufen. Auf die gleiche Stufe mit
diesen Attributen wollte Beling nun auch die Handlung selbst stellen und sie
als eigenständigen, gleichgeordneten Prüfungspunkt etablieren. Zuerst sei
festzustellen, dass eine Handlung, dann, dass eine tatbestandliche Handlung
gegeben ist:
„Es ist ja doch unbestreitbar, dass es Handlungen gibt, die einen strafrechtlich rele-
vanten Tatbestand ausmachen – strafrechtlich charakterisierte Handlungen –, und
solche, die das nicht tun. Folglich rührt die Feststellung, dass eine ‚Handlung‘
vorliege, noch gar nicht an die Eigenschaften der Handlung. Noch bevor man die
Frage aufwirft, ob die Tat ein ‚Diebstahl‘, ein ‚Mord‘ usw. sei, mit anderen Worten
bevor man ihre Bedeutung prüft, ist die Frage selbständig zu erledigen, ob über
haupt eine ‚Handlung‘ vorliege.“140
Eine Abstufung von Gattungs- und Artmerkmalen ist ohne weiteres mög-
lich. Zum Beispiel kann man, wenn man prüft, ob ein Einzelding eine Platane
ist, zunächst darlegen, dass es ein Baum ist, weil es eine Pflanze mit Blättern
und Stamm ist und anschließend, dass es eine Platane ist, weil die Blätter
eine dreizackige, ahornblattähnliche Form haben und sich die Rinde in Plat-
ten ablöst.
Die vom kausalen Handlungsbegriff ausgehende Prüfung, ob eine Täu-
schungshandlung vorliegt, kann dementsprechend aufgeteilt werden. Zuerst
wäre darzulegen, dass eine willkürliche Körperbewegung gegeben ist, weil
der Täter einem anderen etwas gesagt hat. Anschließend wäre darzulegen,
dass die Körperbewegung objektiv den Sinn einer Täuschung hat. Die Prü-
fung einer Schädigungshandlung müsste abstrakt, ohne Rücksicht auf die
Handlungsart, aufzeigen, dass überhaupt eine Veränderung vorliegt – etwa
weil der Getäuschte dem Täuschenden Geld gegeben hat –, um bei der Prü-
fung der Handlungsart festzustellen, ob ein Vermögensschaden gegeben ist.
Diese Aufspaltung der Prüfung in allgemeine und besondere Handlungs-
merkmale ist aber überflüssig, weil man sich auf beiden Prüfungsstationen
auf dasselbe Geschehen bezieht.
Diese Doppelung kann Beling vermeiden, indem er die Merkmale des
kausalen Handlungsbegriffs noch weiter reduziert. Er lässt den Erfolg unbe-
rücksichtigt und definiert die Handlung allein durch das Merkmal der will-
Indem man die Handlung nur als Körperbewegung definiert, kann man
somit vermeiden, in einer vortatbestandlichen Prüfung der Handlung Merk-
male der tatbestandlichen Handlung vorwegzunehmen.
Ungeachtet dessen ist diese Prüfung überflüssig.143 Handlungen gibt es
ebenso wie etwa Bäume nur in besonderen Arten. Wie Honig bemerkt hat,
kann man „nicht schlechthin, sondern nur etwas unterlassen“ und „nicht
schlechthin, sondern nur etwas tun.“ Das dürfe man „beim Gebrauch des
Gattungsbegriffs Handlung, der als letzte Abstraktion keine Objektsbezie-
hung mehr aufweist, [nicht] vergessen.“144 Die für die strafrechtliche Prüfung
in erster Linie relevante Handlungsart ist dabei die tatbestandliche Hand-
lungsart. Der Begriff einer tatbestandlichen Handlungsart muss dabei alle
Merkmale des abstrakten Handlungsbegriffs aufweisen. Der kausalen Lehre
zufolge gehört dazu auch das Merkmal der willkürlichen Körperbewegung.
Dieses steht gleichrangig neben seinen übrigen Merkmalen, z. B. dem Eintritt
eines Erfolgs. Die Abgrenzungsfunktion, etwa zu Reflexen oder Bewegungen
im Schlaf, erfüllt deshalb jeder Handlungsbegriff, da er – als Ober- oder
Unterbegriff – Handlungen von Nichthandlungen abgrenzt. Das ist also kein
besonderer Vorteil des Begriffs der willkürlichen Körperbewegung.
Die vortatbestandliche Prüfung der willkürlichen Körperbewegung legt
schließlich eine fehlerhafte Identifikation des Prüfungsgegenstands nahe.
Wenn man eine willkürliche Körperbewegung beschreibt, bezeichnet man
bereits eine besondere Handlungsart – eine „Körperbewegungshandlung“.
Wenn jemand einen anderen erschießt, ist das „Krümmen des Fingers am
Abzug der Pistole“ bereits für sich eine Handlung – jedoch nicht der tatbe-
standlichen Art „töten“.
den. Das kommt im Merkmal der Willkürlichkeit zum Ausdruck. Der Vollzug
eines Handelns bedeutet dabei immer auch ein Unterlassen jedes alternativ
möglichen Handelns, da andere Möglichkeiten im Merkmal der Willkürlich-
keit begrifflich vorausgesetzt sind. Handeln und Unterlassen sind deshalb,
sofern inhaltlich nicht näher spezifiziert, nahezu bedeutungsgleich. Die Be-
obachtung eines Handelns verweist auf ein bestimmtes Körperverhalten, die
eines Unterlassens letztlich auf dasselbe Verhalten. Denn das Unterlassen
wird nur negativ bestimmt als Unterlassen jedes anderen möglichen Körper-
verhaltens als des im Moment der Beobachtung stattfindenden.
Die Begriffe des Handelns bzw. Unterlassens sind, was die Art des Han-
delns angeht, inhaltlich ganz unbestimmt. Wenn festgestellt wird, dass je-
mand handelt, kann man daraus schließen, dass mindestens eine Handlung
gegeben ist; welche und wie viele darüber hinaus, bleibt unbestimmt. Diese
eine Handlung ist eine beschreibbare Einheit des Körperverhaltens. Sobald
man jenes beschreibt, muss man diese Handlung benennen, z. B.: „A bewegt
einen Finger.“ Aus der Feststellung, jemand habe gehandelt, kann somit nur
erschlossen werden, dass eine bestimmbare „Körperbewegungshandlung“
vorliegen muss; alle anderen Arten von Handlungen, etwa durch den Eintritt
bestimmter Erfolge definierte Arten, können durch die Beobachtung bloß des
Handelns nicht identifiziert und beschrieben werden.
Für das Strafrecht hat dieser inhaltlich unbestimmte Begriff des Handelns
deshalb keine Bedeutung. Weil nach der kausalen Lehre die tatbestandliche
Handlung eine willkürliche Körperbewegung voraussetzt, muss diese auf der
Tatbestandsstufe geprüft werden. Da man sie aber immer benennen und so-
mit abgrenzen muss, geht man über den inhaltlich unbestimmten Begriff des
Handelns sofort hinaus.
Nun ist die absolute, willkürliche Körperruhe zweifellos eine Handlung, aber
so wie jede andere Handlung auch ist sie nicht zugleich eine Unterlassung,
sondern geht mit dem Unterlassen möglicher anderer Handlungen nur einher.
Zum anderen verweist Beling darauf, dass in einer Handlung (etwa: dem
Strümpfestricken der Mutter) eine Unterlassung liegen könne (etwa: dem
Kind Nahrung zu verabreichen).151 Zutreffend daran ist, dass die Unterlas-
sung voraussetzt, dass der Unterlassende irgendwie handelt. Identifiziert man
die Unterlassung aber mit einer der Handlungen bzw. einem Körperverhalten,
in welchem die Unterlassung liegt, definiert man die Unterlassung gar nicht
bzw. begründet einen Zirkel: Die „Unterlassung einer Handlung“ ist ein Kör-
perverhalten (z. B. das Strümpfestricken), in welchem die „Unterlassung ei-
ner Handlung“ (der Ernährung des Kindes) und somit (da die Unterlassung
ein Körperverhalten ist, in welchem eine Unterlassung liegt) ein Körperver-
halten liegt, in welchem die Unterlassung einer Handlung liegt …
Stattdessen ist die Unterlassung als Nichtvornahme einer möglichen Hand-
lung zu definieren. In der Voraussetzung der Handlungsmöglichkeit wird
dabei implizit auf ein Körperverhalten Bezug genommen, von welchem aus-
gehend ein anderes möglich gewesen wäre.
handelt. Hierzu muss man nicht wissen, um welche Art Baum es sich han-
delt. Auch der allgemeine Begriff der Handlung sollte die Identifikation ein-
zelner Handlungen ermöglichen. Er muss Merkmale enthalten oder auf Kri-
terien verweisen, die es ermöglichen, eine einzelne Handlung zu bestimmen.
Dieser Mangel des kausalen Handlungsbegriffs wird durch die Methode
begründet, die Definition durch bloße Reduktion und nicht durch Abstraktion
von Begriffsmerkmalen einzelner Handlungsbegriffe zu entwickeln. Während
die reduktionistische Begriffsbildung einfach Merkmale weglässt, sucht die
abstrahierende die Gemeinsamkeit von Merkmalen verschiedener Artbegriffe
(bzw. von Eigenschaften der bezeichneten Gegenstände). Wenn das gelingt,
können auch die Merkmale der Artbegriffe auf entsprechende Merkmale des
Gattungsbegriffs bezogen bzw. aus ihnen entwickelt werden.152 So beziehen
sich die Merkmale des Begriffs der Platane auf die Merkmale des Begriffs
Baum, werden aber durch zusätzliche Eigenschaften ergänzt (Form des
Stamms, der Blätter etc.). Dass ein tatbestandlicher Handlungsbegriff wie
„töten“ durch die Verursachung eines Erfolgs oder der Begriff der „Täu-
schung“ durch Sinnaspekte definiert wird, hat demgegenüber keine Entspre-
chung in einem Merkmal eines Handlungsbegriffs, der nur durch die Körper-
bewegung definiert wird. Die Begriffe der Arten von Handlungen werden
vielmehr nach der Art eines Baukastensystems durch bloßes Hinzufügen von
Merkmalen gebildet.
Die Bemühung um eine Definition eines Begriffs kommt, wenn der Ge-
genstand komplex ist, nicht umhin, eine Theorie des Gegenstands zu entwi-
ckeln. Es würde verwundern, wenn sich ausgerechnet die Handlung mit einer
reduktionistischen und extrem einfachen Definition erfassen ließe. Es ist
keineswegs überholt, wenn in der Logik von Port-Royal für die Definition
gefordert wird:
„Eine Definition muss klar sein, das heißt, sie muss uns dazu dienen, eine klarere
und deutlichere Idee des definierten Dinges zu erhalten, und sie muss uns soweit
als möglich seine Natur erkennen lassen: so dass sie uns dazu verhilft, die haupt-
sächlichen Eigenschaften des Dinges auf ihren Grund zurückzuführen.“153
4. Erfolgsdefinierte Handlungsarten
Bei Delikten, die einen Erfolg voraussetzen, ist dieser sowohl für die kau-
sale als auch die finale Handlungslehre ein Merkmal der tatbestandlichen
und somit verbotsgegenständlichen Handlungsart. Die Handlung und daher
auch der Verstoß gegen das Verbot dieser Handlung setzen demnach voraus,
dass der Handlungserfolg eintritt.
Beide Handlungslehren nehmen an, dass der Erfolg durch den Handelnden
verursacht sein müsse. Für sie ist die Handlung ein Kausalprozess aus Wille,
Körperverhalten und Erfolg. Das ist eine naturalistische Sichtweise, die dem
hier zu entwickelnden Zurechnungskonzept entgegengesetzt ist. Sie zemen-
tiert für das Strafrecht, was man als „Kausaldogma“ bezeichnen kann – näm-
lich die Annahme, dass Handlungserfolg und somit normativ zurechenbar nur
sein könne, was der Handelnde verursacht hat.154 Dieses Dogma hat zu einer
Hypertrophie des Kausalitätsbegriffs in der strafrechtswissenschaftlichen und
moralphilosophischen Diskussion geführt.155 Dieser Begriff wurde dabei mit
der Bedingungstheorie in eigentümlicher Weise sehr weit gefasst, woraus für
die Handlungslehren das Problem der Begrenzung der Zurechenbarkeit von
Erfolgen entstand; hierzu mehr im anschließenden fünften Kapitel.
Zunächst wird der strafrechtliche Begriff des „Erfolges“ präzisiert (a).
Derjenigen Handlung, deren Art durch den Eintritt des Erfolgs definiert wird,
steht diejenige Handlung gegenüber, die den Erfolg verursacht: die Ausfüh-
rungs- oder Anknüpfungshandlung der erfolgsdefinierten Handlung (b).
Beide Handlungen können dabei auf identische Körperbewegungshandlungen
(hierzu bereits im vorangegangenen dritten Kapitel) zurückgeführt werden.
Wie sich all diese Handlungen zueinander verhalten, wird unter (c) themati-
siert.
Die Unterscheidung von erfolgsdefinierter Handlung und Ausführungs-
handlung führt zu einer entsprechenden Unterscheidung der Verbote jener
Handlungen. Wegen der Steuerungsfunktion der Normen müssen Ausfüh-
rungshandlungen von Verboten prospektiv gesehen verursachungsgeeigneter
Handlungen erfasst werden. Die Unterscheidung beider Normarten ist für die
Zurechnungslehre von großer Bedeutung; hierzu unter (d).
dem Vorschlag, die Unterscheidung von „Akt“ und „Tätigkeit“ (z. B. rauchen, laufen
oder lesen) durch diejenige von Ereignis und Prozess zu begründen.
161 Beling (1906) S. 203 ff.
162 Welzel (1969) S. 63, 106 f. Vgl. hierzu kritisch im Zusammenhang mit dem
Begriff der eigenhändigen Delikte Roxin (2000) S. 405 ff., 433 m. w. N.
163 Vgl. Beling (1906) S. 206.
164 Zutreffend Roxin (2000) S. 407.
165 Sternberg-Lieben Sch / Sch-StGB (2014) § 123 Rn. 35, Roxin (2000) S. 412.
Für den Charakter des Hausfriedensbruchs als Tätigkeitsdelikt wohl Beling (1906)
S. 205.
166 Vgl. zur Unterscheidung von Handeln und Erleben Luhmann (1978).
167 Zu dieser Deliktsart Loening (1888) S. 273 f. = (1889) S. 149 f., Binding (1915)
S. 265 ff., ders. Normen IV (1919) S. 597 f. Dagegen v. Liszt (1908) § 50 II.3. S. 219,
v. Liszt / Schmidt (1931) § 48 II.3.b. S. 334. Vgl. Mezger (1931) S. 418 ff., Roxin
(2000) S. 392 ff. Geschichtlich Engelmann (1911) S. 464 ff.
76 B. Handlung und normative Zurechnung
ben ist: „Erfolg“ ist die für eine Deliktsart teleologisch ausschlaggebende
Veränderung, das heißt diejenige Veränderung, welche die strafrechtliche
Verhaltensnorm zu verhindern bezweckt.
Der Eintritt dieses Erfolges muss für die Verwirklichung einer tatbestand-
lichen Handlungsart nicht vorausgesetzt sein. So kommt es dem Verbot der
Falschaussage auf die Vermeidung von Fehlurteilen an; strafbar ist aber be-
reits die Falschaussage als solche. Bei den konkreten Gefährdungsdelikten
wie der Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315c StGB ist der Gefahrerfolg
kein Erfolg in diesem Sinn, weil vorrangig eine Verletzung und nur deshalb
auch eine konkrete Gefährdung verhindert werden soll. Solcherart Erfolge
i. w. S. kann man als Zwischenerfolge bezeichnen. Es gibt auch Delikte, für
die ein Erfolg i. e. S. gar nicht bestimmt werden kann, so der Inzest.
168 Der Begriff des Verursachens setzt zwar nicht abstrakt genug an, weshalb hier
zunächst von einem Bedingen gesprochen wird. Zum abstrakteren Begriff der Kontin-
genzbedingung und zur Frage der über Handlungen anderer vermittelten Erfolge erst
unter C.III.
169 v. Wright (1979) S. 51 f., Kindhäuser (1980a) S. 87.
170 Vgl. bereits Beling (1904) S. 30.
III. Der kausale, objektive Handlungsbegriff77
171 Deutlich etwa bei Jescheck / Weigend AT (1996) § 24 III 1: Die Unterscheidung
von Erfolgs- und Handlungsunwert beruhe auf derjenigen von Erfolg und der „Art
und Weise der Herbeiführung“ des Erfolgs. Die „Handlung“ kann deshalb nicht be-
reits den Erfolg voraussetzen.
172 Welzel (1969) § 11 II 2.
173 Etwa Jescheck / Weigend (1996) § 27 II: „Der Erfolg ist nicht Handlungsbe-
standteil, wohl aber (vielfach) objektives Tatbestandsmerkmal.“ Zu Konzepten, wel-
che die erfolgsdefinierte Handlung nicht als normgegenständlich ansehen, siehe oben
B.III.2.b) unten B.IV.3.
78 B. Handlung und normative Zurechnung
174 Gegen die These von der Identität auch Kindhäuser (2011) S. 46 f., dessen Bei-
spiel jedoch die verschiedene Beschreibungen desselben Erfolgs betrifft (Tötung des
Wanderers – Tötung des Laios). Die Nichtidentität dieser beiden Handlungen lässt
sich nur unter der Prämisse eines intentionalen Handlungsbegriffs begründen (Ödipus
fehlte die Intention, Laios zu töten).
175 Dagegen Davidson (1971) S. 93 f.
176 Feinberg (1977) S. 204 f., Davidson (1971) S. 87 ff. Zuvor der Sache nach
Anscombe (1986) S. 59 ff., p. 37 ff. mit einem komplexeren Beispiel.
177 Danto (1965) S. 373 ff., Davidson (1971) S. 81 ff., von Wright (1991) S. 70,
165 f., Kindhäuser (1980a) S. 85 ff., ders. (1980b) S. 479 ff. m. w. N.
III. Der kausale, objektive Handlungsbegriff79
„das Zimmer lüften.“178 Entsprechend lässt sich für das „Töten“ eine Hand-
lungskette bilden: Krümmen des Fingers am Abzug der Pistole (Basishand-
lung) – Schießen (Ergebnis: ein Schuss wird ausgelöst) – Töten (Ergebnis:
der Tod der getroffenen Person).
Das Verhältnis dieser Handlungen wird nun derart bestimmt, dass die Ba-
sishandlungen und ergebnisvoraussetzenden Handlungen verschiedene Be
schreibungen derselben Handlung seien. Hierin stimmen Vertreter der kausa-
listischen und intentionalistischen Richtung überein. So schreibt Anscombe
zu einem Beispiel, in welchem jemand andere tötet, indem er vergiftetes
Wasser in den Hausvorrat pumpt:
„Seinen Arm mit der um den Pumpenschwengel geschlossenen Hand auf und ab zu
bewegen ist, unter diesen Umständen, die Pumpe zu betätigen; und unter diesen
Umständen ist es den Hausvorrat aufzufüllen; und unter diesen Umständen ist es
das Vergiften der Hausbewohnerschaft. Es gibt also eine Handlung mit vier Be-
schreibungen, deren jede von umfassenderen Umständen abhängt, und von denen
jede auf die nächste als Beschreibung eines Mittels zu einem Zweck bezogen
ist.“179
Auch Davidson sieht es so:
„Ich knipse den Schalter an, mache das Licht an und beleuchte das Zimmer. Ohne
zu wissen alarmiere ich auch einen Einbrecher, der merkt, dass ich zu Hause bin.
Hier brauche ich keine vier Dinge getan zu haben, sondern nur eines, von dem vier
Beschreibungen gegeben worden sind.“180
Diese Auffassung ist so zu verstehen, dass die Tatsache dieselbe ist, auf
welche sich die verschiedenen Beschreibungen beziehen: die aus einer Kör-
perbewegung bestehende Basishandlung. Ferner erscheint diese Basishand-
lung als die „eigentliche“ Handlung. So definiert Davidson die Handlung
denn auch als „absichtliches Tun.“ Das entspricht dem Begriff der willkürli-
chen Körperbewegung, mit dem Unterschied, dass sich der Willkürakt inhalt-
lich auf die Körperbewegung beziehen muss.181
3. Die Vorstellung, dass verschiedene Handlungsarten im Einzelfall nur
verschiedene Beschreibungen desselben „Tuns“ sind, wurde bereits kriti-
siert.182 Sie ist eng mit der Vorstellung der Handlung als Körperbewegung
186 v. Buri (1870) S. 5, v. Liszt (1908) § 29 I, S. 125 ff., Mezger (1931) S. 122,
RGSt 1, 373, 374 (Hinstellen vergifteten Weins), RGSt 15, 151, 152 f. (Apotheker-
fall). Zur Entwicklung Mezger (1931) S. 112 ff.
187 Die Vereinbarkeit der Bedingungstheorie mit einer indeterministischen Grund-
position wird deutlich bei v. Buri (1882) S. 233, der die Äquivalenztheorie gerade mit
Blick auf die Teilnahmelehre entwickelt hat.
188 Kritisch hierzu Kindhäuser (1980a) S. 183, Koriath (1994) S. 333, 461, Haas
(2002) S. 305, Eisele Sch / Sch-StGB (2014) Vor §§ 13 ff. Rn. 27, Renzikowski Matt /
Renzikowski-StGB (2013) Vor § 13 / 63.
189 Vgl. die These Feinbergs (1977) S. 215 ff., dass die Auswahl der Ursache im-
mer durch das Interesse eines Beobachters begründet ist.
III. Der kausale, objektive Handlungsbegriff83
a) Das Regressverbot
190 Hruschka (1998) S. 593, Renzikowski, in: Maurach / Gössel / Zipf (2014) § 47
Rn. 3, 18, 71.
191 v. Liszt (1908) § 29 IV S. 128 (nur aufgrund der gesetzlichen Vorgabe).
