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STRAFRECHT

s
ALLGEMEINERTEIL

BAND II
BESONDERE
ERSCHEINUNGSFORMEN
DER STRAFTAT

VON

DR. DR. H. C. MULT. CLAUS ROXIN

EM. o. PROFESSOR
AN DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN

VERLAG C. H. BECK
M Ü N C H E N 2003
Ich widme diesen Band

Marlies Kotting, Ulrich Sieber, Heinz Schöch und

- last" not least - Bernd Schünemann,

ohne deren großherzige und freundschaftliche Hilfe das Buch

nicht hätte fertiggestellt werden können.

Verlag C. H . Beck im Internet:


beck.de

ISBN 3 406 43868 7

© 2003 Verlag C. H. Beck oHG


Wilhelmstraße 9, 80801 München
Druck: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen
(Adresse wie Verlag)
Satz: Fotosatz Otto Gutfreund GmbH
Marburger Straße 11, 64289 Darmstadt

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier


(hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)
Vorwort

Der vorliegende zweite Band meines Werkes „Strafrecht Allgemeiner Teil" er-
scheint zwölf Jahre nach dem ersten. Die lange Zeit, die ich für die Niederschrift
dieses Buches benötigt habe, entspricht derjenigen, die ich für den ersten Band ge-
braucht habe. Sie findet ihre Erklärung nicht nur im Umfang der zu leistenden
Arbeit, sondern auch darin, daß gleichzeitig andere Bücher in mehrfachen Neu-
auflagen zu betreuen waren, daß mir Kommentierungen, Abhandlungen, Vorträge
und sonstige literarische Beiträge abgefordert wurden und daß ich bis zum Herbst
1999 auch umfangreiche Vorlesungs-, Prüfungs- und Verwaltungsaufgaben zu er-
ledigen hatte.
Das Buch befindet sich auf dem Stand vom Sommer 2002. Das Typoskript ist
im Juli dieses Jahres (mit Nachträgen im September) abgeschlossen worden. Der
Band umfaßt die „Besonderen Erscheinungsformen der Straftat", worunter ich
Täterschaft und Teilnahme, den Versuch, die Unterlassungen und auch die Kon-
kurrenzen verstehe. Er ergänzt damit den ersten Band, der den kriminalpoliti-
schen Grundfragen und dem Aufbau der Verbrechenslehre gewidmet ist, in der
Weise, daß die Dogmatik des Allgemeinen Teils und ihr straftheoretisch-kriminal-
politisches Fundament in den beiden Bänden nunmehr komplett abgehandelt
werden.
Den ursprünglichen Plan, auch das Strafzumessungs- und das Sanktionenrecht
einzubeziehen, habe ich nach dem Vorbild vieler neuerer Lehrbücher aufgegeben.
Das hat verschiedene Gründe. Erstens wäre dazu ein dritter Band nötig geworden,
zu dessen Abfassung meine Arbeitskraft neben meinen sonstigen wissenschaftli-
chen Aufgaben schwerlich noch ausreichen würde. Zweitens spielen diese Mate-
rien neben den im engeren Sinne juristischen in der Universitätsausbildung nur
eine vergleichsweise geringe Rolle und würden nur bei Studenten der strafrechtli-
chen Wahlfachgruppe auf besonderes Interesse stoßen. Und drittens erfordert eine
wirklich einläßliche Darstellung der strafrechtlichen Rechtsfolgen heutzutage ein
kriminologisches Expertenwissen, über das ein Jurist bei allem kriminalpoliti-
schen Engagement nur in eingeschränktem Maße verfügt. Jedoch erlaube ich mir
den Hinweis, daß für studentische Leser in dem Buch „Strafrechtliche Sanktionen"
von Bernd-Dieter Meier (2001) neuerdings eine vortreffliche Einführung in den
Rechtsfolgenteil des Strafrechts vorliegt, die auch die Strafzumessung und die
Maßregeln im einzelnen behandelt.
Über die Ziele, die ich mit meinem „Allgemeinen Teil" verfolge, habe ich mich
schon im Vorwort zum ersten Bande ausgesprochen. Ich möchte hinzufügen, daß
ich auch bei diesem zweiten Bande bestrebt war, von den leserfreundlichen Mög-
lichkeiten Gebrauch zu machen, die eine umfangreiche Darstellung im Verhältnis
VII
Vorwort

zu gedrängter Stoffvermittlung auszeichnen kann: Der Leser soll den Text zusam-
menhängend ohne Verständnisschwierigkeiten und gelangweiltes Stocken lesen
können; er soll nicht nur Ergebnisse und „herrschende Meinungen" sondern alle
wichtigen für und gegen eine bestimmte Lösung sprechenden Argumente erfah- Inhaltsverzeichnis >
ren, deren Abwägung selbst nachvollziehen, sich dabei eine eigene Meinung bil-
den und mit dem strafrechtlichen Problemlösungsverfahren vertraut werden. Ins-
besondere habe ich es mir angelegen sein lassen, die Leitentscheidungen der [Rn
Rechtsprechung, die gerade bei den Materien des zweiten Bandes besonders zahl- Abkürzungsverzeichnis
reich sind, einschließlich ihres Sachverhaltes ausführlich zu schildern und den Le-
8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
ser mit der literarischen Diskussion über sie bekannt zu machen. Daß ich mich
überall bemüht habe, eigene Konzeptionen und weiterführende Gedanken zur § 25. Täterschaft
Geltung zu bringen, versteht sich am Rande. Aber ich versuche, dies nicht unter
A. Die Dreiteilung der Beteiligungsformen 1
Ignorierung oder schlichter Ablehnung anderer Positionen, sondern in Auseinan-
B. Grundsätzliches zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme 10
dersetzung mit ihnen zu tun.
I. Der Täter als Zentralgestalt des Handlungsgeschehens 10
Ich freue mich über die Beachtung, die der erste Band auch im Ausland gefun-
II. Tatherrschaftslehre und subjektive Theorie in der Gemengelage . . . . 17
den hat und hoffe für den zweiten auf eine ähnliche Resonanz. Die Professoren III. Die subjektive Theorie in ihrer ursprünglichen Gestalt 18
Luzon Pena, Diaz y Garcia Conlledo und de Vicente Remesal, die den ersten Band IV. Die „normative Kombinationstheorie" der heutigen Rspr 22
in so hervorragender Weise in die spanische Sprache übersetzt haben, haben sich V. Die Tatherrschaft als alleiniges Täterschaftsmerkmal bei Allgemein-
zu meiner Freude entschlossen, auch den zweiten Band zu übertragen. Herr Pro- delikten 27
fessor Nobuyuki Yoshida, der an der japanischen Übersetzung des ersten Bandes VI. Andere Abgrenzungstheorien 33
1. Die subjektive Theorie in der Literatur 33
wesentlichen Anteil hat, ist bereit, auch die Übertragung des zweiten Bandes zu 2. Die Ganzheitstheorie 34
übernehmen. Auch eine chinesische Übersetzung des Gesamtwerkes durch Herrn 3. Die Differenzierung nach der Dringlichkeit der Verhaltensnorm . 35
Professor Wang (Peking) ist in der Arbeit. 4. Andere Neukonzeptionen 37
Zum Schluß bleibt mir die angenehme Pflicht, all denen von Herzen Dank zu C. Herrschaftsdelikte 38
sagen, die mir bei der Arbeit an diesem Buche geholfen haben. Dieser Dank gilt I. Die unmittelbare Täterschaft als Handlungsherrschaft 38
neben den in der Widmung genannten entscheidenden Förderern vor allem mei- II. Die mittelbare Täterschaft als Willensherrschaft 45
1. Die Willensherrschaft kraft Nötigung 47
nen langjährigen Assistenten, den Herren Dr. Manfred Heinrich, Dr. Harald Nie- 2. Die Willensherrschaft kraft Irrtums 61
dermair, Dr. Christian Jäger und Dr. Christoph Knauer, aber auch zahlreichen a) Der Ausführende handelt ohne Vorsatz 63
Hilfskräften, die mir im Laufe der Jahre zur Seite gestanden haben. Unter ihnen b) Der Ausführende handelt im Verbotsirrtum 76
c) Der Ausfuhrende irrt über die Voraussetzungen des entschuldi-
nenne ich mit besonderem Dank Frau Vera Laun und die Herren Luis Greco, An- genden Notstandes 91
dreas Homuth und Michael Vollmar, die mich bei der Endredaktion dieses Bandes d) Der Ausführende handelt volldeliktisch 94
unterstützt (und hoffentlich alles richtig gemacht) haben. Die eigentliche „Zen- aa) Die Täuschung über die Unrechtshöhe 96
bb) Die Täuschung über qualifikationsbegründende Umstände. 99
tralgestalt" bei der Herstellung des Buches, der ich schon in der Widmung gedankt cc) Die Täuschung über die Identität des Opfers 102
habe, ist Frau Marlies Kotting: Sie hat den gesamten Text am Computer erfaßt, 3. Die Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate . . . . 105
Kopien geliefert, Zitierweisen vereinheitlicht, Unstimmigkeiten aufgespürt und a) Der Grundgedanke der Konzeption 105
b) Die Rezeption dieser Lehre in Wissenschaft und Recht-
die Tätigkeit der wechselnden Hilfskräfte in optimaler Weise koordiniert. Ihr En- sprechung, im Ausland und im Völkerstrafrecht 108
gagement hat sehr zu meiner Arbeitsfreude beigetragen. c) Einwände gegen die Organisationsherrschaft 113
d) Die Annahme einer Mittäterschaft 120
e) Die Annahme einer Anstiftung 125
München, im November 2002 Claus Roxin f) Die Ausdehnung der Organisationsherrschaft auf wirtschaft-
liche Unternehmungen 129
4. Die Willensherrschaft bei Schuldunfähigen und vermindert
Schuldfähigen 139
a) Der schuldunfähige Tatmittler 139
b) Der erheblich vermindert schuldfähige Tatmittler 149
VIII
Inhalt Inhalt
[Rn] [Seite] [Rn] [Seite]
5. Willensherrschaft bei absichtslosem dolosem Werkzeug? 153 64 § 26. Teilnahme 123
6. Der Irrtum über Tätervoraussetzungen bei mittelbarer Täterschaft 66 A. Grundfragen der Teilnahmelehre 1 127
a) Die fehlende Kenntnis tatherrschaftsbegründender Umstände . 158 66
b) Die irrtümliche Annahme tatherrschaftsbegründender I. Der Begriff der Teilnahme im deutschen Strafrecht. . .> 1 127
Umstände 163 68 1. Die Akzessorietät der Teilnahme 2 128
7. Exzeß und Objektsverwechselung bei Tatmittlern 168 70 2. Die limitierte Akzessorietät 4 128
8. Abweichende Konzeptionen 172 71 3. Das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat 6 129
a) Stein 173 71 4. Das Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs 8 129
b) M.-K. Meyer 174 72 5. Die Teilnahme als „sekundärer" Begriff 10 130
c) Renzikowski 175 72 II. Der Strafgrund der Teilnahme 11 130
d) Köhler 178 73 1. Die Teilnahme als akzessorischer Rechtsgutsangriff 11 130
e) Schumann 182 75 2. Die reine Verursachungstheorie 12 131
f) Heinrich 183 75 3. Die Schuld- bzw. Unrechtsteilnahmetheorie 16 133
g) Schild 186 76 4. Die Solidarisierung mit fremdem Unrecht als Strafgrund der
III. Die Mittäterschaft als funktionelle Tatherrschaft 188 77 Teilnahme 22 134
1. Die Struktur der Mittäterschaft 188 77 5. Die akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie 26 136
2. Der gemeinsame Tatplan 190 78 III. Die limitierte Akzessorietät 32 138
3. Die gemeinsame Ausführung 198 81 IV. Das Erfordernis vorsätzlicher Haupttat 35 139
a) Die Mitwirkung im Ausführungsstadium 198 81 V Die notwendige Teilnahme ••-- 41 141
b) Die Erheblichkeit des Tatbeitrages im Ausführungsstadium. . . 211 87 1. Die aus dem Strafgrund der Teilnahme folgende Straflosigkeit
4. Die sukzessive Mittäterschaft 219 90 notwendig Beteiligter 44 142
5. Sonstige Sonderformen der Mittäterschaft 229 93 a) Der notwendig Beteiligte ist Träger des tatbestandlich
a) Die additive Mittäterschaft 229 93 geschützten Rechtsguts 44 142
b) Die alternative Mittäterschaft 231 94 b) Der notwendig Beteiligte befindet sich in notstandsähnlicher
c) Besondere Tätermerkmale als Voraussetzung der Mittäterschaft 234 94 Lage 46 143
d) Die teilweise Mittäterschaft 235 95 2. Die tatbestandsnotwendige Mindestmitwirkung 50 145
e) Mittäterschaft bei Schuldlosigkeit eines Beteiligten 237 95 3. Die Beteiligung an notwendiger Beteiligung 56 147
f) Mittäterschaftliche Teilnahme 238 95 B. Anstiftung 57 148
g) Fahrlässige Mittäterschaft 239 96
6. Abweichende Konzeptionen 243 98 I. Übersicht 57 148
a) Ableitungen aus der subjektiven Teilnahmetheorie 243 98 1. Die Bestimmung zur Tat (Rn. 65-73) 58 148
b) Steins Lehre von der Abstufung der Verhaltensnormen 246 99 2. Die Bestimmung durch Aufforderung (Rn. 74-89) 59 148
c) Die Gestaltungsherrschaft bei Jakobs und Derksen 249 100 3. Der Begriff der Tat (Rn. 90-129) 60 148
d) Die Mittäterschaft als „positive Tatherrschaft" bei Diaz y Garcia 252 101 4. Der Anstiftervorsatz (Rn. 130-166) 61 148
e) Die Mittäterschaft als gegenseitige Anstiftung bei Puppe . . . . 258 103 5. Sonderformen der Anstiftung (Rn. 167-178) 62 149
f) Die Mittäterschaft als Problem des Besonderen Teils bei Freund 259 103 6. Die Strafe der Anstiftung (Rn. 179-182) 63 149
g) Die Mittäterschaft als „Entscheidungsverbund" bei Heinrich. . 263 104 II. Die Bestimmung zur Tat 65 149
7. Nebentäterschaft 265 105 1. Die eigene Meinung 65 149
2. Ähnliche und abweichende Ansichten 71 151
D. Pflichtdelikte 267 106
III. Die Notwendigkeit auffordernden Bestimmens 74 153
I. Herrschafts- und Pflichtdelikte 267 106
IV. Die Tat als Gegenstand der Anstiftung 90 158
II. Die erfolgsbezogene Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht
1. Die Umstiftung 91 158
als Täterkriterium 271 107 a) Der Täterwechsel 92 159
III. Das Problem des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs 275 108 b) Der Tatbestandswechsel 93 159
IV. Die gegen die Annahme von Pflichtdelikten vorgebrachten Ein- c) Der Wechsel des Tatobjekts 95 ,159
wände 281 111 d) Der Wechsel des Tatmotivs 99 , 1 6 1
E. Eigenhändige Delikte 288 114 e) Der Wechsel von Tatmodalitäten 100 161
2. Die Übersteigerung 102 161
I. Die Wortlauttheorie 289 114 3. Der Exzeß des Täters 109 164
II. Die Körperbewegungstheorie 291 115 a) Der vorsätzliche Exzeß 109 164
III. Die eigene Meinung 297 117 b) Der unvorsätzliche Exzeß 116 167
1. Verhaltensgebundene Delikte 297 117 aa) Die Annahme einer versuchten Anstiftung 119 167
2. Täterstrafrechtliche Delikte 301 119 bb) Die Annahme einer Anstiftung zum Versuch 122 168
3. Höchstpersönliche Pflichtdelikte 303 119 cc) Die Annahme einer Anstiftung zur vollendeten Tat 123 169
IV. Zur jüngsten Diskussion über die Eigenhändigkeit 308 121 dd) Differenzierende Lösungen 127 170

X XI
Inhalt Inhalt
[Rn] [Seite] [Rn] [Seite]
V. Der Anstiftervorsatz 130 172 b) Besondere persönliche Merkmale als nicht rechtsguts-
1. Der auf den Tatentschluß gerichtete Vorsatz 130 172 bezogene Merkmale 34 246
2. Der auf die Tat gerichtete Vorsatz 132 172 c) Die Einheitslösung Schünemanns 41 249
a) Die Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes 133 173 d) Herzbergs Lehre vom Ausschluß lediglich deliktstypisierender
b) Die Rechtsgutsverletzung als Gegenstand des Vorsatzes 150 179 Merkmale aus dem Anwendungsbereich des § 28 47 251
aa) Abstrakte Gefährdungsdelikte 157 182 e) Die eigene Meinung: strafbarkeitsrelevante Merkmale jenseits
bb) Tatbestandlich verselbständigte Vorbereitungsdelikte und des Unrechts und qualifizierte Pflichtmerkmale als besondere
Unternehmensdelikte 158 183 persönliche Merkmale 51 252
cc) Tatbestände mit rechtsgutsbezogenen Absichtsmerkmalen. 161 184 f) Die Abgrenzung im einzelnen 63 256
aa) Strafbegründende besondere persönliche Merkmale nach
VI. Sonderformen der Anstiftung 167 186 §281 64 256
1. Die Anstiftung bei erfolgsqualifizierten Delikten 167 186 bb) Strafschärfende, strafmildernde und strafausschließende
2. Die Anstiftung zu Pflichtdelikten und eigenhändigen Delikten . . 168 187 Merkmale nach § 28 II 74 260
3. Die Anstiftung zu Unterlassungsdelikten 170 187
4. Einheit und Mehrheit bei der Anstiftung 172 188 V. Die Anwendung des § 28 in Sonderfällen 79 262
5. Täterschaft und Teilnahme bei der Anstiftung 173 188 1. § 28 bei der versuchten Anstiftung 79 262
a) Mittäterschaftliche Anstiftung 173 189 2. Anwendbarkeit der §§ 28, 29 auf die Teilnahme am
b) Anstiftung in mittelbarer Täterschaft 175 189 erfolgsqualifizierten Delikt? 80 262
c) Kettenanstiftung 176 190 VI. Die Strafe nach § 28 81 263
d) Beihilfe zur Anstiftung und Anstiftung zur Beihilfe 178 190 B. Die Organ- und Vertreterhaftung des § 14 84 264
VII. Die Strafe des Anstifters 179 191 I. Zweck und Hintergrund der Vorschrift 84 264
C. Die Beihilfe 183 192 II. Zur rechtspolitischen Würdigung des § 14 92 266
I. Die Kausalität der Beihilfe 184 192 1. § 14 und „faktische Betrachtungsweise" 93 266
1. Die eigene Meinung 184 192 2. § 14 und die Vertreterhaftung nach Abs. 2 94 267
2. Die Förderungsformel der Rechtsprechung 186 193 3. § 14 und der Rechtsgrund seiner Strafbarkeitsausdehnung 96 268
3. Die Beihilfe als Gefährdungsdelikt 191 195 4. § Mund der Begriff der besonderen persönlichen Merkmale. . . . 97 268
4. Die Beihilfe als Solidarisierung 194 196 III. § 14 als Ausdruck der Pflichtenübernahme 98 269
5. Die psychische Beihilfe 197 198
IV Die Strafbarkeit des Handelns für einen anderen als Ergebnis einer
II. Die Beihilfe als kausale Risikosteigerung 210 203
von § 14 unabhängigen Tatbestandsauslegung 105 272
III. Die Beihilfe als rechtlich mißbilligte kausale Risikosteigerung.
Zur Strafbarkeit von „Alltagshandlungen" 218 206 V. Zur Heranziehbarkeit des § 14 im einzelnen 113 275
1. Der Beitragende kennt den Deliktsentschluß des Täters 221 207 VI. Vertreter nach § 14 1 115 276
2. Der Beitragende rechnet lediglich mit einem deliktischen 1. Organe und Organmitglieder nach § 14 I Nr. 1 115 276
Verhalten des Täters 241 214 2. Vertretungsberechtigte Gesellschafter nach § 14 I Nr. 2 117 276
3. Die Rechtsprechung 247 216 3. Gesetzliche Vertreter nach § 14 I Nr. 3 121 277
IV. Der Zeitpunkt der Beihilfe 255 219 4. Das Handeln „als" Organ, Gesellschafter, Vertreter 122 278
a) Das Handeln für den Vertretenen 122 278
V. Der Vorsatz des Gehilfen. Der Täterexzeß 267 223
b) Das Handeln „als" Organ usw. beim Unterlassen mehrerer . . . 124 278
VI. Sonderformen der Beihilfe 284 230 VII. Beauftragte nach § 14 II 126 279
VII. Die Strafe des Gehilfen 287 231 1. Der Auftrag zur Leitung oder Teilleitung eines Betriebes oder
Unternehmens 127 279
§ 27. Besondere persönliche Merkmale. Akzessorietätslockerung und 2. Die ausdrückliche Beauftragung zur eigenverantwortlichen
Vertreterhaftung 232 Wahrnehmung betrieblicher Aufgaben 132 281
A. Die Akzessorietätsregelung der §§ 28, 29 1 234 3. Das auftragsgemäße Handeln für eine Stelle, die Aufgaben der
öffentlichen Verwaltung wahrnimmt 135 282
I. Der Sinn der gesetzlichen Anordnung 1 234 4. Das Handeln „auf Grund des Auftrages" 136 .'283
II. Das Verhältnis der §§ 28, 29 zueinander 5 235 VIII. Die bestehenbleibende Verantwortlichkeit des Vertretenen,
III. § 28 und der Strafgrund der Teilnahme 16 238 des Betriebsinhabers oder des Stellenleiters 137 283
IV Was sind „besondere persönliche Merkmale"? 23 241 IX. Faktische Vertretungsverhältnisse 139 284
1. Persönliche Merkmale 23 241
a) Der Begriff des Merkmals 23 241 §28.Vorstufen der Beteiligung 285
b) Die Abgrenzung von den sachlichen Merkmalen 24 242
2. Besondere persönliche Merkmale 27 243 I. Die systematische Stellung des § 30 1 285
a) Die Unterscheidung zwischen tat- und täterbezogenen II. Zum gesetzgeberischen Zweck und zur rechtspolitischen Würdigung
Merkmalen 28 243 derVorschrift 5 287

XII XIII
Inhalt Inhalt
[Rn] [Seite] [Rn] [Seite]
III. Die versuchte Anstiftung (§ 30 I) 9 289 a) Die drei Fälle des „Aufhörens" beim Anstiftungsversuch . . . . 90 320
1. Erscheinungsformen der versuchten Anstiftung 9 289 b) Setzt die „Gefahr, daß der andere die Tat begeht", dessen
2. Die objektiven Voraussetzungen der versuchten Anstiftung 10 290 Tatentschluß voraus? 93 320
3. Die subjektiven Voraussetzungen versuchter Anstiftung 14 ' 293 c) Ist die „Gefahr, daß der andere die Tat begeht" objektiv oder
a) Die „Ernstlichkeit" des Anstiftungsversuchs 15 293 subjektiv zu bestimmen? 94 321
b) Die Abgrenzung von versuchter Anstiftung und versuchter d) Muß die abzuwendende Gefahr vom Anstifter selbst verursacht
(bzw. vorbereiteter) mittelbarer Täterschaft 19 294 worden sein? 96 322
c) Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes, Umstiftung, Übersteige- e) Die Beschränkung des § 311 auf Vorbereitungshandlungen... 97 323
rung und Täterexzeß 20 295 3. Der Rücktritt von der Bereiterklärung (§ 311 Nr. 2) 98 324
d) Der untaugliche Versuch der Anstiftung 22 295 4. Der Rücktritt von der Verabredung (§ 311 Nr. 3) 101 325
e) Der Irrtum beim Anstiftungsversuch 24 296 a) Die Notwendigkeit der Tatverhinderung 101 325
4. Verbrechensqualität und besondere persönliche Merkmale 25 296 b) Formen der Tatverhinderung 102 325
5. Teilnahmefragen bei § 30 I 31 299 c) Ausführung der Tat trotz vermeintlicher Verhinderung 103 325
a) Die versuchte Kettenanstiftung 31 299 d) Die Ausführung der Tat in anderer Form oder mit anderen
b) Die Anstiftung zur versuchten Anstiftung 32 299 Komplizen 104 326
c) Die Beihilfe zu einer nach § 30 I strafbaren versuchten 5. Der Rücktritt von der Annahme eines Erbietens (§31 Nr. 3). . . . 106 327
Anstiftung 33 300 6. Das freiwillige und ernsthafte Bemühen (§ 31II) 107 327
d) Anstiftung und Beihilfe zur versuchten Beihilfe 36 301 a) Die zwei Varianten des § 31II 107 327
6. Konkurrenzen 37 301 b) Das freiwillige und ernsthafte Bemühen 110 328
IV. Die Verabredung (§30 II) 43 303 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
1. Die Willenseinigung der Beteiligten 43 303
2. Die Scheinbeteiligung 47 304 §29. Der Versuch 330
3. Willensmängel bei der Verabredung 52 306
4. Die Konkretisierungserfordernisse bei der Verabredung 56 307 A. Definition und Strafgrund des Versuchs 1 333
5. Die untaugliche Verabredung 58 308 I. Der Begriff des Versuchs 1 333
6. Die alternative Verabredung 59 308 II. Der Strafgrund des Versuchs 9 335
7. Die Verabredung als Vorstufe der Mittäterschaft 60 309 1. Der Versuch als tatbestandsnahe Gefährdung oder tatbestands-
8. Verabredung und besondere persönliche Merkmale 62 310 naher, rechtserschütternder Normbruch (Vereinigungstheorie) . . 10 335
9. Teilnahme an der Verbrechensverabredung 66 311 2. Die objektiven Versuchstheorien 25 340
10. Die versuchte Verabredung 68 311 3. Die subjektive Versuchstheorie 32 342
11. Konkurrenzprobleme bei der Verabredung 69 311 4. Die Eindruckstheorie 46 346
a) Die Subsidiarität im Verhältnis zur versuchten und vollendeten 5. Neuere Bemühungen um eine Einschränkung der Versuchs-
Tat 69 311 strafbarkeit 51 348
b) Das Verhältnis des §30 II zu anderen Vorstufen der Beteiligung 71 312 B. Der Tatentschluß 59 350
12. Die Strafrahmenwahl bei § 30 II 72 313
I. Der Tatentschluß als subjektiver Deliktstatbestand 59 350
V. Das Sich-bereit-Erklären 74 313 II. Unbedingter und bedingter Tatentschluß 81 355
1. Die beiden Erscheinungsformen des Sich-bereit-Erklärens 74 313
2. Die Annahme einer Aufforderung 76 314 C. Vorbereitung und Versuch 97 360
3. Das Sich-Erbieten 78 315 I. Der Beginn der Ausführung beim unbeendeten Versuch des unmit-
a) Das echte Sich-Erbieten als versuchte Kettenanstiftung 78 315 telbar handelnden Einzeltäters 99 361
b) Das unechte Sich-Erbieten 79 315 1. Keine Möglichkeit der Ableitung aus den Theorien zum Straf-
c) Muß die Bereiterklärung in Gestalt des echten Sich-Erbietens grund des Versuchs 99 361
dem Empfänger zugehen? 80 316 2. Die Tatbestandsnähe als leitender Gesichtspunkt für den
d) Konkurrenzprobleme beim Sich-Erbieten 81 316 Versuchsbeginn 102 362
3. Die Versuchsbestimmung als Frage der Tatbestandsauslegung?. . . 104 362
VI. Die Annahme eines Erbietens (§ 30 II) 82 317 4. Die Teilverwirklichung des Tatbestandes als sicheres ,
1. Die Annahme des Erbietens als versuchte Anstiftung 82 317 Versuchskriterium? 110 364
2. Die Annahme eines Erbietens als versuchte psychische Beihilfe?. . 83 317 5. Abgrenzungsformeln 121 368
3. Ist auch die Annahme eines nicht ernst gemeinten Erbietens 6. Kritik der Abgrenzungsformeln 129 371
strafbar? 85 318 7. Die konkretisierte Teilaktstheorie 139 374
4. Konkurrenz- und Irrtumsprobleme bei der Annahme eines 8. Schwierige Fallgruppen 145 377
Erbietens 87 319 a) Die Annäherungsfälle 145 377
VII. Der Rücktritt von der versuchten Beteiligung (§ 31) 88 319 b) Die Auflauerungs- und Erwartungsfälle 155 380
1. Zuordnung und Anwendungsbereich der Vorschrift 88 319 c) Die Probier-und Überprüfungsfälle 160 382
2. Der Rücktritt von der versuchten Anstiftung (§ 311 Nr. 1) 90 320 d) Die Schutzminderungsfälle 162 383

XIV XV
Inhalt Inhalt
[Rn] [Seite] [Rn] [Seite]
e) Die Mißbrauchsfälle 166 385 1. Unechte Unterlassungsdelikte 266 420
f) Qualifikationen und Regelbeispiele 170 386 a) Die Entlassung aus dem Herrschaftsbereich des Unterlassenden
9. Typische Vorbereitungshandlungen 173 387 und die unmittelbare Gefährdung als alternative Kriterien zur
a) Verschaffen und Besitz von Tatwaffen und -Werkzeugen sowie Bestimmung des Versuchs > 271 422
die Herstellung entscheidender Tatvoraussetzungen 174 388 b) Die Theorie des erstmöglichen Eingriffs 280 425
b) Das Aufsuchen des Tatortes und der (noch) unauffällige Auf- c) Die Theorie des letztmöglichen Eingriffs 284 426
enthalt dort 177 389 d) Das alleinige Abstellen auf die unmittelbare Gefährdung . . . . 286 427
c) Das Auskundschaften und Schaffen von Tatgelegenheiten. . . . 179 389 e) Zur Abgrenzung in der Rechtsprechung 288 427
10. Weitere Gesichtspunkte in der neueren Literatur 180 390 2. Echte Unterlassungsdelikte 292 428
a) Die Ganzheitstheorie Schmidhäusers 180 390 V. Der Beginn der Ausführung beim Versuch des Mittäters 295 429
b) Die Unzweideutigkeitstheorie Jürgen Meyers 182 390 1. Die Gesamtlösung 295 429
c) Die Optimierung des Rechtsgüterschutzes bei Kratzsch 184 391 2. Die Vorzugswürdigkeit der Einzellösung 297 430
d) Das „In-den-Griff-Bekommen" des angegriffenen Rechtsguts a) Argumente aus der Teilnahmelehre 299 431
bei Zaczyk 186 392 b) Argumente aus der Versuchslehre 303 432
e) Das rolleninadäquate Risiko bei Vehling 188 393 c) Zur Lehre von der Tätigkeitsanrechnung und zum Zufalls-
II. Der Beginn der Ausführung beim beendeten Versuch des unmittel- argument 306 433
bar handelnden Einzeltäters 192 395 d) Die Problematik des untauglichen Versuchs bei der Mittäter-
1. Die widerstreitenden Auffassungen 192 395 schaft 308 434
a) Der Eintritt des Opfers in den Wirkungskreis des Tatmittels als e) Zur Notwendigkeit, die Mittäterschaft auf Ausführungshand-
Beginn des Versuchs 193 395 lungen zu beschränken 315 436
b) Die Beendigung der Täterhandlung als Beginn des Versuchs . . 194 396 D. Sonderfälle des Versuchs 318 437
c) „Entlassung aus dem eigenen Herrschaftsbereich" und „unmit- I. Der Versuch beim erfolgsqualifizierten Delikt 318 437
telbare Gefährdung" als alternative Kriterien zur Bestimmung 1. Zwei verschiedene Konstellationen 318 437
des Versuchs 195 397 2. Die versuchte Erfolgsqualifizierung 319 437
2. Zur näheren Begründung der Alternativ-Formel 196 397 3. Der erfolgsqualifizierte Versuch 322 439
a) Auseinandersetzung mit der Lehre vom Eintritt des Opfers in
den Wirkungskreis des Tatmittels als dem maßgebenden Zeit- II. Der Versuch bei Vorbereitungen und Unternehmensdelikten 339 443
punkt 196 397 1. Der Versuch bei Vorbereitungshandlungen 340 444
b) Auseinandersetzung mit der Lehre vom Abschluß der Täter- a) Die unselbständigen Vorbereitungshandlungen 342 444
handlung als dem maßgebenden Zeitpunkt 205 400 b) Die selbständigen Vorbereitungshandlungen 343 444
3. Zur Rechtsprechung des BGH 212 402 2. Versuch bei Unternehmensdelikten 345 445
III. Der Beginn der Ausführung beim Versuch des mittelbaren Täters . . . 226 406 E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt , 346 445
1. Die widerstreitenden Auffassungen 226 406 I. Die Erscheinungsformen des untauglichen Versuchs 347 446
a) Das Ansetzen des Tatmittlers als Beginn des Versuchs 1. Der Versuch am untauglichen Objekt 347 446
(Gesamtlösung) 228 406 2. Der Versuch mit untauglichen Mitteln 348 446
b) Die Einwirkung auf den Tatmittler als Beginn des Versuchs 3. Der Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt. . 349 446
(Einwirkungstheorie, Einzellösung) 229 407 4. Der Versuch eines untauglichen Subjektes 350 447
c) Die „Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich a) Der unstrittige Bereich 351 447
des mittelbaren Täters" als Kriterium für den Beginn des Ver- b) Der umstrittene Bereich 354 448
suchs (modifizierte Einzellösung) 230 407 II. Der Versuch aus grobem Unverstand 363 452
d) Die unterschiedliche Festsetzung des Versuchsbeginns bei nicht- III. Der abergläubische Versuch 371 455
dolosem und dolosem Tatmittler (Differenzierungstheorie) . . . 231 408
IV Der untaugliche Unterlassungsversuch 376 457
e) Der Rückgriff auf die für den unbeendeten Versuch geltenden
Regeln (allgemeine Theorie) 232 408 V Die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt 378 458
f) Zur Entwicklung der Rechtsprechung 234 409 1. Der einfache Grundgedanke und der schwierige Grenzbereich. . . 378 458
aa) Das RG 235 410 2. Der unstrittige Bereich 380 • 458
bb) Der BGH 238 411 a) Sachverhaltsirrtümer fuhren (fast) nie zum Wahndelikt 380 ' 458
2. Zur Begründung der modifizierten Einzellösung 244 413 b) Die Annahme nicht existierender Tatbestände als Wahndelikt . 381 459
a) Die Entlassung aus dem Herrschaftsbereich des mittelbaren c) Die Verkennung von Rechtfertigungsgründen und anderen
Täters als maßgebliches Abgrenzungskriterium 244 413 Bestrafungshindernissen als Wahndelikt 382 459
b) Zur Gesamtlösung 247 414 d) Die Überdehnung von Tatbestandsbegriffen als Wahndelikt . . 383 460
c) Zur Einzellösung 257 417 3. Der strittige Bereich: Selbstbelastende Irrtümer im Vorfeld des
d) Zur Differenzierungstheorie 258 418 Tatbestandes 388 461
e) Zur allgemeinen Theorie 260 418 a) Die Fallkonstellationen 388 461
aa) Fremdheit 389 461
IV. Der Beginn der Ausführung beim Versuch der Unterlassungstat. . . . 266 420

XVI XVII
Inhalt Inhalt
[Rn] [Seite] [Rn] [Seite]
bb) Vermögensschaden 390 462 1. Das Erfolgsrisiko vor Versuchsbeendigung 115 517
cc) Zuständigkeit 391 462 2. Das Erfolgsrisiko nach Versuchsbeendigung 125 519
dd) Die Vortat bei der Strafvereitelung 392 462 3. Das Erfolgsrisiko beim unechten Unterlassungsdelikt 136 522
ee) Die Steuerpflicht 393 463 a) Die Meinungen in der Literatur >. 136 522
b) Die Lehre von der versuchsbegründenden Wirkung des b) Die Rspr. zum Rücktritt vom Unterlassungsversuch 145 524
Vorfeldirrtums 394 463 V. Die Aufgabe als Rücktritt vom unbeendeten Versuch 152 526
c) Die Lehre von der Straflosigkeit aller selbstbelastenden 1. Das Aufgeben 152 526
Rechtsirrtümer 398 465 2. Die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch . . . . 163 530
d) Die Lehre vom Umkehrschluß 401 466 3. Der Rücktritt bei noch nicht gelungener, aber mit Aussicht auf
e) Die zutreffende differenzierende Lösung 409 469 Erfolg wiederholbarer Ausführungshandlung 175 534
f) Zur Rechtsprechung im Bereich der Vorfeldirrtümer 416 471 a) Die Tatplantheorie 177 534
b) Die Einzelaktstheorie 178 535
§30. Der Rücktritt vom Versuch 474 c) Die Gesamtbetrachtungslehre 180 535
A. Ratio und systematische Stellung des strafbefreienden Rücktritts 1 477 d) Vermittelnde Lösungen 184 537
I. Der rechtliche Grund der Strafbefreiung 1 477 e) Die modifizierte Gesamtbetrachtungslehre als vorzugswürdige
1. Gesetzliche Regelung und Problemstellung 1 477 Lösung 187 538
2. Die Strafzwecktheorie 4 478 aa) Die Begründung der eigenen Konzeption 187 538
3. Die Rechtstheorien 11 481 bb) Auseinandersetzung mit den abweichenden Auffassungen. 201 542
4. Die Lehre von der goldenen Brücke 14 482 VI. Die Verhinderung der Vollendung als Rücktritt vom beendeten
5. Die Gnaden- oder Prämientheorie 22 485 Versuch 211 545
6. Die Schulderfüllungstheorie 25 486 1. Einfuhrung 211 545
II. Die systematische Stellung des strafbefreienden Rücktritts 29 487 2. Das Verhindern in der neueren Rechtsprechung 221 548
B. Rücktrittsunfähigkeit und Rücktritt 33 489 a) Die Chanceneröffnungstheorie 221 548
b) Die Bestleistungstheorie 229 550
I. Die Grundkonzeption des Rücktritts 33 489 3. Argumente für die Chanceneröffnungstheorie 233 552
II. Der zielerreichende Versuch als Fall der Rücktrittsunfähigkeit 47 493 a) Das Wortlautargument 234 552
1. Die maßgeblichen Entscheidungen der Rechtsprechung 48 494 b) Das Opferschutzargument 235 552
a) BGH, 1. Senat, NJW1984,1693 48 494 c) Das Argument aus der objektiven Zurechnung 236 553
b) BGH, 1. Senat, NStZ 1989, 317 49 494 4. Argumente für die Bestleistungstheorie 237 553
c) BGH, 1. Senat, NStZ 1990, 30 50 494 a) Das dolus-eventualis-Argument 237 553
d) BGH, 2. Senat, NStZ 1990,77 51 494 b) Das Beispiel des untauglichen Versuchs 241 554
e) BGH, 5. Senat, NJW 1991,1189 52 495 c) Das Unterlassungsargument 242 554
f) BGH, 1. Senat, NStZ 1993, 280 (Vorlagebeschluß); BGH, 5. Die Differenzierungstheorie als angemessenste Lösung 243 555
Großer Senat, BGHSt 39, 221 53 495 a) Eigenhändige Erfolgsverhinderung 243 555
g) BGH, 5. Senat, NStZ 1994,493 54 495 b) Fremdhändige Erfolgsverhinderung 246 556
2. Das Fehlen eines Rücktritts in allen Fällen der Zielerreichung . . . 58 496 c) Fallgruppen der fremdhändigen Erfolgsverhinderung 251 557
3. Die Gegenargumente und ihre Widerlegung 66 498 VII. Das freiwillige und ernsthafte Bemühen beim nichtkausalen
III. Der fehlgeschlagene Versuch als Fall der Rücktrittsunfähigkeit . . . . 77 502 Rücktritt 265 561
1. Begriff und teleologische Grundlage des fehlgeschlagenen Versuchs 77 502 1. Ratio und Entstehung der Vorschrift 265 561
2. Die Abgrenzung von fehlgeschlagenem und untauglichem Versuch 82 504 2. Das Bemühen 267 562
3. Zur Entwicklung und zum heutigen Stand der Lehre vom 3. Die Ernstlichkeit des Bemühens 275 565
fehlgeschlagenen Versuch 83 504 4. Der Rücktritt bei nicht zurechenbarem Erfolgseintritt 284 568
4. Die Fallgruppen des fehlgeschlagenen Versuchs 85 505 VIII. Der Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Delikt 285 569
a) Die Tatbestandserfüllung ist unmöglich 85 505 1. Rspr. und h.L.: ein Rücktritt ist möglich 285 569
b) Die Identität des Handlungsobjekts entspricht nicht dem 2. Die Mindermeinung: ein Rücktritt ist ausgeschlossen 288 570
Tatplan 94 508 3. Die Vorzugswürdigkeit der Mindermeinung 289 -, 571
c) DasTatobjekt bleibt hinter den Erwartungen des Täters zurück 101 510 4. Die praktische Bedeutung der Problemkonstellation 294 572
d) Kein Fehlschlag beim Abweichen von Tatmodalitäten, beim
IX. Der Teilrücktritt 295 573
Wegfall von Motiven und bei wiederholbarer Ausführungs-
handlung 108 514 X. Der Rücktritt bei Beteiligung mehrerer 301 575
aa) Die Tatmodalitäten weichen vom Tatplan ab 109 514 1. Überblick 301 575
bb) Der Wegfall von Motiven 111 516 2. Die von § 24 II betroffenen Personen 305 576
cc) Die wiederholbare Ausführungshandlung 112 516 3. Der „Rücktritt" im Vorbereitungsstadium 309 577
4. Kein Rücktritt, wenn ein Beteiligungsbeitrag bis ins
IV. Der objektiv und subjektiv zurechenbare Erfolgseintritt als Fall
Vollendungsstadium weiterwirkt 314 579
der Rücktrittsunfähigkeit 113 516

XVIII XIX
Inhalt Inhalt
[Rn] [Seite] [Rn] [Seite]
5. Die Möglichkeiten strafbefreienden Rücktritts 331 584 3. Nichtvornahme einer Handlung und Nichtabwendung des
a) Zur Strafverschärfung des geltenden Rechts 331 584 Erfolges als Merkmale echten und unechten Unterlassens 21 634
b) Die Verhinderung 337 585 4. Geschriebene und ungeschriebene Unterlassungstatbestände als
c) Das freiwillige und ernsthafte Bemühen 338 ' 585 Kriterien der Echtheit und Unechtheit > 24 635
6. Strafbefreiender Rücktritt bei Durchführung einer anderen Tat . . 345 587 5. Der Verstoß gegen eine Verbots- oder eine Gebotsnorm als
Unterscheidungskriterium 27 636
C. Die Freiwilligkeit des Rücktritts 354 590 6. Die praktische Bedeutung der Unterscheidung 28 636
I. Psychologische und normative Theorien 354 590
IV. Unterlassung und nullum crimen sine lege 31 637
II. Die Unhaltbarkeit des psychologischen Ansatzes 365 594
V. Die Kausalität beim Unterlassen 37 639
1. Die Unvereinbarkeit der psychologischen Theorie mit der ratio 1. Gibt es eine Kausalität des Unterlassens? 37 639
des Rücktrittsprivilegs 366 594 a) Unterlassen als Wirkkraft? 37 639
2. Die Undurchführbarkeit der psychologischen Theorie 368 595 b) Unterlassen als gesetzmäßige Bedingung 39 639
III. Zur Begründung der normativen Freiwilligkeitskonzeption 379 598 2. Die Feststellung der Unterlassungskausalität in der Rechtsprechung 44 641
1. Die Rückkehr in die Bahnen des Rechts durch planwidrige
3. Genügt es schon für die Zurechnung des Erfolges, daß das ge-
Tataufgabe oder Erfolgsverhinderung 379 598 botene Handeln das Risiko des Erfolgseintritts vermindert hätte ? . 46 642
2. Fallgruppen freiwilligen Rücktritts 387 602 a) Die Rechtsprechung 46 642
a) Der Täter tritt aus inneren Gründen zurück 387 602
b) Der Diskussionsstand in der Literatur 51 644
b) Der Täter wird durch äußere Umstände zum Rücktritt ver- c) Die differenzierende Lösung 54 645
anlaßt, die das Risiko des Mißlingens oder nachträglicher
4. Die Kausalität des Unterlassens, wenn das gebotene Handeln nur
Bestrafung nicht oder nur unbedeutend erhöhen 389 603
über das freie und verantwortliche Verhalten eines Dritten zur
3. Fallgruppen unfreiwilligen Rücktritts 393 604 Erfolgsabwendung geführt hätte 64 648
a) Die durch eine Veränderung der äußeren Umstände begründete
5. Die Unterlassungskausalität bei Kollegialentscheidungen 65 649
Furcht, die Vollendung könnte verhindert werden 393 604
b) Die durch eine Veränderung der äußeren Umstände begründete VI. Die Abgrenzung von Begehung und Unterlassung 69 651
Furcht, nach der Tatvollendung festgenommen und bestraft zu 1. Notwendigkeit und Bedeutung der Abgrenzung 69 651
werden oder der Beute verlustig zu gehen 395 605 2. Die Abgrenzung bei zweideutigen Verhaltensformen 73 652
c) Der Täter tritt wegen anderer Erschwerungen zurück 398 606 3. Die Bedeutungslosigkeit nichtkausalen Tuns für die Abgrenzung . 88 657
d) Der Täter tritt wegen unerwartet drohender Nebenfolgen 4. Verhaltensformen mit fehlendem oder geringem Energieaufwand 92 658
zurück 399 606 5. Die Sukzession von Verhaltensformen 96 659
e) Der Täter tritt zurück, weil sein Tatmotiv wegfällt 403 608 6. Unterlassen durch Tun 99 659
4. DerWortlaut-Einwand 406 609 a) Die aktive Teilnahme am Unterlassungsdelikt 101 660
5. Der Einwand des Versagens der Strafzwecklehre beim Vorbehalt b) Die omissio libera in causa 103 660
oder bei der Absicht späterer Wiederholung 413 611 c) Der abgebrochene Gebotserfüllungsversuch 108 662
6. Der Einwand des Versagens der Strafzwecklehre beim d) Der technische Behandlungsabbruch 115 664
Deliktswechsel 416 613 VII. Täterschaft und Beihilfe durch Unterlassen 124 667
7. Tat und Tatplan in der Rücktrittslehre 421 614 1. Die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe durch Unterlassen . 125 667
IV. Andere Ansichten zur Freiwilligkeit 431 618 a) Die Übertragung der für Begehungsdelikte geltenden Regeln
1. Die Franksche Formel 431 618 auf das Unterlassen 125 667
2. Die Unterscheidung zwischen autonomen und heteronomen aa) Die Rechtsprechung 125 667
Motiven 433 618 bb) Die Untauglichkeit der von der Rechtsprechung verwen-
3. Schmidhäusers Interessenkriterium 435 619 deten Kriterien 132 669
4. Herzbergs Anlehnung an das Zivilrecht 437 620 b) Die eigene Auffassung: Der Unterlassende ist immer Täter,
5. Jägers Anlehnung an die mittelbare Täterschaft 442 622 wenn er die Gleichstellungskriterien und die sonstigen
Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt (Pflichtdeliktstheorie) . . . 140 671
10. Abschnitt - Die Unterlassungstat c) Die Theorie der Einheitsbeihilfe 151 675
d) Die Unterscheidung nach der Art der Pflichtenstellung 158 . 677
§ 31. Das Unterlassungsdelikt im allgemeinen und seine Abweichungen e) Die Lösung mit Hilfe der Entsprechungsklausel 166 / 679
f) Unterlassene Taterschwerung als Beihilfe 169 680
vom Begehungsdelikt 625
2. Mittäterschaft durch Unterlassen 171 681
I. Einleitung 1 627 3. Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen? 175 682
II. Das Unterlassen 5 628 VIII. Der Tatbestand bei den Unterlassungsdelikten 176 682
1. Die Handlungserwartung 6 629 1. Der objektive Tatbestand 176 682
2. Die individuelle Handlungsfähigkeit 8 629 a) Die tatbestandsmäßige Situation 177 682
III. Echtes und unechtes Unterlassen 16 632 b) Das Ausbleiben der geforderten Handlung 179 683
1. Die grundsätzliche Unterscheidung 16 632 c) Die individuelle Handlungsfähigkeit 181 683
2. Die „Begehungsgleichheit" als Abschichtungskriterium 17 633

XX XXI
Inhalt
[Rn] [Seite] [Rn] [Seite]
d) Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges 182 683 aa) Grundsatz: Die Vorhandlung muß dem Verursacher
e) Garantenstellung und Entsprechung 183 684 objektiv zurechenbar sein 155 764
2. Der subjektive Tatbestand 184 684 bb) Keine Garantenstellung, wenn die Vorhandlung sich
>
a) DerVorsatz 184 '684 innerhalb des erlaubten Risikos hält 160 766
b) Die Absicht und sonstige subjektive Merkmale in den Tat- cc) Keine Garantenstellung, wenn die durch die Vorhandlung
beständen des Besonderen Teils 194 688 heraufbeschworene Gefahr im alleinigen Verantwortungs-
c) Das fahrlässige Unterlassen 196 689 bereich des Gefährdeten liegt 175 771
IX. Die Rechtswidrigkeit bei Unterlassungsdelikten 201 690 dd) Keine Garantenstellung, wenn die Gefahrschaffung durch
Notwehr gerechtfertigt ist 181 773
X. Die Schuld bei Unterlassungsdelikten 207 692 ee) Bejahung einer Garantenstellung, wenn die Vorhandlung
1. Der Verbotsirrtum bei Unterlassungen 209 692 durch Notstand gerechtfertigt ist 186 775
2. Die Unzumutbarkeit bei Unterlassungen 211 693 ff) Bejahung der Garantenstellung, wenn bei einer gerecht-
a) Die Rechtsprechung des RG 211 693 fertigten Vorhandlung mit Dauerwirkung die Rechtferti-
b) Die Nachkriegsrechtsprechung 212 694 gungsvoraussetzungen nachträglich wegfallen 189 776
c) Die begrenzte Reichweite des Gedankens der Unzumutbar- gg) Vorangegangenes garantenpflichtwidriges Unterlassen . . . 190 776
keit 216 695 hh) Begründen auf den Erfolg gerichtete Vorsatztaten eine
d) Die systematische Einordnung der Unzumutbarkeit 229 699 Garantenpflicht zur Abwendung des Erfolges? 191 776
XI. Die Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 II 236 702 VI. Die strafrechtliche Produktverantwortung 195 778
1. Garantenstellungen aus vorangegangenem Tun? 198 778
§ 32. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem Begehen 707 2. Garantenstellungen aus gesteigert riskantem Vorverhalten? 201 779
A. Das Einstehenmüssen 1 710 3. Garantenstellung aus Gesetz? 206 781
I. Zur geschichtlichen Entwicklung 1 710 4. Garantenstellung aus Überwachungspflicht? 208 781
IL Die Ablehnung der formellen Rechtspflichttheorie 10 714 5. Garantenstellung aus Übernahme einer Schutzfunktion 210 782
III. Der richtige Ansatz der Zweiteilungslehre (vor allem der Konzeption 6. Die innerbetriebliche Zuständigkeit für Rückruf und Warnung . . 217 784
Schünemanns) 17 716 B. Die Entsprechungsklausel 218 784
IV. Die Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes I. Zur gesetzgeberischen Entwicklung 218 784
(Schutz- oder Obhutsgarantenstellung) 33 722 II. Der gegenwärtige Meinungsstand 223 786
1. Familiäre oder familienähnliche Schutzbeziehungen 33 722 III. Keine Gesamtbewertung, keine Doppelfunktion der
a) Das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern 33 722 Entsprechungsklausel 227 787
b) Sonstige Verwandtschaftsverhältnisse 42 725 IV. Keine Notwendigkeit der Entsprechungsklausel zur Herstellung
c) Ehe und eheähnliche Partnerschaften 45 726
allgemeiner Modalitätenäquivalenz 230 789
2. Die Übernahme sonstiger Schutzfunktionen 53 729
3. Schutzpositionen auf Grund von Organstellungen und V. Die Beschränkung der Entsprechungsklausel auf
Amtsträgerpflichten 77 736 begehungstäterbezogene Qualifikationsmerkmale 239 791
a) im Hinblick auf private und hoheitliche Rechte des Staates... 77 736
b) insbesondere bei der Strafverfolgung 80 737 11. Abschnitt - Konkurrenzen
c) im Hinblick auf individuelle Personen, insbesondere im Ver-
hältnis der Polizei zu straftatbedrohten Bürgern 85 738 § 33. Konkurrenzen 795
d) im Hinblick auf Rechtsgüter der Allgemeinheit, exemplifi- I. Einführung 1 797
ziert am Beispiel des Gewässerschutzes 99 743 II. Handlungseinheit und Handlungsmehrheit 10 799
V Die Herrschaft über den Gefahrenherd (Überwachungs- oder 1. Begriff und Erscheinungsformen der Handlungseinheit 10 799
Sicherungsgarantenstellung) 107 746 2. Die Handlung im natürlichen Sinne 17 801
1. Die Pflicht zur Überwachung gefährlicher Sachen im eigenen 3. Die tatbestandliche Handlungseinheit 19 801
Herrschaftsbereich 108 747 4. Die natürliche Handlungseinheit 29 804
2. Die Pflicht zur Sicherung der Allgemeinheit vor rechtswidrigen a) Die iterative Tatbestandsverwirklichung 32 , 805
Taten Dritter 125 753 b) Die sukzessive Tatbestandsverwirklichung 42 i 809
a) Der Grundsatz der Selbstverantwortung 126 753 c) Handlungseinheit bei Verwirklichung verschiedenartiger
b) Die mangelnde oder eingeschränkte Verantwortlichkeit des Tatbestände? 50 811
zu Überwachenden 127 754 5. Handlungseinheit und Handlungsmehrheit beim Unterlassen . . . 61 815
c) Auf Überordnungsverhältnissen beruhende Garantenstellun- 6. Die Handlungseinheit bei fahrlässigen Delikten 67 817
gen im Hinblick auf das Handeln verantwortlicher Personen. . 133 755 III. Die Tateinheit (Idealkonkurrenz) 70 817
3. Die Pflicht zur Erfolgsabwendung auf Grund vorangegangenen 1. Die Grundstruktur der Idealkonkurrenz 70 817
Tuns (Ingerenz) 143 759 2. Die volle Identität der Ausfuhrungshandlung 80 821
a) Zur Möglichkeit einer Ingerenzgarantenstellung 143 759 3. Die teilweise Identität der Ausführungshandlungen 82 821
b) Einschränkungen der Ingerenzgarantenstellung 155 764 4. Das Zusammentreffen von Zustands- und Dauerdelikten 93 825

XXII XXIII
Inhalt
[Rn] [Seite]
5. Die Klammerwirkung der dritten Straftat 101 827
6. Die rechtliche Behandlung der Idealkonkurrenz 109 831
IV. Die Tatmehrheit (Realkonkurrenz) 119 833
1. Was ist Realkonkurrenz? 119 833 Abkürzungsverzeichnis
2. Nach welchen Prinzipien wird die Strafe bei der Realkonkurrenz
gebildet? 122 834
a) Asperations- und Kumulationsprinzip 122 834
b) Mehrere Freiheitsentziehungen 124 834 a. A Anderer Ansicht
aaO. am angegebenen Ort
c) Mehrere Geldstrafen 128 835 abl ablehnend
d) Freiheits-und Geldstrafe bei verschiedenen Taten 131 836 abw. abweichend
e) Freiheits-und Geldstrafe bei derselben Tat 137 837 Abs Absatz
f) Freiheitsstrafe und Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen 139 838 AE Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches. Allgemeiner Teil, 1966
3. Die Bildung der Gesamtstrafe 140 838 (21969)
a) Die Auswerfung der Einzelstrafen 140 838 a. E am Ende
b) Die Ermittlung der Einsatzstrafe 142 838 ähnl ähnlich
c) Die Verschärfung nach dem Asperationsprinzip 143 839 a. F. alte Fassung
4. Die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe 156 842 AG - Aktiengesellschaft
a) Die Begehung vor der früheren Verurteilung 157 842 - Amtsgericht
b) Die frühere Strafe darf noch nicht erledigt sein 163 844 AK-(Bearbeiter) Kommentar zum Strafgesetzbuch (in der „Reihe Alternativ-
c) Das frühere Urteil muß rechtskräftig sein 165 844 kommentare"), Bd. 1,1990
d) Die Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe 166 844 AktG Aktiengesetz vom 6.9.1965 (BGBl. 1,1089)
e) Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch Beschluß nach allg allgemein
§ 460 StPO 168 845 Alt Alternative
V. Die Gesetzeskonkurrenz (Gesetzeseinheit) 170 846 Angekl Angeklagter
1. Was ist Gesetzeskonkurrenz? 170 846 Anm Anmerkung
2. Spezialität 177 848 AO Abgabenordnung vom 16. 3.1976 (BGBl. I, 613)
a) Qualifizierte und privilegierte Tatbestände 180 849 Art Artikel
b) Zusammengesetzte Tatbestände 186 851 Arzt/Weber, BT . . . . Günther Arzt/Ulrich Weber, Strafrecht. Besonderer Teil, 2000
c) Delikte mit qualifizierenden Tätermerkmalen 189 851 AT Allgemeiner Teil
3. Subsidiarität 190 851 Aufl Auflage
a) Formelle Subsidiarität 192 852 ausführl ausführlich
b) Materielle Subsidiarität 199 854
4. Konsumtion 213 858 Baumann/Mitsch, AT10 Wolfgang Mitsch, in: Jürgen Baumann/Ulrich Weber/Wolfgang
a) Die typische Begleittat 216 859 Mitsch, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 101995
b) Die straflose Nachtat 219 860 Baumann/Weber, AT10 Ulrich Weber, in: Jürgen Baumann/Ulrich Weber/Wolfgang
5. Die rechtliche Behandlung der Gesetzeskonkurrenz 227 863 Mitsch, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 101995
a) Das Wiederaufleben des verdrängten Gesetzes bei fehlender BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht
Bestrafungsmöglichkeit aus dem vorrangigen Tatbestand . . . . 229 864 BayObLGSt Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Straf-
sachen
b) Die Berücksichtigung der straflosen Nachtat bei der
BB Betriebsberater
Strafzumessung 240 868
BBG Bundesbeamtengesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 31.3.1999
c) Die Berücksichtigung der Mindeststrafe des verdrängten Gesetzes 243 869
(BGBl. I, 675)
d) Die Möglichkeit einer strafbaren Mitwirkung an dem Bd Band
verdrängten Gesetz 246 870 v. Beling, "1930 . . . . Ernst von Beling, Grundzüge des Strafrechts, n1930
e) Das verdrängte Gesetz kann Nebenstrafen, Nebenfolgen und Begr. Begründung
Maßnahmen (§ 111 Nr. 8) auslösen 247 871 bes besonders
VI. Die aufgegebene Konstruktion der fortgesetzten Handlung 248 871 Bespr Besprechung ,
1. Zur Behandlung der fortgesetzten Tat in der früheren BG Bundesgericht
Rechtsprechung und Literatur 248 871 BGB Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8.1896 (RGBl. 195)
2. Die Kritik an der fortgesetzten Handlung 256 872 BGH Bundesgerichtshof
3. Die Situation nach der Entscheidung des Großen Senats 262 874 BGHR BGH-Rechtsprechung Strafsachen, hrsg. von Richtern des Bundes-
VII. Kollektivdelikte und Massenverbrechen 274 879 gerichtshofs (abgekürzt zitiert nach Paragraph des StGB, Stichwort
1. Das Kollektivdelikt (Sammelverbrechen) 275 879 und Nummer)
2. Das Massendelikt 281 880 BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen
Sachverzeichnis 883 Binding, Handbuch
StrafR Karl Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1,1885

XXIV XXV
Abkürzungen Abkürzungen
ders., Normen Karl Binding, Die Normen und ihre Übertretung. Bd. I, 1922; Bd. Eser, StrafR II3 Albin Eser, Juristischer Studienkurs. Strafrecht II, 31980
II, Hälfte 1 (S. 1-629), 21914; Bd. II, Hälfte 2 (S. 630 ff), 21916; Bd. etc et cetera
III, 1918; Bd. IV, 1919. Neudruck aller 4 Bde., 1991 evtl eventuell
Blei, AT18 Hermann Blei, Strafrecht I.Allgemeiner Teil, !81983
ders., PdW, AT . . . . Hermann Blei, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Prüfe dein Wissen, f. folgende >
t2
1996 ff. fortfolgende
BMJ Bundesministerium der Justiz FamRZ Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, später: Zeit-
Bockelmann, AT3 ' Paul Bockelmann, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 31979; schrift für das gesamte Familienrecht
ders., Untersuchungen . Paul Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, 1957 Feb Februar
Bockelmann/Volk, AT4 Paul Bockelmann/Klaus Volk, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 41987 FG Festgabe
BörsenG Börsengesetz vom 22. 8. 1896 (RGBl. 157) i.d.E vom 27.5.1908 FleischbeschauG Fleischbeschaugesetz i.d.E vom 29.10.1940 (RGBl. 1,1463)
(RGBl. 215, RGBl. III 4 Nr. 4110-1) Fn Fußnote
BSeuchG Bundes-Seuchengesetz vom 18. 7.1961 (BGBl. 1,1012) Frank, StGB, 181931 . . Reinhard Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich,
18
Bsp Beispiel 1931/1936
BT Besonderer Teil Freund, AT Georg Freund, Strafrecht: Allgemeiner Teil; Personale Straftatlehre,
BT-Drucks Drucksachen des Deutschen Bundestages 1999
BtMG Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungs- FS Festschrift
mittelgesetz) i.d.E der Bekanntmachung vom 1.3.1994 (BGBl. I, FU Freie Universität
358)
BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts GA Goltdammer's Archiv für Strafrecht
bzw. beziehungsweise Gallas, Materialien . . . Wilhelm Gallas, Täterschaft und Teilnahme. Materialien zur Straf-
rechtsreform, 1. Band, Gutachten der Strafrechtslehrer, 1954
cm Zentimeter GaststG Gaststättengesetz i.d.E der Bekanntmachung vom 20.11.1998
(BGBl. I, 3418)
5
DAR Deutsches Autorecht Geilen, AT Gerd Geilen, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 51980
DepotG Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren gern gemäß
i.d.E der Bekanntmachung vom 11.1.1995 (BGBl. I, 34) GenStA Generalstaatsanwaltschaft
ders derselbe GerS Der Gerichtssaal
dgl dergleichen, desgleichen GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949
d.h das heißt (BGBl. 1,1)
dies dieselbe, dieselben ggf. gegebenenfalls
diff. differenzierend Gieseke/Wiedemann/
7
Diss Dissertation Czychowski,WHG . . Paul Gieseke/Werner Wiedemann/Manfred Czychowski, Wasser-
DJ Deutsche Justiz. Rechtspflege und Rechtspolitik. Amtliches Organ haushaltsgesetz: unter Berücksichtigung der Landeswassergesetze
des Reichsministers der Justiz und des Wasserstrafrechts, 1998
DJT Deutscher Juristentag GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
DJZ Deutsche Juristenzeitung GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung i.d.E
DM Deutsche Mark der Bekanntmachung vom 20. 5.1898 (RGBl., 846)
z. Dohna, 1947 Alexander zu Dohna, Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1947 Göhler, OWiG5 Göhler, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 51977
DR Deutsches Recht grds grundsätzlich
DRiZ Deutsche Richterzeitung Gropp, AT2, Walter Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 22001
DRZ Deutsche Rechts-Zeitschrift GrSen Großer Senat
DStR Deutsches Strafrecht GS Gedächtnisschrift
DVB1 Deutsches Verwaltungsblatt GVG Gerichtsverfassungsgesetz i.d.E der Bekanntmachung vom 9. 5.1975
(BGBl. 1,1077)
E1958 Entwurf des Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches, 1958
E 1959 Entwurf eines Strafgesetzbuches. Nach den Beschlüssen der Großen Haft, AT8 Fritjof Haft, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 81998
Strafrechtskommission, Bonn 1959 Halbs Halbsatz
E 1959 II Entwurf eines Strafgesetzbuches. Nach den Beschlüssen der Großen h.A herrschende Ansicht
Strafrechtskommission, in 2. Lesung, Bonn 1959 HESt Höchstrichterliche Entscheidungen in Strafsachen. Sammlungen
E1962 Entwurf eines Strafgesetzbuches 1962 (= BT-Drucks. I V/650) von Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Strafsachen '
ebd ebenda HGB Handelsgesetzbuch vom 10. 5.1897 (RGBl. 219)
Ebert, AT3 Udo Ebert, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 32001 v. Hippel, StrafR II . . . Robert v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. II: Das Verbrechen, 1930
EEGOWiG Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungs- HIV Human Immune Virus
widrigkeiten, BT-Drs. V/1319 h. L herrschende Lehre
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte h. M herrschende Meinung
Entsch Entscheidungen HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung
entspr entsprechend, entsprechende Hrsg Herausgeber
Entspr Entsprechendes Huelva-Sammelband . Ferre Olive/Borallo (Hrsg.), Delincuencia organizada. Aspectos pe-
Erg Ergebnis nales, procesales y criminologicos, 1999

XXVI XXVII
Abkürzungen Abkürzungen
i.d.R in der Regel KWKG Ausführungsgesetz zu Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Gesetz
i.e im einzelnen über die Kontrolle von Kriegswaffen) i.d.E der Bekanntmachung
i.S.d im Sinne des, im Sinne der vom 22.11.1990 (BGBl. I, 2506)
i.S.v. im Sinne von KZ Konzentrationslager
4
JA Juristische Arbeitsblätter Lackner/Kühl Karl Lackner/Kristian Kühl, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen,
24
Jakobs, AT2 Günther Jakobs, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Die Grundlagen und 2001
die Zurechnungslehre, 1991 LadenschlußG Gesetz über den Ladenschluß vom 28.11.1956 (BGBl. I, 875)
JB1 Juristische Blätter lat lateinisch
Jescheck/ Weigend, AT5 Hans-Heinrich Jescheck und Thomas Weigend, Lehrbuch des Straf- Lehrbuchlit Lehrbuchliteratur
rechts. Allgemeiner Teil, 51996 Leits Leitsatz
JGG Jugendgerichtsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 11.12.1974 LG Landgericht
(BGBl. I, 3427) v. Liszt, StrafR Franz v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts/lSSl; 21/221919;
v. Liszt/Schmidt, StrafR Franz v. Liszt/Eberhard Schmidt, Lehrbuch des deutschen Straf-
JK Jura Kartei rechts, 251927
JMB1. NW Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Lit Literatur
Joecks3 Wolfgang Joecks, Strafgesetzbuch: Studienkommentar, 32001 lit litera, Buchstabe
JR Juristische Rundschau LK-(Bearbeiter) Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, 91970-1974, hrsg. von P.
JugendarbeitsschutzG . Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend vom 12.4.1976 (BGBl. Baldus und G. Willms;^°1978-1989, hrsg. Von H.-H. Jescheck, W
I, 965) Ruß und G.Willms; n ab 1992, hrsg. von B. Jähnke, H.W. Laufhütte
JurA Juristische Analysen undW. Odersky
Jura Juristische Ausbildung LM Entscheidungen des Bundesgerichtshofes im Nachschlagewerk des
JuS Juristische Schulung Bundesgerichtshofes, hrsg. von Lindenmaier, Möhring u.a., ab
Justiz Die Justiz: Amtsblatt des Ministeriums für Justiz, Bundes- und Eu- 1951
ropaangelegenheiten Baden-Württemberg LZ Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
JW Juristische Wochenschrift
JZ Juristenzeitung m mit
MatStrRef Materialien zur Strafrechtsreform, 15 Bände, 1954-1962
Kfz Kraftfahrzeug Maurach, AT Reinhart Maurach, Deutsches Strafrecht. Allgemeiner Teil, 41971
KG - Kammergericht Maurach/Gössel, AT/2 Karl Heinz Gössel in: Reinhart Maurach/Karl Heinz Gössel/Heinz
- Kommanditgesellschaft Zipf, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Teilband 2, 71989
KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien Maurach/ Schroeder,
Kienapfel, AT4 Diethelm Kienapfel, Strafrecht, Allgemeiner Teil: Eine systemati- BT/2 Friedrich-Christian Schroeder in: Reinhart Maurach/Friedrich-
sche Darstellung des österreichischen Strafrechts, 41991 Christian Schroeder/Manfred Maiwald, Strafrecht. Besonderer Teil.
Kindhäuser, StGB . . . Urs Kindhäuser, Strafgesetzbuch. Lehr- und Praxiskommentar, Teilbd. 2: Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, 81999
2002 m.a.W mit anderen Worten
ders., AT2 Urs Kindhäuser, Strafrecht - Allgemeiner Teil,2 2002 H. Mayer, LB AT . . . . Hellmuth Mayer, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 1953
KK-OWiG-(Bearbeiter) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, ders., StuBAT Hellmuth Mayer, Strafrecht. Allgemeiner Teil, 1967
hrsg. von Karlheinz Boujong, z 2000 M. E. Mayer, AT . . . . Max Ernst Mayer, Der Allgemeine Teil des deutschen Strafrechts,
km/h Kilometer pro Stunde 1915; 21923 (unverändert)
KO Konkursordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 20.5.1898 MDR Monatsschrift für Deutsches Recht
(RGBl. 612) MDR (D) Monatsschrift für Deutsches Recht, bei Dallinger
Köhler, AT Michael Köhler, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1997 MDR (H) Monatsschrift für Deutsches Recht, bei Holtz
Kohlmann, SteuerstrafR Günter Kohlmann, Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeiten- m. E meines Erachtens
recht einschließlich Verfahrensrecht: Kommentar zu den §§ 369 - MedR Medizinrecht
412 AO 1977,71997 Mezger, StrafR Edmund Mezger, Strafrecht, 21933; 31949
Kohlrausch/Lange, Mezger/Blei, AT9 . . . Edmund Mezger/Hermann Blei, Strafrecht. Bd. I. Allgemeiner
StGB43 Eduard Kohlrausch/Richard Lange, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen Teil, 91983
und Nebeneesetzen, 431961 MSchrKrim Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
KreditwesenG Gesetz über das Kreditwesen i.d.E der Bekanntmachung vom MutterschutzG Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter i.d.F. der Bekannt-
9.9.1998 (BGBl. 1,2776) machung vom 18. 4.1968 (BGBl. I, 315)
Krey, AT/2 Volker Krey, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch in m.w.N mit weiteren Nachweisen
systematisch-induktiver Darstellung, Bd. 2, 22002
11
ders., BT I Volker Krey, Strafrecht. Besonderer Teil, Studienbuch in systema- Nachw. Nachweise
tisch-induktiver Darstellung. Bd. 1: Besonderer Teil ohne Vermö- NdsRpfl Niedersächsische Rechtspflege
gensdelikte, n1998 n. F. neue Fassung
Kriminalistik Kriminalistik: Unabhängige Zeitschrift für die gesamte kriminali- NiedStrKom Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommis-
stische Wissenschaft und Praxis sion, Bd. 1,1956; Bde. 2-6,1958; Bde. 7-12,1959; Bde. 13,14,1960
krit kritisch, kritische NJ Neue Justiz
Kühl, AT3 Kristian Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 32000 NJW Neue Juristische Wochenschrift

XXVIII XXIX
Abkürzungen Abkürzungen
7 7
NK-(Bearbeiter) . . . . Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, ab 1995 Samson, StrafR I ' ' Erich Samson, Strafrecht I, 1988
Nr Nummer Sauer, AT3 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, 31955
Nrn Nummern SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen
NS Nationalsozialismus SchlHOLG Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
NStE Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht, hrsg. von Rebniann/ Schmidhäuser, LB AT . Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht. AHgemeiner Teil. Lehrbuch,
Dahs/Miebach, seit 1987 H970; 21975
NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht ders., StuB AT2 . . . . Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Studienbuch,
2
NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungs-Report 1984
26
NuR Natur und Recht Sch/Sch/(Bearbeiter) Adolf Schönke/Horst Schröder, Strafgesetzbuch. Kommentar,
NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 26. Aufl., 2000, des von Adolf Schönke begründeten, von Horst
NZWehrR Neue Zeitschrift für Wehrrecht Schröder zwischenzeitlich fortgeführten und von Theodor Lenck-
ner, Peter Cramer, Albin Eser und Walter Stree neubearbeiteten
o oder Werks
obj objektiv Schroth, BT 3 Ulrich Schroth, Strafrecht. Besonderer Teil: Strukturen, Aufbau-
ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung schemata, Fälle und Definitionen, 2000
Österreich. OGH . . . . Österreichischer Oberster1 Gerichtshof Schweiz schweizerisch
OGHSt Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone Schweizer. BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
in Strafsachen SchwJZ Schweizerische Juristenzeitung
OHG Offene Handelsgesellschaft SchwZStr Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht
OLG Oberlandesgericht seil scilicet (= nämlich)
OLGSt Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafver- SeemannsG Seemannsgesetz vom 26. 7.1957 (BGBl. II, 713)
fahrensrecht SJZ Süddeutsche Juristen-Zeitung
Olshausen Justus v. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deut- SK-(Bearbeiter) Hans-Joachim Rudolphi, Eckhard Hörn, Erich Samson, Hans-Lud-
sche Reich, "1927 wig Günther, Andreas Hoyer, Gereon Wolters und (bis zur 2. Aufl.)
Otto, AT6 Harro Otto, Grundkurs Strafrecht. Allgemeiner Teil. Allgemeine Hans-Ludwig Schreiber, Systematischer Kommentar zum Strafge-
Strafrechtslehre, 62000 setzbuch, Bd. I. Allgemeiner Teil (§§ l-79b) 4ab 1983-5ab 1987; *ab
OWiG Gesetz über Ordungswidrigkeiten i.d.F. der Bekanntmachung vom 1992; Bd. II. Besonderer Teil (§§80-358), öab 1993, ab 2000, 8ab
19. 2.1987 (BGBl. I, 602) 2002
sog sogenannte
pass passim SoldG Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten i.d.F. der Bekanntma-
Preisendanz30 Holger Preisendanz, Strafgesetzbuch, 1978 chung vom 19. 8.1975 (BGBl. I, 2273)
Prot.V.W. Beratungen des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für StGB Strafgesetzbuch i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl.
die Strafrechtsreform i. d. 5. Wahlperiode, Bonn 1966-1969 (zitiert I, 3322)
nach der Seite) StPO Strafprozeßordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 7.4.1987
(BGBl. 1,1074)
Rebmann/Roth/Herr- StR Strafrecht
mann, OWiG 3 Rebmann, Kurt/Roth, Werner/Herrmann, Siegfried, Gesetz über str strittig
Ordnungswidrigkeiten: OWiG; Kommentar, 1998 Str.Abh Strafrechtliche Abhandlungen
Rev.Ger Revisionsgericht StraFo Strafverteidiger Forum
RG Reichsgericht 6. StrafrRefG Sechstes Strafrechtsreformgesetz vom 26.1.1998 (BGBl. 1,164)
RGRspr Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen Stratenwerth,
RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen SchwStrafR Günther Stratenwerth Schweizerisches Strafrecht. Allgemeiner Teil.
Rn Randnummer Bd. I. Die Straftat, 21996
4
Rotberg, OWiG4 . . . . Hans Eberhard Rotberg, Kommentar zum Gesetz über Ordnungs- ders., AT Günther Stratenwerth, Strafrecht. Allgemeiner Teil I. Die Straftat,
widrigkeiten, 1969 '1971; 31981; 42000
Roxin, AT 1 Claus Roxin, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Band I. Grundlagen. st. Rspr ständige Rechtsprechung
Aufbau der Verbrechenslehre, 1997 StrSen Strafsenat
ders., H R R AT Claus Roxin, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Allgemeinen StV Strafverteidiger
Teil des Strafrechts: 100 Entscheidungen für Studium und Referen- StVG Straßenverkehrsgesetz vom 19.12.1952 (BGBl. I, 837)
dariat mit Fragen und Antworten, 1998 StVO Straßenverkehrs-Ordnung vom 16. 11. 1970 (BGBl. I, 1565,' ber.
ders., StrafverfahrensR Claus Roxin, Strafverfahrensrecht, 1998 1971, 38)
ders.,Täterschaft Claus Roxin Taterschaft und Tatherrschaft, 1963; 21967; 31975;
4
1984; 51990; ^1994; 72000 TabaksteuerG Tabaksteuergesetz vom 21.12.1992 (BGBl. I, 2150)
Rspr Rechtsprechung teilw. teilweise
Trechsel, SchwStGB . . Trechsel, Schweizerisches StGB, Kurzkommentar, 1997
S - Seite Tröndle/Fischer .. . Herbert Tröndle/Thomas Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengeset-
- Satz ze, 502000
Sack, Umwelt-
schutzstrafR Hans-Jürgen Sack, Umweltschutz-Strafrecht: Erläuterungen der u und
Straf- und Bußgeldvorschriften, ab 1978 u.a unter anderem

XXX XXXI
Abkürzungen
u.ä und ähnliches
unveröff. unveröffentlicht
UrhG Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheber-
rechtsgesetz) vom 9.9.1965 (BGBl. 1,1273)
Urt Urteil 8. Abschnitt
USA United States of America Täterschaft und Teilnahme
usw. und so weiter
u. U. unter Umständen

v. von, vom
§ 25. Täterschaft
v.a vor allem
VDA Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Straf-
rechts. Allgemeiner Teil. Bd. I-IV, 1908 Literatur: v. Buri, Zur Lehre von der Teilnahme an dem Verbrechen und der Begünstigung,
Verb Verbindung 1860; dm., Urheberschaft und Beihülfe, GA 17 (1869), 233, 305; ders., Über Causalität und de-
VersR Versicherungsrecht. Juristische Rundschau für die Individualversi- ren Verantwortung, 1873; ders., Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, 1885;
cherung Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen von Schwarzenberg bis Feuerbach, 1896; Engelmann,
vgl vergleiche Der geistige Urheber des Verbrechens nach dem italienischen Recht des Mittelalters, Binding—
V-Mann Vertrauensmann FS, Bd. 2,1911, 387; Binding, Die drei Grundformen des verbrecherischen Subjekts: der Täter,
VO Verordnung der Verursacher (Urheber), der Gehilfe, in: Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen,
VOR Zeitschrift für Verkehrs-und Ordnungswidrigkeitenrecht Bd. 1, 1915, 251; Engelsing, Eigenhändige Delikte, 1926; Zimmerl, Zur Lehre vom Tatbestand,
Vorbem Vorbemerkung 1928; ders., Grundsätzliches zur Teilnahmelehre, ZStW 49 (1929), 39; Schaffstein, Die Allgemei-
VRS Verkehrsrechts-Sammlung nen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des Gemeinen Straf-
rechts, 1930 (erweiterter Neudruck 1973); Eb. Schmidt, Die Mittelbare Täterschaft, Frank-FS,
WaffG Waffengesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 8.3.1976 (BGBl. I, Bd. II, 1930, 106; Bruns, Kritik der Lehre vom Tatbestand, 1932; Grünhut, Grenzen strafbarer
432) Täterschaft und Teilnahme, JW 1932, 366; Lobe, Einführung in den Allgemeinen Teil des Straf-
Welzel, StrafR . . . . Hans Welzel, Das Deutsche Strafrecht. Eine systematische Darstel- gesetzbuches, 1933; Bahr, Restriktiver und extensiver Täterbegriff, 1934; Lony, Extensiver oder
lung, "1969 restriktiver Täterbegriff ?, 1934; Lange, Der moderne Täterbegriff und der deutsche Strafgesetz-
wesentl wesentlichen entwurf, 1935; Welzel, Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 (1939), 491; zu Dohna, Das
31
Wessels/Beulke, AT ' Johannes Wessels/Wemer Beulke, Strafrecht. Allgemeiner Teil. Die Reichsgericht zur Teilnahmelehre, DStR 1940,120; Klee, Zur Abgrenzung von Teilnahme und
Straftat und ihr Aufbau, 312001 Täterschaft, ZAkDR 1940, 188; Straub, Täterschaft und Teilnahme im englischen Recht, 1952;
Wessels/Hillenkamp, Gallas, Täterschaft und Teilnahme, Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. I, Gutachten der
BT/2 4 Johannes Wessels, Thomas Hillenkamp, Strafrecht, Besonderer Teil, Strafrechtslehrer, 1954,121; Härtung, Der „Badewannenfair, JZ 1954, 430; Dietz,Täterschaft und
Bd. 2, 242001 Teilnahme im ausländischen Strafrecht, 1957; Gallas, Die moderne Entwicklung der Begriffe
WHG Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht, ZStW-Sonderheft Athen, 1957, 3; Roeder, Exklusiver
i.d.F. der Bekanntmachung vom 12.11.1996 (BGBl. 1,1695) Täterbegriff und Mitwirkung am Sonderdelikt, ZStW 69 (1957), 223; Sax, Dogmatische Streif-
WiB Wirtschaftsrechtliche Beratung züge durch den Entwurf des Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen
WiKG Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität: 1. WiKG vom
29. 7.1976 (BGBl. I, 2034); 2. WiKG vom 15.5.1986 (BGBl. 1,721) der Großen Strafrechtskommission, ZStW 69 (1957), 412; Frühauf, Eigenhändige Delikte, 1959;
wistra Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Benakis, Täterschaft und Teilnahme im deutschen und griechischen Strafrecht, 1961; Baumann,
WK-(Bearbeiter) . . . . Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von E. Foregger Täterschaft und Teilnahme, JuS 1963, 85; Roxin, Straftaten im Rahmen organisatorischer
und F. Nowakowski, ab 1977 Machtapparate, GA 1963, 193; Sax, Der Bundesgerichtshof und die Täterlehre, JZ 1963, 329;
WStG Wehrstrafgesetz vom 24.5.1974 (BGBl. 1,1213) Hardwig, Über den Begriff der Täterschaft, JZ 1965, 667; Korn, Täterschaft und Teilnahme bei
den staatlich organisierten Verbrechen, NJW 1965,1206; Rudolphi, Der Begriff der Zueignung,
z zu GA 1965, 33; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965; Roxin, Besprechung von Fr.-Chr.
ZAkDR Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, ZStW 78 (1966), 222; Hanack, Zur Problematik der ge-
z.B zum Beispiel rechten Bestrafung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, 1967; Herzberg, Mittelbare Täter-
ZfW Zeitschrift für Wasserrecht schaft bei rechtmäßig oder unverboten handelndem Werkzeug, 1967; Gimbernat Ordeig, Gedan-
ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ken zum Täterbegriff und zur Teilnahmelehre, ZStW 80 (1968), 915; Gramer, Die Beteiligung an
zit zitiert einer Zuwiderhandlung nach § 9 OWiG, NJW 1969,1929; Cramer/Dreher, Nochmals: Zum Ein-
ZPO Zivilprozeßordnung i.d.F. vom 12. 9.1950 (BGBl. I, 533) heitstäter im Ordnungswidrigkeitenrecht, NJW 1970,1114; Dreher, Plädoyer für den Einheitstä-
ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ter im Ordnungswidrigkeitenrecht, NJW 1970, 217; Herzberg, Eigenhändige Delikte, ZStW 82
ZSchwR Zeitschrift für Schweizerisches Recht (1970), 896; Maiwald, Der Zueignungsbegriff im System der Eigentumsdelikte, 1970; Dreher/
ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Kienapfel, Der Einheitstäter im Ordnungswidrigkeitenrecht, NJW 1971,121; Kienapfel, Der Ein-
z.T. zum Teil heitstäter im Strafrecht, 1971; Kienapfel, Erscheinungsformen der Einheitstäterschaft, in: Mül-
zust zustimmend ler—Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, 21 Roxin, Ein „neues Bild"
zutr zutreffend des Strafrechtssystems, ZStW 83 (1971), 369; Detzler, Die Problematik der Einheitstäterlösung,
1972; Otto, Kausaldiagnose und Erfolgszurechnung im Strafrecht, Maurach-FS, 1972, 91; Welp,
Der Einheitstäter im Ordnungswidrigkeitenrecht, VOR 1972, 299; Letzgus, Vorstufen der Be-
teiligung, 1972; Bockelmann, TMT Problematik der Beteiligung an vermeintlich vorsätzlich

1
§25 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft § 25

rechtswidrigen Taten, Gallas-FS, 1973, 261; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, tung der Anderen, JZ 1988, 655; Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbe-
2
1973; Geilen, Suizid und Mitverantwortung, JZ 1974, 145; Herzberg, Grundfälle zur Tatherr- griffs, 1988; Just- Dahlmann/Just, „Die Gehilfen". NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945,1988;
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Zipf/Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 21975; Schilling, Der Verbrechensversuch des Mit- Täter bei vermeidbarem Verbotsirrtum und verminderter Schuldfähigkeit des Tatmittlers,
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tersystem für das Strafrecht, ZStW 87 (1975), 902; H. Wagner, Amtsverbrechen, 1975; Zipf, Die schaft und Teilnahme, Jura 1990,173; Herzberg, Abergläubische Gefahrabwendung und mittel-
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berg, Täterschaft und Teilnahme, 1977; Roxin, Die Mitwirkung beim Suizid - ein Tötungsde- in Mittäterschaft - BGH NJW 1991,1068, JuS 1992,197; Hecker, Die abfallstraf- und bußgeld-
likt?, Dreher-FS, 1977, 331; Auerbach, Die eigenhändigen Delikte, 1978; Bindokat, Fahrlässige rechtliche Verantwortlichkeit für illegale Müllablagerungen Dritter, 1991; Herzberg, Akzessorie-
Mittäterschaft im Strafrecht, JZ 1979, 434; Cramer, Gedanken zur Abgrenzung von Täterschaft tät der Teilnahme und persönliche Merkmale, GA 1991, 145; Herzberg, Mittäterschaft durch
und Teilnahme, Bockelmann-FS, 1979, 399; Haft, Eigenhändige Delikte, JA 1979, 651; Küper, Mitvorbereitung: eine actio communis in causa?, JZ 1991, 856; Küpper, Mord und Totschlag in
Versuchs- und Rücktrittsprobleme bei mehreren Tatbeteiligten, JZ 1979, 775; Roxin, Die Mit- Mittäterschaft - BGHSt 36, 231, JuS 1991, 639; Merkel, Teilnahme am Suizid - Tötung auf Ver-
täterschaft im Strafrecht, JA 1979, 519; Rudolphi, Zur Tatbestandsbezogenheit des Tatherrschafts- langen - Euthanasie usw., in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.). Zur Debatte über Euthanasie, 1991,
begriff bei der Mittäterschaft, Bockelmann-FS, 1979, 369; Schall, Auslegungsfragen des § 179 71; Puppe, Wie wird man Mittäter durch konkludentes Verhalten?, NStZ 1991, 571; Bottke, Tä-
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deliktisch handelndem Werkzeug, NJW 1984,110; 1867; Teubner, Mittelbare Täterschaft bei de- Heimliche Unterstützung fremder Tatbegehung als Mittäterschaft, GA 1993, 163; Küper, Ein
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gung an einer Selbsttötung oder tödlichen Selbstgefährdung als Tötungsdelikt, JA 1985, 336; schaftlicher Haftung als Moment der objektiven Zurechnung, ZStW 105 (1993), 271; Murmann,
Neumann, Abgrenzung von Teilnahme am Selbstmord und Tötung in mittelbarer Täterschaft, Die Nebentäterschaft im Strafrecht. Ein Beitrag zu einer personalen Tatherrschaftslehre, 1993;
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Irrtum, GA 1985, 474; Brandts, Selbstmord und Fremdtötung - provoziert durch Täuschung, Ju- strafloser Suizidteilnahme, strafbarem Tötungsdelikt und gerechtfertigter Euthanasie, 140 Jahre
ra 1986, 495; Charalambakis, Selbsttötung aufgrund Irrtums und mittelbare Täterschaft, GA GA, 1993,177; Schmidhäuser, „Tatherrschaft" als Deckname der ganzheitlichen Abgrenzung von
1986, 485; Küper, „Autonomie", Irrtum und Zwang bei mittelbarer Täterschaft und Einwilli- Täterschaft und Teilnahme im Strafrecht, in: Stree/Wessels-FS, 1993, 343; Wiegmann, Abgren-
gung, JZ 1986, 219; Küpper, Anspruch und wirkliche Bedeutung des Theorienstreits über die zung von (Mittäterschaft und Beihilfe - BGHSt 38, 315, JuS 1993, 1003; Czepluch, Täter-
Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, GA 1986, 437; Schumann, Strafrechtliches Hand- schaft und Teilnahme im französischen Strafrecht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung,
lungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen, 1986; Schünemann, Die 1994; Danwitz, Ist die Mittäterschaft abhängig von einem gemeinsamen Tatentschluß der Betei-
deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger ligten? Ein Beitrag zur Zurechnung bei Arbeitsteilung, Diss. Bonn, 1994; Frank/Eder/Harrer,
Kommentars und des Wiener Kommentars, 2. Teil: Schuld und Kriminalpolitik, GA 1986, 293; Doppelselbstmord. Mitwirkung am Selbstmord? Tötung auf Verlangen?, ÖJZ 1994, 805; Häuf
Brandts/Schlehqfer, Die täuschungsbedingte Selbsttötung im Lichte der Einwilligungslehre, JZ Neuere Entscheidungen zur Mittäterschaft unter besonderer Berücksichtigung der Problema-
1987, 442; Herzberg, Täterschaft, Mittäterschaft und Akzessorität der Teilnahme, ZStW 99 tik der Aufgabe der Mitwirkung eines Beteiligten während der Tatausführung bzw. vor Eintritt
(1987), 49; Hünerfeld, Mittelbare Täterschaft und Anstiftung im Kriminalstrafrecht der BRD, in das Versuchsstadium, NStZ 1994, 263; Hilgendorf, Fragen der Kausalität bei Gremien-
ZStW 99 (1987), 228; Meurer, Besprechung von Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht entscheidungen am Beispiel des Lederspray-Urteils, NStZ 1994, 561; Lampe, Systemunrecht
und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen, NJW 1987, 2424; Neumann, Die Straf- und Unrechtssysteme, ZStW 106 (1994), 683; Lesch, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft -
barkeit der Suizidbeteiligung als Problem der Eigenverantwortlichkeit des „Opfers", JA 1987, Überlegungen zu der gleichnamigen Monographie von Wilfried Bottke, GA 1994,112; Muhoz
244; Otto, Täterschaft, Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft, Jura 1987, 246; Frisch, Besprechung Conde, Die Verleitung zum Suizid durch Täuschung. Ein Grenzfall zwischen Mord in mittelba-
von H. Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwor-

2 3
§25 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - A. Die Dreiteilung der Beteiligungsformen § 25

rer Täterschaft und Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord, ZStW 1994, 547; Schild, Täter- gung von Systemkriminalität, BGH-FG, Bd. IV, 2000, 338; Rotsch, Tatherrschaft kraft
schaft als Tatherrschaft, 1994; Schroeder, Beihilfe zum Selbstmord und Tötung auf Verlangen, Organisationsherrschaft, ZStW 112 (2000), 518; Schünemann, Unternehmenskriminalität,
ZStW 1994, 565; Schumann, Rezension: Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Band I: Strafrecht, BGH-FG, Bd. IV, 2000, 621; Knauer, Die Kollegialentscheidung im Strafrecht, 2001; Puppe, Der
StV 1994, 106; Wbelk, Täterschaft bei zweiaktigen Delikten. Am Beisp. d. § 307 Nr. 3 StGB, gemeinsame Tatplan der Mittäter, Spinellis-FS, 2001, 915 (Bd. 2); Rodriguez Montanes, Einige
1994; Amelung, Zum Verantwortungsmaßstab bei der mittelbaren Täterschaft durch Beherr- Bemerkungen über das Kausalitätsproblem und die Täterschaft im ^Falle rechtswidriger Kolle-
schung eines nicht verantwortlichen Selbstschädigers, in: Schünemann (Hrsg.), Bausteine des gialentscheidungen, Roxin-FS, 2001, 307; Vest, Humanitätsverbrechen - Herausforderung für
europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium für Roxin, 1995, 247; Bolowich, Urheberschaft das Individualstrafrecht?, ZStW 113 (2001), 457; Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstraf-
und reflexives Verständnis. Untersuchungen zur Grundlage einer strafrechtlichen Beteiligungs- rechts, 2002; Dencker, Beteiligung ohne Täter, Lüderssen-FS, 2002, 525; Graul, Zur Haftung
lehre, 1995; Bottke, Die Struktur von Täterschaft bei aktiver Begehung und Unterlassung als eines (potentiellen) Mittäters für die Vollendung bei Lossagung von der Tat im Vorbereitungs-
Baustein eines gemeineuropäischen Strafgesetzbuches, in: Schünemann (Hrsg.), aaO., 235; Hu- stadium, Meurer-GS, 2002, 89; Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft,
ber, Die mittelbare Täterschaft beim gemeinen vorsätzlichen Begehungsdelikt, insbes. deren 2002; Munoz Conde, Problemas de autoria y participaciön en el derecho penal econömico, o
Abgrenzung von der Anstiftung, 1995; Krack, Teilnahme am Suizid und Tötung auf Verlangen. jcomo imputara titulo de autoresa las personas que sin realizar acciones ejecutivas, deciden la
Ein Appell an den Gesetzgeber, KJ 1995, 60; Küpper/Mosbacher, Untauglicher Versuch bei ver- realizaciön un delito en el ämbito de la delincuencia econömica empresarial?, Revista Penal,
meintlicher Mittäterschaft, JuS 1995, 488; Pizarro Beleza, Die Täterschaftstruktur bei Pflicht- 2002, 59; Nestler, (Mit-)Täterschaft beim bewaffneten Betäubungsmittelhandel, StV 2002, 504;
delikten - Pflichtträgerschaft versus Tatherrschaft?, in: Coimbra-Symposium für Roxin, 1995, Roso Cahadillas, Autoria y participaciön imprudente, 2002; Spendet, Zum Begriff der Täter-
267; Schroeder, „Der Sprung des Täters hinter dem Täter aus der Theorie in die Praxis", J R 1995, schaft, Lüderssen-FS, 2002,605.
177; Weißer, Kausalitäts- und Täterschaftsprobleme bei der strafrechtlichen Würdigung pflicht-
widriger Kollegialentscheidungen, 1995; Zieschang, Mittäterschaft bei bloßer Mitwirkung im
Vorbereitungsstadium?, ZStW 107 (1995), 361; Bloy, Grenzen der Täterschaft bei fremdhändiger
Tatausführung, GA 1996, 425; Dencker, Kausalität und Gesamttat, 1996; Gropp, Die Mitglieder A. Die Dreiteilung der Beteiligungsformen
des Nationalen Verteidigungsrates als „Mittelbare Mit-Täter hinter den Tätern"?, JuS 1996,13;
Hilgendorf, Was meint „zur Tat bestimmen" in § 26 StGB, Jura 1996, 9; Hirsch, Rechtsstaatliches Der Gesetzgeber unterscheidet bei den an einem Delikt Beteiligten zwischen 1
Strafrecht, 1996; Murmann, Tatherrschaft durch Weisungsmacht, GA 1996, 316; Ransiek, Unter-
nehmensstrafrecht, 1996; Rönnau, Sterbehilfe, JA 1996, 108; Schubarth, Eigenhändiges Delikt Tätern (§ 25), Anstiftern (§ 26) und Gehilfen (§ 27). Diese Dreiteilung, die aus
und mittelbare Täterschaft, SchwZStr 114 (1996), 325; Wohlers, Der Erlaß rechtsfehlerhafter Ge- dem französischen Code Penal von 1810 stammt (Art. 59, 60), ist über das preußi-
nehmigungsbescheide als Grundlage mittelbarer Täterschaft, ZStW 108 (1996), 61; Randt, Mit-
telbare Täterschaft durch Schaffung von Rechtfertigungslagen, 1997 (zugleich Diss. Kiel, 1996);
sche StGB von 1851 (§§34, 35) in das StGB von 1871 (§§47-49) gelangt und in
Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997; U. Schulz, Die mittel- der Strafrechtsreform ohne wesentliche Kritik beibehalten worden. Sie ist aber
bare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft — eine notwendige Rechtsfortbildung?, JuS keineswegs selbstverständlich. Seit dem italienischen Recht des Mittelalters ist
1997,109; Stratenwerth, Gibt es eigenhändige Delikte?, SchwZStr 115 (1997), 86; Ambos, Tatherr-
schaft durch Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate, GA 1998, 226; Küpper, zwischen verschiedenen Beteiligungsformen unterschieden worden.1 Das ist in
Zur Abgrenzung der Täterschaftsformen, GA 1998, 519; Murmann, Zur mittelbaren Täterschaft wechselnder und vielfach auf bestimmte Delikte beschränkter Weise geschehen.
bei Verbotsirrtum des Vordermannes, GA 1998, 78; Rotsch, Die Rechtsfigur des Täters hinter Heute sind diese Bemühungen nur noch historisch bedeutsam. Auch die meisten
dem Täter bei der Begehung von Straftaten im Rahmen organisatorischer Machtapparate und
ihre Übertragbarkeit auf wirtschaftliche Organisationsstrukturen, NStZ 1998,491; ders., Indivi- ausländischen Rechtsordnungen kennen die Dreiteilung, wobei freilich die Mit-
duelle Haftung in Großunternehmen, 1998; Schubarth, Binnenstrafrechtsdogmatik und ihre wirkungsformen in vielfältig unterschiedlicher Weise voneinander abgegrenzt
Grenzen, ZStW 110 (1998), 827; Weißer, Gibt es eine fahrlässige Mittäterschaft?, JZ 1998, 230; werden.2 Alle diese Varianten sind auf die neuere deutsche Rechtsentwicklung
Wohlers, Trunkenheitsfahrten als eigenhändige Delikte, SchwZStr 116 (1998), 95; Ferre Olive,
„Blanqueo" de capitales y criminalidad organizada, Huelva-Sammelband, 1999, 85; Figueiredo ohne Einfluß geblieben; sie können daher hier übergangen werden.
Dias, Autoria y participaciön en el dominio de la criminalidad organizada: El "dominio de la Das einzige Gegenmodell, das in der neueren kriminalpolitischen Diskussion 2
Organization", ebd., 99; Kamm, Fahrlässige Mittäterschaft, 1999; Merkel, Personale Identität und
die Grenzen strafrechtlicher Zurechnung, JZ 1999, 502; Muhoz Conde, Problemas de autoria y
einen gewissen Einfluß erlangt hat, ist die Einheitstäterlehre, die grundsätzlich
participaciön en la criminalidad organizada, Huelva-Sammelband, 1999, 191; Noak, Gesell- jeden Beteiligten gleichermaßen als Täter behandelt.3 Sie beherrscht das OWiG,4
schaftsrecht, 1999; Rotsch, Unternehmen, Umwelt und Strafrecht - Ätiologie einer Misere (Teil
1), wistra 1999, 321; Roxin, Probleme von Täterschaft und Teilnahme bei der organisierten Kri- i Näher Heimberger, 1896; Engelmann, Binding-FS, Bd. 2, 1911, 387ff; Schaffstein, 1930
minalität, Grünwald-FS, 1999, 549; Sanchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, 1999; Köhler, (1973), 169 ff.
Beteiligung und Unterlassen beim erfolgsqualifizierten Delikt am Beispiel der Körperverlet- 2 Vgl. Dietz, 1957; Benakis, 1961; Straub, 1952; Spotowski, 1979; Herlitz, 1992; Köhler, AT,
zung mit Todesfolge (§ 227 I StGB), 2000 (zugleich Diss. Potsdam, 1998/1999); Dencker, Mittä- 499ff. Eine Übersicht über das ausländische Recht geben Jescheck/Weigend, AT5, §61 VIII.
terschaft in Gremien, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungsver- Umfangreiches rechtsvergleichendes Material liefert Ambos, 2002, 543 ff. '
3
hältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen usw., 2000, 63; Heine,Täterschaft und Hauptbefürworter des Einheitstäterbegriffs auch für das deutsche Strafrecht ist der in Linz
Teilnahme in staatlichen Machtapparaten, JZ 2000, 920; Herzberg, Mittelbare Täterschaft und (Österreich) lehrende Kienapfel; vgl. seine Schrift „Der Einheitstäter im Strafrecht", 1971, sowie
Anstiftung in formalen Organisationen, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und seine Aufsätze in NJW 1970,1826; in: Müller-Dietz (Hrsg.), 1971, 21; JuS 1974,1; JB1.1974,113,
Beteiligungsverhältnisse bei Straftätern in bürokratischen Organisationen des Staates, der 180. Vgl. auch Seier, JA 1990, 342, 382.
4
Wirtschaft und der Gesellschaft, 2000, 33; ders., Antwort auf die Anmerkung von Prof. Dr. ... und ist auch hier sehr umstritten, obwohl die Problematik weniger gravierend ist, weil
Roxin, ebd. 57; Kuhlen, Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, insbesondere bei den es um eine nichtstrafrechtliche Sanktion geht und für die Geldbuße i.d.R. ohnehin nur ein
sog. Betriebsbeauftragten, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungs- einheitlicher Rahmen zur Verfügung steht. Zur Diskussion Gramer, NJW 1969, 1929; Detzler,
verhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen usw., 2000, 71; Rogall, Bewälti- 1972; Dreher, NJW 1970, 217ff.; Cramer/Dre/ier, NJW 1970, 1114; Kienapfel, NJW 1983, 2236;
Dreher/Kienapfel, NJW 1971,121; Schumann, 1979; Welp, VOR 1972, 299.

4 5
§25 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - A. Die Dreiteilung der Beteiligungsformen § 25

dessen § 14 I 1 lautet: „Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, so der an sich allumfassenden Täterschaft darstellen. Diese Lehre ersetzt den Tat-
handelt jeder von ihnen ordnungswidrig." Unter den Strafgesetzbüchern, die d e m bestand als die für die Täterschaft zentrale Kategorie durch die Verursachung. Sie
deutschen besonders nahestehen, hat das österreichischen StGB in § 12 5 den kann die gesetzliche Dreiteilung im Grunde nicht erklären; denn man würde die
Einheitstäterbegriff ü b e r n o m m e n : „Nicht nur der unmittelbare Täter begeht die Rechtsfiguren der Anstiftung und der Beihilfe nicht benötigen, w e n n ohnehin j e -
strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie aus- der Verursacher Täter wäre. Der extensive Täterbegriff ist auch mit dem Wortlaut
zufuhren, oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt." Der Einheitstäterbegriff des Gesetzes in mehrfacher Hinsicht nicht zu vereinbaren. D e n n erstens beschreibt
verfolgt den Zweck, die vielfach schwierige Abgrenzung von Täterschaft, Anstif- der Gesetzgeber in § 25 den Täter nicht als Verursacher, sondern als denjenigen,
tung und Beihilfe weitgehend überflüssig zu machen und dadurch die Rechts- der die Tat „begeht"; und er tut dies auf eine Weise, die die Bestimmung zur Tat
anwendung zu vereinfachen. Gleichwohl ist mit der in Deutschland h. M . die (§ 26) und die Hilfeleistung (§ 27) nicht einschließt. Zweitens setzen Anstiftung
Dreiteilung der Beteiligungsformen vorzuziehen. und Beihilfe eine vorsätzliche Haupttat voraus, so daß die Bestimmung oder die
3 Sie entspricht dem rechtsstaatlichen Erfordernis, daß die Strafbarkeit an die Tat- Hilfeleistung zu einer unvorsätzlichen Tat in den durch die mittelbare Täterschaft
bestandserfullung anknüpfen und sich auf sie beziehen muß. Sie allein wird auch nicht erfaßten Fällen keine Bestrafung wegen vollendeter Täterschaft ermöglicht
der im Alltagssprachgebrauch zum Ausdruck k o m m e n d e n sozialen Anschauung (vgl. § 2 6 , R n . 6f., 35ff.), obwohl eine vorsätzliche Erfolgsherbeiführung gegeben
gerecht, die zwischen Tätern, Anstiftern und Gehilfen unterscheidet und es nicht ist. Drittens schließlich ist der extensive Täterbegriff nicht mit der Existenz der
gestattet zu sagen, daß z. B. derjenige, der einen anderen zu einem Diebstahl auf- Sonderdelikte und der eigenhändigen Straftaten zu vereinbaren, die ohne R ü c k -
fordert oder ihm einen Dietrich dazu leiht, dadurch „eine fremde bewegliche sicht auf die Verursachung bestimmte qualifizierende Umstände zur Vorausset-
Sache wegnimmt", wie es § 242 fordert. Vor allem führt die Einheitstäterlehre zung der Täterschaft machen: So kann etwa Täter einer Rechtsbeugung (§ 336)
durch die Reduzierung der Tatbestandserfüllung auf die Kausalität bei konsequen- nur ein Amtsträger und Täter eines Meineides (§ 154) nur der selbst Schwörende
ter Verfolgung des Ansatzes zu einer untragbaren Ausdehnung der Strafbarkeit. und nicht ein außenstehender Verursacher sein.
Sie erlaubt keine obligatorische Strafmilderung für die Beihilfe, wie sie § 27 vor- Richtig ist demgegenüber der restriktive TäterbegrifF, demzufolge die Täter- 5
sieht. Sie schließt auch eine fakultative Strafmilderung für die Anstiftung aus, wie schaft prinzipiell auf das in den Tatbeständen des Besonderen Teils beschriebene
sie zwar im geltenden Recht nicht enthalten ist, aber rechtspolitisch wünschens- Verhalten beschränkt ist. Anstiftung und Beihilfe sind danach Strafausdehnungs-
wert und im Dreiteilungssystem ohne weiteres zu verwirklichen wäre. Sie m ü ß t e gründe, die über den Kernbereich der Strafbarkeit, der durch die Täterschaft
die versuchte Anstiftung und die versuchte Beihilfe wie die versuchte Täterschaft bezeichnet wird, hinausgreifen. Damit ist zugleich der richtige Ansatz für die A b -
behandeln, während das StGB mit Recht die versuchte Beihilfe gar nicht und die grenzung von Täterschaft und Teilnahme gefunden: Er liegt in der Tatbestands-
versuchte Anstiftung nur bei Verbrechen mit Strafe bedroht (§ 30). Sie m u ß ferner verwirklichung und nicht in der Verursachung.
dort, w o besondere persönliche Merkmale (etwa die Eigenschaft als Amtsträger) In Europa ist heute das zwischen Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe differenzie- 6
die Strafe begründen oder erhöhen, auf alle Beteiligten denselben Strafrahmen rende System weitaus vorherrschend. Der Einheitstäterbegriff gilt außer in Öster-
anwenden (so auch § 14 I 2 OWiG, § 14 I Österr. StGB), obwohl ein Beteiligter, reich (vgl. R n . 2) nur noch in Dänemark und Italien, wobei auch diese Länder einer
der außerhalb der Pflichtbindung steht, eine geringere Strafe verdient. Wenn man Aufgliederung der Mitwirkungsformen gewisse Konzessionen machen. 7 Tiedemann
andererseits Differenzierungen vornimmt, wie es das deutsche O r d n u n g s w i d r i g - versichert daher mit Recht, 8 daß die Dreiteilung „tradiertes europäisches Gemein-
keitenrecht und das österreichische StGB tun, indem sie die versuchte Teilnahme gut und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten (der Tatbestandsbindung) vor-
oder wenigstens die versuchte Beihilfe (§ 15 II Österr. StGB) straflos stellen, m ü s - zugswürdig" sei. Ein völkerrechtliches Ü b e r e i n k o m m e n zum Schutz der Finanz-
sen die Unterscheidungen wieder eingeführt werden, deren Abschaffung das Ziel interessen der Europäischen Gemeinschaft vom Juli 1995 regelt die Beteiligung
der gesetzlichen Regelung war. mehrerer am EG-Betrug (Art. 2 I; 3) und geht dabei von der Unterscheidung von
4 Mit dem Einheitstäterbegriff ist auch der extensive TäterbegrifF abzulehnen. 6 Tätern, Anstiftern und Gehilfen aus. Das 1997 veröffentlichte, im Auftrag des
Er geht davon aus, daß grundsätzlich jeder Täter ist, der den tatbestandsmäßigen Europäischen Parlaments erarbeitete „Corpus Juris für einen einheitlichen euro-
Erfolg verursacht, so daß Anstiftung und Beihilfe gesetzliche Einschränkungen päischen Rechtsraum z u m Schutz der Finanzinteressen der EG" definiert in Art. 2
sogar die drei Beteiligungsformen (bei der Anstiftung unter französischem E i n -
5 Dazu Bloy, 1985,166 ff; Triffterer, 1983. fluß etwas abw. vom deutschen Recht). 9 In einer Weiterfuhrung dieser Regelun-
6
Der Terminus stammt ebenso wie der des „restriktiven" Täterbegriffs (dazu Rn. 5) von 7
Zimmerl, ZStW 49 (1929), 39-54. Der Streit um den extensiven oder den restriktiven Täterbe- Vgl. i.e. Tiedemann, Nishihara-FS, 1998, 501 f.
8
griff war in den dreißiger Jahren ein Hauptthema der Täterlehre. Vgl. Eb. Schmidt, Frank-FS, Tiedemann, Nishihara-FS, 1998, 501.
9
Bd. II, 1930,106; Bruns, 1932; Grünhut,]VJ 1932, 366; Bahr, 1934; Lony, 1934; Lange, 1935. Tiedemann, Nishihara-FS, 1998, 500.

6 7
§25 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - B. Grundsätzliches zur Abgrenzung I § 25

gen hat Tiedemann10 für ein künftiges europäisches Modell-Strafgesetzbuch einen liehe Förderung fremder Vorsatztaten in vielen Fällen straflos. Doch werden solche
detaillierten Vorschlag entwickelt, der ebenfalls auf dem Dreiteilungssystem be- Sachverhalte in der deutschen Dogmatik als Fälle fehlender objektiver Zurech-
ruht und mit dem geltenden deutschen Recht vollkommen vereinbar ist. Man nung behandelt (näher Roxin, AT l3, § 24, Rn. 29 ff.). Die Rechtsfigur einer fahr-
kann also davon ausgehen, daß die Differenzierung auch das künftige deutsche lässigen Teilnahme wird daher nicht benötigt. Wollte man^sie gleichwohl verwen-
und europäische Recht beherrschen wird. Auch im Völkerstrafrecht ist die Unter- den, müßte man sie nach den Kriterien bestimmen, die für die objektive Zurech-
scheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme anerkannt und wird weitgehend nung maßgebend sind.
mit Hilfe der in diesem Buch vertretenen Tatherrschaftslehre durchgeführt.11
7 Das ändert allerdings nichts daran, daß es im geltenden deutschen Recht auch
„Tendenzen zur Einheitstäterschaft" gibt.12 Das gilt zunächst für den Gesetzgeber, B. Grundsätzliches zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
und zwar vor allem bei den Organisationsdelikten und im Bereich des Wirt-
schaftsstrafrechts.13 Beispielsweise wird in § 129 (Bildung krimineller Vereini- I. Der Täter als Zentralgestalt des Handlungsgeschehens
gungen) der bloße Unterstützer einer solchen Verbindung oder der Werber für sie
genauso bestraft wie das Mitglied, nämlich als Täter. Dadurch wird der Unter- Wenn man für alle Erscheinungsformen der Täterschaft eine gemeinsame, sie von 10
schied zwischen Gehilfenschaft, Täterschaft und Anstiftung aufgehoben. Wer eine der Teilnahme abgrenzende Kennzeichnung sucht, so muß man sagen: Der Täter ist
versicherte Sache beiseite schafft, um dem Versicherungsnehmer bei dessen Ver- die Zentralgestalt bei Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Ausfuhrungshand-
sicherungsbetrug zu helfen, wird nicht als Gehilfe eines Betruges, sondern als lung (§ 25). Der Teilnehmer ist eine Randfigur, die die Tat des Täters durch eine
Täter nach § 265 (Versicherungsmißbrauch) bestraft. Ähnlich verfährt die Rspr. Aufforderung auslöst (§26: Anstiftung) oder durch Hilfeleistung dazu beiträgt
etwa im Betäubungsmittelrecht, wo unter „Handeltreiben" (§ 29 I Nr. 1 BtMG) (§27: Beihilfe). Daß dies so ist, kann man aus dem Gesetz entnehmen, das zwi-
jede Betätigung verstanden wird, die darauf gerichtet ist, den Umgang mit Be- schen täterschaftlicher „Begehung" (§ 25) und der bloßen Bestimmung (§ 26) und
täubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern, wodurch der Unterschied zwi- Hilfeleistung dazu (§ 27) unterscheidet und die beiden Teilnahmeformen vom
schen Täterschaft und Beihilfe weitgehend eingeebnet wird.14 Je abstrakter die Vorliegen einer vorsätzlichen Täterschaft abhängig macht und an sie anlehnt.
Rechtsgüter und Tathandlungen formuliert werden - wofür vor allem bei Der Gesetzgeber unterscheidet drei Formen der Täterschaft: die unmittelbare 11
Rechtsgütern der Allgemeinheit die Versuchung groß ist - , desto rascher ver- Täterschaft (§25 I: „wer die Straftat selbst ... begeht"), die mittelbare Täterschaft
schwimmen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Beteiligungsformen. (§25 I: „wer die Straftat ... durch einen anderen begeht") und die Mittäterschaft
Es ist notwendig, diesen systemwidrigen und rechtsstaatlich bedenklichen Ent- (§25 II: „begehen mehrere die Tat gemeinschaftlich"). Alle drei Erscheinungs-
wicklungen mit Nachdruck entgegenzutreten. formen der Täterschaft sind aber nur unterschiedliche Ausprägungen der Zen-
8 In einem Bereich gilt freilich der Einheitstäterbegriff auch im geltenden deut- tralgestalt eines Ausführungsgeschehens. Ob jemand mit eigener Hand stiehlt
schen Strafrecht ganz allgemein: bei den fahrlässigen Delikten. Bei Ihnen gibt es („selbst"), ob er einen anderen mit vorgehaltener Pistole dazu zwingt („durch
keine Anstiftung und Beihilfe, weil beide Teilnahmeformen nach dem eindeuti- einen anderen") oder ob er dabei mit anderen Partnern zusammenarbeitet („ge-
gen Wortlaut des Gesetzes (§§26, 27) nur vorsätzlich verwirklicht werden kön- meinschaftlich"): Immer ist er die Zentralgestalt der Ausführungshandlung, wobei
nen. Wer fahrlässig einen tatbestandsmäßigen Erfolg verursacht, ist also immer im letztgenannten Fall der Mittäterschaft auch mehrere Personen im Zentrum des
Täter einer fahrlässigen Tat. Die Möglichkeit einer fahrlässigen Mittäterschaft wird Geschehens stehen können.
dadurch allerdings nicht ausgeschlossen (näher Rn. 239 ff.) Freilich ist das Kriterium der Zentralgestalt kein Begriff, aus dem sich konkrete 12
9 Man kann dem entgegenhalten, die Beschränkung des deutschen Strafrechts auf Abgrenzungen deduzieren ließen. Vielmehr handelt es sich um einen wertenden
die vorsätzliche Teilnahme beweise nicht, daß es keine fahrlässige Teilnahme gebe, Differenzierungsmaßstab, der erst anhand der realen Gegebenheiten deliktischen
sondern belege nur, daß diese nicht strafbar sei.15 In der Tat ist z. B. die unvorsätz- Handelns schrittweise entfaltet und konkretisiert werden kann. Das soll im; fol-
genden geschehen. Dabei wird sich zeigen, daß die Zentralgestalt nicht bei allen
io Tiedemann, Nishihara-FS, 1998, 509 ff. Tatbeständen in derselben Weise bestimmt wird.
» Grundlegend/Imfcos, 2002, 546 ff. Bei den meisten Delikten ist nach einer heute ganz herrschenden und von mir 13
12
So Volk, Roxin-FS, 2001, 563. Das Text-Zitat entspricht dem Titel seines Beitrages, dessen
Untertitel lautet: „Die verborgene Macht des Einheitstäterbegriffs". erstmals umfassend ausgearbeiteten Lehre16 die „Tatherrschaft" der für die Täter-
» Näher Volk, Roxin-FS, 2001, 564 ff. schaft entscheidende Gesichtspunkt: Zentralgestalt des Deliktsvorganges ist, wer
ii Vgl. dazu Roxin, StV 1986, 386.
15
In diesem Sinne mit beachtlichen Gründen und umfangreichen Nachweisen Luzon ]6
Peha/Diaz y Garcia, in: Roxin-FS, 2001, 598 ff. In meinem Buch „Täterschaft und Tatherrschaft" 11963-72000.

8 9
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - B. Grundsätzliches zur Abgrenzung III § 25
17
das zur Deliktsverwirklichung führende Geschehen beherrscht, während die Teil- standen und hat sich dann immer mehr durchgesetzt. Sie sieht, wie schon er-
nehmer auf das Geschehen zwar ebenfalls Einfluß nehmen, seine Ausführung aber wähnt, unter mehreren Beteiligten denjenigen als Täter an, der die Tat beherrscht,
nicht maßgeblich gestalten. Ich spreche hier von „Herrschaftsdelikten". Bei All- d. h. bei der Tatbestandsverwirklichung die maßgebliche Rolle spielt. Die subjek-
gemeindelikten wie Tötungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Dieb- tive Theorie, die in der Wissenschaft immer umstritten war, von der Rspr. aber
stahl usw. ist Zentralgestalt und damit Täter immer der, der allein oder mit an- seit 1871 ständig vertreten worden ist,18 charakterisiert dagegen den Täter durch
deren die Tatherrschaft hat. den „Täterwillen" (animus auctoris) und den Teilnehmer durch den „Teilneh-
14 Es gibt aber auch Delikte, bei denen im Zentrum einer Tatbestandsverwirk- merwillen" (animus socii). Was unter dieser „Willensrichtung" zu verstehen ist,
lichung nur derjenige steht, der eine besondere, nicht jedermann treffende Pflicht hat sich im Laufe der Zeit allerdings sehr gewandelt. Die neuere Rspr. hat den Be-
verletzt hat. Diese Delikte nenne ich Pflichtdelikte. So wird z. B. beim Tatbestand griff des Täterwillens so sehr mit Elementen der Tatherrschaftslehre durchsetzt,
der Untreue (§ 266) die Tatbestandshandlung nicht wie bei den Herrschaftsdelik- daß von einer bedeutenden Annäherung der widerstreitenden Positionen gespro-
ten durch bestimmte äußere Verhaltensweisen, sondern durch die Verletzung einer chen werden kann. Dies bedarf näherer Erläuterung, weil nur auf dem Hinter-
Vermögensfürsorgepflicht beschrieben. In diesen Fällen ist Täter (= Zentralgestalt grund der dogmengeschichtlichen Entwicklung der gegenwärtige Diskussions-
des Deliktsvorganges), wer den Erfolg (auf welche Weise auch immer) durch eine stand verstanden und die eigene Lösung begründet werden kann.
Verletzung seiner tatbestandsspezifischen Sonderpflicht verletzt, während jemand,
der von dieser Pflicht nicht getroffen wird (also z. B. keine Vermögensfürsorge-
III. Die subjektive Theorie in ihrer ursprünglichen Gestalt
pflicht gegenüber dem Opfer hat), völlig unabhängig vom Gewicht seines äuße-
ren Tatbeitrages immer nur Teilnehmer sein kann. Um die Bestimmung des „Täterwillens", der für die subjektive Theorie das ent- 18
15 Eine dritte Form der Täterschaft stellen die eigenhändigen Delikte dar, bei scheidende Abgrenzungsmerkmal darstellt, haben sich zunächst vor allem die
denen immer nur derjenige als Zentralgestalt der Deliktsausführung angesehen Dolus- und die Interessentheorie bemüht. Nach der Dolustheorie hat der Täter
werden kann, der den Tatbestand mit eigener Hand verwirklicht. So verhält es einen selbständigen, der Teilnehmer einen unselbständigen Willen. In diesem
sich z. B. bei der Rauschtat (§ 323 a), bei der Täter nur sein kann, „wer sich ... in Sinne lehrte der Reichsgerichtsrat v. Buri, der auf die Rspr. des RG in ihren An-
einen Rausch versetzt". Wer einen anderen in einen Rausch versetzt, kann durch- fängen erheblichen Einfluß ausgeübt hat:19 „Die Verschiedenheit des Urhebers 20
aus das Geschehen beherrschen, wenn er dem Opfer den berauschenden Charakter von den Gehilfen kann nur in der Selbständigkeit des urheberischen und der Un-
des ihn servierten Getränkes verschweigt. Aber Täter kann er dadurch nicht wer- selbständigkeit des beihelfenden Willens gefunden werden. Der Gehilfe will den
den, so daß die mittelbare Täterschaft und die nichteigenhändige Mittäterschaft Erfolg nur für den Fall ihn der Urheber will, und für den Fall ihn der Urheber
bei den eigenhändigen Delikten nicht vorkommen können. nicht will, will auch er ihn nicht. Die Entscheidung, ob der Erfolg eintreten solle
16 Entsprechend dieser Dreiteilung in Herrschaftsdelikte, Pflichtdelikte und ei- oder nicht, muß er darum dem Urheber anheimstellen." Dementsprechend heißt
genhändige Delikte wird die Täterlehre in den folgenden drei Abschnitten (C, Rn. es in der für die nachfolgende Rspr. grundlegenden Entscheidung RGSt 3,181 ff.
38 ff; D, Rn. 267 ff; E, Rn. 288 ff.) dargestellt. Demgegenüber werden in Rspr. (182 f.), „daß der Gehilfe nur einen von demjenigen des Täters abhängigen Willen
und Lehre die Pflichtdelikte und die eigenhändigen Delikte zwar teilweise eben- haben darf, er also seinen Willen demjenigen des Täters dergestalt unterwirft, daß
falls anerkannt, aber doch nur sehr am Rande behandelt. Im Vordergrund der er es ihm anheimstellt, ob die Tat zur Vollendung kommen solle oder nicht. Im
Auseinandersetzung steht die Frage, ob Täterschaft und Teilnahme nach der schon Gegensatz zu diesem abhängigen Willen des Gehilfen erkennt hingegen der Mit-
erwähnten Tatherrschaftslehre oder nach der sog. subjektiven Theorie abgegrenzt täter einen den seinigen beherrschenden Willen nicht an."
werden sollen, die die Rspr. des RG beherrscht hat und auch heute noch in der In anderer Weise geht die Interessentheorie davon aus, daß der Täterwille durch 19
Judikatur eine wechselnde Rolle spielt. Dies ist zunächst darzustellen. das eigene Interesse an der Tat, der Teilnehmerwille dagegen durch das Fehlen ei-
nes solchen Interesses gekennzeichnet sei. So erklärte das RG im aufsehenerregen-
den „Badewannenfall'* (RGSt 74, 85; näher Rn. 39): „Ob jemand die Tat als eige-
II. Tatherrschaftslehre und subjektive Theorie in der Gemengelage ne will, richtet sich vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, nach dem Grade
seines Interesses am Erfolg." Da die inneren Vorgänge, die das „Anheimstellen" und
17 Heute streiten im wesentlichen nur noch zwei Auffassungen um die Abgren-
17
zung von Täterschaft und Teilnahme: die in der Literatur durchaus herrschende Näher Roxin, Täterschaft, 72000, 60 ff.
18
Zur Entwicklung Roxin, Täterschaft, 72000, 51 ff.
Tatherrschaftslehre und die subjektive Teilnahmetheorie. Die Tatherrschaftslehre 19
v. Buri, 1885, 41; vgl. ferner ders., 1860; den., 1873; ders., GA 17 (1869), 233, 305.
20
ist erst in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts aus zerstreuten Ansätzen ent- Nach heutigem Sprachgebrauch: des Täters.
10 11
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - B. Grundsätzliches zur Abgrenzung IV § 25
den „Grad des Interesses" bestimmen, nachträglich nur schwer zu ermitteln sind,
IV. Die „normative Kombinationstheorie" der heutigen Rspr.
ist die Frage, ob jemand die Tat „als eigene" oder „als fremde" gewollt hat, in der
Rspr. oft auch nach dem Maße der angenommenen Strafwürdigkeit oder Gefähr- Die Rspr. des BGH 21 ist von der subjektiven Theorie im strikten Sinne des 22
lichkeit beurteilt und nur formelhaft mit den Wendungen der subjektiven Theorie Wortes mehr und mehr abgerückt und bei der für die Praxis wichtigsten Abgren-
umkleidet worden. zung von Mittäterschaft und Beihilfe zu einer „normativen Kombinationstheorie"
20 In der augenblicklichen Diskussion sind die Elemente der ursprünglichen sub- übergegangen, die den Täterwillen nicht mehr als psychischen Befund versteht,
jektiven Theorie noch in doppelter Weise lebendig. Die Dolustheorie kann mit sondern ihn auf Grund einer Kombination verschiedener Indizien wertend zu-
dem Kriterium der „Willensunterordnung" als Vorläufer der Tatherrschaftslehre schreibt. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung bildet eine Entscheidung des
betrachtet werden. Denn man kann die Meinung vertreten, daß Anstifter und 5. Senats (BGH J R 1955, 304 f.), in der es heißt, der Täterwille sei „keine innere
Gehilfen sich dem Willen des Täters unterordnen (müssen), ihm die Tatbegehung Tatsache, die der Tatrichter bindend feststellen kann. Es handelt sich vielmehr um
„anheimstellen" (müssen), weil er es ist, der über die Ausführung entscheidet und eine wertende Beurteilung. Für sie ist ein wesentlicher Anhaltspunkt, wie weit der
damit die Tatherrschaft innehat. Bei diesem Verständnis ist die Dolustheorie eine Beteiligte den Geschehensablauf mitbeherrscht, so daß Hergang und Erfolg der
Art subjektiver Variante der Tatherrschaftslehre, insofern sie nicht unmittelbar von Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen." Dieser Ansatz ist in der späte-
den objektiven Machtverhältnissen, sondern von deren Auswirkung auf den Wil- ren Judikatur konkretisiert und zu einer inzwischen schon ständigen Rspr. aus-
len der Beteiligten (und damit mittelbar doch von ihnen) ausgeht. Von der Interes- gebaut worden. Danach ist die Frage, ob jemand den Täterwillen hat, „nach den
sentheorie andererseits führt kein Weg zur Tatherrschaftslehre. Aber sie hat ihre gesamten Umständen" in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche An-
Bedeutung dadurch behalten, daß die gegenwärtige Rspr. im Eigeninteresse im- haltspunkte für diese Wertung liegen „im Grad des eigenen Interesses am Erfolg
mer noch einen wesentlichen Anhaltspunkt (neben anderen) für die Bestimmung der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens
der Täterschaft sieht (Rn. 22, 26). im Willen zur Tatherrschaft, so daß Durchführung und Ausgang der Tat maßgeb-
21 Abgesehen davon ist die ältere subjektive Theorie als theoretische Konzeption lich vom Willen des Angeklagten abhängen" (BGH StV 1981, 275 f.).22
heute keine geeignete Grundlage der Täterlehre mehr. Ihr Fundament ist der natu- Diese neuere Linie des BGH liegt in der Mitte zwischen der ursprünglichen 23
ralistische Positivismus des 19. Jahrhunderts, der auch in den Geisteswissenschaften subjektiven Theorie und der Tatherrschaftslehre. Sie hat von der subjektiven Theo-
auf „Naturgesetze" wie die Kausalität glaubte zurückgreifen zu müssen und andere rie den Terminus des Täterwillens und das Eigeninteresse als wesentlichen Ab-
nicht als naturwissenschaftlich faßbare Unterschiede in der objektiven Erschei- grenzungsgesichtspunkt beibehalten und läßt mit der gesonderten Erwähnung
nungswelt ignorierte. Da Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe für den Erfolg glei- des Tatherrschaftswillens auch die Dolustheorie noch durchscheinen. Sie bezieht
chermaßen kausal sind, sich insofern also keine Differenzierungen ergeben, mußte aber im gleichen Range die Tatherrschaft als Beurteilungskriterium ein, und auch
die Abgrenzung notwendig auf der subjektiven Tatseite gesucht werden. Darin die zusätzlich genannten Elemente des „Umfanges der Tatbeteiligung" und des
drückt sich eine methodologisch überholte Position aus: Rechtliche Abgrenzun- „Willens zur Tatherrschaft" können nur als Hinweise auf die Tatherrschaft selbst
gen müssen nach juristisch-kriminalpolitischen Gesichtspunkten vorgenommen gedeutet werden. Bei der unmittelbaren (Rn. 38 ff.) und der mittelbaren Täter-
werden und gerade nicht mit Hilfe rechtsfremder Kategorien aus anderen Seinsbe- schaft (Rn. 45 ff.) tritt die Anlehnung an die Tatherrschaftslehre sogar noch stärker
reichen (vgl. Roxin, AT l3, § 7, Rn. 40, 45, 50 ff.). Der verfehlte Ansatz führt auch hervor.
dogmatisch in die Irre. Denn da man in der Epoche des „klassischen" Systemauf- Den grundsätzlichen Einwänden gegen die subjektive Theorie in ihrer ur- 24
baus, in die die Blütezeit dieser Theorie fällt, alle psychischen Elemente der Schuld sprünglichen Gestalt (Rn. 21) ist die „normative Kombinationstheorie", als die sich
zuordnete (vgl. Roxin, AT l3, § 7, Rn. 13,18), lag es für die Rspr. nahe, den „Täter- die subjektive Theorie heute darstellt, nicht mehr ausgesetzt. Denn sie orientiert
willen" in schuldbezogene Strafwürdigkeitserwägungen aufzulösen, die die Be-
stimmung der Täterschaft einem richterlichen Ermessensakt annäherte (vgl. schon 21
Eine chronologische Darstellung und Analyse aller wesentlichen Entsch. liefert Roxin,
Rn. 19) und die heute gesicherte Erkenntnis, daß Täterschaft und Teilnahme Er- Taterschaft, 72000, 90-106, 557-643; dm. gibt in LK11, §25, Rn. 16-29, einen Abriß der Ent-
scheinungsformen des Unrechts sind, nahezu in Vergessenheit geraten ließ. wicklung mit umfassenden Nachw.; ebenso ders., in BGH-FS, Bd. IV, 2000,177.
22
Im selben Sinne die BGH-Entsch. in GA 1977, 306; NJW 1979,1259; StV 1982,17; NStZ
1982, 243; StV 1983, 501; GA 1984, 287; NStZ 1985,165; 1987, 224f.; 1987, 364; 1988, 507; 1990,
80; 1990,130; 1991, 91; 1991, 280; wistra 1992,181; StV 1992, 579; BGHSt 39, 381; StV 1993,474;
NStZ 1993, 444; StV 1994, 22; 1994, 421; 1994, 422; NStZ 1994, 92; BGHSt 40, 218; 40, 257;
NStZ 1995, 285; StV 1995,197; 1995,198; 1995, 624; 1997,411; 1997, 544; StraFo 1998,166; NStZ
1998,136 = StV 1998, 540; StV 1999, 429 = NStZ 1999, 451; NStZ-RR 1999,186 = StV 1999,
427; StV 1999,435; NStZ 2000, 482; 2000, 278; wistra 2001,420; NStZ-RR 2001,148.

12 13
§25 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - B. Grundsätzliches zur Abgrenzung V § 25

sich an wertenden Kriterien überwiegend objektiver Art; und auch ihre inner- konkretisiert werden muß. 24 Der Gesetzgeber hat dazu den ersten Schritt getan,
psychischen „Anhaltspunkte" (Tatherrschaftswille, Interesse) lassen sich nach mo- indem er drei Formen der Täterschaft unterscheidet: die unmittelbare Täterschaft
dernem Verständnis ohne weiteres dem subjektiven Tatbestand zuordnen und („wer die Straftat selbst begeht", § 25 1,1. Alt.), die mittelbare Täterschaft („wer die
dadurch vor der Verwechselung mit Schuld- und Strafzumessungsfaktoreh be- Straftat durch einen anderen begeht" § 25 I, 2. Alt.) und die Mittäterschaft („be-
wahren. gehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich", § 25 II).
25 Ihre entscheidende Schwäche liegt jedoch darin, daß die Wertungskriterien, Dieser Trias der Täterformen entsprechen drei Arten der Tatherrschaft. Man kann 28
nach denen die Täterschaft bestimmt werden soll, weder abschließend genannt erstens die Tat dadurch beherrschen, daß man ihre Durchführung eigenhändig (prä-
noch in eine Rangfolge gebracht oder auch nur einem leitenden Prinzip unter- ziser: eigenkörperlich) vornimmt und damit durch seine Handlung in das Zentrum
stellt werden. Es bleibt unklar, warum gerade diese Merkmale so wesentlich sind des Geschehens rückt (Handlungsherrschaft, die die unmittelbare Täterschaft
und wie man sie gewichten soll. Dadurch entsteht eine erhebliche Abgrenzungs- kennzeichnet). Man kann zweitens das Geschehen dadurch beherrschen, daß man,
unsicherheit, die namentlich dann kraß hervortritt, wenn jemand mit starkem ohne bei der Tatbestandsverwirklichung dabeisein oder sonst mitwirken zu müs-
Eigeninteresse, aber ohne Tatherrschaft, oder mit Tatherrschaft, aber ohne beson- sen, den Ausführenden beherrscht, etwa durch Zwang oder Täuschung (Willens-
deres Eigeninteresse, handelt. Ob der Richter dann dem einen oder dem anderen herrschaft, die der mittelbaren Täterschaft das Gepräge verleiht). Und man kann
Gesichtspunkt den Vorrang gibt, bleibt offen, so daß sich auch nach der normati- drittens die Tatbestandsverwirklichung dadurch beherrschen, daß man in Arbeits-
ven Kombinationstheorie entgegengesetzte Ergebnisse mit demselben und daher teilung mit anderen eine für das Gelingen der Tat wesentliche Funktion bei der
geringerem Maß an Plausibilität begründen lassen. Ausführung innehat (funktionelle Tatherrschaft, die das Wesen der Mittäterschaft
26 Dazu kommt, daß das Interessenkriterium als „wesentlicher Anhaltspunkt" für ausmacht). Diese drei Grundformen der Tatherrschaft bedürfen ihrerseits einer in
die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ganz ungeeignet ist. Es wider- Auseinandersetzung mit Rspr. und Literatur vorzunehmenden Ausdifferenzie-
streitet erstens dem Gesetzeswortlaut, der auf das „Begehen" der Tat (selbst, durch rung, die sich nach Klärung der grundsätzlichen Aspekte anschließen wird.
einen anderen, gemeinschaftlich) abstellt (§25); wie dieses objektive Merkmal Dogmatisch gesehen beruht die Tatherrschaftslehre auf dem Verständnis der 29
nach dem subjektiven Interesse bestimmt werden soll, ist nicht ersichtlich. Es fehlt Täterschaft als einer Tatbestandsverwirklichung im materiellen Sinne. Noch um
ihm auch die Abgrenzungseignung. Denn im Normalfall beteiligt man sich an 1930 herrschte in der Literatur die sog. formal-objektive Theorie25, die nur die ei-
einem Delikt (sei es auch als Anstifter oder Gehilfe) überhaupt nur, wenn man ein genhändige Tatbestandsverwirklichung (also die heutige unmittelbare Täterschaft)
Interesse daran hat. Was aber i.d.R. auf alle Beteiligten zutrifft, taugt nicht zu als Täterschaft gelten lassen wollte. Dieses formale Kriterium der Eigenhändigkeit
ihrer Unterscheidung und muß zu einer erheblichen Überdehnung der Täterschaft wird zwar der Orientierung des Täterbegriffs am Tatbestand vollauf gerecht und
führen. Schließlich widerspricht einer Verwendung des Eigeninteresses als Täter- erfaßt auch einen Prototyp der Täterschaft, ist aber zu eng und, wie der Wortlaut
schaftskriterium auch der Umstand, daß mehrere Tatbestände (wie §§ 259, 263) des § 25 zeigt, heute auch mit dem Gesetz nicht mehr zu vereinbaren. Denn im
das Handeln im Drittinteresse ausdrücklich einschließen und daß auch sonst der materiellen Sinne erfüllt den Tatbestand auch der, der seine Verwirklichung auf
Einzeltäter selbstverständlich nicht dadurch als Täter ausscheiden und Straffreiheit andere Weise in der Hand hat. Wer einen anderen mit vorgehaltener Pistole zu ei-
erlangen kann, daß er im Interesse eines anderen tätig wird. ner Urkundenfälschung nötigt, ist nach seiner Rolle im Handlungsgeschehen der
eigentliche Fälscher und dadurch (mittelbarer) Täter, auch wenn er keinen Feder-
strich getan hat. Und wer das Auto des Opfers rammt und zum Stehen bringt, hat
V. Die Tatherrschaft als alleiniges Täterschaftsmerkmal bei gemeinschaftlich mit einem anderen (als Mittäter) gemordet, auch wenn dieser
Allgemeindelikten andere es ist, der abredegemäß unmittelbar danach den tödlichen Schuß abgibt.
Dogmengeschichtlich ist die Tatherrschaftslehre allerdings eine Weiterentwick- 30
27 Richtigerweise wird man die Täterschaft im Regelfall23 durch die Tatherrschaft lung subjektiver wie objektiver Ansätze, so daß sie geradezu eine Synthese,' der
- und durch sie allein - zu bestimmen haben. Die Tatherrschaft hat und Täter ist, früher extrem divergierenden Auffassungen darstellt und dieser Versöhnung der
wer bei der Deliktsverwirklichung durch seinen maßgeblichen Einfluß auf das Gegensätze wohl auch ihre breite Durchsetzung verdankt. Sie hat ihre erste For-
Geschehen als Schlüsselfigur, als Zentralgestalt erscheint. In dieser Umschrei- mulierung im Jahre 1933 bei Lobe26 gefunden, wo es heißt: „Das Wesentliche für
bung steckt keine Definition der Täterschaft, sondern wie dargelegt (Rn. 12) nur
ein leitender Maßstab, der anhand der verschiedenen Sachverhaltsgestaltungen 24
Über die methodologische Begründung eines solchen Verfahrens und über die Tatherr-
schaft als konkreten und dialektischen Begriff Roxin, Täterschaft, 72000, 528 ff.
25
Näher Roxin, Täterschaft, 72000, 34 ff.
23 D.h. außer bei Pflichtdelikten (Rn. 267 ff.) und eigenhändigen Delikten (Rn. 288 ff.). 26 Lobe, 1933,122 f.

14 15
§ 25 V 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - B. Grundsätzliches zur Abgrenzung VI § 25
die Täterschaft ist ... nicht nur das Vorliegen eines Willens des Inhalts, die Tat als
VI. Andere Abgrenzungstheorien
eigene zu begehen, sondern die Verwirklichung dieses Willens muß weiter auch
dadurch erfolgen, daß er ausgeführt wird unter seiner Herrschaft, daß der Wille 1. Die subjektive Theorie in der Literatur
auch die seiner Verwirklichung dienliche Ausführung beherrscht und lenkt.'.. Bei
Abgesehen von den Pflichtdelikten und den eigenhändigen Delikten ist also die 33
der Teilnahme fehlt die Beherrschung der die Herbeiführung des Erfolges bezwek-
Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Vorsatztaten nach dem Maßstab
kenden Ausführungshandlung ..." Hier wird also die Dolustheorie, auf deren Ver-
der Tatherrschaft vorzunehmen. Das entspricht (unbeschadet mancher umstritte-
wandtschaft mit der Tatherrschaftslehre schon hingewiesen wurde (Rn. 20), durch
ner Einzelfragen) der weitaus h. M. Als Vertreter der subjektiven Theorie 32 können
ihre objektive Komponente ergänzt.
in der Lehrbuchliteratur nur noch Baumann/Weber33 in Anspruch genommen wer-
31 Während die Darlegungen Lobes ohne Resonanz blieben, hat dann Welzel im
den. Aber wenn sie sagen, „daß im Hinblick auf die Gleichwertigkeit aller Be-
Jahre 193927 den Begriff der „finalen Tatherrschaft" entwickelt und durch die Ver-
dingungen zur Erfolgsherbeiführung nur eine subjektive Abgrenzung Erfolg ver-
knüpfung der Täterlehre mit der damals im Zentrum der Diskussion stehenden
spricht", bleiben sie einem heute überholten Kausaldenken verhaftet (vgl. Rn. 21).
Finalismus-Debatte28 wesentlich zur Durchsetzung der Tatherrschaftslehre bei-
Und wenn es heißt: „Es geht nicht an, denjenigen, der lediglich eine fremde Straf-
getragen. „Nicht ein vager Täterwille, sondern die wirkliche finale Tatherrschaft
tat fördern will, dem aber durch irgendwelche Zufälle die Tatherrschaft zuwächst,
ist das wesentliche Kriterium der Tatherrschaft" heißt es bei ihm. 29 „Dabei steht
als Täter zu betrachten. Ihm würde hierbei eine Schuld angelastet werden, die er
Tatherrschaft demjenigen zu, der seinen Willensentschluß zweckbewußt zur
nicht hat", so ist das eine schiefe Sehweise. Denn erstens kann einem die Tatherr-
Durchführung bringt." Mit dem Kriterium der Finalität läßt sich freilich nur er-
schaft nicht gegen seinen Willen unbemerkt „zuwachsen", sondern man hat sie nur,
klären, daß bei fahrlässigen (also nicht-finalen) Taten keine Tatherrschaft und da-
indem man sie aktiv handelnd übernimmt und ausübt. Und zweitens geht es bei
mit auch keine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme möglich ist, wäh-
der Täterschaft in erster Linie um ein dem Tatbestand zuzuordnendes Verhalten
rend bei vorsätzlichen Delikten Täter, Anstifter und Gehilfen gleichermaßen final
und nicht um ein Schuldproblem.
handeln und daher mit Hilfe dieses Merkmals nicht unterschieden werden kön-
nen. Jedenfalls leitet aber auch Welzel seine Lehre aus subjektiven Aspekten ab.
2. Die Ganzheitstheorie
32 Erst Gallas30 hat in der frühen Nachkriegszeit den Tatherrschaftsbegriff von
einem objektiven Ausgangspunkt her weit konkreter als Lobe und Welzel zu be- Eine „Ganzheitstheorie", bei der für die Abgrenzung von Täterschaft und Teil- 34
stimmen versucht. Ihm dient der Begriff der Tatherrschaft als „Maßstab für eine nähme „nie ein einzelnes Moment allein, sondern ... jedes einzelne Moment nur
auflockernde' Interpretation des tatbestandsmäßigen Verhaltens", wie dies auch im innerhalb des ganzheitlichen Zusammenhanges den Ausschlag geben" soll, vertritt
vorliegenden Buch geschieht (Rn. 29). Gallas ist auch mein eigenes Werk über Schmidhäuser34. Er nennt in nicht abschließender Aufzählung 16 solcher „Mo-
„Täterschaft und Tatherrschaft" (1963, 72000) verpflichtet, das erstmals versucht mente", wie die Gegenwart am Tatort, das Gewicht des Einsatzes, das Interesse, die
hat, den Begriff der Tatherrschaft und die Grenzen seiner Anwendbarkeit in Planung der Tat usw. und meint, daß bei Bestimmung der Täterschaft einmal die-
monographischer Form umfassend auszuarbeiten. Heute folgt der Tatherrschafts- ses, ein andermal jenes Moment den Ausschlag geben kann. Das legt die Abgren-
lehre fast das gesamte Schrifttum.31 zung von Täterschaft und Teilnahme weitgehend in das Ermessen des Richters, hat
wegen des Abstellens auf eine ohne leitenden Maßstab erfolgende Gesamtschau
" In seinen „Studien zum System des Strafrechts", ZStW 58 (1939), 491 ff. (539ff.). etwas Irrationales und verstößt gegen den Grundsatz nulluni crimen sine lege. Die
28 Dazu Roxin, AT l3, § 7, Rn. 15,19; § 8, Rn. 16 ff.
29 Welzel, Z S t W 5 8 (1939), 543.
30
Gallas, 1954,121; ders., ZStW-Sonderheft 1957, 3 (Zitat S. 14). Rechts aus Huber, 1995, 72 u. pass, („der richtige Ansatz für die Bestimmung des Täterkreises").
M Blei, AT18, §§ 71 II, 78 III 1; Bloy, 1985; Bockelmann/Volk, AT4, §§ 22 I 3, 23 II1-4; Bottke, Bolowich, 1995, 185 u. pass, erkennt in der Tatherrschaftslehre „wichtige Elemente zur sinnvol-
1992, 35 ff.; LK9-Busch, Vorbem. zu §47, Rn.13; Dreher, Prot.V. WR, 91. Sitzung, 1826; Eben, len Erfassung menschlicher Beteiligungsstrukturen", bemängelt aber, daß sie „dem reflexiven
AT3,189ff., 190ff.; Eser, StrafR II3, Fall 37, Rn. 14ff.; Gropp, AT2, § 10, Rn. 34ff., 38; Herzberg, Verständnis der Beteiligten keine Bedeutung beimißt". Zu den älteren Vertretern der Tatherr-
1977, passim; SK7-Hoyer, vor § 25, Rn. 11 ff. Jakobs, AT2, 21/35 ff; Jescheck/Weigend, AT5, § 61 V; schaftslehre vgl. Roxi«,Täterschaft, 72000, 60-89.
32
Joecks , §25, Rn.5ff. (6); Kindhäuser, StGB, vor §25, Rn.22ff., 32 ff. (ohne ganz eindeutige Freilich vertreten manche Autoren eine Tatherrschaftslehre, die aus historisch bedingten
Stellungnahme); Kohlrausch/Lange, StGB43, vor §47 I 4, §47 I; Krey, AT/2, Rn.48ff.; Kühl, Gründen (vgl. Rn. 30 f.) Einschläge der subjektiven Theorie aufweist. Dies wird bei Darlegung
AT3, §20, Rn.25ff, 29; Lackner/Kühl24, vor §25, Rn.6; Maurach/Gössel, AT/27, §47, der Tatherrschaftslehre berücksichtigt.
Rn.84ff.; Murmann, 1993; Neumann, JuS 1993, 747; Otto, AT6, §21 II 2, 3; Preisendanz30, vor 33 Baumann/Weber, AT10, § 29 III 2 d; hier auch die Zitate. Auch Baumanns Schüler Weber
§25, 2 b bb; Renzikowski, 1997; Samson, StrafR I7, Fall 39; Sax, JZ 1963, 329ff.; Schild, 1994; (1976, 296ff, 327 ff.) und Arzt (JA 1980, 553, 556; JZ 1981, 412, 414; StV 1986, 337) gehen von
Schroeder, 1965; Schünemann, GA 1986, 327ff.; Seelmann, JuS 1980, 573; Stratenwerth, AT4, §12, der subjektiven Theorie aus.
Rn.l5ff., 16; Welzel, StrafR11, 100; Wessels/Beulke3\ Rn.517ff; jetzt auch Seh/Seh/Gramer/ 3" Schmidhäuser, LB AT2,14/156ff. (Zitat 14/157); ders., StuB AT2, 10/46; ähnlich, aber näher
Heine26, vor §§25ff., Rn.64ff. Für die Tatherrschaft vom Standpunkt des schweizerischen an der normativen Kombinationstheorie der Rspr. Geerds, Jura 1990,176; Köhler, AT, 497 ff.
16 17
§ 25 VI 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte I § 25

Lehre hat daher fast keine Anhänger gewinnen können. 3 5 Schmidhäusers späterer Unterschiedlich ist nur die Strafwürdigkeit der jeweiligen Normübertretung,
Versuch, 36 auch die Tatherrschaft nur als „Decknamen" für die von i h m vertretene und daraus (nicht aus abweichenden Graden der Normintensität) erklären sich die
ganzheitliche Abgrenzungsmethode zu verstehen, scheitert an den fundamentalen verschiedenen Strafgrößen. 41
Unterschieden beider Konzeptionen. D e n n die Tatherrschaft hat mit ihrer Diffe-
renzierung in Handlungsherrschaft, Willensherrschaft (mit ihren Untergliede- 4. Andere N e u k o n z e p t i o n e n
rungen) und funktionelle Tatherrschaft eine sehr klare, zu präzisen Ergebnissen Die Literatur der letzten zehn Jahre hat noch mehrere andere Ansätze hervor- 37
führende Struktur, die der Ganzheitstheorie gerade fehlt. 37 gebracht, die von der Tatherrschaftslehre in ihrer theoretischen Begründung ab-
weichen, ihr aber in den praktischen Ergebnissen vielfach nahekommen. Das gilt
3. D i e Differenzierung nach der Dringlichkeit der Verhaltensnorm für den auf der idealistischen Philosophie fußenden Versuch Köhlers, die Abgren-
35 Eine ganz neuartige Konzeption hat schließlich Stein38 vorgelegt. Er unterschei- zung von Täterschaft und Teilnahme aus den „Besonderheiten des Verhaltens-
det zwischen Tätern, Anstiftern und Gehilfen nicht nach Beherrschung und zusammenhangs zwischen freien Subjekten" herzuleiten, 4 2 für die Bemühungen
Nichtbeherrschung des zum Erfolge führenden Tatgeschehens, sondern nach dif- von Freund43, im Anschluß an die formal-objektive Theorie Täterschaft als das „je
ferenzierten „Verhaltensnormen", gegen die sie verstoßen. Diese Verhaltensnormen spezifische tatbestandsmäßige Verhalten" zu verstehen u n d für den Versuch Hein-
seien von unterschiedlicher „Dringlichkeit" und für den Teilnehmer grundsätzlich richs44, die Täterschaft als „Entscheidungsträgerschaft" zu bestimmen. Da diese
weniger dringlich als für den Täter, weil die dem Täter auferlegte Pflicht, Rechts- Auffassungen aber in ihren Ergebnissen im wesentlichen nur bei einzelnen Er-
gutsverletzungen zu vermeiden, einen „Schutzwall" für das Rechtsgutsobjekt er- scheinungsformen der Täterschaft von der Tatherrschaftslehre abweichen (Köhler
richte. 3 9 Freilich sei die Anstifterverhaltensnorm, wie die tätergleiche Bestrafung bei der mittelbaren Täterschaft, Freund bei der Mittäterschaft), soll die Ausein-
zeige, mit derselben Dringlichkeit ausgestattet wie die Täterverhaltensnorm; das andersetzung mit ihnen dort erfolgen, w o die Divergenzen relevant werden (vgl.
liege aber daran, daß der Anstifter die rechtstreue Motivation des Täters b e - zu Köhler R n . 178 ff., zu Freund R n . 259 ff., zu Heinrich R n . 183 ff., 263 f.). Auch der
einträchtige und dadurch den vor dem Rechtsgut errichteten Schutzwall „durch- der Tatherrschaftslehre nahestehende, aber in seinen Prämissen mit ihr nicht völlig
löchere". identische Versuch, die mittelbare Täterschaft durch die Prinzipien der „Auto-
36 Die praktischen Auswirkungen dieser Auffassung, die denen der Tatherrschafts- nomie" (M.-K. Meyer45, Renzikowski46) oder der „Selb st Verantwortung" (Schu-
lehre zum Teil nahekommen, können erst in den jeweiligen Zusammenhängen b e - mann47) zu begrenzen, soll erst im R a h m e n dieser Täterschaftsform abgehandelt
handelt werden. Ein grundsätzlicher Einwand gegen sie liegt darin, daß man Tat- werden (vgl. R n . 174,175ff, 182).
bestand und Beteiligungsformen nicht auf den Verstoß gegen die Verhaltensnorm
bzw. den Handlungsunwert reduzieren darf, sondern daß der Erfolg zur Täter- und
Teilnehmerhandlung untrennbar dazugehört. 4 0 Unterschiede des Verhaltens k ö n - C. Herrschaftsdelikte
nen die „Beteiligungsform" nur insoweit beeinflussen, wie sie sich auf den tat-
bestandsmäßigen Erfolg auswirken; dem wird das Tatherrschaftsprinzip besser I. D i e unmittelbare Täterschaft als Handlungsherrschaft
gerecht als eine vom Erfolg gelöste freischwebende „Verhaltensnormlehre". Auch
erscheint der Gedanke wenig plausibel, daß die unterschiedliche Dringlichkeit Täter ist zunächst, wer - sei es allein, sei es unter Beteiligung mehrerer - den 38
von Verhaltensnormen die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme tragen soll. gesamten Tatbestand durch eigenkörperliche Aktivität (also i.d.R. mit eigener
D e n n abgesehen davon, daß sich bei Täterschaft u n d Anstiftung aus den Straf- Hand) erfüllt. Man kann eine Tat nicht besser beherrschen, als indem man sie
drohungen keine unterschiedliche Dringlichkeit herleiten läßt, können N o r m e n selbst ausführt. Bei der unmittelbaren Täterschaft wird dem Ausführenden die
nur etwas verbieten oder gebieten und gestatten dabei kein Mehr oder Weniger. 41
Ausführlicher zu Stein: Roxin, Täterschaft, 72000, 647ff. Die gründlichste - kritisch
Ihr Befehl gilt schlechthin und ist keinen Dringlichkeitsabstufungen zugänglich. ablehnende - Auseinandersetzung mit Stein liefert Küper, ZStW 105 (1993), 445ff.Vgl. zu Stein
ferner - ebenfalls kritisch - Bottke, 1992, 43; Lesch, 1992, 224ff; Renzikowski, 1997, 25 f.
42
Köhler, AT, 488; n ä h e r d a z u Roxi«, Täterschaft, 7 2 0 0 0 , 6 4 9 ff.
43
35 Krit. Roxin, ZStW 83 (1971), 394ff.; Küpper, GA 1986, 443f.; Bloy, 1985, 370ff; Stein, Freund, AT, § 10, R n . 51; n ä h e r d a z u Roxin, Täterschaft, 7 2 0 0 0 , 651 ff.
44
1988,121ff.;Bottke, 1992, 39f. Heinrich, 2002 (vgl. aaO., 182, 195: „Entscheidungsträger und damit Täter ist, wer als
36 Schmidhäuser, Stree/Wessels-FS, 1993, 343. Normadressat eine tatbestandsgerichtete Entscheidung trifft, als gerade deren unmittelbare
37 Vgl. dazu noch Roxin, Täterschaft, 72000, 646 f. Umsetzung das in Rede stehende tatbestandsberührende Geschehen anzusprechen ist.")
45
38 Steif», 1988. M.-K. Meyer, 1984.
46
39 Stein, 1988, 241; das folgende Zitat 242 f. Renzikowski, 1997.
47
40 Näher Roxin, AT l3, § 10, Rn.88ff Schumann, 1986.

18 19
§ 25 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte I § 25

Herrschaft durch Vornahme der tatbestandsentsprechenden Handlung vermittelt; sie hätten in fremdem Interesse gehandelt und sich fremdem Willen untergeord-
ich spreche deshalb von „Handlungsherrschaft". 48 Es handelt sich hier u m den au- net. 5 2 Aber auch abgesehen von solchen „politischen" Fällen sind bis z u m Inkraft-
genfälligsten Typ der Täterschaft, weil diese Form der Tatherrschaft dem Verständ- treten des neuen „Allgemeinen Teils" nicht wenige Sachverhalte im Sinne des
nis der Täterschaft als Tatbestandsverwirklichung am deutlichsten entspricht. Die extremen Subjektivismus entschieden worden. Noch im Jahre 1974 hat der B G H 5 3
Annahme der Täterschaft bei eigenhändiger Tatbestandsverwirklichung wird einen Messerstecher als bloßen Gehilfen beurteilt: „Wer selbst alle Tatbestands-
durch den Wortlaut des Gesetzes bestätigt, der demjenigen die Täterschaft zu- merkmale in seiner Person erfüllt, kann als bloßer Gehilfe angesehen werden, so-
spricht, der die Tat „selbst... begeht". fern sein Wille dahin ging, nur eine fremde Tat zu unterstützen . . . Das eigene
39 Die anscheinende Evidenz der Täterschaft in diesen Fällen ist allerdings der Zustechen in dem Bestreben, nicht als Feigling in den Augen der anderen zu er-
Rspr. lange Zeit keineswegs selbstverständlich gewesen und von ihr bis heute scheinen, s p r i c h t . . . dafür, daß er sich deren Willen untergeordnet hat."
nicht ausnahmslos anerkannt. Wenn man nämlich vom Standpunkt der subjek- Das war schon damals juristisch unhaltbar, verstößt aber seit dem Inkrafttreten 41
tiven Theorie ( R n . 18 f.) aus das Interessenkriterium in den Vordergrund schiebt des § 25 I auch eindeutig gegen den Wortlaut des Gesetzes. D e n n wer eine Tat
und bei Handeln in fremdem Interesse womöglich noch dazu eine Willensunter- eigenhändig vollführt, hat sie „selbst" begangen, auch w e n n er dabei im Interesse
ordnung als gegeben ansieht, m u ß man zu dem Ergebnis k o m m e n , daß auch der- anderer handelt; „selbst" bedeutet „in eigener Person", aber nicht „in eigenem
jenige, der die Tat allein ausführt, nur Gehilfe ist, w e n n er für einen anderen h a n - Interesse". Auch die Gesetzesmaterialien 54 sprechen sich im Hinblick auf den
delt und sein Tun von dessen Wünschen abhängig macht. So hatte im vielzitierten Wortlaut des § 25 I dahin aus, daß, wer z. B. in eigener Person tötet, „stets Täter
„Badewannen"-Fall (RGSt 74, 84) 4 9 die Schwester der Kindesmutter auf deren ist und nicht etwa wegen fehlenden Täterwillens Teilnehmer sein kann, wie es in
Veranlassung und in deren Interesse das neugeborene Kind eigenhändig in einer der Rspr. bisweilen angenommen worden ist". Aufgrund der veränderten Geset-
Badewanne ertränkt. Das R G hielt das zur Verurteilung als Täterin nicht für aus- zeslage wird auch in der Rspr. die Handlungsherrschaft als Kriterium der u n m i t -
reichend 5 0 und stellte darauf ab, „ob sie die Tötungshandlung als eigene gewollt telbaren Täterschaft mehr und mehr anerkannt. So hat das O L G Stuttgart aus-
oder lediglich die Tat ihrer Schwester (seil, der Kindesmutter) hat unterstützen drücklich erklärt (OLG Stuttgart N J W 1978, 715 f.): „Wer alle objektiven und
wollen" (vgl. schon R n . 19). Bei bloßem, persönlich uninteressiertem Unterstüt- subjektiven Merkmale des Tatbestandes in eigener Person verwirklicht, ist nicht
zungswillen sollte die allein und eigenhändig durchgeführte Tötung nur eine G e - Gehilfe, sondern Täter." Der B G H bleibt i m m e r noch zurückhaltender, wenn er
hilfenschaft begründen. betont (BGH N S t Z 1987, 224 f.), er habe „diese strenge Auffassung so bisher nicht
40 Der B G H ist dieser Rspr. zunächst teilweise gefolgt. Zwar hatte sich der 5. Se- vertreten". Es bedürfe im konkreten Fall aber keiner Auseinandersetzung damit,
nat anfänglich ausdrücklich von ihr abgewandt und unter deutlicher Annäherung „ob sie richtig ist" oder ob „in extremen Ausnahmefällen" eine Abweichung vom
Grundsatz der Täterschaft des eigenhändig die Tat Ausführenden möglich sei. In
an die Tatherrschaftslehre entschieden (BGHSt 8, 393): „Wer mit eigener Hand
der Praxis sind solche „extremen Ausnahmen" bisher nicht aufgetreten. Im spek-
einen Menschen tötet, ist grundsätzlich auch dann Täter, w e n n er es unter d e m
takulären „Katzenkönigs-Fall" (BGHSt 35, 347; näher Rn.76ff.) haben weder
Einfluß und in Gegenwart eines anderen nur in dessen Interesse tut (gegen RGSt
die erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit noch der Verbotsirrtum noch
74, 84)." Der bekannte Fall „Staschynskij" (BGHSt 18, 87) hat dann aber einen
das fremdnützige, weisungsabhängige Handeln des Ausführenden den B G H an
U m s c h w u n g eingeleitet, der die nachfolgende Rspr. weitgehend zum Subjektivis-
dessen Täterschaft zweifeln lassen. BGHSt 38, 315 55 hat auch für die mit-
mus zurückgeführt hat. Ein sowjetischer Agent hatte im Auftrage seines Geheim-
täterschaftlich-eigenhändige Tatbestandserfüllung die Täterschaft für den Regel-
dienstes zwei Exilpolitiker in der Bundesrepublik mit einer Giftpistole eigenhän-
fall bejaht: Für den Mittäter, der selbst „alle Tatbestandsmerkmale rechtswidrig
dig erschossen, war später aber aus dem sowjetischen Machtbereich entflohen und
und schuldhaft verwirklicht", gelte „dem Grundsatz nach nichts anderes" als für
hatte sich der deutschen Polizei gestellt. Der B G H hielt ihn nur einer Beihilfe zum
den Alleintäter. „Auch er ist unmittelbarer Täter im Sinne des § 25 Abs. 1 StGB"
Mord für schuldig. 51 Im Anschluß daran sind bei den Prozessen gegen N S - G e -
(aaO., 316). O b für „extreme Ausnahmefälle" etwas anderes gelten kann, -yvird
waltverbrechen diejenigen, die im Auftrag höherer Stellen andere Menschen er-
auch hier offengelassen.
mordet hatten, vielfach nur als Gehilfen verurteilt worden mit der Begründung,
48 Man wird freilich davon ausgehen müssen, daß die eigenhändige Tatbestands- 42
Der Ausdruck wird aufgenommen bei Eben, AT3,190; Freund, AT, § 10, Rn.42; Herzberg,
1977, § 3 III 3; SK7-Hoyer, § 25, Rn. 13; Jakobs, AT2, 21/35; Krey, AT/2, § 27, Rn. 94; Stratenwerth, erfüllung i m m e r zur Täterschaft fuhrt und daß auch „extreme Ausnahmefälle"
AT4, § 12, Rn. 46; Wesseh/Beulke, AT31, Rn. 538.
49 52
Vgl. Härtung, JZ 1954, 430 zu den Motiven der damals entscheidenden Richter. Vgl. niherJust-Dahlmann/Just, 1988; Hanack, 1967.
50 53
Gegen das RG schon das damalige Schrifttum; vgl. nur Mezger, DR 1940, 634; zu Dohna, BGH MDR (D) 1974, 547; zur Kritik Schöneborn, ZStW 87 (1975), 902 (904 ff.).
54
DStR 1940,120; Klee, ZAkDR 1940,188. Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650,149.
51 55
Eingehende Analyse des Urteils bei Roxin, Täterschaft, 72000, 562 ff. Dazu Wiegmann, ]uS 1993,1003.

20 21
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
58
daran nichts ändern können. Die Gegenmeinung, die eine solche Möglichkeit für schaft; sie tritt in diesen Fällen als „Willensherrschaft" auf. Im Regelfall freilich
gesetzlich nicht ausgeschlossen hält, 5 6 stützt sich auf die Beratungen des Sonder- ist ein Tatveranlasser oder sonst auf das Geschehen Einwirkender, der an der
ausschusses über den neuen Allgemeinen Teil. Hier bestand zwar Einigkeit dar- Tatbestandsverwirklichung nicht unmittelbar beteiligt ist, nur Anstifter oder
über, daß bei Sachverhalten nach Art des Badewannen- und Staschynskij-Falles Gehilfe. D e n n wer einen anderen zu einer Tat auffordert; i h m Ratschläge oder
(Rn. 39, 40) unter dem neuen Gesetz eine Täterschaft angenommen werden müsse. Werkzeuge gibt, beherrscht die Tatbestandsverwirklichung gerade nicht, weil die
Doch wurde von einigen vorgetragen, daß z.B. bei den Exekutoren eines auf maßgebliche Entscheidung über die Ausführung beim unmittelbaren Täter liegt,
Befehl handelnden Erschießungskommandos eine bloße Beihilfe in Betracht der allein die Tatherrschaft innehat. Eine mittelbare Täterschaft k o m m t vielmehr
komme. Jedoch lassen weder der Wortlaut noch die ratio des § 25 I eine solche bei den Herrschaftsdelikten nur in drei idealtypischen Fällen in Betracht:
Deutung zu. 57 D e n n die Exekutoren haben die Tat „selbst" begangen, den T ö - Erstens kann man eine Tat als Hintermann beherrschen, indem man den u n m i t - 46
tungsvorgang beherrscht und tatbestandsmäßig gehandelt. Der Druck, unter dem telbar Ausführenden zur Tatbestandsverwirklichung zwingt (Willensherrschaft
sie gestanden haben mögen, verdient Berücksichtigung bei der Strafzumessung; kraft Nötigung). Zweitens kann man das Geschehen aus dem Hintergrund len-
für die Frage nach der Täterschaft sind solche das Maß der Schuld betreffenden ken, indem man den Ausführenden täuscht und dadurch zum unwissentlichen
Faktoren unerheblich. Vollstrecker seines Deliktsplans macht (Willensherrschaft kraft Irrtums). U n d
43 Selbst der Umstand, daß jemand eine Tat unter dem Einfluß einer N ö t i g u n g man kann drittens das Geschehen maßgeblich steuern, indem man als A n o r d n e n -
(§ 35) oder in einem unverschuldeten Verbotsirrtum (§ 17) begeht, läßt seine B e - der in einem organisatorischen Machtapparat sich beliebig auswechselbarer Voll-
herrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens und seine Täterschaft unberührt. streckungsorgane bedienen kann und dadurch auf die Ausführungsbereitschaft
Er ist dann ein entschuldigter Täter, aber doch ein Täter. Freilich ist es sehr wohl eines individuellen Täters nicht mehr angewiesen ist (Willensherrschaft kraft
möglich, daß ein Hintermann, der den Ausfuhrenden genötigt oder seinen Ver- organisatorischer Machtapparate). Andere als diese drei Grundformen der B e -
botsirrtum hervorgerufen hat, dadurch in die Rolle eines mittelbaren Täters ein- herrschung sind nicht vorstellbar. Die mittelbare Täterschaft bei Benutzung
rückt (näher R n . 45 ff). Aber gerade deswegen besteht keine Veranlassung, an der Schuldunfähiger, vermindert Schuldfähiger u n d Jugendlicher, die hier gesondert
Handlungsherrschaft des unmittelbar Ausführenden zu rütteln. behandelt wird, ist strukturell nur eine Kombination von N ö t i g u n g s - und Irr-
44 Wer nicht den gesamten Tatbestand, sondern nur einzelne seiner Merkmale ei- tumsherrschaft.
genhändig verwirklicht, ist deshalb noch nicht unmittelbarer Täter. D e n n die
Ausführung einzelner Tathandlungen ist noch keine das Gesamtgeschehen u n m i t - 1. D i e Willensherrschaft kraft N ö t i g u n g
telbar beherrschende Tatbestandsverwirklichung. Wer also bei einem R a u b (§ 249) Der verhältnismäßig einfachste Fall einer auf Zwangseinwirkung beruhenden 47
keine Gewalt anwendet, sondern nur Sachen w e g n i m m t , ist zwar unmittelbarer Willensherrschaft ist die N ö t i g u n g (§ 35). Wenn also A den B durch die D r o h u n g ,
Täter eines Diebstahls (§ 242), nicht aber eines Raubes. Freilich liegt hier, w e n n ihn oder einen seiner Angehörigen umzubringen, zu einer Straftat, etwa zu einem
ein anderer abredegemäß die Gewalt ausübt, eine Mittäterschaft vor (näher Überfall (§ 224 I Nr. 3), nötigt, wird A als mittelbarer Täter nach § 224 I Nr. 3
R n . 188 ff), so daß im Ergebnis gleichwohl eine Verurteilung als Täter eines R a u - bestraft. Er hat die Tat „durch einen anderen" (§ 25 I, 2. Alt.) begangen. Zwar
bes erfolgen muß. beherrscht die Ausführung allein der B, der deswegen auch (wenngleich entschul-
digter) unmittelbarer Täter ist. Da aber A den B beherrscht, beherrscht er mittel-
II. D i e mittelbare Täterschaft als Willensherrschaft bar auch die Ausführung. Wir haben hier einen Fall des „Täters hinter dem (ent-
schuldigten) Täter" vor uns. Es ist demnach nicht so, wie vielfach angenommen
45 Man kann einen Tatbestand aber auch verwirklichen, indem man sich eines wird, daß eine Täterschaft des unmittelbar Ausführenden die mittelbare Täter-
anderen (eines „Tatmittlers") bedient und dessen Person derart für seine Ziele ein- schaft eines Hintermannes schlechthin ausschließt. Im Gegenteil setzt im Falle der
setzt, daß man durch seine Instrumentalisierung (seine Benutzung als „Werk- Nötigung die Willensherrschaft des Hintermannes die Handlungsherrschaft'des
zeug") mittelbar (als „Hintermann") das Geschehen beherrscht. Eine solche Tat- Ausführenden geradezu voraus.
begehung „durch einen anderen" (§ 25 I, 2. Alt.) nennt man mittelbare Täter- Ein Streitpunkt liegt darin, wie stark der vom Hintermann ausgeübte Druck 48
sein muß, u m eine mittelbare Täterschaft zu begründen. D a ß nicht jeder Druck
56 Baumann, Jescheck-FS, 1985, 108; Baumann/Weber, AT10, §29 III 2b bei und in Fn. 61;
Geerds, Jura 1990, 176; LK10-Jähnke, §212, Rn. 6; Jescheck/Weigend, AT5, §61 II; noch Lackner/ 58
Der Sache nach ebenso Bottke, 1992, 71, der von einer „relevant überlegenen Gestaltungs-
Kühl23, § 25, Rn. 1 (wie hier aber jetzt Lackner]Kühl2*, § 25, Rn. 1); Maurach/Gössel, AT/27 47/ herrschaft" spricht. Auch der von mir (Täterschaft, 72000, 141 ff.) geprägte Begriff der „Wil-
64; Otto, AT6, § 21IV 1 a; Schmidhäuser, LB AT , 14/168. lensherrschaft" ist in der Literatur vielfach übernommen worden, vgl. nur Gropp, AT2, § 10,
57 Krit. Darstellung der Debatte bei Roxi«,Taterschaft, 72000, 549 ff. Rn. 38; SK7-Hoyer, § 25, Rn. 13, 27; Krey, AT/2, Rn. 54; Kühl, AT3, § 20, Rn. 27.

22 23
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

genügen kann, ist klar; denn auch der Anstifter übt einen motivierenden Einfluß Eine derart einzelfallorientierte Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und 50
auf den Täter aus, ohne daß er deshalb schon die Tatherrschaft hätte. Die h. M . Anstiftung ist jedoch abzulehnen. D e n n sie führt zu Rechtsunsicherheit und zu
folgt dem von mir 5 9 entwickelten „Verantwortungsprinzip" 60 : Danach wirkt der einem im Strafrecht nicht mehr vertretbaren richterlichen Dezisionismus. Wo der
vom Hintermann ausgeübte Druck herrschaftsbegründend u n d führt zur mittel- „Grenzbereich" anfängt, wann die Beeinflussung eines verantwortlich Handelnden
baren Täterschaft, sobald er den Voraussetzungen des § 35 entspricht, den Aus- zu einer „psychischen Beherrschung" wird und wann man ihn als „Werkzeug" b e -
führenden also von der strafrechtlichen Verantwortung befreit. D e m liegt der G e - urteilen kann, läßt sich nicht aus der Anschauung des konkreten Falles, sondern
danke zugrunde, daß es der in § 35 zum Ausdruck k o m m e n d e n gesetzgeberischen nur nach einem leitenden Maßstab bestimmen. Dieser aber fehlt, w e n n man die
Wertung entspricht, dem Hintermann die Tatbestandsverwirklichung zuzurech- vom Gesetzgeber vorgezeichnete In- oder Exkulpation des Ausführenden .nicht als
nen, sobald der Ausführende wegen des auf ihn ausgeübten Druckes von der Ver- verbindliche Richtschnur anerkennt. Außerdem ist zu bedenken, daß die gesetz-
antwortlichkeit für sie entlastet wird. Die Abgrenzung knüpft also an eine empiri- liche Entscheidung über die Verantwortlichkeit des unmittelbaren Täters auf die
sche Gegebenheit, die Stärke des psychischen Drucks, an, bestimmt die Grenzlinie psychischen Gegebenheiten zurückwirkt: Wer sich vom Gesetzgeber entschuldigt
aber normativ nach der Regel des § 35. D e n n da der Grad der Zwangseinwirkung weiß, wird einem auf ihn ausgeübten Druck viel leichter erliegen als derjenige,
sich exakter Meßbarkeit entzieht, unterliegt die Tatherrschaft wie alle Rechts- der sich von seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht entlastet weiß.
begriffe - abgesehen von der Ü b e r n a h m e mathematisch eindeutiger Maße u n d Mittelbare Täterschaft liegt auch vor, w e n n der Hintermann den entschuldigen- 51
Zahlen - im Grenzbereich teleologischer Festlegung. den Notstand beim unmittelbaren Täter nicht durch eine Drohung, sondern durch
49 Im Schrifttum versucht eine Mindermeinung, die Abgrenzung von mittelbarer Schaffung einer dem § 35 entsprechenden äußeren Situation herbeiführt. Wenn A
Täterschaft und Anstiftung bei Nötigungsfällen unabhängig von der Verantwort- den Tod des C vorsätzlich herbeiführt, indem er B in eine Gefahrenlage bringt, aus
lichkeit des Ausführenden nach den Gegebenheiten des konkreten Falles zu b e - der dieser sich, wie A voraussieht, nur durch Tötung des C retten kann, ist A mit-
stimmen. So will Schroetter61 schon im „Grenzbereich der Entschuldigungsgründe" telbarer Täter eines Tötungsdelikts. D e n n er ist der eigentliche Beherrscher der
eine mittelbare Täterschaft annehmen. Maurach/Gössel62 bejahen eine Tatherrschaft Situation und bedient sich des B nur als eines strafrechtlich nicht verantwortlichen
des Hintermannes bei „psychischer Beherrschung des strafbaren Tatmittlers", z. B. Werkzeugs. 6 4 Praktisch sind derartige Fälle freilich sehr selten.
in dem Fall, daß jemand eine ihm hörige Frau durch die Drohung, sie sonst zu Etwas anders stellt sich das Problem, wenn der Hintermann die entschuldigen- 52
verlassen, zur Tötung ihres Ehemannes bestimmt. U n d Herzberg63 wollte vorüber- de Situation nicht geschaffen hat, sondern schon vorfindet und nur für seine
gehend das Verantwortungsprinzip durch ein „Werkzeugprinzip" ersetzen, wonach Zwecke ausnutzt. Hier liegt eine mittelbare Täterschaft nur bei zwei Konstellatio-
eine mittelbare Täterschaft etwa auch dann vorliegen kann, w e n n der unter N ö t i - nen vor. Der erste Fall ist der, daß jemand eine R e t t u n g an die Bedingung einer
gungsdruck stehende unmittelbare Täter infolge der Ausnahmeklausel des § 35 I 2 Straftatbegehung knüpft: A, der als einziger den verunglückten B rechtzeitig ins
nicht exkulpiert wird. Krankenhaus fahren kann, macht seine rettende Hilfe davon abhängig, daß B zu-
vor seine Unterschrift unter ein gefälschtes D o k u m e n t setzt. Das ist eine U r k u n -
denfälschung in mittelbarer Täterschaft (§ 267). D e n n der Nötigungseffekt einer
angedrohten Nichtrettung entspricht völlig dem einer angedrohten Tötung oder
s? Roxi«, Täterschaft, 72000,143-148.
so Aus dem Schrifttum: Bloy, 1985, 345 ff; Bottke, 1992, 51 ff.; Herzberg, 1977, § 3 III 2 (abwei- Körperverletzung durch aktives Handeln. Zweitens ist der Hintermann als mittel-
chend jetzt ders., Jura 1990,16); Jakobs, AT2, 2\\9\tt.; Jescheck/Weigend, AT5, § 62 II 6; Kühl, AT3, barer Täter zu bestrafen, w e n n er dem in Notstand Geratenen überhaupt erst die
§ 20, Rn. 64; Küper, JZ 1989, 948; Lackner/Kühl 2\ § 25, Rn. 2; Maiwald, ZStW 93 (1981), 891 ff;
Möglichkeit verschafft, sich auf Kosten Unschuldiger zu retten: 6 5 A verschafft
Otto, AT6, § 21IV 3 a; Seh/Seh/Cramer/Heine26, § 25, Rn. 35; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 49ff.,
57; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 540 ff. Vom Standpunkt seines Selbstverantwortungsprinzips aus dem verschütteten und sonst todgeweihten Bergmann B Explosivstoff, mit dem
auch Schumann, 1986, 76. Krit. Küper, JZ 1989, 935 ff. (948), der aber gleichwohl auch für die er sich den Weg ins Freie sprengen kann; A und B wissen dabei, daß die Spreng-
Beibehaltung des Verantwortungsprinzips plädiert. Krey, AT/2, Rn.99ff. beurteilt das Verant-
wortungsprinzip, das nach meiner Auffassung nur bei genötigten und schuldlosen Werkzeu- wirkung andere Bergleute töten muß, die sonst gerettet werden würden. Hier' ist
gen anwendbar ist, als „Basis der mittelbaren Täterschaft" überhaupt. Darauf und auf ähnliche B entschuldigt; A jedoch, der ohne eigene N o t die Todesangst eines anderen zur
Auffassungen in der Literatur wird im Zusammenhang mit den übrigen Erscheinungsformen Tötung Unbeteiligter benutzt und dadurch den Ablauf verantwortlich gesteuert
der mittelbaren Täterschaft näher eingegangen werden.
hat, ist mittelbarer Täter.
6i Schroeder, 1965, 120ff. (krit. Roxin, ZStW 78 [1966], 222ff., 230ff.); ähnlich Stein, 1988,
298. 6
62 Maurach/Gössel, A T / 2 7 , 4 8 / 8 6 . * Ebenso Gallas, Materialien, 134; Blei, AT18, § 72 I 3 b; Jescheck/Weigend, AT5, § 62 II 6.
63 Herzberg, Jura 1990, 16 (22 ff.) unter Aufgabe seiner früheren, am Verantwortungsprinzip Abweichend Schumann, 1986, 81 ff.
65
orientierten Meinung. In Herzberg, 2000, 33ff., 55ff, ist er zum Verantwortungsprinzip Abw. Blei, AT18, §72 I 3 b und wohl auch Jescheck/Weigend, AT5, §62 II, 6; übereinstim-
zurückgekehrt. mend dagegen Herzberg, 1977, § 3 III 2.

24 25
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

Dagegen liegt nur eine Teilnahme vor, w e n n jemand an der entschuldigten N o t - auf § 3 5 hin. 6 9 O G H S t 2, 7 f. bejaht zutreffend eine Körperverletzung in einem
standstat eines anderen als Außenstehender mitwirkt, ohne die Notstandslage g e - Fall, in dem KZ-Häftlinge mit den Mitteln des § 35 zu stundenlangem Aufenthalt
schaffen zu haben oder verändern zu können. 6 6 So verhält es sich, w e n n jemand in eiskaltem Wasser gezwungen wurden. Als Tötungsversuch ist der Fall Hoefeld 7 0
den in N o t Geratenen auffordert, sich auf Kosten eines anderen zu retten oder zu beurteilen, in dem Eltern ihre Tochter durch Schläge s zu einem Selbstmord-
wenn er ihn in dem Entschluß dazu bestärkt, indem er ihm H e m m u n g e n aus- versuch trieben. Als vollendeter Totschlag ist der Fall des Generalfeldmarschalls
redet. Eine solche Beteiligung ist nur als Anstiftung bzw. Beihilfe strafbar, die R o m m e l anzusehen, der von Hitler der Verstrickung in das Attentat vom 20. Juli
auch bei schuldloser Haupttat möglich sind (§§ 26, 27, 29). D e n n man hat keine 1944 verdächtigt und durch D r o h u n g mit Hinrichtung zum Selbstmord gezwun-
Herrschaft über die Tat, w e n n man nicht den psychischen Druck geschaffen hat, gen wurde.
unter dem der Ausführende den Tatbestand verwirklicht. Der nur psychisch E i n - Eine verbreitete Meinung 7 1 stellt aber bei einer N ö t i g u n g zur Selbstschädigung 56
wirkende ist sogar straflos, falls er sich darauf beschränkt, den in eine Notstands- erheblich geringere Anforderungen an die mittelbare Täterschaft als bei der N ö t i -
lage Geratenen darauf hinzuweisen, daß er straflos ist, w e n n er sich durch eine gung zu Straftaten. Man n i m m t eine Verantwortlichkeit des sich selbst Schädi-
rechtswidrige Tat aus seiner Situation befreit. 67 genden nur an, wenn er unter Voraussetzungen handelt, die bei einer Fremd-
Die zuvor entwickelten Regeln gelten für die N ö t i g u n g zur Selbstschädigung schädigung eine Einwilligung als wirksam erscheinen lassen würde oder w e n n ein
entsprechend. 6 8 Wer also jemanden zu einem gesundheitsschädlichen Experiment Suizid trotz der N ö t i g u n g „ausdrücklich und ernstlich" i. S. d. §216 gewollt
mit seinem Körper oder zu einem Suizid nötigt, ist nur dann wegen Körperverlet- wurde. Das läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß schon jede „gewichtige D r o -
zung oder wegen eines Tötungsdelikts als mittelbarer Täter strafbar, wenn er dies hung" des Außenstehenden ihn für die Selbstschädigung verantwortlich macht.
unter den Voraussetzungen des § 35 tut, also mit einer „Gefahr für Leben, Leib Der B G H hat sogar einmal 7 2 den Umstand, daß eine Ehefrau ihren M a n n einen
oder Freiheit" droht. Wenn z. B. nur die Aufdeckung eines Skandals in Aussicht g e - Selbstmord vorgeschlagen, das Gift gemischt und den Plan „zügig" durchgesetzt
stellt wird, ist der Veranlasser für die Selbstschädigung nicht wegen Körperverlet- hatte, für eine Tatherrschaft der Frau und die Bejahung einer mittelbaren Tötungs-
zung oder gar wegen Mordes, sondern nur ggf. wegen N ö t i g u n g (§ 240) zu b e - täterschaft genügen lassen, ohne daß eine eigentliche D r o h u n g oder N ö t i g u n g
strafen. Die Anwendung des § 35 auf solche Fälle ist deshalb nur „entsprechend", überhaupt vorgelegen hätte.
weil die Selbstschädigung keine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Handlung i. S. d. Das geht aber alles zu weit. D e n n Nötigungen unterhalb der Schwelle des § 35 57
§ 35 ist und deshalb nicht der Entschuldigung bedarf, u m die es bei dieser Vor- kann und m u ß man standhalten, wie die gesetzliche Regelung beweist. Auch ist
schrift eigentlich geht. Eine entsprechende A n w e n d u n g ist deshalb angezeigt, weil der Maßstab der Gegenmeinung zu unklar. Wann eine D r o h u n g „gewichtig" oder
der Selbstschädigung eine ähnlich hohe (bei schweren Schädigungen wohl sogar eine Situation, wie in dem vom B G H ( R n . 56) entschiedenen Selbstmord-Fall
höhere) Hemmschwelle entgegensteht als der Deliktsbegehung und weil nicht „bedrängend" ist, läßt sich nicht hinreichend objektivieren. Speziell beim Suizid
recht einzusehen ist, w a r u m jemand für eine Selbstschädigung - seine psychische hilft auch das Ernstlichkeitskriterium des §216 nicht weiter. D e n n der Suizid
Gesundheit vorausgesetzt - nicht mehr verantwortlich sein sollte, solange er für selbst beweist ja, w e n n er bei voller Verantwortlichkeit durchgeführt wird, die
ein unter demselben Nötigungsdruck begangenes Delikt uneingeschränkt strafbar Ernstlichkeit des Entschlusses, während diese bei einem Verlangen i m m e r erst er-
ist. Soweit das Verhalten des Veranlassers Strafe verdient, kann dem durch eine mittelt werden muß. Die Maßstäbe der Tötung auf Verlangen und der Einwilli-
Verurteilung wegen N ö t i g u n g hinreichend R e c h n u n g getragen werden (vgl. gung sollten auch deswegen nicht auf die Selbstschädigung übertragen werden,
R n . 58). weil der Gesetzgeber die M i t w i r k u n g an einer Selbstschädigung und die Fremd-
Die Rspr. hat sich mit der Frage noch nicht grundsätzlich beschäftigt, geht aber schädigung mit Einwilligung oder auf Verlangen des Geschädigten ausdrücklich
meist von der hier vertretenen Auffassung aus. So weist BGHSt 32, 40 für die
Abgrenzung der Tötungstäterschaft von strafloser Suizidteilnahme ausdrücklich 69 BGHSt 32, 265 f. läßt die Frage dahingestellt, ebenso OLG München TZ 1988, 201 f.
(202).
70
Mitgeteilt von R. Lange, 1935, 32 f. /
71
66 E b e n s o Blei, AT 1 8 , § 72 I 3 b ; Herzberg, 1977, § 3 III 2; Jescheck/Wägend, AT 5 , § 62 II 6; Mau- Zuerst bei Geilen, JZ 1974, 151 f. Der Gedanke ist dann v. a. von Herzberg, JuS 1974,
rach, AT 3 , § § 33 III 5 a, 53 III C 2 a. 378f.; den., JA 1985, 336; den., 1977, §3 III 7 und öfter, ausgearbeitet worden und hat viele
67
Näher, auch zur Frage der grundsätzlichen Strafbarkeit der Teilnahme an einer Not- Anhänger gefunden. Amelung, Coimbra-Symposium, 1995, 247; Brandts, Jura 1986, 495; Freund,
standstat Roxin, AT l3, § 22, Rn. 66 f. AT § 10, Rn.97; SK6-Hörn, §212, Rn.llff; Krey, AT/2, Rn.l37ff; den., BT I11, Rn.89; Kühl,
68 Eingehend Roxin, Dreher-FS, 1977, 331 ff.; den., Täterschaft, 72000, 158-163, 643-645. AT3, §20, Rn.50f.; Lackner/Kühl2*, vor §211, Rn.13 a; Maurach/Gössel, AT/27, §48/93; Neu-
Sodann Arzt/Weber, BT, 3/24ff., 26; Bottke, 1992, 247ff.; den., GA 1983, 30ff.; Charalambakis, mann, JuS 1985, 677ff, 679f.; Otto, AT6, § 21IV 4 d; <fers., Jura 1987, 256 f; Wessels/Beulke, AT31,
GA 1986, 489ff., 498ff.; Hirsch, J R 1979, 432; Jakobs, AT2, 21/56ff., 97ff; Schmidhäuser, StuB Rn. 539; Wessels/Hettinger, BT l 25 , Rn. 48 ff.
AT2, 10/91; den., LB AT2, 14/45; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §25, Rn. 10; SK7-Hoyer, §25, 72
B G H G A 1986, 508 f. D a z u Charalambakis, G A 1986, 485; Brandts/Schlehofer, \Z 1987, 442;
Rn.52ff; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn.72. Neumann, JA 1987, 244.

26 27
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
nicht nach denselben Gesichtspunkten behandelt. Denn während die Teilnahme
2. Die Willensherrschaft kraft Irrtums
am Selbstmord straflos ist, sind die Tötung auf Verlangen und die Tötung mit Ein-
willigung des Getöteten strafbar. Ähnlich ist die Mitwirkung an einer Selbstver- Eine Willensherrschaft kraft Irrtums, die zweite Form der mittelbaren Täter- 61
letzung als solche immer straflos, während bei der Fremdverletzung mit Einwilli- schaft, ist in vier Abstufungen möglich.75
gung des Verletzten die Einschränkungen des § 228 gelten.73 a) Auf der ersten Stufe handelt der Tatmittler ohne Vorsatz. Das ist der klarste und
58 Man bedenke auch die praktischen Folgen der Gegenmeinung, die dem Rechts- am wenigsten umstrittene Fall einer irrtumsbedingten mittelbaren Täterschaft.
gefühl nur auf den ersten Blick gerecht wird! Gewiß liegt ein Strafbedürfnis vor, b) Auf der zweiten Stufe hat der Ausführende den Tatbestandsvorsatz, befindet
wenn jemand durch Drohung mit Strafanzeige oder - etwa bei Politikern - mit sich aber in einem Verbotsirrtum, den der Hintermann hervorgerufen hat oder
der Aufdeckung von Korruption oder sonstigem Fehlverhalten einen anderen in wenigstens ausnutzt. Hier ist sehr str., inwieweit eine mittelbare Täterschaft mög-
verwerflicher Weise gezielt in den Selbstmord treibt. Doch die fünf Jahre Frei- lich ist.
heitsstrafe, die §240 maximal androht, reichen für eine Ahndung vollkommen c) Auf der dritten Stufe weiß der unmittelbare Täter, daß er tatbestandsmäßig
aus. Wie aber, wenn jemand respektable Gründe hat, einem anderen mit derartigen und rechtswidrig handelt; er nimmt aber Umstände an, die bei ihrem Vorliegen
Ankündigungen entgegenzutreten, und wenn er dabei einen Suizid des Entlarv- seine Verantwortlichkeit ausschließen würden. Die Frage, ob ein Hintermann, der
ten nur notgedrungen in Kauf nimmt? Daß der Drohende, wenn der Selbstmord einen solchen Irrtum hervorruft oder seinen Zwecken dienstbar macht, mittel-
tatsächlich begangen wird, wegen vorsätzlichen Totschlags strafbar sein müßte, barer Täter ist, wird bisher wenig behandelt.
scheint mir die Gegenmeinung ad absurdum zu führen. d) Auf der vierten Stufe schließlich ist der Ausführende für sein Tun strafrecht-
59 Denkbar ist schließlich eine Nötigungsherrschaft durch ein rechtmäßig han- lich voll verantwortlich, der Hintermann übersieht aber Art oder Ausmaß der
delndes Werkzeug:74 A zwingt den B durch eine Todesdrohung, den C anzugrei- Schädigung besser als der unmittelbare Täter. Ob und unter welchen Vorausset-
fen, der nun den B in Notwehr erschießt. Wenn A das gewollt oder auch nur in zungen in solchen Fällen ein (mittelbarer) „Täter hinter dem voll verantwortlichen
Kauf genommen hat, ist er mittelbarer Täter einer Tötung des B. Denn B und C Täter" möglich ist, gehört zu den am meisten umkämpften Fragen der Täter-
sind beide seine „Werkzeuge", weil sie vom Gesetz für ihr erzwungenes Verhalten lehre.
nicht verantwortlich gemacht oder sogar gerechtfertigt werden. Wenn A dagegen Alle Formen der Willensherrschaft kraft Irrtums haben eine andere Struktur als 62
den B zu seinem Angriff auf C nur aufgefordert, aber nicht gezwungen hat, kann die Nötigungsherrschaft.76 Nicht Zwang, sondern weiterreichendes Wissen er-
ihm der durch die Notwehrhandlung des C bewirkte Tod des B nicht zugerechnet möglicht dem Hintermann die beherrschende Steuerung des Geschehens. Der
werden. Denn hier hatte B noch selbst die Tatherrschaft, während A nur als An- mittelbare Täter übersieht, was der Ausführende nicht weiß oder nicht wahrhaben
stifter zu der von B etwa begangenen Tat strafbar ist. will; so kann er ihn im Bereiche seines Mehrwissens als bloßen Kausalfaktor in
seine Planung einbeziehen. Da die überlegene Einsicht des Hintermannes vielfach
60 Ein dienstlicher oder militärischer Befehl kann heute im Strafrecht keine Nötigungs-
herrschaft mehr begründen. Denn Anordnungen eines Vorgesetzten, die auf strafbare Hand- nur Teilbereiche des Geschehens betrifft und deshalb nicht ohne weiteres mit
lungen gerichtet sind, dürfen nicht befolgt werden (vgl. z.B. §§56 II 3 BBG, 11 II1 SoldG). einem Verantwortungsausschluß beim unmittelbar Handelnden korrespondiert,
Ein rechtswidriger verbindlicher Befehl ist freilich bei Soldaten noch möglich, soweit er sich kann das Verantwortungsprinzip, das bei der Nötigungsherrschaft gilt (Rn. 48),
auf eine Ordnungswidrigkeit bezieht. In einem solchen Falle hat der Vorgesetzte die Wil-
lensherrschaft kraft Nötigung und ist mittelbarer Täter. Ob der Untergebene gerechtfertigt
nicht auf die Irrtumsherrschaft übertragen werden. Auch diese Strukturdiffe-
oder entschuldigt ist, ist str. (dazu Roxin, AT l3, § 17, Rn. 15-20), aber in diesem Zusammen- renzen werden freilich sehr unterschiedlich beurteilt und bedürfen fallgruppen-
hang unerheblich; denn die Tatherrschaft liegt in jedem Fall beim Vorgesetzten. Freilich ist das bezogener Verdeutlichung (a-d).
alles nur unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaftsstruktur interessant; praktisch ist es wegen
des im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Einheitstäterbegriffs (vgl. Rn. 2) ohne Bedeu- a) Der Ausführende handelt ohne Vorsatz
tung.
Eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes ist unstrittig, wenn er den Aus- 63
führenden in einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum versetzt, so daß die-
ser schuldlos oder allenfalls unbewußt fahrlässig handelt. A ist also mittelbarer
73 Vgl. dazu Roxin, AT l3, § 13, Rn. 36.
74
Vgl. aus dem Schrifttum (z. T. weitergehend) Baumann/Weber, AT10, § 29 V 3 b; Herzberg, Täter eines Mordes, wenn er den B veranlaßt, dem C eine angebliche Beruhi-
1967, 29; Jescheck/Weigend, AT, §62 II 3; Kindhäuser, StGB, §25, Rn.27; Köhler, AT, 508 f.; gungsspritze zu injizieren, die A in Wahrheit mit tödlichem Gift gefüllt hat. Eben-
Kühl, AT3,§20, Rn.59; Maurach/Gössel, AT/27, 48/73; Otto, AT6, §21 IV 3c bb; Sch/Sch/Cra- so ist D mittelbarer Täter eines Diebstahls, wenn er sich vom gutgläubigen E eine
mer/Heine2*, § 25, Rn. 26 ff; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 44; Welzel, StrafR11,104 f. Zur Ausein-
andersetzung mit der älteren Lit., der konstruktiven Problematik des rechtmäßig handelnden
75
Werkzeuges und weiteren, strittigen Varianten der Grundkonstellation vgl. Roxin, Täterschaft, Diese Stufenlehre wird ausfuhrlich entwickelt in Roxi«,Täterschaft, 72000,170-232.
7 76
2000,163-168. Näher Roxi«, Täterschaft, 72000,170 ff, 659 ff.
28 29
§25 II 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

angeblich ihm, dem D, tatsächlich aber dem F gehörende Sache holen läßt. Die de vertraut. Doch selbst wenn Hintermann und Ausführender dasselbe sehen, der
hier vorliegende Form der Irrtumsherrschaft nähert sich der unmittelbaren Täter- Hintermann aber einen Erfolg beabsichtigt oder auch nur in Kauf n i m m t , den der
schaft, weil der Tatveranlasser der einzige ist, der den Kausalverlauf übersieht, und Ausführende vermeiden zu können glaubt, reicht das für eine mittelbare Täter-
weil die Einschaltung sich selbst weiterentwickelnder Kausalfaktoren auch sonst schaft aus. D e n n wenn jemand leichtsinnig auf einen guten Ausgang vertraut,
eine unmittelbare Täterschaft nicht ausschließt. Doch ist das mehr ein t e r m i n o - fehlt ihm das H e m m u n g s m o t i v ; und schon die Ausnutzung dieses Defizits b e -
logisches Problem; die Einschaltung eines menschlichen Mittlers rechtfertigt es, gründet die Tatherrschaft dessen, der den Erfolg erstrebt oder die Möglichkeit des
mit einem eingebürgerten Sprachgebrauch auch hier von mittelbarer Täterschaft Erfolgseintritts wenigstens ernst n i m m t .
zu sprechen. Es m u ß beachtet werden, daß die Täterschaft tatbestandsbezogen ist, so daß bei 66
64 Man wird eine mittelbare Täterschaft auch dann noch annehmen müssen, w e n n ein und derselben Handlung hinsichtlich des einen Tatbestandes mittelbare Täter-
der Hintermann den Irrtum des Ausführenden nicht hervorgerufen hat, sondern schaft, hinsichtlich des anderen aber bloße Anstiftung vorliegen kann. BGHSt 30,
nur ausnutzt, so daß bei vorsätzlichem Handeln des Mittlers n u r eine Beihilfe 363 lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Angeklagte zwei M ä n n e r zu einem
vorläge. Wenn z. B. A aus Ü b e r m u t auf eine Vogelscheuche schießen will und B Raube aufgefordert und ihnen zur Betäubung des Opfers ein angebliches Schlaf-
ihm dazu seine Flinte leiht, obwohl er sieht, daß die vermeintliche Vogelscheuche mittel mitgegeben hatte, das in Wahrheit aus tödlich wirkender Salzsäure bestand.
der Landstreicher L ist, ist B mittelbarer Täter eines Totschlages, w e n n A i r r t ü m - Hier hätte bei Durchführung des Plans der Angeklagte einen Mord in mittelbarer
lich den L erschießt. 77 Das wird zwar teilweise bestritten, 7 8 aber zu Unrecht. D e n n Täterschaft begangen, während nur eine Anstiftung z u m R a u b e und zur Körper-
B ist der einzige, der bewußt einen Menschen tötet. Es ist nicht ersichtlich, w a r u m verletzung vorgelegen hätte. Das wird vereinzelt 81 mit dem Argument bestritten,
dies keine mittelbare Tötungstäterschaft sein sollte, nur weil B in d e m ganz an- daß schon die dem Ausführenden bekannten Delikte hinreichende H e m m u n g s -
deren Fall, daß A die Sachlage übersähe, bloß Gehilfe wäre. Wie wenig die Ableh- motive lieferten, so daß dem H i n t e r m a n n auch hinsichtlich des Mordes die Tat-
nung einer mittelbaren Täterschaft den Intentionen des Gesetzgebers entspricht, herrschaft fehle. Doch ist das nicht richtig. D e n n gegenüber einem Mord besteht
läßt sich daraus entnehmen, daß eine Beihilfe zum unvorsätzlichen Totschlag nach eine viel höhere Hemmschwelle als gegenüber anderen Delikten. Ihn hätten die
geltendem Recht nicht möglich ist; denn jede Teilnahme setzt eine vorsätzliche unmittelbar Handelnden, wie auch unser Sachverhalt gezeigt hat, bei Kenntnis
Tat voraus ( § § 2 6 , 27). Den B unseres Beispiels aber nur wegen unterlassener der Sachlage nicht begangen, so daß hinsichtlich des Mordes bei Ausführung der
Hilfeleistung (§323 c) zu bestrafen, 79 ist unbefriedigend und auch konstruktiv Tat allein der Angeklagte das Geschehen beherrscht hätte. Auch geht es nicht an,
kaum möglich. D e n n da A ohne die Flinte nicht hätte schießen können, ist dem B jemanden, der einen Tatmittler hinsichtlich eines sehr schweren Deliktes in einen
kein Unterlassen, sondern allein sein todbringendes Tun vorzuwerfen. Tatbestandsirrtum versetzt, nur deshalb nicht als mittelbaren Täter zu bestrafen,
65 Man wird eine mittelbare Täterschaft des einen vorsatzausschließenden Irrtum weil er zugleich noch den Ausführenden zu weniger schweren Delikten anstiftet.
Hervorrufenden oder Ausnutzenden auch dann noch annehmen müssen, w e n n Eine mittelbare Täterschaft liegt auch vor, wenn der Hintermann dem u n m i t - 67
der Ausführende bewußt fahrlässig handelt. Das ist freilich nicht selbstverständ- telbar Handelnden eine Rechtfertigungslage vorspiegelt oder einen bei diesem
lich, weil der Tatmittler bei bewußter Fahrlässigkeit immerhin nicht „blind" den schon vorhandenen Erlaubnistatbestandsirrtum ausnutzt. Wenn also A dem B
Erfolg verursacht, sondern die Möglichkeit seines Eintritts sieht. Aber in solchen vortäuscht, er werde von C angegriffen, so daß B in vermeintlicher N o t w e h r den
Fällen wird der Hintermann i.d.R. mehr sehen als der unmittelbar Ausführende, in Wahrheit unschuldigen C niederschlägt, ist A mittelbarer Täter einer Körper-
indem er z. B. die Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts kennt, verletzung. Dasselbe gilt, w e n n B aufgrund eigenen Irrtums glaubt, der C sei im
den der Handelnde nur gerade für möglich hält. 8 0 D a n n gestattet i h m schon das Begriff, ihn zu überfallen, und w e n n A i h m zur Abwehr des vermeintlichen R ä u -
Mehrwissen die Beherrschung des Erfolges, auf dessen Ausbleiben der Ausführen- bers eine Pistole leiht, obwohl er weiß, daß C harmlose Absichten verfolgt. In bei-
den Fällen ist eine mittelbare Täterschaft selbstverständlich, wenn man mit der
77
Vgl. Roxin,Täterschaft, 72000,173-178; LKn-Roxin, §25, Rn.75; in beiden Bezugsstellen hier vertretenen eingeschränkten Schuldtheorie 8 2 den Erlaubnistatbestandsirrtum
findet sich eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Gegenmeinung. Ferner vgl. ausführ- in analoger oder direkter Anwendung des § 16 als vorsatzausschließend ansieht,
lich LK9-Busch, § 47, Rn. 32; Freund, AT, § 10, Rn. 58; mit geringfügigen Einschränkungen denn dann liegt der Normalfall eines unvorsätzlich handelnden Werkzeuges vor.
Gallas, MatStrRef. I, 138; ders., ZStW-Sonderheft Athen, 1957, 11; Köhler, AT, 508; Maurach/
Gössel, AT/27, 48/89; Otto, AT6, § 21IV 3 c aa; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 36. Aber auch w e n n man meint, ein solcher Irrtum lasse den Vorsatz des Ausführen-
78
Früher v.a. von M. E. Mayer, AT , 377; in neuerer Zeit von Nowakowski, JZ 1956, 549; den unberührt, m ü ß t e eine mittelbare Täterschaft a n g e n o m m e n werden. D e n n j e -
Schmidhäuser, LB AT2,14/42; ders., StuB AT2,10/84; Schumann, 1986, 98ff.
79
Dies ist die Lösung von Schumann, 1986,102. « Sippel, NJW 1983, 2226ff.; dfrs., NJW 1984, 1866; ders., JA 1984, 480f. Gegen ihn mit
80
Auf solche Fälle habe ich in Täterschaft, '1963, 180-193, 220-225, die mittelbare Täter- Recht Spiegel, NJW 1984,110,1867; Teubner, JA 1984,144 f.
82
schaft beschränken wollen. Vgl. Roxin, AT l3, § 14, Rn. 51 ff.

30 31
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
denfalls irrt der unmittelbar Handelnde über äußere Umstände, die für das Un- men. 83 Denn das Opfer befand sich in einem Quasi-Tatbestandsirrtum, weil es
recht seines Tuns entscheidend sind. Der Hintermann ist der einzige, der den Un- glaubte, es werde auf dieser Welt, wenn auch in einem veredelten Körper, weiter-
rechtssachverhalt übersieht, und das macht ihn zum Beherrscher des Geschehens. leben.84 Es lag also kein Selbstmordversuch vor, an dem der Mann nur straflos
68 In den Zusammenhang des vorsatzlosen Tatmittlers fällt auch das Problem des hatte mitwirken können. Das Beispiel zeigt, daß die Abgrenzung von mittelbarer
„rechtmäßigen Werkzeuges". Vor allem bei staatlichen Handlungen kommt es Täterschaft und Teilnahme an einer Selbstschädigung praktisch noch wichtiger ist
vor, daß der Sachverhaltsirrtum eines Amtsträgers nicht allein den Deliktsvorsatz, als die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung. Denn im ersten
sondern sogar die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ausschließt. Wenn z. B. A den Fall geht es um Strafbarkeit oder Straflosigkeit, während im zweiten wenigstens
B fälschlich einer schweren Straftat verdächtigt und dafür beweiskräftig erschei- bei vollendeter Tat die Strafrahmen für Täterschaft und Anstiftung dieselben sind.
nende Indizien zusammenträgt, kann es zu einer rechtmäßigen Verhaftung oder Anders als die Täuschung über den (durch eigenes Handeln erfolgenden) Tod 71
vorläufigen Festnahme des zu Unrecht Beschuldigten kommen (§§ 112, 127 II des Opfers reicht die Hervorrufung sonstiger selbstmordmotivierender Irrtü-
StPO), sofern ex ante ein dringender Tatverdacht entsteht. Die beteiligten Amts- mer zur Begründung einer mittelbaren Täterschaft nicht aus. Die Vortäuschung,
personen (Polizisten, Staatsanwalt, Richter) sind dann rechtmäßig handelnde mit dem anderen in den Tod gehen zu wollen, begründet also noch keine mittel-
Tatmittler des A, der wegen Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft zu be- bare Tötungstäterschaft, wenn der Getäuschte daraufhin in der irrigen Annahme
strafen ist (BGHSt 3, 4; 10, 306). Ein sehr häufiger Fall ist auch der des Prozeß- Selbstmord begeht, der andere werde ihm in den Tod folgen. Der BGH hat in
betruges, bei dem eine Partei durch Täuschung des Richters mit vermögensschä- einem entsprechenden Fall85 offengelassen, „ob eine derartige Irrtumserregung al-
digender Wirkung eine ungerechtfertigte Verurteilung des Beklagten oder eine lein ausreicht, um die Täterschaft des arglistig Täuschenden zu begründen". In der
unberechtigte Klageabweisung erreicht. Das Urteil hat dann bis zu einer etwaigen Literatur wird vielfach eine täuschungsbedingte mittelbare Täterschaft bejaht.86
Aufhebung Bestand und entfaltet Rechtswirkungen, so daß der Richter insoweit Beifall verdient aber ihre Ablehnung. 87 Denn da der Suizident bewußt in den Tod
nicht nur ohne Vorsatz, sondern auch rechtmäßig gehandelt hat. geht, irrt er nur über ein Motiv für seinen Entschluß; solche Motivirrtümer müs-
69 Aber auch im „Privatverkehr" kann eine Täuschung u. U ein nicht nur vorsatz- sen unbeachtlich bleiben, wenn nicht jede Abgrenzungssicherheit verloren gehen
loses, sondern sogar rechtmäßig handelndes Werkzeug produzieren. So ist es denk- soll. Da normalerweise niemand allein deshalb Selbstmord begeht, weil auch ein
bar, daß ein Hintermann eine Verleumdung oder üble Nachrede durch einen an- anderer dies tun zu wollen behauptet, bleibt zudem auch die Bedeutung, die der
deren in die Öffentlichkeit lanciert, dem dabei eine Wahrnehmung berechtigter Selbstmordwille des anderen im Motivationsgefüge des Suizidenten hat, oft un-
Interessen zur Seite steht (RGSt 64, 23). Und wenn A dem B einen rechtswidrigen klar; auch das spricht gegen die Annahme einer mittelbaren Täterschaft.
Angriff des C vorspiegelt, B daraufhin Putativnotwehr und C dagegen berechtigte Auch die Vorspiegelung einer unheilbaren Krankheit, die zum Selbstmord des 72
Notwehr übt, ist A mittelbarer Täter einer durch C begangenen rechtmäßigen Kör- Getäuschten führt, begründet - selbst bei entsprechendem Vorsatz - nicht ohne
perverletzung, sofern er den Ablauf vorausgesehen und bewußt so arrangiert oder weiteres eine mittelbare Täterschaft des Täuschenden. Eine solche kann vorliegen,
ihn doch wenigstens in Kauf genommen hatte. Dabei liegt eine besondere Finesse wenn der Täuschende das Opfer in eine Depression stürzt und dessen seelische
noch darin, daß das eine Werkzeug (B) ohne Vorsatz und das andere (C) gerecht- Verwirrung zur Herbeiführung eines in zurechnungsunfähigem Zustand began-
fertigt (und damit ebenfalls ohne Unrechtsvorsatz) handelt. genen Suizides benutzt (vgl. Rn. 144 ff). Bleibt das getäuschte Opfer aber für sei-
70 Die Regeln der Irrtumsherrschaft sind (ähnlich wie die Regeln der Nötigungs- nen Selbstmord verantwortlich, ist eine mittelbare Tötungstäterschaft abzulehnen.
herrschaft, vgl. Rn. 54 ff.) bei der durch Täuschung bewirkten Selbstschädigung Ihre Annahme würde auch deshalb zu weit fuhren, weil der Getäuschte sich gegen
entsprechend anzuwenden. Wer jemandem in Tötungsabsicht eine vergiftete Speise solche Vorspiegelungen i.d.R. schützen kann, indem er von Experten überprüfen
liefert, ist selbstverständlich Täter eines Tötungsdeliktes, auch wenn die unmittel- läßt, ob die Krankheit tatsächlich vorliegt. Daher ist es kein Zufall, daß die Rspr.
bar zum Tode führende Handlung (der Genuß der Speise) vom Opfer selbst vorge- über einen solchen Fall noch nie zu entscheiden gehabt hat.
nommen worden ist. Ein spektakuläres Beispiel aus der Rspr. liefert der Sirius-Fall 83
Vgl. zu dem Fall Roxin, NStZ 1984, 73; ders., Täterschaft, 72000, 584ff., 597; SK7-Hoyer
(BGHSt 32, 38), in dem ein angeblich vom Stern Sirius kommender Mann eine §25, Rn.80; Küpper, JA 1983, 672f.; Muhoz Conde, ZStW 106 (1994), 547; Neumann, JuS 1985
Frau in versicherungsbetrügerischer Absicht umbringen wollte und ihr unter Aus- 677; Schmidhäuser, NStZ 1984,195; Sippe!, NStZ 1984, 357. Dagegen nimmt Spendet, Lüderssen-
nutzung ihres Aberglaubens vorgeschwindelt hatte, sie werde in einem Raum am FS, 2002, 605, eine unmittelbare Täterschaft an.
84
Abw. aber Freund, AT, § 10, Fn. 60, 61; Merkel, JZ 1999, 502, 504 f.
Genfer See in einem veredelten Körper wieder erwachen, wenn sie sich mit einem 85
BGH GA 1986, 508f.; vgl. zu diesem Sachverhalt schon Rn.56, 57.
8
laufenden Fön in die Badewanne setze und sich auf diese Weise „von ihrem alten * Vgl. etwa Brandts/'Schlehofer, JZ 1987, 442; Herzberg, 1977, §3 III 7 a. E.; Jescheck/Weigend,
Körper trenne". Der Plan scheiterte daran, daß der Fön nicht funktionierte. Mit AT, §62 II 1; Meyer, 1984, 227ff.; Neumann, JA 1987, 244; Wessels/Hettinger, BT/1 24 , §1,
Rn. 52.
Recht hat der BGH einen versuchten Mord in mittelbarer Täterschaft angenom- 8?
Bottke, 1992, 267; Charalambakis, GA 1986, 485; Roxin, Täterschaft, 72000, 225 ff, 596 ff.
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§25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

73 Eine andere Frage ist es, ob die Veranlassung eines Selbstmordes durch Hervorrufung eines (BGHSt 35, 347) war der unmittelbare Täter R v o n Frau H und dem P unter Aus-
Motivirrtums gänzlich straflos bleiben sollte, wie es nach geltendem Recht angenommen wer- nutzung seines Aberglaubens in die wahnhafte Vorstellung versetzt worden, daß
den muß. Die Veranlassung von Suiziden ist nicht selten und auch nicht nur bei Hervorrufen
selbstmordrelevanter Motivirrtümer strafwürdig. Nur sind diese Fälle bei Mord und Totschlag ein „Katzenkönig" Millionen von Menschen vernichten werde, wenn ihm nicht
nicht richtig eingeordnet. Erwägenswert wäre daher eine Vorschrift nach dem Beispiel von ein „Menschenopfer in Gestalt der Frau N " gebracht werde. In Wirklichkeit w o l l -
Art. 115 des Schweiz. StGB, wonach bestraft wird, „wer aus selbstsüchtigen Beweggründen je- ten H und P auf diese Weise die N aus H a ß u n d Eifersucht töten. P glaubte, zur
manden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet".
Rettung von Millionen Menschenleben Frau N töten zu dürfen, scheiterte aber
74 Auch bei Selbstverletzungen sind Fälle mittelbarer Täterschaft nicht selten. Wenn bei dem Versuch, sie zu erstechen.
A den ahnungslosen B durch heimliche Beimischung von Alkohol zu einem G e - Das ist ein seltsamer und fernliegender Fall der Hervorrufung eines Verbotsirr- 77
tränk betrunken macht oder wenn er der Speise des B ohne dessen Wissen ein Mittel tums zu deliktischen Zwecken. 9 0 Aber auch lebensnahe Konstellationen sind leicht
zusetzt, das Magenschmerzen verursacht, so ist A in beiden Fällen mittelbarer Täter vorstellbar. Im N e b e n - und im Wirtschaftsstrafrecht sind die Grenzen des Erlaub-
einer Körperverletzung. Mit Recht hat der B G H (NStZ 1986, 266) eine Körper- ten oft so schwer erkennbar, daß ein wirklich oder vermeintlich rechtskundiger
verletzung in mittelbarer Täterschaft (mit Todesfolge: §226) angenommen, als ein Ratgeber ohne große M ü h e Verbotsirrtümer hervorrufen kann. U n d selbst im
M a n n eine nicht an Alkohol gewöhnte j u n g e Frau unter bewußter Verschleierung Bereich des Kernstrafrechts kann sogar bei den Tötungsdelikten (etwa in Fällen
des Risikos zum Genuß einer tödlichen Menge von Obstschnaps veranlaßt hatte. der Sterbehilfe, der Aidsübertragung oder der Rauschgiftüberlassung) die Schaf-
75 Bei der Veranlassung zu Selbsttötungen und sonstigen Selbstschädigungen ist b e - fung oder Ausnutzung eines Verbotsirrtums ein einfaches Mittel entscheidender
sonders häufig der Fall, daß ein Außenstehender das Risiko eines Erfolgseintritts Tatbeeinflussung werden.
besser übersieht als der unmittelbar Handelnde. Soweit das Opfer nur (bewußt) Heute besteht fast völlige Einigkeit darüber, daß die Hervorrufung eines u n - 78
fahrlässig, der Hintermann aber vorsätzlich handelt, ergibt sich eine mittelbare Tä- vermeidbaren Verbotsirrtums den rechtlich richtig orientierten Hintermann zum
terschaft nach den schon für die Drittschädigung entwickelten Kriterien (Rn. 65): mittelbaren Täter macht. 9 1 D e n n in diesem Falle handelt der Ausführende schuld-
Verschafft A dem B Heroin, das dieser sich mit tödlicher W i r k u n g injiziert, so ist A los (§ 17 S. 1) und hat nicht die Möglichkeit, eine die Tatbegehung h e m m e n d e U n -
mittelbarer Täter eines Totschlages (§ 212), w e n n B im Hinblick auf den möglichen rechtseinsicht auch nur zu erlangen. Auch legen die für den Notstand ( R n . 48-50)
Todeseintritt nur fahrlässig, A jedoch - i.d.R. aufgrund größeren Risikowissens und die Zurechnungsunfähigkeit (Rn.l39ff.) geltenden Regeln die A n n a h m e
- vorsätzlich handelte. Handeln beide hinsichtlich eines möglichen Todeserfolges nahe, daß beim Einsatz eines schuldlosen Tatmittlers grundsätzlich mittelbare
mit dolus eventualis und mit demselben Risikowissen, so liegt nur eine unter dem Täterschaft anzunehmen sei. Sehr umstritten ist aber der weitaus häufigere Fall,
Gesichtspunkt der Tötungsdelikte straflose M i t w i r k u n g an vorsätzlicher Selbstge- daß der Ausführende in vermeidbarem Verbotsirrtum handelt. Hier stehen sich
fährdung vor (BGHSt 32, 262). 88 Handeln schließlich Lieferant und Opfer beide, zwei große Meinungsblöcke gegenüber:
was die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs betrifft, mit dolus eventualis, Nach der einen Auffassung (der „Teilnahmeauffassung'') drängt der Ausfüh- 79
täuscht aber der Lieferant das Opfer über das Ausmaß des Risikos oder kennt er rende bei nur vermeidbarem Verbotsirrtum den Hintermann i m m e r in die Rolle
auch nur dessen geringeres Risikowissen, so kann schon dies für eine mittelbare des bloßen Anstifters. 92 Da der unmittelbar Handelnde selbst als vorsätzlicher
Täterschaft ausreichen. Doch fällt diese Konstellation erst in den Bereich der vier- Täter (wenn auch i.d.R. unter Zubilligung verminderter Schuld, § 17 S. 2) zur
ten Stufe der Irrtumsherrschaft (d); es handelt sich u m einen Fall, der analog dem Verantwortung gezogen wird, ergibt eine Übertragung des für die N ö t i g u n g gel-
des Täters hinter dem voll verantwortlichen Täter zu behandeln ist ( R n . 98).
9
b) D e r Ausführende handelt i m Verbotsirrtum « Einige Autoren (Herzberg, Jura 1990,16; Schumann, NStZ 1990, 32) bestreiten denn auch,
daß Aberglauben einen Verbotsirrtum i. S. d. § 17 begründen könne; aber wohl nicht mit
76 Die Frage, wie der Fall zu beurteilen sei, daß ein die Rechtslage übersehender Recht. Denn die Bewußtseinshaltung, die wir als Verbotsirrtum bezeichnen, ist von der Art
Hintermann sich den Verbotsirrtum eines unmittelbar Ausführenden zunutze ihrer Entstehung unabhängig. Daß und nicht warum jemand etwas Rechtswidriges, für
erlaubt hält, macht den Verbotsirrtum aus. Immerhin handelt es sich um einen atypischen fall,
macht, wird zwar seit Jahrzehnten diskutiert, 8 9 ist v o m B G H aber erstmals 1988
und er wird noch atypischer dadurch, daß eine Zurechnungsunfähigkeit des unmittelbar Han-
entschieden worden. In dem abstrusen, aber lehrreichen „Katzenkönigs-Fall" delnden naheliegt; doch hat der BGH nur einen Fall des §21 angenommen. Spendel, Lüders-
sen-FS, 2002, 605, nimmt im „Katzenkönigs-FalP eine Anstiftung an.
91
88 M. Anm. Roxin, NStZ 1984, 411; Kienapfel, JZ 1984, 750. Das Urteil bedeutet gegenüber A.A. Köhler, AT, 509; Welzel, StrafR", 103; Bockelmann/Volk, AT4, §22 II 2 c. Sie halten
der älteren Rspr. eine Kehrtwendung. Ferner: BGH MDR 1984, 503; NStZ 1984, 452; 1985, an der Tat des schuldlos Irrenden eine Teilnahme immerhin für möglich.
92
25; 1986, 266. Die Entsch. befassen sich zwar bisher nur mit der Fahrlässigkeitszurechnung, Bloy, 1985, 347ff., 351; Herzberg, JuS 1974, 374; Jakobs, AT2, 21/96; Jescheck/Weigend, AT5,
doch muß für den Vorsatz eines Außenstehenden Entspr. gelten. §62 II 5; Köhler, AT, 509; Krey, AT/2, §28, Rn.l48ff; Maiwald, ZStW 88 (1976), 736f; ders.,
89
Vgl. Roxi«, Täterschaft, 1963, 193 ff, wo der Streitstand des Jahres 1963 dargestellt wird ZStW 93 (1981), 892f.; Stratenwerth, AT4, §12, Rn. 53ff. Vgl. allg. zur Abgrenzung des ver-
(zur Entwicklung der Diskussion bis 2000, aaO., 72000, 672 ff). meidbaren vom unvermeidbaren Verbotsirrtum Roxin, AT l3, § 21, Rn. 34 ff.

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§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

tenden Verantwortungsprinzips (vgl. R n . 48), daß der H i n t e r m a n n nur Anstifter sehr viel näher steht als der Teilnahmeauffassung und für die bei weitem wichtig-
bzw. - bei Ausnutzung eines schon vorhandenen Verbotsirrtums - Gehilfe sein ste Konstellation auch eine klare Lösung bereithält. Indem er nämlich das Verant-
kann. Die Gegenmeinung 9 3 (die „Täterschaftsauffassung") n i m m t eine mittel- wortungsprinzip im Bereich der Irrtumsherrschaft prinzipiell verwirft (BGHSt
bare Täterschaft an. Sie stützt sich vor allem auf das Argument, daß die psycho- 35, 353: „kein taugliches Abgrenzungskriterium") u n d die Geschehenssteuerung
logische Struktur der Herrschaftsbeziehung bei unvermeidbarem und vermeid- mit Hilfe eines „bewußt hervorgerufenen Irrtums" der mittelbaren Täterschaft „je-
barem Verbotsirrtum dieselbe und daß deshalb das Verantwortungsprinzip auf die denfalls" zuordnet, ü b e r n i m m t er die zentrale These der Täterschaftsauffassung.
Irrtumsfälle nicht übertragbar sei: 9 4 „Der Bewußtseinszustand des Tatmittlers ist D e m ist zuzustimmen. 9 7 Wer beim Ausführenden einen Verbotsirrtum hervor- 82
ceteris paribus bei vermeidbarem und unvermeidbarem Verbotsirrtum derselbe; ruft, u m auf diese Weise einen deliktischen Plan zu verwirklichen, ist grundsätz-
infolgedessen ändert sich am Einfluß des Hintermannes (d.h. an seiner Herr- lich mittelbarer Täter. D e n n er beseitigt die (i.d.R. entscheidenden) H e m m u n g e n ,
schaftsausübung) nicht das geringste dadurch, daß der Ausführende Kenntnisse die von der Verbotskenntnis und selbst schon vom Verbotszweifel ausgehen und
hätte haben können, die er actualiter nicht hatte." beherrscht psychologisch gesehen das Geschehen beim vermeidbaren Irrtum u m
80 Der B G H hat sich keiner der beiden Auffassungen direkt angeschlossen. Er keinen Deut weniger als beim unvermeidbaren (vgl. schon R n . 79, 80). Der E i n -
meint, aus dem Gesetzeswortlaut und der systematischen Stellung der mittelbaren wand, wenn man bei der Nötigungsherrschaft mittelbare Täterschaft und Anstif-
Täterschaft lasse sich „nicht zwingend der prinzipielle Vorrang einer der beiden tung normativ (nach dem Verantwortungsprinzip) abgrenze, sei es inkonsequent,
Lösungsmaßstäbe herleiten". 95 Er lehnt jedoch das Verantwortungsprinzip der in den Irrtumsfällen die Abschichtung nach psychologischen Maßstäben vorzu-
Teilnahmeauffassung ausdrücklich ab, indem er der psychologischen Argumenta- nehmen, geht fehl. 98 D e n n auch bei der Nötigungsherrschaft ist das entscheidende
tion der Täterschaftsauffassung Recht gibt: „Daß er (seil, der Ausführende) Kennt- Kriterium die Stärke des vom Hintermann ausgeübten Drucks (die D r o h u n g mit
nisse hätte haben können, die er im konkreten Fall nicht hatte, braucht an der Tat- gegenwärtiger Gefahr „für Leben, Leib oder Freiheit"). N u r weil der ausgeübte
herrschaft des die Erlaubnis vorspiegelnden Hintermannes nichts zu ändern." Im Druck nicht exakt meßbar ist, müssen zur Grenzziehung die normativen Vorgaben
übrigen handele es sich u m ein „offenes Wertungsproblem". O b bei einem Verbots- des § 35 verwendet werden. Bei der Irrtumsherrschaft wird — ihrer Struktur g e -
irrtum des unmittelbar Handelnden der H i n t e r m a n n mittelbarer Täter sei und die mäß - nicht auf den psychischen Druck, sondern auf das ebenfalls psychologische
„vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft" habe, könne „nicht nach star- Kriterium der täuschungsbedingten Beseitigung des Hemmungsmotivs beim
ren Regeln", sondern nur „nach der konkreten Fallgestaltung im Einzelfall wer- Ausführenden abgestellt; Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit des Irrtums sind
tend ermittelt werden". Die Abgrenzung hänge „im Einzelfall von Art und Trag- dafür gleichgültig. Die auch hier nötige Normativierung im Grenzbereich liegt in
weite des Irrtums und der Intensität der Einwirkung des Hintermannes ab". Jedoch der Abschichtung des Verbotsirrtums von irrelevanten Subsumtions- und Straf-
sei jedenfalls derjenige mittelbarer Täter, der „mit Hilfe des von i h m bewußt her- barkeitsirrtümern, auch von den vielen Fällen bestehenbleibenden Verbotszwei-
vorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt auslöst und steuert". fels, in denen ein täuschender Hintermann nur als Anstifter beurteilt werden kann
81 Daß der B G H einer klaren Entscheidung zwischen den widerstreitenden Ansich- (vgl. näher Roxin, AT l 3 , § 12, R n . 84 ff; § 21, R n . 28 ff.).
ten ausgewichen ist und die Abgrenzung „dem Einzelfall" überlassen will, hat trotz Die Täterschaftsauffassung ist also überwiegend im Recht. Doch wird man dem 83
des begrüßenswerten Bekenntnisses zum Tatherrschaftskriterium lebhaften Wider- B G H darin zustimmen müssen, daß ein Verbotsirrtum des Ausführenden nicht
spruch gefunden. 9 6 Diese Kritik ist berechtigt, soweit sie sich dagegen wendet, daß ausnahmslos den die Rechtslage übersehenden Hintermann zum mittelbaren Täter
auf konkretisierende Maßstäbe für die Bestimmung der Tatherrschaft verzichtet macht. Vielmehr ist es bei zwei Konstellationen geboten, von einer bloßen Teil-
und die Entscheidung faktisch d e m richterlichen Einzelfallermessen zugeschoben nahme auszugehen.
wird. Näheres Hinsehen zeigt jedoch, daß der B G H der Täterschaftsauffassung Die erste betrifft den Fall, daß der Irrtum des Ausführenden auf Rechts- 84
feindschaft beruht und deshalb nicht einmal zu der in § 17 S. 2 nur fakultativ vor-
»3 Baumann/Weber, AT10, §29 V 3 d; Bottke, 1992, 68 f.; Eben, AT3, 197 (allerdings nicht für gesehenen Strafmilderung führt (vgl. Roxin, AT 1 , § 2 1 , R n . 8 f . , 67). Ein solcher
alle Fälle eines vermeidbaren Verbotsirrtums); Freund, AT, § 10, Rn. 89; Gropp, AT , § 10,
Rn. 52; Heinrich, 2002, 219ff.; Herzberg, 1977, § 3 III 3 a; den., Jura 1990,16ff.; Kühl, AT3, §20, Irrtum ist nach der Wertung des Gesetzes unbeachtlich, weil die offen zutage lie-
Rn.77ff.; Küper, JZ 1989, 935ff.; Lackner/Kühl24, §25, Rn.4; Maurach/Gössel, AT/27, 48, 81 ff. gende soziale Unerträglichkeit des Täterverhaltens dem Handelnden ausreichen-
(nicht ganz eindeutig); Otto, AT6, §21 IV 3 c bb; ders., Jura 1987, 255; Schmidhäuser, StuB AT2,
10/88; ders., LB AT2,14/39; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §25, Rn.38; Schroeder, 1965, 76ff., 126ff.; den Anlaß geben mußte, von seinem Vorgehen Abstand zu nehmen. Er sieht die
Sc/iuman«, 1986, 77 ff. materielle Rechtswidrigkeit seines Tuns und ist als Täter voll verantwortlich; daß
"« Roxin, Lange-FS, 1976,179. 97
« BGHSt35, 353 f. Zur eigenen Konzeption näher Roxi«,Täterschaft, 2000, 193ff., 658ff; ders., Lange-FS,
96 Bei Küper, JZ 1989, 935 ff; Herzberg, Jura 1990, 16 ff.; eher i. S. d. BGH jedoch Schaffstein, 1976,173ff.; ders., LK11, § 25, Rn. 83ff.
98
NStZ 1989,153. Dazu treffend Küper, ]Z 1989, 948.

36 37
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
er das Verbot ignoriert - also über die formelle Rechtswidrigkeit irrt - , mindert Verbotenen häufig nur Experten mit einiger Zuverlässigkeit möglich. Daher wird
seine Verantwortung nicht. Dem entspricht es, einen Außenstehenden nur als es hier einem Hintermann leichter fallen, durch Vorspiegelung überlegener
Teilneh-mer zu beurteilen; denn er kann einen Rechtsfeind nicht in tatbeherr- Rechtskenntnisse dem unmittelbar Handelnden die Sozialschädlichkeit seines
schender Weise bei der Unrechtsverwirklichung steuern. Auf diese Fallgruppe Tuns zu verschleiern. Eben dies rechtfertigt die hier vorgenommene Grenzzie-
würde die Bemerkung in BGHSt 35, 354 passen, daß die Abgrenzung „von Art hung zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung.
und Tragweite" des Irrtums abhänge: Der Irrtum des rechtsfeindlich Handelnden Die zweite Ausnahme wird man machen müssen, wenn ein Hintermann we- 88
ist nach „Art und Tragweite" so irrelevant, daß er zur Begründung einer mittel- der den Tatentschluß noch den Verbotsirrtum des unmittelbar Handelnden
baren Täterschaft nicht ausreicht. hervorruft und ihn trotz eigener Unrechtseinsicht unterstützt.102 Eine solche Un-
85 Rechtsfeindlich im hier gemeinten Sinne handelt also ein über das Verbot irren- terstützung verschafft dem Hintermann keinen beherrschenden Einfluß, weil der
dender Täter dann, wenn er die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens kennt, aber Ausführende schon von sich aus zur Tat entschlossen ist und auch in eigener
aus rechtlich nicht nachvollziehbaren Gründen meint, er könne dafür nicht zur Verantwortung über das Verbot irrt. 103 Die Anerkennung dieser Fallgruppe würde
Verantwortung gezogen werden. Solche Fälle sind selten, aber denkbar. "Wer an- der Anregung des BGH gerecht, auch die „Intensität der Einwirkung des Hinter-
dere in ehrverletzender Weise schmäht (§§ 185-187) und dabei meint, ein unbe- mannes" bei Bestimmung der mittelbaren Täterschaft zu berücksichtigen. Eine
grenztes Recht auf freie Meinungsäußerung schütze ihn vor einer Sanktionierung; Konstellation wie die geschilderte dürfte dem BGH auch bei seiner Bemerkung
wer seine Kinder brutal mißhandelt (§ 225) und sich auf den Standpunkt stellt, vorgeschwebt haben; denn als Fall der mittelbaren Täterschaft wird nur die Ge-
sein Elternrecht, in das ihn der Staat nicht hineinzureden habe, gestatte ihm dies; schehenssteuerung durch einen „bewußt hervorgerufenen" Irrtum genannt
wer andere Leute in schlimmster Weise wucherisch ausbeutet (§ 291) und sich da- (BGHSt 35, 354). Freilich würde es zu weit gehen, in jedem Fall nur Teilnahme
bei auf die These stützt, dies entspreche den Regeln einer kapitalistischen Gesell- anzunehmen, in dem ein Hintermann den Verbotsirrtum des unmittelbar Han-
schaft, der weiß alles, was den Gesetzgeber zum Verbot seines Verhaltens veranlaßt delnden ausnutzt, ohne ihn hervorgerufen zu haben: 104 Wer die völlige Rechts-
und wird deswegen als Vorsatztäter aus dem ungeminderten Strafrahmen des Vor- unkenntnis eines anderen bemerkt und ihn gerade deshalb zu strafbaren Handlun-
satzdeliktes bestraft. Eine sinnsetzende Überdetermination durch einen Hinter- gen bestimmt, bei denen er ihn als „gutgläubigen" Strohmann bequem vorschie-
mann, der ihm solche zynisch-rechtsfeindlichen Thesen wider besseres Wissen ben kann, beherrscht das Geschehen und ist mittelbarer Täter. Es kommt also auf
aufredet, ist daher nicht möglich. Es bleibt bei einer Anstiftung. die Hervorrufung des Tatentschlusses und nicht des Verbotsirrtums an.105
86 Diese Auffassung, die ich schon seit 40 Jahren vertrete," ist neuerdings von Wenn Hintermann und Ausführender gleichermaßen im Verbotsirrtum han- 89
Otto100 noch einmal eingehend und vertieft begründet worden. Er hebt mit Recht dein, kommt nur eine Teilnahme des Außenstehenden in Betracht. Denn wenn
hervor, durch die bloße Kenntnis der formellen Rechtswidrigkeit des verwirk- ihm das überlegene Wissen fehlt, kann er die Tatherrschaft nicht erlangen. Das gilt
lichten Sachverhaltes werde auf Seiten des Hintermannes „kein rechtlich relevan- selbst dann, wenn der Hintermann in vermeidbarem, der unmittelbare Täter aber
tes überlegenes Sachwissen begründet".101 Wer jemandem vorspiegelt, sein so- in unvermeidbarem Verbotsirrtum handelt. Denn auch die Vermeidbarkeit des
zialschädliches Verhalten werde rechtlich keine Konsequenzen haben, führe ihn Verbotsirrtums gibt dem Außenstehenden nicht die überlegene Rechtseinsicht,
in Versuchung. „Ob dieser aber der Versuchung nachgibt, bleibt seinem eigenen Wil- aufgrund derer allein er Tatherrschaft haben könnte. Leider hat BGHSt 40, 267
lensentschluß überlassen, deshalb beherrscht der Hintermann das Geschehen nicht diesen ernstlich nicht zu bestreitenden Befund verunklart. In dem der Entschei-
... Vergleichbar ist die Situation der Verlockung der einer Motivation durch In- dung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein behandelnder Krankenhausarzt
aussichtstellung einer Belohnung, nicht aber der der Beherrschung eines anderen dem Pflegepersonal die Anweisung gegeben, bei einer Patientin, die das Bewußt-
durch Ausnutzung überlegenen Sachwissens. Dem Bewußtsein der formellen sein irreversibel verloren hatte, die künstliche Ernährung einzustellen. Der BGH
Rechtswidrigkeit kommt nicht der Charakter eines Herrschaftselementes zu." will hier einen versuchten Totschlag des Arztes in mittelbarer Täterschaft anneh-
87 Freilich wird, wenn jemand einen anderen durch Hervorrufung eines Verbots- men und diesen u.a. auf einen von ihm beim Krankenhauspersonal hervorgerufe-
irrtums zu einer Tatbestandsverwirklichung motiviert, der Fall einer mittelbaren nen Verbotsirrtum stützen. Da sich jedoch, wie auch der BGH betont, der Arzt
Täterschaft sehr viel häufiger sein. Denn im Randbereich der Tatbestände — vor selbst im Verbotsirrtum befand, mußte eine Willensherrschaft kraft Irrtums von
allem des Wirtschaftsstrafrechts - ist die Abgrenzung des sozial Zulässigen vom
102
Vgl. Roxin, Lange-FS, 1976,181.
*> Roxin, Täterschaft,72000, 483ff.; zust. Hünerfeld, ZStW 99 (1987), 244; Otto, Jura 1987, 103
Im Erg. zust. Schumann, 1986,100 f.
255; ders., AT6, §21IV 3ebb. 104
Vgl. auch die diff. Ausführungen bei Schaff stein, NStZ 1989,157.
100
Otto, Roxin-FS, 2001, 483 ff. 105
Dagegen stellt Blei, AT18, §72 I 3 c, auf die Hervorrufung des Verbotsirrtums ab, so daß
101
Hier und folgenden Otto, Roxin-FS, 2001, 490 f. dessen bloße Ausnutzung für ihn immer nur zur Teilnahme führt.
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§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

vornherein ausscheiden. „Wer sich . . . über den gleichen Umstand irrt wie sein solchen gelten läßt. 112 Ebenso würde in dem bekannten Fall der „Euthanasie-
Werkzeug', kann dieses nicht per Irrtum beherrschen (wollen)." 106 Ärzte",113 die einzelne Kranke d e m Tode überlieferten, u m die Mehrzahl zu retten,
90 Eine Sonderauffassung vertritt Murmann,107 der darauf abstellt, „inwieweit dem bei irrtümlicher A n n a h m e einer allen Kranken drohenden Lebensgefahr ein E n t -
Hintermann zugunsten des Opfers eine Pflicht obliegt, die Hervorrufurtg oder schuldigungsirrtum neben einem Verbotsirrtum vorgelegen haben. Wird in einem
Ausnutzung von Irrtümern über Rechtsfragen zu unterlassen". Eine solche Pflicht solchen Fall der Irrtum durch einen Außenstehenden hervorgerufen oder ausge-
wird nur ausnahmsweise, vor allem bei staatlichen Stellen, angenommen. Der nutzt, so k o m m t eine mittelbare Täterschaft sowohl nach R n . 76 ff. wie nach
Kreis dieser Sonderpflichtigen deckt sich nach M u r m a n n vielfach „mit dem Perso- R n . 91 in Betracht; ein gleichzeitiges Vorliegen verschiedener Fälle der mittelbaren
nenkreis, dessen Auskünfte nach der Rechtsprechung die Unvermeidbarkeit des Täterschaft ist durchaus möglich.
Verbotsirrtums begründen" so daß praktisch meist nur bei Unvermeidbarkeit des Auch beim Entschuldigungsirrtum ist eine Teilnahme denkbar, w e n n der u n - 93
Verbotsirrtums eine mittelbare Täterschaft angenommen wird. D e m ist jedoch mittelbar Handelnde und der Außenstehende gleichermaßen irrtümlich an das
entgegenzuhalten, daß jedem H i n t e r m a n n die Pflicht obliegt, andere nicht zu Vorliegen einer Entschuldigungssituation glauben. Doch ist hier in den Fällen, in
schädigen, einerlei, ob das unmittelbar oder mittelbar durch Hervorrufung oder denen bei einer wirklichen Notstandslage eine mittelbare Täterschaft anzunehmen
Ausnutzung eines Verbotsirrtums bei einem Tatmittler geschieht. 108 wäre (Rn. 52), bei einem Hintermann, der nicht sich, sondern nur den Ausführen-
den gefährdet glaubt, ebenfalls eine mittelbare Täterschaft zu bejahen.
c) D e r Ausfuhrende irrt über die Voraussetzungen des entschuldigenden
Notstandes d) Der Ausfuhrende handelt volldeliktisch
91 Diese Fallgruppe hat bisher in der Praxis keine Rolle gespielt, ist aber durchaus Wenn ein Ausführender „volldeliktisch", d.h. nicht nur tatbestandsmäßig, 94
realitätsnah. Wenn Freunde eines Straftäters einen Dritten unter Vorspiegelung der rechtswidrig und schuldhaft, sondern auch ohne die Schuldminderungen der
Voraussetzungen des § 35 (z. B. durch eine leere Todesdrohung) zu einer Straf- §§ 17 S. 2, 35 II handelt, kann die psychische Einwirkung eines Außenstehenden,
vereitelung (§ 258) veranlassen, handelt der Ausführende in einem nach § 35 II zu auch wenn sie sich des Mittels der Täuschung bedient, i.d.R. nur Anstiftung oder
beurteilenden Entschuldigungsirrtum. 1 0 9 M a n wird die Hintermänner in einem (psychische) Beihilfe begründen. D e n n die Tatherrschaft liegt beim Ausführenden,
solchen Fall als mittelbare Täter ansehen müssen. 110 D e n n schon die Vorstellung, der die Tatbestandsverwirklichung unter allen rechtlich relevanten Aspekten über-
strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden zu können, n i m m t dem Aus- sieht und in eigener Verantwortung über die Tatbegehung entscheidet. Die H e r -
führenden im Verein mit dem durch seinen Irrtum verursachten psychischen vorrufung eines Motivirrtums kann an diesen Herrschaftsverhältnissen nichts
Druck die Hemmungsmotivation. Die mittelbare Täterschaft des Außenstehenden ändern (vgl. dazu bei der durch Täuschung bewirkten Selbstschädigung schon
ist auch deshalb begründet, weil die psychische Struktur der Tatherrschaft sich bei R n . 71, 72). Wenn also A dem B vorschwindelt, der C habe mit der Frau des B
einer wirklichen und einer vorgespiegelten Notlage nicht unterscheidet. Die Ehebruch begangen, und w e n n er durch diese Vorspiegelung seinem Tatplan ent-
Regeln, nach denen ausnahmsweise beim wirklichen Notstand des Ausführenden sprechend den B dazu bringt, den C zu verprügeln, ist das doch nur eine Anstif-
nur eine Teilnahme des Ausführenden in Betracht k o m m t ( R n . 52, 53), gelten des- tung zur Körperverletzung. D e n n die Täuschung bezieht sich nicht auf die Straftat
halb entsprechend auch hier. als solche, sondern nur auf die Gründe für ihre Begehung. Die Motive der B e -
92 Der Entschuldigungsirrtum beim Ausführenden wird oft zusammen mit einem teiligten sind zwar strafzumessungsrelevant, für die Abgrenzung von mittelbarer
Verbotsirrtum auftreten, weil die Vorstellung einer entschuldigenden Situation zu- Täterschaft und Anstiftung aber ohne Belang, soweit sie sich auf die juristische
gleich die Vorstellung nahelegen kann, das durch die N o t erzwungene Handeln sei Beurteilung der Tat nicht auswirken (näher R n . 99 ff.).
erlaubt. So könnte im Katzenkönigs-Fall (Rn. 76) der Ausführende auch die Voraus- Gleichwohl verdient die weit verbreitete Annahme, daß ein „Täter hinter dem 95
setzungen eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes angenommen haben, 111 volldeliktisch handelnden Täter" niemals vorkommen könne, keinen Beifall. 114
wenn man die Opferung eines Menschen zur R e t t u n g Millionen anderer als einen Denn es gibt Täuschungen, die sich zwar nicht auf die juristische Verantwortlich-
106 keit des unmittelbar Handelnden, aber auch nicht nur auf dessen Motive, sondern
Merkel, ZStW 107 (1995), 554. Ebenso Roxin, Grünwald-FS, 1999, 559f.; ders., Täter-
schaft, 72000, 612; Murmann, GA 1998, 87; Otto, Roxin-FS, 2001, 486; Vogel, MDR 1995, 339.
112
107 Murmann, GA 1998, 78 ff. (83, 85). Vgl. dazu differenzierend oben Roxin, AT l3, § 22, Rn. 142ff., 152ff.
W8 Vgl. dazu auch Otto, Roxin-FS, 2001, 487. "3 Roxin, AT l3, § 16, Rn. 31 ff., § 22, Rn. 143ff.
109
Näher Roxin, AT l3, § 22, Rn. 59 ff. 114
Zu den Vertretern der Gegenmeinung bei den einzelnen Sachverhaltskonstellationen
110
Herzberg, Jura 1990, 25, kommt in einem entspr. Fall zu demselben Ergebnis, ebenso vgl. den nachfolgenden Text; grundsätzl. Ausführungen zu den „abweichenden Konzeptio-
Kühl, AT3, §20, Rn.71. nen", namtl. dem Autonomie- und Selbstverantwortungsprinzip finden sich in Rn. 172ff., 174,
111
In BGHSt 35, 350 f. wird die Frage immerhin gesehen, wenn auch unzureichend behan- 175ff., 178ff., 182. Huber, 1995, 199, meint, dem schweizerischen Strafrecht sei „die (deutsche)
delt. Näher Küper, JZ 1989, 626 ff. Figur des Täters hinter dem Täter unbekannt".

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§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

auf die Tat als solche beziehen und sie zu einer anderen machen, die dem Hinter- wird. Ja, die täuschungsbedingte „Umlenkung" der Tat auf ein anderes Objekt
m a n n zugerechnet werden kann. Ich unterscheide 115 drei Fallgruppen dieser Art: kann sogar bei gleichbleibender Unrechts- und Schuldhöhe die Herrschaft über
die Täuschung über die Unrechtshöhe (aa), die Täuschung über qualifikationsbe- die dadurch bewirkte andere Tat begründen (näher R n . 102 ff.)! Für die A n n a h m e
gründende Umstände (bb) und die Täuschung über die Identität des Opfers (cc). mittelbarer Täterschaft in den Fällen der Täuschung über die Unrechtshöhe spricht
ferner der Umstand, daß bei unterschiedlichen Tatbeständen auch die absolut
aa) D i e Täuschung über die Unrechtshöhe
h. M. Anstiftung und mittelbare Täterschaft hinsichtlich ein und derselben H a n d -
96 Wenn A den B veranlaßt, in das Bier des C ein Pulver zu schütten, das angeb- lung für möglich hält; z.B. kann eine Anstiftung zur Körperverletzung gleich-
lich kurzfristige Magenschmerzen bewirkt, in Wirklichkeit aber einen monatelan- zeitig ein Mord in mittelbarer Täterschaft sein (BGHSt 30, 363; dazu R n . 66).
gen Krankenhausaufenthalt des Opfers nötig macht, so ist B als Täter einer Kör- Wenn hier das Bewußtsein der Deliktsverwirklichung beim Ausführenden eine
perverletzung zu bestrafen; denn schon die Herbeiführung von Magenschmerzen mittelbare Täterschaft nicht hindert, kann für eine Täuschung über die Unrechts-
ist dem § 223 zu subsumieren. Die schweren, w e n n auch an § 226 nicht heranrei- höhe im R a h m e n desselben Tatbestandes nichts anderes gelten. U n d schließlich ist
chenden Folgen gehen aber allein zu Lasten des A, der sich insoweit des B als eines zu bedenken, daß bei einer v o m H i n t e r m a n n ausgehenden „Übersteigerung" ohne
„blinden Werkzeugs" bedient. Es ist deshalb angemessen, den A zwar als Anstifter Täuschung auch innerhalb desselben Tatbestandes eine Anstiftung vorliegen kann
zu beurteilen, soweit der Vorsatz des B die Wirkungen seines Handelns umfaßte. (näher § 26, R n . 102 ff, 104 ff.): Wer einen zur Verabreichung einer Ohrfeige E n t -
Im Hinblick auf die darüber hinausgehenden weit schwereren Folgen ist A mittel- schlossenen dazu überredet, das Opfer krankenhausreif zu schlagen, ist wegen
barer Täter, unbeschadet dessen, daß Anstiftung und mittelbare Täterschaft sich in Anstiftung zur Körperverletzung zu bestrafen. D a n n aber m u ß bei Erregung eines
einem solchen Fall auf denselben Tatbestand beziehen. 116 Auch im übrigen sind entsprechenden Irrtums in der Person des Ausführenden eine mittelbare Täter-
solche Irrtümer leicht denkbar: Es wird z. B. j e m a n d e m vorgetäuscht, daß er durch schaft angenommen werden.
eine Einschließung nur eine kurzfristige Freiheitsentziehung (§ 239) oder durch Diese Grundsätze sind auf die täuschungsbedingte Selbstschädigung zu übertra- 98
eine Beschädigungshandlung einen geringen Schaden (§ 303) verursachen werde, gen und spielen hier eine große Rolle bei überlegenem Risikowissen des Außen-
während das Handeln des Täters tatsächlich, wie nur der H i n t e r m a n n weiß, zu stehenden. Wenn A dem B Rauschgift überläßt, an dessen Genuß B stirbt, ist A als
einer mehrtägigen Freiheitsberaubung bzw. zu einem sehr hohen Schaden führen Teilnehmer an einer bewußten Selbstgefährdung straflos, sofern beide das Risiko
muß. Freilich m u ß die Täuschung über die Unrechtshöhe erheblich sein, u m die im selben Maße übersehen (BGHSt 32, 262; vgl. R n . 75). Wenn jedoch der Außen-
vom Hintermann verursachte Tat im Verhältnis zu derjenigen, die dem Ausführen- stehende die Gefahr absichtlich bagatellisiert oder auch nur das Rauschgift her-
den vorschwebt, als eine andere erscheinen zu lassen. gibt, obwohl er weiß, daß der Empfänger das Risiko nicht ausreichend erkennt,
97 Ein gewichtiger Teil des Schrifttums lehnt in solchen Fällen eine mittelbare Tä- liegt ein Tötungsdelikt in mittelbarer Täterschaft vor. „Die Strafbarkeit kann . . .
terschaft ab, will allein wegen Anstiftung bestrafen und den weitergehenden „Vor- dort beginnen, w o der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko
satz des Hintermannes . . . bei der Strafzumessung . . . berücksichtigen". 117 Doch besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende" (BGHSt 32, 265). D a n n ist eine mit-
verdient das keinen Beifall. Das Argument, das Bewußtsein eigener Deliktsver- telbare Täterschaft zu bejahen, obwohl das Opfer sich (mit geringerem R i s i k o -
wirklichung gebe d e m Ausführenden hinreichenden Anlaß, von der Tat Abstand wissen) immer noch vorsätzlich selbst gefährdet.
zu nehmen, überzeugt nicht. D e n n die mittelbare Täterschaft erfordert, wie sich
schon beim Risikowissen ( R n . 6 4 , 75), beim Verbotsirrtum (Rn.79ff.) und beim bb) D i e Täuschung über qualifikationsbegründende Umstände
Entschuldigungsirrtum (Rn.91ff.) gezeigt hat, nicht das gänzliche Fehlen von Derartige Konstellationen sind vielfach nur Spezialfälle der Täuschung über die 99
Hemmungsmotiven beim Ausführenden; es genügt, daß, wie auch beim Irrtum Unrechtshöhe und dann wie diese zu behandeln: 1 1 8 Wenn der Hintermann A den
über die Unrechtshöhe, wesentliche Hemmungsfaktoren durch die Manipulation unmittelbar handelnden B auffordert, einem Dritten mit einer Spritzpistole ein
des Hintermannes ausgeschaltet werden oder daß ihr Fehlen von ihm ausgenutzt harmloses Tränengas in die Augen zu sprühen, während er genau weiß, daß.'die
chemische Substanz die Zerstörung des Augenlichtes bewirken muß, ist A mittel-
"5 Zuerst in Lange-FS, 1976,173. barer Täter nach § 226 I Nr. 1, während B als Täter nach § 223 (oder allenfalls
116
Diese Lösung ist zuerst von Herzberg, 1977, 27ff., entwickelt worden, der hier von einem §224) zu bestrafen ist. Selbständige Bedeutung gewinnt diese Fallgruppe aber,
„graduellen Tatbestandsirrtum" spricht. Ihm folgend Roxin, Lange-FS, 1976, 185; Bloy, 1985,
353ff.; Kühl, AT3, §20, Rn.75; M.-K. Meyer, 1984,175; Neumann, JA 1987, 250; Otto, AT6, §21 wenn die Qualifikation auf schulderhöhenden Umständen beruht. B G H S t 1,
IV 3 c dd; Sch/Sch/Cramer/Heine 26, § 25, Rn. 22.
"7 Bottke, 1992, 71; Gropp, AT2, §10, Rn.53f.; Hünerfeld, ZStW 99 (1987), 242 f.; Jakobs, 118
AT2, 21/101; Jescheck/Weigend, AT5, §62 II 2; Krey, AT/2, §28, Rn.162; Renzikowski, 1997, 82; Das Beispiel aus Roxin, Lange-FS, 1976,188, wo die Fallgruppe erstmals behandelt wird
Schumann, 1986, 75; Stratenwerth, AT, § 12, Rn. 61. (186-189). Insoweit zust. Bloy, 1985, 355.

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§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

368 1 1 9 lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Angeklagte im Frühjahr 1945 ein- Was im Beispielsfall die Tat des Hintermannes zu einer anderen macht, ist freilich
marschierende amerikanische Soldaten zur Erschießung des L mit der bewußt nicht ihr höherer Schuldgehalt als solcher, sondern der Umstand, daß der Gesetz-
wahrheitswidrigen B e g r ü n d u n g aufforderte, dieser habe mehrere Fremdarbeiter geber ihn „objektiviert" und zum Anlaß für die Schaffung einer eigenen Straf-
ermordet. Der Angeklagte wollte den L aus niedrigen Beweggründen aus dem vorschrift - der des Mordes - gemacht hat. Der Gesetzgeber konstituiert eine
Wege schaffen, indem er davon ausging, daß die Amerikaner diesen ohne Ü b e r - strafbare Handlung nicht selten auch durch Schuldmerkmale, 1 2 4 und dann ist eine
prüfung der Anschuldigung u n d ohne Verfahren erschießen würden. So geschah es Tat, bei der das erforderte Schuldmerkmal vorliegt, eine andere als die, bei der es
auch. Hier haben die unmittelbar ausführenden Amerikaner einen Totschlag fehlt (und die vielfach nicht einmal strafbar ist).
(§ 212) begangen, während der Angeklagte als mittelbarer Täter eines Mordes
cc) D i e Täuschung über die Identität des Opfers
(§ 211) zur Verantwortung zu ziehen ist.
100 Bei Sachverhalten solcher Art wird oft eine mittelbare Täterschaft auch von Der Fall des von einem H i n t e r m a n n manipulierten error in persona ist theore- 102
denen abgelehnt, die sie bei der in Rn.96ff. geschilderten Fallgruppe bejahen. 1 2 0 tisch auf das heftigste umstritten, praktisch aber kaum von Bedeutung. Die
Der B G H hat eine Anstiftung zu § 212 angenommen, 1 2 1 scheint aber jetzt 1 2 2 eine Grundkonstellation ist von der Art, daß A den B erschießen will, statt dessen aber
mittelbare Täterschaft für gegeben zu halten, w e n n er unter ausdrücklicher B e - infolge eines error in persona 1 2 5 den C erschießt, weil ein arglistiger Hintermann
rufung auf die hier zu BGHSt 1, 368 vertretene Ansicht ( R n . 99) eine Tatbegehung D ihm vorgetäuscht hat, daß es sich bei dem des Weges k o m m e n d e n C u m den er-
„durch einen anderen" bejaht, w e n n dieser „infolge eines vom mittelbaren Täter warteten B handele. Eine Variante des Falles ist die, daß D den A nicht verbal, son-
erregten oder ausgenutzten Irrtums nicht vorsätzlich handelt, aber auch, wenn der dern dadurch irreführt, daß er den C an die Stelle lockt, w o A den B infolge einer
Tatmittler infolge des Irrtums glaubt, eine minderschwere Straftat zu b e - Verabredung erwartet und den erscheinenden C nun, wie D erwartet hat, mit B
gehen." Die Ablehnung einer mittelbaren Täterschaft wird, soweit sie nicht auf der verwechselt und ihn erschießt. Es steht außer Zweifel, daß der unmittelbar H a n -
gänzlichen Verwerfung des Täters hinter dem volldeliktisch handelnden Täter delnde in solchen Fällen (hier: der A) vorsätzlicher Täter eines Totschlages oder
beruht, vor allem auf die A n n a h m e gestützt, daß eine durch Täuschung bedingte Mordes ist; denn sein error in persona entlastet ihn nicht. Der D ist aber nach der
Schulddifferenz zwischen Hintermann und Ausführendem zur B e g r ü n d u n g einer hier vertretenen Auffassung mittelbarer Täter eines Tötungsdeliktes, weil er den
mittelbaren Täterschaft nicht hinreiche. error in persona des Schützen hervorgerufen und dadurch den Tod der in concreto
erschossenen Person (des C) zu verantworten hat. Er hat, was die Tötung des C b e -
101 Aber das überzeugt nicht, w e n n man bedenkt, daß bei der Hervorrufung eines
trifft, sich des B als eines insoweit „blinden" Werkzeugs bedient.
Verbots- und Entschuldigungsirrtums (Rn.76ff., 91 ff.) die mittelbare Täterschaft
bei einer Beurteilung unter straftatsystematischen Aspekten auch nur auf der g r ö - Die mittelbare Täterschaft beruht hier darauf, daß die U m l e n k u n g der Täter- 103
ßeren Schuld des Hintermannes basiert, ein vorsätzliches Unrechttun des u n - handlung von B auf C, also auf ein „neues" Opfer, die Tat zu einer anderen
mittelbaren Täters aber hier ebenso aufweisbar ist. Gewiß ist der im Beispielsfall macht. 126 Hätte D den A nicht getäuscht, sondern überredet, statt des B lieber den
hervorgerufene Irrtum auch ein Motivirrtum, insofern als die ausführenden Sol- C zu erschießen, so wäre dies unstreitig eine Anstiftung zu einem Tötungsdelikt.
daten im Gegensatz zum Hintermann nicht aus einem „niedrigen Beweggrund" Was aber bei Kenntnis des Aufgeforderten eine Anstiftung wäre, ist bei einer Täu-
handelten. Aber der entscheidende Unterschied zum lediglich strafzumessungs- schung über die entsprechenden Umstände allemal mittelbare Täterschaft! Wo ein
relevanten Motivirrtum liegt darin, daß der Irrtum „tatbezogen" ist, nämlich aus bestimmtes Tatobjekt Gegenstand des Tatplans ist, ist der Vorsatz ein auf dieses
dem vom Hintermann intendierten Mord bei den Ausführenden einen bloßen Objekt konkretisierter Vorsatz, 127 so daß D einen anderen Vorsatz als A und damit
Totschlag und damit eine andere Tat macht. Wenn ß/oy 123 meint, daß ein M o r d aus auch eine andere Tötung verwirklicht. Wollte man eine mittelbare Täterschaft a b -
niedrigen Beweggründen „gegenüber dem Totschlag keine andere Tat, sondern
dieselbe Tat mit einem anderen Schuldgehalt" sei, so ist das eine willkürliche syste- i24 Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 78 ff.
125
Dazu Roxin, AT l3, § 12, Rn. 168 ff.
matische Deduktion, da er ja bei einer Täuschung über die Unrechtshöhe auch 12
« Vgl. dazu ausfuhrlich Roxin, Täterschaft, 72000, 212ff; ders., Lange-FS, 1976,189ff.;'"<few.,
eine andere und nicht dieselbe Tat „mit einem erhöhten Unrechtsgehalt" annimmt. LK § 25, Rn. 105. Im Ergebnis übereinstimmend Baumann/Weber, AT10, § 29 V 3 e; Blei,
AT8, §72 I 1 c; Heinrich, 2002, 230ff.; Köhler, AT, 508; Kühl, AT3, §20, Rn.74; Küpper, GA
119
Darüber zuerst Roxin, Täterschaft, 72000, 213 ff. 1998, 528f.; Meyer, 1984, 99ff.; Otto, AT6, §21 IV 3c dd; Sax, ZStW 69 (1957), 434; Sch/Sch/
120 Herzberg, 1977, 26; Bloy, 1985, 355 ff. Cramer/Heine26, §25, Rn. 23; Schmidhäuser, LB AT2, 14/19; ders., StuB AT2, 10/85; Schroeder,
121 Eine ähnliche Konstellation behandelt BGHSt 2, 223; dazu LKn-Roxin, § 25, Rn. 101. 1965,134 ff. (dazu Roxin, ZStW 78 [1966], 227 ff).
127
122 BGHSt 30, 363, 364 f. Näher Roxin, AT l3, § 12, Rn. 144ff, 169. Dies wird durch die Beachtlichkeit der aberra-
123 Bloy, 1985, 357. Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 62, der auch nur eine Anstiftung annimmt, tio ictus bewiesen und durch die Unbeachtlichkeit des error in persona nicht widerlegt, weil
konzediert immerhin: „Hier hat der Irrtum sie (seil, die amerikanischen Soldaten) in gewissem im zweiten Fall die Konkretisierung nicht durch die Identitätsvorstellung des Täters, sondern
Sinne tatsächlich zu Werkzeugen des Denunzianten gemacht." durch das anvisierte und planmäßig getroffene Tatobjekt hergestellt wird.
44 45
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
lehnen, käme man im übrigen zu dem unerträglichen Ergebnis, daß der Hinter- mittelbaren Täters kann der Anordnende verzichten, weil der Apparat auch beim
mann gänzlich straflos sein müßte. Denn wenn man den Vorsatz nicht konkre- Ausfall eines einzelnen genügend andere zur Verfügung hat, die seine Funktion
tisiert, sondern nach abstrakten Gattungsmerkmalen bestimmt (nach dem Motto: übernehmen. Es ist daher auch charakteristisch für diese Form der mittelbaren
„A wollte einen Menschen töten und hat einen Menschen getötet"), käme eine An- Täterschaft, daß der Hintermann den unmittelbar Ausführenden meist persönlich
stiftung des A durch D nicht in Frage, weil A schon zur Tötung eines Menschen überhaupt nicht kennt.
entschlossen war; und eine Beihilfe schiede aus, weil D den A nicht unterstützt, Das historische Beispiel, das mir bei der Entwicklung dieser Form der mittelba- 106
sondern seinen Plan geradezu vereitelt hat. ren Täterschaft vor Augen stand, war die nationalsozialistische Gewaltherrschaft.
104 Trotzdem lehnt eine in sich zersplitterte Gegenmeinung die Annahme einer Wenn Hitler oder Himmler oder Eichmann, dem 1961 in Jerusalem der Prozeß
mittelbaren Täterschaft ab. Sie versucht einer Straffreistellung des D zum Teil da- gemacht worden war, einen Tötungsbefehl gaben, konnten sie seiner Ausführung
durch zu entgehen, daß sie ihn als Nebentäter 128 oder unmittelbaren Täter129 eines sicher sein, weil - anders als bei der Anstiftung - die etwaige Weigerung eines zur
Tötungsdeliktes betrachtet. Aber dabei wird übersehen, daß Nebentäter und un- Ausführung Aufgeforderten nicht bewirken konnte, daß die angeordnete Tat un-
mittelbare Täter ihre Pläne gerade nicht, wie es hier geschieht, „durch einen ande- terblieb. Sie wurde dann von einem anderen vorgenommen. Mittelbarer Täter ist
ren" verwirklichen. So bestätigt die Aushilfskonstruktion der Sache nach die hier dabei nach meiner Konzeption jeder, der an den Schalthebeln eines Machtappara-
vertretene Lösung. Andere Autoren plädieren für eine Anstiftung,130 eine Beihil- tes sitzt - einerlei, auf welcher Stufe der Hierarchie - und durch eine Anweisung
fe131 oder ganz allgemein für eine „Teilnahme"132 des D, setzen sich damit aber dem Straftaten bewirken kann, bei denen es auf die Individualität des Ausführenden
in Rn. 103 ausgeführten Einwand aus, daß zum Delikt eines Tatentschlossenen nicht ankommt.
keine Anstiftung und bei einer Planvereitelung auch keine Beihilfe möglich ist, Es ist also die „Fungibilität" die unbegrenzte Ersetzbarkeit des unmittelbaren 107
daß bei der zutreffenden Annahme, derzufolge die täuschungsbedingte Opfer- Täters, die dem Hintermann die Tatausführung garantiert und ihn das Geschehen
auswechselung eine andere Tat hervorrufe, aber nur eine mittelbare Täterschaft beherrschen läßt. Der unmittelbar Handelnde ist nur ein auswechselbares „Räd-
vorliegen kann. chen" im Getriebe des Machtapparates. Dies ändert nichts daran, daß derjenige,
der die Tötung am Ende mit eigener Hand ausführt, als unmittelbarer Täter straf-
3. Die Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate bar ist. Die Befehlshaber an den Schalthebeln der Macht sind trotzdem mittelbare
a) Der Grundgedanke der Konzeption Täter, weil die Durchführung der Tat anders als bei einer Anstiftung von der Ent-
scheidung des unmittelbaren Täters nicht abhängig ist. Da die unmittelbare Täter-
105 Die „Organisationsherrschaft" ist als eigenständige und „neue" Form der mittel-
schaft des Ausführenden und die mittelbare des Hintermannes auf unterschied-
baren Täterschaft zuerst von mir im Jahre 1963 entwickelt worden. 133 Mein
lichen Voraussetzungen beruhen - die eine auf der Eigenhändigkeit, die andere
Grundgedanke war, daß es bei Zugrundlegung der Tatherrschaft als des für die Tä-
auf der Steuerung des Apparates — können sie logisch und teleologisch entgegen
terschaft entscheidenden Kriteriums nur drei idealtypische Formen gibt, in denen
einer verbreiteten Meinung durchaus nebeneinander bestehen. Die geschilderte
man ein Geschehen beherrschen kann, ohne bei der Ausführung Hand anzulegen:
Erscheinungsform des mittelbaren Täters ist der juristisch adäquate Ausdruck für
Man kann den Ausführenden zwingen; man kann ihn täuschen; oder man kann -
das Phänomen des „Schreibtischtäters", der unbeschadet seiner Tatherrschaft auf
und dies war der neue Gedanke - über einen Machtapparat gebieten, der die Aus- unmittelbare Täter notwendig angewiesen ist.
führung von Befehlen auch ohne Zwang und Täuschung sichert, weil der Apparat
als solches den Vollzug gewährleistet. Auf eine Nötigung oder Täuschung des un- b) Die Rezeption dieser Lehre in Wissenschaft und Rechtsprechung,
128
im Ausland und im Völkerstrafrecht
So Herzberg, JuS 1974, 576; ders., 1977, §4 1; Zip/, ÖJZ 1975, 619, wohl auch Welzel,
StrafR11,111. Während die Rechtsprechung 25 Jahre lang von der neuen Konstruktion keine 108
129
Stratenwerth, AT3, Rn. 784, hatte zunächst eine unmittelbare Täterschaft angenommen, Notiz nahm, obwohl sie bei der Aburteilung von NS-Gewaltverbrechen hätte
aber auch Anstiftung und Beihilfe für möglich gehalten. In AT4, § 12, Rn. 63 plädiert ders. für hilfreich sein können, war sie in der Literatur im Laufe der Zeit zur herrschenden
Anstiftung; vgl. dazu Fn. 130.
130 Bloy, 1985, 358ff.; Gropp, KT2, §10, Rn.53f.; Spendel, Lange-FS, 1976, 169f. Nunmehr Meinung aufgestiegen.134
auch Stratenwerth, AT4, §12, Rn. 63: „Der Hintermann ruft beim unmittelbar Handelnden
überhaupt erst den Entschluß hervor, diese konkrete Person anzugreifen." Wenn aber die Indi- 134 Bottke, 1992, 60ff., 71 ff.; ders., Coimbra-Symposium, 1995, 243; LK9-Busch, §47,
vidualität des Opfers einen neuen Entschluß begründet, muß die Täuschung darüber zur mit- Rn.48; Dierlamm, NStZ 1998, 569f.; Eben, AT3, 198; Eser, StrafR II3, Fall 38, Rn.25; Haft,
telbaren Täterschaft führen! AT8, 200; Herzberg, 1977, 42ff; ders., Jura 1990, 23 f. (anders jetzt aber dm., 2000, 33ff.);Hirsch,
131
Schumann, 1986, 76{. 1996, 22f.; Hünerfeld, ZStW 99 (1987), 244; Ingelfinger, 1992, 183f.; Korn, NJW 1965, 1206ff;
»2 Jakobs, KT2, 21/102; Stein, 1988, 295. Kühl, AT3, §20, Rn.73f.; Küpper, GA 1998, 523ff; Lackner/Kühl24, §25, Rn.2; Lampe, ZStW
«3 Roxi«, GA1963,193; im.,Täterschaft, 72000, 242-252, 677ff. 106 (1994), 743; Maurach/Gössel, AT7, 48/88; M.-K. Meyer, 1984, 101 ff; Rotsch, NStZ 1998,
46
47
§ 25 II 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

109 Im Ausland hat die neue Rechtsfigur zuerst Mitte der Achtzigerjahre bei der herrschaft des Hintermannes n i m m t der B G H auf (BGHSt 40, 236): „Es gibt . . .
Aburteilung von Straftaten der früheren Generalsjunta in die B e g r ü n d u n g des ar- Fallgruppen, bei denen trotz eines uneingeschränkt verantwortlich handelnden
gentinischen Berufungsgerichts und des obersten Gerichtshofs Eingang gefun- Tatmittlers der Beitrag des Hintermannes nahezu automatisch zu der von diesem
den. 1 3 5 In den Feststellungen des Berufungsgerichts heißt es: 1 3 6 „Die Angeklagten Hintermann erstrebten Tatbestandsverwirklichung führt. Solches kann vorliegen,
hatten Tatherrschaft, weil sie die Organisation, die die Taten erzeugte, kontrol- wenn der Hintermann durch Organisationsstrukturen bestimmte R a h m e n b e d i n -
lierten . . . In diesem Zusammenhang verliert der konkrete Tatausführende an gungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst . . .
Bedeutung. Die Herrschaft derjenigen, die das System kontrollieren, über die Handelt in einem solchen Fall der H i n t e r m a n n in Kenntnis dieser Umstände . . . ,
Vollendung der von ihnen angeordneten Taten ist total, denn selbst w e n n es ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft. Er besitzt die Tatherrschaft."
irgendeinen Untergebenen geben sollte, der sich widersetzen würde, würde er Seitdem wird die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft kraft organisatori- 112
automatisch durch einen anderen ersetzt werden, woraus folgt, daß der entwor- scher Machtapparate in weiten Teilen der Welt lebhaft diskutiert. 139 Sie wird m ö g -
fene Plan nicht durch den (entgegenstehenden) Willen des Ausfuhrenden, der licherweise auch bei der Aburteilung anderer in totalitären Systemen begangener
lediglich die Rolle eines bloßen Zahnrads einer gigantischen Maschinerie spielt, Verbrechen A n w e n d u n g finden und wird auch im Völkerstrafrecht in zunehmen-
zum Scheitern gebracht werden kann. . . . Das Werkzeug, dessen sich der Hinter- dem Maße beachtet. 1 4 0 In der deutschen Literatur hat die Entscheidung des B G H
m a n n bedient, ist das System s e l b s t . . . bestehend aus fungiblen Tatmittlern." zunächst viel Z u s t i m m u n g gefunden, wobei die Autoren teils mit der von mir
110 Der Bundesgerichtshof hat erstmals im Jahre 1988 in einer Entscheidung des 4. entwickelten Auffassung ganz oder teilweise übereinstimmen, 1 4 1 zum geringeren
Senats, dem sogenannten Katzenkönigs-Fall, als obiter dictum, aber mit erkenn- Teil aber auch andere Begründungen wählen. 1 4 2 Erst im Anschluß an diese frühe
barer Zustimmung die Lehre erwähnt, die „für die Fälle des durch einen Macht- Zustimmungswelle haben sich in den letzten Jahren mehr und mehr Kritiker g e -
apparat organisierten Verbrechens ohne Rücksicht auf die volle rechtliche Verant- meldet, die die Konstruktion als solche und eine mittelbare Täterschaft überhaupt
wortbarkeit des Handelnden eine .Täterschaft hinter dem Täter'" anerkennt. 1 3 7 Die ablehnen und statt dessen eine Mittäterschaft oder eine Anstiftung annehmen w o l -
Ü b e r n a h m e dieser Rechtsfigur hat dann der 5. Senat in einer berühmten Entschei- len. 143 Das bedarf der Auseinandersetzung.
dung aus dem Jahre 1994 vollzogen. In diesem Urteil wurden die Mitglieder des c) Einwände gegen die Organisationsherrschaft
„Nationalen Verteidigungsrates" der ehemaligen D D R als mittelbare Täter für die Die zentralen Einwände gegen die Organisationsherrschaft richten sich gegen 113
Tötung von „Republikflüchtigen'' an der Berliner Mauer verurteilt. Sie hatten die Tatherrschaft des Hintermannes, die bei mir mit der Fungibilität der Ausfüh-
durch generelle Anweisungen die Schüsse der Grenzsoldaten an der Mauer und die renden und der dadurch bedingten Automatik des Befehlsvollzuges begründet
Verminung der Mauer durch tödliche Explosivstoffe angeordnet u n d beherrsch- wird. Der B G H hat das durch die vielzitierte Wendung von den „regelhaften A b -
ten nach den Thesen des Urteils das Geschehen mittels des von ihnen gesteuerten läufen" ausgedrückt, bei denen auch nach seiner Formulierung die Tatbestands-
Machtapparates, obwohl die unmittelbar Ausführenden an der Grenze ebenfalls als verwirklichung „nahezu automatisch" eintritt. Diese Argumentation wird in drei-
schuldhaft handelnde (unmittelbare) Täter verantwortlich waren. Sie wurden als facher Weise bestritten.
mittelbare „Täter hinter dem (verantwortlichen) Täter" angesehen.
111 Ich hatte das zentrale Argument für die Anerkennung dieser dritten Form der '39 In dem Buch „Nuevas Formulaciones en las Ciencias Penales. Homenajea Claus Roxin"
mittelbaren Täterschaft schon vor Jahrzehnten so formuliert: 1 3 8 „Eine solche O r - 2001, Cordoba, Argentinien, hgg. v. C. Lascano, finden sich allein drei Abhandlungen, die sich
mit der Theorie von der Tatherrschaft mittels organisatorischer Machtapparate (Dominio del
ganisation . . . entfaltet ein Leben, das vom wechselnden Bestände ihrer Mitglieder Hechoa traves de los Aparatos organizados de Poder) auseinandersetzen (Donna, 295ff;Garcia
unabhängig ist. Sie funktioniert, ohne daß es auf die individuelle Person des Aus- Vitor, 327 ff; Lascano, 349 ff). Weitere argentinische Literatur bei Ambos, 2002, 238, Fn. 82.
führenden ankommt, gleichsam .automatisch'". Diese B e g r ü n d u n g für die Tat- Auch ein in Spanien von Ferre Olive/Anarte Borallo herausgegebener Sammelband (Huelva,
1999) enthält drei Aufsätze zum Thema: Ferre Olive, 85 ff; Figueiredo Dias, 99 ff; Mufioz Conde,
151 ff. Weiteres rechtsvergleichendes Material bei Ambos, 2002, 590 ff.
491 ff.; ders., ZStW 112 (2000), 518ff; Schmidhäuser, StuB AT2, 10/95; Seh/Seh/Cramer/Heine26, 140
§ 25, Rn. 25 f.; Schild, 1994,10,16,19, 24ff; U. Schulz, JuS 1997,111; Schumann, 1986, 75 f.; Stra- So sagt etwa Vest, ZStW 113 (2001), 492f.: „Es ist aus völkerstrafrechtlicher Sicht unbe-
tenwerth, SchwStrafR, AT I2, §13, Rn.34; den., AT4, §12, Rn.65ff; Vest, ZStW 113 (2001), streitbar der bleibende Verdienst von Roxin, mit dem Konzept der mittelbaren Täterschaft kraft
organisatorischen Machtapparates ,systemisch-kollektives Unrecht' erstmals anerkannt zu
492 ff; Wesseh/Beulke, AT , Rn. 541 (Autoren, die diese Auffassung beibehalten haben, werden haben." Und Ambos sagt in seinem grundlegenden Werk „Der Allgemeine Teil des Völkerstraf-
nach der neuesten Auflage zitiert). rechts" (2002, 594, Fn. 349), daß jeder weiterführende Ansatz von dieser Konzeption auszuge-
135
Die Entscheidungen stammen von 1985 und 1986; näher dazu und zu dem gleichwohl hen habe.
auf eine akzessorische Haftung der Hintermänner hinauslaufenden Ergebnis: Ambos, GA 1998, 141
Ambos, GA 1998, 226f.; Bloy, GA 1996, 425 ff; Gropp, JuS 1996, 13ff.;Jung, JuS 1995,
238 f. 173f.; Knauer, 2001, 76; Küpper, GA 1998, 524; Roxin, JZ 1995, 49ff.; U. Schulz, JuS 1997,109.
142
136 Zitiert nach Ambos, GA 1998, 238 f. Murmann, GA 1996, 269 ff; Schroeder, JR 1995,177 ff.
143
137 BGHSt 35, 353. Genaue Nachweise zum neuesten Stand der Diskussion bei Ambos, 2001, 590 ff.
"8 Roxin, Täterschaft, 72000, 245.
49
48
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
114 Erstens wird geleugnet, daß der Hintermann der Tatbestandsverwirklichung
hängig von der Zahl der eingesetzten Tatmittler und der Frage, durch welches
überhaupt sicherer sein könne als ein Anstifter, der die Entscheidung über die
Werkzeug die Tat schließlich vollendet wurde, nur eine einzige Tat des Totschlags
Ausführung dem Täter überlassen muß. So sagt z.B. Herzberg144 „Soweit sich der ist .. " Diese eine Tat beherrscht er, auch wenn er gerade wegen der Fungibilität
Ausführungsbeauftragte gegen das Verbrechen der Tötung eines Menschen ent- der Handlanger deren individuelles Verhalten nicht zu beherrschen braucht. Daß
scheidet, hindert er den Veranlasser sehr wohl auf dessen Weg zum Verbrechens- die Bejahung nur einer Tötungstat durch den Hintermann eine an der Verschie-
ziel. Besonders anschaulich wird das beim Grenzsoldaten, der absichtlich da- denheit materieller Tötungstaten nichts ändernde „konkurrenzrechtliche Frage"149
nebenschießt und den Flüchtenden entkommen läßt. Ich bestreite also ... den sei, ist irrig; der Hintermann nimmt von vornherein nur jeweils eine Tötung vor,
Befund, daß sich der Befehlsgeber der Befehlsausführung und Deliktsverwirk- auch wenn er sich zu deren Verwirklichung ggf. verschiedener Personen bedient.
lichung sicher sein könne." Damit wird aber nur bewiesen, daß eine mittelbare Und wenn Renzikowski150 einwendet, „hypothetische Handlungen Dritter" (d.h.
Täterschaft, wie bei allen ihren Erscheinungsformen, so auch hier im Einzelfall der an die Stelle eines ausfallenden Schergen tretende Ersatzmann) seien im Straf-
im Versuch steckenbleiben kann. Mit Recht sagt der BGH (BGHSt 40, 236f.): recht nicht zu berücksichtigen, verkennt er, daß das Funktionieren des Apparates
„... bei Einsatz irrender oder schuldunfähiger Werkzeuge sind Fallgestaltungen eine Realität und keine Hypothese ist. Die darin liegende „Ersatzursachenherr-
häufig, bei denen der mittelbare Täter den Erfolgseintritt weit weniger in der schaft"151 gewährleistet die Tatbestandsverwirklichung und kann durchaus zur Be-
Hand hat als bei Fällen der beschriebenen Art." Es kann also nicht darauf ankom- gründung der Tatherrschaft herangezogen werden. Denn sie führt dazu, daß das
men, ob die „Automatik" in jedem Einzelfall funktioniert. Sie funktioniert im verantwortliche Handeln des unmittelbaren Täters anders als bei der Anstiftung
Normalfall, was man von der Anstiftung gerade nicht sagen kann. nicht darüber entscheidet, ob eine Deliktsaufforderung ausgeführt wird oder die
115 Daß sie es tut, wird durch die NS-Morde und die Toten an der Mauer mit tragi- Tat unterbleibt.
scher Deutlichkeit bewiesen. Die Fungibilität der Schergen ist bei den NS-Mor-
Drittens wird gegen die Organisationsherrschaft eingewandt, daß sie beim Ein- 118
den nur allzu deutlich (Sich-Weigernde wurden einfach ersetzt), aber auch im
satz nicht austauschbarer, also unersetzlicher und damit für das Gelingen eines
Falle der Mauerschützen wurden die zu sichernden Grenzabschnitte keineswegs Verbrechensplanes entscheidender Spezialisten versage.152 Das ist in der Tat richtig.
nur von einer einzigen Person bewacht. Im übrigen zeigt sich die Herrschaft des Wenn der Geheimdienst eines verbrecherischen Regimes oder der Leiter einer
Hintermannes auch daran, daß Personen, die sich von vornherein weigerten, KZ- Terrororganisation sich für einen Anschlag einen Menschen auswählen, der allein
Morde oder Mauertötungen auszuführen, umstandslos gegen bereitwillige Voll- über das zur Durchführung nötige Know-how verfügt oder der als einziger Zu-
strecker ausgetauscht werden konnten, was bei der bloßen Anstiftung gerade nicht gang zum Opfer hat, so liegt keine mittelbare Täterschaft, sondern eine Anstiftung
möglich ist. vor, solange die Hintermänner auf nötigende Druckmittel im Sinne des § 35
116 Zweitens wird gegen die Tatherrschaft des Hintermannes vorgetragen, daß nicht StGB verzichten.
mehr dieselbe Tat vorliege, wenn der Vollzug einer Anordnung durch den Aus-
Aber die Organisationsherrschaft ist auch nicht auf solche singulären Gescheh- 119
tausch des unmittelbar Handelnden gesichert werde. Zum Beispiel meint
nisse, sondern auf Taten zugeschnitten, die auf wiederkehrenden ähnlichen Ge-
Rutsch,145 wenn man argumentiere, die Weigerung eines Soldaten hindere die Er-
gebenheiten beruhen und durch fungible Personen ausführbar sind, wie dies z. B.
schießung nicht, weil ein anderer an dessen Stelle trete, dann vernachlässige man
bei den KZ-Morden der Nazis und den Schüssen an der Mauer der Fall war. Wenn
die Tatsache, „daß es sich bei der Tötung durch einen zweiten Vordermann in der Ambos153, sagt: „... der allgemeine Gültigkeitsanspruch des Fungibilitätskriteriums
Regel nicht mehr um dieselbe materielle Tat handelt".146 Ähnlich sagt Renzi- wird schon durch einen gegenteiligen Fall widerlegt", so übersieht er, daß die Or-
kowski:141 „Der Hintermann besitzt zwar durch den Apparat garantierte Möglich- ganisationsherrschaft kein Patentrezept ist, das unabhängig von konkreten Voraus-
keiten, seine Pläne unabhängig von der Person des Ausführenden zu verwirkli- setzungen in allen denkbaren Fällen Gültigkeit beansprucht. Vielmehr handelt es
chen. Diese Chancen können jedoch die fehlende tatsächliche Beherrschung im sich um ein Modell, dessen konstituierende Elemente im Einzelfall an der Realität
Einzelfall nicht ersetzen ..." überprüft werden müssen. Diese Rechtsfigur schließt daher die Möglichkeit, von
117 Dabei wird aber außer acht gelassen, was Rotsch148 selbst erkennt, aber nicht gel- Mittäterschaft und Anstiftung im Rahmen organisatorischer Machtapparate nur
ten lassen will, daß nämlich „die Tötung des Opfers für den Hintermann unab-

14 »9 Rotsch, ZStW 112 (2000), 530.


" Herzberg, 2000, 39. " 0 Renzikowski, 1997, 89.
1« Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 ff. (28 ff.). 151
™ Rotsch, ZStW 112 (2000), 528. SK7-Hoyer, § 25, Rn. 90; Ambos, 2002, 598, die beide diesen Gesichtspunkt zur Begrün-
147 dung von Tatherrschaft nicht für geeignet halten.
Renzikowski, 1997, 89. 152
Schroeder, JR 1995,178; Freund, AT, § 10, Rn.92; Ambos, 2001, 598.
i« Rotsch, ZStW 112 (2000), 530. 153
Ambos, 2001, 596.
50
51
§ 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
meinsamen Tatentschlusses, opfert damit aber in einer gegen das Gesetz verstoßen-
in der Regel, aber nicht in jedem Einzelfall aus. Die Argumente derer, die grund-
den Weise die in § 25 II geforderte „Gemeinschaftlichkeit" der Begehung.
sätzlich anstelle einer mittelbaren Täterschaft Mittäterschaft oder Anstiftung an-
Zweitens fehlt aber auch eine gemeinschaftliche Tatausführung. Denn der 122
nehmen, bedürfen jedoch im folgenden einer gesonderten Würdigung.
„Schreibtischtäter" fuhrt in eigener Person gerade nichts ausj er „macht sich nicht die
d) Die Annahme einer Mittäterschaft Hände schmutzig", sondern er bedient sich ausführender „Werkzeuge" seines Willens.
120 Eine Reihe von Autoren beurteilen den Hintermann, der im Rahmen organi- Wenn man, wie ich es tue, für die Mittäterschaft eine wesentliche Mitwirkung im
satorischer Machtapparate strafbare Handlungen anordnet, nicht als mittelbaren Ausfuhrungsstadium verlangt, scheidet eine Mittäterschaft von vornherein aus, weil
Täter, sondern als Mittäter.154 Dabei beruht die Ablehnung der mittelbaren Täter- der Anordnende im Ausfuhrungsstadium nicht beteiligt ist und meist nicht einmal
schaft durchweg auf der Annahme, daß ein Täter hinter dem voll verantwortlichen Zeit und Ort der Ausführung kennt. Aber auch wenn man mit der Rechtsprechung
Täter nicht möglich sei. Das ist aber irrig. Da die Handlungsherrschaft des Aus- im Vbrbereitungsstadium geleistete Beiträge ggf. für eine Mittäterschaft ausreichen
führenden und die Willensherrschaft des Hintermannes auf unterschiedlichen läßt, fehlt es doch selbst daran. Der einzige Tatbeitrag des Hintermannes liegt darin,
Voraussetzungen beruhen, können sie (wie schon anfangs dargelegt (a), durchaus daß er die Tat plant und veranlaßt. Darin liegt aber keine gemeinsame Ausführung.
zusammen bestehen: Der Ausführende beherrscht die konkrete Tat durch sein ei- Sonst müßte der Tatentschluß eine Ausführung und die Anstiftung eine Mittäter-
genhändiges Tun („Handlungsherrschaft"), der Hintermann durch die Herrschaft schaft sein, was mit der gesetzlichen Konzeption der Beteiligungsformen nicht zu
über die Organisation („Organisationsherrschaft"), die ihn von der Individualität vereinbaren wäre. Auch kann ja von „Arbeitsteilung", die heute allgemein als zen-
des Ausführenden unabhängig macht. Gegen eine Mittäterschaft sprechen dem- trales Merkmal der Mittäterschaft angesehen wird, nicht die Rede sein, wenn der
gegenüber drei entscheidende Gründe. Machthaber die gesamte Verwirklichung seiner Anordnung ausführenden Organen
121 Erstens fehlt ein gemeinsamer Tatentschluß, der nach absolut h. M. Vorausset- überläßt.
zung jeder „gemeinschaftlichen Begehung" i. S. d. § 25 II ist. Denn Hintermann Drittens wird durch die Annahme einer Mittäterschaft auch der Strukturunter- 123
und Ausführender kennen sich meist überhaupt nicht, beschließen nichts gemein- schied zwischen mittelbarer Täterschaft (der Begehung „durch einen anderen",
sam und verstehen sich auch nicht als gleichgeordnete Entscheidungsträger. Die § 25 I) und Mittäterschaft (dem „gemeinschaftlichen" Begehen, § 25 II) eingeeb-
Ausführung einer Anordnung, um die es in diesen Fällen geht, beruht auf einem net mit der Wirkung, daß die Trennlinie zwischen beiden Täterschaftsformen in
Befehl und nicht auf einem gemeinsamen Entschluß. Zwar heißt es bei Jescheck/ rechtsstaatlich bedenklicher Weise verwischt wird. Die mittelbare Täterschaft hat
Weigend'}55 „Die Gemeinsamkeit des Tatentschlusses wird durch das Bewußtsein eine vertikale Struktur (im Sinne eines Verlaufes von oben nach unten, vom Ver-
der Leitenden und Ausführenden hergestellt, daß eine bestimmte Tat oder mehrere anlasser zum Ausführenden), die Mittäterschaft hingegen ist horizontal struktu-
Taten gleicher Art entsprechend den Weisungen der Leitung vorgenommen wer- riert (im Sinne eines gleichzeitigen Nebeneinander der Mittäter). Mit Recht sagt
den sollen." Das Bewußtsein, Adressat einer Weisung zu sein, ist aber kein gemein- ß/oy:159 „Wenn man es - wie hier - mit eindeutig vertikal koordiniertem Verhal-
samer Entschluß. Otto156 meint, der Ausführende mache sich „den verbrecheri- ten zu tun hat, bei dem die Rolle der Hintermänner von vornherein auf eine völ-
schen Plan konkludent zu eigen". Dieses „Sich-zu-eigen-machen" ist aber auch lig fremdhändige Tatausführung festgelegt ist, so spricht das deutlich gegen Mit-
kein gemeinsamer Entschluß. Sonst müßte die erfolgreiche Anstiftung (das Be- täterschaft und für mittelbare Täterschaft." Diese Strukturvermengung gestattet es,
stimmen zur Tat) einen gemeinsamen Tatentschluß bedeuten, was mit § 26 nicht eine für eine mittelbare Täterschaft nicht ganz ausreichende Einflußnahme ohne
zu vereinbaren ist. Baumann/Weber157 lehren, Mittäterschaft fordere keinen persön- weiteres in eine Mittäterschaft umzudefinieren und so die Täterschaft auf Kosten
lichen Kontakt der Tatbeteiligten und keine gemeinsame Planung; es genügt das der Teilnahme beliebig auszuweiten (vgl. näher Rn. 203, 207).
„stillschweigend hergestellte Einverständnis". Das überdehnt aber - angewendet Eine Variante zur Mittäterschaftsthese bildet die Auffassung von Bockelmann}60 Er beurteilt 124
auf die hier in Rede stehende Konstellation - die Mittäterschaft bei weitem. Wenn „die Schreibtischmörder ... und ihre Handlanger" als Nebentäter, weil „eine durch volle Tat-
herrschaft vermittelte Tatherrschaft" für ihn eine „schwer nachzuvollziehende Vorstellung" ist.
jemand den Plan eines unbekannten anderen zu einer diesem unbekannten Zeit an Aber den Täter hinter dem volldeliktischen Täter gibt es auch sonst in mehrfachen Abwand-
unbekanntem Ort ausführt, läßt sich das nicht als gemeinschaftliche Begehung lungen. Und die Behelfskonstruktion einer Nebentäterschaft ignoriert den Umstand, daß die
auffassen. Jakobslss verzichtet konsequenterweise ganz auf das Kriterium des ge- Beiträge von „Schreibtischmördern" und „Handlangern" nicht unverbunden nebeneinander
herlaufen, wie dies für Nebentäter charakteristisch ist (Rn. 265 f.), sondern in der für die mit-
telbare Täterschaft kennzeichnenden Weise aufeinander bezogen sind: Der „Schreib-
«4 Baumann/Weber, AT10, §29 III 2 d, V 3 e; Jakobs, AT2, 21/103 m. Anm. 190, 191; ders., tischmörder" begeht seine Tat „durch einen anderen" (§25 I, 2. Alt.), nämlich durch den jewei-
NStZ 1995, 26f.; Jescheck/Weigend, AT5, § 62II8; Otto, AT6, § 21IV 3 d. ligen, i.d.R. anonymen „Handlanger"
«5 Jescheck/Weigend, AT5, § 62 II 8.
«6 Otto, AT6, § 21IV 3 d. ™ Bloy, GA 1996, 440; zust. Knauer, 2001, 73 f.
157 Baumann/Weber, AT10, § 29 IV 1. 160
Bockelmannn/Volk, AT4, § 24.
iss Jakobs, NStZ 1995, 27.
53
52
§25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
e) Die Annahme einer Anstiftung 166
auch Rogall , wenn man den Lenker eines Machtapparates nur als Anstifter be-
125 Seit BGHSt 40, 218 hat auch die Annahme einer Anstiftung durch den Hinter- strafe, werde „nicht deutlich, daß die unmittelbare Ausführung des Normbruchs
mann, die zuvor aus der Diskussion verschwunden war, wieder namhafte Anhän- über die Anstiftung hinaus seine Sache war". Daher sei die Zurechnung zur mittel-
ger gefunden. Vor allem Herzberg und Rotsch haben diese Auffassung in längeren baren Täterschaft „die plausibelste Lösung". >
Aufsätzen wieder zur Geltung gebracht. „Hitler, Himmler und Honecker haben
f) Die Ausdehnung der Organisationsherrschaft auf wirtschaftliche
die Tötungsdelikte, die sie befahlen, nicht als Täter begangen, sondern als Anstifter Unternehmungen
veranlaßt" sagt Herzberg.161 Rotsch meint,162 in den Mauerschützen-Fällen könne
„ohne Schwierigkeiten" Anstiftung angenommen werden. Aber auch Köhler163 und Die Figur der mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate ist 129
Renzikowski164 vertreten diese Auffassung. demnach als solche keineswegs, wie Herzberg meint, eine „Täterschaftsüberdeh-
126 In der Tat liegt die Bejahung einer Anstiftung immerhin näher als die einer Mit- nung".167 Sie ist dies aber in der Tat, wenn man diese Konstruktion ohne weiteres
auf die Veranlassung von deliktischen Handlungen durch Vorgesetzte in Wirt-
täterschaft. Denn die Anstiftung weist wie die Mittäterschaft eine vertikale Struk-
schaftsbetrieben und anderen hierarchischen Gliederungen überträgt, wie dies die
tur auf und besteht wie diese in der bloßen Auslösung fremdhändigen Gesche-
neuere Rspr. in zunehmendem Maße tut. Diese Entwicklung war schon in
hens. Der entscheidende Unterschied besteht aber darin, daß der Anstifter die Aus-
BGHSt 40, 218 ff. angelegt. Dem 5. Senat ist zwar zuzustimmen, wenn er sagt
führung der Tat nicht beherrscht, daß die Tatbestandsverwirklichung nicht von
(aaO., 237): „Eine so verstandene mittelbare Täterschaft wird nicht nur beim Miß-
seinem Willen abhängt. Beim Schreibtischtäter ist das anders: Er ist die beherr-
brauch staatlicher Machtbefugnisse, sondern auch in Fällen mafiaähnlich organi-
schende Zentralgestalt der von ihm befohlenen Verbrechen, während die aus-
sierten Verbrechens in Betracht kommen." Hinzuzufügen ist, daß auch bei Terror-
führenden Schergen zwar ebenfalls kraft ihrer Handlungsherrschaft als Täter
organisationen, denen zahlreiche austauschbare Vollstrecker zur Verfügung stehen,
verantwortlich sind, dem Anordnenden seine aus der Steuerung des Apparates re-
die Organisationsherrschaft einen weiten Anwendungsbereich hat. Wenn die Ent-
sultierende höherstufige Willensherrschaft aber nicht streitig machen können.
scheidung dann aber fortfährt: „Auch das Problem der Verantwortlichkeit beim
127 Wenn Hitler oder Stalin ihre Gegner umbringen ließen, dann war das ihr Werk
Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen läßt sich so lösen", so geht das zu weit.
(wenn auch nicht allein ihr Werk). Zu sagen, sie hätten es dem Entschluß ihrer
Untergebenen überlassen, ob die angeordneten Taten ausgeführt würden, wider- Denn hier fehlt i.d.R. die Austauschbarkeit der Ausfuhrenden, wie sie bei Or- 130
spricht vernünftigen Prinzipien sozialer, historischer und auch juristischer Täter- ganisationen gegeben ist, die sich hinsichtlich der von ihnen verwirklichten Straf-
zurechnung. Auch sonstige Unterschiede in den Beziehungsstrukturen belegen tatbestände (z. B. des Tötungstatbestandes) vom Recht gelöst haben. Eine solche
Rechtsgelöstheit168 liegt bei Staatsverbrechen, bei terroristischen Delikten und in
eine Herrschaft des Schreibtischtäters, die dem Anstifter gerade abgeht: Der An-
den Fällen organisierter Kriminalität vor. Wenn aber z.B. in einem Betrieb, der im
stifter muß sich einen Täter erst suchen, der Schreibtischtäter braucht nur den Be-
Rahmen der Rechtsordnung am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, ein Abteilungs-
fehl zu geben; der Anstifter muß mit dem potentiellen Täter Kontakt aufnehmen,
leiter einen Angestellten zu einer Urkundenfälschung auffordert, ist er im Be-
ihn für seinen Plan gewinnen und ggf. seinen Widerstand überwinden; dem Be-
gehungsfalle nur Anstifter der vom Angestellten täterschaftlich begangenen Tat.
fehlenden in der Hierarchie eines Machtapparates bleibt das erspart.
Denn bei einer auf der Basis des Rechts arbeitenden Organisation muß erwartet
128 Mit Recht betont jetzt auch Ambos165 „die im tatsächlichen wurzelnde Un-
werden, daß rechtswidrige Anweisungen nicht befolgt werden, wie dies z. B. die
vergleichbarkeit des Verhaltens des Organisators und Befehlshabers von Massen-
Beamtengesetze ausdrücklich vorschreiben.
verbrechen mit dem eines bloßen Anstifters zu bestimmten Taten". Ebenso sagt
Ein Beispiel einer solchen Überdehnung liefert die Sterbehilfe-Entscheidung 131
BGHSt 40, 257.169 Der Sohn und der behandelnde Arzt der Patientin hatten dem
'« Herzberg, 2000, 48. Pflegepersonal die Anweisung gegeben, die Behandlung einzustellen und wurden
'« Rotsch, ZStW 112 (2000), 562; vgl. ders. auch schon in NStZ 1998, 491. vom BGH allein deshalb als mittelbare Täter einer ggf. vorliegenden Tötung .be-
i« Köhler, AT, 510.
«"* Renzikowski, 1997, 87 ff. »« Rogall, 2000, 338 ff. (427).
165 167
Ambos, 2002, 593. Ambos will in den Fällen, die nach seiner Meinung durch das Fungibi- So aber Herzberg, 2000, 47.
litätskriterium nicht erfaßt werden können, unter Anschluß an Murmann (GA 1996, 273 f.) auf 168 Vgl. zu dem von mir geforderten Kriterium der Rechtsgelöstheit in Auseinandersetzung
die von mir in anderem Zusammenhang entwickelte Konstruktion der Pflichtdelikte zurück- mit Ambos, GA 1998, 243 ff, ausführlich Roxin, Grünwald-FS, 1999; für Ambos und gegen das
greifen und eine Täterschaft der Hintermänner aus der Schutzpflicht des Staates gegenüber sei- Kriterium der Rechtsgelöstheit Rotsch, ZStW 112 (2000), 533ff. Für die von mir vertretene
nen Bürgern ableiten (599 f.). Ob eine solche Konstruktion im Rahmen der Organisations- Auffassung eindringlich Figueiredo Dias, 1999. Zusammenfassend jetzt wieder Ambos, 2002,
herrschaft notwendig ist, erscheint mir zweifelhaft. Für die Verantwortlichkeit von Leitungs- 606ff., wo auch noch weitere Anhänger der von mir vertretenen Auffassung angeführt wer-
personen in Wirtschaftsbetrieben befürworte jedoch auch ich eine ähnliche Lösung (vgl. unten den.
bei und in Fn. 180). 169
Dazu auch Rönnau,]h 1996,108.
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55
§ 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Hintermann „die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tat-
urteilt. Der entscheidende Satz lautet: „Angesichts der von ihnen . . . als Sohn und
bestand zu erfüllen", ausnutzt, und zweitens, daß er „den Erfolg als Ergebnis seines
vertretungsberechtigter Pfleger bzw. als behandelnder Arzt in Anspruch g e n o m -
eigenen Handelns" will (BGHSt 40, 236).
menen Anordnungsbefugnis einerseits wie auch der untergeordneten, grundsätz-
Der erste Gesichtspunkt stammt von Schroeder, der den Grund für die mittelbare 134
lich weisungsgebundenen Rolle der eingeschalteten Hilfskräfte andererseits kann
Täterschaft in den Fällen der Organisationsherrschaft in der Ausnutzung der b e -
an dem subjektiven Kriterium des Täterwillens und der objektiven Voraussetzung
reits bestehenden Tatentschlossenheit des Ausführenden sieht. 173 Das ist aber nicht
der Tatherrschaft beider Angeklagten kein Zweifel bestehen." Jedoch scheidet hier
eine Organisationsherrschaft nicht nur mangels Fungibilität des für die Durchfüh- richtig und wird auch in der Literatur ganz überwiegend abgelehnt. 174 D e n n selbst
rung der A n o r d n u n g zuständigen Pflegedienstleiters, sondern auch deshalb aus, die Annahme eines Erbietens nach § 30 II ist unstrittig nur eine Anstiftung.
weil ein Krankenhaus hinsichtlich des Tötungsverbotes gerade nicht „rechtsgelöst" Außerdem beruht die Organisationsherrschaft gerade darauf, daß es wegen der
arbeitet, sondern es strikt beachtet. Im konkreten Fall hatte denn auch der Pflege- Auswechselbarkeit des Ausführenden auf die Tatentschlossenheit des einzelnen
dienstleiter die Anweisung nicht ausgeführt, sondern die Tötung verhindert. Es nicht ankommt. Auch gibt es im R a h m e n rechtskonform arbeitender Betriebe
fehlte also an der Tatherrschaft der Hintermänner. Selbst w e n n noch andere ausfüh- keine Anhaltspunkte dafür, daß Angestellte zur Durchführung deliktischer Auf-
rende Personen in Betracht gekommen wären, hätte man auch von ihnen erwarten forderungen entschlossener sind als andere Menschen. 1 7 5
können und müssen, daß sie bei erkannter Rechtswidrigkeit der Tötung die Aus- Der zweite Gesichtspunkt führt auf die subjektive Theorie zurück, ist mit der 135
führung der Anweisung verweigert hätten. Es lag also nur eine Anstiftung vor. Tatherrschaftslehre nicht zu vereinbaren und ist auch unabhängig davon wegen
132 Andere Entscheidungen schreiten auf der Bahn der Sterbehilfeentscheidung seiner inhaltlosen Formelhaftigkeit unbrauchbar. D e n n wenn man sagt, die in der
fort. 170 Ein Urteil des 2. Senats von 1997 171 bestraft Geschäftsführer einer G m b H Leitungsebene tätigen Personen hätten die strafbaren Taten ihrer Angestellten als
als mittelbare Täter einer umweltgefährdenden Abfallbeseitigung (§ 326). Die Ergebnisse ihres eigenen Handelns gewollt, so ist das eine nichtssagende R e d e n s -
„vom Täterwillen getragene Tatherrschaft" der Geschäftsführer wird daraus her- art. Mit größerem Recht ließe sich formulieren, sie hätten die deliktischen Taten
geleitet, daß sie zur illegalen Abfallbeseitigung „den Weg . . . eröffnet und vor- als Ergebnisse des Handelns ihrer Angestellten gewollt.
gezeichnet" hätten. Aber den Weg zur Straftat zu eröffnen und vorzuzeichnen, ist So ist denn auch der Versuch des B G H , das Problem der Verantwortlichkeit 136
die typische Rolle des Anstifters (und oft selbst des technische Rathilfe leistenden beim Betrieb wirtschaftlicher Unternehmen durch die Konstruktion einer mittel-
Gehilfen). Eine Tatherrschaft resultiert allein aus diesem Umstand jedenfalls nicht. baren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate zu lösen, in der Literatur
Durch ein Urteil des 4. Senats v o m selben Jahr 172 werden die Geschäftsführer einer weit überwiegend abgelehnt worden. 1 7 6 Gleichwohl soll nicht geleugnet werden,
G m b H als mittelbare Täter der von den Angestellten begangenen Betrügereien daß ein Bedürfnis besteht, die Leitungspersonen von Unternehmen als Täter für
bestraft, obwohl „keine konkrete Einwirkung oder auch nur aktuelle Kenntnis der betriebsbezogene Straftaten ihrer Angestellten verantwortlich zu machen, die sie
Angeklagten in bezug auf die einzelnen Warenbestellungen festgestellt" werden veranlaßt, gefordert oder pflichtwidrig nicht verhindert haben. SchünematwP1
konnte. D e n n als „Täter kraft Tatherrschaft" k o m m e „auch derjenige in Betracht, und Muhoz Conde178 wollen deshalb unter Ablehnung einer mittelbaren Täter-
der durch Organisationsstrukturen bedingte R a h m e n b e d i n g u n g e n ausnutzt, die schaft eine Mittäterschaft annehmen, die sich auf Fälle der Unternehmenskrimi-
regelhafte Abläufe auslösen". Dies habe der B G H „auch für unternehmerische B e - nalität beschränkt und die von Schünemann179 aus der „doppelten M i t w i r k u n g
tätigungen bejaht". Wie aber eine Tatherrschaft bei einem Geschehen vorliegen soll, eines Garanten (zugleich als Unterlassungsbeteiligter und als aktiver Teilnehmer)"
auf das die Angeklagten nicht einmal konkret eingewirkt haben, wird nicht näher abgeleitet wird.
begründet. Die Tatherrschaft wird hier dazu benutzt, u m jede auch nur mittelbare Der Gedanke von Schünemann führt auf den richtigen Weg, auch w e n n ich sei- 137
Verantwortung der Leitungsebene eines Unternehmens zur Täterschaft zuzurech- ner Addierung von Unterlassen und Begehen zur Mittäterschaft nicht folgen
nen. Dafür ist dieser Begriff aber nicht geeignet.
m
133 Diese von der Organisationsherrschaft wegführende Rspr. ist dadurch möglich Schroeder, 1965,152 und passim.
"" Ambos, GA 1998, 230; Herzberg, 1977, 49; Rotsch, 1998, 143; den., ZStW 112 (2000),
geworden, daß der B G H schon in seiner Ausgangsentscheidung über den „natio- 525 f.; Roxin, JZ 1995, 51; Stein, 1988,186.
nalen Verteidigungsrat" ergänzend noch zwei andere Gesichtspunkte zur B e g r ü n - 175 Weitere Argumente gegen die These von Schroederbei Rotsch, ZStW 112 (2000), 525 f.
d u n g der mittelbaren Täterschaft herangezogen hatte, nämlich erstens, daß der " 6 Ambos, GA 1998, 226, 239; Kühl, AT3, § 20, Rn. 73 b; Murmann, GA 1996, 269; Rotsch,
1998, 144ff.; ders NStZ 1998, 491, 493ff.; ders., wistra 1999, 321, 327; Roxin, JZ 1995, 49, 51;
ders., Täterschaft 72000, 682f.; Schünemann, BGH-FG, Bd. 4, 2000, 629ff. Dem BGH folgend
170 aber Ransiek, 1996, 46 ff.
Näher zu den beiden nachfolgend erwähnten Entscheidungen Roxin, Täterschaft,
7
1 77 Schünemann, BGH-FG, Bd. 4, 2000, 628 ff; auch Dierlamm, NStZ 1998, 569.
2000, 616f.; Rotsch, ZStW 112 (2000), 553ff. 1 78 Muhoz Conde, Roxin-FS, 2001, 623f.; ders., Revista Penal, 2002, 59.
i7i BGHSt 43, 219; zust. Kühl, AT3, § 20, Rn. 81 a. 1 79 Schünemann, BGH-FG, Bd. 4, 2000, 632.
"2 BGH wistra 1998,148.
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§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

kann. Es ist die Garantenstellung des Unternehmers, die ihn nach den Regeln der der Irrtumsherrschaft zu behandeln (Rn.61ff., 76 ff.). Fehlt es dem Ausführenden
Pflichtdelikte zum Täter macht, einerlei, ob sein Tatbeitrag in einem Tun oder in an der Hemmungsfähigkeit, kann ein Hintermann das Verhalten des H e m m u n g s -
bloßen Geschehenlassen dessen besteht, für dessen Nichteintritt er einzustehen unfähigen nach Art der Nötigungsherrschaft manipulieren (Rn. 47 ff.), ohne die
hat. Man kann eine solche „mittelbare Täterschaft kraft Pflichtenstellung" als eine Druckmittel des § 35 benutzen zu müssen. Wo von vornherein keine Widerstands-
eigenständige Form der mittelbaren Täterschaft ansehen. 1 8 0 Sie hat heute schon in möglichkeit existiert, braucht sie nicht erst durch Gewalt oder D r o h u n g über-
Art. 13 des sog. Corpus iuris zum Schutze der Finanzinteressen der E G Eingang wunden zu werden. Nicht selten werden beide Formen der Willensherrschaft
gefunden, w o es heißt: „Wird eine Straftat für R e c h n u n g eines Unternehmens von gemeinsam auftreten oder ineinander übergehen. Eine Teilnahme an den Taten
einer Person begangen, die der Autorität des Unternehmensleiters oder einer an- Schuldunfähiger k o m m t , soweit der H i n t e r m a n n die Schuldunfähigkeit des Aus-
deren mit Entscheidungs- oder Kontrollmacht im Unternehmen ausgestatteten führenden erkennt, bei sinngemäßer A n w e n d u n g der schon entwickelten Regeln
Person untersteht, so ist auch der Unternehmensleiter oder der Entscheidungs- nur in marginalen Fällen in Betracht, etwa bei der nicht tatermöglichenden U n -
oder Kontrollträger strafrechtlich verantwortlich, w e n n er von der Begehung der terstützung eines vom Schuldunfähigen schon selbst gefaßten Deliktsplanes.
Straftat Kenntnis hatte, Anweisung zu ihrer Begehung gab, die Straftat geschehen Die Benutzung Schuldunfähiger begründet also prinzipiell mittelbare Täter- 140
ließ oder die erforderlichen Kontrollmaßnahmen unterließ." Solange wir eine sol- schaft, ohne daß es eine Rolle spielt, ob der Geisteskranke oder das Kind im E i n -
che Vorschrift im StGB nicht haben, kann man aus der Garantenstellung der Lei- zelfall nicht vielleicht doch einen eigenen Willen haben. Das bei der N ö t i g u n g
tungsperson eine Unterlassungstäterschaft ableiten; denn diese wird nicht dadurch (Rn. 48) entwickelte und ebenso auf den unvermeidbaren Verbotsirrtum ( R n . 78)
ausgeschlossen, daß der den Erfolg nicht verhindernde Garant sich auch noch passende Verantwortungsprinzip gilt also auch hier. 181 Demgegenüber will eine
aktiv an der Deliktsherbeiführung beteiligt hat. U m Fälle aktiver Tatherrschaft Mindermeinung im Schrifttum auf die psychologischen Gegebenheiten des E i n -
handelt es sich aber nicht. zelfalles abstellen. So meinte Welzel182, „auch ein Kind (etwa ein 12jähriger Junge)
138 Das führt zu dem Fazit: Die mittelbare Täterschaft kraft organisatorischer oder ein Geisteskranker kann durchaus einen eigenen Willen entfalten"; dann liege
Machtapparate ist eine gegen manche Einwände sich behauptende leistungsfähige bei „Teilnahme Dritter" nur Anstiftung oder Beihilfe vor. Dasselbe n i m m t
Rechtsfigur, die es gestattet, vor allem bei Staatsverbrechen u n d Delikten k r i m i - Jescheck183 an, w e n n „das Kind oder der Geisteskranke . . . ausnahmsweise zu einem
neller Organisationen die Hintermänner als Täter zu erfassen. Sie wird aber über- eigenen Entschluß fähig" sind. Schmidhäuser184 sagt ganz allgemein, es sei „immer
fordert, w e n n man sie auf alle hierarchischen Beziehungen anwenden u n d Lei- die konkrete Beziehung zwischen den Beteiligten und die Tatsituation" m a ß g e b -
tungspersonen in wirtschaftlichen Unternehmen bei betriebsbezogenen Straftaten lich. Bockelmann185 wollte sogar im Regelfall nur Anstiftung annehmen; denn
Untergebener ohne Rücksicht auf die Form ihrer M i t w i r k u n g die Tatherrschaft auch einen Geisteskranken habe man „nicht wie ein Werkzeug in der Hand".
zuschreiben will. Hier werden zur Organisationsherrschaft andere Konstruktionen Aber solche individualisierenden Lösungen sind nicht durchführbar. Ihre Ver- 141
ergänzend hinzutreten müssen. treter verwechseln die Tatbestandsbezogenheit der Verantwortlichkeit mit der E i n -
zelfallbezogenheit einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in diesem
4. D i e Willensherrschaft bei Schuldunfahigen und vermindert Bereich. Es ist z. B. sehr wohl möglich, daß jemand für einen Diebstahl voll ver-
Schuldfähigen antwortlich ist, dem wegen seiner pathologischen Triebstruktur im Hinblick auf
a) D e r schuldunfähige Tatmittler ein Sexualdelikt die Hemmungsfähigkeit abgesprochen werden muß. Ebenso ist
es leicht vorstellbar, daß ein geistig etwas zurückgebliebener Mensch zwar bei
139 Als schuldunfähige Tatmittler k o m m e n zurechnungsunfähige Personen (§ 20),
einer Tötung oder Körperverletzung, nicht aber bei einem Umweltdelikt oder bei
Kinder (§ 19) und verantwortungsunfähige Jugendliche ( § 3 J G G ) in Betracht. Da
einer Wirtschaftsstraftat das Unrecht seines Verhaltens einsehen kann. In solchen
der Gesetzgeber davon ausgeht, daß es ihnen entweder an der Fähigkeit fehlt, „das
Fällen ist ein Außenstehender Teilnehmer, soweit er an verantwortlichem, und
Unrecht der Tat einzusehen" oder „nach dieser Einsicht zu handeln", ist die mittel-
i.d.R. mittelbarer Täter, w e n n er an nicht verantwortlichem Handeln der' ie-
bare Täterschaft in solchen Fällen strukturell eine Mischung aus I r r t u m s - u n d
weihgen Person mitwirkt. Dagegen ist es nicht möglich, die Verleitung eines im
Nötigungsherrschaft. Bei fehlender Einsichtsfähigkeit liegt ein unvermeidbarer
181
Verbotsirrtum des Ausführenden vor, der an sich schon nach § 17 zum Schuld- Im selben Sinne vgl. etwa Baumann/Weber, AT10, §29 V 3 d; Blei, AT18, §72 I 3a; Gallas
ausschluß führen müßte. Jedenfalls sind diese Konstellationen nach den Regeln MatStrRef. I, 134; ders., ZStW-Sonderheft Athen (1957), 15; Herzberg, 1977, §3, 4, S.30; Otto,
AT , § 21IV 3 b; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 49; wohl auch Maurach/Gössel, AT/27, 48/79f.
i82
Welzel, StrafR11,103.
180 ,83
Vgl. zum Ganzen Tiedemann, Nishihara-FS, 1998, 496ff., der für ein europäisches Jescheck, AT4, § 62 II 4, anders jetztJescheck/Weigend, AT5, § 62 II 4.
184
Modell-Strafgesetzbuch die eigene Täterschaftsform der „Verantwortlichkeit für fremdes Ver- Schmidhäuser, LB AT2,14/48; auch ders., StuB AT2,10/94.
185
halten" vorsieht. Bockelmann, AT3, § 25 II a; auch noch Bockelmann/Volk, AT4, § 25 II a.
58 59
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

Hinblick auf den individuellen Tatbestand zurechnungsunfähigen Menschen je In der Literatur werden, wie schon in den N ö t i g u n g s - und Irrtumsfällen 145
nach Lage des Falles statt als mittelbare Täterschaft als Anstiftung zu bestrafen. (Rn. 56 ff, 70 ff), an die A n n a h m e einer mittelbaren Täterschaft weithin geringere
D e n n w e n n jemand bei der konkreten Tatbestandserfüllung unfähig war, das Anforderungen gestellt, indem die Voraussetzungen des § 20 durch die Kriterien
Unrecht seines Verhaltens einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ist der „Ernstlichkeit" i. S. d. § 216 oder der „Einsichtsfähigkeit" bei der Einwilligung
nicht ersichtlich, wie man einem solchen Menschen gleichzeitig einen unter dem ersetzt werden. Dabei geht man - bei unterschiedlichen Nuancierungen im ein-
Gesichtspunkt der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme rechtlich beacht- zelnen — davon aus, daß eine verantwortliche, die Strafbarkeit eines M i t w i r k e n -
lichen, selbständigen deliktischen Willen sollte zusprechen können. Da für eine den ausschließende Selbstschädigung schon bei weniger erheblichen, den Voraus-
derartige Zuschreibung jeder Maßstab fehlen würde, müßte die Abgrenzung auf setzungen des § 20 nicht entsprechenden Störungen und z. B. auch dann nicht
eine willkürliche Dezision hinauslaufen. mehr vorliege, w e n n ein Selbstmord n u r einer „Augenblicksstimmung" entspre-
142 Etwas anders liegt es bei Kindern, denen von der h. M . eine unwiderlegliche che. 188 Neuerdings wird auch i. S. eines „weichen Paternalismus" darauf abgestellt,
Vermutung der Schuldunfähigkeit zugebilligt wird, bei denen aber richtigerweise ob ein Selbstmordentschluß unabhängig von der psychischen Verfassung des Sui-
anzunehmen ist, daß der in § 19 angeordnete Verantwortungsausschluß teils auf zidenten noch von irgendeinem Standpunkt aus als plausibel oder akzeptabel b e -
fehlender Schuld, teils aber trotz bestehender Schuld auf der präventiven Kontra- urteilt werden könne. 1 8 9
indiziertheit einer Bestrafung beruht. 1 8 6 Hier wäre es theoretisch möglich, ähnlich Das alles verdient keine Zustimmung. Freilich wird eine M i t w i r k u n g bei Suizid 146
wie bei Jugendlichen im Einzelfall feststellen zu lassen, ob das Kind „nach seiner und mutatis mutandis auch bei Selbstschädigungen durch D r o g e n - oder M e d i -
sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug" war, „das Unrecht der Tat ein- kamentenmißbrauch 1 9 0 sehr viel häufiger als bei Straftaten zu einer mittelbaren
zusehen und nach dieser Einsicht zu handeln", u n d j e nachdem Teilnahme oder Täterschaft des Außenstehenden führen. Dies beruht vor allem darauf, daß Selbst-
mittelbare Täterschaft anzunehmen. So hat denn auch RGSt 61, 265 die Veranlas- mörder, auch wenn man den Maßstab des § 20 anlegt, erheblich öfter zurech-
sung eines 13jährigen Kindes zu einer Brandstiftung als Anstiftung beurteilt, weil nungsunfähig sind als Straftäter. Endogene Depressionen, die oft zu Selbstmorden
das Kind für die Bedeutung seines Tuns zwar nicht volles, aber doch „hinreichen- führen, sind krankhafte seelische Störungen i. S. d. § 20, 191 so daß der Veranlasser
des Verständnis" gehabt habe. oder Unterstützer eines Suizids in derartigen Fällen wegen vorsätzlicher oder fahr-
143 Gleichwohl sollte auch in derartigen Fällen eine mittelbare Täterschaft bejaht lässiger Tötung verantwortlich sein kann. Ü b e r die Frage, wie häufig Selbstmorde
werden. D e n n ein Rest von Schuld liegt auch beim Ausführenden einer N o t - in zurechnungsunfähigem Zustand begangen werden, besteht keine Einigkeit; die
standstat nach § 35 vor, 187 ohne daß an der mittelbaren Täterschaft des die Tat ver- Annahmen schwanken zwischen 30 % und 60 %. 1 9 2 Bei der Beurteilung wird
anlassenden Hintermannes gezweifelt würde. Hier wie dort gilt, daß nach dem meist nicht ohne psychiatrischen Sachverständigen auszukommen sein, wobei
Verantwortungsprinzip die strafrechtliche Entlastung des Ausführenden den allein Zweifel selbstverständlich zugunsten des Angeklagten ausschlagen müssen. Jeden-
verantwortlichen Hintermann zur Zentralgestalt des Geschehens und damit zum falls hat in diesem Bereich die Tatbestandsbezogenheit der Verantwortlichkeit
(mittelbaren) Täter macht. Es wäre zudem sinnwidrig, w e n n Kinder zur Prüfung (Rn. 141) noch größere Bedeutung als sonst: Wer auf Grund einer krankhaften
ihrer Täterschaft in Strafprozesse hineingezogen werden müßten, bei denen mit- seelischen Störung Selbstmord verübt, ist im Regelfall zivil- und strafrechtlich
zuwirken und zum Objekt von Untersuchungen zu werden der Gesetzgeber ihnen voll verantwortlich, so daß er z. B. wirksame Kaufverträge abschließen kann und
mit Hilfe des § 19 aus erzieherisch und präventiv wohlerwogenen Gründen er- für einen Diebstahl zu bestrafen wäre.
sparen wollte. Es k o m m t hinzu, daß man bei der M i t w i r k u n g am Selbstmord Jugendlicher 147
144 Für die Mitwirkung an Selbstschädigungen gelten die entwickelten Regeln durchweg eine Strafbarkeit des Außenstehenden annehmen muß, weil ein junger
entsprechend. Wer also ein Kind, einen verantwortungsunfähigen Jugendlichen Mensch, der aus Liebeskummer, auf G r u n d pubertärer Verirrungen, schulischer
oder einen Geisteskranken zum Suizid veranlaßt oder ihn ermöglicht, ist mittel- oder beruflicher Enttäuschungen oder aus ähnlichen Gründen aus dem Leben
barer Täter eines Tötungsdeliktes. Auch die Abgabe von Betäubungsmitteln oder scheiden will, kaum je i. S. d. § 3 J G G „nach seiner sittlichen und geistigen Ent-
tödlich bzw. gesundheitsschädlich wirkenden Substanzen an solche Personen kann 188
Für die Nachweise sei auf Rn. 56ff., 70ff. verwiesen. Freilich werden auch bei der Ein-
als Totschlag oder Körperverletzung strafbar sein, w e n n der Hintermann den da-
willigung an die Einsichtsfähigkeit erwachsener Personen von der h. L. und der Rspr. viel zu
für erforderlichen Vorsatz hat. hohe Anforderungen gestellt, vgl. Roxin, AT l3, § 13, Rn. 55 ff.
189 Merkel, 1991, 71ff.; eine nähere kritische Auseinandersetzung damit liefert Roxin, 140
Jahre GA, 1993,177 ff.
wo Näher Roxin, AT l3, § 11, Rn. 86ff.
191
186
Vgl. Roxin, AT l3, § 20, Rn. 49. Vgl. Roxin, AT l3, § 20, Rn. 12.
187
Vgl. Roxin, AT l3, § 22, Rn. lff. "2 Näher Roxin, Dreher-FS, 1977, 350 m.w.N.

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§ 25 II 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

wicklung reif genug" sein wird, die Tragweite eines solchen Schrittes zu erkennen. tums. 1 9 6 Dagegen k o m m t eine Lehre, die schon in den Nötigungsfällen
Eine Ausnahme k o m m t hier vor allem dann in Betracht, wenn ein Jugendlicher (Rn. 48 f.) im „Grenzbereich" eine mittelbare Täterschaft bejaht, auch im Falle des
im Endstadium einer tödlichen Krankheit sich seinen Schmerzen durch den Tod §21 zu einer solchen Lösung. 1 9 7 Schünemann19S gibt eine „Ausdehnung der
entzieht; denn in diesem Falle ist seine Lage und seine Motivation keine andere als Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft" auf die Fälle der- „Benutzung eines im
die eines verantwortlichen Erwachsenen. Zustand verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB handelnden Werkzeugs"
148 Dagegen ist es nicht richtig, einem Erwachsenen, der ohne „krankhafte seeli- zu erwägen, nennt dies aber selbst ein schwieriges, im Schrifttum kaum erörter-
sche Störung" auf Grund von psychischen Spannungen oder Verstimmungen tes Problem. Teilweise wird auch differenziert. So soll nach Baumann/Weber bei
Selbstmord begeht, mit der „Ernsthaftigkeit" seines Todeswunsches auch die Ver- „eigener Entscheidung" des vermindert Schuldfähigen nur Teilnahme, bei zweck-
antwortlichkeit für seinen Entschluß abzusprechen und einen Außenstehenden für bewußter Ausnutzung der Defizite des unmittelbar Handelnden dagegen mittel-
seine M i t w i r k u n g grundsätzlich strafrechtlich verantwortlich zu machen (über bare Täterschaft vorliegen. 199 Nach Schaffstein200 soll es auf eine „Wertung aller
Ausnahmen im Bereich des § 21 vgl. unten R n . 152). D e n n damit wird die gesetz- Umstände des konkreten Einzelfalls ankommen", mittelbare Täterschaft aber
geberische Entscheidung für die Straflosigkeit der Suizidmitwirkung unterlaufen. jedenfalls dann angenommen werden, wenn die verminderte Schuldfähigkeit
Da Selbstmorde immer in seelischen Ausnahmesituationen begangen werden, durch den Hintermann absichtlich herbeigeführt worden ist, u m den Ausführen-
würden kaum noch straflose Fälle einer Selbstmordteilnahme übrigbleiben. Mit den dadurch zur Tat zu veranlassen (etwa bei der Verleitung zu Alkohol- oder
Recht hat deshalb auch der B G H im Sirius-Fall ( R n . 70) nur geprüft, ob die vom Drogenmißbrauch).
Angeklagten suggestiv beeinflußte Frau „einen der psychischen Zustände . . . , die Richtigerweise wird man in der Tat differenzieren müssen. Aber das Abstellen 150
§ 2 0 nennt", aufwies (BGHSt 32, 41); und im Falle des vorgespiegelten Doppel- auf den Einzelfall hilft nicht weiter, solange nicht der Maßstab angegeben wird,
selbstmordes ( R n . 56, 57, 71) hat das Gericht den deprimierten Zustand und die nachdem in concreto entschieden werden soll. Dieser Maßstab kann nur in der
„niedergeschlagene Stimmung" des Ehemannes nicht zum Anlaß g e n o m m e n , an vom Gesetz vorgezeichneten Trennung zwischen verminderter Einsichts- und
der Verantwortlichkeit seines Selbsttötungswillens zu zweifeln. Erst recht kann verminderter Hemmungsfähigkeit liegen. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit
man den Wunsch alter und schwerkranker Menschen, aus dem Leben gehen zu i. S. d. § 21 setzt nämlich voraus, daß der Täter im zur Beurteilung stehenden Fall
wollen, nicht ohne weiteres als pathologisch abtun, 1 9 3 so daß also Fälle strafloser ohne Unrechtseinsicht gehandelt hat; hat er das Unrecht seines Tuns trotz vermin-
M i t w i r k u n g am Suizid doch verhältnismäßig häufig in Betracht k o m m e n . Ent- derter Einsichtsfähigkeit erkannt, ist § 21 von vornherein nicht anwendbar. 2 0 1 Der
sprechendes gilt für die Selbstschädigung. Im praktisch wichtigsten Fall des g e - Einsichtsmangel wirkt sich also i m m e r in einem Verbotsirrtum aus, so daß die für
sundheitsschädlichen oder gar tödlichen Rauschgiftkonsums Drogenabhängiger diesen Fall entwickelten Grundsätze zur Anwendung k o m m e n , die i.d.R. zur B e -
hält die Rspr. den Konsumenten i.d.R. für verantwortlich, so daß die Beschaffung jahung einer mittelbaren Täterschaft führen ( R n . 77 ff.). Hat der Täter dagegen das
des „Stoffes" durch einen anderen diesen, solange nicht besondere Umstände h i n - Unrecht seines Verhaltens eingesehen und war er auch noch fähig, nach dieser E i n -
zukommen, nicht zum Täter eines Tötungsdeliktes 1 9 4 machen kann (BGHSt 32, sicht zu handeln, so kann ein Außenstehender auch dann nur Teilnehmer sein,
262 und die nachfolgende Rspr.). wenn die Hemmungsfähigkeit des Täters erheblich vermindert war; es genügt,
daß er sie (noch) hatte. Insoweit liegt es ähnlich wie in den Fällen, in denen eine
b) D e r erheblich vermindert schuldfähige Tatmittler
Nötigung nicht das Maß des § 3 5 erreicht ( R n . 4 9 f f ) . Auch wenn jemand einen
149 Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei den Taten erheblich ver-
anderen absichtlich zum Alkohol- oder Rauschgiftgenuß verleitet, u m ihn in die-
mindert zurechnungsfähiger Personen (§ 21) ist in Rspr. und Wissenschaft wenig
sem Zustand zu einer Straftat zu verführen, ist das entgegen Schaffstein ( R n . 149)
geklärt und bisher auch wenig grundsätzlich behandelt worden, obwohl der
immer noch ein (freilich schwerer) Fall der Anstiftung, solange der Handelnde die
Fall häufiger und damit auch praktisch wichtiger ist als die Beteiligung an D e -
Unrechtseinsicht hat und nach dieser Einsicht auch, wenngleich unter Aufbietung
likten Schuldunfähiger. Die Rspr. n i m m t , ohne die Frage weiter zu problema-
größerer Anstrengung, handeln könnte.
tisieren, grundsätzlich nur eine Teilnahme an, w e n n jemand an den Taten eines
i. S. d. § 21 vermindert Schuldfähigen mitwirkt. 1 9 5 D e m folgt ein Teil des Schrift-
»6 Herzberg, 1977, § 3 III 1; Jakobs, KT2, 21/94; Schumann, 1986, 76; Stratenwerth, AT4, § 12,
193
Dies tut glücklicherweise auch die Rspr. nicht; vgl. z. B. die Fälle BGHSt 32, 367; Rn. 52; wohl auch Kühl, AT3, § 20, Rn. 47, 64.
197
BGH NStZ 1987, 365; LG Ravensburg NStZ 1987, 229. Vgl. nur Maurach/Gössel, Kr/27, 48/86.
194 198
Allerdings läßt BGHSt 32, 262 die Frage offen, ob man die Eigenverantwortlichkeit Schünemann, NStZ 1982, 63.
199
nach Einwilligungsmaßstäben beurteilen könne, weil selbst nach diesem Maßstab noch ange- Baumann/Weber, AT10, § 29 V 3.
200
nommen werden müsse, daß der Drogensüchtige verantwortlich gehandelt habe. Schaffstein, NStZ 1989,158.
201
»5 BGHSt 32, 43; 32, 262; 35, 349; BGH GA 1986, 508; vgl. auch Rn. 148. BGHSt 21, 27; 34, 22, 25; BGH NStZ 1988, 24; 1989,430; st. Rspr.
62 63
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
202
Schaffstein hält der hier entwickelten Konzeption entgegen, daß sich „Ein- V, während der Beitrag des H sich auf die Aufforderung zur Vornahme der Tatbe-
sichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit ... allenfalls in der Theorie unterscheiden standshandlung beschränkte. Die danach an sich sachgerechte Bestrafung wegen
lassen, in der Realität aber meist so miteinander verwoben sind, daß sie sich für Anstiftung scheiterte aber an der fehlenden Täterschaft des V.
Sachverständige und Richter nicht ohne Willkür auseinanderhalten lassen". Aber Es gab aus diesem Dilemma zwei Auswege. Der erste bestand darin, den H, 154
das ist eine schiefe Sicht, weil § 21 nicht nur eine abstrakte Minderung der Ein- wenn er die Sache aus der Hand des V erhielt, wegen Unterschlagung (§ 246) und
sichtsfähigkeit, sondern deren tatsächliches Fehlen im Einzelfall voraussetzt. Dann den Ausführenden V wegen Beihilfe dazu zu bestrafen.203 Das ist aber keine be-
aber kann eine verminderte Fähigkeit, nach der - nicht vorhandenen! - Einsicht friedigende Lösung, weil sie der Tatherrschaft des V nicht gerecht wird und ggf.
zu handeln, von vornherein nicht relevant werden. Mit Recht sagt der BGH das Diebstahls- oder Raubunrecht völlig ungeahndet läßt. Der zweite Ausweg
(NStZ 1989, 430): „Die Anwendung des § 21 ... kann nicht zugleich auf seine bei- war der, auch die Drittzueignung als ein Sich-Zueignen anzusehen, weil darin die
den Alternativen gestützt werden." Die vorgeschlagene Differenzierung läßt sich Tatherrschaft und die angemaßte Eigentümerstellung der über die Sache Ver-
also sehr wohl durchführen, weil die beiden Alternativen des § 21 „nicht mitein- fügenden zum Ausdruck komme. 204 Diese Auffassung erlaubte es, den V als Täter
ander verwoben" sind, sondern einander geradezu ausschließen. und den H als Anstifter zu bestrafen. Sie entsprach also den Regeln der Tatherr-
Auch hier gelten die entwickelten Grundsätze für die Mitwirkung bei der schaftslehre und hatte deswegen manche Anhänger gewonnen. Die h. M. war aber
Selbstschädigung und namentlich beim Selbstmord entsprechend; mit dem Un- der These, daß auch die Drittzueignung eine Selbstzueignung sei, nicht gefolgt -
terschied freilich, daß die Einsichtsfähigkeit beim Täter nicht auf ein hier feh- wohl überwiegend aus sprachlichen Gründen - und verharrte bei der sachwidri-
lendes Unrecht, sondern auf die Tragweite des Handelns für seine eigene Person gen Annahme einer mittelbaren Täterschaft.
bezogen werden muß. Bei der Selbstschädigung wird sich die fehlende Einsicht in Das Problem ist heute weitgehend durch das 6. StrRG gelöst, das in §§ 242, 155
die Tragweite z.B. des Rauschgiftgenusses i.d.R. in einem geringeren Risiko- 246, 249 die Drittzueignung der Selbstzueignung ausdrücklich gleichstellt. Wenn
wissen niederschlagen und den Außenstehenden zum mittelbaren Täter machen also z. B. H den V auffordert, ihm (dem H) eine Sache zu stehlen, so ist V unmit-
(Rn. 75, 98), während bei voller Kenntnis des Risikos durch das Opfer bei noch telbarer Täter eines Diebstahls, H aber Anstifter zu dieser Tat und außerdem Heh-
bestehender, wenngleich geminderter, Hemmungsfähigkeit nur eine straflose ler. Es stellt sich daher die Frage, ob es eine mittelbare Täterschaft mit Hilfe eines
Teilnahme an vorsätzlicher Selbstgefährdung zu bejahen ist. Bei Suiziden kann absichtslosen (dolosen) Werkzeugs überhaupt noch gibt. Die Antwort lautet be-
dem Selbstmörder die Einsicht in die Tragweite seines Schrittes unter dem Einfluß jahend mit der Maßgabe, daß aus dem geringen Restbestand solcher Fälle kaum
von Alkohol, Drogen oder wahnhaften Vorstellungen fehlen, so daß, wenn die noch Schwierigkeiten entstehen können.
Anknüpfungsbefunde des § 21 gegeben sind, ein Mitwirkender dann zum mittel- Die erste noch mögliche Konstellation eines absichtslosen dolosen Werkzeuges 156
baren Täter wird. Ist dagegen die Einsicht des Suizidenten vorhanden und nur sein ist gegeben, wenn der Ausfuhrende bei der Drittzueignung nicht mit einer
Hemmungsvermögen gemindert (aber im konkreten Fall noch gegeben!), so ist daraufgerichteten Absicht, sondern nur mit schlichtem Vorsatz oder mit dolus
der Außenstehende strafloser Teilnehmer. eventualis handelt.205 In einem solchen Falle ist der Ausführende wegen fehlender
Zueignungs„absicht" nicht Täter, so daß der Hintermann weder Anstifter noch
5. Willensherrschaft bei absichtslosem dolosem Werkzeug? mangels Tatherrschaft Täter sein kann und nur eine Bestrafung wegen Unterschla-
Das „absichtslose dolose Werkzeug" war eine Konstruktion, die aus der früheren gung übrigbleibt. 206 Doch fällt es schwer, sich praktische Fälle solcher Art vorzu-
gesetzlichen Fassung der Zueignungsdelikte resultierte. Nach dem bis 1998 gelten- stellen, so daß diese Konstellation eine wohl eher theoretische Bedeutung hat. 207
den Wortlaut der §§ 242, 246, 249 setzten Diebstahl, Unterschlagung und Raub Zweitens gibt es ein absichtsloses Werkzeug nach wie vor dann, wenn der Aus- 157
voraus, daß der Täter die Absicht hatte, die Sache „sich" rechtswidrig zuzueignen. führende nicht weiß, daß er zu einem Diebstahl mißbraucht wird. So liegt es
Wenn nun ein Hintermann (H) einen Vordermann (V) aufforderte, für ihn, den 2
<B Ausführliche Begründung bei Maiwald, 1970, 236ff., 244.
H, eine Sache zu stehlen, zu rauben oder zu unterschlagen, konnte nach der über- 20* Roxin,Täterschaft, 7 2000, 341 m.w.N.
205
wiegenden Meinung und auch nach der Rspr. (zuletzt BGHSt 41,187, Großer Se- Zur Unterscheidung der Absicht von den sonstigen Vorsatzformen vgl. Roxin AT l 3
§12,Rn.7ff.
nat) der V nicht Täter sein, weil er die Sache nicht „sich" sondern dem H zueignen 206 Vgl. Dencker, in: Dencker/Struensee/Nolles/Stein, 1998, 18; Wesseh/Hillenkamp, BT/2 2 4 ,
wollte. Statt dessen sollte H mittelbarer Täter und V sein „absichtsloses doloses lvn. 153.
207
Werkzeug" sein. Diese Konstruktion war aber mit der Tatherrschaftslehre nicht zu Vgl._den Versuch, Beispiele zu finden, bei Noak, 1999, 73, 75; Kühl, AT 3 , § 20, R n . 56 a;
Cropp, AT , § 10, R n . 58 a. Die Fälle laufen darauf hinaus, daß der Drittzueigner in erster Linie
vereinbaren. Denn die Herrschaft über die Ausführungshandlung hatte allein der den Eigentümer schädigen oder sich Ärger mit seinem Auftraggeber ersparen will. O b jedoch
an solchen Hintergrundsmotiven eine Zueignungsabsicht scheitert, ist fraglich und hängt von
2
°2 Schaffstein, NStZ 1989,157. der Auslegung des Absichtsbegriffes in § 242 ab.

64 65
§25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25

z.B., w e n n H d e m V vorschwindelt, die fremde Sache, die er (V) für ihn (H) w e g - „Werkzeug" benutzen konnte. Er ist nach seiner Vorstellung Gehilfe, kann aber als
nehmen soll, nur zu vorübergehendem Gebrauch haben zu wollen. Hier fehlt bei solcher auch nicht bestraft werden, weil die Teilnahme nach §§ 26, 27 eine vorsätz-
V schon der Zueignungsvorsatz. Er will keinen Diebstahl, sondern einen furtum liche Tätertat voraussetzt, an der es hier fehlt. So bleibt nur eine versuchte Beihilfe
usus begehen, ist also zwar ein „absichtsloses" aber kein „doloses" Werkzeug. 2 0 8 In übrig, die straflos ist. Nicht viel anders liegt es bei entsprechenden Fällen der Tat-
einem solchen Fall ist die mittelbare Täterschaft des H , der sich eines irrenden veranlassung. Wenn A den B zu einer falschen Anzeige auffordert, B aber entge-
Werkzeuges bedient, eindeutig. Dasselbe gilt, w e n n dem Ausführenden der auf gen der A n n a h m e des A die Beschuldigung für zutreffend hält, scheidet - u m es
die Rechtswidrigkeit der Zueignung gerichtete Vorsatz fehlt. Ein solcher Fall ist nur am Beispiel des § 164 zu verdeutlichen - eine Falschverdächtigung in mittel-
gegeben, w e n n H dem V vorspiegelt, er habe einen fälligen, nicht einredebehafte- barer Täterschaft aus, weil A nur anstiften wollte. Eine Bestrafung wegen Anstif-
ten Anspruch auf die Sache, die für ihn (den H) wegzunehmen er V auffordert. Da tung zu § 164 ist wegen des fehlenden Vorsatzes bei B ebenfalls nicht möglich, und
ein solcher Sachverhalt die Rechtswidrigkeit der Zueignung ausschließen würde, die versuchte Anstiftung des A ist bei Vergehen straflos; nur bei Verbrechen ist in
handelt V, wenn er dem H glaubt, ohne die Absicht rechtswidriger Zueignung und solchen Fällen eine Bestrafung nach § 30 I möglich.
ist wiederum ein absichtsloses, aber auch undoloses Werkzeug. Auch hier liegt ein Das Ergebnis ist äußerst unbefriedigend, weil der Hintermann den Erfolg (hier: 160
klarer Fall mittelbarer Täterschaft kraft Irrtums vor. den Tod des Opfers bzw. seine Falschbeschuldigung) vorsätzlich gewollt und auch
bewirkt hat 211 und trotzdem straflos ist. Auch die in seltenen Fällen mögliche,
6. D e r Irrtum über Tätervoraussetzungen bei mittelbarer Täterschaft aber unangemessene Bestrafung als Vorbereitungshandlung nach § 30 I ändert an
a) D i e fehlende Kenntnis tatherrschaftsbegründender U m s t ä n d e der verfehlten strafrechtlichen Lösung nichts. Das Ergebnis ist jedoch unvermeid-
lich, 212 weil der Gesetzgeber es sehenden Auges h i n g e n o m m e n hat und der Geset-
158 Es kann leicht der Fall eintreten, daß ein Außenstehender Umstände, die i h m
zeswortlaut eine angemessene Beurteilung (als Teilnahme) ausschließt. Der E 1962
objektiv die Tatbeherrschung ermöglichen w ü r d e n , nicht kennt, sei es, daß er irr-
(vgl. dazu Roxin, AT l 3 , § 4 , R n . 16 ff.) hatte nämlich eine eigene Vorschrift vor-
tümlich an den Vorsatz des nur fahrlässig unmittelbar Handelnden glaubt, sei es,
gesehen, die eine Teilnahmebestrafung ermöglichen sollte (§32): „(1) Wie ein A n -
daß er dessen Verbotsirrtum oder Geisteskrankheit nicht durchschaut oder daß er
stifter wird bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen rechtswidrig began-
nicht bemerkt, inwieweit diesem die Folgen seines Tuns und damit die D i m e n s i o -
gener Tat in der irrigen A n n a h m e bestimmt hat, der Täter werde bei der Begehung
nen des von ihm verwirklichten Unrechts verschlossen geblieben sind. In solchen
vorsätzlich handeln. (2) Entsprechendes gilt für die Beihilfe." Diese Bestimmung
Fällen k o m m t eine mittelbare Täterschaft nicht in Frage. D e n n nicht schon das
ist später bei den Beratungen des Sonderausschusses (dazu Roxin, AT l 3 , § 4 ,
objektive Gewicht des Tatbeitrages, sondern nur das h i n z u k o m m e n d e Wissen da-
R n . 24) fallengelassen worden, nachdem das Bundesjustizministerium vorgetra-
von ermöglicht dem Hintermann die Steuerung des Geschehens und verschafft
gen hatte, 2 1 3 die Behandlung solcher Fälle, die in der Praxis nur eine untergeord-
ihm die Willensherrschaft. 2 0 9 Wer den Ausführenden als Tatherren und sich in die
nete Rolle spielten, sei sehr umstritten; der E 1962 sei „doch wohl zu sehr ins D e -
Rolle des Teilnehmers verwiesen sieht, wird durch seine Fehlvorstellung an der
tail gegangen", und man empfehle die Streichung.
Ausübung eigener Tatherrschaft gehindert. In der%Frage, ob der Außenstehende als
Zwar wird im Schrifttum vereinzelt die Meinung vertreten, daß das geltende 161
Teilnehmer bestraft werden kann, sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
Recht trotzdem eine Teilnahmebestrafung gestatte, 214 weil der Gesetzgeber über
159 Die schwierigste, aber praktisch sehr seltene Konstellation ist die, daß ein H i n -
die sachliche Behandlung der Konstellation keine Entscheidung habe treffen w o l -
termann irrig v o m Vorliegen des Vorsatzes b e i m unmittelbar Handelnden aus-
geht. A gibt z. B. dem B einen geladenen Revolver, damit er auf C schießen kann; 2» Weil der Vorsatz feststeht, kommt auch eine Fahrlässigkeitsbestrafung, die ohnehin nur
dabei verkennt er, daß B den Revolver für ungeladen hält u n d C nur einen selten (etwa bei §§ 222, 230) möglich wäre, nicht in Betracht; vgl. Roxin, AT l3, § 24, Rn. 70-
73.
Schrecken einjagen will. 2 1 0 W e n n B den C erschießt, kann er allenfalls wegen 212 Vgl. Roxin, 21973, 20£, Fn. 46; den., in: Roxin/Stree/Zipf/Jung, 21975, 29; ders., Täterschaft,
fahrlässiger Tötung bestraft werden. A kann kein mittelbarer Täter sein, weil er 2000, 555ff.; Blei, AT18, §72 II 4; Bloy, 1985, 98; Bockelmann, Gallas-FS, 1973, 261 ff.; Gramer,
von seiner „objektiven Herrschaft" nichts w u ß t e und den B deshalb nicht als Bockelmann-FS, 1979, 399f.; Gropp, AT2, §10, Rn.76; Herzberg, 1977, §3 IV 2; SK7-$oyer,
§ 25, Rn. 145; Jakobs, AT2, 22/18; Jescheck/Weigend, AT5, § 61 VII 3; Kindhäuser, vor § 25, Rn. 65;
20» Vgl. Jäger, JuS 2000, 652. A.A. wohl Mitsch, BT II/l, § 1, Rn. 164. Letzgus, 1972, 29 ff.; Maiwald, ZStW 88 (1976), 731 f.; Maurach/Gössel, AT/27, 53/107ff; Otto,
20« Das war früher nicht unbestritten (vgl. LKn-Roxin, § 25, Rn. 142, Fn. 227). Heute gehen AT , §22 II l b bb; Samson, Strafrecht I7, Fall 40, 221 f.; Seh/Seh/Cramer/Heine26, vor §§25ff.,
nur noch Baumann/Weber, AT10, § 29 V 4 von einem rein objektiven Verständnis des Tatherr- Rn.79; Stratenwerth, AT4, §12, Rn.142, 219f.; Tenckhqff, JuS 1976, 528; Wessels/Beulke, AT31,
schaftsbegriffs aus, den sie mit Recht kritisieren, aus dem sich aber, weil es auf einem Mißver- Rn. 548. Ebenso schon BGHSt 9, 382. Auch KG NJW 1977, 817, 819 (m. Bespr. Schall, JuS
ständnis der Tatherrschaftslehre beruht, kein Argument für die subjektive Theorie ergibt. Für 1979,104) vertritt diese Auffassung.
2
einen rein objektiven Tatherrschaftsbegriff jetzt auch wieder Luzon Pena/Diaz y Garcia, in: » Prot.V. Wahlp., 91. Sitzung, 1829; ebenso BT-Drucks. V/4095,13.
Roxin-FS, 2001, 586 ff. 2i" Baumann/Weber, AT10, § 29 V 4; Köhler, AT, 513; Schöneborn, ZStW 87 (1975), 911, Fn. 38;
210 Weitere Beispiele bei LKn-Roxin, § 25, Rn. 143. nochTröndle/Fischer49, vor § 25, Rn. 10 (anders jetzt aberTröndle/Fischer50, vor § 25, Rn. 10)

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§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
216
len. Aber eine Bejahung von Teilnahme ist nicht möglich, weil das insoweit auch überschritten hat. Das ist nach der hier vertretenen M e i n u n g dann der Fall,
im Allgemeinen Teil geltende Analogieverbot 2 1 5 dem entgegensteht. Wenn § § 2 6 , wenn der Hintermann das Geschehen aus seiner Einflußsphäre entlassen hat (nä-
27 den Vorsatz des Täters expressis verbis zur Voraussetzung der Teilnahme m a - her § 29, R n . 195 ff.). Wenn also A dem vermeintlich gutgläubigen B eine tödliche
chen, kann eine Teilnahmebestrafung ohne Tätervorsatz nicht mehr in Betracht Spritze mit der Bitte gibt, sie dem C zu injizieren, B aber den Sachverhalt durch-
k o m m e n . Auch § 32 E 1962 hatte ja den Außenstehenden nur „wie" einen Teilneh- schaut und dem Wunsche des A trotzdem entspricht, ist A eines versuchten täter-
mer bestrafen wollen, begründete also die Strafbarkeit dieser Sachverhalte. Nach schaftlichen Mordes schuldig, sobald B sich mit der i h m übergebenen Spritze aus
der Streichung dieser Vorschrift eine Strafbarkeit anzunehmen, hieße ein „crimen dem Herrschaftsbereich des A entfernt. U n d wenn A den, den er irrig für geistes-
sine lege" schaffen. krank hält, zu einem R a u b e auffordert, ist er Täter eines Raubversuchs, sobald B
162 Sehr viel einfacher ist die Behandlung der zweiten und häufigeren Fall- sich auf den Weg macht. Die Einzelheiten der sehr umstrittenen Abgrenzung von
konstellation, daß der Ausfuhrende vorsätzlich-rechtswidrig handelt und der Vorbereitung und Versuch bei mittelbarer Täterschaft gehören in den Z u s a m m e n -
Außenstehende dies auch weiß, aber andere tatherrschaftsbegründende U m - hang der Versuchslehre, auf die hier verwiesen sei (§ 29, R n . 192 ff.).
stände nicht erkennt: Hier ist eine Teilnahmebestrafung unbedenklich, weil der Daß die irrtümliche A n n a h m e tatherrschaftsbegründender Umstände zum Ver- 165
Vorsatz des Täters gegeben, seine Schuld aber nach dem Grundsatz der limitierten such führt, folgt daraus, daß die Täterschaft (materiell) Tatbestandsverwirklichung
Akzessorietät (§26, R n . 32 ff.) für die Teilnahme nicht erforderlich ist. Wenn also ist (Rn. 29), so daß versuchte Täterschaft sich als versuchte Tatbestandsverwirk-
A den B zu einem Delikt verleitet und dabei nicht bemerkt, daß B geisteskrank lichung darstellt. Es handelt sich dabei u m einen Versuch mit untauglichen M i t -
ist, kann A ohne weiteres als Anstifter bestraft werden, wie dies auch seiner Vor- teln (dazu § 29, R n . 6,17 ff, 22, 308 ff., 348): Der Hintermann will die Tat „durch
stellung entsprach. Ebenso liegt nur Teilnahme vor, w e n n der Außenstehende den einen anderen" begehen (§ 25 I, Alt. 2), dieser ist aber als „Werkzeug" ungeeignet,
- sei es selbst unvermeidbaren und daher schuldausschließenden - Verbotsirrtum weil er durch seine eigene Täterschaft dem Hintermann eine Tatherrschaft u n m ö g -
des Ausführenden nicht kennt. Erst recht ist eine Teilnahme bei den Fällen der lich macht. Freilich ist der Versuch bei vielen Delikten nicht strafbar (vgl. § 29,
vierten Tatherrschaftsstufe ( R n . 94 ff.) anzunehmen, w e n n der unmittelbar H a n - R n . 292, 323), so daß der Hintermann insoweit nicht zur Verantwortung gezogen
delnde sich sogar uneingeschränkt schuldhaft verhält und lediglich über andere werden kann.
Umstände irrt, die den Außenstehenden bei Kenntnis der Fehlvorstellung zum U m so wichtiger ist es, daß neben dem nur fallweise strafbaren Versuch immer 166
mittelbaren Täter gemacht hätten. auch eine Teilnahme am vollendeten Delikt gegeben ist (zum Konkurrenzverhält-
b) D i e irrtümliche A n n a h m e tatherrschaftsbegründender Umstände nis § 33, R n . 212). Das ist unproblematisch, w e n n der Hintermann weiß, daß der
Ausführende vorsätzlich handelt und die irrige A n n a h m e eigener Tatherrschaft auf
163 Hier geht es u m die umgekehrte Konstellation. Der Hintermann glaubt, der u n -
andere Umstände stützt. Hält also A den von ihm zum R a u b e aufgeforderten B
mittelbar Ausführende handele unvorsätzlich oder im Verbotsirrtum, er sei geistes-
irrtümlich für geisteskrank, so ist er nicht nur Täter eines Versuchs ( R n . 164), son-
krank oder er irre über sonstige Umstände, die einem Außenstehenden die B e -
dern er hat den B, wenn die Tat durchgeführt wird, auch zu einem vollendeten
herrschung des Geschehens ermöglichen würden. In Wirklichkeit aber ist der
Raube angestiftet. Denn er hat, wie § 26 es verlangt, „vorsätzlich einen anderen zu
unmittelbar Handelnde voll zurechnungsfähig und hat dieselben Sach- und
dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt". Daß er sich zusätzlich
Rechtskenntnisse wie der Hintermann, der infolgedessen fälschlich glaubt, das
Umstände vorgestellt hat, die ihn ggf. zum Täter gemacht hätten, hindert eine
Geschehen beherrschen zu können. Eine mittelbare Täterschaft kann bei solchen
Teilnahmebestrafung nicht. D e n n die Teilnahme setzt keinen „Teilnehmerwillen"
Sachverhalten nicht angenommen werden: denn sie setzt eine wirkliche und nicht
voraus, sondern ist als „akzessorischer Rechtsgutsangriff" ein „sekundärer" B e -
bloß eingebildete Tatherrschaft voraus. N u r eine streng subjektive Theorie könnte
griff: Teilnahme ist jede den Erfordernissen der § § 2 6 , 27 entsprechende „Mitwir-
hier über eine Bejahung des „Täterwillens" zur mittelbaren Täterschaft k o m m e n ;
kung ohne Tatherrschaft" (vgl. § 26, R n . lff., 8 ff, 10).
aber diese Lehre ist abzulehnen ( R n . 21 ff.) und wird bei der mittelbaren Täter-
Schwieriger ist die Beurteilung, w e n n der Hintermann irrig vom fehlenden 167
schaft auch von der Rspr. nicht mehr verwendet (vgl. etwa R n . 80, 81, 172). A b -
Vorsatz des Ausführenden ausgeht, wie im Injektionsbeispiel ( R n . 164). Die h. M .
gesehen davon muß, wenn schon die Unkenntnis einer objektiv vorhandenen
nimmt auch hier eine Teilnahme an, 2 1 7 und mit Recht: D e n n A hat den B vorsätz-
Herrschaft einer mittelbaren Täterschaft entgegensteht ( R n . 158), deren objektives
Fehlen das erst recht tun.
Gropp, AT2, § 10, Rn.77; Herzberg, 1977, § 3 IV; SK7-Hoyer, §25, Rn.l43ff.; Köhler, AT,
164 Es liegt aber ein Versuch vor, w e n n die Einwirkung auf das vermeintliche 513; Kühl, AT5, §20, Rn.84; Maurach/Gössel, AT/27, 48/41; Preisendanz30, §25, Anm.III 2 c bb;
„Werkzeug" nach der Vorstellung des Hintermannes das Stadium der Vorbereitung wohl auch Schmidhäuser, LB AT2,14/54; ders., StuB AT2,10/103.
217
Bockelmann/Volk, AT4, § 22 II 3 b; Gallas, MatStrRef. I, 139; Jescheck/Wekjend, AT5, §62
äs Vgl. Roxin, AT l3, § 5, Rn. 41. III 1; Köhler, AT, 513; Kühl, AT3, §20, Rn.87; eingehend Roxin, Täterschaft,^2000, 270ff.;
68 69
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
lieh zu einer Tat bestimmt, die dieser auch vorsätzlich begangen hat. Freilich hat stehenden umfaßte minder schwere Tatbestand enthalten ist: Wenn also A den gei-
sich sein Vorsatz nicht auf den Vorsatz des B erstreckt; aber daß dies nötig ist, folgt steskranken B zu einem Diebstahl (§ 242) anstiftet, dieser aber bei der Wegnahme
nicht zwingend aus dem Wortlaut des Gesetzes.218 Der Strafgrund der Teilnahme Gewalt anwendet, kann A zwar nicht als mittelbarer Täter eines Raubes (§ 249),
und kriminalpolitische Überlegungen aber sprechen dagegen. Denn ein „akzes- wohl aber eines Diebstahls bestraft werden. >
sorischer Rechtsgutsangriff" (vgl. §26, Rn. Uff), eine Verursachung des tatbe- Mit den Exzeßfällen ist auch für den error in persona (bzw. in obiecto) des Tat- 171
standsmäßigen Erfolges durch die Person eines anderen hindurch, liegt unabhän- mittlers die Lösung vorgezeichnet: Er ist für den Hintermann ebenfalls ein Exzeß
gig davon vor, ob A sich den B als vorsätzlich handelnd vorstellt oder nicht. Ein des Tatmittlers und damit eine aberratio ictus, die ggf. als Versuch und/oder fahr-
„Teilnehmerwille" ist auch in Fällen dieser Art nicht Voraussetzung der Teilnahme; lässige Tat strafbar ist. Das ist unstrittig bei unvorsätzlich handelndem Werkzeug:
und die Gerechtigkeit gebietet eine Bestrafung als Teilnehmer, weil nicht ein- Wenn also A der nichtsahnenden Krankenschwester B eine Spritze mit tödlichem
zusehen ist, daß ein vorsätzlicher Tatverursacher nur deshalb ggf. straflos sein soll, Gift gibt, das sie dem C injizieren soll, infolge einer Verwechselung aber dem D
weil er sich sogar in einer Täterposition wähnte. 219 einspritzt, kann A wegen versuchten Mordes (§ 211) an C und ggf. wegen fahrläs-
siger Tötung (§ 222) des D bestraft werden. Das Ergebnis kann aber kein anderes
7. Exzeß und Objekts Verwechselung bei Tatmittlern sein, wenn die Verwechselung einem Geisteskranken unterläuft, der in den Mord-
168 Für einen Exzeß desTatmittlers kann der Hintermann nicht als mittelbarer Täter ver- plan eingeweiht war, insoweit also vorsätzlich handelte; der error in persona des
antwortlich gemacht werden. Wenn also A den geisteskranken B zu einer Sachbeschä- Mittlers ist für den Hintermann so oder so eine aberratio ictus. 222
digung auffordert, B aber statt dessen den C umbringt, ist A nicht mittelbarer Täter
eines Mordes; denn insoweit fehlt ihm mangels bewußter Steuerung nicht nur die Tat- 8. Abweichende Konzeptionen
herrschaft,220 sondern auch der Vorsatz. Dabei ist es einerlei, ob ein vorsätzlicher Die Tatherrschaft wird - unbeschadet mancher Meinungsverschiedenheiten im 172
oder ein fahrlässiger Exzeß vorliegt. Auch wenn B infolge seiner geistigen Verwir- einzelnen - heute von der absolut h. L. und auch von der Rspr. als entscheidendes
rung den C für die Sache hält, die er beschädigen sollte, scheidet eine Tötungs- Kriterium der mittelbaren Täterschaft beurteilt. Die neuere Rspr. greift für die
täterschaft des A aus. Er kann allerdings bei beiden Formen des Exzesses wegen Bestimmung der mittelbaren Täterschaft nicht einmal mehr auf die Kompromiß-
einer versuchten Sachbeschädigung (§ 303 II) bestraft werden, die schon im „Los- formeln der „normativen Kombinationstheorie" (Rn. 22 ff.) zurück, sondern stellt
schicken" des Tatmittlers liegt (dazu Rn. 164 und § 29, Rn. 195 ff, 226 f.). Daneben unmittelbar auf die „Tatherrschaft im Sinne eines steuernden Willens" ab (BGH
kann eine fahrlässige Tötung (§ 222) gegeben sein, wenn der Übergang auf ein an- NStZ 1989, 370, 372);223 das entspricht im Ansatz dem hier entwickelten Merkmal
deres Tatobjekt auf Seiten des Tatmittlers im Rahmen des Vorhersehbaren lag. der Willensherrschaft. Abweichende Konzeptionen sind auch in der Literatur sel-
169 Ein nach denselben Regeln zu behandelnder Exzeß liegt auch dann vor, wenn ten und entfernen sich nicht weit von den Argumentationsmustern der Tatherr-
der Tatmittler planwidrig ein anderes Tatobjekt im Rahmen desselben Tatbestan- schaftslehre.
des angreift, wenn also der geisteskranke B z. B. statt des C, den zu töten A ihm
a) Stein
aufgetragen hatte, den D umbringt. Denn in einem solchen Falle liegt bei A (wie
schon in den Konstellationen der Rn. 168) eine aberratio ictus vor, die wiederum Den am stärksten abweichenden Ansatz vertritt Stein224, der die Beteiligungs- 173
nur als Versuch und ggf. als fahrlässige Tat bestraft werden kann. 221 formen nach Verhaltensnormen von unterschiedlicher „Dringlichkeit" differenzie-
170 Eine Bestrafung des Hintermannes als mittelbarer Täter einer vollendeten Vor- ren will (Rn. 35 f.) und das Vorliegen einer täterschaftlichen Verhaltensnorm beim
satztat kommt nur in dem Fall in Betracht, daß der Tatmittler anweisungswidrig Hintermann vom „Pflichtmanger oder - in den meisten Fällen - der „man-
ein schwereres Delikt verwirklicht, in dem aber der vom Vorsatz des Außen- gelnden Pflichtbefolgungsfähigkeit" des unmittelbar Ausführenden abhängig
macht. Wenn er in diesem Zusammenhang aber eine mittelbare Täterschaft „auf-
Schmidhäuser, LB AT2, 14/54; ders., StuB AT2, 10/103; Stratenwerth, AT4, §12, Rn.214ff., 216;
Wessels/Beulke, AT31, Rn. 549. Ablehnend Herzberg, 1977, § 3 IV 2; SK7-Hoyer, § 25, Rn. 138. Vgl. allgemein zur Abgrenzung von aberratio ictus und error in persona die ausführliche
218
So aber Herzberg, 1977, §3 IV 2, der infolgedessen eine Teilnahme ablehnt; wie Herzberg Darstellung in Roxin, AT l3, § 12, Rn. 144 ff. u. 168 ff. Wie hier zuchJescheck/Weigend, AT5, § 62
vgl. Blei, AT18, § 72 II 3; Letzgus, 1972, 30, Fn. 48; Maurach/Gössel, AT/27, 48/42; Samson, Strafe III 2; Schmidhäuser, LB AT2,14/54; ders., StuB AT2,10/104; SK7-Rudolphi, § 16, Rn. 30. Differen-
f, Fall39 BIIIIb. zierend Jakobs, AT2, 21/106; Sch/Sch/Cramer/Heine*6, §25, Rn. 52, 53; Wessels/Beulke, AT31,
219
Auch Herzberg, 1977, § 3 IV 2, räumt ein, daß eine Teilnehmerbestrafung „in der Sache Rn. 550. Das Problem hat in der Praxis vor allem beim error in persona eines Mittäters (dazu
einleuchtet". Rn. 195) und eines Angestifteten (dazu § 26, Rn. 116 ff.) Bedeutung gewonnen.
220 223
So die im Ergebnis zutreffende Begründung bei Jescheck/Weigend, AT , § 62 III 3; Mau- BGHSt 30, 363; 32, 38; 32, 178f.; 35, 347; BGH MDR (H) 1981, 631 f.; BGH GA 1986,
rach/Gössel, AT/27,48/45. 508 f.
22
i Näher Roxin, AT l3, § 12, Rn. 139 ff. 224
Stern, 1988, 283 ff.
70 71
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
grund Vorsatzmangels", „aufgrund mangelnder Unrechtseinsicht" und „aufgrund minderter Zurechnungsfähigkeit (§ 21) des Ausführenden eine mittelbare Täter-
mangelnder Steuerungsfähigkeit" unterscheidet, 225 kehren in abweichender Kon- schaft bejaht. Wer „sein Verhalten nicht richtig anhand von Normen bewerten
struktion die anerkannten Formen der Tatherrschaft wieder. kann, handelt nicht autonom" sagt er.231 Die Rechtsordnung bewertet aber sein
Verhalten gleichwohl als autonom, indem sie ihn als Vorsatztäter bestraft. Nicht
b) M.-K. Meyer
die fehlende Autonomie des Vordermannes, sondern die gleichwohl bestehende
M.-K. Meyer, die von der „Ganzheitstheorie" ihres Lehrers Schmidhäuser her- Herrschaft des Hintermannes begründet die mittelbare Täterschaft. Für die mittel-
kommt (Rn. 34), gründet die mittelbare Täterschaft auf die Unfreiheit des unmit- bare Täterschaft des Hintermannes bei verminderter Zurechnungsfähigkeit des
telbar Ausführenden, auf die Beeinträchtigung seiner „Autonomie".226 Sie kommt Ausführenden beruft sich Renzikowski232 auf die „überlegene Stellung des Hinter-
damit der Tatherrschaftslehre insofern nahe, als viele Fälle der Tatherrschaft auf mannes". Diese beweist aber nur die Tatherrschaft des Hintermannes und hat mit
Wissens- und Steuerungsmängeln beim Ausführenden beruhen, die der Autono- der Frage nach der Autonomie des Ausführenden nichts zu tun.
mie seines Handelns Schranken setzen. Dennoch ist der Begriff der Autonomie Das Dilemma des Autonomiegedankens liegt darin, daß Autonomie nicht nur 177
zur Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Teilnahme wenig geeignet, weil entweder fehlen oder vorhanden sein kann, sondern graduell vielfältig abgestuft
einerseits selbst der Geisteskranke durch seinen „natürlichen Willen" noch einen vorkommt. Von welchem Grade an aber ein Autonomiedefizit beim Ausführenden
Rest von „Autonomie" hat, weil andererseits auch die vom Anstifter ausgehende zur mittelbaren Täterschaft eines Hintermannes führt, kann nicht mehr aus dem
Willensbeeinflussung die Autonomie des zur Tat Verführten schon einschränkt Autonomieprinzip abgeleitet, sondern nur nach der Tatherrschaft des Hinterman-
und weil schließlich, wie Meyer selbst anerkennt, eine mittelbare Täterschaft auch nes beurteilt werden. Dessen „überlegene Stellung", die ihm die Tatherrschaft ver-
bei voller Verantwortlichkeit des Ausführenden möglich ist, dem sich die Autono- schafft, kann sich sogar aus anderen Umständen als einem Autonomiedefizit beim
mie seines Verhaltens schwerlich absprechen läßt. So weist denn auch Meyers Auto- Vordermann ergeben, wie die Organisationsherrschaft oder die Täuschung über
nomiebegriff eine Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit auf, die keine klaren Lö- die Identität des Opfers erweisen. Daran zeigt sich, daß das Autonomieprinzip bei
sungen ermöglicht. 227 aller Nähe zur Tatherrschaftslehre an einer falschen Blickrichtung krankt. Es
c) Renzikowski kommt bei der mittelbaren Täterschaft nicht entscheidend auf die Verfassung des
Mittelsmannes, sondern auf die Macht des Hintermannes über die Tatbestands-
Auf das Autonomieprinzip gründet auch Renzikowski228 seine Täterlehre. Sie ist
verwirklichung an.
eine Variante der Tatherrschaftslehre.229 Denn bei der mittelbaren Täterschaft
schließt die Autonomie des Vordermannes die Tatherrschaft des Hintermannes d) Köhler
i.d.R. aus und verweist ihn auf die Rolle des Anstifters oder Gehilfen. Insofern Auf das Autonomieprinzip greift auch Köhler zurück. 233 Er kommt aber nicht, 178
korrespondiert also die Autonomie des Ausführenden mit der fehlenden Tatherr- wie M.-K. Meyer, von der Ganzheitstheorie, oder, wie Renzikowski, von der Tat-
schaft des Hintermannes und dessen Tatherrschaft mit der fehlenden Autonomie herrschaftslehre, sondern er stützt sich auf die idealistische Philosophie und die
des „Werkzeugs". Der Unterschied besteht nur darin, daß die Tatherrschaftslehre daraus abgeleiteten „Besonderheiten des Verhaltenszusammenhangs zwischen
bei manchen Konstellationen (vgl. Rn.62, 76ff., 91 ff., 95ff.) trotz bestehender freien Subjekten".234 Diese Konzeption führt ihn auf die radikale Konsequenz, daß
Autonomie des Ausführenden eine Tatherrschaft des Hintermannes bejaht, wäh- er die meisten Fälle der Tatherrschaft, deren Existenz als solche er nicht bestreitet,
rend ein konsequent durchgeführtes Autonomieprinzip jeden „Täter hinter dem der Anstiftung zuschlägt und die mittelbare Täterschaft auf den Einsatz vorsatz-
Täter" ablehnen muß. loser und gerechtfertigter Tatmittler einschränkt. „Mittelbarer Täter ist, wer seine
Dies ist denn auch der Ausgangspunkt von Renzikowski.230 Aber auch er hält Unrechtstat durch einen anderen (Tat-,mittler') so verwirklicht, daß er ihm eine
sein Prinzip nicht durch, wenn er bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum oder ver- Faktenlage zu dessen an sich normgemäßem Handeln schafft oder vorstellt".235
Wer sich eines nach § 35 Genötigten bedient, ist danach nur Anstifter,236 denn 179
225 stein, 1988, 294ff., 296ff., 298ff. er ist „in der tatbezogenen Regelanwendung ... an sich selbst bestimmt, mag er
226 M.-K. Meyer, 1984.
227 Hier liegt ein Hauptangriffspunkt der Kritik. So sagt Küper, JZ 1986, 219ff., 229: „Der sich auch in einer relativen Autonomiedifferenz zum anderen befinden". Daher
Begriff der .Autonomie' wechselt im jeweiligen Zusammenhang so ,chamäleonhaft' seine
Bedeutung, daß sein Inhalt geradezu beliebig wird" und Neumann, GA 1985, 476f., meint, 23i Renzikowski, 1997, 81.
232
Meyers Autonomiebegriff bleibe „in irritierender Weise unscharf"; ihm hafte „ein Moment Renzikowski, 1997, 87.
233
des Unverbindlichen, des Rhetorischen" an. 23
Köhler, AT, 505 ff. Ausführlicher zu Köhler Roxi«, Täterschaft, 7 2 0 0 0 649 ff.
228 Renzikowski, 1997. < Köhler, AT, 488.
235
22? Renzikowski, 1997, 34, 74, spricht v o n einer „Reformulierung der Tatherrschaftslehre". Köhler, AT, 505.
230 236
Ausführlicher zu Renzikowski Roxi«, Täterschaft, 7 2000, 664 ff. Köhler, AT, 506.

72 73
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte II § 25
237
werde der Gezwungene „nicht zum bloßen Mittel gesetzt". Bloßer Anstifter ist e) Schumann
auch, wer sich eines Menschen bedient, der sich in einem - sei es selbst unver- Schumann vertritt ein Prinzip der „Selbstverantwortung", das dem Autonomie- 182
meidbaren - Verbotsirrtum befindet. „Der Handelnde geht, wenn auch unver- prinzip weitgehend entspricht. Er benutzt das Prinzip der Selbstverantwortung
schuldet, selbst zur Unrechtsmaxime über."238 Ebenso ist die Benutzung kleiner als Kriterium für die Begrenzung der objektiven Zurechnung, überträgt es aber
Kinder zu Straftaten für Köhler nur eine Anstiftung, weil sie sich „auf ein über- auch auf die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Teilnahme.241 Danach
haupt normreflektierendes Subjekt" bezieht. Man möge in solchen Fällen zwar soll die „Selbstverantwortung" des unmittelbar Handelnden eine mittelbare Täter-
von „Tatherrschaft" über ein „Werkzeug" sprechen: „Aber dennoch ist der Tat- schaft ausschließen. Aber die Anwendung dieses für die Zurechnungslehre frucht-
mittler ein an sich freies Subjekt, das nur in bestimmter Hinsicht seiner Regelkon- baren Gesichtspunktes auf die Abgrenzung der Beteiligungsformen ist schon
zeption zum Mittel fremder Unrechtsmaxime werden kann."239 deshalb problematisch, weil die Selbstverantwortung des Täters die eigene Ver-
180 Man mag bezweifeln, ob sich aus philosophischen Prämissen derartige Ergeb- antwortung des Teilnehmers durchaus nicht hindert, so daß das Kriterium hier
nisse gewinnen lassen. Alle anderen Beurteiler leiten aus der fehlenden Verant- von vornherein keine zurechnungsbegrenzende Wirkung hat und seine Bedeutung
wortlichkeit des Ausführenden gerade dessen Mangel an Autonomie und aus die- für die Abgrenzung erst noch dargetan werden müßte. 242 Der Sache nach müßte
sem die mittelbare Täterschaft des Hintermannes ab. Unabhängig davon aber Schumanns Lehre auf eine strikte Ablehnung des Täters hinter dem verantwort-
verstößt die Auffassung Köhlers gegen das gesetzliche Regelungskonzept, das den lichen Täter hinauslaufen, die sich, wie unsere Darlegungen gezeigt haben, nicht
Interpreten bindet und nicht im Dienste philosophischer Lehren beiseite gescho- durchhalten läßt und die auch Schumann selbst nicht durchhält (indem er eine mit-
ben werden darf. Aus den Materialien zum neuen Allgemeinen Teil ergibt sich telbare Täterschaft im Rahmen organisatorischer Machtapparate und bei vermeid-
eindeutig, daß die Benutzung eines schuldlosen Werkzeugs zur mittelbaren Täter- barem Verbotsirrtum des Ausführenden anerkennt). Sicherlich enthält das auch
schaft führen sollte: 240 „Wer sich in diebischer Absicht eine fremde Sache durch hier verwendete „Verantwortungsprinzip" (vgl. Rn. 48, 140) einen abgrenzungs-
ein Kind zutragen läßt", heißt es da, „ist ebensogut ein Dieb, wie wenn er die Sache relevanten Gesichtspunkt. Aber seine Bedeutung beschränkt sich auf die Nöti-
mit eigener Hand weggenommen ... oder sie sich durch einen Hund hätte brin- gungsherrschaft und die Fälle der Schuldunfähigkeit des Tatmittlers. Eine Abso-
gen lassen." Auch wird expressis verbis darauf hingewiesen, daß mittelbare Täter- lutsetzung verträgt es nicht, wie vor allem die Irrtumsherrschaft lehrt (Rn 62
schaft vorliege, „wenn der Täter durch eine schuldunfähige ... oder durch eine in 76ff.,91ff.,94ff).
einer entschuldigenden Notstandslage handelnde Person ... eine Straftat begeht".
181 Köhlers Auffassung ist aber auch unabhängig von ihren Prämissen und vom Wil- f) Heinrich
len des Gesetzgebers nicht plausibel. Denn welchen Sinn soll es haben, unschul- Heinrich, der die Tatherrschaftslehre ablehnt und statt dessen den Täterbegriff auf 183
dige „Werkzeuge" als Täter in das Zentrum des Geschehens und die eigentlich ver- die „Entscheidungsträgerschaft" stützt (Rn.37), versteht die mittelbare Täterschaft
antwortlichen Regisseure an den Rand zu rücken? Auch müßte Köhler wohl als „Entscheidungsübernahme". Sie ergibt sich für ihn daraus,243 „daß der Hinter-
konsequenterweise in noch stärkerem Widerspruch zum Gesetz zur gänzlichen mann durch Herbeiführung oder Ausnutzung einer Absenkung der vom jeweili-
Ablehnung der mittelbaren Täterschaft kommen. Denn auch wer grob fahrlässig gen Nprmappell vor dem Vordermann errichteten Hemmschwelle das damit bei
über Tatsachen irrt, bleibt doch ein reflektierendes Subjekt und könnte sich der diesem bestehende Entscheidungsdefizit instrumentalisiert, so daß seine eigene
Degradierung „zum bloßen Mittel" (Werkzeug) durch etwas Nachdenken leicht tatbestandsgerichtete Entscheidung - da defizitfrei - höherrangig ist". Diese
entziehen, was den vorgenannten schuldlosen Werkzeugen versagt ist. Die unter- höherrangige Entscheidung des Hintermannes ist ihm zufolge „die einzige im
schiedliche Behandlung von vorsatzlosen und vorsätzlich-schuldlose Werkzeugen Rahmen des Gesamtgeschehens zu verzeichnende tatbestandsgerichtete Entschei-
leuchtet also auch vom Standpunkt Köhlers aus nicht ein. Immerhin zeigt seine dung, die in vollem Umfang mit dem konkreten ... Geschehen korrespondiert, so
Lehre, welch extrem unterschiedliche Ergebnisse sich mit dem Autonomieprinzip daß - bei wertender Betrachtung - dieses als unmittelbar auf jener beruhend an-
erzielen lassen und wie viel klarere Strukturen ihm gegenüber die Tatherrschafts- zusehen" ist.
lehre aufweist. Das alles verdient Zustimmung. Doch handelt es sich - anders als ihr Urheber 184
meint - auch hier wieder nur um eine terminologisch anders eingekleidete Va-
riante der Tatherrschaftslehre. Denn die Instrumentalisierung von Entscheidungs-
defiziten beim Vordermann, auf die Heinrich abstellt, ist nichts anderes als Aus-
237 Köhler, AT, 510.
241
238 Köhler, AT, 509; hier auch das folgende Zitat. Schumann, 1986, 69 ff.
239 Köhler, AT, 506. 242
Vgl. Frisch, J Z 1988, 659; ferner Meurer, N J W 1987, 2424 f
2to Materialien z u m E 1962, BT-Drucks. IV, 650,149. 243
Heinrich, 2 0 0 2 , 354.
74 75
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25
Übung von Tatherrschaft. Der „Hemmschwellengedanke", auf den Heinrich sich Sache nach überflüssig; in den Fällen, in denen jemand ein Werkzeug einsetzt,
stützt, ist auch von Vertretern der Tatherrschaftslehre immer schon herangezogen handelt er selbst i. S. des dann verwirklichten Tatbestandes."246
worden. Die Tatherrschaft des Hintermannes beruht gerade darauf, daß beim Daran ist richtig, daß auch der mittelbare Täter in einem materiellen Sinne den 187
Werkzeug infolge von Nötigung oder Irrtum die Hemmungen ausgeräumt wer- Tatbestand erfüllt. Täterschaft ist Tatbestandserfüllung. Aber er tut dies in einer
den, die sonst der Tatbestandsverwirklichung entgegenstehen. Der Hemmschwel- ganz anderen Weise als der unmittelbare Täter, nämlich durch den Einsatz eines
lengedanke ist also zwar nicht neu, aber er ist noch nie so umfassend ausgearbeitet Tatmittlers. Auf diesem Unterschied beruht die gesetzliche Differenzierung
worden wie bei Heinrich. Dies könnte der immer noch umstrittenen Rechtsfigur („selbst oder durch einen anderen") und auch die Aufgliederung zwischen Hand-
des „Täters hinter dem Täter" zur endgültigen Durchsetzung verhelfen. Heinrich ist lungs- und Willensherrschaft. Sie ist nicht nur gesetzlich vorgegeben, sondern
ein entschiedener Gegner des Autonomieprinzips, das in sehr unterschiedlichen auch wissenschaftlich notwendig. Denn nur die Herausarbeitung aller speziellen
Ausprägungen die meisten der vorher dargestellten „abweichenden Ansätze" be- Voraussetzungen der Willensherrschaft macht ihre Abgrenzung von Anstiftung
stimmt. Nach dem Hemmschwellenprinzip genügt es z. B. im Falle eines über das und Mittäterschaft möglich und läßt die hier entwickelten Strukturen der Täter-
Verbot irrenden Werkzeuges für die Bejahung mittelbarer Täterschaft, daß bei die- lehre hervortreten, die den Tatherrschaftsbegriff vor dem Schicksal einer beliebig
sem die Hemmschwelle in rechtlich signifikanter Form herabgesetzt ist. Ob das ausfüllbaren Generalklausel bewahren.
Werkzeug als vorsätzlicher Täter bestraft und ihm „Autonomie" zugesprochen
wird, ist demgegenüber gleichgültig.
III. Die Mittäterschaft als funktionelle Tatherrschaft
Freilich ist mittelbare Täterschaft nicht nur durch eine rechtlich relevante Her-
absetzung der Hemmschwelle beim Ausführenden, sondern auch bei der Tatherr- 1. Die Struktur der Mittäterschaft
schaft kraft organisatorischer Machtapparate (Rn. 105 ff.) möglich. Wenn Hein-
Der Gesetzgeber beschreibt die Mittäterschaft in § 25 II als selbständige Form 188
rich244 hier anstatt auf die Beherrschung des „regelhafte Abläufe" auslösenden
der Täterschaft: „Begehen mehrere die Tat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter
Apparates auf ein angeblich „hemmschwellenrelevantes Entscheidungsdefizit"
bestraft (Mittäter)." Tatsächlich unterscheidet sich die Mittäterschaft strukturell
beim Ausführenden abstellen will, weil dieser sich zwar „im Sinne eines fall-
von der unmittelbaren Täterschaft (Handlungsherrschaft) und der mittelbaren Tä-
bezogenen echten Abwägens" frei entscheiden könne, dies aber „aufgrund einer
terschaft (Willensherrschaft) grundlegend: Mittäterschaft ist Tatbestandsverwirk-
entsprechend vorgefaßten Prädisposition", die auf der freien Entscheidung des un-
lichung durch arbeitsteilige Ausführung. Die Tatherrschaft des Mittäters ergibt
genötigten und alle Umstände kennenden Täters beruht, nicht tut, kann dies keine
sich aus seiner Funktion bei der Ausführung; er übernimmt eine Aufgabe, die für
Täterschaft des Hintermannes begründen. Sonst müßte jeder Anstifter, der auf
die Verwirklichung des Tatplans wesentlich ist und ihm durch seinen Tatanteil die
einen bereitwilligen („prädisponierten") Ausführenden trifft, mittelbarer Täter
Beherrschung des Gesamtgeschehens ermöglicht.^Venn z.B. zwei Bankräuber sich
sein. Zwar will Heinrich auf eine „organisationstypische Tatgeneigtheit" abstellen
die Ausführung in der Weise teilen, daß A die Bankangestellten mit seiner Pistole
und diese von sonstigen Prädispositionen des Ausführenden unterscheiden, die
in Schach hält, während B den Safe ausräumt, verübt der eine nur die Drohung
nur eine Anstiftung des Hintermannes begründen sollen. Aber eine solche Ab-
und der andere nur die Wegnahme. Trotzdem beherrscht jeder von ihnen durch
stufung nach „Graden der Bereitwilligkeit" ist nicht einleuchtend durchführbar.
seinen Teilbeitrag das Gesamtgeschehen. Würde A nicht die Angestellten unschäd-
Zudem verschafft eine wie auch immer geartete Bereitwilligkeit des Täters dem
lich machen, würde der Raub ebenso scheitern, wie wenn B auf die Ausplünde-
Hintermann noch keine Tatherrschaft, solange diese Bereitwilligkeit auf einem
rung des Safes verzichtete. Beide haben eine unersetzliche Funktion, die ihnen die
verantwortlichen Entschluß des Täters beruht.
Mitherrschaft verleiht, jedem einzelnen aber die Möglichkeit gibt, durch Ver-
g) Schild weigerung seines Arbeitsanteils den Deliktsplan zum Scheitern zu bringen. Ich
Schild245 will als einziger Autor eine mittelbare Täterschaft als selbständige spreche deshalb von „funktioneller Tatherrschaft".247
Rechtsfigur von vornherein nicht gelten lassen und entzieht damit auch der hier 2
I
"6 Schild, 1994, 24 (ähnlich 28). Eine nähere Auseinandersetzung mit Schild liefert Bloy,
entwickelten Unterscheidung von Handlungsherrschaft und Willensherrschaft die GA 1996, 239.
247
Grundlage. Für ihn hat auch der mittelbare Täter die Handlungsherrschaft, ist also Dazu eingehend Roxi«,Täterschaft, 72000, 275-305, 684-695; ferner ders., JA 1979, 519-
eigentlich unmittelbarer Täter: „Deshalb ist die Regelung des § 25 Abs. 1 StGB der 526. Der Terminus wird aufgenommen bei Eser, StrafR II3, 37/24, 39/6; Freund, AT, § 10,
Rn.42; Gropp, AT2, § 10, Rn.38, SVJescheck/Weigend, AT5, §63 III1; Kühl, AT3, §20, Rn.99;
Uckner/Kühl 4, § 25, Rn. 11; Maurach/Gössel, KT/27, 49/5; Rudolphi, Bockelmann-FS, 1979, 369,
374; Seelmann, JuS 1980, 574; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 33; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 528. Mit
™ Heinrich, 2002, 271 ff. (273 f.). der noch zu nennenden Einschränkung auch Herzberg, 1977, §5 I 1; Jakobs spricht „in Anleh-
2« Schild, 1994. Dazu Bloy, GA 1996, 239. nung an die Differenzierung von Roxin" von „Entscheidungsherrschaft" und „Gestaltungs-

76 77
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25

189 Aus dieser Struktur ergeben sich die drei zentralen Voraussetzungen der M i t - ermöglicht, indem er den argwöhnisch gewordenen Eigentümer ohne Wissen des
täterschaft. Es m u ß erstens ein gemeinsamer Tatplan vorliegen (2): D e n n eine Diebes daran hindert, nach seinem Wagen zu sehen, ist ebenfalls n u r Gehilfe
Arbeitsteilung, ein „gemeinschaftliches Begehen", setzt voraus, daß nach einem (BGHSt 6, 248, 249). Selbst eine i m Ergebnis auf gemeinsamer Planung beruhen-
gemeinsamen Plan gehandelt wird. Es m u ß zweitens eine gemeinsame Ausfüh- de Zusammenarbeit ist noch keine Mittäterschaft, wenn ein Partner den anderen
rung, ein Zusammenwirken i m Ausführungsstadium, festzustellen sein (3 a); eine für gutgläubig hält: Spiegelt der Dieb A dem B vor, mit Zustimmung des Eigen-
Beteiligung an der Vorbereitung genügt nicht. Das ist zwar sehr umstritten; doch tümers zu handeln, u n d macht B mit, obwohl er den A durchschaut, sind beide
muß, wer nur im Vorbereitungsstadium mitwirkt, die Ausführung einem anderen (Neben-)Täter eines Diebstahls, aber nicht Mittäter.
überlassen, der die Tatbestandsverwirklichung allein beherrscht u n d den anderen Andererseits ist es nicht nötig, daß der Tatplan gemeinsam erarbeitet und b e - 192
dadurch von der Täterschaft ausschließt. Es m u ß drittens i m Ausführungs- schlossen wird. 2 5 0 Wenn A mit fertigem Plan u n d festem Entschluß vor B hintritt
stadium ein wesentlicher Beitrag geleistet werden (3 b); denn nur dann hat die und dieser in das Projekt „einsteigt" liegt in der Einigung die Herstellung eines
Beteiligung eine für das Gelingen des Tatplanes relevante Funktion. nunmehr gemeinsamen Tatplanes. Es genügt auch, daß die Einigung erst bei
oder nach Tatbeginn hergestellt wird und „stillschweigend" erfolgt. Wenn also
2. D e r g e m e i n s a m e Tatplan A sich anschickt, den B zu verprügeln, u n d der hinzukommende C bei der Ü b e r -
wältigung des Opfers mit anpackt, ist eine Mittäterschaft zu bejahen, sofern A
190 Die Notwendigkeit eines gemeinsamen Tatplanes folgt zunächst aus dem G e -
sich das Eingreifen des C gefallen läßt u n d zunutze macht. 2 5 1 Die Mittäter brau-
setz; denn die in § 25 II geforderte „Gemeinschaftlichkeit" der Tatbegehung setzt
chen sich nicht einmal zu kennen, „sofern sich nur jeder bewußt ist, daß neben
die Willensübereinstimmung der Mittäter voraus. Sie folgt ferner v o m Stand-
ihm noch ein anderer oder andere mitwirken und diese von dem gleichen B e -
punkt der Tatherrschaftslehre aus dem Merkmal der Arbeitsteilung, durch die dem
wußtsein erfüllt sind". 252 Allerdings m u ß das Verhalten der Beteiligten in einem
einzelnen seine Funktion i m Gesamtgeschehen zugewiesen wird. Auch die Rspr.
solchen Fall aufeinander abgestimmt sein, w e n n mehr als eine Nebentäterschaft
hat an der Notwendigkeit eines Tatplans i m m e r festgehalten. 2 4 8 Noch i m Jahre
vorliegen soll. Mit Recht verlangt Puppe,253 auch die konkludente Tatverabredung
1997 hat der B G H 2 4 9 ausgesprochen: „Mittäterschaft ist nicht schon im Falle des
müsse „ein Kommunikationsvorgang sein, nur daß sich die Beteiligten dabei nicht
einseitigen Einverständnisses mit der Tat eines anderen u n d der Betätigung eines
der Worte der Umgangssprache bedienen, sondern anderer Zeichen, u m ihre
solchen Einverständnisses gegeben; notwendig ist vielmehr, daß . . . alle im b e -
Übereinstimmung herzustellen u n d zum Ausdruck zu bringen."
w u ß t e n und gewollten Zusammenwirken handeln ..."
Ein gemeinsamer Tatplan (und auch eine gemeinsame Ausführung) liegen aber 193
191 Daraus ergibt sich zunächst, daß eine Mittäterschaft nicht vorliegen kann,
nicht mehr vor, wenn ein Mittäter allein weiterhandelt, nachdem beide die g e -
wenn die auf dasselbe Ziel hinarbeitenden Personen nichts voneinander w i s -
meinsame Tat als beendet angesehen hatten. Das verkennt BGHSt 9, 180: Hier
sen. Wenn zwei Wilderer unabhängig voneinander auf den Förster schießen, sind
hatte ein Ehepaar das nichteheliche Kind seiner Tochter töten wollen u n d g e -
sie also nicht Mit-, sondern Nebentäter (RGSt 8, 42; zur Nebentäterschaft vgl.
glaubt, dieses Ziel erreicht zu haben. Erst nachdem der M a n n sich entfernt hatte,
R n . 265 f.). Aber auch das Voneinanderwissen genügt nicht, wenn es nicht zu
erkannte die Frau, daß das Kind noch lebte, u n d tötete es n u n m e h r allein. Hier
einer Zusammenarbeit, sondern nur z u m Ausnutzen derselben Situation führt.
liegt eine Mittäterschaft nur beim versuchten Mord vor, während die Vollendung
Begehen also verschiedene Personen, „sei es auch auf Grund gemeinsam g e w o n -
allein der Frau zur Last fällt. Daß sie möglicherweise „im Sinne" des Mannes h a n -
nener Erkenntnisse oder gemeinsam angestellter Überlegungen" jeweils selbstän-
delte, kann nicht ausreichen, wenn der abschließende Handlungsakt von seinem
dig gleichartige Warenhausbetrügereien, so reicht das für eine Mittäterschaft nicht
Vorsatz u n d Tatentschluß überhaupt nicht mehr umfaßt war. Daher kann es auch
aus (BGHSt 24, 286, 288). Auch ein „einseitiges Zusammenwirken" genügt
nicht darauf ankommen, ob der Mann, „wenn er erkannt hätte, daß die Tat noch
nicht. Schlägt also A den Polizisten nieder, der den Einbrecher B festzunehmen
nicht vollendet war, deren Beendigung gewollt hätte". 254 D e n n ein (immer zwei-
droht, ohne daß der B selbst von diesem entscheidenden Tatbeitrag etwas bemerkt,
so kann A nicht Mittäter, sondern nur Gehilfe sein. Wer den Diebstahl eines Autos
250
Für den Fall der Kollegialentscheidung vgl. Knauer, 2001,161 f.
251
2
herrschaft" (AT , 21/25 m. Fn. 86), Bottke, 1992, 88ff., von „abgestimmt gleichgeordneter Aus der umfangreichen Rspr.: RGSt 8, 42f.; 49, 239, 241; 54, 271 f.; OGHSt 2, 355;
Gestaltungsherrschaft" Auch die Monographie von Bloy, 1985, 369ff., folgt ganz der hier ent- BGH GA 1969, 214; MDR/D 1971, 545; GA 1985, 233; NStZ 1985, 70; MDR/H 1987, 281;
wickelten Ansicht. NStE Nr. 4 zu § 25; BGHSt 37, 292; OLG Köln J R 1980, 422 m. Anm. Beulke.
252
24
& So etwa BGHSt 6, 248. Gegen das Erfordernis des gemeinsamen Tatplans aber Jakobs, RGSt 58, 279; vgl. auch BGH GA 1969, 214.
253
AT2, 21/43; Derksen, GA 1993, 163ff.; Lesch, ZStW 105 (1993), 271 ff. Zu diesen Dreien näher Puppe, Spinellis-FS, 2001, 925 f. Sie kritisiert in diesem Zusammenhang mit Recht die
unten Rn. 249 ff. extreme Ausdehnung konkludenter Tatvereinbarung in BGHSt 37, 289 (292).
254
2"9 BGHR StGB, § 25, Abs. 2, Mittäter, Nr. 29. Dreher, MDR 1956, 499.

78 79
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25
felhaft bleibender) hypothetischer Wille kann das Fehlen des tatsächlichen g e - Freilich braucht der Tatplan nicht jede Einzelheit i m Verhalten der Mittäter 196
meinsamen Willens nicht ersetzen. ausdrücklich festzulegen. Vielmehr kann dem einzelnen die Freiheit eingeräumt
194 Auch der Exzeß eines Mittäters kann den übrigen nicht zugerechnet werden werden, der konkreten Situation gemäß zu handeln oder zu reagieren. D a n n sind
(BGHSt 36, 234), weil es insoweit an einem gemeinsamen Tatplan und infolgedessen alle planadäquaten Verhaltensweisen durch die Vereinbarung gedeckt. 2 6 1 Mittäter-
auch an der Gemeinsamkeit des Handelns fehlt. In der Regel scheitert eine mittäter- schaft ist auch noch zu bejahen bei Abweichungen, „die im R a h m e n der üblichen
schaftliche Bestrafung in solchen Fällen schon daran, daß dem oder den anderen h i n - Spielbreite einschlägiger Taten liegen, mit denen man nach den Umständen des
sichtlich der Exzeßtat der Vorsatz fehlt. Begeht also bei einem gemeinschaftlichen Falles gewöhnlich rechnen m u ß und die das Interesse des anderen Mittäters gleich-
R a u b einer der Beteiligten eine nicht geplante Tötung, so ist er insoweit Alleintäter wertig befriedigen, z. B. w e n n statt des Geldes Sachen w e g g e n o m m e n werden, die
(RGSt 44, 321, 324; B G H N J W 1973, 377). Eignet sich jemand bei einer gemein- unschwer in Geld umgesetzt werden können". 262 Erfüllen solche Abweichungen
schaftlichen Nötigung planwidrig eine Sache des Opfers zu, so ist er wegen R a u b einen qualifizierten oder gänzlich anderen Tatbestand, so können sie allerdings n u r
(§ 249) zu bestrafen, während die Mittäterschaft sich nur auf § 240 erstreckt. 255 dann noch als vom gemeinsamen Tatplan umfaßt angesehen werden, wenn sich
Aber auch innerhalb ein und desselben Tatbestandes kann ein Exzeß vorliegen, wenigstens der dolus eventualis des einzelnen Mittäters darauf erstreckt oder er
wenn der Tatplan nur auf ein individuelles Tatobjekt gerichtet ist: wird die mit- sich von vornherein ausdrücklich oder schlüssig mit sachdienlichen Abweichun-
täterschaftliche Tötung des A beschlossen, so sind die übrigen Mittäter für den Er- gen einverstanden erklärt hat. 2 6 3 Daraus ergibt sich, daß Fehlhandlungen und
folg nicht verantwortlich, w e n n einer von ihnen statt des A den B ermordet. grobe Unvorsichtigkeiten eines betrunkenen Mittäters i.d.R. vom gemeinsamen
195 Umstritten ist, ob ein unvorsätzlicher Exzeß den übrigen Mittätern zugerech- Tatplan nicht umfaßt werden (BGH N S t E § 25 StGB Nr. 6).
net werden kann. Im Sachverhalt der Entscheidung BGHSt 11, 268 hatten drei flüch- Bei erfolgsqualifizierten Delikten 2 6 4 genügt es, daß der gemeinsame Plan und 197
tende Delinquenten den gemeinsamen Plan gefaßt, auf etwaige Verfolger zu schießen. eine gemeinsame Ausführung hinsichtlich des Grunddelikts vorliegen. In bezug
Dabei hatte einer von ihnen im Verlaufe der nächtlichen Flucht einen seiner Kompli- auf den qualifizierenden Erfolg (also z. B. die Todesfolge bei mittäterschaftlicher
zen mit einem Verfolger verwechselt und mit Tötungsabsicht auf ihn geschossen. Der Vergewaltigung, Körperverletzung oder Beraubung, § § 177 III, 227, 251) m u ß j e -
Schütze war wegen Mordversuchs zu bestrafen, denn sein error in persona ist u n b e - der einzelne Mittäter selbst (ggf. qualifiziert) fahrlässig handeln; ggf. kann, w e n n
achtlich. 236 Der B G H und die h. M. 2;>7 nehmen jedoch an, daß auch das Opfer w e - man mit der vordringenden M e i n u n g ( R n . 242) eine fahrlässige Mittäterschaft
gen Mordversuchs (begangen an dem „untauglichen Objekt" seiner eigenen Per- anerkennt, auch diese genügen. Fahrlässigkeit eines Mittäters liegt meist dann vor,
son) strafbar sei. Der beim Schützen irrelevante error in persona soll also für alle wenn sich schon aus dem gemeinsamen Tatplan des mittäterschaftlich begangenen
Mittäter gleich unbeachtlich sein. D e m ist jedoch nicht zuzustimmen. 2 5 8 D e n n Grunddelikts die Gefahr ersehen läßt, daß der schwerere Erfolg eintreten k ö n -
die Erschießung (bzw. versuchte Erschießung) eines Komplizen lag außerhalb sei- ne. 2 6 3 Wendet dagegen ein Mittäter erheblich gefährlichere Mittel an, als der Tat-
nes Tatplanes und stellt für das Opfer eine sehr schmerzliche aberratio ictus (auf plan sie vorgesehen hatte, wird eine Fahrlässigkeit oder wenigstens Leichtfertig-
den eigenen Körper) dar, die ihm schon deshalb nicht zum Vorsatz zugerechnet keit häufig ausscheiden (vgl. B G H N J W 1973, 377).
werden kann. 2 5 9 Für den fahrlässigen Exzeß eines Mittäters sind die übrigen daher
genauso wenig verantwortlich wie für den vorsätzlichen; für die Überschreitung 3. D i e g e m e i n s a m e Ausführung
des Tatplanes ist es gleichgültig, ob sie vorsätzlich oder irrtümlich erfolgt. 2 6 0
a) D i e Mitwirkung i m Ausfuhrungsstadium
255 BGH GA1968,121; vgl. weiter RGSt 57, 307 f.; 67, 367, 369.
256 Roxin, AT l3, § 12, Rn. 168 ff. Die Notwendigkeit einer arbeitsteiligen Mitwirkung i m Ausfuhrungssta- 198
257 Baumann, JuS 1963, 126 f.; zurückhaltender in Baumann/Weber, AT , §36 I 3d Ö (ähnl. dium als Voraussetzung der Mittäterschaft ergibt sich aus dem Grundprinzip der
auch dies., AT10, § 29 IV 1) ; Blei, AT18, § 78 I z.E.;Jescheck/Weigend, AT5, § 63 I 2; Maurach/Gös- Tatherrschaft. Man kann eine Tatbestandsverwirklichung nicht beherrschen, wenn
sel, AT/27, 49/60; Schröder, JR 1958, 428; Tröndle/Fischer50, § 25, Rn. 8 a; Zweifelnd Lackner/
Kühl24, § 25, Rn. 17; Welzel, StrafR11, § 15 IV 1; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 533. man nicht dabei war und auch die Erfordernisse der mittelbaren Täterschaft nicht
258 Roxin, Täterschaft, 7 2 0 0 0 , 1 0 0 f . , 286f., 311 ff.; Eser, S t r a f R II 3 , Fall 3 9 , 1 5 5 - 1 5 9 ; Herzberg, vorliegen. N u r wer bei der Ausführung eine mitgestaltende Rolle spielt, kann sie
1977, §5 II 1; ders., JuS 1974, 721; Kühl, AT3,§20, Rn.ll9ff, 121 f.; Otto, AT6, §21 IV 2 a bb; mitbeherrschen. Wer im Vorbereitungsstadium einen noch so wichtigen Tatbeitrag
Rudolphi, Bockelmann-FS, 1979, 426; Seelmann, JuS 1980, 572; Spendel, JuS 1969, 314ff.; im
Ergebnis auch Schmidhäuser, LB AT2,14/19 und ders., StuB AT", 10/61, wo freilich jeweils schon
Mittäterschaft abgelehnt wird (zu dieser Frage Roxin,Täterschaft, 2000, 311 f.). 261
Vgl. etwa RGSt 57, 307 f.; 59, 245, 246f.; 59, 389f.; 67, 367, 369; BGH GA 1968,18.
259 vgl. Roxin, AT l3, § 12, Rn. 144ff., 175. 262
BGH MDR (D) 1966,197; ähnl. OLG Schleswig SchlHA 1951,48.
200 Ausführliche Begründung in Roxin, Täterschaft, 72000, 100f., 286f., 311 ff. Scharf da- 2
« Vgl. BGH MDR (D) 1955,143; BGH MDR (H) 1986,446.
gegen Puppe, Spinellis-FS, 2001, 937ff: „Einen fahrlässigen Mittäterexzeß gibt es nicht" 264
Roxin, AT l3, § 10, Rn. 108 ff.
(aaO., 943). 265
Vgl. etwa RGSt 59, 389f.; 67, 367, 369f.
80
81
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25
leistet, die Ausführung dann aber einem anderen überläßt, gibt die Tat vor ihrer nach BGHSt 37, 2 9 2 268
soll eine Vorbereitungshandlung ausreichen, „durch die
Verwirklichung aus der Hand u n d verzichtet damit - abgesehen von den Fällen der Mittäter den tatausführenden Genossen in dessen Tatentschluß bestärkt". B G H
mittelbarer Täterschaft - auf ihre Beherrschung. N S t Z 1995, 122 „führt die heftig angegriffene Entscheidung BGHSt 37, 289 u n -
199 Die Voraussetzung einer wesentlichen Funktion im Ausführungsstadium b e - kritisch fort" 269 u n d will schon „eine Absprache über die Durchführung mehrerer
deutet nicht, daß die zusammenwirkenden Beiträge der verschiedenen Mittäter Taten" für eine Mittäterschaft ausreichen lassen. „ O b darin Mittäterschaft oder nur
gleichzeitig geleistet werden müssen. Vielmehr reicht das Ausfiihrungsstadium Beihilfe liegt, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu entscheiden" (Leit-
v o m Beginn des Versuchs bis z u m Abschluß der Tat (dazu R n . 220 ff.), u n d satz).
innerhalb dieser Zeitspanne können die Ausführungshandlungen verschiedener Die B e g r ü n d u n g für diese Judikatur hat beim R G die subjektive Theorie (vgl. 202
Mittäter durchaus aufeinander folgen. Wenn ein gemeinsamer R a u b in der Weise R n . 18-21) geliefert, die es ermöglichte, jeden beliebigen Beitrag mittäterschafts-
erfolgt, daß zuerst A das Opfer niederschlägt u n d dann B i h m seine Barschaft begründend wirken zu lassen, wenn er nur mit „Täterwillen" geleistet wird. Auch
w e g n i m m t , ist das, w e n n es auf einem gemeinsamen Tatplan beruht, ein mittäter- die ältere B G H - R s p r . hat noch so argumentiert. So fährt die zitierte Entscheidung
schaftlicher R a u b ; ebenso wie ein Einbruchsdiebstahl in Mittäterschaft vorliegt, BGHSt 11, 268 fort (aaO., 272): „Dabei m u ß er (seil, der Mittäter) zur Zeit dieser
w e n n A die Tür mit einem Dietrich öffnet u n d anschließend B das Geld aus dem geistigen M i t w i r k u n g den ganzen Erfolg der Straftat als eigenen mit verursachen,
Haus holt. Auch sind A u n d B Mittäter eines Betruges, wenn A das Opfer brief- d.h. im vorliegenden Falle die etwaige Erschießung eines Verfolgers durch seinen
lich täuscht und B erst Tage später durch Abholung des Geldes den eigentlichen Tatbeitrag sich zu eigen machen wollen." Die neuere Judikatur stützt sich auf die
Schaden herbeiführt. Der Einwand, daß doch auch in solchen Fällen der Ersthan- „normative Kombinationstheorie" ( R n . 22-26), kann aber auf G r u n d ihrer „wer-
delnde das Geschehen aus der H a n d gebe, so daß entweder auch hier die Mittäter- tenden Beurteilung" ebenso leicht zur mittäterschaftsbegründenden W i r k u n g ei-
schaft abgelehnt werden oder sie auch bei wichtigen Beiträgen i m Vorbereitungs- ner Vorbereitungshandlung k o m m e n , i n d e m sie i m konkreten Fall das Eigeninter-
stadium bejaht werden müsse, ginge fehl: D e n n ein Beitrag, der im Ausführungs- esse des im Vorbereitungsstadium Mitwirkenden als entscheidenden Anhaltspunkt
stadium (sei es auch vor dessen Abschluß) geleistet wird, gestaltet eben dadurch für die Einstufung als Mittäter ansieht und das Kriterium der (ihm fehlenden) Tat-
die Ausführung mit; u n d mehr wird nicht verlangt. herrschaft demgegenüber zurücktreten läßt.
200 Auch eine Anwesenheit a m Ort der Erfolgsherbeifuhrung ist für die Mit- Gegen diese Rspr. sind nicht nur die grundlegenden Einwände geltend zu m a - 203
täterschaft nicht erforderlich. Das zeigt schon der geschilderte Betrugsfall chen, die gegen die ältere subjektive Theorie u n d die neuere normative Kombina-
( R n . 199). Aber auch bei gleichzeitigem Zusammenwirken können wichtigste Bei- tionstheorie zu erheben sind ( R n . 18-26). Gegen sie spricht auch nicht allein, daß
träge aus der Distanz geleistet werden: Wer von einer entfernten Position aus die das Kriterium der Tatherrschaft die Einbeziehung von Vorbereitungshandlungen
Beiträge der „vor Ort" wirkenden Mittäter per Funkspruch koordiniert oder wer in den Bereich der Mittäterschaft nicht zuläßt ( R n . 192-194). Es k o m m e n noch
während der Ausführung telefonische Anweisungen gibt, ist selbst auch Mittäter. zwei weitere Gegengründe hinzu: Erstens kann, wenn Täterschaft Tatbestandsver-
Wer jedoch während der Ausführung überhaupt nicht mehr auf das Geschehen wirklichung nicht in einem formal-objektiven, aber doch i m materiellen Sinne
einwirkt, der kann u.U. mittelbarer Täter, niemals aber Mittäter sein. bedeutet ( R n . 29), kein Verhalten als täterschaftlich beurteilt werden, das nicht
201 Diese Auffassung steht freilich in schroffem Gegensatz zur Rspr., die auch eine als individuelle oder gemeinsame Tatbestandserfüllung angesehen werden
geringfügige Mitwirkung i m Vorbereitungsstadium ggf. für die Mittäterschaft kann; gerade daran aber fehlt es bei Vorbereitungen. U n d zweitens läuft die so
ausreichen läßt. Sie ist v o m R G begründet 2 6 6 u n d v o m B G H ohne entscheidende schwierige Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft u n d Anstiftung ( R n . 4 5 -
Änderungen fortgeführt worden. 2 6 7 Eine repräsentative Zusammenfassung gibt 187) weitgehend leer, wenn Einflußnahmen Außenstehender, die für eine mittel-
BGHSt 11, 268, 271: „Es genügt nach st. Rspr. eine geistige Mitwirkung, auch bare Täterschaft nicht ausreichen, mit Hilfe subjektiver Kriterien oder eines Wer-
eine Vorbereitungshandlung in der Weise, daß der Mittäter dem ausführenden Tat- tungsaktes zur Mittäterschaft erklärt u n d damit doch von der bloßen Teilnahme
genossen durch einen vor der Ausführung gegebenen R a t zur Seite steht oder in zur Täterschaft aufgewertet werden.
irgendeinem Zeitpunkt in sonstiger Weise dessen Tötungswillen stärkt ..." Auch

266 Vgl. etwa RGSt 14, 28f.; 35, 13, 17; 53, 138; 54, 152f.; 63, 101, 102f.; 64, 272, 274f.; 66,
236, 240; 67, 392; 71, 24f.; 74, 21, 23; RG JW1938, 2193; RG H R R 1934, Nr. 147. 268 Dieses Urteil hat so gut wie einhellige Ablehnung erfahren. Näher Roxin, Täterschaft,
2« Vgl nur: BGHSt 14, 128 f.; 16, 12; 37, 289: Beteiligung an der Verabredung; BGH NJW 2000, 605ff.; den., J R 1991, 206; ders., H R R AT, 204 zu Fall 72; Fall 79. Ferner Erb, ]uS 1992
1951, 410, Nr. 23; BGH MDR/D 1953, 271 f; BGH GA 1973, 185; 1977, 306; 1984, 287; BGH 197ff.; Häuf, N S t Z 1994, 263ff.; Herzberg, J Z 1991, 856; Puppe, N S t Z 1991, 571 ff.; Stein, StV
NStZ 1984, 413; 1985,165; BGH StV 1985,106 m. Anm. Roxin, aaO., 278; BGH StV 1986, 384
269
m. Anm. Roxin; BGH MDR/H1987, 800; BGH StV 2001,462. Abi. Anm. Küppers, NStZ 1995, 331.
82 83
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25
270
204 Die hier vertretene, im R a h m e n der Tatherrschaftslehre zuerst von Gallas scheiden: Sie bleibt Anstiftung oder Beihilfe, „wenn der Freund die Ehefrau dazu
begründete Auffassung kann inzwischen einen großen Teil der Literatur auf sich veranlaßt oder in dem Entschluß bestärkt, den E h e m a n n aus dem Weg zu räumen",
vereinigen und gewinnt gerade in den letzten Jahren mehr und mehr Anhänger während Mittäterschaft bestehen soll, w e n n die Frau nach der Vorstellung beider
(Heinrich, Köhler, Renzikowski, Zieschang).271 Doch hält sich unter dem Druck der „nur handelt, weil und solange sich der Freund mit ihr solidarisiert, mag auch die
Rechtsprechungstradition auch die Gegenmeinung in etwa gleicher Stärke. 2 7 2 D a - eigentliche Ausführung allein bei ihr liegen".
bei versuchen auch Vertreter der Tatherrschaftslehre, an der Möglichkeit mittäter- Aber derartige Differenzierungen sind nicht durchführbar. 2 7 4 D e n n alle A n - 206
schaftsbegründender Vorbereitungshandlungen festzuhalten, wobei diese A n - Stifter- und Gehilfenbeiträge „wirken weiter", da sie für den Erfolg kausal sein
nahme vielfach auf besonders wichtige, intensiv fortwirkende Beiträge beschränkt müssen. Aber dieses „Fortwirken" begründet keine Tatherrschaft, weil der allein
wird. Doch ist schon dargelegt worden, daß der nur vorbereitend Tätige auf jeden Ausführende i m m e r noch darüber entscheidet, wie weit er von Planungen, Tips,
Fall die Ausführung nicht mehr beherrscht, solange er nicht mittelbarer Täter ist Hilfsmitteln usw. Gebrauch macht. Auch lassen sich nicht verschiedene „Grade der
(Rn.198). Weiterwirkung" unterscheiden. Die Lieferung des Dietrichs, mit dem allein der
205 Das läßt sich gut an einer vermittelnden Lehre verdeutlichen, die Stratenwerth Safe geöffnet werden kann, die aber nach Stratenwerth nie zur Mittäterschaft führt,
vertritt und die inzwischen eine Reihe von Anhängern gewonnen hat. 273 Danach kann die Ausführung intensiver „vorzeichnen" als ein Plan, der i m m e r zur Disposi-
sollen „Planung und Organisation", nicht aber sonstige vorbereitende Beiträge tion steht und nach den Gegebenheiten der Situation modifiziert werden muß.
Mittäterschaft begründen. „Der Plan zeichnet das Verhalten der Beteiligten im Auch ist es schon im Ansatz irrig, aus der Planung, die doch nur ein Element der
Ausfuhrungsstadium vor, gestaltet die einzelnen Rollen und beteiligt den O r g a n i - Mittäterschaft ist (vgl. R n . 189 ff.), von vornherein auf eine gemeinsame Begehung
sator deshalb an der Tatherrschaft. Die Lieferung von Werkzeugen, Waffen etc. dessen schließen zu wollen, der sich auf die Planung beschränkt. Eine Tat planen
oder der Hinweis auf Gelegenheiten zur Deliktsbegehung hingegen bedeutet und sie „gemeinschaftlich begehen" (§ 25 II), ist zweierlei.
keine Vorentscheidung darüber, ob und wie das Delikt ausgeführt werden soll, Besonders bedenklich ist es auch, die Tatveranlassung oder die bloße psychische 207
bleibt also bloße Beihilfe." Auch bei der „psychischen Unterstützung" will er unter- Unterstützung als Mittäterschaft zu beurteilen, w e n n der Ausführende sein H a n -
deln von einer „Solidarisierung" des Außenstehenden abhängig macht. D e n n wie
270
Gallas, MatStrRef. I, 137: „Es genügt ... nicht eine Beteiligung an der Planung oder sich diese Solidarisierung von einer gewöhnlichen Anstiftung oder psychischen
Vorbereitung der Tat. Der Mittäter muß ... vielmehr auch an der Ausübung der Tatherrschaft Beihilfe unterscheiden soll, bleibt unklar und könnte vom Gericht nicht ohne
teilhaben."
271 Bloy, 1985, 196ff.; Bottke, 1992, 88, 90; Büttel/Rotsch, JuS 1995, 1101; Erb, JuS 1992, 197; Willkür bestimmt werden. Auch verschafft die Solidarisierung dem Außenstehen-
Eschenbach, Jura 1992, 644f.; Gallas, Materialien, 121-153; Gimbernat Ordeig, ZStW 80 (1968), den keine Tatherrschaft, weil es allein vom Ausführenden abhängt, ob und wie
931 ff.; Hartwig, JZ 1965, 667; Herzberg, JuS 1974, 722; ders., JuS 1975, 35 f.; ders., 1977, § 5 II 2 a; weit er sein Handeln davon abhängig macht. Jede andere Auffassung macht aus
besonders eindringlich ders., }Z 1991, 859ff.; ders., ZStW 99 (1987), 58ff.; Jescheck/Weigend,
AT5, §63 III 1 (mit der unter Rn. 205 behandelten Einschränkung); Köhler, AT, 510f.; Kühl, der Mittäterschaft eine „mittelbare Täterschaft zweiter Klasse": Ein Hintermann
AT3, §20, Rn.108; H. Mayer, StuB AT, 161; Puppe, Spinellis-FS, 2001, 931 ff. Eingehend Roxi«, wird zum Täter emporstilisiert, obwohl sein Einfluß für eine mittelbare Täter-
Täterschaft, 72000, 292-305; ders., JA 1979, 522f.; Rudolphi, Bockelmann-FS, 1979, 372ff.; ders., schaft nicht ausreicht.
NStZ 1994, 436; SK5-Samson, §25, Rn.47, 122 (anders aber jetzt SK7-Hoyer, §25, Rn.ll2f£,
119); Stein, 1988, 319ff.; ders., StV 1993, 414 (im Ergebnis); Zieschang, ZStW 107 (1995), 360ff. Eine zwischen Tatherrschaftslehre und subjektiver Theorie vermittelnde 208
(377). Im Ergebnis auch Schmidhäuser, LB AT2, 14/22; vorsichtiger Heinrich, 2002, 289 ff. Auffassung vertritt auch Jakobs.275 Er erkennt zutreffend, daß vorbereitende Bei-
(291 f.); Renzikowski, 1997,102ff. (103); Schmidhäuser, StuB AT2,10/64.
träge keine „Entscheidungsherrschaft" verschaffen können: „Daß der Ausfüh-
272 Baumann, JuS 1963, 86 f.; Blei, AT18, §78 III (mit starken Einschränkungen); Bockel-
mann/Volk, AT4, §23 Ild aa; LK9'-Busch, §47, Rn. 21; Gropp, AT2, §10, Rn.84ff; Maurach, rung vorhergehende Beiträge die Tat erst ermöglicht haben mögen, bringt keine
AT4, § 49 II C 2; Otto, AT6, § 21 IV 2b (der einen bedeutsamen Tatbeitrag fordert); ders., Jura Entscheidungsherrschaft. Das zeigt sich am Anstifter und am notwendigen Gehil-
1987, 253; Preisendanz30, §25 IV 5 (mit starken Einschränkungen); Seh/Seh/Cramer/Heine26,
fen, die beide die Tat ermöglichen und trotzdem Prototypen von Teilnehmern
§25, Rn.66; Tröndle/Fischer50, §25, Rn.7; Welzel, StrafR11, 110f.; Wessels/Beulke, AT31,
Rn. 528 f. (mit Einschränkungen). sind." Bei einem Druck („Versprechungen oder Repressalien"), der für eine mittel-
273
Stratenwerth, AT , § 12, Rn.91ff, 94. Ihm folgt inzwischen eine größere Zahl von Auto- bare Täterschaft nicht ausreiche, könne jedoch eine „nachgeordnete Teilhabe an der
ren, so daß man hier fast schon von einer selbständigen Mittäterschaftskonzeption sprechen Entscheidungsherrschaft" vorliegen; „dieses Minus kann . . . durch ein Plus bei der
kann, die zwischen der „strengen" die Mittäterschaft auf das Ausfuhrungsstadium beschrän-
kenden, und der „weiten" Auffassung der Rechtsprechung steht, die jeden vorbereitenden Bei- materiellen Herrschaft in Form der Gestaltungsherrschaft, die bei der Vorberei-
trag genügen lassen will. Vgl. Beulke, JR 1980, 423, 424; Jescheck/Weigend, AT5, §63 III1; Kühl, tung ausgeübt wird, ausgeglichen werden. Selbst ohne jede Teilhabe an der E n t -
AT3, § 20, Rn. 107ff., 111,114; Küpper, GA 1986, 444f., 446; Küpper/Mosbacher, JuS 1995, 489f.;
Maurach/Gössel, AT/27 49/30, 36; Seelmann,JuS 1980, 571, 573; Stoffers, MDR 1989, 20S;Wessels/
Beulke, AT31, Rn.528ff. Für das Völkerstrafrecht folgt dieser Lehre Ambos, 2002, 565 ff. Nach- 274
Ganz übereinstimmend Herzberg, 1977, § 5 II 2 a; ders. JZ 1991, 856 (859ff).
drücklich gegen diese Auffassung Herzberg, JZ 1991, 860. 275
Jakobs, AT2, 21/48; ähnlich Otto, Jura 1987, 253; ders., AT6, § 21IV 2 b.
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§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25

Scheidungsherrschaft ist Mittäterschaft möglich." Dabei versteht Jakobs unter Ge- wenn er am Tatort nicht anwesend ist (Rn. 200). Ein „Chef" aber, der auf die frei-
staltung „die Festlegung des tatbestandsverwirklichenden Geschehens in seinem willige Befolgung seiner Anweisungen angewiesen ist und sich im übrigen nicht
am Geschehen beteiligt, ist in der Tat Anstifter, wie jeder andere, der sich auf die
konkreten Verlauf.276 Hervorrufung von Delikten beschränkt. Ein kriminalpolitischer Nachteil liegt
Die vonJakobs zum Ersatz für das Fehlen einer realen Ausführungsmitwirkung
darin nicht, weil der Anstifter genauso wie der Täter bestraft wird (§ 26). Im Ge-
herangezogene „Gestaltungsherrschaft" entspricht teilweise dem, was Stratenwerth
genteil: Es kann nur erwünscht sein, wenn der „Kopf" einer Diebesbande, der die
(Rn. 205) als „Planung und Organisation" bezeichnet. Was dagegen vorzubringen
Beute verwertet und den Dieben ihren Anteil am Erlös auszahlt (BGHSt 33, 53)
war (Rn. 206), gilt auch hier. In Wirklichkeit ist die „Mitgestaltung" mit nachge-
außer wegen Anstiftung auch wegen gewerbsmäßiger Hehlerei (§ 260) zur Ver-
ordneter oder ohne jede „Teilhabe an der Entscheidungsherrschaft" überhaupt
antwortung gezogen werden kann; die Konstruktion einer Mittäterschaft läßt das
keine Tatherrschaft, sondern eine schlichte Beteiligung an der Planung, die nicht
nicht zu (BGH aaO.). Das zusätzliche Unrecht, das ggf. in der Leitung einer
mehr als „gemeinschaftliches Begehen" verstanden werden kann. Auch bleibt, weil
kriminellen Vereinigung liegt, wird durch § 129 IV erfaßt, kann aber nicht eo ipso
Jakobs noch andere Geschehensbeeinflussungen einbeziehen will, unklar, wie weit
eine Täterschaft bei konkreten Einzeldelikten begründen.
ein Außenstehender auf den Ablauf eingewirkt haben muß, um die „Gestaltungs-
herrschaft" zu gewinnen, „denn irgend etwas an den Modalitäten bestimmt ein j e - b) Die Erheblichkeit des Tatbeitrages im Ausfiihrungsstadium
der, der für ein Delikt kausal wird, also auch ein bloßer Teilnehmer".277 Deshalb Der Tatbeitrag im Ausführungsstadium muß ferner erheblich sein, wenn er 211
muß es sich fürJakobs um einen „Beitrag vom Maß der anderen Beiträge" handeln. eine Mittäterschaft begründen soll.281 Auch das folgt aus der Struktur der Mit-
Aber wie soll das möglich sein, wenn der entscheidende Beitrag (abgesehen von täterschaft als einer funktionellen Tatherrschaft: Nur wenn jemand bei der Aus-
der mittelbaren Täterschaft) immer nur die tatbestandliche Ausführung ist ? Jakobs führung eine Funktion ausübt, von der das Gelingen des Plans abhängen kann, hat
nähert sich hier, indem er alle vorbereitenden Mitwirkungsanteile in einer nicht er die Mitherrschaft über das Geschehen. Eine erhebliche, zur Mittäterschaft füh-
festlegbaren Weise in eine Gesamtschau einbezieht, der „Ganzheitstheorie" Schmid- rende Mitwirkung liegt danach zunächst vor, wenn deliktsrelevante Ausfuh-
häusers (Rn. 34), dessen Lösung er selbst als „teilweise sehr ähnlich" bezeichnet.278 rungsakte auf mehrere Personen verteilt werden: Einer hält das Opfer fest, der
Auf meinen Einwand, daß eine solche Abgrenzung vage bleibe, antwortet er: 279 andere nimmt die Vergewaltigungshandlung oder die Wegnahme vor (§§ 177 II
„Das ist richtig; so vage, wie alle Gestaltungsherrschaft nun einmal ist." Das be- Nr. 1, 249). Aber auch nicht tatbestandsmäßige Ausfuhrungshandlungen be-
stätigt die Bedenken gegen diesen unklaren Begriff. Aber auch abgesehen davon gründen Mittäterschaft, wenn sie für die Tatbestandserfüllung wichtig sind: Wer
leuchtet es nicht ein, daß ein gewisses Maß an Einfluß auf die Modalitäten des Tat- das Opfer festhält, damit ein anderer ihn unbehindert ohrfeigen kann, ist Mittäter
herganges eine Täterschaft begründen soll, wenn die in der Anstiftung liegende, einer Körperverletzung; wer den Einbruch durch Wachestehen absichert, Mittäter
wesentlich gravierendere Auslösung des gesamten deliktischen Geschehens dies eines Diebstahls. Beiträge, die für das Gelingen des Deliktes irrelevant oder un-
unbestrittenermaßen nicht tut. wichtig sind, begründen dagegen, wenn sie wenigstens unterstützend wirken,
Alle Bemühungen, bestimmte Vorbereitungshandlungen für die Mittäterschaft eine Beihilfe: Das gilt vor allem für aufmunternde und anfeuernde Reden (etwa
zu retten, treffen sich in dem Gedanken, daß man den „Bandenchef* nicht als bei Körperverletzungen und sexuellen Übergriffen), aber auch für nebensächliche
bloßen Anstifter bestrafen dürfe. 280 Aber das ist eine zu undifferenzierte Sicht. Sachbeiträge (das Hinreichen eines Erfrischungsgetränks an den Einbrecher oder
Denn im Rahmen der organisierten Kriminalität kommt bei Hintermännern des Löschblattes an den Urkundenfälscher).
ohne weiteres eine mittelbare Täterschaft in Gestalt der Organisationsherrschaft in Wichtig ist, daß die Erheblichkeit des Tatbeitrages ex ante und nicht ex post 212
Betracht (Rn. 107). Soweit ein als „Chef" auftretender Hintermann Druckmittel beurteilt werden muß. Eine wichtige Funktion übt also schon der aus, auf dessen
i. S. d. § 35 anwendet - und das ist bei den rauhen Sitten der kriminellen „Szene" Beitrag es ankommen kann, auch wenn sich eine Mitwirkung im nachhinein als
oft genug der Fall - liegt eine mittelbare Täterschaft als Nötigungsherrschaft nicht notwendig herausstellt. Wenn bei einem Diebstahl der A den Boxer B mit-
(Rn.47ff.) vor. Wenn schließlich der Chef die Ausführung „dirigiert", indem er nimmt, um sich für den Fall einer Entdeckung durch den Eigentümer verteidigen
gewissermaßen als „Einsatzleiter" auftritt, ist er aus diesem Grunde Mittäter, auch zu können, die Entdeckung jedoch ausbleibt, so daß B de facto nur untergeord-
nete Hilfsdienste leistet, ist B dennoch Mittäter; denn für den Plan und seine
276 Jakobs, A T 2 , 21/49. Durchführung war die von ihm ausgefüllte Position wichtig. Auch wer Wache
277
So Jakobs selbst, AT2, 21/49; hier auch das folgende Zitat. steht, wo ein solcher Posten nach Lage der Dinge notwendig ist, bleibt Mittäter,
278
Jakobs, KT2, 21/50, Fn. 108.
279
Jakobs, AT2, 21/48, Fn. 105 a. 2
8> Wie hier Bloy, 1985, 370. Jakobs, AT2, 21/51; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn.93. In die gleiche
2
»° Vgl. nur etwa Wessels/Beulke, AT31, Rn. 529; auch BGHSt 33, 53 bezeichnet den „Kopf Richtung weist BGHSt 34,124.
der Bande" als Mittäter, allerdings nur unter Berufung auf dessen „Täterwillen".
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(Rn. 201 ff.) referierte Rspr., wonach schon jede Vorbereitungshandlung, durch
wenn niemand erscheint.282 Beihilfe ist das „Schmierestehen" nur dann, wenn je-
die jemand „den tatausführenden Genossen in dessen Tatentschluß bestärkt"
mand auf einen Posten abgeschoben wird, der auch bei der Planung schon als
(BGHSt 37, 292), zur Mittäterschaft soll fuhren können, erhöht die Neigung, un-
praktisch unbedeutend erscheint. bedeutende Beiträge zur Mittäterschaft aufzuwerten. Wie die beiden gegenläufi-
213 Der Beitrag des einzelnen Mittäters braucht also nicht notwendig kausal zu gen Tendenzen in der Rspr. miteinander vereinbart werden sollen, bleibt unklar.
sein. Es genügt, daß die mittäterschaftlichen Beiträge in ihrer Gesamtheit für den Ein ähnlicher Widerspruch zeigt sich in der Frage, ob das Eigeninteresse bei 217
Erfolg kausal sind. 283 Das hat große praktische Bedeutung für die fahrlässige Mit- der Zuschreibung zur Mittäterschaft dominiert oder an Bedeutung hinter der Er-
täterschaft,284 bei der Zweifel an der Kausalität eines Einzelbeitrages (z.B. eines heblichkeit des Tatbeitrages zurücktritt. So sagt BGHSt 8, 393: „Wer mit eigener
einzelnen Votums bei einem Abstimmungsvorgang) durch die Konstruktion einer Hand einen Menschen tötet, ist grundsätzlich auch dann Täter, wenn er es unter
Mittäterschaft überwunden werden können. 285 dem Einfluß und in Gegenwart eines anderen nur in dessen Interesse tut." Hier
214 Unter den Autoren, die für die Mittäterschaft eine Mitwirkung im Ausfüh- gibt also die Erheblichkeit des Tatbeitrages den Ausschlag für die Annahme von
rungsstadium verlangen, bestreiten nur Stein286 und Heinrich287, daß der geleistete Mittäterschaft, ohne daß es auf das Interesse ankommen soll. Im Gegensatz dazu
Tatbeitrag erheblich sein muß. Soweit dies aus ihrer abweichenden Mittäter- heißt es aber auch (BGHSt 34,125): „In jedem Fall muß der Mittäter ... eigennüt-
schaftskonzeption abgeleitet wird, ist darauf später noch zu erwidern (Rn. 246 ff., zig handeln." Dabei ist wegen mangelnden Eigeninteresses nur als Gehilfe ver-
263 f.). Doch läßt sich auch ohne näheres Eingehen auf den abweichenden Ansatz urteilt worden, wer nach einem gemeinsamen Tatplan das Opfer mit Tötungs-
der Autoren sagen, daß es nicht sachgemäß ist, jemanden in das Zentrum des Ge- vorsatz aus einem fahrenden Wagen warf (BGH VRS 23 [1962] 207), wer bei einer
schehens zu rücken und mit der ungemilderten Täterstrafe zu belegen, der nur in Vergewaltigung die Nötigung übernahm (BGH M D R / D 1973, 17), ja sogar, wer
peripherer Weise am Geschehen mitgewirkt hat. bei einem gemeinschaftlichen Mord den tödlichen Stich führte, um „nicht als
215 Die Stellung der Rspr. zur Frage der „Erheblichkeit" ist unklar. Einerseits liegt Feigling in den Augen der anderen zu erscheinen" (BGH M D R / D 1974, 547).
es nahe, vom Standpunkt der älteren subjektiven Theorie aus (Rn. 18 ff.) unbedeu- Auch die wechselnde Weise, in der beim Auseinanderfallen von Interesse und Tat-
tende Tatbeiträge als Zeichen der Willensunterordnung und des bloßen Teilneh- herrschaft (die nur bei erheblichen Beiträgen in Betracht kommt), bald das eine,
merwillens zu deuten. Und wenn die neuere normative Kombinationstheorie des bald das andere Kriterium für die Mittäterschaft als ausschlaggebend angesehen
BGH (Rn. 22 ff.) den „Umfang der Tatbeteiligung" und die „Tatherrschaft'' oder wird, 289 zeigt das unschlüssige Schwanken der Rspr.
wenigstens den „Willen zur Tatherrschaft" als wesentlichen Anhaltspunkt für die Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die subjektive Theorie, die bei der un- 218
Bestimmung der Mittäterschaft beurteilt, müßte daraus eigentlich folgen, daß mittelbaren und der mittelbaren Täterschaft kaum noch eine Rolle spielt (vgl.
unerhebliche Beiträge von der Mittäterschaft ausgeschlossen werden. So sagt denn Rn. 40f., 45ff.), bei Bestimmung der Mittäterschaft in der Rspr. bedeutenden
auch der BGH (BGHSt 34,125): „Eine ganz untergeordnete Tätigkeit deutet schon Einfluß bewahrt hat. Das gilt nicht nur für die Anerkennung mittäterschafts-
objektiv daraufhin, daß der Täter 288 nur Gehilfe ist... Mittäterschaft kommt vor begründender Vorbereitungshandlungen, sondern auch für die unterschiedliche
allem in Betracht, wenn der Beteiligte in der Rolle eines gleichberechtigten Part- Bedeutung, die der Erheblichkeit eines Tatbeitrages beigemessen wird. Indem
ners mitgewirkt hat." neben der Tatherrschaft und nicht selten auch an ihrer Stelle das Eigeninteresse
216 Andererseits halten sich viele Entscheidungen nicht an diese Regeln. So soll ein als für die Mittäterschaft ausschlaggebend angesehen wird, bleiben die Ergebnisse
„anfeuernder Zuruf" an die Täter einer sexuellen Nötigung für die Mittäterschaft unsicher. Teils wird die Mittäterschaft überdehnt, indem unerhebliche oder nur
ausreichen (BGH MDR 1955, 244). Auch die bloße Präsenz eines zum Mitmachen vorbereitende Beiträge bei hinreichendem Interesse für sie ausreichen sollen, teils
nicht bereiten, aber die Tatentschlossenheit des Täters bestärkenden Komplizen wird sie unzulässig verengt, indem ausschlaggebende Beiträge bei der Ausfüh-
wird als mittäterschaftsbegründend angesehen (BGHSt 37, 289). Die oben rung wegen fehlenden Eigeninteresses nur als Beihilfe beurteilt werden. Auch
dies geschieht freilich nicht konsequent, sondern nur in einem Teil der Fälle. Nur
282 Dagegen Bloy, 1985, 376, Fn. 357. "Wie hier im Ergebnis Knauer, 2001, 149; Stein, 1988, durch striktes Abstellen auf die funktionelle Tatherrschaft, d.h. auf das Erforder-
325. nis des arbeitsteiligen Zusammenwirkens im Ausführungsstadium, wird hier eine
283 Näher dazu Knauer, 2001, 83 ff., 133 ff.
284
Darüber unten Rn. 239 ff. klare Linie herstellbar sein.
285
Scharf dagegen allerdings Puppe, Spinellis-FS, 2001, 927 ff. „Dieses Problem muß auf
der Ebene der Kausalität gelöst werden, nicht auf der der Mittäterschaft" (aaO., 929). Es fragt
sich nur, wie!
286 Stein, 1988, 321.
287 Heinrich, 2 0 0 2 , 2 8 9 f. 2^ Nachweise bei LKn-Roxin, § 25, Rn. 28.
288
Gemeint ist wohl: der Beteiligte.
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4. D i e sukzessive Mittäterschaft aus der Verankerung gelösten schweren Safe nicht wegschleppen kann, und n u n -
mehr B herbeiholt, der in seinem Transportwagen die Bergung ermöglicht, liegt
219 Eine sukzessive Mittäterschaft, d. h. ein nachträglicher Eintritt in eine schon b e - eine sukzessive Mittäterschaft vor.
gonnene Deliktsausführung, ist ohne weiteres möglich. 2 9 0 Wenn B bei einem
Daß jedenfalls nach materieller Beendigung der Tat eine Mittäterschaft nicht 223
Diebstahl des A dazukommt und mit i h m gemeinsam die Beute, die A allein nicht
mehr möglich ist, hat auch die Rspr. anerkannt. 2 9 3
tragen kann, wegschleppt, ist B Mittäter. Es m u ß nur ein nachträglicher (sei es
Der Hauptstreitpunkt bei der sukzessiven Mittäterschaft liegt in der Frage, o b 224
auch stillschweigender) Eintritt in den gemeinsamen Tatplan feststellbar sein
dem sukzessiven Mittäter Erschwerungsgründe zugerechnet werden können,
(vgl. R n . 190 ff.). Wenn bei einer Prügelei ein nachträglich H i n z u k o m m e n d e r
die bei seinem Hinzutritt schon abgeschlossen vorlagen. Hier hat B G H S t 2, 344
ebenfalls zuschlägt, m u ß das also nicht notwendig eine sukzessive Mittäterschaft
durch Zulassung einer solchen Anrechnung eine Wende der Rspr. herbei-
sein; will der nachträglich Eingreifende unabhängig von den anderen auf eigene
geführt: 2 9 4 Ein Dieb hatte einen Kiosk aufgebrochen und dann einen Freund (F)
Faust sein Mütchen kühlen, kann eine Einzel-(Neben-) Täterschaft vorliegen (zur
herbeigeholt, der gegen Teilung der Beute bei deren Wegnahme mitwirkte. § 243 I
Nebentäterschaft vgl. R n . 265 f.). Das hat auch praktische Bedeutung wegen des
Nr. 2 (Einbruchsdiebstahl) war damals anders als der heutige § 243 I Nr. 1 keine
Ausmaßes der ihm zurechenbaren Verletzungen.
Strafzumessungsregel, sondern ein im Verhältnis zu § 2 4 2 qualifizierter Tatbe-
220 Die Möglichkeit sukzessiver Mittäterschaft beginnt, sobald ein Delikt ins Ver-
stand. Die sukzessive Mittäterschaft des F bei § 242 stand außer Frage. Aber war F
suchsstadium eintritt. Zweifelhaft ist, ob sie noch zwischen formeller Voll- auch als Mittäter bei § 243 zu bestrafen? Im Gegensatz zum R G 2 9 5 hat der B G H
endung und materieller Beendigung m ö g l i c h ist. Diese Unterscheidung spielt diese Frage bejaht: „Wenn jemand in Kenntnis und Billigung des bisher Geschehe-
besonders beim Diebstahl eine Rolle. Der Diebstahl ist schon mit der Erlangung nen als Mittäter eintritt, so bezieht sich sein Einverständnis auf einen verbreche-
eigenen Gewahrsams durch den Täter „formell vollendet", aber erst mit der Weg- rischen Gesamtplan, und das Einverständnis hat die Kraft, daß i h m auch das
schaffung der Beute „materiell beendet". Ist es n u n eine sukzessive Mittäterschaft einheitliche Verbrechen als solches strafrechtlich zugerechnet wird" (aaO., 346).
beim Diebstahl oder eine Strafvereitelung (§ 258) und Begünstigung (§ 257), Begründet wird das vor allem damit, daß auch nach Verwirklichung eines Er-
wenn jemand den fliehenden Dieb vor seinen Verfolgern rettet und ihm damit die schwerungsmerkmals eine Beihilfe zur erschwerten Tat möglich und daß ein ein-
Beute sichert? leuchtender G r u n d für eine unterschiedliche Behandlung von Mittäterschaft und
221 Die Rspr. läßt auch zwischen formeller Vollendung und materieller Beendi- Beihilfe nicht ersichtlich sei.
g u n g noch eine Mittäterschaft (bzw. Beihilfe) zu und macht es von der „Willens-
Die Frage hat beim Diebstahl an Bedeutung verloren, weil § 2 4 3 heute nur 225
richtung" des Handelnden abhängig, ob eine Mittäterschaft (bzw. Beihilfe) oder
noch eine Strafzumessungsregel ist, ein besonders schwerer Fall also unabhängig
Strafvereitelung und/oder Begünstigung vorliegt. 2 9 1 Aber das schafft Unklarheit,
von der Zurechenbarkeit schon verwirklichter Erschwerungsgründe a n g e n o m -
weil der Handelnde sich über die rechtliche Qualifizierung seines Tuns keine G e -
men werden kann. Doch bleibt die Frage für die Strafrahmenwahl bei §§ 242, 243
danken macht, seine „Willensrichtung" also beliebig interpretierbar ist. Auch ist es
nach wie vor wichtig. Auch spielt das Problem bei anderen Tatbeständen eine u n -
im Hinblick auf Art. 103 II GG bedenklich, w e n n die Konstruktion einer hinter
verminderte Rolle, vor allem beim Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 I Nr. 3)
der tatbestandlichen Vollendung liegenden „Beendigung" benutzt wird, u m den
und beim R a u b (§ 249). So soll eine Mittäterschaft beim R a u b vorliegen, wenn
Hinzutretenden nach einem ggf. schwereren Tatbestand (z.B. § 2 4 4 statt §§257,
jemand erst hinzukommt, nachdem die Gewaltanwendung schon abgeschlossen
258) bestrafen zu können. Es ist daher richtiger, eine sukzessive Mittäterschaft
war, eine eigene Beteiligung also nur noch bei der Wegnahme möglich war (BGH
nur bis zur formellen Vollendung des Delikts zuzulassen. 292 M D R / D 1969, 533); es soll also die nachträgliche Billigung und Ausnutzung der
222 Das ändert aber nichts daran, daß bei der praktisch wichtigsten Konstellation Gewaltanwendung für deren Zurechnung genügen.
„nachträglicher" Beteiligung, dem Abtransport der Beute, eine sukzessive M i t -
Immerhin läßt auch die — nicht ganz einheitliche — Rspr. keine Mittäterschaft 226
täterschaft i.d.R. noch möglich ist. D e n n bei schweren Gegenständen, die ab-
mehr zu, wenn der später H i n z u k o m m e n d e ein Verhalten des Komplizen billigt
transportiert werden müssen, tritt auch die formelle Vollendung (d. h. die B e g r ü n -
und ausnutzt, das tatbestandlich schon abgeschlossen ist. Im Beispiel des Raubes
dung neuen Gewahrsams) erst mit dem Abtransport ein. Wenn also A den von i h m
(Rn. 225) ist also zwar eine Mittäterschaft bei § 249, nicht aber hinsichtlich der
durch die Gewalt bewirkten, bereits abgeschlossenen Körperverletzung a n g e n o m -
290 Vgl. nur RGSt 8,43; BGHSt 2, 345; BGH GA1969, 214; 1986, 229. men worden (BGH M D R / D 1969, 533). Das Problem wird vom allem bei § 177 II
29i Vgl. nur RGSt 71, 193f.; OGHSt 3, 3 und die entspr. Judikatur bei der Beihilfe, §26,
Rn. 257. 2
« Vgl. BGH MDR/D 1975, 366; BGH NStZ 1984, 548; BGH NJW1985, 814.
292
Zur Auseinandersetzung mit der Lit. vgl. die entsprechenden Darlegungen bei der Bei- 294
Vgl. später noch: BGH GA 1966, 210; BGH MDR/H 1982,446.
hilfe, § 26, Rn. 259 ff.. 295
RGRspr. 8, 80; RG JW1923, 756; 1924,1436; RGSt 59, 79, 82.
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Nr. 1 aktuell: Wenn A eine Frau vergewaltigt und anschließend B mit dem völlig • bei der Vollendung des Raubes. Auch wird man als Gehilfen einer Vergewaltigung
erschöpften und apathischen Opfer ohne Gewaltanwendung den Beischlaf ausübt, I ansehen müssen, wer erst hinzukommt, nachdem der Täter die Frau bewußtlos ge-
kann das hinsichtlich der Tat des A keine Mittäterschaft begründen (BGH GA M schlagen hat und ihm in Kenntnis dieses Umstandes bei der Vollendung des Delik-
1977,144; BGH NStZ 1985,70), auch wenn B das Verhalten des A nachträglich bil- I tes hilft (etwa durch Entkleidung des Opfers). Diese Zurechnung des Gesamtge-
schehens wird dadurch gerechtfertigt, daß die Beihilfe akzessorisch ist. Der Gehil-
ligt und ausnutzt. Der B kann sich nur, wenn das Opfer körperlich Widerstands- 9
fe wird für die Unterstützung einer fremden Tat bestraft; wann deren Merkmale
unfähig ist, wegen seines eigenen Verhaltens nach § 179 strafbar machen. Auch a
verwirklicht werden, ist gleichgültig, weil er die Ausführung ohnehin in keiner
vom Standpunkt der Rspr. aus ist es daher unrichtig, wenn BGH JZ 1981, 596 296 fj
Phase (mit-)beherrscht. Der Täter aber ist für eigenes Tun verantwortlich; deshalb
einen Angeklagten als Mittäter eines schweren Raubes bestrafte, der sich erst nach f]
kann jemand Mittäter nur bei solchen Vorgängen sein, die er bei der Ausführung
Gewaltanwendung und Wegnahme durch einen anderen von diesem einen Beute- |
mitgestaltet hat.
anteil aufdrängen ließ; daß der Angeklagte bei der Gewaltanwendung ohne Raub- |
vorsatz mitgewirkt hatte, kann daran nichts ändern.
227 Richtigerweise ist jedoch eine nachträgliche mittäterschaftliche Anrechnung 5. Sonstige Sonderformen der Mittäterschaft
bereits verwirklichter Erschwerungsgründe überhaupt abzulehnen. Während a) Die additive Mittäterschaft
die Literatur anfangs dem BGH weitgehend zugestimmt hatte, 297 ist inzwischen Herzberg501 vertritt die Auffassung, daß das Prinzip der funktionellen Tatherr- 229
auch die h. M. zur Linie des RG zurückgekehrt. 298 Mit vollem Recht: 299 Es fehlt schaft auf die Fälle der „additiven Mittäterschaft" nicht passe. Er verdeutlicht diese
hinsichtlich des schon verwirklichten Erschwerungsgrundes sowohl ein gemein- Rechtsfigur an dem Beispiel, daß zwanzig Verschwörer gleichzeitig auf einen Poli-
samer Tatplan wie eine gemeinsame Ausführung. Ein Plan kann immer nur auf tiker schießen, um das Gelingen eines Attentats wahrscheinlicher zu machen, daß
etwas Zukünftiges gerichtet sein; die nachträgliche Billigung etwa einer Gewalt- das Opfer auch von verschiedenen Kugeln tödlich getroffen wird, daß sich aber
anwendung durch den nur bei der Wegnahme Mitwirkenden kann die Gewalt hinterher nicht mehr feststellen läßt, von welchen Schützen die tödlichen Kugeln
nicht mehr zum Bestandteil eines gemeinsamen Planes machen, und auch eine stammen. Nur die Annahme von Mittäterschaft gestattet in einem solchen Falle
arbeitsteilige Ausführung kann nur vorliegen, solange ein Qualifikationsmerkmal die Bestrafung aller wegen vorsätzlichen Mordes (anstatt wegen bloßen Versuchs),
noch nicht verwirklicht ist. Man kann - um beim Beispiel des Raubes zu bleiben weil die Kausalität der einzelnen Schüsse nicht nachweisbar ist. Nach Herzberg liegt
- eine Gewaltanwendung nicht mitbeherrschen, wenn man nicht dabei war und hier keine funktionelle Tatherrschaft vor: Der Beitrag des einzelnen sei unwichtig,
von ihr nicht einmal etwas wußte. Selbst ein „Täterwille'' kann hinsichtlich eines weil auch ohne ihn das Opfer getötet worden wäre. Trotzdem will er eine Mittä-
qualifizierenden Tatbestandes nur bejaht werden, soweit er bei Verwirklichung der terschaft annehmen, diese aber nicht auf den Gesichtspunkt der Arbeitsteilung,
qualifizierenden Umstände vorlag. sondern auf die Gleichgewichtigkeit der Tatbeiträge und die positivrechtliche An-
228 Die Tatsache, daß bei der Beihilfe bereits verwirklichte Erschwerungsmerkmale ordnung des § 25 II stützen.
zugerechnet werden, 300 liefert kein Gegenargument. Freilich ist im Raubbeispiel Aber das ist eine zu enge Auffassung von funktioneller Arbeitsteilung. Bei der 230
(Rn.225) der bei der Wegnahme Hinzukommende gleichzeitig Gehilfe eines gebotenen Betrachtung ex ante (Rn. 212) hat jeder Schütze bei der Ausführung
Raubes, wenn er von der Gewaltanwendung weiß; denn er unterstützt den Täter eine wichtige Funktion; denn jeder einzelne Schuß macht das Gelingen sicherer
und kann für den Erfolg entscheidend sein. Daß hinterher sich mancher Schuß als
296 Abi. Küper, JZ 1981, 568; Kühl, JuS 1982,189. fehlgegangen und überflüssig herausstellt, ändert daran nichts. Richtig ist freilich,
297
In der neueren Literatur stimmen ihm nur noch zu: Baumann/Weber, AT , §35 I 3d
(anders jetzt aber Baumann/Weber, AT10, §29 IV 4 c); Blei, AT18, §78 II; LK9-Busch, §47, daß bei der additiven Mittäterschaft die einzelnen Beiträge nicht, wie meist, inein-
Rn.17; Gropp, AT2, §10, Rn.97; Küpper, GA 1986, 437ff., 447f.; Niese, NJW 1952, 1176ff.; andergreifen, sondern durch Kumulierung nebeneinander herlaufender Handlun-
PreisendanzM, § 25, Anm. IV 7; Tröndle/Fischer50, § 25, Rn.9; Welzel, StrafR11,107. gen die Erfolgsaussichten verstärken. Aber auch das ist noch eine Form der funk-
2* Baumann/Weber, ATW,§ 29 IV 4 c; Bockelmann/Volk, AT4, § 23 III1; Ebert, AT3, 202 (zwei-
felnd); Eser, StrafR II3, Fall 40, Rn. 16-19; Freund, AT, § 10, Rn.160; Gösse!, Jescheck-FS, 1985, tionellen Tatherrschaft.302
537 ff.; Heinrich, 2002, 303f.; Herzberg, 1977, 4. Teil III 2; Jakobs, AT2, 21/60; Jescheck/Weigend,
AT5, 6 63 II 2, Fn. 18; Köhler, AT, 520; Kühl, AT3, § 20, Rn. 129; Küper, JZ 1981, 570ff.; Lackner/
Kühl*4, §25, Rn.12; Maurach/'Gössel, ÄT/27, 49/68ff.; Otto, AT6, §21IV 2c bb, cc; Rudolphi,
Bockelmann-FS, 1979, 377 f.; Schilling, 1975,105; Schmidhäuser, LB AT2,14/21; ders., StuB AT2,
10/65; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §25, Rn.91; Seelmann, JuS 1980, 573; Stratenwerth, AT4, §12, 3« Herzberg, 1977, § 5 I, 56 ff.
Rn.88. » 2 Wie hier auch Bloy, 1985, 372ff.; Knauer, 2001, 139ff., 157f.; Köhler, AT, 578; Rodriguez
299
Eingehende Begründung schon bei Roxin,Täterschaft, 72000, 289-292. Montanes, Roxin-FS, 2001, 321. Für bloßen Versuch Stein, 1988, 327 f.; differenzierend Jakobs,
300
Manche Autoren wollen auch das nicht zulassen: Eser, StrafR II3, Fall 40, Rn. 20; Herz- AT2, 21/55; Schmidhäuser, StuB AT2,10/62, verweist auf die Möglichkeit der Beihilfe.
berg, 1977, 4. Teil, III 2 a.E. 93
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§ 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25
§ 25 III 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
oder daß beide sie dem C zueignen wollen. Die Einzelheiten sind eine Frage der
b) Die alternative Mittäterschaft Tatbestandsauslegung und gehören in den Besonderen Teil.
231 Rudolphi303 bestreitet die Möglichkeit einer Mittäterschaft bei alternativen Tat-
beiträgen. Wenn mehrere Mörder — einer gemeinsamen Verabredung entspre- d) Die teilweise Mittäterschaft
chend - an verschiedenen Wegen auf das Opfer lauern, ist nach seiner Lehre nur Ohne weiteres möglich ist eine teilweise Mittäterschaft, die sich nicht auf alle 235
derjenige als Mörder zu bestrafen, der den tödlichen Schuß abgefeuert hat. Die- von anderen verwirklichten Tatbestände bezieht. Wenn A und B gemeinsam eine
jenigen, die an anderen Stellen vergeblich gewartet haben, können für ihn keine Nötigung durchführen, die aber nur von A zu einem Raub ausgenutzt wird, kann
Mittäter sein, weil sie bei der tatsächlichen Ausführung nicht mitgewirkt haben. B als Mittäter nach § 240 und A als Täter nach § 249 bestraft werden (BGH GA
232 Man wird hier unterscheiden müssen. Werden verschiedene Ausgänge eines 1968,121). Ebenso kann B Mittäter eines Diebstahls sein, wenn er nicht weiß, daß
Hauses oder alle Fluchtwege in einem Waldstück von Mordschützen besetzt, so ist A, der nach § 249 bestraft wird, Mittel des Raubes angewendet hat (RGSt 12,10).
jeder von ihnen Mittäter, auch wenn nur einer zum Schuß kommt. Denn durch Entsprechend kann jemand der Mittäterschaft bei einer Körperverletzung schuldig
Versperrung aller Möglichkeiten des Entkommens knüpft im Zeitpunkt der Aus- sein, dessen Komplize sogar wegen Totschlages bestraft wird (RGSt 44, 323).
führung jeder an dem tödlichen Netz, in dem sich das Opfer verfängt: Er muß Auch ist eine Mittäterschaft möglich, bei der ein Mittäter nach § 211, der andere 236
notwendig einem der Schützen vor die Flinte laufen, weil auch die anderen Wege nach § 212 bestraft wird. Sieht man, wie es der herrschenden und zutreffenden Mei-
versperrt sind. Das ist ein klassischer Fall des Zusammenwirkens im Ausführungs- nung entspricht, den Mord als einen qualifizierten Fall des Totschlages an, versteht
stadium, wie er etwa auch bei einer offenen Einkreisung des Opfers durch die sich das von selbst; denn die mittäterschaftliche Verwirklichung eines Grundtat-
Mitglieder einer Bande vorliegt. bestandes kann nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß einer der Beteiligten
233 Anders ist es, wenn die alternativen Beiträge im Ausführungsstadium nicht Qualifikationsmerkmale aufweist. Die Rspr. hält jedoch Mord und Totschlag für
wirksam werden. Stehen in verschiedenen Städten potentielle Attentäter bereit, selbständige Tatbestände und hat auf der Grundlage dieser Annahme ursprünglich
um das Opfer umzubringen, falls es dort auftauchen sollte, so ist nur der Täter, der die Möglichkeit einer Mittäterschaft zwischen beiden Delikten abgelehnt (BGHSt
wirklich zum Schuß kommt. 304 Denn die übrigen haben dabei keine Funktion. 6,330). Davon hat sichjetzt BGHSt 36,231 305 mit Recht abgekehrt. Denn auch z. B.
Keine Mittäterschaft liegt auch vor, wenn alternative Beiträge hintereinander ge- §212 ist gegenüber §§223, 223a und § 249 gegenüber §§ 240, 242, 223 ein selb-
staffelt werden: Soll erst der Attentäter A den Mordanschlag unternehmen und im ständiger Tatbestand, ohne daß dies eine Mittäterschaft hinsichtlich des minder-
Mißlingensfall der B einen weiteren Anschlag ausführen, so ist jeder als Täter nur schweren Delikts ausschlösse. Nötig ist nur, daß durch den schwereren Tatbestand
für das verantwortlich, was er selbst getan hat. gleichzeitig die Merkmale des minderschweren erfüllt werden, und dies ist beim
Verhältnis der §§ 211, 212 zueinander auch unter der Prämisse ihrer Selbständigkeit
c) Besondere Tätermerkmale als Voraussetzung der Mittäterschaft
der Fall, solange man beide Tatbestände nicht als einander ausschließend ansieht.
234 Die Mittäterschaft setzt neben der gemeinsamen Tatherrschaft wie jede Täter-
schaft voraus, daß etwaige sonstige vom Gesetz verlangte Tätermerkmale in der e) Mittäterschaft bei Schuldlosigkeit eines Beteiligten
Person jedes Mittäters erfüllt sind. Vor allem muß jeder Mittäter neben dem Vor- Eine Mittäterschaft wird auch nicht dadurch verhindert, daß einer der Beteilig- 237
satz etwaige Absichten, Gesinnungen,Tendenzen und sonstige Merkmale des sub- ten schuldlos handelt. Es kann also ein Mittäter geisteskrank sein (z.T. abw. RGSt
jektiven Tatbestandes aufweisen. Wenn also A und B gemeinsam eine Urkunde fäl- 63,101,104), als Kind schuldunfähig (dazu RGSt 19,192,193 f.) oder in unvermeid-
schen, reicht das noch nicht für eine Mittäterschaft; es muß auch jeder von beiden barem Verbotsirrtum handeln. Da Täterschaft und Teilnahme Erscheinungsformen
„zur Täuschung im Rechtsverkehr" handeln (§ 267). Das bedeutet freilich nicht, des Unrechts sind, steht die Schuldlosigkeit eines Beteiligten der Möglichkeit von
daß jeder selbst muß täuschen wollen; zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt Mittäterschaft nicht im Wege (§ 29). Wenn freilich der verantwortliche Mittäter
auch, wer weiß, daß der andere mit der Urkunde täuschen will. Auch liegt eine die Schuldlosigkeit des anderen kennt und ihn für seine Zwecke einsetzt, ist er im
Mittäterschaft beim Betrug vor, wenn A sich selbst und B nur den A bereichern Hinblick auf dessen Tatbeitrag gleichzeitig mittelbarer Täter. <•
will (RGSt 59,104,107); denn Täter des § 263 kann auch sein, wer nur einen ande-
f) Mittäterschaftliche Teilnahme
ren rechtswidrig bereichern will. Ebenso ist eine Mittäterschaft beim Diebstahl
(§ 242) in der Weise möglich, daß der A die Sache sich selbst und der B sie dem A Auch Anstiftung oder Beihilfe kann mittäterschaftlich geleistet werden. 306 238
Wenn also A und B durch sich ergänzende Argumente den C zur Tat bewegen,
303 Rudolph!, Bockelmann-FS, 1979, 369 ff. (380); differenzierend Jakobs, AT2, 21/55 a; Stein, 3os M. Anm. Beulke, NStZ 1990, 278; Timpe,]Z 1990, 98; Küpper, JuS 1991, 639.
1988, 328; wie hier Bloy, 1985, 376 f. 306 Wie hierJescheck/Weigend, AT5, §64 II 2 a; Lackner/'Kühl*4, §26, Rn.8; Sch/Sch/Cramer/
30-t Weitergehend Maurach/Gössel, AT/27, 49/42, wo die Teilhabe aller an einer „kollektiven Heine26, § 26, Rn. 6; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 222.
Tatherrschaft' angenommen wird. Ähnlich auch Knauer, 2001,138 f.
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§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25

werden beide als Anstifter bestraft, 307 auch w e n n der jeweilige Einzelbeitrag den Aber es wirkt doch weniger gekünstelt und daher angemessener, beide wegen 241
Täter nicht zur Tat bestimmt hätte. In entsprechender Weise leisten zwei Personen gemeinschaftlich fahrlässigen Verhaltens haftbar zu machen. Das praktische B e -
mittäterschaftliche Beihilfe, w e n n sie zusammen ein Tatwerkzeug basteln. Abge- dürfnis nach einer solchen Konstruktion ist zudem mit besonderer Dringlichkeit
lehnt wird die Möglichkeit mittäterschaftlicher Teilnahme von Gösse/ 308 : Der Teil- bei Gremienentscheidungen hervorgetreten, die - etwa durch Freigabe eines g e -
nehmer sei kein Täter, und wer kein Täter sei, könne auch nicht Mittäter sein. J e - sundheitsschädlichen Produktes - zu fahrlässigen Tatbestandsverwirklichungen
doch ist der mittäterschaftliche Teilnehmer kein Täter; auch ist nicht einzusehen, geführt haben. Wenn hier ein Beschluß mit einem Abstimmungsergebnis zustande
w a r u m Anstiftung und Beihilfe zu einem Delikt keine „Straftat" i. S. d. § 2 5 II kommt, bei dem auch eine Gegenstimme am Verlauf der Dinge nichts geändert
sein soll. Doch ist die praktische Bedeutung der Streitfrage gering. D e n n auch der hätte, ist die Kausalität des jeweiligen Abstimmungsverhaltens schwer begründ-
isoliert betrachtete Beitrag des „mittäterschaftlichen Teilnehmers" wird oft als A n - bar. 312 Denn jedes Gremienmitglied kann sich darauf berufen, daß bei einem H i n -
stiftung, jedenfalls aber als Beihilfe erfaßbar sein. wegdenken seines zustimmenden Votums der weitere Kausalverlauf und der Er-
folg dieselben gewesen wären. Wenn man dagegen eine fahrlässige Mittäterschaft
g) Fahrlässige Mittäterschaft bejaht, ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit jedes einzelnen, der dem schädi-
239 Eine fahrlässige Mittäterschaft ist von der Rspr. bisher nicht anerkannt worden genden Beschluß zugestimmt hat, mühelos darzutun. 3 1 3 D e n n für die Mittäter-
und hat auch in der älteren Literatur nur wenige Anhänger gefunden. 3 0 9 Die all- schaft ist eine Kausalität des einzelnen Mittäters für den Erfolg nicht unbedingt
gemeine Ablehnung einer fahrlässigen Mittäterschaft stützte sich darauf, daß ein erforderlich. Es genügt, daß das gemeinsame Verhalten als solches den Erfolg ver-
gemeinsamer Tatplan, der einen Vorsatz voraussetzt, bei fahrlässigen Taten fehlt ursacht hat und daß es auf den Beitrag des einzelnen bei einer Betrachtung ex ante
und daß man auch von einer arbeitsteiligen Ausführung der Tatbestandsverwirk- hätte ankommen können (vgl. R n . 211 ff.).
lichung nicht sprechen kann, w o kein gemeinsamer Erfolg erstrebt wird. 3 1 0 Die Möglichkeit einer fahrlässigen Mittäterschaft wird deshalb heute in der 242
240 Auch besteht in vielen Fällen für die Konstruktion einer fahrlässigen Mittäter- Literatur von einer ständig steigenden Zahl von Autoren bejaht. 314 In der Tat ist
schaft kein zwingendes Bedürfnis, weil sich die einzelnen Tatbeiträge je für sich als eine fahrlässige Mittäterschaft anzuerkennen. Die Gegenargumente (Fehlen eines
selbständige fahrlässige Tatbestandsverwirklichungen denken lassen. Eine Ent- auf die gemeinsame Tatbestandsverwirklichung gerichteten Entschlusses und einer
scheidung des schweizerischen Bundesgerichts 3 1 1 möge das verdeutlichen: A und darauf abzielenden arbeitsteiligen Ausführung) sind nicht stichhaltig, weil sie auf
B rollen auf Grund gemeinsamen Entschlusses jeder einen Felsbrocken zu Tal. Der den Kriterien der vorsätzlichen Mittäterschaft beruhen, die in Fällen der Fahrläs-
Bergwanderer C wird dadurch getötet; es läßt sich aber nicht klären, welcher der sigkeit natürlich nicht gegeben sein können. Das Gesetz verlangt in § 25 II nur ein
beiden Steine den Erfolg verursacht hat. Wenn man eine fahrlässige Mittäterschaft gemeinschaftliches Begehen, nicht notwendig aber dessen Vorsätzlichkeit. Stellt
ablehnt, m u ß man nicht notwendig zu dem höchst unerwünschten Ergebnis man auf die Zurechnungsstrukturen bei der Fahrlässigkeit ab, 315 so liegt fahrlässige
k o m m e n , daß A und B jeweils mangels Beweises freigesprochen werden müssen. Mittäterschaft vor, wenn sich eine „durch mehrere gemeinschaftlich geschaffene
Man kann vielmehr beide wegen nebentäterschaftlich begangener fahrlässiger unerlaubte Gefahr im Erfolg realisiert hat".316 Otto317 drückt das so aus: „Wer... im
Tötung verantwortlich machen, indem man davon ausgeht, daß jeder von ihnen bewußten, arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Gefahren begründet
entweder durch das eigenhändige Herabrollen des Steines oder durch seine B e - oder erhöht, die sich - vorhersehbar - im Erfolg realisieren, ist gemeinschaftlich
teiligung an dem Entschluß, der das beiderseitige Verhalten erst ausgelöst hat, eine für den Erfolg verantwortlich", d. h. Mittäter. Gewiß ist die wissenschaftliche Ent-
fahrlässige Tötung begangen hat.
312 Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 18.
313 Grundlegend dazu Knauer, 2001.
3M Bindokat, JZ 1979, 434ff.; Brammsen, Jura 1991, 537f.; Brammsen/Kaiser, Jura 1992, 38f.,
307 Zur mittäterschaftlichen Anstiftung vgl. auch RGSt 13,121,123; 53,189f.; 71, 23f.
41; Dencker, 1996, 177ff.; Eschenbach, Jura 1992, 643f.; Hilgendorf, NStZ 1994, 563; ders., 21?98,
308 Maurach/Gössel, AT/2 7 , 50/103. 38; Kamm, 1999, 175ff.; Knauer, 2001, 181 ff.; Küpper, GA 1998, 526f.; Lesch, GA 1994, 119ff.;
30« Aus dem älteren Schrifttum vgl. Exner, Frank-FS, 1930, 572; Frank, StGB18, vor § 47 Otto, Maurach-FS, 1972, 104; ders., JuS 1974, 702ff, ders., Jura 1990, 47ff; ders., Spendel-FS,
a.F, Anm. IV, §47 a.F., Anm. III; Kohlrausch/Lange, StGB43, §47, Anm. III; Mezger, StrafR3, 1992, 271 ff, 281ff; ders., 1993, 9; ders., AT6, §21 V 4 b; Ransiek, 1996, 73; Renzikowski, 1997,
422; Zimmer/, 1928,107 f. 261, 282ff; Rodriguez Montanes, Roxin-FS, 2001, 326; Schmidhäuser, LB AT2,14/30, Anm. 24;
3io So etwa Arzt, recht 1988, 72; Baumann/Weber, AT10, § 22 IV 2, § 29 IV 2 b; Deutscher/Kör- ders., StuB AT2,10/68f., Anm. 34; Spendet, JuS 1974, 749ff; Weißer, 1995,146ff; dies., JZ 1998,
ner, wistra 1996, 333; Donatsch, SchwJZ 1989,112; Günther, JuS 1988, 386, Fn. 3;Jescheck/Weigend, 230ff; wohl auch Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737; Lampe, ZStW 106 (1994), 692f.; Schumann,
AT5, §63 I 3 a; Kindhäuser, vor §25, Rn.45f.; ähnlich jetzt auch Puppe, Spinellis-FS, 2001, StV 1994,110.
927.
311
315 Dazu ausführlich Roxin, AT l3, §§ 11 und 24.
BGE 113 IV 54; die wesentlichen Gründe sind abgedruckt bei Otto, Jura 1990, 47; vgl. 316 Knauer, 2001, 221.
317
auch Donatsch, SchwJZ 1989, 109. Ob das Gericht eine Mittäterschaft annehmen will, wird Otto, AT6, § 21V 4 b aa.
nicht ganz klar. Eine ähnliche Konstellation behandelt BayOblG NJW 1990, 3032.
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§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25

wicklung auf diesem Gebiet noch im Fluß und einzelnes ungeklärt (z. B. die liebig interpretierbar und mit allen Unsicherheiten behaftet, die die Abgrenzung
Frage, ob man ein „gemeinsames Handlungsprojekt" verlangen oder sich mit dem von Mittäterschaft und Beihilfe auch in der Rspr. kennzeichnen (vgl. Rn. 201 ff.,
objektiven Ineinandergreifen verschiedener fahrlässiger Tatbeiträge begnügen 215 ff.). Auch beruht der Ausgangspunkt Cramers auf einer unzutreffenden Annah-
soll).318 Aber die grundsätzliche Berechtigung einer Rechtsfigur der fahrlässigen me: Denn der Mittäter beherrscht nicht nur seinen eigenen Tatanteil, sondern
wird durch ihn zum Mitbeherrscher der Gesamttat (vgl. Rn. 188).
Mittäterschaft sollte nicht mehr bestritten werden.
b) Steins Lehre von der Abstufung der Verhaltensnormen
6. Abweichende Konzeptionen Steins Konzeption, die Täterschaft und Teilnahme nach der Dringlichkeit der 246
a) Ableitungen aus der subjektiven Teilnahmetheorie Verhaltensnorm unterscheidet (vgl. Rn. 35 f.), muß eine Erklärung für die im Ver-
243 Die Mittäterschaft wurde früher in der Rspr.319 und wird vereinzelt auch heute hältnis zur Beihilfe gesteigerte Dringlichkeit der den Mittäter treffenden Verhal-
noch in der Literatur320 als eine wechselseitige mittelbare Täterschaft interpretiert, tensnorm suchen. Er findet sie darin, daß die Verhaltensnorm bei dem, der in das
so daß sich der eigene Tatanteil mit einer mittelbaren Täterschaft hinsichtlich des Ausfuhrungsstadium eingetreten ist, kaum noch eine Chance hat, sich durchzuset-
fremden Tatanteils verbinden würde. Das ist eine nur vom Standpunkt der subjek- zen. „Die mittäterschaftlichen Verhaltensnormen erfassen diejenigen (verbotenen)
tiven Theorie aus vertretbare Lösung; denn sie setzt voraus, daß der bloße „Täter- Verhaltensweisen, deren Gefährlichkeit durch das künftige Verhalten eines Vorder-
wille" jemanden hinsichtlich des vom Komplizen geleisteten Tatbeitrages zum manns vermittelt ist, dem zwar eine vollwertige Verhaltenspflicht auferlegt ist und
mittelbaren Täter machen kann. Die Tatherrschaft, die heute auch von der Rspr. der die ungeschmälerte Pflichtbefolgungsfähigkeit besitzt, bei dem jedoch ande-
für die mittelbare Täterschaft verlangt wird, hat ein Mittäter über den anderen je- rerseits der Motivationsprozeß schon so weit in Richtung auf die Pflicht-
doch nicht. Daran scheitert die Konstruktion. Sie scheitert außerdem heute auch verletzung fortgeschritten ist und das geplante pflichtwidrige Verhalten so nahe
am Wortlaut des Gesetzes; denn wenn der Mittäter die Tat teils „selbst" teils „durch bevorsteht, daß die Pflicht praktisch keine Chance mehr hat, ihre Bestimmungs-
einen anderen" beginge, wäre er schon nach § 25 I strafbar, und es bedürfte des wirkung zu entfalten".323 Eine „Dringlichkeitsminderung der dem Hintermann
aufzuerlegenden Pflicht"324 scheide dann aus, weil vom Vordermann keine Pflicht-
Abs. 2 nicht mehr.
befolgung mehr erwartet werden könne. Diese Konzeption stimmt mit der hier ver-
244 Einen Rückgriff auf die subjektive Theorie bedeutet auch die Lehre Cramers321.
tretenen Auffassung zunächst darin überein, daß der Tatbeitrag im Ausfuhrungssta-
Er geht - bei sonst prinzipieller Anerkennung der Tatherrschaftslehre - davon
dium geleistet werden muß. 325 Dagegen ist für die Erfordernisse der „Wesentlich-
aus, daß der Mittäter nur seinen eigenen Tatanteil und nicht den des anderen be-
keit" des Tatbeitrages und des „gemeinsamenTatplans" in dieser Lehre kein Raum.
herrsche. Deshalb sei mit Hilfe der Tatherrschaft keine sichere Abgrenzung zwi-
schen Täterschaft und Teilnahme möglich, so daß subjektive Momente mit heran- An dieser Konzeption befremdet zunächst, daß Stein die Mittäterschaft als ein 247
zuziehen seien.322 Er bildet das Beispiel: „Wer ... das Opfer festhält, damit ein Verhältnis von „Hintermann" zum „Vordermann" anstatt als gleichgeordnete,
anderer zustechen kann, muß nicht notwendigerweise Täter, sondern kann auch arbeitsteilige Beziehung ansieht. Der Beteiligte, der als letzter handelt, ist für ihn
Gehilfe sein, sofern seinem Teilakt aufgrund seiner Einstellung lediglich unter- immer schon unmittelbarer Täter, so daß nur „Hintermänner" als Mittäter in Be-
geordnete Bedeutung gegenüber der Tätigkeit des anderen Beteiligten zuzumes- tracht kommen. 326 Bei gleichzeitigem Handeln zweier Personen sollen beide
sen ist. Ist er jedoch in der Rolle des gleichberechtigten Partners zu sehen, so „Hinterleute" sein. Die Vorstellung, daß im Regelfall nur ein Mittäter vorhanden
kommt Täterschaft in Betracht." ist, läßt sich jedoch mit dem Gesetz, das von mehreren Mittätern ausgeht (§ 25 II),
245 Der Fall beweist jedoch das Gegenteil dessen, was er dartun soll. Denn wenn kaum vereinbaren; und der Gedanke, daß bei gleichzeitigem Handeln nur „Hin-
das Festhalten den Messerstich erst ermöglichte, handelt es sich unter dem Ge- terleute" und keine „Vorderleute" vorhanden sind, wirkt extrem gekünstelt.
sichtspunkt der funktionellen Tatherrschaft eindeutig um einen wesentlichen Auch sehe ich nicht recht, warum der „Hintermann" sich im Ausfuhrungs- 248
Beitrag im Ausführungsstadium; von irgendeiner Abgrenzungsunsicherheit kann Stadium soll befinden müssen, wenn es nur auf die Normbefolgungschance auf
nicht die Rede sein. Dagegen ist die innere Einstellung des Festhaltenden, wenn Seiten des Vordermannes ankommen soll. Würde man aber beim Hintermann Tat-
man allein auf sie und nicht auf das äußere Gewicht des Tatbeitrages abstellt, be- beiträge im Vorbereitungsstadium genügen lassen, würde eine Abgrenzung von
der Anstiftung und Beihilfe unmöglich. Denn für den Anstifter und Gehilfen
318 Vgl. Knauer, 2001,192 ff.
3i* RGSt 58, 279; 63,101; 66, 236, 240; 71, 23 f. 323 Stein, 1988, 322.
32° Baumann/Weber, AT10, § 29 IV 1 (mit Einschränkungen); Tröndle/Fischer50, § 25, Rn. 8. 32* Stein, 1988, 326.
32i Cramer, Bockelmann-FS, 1979, 389ff.; 400ff; ders., Seh/Seh/Crarner/Heine26, vor 325 Stein, 1988, 321.
§§25ff., Rn.80ff.; §25, Rn.72f. 326 Hier und im folgenden Stein 1988, 330.
322 Cramer, Bockelmann-FS, 1979, 401-403 (403); zur Kritik auch Bloy, 1985, 370 ff.
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§ 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25
§ 25 III 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
lung durch einander ergänzende Beiträge verwirklichen, ist das ohne eine m i n d e -
sinkt die Chance, daß der Täter sich doch noch zur Pflichtbefolgung entscheidet,
stens stillschweigende Willensübereinstimmung nicht recht vorstellbar. Sodann
mit dessen Eintritt ins Ausführungsstadium im selben Maße ab. Die nach der
gerät die Abgrenzung der Mittäterschaft von der Nebentäterschaft ( R n . 265) ins
Dringlichkeit der Verhaltensnorm differenzierende Lehre ermöglicht daher keine
Schwimmen, w e n n die Mittäterschaft keinen gemeinsamen Tatentschluß voraus-
plausibel begründete Mittäterschaftskonzeption.
setzt. Denn ob mehrere Handlungen ein gemeinsames Werk ergeben oder u n a b -
c) D i e Gestaltungsherrschaft bei Jakobs und Derksen hängig voneinander dasselbe Ziel erstreben, läßt sich ohne gemeinsamen Plan in
249 AuchJakobs geht davon aus, daß eine M i t w i r k u n g im Ausführungsstadium, d e - vielen Fällen nicht entscheiden. Schließlich ermöglicht die Konstruktion von
ren „Wesentlichkeit" er in ihrer „tatprägenden" Kraft sieht, 327 als „Entscheidungs- Derksen auch keine Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe. D e n n die von
herrschaft" immer die Mittäterschaft begründet. Er will aber auch vorbereitende ihm propagierte „heimliche Mittäterschaft" wirkt ja keineswegs, wie er es für die
Beiträge genügen lassen, w e n n sie dem Mitwirkenden die „Gestaltungsherrschaft" täterschaftliche Zurechnung verlangt, „unmittelbar weltgestaltend", sondern erst
vermitteln; dazu ist oben ( R n . 208 f.) kritisch Stellung g e n o m m e n worden. über das „Fremdverhalten" des die Tatbestandshandlung Ausführenden (wenn z.B.
250 Jakobs Schüler Derksen328 hat diese Lehre weitergeführt mit d e m Ziel, die M i t - dessen Entdeckung verhindert wird, ohne daß dieser es bemerkt). Das aber tut die
täterschaft als Problem der objektiven Zurechnung zu erfassen und darzutun, daß Beihilfe auch.
ein „gemeinsamer Tatentschluß" für sie nicht erforderlich ist. Für ihn ist Mittäter-
d) D i e Mittäterschaft als „positive Tatherrschaft" bei D i a z y Garcia
schaft „Kumulation individueller Entwürfe zu einem Planungskontext". 329 Die
Diaz332 hält der hier entwickelten Konzeption der „funktionellen Tatherrschaft" 252
„Einbettung des einzelnen im ganzen" führe dazu, „daß jeder an der Tat Beteiligte
entgegen, daß derjenige, der die Tatbestandshandlung nicht selbst ausführe, indem
die durch die Gesamttat verletzte N o r m in ihrer Geltung komplett selber in Frage
er z. B. das Opfer festhält, damit der andere es erstechen kann, nur eine „negative
stellt". Ein Beitrag werde erst dann außerhalb täterschaftlicher Zurechnung gelei-
Tatherrschaft" ausübe. Er könne durch Untätigbleiben (also das Nichtfesthalten
stet, „wenn dieser nicht unmittelbar weltgestaltend wirkt, sondern seine tatmitge-
des Opfers) das Delikt zum Scheitern bringen, aber niemals den Tatbestand
staltende Auswirkung erst über ein Fremdverhalten hergestellt wird". Schonjakobs
verwirklichen. Dies tue nur der, der den Stich ausführe und damit die „positive
hatte die Notwendigkeit eines gemeinsamen Tatentschlusses bezweifelt und e m p -
Tatherrschaft" ausübe. Er will die Mittäterschaft auf die positive Tatherrschaft b e -
fohlen, statt dessen „einen Einpassungsentschluß genügen zu lassen, mit dem der
schränken, wie sie etwa vorliege, w e n n drei Täter dem Opfer drei Dolchstiche ver-
nicht unmittelbar ausführende, aber gestaltend mitwirkende Beteiligte seinen Bei-
setzen, die erst zusammen dessen Tod bewirken. Außerdem meint Diaz, daß aus
trag mit dem Tun des Ausführenden verbindet". 330
dem Kriterium der funktionellen Tatherrschaft die wünschenswerte Beschrän-
251 Richtig ist, daß jemand auf das Gelingen einer Tat entscheidenden Einfluß ggf.
kung der Mittäterschaft auf das Ausführungsstadium nicht hergeleitet werden
auch dann ausüben kann, w e n n der andere nichts von seiner M i t w i r k u n g b e -
könne. D e n n auch ein notwendiger Beitrag im Vorbereitungsstadium könne für
merkt. Aber es bleibt dann doch immer bei einem „einseitigen Zusammenwirken",
das Gelingen des Planes entscheidend sein.
weil der die Tatbestandshandlung Ausführende von seinem Komplizen nichts
Auf den letztgenannten Einwand ist zu erwidern, daß der Vorbereitende, auch 253
weiß und daher nicht Mittäter, sondern Alleintäter ist. Das Gesetz geht aber in
wenn er einen unersetzlichen Beitrag leistet, das Geschehen aus der H a n d gibt und
§ 25 II von einer „gemeinschaftlichen" Begehung aus, die nur bei einer beidseitig
nicht mehr mitbeherrschen kann, sobald er einem anderen die Ausführung über-
bewußten Arbeitsteilung möglich ist. 331 Auch ist die kritisierte Konzeption nur
läßt. Eine Mitbeherrschung der Tatbestandsverwirklichung ist deshalb nur durch
denkbar, w e n n einer der Beteiligten die gesamte Tatbestandshandlung ausführt,
eine Arbeitsteilung im Ausführungsstadium möglich (vgl. schon R n . 198).
also ohnehin unmittelbarer Täter ist. In dem Fall, daß beide die Tatbestandshand-
Im übrigen scheint mir die Auffassung Diaz'die Mittäterschaft zu sehr einzu- 254
schränken, weil die „positive" M i t w i r k u n g bei der Tatbestandshandlung, wie er sie
327 Jakobs, A T 2 , 21/48, 51. versteht, meist selbst schon eine unmittelbare Täterschaft ist (wenn z. B. mehrere
328 Derksen, GA 1993,163 ff.
3 29 Derksen, G A 1993,173; das n ä c h s t e Zitat 175.
Leute nach einem gemeinsamen Plan Sachen in Diebstahlsabsicht wegnehmen),
330 ßkobs, AT2, 21/43. Auch Lesch, ein weiterer Schüler von Jakobs, vertritt die Meinung die praktisch bedeutsamsten Fälle also gerade die sind, die Diaz als Konstellationen
(ZStW 105 (1993), 271 ff., 291), „daß Mittäterschaft keine Verabredung gemeinschaftlicher negativer Tatherrschaft aus der Mittäterschaft ausgrenzen möchte.
Begehung mit einem anderen voraussetzt, und zwar weder in ausdrücklicher noch in konklu-
denter Form". Ausführl. Kritik an Lesch bei Küpper, ZStW (1993), 295 ff. Gegen die Auffassung Außerdem erfaßt die Unterscheidung von positiver und negativer Tatherrschaft, 255
Jakobs und seiner Schüler nochmals Küpper, GA 1998, 526, sowie Ingelfinger, JZ 1998, 708, und wie sie bei Diaz auftritt, die Struktur der funktionellen Tatherrschaft nicht ganz
Renzikowski, 1997,102. Ferner SK7-Hoyer, § 25, Rn. 126,127 m.w.N.; Knauer, 2001,160; Köhler, zutreffend. D e n n - u m beim Messerstecherbeispiel zu bleiben - der Festhaltende
AT, 516, Anm. 71; Krey, AT/2, § 29, Rn. 169; Kühl, AT3, § 20, Rn. 106.
331 332
Küpper, ZStW 105 (1993), 302, meint daher, es handele sich bei der Gegenmeinung um In seinem bedeutenden Werk „La Autoria en Derecho Penal" 1991, 651 ff. (675 ff.).
eine unzulässige analoge Anwendung des § 25 II.
101
100
§ 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
e) D i e Mittäterschaft als gegenseitige Anstiftung bei Puppe
leistet durch die „Bereitstellung" des Opfers einen genauso „positiven" Beitrag zur
Tatbestandsverwirklichung wie der Zustechende. Daß die Nichterbringung dieses Puppe337 deutet die Mittäterschaft als gegenseitige Anstiftung. Das beruht auf 258
Beitrages den Plan zum Scheitern bringen würde, ist nur die „negative" Kehrseite ihrer speziellen Konzeption der Anstiftung als einer „Unrechtsvereinbarung mit
dieser positiven Mitherrschaft. Beim Zustechenden selbst ist die Mitherrschaft einem für den Täter verpflichtenden Charakter". Aber erstens wird damit für die
nicht anders strukturiert: Auch bei i h m ist die Kehrseite seines positiven Tatanteils,
Anstiftung zuviel verlangt, 3 3 8 da eine erfolgreiche Aufforderung für das gesetzlich
daß dessen Unterlassung den Plan vereiteln würde. Die behauptete Unterschei-
dung kann also einen Bewertungsunterschied der Tatanteile nicht begründen. O b verlangte „Bestimmen" zur Tat völlig ausreicht. U n d zweitens wird die Deutung
der Mittäter das Opfer zur Ermöglichung des tödlichen Stiches festhält oder selbst der Mittäterschaft als einer Sonderform der Anstiftung auch nicht dem gesetz-
einen Stich führt, der zusammen mit anderen Stichen den Erfolg bewirkt: In bei- lichen Leitbild der „gemeinschaftlichen Begehung" gerecht, das ein arbeitsteiliges
den Fällen sind die Beteiligten wechselseitig voneinander abhängig und durch ihr Zusammenwirken im Ausführungsstadium voraussetzt.
„positives" Tun Mitbeherrscher des Geschehens.
256 Luzon Pena und Diaz y Garcia haben die von ihnen gemeinsam vertretene Täterlehre, auf der f) D i e Mittäterschaft als P r o b l e m des Besonderen Teils bei Freund
die geschilderte Mittäterschaftskonzeption beruht, unter zusammenfassender Darlegung ihrer
Für Freund ist Täterschaft tatbestandsmäßiges Verhalten (vgl. schon R n . 37), und 259
Prämissen gegen meine Einwände verteidigt. Sie meinen im Beispiel des Messerstecher-
falles,334 „daß das Festhalten des Opfers den Todeseintritt gar nicht bewirken kann, es also die zwar nicht als Eigenhändigkeit i. S. d. formal-objektiven Theorie, sondern in ei-
Tat - Tötung - nicht positiv bestimmt (und darum der Festhaltende nicht „tötet"), daß da- nem materiellen Sinne. Das entspricht insoweit der Tatherrschaftslehre, für die Tä-
gegen allein das Einstechen mit dem Messer es entscheidet - positiv bestimmt -, daß der Tod terschaft ebenfalls eigenhändige, mittelbare oder gemeinschaftliche Tatbestands-
eintritt (der Zustechende „tötet"); dieser deutliche Unterschied kann also sehr wohl einen verwirklichung ist. Freund339 will aber das Kriterium materieller Tatbestandsver-
Bewertungsunterschied ... begründen." Dazu ließe sich sagen: Gewiß kann das Festhalten bei
wirklichung nicht in der Tatherrschaft oder einem anderen allgemeinen Merkmal
isolierter Betrachtung nicht töten; doch würde der Messerstecher, wenn niemand das Opfer
festhielte, auch nicht töten können. Beide Handlungen sind also gleich wichtige „positive" sehen, sondern durch Auslegung der einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils
Voraussetzungen der Tötung. Damit soll nicht geleugnet werden, daß man einen so engen, auf ermitteln. Es handele sich u m ein Problem, „das gerade nicht mit einem von den
die eigentliche Tatbestandshandlung beschränkten Mittäterschaftsbegriff, wie ihn die beiden Besonderheiten einzelner Tatbestände abstrahierenden allgemeinen (Mit-)Täter-
Autoren vertreten, sehr wohl bilden kann; er hat jedenfalls den Vorzug größter Tatbestands- schaftskriterium sachgerecht zu bewältigen ist". Die Abgrenzung von Täterschaft
nähe. Es wäre aber nach deutschem Recht nicht angemessen, dem Festhaltenden nur die
mildere Gehilfenstrafe aufzuerlegen, obwohl er bei der Tatausfiihrung einen gleichwertigen und Teilnahme wäre dann also ein Problem des Besonderen Teils.
Tatbeitrag geleistet hat. Dieses Problem besteht im spanischen Recht nicht, weil dort der sog. Dem ist jedoch zu widersprechen. D e n n die gesetzliche Regelung ist als eine 260
Hauptgehilfe, der einen notwendigen Tatbeitrag leistet, mit derselben Strafe wie der Täter be- solche des Allgemeinen Teils konzipiert und stellt mit dem Kriterium der „ge-
legt werden kann (Art. 28 II b Cödigo Penal). Doch gibt es auch in Spanien Autoren, die den meinschaftlichen Begehung" in § 25 II ein Erfordernis auf, das zwar bei den Tat-
Hauptgehilfen immer oder doch im Falle seiner Mitherrschaft für einen Mittäter halten.
beständen des Besonderen Teils eine je eigene Ausprägung erfährt, aber als leiten-
257 Mit dem Begriff der negativen Tatherrschaft arbeitet auch Küper.336 Er kombiniert den po-
sitiven Beitrag, der im eigenen Tun des Mittäters liegt, mit der negativen Tatherrschaft, die der Maßstab überall derselbe ist. Der Verzicht auf einen einheitlichen Maßstab,
darin bestehen soll, daß der Mittäter den Gesamtplan zum Scheitern bringen kann. Wegen wie ihn die funktionelle Tatherrschaft als arbeitsteiliges Zusammenwirken im
dieser positiven und negativen Bedeutung des eigenen Beitrages sei dem Mittäter auch der Ausführungsstadium darstellt, führt zu großer Rechtsunsicherheit, die mit Hilfe
Beitrag des anderen zuzurechnen. Hier wird die „positive" und die „negative" Seite mittäter- der Einzeltatbestände nicht behoben werden kann, weil diese durchweg nur den
schaftlichen Handelns richtig gesehen, wenn auch zu sehr voneinander getrennt, weil die
Möglichkeit des Scheiternlassens nur ein Aspekt der Wesentlichkeit des positiven Beitrages ist. unmittelbaren Täter beschreiben und für die Bestimmung von Gemeinschaftlich-
Aber einer Zurechnung fremden Verhaltens bedarf es nicht. Denn das eigene Tun des Mittäters keit keine Anhaltspunkte liefern.
verschafft ihm ohne alle Zurechnung von Fremdverhalten die Mitherrschaft über die Gesamt- Das zeigt sich auch an dem Bemühen Freunds, wenigstens an drei „wichtigen 261
tat. Eine Alleinherrschaft ist das natürlich nicht; insofern ist die Mittäterschaft weniger als die Fallgruppen mittätertatbestandsmäßigen Verhaltens" seine Lösung zu exemplifi-
unmittelbare und die mittelbare Täterschaft. Daß die Mitherrschaft wie eine Alleinherrschaft
zieren. Die ersten beiden Konstellationen bilden die bekannten Beispiele (vgl.
bestraft wird, ist eine nicht selbstverständliche, aber berechtigte Entscheidung des Gesetz-
gebers. R n . 211), in denen einer das Opfer festhält und der andere diesem das Geld w e g -
nimmt oder auf es einschlägt. 3 4 0 Hier handelt es sich tatsächlich u m Musterbei-
spiele mittäterschaftlichen Verhaltens im Sinne arbeitsteiligen Zusammenwirkens
333 Luzon Pena u n d Diaz y Garcia, R o x i n - F S , 2 0 0 1 , 575 ff. (speziell 592-598). E b e n s o Rodri- im Ausführungsstadium. Freund begründet die Mittäterschaft aber im ersten Fall
guez Montanes, R o x i n - F S , 2 0 0 1 , 322.
334 Luzon Pena u n d Diaz y Garcia, R o x i n - F S , 2 0 0 1 , 594, Fn. 66. 337 Puppe, Spinellis-FS, 2001, 917 ff.
335 In diesem Sinne z.B. Cerezo Mir, Roxin-FS, 2001, 549ff, der daraufhinweist (aaO., 338 Vgl. §26, Rn. 73, 88 f.
554, Fn. 20), daß der spanische höchste Gerichtshof die hier befürwortete Konzeption der 339 Freund, AT, § 10, Rn. 161 ff. (164).
funktionellen Tatherrschaft übernommen habe. 3"0 Freund, AT, § 10, Rn. 166-168.
336 Küper, 1978, 53f.; 60f.; J Z 1979, 786.
103
102
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - C. Herrschaftsdelikte III § 25

mit den Worten, daß ihre A n n a h m e „nach Wortlaut u n d Ratio angezeigt" sei u n d des Mittäters i m Ausführungsstadium verlangt. In der Sache ist sie abzulehnen.
im zweiten Fall durch die These, daß der Festhaltende „qualitativ in einer über die Denn sie begnügt sich im Grunde mit einem gemeinsamen Tatentschluß und läßt
bloße Beihilfe hinausgehenden Form gegen das Körperverletzungsverbot ver- von der gemeinsamen Ausführung, die zu der v o m Gesetz verlangten „gemein-
stoßen" habe. Das sind zwar zutreffende Behauptungen, aber es fehlt an jeder schaftlichen Begehung" hinzugehört, nichts übrig. D e n n das bloße Zuschauen ist
greifbaren Begründung für sie. kein Beitrag zur Ausführung u n d wird von Heinrich auch nur im Sinne einer Auf-
262 Als dritte „Fallgruppe" behandelt Freund das „Schmierestehen". Er meint dazu: rechterhaltung des Tatentschlusses interpretiert. Aber selbst in dieser reduzierten
Hat der Schmierestehende die „Wegnahmeaktion des anderen durch sein Verhalten Funktion ist das Anwesenheitserfordernis nicht recht plausibel. D e n n w a r u m ein
überhaupt erst ermöglicht u n d durch eine entsprechende Aufforderung im Vorfeld gemeinsamer Entschluß durch die Abwesenheit der daran beteiligten Person not-
sogar noch veranlaßt, ist der erforderliche .qualitative Sprung' zur mittäterschaft- wendig „aufgehoben" und durch ihre passive Anwesenheit „fortlaufend aktuali-
lichen Verantwortlichkeit wohl geschafft". Aber das ist erstens nur ein Gefühls- siert" werden soll, ist nicht einzusehen. Eine gleichrangige Partnerschaft, als die
urteil („wohl"). Zweitens reicht die Unentbehrlichkeit des Beitrages während der man sich die Mittäterschaft vorstellen m u ß , setzt auch gleichwertige Tatbeiträge
voraus.
Ausführung für eine Mittäterschaft völlig aus. U n d drittens ist nicht ersichtlich,
wie eine hinzukommende Anstiftung („Aufforderung im Vorfeld") aus einer Bei-
hilfe eine Mittäterschaft soll machen können. Viertens ist auch nicht nachvoll- 7. Nebentäterschaft 3 4 6
ziehbar, wie des alles aus dem Wortlaut des Diebstahlstatbestandes „bei materialer Unter Nebentäterschaft versteht man den Fall, daß mehrere Personen denselben 265
Betrachtung" soll herausgelesen werden können. Die Verlagerung des Abgren- Erfolg herbeiführen, ohne Mittäter zu sein. 3 4 7 So liegt es z.B., w e n n Mutter und
zungsproblems in den Besonderen Teil hilft also nicht weiter. Tochter den Familienvater unabhängig voneinander durch selbständige Verlet-
zungshandlungen töten (BGH N J W 1966, 1823). Der häufigste Fall bei vorsätz-
g) D i e Mittäterschaft als „Entscheidungsverbund" bei Heinrich
lichen Delikten ist die nebentäterschaftliche Anstiftung: Mehrere Personen stiften
263 Heinrich verwirft mit der Tatherrschaftslehre auch die Notwendigkeit gemeinsa-
unabhängig voneinander den Täter an. 3 4 8 Im übrigen sind die D o m ä n e der
mer Beherrschung der Ausführungshandlung als Voraussetzung der Mittäterschaft.
Nebentäterschaft die fahrlässigen Delikte; denn es k o m m t häufig vor, daß die
Statt dessen verlangt er einen Entscheidungsverbund, 3 4 1 eine gemeinschaftliche
Sorgfaltswidrigkeiten verschiedener Personen, auch w e n n diese keine Mittäter
Entscheidung, als deren „unmittelbare Umsetzung das Geschehen anzusprechen
sind (dazu R n . 239 ff), zusammen eine Tatbestandsverwirklichung herbeiführen.
ist". 342 Die einzelnen Mittäter werden durch den „Entscheidungsverbund" zu einer
Wenn z. B. A an der Theatergarderobe einen Mantel abgibt, in dessen Tasche sich
„imaginären Gesamtperson" 3 4 3 zusammengeschlossen, der das Geschehen zuge-
ein geladener Revolver befindet und w e n n der Garderobenmann B den Revolver
rechnet wird. Dabei soll es nicht darauf a n k o m m e n , „wer von den einzelnen Trä-
entdeckt, ihn für ungeladen hält und zum Scherz, aber mit tödlicher Wirkung, auf
gern des gemeinsamen Tatentschlusses welchen bzw. einen wie umfangreichen Teil
C abdrückt, sind A und B Nebentäter einer fahrlässigen Tötung: D e n n sie haben
der Ausführung, ja sogar, ob er selbst überhaupt einen derartigen Umsetzungsakt
sich beide leichtsinnig verhalten u n d ein jeweils eigenes unerlaubtes Risiko g e -
vornimmt". Mittäter ist also auch der, „der selbst nicht unmittelbar Hand anlegt,
schaffen, das sich i m Erfolg verwirklicht hat.
sondern beispielsweise nur zuschaut, weil er zu ungeschickt zur eigenhändigen
Umsetzung des Tatentschlusses ist oder er sich ,die H ä n d e nicht schmutzig m a - Selbständige dogmatische Bedeutung hat der Begriff der Nebentäterschaft 266
chen will". 344 Andererseits soll aber der untätig bleibende Mittäter immerhin bei nicht. 3 4 9 Da jeder Tatbeitrag selbständig zu beurteilen ist, lassen sich aus der Kon-
struktion der Nebentäterschaft keine Einsichten gewinnen, die nicht auch ohne sie
der Tatausführung anwesend sein müssen. N u r in diesem Falle werde die Ausfüh-
erzielbar wären. Die Hauptprobleme liegen in der Frage, inwieweit die einzelnen
rung „direkt aus dem . . . Entscheidungsverbund heraus gespeist" u n d der Verbund
Beiträge für den Erfolg kausal bzw. dem Mitverursacher zuzurechnen sind; sie
„fortlaufend aktualisiert", während bei der Abwesenheit eines am Tatentschluß
lassen sich nur nach den dafür geltenden Regeln lösen (vgl. Roxin, AT 1 , §§.11,
Beteiligten der Entscheidungsverbund als „aufgehoben u n d damit nicht mehr g e -
24). '
genwärtig wirkend" betrachtet werden müsse. 3 4 5
264 Diese Auffassung steht zwischen der Rspr. u n d der hier vertretenen Tatherr-
schaftskonzeption, indem sie zwar keinen Tatbeitrag, wohl aber die Anwesenheit

3« Heinrich, 2002, 285 ff. (288 f.). 3« Murmann, 1993.