192 Frank (1931) Einl. § 1 III 2 a, S. 14 f., v. Liszt / Schmidt (1932) § 29 V. S. 165 f.
Hierzu Renzikowski (1997) S. 157 ff., Hruschka (1998a) S. 581 ff. Die Rechtspre-
chung folgt dem nicht. Vgl. RGSt 34, 91, 92 (Logenschließerfall). Sie nimmt Straf-
barkeit auch in Konstellationen fahrlässiger Anstiftung oder Beihilfe zur Vorsatztat
an, etwa RGSt 61, 318 (Vermietung einer feuergefährlichen Wohnung, Bestrafung des
Vermieters auch bei vorsätzlicher Brandstiftung eines anderen).
193 Renzikowski (1997) S. 72 ff.
84 B. Handlung und normative Zurechnung
c) Die Adäquanztheorie
198 Roxin AT I (2006) § 8 Rn. 30 f. und Küpper (1990) S. 62 werfen ihr deshalb die
Vermischung von sozialer und rechtlicher Wertung vor.
199 Schmidt (1939) S. 75 f., (1969) S. 345 ff.
200 v. Kries (1889) S. 531 ff., Merkel (1889) S. 71 f., 99 ff., 106 ff., Liepmann
(1900) S. 59 ff., 68 ff., v. Bar (1907) S. 181 ff., Tarnowski (1927) S. 338 ff., 405 ff.
Vgl. Engisch (1931) S. 41 ff., Mezger (1931) S. 117 ff. m. w. N.
201 Aristoteles Eth. Nic. (1985) V 10 1135b, mit wohl unzutreffender Übersetzung
von παραλόγως. Zur Deutung Loening (1903) S. 230 f.
202 v. Bar (1907) S. 196 f.
86 B. Handlung und normative Zurechnung
oder unvernünftigen Natur, vielmehr, wie es der Wahrheit entspricht, als ein reflek-
tierendes, den Kausalzusammenhang in gewissem Umfang durch Berechnung be-
herrschendes Wesen behandeln und somit den Kausalzusammenhang auch nach
dem Stande der Reflexion, Einsicht und dem Bestreben des Handelnden zu begren-
zen uns berechtigt erklären.“
2. Der angesprochene Stand der Reflexion des Handelnden wird freilich
als ein generalisierender Maßstab der Vernunft gesehen. Somit fließt ein
normativer Maßstab in die Definition des Begriffs der tatbestandlichen
Handlung ein. Die Begriffe der Vorhersehbarkeit oder Berechenbarkeit der
Verursachung sind an sich zwar nicht normativ. Ohne Rücksicht auf Normen
gibt es aber keine festen Maßstäbe, um zu bestimmen, wie wahrscheinlich
eine Verursachung sein muss, um noch als vorhersehbar zu gelten.203 Außer-
dem wäre durch nicht normativ bestimmte Kriterien das Urteil über die
Rechtswidrigkeit der adäquaten Verursachung methodisch nicht angemessen
fundiert. Deshalb ist die Adäquanztheorie nur tragbar, wenn man sie als nor-
mativ begründet versteht und wenn das auch auf die Beurteilung des Einzel-
falls durchschlägt.
Auf die Kriterien, welche die Anhänger der Adäquanztheorie ausgearbeitet
haben, trifft das der Sache nach zu: Nach v. Kries ist eine Verursachung ad-
äquat bzw. vorherseh- und vermeidbar, wenn eine Handlung generell geeig
net ist, den Erfolg zu verursachen.204 Das Urteil hierüber ist zwar zunächst
ebenfalls nicht normativ. Im rechtlichen Zusammenhang wird es aber nur
deshalb relevant, weil sich das prospektiv geltende Verbot einer retrospektiv
gesehen verursachenden Handlung nur legitimieren lässt, wenn eine Hand-
lung dieser Art generell verursachungsgeeignet (gefährlich) ist. Nur dann ist
das Verbot über den Einzelfall hinaus generalisierbar.
Ferner schlägt sich darin der Gedanke des ultra posse nemo obligatur
nieder: Nur wenn aufgrund der Erfahrung, also generalisierbar erkennbar ist,
dass die Handlung erfolgsgeeignet ist, kann man verlangen, dass das auch
der Handelnde erkennt und die Handlung unterlässt. Der normative Charak-
ter des Adäquanzkriteriums wird vollends deutlich, wenn mit seiner Hilfe
erlaubte Risiken ausgeschieden oder zurechenbare Erfolge durch die Erwä-
gung begrenzt werden, vor welchen (adäquaten) Verläufen eine Sorgfalts-
norm schützen kann.205
So hat man auch offen eingestanden, dass es beim Adäquanzkriterium „auf
die Kausalität gar nicht ankommt, sondern dass ein ganz anders geartetes, ein
206 Sauer (1921) S. 443. Vgl. auch Traeger (1904) S. 42, Honig (1930) S. 178 f.
207 Rabruch (1902) S. 387, (1904a) S. 106 ff., (1905) S. 266.
208 Vgl. v. Bar (1907) S. 205.
209 M. L. Müller (1912) S. 22 ff., Engisch (1930) S. 335 ff., ders. (1931) S. 52 ff.
210 Engisch (1930) S. 336. Vgl. ders. (1931) S. 53.
211 So später einige Anhänger der finalen Lehre. Siehe unter B.IV.3.
88 B. Handlung und normative Zurechnung
1. Der Begriff der objektiven Zurechnung geht für das Strafrecht auf Ho-
nig zurück. Dieser ging von der Lehre der adäquaten Verursachung aus,
trennte aber die wertenden Kriterien vom Kausalitätsbegriff und verselbstän-
digte sie in der Kategorie der objektiven Zurechnung.214 Zurechnungskrite-
rium war für ihn, dass der verursachte Erfolg bezweckbar sein muss. Das
steht in einer Reihe mit den Kriterien der generellen Eignung und Vorherseh-
barkeit, welche die Adäquanztheorie entwickelt hatte.215 Während aber die
212Siehe B.II.2.
213Engisch (1930) S. 350.
214 Honig (1930) S. 183 ff., 188, im Anschluss an Larenz (1927) S. 51 ff., 58, 68 ff.,
77 ff., 90 ff. Hierzu Roxin (1970b) S. 133 ff., Schroeder (2003) S. 653 ff. Nahestehend
auch Mezger (1931) S. 121 ff., der ebenfalls im Anschluss an die Adäquanztheorie
nach der rechtlichen Relevanz des Kausalverlaufs fragt und dadurch die Erfolgszu-
rechnung begrenzt.
215 Honig (1930) S. 196 f. Ebenso Engisch (1944) S. 160 ff., 164 f., „objektiv-fina-
ler Handlungsbegriff“: „Handlung ist das Bewirken bezweckbarer Folgen durch einen
willkürlich vollzogenen Akt.“
III. Der kausale, objektive Handlungsbegriff89
objektive Zurechnung von der äquivalenten Kausalität her gesehen häufig als
Haftungseinschränkung begriffen wird,216 betonte Honig, dass sie eine tatbe-
standliche Handlung (im kausalen Sinn) als Objekt strafrechtlicher Wertung
erst begründet:
„Nach meiner Auffassung enthält die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit nicht
eine Haftungsbeschränkung, sondern sie schafft überhaupt erst das Beurteilungsob-
jekt und damit die Grundlage der Haftung. Sie ist das Fundament, nicht aber das
Korrektiv des Handlungsbegriffs. Ist die Willensbetätigung überhaupt nicht tatbe-
standsgemäß, dann ist überhaupt keine Handlung im strafrechtlich interessierenden
Sinne gegeben.“217
Erst durch die objektive Zurechnung wird demnach eine Handlung konsti-
tuiert. Die heutige Lehre von der objektiven Zurechnung, die Roxin wesent-
lich geprägt hat,218 versteht sich allerdings kaum mehr als ein Beitrag zur
Handlungslehre; sie steht aber durchaus in der Entwicklungslinie von kausa-
ler Lehre und Adäquanztheorie.219 Ganz im Sinne Honigs und eines kausalen
Handlungsbegriffs schreibt Roxin:
„Es ist demnach zunächst die Aufgabe der Zurechnung zum objektiven Tatbestand,
die Umstände anzugeben, die aus einer Verursachung (als der äußersten Grenze
möglicher Zurechnung) eine Tatbestandshandlung, also z. B. aus einer Todesverur-
sachung eine rechtlich relevante Tötungshandlung, machen; ob eine solche Tö-
tungshandlung dann auch zum subjektiven Tatbestand zugerechnet werden kann
und damit vorsätzlich ist,“220 …
… berührt den Handlungscharakter demnach nicht mehr.
2. Die objektive Zurechnung eines Erfolgs setzt der Lehre von der objek-
tiven Zurechnung gemäß voraus, dass der Handelnde ein unerlaubtes Risiko
geschaffen und sich gerade dieses Risiko in der Erfolgsverursachung bestä-
tigt (realisiert) hat.221 Das heißt nichts anderes, als dass die verursachende
Handlung bereits für sich genommen und aufgrund ihrer prospektiv zu be-
stimmenden Gefährlichkeit verboten sein muss222 und dass darüber hinaus
gerade der gefahr- bzw. verbotsbegründende Umstand die Erfolgsverursa-
chung bedingt haben muss. Diese beiden Zurechnungsvoraussetzungen sind
227 Welzel (1931) S. 718 = (1975) S. 19. Zuvor bereits in einem Aufsatz 1930,
abgedruckt in (1965) S. 197 und (1975) S. 4 f. Anschließend daran (1935) S. 79 =
(1975) S. 108.
228 Welzel (1969) S. 64.
92 B. Handlung und normative Zurechnung
Weil die finale Lehre die Finalität und den Vorsatz als für eine Handlung
maßgeblich ansieht, fällt es ihr schwer, fahrlässig verursachte Erfolge als
zurechenbar auszuweisen. Die Intention des Täters ist beim Fahrlässigkeits-
delikt nicht auf den Erfolg gerichtet. Wie ist also zu erklären, dass dieser
zugerechnet wird?
Von der kausalen übernahm die finale Lehre die systematische und nor-
mentheoretische Prämisse, jedes Delikt, also auch das fahrlässige, vornorma-
tiv als Handlung zu beschreiben. Der tatbestandlichen Handlung sind dem-
nach die Attribute rechtswidrig und schuldhaft zuzuordnen; Gegenstand der
strafrechtlichen Verbote können nur Handlungen sein.243
Während aber die kausale Lehre den Handlungsbegriff dieser Prämisse
unterordnete und ihn danach ausrichtete, beanspruchte Welzel, den Begriff
am vorgegebenen Gegenstand auszurichten; die dogmatische Systembildung
wurde dem Handlungsbegriff unterworfen. Im Gegenzug bereitete dasjenige
systematische Problem große Schwierigkeiten, nach welchem sich die kau-
sale Lehre ausgerichtet hatte, nämlich das Fahrlässigkeitsdelikt vornormativ
als Handlung zu erweisen.
241 Welzel (1969) S. 55 ff. Zur Rezeption in Literatur und Rechtsprechung Roxin
(1983) S. 303 ff.
242 Ebenso Roxin (1983) S. 310 ff., ders. AT I (2006) § 10 Rn. 38 f., Cancio Melia
(1995) S. 191, Haas (2002) S. 307, Pawlik (2012) S. 212. Schutzzweckerwägungen
ordnet Welzel hingegen der Vorsatzdogmatik zu. Vgl. Welzel (1969) S. 66 (fehlende
Einwirkungsmöglichkeit auf das Geschehen, Beispiel: Jemanden ins Gewitter schi-
cken – was demnach wohl als sozial inadäquat zu beurteilen wäre) und S. 73 (Abwei-
chung vom vorhergesehenen Kausalverlauf).
243 Welzel (1931) S. 720 = (1975) S. 21, Welzel (1969) S. 37, 49 ff., Armin Kauf
mann (1954) S. 106 ff.
IV. Der finale, subjektive Handlungsbegriff95
Welzels erster Lösungsversuch ähnelt der Lehre von der adäquaten Kausa-
lität: Das fahrlässige Begehungsdelikt lässt sich vornormativ als Verursachen
eines tatbestandlichen Erfolgs beschreiben, das vorhersehbar, eventuell sogar
bezweckbar und jedenfalls durch finales Handeln oder Unterlassen vermeid-
bar war. Welzel deutet diese Lösung bereits 1931 an:
„Als eigene Tat oder Handlung einem Subjekt zugehörig und in diesem Sinne ob-
jektiv zurechenbar ist jeder tatbestandlich festgelegte Erfolg, der vom Täter sinn-
haft gesetzt oder dessen Abwendung vorhersehbar und sinnhaft setzbar war.“244
Demnach wäre zunächst jedes vorhersehbare Verursachen des Erfolgs vor-
normativ als Handlung zurechenbar. Um es auch normativ zurechnen zu
können, muss das Urteil, dass der Handelnde den Erfolg vorhersehen konnte,
dahingehend verstärkt werden, dass er ihn vorhersehen und vermeiden sollte.
Vorherseh- und vermeidbar ist das Verursachen, wenn die verursachende
Handlung prospektiv als geeignet einzuschätzen war, den Erfolg zu verursa-
chen.245
Eine bloß möglich gebliebene Finalität, die zumal nicht auf das Erreichen,
sondern Vermeiden des Erfolgs gerichtet ist, hat sich aber gerade nicht ver-
wirklicht.246 Der Begriff der vermeidbaren Verursachung stimmt somit mit
dem kausalen, nicht aber dem finalen Handlungsbegriff überein.247 Er würde
die finale Lehre somit in eine dualistische Konzeption des Gegenstands der
strafrechtlichen Verbote führen. Diese sind entweder auf eine finale Hand-
lung oder auf eine vermeidbare Verursachung des Erfolgs gerichtet. Diese
Konsequenz konnte die finale Lehre nach dem oben Gesagten nicht akzeptie-
ren. Deutlich hierzu Niese:
„Wenn man sagt, dass das unabdingbare Merkmal menschlichen Handelns die Fi-
nalität ist, so kann man von da aus nichtfinales Handeln nicht mehr als Handlung
244 Welzel (1931) S. 720 = (1975) S. 21; ausführlich ders. (1935) S. 80 ff. = 109 ff.
Objektive hier im Gegensatz zur Schuldzurechnung, in Anschluss an Larenz (siehe
oben B.III.4.d)). Bezugnehmend Welzel (1931) S. 718 f. = (1975) S. 20.
245 Vgl. Niese (1951) S. 43, ebenso später Welzel (1969) S. 129.
246 Vgl. Niese (1951) S. 43, Hirsch (2003b) S. 517 f.
247 So bereits Niese (1951) S. 51 ff.
96 B. Handlung und normative Zurechnung
bezeichnen; dadurch würde sich der Finalismus selbst aufheben. Vor dieses Prob-
lem ist der Finalismus gestellt, nachdem die potentielle Finalität als Handlungsmo-
ment ausfällt. […] Wenn [aber] eine unfinale Erfolgsverursachung begrifflich keine
Handlung sein kann, so wird ein Gegner der Finalisten sofort einwerfen: Dann gebt
ihr den geltenden Verbrechensbegriff auf; denn darüber besteht ja nun wenigstens
Einigkeit, dass das Verbrechen Handlung ist; das Fahrlässigkeitsdelikt ist aber als
unfinale Erfolgsverursachung vom Standpunkt der finalen Handlungslehre aus kei-
ne Handlung.“248
252 Armin Kaufmann (1964) S. 44, 46 f., ders. (1974) S. 409 ff., Zielinski (1973)
S. 128 ff.,136 ff., 143 f., 152 ff., 191, Schaffstein (1974) S. 561 f., Dornseifer (1989)
S. 433 ff.
253 Deutlich Hirsch (2003b) S. 519.
254 Kritisch daher Renzikowski (1997) S. 214 f.
255 Dafür Armin Kaufmann (1974) S. 411. Dagegen Hirsch (1982) S. 253 ff., ders.
(2003) S. 522.
256 Armin Kaufmann (1964) S. 42 f. m. w. N., ders. (1968 ) S. 51. Zu Müller siehe
B.III.4.c).
257 M. L. Müller (1912) S. 22.
98 B. Handlung und normative Zurechnung
Die Konsequenz, die Voraussetzung des Erfolgseintritts auch aus dem Be-
griff der finalen Handlung zu entfernen, haben Armin Kaufmann und sein
Schüler Zielinski dann auch gezogen. Die wesentlichen Argumente hierfür
sind schon bei Hold von Ferneck angedeutet, der bemerkte, dass „in Wahr-
heit […] doch immer nur der Versuch verboten“ sei: Der Erfolgseintritt sei
bei der Fahrlässigkeit zufällig, und auch beim Vorsatzdelikt werde der Kau-
salverlauf vom Täter nicht vollständig beherrscht.258 Entsprechend argumen-
tiert auch Zielinski: Der Handelnde könne nur sein eigenes Körperverhalten
unmittelbar steuern. Ob dieses tatsächlich verursachungsgeeignet ist und
deshalb den Erfolg verursacht, könne er nicht sicher wissen. Das stehe des-
halb außerhalb des Finalzusammenhangs.259
Handlung und Verbotsgegenstand ist demnach auch beim Vorsatzdelikt
nicht das finale Verursachen des Erfolgs, sondern nur das bewusst verursa-
chungsgeeignete Körperverhalten. Der Erfolgseintritt ist nicht unmittelbar
Gegenstand der Norm, sondern nur als Bezugspunkt von Kenntnis und Ab-
sicht des Handelnden. Zielinski und Kaufmann gingen noch einen Schritt
weiter: Es komme nicht darauf an, ob das Körperverhalten tatsächlich verur-
sachungsgeeignet ist; vielmehr genüge es, dass der Handelnde es dafür halte.
Selbst ein unverständiger oder abergläubischer Versuch, jemanden zu töten,
sei eine finale Tötungshandlung.260
3. Während sowohl die kausale als auch die finale Handlungslehre zwi-
schen dem Körperverhalten und der erfolgsdefinierten Handlung unterschie-
den haben, reduziert diese Theorie die normgegenständliche Handlung auf
das Körperverhalten. Dieses wird von einem psychischen Akt begleitet, der
nicht mehr wie bei der kausalen Lehre inhaltsindifferent als Willkürlichkeit
definiert wird, sondern dessen intentionaler Sinngehalt berücksichtigt wird.
Er bestimmt die Handlung ihrer Art nach (z. B. als quasi „Tötungshandlung“)
ohne Rücksicht darauf, ob die Vorstellung des Handelnden von der Hand-
lungssituation zutrifft oder ob er den Handlungszweck erreicht. Allein das
Körperverhalten muss realisiert sein und wird zugerechnet. Ergebnisse und
Erfolge werden weder vornormativ noch normativ zugerechnet, selbst wenn
sie verwirklicht sind.
a) Aus dem Umstand, dass der Handelnde nur sein Körperverhalten un-
mittelbar steuern kann, folgt nicht, dass nur dieses geboten oder verboten
werden könnte.
Strukturell unterscheidet sich eine Körperbewegungshandlung nicht von
einer Handlung mit beliebigem anderen Handlungsergebnis. Auch die Norm,
die bloß eine Körperbewegungshandlung gebietet oder verbietet, betrifft pro-
spektiv gesehen ein künftiges Ereignis, dessen Verwirklichung ebenso wie
die jedes anderen kontingenten Ereignisses prinzipiell nicht gewiss ist und
scheitern kann. Dass die Ausführung einer Körperbewegungshandlung mit
geringerer Wahrscheinlichkeit scheitern wird als die Verwirklichung einer
durch einen anderen Erfolg definierten Handlung, kann nicht relevant sein.
Wenn es so wäre, könnte man aber auch nicht legitimieren, den Versuch je-
ner Handlung zu gebieten oder verbieten.
Es behauptet aber wohl niemand ernstlich, dass es nicht verboten werden
kann, einen anderen zu töten oder dies zu versuchen, nur weil nicht sicher
ist, dass man das auch schaffen wird. Gelingt es jemandem, einen anderen zu
töten, beweist sich im Einzelfall, dass die Möglichkeit bestand.
Gleiches gilt mit Blick auf Gebote erfolgsdefinierter Handlungen: Wenn
ein Kind im Teich zu ertrinken droht, ist den Eltern geboten, es nach Mög-
lichkeit zu retten. Dass das Kind eventuell nicht mehr zu retten war, wird
retrospektiv berücksichtigt, indem gegebenenfalls ein Verstoß gegen das
Gebot nicht angenommen wird. Wenn das Kind aber mit höchster Wahr-
scheinlichkeit zu retten war und die Eltern es nicht gerettet haben, ist das
Gebot missachtet.
b) Ein zweites Argument betrifft ebenfalls die prinzipielle Ungewissheit
des Erfolgseintritts: Es könne nicht von einem künftigen Erfolgseintritt ab-
hängen, ob ein Handeln verboten sei oder nicht.
Es trifft zwar zu, dass das Verbot einer Handlung nicht durch den Eintritt
eines künftigen Ereignisses bedingt sein kann, weil ansonsten prospektiv
nicht bestimmbar wäre, ob eine projizierte Handlung, die ihrer Art nach von
dem Verbot bezeichnet wird, im Einzelfall verboten oder erlaubt wäre. Ein
Verbot des Schießens, das dadurch bedingt ist, dass das Schießen den Tod
einer Person zur Folge hat, kann es deshalb nicht geben. Es ist nicht mög-
lich, eine Handlung prospektiv als „verboten oder erlaubt“ zu bestimmen,
und erst retrospektiv, falls der Erfolg eintritt, als eindeutig verboten oder,
falls er nicht eintritt, als eindeutig erlaubt.
Dieses Problem besteht aber bei dem Verbot einer erfolgsdefinierten Hand-
lung wie der Tötung nicht. Das Verbot der Tötung ist gerade nicht bedingt
durch den Eintritt eines künftigen Ereignisses. Vielmehr vollendet sich die
Tötung erst, wenn der Tod eines anderen eintritt. Der normative Status der
IV. Der finale, subjektive Handlungsbegriff103
269 Vgl. auch B.III.4.d) und C.V.3. Die Anerkennung beider Verbotsarten kann
auch als Rekonstruktion des Inhalts eines entsprechenden subjektiven Rechts des Ver-
letzten aufgefasst werden, denn Rechte sind nichts anderes als Normen. Gerade in der
subjektiv-rechtlichen Perspektive sehen Burchard (2008) S. 164 ff. und Grosse-Wilde
(2017) S. 142 ff. ein entscheidendes Argument für die Berücksichtigung des Erfolgs.
Letzterer nimmt sogar ein „subjektives Recht des Opfers einer Straftat auf Folgenbe-
rücksichtigung“ an.
104 B. Handlung und normative Zurechnung
Tod eines anderen verursacht und die deshalb verboten ist. Das Verbot des
Tötens gibt dem Handelnden somit einen Zweck vor, den er nicht verfolgen
soll. Das Verbot des Schießens betrifft demgegenüber ein Mittel, das der
Handelnde nicht ergreifen soll. Die Ableitung des Verbots zu schießen aus
dem Verbot zu töten ist somit ein praktischer Schluss.270 Bezieht man in das
Schema dieses Schlusses den Versuch ein, ist folgende teleologische Norm-
ableitung darstellbar:
(1) Es ist verboten, eine erfolgsdefinierte Handlung (z. B. töten) zu verwirk-
lichen.
(2) Eine erfolgsdefinierte Handlung kann man nur verwirklichen, indem
man diese Handlung versucht.
(3) Also ist es verboten, die erfolgsdefinierte Handlung zu versuchen.
(4) Eine erfolgsdefinierte Handlung kann man nur versuchen, indem man
Handlungen wählt, die man für möglicherweise verursachungsgeeignet
hält.
(5) Also sind Handlungen verboten, die man für möglicherweise verursa-
chungsgeeignet hält.
Dass die unter (1), (3) und (5) formulierten Verbote mit Blick auf die Be-
stimmungsfunktion äquivalent sind, spricht jedenfalls nicht dafür, nur einige
von ihnen anzuerkennen, andere aber nicht. Auch sind Bedeutungsunter-
schiede nicht zu leugnen. Deshalb trifft der folgende Einwand Zielinskis
nicht zu:
„Die Vollendungsnorm begründet keine Pflicht, die nicht auch schon durch die
Versuchsnorm begründet wäre. Eine Norm, die zu nichts anderem verpflichten
vermag als eine andere Norm, ist keine Norm neben dieser anderen Norm, sondern
eben diese andere Norm bzw. ein Teil von dieser, wenn sie obendrein einen enge-
ren Geltungsbereich hat.“271
Dass das Verbot der Vollendung „zu nichts anderem“ verpflichten soll als
das Verbot des Versuchs, wird wiederum nur vor dem Hintergrund der Vor-
stellung verständlich, dass die Handlung eine Körperbewegung ist und dass
diese Körperbewegung mit dem abgeschlossenen Versuch schon vollendet
ist. Diese Vorstellung ist unangemessen. Eine vollendete Handlung wird im-
mer durch den Erfolgseintritt mit konstituiert. Insofern verpflichtet das Ver-
bot dieser Handlung zu etwas anderem als das Verbot, diese Handlung zu
versuchen. Identisch ist nur das Nichtunterscheidbare.
270 von Wright (1977) S. 56 ff. Zum praktischen Syllogismus Anscombe (1986)
S. 91 ff., p. 57 ff., von Wright (1977) S. 61 ff., Kindhäuser (1989) S. 54 ff. Zur teleolo-
gischen Normableitung auch Philipps (1974) S. 58 ff., Ast (2010) S. 22 ff.
271 Zielinski (1973) S. 141.
IV. Der finale, subjektive Handlungsbegriff105
276 Jakobs AT (1991) 6 / 27, S. 141. Ähnliche Ansätze, die Vermeidbarkeit als
Oberbegriff zu setzen, in Bezug auch auf das Unterlassungsdelikt Herzberg (1972)
S. 170 f., (2007) S. 154 f. Hierzu Jakobs (1991) 6 / 32 f. In Bezug auf eine „subjektive
Zurechnung“ Pawlik (2012) S. 367 ff., 372 f. m. w. N.
277 Jakobs (1972) S. 35, 39, 45.
278 Jakobs (1972 S. 34 ff., 41 ff.
279 Jakobs (1972) S. 69.
280 Welzel (1969) S. 131 ff. Hierzu Jakobs (1972) S. 70 ff.
281 Hierzu Jakobs (1972) S. 16 f.
282 So Renzikowski (1997) S. 253 ff.
108 B. Handlung und normative Zurechnung
reale Finalität nur noch vermittelt herangezogen, als Argument für die Mög-
lichkeit einer alternativen, auf Vermeidung gerichteten Sinnsetzung. Sie wird
somit nicht mehr als sinnsetzendes Element berücksichtigt.
Dementsprechend ist Jakobs’ Handlungsbegriff ein objektiver. Die Finali-
tät ist in seinem Konzept nicht mehr wesentliches Merkmal der Handlung.
Dass für den Vorsatztäter das Verursachen eines Erfolgs vermeidbar war,
lässt sich begründen, ohne den Verursachungsvorsatz zu berücksichtigen.
Man muss nicht einmal darauf abstellen, dass der Täter die Gefährlichkeit
seines Handelns erkannte; denn für das Vermeidbarkeitsurteil kommt es nicht
auf die aktuelle, sondern allein auf die potentielle Kenntnis der Gefährlich-
keit an. Dass ein Handelnder aktuell Kenntnis hatte, bestätigt lediglich, dass
ihm Kenntnis möglich war. Dieses Urteil kann aber, wie sonst bei der Fahr-
lässigkeit, prinzipiell bereits daraus erschlossen werden, dass die relevanten
Situationsumstände wahrnehmbar waren und dass es dem Täter möglich war,
sie zu erkennen. Seine tatsächliche Kenntnis ist somit ein starkes, aber nicht
unabdingbares Argument für die Vermeidbarkeit. Jakobs’ Behauptung, dass
„im Vorsatzbereich […] im Ergebnis kein Unterschied zum finalen Hand-
lungsbegriff“ besteht, trifft deshalb nicht zu.283
Der Vorsatz ist dementsprechend auch nicht Teil der verbotsgegenständli-
chen Handlung. Gegenstand des Verbots ist allein die vermeidbare Verursa-
chung. Daneben noch für Vorsatz und Fahrlässigkeit weitere eigenständige
Verbote anzunehmen, ist unnötig, da die tatsächliche Kenntnis (Vorsatz) bzw.
die Erkennbarkeit (Fahrlässigkeit) nur plausibel machen, dass die Verursa-
chung vermeidbar war. Das Konzept führt somit auch sachlich zurück zu
eingeschränkten Verursachungsverboten im Sinn der kausalen Lehre. Der
Begriff der Handlung als vermeidbarer Verursachung kann nicht begründen,
dass der Vorsatz Bestandteil der verbotsgegenständlichen Handlung und Vo
raussetzung des Unrechts ist.
schleicht. Man wird kaum sagen, dass ich die Katze in den Garten gelassen
habe, obgleich ich hätte vermeiden können, dass sie hineingelangt.
Das Urteil über die Vermeidbarkeit wird somit zumeist schon mit Blick
auf Normen gefällt. So fragt sich bereits, warum ein Handelnder eine unter-
stellte Vermeide-Intention fassen sollte – doch nur entweder aufgrund eigener
Zwecksetzungen oder mit Blick auf Verbote und Gebote, welche zu vermei-
dende Erfolge vorgeben. Darüber hinaus werden sich die Maßstäbe, nach
denen das Vermeidbarkeitsurteil gefällt wird, häufig an den generalisierten
Sorgfaltsnormen ausrichten, auch wenn die individuelle Vermeidbarkeit be-
rücksichtigt wird. Die geltenden Sorgfaltsstandards wird der Handelnde nicht
immer gleichsam aus sich selbst heraus schöpfen und durch Überlegung er-
mitteln können. Häufig sind sie sozusagen klüger als er und machen auf
denkbare Risiken aufmerksam – gerade in ausdifferenzierten Arbeitsberei-
chen wie der Medizin. Abgelöst von ihnen muss man auf den Aspekt der
Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit nur zurückgreifen, wenn für eine
Handlungssituation keine Sorgfaltsnormen institutionalisiert sind. Wenn
Sorgfaltsnormen bestehen, erschließt sich das Risiko einer durch sie verbote-
nen Handlung gerade aus dem generellen Verbot.
Nur wenn man das Vermeidbarkeitsurteil in dieser Weise als normativ
fundiert versteht, ist Jakobs’ These haltbar, dass „die ‚natürliche‘, vorrechtli-
che Fahrlässigkeit hinsichtlich des Verhaltens bereits die Fahrlässigkeit über-
haupt“ bilde.284 Jakobs trifft sich hier mit der Lehre von der objektiven Zu-
rechnung, welche sich aber ausdrücklich auf die Sorgfaltsregeln, das heißt
die Bestimmung eines „unerlaubten Risikos“ stützt.
Im Unterschied zur Lehre von der objektiven Zurechnung muss Jakobs
aber auch die Verwirklichung eines erlaubten Risikos als Handlung auswei-
sen, denn in diesen Fällen ist eine Schädigung zwar vorhersehbar und ver-
meidbar, sie soll aber nicht vorhergesehen und vermieden werden. Dement-
sprechend kann Jakobs diese Fälle erst durch eine Limitierung der Verhal-
tensnorm aus dem Bereich der Strafbarkeit ausschließen.285 Die deskriptiv zu
bestimmende Vermeidbarkeit determiniert das normative Urteil über das
Vorhersehen- und Vermeidensollen somit nicht vollständig.
Fragt man nun, warum die Vermeidbarkeit die Zurechenbarkeit begrenzen
soll, kann man nicht wie hinsichtlich der Finalität auf eine vorrechtliche
Zurechnungspraxis verweisen. Vielmehr stößt man auf einen originär norma-
tiven Gedanken: Wenn ein Erfolg zu vermeiden ist, soll man alles tun oder
lassen, was möglich ist, um ihn zu vermeiden. Zugleich ist man aber auch
nur auf das Mögliche verpflichtet. Das Prinzip des ultra posse nemo obliga
tur wird somit in den Handlungsbegriff eingebaut: Was man nicht vorherse-
hen und vermeiden kann, das vorherzusehen und zu vermeiden darf man
nicht verpflichtet werden. Hierin liegt zugleich der legitimatorische Anspruch
dieses Handlungsbegriffs, der nicht nur, wie der kausale Begriff, eine dogma-
tische Abstraktion sein will.
286 So Welzel (1939) S. 102 = (1975) S. 129, kritisch Kindhäuser (1980a) S. 183,
186.
287 Kindhäuser (1980a) S. 158 f., 216.
288 Ebenso, die intentionale und finale Lehre vergleichend, Küpper (1990) S. 63 ff.,
70.
289 Kindhäuser (2011) S. 42.
290 Kindhäuser (2011) S. 58, vgl. auch (1989) S. 52.
291 Kindhäuser (1980a) S. 16, beispielhaft S. 214.
IV. Der finale, subjektive Handlungsbegriff111
Konsequent gibt Kindhäuser dann (1989) den Anspruch auf, dass der in-
tentionale Handlungsbegriff auch das Fahrlässigkeitsdelikt erfassen müsse.
Eine rein intentional orientierte Handlungslehre kann das Fahrlässigkeitsde-
likt weder vornormativ noch normativ – im Sinne einer Straftat – als Hand-
lung ausweisen.298
Gegenstand des Verbots ist demnach nicht zwingend eine Handlung. Dem
Handelnden wird stattdessen vorgeworfen, dass er „das von ihm durch sein
Verhalten verursachte Geschehen nicht durch normgemäßes Handeln vermie-
den hat.“299 Dieses Konzept geht somit einerseits von Verboten eines Verhal-
tens aus, das den Erfolg verursacht, andererseits von Geboten intentionaler
Vermeidehandlungen.300 Nur bei Absichtsdelikten wie dem Betrug und Dieb-
stahl ist eine intentionale Handlung vorausgesetzt.301 Der Begriff des Verhal-
zu beschreiben. Die finale Lehre leistet das nicht. Welzel erklärte dieses De-
likt zuletzt dualistisch aus einer Kombination von sorgfaltswidriger finaler
Handlung und bloßer Verursachung.306
Welzels Schüler bemühten sich, diesen Dualismus zu vermeiden. Kauf-
mann leugnete die Relevanz des Erfolgs, konnte aber die Erfolgszurechnung
nicht mehr erklären.307 Jakobs’ Konzept kehrt demgegenüber zu Verursa-
chungsverboten zurück – nicht nur für das Fahrlässigkeits- sondern auch das
Vorsatzdelikt – und lässt somit die finale Handlungslehre hinter sich.308
Demgegenüber knüpft Kindhäuser eher an Welzels dualistische Position
an. Sein Konzept kombiniert einen intentionalen Handlungsbegriff mit der
Annahme von Verursachungsverboten.309
Will man eine dualistische Konzeption vermeiden und den Anspruch auf-
recht erhalten, dass Gegenstand des erfolgsvoraussetzenden Verbots auch
beim Fahrlässigkeitsdelikt eine Handlung ist, muss man offenbar zu einer
quasi kausalistischen, objektiven Handlungskonzeption zurückkehren:
Um die fahrlässige Begehung tatbestandlich als Handlung zu beschreiben,
hatte die kausale Lehre im abstrakten Handlungsbegriff den Willensinhalt
nicht berücksichtigt.310 Infolgedessen gelang es ihr zwar zunächst nicht, die
erfolgsdefinierten tatbestandlichen Handlungsarten methodisch überzeugend
zu umgrenzen.311 Es konnte ihr aber gelingen, nachdem die Schuldkonzep-
tion geändert und die Fahrlässigkeit Unrechtsvoraussetzung wurde: Nur eine
tatbestandlich fahrlässige Verursachung erscheint dann als tatbestandliche
Handlung.
Schließlich wurden mit der Lehre von der objektiven Zurechnung die Zu-
rechnungsvoraussetzungen des Fahrlässigkeits- auf das Vorsatzdelikt übertra-
gen. Als tatbestandliche Handlung kann in dieser Tradition somit als vermeid-
bare bzw. objektiv zurechenbare Erfolgsverursachung verstanden werden.312
2. In diese objektive, quasi kausalistische Handlungskonzeption können
Begriffe von Handlungsarten integriert werden, die durch die Finalität bzw.
den Vorsatz definiert werden.
Die klassische kausale Handlungslehre hatte zwar den Vorsatz auch für die
speziellen Begriffe tatbestandlicher Handlungsarten der Vorsatzdelikte nicht
306 B.IV.2.
307 B.IV.3.
308 B.IV.4.
309 B.IV.5.
310 B.III.1.a).
311 B.III.5.
312 B.III.5.d).
114 B. Handlung und normative Zurechnung
als Handlungsmerkmal konzipiert. Grund hierfür war aber, dass sie den Vor-
satz als Schuldform auffasste, weshalb er nicht bereits für die tatbestandliche
Handlung relevant sein konnte.313
Nach der Änderung der Schuldlehre kann eine Handlungskonzeption in
der Tradition der kausalen Lehre den Vorsatz aber ohne weiteres als Merkmal
konzipieren, welches die jeweilige tatbestandliche Handlungsart eines Vor-
satzdelikts im Sinne einer differentia specifica definiert. Der Vorsatz bzw. die
Finalität ist dann aber für den Handlungscharakter der vorsätzlichen Hand-
lung nicht wesentlich, weil er kein Merkmal des abstrakten Begriffs der
Handlung ist. Eine solche scheinbare Synthese zwischen kausaler und finaler
Lehre ginge somit zu Lasten der letzteren. Deren Kernthese, dass die Finali-
tät ein definierendes Merkmal des abstrakten Handlungsbegriffs ist, wäre
preisgegeben.
3. Der gegenwärtige Stand der Lehre zur Handlung kann durchaus als
Versuch einer solchen Synthese und somit als ein Zurück zu einem objekti-
ven Handlungsbegriff in der Tradition der kausalen Lehre gedeutet werden.
Die Begriffe tatbestandlicher Handlungen werden bei Roxin durch die objek-
tive Zurechnung und bei Jakobs durch die Vermeidbarkeit definiert. Die tat-
bestandlichen Handlungen der Vorsatzdelikte können widerspruchsfrei zu-
sätzlich durch den Vorsatz definiert werden.
Allerdings muss auch ein synthetisierendes Konzept einen abstrakten Be-
griff der Handlung entwerfen, der für alle denkbaren Handlungen zutrifft.
Dieser Begriff darf nicht tatbestandlich unerlaubte Risiken voraussetzen oder
ausschließlich zu vermeidende Erfolge in den Blick nehmen; er kann aber
auch nicht die Finalität als wesentliches Handlungsmerkmal behaupten.
Der klassische kausale Handlungsbegriff, der die Handlung als Verursa-
chungsvorgang auffasst, kann dies leisten. Wie gezeigt, ist er damit vereinbar,
dass in Begriffen von Handlungsarten Sinnbezüge berücksichtigt werden.314
Diese können sich durch die Zwecksetzung des Handelnden, die Bedeutung
einer sprachlichen Äußerung oder durch den Bezug auf Normen ergeben, wie
er in den Urteilen über die objektive Zurechnung oder die Vermeidbarkeit
vorausgesetzt ist.315
313 B.III.1.c).
314 B.III.1.b).
315 B.IV.4.
V. Handlung und Straftatsystem115
falls einen Erfolg verursacht, werden außer der Kausalität keine weiteren
Kriterien für die Identifikation von Handlungen bzw. Handlungsarten be-
nannt. Das ermöglicht es, prinzipiell beliebig und unbegrenzt Handlungen
zuzuschreiben. Der kausale Handlungsbegriff spiegelt deshalb die alltäglich-
praktische Bedeutung der Identifikation von Handlungen nicht wider. Das
Kriterium der Kausalität zielt nur auf die kausale Erklärung eines Gesche-
hens. Handlungen zu identifizieren, hätte demnach eine rein deskriptive und
erklärende Funktion. Die Handlung wäre das Produkt einer theoretischen
Betrachtung.
Die objektiv beschreibende Kausalbetrachtung der Handlung korrespon-
diert dem wissenschaftlichen Interesse an Handlungen sowie deren Ursachen
und Folgen. Aus welchen Gründen jemand in bestimmter Weise handelt oder
welche Rolle Handlungen für ein weiteres Geschehen haben, sind Fragestel-
lungen etwa der Psychologie, Soziologie oder Geschichtswissenschaft. Dass
eine Handlung selbst nie nur extern verursacht und dann nicht immer der
einzige Kausalfaktor für ein folgendes Geschehen ist; dass ferner zwingende
Gesetzlichkeiten nicht auszumachen sind – all das macht das Fragen nach
dem Warum und nach den Konsequenzen von Handlungen nicht unmöglich
oder sinnlos. Aus der Sicht der Kausalerklärung wird deshalb die Rolle der
Absichten und Motive relativiert: Das Hinterfragen der bewussten führt zur
Thematisierung unbewusster Motive (Freud); das Hinterfragen von Zwecken
und Interessen zur Erforschung der latenten Funktionen und der sozialstruk-
turellen Bedingtheit von Handlungen (z. B. Marx). Der Erfolg der wissen-
schaftlichen Methode am Ausgang des 19. Jahrhundert hat die kausale Hand-
lungslehre im Strafrecht sicherlich zumindest mit inspiriert. Die alleinige
Anbindung der Handlungsbetrachtung an die autonome Absicht des Handeln-
den verlor zunächst ihre Plausibilität.
Die Zurechnung im Rahmen einer Handlung durch eine kausale Beschrei-
bung und Erklärung zu ersetzen, würde aber die theoretische und die prakti-
sche Sichtweise auf Handlungen vermengen. Die Zurechnung ist ein prakti-
sches Urteil, gegebenenfalls mit praktischen Konsequenzen wie etwa Strafe.
Sie ordnet Geschehnisse auf Personen zu, auch um Verdienst und Verantwor-
tung adressieren zu können. Der praktische Aspekt der Zurechnung wird
dadurch indiziert, dass die dadurch konstituierte Handlung zumindest mögli-
cher Gegenstand einer Norm ist.
Die Zurechnung kann dabei Kausalurteile oder -hypothesen voraussetzen;
doch werden diese nur relevant, um die Zuordnung zu plausibilisieren und
legitimieren. Umgekehrt setzen auch theoretische Handlungserklärungen an
Handlungen und somit Zurechnungsurteilen an; sie greifen aber darüber hi
naus, indem sie nach Ursachen bzw. Bedingungen und weiteren Folgen fra-
gen. Ihr Ziel ist nicht, das Zurechnungsurteil besser zu begründen oder wei-
116 B. Handlung und normative Zurechnung
319 Dass hier die „Persönlichkeitsäußerung […] durch die rechtliche Normierung
konstituiert [wird]“ bemerkt zutreffend Dedes (2001) S. 196.
320 Roxin (1968) S. 263 f.
321 Roxin AT I (2006) § 8 Rn. 75, (1968) S. 263 f. Ähnlich Arthur Kaufmann
(1966) S. 87 f. Kritisch zur auf Larenz zurückgehenden Lehre vom „konkreten Be-
griff“, gerade im Zusammenhang mit dem Handlungsbegriff Engisch (1944) S. 159 f.
sowie mit dem Tat(herrschafts)begriff Renzikowski (2014) S. 499 ff. Zu Roxin auch
Engisch (1974) S. 359 f. Zum „konkret-allgemeinen“ Begriff interessant Cassirer
(1910) S. 26, vgl. C.I.4. Zum Typusbegriff vgl. C.IV.2.6. und C.V.4.e)1.