3
342 Heinrich, 2002, 287. « RGSt 19,141,145; 55, 78f.; 68, 256; BGHSt 4, 20; 7,112; BGH NJW 1966,1823.
3« Hier und im folgenden Heinrich, 2002, 287. 3« RGSt 14, 92,95; 43, 293, 296; 55, 78, 80.
349
3" Heinrich, 2002, 289. Fincke, GA 1975, 161ff.; Jescheck/Weigend, AT5, §63 II 3; Murmann, 1993; Otto, AT6, §21
3« Heinrich, 2002, 293.
104 105
§ 25. Täterschaft - D. Pflichtdelikte II § 25
§ 25 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Vera353, ein Schüler von Jakobs, hat ihr eine erste bedeutsame Monographie gewid-
met. Zu den mit den Pflichtdelikten verbundenen Streitfragen wird nachfolgend
D. Pflichtdelikte
bei Erörterung der Konsequenzen Stellung genommen, die sie für die Abgren-
zung von Täterschaft und Teilnahme haben.
I. Herrschafts- und Pflichtdelikte

267 Es gibt zwei verschiedene Methoden, mit Hilfe deren der Gesetzgeber ein II. Die erfolgsbezogene Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht
deliktstypisches Verhalten in einer dem nullum-crimen-Grundsatz entsprechen- als Täterkriterium
den Weise tatbestandlich erfassen kann. Die erste besteht in der möglichst genauen Ein klassisches Pflichtdelikt ist etwa die Untreue (§ 266). Dieser Tatbestand be- 271
Schilderung der unerträglich sozialschädlichen Handlungen, die er mit Strafe be- straft die Verletzung der „Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen",
drohen will: des Mordes, der Körperverletzung, des Betruges usw. Man kann hier wenn der Täter dadurch „dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat,
von Handlungsdelikten sprechen; bei ihnen wird die Zentralgestalt eines von Nachteil zufügt". Es ist klar, daß diese vermögensschädigende Pflichtverletzung
mehreren Personen bewirkten Geschehens nach der Tatherrschaft bestimmt, wie durch vielfältig verschiedenes Handeln und auch durch Unterlassen erfolgen kann,
sie vorstehend in ihren vielfaltigen Erscheinungsformen dargestellt worden ist. daß es aber auf diese Äußerlichkeiten für die Tatbestandserfüllung nicht ankommt.
268 Die zweite Methode liegt in der Anknüpfung an tatbestandskonstituierende Denn nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist Täter, wer in vermögensschä-
Pflichten, die in den verschiedensten Bereichen der Rechtsordnung ihre Konkre- digender Weise die tatbestandsspezifische Pflicht verletzt. Dieser sog. Intraneus
tisierung erfahren haben und deren den Tatbestandserfolg bewirkende oder auch bleibt Täter auch dann, wenn er für die Ausführung Helfershelfer heranzieht, die
lediglich nicht hindernde Verletzung mit Strafe bedroht wird. Dieser Methode be- nicht in der Pflichtbindung stehen (sog. Extranei) und deshalb als Täter nicht in
dient sich der Gesetzgeber vor allem dort, wo es ihm nicht so sehr auf die äußere Betracht kommen.
Beschaffenheit des Täterverhaltens ankommt, weil der Grund der Sanktion darin Wenn also ein Vermögensverwalter die Anforderungen der von ihm übernom- 272
liegt, daß jemand gegen die Leistungsanforderungen einer von ihm übernomme- menen Rolle mißachtet und dem Vermögensinhaber Schaden zufügt, begeht er
nen sozialen Rolle verstößt. In solchen Fällen ist bei mehreren Beteiligten Zen- eine Untreue auch unter der Voraussetzung, daß er die vermögensschädigende
tralgestalt des Geschehens, wer die ihn treffende vortatbestandliche Pflicht verletzt Transaktion nicht höchstpersönlich vornimmt, sondern sich dazu eines Extraneus
und auf diese Weise durch Tun oder Unterlassen zum Erfolge beiträgt, wohin- bedient, den er etwa zur Beiseiteschaffung der Vermögenswerte aufgefordert hat.
gegen das Maß des äußeren Anteils am Erfolg oder die Tatherrschaft gleichgültig Er begeht die Tat „durch einen anderen" i. S. d. § 25 I und ist mittelbarer Täter ei-
ist. Ich spreche hier von Pflichtdelikten350. Um die Abgrenzung von Täterschaft ner Untreue, obwohl er unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaft nur Anstifter
und Teilnahme im Bereich dieser deliktischen Sonderform geht es im folgenden. wäre.354 Der Ausführende ist, weil er keine Vermögensbetreuungspflicht hat, nur
269 Die hier getroffene Unterscheidung ist in ihren grundsätzlichen Aspekten - also ohne Be- Gehilfe des Hintermannes, obwohl er die Handlungsherrschaft innehat und nach
schränkung auf die Täterlehre — von Jakobs aufgenommen und weitergeführt worden: „Als den Regeln der Tatherrschaft Täter sein müßte. In entsprechender Weise kann auch
Grund für die Haftung ... kommt in der modernen Gesellschaft ... nur zweierlei in Betracht: Mittäter nur sein, wer als Intraneus mit einem anderen in der Pflicht steht und sie
Erstens gestalten die Menschen die Welt und haften, wenn sie dort gestalten, wo andere gestal-
ten dürfen. Das führt zur Haftung für Organisationsanmaßung. Zweitens leben Menschen in mit ihm verletzt. Tut er dies, so ist er Mittäter, auch ohne daß er einen wesent-
geprägter Verbindung mit anderen, tragen also bestimmte Rollen. Sie enttäuschen, wenn sie lichen Tatbeitrag im Ausführungsstadium leisten müßte, auf den es bei den Herr-
aus der Rolle ausbrechen; das führt zur Haftung für die Verletzung einer Institution." Er weist schaftsdelikten ankommt. Mittäter einer Untreue ist ein Vermögensverwalter
ausdrücklich daraufhin, daß diese „Differenzierung sich mit derjenigen zwischen Herrschafts- schon dann, wenn er die Machenschaften seines Kollegen nur deckt, ohne selbst
und Pflichtdelikten" decke. mit Hand anzulegen. Andererseits kann jemand, der bei Ausführung der ver-
270 Die Rspr. hat die Lehre von den Pflichtdelikten noch nicht rezipiert, doch hat
mögensschädigenden Handlungen einen wesentlichen Beitrag leistet, doch nur
sie in der Literatur eine steigende Zahl von Befürwortern gefunden.352 Sänchez-
Gehilfe sein, wenn er als Extraneus keine Vermögensbetreuungspflicht hat.
Die täterschaftsbegründenden Pflichten sind nicht alle von der selben Art; sie 273
350 Über die Lehre von den Pflichtdelikten vgl. mein Buch über „Täterschaft und Tatherr- bezeichnen meist ein den Täter betreffendes Sonderunrecht (wie die Amtsträger-
schaft" H963 bis 51990, 354f., 384ff. und passim. Zum neueren Diskussionsstand aaO., 51990,
626 ff, 651 f., 72000, 392 ff., 695 ff. Die Darstellung in Rn. 265 f. schließt sich an meine grund- mer/Heine26, vor §§25ff, Rn.84; §25, Rn.78; Schünemann, GA 1986, 331 ff; Wagner, 1975,
sätzlichen Ausführungen in „Kriminalpolitik und Strafrechtssystem" ( 1973,16 f.) an. 70ff, 72; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 521.
353
35i Jakobs, 1992, 31. Sänchez-Vera, 1999. Eine wichtige Abhandlung zu den Pflichtdelikten liefert Pizarro
352 Blauth, 1968, 76ff; Blei, AI 48 , §71 II 1 b; Cramer, Bockelmann-FS, 1979, 395f.; Ebert, Beleza, Coimbra-Symposium, 1995, 267.
354
AT3, 43,191; Gropp, AT2, § 10, Rn. 39; Haft, AT8,195; Herzberg, 1977, 33; Jakobs, AT2, 21/116 ff.; Für unmittelbare Täterschaft in einem solchen Fall Sänchez-Vera, 1999,161 ff., 163.
Kindhäuser, StGB, vor § 25, Rn. 42f.; Kühl, AT3, § 20, Rn. 14; Murmann, 1993,181; Sch/Sch/Cra-
107
106
§ 25. Täterschaft - D. Pflichtdelikte III § 25
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Pflichtiger zur Durchführung der nachteilszufügenden Handlungen (§ 266) oder
eigenschaft bei den §§331 ff., die berufliche Schweigepflicht bei §203, die ein Arzt zur Offenbarung der ihm anvertrauten Geheimnisse (§203) sich eines
Vermögensbetreuungspflicht in § 266 oder das Anvertrautsein in § 246 I, 2. Alt.), Extraneus bedienen, der allein die Ausführung vornimmt und damit die Tatherr-
dienen manchmal aber auch nur der Einschränkung des Tatbestandes auf den vom schaft innehat, ist der Intraneus gleichwohl mittelbarer Täter, weil die erfolgsbe-
Gesetzgeber ins Auge gefaßten typischen Täter (wie die "Wartepflicht des Unfall- wirkende Verletzung der tatbestandsspezifischen Pflicht auch ohne Tatherrschaft
verursachers nach § 142 oder die Vermögensbereithaltungspflicht des Vollstrek- die Täterschaft begründet (Rn. 271).359 Diese „glatte" kriminalpolitisch vernünfti-
kungsschuldners nach §288). Doch ist diese Unterscheidung, die für die An- ge und im Ergebnis von Rspr. und h. M. immer schon praktizierte Annahme läßt
wendbarkeit des §28 sehr bedeutsam ist (vgl. §27, Rn. 23 ff.), für die schlichte sich aber mit der weithin für ausnahmslos gültig gehaltenen Tatherrschaftslehre
Qualifizierung als Pflichtdelikt gleichgültig. Die Abgrenzung von Täterschaft und nicht vereinbaren.
Teilnahme wird immer in der Weise vorgenommen, wie es in Rn. 271 f. am Bei- Soweit dies dennoch versucht wird, wird dem Hintermann im Anschluß an 276
spiel des § 266 erklärt worden ist. Überlegungen von Gallas360 eine „soziale"361 oder „normativ-psychologische"
274 Die großen Unterschiede, die bei der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Tatherrschaft zugesprochen, die Jescheck362 so begründet: 363 „Maßgebend muß
Teilnahme zwischen Herrschafts- und Pflichtdelikten auftreten, ändern nichts hier die Erwägung sein, daß die Tatherrschaft in diesen Fällen normativ aufzufas-
daran, daß ihre Täterbegriffe im obersten Bezugspunkt der „Zentralgestalt des tat- sen ist. Die Straftat kann von dem Tatmittler ohne die Mitwirkung des Hinter-
bestandsmäßigen Geschehens" zusammentreffen. Sie sind nur verschiedene Aus- mannes gar nicht begangen werden, ein strafrechtlich erhebliches Geschehen ent-
prägungen dieses Leitprinzips. Eine noch engere Zusammenführung versucht steht überhaupt erst dadurch, daß dieser die vom Gesetzgeber geforderte ...
Schunemann355, indem er die Pflichtdelikte als Fälle einer „Schutzherrschaft über Eigenschaft mitbringt. Der rechtlich beherrschende Einfluß des Hintermannes ist
das Rechtsgut" oder in neuerer Formulierung 356 als „Geschehensherrschaft i. S. somit für die Täterschaft entscheidend."
der Kontrolle über einen sozialen Bereich" und damit als eine weitere Erschei-
Diese Argumentation enthält einen Zirkelschluß. 364 Denn ob der Einsatz eines 277
nungsform der Herrschaftsdelikte deutet. So beruhe die Vermögensfürsorgepflicht
„qualifikationslosen dolosen Werkzeuges" durch den Hintermann „ein strafrecht-
bei der Untreue auf einer „Obhutsstellung und Näheposition zu einem fremden
lich erhebliches Geschehen" hervorbringt, ist gerade die (bestrittene) Frage (vgl.
Vermögen" und die Schweigepflicht in § 203 auf der „Einräumung einer Herr-
Rn. 279), deren von vornherein unterstellte Bejahung nur behauptet, aber nicht
schaft" über die fremde Geheimsphäre. Er will auf diese Weise „ein einheitliches
begründet wird. Auch weist der „rechtlich beherrschende Einfluß des Hinterman-
normatives Grundprinzip der Tatherrschaft" herausbilden. Dem steht Bottkes557
nes" nicht auf eine reale Beherrschung, sondern auf die tatbestandsspezifische
Leitprinzip der „Gestaltungsherrschaft" nahe, dem sich die Herrschafts- und
Pflichtenstellung hin, die dem Extraneus nicht zugänglich ist. Entsprechendes gilt
Pflichtdelikte im hier unterschiedenen Sinne gleichermaßen unterordnen lassen.
für die Begründung von Bockelmann365, der dem Hintermann die Tatherrschaft zu-
Solche Bemühungen, die noch weiterer Ausarbeitung bedürfen, sind fruchtbar;
spricht, wenn „den im Vordergrund Handelnden besonderer, seine eigene Verant-
sie sollten aber nicht die Unterschiede einebnen, die sich bei der Abgrenzung der
wortlichkeit für die Tat ausschließender oder modifizierender, Umstände wegen
Beteiligungsformen ergeben.358 Auch ist zu bedenken, daß die vom Täter über-
die Qualität eines Werkzeuges zugeschrieben werden kann und ... der Hinter-
nommene Schutz- oder Kontrollherrschaft bei der Verwirklichung von Pflicht-
delikten gerade nicht wahrgenommen wird, dem Handeln durch aktive Ausübung 35
« Dem haben sich angeschlossen: Blei, AT18, § 71 II 1 b; Cramer, Bockelmann-FS, 1979,
von Tatherrschaft also nicht unbedingt gleichgestellt werden kann. 395f.; Ebert, AT3,195f.; Gropp, AT2, § 10, Rn. 39; Herzberg, 1977, § 3 III 5 b; Jakobs, AT2, 21/104,
116ff.; Kindhäuser, StGB, vor §25, Rn.43; §25, Rn.lSff.; Sänchez-Vera, 1999, 163f.; Sch/Sch/
Cramer/Heine26, §25, Rn.44; Wessels/Beulke, AT31, Rn.521; ähnlich Wagner, 1975, 378ff. Zur
III. Das Problem des qualifikationslosen dolosen Werkzeugs Notwendigkeit einer Anwendung der hier vertretenen Pflichtdeliktskonzeption auch im
Bereich der Abfallbeseitigungsdelikte vgl. Hecker, 1991, 21 ff. m.w.N. Er weist zu Recht darauf
hin, daß bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Bereich des § 326 I Pflichtde-
275 Mit der Anerkennung der Pflichtdelikte läßt sich vor allem ein Problem losen, liktsgrundsätze heranzuziehen seien, soweit es um die Strafbarkeit des sonderpflichtegen
an dem die Tatherrschaftslehre gescheitert ist: der Fall der mittelbaren Täterschaft Abfallbesitzers geht.
3
mit Hilfe eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs (d.h. eines vorsätzlich, aber «° Gallas, MatStrRef. 1,135 f.
ohne Täterqualifikation die Tat Ausführenden). Wenn ein Vermögensfürsorge- 3« Welzel, StrafR11,104.
*a Jescheck/Weigend, AT5, § 62 II 7.
363
Ähnlich Bockelmann/Volk, AT4, § 22 II1; Lackner/Kühl24, § 25, Rn. 4.
355 Schunemann, GA1986, 331 ff. ** Ebenso Herzberg, 1977, § 3 III 5 a; Jakobs, KT2, 21/104; Otto, AT6,§21 IV 3 f; SKs-Samson,
556 LK11 -Schunemann, § 14, Rn. 17. § 25, Rn. 35 (ähnlich SK7-Hoyer, § 25, Rn. 54); Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 40. Für die Untaug-
357 lichkeit des Tatherrschaftsgedankens auch Freund, AT, § 10, Rn. 73 f. und Wagner, 1975, 380.
Bottke, 1992, passim; zusammenfassend Bottke, Coimbra-Symposium, 1995, 235. 363
358
Diese Einebnung wird bei Schunemann vermieden, während Bottke auch die Pflicht- Bockeltnann, AT3, § 22 II1; ebenso Bockelmann/Volk, AT4, § 22 II1.
delikte nach den Maßstäben der Herrschaftsdelikte behandeln will (dazu Rn. 279 f.).
109
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§ 25. Täterschaft - D. Pflichtdelikte IV §25
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
lichkeit, durch die Maschen des Gesetzes zu schlüpfen, würde diese Tatbestände
mann den Tatmittler in Kenntnis dieser Umstände ... benutzt". Denn die hier be-
leerlaufen lassen. Auch unter Absehung von ihren Folgen ist die Lösung dogma-
nannten „Umstände", die die Täterschaft des Ausführenden ausschließen und die
tisch nicht durchführbar, weil der Intraneus, der gegen den ohne sein Zutun den
des Hintermannes begründen, liegen eben in der besonderen Pflichtenstellung
Tatbestandserfolg verwirklichenden Extraneus nicht einschreitet, als Unterlas-
und nicht in der Tatherrschaft.
sungstäter verantwortlich ist (Rn. 278). Dann kann der Intraneus, der durch posi-
278 Einen anderen Weg geht ScfontdhäHser366, der eine Untetlassungstäterschaft des
tives Tun, wenngleich ohne Tatherrschaft, den Tatbestandserfolg verwirklicht,
Sonderpflichtigen Intraneus annimmt, wenn er gegen den ausführenden Extra-
nicht straflos sein.
neus nicht einschreitet. Er verdeutlicht das am Beispiel der Amtsdelikte, bei denen
Die Rspr. hat sich die Behandlung der Pflichtdelikte im allgemeinen und des 280
der Amtsträger eine Garantenstellung innehabe, „kraft derer er zum Einschreiten
qualifikationslosen dolosen Werkzeugs im besonderen 369 bisher nicht zum Pro-
verpflichtet ist, wenn ein anderer in seinem Amtsbereich störend tätig wird". Das
blem gemacht, weil die früher vorherrschende subjektive Theorie es ohne weiteres
ist an sich richtig (auch wenn die Täterschaft des Unterlassenden, der unter dem
gestattete, dem im Hintergrund agierenden Intraneus den „Täterwillen" zuzuspre-
Gesichtspunkt der Tatherrschaft nur Gehilfe sein könnte, nicht weiter begründet
chen. Sie kommt aber - in subjektiver Verhüllung - der hier vertretenen Lösung
wird). Aber die Täterschaft des Unterlassenden stützt sich auch nur auf seine
erstaunlich nahe, wenn es in BGHSt 9, 217 über einen Fall der Untreue nach § 81 a
besondere Pflichtenstellung, die ihn zum Garanten für die Vorgänge in seinem
GmbHG a. F. heißt, „daß der Täter zu einem bestimmten Personenkreise gehört,
Amtsbereich macht. Diese Garantenstellung verletzt der Sonderpflichtige erst
dem .. • das Gesellschaftsvermögen anvertraut ist. Diese Gestaltung des Tatbestan-
recht, wenn er einen Extraneus zur Tat auffordert und damit zum aktiven Handeln
des hat einmal zur Folge, daß Außenstehende nicht Täter im Sinne der Sondervor-
übergeht. Es ist daher nicht einleuchtend, daß die Pflichtverletzung des unterlas-
schrift sein können, sondern nur Anstifter und Gehilfen. Auf der anderen Seite
senden Sonderpflichtigen, nicht aber die des aktiv Handelnden seine Täterschaft
aber ergibt die Eigenart des Tatbestandes, daß die Mitglieder des Personenkreises
begründen soll. Denn wir werfen dem Hintermann, der sich eines Extraneus be-
selbst, sofern nur die sonstigen Merkmale des Tatbestandes vorliegen, regelmäßig
dient, die Bewirkung der Tat und nicht nur ihre unterlassene Verhinderung vor.367
als Täter haften. Denn sie verletzen, auch wenn sie nur zulassen oder fördern, daß
In Wahrheit läuft Schmidhäusers Lösung auf die Anerkennung der Pflichtdelikte
ein anderer durch sein Verhalten die Körperschaft unmittelbar benachteiligt, doch
(im Gewände der Unterlassung) hinaus.
eine gerade ihnen persönlich auferlegte Vermögensfürsorgepflicht; da darin der
279 Die vom Standpunkt der Tatherrschaftslehre aus konsequenteste Lösung ist die,
Kern ihres Verschuldens liegt, haben sie in solchen Fällen unter dem Gesichts-
bei Benutzung eines qualifikationslosen dolosen Werkzeugs sowohl den Vorder-
punkt der gesellschaftlichen Untreue jedenfalls in der Regel notwendigerweise
wie den Hintermann straflos zu lassen: den Vordermann, weil er die vom Gesetz
den Täterwillen." Wenn hier der „Täterwille" nicht aus subjektiven Elementen oder
verlangte Täterqualifikation nicht aufweist, und den Hintermann, weil er zwar die
aus der Tatherrschaft, sondern aus der „persönlich auferlegte(n) Vermögensfürsor-
Tätereigenschaft, nicht aber die Tatherrschaft hat. Diese Lösung wählen denn auch
gepflicht" abgeleitet wird, ist klar, daß in Wahrheit diese und nicht ein von ihr zu
mehrere Autoren. 368 Das Ergebnis ist aber untragbar und kann vom Gesetzgeber
unterscheidender „Täterwille" die Täterschaft begründet.
nicht gewollt sein. Denn es brauchte dann ein Sonderpflichtiget nur einen Extra-
neus vorzuspannen, um straflos seine Pflicht verletzen und den betreffenden Tat-
bestandserfolg verursachen zu können: Der Vermögensverwalter, der die ihm an- IV. Die gegen die Annahme von Pflichtdelikten vorgebrachten Einwände
vertrauten Gelder durch einen Extraneus beiseite schaffen (§ 266) und der Grund-
buchbeamte, der die von ihm geplante Falschbeurkundung im Amt (§ 348) durch Ein wesentlicher Einwand gegen die Pflichtdelikte liegt darin, daß bei den mei- 281
einen nichtbeamteten Fälschungsexperten durchführen läßt, und alle entsprechen- sten von ihnen der Tatbestand immerhin auch eine Handlung schildert (etwa eine
den Fälle bei anderen Sonderdelikten wären straflos. Eine derart bequeme Mög- Körperverletzung in § 340, eine Aussageerpressung in § 343 usw.), und daß im
3« Schmidhäuser, LB AT2,14/51; dm., StuB AT2,10/97; ihm folgend Kindhäuser, StGB, §25, Hinblick auf diese Handlung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach den R e -
geln der Tatherrschaftslehre differenziert werden könne und müsse.370 So räumt
Rn. 18. Stratenwerth3,n ein, es sei „jede Mitwirkung des Sonderpflichtigen am Delikt, auch
367
Entsprechende Einwände gegen diese Lösung auch bei Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 41; die Verleitung oder Unterstützung, Täterschaft, wenn der Tatbestand gar keine be-
Wagner, 1975, 380; auch schon Roxin, ZStW 85 (1973), 102.
3
<* Bloy, 1985, 241; Bottke, 1992, 112, 117 u. passim; Stratenwerth, AT4, §12, Rn.38ff.; wohl 369
Für mittelbare Täterschaft RGSt 28, 109 f. zu einem Fall des §348 II a.F. (ohne nähere
auch Otto, Jura 1987, 256; ähnlich, aber weniger rigoros Maurach/Gössel, AT/27, 48/57 f. Krey,
Begründung).
AT/2, Rn. 93, meint, die Annahme einer mittelbaren Täterschaft verstoße gegen das Analogie- 370
Zur Widerlegung aller dieser Auffassungen vgl. Sänchez-Vera, 1999,137 ff.
verbot. „Denn Begehung einer Tat bedeutet Erfüllung des Straftatbestandes in Tatherrschaft." 371
Stratenwerth, AT4, § 12, Rn.40; ihm folgend SKS-Samson, §25, Rn.35 (anders jetzt SK7-
Doch ist eine solche gesetzliche Bindung an die ausnahmslose Geltung des Tatherrschaftsprin- Hoyer, §25, Rn. 21 ff.); am gründlichsten ausgeführt wird der Einwand bei Bottke, 1992,109-
zips nirgends kodifiziert und würde, wie im Text dargelegt, gesetzgeberisch durchaus unver-
nünftig sein. 111
HO
§ 25 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - D. Pflichtdelikte IV § 25

stimmte Tathandlung umschreibt, sondern jede Verletzung der Sonderpflicht mit Hinzu k o m m t , daß der Gesetzgeber bei Pflichtdelikten vielfach selbst an- 284
Strafe bedroht, wie bei der Untreue"; damit wird immerhin die Existenz von deutet, daß jeder Tatbeitrag des Pflichtigen ohne Rücksicht auf seine äußere
Pflichtdelikten zugegeben. Jedoch setze der Tatbestand auch der Sonderdelikte Beschaffenheit den Tatbestand erfüllen soll. Für § 266 wird das sogar von den
„regelmäßig voraus, daß der qualifizierte Täter eine bestimmte Handlung vor- Vertretern der Gegenmeinung zum Teil anerkannt ( R n . 281). Aber auch ein „Sich-
n i m m t , und für die Frage, ob er das getan hat, können keine anderen Maßstäbe Entfernen vom Unfallort" i. S. d. § 142 wird man ohne weiteres annehmen k ö n -
gelten als sonst (beim .Herrschaftsdelikt'). Sich insoweit mit beliebigen Tatbeiträ- nen, wenn ein Wartepflichtiger sich von einem Nicht-Wartepflichtigen wegfahren
gen zu begnügen, verletzt den Grundsatz ,nullum crimen sine lege? läßt. Ebenso kann man sehr wohl sagen, daß ein Schuldner Bestandteile seines
282 Ähnlich heißt es bei Jescheck372, es sei richtig, „generell bei der Tatherrschafts- Vermögens durch einen anderen (§ 25 I) „beiseite schafft" i. S. d. § 288, wenn er
lehre zu bleiben . . . Stehen nämlich mehrere Beteiligte in der gleichen Pflicht, für den äußeren Akt des Wegschaffens einen Dritten engagiert.
k o m m t es wiederum allein auf die Tatherrschaft an." Bottke373 meint, daß „kraft Bei den Amtsdelikten kennzeichnen die Tatbestände vielfach sogar ausdrücklich 285
gemeinsprachlichen Vorverständnisses . . . stets ein M o m e n t belegter Herrschaft" die tatbestandserfüllende Qualität jeder Pflichtverletzung, die den Erfolg bewirkt
zu fordern sei und daß auch eine „vordergründige kriminalpolitisch erargumen- (oder sogar nur abzuwenden unterläßt). So bestraft § 340 als Täter jeden „Amts-
tierte Ergebnisplausibilität" der Pflichtdeliktslehre daran nichts ändern könne. träger, der während der Ausübung seines Dienstes . . . eine Körperverletzung b e -
„Die etwaig straflose Benützung eines dolosen Extraneus durch einen nicht u n - geht oder begehen läßt"; darunter fällt selbstverständlich der Sachverhalt, daß der
mittelbar täterschaftlich handelnden Intraneus ist in einem dem n u l l u m - c r i m e n - Amtsträger einen Privatmann zur Verprügelung eines Demonstranten auffordert.
Grundsatz verpflichteten Strafrecht kein hinreichender Grund, von der gesetzes- In entsprechender Weise ist der „Verfolgung Unschuldiger" (§ 344) schuldig, wer
treuen Entfaltung des Gedankens geschehensbewerkender Gestaltungsherrschaft als zuständiger Amtsträger einen Unschuldigen verfolgt oder auch nur - etwa
abzuweichen." Auch Pizarro Beleza374 hält dafür, „daß wir uns zur . . . Bestimmung durch Vorspannen eines Extraneus — „auf eine solche Verfolgung hinwirkt". §357
des Täterkreises bei Pflichtdelikten sowohl auf das Kriterium der außerstrafrecht- stellt die Verleitung eines Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat und sogar d e -
lichen Pflichtträgerschaft als auch auf das Kriterium der Tatherrschaft stützen ren Geschehenlassen der persönlichen Begehung gleich. Solche Bestimmungen
müssen." • lassen auf das allgemeine Prinzip der Pflichtdelikte schließen und legitimieren
283 Jedoch ist nicht ersichtlich, w a r u m es gegen den Bestimmtheitsgrundsatz ver- seine Anwendung auch dort, wo der Tatbestand nicht alle Tatbeiträge expressis
stoßen soll, die Tatbestandsverwirklichung so zu umschreiben, daß die Verletzung verbis gleichstellt (wie bei § 343). Es wäre ungereimt, das Begehenlassen einer
einer tatbestandsspezifischen Pflicht und die dadurch bewirkte Herbeiführung Körperverletzung durch einen Extraneus zwar als Körperverletzung im A m t
eines (oft auch noch an das Vorliegen einer bestimmten Handlung geknüpften) (§ 340), aber nicht — bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen — als Aussage-
Erfolges vorausgesetzt wird. Gewiß wird die Strafbarkeit der ihrer sozialen Rolle erpressung (§ 343) zu bestrafen.
nicht gerecht werdenden Pflichtenträger ausgeweitet, indem sie selbst bei gering- Bottke375 fuhrt ferner den § 28 gegen die Lehre von den Pflichtdelikten ins Feld. 286
fügigem äußeren Beitrag und sogar bei bloßem Unterlassen als Täter verantwort- Wenn nach § 28 eine Sonderpflicht sich nur auf die Strafzumessung auswirke,
lich sind. Aber dafür wird auch die Strafbarkeit derer, die außerhalb der Pflichten- stecke darin die „legislatorische Aussage" daß sie „nicht täterschaftsbegründende
b i n d u n g stehen, wesentlich eingeschränkt, indem sie ohne Rücksicht auf ihren Relevanz hat". Aber das ist keine plausible Annahme. D e n n § 28 setzt, wie sein
äußeren Beitrag immer nur Teilnehmer sein können. Eine solche Differenzierung Wortlaut zeigt, die Feststellung, daß jemand Täter oder Teilnehmer sei, schon vor-
ist eher noch bestimmter als die nach der Tatherrschaft. Sie weitet auch die Straf- aus. Läßt also jemand im A m t eine Körperverletzung durch einen Extraneus b e -
barkeit insgesamt nicht aus, sondern verteilt nur die Rollen von Täter, Anstifter gehen, ist er Täter des § 340, ohne daß es des § 28 bedürfte; nur beim ausführen-
und Gehilfe anders, weil die zugrunde liegende soziale Realität eine andere ist. den Extraneus ist § 28 II heranzuziehen, nach dem seine Gehilfenrolle unabhängig
Die Schilderung bestimmter Handlungen wird unabhängig von der Abgrenzung davon festgelegt worden ist.
der Beteiligungsformen auch bei den Pflichtdelikten oft deshalb vorgenommen, Gegen Bottke speziell ist weiterhin noch anzuführen, daß es, wenn nach dem von ihm über- 287
u m den Gegenstand der Pflichtverletzung in gesetzesbestimmter Form zu u m - all angewendeten Kriterium der „Gestaltungsherrschaft" (Rn. 274) sogar der Unterlassende
Täter sein kann, widersprüchlich ist, wenn bei Begehungs-Pflichtdelikten die Täterschaft an
reißen. das bei Herrschaftsdelikten geltende Kriterium der Tatherrschaft gebunden werden soll. Denn
Gestaltungsherrschaft im Sinne eines alle Erscheinungsformen der Täterschaft zusammen-
führenden Kriteriums hat gerade auch der, der als Träger einer Sonderpflicht durch aktives
118 (ohne das Zugeständnis bei § 266). Auch Renzikowski, 1997, 27-29 verharrt bei der Forde- Handeln den Tatbestandserfolg verursacht.
rung nach Tatherrschaft.
372 Jescheck/Weigend, A T 5 , § 6 2 1 1 , F n . 1.
373
Bottke, 1992,112,115. 375
Bottfci, 1992,118 f.
374
Pizarro Beleza, Coimbra-Symposium, 1995, 279.
113
112
§ 25. Täterschaft - E. Eigenhändige Delikte II § 25
§ 25 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Die Wortlauttheorie ist nicht überzeugend. Zwar ist ihr Ausgangspunkt, wo- 290
nach die Täterschaft als Tatbestandserfüllung zu deuten ist, richtig. Aber sie beruht
E. Eigenhändige Delikte auf dem zu engen Tatbestandsbegriff der formal-objektiven Theorie (vgl. Rn. 29),
288 Eigenhändige Delikte sind solche, die nur in unmittelbarer Täterschaft began- die spätestens seit der gesetzlichen Anerkennung der mittelbaren Täterschaft nicht
gen werden können, eine mittelbare Täterschaft und eine Mittäterschaft also nicht mehr haltbar ist. Denn seither erfüllt den Tatbestand im materiellen Sinn
zulassen. Es ist heute weitgehend anerkannt, daß es solche Delikte gibt.376 Welche (Rn. 29 ff.) auch der, der die Tat durch einen von ihm beherrschten Mittler begeht,
Tatbestände nach welchen Gesichtspunkten den eigenhändigen Delikten zuzuord- ohne daß es darauf ankommen kann, ob diese mittelbare Begehung sich dem
nen und in welche Untergruppen diese etwa einzuteilen sind, ist aber äußerst Wortlaut der unmittelbaren Ausführungshandlung subsumieren läßt. Ob man
umstritten. 377 In vielen Darstellungen werden die Delikte, die als eigenhändig an- z.B. sagen kann, daß derjenige, der einen anderen durch die Mittel des §35 zu
gesehen werden, nur aufgezählt; man hält sie offenbar für dogmatische Zufalls- einem Diebstahl zwingt, eine fremde Sache „weggenommen" habe, ist sehr zwei-
produkte, 378 die sich auf keine übergreifenden Gesichtspunkte zurückfuhren las- felhaft und nicht entscheidend. Denn der Wortlaut der Tatbestände ist auf den
sen. Doch gibt es auch allgemeine Lösungsansätze, die eine zusammenfassende unmittelbaren Täter zugeschnitten, während § 25 die Bindung der Täterschaft an
die eigenhändige Ausführung ausdrücklich verläßt.
Behandlung rechtfertigen.

I. Die Wortlauttheorie II. Die Körperbewegungstheorie

289 Eine von alters her viel vertretene Lehre stellt darauf ab, ob der Wortlaut der Eine zweite, von Beling begründete, 384 von Engelsing385 ausgebaute und auch 291
einzelnen Tatbestände es gestattet, ihnen auch nicht eigenhändige Verhaltens- heute immer wieder verwendete Lehre hält diejenigen Delikte für eigenhändig,
weisen zu subsumieren. Wo das nicht der Fall ist, wird das Delikt als eigenhändig deren Tatbestand sich in einer Handlung erschöpft, ohne einen davon abtrenn-
beurteilt.379 In diesem Sinne hatte schon Bittding390 auf der Grundlage der alten baren Erfolg zu enthalten. Bei derartigen schlichten Tärigkeitsdelikten (vgl. Roxin,
Fassung des § 177 („wer ... eine Frauensperson zur Duldung des außerehelichen AT l 3 , § 10, Rn. 103) kann von diesem Standpunkt aus also Täter nur sein, wer die
Beischlafs nöthigt") die Vergewaltigung als eigenhändiges Delikt angesehen: „Ich im Tatbestand gekennzeichnete Tätigkeit selbst ausführt. Danach wären eigenhän-
möchte doch wissen, ob jemand, der zur Notzucht angestiftet hat, sich je rühmen dige Delikte etwa der Hausfriedensbruch (§ 123), die Amtsanmaßung (§ 132), der
würde, er hätte die Geschändete genossen?"381 Auch der BGH 382 geht davon aus, Meineid (§ 154), bestimmte Sexualdelikte (§§ 173, 174, 176), aber auch die Trun-
„daß die Eigenhändigkeit der Straftaten wesentlich von der Fassung der Tatbestän- kenheit im Verkehr (§ 316). Bisweilen ist diese Lehre in der Praxis direkt auf-
de durch den Gesetzgeber abhängt" und ist durch diese Bindung an den Wortlaut genommen worden. So nimmt OGHSt 1, 303-305 (304) ein eigenhändiges Delikt
vor allem bei den Sexualdelikten (vor ihrer Reform von 1973) zu subtilen Unter- an, sofern „die Verwirklichung des Tatbestandes keinen bestimmten Erfolg ver-
scheidungen selbst bei den Varianten ein und desselben Tatbestandes gekom- langt, sondern sich auf bloßes körperliches Tun beschränkt". Vor allem werden die
genannten und andere schlichte Tätigkeitsdelikte auch heute noch als Beispiele
men.~ eigenhändiger Delikte angeführt.
Die Körperbewegungstheorie überschneidet sich mit der Wortlauttheorie. Denn 292
376
Gegen diese Möglichkeit vom Standpunkt des extensiven Täterbegriffs aus Frühauf, gerade wenn der Tatbestand sich in der Beschreibung einer bestimmten Tätigkeit er-
1959; Roeder, ZStW 69 (1957), 250; Eb. Schmidt, Frank-FG, Bd. 2,1969,106,119,128f. schöpft, kann man von einem Außenstehenden, auch wenn er die Tat beherrscht
377
Vgl. aus neuerer Zeit Roxin, Taterschaft, 72000, 399-433, 707ff.; Auerbach, 1978; Haft,
JA 1979, 651; Herzberg, ZStW 82 (1970), 896-947; Schall, JuS 1979,1076; Schubarth, SchwZStr 114
oder mitbeherrscht, nicht sagen, daß er die betreffende Tätigkeit (Körperbewegung)
(1996), 325; ders., ZStW 110 (1998), 827; Stratenwerth, SchwZStr 115 (1997), 86; Wohlers, ausgeübt habe. Doch kann es hier wie sonst darauf seit Anerkennung der mittel-
SchwZStr 116 (1998), 95. baren Täterschaft nicht entscheidend ankommen (vgl. Rn. 290). Aber auch »ab-
378
In diesem Sinne Schall, JuS 1979, 108; vgl. auch Jakobs, AT2, 21/19: „die Berechtigung, gesehen davon verdient die Körperbewegungstheorie keinen Beifall. Ihr liegt neben
eine besondere Deliktsgruppe zu bilden, ist zweifelhaft". dem Wbrtlautargument die Erwägung zugrunde, daß, wo es dem Gesetzgeber
379
Den Terminus „Wortlauttheorie" hat erst Frühauf, 1959,116 geprägt. unabhängig vom Erfolg auf die Vermeidung bestimmter Tätigkeiten ankomme, nur
380
Binding, 1915, 268 f., Fn. 17. Auch der Begriff der „eigenhändigen Delikte" geht auf Bin-
ding zurück (GerS 76, 87ff., 91). 384
381
Heute schließt gerade der Wortlaut des §177 eine solche Interpretation aus: „Wer eine Vgl. zuerst seine „Lehre vom Verbrechen" S. 203 f., 225 f., 324 f.
385
Frau ... zum außerehehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt". Engelsing, 1926; es heißt bei ihm (S. 50), eigenhändige Delikte seien „diejenigen, deren
38 Tatbestandshandlung aus einer Körperbewegung besteht".
2 BGHSt 6, 226-229 (227); ferner BGHSt 15, 132-134 (133); ebenso OLG Celle NJW
1961,1079 f. 115
383 7
114 Vgl. Roxi«, Täterschaft, 2000,403.
§ 25 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 25. Täterschaft - E. Eigenhändige Delikte III § 25
die Ausübung dieser Handlungen und nicht noch so beherrschende Einflüsse an-
Limonade schüttet und den ohne sein Wissen Fahruntüchtigen anschließend zu
derer Art den Täter bezeichnen können. Das ist ein richtiger Gedanke, aber er paßt einer Autofahrt veranlaßt? Für die von außen gesteuerte Gefährdung ist die
auf die meisten schlichten Tätigkeitsdelikte deshalb nicht, weil auch sie der Ver- Eigenhändigkeit gleichgültig, und deshalb besteht auch hier kein Anlaß, von der
hinderung von Erfolgen dienen 386 und deshalb bei ihnen kein Grund besteht, eine Tatherrschaftslehre abzugehen. Die dominierende Gegenansicht beruht auf der
mittelbare Täterschaft oder Mittäterschaft auszuschließen. Das sei an einigen Bei- Nachwirkung von Wortlaut- und Körperbewegungstheorie, wenn sie annimmt,
spielen verdeutlicht. daß nur der „ein Fahrzeug führt" der dies eigenhändig tut. Nach § 25 I reicht es
293 Der Tatbestand des § 123 pönalisiert nicht einen bestimmten Handlungsunwert, aus, wenn jemand das Fahrzeug mittelbar („durch einen anderen") führt, und das
sondern dem Gesetzgeber geht es allein darum, eine Hausrechtsverletzung, also ist in den geschilderten Beispielen der Fall. Eine abweichende Interpretation
einen mißbilligten Erfolg, zu verhindern. 387 Darum ist nicht einzusehen, warum würde entgegen dem Gesetz bei den wenigsten Tatbeständen eine mittelbare
nicht mittelbarer Täter sollte sein können, wer nichtverantwortlich handelnde Täterschaft zulassen können.
Kinder oder Geisteskranke veranlaßt, in die Wohnung des Nachbarn einzudrin-
Allerdings ist eine Tatherrschaft ohne Eigenhändigkeit bei den schlichten Tätig- 296
gen, um ihn durch Hausrechtsverletzungen zu terrorisieren. Er vollzieht das Ein-
keitsdelikten selten. Die Annahme, hier eigenhändige Delikte vor sich zu haben,
dringen „durch andere", und das genügt. Ebenso ist zwanglos eine Mittäterschaft beruht also auch auf einer vorschnellen Absolutsetzung der typischen Täter-
möglich, wenn jemand, ohne selbst einzudringen, dabei einen wesentlichen Tat- schaftsform. Zudem hat die Rspr. mit der Annahme der Eigenhändigkeit nie Fälle
beitrag leistet (etwa durch Halten der Leiter). der Tatherrschaft aus dem Bereich der Täterschaft ausgeschlossen, sie hat lediglich
294 Der Tatbestand der Amtsanmaßung (§ 132), ohne Frage ein schlichtes Tätig- der täterschaftsbegründenden Kraft des animus auctoris durch die Konstruktion
keitsdelikt, ist von der Rspr. immer als eigenhändige Straftat angesehen wor- der Eigenhändigkeit einen Riegel vorgeschoben und auf diese Weise zutreffende
den. 388 Aber zu Unrecht: 389 Denn wenn der Tatbestand, wie allgemein angenom- Ergebnisse erzielt. Doch hätte es der zu weitgehenden Restriktion der Täterschaft
men wird, die staatliche Autorität und das Ansehen des Staatsapparates schützen auf die Eigenhändigkeit nicht bedurft, wenn von vornherein auf die Tatherr-
soll, gefährdet durch seine Person die Rechtsgüter, die der Tatbestand sichern soll, schaftslehre zurückgegriffen worden wäre. Mit alledem wird nicht geleugnet, daß
auch der, der mit Tatherrschaft andere die Tatbestandshandlung ausführen läßt. manche schlichten Tätigkeitsdelikte zutreffend als eigenhändig beurteilt werden
Mittelbarer Täter der ersten Alternative („wer ... sich mit der Ausübung eines (Rn. 288 ff.). Aber der Grund liegt dann in anderen Umständen als im tätigkeits-
öffentlichen Amtes befaßt") ist also z.B., wer seine Forderungen durch auslän- deliktischen Charakter dieser Bestimmungen.
dische Arbeitskräfte eintreiben läßt, denen er unter der Vorspiegelung, es handele
sich um ihre Dienstkleidung, eine Gerichtsvollzieheruniform angezogen hat. 390
Nach der zweiten Alternative („wer ... eine Handlung vornimmt, welche nur III. Die eigene Meinung
kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf) ist z. B. mittelbarer
Täter, wer einen Ahnungslosen veranlaßt, Verkehrszeichen aufzustellen.391 Man wird bei den eigenhändigen Delikten drei Fallgruppen unterscheiden
müssen.
295 Das schlichte Tätigkeitsdelikt des § 316 (Trunkenheit im Verkehr) wird noch
heute ganz allgemein als eigenhändig beurteilt. Aber nicht einmal das leuchtet
1. Verhaltensgebundene Delikte
ein. Denn § 316 ist wie § 132 ein abstraktes Gefährdungsdelikt, soll also Leib,
Leben und Eigentum vor Gefährdungen durch Trunkenheitsfahrten bewahren. Ein eigenhändiges Delikt ist zunächst dort anzunehmen, wo das Unrecht in 297
Warum sollte nicht als mittelbarer Täter nach § 316 verantwortlich sein, wer der Verwerflichkeit eines bestimmten Verhaltens liegt, ohne daß ein sozial-
einen fahruntüchtigen Fahrer durch die Mittel des § 35 zwingt, ihn von einem schädlicher Erfolg (wenn man so will: eine Rechtsgutsverletzung)393 aufweisbar
Tatort wegzubringen oder an ein bestimmtes Ziel zu chauffieren? Warum soll wäre. Solche Delikte waren früher bei den Sexualstraftaten zahlreich (Kuppelei,
nicht mittelbarer Täter sein, wer jemandem ein berauschendes Mittel in die Homosexualität, Unzucht mit Tieren). Diese Bestimmungen und mit ihnen die an
sie gebundene Eigenhändigkeit sind im Aussterben, seit sich die Erkenntnis
386 So auchjoerden, 1988, 84. durchgesetzt hat, daß das Strafrecht nicht die Moral, sondern die Existenzbedin-
387 A.A. Herzberg, Z S t W 82 (1970), 928; dagegen Roxin, Täterschaft, 7 2 0 0 0 , 664; LK 1 0 -Schä- gungen der Gesellschaft und des einzelnen in ihr schützen soll, so daß - zudem als
fer, §123, Rn.81.
388 RGSt 55, 266; 59, 81; OGHSt 1, 305. solche vielfach umstreitbare — Moralwidrigkeiten ohne greifbaren Sozialschaden
389 Vgl. Roxin, Täterschaft, 7 2 0 0 0 , 408f.; SK 6 -Rudolphi, § 1 3 2 , R n . 4 ; Sch/Sch/Cramer26,
§ 132, Rn. 12. 392
390 Abwandelung von RGSt 37, 55. Dieser Konzeption folgen SK5-Samson, §25, Rn. 26 f. (anders aber SK -Hoyer, §25,
Rn. 17 ff., 20) und mit3 weiterführenden ErwägungenJakobs, AT , 21/19 ff.
391 LK"-u Bubnojf, § 132, Rn. 39. 3« Vgl. Roxin, AT l , § 2, Rn. 3.
116
117
§ 25. Täterschaft - E. Eigenhändige Delikte III § 25
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Das Beispiel ist gewiß weit hergeholt, aber gerade deshalb lehrreich. Denn es zeigt, wie ge- 300
straflos bleiben müssen.394 Der Gesetzgeber hat dem Rechnung getragen, indem wandelte Vorstellungen über den Schutzgegenstand des Strafrechts einer einstmals bedeutsa-
er den 13. Abschnitt des Besonderen Teils seit 1973395 nicht mehr mit „Verbrechen men Kategorie der Täterlehre den Boden entziehen können. Auch § 173 mit seinen mühsam
oder Vergehen wider die Sittlichkeit", sondern mit „Straftaten gegen die sexuelle im Sinne der Eigenhändigkeit zu konstruierenden Anwendungsfällen ist in einem modernen
Strafrecht ein Anachronismus, der sich auf die Dauer nicht wird behaupten können.
Selbstbestimmung" umschreibt. Damit ist bei den Sexualstraftaten, die früher eine
Domäne der eigenhändigen Delikte waren, heute für die Eigenhändigkeit grund-
2. Täterstrafrechtliche Delikte
sätzlich kein Raum mehr. Denn die sexuelle Selbstbestimmung kann durch mit-
telbare Täter und Mittäter genauso beeinträchtigt werden wie durch unmittelbare Eigenhändig sind auch Delikte, die nicht eine konkrete, ggf. der Beherrschung 301
Vornahme des körperlichen Aktes. Insbesondere in den praktisch wichtigsten Fäl- oder Mitbeherrschung durch Nichtausführende zugängliche Tat umschreiben,
len der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung (§ 177) ist heute schon durch sondern die eine bestimmte Lebensführung zum Gegenstand der Strafbarkeit ma-
die Tatbestandsfassung klargestellt, daß jede Form der Tatherrschaft (auch z. B. die chen. Solche Delikte kamen früher öfters vor, indem das Umherziehen als Land-
einer Frau) Täterschaft begründen kann. streicher (§ 361 Nr. 3 a. F.) oder das unterhaltsgefährdende Spielen, Trinken oder
298 Als einziges Beispiel eines verhakensgebundenen Deliktes läßt sich heute noch Müßiggehen (§ 361 Nr. 5 a. F.) bestraft wurde. Es ist klar, daß auch solche täter-
der Inzest (§ 173) anfuhren. Man wird annehmen dürfen, daß hier nicht die strafrechtlichen Delikte in einem Tatstrafrecht, wie es dem StGB zugrunde liegt,
Furcht vor schädlichen Folgen zur Pönalisierung geführt hat, sondern daß uralte Fremdkörper sind.397 So kommt es, daß heute im wesentlichen nur noch der Tat-
Tabuvorstellungen die Bestrafung eines vom Gesetzgeber schon an sich als äußerst bestand der Zuhälterei (§ 181 a) als täterstrafrechtliches Delikt gelten kann. 398
verwerflich beurteilten Verhaltens bewirkt haben. Die Annahme, die Familie Es leuchtet ein, daß man den Tatbestand der Zuhälterei nicht erfüllen kann, in- 302
schützen, psychische Beeinträchtigungen von den Beteiligten oder genetische dem man einzelne Handlungen des Zuhälters durch Zwang oder Täuschung be-
Schäden von etwaigen Nachkommen abwenden zu müssen, ist wohl nur eine herrscht oder bei zuhälterischen Aktivitäten mitwirkt. Denn dadurch wird man
Rationalisierung des "Wunsches, ein in der Überlieferung immer als schändlich noch kein Zuhälter, und dies muß man sein, um den Tatbestand erfüllen zu kön-
empfundenes Tun bei Strafe zu verbieten. Denn die supponierten Gefahren be- nen. § 181a nimmt eine Zuhälterei überhaupt nur bei Beziehungen an, „die über
stehen meist nicht, oder wenigstens ist ihre Vermeidung wegen der Eigenverant- den Einzelfall hinausgehen". Liegen sie aber vor, so ist eine „eigenhändige" Tat-
wortlichkeit der Partner und der weit schädlicheren Auswirkungen einer Bestra- bestandserfüllung gegeben; auf sie ist die Täterschaft der Natur der Sache nach be-
fung kein legitimer Gegenstand des Kriminalrechts. schränkt. Freilich erscheinen auch eigenhändige Delikte solcher Art im heutigen
299 Nimmt man demnach an, daß die moralische Verwerflichkeit den eigentlichen Strafrecht als dahinschwindende Relikte.
Strafgrund dieser Vorschrift abgibt, so haben wir mit dem „Verwandtenbeischlaf"
ein eigenhändiges Delikt vor uns. Denn die spezifische Unmoral eines solchen 3. Höchstpersönliche Pflichtdelikte
Verhaltens läßt sich durch einen Außenstehenden auch dann nicht verwirklichen, Die einzige heute noch bedeutsame Gruppe eigenhändiger Straftaten sind die 303
wenn er die Tatherrschaft innehat. In dem alten Kathederbeispiel von Liszt396 hatte höchstpersönlichen Pflichtdelikte.399 Dazu gehören vor allem die Aussagedelikte
eine Hamburger Bordellwirtin Bruder und Schwester in Kenntnis ihrer Ver- (§§ 153, 154,156), die von alters her am wenigsten umstrittenen Fälle eigenhändi-
wandtschaft zusammengebracht. Diese aber, die in früher Jugend getrennt worden ger Straftaten. Täter kann hier nur sein, wer selbst unter dem Zwang der Aussage-
waren, wußten von ihrer Familienbeziehung nichts. Hier wäre die Wirtin nach bzw. Eidespflicht steht; die täterschaftsbegründende Pflichtverletzung wiederum
der Tatherrschaftslehre mittelbare Täterin des § 173. Die Geschwister wären ihre kann nur durch eine persönliche Falschaussage oder den eigenhändigen Schwur
vorsatzlosen Werkzeuge. Eine solche Lösung ist aber nicht möglich, wenn die begangen werden. Nötigt also A den B unter den Voraussetzungen des § 35 zu ei-
blutschänderische Unmoral den Strafgrund des § 173 bildet. Denn eine solche Un- nem Meineid, so hat er zwar die Tatherrschaft. Aber er kann, weil er nicht selbst
moral liegt angesichts der Ahnungslosigkeit der Partner nicht vor. Zwar kann man die Eidespflicht verletzt hat, nicht als mittelbarer Täter des § 154, sondern nur als
auch das täuschende Verhalten der Wirtin unmoralisch finden. Aber diese Un- Anstifter bestraft werden (da die Anstiftung nach § 26 eine verantwortliche Täter-
moral ist eine andere als die des vorsätzlich-verantwortlichen Inzestes, den der Ge- tat nicht voraussetzt). Auch wer den Aussagenden durch eine Täuschung zu einem
setzgeber unter Strafe gestellt hat. Die Wirtin kann daher nicht nach § 173 bestraft fahrlässigen Falscheid (§ 163) veranlaßt, kann, da ihn keine Eidespflicht trifft,
werden. nicht mittelbarer Täter eines Meineides sein. Daß auch der Gesetzgeber dieser An-

397
Ausführlich zur Problematik Roxin, AT l3, § 6.
»i Vgl. Roxin, AT l3, § 2, Rn. 12. 398 Vgl. aber auch insoweit Roxin, AT 1 , § 6, Rn. 15.
3« Vgl. Roxin, AT l3, § 4, Rn. 26. 399
Diese Kategorie wird zuerst entwickelt bei Roxin, Täterschaft, 2000, 392 ff.
3W v. Liszt, Strafrechtsfälle, 141929, Fall 130, 2.
119
118
§ 25 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 25. Täterschaft - E. Eigenhändige Delikte IV § 25
sieht ist, zeigt sich daran, daß er in § 160 eine besondere Strafvorschrift gegen die Man kann die höchstpersönlichen Pflichtdelikte „unechte eigenhändige D e - 306
Verleitung zur Falschaussage geschaffen hat. likte" 403 nennen, weil sie sich als eine Untergruppe der Pflichtdelikte auffassen
304 Zu den höchstpersönlichen Pflichtdelikten zählt auch § 336. 4 0 0 D e n n nur wer und durch das für diese geltende Kriterium erklären lassen. Diese E i n o r d n u n g bei
selbst in einer Sache zur Entscheidung berufen ist, kann jenen Verrat an seiner den Pflichtdelikten würde einen Abschied von den eigenhändigen Delikten er-
Amtspflicht begehen, der sich als Rechtsbeugung darstellt. Wer also einen R i c h - möglichen, deren übrige Fälle (verhaltensgebundene u n d täterstrafrechtliche D e -
ter durch eine anders nicht abwendbare Todesdrohung zu einem falschen Urteil likte) nur noch als Überbleibsel älterer Strafrechtskonzeptionen in das geltende
zwingt, kann doch nicht mittelbarer Täter des § 336, sondern nur Anstifter sein. Recht hineinreichen. Wegen dieser grundsätzlichen Aspekte des Themas verdienen
Auch durch noch so wichtige Beiträge (etwa das Abfassen des falschen Urteils) aber die eigenhändigen Delikte immer noch Beachtung. Da außerdem bei den
kann ein Außenstehender nicht Mittäter werden; er bleibt immer Gehilfe. Ein an- unechten eigenhändigen Delikten ihre Unechtheit (nämlich ihr Charakter als
derer, klassischer Fall eines höchstpersönlichen Pflichtdelikts ist die Fahnenflucht Pflichtdelikt) teilweise umstritten ist, empfiehlt sich auch aus diesem Grunde die
(§ 16 WStG). Auch hier kann Täter nur sein, wer selbst zum Wehrdienst verpflich- Aufrechterhaltung der Kategorie.
tet ist und sich dieser Verpflichtung durch Entfernung von der Truppe bzw. Die neueren Untersuchungen von Herzberg*04 und Haft405 verstehen sich als Weiterem- 307
Dienststelle oder durch Fernbleiben entzieht. Ein Außenstehender, der einen Sol- wicklung und zum Teil als Revision der hier entwickelten Konzeption. Die Ergebnisse Herz-
daten durch eine dessen Vorsatz ausschließende Täuschung dazu bringt, seine bergs sind den hier vertretenen ähnlich (auf einige Abweichungen ist schon im Text hingewie-
sen worden), doch kommt er zu einer anderen Einteilung der eigenhändigen Delikte: Er
Truppe zu verlassen, kann ebensowenig mittelbarer Täter sein wie derjenige, der unterscheidet „täterbezogene Delikte, bei denen ein auf den eigenen Körper bezogenes
einen Soldaten gewaltsam hindert, zu seiner Truppe zurückzukehren. Verhalten des Täters im Vordergrund steht und zu denen auch die verhaltensgebundenen und
305 Die genannten Tatbestände haben lediglich exemplarische Bedeutung. N u r eine täterstrafrechtlichen Delikte gehören; sodann „Tatbestände, bei denen die mögliche Voll-
endung durch Dritte die Rechtsverletzung nicht verkörpern kann" 407 und zu denen z. B. die
Interpretation jedes in Frage stehenden Tatbestandes kann lehren, wie weit der Rechtsbeugung gezählt wird; und schließlich die „verfahrensrechtsabhängige Eigenhändig-
Kreis der höchstpersönlichen Pflichtdelikte zu ziehen ist. Das gehört zur Arbeit keit" (§§ 153, 154, 156).408 Haft weist vor allem — und zu Recht! — daraufhin, daß manche
am Besonderen Teil, die hier nicht geleistet werden kann. Es sei nur darauf h i n g e - Fälle der Eigenhändigkeit, zu denen er auch § 323 a zählt (vgl. Rn. 305), ihre Existenz dem ge-
setzgeberischen Bedürfnis nach rechtsstaatlicher Konturierung der Tatbestände auf den typi-
wiesen, daß es im Einzelfall schwierig sein kann zu entscheiden, ob ein höchstper- schen Täter verdanken. Wo das im einzelnen der Fall ist und inwieweit dieser Umstand eine
sönliches Pflichtdelikt anzunehmen ist. Ich halte z. B. den § 323 a (Vollrausch) für Zuordnung dieser Tatbestände zu den höchstpersönlichen Pflichtdelikten ausschließt oder ge-
rade nahelegt, oder wie die Eigenhändigkeit, sofern sie überhaupt besteht, sonst befriedi-
ein solches, indem ich davon ausgehe, 401 daß jedem nur die Pflicht zur Kontrolle
gend erklärt werden könnte, bedarf noch weiterer Erörterung.
über sich selbst auferlegt ist, daß die „Pflicht, die Zurechenbarkeit nicht zu ver-
nichten", allein den Trinkenden selbst trifft. Das wird mit ernst zu nehmenden
Gründen von Herzberg bestritten, 4 0 2 der aber gleichwohl ein eigenhändiges Delikt IV. Zur jüngsten Diskussion über die Eigenhändigkeit
a n n i m m t und sich dabei auf die Tatbestandsfassung stützt, die eine mittelbare
Täterschaft nicht zulasse. Tatsächlich steht hier einmal die Tatbestandsfassung einer In den letzten Jahren ist die Diskussion über die Existenzberechtigung eigen- 308
mittelbaren Tatbegehung entgegen. D e n n wer einen anderen zwingt, sich zu b e - händiger Delikte wieder aufgeflammt, bewegt sich aber weitgehend in dem vor-
rauschen oder ihn ohne sein Wissen betrunken macht, kann nicht auf diese Weise stehend geschaffenen Bezugsrahmen. So leugnet Schubarth410 die Existenz eigen-
„durch einen anderen" ( § 2 5 I, 2. Alt.), wie es § 3 2 3 a verlangt, „sich . . . in einen händiger Delikte mit der Begründung, daß das Strafrecht allein der Verhinderung
Rausch" versetzen. Das hindert aber nicht die hier gegebene Deutung. D e n n g e - von Rechtsgüterverletzungen diene, die stets auch in mittelbarer Täterschaft oder
in Mittäterschaft verwirklicht werden könnten. Das ist kriminalpolitisch zutref-
rade die Wortfassung, die der Gesetzgeber gewählt hat, läßt den Schluß zu, daß er
die ohnehin bedenklich weitgehende strafbewehrte Pflicht, keinen Rausch herbei-
zuführen, auf den Fall der Selbstberauschung beschränken wollte, zumal da in w Roxi«, Täterschaft, 72000, 392.
"0" Herzberg, ZStW 82 (1970), 896 ff.
ahndungsbedürftigen Fällen für den Außenstehenden ohnehin wegen der im "05 Haft, JA 1979, 651 ff.
Rausch begangenen Tat eine Verantwortlichkeit wegen mittelbarer Täterschaft "06 Herzberg, ZStW 82 (1970), 921 ff., der allerdings den Begriff der Verhaltensgebundenheit
oder fahrlässiger Tatbegehung in Betracht k o m m t . anders als ich verwendet. Dies ist auch das wesentliche Kriterium der Dissertation von Auer-
bach, 1978: „wenn die Tat nur dadurch begangen werden kann, daß der Täter seinen eigenen
Körper als Mittel der Tat benutzt" (S. 143). Zu Auerbach vgl. die Rezension von Maiwald, ZStW
400
Näher Roxi«, Täterschaft, 72000, 428 ff. 93 (1981), 871 ff.
4
°> Roxi«, Täterschaft, 72000, 430 ff., 709ff.; Jakobs, AT, 4983, 21/23 (hier das Zitat; abw. "07 Herzberg, ZStW 82 (1970), 939-943.
die 2. Aufl.). "os Herzberg, ZStW 82 (1970), 943-946.
•»02 Herzberg, ZStW 82 (1970), 909f.; ders., GA 1991, 182f. Ebenso jetzt Jakobs, AT2, 21/23: 409
Was hier z. B. für § 316 (vgl. Rn. 295) und entsprechend für § 315 c bestritten wird.
„Wegen der Formulierung des Gesetzes scheidet mittelbare Täterschaft aus." 410
Schubarth, SchwZStr 114 (1996), 325; ders., ZStW 110 (1998), 827.
120
121
§ 25 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme

fend und entspricht der oben (Rn. 297 ff.) vertretenen These, daß die echten ei-
genhändigen Delikte ein „Anachronismus" und „dahinschwindende Relikte" sei-
en. Es schließt aber nicht aus, daß der Gesetzgeber im Einzelfall unter Abwei-
§ 2 6 . Teilnahme
chung vom Rechtsgüterschutzprinzip die Verwirklichung eines bloßen Verhal-
tensunwertes unter Strafe stellt. Wenn Schubarth411 annimmt, die Strafdrohung
gegen den Inzest diene der Verhütung eugenischer Schäden, ist die Zulassung von Literatur: v. Buri, Zar Lehre von der Teilnahme an dem Verbrechen und der Begünstigung,
1860; v. Buri, Urheberschaft und Beihilfe, GA 17 (1869), 233; Schütze, Die notwendige Teilnah-
mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft durchaus sachgerecht. Freilich läßt sich me am Verbrechen, 1869; v. Kries, Ein Beitrag zur Lehre von der Teilnahme, ZStW 7 (1887),
die Prämisse bestreiten (vgl. R n . 298 ff.), aber das ist eine Frage der Auslegung des 521; v. Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme und die Rechtsprechung des Reichsgerichts,
jeweiligen Tatbestandes, die in den Besonderen Teil gehört und hier nicht weiter 1890; Mintz, Die Lehre von der Beihilfe, 1892; Haupt, Beiträge zur Lehre von der Teilnahme,
ZStW 15 (1895), 202; Siegel, Verwechselungsfälle bei der Anstiftung, Diss. Göttingen, 1895;
verfolgt werden kann. Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen in Gesetzgebung und Literatur von Schwarzenberg
309 Die Gegenposition zu Schubarth formuliert Stratenwerth^2. Er tritt für die fort- bis Feuerbach, 1896; Freudenthal, Die notwendige Teilnahme am Verbrechen, Str.Abh. 37,1901;
Heilborn, Der Agent provocateur, 1901; Nagler, Die Teilnahme am Sonderverbrechen, 1903;
dauernde Bedeutung der eigenhändigen Delikte ein, indem er die Annahme, jeder Hoepfner, Über die rechtliche Eigenart von Anstiftung und Beihilfe, ZStW 26 (1906), 579; v.
Tatbestand schütze ein bestimmtes Rechtsgut, in vielen Fällen für eine bloße Birkmeyer, Teilnahme am Verbrechen, VDA II1, 1908, 1; Hilgemann, Die Teilnahme an der Teil-
„Hilfskonstruktion"413 erklärt. In Wahrheit bestehe „die strafrechtlich geschützte nahme, 1908; Kohler, Anstiftung und Agent provocateur, GA 55 (1908), 1; Hergt, Die Lehre von
der Teilnahme am Verbrechen, 1909; Röhricht, Die rechtliche Natur der Anstiftung, 1913; Bin-
Ordnung . . . zu einem nicht geringen Teil in rollengebundenen Verhaltensnor- ding. Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen I, 1915; Perten, Die Beihilfe zum Ver-
men, bei denen es zwar immer um ein schützenswertes Interesse gehen sollte, die brechen, 1918; Coenders, Die objektive Natur der Beihilfe, ZStW 46 (1925), 1; Wegner, Teilnah-
sich aber keineswegs immer auf konkrete Rechtsgüter beziehen müssen".414 Straten- me, in: Aschrott/Kohlrausch (Hrsg.), Reform des Strafrechts, 1926, 102; Zimmerl, Grundsätz-
liches zur Teilnahmelehre, ZStW 49 (1929), 39; Merkel, Anstiftung und Beihilfe, Frank-FG, Bd.
werth vertritt also die Meinung, daß die oben (Rn. 297 ff.) beschriebenen „verhal-
II, 1930, 134; Drost, Anstiftung und mittelbare Täterschaft in dem künftigen StGB, ZStW 51
tensgebundenen Delikte ohne Rechtsgüterverletzung" erheblich häufiger seien als (1931), 359; Zimmerl, Vom Sinn der Teilnahmevorschriften, ZStW 52 (1933), 166; Oetker, Die
man bisher angenommen hatte. Inwieweit dies zutrifft, könnte sich nur aus einer Teilnahme am Verbrechen, Akademiedenkschrift, 1934,116; Conrad, Die akzessorische Teilnah-
genaueren Analyse von Tatbeständen des Besonderen Teils ergeben, die hier nicht me und sog. mittelbare Täterschaft, 1937; zu Dohna, Das RG zur Teilnahmelehre, DStR 1940,
120; Lange, Die notwendige Teilnahme, 1940; Nagler, Die Neuordnung der Strafbarkeit von
geleistet werden kann. Mit den hier entwickelten Grundpositionen zur Eigenhän- Versuch und Beihilfe, GerS 115 (1941), 24; Schlutter, Zur Dogmengeschichte der Akzessorietät
digkeit stimmen jedenfalls Schubarth und Stratenwerth trotz ihrer gegensätzlichen der Teilnahme, Str.Abh. 420,1941; Maurach, Beihilfe zum Meineid durch Unterlassung, DStR
1944,1; v, Weber, Grundriß des deutschen Strafrechts, 1948; Bockelmann, Über das Verhältnis von
Folgerungen überein. Täterschaft und Teilnahme, 1949; Lange, Die Schuld des Teilnehmers, insbesondere bei
310 Auch Wohlers415, der speziell die „Trunkenheitsfahrten als eigenhändige Delikte" Tötungs- und Wirtschaftsverbrechen, JR 1949, 165; Maurach, Zur neueren Judikatur über
Meineidsbeihilfe durch Unterlassen, SJZ 1949, 541; Hoffmann, Zur Teilnahmelehre, NJW 1952,
behandelt, bewegt sich in den oben entwickelten Kategorien, wenn er die §§ 315 964; Börker, Zur Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat, JZ 1953,166; Stratenwerth, Der
c, 316 entgegen der oben (Rn. 295) entwickelten Meinung als eigenhändige D e - agent provocateur, MDR 1953, 717; Bockelmann, Nochmals über das Verhältnis von Täterschaft
likte beurteilt. Er kommt zu dem Ergebnis,416 daß bei diesen Tatbeständen „die und Teilnahme, GA 1954,193; Hanack/Sasse, Zur Anwendung des § 56 StGB auf den Teilneh-
mer, DRiZ 1954, 216; Heinitz, Teilnahme und unterlassene Hilfeleistung beim Selbstmord, J R
Täterverantwortlichkeit an das kumulative Zusammentreffen von Fahrereigen- 1954, 403; Mezger, Teilnahme an unvorsätzlichen Handlungen, JZ 1954, 312; (Dehler, Das er-
schaft und Fahruntauglichkeit gebunden" sei und spricht hier von „positiv-eigen- folgsqualifizierte Delikt und die Teilnahme an ihm, GA 1954, 33; Welzel, Teilnahme an unvor-
händigen Delikten". Nach dem oben (Rn. 303 ff.) verwendeten Sprachgebrauch sätzlichen Handlungen?, JZ 1954, 29; Ziege, Die Bedeutung des §56 StGB für Anstiftung und
Beihilfe, NJW 1954,179; Kielwein, Unterlassung und Teilnahme, GA 1955, 225; Martin, Beihilfe
würde es sich um höchstpersönliche Pflichtdelikte handeln. Man müßte dann den zur Anstiftung, DRiZ 1955, 290; Oehler, Die mit Strafe bedrohte tatvorsätzliche Handlung im
im Zusammenhang mit § 323 a entwickelten Gedanken, daß jeder nur für seine ei- Rahmen der Teilnahme, FS der juristischen Fakultät der FU Berlin zum 41. DJT (1955), 255;
gene Trunkenheit als Täter verantwortlich gemacht werden kann, auf §§ 315 c, 316 Jescheck, Anstiftung, Gehilfenschaft und Mittäterschaft, SchwZStr 71 (1956), 225; Tröndle, Zur
Frage der Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat, GA 1956, 122; Bockelmann, Strafrechtliche
übertragen. Man kann darüber streiten, ob das richtig ist. Die hier entwickelten Untersuchungen, 1957; Gallas, Die moderne Entwicklung der Begriffe Täterschaft und Teil-
Fallgruppen der eigenhändigen Delikte würden durch eine solche Annahme je- nahme im Strafrecht, ZStW-Beiheft Athen, 1957, 3; Leß, Der Unrechtscharakter der Anstif-
denfalls nicht in Frage gestellt. tung, ZStW 69 (1957), 43; Mayer, Täterschaft, Teilnahme, Urheberschaft, Rittler-FS, 1957, 243;
Piotet, Systematik der Verbrechenselemente und Teilnahmelehre, ZStW 69 (1957), 14; Bemmann,
Zum Fall Rose-Rosahl, MDR 1958, 817; Esser, Die Bedeutung des Schuldteilnahmebegriffs im
Strafrechtssystem, GA 1958, 321; J--D. Busch, Die Teilnahme an der versuchten Anstiftung,
*" Schubarth, ZStW 110 (1998), 840 ff. NJW 1959, 1119; Grünwald, Die Beteiligung durch Unterlassen, GA 1959, HO; Lange, Zur Teil-
«2 Stratenwerth, SchwZStr 115 (1997), 86. nahme an unvorsätzlicher Haupttat, JZ 1959, 560; Franzheim, Die Teilnahme an unvorsätzlicher
m
Stratenwerth, SchwZStr 115 (1997), 93, Anm. 34. Haupttat, 1961; Luhberger, Strafbare Teilnahme durch Unterlassen, Diss. Heidelberg, 1962; Bau-
w Stratenwerth, SchwZStr 115 (1997), 91. mann, Beihilfe bei eigener voller Tatbestandsverwirklichung, NJW 1963, 561; Baumann, Täter-
«5 Wohlers, SchwZStr 116 (1998), 95.
«i« Wohlers, SchwZStr 116 (1998), 110.
123
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§ 26 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme §26
1976, 221; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, 1977; Jakobs, Regreßverbot beim Erfolgsdelikt,
schaft und Teilnahme, JuS 1963,137; Engisch, Das Problem der psychischen Kausalität beim Be- ZStW 8? (1977), 1; Spendet, Beihilfe und Kausalität, Dreher-FS, 1977,167; Vogler, Die Begünsti-
trug, v.Weber-FS, 1963, 247; Stree, Teilnahme am Unterlassungsdelikt, GA 1963, 1;J.-D. Busch, gungshandlung. Zum Begriff „Hilfeleisten" in § 257 StGB, Dreher-FS, 1977, 405; Cortes Rosa,
Die Strafbarkeit der erfolglosen Teilnahme und die Geschichte des § 49 a StGB, Diss. Marburg, Teilnahme an unechten Sonderverbrechen, ZStW 90 (1978), 413; Krümpelmann, Die strafrecht-
1964; Seebald, Teilnahme am erfolgsqualifizierten und am fahrlässigen Delikt, GA 1964, 161; lichte Behandlung des Irrtums, ZStW-Beiheft 1978, 6; Roxin, Über>den Tatentschluß, Schrö-
Grünwald, Der praktische Fall: Der folgenschwere Rat, JuS 1965, 311; Isenbeck, Beendigung der der-GS, 1978,145; Sax, Zur Problematik des „Teilnehmerdelikts" ZStW 90 (1978), 927; Cramer,
Tat bei Raub und Diebstahl, NJW 1965, 2326; Korn, Täterschaft oder Teilnahme bei staatlich Gedanken zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, Bockelmann-FS, 1979, 389; Franz-
organisierten Verbrechen, NJW 1965, 1206; Lampe, Über den Begriff und die Formeln der heim, Der Einsatz von Agents provocateurs zur Ermittlung von Straftätern, NJW 1979, 2014;
Teilnahme am Verbrechen, ZStW 77 (1965), 262; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, 1965; M.-K. Meyer, Tatbegriff und Teilnehmerdelikt, GA 1979, 252; Mühlberger, Zur strafrechtlichen
Claß, Die Kausalität der Beihilfe, Stock-FS, 1966,115; Loewenheim, Error in obiecto und aber- Verantwortlichkeit von Teilnehmern, NJ 1973, 287; Rogall, Die verschiedenen Formen des Ver-
ratio ictus, JuS 1966, 310; Roxin, Zur Dogmatik der Teilnahmelehre, JZ 1966, 293; Hardwig, anlassen fremder Straftaten, GA 1979, 11; Schmidhäuser, Über die Anzeigepflicht des Teilneh-
Nochmals: Betrachtungen zur Teilnahme, JZ 1967, 68; Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnah- mers, Bockelmann-FS, 1979, 683; Geppert, Begünstigung (§ 257 StGB), Jura 1980, 269; Puppe,
me, 1967; Trechsel, Der Strafgrund der Teilnahme, 1967; Gallas, Der dogmatische Teil des Alter- Der Erfolg und seine kausale Erklärung im Strafrecht, ZStW 92 (1980), 863; Schulz, Die Be-
nativentwurfs, ZStW 80 (1968), 1; Armin Kaufmann, Die Dogmatik im Alternativ-Entwurf, strafung des Ratgebers, 1980; Küper, Grenzfragen der Unfallflucht, JZ 1981, 209, 251; Maaß,
ZStW 80 (1968), 34; Salamon, Vollendete und versuchte Beihilfe, Diss. Göttingen, 1968; Arzt, Die Behandlung des „agent provocateur" im Strafrecht, Jura 1981, 514; Sieg, Die staatlich pro-
Bedingter Entschluß und Vorbereitungshandlung, JZ 1969, 54; Samson, Die öffentliche Auffor- vozierte Straftat, StV 1981, 636; Sommer, Verselbständigte Beihilfehandlungen und Straflosig-
derung zur Fahnenflucht an Nato-Soldaten, JZ 1969, 258; Schwind, Grundfälle der „Kettenteil- keit des Gehilfen, JR 1981, 490; Vormbaum, Probleme der Gläubigerbegünstigung, GA 1981,101;
nahme", MDR 1969, 13; Spendet, Zur Kritik der subjektiven Versuchs- und Teilnahmetheorie, Dencker, Zur Zulässigkeit staatlich gesteuerter Deliktsbeteiligung, Dünnebier-FS, 1982,447; Fi-
JuS 1969, 314; Stork, Anstiftung eines Tatentschlossenen zu einer vom ursprünglichen Tatplan scher, Die strafrechtliche Problematik des polizeilichen Lockspitzels, Diss. Bonn, 1982; Kühl,
abweichenden Tat, Diss. Münster, 1969; Rudolphi, Strafbarkeit der Beteiligung an den Trun- Grundfälle zu Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1982,189; Otto, Anstif-
kenheitsdelikten im Straßenverkehr, GA 1970, 353; Schaffstein, Die Risikoerhöhung als objek- tung und Beihilfe, JuS 1982, 557; Woher, Notwendige Teilnahme und straflose Beteiligung, JuS
tives Zurechnungsprinzip im Strafrecht, insbesondere bei der Beihilfe, Honig-FS, 1970, 169;
Widmaier, Der mißverständliche Bestechungsversuch, JuS 1970, 242; Zöller, Die notwendige 1982, 343; Bottke, Probleme der Suizidbeteiligung, GA 1983, 22; Frisch, Vorsatz und Risiko,
Teilnahme, Diss. Bonn, 1970; Backmann, Die Rechtsfolgen der aberratio ictus, JuS 1971, 113; 1983; Herzberg, Der agent provocateur und die „besonderen persönlichen Merkmale", JuS 1983,
Herzberg, Anstiftung und Beihilfe als Straftatbestände, GA 1971,1; Müller-Dietz/Backmann, Der 737; Hruschka, Alternativfeststellung zwischen Anstiftung und sogenannter psychischer Beihil-
praktische Fall: Der „mißglückte" Überfall, JuS 1971, 412; Roxin, Ein „neues Bild" des Straf- fe, JR 1983, 177; Schmoller, Grundstrukturen der Beteiligung mehrerer an der Straftat, ÖJZ
rechtssystems, ZStW 83 (1971), 369; R. Busch, Zur Teilnahme an den Handlungen des § 49 a 1983, 337; Seelmann, Zur materiell-rechtlichen Problematik des V-Mannes, ZStW 95 (1983),
StGB, Maurach-FS, 1972, 245; Dreher, Die Kausalität der Beihilfe, MDR 1972, 553; Dreher, Der 797; Seelmann, Grundfälle zu den Straftaten gegen das Vermögen als Ganzes, JuS 1983, 32; Sie-
Irrtum über Rechtfertigungsgründe, Heinitz-FS, 1972, 207; Herzberg, Die Unterlassung im ber, Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen bei der „passiven" Gesprächsteilnahme, JZ 1983,
Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972; Hirsch, Zur Problematik des erfolgsqualifizierten 431; Voller, Der Staat als Urheber von Straftaten zur Berechtigung des Einsatzes von Lockspit-
Delikts, GA 1972, 65; Lange, Beteiligter und Teilnehmer, Maurach-FS, 1972, 235; Letzgus, Vor- zeln und zur Verwendbarkeit der durch sie geschaffenen Beweise, Diss. Tübingen, 1983; Bruns,
stufen der Beteiligung, 1972; Loewenheim, Anstiftung durch Unterlassen, Diss. Frankfurt/Main, Zw Frage der Folgen tatprovozierenden Verhaltens polizeilicher Lockspitzel, StV 1984, 388;
1972; Montenbruck, Abweichung der Teilnehmervorstellung von der verwirklichten Tat, ZStW Mache, Die Zulässigkeit des Einsatzes von agents provocateurs und die Verwertbarkeit der Er-
84 (1972), 323; Plate, Zur Strafbarkeit des agent provocateur, ZStW 84 (1972), 294; Rudolphi, gebnisse im Strafprozeß, 1984; Puppe, Der objektive Tatbestand der Anstiftung, GA 1984, 101;
Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, Tiedemann/Sieber, Die Verwertung des Wissens von V-Leuten im Strafverfahren, NJW 1984,
Maurach-FS, 1972, 51; Samson, Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972; Stree, Be- 753; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; Gropp, Suizidbetei-
stimmung eines Tatentschlossenen zur Tatänderung, Heinitz-FS, 1972, 277; Vogler, Zur Frage ligung und Sterbehilfe in der Rechtsprechung, NStZ 1985, 97; Herzog, Rechtsstaatliche Be-
der Ursächlichkeit der Beihilfe für die Haupttat, Heinitz-FS, 1972, 295; Bemmann, Die Um- grenzungen der Verbrechensbekämpfung, NStZ 1985, 155; Laubenthal, Zur Abgrenzung zwi-
stimmung des Tatentschlossenen zu einer schwereren oder leichteren Begehungsweise, Gallas- schen Begünstigung und Beihilfe zur Vortat, Jura 1985, 630; Lüderssen, Die V-Leute-Problema-
FS, 1973, 273; Bockelmann, Zur Problematik der Beteiligung an vermeintlich vorsätzlich rechts- tik usw., Jura 1985, 113; Ostendorf/'Meyer-Seitz, Die strafrechtlichen Grenzen des polizeilichen
widrigen Taten, Gallas-FS, 1973, 261; Drefter, Der Paragraph mit dem Januskopf, Gallas-FS, Lockspitzel-Einsatzes, StV 1985, 73; Ranft, Das garantiepflichtwidrige Unterlassen der Tater-
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D. Meyer, Zum Problem der „Kettenanstiftung" JuS 1973, 755; Roxin, Unterlassung, Vorsatz im Bereich der Strafverfolgung, NJW 1985,1; Rudolphi, Die zeitlichen Grenzen der sukzessiven
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Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten, Diss. Göttingen, 1974; Hau, Die Beendi- Ende?, StV 1985, 424; Suhr, Zur Strafbarkeit von verdeckt operierenden Polizeibeamten, JA
gung der Straftat und ihre rechtlichen Wirkungen, 1974; Heinze, Die Verleitung des Tat- 1985, 629; Bindokat, Fahrlässige Beihilfe, JZ 1986, 421; Geppert, Mordmerkmale und Akzesso-
entschlossenen zu einer Änderung seiner anfangs geplanten Tat, Diss. Heidelberg, 1974; Kühl, rietät der Teilnahme (§ 28 StGB), Jura 1986, 106; Küper, „Sukzessive" Tatbeteiligung vor und
Die Beendigung des vorsätzlichen Begehungsdelikts, 1974; Küper, Der „agent provocateur" im nach Raubvollendung, JuS 1986, 862; Mitsch, Straflose Provokation strafbarer Taten, 1986; Ren-
Strafrecht, GA 1974, 321; Lüderssen, Verbrechensprophylaxe durch Verbrechensprovokation?, gier, Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen, 1986; Schulz, Anstiftung
Peters-FS, 1974, 349; Samson, Die Kausalität der Beihilfe, Peters-FS, 1974, 121; Spendet, Fahr- oder Beihilfe, JuS 1986, 933; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der
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Zipf/Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 1975; Schöneborn, Kombiniertes Teilnahme- Straftat, ZStW 99 (1987), 723; Blank, Die Strafbarkeit und Verfolgbarkeit der vom agent provo-
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gungen zur Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt nach § 18 StGB, Lange-FS, 1976, 219; Drywa, Die materiellrechtlichen Probleme des V-Mann-Einsatzes, 1987; Herzberg, Anstif-
Herzberg, Die Problematik der „besonderen persönlichen Merkmale", ZStW 88 (1976), 68; Otto, tung zur unbestimmten Haupttat, JuS 1987, 617; Herzberg, Täterschaft, Mittäterschaft und
Straflose Teilnahme?, Lange-FS, 1976,197; Steinke, Die Problematik der Beihilfe, Kriminalistik Akzessorietät der Teilnahme, ZStW 99 (1987), 49; Hünerfeld, Mittelbare Täterschaft und Anstif-

125
124
§ 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre I § 26
§ 26 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
vergenzdelikte, GA 1997, 301; Phleps, Psychische Beihilfe durch Stärkung des Tatentschlusses,
tung im Kriminalstrafrecht der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 99 (1987), 228; Jescheck, JR 1997, 49; Ransiek, Pflichtwidrigkeit und Beihilfeunrecht, wistra 1997, 41; Rogat, Die Zu-
Versuch und Rücktritt bei Beteiligung mehrerer Personen, ZStW 99 (1987), 111; Ranft, Recht- rechnung der Beihilfe. Zugleich eine Untersuchung zur Strafbarkeit von Rechtsanwälten
sprechungsbericht zu den Unterlassungsdelikten, JZ 1987, 859; Sommer, Das fehlende Erfolgs- nach § 27 StGB, 1997; Scheffler, Zur Konkretisierung des Gehilfenvorsatzes, JuS 1997, 598;
unrecht. Ein Beitrag zur Strafbarkeitsbewertung des agent provocateur, 1987; Frisch, Tatbe- Schlehofer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 18.4.1996, Beihilfe zum Betrug durch Übergabe
standsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988; Janß, Die Kettenteilnahme, Diss. eines inhaltlich falschen Wertgutachtens, StV 1997, 412; Streng, Der Irrtum beim Versuch - ein
Bonn, 1988; Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs-. Relationen Irrtum? Beitrag zur Struktur des Versuchstatbestandes, ZStW 109 (1997), 863; Tag, Beihilfe
und ihre Verkettungen, 1988; Just-Dahlmann/Just, „Die Gehilfen", 1988; Armin Kaufmann, Die durch neutrales Verhalten, JR 1997, 49; Toepel, Aspekte der „Rose-Rosahi"-Problematik: Die
Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1988; Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, Perspektive des Hintermanns, das Blutbadargument und die versuchte Anstiftung, JA 1997,
1988; Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, 1989; Löwe-Krahl, Steuerstraf- 248, 344; Büscher, Zur Konkretisierung des Gehilfenvorsatzes, JuS 1998, 384; Gropp, Der Zu-
rechtliche Risiken typischer Bankgeschäfte, 1989; Meyer-Arndt, Beihilfe durch neutrale Hand- fall als Merkmal der aberratio ictus, Lenckner-FS, 1998, 55; Otto, „Vorgeleistete Strafvereite-
lungen?, wistra 1989, 281; Neidlinger, Zur Abgrenzung von Anstiftung und Beihilfe, 1989; Nit- lung" durch berufstypische oder alltägliche Verhaltensweisen als Beihilfe, Lenckner-FS, 1998,
ze, Die Bedeutung der Entsprechungsklausel beim Begehen durch Unterlassen, 1989; Roxin, 193; Puppe, Die Lehre von der objektiven Zurechnung an Beispielsfällen aus der höchstrich-
Bemerkungen zum Regreßverbot,Tröndle-FS, 1989,177; Sippel, Zur Strafbarkeit der „Ketten- terlichen Rechtsprechung, IV. Zurechnung bei mehreren Beteiligten, Jura 1998, 21; Schroth,
anstiftung", 1989; Bohnert, Beteiligung an notwendiger Beteiligung am Beispiel der Mietpreis- Vorsatz und Irrtum, 1998; Weigend, Grenzen strafbarer Beihilfe, Nishihara-FS, 1998,197; Ame-
überhöhung (§ 5 WiStG), K. Meyer-GS, 1990, 519; Lieberwirth, Die provozierte Tat - ein un- lung, Die „Neutralisierung" geschäftsmäßiger Beiträge zu fremden Straftaten im Rahmen des
tauglicher Versuch?, 1990; Löwe-Krahl, Die Verantwortung von Bankangestellten bei illegalen Beihilfetatbestandes, Grünwald-FS, 1999, 9; Lüderssen, Beihilfe, Strafvereitelung und objektive
Kundengeschäften, 1990; Herzberg, Akzessorietät der Teilnahme und persönliche Merkmale, Zurechnung, Grünwald-FS, 1999; 329; Osamu, Die Entwicklung der Lehre von der notwen-
GA 1991,145; Mitsch, Urenkel von Rose und Rosahl (?), Jura 1991, 373; Müller, Das Urteil des digen Teilnahme - unter besonderer Beachtung der sogenannten Begehungsdelikte, Jura
BGH zu Anstiftung und „error in persona", MDR 1991, 830; Schwarzburg, Tatbestandsmäßig-
keit und Rechtswidrigkeit der polizeilichen Tatprovokation, 1991; Streng, Die Strafbarkeit des 1999, 246; Theile, Tatkonkretisierung und Gehilfenvorsatz, 1999; Wohlers, Gehilfenschaft durch
Anstifters bei error in persona des Täters (und verwandte Fälle), JuS 1991, 910; Geppert, Zum „neutrale" Handlungen - Ausschluß strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei alltäglichen bzw.
„error in persona vel obiecto" und zur „aberratio ictus" usw., Jura 1992,163; Gropp, Deliktstypen berufstypischen Verhalten?, SchwZStW 117 (1999), 425; Ambos, Beihilfe durch Alltagshand-
mit Sonderbeteiligung, 1992; Hefendehl, Examensklausur Strafrecht "Der mißbrauchte Farbko- lungen, JA 2000, 721; Kudlich, Die Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt, JA 2000, 511;
pierer", Jura 1992, 374; Ingelfinger, Anstiftervorsatz und Tatbestimmtheit, 1992; Lesch, Das Pro- M.K. Meyer, Beteiligung am Landfriedensbruch und Teilnahme zum Landfriedensbruch, GA
blem der sukzessiven Beihilfe, 1992; Roxin, Rose-Rosahl redivivus, Spendel-FS, 1992, 289; 2000, 459; Ransiek, Neutrale Beihilfe in formalen Organisationen, in: Amelung (Hrsg.), Indi-
Schlehofer, Der error in persona des Haupttäters — eine aberratio ictus für den Teilnehmer?, GA viduelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Orga-
1992, 307; Sowada, Die „notwendige Teilnahme" als funktionales Privilegierungsmodell im nisationen usw., 2000, 95; Wohlers, Hilfeleistung und erlaubtes Risiko - zur Einschränkung
Strafrecht, 1992; Stratenwerth, Objektsirrtum und Tatbeteiligung, Baumann-FS, 1992, 57; Weß- der Strafbarkeit gemäß § 27 StGB, NStZ 2000, 169; Beckemper, Strafbare Beihilfe durch all-
lau, Der Exzeß des Angestifteten, ZStW 104 (1992), 105; Wild, Bestimmtheit des Gehilfen- tägliche Geschäftsvorgänge, Jura 2001, 163; Charalambakis, Zur Problematik der psychischen
vorsatzes und Teilanfechtung von Strafurteilen - BayObLG, NJW 1991, 2582, JuS 1992, 911; Beihilfe, Roxin-FS, 2001, 625; Kühl, Die Beendigung des vollendeten Delikts, Roxin-FS,
Bemmann, Die Objektsverwechslung des Täters in ihrer Bedeutung für den Anstifter, Stree/ 2001, 665; Lesch, Strafbare Beteiligung durch „berufstypisches" Verhalten, JA 2001, 986; Otto,
Wessels-FS, 1993, 397; Roxi«, Zum Strafgrund der Teilnahme, Stree/Wessels-FS, 1993, 365; Das Strafbarkeitsrisiko berufstypischen, geschäftsmäßigen Verhaltens, JZ 2001, 436; Pilz, Bei-
Scheffler, Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen seitens des Angeklagten, GA 1993, 341; hilfe zur Steuerhinterziehung durch neutrale Handlungen von Bankmitarbeitern, 2001;
Schumann, Die „rechtswidrige" Haupttat als Gegenstand des Teilnahmevorsatzes, Stree/Wes- Puppe, Der gemeinsame Tatplan der Mittäter, Spinellis-FS, 2001, 915; Ambos, Der Allgemeine
sels-FS, 1993, 383; Stoffers, Streitige Fragen der psychischen Beihilfe im Strafrecht, Jura 1993, Teil des Völkerstrafrechts, 2002; Dencker, Beteiligung ohne Täter, Lüderssen-FS, 2002, 525;
11; Altenhain, Die Strafbarkeit des Teilnehmers beim Exzeß, 1994; Geppert, Zum Verhältnis von Frisch, Beihilfe durch neutrale Handlungen, Lüderssen-FS, 2002, 539; Hillenkamp, 32 Proble-
Täterschaft/Teilnahme an der Vortat und anschließender sachlicher Begünstigung (257 StGB), me aus dem Strafrecht, Allgemeiner Teil, 102002; Kühl, Vollendung und Beendigung bei den
Jura 1994, 441; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit und „besondere persönliche Merkmale", 1994; Otto, Eigentums- und Vermögensdelikten, JuS 2002, 729; Roso Canadillas, Autoria y participaciön
Beihilfe des Bankangestellten zur Steuerhinterziehung, Zeitschrift für Kreditwesen, 1994, 775; imprudente, 2002; Schall, Strafloses Alltagsverhalten und strafbares Beihilfeunrecht, Meurer-
Schroeder, Die Teilnahme des Beifahrers an der gefährlichen Trunkenheitsfahrt, JuS 1994, 846; GS, 2002,103; Schmoller, Sukzessive Beteiligung?, in: Kansai Univ. Review March 2002, 35.
Hassemer, Professionelle Adäquanz — Bankentypisches Verhalten und Beihilfe zur Steuerhinter-
ziehung, wistra 1995, 41, 81; Löwe-Krahl, Beteiligung von Bankangestellten an Steuerhinterzie-
hungen ihrer Kunden - die Tatbestandsmäßigkeit berufstypischer Handlungen, wistra 1995,
201; Lüderssen, Der Typus des Teilnehmertatbestandes, Miyazawa-FS, 1995, 449; Niedertnair, A. Grundfragen der Teilnahmelehre
Straflose Beihilfe durch neutrale Handlungen?, ZStW 107 (1995), 507; Rostek, Sachverhaltsver-
fälschung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, in: Grenzüberschreitungen, Eser-FS,
1995, 89; Roxin, Was ist Beihilfe?, Miyazawa-FS, 1995, 501; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhal- I. Der Begriff der Teilnahme im deutschen Strafrecht
ten als Problem mittelbarer Erfolgsverursachung, 1995; Schild-Trappe, Harmlose Gehilfenschaft?, i
1995 (dazu die Rezension von Roxin, JZ 1996, 29); Hilgendorf, Was meint „zur Tat bestimmen" in
§26 StGB?, Jura 1996,9; Jakobs, Akzessorietät - Zu den Voraussetzungen gemeinsamer Organi- Die Teilnahme ist ein selbständiger Rechtsgutsangriff durch täterschaftslose, 1
sation, GA 1996, 253ff.; Wohlleben, Beihilfe durch äußerlich neutrale Handlungen, 1996; Christ- vorsätzliche Mitwirkung an einer mit Tatbestandsvorsatz begangenen tatbestands-
mann, Zur Strafbarkeit sogenannterTatsachenarrangements wegen Anstiftung: Ein Beitrag von mäßig-rechtswidrigen Tat. Das bedarf schon vorab einer kurzgefaßten Erläute-
der Lehre der objektiven Zurechnung zum Strafgrund der Anstiftung, 1997; Fahl, Anforde-
rungen an den objektiven und subjektiven Tatbestand der Beihilfe, Anmerkung zu BGH rung, die in der weiteren Darstellung näher auszuführen sein wird.
wistra 1996, 232, JA 1997, 11; Geppert, Die Anstiftung (§ 26 StGB), Jura 1997, 299, 358; Kind-
häuser, Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes, Anmerkung zu BGH wistra 1996, 232, NStZ
1997, 273; Küper, Konvergenz; Die gemeinschaftliche Körperverletzung im System der Kon-

127
126
§ 26 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre I § 26

1. Die Akzessorietät der Teilnahme 3. Das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat


Jede Teilnahme - ob Anstiftung oder Beihilfe - setzt zunächst, wie sich schon Die Teilnahme setzt aber neben der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit 6
aus dem Wortlaut der §§26, 27 ergibt - die „Tat" eines Täters voraus. Diese „Tat" der Tätertat nach dem Wortlaut der §§ 26, 27 auch deren Vorsätzlichkeit voraus.
kann vollendet oder auch nur versucht sein. Wer z. B. dem Dieb für seine gelun- Dieser ausdrückliche gesetzliche Hinweis ist überflüssig, wenn man, wie es der
gene Tat einen Nachschlüssel leiht, begeht eine Beihilfe zum vollendeten Dieb- herrschenden und auch hier vertretenen Meinung entspricht,1 den Vorsatz syste-
stahl; wird der Dieb im Versuchsstadium gefaßt, liegt nur eine Beihilfe zum ver- matisch als subjektiven Teil des Tatbestandes einordnet. Denn dann ergibt sich
suchten Diebstahl vor. Bleibt der Dieb im Vorbereitungsstadium stecken, scheidet schon aus dem Erfordernis einer tatbestandsmäßigen Tätertat, daß diese auch vor-
eine Teilnahme nach §§ 26, 27 aus. Es liegt dann nur eine versuchte Teilnahme vor, sätzlich sein muß. Da aber manche Autoren heute noch den Vorsatz nicht als
deren Strafbarkeit sich nach § 30 richtet; danach ist die versuchte Beihilfe in jedem Bestandteil des Tatbestandes, sondern als Schuldform beurteilen, hat es der Gesetz-
Fall straflos und die versuchte Anstiftung nur bei Verbrechen strafbar. geber für zweckmäßig gehalten klarzustellen, daß auch von diesem Standpunkt
Eine Teilnahme ohne tatbestandsmäßige Tätertat ist zwar denkmöglich (vgl. aus eine Teilnahme nur bei vorsätzlicher Tätertat möglich sein soll. Diese Klarstel-
noch Rn. 12 ff.), dem deutschen Strafrecht aber unbekannt. So kann z. B. die Mit- lung schien dem Gesetzgeber auch deshalb nötig, weil das Vorsatzerfordernis auch
wirkung am Suizid nicht als Teilnahme am Totschlag bestraft werden, weil der unabhängig vom systematischen Standort des Vorsatzes äußerst umstritten ist (vgl.
Selbstmord dem Tatbestand des § 212 nicht unterfällt; sie ist vielmehr straflos. näher Rn. 35 ff. und sogleich Rn. 7).
Auch kann die Aufforderung zu einer unterlassenen Hilfeleistung (§ 323 c), wenn Das Vorsatzerfordernis ist demnach so wenig selbstverständlich wie die Akzes- 7
sie den Tod eines Unfallopfers bezweckt und erreicht, nicht als Anstiftung zum sorietät und deren Limitierung. Denn zwar ist bei fehlendem Vorsatz des „Täters"
Totschlag, sondern nur als - erheblich milder zu bestrafende - Anstiftung zu der vorsätzlich mitwirkende Hintermann normalerweise mittelbarer Täter, so daß
§ 323 c bestraft werden, obwohl der Anstifter anders als der Täter aktiv auf den Tod es des Rückgriffs auf eine Teilnahmebestrafung nicht bedarf (vgl. § 25, Rn. 63ff.).
des Opfers hingewirkt hat. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Wer z. B. jemanden zu einem Schuß auf eine
bestimmte Person veranlaßt und dabei vom Tötungsvorsatz des Aufgeforderten
2. Die limitierte Akzessorietät ausgeht, während dieser das von ihm nur zum Scherz abgefeuerte Gewehr für un-
Die Tätertat, die für jede Teilnahme erforderlich ist, muß tatbestandsmäßig geladen halt, kann nicht als Anstifter eines Totschlages bestraft werden, obwohl er
und rechtswidrig, aber nicht schuldhaft sein. Das ergibt sich daraus, daß §§ 26, 27 den Tod des Opfers verursacht hat und dies auch wollte (vgl. § 25, Rn. 159 ff.). Er
das Bestimmen bzw. Hilfeleisten zu einer „rechtswidrigen" Tat verlangen. Eine kann nur wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag nach § 30 11, 2 mit der dort
„rechtswidrige" Tat ist nach § 111 Nr. 5 nur eine außerdem tatbestandsmäßige Tat; vorgesehenen obligatorischen Milderung zur Verantwortung gezogen werden.
daß diese Tat nicht schuldhaft zu sein braucht, folgt außer aus dem Wortlaut der Zur Problematik dieser Regelung und zum Vorsatzerfordernis näher Rn. 35 ff.
§§26, 27 auch noch aus §29, wonach jeder Beteiligte „ohne Rücksicht auf die
Schuld des anderen nach seiner Schuld" bestraft wird. 4. Das Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs
Den Grundsatz, daß jede Teilnahme eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Täter- Die Mitwirkung des Teilnehmers an der Tat des Täters muß für diese Tat objek- 8
tat voraussetzt, nennt man „das Prinzip der limitierten Akzessorietät". Dabei ist tiv (mit-)ursächlich und subjektiv, wie der Wortlaut der §§26, 27 klarstellt, vor-
unter Akzessorietät in diesem Zusammenhang die „Abhängigkeit" der Teilnahme sätzlich sein. Die vorsätzliche Verursachung eines täterschaftlich bewirkten Voll-
von einer Tätertat zu verstehen; diese Akzessorietät ist limitiert (= begrenzt), weil endungs- oder Versuchserfolges reicht aber für eine strafbare Teilnahme noch nicht
sie sich nicht auf die Schuld, sondern nur auf die Rechtswidrigkeit der Haupttat aus. Wenn z. B. ein sog. agent provocateur (Lockspitzel) einen Delinquenten über-
erstreckt. Es ist also - was keineswegs selbstverständlich ist! - eine Teilnahme fuhrt, indem er ihn als scheinbarer Komplize zu einer Straftat veranlaßt und bei
auch an schuldloser Tat möglich. In der Regel wird bei der Einwirkung auf einen deren Versuch festnehmen läßt, hat er vorsätzlich eine Straftat - einen Delikts-
schuldlosen Täter zwar eine mittelbare Täterschaft vorliegen (vgl. §25, Rn.76ff., versuch - bewirkt und müßte wegen Anstiftung dazu bestraft werden, wenn die
139ff.). Aber im Einzelfall kann es doch anders sein. Wenn z.B. jemand die Gei- vorsätzliche Verursachung eines vorsätzlich-rechtswidrigen Täterverhaltens für die
steskrankheit des von ihm zur Tat Veranlaßten nicht kennt, kann er kein mittel- Annahme einer strafbaren Teilnahme ausreichen würde. Die heute einhellig befür-
barer Täter sein (vgl. § 25, Rn. 158), wohl aber als Anstifter bestraft werden. Über wortete Straflosigkeit des agent provocateur läßt sich nur daraus erklären, daß er
die limitierte Akzessorietät vgl. im einzelnen Rn. 32 ff. seinerseits das tatbestandlich geschützte Rechtsgut nicht angreifen, sondern seine

1
Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 62 ff.
128
129
§ 26 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre II § 26

Verletzung gerade verhindern will. Oder, u m ein ganz anderes Beispiel zu wählen: ist. 3 Es ist aus dem Täterunrecht abgeleitet insoweit, als es akzessorisch ist: Das
Wer sich von einem anderen verstümmeln läßt, u m sich auf diese Weise der Wehr- vorsätzliche Unrecht, das der Täter tut, wird auch dem mitwirkenden Teilnehmer
pflicht zu entziehen oder zu einer Invalidenrente zu k o m m e n , bewirkt eine straf- (mit einer Strafrahmenmilderung bei der Beihilfe; vgl. § 2 7 II) zugerechnet. Es ist
bare Körperverletzung. D e n n der Täter kann sich nicht auf eine Einwilligung des aber selbständig insofern, als diese Zurechnung nur dann erfolgt, w e n n sich die
„Opfers" berufen, weil diese nach § 228 unwirksam ist. Gleichwohl wird man das Mitwirkung an der Tätertat gleichzeitig als eigener Rechtsgutsangriff des Teilneh-
anstiftende Opfer straflos lassen müssen; denn niemand kann, wie die Straflosig- mers darstellt. Diese selbständigen Elemente, von denen oben ( R n . 8, 9) nur zwei
keit der Selbstverstümmelung (unter dem Gesichtspunkt der §§ 223 ff.) zeigt, sei- herausgegriffen wurden, werden bei Erörterung von Anstiftung und Beihilfe
nen eigenen Körper in strafrechtlich relevanter Weise angreifen. (Rn. 57 ff, 183 ff.) noch im einzelnen herauszuarbeiten sein. Jedenfalls stellt sich
Das Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs, das noch an anderen Fall- die hier vertretene Konzeption der Teilnahme als eines „akzessorischen Rechts-
gruppen verdeutlicht werden wird, ist unter den Elementen der Teilnahme das gutsangriffs" als eine gemischte Theorie dar, die das Teilnahmeunrecht teils aus der
umstrittenste; denn anders als die einzelnen Voraussetzungen der Akzessorietät Zurechnung des Täterunrechts (also akzessorisch), teils aus selbständigen Elemen-
findet es im Gesetzeswortlaut keine ausdrückliche Erwähnung. Es erklärt sich ten (dem Rechtsgutsangriff) begründet.
aber aus den allgemeinen Grundsätzen der Zurechnung, 2 wonach ein Erfolg nur
zugerechnet werden kann, w e n n er auf der Schaffung eines unerlaubten Risikos 2. D i e reine Verursachungstheorie
beruht. Da der Teilnehmer vorsätzlich handeln m u ß , stellt sich die vorsätzliche Demgegenüber treten in unterschiedlichen Varianten immer wieder Lehren auf, 12
Schaffung eines unerlaubten Risikos durch ihn als jener selbständige Rechtsguts- die das Teilnahmeunrecht in der Weise verselbständigen, daß sie den Teilnehmer
angriff dar, der für eine strafbare Teilnahme erforderlich ist. unabhängig von der Tätertat allein für die von ihm vorsätzlich bewirkte Herbei-
führung des Tatbestandserfolges haftbar machen. In ihrer radikalsten Form, wie sie
5. D i e Teilnahme als „sekundärer" B e g r i f f ursprünglich Lüderssen4 vorgetragen hat, führt diese Auffassung zur Aufgabe des
Die Teilnahme ist schließlich insofern ein sekundärer Begriff, als sie voraussetzt, Akzessorietätsprinzips und zu Ergebnissen wie den schon vorgetragenen (Rn. 3),
daß die Beteiligung nicht täterschaftlicher Art ist. D e n n auch der Mittäter wirkt daß die Aufforderung z u m Suizid oder zur unterlassenen Hilfeleistung, w e n n sie
stets und der mittelbare Täter wenigstens in vielen Fällen an der vorsätzlich- vorsatzgemäß eine zum Tode führende W i r k u n g zeitigt, als Anstiftung zum Tot-
rechtswidrigen Tatbestandsverwirklichung eines Täters mit, ohne doch deshalb schlag bestraft wird. 5 Der Auffordernde hat den Tod eines Menschen vorsätzlich
Teilnehmer zu sein. Es m u ß also immer erst festgestellt werden, daß der „primäre" verursacht, und das allein genügt angesichts seiner fehlenden Tatherrschaft, u m
Begriff der Täterschaft auf einen Beteiligten nicht anwendbar ist, bevor seine Mit- ihn als Teilnehmer zu bestrafen.
wirkung als Teilnahme qualifiziert werden kann. Dagegen liegt in der Kennzeich- Eine solche Lösung läßt sich aber mit dem Gesetz nicht vereinbaren, das nach 13
nung der Teilnahme als eines sekundären Begriffes nicht die Aussage, daß jede seinem klaren Wortlaut von der Akzessorietät der Teilnahme ausgeht. Sie ist auch
täterschaftslose M i t w i r k u n g eo ipso Teilnahme sei. Sie kann auch straflos sein, weil rechtspolitisch nicht wünschbar, weil sie, wie die Beispiele ( R n . 3, 12) zeigen, zu
es an einer vorsätzlichen Haupttat ( R n . 6, 7) oder an einem selbständigen Rechts- einer beträchtlichen Ausdehnung der Strafbarkeit fuhrt, der durch die Bindung
gutsangriff ( R n . 8, 9) fehlt. Die Teilnahme ist also ein sekundärer, aber kein u n - der Teilnahme an die Tatbestandshandlung des Täters vorgebeugt werden soll. Es
selbständiger Begriff.
3
Die Konzeption wird näher entwickelt bei Roxin, Stree/Wessels-FS, 1993, 365 ff. Ähnliche
Auffassungen in der Literatur vertreten SK -Hoyer, vor § 26, Rn. 17-21 und Stratenwerth, AT ,
II. D e r Strafgrund der Teilnahme §12, Rn. 121 f.; Bloy, 1985, 252ff. (mit „gewissen Vorbehalten" gegen meine Auffassung, „der-
zufolge die Teilnahme als akzessorischer Rechtsgutsangriff nicht ausschließlich aus dem
1. D i e Teilnahme als akzessorischer Rechtsgutsangriff Akzessorietätsprinzip erklärbar sein soll" 253); den., JA 1987, 492; Stein, 1988,117 f; Jakobs, AT2,
22/9. Ähnlich Geppert, Jura 1997, 300; Hake, 1994, 53ff., 68f., 75; Ingelfinger, 1992,117; Kindhäu-
Der zentrale Streitpunkt hinsichtlich des Strafgrundes der Teilnahme liegt in ser, AT2, 381 ff.; Krey, AT/2, Rn.206ff, 209; Otto, Lange-FS, 1976, 201 ff; ders.,JuS 1982, 558;
der Frage, ob das Teilnahmeunrecht aus dem Unrecht der Tätertat abgeleitet oder ders., AT6, §22, Rn.2ff.; Sch/Sch/Cramer/Heine26, vor §§25ff., Rn.17 a, 41;. Ebenso wohl
ob es selbständig ist. Der vorstehend ( R n . 1-10) entwickelte Teilnahmebegriff läßt auch Gropp, KT2, § 10, Rn. 102 ff., der den Strafgrund der Teilnahme darin sieht, daß der Teil-
nehmer eigenes, dem Strafgrund der Haupttat entsprechendes Unrecht verwirklicht.
erkennen, daß nach der hier vertretenen Auffassung das Teilnahmeunrecht teils aus 4
Lüderssen, 1967,161 ff. In Miyazawa-FS, 1995, 449 hat Lüderssen seine Auffassung in Ausein-
dem Täterunrecht abgeleitet, teils aber auch davon unabhängig und selbständig andersetzung mit der neueren Diskussion modifiziert und weitgehend aufgegeben. In einer
Diskussion de lege ferenda nimmt Dencker, Lüderssen-FS, 2002, 525, den Gedanken einer
„Beteiligung ohne Täter" wieder auf.
5
2 Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 36 ff. Lüderssen, 1967,168,192, 214 f.

130 131
§ 26 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre II § 26

leuchtet wenig ein, daß der Auffordernde nach dem Strafrahmen des Totschlages 3. D i e Schuld- bzw. Unrechtsteilnahmetheorie
bestraft werden soll, w e n n die Ausführung der Aufforderung in der Person des
Handelnden entweder gar nicht oder nur als sehr viel weniger schweres Delikt b e - Die Schuldteilnahmetheorie sieht den Strafgrund der Teilnahme nicht in der 16
straft wird. Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges, sondern darin, daß der Teilneh-
14 Auf der Basis des geltenden Rechts versucht Schmidhäuser6, der ebenfalls „von mer den Täter in Schuld verstrickt. Sie n i m m t also inhaltlich die extreme Gegen-
einer Selbständigkeit des Unrechtstatbestandes des Teilnehmerdelikts" ausgeht, die position zur reinen Verursachungstheorie ein, gleicht ihr aber darin, daß sie eben-
Bindung an die Tätertat aus der durch reine Strafwürdigkeitsüberlegungen b e - falls von der Unabhängigkeit des Teilnehmerunrechts im Verhältnis z u m Täter-
dingten Notwendigkeit des Erfolgseintritts zu erklären: „Wenn das Strafgesetz das unrecht ausgeht. Heute hat die Schuldteilnahmetheorie nur noch historische und
Teilnehmerdelikt weitgehend von einer begangenen Haupttat abhängig macht, so rechtspolitische Bedeutung, weil das geltende Recht ihr ebenso wie der reinen
hat das seinen Grund nur in der Strafwürdigkeit (nicht anders als der Erfolgs- Verursachungstheorie eine eindeutige Absage erteilt hat: Wenn nach dem G r u n d -
eintritt beim Täterdelikt auch)." Aber der Erfolg ist selbst Bestandteil des Unrechts satz der limitierten Akzessorietät ( R n . 4, 5) die Teilnahme nur eine rechtswidrige
und keineswegs eine bloße Strafwürdigkeitsbedingung! 7 Außerdem zeigen die und gerade keine schuldhafte Haupttat voraussetzt, ist es für eine Teilnahme offen-
Beispiele selbständiger Teilnehmerstrafbarkeit bei Lüderssen ( R n . 12), daß der Er- sichtlich nicht notwendig, daß der Teilnehmer den Täter in Schuld verstrickt.
folg auch ohne Akzessorietät eintreten kann; deren Zweck liegt also gerade in der Noch in der Diskussion ist aber eine „modifizierte Schuldteilnahmetheorie" 1 2 in 17
Bindung der Teilnahme an das Täterunrecht ( R n . 13) und nicht allein im Erforder- Gestalt der von TrechseP begründeten „Unrechtsteilnahmetheorie" Sie sieht den
nis eines Erfolges. Strafgrund der Teilnahme darin, daß der Teilnehmer den Täter in Unrechtes
Handeln verwickelt. Das macht den Täter zwar noch nicht schuldig und strafbar,
15 Schließlich scheitert die reine Verursachungstheorie auch bei den Pflichtdelik-
führt aber, w e n n jemand z. B. einen unerkennbar Geisteskranken zu Straftaten
ten, bei denen - anders als bei der Strafbarkeitsüberdehnung im Bereich der Herr-
veranlaßt, zu strafrechtlichen Ermittlungen, evtl. auch zu einer Maßregelverhän-
schaftsdelikte - eine sachwidrige Einschränkung der Strafbarkeit in der Konse-
gung und jedenfalls zur sozialen Desintegration des Täters. Man spricht deshalb
quenz ihres Ansatzes läge. Z u m Beispiel müßte die Anstiftung zur Rechtsbeugung
auch von einer „Desintegrationstheorie". Diese Auffassung scheitert zwar nicht an
oder zum Bruch der Schweigepflicht (§§ 26, 339, 203) usw. durch einen Extraneus
der limitierten Akzessorietät, wohl aber an drei anderen Einwänden:
folgerichtig straflos sein, weil dessen vorsätzliche Erfolgsverursachung mangels
Täterqualifikation den Tatbestand des betreffenden Pflichtdeliktes nicht erfüllen a) Zunächst paßt sie, wie auch TrechseP einräumt, nicht auf die Beihilfe; denn 18
kann. Die Straflosigkeit widerspricht aber eindeutig dem Willen des Gesetzgebers, bei ihr ist der Täter schon von sich aus zur Tat entschlossen, wird also nicht erst
der dem Außenstehenden nur die Strafmilderung des § 28 I zugute k o m m e n las- durch den Gehilfen desintegriert. D e m hält zwar Keller15 entgegen, daß auch der
sen will. Schmidhäuser hatte ursprünglich 8 trotzdem eine Straflosigkeit a n g e n o m - Gehilfe die kriminelle Karriere des Täters fördere. Aber eine derartige Karriere-
men, die Strafbarkeit des Extraneus freilich später eingeräumt, wenngleich immer förderung bleibt, wenn man von der Verursachung der konkreten Tat absieht, so
noch für „sachwidrig" 9 erklärt. Damit wird aber die Unvereinbarkeit der reinen vage und unsicher, daß sie die Teilnahmebestrafung nicht tragen kann.
Verursachungstheorie mit dem geltenden Recht zugestanden. Lüderssenw anderer- b) Sodann stimmt es auch bei der Anstiftung nicht mit dem Desintegrationskon- 19
seits akzeptiert die Strafbarkeit des Extraneus: „Wer nicht Beamter ist, kann - mit- zept zusammen, daß die Strafe sich nach derjenigen des Täters richtet. Sie müßte
telbar - das Rechtsgut der,Reinheit der Amtsführung'... nur unter der Vorausset- konsequenterweise auf das Ausmaß der bewirkten Desintegration abstellen; die Ver-
zung verletzen, daß ein Beamter . . . in Aktion tritt"; doch erklärt er diese Bindung führung eines bisher Unbescholtenen müßte schwer, das Dingen eines schon weit-
an das Täterhandeln als „rein faktischer Natur". Das überzeugt aber nicht; denn das gehend sozial desintegrierten Berufsverbrechers nur milde bestraft werden. Keller16
Amtsunrecht ist die zentrale normative Voraussetzung der Strafbarkeit beider hält den Einwand nicht für überzeugend. D e n n es könne sein, „daß die Desinte-
Beteiligten. Wie man sich argumentatorisch also auch dreht und wendet: die reine gration im Gesetz wertend und abstrakt generalisierend eingeschätzt" werde, so
Verursachungstheorie ist nicht geeignet, die Teilnahmeregelungen des geltenden
Rechtes zu erklären. 11 Bedeutung einräumen und daher im Ergebnis der hier vertretenen Ansicht nicht fern stehen:
Herzberg, GA 1971, lff.; M.-K. Meyer, GA 1979, 264 f; Sax, ZStW 90 (1978), 927ff. Eine aus-
* Schmidhäuser, LB AT2,14/57; fast gleichlautend ders., StuB AT2,10/9. führliche Kritik der Lehre vom selbständigen Teilnehmerdelikt (auch in ihren „gemäßigten
I Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 94 ff. Varianten") liefert Bloy, 1985,172-192.
12
s Schmidhäuser, LB AT2,14/98; zur Kritik Roxin, ZStW 83 (1971), 399 f. Keller, 1989,163.
13
9 Schmidhäuser, LB AT2,14/85, bei und in Fn. 25. 14
Trechsel, 1967; ders., Schweizerisches StGB, Kurzkommentar, 1989, Art. 24, Rn. 3.
io Lüderssen, 1967,137. Trechsel, 1967,107 ff.
II 15
Durch die Anerkennung selbständiger Teilnahmetatbestände lassen sich einige weitere Keller, 1989,164.
16
Autoren der reinen Verursachungstheorie zuordnen, obwohl sie der Akzessorietät größere Keller, 1989,163 f.

132 133
§ 26 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre II § 26

daß das Ausmaß der vermuteten Desintegration sich nach der Schwere der Tat Diese Konzeption vermeidet die Schwierigkeiten anderer Begründungen selb- 23
richte. Aber das wäre eine Fehleinschätzung. D e n n die desintegrierende Wirkung ständigen Teilnehmerunrechts. Sie kann die Strafbarkeit der Extraneenteilnahme
einer Anstiftung kann, wie der Gesetzgeber k a u m verkannt haben wird, im Ein- am Pflichtdelikt, die die reine Verursachungstheorie nicht erklären kann ( R n . 15),
zelfall sehr verschieden sein und hängt weit mehr als von der Schwere der Tat von mühelos plausibel machen; denn auch der Außenstehende solidarisiert sich durch
der bisherigen kriminellen Karriere des Täters und davon ab, ob er überhaupt g e - seine Teilnahme mit dem Täter der Rechtsbeugung, der Schweigepflichtverletzung
faßt wird. Abgesehen davon besteht zwischen der schuldhaften Verwirklichung ei- usw. Und sie kann die Bindung der Teilnahmestrafe an den Strafrahmen der Haupt-
nes Straftatbestandes und der Desintegration eines Menschen überhaupt kein Z u - tat, die für die Unrechtsteilnahmetheorie eine Verlegenheit darstellt ( R n . 19), durch
sammenhang, der es plausibel macht, dafür denselben Strafrahmen vorzusehen. die These einleuchtend machen, das Solidarisierungsunrecht müsse sich in seinem
20 c) Schließlich kann der Strafgrund der Teilnahme auch deshalb nicht in der Ausmaß „nach dem Bezugsobjekt der Solidarisierung richten". 22 Sie hat weiter den
Desintegration des Täters liegen, weil der Täter im Regelfall der Teilnahme für Vorteil, zu den schon ( R n . 8, 9) genannten noch hinzukommende Aspekte der
seine Entschlüsse und Handlungen selbst verantwortlich ist. 17 Wer sich anstiften Selbständigkeit von Teilnahmeunrecht sichtbar zu machen: So verlangt Schu-
läßt, ist nicht Opfer, sondern Komplize des Anstifters und kann diesen für seinen mann23, mit Recht für die Anstiftung eine „Aufforderung" und läßt die Schaffung
Tatentschluß nicht verantwortlich machen. Der Entschluß zur Tatbegehung ist von Tatanreizen nicht genügen (dazu R n . 59, 74 ff). Ebenso sollen für die Beihilfe
unter d e m Gesichtspunkt der Desintegration eine Selbstgefährdung des Täters; die rechtlich neutrale Alltagshandlungen (etwa der Verkauf eines Schraubenziehers an
Beteiligung daran ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen straflos. 18 eine als Einbrecher erkannte Person) nicht ausreichen (dazu R n . 218 ff). In solchen
21 Auch m u ß man bedenken, daß die praktischen Konsequenzen der Unrechtsteil- Fällen wird eine strafbare Teilnahme mit der B e g r ü n d u n g abgelehnt, daß keine
nahmetheorie befremdlich sind. Sie muß, u m nur diese Beispiele zu nennen (vgl. hinreichende Solidarisierung mit dem Täter vorliege.
R n . 8), die Strafbarkeit des agent provocateur oder der deliktisch motivierten A n - Gleichwohl überzeugt das Solidarisierungsprinzip nicht. Wenn Schumann in der 24
stiftung zur Verstümmelung des Anstifters annehmen; denn in beiden Fällen wird Solidarisierung mit dem Täter „eine sozialpsychologische Gefahr für die Geltungs-
der Angestiftete sogar in eine sozial fraglos desintegrierende strafrechtliche Schuld kraft des Rechts" 2 4 sieht und darauf die Teilnahmebestrafung gründen will, über-
verstrickt. Wer, wie die absolut h. M., ein solches Ergebnis nicht für richtig hält, sieht er, daß die Solidarisierung als solche (abgesehen von § 140) überhaupt nicht
m u ß die Unrechtsteilnahmetheorie auch unter diesem Gesichtspunkt ablehnen. strafbar ist. Eine Strafbarkeit ergibt sich (auch bei der einer Solidarisierung noch
Andererseits ist zuzugeben, daß die Frage, ob der Teilnehmer einen Unbescholte- am nächsten k o m m e n d e n psychischen Beihilfe; dazu R n . 197 ff.) i m m e r erst dann,
nen verführt oder inwieweit er sonst zur sozialen Desintegration des Täters bei- wenn das Teilnehmerverhalten sich auf den Erfolg auswirkt. Es wäre auch eine
getragen hat, für die Strafzumessung innerhalb des vorgegebenen R a h m e n s von lebensfremde Annahme, w e n n bei der Anstiftung zum Mord dem Anstifter nicht
Bedeutung ist. Aber daraus läßt sich das Unrecht der Teilnahme nicht erklären, der Tod des Opfers, sondern nur seine Solidarisierung mit dem Täter zur Last g e -
weil es sich allein u m eine Frage des Schuldmaßes handelt. legt werden sollte. Zudem beschreibt der Begriff der Solidarisierung auch viele
Teilnahmebeziehungen nicht richtig. Wer jemanden anstiftet, m u ß sich deshalb
4. D i e Solidarisierung m i t f r e m d e m Unrecht als Strafgrund der Teilnahme nicht mit d e m Täter solidarisieren, sondern verfolgt oft ausschließlich eigene In-
22 Auch Schumann19 geht von der prinzipiellen Selbständigkeit des Teilnahmeun- teressen. Entsprechendes gilt für den Gehilfen, der seinen Tatbeitrag gegen Bezah-
rechts aus. Der Strafgrund der Teilnahme liegt für ihn darin, „daß der Teilnehmer lung leistet, der Tätertat aber im übrigen völlig gleichgültig gegenübersteht.
sich durch seinen vorsätzlichen Beitrag mit fremdem vorsätzlichem Unrecht soli- Man kann also von der Herbeiführung des Erfolges durch den Teilnehmer nicht 25
darisiert, sich mit der fremden Tat gemein macht". 20 Er sieht in der Solidarisierung absehen. Auch Schumann25 räumt das ein, w e n n er „das Erfordernis einer (mittel-
des Teilnehmers mit fremdem Unrecht einen Handlungsunwert, der mit demjeni- baren) Rechtsgutsverletzung" als „Minimalanforderung an den Unrechtsgehalt der
gen identisch ist, „in dem die sog. Eindruckstheorie das strafbare (Handlungs-)Un- Teilnahme" ansieht. Wenn er aber hinzufügt, diese „Minimalanforderung" könne
recht des (untauglichen) Versuchs begründet sieht". Die Teilnahme wird durch „nicht als hinreichender Strafgrund anerkannt werden", läßt er außer acht, daß/das
diese Solidarisierung „zu einem für die Rechtsgemeinschaft unerträglichen Bei- vermeintliche M i n i m u m einen wesentlich gravierenderen Vorwurf enthält als der
spiel".21 von ihm angenommene Strafgrund. Wer vorsätzlich bewirkt, daß ein Mensch
durch die Tat eines anderen zu Tode k o m m t , hat sehr viel Schlimmeres getan, als
17 Zutreffend Keller, 1989,163 f.
is Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 86 ff. 22
Schumann, 1986, 51.
19 Sc/iHmatttt,1986,49ff. « Schumann, 19S6, 51 ff, 54ff.
24
20 Schumann, 1986, 51. Schumann, 1986, 50.
25
2i Schumann, 1986, 50. Schumann, 1986, 44 f.
134 135
§ 26 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre II § 26

wer sich mit dem Täter nur solidarisiert! Die sachwidrige Ausblendung der ak- Beschränkung auf die akzessorietätsorientierte Verursachung beharren. So wird
zessorischen Erfolgsverursachung aus d e m Strafgrund der Teilnahme beruht bei z. B. die Straflosigkeit des agent provocateurs so gut wie einhellig angenommen.
Schumann auf der Annahme, daß dieser „Erfolg im Verantwortungsbereich des Wenn man dafür nicht auf den Strafgrund der Teilnahme zurückgreift, begnügt
Haupttäters" liege. 2 6 Die Teilnahme als Strafausdehnungsgrund erstreckt aber die man sich gern mit der These, daß ein doppelter Teilnehmervorsatz erforderlich sei.
Zurechnung des Erfolges gerade auch auf den Anstifter und Gehilfen! Dieser müsse sich einerseits auf die Bestimmung zur Tat bzw. deren Förderung
und andererseits auf die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges richten.
5. D i e akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie Das ist im wesentlichen zutreffend. Aber die Annahme, daß der Teilnehmervorsatz
sich u.a. auf die tatbestandliche Rechtsgüterverletzung richten muß, begründet
26 Die h. M . lehnt alle Auffassungen, die von der Selbständigkeit des Teilnahme-
sich nicht aus sich selbst, sondern n u r aus der Notwendigkeit eines Rechtsguts-
unrechts ausgehen (2.-4.), ab u n d leitet die Teilnahmestrafbarkeit aus der Ver-
angriffs!
ursachung des Täterverhaltens, also aus fremdem vorsätzlichen Unrecht, her, das
Kellet33 bestreitet unter Berufung auf das Akzessorietätsprinzip die N o t w e n d i g - 29
auf den Teilnehmer übertragen wird. So liegt nach der Rspr. das „Wesen der A n -
keit eines Rechtsgutsangriffs beim Teilnehmer, läßt aber den agent provocateur
stiftung" in der „Verursachung eines rechtswidrigen Verhaltens" (BGHSt 4, 355,
ebenfalls straffrei, indem er aus rechtsstaatlichen Gründen beim Teilnehmer einen
358). 27 Für Jescheck28 besteht das Unrecht des Teilnehmers darin, „daß er an der
„subjektive(n) Bezug zum Deliktstatbestand" verlangt. Aber dieser „subjektive B e -
Normverletzung des Täters mitwirkt. Das Unrecht der Teilnehmertat ist deshalb
zug" besteht eben im vorsätzlichen Angriff auf das Rechtsgut und m u ß in den
nach Grund und Maß vom Unrecht der Haupttat abhängig." Maurach/Gössel29 se-
Strafgrund der Teilnahme eingebunden werden, wenn er über deren Strafbarkeit
hen „das Wesen der Teilnahme in der Veranlassung oder Unterstützung fremden
entscheidet! Herzberg34 schließlich hat mit besonderer Prägnanz die Nichtakzes-
tatbestandlichen Unrechts", und Lackner/Kühl30 fassen die h. M . dahin zusammen,
sorietät des Vorsatzes, d.h. die Notwendigkeit eines selbständigen Deliktsvoll-
„daß Anstifter und Gehilfen die vom Täter begangene rechtswidrige Tat fördern
endungsvorsatzes in der Person des Teilnehmers, herausgearbeitet. Wenn er dies
bzw. mitverursachen". 31
aber mit der Natur des Vorsatzes als eines „besonderen persönlichen Merkmals"
27 Diese Auffassung der Teilnahme als einer mittelbaren, durch die Person des
i. S. d. § 28 I erklärt, müßte das zu einer bloßen Strafmilderung beim agent provo-
Täters bewirkten Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges wird dem Akzes-
cateur fuhren; seine Straflosigkeit läßt sich nur daraus begründen, daß bei ihm -
sorietätsprinzip des geltenden Rechts vollkommen gerecht und kann durch keine
anders als in den Fällen des § 28 - kein Rechtsgutsangriff vorliegt.
der Lehren von der Selbständigkeit des Täterunrechts ersetzt werden. Es gilt also
unverbrüchlich: keine Teilnahme ohne akzessorische Verursachung des tatbestands- Das Beharren auf selbständigen Elementen des Teilnahmeunrechts ist aber nicht 30
mäßigen Versuchs- oder Vollendungserfolges! Aber diese Ansicht erfaßt nur eine nur ein Begründungsproblem. Die Ignorierung der Notwendigkeit eines selb-
notwendige, nicht eine hinreichende Bedingung der Teilnahme, weil sie übersieht, ständigen Rechtsgutsangriffes hat zu vielfältigen Überdehnungen der Teilnahme-
daß sich die akzessorische Verursachung als selbständiger Rechtsgutsangriff des strafbarkeit geführt: u.a. bei der notwendigen Teilnahme ( R n . 41 ff.), bei der Ver-
Teilnehmers darstellen muß. 3 2 Fehlt es daran, wie in den oben ( R n . 8, 9) genann- kennung des nichtakzessorischen Charakters der rechtsgutsbezogenen Absichten
ten Beispielsfällen oder bei der mit Tatbestandsvorsatz herbeigeführten Schaffung (Rn. 161 ff.), bei der Bejahung von Anstiftung auf Grund jeder vorsätzlichen Ver-
eines bloßen Deliktsanreizes ( R n . 23), so liegt keine strafbare Teilnahme vor, o b - ursachung eines Tatentschlusses (Rn.75ff.) und bei der Vernachlässigung des
wohl eine strafbare Tätertat in akzessorischer Weise verursacht worden ist. Problems der „neutralen" Handlungen im R a h m e n der Beihilfe ( R n . 218 ff). Das
28 Gewiß kann man die Ablehnung einer strafbaren Teilnahme beim Fehlen eines kann erst in den jeweiligen Zusammenhängen näher ausgeführt werden, mag aber
Rechtsgutsangriffs auch mit Überlegungen zu begründen versuchen, die außer- zeigen, daß die Frage nach dem Strafgrund der Teilnahme, die oft als eher akade-
halb des Strafgrundes der Teilnahme liegen; dadurch kann man dann bei deren misch beiseite geschoben worden ist, erhebliche praktische Bedeutung hat.
Die Vertreter der völligen Verselbständigung des Teilnahmeunrechts, die mit der 31
Ablehnung oder Bagatellisierung ihres akzessorischen und damit auch aus dem
26 Schumann, 1986, 4 9
27 Im Anschluß an die Rspr. des RG (RGSt 5, 227, 228; 15, 315, 316). Täterunrecht abgeleiteten Charakters über das Ziel hinausschießen, haben für die
28 Jescheck/Wägend, A T 5 , § 6 4 I 2. Erkenntnis der selbständigen Elemente des Teilnehmerunrechts doch Wesentliches
29 Maurach/Gössel, A T / 2 7 , 50/57.
geleistet. So ist die Erkenntnis, daß strafbare Teilnahme nur in Betracht k o m m t ,
30 Lackner/Kühl24, v o r § 25, R n . 8.
3i I m Sinne der h. M . u. a. auch Baumann/Weber, A T 9 , § 37 I l b (in AT 1 0 , § 3 0 I 2, erfolgt eine wenn das vom Täter verletzte Rechtsgut auch gegenüber dem Teilnehmer g e -
Annäherung an die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutsangriff); Freund, AT, § 10, Rn. 110;
Kindhäuser, AT2, 382f.; Kühl, AT3, §20, Rn. 132; Sch/Sch/Cramer/Heine26, vor §§25ff., 33
Rn. 17. Keller, 1989,165 ff.
32 Ebenso Geppert, Jura 1997, 300. 34 Herzberg, 1977,129 ff. (131).

136 137
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre IV § 26

schützt ist (vgl. R n . 8) zuerst von Lüderssen35 präzise herausgearbeitet worden; und Akzessorietät Strafbarkeitslücken, die durch die Unmöglichkeit mittelbarer Täter-
Schumann (vgl. R n . 23) hat die gebotene restriktive Auslegung von Anstiftung schaft entstehen: Wer z. B. jemanden unter den Voraussetzungen des § 35 zur Fah-
und Beihilfe wesentlich gefördert. Auch die h. M . verschließt sich heute der E r - nenflucht (§ 16 WStG) n ö t i g t , kann als Anstifter bestraft werden.
kenntnis, daß das Teilnahmeunrecht teilweise selbständig ist, nicht mehr ganz. 3 6 Das Prinzip der limitierten Akzessorietät ist also sachgerecht: Es bindet auf der 34
So wird man hoffen dürfen, daß sich die „Theorie der akzessorischen Verur- einen Seite die Beteiligungsstrafe in rechtsstaatlicher Weise an das Vorliegen tat-
sachung" allmählich zu einer Konzeption wandelt, die den Strafgrund der Teil- bestandlichen Täterunrechts und verhindert dadurch ein Ausufern der Teilnahme-
n a h m e im „Rechtsgutsangriff durch akzessorische Verursachung" sieht. strafbarkeit, das bei einem Verzicht auf die Akzessorietät unvermeidbar ist (vgl.
R n . 3, 12, 13). Es schließt aber andererseits auch unverständliche Strafbarkeits-
lücken, die das Beharren auf extremer Akzessorietät nach sich ziehen würde.
III. D i e limitierte Akzessorietät

32 Die limitierte Akzessorietät, also die B i n d u n g der Teilnahme an eine tatbe- IV. Das Erfordernis vorsätzlicher Haupttat
standsmäßig-rechtswidrige Tätertat, ist erst durch die StrafrechtsangleichungsVO
Das Prädikat der Sachgerechtigkeit kann man dem Erfordernis einer vorsätz- 35
vom 29. 5. 1943 eingeführt worden und hat die Strafrechtsreform von 1975 über-
liehen Haupttat nicht ohne weiteres zusprechen. 3 8 O b es im Prinzip der limitier-
dauert. Bis 1943 sprach das StGB bei der Anstiftung von der Bestimmung zu einer
ten Akzessorietät eingeschlossen ist, so daß die ausdrückliche E r w ä h n u n g einer
„strafbaren Handlung" (§ 48 a. F.) und bei der Beihilfe von der Hilfeleistung „zur
„vorsätzlich" begangenen Tat in § § 2 6 , 27 eigentlich überflüssig wäre (vgl. R n . 6 ) ,
Begehung des Verbrechens oder Vergehens" (§ 49 a. F.). Daraus hatten Rspr. und
ist zweifelhaft. D e n n die Rspr. hat nach 1943 bis in die Nachkriegszeit hinein
h.L. abgeleitet, daß eine Teilnahme an schuldloser Haupttat nicht möglich sei.
unbeschadet des Prinzips der limitierten Akzessorietät eine Teilnahme an unvor-
Man nennt eine solche Bindung der Teilnahme an die Schuld des Täters „extreme
sätzlicher Tat für möglich erklärt, weil sie den Vorsatz als Schuldvoraussetzung
Akzessorietät". Daneben spricht man von „minimaler Akzessorietät", wenn die
und nicht als Tatbestandselement ansah. 39 Auch w e n n man dieser systematischen
Teilnahme nur eine tatbestandsmäßige Haupttat voraussetzt, u n d von „Hyper-
Deduktion mit der heute absolut h. M. nicht folgt, könnte man i m m e r noch das
akzessorietät" w e n n sogar Strafausschließungsgründe beim Täter eine Teilnahme-
Prinzip der limitierten Akzessorietät so verstehen, daß dafür neben der Rechts-
bestrafung prinzipiell ausschließen. 37
widrigkeit der Täterhandlung nur die Erfüllung des objektiven Tatbestandes erfor-
33 Die praktische Bedeutung der limitierten Akzessorietät ist nicht sehr groß, weil
derlich ist. Auf jeden Fall hätte der Gesetzgeber dies anordnen können.
die Benutzung eines wegen Geisteskrankheit (§ 20), Notstand (§ 35) oder unver-
Seine gegenteilige Entscheidung ist zu respektieren, 4 0 aber auch zu bedauern. 36
meidbaren Verbotsirrtums (§17 S. 1) Entschuldigten i.d.R. eine mittelbare Täter-
Denn sie reißt unverständliche Strafbarkeitslücken auf. Das gilt zunächst für die
schaft begründet, die eine Teilnahme ausschließt ( R n . 10). Eine Teilnahme an
irrtümliche Annahme, der Täter handele vorsätzlich. Wer einer Ehefrau ein Gift
schuldloser Tat liegt aber immerhin dann vor, w e n n der Außenstehende den
gibt in der irrtümlichen Annahme, diese wolle damit ihren M a n n töten, kann
schuldausschließenden Defekt in der Person des Täters nicht kennt (vgl. § 25,
nicht wegen Beihilfe zum M o r d oder Totschlag bestraft werden, w e n n die Frau
R n . 158); sie ist auch sonst bei entschuldigten Tätern nicht gänzlich ausgeschlos-
ihrem M a n n zwar das Gift mit tödlicher W i r k u n g einflößt, dabei aber irrtümlich
sen, wie im Zusammenhang mit der mittelbaren Täterschaft im einzelnen dar-
annimmt, es handele sich u m ein Medikament. Da die versuchte Beihilfe nicht
gestellt worden ist (§25, R n . 4 5 f , 78ff, 93, 139). Die Hauptbedeutung der limi-
strafbar ist und der A n n a h m e einer fahrlässigen Tötung der Vorsatz des Giftliefe-
tierten Akzessorietät liegt bei Pflichtdelikten, bei denen die mittelbare Täterschaft
ranten entgegensteht, 4 1 m u ß dieser also straflos bleiben, obwohl er vorsätzlich den
eines Extraneus ausgeschlossen ist: Wer z.B. einen geisteskranken (§20), durch
Notstand (§ 35) oder unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 S. 1) exkulpierten Arzt
38 So auch z . B . Sch/Sch/Cramer/Heine26, v o r § § 2 5 f f . , R n . 29{.; Jakobs, A T 2 , 22/13ff.
zur Preisgabe von Berufsgeheimnissen veranlaßt, kann wegen Anstiftung zu § 203 39 Zuletzt BGHSt 4, 355 (358 m.w.N.); 5, 47. In der Rspr. des BGH ist das Vorsatzerforder-
bestraft werden; bei extremer Akzessorietät müßte in solchen Fällen Straflosigkeit nis seit BGHSt 9, 370 verlangt worden; vgl. ferner OLG Köln NJW 1962, 686 m. Anm. Bin-
dokat u. Anm. Dreher, MDR 1962, 592 f.
angenommen werden. Auch bei eigenhändigen Delikten schließt die limitierte
"o Anders nur Schmidhäuser, AT1,14/87 f.; den., StuB AT2,10/22 ff., der den Begriff der „vor-
sätzlich begangenen Tat" in §§ 26, 27 im Sinne eines bloß „gewollten Tuns" versteht. Das ist
35
Lüderssen, 1967, 131 f.; später in diesem Sinne auch Herzberg, 1977, 133ff.; M.-K. Meyer, aber angesichts des durch den Gesetzeswortlaut gedeckten eindeutigen legislatorischen Willens
GA 1979, 263 f.; SYJ-Hoyer, vor § 26, Rn. 17; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 122, 206. eine unzulässige Umdeutung des Gesetzes (in AT2, 14/68, Fn. 11, gibt Schmidhäuser diese Auf-
36 Vgl. die Nachweise bei Roxin, Stree/Wessels-FS, 1993, 369f. fassung ausdrücklich auf).
41
37
Die Benennung der verschiedenen Grade der Akzessorietät stammt von M.E. Mayer, So jedenfalls die h. M. Aber selbst wenn man mit der Begründung, daß in jedem Vorstz
vgl. dessen AT, 1915, 391, und die an Mayer anschließende Diskussion bei Bockelmann, 1957, eine Fahrlässigkeit als ein Minus enthalten sei, eine fahrlässige Tötung annehmen wollte,
31. würde dadurch das Vorsatzunrecht des Giftlieferanten nicht erfaßt werden..

138 139
§ 26 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme — A. Grundfragen der Teilnahmelehre V § 26

Tod eines Menschen verursacht hat und objektiv sein Anteil daran sogar noch g r ö - Roxin, AT 1 , § 14, R n . 51 ff.) den hier gemeinten Vorsatz nicht berührt. N u r die
ßer war, als er sich vorgestellt hatte. Das ist ein offensichtlich unbilliges Ergebnis. zweite dieser Voraussetzungen wäre vom hier vertretenen Standpunkt aus allen- -
falls akzeptabel. Da aber die irrige Annahme, von der Schweigepflicht entbunden
Näher dazu mit weiteren Beispielen § 25, R n . 158 ff.
zu sein, generell und auch unabhängig davon im Falle des § 203 den Tatbestands-
Die zweite große Fallgruppe, bei der das Beharren auf der Vorsätzlichkeit der
vorsatz ausschließt (vgl. Roxin, AT 1 , § 13, R n . 22, 83), kann auch mit einer derar-
Tätertat zu unsachgemäßen Ergebnissen führt, sind die Pflichtdelikte. Wenn etwa
tigen Konstruktion eine Anstiftungsstrafbarkeit nicht begründet werden. Selbst
ein nicht unfallbeteiligter Beifahrer dem Fahrer zum unerlaubten Entfernen vom
wenn man aber anderer M e i n u n g sein wollte, würde eine solche Herleitung der
Unfallort (§ 142) durch die Bemerkung veranlaßt, er habe draußen nachgesehen
Strafbarkeit doch ein am Ergebnis orientierter Behelf bleiben. Die einzige klare
und festgestellt, daß nichts passiert sei, 42 kann er mangels Wartepflicht nicht als
Lösung läge darin, daß man generell die Teilnahme an vorsatzloser Tätertat zu-
mittelbarer Täter bestraft werden, obwohl er sich eines vorsatzlos handelnden
ließe. Aber eine solche Möglichkeit kann nur der Gesetzgeber schaffen; nach gel-
Werkzeugs bedient hat. Aber auch eine Bestrafung wegen Anstiftung zu § 142 ist
tendem Recht sind die von ihm sehenden Auges aufgerissenen Strafbarkeitslücken
mangels vorsätzlicher Haupttat nicht möglich. Der Veranlasser m u ß also straflos
hinzunehmen.
ausgehen, obwohl er einen Unfallverursacher zum Verlassen des Tatortes bestimmt
Freilich hat das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat in der Literatur auch 40
und sogar noch größere Verantwortung auf sich geladen hat als in dem unstrittig
viele Anhänger. 4 7 Das Hauptargument für die Regelung des geltenden Rechts
wegen Anstiftung strafbaren Fall, daß der Täter vorsätzlich handelt. D e n n ein vor-
liegt darin, daß sonst die Tatbestandsbindung der Teilnahme zu stark gelockert
sätzlich handelnder Täter trägt im Verhältnis zum Anstifter immerhin die Haupt-
werde. 4 8 Diese Befürchtung ist unbegründet, weil gerade bei den Pflichtdelikten
verantwortung für das Geschehen, während bei der Täuschung über das Vorliegen
schon der objektive Tatbestand hinreichend klare Konturen aufweist: Es m u ß —
eines Unfalles der Veranlasser die Vorsatzverantwortung allein trägt. Daß dies mit
u m bei den geschilderten Beispielen zu bleiben - der Unfallbeteiligte sein, der
Straflosigkeit honoriert werden soll, leuchtet nicht ein.
den Tatort verläßt und dadurch die Feststellungen vereitelt; und es m u ß der Arzt
Die praktisch häufigste Konstellation aus dieser Fallgruppe ist die, daß jemand
oder Anwalt sein, der das Geheimnis seines Patienten bzw. Mandanten offenbart.
einen Arzt oder Anwalt durch die Vorspiegelung, der Patient bzw. Mandant habe
Die ursprünglich von Welzel49 aufgestellte und bis heute vielfach wiederholte
ihn (den Arzt oder Anwalt) von der Schweigepflicht entbunden, zur Offenbarung
These, daß die Strafbarkeit einer Veranlassung zur unvorsätzlichen Preisgabe frem-
anvertrauter Geheimnisse veranlaßt. 4 3 Auch hier scheitert eine mittelbare Täter-
der Privatgeheimnisse den Tatbestand des § 203 zu einem „Ausspähungsdelikt"
schaft des Außenstehenden an seiner mangelnden Täterqualifikation, während die
umfälschen würde, schießt weit über das Ziel hinaus, weil die — sei es auch unvor-
Annahme einer Anstiftung nach geltendem Recht wegen fehlenden Tätervorsatzes
sätzliche - Offenbarung immer an die Person des Geheimnisträgers gebunden
nicht möglich ist; denn die irrige A n n a h m e einer in der Entbindung von der
bleibt.
Schweigepflicht liegenden Einwilligung des Patienten oder Mandanten schließt
den Vorsatz aus {Roxin, AT l 3 , § 13, R n . 22, 83). 44
Teilweise wird in solchen Fällen dennoch die Strafbarkeit wegen Anstiftung V. D i e n o t w e n d i g e Teilnahme
vertreten. 4 5 Das ist aber nur unter der doppelten Voraussetzung 4 6 möglich, daß
Unter „notwendiger Teilnahme" versteht man die Erscheinung, daß ein Delikt 41
man erstens nicht, wie es hier geschieht (vgl. Roxin, AT 1 , § 13, R n . 12 ff), die
die Beteiligung mehrerer Personen voraussetzt. Man unterscheidet 5 0 Konvergenz-
Einwilligung als Tatbestandsausschließungs-, sondern als Rechtfertigungsgrund
und Begegnungsdelikte. Bei den Konvergenzdelikten wirken die Tatbeiträge
auffaßt und daß man zweitens den Vorsatzbegriff der §§ 26, 27 im Sinne eines
mehrerer Personen in derselben Art und R i c h t u n g auf die Rechtsgutsverletzung
reinen Tatbestandsvorsatzes versteht, so daß also der in der Irrtumslehre den Vor-
hin. So verhält es sich z. B. bei der Gefangenenmeuterei (§ 121), beim Land-
satz ausschließende Erlaubnistatbestandsirrtum der unmittelbar Handelnden (vgl.
friedensbruch (§ 125) oder bei der von mehreren begangenen Körperverletzung
42
Eine ähnliche Konstellation behandelt OLG Stuttgart JZ 1959, 579. Der wissenschaftliche (§224 Abs. 1 Nr. 4). Es sind dann jeweils alle Beteiligten nach der entsprechenden
Meinungsstreit über die Frage hatte sich vor allem an dieser Entscheidung entzündet. Vgl. dazu
Dahin, MDR1959, 508; Lange, ]Z 1959, 560; Rudolphi, GA1970, 353. 47
43 Ausführliche Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten bei Roxin, Täterschaft,
Vgl. zu ähnlichen Sachverhalten die Entscheidungen BGHSt 4, 355 und OLG Köln 7
2000, 371-379.
48
MDR 1962, 591. Vgl. etwa die Darstellung bei SKD-Samson, vor §26, Rn. 27. Anders jetzt SK -Hoyer, vor
44
Zur Straflosigkeit des Anstifters kommen in den genannten Fällen auch Geppert, Jura § 26, Rn. 27, der lediglich die limitierte Akzessorietät darstellt und zur Gesetzgebungsge-
1997, 303; Kühl, AT3, § 20, Rn. 140. schichte auf seine weiteren Nachweise verweist.
45
Dreher, Heinitz-FS, 1972, 222; Freund, AT, § 10, Rn. 20; Frisch, 1983, 252; Jescheck/Weigend, "9 Welzel, StrafR11,113.
50
AT5, § 41IV 2 a, Fn. 49; Lackner/Kühl 24, vor § 25, Rn. 9; SY?-Rudolphi, § 16, Rn. 13; Schmidhäu- Im Anschluß an Freudenthal, 1901; dort auch Näheres über die Herkunft des Begriffs der
ser, LB AT2,10/22ff.; Tröndle/Fischer50, § 16, Rn. 27 ff. notwendigen Teilnahme (5 ff.).
« Vgl. auch die Übersicht bei Kühl, AT3, § 20, Rn. 141 ff.
141
140
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre V § 26

Vorschrift zu bestrafen. Im übrigen werfen die Konvergenzdelikte keine Probleme Rechtsgutsangriff vor, weil § 174 nur die sexuelle Entwicklung gegen Angriffe
auf, die eine weitere Behandlung im Allgemeinen Teil erforderlich machen. 3 1 anderer schützt. Das Opfer einer versuchten Tötung auf Verlangen (§ 216) kann
42 Anders liegt es bei den Begegnungsdelikten. Hier wirken mehrere Beteiligte nicht wegen Anstiftung bestraft werden, weil, wie die Straflosigkeit des Selbst-
in entgegengesetzter R i c h t u n g auf dasselbe Ziel hin. So sind etwa für den Wucher mordes zeigt, niemand sein eigenes Leben in strafbarer Weise angreifen kann. Ent-
(§ 291) immer zwei Personen erforderlich, der Wucherer und der Bewucherte. Der sprechendes gilt für alle Fälle, in denen ein Tatbestand Täter und Opfer nennt: es
Bewucherte ist notwendiger Teilnehmer, denn ohne ihn ist ein Wuchergeschäft folgt aus dem Strafgrund der Teilnahme, daß der Träger des angegriffenen Rechts-
nicht möglich; aber sein Verhalten bedeutet die U m k e h r u n g der Wuchererrolle. gutes an d e m von einem anderen darauf verübten Angriff kein strafbarer Teilneh-
Während der Wucherer sich bereichert, wird der Bewucherte entreichert. In ähn- mer sein kann. 5 3
licher Weise verschafft der Kuppler die Gelegenheit (§ 180), während der Ver- Daß die Straffreistellung nichts mit notwendiger Teilnahme zu tun hat, zeigt 45
kuppelte sie ausnutzt; der Insolvenzschuldner begünstigt den Gläubiger (§ 283 c), sich an der Geltung derselben Grundsätze bei nicht notwendiger Teilnahme. Wer
während der Gläubiger die Befriedigung entgegennimmt usw. Der Gesetzgeber einen Arzt anstiftet, ihn (den Anstifter) zu verstümmeln, ist nicht notwendiger
bestimmt ausdrücklich immer nur die Strafbarkeit des Täters, also des Wucherers, Teilnehmer; denn normalerweise werden Körperverletzungen ohne aktive Opfer-
Kupplers, Insolvenzschuldners. Er schweigt i.d.R. über die Strafbarkeit des not- teilnahme ausgeführt. Aber der Anstifter ist trotzdem straflos, weil die § § 2 2 3 ff.
wendig Beteiligten, die denn auch in vielen Punkten umstritten ist. nur die Verletzung einer „anderen Person" mit Strafe bedrohen, die mittelbare
43 Im folgenden werden nur die Begegnungsdelikte behandelt. 3 2 Dabei wird der Selbstverletzung also keinen strafbaren Rechtsgutsangriff darstellt (vgl. R n . 8). 5 4
Begriff der notwendigen Teilnahme aus traditionellen Gründen beibehalten, o b - Wer einen anderen, u m ihn als Dieb zu kompromittieren, veranlaßt, eine ver-
wohl er ungenau ist und die meisten der mit ihr verbundenen Probleme eher ver- meintlich fremde, in Wahrheit dem Anstifter gehörende Sache in der Absicht
deckt. So ist z. B. beim sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174) das rechtswidriger Zueignung an sich zu nehmen, bewirkt in der Person des Aufgefor-
Opfer in der Regel Teilnehmer der an i h m vorgenommenen Handlungen. Aber derten einen versuchten Diebstahl. 5 5 Er ist auch keineswegs notwendiger Teilneh-
„notwendig" ist diese Teilnahme nicht; sie fehlt, w e n n der Täter vis absoluta an- mer. Straflos ist er aber trotzdem, weil er nur sein eigenes Eigentum angreift, das
wendet. Andererseits kann die Beteiligung des Opfers einen über die Teilnahme ihm gegenüber strafrechtlich nicht geschützt ist.
hinausgehenden „mittäterschaftlichen" Charakter tragen oder als Anstiftung den b) D e r n o t w e n d i g Beteiligte befindet sich in notstandsähnlicher Lage
Bereich des bei diesem Tatbestand „Notwendigen" verlassen. Vor allem ist der B e - Aus dem Strafgrund der Teilnahme läßt sich aber auch die Straffreiheit des Teil- 46
griff der notwendigen Teilnahme auch deshalb problematisch, weil die rechtliche nehmers in den Fällen begründen, in denen der notwendig Beteiligte sich in einer
Behandlung des Großteils der einschlägigen Konstellationen nicht aus der not- notstandsähnlichen Lage befindet. Der Gefangene, der einen anderen zu seiner
wendigen Beteiligung, sondern aus dem Strafgrund der Teilnahme abzuleiten Befreiung anstiftet (§ 120), m u ß straflos sein. Das folgt nicht aus einer n o t w e n d i -
ist. gen Teilnahme (denn die Anstiftung ist keineswegs notwendig), sondern aus der
Straflosigkeit der schlichten Selbstbefreiung. 56 Der staatliche Gewahrsam ist g e -
1. D i e aus d e m Strafgrund der Teilnahme folgende Straflosigkeit n o t w e n -
genüber Eingriffen anderer, nicht aber gegenüber dem Gefangenen selbst straf-
dig Beteiligter rechtlich geschützt; er kann deshalb vom Gefangenen nicht in strafrechtlich rele-
a) D e r n o t w e n d i g Beteiligte ist Träger des tatbestandlich geschützten vanter Weise angegriffen werden. 5 7 Freilich will die Rspr. 5 8 nur das Entweichen
Rechtsguts des Gefangenen, das sich als Beihilfe zur Gefangenenbefreiung darstellt, straflos
44 So folgt der in Rspr. und Literatur einhellig anerkannte Grundsatz, daß der
53
durch einen Tatbestand Geschützte unabhängig von der Art seiner Beteiligung Ähnlich auch Gropp, 1992,139ff., der von „selbstverletzender Sonderbeteiligung" spricht;
straflos ist, aus dem einfachen Umstand, daß niemand seine eigenen Rechtsgüter den., AT2, §10, Rn.l63f£; Kühl, AT3, §20, Rn.139; Sowada, 1992, 62ff.; Sch/Sch/Cramer/
Heine26, vor §§25 ff, Rn. 27. '
in strafrechtlich relevanter Weise angreifen kann. Der Darlehensnehmer, der von s* A.A. wohl nur Otto, Lange-FS, 1976, 213; wie hier Herzberg, 1977, § 13 II 1; Jakobs, AT2,
sich aus die Wucherzinsen anbietet, schädigt nur sich selbst, verübt also keinen 24/9; Wolter, JuS 1982, 345 f.
55
Rechtsgutsangriff i. S. d. § 291 und ist schon aus diesem Grunde straflos. Die Die Vollendung wird durch die Einwilligung des Eigentümers ausgeschlossen, vgl.
Roxin, AT l3, § 13, Rn. 5, 47.
Jugendliche, die an sexuellen Handlungen i. S. d. § 174 teilnimmt, n i m m t keinen 56
So der Sache nach auch Gropp, 1992, 240; den., AT2, § 10, Rn. 173ff.
57
51 Gegen diese Argumentation Sowada, 1992,197 ff.
Zur Systematik der Konvergenzdelikte vgl. Küper, GA 1997, 301. 58
BGHSt 4, 396 ff. (400 f.) im Anschluß an RGSt 3, 140; 61, 32. Ebenso BGHSt 17, 369
52
Dabei haben die erörterten Tatbestände nur exemplarische Bedeutung. Eine umfassende (373); dagegen soll bei gemeinschaftlicher Flucht die dem anderen im Interesse der eigenen
Analyse des Gesamtmaterials, vor allem der zahlreichen einschlägigen Tatbestände des Neben- Befreiung geleistete Teilnahme straflos sein (aaO., 373 f.).
strafrechts, liefert Gropp, 1992.
143
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§ 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre V § 26
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Preisgabe der Tatvorteile leicht die Entdeckung und Überführung des Täters nach sich ziehen
lassen, während die Anstiftung strafbar sein soll. Aber das ist „eine den Gleich- kann; zum größeren Teil erklärt sie sich aus dem Gedanken, der auch die straflose Nachtat
heitssatz verletzende willkürliche Ungleichbehandlung".59 Wenn die eigenhän- trägt,6 daß nämlich die Beutesicherung durch die Bestrafung der Vortat abgegolten ist.
Gleichwohl treffen die Gründe, die für die Straflosigkeit sprechen, auch auf die mittelbare
dige Selbstbefreiung straflos ist, ist kein Grund ersichtlich, warum die mittelbare Selbstbegünstigung zu. Trotzdem bestimmt § 257 III 2 die Strafbarkeit des Vortäters, „der
Selbstbefreiung durch Anstiftung eines anderen strafbar sein sollte. einen an der Vortat Unbeteiligten zur Begünstigung" anstiftet. Das ist nur als inkonsequenter
47 Ebenso ist die vom Straffälligen zu seinen Gunsten vorgenommene Anstiftung Rückgriff auf die Unrechtsteilnahmetheorie (Rn. 16ff.)verstehbar,66 muß aber gleichwohl als
zur Strafvereitelung (§ 258) straflos. Denn nach § 258 ist nur strafbar, wer „einen gesetzliche Ausnahmeregelung hingenommen werden.
anderen" der Strafe entzieht. Die Strafrechtspflege kann also durch jedermann, nur
nicht durch den die Bestrafung vereitelnden Straffälligen selbst, in strafrechtlich 2. Die tatbestandsnotwendige Mindestmitwirkung
erheblicher Weise angegriffen werden. Die Rspr. hatte früher auch die Anstiftung Bisher hat weitgehende Einigkeit darüber bestanden, daß in allen übrigen Fäl- 50
zu § 258 (257 a. F.), durch die ein Straffälliger sich der Strafe entziehen wollte, für len der notwendigen Teilnahme die jeweilige Mindestmitwirkung straflos ist, dar-
strafbar erklärt. 60 Das ist heute schon aufgrund der gesetzlichen Regelung nicht über hinausgehende Teilnahmeaktivitäten aber nach allgemeinen Regeln bestraft
mehr haltbar; denn ein Umkehrschluß aus §257 III 2 (dazu Rn. 49) wie auch werden.67 Das bedeutet z.B., daß beim Parteiverrat (§356) die begünstigte Partei
§ 258 V lassen erkennen, daß Handlungen, durch die jemand sich der Strafe ent- straflos ist, wenn sie das Verhalten des Gegenanwalts lediglich ausnutzt; wer da-
ziehen will, in allen ihren Erscheinungsformen straflos sein sollen. Diese gesetz- gegen den Gegenanwalt durch Geldzahlungen zum Parteiverrat veranlaßt, ist
lichen Anhaltspunkte stellen aber nur klar, was sich aus dem Strafgrund der Teil- wegen Anstiftung strafbar. Wer als Gläubiger die ihm vom Schuldner unter Ver-
nahme ohnehin ergibt. stoß gegen §283c gewährte Befriedigung nur entgegennimmt, bleibt straflos;
48 Die Straflosigkeit der Anstiftung durch den Gefangenen bzw. Straffälligen bei wer aber aktiv im Sinne der Tatbestandsverwirklichung auf den Schuldner ein-
§§ 120, 258 ist heute in der Literatur allgemein anerkannt.61 Doch wird die Straf- wirkt, ist Anstifter. Wegen Beihilfe zu § 29 I Nr. 6 BtMG (Verabreichung von Be-
freiheit durchweg nicht aus dem Strafgrund der Teilnahme, sondern daraus er- täubungsmitteln) wird nicht bestraft, wer sich ohne Gegenleistung von einem
klärt, daß der Gesetzgeber die notstandsähnliche Lage des Betroffenen privile- anderen Heroin injizieren läßt, das diesem allein gehört (KG J R 1991, 169); eine
giere. Der psychische Druck 62 und die Selbstbegünstigungstendenz63 des Ge- weitergehende Mitwirkung würde jedoch als Teilnahme strafbar sein.
fangenen bzw. Verfolgten sollen seine Straflosigkeit begründen. Diese Deutungen Neuerdings wird der Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung jedoch in 51
widersprechen der hier gegebenen Erklärung nicht. Denn sie bezeichnen die zunehmendem Maße bestritten. Herzberg, Jakobs und Sowada68 wollen in den Bei-
Gründe, warum der Gesetzgeber die Selbstbefreiung bzw. das Sich-selbst-der- spielen der §§356, 283 c auch die bloße Ausnutzung oder Entgegennahme der
Strafe-Entziehen für tatbestandslos erklärt hat. Auf der Basis dieser so motivierten Vorteile bestrafen, und auch Gropp69, der in den genannten Fällen zur Straflosig-
legislatorischen Entscheidung folgt dann aber die Straflosigkeit jeglicher Beteili- keit kommt, leitet das aus der Struktur dieser Tatbestände und nicht aus einem
gung an den auf Befreiung oder Strafvereitelung abzielenden Handlungen ande- allgemeinen Grundsatz ab. Ginge man von dieser Position aus, so würde die „not-
rer daraus, daß die von diesen verletzten Rechtsgüter gegenüber dem Beteiligten wendige Teilnahme" als solche kein Gegenstand der allgemeinen Lehren des Straf-
nicht geschützt sind.64 rechts mehr sein können. Denn die unter diesem Titel behandelten Erscheinungen
49 Konsequenterweise müßte auch die Anstiftung zur Vorteilssicherung (§ 257) durch den Be- strafloser Mitwirkung würden teils dem Strafgrund der Teilnahme zuzuordnen
günstigten selbst straflos sein. Denn wer ohne die Mitwirkung anderer die Vorteile seiner Tat sein (oben 1.), teils aus der Struktur der jeweiligen Einzeltatbestände folgen und
sichert, ist nicht nach § 257 strafbar. Der Grund für die Straflosigkeit der Selbstbegünstigung
damit eine Materie des Besonderen Teils sein.
beruht freilich nur zum geringeren Teil auf einer psychischen Zwangslage, auch wenn die
Es ist auch zuzugeben, daß der Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung 52
59 zwar durch eine lange Tradition eine gewisse Selbstverständlichkeit erhalten, eine
Gropp, 1992, 244.
«> BGHSt 5, 75, 81; 17, 236 m.w.N.
61
Jescheck/Weigend, AT5, § 64 V 2 b; Kohlrausch/Lange, StGB43, vor § 47, Anm. IV; SK7- « Dazu Gropp, 1992, 273 f.
Hoyer, vor §26, Rn.74; Schmidhäuser, LB AT2,14/173; ders., StuB AT2,10/170; Stratenwerth, AT4, «« Herzberg, 1977, § 13 II 2; Lackner/Kühl2*, §257, Rn.8; Otto, Lange-FS, 1976, 213f.; Wolter,
§ 12, Rn. 210; Welzel, StrafR11,122f.; ausführlich dazu Gropp, 1992, 238ff.; Sowada, 1992,195 ff. JuS 1982, 347. Der von Gropp, 1992, 276 herangezogene Gedanke, „daß der Bezugstatbeteiligte
(zu § 120). von der Korrumpierung eines Unbeteiligten durch Strafdrohung eher abzuhalten ist" leuchtet
ö So etwa Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 210; ähnlich auch Gropp, KT2, § 10, Rn.163. weniger ein und entkräftet auch die für die Straflosigkeit der Selbstbegünstigung sprechenden
« Sowada, 1992, 202. Gründe nicht.
67
64
Umgekehrt zeigt sich Wolter, JuS 1982, 347, skeptisch gegenüber der Argumentation aus Zur Entwicklung der reichsgerichtlichen Judikatur, die hier im einzelnen nicht nachge-
dem Strafgrund der Teilnahme, weil die notwendige Teilnahme „durchaus eigenen Regeln" wiesen zu werden braucht, Sowada, 1992,125 ff.
folge. Andererseits räumt er ein, daß sich gerade vom Standpunkt der hier vertretenen und «< Herzberg, 1977, § 13 II 2, bei Fall 101; Jakobs, AT2, 24/12; Sowada, 1992,116 ff.
69
von ihm geteilten Auffassung über den Strafgrund der Teilnahme aus diesem „fast durchweg Gropp, 1992, 230 f.
eine Absicherung der Ergebnisse* gewinnen lasse. 145
144
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - A. Grundfragen der Teilnahmelehre V § 26
70
ausreichende Begründung aber nicht erfahren hat. Denn die These, „daß der sten Fällen keine speziellen Hinweise für Strafbarkeit oder Straflosigkeit der not-
Gesetzgeber, wenn er bei Begegnungsdelikten beide Beteiligte für strafbar erklä- wendigen Mindestbeteiligung ergeben, sondern man sich auf verallgemeine-
ren will, dies immer ausdrücklich anordnet (etwa in § 173 oder §§331 ff), so daß rungsfähige Erwägungen über die mangelnde Strafwürdigkeit des „Teilnehmers"
sich im Gegenschluß die Straflosigkeit wenigstens der tatbestandslosen Mindest- stützen muß, sollte man es bei dem seit Beginn der reichsgerichtlichen Rechtspre-
beteiligung ergibt", ist nicht zwingend. Die besondere Erwähnung der „Ab- chung befolgten Grundsatz belassen, daß die Mindestmitwirkung des notwendig
kömmlinge" in § 173 II1 und die differenzierte Regelung der Strafbarkeit von An- Beteiligten unbestraft bleibt. Ein Strafbedürfnis ist auch in der langen Zeit, in der
nehmendem und Leistendem in §§ 331 ff. läßt sich auch aus Strafrahmenerwägun- dieser Grundsatz praktiziert wird, nie hervorgetreten.
gen und Besonderheiten der Strafbarkeitsfestlegung erklären. Wenn im übrigen Das Ausmaß der noch straflos zu lassenden Beteiligung kann allerdings von 55
spezielle Strafdrohungen gegen den notwendigen Teilnehmer fehlen, könnte das Tatbestand zu Tatbestand variieren. So erscheint es durchaus angemessen, die Par-
darauf beruhen, daß die allgemeinen Regeln der §§ 26, 27 für sie gelten. Auch läßt tei, die den Gegenanwalt zum Parteiverrat, oder den Gläubiger, der den Schuldner
sich aus dem „Gegenschluß" nicht erklären, warum die Straflosigkeit der Teil- zur Begünstigung nach § 283 c veranlaßt, wegen Anstiftung zu bestrafen;74 denn
nahme auf die „Mindestbeteiligung" beschränkt bleiben soll. hier bringt der notwendig Beteiligte das Geschehen erst in Gang und muß sich
53 Trotzdem sollte an der Straflosigkeit der Mindestmitwirkung festgehalten wer- dafür verantwortlich machen lassen. Wer dagegen den Raubdruck eines urheber-
den. Denn die tatbestandsnotwendige Mindestbeteiligung weicht vom Normal- rechtlich geschützten Buches (§ 106 UrhG) oder ein pornographisches Werk im
bild der Beihilfe zu weit ab, um ihr gleichgestellt werden zu können. Die Beihilfe Versandhandel (§ 184 I Nr. 3) bestellt, dessen Anstiftung bleibt eine periphere
ist eine Hilfeleistung (§ 27) und zur Förderung der Tat des Täters bestimmt. Der Beteiligung unterhalb der Strafwürdigkeitsschwelle, weil die Gefährlichkeit des
notwendig Beteiligte aber handelt nicht, um dem Täter (aus welchen Motiven jeweiligen Täterverhaltens durch eine einzelne Bestellung nicht beeinflußt wird.
auch immer) zu helfen, sondern er verwirklicht ein selbständiges Tatbild. Ob je- Die Grenzen der Straflosigkeit bei „notwendiger Beteiligung" sind also doch eine
mand z.B. Raubdrucke herstellt und verbreitet (§§ 106ff. UrhG), ist etwas ganz Materie des Besonderen Teils. Sie hängen von der Besonderheit der einzelnen Tat-
anderes als der Erwerb eines solchen Buches. Die Herstellung und Verbreitung ist bestände ab.
eine nachhaltige Schädigung von Urheberrechten, der Erwerb eines einzelnen
Buches aber ist eine so periphere Mitwirkung, daß sie nicht mehr als strafwürdig 3. Die Beteiligung an notwendiger Beteiligung 75
erscheint.
Grundsätzlich gilt, daß straflos bleibt, wer auf der Seite des straflosen notwen- 56
54 Groppn hat die meisten Fälle der notwendigen Teilnahme, soweit sie nicht den
dig Beteiligten mitwirkt. Wer also dem Schwerkranken rät, den Arzt um eine er-
bei 1. geschilderten Konstellationen der Opfermitwirkung und der notstandsähn- lösende Spritze zu bitten, ist straflos;76 denn er fordert zu einem Verhalten auf, das
lichen Lage entsprechen, als „Zentrifugal"- und „Zentripetaldelikte" gedeutet72 in der Person des Aufgeforderten straflos ist. Dasselbe gilt für den Ratschlag, sich
und die Straflosigkeit des am Rande Mitwirkenden aus dem „Gefährlichkeitsge- auf ein wucherisches Geschäft einzulassen (§ 302 a), aber auch für die Empfehlung,
fälle" zwischen Täter und Sonderbeteiligtem erklärt. Das zentrale tatbestandliche einen Raubdruck zu erwerben (vgl. Rn. 55) usw. Wer hingegen auf der Seite des
Unrecht werde „durch ein auf Wiederholung nach identischem Schema angeleg- Täters mitwirkt, ist grundsätzlich strafbar; der Gehilfe des auf Verlangen tötenden
tes potentielles Multiplikationsverhalten geprägt, an welchem der Sonderbetei- Arztes ist also nach §§27, 216, der zur Wuchertat Anstiftende nach §§26, 302 a
ligte nur peripher teilhat, weshalb sein Teilnahmeunrecht dem Täterunrecht quali- strafbar. Eine Ausnahme davon gilt nur dann, wenn der auf der Täterseite Mit-
tativ nicht mehr entspricht". Auch Sowada73 kommt bei seinen Einzelanalysen wirkende dies auf Veranlassung und im Interesse des notwendig Beteiligten tut.
durchweg (nur gerade nicht bei §§ 283 c, 356) zur Straflosigkeit der tatbestands- Wer auf dessen Bitten jemanden um eine Tötung auf Verlangen oder die Ge-
notwendigen Mindestbeteiligung. Da die einzelnen Tatbestände aber in den mei- währung eines Wucherdarlehens ersucht, sollte straflos bleiben. Denn die formale
Anstiftung des Täters stellt sich der Sache nach als ein Tätigwerden auf der Seite
7
° So noch LKn-Roxin, vor § 26, Rn. 37; ebenso Vormbaum, GA 1981, 131 f.; Wolter, JuS 1982, des Opfers dar. <
345.
7
' Gropp, 1992, 206 ff. (223).
72
Zentrifugaldelikte beschreiben „das potentiell multiple Aussenden gefährlicher Gegen-
stände. Charakteristische Tathandlungen sind z. B. das .Verbreiten', .Inverkehrbringen' oder das
.Abgeben' von Gegenständen" (Gropp, 1992, 207). Zentripetaldelikte sind Begehensweisen,
74
„bei denen der Täter als Mittelpunkt des Geschehens zur Begehung der Tat typischerweise Ebenso Seh/Seh/Cramer/Heine 26, vor §§ 25 ff, Rn. 47 b.
Dritte anlockt" (aaO., 222); dazu zählt er auch die Tatbestände der §§283, 283 c, 356 (aaO., 75
Erörterung am Beispiel der Mietpreisüberhöhung: Bohnert, K. Meyer-GS, 1990, 519-
229 ff.). 532.
76
73 Sowada, 1992,161 ff. Ebensojakobs, AT2, 24/9.
146 147
§ 26 I 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung II §26
rung des tatbestandsmäßigen (Verletzungs- oder Gefährdungs-)Erfolges richten
B. Anstiftung muß. Während der erste P u n k t durch die unter 1. und 2. behandelten Themen im
wesentlichen abgedeckt ist, betrifft der zweite noch wieder zwei unterschiedliche
I. Übersicht Probleme: die Frage, wie konkret der Veranlasservorsatz die ausgeführte Tat umfas-
sen muß, u m noch als Anstiftung gelten zu können ( R n . 133-149), und die ganz
57 Die Anstiftung ist vorsätzlich-aufforderndes Bestimmen zu vorsätzlicher Tat. 77
andere Frage, ob und inwieweit der Anstiftervorsatz sich nicht nur auf die Herbei-
Hinter dieser schlichten Umschreibung verbergen sich schwierige Auslegungs- führung einer „rechtswidrigen Tat", sondern auf eine vollendete Tatbestandsver-
probleme, die vorab nur gekennzeichnet werden können u n d dann schrittweise wirklichung oder noch weitergehend auf die Herbeiführung der dahinterstehenden
entfaltet werden müssen. Rechtsgüterverletzung oder-gefährdung richten m u ß ( R n . 150-166).

1. D i e B e s t i m m u n g zur Tat ( R n . 65-73)


5. Sonderformen der Anstiftung ( R n . 167-178)
58 Der Anstifter m u ß zunächst den Täter zur Tat „bestimmt" haben. Dies setzt vor-
Hier wird die Anstiftung bei erfolgsqualifizierten Delikten, bei Pflichtdelikten 62
aus, daß der Täter nicht schon von sich aus zur Tat entschlossen (ein „ o m n i m o d o
und eigenhändigen Taten sowie bei Unterlassungsdelikten, ferner Einheit und
facturus") war. Hier geht es also im wesentlichen u m die Frage des Tatentschlusses Mehrheit der Anstiftung sowie Täterschaft und Teilnahme bei der Anstiftung b e -
und die Kausalität des Anstifters dafür. handelt.

2. D i e B e s t i m m u n g durch Aufforderung ( R n . 74-89)


6. D i e Strafe der Anstiftung ( R n . 179-182)
59 Die Bestimmung zur Tat m u ß im Wege einer, sei es auch konkludenten, Auf-
Der kurze Schlußabschnitt erörtert die tätergleiche Strafe des Anstifters und die 63
forderung erfolgen. Damit setzt sich die hier vertretene Auffassung von zwei Frage ihrer kriminalpolitischen Berechtigung.
Extrempositionen ab, die entweder nur die bloße vorsätzliche Verursachung des
Die vorstehend bezeichnete Übersicht verfolgt den Zweck, dem Leser durch 64
Tatentschlusses oder geradezu eine Verpflichtung des Täters gegenüber dem Anstif-
eine Gliederung des Stoffes die Orientierung und eine schrittweise Erarbeitung
ter zur Ausführung der Tat verlangen.
der Materie zu ermöglichen. Sie erhebt dagegen nicht den Anspruch auf eine l o -
gisch saubere Trennung der unter 1.-4. angesprochenen Themen. D e n n im Grunde
3. D e r Begriff der Tat ( R n . 90-129)
handelt es sich immer nur u m die verschiedenen Facetten des „Bestimmens zur
60 O b das Verhalten, zu dem der Täter durch den Anstifter bestimmt worden ist, Tat". Auch zwischen objektiven und subjektiven Elementen der Anstiftung ist eine
eine der Aufforderung entsprechende „Tat" ist, kann vielfach zweifelhaft sein. Die exakte Scheidung weder möglich noch nötig: die Vorstellung des Täters und das
Frage wird vor allem bei drei großen Problemgruppen behandelt: der Umstif- Außenweltgeschehen müssen i m m e r zusammen in den Blick g e n o m m e n werden,
tung ( R n . 91-101), bei der der Täter zu einer Änderung seines Tatplanes und da- wenn das Vorliegen einer Anstiftung geprüft werden soll.
mit u.U. zu einer neuen Tat bestimmt wird; der Übersteigerung ( R n . 102-108),
bei der der Außenstehende den Täter motiviert, ein schwereres Delikt als das von
ihm ursprünglich geplante zu begehen, das ggf. Gegenstand einer selbständigen II. D i e B e s t i m m u n g zur Tat
Anstiftung sein kann; und schließlich dem Täterexzeß ( R n . 109-129), bei dem 1. D i e eigene Meinung
der Täter von dem durch die Anstiftung bezeichneten Verhalten abweicht, so daß
sich die Frage stellt, ob das Täterverhalten noch die durch die Anstiftung bezeich- Der Anstifter m u ß den Täter zur Tat „bestimmen". Das bedeutet zunächst, daß er 65
nete Tat ist und dem Außenstehenden als von i h m veranlaßt zugerechnet werden für den Tatentschluß des Täters ursächlich sein muß, wobei, wie auch sonst bei der
kann. Verursachung, eine Mitursächlichkeit genügt. 7 8 Eine Anstiftung ist also nipht
möglich, w e n n der Aufgeforderte schon von sich aus zur Tat entschlossen, wenn er
ein „omnimodo facturus" 79 ist. Fordert jemand einen anderen zur Tatbegehung
4. D e r Anstiftervorsatz ( R n . 130-166)
auf, ohne zu wissen, daß dieser zu ihrer Begehung schon entschlossen ist, liegt nur
61 Hier ist der doppelte Bezugspunkt des Anstiftungsvorsatzes zu erörtern, der sich eine versuchte Anstiftung vor, die unter den Voraussetzungen des § 30 I (also nur
erstens auf die Hervorrufung des Tatentschlusses und zweitens auf die Herbeifüh-
78
RGSt 13,121,122; RG H R R 1939, Nr. 1314,1315; BGHSt 9, 370, 379f.; BGH MDR (D)
77
1970, 730; BGH NStZ 2000,421; Kühl, AT3, § 20, Rn. 168.
Zur Anstiftung im Völkerstrafrecht Ambos, 2002, 644 ff. 79
= einer, der die Tat aufjeden Fall begehen wird.
148
149
§ 26 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung II § 26
83
bei Verbrechen) strafbar ist; außerdem kann eine psychische Beihilfe ( R n . 197 ff.) In den Bereich der „Bestimmung" zur Tat gehört auch die „Abstiftung" bei 69
in Betracht kommen, w e n n die Aufforderung die Motivation des Täters ver- der ein Außenstehender den Täter zu einer leichteren Begehungsform beredet; er
stärkt. 8 0 veranlaßt ihn z.B., bei der Zueignung fremder Sachen auf die geplante Gewalt-
66 Eine bereits vorhandene Tatneigung des Täters schließt allerdings die Anstiftung anwendung oder das Mitsichführen einer Waffe zu verzichten, so daß der Täter nur
nicht aus (näher R n . 67/68). Auch wer sich selbst zur Tatbegehung (z. B. gegen einen einfachen Diebstahl (§ 242) anstatt eines Raubes (§ 249) oder eines D i e b -
Geld) erbietet, kann noch angestiftet werden, weil der konkrete Tatentschluß vom stahls mit Waffen (§244) begeht. Da der Vorsatz zur Ausführung erschwerter
Verhalten des Anstifters abhängig ist. Ebenso ist eine Anstiftung noch möglich, Begehungsformen den Vorsatz zur Verwirklichung der Merkmale des § 242 in sich
wenn jemand grundsätzlich bereit ist, auf Anforderung oder bei bestimmten G e - schließt, fehlt es an der Erregung eines Tatentschlusses, so daß eine Anstiftung ent-
legenheiten Straftaten zu verüben; denn ein Entschluß zur Begehung einer b e - fällt. Das gilt auch, wenn jemand den Täter im R a h m e n desselben Tatbestandes zu
stimmten Tat liegt darin noch nicht. 8 1 weniger schädigendem Verhalten bestimmt, indem er ihn etwa veranlaßt, das
67 Im einzelnen kann freilich zweifelhaft sein, w a n n der Wille zur Tatbegehung Opfer nur leicht zu züchtigen anstatt es, wie geplant, krankenhausreif zu schlagen,
beim Täter so verfestigt ist, daß man ihn als Entschluß ansehen kann. Eine „fel- oder ihm nur hundert statt tausend Euro zu stehlen. Auch eine Beihilfe scheidet in
senfeste", unumstößliche Entschlossenheit wird man nicht verlangen können. solchen Fällen i.d.R. aus, weil die bewirkte Risikoverringerung einer Zurechnung
D e n n ein Rücktrittsvorbehalt (§ 24) schließt unbestreitbar einen Entschluß und des Erfolges entgegensteht (vgl. Roxin, AT l 3 , § 11, R n . 43). 8 4
selbst einen strafbaren Versuch nicht aus, obwohl der Täter sich in einem solchen Etwas anders liegt der Fall, w e n n der Außenstehende dem Täter durch die Auf- 70
Fall des Willens zur Durchführung der Tat nicht absolut sicher ist. Auch die Aner- forderung zur Wahl einer weniger gefährlichen Begehungsform die Ausführung
kennung einer psychischen Beihilfe durch Bestärkung des Tatentschlusses der Tat erleichtern will; w e n n er also etwa den Täter veranlaßt, statt der lauten und
( R n . 199 ff.) geht von der stillschweigenden Prämisse aus, daß ein Tatentschluß leicht zur Entdeckung führenden Schußwaffe bei der Gewaltanwendung im R a h -
noch mit gewissen Unsicherheiten belastet sein kann. D e n n ein von vornherein men des Raubes einen G u m m i k n ü p p e l zu verwenden. Eine Anstiftung scheidet
unerschütterlicher, „hundertprozentiger" Wille des Täters kann nicht mehr „be- zwar auch hier aus, da der Täter nicht zur Tat bestimmt wird. Aber es liegt eine
stärkt" werden. Man wird deshalb einen der Anstiftung nicht mehr zugänglichen Beihilfe vor, weil zwar das Schadensrisiko verringert, das Risiko erfolgreicher Tat-
„Tatentschluß" schon dann annehmen müssen, wenn die zur Tat hindrängenden begehung aber erhöht wird. Diese Beihilfe kann freilich im Einzelfall nach § 34
Motive b e i m Täter ein deutliches Übergewicht über die etwa noch bestehen- gerechtfertigt sein, wenn sie das einzige Mittel war, u m eine lebensgefährliche
den Bedenken erlangt haben. 8 2 Dies ist vielfach daran zu erkennen, daß der Täter Verletzung des Opfers zu verhindern. 8 5
zielstrebig auf die Verwirklichung seines Planes hinzuarbeiten beginnt. Daß letzte
Zweifel und Bedenken den Täter i m m e r noch beschäftigen, ändert dann an sei- 2. Ä h n l i c h e und abweichende Ansichten
nem Tatentschluß nichts; sie können sogar das gesamte Ausführungsstadium b e - Zu ähnlichen Ergebnissen wie den hier vertretenen k o m m t Neidlinger86, d e m - 71
gleiten. zufolge Anstifter ist, „wer den . . . zur Ausführung der Tat drängenden H a n d l u n g s -
68 Praktisch bedeutet das: Wer sich h i n - und hergerissen fühlt und schwankt, ob er willen .entscheidend' ausgelöst hat". Der hier vertretenen Auffassung nahe steht
die Tat begehen soll, ist noch unentschlossen und kann durch einen Außenstehen- auch die Konzeption von Arzt87, demzufolge ein Tatentschluß angenommen wer-
den, der den Tatbegehungstendenzen in der Psyche des Täters das Übergewicht den soll, „wo der Täter auf den Erfolg hinarbeitet, aber die endgültige Entschlie-
verschafft, angestiftet werden. Wer „an sich" zur Tatausführung entschlossen ist, ßung aufschiebt". Arzt unterscheidet sich von der oben dargelegten Ansicht aber
aber noch einzelne Bedenken hat, ist nicht mehr anstiftbar; das Ausreden der dadurch, daß er das „Hinarbeiten" also die Vornahme tatbegünstigender äußerer
Bedenken ist als psychische Beihilfe zu würdigen. Wer dagegen zunächst die Tat- Handlungen, schlechthin als Tatentschluß und nicht lediglich als Indiz für einen
ausführung beschließt, nachträglich aber, wie man volkstümlich sagt, „umfällt" solchen ( R n . 67) beurteilt. Sobald der Täter mit Vorbereitungen begonnen hat,
und in den Zustand der Unentschlossenheit zurücksinkt, wird angestiftet, w e n n soll bereits der Zustand des Schwankens und der Gedanke, die Tat möglicherweise
ein Außenstehender ihn „aufrichtet" und den Willen zur Tatbegehung wiederher-
stellt. 83
Dieses Problem ist wenig behandelt und geklärt; differenzierende Darlegungen bei
Bemmann, Gallas-FS, 1973, 276, 279; Seh/'Seh/GramerI'Heine26, § 26, Rn.8; Schulz, 1980,176ff.
84
Vgl. auch OLG Stuttgart NJW 1979, 2573; ebenso Geppert, Jura 97, 299, 304; Kühl, AT3,
80 §20, Rn.184.
RGSt 13, 121; 36, 402, 404; 72, 373, 375 m. Anm. Kohlrausch, ZAkDR 1939, 245; BGH 3 85
StR 295/52 v. 30.4.1953; BGH MDR (D) 1957, 395. So auch Eser, StrafR II3, Nr. 43, Rn. A 10; Geppert, Jura 1997, 299, 304.
86
8i RGSt 37,171; BGH MDR (D) 1957, 395; BGH NStZ 1994, 29, 30. Neidlinger, 1989,192.
82 87
Näher zu dieser Konzeption Roxin, Schröder-GS, 1978,145 ff. (154 ff.). Arzt,]Z 1969, 54-60(56).

150 151
§ 26 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme - B. Anstiftung III § 26
begehen zu wollen, einen „Entschluß" begründen. Das geht zu weit. Es ist logisch
nerer Akt, dessen Feststellung keinen größeren Schwierigkeiten unterliegt als die
nicht möglich, einen Zustand völliger Unentschlossenheit als „Entschluß" zu defi-
des Vorsatzes und anderer innerer Tatsachen auch sonst. 93
nieren. Auch ist es kriminalpolitisch nicht richtig, denjenigen, der einen bisher
nur in Versuchung Geratenen zur Tat antreibt u n d dadurch das Delikt erst auslöst,
nur der milderen Gehilfenstrafe zu unterwerfen. Dagegen kann man Christmann88 III. D i e Notwendigkeit auffordernden B e s t i m m e n s
durchaus zustimmen, w e n n er die Lehre von der objektiven Zurechnung auf die
Anstiftung anwendet. Der Anstifter m u ß danach eine „qualifizierte Gefahr der Die Anstiftung m u ß den Charakter einer - sei es auch konkludenten - Auf- 74
Tatentschlußverursachung" geschaffen haben, die sich im Tatentschluß als dem forderung tragen. Mit dieser Auffassung wird ein Mittelweg zwischen den beiden
„Erst-Erfolg" realisiert und mittelbar z u m Zweiterfolg der Tatbestandsverwirk- Extrempositionen beschritten, die entweder schon jede Verursachung eines Tat-
lichung führt. 8 9 entschlusses genügen lassen ( R n . 75 ff.) oder aber eine bindende Verpflichtung des
Täters gegenüber dem Anstifter ( R n . 88 f.) verlangen. 9 4
72 Zu weit nach der anderen Seite einer Ausdehnung der Anstiftungsstrafbarkeit
geht wiederum die Lehre von Stein90, wonach eine „teilnehmerschaftliche Verhal- Nach einer verbreiteten M e i n u n g 9 5 soll es für eine Anstiftung ausreichen, daß 75
tensweise" Anstiftung ist, w e n n sie „die Motivationskraft der dem Vordermann der Anstifter vorsätzlich eine Situation schafft, die beim Täter einen Tatentschluß
auferlegten Verhaltenspflicht" beeinträchtigt. Das führt dazu, daß auch die „Stär- herbeiführt. Anstifter wäre danach, wer z.B. eine verschlossene Tür oder ein
kung" die „Aufrechterhaltung" oder „die Verhinderung der Aufgabe" des Tat- Fenster öffnet in der Erwartung, daß ein Dieb sich daraufhin entschließen werde,
entschlusses Anstiftung sind; denn alle diese Einflußnahmen unterminieren die im Zimmer befindliche fremde Sachen zu stehlen. Der verfolgte Bankräuber, der
Motivationskraft der N o r m . Bei konsequenter Durchführung dieses Ansatzes Geldscheine auf die Straße streut mit dem Vorsatz, daß die Verfolger sie auf-
müßte man jede Bestärkung des Tatentschlusses, also den typischen Fall der psy- nehmen und sich dadurch von ihren Festnahmebemühungen ablenken lassen wer-
chischen Beihilfe, der Anstiftung zuschlagen; denn die tathemmende W i r k u n g der den, würde beim Gelingen des Planes auch wegen Anstiftung zur Unterschlagung
strafbar sein. Anstifter einer Körperverletzung wäre aber auch, wer einen M a n n
N o r m wird dadurch beeinträchtigt. Es geht aber nicht an, gerade die schwächste
von einem Ehebruch seiner Frau unter namentlicher N e n n u n g des Liebhabers in
Form der Beteiligung, deren Strafbarkeit und Strafwürdigkeit vielfältig umstrit-
der unausgesprochenen, aber sich verwirklichenden Absicht unterrichtet, daß
ten ist, mit der tätergleichen Anstiftungsstrafe zu belegen.
dieser den Liebhaber verprügeln werde. Eine Anstiftung läge ebenso vor, w e n n
73 Puppe91 verzichtet ganz auf die Hervorrufung des Tatentschlusses als Erfolg der
jemand mit den von ihm begangenen Straftaten renommierte oder über die M ö g -
Anstiftung. Die Entschlossenheit des Täters zur Ausführung der Tat sei „für die
lichkeiten leichten, aber strafbaren Gelderwerbes räsonierte und dabei in R e c h -
Strafbarkeit des Täters selbst nicht nur nicht erforderlich, sondern ohne jede R e l e -
nung stellte, daß durch seine Worte, wie es dann auch geschieht, Zuhörer zur
vanz. Sie ist ein bloßes inneres Erlebnis des Täters." 92 Statt dessen macht Puppe die
Begehung der geschilderten Delikte veranlaßt werden.
Anstiftung davon abhängig, daß sich der Täter „durch eine Unrechtsvereinbarung
zur Tat verpflichtet, die diesen im M o m e n t der Tat motiviert oder mitmotiviert". Die A n n a h m e einer Anstiftung in Fällen solcher Art geht aber zu weit. 9 6 D e n n 76
Aber dem ist nicht zu folgen. D e n n der Gesetzgeber fordert n u n einmal nicht, daß der Mensch erhält täglich Informationen oder gerät in Situationen, die ihn zur B e -
der Anstifter den Täter zur Tat „verpflichtet", sondern daß er ihn dazu „bestimmt". gehung einer Straftat veranlassen könnten. Die vorsätzliche Schaffung solcher A n -
Eine Verpflichtung aber ist teils mehr, teils weniger als eine Bestimmung. Daher reize vermehrt das dadurch für Rechtsgüter entstehende Risiko nicht in relevanter
wird v o m Anstifter mit dem Verpflichtungserfordernis zu viel verlangt, insofern Weise. Sie kann daher auch nicht als selbständiger Rechtsgutsangriff ( R n . 8, 9,
die Tatveranlassung durch Aufforderung nicht ausreichen soll; und es wird von 27ff.) gewürdigt werden. Ein solcher ist mehr als die Ermöglichung von Rechts-
ihm zu wenig verlangt, insofern als die nachträgliche Mitmotivierung eines schon
Tatentschlossenen (dem etwa durch eine verpflichtende Geldzuwendung ein zu- 93
Vgl. zur Konzeption Puppes näher R n . 86/87.
sätzliches Tatmotiv geliefert wird) genügen soll. Auch ist ja der „Entschluß", eine 9" Ähnlich auch Seh/Seh/Cramer/Heine26, vor §§25ff., R n . l 7 a u n d § 2 6 , R n . 4 , der eine
Tat zu begehen, kein bloßes „Erlebnis", sondern als Fassung eines Vorsatzes ein in- intellektuelle Beeinflussung verlangt. Geppert, Jura 1997, 304, meint, daß der „Trend" in 'die
Richtung dieser Auffassung gehe.
95 B G H GA 1980, 184; Baumann/Weber, AT 10 , § 30 II 2 c. Blei, AT 18
, § 79 II 2; Bloy, 1985,
329; Herzberg, 491977, 4. Teil II 2 b ; Lackner/Kühl24, § 2 6 , R n . 2;
30
SK 7
-Hoyer, § 2 6 , R n . 5 ; noch
Tröndle/Fischer , § 2 6 , R n . 3 (anders jetzt aber Tröndle/Fischer , aaO.); Widmaier, J u S 1970,
88 C/m'5ffmi»n,1997,90ff.,108ff. 242 f.
89
Christmann, 1997, 90 f. 96
«o Stein, 1988, 270-273 (270, 272f.). Ebenso Kühl, AT 3 , § 20, R n . 172; Christmann, 1997, 145 läßt zwar für die Anstiftung die
9i Puppe, GA1984,101 ff. (116-120). Schaffung einer tatanreizenden Situation zu, verlangt jedoch, daß die arrangierte H a n d l u n g
« Puppe, GA 1984,118. nach d e m ex-ante-Urteil eines obj. Dritten einen schlüssig begründbaren, objektiv tatbefür-
wortenden G r u n d bzw. Sinn schafft.
152
153
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung in § 26
gutsangriffen anderer. Vielmehr m u ß die Anstiftung, u m selbst ein Rechtsguts- auch ein „scheinbares Abraten" eine Anstiftung sein könne. 102
Aber hier m u ß man
angriff zu sein, den Täter direkt zum Verbrechen drängen. unterscheiden: Wenn jemand von der Tat abrät und darauf spekuliert, daß der
77 Dieselbe Lösung entwickelt Frisch mit Hilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung, andere aus Oppositionsgeist n u n gerade die Tat begehen werde, hat er, wenn die
indem er bei Anreizen der geschilderten Art die Schaffung eines unerlaubten Risikos ablehnt. Berechnung aufgeht, nicht angestiftet; niemand braucht sich zurechnen zu lassen,
Das entspricht der hier vertretenen Auffassung, weil der Rechtsgutsangriff nur eine zusam-
menfassende Bezeichnung für die vorsätzliche Schaffung eines unerlaubten Risikos darstellt was jemand aus Opposition gegen ihn tut. Wenn dagegen das „Abraten" in so i r o -
(vgl. Rn. 9). Übereinstimmende Ergebnisse erzielt auch Schumanni , indem er die von ihm für nischem Ton vorgetragen wird, daß der Adressat es nicht als ernst gemeint und als
die Teilnahme verlangte „Solidarisierung" des Anstifters mit dem Täter ablehnt, wenn sein Ver- Aufforderung verstehen muß, liegt eine Anstiftung vor.
halten sich nicht als Aufforderung zur Tat darstellt (vgl. Rn. 23).
Auch in B G H GA 1980,183 f., war zu differenzieren. Hier hatte der Angeklagte, 82
78 Hilgendorf" fordert, „daß die Anstiftungshandlung ein Risiko schaffen muß, das „nachdem er selbst die Zeugin vergewaltigt hatte, den bis dahin zur Tat noch nicht
über die Alltagsrisiken hinausgeht". Dieses Risiko kann nach seiner Lehre durch entschlossenen P mit der Frage .Willst D u auch noch?' dazu veranlaßt, mit ihr
kommunikative wie auch durch nicht-kommunikative Beeinflussungen erzeugt ebenfalls gegen ihren Willen geschlechtlich zu verkehren". Eine Anstiftung liegt in
werden. So will er eine Anstiftung bejahen, w e n n der eifersüchtige Ehemann mit dieser Frage nur dann, w e n n sie als versteckte Aufforderung zu deuten war, i n -
dem Vorsatz nach Hause geschickt wird, daß er dort den in flagranti ertappten Lieb- dem P z. B. bei ihrer Verneinung in seiner Gruppe an Ansehen verloren und als
haber seiner Frau verprügelt. Hier sei „der alltägliche Reizpegel deutlich überschrit- Feigling dagestanden hätte. Wenn die Frage dagegen nur informatorisch gemeint
ten".100 Dagegen soll es straflos sein, daß jemand einer „gefestigten wohlhabenden war und hinsichtlich des Verhaltens von P keinen bestimmten Wunsch des A n -
Person" für die Begehung eines Totschlages eine geringe Geldsumme bietet. 101 geklagten erkennen ließ, ist eine Anstiftung abzulehnen. O b die eine oder die an-
79 Das verdient aber auch keine Zustimmung. Das Kriterium ist erstens viel zu u n - dere Deutung richtig ist, m u ß aus dem Kontext der konkreten Tatsituation ermit-
bestimmt; von welcher H ö h e an ein Geldangebot als Anstiftung zu beurteilen ist, telt werden.
bleibt nach dieser Lehre Gefühlssache. Zweitens m u ß man sagen, daß jede ernst Wenn der B G H die Bejahung einer Anstiftung in diesem Fall nur damit begrün- 83
gemeinte Aufforderung zur Begehung einer Straftat das erlaubte Risiko über- det, daß ein bedingter Anstiftungs vors atz ausreiche, so ist das mißverständlich.
schreitet. Da kein rechtlich anzuerkennendes Interesse für die Zulassung solcher Ein bedingter Anstiftervorsatz ist durchaus denkbar, w e n n z. B. j e m a n d einen an-
Aufforderungen streitet, sind sie schlechthin zu verbieten. Drittens ist es auch deren zu einem Delikt auffordert, u m damit zu beweisen, daß dieser sich nicht
kaum plausibel zu machen, daß, wenn jemand den Täter durch eine Aufforderung traut, wenn er die Möglichkeit, daß dieser die Tat doch begeht, aber in Kauf
zu seiner Tat motiviert hat, er ggf. kein Risiko der Tatbegehung geschaffen haben nimmt. Es m u ß aber i m m e r erst festgestellt werden, ob überhaupt eine Aufforde-
soll. Viertens schließlich widerspricht es der in § 30 I zum Ausdruck k o m m e n d e n rung vorliegt; ist das nicht der Fall, kann auch ein „bedingter Vorsatz" keine Anstif-
Wertung, daß erfolglose Aufforderungen zum Verbrechen straflos sein sollen, tung begründen.
w e n n die Erfolgsaussicht von vornherein nur gering war. Auch bloße Erwägungen sollten nicht als Anstiftung beurteilt werden. Wenn 84
80 Die Mittel der Anstiftung sind beliebig, sofern sie nur deren Aufforderungs- also jemand in geselliger R u n d e erzählt, wie man im Wege der Steuerhinterzie-
Charakter zur Geltung bringen. Ein schlichtes Verlangen, ein Überreden, ein Auf- hung sein E i n k o m m e n vermehren könne, ist das keine Anstiftung, auch wenn ei-
hetzen, ein Anwerben (gegen Entgelt) oder ein Bedrohen (unterhalb der Schwelle ner der Zuhörer das Delikt begeht und der Erzähler dies in Kauf g e n o m m e n hatte.
des § 35) sind die geläufigsten Formen. Aber es gibt auch subtilere Möglichkeiten Denn Schilderungen, wie man erfolgreich Straftaten ausführen kann, lassen sich
der Anstiftung: So kann die Bitte eines Mannes an eine generell zur Abtreibung in jeder Gerichtsreportage nachlesen. Ein eigener Rechtsgutsangriff liegt in der
bereite Hebamme, „bald einmal zu seiner Frau zu kommen", in ihrem sachlichen Darlegung von Möglichkeiten erst dann, wenn sie mit einem (mindestens k o n -
Gehalt eine Aufforderung zur Abtreibung und damit eine Anstiftung sein (BGH kludenten) Verlangen der Tatbegehung verknüpft wird.
M D R 1957, 395). An einer so verstandenen Anstiftung fehlt es auch im Sachverhalt der Entschei- 85
81 Allerdings wird in Literatur und Rspr. vielfach nicht genügend beachtet, daß düng BGHSt 34, 63. Hier hatte der Angeklagte dem Täter, der Geld benötigte, ^zu-
bewußt tatauslösende Bemerkungen noch keine Anstiftung sind, wenn diese „Be- nächst den Verkauf seines Autos oder seiner Waffe vorgeschlagen und auf Einwän-
merkungen" sich nicht als Aufforderung deuten lassen. So wird oft betont, daß de des Täters geäußert: „Dann müßtest D u eine Bank oder Tankstelle machen."
Der spätere Täter antwortete darauf nicht, beging aber einige Tage später einen
97 Frisch, 1988, 3 3 3 - 3 4 5 . Sparkassenraub. Der B G H hat eine Anstiftung mit der zweifelhaften Begründung
98 Schumann, 1986, 52 ff.
99 abgelehnt, daß der Angeklagte die zu begehende Tat nicht konkret genug bezeich-
Hilgendorf, Jura 1996, 9.
100
Hilgendorf, Jura 1996,10, Fn. 18.
'01 Hilgendorf, Jura 1996,12. 102
Schumann, 1986, 53 f. m.w.N., dem der Text insoweit folgt.
154
155
§ 26. Teilnahme - B. Anstiftung III § 26
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
abzuhalten oder das Opfer vor solchen zu schützen. Der Vater ist vielmehr Unter-
net habe (dazu R n . 134 ff). Es fehlt aber schon deshalb an einer Anstiftung, weil
lassungstäter hinsichtlich der Nichtverhinderung einer Anstiftung. Dieses Delikt
der Hinweis auf legale und illegale Geldbeschaffungsmöglichkeiten nicht den
kann nur aus dem Strafrahmen der zu verhindernden Tat (der Diebstahlsanstif-
Charakter einer Aufforderung hat. Anregungen zur Deliktsbegehung kann jeder-
tung) bestraft werden, obwohl es sich nicht u m eine Anstiftung, sondern u m die
mann sich überall holen; sie können eine tätergleiche Anstifterbestrafung nicht
täterschaftliche Unterlassung der Verhinderung einer solchen handelt.
tragen. Puppe undJakobs verlangen von der Anstiftung eine über die Aufforderung noch 88
86 Aus der hier vertretenen Anstiftungskonzeption folgt, daß eine Anstiftung hinausgehende D o m i n a n z des Tatveranlassers. Für Puppe ist die Anstiftung ein
durch Unterlassen 103 nicht möglich ist. 104 D e n n w e n n eine Nichtaktivität aus- „Unrechtspakt". Eine „Anreizung zur Tat, die sich in der einmaligen Einwirkung
nahmsweise den Sinngehalt einer Aufforderung hat, wird man sie als konkluden- erschöpft und alles weitere dem freien Belieben des Täters überläßt" genügt nach
tes Tun beurteilen müssen; hat sie diese Bedeutung aber nicht, kann sie nur Tat- dieser Lehre für eine Anstiftung nicht. Vielmehr m u ß der Anstifter „eine Art Pakt
anreize schaffen, die für eine Anstiftung nicht ausreichen. Ein Beispiel der ersten mit dem Täter schließen, ihm ein Versprechen oder eine Verpflichtung zur Tat
Art bringt Jakobs105: „Der Sohn erklärt, er werde im Interesse des Vaters den H o f abnehmen, die diesen zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch binden . . . soll".108
abbrennen, aber dann dürfe der Vater sein Sparbuch nicht immer wegschließen";
O b eine solche Bindung vorliegt, soll mit Hilfe einer „heuristischen Formel" fest-
der Vater läßt das Buch dort, w o es sich gerade befindet, offen liegen. Hier wird
gestellt werden: „Anstiftung (und nicht nur psychische Beihilfe) liegt dann vor,
das „Liegenlassen" beredt und sagt: „Zünde den H o f an!" Ein Beispiel der zweiten
wenn der Täter die Tat ebenfalls aufgegeben hätte, sofern der Anstifter von der g e -
Fallgruppe liefert Bloy106: Jemand unterläßt die Briefkastenentleerung, die er
meinsamen Tat zurückgetreten wäre." 109 Ganz ähnlich sagt Jakobs110: „Psychische
einem verreisten Nachbarn versprochen hat, absichtlich in der zutreffenden Er-
Beeinflussung ist also nur dann Anstiftung, wenn der Täter - wie bei der älteren
wartung, daß der überquellende Briefkasten auf die Abwesenheit des Eigentümers
Theorie zur Täterschaft - seinen Entschluß in Abhängigkeit vom Willen des
schließen lassen und andere zu einem Einbruchsdiebstahl bewegen werde. Aber
Beeinflussenden faßt und durchhält." Noch weiter geht Köhler111; w e n n er für den
hier handelt es sich nur u m die Schaffung einer tatprovozierenden Situation, die
Anstifter eine willensbestimmende Macht über den Täter verlangt: „Die tatbe-
selbst dann nicht für eine Anstiftung ausreichen würde, w e n n sie durch aktives
standliche Willensbestimmung besteht im einseitigen Einsatz äußerer H a n d l u n g s -
Handeln arrangiert würde (etwa durch eigenhändiges Verstopfen des nachbar-
macht, nicht bezüglich der Tatausführung, sondern durch maßgebendes Abhän-
lichen Briefkastens).
gigsetzen des mittelbaren Täters in seiner konkreten G u t s - oder Wohlkonzeption
87 Allerdings gibt es eine Konstellation, in der ein Unterlassender wenigstens aus
vom Anstifter." Als Beispiele, wodurch sich eine solche willensbestimmende
dem Strafrahmen der Anstiftung bestraft werden m u ß : w e n n jemand Garant für
Macht ergeben kann, führt Köhler die D r o h u n g mit Nachteilen, das Lohnverspre-
die Verhinderung einer Anstiftungstat ist. 107 Ein Vater unterläßt es etwa, seinen
chen, den Einsatz institutioneller Abhängigkeiten und die Täuschung 1 1 2 an. Der
minderjährigen Sohn von einer Diebstahlsanstiftung abzuhalten. Hier hat der
Unterschied zur mittelbaren Täterschaft bestehe darin, daß bei der Anstiftung der
Vater für die Verhinderung der deliktischen H a n d l u n g seines Sohnes einzustehen
unmittelbar handelnde Täter in der Fassung seines Unrechtsentschlusses als sol-
(§ 13). Tut er das nicht, k o m m t eine Diebstahlstäterschaft durch Unterlassen nicht
in Frage, weil er weder eine Zueignungsabsicht hat noch gegenüber dem Opfer chen frei sei. 113
eine Garantenstellung einnimmt. Auch eine Beihilfe zum Diebstahl durch U n t e r - Das verdient aber keinen Beifall. 114 Es ist erstens mit dem Wortlaut des Gesetzes 89
lassen scheidet aus, weil der Vater nicht verpflichtet war, den Täter von Straftaten nicht zu vereinbaren, das eine „Bestimmung" und keine „Verpflichtung" des Täters
zur Tat verlangt (vgl. schon R n . 73). Zweitens ist eine solche Lösung praktisch
kaum durchführbar. D e n n wenn der Hintermann die Ausführung der Tat in der
103
Für eine solche Möglichkeit (in eingeschränkter Weise) mit ausführlicher Darstellung Hand hat, ist er mittelbarer Täter; die Anstiftung setzt gerade voraus, daß der
des Streitstandes Bloy, JA 1987, 490; dafür ferner (mit unterschiedlichen Ergebnissen im einzel-
nen): LKn-Roxin, §26, Rn.61 m.w.N.; Herzberg, 1972, 119ff.; Jakobs, KT2, 29/104; Lackner/ W8 pUppet GA 1984, 112; ähnlich Altenhain, 1994, 123, der eine Unrechtsvereinbarung ver-
Kühl24, § 26, Rn. 3; Loewenheim, 1972, 33; Luhberger, 1962,105; Maurach/Gössel, AT/27, 51/17, 50/ langt; zustimmend auch Schroth, 1998,109. '
71 ff.; SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn.42; Schmidhäuser, LB AT2,17/10; Spendet, JuS 1974, 753; Stein, W9 Puppe, GA 1984,114.
1988, 273, mit Einschränkungen auch Gropp, AT2, § 10, Rn. 138. "0 Jakobs, AT2, 22/22.
">« So auch Baumann/Weber, AT10, §30 II 2 c; Busse, 1974, 139; Grünwald, GA 1959, 122f.; 1" Köhler, AT, 521.
Jescheck/Weigend, AT5, § 64 II 6; Armin Kaufmann, 1988, 292; H. Mayer, LB AT, 321; D. Meyer, »2 KöMer, AT, 525 f.
1973, 155ff.; ders., MDR 1975, 982ff.; Nitze, 1989, 157ff.; Otto, AT6, §22 II 2 e; Roxin, Täter- ii3 Köhler, AT, 521.
schaft, 72000, 484; Sch/Sch/Cramer/Heine26, § 26, Rn. 5. m
Kritik hat bisher überwiegend nur Puppe gefunden: bei Jescheck/Weigend, AT § 64 II 1,
w>5 Jakobs, AT2, 29/104. Fn. 11 („zu weit in der Gegenrichtung"); Maurach/Gössel, AT/27, 51/3 („kaum mögliche
106
Bloy, JA 1987, 496, wo Anstiftung angenommen wird. Abgrenzung zur Täterschaft"); Wessels/Beulke, AT31, Rn. 568 „überzogen"; Gropp, AT2, § 10,
107
So treffend SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 42; vgl. zum Ganzen die ausführliche Darstel- Rn.l25ff.; Schulz, JuS 1986, 939ff. (auch gegenjakobs); Stein, 1988,171 ff.
lung bei Herzberg, 1972,119-127. 157
156
§ 26 IV 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme - B. Anstiftung IV § 26
Täter die Tatherrschaft hat und über das Ob und Wie der Ausführung entscheidet.
Dies aber widerstreitet einer Bindung des Täters an den Anstifter; seine etwaige (b), des Tatobjektes (c), des Tatmotivs (d) und der Tatmodalitäten (e) unterscheiden
müssen.
Selbstbindung ist freiwillig und deshalb im Grunde keine. Drittens schließlich
leuchtet es auch kriminalpolitisch nicht ein, daß eine tätergleiche Anstiftungs- a) Der Täterwechsel
bestrafung nur bei gedungenen Tätern und im Rahmen hierarchischer Befehls- Die Bewirkung eines Täteraustausches ist stets als Anstiftung anzusehen. Wenn 92
verhältnisse gerechtfertigt sein soll, wie sie nach den Lehren von Puppe undjakobs also ein Hintermann zur Ausführung eines Terroraktes anstelle des ursprünglich
für die Anstiftung im wesentlichen übrigbleiben. Vielmehr sind die Aufhetzung vorgesehenen A den B gewinnt, ist das eine Anstiftung, auch wenn der Tatplan im
völlig unabhängiger Täter („Schlagt ihn tot!") und die scheinbar uneigennützige übrigen unverändert bleibt. Dasselbe gilt, wenn der Hintermann einen weiteren
Überredung zur Tatbegehung, die nur das Interesse des Täters zu verfolgen vor- Mittäter hinzuzieht oder den Austausch eines von ihnen veranlaßt. Der Grund für
gibt, im Durchschnitt nicht weniger strafwürdig. Außerdem besteht ein beson- die Annahme einer Anstiftung liegt in allen Fällen darin, daß es keine Tat ohne
deres Gefährlichkeitsmoment der Anstiftung gerade darin, daß der Anstifter meist konkreten Täter gibt; der Wechsel des Täters ist daher immer auch ein Wechsel der
den einmal in Gang gesetzten Geschehensablauf nicht mehr anhalten kann; es Tat.
leuchtet daher nicht ein, daß gerade dieser Umstand die Anstiftung ausschließen
b) Der Tatbestandswechsel
soll.115
Ebenso wird man die „Umstiftung" auf einen anderen Tatbestand als Anstiftung 93
ansehen müssen. Wenn also A den zum Betrug entschlossenen B veranlaßt, statt
IV. Die Tat als Gegenstand der Anstiftung dessen einen leichter auszuführenden Diebstahl zu begehen, ist er wegen Anstif-
tung zu §242 strafbar. Entsprechend ist Anstifter einer Sachbeschädigung, wer
90 Die Tat, zu der angestiftet werden muß, ist eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige den zur Verprügelung des B entschlossenen A bestimmt, lieber das Auto des B zu
und vorsätzliche Handlung. Die damit verbundenen Probleme sind schon im Zu- zerstören.117 Die Rechtfertigung für die Annahme von Anstiftung (statt einer bloß
sammenhang mit den Grundfragen der Teilnahmelehre behandelt worden (Rn. beratenden Beihilfe) in diesen Fällen liegt darin, daß die „Tat" i. S. d. § 26 in einer
32ff., 35 ff.). Zu erörtern bleibt nur noch, ob der Hintermann Anstifter zur realiter rechtswidrigen Tatbestandserfüllung besteht. Ein anderer Tatbestand ist also eine
verwirklichten „Tat" ist, wenn er einen bereits Tatentschlossenen zu einer Ände- andere „Tat".
rung seines Plans bestimmt (1. im Falle der Umstiftung, 2. bei der Übersteige-
Das wird zum Teil bestritten, wenn die Tatbestände dasselbe Rechtsgut schützen. Es wird 94
rung) oder wenn der Angestiftete von dem durch die Aufforderung vorgezeichne- z. B. jemand bestimmt, von einer geplanten Erpressung (§ 253) zu einem Betrug (§ 263) über-
ten Tatplan abweicht (3. Täterexzeß). zugehen, indem er veranlaßt wird, sich statt einer Drohung des Mittels der Täuschung zu be-
dienen. Da jedoch der Betrug einen anderen Deliktstypus als die Erpressung darstellt, sollte
man seine Begehung auch als eine „andere Tat" ansehen.
1. Die Umstiftung
c) Der Wechsel des Tatobjekts
91 Bei der Umstiftung geht es darum, daß der Hintermann einen bereits Tatent-
schlossenen zu einer Änderung seines Planes bewegt (wobei die Motivierung zu Ob die Bestimmung zur Wahl eines anderen Tatobjekts als Anstiftung oder als 95
einer erschwerten Begehung als Fall der Übersteigerung unter 2. gesondert behan- nur beratende Beihilfe zu beurteilen ist, ist noch wenig geklärt. Am plausibelsten
delt wird). Es stellt sich dann die Frage, ob die durch den Hintermann veränderte ist eine Differenzierung, für die Schulz119 das Kriterium der „Planherrschaft" vor-
Deliktsausführung eine im Verhältnis zum ursprünglichen Plan „andere Tat" dar- geschlagen hat. „Intellektuelle Anstiftung ist Herrschaft über die Planung, nicht
stellt, zu der der Hintermann angestiftet hat, oder ob die bewirkten Tatplanände- aber über die Ausführung der Tat. Das unterscheidet sie ... von der Beihilfe, die als
rein unterstützende Tätigkeit keine Herrschaft ausübt, dem Plan nicht seine
rungen nur eine Modifizierung der ursprünglichen Tat und damit eine Beihilfe
Gestalt oder seinen Sinn gibt."120 „Gehilfe ist, wer sich mit seinem Rat in die vom
sind. Die mit der Umstiftung verbundenen Fragen sind noch nicht abschließend
Täter gesetzte Vorgabe einfügt, Anstifter, wer die Vorgabe schafft oder moti-
geklärt.116 Doch wird man zwischen dem Wechsel des Täters (a), des Tatbestandes
viert."121

115
Stein, 1988, 173 meint: „Da in solchen Fällen (seil, der Abhängigkeit des Täters) eine 1,7
Vgl. Schulz, JuS 1986, 939.
erhöhte Chance besteht, den Täter wieder von seinem Entschluß abzubringen, erschiene sogar
eher ein weniger dringliches Verbot angebracht." "» Für bloße Beihilfe in diesem Fall SK7-Hoyer, § 26, Rn. 24.
116 119
Die bisher ausführlichsten Untersuchungen liefern Schulz, 1980; ders., (in übersichtlicher Schulz, 1980, 137ff.; ders., JuS 1986, 933, 937ff.; ihm weitgehend folgend Amhos, 2002,
Zusammenfassung) JuS 1986, 933; ferner die Dissertationen von Stork, 1969, und Heinze, 1974, 656ff.; Bloy, 1985, 339ff.
sowie Ingelfinger, 1992,187 ff. i» Schulz, 1980,145.
121
Schulz, 1980,145.
158
159
§ 26 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung IV § 26
96 Praktisch wirkt sich das so aus: Wenn A Whisky stehlen will, u m einen Gast d) D e r Wechsel des Tatmotivs
damit zu bewirten, B ihn aber zur E n t w e n d u n g von Wodka bestimmt mit der
Wer den Täter dazu bestimmt, der von i h m beschlossenen und in ihrem äußeren 99
Begründung, daß der Gast diesen lieber trinke, so ist das nur eine Beihilfe. D e n n
Ablauf unverändert bleibenden Tat ein anderes Motiv zugrunde zu legen, wird nur
diese „Bestimmung" fügt sich in den Plan des A (Bewirtung eines Gastes mit
als Gehilfe beurteilt werden können; denn die „Tat" bleibt dieselbe. Wenn also der
gestohlenen Spirituosen) ein und verbessert ihn, ohne die Identität der Tat zu zum Stehlen von Whisky entschlossene Täter (vgl. R n . 96) vom Hintermann nur
verändern. Bestimmt A den B dagegen dazu, Wodka zu stehlen und diesen auf dazu bestimmt wird, die gestohlenen Spirituosen zu verkaufen, anstatt sie seinen
eigene R e c h n u n g zu verkaufen, die Gäste aber mit Bier zu bewirten, so ist das Gästen vorzusetzen, kann man darin keine Anstiftung sehen, 125 weil die Tat als
eine Anstiftung zum Diebstahl; denn hier hat der Außenstehende durch Vorgabe solche unverändert bleibt. Freilich ist eine Beihilfe wie auch eine Anstiftung zum
eines neuen Planes die „Planherrschaft" erlangt und wird dadurch zum Anstif- Betrug gegenüber den Käufern anzunehmen. An diesem Beispiel zeigen sich frei-
ter. 122 So relativ einleuchtend diese Differenzierung ist, so wenig ist allerdings zu lich auch die Grenzen des Kriteriums der Planherrschaft; denn der Verkauf liegt
verkennen, daß die Entscheidung, was als Einfügung in einen vorgegebenen Plan nicht in der Reichweite des ursprünglichen Täterplanes.
und was als neuer Plan gelten kann, eine Wertungsfrage ist, die weitgehend da-
nach zu beantworten ist, was dem Rechtsgefühl bei einer Gesamtschau schon als e) D e r Wechsel von Tatmodalitäten
„andere Tat" erscheint. Die Bestimmung zum Wechsel von Tatmodalitäten (der Tatzeit, des Tatortes 100
97 Eine andere Lösung geht dahin, die Bestimmung zum Tatobjektswechsel bei oder des Tatmittels) begründet i.d.R. nur eine Beihilfe. 126 D e n n sie schafft keinen
höchstpersönlichen Rechtsgütern als Anstiftung und bei anderen als Beihilfe zu neuen Tatplan, sondern ändert nur den vorhandenen. Die damit meist bezweckte
beurteilen. 1 2 3 Das führt bei höchstpersönlichen Rechtsgütern meist zum selben leichtere Ausführbarkeit ist geradezu ein Charakteristikum der typischen Beihilfe-
Ergebnis: Wer den Täter veranlaßt, statt A den B zu töten, zu verletzen oder zu b e - wirkung. Es begeht also nur Beihilfe, wer den zum R a u b Entschlossenen veran-
leidigen, ist Anstifter, weil die Verletzung eines anderen in solchen Fällen als neuer laßt, statt des Revolvers ein lautlos arbeitendes Messer mitzunehmen, den R a u b
Plan zu beurteilen ist. Aber das gilt nicht ausnahmslos: W e n n A den Politiker B er- nicht an der geplanten, sondern an einer einsameren Stelle durchzuführen oder
schießen will, infolge einer Verwechselung aber zur Tötung des C ansetzt, so wird den Einbruch nicht mitten in der Woche, sondern erst am Wochenende durch-
man den, der ihn auf diesen Irrtum hinweist und den Angriff auf B umlenkt, bes- zuführen, w e n n der Eigentümer abwesend sei.
ser als Gehilfen ansehen; denn die Bestimmung liegt im R a h m e n des Täterplanes Wenn freilich ein Hintermann den Täter bestimmt, eine von diesem erst für die weitere Zu- 101
und ersetzt diesen nicht durch einen neuen. kunft in Aussicht genommene Deliktsverwirklichung hier und jetzt vorzunehmen, ist eine
Anstiftung zu bejahen. Aber in einem solchen Fall wird man die „Inaussichtnahme für spä-
98 Andererseits liegt bei sachbezogenen Rechtsgütern gewiß nur eine Beihilfe vor, ter" überhaupt noch nicht als festen Tatentschluß ansehen können, so daß ein solcher erst durch
wenn jemand den Täter bestimmt, lieber eine andere Sache desselben Rechtsguts- die Veranlassung zu sofortiger Deliktsvornahme erregt wird.
trägers zu stehlen oder zu zerstören; denn das erscheint als bloße Tatplanmodifika-
tion. Wird dagegen neben dem Sachobjekt auch das Opfer ausgewechselt (der A 2. D i e Übersteigerung
wird bestimmt, nicht das Auto des B, sondern des C zu stehlen oder zu zerstören),
Von einer Übersteigerung spricht man, w e n n ein Hintermann den bereits tat- 102
so ist die A n n a h m e von Anstiftung angemessener: „Auch hier bestimmt der Bezug
entschlossenen Täter zu einer schwereren Begehungsform bestimmt. Die Frage, ob
zum Menschen und damit das jeweilige Opfer das soziale Bild der Tat. D e n n der
und ggf. inwieweit darin eine Anstiftung liegt, wird seit BGHSt 19, 339 lebhaft
Verletzte hat primär die Nachteile der Tat zu tragen." 124 Es erscheint deshalb - diskutiert. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem ein zum
wenigstens i.d.R. — als ein „neuer Plan" und eine „andere Tat", w e n n der Täter zur Raube Entschlossener sich durch einen Hintermann hatte bewegen lassen, einen
Wahl eines anderen Opfers bestimmt wird. Knüppel mitzunehmen, mit dem das Opfer bewußtlos geschlagen wurde. Der
Hintermann hatte also eine bereits beabsichtigte Tat nach § 249 zu einem schweren
Raub (§ 250 II Nr. 1; damals §§ 250 I Nr. 1, 251) „übersteigert". Der B G H n a h m

125
,22 So auch Schulz, 1980, 152 ff; ders., JuS 1986, 938; von ihm stammt auch das Beispiel. A.
Vgl. zu den Beispielen Schulz, 1980, 146 ff. Dagegen nimmt Jakobs, AT2, 22/26, an, daß A.Jakobs, AT2, 22/26, der einen Wechsel des Beweggrundes als Anstiftung qualifiziert.
der Wechsel des Tatobjekts die Tatidentität immer ändere. Da für ihn aber eine Anstiftung die 126
Abgesehen von der „Übersteigerung" durch Aufreden von Tatwaffen (vgl. Rn. 103 ff.).
Abhängigkeit des Täters vom Hintermann voraussetzt, scheitert eine Anstiftung i.d.R. an die- Tendenziell anders Jakobs, AT , 22/26, der eine Änderung der Tatidentität annehmen will,
sem Erfordernis. „sofern es sich nicht um ... Begleitumstände handelt"; da er aber eine Abhängigkeit des Täters
123 Vgl. dazu m.w.N. Schulz, 1980,156 ff; ders., JuS 1986, 935. vom Anstifter verlangt, kommt auch er im Ergebnis meist zur Beihilfe.
124 Ingelßnger, 1992, 193. Dagegen wollen Heinze, 1974, 62f., und im Ergebnis auch Stork, 127 Joecks3, §26, Rn.15; Stork, 1969, 57f.; Schulz, 1980, 163; a.A. (Beihilfe) Heinze, 1974,
1969, 63 ff., nur eine Beihilfe annehmen. 16f., 56.
160
161
§ 26 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung IV § 26
Intensivierung der Nötigung: Er schafft ein verbrecherisches Unrecht von ganz
eine Anstiftung zum schweren Raube an. Er gründet diese Annahme darauf, daß
eigener Prägung, das bei einer Reduzierung der Anstiftung auf die „überschießen-
durch die „Verwendung eines Knüppels" der „Unrechtsgehalt" der Tat „gegenüber
den" Tatteile ganz aus dem Blick gerät.
dem ursprünglichen Plan erheblich erhöht worden" sei (aaO, 340). Aus diesem
Das gilt auch dann, wenn sich die Übersteigerung nuf auf eine gewöhnliche 105
Grunde hält es der BGH auch nicht einmal für nötig, daß der Anstifter den Täter
Qualifikation bezieht, wie es in BGHSt 19, 339 der Fall war. Denn die Bestim-
zur Verwirklichung eines qualifizierten Tatbestandes bestimmt. Eine Anstiftung
mung zur Verwendung eines Knüppels hat zum Tode des Opfers geführt, den ein
könne auch schon in der Bestimmung zu einer „gefährlicheren Ausführungsart
waffenloser Angreifer leicht hätte vermeiden können. Überhaupt schafft i.d.R.
liegen, ohne daß sich an der rechtlichen Beurteilung der Tat etwas ändert". Es ist
erst die Waffenbenutzung eine Todesgefahr und damit ein Unrecht von anderer
danach also eine Anstiftung zur Körperverletzung, wenn jemand den Täter, der
Qualität, das Gegenstand einer selbständigen Anstiftung sein kann. Mit dem
sein Opfer ohrfeigen will, dazu bestimmt, es durch gezielte Fausthiebe kranken-
BGH wird man die Möglichkeit einer „Anstiftung durch Übersteigerung" auch
hausreif zu schlagen.
auf den Fall einer wesentlichen Unrechtserhöhung im Rahmen desselben Tatbe-
103 Dem widerspricht eine in der Literatur verbreitete Lehre,128 die nach dem „ana-
standes erstrecken müssen. Wer also den zu einer kleinen Gaunerei Entschlossenen
lytischen Trennungsprinzip"129 eine Anstiftung nur zu den Tatbestandsteilen an-
durch Lieferung eines ausgeklügelten Planes und gegen Gewinnbeteiligung dazu
nimmt, zu deren Verwirklichung der Ausführende nicht ohnehin entschlossen
beredet, einen Millionenbetrug zu verüben, ist der Anstiftung zu § 263 schuldig.
war. Hatte der Täter des BGH-Falles ursprünglich nur seine Körperkraft einsetzen
Wer den Täter dazu bestimmt, statt einem Euro tausend Euro zu stehlen, begeht
wollen, wäre die Bestimmung zur Verwendung eines Knüppels also nur eine Bei-
Anstiftung zum Diebstahl usw. Die Annahme einer Anstiftung in solchen Fällen
hilfe zum schweren Raube. Denn zur Körperverletzung war der Handelnde schon
entspricht der Bejahung der mittelbaren Täterschaft bei der Täuschung über die
entschlossen gewesen. Dagegen würde neben der Beihilfe zu § 250 II Nr. 1 eine
Unrechtshöhe (§25, Rn. 96 ff): Eine Tatbestimmung, die bei Unkenntnis des
Anstiftung zur Körperverletzung vorliegen, wenn der Täter den Raub ursprüng-
Täters zur mittelbaren Täterschaft führt, muß bei seiner Kenntnis eine Anstiftung
lich nur mittels Drohungen hätte ausführen wollen. Bestimmt jemand einen zum
begründen.
Diebstahl Entschlossenen zur Begehung eines Raubes, so ist nach dem analyti-
schen Trennungsprinzip neben der Beihilfe zum Raub eine Anstiftung zur Kör- Gewiß können die Vertreter des analytischen Trennungsprinzips darauf hin- 106
perverletzung oder Nötigung anzunehmen, je nachdem, ob der Täter mit Gewalt weisen, daß der „Übersteigerer" weniger Strafe verdient als der „Vollanstifter", weil
oder mit einer Drohung vorgehen soll. Bei der Übersteigerung von § 242 zu der Täter einen Tatentschluß, wenn auch auf niedrigerer Unrechtsstufe, schon ge-
§ 244 I Nr. la kommt eine Anstiftung zum unerlaubten Waffenbesitz (§ 53 III Nr. 1 faßt hatte. Aber dem läßt sich bei der Strafzumessung Rechnung tragen. Dagegen
WaffG) in Frage; hat der Täter einen Waffenschein, ist die Übersteigerung nur als wird bei einer Ablehnung der „Anstiftung durch Übersteigerung" das eigentliche
Beihilfe zum Diebstahl mit Waffen faßbar. Bestimmungsunrecht überhaupt nicht erfaßt. Zwar kann man durch die Annahme
104 Den Vorzug verdient jedoch die „synthetische Konzeption"130 der Rspr.131 einer Beihilfe noch zu einer, wenngleich gemilderten, Bestrafung nach dem Rah-
Denn, um es am klarsten Beispiel zu verdeutlichen: Ein Raub ist mehr als Dieb- men der veranlaßtenTat kommen. Aber bei der versuchten Übersteigerung würde
stahl + Nötigung oder Diebstahl + Körperverletzung. Wer einen Diebstahl zum jede Strafbarkeit entfallen. Wer etwa einen zum Diebstahl Entschlossenen ver-
Raub übersteigert, bewirkt, wie schon der weit höhere Strafrahmen zeigt, nicht geblich zur Durchführung eines schweren Raubes zu bereden versuchte, würde
nur eine Nötigung oder Körperverletzung, sondern ein eigenes Unrecht, das ein wegen einer nur versuchten Beihilfe straflos ausgehen. Das überzeugt nicht.
ganz anderes Gewicht hat als seine getrennten Elemente. Wer einen Mann, der zur Keinen Beifall verdienen auch die Zwischenlösungen, die bei der Bestimmung 107
Nötigung (§ 240) einer Frau entschlossen ist, dazu bestimmt, sie zu vergewaltigen, zur Verwirklichung eines erschwerten Tatbestandes eine Anstiftung teils bejahen,
verursacht mehr als eine Körperverletzung oder eine tatbestandlich nicht faßbare teils verneinen. So will Grünwald132 eine Anstiftung bejahen, wenn der er-
schwerte Tatbestand, zu dessen Verwirklichung der Täter bestimmt wird, ein
'28 Bemmann, Gallas-FS, 1973, 273; Gramer, JZ 1965, 31 f.; Eser, StrafR II3, Nr. 43, Rn. A 8; eigenständiges Delikt ist, während bei der Bestimmung zur Erfüllung von
Freund, AT, § 10, Rn. 119; Gropp, AT2, § 10, Rn. 123; Jescheck/Weigend, AT5, § 64 II 2 c; Joecks3, Qualifikationstatbeständen eine Anstiftung ausscheiden soll. Wer also den zum
§ 26, Rn. 14; Kühl, AT3, § 20, Rn. 183; Letzgus, 1972, 33; Puppe, ZStW 92 (1980), 887; Sch/Sch/
Gramer/Heine26, §26, Rn.8; SK7-Hoyer, §26, Rn.19; Stratenwerth, AT4, §12, Rn.145; Welzel, Diebstahl Entschlossenen zu einem Raub (eigenständiges Delikt!) bestimmt, wür-
StrafR", 116. de Anstifter sein; die Bestimmung des Räubers zur Waffenbenutzung (BGHSt 19,
129
Der Terminus stammt von Schulz, 1980, passim; ders., JuS 1986, 935. 339) wäre dagegen keine Anstiftung. Gegen diese Lösung spricht schon der Um-
"o Vgl. Schulz, JuS 1986,936. stand, daß es bisher nicht gelungen ist, qualifizierte und eigenständige Delikte ge-
«i ihr folgen Baumann/Weber, AT10, § 30 II 2 a; Hünerfeld, ZStW 99 (1987), 249; Krey, AT/2,
Rn.264; Lackner/Kühl24, §26, Rn.2 a; Maurach/Gössel, AT/27, 51/11; Otto, JuS 1982, 561; Stree,
Heinitz-FS, 1972, 277 (grundlegend); Tröndle/Fischer50, §26, Rn. 3; Wessels/Beulke, AT31, «2 Grünwald, JuS 1965, 313.
Rn. 571 (ohne ganz eindeutige Stellungnahme). 163
162
§ 26 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung IV §26

geneinander abzugrenzen, und daß dem Begriff der Eigenständigkeit ein dogma- Anstiftung vor. Ohnehin sind die Einzelheiten der Tatbegehung oft nicht vorher-
tischer Wert heute nicht mehr zuerkannt wird. 133 Auch leuchten die sich ergeben- sehbar und werden von vornherein offengelassen. Auch der Wechsel des Tatmotivs
den Differenzierungen nicht durchweg ein. So liegt z.B. eine geringere Unrechts- hat auf die Anstiftung keinen Einfluß: Wird jemand zu einem Bankraub angestif-
steigerung vor, wenn der zum Diebstahl einer Handtasche Entschlossene zu deren tet, dessen Ertrag einer terroristischen Bewegung zugute kommen soll, so ändert
Wegreißung (Raub!) bestimmt wird, als wenn man einen zur Anwendung gerin- es nichts an der Anstiftung, wenn der Räuber beschließt, das Geld für sich zu be-
ger körperlicher Gewalt entschlossenen Räuber (§ 249) zum Gebrauch einer halten und sich damit eine Existenz im Ausland aufzubauen.
lebensgefährlichen Waffe (§250) überredet. Es hat kriminalpolitisch keinen Sinn, Bei einem Wechsel des Tatobjekts empfiehlt es sich, das für die Umstiftung ver- 111
im ersten Fall eine Anstiftung anzunehmen, im zweiten aber nicht. wendete Tatplankriterium (Rn. 95/96) entsprechend anzuwenden. Stiftet A also
108 Schulz134 will eine Anstiftung nur dann annehmen, wenn der übersteigernde den B zur Verprügelung des dem A verhaßten C an, entschließt sich dieser aber
Hintermann die „normative Dominanz" hat. Dies soll etwa der Fall sein bei der nachträglich, seinen eigenen Feind D zu verhauen, so verwirklicht er einen ande-
Übersteigerung des Diebstahlsentschlusses zum Raubvorsatz; denn der Schutz der ren Plan, und A ist dafür nicht verantwortlich. Anders ist es, wenn es dem Hinter-
Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit stehe selbständig neben dem mann auf die Identität des Opfers nicht ankommt. Fordert also der Anführer einer
Schutz von Eigentum und Gewahrsam. Dagegen soll eine Anstiftung ausscheiden, revolutionären Gruppe einen Terroristen zur Ermordung eines auf der „Schwarzen
wenn der tatentschlossene Dieb zu einem Diebstahl mit Waffen (§244) bestimmt Liste" stehenden Wirtschaftsführers auf und bezeichnet ihm den vermeintlich we-
wird; denn hier liege „der Schwerpunkt nach wie vor beim Angriff auf Eigentum niger bewachten X, so liegt immer noch eine Anstiftung vor, wenn der Täter statt
und Gewahrsam". Die Schwäche dieser Lösung liegt in der Vagheit des Begriffes des X, an den er nicht herankommt, den ebenfalls auf der „Schwarzen Liste" ste-
der „normativen Dominanz". So kann man sehr bezweifeln, daß der „Schwer- henden Y erschießt.
punkt" beim Diebstahl mit Waffen bei § 242 liegt. Denn wer sich bewaffnet, ist Ein dem Anstifter nicht zuzurechnender Täterexzeß ist auch der Wechsel des 112
auch schon ggf. zum Raub entschlossen und steht näher bei § 249; § 244 schützt Tatbestandes. Begeht also der zum Diebstahl Aufgeforderte statt dessen einen Be-
also auch Leib und Leben. Daß dies auch der Gesetzgeber meint, bestätigt ein trug, so ist der Außenstehende nicht Anstifter dieser Tat. Verübt der zum Diebstahl
Blick auf den Strafrahmen. Auch hängt die „normative Dominanz", die man doch Angestiftete eine Hehlerei, so hat der Auffordernde dazu nicht angestiftet und ist
wohl als Unrechtsdominanz verstehen muß, weniger an den abstrakten Tatbestän- straflos. Nicht durchführbar ist der Vorschlag von MontenbrudP^, in diesem Fall
den als am Ausmaß der konkreten Übersteigerung. einen „außertatbestandlichen Grundtatbestand" zu konstruieren und den Hinter-
mann wegen Teilnahme an „dem Überfuhren eines fremden Vermögensgegen-
standes in das eigene Vermögen (durch Ansichbringen)" zu bestrafen. Denn jeg-
3. Der Exzeß des Täters
licher Vorsatz (auch der des Anstifters) muß sich auf einen bestimmten Tatbestand
a) Der vorsätzliche Exzeß beziehen, und daran fehlt es hier.
109 Unter dem Begriff des Täterexzesses sollen hier alle Fälle verstanden werden, in Auch bei „tatbestandlichem Näheverhältnis" wird man davon keine Ausnah- 113
denen der Täter bei Ausführung der Tat von der durch die Anstiftung vorgezeich- me machen können. 136 Wenn „Details der Ausführung"137 über die tatbestandliche
neten Linie abweicht, sei es, daß er etwas anderes, sei es, daß er mehr oder weniger Zuordnung entscheiden, wie im Verhältnis der §§ 249, 255 zueinander oder im
tut. Während bei der Umstiftung und Übersteigerung der Anstifter den Entschluß Grenzbereich von Trickdiebstahl und Betrug, wird man i.d.R. unter Berücksich-
des Täters verändert, verändert beim Exzeß der Täter eigenmächtig das Verhalten, tigung der „Parallelwertung in der Laiensphäre"138 einen alternativen Vorsatz an-
zu dem er aufgefordert worden ist. Das legt eine Umkehrung der vorher ent- nehmen können. 139 Anders ist es beim Wechsel zwischen bestimmten Tätbestands-
wickelten Regeln nahe: Was bei der Umstiftung und Übersteigerung als An- alternativen.140 Verzichtet der zum Angriff mit einer Waffe Aufgeforderte auf die
stiftung zurechenbar ist, schließt beim Exzeß eine Zurechnung zur Anstiftung
aus. Freilich sind die Besonderheiten zu beachten, die sich aus der Vorsatzlehre er- 135
Montenbruck, ZStW 84 (1972), 344 ff. u. passim (339), Entsprechendes gilt gegenüber hau-
geben. Im einzelnen bedeutet das: mann/Weber, AT10, § 30 IV 1 a, die' unter Herbeiziehung der für die Wahlfeststellung geltenden
Grundsätze bei einer Anstiftung zur Erpressung, wenn der Täter statt dessen einen Betrug
110 Weicht der Täter nur in den Modalitäten der Ausführung von der Aufforde- begeht, eine Bestrafung wegen Anstiftung zum Betrüge zulassen wollen. Wie hier auch Ingel-
rung des Tatveranlassers ab, so liegt trotzdem eine Anstiftung vor. Begeht der Tä- finger, 1992, 96 ff.
136
ter also den Diebstahl am Samstag anstatt am Freitag, bei Karstadt anstatt im So aber Ingelfinger, 1992,100 ff.
™ Ingelfinger, 1992,101.
Kaufhof, mit Hilfe eines Last- statt eines Lieferwagens, so liegt immer noch eine »s Roxin, AT l3, § 12, Rn. 85 ff.
'39 Roxin, AT l3, § 12, Rn. 78 ff.
1« Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 135. )4
° Dazu Ingelfinger, 1992,102 f. m.w.N.
13" Schulz, 1980,169f.; ders., JuS 1986,939.
165
164
§ 26. Teilnahme - B. Anstiftung IV § 26
§ 26 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
b) Der unvorsätzliche Exzeß
Waffe, wendet er aber eine lebensgefährliche Behandlung an, so liegt eine Anstif-
tung zu §224 vor; denn der Exzeß bezieht sich nicht auf den Tatbestand, sondern Alle bisher erörterten Exzeßkonstellationen beruhten auf der Voraussetzung, 116
auf Modalitäten der Ausführung. daß der Täter vorsätzlich etwas anderes tut als vom Anstifter verlangt worden war.
114 Bei Exzessen, die Art und Quantität des Unrechts im Rahmen desselben Noch heftiger umstritten, wenn auch praktisch weniger Bedeutsam, ist der Fall,
Tatbestandes betreffen, muß man unterscheiden. Tut der Täter etwas anderes, als daß der Täter unvorsätzlich von der Anstiftungsrichtlinie abweicht. Das soll an
der Anstifter ihm aufgetragen hatte, so kommt es darauf an, ob das Ausgeführte dem spektakulärsten Beispiel verdeutlich werden: dem error in persona des zum
sich nach dem Ausmaß der Rechtsgutsbeeinträchtigung und der Art des Angriffs Morde Angestifteten.
noch im Rahmen der durch die Anstiftung vorgezeichneten Unrechtsdimension Früher war die Leitentscheidung der noch vom Preußischen Obertribunal 117
hält. Ist das der Fall, liegt eine Anstiftung vor; andernfalls ist ein Exzeß anzuneh- (1859) behandelte Fall Rose-Rosahl, der im Zusammenhang mit dem error in
men, der die Zurechnung zur Anstiftung ausschließt.141 Wer also zu einer Zech- persona schon oben geschildert und besprochen worden ist.142 Nach mehr als 130
prellerei aufgefordert wird, statt dessen aber einen Geschäftspartner durch die Lie- Jahren ist in dem 1990 entschiedenen „Hoferben-Fair eine entsprechende Kon-
ferung unbrauchbarer Waren betrügt, verwirklicht eine andere Tat, für die der stellation noch einmal aufgetreten (BGHSt 37, 214).
„Anstifter" nicht verantwortlich gemacht werden kann (natürlich kann in solchen Der angeklagte Bauer (B) wollte seinen Sohn und Hoferben (S) wegen mannigfacher Strei- 118
tigkeiten umbringen, fühlte sich aber selbst „als Vater außerstande, die Tat zu begehen". Es ge-
Fällen auch seine Kausalität schon zweifelhaft sein). Wer aber, zum „Ausräumen" lang ihm aber, den St. gegen das Versprechen einer Geldsumme für die Tötung zu gewinnen.
eines Juwelierschaufensters aufgefordert, statt dessen den Laden ausplündert, des- Die Tötung sollte im Pferdestall stattfinden, den der S bei seiner Heimkehr gewöhnlich durch-
sen Ausführung hält sich in der Unrechtsdimension der Anstiftung und ist dem querte. Um sicherzugehen, daß andere Personen nicht zu Schaden kämen, unterrichtete B den
St. über Gewohnheiten und Aussehen des S und legte ihm ein Lichtbild des S vor; bei einem
Hintermann als solche zuzurechnen. „gescheiterten Anlauf" hatte St. den S auch schon persönlich gesehen. Am Abend des
115 Geht der Ausführende in der Quantität des verwirklichten Unrechts über 25.11.1985 legte sich St. im Stall auf die Lauer. Es war dunkel, eine gewisse Helligkeit wurde
das durch die Anstiftung bezeichnete Maß hinaus, stiehlt er also nicht 100, son- lediglich dadurch erzeugt, daß Schnee lag. Gegen 19 Uhr betrat ein Nachbar (N) den Hof und
öffnete die Stalltür. Er ähnelte dem S in der Statur und führte in der Hand eine Tüte mit sich,
dern 1.000 Euro, oder versetzt er dem Opfer nicht eine Ohrfeige, sondern deren wie dies auch der S zu tun pflegte. St. nahm deshalb an, den S vor sich zu haben und erschoß
zehn, so liegt in den Beispielsfällen gleichwohl eine Anstiftung zum Diebstahl den N aus kurzer Entfernung.
oder zur Körperverletzung vor. Denn in der größeren Unrechtsquantität ist die
aa) Die Annahme einer versuchten Anstiftung
kleinere, zu deren Verwirklichung angestiftet wurde, enthalten. Natürlich muß
sich aber der „geringere" Vorsatz des Anstifters und der Exzeß des Täters bei der Es ist heute unstrittig, daß der einem error in persona erlegene St. wegen voll- 119
Strafzumessung niederschlagen. Bleibt der Täter hinter dem durch die Anstiftung endeten Mordes zu bestrafen ist:143 Er wollte den Mann erschießen, der den Stall
bezeichneten Maß zurück, stiehlt er also nicht so viel oder schlägt er nicht so hef- betreten hatte und hat dies getan; sein Irrtum über die Identität des Erschossenen
tig zu, wie der Anstifter es von ihm verlangt hatte, liegt trotzdem eine Anstiftung ändert an der vorsätzlichen Tötung nichts. Der B aber kann nach überwiegender
vor, weil die Anstiftung zur Begehung des größeren Unrechts die zur Verwirkli- und zutreffender Auffassung144 nur wegen versuchter Anstiftung zum Mord (§ 30
chung des geringeren in sich schließt. Der „überschießende" Schädigungswille des I) bestraft werden.145 Denn es liegt ein unvorsätzlicher Exzeß des St. vor, der dem
Anstifters ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Ggf. kommt auch die B nicht zugerechnet werden kann. Zwar wird die Konstellation selten unter die-
Bestrafung wegen versuchter Anstiftung (§ 30 I) in Betracht: Wenn der zum Raub sem Blickwinkel beurteilt. Aber es ist nicht zu bezweifeln, daß ein die Anstifter-
Aufgeforderte nur einen Diebstahl begeht, ist der Hintermann wegen Anstiftung bestrafung ausschließender Exzeß vorgelegen hätte, wenn St. absichtlich den N
zum Diebstahl in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zum Raub zu bestrafen. statt des S erschossen hätte (vgl. Rn. 111). Was aber für den vorsätzlichen Exzeß an-
erkannt ist, muß auch für den unvorsätzlichen gelten; denn die Abweichung der
Tätertat vom Vorstellungsbild des Anstifters ist dieselbe.
Dieses aus allgemeinen Exzeßgrundsätzen folgende Ergebnis wird durch eine 120
Deduktion aus der Irrtumslehre gestützt. Denn der error in persona auf Seiten des
141
Ähnlich auch die übrige Literatur; vgl. etwa Kienapfel, AT4, 572 („Angriffsrichtung");
Lackner/Kühl2A, §26, Rn.5 („Vorstellung eines ... zeitlichen und örtlichen Rahmens"); Mau- '« Vgl. Roxin, AT l3, § 12, Rn. 168.
rach/Gössel, AT/27, 51/8 („nach Rechtsgutsbeeinträchtigung, sonstigem Unrechtsgehak und i« Näher dazu Roxin, AT l3, § 12, Rn. 168 ff.
konkreter Angriffsrichtung wie konkretem Angriffsobjekt"); Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 147, i " Schlehqfer, GA 1992, 307 und Bemmann, Stree/Wessels-FS, 1993, 397; Köhler, AT, 528/
149 („Begehungsweise in ihren Grundzügen"). Schmidhäuser, LB AT , 14/102; ders.s StuB AT , 529-Jescheck/Weigend, AT5, § 64II 4; SK7-Hoyer, vor § 26, Rn. 53.
10/111, läßt sogar allein die Konkretisierung auf eine bestimmte Tatmöglichkeit entscheiden; 145
Allenfalls kommt noch eine fahrlässige Tötung des N in Betracht, wenn der Irrtum des
demgegenüber muß jedoch die ausschlaggebende Bedeutung der rechtlichen Qualität des ver- St. für B voraussehbar war.
anlaßten Verhaltens betont werden.
167
166
§ 26 IV 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme - B. Anstiftung IV § 26
St. ist für den Hintermann B eine aberratio ictus. Der von ihm abgeschossene cc) Die Annahme einer Anstiftung zur vollendeten Tat
„Pfeil" (der St.) ist „abgeirrt" und hat den N statt des S getroffen. Schließt man nun
Das Preußische Obertribunal 151 und mit kleineren Variationen auch BGHSt 37, 123
mit der in Rspr. und Literatur herrschenden und auch hier vertretenen Meinung
214 und ein Teil des Schrifttums152 halten demgegenüber daran fest, daß die Per-
bei der aberratio ictus die Annahme eines vollendeten Vorsatzdeliktes aus,146 so sonenverwechselung des Ausführenden für den Anstifter'genauso irrelevant sei
kommt auch unter diesem Gesichtspunkt nur eine versuchte Anstiftung in Frage. wie für den Tater. Der BGH hat daher B wegen Anstiftung zum vollendeten
121 Bestätigt wird diese Lösung durch ein von Binding überliefertes Argument,147 Mord bestraft. Während das Exzeß-Argument dabei im wesentlichen unbeachtet
das von der Hypothese ausgeht, St. hätte nach Feststellung seines Irrtums weiter- bleibt - das Preußische Obertribunal hatte immerhin noch gesagt,153 daß „ein
hin auf S gewartet und auch diesen bei seinem Erscheinen noch erschossen. St. wahrer Exzeß nicht vorhanden" sei, weil in der Tötung des falschen Opfers „keine
wäre dann wegen zweifachen Mordes und B wegen Anstiftung zur Ermordung eigene Entschließung des Täters" liege - , wird die Behandlung nach den Regeln
des S strafbar. Dann kann ihm aber nicht auch noch die Tötung des N durch St. der aberratio ictus mit der Begründung abgelehnt, daß diese auf die vorliegende
zur Anstiftung zugerechnet werden. Denn er wollte nur zu einem Mord anstif- Konstellation nicht paßten.
ten.
So meint der BGH (aaO., 219), die Regeln der aberratio ictus seien „— als 124
bb) Die Annahme einer Anstiftung zum Versuch Sonderfall der Kausalabweichung - für Geschehensabläufe entwickelt worden, in
122 Einige Autoren, die eine Anstiftung zum vollendeten Mord ebenfalls ablehnen, denen der Täter das Angriffsobjekt vor sich sieht, an seiner Stelle aber ein an-
halten den B nicht einer versuchten Anstiftung zur Ermordung des S, sondern ei- deres Objekt verletzt".154 Das leuchtet aber nicht ein. Denn die Feststellung, daß
ner Anstiftung zur versuchten Tötung des S für schuldig.148 Sie sehen in dem ein Kausalverlauf die ihm vom Täter vorgezeichnete Bahn verlassen hat, ist ein
Schuß des St. auf N immerhin den Versuch einer Tötung des S, zu dem B angestif- objektiver Befund, der nicht davon abhängen kann, ob der Erstverursacher ihn
tet habe. Dem ist aber nicht zu folgen.149 Denn der vollendete Mord, den St. an N mit eigenen Augen wahrnimmt. Es könnte keinen Unterschied machen, wenn B
begangen hat, kann nicht zugleich als versuchte Tötung des S aufgefaßt werden, den Schuß des St., ohne ihn verhindern zu können, beobachtet hätte. Andere
weil dies einen zweifachen Tötungsvorsatz bei St. voraussetzen würde, dieser aber Autoren rügen,155 daß die Annahme einer aberratio ictus „ein rein mechanistisches
Modell der Anstiftung" voraussetze. Da jedoch die Anstiftung immer auch eine
nur einen hatte. Zwar meint Stratenwerth150, der Umstand, daß St. nur einen voll-
Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges sein muß, 156 ist nicht einzusehen,
endeten Mord begangen habe, hindere „nicht im geringsten, ihn zugleich, aus
warum die für Kausalabweichungen entwickelten Regeln nicht auch hier gelten
dem Blickwinkel" des B als versuchten Mord an S zu bewerten. Aber eine solche
sollten.
„Bewertung" wird durch den Grundsatz der limitierten Akzessorietät verhindert.
Denn dieser setzt für eine Anstiftung zum versuchten Mord das reale Vorliegen Dem Argument, daß keine zweifache Anstiftung zum Mord vorliegen könne, 125
eines Versuchs voraus. Sein Fehlen kann nicht durch den „Blickwinkel" des B er- wenn der Täter nach Feststellung der Verwechselung das „richtige" Opfer erwarte
setzt werden. Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, warum vom Standpunkt und erschieße (vgl. Rn. 121), wird auf verschiedene Weise begegnet. Der BGH
des B aus die Erschießung des N als Versuch der Erschießung seines Sohnes bewer- meint (aaO., 219), dem Anstifter seien, „wenn der Täter nach dem Erkennen seines
tet werden sollte. Irrtums außerdem das vom Anstifter bezeichnete Opfer tötet, ... in der Regel...,
die beiden Tötungen zuzurechnen". Aber das ist ganz unhaltbar.157 Denn wenn der
Vorsatz des Täters nur die Tötung eines Menschen umfaßt, können ihm nicht zwei
™ Näher Roxin, AT l3, § 12, Rn. 144 ff.
147
Binding, Normen III, 214, Fn. 9; gegen Siegel, 1895, 39, der den Hintermann ggf. sogar i5i Preußisches Obertribunal, GA 1859, 322.
nach fortgesetzten Verwechselungen des Ausführenden für einen „ganzen Leichenhaufen" (40) «2 So auch heute noch im Schrifttum: Altenhain, 1994, 140; Backmann, JuS 1971, 119; Ebert,
strafrechtlich verantwortlich machen will, was Binding mit Recht ein „geradezu ungeheuerli- AT3, 213; Geppert, Jura 1992, 163; Gropp, AT2, §10, Rn. 134; ders., Lenckner-FS, 1998, 55ff.;
ches Ergebnis" nennt (Normen III, 214, Fn. 9). Als Entdecker der Problemkonstellation nennt Kohlrausch/Lange, StGB43, § 48, Anm. VII; Loewenheim, JuS 1966, 314; Maurach/Gössel, AT/27,
Siegel, (39, Fn. 1) den Göttinger Professor Ziebarth, der den Fall „in seinen criminalistischen 51/57; Mitsch, Jura 1991, 373; Müller-Dietz/Backmann, JuS 1971, 416; Puppe, NStZ 1991,124; Seh/
Uebungen als Aufgabe gestellt" habe. Sch/Cmmer/Heine26, §26, Rn.23; Schroth, 1998, 109; Tröndle/Fischer*0, §26, Rn. 15; Welzel,
148
Joecks3, § 26, Rn. 27; Stratenwerth, AT4, § 8, Rn. 98; ders., Baumann-FS, 1992, 66f.; Puppe, StrafR11,117, 79; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 576 ff, 579 (anders noch die 20. Aufl.).
NStZ 1991, 124; SK5-Samson, vor § 26, Rn. 56; anders jetzt SK7-Hoyer, vor § 26, Rn. 53, vgl. «3 Preußisches Obertribunal, GA 1859, 337.
Fn. 141; ebenso noch Schmidhäuser, LB AT2, 14/123 (wie hier jetzt ders., StuB AT2, 10/126); 154
Urheberin dieses Gedankens ist Puppe, GA 1984, 120f.; dagegen Roxin, Spendel-FS,
Streng, ZStW 109 (1997), 897. 1992, 292; Schlehqfer, GA 1992, 311.
149
Vgl. Roxin, Spendel-FS, 1992, 300 f. Aus der Literatur zu BGHSt 37, 214, wenden sich •55 Puppe, GA 1984,121; ähnlich Mitsch, Jura 1991, 385.
gegen die Annahme einer Anstiftung zum Versuch auch Bemmann, Stree/Wessels-FS, 1993, '56 Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 27 sowie hier oben Rn. 26 ff.
399; Geppert, Jura 1992,167; Schlehqfer, GA 1992, 317; Streng, JuS 1991, 910 f. 157
Bemmann, Stree/Wessels-FS, 1993, 403, erfüllt diese Auffassung des BGH „mit Verwun-
«0 Stratenwerth, Baumann-FS, 1992, 68. derung und Entsetzen".
168
169
§ 26 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme - B. Anstiftung IV §26
Tötungen zugerechnet werden. Puppe158 will nur eine Anstiftung annehmen, sich
Verwechselung mit S unvorhersehbar gewesen sein, würde auch der B G H n u r
aber nicht darauf festlegen, zu welcher der beiden Mordtaten angestiftet worden
eine versuchte Anstiftung annehmen. Diese Unterscheidung überzeugt aber nicht,
sein soll. Aber das leuchtet auch nicht ein. D e n n w e n n der Täter es bei der durch
weil die etwaige Vorhersehbarkeit einer Tötung des N insoweit n u r eine Fahr-
die Personenverwechselung bewirkten Tötung bewenden läßt, liegt in unserem
lässigkeit und keinen Vorsatz begründen kann. 1 6 4 Es ist für die aberratio ictus a n -
Beispiel nach der hier abgelehnten Ansicht eindeutig eine Anstiftung zur voll-
erkannt, daß neben der versuchten eine fahrlässige Tötung vorliegt, w e n n die A b -
endeten Tötung des N vor. Wie sollte diese Anstiftung nachträglich dadurch w i e - irrung vorhersehbar war. Warum bei der vorliegenden Konstellation eine Fahrläs-
der ins Ungewisse gerückt werden, daß der Täter einen zweiten Mord begeht? Die sigkeit hinsichtlich der Tötung des N diese zu einer vorsätzlichen Tötung machen
meisten Vertreter der Anstiftungslösung sehen jedoch die zweite Tötung als Exzeß soll, ist nicht ersichtlich.
an, so daß B also nur wegen Anstiftung zur Tötung des N bestraft würde, wenn
M e h r Berechtigung hat die Auffassung, die darauf abstellt, ob der Täter sich an 128
St. nach Erkenntnis seines Irrtums auch noch S erschösse. 159 Aber auch das bringt
die v o m Anstifter gegebene Opferbeschreibung gehalten hat oder nicht. 1 6 5 Im er-
keine Lösung. D e n n die Tötung des S ist von B nicht n u r objektiv verursacht, son-
sten Fall soll die Verwechselung des Ausführenden auch für den Anstifter u n b e -
dern auch mit St. vereinbart worden. Die Ausführung eines mit Geld bezahlten
achtlich, im zweiten dagegen dem Anstifter der Tod des Opfers nicht zuzurechnen
Auftrages zur E r m o r d u n g eines bestimmten Menschen kann unmöglich ein E x -
sein. In der Tat wird man sagen müssen, daß auch beim Anstifter ein für ihn wie
zeß sein. 160 D e n n dessen Mindestvoraussetzung ist die Abweichung der Tätertat
den Titer gleichermaßen unbeachtlicher error in persona vorliegt, w e n n er dem
vom Vorstellungsbild des Anstifters, u n d gerade daran fehlt es hier.
Täter einen anderen beschreibt als denjenigen, den er getötet haben will. Das gilt
126 Puppe161 meint, daß sich auch für die hier vertretene Lösung dasselbe Problem auch dann noch, wenn die Beschreibung so ungenau ist, daß sie auf viele Personen
bei einer aberratio ictus des Täters ergebe. Das ist aber nicht richtig. Wenn der Täter paßt. D e n n die Anstiftung bezieht sich dann auf den, der der Beschreibung ent-
zwar auf den Sohn zielt, aber vorbeischießt u n d einen anderen tödlich trifft, dann spricht; wenn der Anstifter sich jemand anderes darunter vorgestellt hat, ist das
jedoch mit einem zweiten Schuß den Sohn umbringt, liegt nur eine Anstiftung auch für ihn ein error in persona.
zum vollendeten Mord vor, weil der anfängliche Versuch im Verhältnis zur nach-
Zu weit geht es aber, w e n n die meisten Vertreter dieser Lösung auch im Falle 129
folgenden Vollendung subsidiär ist.
der Entscheidung BGHSt 37, 214 zu der A n n a h m e neigen, daß der Täter den
dd) Differenzierende Lösungen Anweisungen des Anstifters entsprochen habe. D e n n der B hatte dem St. nicht
127 Die drei unter aa)— cc) erörterten Auffassungen gleichen sich darin, daß sie den nur ein Lichtbild des Sohnes vorgelegt; der St. hatte den S auch selbst schon gese-
Anstifter in allen Fällen des beim Täter eintretenden error in persona gleich b e - hen. Eine konkretere Beschreibung, als ein Lichtbild u n d der persönliche Augen-
handeln, w e n n auch mit unterschiedlichem Ergebnis. Daneben entwickeln sich schein sie ergeben, ist nicht möglich. Da der Anstifter dem Täter „das nähere Vor-
neuerdings zwei differenzierende Lehren, deren eine auch der B G H vertritt. D e n n gehen . . . überlassen" (aaO., 214) u n d sich vor der Tat noch einmal „vergewissert"
es heißt in seinem Urteil (aaO., 218), der Irrtum des Täters stelle „sich für den A n - hatte, daß St. den S „werde identifizieren können", geht die Personenverwech-
geklagten (seil, den B) zwar als eine Abweichung von dem geplanten Tatgesche- selung zu Lasten des Täters. 166 Immerhin ist eine Differenzierungstheorie, die bei
hen dar, sie ist aber rechtlich unbeachtlich, weil sie sich in den Grenzen des nach einer Entsprechung von Tätertat und Anstifterbeschreibung auch beim Anstifter
allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren hielt, so daß eine andere Bewertung einen error in persona a n n i m m t , eine richtige Ergänzung und Begrenzung der
der Tat nicht gerechtfertigt ist".162 Sollte also das Erscheinen des N 1 6 3 und dessen aberratio-ictus-Lösung. Sie kann sie aber nicht ersetzen und kann auch nur einen
schmaleren R a u m beanspruchen, als ihre Vertreter ihr meist zugestehen.
158
Puppe, NStZ 1991, 125; dazu näher Roxin, Spendel-FS, 1992, 297ff.; ähnlich Schroth,
1998,109.
159 Geppert, Jura 1992,168; Streng, JuS 1991, 915.
«0 Dazu auch Bemmann, Stree/Wessels-FS, 1993, 402.
i« Puppe, NStZ 1991,125; ihr folgend Geppert, Jura 1992,168.
1« Ähnlich auch BGH NStZ 98, 294; Baumann/Weber, AT10, § 30, 89; Freund AT, § 10,
Rn. 131; Toepel, JA 1997, 248ff, 344ff.
163
Dessen Vorhersehbarkeit sehr zweifelhaft und vom BGH ohne hinreichende Begrün- 164 Gegen „das Vorhersehbarkeitskriterium des BGH" auch Schlehoßr, GA 1992, 308 f.
165
dung bejaht wird; vgl. Roxin, JZ 1991, 680, 681; Bemmann, Stree/Wessels-FS, 1993, 402. Die So mit kleinen Unterschieden im einzelnen Jakobs, AT2, 22/29, 21/45; Küpper, J R 1992,26
Tatsacheninstanz hatte die Vorhersehbarkeit verneint {Bemmann, aaO.). Auch Rostek, Eser-FS, 296; Stratenwerth, Baumann-FS, 1992, 65/66; Streng, JuS 1991, 914f.; Sch/Sch/Cramer/Heine ,
vor §§ 25 ff, Rn. 45; § 26, Rn. 23; Wessels/Beulke, AT*1, Rn. 579; Weßlau, ZStW 104 (1992), 105,
1995, 93 stellt auf Grund einer Analyse des erstinstanzlichen Urteils (LG Bielefeld) fest, die 131/132.
Annahme des BGH, der Kausalverlauf habe im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung 166
gelegen, sei „vom Sachverhalt nicht gedeckt. Wie nahe war doch Roxin mit seinen Ausführun- Vgl. auch dazu Rostek, Eser-FS, 1995, 92: Nach Feststellung der Tatsacheninstanz war
gen aus festgestelltem Sachverhalt" (wobei er sich auf meine Anm. in derJZ bezieht). der Angeklagte sicher, daß der Täter „seinen Sohn ... identifizieren und kein anderer durch das
Tatgeschehen zu Schaden kommen werde".
170
171
§ 26 V 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung V § 26

V. Der Anstiftervorsatz a) Die Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes


Erste Voraussetzung eines auf die Begehung einer Tätertat gerichteten Vorsatzes 133
1. Der auf den Tatentschluß gerichtete Vorsatz
ist, daß der Anstifter sich die vom Täter zu begehende Handlung mit hinreichen-
130 Der Anstiftervorsatz muß sich zunächst auf die Hervorrufung des Tatentschlus- der Bestimmtheit vorstellt; denn nur unter dieser Voraussetzung ist sein Vorsatz
ses beim Täter beziehen. Über diese „Bestimmung zur Tat" ist unter II (Rn. 65 ff.) auf eine „Tat" gerichtet. Daraus folgt zunächst, daß die Aufforderung zur Be-
und IV (Rn.90ff.) ausführlich gehandelt worden. Wenn §26 verlangt, daß der gehung unbestimmter, nicht näher genannter Straftaten nicht als Anstiftung
Anstifter „vorsätzlich einen anderen zu dessen ... Tat bestimmt hat", so sind darin faßbar ist. Denn es fehlt hier an einer konkreten „Tat", zu der der Anstifter den
alle Formen des Vorsatzes eingeschlossen. Es genügt also auch eine Anstiftung mit Täter bestimmt haben könnte. Eine frühe Entscheidung des RG (RGSt 1, 110 f.)
dolus eventualis.167 Doch ist bei dessen Annahme Vorsicht geboten. Denn da die behandelt einen Fall, in dem jemand zu einer Hausgehilfin gesagt hatte, „sie sei
Anstiftung immer den Charakter einer Aufforderung haben muß (Rn. 74 ff), kann dumm, daß sie die Gelegenheit nicht benutze und sich heimlich Geld mache".
der bedingte Vorsatz sich nur daraus ergeben, daß der Anstifter ein Eingehen auf Auch wenn man in dieser Äußerung die konkludente Aufforderung sieht, sich auf
sein Verlangen nicht bezweckt, sondern lediglich in Kauf nimmt (vgl. das Bsp. unrechtliche Weise Geld zu beschaffen, hat das RG mit Recht eine Verurteilung
Rn. 82). Dagegen genügt nicht die Schaffung von Anreizen zur Tatbegehung, bei wegen Anstiftung zur Unterschlagung abgelehnt; denn es war unklar geblieben,
denen der Täter bloß mit der Möglichkeit rechnet, einen Tatentschluß hervor- auf welchen Tatbestand (§ 246?; § 242?; § 263?; § 266?) sich die „Anweisung" über-
zurufen; denn darin liegt überhaupt noch nicht der für die Anstiftung nötige haupt bezog. Deshalb ist als Mindestvoraussetzung jeder Anstiftung anerkannt,
Rechtsgutsangriff, der nur in einem Verlangen der Tatbegehung bestehen kann daß sie sich auf einen bestimmten Tatbestand beziehen muß. Denn nur ein kon-
(Rn. 74ff., 82f.). kreter Tatbestand kann eine „rechtswidrige Tat" i. S. d. § 26 sein.
131 Dagegen kann die Leichtfertigkeit168 auch bei einer zielgerichteten Aufforde- Umstritten ist, ob für eine Anstiftung weitere Konkretisierungen der zu bege- 134
rung keine Anstiftung begründen. Fordert also A den B auf, seinen (des B) henden Tat erforderlich sind und welcher Art diese ggf. sein müssen.170 Der BGH
Nebenbuhler umzubringen, und rechnet er leichtfertig nicht damit, daß dieser hat sich mit dieser Frage erstmals in BGHSt 34, 63 näher auseinandergesetzt. In
dem Verlangen Folge leisten werde, so scheidet eine Anstiftung aus; freilich kann diesem schon oben geschilderten Sachverhalt (Rn. 85) hatte der Angeklagte zum
eine fahrlässige Tötung in Betracht kommen. 169 späteren Täter nach Erwägung anderer Geldbeschaffungsmöglichkeiten gesagt:
„Dann müßtest Du eine Bank oder Tankstelle machen." Der Täter hatte darauf
2. Der auf die Tat gerichtete Vorsatz nicht geantwortet, aber einige Tage später einen Sparkassenraub begangen. Nach
132 Daneben muß der Anstiftervorsatz sich auch auf die Begehung der Tat durch der hier vertretenen Auffassung scheitert in diesem Fall eine Anstiftung schon am
den Täter richten. Aus dem Wortlaut des Gesetzes geht das nicht eindeutig hervor. fehlenden Aufforderungs-Charakter der vom Angeklagten geltend gemachten
Denn man kann auch dann davon sprechen, daß man jemanden zu einer rechts- Erwägung (Rn. 85). m Nimmt man aber einmal eine Aufforderung an, stellt sich
widrigen Tat bestimmt habe, wenn man ihn z. B. erfolgreich zu einem Diebstahl die weitere Frage, ob die zu begehende Tat vom Angeklagten hinreichend konkret
auffordert und gleichzeitig dafür sorgt, daß er im Versuchsstadium festgenommen vorgestellt und gekennzeichnet worden war. Der verwirklichte Tatbestand (Raub
bzw. als alternative Möglichkeit räuberische Erpressung) war jedenfalls von der
wird. Die Ablehnung der Anstiftung in einem solchen Fall läßt sich nur aus dem
Vorstellung des Täters erfaßt. Darüber hinaus war auch eine gattungsmäßige Kon-
Fehlen eines Rechtsgutsangriffs und damit aus dem Strafgrund der Teilnahme er-
kretisierung (Sparkassenraub, Tankstellenraub) erfolgt.
klären (Rn. 8 f., 28). Im Ergebnis besteht jedoch heute Einigkeit darüber, daß der
Vorsatz des Anstifters sich auch auf die Begehung einer vollendeten Tat durch den Für den BGH reicht das aber noch nicht aus. Er verlangt vielmehr, daß indi- 135
Täter richten muß; nach der hier vertretenen Auffassung muß er darüber hinaus vidualisierende Merkmale des konkreten Geschehens (Objekt, Ort, Zeit und
auch die Rechtsgutsverletzung erfassen (Rn. 156 ff.). Man spricht insoweit von sonstige Umstände der Tatausführung) vom Vorsatz des Anstifters umfaßt sein
einem Doppelvorsatz des Anstifters (vgl. schon Rn. 28). müßten. Zwar müsse der Anstifter „die zu begehende Tat nicht in allen Einzelhei-
ten ihrer konkreten Ausführung in sein Bewußtsein aufgenommen" haben. Doch
müßten wenigstens einzelne individualisierende Merkmale von der Vorstellung
des Anstifters umfaßt sein. „Welche zur Tatindividualisierung tauglichen Merk-

«7
168
RGSt 72, 26, 29; RG HRR 1937, Nr. 1681; BGHSt 2, 279, 281 f.; BGH GA1980,183 f. ™ Für Sch/Sch/Cramer/Heine26, vor §§25ff„ Rn.43, ist es ausreichend, wenn der Täter
Dazu Roxin, AT 3l3, § 24, Rn. 74 ff. die Faktoren kennt, aus denen sich die Tatbestandsmäßigkeit ergibt.
"» Vgl. Roxin, AT l , § 24, Rn. 26ff., 30. "1 Ebenso Krey, KT/2, Rn. 272; Kühl, AT3, §20, Rn. 188; Lackner/Kühl24, §26, Rn. 5.
172
173
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung V § 26
male jeweils erforderlich sind, entzieht sich einer generell-abstrakten Bestimmung reo" von einer im unteren Bereich liegenden Vorstellung ausgehen und den Veran-
und kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles entschieden wer- lasser so behandeln könne, als wollte er nur einen geringen Schaden verursachen.
den" ( a a O , 67). 172 Abgesehen davon, daß kaum eine Analogie zum Zweifelssatz möglich ist, w o gar
Diese Auffassung verdient aber keinen Beifall. 173 Vielmehr m u ß es genügen, kein Zweifel am Geschehen besteht, würde eine solche Lösung aber gerade zeigen,
wenn der Anstiftervorsatz neben dem zu verwirklichenden Tatbestand die w e - daß zu der Tat, die der Täter wirklich begangen hat, eine Anstiftung eben nicht
sentlichen Dimensionen des Unrechts der Tätertat erfaßt. 174 Mit diesen „wesent- vorliegt.
lichen Dimensionen" sind das ungefähre Ausmaß des Schadens und die Angriffs- Freilich legt des öfteren schon der Tatbestand selbst die Dimensionen des U n - 138
richtung gemeint. 175 N i m m t man im Beispielsfall eine Aufforderung an, lagen rechts in einer Weise fest, daß die Veranlassung zu seiner Verwirklichung für eine
diese Kriterien mit hinreichender Bestimmtheit fest: Es war klar, wie viel Geld Anstiftung ausreicht. Wenn A den B dazu drängt, z u m Beweise seines „Mutes"
der Täter ungefähr brauchte, und ein Sparkassen- bzw. Tankstellenüberfall b e - oder seiner „Männlichkeit" einen Menschen umzubringen oder eine Frau zu ver-
zeichnet die Art und Weise des geplanten Angriffs recht deutlich. Die Vorstellung gewaltigen, ist er bei Ausführung der Tat Anstifter. D e n n die wesentlichen D i -
des Anstifters m u ß also etwa das umfassen, was auch bei der Umstiftung mensionen des Unrechts liegen im tatbestandlichen Erfolg selbst und sind nicht
(Rn. 91 ff.) und beim Exzeß ( R n . 109 ff.) eine „Tat" ausmacht. M a n wird keine A n - den Abstufungen zugänglich, die etwa bei § § 242, 249, 263 möglich sind.
stiftung, sondern eine Beihilfe annehmen müssen, w e n n jemand den Täter veran- Der B G H wendet gegen die hier vertretene Lösung ein, durch das Abstellen auf 139
laßt, anstelle der Bankfiliale X die leichter zu beraubende Filiale Y zu überfallen die „Dimensionen des Unrechts" werde die „Verknüpfung zwischen Anstiftung
oder die Tat nicht heute, sondern morgen auszuführen. Ebenso ist es kein die A n - und Haupttat so weit gelockert, daß die strafrechtliche Haftung des Anstifters . . .
stiftung ausschließender Exzeß, w e n n der Täter aus Zweckmäßigkeitsgründen von auch in Fällen Platz greift, in denen seine Strafwürdigkeit zweifelhaft ist und seine
einer Filiale zur anderen übergeht oder den Tatzeitpunkt verschiebt. D a n n aber ist Gleichsetzung mit dem Täter . . . keine Rechtfertigung mehr zu finden vermag"
nicht einzusehen, w a r u m solche individualisierenden Modalitäten für die „Tat" die (BGHSt 34, 65 f.). Das überzeugt aber nicht; 1 7 7 denn es wird ja nicht, wie der
der Anstifter sich vorgestellt haben muß, überhaupt bedeutsam sein sollen. B G H meint, eine „generell-abstrakte" Unrechtsdimension zum Gegenstand der
Anders ist es, w e n n ohne nähere Charakterisierung nur zu einem „Diebstahl" Anstiftung gemacht, sondern diese m u ß einen konkreten Tatbestand konturieren.
„Betrug" oder „Raub" aufgefordert wird. D e n n zwischen der E n t w e n d u n g einer Dagegen sind die vom B G H geforderten „individualisierenden Merkmale" für die
Schachtel Zigaretten und einem Großdiebstahl, einer Zechprellerei und einem Strafwürdigkeit des Anstifters gleichgültig: O b die Filiale X oder Y überfallen, ob
Millionenbetrug, dem Wegreißen einer Handtasche und einem Bankraub b e - die Tat heute oder morgen begangen wird, kann bei der Zumessung der Anstifter-
stehen solche Unterschiede, daß diese Verhaltensweisen nicht als dieselbe Tat an- strafe keine Rolle spielen.
gesehen werden können. Bleibt offen, ob das eine oder das andere gemeint ist, läßt Die Auffassung des B G H führt außerdem zu kriminalpolitisch unerträglichen 140
sich folglich ein auf eine „Tat" gerichteter Anstiftervorsatz überhaupt nicht fest- Ergebnissen. Ein Hehler, der einen Dieb beauftragt, i h m für eine bestimmte
stellen. Die A n n a h m e einer Anstiftung ist im übrigen auch deshalb abzulehnen, Geldsumme Orientteppiche zu stehlen, kann nicht deshalb der Anstifterstrafe ent-
weil sich keine Strafe zumessen läßt, w e n n der Anstifter von den wesentlichen gehen, weil die individualisierenden Umstände der Ausführung, das Wann, Wo
Dimensionen des Unrechts keine Vorstellung hat. Ingelfinger176 hält dem zwar ent- und Wie der Tat, dem Dieb überlassen bleiben. Entsprechendes gilt, wenn etwa
gegen, daß der Richter in analoger A n w e n d u n g des Grundsatzes „in dubio pro der Anführer einer Terroristengruppe einzelne Mitglieder beauftragt, das für die
Organisation erforderliche Geld durch einen Sparkassenüberfall zu beschaffen. Es
"2 Dem folgt die h. M. Vgl. nurjakobs, AT2, 22/27; Jescheck/Weigend, AT5, § 64 II 2 b; Joecks3, wäre höchst befremdlich, w e n n eine Anstiftung nur deshalb abgelehnt würde,
§26, Rn.l9f.; Lackner/Kühl24, §26, Rn.5; SK7-Hoyer, vor §26, Rn.46; Wessels/Beulke, AT31, weil der Anführer die „individualisierenden Umstände" der Tat (welche Bank?
Rn. 572. Ähnlich auch BGH NStZ 1997, 234; 1998, 347, 348; JR1999,448: Danach ist Maßstab Wann? Wo?) den beauftragten Mitgliedern überlassen hat. 178
für die Beurteilung der Bestimmtheit, ob durch die Einbeziehung des anderen schon eine
erhöhte Gefahrdung des Rechtsguts eintreten kann. Die Tat muß vom Anstifter so bestimmt Hinzu k o m m t , daß die vom B G H vertretene Lösung auch eine Rechtsunsichir- 141
sein, daß der andere sie begehen könnte, wenn er wollte. Anders BGH NStZ 1996, 434, 435; heit mit sich bringt, die mit dem Bestimmtheitsgrundsatz kaum zu vereinbaren
Sch/Sch/Cramer/Heine26, vor §§25ff., Rn.43: Es reicht aus, wenn so viele Umstände erfaßt
werden, daß die Tat dem Tatbestand einer Strafnorm zugeordnet werden kann. ist. 179 Denn der B G H läßt völlig offen, welche „individualisierenden Merkmale"
173
Darüber, daß sie auch von der älteren Rspr. abweicht, vgl. Roxin, JZ 1986, 909; Ingelfinger,
177
1992, 25 ff. Insoweit zust. Ingelfinger, 1992, 496.
™ Vgl. Roxin, JZ 1986, 908f.; LKn-Roxin, §26, Rn.46ff.; ebenso Freund, AT, §10, 17
» Immerhin rechnen aber BGH NStZ 1997, 281; 1996, 434, 435, dem Anstifter, dessen Vor-
Rn. 126; Köhler, AT, 527. stellung mehrere Möglichkeiten der Tatbegehung umfaßt, die dann tatsächlich gewählte voll
175
Ähnlich stellen auch Lackner/Kühl24, § 26, Rn. 5 auf die Angriffsrichtung ab. zu.
179
"6 Ingelfinger, 1992, 54. Zust. Ingelfinger, 1992, 46.
174
175
§ 26 V 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung V § 26
in der Vorstellung des Anstifters gegeben sein müssen. Ob im Falle der Entschei- damit an Tatbestimmtheit durch die „voluntative Dominanz" des Veranlassers
dung BGHSt 34, 63 die Bezeichnung einer bestimmten Bankfiliale oder schon die kompensiert werden.184 Eine solche nimmt er in nötigungsähnlichen Fällen („im
Angabe einer Tatzeit oder ob bei Offenlassung beider Umstände die Empfehlung Grenzbereich zur mittelbaren Täterschaft") und bei der Auftragserteilung an be-
einer bestimmten Art des Überfalls für eine Anstiftung ausgereicht hätte, soll den rufsmäßige Straftäter an. Hier soll es genügen, wenn der Veranlasser nur den zu er-
„Umständen des Einzelfalles" und damit praktisch dem Ermessen des Richters füllenden Tatbestand bezeichnet.
überlassen bleiben. Das läßt die Grenzen der Anstiftung im Ungewissen ver- Eine derartige Orientierung an einem „dynamischen, einem relativierten" Be- 145
schwimmen. stimmtheitsbegriff ist aber nicht möglich. Denn was auf der Grundlage der Täter-
142 Herzberg180 will den Fall als Problem der objektiven Zurechnung behandeln. Er vorstellung eine „Tat" ist, kann nicht von den zu ihrer Herbeiführung angewand-
beurteilt die Anstiftung „als Schaffung des Risikos, daß der Beeinflußte die ihm ten Mitteln abhängen. Das führt zu einer Begriffsverwirrung, die die Möglich-
angesonnene Tat wirklich begeht". Daran fehle es hier, weil die Empfehlung des keiten der Auslegung überschreitet. So muß z. B. die Verleitung zur Tötung eines
Angeklagten „ex ante bewertet nahezu belanglos erscheinen mußte". Das ist inso- nicht näher bezeichneten Menschen nach dieser Lehre als Anstiftung angesehen
fern richtig, als es hier in der Tat an einem Rechtsgutsangriff fehlt (Rn. 85), dessen werden, wenn der Veranlasser dem Täter Geld dafür zahlt, während sie im übrigen
Notwendigkeit sich auf die Lehre von der objektiven Zurechnung zurückführen straflos sein soll. Ob die Vorstellung des Veranlassers sich auf die Begehung einer
läßt (Rn. 9). Die allgemeinen Erwägungen, die der Angeklagte angestellt hat, rei- „Tat" richtet, kann aber doch nicht davon abhängen, ob er für ihre Begehung Geld
chen für eine Anstiftung nicht aus. Herzbergs Ansicht ist aber insofern nicht zu- zahlt oder nicht!
treffend, als er anscheinend auch eine Aufforderung für eine Anstiftung nicht ge- Ingelßnger gründet seine Unterscheidung auf Strafwürdigkeitserwägungen.185 146
nügen lassen will, sondern eine reale Chancenverbesserung (etwa durch Hingabe Nur bei intellektueller Lenkung oder voluntativer Dominanz sei der Anstifter
einer Waffe oder den Ausweis einer weniger riskanten oder finanziell besonders gleichermaßen strafwürdig wie der Täter. Abgesehen aber von der mangelnden
vielversprechenden Möglichkeit) verlangt. Denn dadurch wird die Anstiftung in Überzeugungskraft dieser Strafwürdigkeitsüberlegungen (dazu Rn. 147) darf man
unzulässiger Weise mit Beihilfegesichtspunkten vermengt: Anstiftung ist nur ein eine Erscheinungsform des Unrechts, wie es die Anstiftung ist, nicht von Straf-
aufforderndes Bestimmen zur Tat, deren dadurch verursachte Begehung immer maßgesichtspunkten des Einzelfalls abhängig machen. Der Anstifter kann im Ein-
schon die Verwirklichung des in der Aufforderung liegenden Risikos bedeutet. zelfall weniger oder auch mehr Strafe verdienen als der Täter. Mit der Frage, ob
143 Abgesehen davon will Herzberg aber auf jede über die Kennzeichnung des Tat- überhaupt eine Anstiftung vorliegt, hat das nichts zu tun.
bestandes hinausgehende Individualisierung verzichten. Er bildet den Fall,181 daß Schließlich leuchten aber auch die praktischen Ergebnisse, zu denen Ingelßngers 147
„ein Kriminologieprofessor zur Erforschung der Strafantragsfreudigkeit Studen- Unterscheidung führt, wenig ein. So bildet er den Fall,186 daß der Ausländerfeind
ten aussendet, Hausfriedensbrüche der verschiedensten Art und Schwere zu be- A den Killer T durch Zahlung einer größeren Geldsumme bewegt, einen belie-
gehen, oder daß ein bösartiger Ausländerfeind einen brutalen Schläger beauftragt, bigen Ausländer zu töten. Ingelßnger beurteilt A als Anstifter, weil er wegen der
Asylanten körperlich zu mißhandeln". Aber in diesen Fällen ist auch die Unrechts- Geldzahlung die „voluntative Dominanz" besitze. Das entspricht im Ergebnis der
dimension hinreichend bestimmt. Sie wird bei den Hausfriedensbrüchen geradezu hier vertretenen Meinung, während der BGH und die h.A. zu einem Freispruch
nach „Schwereklassen" festgelegt; und wer einen „brutalen Schläger" beauftragt, kommen müßten. Daß dies ein „dem Rechtsgefühl kraß zuwiderlaufendes Ergeb-
weiß, welche Körperverletzungen von ihm zu erwarten sind. nis" ist, betont Ingelßnger mit Recht. Aber die Begründung überzeugt nicht. Denn
144 Ingelßnger182 hat eine differenzierende Lösung entwickelt. Er verlangt im Regel- erstens ruft eine Geldzahlung keineswegs notwendig „voluntative Dominanz"
fall eine intellektuelle Lenkung des Täters durch den Anstifter, der die „konkrete hervor. Wenn ein Berufsverbrecher als „Spezialist" seinen Auftraggebern Preise
Angriffsrichtung" also z.B. das Tatobjekt oder den Rechtsgutsträger, vorgeben und Bedingungen diktieren kann, liegt die „Dominanz" unbeschadet der Geld-
müsse;183 eine gattungsmäßige Umschreibung der Angriffsobjekte genüge nicht. zahlung bei ihm. Doch kann es darauf überhaupt nicht ankommen. Denn wenn
Eine Ausnahme davon soll dann gelten, „wenn nur ein kleiner, überschaubarer der A ohne Geldzahlung durch bloße Aufhetzung den T zur Tötung eines Auslän-
Kreis von konkreten Zielen in Betracht" komme, da dann die maßgebliche An- ders verleitet, muß auch Ingelßnger mit dem BGH und der h. M. einen Freispruch
griffsrichtung feststehe. Doch könne der Mangel an intellektueller Lenkung und annehmen, weil das „Angriffsobjekt" nur „gattungsmäßig umschrieben" ist und es
an der voluntativen Dominanz des Veranlassers fehlt. Das ist eine kriminal-
wo Herzberg, JuS 1987, 617 ff. (620). politisch unerträgliche Lösung. Ähnliches gilt für einen weiteren Beispielsfall
181
Herzberg, JuS 1987, 618; zu den von ihm zum Vergleich herangezogenen Bestimmtheitsan-
forderungen bei § 111 und bei der Beihilfe vgl. Rn. 246 mit Fn. 320. ist Ingelßnger, 1992, 234 f.
182 i n der ersten und sehr anregenden Monographie zum Thema, 1992. «5 Ingelßnger, 1992,130 ff.
i86
Hier und im folgenden Ingelßnger, 1992, 226 ff.
183 Ingelßnger, 1992, 2 2 1 .
176 177
§ 26. Teilnahme - B. Anstiftung V § 26
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
191
Samson darauf abstellt, „ob die Person, auf die der Auffordernde einzuwirken
Ingelfingers, in dem ein SS-Mann während der Nazi-Zeit von einem Vorgesetzten
versucht, für ihn als bloßer Teil eines unbestimmten Personenkreises ohne indivi-
aufgefordert wird, „doch wieder einmal ,ein Zeichen zu setzen' und einen Juden zu
duelle Züge erscheint oder ob er sich von dem Hintergrund der anderen als k o n -
töten". Mit Recht n i m m t Ingelfinger eine Anstiftung an und leitet die voluntative
krete Gestalt abhebt". D e n n hier wird im Grunde doch ein individuell bestimmter
Dominanz des Veranlassers aus dem Vorgesetztenverhältnis her. Aber daß der Ver-
Täter verlangt und nur auf die Kenntnis seiner Person verzichtet. A m ehesten
anlasser straflos sein soll, w e n n er nicht der Vorgesetzte, sondern nur ein Bekann-
kann noch die Abgrenzung von Rogall192 als Leitlinie dienen; für ihn liegt eine
ter des Täters ist und diesen aus antisemitischen Beweggründen zu seinem Tun
Anstiftung vor, w e n n der Auffordernde „der oder die Haupttäter . . . ohne größere
veranlaßt, ist mir unverständlich.
Schwierigkeiten ermitteln und möglicherweise von der Tat abhalten könnte".
148 Ein Sonderproblem bildet die Bestimmtheit der Person des Angestifteten.
Wenn also eine nicht näher benannte Person aus einer überschaubaren Gruppe
Einigkeit besteht darüber, daß nicht eine individuell bestimmte Person angespro-
aufgefordert wird, ist das noch eine Anstiftung.
chen zu werden braucht, sondern daß es genügt, w e n n eine beliebige Person aus
einem individuell bestimmten Personenkreis aufgefordert wird. 1 8 7 Wenn also
b) D i e Rechtsgutsverletzung als Gegenstand des Vorsatzes
jemand sagt: „Wer von Euch Fünfen den X verprügelt, erhält von mir 100 Euro",
Der Vorsatz des Anstifters m u ß ferner darauf gerichtet sein, daß der Täter eine 150
ist er Anstifter einer Körperverletzung, sobald einer der Aufgeforderten die Tat
vollendete Tat begeht. Gehören neben dem Vorsatz bestimmte Absichten oder
durchführt. Im wesentlichen unstrittig ist auch, daß es für eine Anstiftung nicht
Beweggründe zur Tatbestandserfüllung, so m u ß der Vorsatz des Anstifters auch das
genügt, wenn der Außenstehende sich an einen in seiner Größe völlig u n b e -
Vorhandensein dieser subjektiven Komponenten in der Psyche des Täters umfassen.
stimmbaren und unübersehbaren Personenkreis wendet, 1 8 8 also etwa Delikts-
Wer Anstifter einer Erpressung sein soll, m u ß also z. B. wissen, daß der Täter in der
aufforderungen über R u n d f u n k und Fernsehen, in Büchern, Zeitschriften, Flug-
Absicht rechtswidriger Bereicherung handelt (RGSt 56, 171). N i m m t der Auffor-
blättern usw. verbreitet. In solchen Fällen ist § 111 einschlägig, der neben den g e -
dernde in der Person des Täters irrtümlich Umstände an, die dessen Tatbestandsver-
fährdeten einzeltatbestandlichen Rechtsgütern auch den Gemeinschaftsfrieden
wirklichung rechtfertigen w ü r d e n (er glaubt etwa, der Täter befinde sich in einer
schützt (vgl. etwa § 111 II!) u n d bei dem man sich deshalb auch im übrigen h i n -
Notwehrlage), so entfällt der Deliktsvorsatz und damit auch die Anstiftung. 193
sichtlich der Bestimmtheit der zu begehenden Tat generell mit der Kennzeichnung
Unstrittig ist heute, daß der Vorsatz des Anstifters die Vollendung der Tat durch 151
des zu verwirklichenden Tatbestandes begnügen kann. 1 8 9
den Täter umfassen muß; 1 9 4 denn andernfalls fehlt es an dem Rechtsgutsangriff,
149 W o zwischen diesen beiden Fallgruppen die genaue Grenze für die (noch) aus-
der jede Teilnahme kennzeichnet (näher dazu schon R n . 8 f., 28, 132). Praktische
reichende Bestimmtheit der Person des Angestifteten liegt, ist umstritten. Zu weit
Bedeutung hat das vor allem für den Lockspitzel (agent provocateur), der den
geht es, wenn Schmidhäuser190 Anstiftung annehmen will, wo der einzelne, der die
Täter zu einer Tat verleitet, u m ihn zu überführen und im Versuchsstadium fest-
Tat begeht, „sich als angesprochen erlebt". D e n n man kann sich auch bei einem
nehmen zu lassen. Doch gilt dasselbe auch dann, w e n n der Veranlassende weiß
Fernsehappell oder einer Volksrede persönlich angesprochen fühlen; auch kann
und will, daß die Tätertat fehlschlagen oder ein untauglicher Versuch bleiben wird.
der Tatveranlasser darüber nichts wissen, so daß das Kriterium schon aus diesem
Wer also jemanden zur Abfeuerung eines tödlichen Schusses auffordert, den R e -
Grunde ungeeignet ist. Andererseits wird zuviel an Bestimmtheit verlangt, wenn
volver des Täters aber heimlich entladen hat, kann nicht wegen Anstiftung zu dem
vom Täter begangenen untauglichen Mordversuch bestraft werden. Auch hier
«7 Eser, StrafR II3, II Nr. 44, Rn. A 1, 2; Jescheck/Weigend, AT5, §64 II 2 b; Joecks3, §26,
Rn.18; Kindhäuser, AT2, 423; Krey, AT/2, Rn.272; Kühl, AT3, §20, Rn.189; Lackner/Kühl24, »1 Samson, ]Z 1969, 259.
§ 26, Rn. 5; Maurach/Gössel, AT/27, 51/22; Rogall, GA 1979, 11; Samson, JZ 1969, 258; Sch/Sch/ 192 Rogall, GA 1979,14.
Cramer/Heine26, §26, Rn.18; Schmidhäuser, LB AT2,14/103; den., StuB AT2,10/112; SK7-Hoyer, i« Str., wie hier Seh /Seh /Cramer/Heine26, § 26, Rn. 19; z.A.Jescheck, AT4, § 64 III 2 b, anders
vor § 26, Rn. 54f.; Welzel, StrafR11,117. jetzt Jescheck/Weigend, AT5, § 64 II 2 b; Köhler, AT, 529. Nimmt auch der Täter die sachlichen
188
A.A. Dreher, Gallas-FS, 1973, 332£, der aber verkennt, daß ein Rechtsgutsangriff eine Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes an, so mangelt es bereits an einer vorsätzlich
gezielte Beeinflussung des Täters verlangt, an der es bei völliger Unklarheit über die in Frage begangenen Haupttat, vgl. Seh/Seh/Cramer/Heine , § 26, Rn. 19. <
kommende Person fehlt. w Vgl. nur RGSt 15, 315; 16, 25, 26; 32, 353, 355; 37, 321, 323; 44,172,174; 56,168,170; 60,
189 10
Str.; widersprüchlich Rogall, GA 1979, 17f. m.w.N., der einerseits „die Kennzeichnung 21, 24; BGHZ 8, 86; BGH MDR 1954, 335; BGH GA 1975, 333; Baumann/Weber, AT , 30 II 2 b
des rechtlichen Wesens der zu begehenden Straftat" genügen lassen will, andererseits aber die bb; Blank, 1987, 65; Blei, AT18, §79 I; Bockelmann/Volk, AT4, §25 III l b aa; Eser, StrafR II3,
Konkretisierungsanforderungen als „identisch" mit denen des § 26 bezeichnet. Die verfehlte Nr. 43, Rn. A 14; Herzberg, GA 1971, 11 f.; Jakobs, KT2, 23/16; Keller, 1989, 160, Fn. 1 m.w.N.;
Anbindung des § 111 an den Strafrahmen der Haupttat zwingt aber nicht zu identischen Konkre- Kindhäuser, AT2, 423f.; Küper, GA 1974, 321 ff.; Lackner/Kühl24, §26, Rn.4; Maurach/Gössel, •
tisierungsanforderungen. Denn § 111 ist wegen der Unbestimmtheit des Adressaten nun einmal AT/27, 51/28; Otto, AT6, § 22 II 3 a; Preisendanz30, § 26, Anm. 5 d; Rudolphi, Maurach-FS, 1972,
auch sonst keine Anstiftung, und der verletzte Gemeinschaftsfriede macht ohnehin spezielle 66f.; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §26, Rn.20; SK7-Hoyer, vor §26, Rn.24; Sommer, 1987, 45ff.;
Strafzumessungserwägungen erforderlich. Entgegen Herzberg, JuS 1987, 618 kann man deshalb Stratenwerth, AT4, §12, Rn.l50f.; Tröndle/Fischer50, §26, Rn.8; Welzel, StrafR11, 117; Wessels/
aus § 111 auch keine Rückschlüsse auf die Konkretisierungsanforderungen in § 26 ziehen. Beulke, AT31, Rn. 573.
wo Schmidhäuser, LB AT2,14/103; ähnlich den., StuB AT2,10/112.
179
178
§ 26 V 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung V § 26
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liegt auf Seiten des Verleitenden kein Rechtsgutsangriff vor, weil menschliches hier eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht k o m m t , ist sehr umstritten und
nicht einheitlich zu beantworten, tendenziell aber eher zu verneinen. D e n n in vie-
Leben nicht in Gefahr gerät.
len Fällen fehlt schon eine gegenwärtige und anders nicht abwendbare Gefahr,
152 Zu einem anderen Ergebnis m u ß freilich die Schuld- bzw. Unrechtsteilnahme-
wenn jemand zu einem Betäubungsmitteldelikt verleitet wird, das er sonst nicht
theorie ( R n . 16 ff.) k o m m e n : denn der Veranlasser hat den Täter auch dann in U n -
begangen hätte. In anderen Fällen wird man sagen müssen, daß die Schäden, die
recht (und regelmäßig auch Schuld) verstrickt, w e n n dieser sich nur wegen Ver-
aus der staatlichen oder staatlich veranlaßten Beteiligung am Rauschgifthandel er-
suches strafbar macht. Jedoch umfaßt die Ablehnung der Theorie gerade auch die
wachsen, durch den Nutzen der Überführung eines einzelnen Täters nicht aufge-
Ablehnung dieser Konsequenz (vgl. R n . 21). Auch die von der h. M . vertretene
wogen werden.
akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie ( R n . 26 ff.) kann von ihrem Ansatz
Freilich wird bei vielen Delikten, vor allem bei der Drogenkriminalität, aber 155
aus nicht recht erklären, w a r u m der Anstiftervorsatz die Vollendung der Tat durch
auch bei anderen Tatbeständen, die Vollendungsstrafbarkeit von der Rspr. viel zu
den Täter umfassen muß. D e n n die vorsätzliche Veranlassung einer tatbestands-
weit ausgedehnt. Dadurch entstehen für die Strafbarkeit des agent provocateur
mäßig-rechtswidrigen und in der Regel strafbaren Täterhandlung liegt auch dann
Probleme, die von vornherein nicht auftreten würden, w e n n richtigerweise beim
vor, w e n n diese mit Wissen und Wollen des Auffordernden im Versuch stecken
Täter ein bloßer Versuch angenommen würde. Wenn z. B. ein Verdeckter Ermittler
bleibt. Daher wird auch vom Standpunkt dieser M e i n u n g aus gelegentlich die
von einem Drogenhändler Rauschgift kauft und ihn bei der Übergabe festnimmt,
Strafbarkeit des agent provocateur vertreten. 1 9 5 Erst w e n n man die Teilnahme als
liegt nach der Rspr. beim Verkäufer grundsätzlich eine vollendete Tat nach § 29 I
akzessorischen Rechtsgutsangriff versteht (vgl. R n . 8, 28, 132), erklärt sich die
Nr. 1 B t M G vor. D e n n sie versteht unter „Handeltreiben" jede „eigennützige, auf
Straflosigkeit dieser Fälle ganz zwanglos. 1 9 6
Umsatz gerichtete Tätigkeit, auch die nur gelegentliche oder einmalige, auch die
153 Andererseits ist, wenn die Vollendung der Tat vom Vorsatz des Veranlassers u m -
bloß vermittelnde". 2 0 0 Würde man richtigerweise, wie es der B G H auch schon
faßt ist, grundsätzlich eine strafbare Anstiftung auch dann anzunehmen, wenn sie
einmal getan hat, ein vollendetes Handeltreiben erst dann bejahen, w e n n der Täter
nur zum Zwecke der Überführung des Täters ins Werk gesetzt worden ist. Wer
„das Rauschgift auf dem Weg zum Konsumenten weiterbringt" (BGH StV 1981,
also einen Skinhead zu körperlichen Mißhandlungen oder den mutmaßlichen
549), läge hier nur ein untauglicher Versuch vor und die Straflosigkeit des dazu
Agenten einer fremden Macht zum Landesverrat verleitet, u m sie hernach anzu-
zeigen und bestrafen zu lassen, hat sich selbst wegen Anstiftung strafbar gemacht. verleitenden agent provocateur stünde außer Frage. 2 0 1 Überhaupt sollte man i m -
Hier k o m m t allenfalls eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht. Sie ist nach den mer nur einen Versuch des Handeltreibens annehmen, w e n n der Lockspitzel bei
hierfür geltenden Maßstäben zu beurteilen, 1 9 7 wird aber nur selten angenommen seiner Deliktsprovokation dafür Sorge trägt, daß kein Rauschgift in Umlauf k o m -
werden können. So ist in dem Skinhead-Beispiel das Strafverfolgungsinteresse men und in die Hände der Konsumenten gelangen kann. Dann wäre der Veran-
keineswegs höher zu bewerten als die Körperintegrität des Opfers; eine Strafbar- lasser immer schon deshalb straflos, weil der Vorsatz sich nicht auf die Begehung
keit wegen Anstiftung ist also unausweichlich. Eher k o m m t beim Landesverrats- eines vollendeten Delikts richtet. Entsprechendes gilt auch für viele andere Tat-
Fall eine Notstandsrechtfertigung in Betracht. Sie hängt von der Wichtigkeit der bestände. 2 0 2 Wer z. B. jemanden, den er lange schon in Verdacht hat, zu einem
Überführung des Verdächtigen (also vor allem dem Ausmaß seiner künftigen Ver- Subventionsbetrug (§ 264 I Nr. 1) verleitet, die Behörde aber vorher über die
ratsmöglichkeiten) und von der Bedeutung des Geheimnisses ab, zu dessen Offen- Unrichtigkeit der vom Täter gemachten Angaben unterrichtet, hat keinen voll-
barung der Veranlasser den Täter im konkreten Fall verleitet hat. endeten Subventionsbetrug in seinen Vorsatz aufgenommen; denn unter diesen
154 Die praktisch größte Bedeutung hat die Möglichkeit einer Notstandsrecht- Umständen sind die vom Täter vorgebrachten Tatsachen für diesen nicht „vorteil-
fertigung heute im Bereich der Drogenkriminalität, w e n n Beamte oder staatlich haft", wie es die Strafvorschrift verlangt.
beauftragte Personen (Verdeckte Ermittler, Vertrauensleute der Polizei in der D r o - 199
Für die Möglichkeit einer Notstandsrechtfertigung Keller, 1989, 277 ff. (allerdings nur
gen-Szene des Rauschgifthandels) Verdächtige zu vollendeten Verstößen gegen bei Privaten und auch dann nicht, wenn die Provokation die Ahndung vergangener Straftaten
das B t M G veranlassen, u m sie hernach festnehmen zu können. 1 9 8 Die Frage, ob ermöglichen soll); Maurach/Gössel, AT/27, 51/40; Rebmann, NJW 1985,1; Stratenwerth, AT4, § 12,
Rn. 150 (ohne ganz eindeutige Stellungnahme). Dagegen mit unterschiedlicher Begründung
195 Franzheim, NJW 1979, 2017; Herzog, NStZ 1985, 155; Jakobs, AT2, 23/18; Lüderssen, Jura 1985,
Stratenwerth, MDR 1953, 717 ff. (anders — i. S. d. hier vertretenen Auffassung - ders.,
119 f.; Ostendorf/Meyer-Seitz, StV 1985, 79; Seelmann, ZStW 95 (1983), 807 ff; Sieg, StV 1981 636;
AT4, § 12, Rn. 150); Jescheck, AT1,1969, 457 (aufgegeben seit AT2,1972, § 64 III 2 b). Krit. Plate, Sommer, JR 1986,486 f.
ZStW 84 (1972), 297 ff. 2
°° BGH NJW 1979,1259; st. Rspr., zuletzt NStZ 1999, 467.
i% Ebenso Kühl, AT3, § 20, Rn. 201. 2M
Wie hier auch Jakobs, AT2, 23/27; Maurach/Gössel, AT/27, 51/36; Schünemann, StV 1985,
™ Vgl. Roxin, AT l3, § 16. 429; Seelmann, ZStW 95 (1983), 807.
198
Zur Frage, ob bei rechtsstaatswidrigem Vorgehen der „Verführer" u.U. der staatliche Straf- 202
Ausführliche Tatbestandsinterpretationen liefert Schwarzburg, 1991, 18 ff. (zu §264 I
anspruch gegen den Verführten durch einen Strafausschließungsgrund oder ein Prozeßhindernis Nr. 1 vgl. aaO., 53 ff).
entfallen kann, vgl. näher Roxin, StrafverfahrensR25, 63 ff.; EGMR NStZ 1999, 47 ff.
180 181
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung V § 26
Darüber hinaus wird man aus dem Strafgrund der Teilnahme, nämlich aus dem § 29 BtMG verhindern will, und auch die Absicht, den Täter auf diese Weise zu
Umstand, daß jede Teilnahme einen selbständigen Rechtsgutsangriff des Teilneh- überführen, ändert an der Strafbarkeit wegen Anstiftung nichts (zu §34 vgl
mers voraussetzt (Rn. 8f., 27ff., 132), die Folgerung ableiten können, daß eine Rn.154).
strafbare Anstiftung überall dort ausscheidet, wo der Veranlasser zwar eine for-
melle Vollendung der Tat durch den Täter herbeiführen will, gleichzeitig aber bb) Tatbestandlich verselbständigte Vorbereitungsdelikte
und Unternehmensdelikte
dafür sorgt, daß die Rechtsgutsverletzung nicht eintritt, die der Tatbestand ver-
hindern will. 203 Möglich ist diese Konstellation nur bei Tatbeständen, die schon Straflos ist auch die Anstiftung zu tatbestandlich verselbständigten Vorberei- 158
vor Eintritt der Rechtsgüterverletzung vollendet sind. Dafür gibt es verschiedene tungsdelikten, wenn der Veranlasser es zur Vollendung des Tatbestandes, auf das
gesetzgeberische Konstruktionsmöglichkeiten: abstrakte Gefährdungsdelikte (aa), sich das Vorbereitungsdelikt bezieht, nicht kommen lassen will. 206 So ist z. B. in
tatbestandlich verselbständigte Vorbereitungs- und Unternehmensdelikte (bb) § 149 die „Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen" gesondert unter
und Tatbestände mit rechtsgutsbezogenen Absichtsmerkmalen (cc). Strafe gestellt. Wenn nun jemand die Täter zu Handlungen der in § 149 geschilder-
ten Art verleitet, sind diese wegen Vorbereitung einer Geld- oder Wertzeichen-
aa) Abstrakte Gefährdungsdelikte fälschung strafbar. Der Veranlasser aber ist straflos, wenn er es zu einer vollendeten
Bei abstrakten Gefährdungsdelikten wird man eine Strafbarkeit verneinen müs- Geld- oder Wertzeichenfälschung nicht kommen lassen will, indem er z.B. recht-
sen, wenn der Täter dafür gesorgt hat, daß die Gefahren, denen der Tatbestand zeitig die Polizei benachrichtigt. Denn wenn schon derjenige straflos ist, der zwar
vorbeugen will, schlechterdings nicht eintreten können. 204 Das muß dann aber den Versuch des Täters, aber nicht die Vollendung der Tat in seinen Vorsatz auf-
auch für den Anstifter zu einem solchen Delikt gelten. Auch hier hat das Problem genommen hat, muß erst recht derjenige straflos sein, dessen Vorsatz nicht über
vor allem bei Rauschgiftdelikten praktische Bedeutung. Wenn ein agent provoca- die Vorbereitung der eigentlichen Rechtsgutsverletzung durch den Täter hinaus-
teur den Dealer zum Erwerb von Rauschgift veranlaßt, das er selbst ihm nach reicht. Die tatbestandliche Verselbständigung der Vorbereitungshandlung ändert
vorheriger Vereinbarung wieder abkauft (und dann, wie geplant, bei der Polizei nichts am Fehlen eines Rechtsgutsangriffs, weil der Vorbereitungstatbestand auf
sicherstellt), liegt darin nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Anstiftung zum voll- das Rechtsgut des Verletzungsdelikts bezogen bleibt. Vorbereitungshandlungen
endeten „Erwerb" von Betäubungsmitteln (über das Problem einer Anstiftung solcher Art sind im Gesetz nicht ganz selten (vgl. noch §§ 83, 234 a III, 275, 310
zum Handeltreiben vgl. schon Rn. 155). Da aber der Veranlasser dafür sorgt, daß 316 c IV).
kein Rauschgift in Umlauf kommt und es im Gegenteil gerade aus dem Verkehr Für die Straflosigkeit des Veranlassers, dem der Vorsatz der Rechtsgutsverlet- 159
zieht, fehlt ein Rechtsgutsangriff, und eine Anstiftung ist abzulehnen. 205 Anders zung fehlt, spricht auch der Umstand, daß viele Delikte dieser Art bei einer Ver-
liegt es, wenn der Verdeckte Ermittler im Zuge „vertrauensbildender Maßnah- hinderung der „Ausführung der vorbereiteten Tat" Straflosigkeit vorsehen. Was
men" zu Drogengeschäften anstiftet, bei denen das Rauschgift in den Umlauf und aber für die nachträgliche Verhinderung gilt, muß für die von vornherein pro-
an den Konsumenten gelangen kann. In einem solchen Falle hat er veranlaßt, was grammierte Nichtvollendbarkeit ebenso gelten. 207
Auch bei den zahlreichen gem. § 111 Nr. 6 Versuch und Vollendung zusammen- 160
203
In Rspr. und Literatur sind diese Fragen äußerst umstritten. Die gründlichste Bearbei- fassenden Unternehmensdelikten208 ist der Veranlasser straflos, wenn er es nur bis
tung liefert die Habilitationsschrift von Keller, 1989, die auch in den genannten Zweifelsfällen
die Strafbarkeit des zum vollendeten Delikt anstiftenden agent provocateur vertritt. Wichtig
zum Versuch kommen lassen will. 209 Denn in solchen Fällen fehlt es, wie immer,
sind sodann zahlreiche Dissertationen, die alle nur erdenklichen Lösungen vertreten und wenn der Vorsatz des Veranlassers nicht über den Versuch hinausreicht, an einem
dadurch die Verworrenheit des Streitstandes hervortreten lassen, aber auch viele konstruktive Rechtsgutsangriff.210
Ansätze entwickeln: Fischer, 1982; Voller, 1983; Mache, 1984; Mitsch, 1986; Blank, 1987; Drywa,
1987; Sommer, 1987; Lieberwirth, 1990; Schwarzburg, 1991. Aus der unübersehbaren Aufsatz- und
Kommentarliteratur: Lüderssen, Peters-FS, 1974, 349; Franzheim, NJW 1979, 2014; Maaß, Jura 206
Näher, auch zur Begründung, Mitsch, 1986, 202 ff.
1981, 514; Dencker, Dünnebier-FS, 1982, 447; Seelmann, ZStW 95 (1983), 797; Lüderssen, Jura 207
In den seltenen Fällen, in denen der Gesetzgeber sogar trotz Eintritts eines (begrenzten)
1985, 113; Ostendorf/Meyer-Seitz, StV 1985, 73; Schünemann, StV 1985, 424; Suhr, JA 1985, 629; Schadens noch einen Rücktritt zuläßt (§314a III Nr. 2!), wird man den agent provocateur
Sommer, JR 1986, 485; Geppert Jura 1997, 362; Köhler, AT, 531; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §26, sogar auch dann für straflos halten müssen, wenn er nur die Verhinderung dieses weiteren
Rn. 20; kurzer Überblick über den Streitstand bei Kühl, AT3, § 20, Rn. 203 ff. Schadens von vornherein einplant, also wenn er z. B. zwar zur Brandstiftung auffordert, aber
204
Näher Roxin, AT l3, § 11, Rn. 119 ff. Dabei kann für die Verneinung oder Bejahung der zugleich dafür sorgt, daß das Feuer sogleich nach der Inbrandsetzung ohne Verursachung wei-
Gefahr auf die Grundsätze der Fahrlässigkeitslehre zurückgegriffen werden (näher LK -Roxin, teren Schadens wieder gelöscht wird. Vgl. AzzuJakobs, AT2, 23/17
208
§26, Rn.74).
205
Vgl Roxin, AT l3, § 10, Rn. 124.
Vgl. dazu grundlegend Schünemann, StV 1985, 429, der mit Recht meint, daß diese allge- 209
Vgl. zu den Unternehmensdelikten und zu den entsprechend zu behandelnden „unech-
meine dogmatische Konzeption „in den Lockspitzelfällen ein weitgespanntes und geradezu ten Unternehmensdelikten" (z. B. „dem Wilde nachstellen" in § 292) näher Mitsch, 1986,191 ff.
modellartiges Anwendungsfeld findet". Dagegen aber Maurach/Gössel, AT/2 , 51/41. Vgl. auch 2
'° Für Strafbarkeit Keller, 1989, 237: „Daß die Unternehmensdelikte vollendete Delikte
Roxin, KT l3, §11, Rn.ll9ff. sind, hat.. .Vorrang vor ihrer Versuchsähnlichkeit."
182 183
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung V §26

cc) Tatbestände m i t rechtsgutsbezogenen Absichtsmerkmalen begangen. Eine Straflosigkeit des Lockspitzels wird man aber trotzdem annehmen
müssen. 214 D e n n die rechtswidrige Zueignung setzt eine dauernde Enteignung
161 Tatbestände mit rechtsgutsbezogenen Absichtsmerkmalen gehören zu den b e -
des Eigentümers voraus, und eine solche ist vom Vorsatz des Veranlassers nicht
kanntesten des StGB (vgl. etwa §§ 146, 164, 242, 257, 265, 267, 288). Auch bei
umfaßt, w e n n er den Täter alsbald nach der Tatvollendüng festnehmen lassen
ihnen liegt, w e n n die Verwirklichung der Absicht ausbleibt, der Sache nach nur
will. 2 1 5 Er will dann nur einen kurzfristigen (als solchen straflosen) furtum usus;
ein Versuch (oder gar bloß eine Vorbereitung) vor, „die nur die Kunst des Gesetz-
einen Rechtsgutsangriff auf das Eigentum des Juweliers u n t e r n i m m t er aber nicht.
gebers zu vollendeten Delikten geformt hat".211 Wer z. B. eine unechte U r k u n d e
Wenn Cramer216 sagt: „Bei der Anstiftung zum Diebstahl kann es nicht darauf an-
herstellt, zur Täuschung im Rechtsverkehr aber nicht mehr k o m m t , hat ein voll-
kommen, ob der Anstifter den Täter während der Ausführung zu verhaften trach-
endetes Delikt nach § 267 begangen. Das geschützte Rechtsgut (die „Reinheit des
tet oder ob er dies unmittelbar nach Vollendung der Tat mit dem Ziel tun will,
Beweisverkehrs") ist aber in einem solchen Fall nicht verletzt worden. Das wäre
dem Dieb die gestohlene Sache sofort wieder abzunehmen", so läßt sich die bei
erst durch den zur Täuschung führenden Gebrauch der U r k u n d e geschehen; deren
ihm mehr aus dem Rechtsgefuhl abgeleitete These demnach auch dogmatisch
Herstellung bereitet die Verletzung erst vor. Diesem Befund entspricht es, den
stichhaltig begründen.
agent provocateur straflos zu lassen, w e n n er zwar die Herstellung der unechten
Die rechtsgutsbezogenen Absichten sind also in gewissem Sinne nichtakzesso- 164
U r k u n d e veranlaßt, die Beeinträchtigung des Beweisverkehrs aber nicht in seinen
risch: Der Anstifter braucht sie zwar nicht selbst zu haben; aber es genügt auch
Vorsatz aufnimmt, indem er z.B. den zu Täuschenden über die Fälschung aufklärt.
nicht, daß der Täter sie hat und der Anstifter dies weiß, sondern der Anstifter m u ß
D e n n w e n n der Täter daraufhin die U r k u n d e gebraucht, bleibt es bei einem u n -
selbst wissen und wollen, daß der Täter die vom Tatbestand geforderte Absicht
tauglichen Versuch der Rechtsgutsverletzung. Der agent provocateur hat also kei-
verwirklichen kann. 2 1 7 Ist der Vorsatz nicht auf die Verwirklichung der rechtsguts-
nen Rechtsgutsangriff u n t e r n o m m e n und m u ß folgerichtig straflos bleiben.
bezogenen Absicht gerichtet, so fehlt der Rechtsgutsangriff, der für jede Teil-
162 Entsprechendes gilt für andere Absichtsdelikte. Veranlaßt jemand einen anderen
nahme notwendig ist. Das aber ist freilich nicht abschließend geklärt und auch
zu einer falschen Verdächtigung (§ 164) und weiß er dabei, daß es zu einem
sehr umstritten, zumal da die Rspr. sich mit diesen wichtigen Fragen bisher kaum
behördlichen Verfahren gegen den zu Unrecht Beschuldigten nicht k o m m e n
beschäftigt hat.-
kann, weil der wahre Täter schon gefaßt und geständig ist, 212 so ist zwar der A n -
Die Gegenposition, nach der der Anstifter zwar die Vollendung der Tat, nicht 165
schuldigende nach § 164 strafbar; derjenige, der ihn aufgefordert hat, kann aber
aber die Verwirklichung der rechtsgutsbezogenen Absichten des Täters müsse vor-
nicht wegen Anstiftung bestraft werden. Straflos ist dementsprechend auch der
sätzlich herbeiführen wollen, ist am eindringlichsten von Keller218 begründet w o r -
agent provocateur, der den Täter zu einer Falschmünzerei (§ 146 I Nr. 1) veranlaßt,
den. Für ihn erhält durch die Straffreistellung des Veranlassers, dessen Vorsatz nicht
das Falschgeld aber nicht in den Umlauf gelangen lassen, sondern durch Einschal-
auf die Verwirklichung der betreffenden Absicht gerichtet ist, „die Haftung des
tung der Polizei den Täter vorher dingfest machen will.
Täters eine Tendenz zur Gesinnungshaftung. Wenn der Täter wegen eines voll-
163 Die geschilderten Grundsätze haben ihre größte praktische Bedeutung wohl
endeten Absichtsdelikts bestraft wird und der Provokateur, der die Tat anstiftete,
beim Tatbestand des Diebstahls. Läßt freilich der agent provocateur den von ihm
straffrei bleibt, so wird dementiert, daß der Täter aus Gründen des Rechtsgüter-
angestifteten Dieb schon im Versuchsstadium festnehmen, so ist seine Straflosig-
schutzes haftete, denn die Straffreiheit des Teilnehmers zeigt, daß der Rechtsgüter-
keit anerkannt (vgl. R n . 8 f , 28,132,152). Das gilt auch, w e n n die Festnahme erst
schutz das grundsätzliche Verbot der absichtsgeleiteten Handlung nicht fordert."
nach der Wegnahme erfolgen soll, der Eigentümer und Gewahrsamsinhaber ei-
Daran ist richtig, daß beim Täter die Strafbarkeit vorverlegt wird; denn die eigent-
nem solchen Vorgehen aber zugestimmt hat; denn auch in dieser Konstellation
liche Rechtsgutsverletzung ist bei Vollendung der Tat noch nicht eingetreten. Aber
bleibt es beim Versuch. 213 Sehr umstritten ist aber der Fall, daß der Lockspitzel,
ohne die Z u s t i m m u n g des Betroffenen zu haben, den oder die von ihm verleiteten 2,4
Für Strafbarkeit des agent provocateur ausführlich Mitsch, 1986, 222ff; wie hier aber z.
Täter erst unmittelbar nach Vollendung der Tat dingfest machen lassen will. Ein B.Jakobs, AT2, 23/17.
Beispiel bildet etwa der Fall, daß jemand eine Diebesbande unschädlich machen 21 5 Wenn man dieser Argumentation nicht folgt, kann wieder nur eine Rechtfertigung des
Lockspitzels nach § 34 in Erwägung gezogen werden (vgl. Rn. 154).
will, ihren Anführer zu einem Einbruch bei einem Juwelier verleitet, das Haus 216 Sch/Sch/Cramer/Heine26, § 26, Rn. 20.
von der Polizei umstellen und die Diebe festnehmen läßt, als sie mit der Beute das 2" Grundlegend Herzberg, ZStW 88 (1976), 95ff.; ders., JuS 1983, 742ff.; ders., GK 1991,
Haus verlassen haben. Hier haben die Diebe eine vollendete Tat nach § 244 I Nr. 3 151 ff. Zust. BGH NStZ 1996, 384; Jakobs, AT2, 23/17, 19, 20; Kühl, AT3, §20, Rn.197; im
wesentlichen auch Mitsch, 1986, 213 ff. Weniger glücklich ist Herzbergs Bemühen, dieses Ergeb-
nis aus § 28 anstatt aus dem Fehlen eines Rechtsgutsangriffs anzuleiten (vgl. dazu Roxin, Stree/
Wessels-FS, 1993, 374f.; ders., LK11, § 28, Rn. 30ff.).
2» Herzberg, ZStW 88 (1976), 95. 2
« Keller, 1989, 212-236 (236) m.w.N.; treffend die Antikritik beiJakobs, AT2, 23/20, Fn.
212 Vgl. das ähnliche Beispiel bei Herzberg, ZStW 88 (1976), 96. 20.
213 Roxin, AT l3, § 13, Rn. 2, 5, 47.
185
184
§ 26 VI 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung VI § 26

das ist die typische Situation auch des Versuchs, in dem niemand eine Gesinnungs- in sich). Freilich muß der Tod des Opfers die Folge solcher Taten sein, die der An-
haftung sieht. Da beim Anstifter ein solcher Quasi-Versuch wegen des fehlenden stifter in seinen Vorsatz aufgenommen hatte (BGHSt 2, 223, 226; BGH JZ 1986,
Willens zur Rechtsgutsverletzung nicht vorliegt, ist seine Straffreistellung konse- 764). Wer zur Verprügelung des Opfers auffordert, kann also nicht nach §227
quent und auch kriminalpolitisch geboten. Da der Anstifter demselben Strafrah- bestraft werden, wenn der Täter einen Schuß abfeuert, an dem das Opfer stirbt.
men unterstellt ist wie der Täter, wäre es sehr unbillig, bei ihm auf der subjektiven Die Regeln des Täterexzesses (Rn.l09ff.) gelten also auch für diesen Fall. Konnte
Tatseite viel weniger vorauszusetzen als beim Ausführenden. der Anstifter anders als der Täter selbst den Eintritt der schweren Folge (etwa nach
166 Anders liegt es allerdings auch nach der hier vertretenen Meinung bei Tat- § 226) vorhersehen, so ist er nach §§ 26, 226 strafbar, obwohl der Täter selbst sich
beständen mit nicht rechtsgutsbezogenen Absichten wie dem Betrug (§ 263) und nur einer Tat nach § 223 bzw. § 224 schuldig macht. Konstruktiv beruhen alle
der Erpressung (§ 253). Wenn jemand einen anderen zum Betrug auffordert und diese Ergebnisse auf der Erkenntnis, daß das Verhalten des Außenstehenden sich
dabei die Vermögensschädigung des Opfers, nicht aber die Bereicherung des Täters als Anstiftung zum Grunddelikt in Verbindung mit mindestens fahrlässiger (Ne-
oder eines Dritten von seinem Vorsatz umfaßt ist (z. B. weil er davon ausgeht, daß ben-) Täterschaft hinsichtlich der schweren Folge darstellt.222
die durch die Täuschung erlangten Gegenstände vor ihrer Abholung am vereinbar-
ten Ort einer Explosion zum Opfer fallen werden), liegt beim Veranlasser ein 2. Die Anstiftung zu Pflichtdelikten und eigenhändigen Delikten
Rechtsgutsangriff vor; denn er will den Betroffenen an seinem Vermögen schädi- Eine Anstiftung ist auch zu den Delikten möglich, bei denen der Anstifter nicht 168
gen. Das muß für eine Anstiftung ausreichen;219 denn die Bereicherungsabsicht ist Täter sein könnte. Das gilt vor allem für Pflichtdelikte (§25, Rn.267ff), aber
nicht für die Strafwürdigkeit des Anstifters, sondern nur für den Deliktstyp (Be- auch für eigenhändige Straftaten (§25, Rn.288ff.). Denn da der selbständige
trug als Vermögensverschiebungsdelikt) wichtig, der aber immer nur in der Per- Rechtsgutsangriff des Teilnehmers nur in akzessorischer Weise (also über die Per-
son des Täters gegeben zu sein braucht. son des Täters) erfolgen kann, genügt es, daß dieser die Eigenschaften aufweist, die
„Täter"-, aber eben keine Strafbarkeitsmerkmale sind. Für den Anstifter kommt
nur eine Strafmilderung nach §28 in Betracht (dazu §27, Rn.2); schon die Exi-
VI. Sonderformen der Anstiftung
stenz einer solchen Milderungsmöglichkeit erweist, daß der Gesetzgeber eine Teil-
1. Die Anstiftung bei erfolgsqualifizierten Delikten 220 nahme für ohne weiteres möglich hält.
167 Bei erfolgsqualifizierten Delikten ist eine Anstiftung möglich, wenn der Ver- Die Annahme, daß jemand Teilnehmer nur sein könne, wenn er auch die Tätereigenschaften 169
aufweise, hat innere Folgerichtigkeit nur vom Standpunkt der reinen Verursachungstheorie
anlasser den Täter vorsätzlich zur vorsätzlichen Begehung des Grunddelikts be- aus, die eine selbständige Tatbestandserfüllung durch den Teilnehmer annimmt und dadurch
stimmt und dabei hinsichtlich der schweren Folge wenigstens fahrlässig handelt gedrängt wird, auch bei diesem das Vorliegen der Tätermerkmale vorauszusetzen (vgl. Rn. 15).
(BGHSt 2, 223, 225; 19, 341 m. Anm. Cramer, JZ 1965, 32).221 Wenn also A den B Aber diese Lehre ist mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen und daher abzu-
lehnen (Rn. 12 ff.).
auffordert, dem C einen Bierkrug auf den Kopf zu schlagen und beide fahrlässig
nicht bedenken, daß C, wie es tatsächlich geschieht, an dem Schlag sterben könne,
3. Die Anstiftung zu Unterlassungsdelikten
ist B nach § 227 und A wegen Anstiftung dazu strafbar. Dabei ist es für die Bestra-
fung des Anstifters gleichgültig, ob der Täter selbst auch fahrlässig handelt; hat er Auch eine Anstiftung zu Unterlassungstaten, einer besonderen Erscheinungs- 170
den Todeserfolg mit dolus evenualis herbeigeführt, so ist er nach § 212 zur Ver- form der Pflichtdelikte, ist unproblematisch. Fordert also jemand einen Vater auf,
antwortung zu ziehen, während A gleichwohl nur wegen Anstiftung zu § 227 ver- die Rettung seines vom Feuertod bedrohten Sohnes zu unterlassen, so ist ggf. der
urteilt wird (denn der Tötungsvorsatz des B enthält den Körperverletzungsvorsatz Vater wegen eines Tötungsdeliktes durch Unterlassen und der Außenstehende we-
gen Anstiftung dazu zu bestrafen. Armin Kaufmann und im Anschluß an ihn auch
2» Vgl. v.a. Maaß, Jura 1981, 514; Mitsch, 1986, 216ff.; für Straflosigkeit auch in diesem Fall Welzel223 halten demgegenüber eine Anstiftung zum Unterlassen für „undenkbar":
aberjakobs, KT2, 23/20. „Denn da ein .Unterlassungsvorsatz' nicht existiert, kann auch das Wesensmerk-
220
In seinem Aufsatz „Die Teilnahme am erfolgsqualifizierten Delikt" JA 2000, 511, gibt
Kudlich einen insb. für Studenten und Referendare interessanten Überblick zu diesem Thema 222
und bringt hierzu auch Aufbauvorschläge für Klausur und Hausarbeit. So auch BGHSt 19, 142; aus dem Schrifttum vgl. nur Sch/Sch/Cramer/Heine26, §26,
22
i Ebenso Baumann/Weber, AT10, §30 II 1 b; Eser, StrafR II3, Nr. 43, Rn. A 23; Hirsch, GA Rn. 22; § 18, Rn. 7. Abweichende Lösungen, die sich nicht haben durchsetzen können, bei
1972, 76; Jakobs, AT2, 22/29; Jescheck/Weigend, AT5, § 64 II 4; Kindhäuser, AT2, 384; AK-Paeffgen, Gössel, Lange-FS, 1976, 219ff.; Maurach/Gössel, AT/27, 51/51; Hanack/'Sasse, DRiZ 1954, 217;
§ 18, Rn.129 (beschränkt auf Leichtfertigkeit); Rengier, 1986, 249ff; SK7-Rudolphi, § 18, Rn.6; Dehler, GA 1954 33; Seebald, GA 1964, 161; Ziege, NJW 1954, 179. Ähnlich auch Schroeder, JuS
Schmidhäuser, LB AT2,14/128; ders., StuB AT2,10/129 (Zusammentreffen vorsätzlicher und fahr- 1994, 846, 849 zu § 315 c, der aber die beiden Teile zu einer Anstiftung zur Vorsatz-Fahrlässig-
lässiger Teilnahme); Sch/Sch/Cramer/Heine26, §26, Rn. 22; §18, Rn.7; Tröndle/Fischer50, §26, keits-Kombination verbinden will.
22
Rnl6. 3 Armin Kaufmann, 1988,190 ff. (das folgende Zitat 191); Welzel, StrafR11, 206.

186 187
§ 26 VI 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung VI § 26
mal der Anstiftung nicht erfüllt werden, nämlich einen Tatentschluß zu wecken." a) Mittäterschaftliche Anstiftung
Das beruht auf dem finalistischen Axiom, wonach der Vorsatz in der Steuerung So gibt es bei der Anstiftung eine „Mittäterschaft" (Mitanstiftung), wenn z. B. 173
eines Kausalverlaufes besteht, an der es bei Unterlassungen fehlt. Da jedoch der mehrere Personen nach vorheriger Vereinbarung gemeinsam auf den Täter ein-
Gesetzgeber zweifelsfrei von der Möglichkeit vorsätzlicher Unterlassungsdelikte reden und ihn „mit verteilten Rollen" zur Tat bestimmen. Die Bestrafung als
ausgeht (vgl. nur §§ 13, 138, 323 c), muß es für einen Unterlassungsvorsatz ge- „Täter", die § 25 II anordnet, bezieht sich nicht nur auf die Tatbestände des Beson-
nügen, daß der Täter bewußt in einen Kausalverlauf nicht eingreift und dabei die deren Teils, sondern auch auf die Beteiligungsformen; denn auch die Anstiftung
Möglichkeit des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolges mindestens in Kauf ist eine „Straftat" i. S. d. § 25 II. 227 Freilich müssen die allgemeinen Voraussetzun-
nimmt. gen der Mittäterschaft (vgl. §25, Rn.l88ff.) erfüllt sein. Wenn z.B. ein gemein-
171 Abgesehen davon führt die Kaufmann-Welzelsche Lehre aber auch zu untrag- samer Tatplan (= Anstiftungsplan) fehlt und verschiedene Personen unabhängig
baren Ergebnissen.224 Danach soll die Anstiftung zur unterlassenen Hilfeleistung, voneinander durch ihre Aufforderungen den Täter zu einem Tatentschluß bringen,
wenn der Verunglückte daraufhin vorausgesehenermaßen stirbt, ein täterschaft- liegt unter der Voraussetzung der Mitursächlichkeit bei jedem einzelnen eine
licher Totschlag durch Begehen sein. Das ist aber mit der Tatherrschaftslehre nicht nebentäterschaftliche Anstiftung vor.
zu vereinbaren und läuft im Ergebnis auf die abzulehnende reine Verursachungs- Die hier vertretene und auch herrschende Meinung 228 wird von Gössel bestrit- 174
theorie hinaus (vgl. zur Kritik einer solchen Lösung schon Rn. 13). Außerdem ten. 229 Er argumentiert, der Anstifter sei kein Täter, und wer nicht Täter sei, könne
entstehen nach dieser Auffassung bei den Pflichtdelikten untragbare Strafbarkeits- auch nicht Mittäter sein. Da jedoch auch die Anstiftung eine „Straftat" ist und in-
lücken. Wenn z. B. ein Extraneus jemanden zur Untreue durch Unterlassen (etwa sofern dem Wortlaut des § 25 II unterfällt, ist eine mittäterschaftliche Begehung
von notwendigen Vermögensfürsorgemaßnahmen) veranlaßt, kann er nach dieser genauso möglich wie bei anderen Straftaten. Die praktische Bedeutung der Streit-
Ansicht nicht bestraft werden: Denn eine Anstiftung scheitert am vermeintlich frage ist im übrigen gering; denn wenn man die Möglichkeit einer mittäterschaft-
fehlenden Vorsatz des Täters und eine Täterschaft an der fehlenden Qualifikation lichen Anstiftung ablehnt, ist jeder, der auf den Täter mit dem Ziel der Delikts-
des Auffordernden. Das ist unhaltbar. begehung einwirkt, für sich Anstifter oder wenigstens Gehilfe.

4. Einheit und Mehrheit bei der Anstiftung b) Anstiftung in mittelbarer Täterschaft

172 Mehrere Einwirkungshandlungen auf den Täter, die ihn zur Tat bestimmen sol- Eine Anstiftung kann auch in mittelbarer Täterschaft begangen werden. Sie 175
len, begründen nur eine Anstiftung. Wenn jemand tagelang auf einen anderen liegt z. B. vor, wenn jemand einen anderen unter den Voraussetzungen des § 35 zur
Anstiftung eines Dritten zwingt oder wenn er durch einen getäuschten Tatmittler
einredet, bis er ihn zu der angesonnenen Tat bestimmt hat, hat er doch nur eine
einen Tatentschluß beim Täter hervorruft (zu den Voraussetzungen der mittelbaren
Anstiftung begangen. Es liegt auch dann nur eine Anstiftung i. S. d. § 52 (Tat-
Täterschaft vgl. i.e. §25, Rn.45ff.). Lehnt man, wie Gössel (vgl. zur Begründung
einheit) vor, wenn jemand den Täter durch eine einheitliche Aufforderung zu
Rn. 174),230 die Möglichkeit einer Anstiftung in mittelbarer Täterschaft ab, so muß
mehreren selbständigen Delikten oder wenn er durch sie mehrere Täter zu Straf-
man, da eine „Bestimmung zur Tat" durch den Hintermann in jedem Fall vorliegt,
taten veranlaßt. Denn die „Tat" des Anstifters ist seine Anstiftungshandlung; nicht
eine unmittelbare Anstiftung annehmen, was zum selben Ergebnis führt. Eine
sind es die möglicherweise mehreren selbständigen Tatbestandserfüllungen des
mittelbare Täterschaft kommt allerdings auch nach der hier vertretenen Ansicht
Täters oder der Täter. Früher wurde vielfach die Gegenmeinung vertreten, die aus
nur in Betracht, wenn der mittelbare Anstifter seine objektiv bestehende Herr-
dem Akzessorietätsprinzip ableitete, daß so viel realkonkurrierende Anstiftungen
schaft kennt; sonst fehlt ihm die Tatherrschaft (vgl. § 25, Rn. 158). Wenn der Hin-
wie Tätertaten anzunehmen seien;225 sie ist heute aufgegeben.226
termann irrtümlich annimmt, „der Mittelsmann überschaue den Sachverhalt"231
liegt von Seiten des Hintermannes nur eine versuchte Anstiftung vor.
5. Täterschaft und Teilnahme bei der Anstiftung
Verschiedene Formen der Täterschaft und Teilnahme sind bei der Anstiftung
genauso möglich wie bei der Tat des Täters. 227
Vgl. schon RGSt 13,121, 123; 53,189f.; 71, 23ff.; RG H R R 1941, Nr.727; BGH MDR
(D) 1953,400.
224
Ausführliche krit. Auseinandersetzung mit Kaufmann in Roxin, Täterschaft, 2000, 510- 22
« Wie: hier Jescheck/Weigend, AT5, §64 III 2 a; Lackner/Kühl24, §26, Rn.8; Sch/Sch/Cra-
525; Stree, GA 1963, lff. ist unabhängig davon zu denselben Ergebnissen gekommen. Den Kri- mer/Heinezb, § 26, Rn. 6; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 222
229
tikern Kaufmanns hat sich (mit der Ausnahme Welzels) das gesamte Schrifttum angeschlossen.
22
Maurach/Gössel, AT/27, 50/130.
s So auch RGSt 38, 26, 27; 51,97,101. 2
» Maurach/Gössel, AT/27, 50/131; wie hier Jescheck/Weigend, AT5, § 64 II 2 a; Stratenwerth,
226
RGSt 70, 26; 70, 334; 70, 344; BGHSt 37, 219; BGH StV 1983, 456; BGH NStZ 95, AT4, § 12, Rn. 222.
126; vgl. aber auch Baumann/Weber, AT10, § 30 IV 4. 231
BGHSt 8,137,139 m. Anm. Gallas, J R 1956, 226.
188 189
§ 26 VI 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - B. Anstiftung VII § 26
c) Kettenanstiftung gleichermaßen nur als Beihilfe zur Haupttat zu bestrafen.237 Denn in beiden Fäl-
176 Ein besonders häufiger Fall ist die Anstiftung zur Anstiftung, die sog. Ketten- len wird kein Tatentschluß durch den Helfenden oder Anstiftenden erregt, son-
anstiftung. A überredet z. B. den B, den C zu einer Urkundenfälschung anzustif- dern die Tat nur mittelbar gefördert.
ten. Es können auch noch viel mehr Personen in einer solchen „Kette" vorkom-
men, wenn z.B. die deliktische Anweisung eines Hintermannes erst über viele
VII. Die Strafe des Anstifters
Zwischenstationen an den Täter gelangt. 232 Die Kettenanstiftung wird als Anstif-
tung zur Haupttat bestraft.233 Das ist auch richtig, weil jedes Glied in der Kette Der Anstifter wird „gleich einem Täter" bestraft, unterliegt also derselben Straf- 179
durch seinen Beitrag den Täter zur Tat (mit-) bestimmt. Der entferntere Anstifter drohung wie dieser. Natürlich schließt dies nicht aus, daß in Anwendung der
muß die einzelnen „Zwischenanstifter" und auch den Täter nicht namentlich ken- allgemeinen Strafzumessungsregeln (§ 46) der Täter im Einzelfall härter als der
nen (BGHSt 6, 359 u. BGH NStZ 94, 29). Allerdings müssen die Anforderungen Anstifter oder der Anstifter schwerer als der Täter bestraft wird. Bleibt die Tat im
an die Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes (näher dazu Rn. 133 ff.) bei jedem ein- Versuch stecken, kommt die Milderungsmöglichkeit für den Täter (§ 23 II) auch
zelnen Anstifter in der Kette näher geprüft werden. Auch muß der Aufforde- dem Anstifter zugute.
rungs-Charakter der Anstiftung (Rn.74ff.) bei jedem Zwischenanstifter vorlie- In der Konkurrenzlehre ist die jeweils leichtere Beteiligungsform gegenüber der 180
gen; der als Bote auftretende Zwischenträger ist nur Gehilfe. schwereren subsidiär (zum Begriff der Subsidiarität vgl. § 33, Rn. 190 ff.). Dabei ist
177 Wegen der tätergleichen Bestrafung der Anstiftung mehren sich neuerdings die die Anstiftung trotz des gleichen Strafrahmens gegenüber der Täterschaft die
Bemühungen, die Strafbarkeit der vermeintlich weniger strafwürdigen Kettenan- leichtere Beteiligungsform, weil der Versuch der Anstiftung nur sehr viel weniger
stiftung weiter einzuschränken. NachJanß234 muß der Anstifter (sei es auch durch strafbar ist als der Versuch der Täterschaft (§ 30). Die Anstiftung ist daher gegen-
Boten) „unmittelbar in Kontakt zu dem Täter" treten. Der Täter müsse wissen, über allen Formen der Täterschaft ebenso subsidiär238 wie die Beihilfe gegenüber
„von wem die Erklärung herrührt, mit wem er .paktiert'". In ähnlicher Weise be- der Anstiftung.239
stimmt Sippel235 die Anstiftung als „das gezielte Hervorrufen des Tatentschlusses Ob es kriminalpolitisch berechtigt ist, die Anstiftung im Strafrahmen der Täter- 181
bei einem anderen ... durch einen Anstifter, der sich als solcher dem Haupttäter zu schaft gleichzustellen, ist umstritten. Jedenfalls leitet die neuere Lehre aus der
erkennen gibt". Für beide Autoren sind also anonyme Erst- und Zwischenanstifter Gleichstellung die Berechtigung ab, den Begriff der Anstiftung einschränkend aus-
keine Anstifter (sondern höchstens Gehilfen); das läuft weitgehend auf eine Ableh- zulegen und auf Fälle wenigstens täterähnlicher Strafwürdigkeit zu begrenzen. Das
nung der Kettenanstiftung hinaus. Doch verdient das keine Zustimmung. Denn ist in vielen Fällen berechtigt; so, wenn bloße Erwägungen und die Schaffung von
erstens wird dabei außer acht gelassen, daß der Gesetzgeber die Kettenanstiftung Tatanreizen aus dem Begriff der Anstiftung ausgeschlossen werden (Rn. 74 ff.) oder
anerkennt (vgl. § 30 I, II: „ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften"). wenn bei rechtsgutsbezogenen Absichten auf die Notwendigkeit eines Rechtsguts-
Und zweitens bleibt unbeachtet, daß gerade bei kriminellen Organisationen der angriffs abgestellt wird (Rn.lölff.). Manche dieser Bemühungen sind aber mit
eigentliche Drahtzieher seine Anweisungen oft aus dem Hintergrund erteilt. Es dem Gesetz nicht mehr zu vereinbaren und schießen über das Ziel hinaus; so, wenn
wäre verfehlt, gerade den gefährlichsten Mann (den „unbekannten Boß"), der das für die Anstiftung geradezu eine Abhängigkeit des Täters vom Anstifter (Rn. 88 f.)
deliktische Geschehen in Gang setzt, nur deshalb zu privilegieren, weil er seine oder wenn eine Überlegenheit des Anstifters in der Weise verlangt wird, daß er
Identität vor dem Täter verborgen hält. entweder den Täter intellektuell lenken oder eine „voluntative Dominanz" ausüben
d) Beihilfe zur Anstiftung und Anstiftung zur Beihilfe muß (Rn. 144 ff).
178 Die Beihilfe zur Anstiftung („Der Gehilfe bringt den Haupttäter dazu, dem An- Man muß demgegenüber davon ausgehen, daß der Gesetzgeber vom Anstifter 182
stifter zuzuhören") und Anstiftung zur Beihilfe („Der Anstifter schenkt einem zwar eine Aufforderung zur Tatbegehung und auch im übrigen einen selbständi-
Waffenbesitzer Geld, damit dieser die Waffe dem Haupttäter leiht"),236 sind gen Rechtsgutsangriff verlangt, daß aber weitere intellektuelle oder voluntative
Erfordernisse in die Anstiftung nicht hineingedeutet werden können. Der Gesetz-
232 Näher zur Kettenanstiftung Schwind, MDR 1969, 13; D. Meyer, JuS 1973, 755; sodann geber sieht die geringere Tatnähe des Anstifters schon dadurch kompensiert, daß er
v.a. die neueren Diss. vonjanß, 1988, und Sippel, 1989. Abi. zur Kettenanstiftung Maurach/Gös-
sel, AT/27, 50/132-137, wo „zumeist" (Rn. 137) eine direkte Anstiftung zur Haupttat bejaht durch seine Aufforderung die „Initialzündung"240 zur Tatbegehung gibt. Doch
wird, was dann zum selben Ergebnis fuhrt. läßt sich nicht verkennen, daß das schlichte „Bestimmen" zur Tat (bei dem kein
233 BGHSt 6, 359; 7, 237; 8,137; 14,157; BGH NStZ 95,126.
234 janß, 1988,173. 237 BGH NStZ 1996, 562.
235 Sippel, 1989, 8 2 . 238 RGSt 33,401; 44, 208, 211; 62, 74f.; 63,133f.
236 Beide Beispiele stammen vonJakobs, AT2, 22/30, der auch im Ergebnis übereinstimmt. 239 BGHSt 4, 244.
Vgl. auch Lackner/Kühl24, § 26, Rn. 8; vor § 25, Rn. 13. 24
<> Schulz, 1980,145.

190 191
§ 26 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe I § 26

Tatplan mitgeliefert, kein Geld gezahlt u n d kein Druck ausgeübt wird), ceteris Grundvoraussetzung der Zurechnung ist. 2 4 4 Freilich braucht die Beihilfe nicht in
paribus der Strafwürdigkeit des Täters nicht gleichkommt. Manche Fälle stehen dem Sinne eine condicio sine qua non für den Erfolg zu sein, daß dieser ohne sie
der Beihilfe näher als der Täterschaft, wie schon die Schwierigkeiten der Abgren- nicht eingetreten wäre. Die Beihilfe kann eine unerläßliche Bedingung für den
zung von Anstiftung und Beihilfe zeigen ( R n . 6 7 f f , 95ff, 102ff). Daher wäre es Erfolg sein: z.B. wenn der Gehilfe einen anders nicht erhältlichen Nachschlüssel
richtiger gewesen, für die Anstiftung eine fakultative Strafmilderung vorzusehen, liefert, ohne den der Dieb den Tresor nicht hätte öffnen können. Sie m u ß es aber
wie dies auch § 28 II AE vorgeschlagen hatte. Gleichwohl ist die gesetzliche R e - nicht: Wer dem einsteigenden Dieb die Leiter hält, leistet Beihilfe, auch wenn der
Täter ohne diese Hilfe die Leiter auf andere Weise befestigt hätte und auf jeden Fall
gelung hinzunehmen und nicht etwa unter dem Gesichtspunkt des Gleichheits-
ins Haus gelangt wäre (vgl. noch R n . 213). D e n n für die Kausalität genügt - hier
oder Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfassungsrechtlich anfechtbar. D e n n eine
wie auch sonst - , 2 4 5 daß der Beitrag den Erfolg in seiner ganz konkreten Gestalt
ggf. geringere Strafwürdigkeit des Anstifters läßt sich bei der Strafzumessung aus-
unter Einbeziehung aller zu i h m hinführenden Zwischenglieder beeinflußt hat. Es
gleichen. 2 4 1
reicht also aus, daß ohne den Gehilfen die Art und Weise des Einsteigens etwas
anders verlaufen wäre. Auch daß im Endergebnis der Erfolg ohne den Gehilfen-
beitrag ebenso eingetreten wäre, ändert nichts an der Kausalität: D e n n so, wie das
C. D i e B e i h i l f e
Geschehen realiter verlaufen ist, ist es durch das Halten der Leiter mitverursacht
183 Die Beihilfe wird v o m Gesetzgeber in § 27 als vorsätzliche Hilfeleistung zu einer worden; der hypothetische Kausalverlauf, der ggf. an die Stelle des realen getreten
tatbestandsmäßig-rechtswidrigen und vorsätzlichen Tat umschrieben. Ihr zentrales wäre, ist für dessen Kausalität ohne Belang.
Kriterium wird also durch den nicht weiter erläuterten Begriff der „Hilfeleistung" Claß246 hat die Lehre entwickelt, daß für die Beihilfe eine Mitwirksamkeit, eine Modifika- 185
bezeichnet. Wir entfalten dieses Merkmal, indem wir die Beihilfe als eine für den tionskausalität, genüge, wie sie etwa vorliegt, wenn jemand dem Einbrecher Handschuhe mit-
tatbestandsmäßigen Erfolg kausale, rechtlich mißbilligte Risikosteigerung gibt, damit er die Fensterscheibe besser eindrücken kann. Er spricht hier von einem „herabge-
mindert wirksamen Kausalanteil" von einer „Zufluß- oder Verstärkerkausalität" Man kann
verstehen. 2 4 2 Die z.T. schwierigen Fragen der Abgrenzung der Beihilfe von der das so formulieren, doch ist damit - anders als Claß meint - keine Besonderheit der Beihilfe-
Mittäterschaft und der Anstiftung sind früher schon behandelt worden (§25, kausalität ausgedrückt. Vielmehr gilt dies alles für die Anwendung der Äquivalenztheorie
R n . 10 ff, 188 ff; § 26, R n . 65 ff., 95 ff), so daß hierauf nicht mehr eingegangen zu schlechthin (näher Roxin, AT l3, §11, Rn. 16 ff.).247 Freilich tritt die Kausalität der bloßen
„Mitwirksamkeit" bei der Beihilfe häufiger hervor als bei der Täterschaft, weil sie einen zur Tat
werden braucht. entschlossenen Täter und damit einen auf den Erfolg hindrängenden zentralen Kausalfaktor
notwendig voraussetzt.

I. D i e Kausalität der Beihilfe


2. D i e Förderungsformel der Rechtsprechung
1. D i e eigene Meinung Demgegenüber steht die Judikatur seit dem Beginn der reichsgerichtlichen 186
184 Jede Beihilfe m u ß - bei den hier zunächst allein behandelten Begehungsdelik- Rspr. auf dem Standpunkt, daß die Beihilfe für den Erfolg nicht ursächlich sein,
ten - für den Erfolg kausal sein. 2 4 3 Dieses Erfordernis folgt daraus, daß die Kau- sondern seine Herbeiführung nur gefordert haben müsse. 2 4 8 In der Leitentschei-
salität für jede vollendete Begehungsstraftat (und also auch für die Beihilfe) die dung RGSt 58, 113 ff. (114/115) heißt es: „Daß der Erfolg der Haupttat durch die
Gehilfentätigkeit ursächlich mitbewirkt, gefordert oder erleichtert wird, ist . . .
2
nicht erforderlich. Der Tatbestand der einmal geleisteten Beihilfe wird nicht da-
« So der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/4095,13. Zur rechtspoli-
durch beseitigt, daß die Gehilfentätigkeit für den mit ihr beabsichtigten und tat-
tischen Problematik vgl. die Begründung zu §§ 28, 29 AE Anm. 3; ferner Roxin, 21975, 33;
Schroeder, 1965, 202 ff.; Gallas, ZStW 80 (1968), 32f.; Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), 37.
242
Zur Beihilfe im Völkerstrafrecht Ambos, 2002 (619 ff.), der für die im Text vertretene
Konzeption auch im Völkerstrafrecht eintritt. 2"" Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 1.
2« So Claß, Stock-FS, 1966, 115ff.; Dreher, MDR 1972, 553ff.; Samson, 1972, 55ff; ders., 2« Roxin, AT l3, § 11, Rn. 17. /
Peters-FS, 1974, 121ff. Aus der Kommentar- und Lehrbuchlit.: Bockelmann/Volk, AT4, §25 III 2« Claß, Stock-FS, 1966,115 ff. (die Zitate 125 f.).
2
2 a; Jescheck/Weigend, AT5, §64 III 2 c;Joecks3, §27, Rn.7; Lackner/Kühl24, §27, Rn. 2; Mau- « Auch Jakobs, AT2, 22/35, sieht in solchen „ad-hoc-Konstruktionen ... keinen Gewinn
rach/Gössel, AT/27, 52/18 ff; Mezger, StrafR, 31949, 411; SK7-Hoyer, §27, Rn.3; Schmidhäuser, an Klarheit"; vgl. ferner Samson, 1972, 61 ff, 64 ff; Bloy, 1985, 277 ff.
LB AT2,14/143; ders., StuB AT2,10/146; Seh/Seh/Cramer/Heine26, §27, Rn.10; Tröndle/Fischer50, 2« RGRspr. 4, 464; 9,149; RGSt 4, 95f.; 6,169f.; 8, 267f.; 13, 265ff; 27,157f.; 28, 266f;
§ 27, Rn. 2; Welzel, StrafR11, 119. Auch der BGH in Zivilsachen (NJW 1988, 2794) stellt auf 51,136,141; 67,191,193; 71,176,178; 73, 53; 75,112f.; BGHSt 8, 390; BGH VRS 8 (1955), 201;
die Kausalität ab: „Eine Beihilfehandlung erbringt objektiv derjenige, dessen Handlung für 23 (1962), 209; BGH MDR (D) 1967, 173; BGH MDR 1972, 16; BGH StV 1981, 72; BGH
die Haupttat ursächlich geworden ist und die Rechtsgutsverletzung ermöglicht hat" (aaO., DAR 1981, 226; OGHSt 1, 321, 330; 2, 23, 44; BayObLGSt 1959, 132,138; OLG Freiburg JZ
2797). Ob die Kausalität eine notwendige Bedingung der Beihilfe sein soll, bleibt allerdings 1951, 85; OLG Hamburg JR 1953, 27; OLG Hamm HESt 2, 244. Gute Zusammenstellungen
offen. der Judikatur finden sich auch bei Samson, 1972, 55 ff, und Dreher, MDR 1972, 553 ff.

192 193
§ 26 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe I § 26

sächlich eingetretenen Erfolg einflußlos gewesen ist . . . die bloße Absicht des Modifikationskausalität zu erstrecken und damit zu überdehnen. D e n n zwar ist
Gehilfen, durch seine Hilfeleistung die Haupttat zu unterstützen und zu fördern, die Förderung der „den Verbrechenstatbestand verwirklichenden Handlung", auf
reicht allerdings zur A n n a h m e einer . . . strafbaren Beihilfe nicht aus. Es m u ß h i n - die RGSt 58, 114 f. abstellt, i.d.R. auch eine Förderung und Mitverursachung des
zukommen, daß die den Verbrechenstatbestand verwirklichende Handlung, bevor Erfolges, in dem sich die Handlung niederschlägt. Sie ist aber dann nicht kausal,
sie zum Abschluß gekommen ist, zu irgendeinem Zeitpunkt durch das Tätig- wenn sie vor Eintritt des Erfolges ein Ende findet u n d nicht mehr weiterwirkt.
werden des Gehilfen tatsächlich gefördert worden ist." In ähnlicher Weise stellt der Wenn man in solchen Fällen eine Beihilfe bejaht, deutet man eine straflose ver-
B G H M D R (D) 1972, 16, ohne das Problem neu zu überdenken, fest, eine d e m suchte Beihilfe oder eine Beihilfe zum Versuch in gesetzwidriger Weise in eine
Täter gewährte Unterstützung sei „auch dann tatbestandsmäßige Beihilfe, w e n n Gehilfenschaft z u m vollendeten Delikt u m . Dieser Gefahr ist das R G mehrfach
sie für den Erfolg nicht ursächlich ist". Es reiche aus, „daß die Gehilfentätigkeit die erlegen. So soll nach RGSt 58, 113 wegen Beihilfe zur Abtreibung strafbar sein,
Handlung des Haupttäters erleichtert oder fördert". wer einer Schwangeren Abtreibungsgeräte liefert, die diese in Benutzungsabsicht
187 Diese Rspr. hat nur vereinzelt Beifall gefunden, 2 4 9 die weitaus h. M . von ihrem annimmt, dann aber doch nicht verwendet. Das ist falsch; denn da die Abtrei-
Festhalten am Kausalitätserfordernis aber nicht abbringen können. Tatsächlich bungsgeräte auf die konkrete Art und Weise der Erfolgsherbeiführung ohne E i n -
handelt es sich bei dem Streit wohl u m ein Scheinproblem. D e n n w e n n „die den fluß geblieben sind, lag nur eine (straflose) versuchte Beihilfe zur Abtreibung
Verbrechenstatbestand verwirklichende Handlung . . . tatsächlich gefördert" w o r - vor. 252 RGSt 6, 169 f. n i m m t eine Beihilfe zum vollendeten Diebstahl in einem
den sein muß, ist die Hilfeleistung für den Erfolg in seiner konkreten, die zu i h m Fall an, in d e m der Angeklagte dem Täter einen Schlüssel mitgegeben hatte, der
hinführenden Zwischenglieder einschließenden Gestalt notwendig auch ursäch- im Schloß abgebrochen war; der Täter war dann auf andere Weise in das Haus
lich geworden; sonst kann von einer Förderung der Tatbestandshandlung nicht die gelangt. Auch das ist unrichtig; denn hier war der Schlüssel zwar noch für den
Rede sein. Schon vor Jahrzehnten hat Mezger250 gezeigt, daß bei den vom R G mit Versuch, aber nicht mehr für die Vollendung kausal geworden, so daß zwar keine
der Förderungsformel entschiedenen Sachverhalten eine Kausalität i. S. d. Aquiva- versuchte, aber auch keine vollendete Beihilfe, sondern eine Beihilfe z u m versuch-
lenztheorie durchweg vorgelegen hat: „Was nämlich die Modalität (Art und Weise ten Nachschlüsseldiebstahl vorlag.
im besonderen Fall) der Handlung mitbeeinflußt hat, ist in Wahrheit auch kausal Die Förderungformel hat also die große Schwäche, daß sie eine Abgrenzung von 190
für den Erfolg." versuchter Beihilfe, Beihilfe z u m Versuch und Beihilfe zur vollendeten Tat u n m ö g -
188 Auch die Rspr. des B G H ergibt dasselbe Bild. W e n n z. B. eine Förderung a b - lich macht und dadurch die Grenzen der Strafbarkeit zu Lasten des Täters auflöst.
gelehnt wird, weil die Auskunft des Angeklagten an einen „Scheinkäufer" auf „das N u r der Rückgriff auf die Kausalität kann hier sichere Grenzen ziehen, indem er
weitere Geschehen keinen Einfluß hatte" (BGH StV 1981, 72), fehlt es auch an der zwischen der (Mit-) Verursachung des Erfolges (Beihilfe), des Versuchs (Beihilfe zum
Kausalität. 251 Andererseits wird die Förderungsformel benutzt, w o eindeutig eine Versuch) und der überhaupt fehlenden Verursachung strafbaren Verhaltens (der straf-
Kausalität vorliegt. So wurde mit Recht eine Beihilfe bejaht (BGH D A R 1981, losen versuchten Beihilfe) unterscheidet. Wenn es in RGSt 27,157 heißt, Beihilfe sei
226), als die Lenkerin eines Autos auf Verlangen zweier im Wagen sitzender R ä u - „jede Handlung, welche darauf abzielt, die Ausführung der Tat zu fordern" so wird
ber während der Beraubung einer Mitfahrerin weiterfuhr (anstatt anzuhalten), der Fehler schon in der Formulierung deutlich: Das „Abzielen" auf eine Förderung
damit die Schreie des Opfers nicht gehört werden und Dritte keine Gelegenheit ist höchstens ein Versuch; das Gesetz verlangt aber eine tatsächlich erfolgte Hilfe-
zum Eingreifen b e k o m m e n sollten. Der B G H sieht im Weiterfahren zutreffend leistung. Außer in Fällen der geschilderten Art hat die Förderungsformel der Rspr.
eine „Erleichterung" der Tatbegehung. Diese Erleichterung ist aber für die Art und die Gehilfenschaft vor allem auch bei der sog. psychischen Beihilfe zu weit aus-
Weise der Erfolgsherbeiführung eindeutig kausal; möglicherweise hätte die Tat gedehnt. Diese Frage wird noch gesondert zu behandeln sein ( R n . 197 ff).
ohne sie nicht einmal durchgeführt werden können.
189 M a n könnte sich mit diesem Befund begnügen u n d die Förderungsformel als 3. D i e Beihilfe als Gefährdungsdelikt
unschädliches Mißverständnis der Äquivalenztheorie gelten lassen, wenn sie nicht Ähnliche Einwände wie gegen die Rspr. sind gegen die Versuche des Schrift- 191
die Gefahr in sich trüge, die Beihilfestrafbarkeit auf Fälle tatsächlich fehlender tums zu erheben, die Beihilfe als Gefährdungsdelikt zu verstehen und jemanden
schon dann als Gehilfen zu bestrafen, w e n n er durch seinen Beitrag eine abstrakte
2« Binding, 1915, 311; v. Hippel, StrafR II, 462; H. Mayer, LB AT, 323; Sauer, AT, 31955, 223;
v. Weber, 1948, 72; ders.,]Z 1951, 85; Wegner, 1926, 237. Aus dem gegenwärtigen Schrifttum: Blei, 252 Ebenso unrichtig wird in einer Entscheidung vom 7.11.1913, die in RGSt 58,115 zitiert
AT18, § 80 II 2 b; Krey, AT/2, Rn. 297; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 582. wird, die Übergabe einer Zange an einen Einbrecher als Beihilfe bestraft, obwohl dieser den
250 Mezger, StrafR, 21933, 413. Einbruch „ohne Benutzung des Werkzeugs ausgeführt" hatte. Richtig dagegen RGSt 38,156,
25i Fälle fehlender Kausalität behandeln auch BGH NStZ 1983, 462; BGHR StGB, § 27 I, wo Beihilfe in einem Fall abgelehnt wird, in dem ein Einbrecher den Ratschlag, eine zu steh-
Hilfeleisten, Nr. 4, 5; OLG Frankfurt NJW 1983, 2038 f. lende Kassette mit einem Schraubenzieher von ihrer Unterlage zu lösen, nicht befolgt hatte.

194 195
§ 26 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe I § 26
oder abstrakt-konkrete Gefährdung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts die speziell die Beihilfe als „Solidarisierung mit dem Täter" versteht, was nach ihrer
hervorgerufen hat. Gegen diese Lehren, die ebenfalls auf die Mitverursachung des Konzeption voraussetzt, daß der Täter sich der Solidarisierung von seiten des Ge-
Erfolges durch den Gehilfen verzichten, ist geltend zu machen, daß sie bei allen hilfen bewußt ist, d.h. dessen Tatbeitrag kennt (aaO., 97, 137). Diese Konzeption
Unterschieden im einzelnen wie die Rspr. dazu neigen, „die versuchte Beihilfe als hat einschneidende praktische Auswirkungen. So ist für Schild-Trappe die heimliche
vollendete Beihilfe zu bestrafen".253 Das ist ohne weiteres ersichtlich, wenn man Beihilfe, von der der Täter nichts weiß, wegen fehlender Einwirkung auf den Täter
die Gefährdungsterminologie ein wenig umformuliert. Denn eine vorsätzliche überhaupt keine Beihilfe und somit straflos (aaQ, 97 u. pass.). Wer also - vom
Gefährdung, bei der der Vorsatz auf die Herbeiführung des Erfolges gerichtet ist Täter unbemerkt - den Polizisten aufhält, der den Täter an seinem Tun gehindert
(sonst liegt der Fall des straflosen agent provocateur vor, vgl. Rn. 271), ist nichts hätte, begeht keine Beihilfe. Andererseits braucht nach dieser Auffassung die Gehil-
anderes als ein Versuch. Diesen aber hat der Gesetzgeber bei der Beihilfe straflos fenschaft sich auf die Haupttat nicht kausal ausgewirkt zu haben (aaO., 137), und
gelassen. zwar weder auf den Erfolg noch auch nur auf den Entschluß des Täters. Für eine
192 Die geringsten Anforderungen an die Beihilfe stellt Herzberg254, indem er sie als strafbare Beihilfe genügen Schild-Trappe „bloße Zustimmungs- und Solidarisie-
„abstraktes Gefährdungsdelikt" ansieht und dafür nichts verlangt als „Hilfe": „Der rungsbekundungen, die einen bereits gefaßten Tatentschluß auch in seiner Festig-
Täter hat bei der Durchführung seiner Tat Beistand erhalten und das genügt." Da- keit und Intensität nicht beeinflussen" (aaO., 98). Das führt zu dem Ergebnis, daß
her soll anscheinend jeder abstrakt gefährliche Beitrag als Hilfe gelten. Doch bleibt „ein klarer Fall von strafbarer Gehilfenschaft" angenommen wird, wenn ein zufäl-
unklar, welche Voraussetzungen an eine solche Gefährlichkeit gestellt werden sol- lig bei der Tat anwesender Zeuge „dem Täter während dessen Tatverübung Beifall
len. Wenn Herzberg z. B. das Hinreichen eines Getränks an den Täter selbst dann als klatscht" (aaO., 132). Weiterhin ist eine Beihilfe durch Unterlassen von vornherein
Beihilfe ansehen will, wenn es „den Erfolg der Wegnahme verzögert und dadurch unmöglich, weil es an einer psychischen Einwirkung auf den Täter fehlt (aaQ,
gefährdet", und wenn er jemanden als Gehilfen beurteilt, der lediglich bewirkt, 126). Auch die Kettenbeihilfe wird nicht als Beihilfe anerkannt (aaO., 134): „Eine
daß der Täter die Tat mit „besserer Laune" ausführt, dann ist nicht ersichtlich, was Gehilfenschaft, welche sich auf die Hilfe gegenüber dem Gehilfen beschränkt, stellt
an solchen Handlungsweisen auch nur abstrakt gefährlich sein soll. Jedenfalls ver- ... wegen Fehlens einer psychischen Einwirkung auf den Täter... strafloses Verhal-
schwimmen die Grenzen der Strafbarkeit in einer mit dem Bestimmtheitsgrund- ten dar." Auf die Konsequenzen für die versuchte Beihilfe und den Rücktritt von
satz nicht mehr zu vereinbarenden Weise im Ungewissen.255 ihr wird in späteren Zusammenhängen einzugehen sein (§ 28, Rn. 36 und 88).
193 Weniger ausufernd ist die Ansicht von Vogler, der die Beihilfe als gemischt ab- Das verdient jedoch keine Zustimmung. 259 Denn die Autorin verschiebt mit 195
strakt-konkretes Gefährdungsdelikt betrachtet. 256 Er verlangt im Hinblick auf ihrer Beihilfekonzeption die Substanz strafbaren Verhaltens in rechtsstaatlich be-
den Erfolg eine abstrakte Gefährlichkeit des Täterverhaltens, das zur Mitherbei- denklicher Weise von der Rechtsgüterverletzung auf die bloße Gesinnungsbekun-
führung des Erfolges generell geeignet sein müsse; außerdem müsse eine konkrete dung. Auch der Gehilfe muß in einem Tatstrafrecht, wie wir es haben, das Rechts-
Förderung des Täterverhaltens vorliegen. Aber auch das geht noch zu weit. Denn gut angreifen, d. h. zu seiner Verletzung oder Gefährdung beitragen. Wenn man
der Verzicht auf die Kausalität des Gehilfenbeitrages bezieht notwendig auch Fälle auf dieses Erfordernis verzichtet und sich mit der bloßen Bekundung einer
der nur versuchten Beihilfe in die Gehilfenschaft ein; zur Herbeiführung des Er- tadelnswerten Ansicht (etwa durch Beifallklatschen) begnügt, kommt man zu
folges „generell geeignet" sind auch Beiträge, die im Zeitpunkt des Erfolgseintritts einer gewaltigen Ausdehnung der Strafbarkeit und verläßt den Boden des Tat-
nicht mehr wirksam waren. 257 strafrechts.
Auch die praktischen Ergebnisse, zu denen die Solidarisierungskonzeption führt, 196
4. Die Beihilfe als Solidarisierung leuchten nicht ein. Wenn jemand z.B. einen Diebstahl ermöglicht, indem er - vom
194 Während die Lehre von Schumann, der die Solidarisierung mit fremdem Un- Täter unbemerkt - den argwöhnisch gewordenen Eigentümer durch Versperren
recht als Strafgrund jeglicher Teilnahme beurteilt, schon oben (Rn. 22 ff.) behan- einer Tür am Eingreifen hindert (frei nach BGHSt 6, 248), so hat er das Opfer um
delt wurde, bedarf hier noch die Auffassung von Schild-Trappe258 der Erörterung, sein Eigentum gebracht und es schwer geschädigt. Das ist weit strafwürdiger,' als
wenn der Gehilfe zur Tat überhaupt nichts beigetragen und sich auf Beifallklatschen
«3 Darüber eingehend Samson, Peters-FS, 1974, 132; wie hier Jakobs, AT2, 22/35; Stein, beschränkt hätte! Und doch will Schild-Trappe im ersten Fall Straflosigkeit, im
1988,147 ff.
254 Herzberg, G A 1971, lff. (7, 6). zweiten Strafbarkeit annehmen. Auch die Straflosigkeit der Kettenbeihilfe über-
255 Ausführliche Kritik an Herzberg bei Vogler, Heinitz-FS, 1972, 298ff.; Samson, Peters-FS, zeugt nicht. Warum soll der Lieferant von Sprengstoff nur deshalb straflos sein,
1974,126f.; Stein, 1988,147fF.
256 Vogler, H e i n i t z - F S , 1972, 2 9 5 ff; i h m folgend Preisendanz30, § 27, A n m . 3 d.
259
257 D e t a i l k r i t i k a n Vogler bei Samson, P e t e r s - F S , 1974,127 ff.; ferner>feobs, A T 2 , 22/35. Vgl. schon meine Rezension des Buches in TZ 1996, 29 f. Kritisch ferner Wohlleben
258 Schild-Trappe, 1995. 1996, 96ff.; Ambos, JA 2000,722, Fn. 22.
196 197
§ 26 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe I § 26

weil das Material durch verschiedene Mittelsmänner in die H a n d der i h m u n - Beschaffenheit des ausgeführten Tatentschlusses und damit auch für den Erfolg
bekannten Attentäter gelangt? Es sollte für eine strafbare Beihilfe genügen, daß kausal. D e n n wer den Entschluß mitverursacht, trägt auch zu dem Erfolg bei, den
der Lieferant weiß, für welche deliktischen Zwecke der Sprengstoff dienen soll. der Entschluß bewirkt: Causa causae est causa causati. 264 Auch manche von der
Rspr. entschiedene Fälle lassen sich hier einordnen: Wer einer Zeugin zusagt, zu
5. D i e psychische Beihilfe ihrer unwahren Aussage in seinem Ehescheidungsprozeß zu schweigen (RG H R R
1938, Nr. 629), wer einer zur Abtreibung schon entschlossenen Schwangeren zu-
197 Die Kausalität der Beihilfe wurde bisher durchweg an Beispielen physischer
sätzlich Geld zur Durchführung der Tat gibt (RG H R R 1939, Nr. 1275), oder wer
Beihilfe demonstriert, in denen der Tatbeitrag des Gehilfen in der Hingabe einer
als Geliebte dem zur E r m o r d u n g seiner Ehefrau entschlossenen M a n n die spätere
Waffe, eines Werkzeuges oder in sonstigen körperlichen Aktivitäten bestand. D a -
Heirat zusichert (RGSt 73, 52), stabilisiert den Tatentschluß; sein Beitrag schlägt
neben stehen die Fälle psychischer Beihilfe, bei denen der Gehilfe nicht körper-
sich in der Sicherung des Erfolges nieder. Kein Zweifel an der Kausalität kann
liche, sondern nur geistige Beiträge leistet, indem er auf die Psyche des Täters ein-
auch dort bestehen, wo die psychische Beihilfe zu einer Intensivierung der Rechts-
wirkt. Auch wenn man eine „psychische Kausalität" grundsätzlich für möglich
gutsbeeinträchtigung führt: Wer also den Täter mit Erfolg anfeuert, auf das Opfer
hält, 2 6 0 ist der Nachweis der Kausalität hier vielfach schwierig und die Strafbarkeit noch heftiger einzuschlagen (zur Abgrenzung von der Anstiftung vgl. R n . 102,
der psychischen Beihilfe - auch aufgrund der Förderungsformel der Rspr. 105), oder wer einen zur Urlaubsüberschreitung entschlossenen Soldaten veran-
( R n . 186 ff.) - dementsprechend umstritten. laßt, sogar einen noch späteren Zug für die Rückkehr zu nehmen (RGSt 27,157),
198 Unproblematisch ist freilich der Fall der „technischen Rathilfe" 261 bei dem der hat den konkreten Erfolg „verstärkt" und ist deswegen als Gehilfe zu bestrafen.
Täter Tips erhält, die die Tat erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. Wer also Demgegenüber will Charalambakis265 das Liefern zusätzlicher Motive u n d das Aus-
dem Täter erklärt, wie man einen Safe „kunstgerecht" öffnet, oder wer i h m m i t - reden von Bedenken als „Mitbestimmung" zur Straftat und damit als Anstiftung
teilt, w a n n der Eigentümer der zu bestehlenden W o h n u n g nicht im Hause ist, m o - beurteilen. Seinen Unwertgehalt nach haben wir aber keine tätergleich zu bestra-
difiziert die konkrete Art und Weise der Tatausführung und ist genauso kausal wie fenden Tathervorrufung, sondern nur eine Unterstützungshandlung vor uns. Der
ein Täter, der physische Beiträge erbringt. Auch in der Rspr. sind solche Fälle „Tatentschluß", der eine Anstiftung ausschließt, braucht nicht „felsenfest" zu sein,
häufig: Beihilfe ist danach z.B. die Entscheidung eines „Ehrengerichts" über die sondern kann durchaus noch verstärkenden Motivationen zugänglich und von
Art der Waffen bei einem strafbaren Duell (RGSt 13, 265), die Erteilung von R a t - einzelnen Bedenken begleitet sein (näher R n . 66 ff.).
schlägen über die zweckmäßigste Ausführung eines Mordes (RGSt 73, 52 f.) oder
Als psychische Beihilfe in Form einer Stabilisierung des Tatentschlusses läßt sich 201
die einem Versicherungsbetrüger gegebene Erklärung, „wie das Fahrzeug in Brand
in den meisten Fällen auch die von Claß266 entdeckte Fallgruppe der „vorgelei-
zu setzen sei" ( B G H R StGB, § 27, Abs. 1, Hilfeleisten, Nr. 2).
steten Strafvereitelung" erfassen, bei der der Gehilfe einen Beitrag dazu leistet,
199 Problematisch sind die Fälle, die lediglich in einer „Bestärkung des Tatent-
daß der Täter unentdeckt oder unbestraft bleibt. Wer dem Täter einen Tarnanzug,
schlusses" bestehen. 2 6 2 Während die Rspr., die sich freilich durch den Verzicht auf
eine Gesichtsmaske oder ein „Staubhemd" (RGSt 8, 267) liefert, damit er vom
das Kausalitätserfordernis manche Begründungsschwierigkeit erspart, zu einer
Opfer nicht erkannt wird, oder wer i h m für den Fall einer polizeilichen Unter-
recht weitgehenden Strafbarkeit k o m m t (dazu näher R n . 203 ff.) und andere
suchung ein Alibi verspricht (BGH N J W 1951, 451), ist für den Erfolg i.d.R. kau-
Autoren diese Form der psychischen Beihilfe ganz ablehnen ( R n . 208 f.), liegt die
sal, weil er entweder letzte Bedenken beseitigt (vgl. dazu R n . 200) und dadurch
richtige Lösung auf einer mittleren Linie, die eine Beihilfe durch bloße Ein-
die Tatbereitschaft des Täters erhöht, oder weil der Täter sonst die Tat unter ande-
wirkung auf den Entschluß des Täters für grundsätzlich möglich hält, aber auch
ren Vorkehrungen und damit in anderer Weise ausgeführt hätte. Charalambakis267
hier auf die Notwendigkeit einer Kausalität des Gehilfenbeitrages beharrt und da-
äußert „schwere rechtsstaatliche Bedenken" gegen das „Kuriosum, daß eine auf die
durch zu einer Restriktion der Strafbarkeit in diesem Bereich k o m m t .
Zeit nach der Tat gerichtete Hilfe (die an sich keineswegs als Beihilfe zur Tat, son-
200 Wer dem Täter ein zusätzliches Motiv liefert 263 oder ihm trotz gefaßten Tatent-
dern höchstens als Strafvereitelung strafbar wäre), über das Argument der Stär-
schlusses noch vorhandene Bedenken ausredet (dazu R n . 68), ist für die konkrete
kung des Tatentschlusses zeitlich vorverlagert und damit als Beihilfe zur Haupttat
strafbar gemacht wird". Aber die Aussicht auf erfreuliche Folgen, die erst nach der
2
«o Dazu Roxin, AT l3, § 11, Rn. 27.
261
SK7-Hoyer, § 27, Rn. 11. Phleps, 1997,1, will diese Fälle der Einwirkung auf den intellek- 264
tuellen Bereich des Vorsatzes nicht als psychische Beihilfe gelten lassen; doch ist dies ein eher Auf dieser Linie wohl auch Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 159.
265
terminologisches Problem. Charalambakis, Roxin-FS, 2001, 635 ff.
262 266
Ausführlich dazu Phleps, 1997, 13ff., 118ff. mit einer Zusammenstellung der von der Claß, Stock-FS, 1966, 116ff., der diese Fälle allerdings durchweg als de lege lata straflos
Rspr. entschiedenen Fälle. beurteilt; ähnlich Otto, Lenckner-FS, 1998,192ff.
267
2
« Richtig dazu Rudolphi, StV 1982, 520. Charalambakis, Roxin-FS, 2001, 635.

198 199
§ 26 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe I §26
Tat eintreten (z. B. eine Belohnung), kann den Täter schon während der Tat be- daß die Kenntnisnahme von einer stattfindenden Straftat und auch ihre Billigung
flügeln und ist dann eine Beihilfe. Die vorgeleistete Strafvereitelung ist also kein noch keine Beihilfe begründen. 269
Sonderfall. Ein untätiges Dabeisein ist also auch dann noch keine strafbare Beihilfe, 205
202 Dagegen reicht die bloße Solidarisierung mit dem Täter, die Bekundung von wenn der Täter sich durch den Gedanken, der Anwesende werde ihn nicht ver-
Zustimmung zu seinem Vorgehen oder von Sympathie damit, für eine strafbare raten und ihm nichts in den Weg legen, zur Fortsetzung seiner deliktischen
Beihilfe nicht aus. Denn dadurch wird ein Tatentschluß weder stabilisiert (wie bei Aktivitäten motiviert fühlt.270 Denn zwar kann man eine solche Passivität als eine
der Ausräumung von Bedenken) noch auf eine breitere Grundlage gestellt (wie sich auf die Art und Weise der Tat auswirkende Ermutigung des Täters deuten. Ihre
bei der Lieferung zusätzlicher Motive) noch intensiviert (wie bei einer Vergröße- Bestrafung als Beihilfe scheitert aber daran, daß die Pönalisierung bloßen Unter-
rung der Rechtsgutsbeeinträchtigung). Daß derartige Fälle nicht als Beihilfe be- lassens eine Garantenstellung voraussetzt (§13); deren Fehlen darf nicht dadurch
straft werden können, läßt sich auch aus § 140 entnehmen: Denn nur nach dieser umgangen werden, daß man die Unterlassung in eine „geistige Unterstützung"
Spezialvorschrift und unter den dort genannten sehr einschränkenden Vorausset- und damit in ein positives Tun umdeutet. Gerade in diesem Punkt liegt es anders,
zungen ist die Billigung von Straftaten mit Strafe bedroht. wenn der Anwesende, wie der Täter weiß, ggf. zugunsten des Täters eingreifen
203 Die Rspr. geht mit der Annahme psychischer Beihilfe durch „Bestärkung des will. Denn in diesem Falle ist i.d.R. schon sein Erscheinen und Verharren am Tat-
Tatentschlusses" vielfach zu weit; so, wenn BGHZ 63, 124, 130f. die Bekundung ort, jedenfalls aber das - sei es auch nur durch schlüssige Handlung erklärte -
von Verbundenheit mit den Teilnehmern einer illegalen Hausbesetzung als Bei- Versprechen, erforderlichenfalls einzugreifen, ein als Beihilfe strafbares positives
hilfe zu den von diesen begangenen Körperverletzungen an Polizisten beurteilt; Tun.
wenn BGH VRS 59 (1980), 185 anfeuernde Rufe an einen Autofahrer („los drauf Die Schwierigkeit der Problematik zeigen zwei BGH-Entscheidungen, die zu 206
und hinterher") als Beihilfe zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr entgegengesetzten Lösungen kommen. In BGH StV 1982, 516,271 hatte die An-
(§ 315 b) würdigt, obwohl jede Feststellung darüber fehlt, daß dieser Zuruf sich geklagte erst bei der Rückfahrt von Holland nach Deutschland bemerkt, daß die
auf das Verhalten des Täters ausgewirkt hat; oder wenn OLG Stuttgart NJW 1950, beiden Mitinsassen des Autos Heroin einführen wollten. Sie hatte ihnen deswegen
118, die Fortsetzung eines Liebesverhältnisses mit einem zur Tötung seiner Ehefrau Vorwürfe gemacht, zu dem Plan der beiden, bei einer etwaigen Befragung an der
entschlossenen Mann als Beihilfe zu deren Ermordung deutet. Grenze einen Besuch in Eupen vorzuspiegeln, jedoch geschwiegen. Die Vor-
204 Auch die bloße Anwesenheit am Tatort wird nicht selten fälschlich als Beihilfe instanz hatte sie wegen Beihilfe bestraft, weil sie durch ihr Schweigen die Erwar-
bestraft, ohne daß ersichtlich ist, welchen Einfluß sie auf den Tatentschluß und da- tung geweckt habe, die Täter nicht zu verraten; dadurch habe sie deren Tatent-
mit mittelbar auf die Tatbestandsverwirklichung gehabt haben soll. So hat der schluß bestärkt. Der 2. Senat des BGH hat eine Bestrafung zutreffend abgelehnt,
BGH MDR (D) 1967,173 das bloße Dabeistehen bei einem Raubüberfall als gei- weil diese Bestärkung in einem bloßen Unterlassen besteht, das ohne Garanten-
stige Unterstützung angesehen und als Beihilfe bestraft, obwohl der Angeklagte stellung nicht strafbar ist. Demgegenüber ist der 3. Senat (BGH StV 1982, 517) in
sich sogar zugunsten des Opfers eingesetzt hatte. In einer späteren Entscheidung einem strukturell gleichliegenden Fall fälschlich zu einer Bestrafung gekommen.
(BGH M D R (H) 1985, 284) heißt es, auch „ein tatenloses Dabeistehen bei Aus- Der Angeklagte hatte als Anwalt untätig dabei gesessen, wie zwei Kollegen seiner
führung der Tat" könne schon eine Beihilfe sein, „wenn es dem Haupttäter ein Kanzlei und drei andere Personen eine Erpressung verübten. Er war in diesen Plan
erhöhtes Gefühl der Sicherheit gibt und sich damit als geistige Unterstützung dar- nicht eingeweiht gewesen und hatte sich schweigend verhalten, weil er glaubte,
stellt". Hier fehlt der notwendige Hinweis, daß dies nur dann gilt, wenn das „er sei als Neuling der Kanzlei den berufserfahreneren Partnern ... zu kollegialer
„Dabeistehen" nach dem Kontext der Situation so zu verstehen ist, daß der bisher Rücksichtnahme verpflichtet". Der BGH sieht darin eine psychische Beihilfe zur
Untätige erforderlichenfalls zugunsten des Täters eingreifen werde. 268 Denn Erpressung durch positives Tun, der der Angeklagte nur habe entgehen können,
dann verstärkt die Anwesenheit des potentiellen Mittäters die Angriffsbereitschaft „indem er sich alsbald entfernt hätte oder den Forderungen der übrigen Beteilig-
des Handelnden und reduziert die Abwehrmöglichkeiten des Opfers. Das für den ten entgegengetreten wäre". Daraus wird aber deutlich, daß der wahre Gegenstand
Täter beruhigende Gefühl, ein untätig Herumstehender werde nicht zugunsten des Vorwurfs ein Unterlassen (des Weggehens oder Protestierens) ist, das nur beim
des Opfers aktiv werden, reicht dagegen für eine Beihilfe nicht aus (vgl. Rn. 205).
Die neuere Rspr. nähert sich der hier vertretenen Position: BGH GA 1985, 233,
2« Ebenso BGH NStZ 1993, 385; BGH StV 1994, 175; BGH NStZ 1995, 490; 1996, 290;
und BGHR StGB, §27 Abs. 1, Hilfeleistung, Nr. 1, weisen zutreffend daraufhin, 1996, 563; 1998, 517.
2™ Ebenso Köhler, AT, 535 u. Kühl, AT3, §20, Rn. 226, 228; Charalambakis, Roxin-FS,
2001, 637 f.
27i Ebenso in einem ähnlichen Fall BGH NStZ 1993, 233 u. MDR 96,117 (mit ausdrückli-
268 So auch BGH NStZ 1998, 362; 1999, 609. cher Anknüpfung an BGH StV 1982, 516).
200
201
§ 26 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe II § 26

Vorliegen einer Erfolgsabwendungspflicht bestraft werden kann, 272 hier also II. Die Beihilfe als kausale Risikosteigerung
straflos bleiben muß.
207 Andernfalls würde man zu dem unhaltbaren Ergebnis kommen, daß bei Delik- Eine Mitursächlichkeit im Sinne eines Einflusses auf die konkrete Art und Weise 210
ten ganz allgemein die müßig herumstehenden und nicht eingreifenden Gaffer der Tatbestandsverwirklichung ist für die Beihilfe zwar notwendig, aber noch nicht
wegen Beihilfe bestraft werden müßten, weil ihre Untätigkeit den Täter in seinem ausreichend.277 Wer eine Waffe oder ein sonstiges Werkzeug des Täters, ohne daß
Tun bestärkt. Die durch §§138, 323 c gezogenen Grenzen der Hilfspflicht von dieser es bemerkt, gegen ein völlig gleichartiges Tatmittel austauscht,278 ist für die
Nichtgaranten würden dadurch in gesetzwidriger Weise überspielt werden. Auch konkrete Art und Weise der Erfolgsherbeiführung (mit diesem Mittel) ursächlich.
Ursächlich ist auch, wer dem Dieb einen Nachschlüssel mitgibt, den dieser aber
ist nicht ersichtlich, was ein bloßes Sich-Entfernen, das der BGH für eine Ver-
nicht benutzt und von vornherein nicht benutzen will, weil er weiß, daß die Tür
neinung der Beihilfe genügen läßt, 273 dem Opfer nützen soll. Wenn ihm das aber
offensteht. Denn immerhin modifiziert das Beisichführen eines Nachschlüssels die
nichts nützt, schadet ihm auch das Dabeisein Untätiger nichts, und es fehlt jeder
konkrete Art und Weise der Ausführung. Jedoch leuchtet es schon dem unbefan-
Grund für eine Beihilfebestrafung.
genen Sprachgefühl ein, daß derartige „Beiträge" nicht die vom Gesetz verlangte
208 Eine strafbare Beihilfe durch „Bestärkung des Tatentschlusses" kommt also nur
„Hilfeleistung" darstellen; denn sie nützen dem Täter nichts. In Übereinstimmung
in engen Grenzen in Betracht. Demgegenüber wollen einige Autoren eine solche
mit den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Zurechnung 279 kann deshalb ein
Möglichkeit gänzlich ausschließen. Samson274 meint, daß die Kausalität solcher in-
kausaler Tatbeitrag nur dann eine Beihilfe sein, wenn er das Risiko für das Opfer
nerer Einwirkungen kaum jemals nachweisbar sei, so daß durch ihre Bestrafung
und entsprechend die Erfolgs-Chance für den Täter erhöht hat.
unter Vernachlässigung des Grundsatzes in dubio pro reo in Wahrheit Fälle der
Wenn also jemand dem Täter während der Tatbegehung ein Getränk hinreicht 211
versuchten Beihilfe erfaßt würden. Daran ist richtig, daß durch die geschilderten
(vgl. Rn. 192), ist die Frage, ob dieses Verhalten als Beihilfe bestraft werden kann,
Überdehnungen in der Rspr. solche Befürchtungen nahegelegt werden. Das
differenziert zu beurteilen. Dient das Getränk dazu, die ermattenden Kräfte des
ändert aber nichts daran, daß in anderen Fällen ein kausaler Einfluß auf den Tat-
Täters aufzufrischen, so ist eine strafbare Beihilfe anzunehmen. Denn die Chance
entschluß (und damit mittelbar auf die Tat) sehr wohl nachweisbar ist (etwa beim
erfolgreicher Tatdurchführung wurde dadurch gesteigert. Wird dagegen dem ille-
Ausreden von Bedenken, beim Liefern weiterer Motive oder bei der Tatintensivie-
galen Hausbesetzer (§ 123!) von Sympathisanten ein Glas Champagner zur Feier
rung durch Anfeuerung, vgl. Rn. 200).
seines Erfolges gereicht, so ist das keine Beihilfe zum Hausfriedensbruch; denn die
209 Hruschka275 lehnt eine psychische Beihilfe durch Bestärkung des Tatentschlusses
Chance seiner Aufrechterhaltung wird dadurch nicht verbessert. Wird dem Mör-
von vornherein deshalb ab, weil eine Beihilfe immer nur eine Einwirkung auf die
der, der gerade zur Tötung des Opfers ansetzt, ein Getränk mit dem Bemerken ge-
Tat und nicht auf den Täter sei. Die Einwirkung auf den Täter sei nur als Anstif-
geben, er solle erst einmal einen tüchtigen Schluck trinken, so ist auch das nicht
tung erfaßt; diese aber erfordere eine „Bestimmung" zur Tat, so daß die bloße „Be-
als Beihilfe zu bestrafen. Denn da die Erfolgsherbeiführung auf diese Weise ver-
stärkung" straflos bleibe. Die These, daß die Beihilfe nur eine Einwirkung auf die
zögert wird, werden die Chancen des Täters eher verschlechtert.
Tat sein könne, wird jedoch nur behauptet und nicht bewiesen. Sie ist auch nicht
Die Anwendung des Risikoerhöhungsprinzips auf die Beihilfe läßt sich auf 212
durchführbar. Denn die technische Rathilfe und selbst die Lieferung von Tatwerk-
den Strafgrund der Teilnahme zurückfuhren: Denn nur wer vorsätzlich die
zeugen wirken ebenfalls nur über die Psyche des Täters auf das Tatgeschehen ein,
Chancen des Täters verbessert und das Opferrisiko erhöht, unternimmt einen
sind also primär Einwirkungen auf den Täter.276 Natürlich ziehen sie mittelbar
selbständigen Rechtsgutsangriff. Im einzelnen läßt sich das beihilfebegründende
eine Einwirkung auf die Tat nach sich. Aber eine solche liegt auch bei der straf-
Kriterium der kausalen Risikosteigerung in vier Elemente zerlegen: danach er-
baren Bestärkung des Tatentschlusses vor. Die richtige Einsicht, daß eine geistige
bringt eine Hilfeleistung i. S. d. § 27, wer die Tat durch seinen Beitrag ermöglicht,
Unterstützung in der Rspr. bisweilen trotz fehlender Wirkung auf das Tatgesche-
erleichtert, intensiviert oder absichert. Der klarste Fall der Beihilfe ist die Er-
hen als Beihilfe bestraft wird, läßt nicht den Schluß zu, daß eine die Tat beeinflus-
möglichung, wie sie etwa bei der Lieferung eines im Körper des Ermordeten nicht
sende Bestärkung des Tatentschlusses prinzipiell nicht möglich sei.
nachweisbaren und anderweitig nicht beschaffbaren Giftes an den Täter vorliegt.
272 W i e hier Ranft, J Z 1987, 861; Rudolphi, StV 1982, 518; abw. Sieber, J Z 1983, 431.
273
Was von seinem Standpunkt aus inkonsequent ist; denn wenn jemand sich entfernt, 277
Vgl. die Beispiele aus der R s p r . bei Schaffstein, H o n i g - F S , 1970,175.
anstatt zugunsten des Opfers einzugreifen, kann gerade dieser Umstand den Täter zum Weiter- 278
Das Beispiel s t a m m t v o n Samson, Peters-FS, 1974,129.
279
machen bewegen. Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 39, 43 ff. Charalambakis, Roxin-FS, 2001, 633, will nicht auf
274 Samson, 1972,189 ff. die objektive Zurechnung zurückgreifen, sondern leitet die hier erzielten Ergebnisse direkt aus
275 Hruschka, J R 1983,177 ff. dem Begriff der Hilfeleistung ab. In der Sache macht das keinen Unterschied, weil Hilfelei-
276 Phleps, 1997, 19, weist mit Recht darauf hin, daß § 27 seinem Wortlaut nach jede und stung nichts anderes als Chancenerhöhung ist.
damit auch die „mittelbare" Hilfeleistung erfaßt.
203
202
§ 26 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe II §26
Der häufigste Fall ist wohl der der Erleichterung: durch Tips, Hergabe von Waf- begangen oder in verzögernder Weise ständig nach Entdeckern Ausschau gehalten
fen und Werkzeugen usw. Die Intensivierung besteht in der Verstärkung der hätte, 283 sondern sie ist es schlechthin: Ein durch Wachen abgesicherter Diebstahl
Täterimpulse, etwa durch den Rat, stärker zuzuschlagen, mehr wegzunehmen ist allemal eine andere Art und Weise der Ausführung als die Begehung eines „un-
usw. Die Absicherung schließlich findet im Wachestehen und in der Übernahme geschützten" Diebstahls. Und ein derart kausaler Beitrag > ist auch chancenstei-
sonstiger Schutzfunktionen ihren Ausdruck. Natürlich sind dies nur erläuternde gernd, weil er das Risiko des Entdecktwerdens und Scheiterns verringert. Die
Hilfsbegriffe; es muß also nicht jedes Beihilfeverhalten exakt einem dieser vier Frage, was der Täter getan hätte, wenn er keine Wache gehabt hätte, läuft wieder
Merkmale entsprechen. Entscheidend ist immer, ob ein Beitrag die Chancen der auf die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe hinaus und ist daher von
Tatbegehung erhöht, dem Täter also bei der Durchführung seines Planes nützlich vornherein unzulässig.
ist. Allerdings setzt die Beihilfe voraus, daß die Chancensteigerung bis in das 215
213 Das Prinzip der Risikoerhöhung wird aber nur dann richtig angewendet, wenn Vollendungsstadium anhält. Das ist dann nicht der Fall, wenn die Kausalität ei-
man es, wie auch sonst bei der objektiven Zurechnung, zur Kausalität hinzutreten nes Beitrages vorher abbricht (vgl. schon Rn. 189). Schickt also der Einbrecher den
läßt. Demgegenüber will Schaffstein280 auf die Kausalität ganz verzichten und al- Gehilfen, der ihm die Leiter trägt, auf halbem Wege wieder nach Hause, weil er
lein auf die Risikoerhöhung abstellen. Der wesentliche praktische Unterschied sich für eine andere Form des Eindringens entschlossen hat, so liegt nur eine straf-
seiner Lehre gegenüber der hier vertretenen liegt dabei darin, daß er hypotheti- lose versuchte Beihilfe vor. Fällt der Einbrecher beim Versuch des Einsteigens von
sche Kausalverläufe zur Verneinung einer Risikosteigerung benutzt mit der Wir- der Leiter und wählt er nun einen anderen Weg, um ins Haus zu gelangen, so ist
kung, daß die meisten Fälle der Taterleichterung straflos bleiben. Trägt jemand das nur eine Beihilfe zum Versuch des Diebstahls; denn Kausalität und Chancen-
dem Einbrecher die Leiter an den Tatort, so ist das nach Schaffstein281 straflos, wenn steigerung durch den Gehilfenbeitrag reichen nur ins Versuchsstadium.
anderenfalls der Täter „die Leiter auch ohne fremde Hilfe zum Tatort schleppen Einer psychischen Beziehung zwischen Täter und Gehilfen bedarf es grund- 216
könnte und würde"; denn das Tragen der Leiter durch einen anderen habe dann sätzlich nicht. Wer die bevorstehende Entdeckung eines gerade in der Ausführung
„die Chancen des Gelingens des Diebstahls nicht erhöht". Ebenso entscheidet er, begriffenen Diebstahls durch den Eigentümer verhindert oder wer den Polizisten
wenn der „Gehilfe" den Dieb mit dem Auto zum Tatort befördert: „Keine strafbare festhält, der den Dieb auf frischer Tat festnehmen will, begeht auch dann Beihilfe,
Beihilfe, wenn nach den konkreten Umständen des Falles... die Beförderung mit wenn der Dieb selbst weder von der bevorstehenden Entdeckung oder Festnahme
dem Wagen das Risiko des Gelingens der Haupttat nicht gesteigert hätte,, etwa noch vom Eingreifen seines Helfers etwas bemerkt (so auch in einem ähnlichen
weil der Dieb den nicht allzu weiten Weg zum Tatort auch zu Fuß oder mit dem Fall BGHSt 6, 248; dazu und zur Ablehnung einer Mittäterschaft § 25, Rn. 191).
Fahrrad hätte zurücklegen können." Dem ist jedoch zu widersprechen. Denn der Denn der Beitrag des Gehilfen ermöglicht den Diebstahl oder erleichtert ihn we-
reale Kausalverlauf ist durch das Tragen der Leiter oder die Beförderung mit dem nigstens, bedeutet also für den Täter eine kausale Chancenerhöhung. Abzulehnen
Auto überhaupt erst ermöglicht worden. Die Verneinung der Risikosteigerung ist eine Beihilfe jedoch dann, wenn diese sich überhaupt nicht in äußerlich helfen-
wird erst durch die Einbeziehung hypothetischer Kausalverläufe ermöglicht, in- den Handlungen manifestiert, sondern allein in dem Beschluß besteht, dem Täter
dem darauf abgestellt wird, was geschehen wäre, wenn der risikosteigernde erforderlichenfalls zu helfen. Als Schulbeispiel dient der Fall, daß ein „Kollege"
Kausalbeitrag des Gehilfen nicht erbracht worden wäre. Das ist aber (wie bei der des Taschendiebes sich - von diesem unbemerkt - in seiner Nähe aufstellt, um
Täterschaft) im Rahmen der Zurechnung unzulässig282 und auch kriminalpoli- ihm notfalls unter Verursachung künstlichen Gedränges die Arbeit zu erleich-
tisch untragbar: Denn es müßte dazu führen, daß eine noch so massive Unterstüt- tern. 284 Es soll nicht bestritten werden, daß ein solches Verhalten die Chancen des
zung immer schon dann straflos bliebe, wenn sie ggf. (z. B. bei bandenmäßigen Taschendiebes steigert. Aber es fehlt an einer kausalen Veränderung des Tatablaufs,
Zusammenschlüssen) von einem anderen erbracht worden wäre. wenn weder eine Verabredung mit dem Täter vorliegt noch ein äußerer Delikts-
214 Andererseits ändert es nichts an der Beihilfe, wenn ein kausaler und bei einer bezug des Verhaltens erkennbar ist. Hier zu bestrafen, hieße nicht eine Beihilfe,
objektiven Betrachtung ex ante chancenerhöhender Umstand sich nachträglich als sondern eine bloße Beihilfebereitschaft (also weniger als eine versuchte Beihilfe)
überflüssig herausstellt. Das hat praktische Bedeutung besonders für das Schmie- zu pönalisieren;285 das liefe auf ein Gesinnungsstrafrecht hinaus. Es müßte kon-
restehen: Wenn eine derartige Absicherung nicht schon Mittäterschaft ist (was von sequenterweise dazu führen, einen inneren Beihilfeentschluß, von dem noch nie-
ihrer Wichtigkeit abhängt, vgl. § 25, Rn. 211 ff), so ist sie doch als Beihilfe strafbar.
Denn sie ist nicht nur dann kausal, wenn der Täter ohne die Wache die Tat nicht
283 So jedoch Samson, 1972,196.
280 284
Schaffstein, Honig-FS, 1970,169 ff. (Zusammenfassung 184).
4
Für Beihilfestrafbarkeit Maurach/Gössel, KT/27, 52/8; ebenso (im Anschluß an Maurach,
28i Schaffstein, Honig-FS, 1970,182. AT , § 52 III A) Baumann, JuS 1963,137; Schaffstein, H o n i g - F S , 1970,180.
285
282 Vgl. Roxin, AT 1 , § 11, Rn. 19. Zutreffend Dreher, 1972, 257.

204 205
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe III § 26
mand etwas weiß, allemal als vollendete Beihilfe zu bestrafen; eine solche A n - Zuge der Verarbeitung gegen Tatbestände des Umweltstrafrechts verstößt? U n d
nahme widerlegt sich selbst. leistet Beihilfe zur Steuerhinterziehung, wer einen Handwerker beauftragt und
217 Ähnliche Lösungen, wie sie hier durch das Kriterium der „kausalen Risikostei- bezahlt und erfahren hat, daß dieser den Ertrag nicht versteuern wird?
gerung" erzielt werden, entwickelt Samson286 mit Hilfe der von ihm sog. P r i n z i - Die Strafbarkeit von Alltagshandlungen ist in der Wissenschaft lange vernach- 219
pien der „ I n t e n s i v i e r u n g " u n d „ Ü b e r n a h m e " . Danach leistet Beihilfe, wer einen lässigt und auch in der Rspr. nur sporadisch und ohne erkennbar einheitliche
Erfolg mitverursacht, indem er ihn ermöglicht oder intensiviert (Intensivierungs- Konzeption behandelt worden. Erst in neuerer Zeit ist hier ein U m s c h w u n g ein-
prinzip) oder indem er ihm rechtswidrige Handlungen abnimmt (Übernahmeprin- getreten, der „das Problem der .neutralen' Beihilfe fast zu einem Modethema" 2 9 0
zip) und dadurch die Tat erleichtert. 287 Abweichungen ergeben sich aber dadurch, gemacht und auch die Rspr. zu grundlegenden Entscheidungen herausgefordert
daß die Hilfeleistung durch „Absicherung" von Samsons Prinzipien nur teilweise er- hat. 2 9 1 Trotz einer inzwischen fast unübersehbaren Literatur 2 9 2 hat sich eine allge-
faßt ist, was ihn bei der Bestrafung des Schmierestehens in Schwierigkeiten bringt mein anerkannte Lösung noch nicht herausgebildet. Im folgenden wird - natür-
( R n . 214). Abzulehnen ist auch die These Samsons, daß nur die Ü b e r n a h m e rechts- lich unter Auseinandersetzung mit den abweichenden Meinungen — die eigene
widriger Beiträge eine strafbare Beihilfe darstelle. Straflos soll danach sein, wer Auffassung in den Vordergrund gerückt, 2 9 3 der sich die Rspr. im wesentlichen an-
„sich dem ahnungslosen Postboten gegenüber erbietet, das Paket mit der Höllenma- geschlossen und die deshalb erhebliche Durchsetzungschancen hat. 2 9 4
schine die letzten Meter vom Gartentor bis zur Haustür zu tragen. Dies gilt auch, Als „äußerlich neutrale" Handlung oder „Alltagshandlung" kann man alle Ver- 220
wenn er weiß, was das Paket enthält." 288 Es ist jedoch nicht einzusehen, w a r u m eine haltensweisen verstehen, „die der Ausführende j e d e m anderen in der Lage des Tä-
vorsätzliche Todesverursachung nur deshalb straflos sein soll, weil ein ahnungsloser ters gegenüber vorgenommen hätte, weil er mit der Handlung - im vorhinein
Überbringer rechtmäßig gehandelt hätte. 2 8 9 Wenn der Gehilfe, wie es naheliegt, (auch) - tat- und täterunabhängige eigene, rechtlich nicht mißbilligte Zwecke
sich gegenüber dem Postboten nur deshalb zur Überbringung des Paketes bereiter- verfolgt". 295 Die hier favorisierte Konzeption beruht auf der Unterscheidung z w i -
klärt, weil er verhindern will, daß dieser den verdächtigen Inhalt bei der Ausliefe- schen den Fällen, in denen der Außenstehende den Deliktsentschluß des Täters
rung bemerkt, wäre es höchst sachwidrig, auf eine Bestrafung dessen zu verzichten, kennt, und solchen, in denen er ohne spezielle Kenntnis mit deliktischen Absich-
der die Tat vielleicht erst ermöglicht, jedenfalls aber erleichtert hat. ten des Täters lediglich rechnet.

III. D i e Beihilfe als rechtlich m i ß b i l l i g t e kausale R i s i k o s t e i g e r u n g . 1. D e r B e i t r a g e n d e k e n n t d e n D e l i k t s e n t s c h l u ß des Täters


Z u r Strafbarkeit v o n „ A l l t a g s h a n d l u n g e n " In Sachverhalten, wie sie unsere Ausgangsbeispiele schildern ( R n . 218), wird 221
man, sofern der Außenstehende den Deliktsentschluß des Täters kennt, eine straf-
218 Fraglich ist aber auch, ob eine vorsätzliche kausale Risikosteigerung immer
schon eine strafbare Beihilfe ist. Das Problem stellt sich, w e n n „neutrale" H a n d - 2» Amelung, Grünwald-FS, 1999, 9.
lungen, wie sie im Alltag — meist im R a h m e n normaler Berufsausübung — tau- 29' BGH NStZ 2000, 34; BGHSt 46,107.
sendfältig vorgenommen werden, im Einzelfall einem deliktischen Verhalten Vor- 2'2 Die wohl umfassendste Übersicht liefert Hillenkamp, 102002, 170ff. Ich nenne: Amelung,
Grünwald-FS, 1999, 9 ff.; Beckemper, Jura 2001, 169; Frisch, 1988, 295ff.; ders., Lüderssen-FS,
schub leisten. Ist es eine strafbare Beihilfe, w e n n ein Händler j e m a n d e m einen 2002, 539; Hassemer, wistra 1995, 41, 81; Jakobs, ZStW 89 (1977), 1; ders., AT2, 24/13ff.; ders., GA
H a m m e r oder einen Schraubenzieher verkauft, von dem er weiß, vermutet oder 1996, 253 ff; Joecks3, §27, Rn.l5ff.; Kindhäuser, KT2, 429f.; Lesch, JA 2001, 986; Löwe-Krahl,
befürchtet, daß dieser damit einem anderen den Schädel einschlagen bzw. einen 1989; dies., 1990; dies., wistra 1995, 201 ff.; Lüderssen, Grünwald-FS, 1999, 329; Meyer-Arndt,
wistra 1989, 281; Niedermair, ZStW 107 (1995), 507ff.; Osamu, Jura 1999, 246ff.; Otto, Zeitschrift
Einbruch begehen werde ? Ist ein Bankangestellter der Beihilfe schuldig, w e n n er für Kreditwesen, 1994, 775; ders., JZ 2001, 436; Pilz, 2001; Puppe, Jura 1998, 21 (27); dies., NK,
Geld eines Kunden auf dessen Wunsch im Wege anonymen Kapitaltransfers nach vor § 13, Rn. 155; Ransiek, wistra 1997, 41ff.;ders., 2000, 95ff; Rogat, 1997; Roxin, Tröndle-FS,
1989, 277; Schild-Trappe, 1995 (dazu die Rezension von Roxin, JZ 1996, 29); Schumann, 1986,
Luxemburg überweist und ihm dabei bekannt ist, daß der Kunde die Transaktion 54ff.; Tag, JR 1997, 49ff.; Weigend, Nishihara-FS, 1998,197; Wohlers, SchwZStW 117 (1999), 436;
zum Zwecke der Steuerhinterziehung vornimmt? Macht sich wegen Beihilfe ders., NStZ 2000, 169; Wohlleben, 1996; Wolff-Reske, 1995. Darüber, daß Alltagshandlungen'bei
strafbar, wer einem Fabrikanten Material liefert, w e n n er weiß, daß dieser im der Unterstützung völkerstrafrechtlicher Verbrechen nur ausnahmsweise in Betracht kommen,
Ambos, 2002, 631 ff.
293 Sie ist vorgebildet in LKn-Roxin, §27, R n . l 6 f f ; ders., Stree/Wessels-FS, 1973, 378ff;
286 Samson, 1972,160ff.; ders., Peters-FS, 1974,121 ff. ders., Miyazawa-FS, 1995, 512ff; ders.,Tröndle-FS, 1989,196f.
287
SK -Hoyer, § 27, Rn. 10, der insbesondere auch auf die in Fn. 286 genannten Publikatio- 294
Auch in der Literatur liegen viele Beiträge auf dieser Linie, ohne in allen Einzelheiten
nen verweist. mit der hier vertretenen Lehre übereinzustimmen: Ambos, JA 2000, 724; Amelung, Grünwald-
288 Samson, 1972,171. FS, 1999, 9; Otto, StV 1994, 409; ders., Lenckner-FS, 1998, 212; Ransiek, wistra 1997, 41; ders.,
289 G e g e n Samson i n d i e s e m P u n k t auch Vogler, H e i n i t z - F S , 1972, 312, F n . 9 1 , d e r v o n d e r 2000,95 ff; Tag, JR 1997,49; Theile, 1998, 69; Wohlleben, 1996.
„Schwäche des sog. Übernahmeprinzips" spricht. 295
Wohlleben, 1996, 4, der auch mit 35 anschaulichen Fällen aufwartet.
206
207
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe III § 26
bare Beihilfe nur, aber auch immer dann annehmen müssen, w e n n der Tatbeitrag Grenze verlegten Minen angesehen. D e n n diese Maßnahmen hatten, soweit sie
einen „deliktischen Sinnbezug" aufweist. 2 9 6 nicht im Zusammenhang mit der „Verminung des Grenzgebietes" standen, „eine
222 Das ist zunächst der Fall, w e n n der Außenstehende bewußt eine Handlung för- eigenständige Bedeutung; sie bleiben auch ohne die strafbaren Handlungen der
dert, die als solche deliktischer Natur ist. Wer also in seinem Haushaltswärenge - Haupttäter s i n n v o l l . . . und können losgelöst rechtlich beurteilt werden."
schäft einen H a m m e r verkauft und dabei weiß (durch eigene Angaben des Käufers Ein anderes Beispiel, das in der Diskussion eine Rolle spielt, betrifft die Bewir- 225
oder durch Informationen Dritter), daß der Erwerber einen anderen damit u m - tung deliktswilliger Personen. Ein Restaurantbesitzer, der einem Gast eine M a h l -
bringen will, ist wegen Beihilfe zu einem Tötungsdelikt strafbar. Entsprechend zeit serviert, die dieser bei der anschließend geplanten Körperverletzung kräftigt,
begeht eine Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl, wer Schraubenzieher und ähnliche begeht auch dann keine Beihilfe dazu, w e n n er von dem Plan des Gastes weiß.
Werkzeuge an einen M a n n veräußert, den er als Chef einer Diebesbande kennt Denn Lieferung und Einnahme einer Mahlzeit sind legal und unabhängig davon
und von dem er weiß, daß er die Geräte für Einbrüche verwenden wird. Der U m - sinnvoll, ob der Gast anschließend, gestärkt durch die Mahlzeit, ein Delikt b e -
stand, daß der Käufer H a m m e r und Schraubenzieher außerdem auch für nicht- gehen will. Diese Pläne liegen, auch wenn der Wirt sie kennt, außerhalb des Sinn-
deliktische Zwecke verwenden kann, ändert am deliktischen Sinnbezug nichts. bezuges, den die Bewirtung hat.
D e n n Tötung und Einbruch waren ausschließlich deliktische Handlungen; und Im Vergleich mit der hier befürworteten differenzierenden Lösung, die bei För- 226
gerade auch auf sie bezog sich der fördernde Beitrag. derungshandlungen in Kenntnis des geplanten Delikts ganz überwiegend zur
223 Ein deliktischer Sinnbezug liegt aber auch dann vor, w e n n die unmittelbar Annahme strafbarer Beihilfe k o m m t , wollen Stimmen in der Literatur die Bei-
geförderte Handlung als solche legal ist, w e n n aber der einzige Zweck ihrer Vor- hilfestrafbarkeit teils wesentlich einschränken ( R n . 227 ff.), teils noch erweitern
nahme für den Täter, wie der Außenstehende erkennt, in der Ermöglichung oder (Rn.240ff.).
Erleichterung einer Straftat besteht. So liegt es im Beispiel des Kapitaltransfers So soll z. B. der Verkauf eines Schraubenziehers auch dann straflos sein, wenn 227
nach Luxemburg, der ohne die geplante Steuerhinterziehung sinnlos wäre. der Verkäufer weiß, daß der Käufer ihn nur zur Durchführung eines Einbruchs-
224 Demgegenüber fehlt es an einem deliktischen Sinnbezug, wenn sich der för- diebstahls erworben hat. Jakobs will allgemein „die üblichen Austauschgeschäfte
dernde Beitrag auf eine legale Handlung bezieht, die schon für sich allein g e - des täglichen Lebens" 2 9 7 von Strafe freistellen; denn niemand könne erwarten, ein
n o m m e n für den Täter sinnvoll und nützlich ist, die dieser aber außerdem zur Einbruch „unterbleibe mangels Verfügbarkeit eines ordinären Schraubenzie-
Voraussetzung für ein davon unabhängiges, auf einem selbständigen Entschluß hers". 298 Schumann299 k o m m t zu demselben Ergebnis, weil es an der von ihm als
beruhendes Deliktsverhalten macht. Wer einem Fabrikanten Material liefert, bei Voraussetzung der Teilnahme postulierten „Solidarisierung" mit dem Täter fehle
oder nach dessen Verarbeitung dieser, wie der Lieferant weiß, gegen Umwelt- (vgl. R n . 22 ff.). Der Verkäufer mache sich mit der Haupttat nicht „gemein"; er so-
schutzvorschriften verstößt, fördert ein rechtmäßiges Verhalten (die Herstellung lidarisiere sich nicht mit ihr, w e n n er seinen Beitrag „im Stadium der noch recht-
industrieller Produkte), das schon als solches für den Fabrikanten sinnvoll ist und mäßigen Vorbereitung" leiste. Anders soll es dagegen sein, wenn der Kauf im Aus-
keinen deliktischen Bezug hat. Der Verstoß gegen Umweltvorschriften ändert dar- fuhrungsstadium erfolge; hier entstehe „der Eindruck der Solidarisierung" schon
durch die „Tatnähe". Nach Jakobs300 ist auch ein Bäcker straflos, „wenn er beim
an nichts und fällt in die alleinige Verantwortlichkeit des Fabrikanten, auch w e n n
die Lieferung des Materials Voraussetzung der Deliktsbegehung ist. Ebenso ist
auch die Bestellung und Bezahlung von Handwerksarbeiten ein völlig legaler 2" Jakobs, AT2, 24/17; so wohl auch Frisch, 1988, 295 ff. Zu Jakobs näher Niedermair, ZStW
107 (1995), 508ff.; Wohlleben, 1996, 81ff. Zu Frisch näher Niedermair, ZStW 107 (1995), 515ff.;
Vorgang, der seinen Sinn in sich selbst trägt. Wenn der Auftraggeber weiß, daß der Wohlleben, 1996, 75 ff. Frisch hat seine sehr differenzierte, im Ergebnis mit der hier vertretenen
Handwerker anschließend die Steuern, die aus seinen Einnahmen erwachsen, h i n - Auffassung vielfach übereinstimmende Konzeption in Lüderssen-FS 2002, 539ff, unter Not-
terziehen will, kann das keinen deliktischen Sinnbezug herstellen, auch wenn die standsaspekten weiterentwickelt: Güterbeeinträchtigende Handlungen seien in den Grenzen
verboten, „in denen potentiell Bedrohte nach den Maßstäben des Notstands die Freiheit des
Beauftragung des Handwerkers eine Voraussetzung der Deliktsbegehung ist. D e n n Handelnden beanspruchen dürfen".
der objektive Sinn der Beauftragung beschränkt sich auf die Handwerksleistung, ** Jakobs, ZStW 89 (1977), 20. Jakobs hält es - anders als der BGH (GA 1981,133f.; BGHSt
die nichtdeliktischer Art ist. Ganz im hier vertretenen Sinne hat auch B G H N J W 4,107 ff) - auch für straflos, wenn ein in den Deliktsplan eingeweihter Taxifahrer die Diebe
zum Tatort fährt oder von dort wieder abholt.
2001, 2410, die M i t w i r k u n g an Grenzsicherungsmaßnahmen der D D R nicht als
**> Schumann, 1986, 57. Zu Schumann näher Niedermair, ZStW 107 (1995), 512ff.; Wohlleben,
Beihilfe zur Tötung und Verletzung von „Republikflüchtlingen" durch die an der 1996, 73 ff. Der Solidarisierungsgedanke wird aufgenommen bei Schall, Meurer-GS, 2002,
115 ff., der auf „ein nach außen dokumentiertes ,kollusives' Verhalten" abstellt, das den Bereich
der neutralen Handlung überschreitet (aaO., 116f, 121). Er kommt mit Hilfe dieses etwas
296
Die nachfolgende Darstellung stellt eine Weiterentwicklung meiner bisherigen Auffas- vagen Kriteriums in die Nähe dessen, was hier unter „deliktischem Sinnbezug" verstanden
sung vom „deliktischen Sinnbezug" dar (bei der mir die Ausführungen von Ransiek, wistra wird.
300
1997, 46 hilfreich waren). Jakobs, AT2, 24/17.

208 209
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe III § 26

Brötchenverkauf weiß, daß der Käufer das Produkt vergiften und sodann seinen strafbaren Beihilfe von erlaubten Handlungen ungeeignet. Erst das Fehlen eines
Gästen servieren wird". deliktischen Sinnbezuges im geschilderten Sinne ( R n . 228) kann einer auf eine
228 D e m kann ich nicht folgen. D e n n der deliktische Sinnbezug ist in beiden Fällen Deliktsbegehung chancensteigernd einwirkenden Handlung den Beihilfecharakter
gegeben, weil die vom Täter erworbenen Gegenstände für ihn nur als Mittel der nehmen. ,
Deliktsbegehung nützlich waren. Wenn der Verkäufer dies weiß, verliert sein H a n - Den geschilderten Einschränkungsversuchen läßt sich eine theoretische Recht- 232
deln den Charakter eines „neutralen" Alltagsgeschäftes und wird zum Rechtsguts- fertigung geben, indem man Alltagshandlungen für „sozialadäquat" erklärt. 3 0 2
angriff. Man wird trotz Tätigung eines „üblichen" Verkaufs eine Beihilfe schwer- Hassemer303 hat den recht unbestimmten Begriff der Sozialadäquanz (dazu näher
lich bestreiten können, w e n n der Käufer dem Verkäufer geradezu mitteilt, daß er Roxin, AT 1 , § 10, R n . 33 ff.) i m hier interessierenden Bereich durch den Topos der
die gekauften Gegenstände für einen Einbruch bzw. einen Giftmord benutzen „professionellen Adäquanz" präzisiert. Professionelle Adäquanz beschreibe „nor-
will. 3 0 1 W a r u m soll es dann anders sein, w e n n er diese Informationen auf sonstige males, neutrales, sozial akzeptiertes und regelgeleitetes berufliches Handeln, wel-
Weise (etwa durch Belauschung oder von einem Freund des Täters) erhalten hat? ches sich vor strafrechtlicher Analyse nicht zu verstecken braucht", auch wenn dem
229 Wenn Jakobs darauf hinweist, daß ein Einbruch nicht am Fehlen eines Schrau- professionell Unterstützenden die deliktischen Pläne des Täters bekannt sind.
benziehers scheitern werde, so ist das kein G r u n d für die Straflosigkeit der durch Darin liegt jedoch keine Lösung. D e n n das sozial oder professional Übliche b i e - 233
dieses Werkzeug bewirkten Tatförderung. D e n n hier wird ein hypothetischer Kau- tet keinen Maßstab für das normativ Richtige. 3 0 4 Außerdem stellt sich gerade die
salverlauf (die auch anderweitig mögliche Beschaffung eines Schraubenziehers) in Frage, ob bei Sachverhalten der in Rede stehenden Art die bewußte Förderung
unzulässiger Weise zur Ablehnung der Beihilfe herangezogen (vgl. schon R n . 213). fremder Deliktspläne sozial bzw. professionell adäquat ist oder nicht; sie läßt sich
Auch ist es für eine Beihilfe überhaupt nicht nötig, daß beim Fehlen des Gehilfen- nicht mit der schlichten Behauptung beantworten, daß dies so sei. Wenn eine
beitrages die Tat unterblieben wäre (vgl. R n . 184). U n d w a r u m soll bei einem Handlung Delikte fördert, liegt eher das Gegenteil nahe. Mit Recht hat daher der
Mord mittels vergifteter Brötchen nur der strafbar sein, der das Gift und nicht B G H diese Konzeption verworfen (BGHSt 46, 113): „Eine generelle Straflosig-
auch der, der - von ihrem Verwendungszweck wissend - die Brötchen geliefert keit von .neutralen, ,berufstypischen' oder .professionell adäquaten' Handlungen
hat? k o m m t . . . nicht in Betracht. Weder Alltagshandlungen noch berufstypische
230 Auch Schumanns Kriterium der „Tatnähe" leuchtet nicht recht ein. D e n n wenn Handlungen sind in jedem Falle neutral. Fast jede Handlung kann in einen straf-
die etwas frühere oder spätere Übergabe des Schraubenziehers auf dessen delikts- bare Kontext gestellt werden. 3 0 5 Die genannten Begriffe sind daher für sich allein
fördernde W i r k u n g keinerlei Einfluß hat, ist nicht einzusehen, w a r u m der Zeit- nicht geeignet, strafbare Beihilfe von erlaubtem Handeln . . . abzugrenzen." 3 0 6
punkt des Verkaufs über das Vorliegen einer Beihilfe entscheiden soll. Der bei Der Gesichtspunkt der professionellen Adäquanz ist auch dann kein brauchba- 234
einem Verkauf im Ausführungsstadium in höherem Maße „rechtserschütternde res Kriterium zur Einschränkung der Beihilfestrafbarkeit, w e n n man in bestimm-
Eindruck", der für Schumann entscheidend ist, kann deshalb nicht ausschlaggebend ten Fällen den Bereich des noch Adäquaten als überschritten ansieht, so etwa - im
sein, weil auch die heimliche Beihilfe strafbar ist. Wird sie entdeckt, wirkt sie nicht Falle der M i t w i r k u n g von Banken bei Steuerhinterziehungen - „bei verschleierter
weniger „rechtserschütternd" als eine offene Hilfeleistung. Transferierung oder konkreten Ratschlägen zur Erleichterung der Hinterzie-
231 Vor allem aber gibt es keine Alltagshandlungen per se, sondern der Charakter hung" 3 0 7 oder bei „Anpassung von Regelungen an fremde deliktische Pläne". 308
einer H a n d l u n g wird durch den Zweck bestimmt, d e m sie dient. So ist z. B. die 302
Vgl. dazu die Nachweise bei Hillenkamp, 2002,173.
Unterweisung im Gebrauch einer Schußwaffe eine neutrale Alltagshandlung, 303
Hassemer, wistra 1995, 41, 81 (85). Bei Hillenkamp, 2002, 174, sowie bei LG Wuppertal
w e n n sie beim Sportbetrieb eines Schützenvereins erfolgt; dagegen ist sie eine wistra 1999, 474 werden weitere Anhänger dieser Auffassung (vor allem aus der steuerstraf-
Beihilfe zum Mord, w e n n sie dem Täter helfen soll, das Opfer zu treffen. Auch das rechtlichen Literatur) angeführt.
304
Tragen einer Leiter (vgl. das Beispiel in R n . 213) ist in den meisten Fällen ein all- Amelung, Grünwald-FS, 1999,11. So war es bei Einführung der Zinsabschlagsteuer bank-
üblich, in sehr dringlicher Weise den Kapitaltransfer ins Ausland zu empfehlen (Carl/Klos,
tagsüblicher Vorgang; er wird aber zur Beihilfe, w e n n sein einziger Sinn darin wistra 1994, 211). Daraus ergibt sich aber kein Argument für die Straflosigkeit der von den
besteht, einen Einbrecher zu unterstützen. Man wird sogar sagen können, daß die Banken geleisteten Beihilfe zur Steuervermeidung.
305
Unter Berufung auf Roxin, Miyazawa-FS, 1995, 515.
meisten Beihilfehandlungen „an sich" (d. h. abgesehen von ihrem Zweck) neutrale 306
Abi. auch das LG Wuppertal (wistra 1999, 474): „Die Einschränkung der Beihilfestrafbar-
Handlungen sind; das gilt selbst z.B. für die Hingabe einer Waffe. Daher ist der keit im Wege der .professionellen Adäquanz'... führte in nicht hinnehmbarer Weise dazu, daß
Begriff der „Alltagshandlung" nicht abgrenzbar, nicht auf „die üblichen Aus- weite Bereiche typischen Beihilfeverhaltens auch bei einer entsprechenden Kenntnis des Ge-
hilfen nicht strafbar wären. Als objektiver Tatbeitrag kommt grundsätzlich jedes Verhalten in
tauschgeschäfte des täglichen Lebens" beschränkbar u n d zur Abschichtung der Betracht."
307
LG Wuppertal wistra 1999, 474 m.w.N.
301 308
Für Strafbarkeit in diesem Fall ausdrücklich Schumann, 1986, 69. Hassemer, wistra 1995, 86.