118 B. Handlung und normative Zurechnung
1. Das Motiv für die These, dass bereits mit dem Urteil über die objektive
Zurechnung oder die Vermeidbarkeit eine Handlung festgestellt wird, ist ein
spezifisch strafrechtsdogmatisches – das Bestreben, für alle Deliktsarten tat-
bestandliche Handlungen auszuweisen. Die kausale Lehre ging von der These
aus, dass die Straftat eine Handlung sei, welcher die Attribute der Rechtswid-
rigkeit und Schuld zuzuordnen sind. Nach Maihofer soll die Handlung für
den Deliktsaufbau zugleich als Grund-, Verbindungs-, und Grenzelement
fungieren.322
Die These von den drei Funktionen des Handlungsbegriffs hat indes zu
einem der folgenreichsten Irrtümer der strafrechtsdogmatischen Handlungs-
322 Maihofer (1953) S. 6 ff., vgl. auch Roxin AT I (2006) § 8 Rn. 1 ff.
V. Handlung und Straftatsystem119
323 B.III.3.
324 Ganz deutlich wird dies in der Argumentation von Walter (2006) S. 30.
325 B.III.2.b)5.
326 Radbruch (1930) S. 162.
120 B. Handlung und normative Zurechnung
Motiviert war jener Reduktionismus durch das Bedürfnis nach einem ein-
heitlichen Begriff der tatbestandlichen Handlung für alle Deliktsarten. Hier-
von muss sich die Strafrechtsdogmatik verabschieden, um stattdessen ein
differenzierteres Bild der Deliktsstrukturen zu zeichnen.
3. Indem man die Tatbestandsverwirklichung als Grundbegriff des Straf-
tatsystems setzt, wird der Handlungsbegriff gleichsam entlastet und frei ge-
setzt. Er bleibt zentral, weil die Tatbestandsverwirklichung beim vorsätz
lichen Begehungsdelikt nichts anderes als eine oder mehrere Handlungen
voraussetzt. Die charakteristischen Merkmale von Handlungen können jetzt
aber unbefangener analysiert werden, ohne auf dogmatisch-konstruktive An-
forderungen Rücksicht nehmen zu müssen. Das Verhältnis von Dogmatik
und Handlungstheorie kehrt sich um; von der Handlungstheorie können Im-
pulse für die Dogmatik ausgehen. Hierbei handelt es sich auch nicht nur um
eine methodische Frage. Die Dogmatik schwebt nicht in einem für sich be-
stehenden Raum ohne praktische Folgen außerhalb dieses Raums, sondern
sie muss die außerhalb ihrer bestehende Realität der Handlungsidentifikation
zur Kenntnis nehmen und reflektieren.
Vor diesem Hintergrund ist Welzels These zu sehen, dass die Handlung
dem Recht ontologisch vorgegeben sei. Lässt man die Ontologie beiseite,
bleibt die Prämisse bestehen, dass die Anbindung an eine außerrechtliche
Praxis und deren philosophische oder soziologische fundierte Reflexion den
dogmatisch-konstruktiven Interessen vorrangig ist.
Die Begriffe spezifisch strafrechtlicher Handlungsarten – der tatbestandli-
chen Handlung ebenso wie der Straftat – müssen sich in einen allgemeineren
Handlungsbegriff einbinden und aus ihm heraus entwickeln lassen. Abgese-
hen von jenen beiden Begriffen kann es keinen weiteren spezifisch straf-
rechtlichen Handlungsbegriff geben.
4. Die Diskussion des strafrechtlichen Handlungsbegriffs wurde eingangs
dahingehend gedeutet, dass sie sich auf die Frage bezieht, welche Gründe die
Zurechnung von Veränderungen im Rahmen einer tatbestandlichen Handlung
rechtfertigen.328
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass allein die Finalität bzw. Intentionalität
hinsichtlich der zuzurechnenden Veränderung in Betracht kommt. Ein rein
formal oder strafrechtsdogmatisch begründetes Beobachtungsschema wie die
Realisierung eines tatbestandlich unerlaubten Risikos allein begründen nicht
das Vorliegen einer Handlung – womit nichts über die Berechtigung dieser
Strafbarkeitsvoraussetzung gesagt ist.329
328 B.II.4.
329 Hierzu C.V.3. und 4.
122 B. Handlung und normative Zurechnung
Obgleich die soziale Lehre zutreffend betont, dass die Beobachtung und
sozial anerkannte Zurechnungskriterien für die Handlungskonstitution wich-
tig sind und die personale Lehre zutreffend von dem Gedanken ausging, dass
mit Handlungen Veränderungen auf eine Person zugeordnet werden, bleiben
beide Konzeptionen in Bezug auf die Gründe, warum Handlungen angenom-
men werden können, zu unpräzise und offen. Die Zurechnung durch einen
Beobachter ist nicht beliebig. Sie setzt vielmehr aufgrund ihrer praktischen
Funktion eine Intention oder eine Norm voraus, die sich inhaltlich auf die
zuzurechnende Veränderung richten. Nur diese beiden Sinnreferenzen stellen
einen Bezug her zwischen der zugerechneten Veränderung und der Person,
der die Veränderung zugerechnet wird. Dieser Bezug ist dadurch gegeben,
dass die Person die Intention gesetzt hat bzw. die Norm an sie adressiert war.
Das wird noch näher auszuführen sein.330
Als Zurechnungsgrund kommt für tatbestandliche Handlungen schließlich
nicht ein Normverstoß, sondern allein die Finalität bzw. Intentionalität im
Hinblick auf die zuzurechnende Veränderung in Betracht. Der Begriff der
tatbestandlichen Handlung kann nicht durch den Verstoß gegen dasjenige
Verbot definiert werden, dessen Gegenstand diese Handlung ist.331
1. Ein allgemeines Handlungskonzept muss nicht nur den Begriff der ver-
botsgegenständlichen bzw. tatbestandlichen als derjenigen Handlung umfas-
sen, welche ein Delikt voraussetzt. Allein diesen Begriff haben die kausale
und die finale Handlungslehre definiert. Vielmehr muss jenes Konzept auch
darstellen können, dass die Straftat als solche eine Handlung ist: Straftaten
wie Mord, Diebstahl oder Betrug sind Handlungen eigener Art, die durch das
Merkmal der Normwidrigkeit mitdefiniert werden und somit eine normative,
objektiv-beurteilende Zurechnung implizieren. Mit dem Verletzten ist ein
anderer im Spiel, der normativ zurechnet, weil seine Erwartung missachtet
wurde. Dritte erwarten mit und rechnen ebenfalls zu – rechtsverbindlich der
urteilende Richter.
2. Der Begriff der Straftat war der Ausgangspunkt der strafrechtsdogmati-
schen Diskussion des Handlungsbegriffs bei den Hegelianern. Ihnen verdankt
dieser Begriff seine bedeutende Stellung in der Strafrechtsdogmatik.332 Sie
bezeichneten aber allein die Straftat als Handlung.333 Erst mit der kausalen
330 C.IV.1.
331 B.II.2.
332 Radbruch (1904a) S. 85 f.
333 Zu den strafrechtlichen Hegelianern Larenz (1927) S. 68 ff., v. Bubnoff (1966)
S. 52 ff., Otter (1973) S. 30 ff.
V. Handlung und Straftatsystem123
4. Daraus folgt auch, dass die Kritik unzutreffend ist, die in neuerer Zeit
in Anschluss an Jakobs und Pawlik gegen den finalen Handlungsbegriff vor-
gebracht wurde: Dieser verkürze die Handlung auf deren instrumentellen
Aspekt.342
Gegen die Vorstellung, dass eine Handlung nur in all ihren Sinnaspekten
und somit auch nur gegebenenfalls in ihrem Charakter als Normverstoß an-
gemessen erfasst sei,343 spricht bereits, dass jede Begriffsbildung abstrahie-
renden Charakter hat. Bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs geht es
zunächst nur um die Frage, welche Merkmale gegeben sein müssen, um
überhaupt eine Handlung beliebiger Art annehmen zu können.
Die These, dass eine Handlung als solche nur in all ihren Sinnbezügen
erfassbar sei, verkennt ferner deren Zurechnungsstruktur. Eine Handlung ist
nichts der Zurechnung und somit der Bildung von Begriffen besonderer
Handlungsarten Vorgegebenes, so dass diese nur die bereits vorhandenen
Komponenten nachzuzeichnen hätte. Vielmehr wird sie erst durch die Zu-
rechnung als solche konstituiert.
Im Übrigen kann es nur darum gehen, ob es legitim ist, eine Veränderung
einer Person im Rahmen einer Handlung zuzurechnen. Gerade dass diese
Person die Veränderung bezweckt hat, ist dabei ein starker und ausreichender
Legitimationsgrund. Dass die intentionale Handlung normwidrig war, ist nur
ein weiterer, gegebenenfalls neben die Intention tretender Zurechnungsgrund.
Die Intentionalität kann dabei in Bezug auf eine Handlungsart vorausset-
zen, dass der Handelnde die normative Bedeutung von Umständen der Hand-
lungssituation nachvollzieht, so etwa, dass eine Sache im Eigentum eines
anderen steht. Das spricht aber nicht dafür, dass, wie Jakobs meint, die Inten-
tion eine Kenntnis der Normwidrigkeit der Handlung implizieren muss.344
Mit dem Merkmal der „Fremdheit“ einer Sache verweist das Verbot auf an-
dere rechtliche Regeln, nicht aber auf sich selbst.
5. Jede Straftat (bzw. Straftatart) ist als solche eine Handlung(sart); ihr ist
aber nicht zwingend eine tatbestandliche Handlung(sart) zuzuordnen. Beim
vorsätzlichen Begehungsdelikt ist es möglich, beim fahrlässigen nicht.
Der allgemeinste strafrechtsspezifische Handlungsbegriff ist somit nicht
der abstrakte Begriff der Handlung, weil dieser nicht auf das Strafrecht be-
342 Jakobs (1992) S. 30 (vgl. zur Entgegensetzung von Sinn und Natur ders.
[2012] S. 59 ff.), ders. (2003) S. 955 f., ders. (2015) S. 262 f., 268 ff., Pawlik (2012)
S. 265 f. Zustimmend Kawaguchi (2015) S. 115 ff., Stuckenberg (2015) S. 107. Ähn-
lich Schild (1979) S.68 f., (1995) S. 104 ff., Kahlo (2001) S. 37 f., 51 f., 232 f., Zabel
(2007) 204 f., 213, 230 ff. Vgl. bereits Roxin (1962) S. 525 ff.
343 Jakobs (2015) S. 270.
344 Jakobs (2015) S. 269.
126 B. Handlung und normative Zurechnung
grenzt ist. Es ist auch nicht der Begriff der tatbestandlichen Handlung, weil
diese nicht bei jeder Straftat gegeben ist. Vielmehr ist es der Begriff der
Straftat. Sowohl das Vorsatz- wie das Fahrlässigkeitsdelikt, das Begehungs-
wie das Unterlassungsdelikt sind je als solche Handlungen. Die Idee, für jede
Straftatart darüber hinaus eine je spezifische vorausgesetzte Handlungsart zu
benennen, hat sich als nicht tragbar erwiesen.
Die Funktion eines Grund- und Verbindungselements kann allein der vom
Handlungscharakter abstrahierende, normgegenstandsbezogene Begriff der
Tatbestandverwirklichung erfüllen.345 Die Unterscheidung von Tatbestands-
verwirklichung (StGB: „Tat“) und Straftat präzisiert die Kantische Unter-
scheidung von Handlung und Tat bzw. diejenige Hegels von Tat und Hand-
lung.346 Insofern kehrt man an den Ausgangspunkt der strafrechtlichen
Handlungslehre zurück, was nicht dazu führen muss, die darauf folgende
Theorieentwicklung zu negieren. Insbesondere die Konzeptionen des Tatbe-
stands seitens der kausalen Lehre und der tatbestandlichen Handlung des
vorsätzlichen Begehungsdelikts seitens der finalen Lehre sind tragfähig und
haben sich deshalb durchgesetzt.
345 B.V.4.
346 Siehe B.I.3.2.
C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
1. Welzel hatte, als er die Handlung als Sinneinheit auffasste, die Einheit
eines physischen Kausalgeschehens und der Finalität im Blick. Die Sinnhaf-
tigkeit der Handlung als Ganzer und des Kausalgeschehens wird durch die
Finalität erzeugt.1 Dieser Gedanke ist auch dann haltbar, wenn man den
Begriff der Handlung abstrakter auffasst und zunächst sowohl vom Kausal-
geschehen als auch der Finalität absieht. Der einheitsstiftende Sinn einer
Handlung ist dann als eine wechselbezügliche Verweisungsstruktur begreif-
bar: Einem Körperverhalten oder einem Handlungsergebnis kommt, unab-
hängig davon, ob es bereits als solches sinnhaft ist (im Beispiel einer sprach-
lichen Äußerung), deshalb Sinn zu, weil es für einen Beobachter auf eine
Intention oder eine Norm und somit eine Sinnsetzung verweist, die ihrerseits
auf das Körperverhalten oder die Veränderung gerichtet ist.
Der Sinn kann somit subjektiv oder objektiv bestimmt werden – sowohl
vom Handelnden her als auch von der Norm, welche ein Beurteiler als Maß-
stab verwendet. Allein schon, weil sie auf eine Intention oder eine Norm
bezogen werden können, sind ein Körperverhalten, eine Veränderung oder
deren Ausbleiben sinnhaft und können als das Ergebnis einer Handlung oder
als tatbestandlicher Erfolg ausgewiesen werden.
Da die Handlung eine Einheit aus Sinnsetzung und Gegenstand des Sinn-
bezugs ist, müssen beide Elemente gegeben sein – etwa sowohl ein bestimm-
ter Erfolg als auch eine entsprechende Intention oder ein auf diesen gerichte-
tes Verbot. Nur in dieser Relationsstruktur ist die Handlung gegeben. Sie ist
deshalb nicht als ein einfaches Ereignis zu begreifen, weder als Körperbewe-
gung noch als sonstige Veränderung, auch dann nicht, wenn dieses Ereignis
Gegenstand des Sinnbezugs ist. Eine Handlung kann auch deshalb nicht als
ein Ereignis begriffen werden, weil die Sinnsetzung sich auch auf einen nicht
verwirklichten Sachverhalt beziehen kann, etwa das Nichtstattfinden einer
Veränderung. Die Handlung ist ein Ganzes, das nicht auf einen seiner Teile
reduzibel ist.
2. In der Sinnsetzung durch eine Intention oder eine Norm wird schließ-
lich bereits ein Bezug auf die Person des Handelnden hergestellt. Die Person
ist das Subjekt der Intention oder der Adressat der Norm.
Person ist, wem zugerechnet wird.2 Der Begriff der Person ist in einer
allgemeinen Handlungstheorie nicht nur auf die Person beschränkt, die einem
einzelnen Menschen zuzuordnen ist, so dass etwa auch Verbandspersonen
Handlungssubjekte sein können.3 Die Handlung hat somit weder den Charak-
ter eines Ereignisses, noch ist sie quasi gegenständlich am Menschen zu
verorten.
Die Handlung ist somit nicht vorgegeben, sondern ist das Ergebnis eines
Zurechnungs- und somit Beobachtungsakts, in welchem die Elemente mitein-
ander in Beziehung gebracht werden. Diese Beziehung ist einerseits bereits
dadurch gegeben, dass die Sinnsetzung auf den Gegenstand verweist. Ande-
rerseits bezieht ein Beobachter – auch der Handelnde selbst – aufgrund jenes
inhaltlichen Verweises den Gegenstand des Sinnbezugs auf die Sinnsetzung
zurück. Erst das Ergebnis dieser Beobachtung schließt die Handlung zur Ein-
heit; ohne Beobachtung bzw. Zurechnung gibt es keine Handlung, weshalb sie
das vierte Element der Definition des Handlungsbegriffs sein muss.
3. Die relationale Struktur einer Handlung wird im Begriff der Zurech-
nung abgebildet. Dieser bezeichnet eine Relation zwischen Subjekt, Gegen-
stand und Grund der Zurechnung, die in einem Zurechnungsakt hergestellt
wird: Die Handlung ist das Ergebnis der Zurechnung. Die Zurechnung ist
die Operation eines Beobachters, die einen Gegenstand einem Subjekt aus
einem besonderen Grund zuordnet.
Die Handlung ist somit nicht das, was zugerechnet wird. Vor der Zurech-
nung ist sie nicht als solche gegeben, so dass sie nur noch auf das Zurech-
nungssubjekt zugeordnet werden müsste. Vielmehr wird sie durch den Zu-
rechnungsakt erst konstituiert. Dieser stellt die Relationen zwischen den
Elementen der Zurechnung her.
Von anderen Arten der Zurechnung unterscheidet sich die handlungsbe-
gründende Zurechnung dadurch, dass Gegenstand der Zurechnung das Statt-
finden oder Ausbleiben von Veränderungen ist. Demgegenüber kann die Zu-
ordnung von Sachen durch Eigentum oder Besitzrecht als eine Zurechnungs-
art verstanden werden, welche sich auf Zustände bezieht.
Von Kelsens Konzept der „äußeren“ Zurechnung, welche sich auf Rechts-
folgen bzw. Sanktionen bezieht,4 unterscheidet sich die handlungsbegrün-
tieren, wie das gerechtfertigt wird. Gerechtfertigt wird die Zurechnung allge-
mein durch die Annahme, dass der Zurechnungsgegenstand in Abhängigkeit
von der Person kontingent war (hierzu unter III.) und zusätzlich dadurch,
dass sich auf diesen Gegenstand die Intention der Person bezog (III.)
und / oder ein Gebot oder Verbot, das an sie adressiert war (IV.).
1. Das Körperverhalten
1. Jeder Begriff einer Handlungsart bezieht sich auf eine Veränderung als
Gegenstand der Zurechnung – positiv auf deren Stattfinden oder negativ auf
deren Ausbleiben. Dass eine Handlung nicht zwingend mit Ereignissen zu-
sammenhängt und nicht mit ihnen identifiziert werden kann, zeigt das Bei-
spiel der Unterlassung, eine Veränderung zu verursachen. Hier knüpft die
Zurechnung lediglich an ein hypothetisch gebliebenes Körperverhalten und
dessen Wirkungen an.
11 Hruschka (1976) S. 12 f.
12 Hruschka (1976) S. 60 ff.
13 Kindhäuser (2011) S. 41 ff., 42. Vgl. auch B.III.3.d) und 4.c).
II. Der Zurechnungsgegenstand133
zugleich eine Tötung des Vaters sein, was man in einer einzigen Handlungs-
bezeichnung zusammenfassen kann als die „Tötung des Vaters, des Königs
Laios.“
Die je unterschiedlichen Beschreibungen als intentionale Handlung der Art
„Tötung des Königs“ oder „Tötung des Vaters“ begründen nicht unterschied-
liche Handlungen. Es sind – anders als bei den Handlungen, die unterschied-
liche Zurechnungsgegenstände haben wie „schießen“ und „töten“ – nicht
zwei Handlungen gegeben, sondern nur eine Handlung, die alle relevanten
Bedeutungsaspekte mit umfasst. Denn die Identität einer einzelnen Handlung
wird allein durch die Relation von Zurechnungsgegenstand, -grund und -sub-
jekt begründet. Da der Zurechnungsgegenstand das singuläre Ereignis „Tod
des Laios“ ist und auch der Zurechnungsgrund und das -subjekt identisch
sind, ist im Einzelfall die Handlung „Tötung des Königs“ mit der Handlung
„Tötung des Vaters“ identisch.18
Das lässt sich begrifflich begründen: Die Handlungsart „Tötung des eige-
nen Vaters und Königs“ ist eine Unterart sowohl der Handlungsarten „Tötung
des eigenen Vaters“ als auch „Tötung des Königs“, und diese beiden wiede-
rum sind Arten der „Tötung eines Menschen.“ Mit der singulären Handlung
einer Unterart sind analytisch notwendig auch die übergeordneten Hand-
lungsarten gegeben. Bezeichnet man die Handlung „Tötung des eigenen
Vaters und Königs“ als „Tötung des Vaters“ oder als „Tötung des Königs“,
wählt man lediglich jeweils abstraktere Artbezeichnungen. Die singuläre
Handlung von der Art „Tötung des Vaters“ ist im Fall des Ödipus somit
identisch mit der singulären Handlung der Art „Tötung des Königs“, weil
diese beiden Handlungsarten einen Überschneidungsbereich haben, der eine
jeweilige Unterart definiert, deren Element die singuläre Handlung ist.
Der Zurechnungsgegenstand wird somit durch seine Eigenschaften und
Bedeutungsaspekte mitbestimmt – also nicht nur „Tod des Laios“ als eines
Menschen, sondern der Tod des Laios als Fremder, als König oder als Va-
ter.19 Die entsprechende Handlungsart ist nur dann verwirklicht, wenn die
Intention des Handelnden diese Bedeutungsbezüge umfasst. So hat Ödipus
zwar einen Fremden getötet, nicht im Sinne einer Handlung aber den König
und den eigenen Vater. Strafrechtlich wird, wenn der Handelnde eine tatbe-
standlich relevante Eigenschaft des Tatobjekts nicht kennt, gem. § 16 Abs. 1
StGB die entsprechende tatbestandliche Handlung wegen eines error in per
sona vel objecto nicht zugerechnet.
3. Der Zurechnungsgegenstand
bei der Unterlassung
Die Unterlassung setzt voraus, dass die Person eine Handlung nicht vorge-
nommen hat. Der Gegenstand der Zurechnung ist hier aber nicht die Nicht-
vornahme dieser Handlung, weil diese Handlung ihrerseits durch einen Zu-
rechnungsakt konstituiert und einen Zurechnungsgrund und -gegenstand
aufweisen würde. Bei der Unterlassung wird vielmehr zugerechnet, dass der
Zurechnungsgegenstand der hypothetischen Handlung nicht verwirklicht
ist – sei es ein Körperverhalten oder ein anderes Handlungsergebnis.
Das Ergebnis einer (unterlassenen) Handlung kann, wie oben gezeigt, sei-
nerseits negativ definiert sein, etwa beim Verhindern und Vermeiden. Unter-
lässt man eine solche Handlung, ist der Zurechnungsgegenstand der Unter-
lassung positiv zu bestimmen, da aus der doppelten Negation eine Position
folgt. Deshalb wird, wenn man eine Veränderung zu verhindern unterlässt,
der Eintritt der Veränderung positiv zugerechnet.
1. Nur eine Intention und / oder eine Norm können begründen, dass im
Rahmen einer Handlung ein Zurechnungsgegenstand zugerechnet wird. Es
muss behauptet werden, dass der Handelnde den Zurechnungsgegenstand
intendiert hat und / oder dass er eine Norm missachtet hat, welche auf diesen
gerichtet war.25
Beide Zurechnungsgründe setzen eine Kontingenzannahme voraus. Inten-
tion und Norm können sich prospektiv nur auf etwas Kontingentes richten.
Auch retrospektiv muss deshalb der Zurechnungsgegenstand, auf den sie sich
richten und dessen Zurechenbarkeit sie begründen, als abhängig vom Han-
delnden kontingent erscheinen.
Wenn der Zurechnungsgegenstand positiv zu beschreiben ist, als Verände-
rung, muss es somit möglich sein, dass er hätte nicht der Fall sein können;
ist er negativ zu beschreiben, als Nichteintritt einer Veränderung, muss es
möglich sein, dass das, was nicht ist, hätte der Fall sein können.
Die Kontingenzannahme betrifft unmittelbar ein zuzurechnendes Körper-
verhalten oder dessen Nichtverwirklichung. Sie muss, falls eine andere Ver-
änderung oder deren Nichtverwirklichung zugerechnet werden soll, von ei-
nem Körperverhalten ausgehen, weil nur dieses unmittelbar kontingent ist.
Die Annahme, dass ein Körperverhalten kontingent ist, ist für die intentio-
nal wie für die normativ begründete Zurechnung unabdingbar:26 Auf das,
was mit Notwendigkeit geschieht, kann sich weder eine Intention noch eine
Norm richten. Sie richten sich vielmehr darauf, etwas, das noch nicht der
Fall ist und nicht notwendig der Fall sein wird, aber als möglich erscheint,
vermittels eines Körperverhaltens zu verwirklichen oder nicht zu verwirkli-
chen. Sowohl eine Intention wie eine Norm setzen voraus, dass ein kontin-
gentes Geschehen durch sie beeinflusst werden kann.
2. Wird im Rahmen einer Handlung nur ein Körperverhalten zugerechnet,
ist die Kontingenzvoraussetzung erfüllt, wenn der Handelnde dieses Körper-
verhalten hätte unterlassen und sich in irgendeiner Weise anders verhalten
können. Ist Zurechnungsgegenstand das Ausbleiben eines Körperverhaltens,
muss angenommen werden, dass der Handelnde dieses Körperverhalten hätte
verwirklichen können.
Ein Körperverhalten ist kontingent, wenn es nicht der Notwendigkeit un-
terworfen ist. Es ist notwendig, wenn es nach Naturgesetzen verursacht ist,
etwa durch äußere natürliche Ereignisse oder einen Reflex. Ein Körperver-
halten, das ein anderer Handelnder mit unwiderstehlicher Gewalt erzwingt,
ist nur abhängig von dessen Handeln kontingent und deshalb dem Gezwun-
genen nicht zurechenbar.
Ein Körperverhalten ist schon dann kontingent, wenn der Handelnde die
Möglichkeit hatte, es bewusst zu steuern. Eingeübte und automatisierte Hand-
lungsabläufe wie beim Autofahren oder Klavierspielen sind kontingent, da der
Gesamtzusammenhang des Handelns bewusst und als solcher gewollt ist und
der Handelnde jederzeit innehalten kann. Die Möglichkeit, bewusst zu inter-
venieren, ist bei Spontanreaktionen, Affekthandlungen und Bewegungen eines
Betrunkenen zweifelhaft. Bei einem Verhalten in Trance oder unter Hypnose
ist sie ausgeschlossen. Ob ein Körperverhalten schließlich im Rahmen einer
Handlung zurechenbar ist, entscheidet sich aber erst an der weiteren Frage, ob
es auch intendiert oder, wenn nicht intendiert, zumindest fahrlässig war.27
3. Dass eine andere Veränderung als ein Körperverhalten eingetreten oder
ausgeblieben ist, kann nur zugerechnet werden, wenn diese Veränderung
ebenfalls kontingent ist, wenn also die Möglichkeit besteht, dass sie nicht der
Fall wäre. Deren Kontingenz muss dabei von der Kontingenz des Körperver-
haltens abhängig sein; es muss eine Kontingenzverknüpfung zwischen einem
Körperverhalten bzw. Anknüpfungshandlung(en), die auf diesem beruhen,
und dem Zurechnungsgegenstand bestehen.
26 Vgl. nur Binding Normen II (1914) S. 16 ff., 75 f., Larenz (1927) S. 66 f.,
Hruschka (1998) S. 582 ff.
27 Zur Intentionalität C.IV.5.
138 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
Diese ist gegeben, wenn die Kontingenz des Körperverhaltens bzw. jener
Anknüpfungshandlung eine Bedingung der Kontingenz des Zurechnungsge
genstands ist, wenn sie also Bedingung einer Möglichkeit ist, dass der Zu-
rechnungsgegenstand nicht eintritt.
Dieses Urteil ist kontrafaktisch, da es nicht an das tatsächlich gegebene
Körperverhalten anknüpft, sondern an eine mögliche Alternative hierzu. Für
Handlungen durch Tun muss die Alternative nicht notwendig bestimmt wer-
den („nicht so, wie geschehen, sondern beliebig anders“), während die Alter-
native für Handlungen durch Unterlassen positiv bestimmt werden muss
(„auf diese und jene Weise anders“). Die Voraussetzung der Kontingenzver-
knüpfung ist bei Handlungen durch Tun und Unterlassen aber identisch.
4. Der Begriff der Kontingenz ist auf die Zukunft bezogen und ist mit
dem Begriff der Möglichkeit verknüpft. Kontingent ist etwas, von dem so-
wohl möglich ist, dass es der Fall sein wird, wie, dass es nicht der Fall sein
wird.28 Sowohl Intention als auch Norm setzten inhaltlich eine auf die Zu-
kunft bezogene Kontingenzannahme voraus.
Bei der Zurechnung wird der Begriff demgegenüber retrospektiv gebraucht
und somit auf etwas bezogen, das tatsächlich der Fall ist oder war und somit
notwendig geworden ist, weil es nicht mehr geändert werden kann. Hier
kann man besser davon sprechen, dass Kontingenz bedeutet, dass nicht not
wendig war, dass etwas der Fall ist oder war, und dass es nicht notwendig
war, dass es nicht der Fall ist oder war.29
Im Verhältnis der Begriffe von Kontingenz, Möglichkeit und Notwendig-
keit ist der Begriff der Notwendigkeit der Ausgangsbegriff, aus welchem
durch Negation die Begriffe von Möglichkeit und Kontingenz abgeleitet
werden. Er gleicht insoweit dem des Gebots, aus welchem die Begriffe der
Erlaubnis und Freistellung bzw. der Unverbundenheit (Freistellung im star-
ken Sinn) abgeleitet werden. Das kann in einem logischen Quadrat dargestellt
werden (siehe nächste Seite).
Kontingenz ist der kontradiktorische Gegensatz zur Notwendigkeit, aus
folgendem Grund: Kontradiktorisch (miteinander nicht vereinbar) sind die im
logischen Quadrat dargestellten Aussagen „es ist notwendig, dass“ und „es
ist nicht notwendig, dass“ ebenso wie die Aussagen „es ist notwendig, dass
nicht“ und „es ist nicht notwendig, dass nicht.“ Daraus folgt, dass auch die
Aussage „es ist kontingent, dass“ kontradiktorisch ist zu den beiden Aussa-
gen „es ist notwendig, dass“ und „es ist notwendig, dass nicht“.
kontingent, dass
Der Begriff der Kontingenz ist in Bezug auf Handlungen mit einer meta-
physischen Annahme verbunden: Er bezieht sich nicht modallogisch auf die
Wahrheit von Aussagen, sondern setzt voraus, dass ein bestimmter Gegen-
stand an sich kontingent, also nicht notwendig so ist, wie er ist oder war.30
Notwendigkeit gibt es im Bereich von Handlungen nicht, sondern nur in der
Natur. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass auch in der Natur Kontingenz
gegeben ist. Sie hängt aber gegebenenfalls nicht von Handlungen ab.
tens kann demnach nicht ursächlich,37 wohl aber notwendige Bedingung für
eine Veränderung sein.38
Die Bedingungstheorie überzieht aber die Anforderungen an die Zurech-
nung, weil sie eine Existenz- und nicht eine Kontingenzbedingung einfordert.
Sie wird deshalb in problematischen Fällen auch nicht durchgehalten. Das
wird vor allem an den Fällen der „alternativen Kausalität“ deutlich.39
Es kann aber auch schon an den Fällen des Vereitelns von Verläufen ge-
zeigt werden, die eine Veränderung verhindert hätten; als Beispiel: B will
den Tod des C verhindern, doch A zerstört das einzige Rettungsmittel, wo
rauf C stirbt.
A’s Handlung ist nicht ursächlich für den Tod des C, obgleich der Tot-
schlag des A an C ein Begehungsdelikt ist und somit eine Handlung durch
Tun mit positiv definiertem Ergebnis voraussetzt.40 Auf die Zerstörung des
einzigen Rettungsmittels folgt der Tod des zu Rettenden nicht mit Notwen-
digkeit, sondern nur unter der kontrafaktischen Annahme, dass der in Not
Geratene oder ein anderer jenes Mittel eingesetzt hätte.
Die Handlung des A ist auch keine notwendige Bedingung für C’s Tod:
Der Bedingungstheorie folgend muss man die Zerstörung des Rettungsmit-
tels wegdenken. Damit ist aber noch nicht viel gewonnen. B hätte, da sein
Handeln kontingent ist, das Rettungsmittel nicht benutzen müssen. Man
postuliert deshalb, dass das rettungsgeeignete Handeln hinzuzudenken sei.41
Mit dieser Modifikation wird aber die Prämisse preisgegeben, dass die Ursa-
che eine condicio sine qua non des Erfolgs sein müsse, da dieser prinzipiell
auch hätte eintreten können, wenn der Handelnde das Rettungsmittel nicht
zerstört hätte.
Das Vereiteln von Rettungshandlungen anderer verursacht eine Verände-
rung weder, noch bedingt es sie. Wohl aber ist sein Andershandeln Bedingung
einer Möglichkeit, dass die Veränderung nicht eintritt. Hätte A das Rettungs-
mittel nicht zerstört, hätte die Möglichkeit bestanden, dass B den C rettet.42
Die allgemeine Zurechnungsvoraussetzung ist nicht als Existenz-, sondern
als Kontingenzverknüpfung zu formulieren: Nicht die Existenz, sondern die
Kontingenz des Handelns muss Bedingung wiederum nicht für die Existenz,
sondern für die Kontingenz der zuzurechnenden Veränderung sein. Die
Wahrnehmung (irgend-)einer anderen Handlungsmöglichkeit hätte also nicht
zwingend dazu führen müssen, dass der Erfolg nicht gegeben wäre. Sie hätte
nur die entsprechende Möglichkeit eröffnen müssen. Diese Möglichkeit kann
im Übrigen auch von Handlungen anderer Personen abhängen wie im Bei-
spiel von denen des rettungswilligen B.
3. Der Mangel der Bedingungstheorie liegt darin, dass sie die kontingenz-
bezogene Betrachtung nur auf die Anknüpfungshandlung oder ‑unterlassung,
nicht auch auf den Erfolg bezieht. Die Gründe hierfür sind einerseits, dass
sich diese Theorie als Definition des Begriffs der Kausalität versteht und
andererseits, dass sie das Kausaldogma akzeptiert, nach welchem Handlung
und Zurechnung Kausalität zwingend voraussetzen.43 Dieses Dogma wurde
durch die naturalistische Auffassung der Handlung seitens der kausalen wie
der finalen Lehre, nach welchen die Handlung ein beschreibbarer Ausschnitt
aus einem Kausalgeschehen sei, im Handlungsbegriff verankert. All das
führte dazu, dass der Begriff der Kausalität zurechtgebogen werden musste,
um alle Fälle abzubilden, in welchen praktisch eine Zurechnung gerechtfer-
tigt ist.
Eine Definition des Bedingungsverhältnisses, welche, wie zu zeigen sein
wird, weitgehend ohne derartige Zusatzannahmen auskommt, hat Puppe aus-
gearbeitet: Sie definiert den Begriff der Ursache als notwendigen Bestandteil
einer hypothetischen hinreichenden Mindestbedingung.44 Weil diese hinrei-
chende Mindestbedingung kontrafaktisch gebildet wird, wird auch eine alter-
native Art der Verursachung des Erfolgs in den Blick genommen und die
Kontingenzbetrachtung somit auf den Erfolg ausgedehnt.
Puppe steht auch kurz davor, das Kausaldogma ganz aufzugeben, weil sie
klar erkennt, dass ein Begriff der Kausalität, der sämtliche Fälle der Zurech-
nung umfasst, nicht gebildet werden kann – also einerseits die Zurechnung
aufgrund von naturgesetzlich determinierter Kausalität, andererseits die über
das Handeln anderer vermittelte Zurechnung.45
Erst ein Handlungskonzept, das sich von der Vorstellung der Handlung als
ereignishafter Körperbewegung bzw. als Kausalprozess aus Wille, Körperbe-
wegung und Erfolg verabschiedet, kann aber das Kausaldogma ganz über-
winden, weil die Kausalität dann nicht als etwas erscheint, das mit dem Ge-
genstand der Handlung selbstverständlich gegeben ist. Die Kausalität ist
3. „Ersatzursachen“
Knopfdruck diese Maschine in Gang setzen. Es sei nun so, dass A und B ge-
trennt voneinander jeweils durch Betätigen eines Schalters verursachen kön-
nen, dass die Maschine eine tödliche Giftdosis bei X injiziert. Der Mechanis-
mus wird bereits ausgelöst, wenn der erste Befehl ergeht; der zweite Befehl
bleibt dann ohne Wirkung. Zuerst drückt A den Schalter, dann B, und C stirbt.
Da Kausalität durch die Notwendigkeit der Abfolge realer Ereignisse zu
definieren ist, ist die Beurteilung des Falls insoweit einfach: Auf die Hand-
lung des A folgte mit Notwendigkeit die Aktivierung des Automatismus,
dann die Giftgabe und der Tod des C. Die Handlung des B hingegen hat den
Automatismus nicht ausgelöst – obgleich sie diese Wirkung hätte haben kön-
nen. Ursächlich ist demnach nur die Handlung des A, nicht des B.
Jedoch ist sowohl das Andershandeln von A als auch von B Bedingung
dafür, dass X nicht stirbt. Denn der Befehl des B hätte die Maschine ausge-
löst, wenn A es nicht zuvor getan hätte. Auch B musste deshalb anders han-
deln, damit X nicht stirbt. Sowohl die Kontingenz des Handelns von A als
auch B bedingt somit, dass der Tod des X kontingent ist.
Man könnte zwar behaupten, dass das Handeln des B nicht Kontingenzbe-
dingung für den Todeserfolg sei, weil der Tod später eingetreten wäre, falls
erst B und nicht bereits A den entscheidenden Befehl gegeben hätte. Prämisse
hierfür wäre, dass der Erfolg durch seine raum-zeitliche Verortung definiert
wird und ein späterer Erfolgseintritt oder auch ein Erfolgseintritt zum glei-
chen Zeitpunkt an einem anderem Ort deshalb nicht das gleiche Ereignis
wäre.48 Das löst das Problem aber nicht, weil denkbar ist, dass eine Ersatz-
ursache am selben Ort und zur selben Zeit die gleiche Wirkung gehabt hätte.
Um das zu zeigen, kann das Beispiel dahingehend abgewandelt werden,
dass der Zeitpunkt feststeht, zu welchem dem gefesselten X eine Giftspritze
gegeben wird, falls A oder B bis dahin ihren jeweiligen Schalter bedienen.
Wer von beiden zuerst den Schalter bedient, löst das Programm aus; ein spä-
terer Befehl des anderen wird nicht mehr wirksam. Wenn zuerst A und erst
danach B den jeweiligen Schalter bedient, löst der Befehl des A den Automa-
tismus aus, nicht der des B. Letzterer hätte aber zum gleichen Ereignis am
gleichen Ort und zur gleichen Zeit geführt.49
2. Betrachtet man die Fälle möglicher Ersatzursachen unter dem Blick-
winkel der Kontingenzverknüpfung, ist somit problematisch, dass auch die
nicht wirksam gewordene Handlung als Kontingenzbedingung des Erfolgs
erscheint; betrachtet man sie unter dem Blickwinkel der Bedingungstheorie
der Kausalität, ist genau umgekehrt problematisch, dass die tatsächlich ur-
sächliche Handlung nicht als notwendige Existenzbedingung des Erfolgs er-
scheint: Nach der Bedingungstheorie ist – ebenso wie im Fall der alternativen
Kausalität – weder das Handeln von A noch B notwendige Bedingung für
den Erfolgseintritt. Aus der „Ergänzungsformel“ zur alternativen Kausalität
würde folgen, dass die Handlungen von A und B ursächlich sind; denn es
kann zwar jede Handlung für sich, es können aber nicht beide hinweggedacht
werden, ohne dass der Erfolg entfiele.50
Um das gewünschte Ergebnis zu erzielen, muss die Bedingungstheorie
deshalb eine weitere Modifikation einführen: Verläufe, die sich tatsächlich
nicht verwirklicht haben, werden nicht berücksichtigt (außer, wie gesehen,
rettende Verläufe).51 Im gegebenen Fall darf man also nicht hinzudenken,
dass die Betätigung des Schalters durch B die Maschine auslöst, da das tat-
sächlich nicht passiert ist.
Auch für Puppes These, dass eine Ursache notwendiger Bestandteil einer
wahren (aber kontrafaktisch gebildeten) hinreichenden Mindestbedingung ist,
ist der Fall der „Ersatzursache“ heikel: Sowohl das Handeln von A als auch
von B ist notwendiger Bestandteil einer hinreichenden Mindestbedingung
des Todes von X zu exakt demselben Zeitpunkt und Ort. Puppe muss deshalb
ein Zusatzkriterium einfügen, das dem der herrschenden Meinung gleicht:
„Auch diejenigen Zwischenglieder der Kausalkette, die diese hinreichende
Bedingung mit dem Erfolg verbinden, [müssen] gegeben sein […].“52 Es
kommt also doch auf das tatsächliche Geschehen an; jede kontrafaktische
Betrachtung anhand der Frage nach notwendigen oder hinreichenden Bedin-
gungen hat für die Kausalitätsanalyse sekundären Charakter.
3. Weil das Kriterium der Kontingenzverknüpfung nicht den Begriff der
Kausalität definiert, folgt daraus, dass die „Ersatzursache“ nicht ursächlich
ist, kein prinzipieller Einwand gegen das Kriterium. Gleichwohl gibt der Fall
Anlass, es zu präzisieren.
Offenbar ist eine Veränderung nur zurechenbar, wenn die Kontingenz einer
Handlung des Zurechnungssubjekts auch die Kontingenz des Geschehensver-
laufs bedingt, der ursächlich für die Veränderung wird. Die Einbindung in
reale Kausalverläufe gehört gleichsam mit zur Veränderung.
Das entspricht durchaus dem Vorschlag von Puppe zur Anpassung der
Bedingungstheorie. Dieser läuft darauf hinaus zu fordern, dass die fragliche
Handlung notwendige Bedingung für den Erfolg in der konkreten Art seiner
Verursachung sein muss. Das kann man freilich nur sagen, wenn man mit der
Bedingungstheorie nicht beansprucht, die Kausalität zu definieren, weil die
Definition andernfalls zirkulär wäre.
Bei der Handlung durch Tun mit positivem Ergebnis muss der Handelnde
somit die Kontingenz des konkreten Geschehensverlaufs bedingen und auf-
grund dessen die Kontingenz des Erfolgs.
53 Aus diesem Grund halten etwa Roxin AT I (2006) § 11 Rn. 31 f., ders. (2011)
S. 416 f. und Greco (2011) S. 685 f. an der Bedingungstheorie fest.
54 Renzikowski (2011) S. 211 f.
III. Die Kontingenzvoraussetzung147
2. Diese Entscheidung wäre dann aber eine andere, insofern sie auf ande-
ren Gründen beruhen würde. Das genügt, um eine Kontingenzverknüpfung
zwischen jenem Argument und dem Ergebnis der richterlichen Entscheidung
zu bejahen. Zwar kann die Kontingenz einer Handlung nicht die Kontingenz
der Handlung einer anderen Person bedingen. Die Handlungen anderer sind
aber nicht als solche Gegenstand der Zurechnung. Es genügt deshalb, dass
der tatsächliche Verlauf, welcher zum zuzurechnenden Erfolg führt, ein ande-
rer wäre.55
Das ist gegeben, wenn die Handlung des Zurechnungssubjekts die Hand-
lung der anderen Person in irgendeiner Weise beeinflusst hat – und sei es
nur, dass sie einen Grund neben anderen für diese Handlung geliefert hat.
Die Handlung muss eine der vorausgehenden oder gleichzeitigen Umstände
schaffen, unter denen die andere Handlung vorgenommen wird. Die Kontin-
genz der Handlungen des Zurechnungssubjekts muss somit eine andere Kon-
figuration von Handlungsgründen und somit zumindest denkbar auch eine
alternative Entscheidung der anderen Person begründen. Auch wenn sich die
andere Person dann im Ergebnis gleich entschieden hätte, wäre das eine Ent-
scheidung auf anderen Grundlagen und somit ein alternativer tatsächlicher
Verlauf.
3. Diese Voraussetzung allein aber kann die Zurechnung bei Verläufen,
die über das Handeln oder Nichthandeln anderer vermittelt sind, nicht be-
gründen. Eine derartige Beeinflussung von Handlungen anderer ist ubiquitär.
Deshalb müssen darüber hinaus besondere Zurechnungsgründe gegeben sein.
Derartige Gründe sind nicht allgemeingültig. So geht es im zivilrechtli-
chen Bereich bei der rechtsgeschäftlichen Vertretung um die Zurechnung
dessen, was ein anderer erklärt hat. Sie kann durch eine Vollmacht begründet
werden. Die Zurechnung zu einer juristischen Person wird darüber hinaus
durch organschaftliche Zurechnung begründet. Grund der Zurechnung kann
somit sein, dass eine Erklärung mit einer Verpflichtung oder Ermächtigung
übereinstimmt, welche diejenige natürliche oder juristische Person ausge-
sprochen hat, der zugerechnet werden soll.