210 211
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe III § 26

Denn schon das Wissen, daß der einzige Zweck der von einer Bank geforderten Das Kriterium der Tatnähe stützt Puppe darauf, daß man im Vorbereitungs- 238
Leistung in der Ermöglichung einer Steuerhinterziehung besteht, begründet die Stadium nie wissen könne, ob der Täter die Tat wirklich begehen werde und daß
der Täter bei unmittelbar bevorstehender Tat meist nicht mehr auf andere Mittel
Beihilfestrafbarkeit.309
zurückgreifen könne und daher auf die Hilfe des Lieferanten angewiesen sei. Aber
235 Ein anderer Einschränkungsversuch besteht darin, neutrale Handlungen, durch
der Täter hat es auch unmittelbar vor der Tat und selbst nach deren Beginn noch in
die bewußt ein deliktisches Verhalten gefördert wird, nur dann zu bestrafen, wenn
der Hand, ob er innehalten oder zurücktreten will. Da Beihilfe meist im Vorberei-
es sich um ein in § 138 genanntes Delikt handelt oder wenn das Delikt eine Hilfe-
tungsstadium geleistet wird, ist auch nicht ersichtlich, warum dieser Umstand hier
leistungspflicht nach § 323 c auslösen würde. 310 Dem liegt der Gedanke zugrunde,
zur Straflosigkeit fuhren soll. Auch leuchtet es nicht ein, daß der Täter - z. B. der
daß, wenn schon die Untätigkeit strafbar ist, eine aktive Mitwirkung erst recht
zur Vergiftung entschlossene Gastgeber - „unmittelbar vor Eintreffen der Gäste"
strafbar sein muß. Dagegen spricht jedoch,311 daß §§138, 323 c (und auch §13)
auf den Lieferanten angewiesen sei. Der Gastgeber kann doch immer noch andere
Handlungsgebote aufstellen und Unterlassungen bestrafen, während §27 eine
Speisen vergiften oder nach Eintreffen der Gäste noch Brötchen oder Pralinen
Förderung des Erfolges durch aktive Handlungen verbietet. So sehr es richtig ist,
holen lassen. Unterscheidungen solcher Art bleiben beliebig und relativieren in
daß aktive Beiträge erst recht strafbar sein müssen, wo schon das bloße Unterlassen
bedenklicher Weise das rechtliche Fundamentalgebot, daß die Bereitstellung von
strafbar ist, so wenig ist der Schluß begründet, daß aktiv-neutrale Handlungen,
wenn sie wissentlich zur Deliktsbewirkung beitragen, nur nach den Maßstäben Mitteln, von denen man weiß, daß damit getötet werden soll, unter allen Um-
der Unterlassungsstrafbarkeit als Beihilfe gewürdigt werde dürfen. ständen unterbleiben muß.
236 Eine andere Differenzierung findet sich bei Puppe3*2. Bei Gegenständen, die Wohlers315 will die Strafbarkeit bei Alltagshandlungen auf drei objektiv be- 239
wegen ihrer Gefährlichkeit nicht frei verkäuflich sind („Schußwaffe, Betäubungs- stimmbare Konstellationen beschränken:316 auf die Fälle der Verletzungen be-
mittel oder Gifte") soll deren Lieferung bei bekannter Deliktsverwendungsabsicht stimmter Sorgfaltsnormen (z. B. beim Verkauf von Schußwaffen, gefährlichen
immer zur Beihilfestrafbarkeit fuhren. Bei der Lieferung allgemein verfügbarer Medikamenten oder bankrechtlicher Vorschriften), auf Obhuts- oder Hilfs-
Waren soll es dagegen auf die Tatnähe ankommen. Steht die Tat noch nicht unmit- pflichten (§ 13, evtl. auch §§ 138, 323 c) und auf den Fall, daß ein Verhalten nur als
telbar bevor, ist sie auch bei Kenntnis des beim Täter vorhandenen Willens zur Unterstützung deliktischer Zielsetzung interpretiert werden kann (wenn ein
Deliktsverwendung straflos. Der Bäcker soll daher straflos „dem Kunden ein legales Anschlußhandeln praktisch ausgeschlossen ist). Der dritte Fall entspricht
Brötchen oder eine Schachtel Pralinen verkaufen" dürfen, „obwohl dieser ihn dar- einer auch hier genannten Erscheinungsform des deliktischen Sinnbezuges
über informiert hat, daß er die Lebensmittel benötigt, um seine Frau oder seine (Rn. 223), die beiden ersten sind vorstehend (Rn. 235, 236) schon behandelt und
Gäste zu vergiften". Dagegen soll der Nachbar wegen Beihilfe strafbar sein, wenn als zu restriktiv beurteilt worden. Dadurch wird die Beihilfestrafbarkeit insgesamt
er diese Lebensmittel dem Täter unmittelbar vor dem „Eintreffen der Gäste" lie- zu sehr eingeschränkt. Die Schulfälle des Verkaufs eines Schraubenziehers oder
fert.313 eines Brötchens an einen Erwerber, von dem der Lieferant weiß, daß er damit
237 Aber weder die Unterscheidung zwischen frei und nicht frei verkäuflichen Tat- einen Einbruch bzw. einen Mord begehen wird, müssen straflos bleiben, obwohl
mitteln noch das Abstellen auf die Tatnähe überzeugt. „Kann bei einer geplanten ein deliktischer Sinnbezug vorliegt und diese Verhaltensweisen nicht weniger
Vergiftung die Strafbarkeit des dolosen Verkäufers davon abhängen, ob der Täter strafwürdig sind als die auch von Wohlers für strafbar gehaltene Konstellation, daß
ein eintragungspflichtiges Gift oder frei erhältliche Ingredienzen zum Selbst- Schraubenzieher und Brötchen ausschließlich für deliktische Zwecke verwendbar
mischen kauft"?314 Das wäre nicht nur unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten un- sind.
verständlich, sondern würde auch daran vorbeigehen, daß das Verbot freien Ver- Eine andere Meinungsgruppe will -wenigstens dann, wenn der Außenstehen- 240
kaufes weniger der Verhinderung vorsätzlicher Delikte dient - die man mit allen de den Deliktsentschluß des Täters kennt - eine Einschränkung der Beihilfe-
möglichen frei verfügbaren Gegenständen begehen kann - als der Verhinderung strafbarkeit (fast) überhaupt nicht anerkennen.317 Doch lehnen die meisten dieser
von Unfällen und fahrlässigen Rechtsgüterbeeinträchtigungen. Autoren in den Fällen, die hier wegen mangelnden deliktischen Sinnbezuges aus
der Beihilfestrafbarkeit herausgenommen worden sind, eine Strafbarkeit ebenfalls
309
Sehr differenzierte Abwägungen von staatlichem Steueranspruch und freiem europä- ab, indem sie schon das Vorliegen der allgemeinen Beihilfekriterien bestreiten. In
ischen Kapitalverkehr stellt Lüderssen, Grünwald-FS, 1999, 329 (337 ff.) an. dem Fall, daß jemand einen Handwerker beauftragt, von dem er weiß, daß dieser
3W Frisch, 1988, 295ff.; Hefendehl, Jura 1992, 374, 376; Tag, JR 1997, 54ff. (die allerdings auf
§ 13 anstatt auf § 323 c abstellt). 315 Wohlers, SchwZStr 117 (1999), 425; ders., NStZ 2000,169.
3ii Vgl. zur Kritik Niedermair, ZStW 107 (1995), 519ff.; Beckemper, Jura 2001,166. 3'6 Wohlers, SchwZStr 117 (1999), 436; ders., NStZ 2000,173 (hier das Zitat).
M2 Puppe, NK, vor § 13, Rn. 155 ff. 3'7 So etwa Niedermair, ZStW 107 (1995), 507; Weigend, Nishihara-FS, 1998, 197; Beckemper,
313 Puppe, NK, vor § 13, Rn. 157. Jura 2001,163; Krey, AT/2, Rn. 300 ff.
3M Niedermair, ZStW 107 (1995), 536.
213
212
§ 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe III § 26
§ 26 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
321
mit den fahrlässigen Delikten näher dargelegt worden, muß aber für die vor-
das verdiente Geld nicht versteuern wird, meint Niedermair"xs, „allein das Mitwir- sätzliche Teilnahme ebenso gelten. Denn wo schon die Zurechnung zum objekti-
ken an einem Umsatz erhöht nicht die Gefahr, daß über diesen falsche Angaben ven Tatbestand infolge eines durch den Vertrauensgrundsatz begründeten erlaub-
gemacht werden; weder Wille noch Fähigkeit des Erklärungspflichtigen hierzu ten Risikos ausgeschlossen ist, stellt sich die Frage nach dem Vorsatz nicht mehr.
werden gestärkt." Aber der Auftraggeber verschafft dem Täter doch erst die Mög- Im Beispielsfall ist eine Beihilfe abzulehnen, weil ein auf subjektiven Eindrücken
lichkeit zur Tatbegehung. Und die Tatermöglichung ist ein sicherer Fall der Bei- beruhendes „verdächtiges Aussehen" zur Begründung erkennbarer Tatgeneigtheit
hilfe - wenn es nicht am deliktischen Sinnbezug fehlt! Weigend319 bestreitet in den nicht genügt. Dazu bedürfte es konkreter Anhaltspunkte, die die Wahrscheinlich-
hier für straflos erklärten Fällen (und weitergehend z. B. auch im Brötchen- und keit eines deliktischen Verwendungszweckes nahelegen. Ein solcher Fall würde
Schraubenzieherfall) die von ihm für die Beihilfe verlangte „wesentliche Förde- etwa gegeben sein, wenn Teilnehmer einer erbittert geführten Straßenschlacht in
rung" der Haupttat. Aber wieso ist die Ermöglichung des konkreten Kausal- einem in Sichtweite gelegenen Geschäft Waffen kaufen. Wenn hier der Verkäufer
geschehens unwesentlich? Beckemper320 bildet den Fall, daß jemand „einer Sozial- damit rechnet, daß die Waffen zur Begehung von Körperverletzungen benutzt
hilfeempfängerin Geldgeschenke zukommen läßt, obwohl er weiß, daß die Emp- werden sollen, kann er wegen einer mit dolus eventualis begangenen Beihilfe zu
fängerin der Leistung diese beim Sozialamt nicht angeben und dadurch einen diesen Taten zur Verantwortung gezogen werden.
Betrug zu Lasten des Sozialhilfeträgers begehen wird". Das ist nach der hier vertre- Da bei den meisten „Alltagshandlungen" vor allem bei den Austauschgeschäften 242
tenen Meinung wegen fehlenden deliktischen Sinnbezuges straflos. Beckemper des täglichen Lebens, ein sicheres Wissen von einer ggf. geplanten deliktischen
kommt mit Recht zu demselben Ergebnis, indem sie sagt: „Das Geldgeschenk ist Verwendung des hingegebenen Gegenstandes nur selten vorliegen wird und die
zwar condicio-sine-qua-non für die Täuschung der Behörden, es hat aber die Annahme einer mit dolus eventualis begangenen Beihilfe meist am Vertrauens-
Gefahr für das Rechtsgut nicht in mißbilligenswerter Weise erhöht, weil die Tat- grundsatz scheitert, führen Alltagshandlungen nicht oft zur Strafbarkeit. Da in
ausführung nicht erleichtert oder gefördert worden ist." Aber die Ermöglichung ist den Fällen des dolus eventualis der Vorsatz des Außenstehenden sich nicht auf ein
sogar mehr als eine Erleichterung. Richtig ist es jedoch, wenn die Autorin sagt, es unerlaubtes Risiko erstreckt, fehlt es an einem Rechtsgutsangriff. Die entwickel-
fehle an einer „mißbilligenswerten" Risikoerhöhung; die mangelnde MißbüTi- ten Begrenzungen der Strafbarkeit beruhen also auch bei der zweiten Fallgruppe
gung beruht auf dem fehlenden Deliktsbezug der Geldzuwendung. Immerhin auf dem Strafgrund der Teilnahme und allgemeinen Zurechnungsgrundsätzen.
mögen die wenigen Beispiele zeigen, daß im Ergebnis kaum ein Unterschied zwi- In der Literatur hat die hier vorgenommene Differenzierung zwischen der si- 243
schen der hier verfochtenen Lehre und den Autoren besteht, die bei sicherer cheren Kenntnis des täterschaftlichen Deliktsentschlusses und dem bloßen Rech-
Kenntnis vom deliktischen Handlungswillen des Täters für die Beihilfestrafbarkeit nen mit einer solchen Möglichkeit mancherlei Nachfolge,322 aber auch einigen
von Alltagshandlungen keine Besonderheiten anerkennen wollen. Widerspruch gefunden. Doch dieser beruht auf Mißverständnissen.
So meint Weigend323, es fehle schon „an einer tragfähigen Begründung dafür", 244
2. Der Beitragende rechnet lediglich mit einem deliktischen Verhalten daß der Vertrauensgrundsatz zwar bei einem Rechnen mit dem Erfolge, nicht aber
des Täters bei sicherer Kenntnis von seinem Eintritt eingreifen soll. Hier wird übersehen,
241 In vielen Fällen wird es so sein, daß der Außenstehende keine Kenntnis von ei- daß der Vertrauensgrundsatze in allgemein anerkanntes Prinzip der objektiven Zu-
nem Deliktsentschluß des Täters hat, sondern die Möglichkeit einer deliktischen rechnung ist. Wer etwas genau weiß, kann und darf logischerweise nicht auf das
Verwendung seines Beitrages nur in Erwägung zieht. So ist es z.B., wenn im Gegenteil vertrauen. Wer aber nur allgemeine Befürchtungen hegt, ohne daß aus
Schraubenzieher-Fall (Rn. 218) der Verkäufer nicht weiß, daß der Erwerber das den Umständen eine erkennbare Tatgeneigtheit des zu Unterstützenden erkennbar
Werkzeug zu Einbruchszwecken verwenden will, wenn er dies aber infolge seines wird, muß ihm den erbetenen Beistand leisten und auf sein legales Verhalten ver-
verdächtigen Aussehens für möglich hält und in Kauf nimmt. Es ist zu erwägen, trauen dürfen, weil anders ein funktionierendes Sozialleben unmöglich wäre. Die
ob in solchen Fällen eine Beihilfe mit dolus eventualis vorliegt. Eine solche ist an Alltagshandlung liegt dann im erlaubten Risiko, zu dessen Erscheinungsformen
sich möglich, im Regelfall aber nach dem Vertrauensgrundsatz abzulehnen. Da-
nach darf jeder darauf vertrauen, daß andere keine vorsätzlichen Straftaten be- »i Vgl. Roxin, AT l3, § 24, Rn. 26ff. m.w.N.
322
Wenigstens im Ergebnis: Otto, Lenckner-FS, 1998, 210, geht aus von der „Überlegung,
gehen, solange nicht eine „erkennbare Tatgeneigtheit" des anderen diese Annahme daß der Vorsatz des Außenstehenden sich im Falle des dolus eventualis nicht auf ein unerlaub-
entkräftet. Das ist — worauf hier verwiesen werden muß — im Zusammenhang tes Risiko erstreckt"; Schild-Trappe, 1995; Amelung, Grünwald-FS, 1999, 22 ff. Ransiek, 2000, 99
will „danach unterscheiden, ob für den Gehilfen sicher oder doch wenigstens sehr naheliegend
ist, daß die rechtswidrige Tat begangen wird oder ob das unklar ist". Auch Ambos, 2002, hat sich
318 Niedermair, ZStW 107 (1995), 527. der im Text vertretenen Auffassung angeschlossen.
323
3W Weigend, Nishihara-FS, 1998, 208. Weigend, Nishihara-FS, 1998,199 f.
320 Beckemper, Jura, 2001,165.
215
214
§ 26 III 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe III § 26

auch der Vertrauensgrundsatz gehört. Die vorgenommene Differenzierung ist also also der deliktische Sinnbezug. Das R G wollte bei der Lieferung von Wein an ein
Bordell anders entscheiden, weil der Weingenuß die Kuppeleihandlungen in spe-
keine Ad-hoc-Konstruktion, sondern eine A n w e n d u n g allgemeingültiger Zurech-
zifischerer Weise fördert. Aber das ist zu streng: D e n n Wein ist ein allgemein und
nungsgrundsätze.
nicht nur bei Bordellbesuchern übliches Genußmittel, so daß auch insoweit ein
245 Verfehlt ist auch der Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts. 324 D e n n w e n n -^ unter
deliktischer Sinnbezug fehlt.
der hier gemachten Voraussetzung deliktischen Sinnbezuges — die direkt vorsätz-
Zutreffend verwirft der B G H 3 2 9 die Auffassung, „daß jede M i t w i r k u n g - etwa 248
liche fordernde Verursachung eines tatbestandlichen Erfolges als Beihilfe bestraft
eines Arbeitnehmers - beim Umsatz in Kenntnis der diesem nachfolgenden U m -
wird, genügt dies allen Voraussetzungen eines Tatstrafrechts. Daß andere, nur
satzsteuerhinterziehung durch den Steuerpflichtigen als Beihilfe zu dem Steuer-
möglicherweise deliktsfordernde Handlungen im R a h m e n des erlaubten Risikos
vergehen zu würdigen sei". Ein strukturell entsprechender Fall ist oben ( R n . 224)
liegen und deshalb nicht zurechenbar sind, macht die A h n d u n g zurechenbar vor-
als Beispiel fehlenden deliktischen Sinnbezuges behandelt worden. Es ist auch
sätzlicher Rechtsgüterverletzungen nicht zu einer Gesinnungsstrafe.
konsequent, daß der B G H in solchen Fällen eine strafbare Beihilfe annimmt,
246 Beckemper225 meint, es sei „zwar richtig, daß jedermann im Regelfall darauf ver-
„wenn das ganze Unternehmen, an dem ein Helfer mitwirkt, ausschließlich darauf
trauen kann, daß andere keine vorsätzlichen Straftaten begehen. Wenn aber dolus
abzielt, einen Gewinn durch Steuerhinterziehung zu erreichen". D e n n in einem
eventualis vorliegt, hat der Gehilfe eben nicht darauf vertraut, daß der Täter keine
solchen Fall besteht der einzige Zweck der M i t w i r k u n g in der Deliktsförderung,
Straftat begehen wird". 326 Habe sich dagegen z.B. der Schraubenzieherverkäufer
so daß ein deliktischer Sinnbezug zu bejahen ist.
zwar darüber Gedanken gemacht, ob der verdächtig aussehende Käufer 327 damit
Wer dagegen den Drogenhändler zum Tatort fährt 3 3 0 oder den Einbrecher von 249
einen Einbruch begehen wolle, aber darauf vertraut, daß die Deliktsbegehung
dort mit dem Taxi abholt, 331 ist mit Recht als Diebstahlsgehilfe bzw. Begünstiger
ausbleibe, dann habe er nur bewußt fahrlässig gehandelt und sei straflos. Die These
bestraft worden. D e n n die Taxifahrten hatten für die Diebe eine ausschließlich
ist also, daß es bei der Strafbarkeit des „zweifelnden" Beiträgers nur u m die allge-
deliktsfördernde Funktion.
meine Abgrenzung von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit gehe und
Mit der modernen Diskussion zur Strafbarkeit von Alltagshandlungen hat sich 250
daß der Vertrauensgrundsatz dem nichts hinzufüge. Das ist jedoch irrig. Der Ver-
im Jahre 1993 zuerst das Schweizerische Bundesgericht auseinandergesetzt und
trauensgrundsatz betrifft als Ausprägung des erlaubten Risikos schon die Zurech-
sich dabei der hier vertretenen Auffassung angeschlossen. 332 Die Angeklagten
nung zum objektiven Tatbestand. Wenn er eingreift, weil im gewählten Beispiel
hatten afrikanisches Antilopenfleisch unter richtiger Bezeichnung an dubiose A b -
der Verkäufer des Schraubenziehers über die geplante Verwendung durch den ver-
nehmer veräußert, von denen sie wußten, daß sie das Fleisch als „europäisches
dächtig aussehenden Käufer nichts weiß, dann k o m m t es, weil schon der objektive
Wildfleisch" und damit unter Begehung eines Betruges verkaufen würden. Das
Tatbestand der Beihilfe nicht vorliegt, auf den subjektiven Tatbestand und die A b -
Gericht n a h m eine strafbare Beihilfe an, weil ein gewinnbringender Absatz, wie
grenzung von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit überhaupt nicht mehr
die Lieferanten wußten, nur unter der Vorspiegelung, es handele sich u m e u r o -
an. O b der Verkäufer ernstlich eine Deliktsbegehung durch den Käufer befürchtet
päisches Wildfleisch, möglich war. „Die Lieferungen wären ohne die strafbaren
oder letztlich auf dessen Rechtstreue vertraut hat, ist dann gleichgültig. 3 2 8
Handlungen sinnlos gewesen; der deliktische Sinnbezug ist also zu bejahen." D e m
ist nichts hinzuzufügen.
3. D i e Rechtsprechung
Drei Grundsatzentscheidungen des 5. Senats aus den Jahren 1998/1999/2000 ha- 251
247 Schon das R G hat sich vereinzelt mit Fällen befaßt, die in den Bereich der All-
ben dann auch in der Rspr. des B G H die neutralen Handlungen zu einem wich-
tagshandlungen gehören. So hat RGSt 39, 44, 48 es abgelehnt, die Lieferungen des
tigen Beihilfeproblem werden lassen. Das erste Urteil 3 3 3 betraf einen Notar, der
Bäckers und Metzgers an einen Bordellinhaber als Beihilfe zur Kuppelei zu b e -
wegen Beihilfe zur Untreue angeklagt war. Dieser erklärte sein Verhalten für straf-
strafen. Mit Recht (vgl. schon R n . 225): D e n n der Genuß von Speisen ist legal
los mit der Begründung, es habe sich „im R a h m e n der Berufsadäquanz gehalten;
und dient auch keineswegs allein der Deliktsforderung (vgl. R n . 222). Es fehlt
er habe lediglich auftragsgemäß dem Beruf des Notars entsprechende Aufgaben
wahrgenommen, die für sich betrachtet neutral seien und keine strafbaren H a n d -
32* Tag, JR 1997, 51; Weigend, Nishihara-FS, 1998, 200; Wbhlers, SchwZStr 177 (1999), 434.
Gegen diesen Einwand mit weiteren Argumenten auch Amelung, Grünwald-FS, 1999, 25.
325 Beckemper, Jura 2001,168; ähnlich Schall, Meurer-GS, 2002,110ff..
™ BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 3.
326 Ähnlich insoweit Amelung, Grünwald-FS, 1999,18 f. 33
o BGH GA 1981,133.
327
Im Text steht fälschlich „Verkäufer"! 33
i BGHSt 4,107.
328
Ähnliches gilt gegenüber Amelung, Grünwald-FS, 1999,18 f., der mir entgegenhält, beim 332
Schweiz. BGE 119 (1993), 289, Nr. 55. Vgl. im übrigen zur Rspr. des Schweizerischen
Rechnen mit dem Erfolge könne man nicht auf sein Ausbleiben vertrauen. Aber das „Ver- BG Wohlers, NStZ 2000,171.
trauen" beim Vertrauensgrundsatz ist kein psychischer Befund, sondern ein normatives Prinzip, 333
BGH NStZ R R 1999,184.
das die Zurechnung zum objektiven Tatbestand einschränkt.
217
216
§ 26 III 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe IV § 26
lungen darstellten. Zumindest reiche bei einem solchen Verhalten ein nur beding- 338
In einer dritten Entscheidung hat der BGH die schon im Werbebroschüren- 254
ter Vorsatz — wie hier festgestellt — nicht aus, um eine Beihilfe ... annehmen zu fall entwickelte und für „allgemein geltend" erklärten Grundsätze auf das viel dis-
können." Der BGH hielt dem entgegen, der Angeklagte habe „das berufstypisch kutierte Problem der Mitwirkung von Bankangestellten bei einem der Steuer-
erlaubte Risiko" überschritten und sich „die Förderung der .erkennbar tatgeneig- hinterziehung dienenden Kapitaltransfer ins Ausland übertragen. Der BGH wie-
ten Täter ... angelegen sein'" lassen.334 „Unter diesen Voraussetzungen ist die An- derholt wörtlich die dort festgelegten (Rn. 253 zitierten) Beurteilungsgrundsätze
nahme eines nur bedingten Vorsatzes für die Beihilfe zur Untreue ausreichend ..." und lehnt die gerade bei diesen Sachverhalten zahlreichen literarischen Gegenmei-
Damit wird für die Fälle nicht sicheren Wissens vom Tatentschluß des Täters mit nungen ab (vgl. zur „professionellen Adäquanz" schon das Zitat Rn. 233). Dabei
der hier befürworteten Ansicht auf den Vertrauensgrundsatz abgestellt, dessen geht der BGH davon aus, daß der angeklagte Bankangestellte beim „verschleierten
Eingreifen aufgrund des in dieser Darstellung verwendeten Kriteriums der er- Transfer" des Geldes zum Teil die Steuerhinterziehungsabsichten der Kunden mit
kennbaren Tatgeneigtheit mit Recht abgelehnt wird. Sicherheit kannte und daß auch dort, wo er mit solchen Absichten nur rechnete,
252 Die zweite Entscheidung335 betraf einen Anwalt, der der Beihilfe zum Betrug ohne sie mit Sicherheit zu kennen, die erkennbare Tatgeneigtheit der Kunden eine
angeklagt war. Er hatte für eine Firma, „deren alleiniger Unternehmenszweck in Beihilfestrafbarkeit trägt. Dem allen ist zuzustimmen.
der betrügerischen Erlangung von Anlagegeldern bestand", eine inhaltlich korrekte
„für die Kundenwerbung bestimmte Broschüre mit der Darstellung der wirtschaft-
lichen Zusammenhänge und Risiken von Warentermingeschäften erarbeitet". Die IV. Der Zeitpunkt der Beihilfe
Firma wollte auf diese Weise „den Anschein der Seriosität" erwecken und den ge-
prellten Kunden den Einwand mangelnder Risikoaufklärung nehmen. Die Beihilfe wird in manchen Fällen während der Ausführung der Haupttat 255
geleistet. Doch muß es sich dabei um weniger bedeutsame Beiträge handeln, weil
253 Die Strafbarkeit wegen Beihilfe wird vom BGH in diesem Fall nach folgenden
eine wesentliche Mitwirkung im Ausführungsstadium bei Herrschaftsdelikten
„allgemein für berufstypische, neutrale Handlungen" geltenden Grundsätzen be-
eine Mittäterschaft begründet (vgl. §25, Rn. 188 ff.). Kleine Handreichungen, die
urteilt: „Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare
Ausübung peripherer Schutzfunktionen und tatintensivierende psychische Unter-
Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als
stützungen werden die Hauptfälle sein.
Beihilfehandlung zu werten ... In diesem Fall verliert sein Tun stets den ,Alltags-
charakter'... Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Die meisten Beihilfehandlungen fallen ins Vorbereitungsstadium. Eine solche 256
Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, daß sein Beihilfe ist ohne weiteres möglich und strafbar339 (und nicht etwa eine straflose
Mitwirkung an strafloser Vorbereitung), wenn ihre Wirkung bis ins Vollendungs-
Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig
oder Versuchsstadium andauert (Rn. 217, 189). Wer also drei Tage vor der Tat dem
noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm
Dieb einen Nachschlüssel gibt und damit seine Hilfstätigkeit einstellt, ist selbst-
erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch,
verständlich wegen Beihilfe zur vollendeten Tat strafbar, wenn der Schlüssel bei
daß er sich mit seiner Hilfeleistung ,die Förderung eines erkennbar tatgeneigten
der Ausführung benutzt wird. Die Beihilfe kann sogar schon geleistet werden, be-
Täters angelegen sein' ließ .. " 3 3 6 Hier wird hinsichtlich des nicht sicheren Wissens
vor der Täter überhaupt einen Tatentschluß gefaßt hat. 340 Wer z. B. den zwar tat-
an die Grundsätze der vorhergehenden Untreueentscheidung angeknüpft, darüber geneigten, aber noch unentschlossenen Täter (dazu Rn. 66 ff.) für alle Fälle und
hinaus aber auch die Differenzierung zwischen sicherer Kenntnis und bloßem ohne ihn anzustiften beim Ankauf einer geeigneten Tatwaffe berät, macht sich der
Fürmöglichhalten eines deliktischen Tatentschlusses übernommen. Die Notwen- Beihilfe schuldig, wenn sich der Täter hernach entschließt und bei Begehung der
digkeit eines deliktischen Sinnbezuges wird nicht ausdrücklich angesprochen, Tat die empfohlene Waffe benutzt. Ebensowenig wird eine Beihilfe zur Steuer-
durch die Worte „zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine hinterziehung in den Fällen des Kapitaltransfers ins Ausland dadurch ausgeschlos-
strafbare Handlung zu begehen" aber implizit in Bezug genommen. Man kann sen, „daß zum Zeitpunkt ihrer Begehung ein fälliger Steueranspruch noch gar
also wohl sagen, daß die hier entwickelte Lösung sich in der neueren Rspr. durch- nicht bestand, sondern erst durch die Auslandsanlage geschaffen wurde" (BGHSt
gesetzt hat.337 46,115).
334
333
Unter wörtlicher Bezugnahme auf den „Maßstab" bei LK -Roxin, § 27, Rn. 21.
BGH NStZ 2000, 34.
336
Ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben waren, gibt der BGH dem heit" durch den BGH vgl. auch die schon in Rn. 224 wiedergegebene Entscheidung BGH
NJW 2001, 2410.
Instanzgericht zur weiteren Prüfung auf. 33i
* BGHSt 46,107.
337
Ebenso Wohlers, NStZ 2000, 170: „Aufgegriffen und bis in die Formulierungen hinein 339
übernommen hat der BGH damit den Lösungsvorschlag Roxins" und Ambos, JA 2000, 724: RGRspr. 9,149; RGSt 4, 95f.; 28, 287; 51,136,141; 58,113f.; BGHSt 2, 344, 346.
3
„bis in die Wortwahl hinein". Zur Aufnahme des Kriteriums der „deliktischen Sinnbezogen- "° RGRspr. 3, 464; RGSt 8, 267f.; 16, 350; 38, 417ff.; 58, 113f.; 59, 376, 379; 67, 191, 193;
75,112 f.; BGHSt 2, 345 ff.
218
219
§ 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe IV § 26
§ 26 IV 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
„seinen unveränderlichen Abschluß gefunden" habe, sei „bereits damit die Tat b e -
257 Die Frage nach dem spätestmöglichen Zeitpunkt für eine Beihilfe ist umstrit-
endet".
ten. Nach st. Rspr. 3 4 1 und einer auch in der Literatur weit verbreiteten M e i -
Richtigerweise wird man aber Handlungen, die nach der Tatbestandserfüllung 259
n u n g 3 4 2 ist eine Beihilfe auch über den Zeitpunkt der (formellen) Tatbestands-
zugunsten des Täters vorgenommen werden und deren Tatbestandsmerkmale nicht
verwirklichung hinaus bis zur „materiellen Beendigung" der Tat, d.h. bis zur
verwirklichen, niemals als Beihilfe ansehen, sondern nur unter dem Gesichts-
Sicherung des Erfolges, möglich. 3 4 3 Wenn z. B. Diebe aus einem umzäunten G e -
punkt der §§ 257, 258 würdigen dürfen. 3 4 7 Dafür sprechen drei Gründe.
lände Schrott stehlen und in einem nahegelegenen Versteck unterbringen, ist das
Bedenklich ist zunächst, daß die Konstruktion einer Beihilfe nach vollendeter 260
ein vollendeter Diebstahl. Derjenige, der im Auftrag des Diebes später die Beute
Tatbestandserfiillung in vielen Fällen die Möglichkeit eröffnet, den Angeklagten
aus dem Versteck abholt, soll trotzdem nicht notwendig wegen Begünstigung
sehr viel strenger zu bestrafen, als dies nach §§ 257, 258 möglich wäre. Denkt man
(§ 257), sondern möglicherweise statt dessen auch wegen Beihilfe bestraft werden
sich den Fall, daß jemand einen Räuber bei der Beutesicherung unterstützt, so
können, weil er bei der materiellen Beendigung des Diebstahls (der Beutesiche-
kann die Beihilfe trotz der Milderung nach § 49 I Nr. 1 mit mehr als zehn Jahren
rung) geholfen hat (BGHSt 4,132). Entscheidend für die Abgrenzung von Beihilfe
Freiheitsstrafe geahndet werden, während § 257 (wie § 258) eine Höchststrafe von
und Begünstigung in der Zeitspanne zwischen formeller Vollendung und mate-
fünf Jahren vorsieht. Die Institution einer „materiellen Beendigung", die solche
rieller Beendigung der Tat sollen „die Vorstellung und der Wille des Täters" sein.
Strafverschärfungen ermöglicht, ist aber dem Gesetz nicht zu entnehmen. § 257
„Ob Beihilfe oder Begünstigung gegeben ist, ist im wesentlichen Tatfrage"
erfaßt jede Hilfeleistung zugunsten eines Täters, „der eine rechtswidrige Tat began-
(BGHSt 4, 133). Ebenso sollen Beihilfe und Begünstigung gleichermaßen g e -
gen hat". Daher dehnt der Rückgriff auf den Beihilfestrafrahmen die Strafbarkeit
geben sein können, w e n n jemand den Eigentümer an der Verfolgung des mit der
über den Wortlaut des Gesetzes hinaus aus und verstößt gegen den Grundsatz
Beute fliehenden Diebes hindert (BGHSt 6, 251; ähnlich B G H M D R (D) 1967,
„nulla poena sine lege". Das bedeutet keine völlige Verwerfung der Konstruktion
726). einer „materiellen Beendigung". Aber sie sollte nur dort verwendet werden, w o sie
258 Nach materieller Beendigung der Tat läßt auch die Rspr. eine Beihilfe nicht die Strafbarkeit einschränkt, wie bei der Notwehr. 3 4 8 Zur Strafbarkeitserweite-
mehr zu. Wenn ein Räuber seine Beute in die W o h n u n g seiner Verlobten bringt
rung taugt sie nicht.
und diese ihm dort bei der Beseitigung von Fingerspuren hilft, scheidet also eine
Sodann ist nicht ersichtlich, wie „die Vorstellung und der Wille des Täters" über 261
Beihilfe aus. D e n n mit der Bergung der Beute war die Tat auch materiell beendet.
die Abgrenzung von Begünstigung und Beihilfe sollen entscheiden können. D e n n
In diesem Fall hat auch der B G H betont, der Zeitpunkt der Beendigung des R a u -
vom Wissen und Willen des Handelnden ist nur der Umstand umfaßt, daß er dem
bes dürfe „nicht zu weit hinausgesetzt werden". 344 Ebenso hat der B G H eine Bei-
Täter nach Vollendung der Tat Hilfe leistet. O b ein solches Verhalten Begünstigung
hilfe zum R a u b e bei einer Angeklagten abgelehnt, die den Täter nach Begehung
oder Beihilfe ist, reflektiert er nicht. 3 4 9 U n d w e n n er es täte, könnte es darauf nicht
eines Tankstellenüberfalls in die Niederlande gefahren, von der Tat aber erst beim
Einsteigen des Räubers erfahren hatte (BGH J Z 1989, 759). 3 4 5 Ferner können nach ankommen. D e n n es handelt sich u m eine Rechtsfrage, die nicht nach der M e i -
der Rspr. Bemühungen u m die Bergung der Beute dann keine Beihilfe mehr sein, nung des Täters, sondern nach den Maßstäben der Rechtsordnung entschieden
wenn diese schon von der Polizei sichergestellt ist. 3 4 6 Wenn der Rechtsgutsangriff werden muß. „Vorstellung und Wille des Täters" sind also eine Leerformel, die
vom Richter nach Belieben ausgefüllt werden kann; in diese R i c h t u n g geht auch
die Bemerkung des B G H , die Abgrenzung sei „im wesentlichen Tatfrage".
34 Schließlich entbehrt auch der Gedanke eines nach Vollendung der Tat einsetzen- 262
' RGSt 23, 292; 58, 13f.; 71, 193f.; RG JW 1934, 837 m. Anm. Mezger; RG H R R 1940,
Nr. 469; OGHSt 2, 50, 59f.; 2, 209ff.; 3,1, 3; BGHSt 3, 40, 43f.; 4,132f.; 6, 248, 251; 19, 325; den, für eine Beihilfe noch geeigneten „Beendigungszeitraumes" jeder deutlichen
BGH VRS 16 (1959), 267; BGH MDR (D) 1967, 726; OLG Köln NJW1956,154; OLG Hamm Abgrenzung und m u ß schon wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit
JZ 1961, 94 m. Anm. Stratenwerth; OLG Karlsruhe GA 1971, 281; BayObLG NStZ 1999, 568;
verworfen werden. Während bei Zueignungsdelikten das Kriterium der „Beute-
2000, 31.
3« Baumann/Weber, AT10, §31 II 2 b; Blei, AT18, §80 I; Bockelmann /Volk, AT4, §25 III 2 b; sicherung" wenigstens einen Anhaltspunkt gibt (aber w a n n ist die Beute „en'd-
Hau, 1974,119ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 64 III 2 b; Krey, AT/2, Rn. 306; Lackner20, § 27, Rn. 3
347
(vorsichtig: „soll ... möglich sein"); Preisendanz , §27, Anm. 3 c; Schmidhäuser, LB AT", 14/ Im wesentlichen wie hier Bitzilekis, ZStW 99 (1987), 733ff.; Bottke, JA 1980, 379; Gallas,
137; einschränkend ders., StuB AT2,10/138; Seh/Seh/Cramer/Heine26, § 27, Rn. 17; Wessels/Beulke, ZAkDR 1937, 438f.; Herzberg, 1977, § 5 III 2; Isenbeck, NJW 1965, 2336; Jakobs, AT2, 22/40f.;
AT31, Rn.583 - differenzierend Gropp, AT2, §10, Rn.143.; Kühl, 1974, 94ff.; SK5-Samson, Joecks3, §257, Rn.7f.; Kühl, 1974, 94ff.; ders., JuS 1982, 189; ders., Roxin-FS, 2001, 680; ders.,
§ 27, Rn. 18; ablehnend jetzt SK7-Hoyer, § 27, Rn. 18. AT3, §20, Rn.238; Küper, JZ 1981, 209, 251; MaurachJ Gössel, AT/27, 39/7ff., 32ff; Rudolphi,
343
Allgemein über „Die Beendigung des vollendeten Delikts" Kühl, Roxin-FS, 2001, 665. Jescheck-FS, 1985, 559; ders., SK5, vor §22, Rn.9; SK7-Hoyer, §27, Rn. 18; ebenso Köhler, AT,
344
BGH StV 1981,127 unter Hinweis auf BGHSt 8, 390; 19, 323; 21, 377 zur Frage der mate- 536.
34
riellen Beendigung; BGHR StGB, § 27 I, Hilfeleisten, Nr. 1. 8 Roxin, AT l3, § 15, Rn. 27.
349
345
Natürlich sind aber in beiden Fällen §§ 257, 258 zu bejahen. Ebenso Geppert, Jura 1994, 441, 443 m.w.N.
346
BGHJZ 1985, 299; dazu Laubenthal, Jura 1985, 630; Küper, JuS 1986, 862. 221
220
§26 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe V § 26

gültig" gesichert?), fehlt bei anderen Delikten jeder greifbare Maßstab. So will das Bei Zuständsdelikten scheidet dagegen nach der Vollendung eine Beihilfe auch 265
BayObLG 3 5 0 noch eine Beihilfe zur Unfallflucht (§ 142) zulassen, „wenn der Täter dann aus, wenn der Beitrag des Hinzutretenden der Realisierung einer tatbe-
sich zwar bereits von der Unfallstelle .entfernt', jedoch weder sein Fahrtziel er- standsrelevanten Absicht oder der raschen Verwirklichung des v o m Täter ange-
reicht noch sich endgültig in Sicherheit gebracht hat". M a n m u ß Kühl351 zustim- strebten Erfolges dient. Wenn also der Erpreßte das Geld postlagernd an den E r -
men, w e n n er die freihändige Festlegung solcher Beendigungszeiträume „völlig presser schickt u n d der Angeklagte es für diesen bei der Post abholt, ist das nicht
willkürlich" nennt. D e n n § 142 bestraft die Verhinderung von Feststellungen am Beihilfe, sondern Begünstigung. 3 5 6 D e n n der endgültige Schaden des Opfers ist
Unfallort; die Erreichung des Fahrtziels oder endgültiger „Sicherheit" hat damit bereits eingetreten. Die Bereicherung des Täters gehört nicht mehr zum Tat-
nichts zu tun. bestand. Auch wer nach Abschluß des Inbrandsetzens, also nach tatbestandlicher
263 Auch nach der hier vertretenen Ansicht k o m m t aber eine Beihilfe noch in B e - Vollendung des § 306 oder § 306 a, Ö l in das brennende Gebäude schüttet u n d
tracht, w e n n beim Hinzutritt des Helfenden schon einige Tatbestandsmerkmale damit ein schnelleres Niederbrennen bewirkt, begeht nicht, wie die Rspr. an-
erfüllt sind. 3 5 2 Haben also beim Betrug Täuschung u n d Irrtumserregung durch nimmt, Beihilfe zur Brandstiftung; 3 5 7 er ist als Nebentäter einer Brandstiftung zu
den Täter schon stattgefunden und wirkt ein Außenstehender erst anschließend bei bestrafen, weil sein Verhalten eine selbständige Inbrandsetzung darstellt. 358
der Schädigung des Opfers mit (z. B. durch den Abtransport der ertragenen Sa- Im Gegensatz zu der hier entwickelten Konzeption verwerfen einige Autoren 266
chen), so ist das als Beihilfe zu bestrafen. Ebenso begeht Beihilfe zum R a u b , wer die differenzierende Ansicht der Rspr. ( R n . 259) zwar ebenfalls, vertreten aber die
erst nach der Gewaltanwendung h i n z u k o m m t u n d n u n - in Kenntnis der v o m Auffassung, daß eine Hilfeleistung zwischen formeller Vollendung und materiel-
Täter angewendeten Gewalt - bei der Wegnahme mithilft. Das wird von einigen ler Beendigung der Tat stets nur als Beihilfe (und nie unter dem Gesichtspunkt der
Autoren bestritten. 3 5 3 Da jedoch auch eine vor Begehung der Tat geleistete Bei- Begünstigung oder Strafvereitelung) gewürdigt werden dürfe. 3 5 9 Das gegen die
hilfe sich nicht auf alle Tatbestandsmerkmale zu erstrecken braucht, ist nicht ein- Rspr. vorzubringende Argument, darin liege ein Verstoß gegen den Nulla-poena-
zusehen, w a r u m dies bei einer Gehilfenschaft i m Ausführungsstadium anders sein Grundsatz ( R n . 260), gilt hier aber genauso wie der R n . 264 vorgetragene Ein-
soll. Die Gründe, die bei der Mittäterschaft gegen die Anrechnung bereits ver- wand.
wirklichter Erschwerungsgründe sprechen (vgl. § 25, R n . 227), treffen auf die
Beihilfe allesamt nicht zu.
V. D e r Vorsatz des Gehilfen. D e r Täterexzeß
264 Selbst wenn der Täter eines Betruges nach Herbeiführung einer „Vermögens-
gefährdung" schon wegen vollendeten Delikts verantwortlich ist, kann derjenige, Für den Vorsatz des Gehilfen und den Exzeß des Täters gilt - mutatis mutandis 267
der den endgültigen Schaden herbeiführt (oder mitherbeiführt), Gehilfe sein, weil - im wesentlichen dasselbe wie für die Anstiftung, so daß hier auf die dort g e -
er bei der tatbestandsmäßigen Schädigungshandlung noch mithilft. 3 5 4 Ebenso ist gebene Darstellung verwiesen werden kann ( R n . 130 ff, 109 ff.). Hier genügt eine
eine Beihilfe bei Dauerdelikten möglich, solange der rechtswidrige Zustand noch knappe Zusammenfassung mit den sich bei der Beihilfe ergebenden Ergänzungen
andauert (RGSt 38, 417). Wenn also A den B in einem Z i m m e r einsperrt, indem er und Modifikationen.
die Tür zuhält (§ 239), kann C dadurch Beihilfe leisten, daß er dem A auf seine Da die Beihilfe vorsätzlich geleistet werden m u ß , genügt eine fahrlässige u n d 268
Bitten einen Schlüssel zum Abschließen der Tür zureicht. D e n n dieser Beitrag selbst eine leichtfertige Hilfeleistung nicht. 3 6 0 Es kann aber, wenn z. B. einem er-
dient der Aufrechterhaltung der noch im Gange befindlichen Tatbestandserfül-
lung. 3 5 5
35« Kühl, JuS 1982,189 m.w.N.
357 RGSt 71,193 m. abl. Anm. Gallas, ZAkDR 1937, 438; OLG HammJZ 1961, 94 m. zust.
350 BayObLG JZ 1981, 241; abl.: Bottke, JA 1980, 379; Kühl, JuS 1982, 191; SK6-Rudolphi, A n m . Stratenwerth.
§ 142, Rn. 53. 358 Näher Rudolphi, Jescheck-FS, 1985, 563 ff. Kühl, 1974, 104 ff. (105), will eine Beihilfe
351
Kühl, J u S 1982,191; ders., R o x i n - F S , 2 0 0 1 , 675f.; ders., AT 3 , § 20, R n . 239. annehmen, indem er das „Inbrandsetzen" so weit ausdehnt, daß es „auch noch die Phase bis
352 Kühl, 1974, 80ff., 101 ff.; vgl. auch ders., R o x i n - F S , 2 0 0 1 , 681. zum völligen Abbrennen des angezündeten Gegenstandes umfaßt". Eine solche Interpretation
353 Vgl. schon §25, Fn. 186 m.w.N.; ferner Rudolphi, Jescheck-FS, 1985, 576. Abw. auch ist aber nach dem Wortlaut des § 3 0 6 e nicht möglich. Jakobs, AT 2 , 22/40 meint: „Wer dem
Jakobs, KT2, 22/40: Gehilfe sei nur, „wer zu einer kompletten Tatbestandsverwirklichung hilft". Täter hilft, Benzin in ein in Brand gesetztes Gebäude zu schütten, haftet wegen Beihilfe zur
Trotzdem will er den bei der Wegnahme Helfenden wegen Beihilfe zum Raub bestrafen, wenn qualifizierten Sachbeschädigung, §§27, 305, nicht aber zur Brandstiftung."
die Gewalteinwirkung durch den Täter rückgängig gemacht werden kann. 359 Geppert, Jura 1980, 274f.; Laubenthal, Jura 1985, 632f.; Sch/Sch/Stree26, §257, Rn.8; Seel-
354 Näher Kühl, 1974, 101 ff. Aus der Rspr. im hier vertretenen Sinne RG JW 1934, 837 mann, JuS 1983, 33f.; Vogler, Dreher-FS, 1977, 417; auch noch Wessels, BT/221, Rn.746 (ähnlich
und - bei einem entsprechenden Fall der Erpressung - RG H R R 1940, Nr. 469. wie hier jetzt aber Wessels/Hillenkamp, BT/224, Rn.804). Differenzierend Lesch, 1992, 272 ff,
355 Für Beihilfe i n diesem Fall auch Jakobs, AT 2 , 22/40. Rudolphi, Jescheck-FS, 1985, 5 6 5 f f , 310 ff, der jedenfalls bei Vorliegen einer „kollektiven Organisationseinheit" Beihilfe zulassen
nimmt Beihilfe zu einer fortdauernden Unterlassungstäterschaft oder ggf. auch eine nebentä- will.
36
terschaftliche Tat nach § 239 an. ° So schon die frühere Rspr.: RGSt 39, 214; BGHSt 1, 283.
222 223
§ 26 V 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe V § 26
kennbar Tatgeneigten eine Waffe überlassen wird, eine fahrlässige Täterschaft ge-
und entspricht völlig dem bei der Anstiftung Dargelegten (Rn. 150 ff.). Danach
geben sein.361 Dagegen reicht auch für den Gehilfenvorsatz der dolus eventualis
fehlt es an einer Beihilfe zunächst dann, wenn der Außenstehende die Tat nur bis
aus.362 Doch wird eine Beihilfe mit bedingtem Vorsatz selten vorliegen, weil zum Versuch kommen lassen will (er liefert z. B. ein untaugliches Abtreibungsmit-
grundsätzlich darauf vertraut werden darf, daß andere keine vorsätzlichen Straf- tel, oder er weiß, daß die Tat nicht vollendet werden kann', weil die Polizei schon
taten begehen; eine Gehilfenschaft kommt — wie die Fahrlässigkeitszurechnung — benachrichtigt ist). 368
nur bei erkennbarer Tatgeneigtheit des Täters in Betracht (näher Rn. 241 f.). Eine
Eine strafbare Beihilfe liegt aber auch dann nicht vor, wenn der Außenstehende 271
nach außen erkennbare oder auch nur innere „Billigung" der Tat ist für die Beihilfe
bei abstrakten Gefährdungsdelikten die Verwirklichung der Gefahr ausschließt
nicht erforderlich.363 Wer die Tat (z. B. eines Angehörigen) mißbilligt, die er-
(vgl. Rn. 158); wenn er es bei tatbestandlich verselbständigten Vorbereitungs- und
betene Hilfe aber doch widerstrebend leistet, macht sich der Beihilfe schuldig. Unternehmensdelikten zur Vollendung der Tat, auf die die Vorbereitung oder der
Auch sonst ändern innere Vorbehalte an der Beihilfe nichts. 364 Versuch sich beziehen, nicht kommen lassen will (Rn. 158 ff.); und wenn er bei
269 Allerdings verlangt die Rspr. vom Gehilfen einen „Förderungsvorsatz" in dem Tatbeständen mit rechtsgutsbezogenen Absichtsmerkmalen die Verwirklichung
Sinne, daß er seinen Beitrag als für den Täter nützlich einschätzen muß. 365 In der der Absicht durch den Täter nicht in seinen Vorsatz aufgenommen hat (Rn. 161 ff.).
neueren Judikatur wird dieses Kriterium mehr und mehr dazu benutzt, um den Das Schwergewicht der einschlägigen Vorsatzprobleme liegt zwar wegen des ver-
durch die „Förderungsformel" (Rn. 186 ff.) auf der objektiven Seite zu weit gerate- breiteten Einsatzes von Lockspitzeln bei der Anstiftung; doch hat sich eine der
nen Tatbestand von der subjektiven Seite her wieder einzuschränken. So betont wichtigsten Entscheidungen des BGH zur Strafbarkeit des agent provocateur in
BGHR StGB, § 27 Abs. 1, Vorsatz, Nr. 4, „daß gegen die Annahme eines Gehilfen- der Drogenszene auf einen Fall der Beihilfe bezogen (BGH StV 1981, 549; vgl. da-
vorsatzes ... Bedenken bestehen können, wenn der Beitrag des ,Gehilfen' zum zu Rn. 157).
Gelingen der Tat für diesen erkennbar an sich nicht erforderlich und auch für die
Was die Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes betrifft, so sind die für den An- 272
Art der Tatausführung ohne Bedeutung war". Richtigerweise müßte in einem sol-
Stiftervorsatz erarbeiteten Regeln (Rn. 133 ff.) nicht ohne Einschränkung zu über-
chen Fall schon die kausale Risikosteigerung (Rn. 210 ff.) und damit eine objek-
nehmen. Zwar wird der Gehilfe in den meisten Fällen die „wesentlichen Dimen-
tive „Hilfe" verneint werden. Ähnliches gilt für Wendungen wie die, daß ein Ge-
sionen des Unrechts", auf die bei der Anstiftung abgestellt wurde (Rn. 136), ken-
hilfenvorsatz in Frage zu stellen sei, „wenn die Handlung des .Gehilfen zum Ge-
nen. Denn wenn die Unterstützung in Sachbeiträgen oder auch nur in technischer
lingen der Tat erkennbar wenig beizutragen vermag"; auch hier geht es wohl eher
Rathilfe besteht, kann wirksame Hilfe i.d.R. nur geleistet werden, wenn der Hel-
um die objektive Nutzlosigkeit des Beitrages.366
fer etwas genauer weiß, was der Täter vorhat. Doch wird man eine Beihilfe auch
270 Im übrigen hat der Gehilfenvorsatz wie der Anstiftervorsatz zwei Bezugs-
dann noch annehmen müssen, wenn der Gehilfe nur den zu verwirklichenden
punkte: Er muß sich auf die Hilfeleistung zu einer vorsätzlichen Handlung des
Tatbestand kennt, ohne über das ungefähre Ausmaß des Schadens und die Art und
Täters und auf die Verletzung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts durch den
Weise des geplanten Angriffes Näheres zu erfahren.369 Wer also eine Pistole „für
Täter richten (sog. Doppelvorsatz des Gehilfen).367 Dabei ist der Begriff der Hil-
einen Raubüberfall" ausleiht und sonst keine weitere Information über den Plan
feleistung, also der erste Bezugspunkt des Gehilfenvorsatzes, i. S. einer rechtlich
des Täters hat, ist bei Ausführung der Tat doch wegen Beihilfe zu bestrafen.370
mißbilligten kausalen Risikosteigerung schon ausführlich erläutert worden
Wenn der Vorsatz des Gehilfen etwas weniger bestimmt sein muß als der des An-
(Rn.l86ff, 210ff, 221ff). Daß der Gehilfenvorsatz sich außer auf die Hilfelei-
stifters, so hat das seinen Grund darin, daß der Anstifter die Tat vorzeichnen und
stung auch auf die Tat in Gestalt einer Rechtsgutsverletzung durch den Täter rich-
daher wenigstens in groben Zügen kennen muß, wenn ihm die Auslösung des
ten muß, ergibt sich aus dem Charakter der Teilnahme als eines Rechtsgutsangriffs
Geschehens angelastet werden soll. Der Gehilfe dagegen findet den Tatentschluß
36i Vgl. Roxin, AT l3, § 24, Rn. 26 ff.
3« RGSt 59, 246; 70, 24; BGHSt 2, 281; BGH NJW 1966, 676f.; BGH MDR (D) 1957,
266; vgl. auch Eser, StrafR II3, Nr. 46, Rn. A 13; Sch/Sch/Cramer/Heine26, § 27, Rn. 19; Tröndle/ 368 RGSt 15, 315, 317; 17, 377ff.; 56, 168, 170; 60, 23 ff.; vgl. auch OLG Koblenz HESt 2,
279. '
Fischer*0, §27, Rn. 8.
3« LKn-Roxin, § 27, Rn. 46; Jescheck/Weigend, AT5, § 64 III 2 d. 369 Diese Auffassung ist in der Literatur im Vordringen. Sie wird auch vertreten von Herz-
364 RGSt 56, 168; BGHR StGB, § 27 I, Vorsatz, Nrn. 1 und 5; BGH NStE, § 27 StGB, berg, JuS 1987, 617 (619f£); Ingelfmger, 1992, 156f.; Scheßer, JuS 1997, 598 (599); Wild, JuS 1992,
Nr. 4; BayObLGSt 1951,195; OLG Karlsruhe GA 1971, 281; OLG Stuttgart NJW 1950,118 f. 911 (913); Wolf, J R 1992, 427 (429). Theile, 1999,144 ff. verlangt demgegenüber einen „abstrakt-
365 RGSt 72, 20, 24; BGHR StGB, § 27 I, Vorsatz, Nr. 2. anschaulichen Vorstellungsinhalt" des Gehilfen, unterscheidet sich aber doch nicht wesentlich
366 Ei n e Ablehnung des Förderungsvorsatzes findet sich ferner in BGHR StGB, § 27 I, von dieser Ansicht, wenn er sich - z. B. bei der Lieferung eines Tatmittels - damit begnügt,
Unterlassen, Nr. 1; BGH StV 1981, 549; BGH wistra 1990, 20. daß der Gehilfe sich vorstellt, das Opfer werde „in den Wirkungskreis des realen Tatmittels
geraten" (aaO., 147). Natürlich muß der Gehilfe sich vorstellen, daß sein Verhalten ein durch
367 Eser, StrafR II3, Nr.46, Rn. A 2; Jescheck/Weigend, AT5, §64 III 2 d; Lackner/Kühl24,
die Tatbestandsbeschreibung umrissenes Haupttatgeschehen fördert; aber das genügt auch.
§27, Rn.7.
370 So im Ergebnis auch Herzberg, JuS 1987, 618; Ingelßnger, 1992,156 f.
224
225
§ 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe V § 26
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
abstellt. Andererseits gehört die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und
des Täters und damit die Konzeption der geplanten Tat bereits vor, ohne ihr wei-
die dadurch bewirkte Gefährdung fremder Sachen schon zu den Tatbestandsmerk-
tere Konturen verleihen zu müssen.
malen des § 308, so daß die Entscheidung auch mit einer Auffassung zu verein-
273 Daß an die Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes geringere Anforderungen zu
baren ist, die für die Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes nur die Kenntnis des vom
stellen sind, zeigt auch ein Vergleich mit der „nachträglichen Beihilfe" der §§ 257,
Täter verwirklichten Tatbestandes verlangt. Das würde auch mit der älteren Rspr.
258. Hier braucht sich der Vorsatz des Begünstigers bzw. Strafvereitelers nicht ein-
übereinstimmen, wonach es nicht nötig ist, daß der Gehilfe den genauen Her-
mal auf einen bestimmten Tatbestand, sondern nur auf eine „rechtswidrige Tat" des
gang, Ort, Zeit und Opfer der Tat kennt. 372
Vortäters zu richten. Da beide Bestimmungen einen eigenen Strafrahmen haben,
Eine weitere Entscheidung des BGH 373 betraf den Fall eines vereidigten Sach- 275
kann der Gesetzgeber sogar auf die Kenntnis eines bestimmten vom Täter ver-
verständigen für Edelsteine. Dieser bescheinigte einem Auftraggeber wider besse-
wirklichten Tatbestandes verzichten. Das ist bei der Beihilfe wegen ihrer Orien-
res Wissen, daß dessen Edelsteine ca. 300.000 DM wert seien, obwohl sie wegen
tierung am Strafrahmen der Haupttat nicht möglich. Wenn aber bei der „nachträg-
ihrer schlechten Qualität praktisch unverkäuflich waren und einen Wiederbeschaf-
lichen Beihilfe" schon die Vorstellung irgendeiner nicht näher spezifizierten
fungswert von weniger als 40.000 DM hatten. Dabei herrschte stillschweigende
rechtswidrigen Tat genügt, ist es angemessen, sich im Falle des § 27 ggf. damit zu
Einigkeit darüber, daß das „Gutachten" einen überhöhten Wert ausweisen und be-
begnügen, daß der Gehilfe den vom Täter verwirklichten Tatbestand kennt. Die
trügerischen Handlungen dienen sollte. Der Angeklagte erkannte, daß mit Hilfe der
Strafzumessungsprobleme, die eine etwas größere Bestimmtheit des Anstifter-
falschen Wertangaben die Steine entweder zu einem überhöhten Wert veräußert oder
vorsatzes erfordern (Rn. 137), sind beim Gehilfen weniger relevant, weil die obli-
beliehen werden sollten. Beides nahm er in Kauf. Tatsächlich verpfändete der
gatorische Strafmilderung dem Richter größeren Spielraum für eine Strafreduk-
Edelsteineigentümer seine Sammlung unter Berufung auf die Schätzung des An-
tion gibt.
geklagten gegen einen Kredit von 270.000 DM. Er konnte den Kredit nicht zurück-
274 Auch der BGH stellt an die Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes manchmal ge-
zahlen. Der Sparkasse gelang es auch nicht, die Steine zu veräußern. Ihr Besitzer
ringe Anforderungen als beim Anstiftervorsatz, ist aber zu einer einheitlichen und
wurde wegen Betruges und der Angeklagte wegen Beihilfe dazu verurteilt.
klaren Konzeption noch nicht durchgedrungen. Einer neueren Entscheidung371
Das ist im Ergebnis richtig. Denn der Angeklagte rechnete mit einem Betrug des 276
lag der Sachverhalt zugrunde, daß die Angeklagte einen Wecker verkauft hatte,
Täters. Diese abstrakte Tatbestandsvorstellung genügt auch ohne Kenntnis näherer
der von den „Revolutionären Zellen" als „Zeitzündverzögerer bei dem Bomben-
Einzelheiten der geplanten Tatausführung für den Beihilfevorsatz. Ganz im Ein-
anschlag auf das Lufthansagebäude in Köln" verwendet wurde. Sie hatte dabei ge-
klang mit dem oben Dargelegten (Rn. 272 f.) und dem Wecker-Urteil (Rn. 274)
wußt, daß sie durch die Lieferung des Weckers einen „Bombenanschlag auf Ge-
legt der BGH auch hier an den Gehilfenvorsatz „andere Maßstäbe" an als an den
genstände politischer Gegner" unterstützte. Das konkrete Objekt des Anschlages
Anstiftervorsatz und führt das auf die unterschiedlichen Strafdrohungen und Teil-
und andere individualisierende Umstände der Tatbegehung waren ihr unbekannt.
nahmestrukturen sowie die verschiedene Nähe zur Tat zurück. „Der Anstifter hat
Trotzdem bejaht der BGH eine Beihilfe zum „Herbeiführen einer Sprengstoff-
eine bestimmte Tat, insbesondere einen bestimmten Taterfolg, vor Augen. Der Ge-
explosion" (§ 308), verzichtet also auf die Bestimmtheitsanforderungen, die BGHSt
hilfe hingegen erbringt einen von der Haupttat losgelösten Beitrag." Völlig zutref-
34, 63 (Rn. 134ff.) an den Anstiftervorsatz gestellt hatte. Einer Auseinander-
fend wird auch schon im Leitsatz (sowie im Text, aaO., 138) die Beihilfe auf die
setzung mit diesem Urteil weicht die Entscheidung aus: „Die Frage, ob an die
Grundsätze der objektiven Zurechnung zurückgeführt. Beihilfe begeht danach,
Bestimmtheit der Tat in der Vorstellung des Anstifters ein strengerer Maßstab an-
wer dem Täter ein Tatmittel an die Hand gibt „und damit bewußt das Risiko er-
zulegen wäre (BGHSt 34, 63 ...), stellt sich nicht." Es bleibt also offen, ob der
höht, daß durch den Einsatz gerade dieses Mittels eine ... Haupttat verübt wird.
erkennende Senat ggf. auch für den Anstiftervorsatz von BGHSt 34, 63 abrücken
Opfer, Tatzeit oder nähere Details der konkreten Begehungsweise müssen dem Ge-
würde. Offen bleibt ebenso, ob für die Beihilfe die Kenntnis des vom Täter ver-
hilfen nicht bekannt sein."
wirklichten Tatbestandes genügen soll. Der Satz, daß das Vorstellungsbild der An-
Allerdings wird schon im Leitsatz die korrekte Grundeinsicht des Urteils durch 277
geklagten „den wesentlichen Unrechtsgehalt und die Angriffsrichtung der von ihr
Zusätze getrübt, die teils eine ungerechtfertigte Verengung, teils eine unzulässige
unterstützten Tat" erfaßte und daß diese Konkretisierung für den Gehilfenvorsatz
ausreiche, spricht für die Orientierung an der hier (Rn. 136 ff.) für die Anstiftung 372 Vgl. RGSt 67, 343; RGJW 1938, 2198, Nr. 8 a.E.; BGH MDR (D) 1955,143; BGH GA
entwickelten Konzeption, die auf die „wesentlichen Dimensionen des Unrechts" 1967,115.
3
" BGHSt 42, 135 m. Anm. Roxin, JZ 1997, 210 (= Roxin, H R R AT, Fall 83, 125 f. u.
206f.; Fall 84, 126ff. u. 207; Fall 85, 128 f. u. 207f.); Büscher, JuS 1998, 384; Fahl, JA 1997, 11;
37' BGHR StGB, § 27 1, Vorsatz, Nr. 6. Ältere Urteile zur Bestimmtheit des Beihilfevorsat- Kindhäuser, NStZ 1997, 273; Loos, JR 1997, 297; Otto, JK 97, §27/11; Scheßer, JuS 1997, 598;
zes: RGSt 1,110; 4, 95; 31, 35; 59, 245; 67, 343; BGH MDR 1955,143; BGHSt 11, 66; BGH GA Schlehofer, StV 1997, 412. Eine eingehende Darstellung und Analyse der verschiedenen Stel-
1959, 185; GA 1967, 115; GA 1981, 133. Eine Darstellung und Analyse dieser Entscheidungen, lungnahmen liefert Theile, 1999,16 ff.
die gegenüber der neueren Rspr. an Bedeutung zurücktreten, liefert Theile, 1999,110 ff.
227
226
§ 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe V § 26
§ 26 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Problematisch ist es auch, wenn es im Urteil heißt (aaO., 138f.): „Durch die in 280
Erweiterung der Beihilfestrafbarkeit mit sich bringen können. Die Verengung
der Schätzung enthaltenen falsche Wertangabe war zudem der Umfang des an-
liegt in der Formulierung, der Gehilfe gebe dem Täter „ein entscheidendes Tat-
gestrebten Vermögensvorteils einerseits und der zu besorgenden Schaden anderer-
mittel" an die Hand. 374 Denn auch andere, weniger entscheidende Hilfeleistungen
seits hinreichend eingegrenzt, um die .Dimension des Unrechts der ins Auge ge-
begründen schon eine Beihilfe. Die Erweiterung der Beihilfestrafbarkeit liegt
faßten Tat' (Roxin, JZ 1986, 908) zu beschreiben."376 Hier wird - deutlicher noch
darin, daß der Gehilfenvorsatz sich nicht auf die Tatbestandsmerkmale des Be-
als in der Wecker-Entscheidung (Rn. 274) - eine von mir für den Anstiftervorsatz
truges, sondern auf „eine mittels Täuschung gegen fremde Vermögen gerichtete
geforderte Voraussetzung (die Kenntnis der Unrechtsdimension „des Täterhan-
Haupttat" soll beziehen müssen. Eine solche wäre auch ein Kreditbetrug (§ 265 b)
delns") auf den Gehilfenvorsatz übertragen. Zwar kannte der Sachverständige hier
oder die Bewirkung einer illegalen Vorsteuererstattung (§ 370 AO). Tatsächlich
tatsächlich die mögliche Schadenshöhe, doch kann es darauf beim Gehilfe gerade
will der BGH, wie die weitere Urteilsbegründung ergibt,375 eine Beihilfe auch für
nicht ankommen (vgl. Rn. 272). Die Entscheidung sagt an anderer Stelle (vgl.
den Fall annehmen, daß der Täter mit Hilfe des falschen Gutachtens eines dieser
Rn. 276) selbst mit Recht, daß an den Gehilfenvorsatz „andere Maßstäbe" angelegt
beiden anderen Delikte begangen hätte. Wenn aber der Gutachter nur mit einem
werden müßten als an den des Anstifters.
Betrug (sei es durch Veräußerung, sei es durch Beleihung) gerechnet hat, geht das
Die Entscheidung bleibt also trotz ihres richtigen Grundansatzes in vieler Hin- 281
zu weit. Denn auch der Gehilfenvorsatz muß sich, wie jeder andere Vorsatz, auf
sieht verwirrend. 377 Auch eine wenig später ergangene Entscheidung des 5. Senats
einen bestimmten Tatbestand beziehen.
(BGHSt 42, 332) führt nicht weiter, wenn es dort im Anschluß an BGHSt 42,135
278 Die anfängliche Klarheit der BGH-Aussagen zum Beihilfevorsatz wird durch
heißt: „Der Vorsatz eines Teilnehmers - sei er Anstifter, sei er Gehilfe - muß sich
andere Begründungspassagen noch weiter verdunkelt. So heißt es (aaO., 138):
auf die Ausführung einer nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesent-
„Dem Erfordernis der Bestimmtheit des Teilnehmervorsatzes liegt letztlich die
lichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Tat richten; als wesentlich
Annahme zugrunde, daß nur derjenige Teilnehmer ernstlich mit der Begehung
für den Vorsatz des Teilnehmers sind jedenfalls diejenigen Umstände anzusehen,
der Haupttat rechnet, der bereits wesentliche Einzelheiten des Tatplans kennt. Die-
deren Kenntnis die Begehung der Haupttat hinreichend wahrscheinlich werden
jenigen Tatumstände sind als wesentlich für den Vorsatz des Teilnehmers anzuse-
läßt... Für den Teilnehmer ist es dabei nicht erforderlich, daß er in seine Vorstel-
hen, deren Kenntnis die Begehung der Haupttat hinreichend wahrscheinlich wer-
lung ... Einzelheiten wie Tatort, Tatzeit und Tatopfer aufnimmt und die jeweils
den läßt."
unmittelbar handelnde Person im Einzelfall individuell kennt ..." Richtig ist der
279 Das widerspricht eindeutig den Erwägungen, die das Ergebnis tragen und die
zweite Satz. Aber wie soll jemand „die wesentlichen Merkmale" der „Ausführung
sich auch im Leitsatz des Urteils wiederfinden. Denn der als Gehilfe bestrafte Sach-
einer konkretisierten Tat" kennen, wenn ihm Täter und Opfer, Tatort und Tatzeit
verständige kannte nicht nur keine „wesentlichen", sondern überhaupt keine Einzel-
unbekannt sind?
heiten des Tatplanes und hatte doch einen ausreichenden Gehilfenvorsatz! Es ist auch
Aufschlußreich ist auch ein Urteil des BayObLG. 378 Hier hatte der Angeklagte 282
nicht richtig, daß in der Vorstellung des Gehilfen die hinreichende Wahrscheinlich-
dem Täter „zwei Spezialdrähte zum Ausleeren von Geldspielautomaten der Marke
keit der Tatbegehung davon abhängt, welche Einzelheiten des Tatplans er kennt. Sie
Merkur" verkauft, mit denen der Täter dann 21 Diebstähle aus Geldspielautomaten
hängt vielmehr von der Durchsetzungskraft des Täters und der leichteren oder
begangen hatte. Das Schöffengericht hatte den Angeklagten vom Vorwurf der
schwierigeren Ausführbarkeit des Planes ab. Wie wenig ein ernstliches Rechnen mit
Beihilfe freigesprochen, weil seine Vorstellung „in Ermangelung weiterer
der Tatbegehung die Kenntnis von Einzelheiten des Tatplanes voraussetzt, zeigt ge-
individualisierender Merkmale (Ort, Zeit und sonstige Umstände der Tatausfüh-
rade unser Fall: Der Gehilfe hatte mit dem Täter expressis verbis überhaupt nicht
rung) unbestimmt geblieben sei. Mit Recht hat das BayObLG eine Beihilfe-
über deliktische Pläne gesprochen, die er nur mutmaßte, so daß er keine Details
strafbarkeit bejaht. Es genügt die Vorstellung, daß der geleistete Tatbeitrag be-
kennen konnte. Daß man aber mit einem weit überhöhten Wertgutachten betrüge-
stimmungsgemäß für einen Diebstahl verwendet wird. Weitere „konkretisierende
rische Verkäufe oder Beleihungen vornehmen kann, ist so offensichtlich, daß man
Merkmale" braucht der Gehilfe nicht zu kennen. ,'
mit ihrer Begehung ernstlich rechnen kann und muß, auch wenn man vom Tatplan
Für den Exzeß des Täters gilt das bei der Anstiftung (Rn. 109 ff.) Ausgeführte 283
weiter nichts weiß. Es ist also nicht so, wie es nach der zitierten Passage den An-
mit der Maßgabe, daß Abweichungen des Täters von der Vorstellung des Gehilfen,
schein hat, daß der Gehilfe „wesentliche Einzelheiten des Tatplanes" kennen müßte;
er braucht sie im Gegenteil gerade nicht zu kennen, wie auch im Leitsatz des Urteils 376
Gegen das Abstellen auf die Kenntnis der „wesentlichen Dimensionen des Unrechts"
zutreffend gesagt wird. bei der Beihilfe auch Theile, 1999,121 ff.
377
Auch Loos, JR, 1997, 298, meint, ihr Gedankengang sei „nicht gerade besonders durch-
sichtig".
37. Gegen das Kriterium des „entschadendenTatmktels» auchTheile, 1999,133 ff. m.w.N. 37
s NJW1991, 2582. Dazu Wolf, JR 1992,428; Wild, JuS 1992, 911.
375 Abgedruckt in JZ 1997, 210, nicht aber in BGHSt 42,135.
229
228
§ 26 VI 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 26. Teilnahme - C. Die Beihilfe VII § 26
die sich im Rahmen desselben Tatbestandes halten, an der Beihilfe nichts ändern
(vgl. Rn. 114 zur engeren Lösung bei der Anstiftung). Benutzt also der Einbrecher VII. Die Strafe des Gehilfen
den ihm überlassenen Nachschlüssel nicht, wie der Außenstehende annahm, zum
§27 II bestimmt den Strafrahmen der Beihilfe nach dem der Haupttat, sieht 287
Eindringen in ein Privathaus, sondern zum Öffnen eines Banksafes, liegt gleich-
aber eine obligatorische Strafmilderung vor. Das entsprich^der im Verhältnis zum
wohl eine Beihilfe vor. Denn wenn der Beihilfevorsatz überhaupt nur den Tat-
„Ausfuhrer" und „Auslöser" der Tat i.d.R. untergeordneten Bedeutung des Ge-
bestand zu umfassen braucht, auf dessen Verwirklichung sich die Hilfe bezieht,
hilfenbeitrages. Die Strafrahmenmilderung schließt aber nicht aus, daß die im
können Planänderungen im Rahmen desselben Tatbestandes ihn nicht berühren.
konkreten Einzelfall innerhalb des reduzierten Strafrahmens zugemessene Strafe
diejenige des Täters erreicht oder gar übersteigt (RGSt 51, 106). Das Urteil dar-
VI. Sonderformen der Beihilfe über, ob es sich um einen mehr oder weniger schweren Fall von Beihilfe handelt,
hängt in erster Linie davon ab, wie gravierend der Gehilfenbeitrag ist; doch ist
284 Für die Beihilfe zu erfolgsqualifizierten Delikten, zu Pflichtdelikten und eigenhändigen
Delikten sowie zu Unterlassungstaten gelten die bei der Anstiftung entwickelten Grundsätze auch das Gewicht der Haupttat zu berücksichtigen.380 Umstände, die den Erfolgs-
(Rn. 167,168 f., 170 f.) entsprechend. Auch die Regeln über Täterschaft und Teilnahme bei der unwert der Tat herabsetzen, müssen dem Gehilfen aus Gründen der Akzessorietät
Anstiftung (Rn. 173 ff.) lassen sich sinngemäß auf die Beihilfe übertragen. Die Beihilfe durch sogar dann zugute gehalten werden, wenn er sie nicht kannte (BGH StV 1983,
Unterlassen (vgl. schon Rn. 205) wird erst bei den Unterlassungsdelikten erörtert.
326); denn der auf die Herbeiführung größeren Schadens gerichtete Wille des
285 Die Behandlung von Einheit und Mehrheit der Beihilfe entspricht ebenfalls Gehilfen bewegt sich im Rahmen des insoweit straflosen Versuchs. Die Bestrafung
derjenigen bei der Anstiftung (Rn. 172). Doch bedürfen die hier sich ergebenden des Gehilfen ist von derjenigen des Täters unabhängig. Sie kann erfolgen, bevor
Fragen etwas näherer Ausführung, weil sie Rspr. und Literatur gründlicher be- gegen den Täter eine Strafe verhängt worden ist; ja sie ist sogar schon dann zu-
schäftigt haben als bei der Anstiftung. Der Grundsatz ist, daß nur eine Beihilfe lässig, wenn der Haupttäter noch nicht einmal bekannt ist (OLG Hamburg J R
i. S. d. § 52 vorliegt, wenn der Gehilfe durch eine Handlung verschiedene Haupt- 1953, 27).
taten oder durch verschiedene Handlungen eine Haupttat unterstützt. Im ersten Eine doppelte Strafmilderung ist vorzunehmen, wenn eine Beihilfe und zu- 288
Fall beruht das darauf, daß der Gehilfe nur einen Handlungsakt ausübt, mögen gleich ein minder schwerer Fall der Haupttat (z. B. nach § 250 III) vorliegt.381 Sie
auch die seine Strafbarkeit begründenden Haupttaten vielfältig sein. Die Annah- kann ferner stattfinden, wenn die Tat im Stadium des Versuchs steckenbleibt, so
me, daß auf Grund des Akzessorietätsprinzips die Zahl der „Haupttaten" auch für daß dann nur eine Beihilfe zum Versuch vorliegt. Allerdings ist die doppelte
die der Beihilfehandlungen maßgebend sei, wird heute nicht mehr vertreten.379 Milderung in einem solchen Falle nur fakultativ, weil die Strafmilderung für den
Verkauft also A an B eine Kiste Einbruchswerkzeuge, von denen er weiß, daß sie Versuch in einem solchen Fall nicht zwingend ist (§ 23 II). Will der Richter von
an Einbrecher verteilt werden sollen, so liegt gleichwohl nur ein Beihilfeakt (in der Möglichkeit einer doppelten Strafmilderung Gebrauch machen, ist zunächst
Idealkonkurrenz) vor. Im zweiten Fall, wonach auch mehrere Beihilfehandlungen, ein reduzierter Strafrahmen für den Versuch der Haupttat festzusetzen und dieser
wenn sie sich auf eine Tat beziehen, nur eine Beihilfe ergeben, beruht die Lösung dann noch einmal nach Maßgabe des §27 II zu ermäßigen. 382 Eine fakultative
auf dem Strafgrund der Teilnahme als eines akzessorischen Rechtsgutsangriffs doppelte Milderung ist nach §§13 II, 27 II auch für die Beihilfe durch Unterlassen
(Rn. 2-9 u. passim). Denn der Gehilfe greift über die Person des Täters (also in ak- vorgesehen. Über die komplizierten Fragen einer Doppelmilderung bei der Bei-
zessorischer Weise) das Rechtsgut nur durch eine Tat an. hilfe zu echten Pflichtdelikten nach §§28 I, 27 II vgl. unten §27, Rn.82f. Keine
286 Eine Mehrheit von Beihilfehandlungen (Realkonkurrenz i. S. d. § 53) liegt vor, doppelte Strafmilderung zieht die Beihilfe zu einer Beihilfehandlung nach sich;
wenn der Gehilfe durch mehrere Hilfeleistungen verschiedene Taten desselben denn sie ist, da sie sich im Erfolg auswirken muß, mittelbar eine Beihilfe zur
Täters oder verschiedene Täter unterstützt. Greifen verschiedene Täter dasselbe Haupttat (RGSt 23, 300).
Handlungsobjekt an, liegt allerdings in ihrer Unterstützung nur eine Beihilfe,
wenn sie als Mittäter handeln; denn dann unterstützt der Mittäter nur eine Tat.
Leistet der Außenstehende verschiedenen Nebentätern Hilfe, liegen dagegen meh-
rere Beihilfehandlungen vor.

379 Im Sinne des Textes RGSt 70, 26 gegen die frühere Rspr.; BGH MDR (D) 1957, 266; 380 BGH NStZ 1981, 394; 1982, 206; BGH wistra 1983,116; BGH StV 1985,411.
MDR (H) 1980, 272; BGHR StGB, §27 I, Hilfeleisten, Nr. 2; BayObLG NJW 1989, 2142f.; 38i BGH GA 1980, 255; BGH NStZ 1988,128.
Lackner/Kühl24, vor § 52, Rn. 22; BGH NStZ 1999, 451, 513. 382 RGSt 2, 383; 61, 77.
230
231
§ 27. Besondere persönliche Merkmale § 27

deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger


Kommentars und des Wiener Kommentars, 2. Teil, GA 1986, 293; Vormbaum, Der strafrechtliche
Schutz des Strafurteils. Untersuchungen zum Strafrechtsschutz des strafprozessualen Verfah-
renszieles, 1987; Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre, 1988; Grünwald, Zu den be-
§ 27. Besondere persönliche Merkmale. sonderen persönlichen Merkmalen, Armin Kaufmann-GS, 1989, 555; H. J. Hirsch, Zum Span-
Akzessorietätslockerung und Vertreterhaftung nungsverhältnis von Theorie und Praxis im Strafrecht, Tröndle-FS, 1989,19; Keller, Rechtliche
Grenzen der Provokation von Straftaten, 1989; Herzberg, Akzessorietät der Teilnahme und per-
sönliche Merkmale, GA 1991, 145; Küper, „Besondere persönliche Merkmale" und „spezielle
Schuldmerkmale" ZStW 104 (1992), 577; Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerk-
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Schuld des Teilnehmers, insbesondere bei Tötungs- und Wirtschaftsverbrechen, JR 1949, 165; StGB, JA 1998, 41; Grünst, § 370 I Nr. 2 AO - Sonderdelikt und besonderes persönliches Merk-
Eb. Schmidt, Zum Verhältnis der §§211ff. zum §50 StGB, DRZ 1949, 272; Welzel, Zur Sy- mal (§28 I StGB). Anmerkung zu BGH, NStZ 1995, 405, NStZ 1998, 548; Fr.-Chr. Schroeder,
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Zur Problematik der Beteiligung an vermeintlich vorsätzlichen rechtswidrigen Taten, Gallas- und kriminalpolitische Grundfragen der Unternehmenskriminalität, wistra 1982, 41; Meurer/
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berg, Die Problematik der „besonderen persönlichen Merkmale" im Strafrecht, ZStW 88 (1976), tungsweise, 1984; Herzberg, Die Verantwortung für Arbeitsschutz und Unfallverhütung im Be-
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Haupttäters muß sich der Teilnehmer zurechnen lassen?, MDR 1977, 365; Cortes Rosa, Teilnah- Spiegel des Leipziger und des Wiener Kommentars, 2. Teil, GA 1986, 293; Tiedemann, Die straf-
me am unechten Sonderverbrechen, ZStW 90 (1978), 413; Schünemann, Unternehmenskrimi- rechtliche Vertreter- und Unternehmenshaftung, NJW 1986,1842; Winkelbauer, Strafrechtlicher
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lassungsdelikt, JA 1980, 553; Schünemann, Die Bedeutung der „besonderen persönlichen terhaftung - eine Waffe im Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität?, JZ 1988, 286; Fuhrmann,
Merkmale" für die strafrechtliche Teilnehmer- und Vertreterhaftung, Jura 1980, 354, 568; Herz- Die Bedeutung des „faktischen Organs" in der strafrechtlichen Rechtsprechung des Bundesge-
berg, Der agent provocateur und die „besonderen persönlichen Merkmale" (§ 28 StGB), JuS richtshofs, Tröndle-FS, 1989, 139; Löffeler, Strafrechtliche Konsequenzen faktischer Geschäfts-
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Mordmerkmale und Akzessorietät der Teilnahme (§ 28 StGB), Jura 1986,106; Schünemann, Die Konkursverschleppung als Methodenproblem, Rebmann-FS, 1989, 419; Achenbach, Die Sank-

232
233
§ 27 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale — A. Akzessorietätsregelung II § 27
tionen gegen die Unternehmensdelinquenz im Umbruch, JuS 1990, 601; Arloth, Zur Abgren- nach einem anderen, milderen oder strengeren Strafrahmen zur Verantwortung
zung von Untreue und Bankrott bei der GmbH, NStZ 1990, 601; H. Schäfer, Die Entwicklung
der Rechtsprechung zum Konkursstrafrecht, wistra 1990, 131; Bottke, Empfiehlt es sich, die gezogen. In den Fällen der „Sonderschuld" harmoniert das mit d e m schon in
strafrechtliche Verantwortlichkeit für Wirtschaftsstraftaten zu verstärken?, wistra 1991, 81; Bott- § § 2 6 , 27 ausgesprochenen Grundsatz der limitierten Akzessorietät (dazu § 2 6 ,
ke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992; W. Schmid, Strafrechtliche Einstandspflichten, R n . 32 ff). D e n n w e n n eine Teilnahmebestrafung sogar bei gänzlich fehlender
in: Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 21992, 387; Gübel, Die Auswirkungen
der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung faktischer GmbH-Geschäfts- Schuld des Täters möglich ist, ist es folgerichtig, auch im übrigen die Bestrafung
führer, 1994; Bittmann/Pikarski, Strafbarkeit der Verantwortlichen der Vor-GmbH, wistra 1995, von Tätern und Teilnehmern nach dem Maß ihrer j e eigenen Schuld zu bestim-
91; Deutscher/Körner, Strafrechtlicher Gläubigerschutz in der Vor-GmbH, wistra 1996, 8; Dier- men. Die Auswirkungen des „Sonderunrechts" auf den Strafrahmen lockern d e m -
lamm, Der faktische Geschäftsführer im Strafrecht - ein Phantom?, NStZ 1997, 153; Biletzki,
Strafrechtlicher Gläubigerschutz bei fehlerhafter Buchführung durch den GmbH-Geschäfts- gegenüber auch den Grundsatz der limitierten Akzessorietät noch weiter auf. O b
führer, NStZ 1999, 537. und wie sich das mit dem Strafgrund der Teilnahme (§26, R n . 11 ff), vor allem
mit der überwiegend angenommenen Herleitung des Teilnahmeunrechts aus dem
Täterunrecht, vereinbaren läßt, ist eine später noch zu behandelnde Streitfrage
(Rn.löff).
A . D i e A k z e s s o r i e t ä t s r e g e l u n g der § § 28, 29

I. D e r Sinn der gesetzlichen A n o r d n u n g


II. Das Verhältnis der §§ 28, 29 zueinander
1 Der (später noch näher zu erklärende) Sinn der in § § 2 8 , 29 getroffenen R e g e -
Einigkeit besteht zunächst darüber, daß §29 den Grundsatz der limitierten 5
lung besteht darin, Merkmale eines besonderen Unrechts oder einer besonderen
Akzessorietät ausspricht (dazu § 26, R n . 32 ff.) und damit für die Schuldaus-
Schuld, die nur bei einem von mehreren Beteiligten vorliegen (seien sie straf-
schließungsgründe des Allgemeinen Teils gilt. Daß also, soweit nicht eine m i t -
begründend, strafschärfend, strafmildernd oder strafausschließend), dem anderen,
telbare Täterschaft anzunehmen ist (§ 26, R n . 33), bei unvermeidbarem Verbotsirr-
bei dem diese Merkmale fehlen, nicht oder nicht in vollem Umfange zuzurechnen.
tum (§ 17 S.l), bei Schuldunfähigkeit (§§ 19, 20; ggf. § 3 JGG), bei strafbefreien-
2 Der Fall eines „besonderen Unrechtes" in der Person eines Beteiligten liegt
dem Rücktritt (§ 24), 1 beim Notwehrexzeß (§ 33) und beim entschuldigenden
z.B. vor, wenn ein Privatmann einen Richter zur Rechtsbeugung bestimmt Notstand (§ 35) trotz der Straflosigkeit des Täters eine strafbare Teilnahme m ö g -
(§§26, 339). Zwar greift bei einem solchen Sachverhalt auch der Außenstehende lich ist, folgt aus § 29 (und von der Unrechtsseite her auch schon aus dem Wort-
die Rechtspflege durch Herbeiführung eines falschen Urteils an und wird deshalb laut der § § 2 6 , 27). § 2 9 geht aber über die limitierte Akzessorietät hinaus. Auch
wegen Anstiftung zu § 339 bestraft. Aber das besondere, „zusätzliche" Unrecht, wenn einem Beteiligten nur ein allgemeiner Schuldminderungsgrund zur Seite
das der Täter durch den Verstoß gegen die vornehmste Pflicht seines Richteramtes steht (§§ 17 S. 2, 21, 35 II), ist der gemilderte Strafrahmen nur auf den anzuwen-
begeht, kann der Außenstehende nicht verwirklichen. Das hält i h m der Gesetz- den, bei dem seine Voraussetzungen vorliegen. § 29 ist auch anwendbar auf M i t -
geber zugute, indem er für ihn in § 28 I eine Strafmilderung anordnet. wirkungsverhältnisse im Allgemeinen Teil, die anderen Regeln als denen der A k -
3 Merkmale einer „besonderen Schuld" mögen an dem Fall verdeutlicht werden, zessorietät unterliegen. So ist z. B. eine Mittäterschaft möglich, auch wenn einer
daß ein Vater seine schwangere Tochter zu einer Abtreibung veranlaßt. Der Gesetz- der Mittäter schuldlos oder unter den Voraussetzungen des § 21 handelt (vgl. § 25,
geber geht in diesem Fall von einer verminderten Schuld der typischerweise in ei- R n . 185 zur Frage einer mittelbaren Täterschaft in solchen Fällen).
ner Konfliktslage handelnden Schwangeren aus u n d honoriert dies in § 218 III mit
Z u m unbestrittenen Anwendungsbereich des § 28 gehören demgegenüber alle 6
einer im Verhältnis zur Fremdabtreibung erheblich herabgesetzten Strafdrohung.
besonderen persönlichen Unrechtsmerkmale, seien sie strafbegründend (§ 28 I),
Beim Vater liegt diese besondere Schuldverringerung nicht vor, so daß er wegen
seien sie strafschärfend oder strafmildernd (§ 28 II). D e n n da § 29 sich seinem ein-
Anstiftung zu § 218 I bestraft wird. O b diese Lösung aus § 28 II oder aus § 29 her-
deutigen Wortlaut nach auf die Schuld beschränkt, folgen Akzessorietätslocke-
zuleiten ist, ist umstritten (dazu R n . 7 ff), für das Ergebnis aber gleichgültig. U m -
rungen im Unrechtsbereich allein aus § 28. Es ergibt sich also aus § 28 I, daß «der
gekehrt ist die Schwangere, wenn sie einen Dritten zur Abtreibung an sich selbst
nichtqualifizierte Teilnehmer am echten Amtsdelikt milder bestraft wird (vgl. das
veranlaßt, nur der Anstiftung zu einer Tat nach § 218 III schuldig. (Freilich tritt
Bsp. R n . 1). Entsprechend ist aus § 28 II zu entnehmen, daß der Teilnehmer an
diese Anstiftung als subsidiär hinter der Täterschaft nach § 218 III zurück, die in einem unechten Amtsdelikt (z. B. einer Körperverletzung im Amt, § 340) nur aus
der Darbietung des eigenen Körpers für die Abtreibungshandlung liegt.) dem milderen Strafrahmen des Allgemeindelikts (hier: § 223) bestraft wird.
4 Alle Anwendungsfälle der § § 2 8 , 29 bedeuten eine Akzessorietätslockerung.
Der Anstifter — u m bei diesem Beispiel zu bleiben — wird entgegen der Regel des
§ 26 nicht „gleich einem Täter" (also nach dem Strafrahmen der Tätertat), sondern 1
Soweit man diesen für einen Schuldausschließungsgrund hält (vgl. § 30, Rn. 29 ff).
234
235
§ 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung II § 27
§ 27 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
Verächtlichmachung der Bundesrepublik Deutschland (§ 90 a), ohne dabei selbst
7 Umstritten ist aber die Zuordnung der speziellen, in den Tatbeständen des Be-
böswillig zu handeln! Oder jemand stiftet zu einer Straßenverkehrsgefährdung
sonderen Teils enthaltenen Schuldmerkmale; das gilt sowohl für die strafbegrün-
nach § 315 c I Nr. 2 an, ohne dabei von der Rücksichtslosigkeit beseelt zu sein, die
denden wie für die strafmodifizierenden. Strafbegründende Schuldmerkmale
den Täter kennzeichnet! Wendet man hier §29 an, so kann der Außenstehende
sind etwa die „Böswilligkeit" (§§90 a; 130 I Nr. 2; 225), die „Rücksichtslosigkeit"
nicht bestraft werden, weil seine Schuld (mangels Böswilligkeit bzw. Rücksichts-
(§ 315 c I Nr. 2) und die „Gewerbsmäßigkeit" (§ 180 a I). Strafmodifizierende
losigkeit) nicht das in den betreffenden Tatbeständen geforderte Ausmaß erreicht.
Schuldmerkmale strafschärfender Art sind vor allem die Mordmerkmale der er-
Behandelt man den Sachverhalt dagegen nach § 28 I, so ist der Außenstehende
sten und dritten Merkmalsgruppe des § 211, wenn man den Mord mit der absolut
strafbar. Denn zwar fehlt ihm ein besonderes persönliches Merkmal des Täters
h. M. als qualifizierten Fall des Totschlages ansieht. Beurteilt man den Mord mit
(dessen Böswilligkeit bzw. Rücksichtslosigkeit); aber das führt nicht zur Straf-
der Rspr. als ein gegenüber dem Totschlag selbständiges Delikt, handelt es sich
freiheit, sondern nur zu einer Strafmilderung nach dem Schlüssel des § 49 I.
auch insoweit um strafbegründende Schuldmerkmale. Als Beispiel eines strafmil-
Im umgekehrten Fall, daß beim Teilnehmer eine Böswilligkeit, Rücksichtslosigkeit usw. 10
dernden Schuldmerkmals kann etwa der schon erwähnte Fall der Abtreibung die- vorliegt, die dem Täter fehlt, kommen entgegen einer verbreiteten Meinung alle Ansichten
nen, die die Schwangere an sich selbst vornimmt oder zuläßt (§ 218 III, vgl. Rn. 3). wieder zum selben Ergebnis der Straflosigkeit des Teilnehmers. Wendet man § 28 I auf diese
Auch gibt es strafausschließende spezielle Schuldmerkmale, z. B. die Angehörigen- Merkmale an, so ist das selbstverständlich; denn die Bestimmung behandelt diesen Fall nicht,
so daß die Straflosigkeit des Täters auf den Teilnehmer durchschlägt. Aber auch bei einer Her-
eigenschaft in § 258 VI. 2 anziehung des § 29 kann eineTeilnahmestrafbarkeit nicht bejaht werden. Denn jede Teilnahme
8 Für die Zuordnung der speziellen Schuldmerkmale zu §§ 28, 29 sind drei Mög- setzt voraus, daß alle Merkmale einer Tätertat vorliegen, der Garantietatbestand der betroffe-
lichkeiten in der Diskussion. Die h. M. 3 und auch die Rspr. 4 behandeln alle spe- nen Vorschrift also erfüllt ist. Wo überhaupt kein Täter einer böswilligen Verächtlichmachung
des Bundesrepublik, einer rücksichtslosen Straßenverkehrsgefährdung usw. vorhanden ist,
ziellen Schuldmerkmale nach § 28 I und II; die Trennlinie zwischen § 28 und § 29 kann es auch keine Teilnahme geben.
verläuft dann so, daß alle besonderen persönlichen Merkmale unter § 28, alle all-
gemeinen Schuldmerkmale dagegen unter § 29 fallen. Eine zweite Ansicht5 will Hinsichtlich der Auswirkung auf die Strafbarkeit der Beteiligten reduziert sich 11
dagegen alle Schuldmerkmale, allgemeine wie spezielle, dem § 29 zuordnen; hier der Unterschied der Meinungen (Rn. 8) also auf die folgende Frage: Ist es richtig,
sind also die Deliktskategorien von Unrecht und Schuld für die Abgrenzung maß- den Teilnehmer, der bestimmte, beim Täter vorausgesetzte strafbegründende
gebend. Eine dritte Auffassung6 unterscheidet bei den speziellen Schuldmerk- Schuldmerkmale (Böswilligkeit, Rücksichtslosigkeit, Gewerbsmäßigkeit) in sei-
malen noch wieder zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden (vgl. ner Person nicht aufweist, straflos zu lassen (Rn. 8, Ansicht zwei und drei), oder ist
Rn.7); die erste Fallgruppe wird dem § 29, die zweite dem § 28 II unterstellt. eine Strafbarkeit mit der Milderung des § 28 I angemessen (Rn. 8, erste Ansicht)?
9 Man muß sich die praktische Bedeutung des Streites klar machen, um zu einer Die besseren Gründe sprechen dafür, den Fall nach § 28 I zu behandeln und damit 12
Entscheidung zu kommen. Dann ergibt sich, daß er für die strafmodifizierenden eine — wenn auch nach §49 I gemilderte — Teilnahmestrafbarkeit anzunehmen.
Schuldmerkmale keine Auswirkung hat (vgl. schon das Bsp. Rn. 3); denn sie wer- Denn wenn der Täter in der von den jeweiligen Tatbeständen geforderten Weise
den bei Anwendung des § 28 II wie des § 29 gleichermaßen nur dem zugerechnet, böswillig, rücksichtslos oder gewerbsmäßig vorgeht, ist eine soziale Störung gege-
bei dem sie vorliegen. Ein gravierender Unterschied zeigt sich jedoch bei straf- ben, der nach der Anordnung des Gesetzgebers mit einer Strafsanktion entgegenge-
begründenden Schuldmerkmalen, die nur beim Täter vorhanden sind, dem Teil- treten werden muß. Wenn ein Außenstehender sich daran beteiligt, greift er mittelbar
nehmer aber fehlen. Man nehme an, jemand beteilige sich an einer böswilligen (über die Person des Täters) das geschützte Rechtsgut in tatbestandserfüllender Form
an und muß bestraft werden;9 denn niemand kann sich straflos in einer den Straf-
grund der Teilnahme verwirklichenden Weise an strafbaren Handlungen beteiligen.
2 Näher vgl. Roxi«, KT l3, § 22, Rn. 130 ff. Nur scheinbar entspricht eine Straflosigkeit des Teilnehmers dem Schuldprinzip 13
J Blei, AT*, §76; den., PdW ATU, Fall 332; Eben, AT3, 209f.; Gallas, 1968,155f.; Grünwald,
Arm. Kaufmann-GS, 1989, 566 ff.; Kindhäuser, StGB, §28, Rn.8; Köhler, AT, 551; Lackner/ besser.10 Denn das Schuldprinzip besagt nur, daß niemand ohne Schuld bestraft
Kühl24, §28, Rn.l; Niedermair, ZStW 106 (1994), 400ff.; noch SK5-Samson, §28, Rn. 8, 14; werden darf und daß jeder „nach seiner Schuld" bestraft werden muß. Es besagt
anders jetzt aber SK7-Hoyer, §28, Rn.6ff. (9); Sch/Sch/Cramer/Heine26, §28, Rn.3ff.; §29,
Rn.4; Schünemann, Jura 1980, 363; Stratenwerth, AT4, §12, Rn.l85f. Im Ergebnis auch Mau- i Gallas, 1968, 156; ders., ZStW 88 (1976), 173; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §28, Rn. 5; Schüne-
rach/Gössel, AT/27, 53/144. mann, ]mn 1980, 363; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 187; Vogler, Lange-FS, 1976, 267.
t Vgl. z.B. RGSt 25, 266; 59, 140; 72, 373f.; BGHSt 1, 235, 240; 17, 215, 217; 22, 375, 378; » Herzberg, ZStW 88 (1976) 72; ders., 1977, § 11 III a. E.; SK7-Hoyer, § 28, Rn. 11; LKn-Roxin,
25, 287, 289; BGHR StGB, § 28 I, Merkmal, Nrn. 2, 3. §28, Rn.l5m.w.N.
s Hake, 1994, 160 {.; Jakobs, AT2, 23/5; Jescheck/Weigend, AT5, §42 III 2, §61 VII 4 c; Kühl, » Überzeugend Niedermair, ZStW 106 (1994), 397.
AT3, §20, Rn.l55ff.; Schmidhäuser, LB AT2, 14/89, 96; ders., StuB AT2, 10/33ff.; Stratenwerth, io So aber Hake, 1994, 161; Herzberg, ZStW 88 (1976), 70ff.; ders., 1977, § 11III a.E.; Jescheck,
ZStW 88 (1976), 173; Jescheck/Weigend, AT5, §61 VII 4 c, d; Kühl, AT3, §20, Rn. 157; Küper,
AT1, Rn.980ff.; Wteeb/Bewlfee, AT31, Rn.422f., 559.
ZStW 104 (1992), 587 ff; bisher auch LK11 -Roxin, §28, Rn. 14.
<> Gropp, AT2, §10, Rn.ll9f.; Herzberg, ZStW 88 (1976) 70ff.; ders., 1977, §11 III; Kühl,
AT3, § 20, Rn. 155 f.; SK7-Hoyer, § 28, Rn. 6ff. (9), sowie noch LKn-Roxin, § 28, Rn. 14ff. 237
236
§ 27 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale — A. Akzessorietätsregelung III § 27

Strafgrund der Teilnahme vereinbaren lassen. Nach dem herrschenden Verständnis


aber nicht, daß nur bestraft werden darf, wer dieselbe Schuld aufweist wie der Tä-
der Vorschrift wird der Teilnehmer im Anwendungsbereich des § 28 I aus d e m -
ter. Gewiß trägt der böswillige, rücksichtslose oder gewerbsmäßig handelnde Tä-
selben Tatbestand verurteilt wie der Täter; nur seine Strafe wird nach § 49 I herab-
ter eine „Sonderschuld" im Vergleich mit dem Teilnehmer, der diese Merkmale
gesetzt. Dagegen soll er im Falle des § 28 II nach dem milderen oder strengeren
nicht aufweist. Aber dies wird durch die in § 28 I angeordnete Strafrahmenfeduk-
Tatbestand verurteilt werden, der sich je nach dem Fehlen oder Vorhandensein der
tion hinreichend berücksichtigt.
besonderen persönlichen Merkmale in seiner Person ergibt.
14 Gegen diese Lösung wird ferner eingewandt, sie stelle den Teilnehmer schlech-
Soweit es sich u m Schuldmerkmale handelt, ist diese unterschiedliche H a n d - 17
ter als den Täter: 11 Fehle dem Täter das entsprechende Schuldmerkmal, sei er straf-
habung der Strafreduktion hinnehmbar. D e n n da die Schuld außerhalb der l i -
los; fehle es dem Teilnehmer, bleibe er, w e n n auch in milderer Form, strafbar.
mitierten Akzessorietät steht, kann der Gesetzgeber frei darüber entscheiden, wie
Aber das ist kein Gegenargument, weil es nach der Regelung des § 28 I für alle
sich die „Sonderschuld" eines Beteiligten auf die Strafbarkeit eines anderen auswir-
strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale (und nicht nur für die sel-
ken soll (vgl. R n . 7-15). Dagegen bedeutet bei besonderen persönlichen Unrechts-
tenen strafbegründenden Schuldmerkmale) gilt: Sie müssen sämtlich beim Täter,
merkmalen die Heranziehung unterschiedlicher Tatbestände für die Verurteilung
aber nicht beim Teilnehmer vorliegen, bei dem ihr Fehlen nur Anlaß für eine
des Nichtqualifizierten ein unlösbares Problem. Wie ist es zu erklären, daß der
Strafmilderung ist. Auch sonst braucht ja der Teilnehmer nicht alle Merkmale auf-
extrane Anstifter zur Rechtsbeugung gemäß § § 26, 336, also aus dem v o m Täter
zuweisen, die die Tätertat charakterisieren (wie etwa die Zueignungsabsicht beim
erfüllten Tatbestand, die entsprechende Anstiftung zu einer Körperverletzung im
Diebstahl); und oft (wie auch i m Falle des § 242, vgl. R n . 73) wird i h m das Fehlen
Amt aber nicht nach §§ 26, 340, sondern nach § § 26, 223 bestraft werden soll?
von Merkmalen, die den Täter charakterisieren, nicht einmal mit einer Strafmil-
Der hier u n d auch von der h. M . vertretenen Auffassung v o m „akzessorischen 18
derung honoriert.
Rechtsgutsangriff" als Strafgrund der Teilnahme (§ 26, R n . 11 ff.) entspricht nur
15 Schließlich spricht für die hier vertretene Lösung auch die Entstehungsge-
die Regelung des § 28 I. D e n n danach wird dem Teilnehmer (unbeschadet selb-
schichte des Gesetzes. 12 D e n n bis 1943 kannte unser StGB keine dem heutigen
ständiger Elemente des Teilnahmeunrechts) das Unrecht der Tätertat (im Beispiel
§ 29 entsprechende Vorschrift, so daß die damals (in § 50 a. F.) allein geregelten
also die Rechtsbeugung) zugerechnet; das Fehlen des besonderen persönlichen
strafmodifizierenden Schuldmerkmale genau wie die besonderen persönlichen
Merkmals beim Teilnehmer hat nur für die Strafzumessung Bedeutung. Dagegen
Unrechtsmerkmale nach der Regel des heutigen § 28 II behandelt wurden; das
ist es mit dem Strafgrund der Teilnahme nicht zu vereinbaren, daß der Anstifter zu
spiegelt sich noch jetzt in der E r w ä h n u n g der strafausschließenden Merkmale in
einer Körperverletzung im A m t (§340) nur nach § § 2 6 , 223 verurteilt werden
§ 28 II, die sich nicht auf Fälle eines für alle geltenden Unrechtsausschlusses bezie-
soll. D e n n dann wird entgegen der allgemeinen Akzessorietätsregelung das U n -
hen können. Wenn aber die strafmodifizierenden Schuldmerkmale immer schon
recht der Teilnahme nicht aus der Tätertat abgeleitet, sondern selbständig b e -
nach § 28 II behandelt wurden u n d auch heute behandelt werden, ist es folgerich-
stimmt. Eine solche Lösung entspricht der reinen Verursachungstheorie (§26,
tig, die strafbegründenden Schuldmerkmale dem § 28 I zu unterstellen. Aus der
R n . 12 ff), die den Teilnehmer nur wegen des von i h m selbst bewirkten Unrechts
Begründung zu § 33 E 1962, der dem heutigen § 28 entspricht, läßt sich außerdem
bestraft. Sie m u ß denn auch die herrschende Auslegung des § 28 II für sachgemäß
entnehmen, 1 3 daß der neu zu schaffende § 28 I (§ 33 I E 1962, eingeführt 1968 als
halten. Dagegen ist für diese Lehre § 28 I unerklärbar u n d sachlich falsch. 14 Da der
§ 50 II) auch für strafbegründende besondere Schuldmerkmale gelten sollte. D e n n
Teilnehmer das Rechtsbeugungsunrecht nicht in seiner Person verwirklichen
die Entwurfsbegründung nennt unter den besonderen persönlichen Merkmalen
kann, müßte er konsequenterweise straflos bleiben. Wie immer man den Straf-
auch Umstände wie „böswillig" u n d „gewissenlos", die im Gesetz schon damals
grund der Teilnahme wählt: W e n n man der herkömmlichen D e u t u n g des § 2 8
nur als strafbegründende Schuldelemente vorkamen.
folgt, paßt entweder der Abs. 2 oder der Abs. 1 mit dem Strafgrund der Teilnahme
nicht zusammen.
III. § 28 und der Strafgrund der Teilnahme Eine stimmige und mit der Ableitung des Teilnahmeunrechts aus dem Unrecht 19
der Tätertat allein zu vereinbarende Lösung läßt sich nur dann erreichen, wenn
16 Es ist eine weitere, auch praktisch bedeutsame Streitfrage, wie sich die unter-
man § 28 II bei besonderen persönlichen Unrechtsmerkmalen nur als Strafzumes-
schiedlichen Formen der Strafherabsetzung, die § 28 I und II beim Fehlen beson-
sungsregel versteht, den der Verurteilung zugrunde zu legenden Tatbestand aber
derer persönlicher Merkmale in der Person eines Beteiligten vorsehen, mit dem
wie bei § 28 I allein nach der Tätertat bestimmt. Wenn ein Privatmann einen
Amtsträger zur Körperverletzung im A m t anstiftet, ist er also nicht, wie es der
» Herzberg, 1977, § 11III; dagegen Niedermair, ZStW 106 (1994), 399 f.
12 Vgl. Niedermair, ZStW 106 (1994), 400 ff. 14
Näher zu dieser von Schmidhäuser vertretenen Auffassung § 26, Rn. 15.
» BT-Drucks. IV/650,152.
239
238
§ 27 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27

überlieferten Auffassung entspricht, nach § § 2 6 , 223, sondern - ganz entspre- (§ 358). 2 0 Auch beim strafbaren Unterlassen eines Amtswalters bereitet die B e -
chend der in § 28 I getroffenen Regelung - nach §§ 26, 340 zu bestrafen; nur das strafung des Extraneus Schwierigkeiten, w e n n man ihn nur nach dem Grundtat-
Strafmaß hat sich in dem durch § 223 bestimmten R a h m e n zu halten. Diese mit bestand verurteilen kann. 2 1
dem Wortlaut des § 28 II durchaus zu vereinbarende Lösung ist für einen Teil der Nach der hier verfochtenen Ansicht ist also der Extraneus, bei dem besondere 22
in Betracht k o m m e n d e n Delikte zuerst von Wagner15 entwickelt und dann von Cor- persönliche Unrechtsmerkmale nicht vorliegen, auch im Einzugsbereich des § 28
tes Rosa16 eingehend begründet worden. Sie hat seither zahlreiche Anhänger g e - II aus dem Tatbestand der Tätertat zu verurteilen. Daß dies zu sachlich überzeu-
wonnen. 1 7 genden Ergebnissen führt, wird meist auch von den Vertretern der Gegenauffas-
20 § 28 II ist also bei besonderen persönlichen Merkmalen keine Tatbestandsan- sung nicht bestritten. Es wird nur behauptet, daß es nicht dem Gesetz entspreche,
wendungs-, sondern nur eine Strafzumessungsregel. Das hat nicht nur den Wert die einheitlich formulierte Rechtsfolgenanordnung des § 28 II aufzuspalten und
einer theoretischen Klärung, sondern auch große praktische Bedeutung. Ist z.B. bei Unrechtsmerkmalen eine Verurteilung aus dem vom Täter verwirklichten Tat-
ein Demonstrant zur Erzielung eines politischen Effektes mit seiner Verprügelung bestand auszusprechen, bei Schuldmerkmalen aber nur das Grunddelikt der Ver-
durch einen Polizisten einverstanden, so wirkt diese Einwilligung bei § 223 tatbe- urteilung zugrunde zu legen. So sagt Samson:22 „Das von R o x i n entworfene
standsausschließend oder rechtfertigend. 18 Diese W i r k u n g tritt aber bei § 3 4 0 Modell entspricht zwar vollständig den Grundsätzen, auf denen der Strafgrund
nicht ein, weil dessen Rechtsgut nicht zur Disposition des privaten Opfers steht. der Teilnahme beruht, ob er aber mit dem Gesetz vereinbar ist, m u ß bezweifelt
Stiftet n u n ein Freund des Demonstranten, der mit diesem im Bunde ist, den Poli- werden." Auch Grünwald23 meint, die hier vertretene Auffassung sei „keine Inter-
zisten zur Verprügelung an, so bleibt er nach der hier vertretenen Ansicht gemäß pretation, sondern eine Korrektur des Gesetzes". 24 Aber diese Bedenken sind u n b e -
§§ 26, 340 strafbar; nur sein Strafmaß m u ß sich in dem durch § 223 vorgegebenen gründet. 2 5 D e n n § 28 II beschränkt sich darauf anzuordnen, welcher Strafrahmen
R a h m e n halten. N i m m t man hingegen eine Anstiftung zu § 2 2 3 an, so müßte bei der Strafzumessung heranzuziehen ist. Welcher Tatbestand der Verurteilung
diese wegen der Einwilligung des Betroffenen straflos bleiben. Das ist eine im zugrunde zu legen ist, ergibt sich nicht aus § 28 II, sondern aus der limitierten Ak-
Hinblick auf § 28 I verfehlte Lösung: D e n n die vorsätzliche Bestimmung zur B e - zessorietät in Verbindung mit dem Strafgrund der Teilnahme. Diese übergeordne-
gehung eines Amtsdeliktes m u ß entsprechend d e m Strafgrund der Teilnahme b e - ten gesetzlichen Regeln aber führen zu der hier entwickelten Differenzierung.
straft werden; daß beim Teilnehmer das „Sonderunrecht" des Täters fehlt, kann nur
mit einer Strafherabsetzung honoriert werden. In entsprechender Weise ist wegen
IV. Was sind „besondere persönliche Merkmale"?
Anstiftung zu § 354 (wenn auch aus dem Strafrahmen des § 202) zu bestrafen, wer
einen Postbeamten zu einer unbefugten Brieföffnung veranlaßt; wollte man eine 1. Persönliche Merkmale
Anstiftung zu § 202 annehmen, so wäre die Strafbarkeit von einem Strafantrag des
a) Der Begriff des Merkmals
Verletzten abhängig, was bei der Verleitung zu einem strafantragsunabhängigen
Amtsdelikt nicht sachgerecht wäre. 19 § 2 8 I verweist zur näheren Kennzeichnung der „besonderen persönlichen 23
21 Die praktische Bedeutung der Streitfrage beschränkt sich nicht auf die Einwilli- Merkmale" auf § 14 I, w o diese als „besondere persönliche Eigenschaften, Verhält-
gung und die Antragsdelikte. Es m u ß z. B. nach der hier vertretenen Auffassung nisse oder Umstände" charakterisiert werden. Als „Eigenschaften" werden dabei
auch ein Nichtamtsträger, der einen Amtsträger zu einer Strafvereitelung z u g u n - meist Gegebenheiten angesehen, die „mit dem Wesen des Täters verbunden" sind
sten eines Angehörigen (des Extraneus) anstiftet, wegen Anstiftung zu § 258 a b e - (BGHSt 6, 262) und ihm unlösbar anhaften, wie z. B. sein Geschlecht. Unter „Ver-
straft werden, w e n n auch nach dem Strafrahmen des § 258, während er nach der hältnissen" werden „Beziehungen zu anderen Menschen oder Dingen" (BGHSt 6,
Gegenansicht wegen § 258 VI straffrei wäre. Schließlich ist eine Aberkennung der 262) wie die Amtsträgereigenschaft und andere täterschaftsbegründende Pflich-
Amtsfähigkeit bei dem am unechten Amtsdelikt mitwirkenden Extraneus nur tenpositionen verstanden. Mit den besonderen persönlichen „Umständen", die erst
möglich, wenn auch er nach dem Tatbestand des Amtsdelikts verurteilt wird 1968 in das Gesetz aufgenommen worden sind, sollen Merkmale erfaßt werden,

15 20
Wagner, 1975, 398 ff. (für die von ihm sog. unechten Staatszurechnungsdelikte). Das letzte Beispiel bei Stein, 1988, 40.
21
w Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 413 ff. Ausführlich Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 425 ff.; zur Diskussion darüber Cortes Rosa
17
Mit gewissen Unterschieden im einzelnen: Blo% 1985, 187; Hake, 1994, 141 ff.; Hirsch, selbst, aaQ, 429ff., 440; Stein, 1988, 44f.
Tröndle-FS, 1989, 35; SK6 -Hom, § 211, Rn. 24, 26; LK™-Jescheck, vor § 331, Rn. 12; Keller, 1989, 22
SK3 -Samson, § 28, Rn. 6 b; wie hier jetzt aber SK7-Hoyer, § 28, Rn. lff, 5.
170 f.; SK5-Rudolphi, vor § 331, Rn. 5; Schünemann, GA 1986, 340. 23
Grünwald, Armin Kaufmann-GS, 1989, 565.
is Dazu Roxin, AT l3, § 13. 24
Ähnliche Bedenken beiJakobs, KT2, 23/34; Küper, ZStW 104 (1992), 577 ff.
19 25
Vgl. zu beiden Fällen mit weiteren Argumenten Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), 413 ff. Für Zu weiteren - nicht stichhaltigen - Einwänden von Cramer undjakobs vgl. LKu-Roxin
die Notwendigkeit eines Strafantrages aber RG JW 1938,1583. § 28, Rn. 7, 8; zuJakobs auch Stein, 1988, 43.

240 241
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27

die sich, wie die Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit, weder als Eigenschaften mäßigen Begehung" (§§ 244 I Nr. 3 StGB; 373 II Nr. 3 AO; 30 I Nr. 1 BtMG) als
noch als Verhältnisse qualifizieren lassen. Vor allem sollen durch dieses Merkmal sachliches Merkmal verstanden (BGHSt 6, 260, 262; 8, 70, 72; 205, 209), während
„vorübergehende seelische Haltungen", wie etwa die Kriterien der ersten und dieses Kriterium seit BGHSt 12, 220, 226 f. als besonderes persönliches Merkmal
dritten Mordmerkmalsgruppe in §211, in die Reichweite des §28 einbezogen dem Anwendungsbereich des §28 unterstellt wird. Richtig war aber die ältere
werden. 26 Die ursprüngliche Auffassung des RG, daß besondere persönliche Rspr.: Denn die bandenmäßige Begehung ist Kennzeichen einer besonders ge-
Merkmale mit ihrem Träger durch eine gewisse „Dauerhaftigkeit" verbunden sein fährlichen Tatausführung und hat mit der Persönlichkeit des Täters (abgesehen von
müßten, ist also nicht mehr haltbar. seiner Beteiligung daran) nichts zu tun. Wer als Mitwirkender der Bande nicht an-
gehört, sollte also ohne die Milderung des § 28 bestraft werden.
b) Die Abgrenzung von den sachlichen Merkmalen
24 Besonders viel Klarheit ist aber durch die Aufgliederung der in § 28 genannten 2. Besondere persönliche Merkmale
Merkmale in Eigenschaften, Verhältnisse und Umstände nicht gewonnen. Denn
die entscheidenden und noch nicht endgültig gelösten Abgrenzungsschwierigkeiten Viel schwieriger ist es, unter den eindeutig persönlichen Merkmalen zwischen 27
liegen nicht im Begriff des „Merkmals" sondern darin, daß § 28 „besondere persön- solchen, die trotzdem vollakzessorisch zu behandeln sind, und anderen, auf die
liche" Merkmale voraussetzt. Darin stecken wiederum zwei Probleme. Es müssen § 28 anzuwenden ist, eine plausible Trennungslinie zu finden. So ist z. B. in § 183
erstens die „persönlichen" von den „sachlichen" Merkmalen abgegrenzt werden. die Eigenschaft, ein „Mann" zu sein („Ein Mann, der eine andere Person durch
Und es müssen zweitens - jedenfalls nach ganz überwiegender Auffassung - die eine exhibitionistische Handlung belästigt"), sicher ein persönliches Merkmal.
Aber die h. M. hält § 28 hier nicht für einschlägig, so daß eine Frau, die einen
nach §28 zu behandelnden „besonderen" persönlichen Merkmale von anderen
Mann zu solcher Tat anstiftet, ohne jede Strafmilderung nach §§ 26, 183 bestraft
persönlichen Merkmalen unterschieden werden, auf die § 28 nicht anzuwenden ist.
wird. Die Eigenschaft, ein Mann zu sein, ist also, wenn man dem folgt, zwar ein
Dieses Hauptproblem wird unter 2. ausführlich und gesondert behandelt werden.
persönliches, aber kein „besonderes" persönliches Merkmal i. S. d. § 28. Dagegen
25 Verhältnismäßig einfach ist demgegenüber noch die Abgrenzung der persön-
ist die Eigenschaft als „Schwangere" nach § 218 III ein persönliches Merkmal, das
lichen von den sachlichen Merkmalen. Denn wenn ein Merkmal mit der Person
nach allgemeiner Ansicht als „besonders" qualifiziert wird mit der Wirkung, daß
des Täters überhaupt nichts zu tun hat, sondern ausschließlich den äußeren Tather-
der die Schwangere anstiftende Dritte nicht nach §§26, 218 III, sondern nach
gang kennzeichnet, ist ein eindeutig sachliches Merkmal gegeben, bei dem § 28
§§ 26, 218 I bestraft wird (vgl. schon Rn. 3). Ähnliche Unterschiede werden bei
keine Rolle spielt. So liegt es z. B. beim Mordmerkmal der „gemeingefährlichen
subjektiven persönlichen Merkmalen gemacht. Wer den Dieb ohne eigene Zu-
Mittel". Wer also jemanden zu einem Bombenattentat bestimmt, ist nach §§26,
eignungsabsicht zu seiner Tat anstiftet, wird nach h. M. vollakzessorisch gemäß
211 zu bestrafen; eine Strafmilderung nach §28 scheidet von vornherein aus.
§§26, 242 bestraft. Die Zueignungsabsicht wird danach also zwar als ein per-
Schwieriger verhält es sich aber schon beim Mordmerkmal der „Grausamkeit", das sönliches, nicht aber als ein „besonderes" persönliches Merkmal betrachtet. Dage-
die Rspr. als sachliches Merkmal ansieht und entsprechend voll akzessorisch be- gen werden die „niedrigen Beweggründe" in §211 allgemein als „besonderes
handelt. Wer also, ohne selbst durch Grausamkeit gekennzeichnet zu sein, an einer persönliches Merkmal" angesehen, so daß dem Teilnehmer, der sie nicht aufweist,
grausamen Tötung mitwirkt, wird nach §§ 211, 26 bzw. 27 bestraft, ohne in den die Milderung nach §28 zugute kommt. Ob derartige Unterscheidungen zwi-
Genuß einer Milderung nach § 28 zu kommen (BGHSt 24,106,108). Die Defini- schen „einfachen persönlichen" und „besonderen persönlichen" Merkmalen ge-
tion der „Grausamkeit" durch die Rspr. weckt jedoch Zweifel am rein sachlichen rechtfertigt und nach welchen Maßstäben sie ggf. durchzuführen sind, ist Gegen-
Charakter dieses Merkmals. Denn wenn grausam tötet, „wer dem Opfer aus ge- stand eines lebhaften Streites, der von einer Einigung nach wie vor weit entfernt
fühlloser, unbarmherziger Gesinnung ... besondere Schmerzen oder Qualen zu- ist.
fügt" (BGHSt 3, 180), ist zwar die Schmerzzufügung ein sachliches, die daneben
erforderliche spezifische Gesinnung aber ein persönliches Kriterium. Es gibt dem- a) Die Unterscheidung zwischen tat- und täterbezogenen Merkmalen ;
nach Merkmale, die teils sachlicher, teils persönlicher Art sind, so daß im Hinblick Die Rspr. des BGH unterscheidet zwischen täterbezogenen Merkmalen, die 28
auf den „persönlichen" Bestandteil des Merkmals eine Anwendung des §28 dem § 28 zu unterstellen, und tatbezogenen Merkmalen, die voll akzessorisch zu
durchaus in Betracht kommt (näher dazu und zum entsprechenden Problem beim behandeln seien. Das Problem dieser Differenzierung liegt darin, daß ausschließ-
Merkmal der Heimtücke Rn. 76). lich tatbezogene Umstände zu den sachlichen Merkmalen gehören, zu einer Ab-
26 Manchmal kann auch zweifelhaft sein, ob ein Merkmal als solches sachlicher grenzung im Bereich der persönlichen Merkmale also nicht taugen. Da infolge-
oder persönlicher Art ist. So hat z. B. die ältere Rspr. den Begriff der „banden- dessen auch tatbezogene Umstände persönlicher Art sein, also eine Beziehung
26 So die Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650,152. zum Täter haben müssen, kann man die Abgrenzung nur in der Weise durchfüh-

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§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27
ren, daß man auf ein Mehr oder Weniger an Täter- und Tatbezogenheit abstellt; Merkmal an. BGHSt 39, 326 behandelt erstmals den Inzest unter dem Gesichts-
das hat zu Unsicherheit und Schwankungen in der Rspr. geführt. So wurde die punkt des § 28 und sieht in der „Verwandtschaft kein besonderes persönliches
„Bandenmäßigkeit" der Begehung des Schmuggels (früher § 401 b AO) ursprüng- Merkmal i. S. d. §28 I". Denn Strafgrund sei „der objektive Eingriff in einen Be-
lich als tatbezogenes Merkmal angesehen (BGHSt 6, 260, 262; 8, 70, 72; 205, 209), reich, der ... von geschlechtlichen Beziehungen ... freigehalten werden soll. Das
weil dabei „sachliche Umstände überwiegen" (BGHSt 8, 72), während seit BGHSt kennzeichnet nicht den Täter, sondern die Tat." Auch BGHSt 42,1 hält an der Dif-
12, 220, 226 f. dieses Merkmal als täterbezogen beurteilt wird. Das Mordmerkmal ferenzierung nach tat- und täterbezogenen Umständen fest, interpretiert die täter-
der „niedrigen Beweggründe" wurde zunächst als tatbezogen eingestuft, „weil es bezogenen Merkmale im Unrechtsbereich aber der Sache nach im Anschluß an die
in erster Linie die Tat als besonders schwer erscheinen läßt, mag es mitunter außer- in diesem Buch (unten Rn. 51 ff.) und vorher schon33 vertretene Meinung im
dem auch den Charakter des Täters beleuchten" (BGHSt 17, 217; wohl auch BGHSt Sinne einer qualifizierten Pflichtenstellung. Ob sich darin eine grds. Wende der
1, 368). Nach der späteren und heute ständigen Rspr. (seit BGHSt 22, 375, 378) Rspr. zu den besonderen persönlichen Merkmalen anbahnt, bleibt abzuwarten
sind dagegen die niedrigen Beweggründe, wie auch die übrigen Mordkriterien (näher zu BGHSt 42,1 unten Rn. 62, 74).
der ersten und dritten Merkmalsgruppe, täterbezogen: „Ein Motiv des Täters liegt Obwohl ein großer Teil des Schrifttums der Rspr. folgt34 und deren Ergebnisse 32
in seiner Person und nirgends anders." überwiegend anzuerkennen sind, kann die begriffliche Unterscheidung nicht
29 BGHSt 17, 215, 217 erklärt die „verfassungsfeindliche Absicht" (§ 94 a. F.) als tat- überzeugen. Denn Tat- und Täterbezogenheit lassen sich in den meisten Fällen
bezogen; es sei „in Grenzfällen ... entscheidend, ob das gesetzliche Merkmal über- überhaupt nicht trennen, so daß das vermeintliche Überwiegen tat- oder täter-
wiegend die Tat oder ob es überwiegend den Täter kennzeichnet". Schon seit den bezogener Merkmalsanteile nur durch ein Gefühlsurteil festgestellt werden kann,
Zeiten des RG werden als besondere persönliche Merkmale und damit als täter- das sich rationaler Überprüfung entzieht. So ist z. B. die Amtsträgereigenschaft bei
bezogen beurteilt die Gewerbsmäßigkeit,27 die Gewohnheitsmäßigkeit, 28 der der Rechtsbeugung (§ 336) insofern tatbezogen, als ohne sie das Delikt und damit
Rückfall, 29 die Beamteneigenschaft30 und das Anvertrautsein in § 246.31 eine strafrechtlich relevante „Tat" überhaupt nicht existiert. Andererseits kenn-
30 Die Rspr. des BGH hat sich seit BGHSt 22, 375 hauptsächlich mit den Mord- zeichnet sie natürlich auch das Deliktssubjekt und ist insofern täterbezogen. Man
merkmalen beschäftigt. BGHSt 23, 39 erklärt die Verdeckungsabsicht beim Mord kann jedoch nicht sagen, daß von diesen beiden Beurteilungsaspekten der eine
für ein täterbezogenes persönliches Merkmal, während nach BGHSt 23, 103, 105 oder der andere überwiegt. Vielmehr sind beide unlösbar miteinander verwoben
die „Heimtücke" und nach BGHSt 24, 106, 108 die „Grausamkeit" tatbezogene und gewissermaßen Kehrseiten derselben Medaille. Entsprechendes gilt etwa auch
Merkmale sind und somit nicht dem § 28 unterfallen. BGHSt 25, 287, 289 befaßt für die „Vermögensfürsorgepflicht" bei der Untreue (§ 266). Sie strukturiert den
sich beiläufig wieder mit der „Heimtücke" und den „niedrigen Beweggründen": sachlichen Gehalt der Tat, charakterisiert aber ebenso den Täter. Wenn Rspr. und
„Bei dem einen Merkmal beruht die besondere Verwerflichkeit in der Ausfüh- h. M. die genannten Merkmale dem § 28 unterstellen, verdient das im Ergebnis
rungsweise der Tat, bei dem anderen in der inneren Einstellung des Täters. Dem- gewiß Beifall (vgl. Rn. 55, 58); daß dies aber auf einem „Überwiegender Täter-
entsprechend sind die niedrigen Beweggründe, im Gegensatz zur Heimtücke, be- bezogenheit beruhen soll, ist wenig plausibel. Ebenso wird man BGHSt 39, 326
sondere persönliche Merkmale ..." BGH M D R (H) 1980, 628 erklärt das Merk- zustimmen können, wenn dort die Verwandteneigenschaft in § 173 nicht als be-
mal „um eine andere Straftat zu ermöglichen" und BGH NStZ 1981, 299 die sonderes persönliches Merkmal angesehen wird. Warum aber die Eigenschaft als
„Habgier" für ein täterbezogenes und daher besonderes persönliches Merkmal. Verwandter weniger täterbezogen sein soll als die Beamteneigenschaft, ist aus die-
BGH NJW 1982, 2738 bestätigt die Täterbezogenheit der „Habgier" und der sen Begriffen nicht erklärbar.
„niedrigen Beweggründe" sowie die Tatbezogenheit der „Heimtücke", während Nicht möglich ist auch eine Unterscheidung derart, daß subjektive persönliche 33
BGH StV 1984, 69 erneut die „niedrigen Beweggründe" und die „Verdeckungs- Merkmale als täterbezogen und objektive persönliche Merkmale als tatbezogen
absicht" als besondere persönliche Merkmale beurteilt.
33 InLK11, §28, Rn.60ff.
31 Drei weitere Entscheidungen32 befassen sich mit der Untreue und sehen ohne
3" Arzt/Weber, BT/13, C III; Baumann/Weber, AT10, 32 I 2 a; Blei, AT18, § 76 II1; Bockelminn/
nähere Begründung das Treueverhältnis in § 266 als besonderes persönliches Volk, AT4, § 25 V 2 a; LK9-Busch, § 50, Rn. 18; Eser, StrafR II3, Fall 42, Rn. A 7; Gallas, 1968,
125; SK7-Hoyer, §28, Rn.l8ff.; Jescheck/Weigend, AT5, §61 VII 4 a; Kindhäuser, StGB, §28,
Rn. 5ff.; ähnlich auch Köhler, AT, 548, der aber den Begriff der besonderen persönlichen
27 RGSt 23, 378; 25, 266; 26, 3; 36,154; 61, 268; 71, 72, 73; RG JW 1934,170, Nr. 16. Merkmale dahingehend präzisiert, daß es sich um Merkmale handelt, die das besondere Hand-
28 RGSt 23, 378; 25, 266. lungsunrecht, eine Sonderpflicht oder eine spezielle Weise des Verschuldens ausdrücken; Kühl,
2" RGSt 23, 378; 54, 274, 275. AT3, §20, Rn.154; Lacktier/Kühl24, §28, Rn.3f., 6 (distanziert); Maurach/Gössel, AT/27, 53/
30 RGSt 55,181,182; 63, 31, 35; 65,101,104; 68, 90, 91; 75, 289; RGJW1938,1583f., Nr. 2. 148; Preisendanz30, §28, Anm. 2; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §28, Rn.10,15ff.; Tröndle/Fischer™,
3' RGSt 72, 326, 328. §28, Rn.3£; Wessels/Beulke, AT31, Rn.558. Überwiegend krit.: Herzberg, ZStW 88 (1976),
32 BGHSt 26, 53; BGH NJW 1983,1807,1809; BGH StV 1983, 330 (Leitsatz). 78ff.; ders., 1977, § 12; Schmidhäuser, LB AT2,14/73ff.; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 195ff.
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§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27

betrachtet werden. 3 5 D e n n subjektive Merkmale wie die Zueignungsabsicht beim liehen Merkmals die Amtsträgereigenschaft nach §§331 ff. Wenn z.B. ein Privat-
Diebstahl oder die Bereicherungsabsicht beim Betrug werden von der ganz h. M . mann einen Richter zur Rechtsbeugung anstiftet, soll seine Strafe nach dem ein-
als tatbezogen, objektive Umstände wie die Schwangerschaft in § 218 III und die deutigen Willen auch des Gesetzgebers 3 8 nach § 2 8 I gemildert werden. Gerade in
Amtsträgereigenschaft dagegen als täterbezogen beurteilt. Auch hilft es nicht wei- diesem Fall läßt sich aber die Rechtsgutsbezogenheit der Amtsträgereigenschaft
ter, w e n n man, wie es BGHSt 22, 378 im Hinblick auf die niedrigen Beweggrün- nicht leugnen. 3 9 D e n n die Eigenschaft, Amtsträger zu sein, konstituiert die
de beim Mord getan hat, die Täterbezogenheit eines Merkmals daraus herleitet, Rechtsbeugung; ohne sie läge eine Rechtsgutsverletzung überhaupt nicht vor.
daß seine Voraussetzungen ausschließlich in der Person des Täters „und nirgends Entsprechendes gilt für alle Amtsdelikte, aber auch die meisten sonstigen Sonder-
anders" liegen (vgl. R n . 28). D e n n zwar trifft diese Aussage auf die niedrigen B e - pflichten: z.B. ist in § 2 0 3 die Eigenschaft, Arzt, Anwalt usw. zu sein, eindeutig
weggründe zu. Aber auch z.B. die Eigenschaft, ein M a n n zu sein, liegt beim rechtsgutsbezogen, weil ohne sie ein Bruch der Schweigepflicht und damit eine
Exhibitionismus (§ 183) allein in der Person des Täters, u n d doch wird dieses Rechtsgutsverletzung nicht möglich ist.
Merkmal nach fast einhelliger M e i n u n g nicht als täterbezogen angesehen, so daß Grünwald, der ebenfalls die Auffassung vertritt, „daß Merkmale, die den Angriff 36
eine zur Tat nach § 183 anstiftende Frau ohne die Milderung nach § 28 I der vollen auf das geschützte Rechtsgut charakterisieren, nicht der Regelung des § 28 unter-
Strafe aus § 183 unterworfen wird. Auch etwa die Zueignungsabsicht beim D i e b - worfen, sondern uneingeschränkt akzessorisch behandelt werden" 4 0 räumt die
stahl liegt allein in der Person des Täters und wird doch von der Rspr. als tatbezo- Rechtsgutsbezogenheit der Amtsträgereigenschaften ein. 41 Er will sie im Hinblick
gen angesehen. Die Begriffe der Täter- und Tatbezogenheit ermöglichen also auf den Willen des Gesetzgebers gleichwohl als „historisch bedingte Besonderheit"
keine einleuchtende Erklärung dafür, welche persönlichen Merkmale dem § 2 8 dem § 2 8 unterstellen, die übrigen vergleichbaren Pflichtenstellungen aber aus
unterfallen und welche nicht. 3 6 dem Anwendungsbereich des § 28 herausnehmen, so daß der extrane Teilnehmer
an Delikten nach § § 2 0 3 , 266 usw. nicht in den Genuß einer Strafmilderung
b) Besondere persönliche Merkmale als nicht rechtsgutsbezogene
k o m m t . 4 2 Doch kann es nicht richtig sein, daß ein vom Gesetzgeber als Hauptbei-
Merkmale
spiel eines „besonderen persönlichen Merkmals" angesehenes Kriterium wie die
Im Vordringen ist deshalb eine Auffassung, die Tatbezogenheit als Rechtsguts-
Amtsträgereigenschaft nur noch als eine zur gesetzlichen Regelung eigentlich
bezogenheit versteht, den § 28 also i m m e r dann von der A n w e n d u n g ausschließt,
nicht passende Ausnahme anerkannt wird. Vielmehr m u ß gerade der einem sol-
wenn ein persönliches Merkmal sich auf das tatbestandlich geschützte Rechtsgut
chen Paradigma zugrundeliegende Gedanke herausgearbeitet und zur Leitlinie der
bezieht. „Das führt dazu, daß dem Teilnehmer Merkmale, die den Täter u n d nicht
Abgrenzung gemacht werden. Auch überzeugt es nicht, daß strukturell gleich-
die durch den Tatbestand erfaßte Rechtsgutsverletzung kennzeichnen, nur dann
geartete Pflichtenstellungen ganz unterschiedlich behandelt werden sollen.
zugerechnet werden, wenn er sie selber aufweist. Umgekehrt werden ihm nur
Auch im übrigen sind die Ergebnisse befremdlich, zu denen das Kriterium der 37
beim Haupttäter vorliegende persönliche Merkmale dann zugerechnet, w e n n sie
Rechtsgutsbezogenheit bei konsequenter Anwendung führt. So will Samson43 die
eine Rechtsgutsverletzung betreffen." 37 Der Anstifter zur Urkundenfälschung
Zueignungsabsicht beim Diebstahl (§242) in ihre Enteignungs- und Aneig-
(§ 267) wird also ohne Milderung nach § 267 wie ein Täter bestraft, auch w e n n er
nungskomponente zerlegen. N u r die Voraussetzung der dauernden Enteignung
selbst nicht „zur Täuschung im Rechtsverkehr" handelt; denn dieses Merkmal b e -
soll streng akzessorisch behandelt werden, weil sie sich auf das geschützte Rechts-
zieht sich auf das geschützte Rechtsgut (die Reinheit des Beweisverkehrs). Fehlt
gut (Eigentum) bezieht. Die Aneignungsabsicht durch den Täter wird dagegen,
dagegen zum Anstifter eines Tötungsdelikts die Habgier, die den Täter kennzeich-
weil rechtsgutsunabhängig, als besonderes persönliches Merkmal betrachtet, so
net, m u ß seine Strafe nach § 28 gemildert werden; denn die Habgier bezieht sich
daß der Teilnehmer am Diebstahl nur eine nach § 28 I gemilderte Strafe erfährt,
nicht auf das geschützte Rechtsgut (Leben), sondern auf materielle Werte.
wenn er sich selbst die Sache nicht aneignen will. Ebenso ist die Bereicherungsab-
Aber auch diese Auffassung verdient keinen Beifall. D e n n sie führt zwar bei den
sicht in §§ 253, 259, 263 nicht rechtsgutsbezogen, weil das geschützte Rechtsgut
genannten Tatbeständen zu angemessenen Ergebnissen, versagt aber in anderen
(Vermögen) auch ohne Bereicherungsabsicht verletzt werden kann. Der Teiln'eh-
Fällen. So ist das am wenigsten umstrittene Beispiel eines besonderen persön-
38 Vgl. E 1962, BT-Drucks. IV/650,152 f.
35 Näher Bockelmann/Volk, AT4, § 25 V 2 a; Herzberg, ZStW 88 (1976), 78 f. 39 Gallas, 1968, 159; Herzberg, Z S t W 8 8 (1976), 8 1 ; Vogler, L a n g e - F S , 1976, 2 7 0 ; a b w . Blauth,
36
Krit. gegenüber der herrschenden Abgrenzungsmethode auch Bockelmann/Volk, AT4, 1968, 76; Geppert, ZStW 82 (1970), 72.
§ 25 V 2 a; Herzberg, ZStW 88 (1976), 78 f. 4° Grünwald, Arm. Kaufmann-GS, 1989, 559.
41
37 SK5 -Samson, § 28, Rn. 19 a (ebenso SK7-Hoyer, § 28, Rn. 21); auf die Rechtsgutsbezogen- Grünwald, Arm. Kaufmann-GS, 1989, 561.
42
heit als Kriterium der „Tatbezogenheit" abstellend auch Blauth, 1968, 63ff., 100ff.; Gallas, ZStW Grünwald, Arm. Kaufmann-GS, 1989, 562f.; ebenso Sch/Sch/Lenckner26, vor §§153ff.,
88 (1976), 175; Geppert, ZStW 82 (1970), 40, 64ff.; Grünwald, Arm. Kaufmann-GS, 1989, 559ff.; Rn. 42; § 203, Rn. 73; § 266, Rn. 52.
Lackner/Kühl2*, §28, Rn.4; Sch/Sch/Cramer/Heine26, § 28, Rn.16, 20. « SV?-Samson, § 28, Rn. 20 (ebenso SK7-Hoyer, § 28, Rn. 25 f.).

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§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27
mer an diesen Delikten, dem die Bereichungsabsicht fehlt, ist also nach Samson c) Die Einheitslösung Schünemanns
nur mit der Milderung des § 28 I zu bestrafen.
Schünemann behandelt alle persönlichen Merkmale, welcher Art sie auch seien, 41
38 Das alles leuchtet aber nicht ein. Denn wenn nach dem Strafgrund der Teil- nach § 28. 46 Auch wenn also jemand ohne Zueignungsabsicht zu einem Diebstahl
nahme das Unrecht der Tätertat auf den Anstifter und Gehilfen übertragen wird anstiftet oder eine Frau einen Mann zur Tat nach § 183 veranlaßt, tritt eine Milde-
(vgl. § 26, Rn. 11 ff.), ist nicht ersichtlich, warum die Akzessorietät gerade bei nicht rung nach § 28 I ein. Diese Lösung hat den Vorteil, daß sie alle Probleme der Ab-
rechtsgutsbezogenen Merkmalen gelockert werden soll, obwohl die Aneignungs- grenzung zwischen „schlicht persönlichen" und „besonderen persönlichen" Merk-
und Bereicherungsabsicht den Deliktstyp im selben Grade prägen wie die rechts- malen überflüssig macht. Teleologisch stützt sie sich auf den Gedanken, daß der
gutsbezogenen Unrechtsmerkmale. Samson führt zur Begründung an: „Der Teil- Sinn des § 28 darin liege, eine „ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Täter
nehmer, der weder sich noch einen anderen bereichern will, ... steht... dem Täter und Teilnehmer auszuschließen bzw. so weit wie möglich abzumildern, die ein
gleich, der allein mit Schädigungsvorsatz und ohne Bereicherungsabsicht handelt. unkorrigiertes Akzessorietätsprinzip ... mit sich bringen würde .. " 47 Schünemann
Ebenso wie dieser straflos ist, ist beim Teilnehmer wenigstens die Anwendung von erläutert das an dem Beispiel, daß eine nichteheliche Mutter den zwecks Alimen-
§ 28 I gerechtfertigt." Träfe das zu, müßte man beim Teilnehmer sogar für Straf- tenersparung habgierig handelnden Vater gleich nach der Geburt des Kindes zu
losigkeit argumentieren. Aber es wird dabei übersehen, daß bei einem ohne Berei- dessen Tötung anstiftet. Der Vater ist dann nach § 211 strafbar, und die Tat der
cherungsabsicht handelnden Täter überhaupt kein Straftatbestand erfüllt ist, wäh- Mutter würde bei einem ungelockerten Akzessorietätsprinzip nach §§26, 211 mit
rend der Teilnehmer ceteris paribus eine voll deliktische Handlung nach §§253, lebenslänglicher Freiheitsstrafe zu ahnden sein, während sie nach § 212 (und frü-
259, 263 veranlaßt oder unterstützt und, wenn er nur die Ausführung des Deliktes her nach dem seit 1998 aufgehobenen § 217) wesentlich milder bestraft worden
will, dafür und nicht für seine persönlichen Absichten bestraft wird. wäre, wenn die Mutter das Kind eigenhändig getötet hätte. Der Beseitigung die-
39 Hake44 modifiziert das hier behandelte Unterscheidungskriterium in der Weise, ser Ungerechtigkeit dient nach Schünemann § 28, dessen Abs. 2 es in unserem Falle
daß er in den Anwendungsbereich des § 28 alle persönlichen Merkmale einbe- gestattet, die Mutter nur nach §§ 26, 212 (bzw. früher §§ 26, 217) zur Verantwor-
zieht, „deren Gehalt sich ... nicht darin erschöpft, die Rechtsgutsverletzung als tung zu ziehen.
solche näher zu beschreiben". Damit kann er bei den genannten Pflichtdelikten,
Das ist bei Schuldmerkmalen völlig überzeugend und steht auch mit dem Prin- 42
deren Rechtsgutsbezogenheit er nicht bestreitet, ohne weiteres zu einer Akzesso- zip der limitierten Akzessorietät in Einklang; denn es soll (und kann auf Grund
rietätslockerung i. S. d. § 28 kommen. Er hat aber den leitenden Gesichtspunkt des § 28) jeder nach seiner Schuld bestraft werden. Bei persönlichen Unrechts-
der Abgrenzung schon weitgehend aufgegeben; denn es ist dann eben nicht mehr merkmalen, die Schünemann ebenfalls samt und sonders in den Anwendungsbe-
die mangelnde Rechtsgutsbezogenheit, die das besondere persönliche Merkmal reich des § 28 hineinzieht, überzeugt der Gedanke aber weit weniger. Warum soll
charakterisiert. der Anstifter eines Diebstahls, wenn er, wie in der Regel, die Sache sich selbst
40 Auch gerät Hake bei den Zueignungs- und Bereicherungsdelikten in Schwierig- nicht zueignen will, milder bestraft werden, als es § 26 anordnet? Schünemann be-
keiten. Denn die Absichten der §§ 242, 253, 259, 263 sind nicht ausschließlich nutzt dasselbe Argumentationsmuster wie bei den Schuldmerkmalen: 48 „Wenn
rechtsgutsbezogen (vgl. Rn. 37), so daß ein Außenstehender, der sie nicht hat, von eine Ehefrau, die um das Leben ihres leichtsinnigen Ehemannes furchtet, der sich
seinem Ansatz aus in den Genuß einer Strafmilderung nach §28 I kommen ein ob seiner Wildheit lebensgefährliches Pferd gekauft hat, deswegen eine andere
müßte. Hake möchte dieses ihm unerwünschte Ergebnis vermeiden und der h.L. Person zu einem Diebstahl anstiftet, so müßte sie nach der h. M. ... ohne Strafmil-
folgen. Er erklärt deshalb die Zueignungsabsicht für „insgesamt rechtsgutsbezo- derungsmöglichkeit mit der vollen Strafe der §§242, 26 belegt werden, obwohl
gen",45 weil die „Begründung von Eigenbesitz auf Seiten des Täters ... auch unter sie selbst nur in einer Sachentziehungsabsicht handelt, die für den Fall, daß sie
dem Gesichtspunkt der Eigentumsverletzung etwas anderes als die bloße Sach- selbst noch mehr getan hätte und als Täterin aufgetreten wäre, sogar ihre volle
entziehung" sei. Ebenso wird die Bereicherungsabsicht als ausschließlich rechts- Straflosigkeit begründet hätte."
gutsbezogen beurteilt, weil sie „die Art und Weise der Rechtsgutsverletzung"
Das ist aber ein schiefer Vergleich, der den Unterschied zwischen Sachentz'ie- 43
kennzeichne. Wenn man aber die Modalitäten des Rechtsgutsangriffs zur Aus- hung und Diebstahl vernachlässigt. Hätte die Frau zur Sachentziehung angestiftet,
schaltung des § 28 benutzt, stellt man in Wahrheit auf den Deliktstyp ab. Darin so wäre sie genauso straflos wie als Täterin einer solchen „Tat". Sie ist aber weiter-
steckt ein richtiger Gedanke (vgl. Rn. 50), aber das Rechtsgutskriterium ist damit
gänzlich aufgegeben. 46 Schünemann, Z S c h w R 1978, 131, 149ff., 158; ders., 1978, 131ff.; ders., Jura 1980, 354,
365ff.; ders., GA 1986, 336ff.
47
So (mit weiteren Erläuterungen) fast wörtlich übereinstimmend Schünemann, Jura 1980,
«4 Hake, 1994, 97 ff. (98). 365 und ders.,GA 1986, 339.
45 Hier und im folgenden: Hake, 1994,139. 48 Schünemann, GA 1986, 340.
248
249
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27

gegangen und hat den Täter zu einem Diebstahl bestimmt! Das ist genauso straf- Täter verstecken; ein Amtsträger andererseits, der sich eines qualifikationslosen
bar, wie wenn die Frau aus noch so altruistischen Gründen als Täterin eines Dieb- dolosen Werkzeuges bedient, wird als mittelbarer Täter bestraft (vgl. § 25, Rn.
stahls aufgetreten wäre. Da das Unrecht der Tätertat grds. auf den Teilnehmer 153 ff.) und hat aus diesem Grunde keine Möglichkeit, einen privilegierten Täter
übertragen wird, ist diesem auch die Zueignungsabsicht des Täters zuzurechnen, mit strafmildernder Wirkung vorzuspannen. Es ergibt sich also, daß die Einheits-
wenn er will, daß ein Diebstahl zur Ausführung kommt (vgl. zur entspr. Proble- lösung bei persönlichen Unrechtsmerkmalen nicht überzeugt.
matik beim Betrug schon Rn. 37). Wäre ihr nur eine Sachentziehungsabsicht an- d) Herzbergs Lehre vom Ausschluß lediglich deliktstypisierender
zulasten, müßte dies konsequenterweise auch zur Straflosigkeit und nicht nur zu Merkmale aus dem Anwendungsbereich des § 28
einer Reduktion der Strafe führen. Wenn im Beispielsfall eine Milderung, die
Die Lehre Herzbergs hat mannigfache (vor allem terminologische) Wandlungen 47
auch im Rahmen der gewöhnlichen Strafzumessung zu erreichen ist, dem Rechts-
durchgemacht,50 ist sich aber im Kern gleich geblieben und stellt sich in ihrer
gefühl einleuchtet, dann beruht das auf der notstandsähnlichen Motivation der
neuesten Fassung so dar, daß unter den persönlichen Merkmalen die „funktionell
Anstifterin. Bei den „Normalfällen" der Anstiftung aus Gewinn- oder Rachsucht
sachlichen persönlichen Merkmale" und die für den materiellen Unwert der Tat
ist aber nach den Grundgedanken der limitierten Akzessorietät eine Strafmilde-
bedeutungslosen „rein typisierenden Merkmale" aus dem Anwendungsbereich des
rung nicht angebracht.
§ 28 auszuschließen sind.51
44 Gegen eine Einreihung der Zueignungs- und Bereicherungsabsicht unter die
Die erste Gruppe umfaßt Umstände, die eigentlich sachlicher Natur und nur 48
besonderen persönlichen Merkmale spricht auch der Umstand, daß sie nur der
aus sprachlichen Gründen zu persönlichen Merkmalen umformuliert worden
Vorverlegung der Vollendungsstrafbarkeit dienen, die als solche keine Akzessorie-
sind. Dazu gehört etwa § 183,52 mit dem laut Herzberg eigentlich gemeint ist: „Wer
tätslockerung rechtfertigt. Würde es in § 242 heißen: „Wer eine fremde bewegliche
eine andere Person durch eine männliche Exhibition belästigt ..." Bei einer sol-
Sache einem anderen wegnimmt und sich rechtswidrig zueignet, wird ... bestraft",
chen Fassung wäre, wie es sachlich angebracht gewesen wäre, auch die mittelbare
würde eine Milderung für den Anstifter nicht in Betracht kommen, weil die Zu-
Täterschaft einer Frau (z. B. durch Benutzung eines Geisteskranken) möglich und
eignung als sachliches Merkmal nicht in den Anwendungsbereich des § 28 fiele.
eine Anwendung des § 28 wegen Fehlens eines persönlichen Merkmals im Tat-
Die Vorverlegung der Vollendung auf die Wegnahme kann aber nicht zur Privile-
bestand von vornherein ausgeschlossen gewesen. Die sprachlich plastischere For-
gierung des Teilnehmers führen!
mulierung des geltenden § 183 kann nach Herzberg am sachlichen Ergebnis nichts
45 Was für Zueignungs- und Bereicherungsabsicht dargelegt wurde, gilt auch für
ändern. Ebenso sei in § 142 das persönliche Merkmal des „Unfallbeteiligten" der
objektive persönliche Unrechtsmerkmale. Wenn eine Frau einen Mann zu einer
Sache nach als „objektive Entfernung des Unfallbeteiligten vom Unfallort"53 zu
exhibitionistischen Handlung (§ 183) anstiftet, verdient sie die ungemilderte Tä-
verstehen und das „Verheiratetsein" in § 172 ein sachliches, auf das Verbot der
terstrafe, weil sie dasselbe Delikt bewirkt hat, das auch bei einer Anstiftung durch
Doppelehe abzielendes Merkmal.
einen Mann vorläge. Der Umstand, daß die Frau als unmittelbare Täterin straflos
Zur zweiten Gruppe der „rein typisierenden Merkmale" zählt Herzberg solche, 49
wäre, legitimiert keine Milderung für sie als Anstifterin. Denn der weibliche Ex-
die durch die Verwendung persönlicher Merkmale bestimmte Deliktsbilder an-
hibitionismus ruft nicht die Angst und Panik hervor, die den Strafgrund des § 183
schaulich kennzeichnen und dadurch den Tatbestand konturieren, die aber keine
bildet. Es ist dann gar kein strafwürdiger Befund gegeben, der bei der Anstiftung
besondere Unwertdifferenz von Täterschaft und Teilnahme zum Ausdruck brin-
eines Mannes durch eine Frau in vollem Umfange vorliegt.
gen und deshalb dem § 28 nicht zu unterstellen sind.54 Hierzu zählt er55 Merk-
46 Schünemann verwendet auch das umgekehrte Argument, wonach der Verzicht
male wie „Gefangener" (§ 121), „Vollstreckungsschuldner" (§ 288), die Selbstberau-
auf eine Akzessorietätslockerung das „absurde Ergebnis" nach sich ziehen würde,
schung in §323 a, das Führen eines Kraftfahrzeugs in §§314 c, 316, die Verwand-
„daß der ... qualifizierte Beteiligte sich durch Vorschieben eines nichtqualifizier-
teneigenschaft nach § 173 und die Bereicherungsabsicht des § 263.
ten Täters gewissermaßen hinter diesem verstecken könnte".49 Aber auch dieser
Man wird die beiden Gruppen persönlicher Merkmale, bei denen Herzberg 50
Gedanke trifft nur bei Schuldmerkmalen ins Schwarze. Es geht in der Tat nicht an,
keine Akzessorietätslockerung zulassen will, zu einer einzigen Gruppe zusammen-
daß etwa der habgierige Kindesvater (Rn. 41) nur deshalb nicht wegen Anstiftung
zum Mord bestraft wird, weil er sich hinter der Kindesmutter als einer ohne
Mordmerkmale handelnden Täterin versteckt. Aber bei persönlichen Unrechts- so Näher LKn-Roxin, § 28, Rn. 44 ff.
51
merkmalen ist die Lage anders. Denn der Mann z.B., der eine Frau zum Exhibi- Herzberg, G A 1991,170.
52 Herzberg, G A 1991,170 f.
tionismus anstiftet, bewirkt nichts Strafbares und kann sich deshalb hinter keinem 53 Herzfce/g, GA1991,170f.
54
Herzberg, G A 1991,174.
55 Herzberg, GA 1991,177 ff.
« Schünemann, Jura 1980, 365 und ders., GA 1986, 339.
251
250
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27
fassen können: Es handelt sich um persönliche Merkmale, die sich in der Delikts- nur nach §§26, 212 möglich; denn der von der Rspr. irrig anstelle des zweiten
typisierung erschöpfen. Auch bei funktionell sachlichen Merkmalen, wie sie Herz- Absatzes herangezogene § 28 I erfaßt diesen Fall nicht.
berg in §§ 183,142 sieht, ist es ja so, daß der praktisch allein in Betracht kommende Entsprechendes gilt für alle anderen Schuldmerkmale. Für ein objektives Krite- 53
Fall die Tatbestandsverwirklichung durch einen Mann bzw. Unfallbeteiligten be- rium dieser Art wie die Schwangerschaft in § 218 III sind die Auswirkungen schon
trifft. Die Tatherrschaft eines Außenstehenden ist derart selten und atypisch, daß gezeigt worden, die die Anwendung des § 28 II nach sich zieht (Rn. 3). Bei den
der Gesetzgeber - eingedenk der fragmentarischen Natur des Strafrechts56 - auf seltenen strafbegründenden Schuldmerkmalen wie der „Böswilligkeit" (§§90 a,
ihre Bestrafung verzichtet. Das ist dieselbe Erscheinung, wie wir sie auch bei den 130 Nr. 3, 225) oder der „Rücksichtslosigkeit" (§315c I Nr. 2) ist die Strafe des
„rein typisierenden" Merkmalen Herzbergs finden. In der Tat ist damit ein Kriteri- Teilnehmers, dem das strafbegründende Gesinnungsmerkmal 59 des Täters nicht
um gefunden, das die Nichtanwendung des § 28 plausibel macht. Es ist nur nötig, anhaftet, nach §28 I zu mildern (näher Rn.64, 81); zeichnet sich der Teilnehmer
daneben auch positiv die Eigenart der Merkmale zu kennzeichnen, die als beson- durch dieses Merkmal aus und fehlt es dem Täter, so tritt Straflosigkeit ein.
dere persönliche Merkmale dem § 28 zu unterstellen sind. Das soll im folgenden Dem § 28 unterfallen auch andere strafbarkeitsrelevante Merkmale jenseits des 54
(Rn. 51 ff.) geschehen. Unrechts. Dazu gehören zunächst schon seit den Zeiten des RG die Gewerbs- und
Gewohnheitsmäßigkeit, die ein erhöhtes spezialpräventives Sanktionsbedürfnis
e) Die eigene Meinung: strafbarkeitsrelevante Merkmale jenseits des
begründen und damit unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit Bedeu-
Unrechts und qualifizierte Pflichtmerkmale als besondere persönliche
Merkmale tung haben. 60 Wer also z.B., ohne selbst gewerbsmäßig zu handeln, zur gewerbs-
mäßigen Hehlerei anstiftet, wird gemäß § 28 II nach §§ 26, 259 bestraft, obwohl
51 Der für die Anwendung des § 28 leitende Gedanke kann nur der sein, daß eine
der Täter nach § 260 zu verurteilen ist. Ggf. kann die Gewerbsmäßigkeit auch als
akzessorietätslockernde mildere oder strengere Bestrafung des Teilnehmers dort
strafbegründendes Verantwortlichkeitsmerkmal auftreten (§ 180 a II Nr. 1), was für
angebracht ist, wo das Unwertgefälle zwischen Täterschaft und Teilnahme infolge
den Teilnehmer eine nach § 28 I gemilderte Strafe im Gefolge hat. Erst recht sind
besonderer Umstände in der Person eines Beteiligten über die Unterschiede der
persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe nicht übertragbar.
normalen Täter-/Teilnehmerbeziehung hinausgeht. Das ist bei zwei Arten von
Sieht man also den freiwilligen Rücktritt vom Versuch (§ 24) mit der h. M. als
persönlichen Umständen der Fall, die deshalb als „besondere persönliche Merk- persönlichen Strafaufhebungsgrund an (zur eigenen Meinung vgl. § 30, Rn. 29),
male" mit den Rechtsfolgen des §28 zu behandeln sind: bei unrechtsunabhängi- so ist die Freiwilligkeit ein besonderes persönliches Merkmal. Tritt der Täter im
gen Schuld-, Verantwortlichkeits- und Strafbarkeitsmerkmalen und bei den quali- Versuchsstadium freiwillig zurück, so ist er straflos, während am Rücktritt un-
fizierten Pflichtenstellungen. beteiligte Anstifter und Gehilfen gemäß § 28 II wegen Teilnahme am Versuch
52 Die erste Fallgruppe ist praktisch unstrittig, weil sie dem Grundgedanken der strafbar bleiben. Freilich würden sich für alle Merkmale jenseits des Unrechts die-
limitierten Akzessorietät entspricht. Wenn jemand - um mit dem Hauptbeispiel selben Ergebnisse im Grunde auch ohne § 28 schon aus dem Prinzip der limitier-
zu beginnen - ein Schuldmerkmal aufweist, das bei dem anderen fehlt, ist es nur ten Akzessorietät herleiten lassen.
dem zuzurechnen, bei dem es vorliegt. Sieht man also die Mordkriterien der er-
Das eigentliche Problem des § 28 liegt also in seiner Anwendbarkeit auf persön- 55
sten und dritten Merkmalsgruppe des § 211 als Elemente erhöhter Schuld an,57 so
liehe Unrechtsmerkmale, die nach §§26, 27 grds. vollakzessorisch zu behandeln
ist der Beteiligte, der diese Merkmale nicht aufweist, unabhängig von seiner son-
sind und für die § 28 eine akzessorietätslockernde Ausnahme bringt. Die „Beson-
stigen Stellung als Täter und Teilnehmer nach § 212, der andere aber nach § 211 zu
derheit", die das rechtfertigt, wird hier darin gesehen, daß eine qualifizierte Pflich-
bestrafen. Beurteilt man mit der Rspr. (und entgegen der absolut h. M.) den Mord
tenstellung des Täters den Anstifter oder Gehilfen als im Verhältnis zum gewöhn-
fälschlich als einen im Verhältnis zum Totschlag nicht qualifizierten, sondern ei-
lichen Teilnehmer weniger strafwürdig erscheinen läßt. Das ist am leichtesten an
genständigen Tatbestand,58 so sind die entsprechenden Umstände als strafbegrün-
den Amtsdelikten zu demonstrieren, die seit jeher als Hauptfälle für die Anwen-
dende Schuldmerkmale zu beurteilen mit der Wirkung, daß der Teilnehmer, der
dung des § 28 gelten. Bestimmt z. B. ein Privatmann einen Richter zur Rechts-
kein Mordmerkmal erfüllt, nach §§211, 26, 27 mit der Milderung des §28 I be-
beugung (§ 339), so hat er ein falsches Urteil und damit einen erheblichen Sozial-
urteilt wird. Im umgekehrten Fall, daß der Täter sich eines Totschlages schuldig
schaden bewirkt und wird nach allgemeinen Akzessorietätsgrundsätzen mit Recht
macht, der Teilnehmer aber ein Mordmerkmal verwirklicht, ist dessen Bestrafung
als Anstifter verurteilt. Er hat aber keinen Anteil an dem gesteigerten Handlungs-
unwert, der beim Richter im Verrat an der besonderen Verantwortung seines Be-
56 Roxin, AT l3, § 2, Rn. 28.
57 Dazu Roxin, AT l3, § 10, Rn. 70-77.
58
Was ein Problem des Besonderen Teils und daher hier nicht näher zu behandeln ist (vgl. 5« Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 78.
60
aber noch Rn. 75). Vgl. dazu m. w. N. aus der älteren Rspr. Vogler, Lange-FS, 1976, 274 ff.

252 253
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27
rufs liegt. Der Mißbrauch des Richteramtes begründet ein „Sonderunrecht"61 auf Träger eines besonderen Vertrauens. Er hat nur die Pflicht, Schädigungen des
das Delikts-Charakter und Strafmaß (Verbrechen!) zugeschnitten sind und dessen Gläubigers durch Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen zu unterlassen, wie
Fehlen beim Teilnehmer eine Strafmilderung nach § 28 I rechtfertigt. er etwa auch die Pflicht hat, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Betrü-
56 Nichts anderes gilt für unechte Amtsdelikte. Stiftet ein Privatmann einen gereien zu unterlassen. Wenn der Gesetzgeber anders als bei den letztgenannten
Amtsträger zu einer Körperverletzung im Amt (§ 340) an, so hat er ein Körper- Delikten die Täterschaft auf bestimmte Personen (Schuldner) beschränkt hat, so
verletzungsunrecht verursacht und verdient Strafe: aber gemäß §28 II nur die des hat das seinen Grund in der Deliktstypisierung, im Wunsch nach plastischer
§ 223. Das im Strafrahmen des § 340 berücksichtigte „Sonderunrecht" des Amts- Beschreibung des Tatgeschehens. Daß ein NichtSchuldner dem Gläubiger Ver-
trägers, der seine spezielle Pflicht als Repräsentant des Staates verletzt, wird dem mögensstücke entzieht, ohne mit dem Schuldner im Bunde zu sein, ist so selten,
Extraneus bei der Strafzumessung nicht zugerechnet. daß der Gesetzgeber diesen Fall außer acht gelassen hat. Das ist aber kein Grund,
57 Ganz ähnlich begründet das Vogler:62 „Der tiefere Grund für die besondere Straf- den in eine deliktstypische Tat verwickelten Teilnehmer, der z. B. den Schuldner
würdigkeit des Pflichtenverstoßes liegt in der sozialen Beziehung, in der der Täter zur Beiseiteschaffung anstiftet oder ihm beim Abtransport der Vermögensbe-
steht. Die (strafrechtsunabhängige) soziale Rolle schafft einen Vertrauenstat- standteile hilft, milder zu bestrafen. § 28 ist also auf ihn nicht anwendbar.63
bestand, der den Rechtsbruch als besonders verwerflich erscheinen läßt ... Dieser Entsprechendes gilt für den „Unfallbeteiligten", auf den § 142 die Täterschaft 60
Qualitätsunterschied, der in dem persönlichen Vertrauen begründet liegt, das nur beschränkt. Er hat keine besondere Berufs- und Vertrauensstellung, sondern nur
der Amtsträger und nicht der Außenstehende genießt, rechtfertigt die Lockerung die allgemeine Pflicht, andere nicht durch unzulässige Entfernung vom Unfallort
bzw. Durchbrechung der Akzessorietät bei den Amtsdelikten." zu schädigen. Daher besteht kein Anlaß, den Teilnehmer geringer zu bestrafen, als
58 Qualifizierte Pflichtenstellungen der geschilderten Art finden sich aber auch es die §§ 26, 27 vorsehen. Es handelt sich auch hier nur um ein einfaches Pflicht-
außerhalb der Amtsdelikte und sind in allen Fällen als „besondere persönliche delikt: Der Gesetzgeber nennt allein den Unfallbeteiligten als Täter, um dem Tat-
Merkmale" i. S. d. § 28 zu beurteilen. Zu ihnen gehört z. B. die Schweigepflicht bestand deutliche Konturen zu geben und ihn auf den praktisch relevanten Fall
nach § 203. Sie knüpft an besonders herausgehobene Vertrauensberufe an. Der einzugrenzen. Daß ein Unbeteiligter einen Beteiligten ohne oder gegen seinen
Mißbrauch des Vertrauens und die damit verbundene Desavouierung der sozialen Willen vom Unfallort entfernt, ist zwar theoretisch denkbar, aber so atypisch, daß
Rolle begründen ein besonderes Handlungsunrecht, das beim Außenstehenden auf die Erfassung dieses Falles verzichtet werden kann. Die diese Möglichkeit ein-
fehlt; die Übertragung der Schweigepflicht auf Berufshelfer und andere in § 203 beziehende Formulierung: „Wer nach einem Unfall im Straßenverkehr einen Un-
III bildet kein Gegenargument, weil sie der Sicherung der aus der sozialen Rolle fallbeteiligten vom Unfallort entfernt, bevor der Unfallbeteiligte ...",64 ist so
erwachsenen Schweigepflicht dient. Aber auch die Vermögensfürsorgepflicht des unbeholfen und undeutlich, daß sie geradezu ex negativo den deliktstypisierenden
§ 266 und das Anvertrautsein im qualifizierten Fall der Unterschlagung (§ 246) Charakter der geltenden Gesetzesfassung belegt. Auch die Eigenschaft als Unfall-
sind besondere persönliche Merkmale. Denn in beiden Fällen liegt es so, daß dem beteiligter ist also kein besonderes persönliches Merkmal i. S. d. § 28.
Täter ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird, das Außenstehende nicht Bei §§ 288, 142, aber auch bei Tatbeständen wie § 183 („Mann") oder § 121 61
genießen und dessen Verletzung ein über den reinen Schaden hinausgehendes („Gefangener") beschreibt die Täterbezeichnung also keine vorstrafrechtliche Son-
Sonderunrecht zeitigt; dessen Fehlen wird beim Nichtqualifizierten mit einer derpflicht, sondern ein strafrechtliches Jedermann-Gebot, auch wenn der Täter-
Strafherabsetzung nach § 28 I bzw. II honoriert. kreis aus kriminal-phänomenologischen Erwägungen, d. h. im Interesse der De-
59 Nicht alle Pflichtenstellungen sind aber von dieser Art. So wird man die Voll- liktskonturierung, faktisch beschränkt ist. Dem hat sich jetzt auch der BGH ange-
streckungsvereitelung durch den Schuldner nach §288 zwar als ein schlichtes schlossen (BGHSt 42, 1). Er hält zwar grds. an der Differenzierung von tat- und
Pflichtdelikt in dem Sinne ansehen müssen, daß sie durch Veranlassung eines täterbezogenen Merkmalen fest (aaO., 2) und „sieht keinen Anlaß, die seitherige
Extraneus täterschaftlich begehbar ist: Der entflohene Schuldner, der seinen Rechtsprechung ... in Frage zu stellen", interpretiert diese dann aber i. S. d. hier
Freund zur Beiseiteschaffung der Vermögensstücke bestimmt, wird als mittelbarer befürworteten Unterscheidung, indem er sich der Meinung anschließt, „daß für
Täter nach § 288 bestraft, während der unmittelbar Handelnde Gehilfe ist (vgl. die Abgrenzung im Bereich der durch Pflichten gekennzeichneten Merkmale
§25, Rn. 275 ff). Die Schuldnereigenschaft begründet aber keine qualifizierte letztlich maßgeblich ist, welche Art von Pflicht das Merkmal umschreibt. Um-
Pflichtenstellung und ist kein besonderes persönliches Merkmal i. S. d. § 28. Denn schreibt es eine vorstrafrechtliche Sonderpflicht, wird eher die Persönlichkeit des
der Schuldner hat keine soziale Rolle mit gesteigerter Verantwortung und ist nicht Täters gekennzeichnet, das Merkmal ist täterbezogen. Handelt es sich dagegen um
63
Übereinstimmend und mit ähnlicher Begründung z.B. Herzberg, ZStW 88 (1976), 111;
« Langer, Lange-FS, 1976, 261. Sch/Sch/Cramer/Heine26, §28, Rn. 18.
64
« Vogler, Lange-FS, 1976, 279. Formulierung von Herzberg, GA 1991,171.

254 255
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27

ein .strafrechtliches Jedermann-Gebot' im Sinne Roxins,65 wird eher die Tat g e - Im wesentlichen unumstrittene besondere persönliche Merkmale sind ferner die
kennzeichnet, u n d das Merkmal ist tatbezogen." Soldateneigenschaft bei den echten Soldatendelikten (z.B. Fahnenflucht gemäß
Die hier vertretene Auffassung ist auch im neueren Schrifttum im Vordringen, § 16 i.V. m. § 1 W S t G oder Meuterei gemäß § 27 i.V. m. § 1 WStG), 7 4 die Sonder-
ohne bisher eine geschlossene Meinungsgruppe zu bilden. Sie steht besonders pflicht der Medizinalpersonen nach § 278 7 5 sowie der Anwälte und Rechtsbeistän-
nahe der Lehre von Gallas,66 der ebenfalls spezielle Schuldmerkmale und höchst- de nach § 356, die Vermögensfürsorgepflicht nach § 266, 7 6 die Unterhaltspflicht
persönliche Unrechtsmerkmale, für die er als Hauptbeispiel die Amtsträgereigen- nach § 170 77 u n d die Fürsorge- und Erziehungspflicht nach § 171. 78
schaft anführt, als „besondere persönliche Merkmale" nennt. Auch die Ausführun- Andere Vorschriften sind lebhaft umstritten. So vertritt Lenckner79 die Auffas- 65
gen von Stratenwerth67 und Vogler ( R n . 57) weisen in die hier verfolgte Richtung. sung, daß die in § 203 genannten Berufe keine besonderen persönlichen Merk-
Ähnliche Lösungen finden sich ferner beiJakobs68 und Stein.69 Langer70 will eben- male seien (zu dem Argument aus § 203 III vgl. schon R n . 58). Die Tätereigen-
falls die selbständigen Schuldmerkmale „nur demjenigen zurechnen, bei dem sie schaft kennzeichne „nicht eine besondere personale Pflichtverletzung, sondern
vorliegen" (was er aus „allgemeinen Teilnahmegrundsätzen" und § 29 ableitet), und lediglich die Beziehung, in der das primär geschützte Rechtsgut - Vertrauen in
bezeichnet im übrigen vor allem die Elemente des „Sonderunrechts", worunter er die Verschwiegenheit bestimmter Berufe - überhaupt verletzt werden kann. Aber
die besonderen Pflichtenstellungen versteht, als „besondere persönliche Merk- das leuchtet nicht ein. Mit demselben Recht könnte man sämtliche qualifizierten
male" i. S. d. § 28. Auch die Lehre von Herzberg kann in ihrer letzten Fassung Pflichtenstellungen in Beziehungen umdenken, in denen das geschützte Rechts-
( R n . 47-50) weitgehend für die hier vertretene Konzeption in Anspruch g e n o m - gut allein beeinträchtigt werden kann. In Wahrheit wird damit nur die Rechts-
men werden. 7 1 D e n n w e n n man die von Herzberg genannten lediglich delikts- gutsbezogenheit der entsprechenden Merkmale gekennzeichnet, die aber ihre
typisierenden besonderen Merkmale aus dem Anwendungsbereich des § 28 aus- Unterstellung unter § 28 keineswegs ausschließt (vgl. R n . 34 ff).
scheidet, bleiben die hier angeführten Kriterien (Merkmale jenseits des Unrechts Entgegen Lenckner80 ist auch die Eigenschaft als Zeuge oder Sachverständiger 66
und qualifizierte Pflichtenstellungen) als positive Charakteristika der besonderen nach §§153 ff. ein besonderes persönliches Merkmal; denn die Wahrheitspflicht
persönlichen Merkmale übrig. Wenn Herzberg jetzt darauf abstellt, „ . . . ob das der jeweiligen Aussageperson ist an ihre Rolle im Prozeß gebunden und damit
Tätermerkmal eine Sonderverantwortung ausdrückt oder lediglich d e m u n a n - höchstpersönlicher Natur, wie auch der Ausschluß der mittelbaren Täterschaft
schaulichen ,wer' die Konturen des typischen Täters geben soll" 72 so entspricht das zeigt. Wenn schon der Fall des § 160 (nach Tatherrschaftsgrundsätzen ein Fall der
durchaus der hier befürworteten Differenzierung. 7 3 mittelbaren Täterschaft) mit erheblich reduzierter Strafe belegt wird, kann dem
Teilnehmer die Strafmaßreduktion nach § 28 I nicht versagt werden.
f) D i e A b g r e n z u n g i m einzelnen Im Gegensatz zu einer verbreiteten M e i n u n g 8 1 sind auch die täterschaftlichen 67
Nach den geschilderten Grundsätzen ist die Abgrenzung bei sämtlichen Tat- Betreuungspflichten nach §§ 174, 174 a, 174 c als besondere persönliche Merkmale
beständen mit persönlichen Merkmalen durchzuführen. Dabei können hier nur anzuerkennen. 8 2 D e n n sie beruhen gerade auf jenen Vertrauensverhältnissen, die
die großen Linien skizziert werden; Detailanalysen jedes einzelnen Merkmals sind für qualifizierte Sonderpflichten charakteristisch sind. Die Gegenthese, daß in
Sache des Besonderen Teils. §§ 174, 174 a, 174 c nur bestimmte, für Jugendliche besonders gefährliche Abhän-
gigkeitsverhältnisse gekennzeichnet werden sollten, überzeugt nicht. D e n n die
aa) Strafbegründende besondere persönliche Merkmale nach § 28 I
Abhängigkeitsverhältnisse werden gerade wegen ihrer Gefährdetheit durch Statu-
Hierher gehören neben den schon genannten wenigen Schuldmerkmalen
ierung von Sonderpflichten in erhöhtem Maße geschützt. Auch ist es ein befremd-
(Rn. 53) in erster Linie die echten Amtsdelikte wie § § 331, 332, 339, 344, 345, 348.
liches Ergebnis, daß die Täterqualifikation nach § 174 b ein besonderes persönliches

74
65 Hier wird auf LK -Roxin, § 28, Rn. 67 verwiesen. Zur durchgehend abw. Ansicht Grünwalds vgl. Rn. 36.
66 Zuletzt zusammenfassend in: ZStW 88 (1976), 173 ff. " Str.; vgl. Lackner/Kühl24, §278, Rn. 1; Tröndle/Fischer50, §278, Rn.6; a. A. Heidland, 1970,
« Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 198 ff. 64.
76
68 Jakobs, A T 2 , 23/12 ff. BGH wistra 1994,139; 1997,100; BGH StV 1995, 73; BGHNStZ 1997, 281.
77
69 Stein, 1988, 332 ff. A. A. Sch/Sch/Lenckner26, § 170, R n . 35.
7
™ Langer, L a n g e - F S , 1976, 241 ff. (260). « A. A. Sch/Sch/Lenckner26, § 170 d, R n . 11.
71
Wobei ausdrücklich betont sei, daß die Arbeiten von Herzberg die hier vertretene Auffas- T> Sch/Sch/Lenckner26, § 203, R n . 73; a. A. Köhler, AT, 549.
sung erheblich beeinflußt haben. so Sch/Sch/Lenckner26, vor §§153ff., Rn.42; ebenso auch Lackner/Kühl24, §28, Rn.6; wie
7
2 Herzberg, G A 1991,179. hier Köhler, AT, 550; SK6 -Rudolphi, vor § 153, Rn. 9; Vormbaum, 1987, 282 ff.
7
3 Ähnlich auch Köhler, AT, 548: besondere persönliche Merkmale sind Merkmale, die das 8i SK1-Hörn/Wolters, § 174, R n . 10; LK 1 0 -Laufliütte, § 174, R n . 2 0 ; Maurach/Schroeder, BT/17,
26 50
personale Handlungsunrecht, eine Sonderpflicht oder eine spezifische Weise des Verschuldens 18/45; Sch/Sch/Lenckner , § 174, R n . 2 0 ; Schwerdtfeger, 1992, 232; Tröndle/Fischer , § 174, R n . I b .
ausdrücken. 82 W i e hier: Gössel, B T 1, 25/30; Jakobs, AT 2 , 23/25; Köhler, AT, 549; O t t o , B T 5 , § 6 6 V 4 b .

256 257
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27

Merkmal sein soll, weil „die Tat Amtsdelikt" 8 3 ist, während es die strukturell völlig Ein lediglich sachverhaltsbeschreibendes Merkmal ist auch die Verwandtenei- 71
gleichgearteten Täterstellungen der §§ 174,174 a, 174 c nicht sein sollen. genschaft in § 173. 88 Es bezeichnet die Formen des Beischlafs, die der Gesetzgeber
Ein besonders umstrittener Fall ist auch die Garantenpflicht bei den unechten im Interesse von Ehe und Familie verbieten will. Mit Recht stellt BGHSt 39,
Unterlassungsdelikten. Man wird sie zu den besonderen persönlichen Merkmalen 326 8 9 fest, es handele sich bei dem Delikt nicht u m die „Verletzung einer besonde-
rechnen müssen. 8 4 D e n n d e m Garanten sind der Schutz bestimmter Rechtsgüter ren, den Täter treffenden Pflicht zur Bewahrung eines i h m anvertrauten Rechts-
und die Überwachung von Gefahrenquellen besonders anvertraut. In der Verletzung guts", sondern u m den Eingriff in einen Bereich, der von geschlechtlichen Bezie-
der daraus erwachsenen besonderen Verpflichtung liegt ein Sonderunrecht, das eine hungen freigehalten werden solle. Das entspricht durchaus der hier befürworteten
Gleichstellung von Unterlassen und Begehen ermöglicht und beim Außenstehenden Abgrenzung. Wenn der B G H in diesem Zusammenhang von Tatbezogenheit
keine Parallele hat. Gewiß entsteht eine Rechtsgutsverletzung (z. B. ein Totschlag spricht („Das kennzeichnet nicht den Täter, sondern die Tat"), ist freilich der Vor-
durch Unterlassen) erst infolge der Garantenstellung; aber das ist bei den A m t s - behalt zu machen, daß auch die von ihm mit Recht dem § 28 unterstellten „be-
pflichten - auch hier entsteht das Amtsdelikt erst durch die Amtsstellung des Täters sonderen Pflichten zur Bewahrung eines anvertrauten Rechtsgutes" neben dem
- nicht anders und beweist nur die Rechtsgutsbezogenheit dieses Merkmals, die hier Täter die Tat kennzeichnen (etwa bei der Untreue, der Rechtsbeugung oder den
wie sonst der Anwendung des § 28 nicht entgegensteht (vgl. R n . 34 ff.). Im übrigen unechten Unterlassungsdelikten). Mit dem Abstellen auf die „Sonderpflicht" als
sind auch die Amtsträger, Vermögensfürsorger, Soldaten usw. Garanten, deren U n - Voraussetzung der besonderen persönlichen Unrechtsmerkmale entspricht die
terlassung ggf. den betreffenden Tatbestand erfüllt; wenn hier das Garantenunterlas- Entscheidung jedoch wie später BGHSt 41, 1 (vgl. R n . 62, 74) durchaus der hier
sen ein besonderes persönliches Merkmal ist, m u ß dies auch allgemein gelten. vertretenen Auffassung.

Eine differenzierende Lösung vertritt Herzberg.S5 Er hält die „Beschützergarantenpflicht" für Als lediglich tatbezogenes und daher nicht nach § 28 I zu behandelndes Merk- 72
ein besonderes persönliches Merkmal, nicht aber die Pflicht des „Überwachungsgaranten". mal hat BGHSt 42, l 9 0 auch die Pflicht nach § 370 I Nr. 2 A O behandelt. Nach
Doch ob jemand Personen oder Objekte gegen Gefahren beschirmen oder bestimmte unter dieser Vorschrift ist strafbar, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich
seiner Kontrolle stehenden Gefahrenquellen überwachen muß: in beiden Fällen handelt es sich
um Sonderpflichten mit erhöhter Verantwortlichkeit, um die Auferlegung einer speziellen erhebliche Tatsachen in Unkenntnis läßt und dadurch Steuern verkürzt oder für
Schutzfunktion. Auch lassen sich vielfach beide Pflichten gar nicht trennen; der Bademeister sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Der B G H b e -
ist Beschützergarant gegenüber den Badegästen und übt diese Funktion aus, indem er die beim tont, daß die Anzeigepflicht „weder mit der besonderen Pflicht des Amtsträgers
Schwimmen bestehenden Gefahrenquellen überwacht. Ob man die Garantenposition so oder
so formuliert, kann für die Anwendung des § 28 nicht entscheidend sein. oder des Täters der Untreue noch mit der des Garanten eines der sonstigen u n -
echten Unterlassungsdelikte vergleichbar" sei (aaO., 4/5). „Der Garant der sonsti-
Dagegen sind Tätereigenschaften dann keine besonderen persönlichen Merkmale, gen unechten Unterlassungsdelikte trägt vielfach die Verantwortlichkeit für einen
wenn sie nicht eine besondere Garantenposition bzw. Vertrauensstellung kennzeich- bestimmten Lebensbereich (Roxin, aaO., § 2 8 , R n . 6 4 ) . 9 1 Seine Haftung beruht
nen, sondern nur dazu dienen, den vom Tatbestand umfaßten Geschehensausschnitt häufig auf einer vorstrafrechtlichen Sonderpflicht mit einem starken persönlichen
plastisch zu beschreiben. Das ist für die §§ 288, 142 schon beispielhaft gezeigt w o r - Einschlag. Gerade dieser persönliche Einschlag fehlt bei den in § 370 I Nr. 2 A O
den ( R n . 59, 60). Es gilt ebenso für Merkmale wie „Mann" (§ 183), „Gefangener" angesprochenen steuerlichen Erklärungspflichten gegenüber dem Fiskus. Diese
(§ 121),86 für das Sich-Selbst-Berauschen in § 323 a und das „Führen" eines Fahr- umschreiben ein strafrechtliches Jedermann'-Gebot für einen nicht durch indivi-
zeugs in §§ 315 c, 316. 87 duelle Merkmale gekennzeichneten Personenkreis, mag dieser auch faktisch b e -

83 Sch/Sch/Lenckner26, § 174 b, Rn. 10.


88
84
So schon Roxi«, Täterschaft, 72000, 515. Eingehende Begründung v.a. bei Vogler, Lange- Für die Annahme eines besonderen persönlichen Merkmals Baumann/Weber, AT10, § 32 I
FS, 1976, 265 ff. Wie hier ferner Arzt, JA 1980, 553; Baumann/Weber, AT , 32 I 2 b; Eser, StrafR 2 b; Tröndle/Fischer* , § 28, Rn. 7; wohl auch Herzberg, ZStW 88 (1976), 105, Fn. 89- dagegen
II3, Fall 42, Rn. 12; SK7-Hoyer, § 28, Rn. 35; Köhler, AT, 550; Langer, Lange-FS, 1976, 262; Stra- Blei, JA 1969, 610; Herzberg, GA 1991, 184; Lackner/Kühl24, § 173, Rn.6; Schmidhäuser, LB AT2,
tenwerth, AT4, § 12, Rn. 191; Tröndle/Fischer50, § 28, Rn.6. Die Ge genmeinung hat ihre ausführ- 14/82; ders., StuB BT2,13/11; Sch/Sch/Lenckner26, § 173, Rn. 8 m. w. N.
89
lichste Darstellung bei Geppert, ZStW 82 (1970), 40 ff, erfahren. Sie wird außerdem vertreten Zust. Dippel, NStZ 1994, 182, und im Erg. auch Stein, StV 1995, 251, 253. Stein verweist
vonJescheck/Weigend, AT5, § 61 VII 4 a; Lackner/Kühl24, § 28, Rn. 6 (für die meisten Fälle); Prei- darauf (aaO., 254), daß eine erhöhte Pflichtbindung vor allem bei zwei Fallgruppen auftritt,
sendanz30, § 28, Anm. 3; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, § 28, Rn. 19; Stein, 1988, 337. BGHSt 41, 4 hat die hier nicht einschlägig sind: bei der Begründung der Pflichtenstellung durch „Anvertrau-
die Entscheidung offengelassen, „ob und inwieweit die aus den Garantenstellungen der unech- ensakte" (Amtsdelikte, § 203) und bei Fürsorgepflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern
ten Unterlassungsdelikte fließenden Pflichten besondere persönliche Merkmale im Sinne des (§§ 174 I Nr. 3,180 III, 221II). Zum Urteil vgl. auchjwng, JuS 1994, 440.
90
§ 28 Abs. 1 StGB sind". Doch scheinen die nachfolgenden Sätze, die sich auf meine Kommentie- Zust. Ranft, JZ 1995, 1186; Hake, JR 1996, 162, der - wohl mit Recht - §370 I Nr. 2
rung des § 28 in LK11, Rn. 64, 67 berufen, eher zur Bejahung dieser Frage zu neigen. AO als echtes Unterlassungsdelikt ansieht und dadurch aus dem Streit um die Anwendbarkeit
« Herzberg, GA 1991,161ff.;ähnlichjafeofa, AT2, 23/24f., 29/112. des §28 I auf unechte Unterlassungsdelikte heraushält. Abi. mit beachtlichen Gründen Grünst,
ss A. A. Tröndle/Fischer50, § 28, Rn. 5. Wie hier aber Lackner/Kühl24, § 121, Rn. 2. NStZ 1998, 548, auf der Basis einer Einordnung als unechtes Unterlassungsdelikt.
91
8' Zu §§ 323 a, 315 c, 316 näher Herzberg, GA 1991,182f.; Kühl, AT3, § 20, Rn. 158. Dieses Zitat und das folgende beziehen sich auf die 11. Aufl. des LK.

258 259
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung IV § 27

schränkt sein (vgl. Roxin, aaO., § 28, R n . 67)." Das ist eine zutreffende Anwendung anzuwenden ist; die praktischen Auswirkungen dieser Auffassung sind schon g e -
der in diesem Buch vertretenen Auffassung. schildert worden ( R n . 52).
Kein besonderes persönliches Merkmal sind auch die Absichtsmerkmale, soweit Einige zusätzliche Probleme wirft die mittlere Merkmalsgruppe des Mordes 76
sie dem Unrecht (also dem subjektiven Tatbestand) und nicht der Schuld zugehö- (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) auf. Die gemeingefähr-
ren. 9 2 Zu nennen sind etwa die Absichten in §§ 164, 242, 253, 257, 259, 263, 267. lichen Mittel sind unstreitig ein sachliches Merkmal, unterfallen also nicht dem
Zwar sind die rechtsgutsbezogenen Absichten (z.B. in §§164, 242, 257, 267) i n - § 28. Darüber hinaus werden aber auch die Merkmale der „Heimtücke" und der
sofern nicht vollakzessorisch zu behandeln, als auch ein Außenstehender wollen „Grausamkeit" von der Rspr. als sachliche Merkmale behandelt, so daß § 28 auf sie
muß, daß sie verwirklicht werden (näher § 26, R n . 161 ff). Aber das folgt aus d e m keine A n w e n d u n g findet (vgl. die Nachweise in R n . 28 ff). Das verdient insofern
Strafgrund der Teilnahme und nicht aus § 28 I, der auch nur zu einer Strafmilde- Beifall, als die sachlichen Bestandteile beider Merkmale in Rede stehen (bei der
rung und nicht zu der Straflosigkeit führen könnte, die eintreten m u ß , wenn dem Heimtücke also die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit, bei der Grausamkeit
Außenstehenden der Wille zur Absichtsverwirklichung durch den Täter fehlt. die Zufügung besonderer Schmerzen oder Qualen). Beide Kriterien enthalten
aber nach der Rspr. auch persönliche Merkmalskomponenten. So soll für die
bb) Strafschärfende, strafmildernde und strafausschließende Merkmale
Heimtücke eine „feindliche Willensrichtung" (BGHSt 9, 385), für die Grausamkeit
nach § 28 II
eine „gefühllose, unbarmherzige Gesinnung" (BGHSt 3,180) des Täters erforder-
Strafschärfende Unrechtsmerkmale, die unter § 28 II fallen, sind die Pflichten-
lich sein. Diese persönlichen Komponenten sind Schuldelemente, 9 9 müssen somit
Stellung als Amtsträger bei den unechten Amtsdelikten, 9 3 das Anvertrautsein bei
vom hier vertretenen Standpunkt aus nach § 28 II behandelt werden. Wenn also
der Veruntreuung nach § 246 9 4 und die besonderen Betreuungsverhältnisse nach
ein Anstifter zur Tötung die „feindliche Willensrichtung" oder die „gefühllose G e -
§221 II Nr. 1. Straferhöhende Schuld- bzw. Verantwortlichkeitsmerkmale sind
sinnung" des Täters nicht aufweist, sollte er nur nach §§ 26, 212 bestraft werden.
neben den meisten Mordkriterien (dazu R n . 7 5 ) vor allem die spezialpräventiv
Strafmildernde besondere persönliche Merkmale sind selten. D e n n die dem 77
orientierten Qualifikationsgründe der Gewerbs- 9 5 und Gewohnheitsmäßigkeit 9 6
Allgemeinen Teil zugehörigen Schuldmilderungsgründe wie die verminderte
(dazu schon R n . 54) und die Gewinnsucht. 9 7 Strafschärfende persönliche M e r k -
Schuldfähigkeit (§ 21) oder der vermeidbare Verbotsirrtum (§ 17 S. 2) sind nach
male beruhen stets auf einer besonderen Pflichtenstellung oder auf erhöhter
§ 29 zu behandeln (Rn. 5). So bleibt als Hauptbeispiel eines strafmildernden
Schuld und Verantwortlichkeit, sind also immer nach § 28 II zu behandeln und
Schuldmerkmals die Eigenschaft als Schwangere nach § 218 III; wie sich die A n -
bieten nicht die Abgrenzungsschwierigkeiten, die in § 28 I daraus resultieren, daß
wendung des § 28 II auf § 218 III auswirkt, ist schon gezeigt worden ( R n . 1). U m -
manche persönliche Merkmale nur der Deliktstypisierung dienen.
stritten ist, ob die Motivation durch das Verlangen des Getöteten in § 216 ein nach
Als besondere persönliche Schuldmerkmale sind mit der Rspr. auch die M o r d -
§ 28 II zu behandelnder strafmildernder Umstand ist. Man wird das bejahen k ö n -
kriterien der ersten und dritten Merkmalsgruppe des §211 einzuordnen. 9 8 Die
nen, indem man darin einen schuldmindernden Umstand erblickt; in den Genuß
einschlägige Judikatur ist in R n . 28 ff. nachgewiesen worden. Die genannten
des Privilegs k o m m t dann nur der, der auch seinerseits durch den Wunsch des
Mordmerkmale gehören zu den straferhöhenden Schuldmerkmalen, wenn man
Opfers zu seinem Handeln bestimmt worden ist. Die h. M . sieht in § 216 aller-
den Mord mit der absolut herrschenden und auch hier vertretenen Meinung als
dings einen Fall geminderten Unrechts. D a n n ist die Bestimmung durch das
qualifizierten Fall des Totschlages betrachtet. Sie sind dann nach § 28 II zu behan-
Opfer vollakzessorisch zu behandeln, weil die Strafmilderung nicht auf einer g e -
deln. Sieht man den Mord dagegen mit der Rspr. als einen eigenständigen Tatbe-
minderten Pflicht, sondern auf einer minderschweren Rechtsgutsverletzung b e -
stand an, stellen sie sich als strafbegründende Schuldmerkmale dar, auf die § 28 I
ruht, für die die allgemeinen Akzessorietätsregeln gelten. 1 0 0
92
Zur Abgrenzung Roxin, AT l3, § 10, Rn.70ff. Strafausschließende besondere persönliche Merkmale sind Gründe ausgeschlos- 78
93 BGHSt 5, 71, 81; 6, 308, 309; BGH LM Nr. 12 zu § 50 a. F. = NJW 1955, 720 (Leitsatz); sener Verantwortlichkeit, soweit sie im Besonderen Teil enthalten sind (diejenigen
Fischer/Gutzeit, JA 1998, 41; Kindhäuser, StGB, § 28, Rn. 3.
«t BGH StV 1995, 84; Köhler, AT, 549. des Allgemeinen Teils fallen unter § 2 9 ; vgl. R n . 5); ferner persönliche Strafaüs-
95 §260: BGHSt 3, 191, 192; 4, 41, 43; §§292 III, 293 III; beim Schmuggel (jetzt: §373 I schließungs- und Strafaufhebungsgründe. Beispiele bilden etwa §§ 173 III, 257 III,
AO): BGHSt 6, 260, 261; und in §§ 29 III Nr. 1, 30 I Nr. 2 BtMG; ferner beim Wucher, § 291
II Nr. 2. 99 Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 78 ff.
96 §§292111,293111. wo So noch SK5-Horn, §216, Rn. 13 (anders jetzt aber SK6-Hörn, §216, Rn.13); Otto, BT5,
97 §§ 283 a Nr. 1, 283 d III Nr. 1. Die Rspr. hat die Gewinnsucht nicht als unter § 50 a. F. fal- § 6 IV 1, wo die These der Unrechtsminderung und konsequenterweise der akzessorischen
lend anerkannt: RGSt 53, 31, 35; 62, 203, 206; BGHSt 17, 215, 217. Doch dürfte diese Judikatur Behandlung vertreten wird; a. A. Jescheck/Weigend, AT5, § 61 VII 4a bb, der gerade wegen der
überholt sein, nachdem mit den „persönlichen Umständen" auch innere Haltungen ohne Unrechtsminderung §28 II statt §29 anwenden will; ebenso auch LK10-Jähnke, §216, Rn.10;
„Dauer" in § 28 einbezogen worden sind. Lackner/Kühl24, §216, Rn. 2; Maurach/Gössel, AT/27, 53/174; Maurach/Schweder, BT/17, 2/61;
98 Vgl. Roxi«, AT l3, § 10, Rn. 70 ff. Sch/Sch/Eser26, § 216, Rn. 18; Tröndle/Fischer50, § 216, Rn. 5; Wessels/Hettinger, BT/1 24 , Rn. 158.

260 261
§ 27 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Besondere pers. Merkmale - A. Akzessorietätsregelung VI § 27
101
258 VI. Die systematische Einordnung dieser Merkmale ist im einzelnen str., in
V I . D i e Strafe nach § 28
diesem Zusammenhang aber unwichtig, weil sie unabhängig davon gleicherma-
ßen den Regeln des § 28 unterliegen. Der freiwillige Rücktritt v o m Versuch ist bei § 28 enthält eine Strafmaßregelung; sie ist aber bei strafbegründenden besonde- 81
§ 28 II einzuordnen, w e n n man ihn als persönlichen Strafaufhebungsgrund ver- ren persönlichen Merkmalen nach § 28 I anders ausgestaltet als bei den übrigen
steht (näher R n . 54). Faßt man ihn, wie es hier geschieht, als allgemeinen Schuld- persönlichen Merkmalen nach § 28 II. Im Falle des Abs. 1 wird der Teilnehmer
ausschließungsgrund auf,102 so wird dieselbe Lösung mit Hilfe des § 29 erreicht. wegen Anstiftung oder Beihilfe zu dem v o m Täter verwirklichten Tatbestand ver-
urteilt, die Strafe aber nach dem Schlüssel des § 49 I gemildert. Im A n w e n d u n g s -
V. D i e A n w e n d u n g des § 28 in Sonderfällen bereich des § 2 8 II ist noch wieder zu unterscheiden: Bei Unrechtsmerkmalen
wird der Teilnehmer aus demselben Tatbestand verurteilt wie der Täter, während
1. § 28 bei der versuchten Anstiftung bei den übrigen hier genannten Merkmalen der Verurteilung der Tatbestand zu-
§ 28 gilt auch für Fälle der versuchten Teilnahme nach § 30 (BGHSt 6, 308, grunde zu legen ist, der beim Vorhandensein oder Fehlen des betreffenden Merk-
311). Zwar ist die Vorschrift nicht direkt anwendbar, weil bei der versuchten A n - mals in der Person der jeweils Beteiligten vorliegt. Das Strafmaß ist aber unabhän-
stiftung ein Täter und damit auch ein Teilnehmer fehlt. Doch ist immerhin eine gig davon in beiden Fällen dem Tatbestand zu entnehmen, der sich bei Zurech-
geplante Täter-Teilnehmer-Beziehung vorhanden, u n d auf sie m u ß der „Rechts- nung bzw. Nichtzurechnung des besonderen persönlichen Merkmals ergibt. Der
gedanke" (BGHSt 6, 311) des § 28 angewendet werden; denn es wäre sinnwidrig, Anstifter zur Körperverletzung im A m t ist also nach § § 26, 340 zu verurteilen,
die besonderen persönlichen Merkmale bei einer versuchten Beteiligung anders aber aus dem Strafrahmen des § 223 zu bestrafen, während der Anstifter zu § 218
zu behandeln als bei einer vollendeten. Ü b e r Einzelheiten der Anwendung des III nach § § 26, 218 I zu verurteilen u n d zu bestrafen ist. Die Gründe u n d Einzel-
§ 30 i m R a h m e n des § 28 vgl. § 28, R n . 22ff., 56ff. heiten dieser umstrittenen Konzeption sind R n . 16 ff. näher geschildert worden.
Ein Sonderproblem besteht bei der Beihilfe zu qualifizierten Pflichtdelikten. 82
2. Anwendbarkeit der § § 28, 29 auf die Teilnahme a m erfolgsqualifizierten Als Beispiel diene der Fall, daß jemand, der keine Vermögensfürsorgepflicht hat,
Delikt? an einer Tat nach § 266 teilnimmt. Er kann dann nur Gehilfe sein und erhält dafür
eine Strafmilderung nach § 27 II 2. Wegen Fehlens eines besonderen persönlichen
Wie schon dargelegt wurde (§ 26, R n . 167), ist eine Teilnahme am erfolgsquali-
Merkmals ist seine Strafe aber nach § 28 I ebenfalls zu mildern. Das führt zu dem
fizierten Delikt als Teilnahme am vorsätzlichen Grunddelikt in Verbindung mit
Ergebnis, daß ein und derselbe Umstand (das Fehlen der Vermögensfürsorge-
fahrlässiger Nebentäterschaft hinsichtlich der schweren Folge möglich. Davon
pflicht) zweimal strafmildernd berücksichtigt wird. O b das richtig ist, ist umstrit-
geht grds. auch die Rspr. aus (BGHSt 2, 223; 19, 339). Aus diesem Ansatz folgt,
ten. Der B G H (BGHSt 26, 53; B G H wistra 1988, 303) folgt zwar nicht der Auf-
daß etwa eine Anstiftung zu § 226 oder § 251 auch dann möglich ist, w e n n der
fassung, daß in solchen Fällen grundsätzlich n u r eine Milderung in Betracht
Täter selbst hinsichtlich der schweren Folge mit Vorsatz handelte; denn die fahr-
k o m m e ; denn dann würde „das Stufenverhältnis zur Anstiftung verfehlt" (BGHSt
lässige Nebentäterschaft ist unabhängig davon, in welcher Beziehung der Täter
26, 55), weil Anstiftung u n d Beihilfe denselben Strafrahmen erhielten. Er will
zum schweren Erfolge steht. Unrichtig ist es aber, daß der B G H dieses Ergebnis
jedoch eine nur einmalige Milderung dann vornehmen, w e n n allein das Fehlen
mit § 5 0 (den heutigen § § 2 8 II, 29) begründen wollte (BGHSt 2, 226; 19, 341 f.).
eines besonderen persönlichen Merkmals zur Gehilfenverurteilung führt. 103
D e n n erstens ist der Vorsatz i m Verhältnis zur Fahrlässigkeit kein strafschärfendes
Danach käme es also im Beispielsfall darauf an, ob der ohne die Pflichtenstel- 83
Schuldmerkmal; vielmehr gehören beide z u m Tatbestand. U n d zweitens besteht,
lung des § 266 an der Untreue Mitwirkende die Tatherrschaft bzw. den Täterwil-
was die Beziehung zum schweren Erfolg betrifft, zwischen der fahrlässigen N e -
len hat oder nicht. Im ersten Fall würde eine einmalige, im zweiten eine doppelte
bentäterschaft des Teilnehmers am Grunddelikt u n d einem etwaigen Vorsatz des
Milderung vorzunehmen sein. Aber auch dadurch wird noch das Stufenverhältnis
Täters auch keine Täter-Teilnehmer-Beziehung, auf die § § 2 8 , 29 angewendet
zur Anstiftung verfehlt; denn wer - z.B. bei einer N ö t i g u n g (§35) zur Untreue
werden könnten.
oder bei Benutzung eines geisteskranken Täters - nur wegen seiner fehlenden
Pflichtenstellung nicht (mittelbarer) Täter sein kann, erhält trotzdem die M i l d e -
rung nach § 28 I, unterliegt also demselben Strafrahmen wie ceteris paribus der

103 Zust. Bruns, J R 1975, 510; SK7-Hoyer, §28, Rn.45, sowie §27, Rn.39; Sch/Sch/Stree26,
3
ioi Vgl. Roxin, AT l , § 23, Rn. lff. §49, Rn.6; Tröndle/Fischer50, §28, Rn. 12; Willms, LM, Nr. 1 zu §49. Zweifelnd BGH wistra
102 Roxin, Heinitz-FS, 1972, 273ff.;SK6-Rudolphi, §24, Rn.6. 1994,139; Blei, JA 1975, 447; Vogler, Lange-FS, 1976, 272.

262 263
§ 27 I 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und Vertreterhaftung I § 27

Gehilfe. Das widerspricht der gesetzlichen A n o r d n u n g , wonach der Gehilfe mil- Das Bedürfnis nach einer Vorschrift in der Art des § 14 tritt i m m e r dann auf, 86
der zu bestrafen ist als der Anstifter. Die doppelte Strafmilderung für jede Form wenn der Gesetzgeber die Täterschaft nicht an eine bestimmte, von jedermann b e -
der Beihilfe kann auch wegen des besonders großen Unwertgefälles zwischen Tä- gehbare Handlung (etwa: die Beseitigung von Vermögensstücken in der Absicht,
terschaft und Teilnahme bei qualifizierten Pflichtdelikten h i n g e n o m m e n werden. die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln), sondern an>eine Statuseigenschaft
(in § 288 die des Schuldners) anknüpft. 1 0 5 Noch der Gesetzgeber des 2. WiKG b e -
straft im neuen § 2 6 6 a nicht etwa die in bestimmten Formen erfolgende Vor-
B . D i e O r g a n - u n d Vertreterhaftung des § 14 enthaltung oder Veruntreuung von Arbeitsentgelt, sondern verlangt ausdrücklich,
daß der Täter „als Arbeitgeber" handelt. Bei der Beschreibung des Täters durch
I. Zweck und Hintergrund der Vorschrift solche Statusbezeichnungen entstehen in zweierlei Hinsicht unvermeidbare, aber
untragbare Strafbarkeitslücken, die nur durch eine Sondervorschrift, wie sie § 14
84 Die Bestimmung ist durch das Einführungsgesetz zum Gesetz über O r d - enthält, geschlossen werden können.
nungswidrigkeiten v o m 24.5.1968 in das StGB eingefügt worden (damals als Die erste Lücke ergibt sich dort, wo der im Gesetz bezeichnete Täter als solcher 87
§ 50 a) und hat seither nur geringfügige Änderungen erfahren. Ihr Zweck ist es, überhaupt nicht in strafrechtlich relevanter Weise handeln kann. Das ist der Fall
denjenigen strafrechtlich erfassen zu können, der für einen anderen handelt, ohne bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften, aber auch bei straf-
die im Gesetz geforderte Täterqualifikation zu besitzen. Wenn etwa Vorstandsmit- unmündigen Jugendlichen (§ 19). 106 Hier ermöglicht § 14 eine Bestrafung dessen,
glieder einer AG bei einer der Gesellschaft drohenden Zwangsvollstreckung Ver- der anstelle des und für den als Täter Bezeichneten handelt.
mögensstücke beiseite schaffen, u m die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Die zweite Lücke ergibt sich aus der Entwicklung des modernen Wirtschafts- 88
kann die AG, solange das deutsche Recht keine Verbandsstrafbarkeit kennt, nicht lebens; es bringt Betriebs- und Unternehmensformen von solcher Größe hervor,
bestraft werden; denn ihr fehlt die Handlungsfähigkeit. 1 0 4 Aber auch die Vor- daß der durch einen bestimmten Status (Arbeitgeber, Unternehmer usw.) Bezeich-
standsmitglieder konnten bis zur Einführung der neuen Vorschrift nicht zur Ver- nete nicht mehr in der Lage ist, die ihm aus seiner Position erwachsenden Pflich-
antwortung gezogen werden, weil die Zwangsvollstreckung nicht ihnen per- ten selbst wahrzunehmen. Er m u ß sie an andere (Substituten) delegieren. Daraus
sönlich, sondern der AG drohte und sie auch nicht Bestandteile ihres Vermögens, folgt dann mit einer gewissen Zwangsläufigkeit, daß der Substitut auch für die
sondern des Gesellschaftsvermögens beiseite schafften. Sie mußten also straflos Verletzung der dem Täter obliegenden Pflichten strafrechtlich einstehen muß. Dies
bleiben (RGSt 16, 121), während sie heute nach § 14 I Nr. 1 wie ein wirklicher ordnet § 14 II an. Die Vorschrift war im E 1962 noch nicht enthalten. Der Gesetz-
Schuldner bestraft werden können. Ähnliche Konstellationen ergeben sich auch geber hat dann aber doch der wirtschaftlichen Entwicklung R e c h n u n g getragen
bei einigen anderen Vorschriften des StGB (§§ 170, 266 a, 283 ff), vor allem aber und die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf bestimmte gewillkürte Vertreter
in zahlreichen Bestimmungen des Nebenstrafrechts, w e n n etwa jemand anstelle erstreckt. O b es statt dessen besser gewesen wäre, die Strafbarkeit auf alle gewill-
der als Täter bezeichneten „Gewerbetreibenden", „Arbeitgeber" oder „Unterneh- kürten Vertreter auszudehnen, ist bis heute Gegenstand lebhaften Streits (vgl.
mer" handelt. Sehr häufig sind solche Fälle auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, R n . 110).
dessen § 9 eine wörtlich gleichlautende Regelung enthält. Vor Einführung des § 14 hatten Rspr. und Gesetzgebung die heute durch diese 89
85 § 14 betrifft keine eigentliche Teilnahme, sondern eine Übertragung der täter- Vorschrift geregelten Probleme in sehr unterschiedlicher Weise behandelt. Teils
schaftlichen Verantwortung auf Personen, die das Tätermerkmal des betreffenden wurden, wie im Falle des § 288, die entstehenden Strafbarkeitslücken h i n g e n o m -
Tatbestandes nicht aufweisen. Es handelt sich u m einen Strafausdehnungsgrund men (RGSt 16, 121). Teils hatte der Gesetzgeber in zahlreichen Einzelvorschriften
in Form einer Täterschaftserstreckung. Die Vorschrift wird also zweckmäßiger- (zuerst im früheren § 2 4 4 der K O von 1877) die strafrechtliche Haftung auf
weise in einem Abschnitt über „Täterschaft und Teilnahme" behandelt, obwohl der Vertreter erstreckt, wobei aber die Regelungen untereinander wesentliche Abwei-
Gesetzgeber sie dort nicht eingestellt hat. Die im Gesetz vorgenommene Ver- chungen aufwiesen. 107
knüpfung mit § 28, der hinsichtlich der besonderen persönlichen Merkmale auf
§ 14 verweist, legt eine Behandlung im Anschluß an § 28 nahe, auch w e n n sich
zeigen wird, daß das beiden Bestimmungen gemeinsame Kriterium hier und dort 105
Hier und im folgenden LK11 -Schünemann, § 14, Rn. 1.
einer unterschiedlichen Auslegung bedarf ( R n . 97 ff, 100 ff.). 106
Nach den Kategorien der Strafrechtsdogmatik ist bei ihnen nicht schon die Handlungs-
fähigkeit, sondern erst die Verantwortlichkeit ausgeschlossen (Roxin, AT l3, § 20, Rn. 49 ff.).
Doch spielt das in diesem Zusammenhang keine Rolle.
107
Eine Übersicht gibt die Begründung zum E 1962, BT-Drucks. IV/650; ferner Blauth,
">+ Roxin, AT l3, § 8, Rn. 55 ff. 1968, 41-46.

264 265
§ 27. Bes. pers. Merkmale — B. Organ- und Vertreterhaftung II § 27
§ 27 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
der Veranstalter des Glücksspiels ist". Wenn man jedoch, wie es gründliche Analy-
90 In anderen Fällen hatte die Rspr. auf dem Wege der Auslegung mit Hilfe einer
sen nahelegen, 114 den Vorstand als „Veranstalter" ansieht, ist § 284 auf ihn unmittel-
„faktischen Betrachtungsweise" die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf das
bar anzuwenden, so daß § 14 I nicht herangezogen werden und somit auch keine
Handeln von Vertretern erstreckt. 108 So hat RGSt 8, 269 den Ehemann einer
Klarheit bringen kann. Es ist denn auch bis heute heftig umstritten, ob § 14 im
Pfandleiherin, die alleinige Geschäftsinhaberin war, gleichwohl als „Pfandleiher"
R a h m e n des § 284 eine Funktion hat. 115 Dazu k o m m t die Ungereimtheit, daß bei
nach § 2 9 0 bestraft, weil er dieses Gewerbe - w e n n auch ohne Konzession -
einer an der realen Tätigkeit orientierten Auslegung des „Veranstaltens" bei konse-
„tatsächlich" betrieben habe. RGSt 24, 353 hat den Vormund eines Brauers als
quenter Anwendung jeder gewillkürte Vertreter Täter sein kann, während § 14 I
„Brauer" i. S. d. Brauergesetzes betrachtet, weil er der eigentlichen Leiter des B e -
eine strafrechtliche Haftung nur für Organe und Gesellschafter vorsieht. Entspre-
triebes war. Noch BGHSt 11,102 hat in einem Fall, in dem eine juristische Person
chende Probleme stellen sich in allen Fällen, für die eine faktische Betrachtungs-
Kommissionär i. S. d. BörsenG war, strafrechtlich denjenigen als Kommissionär
weise angestellt werden kann. Zur Bereinigung der damit verbundenen Streitfra-
angesehen, der das Kommissionsgeschäft für sie tatsächlich ausführte.
gen kann § 14 nichts beitragen.
91 In einigen Urteilen hat das R G einen wiederum anderen Weg eingeschlagen, i n -
dem es einen „Grundsatz der Übertragung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
2. § 14 und die Vertreterhaftung nach Abs. 2
oder der Tatbestandsergänzung" 1 0 9 entwickelte, demzufolge „dem Vertreter einer
juristischen Person . . . an Stelle der letzteren" die Erfüllung ihrer Verpflichtungen Einen besonderen Kritikpunkt bildet sodann die Beschränkung der Vertreter- 94
obliege, so daß er „nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen" auch an ihrer Stelle straf- haftung in § 14 II auf speziell herausgehobene Vertreter (Betriebsleiter, ausdrück-
rechtlich hafte. 110 Auf dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung b e - lich zur eigenverantwortlichen W a h r n e h m u n g Beauftragte). Vom Standpunkt der
zweckt § 14 demnach nicht nur die Ausfüllung von Strafbarkeitslücken, sondern faktischen Betrachtungsweise aus, die den Tatbestand durch unmittelbare Aus-
auch die Vereinheitlichung eines zersplitterten und in sich widersprüchlichen legung auf jeden gewillkürten Vertreter erstreckt, m u ß darin eine unangemessene
Rechtszustandes. Einschränkung der Vertreterhaftung gesehen werden. 1 1 6 Aber auch abgesehen da-
von wird kritisiert, daß die Beschränkung auf einige Arten gewillkürter Vertreter
Strafbarkeitslücken und Abgrenzungsprobleme schaffe und dazu herausfordere,
II. Zur rechtspolitischen Würdigung des § 14 „rechtswidrige Handlungen durch solche Vertreter ausführen zu lassen, die der
strafrechtlichen Vertreterhaftung nicht unterfallen". 117 Andererseits wird auch vor
92 O b der Gesetzgeber freilich sein Ziel erreicht hat, ist umstritten geblieben. Die
einer Ausdehnung der Vertreterhaftung mit der B e g r ü n d u n g gewarnt, daß sie
Vorschrift des § 14 ist in ihrer konkreten Ausgestaltung auf heftige Kritik gestoßen
„eine weitere Verringerung der Haftung im oberen Bereich der Betriebshierarchie
und nicht selten als im ganzen „mißlungen" 111 oder „sprachlich und sachlich ver-
mit sich fuhren" werde. „Zwar schließt die Vertreterhaftung einen Zugriff auf den
unglückt" 1 1 2 beurteilt worden. In der Tat hat dem Gesetzgeber bei dem Versuch, die Vertretenen rechtlich nicht aus. Doch sollte man realistisch sehen: Tatsächlich
Mängel des bisherigen Rechtszustandes zu beseitigen, eine juristisch fundierte G e - wirkt das Haftbarmachen des unmittelbar Handelnden zumeist als Sperre für eine
samtkonzeption gefehlt. Das wirkt sich besonders in vier Problembereichen aus. Verfolgung des Handlungsveranlassers." 118
Auch die Gesetzgebungsentwicklung zeigt ein widersprüchliches Bild. Noch 95
1. § 14 und „faktische Betrachtungsweise"
bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission (1954 ff.)119 wurde eine
93 Im immer schon umstrittenen Anwendungsbereich der „faktischen" Betrach- Erstreckung der strafrechtlichen Verantwortung auch nur auf einen Teil der g e -
tungsweise ( R n . 90) hat § 14 entgegen seiner Intention keine Klarheit schaffen willkürten Vertreter als zu weitgehend empfunden, weil man befürchtete, durch
können. In der Begründung des E 1962 113 heißt es zur Rechtfertigung des heuti- Abwälzung höchstpersönlicher Treupflichten auf Vertreter die Haftung zu sehr
gen § 14 I, es sei „nach geltendem Recht zweifelhaft, ob der Vorstand eines rechts- auszuweiten. 120 Das ist eine Verkennung des Charakters der in § 14 genannten
fähigen Vereins wegen ungenehmigten Glücksspiels nach § 284 StGB bestraft wer- —t—
den kann, w e n n er für den Verein gehandelt hat, aber nicht er, sondern der Verein "* Bruns, 1931, 61f.; Blauth, 1968,130f.; Wiesener, 1971, 49-53.
"5 Vgl. zum Streitstand Sch/Sch/Eser26, § 284, Rn. 13.
«w Kurzer Überblick dazu bei Dierlamm, NStZ 1996,153; ausführlich: Gübel, 1994, 47ff. ii6 Wiesener, 1971,14ff., 185ff.; vgl. auch Rimmelspacher, JZ 1967, 479.
117
W9 R. Schmitt, ]Z 1968,124.
Der Ausdruck stammt von Bruns, 1931,15. 118
Marxen, JZ 1988, 290; zuchJescheck/Weigend, AT5, § 23 VIII 3, spricht sich gegen die Aus-
110
Grundlegende Kritik an diesem Verfahren bei Bruns, 1931, 86-92, der darin einen Verstoß dehnung des § 14 auf alle Fälle des Handelns für einen anderen aus.
119
gegen das Analogieverbot sieht; vgl. ferner Blauth, 1968, 35-37; Wiesener, 1971,108 f. Vgl. Roxin, AT l3, § 4, Rn. 16.
120
i» Wiesener, 1971,190. Vgl. etwa die Stellungnahmen von Kqffka, Gallas und Baldus bei den Beratungen der
112 Großen Strafrechtskommission, NiedStrKomm 4,1958, 313, 315, 316.
Tiedemann, 1976, Bd. 1, 302.
113 BT-Drucks. IV/650,127.
267
266
§ 27 II 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und Vertreterhaftung III § 27

Pflichten (vgl. Rn.98ff.); sie hat dazu geführt, daß der E 1962 gewillkürte Ver- zu finden, wird aber durch den identischen Gesetzeswortlaut in verwirrender
treter in die geplante Vorschrift überhaupt nicht aufnehmen wollte. Aber auch die Weise verschleiert.122
im Regierungsentwurf zum 2. WiKG ursprünglich vorgesehene Erweiterung des
Kreises der in § 14 II einbezogenen gewillkürten Vertreter ist im Gesetzgebungs- III. § 14 als Ausdruck der Pflichtenübernahme
verfahren gescheitert.121
Aus Vorstehendem ergibt sich: die Erstreckung einer Vorschrift auf jemanden, 98
3. § 14 und der Rechtsgrund seiner Strafbarkeitsausdehnung auf den die Täterbezeichnung nicht paßt, ist teleologisch nur aus dem Gedanken
zu rechtfertigen, daß die an den Status des Täters geknüpften Pflichten auf den
96 Ferner ist der Gesetzgeber sich nicht hinreichend darüber klar geworden, worin
Außenstehenden (den Vertreter) übertragen werden. § 14 zieht also die strafrecht-
- jenseits des praktischen Bedürfnisses - die juristische Legitimation für die
lichen Konsequenzen aus der „Möglichkeit ersatzweiser Wahrnehmung eines
Strafbarkeitserstreckung auf Organe, Vertreter und Beauftragte liegt. Das Gesetz
Pflichtenkreises".123 Ich hatte deshalb früher von der „Ersatzvertretung"124 als dem
spricht davon, daß strafbegründende persönliche Merkmale zwar beim Vertrete-
Grundgedanken des § 14 gesprochen. Marxen125 hat sich dem in der Sache an-
nen oder Betriebsinhaber, nicht aber beim Vertreter oder Beauftragten vorliegen.
geschlossen, statt dessen aber den Terminus der „Pflichtenteilhabe" vorgeschlagen,
Wie erklärt sich dann aber die Verhängung der vollen Täterstrafe gegenüber diesen
weil der Begriff der „Ersatzvertretung" den irrigen Eindruck hervorrufen könnte,
Personen, wenn nach § 28 I das Fehlen strafbegründender besonderer persönlicher
als ob der Vertreter den ursprünglich als Täter Bezeichneten aus der strafrecht-
Merkmale eine obligatorische Strafmilderung nach sich zieht? Verständlich wird
lichen Verantwortlichkeit verdrängte. Das ist natürlich nicht der Fall, wie schon
die Überwälzung der ungeminderten strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf den
der Gesetzeswortlaut in § 14 I und II („auch" auf den Vertreter bzw. Beauftragten
Außenstehenden nur durch die Annahme, daß die Pflichten der als Täter gekenn-
anzuwenden) klarstellt. Am besten spricht man wohl von Pflichtenübernahme.
zeichneten juristischen oder natürlichen Personen auf ihn übertragen werden (vgl.
Denn die Übernahme einer Pflicht nach § 14 ist mehr als die „Teilhabe" an ihr, läßt
Rn. 98 ff). Dann aber liegen die entscheidenden strafbegründenden Merkmale
aber die Pflichtenstellung des im Gesetz bezeichneten Täters unberührt. 126
eben doch beim Vertreter oder Beauftragten vor. Dadurch gerät der Gesetzgeber in
einen Widerspruch, der die Auslegung erschwert. Schürtemann hat den weitergehenden Gedanken entwickelt, es handele sich bei der Vertre- 99
terhaftung um eine Form der Übernahme einer Garantenstellung, die der jeweilige Statusin-
haber einnehme. Der Vertreter verwirkliche das materielle Unrecht des Garantensonderdelikts,
4. § 14 und der Begriff der besonderen persönlichen Merkmale könne aber, weil ihm die Statusbezeichnung des tatbestandlichen Täters fehle, nur im Rahmen
des § 14 als Täter qualifiziert werden. Das entspricht im wesentlichen der in Rn. 98 vorgetrage-
97 Schon aus dem in Rn. 95, 96 Ausgeführten ergibt sich, daß die Unklarheit über nen Konzeption und hat diese beeinflußt. Gegen eine völlige Gleichstellung mit der Garanten-
die Rechtsgrundlage des § 14 sich auch auf das Verständnis des Begriffs der beson- lehre der unechten Unterlassungsdelikte bestehen aber deshalb Bedenken, weil vom hier ver-
tretenen Standpunkt aus nicht alle täterschaftlichen Statusbezeichnungen eine Garantenstel-
deren persönlichen Merkmale auswirken muß. Der Gesetzgeber ist anscheinend lung begründen. So können die Pflichten des Schuldners nach § 288 gemäß § 14 unbestritten
ohne tiefergreifende Überlegungen davon ausgegangen, daß der Begriff in § 14 auch vom Vertreter wahrgenommen werden. Aber um eine Garantenstellung handelt es sich
genauso zu bestimmen ist wie in § 28. Dafür sprechen der identische Wortlaut und dabei nicht, so daß § 28 auf dieses Merkmal nicht anwendbar ist (vgl. Rn. 59, 68). Für Schüne-
mann entsteht dieses Problem nicht, weil er vom Standpunkt seiner Einheitslösung aus
die ausdrückliche Verweisung des § 28 auf § 14. Während es jedoch in § 28 I um (Rn. 41 ff.) alle Pflichtdelikte dem § 28 unterstellt und aus ihnen Garantenstellungen ableitet.
qualifizierte Pflichtenstellungen geht, um ein Sonderunrecht, das auf den Extra-
neus nicht übertragen wird (Rn. 55 ff), setzt § 14 gerade voraus, daß Pflichten, die
den als Täter Bezeichneten treffen, vom Vertreter oder Beauftragten übernommen
122
werden. Diese Diskrepanz zwingt zu der Folgerung, daß die von § 14 und § 28 er- Das ist zuerst in der Monographie von Blauth (1968) klar erkannt und im Anschluß an
faßten besonderen persönlichen Merkmale keineswegs dieselben sind, sondern ihn schon vor der Veröffentlichung seines Buches von seinem Lehrer Gallas auf der Strafrechts-
lehrertagung in Münster präzis zusammengefaßt worden, ZStW 80 (1968), 21 f.
nach abweichenden Gesichtspunkten bestimmt werden müssen. Das stimmt mit 123 Wiesener, 1971, 71.
der Feststellung überein, daß z.B. die Stellung als „Schuldner" in §288, die nach 12" Vgl. LKm-Roxin, § 14, Rn.9.
§ 14 ggf. auf die dort genannten Vertreter anwendbar ist, gerade kein besonderes 125 NK-Marxen, § 14, Rn. 15 ff.; ähnlich wie hier zuchjakobs, KT2, 21/11.
12* Dem entspricht der Gesetzesvorschlag von Bottke (wistra 1991, 85): „Ist die Herbeifüh-
persönliches Merkmal i. S. d. § 28 darstellt (Rn. 59). Die Notwendigkeit, im Ver- rung eines Erfolges durch ein Tun nur unter der zusätzlichen Voraussetzung der Verletzung
hältnis zu § 28 eigenständige Kriterien für die Festlegung der „Merkmale" in § 14 einer Sonderpflicht strafbar, so ist als Täter auch derjenige verantwortlich, wer anstelle des
Sonderpflichtigen die diesen treffende Pflicht übernommen hat und die Tat begeht."
127
Zuletzt ausführlich in LK11 -Schünemann, §14, Rn. 12 ff. Vorher ders. in ZSchwR 1978,
131, 152ff.; 1979, 92ff, 131 ff, 137ff; ders., Jura 1980, 568ff; ders., wistra 1982, 41, 46ff; ders.,
i2i Näher LK11-Schünemann, § 14, Entstehungsgeschichte. GA1986, 293, 331-336.
269
268
§ 27 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und Vertreterhaftung III § 27
100 Aus dem Dargelegten läßt sich entnehmen, daß die persönlichen Merkmale des Übernahme möglich sein. Es bestehen daher keine Bedenken, den Vormund eines
§ 14 nicht mit denen des § 28 identisch sind. Eine solche Identität hatte anschei- Unterhaltspflichtigen, der das Vermögen seines Mündels verwaltet, ggf. in An-
nend der Gesetzgeber gemeint (Rn. 97); heute ist die Auffassung so gut wie aufge- wendung von § 14 I Nr. 3 nach § 170 zu bestrafen.135
geben.128 Denn die „Identitätsthese" verkennt, daß es für die Strafmilderung nach Die Frage, ob ein Tätermerkmal als „besonderes persönlithes Merkmal" i. S. d. 102
§ 28 „nicht darauf anzukommen braucht", ob das beim Außenstehenden nicht er- § 14 angesehen werden kann, sollte also nicht aus Erwägungen über die Beziehung
füllte Merkmal „an sich substituierbar ist oder nicht, während die Täterqualifikati- der §§ 14, 28 zueinander, sondern allein danach beantwortet werden, ob eine
onsausdehnungsnorm des § 14 die Substituierbarkeit der Tätermerkmale voraus- durch einen Tatbestand beschriebene Pflicht auch durch einen anderen als den dort
setzt".129 Andererseits besteht aber auch kein Ausschlußverhältnis derart, daß be- Bezeichneten wahrgenommen werden kann; ist eine solche Wahrnehmung prinzi-
sondere persönliche Umstände i. S. d. § 14 nur solche sein können, die gerade nicht piell möglich und hat sie im konkreten Fall stattgefunden, so überträgt § 14 die
zu einer Strafmilderung nach § 28 I führen.130 Das trifft zwar bei der Schuldnerei- strafrechtliche Verantwortung auf den Vertreter bzw. Beauftragten. Will man das
genschaft in § 288 zu, die ein besonderes persönliches Merkmal i. S. d. § 14 Verhältnis, in dem die Tätermerkmalsgruppen zueinander stehen, durch ein Kreis-
(Rn. 84, 99), nicht aber des § 28 I ist (Rn. 59, 97). Aber das Merkmal des „Unfall- modell verdeutlichen, so liegen zwei sich überschneidende Kreise vor: Manche
beteiligten" (§ 142 IV) fällt auch nicht unter § 28 I (Rn. 60) und ist trotzdem kein Merkmale sind den §§ 14, 28 gleichermaßen zuzuordnen, andere sind nur dem
Merkmal i. S. d. § 14. Denn die Pflichten des § 142 sind an die Person des Unfall- § 14 oder nur dem § 28 zu subsumieren.
beteiligten gebunden, auf dessen Wissen, Verhalten und Verfassung es für die Klä- Aus der hier entwickelten Lösung ergibt sich auch, daß die Unterscheidung 103
rung des Unfalls entscheidend ankommt; sie lassen sich nicht auf Vertreter über- zwischen „Eigenschaften", „Verhältnissen" und „Umständen" in § 14 keine prak-
tragen. tische Bedeutung hat. Denn wenn „Eigenschaften" solche Merkmale sind, die dem
101 Auch trifft die Annahme nicht zu, daß höchstpersönliche Pflichtenstellungen Täter unlösbar anhaften (vgl. Rn. 23), scheidet ihre Übertragbarkeit auf andere
i. S. d. § 28 grundsätzlich nicht dem § 14 unterstellt werden könnten, wie es eine Personen von vornherein aus, so daß eine Anwendung des § 14 nicht in Betracht
verbreitete Meinung im Anschluß an Blauthm und Gallasn2 vertritt. Denn das kommt. Auch persönliche „Umstände" sind für § 14 kaum relevant, weil durch
besondere Vertrauen, das dem Inhaber einer höchstpersönlichen Pflichtenstellung diesen Begriff vor allem „vorübergehende seelische Haltungen" bezeichnet wer-
entgegengebracht wird, genießt zwar der extrane „Jedermann" nicht; die Über- den sollten (vgl. Rn. 23), die bei § 14 keine Rolle spielen. BayObLG NJW 1969,
tragbarkeit der Pflichtenstellung auf bestimmte in die Täterstellung einrückende 1495 hat zwar Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung als besondere persön-
Substituten schließt das aber nicht aus. So zeigt etwa die Erstreckung der Be- liche „Umstände" bezeichnet, doch liegt die Annahme eines persönlichen „Ver-
amtenpflichten auf andere Amtsträger nach § 111 Nr. 2 sowie der Schweigepflicht hältnisses" hier ebenso nahe. Bei denjenigen Pflichtdelikten, deren Aufgabenkreis
auf Berufshelfer und postmortale Mitwisser nach § 203 III, daß der Gesetzgeber eine Vertretung zuläßt und die allein dem § 14 unterfallen, handelt es sich dem-
keine Bedenken hat, auch höchstpersönliche Pflichten auf andere Personen- nach durchweg um persönliche „Verhältnisse"136 auf deren Nennung der Gesetz-
gruppen zu übertragen, sofern dies der Sache nach möglich und zum Schutze des geber sich hätte beschränken können. 137
betreffenden Rechtsguts nötig ist. Die besonderen persönlichen Merkmale der Zusammenfassend und vorausweisend läßt sich also sagen: die Bestimmung des 104
§§203 und 331 ff. fallen freilich im Ergebnis nicht unter § 14. Das hat aber nur § 14 bezieht sich von vornherein nur auf Pflichtdelikte (§ 25, Rn. 267 ff). Auch bei
darin seinen Grund, daß die Pflichtenübertragung in §§ 11 I Nr. 2, 203 III eine diesen kommt eine Heranziehung des § 14 aber nur unter zwei Voraussetzungen in
Sonderregelung gefunden hat, nicht darin, daß sie grundsätzlich ausgeschlossen Betracht: Erstens darf die Strafvorschrift sich nicht schon ihrem Wortlaut nach
wäre.133 Der Umstand, daß man die Unterhaltspflicht nach § 170 als besonderes und unabhängig von § 14 auf den Fall des Handelns für einen anderen erstrecken
persönliches Merkmal i. S. d. § 28 I betrachten muß (vgl. Rn. 64), ist demzufolge (vgl. näher IV); und zweitens kann § 14 nur dort eingreifen, wo ein Pflichtenkreis
kein Grund, auf § 170 nicht auch § 14 anzuwenden. Denn da bei Unterhaltspflich- seiner Art nach von einem anderen als dem ursprünglich Verpflichteten wahr-
ten eine kumulative Schuldübernahme zulässig ist,134 muß auch eine Pflichten- genommen werden kann (vgl. näher V).