Mit Blick auf die normative Zurechnung im Rahmen einer Deliktshand-
lung wie Totschlag oder Mord genügt demgegenüber ein der Vollmacht ver-
gleichbarer Auftrag nicht. So wird dem Anstifter, der einen Mord in Auftrag
gegeben hat, der Tod der ermordeten Person nicht zugerechnet (§ 26 StGB).56
Zugerechnet wird allein bei Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft (§ 25
StGB). Angesichts dessen, dass ein Täter sich nicht darauf berufen kann, le-
diglich für einen anderen, insbesondere einen Anstifter zu handeln, ist es
konsequent, den Anstifter von der Verantwortlichkeit für den Erfolg freizu-
sprechen. Deshalb kann nur im Fall mittelbarer Täterschaft – also einer über
die Anstiftung hinausgehenden Beeinflussung und dadurch begründeten Un-
freiheit einer anderen Person – die Verantwortlichkeit des mittelbaren Täters
begründet werden.57
rum aus der Injektion des Giftes und jene daraus, dass A und B den Automa-
tismus ausgelöst haben, der zur Injektion führte.
Nach der Bedingungstheorie der Kausalität ist A’s Handeln indes nicht
ursächlich. Nur die Handlung des B ist notwendige Bedingung des Todes
von X, nicht auch die des A. Letztere ist auch nicht ein notwendiger Be-
standteil einer hinreichenden Mindestbedingung.
Es wurde vorgeschlagen, die ausreichende Menge, die B gegeben hat, hy-
pothetisch derart in zwei jeweils nicht ausreichende Teilmengen aufzuteilen,
dass die von A gegebene Menge eine notwendige Bedingung bzw. ein not-
wendiger Bestandteil einer hinreichenden Mindestbedingung wird.63 Man
kann aber eine Handlung – hier die Bedienung des Schalters durch B – nicht
gleichsam halbieren.
Auch das Kriterium der Kontingenzverknüpfung hat zunächst vergleich-
bare Schwierigkeiten: Es gibt keine mögliche Geschehensvariante, in welcher
der Nichteintritt des Todes von X von der Kontingenz des Handelns von A
abhängt. Jedoch ist das Kriterium zu präzisieren, wie schon zu den Fällen der
Ersatzursachen gezeigt wurde: Die Art der Verursachung gehört mit zur Cha-
rakterisierung des Erfolgs. Wenn A keine Giftgabe verfügt hätte, wäre X an
einer geringeren Menge Gift verstorben. Die Kontingenzverknüpfung ist
demnach gegeben. Der Fall ist somit ebenso wie der zuerst erörterte Fall der
kumulativen Kausalität zu beurteilen.
4. Der kalifornische Supreme Court hatte einen Fall zu entscheiden, der in
diesem Zusammenhang diskutiert wird:64 S hat T eine Wunde zugefügt, die
zu Blutverlust führte. T brachte sich sodann selbst eine zweite, gravierendere
Wunde bei und starb. „Überholende Kausalität“ durch die Selbstverletzung
des T wurde nicht angenommen, da der Blutverlust aus beiden Wunden zum
Tod führte. Schon deshalb ist Kausalität der Anknüpfungshandlung des S zu
bejahen. Die Bedingungstheorie muss eine „anknüpfende Kausalität“ anneh-
men, was mit der Kontingenz von T’s Handeln nicht vereinbar ist.
Eine Kontingenzverknüpfung ist auch in diesem Fall zu bejahen. Falls jede
Wunde bereits für sich allein zum Tod des T geführt hätte, liegt ein Fall al-
ternativer Kausalität vor. Dann ist sowohl das Andershandeln von S als auch
T selbst je eine notwendige Bedingung der Möglichkeit, dass T nicht stirbt.
Wenn die Verletzung, die S dem T beigebracht hat, nicht zu dessen Tod ge-
führt hätte, ist gleichwohl eine Kontingenzverknüpfung zu bejahen, da ohne
die Verletzung der Erfolg auf andere Weise verursacht worden wäre, nämlich
nur durch die Wunde, die sich T selbst zugefügt hat.
5. Die Fälle „kumulativer“ und „alternativer Kausalität“ können auf Un-
terlassungen übertragen werden:65
Ausgehend von der gegebenen Grundkonstellation ist folgender Fall denk-
bar: A und B können dadurch die vorprogrammierte Hinrichtung des X ver-
hindern, dass jeder von ihnen einen jeweiligen Schalter bedient. Beide wissen
aber nicht, wie der je andere sich entscheidet. Weder A noch B bedienen den
Schalter.
Eine erste Variante dieses Falls entspricht den Fällen der „alternativen
Kausalität“ beim Tun: Die Maschine wird schon dadurch gestoppt, dass A
oder B allein den Schalter bedienen.
Hier ist im Sinne der Bedingungstheorie das jeweilige Unterlassen not-
wendige Bedingung des Erfolgseintritts. Auch die Kontingenz des Todes von
X ist sowohl von der Kontingenz des Handelns von A als auch von B abhän-
gig.
6. Für die Bedingungstheorie problematisch ist indessen ein Fall, welcher
der „kumulativen Kausalität“ vergleichbar ist: A und B müssen den jeweili-
gen Schalter bedienen, um X zu retten. Keiner von beiden bedient den Schal-
ter.
In diesem Fall wird wiederum deutlich, dass die Voraussetzung der Kon-
tingenzverknüpfung die allgemeine Zurechnungsvoraussetzung besser trifft
als die Bedingungstheorie: Keine der beiden Unterlassungen ist notwendige
Bedingung des Todes von X. Wohl aber ist die Kontingenz des Handelns von
A ebenso wie von B notwendige Bedingung der einzigen Möglichkeit, dass
X nicht stirbt. Denn sowohl A als auch B müssen hierfür anders handeln.
Eine Kontingenzverknüpfung besteht deshalb sowohl für A als auch für B.
Auf der Grundlage der Bedingungstheorie konnte der BGH die „Quasi-
Kausalität“ im vergleichbaren Politbüro-Fall nur mit dem Argument behaup-
ten, dass sich andernfalls „jeder Garant allein durch den Hinweis auf die
gleichartige und ebenso pflichtwidrige Untätigkeit gleichgeordneter Garanten
von jeder strafrechtlichen Haftung freizeichnen“ könne.66 Er deutet die
„Quasi-Kausalität“ der Unterlassung deshalb als normative Zurechnungsvor-
aussetzung und unterstellt zur Prüfung der Quasi-Kausalität „rechtmäßiges
Verhalten der parallelen Garanten“.67
70 Knauer (2001) S. 159 ff. Hierzu Puppe NK-StGB (2017) Vor §§ 13 ff. Rn 94.
154 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
71 Vgl. Renzikowski in: Maurach / Gössel / Zipf (2014) § 49 Rn. 9 ff., 21 ff.
72 Searle (2001) S. 121 ff.
IV. Die intentionale Zurechnung155
vornimmt. Das auf das Handeln eines anderen bezogene und diesem mitge-
teilte Wollen ist ein Sollen. Diese Parallelität kann man heranziehen, um
Begriff und Sinngehalt der Intention zu erschließen.
3. Der Gestaltungssinn von Norm und Intention erklärt, warum diese die
Zurechenbarkeit von Veränderungen begründen. Intentional wird zugerech-
net, weil das Subjekt eine Intention gesetzt, das heißt verbindlich gemacht
hat, und es wird zugerechnet, was mit dieser übereinstimmt. Aufgrund einer
Norm wird zugerechnet, was mit dieser nicht übereinstimmt, da das Zurech-
nungssubjekt Adressat dieser Norm war.
Zugerechnet wird in beiden Fällen, worin das Zurechnungssubjekt aus der
Perspektive des Zurechnenden frei war und was deshalb als das Seine er-
scheint. Es war frei, die Intention zu setzen oder nicht zu setzen, weshalb das
mit ihr Übereinstimmende zugerechnet wird. Demgegenüber war es aus der
Sicht des Zurechnenden verbunden, der Norm zu folgen, weshalb sich die
Freiheit des Subjekts in der Abweichung von der Norm äußert. Die Befol-
gung einer Norm erscheint somit nur unter dem Gesichtspunkt der Intention
als frei und wird als Handlung zugerechnet, nicht aus Sicht der Norm, wäh-
rend deren Missachtung auch aus deren Sicht als frei erscheint.
Dass nur die Normmissachtung, nicht aber deren Befolgung zugerechnet
wird, entspricht Kants Auffassung.73 Weil aber Kant das Gesollte zugleich
als das aus Vernunft Gewollte ausweist, erscheint ihm die Freiheit anderer-
seits in der Normbefolgung, die Unfreiheit – als Nötigung durch sinnliche
Bestimmungsgründe – in der Nichtbefolgung der Norm.74 Diese Annahme
von Unfreiheit setzt aber wiederum voraus, dass Freiheit möglich ist.
4. Intention und Norm stehen als mögliche Zurechnungsgründe gleichbe-
rechtigt nebeneinander. Sie können entweder die Zurechnung je eigenständig
begründen oder kombiniert werden:
(a) Eine bloß intentionale Zurechnung ist etwa bei normativ freigestellten
(indifferenten) Handlungen gegeben. Sie ist aber auch beim vorsätzlichen
Begehungsdelikt Zwischenschritt der normativen Zurechnung, da sich das
Verbot auf eine intentional zurechenbare Handlung richtet.
(b) Aus diesem Grund ist das vorsätzliche Begehungsdelikt für die Kom-
bination von intentionaler und normativer Zurechnung beispielhaft. Obgleich
sich hier das Verbot auf eine intentional zurechenbare Handlung bezieht, ist
73 Siehe bereits unter B.I.1.1. Ferner Kant (1907) S. 227 f., (1934) S. 253 Refl. 7124,
S. 304 Refl. 7295. Vgl. Hruschka (1998a) S. 105 ff., Aichele (2008) S. 17 f., Renzikow
ski (2011) S. 210. Zu überobligatorischen (supererogatorischen) Handlungen Joerden
(2010) S. 221 ff. m. w. N.
74 Kant (1907) S. 226 f.
156 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
(freigestellt, dass)
84 Vgl. auch die logische Interpretation des dolus eventualis von Joerden (2010)
S. 284 f., der ihn aber als Funktion eines bloß kognitiven Urteils auffasst.
85 Klarstellend bereits BGHSt 7, 363, 369 f.
IV. Die intentionale Zurechnung161
86 BGHSt 7, 363.
87 Puppe AT (2016) § 9 Rn. 2.
88 BGHSt 7, 363, 369, Roxin AT I (2006) § 12 Rn. 29 m. w. N.
89 Armin Kaufmann (1958) S. 73 ff., zustimmend Hillenkamp (1989) S. 351 ff.,
369.
162 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
Auch das Kriterium des Vertrauens, dass der Erfolg ausbleibe,90 entstammt
einer normativen, auf das Handeln anderer gerichteten Denkweise: Vertrauen
richtet sich auf die Einhaltung von normativen Erwartungen, also Geboten
und Verboten.91 Übertragen auf den Eventualvorsatz, wird deutlich, dass im
Vertrauen die quasi normative Stellungnahme zum Ausdruck kommt, dass
der Erfolg nicht sein soll – und nicht nur eine kognitive Erwartung, dass dies
tatsächlich nicht der Fall sein werde. Das Vertrauen ist gleichsam eine abge-
schwächte Form der Absicht, dass der Erfolg nicht eintrete, in Fällen, in de-
nen sich eine solche Absicht nicht im Handeln manifestiert. Das Vertrauen
widerspricht deshalb der für den Eventualvorsatz kennzeichnenden intentio-
nalen Indifferenz.
5. Im Punkt der Indifferenz gibt es keine Abweichung, sondern nur Über-
einstimmung. Was auch geschieht, widerspricht weder dem Inkaufnehmen
noch der Erlaubnis.
Nun wird aufgrund einer Norm zugerechnet, was ihr widerspricht, auf-
grund einer Intention, was ihr entspricht. Einen Widerspruch zu einer Erlaub-
nis kann es aber nicht geben. Der Handelnde ist frei, die erlaubte Handlung
vorzunehmen oder nicht. Eine normative Zurechnung findet deshalb nicht
statt.
Demgegenüber vermag die Indifferenz der Intention die Zurechnung einer
Veränderung zu begründen. Der Eintritt einer nicht bezweckten, aber in Kauf
genommenen Veränderung stimmt mit der Intention überein. Die Stellung-
nahme des Handelnden geht dahin, dass ein bestimmter Erfolg sein darf, und
deshalb kann ihm dieser zugerechnet werden.
Es lässt sich somit aus der Funktion der handlungsbegründenden Zurech-
nung erklären, dass die Intention den strafrechtlichen Vorsatz und mit ihm
auch die Vorsatzformen von Wissentlichkeit und dolus eventualis umfasst.
6. Nachdem das begriffliche Verhältnis von Absicht und Inkaufnehmen
geklärt ist, kann untersucht werden, wie die Begriffe der Intention bzw. des
Vorsatzes zu definieren sind.
Offenbar muss die Definition dieser Begriffe vom Begriff der Absicht
ausgehen, weil die Intentions- und Vorsatzform des Inkaufnehmens durch
eine zweifache Negation der Absicht definiert wird: Das Inkaufnehmen eines
Erfolges ist dadurch gekennzeichnet, dass man weder beabsichtigt, dass er
eintritt, noch, dass er nicht eintritt. Weil der Begriff des Vorsatzes mit dem
Inkaufnehmen aber auch die Negation der Absicht enthält, ist er nicht als
Absicht definierbar.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Norm, sofern man auch die
Erlaubnis (im starken Sinne) als Norm auffasst. Dann kann die Norm nicht
als Gebot, sondern nur mit Bezug auf den Begriff des Gebots definiert wer-
den, da mit der Erlaubnis auch die Negation eines Gebots umfasst ist. Wenn
man eine Handlung erlaubt, also nicht gebietet und nicht verbietet, spricht
man kein Gebot aus, obgleich man über die Frage des Gebots oder Verbots
dieser Handlung bestimmt.
Gebot und Erlaubnis verhalten sich dabei nicht wie a und non-a zueinan-
der, sofern mit non-a etwas kategorial anderes als a gemeint ist, z. B. die
Behauptung eines Sachverhalts. Die Erlaubnis ist nicht irgendetwas beliebi-
ges anderes als ein Gebot. Beide bleiben vielmehr im Beobachtungsschema,
das auf dem Begriff des Gebots beruht. Wenn jemand etwas erlaubt, verhält
er sich hierzu im gleichen Modus, wie wenn er es gebieten / verbieten würde.
Darüber hinaus ist vorausgesetzt, dass er es gebieten oder verbieten könnte,
also die Möglichkeit und den Einfluss hat, dies zu tun.
Gleiches gilt für das Verhältnis von Absicht und Inkaufnehmen. Auch das
Inkaufnehmen bleibt in dem Rahmen, der durch den Begriff der Absicht de-
finiert wird. Wenn jemand etwas in Kauf nimmt, verhält er sich im selben
Modus, wie wenn er es beabsichtigen würde. Auch muss es prinzipiell mög-
lich sein, dass er denselben Erfolg beabsichtigen könnte.
Somit ist es eine wesentliche Bestimmung der Intention, dass sie sprach-
lich als Aussage in Bezug darauf formuliert werden kann, ob etwas (eine
Veränderung) beabsichtigt ist. Die Aussage kann beinhalten, dass beabsich-
tigt ist, dass eine Veränderung eintritt, dass sie nicht eintritt oder weder-noch.
Der zuletzt genannte Fall trifft auf das Inkaufnehmen zu. Parallel hierzu ist
die Norm eine Aussage in Bezug darauf, ob etwas geboten ist.
Die Arten der Norm und Intention ergeben sich aus den Möglichkeiten der
Negation des Begriffs des Gebots bzw. der Absicht. Die Arten der Intention
bzw. des Vorsatzes sind somit die Absicht und das Inkaufnehmen. Dessen
Unterarten sind wiederum – je nachdem, ob der Gegenstand des Inkaufneh-
mens als mit Sicherheit oder nur mit Wahrscheinlichkeit eintretend vorge-
stellt wird – strafrechtlich die Wissentlichkeit und der dolus eventualis. Die
Wissentlichkeit als dolus directus zweiten Grades zu bezeichnen und somit
der Absicht als dolus directus ersten Grades zur Seite zu stellen, ist systema-
tisch verfehlt.92
Die Absicht ist somit die Grundform des Vorsatzes, nicht das Inkaufneh-
men (Wissentlichkeit oder Eventualvorsatz). Den Eventualvorsatz kann man
92 Zurückgehend auf Mezger (1952) § 67 III. Klassisch (zum Fall Thomas) Bin
ding (1916) Normen II (1916) S. 851 ff.
164 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
nur dann als Grundform ansehen, wenn man den Vorsatz allein durch die
Kenntnis der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit definiert, dass die Verän-
derung eintreten wird.93 Dann ist allerdings die Absicht für den Vorsatz
überhaupt irrelevant und gegebenenfalls ein bloß akzidentielles Merkmal.94
Der handlungstheoretische Begriff der Intention und der strafrechtliche des
Vorsatzes würden auseinander fallen.95
auf das Körperverhalten gerichtet oder darüber hinaus auf einen anderen
Zurechnungsgegenstand.97 Vorhaben und Intention unterscheiden sich daher
nicht inhaltlich, sondern allein durch den Aspekt der Verbindlichkeit. Die
Intention ist eine unwiderrufliche Entscheidung, weil das tatsächliche Kör-
perverhalten unwiderruflich ist. Für einen Beobachter ist das Körperverhalten
die Mitteilung einer Intention. Sein Verständnis der Intention manifestiert
sich in der Zurechnung.
Da erst das Körperverhalten eine Intention festlegt, ist diese mit ihm lo-
gisch verknüpft; beide sind gleichermaßen voneinander abhängig: Ein alter-
natives intentionales Körperverhalten setzt logisch eine andere Intention vo-
raus; und eine andere, verhaltensbezogene Intention wäre notwendig mit ei-
nem anderen Körperverhalten verbunden. Eine Intention in diesem Sinn kann
das Körperverhalten also nicht verursachen, da sie erst mit diesem gegeben
ist. Ob und wie das Körperverhalten durch psychische Operationen verur-
sacht wird, kann also für die Handlungstheorie offen bleiben. Die Zurech-
nung geht indes, wie oben dargestellt, von der Annahme aus, dass Intention
und Körperverhalten kontingent sind.
Unmittelbar legt ein Körperverhalten nur die auf dieses selbst gerichtete
Intention fest. Eine Intention, die sich auf einen anderen Gegenstand richtet,
wird durch das Körperverhalten festgelegt, wenn es das Mittel ist, jenen Ge-
genstand zu verwirklichen. So kann aus dem Krümmen des Fingers am Ab-
zug einer auf einen anderen gerichteten Pistole auf eine Intention geschlossen
werden, die sich auf den Tod des anderen richtet. Ein Körperverhalten steht
immer in einem bestimmten Kontext, der es schon für sich ermöglichen
kann, die Intentionen des Handelnden zu verstehen.98
Das Körperverhalten verweist in diesem Fall auf eine Intention, und diese
über das Körperverhalten hinaus auf einen anderen Gegenstand. Wegen die-
ser Verweisungsstruktur kommt dem Körperverhalten die Funktion als Sinn-
träger zu; es hat Bedeutung, ist Ausdruck der Intention. Sie manifestiert sich
in ihm, tritt nach außen, teilt sich mit. Der Akt der Zurechnung manifestiert
dann ein Verstehen dieser Intention. Er schließt eine Kommunikation in Luh-
manns Sinn ab.99
97 Vgl. die Unterscheidung von Wunsch, Willkür und Wille bei Kant (1907)
S. 213 = (2009) S. 17: „Sofern [das Vermögen, nach Belieben zu tun oder zu lassen]
mit dem Bewußtsein des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objek-
tes verbunden ist, heißt es Willkür; ist es aber nicht damit verbunden, so heißt der
Aktus desselben ein Wunsch.“ Diese Passage kann man so deuten, dass das mit der
Handlung (als einem Tun) gegebene Begehrungsvermögen Willkür heißt und das Be-
gehrungsvermögen ohne Handlung Wunsch.
98 Vgl. Anscombe (1986) S. 13 ff., p. 7 ff.
99 Luhmann (1984) S. 198, 203.
166 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
Diese Sicht auf die Handlung hat letztlich auch der Handelnde selbst; er
rechnet sich eine Handlung aufgrund eines Körperverhaltens ebenso zu, wie
es ein Beobachter tut. Sofern er sich eine Handlung zurechnet, hat er den
Blick eines Beobachters, denkt also dessen Perspektive mit. Das gilt auch,
wenn er Handlungen in einem reflexiven, hypothetischen Urteil projiziert
und sich dabei probehalber selbst zurechnet.
2. Die Frage, wann eine über das Körperverhalten hinausgehende Inten-
tion verbindlich wird, beantwortet das Strafrecht eigenständig mit der Festle-
gung des Versuchsbeginns. Gefordert wird nicht eine aus Sicht des Täters
gefährliche Handlung, sondern gem. § 22 StGB eine, mit welcher er nach
seiner Vorstellung von der tatbestandlichen Handlung zu ihrer Verwirkli-
chung unmittelbar ansetzt. Das muss nicht zwingend diejenige Handlung
sein, welche die Kontingenzverknüpfung begründen kann bzw. soll, sondern
es kann eine Handlung genügen, welche dieser Handlung nach der Tätervor-
stellung unmittelbar vorangeht.
Nur aufgrund dieser Regel kann begründet werden, dass in Fällen des
vorzeitigen Erfolgseintritts Vorsatz und somit eine erfolgsdefinierte Hand-
lung angenommen werden kann, obgleich der Täter noch keine nach seiner
Vorstellung erfolgsgefährliche Handlung vorgenommen hat. Wenn ein Täter
das zu tötende Opfer zunächst nur betäuben will, aber bereits dadurch unbe-
absichtigt dessen Tod verursacht, kommt es nach der Rechtsprechung darauf
an, ob der Versuch des Totschlags bereits begonnen hatte.100
3. Die Verbindlichkeit der Intention schließt nicht aus, dass der Handelnde
sich von ihr inhaltlich distanzieren kann. Er kann anführen, dass sie etwa
durch eine Täuschung oder Drohung beeinflusst war; dass er nicht frei ent-
schieden habe. Die intentionale Zurechnung wird jedoch nur durch zwin-
gende Gewalt, vis absoluta, ausgeschlossen, weil man dann das Körperver-
halten nicht als kontingent ansehen kann.