'28 Nur Langer, Lange-FS, 1976, 255, spricht von einer „begrifflichen Identität" der Merk-
male des § 14 mit denen des § 28.
129 LKtt-Schünemann, § 14, Rn. 32. 135 Ausführlich Blauth, 1968, 125 ff.; Bruns, GA 1982, üUßkobs, AT2, 21/11; Sch/Sch/Lenck-
«0 So aber Herzberg, ZStW 88 (1976), 110 ff. (114). ner26, § 14, Rn. 10/11; Wiesener, 1971, 176f.; a. A. wegen0 der „Höchstpersönlichkeit" der Unter-
»1 ßlauth, 1968, 52ff., 92ff., 109ff. (114). haltspflicht NK-Marxen, § 14, Rn. 27; Tröndle/Fischer* , § 14, Rn. 2.
»2 Gallas, ZStW 80 (1968), 22. »6 Ebenso Sch/Sch/Lencker26, § 14, Rn. 9-12 (10/11).
133 Dazu näher LK11 -Schünemann, § 14, Rn. 33 f. i37 Blauth, 1968, 162 hat den Vorschlag gemacht, nur von „besonderen persönlichen Bezie-
13" Sch/Sch/Lenckner26, § 14, Rn. 10/11. hungen" zu sprechen.
270 271
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Bes. pers. Merkmale — B. Organ- und Vertreterhaftung IV § 27
kann, obwohl § 14 einen solchen Fall der gewillkürten Stellvertretung nicht er-
IV. Die Strafbarkeit des Handelns für einen anderen als Ergebnis einer von fassen würde (vgl. zur rechtspolitischen Problematik Rn. 110). Auch der Begriff
§ 14 unabhängigen Tatbestandsauslegung des „Bauleiters" (§323) ist, wie sich schon aus dem Abstellen des Gesetzes auf
„Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues ergibt, auf jedermann anwend-
105 Wo ein Tatbestand sich von vornherein auf Vertreter bezieht, kann § 14 nicht
bar, der diese Tätigkeiten tatsächlich ausübt. Über die Fälle des „Pfandleihers" und
eingreifen; denn der Tatbestand bedarf in diesen Fällen keiner Ausdehnung. Es
„Brauers" vgl. schon Rn. 90.
handelt sich hier um den Anwendungsbereich der früher sog. faktischen Betrach-
Erst recht ist der Tatbestand unmittelbar auf Vertreter erstreckbar, wo er den Tä- 108
tungsweise (vgl. Rn. 90, 93). Sie wird heute aus methodologischen Gründen meist
ter nicht durch Sonderbezeichnungen heraushebt, sondern ihn durch bestimmte
abgelehnt.138 Doch treffen die Einwände im wesentlichen nur die Terminologie,
Handlungen kennzeichnet. Einen Fall solcher Art bildet der Tatbestand der
die den falschen Eindruck hervorrufen kann, als würden hier in naturalistischer
Untreue (§ 266): Hier ist der Vertreter oder Beauftragte des Vermögensfürsorge-
Weise aus einem puren Faktum rechtliche Folgerungen gezogen. In Wirklichkeit
pflichtigen bei hinreichender Selbständigkeit auch seinerseits als treupflichtig zu
geht es um eine teleologische Interpretation,139 die für jeden einzelnen Tatbestand
betrachten, so daß es für die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf § 14 nicht an-
gesondert vorgenommen werden muß und hier nur anhand einiger Beispiele ver-
kommt. Das gilt selbst dann, wenn der Betreute nicht einmal etwas davon weiß,
deutlicht werden kann. 140
daß der von ihm bestellte Vermögensfürsorger zur Erfüllung des Auftrages andere
106 So hat der BGH mit Recht den „tatsächlichen Geschäftsführer" als Normadres-
Personen herangezogen hat.143 Entsprechend liegt es beim „Handeltreiben" (§ 29 I
saten von §§ 84 I Nr. 2, 64 I GmbHG beurteilt (BGHSt 31,118,122). Auf die förm-
Nr. 1 BtMG),144 beim „Ankaufen" (§§ 259, 53 I Nr. 1 Lit. b WaffenG) und „Verkau-
liche Bestellung und Eintragung als Geschäftsführer kommt es also nicht an: „Eine
fen" (§ 26 Nr. 3 FleischbeschauG). In all diesen Fällen kommt es nicht auf die zivil-
andere Auffassung würde den Schutz der Allgemeinheit vor unredlicher Handha-
rechtliche Position des Käufers oder Verkäufers, sondern auf die Vornahme der den
bung ... unterlaufen ... § 14 StGB ist hier nicht anwendbar." Ein wichtiges Argu-
Umsatz bewirkenden Tätigkeit an. Wer also als Vertreter oder sonst Beauftragter
ment für diese Auslegung liegt darin, daß juristische Personen und Betriebsinhaber,
fremde Umsatzgeschäfte fördert, ist selbst des Handeltreibens i. S. d. BtMG schul-
auf die § 14 in erster Linie zugeschnitten ist, keine Geschäftsführer sein können.
dig; wer für die Firma Hehlereigut erwirbt, muß sich selbst wegen Ankaufens
107 Im übrigen kommt es im wesentlichen darauf an, ob der Gesetzgeber zivilrecht-
i. S. d. § 259 verantworten usw.145 Auch das „Betreiben" einer Anlage i. S. d.
liche Statusbegriffe oder bestimmte Handlungsausübungen zur Kennzeichnung
§§ 325, 327 liegt nicht nur beim Adressaten der behördlichen Genehmigung, son-
des Täters verwendet. Der erste Fall liegt z.B. bei Begriffen wie „Schuldner" oder
dern ebenso bei dem vor, der die Anlage tatsächlich in Betrieb nimmt. 146
„Arbeitgeber" vor. Sie knüpfen an bestimmte Rechtspositionen an, die beim Ver-
Möglich ist auch eine Kombination derart, daß auf bestimmte Vertreter der Tat- 109
treter nicht vorliegen, so daß hier eine strafrechtliche Erfassung nur über § 14
bestand unmittelbar, auf andere aber nur mit Hilfe des § 14 anwendbar ist. So ist
möglich ist. Dagegen ist die Veranstaltung eines Glücksspiels oder einer Lotterie
„Halter" eines Kraftfahrzeuges (§ 21 StVG), wer es für eigene Rechnung in Ge-
(§§ 284, 287) nicht an bestimmte Rechtsbeziehungen gebunden, so daß auch Ver-
brauch hat und die Verfügungsgewalt darüber besitzt; insofern wird also nicht an
treter und Beauftragte als Veranstalter in Betracht kommen, § 14 also nicht heran-
einen bestimmten Status, sondern an wirtschaftliche Gegebenheiten angeknüpft.
ziehbar ist.141 Das führt freilich zu der Konsequenz, daß auch der „Vermögens-
Wer im Auftrage eines so gekennzeichneten Halters tätig wird, haftet strafrecht-
verwalter eines wohlhabenden Pensionärs"142 ggf. aus §§ 284, 287 bestraft werden
lich dafür aber nur nach § 14 StGB (bzw. im Ordnungswidrigkeitenrecht nach § 9
OWiG).147
U8 Vgl. Tiedemann, 1969, 66ff.; den., NJW 1977, 777, 779; ders., NJW 1979,1849,1850; Cadus, Freilich führt das Nebeneinander von Tatbestandsauslegung und Strafbarkeits- 110
1984,146 f. und passim; NK-Marxen, § 14, Rn. 22; a. A. Dierlamm, NStZ 1997,153.
ausdehnung zu einer sehr unterschiedlichen Reichweite der strafrechtlichen Haf-
«9 Cadus, 1984, 146; NK-Marxen, §14, Rn. 22; K. Schmidt, Rebmann-FS, 1989, 433ff.; Seh/
Sch/Lenckner26,§U,~R.nA.
140
Eine systematisierende Ausarbeitung liefert LK -Schünemann, § 14, Rn. 19 ff. i« Vgl. BGHSt 2, 324f.; 13, 330ff.; zum Ganzen Sch/Sch/Lenckner26, §14, Rn.5; § 2T66,
141
Vgl. schon Rn. 93 mit den Nachw. in Fn. 114. Freilich verfahren Rspr. und Lit. bei Ausle- Rn. 33, 34; NK-Marxe«, § 14, Rn. 20; LK10-Roxi«, § 14, Rn. 11; LK11 -Schünemann, § 14, Rn. 22
gung der §§284, 286 schwankend und widersprüchlich. Wie hier neben den in Fn. 114 m. Fn. 97, 98.
Genannten auch Cadus, 1984, 65f., 138-140; NK-Marxen, §14, Rn. 20; Meurer/Bergmann, JuS wo BGHSt 29, 239; BGH NJW 1979,1259.
1983, 668, 673 sowie bereits (zu §286) RGSt 34, 447; 36,124. A.A. Jescheck/Weigend, AT5, §23 i« Weitere Bsp. bei NK-Marxen, § 14, Rn. 19 f.
VI 2; Maurach/Schroeder, BT/17, 44/9, 16; LK11-Schünemann, § 14, Rn. 21 sowie (für §284) auch 146
Die Frage wird in der Lit. nur spärlich und unklar behandelt; näher LK -Schünemann,
RGSt 3, 278; 57, 190. Differenzierend bzw. widersprüchlich BayObLG NJW 1979, 2258 f.; § 14, Rn. 20, bei und in Fn. 87. Erst recht ist die Gewässerverunreinigung (§ 324) kein Fall des
LK10-i/. Bubnoff, § 284, Rn. 12 und § 286, Rn. 14, 19; Sch/Sch/Eser26, § 284, Rn. 13 und § 287, § 14; auch dazu m. w. N. LK11-Schünemann, § 14, Rn. 42, bei und in Fn. 170.
Rn.21; Tröndle/Fischer50, §284, Rn.12 und §287, R n . l l . Unentschieden Bruns, GA 1982, 1, >47 Vgl. z.B. BayObLG VRS 51 (1976), 234; OLG Düsseldorf VRS 72 (1987), 118; OLG
23f., sowie Sch/Sch/Lenckner26, § 14, Rn. 5. Koblenz VRS 50 (1976), 53. Weitere Nachweise bei Sch/Sch/Lenckner26, § 14, Rn. 10/11.
i« Wiesener, 1971, 53.
273
272
§ 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und Vertreterhaftung V § 27
§ 27 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
übergebenen wertvollen Geräte vor Schaden zu bewahren,152 ist er unmittelbar
tung, je nachdem, ob eine Vorschrift unmittelbar oder nur über § 14 auf Vertreter
aus § 303 zu bestrafen. Ferner sind z. B. der technische Leiter einer von einer AG
anwendbar ist. Im ersten Fall sind alle gewillkürten Vertreter verantwortlich, im
betriebenen Bergbahn für deren Betriebssicherheit (BGH GA 1971, 334), der Ver-
zweiten nur die im Gesetz Genannten (vgl. schon Rn. 93, 94 und das Bsp. in
einsvorstand für den verkehrssicheren Zustand eines dem Verein gehörenden Ge-
Rn. 107). Schon dieser Umstand läßt im Hinblick auf Art. 3 GG de lege ferenda
bäudes oder der in einem Betrieb für die Sicherheit der Anlagen verantwortliche
eine Ausdehnung des § 14 auf alle gewillkürten Vertreter als geboten erscheinen;
Angestellte schon auf Grund der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht Garanten
dafür spricht auch der Umstand, daß die Fälle des § 14 von denen der Vertreter-
i. S. d. § 13, so daß es zur Begründung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für
haftung durch Tatbestandsauslegung nur schwer deutlich abgrenzbar sind. Die
ihr pflichtwidriges Unterlassen des § 14 nicht bedarf. Freilich führt das auch hier
Befürchtung, daß eine Erstreckung des § 14 auf alle gewillkürten Vertreter zu
wieder zu einer Vertreterhaftung, die weit über die Grenzen des § 14 hinausgeht
einer strafrechtlichen Entlastung der jeweiligen Betriebsleitungen führen könnte
(vgl. zur rechtspolitischen Problematik Rn.110): So besteht z.B. eine „Garanten-
(Rn. 94), erscheint kaum begründet; denn da der Statusinhaber neben dem Vertre-
pflicht des für einen privaten Wagenpark verantwortlichen Garagenmeisters" oder
ter haftet (Rn.98), ist nicht recht einzusehen, warum er unverfolgt bleiben sollte,
eine „Garantenstellung des Dritten, der bei einem Unfall für einen anderen die
wenn nach den Umständen seine Strafbarkeit in Betracht kommt. Die den Täter
Hilfeleistung übernimmt".153
begünstigende Analogie zu § 14, mit deren Hilfe Marxen148 in den Fällen der Tat-
bestandsauslegung „bei sachlicher Nähe zur Vertreterregelung" die Ungleichheit
beseitigen will, ist schwerlich durchführbar. Denn dabei würde § 14 zu einer Kor- V. Zur Heranziehbarkeit des § 14 im einzelnen
rektur von Tatbeständen benutzt, auf die er gerade nicht anwendbar ist.
111 Die geschilderten Grundsätze gelten auch für Unterlassungsdelikte. § 14 ist auf Nach alledem bleiben als Anwendungsfälle des § 14 nur Tatbestände mit über- 113
sie nur anwendbar, soweit der Tatbestand eine Statusbezeichnung verwendet, die tragbaren Täterpflichten übrig, bei denen die Wahrnehmung dieser Pflichten
den Vertreter nicht trifft. Das kommt besonders bei echten Unterlassungsdelikten durch Vertreter den betreffenden Vorschriften nicht schon im Wege der Auslegung
vor. So wird z.B. nach §266a bestraft, „wer als Arbeitgeber Beiträge des Arbeit- zu subsumieren ist. Daraus erklärt es sich, daß es trotz der zahlreichen Vorschrif-
nehmers zur Sozialversicherung ... der Einzugsstelle vorenthält". Wenn ein mit der ten, auf die § 28 Anwendung findet, Mühe macht, im StGB Tatbestände zu ent-
Ablieferung der Beiträge beauftragter Prokurist diese einbehält,149 kann er nur decken, für die § 14 wirksam werden kann. Im wesentlichen klare Anwendungs-
unter den Voraussetzungen des § 14 II nach §266a bestraft werden, weil der Pro- fälle sind nur die Täterbezeichnungen als „Schuldner" beim Konkurs (§§283 ff.),
kurist nicht der „Arbeitgeber", §266a auf ihn also nicht direkt anwendbar ist. Bei bei der Zwangsvollstreckung (§288) sowie bei der Erfüllung einer Unterhalts-
unechten Unterlassungsdelikten ist § 14 nur anwendbar, soweit der Tatbestand pflicht (§ 170; dazu Rn. 101). Hinzugekommen sind durch das 1. und 2. WiKG die
eine über die allgemeinen Garantenstellungen hinausgehende Täterqualifikation Täterqualifikationen als „Subventionsnehmer" (§264 I Nr. 2) 154 und als Arbeitge-
voraussetzt, die bei einem Vertreter nicht vorliegt.150 Ein Beispiel liefert etwa § 64 ber (§266 a). Zahlreicher sind die Tatbestände mit einschlägigen Tätermerkmalen
BSeuchG: „Wer als Unternehmer ... Wasser als Trinkwasser ... zur Verfügung im Nebenstrafrecht. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: auch hier
stellt, das den Anforderungen einer ... Rechtsverordnung nicht entspricht..." Der das Merkmal des „Arbeitgebers" (§§58 V, VI i.V. m. I JugendarbeitsschutzG,155 21
Vertreter des Unternehmers kann, wenn das Trinkwasser durch Unterlassung er- III, IV i.V. m. I MutterschutzG), ferner der „Unternehmer" (§64 BSeuchenG; vgl.
forderlicher Maßnahmen verunreinigt wird, nur über § 14 bestraft werden, weil er schon Rn. 111), der „Inhaber einer Verkaufsstelle oder eines Betriebes des Friseur-
nicht selbst Unternehmer ist. handwerks" (§ 25 LadenschlußG). Aber auch in diesem Bereich wird das Einzugs-
112 Dagegen ist § 14 nicht anwendbar bei unechten Unterlassungsdelikten, die gebiet des § 14 dadurch verkleinert, daß in den Nebengesetzen viele Verstöße nur
durch aktives Handeln von jedermann begangen werden können. Denn bei ihnen als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden, für die der dem § 14 völlig entspre-
ist dem Vertreter ggf. selbst eine Garantenstellung zuzusprechen, die eine unmit- chende §9 OWiG gilt; Beispiele aus der Rspr. liefert etwa der „Inhaber einer
telbare strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet.151 Wenn etwa der Geschäfts- Schankwirtschaft" (§ 28 I Nr. 6 GaststG).156
führer einer GmbH, die ein Transportunternehmen betreibt, es unterläßt, die ihm Subjektive, täterpsychische Kriterien können niemals nach § 14 behandelt wer- 114
den, auch wenn sie besondere persönliche Merkmale i. S. d. § 28 I sind (wie „Bös-
152
i« NK-Marxen, § 14, Rn. 21. Vereinfachung von Beispielen bei Blauth, 1968,115 f.
i« Beispiel bei LK11-Schünemann, § 14, Rn. 24; BGH NStZ 1997,125 im Fall eines GmbH- 153 Sch/Sch/Lenckner26, § 14, Rn. 6.
'54 BGHJR1981, 468 f. m. Anm. Tiedemann; BayObLG NJW1982, 2202.
Geschäftsführers. "5 OLG KarlsruheJR 1985, 479 läßt die Anwendbarkeit des § 14 offen.
'so Ebenso Sch/Sch/Lenckner2^, §14, Rn.6; Kindhäuser, StGB, §14, Rn.l5ff.; 17 (ohne ganz '56 BayObLGSt 1991, 43.
eindeutige Stellungnahme).
151
Eingehend Blauth, 1968,114 f. 275
274
§ 27 VI 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und Vertreterhaftung VI § 27
Willigkeit" oder „Rücksichtslosigkeit" vgl. R n . 7, 11 ff); denn sie sind nicht über- Seilschaften auch die zivilrechtlichen Statusbezeichnungen zuordnen zu können,
tragbar. Auch können Merkmale wie „Böswilligkeit" oder „Rücksichtslosigkeit" die eine Vertreterhaftung nach § 14 notwendig machen.
nicht bei einem Vertretenen vorliegen, der überhaupt nicht handeln kann oder Die Berechtigung des gesetzgeberischen Vorgehens ist jedoch umstritten geblie- 118
ggf. nicht gehandelt hat. 157 ben. Vielfach wird angenommen, daß § 14 I Nr. 2 leerläuft, weil z. B. Schuldner
i. S. d. § 288 der Gesellschafter ist, so daß er sich nach dieser Vorschrift unmittelbar
VI. Vertreter nach § 14 I verantwortlich macht, wenn er Gesellschaftsvermögen vor dem Zugriff der Gläu-
biger beiseite schafft.161 Das trifft in diesem Beispiel und auch sonst in vielen Fäl-
1. Organe und Organmitglieder nach § 14 I Nr. 1 len zu. Doch lassen sich immerhin Konstellationen denken, bei denen § 14 I Nr. 2
115 Die Vorschrift setzt voraus, daß jemand als vertretungsberechtigtes Organ einer einen selbständigen Anwendungsbereich gewinnt. Wenn man z. B. für die Eigen-
juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs handelt. Die juristische schaft als Kraftfahrzeughalter eine eigene Verfügungsmacht über das Fahrzeug ver-
langt (Rn. 109), ist der Gesellschafter „Halter" nur dann, wenn er diese Voraus-
Person kann eine solche des bürgerlichen Rechts (Verein, AG, KGaA, G m b H ,
setzung erfüllt. Andernfalls ist die Gesellschaft „Halter", und der Gesellschafter ist
Genossenschaft, rechtsfähige Stiftung) oder des öffentlichen Rechts (rechtsfähige
nur nach § 14 I Nr. 2 erfaßbar. 162 Vor allem kann aber § 14 I Nr. 2 für § 283 (Bank-
Anstalt und Körperschaft) sein. Die juristische Person m u ß wirksam entstanden
rott) bedeutsam werden, weil nach § 209 K O über das Vermögen der Personen-
sein (sei es auch nur nach den privatrechtlichen Grundsätzen der faktischen Gesell-
handelsgesellschaft selbständig der Konkurs eröffnet werden kann. Die Vorausset-
schaft). 158
zungen des § 283 VI liegen dann nur bei der Gesellschaft vor, so daß die Gesell-
116 Der Täter m u ß als vertretungsberechtigtes O r g a n oder Organmitglied handeln.
schafter allein mit Hilfe des § 14 I Nr. 2 erfaßt werden können. 1 6 3
Organe sind die Personen und Gremien, durch die die juristische Person B e -
schlüsse faßt und handelt; also z. B. der Vorstand, die Mitgliederversammlung und § 14 I Nr. 2 bezieht sich nur auf vertretungsberechtigte Gesellschafter; bei der 119
ggf. der Aufsichtsrat. Vertretungsberechtigt ist das Organ, das für die juristische O H G sind das alle nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaf-
Person nach innen und außen die Geschäfte führt; das trifft auf den Vorstand, ter (§ 125 HGB), bei der KG die persönlich haftenden Gesellschafter (§§ 161, 170
nicht aber auf Mitgliederversammlung und Aufsichtsrat, zu. Das Erfordernis der HGB). Bei der G m b H und Co. KG ist vertretungsberechtigter Gesellschafter an
Vertretungsberechtigung bedeutet nicht, daß die von dem O r g a n vorgenommene sich die G m b H . Doch sieht die Rspr. auch deren Geschäftsführer als vertretungs-
berechtigten Gesellschafter an. 1 6 4 Teilweise wird auch § 14 I Nr. 1 auf die G m b H ,
Handlung rechtlich wirksam sein muß, was bei strafbaren Handlungen meist
Nr. 2 auf die KG angewandt. 1 6 5 Im übrigen gilt zur Vertretungsberechtigung das
nicht der Fall ist. Sie braucht auch nicht in einem Rechtsgeschäft zu bestehen.
in R n . 116 Ausgeführte.
Auch m u ß der Bestellungsakt nicht wirksam sein, wie sich aus § 14 III ergibt. 159
Aus der N e n n u n g der Organmitglieder läßt sich entnehmen, daß auch schon das Für nicht rechtsfähige Personengesellschaften anderer Art (nicht-rechtsfähige 120
Handeln eines einzelnen Vorstandsmitgliedes die Vertreterhaftung auslösen kann; Vereine, BGB-Gesellschaften) gilt § 14 I Nr. 2 nicht. Hier werden also auch nach
ob das Mitglied nach der internen Geschäftsverteilung im Vorstand für die vor- Meinung des Gesetzgebers die Gesellschafter unmittelbar (als Schuldner, Arbeit-
genommene Handlung zuständig ist, ist unerheblich. 1 6 0 geber usw.) zur Verantwortung gezogen. 1 6 6

3. Gesetzliche Vertreter nach § 14 I Nr. 3


2. Vertretungsberechtigte Gesellschafter nach § 14 I Nr. 2
Unter gesetzlichen Vertretern i. S. dieser Vorschrift sind nicht nur die gesetz- 121
117 Unter Personenhandelsgesellschaften sind offene Handelsgesellschaften und liehen Vertreter natürlicher Personen (Eltern, Mutter eines nichtehelichen Kindes,
Kommanditgesellschaften ( O H G und KG) zu verstehen. Der Gesetzgeber hat sie Vormund, Pfleger), sondern auch die sog. Parteien kraft Amtes zu verstehen (Kon-
(anders als noch § 14 E 1962) in die Vorschrift aufgenommen, weil diese Gesell- kurs-, Vergleichs-, Nachlaßverwalter, Abwickler,Testamentsvollstrecker).
schaften, obwohl sie keine juristischen Personen sind, doch unter ihrer Firma
Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie vor Gericht klagen oder 161 Herzberg, 1984, 80ff.; Sch/Sch/Lenckner26, § 14, Rn. 20/21. '
1" LKn-Schünemann, §14, Rn.46.
verklagt werden können (§§ 124,161II HGB). Er hat deshalb gemeint, diesen G e - i« Eingehend dazu NK-Marxen, § 14, Rn.48; LK10-Tiedemann, vor §283, Rn.62.
IM BGHSt 19, 174, 176; 28, 371, 372; KGJR 1972, 121 m. Anm. Göhler; OLG Hamm NJW
1973, 1851; OLG KölnJMBl. NW 1973, 39; OLG Stuttgart MDR 1976, 690; zust. Bruns, GA
«7 Blauth, 1968, 57 f.; im Ergebnis ebenso Sch/Sch/Lenckner26, § 14, Rn.8. 1982, 11 f.; Demuth/'Schneider, BB 1970, 643; Kindhäuser, StGB, §14, Rn. 26; Lackner/Kühl24,
's» Dazu m. w. N. LK11 -Schünemann, § 14, Rn. 43. § 14, Rn. 2; Sch/Sch/Lenckner26, § 14, Rn. 23; Tröndle/Fischer50, § 14, Rn. 3.
159
Näher zur Problematik der faktischen Organe NK-Marxen, § 14, Rn. 42 ff. IM BGH NStZ 1984,119; Schünemann, 1979,144; ders., LK11, § 14, Rn. 47.
160 OLG Koblenz VRS 39 (1970), 118; Kindhäuser, StGB, §14, Rn.22f.; Sch/Sch/Lencker26, i66 Zur Problematik bei der Vor-GmbH: Bittmann/Pikarski, wistra 1995, 91; Deutscher/Körner,
§ 14, Rn. 18. wistra 1996, 8,13.
276
277
§ 27 VI 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme
§ 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und Vertreterhaftung VII § 27
eines anderen fällt, nicht vornimmt oder gegen die Pflichtwidrigkeit eines an-
4. Das Handeln „als" Organ, Gesellschafter, Vertreter
deren nicht einschreitet.171 Etwas anderes gilt nur dann, wenn er im konkreten
a) Das Handeln für den Vertretenen Fall untätig geblieben ist, obwohl er die Pflichtwidrigkeit des anderen erkannt hat
122 Das „Handeln" i. S. d. § 14 I umfaßt auch das pflichtwidrige Unterlassen. Es oder wegen ihrer Offensichtlichkeit hätte erkennen müssen (BGH wistra 1990,
setzt voraus, daß der Handelnde für den Vertretenen tätig wird oder in seinem 97).172
Dienst Gebotenes pflichtwidrig unterläßt. Wer also unter Ausnutzung seiner Stel-
Demgegenüber will Schünemann die Verantwortlichkeit des Mitgliedes in einem Kol- 125
lung ausschließlich in eigenem Interesse handelt, verübt die Tat nicht „als Organ" legialorgan grds. auf den eigenen Geschäftsbereich begrenzen und nur drei Ausnahmen zu-
usw., so daß § 14 auf ihn nicht angewendet werden kann.167 Beispielsweise haftet lassen: die Ausdehnung der eigenen Zuständigkeit durch aktives Tun, die zustimmende Mit-
„bei eigennützigen Handlungen des Geschäftsführers zum Nachteil der Gesell- wirkung bei einer Kollegialentscheidung (BGHSt 37, 129f.: Lederspray) und Fälle, in denen
das Unternehmen als Ganzes betroffen ist (BGHSt 37, 124). Diese Lösung hat den Vorzug,
schaft namentlich bei einem Beiseiteschaffen von Vermögensstücken durch Un- größere Rechtssicherheit zu bieten und einer Überdehnung der strafrechtlichen Haftung vor-
treue" (BGH NJW 1969, 1494) der Vertreter auch dann nicht nach §§ 14, 288, zubeugen.
wenn dadurch eine Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft ver-
eitelt wird. Der Geschäftsführer, der Vermögenswerte der GmbH an sich bringt,
VII. Beauftragte nach § 14II
„nur um aus deren von ihm befürchteten Zusammenbruch nicht mit leeren Ta-
schen hervorzugehen", ist nicht nach §§ 283,14 I Nr. 1, sondern nur nach § 266 zu Der Gesetzgeber hat in § 14 II die Vertreterhaftung auf einen Teil der gewill- 126
bestrafen (BGHSt 30, 127, 129). Handelt der Geschäftsführer einer KG freilich im kürten Vertreter erstreckt (zur Gesetzgebungsgeschichte und zur rechtspolitischen
Einverständnis mit dem Komplementär, ist er auch dann nach § 283 I Nr. 1 straf- Problematik Rn. 94f., 110). Diese „Mittellösung", die den gewillkürten Vertreter
bar, wenn er von Eigennutz geleitet wird; denn das Einverständnis macht sein nicht ganz in die Vertreterhaftung einbezieht, ihm aber auch nicht grundsätzlich
Tun „stets zu einem Handeln im Schuldnerinteresse" (BGHSt 34, 221, 223 f.). davon ausschließt, führt zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten und zu bisweilen
Auch neutrales Verhalten, wie es bei Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsdelikten wenig einleuchtenden Differenzierungen. Einen Verstoß gegen den verfassungs-
vorliegt, wird man noch nach § 14 behandeln können; denn in solchen Fällen rechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II GG) wird man darin aber noch
wendet sich der Vertreter nicht bewußt gegen den Vertretenen, handelt also noch nicht sehen können.174
an seiner Stelle und insoweit für ihn. 168
123 Weitergehend will Lenckner es genügen lassen, wenn die Handlung „mit dem Aufgaben- 1. Der Auftrag zur Leitung oder Teilleitung eines Betriebes oder
und Pflichtenkreis" des Vertretenen „in einem funktionalen Zusammenhang steht". „So ist z.B. Unternehmens
der gesetzliche Vertreter des Schuldners nach § 283 I Nr. 5 auch dann strafbar, wenn er die Tat
- z. B. Verfälschung von Handelsbüchern - ausschließlich im eigenen Interesse, etwa zur Ver- Ein Betrieb ist eine planmäßig (meist auch räumlich zusammengefugte) Ein- 127
deckung begangener Unregelmäßigkeiten" begangen hat. Doch ist das mit dem Wortlaut des
Gesetzes nicht mehr zu vereinbaren (Art. 103 II GG). Der Täter handelt in einem solchen Fall heit von Personen und Sachmitteln unter einheitlicher Leitung zur Erreichung
nicht als Vertreter, sondern als Fälscher in eigenem Interesse und ist wegen Urkundenfälschung des auf eine gewisse Dauer gerichteten Zweckes, Güter oder Leistungen materiel-
(§ 267), nicht aber nach der für den Schuldner geltenden Norm zu bestrafen. ler oder immaterieller Art hervorzubringen oder zur Verfügung zu stellen. Der
b) Das Handeln „als" Organ usw. beim Unterlassen mehrerer Zweck braucht nicht wirtschaftlicher Art zu sein. Unter den Begriff fallen nicht
nur Industrie-, Handels- oder Handwerksbetriebe, sondern auch die Anwalts-
124 Schwierigkeiten macht die Frage, wer „als" Organ, Gesellschafter oder Vertreter
kanzlei, die Arztpraxis, Apotheken, Krankenhäuser, karitative Einrichtungen,
handelt, auch beim Unterlassen mehrerer Vorstandsmitglieder oder Gesellschafter.
An sich trifft ggf. alle die Pflicht zum Einschreiten oder zum sonst gebotenen
Handeln. Da jedoch eine interne Geschäftsverteilung wegen der Vielfalt der zu "1 BayObLG NJW 1974, 1341; OLG Koblenz VRS 39 (1970), 118; OLG Hamm DAR 1975,
erfüllenden Pflichten unerläßlich ist, fehlt es i. d. R. an der Pflichtwidrigkeit eines 51; näher Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG3, § 9, Rn. 29-32.
Unterlassens, wenn jemand eine gebotene Handlung, die in den Aufgabenbereich m BayObLG NJW 1974, 1341; OLG Düsseldorf NStZ 1981, 265 m. Anm. Göhler, NStZ
1982,11; OLG Hamm NJW 1971, 817 f.; OLG Hamm DAR 75, 51, 52f.; OLG Koblenz VRS 39
(1970), 118; OLG Schleswig SchlHA 1975,194; Bruns, GA 1982, 46; ders., Heinitz-FS, 1972, 330;
Demuth/Schneider, BB 1970, 644f.; Kindhäuser, StGB, §14, Rn. 23; Seh/Seh/Lenckner26, §14,
«7 BGH NJW 1969,1494f.; BGHSt 30,127; 34, 221 (m. Anm. U. Weber, StV 1988,16; Win- Rn. 19.
kelbauer, JR 1988, 33); Biletzki, NStZ 1999, 537 (539); a. A. Deutscher/Körner, wistra, 1996, 8; i» LKn-Schünemann, § 14, Rn. 52.
Kindhäuser, StGB, § 14, Rn. 29; Köhler, AT, 557. 174
i*8 Näher LK11 -Schünemann, § 14, Rn. 51. Seh/Seh/Lenckner , § 14, Rn. 3; verfassungsrechtliche Bedenken bei Demuth/Schneider,
BB 1970, 645; Jakobs, KT2, 21/12; Jescheck/Weigend, AT5, §23 VIII 2. Die zahlreichen durch die
IM Seh/Seh/Lenckner26, § 14, Rn. 26 m. w. N. Gesetzesfassung entstehenden Strafbarkeitslücken werden bei Schünemann, 1979,144 ff. geschil-
i™ Übereinstimmend LKU-Schünemann, § 14, Rn. 51; NK-Marxen, § 14, Rn. 33. dert.
278
279
§ 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und Vertreterhaftung VII § 27
§ 27 VII 8. Abschnitt - Taterschaft und Teilnahme
stischen Personen) seiner geschäftsführenden Organe oder auch auf Grund Geset-
Theater usw. Kein Betrieb ist der Privathaushalt, weil sein Zweck nicht in der
zes (z. B. bei der gerichtlichen Bestellung eines Abwicklers, § 265 AktG, oder der
Hervorbringung von Gütern oder Leistungen für Dritte besteht.
Bestellung eines besonderen Vertreters durch die Mitgliederversammlung eines
128 Der Begriff des „Unternehmens" (§ 14 II Nr. 2 S. 2) hat neben dem des Betriebes keine be- eingetragenen Vereins, § 30 BGB) Leitungsbefugnisse überfragen dürfen.
sondere Bedeutung, weil die in Rn. 127 gegebene Begriffsbestimmung auch Unternehmen
umfaßt. Der Grund, warum der Gesetzgeber in § 14 auch Unternehmen genannt hat, lag dar-
in, daß dieser Begriff im Nebenstrafrecht vorkommt und klargestellt werden sollte, daß in 2. Die ausdrückliche Beauftragung zur eigenverantwortlichen Wahr-
jedem Fall auch Unternehmen der Regelung der § 14 unterliegen. nehmung betrieblicher Aufgaben
129 Ein Betriebsleiter ist derjenige, dem die Geschäftsführung des Betriebes über- Für den Fall, daß jemand nicht einen Betrieb ganz oder zum Teil leiten (Nr. 1), 132
tragen worden ist und der selbständig anstelle des Inhabers handelt. Einer sondern nur einzelne dem Betriebsinhaber obliegende Aufgaben wahrnehmen
ausdrücklichen Beauftragung wie in Nr. 2 bedarf es hier nicht, weil die Übertra- soll, hat der Gesetzgeber den Eintritt der Vertreterhaftung an eine ausdrückliche
gung der Betriebsleitung den Übergang auch der Inhaberpflichten ohne weiteres Beauftragung geknüpft:178 „Diese Einschränkung scheint notwendig, weil es sich
in sich schließt. Voraussetzung ist freilich, daß der Vertreter mit der Betriebslei- mit der bloßen Wahrnehmung von Aufgaben für einen anderen nicht von selbst
tung nicht nur beauftragt worden ist, sondern diese auch tatsächlich übernommen versteht, daß insoweit auch dessen Pflichten übernommen werden. Der Betriebs-
hat. Für die Frage, ob jemand Betriebsleiter ist, kommt es nicht auf die Bezeich- leiter oder der sonst Befugte muß dies also ausdrücklich klarstellen" (EEGOWiG,
nung (Direktor oder dgl.), sondern auf die Funktion an. Denkbar sind auch meh- 65). Die schriftliche Erteilung des Auftrages ist zweckmäßig, aber nach dem Ge-
rere Betriebsleiter, wenn sie den gesamten Betrieb gemeinsam zu leiten haben. setz nicht notwendig. Es genügt schon eine mündliche, dritten Personen nicht
Wer lediglich mit der Beaufsichtigung eines Betriebes betraut ist, ist dagegen noch bekanntgegebene Beauftragung (KG VRS 36 (1969), 269). Dagegen reicht eine
kein Betriebsleiter, sondern kann nur unter den Voraussetzungen der Nr. 2 in den stillschweigende Beauftragung mangels Ausdrücklichkeit nicht aus.179 Auch hier
Anwendungsbereich des § 14 kommen.176 muß der Aufgabenkreis tatsächlich übernommen worden sein (vgl. Rn. 127).
130 Dem Betriebsleiter steht der Teilleiter eines Betriebes oder Unternehmens Der Beauftragte muß die ihm übertragenen betriebsbezogenen Aufgaben in 133
gleich. Darunter kann die Leitung eines vom übrigen Betrieb räumlich getrenn- eigener Verantwortung wahrnehmen, d. h. er muß ohne Weisung selbständig ent-
ten Zweigbetriebes („Nebenstelle", „Filiale", „Zweigstelle", „Werk" als besondere scheiden können. Die Möglichkeit nachträglicher Kontrolle schließt freilich die
Fabrikationsanlage), aber auch die Leitung einer Abteilung im Gesamtbetrieb ver- eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung nicht aus.180 Auch ein Sachbearbei-
standen werden („Einkauf" „Verkauf" „Fabrikation", „technische Leitung", „kauf- ter kann nach h. M. betriebsbezogene Aufgaben eigenverantwortlich wahrneh-
männische Leitung"). Im zweiten Falle muß der Abteilungsleiter aber eine gewisse men;181 bei einem Prokuristen kommt es auf den Einzelfall an (OLG Hamm
Bedeutung und Selbständigkeit im Rahmen des Gesamtbetriebes haben. Wer in MDR 1974, 425).182 Der Beauftragte muß nicht unbedingt Betriebsangehöriger
einem Warenhaus nur den Verkauf einzelner Artikel betreut, ist deswegen noch sein. Es kann sich auch um Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte usw.
kein Teilbetriebsleiter. Die Bezeichnung als „Abteilungsleiter" ebenso wie die Stel- handeln, sofern diese betriebsfremden Personen nicht eine nur beratende Funktion
lung als Prokurist (OLG Hamm MDR. 1974, 425) oder Handlungsbevollmächtig- ausüben, sondern in ihrem Aufgabenbereich selbständig im Interesse des Unter-
ter begründet also als solche noch keine Teilleitung; vielmehr kommt es stets auf nehmers entscheiden können. 183
die Umstände des Einzelfalles, d.h. die konkrete Funktion im Betrieb, an.177 Die Übertragung eines Aufgabenkreises zu eigenverantwortlicher Wahrneh- 134
131 Der Auftrag muß vom Betriebsinhaber oder vom sonst Beauftragten erteilt mung soll nach der Gesetzesbegründung nicht zulässig sein, „wenn sie außerhalb
sein; dies kann (anders als nach Nr. 2) auch konkludent geschehen (BGH M D R des Sozialadäquaten liegt, so z. B. wenn der Inhaber einer Verkaufsstelle ein Lehr-
1990, 41). Wenn der Inhaber eine juristische Person ist, sind deren geschäftsführen- 178
de Organe zur Beauftragung befugt; bei mehrgliedrigen Organen kommt es auf Scharfe Kritik an dieser Regelung bei Schünetnantt, 1979, 148 ff., der sich auf empirische
Ermittlungen bezieht, denen zufolge die Notwendigkeit, einen ausdrücklichen Auftrag nach-
die Geschäftsverteilung an. Unter den zur Beauftragung „sonst Befugten" sind zuweisen, die Verfolgung der einschlägigen Delikte außerordentlich erschwert. '
Personen zu verstehen, die auf Grund einer Vollmacht des Inhabers oder (bei juri- >79 OLG Stuttgart Justiz 1969, 126; OLG Düsseldorf VRS 63 (1982), 135 m. Anm. Göhler,
NStZ 1983,64.
175
18" Demuth/Schneider, BB 1970, 645; Göhler, OWiG5, §9, 6 B b; SK5-Samson, §14, Rn.5;
Vgl. Göhler, Protokolle des Sonderausschusses, 1104. Tröndle/Fischer50, § 14, Rn. 13.
'*> Näher EEGOWiG, 64. 181 Zweifelnd NK-Marxen, § 14, Rn.62.
177
NK-Marxen, § 14, Rn. 56 (m. w. N.) rügt eine zu weitgehende Ausdehnung des Begriffs 182 Zum Streit um die Eigenverantwortlichkeit der Betriebsbeauftragten für Immissions-,
der „Teilbetriebsleitung" in Rspr. und Lit. So soll nach OLG Stuttgart Justiz 1980, 419 f. sogar Gewässerschutz und Abfall vgl. m. w. N. LK11-Schünemann, § 14, Rn. 61.
ein „Wiegemeister" Teilbetriebsleiter sein! Auf diese Weise wird (rechtspolithch richtig, aber '83 Demuth/Schneider, BB 1970, 646; Göhler, OWiG5, §9, 6 B; Rebmann/Roth/Herrmann,
gegen die Intention des Gesetzgebers) versucht, die Haftung auf möglichst viele gewillkürte OWiG3, § 9, Rn. 50.
Vertreter auszudehnen.
281
280
§ 27 VII 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 27. Bes. pers. Merkmale - B. Organ- und VertreterhaftungVIII § 27

mädchen damit beauftragt, in .eigener Verantwortung' für die Einhaltung der 4. Das Handeln „auf Grund des Auftrages"
Ladenschlußzeiten zu sorgen, selbst w e n n er ihr die Entscheidungsbefugnis ein-
So, wie die Vertreter nach § 14 I „als" Normadressaten, d.h. für den Vertretenen, 136
räumt, nach ihrem Ermessen den Laden zu öffnen oder zu schließen" (EEGOWiG,
handeln müssen ( R n . 122), m u ß der Substitut i. S. d. § 14 II „auf Grund des Auf-
65). Das hat im Schrifttum teils Beifall, 184 teils Widerspruch 1 8 5 gefunden. Tatsäch-
trags", d.h. im R a h m e n des zu eigenverantwortlicher Erledigung übertragenen
lich läßt sich dem Gesetzeswortlaut eine solche Einschränkung nicht entnehmen.
Aufgabenkreises, handeln; dabei gehört z u m Handeln auch das Unterlassen. N a -
Sie sollte auch nicht getroffen werden. D e n n sie führt wegen der Vagheit des B e -
türlich ist mit einem Handeln „auf Grund des Auftrages" nicht die Erfüllung, son-
griffes der Sozialadäquanz zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten. Der Auf-
dern gerade die Verletzung der betriebsbezogenen Pflichten gemeint.
traggeber wird, w e n n er seine Pflichten einer gänzlich inkompetenten Person zu
„eigener Verantwortung" überläßt, von seiner Verantwortung ohnehin nicht ent-
lastet ( R n . 137 f.), während dem unkundigen Beauftragten ggf. ein Verbotsirrtum VIII. D i e bestehenbleibende Verantwortlichkeit des Vertretenen,
oder seine jugendliche Verantwortungsunfähigkeit zugute gehalten werden kann; des Betriebsinhabers oder des Stellenleiters
liegen aber schuldausschließende Umstände nicht vor, braucht er auch nicht von
Strafe freigestellt zu werden. Neben dem Vertreter oder sonst Beauftragten haftet grds. auch der Vertretene, 137
Auftraggeber oder Stellenleiter, wie aus dem Wort „auch" in § 14 I, II zu erkennen
3. Das auftragsgemäße Handeln für eine Stelle, die Aufgaben der ist. Er ist also neben dem nach § 14 Verantwortlichen strafbar, w e n n er selbst
durch aktives Handeln gegen die entsprechenden N o r m e n verstößt. 187 Der häufi-
öffentlichen Verwaltung w a h r n i m m t
gere Fall wird freilich der sein, daß der Vertretene usw. die Pflichtverletzungen des
135 Nach § 14 II 3 ist Satz 1 des § 14 II auf das Handeln für die genannten Stellen
Vertreters erkennt und dagegen nicht einschreitet. Da er eine Garantenstellung
„sinngemäß anzuwenden". Diese „sind auf vielfältigen Sachbereichen Pflichten
einnimmt, haftet er dann wegen vorsätzlicher Begehung durch Unterlassen.
unterworfen, deren Verletzung durch natürliche Personen strafbar wäre. Die Per-
Eine wesentliche Abschwächung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des 138
sonen, die für die Stellen handeln, wären gegenüber den in Betrieben u n d Unter-
Vertretenen ergibt sich freilich bei der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit. D e n n der Sinn
nehmen tätigen Personen bevorzugt, w e n n sie wegen gleicher Pflichtverletzungen
der Delegation von Aufgaben an die in § 14 bezeichneten Personen besteht gerade
strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten" (EEGOWiG,
darin, den primär Verpflichteten, der nicht alle Aufgaben selbst wahrnehmen
65). Die Vorschrift bezieht sich nicht nur auf eigentliche Verwaltungsstellen, son-
kann, von eigener Verantwortung zu entlasten. Daher k o m m t eine eigene Fahrläs-
dern auf alle Stellen, die „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen";
sigkeitshaftung des „Geschäftsherren" nur in Betracht, wenn entweder konkrete
z.B. auch auf Anstalten u n d Körperschaften des öffentlichen Rechts. Aus der
Indizien i h m die Erkenntnis einer Pflichtverletzung des Vertreters oder Beauftrag-
Gleichstellung mit Betrieben u n d Unternehmen ergibt sich jedoch, daß die „Stel-
ten hätten aufdrängen müssen oder w e n n ein Verschulden bei der Auswahl oder
len" entweder fiskalisch tätig werden oder doch wenigstens Verpflichtungen haben
Beaufsichtigung der Vertreter sich als unerlaubte Risikoschaffung i m R a h m e n des
müssen, die denen von Betriebsinhabern entsprechen, z. B. als Halter von Kraft-
Fahrlässigkeitstatbestandes darstellt. 188
fahrzeugen oder Eigentümer von Sachen. 186 Die nur „sinngemäße" Anwendung
des Satzes 1 hat der Gesetzgeber deshalb angeordnet, weil bei den öffentlichen
Stellen ein „Inhaber" fehlt, dessen Pflichten w a h r g e n o m m e n werden könnten; an
die Stelle des Betriebsinhabers tritt der Leiter der Stelle oder derjenige, der sonst
zur Übertragung von Aufgaben befugt ist. Freilich kann die sinngemäße A n w e n -
dung des Satzes 1 nie dazu führen, daß ein Nichtamtsträger wegen eines echten
Amtsdelikts bestraft wird; denn die Amtsträgereigenschaft fällt nicht unter § 14 1" RGSt 58,130; BGHSt 8,139; 9, 67, 319; 25,158; BayObLG VRS 51 (1976), 234; BayObLG
( R n . 101). DAR 1988, 370; KG VRS 36 (1969), 269; KG JR 1972,121 m. Anm. Göhler; OLG Celle NJW
1969, 759; 1974, 72; OLG Düsseldorf VRS 39 (1970), 446; VRS 74 (1988), 302; 78 (1990), 126;
OLG Hamm NJW 1971, 817; OLG Karlsruhe Justiz 1981, 21; OLG Koblenz MDR 1973, 606;
«t Demuth/Schneider, BB 1970, 645; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG3, § 9, Rn. 48; Tröndle/ OLG Köln VRS 66 (1984), 157.
Fischer50, §14, Rn. 13; ebenso auch StA Mannheim, NJW 1976, 585; NK-Marxen, §14, iss Im einzelnen: KG VRS 36 (1969), 269; BayObLGSt 1976, 47; BayObLG VRS 51
(1976), 234; BayObLG DAR 1988, 370; OLG Celle NJW 1969, 759; OLG Hamm NJW 1974,
Rn. 67-69. 72; OLG Köln VRS 66 (1984), 157; großzügiger OLG Karlsruhe Justiz 1981, 21; Seh/Seh/Lenck-
«5 KK-OWiG2-Cramer, § 9, Rn. 48; Kindhäuser, StGB, § 14, Rn. 45 (ohne ganz eindeutige ner26, §14, Rn.7; Göhler, OWiG5 , §9, Rn.37; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG3, §9, Rn.57-
Stellungnahme); Rotberg, OWiG4, § 9, Rn. 27; Seh/Seh/Lenckner/Perron26, § 14, Rn. 36; Schüne- 60. LK -Schünemann, § 14, Rn. 66 bildet fünf verschiedene Formen eigener Sorgfaltswidrig-
mann, 1979,146-148; ders., LK11, § 14, Rn.62. keit des Geschäftsherren.
« 6 Tröndle/Fischer50, § 14, Rn. 15.
282 283
§ 27 IX 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme

I X . Faktische Vertretungsverhältnisse

139 Nach § 14 III sind die Regeln der Vertreterhaftung auch dann anzuwenden,
wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsver-
§ 28. Vorstufen der Beteiligung'
hältnis begründen sollte, unwirksam ist (z.B. wegen Formmangels). Dadurch
soll klargestellt werden, daß es nur darauf a n k o m m t , ob „der Vertreter oder Beauf- Literatur: Dreher, Die Grundsätze und Probleme des §49a StGB, GA 1954,11; Heinitz, Ge-
danken über Täter- und Teilnehmerschuld im Deutschen und Italienischen Recht, Berlin-FS,
tragte im Wirkungskreis des eigentlichen Normadressaten mit dessen Einverständ- 1955, 93; Niese, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, JZ 1955, 320;
nis oder dem Einverständnis des hierzu Befugten dessen Stellung tatsächlich ein- Börker, Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, JR 1956, 286; Meister, Zweifelsfragen zur
g e n o m m e n hat" (EEGOWiG, 65). Strittig ist, ob wenigstens die Befugnis zur versuchten Anstiftung, MDR 1956, 16; Busch, Die Teilnahme an der versuchten Anstiftung,
NJW 1959,1119; Greissinger, Der Einfluß der besonderen persönlichen Merkmale im Sinne des
Erteilung eines Auftrages nach Abs. 2 rechtswirksam bestanden haben muß. R i c h - §50 Abs. 2 auf die versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen gem. §49a StGB, Diss. Frank-
tigerweise ist das nicht zu fordern, 1 9 0 weil sich an der allein entscheidenden Fakti- furt a.M., 1960; Maurach, Die Problematik der Verbrechensverabredung (§49a StGB), JZ 1961,
zität der Vertreter- oder Beauftragtenstellung nichts ändert und weil nicht einzu- 137; Busch, die Strafbarkeit der erfolglosen Teilnahme und die Geschichte des §49a StGB,
1964; Schröder, Grundprobleme des § 49 a StGB, JuS 1967, 289; Gallas, Der dogmatische Teil des
sehen ist w a r u m nicht auch ein faktischer Geschäftsführer ü b e r n o m m e n e Aufga- Alternativ-Entwurfs, ZStW 80 (1968), 1; Schwind, Grundfälle der „Kettenteilnahme" MDR
ben an einen Substituten soll weiterdelegieren können. 1 9 1 W o es allerdings auch an 1969,15; Brose, Die versuchte Verbrechensbeteiligung (§ 49 a StGB), 1970; Busch, Zur Teilnahme
dieser Faktizität fehlt und ein vorgeschobener Strohmann realiter überhaupt nicht an den Handlungen des §49a StGB, Maurach-FS, 1972, 245; Dreher, Bemühungen um das
Recht, gesammelte Aufsätze, 1972; Letzgus, Vorstufen der Beteiligung, 1972; Otto, Personales
tätig wird, läßt sich auch mit Hilfe von § 14 III eine strafrechtliche Verantwortlich- Unrecht, Schuld und Strafe, ZStW 87 (1975), 540; Langer, Zum Begriff der „besonderen per-
keit nicht begründen. 1 9 2 sönlichen Merkmale", Lange-FS, 1976, 241; Vogler/Kadel, Eine verhängnisvolle Bitte, JuS 1976,
249; Roxin, Über den Tatentschluß, Schröder-FS, 1978, 145; Vogler, Funktion und Grenzen der
Gesetzeseinheit, Bockelmann-FS, 1979, 751; Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und
Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979;
Kühl, Grundfälle zu Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1979, 874; Bottke,
Rücktritt vom Versuch der Beteiligung, 1980; Küper, Zur Problematik des Rücktritts von der
Verbrechensverabredung, JR 1984, 265; Jakobs, Kriminalisierung im Vorfeld der Verbrechens-
verabredung, ZStW 97 (1985), 751; Herzberg, Rücktritt vom Versuch trotz bleibender Voll-
endungsgefahr, JZ 1989, 114; Lohberger, Höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 4a, 16 I Nr. 7
des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen (KWKG), NStZ 1990, 61; Oswald, Versuchte
Vermittlung von Kriegswaffengeschäften, BayOblG Urt. v. 31.3. 1989, NStZ 1991, 46; Herz-
berg, Grundprobleme des Rücktritts vom Versuch und Überlegungen de lege ferenda, NJW
1991, 1633; Bloy, Grund und Grenzen der Strafbarkeit der mißlungenen Anstiftung, JR 1992,
493; Geppert, Die versuchte Anstiftung (§ 30 Abs. 1 StGB), Jura 1997, 546; Kretschmer, Anforde-
rungen an die versuchte Anstiftung, NStZ 1998, 401; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken
der Grundrechte, 1996; Fieber, Die Verbrechensverabredung, §30 Abs. 2, 3. Alt. StGB, 2001.

I. D i e systematische Stellung des § 30

Heute ist anerkannt, daß § 30 kein selbständiger Tatbestand nach Art der B e - 1
Stimmungen des Besonderen Teils,1 sondern ein auf Verbrechen beschränkter
Strafausdehnungsgrund ist, der nicht nur nach der gesetzlichen Zuordnung, son-
dern auch unter systematischen Gesichtspunkten in den AT des StGB gehört. 2
Schon die Teilnahme und der Versuch sind Strafausdehnungsgründe, weil sie die
Strafbarkeit über die eigentliche Tatbestandsverwirklichung hinaus ausdehnen.
Die in § 30 geregelten Fälle der versuchten Teilnahme und der Verabredung ent-
189 Ausfuhrlich und weiterführend dazu LK11 -Schünemann, § 14, Rn. 67 ff. halten demgegenüber eine potenzierte Strafausdehnung, indem die Strafbarkeit
wo Ebenso Köhler, AT, 556. 50 „ , „ Tlf9
»9i Sch/Sch/Lenckner/Perron* §14, Rn.44, 38; Tröndle/Kscher" § 14, Rn 18; ander^LK
Busch, § 50 a, Rn. 27; Gübel, 1994,107 f.; zust. LK11-Schünemann, § 14, Rn.71; abl. NK-Marxen, i BGHR StGB, § 30 11, Konkurrenzen, Nr. 2.
814, Rn. 66,64. ^ ., , „.. n „ 2 Statt aller: Jescheck/Weigend, AT5, § 65 I 2, 3; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, § 30, Rn. 2.
192 Sch/Sch/Lenckner/Perron26, § 14, Rn.42/43; LK1 -Schünemann, § 14, Rn.71.
285
284
§ 28 I 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung II § 28
bei Verbrechen auf Verhaltensweisen erweitert wird, die zeitlich vor der Teilnah-
II. Z u m gesetzgeberischen Zweck und zur rechtspolitischen Würdigung
me, der Mittäterschaft oder dem Versuch der Tatbestandsverwirklichung liegen.
der Vorschrift
2 Die Frage nach der systematischen Stellung des § 30 innerhalb des AT ist so
zu beantworten, daß es sich weder u m eine Sonderregelung des Versuchs noch Die Vorschrift des § 30 enthält eine Ausnahme von einem grundlegenden P r i n - 5
der Teilnahme, sondern u m eine selbständige Strafbarkeit bestimmter Formen zip unseres Strafrechts, wonach nur Tatbestandsverwirklichungen und allenfalls
der Verbrechensvorbereitung unter (mindestens angestrebter) Beteiligung noch Versuchs- und Teilnahmehandlungen bestraft werden. Diese Ausnahme b e -
mehrerer handelt. 3 § 30 enthält zunächst, obwohl das Gesetz von einem „Versuch schränkt sich auf die schwersten Delikte, also Verbrechen, und gilt auch bei ihnen
der Teilnahme" spricht, keine Sonderform der Versuchsstrafbarkeit; denn der Ver- nur für solche Vorbereitungshandlungen, denen der Gesetzgeber eine ganz beson-
such erfordert ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22), dere, den Regelfall übersteigende Gefährlichkeit beimißt. Diese Gefährlichkeit
an dem es hier fehlt. Die versuchte Anstiftung ist im Hinblick auf die Tatbestands- läßt sich auf zwei verschiedene Gesichtspunkte zurückfuhren, die auf jeweils zwei
erfüllung kein Versuch, sondern eine Vorbereitung; auch sind einige Varianten des der vier Varianten des § 30 zutreffen. 7 Das erste herausgehobene Gefährlichkeits-
§ 30 (das Sich-Bereit-Erklären, die Verabredung) überhaupt keine Fälle der ver- moment liegt im Ingangsetzen eines nicht mehr beherrschbaren Kausalverlau-
suchten Teilnahme. Ebensowenig ist § 30 eine Sonderregelung der Teilnahme. 4 fes, wie wir es bei der versuchten Anstiftung oder der A n n a h m e eines Erbietens
D e n n eine Teilnahme setzt nach den Regeln der Akzessorietät eine Täterschaft vor- vorfinden. Wer einen anderen zur Verbrechensbegehung auffordert oder sein E r -
aus, an der es hier fehlt; auch sind das Sich-Bereit-Erklären und die Verabredung bieten dazu annimmt, hat das Seine getan wie sonst jemand, der ein deliktisches
nicht einmal Formen vorweggenommener Teilnahme. Beifall verdient vielmehr Geschehen anstößt, das er nur unter den Voraussetzungen des freiwilligen R ü c k -
die „Vorbereitungstheorie", wonach § 30 besonders gefährliche Formen der Ver- tritts (hier § 31) noch mit strafbefreiender W i r k u n g anhalten kann. 8 Der zweite
brechensvorbereitung unter Strafe stellt; sie wird auch von der Rspr. 5 vertreten. Faktor besonderer Gefährlichkeit liegt darin, daß der ein Verbrechen Planende
3 Wenn § 30 demnach auch keine Erscheinungsform des Versuchs oder der Teilnahme ist, eine „Willensbindung" eingeht, w e n n er sich mit einem anderen verabredet oder
können doch wesentliche Rechtsgedanken beider Materien wenigstens sinngemäß auf § 30 an- sich ihm gegenüber zur Begehung eines Verbrechens bereit erklärt. 9 Wer in dieser
gewendet werden. Das wird im folgenden Text im einzelnen darzustellen sein. Dabei sind die
Weise „im Worte steht" und sich gebunden hat, kann sich davon viel schwerer l ö -
für die Anstiftung herausgearbeiteten Grundsätze (oben § 26, Rn. 57 ff.) weitgehend auf die in
§ 30 dominierende versuchte Anstiftung und viele Prinzipien der Mittäterschaft (oben § 25, sen als ein allein Handelnder, der von seinen Plänen jederzeit nach Belieben A b -
Rn. 188 ff.) auf die Verabredung übertragbar, während die Versuchsregeln in §30 eine geringe- stand nehmen kann.
re Rolle spielen und erst bei der Rücktrittsregelung des § 31 in den Vordergrund rücken. Das
rechtfertigt im Anschluß an die gesetzliche Einordnung die Behandlung der §§ 30, 31 im Ab- Gleichwohl ist die Vorschrift Gegenstand rechtspolitischer Kritik, die teils i h - 6
schnitt über „Täterschaft und Teilnahme". re Existenzberechtigung überhaupt bestreitet ( R n . 6), teils weitere Einschränkun-
4 In den ersten Jahrzehnten ihrer Geltung (seit 1876) wurde die Vorschrift (damals § 49 a in
mehrfach veränderter Fassung) meistens als eigenständige, ihrem Gehalt nach in den BT gehö- gen der Strafbarkeit vorschlägt ( R n . 7). Lange10 moniert, daß die Vorschrift Glei-
rende Strafbestimmung aufgefaßt. Man sah darin ein gegen die „öffentliche Ordnung", den ches ungleich behandele (Art. 3 GG) und durch das „Übergewicht des Gesin-
„Rechtsfrieden", die „Autorität der Staatsgewalt" oder die „rechtstreue Gesinnung des Bürgers" nungsmoments" gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II GG) verstoße.
gerichtete Straftat. Das ist heute schon deswegen nicht mehr haltbar, weil § 30 - anders als
ehedem § 49 a - keinen selbständigen Strafrahmen aufweist, sondern seine Strafdrohung an Doch werden die Fälle des § 30 nicht gleich der Vollendung und dem Versuch,
dem Tatbestand orientiert, dessen Erfüllung beabsichtigt war. Außerdem ist schwer zu begrün- sondern milder bestraft; und im Verhältnis zur straflosen Vorbereitung des Einzel-
den, warum die genannten vagen und die Wirkung in der Öffentlichkeit betreffenden Rechts-
güter gerade bei den im Verborgenen sich abspielenden Vorbereitungen verletzt werden sollen,
um die es hier geht. i Übereinstimmend v. a. Kühl, AT3, § 30, Rn. 244, 245. Früher schon Roxin, JA 1979,
170 f.; Kühl, JuS 1979, 875.
8 In diesem Sinne auch BGHSt 1, 309; BGH NStZ 1998, 347 m. Anm. Kretschmer, NStZ
1998, 401; BGHSt 44,103 m. Anm. Roxin, NStZ 1998, 616; Geppert, Jura 1997, 547; Kühl, AT3,
§20,Rn.244.
9
Ebenso BT-Drucks. V/4095, 12; ähnlich schon die Begründung zum E 1962, BT-Drucks.
IV/650, und Geppert, Jura 1997, 547; Kühl, AT3, §20, Rn.245; Schäfer, NiedStrKomm 2,1958,
207. Auch BGHSt 44, 95 m. w. N. verwendet diesen Gesichtspunkt, merkwürdigerweise aber
für einen Fall der versuchten Anstiftung: „Der Strafgrund des Beteiligungsversuchs besteht in
3
Bloy, JR 1992,494 spricht von „Vorfeldkriminalität". der konspirativen Bindung mehrerer Beteiligter, so daß die Handlung gegenüber anderen Vor-
4
So aber Baumann/Weber, AT10, § 32 II 1; Blei, AT18, § 81 II, vor 1 (mit Einschränkungen); bereitungshandlungen eine größere Gefährlichkeit aufweist."
Jescheck/Weigend, AT5, § 65 I 3 (der aber auch die „Vorbereitungstheorie" gelten läßt); Maurach, «• Kohlrausch/Lange, StGB43, §49 a, Anm. II, III; abschwächend den., NiedStrKomm 2,
JZ 1961,138; Maurach/Gössel, AT/27, 53/3ff.; Schmidhäuser, StuB AT2,11/108. 1958, 212f.; ähnlich bezüglich der Pönalisierung der Gesinnung auch Köhler, AT, Rn. 545. Fie-
5
BGHSt 9,131,134; 14, 378, 379; ähnlich BGHSt 10, 388, 389. ber, 2001, hat diese Kritik im Hinblick auf den Fall der Verabredung, deren Bestrafung er für
6 Näher Letzgus, 1972, 212 ff. verfassungswidrig hält, weiter ausgeführt. Vgl. dazu Rn.44.
286
287
§ 28 II 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme §28. Vorstufen der Beteiligung III § 28
täters liegen immerhin die in Rn. 5 geschilderten Kriterien größerer Gefährlich- Nach alledem hat der oben (Rn. 5) erläuterte doppelte Strafgrund des § 30 (In- 8
keit vor. Auch werden nicht vage Gesinnungen, sondern klar bezeichnete Verbre- gangsetzen eines nicht mehr beherrschbaren Kausalverlaufs und Willensbindung)
chensvorbereitungen bestraft. Das ist wegen der Vorverlegung der Strafbarkeit am meisten Plausibilität für sich. Aber auch von diesem Standpunkt aus ist die
rechtsstaatlich nicht unproblematisch; aber gegen den Bestimmtheitsgrundsatz Strafwürdigkeit des „Sich-Bereit-Erklärens" (§30 II, \\ Variante) nicht be-
verstößt es nicht. Jakobs11 will den ganzen § 30 gestrichen wissen, weil in einem gründbar, soweit jemand sich nur erfolglos zu einem Verbrechen erbietet. Denn
„Bürgerstrafrecht", wie es dem deutschen StGB zugrunde liege, der Staat nicht in erstens wird hier kein unbeherrschbarer Kausalverlauf angestoßen, weil selbst im
den Privatbereich eingreifen dürfe; dieser aber sei bei bloßen Aufforderungen, Falle der Annahme des Sich-Erbietens die Ausführung allein von dem abhängt,
Verabredungen usw. noch nicht verlassen: „Ohne externes störendes Verhalten der sich erboten hat; und zweitens tritt auch keine Willensbindung ein, weil eine
darf ein Subjekt nicht auf seine Interna festgelegt werden, wobei die Interna den zweite Person überhaupt nicht beteiligt ist. Von einer (wenn auch im Verhältnis
gesamten Privatbereich umfassen, nicht nur Gedanken."12 Jedoch wird man die zur Verabredung abgeschwächten) Willensbindung kann man beim Sich-Bereit-
geschäftsmäßige Anwerbung eines Bravos oder ein Mordkomplott sowenig dem Erklären erst reden, wenn jemand die Aufforderung eines anderen in verbindli-
Privatbereich zuordnen können wie etwa eine Urkunden- oder Münzfälschung in cher Weise annimmt oder sich sonst nach der Annahme eines Sich-Erbietens auf
den eigenen vier Wänden. Auch ist nicht recht einzusehen, warum der Staat nicht die Begehung der Tat festlegt. De lege ferenda empfiehlt es sich deshalb, das Merk-
besonders gefährliches Verhalten im Privatbereich sollte pönalisieren dürfen, wenn mal des Sich-Bereit-Erklärens durch das Kriterium der Übernahme einer Ver-
zur Aufklärung von Straftaten unbeanstandet Körpereingriffe, Haussuchungen, pflichtung zur Verbrechensbegehung zu ersetzen.
Brief- und Telefonkontrollen usw. stattfinden dürfen.
7 Busch13 hält die unterschiedslose Anwendung aller Varianten des § 30 auf alle
Verbrechen für eine bedenkliche Ausweitung der Strafbarkeit und plädiert dafür, III. Die versuchte Anstiftung (§ 30 I)
nur bei einem echten kriminalpolitischen Bedürfnis von Fall zu Fall diese oder 1. Erscheinungsformen der versuchten Anstiftung
jene Alternative des § 30 mit Strafe zu bedrohen. Dem ist entgegenzuhalten, daß
empirische Erkenntnisse, die derart subtile Differenzierungen zulassen würden, Eine versuchte Anstiftung setzt ein Anstiftungsverhalten voraus, das nicht zu 9
bisher nicht existieren; in Ermangelung derselben würden aber komplizierte Un- einer vollendeten oder wenigstens versuchten Tätertat geführt hat. Angesichts die-
terscheidungen nur als ungerechte Ungleichbehandlung wirken. Letzgus14 wieder- ser einheitlichen Struktur ist die Unterscheidung verschiedener Formen versuchter
um hat auf der Grundlage suggestionspsychologischer Forschungen eine Konzep- Anstiftung von geringerer Bedeutung. Die nachstehend aufgezählten bekannte-
tion entwickelt, derzufolge die vom Anstifter ausgehende einseitige und die bei sten Fallkonstellationen, die einer herkömmlichen Unterscheidung entsprechen,15
der Verabredung vorliegende wechselseitige Suggestionswirkung es dem Täter sind nicht vollständig (vgl. noch Rn. 20) und schließen einander begrifflich nicht
besonders schwer mache, sich von einem einmal gefaßten Entschluß zu lösen. In notwendig aus, ermöglichen aber eine gute Orientierung.
dieser Suggestionsauswirkung sieht er den eigentlichen Strafgrund des § 30 mit a) Die mißlungene Anstiftung
der Wirkung, daß er das erfolglose Sich-Erbieten und Aufforderungen, die nicht Hier bleibt schon der Tatentschluß aus, z. B. weil der Aufgeforderte das Ansin-
zu einem Tatentschluß führen, nicht für strafwürdig hält. Daran ist richtig, daß die nen zurückweist.
Willensbindung, wie sie bei Vereinbarungen entstehen kann, ein Faktor ist, der
b) Die erfolglose Anstiftung
zur Legitimierung des § 30 herangezogen werden kann (vgl. Rn. 5). Dieser Um-
stand erschöpft aber den Bereich strafbedürftigen Verhaltens nicht. So wird z. B. Bei ihr faßt der „Täter" einen Tatentschluß, kommt aber nicht bis zum Versuch,
ein gedungener Berufsverbrecher schwerlich in eine suggestionspsychologische weil er schon vorher scheitert oder den Plan wieder aufgibt.
Abhängigkeit von seinem Auftraggeber geraten, sondern das Für und Wider kühl
abwägen. Trotzdem setzt der Anstifter eines derartigen Verbrechens einen äußerst
gefährlichen Kausalverlauf in Gang und verdient Strafe.

15
11 In ausführlicher Darstellung, aber anderer Anordnung Letzgus, 1972, 24 ff. Die Bezeich-
Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 ff.; zurückhaltender und mehr wie hier aber ders., AT2, 27/2; nungen zu a)— d) stammen von Dreher, 1972, 95; die Konstellation untere) hatJ.-D. Busch, 1964,
krit. dazu Lagodny, 1996, 226 ff. 143 benannt; der Sachverhalt unter f) verdankt seinen Namen Maurach, AT4, § 51 III B 2, die
12 Jakobs, ZStW 97 (1985), 773. Fallgruppen-Charakterisierung unter g) findet sich bei Letzgus, 1972, 60. Die Termini a)-c)
« Busch, Maurach-FS, 1972, 245, 256.
14
werden bei Geppert, Jura 1997, 547; Gropp, AT2, § 9, Rn. Wlff.-Jescheck/Weigend, AT5, § 65 II1
Letzgus, 1972,127,128,143,145,176, 225 u. passim. und Seh/Seh/Cramer/Heine , § 30, Rn. 21 übernommen.
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§ 28 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 28. Vorstufen der Beteiligung III §28
c) Die untaugliche Anstiftung
Die Abgrenzung der versuchten von der nur vorbereiteten und deshalb in j e - 11
Dieser Fall liegt vor, wenn der Aufgeforderte schon zur Tat entschlossen (omni- dem Falle straflosen Anstiftung ist umstritten. Der frühere § 49 a, der Vorläufer
modo facturus) oder die Tat von vornherein undurchführbar ist. des heutigen § 30, hatte ausdrücklich eine „Aufforderung" zur Begehung eines
Verbrechens verlangt, wie sie auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung
d) Die unwirksame Anstiftung
auch nach geltendem Recht zu fordern ist (vgl. §26, Rn. 74 ff.). Daraus wurde
Bei dieser Konstellation faßt der Aufgeforderte zunächst einen Tatentschluß, unter der Geltung des § 49 a allgemein - auch in der Rspr. - gefolgert, daß die
gibt ihn aber wieder auf und faßt später einen neuen Entschluß, der von der frü- Strafbarkeit erst einsetze, wenn der Adressat von der Aufforderung Kenntnis ge-
heren Anstiftung unabhängig ist. nommen habe oder sie ihm doch mindestens mit der Möglichkeit jederzeitiger
Kenntniserlangung zugegangen sei.16 BGHSt 8, 261, 262 ist von dieser Judikatur
e) Die unvollkommene Anstiftung
abgerückt und hat eine versuchte Anstiftung zum Meineid (§ 154) schon in einem
Sie liegt vor, wenn der Erklärungsempfänger die Aufforderung mißversteht
Fall angenommen, in dem der zur Deliktsbegehung auffordernde Brief, den ein
und die Tat daraufhin unvorsätzlich begeht. Im Hinblick auf die vom Außenste- Gefängnisinsasse über die Mauer der Strafanstalt dem auf der Straße wartenden
henden geplante Vorsatztat liegt dann eine versuchte Anstiftung vor. Empfänger zuwerfen wollte, auf den Gefängnishof fiel und dort beschlagnahmt
f) Der qualitative Täterexzeß wurde.17 Der BGH berief sich auf den Wortlaut des Gesetzes, demzufolge ein Be-
stimmungsversuch schon mit dem Absenden (bzw. hier: Zuwerfen) des Briefes
Der Aufgeforderte läßt sich zwar zur Begehung einer Straftat bestimmen, ent-
vorliege. Während ein Teil der Literatur dem folgt,18 hält die wohl überwiegende
schließt sich aber zur Ausführung eines anderen, von der Aufforderung qualitativ
Meinung an der früheren Auffassung fest, daß die Äußerung des Anstifters dem
abweichenden Deliktes. Da dieses dem Hintermann nicht zugerechnet werden
Empfänger zugegangen sein oder daß er sogar von ihr Kenntnis genommen haben
kann, ist er nur der versuchten Anstiftung zu dem Verbrechen schuldig, das er ge-
müsse.19 Das wird damit begründet, daß vorher nicht der für die Strafwürdigkeit
plant hatte.
erforderliche Gefährlichkeitsgrad erreicht werde.
g) Die teilweise vollendete Anstiftung Jedoch ist dem BGH zu folgen. Für seine Auffassung lassen sich drei Gründe 12
Sie ist gegeben, wenn der Aufgeforderte sich nur zur Ausführung des Grundtat- geltend machen. Die grammatische Auslegung ergibt zunächst, daß der Gesetz-
bestandes bestimmen läßt und diesen auch verwirklicht, während die Anstiftung geber auf den Versuch des Bestimmens, also auf das unmittelbare Ansetzen zur
sich auf den qualifizierten Tatbestand bezogen hatte. Z. B. fordert der Hintermann Anstiftung (§ 22), abstellt. Ein solches Ansetzen liegt aber aufjeden Fall vor, wenn
zum Meineid (§ 154) auf, während der Erklärungsempfänger sich nur zu einer un- der potentielle Anstifter den Brief, der die Verbrechensaufforderung enthält, auf
eidlichen Falschaussage (§ 153) motivieren läßt. Hinsichtlich dieser liegt dann eine den Weg schickt. Es steckt darin sogar schon ein beendeter Versuch der Anstiftung,
vollendete, hinsichtlich des Meineides eine versuchte Anstiftung vor. weil der Hintermann mit der Entlassung des Briefes aus seinem Herrschaftsbereich
nach seiner Vorstellung alles getan hat, was zur Herbeiführung des Erfolges erfor-
derlich ist. Das Ergebnis wird durch eine teleologische Auslegung gestützt. Denn
2. Die objektiven Voraussetzungen der versuchten Anstiftung
wenn der Strafgrund der versuchten Anstiftung darin liegt, daß der Hintermann
10 Die versuchte Anstiftung unterscheidet sich in ihrer äußeren Form nicht von einen für ihn nicht mehr beherrschbaren Kausalverlauf in Gang setzt (Rn. 5, 8), so
der Anstiftung zur vollendeten oder versuchten Tat. Es muß also - nach der hier ist diese Voraussetzung mit Absendung des Briefes (oder auch mit einem Zuwerfen
vertretenen, aber umstrittenen Auffassung (vgl. § 26, Rn. 74 ff.) - eine Aufforde-
rung vorliegen; bloße Erwägungen und Anreizungen genügen ebensowenig wie 16
Im einzelnen wurde teils eine Erkennungs- und Wahrnehmungsmöglichkeit (RGSt 30,
die Schaffung einer zur Deliktsbegehung einladenden Situation. Wer also mit dem 142; 36, 229), teils eine wirkliche sinnliche Wahrnehmung (RGSt 47, 230), teils sogar ein gei-
bedingten Vorsatz zur Veranlassung einer Deliktsbegehung von den Möglichkei- stiges Verstehen auf Seiten des Adressaten (so wohl RGSt 26, 81, 82) verlangt. Zum Schrifttum
dieser Zeit vgl. Letzgus, 1972,42, Fn. 90. '
ten verbrecherischen Gelderwerbs erzählt oder eine Frau in eine Situation bringt, 17 Roxin, HRR, Fall 72,106 f. u. 201 (= BGHSt 8, 261).
die die Gefahr einer Vergewaltigung heraufbeschwört, ist, wenn sich niemand zu '8 Blei, AT18, §81 II1; Bockelmann/Volk, AT4, §27 VI la aa; Dreher, 1972, 196; Joecks2\ §30,
einer Deliktsbegehung motivieren läßt, nicht etwa nach § 30 I strafbar. Die Ge- Rn.9; KühlJuS 1979, 877; Maurach/Gössel, AT/2 , 53/15 f.; Preisendanz30, §30, Anm. 3 d; Seh/
genmeinung, die bei Ausführung des betreffenden Delikts eine Anstiftung an- Sch/Cramer/Heine26, §30, Rn. 19; Tröndle/Fischer50, §30, Rn. 9.
» Brose, 1970, 115ff.; J.-D. Busch, 1964, 172ff.; Eser, StrafR5 II3, Fall 47, Rn. 19; Jescheck/Wei-
nimmt (vgl. § 26, Rn. 75), muß beim Ausbleiben einer Tat eine Strafbarkeit nach gend, AT5, § 65 II1; Letzgus, 1972, 41, Fn. 89; so seinerzeit SK -Samson, § 30, Rn. 14; Schröder,
§ 30 bejahen. Das überdehnt die Strafbarkeit, die selbst im Aufforderungsfall JuS 1967, 290; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 175; so früher auch LK8'-Mezger, § 49 a, Anm. 4 a,b
undjakobs, AT , 27/4, die sogar eine Kenntnisnahme von der Mitteilung durch den Adressaten
schon an der Grenze des rechtsstaatlich Vertretbaren liegt, bei weitem. verlangen.
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§ 28 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung m § 28
der Botschaft) ohne weiteres erfüllt. Drittens schließlich würde es zu sehr u n - hängt das weitere Geschehen vom Aufgeforderten ab. Solange sich dagegen der
gereimten Ergebnissen führen, w e n n man die Strafbarkeit davon abhängig mach- Anstifter in allgemeinen Vorreden bewegt, mit denen der Täter noch nichts an-
te, daß der Adressat von der Aufforderung Kenntnis g e n o m m e n hat oder jederzeit fangen kann, wird man eine Vorbereitungshandlung annehmen müssen. D e n n in
Kenntnis nehmen könnte. Die Beschlagnahme brieflicher Verbrechensaüffor- diesem Stadium hat der Hintermann das Geschehen noch allein in der Hand, so
derungen bei der Post müßte dann stets die Straflosigkeit des Absenders im G e - daß der Strafgrund des § 3 0 I ( R n . 5 ) nicht als gegeben angesehen werden
folge haben. Die Strafverfolgungsbehörden m ü ß t e n also, w e n n sie eine Bestrafung kann.
des Absenders erreichen wollen, die Post dem Empfänger i m m e r erst zugehen
lassen. Das würde ein unvertretbares Risiko der Deliktsbegehung schaffen. Auch 3. D i e subjektiven Voraussetzungen versuchter Anstiftung
ist es für die Strafwürdigkeit des Absenderverhaltens ohne Belang, ob die Strafver-
Der Vorsatz des Auffordernden unterscheidet sich bei der versuchten Anstiftung 14
folgungsbehörden die gefährliche Post früher oder später in ihren Gewahrsam
grds. nicht v o m Vorsatz bei der vollendeten Anstiftung oder der Anstiftung zum
bringen.
Versuch (vgl. § 26, R n . 130 ff). Jedoch sind im R a h m e n des § 30 I einige verdeut-
13 Dies bedeutet nicht, daß jede eine Verbrechensanstiftung bezweckende Tätigkeit
lichende Erklärungen nötig.
schon nach § 30 I strafbar ist. Wo eine Aufforderung nicht durch unmittelbaren
mündlichen Kontakt von Person zu Person, sondern durch Brief, Fax, Telegramm, a) D i e „Ernstlichkeit" des Anstiftungsversuchs
Boten usw. übermittelt wird, liegt eine versuchte Anstiftung erst dann vor, w e n n Eine früher st. Rspr., die auch in der Lehre viel vertreten wurde, verlangte, daß 15
der Auffordernde seine Mitteilung aus der H a n d gibt (also den Brief in den Kasten der Anstiftungsversuch „ernstlich" sein m u ß . 2 4 Das ist eine sehr ungenaue R e d e -
wirft, den Boten losschickt usw.). 20 D e n n jetzt n i m m t das Geschehen seinen nicht weise, weil es sich in Wirklichkeit u m ein reines Vorsatzproblem handelt. 2 5 Wer
mehr zu beherrschenden Verlauf. Wer dagegen eine Verbrechensaufforderung n i e - jemanden zur E r m o r d u n g seiner Schwiegermutter auffordert, ist sicher straflos,
derschreibt oder sich mit ihr auf dem Weg zum Briefkasten befindet, bereitet eine wenn er seine Worte nicht ernst meint und davon ausgeht, auch der Adressat werde
Anstiftung erst vor und ist noch straflos. 21 Bei derartigen „Distanzaufforderungen" sie nicht ernst nehmen. Aber es fehlt i h m dann der auf die Tötung eines Menschen
ist also der Versuch immer schon ein beendeter Versuch. Nicht richtig ist aber die gerichtete Vorsatz, der für jede Form der Tötungsanstiftung (auch die nur ver-
These, daß unbeendete Anstiftungshandlungen stets „als eine Vorbereitungshand- suchte) notwendig ist. Wenn andererseits der Auffordernde damit rechnet, daß
lung des Anstifters zu bewerten" und deshalb straflos seien. 22 D e n n bei der m ü n d - seine Tötungsaufforderung ernst g e n o m m e n und ausgeführt werden könnte,'liegt
lichen (sei es auch telefonischen) Anstiftung beginnt der Versuch schon mit der eine strafbare versuchte Anstiftung mit dolus eventualis vor; wie „ernst" die Worte
Aufforderung, auch w e n n er unbeendet ist, weil der Hintermann den potentiellen aus der Sicht des Hintermannes gemeint waren, ist dann gleichgültig. Einen an-
Täter noch weiter bearbeiten muß, u m ihn zum Deliktsentschluß zu bestimmen. schaulichen Beispielsfall liefert BGHSt 18, 160f.: Hier hatte der Angeklagte einen
Es würde gegen Grundregeln der Versuchslehre verstoßen, würde man in einem anderen zu einem R a u b e „angestiftet", das Opfer aber nicht näher bezeichnet, so
solchen Fall leugnen, daß mit der Anstiftung begonnen worden ist; auch § 3 1 I daß der Angestiftete die Tat nur zusammen mit dem Angeklagten hätte begehen
Nr. 1 geht davon aus. Die Grenze zwischen Vorbereitung und Versuch wird man können. Da der Auffordernde die Tat nie ernsthaft beabsichtigt hatte, unterblieb
bei mündlichen Aufforderungen dort ansetzen müssen, w e n n der Anstifter die Tat sie. Auch hier entfällt eine Strafbarkeit nach § 30 I. Aber das beruht wiederum auf
so bezeichnet hat, daß der Täter sie begehen könnte, w e n n er wollte; 2 3 denn jetzt dem Fehlen des Raubvorsatzes beim Auffordernden; daß der Auffordernde die Tat
nicht ernstlich gewollt hatte, ist nur als Begründung für den fehlenden Vorsatz
20 von Bedeutung.
Wie hier Bloy, JR 1992, 496; Geppert, Jura 1997, 551; Kühl, AT3, § 20, Rn. 249.
21
Demgegenüber wollen Maurach/Gössel, AT/27, 53/16 einen Anstiftungsversuch schon Erst recht ist natürlich der agent provocateur (vgl. § 2 6 , Rn.l51ff.) auch im 16
annehmen, wenn der Anstifter „den die Anstiftung enthaltenden Brief nicht an den Adressaten R a h m e n des § 30 I nicht strafbar. Der Lockspitzel, der einen anderen zur B e -
herausgehen" läßt oder in letzter Minute von einem Beeinflussungsversuch Abstand nimmt.
Hier handelt es sich aber eindeutig um Vorbereitungen. Zu weitgehend auch noch LK -Busch, gehung eines Verbrechens auffordert, es zur Rechtsgutsverletzung aber nicht k o m -
§ 49 a, Rn. 16, der nur die Abfassung des Anstiftungsbriefes als Vorbereitung betrachtet, jede men und den Delinquenten vorher festnehmen lassen will, ist also nicht nach § 30
Handlung aber, die den Brief „aus dem Bereich des Anstifters in den Bereich des Adressaten
bringen soll" (also auch den Gang zum Postkasten?) bestrafen will. Auf der Grundlage der 2
< RGSt 15, 359, 360; 57, 171, 172; RG GA 1942, 122; BGHSt 7, 234, 238; offengelassen in
h. M. zweifelnd in diesem letzten Fall auch Schröder, JuS 1967, 290. Richtig Schäfer, NiedStr- BGHSt 18 160f, BayObLG NjW 1970, 769 f; Blei, AT18, §81 II i; LK>-Busch \49aR,7
Komm 2, 1958, Anhang, 114. Wenn der Brief dagegen auf der Post verlorengeht, liegt schon AT2 11 /i/« gu ^ § a Anm I V 6;
J f?8 V - Maurach/Gössel, AT/27 53/12; Schmidhäuser, StuB
ein Anstiftungsversuch vor. Bei Maurach/Gössel, AT/27, 53/16 wird zu Unrecht nicht unter- AT , 11/108; auch nochTrondle™, §30, Rn.9 {zndersTröndle/Fischer50, §30 Rn 9)
schieden, ob der Absender (straflos) oder die Post (strafbar) den Brief verliert. AI** S ° ^ m , Schröder^ 19
67, 294. Ebenso dann/.-D. Busch, 1964,163£; Eser, StrafR II3 Fall
22 7 n 2 f o AT
Letzgus, 1972, 40. ' * . °Ä ' • 27ß;Jescheck/mi£end, AT5, §65 II 2; Letzgus, 1972,182f.; Sch/Sch/Cra-
« Ebenso BGH NStZ 1998, 347 (348); Kühl, AT3, § 20, Rn. 249. mer/Heine b, § 30, Rn. 28; Geppert, Jura 1997, 550.
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§28 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung III § 28
I verantwortlich, wenn dieser ihn durchschaut und das Ansinnen ablehnt. Aber c) Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes, Umstiftung, Übersteigerung und
auch hier ist die Straflosigkeit allein mit dem Fehlen des Anstiftervorsatzes und Täterexzeß
nicht damit zu begründen, daß der Auffordernde die Tatbegehung nicht ernstlich Alle diese Themen können gerade bei der versuchten Anstiftung besondere Be- 20
gewollt habe. deutung erlangen, sind aber ebenfalls nach den für die Anstiftung gültigen Regeln
17 Dieser „neueren Auffassung in der Literatur" hat sich jetzt auch BGHSt 44, 99 zu behandeln, die hier nur in Erinnerung gerufen zu werden brauchen. Die reso-
(102)26 ausdrücklich angeschlossen. Er betont, es handele sich „um ein reines Vor- nanzlos bleibende Aufforderung, einen Raub zu begehen, ist also mangels Be-
satzproblem ..., was durch den Begriff der ,Ernstlichkeit'eher verdunkelt als er- stimmtheit des Anstiftervorsatzes noch straflos, während die erfolglose Auffor-
hellt" werde. „Wenn für die vollendete Anstiftung dolus eventualis ausreicht und derung zur Begehung eines Bankraubes oder einer Vergewaltigung schon nach
nicht zusätzlich gefordert wird, daß der Anstiftende die Anstiftung ernst gemeint §30 I strafbar ist (sehr Str.; vgl. näher §26, Rn.l33ff.). Der BGH 27 hat sich zur
haben müsse, muß dies auch für die versuchte Anstiftung gelten. Daß der Täter Bestimmtheit einer Aufforderung nach § 30 I vorsichtiger geäußert als bei der An-
darüber hinaus die Aufforderung ernst gemeint bzw. die Haupttat ernstlich ge- stiftung. Die Aufforderung müsse sich auf eine „hinreichend konkretisierte Tat"
wollt haben muß, ist nicht erforderlich. Ansonsten würden an die Versuchsstraf- beziehen. „Maßstab für die Beurteilung der Bestimmtheit ist, ob durch die Ein-
barkeit strengere Anforderungen gestellt als an die Strafbarkeit des vollendeten beziehung des anderen schon eine erhöhte Gefährdung des geschützten Rechts-
Delikts." guts eintreten kann. Die Tat muß vom Anstifter so bestimmt sein, daß der andere
18 Das ist in abstracto völlig richtig. Ob allerdings der konkrete Fall zutreffend sie begehen könnte, wenn er wollte." Im konkreten Fall hatte der inhaftierte
entschieden worden ist, ist nicht so sicher. Nach dem Sachverhalt hatte ein „Hoo- Angeklagte versucht, einen Mitgefangenen zur Ermordung der in seinem Ver-
ligan" zwei Freunden vorgeschlagen, ein Ausländerwohnheim anzuzünden. Als fahren tätigen Staatsanwältin zu gewinnen. Daß damit auch nach der hier ver-
diese das strikt ablehnten, unterblieb die Tat. Der BGH sieht richtig, daß es nicht tretenen Meinung die Dimension des Unrechts hinreichend klar umrissen war, ist
darauf ankommt, ob der Angeklagte „sein Gerede ernst gemeint" hat, sondern daß eindeutig. 28
entscheidend ist, ob er damit gerechnet hat, daß die beiden Freunde die Aufforde- Eine versuchte Umstiftung (A fordert den B vergeblich auf, statt der geplanten 21
rung ernst nehmen und die Tat begehen würden (aaO., 100/101). Wenn der An- Vergewaltigung einen Raub zu begehen), ist immer auch eine versuchte Anstif-
geklagte allerdings geglaubt hätte - was noch zu prüfen gewesen wäre - , daß die tung, so daß im Beispielsfall also eine Strafbarkeit nach §§30 I, 249 vorliegt (nä-
Aufgeforderten ohne ihn die Tat nicht begehen würden, würde eine nicht ernst her §26, Rn.91ff). Entsprechendes gilt für die versuchte Übersteigerung (näher
gemeinte Aufforderung zur Straflosigkeit führen. Aber dann würde wiederum der §26, Rn. 102 ff.): Bedrängt A den B, bei dem von diesem geplanten Raub eine
Vorsatz fehlen. Schußwaffe mitzunehmen, ist er, wenn B dies ablehnt, gleichwohl nach §§30 I,
b) Die Abgrenzung von versuchter Anstiftung und versuchter 250 I Nr. 1 a strafbar. Bei einem vorsätzlichen Täterexzeß (näher § 26, Rn. 109 ff.)
bzw. vorbereiteter) mittelbarer Täterschaft fehlt es an einer Anstiftung zur durchgeführten Tat, es bleibt aber eine versuchte
19 Hier kommt es allein darauf an, ob das Verhalten des Hintermannes bei Ausfüh- Anstiftung zum ursprünglich geplanten Delikt bestehen (vgl. schon Rn. 9): Wenn
A den B zur Beraubung des X auffordert, dieser sich dazu auch zunächst bereit er-
rung der Tat als Anstiftung oder mittelbare Täterschaft zu beurteilen gewesen wä-
klärt, dann aber auf den Raub verzichtet und X umbringt, ist A nach §§ 30 I, 249,
re. Fordert jemand einen Geisteskranken zur Begehung eines Verbrechens auf, zu
B aber nach § 212 zu bestrafen. Selbst beim fahrlässigen Exzeß in der Form eines
dem es dann nicht kommt, liegt also kein Fall des § 30 I vor; vielmehr ist ein Ver-
dem Täter unterlaufenden error in persona ist der Hintermann wegen versuchter
such in mittelbarer Täterschaft zu prüfen (dazu § 29, Rn. 226 ff). Wußte freilich
Anstiftung strafbar (näher § 26, Rn. 116 ff; sehr Str.).
der Auffordernde nichts von der Geisteskrankheit des vergeblich Aufgeforderten,
ist § 30 I gegeben, so wie auch bei Ausführung der Tat eine Anstiftung vorläge d) Der untaugliche Versuch der Anstiftung
(vgl. § 25, Rn. 158). Entsprechendes gilt für den fehlenden Vorsatz des Aufgefor- Strafbar ist auch der untaugliche Anstiftungsversuch. Er ist nicht nur bei der 22
derten. Ist der Auffordernde davon unterrichtet, kommt ein Versuch in mittelbarer versuchten Anstiftung eines schon Tatentschlossenen,29 sondern auch dann ge-
Täterschaft in Betracht; glaubt er irrig an den Vorsatz des Erklärungsempfängers, geben, wenn die Tat von vornherein nicht durchführbar ist: Das Opfer, zu dessen
ist eine versuchte Anstiftung zu bejahen („unvollkommene Anstiftung", Rn. 9). Im
einzelnen muß auf die Darlegungen zur mittelbaren Täterschaft verwiesen werden
27
(§ 25, Rn. 45 ff), wo ihre Abgrenzung von der Anstiftung in umfassender Weise BGH NStZ 1998, 347 unter Berufung auf BGHSt 10, 389; 18, 161. Eingehende Analyse
bei Graul, }R. 1999, 249.
ausgeführt wird. 28
Die Anm. von Kretschmer, NStZ 1998, 401, tritt mit Nachdruck für den von mir favori-
sierten Bestimmtheitsmaßstab ein.
29
26 M. Anm. Roxin, NStZ 1998, 616; m. Anm. Bloy, JZ 1999,157. RGSt 37,171,172; 72, 373, 375.
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§ 28 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung III § 28

Ermordung angestiftet wird, ist schon einem Attentat zum Opfer gefallen; die Überaus umstritten ist aber von alters her, ob § 30 I voraussetzt, daß das Delikt, 26
Aufforderung zur Verfolgung eines Unschuldigen (§ 344) bezieht sich auf einen in auf das sich der Anstiftungsversuch bezieht, in der Person des Auffordernden oder
Wahrheit Schuldigen; die Veranlassung zur Bezeugung und Beschwörung einer des Aufgeforderten als Verbrechen strafbar sein muß. Diese Frage kann nur dann
irrtümlich für falsch gehaltenen Aussage (§ 154) usw. auftreten, wenn die unterschiedlichen Strafrahmen, zu denen die Heranziehung
23 Die Strafbarkeit des untauglichen Anstiftungsversuchs wird teilweise bezwei- des § 28 führt, teils im Verbrechens-, teils im Vergehensbereich liegen. Ein Beispiel
felt30 und bestritten.31 Sie ist tatsächlich rechtspolitisch wenig sinnvoll, weil kein bietet etwa die Aussageerpressung im Amt (§ 343), die als qualifizierter Fall der
unbeherrschbarer gefährlicher Kausalverlauf in Gang gesetzt wird und jedenfalls Nötigung ein Verbrechen ist, während § 240 nur ein Vergehen ist. Ist es nach § 301
bei so weit vom Erfolg entfernten Vorbereitungshandlungen ein Bedürfnis für die strafbar, wenn ein Extraneus einen Beamten vergeblich zur Aussageerpressung
Bestrafung des untauglichen Versuches nicht ersichtlich ist. Doch ist die Straf- auffordert?
barkeit nach geltendem Recht nicht zu bestreiten, weil § 30 I 3 ausdrücklich die Ein weiteres Beispiel lieferte § 313 in seiner Fassung vor Inkrafttreten des 6.
entsprechende Anwendung des § 23 III anordnet, der von der Strafbarkeit des un- StrRG. Diese lautete:
tauglichen Versuches ausgeht und nur für den Fall des groben Unverstandes eine § 313 Herbeiführen einer sachgefährdenden Überschwemmung
Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe gestattet.32 (1) Wer mit gemeiner Gefahr für das Eigentum eine Überschwemmung herbei-
führt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
e) Der Irrtum beim Anstiftungsversuch
(2) Ist jedoch die Absicht des Täters nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet
24 Die Behandlung des Irrtums folgt den allgemeinen Regeln. Wenn also der Auf-
gewesen, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu er-
fordernde Umstände nicht kennt, die die angesonnene Tat zum Verbrechen ma-
kennen.
chen, fehlt ihm der Vorsatz. Wer den Täter zu einer Falschaussage (§ 153) auffordert
und dabei die Möglichkeit seiner Vereidigung (§ 154!) nicht bedenkt, ist straflos, Während in dieser alten Fassung die Tat nach Abs. 1 ein Verbrechen darstellte, lag
weil er nur zu einem Vergehen auffordern wollte (BayObLG NJW 1955, 1120). bei Abs. 2 dann lediglich ein Vergehen vor, wenn „die Absicht des Täters nur auf
Wenn A den B zur Erschießung des C bestimmt und dabei irrtümlich annimmt, Schutz seines Eigentums gerichtet" war.
B befinde sich in einer die Tat rechtfertigenden Notwehrlage, richtet sich sein Vor- Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellte, war, ob es unter Berück-
satz überhaupt nicht auf die Begehung einer strafbaren Handlung, so daß § 30 I sichtigung von § 28 I nach § 30 I strafbar sein sollte, wenn jemand nur zum Schut-
ausscheidet; allenfalls kann eine fahrlässige Tötung in Betracht kommen. Die fal- ze seines Eigentums einen anderen, bei dem diese Motivation nicht vorlag, zu
sche Qualifizierung eines Verbrechens als Vergehen ist freilich ein unbeachtlicher einer Tat nach § 313 a. F. zu bestimmen versuchte.
Subsumtionsirrtum: Die Aufforderung zum Raube in der irrigen Annahme, die- Wenn man der Auffassung folgt, die hier zu § 28 und zum Strafgrund der Teil- 27
ser sei ein Vergehen, ist also nach § 30 I strafbar. Umgekehrt liegt ein strafloses nähme vertreten wird (§ 27, Rn. 16 ff), ist das Ergebnis vorgezeichnet. Da bei
Wahndelikt vor, wenn jemand vergeblich zu einem Einbruchsdiebstahl auffordert strafmodifizierenden Unrechtsmerkmalen der nichtqualifizierte Teilnehmer
(§ 243 I Nr. 1) und darin eine strafbare versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen gleichwohl aus dem qualifizierten Tatbestand verurteilt und nur seine Strafe dem
sieht. Strafrahmen des Grundtatbestandes entnommen wird (§ 27, Rn. 19 ff), liegt bei
der vergeblichen Aufforderung eines Nichtqualifizierten an einen Amtsträger, er
4. Verbrechensqualität und besondere persönliche Merkmale möge eine Aussageerpressung begehen, eine versuchte Anstiftung zu einem Ver-
25 Einigkeit besteht darüber, daß § 28 auf § 30 I nicht direkt angewendet werden brechen vor, die nach § 30 I strafbar ist. Denn auch bei einer Ausführung der Tat
kann, weil die in § 28 vorausgesetzten Täter und Teilnehmer in den Fällen des § 30 wäre der Außenstehende wegen Anstiftung zum Verbrechen des § 343 verurteilt
I nicht wirklich vorhanden sind, daß aber der „Rechtsgedanke" des § 28 auch bei worden; nur der Strafrahmen wäre dem § 240 zu entnehmen gewesen. Entspre-
der versuchten Anstiftung gelten muß. 33 Wer also erfolglos versucht, einen Rich- chend ist bei der versuchten Anstiftung dem Strafmaß der nach § 30 I 2 zu mil-
ter zur Rechtsbeugung (§ 339) anzustiften, dessen Strafe wird nicht nur nach § 30 dernde Strafrahmen des § 240 zugrunde zu legen.
I 2, sondern noch einmal nach § 28 I gemildert. Anders ist bei strafmodifizierenden Schuldmerkmalen zu entscheiden. Um 28
ein solches handelte es sich bei der in § 313 II a. F. genannten „Absicht ... auf
Schutz seines Eigentums" denn hier sollte eine notstandsähnliche Lage privilegiert
3« J.-D. Busch, 1964,163 ff. werden, die systematisch als geminderte Verantwortlichkeit einzustufen war. Da
3i Letzgus, 1972,185 ff. Schuldmerkmale nach dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät nur dem zu-
32 Zust. Geppert, Jura 1997, 551. zurechnen sind, bei dem sie vorliegen, konnte es folglich nur als straflose versuchte
33 BGHSt 6, 308, 311; vgl. schon § 27, Rn. 79.
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§ 28 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
§ 28. Vorstufen der Beteiligung III §28
Anstiftung zu § 313 II a. F. beurteilt werden, wenn jemand zum Schutze seines Die praktische Bedeutung der Streitfrage ist heute gering, weil, anders als früher, besondere 30
Eigentums erfolglos zur Tat des § 313 I a. F. aufforderte. Umgekehrt war wegen persönliche Merkmale nur noch in seltenen Fällen über die Einordnung eines Deliktes als Ver-
versuchter Anstiftung zu § 313 I a. F. zu bestrafen, wer ohne die Absicht, sein brechen oder Vergehen entscheiden. Neben den genannten Beispielen kommt als Fall eines
straferhöhenden Unrechtsmerkmals etwa noch die Amtsträgereigenschaft nach § 345 in Be-
Eigentum zu schützen, jemanden zu einer sachgefährdenden Überschwemmung tracht, wenn man die freiheitsentziehende Vollstreckung gegen Unsthuldige als qualifizierten
aufforderte, dem bei Begehung der Tat § 313 II a. F. zur Seite gestanden hätte. Da Fall der Freiheitsberaubung (§ 239) ansieht. Als strafminderndes Schuldmerkmal kann das Be-
bei vollendeter Tat der Außenstehende nach §§26, 28 II, 313 I a. F. zu verurteilen stimmtsein des Täters durch das Verlangen des Getöteten in § 216 angesehen werden, das die
Tat im Verhältnis zu § 212 zum Vergehen herabstuft.38 Immerhin hat die Streitfrage nach wie
gewesen wäre, mußte ein Bestimmungsversuch folgerichtig als versuchte Anstif- vor eine erhebliche „latente Aktualität", weil der Gesetzgeber die Strafrahmen jederzeit verän-
tung zu einem Verbrechen angesehen werden. dern und den Verbrechenscharakter wieder in vermehrtem Maße vom Vorliegen oder Fehlen
besonderer persönlicher Merkmale abhängig machen kann.
29 Demgegenüber kommt es nach der Rspr. für die Anwendbarkeit des § 30 I
grds. nur darauf an, „ob nach der Vorstellung des erfolglos Anstiftenden derjenige,
5. Teilnahmefragen bei § 30 I
den er anzustiften versucht, ein Verbrechen begehen würde, wenn er die ihm zu-
gemutete Tat ausführte" (BGHSt 6, 308, aber auch schon RGSt 32, 267).34 Diese a) Die versuchte Kettenanstiftung
Lösung, die mit der hier für Unrechtsmerkmale vertretenen übereinstimmt, hatte § 30 11 stellt ausdrücklich - durch die Worte „oder zu ihm anzustiften" - auch 31
ursprünglich auch der Gesetzgeber übernehmen wollen (§ 35 III E 1962). Doch die versuchte Kettenanstiftung, also die versuchte Anstiftung zur Verbrechensan-
hat der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform die Vorschrift wegen der Um- stiftung, unter Strafe. Wer also einen anderen vergeblich zu bestimmen versucht,
strittenheit der Problematik wieder gestrichen und „die Entscheidung ... wie „er möge einen Dritten veranlassen, daß dieser einen Menschen umbringe" 39 ist
bisher der Rspr. überlassen".35 Die h. M. vertritt die genau umgekehrte Lösung, genauso strafbar wie der, der selbst einen potentiellen Täter zum Verbrechen auf-
wonach § 30 I immer nur dann anzuwenden ist, wenn die besonderen persön- fordert. Das war schon unter der Geltung des früheren AT in der Rspr. anerkannt
lichen Merkmale, die die Tat zum Verbrechen machen, in der Person des Anstif- (BGHSt 7, 234, 236 f.), ist vom Gesetzgeber aber, weil es in der Literatur umstrit-
tenden vorliegen.36 Das entspricht der hier für die besonderen persönlichen ten war, ausdrücklich klargestellt worden. Im übrigen gelten die Regeln, die bei
Schuldmerkmale vertretenen Ansicht. Eine dritte Literaturmeinung 37 unterschei- vollendeter oder versuchter Tat auf die Kettenanstiftung Anwendung finden (§ 26,
det wie die hier vertretene Auffassung danach, ob das verbrechensbegründende Rn. 176 f.), auch für die versuchte Kettenanstiftung. Als versuchte Kettenanstiftung
besondere persönliche Merkmal dem Unrecht oder der Schuld zuzuordnen ist. strafbar ist auch der Fall, daß der zur Anstiftung Angestiftete für das Projekt ge-
Im ersten Fall soll es, wie es auch hier angenommen wird, auf den Deliktscharak- wonnen wird, daß dieser dann aber bei dem Versuch, einen Täter zu finden, schei-
ter der Tat in der Person des Ausführenden ankommen. Dagegen sollen verbre- tert (Anstiftung zur versuchten Anstiftung).40
chensbegründende Schuldmerkmale, anders als es hier (Rn. 28) vertreten wird,
für die Strafbarkeit nach § 30 I ganz außer Betracht bleiben, so daß danach also b) Die Anstiftung zur versuchten Anstiftung
auch die aus purer Rachsucht erfolgende Aufforderung an einen durch § 313 II Diese Konstellation bezeichnet den Fall, daß der Kettenanstifter den Mittels- 32
a. F. (vgl. Rn. 28) privilegierten Täter straflos geblieben wäre. mann erfolgreich zu einer Verbrechensaufforderung an den in Aussicht genomme-
nen Täter bestimmt, daß dieser aber ablehnt oder aus sonstigen Gründen nicht bis
zum Versuch vordringt. Der Fall ist in höherem Maße strafwürdig als der in
34
Rn. 31 behandelte; denn der Auffordernde ist näher an die Verbrechensverwirk-
Im Schrifttum folgen der Rspr. Bockelmann/Volk, AT4, §27 VI la bb; Börker, JR 1956, lichung herangekommen, weil er nicht schon bei der ersten Aufforderung ge-
286; LK9-ßMscfi, § 49 a, Rn. 21 ff.; J.-D. Busch, 1964,149f.; Eser, StrafR II3, Fall 47, Rn. 12; Mei-
ster, MDR 1956,16; Niese, JZ 1955, 324; Welzel, StrafR11,118. scheitert ist. Richtigerweise wird man in einem solchen Fall nicht wegen Anstif-
35 BT-Drucks. V/4095,13. tung zur versuchten Anstiftung (§§26, 30 I), sondern unmittelbar wegen ver-
36
Brose, 1970, 142ff.; Geppert, Jura 1997, 549; Greissinger, 1960, 110ff.; Heinitz, Berlin-FS, suchter Anstiftung zu dem jeweiligen Verbrechenstatbestand bestrafen.41 Denn.so,
1955, 117; Jakobs, AT2, 27/6; Joecks*, §30, Rn.8; Kohlrausch/Lange, StGB43, §49 a, Anm. IV 3;
Kühl, AT , §20, Rn.247; Lackner/Kühl24, §30, Rn.2; Langer, Lange-FS, 1976, 249; Maurach/ wie die Anstiftung zur Anstiftung als Anstiftung zur Haupttat bestraft wird (§'26,
Gössel, AT/27, 53/29; Schmidhäuser, StuB AT2, 11/111; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, §30, Rn.l4f.;
Schröder, JuS 1967, 292f.; Vogler/Kadel, JuS 1976, 249. Bei § 218, nach dessen früherer Fassung die
Fremdabtreibung ein Verbrechen und die Selbstabtreibung ein Vergehen war, war diese Auffas- 38
sung auch von der Rspr. vertreten worden (BGHSt 3, 228; 14, 353). Vielfach wird §216 aber auch als Unrechtsminderung verstanden; näher dazu §27,
37
Rn. 77 m. w. N. in Fn. 100.
Dreher, 1972, 198f. = GA 1954, 16; den., MDR 1955, 119; Gallas, ZStW 80 (1968), 33; 39
Begründung zum E 1962, BT-Drucks. IV/650,153 f.
SK 7 - Hoyer, §30, Rn.l9ff; Jescheck/Weigend, AT5, §.65 I 4; Letzgus, 1972, 205; Preisendanz30, 40
§ 30, Anm. 3 a; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 173f.; Tröndle/Fischer50, § 30, Rn. 6; in diesem Sinne Sch/Sch/Cramer/Heine 26, § 30, Rn. 35; Kühl, AT3, § 20, Rn. 250; Geppert, Jura 1997, 552.
argumentierte auch der Sonderausschuß, BT-Drucks. V/4095,13. •» J.-D. Busch, NJW 1959, 1119; ders., 1964, 147, 170; Preisendanz30, §30, Anm. 3; für Bestra-
fung nach §§26, 30 I Schröder, JuS 1967, 293.
298
299
§ 28 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung III § 28

R n . 176), ist die Anstiftung zur versuchten Anstiftung im Ergebnis eine versuchte tete Alleintäterschaft für straflos, die versuchte Anstiftung aber für strafbar zu er-
Anstiftung. klären. Die Gründe dafür ( R n . 5) lassen keine Rückschlüsse auf die Strafbarkeit
der im Vorbereitungsstadium geleisteten Beihilfe zu.
c) D i e Beihilfe z u einer nach § 30 I strafbaren versuchten Anstiftung
33 Ein solcher Fall liegt z. B. vor, w e n n jemand dem Verbrechensanstifter R a t - d) Anstiftung und Beihilfe zur versuchten Beihilfe
schläge gibt, wie er den präsumtiven Täter, der sich hernach aber doch nicht auf Diese Fälle sind unbestritten nach allgemeinen Akzessorietätsgrundsätzen straflos; denn die 36
versuchte Beihilfe steht nicht unter Strafe. Die Schwierigkeit liegt hier allein darin, die straflo-
die Sache einläßt, am besten überreden könne. O b w o h l der Auffordernde selbst se versuchte Beihilfe von der strafbaren Beihilfe deutlich abzugrenzen (dazu § 26, Rn. 183 ff.).
nach § 3 0 I strafbar ist, halten BGHSt 14, 156 f. und die h . M . 4 2 die Beihilfe dazu
für straflos. Der B G H stützt sich auf zwei Argumente. Erstens sei § 30 I (damals 6. Konkurrenzen
§ 49 a) kein selbständiger Tatbestand, so daß eine Teilnahme an einer solchen Vor-
Die versuchte Anstiftung tritt nach allgemeinen Konkurrenzgrundsätzen hinter 37
bereitung nur bei ausdrücklicher gesetzlicher A n o r d n u n g strafbar sein könne; und
der Anstiftung zur versuchten oder vollendeten Tat als subsidiär zurück. 4 5 Sobald
zweitens sei die Beihilfe zur versuchten Anstiftung nicht strafwürdiger als die ver-
also der Aufgeforderte ins Versuchsstadium eintritt, entfällt § 30 I zugunsten einer
suchte Beihilfe, die der Gesetzgeber ausdrücklich straflos gelassen habe.
Anstiftung zum Versuch, die ihrerseits bei einer Ausführung des Delikts hinter der
34 Für die Strafbarkeit einer solchen Beihilfe tritt eine Mindermeinung ein, die am
Strafbarkeit wegen Anstiftung zur vollendeten Tat zurücktritt. 4 6
wirkungsvollsten von Dreher43 begründet worden ist. Er trägt vor, daß auch im
Wenn dagegen der Täter die ihm angesonnene Tat in einer weniger schweren 38
BT viele verselbständigte Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt worden
Form ausführt, liegt Idealkonkurrenz zwischen § 30 I und der Anstiftung zur voll-
seien, bei denen die Beihilfe meist für strafbar gehalten werde. Auch sei die Straf-
endeten leichteren Begehungsform vor. Wer zum Meineid auffordert, ist also nach
losigkeit der versuchten Beihilfe kein Argument gegen die Strafbarkeit der Bei-
§§ 30 I, 154, 26, 153 strafbar, wenn der Täter nicht vereidigt wird und nur eine
hilfe zur versuchten Anstiftung. D e n n im ersten Fall werde eine strafrechtlich irre-
Falschaussage nach § 153 begeht (BGHSt 9, 131). Das ist freilich nicht ganz u n b e -
levante Handlung, im zweiten aber ein strafbares Verhalten unterstützt. 4 4
stritten. 47 Vereinzelt wird auch angenommen, daß § 30 I hinter der Anstiftung
35 Die besseren Gründe sprechen gleichwohl für die Straflosigkeit der Beihilfe zur
zum vollendeten geringeren Delikt zurücktrete oder daß umgekehrt allein nach
versuchten Anstiftung. Dabei kann dahinstehen, inwieweit die Beihilfe zu ver-
§ 3 0 I zu bestrafen sei. Beides ist aber nicht richtig. Die erstgenannte Ansicht
selbständigten Vorbereitungshandlungen im BT wirklich zu Recht bestraft wird.
scheitert daran, daß eine völlig erfolglose Anstiftung nicht nach einem strengeren
Wenn nämlich der Gesetzgeber die Strafbarkeit der versuchten Kettenanstiftung
Strafrahmen bestraft werden kann als eine teilweise erfolgreiche, die immerhin
und damit auch der Anstiftung zur versuchten Anstiftung in § 30 I angeordnet hat
zur Begehung eines minderschweren Deliktes geführt hat. Das Gegenargument,
(Rn. 31, 32), kann dies nur so verstanden werden, daß die Beihilfe zur versuchten
daß eine bloße Qualifikation nicht Gegenstand einer Anstiftung und daher auch
Anstiftung, bei der eine solche A n o r d n u n g fehlt, straflos sein soll. Z u d e m wird
nicht einer versuchten Anstiftung sein könne, geht fehl; denn eine Übersteige-
man auch das aus der Straflosigkeit der versuchten Beihilfe abgeleitete teleolo-
rung in Form einer Anstiftung zu einem qualifizierten Tatbestand ist sehr wohl
gische Argument entgegen Dreher gelten lassen müssen. D e n n wer d e m Täter ei-
möglich (vgl. § 26, R n . 102 ff.). 48 Eine Bestrafung allein wegen versuchter Anstif-
nen Revolver gibt, den dieser nicht benutzt - ein Fall der versuchten Beihilfe - ,
tung ist aber auch unangemessen. D e n n sie würde den Eindruck erwecken, als sei
ist straflos und doch näher an der Tat als der, der einem Anstifter einen Revolver
es zu keinem Erfolg gekommen, während doch immerhin der Anstifter sein Ziel
zur Weiterreichung an den zu gewinnenden Täter gibt, der die Begehung der Tat
zum größeren Teil erreicht hat.
jedoch ablehnt. Wenn der erste Fall straflos ist, kann der zweite - eine Beihilfe zur
Subsidiär ist die versuchte Anstiftung aber dann, w e n n der Auffordernde nach 39
versuchten Anstiftung - sinnvollerweise nicht strafbar sein. Daß der Unterstützte
dem Mißerfolg seiner Bemühungen die Tat selbst als Täter oder Mittäter begeht
im ersten Falle straflos, im zweiten aber strafbar ist, ändert an diesem Ergebnis
nichts. D e n n es beruht allein auf der Entscheidung des Gesetzgebers, die vorberei-
« BGHSt 1,131,135; 241, 242; 305, 306f.; 6, 308, 311; BGH NStZ 2000,197 (199). /
46
Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Versuch der Anstiftung fehlschlägt und später
« Baumann/Weber, AT10, §32 II 2 a; Bockelmann/Volk, AT4, §27 VI la ee; Brose, 1970, 127f.; ein anderer Täter zur Tötung desselben Opfers angestiftet wird, denn dann kommt dem Fehl-
J.-D. Busch, NJW 1959,1119,1120; ders., 1964, M\i.;Jescheck/Weigend, AT5, §65 II, vor UJoecks3, schlag des Versuchs eine Zäsurwirkung zu, vgl. BGH NJW 1998, 2684 und dazu den Beschluß
§30, Rn.14; Maurach/Gössel, AT/27, 53/11; Maurach, JZ 1961,143; Preisendanz30, §30, Anm. 3 g; in NStZ 1998,189 mit zust. Anm. Geppert, NStZ 1998,190.
Schmidhäuser, StuB AT2,11/113; SK7-Hoyer, §30, Rn.57; Sch/Sch/Cramer/Heine^, §30, Rn.34; « Nähere Nachweise bei LKU-Roxin, § 30, Rn. 53.
Schröder, JuS 1967, 293; Schwind, MDR 1969,15; Welzel, StrafR11,118. 48 Damit erledigt sich auch die differenzierende Auffassung von J.-D. Busch, 1964, 136,
« Dreher, NJW 1960,1163; ders., 1972, 200; ihm folgend R. Busch, LK9, §49 a, Rn.37; ders., wonach eine Idealkonkurrenz nur bestehen soll, wenn das schwerere Delikt ein Verbrechen
Maurach-FS, 1972, 252ff.; in diesem Sinne früher auch LK8-Mezger, § 49 a, Anm. 4f. und das leichtere ein Vergehen ist; bei gleicher Deliktsqualität soll die versuchte Anstiftung
•*4 Dreher, NJW 1960,1163 f. subsidiär sein.

300 301

§ 28 III 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung IV § 28


(BGHSt 8, 38). Denn da sogar die gelungene Anwerbung von Mittätern hinter den vorbereitenden Einzeltäter. In entsprechender Weise muß die Vorbereitung ei-
der eigenen Täterschaft zurücktritt, muß dies für die versuchte Anstiftung erst nes hochverräterischen Unternehmens (§83) hinter der versuchten Anstiftung
recht gelten. Subsidiär ist die versuchte Anstiftung auch, wenn jemand nach ver- zum Hochverrat zurücktreten. 54 Andererseits verdrängt §357 (Verleitung eines
geblicher Aufforderung zu einem Verbrechen einen anderen findet, der das Delikt Untergebenen zu einer Straftat) die versuchte Anstiftung z\i dieser Tat (RGSt 68,
ausführt49 oder auch nur versucht. Denn alle deliktischen Betätigungen des Auf- 90, 92). Denn § 357 ist als Verleitungsvorschrift das speziellere Delikt und droht
fordernden gefährdeten dasselbe Rechtsgut; und §30 I tritt hinter jeder Verlet- außerdem anders als § 30 I die volle Täterstrafe an.
zung oder intensiveren Gefährdung zurück. Anders ist es - entsprechend dem in
Rn. 38 Ausgeführten - nur dann, wenn die begangene Tat hinter der erfolglos
vorbereiteten zurückbleibt: Versucht jemand zur Tat des § 250 anzustiften und be- IV. Die Verabredung (§ 30 II)
geht er nach der Erfolglosigkeit dieser Bemühungen das Delikt selbst in Gestalt 1. Die Willenseinigung der Beteiligten
eines einfachen Raubes (§ 249), so tritt die Strafbarkeit nach § 249 in Idealkonkur-
renz zu §§250, 30 I. Die in § 30 II unter Strafe gestellte Verabredung ist die Willenseinigung min- 43
40 Umstritten ist die Frage, wie die versuchte Anstiftung und eine Beihilfe zur destens zweier Personen (RGSt 55, 87) zur mittäterschaftlichen Begehung eines in
versuchten oder vollendeten Tat sich zueinander verhalten. Richtigerweise wird seinen Grundzügen im wesentlichen bestimmten Verbrechens.55 Ihre Strafwürdig-
keit erklärt sich aus der Willensbindung der Beteiligten, die einen Bruch der
man mit der h.M. 5 0 §30 I auch hier als subsidiär zurücktreten lassen müssen.
Vereinbarung weit schwieriger macht als das Abstandnehmen von einem indivi-
Denn in der realen Beihilfe liegt eine intensivere Rechtsgutsbeeinträchtigung als
duellen Entschluß (Rn. 5, 8). Die Form der Willenseinigung (mündlich, schrift-
in der nur versuchten Beteiligung.51 Das bei der Ausführung eines minderschwe-
lich, durch Mittelsmänner) ist gleichgültig; die Verabredung kann auch konklu-
ren Delikts durchschlagende Strafrahmenargument (Rn. 38) kann hier keine Be-
dent erfolgen (etwa durch Anschluß an die auf Beute ausziehenden Räuber). Un-
deutung gewinnen, weil § 27 II wie § 30 I auf denselben Strafrahmen verweisen.
erheblich ist auch, von wem die Initiative zur Verabredung ausgegangen ist (RGSt
Abzulehnen ist auch die Annahme, daß Realkonkurrenz zwischen § 30 I und Teil-
59, 214, 215 f.).
nahme am vollendeten Delikt vorliege, wenn die Teilnahme auf einem nach der
Erfolglosigkeit der Anstiftungsbemühungen „neuen Entschluß"52 beruhe. Denn Fieber56 hält die Strafbarkeit der Verbrechensverabredung als Gesinnungsstraf- 44
auch in diesem Falle wird dasselbe Rechtsgut durch die reale Teilnahme in inten- recht für verfassungswidrig (vgl. schon Rn. 6). Er meint, entweder sei die wech-
selseitige Verbindung so eng, daß der einzelne die Möglichkeit habe, „durch Bruch
siverer Form beeinträchtigt.
des Komplotts die gesamte Tatbegehung zu unterbinden". Dann werde das Risiko
41 Dagegen liegt selbstverständlich Idealkonkurrenz vor, wenn die versuchte An-
einer für den einzelnen unkontrollierten Geschehensentwicklung gesenkt. Oder
stiftung mit einem anderen Delikt zusammentrifft. Wer eine Mutter zu nötigen
es könne der einzelne die Tat auch unabhängig vom anderen begehen. Dann sei
versucht, ihr Kind umzubringen, ist also nach §§ 22, 240, 30 I, 211, 52 strafbar
keine gegenüber dem Einzelentschluß gesteigerte Gefahr für das Rechtsgut ge-
(BGHSt 1, 305, 306 f.). Ebenso besteht Idealkonkurrenz zwischen aktiver Be-
schaffen worden.
stechung (§ 334) und versuchter Anstiftung zu einem Amtsverbrechen.53
42 Bei einem Zusammentreffen des § 30 I mit Vorbereitungshandlungen, die im Dabei wird aber außer acht gelassen, daß die gegenüber dem Einzelentschluß 45
BT gesondert unter Strafe gestellt sind, hängt es von der Einzelausgestaltung der gesteigerte Gefährlichkeit beider Fälle der Verabredung darin besteht, daß man
Vorschriften ab, welche die andere verdrängt. So ist die versuchte Anstiftung zur sich von einem Pakt (einer wechselseitigen „Verpflichtung") weitaus schwerer löst
Verschleppung nach §§30 I, 234 a I und nicht nach §234a III zu bestrafen, weil als von einem unverbindlichen inneren Entschluß, den man nach Belieben ebenso
schnell wieder fallenlassen kann, wie man ihn gefaßt hat. Jeder kann an sich selbst
§30 die härtere Strafe androht (BGHSt 6, 85, 86). §234a III gilt danach nur für
feststellen, daß man oft an einer Verabredung auch dann noch festhält, wenn man
gar keine Lust mehr hat und einen Einzelentschluß längst aufgegeben hätte: Man
« BGHR StGB, § 30 Abs. 1, S. 1, Konkurrenzen, Nrn. 1, 2.
so LK9-Busch, §49 a, R n . l l (wie jetzt auch LKn-Roxin, §30, Rn. 56); J.-D. Busch, 1964,
140; Maurach, JZ 1961, 144; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, §30, Rn.38 (etwas undeutlich im Falle
R « * ^ i f i T i J ^ Z' BJ°ecks3' §30, Rn.10; Lackner/Kühl24, §83, Rn.7; SK6-Rudolph,,
eines „neuen Entschlusses"); Schröder, JuS 1967, 295. Zahlreiche Autoren lassen die Frage uner- §83, Rn.ll; Sch/Sch/Stree/Sternberg-Lieben 26
, §83, Rn.13; a.A. OLG Köln NJW 1954 1259-
örtert. LK -Bwuh, § 49 a, Rn. 13 (wie jetzt LKu-Roxin, § 30, Rn. 59); Tröndle/Fischer™, § 30, Rn. 17. '
5!
Demgegenüber hält Dreher 1972, 204 (ebenso noch Tröndle*9, § 30, Rn. 16; anders jetzt aber 55
Ähnliche und teilweise gleichlautende Definitionen z.B. beiJescheck/Weigend AT5 865
Tröndle/Fischer*0, § 30, Rn. 16) die versuchte Anstiftung für die „stärkere Beteiligungsform". 1;
„ httZFS' 1 9 7 2 ' 1 0 5 ; Maumch< J Z 1 9 6 L 139; Maurach/Gössel, AT/27, 53/39; SchiSchi CramerI
52 So früher SK5-Samson, § 30, Rn. 4; SK7-Hoyer, § 30, Rn. 59, folgt der h. M. Heine , § 30, Rn. 25.
53 BGHSt 6, 308, 311 f. für den Fall des früheren §347; ebenso schon RGSt 3, 390; 12, 55; 56 Fiebe^ 2001, 187; der Autor liefert im ersten Kapitel seiner Arbeit (17-53) auch einen
61, 269; abw. Dreher, 1972, 203. instruktiven Abnß der geschichtlichen Entwicklung der Komplottstrafbarkeit.
302
303
§ 28. Vorstufen der Beteiligung IV § 28
§ 28 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme
a) Wenn von mehr als zwei Beteiligten einer nur zum Schein mitmacht, bleiben 48
steht im Wort und will nicht als wankelmütig und unzuverlässig erscheinen. Bei
die anderen nach § 30 II strafbar. Selbst der Scheinbeteiligte ist nach § 30 I (wegen
einer Verbrechensverabredung kommt noch hinzu, daß der ausscheidende Kom-
versuchter Anstiftung) zur Verantwortung zu ziehen, wenn er den Tatentschluß
plottant für den anderen zu einer Gefahr wird und mit erheblichen Repressalien
der übrigen Beteiligten (oder auch eines von ihnen) (mit)hervorgerufen hat.
rechnen muß. Ob dies alles ausreicht, um die Strafbarkeit jedweder Verbrechens-
b) Macht von zwei sich Verabredenden einer nur zum Schein mit, bleibt der an- 49
verabredung kriminalpolitisch zu rechtfertigen, stehe dahin. Verfassungswidrig
dere strafbar; richtigerweise allerdings nicht wegen Verabredung, die mindestens
wird man aber die gesetzgeberische Entscheidung für eine Strafbarkeit noch nicht
zwei potentielle Mittäter voraussetzt,61 sondern wegen eines Sich-Bereit-Erklärens
nennen können. Denn der Entschluß der einzelnen ist nicht innerlich geblieben,
zum Verbrechen.62 Dazu kann ggf. der Scheinbeteiligte den anderen in einer nach
wie es für ein Gesinnungsstrafrecht kennzeichnend ist, sondern hat sich in einem
§ 30 I strafbaren Weise veranlaßt haben.
verbindlichen Projekt niedergeschlagen, das einen gefährlichen Ausführungs-
c) Unter allen Umständen straflos ist der Scheinbeteiligte dann, wenn er die Tat 50
druck erzeugt. nicht zur Vollendung kommen lassen will; sei es, daß er als agent provocateur (§ 26,
Inhaltlich entspricht die Verabredung einem gemeinsamen Tatentschluß i. S. d. Rn. 151 ff.) die übrigen Komplottanten in eine Falle locken will; sei es, daß er von
Versuchslehre (§29, Rn. 59 ff.).57 Doch ist sie viel leichter festzustellen als der in- der Unvollendbarkeit der Tat ausgeht (er weiß, daß die Höllenmaschine nicht ex-
nerlich bleibende Tatentschluß eines einzelnen, weil sie nach außen als eine Art plodieren wird oder daß derjenige, dessen Ermordung verabredet wird, schon tot
Vertragsabschluß in Erscheinung tritt. 58 Doch muß man sich hüten, dabei zivil- ist); sei es schließlich, daß die Tat ohne Mitwirkung des Scheinbeteiligten, der
rechtliche Maßstäbe anzulegen. Denn der „Vertrag" ist natürlich nichtig, und Wil- z. B. allein die Person oder den Aufenthaltsort des potentiellen Opfers kennt, nicht
lensmängel bei einem etwa durch Drohung oder Irrtum gewonnenen Beteiligten vollendet werden kann. 63 Alle diese Fälle gleichen sich darin, daß dem Schein-
sind allein nach strafrechtlichen Regeln zu beurteilen. Immerhin entspricht es beteiligten der auf die Vollendung der Tat gerichtete Vorsatz fehlt; auch insoweit
dem Vertragsmodell, daß Vorgespräche oder noch nicht unterschriebene Entwürfe ist das Ernstlichkeitserfordernis ein Vorsatzproblem (vgl. Rn. 15 ff.). Die Mit-
einer „vertraglichen" Vereinbarung zur Verbrechensbegehung unter dem Gesichts- verschworenen, die von der Unausfuhrbarkeit der Tat nichts wissen, bleiben
punkt des § 30 II noch straflos sind (freilich können in diesem Stadium schon ver- selbstverständlich strafbar; sind es mehrere, wegen „Verabredung"; ist es ein einzel-
suchte Anstiftungen vorliegen, vgl. Rn.71). Die bloße Tatgeneigtheit begründet ner, wegen „Sich-Bereit-Erklärens" (vgl. Rn. 49). Kein Fall der straflosen Schein-
hier wie in der Versuchslehre noch keinen Tatentschluß (KG GA 1971, 55). Da- beteiligung liegt allerdings vor, wenn ein an der Verabredung Beteiligter erst nach
gegen ist wie der Tatentschluß des Versuchstäters auch eine Verabredung auf un- der Vollendung des geplanten Raubes der Polizei Tips zur Aufklärung der Tat ge-
sicherer Tatsachengrundlage möglich: Wenn zwei Gefangene für den Fall, daß ben will. 64 Hier ist ein Vollendungsvorsatz und damit eine nach § 30 II strafbare
ihnen der Ausbruch aus der Haftanstalt gelingen sollte, einen gemeinsamen Raub Verabredung gegeben. Eine Rechtfertigung nach §34 ist theoretisch denkbar,
vereinbaren, so liegt schon eine nach §§30 II, 249 strafbare Verabredung vor.59 kommt praktisch aber kaum in Frage (vgl. § 26, Rn. 153 f.).
d) Erst recht fehlt es natürlich an einer strafbaren Verabredung, wenn die Ver- 51
2. Die Scheinbeteiligung abredung von beiden Beteiligten nicht ernst gemeint ist. In einem vom BGH 65
Wie bei der versuchten Anstiftung (Rn. 15 ff.) ist auch über die Verabredung die entschiedenen Fall, der auch in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt hat, hatten die
Meinung verbreitet, daß sie bei allen Beteiligten den „ernstlichen" Willen zur Ver- beiden Angeklagten im Internet ein weibliches Kind „für extrem sadistische Prak-
brechensbegehung voraussetze.60 Doch ist das hier wie dort sehr ungenau. Man tiken" zum Preise von 7.000-10.000 DM angeboten. Da sie aber weder ein Kind in
muß drei Konstellationen unterscheiden. ihrer Verfügungsgewalt hatten noch Anzeichen für die „Beschaffung" eines sol-

« So auch Maurach, JZ 1961, 139; Maurach/Gössel, AT/27, 53/40; Schmidhäuser, LB AT2, 15/
110; Tröndle/'Fischer50, §30, Rn. 12; SK7-Hoyer, §30, Rn.48. Dagegen wollen Eser, StrafR.If,
57 BGHSt 12, 306, 309. Vgl. naher LK10-Vogler, §22, Rn.2ff., sowie Roxin, Schröder-GS, Fall 48, Rn.14; Letzgus, 1972, 183; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §30, Rn. 29 der Scheinerklärung
1978,145. jeden Einfluß auf das Vorliegen einer Verabredung absprechen. Praktisch ergeben sich aber
58
Vgl. Maurach, JZ1961,138, der geradezu von einem „Gesellschaftsvertrag" spricht. kaum Unterschiede gegenüber der hier vertretenen Auffassung.
s« BGHSt 12, 306, 309f.; vgl. dazu auch Rwein, H R R , Fall 45, 67f. u. 183f.; BGHSt KG ö Vgl. BGH v. 13.6.1961,1 StR 201/61, zit. bei Tröndle/Fischer50, § 30, Rn. 12. Dabei ist vor-
GA 1971, 55; ebenso zum Fall des Sichbereiterklärens OLG Hamm NStZ-RR 1997,133. Eine auszusetzen, daß er nicht von vornherein ein omnimodo facturus war, in welchem Falle Straf-
Verabredung zu einem Verbrechen nach § 16 I Nr. 7 KWKG a. F. (heute § 22 a I Nr. 7 K WGK) losigkeit eintreten würde (vgl. LKn-Roxin, § 30, Rn. 89).
63
dürfte auch bei dem Sachverhalt vorgelegen haben, den das BayObLG NStZ 1990, 85 nur BGHSt 18, 160, wo der Sachverhalt nur unter dem Gesichtspunkt der versuchten Anstif-
unter dem Gesichtspunkt des Versuchs geprüft hat; dazu Lohberger, NStZ 1990, 61; Oswald, tung erörtert wird.
64
NStZ 1991,46. BGHR StGB, § 30 II, Verabredung, Nr. 1.
w RGSt 58, 392, 393; BGH NStZ 1998, 403, 404; Maurach, JZ 1961,139, wonach die Mental- « BGH NStZ 1998,403 m. Anm. Geerds, JR1999, 426.
reservation im Rahmen des § 30 II „sehr wohl am Platze" sein soll.
305
304
§ 28 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme §28. Vorstufen der Beteiligung IV § 28
chen erkennbar waren, sahen der BGH und die Vorinstanz die Einlassung der An- Die Schuldunfähigkeit eines Partners schließt eine Verabredung so wenig aus 55
geklagten, die Verabredung und verschiedene in Betracht kommende Varianten wie die verantwortungsausschließende Nötigung (Rn. 52). Bei einer Ausführung
des § 30 I seien nicht ernst gemeint gewesen, als nicht widerlegbar an. Das ist rich- der Tat würde zwar neben der Mittäterschaft eine mittelbare Täterschaft (durch ein
tig, doch handelt es sich auch hier um ein reines Vorsatzproblem: Es war davon zurechnungsunfähiges Werkzeug) vorliegen (§ 25, Rn. 237); im Vorbereitungs-
auszugehen, daß die Angeklagten von vornherein nicht den Vorsatz zur Realisie- stadium ist aber nur die vorbereitete Mittäterschaft als Verabredung nach § 30 II zu
rung ihres Angebotes hatten. fassen. Demgegenüber soll nach einer im Schrifttum verbreiteten Meinung 68 eine
Verabredung nur vorliegen, wenn der eine Partner von der Schuldunfähigkeit des
3. Willensmängel bei der Verabredung anderen nichts weiß. Sonst sollen allein die Regeln der mittelbaren Täterschaft
angewendet werden. Dem ist zu widersprechen, weil mittelbare Täterschaft und
52 Handelt einer der sich Verabredenden unter dem Einfluß einer Drohung, so ist
Mittäterschaft durchaus zusammen bestehen können, wenn der mittelbare Täter
er straflos, wenn die Drohung unter den Voraussetzungen des §35 erfolgt. An der
sich selbst an der Ausführung beteiligt.
Verabredung ändert sich nichts.66 Denn §29 gilt auch für Mittäter (vgl. §27,
Rn. 5); und die Gefährlichkeit der Willensbindung, die die Strafwürdigkeit der
Verabredung begründet (Rn. 5, 8), ist auch dann gegeben, wenn einer der Be- 4. Die Konkretisierungserfordernisse bei der Verabredung
teiligten nur unter Druck mitmacht. Das Vorliegen einer Verabredung scheitert Die Verabredung muß so weit konkretisiert sein wie bei dem der Mittäterschaft 56
auch nicht daran, daß bei Ausführung der Tat der Drohende außerdem mittelbarer zugrundeliegenden gemeinsamen Tatplan (§ 25, Rn. 190). Auch die für die Be-
Täter wäre; denn mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft können sehr wohl zu- stimmtheit des Anstiftervorsatzes erarbeiteten Grundsätze können entsprechend
sammen bestehen (§ 25, Rn. 237). herangezogen werden (§ 26, Rn. 133 ff.). Praktisch bedeutet das, daß neben dem zu
53 Wenn einer der Verabredungspartner sich nur unter dem Eindruck einer nicht verwirklichenden Tatbestand die wesentlichen Dimensionen des Unrechts (also
schuldausschließenden Nötigung (etwa aufgrund einer Drohung mit wirtschaft- das ungefähre Schadensausmaß und die Art und Weise des Angriffs) in der Ver-
lichen Nachteilen) an dem Komplott beteiligt, bleibt er nach § 30 II strafbar;67 der abredung festgelegt werden müssen, während Zeit, Ort und Modalitäten der ge-
Druck, dem er ausgesetzt war, ist nur bei der Strafzumessung mildernd zu berück- planten Ausführung im einzelnen noch offenbleiben können. 69 In der Rspr. wird
sichtigen. Will der in solcher Weise Bedrohte freilich die Tat verhindern oder sich das vielfach so ausgedrückt, daß die „Art des verabredeten Verbrechens" feststehen
der Mitwirkung entziehen, ist er mangels Vollendungsvorsatzes straflos. Weiß der müsse.70 Immerhin verlangt BGH StV 1994, 528, daß die Tatbeiträge der einzelnen
Bedrohte nicht, ob es ihm gelingt, die Tat zu verhindern oder wenigstens sich der Mittäter einigermaßen konkretisiert sein müssen, wenn vier Leute sich darüber
Beteiligung zu entziehen, so bleibt er, solange er nicht auf den Erfolg seiner Be- einig werden, daß eine bestimmte Person bei nächster Gelegenheit erschossen
mühungen vertraut, strafbar. Denn er handelt im Hinblick auf eine unter seiner werden soll, ohne daß „die vorgesehenen Tatbeiträge jedes einzelnen Angeklagten"
Mitwirkung erfolgende Vollendung der Tat immerhin mit dolus eventualis; nur konkretisiert werden, reicht das für eine strafbare Verabredung noch nicht aus.
unter den Voraussetzungen des § 31II kann er ggf. Straflosigkeit erlangen. In juri- Strittig ist, inwieweit die Person des Opfers konkretisiert sein muß, damit eine 57
stisch unklarer Weise will anscheinend der BGH eine weiter gehende Straflosigkeit wirksame Verabredung vorliegt. Daß die Person des Opfers unter allen Umstän-
annehmen, wenn er sagt (BGH NJW 1956, 30): „Wer sich unter dem Einfluß von den feststehen muß (so OLG Hamburg M D R 1948, 368), wird kaum noch ver-
Drohungen mit erkennbarem Widerstreben bereit findet, an einem Verbrechen ... treten. Verbreitet ist die Meinung, daß bei Delikten gegen die Person das Opfer
mitzuwirken, es jedoch nach Möglichkeit verhindern oder sich der Mitwirkung feststehen muß, während bei Delikten gegen das Vermögen (etwa nach § 244 a)
entziehen will, verabredet es nicht." noch kein bestimmtes Opfer ins Auge gefaßt werden muß. 71 Doch wird man bes-
54 Ein Tatbestandsirrtum eines von zwei Beteiligten verhindert eine Verabredung,
weil es an einer vorbereiteten Mittäterschaft fehlt. Verabreden sich also A und B, «» Maurach, JZ 1961,141; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, §30, Rn.31; im wesentlichen auch früher
gemeinsam auf eine Gestalt zu schießen, in der A einen Menschen erkennt, die B LK9-Busch, § 49 a, Rn. 31. •,
«9 RGSt 69, 164, 165; BGH M D R 1960, 595; OLG Köln NJW 1951, 612f.; zu eng OLG
aber irrig für eine Vogelscheuche hält, so sind beide straflos; auch ein Sich-Bereit- Hamburg MDR 1948, 368.
Erklären wird man bei A verneinen müssen, weil diese Tatbestandsvariante die *> BGH NJW 1951, 666f.; 1973, 156,157; BayObLG NJW 1954, 1257. Strenger/afcofe, AT2,
Annahme einer Anstiftung betrifft. 27/11: „Die Verabredung, sich ... per Bankraub Geld zu besorgen, ist auch bei Bestimmbarkeit
des Mittels nicht entsprechend konkretisiert, wohl aber die Verabredung, diejenige der Banken
eines Bezirks zu überfallen, deren Sicherheitseinrichtungen sich bei einer Kontrolle als die
dürftigsten erweisen."
71
66 A. A. BGH NJW 1956, 30. So besonders deutlich Maurach, JZ 1961, 140; aber auch LK9-Busch, § 49 a, Rn. 29; Seh/
« So auch Maurach, JZ 1961,139. Seh/Cramer/Heine26, §30, Rn.6.; BayObLG NJW 1954,1257.

306 307 t
§ 28 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung IV § 28
ser darauf abstellen, ob es nach dem Tatplan auf die Individualität des Opfers an- ten Delikte ein Verbrechen (die Komplottanten wollen dem Opfer seine Sachen je
kommt, 72 was bei Eigentums- und Vermögensdelikten in der Tat nur selten der nach Lage der Dinge mit oder ohne Gewalt wegnehmen), so ist das Verbrechen
Fall ist. Aber auch bei Angriffen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter, die bei (hier also der Raub) in strafbarer Weise verabredet (BGHSt 12, 308).77 An der Ver-
§ 30 II wegen des Verbrechenserfordernisses ohnehin im Vordergrund stehen, ist abredung eines Raubes fehlt es nur dann, wenn die potentiellen Täter sich noch
die Person des Opfers für den Tatplan bisweilen unwichtig. Beschließen zwei nicht darüber klar sind, ob sie Gewalt anwenden oder von der Tat Abstand neh-
Männer, sich im Wald zu verstecken, um eine etwa des Weges kommende junge men wollen, wenn die Sachen, deren Wegnahme geplant wird, nicht ohne Gewalt
Frau gemeinsam zu vergewaltigen, so kann die Strafbarkeit nach § 30 II sinn- zu erlangen sind; denn dann fehlt es noch an einem Raubentschluß.
vollerweise nicht von einer Vereinbarung über die Individualität des Opfers ab-
hängen, die die Täter nicht kennen und die ihnen auch gleichgültig ist.73 Selbst bei 7. Die Verabredung als Vorstufe der Mittäterschaft
einem Mordplan (etwa der Verabredung eines Raubmordes gegenüber einem Kas-
Die Verabredung ist eine Vorstufe der Mittäterschaft,78 setzt also voraus, daß die 60
senboten oder Schalterbeamten) kann die Person des Opfers für den Tatplan
Beteiligten einander mittäterschaftliche Beiträge versprechen.79 Die Verabredung
unwichtig sein, so daß auch die Strafbarkeit einer Verabredung von ihrer Bestim-
einer Beihilfe, also etwa das Versprechen, dem zu einem Raub oder Mord Ent-
mung nicht abhängen sollte. Im Ergebnis ist daher dem BGH zuzustimmen,
schlossenen einen Revolver zu leihen, ist keine Verabredung i. S. d. § 30 II. Viel-
wenn er es für eine Strafbarkeit nach § 30 II als ausreichend ansieht,74 „daß die
mehr sind beide straflos. Das folgt für denjenigen, der das Herleihen des Revolvers
Täter planen, sich an einer Straße auf die Lauer zu legen, um zu gegebener Zeit
verspricht, zwingend aus der Straflosigkeit der versuchten Beihilfe: Wenn sogar
einen ihnen geeignet erscheinenden Passanten oder Kraftfahrer zu überfallen und
die Hingabe eines später nicht benützten Revolvers straflos ist, muß das Ver-
zu berauben".
sprechen, den Revolver herzuleihen, erst recht straflos sein. Straflos ist aber auch
der potentielle Täter, der sich die Beihilfe hat versprechen lassen; darin liegt kein
5. Die untaugliche Verabredung Sich-Bereit-Erklären i. S. d. §30 II (vgl. Rn.76f), weil gegenüber einem bloßen
Wie die untaugliche Anstiftung (Rn. 22 f.), ist auch die untaugliche Verabre- Gehilfen (anders als gegenüber dem Anstifter) keine die Strafbedürftigkeit be-
dung strafbar, da § 30 II („Ebenso wird bestraft") auf die Strafbarkeitsvorausset- gründende Willensbindung entsteht (vgl. Rn. 5). Auch nach der Rspr. ist die zu-
zungen des § 30 I verweist. Die Strafbarkeit einer im übrigen hinreichend konkre- gesagte Beihilfe zu einem Verbrechen straflos.80
tisierten Verbrechensverabredung scheitert also nicht daran, daß z.B. das Opfer nie Aus denselben Gründen wie im Fall der Beihilfe ist auch die Zusage einer Be- 61
existiert hat, bereits verstorben oder abwesend ist.75 Allerdings ist bei einer grob günstigung (§ 257) oder Hehlerei (§ 259) im Anschluß an ein Verbrechen kein Fall
unverständigen Verabredung nach §23 III zu verfahren, während eine abergläubi- des § 30 II. Auch die Verbrechensvereinbarung zwischen Anstifter und Täter ist in
sche Verabredung (etwa zum gemeinsamen Totbeten einer Person) straflos ist. Ermangelung einer mittäterschaftlichen Abrede kein Fall des § 30 II. Doch ist der
Anstifter nach § 30 I und der präsumtive Täter wegen Sich-Bereit-Erklärens nach
6. Die alternative Verabredung § 30 II strafbar. Dagegen ist die Verabredung mehrerer, gemeinsam eine Ver-
Nicht selten werden mehrere Verbrechen alternativ oder ggf. auch kumulativ brechensanstiftung vorzunehmen, aufgrund des Gesetzeswortlautes nach §30 II
verabredet. Mehrere Männer kommen z. B. überein, eine Frau zu überfallen, wo- zu ahnden („wer sich ... verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm an-
bei sie es offenlassen oder von den Umständen abhängig machen, ob sie das Opfer zustiften"). Die Verabredung mehrerer, zu einem Verbrechen gemeinsame Beihilfe
berauben, vergewaltigen oder beides tun wollen. In einem solchen Fall liegt keine zu leisten, ist andererseits straflos. Das folgt aus der Straflosigkeit der versuchten
unbestimmte und damit straflose Vorvereinbarung vor, sondern es ist „jede der in Beihilfe - die Verabredung zur Beihilfe ist sogar nur eine vorbereitete Beihilfe -
den ernstlichen Willen des Täters aufgenommenen Taten verabredet".76 Es liegt also und aus der Nichterwähnung dieses Falles in § 30 II.
eine Verabredung zu beiden Verbrechen vor. Ist nur eines der alternativ verabrede-
72 Ähnlich/aJW«, AT2, 27/11. Wie hier Fieber, 2001, 71.
73 Wie hier Kühl, AT3, §20, R.n.253; a.A. LK9 -Busch, §49 a, Rn. 29; Maurach, JZ 1961, 77 BGH NStZ 1998, 510; vgl. auch OLG Hamm NStZ-RR 1997, 133 für den Fall des
140; Maurach/Gössel, AT/27, 53/40. Mit Recht schwankend SK5 -Samson, § 30, Rn. 19: „Zweifel- Sich-Bereit-Erklärens.
haft ist es ..., wenn überwiegend gefordert wird, bei Angriffen gegen höchstpersönliche 78 OLG Hamm NJW 1959,1237.
Güter müsse das Opfer bestimmt sein." ™ Jetzt einhellige Meinung; statt ztterJescheck/Weigend, AT5, §65 III1; Maurach/Gössel, AT/
7t BGH MDR1960, 595 unter Hinweis auf OLG Köln NJW1951,612. 2 , 53/42; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §30, Rn.25; abw. für den früheren §49b RGSt 58 392
75 BGHSt 4, 254; BGH MDR 1960, 595; BGH GA1963,127. 393; 59, 376, 379.
76 BGH NJW 1973, 157; ebenso BGHSt 12, 306; KG GA 1971, 55; BayObLG NJW 1954, 80
BGH NStZ 1982, 244 im Fall einer Zusage der Beihilfe zu einer geplanten Geiselnahme
1257,1258; Kühl, AT3, § 20, Rn. 252. (§ 239b I); ferner BGH NStE Nr. 1 zu § 30; BGH NStZ 1988, 406.
308 309
§ 28 IV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung IV § 28

8. Verabredung und besondere persönliche Merkmale 9. Teilnahme an der Verbrechensverabredung


62 Hier geht es um die Frage, ob ein Fall des § 30 II vorliegt, wenn von zwei sich Die Anstiftung zur Verbrechensverabredung wird man als strafbar ansehen 66
Verabredenden aufgrund besonderer persönlicher Merkmale die Tat nur für einen müssen. Sie ist i.d.R. mindestens als versuchte Kettenanstiftung (Rn.31) nach
Beteiligten ein Verbrechen, für den anderen aber ein Vergehen ist. Die für den ent- §30 I zu ahnden; denn wenn z.B. A den B auffordert, sich mit C zu verabreden,
sprechenden Fall bei der versuchten Anstiftung erarbeitete Lösung (Rn. 25 ff.) ist muß dieser den C anstiften, so daß eine versuchte Anstiftung zur Anstiftung vor-
auf diesen Fall nicht ohne weiteres übertragbar, weil der Rechtsgedanke des § 28, liegt. Wenn jemand einen anderen veranlaßt, sich mit einem omnimodo facturus
der dort heranzuziehen war, nur Täter und Teilnehmer, nicht aber das Verhältnis zu verabreden, liegt immerhin noch hinsichtlich des Aufgeforderten ein Fall des
zweier Mittäter zueinander betrifft. § 29, wonach jeder Beteiligte ohne Rücksicht § 30 I vor. Nur in dem seltenen Fall, daß jemand zwei omnimodo facturi zu einer
auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft wird, gilt allerdings auch Verabredung zusammenbringt, kommt allein eine Anstiftung zu § 30 II in Frage.
für Mittäter (§ 27, Rn. 5). Man wird sie für strafbar halten müssen.84 Denn wenn eine Verabredung zur An-
63 Auf dieser Grundlage ist auch bei der Verabredung danach zu unterscheiden, ob stiftung nach dem Wortlaut des § 30 II strafbar ist, hat es keinen Sinn, die Anstif-
der abweichende Deliktscharakter, den die Tat in der Person der Beteiligten hat, tung zur Verabredung straflos zu lassen.
auf einer Schuld- oder Unrechtsdifferenz beruht. Ist das für die Deliktsqualifizie- Dagegen ist die Beihilfe zur Verabredung straflos.85 Ein solcher Fall liegt z.B. 67
rung ausschlaggebende Kriterium ein Schuldmerkmal, so verabredet der eine ein vor, wenn jemand ein verschwiegenes Hinterzimmer für die Verabredung zur
Verbrechen, der andere ein Vergehen. Wenn sich im Zeitpunkt der Geltung des Verfügung stellt. Denn im Hinblick auf die Tatbestandsverwirklichung handelt es
§ 313 a. F. (vgl. dazu Rn. 26) also A und B zur Herbeiführung einer sachgefährden- sich um eine versuchte Beihilfe (hier durch Unterstützung in der Planungs-
den Überschwemmung verabredet hätten - A zum Schutze seines Eigentums phase).86 Wer Mitgefangenen, die sich zu einer Geiselnahme verabredet haben,
(§ 313 II a. F.), B aber ohne diese Motivation (§ 313 I a. F.) handelnd - , so wäre B eine Beihilfe zusagt, ist also weder wegen Verbrechensverabredung (dazu Rn. 60)
nach § 30 II zu bestrafen gewesen, A aber straflos. Denn die vorbereitende Mittä- noch wegen einer Beihilfe zu § 30 II strafbar. Auch § 138 I Nr. 7 ist in einem sol-
terschaft war nach der alten Gesetzesfassung in der Person des B ein Verbrechen, in chen Fall nicht erfüllt.87
der Person des A aber lediglich ein Vergehen, und darauf muß es nach § 29 an-
kommen. 10. Die versuchte Verabredung
64 Beruht die unterschiedliche Deliktseinstufung auf besonderen persönlichen
Versuchte Verabredungen kommen häufig vor, wenn die potentiellen Mittäter 68
Unrechtsmerkmalen, so liegt kein Fall des § 30 II vor, weil es dabei um Pflichten-
sich zwar um eine Verbrechensvereinbarung bemühen, diese aber nicht zustande
stellungen geht, die eine Mittäterschaft dessen ausschließen, der sie nicht innehat.
kommt. Die versuchte Verabredung ist als solche straflos. Das ergibt sich daraus,
Verabreden sich z. B. ein Amtsträger und ein Privatmann zu einer gemeinsamen
daß die von 1943-1953 geltende Strafbarkeit des „Eintretens in ernsthafte Ver-
Aussageerpressung, so kann der Extraneus immer nur Gehilfe sein. Eine ver-
handlungen", die praktisch eine Versuchsstrafbarkeit bedeutete, aufgehoben wor-
abredete Beihilfe kann aber keine Strafbarkeit nach § 30 II begründen (Rn. 60).
den ist. Freilich stecken in gescheiterten Verbrechensvereinbarungen häufig ver-
Steckt allerdings in der Verabredung eine Anstiftung von Seiten des Extraneus, so
suchte Anstiftungen oder Bereiterklärungen zur Verbrechensbegehung, die dann
ist er deswegen nach § 30 I strafbar (Rn. 27), während der Amtsträger, der sich auf
nach den dafür geltenden Regeln zu bestrafen sind.
die Anstiftung zur gemeinsamen Tatbegehung einläßt, wegen eines Sich-Bereit-
Erklärens nach §§30 II, 343 zur Verantwortung gezogen wird.
11. Konkurrenzprobleme bei der Verabredung
65 In der Literatur, die das Problem bisher nur wenig behandelt hat, werden drei verschiedene
Positionen vertreten, die aber nach dem Dargelegten alle keinen Beifall verdienen. Nach der a) Die Subsidiarität im Verhältnis zur versuchten und vollendeten Tat
ersten Auffassung setzt die Strafbarkeit nach § 30 II voraus, daß die geplante Tat in der Person
beiden Beteiligter ein Verbrechen ist;81 nach der zweiten genügt es für die Strafbarkeit beider, Wie die versuchte Anstiftung (Rn. 37), tritt auch die Verabredung als subsidiär 69
daß die Tat nur in der Person eines Komplottanten ein Verbrechen darstellt (wobei der andere zurück, wenn die Komplottanten in das Versuchsstadium eintreten oder die Tat
aus dem Vergehensstrafrahmen bestraft werden kann); 82 nach der dritten soll nur derjenige vollenden (BGHSt 14, 378).88 Das ist nur dann anders, wenn die ausgeführte Tat
wegen Verabredung bestraft werden, in dessen Person die ausgeführte Tat ein Verbrechen
wäre. J
84
Abw. Fieber, 2001,178.
85 Maurach, J Z 1961,143; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §30, Rn.34.
8i Welzel, StrafR , 125. 86 F ü r Strafbarkeit Dreher, 1972, 201; LK 9 -Busch, § 49 a, R n . 37.
82 LK 9 -Busch, § 49 a, R n . 32. 8' Zu diesem Fall vgl. Roxin, HRR, Fall 74,108 ff. u. 201 f. (= BGH NStZ 1982, 244).
83 Maurach, J Z 1961,1141; Seh/Seh/CramerfHeine26, § 30, R n . 14; unsicher B G H S t 12, 307. 88
Zu diesem Fall vgl. Roxin, HRR, Fall 73,107 f. u. 201 (= BGHSt 14, 378).
310 311
§ 28 TV 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme §28. Vorstufen der Beteiligung V § 28
hinter der verabredeten zurückbleibt, wenn also z. B. statt des vereinbarten schwe- standsnäheren zurücktreten.93 Im Beispielsfall bedeutet das, daß nur nach § 30 II
ren Raubes (§ 250) nur ein einfacher Raub (§ 249) begangen wird. 89 Wenn nicht zu bestrafen ist, weil die früheren Erklärungen der Beteiligten in der abgeschlosse-
ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch des schweren Raubes oder vom Plan seiner nen Vereinbarung aufgehen. Scheitert freilich die Verabredung, bleiben versuchte
Begehung vorliegt, stehen dann §30 II und §249 in Realkonkurrenz; das ent- Anstiftungen nach § 30 I strafbar. Es kann aber auch die>Verabredung subsidiär
spricht der vergleichbaren Konstellation bei der versuchten Anstiftung (Rn. 38) sein: Wenn z. B. zwei Leute aufgrund einer Verabredung gemeinsam einen anderen
mit dem Unterschied, daß dort Idealkonkurrenz vorliegt. Wird umgekehrt ein zu einem Verbrechen anzustiften versuchen (BayObLG NJW 1956, 100 f.), baut
schwereres Delikt als das verabredete begangen (es wird ein einfacher Raub verab- diese Aufforderung auf einer schon zurückliegenden Verabredung auf, so daß § 30
redet, dann aber ein schwerer verübt), ist die Verabredung wieder subsidiär. II hinter § 30 I zurücktritt. Realkonkurrenz zwischen verschiedenen Varianten des
70 Die Verabredung ist im Verhältnis zum Versuch auch dann subsidiär, wenn die §30 besteht schließlich dann, wenn sie sich auf verschiedene Tatbestände beziehen:
Mittäter vom Versuch freiwillig zurücktreten (BGHSt 14, 378, 380); nicht etwa A erklärt sich etwa gegenüber B zur Begehung eines Mordes bereit; die beiden ver-
lebt die Strafbarkeit der Verabredung mit dem Wegfall der Versuchsstrafbarkeit einbaren dann aber „nur" einen Raub (§ 249).94
wieder auf.90 Denn die durch den freiwilligen Rücktritt ausgelöste Aufhebung
der Strafbarkeit erfaßt alle Stadien der Tat einschließlich ihrer Vorbereitung; auch 12. Die Strafrahmenwahl bei § 30II
wäre der Rücktritt für die Täter ziemlich sinnlos, wenn sie trotzdem wegen Ver- Viele Verbrechen haben erheblich gemilderte Strafrahmen für minder schwere 72
abredung strafbar blieben. Schwieriger ist die Frage, ob der Rücktritt auch die Fälle (vgl. nur etwa §§ 154,177, 249, 250). Dann ist es für die Strafzumessung sehr
Verabredung erfaßt, dann zu beurteilen, wenn ein weniger schweres Delikt als das wichtig, ob ein Normalfall oder ein minder schwerer Fall des betreffenden Delik-
verabredete versucht worden war: Die Mittäter haben z.B. einen schweren Raub tes verabredet worden ist. Das hängt nach der Rspr. einerseits davon ab, wie das
verabredet (§ 250 I Nr. 1), in Ermangelung einer Waffe dann aber nur einen ein- Delikt im Falle seiner Ausführung einzustufen gewesen wäre, andererseits aber
fachen Raub versucht, von dem sie freiwillig zurücktreten. BGHSt 14, 380 läßt auch davon, wie sorgfältig und wie weit fortgeschritten die Vorbereitung schon
offen, wie hier zu entscheiden ist. Es liegt nahe, in einem solchen Fall die Strafbar- war. Es ist also eine Gesamtbetrachtung anzustellen.95
keit nach § 30 II bestehen zu lassen, wie sie auch bestehen bleibt, wenn das leich- Im übrigen kann bei der Verabredung eines minder schweren Falles der Straf- 73
tere Delikt ausgeführt wird (Rn. 69).91 Die besseren Gründe sprechen eher gleich- rahmen doppelt oder einfach gemildert werden. 96 Wenn schon unabhängig da-
wohl dafür, daß der Rücktritt auch die Strafbarkeit der schwereren Verabredung von, daß es bei einer folgenlosen Verabredung geblieben ist, ein minder schwerer
beseitigt.92 Denn wenn die Täter ihr Ziel (die Erlangung der Beute) ohne Ein- Fall vorliegt, ist der dafür vorgesehene Strafrahmen noch einmal nach § 30 II, I 2
schränkung erreichen können und freiwillig darauf verzichten, muß das als Ab- zu mildern. Ist dagegen die Annahme eines minder schweren Falles allein oder
standnahme vom gesamten Deliktsplan (einschließlich der Waffenbenutzung) an- auch auf das Vorliegen einer bloßen Verabredung zurückzuführen, so bewendet es
gesehen werden. Auch würde man den Mittätern jeden Anreiz zum Rücktritt nach § 50 bei der Annahme eines minder schweren Falles, ohne daß eine noch-
nehmen, wenn die Strafbarkeit nach § 30 II bestehen bliebe. malige Milderung nach § 30 einträte.

b) Das Verhältnis des § 30 II zu anderen Vorstufen der Beteiligung


71 Die Verabredung nach § 30 II trifft i. d. R. mit der Erfüllung anderer Varianten V. Das Sich-Bereit-Erklären
des § 30 bei den Beteiligten zusammen. Wer den anderen für seinen Deliktsplan
1. Die beiden Erscheinungsformen des Sich-Bereit-Erklärens
und die gemeinsame Ausführung gewinnt, macht sich immer auch nach § 30 I
schuldig, während bei dem anderen eine Bereiterklärung nach § 30 II vorliegt. Es Im Sich-Bereit-Erklären stecken zwei verschiedene Formen der Verbrechens- 74
kann eine Verabredung sogar im Wege wechselseitiger versuchter Anstiftung und Vorbereitung, deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß anders als bei der versuch-
Bereiterklärung erfolgen. Die Konkurrenz verschiedener Begehungsformen des ten Anstiftung und der Annahme eines Erbietens der präsumtive Täter seinen
§ 30 ist prinzipiell so zu lösen, daß tatbestandsfernere Vorbereitungen hinter tatbe- Willen zur Verbrechensbegehung bekundet. 97 Die erste Erscheinungsform ist'die

93 B G H v. 13.6.1961,1 S t R 201/61, zit. bei Tröndle/Fischer50, § 30, R n . 15.


89 B G H S t 14, 379f.; Maurach, J Z 1961,144. 94 Schröder, JuS 1967, 295; Tröndle/Fischer50, § 3 0 , R n . 1 5 , w o aber „Tateinheit" a n g e n o m m e n
90 B G H N S t Z 1999,449,451. wird.
9i So denn auch LK 9 -Busch, § 4 9 a, R n . 11; Maurach, J Z 1961, 146; Tröndle/Fischer50, § 3 0 , 95 BGHSt 32,136; B G H GA 1986, 559.
R n . 16; Vogler, Bockelmann-FS, 1979, 728 f. 96 B G H R StGB, § 3 0 Abs.l Satz 2, Strafrahmenwahl, Nr. 1; B G H N S t E N r 3 zu 8 3 0 -
92 So Bottke, 1979, 560ff.; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 6 5 IV 1; Schmidhäuser, StuB AT 2 , 11/113; B G H N S t Z 1990, 96; B G H M D R (H) 1990, 486.
97
Sch/Sch/Cramer/Heine26, §30, Rn.40. Letegus, 1972, 87.

312 313
§ 28 V 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung V § 28

Annahme einer Aufforderung (auch A n n a h m e einer Anstiftung genannt), der anderen Personen (Gehilfen, Bekannten) ausreichen lassen. Gleichwohl ist daran
Fall also, daß jemand sich von einem Anstifter für eine Verbrechensbegehung g e - festzuhalten, daß die Erklärung gegenüber dem Anstifter erfolgen m u ß : D e n n n u r
w i n n e n läßt und diese zusagt. Die zweite Erscheinungsform betrifft das Sich-Er- ihm gegenüber entsteht die Willensbindung, die die Strafbedürftigkeit des verlaut-
bieten, bei dem der potentielle Täter von sich aus an andere herantritt und- seinen barten Tatentschlusses begründet. >
Willen bekundet, sich unter gewissen Voraussetzungen zu einem Verbrechen b e -
stimmen zu lassen. 3. Das Sich-Erbieten
75 Ein Sachverhalt der zweiten Art war es, der im Jahre 1876 zur Einführung des damaligen a) Das echte Sich-Erbieten als versuchte Kettenanstiftung
§49a, des Vorläufers des heutigen §30, Anlaß gegeben hat: 98 Ein belgischer Kesselschmied
namens Duchesne hatte sich brieflich gegenüber dem Erzbischof von Paris erboten, Bismarck D e m echten Sich-Erbieten 1 0 3 geht voraus, daß der Sich-Erbietende die Ausfüh- 78
gegen Zahlung von 60.000 Franken zu ermorden. Die Reichsregierung verlangte von Belgien, rung der Tat von einer A n n a h m e des Erbietens abhängig macht. Der Tatentschluß
derartige Angebote künftig für strafbar zu erklären und war daraufhin selbst gehalten, das
deutsche StGB in entsprechender Weise zu ergänzen. Dies geschah durch Gesetz vom 26.2. soll also erst durch den Adressaten der Erklärung hervorgerufen werden. Insofern
1876. Der sog. Duchesne-Paragraph stellte die meisten auch in § 30 enthaltenen Verhaltenswei- ist das echte Sich-Erbieten eine versuchte Anstiftung zur Anstiftung u n d damit
sen unter etwas anderen Voraussetzungen als heute unter Strafe. Bemerkenswert ist dabei, daß eine versuchte Kettenanstiftung, die auch unabhängig von § 30 II wenigstens dem
gerade das Sich-Erbieten, das den Anlaß zur Einführung der Vorschrift gegeben hat, in seiner
Strafbedürftigkeit den meisten Zweifeln ausgesetzt ist (vgl. Rn. 8). Gesetzeswortlaut nach unter § 30 I subsumierbar wäre ( R n . 31). Die Besonderheit
besteht nur darin, daß beim Regelfall der versuchten Kettenanstiftung mindestens
2. D i e A n n a h m e einer Aufforderung drei Personen i m Spiel sind (erster Anstifter, präsumtiver zweiter Anstifter, ins A u -
ge gefaßter Täter), während beim echten Sich-Erbieten der erste Anstifter und der
76 Hier ist unstrittig, daß die Bereiterklärung ernstlich sein m u ß , ja, daß sogar ein
in Aussicht genommene Täter identisch sind. 104 Die separate Aufführung dieses
geheimer Vorbehalt, das Delikt nicht begehen zu wollen, trotz einer etwa entge-
Falles in § 30 II ist aber trotz seiner Erfaßbarkeit als versuchte Kettenanstiftung
genstehenden Erklärung die Strafbarkeit ausschließt." D e n n w e n n der in Aussicht
nicht überflüssig, 105 sondern auch unabhängig von den historischen H i n t e r g r ü n -
genommene Täter die Tat nicht begehen will, besteht keinerlei Anlaß für eine B e -
den ihrer gesonderten N e n n u n g (Rn.75) eine notwendige Klarstellung. D e n n
strafung. Der Sache nach geht es auch hier u m den fehlenden Vorsatz des zur Aus-
ohne die ausdrückliche Strafbarkeitserklärung in § 3 0 II würde dieser Fall für
führung Bestimmten (vgl. R n . 15 f., 47 ff.). Dagegen k o m m t es beim Anstifter auf
straflos zu halten sein, weil der Sich-Erbietende anders als bei der normalen Ket-
die Ernstlichkeit nicht an, sofern er damit rechnet, daß der präsumtive Täter die
tenanstiftung als zukünftiger Täter den Kausalverlauf in der H a n d behält ( R n . 8).
Aufforderung ernst n i m m t u n d die Tat begeht ( R n . 15). 100 N i m m t der potentielle
Allerdings m u ß das Sich-Erbieten wie die A n n a h m e einer Aufforderung u n d aus
Täter sie ernst u n d geht er auf sie ein, ist er nach § 30 II strafbar. O b die Tat durch-
denselben Gründen wie diese ( R n . 76) ernst gemeint sein (RGSt 63, 197,199). J e -
führbar ist, ist hier wie sonst ( R n . 22f., 56) gleichgültig. Auch w e n n der zu E r -
denfalls ist das Sich- Erbieten, nachdem es in § 30 II eine Spezialregelung gefun-
mordende im Zeitpunkt der Bereiterklärung schon tot ist, tritt die Strafbarkeit
den hat, nur nach Abs. 2 u n d nicht auch noch nach Abs. 1 zu bestrafen.
nach § 30 II ein. 101
77 Die A n n a h m e einer Anstiftung ist auch dann schon strafbar, w e n n sie dem A n - b) Das unechte Sich-Erbieten
stifter noch nicht zugegangen ist. 102 D e n n die Gefährlichkeit des Verbrechensent- Ein unechtes Sich-Erbieten 1 0 6 liegt vor, w e n n sich jemand (sei es gegenüber der 79
schlusses ist v o m Zugang der Bereiterklärung unabhängig. M a n kann die Frage Öffentlichkeit, sei es gegenüber einzelnen) zur Verbrechensbegehung erbietet u n d
stellen, ob die A n n a h m e überhaupt dem Anstifter gegenüber erklärt werden m u ß . dabei entweder schon fest zur Tat entschlossen ist (omnimodo facturus) oder doch
Zwar kann ein innerlich bleibender Entschluß nicht genügen; denn er entzieht seinen Tatentschluß nicht von der A n n a h m e eines Erbietens abhängig machen
sich der Feststellbarkeit und wird auch dem Wortlaut des Gesetzes nicht gerecht, will. Dieser Fall ist straflos. 107 D e n n hier fehlt es sogar an einer intendierten
das eine Bereiterklärung verlangt. Doch könnte man eine Erklärung gegenüber Willensbindung gegenüber einem noch zu gewinnenden Anstifter. Es liegt n u r
ein strafloser Verbrechensentschluß oder die Verbrechensgeneigtheit eines Einzel-
98
Zur Entstehungsgeschichte LKn-Roxin, vor §30; ferner eingehend J.-D. Busch, 1964,
47ff., und zusammenfassend Letzgus, 1972, 87f., bei und in Fn. 7. 103 Ausdruck von Letzgus, 1972, 98 ff.
99 RGSt 57, 243, 245; 60, 23, 25; 63, 197, 199; BGHSt 6, 346, 347; BGH NStZ 1998, 403, iot Näher Letzgus, 1972, 98 ff.
404. 105 So aber H. Mayer, LB AT, 342.
wo RGSt 57, 243, 245 ff. gegen RG GA1942,122; BGHSt 18, 388. i°6 Der Ausdruck „unechtes Sich-Erbieten" stammt von Letzgus, 1972, 89, der allerdings
«" BGH GA 1963,126,127 für den Fall des § 218 a. F. nur den Fall des omnimodo facturus nennt.
102 Ganz h. M.; a. A. nur Tröndle/Fischer50, § 30, Rn. 10. Wie hier z. B. Jescheck/Weigend, AT5, W7 Vgl. näher J.-D. Busch, 1964, 187f.; Letzgus, 1972, 89f. Aus der übrigen Literatur:
§65 III 3 a.E.; Letzgus, 1972, 94, Fn. 27; Maurach/Gössel, AT/27, 53/47; Sch/Sch/Cramer/Heine26, Jescheck/Weigend, AT5, §65 III 3; Maurach/Gössel, AT/27, 53/47; Sch/Sch/Cramer/Heine26, §30,
§ 30, Rn. 23 (beijescheck irrig für die Gegenmeinung zitiert); Schröder, JuS 1967, 291. Rn. 23; Schröder, JuS 1967, 291.
314 315
§ 28 V 8. Abschnitt — Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung VI §28

täters vor, an deren Straflosigkeit auch die Bekanntgabe nichts ändern kann. Viel- wegen einer Bereiterklärung bestraft wird. Ebenso tritt die Bereiterklärung h i n -
mehr beginnt die Strafbarkeit erst mit der Umsetzung des Tatentschlusses in eine ter der Verabredung zurück, wenn sie deren Vorbereitung dient. K o m m t die Ver-
abredung nicht zustande, so bleibt das Sich-Erbieten nach § 30 II strafbar (nicht
Versuchshandlung. Für die Strafbarkeit des unechten Sich-Erbietens tritt freilich
auch noch nach § 30 I, vgl. R n . 78). N u r der erfolglose Verabredungsversuch eines
Jakobs109 mit der Begründung ein, auch eine solche Erklärung könne „faktisch
o m n i m o d o facuturus ist nach § 30 I zu bestrafen, da das unechte Sich-Erbieten
binden" und verrate dieselbe „Desavouierung der Norm" wie eine von der A n n a h -
nicht unter § 30 II fällt ( R n . 79).
me des Erbietens abhängige Bereitschaft. Doch das überzeugt nicht: D e n n man
kann seinen Willen jederzeit ändern, w e n n man sich nicht anderen gegenüber ver-
pflichtet hat (oder wenigstens verpflichten will); und nicht die Desavouierung der VI. D i e A n n a h m e eines Erbietens (§ 30 II)
N o r m wird in § 30 II bestraft, sondern eine besonders gefährliche Form der Vor-
bereitung. 1. D i e A n n a h m e des Erbietens als versuchte Anstiftung
Die A n n a h m e eines Erbietens ist eine versuchte Anstiftung (vgl. schon R n . 82
c) Muß die Bereiterklärung in Gestalt des echten Sich-Erbietens
7 8 ) . n o D e n n wer das Angebot eines anderen, ein Verbrechen verüben zu wollen,
d e m Empfänger zugehen?
annimmt, stiftet dadurch den Sich-Erbietenden an, indem er dessen Tatgeneigt-
80 Für das echte Sich-Erbieten gilt grds., was für die versuchte Anstiftung gilt, da
heit in einen festen Tatentschluß verwandelt. Infolgedessen gelten alle Regeln der
die versuchte Kettenanstiftung, u m die es sich der Sache nach handelt, den Regeln
versuchten Anstiftung ( R n . 9 ff.) auch hier. Wer das Erbieten eines anderen an-
der versuchten Anstiftung folgt. Eine Ausnahme ist nur insofern zu machen, als
nimmt, zu einem Verbrechen anzustiften, ist nach dem Wortlaut des § 3 0 II eben-
für die Strafbarkeit des Sich-Erbietens verlangt werden m u ß , daß die Bereiterklä-
falls wegen A n n a h m e eines Erbietens strafbar; strukturell handelt es sich dann u m
rung dem Adressaten zugegangen ist. D e n n während bei der versuchten Anstif-
eine versuchte Kettenanstiftung (so lag der Fall in BGHSt 10, 388). Doch wird die
tung nach zwar umstrittener, aber richtiger Ansicht ein solcher Zugang nicht er-
Annahme eines Erbietens in jedem Fall nach der Spezialregelung in § 30 II und
forderlich ist ( R n . 10 ff), liegt es hier anders, weil der Sich-Erbietende den Kausal-
nicht außerdem noch nach § 30 I bestraft.
verlauf nicht aus der Hand gibt. Das bedeutet, daß auch für die beiden Formen des
Sich-Bereit-Erklärens der Zugang der Bereiterklärung eine unterschiedliche B e -
2. D i e A n n a h m e eines Erbietens als versuchte psychische Beihilfe?
deutung hat: Bei der A n n a h m e einer Anstiftung k o m m t es für die Strafbarkeit
darauf nicht an (Rn.77), wohl aber für das echte Sich-Erbieten. 1 0 9 Zutreffend hat Demgegenüber geht eine andere M e i n u n g davon aus, daß mit der A n n a h m e ei- 83
deshalb das O L G Celle ( M D R 1991, 174) ein Sich-Bereit-Erklären zu geheim- nes Erbietens ausschließlich 111 oder doch wenigstens auch 112 eine versuchte psychi-
dienstlicher Agententätigkeit (§ 99 I Nr. 2) für den Fall abgelehnt, daß die A n g e - sche Beihilfe für strafbar erklärt werde. Ein solcher Fall liegt vor, w e n n ein o m n i -
botserklärung dem Empfänger nicht zugeht. modo facturus sich erbietet, der Erklärungsempfänger, der den bereits bestehen-
d) Konkurrenzprobleme b e i m Sich-Erbieten den Tatentschluß des Sich-Erbietenden erkennt, ihn also durch die A n n a h m e nur
81 Auch die Bereiterklärung ist gegenüber der versuchten und der vollendeten noch in seinem Tatentschluß bestärken und damit psychische Beihilfe leisten
kann.
Tat subsidiär. Im übrigen gelten für die Konkurrenzverhältnisse beim echten
Doch ist die Auffassung abzulehnen. Ihre Unrichtigkeit ergibt sich schon dar- 84
Sich- Erbieten die für die versuchte Anstiftung maßgeblichen Regeln ( R n . 37 ff.);
aus, daß das Sich-Erbieten eines o m n i m o d o facturus als unechtes Sich-Erbieten
denn die Bereiterklärung ist ein Spezialfall der versuchten Anstiftung ( R n . 78).
straflos ist ( R n . 79) und folglich auch nicht in strafbarer Weise angenommen wer-
Es sind daher nur wenige ergänzende Bemerkungen nötig. W e n n das Sich-Erbie-
den kann. Außerdem würde es der Wertentscheidung des Gesetzgebers, die ver-
ten angenommen wird und zu einem Tatentschluß des Sich-Erbietenden führt,
suchte Beihilfe von Strafe freizustellen, gröblich widersprechen, wenn ausgerech-
liegen zwei strafbare Bereiterklärungen vor: zunächst das Sich-Erbieten und
dann die Annahme der durch das Erbieten ausgelösten Anstiftung. D a n n tritt das "° J.-D. Busch, 1964, 188f.; Dreher, NiedStrKomm 2, 1958, 211 (unter Aufgabe seiner frühe-
Sich-Erbieten hinter der tatnäheren A n n a h m e der Anstiftung zurück, so daß nur ren Ansicht 1972, 201); Letzgus, 1972, 96ff; Maurach/Gössel, AT/27, 53/48; Schröder, JuS 1967,
290 f; Jakobs, AT2, 27/9. Auch die Sachbearbeiter des BMJ sahen bei den Beratungen der Gro-
ßen Strafrechtskommission in der „Annahme eines Sicherbietens ... eine Sonderform der
Anstiftung ..., die aber der Deutlichkeit halber genannt werden sollte" NiedStrKomm 2,
W8 Jakobs, AT2, 27/10. 1958, Anhang Nr. 42, 121. Ebenso basiert die Entscheidung BGHSt 10, 388 auf der Prämisse,
109
Für diese Differenzierung zuerst Schröder, JuS 1967, 291; ihm folgendJescheck/Weigend, daß die Annahme eines Erbietens eine versuchte Anstiftung sei.
AT , § 65 III 3; Letzgus, 1972, 94, Fn. 27. Einen Erklärungszugang in beiden Fällen des Bereit- "1 Blei, NJW 1958, 30; dm., AT18, § 81II 3; Jescheck/Weigend, AT5, § 65 III 2.
erklärens verlangten noch Tröndle/Fischer4 , § 30, Rn. 10 (anders aber jetzt Tröndle/Fischer , 112
LK9-Busch, §49 a, Rn.35f.; Dreher, 1972, 201; Fränkel, NiedStrKomm 2, 1958, 118;
§ 30, Rn. 10), während die h. M. in beiden Fällen keinen Erklärungszugang für notwendig Tröndle/Fischer50, § 30, Rn. 11.
hält: Maurach/Gössel, AT/27, 53/47; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, § 30, Rn. 23.
317
316
§ 28 VI 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 2 8 . Vorstufen der Beteiligung VII § 28

net ein Sonderfall der versuchten psychischen Beihilfe, deren Strafwürdigkeit bei
4. Konkurrenz- und Irrtumsprobleme bei der A n n a h m e eines Erbietens
einer bloßen Bestärkung des Tatentschlusses zweifelhaft und jedenfalls gering ist
(vgl. § 26, R n . 197 ff.), hier für strafbar erklärt werden würde. Zwar ist es richtig, Dient die A n n a h m e eines Erbietens der Vorbereitung einer Verbrechensverabre- 87
düng, so tritt sie bei deren Zustandekommen hinter dieser und erst recht hinter
daß die Variante der „Annahme eines Erbietens" keine selbständige Bedeutung hat,
d e m Versuch u n d der Vollendung des Delikts zurück. Ist der Sich-Erbietende ein
w e n n man sie nur als Sonderfall der versuchten Anstiftung versteht. Aber aus den
o m n i m o d o facturus ( R n . 79), so ist der Annehmende, der dies nicht weiß, wegen
Gesetzesmaterialien selbst geht hervor, daß diese Variante als versuchte Anstiftung
eines untauglichen Anstiftungsversuchs nach § 30 I strafbar (vgl. den Parallelfall
verstanden und nur „der Deutlichkeit halber" (vgl. Fn. HO) in den Gesetzestext
des nicht ernst gemeinten Sich-Erbietens in R n . 8 6 ) . Ist der Sich-Erbietende
aufgenommen wurde. Für die Annahme, daß auch (oder allein) die versuchte psy-
schuldunfähig, so ist trotzdem eine strafbare A n n a h m e des Erbietens nach § 30 II
chische Beihilfe mit der A n n a h m e eines Erbietens hätte erfaßt werden sollen, lie-
möglich, w e n n der Annehmende die Schuldunfähigkeit des Sich-Erbietenden
fert die Gesetzgebungsgeschichte keinerlei Anhaltspunkte.
nicht kennt; denn nach d e m Grundsatz der limitierten Akzessorietät kann auch
ein Schuldunfähiger angestiftet werden. Durchschaut der Annehmende die
3. Ist auch die A n n a h m e eines nicht ernst g e m e i n t e n Erbietens strafbar?
Schuldunfähigkeit des Sich-Erbietenden, k o m m t dagegen nur ein Versuch in mit-
Ein Hauptstreitpunkt liegt bei dieser Variante des § 30 in der Frage, ob auch die telbarer Täterschaft in Betracht.
ernst gemeinte Annahme eines nicht ernst gemeinten Erbietens strafbar ist.
BGHSt 10, 388 hat das gegen die Rspr. des RG 1 1 3 bejaht und damit bei einem Teil
der Literatur Zustimmung, 1 1 4 bei einem anderen Ablehnung 1 1 5 gefunden. Die ab- VII. D e r Rücktritt v o n der versuchten Beteiligung (§ 31)
lehnenden Stimmen machen geltend, daß die A n n a h m e eines Erbietens gänzlich
1. Zuordnung und Anwendungsbereich der Vorschrift
ungefährlich und daher nicht strafwürdig sei, w e n n der mit dem Sich-Erbieten-
den identische präsumtive Täter die Tat überhaupt nicht begehen wolle. Der B G H § 31 untersteht als Rücktrittsvorschrift im wesentlichen den Regeln der Ver- 88
weist demgegenüber auf die Grundsätze des untauglichen Versuchs und darauf suchslehre (§ 24), auf die hier verwiesen werden muß.Was die „Aufgabe" eines Vor-
hin, daß, wer sein Erbieten noch nicht ernstlich meine, „möglicherweise gerade satzes bedeutet und wann sie „freiwillig" ist, m u ß also im Zusammenhang mit
durch die A n n a h m e des Erbietens z u m ernstlichen Entschluß veranlaßt" werde § 24 nachgelesen werden (unten § 30, R n . 354 ff.), so daß hier im wesentlichen nur
(BGHSt 10, 389). die Fragen zu behandeln sind, die speziell beim Rücktritt von der versuchten B e -
Im Ergebnis ist dem B G H zuzustimmen. Da die Strafbarkeit einer m i ß l u n g e - teiligung auftreten. Doch sollen für die Anwendung des Freiwilligkeitskriteriums
nen Anstiftung ( R n . 9), also einer Aufforderung, auf die niemand eingeht, völlig auf § 31 wenigstens zwei Beispiele aus der Rspr. genannt werden. Nach BGHSt
außer Streit steht und die eines untauglichen Anstiftungsversuchs immerhin ganz 12, 306, 311 ist ein Rücktritt von einer Verbrechensverabredung freiwillig, wenn
überwiegend anerkannt ist ( R n . 22 f.), wäre es sinnwidrig, gerade diesen Fall eines die Komplottanten zwei mögliche Begehungsweisen ins Auge gefaßt haben und
erfolglosen Anstiftungsversuchs straflos zu lassen. Fraglich ist nur, ob es richtig ist, von der einen ohne äußeren Anlaß zurücktreten, nachdem die andere sich als u n -
die Annahme eines nicht ernst gemeinten Sich-Erbietens nach § 30 II zu bestrafen, durchführbar erwiesen hat. Dagegen ist ein Rücktritt von einem Anstiftungsver-
wie es der B G H will. D e n n ein Scheinerbieten ist überhaupt kein Sich-Erbieten such unfreiwillig, wenn der Anstifter sich nur deshalb u m die Verhinderung des
i. S. d. § 30 II (vgl. R n . 78, 76), so daß die in § 30 II geregelte A n n a h m e eines Er- von ihm angeregten Meineides bemüht, weil der Anstiftungsbrief dem Prozeß-
bietens sich auf diesen Fall kaum beziehen kann. Doch bleibt die Strafbarkeit des gegner in die Hände gefallen ist (OLG Tübingen D R Z 1949, 43 f.).
Annehmenden nach § 30 I: D e n n er hat jedenfalls versucht, den Empfänger seiner Der Anwendungsbereich des § 31 reicht über § 30 hinaus. D e n n § 159 erstreckt 89
Erklärung zur Begehung eines Verbrechens zu bestimmen. 1 1 6 die § § 3 0 I u n d 31 I N r . l , II auf die Vergehenstatbestände der §§ 153, 156. Außer-
dem entspricht es dem Sinn der Rücktrittsregelung, sie auf solche Vorbereitungs-
handlungen entsprechend anzuwenden, die im BT als selbständige Tatbestände g e -
"3 RGSt 1, 338; 57, 243. regelt sind, aber keine Rücktrittsvorschrift enthalten. 117
IM Jakobs, AT2, 27/9; Lackner/Kühl24, §30, Rn.6; Maurach/Gössel, AT/27, 53/48; Otto, ZStW
87 (1975), 569, Fn. 105; Preisendanz30, §30, Anm. 4 b; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, §30, Rn. 24;
Schröder, JuS 1967, 294, Fn. 36; Tröndle/Fischer50, § 30, Rn. 11.
115
Blei, NJW 1958, 30; LK9-Busch, §49 a, Rn.35;J.-D. Busch, 1964, 190; Jescheck/Weigend,
AT5, § 65 III 2; Kohlrausch/Lange, StGB , § 49 a, Anm. V 3; Letzgus, 1972,184 f. 117
116 So auch BGHSt 6, 85, 87 für den Fall des § 234; a. A. BGHSt 15, 198, 199 für § 122 II
Für Strafbarkeit nach § 30 I auch Blei, NJW 1958, 30; LK -Busch, § 49 a, Rn. 35, die also,
was von den übrigen Vertretern der in Fn. 104 genannten Meinung meist verkannt wird, im a. F. (heute § 121 I Nr. 2) mit einer freilich nur auf diesen Tatbestand zugeschnittenen Begrün-
Ergebnis zu einer Bestrafung kommen. dung. Wie hier Seh/Seh /Cramer/Heine 2e, § 31, Rn. 12; a. A. LK9-Busch, § 49 a, Rn. 49.

318 319
§ 28 VII 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung VII § 28
zu knüpfen ist. Aber ist dies der einzige Fall? Die Begründung des E 1962121 legt
2. Der Rücktritt von der versuchten Anstiftung (§ 311 Nr. 1)
das nahe, wenn sie sagt, „daß im Grunde eine Handlung erst dann verhindert wer-
a) Die drei Fälle des „Aufhörens" beim Anstiftungsversuch den könne, wenn der Angestiftete einen Entschluß gefaßt, die Anstiftung insoweit
90 aa) Der erste Fall ist der, daß jemand eine Verbrechensaufforderung definitiv zu- also Erfolg gehabt hat". Aber richtig ist das nicht. Denn auch, wenn der Aufgefor-
rückweist, so daß der Anstifter weitere Bemühungen notgedrungen einstellt. Hier derte noch schwankt oder wenn ihn ein brieflicher Anstiftungsversuch noch nicht
ist § 31 I Nr. 1 nicht einschlägig. Es liegt ein fehlgeschlagener Anstiftungsversuch einmal erreicht hat, muß man mit der Möglichkeit rechnen, daß er die Tat be-
vor, von dem ein Rücktritt nicht möglich ist (zum fehlgeschlagenen Versuch §30, gehen wird. Es ist kriminalpolitisch nicht sinnvoll, dem Anstifter schon dann
Rn. 77 ff.).118 Denn einen gescheiterten Versuch kann man nicht „aufgeben", wie es Straffreiheit zu gewähren, wenn er nunmehr die Hände in den Schoß legt. Viel-
§ 31 I Nr. 1 verlangt. Nicht einmal eine Strafbefreiung nach § 31II kommt in Be- mehr muß man von ihm erwarten, daß er das geschaffene Risiko durch aktiv hin-
tracht, weil keine Bemühungen zur Verhinderung einer Tat möglich sind, wo gar derndes Tätigwerden ausräumt.122 Das wird durch die dem Gesetzgeber obliegen-
keine Tatbegehung droht. de Pflicht zum Rechtsgüterschutz und auch durch den Wortlaut des Gesetzes
91 bb) Der zweite Fall liegt vor, wenn die Bemühungen des Anstifters, den prä- gefordert: Es spricht nicht davon, daß die Verwirklichung eines Tatentschlusses,
sumtiven Täter zur Tat zu bestimmen, noch keinen Erfolg gehabt haben, bei wei- sondern daß eine „Gefahr" abzuwenden sei. Praktisch hat das die Folge, daß ein
terer Intensivierung (z.B. einer Erhöhung der versprochenen Belohnung) aber Anstifter, der sich über den Erfolg seiner Bemühungen im unklaren bleibt und
vielleicht doch noch einen Tatentschluß hervorrufen können. Hier genügt es nach weiter nichts unternimmt, auch dann nach § 30 I strafbar macht, wenn der in Aus-
§ 311 Nr. 1 für einen strafbefreienden Rücktritt, wenn der Anstifter freiwillig „den sicht genommene Täter die Begehung der Tat schließlich ablehnt. Denn vor der
Versuch aufgibt", d. h. nichts mehr unternimmt, um den „Täter" für seinen Plan zu Ablehnung fehlt ein Hinderungsbemühen; danach ist ein Aufgeben nicht mehr
gewinnen. Dagegen ist ein bloßes Verschieben der Ausführung auf eine günstigere möglich (Rn. 90).
Gelegenheit nach der Rspr. ebensowenig ein Rücktritt wie der Austausch eines
c) Ist die „Gefahr, daß der andere die Tat begeht", objektiv oder subjektiv
zur Gewaltanwendung vorgesehenen Mittels („Schreckschußpistole statt Chloro- zu bestimmen?
form").119
Die Frage, ob es für das Bestehen einer „Gefahr" i. S. d. § 311 Nr. 1 auf die wirk- 94
92 cc) Die dritte Konstellation schließlich setzt voraus, daß die bisherigen Anstif-
liehe Sachlage oder auf die Vorstellung des Anstifters ankommt, ist sehr umstrit-
tungsbemühungen eine „Gefahr, daß der andere die Tat begeht" geschaffen haben,
ten. Die Begründung des E 1962 äußerte sich dahin, 123 es komme „lediglich dar-
wie es hauptsächlich dann der Fall ist, wenn der Aufgeforderte sich zur Tatbege-
auf an, ob eine solche Gefahr in Wirklichkeit besteht. Verkennt der Anstifter, wenn
hung bereit erklärt. Dann kann der Anstifter nur noch Straflosigkeit erlangen, in
auch entschuldbar, ihr Vorhandensein und bleibt er aus diesem Grunde untätig, so
dem er diese „Gefahr ... abwendet". Das kann auf verschiedene Weise geschehen:
tritt Straffreiheit nicht ein." Das findet in der Literatur teils Zustimmung, 124 teils
Dadurch, daß der Anstifter den präsumtiven Täter dazu bestimmt, die Tat doch
einen auf die Vorstellung des Anstifters abstellenden Widerspruch.125 Ein prakti-
nicht zu begehen (RGSt 56, 210; 70, 295), daß er das Opfer rechtzeitig warnt
scher Fall soll den Meinungsunterschied verdeutlichen: A fordert B zur Verbre-
(RGSt 38, 225) oder daß er mit Erfolg die Polizei einschaltet. Wenn der Täter zur
chensbegehung auf, ohne von diesem eine Bereiterklärung erlangen zu können.
Tatbegehung noch auf weitere Handlungen des Anstifters angewiesen ist, genügt
Er unterläßt dann weitere Bemühungen, obwohl er meint, daß sie aussichtsreich
auch deren Unterlassung: Der Anstifter benennt den von ihm zu einer Falschaus-
wären; eine Gefahr der Tatbegehung durch B hält er nach der augenblicklichen
sage bestimmten Zeugen schließlich doch nicht, so daß es zur Tat nicht kommen
Lage der Dinge nicht für gegeben. B faßt aber entgegen der Erwartung des A
kann. 120 Im einzelnen wirft die Gefahrabwendungspflicht erhebliche Probleme
doch einen Tatentschluß, den er später wieder aufgibt, so daß im Ergebnis nichts
auf, die nachstehend (b, c, d) näher behandelt werden.
b) Setzt die „Gefahr, daß der andere die Tat begeht", dessen Tatentschluß i2i BT-Drucks. IV/650,155.
voraus? 122 Vgl. Herzberg, NJW 1991,1637.
'23 BT-Drucks. IV/650,155.
93 Der Tatentschluß des Aufgeforderten ist der typische Fall, in dem der straf- 12^ LK9-Busch, §49 a, Rn.45; Maurach/Gössel, AT/27, 53/62; auch noch Tröndle49, §31, Rn.4
50
befreiende Rücktritt an die Gefahrabwendung und damit an die Tatverhinderung (anders jetzt Tröndle/Fischer , § 31, Rn. 3).
125 Herzberg, JZ 1989, 114; Jescheck/Weigend, AT5, §65 IV 2; Kühl, AT3, §20, Rn.258; Lack-
na Vgl. die Begründung zum E 1962, BT-Drucks. IV/650,155. Zur Abgrenzung von fehlge- ner/Kühl24, §31, Rn.3; Seh/'Seh/Gramer/'Heine26, §31, Rn.3; SK7-Hoyer, §31, Rn.9. Bottke,
schlagenem und unbeendetem Anstiftungsversuch BGHR §31 I, Freiwilligkeit, Nr. 3; vgl. 1980, 54ff., verlangt zwar prinzipiell eine dem Gesetzeswortlaut entsprechende objektive Aus-
auch BGH NStZ-RR 1997, 260. legung, kommt aber zu demselben Ergebnis wie die subjektive Interpretation, indem er das
"9 Zu beiden Fallgestaltungen BGH NStZ-RR 1997,134. Aufhören des Anstifters, der die Gefahr für gebannt hält, als „ernsthaftes Bemühen" i. S. d. § 31
120 BGHSt 4, 200f.; BGH NStZ-RR 1997, 289. II beurteilt.

320 321
§ 28 VII 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 2 8 . Vorstufen der Beteiligung VII §28
passiert. Nach der objektiven Auffassung lag hier eine Gefahr der Tatbegehung terer Bemühungen für die Straflosigkeit ausreicht. Anders ist es, w e n n man die
vor, so daß A nach § 30 I strafbar bleibt, weil er sie nicht abgewendet und sich u m von der Aufforderung unabhängige Gefahr der Tatbegehung genügen läßt. D a n n
die Abwendung auch nicht bemüht hat. Nach der subjektiven Auffassung ist A würden n u r Verhinderungsbemühungen zur Straflosigkeit führen; vorausgesetzt,
hingegen vom Anstiftungsversuch mit strafbefreiender W i r k u n g zurückgetreten; daß man sich außerdem auf den (abzulehnenden) Standpunkt stellt, das Bestehen
denn aus seiner Sicht bestand keine Gefahr der Tatbegehung, so daß sein bloßes einer Gefahr sei nach objektivem und nicht nach subjektivem Maßstab zu beurtei-
freiwilliges „Aufgeben" i h m Straffreiheit verschafft. len (vgl. R n . 94, 95). Jedoch wird man nur bei selbst verursachten Gefahren A b -
95 Die subjektive Lehre verdient aus drei G r ü n d e n den Vorzug. Erstens kann der wendungsbemühungen des Anstifters verlangen dürfen. 1 2 9 D e n n es entspricht all-
Gesetzgeber, w e n n er den Anstifter vor eine an verschiedene Voraussetzungen g e - gemeinen Zurechnungsgrundsätzen, daß man jemanden n u r für die Folgen von
bundene Verhaltensalternative stellt, vernünftigerweise nur dessen Urteil über das Gefahren verantwortlich machen darf, an deren Entstehung er beteiligt ist. Auch
Bestehen einer Gefahr zugrunde legen. D e n n w e n n der weitere Bemühungen ein- die Gesetzesbegründung 1 3 0 spricht nur von dem Fall, daß „der Anstiftungsversuch
stellende Anstifter mit einer Bestrafung auch dort rechnen m u ß , w o er selbst keine bereits die Gefahr der Tatbegehung herbeigeführt hat" u n d stützt somit die B e -
Gefahr der Tatbegehung sieht, müßte er vorsichtshalber immer Hinderungsbe- schränkung des Abwendungserfordernisses auf selbst verursachte Gefahren.
m ü h u n g e n unternehmen, w o m i t die Rücktrittsvariante des bloßen „Aufgebens"
e) D i e Beschränkung des § 311 auf Vorbereitungshandlungen
praktisch hinfällig wäre. 1 2 6 Zweitens wird n u r die subjektive Auffassung den
Regeln gerecht, die auch für den Versuch nach § 22 gelten. D e n n der unbeendete § 311 Nr. 1 regelt nur den Rücktritt von der versuchten Anstiftung und hat kei- 97
Versuch, bei dem ein bloßes freiwilliges Aufgeben nach § 24 I 1 zu Straflosigkeit nen Einfluß auf eine etwaige Anstiftung zur versuchten oder vollendeten Tat. 131
führt, liegt vor, w e n n der Täter nach Maßgabe seiner Vorstellung noch nicht alles Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 31 I, der unter den dort genannten
getan hat, was zur Verbrechensausführung notwendig ist. 127 Was aber für den Voraussetzungen des freiwilligen Rücktritts keine Straflosigkeit anordnet, son-
Rücktritt v o m Versuch gilt, m u ß für den Rücktritt von der versuchten Beteili- dern sich darauf beschränkt zu sagen: „Nach § 30 wird nicht bestraft, wer ..."
gung ebenfalls maßgebend sein. D e n n sonst w ü r d e der Anstifter in vergleichbarer Wenn also ein Anstifter weitere von i h m für erforderlich gehaltene Beeinflus-
Situation schlechter behandelt als der Täter. 128 Drittens läßt sich aus § 31II entneh- sungsversuche zu einem Zeitpunkt einstellt, da der Täter die Tat aufgrund der frü-
men, daß der Gesetzgeber beim beendeten Versuch der Anstiftung subjektiv a b - heren Aufforderungen schon begangen hat, liegt eine Anstiftung zur vollendeten
Tat vor, und ein Rücktritt k o m m t nicht in Betracht. Das gilt selbst dann, wenn
grenzt: Wer irrig eine Gefahr bejaht und überflüssige Abwendungsbemühungen
der Täter weitere Anstiftungsbemühungen, die er für erforderlich hält, freiwillig
unternimmt, ist nach § 31II straflos; dann aber sollte auch beim unbeendeten Ver-
aufgibt u n d der Täter erst danach die Tat aufgrund der Anfangsaufforderung voll-
such subjektiv abgegrenzt werden mit der Wirkung, daß beim Ausbleiben einer
endet. 132 Zwar will EseP3 in diesem Fall einen strafbefreienden Rücktritt zulas-
strafbaren Handlung schon das freiwillige Aufgeben von Seiten des Anstifters zur
sen. Dagegen spricht aber, daß nach §§ 24 I 2, 31 II Rücktrittsbemühungen beim
Straflosigkeit führt.
beendeten Versuch nicht zur Straffreiheit führen, w e n n der Erfolg aufgrund der
d) M u ß die abzuwendende Gefahr v o m Anstifter selbst verursacht ursprünglichen Täter- oder Anstifterhandlung trotzdem eintritt. D a n n kann es
worden sein? nicht anders sein, wenn schon ein unbeendeter Anstiftungsversuch zum Erfolge
96 Das Problem erlangt praktische Bedeutung bei der versuchten Anstiftung eines führt. Tritt der Täter aufgrund der Anstiftung in das Versuchsstadium ein, richtet
o m n i m o d o facturus. Erkennt der Auffordernde nicht, daß der Aufgeforderte sich der Rücktritt des Anstifters ebenfalls nicht nach § 31 I Nr. 1, sondern nach
schon vor der Anstiftungshandlung zur Tat entschlossen war und deutet er das §2411 (dazu § 3 0 , R n . 301 ff, 307 ff).
Ausbleiben einer Antwort auf seinen Anstiftungsbrief so, daß weitere Bestim-
mungsbemühungen erforderlich u n d erfolgversprechend seien, so verschafft ihm " 9 Bottke, 1980, 54; SK7-Hoyer, § 31, Rn. 11; Sch/Sch/Cramer/Heine 26, § 31, Rn. 4; anders Bau-
mann/Weber, AT10, § 32 II 3 (undeutlich).
deren Unterlassung Straffreiheit, w e n n § 31 I Nr. 1 nur die Verhinderung selbst »o E 1962, BT-Drucks. IV/650,155.
verursachter Gefahren verlangt; denn die v o m Aufgeforderten drohende Gefahr »' Wie hier SK7-Hoyer, § 31, Rn. 5; Herzberg, JZ 1989,119, mit weiterführenden Überlegun-
gen.
ist nicht durch die Aufforderung verursacht, so daß eine freiwillige Aufgabe w e i -
»2 Vgl. nmJescheck/Weigend, AT5, §51 III 3; SK6-Rudolphi, §24, Rn.16; Schmidhäuser, StuB
AT , 11/73; Stratenwerth, AT , § 11, Rn.81. Ausführlich Bottke, 1980, 64ff, der den mißlunge-
•26 Vgl. auch Sch/Sch/Cramer/Heine26, § 31, Rn. 5. nen Rücktritt als Zurechnungsproblem auffaßt und dadurch zu gewissen Differenzierungen
127
Auch der BGH stellt inJZ 1984, 290, 291 auf dieses subjektive Kriterium ab; allerdings kommt. Vgl. ferner ders., 1979, 538 ff, wo er bei einem mißlungenen Rücktritt vom Versuch
betraf dieser Fall den Rücktritt von der Verabredung, § 311 Nr. 3. (eines Täters oder Anstifters) den subjektiven Zurechnungszusammenhang für unterbrochen
128 Vgl. wie früher SK5-Samson, §31, Rn.ll. SK7-Hoyer, §31, Rn. 2, stellt dagegen hält und lediglich wegen Versuchs (versuchter Anstiftung), u. U. konkurrierend mit einem
(m. w. N.) lediglich fest, daß der gesetzgeberische Grund für die Straffreiheit bei § 31 und § 24 Fahrlässigkeitsdelikt, bestrafen will.
identisch sei. IM Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 24, 82; Eser, StrafR II3, Fall 33, Rn. 47 ff.
322 323
§ 28 VII 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung VII § 28

3. D e r Rücktritt v o n der Bereiterklärung (§ 311 Nr. 2) 4. Der Rücktritt v o n der Verabredung ( § 3 1 1 Nr. 3)
98 Der Rücktritt von der Bereiterklärung setzt nach § 311 Nr. 2 weiter nichts vor- a) D i e Notwendigkeit der Tatverhinderung
aus, als daß der potentielle Täter „sein Vorhaben aufgibt". Das ist eigentlich selbst- Von einer Verabredung kann man sich nicht straflos lösen, indem man sich aus 101
verständlich und bedarf kaum der Erläuterung. D e n n da der Sich-Erbietende ihr zurückzieht. Vielmehr verlangt der Gesetzgeber - wie beim Versuch mehrerer
ebenso wie derjenige, der eine Aufforderung a n n i m m t (vgl. zu diesen Varianten nach § 24 II 1 - , daß der Zurücktretende die Tat verhindert. D e m liegt der G e -
R n . 74), die Tat selbst ausführen will, beseitigt er jegliche Gefahr, indem er von danke zugrunde, daß die „Gefahr, daß der andere die Tat begeht" (§31 I N r . l ) , in
seinem Entschluß freiwillig Abstand nimmt. 1 3 4 einem solchen Fall immer noch besteht und wie bei der versuchten Anstiftung
99 Das einzige Problem dieser Rücktrittsvariante liegt darin, wie man das „Auf- vom Zurücktretenden beseitigt werden m u ß , w e n n er Straffreiheit erlangen will.
geben" gerichtlich feststellen soll. Da es sich dabei u m einen schwer überprüfbaren Gelingt i h m die Tatverhinderung nicht, so ist er zwar wegen seines vorzeitigen
inneren Vorgang handelt, liegt die Gefahr nahe, daß Delinquenten sich nach der Ausscheidens nicht als Mittäter, aber doch wegen Verabredung nach § 30 II straf-
Entdeckung der Strafe entziehen können, indem sie in unwiderlegbarer Weise b e - bar. Allerdings kann i h m schon sein ernsthaftes Bemühen u m die Tatverhinde-
haupten, sie hätten ihren Tatentschluß aufgegeben gehabt. U m d e m vorzubeugen, rung nach § 31 II zur Straffreiheit verhelfen, w e n n die Tat „unabhängig von sei-
hatte das Bundesjustizministerium ursprünglich eine Gesetzesfassung vorgeschla- nem früheren Verhalten begangen" wird. Eine solche Möglichkeit scheidet aus,
gen, wonach der Sich-Bereit-Erklärende sein Vorhaben „erkennbar" aufgegeben wenn der später Abspringende den anderen, der die Tat zu Ende führt, ursprüng-
haben müsse. Das fand in der Großen Strafrechtskommission keinen Beifall, weil lich angestiftet und als Mittäter gewonnen hatte; denn dann wirkt sein Beitrag
die Meinung vorherrschte, daß darin eine gegen den Grundsatz in dubio pro reo weiter. Wenn dagegen derjenige, der sich zurückzieht, seinerseits von einem
verstoßende Beweislastregel gesehen werden könne. 1 3 5 Jedoch ergebe sich schon o m n i m o d o facturus angeworben worden ist, aber bald wieder freiwillig ausschei-
aus dem Wort „aufgeben", daß die „Aufgabe" nach außen hervorgetreten sein det, kann er nach § 31 II Straflosigkeit erwerben, wenn er sich vergeblich u m die
müsse. Dies solle in der Gesetzesbegründung noch ausdrücklich klargestellt wer- Tatverhinderung bemüht. D e n n dann begeht der andere die Tat unabhängig vom
den. Dort 1 3 6 heißt es denn auch, es genüge, „daß der Zurücktretende . . . in einer Verhalten seines früheren Komplizen.
nach außen erkennbaren Weise sein Vorhaben aufgibt".
b) Formen der Tatverhinderung
100 Jedoch kann die Notwendigkeit einer solchen „Erkennbarkeit" nicht in den G e -
setzestext hineininterpretiert werden. D e n n die Aufgabe eines Entschlusses und Im Regelfall der Tatverhinderung wird der Zurücktretende aktiv tätig 1 3 8 (zu 102
deren äußere Erkennbarkeit sind ebenso zweierlei wie das Fassen eines Tatent- den verschiedenen Möglichkeiten aktiver Tatverhinderung vgl. R n . 9 2 ) . Es genügt
schlusses u n d dessen Hervortreten nach außen. Die Frage, ob der Sich-Bereit- aber auch ein Untätigbleiben des sich Zurückziehenden, w e n n dieser weiß, daß
Erklärende sein Vorhaben aufgegeben hat, unterliegt also der freien richterlichen ohne ihn die Tat nicht ausgeführt werden kann, 1 3 9 weil er z. B. allein zur Öffnung
Beweiswürdigung. Die Befürchtung, daß damit die Praktikabilität dieser R ü c k - des Tresors in der Lage ist oder n u r er die Person des in Aussicht genommenen
trittsalternative „ernsthaft in Frage" gestellt werde, 1 3 7 ist wohl übertrieben. D e n n Opfers kennt. Eine Verhinderung liegt sogar schon dann vor, wenn jemand sich
die Indizien, die einen Schluß auf die „Aufgabe" oder das „Weiterbestehen" eines von seinen Mitverschwörern in der zutreffenden Meinung löst, sie würden nicht
Vorhabens zulassen, sind hier nicht unsicherer, als sie es bei der Feststellung i n n e - wagen, die Tat ohne ihn auszuführen. 140 Nach B G H (JZ 1984, 290, 291) hat er da-
durch, daß er seinen Tatbeitrag nicht erbringt, das aus seiner Sicht Erforderliche
rer Tatsachen allgemein sind. So spricht es gegen eine freiwillige Aufgabe des Vor-
getan, u m die Straftaten zu verhindern.
habens, daß der Beschuldigte bei Tatvorbereitungen entdeckt wird oder scheitert,
während der Abbruch erfolgversprechender Vorbereitungen oder ein Untätigblei- c) Ausführung der Tat trotz vermeintlicher Verhinderung
ben, w o nach der Bereiterklärung wenigstens vorbereitende Aktivitäten zu erwar-
Wenn derjenige, der sich aus einer Verabredung zurückzieht, freilich zu Unrecht 103
ten gewesen wären, auf einen freiwilligen Rücktritt deuten.
annimmt, die übrigen würden die Tat ohne ihn nicht ausführen können oder

138 BGHSt 32,133,134; BGHR StGB, § 311, Untätigbleiben, Nr. 1.


«4 Vgl. zu einem Fall solcher Art BGHR StGB, § 31 I, Aufgeben, Nr. 1; OLG Hamm 139 Vgl. BGH GA 1974, 243 zu § 49 a IV a. F. m. Anm. Blei, JA 1974, 675 f., wo eine Verhinde-
NStZ-RR 1997,133. rung nur deshalb abzulehnen war, weil das Opfer ohnehin von einem anderen Komplottanten
135 NiedStrKomm 2,154. gewarnt worden war; Kühl, AT3, § 20, Rn. 260.
«« E 1962, BT-Drucks. IV/650,155. wo So auch BGHSt 32,133; BGH JZ 1984, 290 m. Anm. Kühl, aaO, 292 zu beiden Urteilen;
137 zur letztgenannten Entscheidung (im wesentlichen zust.) Küper, J R 1984, 265. Im selben Sinne
Seh/Seh/Cramer/Heine , § 31, Rn. 8. Cramer/Heine stimmen im übrigen mit der hier ver-
tretenen Auffassung überein. BGH NStZ-RR 1997, 289.

324 325
§ 28 VII 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung VII § 28
wollen, bleibt er i. d. R . strafbar. Hat er einen (oder mehrere) von denen, die die aufgegeben wird, dieser die Tat aber später aufgrund eines neuen Tatentschlusses
Tat ohne ihn ausführen, ursprünglich für das Verbrechen gewonnen, liegt sogar ausführt".143
eine Anstiftung zur vollendeten Tat vor (vgl. R n . 97). War derjenige, der die Tat Anders ist es aber wieder, w e n n von zwei Mittätern nach dem Ausscheiden des 105
ausführt, ein o m n i m o d o facturus, bleibt beim Ausscheidenden, dem die Tatver- einen der andere an dem Plan festhält und die Tat allein ausführt. In einem vom
hinderung nicht gelungen ist, eine Strafbarkeit wegen Verabredung (§ 30 II) b e - B G H 1 4 4 entschiedenen Fall hatten Bruder und Schwester ihren Vater aufgesucht,
stehen. D e n n die Voraussetzungen des § 311 Nr. 3 liegen nicht vor, und auch von u m ihn zu töten. Der Bruder, der den Vater hatte erstechen sollen, n a h m von dem
einem „ernsthaften Bemühen" i. S. d. § 31II kann man schwerlich sprechen, w e n n Plan jedoch Abstand, woraufhin die Schwester mit Tötungsabsicht auf den Vater
man sich von einem o m n i m o d o facturus lediglich in der M e i n u n g zurückzieht, einstach, ihn jedoch nur verletzte. Hier n a h m der B G H an, es habe sich noch u m
daß dieser die Tat nicht ausführen werde. Eine Straffreiheit nach § 31 II k o m m t dieselbe Tat gehandelt (weil nach dem Tatplan die Vornahme von Tötungshand-
allenfalls dann in Betracht, w e n n der Ausscheidende nicht weiß, daß der andere lungen auch durch die Schwester nicht ausgeschlossen worden war). Da der Tat-
ein o m n i m o d o facturus war und durch seinen Rückzug die Tat verhindert zu beitrag des Bruders (Entwicklung des Tatplans, Aufsuchen des Vaters) weiter-
haben glaubt. 141 Die Gewährung des Rücktrittsprivilegs hängt dann davon ab, ob gewirkt hatte, bejahte der B G H sogar eine Mittäterschaft des Bruders (richtiger
man das eigene Ausscheiden unter der genannten Voraussetzung als „ernsthaftes wäre eine Bestrafung wegen Beihilfe gewesen, vgl. § 30, R n . 318). Hier hätte der
Bemühen" gelten läßt. Bruder also, u m Straffreiheit zu erlangen, die Tat verhindern müssen. Wäre an-
dererseits nach dem Tatplan die Vornahme unmittelbarer Tötungshandlungen
d) D i e Ausführung der Tat in anderer Form oder m i t anderen K o m p l i z e n
durch die Schwester ausgeschlossen gewesen, hätte eine andere Tat vorgelegen. Der
104 Große Schwierigkeiten macht der Fall, daß der sich Zurückziehende durch sein Bruder wäre dann straffrei gewesen, weil er durch sein „Abstandnehmen" die ur-
Ausscheiden oder auch durch zusätzliche Hinderungsaktivitäten die Ausführung sprüngliche Tat verhindert hätte.
der Tat in der ursprünglich geplanten Form unmöglich macht, aber nicht vermei-
den kann, daß sie in anderer Weise begangen wird. Mit Recht macht der B G H die
5. D e r Rücktritt von der A n n a h m e eines Erbietens (§ 311 Nr. 3)
Frage, ob bei solchen Sachverhalten „die Tat verhindert" worden ist, davon abhän-
gig, ob die ausgeführte Tat mit der ursprünglich geplanten noch als identisch an- O b w o h l die Annahme eines Erbietens ein Spezialfall der versuchten Anstiftung 106
gesehen werden kann. „Ein Tatbeteiliger kann daher auch dann ohne weitere Ver- ist ( R n . 82), macht der Gesetzgeber auch hier die Straffreiheit von der Verhinde-
hinderungsbemühungen Straffreiheit erlangen, w e n n nach Neutralisierung seines rung der Tat abhängig; ein bloßes „Aufgeben" wie in § 31 I Nr. 1 kann also keine
Tatbeitrages der ursprüngliche Handlungsplan in abgewandelter Form fortgeführt Straflosigkeit bewirken. Der Unterschied erklärt sich daraus, daß aus der Sicht des
wird, das weitere Tatgeschehen jedoch hinsichtlich Objekt, Mittel oder sonstigen Annehmenden immer die Gefahr besteht, „daß der andere die Tat begeht"; denn er
räumlich-zeitlichen Modalitäten so wesentlich von dem zunächst verabredeten hat sich ja durch sein Erbieten dazu bereit erklärt. Selbst bei der (strafbaren) A n -
Tatplan abweicht, daß es sich . . . als Exzeß des Tatausführenden darstellt." 142 Die nahme eines Schein-Erbietens ( R n . 85/86) m u ß derjenige, der nach der A n n a h m e
für den Täterexzeß bei der Anstiftung entwickelten Grundsätze (§26, R n . 109 ff.) mit strafbefreiender W i r k u n g zurücktreten will, aktive Hinderungsbemühungen
können hier also entsprechend angewendet werden. Freilich geht die Rspr. darauf unternehmen. Diese können zwar nicht nach § 31 I Nr. 3 zur Strafbefreiung fuh-
nicht immer ausdrücklich ein. B G H N S t Z 1987, 118 betraf den Fall, daß der A n - ren, weil es nichts zu verhindern gibt, wohl aber nach § 31 II („unterbleibt die Tat
geklagte als einer von drei Verabredeten sich aus der Verbindung zurückgezogen ohne Zutun des Zurücktretenden"). Im übrigen gilt alles, was über den Rücktritt
von der versuchten Anstiftung zu sagen war, auch hier (vgl. R n . 9 0 f £ ) .
hatte, daß der zweite daraufhin ebenfalls abgesprungen und vom dritten erst
später durch ein Geldgeschenk und die Anwerbung eines Ersatzmannes zurück-
gewonnen worden war. Hier hat das Gericht nur § 31II („unabhängig von seinem 6. Das freiwillige und ernsthafte B e m ü h e n (§ 31II)
früheren Verhalten") geprüft, ohne zu untersuchen, ob die ausgeführte Tat über- a) D i e z w e i Varianten des § 31II
haupt noch die ursprünglich geplante war. D e n n erst die Unterstellung der
Schon die Erläuterung des § 31 I hat die ersatzweise eingreifenden Rücktritts- 107
Tatidentität macht den Weg zu dieser Variante des § 31 II frei. Anerkannt ist i m -
möglichkeiten des § 31 II in die Darstellung einbezogen (Rn. 101, 103, 104, 105).
merhin, daß eine Tatidentität immer dann ausgeschlossen ist, „wenn der Tatplan Hier soll der typische Anwendungsbereich beider Konstellationen noch einmal
aufgrund des Ausscheidens eines Mittäters von d e m anderen Mittäter zunächst zusammenfassend charakterisiert werden.

™ So auch BGH NStZ 1987,118. •« BGH NStZ 1999,450; ebenso schon BGH NStZ 1992, 527
M
i« BGH NStZ 1992, 537 f. * BGH NStZ 1999,449.
326 327
§ 28 VII 8. Abschnitt - Täterschaft und Teilnahme § 28. Vorstufen der Beteiligung VII § 28
108 Für die erste Alternative („unterbleibt die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden") Sehr schwierig ist auch die Frage zu beantworten, wie weit die Abwendungs- 112
kommen zwei Fallgruppen in Betracht. Die erste ist die, daß A den B zunächst zur bemühungen gehen müssen, um hinreichend „ernsthaft" zu sein. Nach BayObLG
Tat bestimmt, daß dieser den Plan hernach aber unbeeinflußt von den Verhinde- JR 1961, 269, 270 muß „der Reuige das zur Verhinderung des Verbrechens ihm
rungsbemühungen des Anstifters aus anderen Gründen wieder aufgibt. Die zweite Mögliche vollständig getan" haben. Hier hatte der Angeklagte einen Zeugen zum
Konstellation liegt vor, wenn jemand irrtümlich einen anderen, der gar keinen Meineid angestiftet, die Tat aber später dadurch zu verhindern versucht, daß er auf
Tatentschluß gefaßt hat, angestiftet zu haben glaubt und nun ernsthafte Verhinde- den von ihm benannten Zeugen verzichtete. Der Richter hatte den Zeugen
rungsbemühungen unternimmt; in diesen Bereich gehört auch der Fall der An- gleichwohl vernommen und vereidigt, ohne daß der Angeklagte noch etwas zur
nahme eines Schein-Erbietens (Rn. 106). Verhinderung des Meineides unternommen hätte; doch hatte der Zeuge aufgrund
109 Die zweite Alternative („wird sie unabhängig von seinem ursprünglichen Ver- der richterlichen Ermahnungen die Wahrheit gesagt. Hier kam die erste Alterna-
halten begangen") betrifft den Fall, daß der die Tat Ausführende ein omnimodo tive des § 31 I in Betracht. Sie wurde ihm aber versagt, weil es nicht genüge, daß
facturus war,145 der sich auch durch die nachträglichen Verhinderungsbemühun- ein Beteiligter „nur zeitweise - wie hier - die Wirkung seiner Beeinflussung un-
gen des vermeintlichen Anstifters oder des Verabredungspartners nicht von der schädlich machen will, dann aber untätig bleibt, obwohl er erkennt, daß die Vor-
Tatbegehung abbringen läßt (Rn. 103). Hier ergibt sich bei der Anwendung des bereitung des Verbrechens durch ihn fortwirkt und zur Begehung hinführt". Dem
§ 31 II die schwierige Zusatzfrage, welche Bedeutung einer psychischen Beihilfe wird man zustimmen müssen.
zukommt, die mit der ursprünglichen Verabredung oder versuchten Anstiftung
verknüpft gewesen sein kann. Man wird sagen müssen, daß auch bei ihrem Vor-
liegen die Tatbegehung durch den omnimodo facturus von einer solchen Beein-
flussung unabhängig ist, so daß ernsthafte Verhinderungsbemühungen eine Straf-
barkeit nach § 30 ausschließen. Bei Ausführung des Delikts durch den omnimodo
facturus ist aber immer noch zu überlegen, ob nicht eine psychische Beihilfe zur
vollendeten Tat gegeben ist. Richtigerweise wird das zu verneinen sein, weil eine
„Stärkung des Tatentschlusses" rückgängig gemacht wird, wenn der ursprünglich
Beteiligte den Täter von seinem Vorhaben wieder abzubringen versucht.146
b) Das freiwillige und ernsthafte Bemühen
110 Wann ein Verhinderungsbemühen „ernsthaft" ist, ist im einzelnen sehr umstrit-
ten. Der Begriff ist jedoch nicht anders auszulegen als beim Rücktritt vom Ver-
such mehrerer nach §24 II 2;147 für alle grundsätzlichen Fragen muß daher auf
diese im Vordergrund stehende Rücktrittsvorschrift verwiesen werden (vgl. § 30,
Rn. 301 ff, 265 ff). Hier seien nur einzelne Entscheidungen nachgetragen, in de-
nen die Rspr. speziell die „Ernsthaftigkeit" im Rahmen des § 31II (bzw. des frühe-
ren § 49 a IV) behandelt hat.
111 Nach BGH GA 1965, 283 kann die „Nichteinhaltung einer Verabredung", also
ein Untätigbleiben, i. d. R. noch nicht als ernsthaftes Bemühen gelten; es muß ein
tätiges Verhinderungsverhalten hinzukommen. Anders ist es nur dann, wenn der
Untätige weiß, daß ohne ihn die Tat nicht ausgeführt werden kann (vgl. schon
Rn. 102). So lag es in BGH GA 1974, 243 f.: Die Ehefrau unterließ es, ihren Ehe-
mann an den Ort zu fahren, wo er verabredungsgemäß ermordet werden sollte;
dieser war aber schon von anderer Seite über das Komplott unterrichtet worden.

i« In diesem Sinne auch BGH NStZ 1987,118.