Die Festlegung einer Intention kann nicht zurückgenommen, aber sozusa-
gen neutralisiert werden, wenn der Handelnde anschließend die kontradikto-
risch entgegengesetzte Intention setzt, dass der Erfolg nicht eintrete. So kann
er vom Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, S. 2 StGB strafbefreiend zu-
rücktreten. Dass der Rücktritt die durch das Körperverhalten festgelegte In-
tention nicht berührt, wird daran deutlich, dass zugerechnet wird, falls der
Erfolg trotz der Rücktrittsbemühungen eintritt.
100 BGH NJW 2002, 1057, BGH NStZ 2002, 475. Umstritten, vgl. Roxin AT I
(2006) § 12 Rn.182 ff. m. w. N.
IV. Die intentionale Zurechnung167
1. Während die normative Zurechnung auf der Annahme einer Norm be-
ruht, welche der Zurechnende selbst postuliert, beruft er sich bei der inten
tionalen Zurechnung auf eine Sinnsetzung durch den Handelnden. Die inten-
tionale Zurechnung beinhaltet deshalb eine zusätzliche Tatsachenannahme,
sofern die Intention in den sinnbasierten Operationen eines psychischen
Systems, also mentalen Zuständen ihre Grundlage hat. Diese sind allerdings
ereignishaft-flüchtig und nicht unmittelbar zugänglich, sondern nur aus den
Umständen zu erschließen und zu rekonstruieren. Um die Intention mitteilbar
und verstehbar zu machen, muss ihr eine sprachliche Fassung gegeben wer-
den, welche sie interpretierend festlegt. Dabei wird sie der Person des Han-
delnden zugeschrieben.
Von der Zurechnung unterscheidet sich die Zuschreibung einer Intention
insofern, als es keinen besonderen Zurechnungsgrund gibt: Man kann eigene
Intentionen oder Erwartungen nicht wiederum intendieren. Es ist nur eine
Selbstbeobachtung möglich, welche die Intention reflektiert und sich aufgrund
dessen selbst Handlungen zurechnet oder die Intention ändert oder aufgibt.
Intentionen werden vielmehr zugeschrieben, weil sie in einem Handeln er-
kennbar werden. Nur bei juristischen Personen wird eine formelle Beschluss-
fassung als das Setzen einer Intention selbständig als Handlung zugerechnet.
2. Da die Zuschreibung einer Intention das Verstehen bzw. die Rekon
struktion einer Sinnsetzung voraussetzt, hat sie interpretierenden Charakter
und kann deshalb mehr oder weniger unsicher sein. Intentionen wird man
mithilfe eines Ähnlichkeitsschlusses ermitteln. Weil der Beobachter ebenfalls
ein intentional Handelnder ist, kann er beurteilen, ob ein Körperverhalten
intentional ist, und kann aus den Mitteilungen des Handelnden oder den Um-
ständen erschließen, welche Intention der handelnden Person zuschreibbar
ist.101 Absichten sind dabei leichter zu ermitteln als die indifferente Intention
im Sinne eines Inkaufnehmens.
3. Nicht möglich ist es aber, im Rahmen einer intentionalen Zurechnung
sozusagen einen Schluss vom Sollen auf das Sein zu ziehen.102 Wenn der
Handelnde eine sehr naheliegende Gefahr verdrängt hat, kann ihm keine
entsprechende Intention, keine Stellungnahme hinsichtlich des drohenden
Erfolgs zugeschrieben werden – selbst wenn er sich bei anderer Gelegenheit
oder generell gegen derartige Erfolge gleichgültig verhalten hat. Das Argu-
ment, dass er die Gefahr hätte erkennen müssen, ist kennzeichnend für eine
normative Zurechnung, die aber bei fehlender Intention nur eine Fahrlässig-
dern, dass man bewusst gegensteuert. Erst die Missachtung dieses Gebots
würde dann die normative Zurechnung der Abwehrbewegung im Rahmen
einer fahrlässigen Handlung durch Unterlassen begründen können.104 Bei
weniger unvorhergesehenem, affekt- oder triebgesteuertem Verhalten wird
man demgegenüber Intentionalität bejahen können.105
104 Demgegenüber bereits in diesem Fall eine Handlung durch Tun bejahend Ja
kobs AT (1991) 6 / 38: „Soweit der Automatismus motivatorisch aufhebbar ist und es
an der Zeit, die der Motivationsprozess dauert, nicht fehlt, handelt es sich um eine
Handlung.“ Ferner Roxin AT I (2006) § 8 / 67. Auch hier bestätigt sich der objektive,
der kausalen Lehre nahestehende Charakter der Begriffe von „Vermeidbarkeit“ und
„Persönlichkeitsäußerung.“
105 Vgl. OLG Hamburg JR 1950, 408. Zu Affekttaten BGHSt 11, 20, Krümpel
mann (1974) S. 336 f.
170 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
Die Perspektive wechselnd ist zu fragen, wie diese beiden Urteile und
insbesondere das normative Urteil begründet werden (hierzu folgend b) und
wie aus ihnen das Urteil über die normative Zurechnung folgt (hierzu fol-
gend c).
Das singuläre nichtnormative Urteil (2) beinhaltet zumeist eine nichtnor-
mative handlungsbegründende Zurechnung. Dann setzt es die Feststellung
voraus, dass der Zurechnungsgegenstand gegeben ist, z. B. dass B eine un-
wahre Information erhalten hat, und dass als Zurechnungsgründe Intention
und Kontingenz sowie gegebenenfalls Kontingenzverknüpfung zu bejahen
sind. Diese intentionsbegründete Zurechnung ist auch dann nichtnormativ,
wenn wie im Beispiel der Täuschung unter den Begriff einer tatbestandlichen
Handlungsart subsumiert wird, welcher nicht umgangssprachlich zu verste-
hen ist, sondern inhaltlich durch eine Rechtsnorm geprägt ist.107
Das singuläre normative Urteil (1) kann aus einer konkreten Norm folgen,
die dem Handelnden genau eine Handlung geboten oder verboten hat. Bei-
spiele hierfür sind ein Befehl, eine Aufforderung, die genau eine Handlung
vorschreibt („Verlassen Sie jetzt meine Wohnung!“), oder die aus einem
Versprechen oder einer Verabredung resultierende Verpflichtung („Ich komme
morgen um 14 Uhr zum Treffpunkt.“).
Das singuläre normative Urteil kann aber auch aus einer generellen Norm
abgeleitet sein, z. B. aus dem generellen Verbot, andere zu täuschen oder dem
Gebot, andere zu retten.
Auch die ältere Lehre hat mit Blick auf die Normanwendung klar zwi-
schen einem generalisierenden Urteil und einem auf den Einzelfall bezoge-
nen Urteil unterschieden. Insbesondere Baumgarten unterscheidet ein allge-
meines Urteil über die applicatio von dem über die applicatio legis ad factum
(das zugleich die imputatio legis als das singuläre Urteil über die normative
108 Vgl. Aristoteles Eth. Nic. (1985) V 14, 1137a (zur „Epikeia“), Wieland (1989)
S. 12 ff. (zur „Applikationsaporie“), Bäcker (2009) S. 421 ff. (zur „defeasibility“), Ast
(2012a) S. 38 ff.
109 Engisch (1963) S. 15. Hierzu auch Hruschka (1965) S. 9 ff., Reinhold (2009)
S. 98 ff., Ast (2012a) S. 36 f.
172 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
Sind beide Urteile zu bejahen, kann man aber nicht unmittelbar auf das
Urteil über den Normverstoß schließen, da alle drei Urteile singulär sind.
Erforderlich ist deshalb eine allgemeine Regel, die angibt, wann ein Norm-
verstoß zu bejahen ist. Mit einer solchen Regel ergibt sich wiederum ein
Schluss im modus ponens:
(1) Für alle Normen gilt: Wenn das verwirklicht ist, was eine Norm (z. B.:
das Verbot, dass A dem B ein gefälschtes Gemälde als echt anbietet) als nicht
gesollt ausweist, und wenn alle übrigen Bedingungen gegebenen sind, wel-
che die Norm benennt,113 ist ein Normverstoß gegeben.
(2) Nun ist das von einer Norm als nicht gesollt Ausgewiesene verwirk-
licht (A hat B ein gefälschtes Gemälde als echt angeboten), und alle übrigen
Bedingungen, welche die Norm benennt, sind gegeben (insbesondere: A ist
schuldfähig).
(3) Somit ist ein Normverstoß gegeben (A hat das Verbot missachtet, B
ein gefälschtes Gemälde als echt anzubieten).
Aufgrund des Implikationsverhältnisses zwischen konkretisierend und ge-
neralisierend beschriebenen Handlungen und Normen ist mit dem Verstoß
gegen die konkrete Norm nach dem dictum de omni et nullo auch die Miss-
achtung aller übergeordneten generelleren Normen festgestellt. Es ist also
das generelle Verbot missachtet, gefälschte Gemälde als echt anzubieten und
das generelle Verbot der Täuschung.
Man befolgt eine generelle Norm somit, indem man die singuläre Norm
beachtet, welche aus dieser Norm abgeleitet ist, und man missachtet diese
generelle Norm, indem man jene singuläre Norm missachtet.
Es ist deshalb nicht möglich, den Verstoß gegen eine aus einer generellen
Norm abgeleitete konkretisierende oder singuläre Norm (Pflicht) zu vernei-
nen und zugleich anzunehmen, dass der Normadressat die generelle Norm
missachtet habe – wie es strafrechtsdogmatische Konzepte tun, die zwischen
Norm und Pflicht unterschieden.114
1. Sofern sich ein Verbot auf eine Handlung durch Tun richtet, beziehen
sich die beiden Zurechnungsgründe Norm und Intention aufeinander: Das
Verbot nimmt eine intentionale Handlung in Bezug, und dementsprechend
setzt das normative Zurechnungsurteil voraus, dass in einem logisch ersten
Schritt intentionsbegründet zugerechnet wird.
Denkbar ist es, die Voraussetzung der objektiven Zurechenbarkeit, also die
Realisierung einer generell unerlaubten Gefahr, als Definition der tatbestand-
lichen Handlungsart zu verstehen.122 Dagegen spricht aber, dass die Bezug-
nahme auf das Verbot einer gefährlichen Handlung allein in der Funktionali-
tät der Normsetzung begründet ist. Deshalb ist sie nicht in die Definition der
erfolgsdefinierten Handlung aufzunehmen, sondern als sonstiger, neben der
Handlung stehender Verbotsinhalt zu konzipieren.123
Auch beim vorsätzlichen Begehungsdelikt werden noch weitere normative
Zurechnungsvoraussetzungen relevant. Ein Beispiel hierfür ist die Vernei-
nung des Schutzzweckzusammenhangs in Fällen kumulativer Kausalität.124
Ferner ist etwa die Abgrenzung des Begehungs- vom Unterlassungsdelikt
über eine entsprechende Zurechnungsregel zu lösen.125
3. Neben den Zurechnungsvoraussetzungen der tatbestandlichen Handlun
g(en) stehen somit weitere Voraussetzungen der normativen Zurechnung. Da
der Tatbestandsbegriff in der Definition des vorsätzlichen Begehungsdelikts
als rechtswidrig-schuldhafter Tatbestandsverwirklichung allein die tatbe-
standlichen Handlungsart(en) bezeichnet, sind insbesondere der Schutz-
zweckzusammenhang und die Regel zur Abgrenzung zum Unterlassungsde-
likt Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen der jeweiligen erfolgsdefinierten
Handlung.
Werden diese Erwägungen auf der Prüfungsstufe des Tatbestands angesie-
delt, legt man demgegenüber den Begriff des Unrechtstatbestands zugrun-
de.126 Das hat vor allem pragmatische Gründe: Man kann durchaus offen
lassen, ob die tatbestandliche Handlung gegeben ist, wenn jene Rechtswid-
rigkeitsvoraussetzungen der tatbestandlichen Handlung nicht gegeben sind.127
Ferner ist das Erfordernis, dass die kontingenzbedingende Handlung gene-
rell verboten sein muss („unerlaubtes Risiko“), nicht immer nur eine Rechts-
widrigkeitsvoraussetzung der Tatbestandsverwirklichung. Diese unerlaubte
Handlung, die ihrerseits vorsätzlich sein muss, ist vielmehr in Tatbeständen
wie denen der Nötigung und des Betrugs eine Handlung von tatbestandlicher
Art. Daher ist es naheliegend, sie auch dann dem Tatbestand zuzuordnen,
falls sie im handlungsbezogenen Sinn nicht tatbestandlich sind.128
122 Siehe B.III.5.d). So etwa Hirsch (1998) S. 133 ff., (2003a) S. 243.
123 Siehe bereits B.III.2.b)8.
124 Siehe C.III.5.
125 Vgl. Ast (2010) S. 112 ff.
126 Zu den beiden Tatbestandsbegriffen B.III.2.b) / e).
127 Dagegen Armin Kaufmann (1985) S. 261, 266 f., der aber nur die Fälle der
Abweichung vom geplanten Kausalverlauf in Betracht zieht.
128 Zur Frage der Tatbestandlichkeit B.III.2.b)10., B.III.4.d)2.
178 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
4. Das Fahrlässigkeitsdelikt
129 Ebenso Kindhäuser (1989) S. 94 ff. – mit Beispielen von unwillentlichem Kör-
perverhalten, das durch vorheriges sorgfaltswidriges Handeln bedingt ist. Daran an-
schließend Vogel (1993) S. 51 ff.
130 Vgl. C.V.3.
180 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
134 RGSt 15, 151. Vgl. auch schon zum Logenschließerfall B.IV.3.b)1.
135 Siehe schon oben C.V.4.a)3.
182 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
wie der Handelnde die Umstände erkennen konnte und sollte. Er muss etwa
aufzeigen, welche Informationen zugänglich waren oder welche Anzeichen
auf die Gefahr hindeuteten. Ferner kann er kognitive Voraussetzungen wie
Wissen und Aufmerksamkeit erwarten und dabei weitgehend generalisieren.
Bei Wissensdefiziten kann man mit einem unspezifisch verstandenen Vorver-
schulden argumentieren: Allgemeinwissen oder rollenspezifische Kenntnisse
werden vorausgesetzt, ohne genau aufzuzeigen, wie sie für den Handelnden
erreichbar gewesen wären. Gleiches gilt im Hinblick auf erwartete Fähigkei-
ten, etwa nur durch Übung erlernte Techniken.
In der Handlungsperspektive hat das Kenntnisgebot demgegenüber keine
Funktion. Das an den Handelnden gerichtete Gebot zu erkennen, dass der
Umstand X gegeben ist, ist wirkungslos. Wenn der Handelnde den Umstand
kennt, ist das Gebot bereits erfüllt; falls nicht, erreicht es ihn nicht.
Ferner gibt es keinen selbständigen Verstoß gegen ein Kenntnisgebot; es
kommt immer auf die Anwendung der Kenntnis an.138 Gebotenes Wissen
muss sich in gebotenen Handlungen oder in der Unterlassung verbotener
Handlungen niederschlagen. Ähnlich wie in Klausuren immer nur die Wie-
dergabe und Anwendung von Wissen geprüft werden kann, wird gebotenes
Wissen nur in praktischer Anwendung relevant.
Ein Kenntnisgebot ist somit keine selbständige Norm. Sie ist vielmehr ein
Teil einer Zurechnungsregel derjenigen Norm, auf deren Voraussetzungen es
sich bezieht.
2. Kenntnisgebote sind von sonstigen kenntnisbezogenen Normen zu un-
terscheiden. Für den Handelnden gilt zum einen ein weitgehend generalisier-
tes Gebot, allgemein aufmerksam zu sein.139 Andererseits gelten kenntnisbe-
zogene Handlungsnormen für den Fall, dass dem Handelnden ein Umstand
entweder bewusst unbekannt ist oder unsicher sein sollte. Ihm ist dann wie
im Apothekerfall geboten, den Sachverhalt aufzuklären und in geeigneter
Weise nachzuforschen. Das Aufklärungsgebot gibt die Aufklärung eines Um-
stands als zu erreichenden Quasi-Erfolg vor, wird aber, wie es für erfolgsbe-
zogene Normen typisch ist, begrenzt durch die Möglichkeit, diesen durch die
gebotenen Nachforschungen zu erreichen.
140 Das spricht nicht dafür, dass allein diese Art von Verboten für die Fahrlässig-
keit charakteristisch ist, so Renzikowsi (1997) S. 226 f. Denn zum einen liegt der
Grund der Nachforschungspflicht in dem möglicherweise vorliegenden gefahrbegrün-
denden Umstand, sodass ein teleologischer Bezug zum generellen Verbot der fragli-
chen gefährlichen Handlung besteht; zum anderen ist bei bewusster Fahrlässigkeit
eine entsprechende Begründungsstruktur nicht anzutreffen.
141 Vgl. bereits Binding Normen II (1914) S. 247 ff.
142 Siehe C.V.3.
143 Vgl. die Formulierung von Philipps (1974) S. 15: „Verbote schließen aus,
schreiben aber nicht vor; Gebote schreiben vor, schließen aber nicht aus.“
V. Die normative Zurechnung185
144 Kindhäuser (1989) S. 65 ff., Pawlik (2012) S. 310 f. Dagegen in Bezug auf Vor-
sorgehandlungen Haas (2002) S. 79 f., je m. w. N. Vgl. insbesondere schon Binding
Normen IV (1919) S. 505, der von sekundären oder Hilfspflichten spricht.
186 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
gitimierten Normensystem aber muss eine singuläre Norm geeignet sein, das
Handeln zu beeinflussen und die Zwecke zu verwirklichen, denen die Norm
dienen soll. Eine nicht erkennbare Norm kann das Handeln nicht beeinflus-
sen. „Ought implies can“ folgt nicht aus dem Begriff der Norm, sondern ist
ein normatives Postulat für die Normsetzung und Beurteilung.145 Als eine
Norm über Normen hat es reflexiven Charakter.
Dass das ultra-posse-Prinzip auf das Erfordernis der konkreten Eignung
der anzunehmenden Handlungsnormen zurückzuführen ist, erklärt auch die
Grenzen dieses Prinzips. Wie gezeigt, ist es dem Handelnden gar nicht mög-
lich, eine Norm zu befolgen, die er aufgrund mangelhafter Situationskenntnis
nicht assoziieren konnte. Auf dieses Problem reagiert die Annahme von
Kenntnis- und Nachforschungsgeboten. Das Prinzip des ultra posse wird hier
eingeschränkt und darauf bezogen, dass die anzunehmenden Normen insge
samt den Handelnden nicht überfordern. Sie sind dann insgesamt geeignet,
den Zweck zu erreichen, der mit ihnen verfolgt wird.
auf die Frage bezogen werden kann, ob die Norm, deren Teil sie ist, geeignet
war, den Normzweck zu verwirklichen – eine Handlung oder einen Erfolg zu
erreichen oder zu vermeiden. Hierbei kommt es nur auf den Norminhalt an,
der die Bestimmungsnorm ausmacht.
Die Eignung der Norm ist etwa zweifelhaft, sofern der Handelnde einen
Situationsumstand nicht erkannte, an welchen die Norm anknüpft. Dass die
Norm gleichwohl geeignet war, das Handeln dieses Adressaten zu bestim-
men, wird durch weitere Normen abgesichert, welche sie in Bezug nimmt –
nämlich die Kenntnis- und Nachforschungsgebote.
5. Die Unterscheidung von Bestimmungs- und Bewertungsnorm hat Mez-
ger eingeführt, um die Unterscheidung von objektivem Unrecht (Verursa-
chung eines rechtswidrigen Zustands) und subjektiver Schuld (Vorsatz oder
Fahrlässigkeit) zu fundieren. Bewertungs- und Bestimmungsnorm sind bei
ihm zwei unterschiedliche Normen, von denen die eine „adressenlos“ ist und
die andere sich an den Handelnden richtet.151
Im Fall einer weder vorsätzlichen noch fahrlässigen Erfolgsverursachung
liegt demnach etwa ein Widerspruch gegen die Bewertungsnorm, nicht aber
die Bestimmungsnorm vor. Die so verstandene Bewertungsnorm ist aber
keine Norm, sondern nur eine (erkennbare bzw. vorgegebene) Bewertung
eines Zustands bzw. einer Erfolgsverursachung als unerwünscht.152 Eine sol-
che mag der Normsetzung vorausgehen, ist aber jedenfalls für den Normun-
terworfenen wie den Beurteiler nur aus der Norm heraus erkennbar und hat
keine eigenständige, handlungsleitende Funktion.153 Deshalb wird die Unter-
scheidung von Bewertungs- und Bestimmungsnormen heute entweder darauf
bezogen, dass ein und dieselbe Norm sowohl eine Bewertungs- als auch eine
Bestimmungsfunktion hat154 oder dass die Bewertungsnorm im Hinblick auf
die Abstufbarkeit der Bewertung (etwa Größe des Schadens, Schwere des
Unrechts) zwar einen Verstoß gegen die Bestimmungsnorm voraussetzt, aber
daneben weitere Bewertungskriterien enthält.155 Als eigenständige Norm
(Gebot) ist sie dann aber allein an den Beurteiler gerichtet und in den Sank-
tions- und Strafzumessungsnormen enthalten.
Wenn Bestimmungs- und Bewertungsnorm wie hier danach unterschieden
werden, welche Informationen für den Handelnden und welche nur für den
Beurteiler entscheidungsleitend sind, kehrt sich das Verhältnis beider Norm
aspekte gegenüber Mezgers Konzept um: Ein prima facie-Widerspruch zur
156 So aber Duttge (2001) S. 423 ff. Zum „Typus“-Konzept beim Handlungsbegriff
B.V.3.3. sowie beim Vorsatzbegriff C.IV.2.6. Demgegenüber wurde hier gezeigt, dass
all diese Begriffe, wenn auch komplex, so doch im herkömmlichen Sinn definierbar
sind.