146
Z.T. hiervon früher abw. SK5-Samson, § 31, Rn. 16.
"7 Ebenso zum Begriff der Freiwilligkeit BGH NStZ 1998, 510.
328 329
§29. Der Versuch §29

GA 1978, 321; Tiedemann, Die Überschuldung als Tatbestandsmerkmal des Bankrotts, Schrö-
der-FS, 1978, 289; Geilen, Raub und Erpressung (§§249-256 StGB), Jura 1979, 613 f.; Küper,
Versuchs- und Rücktrittsprobleme bei mehreren Tatbeteiligten, JZ 1979, 775; Roxin, Tatent-
schluß und Anfang der Ausführung beim Versuch, JuS 1979,1; Rudolphi, Zur Tatbestandsbezo-
9. Abschnitt genheit des Tatherrschaftsbegriffs bei der Mittäterschaft, Bockelmann-FS, 1979, 383; Sonnen,
Die Lehre vom Versuch Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlung und Versuch beim Diebstahl, JA 1979, 334; Tie-
demann, Der BGH zum neuen Konkursstrafrecht, NJW 1979, 254; Ulsenheimer, Zur Problema-
tik des Rücktritts vom Versuch erfolgsqualifizierter Delikte, Bockelmann-FS, 1979, 405; Bor-
§29. Der Versuch chert, Unmittelbares Ansetzen durch Aufsuchen des Tatortes, fehlgeschlagener Versuch oder
unfreiwilliger Rücktritt, Mittäterschaft des im Fluchtauto wartenden Komplizen, JA 1980,
254; Otto, Versuch und Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten, JA 1980, 641; Puppe, Grundzüge
Literatur: Bünger, Über Vorstellung und Wille als Elemente der subjektiven Verschuldung, der actio libera in causa, JuS 1980, 346; Backmann, Strafbarkeit des vor Tatbeginn zurückgetre-
ZStW 6 (1886), 291; Thomsen, Über den Versuch der durch eine Folge qualifizierter Delikte, tenen Tatbeteiligten wegen vollendeter Tat? - BGHSt 28, 346, JuS 1981, 336; Kühl, Grundfälle
1895; Hörn, Der Versuch. Begründung einer objektiven Versuchstheorie im Hinblick auf empi- zu Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1981, 193; Küper, Versbeginn und
rische Psychologie und Physopsychologie, ZStW 20 (1900), 309; Kriegsmann, Wahnverbrechen Mittäterschaft, ZStW 93 (1981), 879; ders., Objektive und personale Zurechnung von Verhal-
und untauglicher Versuch, 1904; v. Liszt, E., Zur Lehre vom Versuch. Eine Besprechung der in ten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981; Stree, Zur Frage, bei
dem Werke Ernst Delaquis': „Der untaugliche Versuch. Ein Beitrag zur Reform der Strafge- welcher Sachlage das Delikt der Strafvereitelung als Wahnvergehen begangen wird, JR 1981,
setzgebung" (Berlin, 1904) dargelegten Theorie, ZStW 25 (1905), 24; v. Bar, Gesetz und Schuld 297; Wolter, Zur Struktur der erfolgsqualifizierten Delikte, JuS 1981,168; Borchert/Hellmann, Die
im Strafrecht. Bd. 2: Die Schuld nach dem Strafgesetz, 1907; Beling, Grundzüge des Strafrechts, Abgrenzung der Versuchsstadien des § 24 11 StGB anhand der objektiven Erfolgstauglichkeit,
n
1930; Henckel (Hans), Der Gefahrbegriff im Strafrecht, 1930, Neudruck 1977; Robert v. Hippel, GA 1982, 429; Burkhardt, Zur Abgrenzung von Versuch und Wahndelikt im Steuerstrafrecht,
Deutsches Strafrecht, Bd. II: Das Verbrechen, 1930, Neudruck 1971; v. Gemmingen, Die Rechts- wistra 1982,180; Hruschka, Die Herbeiführung eines Erfolges durch einen von zwei Akten bei
widrigkeit des Versuchs, 1932; zu Dohna, Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1947; Bockelmann, eindeutigen und mehrdeutigen Tatsachenfeststellungen, JuS 1982, 317; Günther, Besprechung
Zur Reform des Versuchsstrafrechts, in: ders., Strafrechtliche Untersuchungen, 1957,150; Niese, von Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft, 1978, GA 1983, 330; Kadel, Versuchsbeginn bei
Die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen (Rechtsprechungsbericht) zu: Bd 6-9 der Amtli- mittelbarer Täterschaft - versuchte mittelbare Täterschaft, GA 1983, 299; Kühl, Versuch in mit-
chen Sammlung - Entscheidungen zum materiellen Strafrecht, JZ 1957, 658; Maihqfer, Der telbarer Täterschaft - BGHSt, 30, 363, JuS 1983, 180; Küper, Der Versuchsbeginn bei mittel-
Versuch der Unterlassung, GA 1958, 289; Grünwald, Der Versuch des unechten Unterlassungs- barer Täterschaft, JZ 1983, 361; Lenckner, Betrug gegenüber einem Makler, NStZ 1983, 409;
delikts, JZ 1959, 46; Stree, Zur Auslegung der §§ 224, 226 StGB (Zugleich ein Beitrag zum Ver- Samson, Irrtumsprobleme im Steuerstrafrecht, in: Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung und
such erfolgsqualifizierter Delikte), GA 1960, 287; Schröder, Grundprobleme des Rücktritts vom Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, 1983, 99; Wolter, Vorsätzliche Vollendung ohne Voll-
Versuch, JuS 1962, 81 Lönnies, Rücktritt und tätige Reue beim unechten Unterlassungsdelikt, endungsvorsatz und Vollendungsschuld? Zugleich ein Beitrag zum „Strafgrund der Voll-
NJW 1962, 1950; Androulakis, Studien zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte, endung", Leferenz-FS, 1983, 545; Bloy, Betrug zum Nachteil eines Maklers, JR 1984,123; Maaß,
1963; Baumann, Täterschaft und Teilnahme, JuS 1963, 85; Reinhard v. Hippel, Untersuchungen Betrug gegenüber einem Makler - BGHSt 31, 178, JuS 1984, 25; Puppe, Der objektive Tatbe-
über den Rücktritt vom Versuch, 1966; Ulsenheimer, Zur Problematik des Versuchs erfolgsquali- stand der Anstiftung, GA 1984, 101; Wolter, Der „unmittelbare" Zusammenhang zwischen
fizierter Delikte, GA 1966, 257; Rudolphi, Die Strafbarkeit des versuchten unechten Unterlas- Grunddelikt und schwerer Folge beim erfolgsqualifizierten Delikt, GA 1984, 443; Bloy, Die
sungsdeliktes, MDR 1967,1; Dicke, Zur Problematik des untauglichen Versuchs, JuS 1968,157; Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; Herzberg, Die lebensgefährliche
Ulsenheimer, Das Personensorgerecht der Eltern im Widerstreit mit dem Gewissen und dem Verwechslung oder der wütende Dackel - Ein Bericht über eine strafrechtliche Examensklau-
Strafgesetzbuch. Eine Stellungnahme zum Urteil des OLG Hamm, FamRZ 1968, 221 (Teil 1); sur, JuS 1985, 708; Armin Kaufmann, „Objektive Zurechnung" beim Vorsatzdelikt?, Jescheck-FS,
568 (Teil 2); Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 21970; Arzt, Die Neufas- Bd. 1, 1985, 251; Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, 1985; Nierwet-
sung der Diebstahlsbestimmungen, JuS 1972, 576; Rudolphi, Inhalt und Funktion des Hand- befg, Der strafrechtliche Subsumtionsirrtum - Tatbestands- oder Verbotsirrtum, Wahndelikt
lungsunwerts im Rahmen der persönlichen Unrechtslehre, Maurach-FS, 1972, 51; Wessels, Zur oder untauglicher Versuch?, Jura 1985, 238; Otto, Der Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts,
Problematik der Regelbeispiele für „schwere" und „besonders schwere Fälle", Maurach-FS, Jura 1985, 671; Fabry, Der besonders schwere Fall der versuchten Tat, NJW 1986, 15; Jakobs, Zu
1972, 295; Blei, Das Wahnverbrechen, JA 1973, 237, 321, 389, 459, 529, 601; Herzberg, Der Ver- den Voraussetzungen einer Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge, J R 1986,
such beim unechten Unterlassungsdelikt, MDR 1973, 89; ders., Aberratio ictus und abweichen- 380; Küpper, Anspruch und wirkliche Bedeutung des Theorienstreits über die Abgrenzung von
der Tatverlauf, ZStW 85 (1973), 867; Tiedemann, Der Versuch der Zweckentfremdung im Steu- Täterschaft und Teilnahme, GA 1986, 437; Maier, Die mittelbare Täterschaft bei Steuerdelikten,
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Welzel-FS, 1974, 701; Kölz-Ott, Eventualvorsatz und Versuch, 1974; Herdegen, Der Verbotsirr- spiel der Steuerhinterziehung, wistra 1986, 193; Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte und ver-
tum in der Rechtsprechung des BGH, BGH-FS, 1975, 206; Roxin/Stree/Zipf/Jung, Einführung wandte Erscheinungsformen, 1986; Sternberg-Lieben, Versuch und § 243 StGB, Jura 1986, 183;
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Delikt nach §18 StGB, Lange-FS, 1976, 219; Maiwald, Literaturbericht Strafrecht - Allgemeiner tum, 1987; Laubenthal, Der Versuch des qualifizierten Delikts einschließlich des Versuchs im be-
Teil (Teilnahmelehre), über: Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelba- sonders schweren Fall bei Regelbeispielen, JZ 1987, 1065; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten
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Erfolgszurechnung - zugleich ein Beitrag zur versuchten Straftat sowie zur subjektiven Er- nalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, 93; Puppe, Urkundenechtheit bei Handeln unter
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330 331
§ 29 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs I § 29
Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, 1989, 311; Küpper, Fahrlässige Brandstiftung mit tödli- Lüderssen Irrtum und Prävention, Roxin-FS, 2001, 456; Mir Puig, Untauglicher Versuch und
chem Ausgang, JuS 1990,184; Heidingsfelder, Der umgekehrte Subsumtionsirrtum, 1991; Vehling, statistische Gefährlichkeit im neuen spanischen StGB, Roxin-FS, 2001, 729- Atnbos Der Alke
Die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, 1991; Eschenbach, Zurechnungsnormen im meine Teil des Völkerstrafrechts, 2002, 725; Guhra, Das vorsätzlich-tatbeständsmäßige Verhal-
Strafrecht: BGH v. 11.7.1991 - 1 StR 357/91 - J u r a 1992, 637; Küper, „Teilverwirklichung" des ten beim beendeten Versuch, 2002; Hardtung, Versuch und Rücktritt bei den Teilvorsatzdelik-
Tatbestandes - ein Kriterium des Versuchs? - Zugleich eine Besprechung des BGH-Urteils ten des § 11 Abs. 2 StGB, 2002; Heckler, Die Ermittlung der beim Rücktritt vom Versuch erfor-
vom 16.1.1991 - , JZ 1992, 338; Mitsch, Sturz aus dem Fenster: BGH, Urt v. 17.3.1992 - 5 StR derlichen Rucktrittsleistung anhand der objektiven Vollendungsgefahr, 2002- M -K Meyer
34/92 = NJW 1992,1708, Jura 1993,18; Puppe, Vorsatz und Zurechnung, 1992; Vogel, Norm und Das Unmittelbarkeitsprinzip am Beispiel des Versuchs, GA 2002, 367; Schliebitz, Die Erfoles-
Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1993; Vogler, Der Beginn des Versuchs, Stree/ zurechnung beim „mißlungenen" Rücktritt, 2002.
Wessels-FS, 1993, 285; Häuf, Neuere Entscheidungen zur Mittäterschaft unter besonderer Be-
rücksichtigung der Problematik der Aufgabe der Mitwirkung eines Beteiligten während der
Tatausführung bzw. vor Eintritt in das Versuchsstadium: Zugleich eine Besprechung der Urtei-
le des BGH, NStZ 1991, 280 und NStZ 1993, 489; NStZ 1994, 263; Krüger, Der Versuchsbeginn A. Definition und Strafgrund des Versuchs
bei mittelbarer Täterschaft. Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung, 1994; Nie-
poth, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, 1994; ders., Der untaugliche
Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, JA 1994, 337; Erb, Zur Konstruktion eines untaug- I. Der Begriff des Versuchs
lichen Versuchs der Mittäterschaft bei scheinbarem unmittelbarem Ansetzen eines vermeint-
lichen Mittäters zur Verwirklichung des Straftatbestandes: Zugleich eine Besprechung des
Der Versuch ist eine auf der Grundlage der Tätervorstellung zu beurteilende
BGH-Urteils vom 25.10.1994, NStZ 1995, 424; Ingelfinger, „Schein"-Mittäter und Versuchsbe-
ginn, JZ 1995, 704; Joerden, Scheinmittäter und Versuchsbeginn, JZ 1995, 735 f.; Jung, Strafbar- mit realen Mitteln bewirkte tatbestandsnahe Gefährdung oder im Falle seiner
keit des untauglichen Versuchs bei vermeintlicher Mittäterschaft, JuS 1995, 380; Kühne, Straf- schon ex ante erkennbaren Ungefährlichkeit doch jedenfalls ein tatbestandsna-
barkeit der versuchten Mittäterschaft?, NJW 1995, 934; Küpper/Mosbacher, Untauglicher Ver-
her, nach dem Urteil des Gesetzgebers mehr oder weniger rechtserschüttern-
such bei nur vermeintlicher Mittäterschaft - BGH, NJW 1995, 142, JuS 1995, 488; Zieschang,
Mittäterschaft bei bloßer Mitwirkung im Vorbereitungsstadium, ZStW 107 (1995), 361; Sanci- der Normbruch. Diese Beschreibung bezeichnet kein vom Gesetz unabhängiges
netti, Subjektive Unrechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch, 1995; Ahrens, Vermeintliche „Wesen" des Versuchs, sondern entspricht der Regelung des geltenden Rechts
Mittäterschaft und Versuchsstrafbarkeit, JA 1996, 664; Behm, Nichtzahlung des Lohns für „Tele-
(§§22, 23) und dem daraus abzuleitenden Strafgrund des Versuchs.
fonsex": Betrug, versuchter Betrug oder Wahndelikt? - Zugleich Besprechnung von LG
Mannheim, NJW 1995, 3398 - , NStZ 1996, 317; Dencker, Kausalität und Gesamttat, 1996; Radt- Ein Versuch ist zunächst ein tatbestandsnahes Handeln mit dem Vorsatz der
ke, An der Grenze des strafbaren untauglichen Versuchs, JuS 1996, 878; Roxin, Zur Mittäter- Tatbestandsverwirklichung. Das läßt sich aus §22 entnehmen, der für den Ver-
schaft beim Versuch, Odersky-FS, 1996, 489; Schefßer, Von Telefonsex, Sittenwidrigkeit und
Betrug, JuS 1996, 1070; Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, 1996, 20; Zopfs, Vermeintliche such ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung verlangt. Was vor
Mittäterschaft und Versuchsbeginn, Jura 1996, 19; Abrahams/Schwarz, Nichtzahlung des Ent- diesem „unmittelbaren Ansetzen" liegt - die Vorbereitung der Tat - , ist also noch
gelts für „Telefon-Sex" - Vollendeter Betrug, untauglicher Versuch oder Wahndelikt?, Jura kein Versuch. Auf dieser Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch liegt der
1997, 355; Fahl, Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, JA 1997, 635; Küper, Der Rücktritt
vom „erfolgsqualifizierten Versuch" JZ 1977, 229; Streng, Der Irrtum beim Versuch - ein Irr- Schwerpunkt des § 22, der entgegen seiner Überschrift keine eigentliche Begriffs-
tum? Ein Beitrag zur Struktur des Versuchstatbestands, ZStW 109 (1997), 862; Buser, Zurech- bestimmung enthält. Doch lassen sich aus der „Ansatzformel" immerhin wesent-
nungsfragen beim mittäterschaftlichen Versuch, 1998; B. Heinrich, Die Abgrenzung von liche Elemente einer Versuchsdefinition erschließen.
untauglichem, unverständigem und abergläubischem Versuch, Jura 1998, 393; Krack, Der Ver-
suchsbeginn bei Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft, ZStW 110 (1998), 611; Malitz, Der Das tatbestandsnahe Handeln muß, wie sich aus §22 entnehmen läßt, auf der
untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, 1998; Rath, Grundfälle zum Unrecht Grundlage der Tätervorstellung („nach seiner Vorstellung von der Tat"1) ermittelt
des Versuchs, JuS 1998, 1006, 1106; Schliebitz, Error in persona, JA 1998, 833; Weber, Probleme werden. Aus diesem Begriffselement lassen sich drei für den Versuch wesentliche
der Versuchsstrafbarkeit bei mehreren Tatbeteiligten, Lenckner-FS, 1998, 435; Wolters, Versuchs-
beginn bei Einsatz eines sich selbst schädigenden Tatmittlers, NJW 1998, 578; Beier, Die ver- Aussagen entnehmen:
suchte Tötung durch Einsatz einer Giftfalle - BGHSt 43, 177, JA 1999, 771; Böse, Der Beginn a) Jeder Versuch setzt zunächst einen auf die Vollendung des Delikts gerichteten -
des beendeten Versuchs: Die Entscheidung des BGH zur „Giftfalle" JA 1999, 342; Herzberg,
Mordauftrag und Mordversuch durch Schaffung einer Sprengfalle am falschen Auto, JuS 1999, Tatentschluß des Täters voraus. Dieser Tatentschluß (= Vorsatz) ist zwar nicht mit
224; dm., Vollendeter Mord bei Tötung des falschen Opfers?, NStZ 1999, 217; Krack, Mordauf- der in § 22 in Bezug genommenen „Vorstellung von der Tat" identisch.2 Doch ent-
trag und Mordversuch durch Schaffung einer Sprengfalle am falschen Auto, JuS 1999, 832; spricht das Wissenselement des Vorsatzes der Vorstellung des Täters von der Tat.
Murmann, Versuchsunrecht und Rücktritt, 1999; Rath, Grundfälle zum Unrecht des Versuchs,
JuS 1999, 32; 140; Streng, Wie „objektiv" ist der objektive Versuchstatbestand?, Zipf-FS, 1999, Wer nur fahrlässig eine tatbestandsnahe Gefahr schafft, setzt nicht nach seiner Vor-
325; Bottke, Untauglicher Versuch und freiwilliger Rücktritt, BGH-FG, Band 4, 2000, 135; stellung zur Verwirklichung des Tatbestandes an, weil er die Gefahr entweder
Gorka, Der Versuchsbeginn des Mittäters, 2000; Jäger, Freiwilligkeit des Rücktritts: Beginn des nicht sieht (unbewußte Fahrlässigkeit) oder darauf vertraut, daß sie sich nicht ver-
Versuchs, Anmerkung zum BGH-Urteil v. 22.4.1999 - 4 StR 76/99, NStZ 2000, 415; Küper,
Der Rücktritt vom Versuch des unechten Unterlassungsdelikts, ZStW 112 (2000), 1; Herzberg, wirklichen werde (bewußte Fahrlässigkeit). Ein fahrlässiger Versuch ist dem deut-
Zur Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, GA 2001, 257; ders., Der Versuch, die Straftat durch
einen anderen zu begehen, Roxin-FS, 2001, 749; Hillenkamp, Zur „Vorstellung von der Tat" im
Tatbestand des Versuchs, Roxin-FS, 2001, 689; ders., 32 Probleme aus dem Strafrecht. Allge- ' Eine gründliche Analyse der „Vorstellung von der Tat" liefert auf dem Hintergrund von
meiner Teil, 102001; Hirsch, Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, Roxin-FS, 2001, 711; Gesetzgebung und Rspr. Hillenkamp, Roxin-FS, 2001, 689.
2
Näher Hillenkamp, Roxin-FS, 2001, 700 ff.
332
333
§ 29 I 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
§29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs II § 2 9
sehen Recht also unbekannt. Er läßt sich höchstens als Gefährdungsdelikt (z. B. vornherein straflos. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes,
fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung, § 315 c III) erfassen. dessen § 23 III sich theoretisch auch der abergläubische Versuch unterstellen ließe.
5 b) Mit der „Vorstellung von der Tat" ist aber nicht nur ein Teilelement des Vor- Es ist aber aus dem Strafgrund des Versuchs abzuleiten, wonach derartige Hand-
satzes, sondern auch die Art und Weise seiner Verwirklichung gemeint. Wenn je- lungen in keinem Fall ein Strafbedürfnis auslösen: Das moderne Strafrecht hält
mand das Gewehr auf einen anderen anlegt, hängt das Vorliegen eines Tötungsver- auf eine Tatbestandsverwirklichung gerichtete Aktivitäten nur dann für be-
suchs also nicht nur davon ab, ob dies mit Tötungsvorsatz oder nur zum Zwecke kämpfenswert, wenn sie sich auf dem Boden der Realität bewegen. Beim aber-
der Drohung geschah. Es kommt vielmehr auch noch darauf an, ob der Täter - bei gläubischen Versuch fehlt sowohl die Schaffung eines rechtlich mißbilligten Risi-
bestehendem Vorsatz - sogleich oder erst nach geraumer Zeit, etwa am Ende einer kos, die den gefährlichen Versuch kennzeichnet, als auch die Friedensstörung (der
längeren Auseinandersetzung, abdrücken wollte. Im ersten Falle liegt mit dem „rechtserschütternde Normbruch"), auf die sich die Strafbarkeit des ungefährlichen
Anlegen ein Versuch vor, im zweiten — wegen der fehlenden Tatbestandsnähe — Versuchs gründet.
noch nicht. Das Vorliegen eines Versuchs ist also zwar nach objektivem Maßstab,
aber auf subjektiver Beurteilungsgrundlage festzustellen. Die „Vorstellung von
der Tat" umfaßt danach also auch die „Ablaufsvorstellung" des Täters, seinen Tat- II. Der Strafgrund des Versuchs
plan.3
6 c) Schließlich ergibt sich aus dem Abstellen auf die Tätervorstellung auch die Der Strafgrund des Versuchs betrifft die Frage, warum der Gesetzgeber den Ver- 9
Strafbarkeit aller Formen des untauglichen Versuchs.4 Denn wenn jemand mit such im vorgesehenen Ausmaß unter Strafe stellt. Die Antwort darauf ist deshalb
Mordabsicht einem anderen ein erkennbar harmloses, vom Täter aber für tödlich von Bedeutung, weil sie für manche Probleme der Versuchslehre Auslegungshilfen
gehaltenes Mittel in den Kaffee schüttet, hat er damit nicht in Wirklichkeit, son- bietet und weil sie die Basis für jede rechtspolitische Beurteilung der Versuchs-
dern nur nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar strafbarkeit liefert. Im folgenden wird zunächst die eigene Auffassung umrissen
angesetzt. Daß dies nach geltendem Recht ein strafbarer Versuch ist, folgt nicht und anschließend in Auseinandersetzung mit den wichtigsten abweichenden Kon-
nur aus § 22, sondern auch aus § 23 III. Denn wenn dort hinsichtlich der Bestra- zeptionen vertieft.
fung besonders törichter untauglicher Versuche dem Richter ein großer Ermes-
sensspielraum eingeräumt wird, setzt das voraus, daß immerhin ein grundsätzlich 1. Der Versuch als tatbestandsnahe Gefährdung oder tatbestandsnaher,
strafbarer Versuch anzunehmen ist. Doch läßt sich der Gesetzesbegründung ent- rechtserschütternder Normbruch (Vereinigungstheorie)
nehmen, daß dies auch schon in § 22 zum Ausdruck gebracht werden sollte.5 Die schlagwortartige Formulierung der Überschrift läßt sich in einem Satz so 10
7 Die so beschriebene Gefährdung muß tatbestandsnah, nicht notwendig ausdrücken: Der Strafgrund des Versuchs liegt in dem general- oder spezialprä-
rechtsgutsnah sein; denn es muß ein unmittelbares Ansetzen „zur Verwirk- ventiven Strafbedürfnis, das im Regelfall aus der vorsätzlichen tatbestandsnahen
lichung des Tatbestandes" vorliegen (§ 22). Bezugspunkt der Versuchsbestrafung ist Gefährdung, ausnahmsweise aber auch schon aus einem in einer tatbestandsnahen
also nicht das geschützte Rechtsgut, sondern der Tatbestand. Das ist deshalb wich- Handlung sich manifestierenden rechtserschütternden Normbruch hergeleitet
tig, weil danach Handlungen Versuche auch dann sein können, wenn sie im Hin- wird.
blick auf das geschützte Rechtsgut noch weit im Bereich der Vorbereitung liegen. Die Eigenart dieser Auffassung liegt darin, daß sie den Strafgrund des Ver- 11
So ist ein strafbarer Versuch der Münzfälschung (§ 146) schon dann gegeben, suchs auf zwei verschiedene Wurzeln zurückfuhrt. Sie stellt primär auf die tat-
wenn der Täter zum Fälschungsakt ansetzt; das geschützte Rechtsgut — die Wäh- bestandsnahe Gefährdung ab, die den tauglichen, aber auch den gefährlichen un-
rung — wird aber frühestens beim Inverkehrbringen beeinträchtigt. tauglichen Versuch und damit die bei weitem größte Zahl aller Versuche kenn-
8 Schließlich liegt ein Versuch nur vor, wenn der Täter sich zur Erreichung seiner zeichnet. Denn da die Gefährlichkeit eines Versuches nur ex ante beurteilt werden
Ziele realer Mittel bedient. Der mit irrealen Mitteln begangene abergläubische kann - ex post erweist sich jeder scheiternde Versuch als ungefährlich - , ist auch
Versuch (etwa das Bemühen, einen anderen durch Zauberei zu schädigen) ist von ein untauglicher Versuch gefährlich, solange ein einsichtiger Drittbeurteiler, der
die Ziele des Täters kennt und über dessen etwaiges Sonderwissen verfügt, mit
3 Näher Hillenkamp, Roxin-FS, 2001, 703 f. der Erfolgsherbeiführung rechnen muß. Wenn also jemand in Tötungsabsicht
4
Näher Hillenkamp, Roxin-FS, 2001, 690ff., 699. einen Revolver abdrückt, ohne daß dabei erkennbar ist, daß ein Dritter ihn
5
E 1962,143: „Daß der untaugliche Versuch strafbar ist..., läßt der Entwurf durch die Fas-
sung des §26 Abs.l (heute in verändertem Wortlaut §22) erkennen: Auch Handlungen, die heimlich entladen hatte, ist das ein gefährlicher, wenn auch mit einem untaugli-
nur nach den Vorstellungen des Täters ... einen Anfang der Ausführung bilden, fuhren grund- chen Mittel durchgeführter Versuch. So hat es noch die um 1930 herrschende, von
sätzlich zur Bestrafung wegen Versuchs..." v. Liszt und v. Hippel vertretene neuere Gefährlichkeitstheorie beurteilt (näher
334
335
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs II § 29
R n . 27 f.), und so sehen es in der jüngsten Diskussion - unbeschadet aller sonsti- Vorstellung des Täters deliktische Ausführungshandlungen auch hier vor; b e -
gen Differenzen - auch wieder Hirsch6, MirPuig7 und Herzberg8. stünde in dieser subjektiven Komponente (im N o r m b r u c h ) der wesentliche Straf-
12 Ungefährlich ist ein untauglicher Versuch erst dann, w e n n der erwähnte ver- grund des Versuchs, wäre eine so weitgehende Zurücknahme der Strafbarkeit u n -
ständige Drittbeurteiler schon ex ante erkennen würde, daß er nicht zum Erfolge gereimt.
führen kann. So liegt es etwa bei einem Vergiftungsversuch mit einem nach allge- Drittens ist auch die im Gesetz vielfach anzutreffende Bestrafung von Vorberei- 16
meiner Kenntnis harmlosen Mittel oder bei einem Tötungsversuch, den der b e - tungshandlungen nur daraus erklärlich, daß der Gesetzgeber sie trotz ihres weiten
sonders schlecht sehende Täter an einer für jeden Normalsichtigen als solche leicht Abstandes z u m Erfolg für besonders gefährlich hält. Wenn z. B. die Verbrechens-
zu erkennenden Pappfigur begeht. Strafbar ist nach geltendem Recht auch der u n - verabredung im Gegensatz zu dem in massiven Vorbereitungshandlungen sich
gefährliche untaugliche Versuch, wie sich daraus ergibt, daß § 22 allein auf die manifestierenden Verbrechensentschluß eines Einzeltäters strafbar ist (§ 30 II), so
subjektive Vorstellung des Täters abstellt und § 23 III sogar den grob unverständi- beruht das auf der besonderen Gefährdung, die von der eingegangenen Verpflich-
gen Versuch für prinzipiell strafbar erklärt. Diese Strafbarkeit läßt sich nicht mehr tung, der Willensbindung, ausgeht (näher § 28, R n . 5, 8, 43). Hinsichtlich des
aus dem Gefährdungsgedanken, sondern nur noch daraus erklären, daß der G e - deliktischen Willens und der Tatnähe unterscheiden sich beide Verhaltensweisen
setzgeber es schon für - mehr oder weniger - strafwürdig hält, w e n n jemand ei- nicht, so daß sich daraus die unterschiedliche gesetzliche Behandlung nicht er-
nen deliktischen Entschluß in eine, sei es auch ungefährliche, Ausführung u m - klären läßt. Steht aber bei der Bestrafung von Vorbereitungshandlungen der G e -
setzt. Er sieht darin einen rechtserschütternden N o r m b r u c h , den er ebenfalls als fährdungsgedanke eindeutig im Vordergrund, wäre es ein Wertungswiderspruch,
einen ggf. strafbaren Versuch beurteilt. wenn für den Strafgrund des Versuchs etwa ganz anderes gälte.
13 Wir haben hier also eine dualistische Konzeption vor uns. 9 Doch genießt das Viertens läßt sich nur die Strafbarkeit des gefährlichen Versuchs mit den rechts- 17
Gefährdungsprinzip dabei durchaus den Vorrang, wie sich aus den nachfolgenden staatlichen und dogmatischen Grundlagen unseres Strafrechts ohne weiteres ver-
vier Gründen erkennen läßt ( R n . 14-17). Das Recht des Gesetzgebers, auch u n g e - einbaren, während der ungefährliche Versuch als dogmatische Besonderheit zu-
fährliche Versuche unter d e m Gesichtspunkt des rechtserschütternden N o r m - sätzlicher Rechtfertigung bedarf ( R n . l 8 f f ) . Das deutsche Kriminalrecht ist ein
bruchs für prinzipiell strafbar zu erklären, braucht damit noch nicht bestritten zu Tatbestandsstrafrecht. 10 Der taugliche wie der gefährliche untaugliche Versuch hal-
werden ( R n . 18-24). ten sich in dem dadurch gezogenen R a h m e n : D e n n der taugliche Versuch ist eine
14 Erstens spricht der Umstand, daß der Versuch geringer als die Vollendung b e - Fast-Tatbestandserfüllung und eine Gefährdungsstraftat sui generis, die einem
straft werden kann (§ 23 II), dafür, daß dem Versuch in erster Linie der G e - konkreten Gefährdungsdelikt ähnelt 11 und damit zu den anerkannten Deliktsfor-
fährdungsgedanke zugrunde liegt. D e n n daß die Gefährdung im Verhältnis zur men zählt. D e m entspricht es, daß der taugliche Versuch wie die Gefährdung eine
Verletzung etwas Minderes sei, ist ein Gedanke, der unser Strafrecht auch sonst notwendige Durchgangsstufe zur Vollendung ist. Der gefährliche untaugliche Ver-
durchzieht; etwa in der milderen Bestrafung vorsätzlicher Gefährdungsdelikte im such ähnelt i m m e r noch einem abstrakten Gefährdungsdelikt, weil bei einer B e -
Verhältnis zu den entsprechenden Verletzungsdelikten oder der weitgehenden urteilung ex ante eine Tatbestandsverwirklichung als ernsthaft möglich erscheinen
Straflosigkeit fahrlässiger Gefährdungen. Stünde dagegen der Gedanke des mußte. 1 2 Alle diese Voraussetzungen fehlen beim ungefährlichen Versuch, der
„Normbruchs" im Vordergrund des Bestrafungsinteresses, wäre es konsequent, ebenso tatbestandsirrelevant wie ungefährlich ist und zu nichts weiterem fuhren
Versuch und Vollendung grundsätzlich gleich zu bestrafen. D e n n hinsichtlich des kann. Auch paßt zu der den Tatbestand konstituierenden Lehre von der objektiven
deliktischen Willens unterscheiden sich Vollendung und Versuch nicht. Zurechnung 1 3 nur der gefährliche Versuch, 14 der ein unerlaubtes Risiko schafft,
15 Für die vorrangige Bedeutung des Gefährdungsgedankens bei der Bestrafung das beim ungefährlichen Versuch gerade fehlt.
des Versuchs läßt sich zweitens geltend machen, daß Handlungen, die auf eine Tat-
10
bestandserfüllung abzielen, aber ganz besonders ungefährlich sind, in drastisch g e - Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 2.
ringerem Maße oder überhaupt nicht bestraft werden, wie der grob unverständige » Eine Identität besteht nicht. Denn beim konkreten Gefahrdungsdelikt bleibt - um nur
eine Abweichung zu nennen - der Erfolg nur zufällig aus (vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 11/7),
(§ 23 III) und der abergläubische Versuch ( R n . 8) zeigen. Dagegen liegen nach der während beim tauglichen Versuch das Scheitern auf planmäßigen Abwehrhandl'ungen beruhen
kann.
n
Eine Identität besteht auch hier schon deshalb nicht, weil bei abstrakten Gefährdungsde-
6 Hirsch, Roxin-FS, 2001, 711. hkten das möglicherweise in Gefahr geratende Rechtsgut im Tatbestand gar nicht enthalten
i MirPuig, Roxin-FS, 2001, 729. ist. Der Vergleich mit den konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten findet sich bei Mir
s Herzberg, GA 2001, 257. Puig, Roxin-FS, 2001, 744. Ähnlich auch Kratzsch, JA 1983, 420 ff; 578ff. (581); den., 1985, 63,
9
Die hier vertretene „Vereinigungstheorie" wird im Anschluß an eine Vor-Fassung dieser
13
Konzeption, die ich in der Nishihara-FS, 1998,157ff., veröffentlicht hatte, aufgenommen und Dazu Roxin, AT l3, § 11.
14
ausgebaut bei Heckler, 2002, 65 ff. Ähnlich Weigend, 1989,127.
336 337
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch — A. Definition und Strafgrund des Versuchs II § 29

heblichen Grade R e c h n u n g getragen, so daß der Gefährdungsgedanke auch hier


18 Andererseits hat der ungefährliche Versuch mit dem gefährlichen doch so viele
zwar relativiert, aber nicht bedeutungslos wird.
Ähnlichkeiten, daß man dem Gesetzgeber nicht die Berechtigung absprechen
Herzberg16 will mit einer monistischen Theorie auskommen und auch für alle 22
kann, ihn als defizitäre Art des Versuchs in dessen Strafbarkeit grundsätzlich ein-
untauglichen Versuche (einschließlich der hier „ungefährlich" genannten) die G e -
zubeziehen. Die Willensschuld dessen, der einen nach dem Urteil eines verständi-
fährdung als Strafgrund ansehen, weil die Tätervorstellung dem Gesetzgeber „als
gen Dritten von vornherein ungefährlichen Versuch unternimmt, entspricht der
Indiz für die wirkliche Gefahr der Tatbestandserfüllung" diene. Beim ungefähr-
jedes anderen Versuchstäters, da er ja von der Vollendbarkeit seines Deliktsplans
lichen Versuch wird aber dieses Indiz schon durch eine Beurteilung ex ante wider-
ausgeht. Auch unter spezialpräventiven Gesichtspunkten ist sein Verhalten nicht
legt, und dann kann auch die Gefährlichkeit nicht mehr als Strafgrund dienen.
weniger sanktionsbedürftig als das eines gefährlichen Versuchstäters. D e n n er zeigt
Herzberg sieht das selbst, verweist aber darauf, daß § 23 III solche Fälle der U n -
durch den Eintritt ins Ausführungsstadium (auch w e n n dieser nur in seiner Vor-
gefährlichkeit berücksichtige. Dabei wird aber außer acht gelassen, daß § 2 3 III
stellung erfolgt), daß er zur Begehung des von i h m geplanten Deliktes fähig und
nicht alle Erscheinungsformen des ungefährlichen Versuchs erfaßt und daß selbst
willens ist. Insofern trifft es nicht zu, daß die Bestrafung des ungefährlichen Ver-
bei grobem Unverstand und einem darauf gegründeten - lediglich fakultativen -
suchs auf ein Gesinnungsstrafrecht hinauslaufe. 15 D e n n der Täter hat nicht nur sei-
Absehen von Strafe der Täter eines versuchten Delikts schuldig zu sprechen und
nen bösen Willen bewiesen, sondern diesen auch in Ausführungshandlungen u m -
mit der Kostenpflicht zu belasten ist. Richtig ist freilich, daß die Gefährdung als
gesetzt.
Strafgrund des Versuchs durchaus im Vordergrund steht, so daß die hier vertretene
19 Gravierende Unterschiede zwischen gefährlichen und ungefährlichen Versuchen
Auffassung von derjenigen Herzbergs nur im Randbereich abweicht.
bestehen nur unter dem Aspekt der Generalprävention. D e n n während die G e -
Wenn hier der Versuch aus einer zweifachen Wurzel hergeleitet wird - primär aus 23
fährlichkeit einer tatbestandsnahen Risikoschaffung unter dem Gesichtspunkt des
der tatbestandsnahen Gefährdung und subsidiär aus dem tatbestandsnahen, rechts-
Rechtsgüterschutzes eine Sanktion ohne weiteres legitimieren kann, scheidet diese
erschütternden N o r m b r u c h - , dann soll das auch das Verständnis dafür schärfen,
Begründung bei ungefährlichen Versuchen aus. Die gesetzgeberische Gestaltungs-
daß die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs (oder einiger seiner Erscheinungsfor-
freiheit läßt es jedoch zu, auch eine lediglich subjektiv komplette deliktische Aus-
men) nicht so selbstverständlich ist, wie dies in Deutschland meist angenommen
führungshandlung als tatbestandlich konkretisierte Friedensstörung ( als „rechts-
wird. 17 Noch u m 1930 sah fast die gesamte deutsche Wissenschaft in der Gefähr-
erschütternden Normbruch") für grundsätzlich strafbar zu erklären, soweit er der
dung den alleinigen Strafgrund des Versuchs; und noch jetzt ist im ausländischen
fehlenden Gefährlichkeit auf der Rechtsfolgenseite in ausreichendem Maße R e c h -
Recht (z.B. in Österreich, Italien, Holland, USA, Japan) der untaugliche Versuch in
n u n g trägt. Dies aber geschieht in §§ 46 II und 23 III.
vielen Fällen straflos. 18 Daß die deutsche Wissenschaft lange Zeit die Strafwürdigkeit
20 Man wird nicht jeden ungefährlichen Versuch als grob unverständig i. S. d.
des untauglichen oder doch wenigstens des ungefährlichen oder unverständigen
§ 23 III ansehen können. Wenn jemand wegen seines eingeschränkten Sehvermö-
Versuchs nur selten problematisiert hat, hängt mit ihrer im 20. Jahrhundert anwach-
gens mit Tötungsabsicht auf eine Pappfigur schießt, die er für einen Menschen
senden Tendenz zur Subjektivierung des Unrechts zusammen, die keineswegs auf die
hält, ist das ein ungefährlicher Versuch, sofern ein Durchschnittsbeobachter die
finale Handlungslehre beschränkt geblieben ist 19 und erst durch die Lehre von der
Figur auf den ersten Blick als Attrappe erkannt hätte. Auf groben Unverstand wird objektiven Zurechnung eine gewisse Korrektur erfahren hat. Da der untaugliche
man den Irrtum des Täters aber nicht zurückführen können. Entsprechendes gilt, Versuch in allen seinen Erscheinungsformen den deliktischen Willen des Täters in
wenn ein Täter, der sein Opfer vergiften will, sich in seiner Aufregung vergreift derselben Weise zum Ausdruck bringt wie der taugliche, wurde seine Strafwürdig-
und i h m eine Substanz, die jedermann als völlig harmlos erkennen kann, in die keit nicht in Zweifel gezogen. Dabei wurde übersehen, daß auch dem Versuch ein
Suppe schüttet. In solchen Fällen läßt sich der Ungefährlichkeit des Versuchs bei spezifischer Erfolgsunwert eigen ist, der von sehr unterschiedlicher Schwere sein
der Strafzumessung R e c h n u n g tragen (§ 46 II nennt die „Auswirkungen der Tat" und die Strafwürdigkeit erheblich beeinflussen kann.
als Strafzumessungsfaktor). Deshalb sprechen beachtliche Gründe für die Straflosigkeit ungefährlicher 24
21 Wenn freilich ungefährliche Versuche auf einer Verkennung naturgesetzlicher oder mindestens grob unverständiger Versuche. Man kann sich fragen, ob ein ex
Zusammenhänge beruhen, wofür der Abtreibungsversuch mit Kamillentee oder
der Vergiftungsversuch mit Zuckerwasser besonders krasse Beispiele darstellen, 16 Herzberg, GA 2001, 257 ff. (265 f.).
17
Im selben Sinne Dicke, JuS 1968, 157ff.; Hirsch, Roxin-FS, 2001, 713; Rudolphi, Mau-
wird der ungefährliche Versuch häufig grob unverständig sein und dann nach § 23 rach-FS, 1972, 51 ff. (70ff.); Weigend, 1989, 128. Übersicht über den Meinungsstand bei Malitz,
III zu einem Absehen von Strafe oder doch zu einer erheblichen Strafmilderung 1998,132ff., die ebenfalls der Gefährlichkeitstheorie anhängt.
18
führen. Damit wird der Ungefährlichkeit eines solchen Versuches bis zu einem er- Vgl. Jescheck/'Weigend, AT5, § 49 IX, und speziell zum japanischen Recht Naka, 1989,
93 ff.
19
Vgl. dazu auch Hirsch, Roxin-FS, 2001, 713.
!5 In diesem Sinne Hirsch, Roxin-FS, 2001, 722 ff.
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§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs II § 29
ante für jeden Dritten erkennbar ungefährlicher Versuch wirklich der Strafe be- gefährlichen Versuch würde er dem Täter zurufen: „Laß das!" beim ungefähr-
darf, wenn ein Täter, der mit seinem tauglichen und höchst gefährlichen Delikts- lichen: .„Du Dummkopf !"23
projekt knapp vor Erreichung der Versuchsgrenze scheitert, straflos bleibt. Man Die Gefährlichkeitstheorie ist in dieser Form zuerst von v. Liszt vertreten 24 und 28
kann an der Bestrafungsnotwendigkeit auch deshalb zweifeln, weil ungefährliche später durch v. Hippel glänzend ausgearbeitet worden. 25 Sie verdient gegenüber
Versuche meist in nicht deliktstypischer Form begangen werden (der zur Vergif- anderen Ausprägungen der objektiven Theorie schon deshalb den Vorzug, weil sie
tung Entschlossene schüttet aus Versehen Zucker in den Kaffee), kaum je zu ent- mit dem Gefahrbegriff der Lehre von der objektiven Zurechnung übereinstimmt
decken sind und daher schon aus diesem Grunde i.d.R. straflos bleiben. Daß alle (vgl. Rn. 27) und sich damit den dogmatischen Grundlagen der Tatbestandslehre
Formen des untauglichen Versuchs nach geltendem Recht prinzipiell strafbar sind, nahtlos einfügt. Eine Schwäche dieser wie aller nur auf die Tauglichkeit der Täter-
folgt nicht aus dem auch für das deutsche StGB überwiegend maßgebenden Straf- handlung abstellenden objektiven Versuchstheorien liegt darin, daß der Begriff
grund der tatbestandsnahen Gefährdung, sondern bedarf einer diesen ergänzen- der Gefährlichkeit keinen Maßstab für die Abgrenzung des Versuchs von der straf-
den gesetzgeberischen Entscheidung, die möglich, aber keineswegs zwingend ist. losen Vorbereitung bildet: Auch die Vorbereitung begründet schon eine Gefahr,
die sich bis zum Erfolg hin kontinuierlich steigert. Das Abstellen auf eine kon-
2. Die objektiven Versuchstheorien krete Gefahr26 leistet die Eingrenzung besser. Doch ist nicht jeder taugliche Ver-
25 Objektive Versuchstheorien waren noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr- such eine konkrete Gefahr in dem Sinne, wie wir diesen Begriff heute verste-
hunderts in der deutschen Wissenschaft vorherrschend (vgl. Rn. 23); freilich hatte hen. 27 Man sollte daher besser von einer tatbestandsnahen Gefahr und damit von
das StGB von 1871 die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs auch ausdrücklich einer Gefahr sui generis sprechen.
offengelassen.20 Wegen der nach geltendem Recht anzunehmenden Strafbarkeit Die übrigen Erscheinungsformen der objektiven Theorie haben heute eher historische 2 9
aller untauglichen Versuche sind sie heute nicht mehr zur erschöpfenden Erklä- Bedeutung u n d bedürfen daher nur noch kurzer Erwähnung. Die vor 1870 herrschende und
auch später noch viel vertretene „ältere objektive Theorie" unterschied zwischen absolut
rung der Versuchsstrafbarkeit geeignet. Sie bedürfen aber weiterhin der Erörte- untauglichem Versuch, der straflos, und relativ untauglichem Versuch, der strafbar sein
rung, weil sie wenigstens in der Erscheinungsform der neueren Gefährlichkeits- sollte. Absolut untauglich ist danach ein Versuch, der von vornherein nicht zur Vollendung
theorie den Strafgrund des Versuchs nach der hier vertretenen Meinung auch führen konnte; relative Untauglichkeit liegt vor, wenn ein an und für sich taugliches Mittel
sich nur in der konkreten Anwendung als untauglich erweist (zu geringe Menge Gift, nicht
heute noch maßgeblich bestimmen. Die Darstellung kann jedoch kurz ausfallen, weit genug tragendes Gewehr). Aber diese Unterscheidung ist nicht durchführbar oder
weil ihr Gehalt schon im Rahmen der eigenen Position (Rn. 10-24) gewürdigt wenigstens nicht einleuchtend. Soll ein Tötungsversuch mit einer Schlaftablette n u r deshalb
relativ untauglich und deshalb gefährlich sein, weil 20 Schlaftabletten z u m Tode führen
worden ist. Dagegen bedürfen die z.T. schwierigen Fragen der Abgrenzung von können ?
tauglichem und untauglichem Versuch keiner näheren Behandlung mehr, weil es
Weite Verbreitung hatte noch u m 1930 die Lehre vom „Mangel an Tatbestand". 29 Danach 3 0
wegen der Strafbarkeit aller untauglichen Versuche auf sie nicht mehr ankommt. liegt ein Versuch nur dann vor, wenn der äußere Erfolg nicht eingetreten ist, z. B. der mit T ö -
tungsabsicht abgefeuerte Schuß sein Ziel verfehlt hat. Wenn andere Tatumstände nicht gegeben
26 Die Bezeichnung dieser Theorien als „objektiv" ist irreführend. Denn jede „objektive" Theo-
sind - z. B. ist die in diebischer Absicht weggenommene Sache nicht „fremd", das für eine Tat
rie muß subjektive Elemente in sich aufnehmen: Der Vorsatz (Rn. 4) und der Tatplan (Rn.5)
nach § 224 I Nr. 1 bestimmte Mittel kein „Gift" oder das Objekt eines mit Mordabsicht abgege-
sind auch nach jeder objektiven Theorie für die Bestimmung des Versuchs wichtig. Es wäre also
benen Schusses kein „Mensch" —, so ist ein solcher „Mangel am Tatbestand" von vornherein
besser, von Gefährdungstheorien oder allenfalls von überwiegend objektiven Theorien zu
straflos. Doch sind alle Tatbestandsmerkmale in ihrer Bedeutung für die Strafbarkeit gleichwer-
sprechen. Doch wird, um die Verständigung nicht zu erschweren, die überlieferte Termino-
logie auch hier benutzt.
23 v. Hippel, StrafR II, 1930,428.
24
27 Als richtige Form der objektiven Theorie wird man die (neuere) Gefahrlich- In allen Auflagen seines Lehrbuchs, zuletzt 21 ' 22 1919, 200. Die spätere Bearbeitung durch
keitstheorie 21 ansehen müssen, die als strafbar nur den gefährlichen Versuch an- Eb. Schmidt (251927, 302 ff.) ist zur Lehre vom „Mangel am Tatbestand" (dazu R n . 30) überge-
gangen, f. Hippel (StrafR II, 1930, Fn. 4) kommentiert das: „Es ist damit eine Glanzstelle aus v.
sieht und die Gefahr so bestimmt, wie es früher schon die Adäquanztheorie getan Liszts Lehrbuch entfernt."
hat und heute auch die Lehre von der objektiven Zurechnung tut. 2 2 Danach ist ein 25
v. Hippel, StrafR II, 1930; weitere Anhänger dieser Lehre aaO. 427, Fn. 1. Vgl. dazu auch
den Hippel-Schüler Hans Henckel, 1930, 37 ff. ,'
Versuch gefährlich, wenn ein einsichtiger Durchschnittsbeobachter, der die Ziele
26 v. Hippel, StrafR II, 1930,425 ff.
des Täters und sein etwaiges Sonderwissen kennt, den Erfolg ex ante ernsthaft für 27
Vgl. Roxin, AT 1 , § 11, Rn. 114 ff.; zur Erläuterung des Unterschiedes vgl. schon oben
möglich halten mußte. Man kann sich das anschaulich machen, indem man den Fn.2.
28
geschilderten hypothetischen Zuschauer das Geschehen kommentieren läßt. Beim Namensgebung bei v. Hippel, StrafR II, 1930, 417; bei diesem auch reiche Nachweise aus
der älteren Lit.
29
Zuerst Binding, Handbuch StrafR, 1885, 691 ff.; später Binding, Normen III, 1918, 401 ff.;
20 Vgl. dazu n u r R G S t 1, 439 (441); v. Hippel, S t r a f R II, 1930, 418 m . w. N .
21
sonstige Haupt Vertreter: Frank, StGB, ,8 1931, §49, A n m . I; v. Liszt/Schmidt, StrafR, 26 1932,
Die Bezeichnung stammt von v. Hippel, StrafR II, 1930, 425. § 46 I 2; Mezger, StrafR, 2 1933, § 53 III 2; wichtige Abhandlung: zu Dohna, Güterbock-FS,
22 Roxin, AT l 3 , § 11, R n . 32, 46. 1910, 33 ff. Weitere Nachweise bei v. Hippel, StrafR II, 1930, 431, Fn. 1.
340
341
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch §29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs II §29
30
tig. Auch ist es oft willkürlich, ob man ein Tatbestandselement als Bestandteil des Erfolges Die B e g r ü n d u n g der subjektiven Theorie stützt sich v.a. auf zwei Argumente, 33
oder als davon unabhängiges Kriterium versteht: So kann man - mit nach dieser Lehre unter-
schiedlichem Ergebnis - als Erfolg der Diebeshandlung die Wegnahme einer „Sache" aber auch die schon ein frühes Urteil der Vereinigten Strafsenate des R G enthält (RGSt 1,
einer „fremden Sache" ansehen.31 Auch leuchten die Ergebnisse nicht ein. 32 Warum soll die Ab- 439). Zunächst meint das R G , es könne „kein Zweifel aufkommen, daß im Ver-
treibung am untauglichen Objekt (hier fehlt das Merkmal Leibesfrucht) straflos, die Abtrei- suche der verbrecherische Wille diejenige Erscheinung b t , gegen welche das
bung mit untauglichen Mitteln, bei der nur der Erfolg ausbleibt, dagegen strafbar sein? Und
warum soll die irrige Annahme des Täters, eine harmlose Substanz sei Gift, bei § 224 I Nr. 1, wo Strafgesetz sich richtet, im Gegensatz zu dem in der Vollendung zutage tretenden
„Gift" ein Tatbestandsmerkmal ist, die Versuchsstrafe ausschließen, nicht aber bei § 211 ? aus dem verbrecherischen Willen hervorgegangenen rechtswidrigen Erfolge. An
31 Eine noch wieder andere Variante der objektiven Theorie hat Spendel2"3 entwickelt. Er ver- und für sich w ü r d e jede Beziehung auf die Vollendung als den Gegensatz des Ver-
tritt die These, daß man die „Ex-ante-Betrachtung zur Feststellung des gefährlichen Versuchs suchs außer Rücksicht zu bleiben haben und mehr nicht zu verlangen sein, als daß
... nur auf die in die Zukunft weisende, eine bestimmte objektive Tendenz zur Rechtsgutsver-
letzung aufweisende Handlung, nicht aber auf die gegenwärtigen, unabhängig vom Täter be- der verbrecherische Gedanke sich in äußeren Handlungen kundgegeben habe"
stehenden anderen Tatumstände, insbesondere das Tatobjekt, beziehen darf". Danach soll ein (aaO.,441f).
tauglicher Tötungsversuch bei einem Täter vorliegen, der sein Opfer schon durch „die Zufii-
gung einer harmlosen Schnittwunde"34 töten zu können glaubt, wenn sich sein Handeln auf- Neben diese Betonung des verbrecherischen Willens tritt als zweites Haupt- 34
grund der unerkennbaren Blutereigenschaft des Opfers ex post doch als gefährlich erweist. argument der Gedanke, daß zwischen gefährlichen und ungefährlichen Versuchen
Aber das ist nicht richtig.35 Denn dann müßte im Gewitterfall {Roxin, AT 1 , § 11, Rn. 36, 45) nicht unterschieden werden könne, weil es bei jedem Versuch an der Kausalität für
sogar ein vollendeter Mord vorliegen, wenn der in den Regen Hinausgeschickte tatsächlich an
einem Blitzschlag stirbt. Es liegt also in Spendeh Beispiel nur ein untauglicher Versuch vor, bei den Erfolg mangele. Da zwischen verschiedenen Formen der Kausalität oder
dem sogar die Frage zu stellen ist, ob er nicht als grob unverständig dem § 23 III unterfällt. Nichtkausalität nicht unterschieden werden könne, sei jeder Versuch ungefährlich.
Andererseits will Spendel einen untauglichen Versuch annehmen, wenn eine Frau ein geeigne- „Denn hat die Handlung im konkreten Falle das Rechtsgut nicht verletzt, so b e -
tes Abtreibungsmittel einnimmt, „die entgegen der bestimmten Diagnose erfahrener Fach-
ärzte, wie sich später ... herausstellt, nicht schwanger war".36 Aber eine solche Handlung ist weist dies unwiderleglich, daß sie es im konkreten Falle nicht verletzen konnte,
genauso gefährlich wie ein aus anderen Gründen scheiternder Versuch (mag auch die versuchte und war sie dazu außerstande, so war durch die H a n d l u n g das Rechtsgut objektiv
Abtreibung durch Frauen nach geltendem Recht so oder so straflos sein). nicht gefährdet..." ( a a Q , 441).
Überzeugend sind diese Gründe nicht, 4 0 und zwar auch dann nicht, wenn man 35
3. D i e subjektive Versuchstheorie mit dem geltenden Recht von der prinzipiellen Strafbarkeit aller untauglichen
32 Nach der subjektiven Theorie, wie sie die Rspr. verficht, liegt der Strafgrund Versuche ausgeht. Was zunächst den betätigten verbrecherischen Willen als G r u n d -
des Versuchs in der Betätigung des rechtsfeindlichen Willens durch den Täter. lage der Versuchsstrafbarkeit betrifft, so spricht dagegen dreierlei. Diese A n n a h m e
Diese Auffassung ist seit jeher vom R G vertreten und vom B G H ohne selbständi- kann erstens nicht erklären, w a r u m der Versuch nur in einem Teil der Fälle und
ge Begründungsbemühungen ü b e r n o m m e n worden. 3 7 Vielfach wird behauptet, auch dann i.d.R. milder als die Vollendung bestraft wird, w a r u m beim grob u n -
daß sie seit 1975 dem geltenden Recht zugrunde liege. So spricht der Sonderaus- verständigen Versuch nach § 23 III die Strafe noch weiter reduziert und sogar von
schuß für die Strafrechtsreform von der „im neuen StGB ausdrücklich anerkann- ihr abgesehen werden kann und w a r u m der abergläubische Versuch schlechthin
ten subjektiven Versuchstheorie". 38 Sie hat auch sonst in der Literatur nicht wenige straflos ist. D e n n ein betätigter rechtsfeindlicher Wille liegt in allen diesen Fällen
Anhänger. 3 9 gleichermaßen vor, so daß sich die Strafbarkeitsunterschiede nur aus Gefährlich-
keitsabstufungen erklären lassen (vgl. R n . 14,15).
Zweitens kann die subjektive Theorie auch nicht verständlich machen, w a r u m 36
30 v. Hippel, StrafR II, 1930, 432. Vorbereitungshandlungen grundsätzlich straflos sind; denn auch in ihnen m a n i -
3i Jakobs, AT2, 25/16.
32 v. Hippel, StrafR II, 1930, 434. festiert sich ein rechtsfeindlicher Wille. Die subjektive Theorie hat denn auch in der
33 Spendel, Stock-FS, 1966,105. Rspr. des R G zu einer bedenklichen Vorverlagerung der Versuchsstrafbarkeit g e -
3" Spendel, Stock-FS, 1966,104. führt, 41 die der Gesetzgeber des neuen AT durch die Ansatzformel des § 22 zu kor- '
35 Hier und im folgenden überzeugende Antikritik bei Wolter, 1981, 84 ff.
36 Spendel, Stock-FS, 1966,105. rigieren versucht hat. Schon dieser Umstand zeigt, wie unzutreffend es ist, wejin
37 RGSt 1, 439; 1, 451; 8, 198; 17, 158; 24, 382; 38, 423; 42, 92; 47, 189; 49, 20; 50, 35; 58, der Sonderausschuß ( R n . 32) von einer gesetzlichen Anerkennung der subjektiven
303; 60,138; BGHSt 11, 324 (327). Theorie spricht. Dagegen ergibt sich die regelmäßige Straflosigkeit der Vorberei-
38 Zust. Baumann/Weber, A T 9 , § 32 I 2 c (in dies., A T 1 0 , § 2 6 I 3 c, w i r d d a g e g e n eine v e r m i t -
telnde Auffassung mit stark subjektivem Einschlag vertreten); mit Recht krit. Meyer, ZStW 87
40
(1975), 603. 24 Vgl. zur Kritik der subjektiven Versuchstheorie nur v. Hippel, StrafR II, 1930, 421 ff; Spen-
39 Vgl. nur aus der neueren Lit. Baumann/Weber, AT , § 32 I 2 c; Lackner/Kühl , § 22, del, NJW1965,1881; Dicke,JuS 1968,157; Weigend, 1989,123ff.;Jakobs, AT2, 25/17.
R n . 11; der subjektiven Theorie nahestehend auch Otto, AT 6 , § 18 I 3, der versucht, den Gegen- 41
Eindrucksvolle Zusammenstellung dieser Judikatur bei Maurach/Gössel, AT/27, 40/29ff.,
satz zwischen subjektiver und objektiver Theorie aufzuheben; auch noch Tröndle/Fischer , § 22, wo zutreffend betont wird, „daß der extreme Subjektivismus das Gesetz sprengt" (vgl.
R n . 24 (eine vermittelnde Theorie vertritt jetzt Tröndle/Fischer , § 22, R n . 24). Rn.39).

342 343
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs II § 29
tungshandlungen ohne weiteres aus ihrer geringeren Gefährlichkeit (vgl. schon scheinlichkeit nach fortdauernde böse Wille" ist, „der noch Tausende neue gefähr-
Rn. 16). liche Handlungen erzeugen kann". Auch Lange41 hält einen strafbaren Versuch für
37 Schließlich überzeugt es auch nicht, daß der Versuch der völlige Gegensatz der gegeben, wenn die Handlung „den Täter als gefährlichen Angreifer" des Rechts-
Vollendung sein soll (RGSt 1, 441, vgl. Rn. 33), indem der Strafgrund bei ihm im gutes erweist. Bockelmanns Auffassung,48 „daß Versuch erst da vorliegen kann, wo
Willen, bei der Vollendung dagegen im Erfolge liegen soll. Denn damit wird ver- der Verbrechensvorsatz die Feuerprobe der kritischen Situation bestanden hat", läßt
kannt, daß der Versuch im Regelfall Durchgangsstufe und Vorstadium der Voll- sich ebenfalls für die Tätertheorie in Anspruch nehmen.
endung und damit eine reale Rechtsgüterbeeinträchtigung, wenn auch nur in Diese Auffassung erkennt zutreffend die spezialpräventive Komponente der 41
Form der Gefährdung, darstellt. Die Annahme eines Gegensatzverhältnisses löst Versuchsbestrafung (vgl. Rn. 18). Sie kann auch besser als die rein subjektive, auf
den Versuch vom Tatbestand und reißt das Strafrechtssystem in zwei unverbundene den „Willen" abstellende Theorie die Straflosigkeit der bloßen Vorbereitung und
Teile. Das entspricht nicht den dogmatischen Grundlagen unseres Strafrechts (vgl. die Milderbestrafung des grob unverständigen Versuchs erklären. Denn ob jemand
Rn. 17). fähig ist, ein Delikt zu begehen, ob er ein „gefährlicher Angreifer" ist, zeigt sich
38 Das zweite Argument des RG, daß das Ausbleiben des Erfolges immer die erst, wenn er - auf der Grundlage seiner Vorstellung - die Schwelle zum Versuch
Ungefährlichkeit der Täterhandlung erweise, so daß schon aus diesem Grunde überschreitet. Auch die geringere Gefährlichkeit des grob unverständigen Täters ist
zwischen gefährlichen und ungefährlichen Täterhandlungen nicht unterschieden einleuchtend.
werden könne (Rn. 34), ist heute eindeutig widerlegt und wird kaum noch ver- Aber die Tätertheorie sieht sich, wenn man die Versuchsbestrafung allein auf sie 42
treten. 42 Es beruht auf der Äquivalenztheorie v. Buris43 und dem naturalistischen gründen will, dem Einwand ausgesetzt, daß in einem Tatstrafrecht eine noch so
Fehlschluß, daß es keine anderen als kausale Unterschiede gebe; auf ihn geht auch große Gefährlichkeit für die Bestrafung allein nicht ausreicht. Auch ist bekannt,
die ähnlich falsche subjektive Teilnahmetheorie zurück (vgl. §25, Rn. 17 ff). daß ein spezialpräventives Bestrafungsbedürfnis selbst bei vollendeten Delikten
Selbstverständlich läßt sich aber zwischen ex ante gefährlichen und ungefähr- keineswegs immer vorliegt;49 bei untauglichen Versuchen wird es noch häufiger
lichen Handlungen unterscheiden, wie es auch die Adäquanztheorie und die Lehre fehlen. Man muß also zur Legitimierung der Versuchsbestrafung immer auch auf
von der objektiven Zurechnung seit langem tun (Rn. 27). Auch der Gesetzgeber die objektive Gefährdung oder mindestens die vom Täter ausgelöste Friedens-
verwendet den Begriff der Gefahr, wenn auch nicht immer mit demselben Inhalt, störung zurückgreifen.
in verschiedenen Zusammenhängen (vgl. nur §§ 34, 35, 224, 315 a, b, c), was nicht Als eine Variante der subjektiven Theorie wird man auch die Auffassung von 43
gut möglich wäre, wenn es so etwas nicht gäbe. Schon v. Hippel44 hat sarkastisch, Jakobs50 ansehen können, wonach „Strafgrund des Versuchs das Expressiv-Wer-
aber treffend geurteilt: „Nach v. Buri und Reichsgericht sind unsere gesamten in den eines Normbruchs" ist. An einem solchen Normbruch soll es beim abergläu-
die Heimat zurückgekehrten Kriegsteilnehmer in keinerlei Gefahr gewesen. Sie bischen Versuch fehlen: „Eine wirklich vorhandene Norm wird dann nicht ge-
meinten dies zwar ... Aber das war ein ... Irrtum ... In Gefahr waren nur die brochen, wenn der Täter bei der Bildung seines Vorsatzes, insbesondere bei der
Gefallenen! Denn der Kausalverlauf ist objektiv notwendig, wer am Leben blieb, Auswahl seiner Mittel, von einer kommunikativ nicht relevanten Weltgestaltung
war auch nicht in Gefahr!" ausgeht."
39 Die subjektive Theorie ist also in ihrer bisherigen Form unhaltbar und wider- Diese Lehre erklärt recht gut die Strafbarkeit des untauglichen ungefährlichen 44
spricht dem geltenden Recht. Zwei moderne Varianten der subjektiven Theorie Versuchs, indem sie durch Bezugnahme auf die „Expressivität" auch dessen objek-
formulieren deren richtige Aspekte besser, sind aber auch nicht geeignet, als allei- tive Seite zur Geltung bringt. Sie vermeidet auch die strikte Trennung von er-
niger Strafgrund des Versuchs zu dienen. folgsorientierter Vollendung und willensgetragenem Versuch, von der die subjek-
40 Ein niemals gründlich ausgearbeiteter, aber beachtenswerter „Zweig der subjek- tive Theorie der Rspr. ausgeht; denn sie sieht in Versuch und Vollendung gleicher-
tivistischen Versuchslehre"45 folgt einer „spezialpräventiven Orientierung an der maßen „einen perfekten Angriff auf die Normgeltung" 51 Aber sie beweist zu viel:
Gefährlichkeit des Täters" (Tätertheorie). Diese Konzeption geht auf E. v. Liszt46 Wenn zwischen vollendeter Tat und allen Arten des Versuchs hinsichtlich des
zurück, für den Strafgrund des Versuchs der „einmal bewiesene und aller Währ-
47
Kohlrausch/Lange, StGB43, vor § 43, Anm. III 3. Dort wird allerdings ein einseitiges Ab-
« Eine Ausnahme gilt für Baumann/Weber, AT9, §32 I 2c (anders dies., AT10, §26 I 3 c): stellen auf die Tätertheorie zugunsten der auch hier vertretenen Vereinigungstheorie vermie-
Jeder Versuch zeige „durch sein Nichtvollendetwerden, daß er untauglich war, zur vollendeten den (vgl. Rn. 10 ff).
Straftat zu erwachsen". 48
Bockelmann, JZ 1954,473 (= Untersuchungen, 146).
« Dazu Roxin, AT l3, § 11, Rn. 7. 4
» Vgl. Roxin, AT l3, §3, Rn. 19.
44
v. Hippel, StrafR II, 1930,422. 50
Jakobs, AT , 25/21. Ähnlich geht auch Guhra, 2002, der den Strafgrund des Versuchs in
45
4
Hier und im folgenden Weigend, 1989,118. der „Begründung2der Gefahr eines Normgeltungsschadens" sieht (15ff;47).
« E. v. Liszt, ZStW 25 (1905), 24, 27, 36. 5i Jakobs, AT , 25/17.
344
345
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs II § 29

Unrechts gar kein Unterschied mehr besteht, wird dieser geradezu zum Prototyp mit die Strafbedürftigkeit n i m m t in der geschilderten Reihenfolge i m m e r mehr
ab. Ebenso läßt sich sagen, daß Vorbereitungshandlungen durchweg straflos blei-
des Unrechts. IndemJakobs im Verbrechen „nicht primär Bewirken von Verletzun-
ben, weil sie noch keinen rechtserschütternden Eindruck hervorrufen oder dieser
gen an Gütern", sondern „Verletzung der Normgeltung" 5 2 sieht, löst er sich von
Eindruck noch so flüchtig ist, daß er keine Strafbarkeit herausfordert.
den objektiven Grundlagen des Tatstrafrechts zugunsten einer Subjektivierung, die
O b w o h l diese Lehre heute fast herrschend ist, hat sie in neueren Veröffent- 47
dem Gesinnungsstrafrecht nahekommt. Die Strafbarkeitsabstufungen zwischen
lichungen auch dezidierten Widerspruch erfahren und dies mit Recht. 5 8 Nicht zu-
Vollendung, Versuch und grob unverständigem Versuch können nicht mehr er-
treffend ist freilich der Einwand, daß „rechtserschütternde Eindrücke" in der R e a -
klärt werden, wenn alle diese Handlungsweisen denselben „perfekten Angriff auf
lität zu wechselnd und unbestimmt seien, u m damit etwas erklären zu können.
die Normgeltung" enthalten.
Denn es kann nicht auf die Eindrücke tatsächlicher Beobachter ankommen, die ja
45 Auch läge es in der Konsequenz dieses Ansatzes, schon die Vorbereitungshand-
bei der Tat gar nicht zugegen zu sein brauchen. Entscheidend m u ß sein, ob die
lung als „expressiven Normbruch" zu bestrafen. Jakobs will das zwar vermeiden,
Handlung des Täters geeignet ist, bei einem gedachten Durchschnittsbeobachter,
indem er einen „tatbestandsnahen" N o r m b r u c h verlangt. 5 3 Aber diese an sich rich-
der alle äußeren und inneren Fakten kennt, einen rechtserschütternden Eindruck
tige Einschränkung läßt sich aus seinem theoretischen Konzept nicht b e g r ü n -
hervorzurufen. Es handelt sich also u m ein Werturteil. Aber dieses Werturteil
den. 5 4 W a r u m soll der N o r m b r u c h „tatbestandsnah" sein, w e n n es auf die Ver-
bleibt vage und ist nicht viel mehr als eine Umschreibung des gesetzlichen Straf-
letzung der Güter, die in den Tatbeständen geschützt werden, für das Unrecht gar
würdigkeitsurteils. Dazu k o m m e n weitere Bedenken.
nicht ankommt? Man wird dem Resümee von Weigena*5 zustimmen müssen:
Zunächst ist - wie bei der Theorie vom „expressiven Normbruch" ( R n . 44), die 48
„Wenn das strafwürdige Unrecht in der aktiven Auflehnung gegen den strafrecht-
der Eindruckstheorie nahesteht - zu bemängeln, daß diese Konzeption auf sämt-
lich geschützten sozialen Wert liegt, dann fehlt es nicht nur an theoretisch b e -
liche Erscheinungsformen deliktischen Verhaltens einschließlich der Vollendung
gründbaren Kriterien für eine Grenzziehung zwischen Vorbereitung und Versuch,
paßt, also eigentlich nichts Versuchsspezifisches enthält, und doch alle strafbaren
sondern selbst an einer Erklärung für die Tatsache, daß ,eindeutige' Vorbereitungs-
Handlungen auf einen Gesichtspunkt zurückführt, der gerade nur auf bestimmte
handlungen überhaupt von der Strafbarkeit ausgenommen werden."
Formen des untauglichen Versuchs zugeschnitten ist. Wenn man die Strafreduktio-
nen des § 23 III auf die Geringfügigkeit des rechtserschütternden Eindrucks zu-
4. D i e Eindruckstheorie
rückführt, wird übersehen, daß diese nur die Folge der Ungefährlichkeit grob u n -
46 Eine früher vereinzelt 56 und heute mit unterschiedlichen Akzentuierungen
verständiger Versuche ist.
vielfach vertretene Lehre 5 7 gründet den Strafgrund des Versuchs auf den rechtser-
Sodann läßt sich unter Bezugnahme auf den „rechtserschütternden Eindruck" 49
schütternden Eindruck, den das Verhalten des Täters hervorruft. Auch w e n n der
der Versuch von der Vorbereitung nur sehr ungenau abgrenzen. D e n n auch ent-
Erfolg ausbleibt, begründet das Verhalten des Täters eine Störung des sozialen
schlossene Vorbereitungsmaßnahmen sind schon geeignet, das allgemeine Gefühl
Friedens, die eine A h n d u n g erfordert. Diese Lehre hält zwischen Subjektiv und
der Rechtssicherheit zu destabilisieren. Zwar wird der rechtserschütternde Ein-
Objektiv, zwischen Willens- und Gefährdungsunrecht eine Mitte, indem sie nicht
druck mit der Annäherung an die Vollendung immer nachhaltiger. Aber wo die
nur den betätigten verbrecherischen Willen, sondern auch dessen Eindruck auf die
Grenze zwischen Straflosigkeit und Strafbarkeit verlaufen soll, läßt sich nicht aus
Allgemeinheit zum Anlaß der Bestrafung n i m m t , ohne jedoch eine Gefährdung
dem Eindruckskriterium, sondern nur aus dem an den rechtsstaatlichen G r u n d -
zu verlangen, die nicht bei allen Versuchen vorliegt. Sie erklärt auch recht gut die
lagen unseres Strafrechts orientierten Gesichtspunkt der Tatbestandsnähe entneh-
Strafbarkeitsunterschiede zwischen Vollendung, gewöhnlichem, grob unverstän-
men.
digem und abergläubischem Versuch: Der rechtserschütternde Eindruck und da-
Schließlich ändert auch das scheinbar einheitliche Eindruckskriterium nichts 50
2
52 Jakobs, A T , 25/15. daran, daß der die Versuchsstrafbarkeit begründende rechtserschütternde Eindruck
53 Jakobs, KT2, 25/21. teils aus der objektiven Gefährdung, teils aber auch nur aus der durch den N o r i n -
54
So auch Weigend, 1989,125, Fn. 64. bruch hervorgerufenen Friedensstörung hergeleitet wird. Die in der Sache u n -
55 Weigend, 1989,125.
56
Zur geschichtlichen Entwicklung eingehend Zaczyk, 1989, 21 ff. Frühe Vertreter dieser vermeidliche Zweigleisigkeit der Versuchsbegründung kann also auch durch den
Lehre sind v.a. Bünger, ZStW 6 (1886), 291 ff., 361; Hörn, ZStW 20 (1900), 309ff, 357; v. Bar, Formelkompromiß der Eindruckstheorie nicht wirklich überwunden werden.
1907, 490f., 527ff; v. Gemmingen, 1932.
57 Vgl. n u r Gropp, A T 2 , § 9, R n . 48; Grünwald, W e l z e l - F S , 1974, 712; Maurach/Gössel, AT/2 7 ,
4 0 / 4 0 f f ; J. Meyer, Z S t W 87 (1975), 6 0 4 ; Papageorgiou-Gonatas, 1988, 2 0 0 f f ; Roxin, J u S 1979, 1; 58 Etwa bei Herzberg, GA 2001, 266f.; Hirsch, Roxin-FS, 2001, 7UK; Jakobs, AT2, 25/20;
SK 6 -Rudolphi, v o r § 2 2 , R n . 13 ff; Schi'Seh/Eser2\ v o r § 2 2 , R n . 22; Schünemann, G A 1986, 311; Köhler, AT, 454; Kühl, JuS 1980, 507; ders., AT3, 15/40ff; Weigend, 1989, 121ff; Zaczyk, 1989,
Streng, Z S t W 109 (1997), 8 6 2 , 865; UC°-Vogler, v o r § 22, R n . 52; Wessels/Beulke, AT 3 1 , R n . 594; 21 ff.
Wolter, 1981, 79 (aber nur für den Ausnahmefall des untauglichen Versuchs).
347
346
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 29. Der Versuch - A. Definition und Strafgrund des Versuchs II § 29
schlossen werden kann.
5. Neuere B e m ü h u n g e n u m eine Einschränkung der Versuchsstrafbarkeit
Rath erkennt die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs grds. an. Er sieht jedoch den 55
51 Schmidhäuser und sein Schüler Alwart haben eine dualistische Versuchstheorie entwik- Strafgrund des untauglichen Versuchs in teilweisem Anschluß an Zaczyk und Köhler darin, daß
kelt, der zufolge ein strafbarer Versuch entweder von der Absicht der Tatbestandsverwirk- das Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung das Opfer aus seiner Gleichstellung zum Täter
lichung getragen sein oder zu einer objektiven Gefährdung fuhren muß. Praktisch bedeutet hinausdränge; „dieser verfährt wie mit einem Objekt mit ihm". Deshalb müsse eine Ausnahme
das, daß der untaugliche Versuch nur bei absichtlichem Handeln strafbar ist, nicht aber dann, von der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs „mindestens für die Fälle gelten, in denen das
wenn er mit dolus directus oder eventualis begangen wird. Diese Lehre hat keine Anhänger Opfer die Untauglichkeit sogleich ... erkennt oder der Gutsträger nicht mehr existiert". Denn
gefunden, denn dem Gesetz lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß der un- in einem solchen Falle fehle eine „Destruktion des Rechtsverhältnisses" zwischen Täter und
taugliche Versuch nur bei absichtlichem Handeln des Täters strafbar sein soll. Opfer. Das ist gewiß eine theoretisch interessante Deduktion. Aber auch sie findet im gelten-
52 Zaczyk62 entwickelt auf der Basis der idealistischen Philosophie eine Lehre, wonach sich den Recht keine Grundlage; denn dieses stellt nur auf die Vorstellung des Täters und nicht auf
„der Versuch einer Tat als Übergang eines der Konstituenten des jeweils betroffenen Rechtsguts die Existenz oder die Kenntnisse des Opfers ab.
von der Anerkennung zur Verletzung" darstellt; dabei wird das Unrecht des Versuchs nach ver- Bottke' 8 geht mit der h. M. davon aus, daß das StGB den untauglichen Versuch als strafbar 56
schiedenen „Rechtsgutsklassen" (Rechtsgüter der Person, der Gesellschaft, des Staates) diffe- beurteilt. Er hält seine Strafbarkeit aber für verfassungswidrig. Während nämlich beim taug-
renziert. Auf jeden Fall muß aber das Anerkennungsverhältnis „bestehen, um verletzt werden lichen Versuch - z. B. einer Tötung - ein von ihm sog. Verfassungs- und Straftatgut, das
zu können ... Der Schuß auf einen Toten ist daher keine versuchte Tötung ..., eine Vertrauens- menschliche Leben, angegriffen werde, bedrohe der untaugliche Versuch nur den Rechts-
verletzung kann nicht mehr stattfinden und kann daher auch nicht unternommen werden ... frieden und damit ein sehr viel geringerwertiges, von ihm sog. Strafrechtsgut. In der gleich
Auch der Schuß auf einen Baumstamm in dem Glauben, das sei ,ein Mensch'..., ist kein Ver- schweren Bestrafung beider Formen des Versuchs sieht er eine Gleichbewertung des Unglei-
such." Dagegen soll „der Griff in die leere Tasche, der Schuß auf das vom Opfer gerade ver- chen, die gegen das Verhältnismäßigkeits- und Gesetzlichkeitsprinzip des GG verstoße. An
lassene Bett" sowie der „Schuß auf einen Baumstamm in der Meinung, es sei der X, dem der alledem ist richtig, daß, wie auch hier betont wird (Rn. 17), der untaugliche Versuch weniger
Täter auflauert" einen strafbaren Versuch begründen, weil ein konkretes Anerkennungsverhält- strafwürdig ist als der taugliche und auch auf teilweise anderen Grundlagen ruht (daher die
nis verletzt werde. Diese Differenzierung ist mit der vom Gesetzgeber angeordneten hier verfochtene dualistische Strafbegründung). Doch kann wegen der immerhin bestehenden
grundsätzlichen Strafbarkeit des untauglichen Versuchs nicht zu vereinbaren und kann daher Ähnlichkeiten (Rn. 18-21) seine Pönalisierung noch nicht als verfassungswidrig angesehen
dessen Strafgrund wenigstens nach geltendem Recht nicht erklären. werden, zumal dem geringeren Unwertgehalt untauglicher Versuche bei der Strafzumessung
53 Köhler nimmt auf ähnlicher philosophischer Grundlage (unter Berufung auf Kant und und ggf. nach § 23 III Rechnung getragen werden kann.
Fichte) an, daß kein Versuchsunrecht vorliege, wenn „objektive Realisierungsbedingungen ... Hirsch unterscheidet zwischen gefährlichen und ungefährlichen untauglichen Versuchen 57
mit Erfahrungsgewißheit ausgeschlossen oder ganz unwahrscheinlich" sind. „Vielmehr muß und will nur die gefährlichen bestrafen. Dabei versteht er unter gefährlichen Versuchen mit der
nach einer objektiven Prognose ex ante ... die Möglichkeit der Verletzung naheliegen." Fehle „neueren Gefährlichkeitstheorie" (näher Rn. 27, 28) solche, bei denen aus der ex-ante-Sicht
es daran, sei „Strafunrecht" ausgeschlossen. Diese Thesen haben philosophisch und auch rechts- eines verständigen Dritten, der den individuellen Tatplan kennt, das konkrete Risiko einer
politisch vieles für sich, wie die oben zum Strafgrund des Versuchs vertretene Auffassung zeigt Tatbestandsverwirklichung vorliegt.70 Dem ist insoweit zuzustimmen. Dagegen will er die
(Rn. 10-24). Aber sie entsprechen nicht dem geltenden Recht, das von der Strafbarkeit aller ungefährlichen untauglichen Versuche straflos lassen, weil sie nach seiner Ansicht auf ein Ge-
untauglichen Versuche ausgeht (Rn. 6). Dies räumt auch Köhler64 schließlich ein, so daß seine sinnungsstrafrecht hinauslaufen und mit den Grundlagen des geltenden Tatstrafrechts nicht zu
Lehre nur die von ihm für richtig gehaltene Konzeption wiedergibt, aber nicht als Auslegung vereinbaren sind. So bedenkenswert diese Konzeption auch ist, läßt sie sich jedoch mit dem
des geltenden Rechts angesehen werden kann. geltenden Recht ebensowenig in Einklang bringen wie die der übrigen um eine Strafbarkeits-
54 Kratzsch6^ sieht den Versuch als abstraktes Gefährdungsdelikt an. „Es genügt eine gewisse einschränkung bemühten Autoren. Denn § 23 III erklärt Versuche, die aus der ex-ante-Sicht
Wahrscheinlichkeit, daß Täter, die die Merkmale des § 22 verwirklichen, damit zugleich das eines Dritten völlig ungefährlich und auch noch grob unverständig sind, für prinzipiell straf-
betreffende Rechtsgut in Gefahr bringen. Ob es im konkreten Einzelfall dazu kommt oder bar. Wenn Hirsch die Funktion dieser Bestimmung darin sieht, den „ärgerlichsten Konsequen-
kommen kann, ist damit nicht festgestellt ... In diesem abstrakten Sinne eines statistischen zen" einer falschen subjektiven Auslegung vorzubeugen, so ist doch nicht zu leugnen, daß der
Wahrscheinlichkeitsurteils kann auch vom absolut untauglichen Versuch angenommen wer- von Hirsch perhorreszierte Standpunkt der des Gesetzes ist. § 22 stellt nun einmal nicht auf das
den, daß er zwar nicht für das individuelle Schutzobjekt, aber insgesamt als Handlung mit Ansetzen aus der Sicht eines verständigen Dritten, sondern allein auf die Vorstellung des Täters
den Merkmalen X, Y, Z in anderen Wirklichkeitsbereichen durchaus für das betreffende ab.
Rechtsgut zur Gefahr werden kann." Wenn man jedoch den untauglichen Versuch als unge- Immerhin zeigen die erstaunlich zahlreichen und in unterschiedlicher Weise differenzieren- 58
fährlichen Versuch bestimmt (vgl. Rn. 27), ist er auch nicht abstrakt gefährlich. Daß er unter den neueren Bemühungen um eine Einschränkung der Versuchsstrafbarkeit, daß über die
Umständen, die nicht vorliegen, gefährlich sein könnte, begründet keine abstrakte Gefahr. Strafbarkeit mindestens bestimmter Formen untauglicher Versuche das letzte Wort noch nicht
Auch beruhen doch die abstrakten Gefährdungsdelikte auf dem Gedanken, daß sich bei ihnen gesprochen ist.
die Möglichkeit des Erfolgseintritts nie (oder fast nie) ausschließen läßt, 66 während bei un-
gefährlichen Versuchen die Möglichkeit des Erfolgseintritts ex ante mit Sicherheit ausge-

s« Zuletzt Schmidhäuser, StuB AT2,11/16 f.


«> Alwart, 1982,122 ff.
61
Vgl. zur Kritik nur SK6-Rudolphi, vor § 22, Rn. 14; Sch/Sch/Eser26, vor § 22, Rn. 23; Wei-
gend, 1989,121; Zaczyk, 1989, 27, Fn. 41.
62
Zaczyk, 1989, 255f., 327f.; Murmann, 1999, 5, folgt der von Zaczyk gegebenen Begrün-
dung des Versuchsunrechts. Krit.: Herzberg, GA 2001, 260.
M Köhler, AT, 451-459 (458); krit. dazu Herzberg, GA 2001, 258 f. 67 Rath, JuS 1998, Hilf; krit. dazu Herzberg, GA 2001, 259f.
<*> Köhler, AT, 4 6 3 . 68 Bottke, B G H - F G , B d . 4, 2 0 0 0 , 1 3 5 ; krit. dazu Herzberg, G A 2 0 0 1 , 262 ff.
65 Kratzsch,]A 1983, 420ff, 578 ff. (581); ders., 1985, 63, 430. 69 Hirsch, Roxin-FS, 2001, 711; krit. dazu Herzberg, GA 2000, 260 ff.
66 Näher Roxin, AT l3, § 11, Rn. 119 ff. ™ Hirsch, Roxin-FS, 720ff, 727.
348
349
§ 29. Der Versuch - B. Der Tatentschluß I § 29
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
vorliegt, wenn der Täter das Geschehen aus der Hand gibt, der Versuch also be-
endet ist. Solange der Versuch unbeendet ist, der Täter somit noch weiter aktiv
B. Der Tatentschluß
werden muß, sei der Vorsatz nur fragmentarisch, ein „subjektives Mängelwesen",75
weil noch keine Gefahrenlage vorliege, aus der sich der Erfolg selbständig ent-
I. Der Tatentschluß als subjektiver Deliktstatbestand
wickeln kann. Der Tatentschluß bildet danach nur einen für den Versuchsbeginn
59 Das komplette Vorsatzdelikt entwickelt sich vom Tatentschluß über die Vor- ausreichenden „Initialvorsatz", einen „Versuchsvorsatz" der vom eigentlichen Vor-
bereitung und das Ausfuhrungsstadium bis zur Vollendung. Beim Versuch fehlt satz, dem „Vollendungsvorsatz" zu unterscheiden ist.76
die letzte Phase, während die drei übrigen Stadien denen des vollendeten Delikts Diese Lehre hat erhebliche praktische Konsequenzen. Denn sie führt zu dem Er- 63
entsprechen. Am Anfang steht also der Tatentschluß, der freilich als solcher und - gebnis, daß keine vollendete Vorsatztat vorliegt, wenn der Erfolg in zurechenbarer
vorbehaltlich einer Pönalisierung durch Sondervorschriften - auch noch während Weise schon im Stadium des unbeendeten Versuchs eintritt. Wenn also der töd-
der Vorbereitung strafrechtlich irrelevant ist. Er muß noch beim Eintritt in das liche Schuß sich schon löst, als der zum Mord entschlossene Täter die Pistole an-
Versuchsstadium vorliegen, wenn es zu einem ggf. strafbaren Versuch kommen legt, fehlt es an einem vorsätzlichen vollendeten Mord. Denn der Täter hatte noch
soll. Er besteht normalerweise auch danach weiter; wird er vom Täter später auf- keinen Vollendungsvorsatz. Der unbeendete Versuch reicht also nach dieser An-
gegeben, ändert das nichts am Vorliegen eines Versuches, kann aber ggf. als straf- sicht als Fundament eines vollendeten Vorsatzdelikts nicht aus.77 Es kann nur ein
befreiender Rücktritt (§ 24) zu beurteilen sein. Mordversuch in Idealkonkurrenz mit fahrlässiger Tötung vorliegen.
60 Die Notwendigkeit eines Tatentschlusses war in der ursprünglichen Fassung der Die zwischen Versuchs- und Vollendungsvorsatz trennende Lehre hat auch für 64
Versuchsbestimmung ausdrücklich ausgesprochen. § 43 I des StGB von 1871 lau- den Rücktritt einschneidende Konsequenzen. Wenn der Giftmörder sein Opfer
tete: „Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Hand- durch eine Giftbeibringung in Raten (etwa durch Zusatz des Giftes zum Morgen-
lungen, welche einen Anfang der Ausführung ... enthalten, betätigt hat, ist ... kaffee) töten will, sein Vorhaben aber schon nach der zweiten Rate freiwillig auf-
wegen Versuches zu bestrafen." Heute läßt sich das Erfordernis des Tatentschlusses gibt, obwohl er zur Tötung des Opfers fünf Raten für erforderlich hält, kann er
aus den Worten „nach seiner Vorstellung" in § 22 entnehmen, obwohl darin, genau nach der hier referierten Ansicht nicht wegen vollendeten Mordes bestraft wer-
genommen, nur das intellektuelle, nicht auch das voluntative Element des Vor- den. Denn es fehlt ihm der (Vollendungs-)Vorsatz. Nimmt man dagegen an, daß
satzes71 enthalten ist. Doch kommt es auf die Positivierung des Entschlußelemen- der Täter schon bei den Anfangsraten einen Tötungsvorsatz hatte, wird man dazu
tes nicht entscheidend an. Denn seine Erforderlichkeit ergibt sich schon daraus, neigen, einen vollendeten Mord anzunehmen und den verfrühten Todeseintritt als
daß ein fahrlässiger Versuch nirgends unter Strafe gestellt ist und daß das versuchte unwesentliche Kausalabweichung zu beurteilen.78
Vorsatzdelikt sich bis ins Ausführungsstadium hinein vom vollendeten nicht un- Auch auf die Irrtumslehre wirkt sich die Meinung aus, die den Vorsatz im Sta- 65
terscheidet. dium des unbeendeten Versuchs noch nicht als Vollendungsvorsatz gelten läßt. Die
61 Der Tatentschluß wird nicht selten mit dem Vorsatz gleichgesetzt.72 Das ist Kenntnis der Tatumstände, die nach § 16 I für den Vorsatz erforderlich ist, muß
insofern ungenau, als zum Tatentschluß neben dem stets erforderlichen Vorsatz sich danach auf etwas Reales, auf eine erkannte Erfolgsgefahr beziehen, die beim
auch die übrigen Merkmale des subjektiven Tatbestandes gehören. Der Entschluß Tatentschluß und im Stadium des unbeendeten Versuchs noch gar nicht vorliege.79
zur Begehung eines Diebstahls verlangt also nicht nur den Wegnahmevorsatz, Falsche Vorstellungen über Tatumstände in diesem frühen Stadium sind dann
sondern auch die Zueignungsabsichr, ein Betrugsentschluß liegt nur vor, wenn er nicht nach § 16 I, sondern nach § 22 („nach seiner Vorstellung") zu behandeln.
die Absicht unrechtmäßiger Bereicherung einschließt usw.73 Gleichwohl verdient die überlieferte Lehre, wonach der Tatentschluß den Vor- 66
62 Demgegenüber geht eine immer mehr Anhänger gewinnende neuere Mei- satz einschließt, den Vorzug. Der Vorsatz bezieht sich nicht ausschließlich auf et-
nung 74 davon aus, daß der Vorsatz mehr verlangt als der Tatentschluß und erst was schon Gegebenes, sondern immer auch auf das, was der Täter noch erreichen
will, was er sich „vor-gesetzt" hat. Die von Welzel analysierte Finalstruktur beruht
7
' Vgl. Roxin, AT l3, § 12, Rn. 61 f.
72 SK6-Rudolph!, §22, R n . l . §26 I E 1962 hatte sogar ausdrücklich gesagt: „Eine Straftat LK11-Schroeder, §16, Rn. 34; Struensee, Armin Kaufmann-GS 1989, 523ff., 533f., 538; Wolter,
versucht, wer den Vorsatz, die Tat zu vollenden, durch eine Handlung betätigt..." usw. Leferenz-FS, 1983, 548f., 558ff., 565f.
7 75
' Ähnlich auch Gropp, KT2, § 9, Rn. 15 ff. 76
Struensee, Armin Kaufmann-GS, 1989, 523.
™ Freund, AT, §7, Rn.l44ff.; Frisch, 1988, 602ff., 623; Gropp, AT2, §9, Rn.62ff.; Herzberg, 77
Vgl. die anschauliche Darstellung bei Küper, ZStW 112 (2000), 35 f.
ZStW 85 (1973), 882ff.; Hruschka, JuS 1982, 2,20(.-Jakobs, A T , 8/76; 26/13 (für die Gegenmei- Wolter, ZStW 89 (1977), 700; ders., Leferenz-FS, 1983, 557ff., 567f.
78
nung aber ders., KT2, 25/24, vgl. Fn. 87); Armin Kaufmann, Jescheck-FS, Bd. 1,1985, 263 ff. mit Vgl. zu den Rücktrittsfragen näher §30, Rn. 113 ff.
79
Fn. 28; Puppe, 1992, 33 f, 56ff.; dies., NK, § 16, Rn.l08f. (anders - für die Gegenmeinung - Herzberg, JuS 1999, 224f.; Schlehqfer, 1996, 20; Streng, ZStW 109 (1997), 862 (866ff.).
aber dies., NK, §16, Rn.164, 173; vgl. Fn. 87); Sancinetti, 1995, 65f.; Schliebitz, 2000, 66ff.;
351
350
§ 29. Der Versuch - B. Der Tatentschluß I § 29
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
geber hat mit §22 nicht bezweckt, „den Vorsatz durch die Vorstellung zu ersetzen
geradezu auf der Antizipation des Kausalverlaufs durch den vorsätzlich steuernden
... Vielmehr sollte lediglich die tatsächliche Vorstellung des Täters zur subjektiven
Willen des Täters. Beurteilungsgrundlage der Ausführung gemacht und nur hierfür ein ggf. irriger
67 Aber auch die praktischen Konsequenzen beim verfrühten Erfolgseintritt,80 de- Inhalt für irrelevant erklärt werden."86 Das Abstellen auf die „Vorstellung des
nen die hier abgelehnte Lehre wohl hauptsächlich ihre Resonanz verdankt; über- Täters" bezeichnet die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, aber keine den § 16
zeugen nicht. "Wenn z. B. der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz gewürgt hat und
ersetzende Irrtumslehre.
dieses daran zu einem Zeitpunkt stirbt, als der Täter noch weiteres Strangulieren
Das Ergebnis ist also: Der Vorsatz beim Versuch entspricht demjenigen bei 71
für erforderlich hält,81 ist es kriminalpolitisch wie dogmatisch angemessen, dem
vollendeter Tat.87 Er kann auch beim Versuch in den drei Formen der Absicht, des
Täter einen vollendeten vorsätzlichen Mord zuzurechnen. Er hat die unerlaubte Ge-
dolus directus und des dolus eventualis auftreten. Eines besonderen Hinweises be-
fahr des Todes durch sein Würgen geschaffen, und diese Gefahr hat sich auch ver-
darf das für den Versuch mit dolus eventualis, den die durchaus h. M. und auch die
wirklicht; der Tod ist ihm also objektiv zurechenbar. Er ist ihm aber auch subjektiv
Rspr. 88 für strafbar halten, für dessen Straflosigkeit jedoch eine beachtliche Min-
zurechenbar, wenn man mit der hier entwickelten Auffassung82 die „Planverwirk-
dermeinung eintritt. 89 Die Befürworter einer Straffreistellung berufen sich meist
lichung" als leitendes Kriterium der Zurechnung zum subjektiven Tatbestand an-
darauf, daß der Versuch mit dolus eventualis nicht hinreichend strafwürdig sei.
sieht. Denn der Täter hat bei einer normativen Beurteilung des Geschehens seinen
An der Strafwürdigkeit soll es vor allem beim alternativen Vorsatz90 fehlen. 72
Mordplan realisiert, auch wenn der Tod des Opfers etwas früher eingetreten ist als
erwartet. Die geringe Vorfristigkeit ist eine unbeachtliche Abweichung des (in allen Fall 1: A schießt auf B und tötet ihn, hat aber ggf. auch dieTötung des neben dem B stehen-
den C in Kauf genommen.
Einzelheiten nie beherrschbaren) Kausalverlaufs. Der Täter hat alles erreicht, was er
Fall 2: A entwendet dem verunglückten B eine Brieftasche und weiß nicht, ob das Opfer
erreichen wollte, und wird selbst seinen Plan als vollauf gelungen bezeichnen. Die tot (dann § 246) oder nur bewußtlos ist (dann § 242).
Annahme eines bloßen Versuchs erscheint als eine lebensfremde Konstruktion.
68 Das gilt selbst dann noch, wenn „deutlich abgrenzbare Handlungsakte"83 vor- Man kann die Meinung vertreten, in Fall 1 genüge die Bestrafung wegen der 73
liegen. Wenn der Täter zunächst das Opfer durch Würgen bewußtlos machen und verwirklichten vorsätzlichen Tötung, da A nur einen Menschen töten wollte und
dann durch Aufhängen töten will, das Opfer aber schon an den Würgehandlungen getötet hat. Wenn die Rspr. zusätzlich eine versuchte Tötung des B annehme, inso-
stirbt, liegt also ein vorsätzlich-vollendetes Tötungsdelikt vor, sofern der Tod weit aber gleichzeitig zur Bejahung eines freiwilligen Rücktritts neige (dazu § 30,
durch Würgen objektiv zurechenbar ist und bei objektiver Beurteilung als Ver- Rn. 47 ff.), drücke sich in dieser verfehlten Annahme das richtige Gefühl aus, daß
wirklichung des Täterplans erscheint. Das ist der Fall, wenn es dem Täter, wie der Versuch mit dolus eventualis schon an sich nicht strafwürdig sei.91 Im Fall 2
i.d.R., auf die Tötung und nicht auf die Art ihrer Herbeiführung ankommt. Die kann man für die Bestrafung nur des tatsächlich verwirklichten Delikts geltend
etwas andere Art der Todesherbeiführung ist dann wiederum eine unbeachtliche machen, daß sich hinter den beiden bedingten Vorsätzen nur ein alternativer di-
rekter Vorsatz verberge.92
Kausalabweichung.84
Aber solche Lösungen sind nicht ohne Ungereimtheit durchführbar93 und we- 74
69 Anders ist es nur, wenn der Plan des Täters ausnahmsweise mit der Verwirk-
der nötig noch angemessen. Sie sind nicht nötig, weil die Strafe nach § 52 ohnehin
lichung einer bestimmten Tötungsart steht und fällt. Wenn z.B. zur Verhinderung
einer sonst unvermeidlichen Entdeckung des Täters ein Unfalltod vorgetäuscht 86 Hillenkamp, Roxin-FS, 2001, 706.
werden soll, würde der für jeden Sachkundigen erkennbare Umstand, daß das 87
Dies entspricht auch der ganz h.L.: Baumann/Weber, AT , §26 III; NK-Puppe, §16,
Opfer erwürgt worden ist, den Täterplan zunichte machen. In einem solchen Fall Rn.164, 173; in der Sache ebenso Blei, AT18, §65 I; Ebert, AT3, 120; Gropp, AT2, §19, Rn.17;
Haft, AT8, 233; Jakobs, AT2, 25/24; Joecks*, §22, Rn. 3; Kühl, AT3, § 15, Rn. 23; Otto, AT6, § 18
liegen dann nur ein Versuch und eine fahrlässige Tötung vor. II 1 a; SK6-Rudolphi, §22, Rn.2; Schmidhäuser, Stub AT2, 11/61; LK10'-Vogler, §22, Rn. 2; Wes-
70 Es besteht auch kein Anlaß, den Irrtum des Täters im Stadium des unvollende- sels/Beulke, AT31, Rn. 598.
ten Versuches nach § 22 anstatt nach § 16 zu behandeln. Ein Subsumtionsirrtum s8 RGSt 68, 339 (341); 70, 201 (203); BGHSt 22, 330 (332); 31, 374 (378); BGH VRS. 56
(1979), 139ff.; OLG Karlsruhe MDR 1977, 600 (601).
oder ein error in persona sind also in einem solchen Fall unbeachtlich, weil § 16 sie 89 Binding, Normen H/2, 1916, 819f.; Lampe, NJW 1958, 332; Salm, Das vollendete Verbre-
nicht erfaßt, nicht aber, weil es an der Vorstellung nach § 22 fehlt.85 Der Gesetz- chen 1/1, 1963, 49f.; Kölz-Ott, 1974, 39f., 98ff.; Schmidhäuser, StuB AT2, 11/19; Alwart, 1982,
219 f. (die beiden Letztgenannten halten allerdings nur den untauglichen Versuch mit dolus
eventualis für straflos, vgl. Rn. 51); Puppe, NStZ 1984, 491. De lege ferenda auch Streng, JZ
so Vgl. schon Roxin, AT l 3 , § 12, Rn. 170. 1990, 219.
81
Beispiel bei Schliebitz, 2002, der nur einen Versuch annehmen will, w Dazu Roxin, AT l3, § 12, Rn.79f.
82 Vgl. nur Roxin, AT l3, § 12, Rn. 6. 9i Herzberg, NStZ 1990, 311.
83
Schliebitz, 2002, 72; hier auch das Beispiel. 92 Lampe, NJW 1958, 332.
8" So auch in vergleichbaren Fällen RG DStR 1939,177; BGH GA 1955,123 f. » Roxi«, ATI 3 , §12, Rn.80.
85 Näher Hillenkamp, Roxin-FS, 2001, 705 ff.
353
352
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - B. Der Tatentschluß n § 29
nur aus dem die schwerste Strafe androhenden Gesetz e n t n o m m e n wird. U n d sie Tatbestandes ansetzt". Da er dies nicht getan hat, ist davon auszugehen, daß der Ver-
sind nicht angemessen, weil es der Sache entspricht, w e n n im Tenor zum Aus- such sich von der Vollendung nur durch das — wenigstens teilweise — Fehlen des
druck k o m m t , daß der Täter nicht nur den B getötet, sondern auch noch das objektiven Tatbestandes, nicht aber im subjektiven Tatbestand unterscheidet.
Leben des C aufs Spiel gesetzt bzw. nicht nur eine Unterschlagung begangen, son- Auch kriminalpolitisch würde die Straflosigkeit des Versuchs mit dolus eventu- 78
dern auch einen Diebstahl riskiert hat. Auch die A n n a h m e eines freiwilligen alis zu untragbaren Ergebnissen führen. 9 7 Man nehme an, daß der Täter einer Ver-
Rücktritts vom Tötungsversuch an C ist bei Sachverhalten von der Struktur des gewaltigung sein Opfer, u m dessen Widerstand zu brechen, in lebensgefährlicher
Falles 1 verfehlt (vgl. § 3 0 , Rn.58ff.) u n d kann deshalb kein Argument dafür a b - Weise w ü r g t ; ob es daran stirbt, ist i h m völlig gleichgültig! Es ist nicht angemes-
geben, schon den Versuch als solchen straflos zu stellen. Abgesehen davon erfassen sen, einen Mordversuch hier nur deshalb abzulehnen, weil der Tod nicht beabsich-
die Fälle des alternativen Vorsatzes nur einen Bruchteil der Versuche, die mit dolus tigt war. Wenn jemand u m einer Vergewaltigung willen ein Menschenleben rück-
eventualis begangen werden. sichtslos aufs Spiel setzt, kann der Umstand, daß die Absicht des Täters sich auf ein
75 Puppe94 beruft sich für die Straflosigkeit des Versuchs mit dolus eventualis auf anderes Verbrechen richtete, kein G r u n d sein, den zu ihrer Verwirklichung d i e -
den nach ihrer Meinung vergleichbaren Fall der strafbefreienden Erfolgsabwen- nenden Tötungsvorsatz für strafrechtlich irrelevant zu erklären. Strafbedürftig
dung nach § 24 I 1: „Wenn das Gesetz . . . der Erfolgsabwendung durch den Täter bleibt der Versuch mit dolus eventualis aber auch, w o er nicht mit einer anderen
strafbefreiende Wirkung verliehen hat, so wäre es konsequent, auf die Bestrafung Deliktsabsicht konkurriert. In B G H S t 33, 295 schoß der Täter, u m sein Opfer zu
des Versuchs mit dolus eventualis ebenfalls zu verzichten, weil der Täter den Erfolg „bestrafen", aber ohne Tötungsabsicht, diesem eine Kugel in die Schläfe. Mit Recht
im Endeffekt verhütet oder vermieden hat." Aber diese Parallele ist wenig einleuch- hat der B G H bei seinen Rücktrittserörterungen das Vorliegen eines strafbaren
tend. D e n n der vom beendeten Versuch freiwillig Zurücktretende gibt seinen Vor- Tötungsversuchs ohne Diskussion als selbstverständlich vorausgesetzt.
satz auf und verdient sich die Straflosigkeit durch aktive Abwendungsbemühungen. Natürlich gibt es auch Fälle, die nachsichtiger zu beurteilen sind; sie liegen vor, 79
Beim Versuch mit dolus eventualis fehlen diese beiden für die Strafbefreiung m a ß - wenn der dolus eventualis sich an der Grenze zur bewußten Fahrlässigkeit bewegt
geblichen Faktoren. 95 und der Versuch etwa auch noch untauglich ist. Aber dafür gibt es Milderungs-
76 Schließlich wird daraufhingewiesen, 9 6 daß bei den Delikten mit überschießen- möglichkeiten, die in leichteren Fällen bis zur Einstellung reichen. Den Versuch
der Innentendenz (z.B. §§164, 236, 259, 267), die der Sache nach eine Vorver- mit dolus eventualis generell analog § 23 III zu behandeln, wie Herzberg98 es vor-
legung der Vollendungsstrafe enthalten und insofern eine versuchsähnliche Struk- schlägt, ist nicht möglich. D e n n die Fälle des Versuchs mit dolus eventualis sind
tur aufweisen, i. d. R . für das keine objektive Entsprechung benötigende subjek- denen des „groben Unverstandes", die § 23 III regelt, durchaus nicht ähnlich und
tive Merkmal eine Absicht verlangt wird, der dolus eventualis also nicht genügt. daher einem Analogieschluß nicht zugänglich.
Der Folgerung, auch den Versuch nur bei bestehender Absicht (oder allenfalls bei Auch im übrigen unterscheidet sich der Vorsatz beim Versuch nicht vom Vorsatz 80
direktem Vorsatz) für strafbar zu erklären, steht aber der Umstand entgegen, daß beim beendeten Delikt. Auch der Versuchsvorsatz setzt also einen auf die Voll-
der Gesetzgeber auch bei Absichtsdelikten für den Vorsatz selbstverständlich den endung des Delikts, ja sogar auf die Beeinträchtigung des tatbestandlich geschütz-
dolus eventualis genügen läßt. Wenn also bei der Brieftaschenentwendung (Fall 2) ten Rechtsguts gerichteten Vorsatz des Täters voraus; hat der Handelnde keinen
das Opfer nur bewußtlos ist, ist der Täter (unabhängig vom Vorliegen der § § 2 2 , solchen Vorsatz, ist er straflos und in den häufigsten Fällen der Quasi-Anstiftung
246) wegen vollendeten Diebstahls zu bestrafen, obwohl er hinsichtlich der W e g - bloßer agent provocateur (ausführlich § 26, R n . 150 ff). Ferner m u ß der Vorsatz auf
nahme nur mit dolus eventualis handelte. Was für die überschießende Innenten- die Verwirklichung von Merkmalen gerichtet sein, die einen Gesetzestatbestand
denz gilt, kann also auf den Vorsatz nicht übertragen werden. erfüllen. Wer sich durch die Vornahme homosexueller Handlungen strafbar zu
77 Die entscheidenden Argumente für die Strafbarkeit des Versuchs mit dolus even- machen glaubt, begeht keinen Versuch, sondern ein strafloses Wahndelikt (näher
tualis ergeben sich aus dem Gesetzeswortlaut und der entgegen allen Bagatellisie- R n . 381).
rungstendenzen deutlichen Strafbedürftigkeit dieser Fälle. Wenn der Versuch ein
Absichtsdelikt hätte sein sollen, hätte der Gesetzgeber dies ohne M ü h e sagen k ö n -
nen: „wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur absichtlichen Verwirklichung des II. Unbedingter u n d bedingter Tatentschluß

Es liegt im Begriff des „Tatentschlusses", daß der Täter zur Begehung des Delikts 81
«t Puppe, NStZ 1984,488 (491).
95 „entschlossen" sein, sich also auf die Tatbegehung mit hinreichender Entschieden-
Vgl. Puppe selbst, NStZ 1984, 491, die schließlich einräumt, daß „die Argumentation
vom Rücktritt aus für sich allein eine schmale Basis für die Begründung der Straflosigkeit des
Versuchs mit dolus eventualis ist." Das räumt auch Herzberg, NStZ 1990, 315, ein.
98
% Herzberg, NStZ 1990, 315. Herzberg, NStZ 1990, 317 f.
354 355
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - B. Der Tatentschluß II § 29
heit festgelegt und das Stadium unverbindlicher Überlegungen verlassen haben ins Nebenzimmer, wo sie mehrere Stunden lang wartet; sie behält sich dabei vor, ihren Mann
muß. So hat denn auch die Rspr. seit eh und j e einen „unbedingten Tatentschluß" evtl. durch das Abstellen des Gashahnes noch zu retten.
verlangt und einen „bedingten Tatentschluß" für die Versuchsstrafbarkeit nicht Fall 8 (Strafgericht Baselstadt v. 26.4.1953, bei Schmid, ZStW 74 (1962), 70 f.: Der Täter hatte
ein Sexualdelikt an kleinen Mädchen begehen wollen und sie auch schon in den dafür be-
ausreichen lassen. So selbstverständlich das klingt, so schwierig kann im k o n k r e - stimmten Keller gelockt. Er hatte sich aber von Anfang an vorgenommen, sein Unternehmen
ten Fall die Feststellung eines solchen Tatentschlusses sein. Es stellt sich hier beim aufzugeben und „die Kinder in Ruhe zu lassen, falls sie weinen sollten".
Versuch ein Problem, das bei vollendeter Tat i. d. R . " nicht vorkommt. D e n n aus In diesen Situationen faßt der Täter zunächst einen Tatentschluß, erwägt aber die Möglich-
der Vollendung läßt sich der Entschluß normalerweise ablesen. Beweisschwierig- keit eines freiwilligen Rücktritts vor Vollendung der Tat. Bei einem solchen Rücktrittsvorbe-
halt wird ein Tatentschluß und ggf. ein Versuch bejaht.
keiten können hier allenfalls bei der Entscheidung über Vorsatz und Fahrlässigkeit
und daher nur bei relativ wenigen Delikten v o r k o m m e n ; und auch bei diesen läßt Diese Dreiteilung ist eine nützliche Orientierungshilfe und auch inhaltlich 86
sich der Tatentschluß meist aus der Art der Begehung ersehen. Bei den meisten plausibel. Sie hat aber die Schwäche, daß es oft nur eine Formulierungsfrage ist,
Straftaten aber, wie Eigentums- und Vermögensdelikten, ist eine fahrlässige B e - welcher der drei Gruppen man einen Sachverhalt zuordnet. 1 0 3 So kann der A n -
gehung kaum vorstellbar. Wenn z.B. jemand Gegenstände aus einer fremden geklagte einen Versuch auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage (Fall 5, 6) leicht
W o h n u n g entwendet hat, wird sein Tatentschluß kaum zu bezweifeln sein. Das ist als straflosen Fall bloßer Tatgeneigtheit erscheinen lassen, indem er behauptet, er
beim Versuch vielfach anders. D e n n solange ein Erfolg nicht eingetreten ist, kann habe erst nach der Untersuchung der Grabfigur bzw. der Frau einen definitiven
es schwer sein zu beurteilen, was der Täter wollte, ob also ein Tatentschluß wirk- Entschluß über die Tatbegehung fassen wollen. Da der Täter sich über die „Festig-
lich vorlag. keit" seines Tatentschlusses vermutlich keine konkreten Gedanken gemacht hat —
82 Die h. M. unterscheidet im Anschluß an W. Schmid100 zwischen der Tatgeneigt- warum sollte er das auch tun? - , ist eine solche Einlassung vermutlich nicht ein-
heit (Rn. 83), dem Entschluß auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage (Rn. 84) mal ganz falsch, sondern eine mögliche Interpretation eines psychisch unklaren
und dem Entschluß m i t Rücktrittsvorbehalt ( R n . 85). Bei der ersten Fallgruppe Sachverhalts. Ebenso kann man die Rücktrittsvorbehalte (Fall 7, 8) ohne weiteres
wird ein Tatentschluß verneint, bei den beiden anderen dagegen bejaht. so darstellen, daß man zur Vollendung der Tat noch nicht endgültig entschlossen
und daher nur tatgeneigt gewesen sei.
83 Fall 3 (RGSt 68, 339): Der Angeklagte will durch das Vorhalten einer geladenen Pistole sei-
nen Schwiegervater zunächst nur bedrohen und einschüchtern, rechnet aber auch mit der Aus diesem Dilemma führt nur eine Bestimmung des Tatentschlusses hinaus, 87
Möglichkeit, daß er ihn vielleicht erschießen werde. die diesem einen juristisch greifbaren, beliebiger U m d e u t u n g entzogenen Inhalt
Fall 4 (ähnlich RG LZ 1916, 389; 1922, 594; RGSt 75, 25): Der Täter setzt zur Fälschung ei- gibt. 1 0 4 D a n n zeigt sich, daß es nicht möglich ist, der bloßen Tatgeneigtheit
ner Urkunde an. Dabei geht es ihm zunächst nur darum, in spielerischer Weise seine Geschick-
lichkeit zu erproben. Er behält sich aber vor, das Falsifikat ggf. auch zu betrügerischen Zwek- (Gruppe 1) einen „endgültigen", „definitiven" „felsenfesten" Tatentschluß gegenüber-
ken zu verwenden. zustellen, der die beiden anderen Fallgruppen kennzeichnen soll. Wer sich den Rück-
In Fällen solcher Art ist der Täter zwar tatgeneigt, weiß aber noch nicht, ob er das Delikt be- tritt vorbehält, ist sich der Durchführung der Tat noch nicht definitiv sicher und hat
gehen will. Hier liegt ein Tatentschluß und damit eine Strafbarkeit noch nicht vor. doch schon einen Tatentschluß gefaßt, wie sich aus der gesetzlichen Rücktrittsrege-
84 Fall 5 (OLG Hamm MDR 1953, 568): Der Täter macht sich an einer (vermeintlich bronze-
nen) Grabfigur zu schaffen in der Absicht, den Kopf der Statue in unmittelbarem Anschluß an lung (§ 24) unwiderleglich ergibt. Denn jeder Rücktritt setzt einen den Tatentschluß
die Besichtigung zu stehlen, falls er aus verwertbarem Material bestehen sollte. enthaltenden Versuch voraus. Auch beim Versuch auf bewußt unsicherer Tatsachen-
Fall 6 (BGH MDR (D) 1953, 19): Der zur Abtreibung entschlossene Täter untersucht die grundlage hat der Täter keine Veranlassung, sich für den Fall, daß die äußeren U m -
Schwangere, um zu prüfen, ob der Eingriff noch gefahrlos durchführbar ist. Bei positivem stände die Tat gestatten, endgültig festzulegen, so daß er über sein weiteres Vorgehen
Ausgang der Untersuchung will er die Tat unmittelbar anschließend durchführen.
i. d. R . keine abschließenden - und vor allem keine richterlicher Feststellung zu-
Bei derartigen Sachverhalten hat der Täter schon einen (unbedingten) Tatentschluß gefaßt.
Unsicher ist nicht der Entschluß, sondern nur die Möglichkeit seiner Ausführung. Hier ist ein gänglichen - Erwägungen anstellen wird. Die „Endgültigkeit" eines Tatentschlusses
Tatentschluß und, wenn das Versuchsstadium erreicht ist (dazu Rn. 160), auch ein Versuch zu ist kaum je nachweisbar, solange es noch eine Rücktrittsmöglichkeit gibt.
bejahen. Es liegt ein Entschluß auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage vor.
Man m u ß deshalb einen Tatentschluß schon dann annehmen, wenn die zur 88
85 Fall 7 (nach RG LZ 1928,1552): Die Ehefrau schwankt bis zuletzt, ob sie ihren schlafenden
Mann töten soll. Schließlich geht sie ins Schlafzimmer, dreht den Gashahn auf und begibt sich Deliktsbegehung hindrängenden Motive das Übergewicht über die H e m -

102
99 Ein Rücktrittsvorbehalt (anstatt, wie vom BGH angenommen, eine bloße Vorberei-
Außer bei versehentlich vorzeitiger Erfolgsherbeiführung oder bei Delikten mit vorver- tungshandlung) lag auch im Fall BGH NStZ 1999, 395 vor (dazu Rn. 154).
legter Vollendungsstrafe (§ 267: Der Fälscher der Urkunde weiß noch nicht, ob er von ihr zur «B Arzt, JZ1969, 54f.; Roxin, Schröder-GS, 1978,149f.
Täuschung im Rechtsverkehr Gebrauch machen will oder nicht). '04 Näher Roxin, Schröder-GS, 1978, 157; ders., JuS 1979, lff. Für den Fall der Anstiftung,
100
W. Schmid, ZStW 74 (1962), 48; dort wird auch die Rspr. des RG, die hier nicht im ein- die eine Bestimmung zur Tat und damit eine Erregung des „Tatentschlusses" verlangt, wird die
zelnen dokumentiert werden kann, umfassend ausgewertet. durchaus parallel liegende Problematik des „Entschlusses" in § 26, Rn. 65 ff. unter Auseinan-
i°< Anders Köhler, AT, 459. dersetzung mit der dort einschlägigen Literatur näher behandelt.
356
357
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - B. Der Tatentschluß II § 29

mungsvorstellungen erlangt haben, mögen auch letzte Zweifel noch bestehen Kontext der Situation ermittelt werden. Verbindet der Täter sein Verhalten mit
bleiben. Wer nur die Möglichkeit der Deliktsbegehung erwägt oder unentschlos- langwierigen Reden und Auseinandersetzungen, kann man davon ausgehen, daß
sen h i n - und herschwankt, ist noch nicht entschlossen. Wer aber mit überwiegen- er einen Tatentschluß noch nicht gefaßt hat. Wird i h m dagegen die blitzschnell
dem Deliktsbegehungswillen ins Ausführungsstadium eintritt, dessen etwa noch und wortlos oder v o m Opfer unbemerkt angeschlagene Pistole aus der H a n d g e -
bestehende Bedenken hindern nicht die A n n a h m e eines Tatentschlusses und eines wunden, ist ein überwiegender Deliktsbegehungswille und damit ein Tatent-
Versuchs, sondern sind allemal als Rücktrittsvorbehalte nach § 24 zu beurteilen. schluß anzunehmen.
89 Das entspricht der seelischen Erfahrung: D e n n bei konfliktsträchtigen Entschei- Entsprechendes gilt für eine Fälschungstätigkeit, die sich als vorläufig unver- 92
dungen pflegt der Entschluß in der handlungsbestimmenden D o m i n a n z eines A n - bindliche Geschicklichkeitsübung, aber auch als Mittel z u m Zwecke einer schon
triebes zu bestehen, ohne daß Gegenmotive (etwa Angst oder Gewissensskrupel) beschlossenen Täuschung im Rechtsverkehr deuten läßt (Fall 4). W e n n sich keine
ganz ausgeschaltet würden. Den „endgültigen" felsenfesten, sich keine anderen Anhaltspunkte für eine konkret ins Auge gefaßte Verwendungsmöglichkeit er-
Möglichkeiten offenhaltenden Entschluß findet man kaum, w o es u m bedenkliche geben, wird man höchstens von einer Tatgeneigtheit sprechen können. Liegt aber
und gefährliche Entscheidungen geht. Es entspricht auch dem Grundgedanken des schon ein mit dem Falsifikat zu verwirklichender ausgearbeiteter Deliktsplan vor,
§ 24, einen Rücktritt (und nicht schon das Fehlen eines Tatentschlusses) dort an- wird man annehmen müssen, daß der Täter „zur Täuschung im Rechtsverkehr"
zunehmen, w o nur eine äußerlich und innerlich rückläufige Bewegung die Her- und damit zu einer Tat nach § 267 überwiegend entschlossen war.
beiführung des Erfolges noch hindert, w o also ein Täter im Ausführungsstadium Andererseits kann auch in zielstrebigen Vorbereitungshandlungen schon ein 93
einen vorherrschenden (sei es auch nicht „endgültigen") Verwirklichungswillen Tatentschluß zum Ausdruck k o m m e n . Wer Geld in eine Fußmatte einnäht, u m es
wieder aufgibt. bei erfolglosem Ausfuhrantrag heimlich über die Grenze zu schmuggeln, beweist
90 In der Literatur hat die hier vertretene Auffassung überwiegend Zustimmung damit eine deutlich überwiegende Tatentschlossenheit (auf freilich bewußt unsi-
gefunden u n d kann heute als herrschend gelten. 1 0 5 Die Schwierigkeit, das Ü b e r - cherer Tatsachengrundlage). Es ist also unrichtig, w e n n RGSt 71, 53 hier nur einen
wiegen der zur Tat hindrängenden Motive gerichtlich festzustellen, kann durch eine „bedingten Tatentschluß" und damit eine bloße Tatgeneigtheit annahm. Da freilich
sachgerechte Würdigung des äußeren Handlungsablaufes i . d . R . überwunden wer- zur Ausführung des Schmuggeldelikts noch nicht angesetzt war, ist die Annahme
den. So wird man typischerweise von einem Überwiegen des Deliktsbegehungs- der Straflosigkeit im Ergebnis richtig. Inwieweit aus Vorbereitungshandlungen
willens ausgehen können, wo jemand äußere Handlungen vornimmt, die sich als ein Tatentschluß gefolgert werden kann, ist deshalb von praktisch geringerer B e -
Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung darstellen. Wer mit diebischen Gedanken deutung u n d bedarf keiner näheren Behandlung; er kann im Einzelfall etwa bei
in eine fremde W o h n u n g einsteigt, kann sich gegenüber der Anklage wegen ver- schlüssigen Verabredungen i. S. d. § 30 II relevant werden.
suchten Diebstahls nicht darauf berufen, daß er sich die endgültige Entscheidung Im übrigen liegt die Rspr. in den Ergebnissen durchweg auf der hier verfolgten 94
zum Stehlen noch habe vorbehalten wollen; denn schon im Einsteigen manifestiert Linie; d.h. sie entspricht der Sache nach der oben zugrunde gelegten Dreiteilung,
sich das Überwiegen des Deliktsbegehungswillens. Wer eine Frau gewaltsam nie- ohne freilich den Begriff des Tatentschlusses weiter zu problematisieren. Danach
derreißt und zur Beischlafsgewährung auffordert, wird nicht damit gehört wer- ist z. B. ein Diebstahlsversuch gegeben, w e n n jemand in ein Haus eindringt, u m
den, daß er auf eine freiwillige Hingabe gehofft habe und zur Vergewaltigung mitzunehmen, was er etwa Brauchbares findet (RGSt 70, 201; ähnlich O L G
noch nicht endgültig entschlossen gewesen sei; denn in seinem Vorgehen k o m m t H a m m M D R 1976, 155); der Unsicherheitsfaktor, der in der Entscheidung über
ein mindestens überwiegender Deliktsbegehungswille zum Ausdruck. die Brauchbarkeit liegt, hindert nicht die überwiegende Tatentschlossenheit. Auch
91 Freilich ist der Schluß von einem als Ausführungshandlung interpretierbaren in den „Untersuchungsfällen" (Fall 5, 6) liegt ein Tatentschluß selbst dann vor,
Verhalten auf einen überwiegenden Deliktsbegehungswillen nicht zwingend, w o w e n n sich der Täter in der Frage der Ausführung ein letztes Hintertürchen noch
eine Handlung zweideutig ist. Wer einem anderen mit der Pistole vor der Nase offengehalten hat. D e n n wer die Möglichkeit erfolgreicher Deliktsbegehung am
herumfuchtelt (Fall 3), kann einen Tatentschluß gefaßt haben und gleich abdrük- Tatobjekt mit aller Gründlichkeit untersucht, ist unter der Voraussetzung e;nes
ken wollen; dann liegt eine versuchte Tötung vor. Er kann aber mit der Waffe günstigen Ausgangs der Prüfung jedenfalls überwiegend zur Tatbegehung ent-
auch zunächst drohen wollen und ein etwaiges Schießen einstweilen nur als eine schlossen; und mehr bedarf es nicht. 1 0 6
ferner liegende Möglichkeit erwägen; dann ist höchstens ein Delikt nach §§ 240, Arzt107 hat eine Lösung entwickelt, der zufolge schon die bloße Tatgeneigtheit für einen 95
241 zu bejahen. O b der eine oder der andere Fall anzunehmen ist, m u ß aus dem Tatentschluß ausreicht, wenn der Täter „auf einen tatbestandsmäßigen Erfolg hinarbeitet und
106
W5 Ausdrücklich zustimmend: Günther, JZ 1987, 22; Kühl, JuS 1980 275f.; ders., AT3, §15, Aus der Rspr. sind weiter zu nennen: BGHSt 5, 149; 12, 306, 309; 21, 14, 17; 21, 319,
Rn 36; Roth, JuS 1998, 1012; SK6 -Rudolphi, §22, Rn. 5; Sch/Sch/Eser2b, §22, Rn. 18; ähnlich 322; BGH GA 1963,147; KG GA 1971, 54.
107
auch LK10-Vogler, § 22, Kn. 4 ff; Jakobs, AT2, 25/29ff. Kritisch: Puppe, GA 1984,116. Arzt,)Z 1969, 54(60).

358 359
§29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
damit rechnet, daß diese Vorarbeit für den Erfolg kausal werden wird". Darin liege ein dolus bei mittelbarer Täterschaft (III), bei Unterlassungen (IV) und bei mittäterschaft-
eventualis, der für den Tatentschluß genüge. Aber das verdient keine Zustimmung. 108 Denn
ein Entschluß, der davon abhängt, daß der Täter sich später entschließt, ist noch kein Tat- lichem Handeln (V) im einzelnen bestimmt und erläutert.
entschluß und auch kein dolus eventualis; dieser setzt einen unbedingten Entschluß zur Aus-
führung der Tatbestandshandlung voraus, bei dem nur der Erfolgseintritt nicht sicher ist und
auch nicht erstrebt wird. I. Der Beginn der Ausführung beim unbeendeten Versuch des unmittelbar
96 Gleichwohl unterscheiden sich die Ergebnisse, ditArzt erzielt, kaum von der hier entwickel-
ten Lösung. Zwar will er im Fall 3, wenn der Täter zunächst mit der Pistole nur droht und ei-
handelnden Einzeltäters
nen späteren Tötungsentschluß lediglich für möglich hält, schon einen Tatentschluß annehmen
(was verfehlt ist, weil er die völlige Unentschlossenheit in einen Entschluß umdeutet). Aber 1. Keine Möglichkeit der Ableitung aus den Theorien zum Strafgrund
auch er lehnt die Annahme eines strafbaren Tötungsversuchs mit der Begründung ab, daß bei des Versuchs
so beschaffener Bewußtseinslage noch kein Ansetzen zur Ausführung gegeben sei. Mit Recht
nimmt Arzt dagegen einen Tatentschluß bei einem potentiellen Dieb an, der dem Wachhund Aus den Kriterien, die für den Strafgrund des Versuchs maßgebend sind, lassen 99
vergiftete Wurst zu fressen gibt, „auch wenn er sich für den Fall des Todes des Hundes noch sich für die Abgrenzung von strafloser Vorbereitung und strafbarem Versuch keine
nicht endgültig i. S. der Tatausführung festgelegt hat".109 Aber hier liegt auch nicht mehr eine weiterführenden Lösungen entwickeln,110 einerlei, ob man die Betätigung des
bloße Tatgeneigtheit vor; denn wer so massiv in die Sphäre des Opfers eingreift, ist wenigstens
überwiegend zur Begehung des Diebstahls entschlossen. rechtsfeindlichen Willens (Rn.32), das Expressivwerden eines Normbruchs
(Rn.43), die tatbestandsadäquate Gefährdung (Rn. 27), den rechtserschütternden
Eindruck (Rn.46) oder ein anderes Merkmal zugrunde legt. Denn alle diese
Gesichtspunkte treffen mehr oder weniger auch auf Vorbereitungshandlungen
C. Vorbereitung und Versuch
schon zu.
97 Neben dem Tatentschluß ist eine das Vorbereitungsstadium überschreitende äu- Das liegt bei den meisten subjektiven Versuchstheorien - abgesehen von der 100
ßere Handlung das zweite Begriffsmerkmal des Versuchs. Es wurde nach § 43 a. F. „Tätertheorie", Rn. 40, 41 - klar zutage, weil der Deliktsbegehungswille und der
als „Anfang der Ausführung" und wird heute so gekennzeichnet, daß der Täter expressive Normbruch sich auch in Vorbereitungshandlungen schon manifestie-
„nach seinen Vorstellungen von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes un- ren. Sie sind deshalb auch zu Recht dem Vorwurf ausgesetzt, einer zu frühen An-
mittelbar" angesetzt haben muß. Darin steckt eine individuell-objektive Konzep- setzung des Versuchsbeginns Vorschub zu leisten (Rn. 36,45).
tion: Der Versuch ist auf der Grundlage der individuellen Tätervorstellung nach Die mehr an objektive Kriterien anknüpfenden Theorien können zwar zutref- 101
objektiven Maßstäben zu bestimmen (vgl. Rn. 5). fend daraufhinweisen, daß der Versuch gefährlicher oder der von ihm ausgehende
98 Was man unter dem Ansetzen zu verstehen hat, ist bei den verschiedenen Er- rechtserschütternde Eindruck gravierender sei als bei der bloßen Vorbereitung.
scheinungsformen der Täterschaft sehr unterschiedlich. Die Gesetzesfassung ist auf Daraus erklärt es sich, daß die Gefährlichkeit oder die Eindruckskraft des Täter-
den unbeendeten Versuch des unmittelbaren Einzeltäters zugeschnitten. Denn sie verhaltens bei den Bemühungen um die Abgrenzung von Vorbereitung und Ver-
spricht von einem „wer" der anscheinend ohne Komplizen in eigener Person mit such in verschiedenen Zusammenhängen eine Rolle spielt (vgl. Rn.l21ff). Doch
einer noch fortzusetzenden Ausführung beginnt. „Unbeendet" nennen wir einen folgt daraus nur, daß diese Theorien tendenziell der gesetzgeberischen Unterschei-
Versuch, bei dem der Täter noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung dung von Vorbereitung und Versuch besser gerecht werden als die genannten sub-
zur Herbeiführung des Tatbestandserfolges erforderlich ist; er muß also die Pistole jektiven Strafgrundkonzeptionen. Eine genauere Abgrenzung können aber auch
noch abdrücken, die zu stehlende Sache noch wegnehmen usw. Es empfiehlt sich, sie nicht liefern, weil die vom Täterverhalten ausgehende Gefährdung und sein
die Abgrenzung zunächst anhand dieses gesetzlichen Prototyps eines versuchten rechtserschütternder Eindruck schon in der Vorbereitungsphase bestehen und sich
Delikts zu behandeln (I). Die Erörterung des beendeten Versuchs beim Einzeltäter bis zur Vollendung kontinuierlich steigern. Stellt man sich für diese Gefährdungen
wird sich anschließen (II). Dabei verstehen wir unter einem „beendeten" Versuch und Eindrucksgrade eine von 1-100 laufende Skala vor, so wird deutlich, daß sich
eine Ausführungshandlung, bei der der Täter nach seiner Vorstellung schon alles aus dem Gefährdungs- oder Eindrucksgedanken kein Kriterium dafür ergibt, an
getan hat, was zur Tatbestandsverwirklichung nötig ist; er hat z.B. die Bombe, die welchem Punkt dieser Skala die Grenze zum Versuch überschritten wird. Man
das Opfer töten soll, bereits in dessen Auto versteckt. Es werden dann der Versuch kann höchstens in einer allgemeinen Weise sagen, daß desto eher ein Versuch vor-
liegt, je gefährlicher und rechtserschütternder das Täterverhalten wirkt; aber für
108
eine genauere Abgrenzung reicht das nicht aus.
Näher Roxin, Schröder-GS, 1978, 151 ff., mit weiterer Kritik aus der Lit. Abi. ferner
LK10-Vogler, § 22, Rn. 12; Papageorgiou-Gonatas, 1988,140; Zaczyk, 1989, 246. Ähnlich wie Arzt
Walder, SchwZStr 99 (1982), 251 f., der bei zielstrebigem Hinarbeiten auf den Erfolg einen
Tatentschluß bejaht. "° Anders Kühl AT3, §15, Rn.38: „Die Abgrenzung des Versuchs von der Vorbereitung
W9 Arzt, ]Z 1969, 59. hangt entscheidend davon ab, wie man den Strafgrund des Versuchs bestimmt."
360
361
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch — C. Vorbereitung und Versuch I § 29

2. Die Tatbestandsnähe als leitender Gesichtspunkt für den Versuchsbeginn tat fällt ... Im Gegensatz dazu sind als Vorbereitungshandlungen die Handlungen
anzusehen, die den Tatbestandshandlungen vorausgehen und deren Vornahme
102 Der maßgebende Gesichtspunkt, der sich theoretisch mit allen Strafgrundtheo- ermöglichen oder erleichtern sollen, selbst aber noch nicht unter den strafbaren
rien verknüpfen läßt, ist der der Tatbestandsnähe. Er folgt zunächst aus den Tatbestand fallen." Danach würde z.B. im Falle des §2t2 das Abdrücken des
rechtsstaatlichen Grundlagen unseres Strafrechts. Denn danach sind für eine Be- Revolvers als die eigentliche Tötungshandlung ein Versuch sein, nicht aber das
strafung böse Gesinnungen, Pläne und Zurüstungen prinzipiell noch nicht aus- Heranziehen und Anlegen der Waffe; denn diese Akte gehen der Tatbestandshand-
reichend; vielmehr ist eine Tatbestandsverwirklichung erforderlich (zu Tat- und lung voraus.
Täterstrafrecht vgl. Roxin, AT 1 , § 6). Der Versuch stellt dann einen Strafausdeh-
Heute ist die formal-objektive Theorie in ihrer reinen Form nicht mehr vertret- 105
nungsgrund dar, indem er die Strafbarkeitsgrenze bei bestimmten Delikten auf
bar. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes ist keine Teilverwirklichung des Tat-
tatbestandsnahe Handlungen vorverschiebt. Diese Konzeption hat ihren Ausdruck
bestandes, sondern nur ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich.
auch im Gesetz gefunden. Denn § 22 verlangt, daß der Täter „zur Verwirklichung
Wenn es in der Begründung des Rechtsausschusses, der diese Fassung mit leichten
des Tatbestandes unmittelbar ansetzt". Die Bezugnahme auf den Tatbestand und Modifikationen aus § 24 AE übernommen hat,115 heißt, daß vom Versuch neben
das am Rande des Tatbestandes liegende „unmittelbare Ansetzen" zeigen, daß der dem Ansetzen „erst recht auch der Beginn der Tatbestandsverwirklichung selbst
Gesetzgeber „den Versuch hart an die Grenze der Tatbestandshandlung heran- umfaßt wird"116 so ergibt sich daraus mit aller Deutlichkeit, daß seine Reichweite
rückt".111 Auch die Gesetzesbegründung verweist darauf,112 daß mit der Aufnahme sich nicht auf die Teilverwirklichung des Tatbestandes beschränken soll.
des Tatbestandes in den Gesetzeswortlaut einer „Vorverschiebung des Beginns der
Eine der formal-objektiven Theorie nahestehende Auffassung vertritt heute 106
Versuchsstrafbarkeit" vorgebeugt werden sollte.
noch Vogler111. Für ihn liegt ein Ansetzen i. S. d. § 22 vor, wenn der Täter „eine
103 Andererseits ist klar, daß der Begriff der Tatbestandsnähe kein Merkmal ist, aus
Handlung vornimmt ..., die — ohne das Handlungsunrecht selbst schon zu ver-
dem sich für den Einzelfall gültige Ergebnisse unmittelbar deduzieren lassen. Es
wirklichen - doch für das Handlungsunrecht des jeweiligen Tatbestandes spezi-
handelt sich vielmehr — ähnlich wie beim Begriff der „Zentralgestalt" in der fisch ist". Das Problem der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch sei daher
Täterlehre (vgl. § 25, Rn. 12) - nur um einen obersten Maßstab, um eine leitende „eine tatbestandsspezifische Frage".118 Es handele sich um „ein Problem der Tat-
Hinsicht, die am Rechtsstoff konkretisierend zu entfalten ist.113 bestandsauslegung, das sich einer generalisierenden Entscheidung widersetzt".119
Versuch sei ein Verhalten, das „sich durch zulässige Interpretation sprachlich und
3. Die Versuchsbestimmung als Frage der Tatbestandsauslegung? sachlich in den jeweiligen Tatbestand einbeziehen läßt". Dabei sei allerdings die
104 Eine Lehre, die den Versuch dem Tatbestand inkorporiert und die deshalb dem Bindung an den „möglichen Wortsinn" zu lockern. Es genüge, „daß die zu beurtei-
Ideal eines Tatbestandsstrafrechts am meisten zu entsprechen scheint, ist die for- lende Handlung durch den dem Tatbestand innewohnenden Verbotssinn materiell
mal-objektive Theorie, die für den Versuch bereits eine Teilverwirklichung des erfaßt wird". Es gehe um Vorgänge, die sich „der Sache nach schon als Bestandteil
Tatbestandes verlangte. Sie hatte noch um 1930 namhafte Anhänger in der Lite- des Unrechts der konkreten Tat darstellen, obwohl sie die formelle Tatbestands-
ratur114 und hat, trotz überwiegend abweichender Judikatur, auch in der Rspr. des verwirklichung noch nicht erreicht haben".
RG ihren Niederschlag gefunden. So heißt es noch in RGSt 70,151 (157/58): „Der Eine solche Konzeption macht die Abgrenzung von Vorbereitung und Ver- 107
Versuch beginnt mit der Ausführungshandlung, nämlich mit dem Verhalten des such zu einer Frage des Besonderen Teils, indem sie ganz auf die Auslegung der
Täters, das begrifflich bereits als tatbestandsmäßig unter den Tatbestand der Straf- einzelnen Tatbestände abstellt. Konsequenterweise verzichtet Vogler denn auch auf
alle abstrahierenden Abgrenzungsformeln, die Rspr. und Literatur entwickelt
haben. Sie seien als Interpretationshilfe „weitgehend überflüssig, wenn nicht ge-
«• Roxin, in: Roxin/Stree/Zipf/Jung, 21975,15 f. fährlich".
"2 BT-Drucks. V/4095,11.
113
Ganz ähnlich Weigend, 1989, 117, der die Möglichkeit einer „abstrakt-griffigen und pro- Voglers Konzeption verdient insofern Beifall, als sie dem Leitprinzip der Tat- 108
blemlos in praktische Lösungen umsetzbaren Formel" mit Recht bestreitet. Zu demselben bestandsnähe so weit wie möglich gerecht zu werden versucht. Tatsächlich ist es
Ergebnis kommt Ambos, 2002, 725ff., der nach gründlicher Darstellung der Abgrenzungsver-
suche im deutschsprachigen und anglo-amerikanischen Rechtskreis eine „völkerstrafrechtliche ohne den Blick auf die Struktur des einzelnen Tatbestandes nicht möglich zu sa-
Näherungsformel" (738 ff.) zu entwickeln versucht, die auch die im nachfolgenden Text ver-
wendeten Kriterien verwertet. Auch M.-K. Meyer, GA 2002, 377, kommt zu der „Erkenntnis, 115
Die Ansatzformel stammt ursprünglich von Welzel; zuletzt in: StrafR11,190.
daß sich eine präzise Formel für die Bestimmung der Versuchsgrenze nicht aufstellen läßt" und »6 BT-Drucks. V/4095,11; in diesem Sinne auch die Begründung des AE, 21969, 63.
versucht, durch „Leitfälle und Typenvergleich" (367) zu präziseren Ergebnissen zu kommen. U7 LK10-Vogler, § 22, Rn.23ff, 58-70; ders., Stree/Wessels-FS, 1993, 285.
»•» v. Beling, "1930, 57f.; v. Hippel, StrafR II, 1930, 398ff; v. Liszt/Schmidt, StrafR, 261932, na LKw-Vogler, § 22, Rn. 59; entspr. ders., Stree/Wessels-FS, 1993, 291ff.
182, 305; zuletzt noch zu Dohna, 31947,17 f. "9 LK1C'-Vogler, § 22, Rn. 60.
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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
gen, was ein Ansetzen zu seiner Verwirklichung ist (dazu noch Rn. 139ff., 135). mit dem Sprechen der Eidesformel und nicht schon mit der falschen Aussage ins
Aber allein kann dieser Gesichtspunkt nicht ausreichen, wie schon die gesetzgebe- Versuchsstadium gelangt. Da jedoch § 154 ein qualifizierter Fall des § 153 ist, ist
rische Behandlung der Materie im Allgemeinen Teil erkennen läßt. Denn da der die unwahre Aussage jedenfalls „Merkmal des Meineidstatbestandes" (BGHSt 8,
Versuch sich nicht auf den Tatbestand und seinen „möglichen Wortsinn" be- 310). Man kann die Teilverwirklichungsregel in diesem Fall dadurch zu retten ver-
schränkt, sondern die Strafbarkeit über die Tatbestandsgrenze hinaus ausdehnt, suchen, daß man eine teilweise Verwirklichung der „eigentlichen" Meineidshand-
greift die bloße Tatbestandsauslegung zu kurz. Sie kann den Nähebereich nicht er- lung (des Schwörens) verlangt, zu dem die falsche Aussage nicht gehört.124 Aber
fassen, der zwar mit Blick auf den Tatbestand, gleichwohl aber unter Heranzie- damit wird die Regel schon zum größeren Teil preisgegeben. Sie bezieht sich dann
hung allgemeiner Kriterien bestimmt werden muß. „§22 steht zu den Tatbestän- nicht mehr auf alle Tatbestandsmerkmale, sondern nur noch auf tatbestandsspezi-
den des Besonderen Teils in einem Ergänzungsverhältnis, nicht in einer durch fische Ausführungshandlungen.
Auslegung zu ermittelnden Implikationsbeziehung."120 Aber selbst mit dieser Einschränkung ist die Regel bei manchen Tatbeständen 112
109 Hinzu kommt, daß die Orientierung am Tatbestand nur dort für die Versuchs- nicht anwendbar. So müßte der Diebstahl mit Waffen, die der Täter ggf. benutzen
bestimmung hilfreich ist, wo eine konkrete Beschreibung der Tatbestandshand- will (§ 244 I Nr. 1 lit. a), immer schon ein Raubversuch sein, sobald mit der Weg-
lung vorliegt. Beim Diebstahl z. B. liegt es nahe, für den Versuch zwar keine Weg- nahme begonnen wird. Denn diese ist eine Ausfuhrungshandlung des Raubes,
nahmehandlung zu verlangen, wohl aber eine Handlung, die der Wegnahme mag auch die Gewaltanwendung noch bevorstehen. Die Annahme eines Raubver-
nahekommt (wobei Begriffe wie Gewahrsamslockerung oder Gewahrsamsein- suches in solchen Fällen kann aber nicht richtig sein, denn dann wäre § 244 I Nr. 1
wirkung hilfreich sein können). Bei reinen Erfolgsdelikten (Tötung, Körperver- lit. a überflüssig. Ebenso kann ein Versuch des § 252 nicht schon darin liegen, daß
letzung, Sachbeschädigung) beschreibt jedoch der Gesetzgeber die Tathandlung der Täter beim Diebstahl entschlossen ist, seine Beute mit Gewalt zu verteidigen,
nicht. Wo nur eine vorsätzliche Todes- oder sonstige Schadensverursachung den falls er auf frischer Tat betroffen werden sollte. Jedenfalls bei mehraktigen Delik-
Tatbestand ausmacht, läßt sich aus ihm über die Abgrenzung von Vorbereitung ten ist also die Teilverwirklichungsregel nicht brauchbar.
und Versuch nichts Deutliches entnehmen.121 Ebensowenig überzeugt sie aber bei qualifizierten Tatbeständen, für deren Pro- 113
blematik der Meineidsfall (Rn. 111) nur ein Beispiel und nicht etwa eine Aus-
4. Die Teilverwirklichung des Tatbestandes als sicheres Versuchskriterium? nahme von der Regel bildet.
110 Wenn demnach auch der Versuch noch keine Teilverwirklichung des Tatbestan- Fall 9: Der Täter macht Löschgeräte unbrauchbar, um bei späterer Gelegenheit ein Ge-
des voraussetzt, liegt doch die umgekehrte Annahme nahe, daß unabhängig von bäude mit um so größerer Erfolgschance in Brand setzen zu können.
allen sonstigen Abgrenzungstheorien ein Versuch jedenfalls immer dann vorliegt,
Hier ist zweifellos schon die nach §306b II Nr. 3 qualifizierende Tatbestands-
wenn der Täter eine Tatbestandshandlung vorgenommen oder sonst ein Merk-
verwirklichung vollzogen worden. Doch kann es nicht überzeugen, daß eine ver-
mal des Tatbestandes verwirklicht hat. Die Gesetzesbegründung geht von ihr aus
suchte besonders schwere Brandstiftung (mit Freiheitsstrafen nicht unter fünf
(vgl. Rn. 105), und ein großer Teil des Schrifttums folgt ihr. Noch im Jahre
Jahren) vorliegen soll, wenn die Brandstiftung selbst vielleicht erst in Wochen
1993 schreibt Vogler122: „Auch in der Literatur ist allenthalben anerkannt, daß die
oder Monaten stattfinden soll. Auch im umgekehrten Fall leuchtet es schwerlich
Formulierung in § 22 StGB eine Mindestvoraussetzung für das Ansetzen darstellt,
ein, daß ein Beginn der Brandstiftung schon einen Versuch nach §306b II Nr. 3
so daß sich die Annahme eines Versuchs bei Teilverwirklichung des objektiven Tat-
begründen soll, solange der Täter zur Verhinderung oder Erschwerung der Lösch-
bestandes daraus ohne weiteres ergibt." OLG Bamberg NStZ 1982, 247 erklärt:
arbeiten noch keine Anstalten getroffen hat.
„Hat der Täter ein Merkmal des Tatbestandes verwirklicht, liegt immer eine Ver-
Entsprechendes gilt für die Verwirklichung von strafverschärfenden Regelbei- 114
suchstat vor, ohne daß es auf die besondere Problematik des § 22 StGB an-
spielen, die zwar keine Tatbestandsmerkmale, aber ihnen ähnlich sind.126
kommt"
111 Jedoch ist diese scheinbar so eindeutige Regel inzwischen ins Wanken gera- Fall 10 (nach RGSt 7, 341): Der Täter lockert mit Gewalt zwei Bretter am Dach eines Hau-
ten. 123 So geht z. B. die einhellige Meinung heute davon aus, daß der Meineid erst ses. Er will am nächsten Abend zum Stehlen durch die Lücke in das Gebäude einsteigen.

Hier hat der Täter mit dem i. d. R. strafschärfenden Einbrechen (§ 243 I Nr. 1)
'20 Küper, JZ 1992, 347, Fn. 56. schon begonnen. Noch die Begründung des E 1962 hatte die Meinung vertre-
121
Vgl. dazu auch Burkhardt, JuS 1983, 427 m. N. aus der älteren Literatur.
122
Vogler, Stree/Wessels-FS, 1993, 300 m. w. N.; ebenso auch Freund, AT, § 8, Rn. 50; Köhler,
AT, 460; Murmann, 1999,13 ff. ib Vogler, Stree/Wessels-FS, 1993, 300.
123
Vor allem infolge der Aufsätze von Stree, Peters-FS, 1974, 179; Burkhardt, JuS 1983, 426; i« Roxin, JuS 1979, 7, im Anschluß an Stree, Peters-FS, 1974,184 f.
Küper, JZ 1992, 338. <26 Vgl. Roxin, AT l3, § 12, Rn. 127 ff.
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ten, 1 2 7 einen Versuch bilde unter allen Umständen „auch eine Handlung, durch die denn auch bereits im Jahre 1908 das BayObLG 1 3 2 Täuschungen, die bei einem
der Täter mit der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals eines Regelbeispiels Betrug nur „Vorbereitungen der Schlußaktion" bildeten, noch nicht für einen
beginnt oder unmittelbar dazu ansetzt". Heute dagegen herrscht mit Recht die Betrugsversuch ausreichen lassen. Es hat dies aber nicht damit begründet, daß sie
Meinung vor, daß die Verwirklichung von Erschwerungs- oder Qualifikations- nicht tatbestandsmäßig seien, sondern die Teilverwirklichungsregel für u n -
merkmalen nur dann für eine Versuchsbegründung ausreicht, w e n n darin zugleich anwendbar erklärt: „Demnach genügt es in Fällen der bezeichneten Art zur A n -
ein Ansetzen zur Verwirklichung des Grundtatbestandes liegt. 1 2 8 D e n n von einem nahme eines strafbaren Versuchs noch nicht, daß der Täter ein einzelnes Tatbe-
tatbestandsnahen Verhalten kann man nur sprechen, w e n n der Täter mindestens standsmerkmal, beispielsweise das Merkmal der Erregung eines Irrtums i. S. d.
auch zur Verwirklichung des Grundtatbestandes ansetzt. § 263, realisiert h a t . . . "
115 Auf Grund der bisherigen Beispiele ließe sich die M e i n u n g vertreten, daß die Auch der B G H hat zweimal Fälle entschieden, in denen er trotz einer auf Ver- 117
Teilverwirklichungsregel zwar bei mehraktigen Tatbeständen u n d bei Tatbestän- mögensschädigung abzielenden Täuschung einen Betrugsversuch verneint hat. In
den mit erschwerenden und qualifizierenden Merkmalen nicht i m m e r passe, daß BGHSt 31,178 133 wird dargelegt, daß die Beauftragung eines Maklers durch einen
es sich hier jedoch u m Sonderfälle handele, die die Geltung der Regel bei anderen völlig zahlungsunfähigen Kunden erst zu einem Betrugsversuch werde, w e n n der
Tatbeständen nicht beeinträchtigen könnten. Doch stößt auch eine solche A n - Auftraggeber z u m Abschluß des vermittelten Geschäftes ansetze. D e n n vor dem
nahme auf Bedenken. Zustandekommen des vom Makler nachgewiesenen Geschäftes entstehe noch kein
Fall 11 (OLG Karlsruhe NJW 1982, 59): 129 Die Angeklagte (A) spiegelte der Passantin L auf Zahlungsanspruch, so daß die Beauftragung des Maklers, auch wenn sie schon die
der Straße vor, daß sie verwandt seien, um sich auf diese Weise das Vertrauen der L zu erschlei- tatbestandsmäßige Täuschung enthalte, erst eine Vorbereitungshandlung sei. Hier
chen. Sie wollte in die Wohnung der L mitgehen, um sie dort zur Gewährung eines Darlehens heißt es ausdrücklich, ein Versuch könne gegeben sein, „bevor der Täter eine der
zu bewegen, das sie nicht zurückzahlen wollte. Dazu kam es nicht, weil die A noch auf der
Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vorgenom-
Straße wegen ihres auffälligen Verhaltens festgenommen wurde.
men" habe, könne aber auch ausnahmsweise fehlen, „obwohl dies bereits g e -
116 Das O L G Karlsruhe hat hier mit Recht nur eine Vorbereitungshandlung zum schehen ist, w e n n nämlich der Täter dadurch noch nicht zu der die Strafbarkeit...
Betrüge angenommen, obwohl eine Täuschung bereits vorlag. Es versucht, das mit begründenden Rechtsverletzung angesetzt hat". Damit wird die Unverbrüchlich-
der Teilverwirklichungsregel in Einklang zu bringen, indem es Täuschungen, die keit der Teilverwirklichungsregel ausdrücklich aufgegeben.
nur dazu dienen, sich in das Vertrauen des Opfers einzuschleichen, noch nicht als In B G H S t 37, 294 hatte j e m a n d von der Filiale einer Bank eine Geldauszahlung 118
tatbestandsmäßige Täuschung i. S. d. § 263 gelten läßt. Tatbestandsmäßig ist eine durch die Vorspiegelung erschwindeln wollen, im Haupthaus der Bank werde der
Täuschung danach erst dann, wenn sie geeignet ist, unmittelbar die schädigende auszuzahlende Betrag demnächst eingehen. Der B G H sah darin noch keinen ver-
Vermögensverfügung des Opfers auszulösen. 130 Gewiß ist es möglich, auf diese suchten Betrug, weil keine Gefahr einer Schädigung bestand, solange der E i n -
Weise den Tatbestand anstatt die Teilverwirklichungsregel einzuschränken. I m - gang des Geldes von der Bank nicht bestätigt wurde. In dieser Entscheidung wird
merhin lag aber eine Täuschung vor, die, w e n n auch im Verein mit weiteren - wie vom O L G Karlsruhe, R n . 116 - unter formaler Aufrechterhaltung der
Täuschungen, auf eine Vermögensschädigung des Opfers abzielte und sie durch Teilverwirklichungsregel wieder das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Täu-
Schaffung einer Vertrauensbasis überhaupt erst ermöglichen sollte. Wenn man dar- schung bestritten: „Tatbestandsmäßig i. S. d. § 2 6 3 StGB täuscht der Täter erst
in keine tatbestandsmäßige Täuschung sieht, relativiert auch das schon die Teil- dann, wenn er denjenigen Irrtum hervorruft, der den Getäuschten zu der schädi-
verwirklichungsregel. 1 3 1 D e n n man m u ß ohne Anhaltspunkt im Gesetzeswortlaut genden Vermögensverfügung bestimmt ..." (aaO., 296). Daß aber auch darin eine
zwischen vermögensschädigenden Täuschungen verschiedener Dignität unter- Relativierung der Teilverwirklichungsregel liegt, wurde schon dargelegt.
scheiden. Es ist nur eine Frage der Formulierung, ob man statt dessen sagt, daß Schließlich ist es mit der Teilverwirklichungsregel auch nicht zu vereinbaren, 119
nicht jede tatbestandsmäßige Täuschung schon einen Versuch begründe. So hat daß eine vordringende M e i n u n g beim beendeten Versuch trotz abgeschlossener
Täterhandlung nur eine Vorbereitung a n n i m m t , solange der Täter das Geschehen
127 BT-Drucks. IV/650,144 (vgl. auch daselbst, 403 und 409). noch unter Kontrolle hat und das Opfer den Wirkungsbereich des Tatmittels nicht
1 2 8 Arzt, JuS 1972, 578; Baumann/Weber, AT10, § 26 IV 2 b; Blei, JA 1969, 613; Jescheck/Weigend, erreicht hat (näher R n . 195 ff.). 134 Wenn also eine Ehefrau ihrem verreisten M a n n
AT5, § 49 IV 4; Sch/Sch/Eser26, § 22, Rn. 58; Kühl, JuS 1980, 509; Laubenthal, JZ 1987, 1066;
Maurach/Gössel, AT 27, 40/113 ff.; Roxin, JuS 1979, 7f.; SK6-Rudolphi, §22, Rn.18; Stratenwerth, ein tödliches Gift in seine Wodkaflasche schüttet, die sie weiterhin unter ihrer
AT4, § 11, Rn.43 ; Stree, Peters-FS, 1974,179ff.; Wessels, Maurach-FS, 1972, 305f.; Wessels/Beul-
ke, AT31, Rn. 605; vgl. auch BGHSt 31,182 und Küper, JZ 1992, 338. »2 BayObLGSt 69, 65. Burkhardt, JuS 1983, 428, hat diese Entscheidung aus der Vergessen-
129 Dazu Burkhardt, JuS 1983, 426. heit emporgeholt.
wo In diesem Sinne v. a. auch Vogler, Stree/Wessels-FS, 1993, 298 ff.; Murmann, 1999,17. 1 33 Dazu Lenckner, NStZ 1983, 409; Bloy, J R 1984,123; Maaß, JuS 1984, 25.
iJi Dazu treffend Küper, JZ 1992, 347. 134 Vgl. Burkhardt, JuS 1983, 428.

366 367
§ 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Auch auf den Gesichtspunkt der unmittelbaren Gefahrdung wird in 123
Obhut behält, beginnt der Mordversuch erst, wenn der heimkehrende Mann sich
Rspr. 138 und Literatur139 immer wieder zurückgegriffen. Sie wird angenommen,
anschickt, aus der Flasche zu trinken. Die eigentliche Tatbestandshandlung ist aber
„wenn der verbrecherische Wille deutlich in einer Handlung zutage getreten ist,
schon lange vorher, nämlich mit der Beimischung des Giftes, abgeschlossen. Frei-
die nach dem Gesamtplan des Täters unmittelbar zur Gefährdung der Schutz-
lich mag man darüber streiten, wann in einem solchen Falle der Versuch beginnt.
objekte des betreffenden Tatbestandes führt".140 Oft werden beide Formeln mit-
Wer aber für einen früheren Versuchsbeginn plädiert, kann sich jedenfalls einer
einander verbunden.
selbständigen Begründung dafür nicht durch den bloßen Hinweis auf die Teil-
verwirklichungsregel entziehen. Fall 12 (BGHSt 22, 380): Die Täter wollten in ein Textilgeschäft einbrechen und das Fen- 124
stergitter mit einer Winde auseinanderbiegen. Sie „beschafften sich eine solche Winde, brach-
120 Die Teilverwirklichungsregel laßt sich also in der strikten Form, daß ein Ver- ten sie zum Tatort und versteckten sie zwischen dem Haus und Eisenträgern, die vor dem
such immer schon vorliegt, wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal oder eine Tat- Hause lagerten. Nach drei Tagen gingen sie zum Tatort, holten die Winde aus dem Versteck
hervor, um mit deren Hilfe die Gitter zu öffnen. Sie wurden durch den Wächter gestört und
bestandshandlung mindestens teilweise verwirklicht hat, nicht aufrechterhalten. flohen."
Auch wenn man die Tatbestandsnähe als Leitprinzip für die Abgrenzung von Vor-
bereitungshandlung und Versuch ansieht, bleibt die Annahme dieser „Regel" feh- Der BGH meint, es sei entscheidend, „ob die verschiedenen, demselben Zweck
lerhaft. Denn § 22 setzt „ein Ansetzen zur »Verwirklichung des Tatbestandes', also dienenden Handlungen für die natürliche Auffassung - also vom beobachtenden
zur gesamten Tatbestandshandlung einschließlich des Erfolges, und nicht nur das Dritten aus gesehen - vermöge ihrer notwendigen Zugehörigkeit zu einer Tat-
Ansetzen zur Verwirklichung eines einzelnen Merkmals" voraus.135 Allerdings bestandshandlung schon einen Bestandteil des Tatbestandes bildeten, ob also diese
wird man in den meisten Fällen sagen können, daß bei der (Teil-)Verwirklichung so zusammengefaßten Einzelhandlungen in ihrer Gesamtheit einen derartigen
eines Tatbestandsmerkmals ein Versuch anzunehmen sei. Wann dies aber im einzel- unmittelbaren Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, daß es dadurch
nen der Fall ist und wann nicht, läßt sich keiner Teilverwirklichungsregel entneh- bereits gefährdet und die unmittelbar sich anschließende Herbeiführung eines
men, sondern muß nach anderen Abgrenzungskriterien bestimmt werden. Enderfolges nahegerückt war (RGSt 51, 342; 54, 254; 69, 329). Das Hervorholen
und Bereitlegen der Winde, mit deren Ausnutzung sofort begonnen werden
5. Abgrenzungsformeln sollte, gefährdete hier unmittelbar das geschützte Rechtsgut." Hier wird also das
Kriterium der unmittelbaren Gefährdung zur Ausfüllung der Frankschen Formel
121 Die am meisten verbreitete Methode zur Abgrenzung von Vorbereitung und
benutzt.
Versuch besteht in der Verwendung von Formeln, die den Beginn des Versuchs
bzw. den Begriff des Ansetzens konkretisieren sollen. Die Rspr. verwendet diese Unter der Geltung des StGB von 1975, durch das die Ansatzformel modifiziert 125
Formeln in wechselnder Weise und stellt oft in derselben Entscheidung mehrere wurde, sind diese älteren Abgrenzungsmerkmale etwas zurückgetreten. Nach An-
von ihnen nebeneinander, um eine größere Genauigkeit zu erreichen. sicht des BGH darf nun nicht mehr auf die natürliche Auffassung des außenstehen-
122 Vor allem in der älteren Rspr. werden die bis heute wiederkehrenden Kriterien den Beobachters abgestellt werden, sondern nur noch auf den Täterplan, weil der
der Frankschen Formel und der an die objektiven Theorien zum Strafgrund des neue § 22 die Vorstellung des Täters hervorhebe (BGHSt 26, 203). Daher wird die
Versuchs (Rn. 25 ff.) erinnernden „unmittelbaren Gefährdung" verwendet. Nach Franksche Formel, soweit sie überhaupt noch benutzt wird, entsprechend umfor-
der Frankschen Formel136 gehören zum Versuch alle Handlungen, die „vermöge muliert (vgl. das Zitat Rn. 122). Freilich liegt darin ein MißVerständnis; denn die
ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tatbestandshandlung für die Abgrenzung muß nach wie vor nach objektivem Maßstab, wenn auch auf subjek-
natürliche Auffassung als deren Bestandteil erscheinen" (RGSt 77, 162). Mit einer tiver Beurteilungsgrundlage erfolgen (Rn. 5). Außerdem glaubt der BGH, „der
durch den neuen § 22 veranlaßten Umstellung auf den Tatplan („nach seiner Vor- Nichterwähnung des Gedankens der unmittelbaren Gefährdung des geschützten
stellung") heißt es noch in BGH NJW 1980, 1759 f., ein unmittelbares Ansetzen Rechtsguts" im neuen Gesetz Rechnung tragen zu müssen (BGHSt 26, 203).
liege in allen Handlungen, „die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit Wenn auch der Gefährdungsgedanke für die Abgrenzung nicht sehr hilfreich ist
mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, (vgl. Rn. 129), leuchtet doch diese Begründung für eine Distanzierung von ihm
weil sie an diese räumlich und zeitlich angrenzen und mit ihr im Falle ihrer Aus-
führung eine Einheit bilden".137 »8 RGSt 54, 254f.; BGHSt 2, 380; 3, 297, 299; 4, 333, 334; 6, 98; 9, 62, 64; 20, 151f.; 22,
80, 82; 30, 363, 365; BGH NStZ 1983,462; 1987, 20; 1989,473; 1993, 77; BGH StV 1994, 240.
139 Der Gefährdungsgedanke wird allein oder ergänzend herangezogen von: Baumann/Weber,
iss Roxin, JuS 1979, 7; ebenso Berz, Jura 1984, 511; Burkharde, JuS 1983, 426; Jakobs, AT2, 25/ AT10, §26 IV 2 a; Blei, JA 1976, 103; v. Hippel, 1966, 18f.; D. Meyer, JuS 1977, 21 f.;/ Meyer,
70; Kratzsch, JA 1983; Maurach/Gössel, AT/27, 40/18; SK6 -Rudolphi, § 22, Rn. 7 a; Sch/Sch/Eser26, ZStW 87 (1975), 598, 605; Otto, NJW 1976, 579; den., AT6, § 18 II 3 b; Sch/Sch/Eser26, §22,
§ 22, Rn. 37. Rn. 42; Sonnen, JA 1979, 334; Tiedemann, JR 1973, 412; Tröndle)'Fischer™, § 22, Rn. 10.
«6 Frank, StGB18, §43 IIb. wo OLG Celle NJW 1972,1823; OLG HammJMBl. NW 1967, 238 f.
137 Ferner BGHSt 2, 380 (381); 4, 273.
369
368
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C.Vorbereitung und Versuch I § 29

Fall 14 (BGHSt 28,162): Der Täter hatte sich für drei Autos Nachschlüssel angefertigt, „so
nicht ein. Denn wenn man den Gesetzestext präzisieren will, kann dies notwendi- daß für ihn jederzeit die Möglichkeit bestand, diese Fahrzeuge aufzuschließen und zu entwen-
gerweise nur durch Wendungen geschehen, die nicht schon in seinem Wortlaut den."
enthalten sind. Die Vorinstanz und der Generalbundesanwalt hatten Jhier einen versuchten
126 In der neueren Rspr. dominieren fünf andere Kriterien. Ein Versuch wird in
Diebstahl angenommen, der vom BGH abgelehnt wird. „Das Versuchsstadium er-
Handlungen gesehen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbe-
streckt sich ... auf Handlungen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tat-
standsverwirklichung führen,141 die in die Tatbestandshandlung unmittelbar
bestandserfüllung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen oder zeit-
einmünden142 oder in einem engen (oder unmittelbaren) raumzeitlichen Ver-
hältnis zu ihr stehen.143 In der jüngsten Phase der Rspr. werden in zunehmendem lichen Zusammenhang mit ihr stehen ... Dies ist dann der Fall, wenn der Täter
Maße zwei weitere Kriterien verwendet, die die subjektive und die objektive Seite subjektiv die Schwelle zum Jetzt geht es los' überschreitet und objektiv zur tat-
des Versuchs bezeichnen sollen und deshalb meist miteinander gekoppelt werden. bestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so daß sein Tun ohne Zwischenakte
Danach wird - unter Berufung auf Dreher144 - der Versuchsbeginn subjektiv auf in dieTatbestandserfüllung übergeht ..." Es wird dann dargelegt, daß die letzten
den Zeitpunkt angesetzt, in dem der Täter die Schwelle zum „Jetzt geht es los" beiden Voraussetzungen nicht erfüllt sind, weil der Täter sich noch nicht einmal
überschreitet145 und sich den letzten „Willensruck" gibt (BGH StV 1987, 529). Da- auf den Weg zur Tatausführung gemacht hatte.
neben tritt auf der objektiven Seite auch in der Rspr. 146 mehr und mehr die in der
Literatur inzwischen herrschende147 Teilakts- oder Zwischenaktstheorie, die den 6. Kritik der Abgrenzungsformeln
Versuchsbeginn auf den letzten Teilakt vor der eigentlichen Tatbestandshandlung Alle diese Formeln haben als Erläuterung der Gesetzesworte einen gewissen
ansetzt; auf den Eintritt in das Versuchsstadium folgen also keine weiteren „Zwi- Wert. Ihre Schwäche liegt aber darin, daß ihr Aussagegehalt über die in § 22 ent-
schenakte" mehr, sondern die nächste Handlung ist schon diejenige, die den Erfolg
haltene Wendung vom „unmittelbaren Ansetzen" zur Tatbestandsverwirklichung
auslöst. Zwei Beispiele mögen zeigen, in welcher Weise der BGH die Formeln
und über das Leitprinzip der Tatbestandsnähe (Rn. 102) kaum hinausreicht. Vier
miteinander kombiniert.
von ihnen verwenden den schon im Gesetz enthaltenen Terminus der Unmittel-
127 Fall 13 (BGHSt 26, 201): Die Angeklagten wollten einen Tankwart berauben. Vor seiner
Haustür zogen sie Strumpfmasken auf. Dann läutete der Mitangeklagte K. Er hatte die mit- barkeit (unmittelbare Gefährdung; in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur
gefuhrte Pistole in der Hand. Die Angeklagten nahmen an, daß auf ihr Läuten der Tankwart Tatbestandsverwirklichung führen; in diese unmittelbar einmünden; in unmittel-
oder eine andere Person erscheinen werde. Sogleich bei ihrem Erscheinen sollte die öffnende barem - oder gleichbedeutend: engem - räumlichen und zeitlichen Zusammen-
Person mit der Pistole bedroht, gefesselt und zur Ermöglichung und Duldung der Wegnahme hang mit ihr). Es ist klar, daß dieser gesetzliche Zentralbegriff nicht ausgelegt
genötigt werden. Auf das Läuten kam niemand. wird, indem man ihn lediglich wiederholt. Was aber von diesen Formeln übrig-
bleibt, wenn man vom gesetzlichen Terminus der Unmittelbarkeit absieht, trägt
Hier nahm der BGH einen Raub versuch an und begründete das so: Die Täter zur Auslegung auch nichts bei. Denn das Kriterium der „Gefährdung" ist - auch
standen „maskiert und mit der Waffe in der Hand auf dem Sprung. Sie hatten sub- wenn man beim untauglichen Versuch nur eine vorgestellte Gefährdung zugrunde
jektiv die Schwelle zum Jetzt geht es los'... überschritten und objektiv zur tat- legt - trotz seiner tendenziellen Übereinstimmung mit dem Strafgrund des taug-
bestandsmäßigen Angriffshandlung angesetzt, weil ihr Tun ohne Zwischenakte in lichen Versuchs (Rn. 10 ff.) weniger passend als das des „Ansetzens", weil auch Vbr-
die Tatbestandsverwirklichung (der Bedrohung des Erscheinenden mit der Pi- bereitungshandlungen, bei denen man noch nicht vom „Ansetzen" sprechen kann,
stole) einmünden sollte ..." (aaO., 203/04). schon eine Gefährdung enthalten (Rn. 101). Auch ist das Merkmal bei abstrakten
und konkreten Gefährdungsdelikten kaum verwendbar, weil bestimmte Arten
der Gefährdung hier schon die Vollendung kennzeichnen.148 Daß eine Handlung
wi BGHSt 26, 203; 31,178; BGH NStZ 1981, 99; 1983, 364; 1987, 20; MDR (H) 1980, 272; in ungestörtem Fortgang zur Tatbestandsverwirklichung führe oder in sie ein-
1989,1050; BGH NJW1980,1759; 1991,1963; 1993, 2125; 1994, 3019. münde, kann man auch von vielen Vorbereitungshandlungen sagen, die, wenn/der
142
Vgl. Fn. 138. In diesen Entscheidungen werden beide Gesichtspunkte miteinander ver- Täter sich z. B. auf den Weg zum Tatort macht, ohne Zäsur in die Ausführung und
bunden. Vollendung übergehen. Ebenso besteht ein räumlicher und zeitlicher Zusammen-
i« BGH NStZ 1989,473; 1993, 77; 133; BGH StV 1994, 240.
'« Zuletzt Tröndle/Fischer™, § 22, Rn. 10. hang mit der Tatbestandserfüllung auch bei Vorbereitungen, die ja auf den End-
»« BGHSt 28,163; BGH NStZ 1989,473; 1993,77; BGH StV 1994, 240. erfolg abzielen. Was bestimmte Akte zum Versuch macht, ist allein die Unmittel-
M« BGHSt 26, 203; 28,163; 35, 8f.; 36, 250; 37, 297 f.; BGH NStZ 1996, 38; 1997, 31; 1997,
83.
148
w Berz, Jura 1984, 514; Kühl, JuS 1980, 650 f.; Uckner/Kühl24, §22, Rn.4; SK6 -Rudolphi, Berz, Jura 1984, 513. Für die unmittelbare Gefährdung als materielles Kriterium (in Ver-
§ 22, Rn. 13; Sonnen/Hansen-Siedler, JA 1988, 17; Tröndle/Fischer50, § 22, Rn. 10; ähnlich auch bindung mit der Zwischenaktstheorie) heute vor allem noch Sch/Sch/Eser , § 22, Rn. 42.
Gropp, KT2, § 9, Rn. 36.
371
370
§ 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Die Wendung von der Schwelle zum „Jetzt geht es los" ähnelt dem von Bockelmann ent- 134
barkeit des Zusammenhanges mit der Tatbestandsverwirklichung, auf die auch das wickelten Kriterium der „Feuerprobe der kritischen Situation". Danach liegt Versuch vor,
Gesetz schon abhebt. „wo der Verbrechensvorsatz die Feuerprobe der kritischen Situation bestanden hat. Diese
Situation ist dann gegeben, wenn der Tater sich vor der Aufgabe sieht, die Handlung vorzu-
130 Von den drei Rechtsprechungsformeln, die sich vom Gesetzeswortlaut in wei- nehmen, die ... zur Verwirklichung des Tatbestandes... fuhren wird. Es ist der Augenblick, in
tergehendem Maße lösen, ist das subjektive Kriterium des Überschreitens der dem die letzte maßgebliche Entscheidung über das Ob der Tat gefällt wird. Was in diesem
Schwelle zum „Jetzt geht es los" die problematischste. Denn auch wenn man von Augenblick zur Ausführung der Tat vollbracht wird, das ist Versuch."149 Auch diese Lehre hat
einen objektiven Einschlag, indem sie eine „zur Verwirklichung des Tatbestandes führende
der sonderbaren sprachlichen Fassung absieht, leuchtet es wenig ein, daß die Ab- Handlung" zum Bezugspunkt nimmt. Aber das ist viel zu unscharf; denn auch Vorbereitungs-
grenzung, die doch - wenn auch auf der Grundlage des Täterplans - nach objek- handlungen fuhren zur Verwirklichung des Tatbestandes. Natürlich könnte auch der letzte
Teilakt gemeint sein; aber das bleibt unsicher. Unklar ist auch das Verhältnis dieses objektiven
tiven Maßstäben erfolgen muß, von einer Reflexion des Täters („Jetzt geht es los") Merkmals zu dem in den Vordergrund gerückten Entscheidungsvorgang im Inneren des
abhängen soll. Der Täter müßte ja klüger sein als die meisten Gesetzesinterpreten, Täters. Denn die „letzte maßgebliche Entscheidung über das Ob der Tat" fällt doch schon mit
wenn er sich just auf der ihm - meist unbekannten - Grenze von Vorbereitung der Fassung eines unbedingten Tatentschlusses! Welche späteren Entscheidungen noch gefällt
werden sollen, ist nicht recht ersichtlich.
und Versuch sagen sollte: „Jetzt geht es los."
131 Auch wenn man keine - i. d. R. fehlende - Reflexion dieser Art, sondern einen Die relativ geglücktesten Abgrenzungsversuche werden durch die Franksche 135
„Willensruck" in Form eines Entschlusses, sich an die Ausführung zu machen, ver- Formel (Rn. 122) und durch die Teilaktstheorie (Rn. 126) bezeichnet, die eine
langt, liegen derartige subjektive Phänomene oft noch im Vorbereitungsstadium Fortentwicklung dieser Formel darstellt. Die Franksche Formel, die der formal-
oder müssen, selbst wenn sie den Willen zur Vornahme von Ausführungshandlun- objektiven Theorie (Rn. 104) verwandt ist, bringt den auch hier verfolgten Leit-
gen signalisieren, in die entsprechenden äußeren Akte erst noch umgesetzt wer- gesichtspunkt der Tatbestandsnähe hervorragend zum Ausdruck. Ihre Schwäche
den. Wer das Gift mischt, das er dem Opfer in die Suppe schütten will, kann sich, liegt darin, daß sie ein Verhalten, das der Sache nach nicht zur Tatbestandshand-
wenn er mit der Herstellung der tödlichen Substanz beginnt, sagen: „Jetzt geht es lung gehört, vermöge einer „natürlichen Auffassung" gleichwohl zu deren Be-
los" (d.h. jetzt gehe ich ans Werk und setze meinen Plan in die Realität um) und standteil erklärt. Damit wird die Frage, welche dem Tatbestand vorgelagerten
befindet sich doch noch in der Vorbereitung. Und wer sich vor Abgabe des töd- Handlungen schon zum Versuch gehören, einem Gefühlsurteil überantwortet,
lichen Schusses einen Ruck gibt und beschließt: „Jetzt tue ich es", muß doch noch dem sich nicht mehr als die allgemeine Einsicht entnehmen läßt, daß der Versuch
erst in die Tasche greifen und seinen darin befindlichen Revolver entsichern, bevor hart an der Tatbestandsgrenze liegen muß. Ersetzt man mit der neueren Rspr. die
von einem Versuch die Rede sein kann. „natürliche Auffassung" durch den „Täterplan" (Rn. 122), so wird auf eine objektive
132 Dieses subjektive Kriterium ermöglicht daher in den meisten Fällen keine plau- Abgrenzung ganz verzichtet.
sible Abgrenzung. Seine Beliebtheit in der neueren Rspr. beruht wohl darauf, daß Die Unbestimmtheit, die der Frankschen Formel noch anhaftet, versucht die 136
man durch seine Verwendung hofft, den Worten „nach seiner Vorstellung", die sich Teilaktstheorie zu überwinden, indem sie auf den letzten Teilakt vor der eigent-
seit 1975 im Gesetzeswortlaut finden, gerecht werden zu können. Aber das ist nur lichen Tatbestandshandlung abstellt. Das ermöglicht eine recht präzise Abgren-
halb richtig. Denn freilich kann nie ein Versuch vorliegen, wenn es nach der Täter- zung, wenn man, wie es ursprünglich versucht wurde, jede selbständige Körper-
vorstellung noch nicht „losgehen" soll. Wer den Revolver zieht, begeht noch kein bewegung zum „Teilakt" erklärt. Dann wäre Versuch das Anschlagen der Pistole als
Tötungs- oder Verletzungsdelikt, wenn er mit der Waffe erst in zwei Stunden schie- letzter Teilakt vor dem Abdrücken; das Ziehen der Pistole wäre aber noch Vor-
ßen will (vgl. Rn. 5). Das gilt aber, wie gesagt (Rn. 131), nicht umgekehrt. Auch wer bereitung, weil zwischen ihm und dem Abdrücken ein weiterer Teilakt liegt. Ver-
sich sagt: „Jetzt geht es los" kann sich noch im Vorbereitungsstadium befinden. such wäre das Ausstrecken des Arms nach dem zu stehlenden Gegenstand; das
133 Die Praxis benutzt die Formel von der Schwelle zum „Jetzt geht es los" denn Aufbrechen des Kastens, in dem sich dieser befindet, wäre erst eine Vorbereitung,
auch durchweg nur in Verbindung mit dem objektiven Maßstab der Teilaktstheo- weil sich vor die Wegnahme ein weiterer Teilakt schiebt. Man könnte jeden
rie (vgl. nur Rn. 127 f.). Ob sie auch unabhängig davon die Versuchsgrenze be- Schritt, den der Täter in Richtung auf das Angriffsobjekt tut, als selbständigen
zeichnen soll, bleibt unklar; sie kann diese Aufgabe jedenfalls nicht erfüllen. Wenn Teilakt ansehen und käme dann erst mit dem letzten Schritt zur Annahme eines
sie dagegen nur die subjektive Voraussetzung einer im übrigen objektiven Abgren- Versuchs, wenn nicht auch auf diesen noch weitere „Zwischenakte" beim Ge-
zung darstellen soll, wird mit dem Hinweis auf die Schwelle zum „Jetzt geht es brauch von Waffen oder Werkzeugen folgen.
los" nicht mehr ausgedrückt, als was in den Gesetzesworten („nach seiner Vorstel- Das ist ersichtlich zu eng und würde die Abgrenzung auch in wenig einleuch- 137
lung unmittelbar ansetzt") schon beinhaltet ist. Selbständige Aussagekraft hat die tender Weise von Zufällen der äußeren Handlungsgestaltung abhängig machen.
Formel dann nicht mehr. Denn natürlich kann niemand nach seiner Vorstellung
zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt haben, wenn er der Meinung ist, es solle 149
Bockelmann,)Z 1954, 473 (= Untersuchungen, 146f.).
mit der Ausführung noch nicht losgehen.
372 373
§ 29 I 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
So würde etwa Versuch vorliegen, wenn jemand durch ein offenes Fenster in ein Fall 14: Jemand will aus einem Auto etwas stehlen und greift zu diesem Zweck durch ein
Auto hineingreift, um eine auf dem Vordersitz liegende Tasche an sich zu nehmen. offenstehendes Fenster in das Innere des Wagens.
Es wäre abet eine Vorbereitung, wenn der Täter erst nach einem vorn liegenden In diesem Verhalten liegt ein Diebstahlsversuch. Denn es besteht ein enger zeit-
Spazierstock griffe, um damit anschließend die auf dem Rücksitz liegende Tasche licher Zusammenhang (die Wegnahme soll jetzt, auf der Stelle, erfolgen), und der
herauszuangeln; denn diese Handlung läge vor dem letzten Teilakt. Täter hat in die Opfersphäre (das Innere des Wagens, den Gewahrsamsbereich des
Der BGH hat deshalb schon früh vor einem derart formalen Verständnis des zu Bestehlenden) bereits eingegriffen. Ob er den zu stehlenden Gegenstand so-
Teilaktsbegriffs gewarnt und z.B. in Fall 13 (Rn. 127, Tankwart-Fall), wo die Täter gleich wegnehmen oder erst einen Stock packen will, mit dem das Diebstahls-
an der Tür des Opfers läuteten, schon darin den letzten Teilakt gesehen und ge- objekt aus dem Wagen herausgeangelt werden soll (vgl. Rn. 137), spielt für die An-
meint: „Eine zu enge, nach körperlichen Bewegungen aufspaltende Betrachtung nahme des Versuchs keine Rolle. Derartige „Zwischenakte" sind unwesentlich,
wäre es, das Heben und Anlegen der Pistole als Zwischenakte anzusehen." In wenn die beiden entscheidenden Kriterien (enger zeitlicher Zusammenhang,
Übereinstimmung damit fordern die Vertreter der Teilaktstheorie heute meist nur, Sphäreneinwirkung) erfüllt sind.
daß zwischen dem Versuchsbeginn und der eigentlichen Tathandlung „keine wei- Es müssen beide Kriterien gemeinsam vorliegen, eines von ihnen genügt nicht. 140
teren wesentlichen Teilakte liegen".150 Kühl erläutert das so:151 „Bei der Hand- Wenn der Dieb vor dem Auto steht, in das er gerade hineingreifen will, liegt
habung dieser ... Teilaktstheorie ist darauf zu achten, daß das Gesamtverhalten des schon ein enger zeitlicher Zusammenhang, aber noch kein Versuch vor. Denn es
Täters nicht künstlich aufgespalten wird. Wer mit gezogener Pistole in Tötungs- fehlt noch die Einwirkung auf die Opfersphäre, die die Endphase des Geschehens
absicht auf sein Opfer zugeht, ist nicht deshalb noch im Vorbereitungsstadium, charakterisiert. Umgekehrt reicht auch das Herantreten an die Opfersphäre noch
weil er noch Zwischenschritte wie das Heben und Anlegen der Pistole sowie das nicht aus, wenn der enge zeitliche Zusammenhang fehlt: Wer einem anderen die
Krümmen des Fingers am Abzugshebel zurückzulegen hat, bevor er den tödlichen Pistole vorhält, aber einstweilen damit nicht schießen will, begeht noch keinen
Schuß abgeben kann. Ein solches „Zeitlupen-Strafrecht" wird von der Teilakts- Tötungsversuch.
theorie nicht favorisiert, denn solche unwesentlichen Zwischenakte ... sind keine
selbständigen Teilakte i. S. dieser Theorie." Fall 15 (KG GA 1971, 54): Der Täter eines geplanten Raubes läutete an der Haustür des
Opfers. Er sollte nach dem Tatplan zunächst allein dessen Wohnung betreten, mit ihm „ins
138 Das ist im Ergebnis plausibel, gibt aber den Bestimmtheitsgewinn, den die Bett gehen" - der Fall spielt im Homosexuellen-Milieu - und anschließend „bei passender
Teilaktstheorie im Verhältnis zur Frankschen Formel bringen könnte, weitgehend Gelegenheit" zwei weitere Komplizen einlassen, mit denen zusammen der Raub ausgeführt
werden sollte. Die Tür wurde jedoch nicht geöffnet.
wieder preis.152 Denn welche Teilakte „wesentlich" sind, ist eine Frage der Bewer-
tung. Einen Maßstab für diese Wertung liefert aber der Begriff der „Wesentlich- Hier wird durch das Läuten der Bezug zur Opfersphäre hergestellt. Da der
keit" genausowenig wie die „natürliche Auffassung" der Frankschen Formel. Die Raub jedoch erst „bei späterer Gelegenheit" durchgeführt werden sollte, fehlt es an
Teilaktstheorie bedarf also einer weiteren Konkretisierung,153 die im folgenden dem engen zeitlichen Zusammenhang, der für den Versuch nötig ist. Das KG hat
versucht werden soll. Gelingt diese Konkretisierung, ist eine solche Teilaktstheorie in seinem Urteil mit Recht betont, daß auch dann noch kein Versuch vorgelegen
gegenüber anderen Lehren vorzugswürdig, weil sie die „Schlußphase" des Gesche- hätte, wenn der Täter eingelassen worden wäre. Erst mit dem Hinzukommen der
hens, die schmale der Tatbestandshandlung vorgelagerte Zone, die vom Versuch Komplizen hätte der Versuch begonnen. Am deutlichsten wird der Vorbereitungs-
noch umfaßt wird, am genauesten beschreibt. Charakter einer Handlung, wenn weder eine Einwirkung auf die Opfersphäre
noch ein enger zeitlicher Zusammenhang vorfindbar sind. So lag es in BGHSt 28,
7. Die konkretisierte Teilaktstheorie 162 (Fall 14, Rn. 128). Man muß sich wundern, daß es erst einer BGH-Entschei-
139 Nach der hier vertretenen Auffassung ist der letzte Teilaktsabschnitt durch die dung bedurfte, um gegen die Vorinstanz und den Generalbundesanwalt das Vor-
beiden Hilfsbegriffe des „engen zeitlichen Zusammenhanges" und der „Einwir- liegen einer bloßen Vorbereitungshandlung festzustellen.
kung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre" zu bestimmen. 154 Fall 16 (BGH NStZ 2000, 418): Der Angeklagte (A) wollte in das Anwesen einer Frau 141
6 eindringen, um - wie früher schon einmal - „diese sowohl zum Geschlechtsverkehr zu zwin-
•so SK -Rudolphi, § 22, Rn. 13; Rudolphi darf mit seinem Aufsatz inJuS 1973, 20, als Begrün- gen als auch ihr zu seiner eigenen Verwendung Geld wegzunehmen". Er scheiterte jedoch, weil
der der Teilaktstheorie gelten. die Kellerfenster, die er aufzustemmen versuchte, inzwischen durch Metallstäbe gesichert
'5i Kühl, AT3, §15,Rn.60. waren.
•52 Jakobs, AT , 25/62, betont, daß damit „die Teilaktslösung ihre strenge Tatbestandsbin-
dung verliert". Ähnlich Sch/Sch/Eser26, § 22, Rn. 41: „begrifflich scharfe Fixierung ... kaum
noch möglich". Kratzsch, JA 1983, 422: „Präzisierung ... praktisch wieder zurückgenommen". In einem Fall wie diesem lassen die entwickelten Kriterien deutlich erkennen,
153 So auch SK6-Rudolphi, § 22, Rn. 13. daß der Versuchsbeginn ggf. bei verschiedenen Tatbeständen unterschiedlich beur-
154 DazuRoxi'H,JuS1979,4ff. teilt werden muß. Es liegt ein versuchter Diebstahl (§ 243 I Nr. 1) vor, weil inso-
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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch — C. Vorbereitung und Versuch I § 29

weit mit dem Bemühen, die Fenster aufzustemmen, der Bezug zur Opfersphäre von Vogler ( R n . 106 ff.) mit Recht geforderte Bezug auf die Struktur und Aulegung
(zum Gewahrsamsbereich) hergestellt war. Dagegen ist noch keine versuchte Ver- des jeweiligen Tatbestandes. Auch die Rechtsprechungsformeln, die Handlungen
gewaltigung (§ 177 II Nr. 1) anzunehmen, weil die Körpersphäre der Frau wegen verlangen, die „in ungestörtem Fortgang" zur Tatbestandsverwirklichung führen
des Standhaltens der von ihr getroffenen Schutzvorkehrungen noch nicht tangiert oder in einem nahen raumzeitlichen Verhältnis zu ihr stehen ( R n . 126), bezeichnen
war. Der B G H k o m m t zum selben Ergebnis, verzichtet aber auf eine nähere B e - den zu fordernden engen zeitlichen Zusammenhang im wesentlichen zutref-
fend, 158 müssen aber durch die Einwirkung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre
g r ü n d u n g : Es liege noch kein „unmittelbares Ansetzen zu einem sexuell gepräg-
ergänzt werden.
ten Zwangsverhalten des Angekl." vor.
142 Die beiden genannten Kriterien werden in der Literatur vielfach als hilfreich
8. Schwierige Fallgruppen 1 5 9
anerkannt. 1 5 5 Natürlich ist der Kritik 1 5 6 darin Recht zu geben, daß man eine
Opfersphäre nur bei Tatbeständen berücksichtigen kann, bei denen eine solche a) D i e Annäherungsfalle
überhaupt besteht. Das ist freilich nicht nur bei Individualrechtsgütern, sondern Die vielgestaltigen Möglichkeiten der Annäherung des Täters an den Tatort 145
vielfach ebenso bei Rechtsgütern der Allgemeinheit der Fall; auch der Staat und bzw. das Opfer geben Anlaß zu vielen Streitfragen, die sich aber mit den hier vor-
andere öffentlich-rechtliche Institutionen k ö n n e n Opfer deliktischer Angriffe geschlagenen Kriterien meist angemessen beantworten lassen. Wenn in dem von
werden. Wo aber eine spezielle „Sphäre" auf Seiten des Angegriffenen fehlt, m u ß Kühl ( R n . 137) gebildeten Beispiel der Täter „mit gezogener Pistole in Tötungs-
man auf die Tatbestandssphäre abstellen. So beginnt z. B. die Geldfälschung durch absicht auf sein Opfer" zugeht, liegt darin ein Versuch, w e n n er sogleich abdrük-
Nachmachen (§ 146 I Nr. 1) mit dem Herantreten an den Fälschungsakt, also z. B. ken will, mag er auch noch einige weitere Schritte tun und zielen müssen. D e n n
dem Bereitstellen der in § 149 genannten Gegenstände zum Zwecke einer ohne der enge zeitliche Zusammenhang ist gewahrt, und der Bezug zur Sphäre des
zeitlichen Verzug ins Werk zu setzenden Fälschung; der Versuch einer Sprengstoff- Opfers wird durch dessen Bedrohung hergestellt. Aus denselben Gründen wird
explosion (§ 308) beginnt mit der Einleitung des Explosionsvorganges usw. man einen Versuch nach § 243 I Nr. 1 annehmen müssen, sobald der Täter die Lei-
143 Hinsichtlich des engen zeitlichen Zusammenhanges ist zu bemerken, daß er mit ter an das Haus lehnt, durch dessen offenes Fenster er in unmittelbarem Anschluß
der Tatbestandshandlung, nicht notwendig mit d e m Erfolg bestehen muß. Wer daran einsteigen will. Alle noch erforderlichen „Zwischenschritte" sind dann u n -
den Bohrer an einen aufzubrechenden Tresor ansetzt, befindet sich im Versuchs- wesentlich. Dagegen ist es nur eine Vorbereitung, wenn er eine Leiter anlehnt, die
stadium, auch w e n n er noch stundenlang arbeiten muß, bis der Safe „geknackt" er erst einige Stunden später nach völligem Einbruch der Dunkelheit ersteigen
ist. 157 Hinzu k o m m e n m u ß freilich in solchen Fällen ein Zusammenhang mit dem will.
Erfolg derart, daß dieser sich nach dem Plan des Täters in ungestörtem Fortgang
Fall 17 (BGH GA 1980, 24): Die Täter wollten eine Poststelle berauben. Während der eine 146
anschließen soll. Fehlt es daran, liegt trotz „Teilverwirklichung" ggf. nur eine Vor- mit laufendem Motor in der Nähe wartete, um die Flucht sicherzustellen, begab sich der ande-
bereitung vor (vgl. R n . HO ff. und noch R n . 170 ff.). re in den Schalterraum, in dem sich aber mehrere Kunden befanden, deren Verschwinden er
144 Die in der vorgeschlagenen Weise konkretisierte Teilaktstheorie n i m m t manche abwarten wollte. Um die Zeit zu überbrücken, schrieb er auf eine Zahlkarte, die er der Post-
halterin hinreichen wollte, die Forderung auf Geldherausgabe und die Worte: „Ohne Gewalt,
Elemente anderer Lehren und Formeln auf, die nur in ihrer Einseitigkeit unzurei- sonst schieße ich." Da die Schalterhalle sich nicht leerte, weil immer neue Kunden kamen, bei
chend sind. So steckt in dem Abstellen auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre der deren Anwesenheit er den Raub nicht glaubte durchführen zu können, verließ der Täter
schließlich die Poststelle unverrichteterdinge.
153
So nennt Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 4, sie eine „für den Regelfall zutreffende Konkretisie-
rung"; SK6 -Rudolphi, §22, Rn.9, verwendet sie als „Indizien"; Jakobs, KT2, 25/66, 68, nennt als Der Fall ist sehr umstritten. 1 6 0 Der B G H hat einen Versuch angenommen und
positive Entscheidungsrichtlinien für die Annahme des Versuchs die „zeitliche Nähe" und den dies auf die schon aus BGHSt 26, 201; 28, 163 ( R n . 127/128) bekannte subjektiv-
„Einbruch des Täters in die Schutzsphäre des Angegriffenen"; Berz, Jura 1984, 517, meint, bei objektive Formelkombination gestützt: Die Angeklagten hätten „subjektiv die
Tatbeständen, „die ein Rechtsgut mit einem konkreten Opferbezug schützen" erscheine die
hier vertretene „Lösung durchaus zu einer näheren Bestimmung des Ansatzzeitpunktes in der
Lage, als dies die ,Zwischenaktstheorie' vermag". Kratzsch, Jura 1983, 424f., betont, es gelinge 158 Di e Erwähnung des räumlichen Zusammenhanges kann unterbleiben, weil er mit dem
„Roxin, Vorbereitung und Versuch wesentlich präziser abzugrenzen als den vergleichbaren zeitlichen i. d. R. verknüpft ist. Wo er einmal nicht vorhanden ist (etwa bei Taten im Auto oder
Formeln der Rechtsprechung". Krit. Vehling, 1991, 56ff., der sich aber vor allem gegen die Flugzeug), wird man besser auf ihn verzichten.
,59
Ableitung meiner Kriterien aus einer - naturalistisch mißverstandenen - Eindruckstheorie Die folgende Aufgliederung nach Fallgruppen findet sich im wesentlichen schon bei
wendet, mit der diese aber nicht notwendig verknüpft werden müssen. Krit. auch Rath, JuS Roxin, JuS 1979, 5 ff. Ihr folgt Walder, SchwZStr 99 (1982), 225 (260 ff.) mit interessantem Fall-
1998, 1109, unter Hinweis auf die „beinahe unendliche Teilbarkeit raumzeitlicher Handlungs- material aus der schweizerischen Praxis.
abläufe"; doch engt gerade die Kombination von zeitlicher Nähe und Sphärenberührung den wo F ü r Versuch Borchat, JA 1980, 254; Kühl, AT3, § 15, Rn. 63; SK6-Rudolphi, § 22, Rn. 15.
Grenzziehungsspielraum wesentlich ein. Gegen Versuch Berz, Jura 1984, 519; Papageorgiou-Gonatas, 1988, 123; Sch/Sch/Eser26, §22,
156 Rn.44; LK10-Vogler, §22, Rn.69; Zaczyk, 1989, 313 f. BGH NStZ 1996, 38 gelangt in einem
Vor allem bei Berz, Jura 1984, 516. ähnlichen Fall zur Annahme einer Vorbereitungshandlung.
«7 Jakobs, AT2, 25/67.
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376
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
Schwelle zum Jetzt geht es los" überschritten u n d objektiv zur tatbestandsmäßi- schon beim Hervorholen der Winde, sondern erst in dem Augenblick annehmen
gen Angriffshandlung angesetzt, weil ihr Tun ohne Zwischenakte in die Tatbe- können, als die Täter mit ihr auf das zu öffnende Gitter zuschritten. D e n n erst da-
standsverwirklichung einmünden sollte". Das überzeugt schon bei Z u g r u n d e - mit begann die Einwirkung auf die Opfersphäre. 1 6 3 In einem neueren Fall hat der
legung der angewendeten Kriterien nicht. D e n n der Täter hat sich gesagt: „Leider B G H ( N S t Z 1989, 473 f.) im Bereitlegen eines „Bolzenschneiders" noch keinen
kann es noch nicht losgehen, solange Kunden im Schalterraum anwesend sind." Versuch gesehen, allerdings zur B e g r ü n d u n g auch den Umstand herangezogen,
Auch stand vor der Tatbestandsverwirklichung mindestens noch das von Kunden daß die Täter noch eine Zigarette rauchen wollten, bevor sie mit dem Aufbrechen
unbeobachtete Herantreten an den Schalter als weiterer „Zwischenakt". Man kann begannen. Richtig ist aber der Satz, daß der Versuch erst begonnen hätte, wenn
diesen Schritt nicht als „unwesentlich" abtun, weil von seiner Ermöglichung das die Täter sich „mit dem Bolzenschneider entfernt hätten, u m geradewegs auf das
Gelingen des Gesamtplans abhing. Tankstellengebäude zuzugehen und . . . mit dem Aufbrechen zu beginnen".
147 Erst recht liegt nach den hier verwendeten Abgrenzungskriterien kein Versuch
Fall 19 (BGH StV 1984, 420): Der Täter wollte seine Ehefrau umbringen und hatte ihr dies 151
vor. Es fehlt der enge zeitliche Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirk- telefonisch angekündigt. Er fuhr dann bewaffnet zu dem Mietshaus, in dem sie wohnte, und
lichung, solange einem „ungestörten Fortgang" die in ihrer Dauer nicht b e s t i m m - klingelte unten an der Eingangstür. Es wurde verständlicherweise nicht geöffnet. Statt dessen
wurde der Täter festgenommen.
bare Anwesenheit von Kunden entgegenstand. U n d auch eine Einwirkung auf die
Opfersphäre liegt noch nicht vor, solange der Täter sich unauffällig in der jeder- Hier hat auch der B G H einen Versuch abgelehnt und dies mit der Zwischenakts-
m a n n zugänglichen Schalterhalle aufhielt. Sie wäre erst mit dem Hinreichen des theorie begründet. Bis zum Eindringen in die W o h n u n g der Frau wären noch zu
Zettels gegeben gewesen. viele Schritte zurückzulegen gewesen. Das wird durch die hier vorgeschlagenen
148 In entsprechender Weise ist auch das Betreten eines Ladens oder Warenhauses in Abgrenzungskriterien bestätigt. Das Klingeln reicht hier (anders als im Tankwart-
der Absicht, dort zu stehlen, erst eine Vorbereitung. 1 6 1 Dagegen ist ein Versuch an- Fall, BGHSt 26, 201; R n . 127,156) als Einwirkung auf die Sphäre des Opfers nicht
zunehmen, w e n n bewaffnete und maskierte R ä u b e r in die Schalterhalle einer aus, weil es infolge der Warnung durch den Täter den Schutz der Frau nicht b e -
Bank hineinstürmen. D e n n in einem solchen Falle liegt bereits in der Art und einträchtigte und keinen Erfolg versprach. Auch von einem engen zeitlichen Z u -
Weise des Eintretens in die Bank eine Einwirkung auf die Opfersphäre, und auch sammenhang kann man nicht sprechen, weil ein „ungestörter Fortgang" der A n -
der enge zeitliche Zusammenhang ist hier gegeben, weil (anders als im Fall 17) näherung ausgeschlossen war.
keine retardierenden Momente mehr vor der Bedrohung stehen. Fall 20 (BGH NStZ 1987, 20): Der Täter wollte den S erschießen. Er durchschlug mit ei- 152
149 Fall 18 (BGHSt 9, 62): Die Täterin will ihrem Verlobten zur Selbstbefreiung aus der Unter- nem Gewehrkolben die Tür des Wohnzimmers, in dem sich dieser befand, und drang in das
suchungshaft verhelfen (§ 120). Sie betritt daher das Polizeigebäude, in dem sie dem Beschul- Wohnzimmer ein. Inzwischen war S durch das Fenster geflohen.
digten gegenübergestellt werden soll, mit Eisensägeblättern, die sie in Schokolade und Zahn-
pasta versteckt hat. Schon beim Betreten des Gebäudes wird sie verhaftet. Das LG hatte angenommen, der Versuch beginne erst, „wenn der Täter das
schußbereite Gewehr auf das Opfer anlege". Das würde einer eng gefaßten Teil-
Der B G H n i m m t einen nach § 120 III strafbaren Versuch an und stützt das auf
aktstheorie durchaus entsprechen. Demgegenüber bejaht der B G H einen Versuch
das in der älteren Rspr. vorherrschende und recht dehnbare Kriterium der und begründet ihn damit, daß der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es
unmittelbaren Gefährdung. Doch handelt es sich u m den eindeutigen Fall einer los" überschritten habe und daß sein „Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestands-
bloßen Vorbereitung. D e n n bis zur Übergabe der Sägeblätter (dem Fördern i. S. d. erfüllung" übergehen sollte. Wie das Fehlen von Zwischenakten begründet werden
§ 120) waren noch viele Zwischenschritte zu tun. Die ausstehenden Teilakte waren soll, bleibt unklar. Aber im Ergebnis hat der B G H recht: Das Eindringen in das
auch „wesentlich": D e n n noch bestand kein unmittelbarer zeitlicher Zusammen- Wohnzimmer ist eine nachhaltige Beeinträchtigung der Opfersphäre; auch ein en-
hang mit der Übergabe, deren Gelingen von vornherein zweifelhaft sein mußte; ger zeitlicher Zusammenhang mit der geplanten Erschießung ist gegeben, da der
und auch eine Einwirkung auf den staatlichen Gewahrsam 1 6 2 hätte erst mit der Täter von der Anwesenheit des Opfers ausging und sofort zur Tat schreiten
Überreichung der versteckten Befreiungswerkzeuge stattgefunden. wollte. /
150 Auch sonst ist das Vorrätighalten, Verstecken oder Hervorholen der Tatmittel,
Ein Sonderproblem bildet die Frage, wie weit sich der Täter bei der Einfuhr von 153
w o diese zur Ü b e r w i n d u n g einer Gewahrsamssphäre dienen sollen, noch kein
Betäubungsmitteln (§ 30 I Nr. 4 BtMG) der Grenze angenähert haben muß, damit
Versuch. Man wird daher im Windenfall ( R n . 124, Fall 12) einen Versuch nicht
ein Versuch vorliegt. B G H S t 36, 250 arbeitet auch hier mit der „Schwelle zum
161 Jetzt geht es los'" und der Zwischenaktstheorie und k o m m t auf dieser Basis bei
Erst recht ist das Aufsuchen eines Sanatoriums, um dort eine Abtreibung vornehmen
zu lassen, entgegen RG H R R 1930,1671 kein Versuch. Fußgängern, R a d - und Kraftfahrern zu dem Ergebnis, daß der Versuch „erst kurz
162
Obwohl § 120 ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützt, weist der Tatbestand eine ein-
deutig abgrenzbare Opfersphäre auf! i« Wie hier Jakobs, AT2, 25/68, Fn. 99; LK10-Vogler, § 22, Rn.68.
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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
vor Erreichen der Hoheitsgrenze oder der von ihr eingerichteten Zollstelle" b e - mußte nach ihrer Berechnung alsbald mit der Straßenbahn eintreffen. Sie hielten den Pfeffer,
ginnt. Wenn der Täter „noch einige Kilometer bis zur Grenze zu überwinden hat" der ihm in die Augen gestreut werden sollte, bereit und ließen bei Ankunft einer jeden Stra-
ßenbahn die Motoren des Wagens anlaufen, um sofort nach Ausführung der Tat das Weite su-
wird eine bloße Vorbereitung angenommen. D e m kann man zustimmen. D e n n chen zu können. Nachdem sie vier Straßenbahnen abgewartet hatten, erkannten sie, daß der
die Tatbestandssphäre beginnt mit der Landesgrenze oder einer ihr vorgelagerten Bote an diesem Tage verfehlt war, und entfernten sich.
Zollstelle. Erst mit dem Heranfahren an diese Linie beginnt eine Einwirkung auf
Der B G H bejahte einen Versuch und berief sich darauf, daß das Handeln des
die der deutschen Gebietshoheit unterstehende Sphäre. O b es bei einer Fahrt mit
Täters „in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Erfüllung des gesetzlichen Tat-
dem Flugzeug oder der Eisenbahn anders ist, ist wenig geklärt. BGHSt 36, 250 f.
bestandes geführt hätte" und daß „nach der Vorstellung des Täters eine unmittel-
meint vorsichtig, hier möge der Einfuhrversuch, „insbesondere bei einer Zollkon-
bare Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts eingetreten" sei. In der Literatur ist
trolle vor der Hoheitsgrenze", früher beginnen. BGHSt 31, 215 sieht die unerlaubte
die Entscheidung mit Recht durchweg abgelehnt worden. 1 6 6 Hier liegt zwischen
Einfuhr schon als vollendet an, w e n n der Täter in der Eisenbahn die Frage der
der Täterhandlung und der Beraubung noch der Zwischenakt des Heranfahrens
deutschen Zollbeamten nach Zollgut verneint. Tatsächlich ist bei Flugzeug und
mit dem Auto. Dieser ist auch wesentlich. D e n n zwar kann man einen engen zeit-
Eisenbahn die Abgrenzung nach etwas anderen Grundsätzen vorzunehmen. Das
lichen Zusammenhang bejahen, wenn man die Vorstellung des Täters zugrunde
liegt daran, daß hier i. d. R . ein beendeter Versuch vorliegt, bei dem die Versuchs-
legt, daß der Kassenbote gleich k o m m e n werde. Aber eine Einwirkung auf die
grenze schon mit dem Aus-der-Hand-Geben des weiteren Geschehensablaufes b e -
Opfersphäre könnte erst mit dem angenommenen Erscheinen des Boten und dem
ginnt. Näher dazu R n . 196 ff.; zu weiteren Problemen der Annäherung an den Tat-
unmittelbar anschließenden Losfahren des Autos beginnen. Der B G H hat denn
ort und des Aufenthaltes R n . 177 f.
auch in einem späteren Fall ( N J W 1954, 567), in dem die Täter auf eine zu b e -
154 Fall 21 (BGH NStZ 1999, 395): Der Angeklagte (A) wollte einen erpresserischen Menschen- raubende Kassiererin gewartet hatten, die Richtigkeit der Entscheidung im „Pfef-
raub gegenüber Frau Seh. begehen. Er plante, sich ihr gegenüber als Paketzusteller auszuge-
ben, bei ihr zu klingeln und sie nach dem Öffnen der Tür zu entführen. Dabei hatte er mit ei- fertütenfall" dahingestellt sein lassen und einen Versuch abgelehnt, solange die
nem Komplizen vorher vereinbart, die Entführung abzubrechen, wenn Frau Seh. mit ihrem Angeklagten nicht wußten, w o die Kassiererin sich im Augenblick befand: „Eine
damals zehn Monate alten Kind erscheinen werde. Tatsächlich hatte sie beim Öffnen der Tür unmittelbare Gefährdung und damit ein Versuch konnten nur angenommen wer-
ihr Kind auf dem Arm. Daraufhin zog sich der A absprachegemäß unter dem Vorgeben, ein
falsches Paket dabei zu haben, zurück. den, wenn die Kassiererin den dunklen Gang bereits betreten und sich dem Tatort
genähert hatte ..."
Der B G H hat hier eine versuchte Tat nach § 239 a abgelehnt. Er stützt sich dabei
Von diesem „Pfeffertütenfall" unterscheidet sich der viel diskutierte „Tank- 156
auf die bekannten Kriterien: Subjektiv müsse die Schwelle zum „jetzt geht es los"
wart-Fall" (oben Fall 13, R n . 127) nur wenig, aber doch im entscheidenden Punkt.
überschritten sein, und objektiv müsse die Handlung ohne Zwischenakte in die Denn die Täter, die maskiert und mit der Waffe in der H a n d an der Tür des Opfers
Tatbestandserfüllung übergehen. Daran fehle es hier, weil es wegen des Erschei- läuteten, gingen davon aus - und allein auf ihre Vorstellung k o m m t es an - , daß
nens des Kleinkindes „noch eines weiteren Willensimpulses" bedurft hätte. Das ist das Opfer nicht erst erscheinen solle, sondern bereits anwesend sei und bei s o -
nicht richtig. 164 D e n n schon mit dem Klingeln lag wegen der Einwirkung auf die gleich erfolgendem Offnen der Türe in die Läufe der gezogenen Revolver blicken
Opfersphäre und des engen zeitlichen Zusammenhanges mit der Ausführung ein werde. Unter solchen Umständen ist nicht nur der enge zeitliche Zusammenhang
Versuch vor; das hat der B G H in anderen Fällen auch anerkannt (vgl. R n . 127 und gegeben; es liegt auch im Läuten schon eine die Ausführung einleitende Einwir-
156). In Wirklichkeit liegt ein Versuch mit Rücktrittsvorbehalt vor (vgl. R n . 85). kung auf die Opfersphäre. 167 Ebenso ist mit Recht das Klingeln bewaffneter und
Der Rücktritt kann ggf. freiwillig sein (er ist es, w e n n A mit Rücksicht auf das verkleideter Räuber an der Tür des zu beraubenden Goldwarenhändlers als Ver-
Kind zurücktrat, nicht aber, w e n n er durch dessen Schreien Entdeckung fürch- such beurteilt worden. 1 6 8
tete), die Tat aber nicht zu einer bloßen Vorbereitungshandlung machen.

b) D i e Auflauerungs- und Erwartungsfälle


i66 Vgl. nur Berz, Jura 1984, 517; Bockelmann, JZ 1954, 472 (= Untersuchungen, 145); Gössel,
155 Eine immer wiederkehrende Konstellation 1 6 5 ist die, daß der angriffsbereite Tä- JR 1976, 251; Mezger, NJW 1952, 514; Rudolphi, JuS 1973, 24; dm., SK6, §22, Rn.15; Seh/Seh/
ter jeden Augenblick das Erscheinen des Opfers erwartet, das aber ausbleibt. Eser26, §22, Rn.42; Stratenwerth, AT4, §11, Rn. 41; Tröndle/Fischer50, §22, Rn. 12; LKW-Vogler,
§ 22, Rn. 69; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 603; als „Klassiker" wird der „Pfeffertütenfall" von Fahl,
Fall 22 (BGH NJW 1952, 514): Die Angeklagten wollten einen Kassenboten überfallen und JA 1997, 636 behandelt.
warteten mit einem Auto unweit der Haltestelle, an der der Bote auszusteigen pflegte. Er
W7 Mit dem BGH für Versuch auch Berz, Jura 1984, 518f.; Kühl, JuS 1980, 654; ders., AT3,
§15, Rn.64; Sch/Sch/Eser26, §22, Rn.44; Vehling, 1991, 145 ff.; LK10-Vogler, §22, Rn.69;
IM Dazu die krit. Anm. vonjöger, NStZ 2000, 415. Zaczyk, 1989, 314f.; gegen Versuch aber Gössel, JR 1976, 251; Otto, NJW 1976, 578f.; SK6-
165 Vgl. die Zusammenstellung aus der älteren Literatur und Judikatur bei Otto, NJW 1976, Rudolphi, § 22, Rn. 15
578 f. •68 BGH NStZ 1984, 506; im gleichen Sinne BGHSt 39, 238 m. w. N.
380
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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch — C. Vorbereitung und Versuch I § 29
157 Auch weitere „Klingelfälle" sind von der Rspr. in Übereinstimmung mit der M D R (D) 1958, 12) liefert der Fall, daß ein Taschendieb die Manteltaschen seines
hier befürworteten Auffassung entschieden worden: beim Warten vor einer Tür, potentiellen Opfers abtastet, um festzustellen, ob eine Geldbörse darin ist.
an der das Opfer sogleich erscheinen sollte (RGSt 77,1); bei der Bitte um Eintritt
Fall 24 (BGHSt 22, 80): Der Angeklagte hatte zwei bestimmte Autos stehlen wollen und zu 161
in eine Wohnung, in der ein Trickdiebstahl verübt werden sollte (BGH M D R (H) diesem Zweck an den Vorderrädern gerüttelt, um festzustellen, ob das Lenkrad durch das
1985, 627). Das Warten auf das noch abwesende Opfer ist dagegen als Vorberei- Schloß versperrt war. Beim Fehlen eines solchen Hindernisses wollte er sich unmittelbar an-
schließend des Fahrzeugs bemächtigen.
tung beurteilt worden (BGH M D R (D) 1973, 728, 900); ebenso das Klingeln,
wenn der Raub nicht sogleich nach dem Eintritt erfolgen sollte (BGH GA 1971, Der BGH hat hier wie auch in den vorher geschilderten Fällen einen Versuch
54) oder wenn es dazu diente, erst einmal die Anwesenheit des zu Beraubenden zu angenommen, wenn der Täter in unmittelbarem Anschluß an einen erfolgreichen
ermitteln (BGH StV 1984,420). Ausgang der Prüfung die Wegnahme bzw. die Abtreibung durchführen wollte.
158 Eine interessante Variante der Konstellation bietet BGH M D R (D) 1966, 726: Das ist auch richtig.170 Denn bereits in der Untersuchung liegt eine Einwirkung
Die Angeklagten wollten eine Buchhalterin beim Abheben der Lohngelder an auf die Opfersphäre (des Gewahrsamsinhabers bzw. des Embryos). Wenn die Tat
einer Bankfiliale überfallen und warteten in einem nahegelegenen Hausflur auf im Anschluß an die Untersuchung ohne weitere Unterbrechung „in ungestörtem
sie. Sie erschien auch, wurde aber von den Tätern nicht erkannt. Hier hat der BGH Fortgang" durchgeführt werden soll, ist auch der enge zeitliche Zusammenhang zu
einen versuchten Raub angenommen, aber zu Unrecht. 169 Denn es kommt für bejahen. Natürlich kann bei „Untersuchungsfällen" auch nur eine bloße Vorberei-
den Versuchsbeginn auf die Vorstellung des Täters an und nach dieser war das tung gegeben sein, wenn eine der beiden Versuchsvoraussetzungen fehlt. Wenn der
Opfer noch nicht erschienen. Ein Versuch hätte im Augenblick des Erkennens vor- Kurpfuscher, der die Schwangere untersucht, den Eingriff ggf. erst in einer Woche
gelegen. durchführen will, mangelt es am zeitlichen Zusammenhang, und die Untersu-
159 Fall 23 (BGH NStZ 2000, 422): Die Angeklagten warfen Molotow-Cocktails vor das chung ist noch straflos. Wenn andererseits der Mann, der wertvolle Grabbestand-
„Alternative Literaturcafe", „um die dort aufhältlichen ausersehenen Tatopfer zum Verlassen des teile stehlen möchte, sich an den Gräbern nicht vergreift, sondern sie nach Art
Hauses zu veranlassen, damit man sie unmittelbar danach auf der Straße gemeinschaftlich eines Spaziergängers nur prüfend betrachtet, liegt darin auch dann noch kein Ver-
mißhandeln könne". Niemand verließ jedoch das Cafe, so daß es nicht zu den geplanten Kör-
perverletzungen kam. such, wenn er bei einer stehlenswerten Entdeckung sogleich zugreifen will. Denn
hier fehlt es noch an jeder Einwirkung auf die Opfersphäre.
Der BGH nimmt auch hier - ohne Begründung - den Versuch einer gefähr-
lichen Körperverletzung (§ 224 I Nr. 4) an. Doch wäre richtigerweise ein Versuch d) Die Schutzminderungsfälle
erst zu bejahen gewesen, wenn die Gäste sich tatsächlich angeschickt hätten, das Eine umfangreiche Fallgruppe bilden auch die Konstellationen, bei denen der 162
Cafe zu verlassen. Denn erst in diesem Fall wäre ein Bezug zur Opfersphäre her- Täter den Schutz, mit dem das Opfer seine Sphäre umgeben hat, beseitigt oder
gestellt gewesen, an dem es noch fehlte, solange die Gäste sich um das Geschehen beeinträchtigt. Da hier per definitionem ein Zugriff auf die Opfersphäre statt-
auf der Straße nicht kümmerten. Der Sachverhalt liegt um eine - entscheidende - findet, hängt die Bejahung eines Versuchs nur noch davon ab, ob ein hinreichend
Nuance anders als die „Klingelfälle": Während beim Klingeln ohne weiteres davon enger Zusammenhang mit der Tatbestandshandlung besteht. Die Schutzminde-
ausgegangen werden kann, daß der anwesende Bewohner die Tür öffnet, war die rungsfälle überschneiden sich mit den meisten der hier angeführten Fallgruppen;
Erwartung, daß die Gäste sich in den gefährlichen Straßenbereich begeben wür- z. B. ist Fall 20, Rn. 152 (Einschlagen der Wohnzimmertür), der hier unter den
den, nur eine vage Hoffnung. Annäherungsfallen genannt wurde, ein deutliches Beispiel für eine Schutzminde-
rung; auch unter den anschließenden Mißbrauchs- und Qualifikationsfällen fin-
c) Die Probier- und Überprüfungsfälle
den sich Schutzminderungskonstellationen (Rn. 167,170 ff). Die gesonderte Nen-
160 Hier handelt es sich um Sachverhalte, bei denen der Täter erst einmal unter- nung dieser Gruppe rechtfertigt sich jedoch daraus, daß die Schutzminderung im
sucht, ob die Durchführung der Tat möglich oder lohnend ist und bei denen er Hinblick auf die Opfersphäre einen besonders wichtigen Abgrenzungsgesichts-
schon während dieser Überprüfung gestört wird. In Fällen dieser Art kann bereits punkt darstellt.171 '
das Vorliegen eines Tatentschlusses zweifelhaft sein, so daß zwei Beispiele für diese
Konstellation schon angeführt worden sind (Fall 5, Rn. 84: Untersuchung einer
Grabfigur, deren Kopf bei einer verwertbaren Beschaffenheit des Materials ge- ™ H.M. A.A. jedoch LK10-Vogler, §22, Rn.47ff., 70; Sch/Sch/Eser26, §22, Rn.45. Im
stohlen werden soll; Fall 6, Rn. 84: Untersuchung einer Schwangeren daraufhin, Lenkradschloß-Fall (BGHSt 22, 80) will Eser, StrafR II3, Fall 31, Rn. 42, Versuch wenigstens
dann verneinen, wenn „noch das Aufbrechen hinzukommen müßte, um sich in den Besitz des
ob eine Abtreibung noch gefahrlos möglich ist). Ein weiteres Beispiel (BGH Fahrzeugs zu setzen".
171
Vgl. dazu BGH NStZ 1997, 83, wo der Versuch abgelehnt wird, u.a., weil der Schutzbe-
169 Für Versuch dagegen Fahl, JA 1997, 639. reich des Opfers noch nicht beeinträchtigt ist.
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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
Fall 25 (RGSt 53, 218): Der Angeklagte war in ein Gehöft eingetreten, um dort zu stehlen. noch erforderlichen Zwischenakte k o m m e n dem B G H selbst Bedenken, die er
Weil der auf dem Hof angekettete Hund bellte, band er ihn los und führte ihn aus dem Gehöft aber beiseite schiebt: „Es kann dahinstehen, was alles vom Begriff des Zwischen-
heraus. Er wollte dann sofort zurückkehren. Dazu kam es nicht, weil er draußen beim Anbin-
den des Hundes ertappt wurde. aktes umfaßt wird. Dazu gehören jedenfalls nicht solche Handlungen, die wegen
ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des
D e m R G ist in der A n n a h m e eines versuchten Diebstahls zuzustimmen. 1 7 2 Täters als deren Bestandteil erscheinen ..." Hier wird also durch die gänzliche
D e n n die Beseitigung des Wachhundes verringerte den Gewahrsamsschutz des „Entformalisierung" der Zwischenaktstheorie eine Rückkehr zur Frankschen For-
Gehöftes, und der enge zeitliche Zusammenhang mit der Wegnahme ist gewahrt, mel vollzogen. Richtig wäre die A n n a h m e einer bloßen Vorbereitung gewesen. 174
w e n n der Täter nach dem Anbinden des Hundes ohne Pause „in ungestörtem Fort- D e n n zwar kann man das Zerstechen des Reifens schon als schutzmindernde E i n -
gang" zur Wegnahme übergehen wollte. Gewiß werden dazu mehrere Zwischen- wirkung auf die Sphäre des Opfers ansehen. Aber es fehlt der enge zeitliche Z u -
schritte nötig gewesen sein; diese sind jedoch im Hinblick auf die mit der Beseiti- sammenhang, weil das Warten auf den Boten den zügigen Fortgang hinderte und
g u n g des Hundes einsetzende Gewahrsamseinwirkung unwesentlich. eine Zäsur bildete. Erst mit der Annäherung an den defekten Wagen des Opfers
Fall 26 (BGHSt 3, 297): Die Täter wollten das Opfer berauben und entledigten sich „zu die- wäre die erforderliche zeitliche Nähe hergestellt worden.
sem Zwecke ... zunächst des dabei voraussichtlich hinderlichen" Begleiters, indem sie ihn
durch einen vom Zaun gebrochenen Streit verjagten. Dann setzten sie „ihren Weg fort", lock- e) Mißbrauchsfälle
ten das Opfer „in ein dichtes Gebüsch abseits des Weges" und beraubten es dort.
Die ältere Rspr. hatte beim sexuellen Mißbrauch von Kindern den Versuch aus 166
Auch hier liegt in der Beseitigung des Begleiters eine Schutzminderung, aber kriminalpolitischen Gründen besonders früh beginnen lassen: „Die N o t w e n d i g -
der zeitliche Zusammenhang ist zweifelhafter, weil die Täter nicht unmittelbar keit, Kinder vor unsittlichen Anträgen nachdrücklich zu schützen, gibt Grund,
hinterher die Beraubung durchführten, sondern sich erst noch mit d e m Opfer in die Grenzen zwischen Vorbereitung und Versuch weit vorzuverlegen" (BGHSt 6,
den „Nordpark" begaben. 1 7 3 Doch ist mit dem B G H auch in diesem Fall der Ver- 304). So hatte BGHSt 6, 302 die Aufforderung des zu sexuellen Handlungen ent-
suchsbeginn schon auf den Zeitpunkt der Hindernisbeseitigung anzusetzen. D e n n schlossenen Täters an ein Kind, es „solle mit ihm gehen" und sogar den Vorschlag,
die Täter befanden sich bei der Verjagung des Begleiters bereits „auf dem Wege es solle in einigen Stunden „zum Pferdekarussell kommen" schon als Versuch nach
zum Nordpark". Die ohne überflüssige Verzögerung in den Erfolg einmündende § 176 I Nr. 3 a. F.175 beurteilt. D e m ist fast einhellig widersprochen worden, 1 7 6 weil
Handlung war also schon in zügiger Durchführung; jeder Schritt führte das von der Fortgang des Geschehens allein von der Entscheidung der Mädchen abhing,
seinem potentiellen Helfer getrennte Opfer tiefer in die schutzlose Einsamkeit die in beiden Fällen ablehnten, so daß es zu nichts kam.
(zur parallelen Konstellation bei Mißbrauchsfällen vgl. R n . 167). Andererseits wäre BGHSt 34, 6 hat die Rspr. jetzt auf eine neue Grundlage gestellt. Danach b e - 167
noch eine Vorbereitungshandlung anzunehmen gewesen, w e n n die Trennung von ginnt, w e n n an dem Kind sexuelle Handlungen gegen dessen Willen vorgenom-
dem Begleiter vor dem Aufbruch an den Tatort erfolgt wäre (etwa in einer Gast- men werden sollen, der Versuch, sobald der Täter „ - fest zur Tat entschlossen - das
wirtschaft, wo alle in geselliger R u n d e beisammensaßen). Kind an einen zur Vornahme von sexuellen Handlungen besonders geeigneten
Fall 27 (BGH NJW 1980, 1759): Die Täter wollten einen Bankboten berauben, der Wert- O r t führt ..." ( a a O , 9). D e m ist zuzustimmen, wenn die Tat nach Erreichung des
papiere und Geld transportierte. Sie durchstachen einen Reifen seines auf einem Parkplatz ab- Zielortes ohne Zögern ausgeführt werden soll. D e n n mit dem Wegführen verliert
gestellten Wagens und warteten auf das in naher Zukunft bevorstehende Erscheinen des Boten.
Sie gingen davon aus, daß dessen Reifen nach etwa 500 - 1000 Meter „platt" sein werde, so daß das Kind „den Schutz seiner vertrauten U m g e b u n g , und jeder weitere Schritt
der Bote werde anhalten müssen. Die Täter wollten hinter ihm herfahren und ihn nach dem führt direkt in den Erfolg hinein". 177 In dieser „Schutzminderung" (vgl. den Paral-
Anhalten des Wagens berauben. lelfall R n . 164) liegt eine Einwirkung auf die Opfersphäre, und der enge zeitliche
Der B G H n i m m t einen Raubversuch an u n d meint, die Täter hätten die Zusammenhang wird durch den zügigen Fortgang zur Tatvollendung hergestellt.
Schwelle zum „Jetzt geht es los" überschritten. Abgesehen von den grundsätz- Wenn der Täter dagegen die sexuellen Handlungen „auf freiwilliger Basis" 168
lichen Bedenken gegen dieses Kriterium ( R n . 130 ff.) zeigt unser Fall auch die r e - vornehmen und eine etwaige Ablehnung des Kindes respektieren will, will der
lative Beliebigkeit der damit zu erzielenden Ergebnisse. D e n n weder war das B G H den Versuch noch nicht mit der Fahrt zum Tatort, sondern „erst mit der'er-
Opfer anwesend, noch war die Tatsituation hergestellt. Mit größerem Recht hätte folgreichen Verführung des Tatopfers" beginnen lassen (aaO., 9). Das ist tendenziell
man beim Erscheinen des Boten oder erst beim Heranfahren an dessen haltendes
™ Wie hier Berz, Jura 1984, 515; Jakobs, AT2, 25/68, Fn. 98; Kühl, AT3, § 15, Rn.65; SK6-
Auto diese Schwelle als überschritten betrachten können. Hinsichtlich der vielen Rudolphi, §22, Rn.16; LKt0-Vogler, §22, Rn.70. Für Versuch: Papageorgiou-Gonatas, 1988,
124 f.
J72 Ebenso SK6-Rudolphi, § 22, Rn. 17; Walder, SchZStr 99 (1982), 268; ausführlich dagegen 175
Der in etwa dem heutigen § 176 I entspricht.
LKm-Vogler, §22, Rn.49f. 176
Näher Roxin, JuS 1979, 8 m. w. N.
™ Für bloße Vorbereitung Berz, Jura 1984, 518; SK6-Rudolphi, § 22, Rn.17. 177
Roxi«, JuS 1979, 8.
384 385
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C.Vorbereitung und Versuch I § 29
richtig; denn solange das Kind nicht „mitmacht", bleibt seine Schutzsphäre intakt, gerate unbrauchbar machen will, und die falsche Aussage gibt keinen Hinweis
und die Tat kann nicht weitergeführt werden. Es sollte nur der mehrdeutige Aus- darauf, ob der Aussagende sie auch zu beschwören bereit ist. Der Versuch beginnt
druck „erfolgreiche Verführung" durch „Zustimmung" ersetzt werden. Denn wenn hier erst mit der Einwirkung auf die Qualifikationssphäre: also wenn — in unseren
es zu sexuellen Handlungen gekommen ist - diese Vorstellung verbindet man Beispielen - der Täter sich an den Löschgeräten zu schaffen macht oder die
meist mit dem Begriff der erfolgreichen Verführung - , ist der Tatbestand schon Schwurhand erhebt.
vollendet. Zusammenfassend läßt sich somit sagen, daß der Versuch eines erschwerten De- 172
169 Der BGH weist darauf hin, daß danach der Versuch in Fällen des § 176 II schon früher be- likts nicht, wie man früher annahm, mit der Ausführung der Erschwerung oder
ginnen kann als bei den letztgenannten Sachverhalten des Abs. 1. Abs. 2 stellt den unter Strafe, des Grundtatbestandes beginnt. Vielmehr muß der Täter zur Verwirklichung von
der „ein Kind dazu bestimmt, daß es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder Grundtatbestand und Erschwerung unmittelbar angesetzt haben,178 wobei neben
von einem Dritten an sich vornehmen läßt". Hier bezeichnet das Bestimmen also schon die
vollendete Tat, nicht erst den Versuch. Mit Recht führt der BGH diese „Diskrepanz" auf die der Verwirklichung des Grundtatbestandes noch die Einwirkung auf die Quali-
„unterschiedliche Tatbestandsbeschreibung" in § 176 I, II zurück. Der Fall liefert ein gutes Bei- fikationssphäre und neben der Verwirklichung des qualifizierenden Merkmals
spiel für dieTatbestandsbezogenheit des Versuchs. Natürlich kann der Gesetzgeber - und er tut oder des Regelbeispiels ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Grund-
es oft - die Vollendungsstrafe vorverlegen. Dem muß die Versuchsabgrenzung folgen. Ob die
vom Gesetzgeber geschaffene „Diskrepanz" im vorliegenden Falle beabsichtigt und sinnvoll deliktsverwirklichung nötig ist. Immerhin kann man davon ausgehen, daß in der
ist, steht auf einem anderen Blatt. beginnenden Verwirklichung eines Erschwerungsmerkmals i. d. R. auch schon ein
Versuch des Grunddelikts liegt. So ist ein versuchter Diebstahl anzunehmen,
f) Qualifikationen und Regelbeispiele wenn der Täter ein Vorhängeschloß aufgebrochen hat und in dem Raum, in dem
170 Hinsichtlich der hier auftretenden Probleme kann an die früheren Ausführun- er stehlen will, von der Polizei überrascht wird (BGH StV 1985, 183). Ebenso ist
gen zur „Teilverwirklichungsregel" angeknüpft werden (Rn. 110 ff.). Danach ist die das Einsteigen in einen umschlossenen Raum, aus dem der Täter etwas wegneh-
Verwirklichung eines Qualifikationsmerkmals oder eines erschwerenden Regel- men will, ein Versuch nach §§ 242, 243 I (OLG Hamm MDR1976,155). 179
beispiels entgegen der früher h. M. noch nicht eo ipso ein Versuch, sondern nur
dann, wenn die auch sonst allgemein gültigen Voraussetzungen dafür vorliegen. 9. Typische Vorbereitungshandlungen
Wenn also jemand die Löschgeräte unbrauchbar macht, bevor er ein Gebäude in
Nachdem vorstehend anhand repräsentativer Sachverhaltsgruppen gezeigt wor- 173
Brand setzt (§306b II Nr. 3, oben Fall 9, Rn. 113), oder wenn er die Dachbretter
den ist, unter welchen Voraussetzungen ein Versuch vorliegt, brauchen die Kon-
eines Hauses lockert, in das er einsteigen will (§ 243 I Nr. 1, oben Fall 10, Rn. 114),
stellationen, die sich typischerweise als bloße Vorbereitungshandlungen darstellen,
liegt zwar immer schon eine Einwirkung auf die Opfersphäre vor. Aber ein Ver-
nur noch zusammenfassend und ergänzend behandelt zu werden; denn sie sind
such ist dies nur dann, wenn der Täter nach Verwirklichung des qualifizierenden
durchweg als negative Kontrastbeispiele schon bei den Versuchsfällen erwähnt
Umstandes oder Regelbeispiels ohne zeitliche Unterbrechung in „ungestörtem
worden. Ein kurzes Eingehen auf sie ist aber deshalb nötig, weil vor allem das RG
Fortgang" das Haus in Brand setzen bzw. den Diebstahl durchführen will. Denn
auf Grund seiner Tendenz zur Überdehnung der Versuchsstrafbarkeit (dazu
nur dann ist der erforderlich enge zeitliche Zusammenhang gegeben. Will der Tä-
Rn. 36), aber zum Teil auch die frühe Nachkriegsrechtsprechung, die noch nicht
ter dagegen die Inbrandsetzung oder den Diebstahl erst bei späterer Gelegenheit,
über die Ansatzformel des § 22 verfügte, in manchen Fällen einen Versuch bejaht
etwa an einem anderen Tage, ins Werk setzen, so ist nur eine Vorbereitungshand-
hat, die heute eindeutig als Vorbereitungen zu qualifizieren sind. Die OLG-Rspr.
lung anzunehmen.
überdehnt den Versuchsbereich vielfach noch bis heute (vgl. nur Rn. 176). Als Vor-
171 Umgekehrt liegt im Versuch der Verwirklichung des Grundtatbestandes auch
bereitungshandlungen werden nach moderner Auffassung180 vor allem drei immer
dann noch kein Versuch der qualifizierten Tat, wenn der Täter von vornherein
wiederkehrende Fallgruppen beurteilt: die Verschaffung und der Besitz von Tat-
auch diese begehen will. Das Inbrandsetzen des Gebäudes ist also auch dann noch
waffen und -Werkzeugen sowie die Herstellung entscheidender Tatvoraussetzun-
kein Versuch des §306b II Nr. 3 und die Falschaussage kein Versuch des §154,
gen (a); das Aufsuchen des Tatortes und der (noch) unauffällige Aufenthalt dort
wenn der Täter zur Unbrauchbarmachung der Löschgeräte und zum falschen
Schwören von Anfang an entschlossen ist. In diesen Fällen genügt es für den Ver- 178
such der qualifizierten Tat noch nicht einmal, daß der Täter in unmittelbarem An- Das ist insoweit wohl heute schon h. M. Wie hier u.a. Arzt, JuS 1972, 578; Stree, Peters-
FS, 1974,179; Kühl, JuS 1980, 509; Burkhardt, JuS 1983, 428 f.; Fabry, NJW 1986,18; Sternberg-Lie-
schluß an die Verwirklichung des Grundtatbestandes zur Qualifikation fortschrei- ben, Jura 1986,185; Laubenthal, JZ 1987,1066; Kühl, AT3, § 15, Rn. 48ff.; Maurach/Gössel, AT/27,
ten will. Denn da man es auch bei der Erfüllung des Grundtatbestandes bewenden 40/115; SK6-Rudolphi, §22, Rn.18; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn.43; LK10'-Vogler, §22, Rn.77ff.;
Wesseh/Beulke, AT , Rn. 607f.; vgl. auch BGHSt 31,182 sowie Küper, JZ 1992, 338.
lassen kann, fehlt bei seinem Beginn noch der Bezug zur Qualifikationssphäre: »9 M. Anm. Hillenkamp, MDR 1977, 242 f.
Die Inbrandsetzung läßt noch keinen Schluß darauf zu, daß der Täter auch Lösch- "»o Vgl. nur LKw-Vogler, § 22, Rn.68ff.; SK6-Rudolphi, §22, Rn. 14ff.
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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29

(b) und das Auskundschaften und Schaffen von Tatgelegenheiten (c). Natürlich daß der Täter die Wertzeichen bei der ersten Verwendung präpariert, um später
den Entwertungsstempel entfernen zu können. Doch liegt ein Versuch erst im An-
gibt es auch hier Überschneidungen.
setzen zur Wiederverwendung der Marke.
a) Verschaffen und Besitz von Tatwaffen und -Werkzeugen sowie die
b) Das Aufsuchen des Tatortes und der (noch) unauffällige Aufenthalt dort
Herstellung entscheidender Tatvoraussetzungen
174 Selbstverständlich ist die Beschaffung einer Tatwaffe, das Herstellen eines Nach- Das Hingehen oder -fahren an den Tatort ist durchweg, aber nicht ausnahmslos 177
eine Vorbereitung (zu den Ausnahmen vgl. Rn. 164 und 167: Hier wird das Opfer
schlüssels, die Bereitung von Gift usw. nur eine Vorbereitung. Das ergibt sich
unter schutzmindernden Voraussetzungen an eine zur Deliktsbegehung geeignete
außer aus § 22 auch aus einem Umkehrschluß aus § 149. Denn wenn dort die Her-
verschwiegene Stelle geführt). Auch die Anwesenheit am Tatort ist noch kein Ver-
stellung und Verschaffung von Materialien zur Geld- und Wertzeichenfälschung
such, solange der Täter noch nicht begonnen hat, auf die Opfersphäre einzuwir-
selbständig unter Strafe gestellt wird, kann sie noch kein Versuch der §§ 146, 148
ken. Das alles ist im Zusammenhang mit den Annäherungs- und Erwartungs-
sein. Erwähnenswert ist aber, daß dies auch dann gilt, wenn die im Vorstadium
fällen (Rn. 145ff., 155ff.) schon anhand vieler Beispiele verdeutlicht worden und
der Tatbestandsverwirklichung begangenen Handlungen hohe kriminelle Energie
bedarf hier nur der Ergänzung. Wenn etwa die Räuber bei der Bank, die sie berau-
verraten und entweder als selbständige Delikte anderer Art strafbar sind oder doch
ben wollen, vorfahren, die Waffen aber noch nicht hervorgeholt und ihre Masken
den gewichtigsten Tatbeitrag bilden.
nicht aufgesetzt haben, liegt erst eine Vorbereitung vor.188 Zu weiteren Konstella-
175 Wenn also jemand einen Einbruchsdiebstahl vortäuscht181 oder ein Haus in
tionen bei Banküberfällen vgl. Rn. 146-148. Wer als geladener Gast ein Haus be-
Brand setzt, um einen Versicherungsbetrug zu begehen, liegt doch erst im Heran-
tritt und dort etwas stehlen will, begeht mit dem Betreten des Hauses noch keinen
treten an die Versicherung der Beginn eines Betrugsversuches (vgl. jetzt aber
Versuch. Wenn der Dieb dagegen einbricht oder einsteigt, liegt schon im Ansetzen
§ 265). Das Aufladen von Waren auf einen Lastwagen, mit dem man Gegenstände
zu dieser Tätigkeit ein Versuch.
unter Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz ausführen182 oder Betäubungs-
Ein Versuch war auch in dem vielzitierten Fall RGSt 69, 327 gegeben.189 Die 178
mittel unerlaubt einführen will, ist noch kein Versuch; dieser beginnt erst unmit-
beiden Täter wollten einen Ladenbesitzer berauben. Sie hatten nach dem Betreten
telbar vor der Grenze (vgl. Rn.153). Auch wer sich falsche Bescheinigungen ver-
des Geschäftes zum Schein ein ablenkendes Verkaufsgespräch begonnen und die
schafft183 oder den Entwertüngsstempel auf einem Fahrschein entfernt, den er
Tür hinter sich abgeschlossen, „so daß er ... weder Dritte zur Hilfe herbeirufen
wieder verwenden will, 184 beginnt einen Betrugsversuch erst, wenn er zur Benut-
noch sich mitsamt seinem Gelde durch die Flucht nach außen retten konnte"
zung dieser Papiere ansetzt. Auch das Anbringen einer Brandstiftungsanlage, die
(aaO., 330). Die Beraubung sollte sich unmittelbar anschließen. Hier liegt im Ein-
vom Täter erst später in Funktion gesetzt werden soll, ist wegen des fehlenden
schließen ein eindeutiger Angriff auf die Opfersphäre, und zwar in Gestalt einer
zeitlichen Zusammenhanges noch Vorbereitung.185
Schutzminderung (vgl. dazu Rn. 162ff.); der enge zeitliche Zusammenhang steht
176 Viel diskutiert und als Überdehnung des Versuchs durchweg abgelehnt werden
ebenfalls außer Zweifel. Der Versuch wird durch diese beiden Umstände begrün-
zwei oberlandesgerichtliche Entscheidungen. Das BayObLG 186 sieht den Versuch
det, nicht schon durch die Anwesenheit im Laden; ein Vergleich mit dem Poststel-
einer Einfuhrzollhinterziehung schon darin, daß jemand beim Verlassen der Bun-
lenfall (oben Fall 17, Rn. 146) zeigt das sehr anschaulich.
desrepublik eine falsche Bescheinigung über die Menge des mitgeführten Treib-
stoffes erwirkt, um bei der Wiedereinreise Benzin unverzollt einführen zu kön- c) Das Auskundschaften und Schaffen von Tatgelegenheiten
nen. Gewiß lag in der Beschaffung der Bescheinigung schon die für das Gelingen Das bloße Auskundschaften und Herstellen einer Gelegenheit zur Tatbegehung 179
des Delikts wichtigste Handlung. Trotzdem begann der Versuch der unverzollten ist im Normalfall schon deshalb eine Vorbereitung, weil die eigentliche Tatbege-
Einfuhr erst bei der Wiedereinreise. Nach OLG Koblenz187 soll ein Ansetzen zur hung erst später erfolgen soll. Soll sie dagegen sogleich stattfinden, hängt der Ver-
Wiederverwendung amtlicher Wertzeichen nach § 148 II darin gesehen werden, such vom Vorhandensein einer Einwirkung auf die Opfersphäre ab; Beispiele dafür
sind im Zusammenhang mit den Untersuchungs- und Schutzminderungsfällen an-
'81 BGH NJW1952,430; a.A. RGSt 72, 66f.
«2 A.A. BGHSt 20,150; dazu Roxin, JuS 1979, 5. geführt worden (Rn. 160f., 162ff.). Zu ergänzen ist, daß auch bei engem zeitlichen
183 BGH wistra 1984,142; a.A. RGSt 77,173. Zusammenhang die Schaffung einer Tatgelegenheit noch kein Versuch ist, wenn sie
184 OLG Düsseldorf NJW 1990, 924. wegen ihrer sozialen Erlaubtheit keine Einwirkung auf die Opfersphäre in sich
•85 BGH NStZ 1981, 99.
186 BayObLG JR 1978, 39 m. abl. Anm. Hübner; ferner Berz, Jura 1984, 515; Höser, 1984, schließt (wie z. B. das Hereindrängen des Taschendiebes in die überfüllte U-Bahn).
213ff.; Kratzsch, JA 1983, 578; Kühl, JuS 1980, 653; Meine, GA 1978, 324f.; SK6-Rudolphi, §22,
Rn. 14; Sch/Sch/Eser26, § 22, Rn. 44; Tröndle/Fischer50, § 22, Rn. 15; Zaczyk, 1989, 316 f. iss BGH MDR (H) 1978, 985.
187 OLG Koblenz NJW 1983, 1625 m. abl. Anm. Lampe, JR 1984, 163; abl. auch Küper, 18« Ausführlich bei Zaczyk, 1989, 312; auch Vehling, 1991,150 f.
NJW 1984, 777. 389
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§ 29 I 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
Auch ist die Anbahnung von Tatgelegenheiten so lange noch Vorbereitung, wie die Transport im Inland vorausgehen kann". Dagegen könne z.B. das Einnähen zu
Weiterfuhrung der Tat vom freien Willensentschluß eines anderen abhängt. Wir ha- schmuggelnden Geldes in eine Matte, um es über die Grenze zu schaffen (vgl. da-
ben diese Situation schon beim Delikt des Kindesmißbrauchs kennengelernt, wenn zu Rn. 93) oder die Anbringung eines Geheimfaches im Autotank, um die darin
der Täter das Opfer an einen zur Tatbegehung geeigneten Ort bringt, die sexuellen versteckten Zahlungsmittel über die Grenze zu bringen (RG H R R 40, Nr. 1051),
Handlungen aber nur bei einer Zustimmung des Kindes vornehmen will (Rn. 168). schon ein Versuch sein, sofern der Handelnde alsbald mit dem Geld über die Gren-
In entsprechender Weise ist ein Angebot zur Lieferung von Falschgeld190 oder die ze fahren will. Zu dem von Meyer daneben verwendeten Gesichtspunkt der
Bitte eines seine Krankheit verschweigenden Aids-Infizierten um Geschlechtsver- „Zwangsläufigkeit" vgl. Rn. 194, 211.
kehr191 noch eine Vorbereitung. Der Gedanke der „Unzweideutigkeit" ist aus der Eindruckstheorie abgeleitet 183
und hat insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit der hier entwickelten Konzeption,
10. Weitere Gesichtspunkte in der neueren Literatur als eine in engem Zusammenhang mit der Tatbestandshandlung stehende Einwir-
a) Die Ganzheitstheorie Schmidhäusers kung auf die Opfer- bzw. Tatbestandssphäre den deliktischen Willen des Täters
i. d. R. unzweideutig erkennen läßt. Sie ist aber - wie auch die zugrunde liegende
180 Schmidhäuser192 vertritt eine sog. ganzheitliche Methode. Danach sind bei der
Eindruckstheorie, Rn. 101 - deshalb als alleiniger Abgrenzungsgesichtspunkt un-
Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch „alle in Betracht kommenden Mo-
geeignet, weil auch Vorbereitungshandlungen diese Unzweideutigkeit schon auf-
mente jeweils in ihrer Gesamtheit zu sehen, wobei das Hauptgewicht ... einmal
weisen können. Wenn unzweideutige Handlungen im „Frühstadium" als Versuch
auf dem einen, das andere Mal auf dem anderen Geschehenszug liegen kann"
angesehen werden, geht das viel zu weit. Das zeigen gerade die beiden von Meyer
(Rn. 51). Es müsse hier „eine ganzheitliche, typisierend-einzelfallbezogene Sicht
genannten Geldversteckfalle, in denen wegen mangelnder Einwirkung auf die
der Dinge die Entscheidungsgrundlage abgeben"; es sei nicht so, „daß die Ent-
Opfersphäre und Fehlens eines engen zeitlichen Zusammenhanges nur eine Vor-
scheidung vom Gesetz sozusagen vorgezeichnet ist" (Rn. 66). Er verfährt dabei so,
bereitung vorliegt. Auch andere Beispiele (Einfuhrzollhinterziehung, Wiederver-
daß er für verschiedene Delikte, wie Diebstahl, Raub, Betrug, Brandstiftung typi-
wendung von Wertzeichen, Rn. 176) lassen erkennen, daß die Unzweideutigkeits-
sche Konstellationen anführt und meist in Übereinstimmung mit der überwie-
theorie den Versuchsbereich überdehnt.194 Man muß geradezu vor ihr warnen,
genden Auffassung entscheidet. Bisweilen erklärt er auch verschiedene Lösungen
weil die Rspr., wie unsere Beispiele lehren, in solchen Fällen ohnehin zur An-
für gleichermaßen richtig. So heißt es z.B. im Tankwart-Fall (oben Fall 13,
nahme eines Versuchs tendiert und sich dafür auf diese Lehre berufen könnte.
Rn. 127), die Annahme eines Raubversuchs lasse sich „gewiß vertreten"; „nicht
weniger vertreten" ließe sich aber auch die Annahme einer bloßen Vorbereitung. c) Die Optimierung des Rechtsgüterschutzes bei Kratzsch
181 Gegen diese Lösung ist einzuwenden, daß sie die Abgrenzung im wesentlichen Kratzsch (vgl. schon Rn. 54)195 definiert als Unrecht alle Verhaltensweisen, 184
dem richterlichen Judiz überantwortet, indem sie auf jede Gewichtung der ver- „deren Bekämpfung mit strafrechtlichen Mitteln zur Gewährleistung eines wirk-
schiedenen Geschehensmomente verzichtet. Mit dem Grundsatz der Gesetzes- samen Rechtsgüterschutzes erforderlich" ist.196 Die Aufgabe der Versuchsnorm be-
bestimmtheit ist das nicht zu vereinbaren, wie sich auch schon daran zeigt, daß stehe darin, „der Gefahr von (u.U. irreparablen) Rechtsgutsverletzungen rechtzei-
Schmidhäuser in Zweifelsfällen entgegengesetzte Lösungen für gleichermaßen ver- tig, d. h. in einem Augenblick entgegenzuwirken, in dem die Erfolgsabwendung
tretbar erklärt. von Strafrechts wegen geboten und noch möglich ist".197 Versuch liege vor, wenn
b) Die Unzweideutigkeitstheorie Jürgen Meyers der Täter einen Zustand herbeiführe, „der von Strafrechts wegen nicht mehr tole-
riert werden kann, weil ohne seine Verhinderung ... ein hinreichend wirksamer
182 Meyer193 verweist auf eine vielfach im Ausland anerkannte Lehre, wonach ein
Rechtsgüterschutz nicht mehr gewährleistet wäre".198 Das sei dann der Fall, „wenn
Versuch vorliegt, „wenn sich der verbrecherische Wille des Handelnden in seinem
mit einem Teilakt zugleich ... die Verwirklichung der gesamten Tatbestandshand-
äußeren Verhalten bereits unzweideutig dokumentiert" hat, wenn sich das Gesche-
lung in Gang gesetzt wird".199 Dabei komme es nicht auf den „buchstäblich letzten
hen also „nur durch den Verbrechensvorsatz erklären" läßt. Danach sei z. B. das
Verladen der Ware, die demnächst in strafbarer Weise ausgeführt werden soll, auf
194
einen Lastwagen noch eine Vorbereitungshandlung (vgl. Rn. 175). Denn das Ver- J. Meyer selbst meint (aaO., 611, Fn. 69), daß man auch bei Unzweideutigkeit auf die
„zeitliche Nähe der Rechtsgutsverletzung" nicht verzichten könne, handhabt dieses Kriterium
laden der Ware sei ein „wertneutraler Vorgang, der ebensogut dem ... legalen aber sehr locker, wie die von ihm angeführten Geldversteck-Beispiele zeigen.
ws Kratzsch, JA 1983,420 ff., 578 ff.
wo BGH StV 1987,101. »6 Kratzsch, JA 1983,425.
»i BayObLGSt 1989,143. w iC«tz5c/i,JA1983,578.
»1932 Letzte Fassung in: Schmidhäuser, StuB AT2,11/49-58. »8 Kratzsch, JA 1983,429.
J. Meyer, ZStW 87 (1975), 611. 199
Hier und im folgenden Kratzsch, JA 1983, 582.
390
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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch I § 29
Teilakt", sondern auf die „Wirkungseinheit" (z. B. Zielen, Heben, Anlegen der 203
Charakterisierung ungenauer als eine konkretisierte Teilaktstheorie, und sie ist
Waffe) an, die mit der gesamten Tatbestandsverwirklichung eine Einheit bilden auch nicht immer zutreffend. Denn das Opfer kann dem Täter auch im Vorberei-
müsse. tungsstadium schon ausgeliefert sein. Wenn A den B töten will und zu einem ver-
185 Das läuft im Ergebnis ungefähr auf die auch hier vertretene konkretisierte Teil- abredeten Treffen an einem verschwiegenen Ort mit einer Pistole in der Tasche er-
aktstheorie hinaus. Insofern ist also wenig gegen diese Lehre einzuwenden, wenn scheint, ist der B dem Avon vornherein preisgegeben; dennoch beginnt der Ver-
auch der Begriff der „Wirkungseinheit" insofern vage bleibt, als auch Vorbereitun- such erst, wenn A die Pistole zieht. Umgekehrt liegt bisweilen ein Versuch vor,
gen, die ohne Zäsur in den Enderfolg einmünden, mit den Versuchshandlungen zu ohne daß von einer „Unterlegenheit" des Opfers die Rede sein kann; wenn ein
einer „Wirkungseinheit" zusammengefaßt werden können. Noch problematischer Angriff vom stärkeren Gegner mühelos abgeschlagen wird, ändert das nichts am
ist die Herleitung der Lösung: Denn ein optimaler Rechtsgüterschutz würde ein Vorliegen eines Versuchs. Es gibt sogar Fälle, in denen der Angegriffene den Täter
möglichst frühzeitiges Eingreifen des Strafrechts verlangen, den Versuch also weit in in eine Falle laufen läßt oder in denen ein agent provocateur das Geschehen von
den Vorbereitungsbereich ausdehnen müssen. Kratzsch entgeht dieser Konsequenz vornherein in der Hand hat. Einen Erkenntnisfortschritt bringt also der Gesichts-
seiner Unrechtskonzeption nur dadurch, daß er den Gesetzgeber an das Verhält- punkt des „In-den-Griff-Bekommens" nicht. Im praktischen Ergebnis 204 der von
nismäßigkeitsprinzip und insbesondere das Übermaßverbot bindet, das eine so ihm behandelten Fälle kommt Zaczyk freilich zu den auch hier erzielten Lösun-
weitreichende Bestrafung verhindern soll. 200 Damit begibt er sich aber auf gen. Das ist kein Zufall: Denn wenn eine in engem zeitlichen Zusammenhang mit
schwankenden Boden. Denn in einem Tatbestandsstrafrecht ist schon der Versuch der Tatbestandshandlung stehende Einwirkung auf die Opfersphäre vorliegt, hat
ein Strafausdehnungsgrund (vgl. Rn. 102). Die Bestrafung von Vorbereitungs- der Täter i. d. R. die Situation „im Griff".
handlungen unterfällt daher nicht erst dem Übermaßverbot, sondern erfaßt über-
haupt kein strafrechtliches Unrecht. Auch kann man über die Verhältnismäßigkeit e) Das rolleninadäquate Risiko bei Vehling
immer streiten. Jedenfalls lassen sich aus ihr keine konkreten Ergebnisse ableiten, Vehling105 entwickelt eine soziologisch-normative Konzeption. Ihr zufolge be- 188
die Kratzsch denn auch aus einer durch seine Unrechtskonzeption keineswegs ge- ginnt ein Versuch „mit dem Zeitpunkt, in dem die normativ begründete Erwar-
forderten materialisierten Teilaktstheorie gewinnt. 201 tung, die Tatbestandsverwirklichung bleibe aus, nicht mehr durch die soziale Posi-
tion und die damit verbundene Rolle ... begründet werden kann". Das ist der Fall,
d) Das „In-den-Griff-Bekommen" des angegriffenen Rechtsguts
wenn „der Täter durch sein rolleninadäquates Verhalten ein rechtlich mißbilligtes
bei Zaczyk Risiko gesetzt hat und das vom Täter inadäquat gesetzte Risiko die intendierte
186 Für Zaczyk (zum philosophischen Hintergrund seiner Lehre vgl. Rn. 52) tritt Tatbestandsverwirklichung indiziert".
der Täter in das Versuchsstadium ein, „wenn er entweder mit der Vornahme der Eine solche Beschreibung des Versuchs mit den Kategorien der Lehre von der 189
tatbestandsmäßigen Handlung beginnt oder aber mit seiner Handlung das jeweils objektiven Zurechnung ist an sich möglich und sinnvoll, wenn diese auch eigent-
angegriffene Rechtsgut so ,in den Griff bekommt, daß er bereits in eine über- lich nur auf den gefährlichen Versuch passen (vgl. Rn. 15).206 Freilich wird man
legene, das jeweils angegriffene Daseinselement von Freiheit ihm gegenüber in eine gefährliche Vorbereitungshandlung kaum durch den Begriff des erlaubten
eine unterlegene Stellung gerät".202 Wann ein Täter „diese Überlegenheit über die Risikos kennzeichnen können; denn da man ihr ggf. im Wege der Präventivnot-
Situation" gewinnt, sei „von vielerlei Umständen abhängig, die letztlich nur am wehr entgegentreten darf,207 kann sie nicht gut erlaubt sein, zumal da sie in man-
Einzelfall gewichtet werden können". Die verschiedenen Abgrenzungsformeln chen Fällen selbständig strafbar ist. Man würde also korrekter beim Versuch von
(Rn. 121 ff.) könnten dabei hilfreich sein. einem ggf. strafbaren und bei der Vorbereitung von einem - vorbehaltlich von
187 Diese Lehre bringt also nichts eigentlich inhaltlich Neues, sondern liefert mit Sonderregelungen - straflosen Risiko sprechen. In der Abgrenzungsfrage führt
der Formel vom „In-den-Griff-Bekommen" und von der „unterlegenen Stellung aber die gesamte Risikoterminologie deswegen nicht weiter, weil der Begriff des
des Angegriffenen" nur eine zusammenfassende Interpretation der bisherigen Ab-
203
grenzungsbemühungen. Diese Interpretation ist auch i. d. R. zutreffend: Wenn der Zur Kritik an Zaczyk vgl. SK6-Rudolphi, §22, Rn. 12 a („Das Überlegenheitskriteriifm
ist in höchstem Maße unbestimmt und genügt ... nicht mehr dem Bestimmtheitserforder-
Täter in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tatbestandshandlung auf die nis."); Vogler, Stree/Wessels-FS, 1993, 289: „Ein Gewinn an Klarheit und Trennschärfe im Ver-
Opfersphäre einwirkt, befindet sich der Angegriffene oft in einer unterlegenen gleich mit den bisher ... entwickelten Formeln ist mit dem Konzept Zaczyks nicht verbun-
den"; Vehling, 1991, 72.
Stellung, und der Angreifer erscheint als Herr der Situation. Doch ist eine solche
20" Schalterhallen-Fall, (oben Fall 17, Rn. 146), Tankwart-Fall (oben Fall 13, Rn.127); Wert-
marken-Wiederverwendungsfall (oben Rn. 176); Zollhinterziehungsfall (oben Rn. 176).
200 Kratzsch, JA 1983, 578/79. 205 Vehling, 1991,131.
20
' Krit. zu Kratzsch Vehling, 1991, 61 ff.; Zaczyk, 1989, 311; ihm folgend Murmann, 1999, 25. 206
Zu Vehlings eigenem Versuch, mit dem Problem fertig zu werden, aaO., 146.
202 Zaczyk, 1989, 311. 2
07 Vgl. Roxin, AT l 3 , § 16, R n . 72 ff.
392
393
§ 29. Der Versuch — C.Vorbereitung und Versuch II § 29
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
gende Zimmer ihrer Auftraggeberin in diebischer Absicht betritt, wohl aber dann,
Risikos genauso wie derjenige der Gefahr oder des rechtserschütternden Ein-
wenn ein Fremder dies tut, der sich als Dieb in das Haus eingeschlichen hat. Der
drucks ein Steigerungsbegriff ist (vgl. Rn. 101). Das vom Täter gesetzte Risiko
Gedanke der Rolleninadäquanz ist jedoch der hier entwickelten Konzeption im-
steigt von der Vorbereitung bis zur Vollendung immer mehr an, ohne daß sich aus
manent: Eine ggf. strafbare Einwirkung auf die Opfersphäre liegt immer erst
dem Begriff des Risikos ein Anhaltspunkt dafür entnehmen ließe, wo die Grenze
dann vor, wenn der Täter die ihm durch seine soziale Rolle zugewiesene Sphäre in
von Vorbereitung und Versuch liegt. Die Kritik rügt denn auch die Unbestimmt-
Richtung auf eine Beeinträchtigung des Opfers überschreitet (vgl. etwa schon die
heit der Abgrenzung. 208
Beispiele zum Betreten des Hauses durch Gäste oder Einbrecher, Rn. 177, oder
190 Eine Konkretisierung könnte sich nur aus dem zusätzlichen Kriterium der in-
auch den Schalterhallen-Fall, Rn. 146f., und die Sachverhalte Rn. 148).
dizierten Tatbestandsverwirklichung ergeben, das aber kaum erläutert wird. 209
Vehling scheint eine solche Indizierung annehmen zu wollen, „wenn ... das Aus-
bleiben der Tatbestandsverwirklichung nur noch als Zufall erscheint*.210 Aber da- II. Der Beginn der Ausführung beim beendeten Versuch des unmittelbar
mit wird nur ein - nicht einmal überwiegender - Teil der Versuchsfälle getroffen. handelnden Einzeltäters
Es gilt hier in verstärktem Maße, was gegen Zaczyks Kriterium des In-den-Griff-
Bekommens vorzubringen ist (vgl. Rn. 187): Viele Anschläge werden planmäßig 1. Die widerstreitenden Auffassungen
vereitelt oder scheitern sonst an der Wachsamkeit des Opfers und seiner Helfer Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter alles getan hat, was nach seiner 192
oder der Ungeschicklichkeit des Täters. Von einem zufälligen Ausbleiben des Er- Vorstellung zur Erfolgsherbeiführung nötig ist (vgl. schon Rn. 98): der vergiftete
folges kann dann nicht die Rede sein. Eben deshalb kann selbst der taugliche Ver- Whisky, den das Opfer sich nehmen soll, ist bereitgestellt; die Höllenmaschine,
such nicht als konkretes Gefährdungsdelikt gedeutet werden (vgl. Rn. 15). In den durch deren Explosion der Politiker getötet werden soll, ist in dessen Auto einge-
praktischen Ergebnissen stimmt Vehling freilich im wesentlichen mit den hier er- baut; der erpresserische Brief ist abgeschickt. Der Täter geht in solchen Fällen da-
zielten Lösungen überein:211 Denn wenn die Tatbestandshandlung ganz nahe ge- von aus, daß sich der Erfolg nun ohne sein weiteres aktives Zutun einstellen wer-
rückt ist und eine Einwirkung auf die Opfersphäre schon stattgefunden hat, wird de. Die Frage, wann in solchen Fällen der Versuch beginnt, ist umstritten und
das Ausbleiben des Erfolges oft auf Zufällen beruhen. wird teilweise anders beantwortet als beim bisher allein behandelten unbeendeten
191 Einen wirklich weiterführenden Gesichtspunkt enthält jedoch Vehlings Kriterium Versuch. Die Konstellation entspricht weitgehend derjenigen des Versuchs bei mit-
des „rolleninadäquaten Verhaltens". Er nimmt das hier verwendete Beispiel auf, telbarer Täterschaft (Rn. 226 ff.) und wird von vielen Autoren mit diesem sogar
daß ein Täter mit Diebstahlsabsicht in ein fremdes Auto hineingreift (oben gleichgesetzt. Das ist möglich, wenn man davon ausgeht, daß in solchen Fällen das
Rn. 137) und sieht darin mit Recht einen Versuch.212 Er bezweifelt diese Annahme Opfer selbst der Tatmittler (das Werkzeug) ist. Immerhin bleibt der Unterschied,
aber, wenn es sich um einen mit der Inspektion des Wagens beauftragten Auto- daß es hier um ein Zweipersonenverhältnis (Täter/Opfer) und nicht, wie im Re-
monteur handelt. Daran ist richtig, daß ein strafbares Einwirken auf die Opfer- gelfall der mittelbaren Täterschaft, um ein Dreipersonenverhältnis (Täter/Tatmitt-
sphäre dann noch nicht vorliegt, wenn der Täter sich noch im Rahmen seiner so- ler/Opfer) geht. BGHSt 43, 180 schreibt deshalb diesen Fällen nur eine „der mit-
zialen Rolle bewegt. Deshalb liegt ein Versuch nach § 176 I zwar schon vor, wenn telbaren Täterschaft verwandte Struktur" zu. Dem entspricht es, wenn auch hier
ein „wildfremder Mann" das Kind, das er gegen dessen Willen mißbrauchen will, der „Anfang des beendeten Versuchs"213 vom Anfang der Ausführung beim Ver-
in den Wald führt (oben Rn. 167), nicht aber, wenn der eigene Vater solche Absich- such des mittelbaren Täters getrennt wird. Bei seiner Behandlung stehen sich im
ten hat und mit dem Kind in den Wald geht. Da Spaziergänge mit dem eigenen wesentlichen drei Auffassungen gegenüber.
Kinde im Rahmen eines normalen väterlichen Verhaltens liegen, beginnt hier eine
a) Der Eintritt des Opfers in den Wirkungskreis des Tatmittels als Beginn
strafrechtlich relevante Einwirkung auf die Opfersphäre erst dann, wenn sich der
des Versuchs
Vater zu mißbräuchlichen Körperkontakten anschickt. In entsprechender Weise
liegt noch kein strafbarer Diebstahlsversuch vor, wenn die Putzfrau das zu reini- Nach der ersten Ansicht214 liegt ein Versuch vor, wenn das Opfer „sich in d£n 193
Wirkungskreis des Tatmittels" begibt; es müssen „die eigenen Handlungen oder
208 SK 6 -Rudolphi, § 2 2 , R n . 1 2 b : „zahlreiche hoch-normative Merkmale" „im hohen Maße die der jeweils benutzten Werkzeuge unmittelbar in die Tatbestandsverwirkli-
unbestimmt". Vogler, Stree/Wessels-FS, 1993, 288: „Eine Konkretisierung, die über den Gefähr- chung einmünden". Danach liegt also in den geschilderten Beispielen ein Versuch
dungsgedanken hinausführt, ist darin ... nicht zu erkennen."
213
209 SK6-Rudolphi, § 22, R n . 12 b, bemängelt, daß „Vehling nicht näher darlegt, was mit der So schon der Titel meines Beitrages in der Maurach-FS, 1972, 213.
2M
Formel gemeint ist". Aus der älteren Lit. Gössel, J R 1976, 250; Otto, JA 1980, 644. Für die neuere Lit. vgl. die
Nachweise der Stellungnahmen zu BGHSt 43, 177 ( R n . 215, Fn. 233, und zur sog. „Gesamtlö-
2W Vehling, 1991,140.
2 sung" beim Versuch in mittelbarer Täterschaft ( R n . 228, Fn. 238).
» Vehling, 1991,145-156.
212
Hier und im folgenden Vehling, 1991,136. 395
394
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch II § 29

erst vor, w e n n das Opfer zur Whiskyflasche greift, sich zum Einsteigen in sein c) „Entlassung aus d e m eigenen Herrschaftsbereich" und „unmittelbare
Auto anschickt oder den Briefkasten entleert. Dabei wird freilich auf die Vorstel- Gefährdung" als alternative Kriterien zur B e s t i m m u n g des Versuchs
lung des Täters abgehoben: 2 1 5 Wird also der Erpresserbrief auf der Post abgefan- Überwiegend ist heute eine zwischen den beiden Extremen vermittelnde, aber 195
gen, so wird ein Versuch bejaht, sobald der Täter irrig davon ausgeht, daß der Brief näher bei der zu b) genannten Auffassung stehende Lehre, 'die mit einer „Alter-
in den Besitz des Opfers gelangt ist. Diese Auffassung basiert auf dem Gedanken, nativ-Formel" arbeitet. Danach liegt ein Versuch vor, wenn der Täter entweder
daß es für die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch auf die unmittelbare den Geschehensverlauf aus seinem eigenen Herrschaftsbereich entlassen hat oder
Gefährdung des Tatobjekts ankomme. 2 1 6 Sie kann aber auch als Übertragung der das Opfer in der Weise unmittelbar gefährdet wird, daß in engem zeitlichen Z u -
beiden hier zur Abgrenzung bei unbeendetem Versuch verwendeten Hilfsbegriffe sammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung auf seine Sphäre eingewirkt
auf den beendeten Versuch gedeutet werden: eine Einwirkung auf die Opfersphäre wird. 2 2 1 Wenn sich der Täter also nach der Vergiftung des Getränks oder dem E i n -
und ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen nach dieser Sichtweise erst bau der Höllenmaschine entfernt oder den Erpresserbrief absendet, liegt stets ein
dann, w e n n das Opfer in den Wirkungskreis des Tatmittels eintritt. Versuch vor, weil n u n das Geschehen im Regelfall seinen vom Täter unabhängi-
gen Lauf n i m m t . Hat er dagegen die angelegte Kausalkette noch in seinem Herr-
b) D i e B e e n d i g u n g der Täterhandlung als B e g i n n des Versuchs schaftsbereich — der erpresserische Brief soll erst am nächsten Morgen von einem
194 Die extreme Gegenposition stellt in allen Fällen auf die Beendigung der Täter- Angestellten zur Post getragen werden, die Frau hat bis zur Rückkehr ihres zu ver-
handlung ab: das Bereitstellen des vergifteten Whiskys, der Einbau der Höllen- giftenden Mannes die Whisky-Flasche noch unter ihrer O b h u t - , liegt kein Ver-
maschine, das Absenden des Erpresserbriefs bezeichnen dann den Beginn des Ver- such vor, weil der Täter das Geschehen noch in derselben Weise wie bei der Vorbe-
suchs. Diese Auffassung war früher die allgemein herrschende. So schrieb Busch217: reitung eines unbeendeten Versuchs in der H a n d hat u n d das Delikt sich noch im
„Zweifelsfrei liegt eine Ausführungshandlung vor, w e n n zum Eintritt des Erfol- Vorstadium der Tatbestandsverwirklichung befindet.
ges keine weitere Betätigung des Täters . . . gehört." Mit einer kleinen Einschrän-
kung vertritt das heute noch Tröndle218, für den nach Abschluß der Täterhandlung 2. Zur näheren Begründung der Alternativ-Formel
ein Versuch vorliegt, w e n n der Täter entschlossen ist, „nichts mehr zu ändern".
a) Auseinandersetzung m i t der Lehre v o m Eintritt des Opfers in den
Wenn dieser sich allerdings vorbehält, die Gefahr noch rechtzeitig zu beseitigen,
Wirkungskreis des Tatmittels als d e m m a ß g e b e n d e n Zeitpunkt
soll ein unbedingter Handlungswille und damit schon ein Tatentschluß fehlen, so
Die Alternativ-Formel verdient den Vorzug. Das gilt zunächst gegenüber der 196
daß schon aus diesem Grunde kein Versuch vorliegt. Eine andere Variante dieser
Lehre, die den Eintritt des Opfers in den Wirkungskreis des Tatmittels zum A b -
allein auf die Täterhandlung abstellenden Lehre verficht Meyer119. Für ihn beginnt
grenzungskriterium erhebt. Die Ansetzung des Versuchsbeginns auf den Zeit-
mit dem Abschluß der Täterhandlung ein Versuch, w e n n die vom Täter in Gang
punkt der Entlassung des Kausalverlaufs aus dem Herrschaftsbereich des Täters ist
gesetzte Kausalreihe nach seiner Vorstellung „gewissermaßen mit tödlicher Sicher-
nach dem Gesetzeswortlaut (aa) sowie aus dogmatischen Gründen (bb) und unter
heit" zum Erfolge führen wird. 2 2 0 Die Festlegung des Versuchsbeginns auf die B e -
dem Gesichtspunkt eines kriminalpolitisch vernünftigen Ergebnisses (cd) ange-
endigung des Täterverhaltens läßt sich damit begründen, daß man für den Versuch
messen; die Abweichungen von der beim unbeendeten Versuch gefundenen A b -
vom Täter nicht mehr verlangen könne, als zur Erfolgsherbeiführung nötig sei: Er
grenzung sind nicht willkürlich, sondern in der Sache begründet (dd).
habe, so ließe sich sagen, mit Ausführung aller erforderlichen Handlungen schon
aa) Zunächst sagt § 22, daß der Täter nach seiner Vorstellung zur Tat angesetzt 197
wieder „abgesetzt" und damit sogar mehr als das in § 22 verlangte „Ansetzen" aus-
haben muß. Die Gegenmeinung verlang statt dessen ein Ansetzen durch das O p -
geführt.
fer, das sich dem Tatmittel (unbewußt) ausliefern muß. Diese Ablösung des Ver-
suchsbeginns von der Täterhandlung widerspricht dem Konzept des Gesetzes. Die
Vertreter der auf die Opferhandlung abstellenden Lehre wollen dem Widerspruch
215 entgehen, indem sie das Opfer als Werkzeug des Täters ansehen und dem Täter das
So wenigstens Gössel und Otto aaO.
216 Vogler (zu dessen Lehre vgl. Rn. 106 ff.) spricht - im Ergebnis gleichbedeutend - von Opferverhalten als seine eigene Handlung zurechnen. In nicht ganz klarer Form
der Notwendigkeit einer „spezifischen Unmittelbarkeit zur Tatbestandsverwirklichung" (LK ,
§22, Rn.74). 221
Diese Auffassung wurde begründet von Roxin, Maurach-FS, 1972, 213 ff; ders., JuS
2,7
LK9 -Busch, § 43, Rn. 43 a; so jetzt im Ergebnis auch wieder Vehling, 1991,165 ff. 1979, 10f. Dem folgen im wesentlichen: Burkhardt, JuS 1983, 430; Herzberg, JuS 1985, 6; Jakobs,
2
« Tröndle/Fischer50, § 22, Rn. 19. AT , 21/105; Jescheck/Weigend, AT5, §62 IV 1; Kratzsch, JA 1983, 585 f.; Murmann, 1999, 16 ff;
2
2
» Meyer, ZStW 87 (1975), 609. Puppe, JuS 1980, 348 f.; SK6-Rudolphi, § 22, Rn. 20; Tröndle/Fischer50, § 22, Rn. 21; Wessels/Beul-
220
Herzberg hat seine ebenfalls rein an der Täterhandlung orientierte Auffassung (MDR ke, AT31, Rn.600ff; Zaczyk, 1989, 320 ff.
1973, 80) inJuS 1985,1 ff., aufgegeben.
397
396
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch — C. Vorbereitung und Versuch II § 29

kommt das schon bei GösseP22 zum Ausdruck: „Die Unmittelbarkeit i. S. d. § 22 cc) Gegen das Abstellen auf das Opfer verhalten sprechen auch die kriminalpo- 201
StGB darf nicht bloß auf die eigenen Handlungen des Täters bezogen werden, litisch unvernünftigen, ja in manchen Fällen unerträglichen Ergebnisse, zu de-
sondern auch auf die Handlungen der vom Täter als Werkzeug seiner Pläne be- nen es führt. Wenn der im Auto des zu ermordenden Politikers eingebaute
nutzten Personen." Wie dies mit dem Gesetzestext zu vereinbaren ist, bleibt hier Sprengsatz durch einen Zufall vor der Benutzung des Wagens durch das poten-
noch offen. Ganz deutlich sagt dann aber Otto225: „Weil Opfer und gutgläubiges tielle Opfer entdeckt wird, wird dies dem Täter damit honoriert, daß nun kein
Werkzeug als irrende Personen in der Realisierung des Tatplans durch den Täter versuchter Mord vorliegt. Mit dem Grundgedanken, der zur Straflosigkeit von
eingesetzt werden, sind ihre Handlungen ihm als eigene zuzurechnen. Er setzt Vorbereitungen führt, ist das nicht zu vereinbaren. Denn dieser besteht darin, daß
durch sie zur Tat an!" der über die Vorbereitung nicht hinauskommende Täter nicht die Kraft zum
198 Das ist aber eine undurchführbare Konstruktion. Es würde dann fast keine un- Durchhalten oder nicht das Geschick besitzt, das eigene Verhalten dem Abschluß
mittelbare, sondern nur noch mittelbare Täterschaft geben, weil der Täter das nahezubringen. Daran fehlt es bei unserem Bombenattentäter aber keineswegs.
Opferverhalten allemal in seine Pläne einsetzen muß. Auch bei einem Diebstahl Otto, der die Notwendigkeit einer Bestrafung anerkennt, verweist auf § 311b I
muß das Opfer sich in die Nähe des Täters begeben, sein Haus verlassen usw., um Nr. 2 (heute § 310 I Nr. 2), 225 der lediglich Sprengstoffdelikte betrifft. Man denke
dadurch die Tat zu ermöglichen. Daß dies Handlungen des Täters sein sollen, ist aber an Mordanschläge durch das Auslegen von Giftgas, wie sie 1995 in Japan vor-
schon deshalb unmöglich, weil der Täter für das Opferverhalten in den meisten gekommen sind! Wenn es gelungen wäre, diese Anschläge zu vereiteln, müßte
Fällen nicht einmal kausal ist. Wer eine Bombe in ein Flugzeug einbaut, dem kann eine Straflosigkeit der Täter unverständlich bleiben.
das Besteigen der Maschine durch die Passagiere oder das Starten durch den Flug- Aber auch wo es nicht um Menschenleben geht, leuchtet die weitgehende Straf- 202
piloten schon deshalb nicht als eigene Handlung zugerechnet werden, weil er dazu losigkeit schon abgeschlossener deliktischer Aktivitäten, die die Gegenmeinung
nicht das Geringste beigetragen hat. propagiert, nicht ein. Welchen Sinn soll es haben, den Erpresserbrief nur deshalb
199 bb) Dogmatisch ist eine Verschiebung des Versuchsbeginns auf das Opferverhal- straflos zu lassen, weil er schon auf der Post abgefangen wird? Man müßte, wenn
ten auch deshalb nicht akzeptabel, weil das Gesetz die Vorstellung des Täters zur hier Straflosigkeit eintritt, den Brief aus verfolgungsstrategischen Gründen erst an
Grundlage der Strafbarkeit macht, diese aber sinnvollerweise nur an das eigene den Adressaten gelangen lassen; aber derartige Möglichkeiten zur Manipulation
Verhalten des Täters anknüpfen kann. Wer dem Opfer bei einem Versuch eine ver- der Versuchsgrenze dasavouieren diese selbst. Otto226 weist darauf hin, daß bei
giftete Whiskyflasche in die Hausbar schmuggelt, kann nicht wissen, wann der einem auf der Post abgefangenen Erpresserbrief doch immerhin ein Versuch vor-
Hausherr zur Flasche greifen wird. Seine Vorstellung wird also beim Griff nach liege, sobald der Täter annehme, der Brief sei dem Opfer zugestellt worden. Aber
der Whiskyflasche, wenn man diesen als Handlung des Täters (!) ansehen wollte, es ist sehr unbefriedigend, daß in einem solchen Fall nur sein Irrtum die Bejahung
nicht beteiligt sein. Wie soll er dann „nach seiner Vorstellung" ansetzen? Daß der eines Versuchs ermöglicht. Daß die - von Zufällen abhängige - rechtzeitige Mit-
Täter in anderen Fällen - vielfach irrige und vage - Vorstellungen über den Zeit- teilung, der Brief sei abgefangen worden oder das Opfer sei verreist, über die
punkt der Tatbestandsverwirklichung haben mag, ändert nichts an dem grund- Strafbarkeit entscheiden soll, ist eine extrem unbefriedigende Lösung.
sätzlichen Einwand, daß er sie oft nicht haben kann und daß in anderen Fällen dd) Schließlich steht die Festlegung des Versuchsbeginns auf die Entlassung des 203
diese Vorstellungen mehr das Ergebnis einer Raterei und deshalb für die Bestim- Geschehens aus dem eigenen Herrschaftsbereich auch nicht im Widerspruch zu der
mung des Versuchsbeginns gänzlich ungeeignet sind. beim unbeendeten Versuch gefundenen Lösung. Denn die „Einwirkung auf die
200 Auch sollte man 224 daran festhalten, daß der Täter beim Eintritt in das Ver- Opfersphäre" und der „enge zeitliche Zusammenhang" sind nicht konstituierende
suchsstadium einen Vollendungsvorsatz haben muß, daß es also ein unbewußtes Merkmale des Versuchs, sondern Hilfsbegriffe zur Bestimmung der Tatbestands-
Überschreiten der Versuchsschwelle nicht gibt. Denn sonst müßte man konse- nähe und zur Konkretisierung der Zwischenaktstheorie. Mit der Entlassung des
quenterweise einen Erfolgseintritt im Vorbereitungsstadium für die Strafbarkeit Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des Täters ist aber der letzte Teilakt vor
wegen vollendeter Tat genügen lassen, was auf die dogmatisch und kriminalpoli- dem Erfolgseintritt bereits vollbracht, so daß es keiner weiteren Kriterien zur
tisch verfehlte Konstruktion einer „vorsätzlichen Ausführungshandlung ohne Vor- Ausschaltung unwesentlicher Zwischenschritte mehr bedarf. Hinsichtlich des zeit-
satz" hinausliefe. Wenn der Täter gerade schläft, als das Opfer in dem in Rn. 199 lichen Zusammenhanges ist außerdem zu bedenken, daß er schon beim unbeen-
geschilderten Fall zur Whiskyflasche greift, müßte er im Schlaf zum Mord anset- deten Versuch nicht in erster Linie mit dem Erfolg, sondern mit der Tatbestands-
zen. Das ist abzulehnen. handlung bestehen muß (vgl. schon Rn. 143): Wer mit Tötungsabsicht einem an-