157 So etwa Puppe NK-StGB (2017) § 15 Rn. 5, Pawlik (2012) S. 344, Fn. 528,
371 ff., je m. w. N. Letzterer sieht den gemeinsamen Pflichtverstoß von Vorsatz und
Fahrlässigkeit indes in dem Gesichtspunkt, dass sich der Täter in beiden Fällen nicht
hinreichend um Rechtstreue bemühe. Ähnlich Jakobs (1991) 9 / 4 S. 317. Dagegen
Kindhäuser (1989) S. 93, Gössel Maurach / Gössel / Zipf (2014) § 42 / 45 ff.
158 Zur Begründung dieser Regel für das Vorsatzdelikt C.V.3. Aus diesem Um-
stand will Rostalski (2016) S. 83 ff. auf der Grundlage der unter B.III.2.c)4. darge-
stellten, den Erfolg nicht berücksichtigenden Konzeption begründen, dass das Vor-
satz- und Fahrlässigkeitsdelikt auf der Missachtung desselben Verbots beruht, dem
einer vermeidbaren (d. h. vorsätzlichen oder fahrlässigen) Gefahrschaffung (wobei
erstere durchaus ein Fall bewusster Fahrlässigkeit mit Blick auf den Erfolg sein
kann). Das ähnelt der Jakobsschen Position, die sich allerding auf den Erfolg bezieht,
vgl. B.IV.4. Genau jenes „Oder“ zeigt aber an, dass der Vorsatz kein Fall der Fahrläs-
sigkeit ist. Um letztere zu begründen, braucht man normative Zusatzannahmen, ins-
besondere das Vorverschulden, was Rostalski auch zugesteht, a. a. O. S. 87.
192 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
5. Das Unterlassungsdelikt
1. Nicht jedes Unterlassen einer Handlung ist selbst eine Handlung, aber
es gibt Unterlassungen, die Handlungen sind, bei denen also eine Verände-
rung bzw. ein Erfolg zugerechnet wird.
Die einfache Feststellung, dass eine Person eine Handlung unterlassen
habe, bedeutet noch nicht, dass sie eine Handlung durch Unterlassen ver-
wirklicht hat. Es wird lediglich ausgesagt, dass die Person eine Handlung
nicht verwirklicht hat, die sie hätte verwirklichen können. Hiermit sind zwar
schon zwei, aber noch nicht alle Voraussetzungen einer Handlung erfüllt: Mit
dem Ausbleiben der Handlung bzw. ihres Ergebnisses ist ein möglicher Zu-
rechnungsgegenstand gegeben; und mit dem Kriterium der Möglichkeit der
sondern gerade, dass sie nicht vorliegt. Das Unterlassen dieser Handlung
muss nicht intentional sein.
Daher wird die Intention des Handelnden für das Urteil über eine Gebots-
missachtung nicht in derselben Weise relevant wie für das Urteil über die
Verbotsmissachtung. Beim Unterlassungsdelikt missachten Vorsatz- und
Fahrlässigkeitstäter im Hinblick auf den Erfolg dasselbe Gebot. Das kann
anhand des Öhmdfalls des Reichsgerichts gezeigt werden, der eine fahrläs-
sige Brandstiftung durch Unterlassen betrifft (§ 306d Abs. 1, § 13 StGB).163
Ein Bauer hatte Heu in die Scheune eingebracht, welches sich entzündete.
Weil das Einlagern des Heus erlaubt war, kann die Zurechnung des Scheu-
nenbrandes nur durch das Gebot begründet werden, einen wegen der Heuein-
lagerung drohenden Brand zu verhindern. Die Missachtung dieses Gebots
setzt die Missachtung des Gebots einer verhinderungsgeeigneten Handlung
voraus. Neben das Gebot, den Brand zu verhindern, tritt deshalb das weitere
Gebot, Heu auszulagern, das sich so stark erwärmt hat, dass eine Selbstent-
zündung wahrscheinlich wird.
Eine Verletzung dieses Gebots wird angenommen, wenn der Bauer die
geforderte Handlung unterlassen hat – also Heu, das sich sehr erwärmt hat,
nicht wieder ausgelagert hat – und wenn er erkannte, dass das Heu sich zu
stark erwärmt oder es erkennen sollte.
Er sollte es erkennen, da er eine Heustocksonde verwenden sollte, um die
Temperatur regelmäßig zu überprüfen. Das ist ein Nachforschungsgebot. Die
Unkenntnis des Gebots, die Temperatur zu überprüfen, hätte den Bauer nicht
entlastet, sondern wäre ein vorwerfbarer Gebotsirrtum, da er Anlass hatte,
sich über die erforderliche Brandvorsorge zu informieren. Hätte er das gene-
relle Gebot zwar gekannt, aber in der Handlungssituation nicht daran ge-
dacht, würde man aufgrund der einfachen Annahme zurechnen, dass er ange-
sichts der Situation daran denken sollte. Das ist ein bloßes Aufmerksamkeits-
gebot. Hier endet die Begründungskette der normativen Zurechnung.
Deutlich wird somit, dass beim Unterlassungsdelikt sowohl bei Vorsatz als
auch bei Fahrlässigkeit dieselben Gebote missachtet werden – im Beispiel
einerseits das Gebot, den Brand zu verhindern, andererseits das Gebot, zu
stark erwärmtes Heu auszulagern. Auch wenn der Bauer beabsichtigt hätte,
den Brand der Scheune nicht zu verhindern, missachtete er jene Gebote.
Lediglich bei der Begründung des Gebotsverstoßes wird im Hinblick auf die
Situation, an die das Gebot der verhinderungsgeeigneten Handlung anknüpft
(sich erwärmendes Heu), die Kenntnis des Handelnden relevant. Sie wird
aber erst auf der Ebene von Zurechnungsregeln berücksichtigt, nicht schon
im Gebot als Bestimmungsnorm.
4. Prämisse dieses Modells ist, dass die Intention ein hinreichender Zu-
rechnungsgrund für die Annahme einer Handlung durch Unterlassen ist. Je-
doch ist zweifelhaft, ob eine bloß intentionsbasierte Zurechnung bei der
Unterlassung hinreichend begründet und legitim ist, ob also eine bloß durch
die Intention begründete „Handlung durch Unterlassen“ einer intentionalen
Handlung durch Tun gleichsteht und ob sie somit eine Handlung ist.
Der Begriff der Handlung impliziert, dass dem Handelnden ein Ausschnitt
der Welt als von ihm gestaltet zugerechnet wird. Bei der Handlung durch
Tun greift der Handelnde in den Weltverlauf ein, weshalb die intendierten
Ergebnisse dieses Eingriffs ihm zugeordnet werden können, nicht einem un-
abhängig von ihm gedachten Weltlauf. Wenn er hingegen unterlässt, ge-
schieht, was aktuell (abgesehen von seinen früheren Handlungen) auch ohne
ihn geschehen wäre. Allein dass er weiß, dass er in den Weltlauf eingreifen
und Veränderungen hervorrufen oder unterbinden könnte, es aber nicht beab-
sichtigt, lässt das Geschehen nicht als ihm zugehörig erscheinen.
Auch fehlt beim Unterlassen eine in vergleichbarer Weise verbindliche
Intention wie beim Tun. Eine Intention ist beim Tun erst mit einem die Inten-
tion festlegenden Körperverhalten, also erst mit einer Externalisierung gege-
ben. Beim Unterlassen ist das Bewusstsein oder Wollen der Unterlassung
aber zunächst nur ein mentaler bzw. epistemischer Zustand, dessen Gegeben-
heit allein dem Unterlassenden zugänglich ist. Es fehlt somit die für die
Annahme einer verbindlichen Intention nötige Externalisierung.
Die Intention allein begründet deshalb bei der Unterlassung nicht die Zu
rechnung einer Veränderung oder deren Ausbleibens und somit keine Handlung.
Eine bloß intentionale Zurechnung von Veränderungen im Rahmen einer
Handlung durch Unterlassen wäre der Zurechnung im Rahmen einer Hand-
lung durch Tun nicht äquivalent. Eine Veränderung, die der Handelnde ver-
hindern könnte, aber absichtlich nicht verhindert, ist ihm allein aufgrund
dieser Absicht nicht zuzurechnen.
Hinzukommen muss vielmehr, dass dem Handelnden geboten war, diese
Veränderung zu verhindern. Während die Intention bei der Handlung durch
Tun ein ausreichender Zurechnungsgrund ist, ist sie es bei der Handlung
durch Unterlassen nicht.
Dieser Unterschied wird an folgendem Beispiel deutlich: Wenn in meinem
Zimmer das Fenster offen steht und ein plötzlicher Wind die Blätter auf mei-
nem Schreibtisch verwirbelt, ich das Fenster aber nicht schließe, ist das
Entstehen der Unordnung nicht mein Werk.164 Anders ist es, wenn ich in der
164 Vgl. auch Binding Normen II (1914) S. 543, gegen die Annahme von Ursäch-
lichkeit der Unterlassung gewendet; Armin Kaufmann (1959) S. 74 gegen die An-
nahme von Finalität.
V. Die normative Zurechnung197
Absicht, dass die Blätter verwirbeln, bei starkem Wind das Fenster öffne.
Dann mache ich mir den Wind zum Instrument, und die Unordnung ist mir
zuzurechnen.
Das Beispiel zeigt zugleich, dass im Zusammenhang mit Handlungen der
Begriff der Zuständigkeit unpräzise ist. Mein Zimmer, mein Schreibtisch und
meine Papiere fallen in meinen Zuständigkeitsbereich, dessen Gestaltung mir
im Sinne einer Zustandsverantwortlichkeit zugerechnet werden kann. Dabei
geht es aber nicht um eine handlungsbegründende Zurechnung, sondern nur
um die Zuordnung einer räumlich-gegenständlichen Sphäre und ihres Zu-
stands, gleich, ob ich sie durch Tun gestaltet oder nur unterlassen habe, sie
zu verändern oder Veränderungen zu verhindern.
5. Dass die Intention die Zurechnung bei der Handlung durch Unterlassen
anders als bei der Handlung durch Tun nicht hinreichend begründet, hat zur
Folge, dass eine Handlung durch Unterlassen erst durch eine normative Zu-
rechnung konstituiert wird. Erst weil eine Veränderung in Abhängigkeit vom
Handeln des Zurechnungssubjekts sein oder nicht sein sollte, wird deren
Zurechnung auf den Handelnden plausibel.
Eine Handlung durch Unterlassen ist somit nur gegeben, wenn die unter-
lassene Handlung geboten war. Für den Begriff der handlungsgleichen Unter-
lassung genügt es somit nicht, dass dem Handelnden die unterlassene Hand-
lung möglich war und dass er die Unterlassung intendiert hat. Zutreffend ist
vielmehr jene Auffassung, nach welcher der Begriff der Unterlassung (im
Sinne einer Handlung durch Unterlassen) als Nichtvornahme einer erwarte-
ten, das heißt gebotenen Handlung zu definieren ist.165 Neben diesem Begriff
der Handlung durch Unterlassen kann ohne Widerspruch ein weniger an-
spruchsvoller Begriff des Unterlassens stehen, der lediglich aussagt, dass je-
mand eine Handlung nicht vorgenommen hat, die ihm möglich war.
Eine Handlung durch Unterlassen kann somit nur in der eingangs beschrie-
benen Weise normativ konstituiert werden, indem festgestellt wird, dass der
Handelnde ein Gebot nicht befolgt hat, das an ihn gerichtet war.
Das heißt aber nicht, dass die Intention für die Unterlassungszurechnung
irrelevant wäre. Wenn die Intention neben das Gebot tritt, wird vielmehr eine
Handlung anderer Art konstituiert als wenn das nicht der Fall ist. Das vor-
sätzliche und fahrlässige Unterlassungsdelikt sind je andere Handlungsarten.
Es fragt sich dann aber, ob und wie beim vorsätzlichen Unterlassungsdelikt
die normative und intentionale Zurechnung verknüpft werden oder ob sie
bloß nebeneinander stehen.
165 v. Liszt (1897) § 29.II. S. 128, Mezger (1931) S. 132 f., Gallas (1955) S. 9 f.,
Kindhäuser (1980a) S. 177 f.
198 C. Die Handlung als Ergebnis einer Zurechnung
1 B.III.5.c).
2 B.III.5.d).
3 B.III.4.d), C.V.3.
D. Schlussbetrachtung201
4 B.I.1.
5 B.III.2.
6 B.II.2.d).
7 B.IV.4.
202 D. Schlussbetrachtung
dass die bedingende Handlung gegen ein Verbot verstößt. Das Vermeidensol-
len kann nur unter Rückgriff auf Verbote gefährlicher Handlungen oder Ge-
bote verhinderungsgeeigneter Handlungen begründet werden. Die Lehre von
der objektiven Zurechnung macht diese Begründungsstruktur explizit. Sie ist
deshalb auf die These nicht angewiesen, dass aufgrund der Vermeidbarkeit
bereits eine Handlung zugerechnet werden könne.
3. Ohne das oder vor einem Urteil über die normative Zurechnung und
in diesem Sinne nicht- oder vornormativ kann eine Handlung nur unter
Bezugnahme auf die Intention des Handelnden begründet werden.8 Das ist
die bleibende Erkenntnis der finalen Handlungslehre, hinter die es kein Zu-
rück gibt. Man sollte endlich den häufig wiederholten und gar nicht mehr
reflektierten Einwand gegen diese Lehre vergessen, dass es ihr Fehler sei,
die tatbestandlich-fahrlässige Verursachung nicht als Handlung beschreiben
zu können.9 Dieser Einwand führt in seiner Konsequenz zwangsläufig zu-
rück in eine objektive, nur dogmatisch-konstruktiv begründete Handlungs-
definition, die gegenüber dem Handelnden unbegründet, eine Handlungsfik-
tion ist und deshalb dem Normadressaten gegenüber nicht legitimiert wer-
den kann.
Es ist gerade die Lehre von der objektiven Zurechnung, die es ermöglicht,
als Unrechtslehre verstanden, jenen alten Einwand zu entkräften. Sie zeigt
auf, dass beim Fahrlässigkeitsdelikt eine Erfolgszurechnung auch dann legi-
tim ist, wenn der Erfolg vornormativ nicht im Rahmen einer Handlung zuge-
rechnet werden kann. Es ist nicht problematisch, dass der Erfolg von einem
Verbot in Bezug genommen werden muss, das sich nicht auf eine erfolgsde-
finierte Handlung richtet. Die Zurechnung wird stattdessen über Verbote ge-
fährlicher Handlungen begründet, welche sich auf ein Verbot beziehen, durch
derartige Handlungen die Kontingenz des Erfolgs zu bedingen.10 Allein von
einem Erbteil der kausalen Lehre muss man sich verabschieden – dem
Dogma, dass der Tatbestand der Erfolgsdelikte in jedem Fall eine erfolgsde-
finierte Handlung konstituiere.11
Infolgedessen kann die Definition des Verbrechens als tatbestandliche,
rechtswidrige und schuldhafte Handlung in dieser Formulierung nur bestehen
bleiben, wenn man jene Attribute als Merkmale des Begriffs der verbrecheri-
schen Handlung versteht.12 Das war für die ursprünglich von Hegel ausge-
hende Auffassung des Verbrechens als Handlung selbstverständlich. Unter
8 C.IV.1.
9 B.IV.2.
10 C.V.4.a).
11 B.IV.5.b), B.V.4.
12 B.V.5.
D. Schlussbetrachtung203
dieser Prämisse ist es auch möglich, sowohl das Vorsatz- als auch das Fahr-
lässigkeitsdelikt und sowohl das Begehungs- als auch das Unterlassungsde-
likt als Handlungen auszuweisen, da allen Erscheinungsformen der Straftat
das Merkmal der Normwidrigkeit gemeinsam ist.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Hegelsche Auffassung eine
Renaissance erfahren hat. In deren Zuge sieht man indes die finale Lehre als
überholt an, weil sie die Handlung auf den instrumentellen Aspekt verkür-
ze.13 In der Tat liegt eine Herausforderung darin, aus dem abstrakten Begriff
der Handlung heraus zu entwickeln, dass es normative wie nicht-normative
Handlungsbegriffe gibt – einerseits Verbrechensbegriffe und andererseits
Handlungsbegriffe, die ein normatives Zurechnungsurteil nicht voraussetzen.
Eine einseitige Reduktion des allgemeinen Handlungsbegriffs auf eine
dieser beiden Handlungsarten wäre aber verfehlt. Jene Kritik am finalen
Handlungsbegriff verkennt, dass die strafrechtliche Handlungslehre einen
abstrakten Begriff der verbotsgegenständlichen Handlung entwickeln muss.
Für diese Handlung sind das Verbot und somit die Rechtswidrigkeit und
Schuld etwas Äußerliches, Akzidentielles. Das Verbot tritt zu ihr hinzu, sie
wird an ihm gemessen. Die normgegenständliche Handlung kann nicht durch
die Normwidrigkeit definiert sein.
Dass allein aufgrund einer Intention zugerechnet werden kann, auch wenn
normativ zugerechnet werden könnte, ergibt sich aus der Funktion der Iden-
tifikation von Handlungen. Mittels einer Handlung wird einer Person eine
Veränderung zugerechnet. Diese Zurechnung bedarf besonderer Gründe, die
einen sinnhaften Bezug der Veränderung zur Person herstellen. Sowohl eine
Intention als auch eine Norm sind auf die Verwirklichung oder Nichtverwirk-
lichung der zuzurechnenden Veränderung gerichtet und rechtfertigen deshalb
die Zurechnung der dann eingetretenen Veränderung.14
Die Zurechnung wird durch eine Intention subjektiv und durch eine
Rechtsnorm objektiv begründet. Der Versuch, sie durch bloß beschreibende
objektive Kriterien wie die Kausalität oder Vermeidbarkeit zu begründen,
musste gerade deshalb scheitern, weil er das Erfordernis einer verbindlichen
Sinnsetzung außer Acht lässt, die auf die Veränderung gerichtet ist, und weil
er somit die praktische Funktion der Handlungsidentifikation verfehlt.15
Demgegenüber ist es möglich, die Zurechnung allein subjektiv zu begründen,
auch wenn sie daneben normativ begründet werden könnte, gerade weil die
Intention allgemein ein hinreichender Zurechnungsgrund ist.
13 B.V.5.
14 C.IV.1.
15 B.V.2., B.V.4.
204 D. Schlussbetrachtung
16 C.I.
17 B.V.2.
18 B.III.3.e).
19 C.II.
20 C.II.1.
21 C.III.1.
22 C.IV.2.d).
23 C.II.2.
24 C.II.3., C.III.1., C.V.5.
D. Schlussbetrachtung205
25 C.III.1.
26 C.III.3. / 4.
27 C.III.1.3.
28 C.IV.1.
206 D. Schlussbetrachtung
Diese Begründungslogik hat zur Folge, dass der Begriff der Intention bzw.
des Vorsatzes übereinstimmend mit der finalen Lehre von der Absicht her zu
verstehen ist, da sie die klare Form weltgestaltender Orientierung ist. Aus der
Parallelität von Intention und Norm erhellt darüber hinaus, dass eine gegen-
über dem Erfolg indifferente Einstellung wie bei den Vorsatzarten der Wis-
sentlichkeit und des dolus eventualis eine Zurechnung begründen kann. Als
Formen der Intention entsprechen sie der Erlaubnis als Form der Norm.29
5. Aus der zwischen intentionsbegründeter und normativer Zurechnung
unterscheidenden Begründungslogik folgt, dass eine bloß normative, bloß
intentionale und eine kombiniert normativ-intentionale Zurechnung möglich
sind. Sie konstituieren jeweils unterschiedliche Handlungsarten. Normative
und intentionsbegründete Zurechnung beziehen sich dabei je spezifisch auf-
einander: Eine normativ-verbotsbezogene Zurechnung geht von Verboten in-
tentionaler Handlungen aus. Es wird in einem logisch ersten Schritt inten
tionsbegründet, dann normativ zugerechnet.30 Falls die Intention fehlt, wird
die Zurechnung über ergänzende Verbote oder Gebote begründet.31
Demgegenüber begründet bei einer gebotsbezogenen Zurechnung, also bei
einer Handlung durch Unterlassen, die Kenntnis der Situation und der Hand-
lungsmöglichkeit noch keine intentionale Zurechnung. Der für die Intention
wesentliche Gestaltungssinn setzt die Kenntnis des Gebots voraus.32
Die Intention erweist sich dabei als der stärkere, primäre Zurechnungs-
grund, da auch die Norm sich direkt oder indirekt auf intentionale Handlun-
gen oder zumindest auf die Situations- und Möglichkeitskenntnis des Han-
delnden beziehen muss. Eine nichtintentionale normative Zurechnung ist
schwächer begründet. Dementsprechend wird die fahrlässige gegenüber der
vorsätzlichen Handlung als geringeres Unrecht bewertet.
Sowohl Intention als auch Norm sind schließlich als Sinnsetzungen auf
eine sinnverstehende Beobachtung angewiesen. Da die Handlung ein sinnhaft
konstituierter Gegenstand ist, kann sie nicht der Beobachtung als solche vor-
gegeben sein.33 Beobachtung ist auch die Selbstreflexion des Handlungssub-
jekts, die in der Selbstzurechnung von Handlungen vorausgesetzt ist. Auf-
grund dieser Abhängigkeit von einer Beobachtung muss die Handlung durch
diese mitdefiniert werden, wie es im Begriff der Zurechnung geschieht.
Die alte Zurechnungslehre hatte die soziale Dimension somit begrifflich
verankert. Die mit der kausalen Lehre einsetzende „Naturalisierung“ der
29 C.IV.2.
30 C.V.2.
31 C.V.4.
32 C.V.5.
33 C.I.
D. Schlussbetrachtung207
34 C.V.4.f).
35 Dagegen, zum Begriff der Fahrlässigkeit C.V.4.g).
208 D. Schlussbetrachtung
36 B.II.4., B.III.2.e).
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