222 Gösse/, J R 1976, 250.


223 Otto, J A 1980, 646. 225 Otto, JA 1980, 646.
224 G e g e n Herzberg, JuS 1985, 718. 226 OHO, JA 1980, 646.

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§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch — C.Vorbereitung und Versuch II § 29

deren das Aids-Virus appliziert, ist des Versuchs schuldig, auch wenn der Erfolg tungswidersprüchen kommen würde. Wenn es nämlich in unserem Beispiel den
erst nach längerer Zeit eintritt. Insofern ist es nur konsequent, im „Auf-den-Weg- Gepflogenheiten der Eheleute entspricht, daß die Frau das Essen auftischt, würde
Bringen" eines Kausalverlaufes, der ohne weiteres Zutun des Täters in den Erfolg das Vergiften der Suppe noch nicht ihre letzte aktive Handlung sein. Es läge darin
einmündet, einen Versuch zu sehen. also nur eine unbeendete Vorbereitung, so daß erst im Servieren der Suppe ein Tö-
204 Der Unterschied in der Abgrenzung beim beendeten und beim unbeendeten tungsversuch gesehen werden könnte. Über Strafbarkeit und Straflosigkeit kann
Versuch liegt also weniger im zeitlichen Zusammenhang als darin, daß beim be- in einem solchen Falle vernünftigerweise nicht danach entschieden werden, ob der
endeten Versuch der Kausalverlauf die Opfersphäre noch nicht erreicht zu haben Täter oder das Opfer die vergiftete Suppe auf den Tisch stellt, zumal das oft von
braucht. Dieses „Minus" wird aber ausgeglichen durch ein „Plus" in der Hand- Zufälligkeiten abhängt, die keinem der Beteiligten vorher bekannt sind. Auch der
lungsdurchführung, die mit der Entlassung des Geschehens aus dem eigenen Täter wird dieser Frage im Hinblick auf die eigene Strafbarkeit keine Bedeutung
Herrschaftsbereich abgeschlossen und einer selbsttätigen Weiterentwicklung un- beimessen. Mit Recht sagt Jakobs227: „Wenn ein Täter für sein Opfer, dessen Ein-
terworfen ist, während der Täter des unbeendeten Versuchs das Geschehen immer treffen erst in einigen Stunden erwartet wird, ein vergiftetes Getränk griffbereit
noch in der Hand hat. Die Tatbestandsnähe, die nicht auf eine räumliche Bezie- zur Selbstbedienung hinstellt, aber eingriffsfähig am Ort verweilt, während ein
hung reduziert werden darf, erreicht daher bei wertender Betrachtung in beiden anderer Täter sich zur Verfügung hält, ein vergiftetes Getränk sofort bei Ankunft
Fällen denselben Grad, in dem die Distanz zur Opfersphäre durch die Dynamik seines Opfers zu servieren, so läßt sich keine Begründung dafür geben, daß wohl
einer eigenläufigen Finalität kompensiert wird. im ersten Fall Versuch vorliegen soll (der Täter hat alles getan, das Opfer soll sich
selbst bedienen), nicht aber im zweiten (es muß noch serviert werden)."
b) Auseinandersetzung mit der Lehre vom Abschluß der Täterhandlung Der Einwand, hier werde nun doch auf das Ansetzen des Opfers abgestellt und 208
als dem maßgebenden Zeitpunkt der sonst abgelehnten Lehre, die diesen Gesichtspunkt zur Versuchsabgrenzung
205 In den meisten Fällen (Absenden des Erpresserbriefs, Einbau der Höllenmaschi- benutzt (vgl. Rn. 193,196 ff.), eine Konzession gemacht, wäre irrig. Denn Fälle, in
ne) wird die Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des Täters zu- denen der Täter nach Abschluß seiner Handlung das Geschehen noch unter Kon-
gleich seine letzte aktive Handlung sein, so daß die hier vertretene Auffassung trolle hat, sind aus Begehung (in unserem Fall: der Vergiftung der Suppe) und
dann mit der Ansicht übereinstimmt, die den Versuchsbeginn auf die Beendigung Unterlassung (ihres Wegschüttens) zusammengesetzt.228 Das letzte deliktische
Verhalten des Täters ist die Unterlassung der Gefahrenbeseitigung. Der Versuch
der Täterhandlung ansetzt. Anders ist es aber in dem Fall, daß ein in der Obhuts-
dieser Unterlassung und damit das Ansetzen zur Tötung beginnt aber erst, wenn
sphäre des Täters zunächst „stagnierender" Kausalverlauf angelegt wird. So verhält
der Mann zur Suppe greift. Der Sachverhalt ist also strukturell, weil es sich um ein
es sich z.B., wenn eine Frau, die ihren Mann umbringen will, ihm eine vergiftete
Ansetzen durch Unterlassen handelt (dazu Rn. 266 ff), mit den Fällen der Entlas-
Suppe kocht, die sie einstweilen auf die Wärmeplatte stellt, bis der Mann am
sung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des Täters nicht zu vergleichen.
Abend von der Arbeit kommt und sich den Suppentopf holt. In diesem Fall hat
Andere Einwände gegen die Alternativ-Formel gründen sich auf die Annahme, 209
die Frau, bis der Mann erscheint und sich die Suppe auftischt, den Kausalverlauf
daß das Kriterium der Entlassung des Geschehens aus dem eigenen Herrschafts-
noch völlig unter Kontrolle. Sie kann ohne Aufwand und Aufsehen die Suppe je-
bereich zu große Abgrenzungsprobleme mit sich bringe. Auch wer sich vom Ort
derzeit wegschütten mit der Wirkung, daß dann beim Erscheinen des Mannes
des Geschehens entfernt habe, könne den von ihm in Gang gesetzten Kausalver-
nichts geschehen ist.
lauf oft noch anhalten, etwa durch eine erfolgvereitelnde Rückkehr, durch eine
206 Bei Konstellationen solcher Art ist erst eine Vorbereitungshandlung gegeben,
telefonische Warnung oder durch Entsenden von Rettern. 229 Abgrenzungspro-
solange das Opfer sich noch außerhalb der Wirkungsmöglichkeit des Tatmittels
bleme gibt es aber im Recht überall, und sie sind hier leichter lösbar als bei ande-
befindet, d.h. in unserem Beispiel: solange der Mann sich noch nicht zum Essen
ren Abgrenzungen (wie Vorsatz/Fahrlässigkeit, Täterschaft/Teilnahme). Wenn die
anschickt. Denn der Täter hat, obwohl er dem Geschehen nur seinen Lauf zu las-
Frau z. B. nach Bereitung der vergifteten Suppe zum Einkaufen geht, aber bis zur
sen brauchte, den Gang der Dinge noch genauso in der Hand wie bei einem unbe-
Heimkehr des Mannes längst wieder zu Hause ist, behält sie die Kontrolle über das
endeten Versuch. Wenn bei diesem erst der enge zeitliche Zusammenhang und die
Geschehen, so daß auch während des Einkaufens und nach der Rückkehr bis zur
Einwirkung auf die Opfersphäre den Versuchsbeginn bezeichnen, sollte es hier
Mahlzeit des Mannes erst eine Vorbereitung vorliegt. Wenn sie sich aber beim
nicht anders sein. Erst wenn in unserem Beispiel der Mann zum Essen ansetzt, be-
Nachhausekommen ihres Mannes an einem fremden Ort aufhält und ihn nur
ginnt also der Versuch. Denn erst jetzt wirkt die Frau auf seine Körperintegrität
ein, deren Beeinträchtigung zeitlich ganz nahe gerückt ist. 227 Jakobs, A T 2 , 25/72.
207 Derartige Fälle sollten auch deshalb in der Versuchsabgrenzung denen des unbe- 228 Jakobs, A T 2 , 25/72.
229 Vgl. e t w a Otto, J A 1980, 645; Vehling, 1991,107.
endeten Versuchs gleichgestellt werden, weil es sonst zu unverständlichen Wer-
401
400
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch II § 29
durch eine telefonische Warnung eventuell noch retten könnte, ist schon mit dem Polizei ging davon aus, die Einbrecher könnten in den folgenden Tagen noch einmal zurück-
Verlassen des Hauses ein Versuch gegeben. Denn ein solcher Telefonanruf birgt ein kehren, „um die zum Abtransport bereitgestellte Diebesbeute abzuholen". Zu deren Ergreifung
erhöhtes Risiko (der eigenen Entlarvung wie des Mißlingens) in sich, so daß auch hielten sich in der Nacht vom 8. auf den 9.3. vier Polizeibeamte im Haus auf. Der Angeklagte
hatte schon am Nachmittag des 8. März aus Verärgerung über den Einbruch eine Flasche mit
ein Unterlassungsversuch schon mit dem Fortgang aus dem Hause angesetzt wer- der Aufschrift „Echter Hiekes Bayerwaldbärwurz" im Hausflur aufgestellt und diese mit einem
den muß. Eine gelungene Warnung wäre daher nur ein freiwilliger Rücktritt und Gift gefüllt, von dem schon geringste Mengen tödlich wirken konnten. Ihm war klar, daß die
Einbrecher möglicherweise aus dieser Flasche trinken könnten. Er klärte die Polizei, um sie
würde am Vorliegen eines Versuchs nichts ändern. 230
vor einer Gefährdung durch das Gift zu schützen, bald nach deren Eintreffen über den Inhalt
210 Der hier vertretenen Auffassung nähert sich die Lehre von Tröndle (oben Rn. 181), der nach der Flasche auf, die aber bis zum nächsten Morgen im Hausflur stehenblieb.
Abschluß der Täterhandlung wenigstens dann noch keinen Versuch annimmt, wenn der Täter
sich vorbehält, die Gefahr noch rechtzeitig zu beseitigen. Aber seine These, daß in diesem Fall Die Frage, ob hier ein versuchter Mord an den Einbrechern vorliegt, ist auf der 214
noch kein Tatentschluß vorliege, ist nicht überzeugend, weil sie jede Abgrenzung zwischen Grundlage der oben (Rn. 195) entwickelten „Alternativ-Formel" zu verneinen. 231
einem fehlenden Tatentschluß und einem bloßen Rücktrittsvorbehalt (dazu Rn. 85, 87 ff.) ver-
missen läßt. Richtigerweise ist das Bereitstellen einer vergifteten Suppe schon eine so ziel- Denn eine unmittelbare Gefährdung der Einbrecher, die nicht zurückgekehrt
strebige Vorbereitungshandlung (dazu Rn. 93), daß man darin einen überwiegenden Tatbege- sind, ist niemals eingetreten. Und eine Entlassung des Geschehens aus dem
hungswillen und einen Tatentschluß erblicken muß. Erst recht ist das beim Verlassen der Woh- Herrschaftsbereich des A kann ebenfalls nicht angenommen werden, weil davon
nung unter dem Vorbehalt einer eventuellen späteren telefonischen Warnung der Fall. Auch ist
die Annahme nicht praktikabel, daß beim Vergiften der Suppe, die der Täter gleichwohl noch auszugehen ist, daß nur mit einer nächtlichen Rückkehr der Einbrecher gerechnet
in seiner Obhut hat, ein Versuch vorliegt, wenn er entschlossen ist, „nichts mehr zu ändern". wurde und daß zu dieser Zeit die zum Schutz des Eigentums von A bereitgestell-
Denn ein solcher rein innerer Vorgang entzieht sich forensischer Feststellung und meist sogar ten Polizisten das Austrinken der Flasche verhindert hätten (selbst bevor sie deren
der Reflexion des Täters. Auf jeden Fall brauchte er nur — und das wird immer unwiderleglich
sein - zu behaupten, er habe sich ein Wegschütten der Suppe vorbehalten, und auch Tröndle Inhalt kannten). 232
müßte zu einem Freispruch kommen, der im Ergebnis berechtigt ist, aber aus dem Vorberei- Das Urteil hat zahlreiche Stellungnahmen hervorgerufen, 233 die seinem Ergeb- 215
tungs-Charakter der Handlung zu begründen wäre.
nis meist zustimmen, in der Begründung aber entsprechend den unterschiedlichen
211 Ähnlichkeit mit der hier vertretenen Konzeption hat auch die von J. Meyer befürwortete
„Zwangsläufigkeitstheorie" (vgl. Rn. 194). Danach liegt ein Versuch vor, wenn der Täter „nach Auffassungen der Literatur (oben Rn. 192 ff.) sehr unterschiedliche Wege einschla-
seiner Vorstellung eine Kausalkette in Gang gesetzt hat, die gewissermaßen mit tödlicher gen. Hier soll nur die Lösung des BGH analysiert werden.
Sicherheit - die eigene Untätigkeit schon aufgrund seines Tatentschlusses vorausgesetzt - zum Der BGH will die für den Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft geltenden 216
Erfolg führen wird". Diese These wird i. d. R. die Bejahung eines Versuchs nahelegen, wenn
der Täter den Geschehensverlauf aus seinem Herrschaftsbereich entlassen hat. Ihr ist nur entge- Regeln (Rn. 234 ff.) zutreffend auch auf Zweipersonenverhältnisse anwenden
genzuhalten, daß es eine „tödliche Sicherheit" nicht gibt. Es kann immer etwas dazwischen- (BGHSt 43, 180): „Die für Fälle mittelbarer Täterschaft entwickelten Grundsätze
kommen, und da dies auch ein mit der Beschaffenheit des Weltlaufs vertrauter Täter weiß, gelten auch, wenn - wie hier - dem Opfer eine Falle gestellt wird, in die es erst
kann von der Vorstellung einer „tödlichen" Erfolgssicherheit auch der Versuch nicht abhängen.
Einen Versuch könnte sonst nur begehen, wer in törichter Realitätsblindheit die möglichen durch eigenes Zutun geraten soll." Die vermeintliche Anwendung dieser Grund-
Mißlingensgründe übersieht. Das hätte keinen Sinn. Es muß also für den Versuch die vom sätze führt ihn dann aber zu einer gegenüber der in Bezug genommenen Rspr. so
Vollendungsvorsatz getragene Entlassung des Geschehens aus dem eigenen Herrschaftsbereich neuartigen Lösung, daß sie selbständiger Diskussion bedarf.
genügen, auch wenn der Erfolg, wie bei fast jedem Deliktsversuch, nicht „todsicher" ist. An-
dererseits muß der Versuch im Gegensatz zur Auffassung Meyers verneint werden, solange der Im entscheidenden Passus heißt es (aaO., 181): „Zwar setzt der Täter bereits zur 217
Täter ohne Einwirkung auf die Opfersphäre das Geschehen noch voll unter Kontrolle hat. Es Tat an, wenn er seine Falle aufstellt, doch wirkt dieser Angriff auf das geschützte
kann dann nicht anders sein als beim unbeendeten Versuch (vgl. Rn. 206 f.)
Rechtsgut erst dann unmittelbar, wenn sich das Opfer in den Wirkungskreis des
vorbereiteten Tatmittels begibt." Das erscheint zunächst als ein deutlicher An-
3. Zur Rechtsprechung des BGH schluß an die hier abgelehnte Auffassung, daß der Versuchsbeginn bei abgeschlos-
212 Während über den Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft in Drei-Perso- sener Täterhandlung immer erst bei einer unmittelbaren Gefährdung des Opfers
nen-Verhältnissen schon seit den Zeiten des RG eine reichhaltige, wenn auch eintritt - eine Auffassung, die die Rspr. zur mittelbaren Täterschaft keineswegs in
inhomogene Rspr. vorliegt (näher Rn. 234 ff.), ist der Sachverhalt, daß das Opfer dieser Eindeutigkeit vertritt (vgl. Rn. 234 ff).
selbst der ahnungslose Tatmittler sein sollte, zum ersten Mal im Jahre 1997 grds.
entschieden worden.
213 Fall 28 (BGHSt 43,177): Der angeklagte Apotheker (A) war von Einbrechern heimgesucht 23i Näher zu dem Fall meine Anm. in JZ 1998, 209.
232
worden, die in seiner Küche „Flaschen mit verschiedenen Getränken" ausgetrunken und „Ge- Anders interpretiert den Sachverhalt Böse, JA 1999, 342 (345), der jedoch im übrigen
räte der Unterhaltungselektronik in das Dachgeschoß verbracht" hatten. Die benachrichtigte der hier vertretenen Abgrenzungsformel folgt. Für Versuch auch Guhra, 2002,13l ff.
233
Beier, JA 1999, 771; Böse, JA 1999, 342; Gössel, J R 1998, 293; Guhra, 2002, lllff.; Herzberg,
230 Roxin-FS, 2001, 755; Joecks3, §22, Rn.l8; Kudlich, JuS 1998, 598; Martin, JuS 1998, 273; Otto,
Ganz ähnlich auch die Lösung bei Jakobs, AT , 25/73. Die Abgrenzung ist also nach den NStZ 1998, 243; Murmann, 1999, 20ff.; Roth, JuS 1998, Uli; Roxin, JZ 1998, 2ll; Streng, Zipf-
Regeln des Unterlassungsversuchs vorzunehmen; dazu näher Rn. 271 ff. FS, 1999, 330; Wolters, NJW 1998, 578.
402
403
§ 29 II 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
§ 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch II § 29
218 Dann aber betritt das Urteil mit einer überraschenden Wendung ganz neue Bah-
kreis des Tatmittels begeben wird, wenn ihm aber nachträglich Zweifel kommen?
nen (aaO., 181): „Ob das der Fall ist" - d.h. ob ein Eintritt des Opfers in den Wir- Soll dann der Versuch wieder in das Vorbereitungsstadium zurückfallen? Nimmt
kungskreis des Tatmittels vorliegt — „richtet sich nach dem Tatplan. Steht für den man die vorgetragenen Einwände in ihrer Gesamtheit, wird man sagen müssen,
Täter fest, das Opfer werde erscheinen und sein für den Taterfolg eingeplantes Ver- daß BGHSt 43, 177 wenig zur Klärung der Frage beigetragen hat, wann bei be-
halten bewirken, so liegt eine unmittelbare Gefährdung (nach dem Tatplan) bereits endeter Täterhandlung der Versuch beginnt.
mit Abschluß der Tathandlung vor ... Hält der Täter — wie hier — ein Erscheinen
Wenige Monate später hat derselbe (1.) Senat den vergleichbaren Sachverhalt 223
des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittels hingegen für lediglich möglich, aber
einer „Sprengfalle" entschieden.234 Hier hatten die Täter bei zwei nacheinander
noch ungewiß ..., so tritt eine unmittelbare Rechtsgutsgefährdung nach dem Tat- durchgeführten Taten in die Autos ihrer in Aussicht genommenen Opfer Hand-
plan erst dann ein, wenn das Opfer tatsächlich erscheint, dabei Anstalten trifft, die granaten eingebaut, die beim Anfahren explodieren und die Fahrer töten sollten.
erwartete selbstschädigende Handlung vorzunehmen, und sich deshalb die Gefahr In beiden Fällen wurde die Granate vor der Explosion entdeckt.
für das Opfer verdichtet ... Dieses Stadium war im vorliegenden Fall noch nicht
Hier nimmt das Gericht - anders als in BGHSt 43, 177 - in beiden Fällen 224
erreicht."
Mordversuche an. Das ergibt sich aus der unterschiedlichen Situation und ist im
219 Das Ergebnis — kein Versuch — ist richtig, aber die Begründung dieser „Tatplan-
Ergebnis zutreffend. Aber auch die Begründung liest sich jetzt anders: „Sobald der
theorie" überzeugt nicht. Erstens leuchtet es nicht ein, daß der Versuchsbeginn bei Täter alles nach seiner Vorstellung ... Erforderliche getan hat, der Versuch also ge-
dolus directus und bei dolus eventualis ganz verschieden angesetzt wird. Bei gebenenfalls beendet ist, liegt grundsätzlich bereits ein Versuch der Tatbegehung
einem dolus directus soll schon das Hinstellen der Flasche zum Versuch führen, bei vor (vgl. Roxin, JuS 1979, 1, 9 f.). Ausnahmsweise ist dies zwar dann nicht anzu-
einem dolus eventualis dagegen erst der Griff der Flasche durch das Opfer. Das nehmen, wenn durch die Handlung des Täters das Opfer noch nicht unmittelbar
widerspricht dem Grundsatz, daß die Vorsatzformen gleich zu behandeln sind, gefährdet wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter eine Falle stellt, aber
wenn der Gesetzgeber nicht etwas anderes anordnet (ganz abgesehen davon, daß unklar ist, ob und wann sich das Opfer ihr nähern wird. 235 So lag der Fall hier je-
hier trotz Unsicherheit des Täters über die Realisierung des Planes sogar eine Ab- doch nicht. Bei beiden Attentaten waren sich die Täter bewußt, daß irgendwann
sicht vorlag). ein Fahrzeugführer erscheinen würde. Tatsächlich haben sie sich auch in beiden
220 Zweitens widerspricht diese Konzeption der gesetzlichen Vorgabe, daß die Ab- Fallen den mit Sprengfallen versehenen Kraftwagen so weit genähert, daß sie in
grenzung von Vorbereitung und Versuch auf der Grundlage des vom Täter vor- den unmittelbaren Wirkungsbereich dieser Fallen gelangt waren und das Auslösen
gestellten Sacherhalts nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmen ist. Wenn der Sprengfallen unmittelbar bevorstand."
jemand mit Tötungsabsicht eine Pistole auf einen anderen abfeuert, so ist das ein
Das Auffallende an dieser Entscheidung ist, daß sie jede Festlegung auf eine 225
Tötungsversuch, einerlei, ob er es als feststehend ansieht, daß sie geladen ist, oder
der miteinander streitenden Ansichten vermeidet. Sie scheint zunächst mit der
ob er es nicht genau weiß, sondern es darauf ankommen läßt. Ebensowenig kann
hier befürworteten Auffassung auf die Entlassung des Kausalverlaufs aus dem
die Abgrenzung nach Vorsatzarten in unserem Fall Einfluß auf die Versuchs- Herrschaftsbereich des Täters abzustellen und relativiert die Giftfallen-Entschei-
abgrenzung haben. dung BGHSt 43,177 als Ausnahme. Doch wird dann auch dessen Kriterium her-
221 Drittens trifft es auch nicht zu, daß die Gefährdung der Opfer - selbst nach der angezogen, indem darauf verwiesen wird, daß die Täter das Opfer mit Sicherheit
Vorstellung des Täters - von dessen Meinungen über die Wahrscheinlichkeit ihrer erwarteten. Schließlich wird aber auch noch auf die engste Auffassung zurück-
Wiederkehr abhing. Wenn die Einbrecher entschlossen waren, in das Haus zurück- gegriffen, wonach das Opfer in den Wirkungskreis des Tatmittels eingetreten sein
zukehren und sich dort an Getränken gütlich zu tun, ist ihre reale Gefährdung muß. Diese gleichzeitige Berufung auf ganz unterschiedliche Abgrenzungskon-
völlig unabhängig davon, ob der Angeklagte ihre Rückkehr für sicher oder nur zeptionen ist möglich, weil bei dem gegebenen Sachverhalt alle Auffassungen zur
für möglich hielt. Auch nach der Vorstellung des Angeklagten ist das nicht anders. Annahme eines Versuchs führen. Sie zeigt aber auch, daß der BGH von einer kla-
Denn er weiß natürlich, daß die Gefährdung der Einbrecher allein von deren Ent- ren Lösung noch weit entfernt ist. BGHSt 44, 41 läßt denn auch dahingestellt,
schlüssen und nicht von seinen Hypothesen darüber abhängt. „ob es beim beendeten Versuch in Fällen notwendiger Mitwirkung des Opfers
222 Auch die praktischen Ergebnisse, zu denen die Lösung des BGH führt, sind in darauf ankommt, daß nach dem Tatplan des Täters das Erscheinen des Opfers im
vielen Fällen unbefriedigend. Soll wirklich keinen Mordversuch begangen haben, Wirkungskreis des Tatmittels feststeht".
wer, um sich an den Qualen seiner Opfer zu weiden, eine mit Gift gefüllte
Schnapsflasche an einem öffentlichen Ort aufstellt, nur weil er nicht sicher ist, ob
überhaupt jemand aus der Flasche trinken wird? Und wie soll entschieden werden, 234 B G H N S t Z 1998, 294 (295). Dazu Herzberg, JuS 1999, 224; Krack, JuS 1999, 832; Schliebitz,
JA 1998, 833.
wenn der Täter es zunächst für sicher hält, daß das Opfer sich in den Wirkungs- 235
Hier wird auf BGHSt 43,177 Bezug genommen.
404
405
§ 29 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch III § 29

III. Der Beginn der Ausführung beim Versuch des mittelbaren Täters eine genaue Parallele. Sie führt zu dem Ergebnis, daß A in allen Varianten des Fal-
les 29 und in Fall 30 lediglich eine straflose Vorbereitungshandlung vorgenommen
1. Die widerstreitenden Auffassungen hat. Ein Versuch hätte erst vorgelegen, wenn die S und der K zur Injizierung der
226 Die Auffassungen zum Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft decken sich Spritze bzw. zur Transferierung des Vermögens angesetzt hätten. Man spricht hier
weitgehend mit denen bei beendeter Täterhandlung ohne Einsatz eines vom von einer „Gesamtlösung",237 weil die Handlung des mittelbaren Täters und des
Opfer unterschiedenen Tatmittlers. Das ist kein Zufall, sondern beruht auf einer Tatmittlers in der Weise als Einheit angesehen werden, daß das Handeln des Hin-
deutlichen strukturellen Parallelität. So, wie der Täter mit dem Einbau des termannes erst mit dem Abschluß der Mittlertätigkeit beendet ist: „Das Verhalten
Sprengkörpers in das Auto des potentiellen Opfers das Seine getan hat, hat auch des mittelbaren Täters und des Tatmittlers ist ... als .Gesamthandlung' zu sehen:
der mittelbare Täter mit dem „Losschicken" des Tatmittlers den letzten eigenen ,Der mittelbare Täter führt durch die Mittelsperson aus, nicht früher als diese? 238
Tätigkeitsakt vollzogen; man kann hier von einer Sonderform des beendeten Ver- b) Die Einwirkung auf den Tatmittler als Beginn des Versuchs
suchs sprechen. Daher wundert es nicht, daß die Argumente der streitenden Par- (Einwirkungstheorie, Einzellösung) 239
teien zum Teil dieselben sind wie beim beendeten Versuch; insoweit kann auf die
Nach dieser Auffassung beginnt der Versuch schon dann, wenn der mittelbare 229
vorhergehenden Ausführungen verwiesen werden (Rn. 192ff; 196ff). Anderer-
seits ist die Diskussion bei der mittelbaren Täterschaft aufgrund spektakulärer Täter auf den Tatmittler einwirkt. 240 In den Fällen 29 und 30 liegt also mit dem
Rechtsprechungsfälle (vgl. etwa Rn. 241) lebhafter und differenzierter. Auch Hinreichen der vergifteten Spritze an die S bzw. dem Engagement des K ein Ver-
bringt der Umstand, daß ein Tatmittler anders als ein ohne Einschaltung eines such vor. Wie der Fall 29 a zu beurteilen ist, ist undeutlich; man kann vom Stand-
Dritten „losgelassener" Kausalverlauf selbständig handelt, einige neue Gesichts- punkt dieser Lehre aus entweder das Hinlegen der Spritze241 oder ihre Abholung
punkte in die Debatte, die besonderer Würdigung bedürfen. durch S als maßgeblichen Zeitpunkt ansehen. Die Einwirkungstheorie ähnelt der
227 Die Meinungen sollen anhand zweier Beispiele verdeutlicht werden. Auffassung, die bei Distanzdelikten ohne Zwischenschaltung eines Dritten auf die
Beendigung der Täterhandlung abstellt (Rn. 194, 205 ff.); sie gleicht ihr aber nicht,
Fall 29: Der vom Patienten P als Universalerbe eingesetzte Arzt A, der rascher in den Besitz
des wertvollen Nachlasses kommen möchte, vergiftet die Beruhigungsspritze, die der P weil beim Fehlen eines Tatmittlers auf diesen nicht eingewirkt werden kann und
abends erhält, um auf diese Weise einen raschen Tod des P herbeizuführen. weil der Beginn der Einwirkung auch noch nicht die letzte Täterhandlung be-
a) Er legt die vergiftete Spritze am Morgen an eine bestimmte Stelle seines Arbeitszimmers,
von wo die Schwester S, die regelmäßig die Spritzen verabfolgt, sie am Spätnachmittag abzu- zeichnet. Man spricht hier von einer „Einzellösung", weil auf das Handeln allein
holen pflegt. des Hintermannes unter Ausschluß der Aktivität des Tatmittlers abgestellt wird.
b) Er gibt die Spritze persönlich der nichtsahnenden S mit der Bitte, sie dem P sogleich zu c) Die „Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich
injizieren. Diese macht sich auf den Weg und stürzt auf dem Krankenhausflur mit der Wir-
kung, daß die Spritze zerbricht und die Injektion unterbleibt. des mittelbaren Täters" als Kriterium für den Beginn des Versuchs
c) Schon als A der S die Spritze überreichen will, fällt sie ihm aus Versehen zu Boden und (modifizierte Einzellösung) 242
zerbricht, so daß es zu nichts weiterem kommt.
Diese Lehre überträgt die bei beendeter Täterhandlung ohne Einsatz eines vom 230
Fall 30: Der Vermögensverwalter A will seinen Auftraggeber V um das anvertraute Vermö-
gen bringen. Er begibt sich in einen exotischen Staat St und schickt einen an der Vermögens- Opfer unterschiedenen menschlichen „Werkzeuges" vorherrschende und hier be-
verwaltung unbeteiligten Komplizen K mit gefälschten Unterlagen und der Instruktion nach fürwortete Alternativ-Formel (Rn. 195, 196 ff.) auf die mittelbare Täterschaft und
Deutschland, das Vermögen des V nach St zu verschieben. K wird aber schon an der Grenze setzt den Beginn des Versuchs auf das „Losschicken" des Tatmittlers an. Dieser Zeit-
festgenommen.
punkt ist mit dem der Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des
a) Das Ansetzen des Tatmittlers als Beginn des Versuchs (Gesamtlösung) Täters identisch. Zu einer „Alternative", wie sie sonst bei beendeter Täterhandlung
228 Diese Auffassung entspricht der Lehre, die bei beendeter Täterhandlung ohne 237
Im Anschluß an Schilling, 1975, 11, wo auch der Begriff der „Einzellösung" geprägt
Einschaltung eines Dritten auf das Ansetzen des Opfers (sein Eintreten in den wird.
238
Wirkungskreis des Tatmittels) abstellt (vgl. Rn. 193, 196 ff.).236 Soweit dabei das Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 105, der mit dem letzten Satz Frank, StGB18, §43 IF 2 a
zitiert.
Opfer selbst als Werkzeug des Täters beurteilt wird (vgl. Rn. 197 f.), ergibt sich 239
Die Benennung als „Einwirkungstheorie" geht hier wie bei den zu d und e genannten
236
Lehren aufHillenkamp, 102001, 96 ff, zurück.
In diesem Sinne bei der mittelbaren Täterschaft u.a.: BGH NStZ 1998, 242; Eschenbach, 24
° Baumann, JuS 1963, 92 f.; Baumann/Weber, AT10, §36 I 4 a; Bockelmann, JZ 1954, 473 (=
Jura 1992, 645; Kadel, GA 1983, 299; Krack, ZStW 100 (1998), 611, 628; Kühl, JuS 1983, 180; Untersuchungen, 148); Bockelmann/Volk, AT4, §22 II 3 b, §27 VII 2 b; Maurach, AT4, §41II 5;
Küper, JZ 1983, 361; Maiwald, ZStW 88 (1976), 745; Maurach/Gössel, AT/27, 48/115 ff.; Otto, JuS ähnlich Puppe, JuS 1989, 363f.; Schilling, 1975,100ff., 112f.
1980, 645 f.; Stratenwerth, AT4, §12, Rn.l07f.; IM.10-Vogler, §22, Rn.104. Nahestehend: Herz- 241
In diesem Sinne wohl Herzberg, JuS 1985, 6.
berg, Roxin-FS, 2001, 749. Zu ähnlichen Lösungen kommt auch Rath, JuS 1999, 36, 43, indem 242
Die Bezeichnung als „modifizierte Einzellösung" findet sich bei Sch/Sch/Eser , § 22,
er auf die „Notwendigkeit einer tatbestandsspezifischen Verteidigungshandlung" abstellt. Rn. 54.
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§ 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch III § 29
§ 29 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
„Formeln" jedoch nicht einheitlich sind, bestehen zwischen den Vertretern dieser
vorliegt, wenn das Geschehen unter der Kontrolle des Täters verbleibt (Rn.
Auffassung mancherlei Abweichungen. Nach Eser2A7 kommt es „entscheidend auf
205 ff.), wird es hier nur selten kommen, weil die „letzte Täterhandlung" i. d. R.
das Gefährdungskriterium an". Danach liegt ein Versuch vor, wenn das auf den
mit der Aussendung des Tatmittlers zusammenfällt. Nur ausnahmsweise wird die
Weg gebrachte Werkzeug „ohne wesentliche Zusatzvorbereitungen die vorgesteu-
Täterhandlung, wie in Fall 29 a, schon vor der Einschaltung des Tatmittlers abge-
erte Tat nur noch zu vollenden braucht", während selbst „bei Ahnungslosigkeit des
schlossen sein. Sie bleibt dann, solange der mittelbare Täter das Geschehen unter
Werkzeugs Versuch so lange zu verneinen" ist, „als dieses nach der Vorstellung des
seiner Obhut behält, im Vorbereitungsstadium und wird zum Versuch erst, wenn
Hintermannes noch weitere Vorbereitungen treffen muß, um das Opfer zu gefähr-
der Tatmittler den weiteren Kausalverlauf „übernimmt". Auch in diesem Fall bleibt
den". Das entspricht weitgehend der „Zwangsläufigkeitstheorie" (vgl. oben
es aber dabei, daß der Versuch beginnt, wenn der Hintermann die Kontrolle über
Rn. 194), wie denn auch Eser davon spricht, daß das Geschehen bei Annahme eines
das weitere Geschehen verliert. Die „unmittelbare Gefährdung des Opfers"
Versuchs „gleichsam dem Naturkausalismus vergleichbar zwangsläufig zur Tataus-
kommt also - ohne einen zwischen Täter und Opfer eingeschalteten Tatmittler
führung kommen muß". Danach würde man wohl in Fall 29 einen Versuch anneh-
(Rn. 205 ff.) - als Alternative nicht vor. Diese heute „wohl vorherrschende"243
men und ihn in Fall 30 ablehnen müssen.
modifizierte Einzellösung244 muß in Fall 29 a und c zu einer bloßen Vorbereitung,
Nicht selten wird auch im Anschluß an Formulierungen der Rspr. (vgl. 233
in Fall 29 b und 30 dagegen zur Annahme eines Versuchs kommen.
Rn. 234 ff.) auf eine unmittelbare Gefährdung des Opfers abgestellt, diese dann
d) Die unterschiedliche Festsetzung des Versuchsheginns bei nichtdolosem aber außer im Ansetzen des Tatmittlers vor allem in der Entlassung des Geschehens
und dolosem Tatmittler (Differenzierungstheorie) aus dem Herrschaftsbereich des mittelbaren Täters erblickt, so daß eine solche
231 Diese Ansicht, die heute nur noch selten vertreten wird, früher aber weit ver- Auffassung dann der modifizierten Einzellösung sehr nahekommt. 248 Krüger2*9
breitet war, 245 folgt teils der Einwirkungstheorie bzw. der modifizierten Einzel- kommt im Anschluß an Zaczyk, aber unter Abweichung von dessen Ergebnis (vgl.
lösung, teils der Gesamtlösung. Bei nichtdolosem (nach einer Variante: gutgläubi- Fn. 204) zu der „offensten" Formulierung dieser „allgemeinen Theorie": „Der (un-
gem) Werkzeug soll die Einwirkung auf den Tatmittler (nach einer Modifikation: mittelbare wie der mittelbare) Täter setzt i. S. d. § 22 unmittelbar an, wenn er nach
das Losschicken des Tatmittlers) entscheiden, während es bei dolosem Tatmittler seiner Vorstellung von der Tat mit einer tatbestandsnahen Handlung das angegrif-
auf den Zeitpunkt ankommen soll, in dem der Tatmittler unmittelbar zur Tat- fene Rechtsgut ,in den Griff bekommt. Zur Beurteilung der Tatbestandsnähe ...
bestandsverwirklichung ansetzt. Folgt man dem, so liegt im Fall 29 ein Versuch im Einzelfall kann auf sämtliche zur Konkretisierung des § 22 entwickelte For-
vor (vielleicht mit Ausnahme der unter a geschilderten Konstellation), während in meln und Kriterien zurückgegriffen werden." Zu welchen praktischen Ergebnissen
Fall 30 erst eine Vorbereitung anzunehmen ist. das führt, bleibt freilich undeutlich.

e) Der Rückgriff auf die für den unbeendeten Versuch geltenden Regeln f) Zur Entwicklung der Rechtsprechung
(allgemeine Theorie)
Da eine exaktere Unterscheidung verschiedener „Theorien" zum Versuchsbe- 234
232 Weit verbreitet, aber uneinheitlich ausgeprägt ist auch die Meinung, daß es für
ginn bei mittelbarer Täterschaft erst etwa seit 1970 üblich geworden ist, läßt sich
den Beginn des Versuchs bei mittelbarer Täterschaft keiner speziellen Abgren-
die ältere Rspr. schwer einordnen. 250 Die Annahme, daß bei der mittelbaren Tä-
zungsregeln bedürfe, sondern daß man mit den Regeln auskommen könne, die
terschaft andere Abgrenzungstheorien als beim unmittelbaren Täter heranzuziehen
für den unbeendeten Versuch entwickelt worden sind (oben Rn. 121 ff.).246 Da die
seien, lag der Rspr. durchweg fern, so daß sie insoweit für die „allgemeine Theo-
rie" (Rn. 232 f.) in Anspruch genommen werden kann. Die konkreten Begrün-
2« Sch/Sch/Eser26, § 22, Rn. 54. dungen der Judikatur tendieren jedoch teils zur (modifizierten) Einzellösung
244
Sie ist von mir in meinem Beitrag zur Maurach-FS, 1972, 213ff., begründet worden;
vgl. ferner Roxin, JuS 1979,11 f.; ders., LK , § 25, Rn. 152. Dem haben sich angeschlossen: Burk- (Rn. 235), teils zur Gesamtlösung (Rn. 237), teils auch zu einer differenzierenden
hard, JuS 1983, 430; Herzberg, JuS 1985, 6; Jakobs, AT2, 21/105; Jescheck/Weigend, AT5, §62 IV 1; Auffassung (Rn. 229), so daß kaum klare Maßstäbe auszumachen sind. Erst die
Kratzsch, JA 1983, 585 f.; Puppe, JuS 1980, 348f.; SK6-Rudolphi, § 22, Rn. 20; Streng, ZStW 109 neuere Rspr. des BGH (Rn. 241-243) läßt eine deutliche Hinneigung zur modifi-
(1997), 862, 886; Tröndle/Fischer30, §22, Rn.21; Kessels/Beulke, AT31, Rn.613ff.; Zaczyk, 1989,
320 ff. Im wesentlichen auch Guhra, 2002,135 ff. (143).
2
« Blei, AT18, §72 II 4; Kohlrausch/Lange, StGB43, §43,Vorb. II 3; LK9 -Busch, §43, Rn.33;
2« Sch/Sch/Eser26, § 22, Rn. 54 a; ähnlich Wessels/Beulke, AT31, Rn. 614.
Seh/'Schröder17, §43, Rn.16; Welzel, StrafR11,191. Jakobs, AT2, 21/105, Fn. 198, bezeichnet eine 248
So etwa Tröndle/Fischer , §22, Rn. 21. Mit unterschiedlichen Nuancierungen im einzel-
solche Differenzierung bei Anerkennung eines vorsätzlichen und verantwortlichen „Werk- nen auch Haft, AT8, 230f.; Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 9; Maier, MDR 1986, 361.
2
zeugs" als sinnvoll. « Krüger, 1994,188.
246
Mit verschiedenen Differenzierungen vertreten von Gösse!, JR1976, 250; Maurach/Gössel, 250 Vgl. etwa die unterschiedlichen Beurteilungen bei Schilling, 1975, llff.; Krüger, 1994, 29.
AT/27, 48/84; Meyer, ZStW 87 (1975), 608; Otto, JA 1980, 645 f.; ders., AT6, § 21V 5 b; Seh/Seh/
Eser26, § 22, Rn. 54 a; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 105 f. 409
408
§ 29 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch III § 29

zierten Einzellösung erkennen, die im Ergebnis auch schon in der älteren Rspr. meinte jedoch, der Brief stünde „in einem so engen und zwangsmäßigen Zusam-
menhange mit der beabsichtigten Täuschung", daß er „bei natürlicher Betrachtung
vorherrscht. mit dieser eine einheitliche Handlung" bilde. Mit dem Brief soll also schon der
Mittler zur Täuschung ansetzen. Ein heutiger Vertreter def Gesamtlösung würde
aa) Das R G
dem schwerlich zustimmen. 2 5 1
235 Eine Anwendung der Einzellösung in Gestalt der Einwirkungstheorie wird
man in RGSt 53,11 erkennen können. Hier ging es u m die verbotene Ausfuhr von b b ) Der B G H
Leder, die durch Mittelsmänner erfolgen sollte. Dadurch, daß der Täter sich mit Der B G H hat die Rspr. des R G zunächst fortgeführt, aber in den Ergebnissen 238
dem Leder zum wartenden Kurier begab, sei es „auf den Weg gebracht und ein A n - deutlicher als diese eine ganz auf die Umstände des Einzelfalles zugeschnittene
fang mit der Bewegung gemacht worden, die das Leder unmittelbar über die „allgemeine Theorie" ( R n . 205 f.) befürwortet ( R n . 212 f.). Erst in den letzten bei-
Grenze schaffen sollte". Eine modifizierte Einzellösung läßt sich - freilich ohne den Entscheidungen bahnt sich ein Übergang zur modifizierten Einzellösung
theoretische Fundierung - in RGSt 53,45 angewandt sehen. Es handelte sich w i e - (Rn. 230) an ( R n . 241-243).
der u m eine verbotene Ausfuhr, diesmal von Gold, das durch zwei Mittelsmänner In BGHSt 3,110 ging es darum, daß eine Frau gegen ihren M a n n Anfang 1945 239
über die Grenze gebracht werden sollte. Hier wird in der Aushändigung der Gold- durch Anzeige und Beeidigung seiner regimekritischen Äußerungen ein Todesur-
stücke an den ersten Mittelsmann ein Anfang der Ausführung gesehen; denn da- teil erwirkt hatte, das dann aber nicht mehr vollstreckt wurde. Wie die A n n a h m e
mit „war das Gold auf den Weg gebracht; die Bewegung, die es über die Grenze einer mittelbaren Täterschaft begründet werden soll, wird nicht recht klar, weil
führen sollte, war eingeleitet und hatte begonnen". auch das Urteil (zutreffend) als rechtswidrig angesehen wurde. Jedenfalls sieht der
236 Mit der Differenzierungstheorie sympathisiert R G S t 66,141. Hier hatte der Tä- B G H unter der Prämisse mittelbarer Täterschaft der Frau in dem Todesurteil den
ter eine „Brandstiftungsanlage" in ein Wohnhaus eingebaut und dieses dann in „Anfang der Ausführung der von ihr gewollten rechtswidrigen Tötung"; das wird
dem Bewußtsein verlassen, „daß während seiner Abwesenheit zu Hause .irgend j e - damit begründet, daß die Vollstreckung der Verkündung „regelmäßig auf dem
mand' den Strom einschalten und daß dadurch das Haus in Brand geraten könne". Fuße" folgt. Hier wird also weder auf die Einwirkung auf den Tatmittler (die A n -
Hier sieht das R G bei Einschaltung eines gutgläubigen Mittelsmannes schon in zeige) oder die Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des Täters
der „Anbringung der Brandstiftungsanlage" einen beendeten Versuch: „Denn eine (die das Todesurteil zwangsläufig nach sich ziehende Beeidigung), noch auf den
. . . weitere Tätigkeit menschlicher, lediglich als Werkzeug in Betracht kommender Beginn der Hinrichtung abgestellt, wie es der Einzel- oder der Gesamtlösung ent-
Kräfte würde im Ergebnis mit einem Wirken von Naturkräften oder einem sonsti- sprechen würde ( R n . 229, 230, 228). Vielmehr wird ein mittlerer Zeitpunkt g e -
gen .zufälligen Ereignis' gleichbedeutend sein." Dabei wird der Anfang der Aus- wählt, von dem an eine unmittelbare Gefährdung des Opfers bejaht wird.
führung auf die Franksche Formel ( R n . 122) gegründet, so daß sich die Differen-
Fall 31 (BGHSt 4, 270): Der Angeklagte fertigte nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens 240
zierung also der „allgemeinenTheorie" einfügt. Im Ergebnis wiederum stimmt die über sein Vermögen eine Warenbestandsliste an, die einen weit größeren Warenbestand aus-
Entscheidung völlig mit der „modifizierten Einzellösung" ( R n . 230) überein. wies, als er in Wirklichkeit besaß. Er wollte damit bei den bevorstehenden Vergleichsverhand-
D e n n der Täter hatte das Geschehen aus seinem Herrschaftsbereich entlassen. lungen die Gläubiger zum Abschluß eines Vergleichs veranlassen und sie von weiteren Zugrif-
fen auf sein Vermögen abhalten. Die gefälschte Liste legte er dem Vergleichsverwalter vor, der
237 Andere Entscheidungen des R G entsprechen in der B e g r ü n d u n g mehr der G e - ihren Inhalt in der Gläubigerversammlung vortragen sollte.
samtlösung, stehen aber im Ergebnis der Einzellösung nahe. In RGSt 59, 1 hatte
die Angeklagte ihre Schwiegertochter vergiften wollen, indem sie einem Pfeffer- In dieser Entscheidung wird unter Auseinandersetzung mit der Literatur die
minztee, den die Mutter der kranken Tochter bringen wollte, heimlich „einen R G - R s p r . erstmals programmatisch i. S. d. „allgemeinen Theorie" ( R n . 232 f.) i n -
Aufguß von Nachtschattenbeeren" zusetzte. Darin sieht das R G einen Versuch terpretiert und für richtig erklärt: „Zur A n n a h m e eines Versuchs bei Benutzung
nach § 229 a. F. (heute § 224 I Nr. 1), weil „die Bereitstellung des Tranks als B e - eines Tatmittlers ist es nicht erforderlich, daß der Tatmittler stets selbst tätig wird.
standteil der Ausfuhrungshandlung angesehen werden" müsse. Die modifizierte Die Fälle sind nach den allgemeinen Regeln über die Abgrenzung des Versuchs
Einzellösung würde zum selben Ergebnis fuhren, weil sich der Tee bereits im G e - von der Vorbereitung zu lösen" (aaO., 273). Das führt dann zu Ergebnissen, die
wahrsam des gutgläubigen Tatmittlers befand. Ein deutliches Auseinanderklaffen ganz von den Umständen des Einzelfalles abhängen:
von Ergebnis und B e g r ü n d u n g zeigt RGSt 77,172. Danach kann der Versuch eines
Betruges „schon darin liegen, daß der Täter einen Brief an einen i h m unbekannten 251 Vgl. ferner RG H R R 1942, Nr. 229 im Anschluß an RGSt 44, 69 (71), wo besonders
deutlich die Gesamtlösung vertreten wird: „Die Handlungen des Mittlers sind ..., soweit sie
Dritten schreibt, u m diesen als Werkzeug für die beabsichtigte Täuschung zu g e - dem Vorsatz des eigentlichen Täters entsprechen, als Handlungen des letzteren anzusehen." Im
winnen". Diese sehr weite Vorverlagerung des Versuchsbeginns läßt sich nach heu- Ergebnis steht aber auch diese Entscheidung der Einzellösung nahe. Zur Einzellösung auch in
tigen Begriffen nur mit der Einwirkungstheorie ( R n . 229) begründen. Das R G der Begründung tendiert RGSt 70, 212 ff.

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§ 29 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch III § 29
„Danach kann die Beeinflussung des gutgläubigen Tatmittlers eine bloße Vorbereitungs- dem Boden Deckung gesucht hatte. Der Fahrer startete zwar den Motor, ver-
handlung sein, wenn erst beim Hinzutreten weiterer Umstände oder nach längerer Zeit eine
Wirkung gewollt war; sie kann Anfang der Ausführung sein, wenn das Rechtsgut bereits un- zögerte aber das Losfahren, bis der Polizist sich in Sicherheit gebracht hatte. Auch
mittelbar gefährdet ist. Wenn der Angeklagte beispielsweise die gefälschte Aufstellung dem hier hat der BGH einen Tötungsversuch angenommen und darauf hingewiesen,
Vergleichsverwalter in die Unterlagen hineinlegte, die dieser für seinen unmittelbar bevorste- daß die Formel von der „Entlassung aus dem Einwirkungsbereich" Fälle wie den
henden Vortrag bereitgelegt hatte, liegt schon der Anfang einer Täuschungshandlung durch
den Angeklagten vor; dagegen ist es eine Vorbereitungshandlung, wenn der Täter die falschen vorliegenden nicht aus dem Bereich des Versuchs ausschließen soll. „Entscheidend
Unterlagen dem Vergleichsverwalter nur zugänglich machte, ohne absehen zu können, ob da- ist, ob der mittelbare Täter die nach seiner Vorstellung erforderliche Einwirkung
von in absehbarer Zeit Gebrauch gemacht wird. Eine Gefährdung ist zwar im ersten Fall, nicht abgeschlossen hat." Das ist eine durchaus richtige Interpretation der modifizierten
aber im zweiten Fall gegeben, wo viele Möglichkeiten bestehen, daß der Vergleichsverwalter
die unrichtigen Angaben überprüft, entdeckt oder überhaupt nicht verwertet" (aaQ, 273 f.). Einzellösung. Daß die Drohung noch andauerte, änderte, wie der BGH mit Recht
sagt, nichts daran, daß der Hintermann „mit Drohung und Aufforderung das Tat-
241 Fall 32 (BGHSt 30, 363): geschehen aus der Hand gegeben" hatte; „es lag jetzt allein bei K, der Aufforde-
a) Der Angeklagte wollte seinen Nebenbuhler mit giftiger Salzsäure töten und spiegelte ei-
nem Mittelsmann G, der dem Opfer die Salzsäure verabreichen sollte, vor, es handele sich um rung zu entsprechen und loszufahren".
ein harmloses Schlafmittel. G ließ sich täuschen, öffnete auf dem Weg zum Opfer jedoch die
Flasche aus Neugier. Er erkannte, daß es sich um eine giftige Säure handelte, und nahm von
der Tat Abstand. 2. Zur Begründung der modifizierten Einzellösung
b) Später händigte der Angeklagte dem A eine hochgiftige Flüssigkeit aus, mit der dieser
den Nebenbuhler anspritzen sollte. Dabei schwindelte er ihm vor, es handelte sich um essig- a) Die Entlassung aus dem Herrschaftsbereich des mittelbaren Täters
saure Tonerde. A durchschaute den Angeklagten, ging nur zum Schein auf den Plan ein und als maßgebliches Abgrenzungskriterium
übergab die Flasche der Kriminalpolizei.
Es liegt von vornherein nahe, die Lösung, die für den Fall der beendeten Täter- 244
242 Die Entscheidung ist die meistdiskutierte zum Thema „Versuch bei mittelbarer handlung ohne Einschaltung eines Tatmittlers als richtig erkannt wurde
Täterschaft"252 und zeigt den BGH auf dem Wege zu einer Neuorientierung. Das (Rn. 196 ff.), auf die mittelbare Täterschaft zu übertragen (vgl. schon Rn. 226).
Gericht nahm in beiden Fällen einen Versuch in mittelbarer Täterschaft an: einer Denn wenn die Einwirkung auf den Tatmittler in der Weise abgeschlossen ist, daß
Tötung in Fall 32 a, einer schweren Körperverletzung in Fall 32 b. Dabei wird dieser nun selbständig (bewußt oder unbewußt) den Tatbestand verwirklichen
zwar grds. an der „allgemeinen Theorie" festgehalten, indem „ein derartiger un- soll, liegt aus der Sicht des Hintermannes ebenfalls ein beendeter Versuch vor. Ob
mittelbarer Angriff auf Leben und Gesundheit des Tatopfers" bejaht wird, „daß das weitere Geschehen durch das bloße Kausalwerden äußerer Faktoren zum Er-
dieses bereits gefährdet war und der Schaden sich unmittelbar anschließen konnte" folge geführt wird oder ob dazu Handlungen des ahnungslosen Opfers oder
(aaO., 366). Die unmittelbare Gefährdung wird dann aber ohne Rückgriff auf die „menschlicher Werkzeuge" mitwirken, ist aus der Sicht des Hintermannes gleich-
Einzelfallerwägungen von BGHSt 4, 270 auf den Zeitpunkt der Entlassung des gültig. Mit Recht sagt Herzberg;253 „Die Explosion einer Höllenmaschine kann
Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des Täters angesetzt: „Denn wer die Tat man durch Einstellung eines Zeitzünders vorprogrammieren, ebenso aber durch
durch einen anderen begehen will ..., setzt zur Verwirklichung des Tatbestandes Beauftragung eines Kindes, zu bestimmter Zeit auf ein Fernsteuerungsgerät zu
... unmittelbar an ..., wenn er den Tatmittler zur Tatausführung bestimmt hat drücken. Richtet der Tater nun seine Tat einmal so, einmal anders ein und hat er
und ihn aus einem Einwirkungsbereich in der Vorstellung entläßt, daß er die tat- vom Zeitpunkt der Explosion beide Male die gleichen, mehr oder weniger ge-
bestandsmäßige Handlung nunmehr vornehmen werde ..." Das führt auch in Fall nauen Vorstellungen, so kann man über den Beginn seines Versuches zwar streiten,
32b zur Konsequenz des Versuchs; denn da es nur auf die Vorstellung des mittel- ihn aber nur einheitlich markieren." Nimmt man also im ersten Fall einen Versuch
mit der Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des Täters an, muß
baren Täters ankommt, kann der Umstand, daß der Tatmittler ihn durchschaute,
man es konsequenterweise im zweiten Fall auch tun.
am Ansetzen des Hintermannes nichts ändern. In der Sache entspricht die Ent-
scheidung durchaus der modifizierten Einzellösung (Rn. 230), deren Begrifflich- Kadel hat gegen das Kriterium der Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbe- 245
keit („Entlassung aus dem Einwirkungsbereich") übernommen wird. reich des Täters eingewendet, es widerspreche der Tatherrschaft des Hintermannes, mit .der
dessen mittelbare Täterschaft begründet werde: Der Hintermann könne nicht die Tatherrschaft
243 Die letzte einschlägige Entscheidung des BGH (NStZ 1986, 547) überträgt die aus der Hand geben und sie gleichzeitig behalten. Aber das ist ein MißVerständnis: Mit der
Grundsätze von BGHSt 30, 363 auf den Fall eines genötigten Tatmittlers. Der An- Entlassung des Tatmittlers aus seinem Einwirkungsbereich verliert der mittelbare Täter die
Handlungsherrschaft; er behält aber die Willensherrschaft. Kadel vermengt also verschiedene
geklagte hatte den Fahrer K eines Wagens mit vorgehaltener Pistole zu veranlassen Kategorien der Tatherrschaft.255
versucht, loszufahren und einen Polizisten zu überrollen, der vor dem Auto auf
253
Herzberg, ]uS 1985, 4.
252 Ausführlich dazu Herzberg, JuS 1985,1; Kadel, GA 1983, 299; Kühl, JuS 1983,180; Küper, 254 Kadel, G A 1983, 299 (307).
JZ1983, 361. 255 Gegen Kadels A r g u m e n t a t i o n treffend auch Herzberg, J u S 1985, 3, Fn. 18.
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§ 29 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch III § 29

246 Ebenso deutlich ist die strukturelle Parallele und die Angemessenheit einer ein- Die Gesamtlösung verstrickt sich zudem in unlösbare Schwierigkeiten hinsieht- 248
heitlichen Lösung in den Fällen, in denen der mittelbare Täter sein Handeln zwar lieh der vom Gesetz geforderten „Vorstellung" des Täters. 2 6 0 Teilweise wird auf die
abgeschlossen, das Geschehen aber noch unter seiner O b h u t hat. Wenn der Arzt Vorstellung des mittelbaren Täters abgestellt, 261 wie dies auch allein dem Gesetzes-
die vergiftete Spritze (Fall 29 a, R n . 227) oder der Schuldner die gefälschten U n - wortlaut entspricht; denn nur er und nicht der Mittler ist Täter. Aber diese Lösung
terlagen (Fall 31, R n . 240) in ihrem Z i m m e r zur späteren Abholung bereitlegen, ist deshalb unmöglich, weil der Hintermann in den meisten Fällen nicht weiß und
sprechen alle Argumente, die bei beendeter Täterhandlung ohne Tatmittler die auch nicht wissen kann, in welchem M o m e n t der Tatmittler ansetzt (vgl. schon
Annahme einer bloßen Vorbereitung begründen ( R n . 205 ff), bei einer geplanten R n . 199). Wenn er sich darüber keinerlei Gedanken macht, würden wir ein Anset-
mittelbaren Täterschaft ebenfalls für diese Lösung. zen ohne „Vorstellung" des Täters haben, was mit dem Gesetzeswortlaut nicht zu
vereinbaren ist. Macht er sich dagegen falsche Gedanken (er glaubt an ein Anset-
Alle übrigen Abgrenzungslehren erweisen sich demgegenüber als nicht zutref-
zen des Tatmittlers, während dieser erst am nächsten Tage handeln will), so fällt
fend.
der Versuchsbeginn auf einen beliebigen Zeitpunkt und wird jedenfalls von der
b) Zur Gesatntlösung Handlung des Tatmittlers, auf die es nach der Gesamtlehre a n k o m m e n soll, völlig
247 Die wesentlichen Argumente gegen diese Lehre gelten schon für Distanzdelikte abgelöst. Das geht also auch nicht.
ohne Tatmittler ( R n . 196ff.): 256 sie werden hier nicht wiederholt. Ein zentrales Kiiper262 will dieser Fiktion dadurch entgehen, daß er die Vorstellung des Tat- 249
„Zusatzargument" der Gesamtlösung liegt in der These, daß dem Hintermann das mittlers für maßgebend erklärt. Aber das ist ein noch krasserer Verstoß gegen den
Tun des Mittlers als eigene Handlung zugerechnet werde, so daß er erst durch das Gesetzeswortlaut: D e n n man kann dem Hintermann zwar von i h m beherrschte
Handeln des Tatmittlers selbst ansetze. 257 Der Gedanke, daß dem Tatmittler das Kausalverläufe zurechnen, mögen diese auch in menschlichen Handlungen b e -
Verhalten des „Werkzeugs" zugerechnet wird, ist — in bestimmten Grenzen — rich- stehen; aber man kann i h m nicht Vorstellungen unterschieben, die er gar nicht
tig; aber er trägt nicht die daraus gezogene Folgerung. 2 5 8 D e n n zwar wird dem hat. Dazu k o m m t das weitere Problem, daß im bei weitem häufigsten Fall des gut-
Hintermann auch das Verhalten des Tatmittlers zugerechnet, soweit es den Vorga- gläubigen Tatmittlers dieser mangels Vorsatz nicht in der Lage ist, nach seiner Vor-
ben des mittelbaren Täters entspricht (nicht weiter!). 2 5 9 Aber es ist für ihn ein stellung zur Verwirklichung des Tatbestandes anzusetzen. D e n n er will überhaupt
Kausalverlauf, der sich von anderen Kausalverläufen, die er in Gang gesetzt hat, keinen Tatbestand erfüllen. Küper will hier n u n doch auf das „überlegene Wissen"
prinzipiell nicht unterscheidet. Daß ein nicht durch Menschen vermittelter Kau- des mittelbaren Täters zurückgreifen und dadurch die „subjektive Beurteilungs-
salverlauf sicherer zum Ziele führe, kann man nicht behaupten: D e n n zwar kann grundlage" des Tatmittlers „erweitern". Hier wird n u n also umgekehrt dem Tat-
der Tatmittler bei der Durchführung versagen, w o ein reiner Kausalverlauf sich mittler ein Wissen zugerechnet, das nur beim Hintermann vorhanden ist. Auch
von selbst entwickelt; aber dafür kann er auch Hindernisse aus dem Wege räumen, das läuft auf eine konstruktiv unmögliche Vorsatzfiktion hinaus.
an denen ein blinder Kausalverlauf scheitert. Vor allem aber sagt die Zurechnung Herzberg263 unterscheidet in seiner neuesten Stellungnahme zwischen Versuchs- 250
des Mittlerverhaltens zum Handeln des Hintermannes nichts darüber aus, wann handlung (dem letzten eigenen Handeln des mittelbaren Täters) und dem Ver-
dieser zum Versuch ansetzt. Daß dies mit der Entlassung des Geschehens aus dem suchserfolg, den er bestimmt als „die unmittelbare Gefahr der Verwirklichung des
Herrschaftsbereich des Täters geschieht, ist schon ausführlich begründet worden Tatbestandes, gemessen an der Vorstellung des Täters beim eigenen Handeln". Die
( R n . 196 ff, 244) und gilt für die mittelbare Täterschaft genauso wie für Distanz- Versuchshandlung verläßt zwar für ihn bereits das Vorbereitungsstadium, aber die
delikte ohne Tatmittler. Strafbarkeit soll erst mit der vorgestellten unmittelbaren Gefährdung des Opfers,
also dem Versuchserfolg, eintreten; er spricht hier von einer „Zuspitzungshand-
lung". Das läuft im Ergebnis auf die Gesamtlösung hinaus. Den Problemen, die
sich aus den häufig fehlenden oder unklaren Vorstellungen des mittelbaren Täters
256
G e n a u g e n o m m e n ist schon das Beispiel des in diesem Z u s a m m e n h a n g ausführlich erör- über den Zeitpunkt der unmittelbaren Opfergefährdung ergeben, will Herzb/erg
terten Erpresserbriefs ein Fall der mittelbaren Täterschaft, weil die bei der Beförderung tätig
werdenden Postbeamten „Werkzeuge" des Absenders sind. D a sich die Postbeförderung quasi dadurch entgehen, daß er einen strafbaren Versuch bereits für den Zeitpunkt an-
automatisch vollzieht, ähnelt der Sachverhalt freilich mehr sonstigen Distanzdelikten u n d ist
deshalb bei diesen behandelt worden. 260 Vgl. dazu schon oben R n . 199.
257 261 Gössel, J R 1976, 250; Haft, AT 8 , 230f.; Hillenkamp, R o x i n - F S , 708; Krack, Z S t W 100
Vgl. besonders Küper, J Z 1983, 369; vgl. auch das Stratenwerth-Frank-Zita.t, R n . 228, das (1998), 637; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 48/118ff.; Otto, J A 1980, 646; Papageorgiou-Gonatas, 1988,
auf demselben Gedanken beruht. 310; Sch/Sch/Eser26, § 22, R n . 54 a; Wessels/Beulke, AT 31 , R n . 614.
2
58 Zutreffende Kritik auch bei Herzberg, JuS 1985, 3. ™ Küper, J Z 1983, 370; i h m folgend Kühl, AT 3 , § 20, R n . 91 m . Fn. 141; Roth, JuS 1999,
259
Daneben wird das Verhalten auch dem Tatmittler selbst zugerechnet, soweit eine solche 143 m. Fn. 36; in „anstiftungsähnlichen" Fällen auch Streng, Zipf-GS, 1999, 335 f.
2
Zurechnung nach allgemeinen Regeln möglich ist: als fahrlässige, als vorsätzlich-rechtswid- « Herzberg, Roxin-FS, 2001, 749 (771/72).
rige, aber entschuldigte und ggf. auch als vorsätzlich-schuldhafteTat.
414 415
§ 29 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch III § 29

nimmt, „für den der Täter beim eigenen Handeln die Zuspitzungshandlung sich lassung des Ausführenden aus dem Herrschaftsbereich des Anstifters entspricht,
als frühestens möglich vorgestellt hat". Erfährt der Täter vor diesem frühestmög- strafbar ist, ist es ein schwerer Wertungswiderspruch, die gleich weit gediehene
lichen Termin, daß sein Plan gescheitert ist, soll keine Strafbarkeit eintreten. mittelbare Täterschaft straflos zu lassen. Küper als Vertreter der Gesamtlösung sagt
251 Auch diese Lehre kommt in unlösbare Schwierigkeiten dadurch, daß der mittel- selbst:266 „Es ist schwer einzusehen, daß zwar schon der Anstiftungs.versuch',
bare Täter sich häufig über einen frühestmöglichen Zeitpunkt der Opfergefähr- ohne Rücksicht auf den Entwicklungsstand der Haupttat, nach § 30 Abs. 1 StGB
dung durch den Tatmittler keine Gedanken machen wird, weil dieser Zeitpunkt die Versuchsstrafe auslösen kann, während der Versuch^ einen Tatmittler einzuset-
ihm gleichgültig ist und auch von Umständen abhängt, auf die er keinen Einfluß zen, straflos bleiben soll." In Wahrheit ist der Versuch, der im Losschicken eines
hat. Auch entziehen sich solche realitätsunabhängigen Vorstellungen, wenn sie be- Tatmittlers liegt, sogar strafwürdiger; denn während bei der Anstiftung der Täter
stehen sollten, i. d. R. dem forensischen Beweis. die Hauptverantwortung für das Geschehen behält, liegt sie hier beim Hinter-
mann.
252 Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, daß Herzberg - und wohl auch die
Vertreter der herkömmlichen Gesamtlösung — zur Straflosigkeit kommen müs- Küper erwägt zwei Auswege. Der erste besteht in einer dem § 30 I entsprechen- 256
sen, wenn der Erfolg früher eintritt als erwartet. Wenn A dem C durch den gut- den gesetzlichen Regelung. 267 Aber dazu wird es nicht kommen, weil die Rspr.
gläubigen B eine Flasche Wein überreichen läßt, die in Wahrheit tödliches Gift seit BGHSt 30, 363 solche Fälle mit Recht schon als Versuch erfaßt; auch wäre die
enthält, und wenn die Flasche nicht, wie verabredet, am Sonntagmorgen, sondern Strafmilderung des § 30 I 2 wegen der erwähnten größeren Verantwortlichkeit des
schon am Samstagabend überreicht und mit tödlicher Wirkung getrunken wird, Hintermannes bei mittelbarer Täterschaft nicht angemessen. Als zweiten Ausweg
liegt nach diesen Auffassungen kein vollendeter Mord vor, weil das Opfer nach schlägt Küper vor, schon nach geltendem Recht „§30 Abs. 1 StGB so zu interpre-
der Vorstellung des Täters am Samstagabend überhaupt noch nicht gefährdet war, tieren, daß der ,Verleitungsversuch' die mißlungene Anstiftung nicht ausschließt,
die Mordtat also noch nicht einmal in das Versuchsstadium eingetreten ist. Daß sondern als normatives Minus mitumfaßt, so daß darin ein Anstiftungsversuch
enthalten ist". Aber das ist mit dem Wortlaut des § 30 I nicht zu vereinbaren, weil
dies ein untragbares Ergebnis ist, läßt sich schwerlich bestreiten. Vom hier ver-
der Tatmittler als solcher in aller Regel gar kein Verbrechen begehen soll, so daß
tretenen Standpunkt liegt dagegen ein Mordversuch schon mit dem Losschicken
der Hintermann auch nicht versuchen kann, ihn dazu anzustiften.268 In den mei-
des Boten vor, so daß es auf den — für den Täter ohnehin gleichgültigen — Zeit-
sten Fällen fehlt es zudem am Vorsatzerfordernis beim Tatmittler. Die Erstreckung
punkt der Gifteinnahme nicht mehr ankommt.
des §30 I auf den Versuch, einen Tatmittler einzusetzen, wäre also ein Verstoß ge-
253 Herzberg hält dem entgegen, 264 daß mein Einwand die von mir vertretene Lehre
gen das Analogieverbot.
ebenso treffe. Wenn eine Frau für ihren erst am nächsten Morgen erwarteten
Mann ein vergiftetes Getränk bereitstelle, der Mann aber schon am Vorabend, c) Zur Einzellösung
während sie gerade außer Haus ist, heimkehre und das Gift genieße, könne auch Die Einwirkungstheorie, die in der jüngsten Diskussion kaum noch eine Rolle 257
die hier befürwortete Auffassung keinen Mord bejahen. spielt, setzt den Beginn des Versuchs bei mittelbarer Täterschaft entschieden zu
254 Das ist richtig, und doch besteht ein gewichtiger Unterschied. Denn wenn, wie früh an. 269 Denn wenn der mittelbare Täter das Geschehen noch in der Hand hat
in Herzbergs Gegenbeispiel, der Erfolg eintritt, während der Täter sich noch im - er versucht z. B., den Tatmittler für seinen Plan zu gewinnen, hat ihm das Opfer
Vorbereitungsstadium befindet, liegt auch unabhängig von der in Bezug genom- aber noch nicht genannt oder das Gift noch nicht übergeben —, ist das Geschehen
menen Konstellation immer höchstens eine fahrlässige Tötung vor (z. B. wenn sich von der Tatbestandsverwirklichung noch so weit entfernt, daß der nötige Tatbe-
schon beim Herbeiholen des Gewehrs der tödliche Schuß löst).265 Wenn aber der
standsbezug nicht gewahrt ist. Die noch fehlende Einwirkung auf die Opfersphä-
Täter das Geschehen aus der Hand gegeben (den ahnungslosen Boten losgeschickt
re, die den Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft vom gewöhnlichen Versuch
hat), muß eine Vollendung unabhängig davon angenommen werden, ob der Er-
unterscheidet, kann nur durch die Eigendynamik eines von selbst weiterlaufenden
folg vor, während oder nach dem vom Täter angenommenen Zeitpunkt eintritt.
Geschehens kompensiert werden (vgl. Rn. 204). Wo diese Voraussetzung fehlt,
Denn nun hängt der weitere Verlauf ohnehin nicht mehr vom Täter ab.
kann nur eine Vorbereitung in Betracht kommen. Das Argument, daß auch die
255 Schließlich ergibt sich neben den schon erörterten Strafbedürftigkeitsargumen-
versuchte Anstiftung mit der Einwirkung auf den Täter beginnt, trägt nicht. Denn
ten (Rn. 201 f.) ein durchschlagender kriminalpolitischer Einwand gegen die Ge-
266
samtlösung aus der in § 30 I für die versuchte Anstiftung getroffenen Regelung. Küper, JZ 1983, 372. Die Ungereimtheit räumt auch Krüger, 1994, 89ff., ein, obwohl er
Wenn die versuchte Anstiftung ggf. schon mit der Aufforderung, die der Ent- sonst der Gesamtlösung den Vorzug gibt.
267
Dafür auch Krüger, 1994, 94 f.
2
<* Treffend Krüger, 1994, 94.
269
264 Herzberg, i n e i n e m Brief an d e n Verfasser. So jetzt auch Herzberg, JuS 1985, 6, der diese Lehre in MDR 1973, 92 f. selbst noch vertre-
ten hatte.
265 Vgl. Roxirt, A T l 3 , § 12, R n . 170.
417
416
§ 29 III 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch III § 29
eine versuchte Anstiftung liegt ebenfalls nur dann vor, w e n n die Anstiftungserklä- Die These, daß bei der mittelbaren Täterschaft dieselben Regeln angewendet 261
rung den Herrschaftsbereich des Anstifters verlassen hat. 2 7 0 würden wie bei der unmittelbaren, ist offensichtlich unrichtig. So will z. B. Eser
d) Zur Differenzierungstheorie als gegenwärtiger Hauptvertreter einer solchen Lehre in BGHSt 30, 363 (oben Fall
32, R n . 241) beim Losschicken des Tatmittlers eine unmittelbare Gefährdung des
258 Auch die Differenzierungstheorie hat heute nur noch wenige Anhänger. Sie
betroffenen Rechtsgutes und damit einen Versuch annehmen, „wenn das Werk-
verdient keine Billigung. D e n n sie beruht auf der irrigen Prämisse, daß der Ein-
zeug ohne wesentliche Zusatzvorbereitungen die gesteuerte Tat nur noch zu voll-
satz eines nichtdolosen (d.h. eines gutgläubigen und wohl auch eines nicht
strecken braucht". Es ist im Ergebnis gewiß richtig u n d entspricht der modifi-
verantwortlichen) Tatmittlers mit größerer Sicherheit zum Erfolge führe, so daß
zierten Einzellösung, daß mit der Übergabe des Giftes an den planentsprechend
wegen der gesteigerten Gefährlichkeit dieser Form der mittelbaren Täterschaft
instruierten Tatmittler der Versuch beginnt. Aber aus den „allgemeinen Regeln"
eine frühere Ansetzung der Versuchsgrenze gerechtfertigt sei. Doch liegt es hier
ergibt sich das durchaus nicht. Man braucht sich nur vorzustellen, daß der Täter,
ähnlich wie bei der Unterscheidung zwischen „reinen" und durch Menschen ver-
anstatt Tatmittler einzusetzen, sich selbst auf den Weg zur Vergiftung des Opfers
mittelten Kausalverläufen ( R n . 247): Der deliktsfordernde Umstand der U n w i s -
machen würde. Auch wenn seine Schritte noch so sicher zum Erfolg fuhren w ü r -
senheit oder des Nötigungsdrucks wird beim dolosen Tatmittler dadurch mehr als
den, befände er sich auf dem Weg zum Opfer ohne Zweifel noch im Stadium der
kompensiert, daß er gerade wegen seiner Eingeweihtheit etwaige Hemmnisse bes-
Vorbereitung (vgl. R n . 177). Erst w e n n er am Tatort mit der Beibringung des Gif-
ser überwinden kann. Manche Taten (vgl. etwa Fall 30, R n . 227), die spezifisch tes beginnen würde, läge ein Versuch vor. Daraus folgt, daß bei mittelbarer und
deliktsbezogene Aktionen erfordern, sind überhaupt nur mit Hilfe der erhöhten unmittelbarer Täterschaft durchaus verschiedene Maßstäbe angewendet und durch
kriminellen Energie eines dolosen Werkzeugs durchführbar. Es besteht kein A n - das dehnbare und unbestimmte Kriterium der unmittelbaren Gefährdung nur
laß, deswegen den Versuchsbeginn für den H i n t e r m a n n hinauszuschieben. Da verdeckt werden. Die einzige Konzeption, die die für den unbeendeten Versuch
dessen „Vorstellung von der Tat" entscheidet und diese von einem durchführungs- des Einzeltäters geltenden Regeln auf die mittelbare Täterschaft überträgt, ist die
bereiten Tatmittler ausgeht, kann die objektiv größere Freiheit des „Werkzeugs", auf das Ansetzen des Tatmittlers abstellende Gesamtlösung. Warum sie nicht zu-
von der Tat Abstand zu nehmen, nicht zugunsten des mittelbaren Täters berück- trifft, wurde schon dargelegt ( R n . 247 ff.).
sichtigt werden, zumal da im Ergebnis ein doloser Tatmittler eher größere Er-
Die Vertreter der „allgemeinen Theorie" sind also in einer Selbsttäuschung b e - 262
folgssicherheit gewährt als ein nichtdolosen Auch der Umstand, daß bei der A n -
fangen, wenn sie glauben, keine speziell auf die mittelbare Täterschaft zugeschnit-
stiftung die Tat erst mit dem Ansetzen des Täters beginnt, spricht nicht für eine
tenen Abgrenzungsregeln anzuwenden. Besonders deutlich zeigt das die Rspr.,
Differenzierung bei der mittelbaren Täterschaft; denn das ist eine Folge der Akzes-
die schon seit den Zeiten des R G im Ergebnis fast durchweg auf die modifizierte
sorietät sowie der beim Täter liegenden Hauptverantwortlichkeit und wird unter
Einzellösung (also die Entlassung des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich des
dem Gesichtspunkt der Strafbedürftigkeit durch § 30 I ausgeglichen.
mittelbaren Täters) hinauskommt ( R n . 234 ff), dies aber nur unter außergewöhn-
259 Hinzu kommt, daß die Unterscheidung zwischen dolosen und nichtdolosen Tatmittlern in licher Ü b e r d e h n u n g der Frankschen Formel und des Gefährdungskriteriums als
vielen Fällen kaum durchführbar ist. Schon der genötigte Tatmittler ist „halbdolos" weil er im-
merhin das äußere Geschehen in vollem Umfang übersieht. Ähnliches gilt für den bewußt Anwendung allgemeiner Regeln erscheinen lassen kann. Nach den für den u n b e -
fahrlässigen Mittler. In den Fällen des „Täters hinter dem verantwortlichen Täter" wird die Un- endeten Versuch gültigen Maßstäben würde in so gut wie allen Fällen dieser Art
terscheidung vollends unmöglich. Das gilt etwa für den vermeidbaren Verbotsirrtum und vor noch kein Versuch vorgelegen haben — so billigenswert die von der Rspr. erzielten
allem dann, wenn der Ausführende sich der Begehung eines leichteren Deliktes bewußt ist
Ergebnisse meist auch sind!
(BGHSt 30, 363, Fall 32, Rn. 241). Im letztgenannten Fall wollten die Ausführenden nach ih-
rer Vorstellung eine leichte Körperverletzung begehen, während sie in Wirklichkeit Werkzeuge Abgesehen von ihren irrtümlichen Voraussetzungen ist die „allgemeine T h e o - 263
einer Tötung bzw. schweren Körperverletzung sein sollten.
rie" indem sie beim Handeln des Tatmittlers alle Umstände des Einzelfalles b e -
rücksichtigen will, aber auch gänzlich unpraktikabel. Das zeigt deutlich der Ver-
e) Zur allgemeinen Theorie
gleichsverwalter-Fall (BGHSt 4, 270, oben Fall 31, R n . 240). Wenn z. B. der Ver-
260 Diese Lehre, der in der theoretischen Formulierung (nicht in den praktischen gleichsverwalter von den ihm übergebenen Unterlagen sofort Gebrauch machen
Ergebnissen) überwiegend auch die Rspr. gefolgt ist, besticht durch ihre schein- wollte, soll ein Versuch vorliegen. Wenn dieser dagegen die Unterlagen erst später
bare Einfachheit. Indem sie „allgemeingültige" Regeln anzuwenden meint, erklärt verwenden oder noch prüfen wollte, wird eine bloße Vorbereitung angenommen
sie besondere Überlegungen über den Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft (vgl. R n . 240). Aber davon, ob die Verwendung früher oder später erfolgt und ob
für überflüssig. Doch ist diese Ansicht weder theoretisch haltbar noch praktikabel. der Verwalter mehr oder weniger sorgfältige Überprüfungen anstellt, kann die
Strafbarkeit des Täters nicht abhängen, weil er das nicht wissen kann. Sein „An-
270 Näher § 28, Rn. 13. setzen" zum Betrüge liegt in der Übergabe des Dokumentes an den Vergleichs-
418
419
§ 29 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch IV § 29

Verwalter; denn n u n n i m m t das Geschehen seinen Lauf. Die übrigen vom B G H sofern der Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, „durch H a n d -
genannten Umstände sind nicht für den Versuch, sondern für das Gelingen der Tat lungen, welche einen Anfang der Ausführung . . . enthalten, betätigt" wurde, ließ
wichtig. Aber selbst eine erhebliche Mißlingens-Chance kann hier wie sonst die sich die M e i n u n g vertreten, daß die Unterlassung gerade keine „Handlung" sei,
Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch nicht beeinflussen. ihre Bestrafung also gegen das Analogieverbot verstoße, freilich ließ sich dem
264 Auch m u ß ja der Versuchsbeginn zur Zeit seines Eintritts eindeutig feststehen. schon damals entgegenhalten, daß ein umfassender Handlungsbegriff, von dem
Da sich aber vielleicht erst später entscheidet, ob und ggf. welche Überprüfungen hier auszugehen sei, 276 die Unterlassung umfasse. Heute jedenfalls setzt der Wort-
der Verwalter vornehmen will, würde der Zeitpunkt des Versuchsbeginns in der laut des § 22 einer Versuchsbestrafung kein Hindernis mehr entgegen. D e n n w e n n
Schwebe bleiben. Wenn der Schwindel durch einen Zufall aufgedeckt wird und man ein Delikt durch Unterlassen vollenden kann, m u ß man dazu erst einmal an-
sich nicht klären läßt, ob der Verwalter noch Zeit zur Überprüfung der Angaben gesetzt haben. Im Schrifttum wird vereinzelt 2 7 7 mit der Unterlassungsfinalität 278
gefunden hätte, würde vom Standpunkt des B G H aus offenbleiben, ob im Zeit- auch die Möglichkeit eines Unterlassungsversuchs bestritten. Da die Vertreter
p u n k t der Aufdeckung schon ein Versuch vorlag oder nicht. Das ist keine akzepta- dieser Ansicht jedoch ein ggf. strafbares „Unterlassen des Erfolgsabwendungs-
ble Lösung. Im übrigen führen die im Vergleichsverwalter-Fall getroffenen U n t e r - versuchs" bejahen, weichen sie nur terminologisch und nicht im Ergebnis von der
scheidungen auch keineswegs auf „allgemeine Regeln" zurück. Hätte nämlich der sonst einhelligen Auffassung ab. Im Streit steht lediglich noch die Strafbarkeit
Schuldner als unmittelbarer Täter den Betrug verüben wollen, hätte er dazu erst des untauglichen Unterlassungsversuchs; darauf wird später einzugehen sein
(Rn.376ff).
beim Ergreifen des Wortes in der Gläubigerversammlung angesetzt.
265 Das in der „allgemeinen Theorie" z u m Ausdruck k o m m e n d e Streben nach einer Str. ist, o b bei Unterlassungen zwischen unbeendetem und beendetem U n - 267
einheitlichen Bestimmung der Versuchsgrenze bei allen Formen der Täterschaft terlassungsversuch unterschieden werden kann, wie dies bei Begehungsdelikten
hat auch einen methodologischen Hintergrund. So ist es für Otto271 „begriffstheo- der Fall ist. Eine weit verbreitete Meinung, die auf Lönnies279 zurückgehende
retisch ein Unding", „wenn das .unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung des „Dißerenzierungslehre" bejaht dies. 2 8 0 Danach ist ein unbeendeter Versuch anzu-
Tatbestandes' unterschiedlich oder alternativ für verschiedene Formen des Versuchs nehmen, solange der Erfolg noch durch Nachholung der ursprünglich gebotenen
interpretiert wird . . . , denn ein einziger Begriff wird verschieden definiert." Dieser Handlung abgewendet werden kann. Die Mutter, die ihr Kind verhungern lassen
Argumentation ist aber zu widersprechen. 2 7 2 D e n n der „Versuch" ist wie alle will, hat also erst einen unbeendeten Unterlassungsversuch begangen, w e n n das
grundlegenden Rechtskategorien (z. B. auch „Handlung" oder „Täterschaft") kein Kind durch Wiederaufnahme der Fütterung gerettet werden kann. Sind zur R e t -
durch immer dieselben Merkmale bestimmter definitionsgerechter Begriff. In tung des Kindes dagegen über das ursprünglich gebotene Verhalten hinausgehende
ihm drückt sich nur ein leitender Maßstab für strafbare Tatbestandsnähe aus. D i e - Sondermaßnahmen erforderlich - etwa eine künstliche Ernährung im Kranken-
ser Maßstab ist anhand der unterschiedlichen Gegebenheiten des Rechtsstoffes in haus - , so liegt ein beendeter Versuch vor. In entsprechender Weise begeht ein
einer nach Fallgruppen differenzierenden Weise zu entfalten. 2 7 3 Gerade das g e - Bademeister erst einen unbeendeten Tötungsversuch durch Unterlassen, solange er
schieht, w e n n man die sachlogischen Unterschiede zwischen mittelbarer und u n - den zu Rettenden, wie beim Beginn der Notsituation, nur aus dem Wasser zu zie-
mittelbarer Täterschaft bei Bestimmung des Versuchs berücksichtigt. hen braucht. Dagegen liegt ein beendeter Versuch vor, wenn die R e t t u n g darüber
hinausgehende Anstrengungen verlangt (z. B. das Suchen des schon Untergegan-
genen im Wasser und Wiederbelebungsversuche).
IV. D e r B e g i n n der Ausführung b e i m Versuch der Unterlassungstat
Demgegenüber geht die „Theorie der notwendigen Versuchsbeendigung" 281 268
1. Unechte Unterlassungsdelikte davon aus, daß es nur einen beendeten Unterlassungsversuch gibt, weil hier der

266 D a ß der Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts grundsätzlich möglich 276 Vgl. Roxin, AT l 3 , § 8.
und ggf. strafbar ist, darf heute als gesichert gelten und ist auch in der Rspr. an- 277 Welzel, StrafR11, 206, 221; Armin Kaufmann, 1959, 204ff., 221 ff., 237 f.
erkannt. 2 7 4 Unter der Geltung des § 4 3 a.F. wurde die Strafbarkeit des U n t e r - 278 Dazu Roxin, AT l3, § 8, Rn. 18.
279 Lönnies, NJW 1962, 1950 ff. Die Theorie von Lönnies ist eine Fortentwicklung einer
lassungsversuchs teilweise bezweifelt. 275 D e n n w e n n danach ein Versuch vorlag, zuerst von Horst Schröder, JuS 1962, 86, entwickelten Ansicht.
280 Backmann, J u S 1981, 341; Blei, A T 1 8 , § 8 6 III 3; Eben, A T 3 , 184f.; Eser, S t r a f R I I 3 , 116f.;
27i Otto, JA 1980, 645. Gropp, A T 2 , § 9 , R.n.72; Jakobs, A T 2 , 29/116; LK 10 -Jescheck, § 1 3 , R n . 4 8 ; Kühl, A T 3 , § 1 8 ,
272 D a z u auch Herzberg, J u S 1985, 6, F n . 3 8 . Rn.l53f.; Lackner/Kühl24, §24, Rn. 22 a; Otto, AT6, § 19 V 3; Seh/Seh/Eser26, §24, Rn.28f.;
3
273 Vgl. dazu grds. Roxin, AT l , § 7, Rn. 79-83. LKW-Vogler, § 24, Rn.40,142; Wessels/Beulke, AT31, Rn.743f.; Wolter, 1981,100ff., 258ff.
274 BGHSt 7, 287, 288; 14, 282, 284; 38, 356 (358); BGH VRS 13 (1957), 120, 123; BGH 28i So nennt sie Küper, ZStW 112 (2000), lff. (4), der unter Einbeziehung auch der älteren
NStZ 1985, 24; BGH StV 1985, 299. Literatur den Streitstand in hervorragender Weise aufarbeitet und beim Unterlassungsversuch
275 Vgl. Herzberg, M D R 1 9 7 3 , 89. nur den Fall des beendeten Versuchs anerkennt.

420 421
§ 29 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch IV § 29
Rücktritt allemal, wie beim beendeten Begehungsversuch, die Verhinderung des abwendungspflicht hat (dazu § 32, Rn. 1 ff.), sieht sich einem Kausalverlauf gegen-
Erfolges (§ 24 11, 2. Fall) oder das Bemühen darum (§ 24 I 2) voraussetzt.282 Auch über, der sich ohne sein Zutun auf den Erfolg hinbewegt. Er ist also in derselben
der BGH (NStZ 1997, 485) spricht von der „Gleichwertigkeit beider Rechtsfigu- Situation wie der Täter eines beendeten Versuchs, der das Seine getan, oder der
ren" wonach „die Rücktrittsvoraussetzungen beim Versuch des Unterlassüngs- mittelbare Täter, der den Tatmittler zu dem von ihm erwarteten Beitrag aufgefor-
delikts dieselben" seien „wie beim beendeten Versuch des Begehungsdelikts" dert oder seine Veranlassungsleistung in anderer Weise erbracht hat.
269 Tatsächlich wird man alle Unterlassungsversuche als beendet ansehen müssen. Hat danach der Unterlassende den Geschehensverlauf aus seinem Herrschafts- 272
Denn die Voraussetzungen des Rücktritts sind dieselben wie beim beendeten Ver- bereich entlassen, ist schon in diesem Moment die Versuchsgrenze überschritten.
such. Der unbeendete Versuch setzt die Notwendigkeit weiteren Handelns voraus, Das bedarf keiner besonderen Begründung, weil die strukturelle Identität mit den
an der es beim beendeten Versuch wie beim Unterlassungsversuch gerade fehlt. Fällen des beendeten Versuchs und des Versuchs bei mittelbarer Täterschaft, bei
Dagegen ist die Parallele von beendetem Versuch und Unterlassungsversuch evi- denen diese Lösung ausführlich erörtert worden ist, das Ergebnis als zwingend er-
dent. Liegt ein beendeter Versuch vor, wenn der Täter das betrunkene Opfer selbst scheinen läßt (vgl. aber noch Rn. 287). Wenn sich dagegen der Kausalverlauf noch
auf die Schienen gelegt hat und sich dann entfernt oder es beim Herannahen des in seinem Herrschaftsbereich befindet, ist nur eine Vorbereitung anzunehmen, so-
Zuges nicht aus der Gefahrenzone trägt, dann kann es beim Unterlassungstäter lange „noch nichts geschehen" ist und er die Rettungshandlung jederzeit nach-
nicht anders sein. Denn wie das Opfer in seine Lage geraten ist, kann weder für holen kann. Der Versuch beginnt dann erst mit der unmittelbaren Gefährdung des
die Versuchsstrafbarkeit noch für die Unterscheidung von unbeendetem und be- Opfers, wenn also der Erfolgseintritt nahegerückt ist. In diesem Augenblick tritt
endetem Versuch von Bedeutung sein. für das Tatobjekt eine deutliche Risikosteigerung ein, und diese Zäsur trennt Vor-
270 Die Unterscheidung von unbeendetem und beendetem Versuch beim Unterlas- bereitung und Versuch.
sen, die außerdem schwierige Abgrenzungsprobleme mit sich bringen würde, 283 Das führt zu folgenden praktischen Ergebnissen. Wenn ein Kind an einer ein- 273
ist auch deshalb abzulehnen, weil sie keine praktischen Konsequenzen hat. Hat der samen Stelle in der freien Natur geboren wird und die allein anwesenden Eltern es
im Versuchsstadium eingetretene Garant den Erfolg verhindert bzw. im Falle des unversorgt lassen mit dem Ziel, daß es sterben möge (vgl. RGSt 66,71), ist das erst
§ 24 I 2 sich ernsthaft darum bemüht, ist er straffrei, einerlei, ob man sein voran- eine Vorbereitung zur Tötung, solange die Eltern bei dem Kind verweilen und
gegangenes Unterlassen als unbeendeten oder beendeten Versuch bezeichnet. „Die diesem noch keine Gefahr droht. Erst wenn das Neugeborene durch weiteres Zu-
Unterscheidung der Versuchsstadien ... hat ... in den Fällen mangelnden Erfolgs- warten in Lebensgefahr gerät, beginnt der Versuch. Wenn die Eltern dagegen nach
eintritts keine substantielle dogmatische Funktion."284 Ebenso liegt bei mißlun- Hause gehen und das Kind seinem Schicksal überlassen, liegt schon darin ein An-
gener Erfolgsabwendung in beiden Fällen ein vollendetes Delikt vor. Dies wird setzen zur Tatbestandsverwirklichung; denn nun nimmt das Geschehen seinen
zwar von den Befürwortern des unbeendeten Unterlassungsversuchs bestritten, von den Eltern nicht mehr kontrollierten Verlauf. Eine etwaige Rückkehr und
aber zu Unrecht, wie im Zusammenhang mit der Rücktrittsunfähigkeit bei zu- nachträgliche Rettung oder die telefonische Benachrichtigung anderer, die dem
rechenbarem Erfolgseintritt näher dargelegt werden wird (§ 30, Rn. 113 ff.) Kind helfen sollen, wäre nur noch ein - ggf. freiwilliger - Rücktritt vom Ver-
such.
a) Die Entlassung aus dem Herrschaftsbereich des Unterlassenden und
die unmittelbare Gefährdung als alternative Kriterien zur Bestimmung Entsprechendes gilt, wenn Eltern es vorsätzlich versäumen, ihr lebensgefährlich 274
des Versuchs erkranktes Kind durch die Veranlassung einer allein Hilfe versprechenden Blut-
271 Auch bei Unterlassungen ist die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch äu- transfusion zu retten (vgl. OLG Hamm NJW1968, 212). Kann die Bluttransfusion
ßerst umstritten. Die Lösung ist jedoch vorgezeichnet durch die Ergebnisse, die noch mehrere Tage aufgeschoben werden, ohne daß dies für das Leben des Kindes
beim beendeten Versuch (Rn. 192 ff.) und beim Versuch des mittelbaren Täters eine zusätzliche Gefahr mit sich bringt, so liegt in der Untätigkeit der Eltern auch
dann noch kein Tötungsversuch, wenn diese von dem Vorsatz getragen ist, auch
(Rn. 226 ff.) erarbeitet worden sind. 285 Denn der Unterlassende, der eine Erfolgs-
später keine Transfusion vornehmen zu lassen. Erst wenn eine weitere Untätigkeit
282 Borchert/Hellmann, GA 1982, 444 f.; Fett, NStZ 1998, 508; Freund, AT, §8, Rn.67; §9, lebensgefährlich wird, ist die Versuchsschwelle erreicht. Wenn die Eltern dagegen
Rn.48; Herzberg, MDR 1973, 93; Armin Kaufmann, 1959, 211 ff.; Köhler, AT, 482f.; Kudlich/Han- mit der Absicht verreisen, das allein im Hause zurückbleibende Kind sterben zu
nisch, StV 1998, 370; Roxin, Maurach-FS, 1972, 232 m. Fn. 54; SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 56;
NK-Seelmann, § 13, Rn. 84, 86; Welzel, StrafR11, 221; Wbmelsdorf, 1976,159ff., v.a. 177; wohl auch lassen, liegt schon darin eine versuchte Tötung, auch wenn die Transfusion noch
Vogel, 1992,, 235 f. etwas Zeit gehabt hätte.
2« Näher dazu Küper, ZStW 112 (2000), 25 ff.
284 Küper, ZStW 112 (2000), 22. Wer seinen Säugling in seiner Berghütte allein zurückläßt, um ihn dort ver- 275
285
Diese strukturelle Parallelität ist von mir zuerst in Maurach-FS, 1972, 213 ff. für die hungern zu lassen, begeht schon dadurch einen Tötungsversuch. Bleibt er selbst in
Lösung der drei Fallgruppen fruchtbar gemacht worden. der Hütte wohnen und unterläßt er nur, den Säugling zu ernähren, so ist das Aus-
422
423
§ 29 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch IV § 29
fallenlassen der ersten Mahlzeit noch straflos, weil die Ernährung jederzeit ohne Die im Vorstehenden vertretene Auffassung ist in der Literatur heute vorherrschend. Zu 279 287

Schaden für das Kind wieder aufgenommen werden kann. Beginnt der Säugling im wesentlichen denselben Ergebnissen kommt Jakobs^ mit seiner „Aufwandserhöhungs-
sich infolge des Nahrungsentzuges körperlich unwohl zu fühlen, so liegt eine Kör- theorie". Danach ist notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung des Versuchs „ein Unter-
lassen, das nach der Vorstellung des Täters die zur Erfolgsabwendung vom Täter aufzuwenden-
perverletzung (Mißhandlung) durch Unterlassen vor. Gerät das Kind in Lebensge- den Investitionen erhöht". Wenn die Erfolgsabwendung schwieriger wird, hat sich aber i. d. R.
fahr, die nur durch sofortige Wiederaufnahme der Ernährung oder durch Über- auch das Risiko für das Tatobjekt deutlich erhöht und ist eine tatbestandsnahe Gefahr eingetre-
führung ins Krankenhaus abgewendet werden kann, so stellt sich das Unterlassen ten. Da Jakobs es außerdem als für einen Versuch indiziell ansieht, „wenn der Täter den Verlauf
zum Erfolg aus seinem Organisationskreis entläßt", ist auch insoweit die Entsprechung zu der
der gebotenen Handlung als Tötungsversuch dar. hier vertretenen Ansicht hergestellt. Tatsächlich kann auch ein solcher Täter den Erfolg, wenn
276 Die praktisch wichtigste Konstellation ist die des schuldhaft verursachten Ver- überhaupt, nur noch unter Erbringung größeren Aufwands abwenden.
kehrsunfalls. Leistet der Unfallverursacher dem schwer verletzten Opfer keine Hilfe
und nimmt er bei seiner Unfallflucht in Kauf, daß der Verletzte ohne rechtzeitige b) Die Theorie des erstmöglichen Eingriffs
ärztliche Versorgung sterben werde, so liegt schon im Wegfahren vom Tatort ein Nach dieser Lehre liegt ein Versuch schon vor, wenn der Garant mit dem Vor- 280
Tötungsversuch durch Unterlassen. Wenn der Unfallverursacher dagegen beim Ver- satz, den Erfolg eintreten zu lassen, die erste zur Abwendung mögliche und taug-
unglückten verweilt und lediglich nichts zur Besserung seines Zustandes unter- liche Maßnahme unterläßt. 289 Es wäre also schon das Ausfallenlassen der ersten
nimmt, so ist die unterlassene Hilfe erst bei einer Steigerung der Beschwerden des Mahlzeit (Rn. 275) oder das nicht sofortige Tätigwerden des Weichenwärters, der
Opfers eine Körperverletzung und bei Eintritt von Lebensgefahr eine versuchte bis zum Eintreffen des Zuges noch mehrere Stunden Zeit hat (Rn. 277), ein Ver-
Tötung. such.
277 Das Prinzip sei schließlich noch am Schulfall des Weichenwärters demonstriert, Diese Auffassung setzt den Versuchsbeginn entschieden zu früh an. Denn von 281
der den Betrunkenen auf den Schienen in der Absicht liegen läßt, ihn überfahren einer tatbestandsnahen Gefährdung oder auch nur von einem rechtserschüttern-
zu lassen. Weiß er, daß der nächste Zug erst in zwei Stunden kommt und sein den Eindruck kann man nicht sprechen, wenn der Unterlassende, ohne ein Risiko
Herannahen zudem durch einen Telefonanruf angekündigt wird, so ist sein Untä- einzugehen, den Erfolg auch später noch abwenden kann. Auch wäre in solchen
tigbleiben bis dahin unbeschadet seines Vorsatzes straflos. Erst wenn weiteres War- Fällen ein Vorsatz kaum je zu beweisen, weil er nach außen nicht in faßbarer Form
ten den Betrunkenen in Lebensgefahr bringt, setzt der Versuch ein. Verläßt der hervortritt.
Weichenwärter dagegen seinen Aufsichtsposten und legt sich zu Hause schlafen, Das Argument, man müsse einen Unterlassungsversuch deshalb schon so früh- 282
so liegt schon darin ein Versuch, auch wenn bis zum Herannahen des Zuges noch zeitig annehmen, weil auch der Begehungstäter wegen Versuchs strafbar sei, wenn
zwei Stunden vergehen. er eine Situation geschaffen habe, in der nur noch ein in den Kausalverlauf eingrei-
278 Man wird in allen Fällen des Versuchs durch Unterlassen von einem beendeten fendes Handeln den Erfolg abwenden könne, 290 ist nicht stichhaltig. Denn solange
Versuch sprechen, die Möglichkeit eines unbeendeten Versuchs also ablehnen müs- der Begehungstäter das Geschehen nicht aus seiner Obhut entlassen hat - also je-
sen. Denn dieser setzt die Notwendigkeit weiteren Handelns durch den Täter voraus, derzeit eingreifen kann - , ist er auch dann noch nicht im Versuchsstadium, wenn
woran es hier gerade fehlt. Auch macht die Parallele zum Normalfall des beendeten er alle auf den Erfolg abzielenden aktiven Handlungen schon vollbracht hat.
Versuchs das Ergebnis unausweichlich: Liegt ein beendeter Versuch vor, wenn der
Täter das betrunkene Opfer selbst auf die Schienen gelegt hat und sich dann entfernt 287
Wie hier Androulakis, 1963, 106ff.; Blei, AT 18 , § 8 6 III 2; Bockelmann/Volk, AT 4 , § 2 7 VII
oder es beim Herannahen des Zuges nicht aus der Gefahrenzone trägt, dann kann es 1 b; Eben, AT 3 , 184; Haft, AT 8 , 234; Lackner/Kühl2*, § 22, R n . 17; Papageorgiou-Gonatas, 1988,
beim Unterlassungstäter nicht anders sein. Denn wie das Opfer in seine Lage geraten 291; Rttdolphi, M D R 1967, 4; den., SK7, vor § 13, R n . 51 ff; Stratenwerth, AT 4 , § 14, R n . 4; Ulsen-
heimer, F a m R Z 1968, 571; ähnlich Maurach/'Gössel, AT/2 7 , 40/106; Vogel, 1993, 227ff.; Zaczyk,
ist, kann weder für die Versuchsstrafbarkeit überhaupt noch für die Unterscheidung 1989. 318.
1989,
von unbeendetem und beendetem Versuch von Bedeutung sein.286 2
™ Jakobs, AT 2 29/117 f.
289 'Baumann/Weber, AT 10 , § 33 I 3; Geilen, AT 5 , 256; Herzberg, M D R 1973, 89ff, 96; Lönnies,
286 N J W 1962, 1950; Maihqfer, GA 1958, 297f; Schröder, JuS 1962, 86; Tröndle/Fischer50, § 2 2 ,
Demgegenüber wird in der Literatur oft mit dem Beginn des Unterlassungsversuchs
R n . 22. Ähnlich Guhra, 2002, 58 ff. (64 f.), wonach ein Versuch vorliegt, „wenn der Betref-
ein unbeendeter und mit der letzten Eingreifmöglichkeit ein beendeter Versuch angenommen. fende eine Rettungschance verstreichen läßt, die nicht durch eine (nachfolgende) . . . gleich
So etwa Blei, AT 18 , § 8 6 III 3; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 6 0 II 3; LKW-Vogler, §24, R n . 4 0 ; Mau- sichere Rettungschance kompensiert wird". Eine solche Kompensationsmöglichkeit soll aber
rach/Gössel, AT/2 7 , 40/106; Sch/Sch/Eser26, § 24, R n . 27 ff.; Wolter, 1981,100, 259. Dafür läßt sich nur sehr selten gegeben sein, weil später fast immer Hindernisse auftreten können (und sei es
geltend machen, daß der Unterlassungstäter bis zur letzten Handlungsmöglichkeit noch weiter eine Ohnmacht des Garanten). „Die tauglichste Rettungschance ist damit in aller Regel die
unterlassen muß, so wie der Begehungstäter bis zur Beendigung des Versuchs noch weiter zu erste."
handeln hat. Doch verwechselt diese Auffassung den beendeten Versuch mit der letzten Rück- 290
trittsmöglichkeit. Wie hier jedoch Herzberg, M D R 1973, 936; Jakobs, AT 2 , 29/116; SK7-Rudolphi, Vgl. Herzberg, M D R 1973, 93: „Sobald der Garant die Sachlage entdeckt und unbedingt
den Erfolg eintreten zu lassen beschließt, ist er anzusehen wie einer, der dieselbe Situation ziel-
vor § 13, R n . 56; Schmidhäuser, StuB AT 2 ,13/33; Womelsdorf, 1976,177. bewußt geschaffen hat."
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425
§ 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch IV § 29
§ 29 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
eine tatbestandsnahe Gefährdung nicht genügen soll, wenn sie bei Begehungs-
283 Kriminalpolitisch kann man für den frühest möglichen Versuchsbeginn geltend
delikten für den Versuchsbeginn unbestreitbar ausreicht.
machen, daß man nie wissen könne, „ob nicht die erste Rettungsgelegenheit zu-
gleich die letzte ist".291 Aber das muß man differenziert sehen. In manchen Fällen d) Das alleinige Abstellen auf die unmittelbare Gefährdung
steht fest, daß späteres Handeln den Erfolg auf jeden Fall abwenden wird; so, Schließlich findet sich auch beim Unterlassen die Auffassung, daß der Versuch 286
wenn die Mutter, die ihr Kind verhungern lassen will, die erste Mahlzeit ausfallen in allen Fällen erst mit der unmittelbaren Gefährdung des Tatobjektes beginnt. 294
läßt (Rn. 275). In anderen Situationen kann nur ein sehr unwahrscheinlicher Zu- Sie entspricht der Lehre, die bei beendetem Versuch auf den Eintritt des Opfers in
fall (wie eine plötzlich eintretende Handlungsunfähigkeit des Weichenwärters) ein den Wirkungskreis des Tatmittels (Rn. 193) und bei der mittelbaren Täterschaft auf
späteres Eingreifen unmöglich machen (vgl. Rn. 277). Solche Zufälle können aber die „Gesamtlösung" (Rn. 228) abstellt. Mit der hier befürworteten Ansicht
das Geschehen auch der Hand des Begehungstäters schon im Vorbereitungs- stimmt diese Meinung überein, wenn der Unterlassende noch am Ort des Gesche-
stadium entgleiten lassen, ohne daß deswegen ein Versuch und beim Erfolgs- hens anwesend ist und in den unter seiner Kontrolle stehenden weiteren Verlauf je-
eintritt eine vollendete Vorsatztat anzunehmen ist. Schließlich wird es oft so sein, derzeit eingreifen kann. Dagegen nimmt diese Lehre einen Versuch nicht schon
daß der Unterlassende nicht weiß, wie lange er ohne tatbestandsnahe Gefährdung dann an, wenn der Unterlassende das Geschehen aus seinem Herrschaftsbereich
des Opfers mit dem Eingreifen warten kann. Die Eltern, die bei ihrem Kind keine entläßt. So sagt etwa Vogler295 im Falle des Neugeborenen, das von seinen Eltern
Bluttransfusion vornehmen lassen wollen und es deshalb nicht ins Krankenhaus mit Tötungsabsicht an einsamer Stelle hilflos allein gelassen wird: „Auch hier be-
bringen (Rn. 274), können oft nicht beurteilen, ob und wann der Zustand ihres ginnt der Tötungsversuch noch nicht mit dem Verlassen des Kindes, sondern erst
Kindes lebensgefährlich wird. Wenn sie demzufolge eine Lebensgefahr als mög- in dem Zeitpunkt, in dem eine für das Leben des Kindes kritische Situation ent-
licherweise bereits gegeben ansehen, liegt auch nach der hier vertretenen Meinung steht." Auch wer im Straßenverkehr das Opfer schuldhaft schwer verletzt und dann
schon ein Unterlassungsversuch mit dolus eventualis vor. Es kann also nicht zu- mit dem Vorsatz, es sterben zu lassen, Unfallflucht begeht, ist nach dieser Konzep-
gegeben werden, daß ein unabweisbares Strafbedürfnis es notwendig macht, den tion eines Tötungsversuchs nicht schon beim Davonfahren, sondern erst dann
Unterlassungsversuch auf den frühestmöglichen Zeitpunkt vorzuverlegen. schuldig, wenn die fehlende Hilfe das Opfer in nahe Todesgefahr bringt.
c) Die Theorie des letztmöglichen Eingriffs Das ist mit den Lösungen nicht zu vereinbaren, die hier für den beendeten Ver- 287
such (Rn. 195 ff.) und den Versuch des mittelbaren Täters (Rn. 244 ff.) gefunden wur-
284 Den extremen Gegenpol stellt die Auffassung dar, wonach der Unterlassungs -
den. Wenn eine versuchte Tötung vorliegt, sobald der Attentäter die Bombe im Flug-
versuch erst beginnt, wenn der letzte mögliche Zeitpunkt zum Eingreifen verstri-
zeug versteckt hat und den Ort des Geschehens verläßt (Rn. 195, 201), muß auch
chen ist. 292 Doch leuchtet diese Lehre weder dogmatisch noch kriminalpolitisch
beim Sicherheitsbeamten ein (Unterlassungs-)Versuch bejaht werden, wenn er die
ein. Ihr dogmatischer Mangel liegt darin, daß sie keinen Rücktritt vom Versuch
Bombe entdeckt und mit dem Vorsatz, das Flugzeug explodieren zu lassen, den Fund
zuläßt. Denn wenn das Verstreichen der letzten Eingriffsmöglichkeit erst den Ver-
verschweigt und sich hinwegbegibt. Der Umstand, daß die Explosion erst einige
such begründet, ist danach kein Handeln des Täters und damit kein Rücktritt
Stunden später beim Start des Flugzeuges erfolgen soll, kann in beiden Fällen die
mehr möglich. Das aber widerspricht dem Gesetz, das bei allen Fallgruppen des
Annahme eines Versuchs nicht hindern. Jedes andere Ergebnis wäre auch kriminal-
Versuchs einen Rücktritt vorsieht. Die Theorie des letztmöglichen Eingriffs
politisch unbefriedigend. Denn nach dem Weggang des Attentäters bzw. des Sicher-
kommt zu ihrem verfehlten Ergebnis, indem sie die gesamte Zeitspanne zwischen
heitsbeamten ist - abgesehen von einem nachträglichen Rücktritt der Täter - eine
Versuch und letzter Rücktrittsmöglichkeit der Vorbereitung zuschlägt.
Rettung der Opfer nur denkbar, wenn die Bombe doch noch zufällig von einem an-
285 Auch kriminalpolitisch ist es unangemessen, erst nach der letzten Sekunde, die
deren entdeckt wird. Warum das dem handelnden bzw. unterlassenden Täter zugute
zum Handeln noch übrig bleibt, den Versuch beginnen zu lassen. Denn wenn der
kommen und zu seiner Straflosigkeit führen soll, ist nicht einzusehen.
Unterlassende mit dem Eingreifen straflos so lange zögern darf, würde der Ge-
setzgeber mit dem zu schützenden Tatobjekt va banque spielen, weil ein so spätes e) Zur Abgrenzung in der Rechtsprechung ,
Handeln in vielen Fällen zu spät käme. „Garantenpflichten ... verlangen nicht nur Die ältere Rspr. hat keine klaren Vorstellungen über eine Abgrenzung von Vor- 288
die letztendliche Erfolgsabwendung, sondern auch schon die Verhinderung er- bereitung und Versuch bei Unterlassungen entwickelt. In den oft als Beispiel be-
folgsnaher Gefährdungen des Rechtsguts."293 Auch ist nicht einzusehen, warum nutzten Fällen RGSt 66, 71 (Liegenlassen des neugeborenen Kindes an einem

2« Herzberg, MDR 1973, 91. 29" Gropp, AT2, §9, Rn.39; LK10-Vogler, §22, Rn. 119 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, §60 II 2;
2« Armin Kaufmann, 1959, 210ff.; NK-Sedmann, §13, Rn.84; Welzel, StrafR11, 221; grund- Otto, AT6, § 18 II 3 d; ähnlich/. Meyer, ZStW 87 (1975), 605ff.
sätzlich, aber mit Differenzierungen, auch Grünwald, JZ1959, 46. 295 LK10-Vogler, § 22, Rn. 121.
2« Kühl, AT3, § 18, Rn. 147.
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426
§ 29 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch V § 29
„menschenleeren Ort") und OGHSt 1, 357 (unterlassene Rettung eines in eine von Gefangenen), §339 (Rechtsbeugung durch Unterlassen, wie die „bewußt
Teigmaschine hineingestoßenen und dort erstickten Arbeitskameraden) war der gesetzwidrige Versagung eines Verteidigers", BGHSt 10, 298), und auch die Unter-
Tod eingetreten, so daß ein vollendetes Delikt vorlag und sich Ausführungen über lassung der Führung von Handelsbüchern oder der Aufstellung von Bilanzen oder
den Versuch erübrigten. OLG Hamm NJW 1968, 212 behandelt den Fall, daß Inventaren (§ 283 III i.V.m. I Nr. 5, 7 lit. b).
Eltern die Bewirkung einer bei ihrem Kinde erforderlichen Bluttransfusion unter- Zunächst ist ein untauglicher Versuch (zu dessen Strafbarkeit Rn. 6) bei allen 293
lassen. Hier wurde das Kind gerettet, doch stellte sich die Frage des Versuchs- echten Unterlassungsdelikten möglich. So liegt eine versuchte Rechtsbeugung
beginns nach Meinung des Senats nicht, weil durch das Eingreifen des Vormund- durch Unterlassen vor, wenn der Richter absichtlich die Bestellung eines Pflicht-
schaftsrichters eine Hilfe der Eltern sich erübrigte. In BGH VRS 13 (1957), 120 verteidigers unterläßt, obwohl er irrig annimmt, der Beschuldigte sitze schon drei
(123) und BGHSt 7, 287 (288) schließlich hatten die ihr Opfer im Stich lassenden Monate in Untersuchungshaft.296 Ein (strafloser) Versuch des § 323 c liegt vor,
Kraftfahrer sofortiges Handeln für notwendig gehalten, so daß in jedem Fall ein wenn jemand fälschlich vom Vorliegen eines Unglücksfalles ausgeht und untätig
(in concreto untauglicher) Versuch vorlag. bleibt usw.
289 Erst BGHSt 38, 356 geht auf die Abgrenzungsfrage ausdrücklich ein. In diesem Was die Möglichkeit tauglicher Versuche angeht, so muß man unterscheiden. 294
Falle hatten zwei Männer ihr Opfer erheblich verletzt. Zur Verdeckung der Tat Wenn der Tatbestand schon durch die Unterlassung erfüllt wird, ohne daß es auf
hatte einer von ihnen das Opfer auf das „Gleisbett" der Bahn geworfen, um es einen Erfolg ankommt, ist ein tauglicher Versuch nicht denkbar, weil die gebotswid-
„von einem S-Bahn-Zug überfahren zu lassen". Der andere, der Angeklagte, hatte rige Unterlassung bereits die vollendete Tat darstellt. Wenn jemand die geforderte
dagegen nichts unternommen. Beide hatten dann den Bahnhof verlassen, wäh- Hilfeleistung unterläßt, ist der Tatbestand des § 323 c schon vollendet, so daß der
rend der alsbald erwartete S-Bahn-Zug durch einen Zeugen des Vorfalls noch Gesetzgeber mit Recht auf eine Strafdrohung gegen den Versuch verzichtet hat.
rechtzeitig zum Halten gebracht werden konnte. Der BGH nahm beim Angeklag- Anders ist es aber, wenn das echte Unterlassungsdelikt einen Erfolg voraussetzt,
ten einen Mordversuch durch Unterlassen an und meinte, daß es auf den Streit wie die Deliktsbegehung in § 138 oder die Gefangenenentweichung in § 120. Hier
über den Beginn des Unterlassungsversuchs in diesem Fall nicht ankomme. lassen sich die für unechte Unterlassungsdelikte geltenden Regeln entsprechend
290 „Allerdings wird einerseits vertreten, daß schon das Verstreichenlassen der ersten Rettungs- anwenden. 297 Wenn also der Strafvollzugsbeamte gegen das Entweichen von Ge-
chance den Versuch begründe ..., andererseits angenommen, daß erst im Auslassen der letzten fangenen nicht einschreitet, beginnt der Versuch nach § 120 III, sobald der Beamte
vermeintlichen Rettungsgelegenheit der Versuchsbeginn liege ... Schließlich wird mit beacht-
lichen Gründen darauf abgestellt, ob die Untätigkeit des Garanten zu einer Gefahrerhöhung bei nahe bevorstehendem Ausbruch immer noch untätig bleibt. Ein Versuch liegt
für das zu schützende Rechtsgut führe ... Insbesondere werden solche Gefahrerhöhung oder aber auch schon dann vor, wenn er in Kenntnis der geplanten Entweichung und
generell der Versuchsbeginn darin gefunden, daß der Täter die Herrschaft über das Geschehen mit dem Vorsatz, sie geschehen zu lassen, die Strafanstalt vorzeitig verläßt, um bei
aus der Hand gibt ... Als beide ... den Bahnhof verließen, während das Opfer auf dem Gleis
lag, begab der Angeklagte R sich jeder Möglichkeit des Einflusses auf das weitere Geschehen, der in einigen Stunden zu erwartenden Flucht nicht anwesend zu sein. Im einzel-
ließ er die letzte Rettungsgelegenheit ungenutzt verstreichen, womit zugleich objektiv und nen muß sich die Lösung aus der Interpretation des jeweiligen Tatbestandes er-
nach der Vorstellung des Beschwerdeführers die Todesgefahr für das Opfer massiv erhöht wur- geben, sie kann also in detaillierter Form erst im Besonderen Teil erfolgen.
de" (BGHSt 38, 360).

291 Ob wirklich alle Auffassungen hier zur Annahme eines Versuchs führen, mag
V. Der Beginn der Ausführung beim Versuch des Mittäters
hinsichtlich der Theorie des letztmöglichen Eingriffs zweifelhaft sein. Doch wird
ersichtlich, daß der BGH den Kriterien der „massiven Gefahrerhöhung" („beacht- 1. Die Gesamtlösung
liche Gründe") und der Entlassung des Geschehens aus dem Einflußbereich des In der Rspr. 298 und auch in der Literatur299 durchaus herrschend ist die 295
Angeklagten („insbesondere") am meisten zuneigt. Man darf also vermuten, daß Gesamtlösung300, die in BGHSt 39, 237f. so formuliert wird: „Soll nach dem Tat-
die weitere Rspr. sich auf der Linie der hier entwickelten differenzierenden Auf-
296
fassung bewegen wird. Beispiel beijescheck/Weigend, AT5, § 60 II1. <
297
Prinzipiell ebensoJescheck, AT4, §60 II1; Maurach/Gössel, AT/27, 40/99f.; Sck/Sch/Eser26,
§ 22, Rn. 53.
2. Echte Unterlassungsdelikte 29» RGSt 58, 279; 77, 172, 173; BGH NJW 1952, 430; BGHSt 11, 268, 271 ff.; BGH NStZ
1981, 99; BGH wistra 1987, 26; BGHR StGB, §22, Ansetzen, Nr. 3; BGHSt 39, 236 (237f.);
292 Bei echten Unterlassungsdelikten spielt der Versuch schon deshalb eine geringe BGH NJW 1995, 142 f. Einige ältere RG-Entscheidungen weichen davon ab; dazu Valdagua,
Rolle, weil er bei den wichtigsten Tatbeständen (§§ 123 I Alt. 2,138,170, 225, 323 ZStW 98 (1986), 840, Fn. 8.
299
c) nicht strafbar ist. Doch lassen sich immerhin einige Tatbestände auffinden, bei Umfassende Nachweise (bis 1986) bei Valdagua, ZStW 98 (1986), 839, Fn. 4. Aus der seit-
herigen Literatur Ahrens, JA 1996, 664ff., 666; Baumann/Weber, A T , §29 IV 4 a; N. Busch,
denen ein strafbarer Versuch in Betracht kommt: etwa § 120 III (Entweichenlassen 1998, 83, 150; Dencker, 1996, 191 ff.; Gropp, AT2, § 10, Rn.91; Ingelfinger, JZ 1995, 704ff, 713;
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§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch V § 29

plan eine Straftat von mehreren Mittätern ausgeführt werden, so treten alle Mittä- bar. Wenn es sich u m ein Verbrechen - etwa einen Bankraub - handeln würde,
ter in das Versuchsstadium ein, sobald einer von ihnen zur Tatbegehung unmittel- wäre auch die Verabredung nach § 30 II strafbar.
bar ansetzt." Das gilt „unabhängig davon, ob . . . einzelne ihren Tatbeitrag schon im Die Einzellösung ist wenigstens dann vorzuziehen, wenn man mit der hier 298
Vorbereitungsstadium erbracht haben" ( B G H R StGB, § 22, Ansetzen, Nr. 3). vertretenen Tatherrschaftslehre für die Mittäterschaft bei vollendeter Tat ein ar-
Wenn z. B. A und B einen gemeinsamen Einbruchsdiebstahl in der Weise verab- beitsteiliges Zusammenwirken im Ausführungsstadium verlangt, bei dem jeder
reden, daß A in die Kellergewölbe der Bank eindringen und die Tresore auf- Mittäter einen wesentlichen Tatbeitrag leistet (dazu § 25, R n . 198 ff.). Sie wird
schweißen soll, während B erst im Anschluß daran telefonisch benachrichtigt wer- aber nicht nur durch die Teilnahme-, sondern auch durch die Versuchslehre g e -
den und die schweren Goldbarren mit Hilfe eines Spezialgeräts hinausschaffen stützt. 3 0 3
und auf seinen Lastwagen verladen soll, ist B schon strafbarer Mittäter beim Ver-
a) A r g u m e n t e aus der Teilnahmelehre
such, sobald A in das Bankhaus eindringt. Er ist also wegen Versuchs strafbar, o b -
wohl er noch nichts getan hat, was über die Verabredung hinausgeht. Wenn bei vollendeter Tat die Mittäter das Ausführungsstadium gemeinsam 299
296 Begründet wird die Gesamtlösung vor allem mit der These, „daß sich bei M i t - beherrschen müssen, ist es konsequent, auch für die Mittäterschaft bei versuchter
täterschaft jeder Beteiligte die im R a h m e n des Tatplans liegenden Tatbeiträge der Tat von jedem Mittäter einen wesentlichen Beitrag im Versuchsstadium zu verlan-
jeweils anderen zurechnen lassen muß" (BGHSt 39, 238). Daneben wird für die gen. D e n n es ist nicht einzusehen, w a r u m für den (wirklichen oder vorgestellten)
Gesamtlösung auch das „Zufallsargument" 3 0 1 ins Feld geführt: Es sei nicht ein- Gefährdungserfolg des Versuchs etwas anderes gelten sollte als für den Ver-
leuchtend, daß bei einem arbeitsteiligen Zusammenwirken derjenige, dessen Tat- letzungserfolg der vollendeten Tat. Die Annahme, der noch im Vorbereitungs-
anteil zeitlich später angesetzt und deshalb oft u m so gewichtiger sei, allein wegen stadium verharrende Mittäter sei deshalb Mitbeherrscher des Versuchs, weil für die
der vorzeitigen Entdeckung des Unternehmens glimpflicher davonkommen solle Vollendung der Tat die Erbringung seines Beitrages wichtig und womöglich aus-
als seine Komplizen. schlaggebend sei, ist irrig. 3 0 4 D e n n diese „Hemmungsmacht", die ohnehin nur zu-
sammen mit dem eigenen „positiven" Tatbeitrag die Mitherrschaft begründet,
wirkt sich gerade nicht auf den Versuch aus, den der andere Mittäter allein durch
2. D i e Vorzugswürdigkeit der Einzellösung
seinen eigenen Beitrag verwirklichen kann. Eine Mitherrschaft beim Versuch ist
297 Eine Mindermeinung, die aber in zunehmendem Maße an Anhängern g e - also nur durch eigenes Tätigwerden im Ausführungsstadium erlangbar.
winnt, vertritt demgegenüber die Einzellösung. 3 0 2 Ihr zufolge ist für jeden M i t -
Verzichtet man für die Mittäterschaft beim Versuch auf das Ansetzen des M i t - 300
täter der Versuchsbeginn gesondert zu prüfen und auf den Zeitpunkt anzusetzen,
täters zu seinem für das Ausführungsstadium versprochenen Beitrag, so gerät man
in dem er selbst in das Versuchsstadium eintritt. Im Ausgangsbeispiel ( R n . 295)
auch in einen unlösbaren Widerspruch zu den praktischen Ergebnissen, die für die
wird B also erst dann wegen eines versuchten mittäterschaftlichen Einbruchs
M i t w i r k u n g bei vollendeter Tat gelten.
strafbar, wenn er persönlich die Bank betritt und zum Abtransport der Goldbar-
Fall 33: Fünf Mittäter verabreden sich für einen gemeinsamen Bankraub. Einer von ihnen,
ren ansetzt. Wenn A vorher festgenommen wird und B gar nicht erst zum Zuge der X, erscheint nicht am Tatort, weil er auf dem Wege dorthin wegen eines anderen Deliktes
k o m m t , ist B zwar nicht straflos, aber doch nur wegen psychischer Beihilfe straf- verhaftet wird. Daraufhin fuhren die vier anderen den Bankraub ohne ihn erfolgreich aus.

In einem solchen Fall kann X unstrittig nicht als Mittäter eines vollendeten
Bankraubes, sondern nur nach § 30 II bestraft werden. 3 0 5 D e n n die Beteiligung an
Jakobs, AT2, 21/61; Jescheck/Weigend, AT5, §63 IV 1.; Krack, ZStW 110 (1998), 611; Kühl, AT3, der Verabredung (also am gemeinsamen Tatentschluß) reicht für die Mittäterschaft
20/123; Küpper, 1978; ders., JZ 1979, 775ff., 785ff.; Küpper, GA 1986, 446f.; Küpper/Mosbacher,
JuS 1995, 488; Lackner/Kühl24, §22, Rn.9; Maiwald, ZStW 93 (1981), 879ff., 883ff.; Maurach/ nicht aus. Das ist für die Tatherrschaftslehre selbstverständlich, gilt aber sogar für
Gössel, AT/27, 49/95ff., lOOff.; Otto, AT6, §21 V 5 a; ders., JA 1980, 646; Sch/Sch/Eser26, §22, die subjektive Theorie. Fehlt es aber hier an einer Mittäterschaft, so wäre es sinn-
Rn.55; Stqffers, MDR 1989, 208ff., 213; Stratenwerth, AT4, §12, Rn.l02f£, 107f.; Tröndle/ widrig, eine Mittäterschaft beim Versuch allein deswegen anzunehmen, weil .'die
Fischer50, § 22, Rn. 21; LK10-Vogler, § 22, Rn. 88 ff.; Wessels/Beulke, AT31, 611 f.
300
Der Ausdruck stammt von Schilling, 1975,1 und passim. am Tatort Erschienenen ins Versuchsstadium eingetreten sind. Wenn eine Verabre-
301 Zuerst bei Roxi«, Täterschaft, 72000, 453. dung für die Mittäterschaft beim vollendeten Delikt nicht ausreicht, kann sie eine
302
Schilling, 1975,1 und passim, von dem auch der Begriff „Einzellösung" stammt. Schilling solche auch beim Versuch nicht begründen.
vertritt die Einzellösung allerdings in einer weitgehend auf die subjektive Theorie zurückfuh-
renden Variante, die keine Anhänger gefunden hat. „Weitaus überzeugender" (Krack, ZStW 110
[1998), 613) ist die zuerst von Rudolphi (Bockelmann-FS, 1979, 369, 383ff.; ebenso ders., SK6,
§22, Rn. 19 a) entwickelte „tatherrschaftsorientierte Einzellösung" (Ausdruck von Krack, 303 A . A . Krack, Z S t W 110 (1998), 611, 614.
ZStW 100 (1998), 613). Ihr folgen: Bloy, 1985, 265ff.; Kratzsch, JA 1983, 587; ders., Stein, 1988, 304 Valdagua, Z S t W 9 8 (1986), 8 6 2 ff.
383 ff; Valdagua, ZStW 98 (1986), 839 ff. Vgl. auch Günther, GA 1983, 333. 305 Valdagua, ZStW 98 (1986), 855 f., unter Hinweis auf RGSt 9, 3 (6).
430 431
§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch V § 29

301 Krack306 wendet dagegen ein, X könne auch nach der Gesamtlösung nicht M i t - Abtransport der Barren) die Tat nicht vollendet werden kann. O b w o h l er also
täter des Versuchs sein, weil ihm der Tatbestandsvorsatz fehle. Dieser sei noch nicht das Gelingen des Deliktes in der H a n d und noch nichts getan hat, soll er schon
im Tatplan enthalten, sondern entstehe erst, w e n n „die Hürde zur Vorstellung Versuchstäter sein! Das widerspricht allen sonstigen Regeln über die Abgren-
jetzt geht's los'" g e n o m m e n sei. Wenn mit dieser Hürde der Eintritt ins Versuchs- zung von Vorbereitung und Versuch. >
stadium durch X gemeint ist, stünde Krack bei der von i h m bekämpften Einzel- Die Annahme, ein bisher nur an einer Verabredung Beteiligter k ö n n e Mittäter 305
lösung. Wenn aber „die Wandlung v o m Tatplan z u m aktuellen Tatbestandsvorsatz" eines Versuchs sein, führt aber auch zu einer systemwidrigen und ungerechten B e -
vorher erfolgen soll, bleibt der Zeitpunkt völlig im unklaren; „losgegangen" ist schneidung der Rücktrittsmöglichkeiten. Wenn man bei dem anfangs genannten
der X doch jedenfalls. Fall (Rn. 295) bei dem noch im Hause wartenden B einen strafbaren Versuch an-
302 Eine andere Kritik 3 0 7 geht dahin, daß beim Gelingen einer Tat mit zeitlich g e - nimmt, sobald A in die Bank eindringt, kann B nur noch durch einen freiwilligen
staffelten Beiträgen - A schlägt den Wachmann nieder, anschließend holt B die Rücktritt Strafbefreiung erlangen. Er m u ß also seine Deliktsabsicht aufgeben und
Beute v o m Werksgelände - der B als Mitbeherrscher der Gesamttat angesehen die Tat durch Nichterbringung seines Beitrages verhindern. Wenn aber A in ir-
werde, obwohl er beim Niederschlagen nicht beteiligt gewesen sei. Warum solle gendeinem Stadium des Geschehens freiwillig zurücktritt und dem B telefonisch
dies anders sein, w e n n das Niederschlagen des Wächters mißlinge und die Tat des- mitteilt, er brauche sich nicht mehr zu bemühen, kann B nicht mehr zurücktreten
wegen im Versuch steckenbleibe? Die Antwort ist einfach: Bei vollendetem R a u b und bleibt strafbar, obwohl er noch nichts u n t e r n o m m e n hat und auch objektiv
haben beide einen entscheidenden Tatbeitrag im Ausführungsstadium geleistet keine Gefahr mehr besteht. Das ist deswegen ungereimt, weil A, der seine k r i m i -
und dadurch das Geschehen mitbeherrscht. Beim Steckenbleiben im Versuch trifft nelle Energie immerhin durch Ausführungshandlungen unter Beweis gestellt hat,
dies auf B gerade nicht zu. die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts bis zur Vollendung behält: Er kann
seinen eigenen Tatbeitrag jederzeit abbrechen und sich selbst noch nach dessen
b) A r g u m e n t e aus der Versuchslehre vollständiger Erbringung Straffreiheit erwerben, indem er B zur Aufgabe über-
303 Die Annahme, daß der Eintritt eines Mittäters ins Versuchsstadium für alle an redet oder sonst die Vollendung verhindert. Eine derartige Schlechterstellung des
der Verabredung Beteiligten die Mittäterschaft begründe, ist aber auch mit den untätigen „Mittäters" gegenüber dem tätigen läßt sich nicht rechtfertigen. Sie wird
Grundsätzen der Versuchslehre nicht zu vereinbaren. D e n n nach § 22 versucht nur durch die hier vertretene Auffassung vermieden, weil danach die Versuchsbestra-
derjenige eine Straftat, der „zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar an- fung des B überhaupt erst mit seinem eigenen Eintritt ins Versuchsstadium ein-
setzt". So, wie der mittelbare Täter selbst zur Ausführung ansetzen muß, m u ß dies setzt. 3 0 9
auch der Mittäter; daran aber fehlt es, w e n n nicht er, sondern ein anderer an-
setzt. 3 0 8 c) Zur Lehre von der Tätigkeitsanrechnung und z u m Zufallsargument
304 Die Folgen eines Verzichtes auf ein Ansetzen des jeweils einzelnen Mittäters Die wenigen Gründe, die die h. L. für sich ins Feld führt, schlagen demgegen- 306
zeigen sich in einer außerordentlichen Ü b e r d e h n u n g der Versuchsbestrafung. Es über nicht durch. Das gilt zunächst für die Lehre von der Tätigkeitsanrechnung.
ist schon gezeigt worden ( R n . 300), daß eine solche Lehre ggf. die bloße Ver- Sie besagt, daß jeder Mittäter sich die Gesamttat und somit auch die von ihm nicht
abredung als Mittäterschaft am Versuch bestraft. Damit wird der Versuch für den selbst verwirklichten Tatanteile anderer zurechnen lassen muß. Das ist insoweit
einzelnen Mittäter in das Stadium der Entschlußfassung zurückverlegt. Man richtig und ergibt sich aus § 25 IL O b jemand aber in einem bestimmten Stadium
k o m m t dann zu einem Versuch ohne jede - sei es auch nur vorgestellte - tat- der Ausführung Mittäter ist, läßt sich daraus natürlich nicht entnehmen. Es ist also
bestandsnahe Gefährdung durch den bisher Untätigen. Selbst w e n n man auf die eine petitio principii, w e n n man aus der wechselseitigen Zurechnung mittäter-
Gefährdung durch den anderen, ins Versuchsstadium eingetretenen Mittäter a b - schaftlicher Beiträge folgert, daß jemand, der noch keine (oder keine für die M i t -
stellt, ist zu bedenken, daß der bisher Untätige vielfach von der Gewißheit oder täterschaft ausreichenden) Tatbeiträge geleistet hat, die Versuchshandlungen eines
doch Wahrscheinlichkeit ausgehen kann, die Tat k ö n n e ohne ihn nicht vollendet anderen als eigene gegen sich gelten lassen muß. 3 1 0 Das würde seine eigene M i t -
werden. Im Ausgangsbeispiel ( R n . 295) weiß B, daß ohne seinen Beitrag (den täterschaft bei dieser Versuchshandlung voraussetzen, und dafür fehlt es a n ' d e r
Mitherrschaft. Wenn eine Tat aufgrund eines gemeinsamen Tatplans unter arbeits-
306 Krack, Z S t W 100 (1998), 614 ff. (Zitate 615).
307 Ingelfinger,JZ 1995, 713; Krack, Z S t W 100 (1998), 616; Küper, J Z 1979, 785 f. 309 Krack, ZStW 100 (1998), 618 f. leugnet die monierte Ungerechtigkeit der Rücktrittsbe-
308 handlung nicht, findet sich aber damit ab, weil das Rücktrittsrecht „aufgrund der großen
Zur Lehre von der Tätigkeitsanrechnung vgl. Rn. 306; für einen Verzicht auf das eigene
Ansetzen und eine entsprechende Umdeutung des §22 Küper, 1978, 21 f. Krack, ZStW 110 Relevanz des Zufalls geradezu durch ungerechte Wertungen charakterisiert" sei. Das ist über-
(1998), 619, meint ohne Begründung, daß § 22 „nur auf den (unmittelbar handelnden) Einzel- trieben, aber auch unabhängig davon kein Grund, das gerechtere Ergebnis der Einzellösung
täter zugeschnitten ist". Doch wäre in diesem Zusammenhang auf Art. 103 II GG und die abzuweisen.
Rn. 304 erwähnte Überdehnung der Versuchsbestrafung einzugehen. 3io In diesem Sinne auch Bloy, 1985, 266; SK6 -Rudolphi, § 22, Rn. 19.

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§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - C. Vorbereitung und Versuch V § 29
teiliger Mitwirkung zweier (oder mehrerer) vollendet wird, rechtfertigt die Mit- nur um eine „Scheinberaubung" handele, weil M mit allem einverstanden sei. Der Sinn der
beherrschung des Geschehens durch jeden einzelnen die Annahme von Mittäter- Veranstaltung sei, dem M einen auf den angeblichen Raub der Münzsammlung gestützten
Versicherungsbetrug zu ermöglichen. In Wirklichkeit war M keineswegs einverstanden. Er
schaft und die Zurechnung der Gesamttat. Solange jemand seinen eigenen Beitrag wurde gegen seinen Willen überwältigt und meldete den Schaden später berechtigtermaßen
nicht erbracht hat, entfällt diese Voraussetzung und damit der Grund für eine mit- bei seiner Versicherung an. ,
täterschaftliche Zurechnung.
In diesem Fall wurde A wegen eines in Mittäterschaft begangenen versuchten 311
307 Auch das „Zufallsargument'' ist nicht stichhaltig. Wenn von zwei Komplizen der
Betruges gegenüber der Versicherung bestraft, und der BGH hat die Verurteilung
ins Ausführungsstadium Eingetretene als Versuchstäter bestraft wird, der noch nicht
bestätigt. Der BGH meint, daß A bei Zugrundelegung des von ihm angenomme-
in dieser Weise tätig Gewordene aber nur wegen Verabredung, wegen Anstiftung
nen Sachverhaltes Mittäter beim Versicherungsbetrug gewesen wäre, obwohl der
zum Versuch oder Beihilfe dazu, so entspricht das genau dem von jedem Beteiligten
Raubüberfall nur eine Vorbereitungshandlung dafür war. Mit der Schadensmel-
bisher verwirklichten Unrecht und dem Grundsatz eines danach differenzierenden
dung trat M nach der Vorstellung des A in das Versuchsstadium ein. Daß M in
Tatstrafrechts. Wenn man demgegenüber daraufhinweist, daß die Rollenverteilung
Wirklichkeit gar keinen Versuch beging, ändere nichts am mittäterschaftlichen
auch in anderer Weise hätte erfolgen können und deshalb von vornherein Mittäter-
Versuch des A, da auch der untaugliche Versuch strafbar sei. „Die nach dem Täter-
schaft annimmt, wird ein hypothetischer Kausalverlauf unzulässigerweise anstelle plan maßgebliche Handlung, die zur unmittelbaren Tatbestandserfüllung fuhren
des tatsächlich Geschehenen zur Grundlage der Zurechnung gemacht. Daß jemand soll, ... , ist hier so zu betrachten, als wäre sie tauglich (BGH NJW 1952,143)."
bei einem vollendeten Delikt nur als Gehilfe und nicht als Mittäter in Erscheinung
Unter den Anhängern der Gesamtlösung ist umstritten, ob BGHSt 39, 236 (Fall 312
getreten ist, kann auch auf Zufällen beruhen; deshalb kann er aber doch nicht als
34) oder BGHSt 40, 299 (Fall 35) die richtige Lösung ist.313 Das hängt davon ab,
Mittäter bestraft werden. Dann darf dieses Argument aber auch nicht zur Begrün-
ob auch ein fehlender gemeinsamer Tatentschluß und der Eintritt wenigstens eines
dung eines mittäterschaftlichen Versuchs benutzt werden.
Mittäters ins Versuchsstadium durch bloße Vorstellungen eines anderen ersetzt
d) Die Problematik des untauglichen Versuchs bei der Mittäterschaft werden können. Im Ergebnis jedenfalls wird allein die in BGHSt 39, 236 vertrete-
308 Die Schwierigkeiten, in die die Gesamtlösung gerät, zeigen sich besonders auch ne Lösung314 den Prinzipien der Versuchslehre gerecht. Denn andernfalls kann es
beim untauglichen Versuch. Mit ihm hatte sich der BGH in mehreren Entschei- zu einer Strafbarkeit wegen Mittäterschaft beim Versuch kommen, obwohl
dungen zu befassen, von denen die zwei wichtigsten als Beispiele dienen sollen. schlechterdings nichts geschehen ist. Der wegen Versuchs bestrafte Mittäter hat
entweder überhaupt nichts getan oder die wahre Bedeutung seines Tatbeitrages
Fall 34311 (BGHSt 39, 236): S, M und Seh hatten sich zu einer Beraubung des Ehepaares
D verabredet und die Aufgaben unter sich verteilt. S sollte an der Haustür klingeln und Frau völlig verkannt. Ein ins Versuchsstadium eintretender anderer Mittäter existiert
D nach dem Öffnen der Tür überwältigen. M sollte dann in die Wohnung stürmen und Herrn überhaupt nicht. Bloße Einbildungen über das Tun anderer würden also ein Ge-
D fesseln. Anschließend sollte Seh hinzukommen und die Eheleute zwingen, den Tresor- schehen, das nicht ins Versuchs- und ggf. nicht einmal ins Vorbereitungsstadium
schlüssel herauszugeben. S hatte jedoch die Polizei informiert und machte nur noch zum
Schein mit. Als er an der Haustür klingelte, während die anderen auf der Straße bzw. im Wa- gelangt und bei einer Scheinverabredung stehengeblieben ist, zu einem strafbaren
gen warteten, wurden M und Seh von der Polizei verhaftet. Versuch machen.

309 Der BGH hat M und Seh nur nach § 30 II und nicht als Mittäter eines Raub- Man kann versuchen, auch vom Standpunkt der h.M. aus zu einer Ablehnung 313
versuchs bestraft. Er geht zwar mit der Gesamtlösung davon aus, daß der Eintritt des Versuchs zu kommen, indem man für die Schein-Mittäterschaft entweder eine
eines Beteiligten (des S) in das Versuchsstadium genügen würde, um die übrigen „Einschränkung" der Gesamtlösung dahingehend vorschlägt, „daß eine nur vor-
(M und Seh) als Mittäter zu bestrafen. Dies gelte jedoch nur, sofern der Ausfüh-
426 ff.; Graul, J R 1995, 427 ff; Ingelfmger, JZ 1995, 704 ff., 713 {.-Joecks, wistra 1995, 58 ff.; Joer-
rungsbeginn sich für den Handelnden (S) „als mittäterschaftlicher Tatbeitrag" dar- den,]Z 1995, 735 f.; Kühl, AT3, §20, Rn. 123 a; Kühne, NJW 1995, 934; Küpper/Mosbacher, JuS
stelle. Daran fehle es hier, weil S kein echter Mittäter gewesen sei, sondern die Tat 1995, 486ff., 490ff; Lackner/Kühl24, §22, Rn.9 (a.A. noch Uckner2', §22, Rn.9); Otto AT6
habe verhindern wollen. §21 V 5 b; Roxin, Odersky-FS, 1996, 489ff., 496; Sch/Sch/Eser26, §22, Rn.55 a; Streng ZStW
109 (1997), 890ff.; Zieschang, ZStW 107 (1995), 381 (Fn. 75); Zopfs, Jura 1996, 19ff., 23f. Dem
310 Fall 35 312 (BGHSt 40, 299): A (der Angeklagte) ließ sich von Z überreden, den Münzhänd- BGH zustimmend aber Gropp, AT2, § 10, Rn.91f.; Jung, JuS 1995, 360f.; Weber, Lenckner-FS
ler M zu überfallen und dessen Münzsammlung zu rauben. Z spiegelte dem A vor, daß es sich 1998,446 ff.
3
313 Kritisch gegenüber BGHSt 40, 299 auch vom Standpunkt der Gesamtlösung aus- Ahrens
» M. zust. Anm. Otto, JK/StGB, §25 H/7; krit. hingegen Häuf, NStZ 1994, 265f.; Weber, JA 1996, 669; Dencker, 1996, 241ff.; Erb, NStZ 1995, 424ff.; Graul, J R 1995, 427ff.; Ingelfinger JZ
Lenckner-FS, 1998,443 ff. 1995, 704ff.; Joerden, JZ 1995, 735, 736; Krack, ZStW 110 (1998), 623 f.; Kühne, NJW 1995 934-
312
Die Entscheidung ist in der Literatur weitgehend abgelehnt worden, wobei diese Ableh- Küpper/Mosbacher, JuS 1995, 488 ff, 492; Lackner/Kühl24, §22, Rn.9; Rath, JuS 1999, 144-' Seh)
nung, wie im Text gezeigt wird, vom Standpunkt der herrschenden Gesamtlösung weitaus Sch/Eser , §22, Rn.55 a; Streng, ZStW 109 (1997), 862, 890ff.; ders., Zipf-GS, 1999 327 ff.-
schwieriger zu begründen ist als für die hier vertretene tatherrschaftsorientierte Einzellösung. Zop/s, Jura 1996,19 ff.
Im einzelnen: Ahrens, JA 1996, 664ff., 670; Dencker, 1996, 243ff.; Erb, NStZ 1995, 424ff., 3w Ebenso BGH NJW 1952,430; BGH wistra 1987, 26.
434 435
§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch §29. Der Versuch - D. Sonderfälle des Versuchs I §29

gestellte Mittäterschaft nicht die Zurechnung vermeintlicher Tatbeiträge rechtfer- Einer derart verstandenen Einzellösung ist sogar die Gesamtlösung noch vorzu- 317
ziehen, weil sie verlangt, daß wenigstens einer der Täter und damit das Gesamt-
tigen kann",315 oder indem man das Vorstellungskriterium in § 22 einschränkend
geschehen das Versuchsstadium erreicht haben muß (vgl. oben Rn. 298 ff.). Da
so auslegt, daß es das reale Vorliegen eines mittäterschaftlichen Beitrages nicht er-
jedoch die Gesamtlösung aus den geschilderten Gründen ebenfalls abgelehnt wer-
setzen kann.316
den muß, ergibt sich aus der Versuchslehre ein zusätzliches Argument dafür, die
314 Der Einzellösung - und darin liegt ein zusätzlicher Vorzug dieser Konzeption
Mittäterschaft auf Beiträge im Ausführungsstadium zu beschränken. Denn nur
- bleiben dagegen alle diese Schwierigkeiten erspart. Für sie ist es selbstverständ-
unter dieser Prämisse lassen sich die Probleme des Versuchs bei der Mittäterschaft
lich, daß in Sachverhalten nach Art der Fälle 34 und 35 keine Versuchsbestrafung
einer befriedigenden Lösung zuführen.
erfolgen kann. Da die Angeklagten nicht ins Versuchsstadium eingetreten sind,
scheidet ihre Bestrafung wegen Versuchs schon aus diesem Grunde aus. Selbst
wenn der scheinbar Ausführende die Tat wirklich hätte begehen wollen, läge bei
D. Sonderfalle des Versuchs
den im Vorbereitungsstadium Verharrenden noch kein mittäterschaftlicher Ver-
such vor. Das gilt selbstverständlich erst recht, wenn der ausführende Täter nur
I. Der Versuch beim erfolgsqualifizierten Delikt 319
zum Schein handelt.
e) Zur Notwendigkeit, die Mittäterschaft auf Ausführungshandlungen 1. Zwei verschiedene Konstellationen
zu beschränken Beim erfolgsqualifizierten Delikt 320 ist ein Versuch in zweierlei Weise möglich: 318
315 Die hier vertretene Einzellösung führt aber nur dann zu zutreffenden Ergebnis- als versuchte Erfolgsqualifizierung und als erfolgsqualifizierter Versuch.321 Der er-
sen, wenn man sie mit einer Tatherrschaftslehre verknüpft, die für die Mittäter- ste Fall liegt vor, wenn der Täter eine Erfolgsqualifizierung vorsätzlich herbei-
schaft einen wesentlichen Tatbeitrag im Ausführungsstadium verlangt. Wenn man zufuhren versucht, ohne daß diese eintritt: Er schießt z. B. seinem Feind eine
einer der Auffassungen folgt, die vorbereitende Handlungen — unter welchen Vor- Schrotladung ins Gesicht und nimmt dabei in Kauf, daß dieser das Sehvermögen
aussetzungen auch immer - für eine Mittäterschaft ausreichen lassen, müßte man auf einem Auge (oder beiden) verliert; dieser Erfolg tritt jedoch nicht ein. Hier
konsequenterweise vom Standpunkt der Einzellösung aus eine Strafbarkeit wegen kommt ein Versuch nach § 226 I Nr. 1 in Betracht. 322 Der zweite Fall liegt gerade
Versuchs beim Ansetzen zur täterschaftsbegründenden Vorbereitungshandlung umgekehrt, indem der Täter den qualifizierenden Erfolg nicht herbeiführen will,
annehmen, auch wenn der andere Mittäter noch nicht im Ausführungsstadium ist. dieser aber schon beim Versuch der Verwirklichung des Grundtatbestandes ein-
Das ist ein Widerspruch in sich, weil man nicht gut einen Versuch bejahen kann, tritt: Der Täter will etwa dem Opfer ins Bein schießen, doch löst sich schon beim
solange alle Beteiligten sich noch in der Vorbereitung befinden. Anschlagen der Pistole ein tödlicher Schuß (§ 227).
316 Schilling**7 will einen mittäterschaftlichen Beitrag sogar schon in der Verabre-
dung von vier Einbrechern sehen, auf etwaige Verfolger zu schießen (BGHSt 11, 2. Die versuchte Erfolgsqualifizierung
268). Ihm zufolge liegt darin „für jeden einzelnen die abschließende (psychische)
Die einfachere und im Prinzip heute unumstrittene Konstellation ist die, daß 319
Einwirkung auf seine Werkzeuge"; die Verabredung enthalte „den beendeten Ver-
der Vorsatz des Täters sich auf den qualifizierenden Erfolg richtet, ohne daß dieser
such hinsichtlich der von diesen Werkzeugen (den Genossen) zu vollendenden Tö-
eintritt. Hier ergibt sich aus den allgemeinen Regeln der Versuchslehre, daß die Tat
tungshandlungen. Das gilt auch für denjenigen Genossen, der irrtümlich selbst
als versuchtes erfolgsqualifiziertes Delikt, im Rn. 318 genannten Fall (mit dolus
angezielt und verletzt worden ist". Abgesehen davon, daß durch Einführung des
eventualis versuchte Blendung) also nach §§226 I Nr. 1, 22, zu bestrafen ist.323
Werkzeug-Begriffes die Mittäterschaft in unzulässiger Weise mit der mittelbaren
Allerdings ist die selbständige Strafbarkeit einer derartigen versuchten Erfolgsqua-
Täterschaft verquickt wird, verstößt es eindeutig gegen § 30 II, wenn auf diese
Weise schon in die Verabredung ein strafbarer Versuch hineinkonstruiert wird. 318 319
Umfassend werden „Versuch und Rücktritt bei den Teilvorsatzdelikten des § 11 Abs. 2
StGB" in der Monographie von Hardtung, 2002, behandelt.
320 Vgl. dazu Roxin, AT l3, § 10, Rn. 108.
32i Ausdrücke von Geilen, Jura 1979, 613 f.
3is Küpper/Mosbacher, ]\)S 1995, 492. 322
Zweifellos ist ein Versuch des § 226 II anzunehmen, wenn der Tater sein Opfer absicht-
3i6 Hillenkamp, Roxin-FS, 2001,709 f. lich blenden will. Doch liegt insoweit nach h.M. kein erfolgsqualifiziertes Delikt vor, weil der
3i' Schilling, 1975,112 f. Erfolg keine qualifizierende Wirkung hat, sondern unmittelbar erstrebt wird und ohne
318 Derartige von Schilling aus der Einzellösung gezogene Konsequenzen sind denn auch all- Grunddelikt eintritt.
323
gemeiner Ablehnung verfallen. Die gründlichste Auseinandersetzung mit und Kritik an Schil- Anders früher Schröder, JZ 1967, 367f., der die Möglichkeit einer vorsätzlich herbeige-
ling liefert Küper, 1978, 51 ff. Eine zusammenfassende Kritik an Schilling liefert Krack, ZStW 110 führten Erfolgsqualifikation nicht anerkennen will.
(1998), 612 f.
437
436
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - D. Sonderfälle des Versuchs I § 29

lifizierung an zwei einschränkende Voraussetzungen gebunden, 324 die beide im 3. Der erfolgsqualifizierte Versuch
gegebenen Bsp. erfüllt sind. Erstens muß der Täter hinsichtlich der schweren Folge
nicht, wie es der Mindestvoraussetzung des § 18 entspricht, fahrlässig, sondern Wenn der Vorsatz des Täters sich nicht auf den qualifizierten Erfolg richtete, 322
vorsätzlich handeln; denn es gibt keinen fahrlässigen Versuch. Die - sei es selbst dieser aber schon infolge des versuchten Grunddelikts eintritt (vgl. das Bsp.
leichtfertige - Gefährdung der Sehkraft des Opfers würde also für eine Bestrafung Rn. 318), so ist die Frage, ob dies als Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts straf-
nach §§226 I Nr. 1, 22 nicht ausreichen. Zweitens muß auch bei bestehendem bar ist, umstritten und richtigerweise differenziert zu beantworten. 328
Vorsatz hinsichtlich der schweren Folge das erfolgsqualifizierte Delikt deren vor- Straflos und deshalb vorab auszuscheiden ist zunächst der Fall, daß der Versuch, 323
sätzliche Herbeiführung gestatten.325 Das ist z. B. bei § 227 nicht der Fall, weil bei den Tatbestand des Grunddelikts zu erfüllen, nicht unter Strafe steht. Denn wenn
einem Tötungsvorsatz ausschließlich §§211, 212 eingreifen. Will also der Täter das man hier einen (wegen des Verbrechens-Charakters des erfolgsqualifizierten
Opfer erschießen, trifft aber daneben, so liegt ein strafbarer Tötungsversuch, nicht Delikts strafbaren) Versuch der erschwerten Tat annähme, würde die Erfolgsqua-
ein Fall der §§ 22, 227 vor.326 lifikation die Strafbarkeit nicht erhöhen, sondern begründen, 329 was ihren be-
320 Nicht ganz unstrittig, aber weitgehend anerkannt ist, daß bei der versuchten grifflichen Voraussetzungen und auch dem Wortlaut des Gesetzes (§ 18: „schwe-
rere Strafe") widerspricht.330 Wenn also beim Versuch einer Aussetzung (§ 221)
Erfolgsqualifizierung auch das Grunddelikt nicht vollendet zu sein braucht. Wenn
infolge von Fahrlässigkeit der Tod des Opfers herbeigeführt wird, ist dies zwar
also der Täter bei seinem Schrotschuß (Rn. 318) die Folge des § 226 (Verlust des
nach § 222, nicht aber nach §§ 22, 221 III strafbar. Denn da der Versuch der
Sehvermögens) in Kauf nimmt und das Opfer verfehlt, also nicht einmal den Tat-
einfachen Aussetzung nach § 221 I nicht unter Strafe steht, ist der Erfolg kein
bestand der §§ 223, 224 erfüllt, liegt doch ein Fall der §§ 22, 226 vor. Denn bei
strafbarkeitsqualifizierender Umstand. Fälle solcher Art sind heute selten ge-
einem Versuch braucht kein Merkmal des Tatbestandes (zu dem auch der Grund-
worden,331 weil der Gesetzgeber des 6. StrRG den bisher straflosen Versuch
tatbestand gehört), erfüllt zu sein.327
zahlreicher Grunddeliktsfälle (z.B. §§223, 239, 318 I, 340) unter Strafe gestellt
321 Die beiden Anwendungsfälle dieser Konstellation, die in der Praxis Bedeutung
hat.
erlangt haben, betreffen die schwere Körperverletzung (§ 226, früher § 224) und
die Freiheitsberaubung nach § 239 II. In BGHSt 21,194 hatte der Täter auf das Ge- In den sehr viel zahlreicheren Fällen, in denen der Versuch des Grunddelikts 324
schlechtsteil der Verletzten geschossen und i. S. d. dolus eventualis damit gerech- strafbar ist (etwa §§177, 224, 239 a, b), bestehen neben der hier befürworteten
net, daß sie die Fortpflanzungsfähigkeit verlieren werde. Dieser qualifizierende differenzierenden Lösung (Rn. 328 ff.) zunächst zwei entgegengesetzte Lösungs-
Erfolg war nicht eingetreten. Der BGH bestrafte wegen versuchter schwerer Kör- möglichkeiten: Man kann, wenn schon der strafbare Versuch des Grunddelikts
perverletzung (§§22, 224; heute: §226) in Tateinheit mit §223a (heute §224). unter den Voraussetzungen des § 18 die qualifizierende Folge auslöst, einen er-
Die Frage, ob das Grunddelikt vollendet sein muß (Rn. 320), wird zwar angespro- folgsqualifizierten, aus dem verschärften Strafrahmen zu ahndenden Versuch ent-
chen, aber, weil der Fall keine Stellungnahme dazu verlangte, unbeantwortet ge- weder stets oder niemals annehmen. Im zweiten Fall ist dann ein strafbarer er-
folgsqualifizierter Versuch (anders als die versuchte Erfolgsqualifizierung) grund-
lassen. RGSt 61,179 behandelt den Fall, daß der Täter das Opfer widerrechtlich in
sätzlich nicht möglich.
eine geschlossene Anstalt einsperren läßt, um es für längere Zeit los zu werden,
daß dieser aber als geistig gesund sofort wieder entlassen wird. Hier hat das RG Die erste Auffassung,332 die den strafbaren Grunddeliktsversuch in allen Fällen 325
eine Strafbarkeit wegen versuchter Tat nach § 239 II bejaht (zust. BGHSt 10, 309; als Basis der Erfolgsqualifikation genügen läßt, beruft sich darauf, daß schon die
BGH GA 1958, 304). Gefährlichkeit der Tatbestandshandlung (unabhängig vom Grunddeliktserfolg)
328
Eine Darstellung und Analyse aller in Betracht kommenden Einzeltatbestände (vor
und nach dem 6. StrRG) liefert Hardtung, 2002, 48 ff.
329 LK10'-Jähnke, §221, Rn. 40; Jakobs, AT2, 25/26; Kühl, JuS 1981, 193 (196), NK-Paeffgen,
§18, Rn.112; Rengier, 1986, 245; SK7-Rudolphi, §18, Rn.7; LK10-Schäfer, §329, Rn. 36; Seh/
32t Vgl. nur LK10 -Vogler, vor § 22, Rn. 84. Sch/Cramer/Heine26, §18, Rn.9; Sch/Sch/Eser26, §239, Rn. 14; LK10-Schroeder, §18, Rn,38;
325
Man spricht in solchen Fällen von „unechten" erfolgsqualifizierten Delikten; vgl. Rath, Ulsenheimer, GA 1966, 257ff. (269, 271); den., Bockelmann-FS, 1979, 405ff, 418; LK10-Vogler
JuS 1999,141. vor § 22, Rn. 73; Wolter, GA 1984, 443 ff, 445.
33
326
Manche Autoren bejahen auch § 227 und lassen diese Vorschrift erst auf der Konkurrenz- ° A.A. v.a. Baumann/Weber, AT10, §26 I 2 b; Hardtung, 2002, 250; Küper, JZ 1997, 233,
ebene von §§ 212, 211 verdrängt werden; so z. B. Hardtung, 2002,170 m. w. N. Anm. 27; Laubenthal, JZ 1987,1067; Otto, AT6, § 18 IV 6 d; Rath, JuS 1999,142; Stree, GA 1960,
»7 Abw. Maurach/Schroeder, BT/18, 9/25 für den früher hier einschlägigen §224, da dieser 294 im Anschluß an Thomsen, 1895, 68f.; i. Erg. auch Lackner/Kühl24, § 18, Rn. 10; Schröder, JZ
„eine vollendete Tat voraussetzt". Der Wortlaut des heute maßgeblichen § 226 verlangt das 1967, 368, 369.
331
nicht. Doch ist das Argument auch für § 224 a. F. nicht überzeugend, weil der Wortlaut der Vgl. die Aufzählung bei Hardtung, 2002, 21.
332
Tatbestände durchweg auf den Vollendungsfall hin formuliert ist, deshalb aber noch nicht die Vertreten von Otto, Jura 1986, 671; ders., AT6, § 18 IV 6 b; Schröder, JZ 1967, 368; Stree,
Versuchsstrafbarkeit ausschließt (LK10-Hirsch, § 224, Rn. 29). GA 1960, 292f.; Wolter, JuS 1981,173,178; ders., GA 1984, 445.

438 439
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - D. Sonderfälle des Versuchs I § 29

die Anwendung des erschwerten Tatbestandes rechtfertigt. Man wird also im Aus- nahmefall, der die Erfolgsqualifikation nicht tragen kann. D e n n eine untypische
gangsbeispiel ( R n . 318) geltend machen, daß schon das Anschlagen einer gelade- Folge kann bei den meisten Tatbestandsverwirklichungen eintreten, ohne daß dies
nen Pistole Gefahren in sich berge, deren Verwirklichung im Todesfall eine Bestra- eine Qualifikation nach sich zöge (z. B. kann beim Diebstahl der Eigentümer u n -
fung nach §§ 22, 227 rechtfertige. ter die R ä d e r des vom Dieb entwendeten anfahrenden Autos geraten und schwer
326 Die Gegenmeinung, die den erfolgsqualifizierten Versuch ablehnt, bei unvor- verletzt oder getötet werden). Die Rspr. selbst wendet § 227 nicht einmal dann an,
sätzlicher Herbeiführung der schweren Folge also immer eine Vollendung des wenn der Verletzungserfolg den Tod nur in mittelbarer und infolgedessen atypi-
Grunddelikts verlangt, hat das Argument auf ihrer Seite, daß die besondere G e - scher Weise herbeiführt (das vor weiteren Mißhandlungen fliehende Opfer stürzt
fahr des Eintritts weiterer Folgen oft erst aus dem Grunddeliktserfolg (z. B. der sich zu Tode oder wird auf der Straße überfahren). 3 3 9 D a n n sollte die erfolgsaus-
Verletzung nach §§ 223, 224 oder dem Brand nach § 306) hervorgehe, der deshalb lösende W i r k u n g eines bloßen Versuchs nicht anders behandelt werden. Die allein
Voraussetzung der Qualifikation bleiben müsse. an den Grunddeliktserfolg anknüpfende Letalitätstheorie 3 4 0 gebietet die Ausschal-
tung aller Erfolge, die nicht aus der vorsätzlichen Verletzung des Opfers hervor-
327 Freilich hat die „Lehre von der Erfolgsgefährlichkeit"333 wegen ihrer in Rn. 328 ff. darzu-
legenden Einseitigkeit in dieser Form heute keine Anhänger mehr. Ihre Vertreter berufen sich gegangen sind. 3 4 1 Im R a h m e n der § § 2 2 6 , 227 ist der „Lehre von der Erfolgs-
daneben auf konstruktive Argumente, die aber ebenfalls nicht durchschlagen. So lehnt Gös- gefährlichkeit" ( R n . 327) also zuzustimmen.
sel334 die Möglichkeit eines Versuchs aufgrund der Annahme ab, daß es sich bei den erfolgs-
qualifizierten Delikten um Fahrlässigkeitstaten handele, bei denen es keinen Versuch gebe. Man kann in solchen Fällen zu einer Strafbarkeit auch nicht dadurch kommen, daß man die 330
Diese Konstruktion ist aber mit § 11 II nicht zu vereinbaren, wonach die erfolgsqualifizierten Verletzung, die das Durchgangsstadium zum schweren Erfolg der §§226, 227 bildet, als den
Delikte vorsätzliche Straftaten sind. 335 Mezger'2'6 verlangt „einen das ganze Delikt umfassen- Grunddeliktserfolg betrachtet. Denn diese Durchgangsverletzung liegt außerhalb des Täter-
den Entschluß", will also einen Versuch beim erfolgsqualifizierten Delikt nur zulassen, wenn plara und ist als wesentliche Kausalabweichung nur unvorsätzlich herbeigeführt (vgl. Roxin,
der erschwerende Erfolg in den Entschluß des Täters aufgenommen war. M. E. Mayer237 hält AT 1 , § 12, Rn. 135 ff). Das erfolgsqualifizierte Delikt setzt aber einen vorsätzlich verwirklich-
es in ähnlicher Weise für widerspruchsvoll, „zwei Erfolge, von denen einer hinter dem Vorsatz ten Grundtatbestand voraus.
zurückbleibt und der andere über denselben Vorsatz hinausragt, zu einer Einheit zusammenzu-
fassen und als Versuch zu bestrafen". Aber der Gedanke, daß Versuch nur sein kann, worauf sich Entsprechendes gilt für die Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306 c). Die typische 331
der Vorsatz des Täters richtet, trifft bei den erfolgsqualifizierten Delikten nicht zu: Wenn deren Gefahr für die im Hause anwesenden Menschen besteht darin, daß sie ein R a u b
vorsätzliche Vollendung keinen auf den schweren Erfolg gerichteten Vorsatz voraussetzt, kann
dies beim vorsätzlichen Versuch nicht anders sein. der Flammen werden. Auf diesen Fall ist daher § 306 c zu beschränken, der davon
spricht, daß „der Brand den Tod eines Menschen verursacht hat". Es liegt daher
328 Die richtige u n d auch der jetzt h.M. entsprechende Lösung liegt in der Mitte kein Fall des § 306 c vor, w e n n ausnahmsweise schon der Versuch einer Brandstif-
zwischen den Extremen. 3 3 8 Es k o m m t darauf an, ob nach der Struktur des jewei- tung zum Tode eines Menschen führt, weil das zur Inbrandsetzung bestimmte
ligen Delikts die typische Gefährlichkeit des Grundtatbestandes, die zur Ein- Mittel, ohne daß es zu einem Brand k o m m t , infolge unvorhergesehener U m s t ä n -
führung der Qualifikation Anlaß gegeben hat, auf dessen Tatbestandserfolg oder de den Tod eines Menschen auslöst (Bsp. R n . 337). 342
schon auf der Tatbestandshandlung beruht. Ganz anders liegt es dagegen bei der sexuellen N ö t i g u n g und Vergewaltigung 332
329 So ist es z.B. bei den an die § § 2 2 3 , 224 anknüpfenden schweren Folgen der mit Todesfolge (§ 178). Der Tatbestandsenderfolg (die Vollziehung des Beischlafs
§§ 226, 227 normalerweise die Körperverletzung, also der Grunddeliktserfolg, der oder die Vornahme sonstiger sexueller Handlungen) ist typischerweise nicht l e -
die weiteren schweren Beeinträchtigungen oder den Tod des Opfers herbeiführt. bensgefährlich und kann nur ausnahmsweise (etwa bei einem schwer herzkranken
Daß schon die Tatbestandshandlung (das Ausholen zum Schlag oder das Ziehen Opfer) zum Tode führen. Dagegen ist die bei der Tatbestandshandlung im Ver-
und Anschlagen der Schußwaffe) tödliche W i r k u n g hat, ist ein seltener Aus- suchsstadium erfolgende Gewaltanwendung die eigentliche Gefahr für das Leben
des Opfers: Wenn der Täter es w ü r g t oder zusammenschlägt, u m seinen Wider-
333 Bezeichnung von Hillenkamp, 102001,102 f. stand zu brechen, ist der Todeseintritt eine naheliegende Folge. Deshalb ist es hier
334 Gössel, L a n g e - F S , 1976, 219 ff; ders., Maurach/Gössel, A T / 2 7 , 43/117. angemessen, die Erfolgsqualifikation nicht an den Enderfolg, sondern an die G e -
335 Vgl. auch das Argument aus § 18 („Täter oder ... Teilnehmer") bei L¥Lu-Roxin, § 26, waltanwendung zu knüpfen, also einen erfolgsqualifizierten Versuch anzuneh-
Rn. 100.
336 Mezger, S t r a f R , 2 1933, 378.
337 M. E. Mayer, AT, 349. 339 Dazu näher Roxin, AT l3, § 10, Rn. 115.
338 Baumann/Weber, 9 18
AT , § 33 I 5; Blei, AT , § 6 5 III 2; Deubner, N J W 1960, 1068; Haft, 3"o Roxi„t AT l3, § 10, Rn. 115.
AT 8 , 229f.; Jakobs, A T 2 , 25/26; Kühl, JuS 1981, 196; Küpper, 1982, 119ff.; Lackner/Kühl24, §18, 3« Vgl. dazu etwa Hardtung, 2002, 117; Jakobs, JR 1986, 380; Küpper, 1982, 85; ders. JuS
R n . 9 ; Laubenthal, J Z 1987,1067; Maurach, A T 4 , § 4 1 I I 3 b ; Rengier, 1986, 234ff.; SK7-Rudolphi, 1990,184; Uckner/Kühl24, § 227, Rn. 2; Mitsch, Jura 1993, 20; alle m. w. N.
§ 18, R n . 7 ; Schmidhäuser, S t u B AT 2 ,11/104f.; Sch/Sch/Cramer26, § 18, R n . 9 ; LK 11 -Schröder, § 18, 3« Hardtung, 2002, 48ff, 160ff;JescheckJWeigend, AT5, §49 VII 2; Küpper, 1982, 121f; Lau-
R n . 3 8 ; Stratenwerth, A T 4 , § 1 5 , R n . 5 8 f f ; Tröndle/Fischer50, § 1 8 , R n . 4 ; LK 10 -Vogler, v o r § 2 2 , benthal, JZ 1987, 1067f.; Niese, JZ 1957, 664; Rengier, 1986, 235ff; Uü'0-Vogler, vor §22,
R n . 7 4 ; Welzel, StrafR 1 1 ,195f.; Wessels/Beulke, AT 3 1 , R n . 6 1 7 . Rn. 81.

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§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - D. Sonderfälle des Versuchs II § 29

men, wenn es nach dem Tode des Opfers zu der sexuellen Handlung nicht mehr vom Erfolgseintritt als ausreichend für die A n w e n d u n g des Qualifikationstatbe-
kommt. 343 standes angesehen wird. Bei der Körperverletzung hatte RGSt 44, 137 es noch
333 Entsprechendes gilt für den R a u b mit Todesfolge (§ 251), w o wiederum die tat- nicht genügen lassen, daß die Körperverletzungshandlung den qualifizierten Er-
bestandstypische und deshalb erfolgsqualifizierende Gefährlichkeit in der Gewalt- folg herbeiführt. Demgegenüber n i m m t BGHSt 14, HO 3 4 9 eine Körperverletzung
anwendung liegt, während die tatbestandsvollendende Wegnahme nur äußerst mit Todesfolge an, w e n n sich beim Zuschlagen mit der Schußwaffe ein Schuß löst,
selten zum Tode des Beraubten führen kann (etwa, w e n n i h m ein lebensrettendes der den Tod des Opfers herbeiführt. Hier wird für § 226 eine vom ungewollten
Medikament weggenommen wird). Auch hier m u ß deshalb die z u m Tode führen- Schuß unabhängige vorsätzliche Körperverletzung (durch Zuschlagen) verlangt,
de Gewaltanwendung selbst dann für die Heranziehung des § 251 (in Form des nicht aber daß dieser Erfolg den Tod herbeiführe. Insofern läßt der B G H die Kör-
perverletzungshandlung genügen, was aus den in R n . 329 dargelegten Gründen
Versuchs) ausreichen, wenn die Wegnahme am Ende scheitert. 3 4 4
abzulehnen ist.
334 Die Frage, ob §§ 178, 251 auch anwendbar sind, wenn der Tod durch den tatbestandlichen
Enderfolg (die sexuelle Handlung oder die Wegnahme) herbeigeführt wird, gehört nicht un- Auch im Falle des § 307 Nr. 1 a. F. (heute § 306 c) schwankt die Rspr. So hat 337
mittelbar hierher, weil in solchen Fällen ein vollendetes Grunddelikt vorliegt. Sie ist im übri- BGHSt 7, 37 (gegen RGSt 40, 321) entschieden, der qualifizierte Tatbestand sei
gen umstritten, 345 aber zu verneinen, weil atypische Folgen, woraus immer sie sich ergeben,
grds. keine Erfolgsqualifizierung rechtfertigen. auch dann erfüllt, w e n n beim Inbrandsetzen ein Mensch vom brennenden Z ü n d -
stoff tödlich verletzt wird, ohne daß es zu einem Brande k o m m t . Richtig ent-
335 Der Versuch kann eine Erfolgsqualifizierung auch dann schon tragen, w e n n er- scheidet demgegenüber RGSt 20, 230, wonach § 307 Nr. 1 a. F. nicht anwendbar
folgsunabhängige Handlungen und Begleitumstände des Erfolges gleichermaßen ist, „wenn der Tod eines Menschen durch Einsturz eines Gebäudes infolge E x -
typisch die schwere Folge auslösen können. So liegt es z. B. beim erpresserischen plosion des v o m Täter zur Brandlegung benutzten Zündstoffs (Benzin) verursacht
Menschenraub und der Geiselnahme ( § § 2 3 9 a , b), w o der Tod des Opfers glei- worden ist".
chermaßen die Folge einer mißlungenen Entführungs- oder Bemächtigungshand-
Neuerdings erklärt Hardtung350 einen erfolgsqualifizierten Versuch in der Form, daß der 338
lung (z. B. bei einer Gegenwehr des Opfers) wie der Freiheitsberaubung (z. B. Er- Versuch eines Grunddelikts fahrlässig den schwereren Erfolg herbeiführt, überhaupt für aus-
sticken bei der Einsperrung in einer Kiste, Verschmachten, Befreiungsversuch) geschlossen. Wenn also das Opfer eines Raubversuches an der vom Täter angewendeten Ge-
sein kann. Freilich wird auch hier nicht selten eine Vollendung des Grunddelikts walt stirbt, dieser aber vertrieben wird, bevor er die Beute an sich nehmen kann, 351 soll eine
Bestrafung nach §§ 251, 22 ausscheiden, weil nach seiner Meinung beim Versuch der Vorsatz
als Tatbestandsvoraussetzung der Erfolgsqualifikation verlangt. 3 4 6 Es soll also sich auf die Qualifikationsmerkmale erstrecken muß. 352 Das ist scharfsinnig begründet, aber
nicht genügen, daß das Opfer schon bei dem Versuch, es in die Gewalt des Täters trotzdem schwer plausibel zu machen, weil beim vollendeten erfolgsqualifizierten Delikt der
Vorsatz sich auf die schwere Folge nicht zu erstrecken braucht (§ 18) und nicht recht einzuse-
zu bringen, zu Tode k o m m t . Doch ist das eine zu enge Auslegung, weil die von
hen ist, warum es beim Versuch anders sein soll. Die praktische Bedeutung der Frage relativiert
der Bemächtigungshandlung ausgehenden Gefahren vom Erfolg unabhängig sich jedoch dadurch, daß Hardtung353 in solchen Fällen mit Hilfe einer von ihm sog. Strafschär-
sind. Im einzelnen ist die Frage, ob ein erfolgsqualifizierter Versuch möglich ist, fungslösung „wegen des Eintritts der schweren Folge den Versuch des Grunddelikts mit einer
Strafschärfung versieht und den Strafrahmen dafür der Erfolgsqualifikation entnimmt". Mög-
immer nur durch eine Analyse des jeweiligen Tatbestandes zu beurteilen; die D e - lich wird diese Lösung, weil für den Versuch grds. der - fakultativ zu mildernde - Strafrah-
tails gehören also in den Besonderen Teil. men der vollendeten Tat (hier also des § 251) gilt; wäre der Raub vollendet worden, hätte
336 Die Rspr. ist uneinheitlich und zeigt die Tendenz, die Möglichkeit eines er- § 251 vorgelegen.
folgsqualifizierten Versuchs etwas zu rasch zu bejahen. Richtig ist es jedenfalls,
w e n n die Gewaltanwendung bei § 177 347 sowie bei §§249, 250 3 4 8 unabhängig
II. D e r Versuch bei Vorbereitungen und Unternehmensdelikten
3« Allerdings kann man die Gewalt als Teil- oder Zwischenerfolg ansehen {Hirsch, GA
1972, 75 f.), so daß dann auch hier eine Art von Erfolg immerhin vorliegen muß. Gelegentlich stellt der Gesetzgeber Vorbereitungshandlungen unter Strafe; 339
344 Im selben Sinne. Geilen, Jura 1979, 614; Kühl, JuS 1981,196. Für die Notwendigkeit einer manchmal schafft er Unternehmenstatbestände, bei denen nach § 11 II Nr. 6 Ver-
Vollendung des § 249 als Tatbestandsvoraussetzung des § 251" Hardtung, 2002, 98 f. such und Vollendung gleichgestellt werden. 3 5 4 In diesen Fällen stellt sich die
345 B e j a h e n d n o c h Tröndle/Fischer49, § 2 5 1 , R n . 2 (A.A. Tröndle/Fischer ; § 2 5 1 , R n . 2 ) ; Mau-
rach/Schroeder, B T / 1 8 , 35/32; v e r n e i n e n d Sch/Sch/Eser26, § 251, R n . 4. Hardtung, 2 0 0 2 , w i l l b e i Frage, ob die versuchte Vorbereitung oder das versuchte Unternehmen (d. h. der
§251 nicht die Wegnahme (103 f.), wohl aber bei § 178 die sexuelle Handlung als Todesursache Versuch des Versuchs) strafbar sind. Sie ist unterschiedlich zu beantworten.
gelten lassen (140 f.).
346 So Hardtung, 2002,149 ff. m. w. N . pro und contra. 349 Ebenso B G H M D R (D) 1975,196.
347 R G S t 69, 322; B G H M D R (D) 1971, 3 6 3 (a.A. R G S t 40, 325, w o die Vollendung des 350 Hardtung, 2002, 23,191 ff, 265 ff.
351 Bsp. bei Hardtung, 2002, 22.
Grundtatbestandes verlangt wird).
352 Hardtung, 2002, 200 f. u. pass.
348 RGSt 62, 422; R G H R R 1941, 521. Diese Rspr. wurde freilich schon dadurch bedingt, 353 Hardtung, 2002, 23; nähere Ausführung 266 ff.
daß der frühere Wortlaut des § 251 die Verursachung des schweren Erfolges durch die Gewalt 354 Vgl. dazu schon Roxi«, AT l 3 , § 10, R n . 124.
verlangte.
442 443
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt II § 29

1. Der Versuch bei Vorbereitungshandlungen blick auf das geschützte Rechtsgut, die Reinheit des Beweisverkehrs, eine Vor-
bereitungshandlung. Trotzdem ist der Fälschungsversuch in § 267 II unter Strafe
340 Der Gesetzgeber stellt Vorbereitungen meist dann unter Strafe, wenn ihm bei gestellt. Damit ist nicht gesagt, daß jeder Versuch einer selbständig mit Strafe be-
gefährlichen Straftaten ein frühzeitiges Einschreiten zur erfolgreichen Delikts- drohten Vorbereitungshandlung im Falle eines Verbrechens (sonst entscheidet
bekämpfung unerläßlich erscheint. Das ist vor allem bei Staatsschutzdelikten, aber ohnehin die gesetzliche Anordnung) strafbar sein muß. Vielmehr muß eine Ana-
auch etwa bei Verschleppungen und Fälschungen der Fall. Dabei bedient er sich lyse der Einzelvorschriften, die ein Problem des Besonderen Teils ist, ergeben, ob
zweier verschiedener legislatorischer Methoden. 355 eine Strafbarkeit bejaht werden kann. Bestehen keine Gegenindizien (die z.B.
341 Die erste besteht darin, ohne neue Tatbestandsbeschreibung die Strafbarkeit auf vorliegen, wenn der Versuchsbereich nach der Tatbestandsfassung unbestimmt
die Vorbereitung bestimmter Delikte zu erstrecken. So verfahren §§83 („wer ein weit geraten würde), kann von einer Strafbarkeit ausgegangen werden.
bestimmtes hochverräterisches Unternehmen vorbereitet") und 234 a III („wer eine
So hat denn auch schon RGSt 68, 430, 436 den untauglichen Versuch eines Ver- 344
solche Tat vorbereitet"). Die zweite Methode ist die, bestimmte Vorbereitungs-
Sicherungsbetruges nach § 265 a. F. (der Täter hielt die Sache irrtümlich für ver-
handlungen zu selbständigen Tatbeständen auszugestalten. So liegt es in §§ 80 sichert) für strafbar erklärt. Auch taugliche Versuche sind hier leicht denkbar (z. B.
(Vorbereitung eines Angriffskrieges durch „Herbeiführung der Gefahr eines Krie- entzündet der Täter ein Feuer, das aber wider Erwarten die versicherte Sache nicht
ges"), 96 I („wer sich ein Staatsgeheimnis verschafft, um es zu verraten"), 149 (Vor- in Brand setzt);357 nach BGH wistra 1987, 26 ist schon das Ausschütten des als
bereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen) und 265 („wer eine gegen Zündstoff dienenden Benzins ein untauglicher Versuch. BGHSt 6, 385 (387) hat
Untergang, Beschädigung, Beeinträchtigung der Brauchbarkeit, Verlust oder auch die versuchte Ausspähung (heute: § 96 I) für strafbar erklärt; ein solcher Fall
Diebstahl versicherte Sache beschädigt, zerstört, in ihrer Brauchbarkeit beein- liegt etwa vor, wenn der Täter mit seinem Ansinnen an die Person herantritt, von
trächtigt, beiseite schafft oder einem anderen überläßt, um sich oder einem Drit- der er sich das Staatsgeheimnis verschaffen will. 358
ten Leistungen aus der Versicherung zu verschaffen" usw.).
2. Versuch bei Unternehmensdelikten
a) Die unselbständigen Vorbereitungshandlungen
Dagegen ist bei Unternehmensdelikten ein selbständig strafbarer Versuch nicht 345
342 Bei den unselbständigen Vorbereitungshandlungen wird mit Recht allgemein
möglich. Wenn bei Unternehmensdelikten Versuch und Vollendung gleichgestellt
angenommen, daß ein Versuch nicht möglich ist. 356 Es gibt also keinen strafbaren werden, so hat das die praktische Bedeutung, daß die Strafmilderungsmöglichkeit
Versuch der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (§ 83) oder der beim Versuch (§ 23 II) entfällt. Es ergibt sich aber aus dem Gesetz kein Anhalts-
Vorbereitung einer Verschleppung nach § 234 a III (dazu BGHSt 6, 85). Denn der punkt dafür, daß auch der Versuch des Versuchs - also die Vorbereitung - unter
taugliche Versuch einer Vorbereitung ist selbst schon eine Vorbereitung. Theore- Strafe gestellt werden soll. Das ist sowohl in der Rspr. 359 als auch in der Literatur
tisch möglich ist allenfalls der untaugliche Versuch einer Vorbereitung. Doch wäre anerkannt.
es rechtsstaatlich mehr als bedenklich, bei entfernten Vorbereitungshandlungen,
deren Strafbarkeit an sich schon besonderer Rechtfertigung bedarf, auch noch
deren untauglichen Versuch zu bestrafen. Daher ist anzunehmen, daß der Gesetz-
E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt
geber die Strafbarkeit über den Versuch hinaus nur auf tatsächlich wirksame Vor-
bereitungen erstrecken wollte. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, sein Strafgrund und die rechtspoli- 346
b) Die selbständigen Vorbereitungshandlungen tische Problematik seiner Strafbarkeit sind schon dargelegt worden (Rn. 1-58,
besonders 6, 18 ff., 24). Darauf ist hier nicht zurückzukommen. Nötig ist es aber,
343 Bei ihnen ist ein Versuch grundsätzlich möglich, weil die selbständigen Delikts-
die Erscheinungsformen des untauglichen Versuchs zu erläutern und die Grenzen
beschreibungen auch und gerade bei tauglichen Versuchen ein „Ansetzen" möglich
seiner Strafbarkeit zu bestimmen, die in mehrfacher Hinsicht (beim untauglichen
machen und wegen des schmalen von § 22 nur erfaßten Raumes auch i. d. R. keine
Subjekt, beim abergläubischen Versuch, beim untauglichen Unterlassungsverstich
bedenkliche Strafbarkeitsausweitung eintritt. Daß der Gesetzgeber hier die Mög-
und bei der Abschichtung vom Wahndelikt) schwierige Probleme bieten. Die Ab-
lichkeit eines Versuchs nicht prinzipiell ausschließen will, zeigen auch gesetzliche
grenzung von tauglichem und untauglichem Versuch, die ebenfalls Gegenstand
Regelungen wie etwa § 267. Das „Herstellen einer unechten Urkunde" ist im Hin-

355 Vgl. LK 10 -Vogler, v o r § 2 2 , R n . 8 8 ff.;Jescheck/Weigend, A T 5 , § 4 9 V I , d i e aber d i e B e s t i m - 357 Sch/Sch/Lenckner26, §265, Rn. 15.
mungen teilweise abweichend den beiden Fallgruppen zuteilen. 358 LK 10 '-Vogler, v o r § 22, R n . 89; Sch/Sch/Stree26, § 9 6 , R n . 14 m i t w e i t e r e n D a r l e g u n g e n .
356 B G H S t 6, 8 5 (87); R G S t 5 8 , 3 9 2 (394); Jescheck/Weigend, A T 5 , § 4 9 V I 3; Sch/Sch/Eser26, 359 RGSt 39, 321 (323f.); 56, 226; 72, 81; BGHSt 5, 281; BGH NStZ 1997, 493 mit zust.
10
vor § 22, Rn. 29; LK -Vogler, vor § 22, Rn. 90 m. w. N. Anm. Krack, NStZ 1998, 462.
444
445
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt I § 29
des Streites ist, wird demgegenüber hier nicht weiter verfolgt, weil sie wegen der will (§ 218 I, IV 1), liegt ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen
Strafbarkeit beider Formen des Versuchs praktisch bedeutungslos ist (grds. zur Objekt vor. Auch dieser Fall ist strafbar, weil es nur auf die Vorstellung des Täters
eigenen Position Rn. 27 f.). von der Tat ankommt (§ 22); danach liegt mit dem Ansetzen der Spritze ein straf-
barer Versuch vor. >

I. Die Erscheinungsformen des untauglichen Versuchs


4. Der Versuch eines untauglichen Subjektes
1. Der Versuch am untauglichen Objekt Dieser Fall des untauglichen Versuchs ist der schwierigste. Ihn erwähnt § 23 III 350
347 Diesen Fall erwähnt § 23 III ausdrücklich mit der Wendung, „daß der Versuch nicht, so daß sich aus dem Gesetz kein deutlicher Anhaltspunkt für seine Behand-
nach der Art des Gegenstandes, an dem ... die Tat begangen werden sollte, über- lung entnehmen läßt. Ein Umkehrschluß vom Schweigen des § 23 III auf die ge-
haupt nicht zur Vollendung führen konnte". Derartige Fälle sind so häufig, daß sie nerelle Straflosigkeit dieser Art des Versuchs ist nicht ohne weiteres möglich, weil
sich der Aufzählung entziehen. Schulbeispiele aus dem Bereich der Tötungs- oder § 22 I den untauglichen Versuch schlechthin unter Strafe stellt („nach seiner Vor-
Körperverletzungsdelikte sind z. B. die, daß der Täter mit dem entsprechenden stellung") und weil der Gesetzgeber noch bei den abschließenden Beratungen im
Vorsatz auf einen gerade Verstorbenen, dessen Tod er nicht erkennt, einschlägt Sonderausschuß360 seine Unschlüssigkeit bekundet hat. Während nämlich der AE
oder auf eine Vogelscheuche oder eine Schaufensterpuppe, die er mit einem Men- in § 25 III Nr. 1 den Versuch ausdrücklich straflos gestellt hatte, „wenn er in der ir-
schen verwechselt, schießt bzw. einsticht. In diesen Beispielen liegt kein taugliches rigen Annahme einer besonderen Pflichtenstellung begründet ist", ist diese Vor-
Objekt (Mensch) als Gegenstand des Versuchs vor; der Täter nimmt dies aber in- schrift absichtlich nicht in das Gesetz übernommen worden. Denn es sei sehr
folge eines objektiv vermeidbaren Irrtums an. Im Bereich der Eigentumsdelikte ist schwer, „für diesen Fall eine Regelung zu finden, die nicht auch ungeeignete Fälle
etwa ein Diebstahl (§242) am untauglichen Objekt gegeben, wenn jemand in der trifft. Da der Fall des .untauglichen Täters' in der Praxis nur sehr selten vorkommt
und die Rspr. nach der Überzeugung des Ausschusses hier zudem ohne eine aus-
Absicht rechtswidriger Zueignung aus Versehen eine eigene Sache wegnimmt, die
drückliche Regelung Straflosigkeit annehmen wird, entschied er sich dafür, von
er für eine fremde hält. Einen untauglichen Versuch der Sachbeschädigung (§ 303)
einer solchen Bestimmung abzusehen". Die weitere wissenschaftliche Diskussion
haben wir vor uns, wenn jemand eine herrenlose Sache zerstört, die er fälschlich
läßt diese Zurückhaltung als berechtigt erscheinen. Bei der Behandlung des Pro-
als in fremdem Eigentum stehend ansieht. Alle diese Fälle sind nach geltendem
blems tut man gut, zwischen heute unstrittigen Konstellationen und solchen zu
Recht als Versuch strafbar.
unterscheiden, die nach wie vor umstritten sind.
2. Der Versuch mit untauglichen Mitteln a) Der unstrittige Bereich
348 Diese Art des untauglichen Versuchs wird in § 23 III so beschrieben, daß der Unstrittig ist zunächst, daß ein strafloses Wahndelikt (dazu Rn. 378 ff.) vorliegt, 351
Versuch „nach der Art ... des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, wenn jemand den Täterbegriff eines bestimmten Tatbestandes durch falsche Aus-
überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte". Auch für diesen Fall gibt es legung überdehnt und dadurch zu der irrigen Annahme kommt, er sei ein geeig-
unzählige Beispiele: Der Mörder (§211) streut in den Tee des Opfers Zucker, den neter Täter. In solchen Fällen liegt ein umgekehrter Subsumtionsirrtum (dazu
er törichterweise für Arsen hält; oder er schießt auf das Opfer mit einer dazu völ- Rn. 383 ff.) vor, der hier wie überall straflos ist. In dem bekannten Schulbei-
lig ungeeigneten Spielzeugpistole, die er als einen scharf geladenen Revolver an- spiel,361 daß eine Putzfrau, „die sich für einen Amtsträger hält, weil sie im Land-
sieht. Auch Täuschungen beim Betrug (§ 263), Wegnahmehandlungen beim Dieb- ratsamt die Räume pflegt, von X einen Geldbetrag mit dem Versprechen" an-
stahl (§ 242) usw. können mit untauglichen Mitteln unternommen werden (z. B. nimmt, „die Akten in der Bußgeldsache gegen X verschwinden zu lassen", liegt
mit Vorspiegelungen, die zur Irreführung oder zur Bewirkung einer Vermögens- also kein strafbarer Versuch der Bestechlichkeit (§ 332) vor. Entsprechendes gilt
verfügung nicht taugen, oder mit Werkzeugen, die zur Öffnung des Tresors unge- auch über den Bereich der Amtsdelikte hinaus. Wenn z. B. ein Beschuldigter un-
eignet sind). Alle diese Fälle des untauglichen Versuchs sind grundsätzlich straf- zulässigerweise von einem Richter vereidigt wird, so ist er auch dann nicht wegen
bar. versuchten Meineides strafbar, wenn er sich aus Unkenntnis des Rechts für eides-
pflichtig und damit für einen tauglichen Täter des § 154 gehalten hat (RGSt 57, 53,
3. Der Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt
349 Der Versuch kann auch in doppelter Weise untauglich sein. Wenn ein Kur-
pfuscher eine Frau irrtümlich für schwanger hält und einen Schwangerschafts- 3« BT-Drucks. V/4095,11.
abbruch durch Verabreichung einer dazu völlig ungeeigneten Spritze bewirken sei Zitiert nach Kühl, AT3, § 15, Rn. 104.
446 447
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt I § 29
54; BGHSt 10, 8, 10). Wer als Beschuldigter einen Meineid schwören will, begeht 1949, 297 f.), in dem der Angeklagte als „amtlicher Wäger und Fleischbeschauer"
also ein Wahndelikt. Falschbeurkundungen im Amt vorgenommen hatte. Seine Ernennung zum Be-
352 Andererseits ist ein (ggf. strafbarer) Versuch immer dann gegeben, wenn die amten war nichtig gewesen, jedoch ist anzunehmen, daß er von einem Sachverhalt
Untauglichkeit des Subjekts lediglich die Folge einer Untauglichkeit des Objekts ausgegangen war, der eine wirksame Beamtenernennung hätte begründen kön-
ist. Wenn eine Frau, die sich irrtümlich für schwanger hält, Abtreibungshandlun- nen.
gen an sich vornimmt, dann ist sie zwar als Nichtschwangere untaugliche Täterin Hier stehen sich zwei entgegengesetzte Auffassungen gegenüber. Nach einer 355
eines Abtreibungsversuchs an sich selbst. Aber diese Täteruntauglichkeit beruht Lehre, die vor allem von Bruns363 zur herrschenden 364 gemacht worden ist, liegt in
nur darauf, daß kein taugliches Objekt (eine Schwangerschaft in Gestalt einer Lei- diesen Fällen ein (ggf. strafbarer) untauglicher Versuch vor. Das zentrale Argu-
besfrucht) vorliegt. Es handelt sich daher, wie in allen Fällen, in denen ein Tatent- ment ist das der Gleichwertigkeit aller Tatbestandsmerkmale. Wenn jemand sich
schluß an der Untauglichkeit des Objektes scheitert, um einen Versuch und nicht irrig Umstände vorstelle, deren Gegebensein einen Tatbestand erfüllen würde, so
um ein Wahndelikt (so schon RGSt 8, 198, 199); freilich ist dieser Versuch heute liege im Ansetzen zur Tatbestandshandlung ein nach § 22 I strafbarer Versuch, ei-
(anders als früher) nach §218 IV 2 straflos. Entsprechendes gilt für den Inzest nerlei, auf welche Merkmale des Tatbestandes sich die Fehlvorstellung beziehe.
(§ 173): Wer mit einer Frau schläft, die er irrtümlich für seine Tochter hält, begeht Dem widerspricht eine andere Lehre, die bei irrtümlicher Annahme einer Sub-
einen Inzestversuch und kein Wahndelikt (RGSt 47,189,191), denn seine Untaug- jektstellung ein Wahndelikt für gegeben hält. 365 Sie beruht auf dem Gedanken,
lichkeit als Täter ist nur das Spiegelbild der Untauglichkeit des Objekts; da die daß auch eine Versuchsbestrafung eine Normübertretung durch den Täter voraus-
Frau nicht sein „Abkömmling" ist, ist sie für den Täter kein geeignetes Objekt ei- setze. An dieser fehle es aber, wenn der Handelnde überhaupt nicht Adressat der
nes Inzestes. Allerdings ist auch dieser Versuch heute straflos. Norm sei. Besonders einprägsam formuliert das Stratenwerth, wenn er sagt, 366 „daß
353 Es kommen aber auch nach geltendem Recht strafbare Versuchsfälle bei objekts- auch der Versuch, um strafbar zu sein, rechtswidrig sein muß, und rechtswidrig ist
bedingter Subjektsuntauglichkeit vor. Wenn jemand z. B. aufgrund falscher Sach- er nur dann, wenn das Gebot oder Verbot, das der Täter zu verletzen meint, tat-
annahmen (zum Problem irriger rechtlicher Beurteilung vgl. Rn. 359) einen in sächlich existiert". Habe ein Verkehrsunfall nicht stattgefunden, so treffe „auch nie-
Wirklichkeit nicht bestehenden staatlichen Steueranspruch zu verkürzen bemüht mand die Verpflichtung, am Unfallort zu bleiben". Die irrige Annahme eines
ist, so ist das als versuchte Steuerhinterziehung strafbar (§ 370 II AO). Zwar ist er Unfalles könne also keinen Versuch nach § 142 begründen (der heute allerdings,
als Täter insofern untauglich, als er im Bereich seiner Deliktsplanung gar kein anders als früher, straflos ist). Jeder Versuch setze einen Handlungsunwert voraus,
Steuerpflichtiger ist; aber das ergibt sich nur daraus, daß es am Tatobjekt, einem zu „der in wirklicher (und nicht nur vermeintlicher) Zuwiderhandlung gegen das
verkürzenden Steueranspruch, mangelt. Häufig ist eine solche Konstellation bei Gesetz besteht".
unechten Unterlassungsdelikten. Wenn ein Vater ein Kind, das er infolge einer Den Vorzug verdient eine vordringende dritte Lösung, die zwischen den Ex- 356
Verwechselung für sein eigenes hält, vor dem Tode zu retten unterläßt, so ist er tremen hindurchfuhrt367 und zwischen Statuspflichten und Allgemeinpflich-
zwar ein untaugliches Subjekt für eine Tötung durch Unterlassen, weil er nicht ten 368 unterscheidet. Zuerst hat Vogler369 darauf hingewiesen, daß man danach
Garant für das Leben des aktuell bedrohten Kindes ist. Seine mangelnde Täterqua- differenzieren müsse, ob die Täterqualität einen Rechtsakt voraussetze (wie beim
lität folgt aber nur daraus, daß das Kind, weil es nicht sein Kind ist, ein untaug- Beamten oder Arzt) oder ob die Täterqualität nur das Ergebnis einer situativen
liches Objekt für eine von ihm ausgehende Tötung durch Unterlassen ist. Der Konkretisierung sei, wie sie z. B. bei der Erfolgsabwendungspflicht aus vorange-
Vater ist daher wegen eines Totschlagsversuchs durch Unterlassen strafbar.362 gangenem Tun vorliegt. Es erscheint durchaus plausibel, daß ein Nichtbeamter
oder Nichtarzt auch durch fälschlich angenommene Umstände nicht die Pflichten
b) Der umstrittene Bereich
354 Sieht man von den Fällen des umgekehrten Subsumtionsirrtums und der Spie- 3« Bruns, 1955,18ff.; ders., GA 1979,161.
gelbildlichkeit von Subjekts- und Objektstauglichkeit ab, so bleiben als strittige 364 Blei, AT18, §67 I 1; Jescheck/Weigend, AT5, §50 III; Uckner/Kühl24, §22, Rn. 13; SK6-
Rudolphi, §22, Rn.26ff.; Sch/Sch/Ese?6, §22, Rn.76; Tröndle/Fischer50, §22, Rn 28- Wessels/
Konstellationen diejenigen übrig, bei denen die Untauglichkeit sich auf das De- Beulke, AT31, Rn.623; allem.w.N. '
liktssubjekt beschränkt und nicht auf einer strafbarkeitsausdehnenden falschen 3
<* Baumann/Weber, AT9, §33 IV 3 a (anders Baumann/Weber, AT10, §26 III 1 d); Foth, JR
Auslegung des Täterbegriffs beruht. Ein solcher Sachverhalt liegt etwa vor, wenn 1965, 371; Langer, 1972, 498; Tiedemann, Schröder-FS, 1978, 295; Zaczyk, 1989, 268ff.;'alle
m. w. N.
ein ehemaliger Beamter, der von seiner Entlassung noch nichts weiß, sich i. S. d. 366
Stratenwerth, Bruns-FS, 1978, 68 f.
§ 332 I bestechen läßt. Hierher gehört auch der vielzitierte Fall (OLG Kiel SchlHA 3«7 Jakobs, AT2, 25/43ff.; Schünemann, GA 1986, 317ff.; LKw-VoSler §22, Rn 153ff. H59V
NK-Z ie /wfei,§§15,16,Rn.35.
368
362 Vgl. zum untauglichen Versuch durch Unterlassen, dessen Strafbarkeit aus anderen So die Terminologie bei NK-Zielinski, §§ 15,16, Rn 35.
Gründen umstritten ist, Rn. 376 f. 369 LKW-Vogler, §22,Rn.l59.

448 449
§ 29 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt I § 29
eines Beamten oder Arztes erlangen und als Nichtadressat der betreffenden N o r - nenflucht begehen, wer sich einem gefälschten Einberufungsbescheid zu entzie-
men diese auch nicht in Form des Versuchs verletzen kann. Dagegen wird man, hen versucht (vgl. § 16 WStG). Wer dagegen irrtümlich die Voraussetzungen einer
wenn man etwa die Garantenstellung aus Ingerenz zugrunde legt, sehr wohl sagen garantenpflichtbegründenden Ingerenz oder Verkehrssicherungspflicht a n n i m m t ,
können, daß jedermann die Pflicht habe, eine von ihm durch eine gefährdende wer von Umständen ausgeht, die eine deklarationspflichtige Steuerschuld (§ 370
Vorhandlung geschaffene drohende Gefahr abzuwenden, auch w e n n diese Pflicht AO) oder eine konkursverdächtige Zahlungskrise (§283) begründen würden,
sich erst in der konkreten Gefahrsituation aktualisiert. Das führt zu dem Ergebnis, kann als untaugliches Subjekt sehr wohl eines strafbaren Versuchs schuldig sein.
daß die irrige A n n a h m e einer Statuspflicht stets ein Wahndelikt ist, einerlei, w o r - Zu beachten ist, daß einen strafbaren untauglichen Versuch begehen kann, wer 360
auf sie beruht, während die irrige A n n a h m e der sachlichen Voraussetzungen einer einen bestimmten Status hat, sich aber über die Identität des seiner Betreuung
Allgemeinpflicht ein Versuch ist: Wer irrtümlich glaubt, er sei es, der den Schwer- oder Ü b e r w a c h u n g unterstehenden Objekts irrt. Es liegt also eine versuchte Ver-
verletzten angefahren habe, und nichts zu dessen R e t t u n g unternimmt, ist also untreuung vor (§ 246 II), „wenn der Vertrauensempfänger und Täter irrig meint,
strafbarer, wenngleich untauglicher Täter eines versuchten Tötungsdelikts. die unterschlagene Sache sei das anvertraute Objekt". 374 Aus demselben Grund b e -
357 Schünemann370 hat diese Differenzierung im Anschluß an Vogler vor allem kriminalpolitisch geht auch der Vater einen Unterlassungsversuch, der bei einer erforderlichen R e t -
fundiert: „Wer sich aufgrund eines umgekehrten Tatbestandsirrtums irrig für einen Amtsträger tung untätig bleibt, aber das bedrohte Kind irrtümlich für sein eigenes hält
hält und daraufhin nach seiner Vorstellung zu einer Falschbeurkundung im Amt ansetzt, kann
auch bei einer Verbesserung seiner Methoden und anderer situativer Gegebenheiten dem (Rn.353).
Rechtsgut niemals gefährlich werden, stellt deshalb für die Rechtsordnung noch weniger eine Die Rspr. ist uneinheitlich, nähert sich aber der hier verfolgten Linie. RGSt 8, 361
Bedrohung dar als der Täter eines abergläubischen Versuchs und hat mithin straflos zu bleiben, 200 3 7 5 hatte die Möglichkeit eines Versuchs aufgrund irrig angenommener B e a m -
während derjenige, der irrtümlich seinen eigenen Hund als Angreifer eines Passanten zu er-
kennen glaubt und den Hund nicht zurückpfeift, auf Grund der hierdurch manifestierten Ein- teneigenschaft abgelehnt; eine Bestrafung sei „insoweit notwendig ausgeschlos-
stellung bei einer bloßen Veränderung der Randbedingungen durchaus gegenüber fremden sen, als die Strafdrohung ihre Grundlage . . . ausschließlich in der vorausgesetzten
Rechtsgütern gefährlich werden kann und deshalb das Sekuritätsgefühl der Allgemeinheit besonderen Verpflichtung . . . hat". Später hat das R G freilich in zwei Entscheidun-
durch seine Handlungen erschüttert, folglich wegen eines strafbaren Versuchs der gefährlichen
Körperverletzung durch Unterlassen ... zu bestrafen ist." gen - ausgerechnet zu den menschenrechtswidrigen „Blutschutzgesetzen" 376 - die
Strafbarkeit eines untauglichen Subjekts bejaht; wer sich irrtümlich für einen
358 Jakobs hat etwa gleichzeitig mit Vogler zwischen „isolierten Pflichten" und Status- Juden hielt, sollte wegen versuchter „Rassenschande" verurteilt werden können.
pflichten unterschieden, aber richtig gesehen, daß man die Statuspflichten nicht Eine Auseinandersetzung mit RGSt 8, 200 findet sich in diesen Entscheidungen
auf die Vermittlung durch Rechtsakte (wie eine Ernennung) beschränken nicht. SchlHOLG (SchlHA 1948, 297) hat dann wieder - ohne die frühere Rspr.
kann: 3 7 1 „Ein Status wird . . . erreicht, w e n n die strafrechtlich sanktionierte Pflicht zu erwähnen - bei irrtümlich bejahter Beamteneigenschaft nur ein strafloses
der Teil eines institutionell abgesicherten Bündels von Beziehungen ist (Beamter, Wahndelikt angenommen.
Soldat, Vater, Mutter, Vormund, Vertrauensempfänger etc.) oder aber den Pflichti- Spätere Entscheidungen k o m m e n im Ergebnis zu ähnlichen Differenzierungen, 362
gen in eine Institution hineinzieht (... die Hilfsperson bei § 203 Abs. 3 StGB)." wie sie hier angenommen werden. So wurde eine strafbare versuchte Unfallflucht
Das ist sachgerechter, führt aber, wie znchjakobs sieht, 372 zu Abgrenzungsschwie- bejaht, w e n n jemand irrig einen Verkehrsunfall verursacht zu haben glaubte und
rigkeiten. So erscheint es z. B. als angemessener, die Aussage- u n d Eidespflichten sich entfernte. 3 7 7 Die irrige A n n a h m e drohender Zahlungsunfähigkeit wurde als
der §§ 153, 154 als Jedermannspflichten zu beurteilen, die in bestimmten Prozeß- Versuch nach § 2 8 3 I, III beurteilt. 3 7 8 Dagegen ist heute anerkannt, daß ein
situationen nur aktualisiert werden, während Jakobs in der Zeugenstellung einen Nichtsoldat, der sich für einen Soldaten hält und de facto als solcher tätig ist, keine
Status sieht (zu den Konsequenzen näher R n . 356). versuchte Fahnenflucht begehen kann. 3 7 9 Auch im Falle der irrig angenommenen
359 Doch läßt sich durchweg auf dieser Basis eine einleuchtende Differenzierung Amtsträgereigenschaft würde der B G H heute wohl auf Straffreiheit erkennen.
durchführen. 3 7 3 Der Beamte, Treuhänder, Geheimnisträger, Richter und Vater
kann nicht durch die A n m a ß u n g eines solchen Status zum strafbaren Täter des
Versuchs eines untauglichen Subjekts werden. Ebenso kann keine versuchte Fah-
37t Jakobs, AT2, 25/47.
375 RG GA 1884, 243 distanziert sich freilich von dieser Rspr., auf die aber z.B. RGSt 29
370 Schünemann, GA 1986, 318. Stöger, 1961, 53ff., 68 ff., 78 stellt in ähnlicher Weise auf die 419, 421 wieder Bezug nimmt.
Gefährlichkeit des Versuchs ab und entscheidet danach, ob der Ausführende bei veränderter 376 RG JW1938, 798; RGSt 72,110.
Lage das Delikt als Täter begehen könnte. 377 BayObLGSt 1952, 31; OLG Stuttgart NJW 1978, 900.
371 Jakobs, AT2, 25/46. 378 B GH, bei Tiedemann, NJW 1979, 254, der aber selbst a.A. ist (das., Schröder-FS 1978
372 Jakobs, A T 2 , 2 5 / 4 9 . 295 f. m. w. N.).
373 Vgl. zu den Beispielen NK-Zielinski, §§ 15,16, Rn. 35. 37« BGH NZWehrR 1967,173; OLG Celle MDR1962, 327.
450 451
§29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt II §29
§ 29 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
deswegen erträglich, weil bei steigender Abwegigkeit der Tätervorstellung der
II. Der Versuch aus grobem Unverstand ontologische schließlich in einen nomologischen Irrtum übergeht: Wer den Spiel-
zeugcharakter der Pistole erkennt und trotzdem damit schießen zu können glaubt,
363 Bei einem untauglichen Versuch aus „grobem Unverstand" kann das Gericht oder wer meint, ein Körper, der schon Verwesungsspuren ^ufweist, könne noch
nach § 23 III „von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern leben, der irrt schon über Seinsgesetze. Ontologische und nomologische Irrtümer
(§49 II)". Die Privilegierung gilt nur für von vornherein ungefährliche Versuche.
lassen sich also nicht immer ganz scharf trennen. 386
Deren Abgrenzung von den gefährlichen Versuchen kann im Einzelfall schwierig
Strittig ist, ob „grober Unverstand" auch vorliegen kann, wenn die abwe- 366
sein. Doch entgeht § 23 III den daraus sich ergebenden Problemen, weil „grober
gige Tätervorstellung von mehreren oder gar vielen geteilt wird (etwa beim
Unverstand" voraussetzt, daß die Ungefährlichkeit des Versuchs offensichtlich
Abtreibungsversuch mit Senfbädern und Seifenwasser, der nach Schweiz. BGE 70
ist. 380 Der Gesetzgeber hat dabei an Fälle wie die gedacht,381 daß „eine Täterin an
IV, 49, 50 in weiten Kreisen des Volkes für tauglich gehalten wird). Jakobs387 be-
sich selbst eine Abtreibung versucht, obwohl ihr bei Kenntnis der allereinfachsten
jaht das, weil „Unverstand durch weite Verbreitung nicht zum Verstand wird";
Naturgesetze hätte offenbar sein müssen, daß sie gar nicht schwanger war oder
jedoch wird man die „Grobheit" eines verbreiteten Unverstandes nicht selten be-
ihre Schwangerschaft mit dem angewandten Mittel unter keinen Umständen hätte
zweifeln können. Praktisch empfiehlt es sich, danach zu unterscheiden, ob die
beseitigt werden können". Da ein Versuch nach § 218 bei Frauen heute ohnehin
Unverständigen, die etwa einem besonderen Zirkel angehören, von keinem Ver-
straflos ist (§ 218 IV 2), muß man sich den Fall etwa so denken, daß der unerfahre-
ständigen ernstgenommen werden (dann grober Unverstand) oder ob auch kom-
ne junge Mann an seiner Freundin einen Abtreibungsversuch mit Kamillentee
petente Leute das angewandte Verfahren vereinzelt für tauglich halten (kein gro-
vornimmt (RGSt 1, 439). ber Unverstand). So lag es in dem vom schweizerischen BG entschiedenen Fall, da
364 Wie die Beispiele zeigen, wird ein derart lebensferner Unverstand in der Praxis es „sogar Mediziner" gab, die die genannte Abtreibungsmethode für geeignet hiel-
kaum je vorkommen. Jedenfalls ist noch nicht eine einzige höchstrichterliche Ent- ten.
scheidung zu § 23 III bekanntgeworden, in der grober Unverstand bejaht wird. Strittig ist auch, inwieweit § 23 III analog angewandt werden kann. Viele Auto- 367
Der E 1962, auf den die Vorschrift zurückgeht, definiert den „groben Unverstand" ren wollen diese Bestimmung auf den Fall des untauglichen Subjekts erstrecken;388
als „eine völlig abwegige Vorstellung von gemeinhin bekannten Ursachenzusam- z. B. „wenn jemand ein offensichtliches Scherzschreiben für eine Beamtenernen-
menhängen ..., die nicht auf Schwachsinn zu beruhen braucht*. Es seien Versuche, nungsurkunde hält".389 Aber bei der irrtümlichen Anmaßung eines Beamtenstatus
die „kein besonnener Mensch" ernst nimmt. Der Irrtum muß, wie es in der Litera- liegt ohnehin ein Wahndelikt vor, so daß es nicht des § 23 III bedarf, um zur Straf-
tur heißt, 382 „vom Verständigen weit" abweichen, „für jeden Menschen mit durch- losigkeit zu kommen (Rn. 356). Auch wo jemand sein Verhalten aufgrund grob
schnittlichem Erfahrungswissen geradezu handgreiflich" sein;383 es muß die Un- unverständiger Rechtsbeurteilung für strafbar hält, braucht man keine analoge
gefährlichkeit des Versuchs „aus besonderer Dummheit verkannt worden" sein. Anwendung des §23 III, 390 sondern kann ein Wahndelikt annehmen (näher
Bildlich ausgedrückt: Ein einsichtiger Drittbeurteiler muß sich an den Kopf fassen Rn. 381 ff.). Dagegen ist es angemessen, §23 III analog auf tatbestandlich verselb-
und ausrufen: „Wie ist so etwas nur möglich!" 384 Als weitere Beispiele lassen sich ständigte Versuchshandlungen anzuwenden; 391 wer also einen Reisepaß in einer
etwa der Versuch denken, mit einem Luftgewehr ein hochfliegendes Flugzeug ab- Weise fälscht, die keinen vernünftigen Menschen täuschen kann, dessen Torheit
zuschießen oder jemanden mit bekanntermaßen völlig harmlosen Substanzen zu kann die Nachsicht des § 23 III erfahren.
vergiften. Nicht unstrittig ist ferner, ob ein Fall des § 23 III vorliegt, wenn jemand glaubt, 368
365 Man wird den „groben Unverstand" auf „nomologische" Irrtümer (Irrtü- eine Frau sei durch einen Kuß schwanger geworden und daraufhin einen an sich
mer über Naturgesetee) beschränken müssen und nicht auf „ontologische" Irrtü- tauglichen Abtreibungsversuch an ihr vornimmt. Zum Teil wird das verneint: 392
mer (Irrtümer über Sachverhalte) ausdehnen dürfen. 385 Wenn also jemand bei sei-
386
nem Mordversuch eine Spielzeugpistole für eine Schußwaffe oder einen ersicht- Radtke, JuS 1996, 882, sieht darin einen Anlaß, „über die Differenzierung beider Irrtums-
arten im Rahmen des § 23 III neu nachzudenken". Roth, JuS 1998,1113 will aus dem in Rn. 365
lich Toten für einen Schlafenden hält, ist das noch kein grober Unverstand. Das ist geschilderten Grunde auch den ontologischen Irrtum dem § 23 III unterstellen.
387 Jakobs, AT2, 25/83; zust. B. Heinrich, Jura 1998, 393, 397.
38° Ähnlich auch B. Heinrich, Jura 1998, 393, 395. 388
Bruns, GA 1979, 167; Gössel, GA 1971, 236; Lackner/Kühl24, § 23, Rn. 7; Maurach/'Gössel,
381 BT-Drucks.2 IV/650,145. Hier auch die nachfolgenden Zitate. AT/27, 40/175; SK6-Rudolph, §23, Rn.9; Sch/Sch/Eser2*, §23, Rn.16; Tröndle/Fischer™, §23,
3« Jakobs, AT , 25/83 (erstes Zitat); Sch/Sch/Eserg, §23, Rn.17 (zweites Zitat); Stratenwerth, Rn.6.
AT3, Rn. 695. 38« Sch/Sch/Eser26, § 23, Rn. 16.
383 3M Für die Herzberg, JuS 1980, 476 plädiert.
Auch BGHSt 41, 95 übernimmt diese Formeln: „für jeden Menschen mit durchschnittli- 39
chem Erfahrungswissen offenkundig, ja geradezu handgreiflich". ' Jakobs, AT2, 25/85.
392
38* Roxin, in: Roxin/Stree/Zipf/Jung, 21975,19. Besonders deutlich bei B. Heinrich, Jura 1998, 396 m. w. N.
385 Ebenso B. Heinrich, Jura 1998, 393, 396. 453
452
§ 29 II 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt III § 29
Hier sei zwar die Motivation zum Handeln grob unverständig, weil ein Kuß nicht halb ist die bloße Kann-Milder ung des § 23III verfassungskonform im Sinne einer
zu einer Schwangerschaft führen kann. Das Handeln als solches, das Abtreibungs- obligatorischen Strafmilderung zu interpretieren 400 und auch diese aufden Grenz-
bemühen, sei jedoch nicht unverständig. Jedoch wird man hier von einem Versuch bereich von untauglichem und grob unverständigemVersuch zu beschränken.
am untauglichen Objekt sprechen müssen; und dieser fällt nach dem Wortlaut des
Gesetzes unter § 23 III. Aus der Gesetzesbegründung 393 läßt sich entnehmen, daß
nur der Bereich von der Privilegierung ausgeschlossen werden sollte, „der nicht III. Der abergläubische Versuch
mehr dem untauglichen Versuch zuzurechnen ist, so die Fälle, in denen die Moti- Ein abergläubischer (irrealer) Versuch liegt vor, wenn der Handelnde sein de- 371
vation des Täters auf grobem Unverstand beruht". Es sind daher nur die Fälle vom liktisches Ziel mit übernatürlichen Mitteln zu erreichen versucht. Während also
Anwendungsbereich des § 23 III auszuschließen, bei denen ein Versuch mit der Täter des grob unverständigen Versuchs die Naturgesetze in seinen Dienst
tauglichen Mitteln am tauglichen Objekt auf grob unverständigen Motiven nehmen will, deren Wirken er freilich völlig verkennt, verwendet der abergläu-
beruht: z. B. wenn jemand seine Frau zu erschlagen versucht, weil er meint, sie sei bisch Versuchende Methoden, die auch nach seiner Meinung außerhalb der Na-
vom Teufel besessen. turgesetze stehen: das Totbeten, Beschwörungs- und Zauberformeln, Sympathie-
369 Die Fälle des „groben Unverstandes" bedürfen im Grunde keiner Strafe. 394 mittel (RGSt 33, 321).
Denn wenn es sich selbst nach Meinung des Gesetzgebers um Taten handelt, die Das geltende Recht läßt nicht klar erkennen, ob der abergläubische Versuch 372
„kein besonnener Mensch ernst nimmt" (Rn. 364), fehlt der rechtserschütternde strafbar sein soll. Er ließe sich ohne weiteres unter den Wortlaut des § 23 III sub-
Eindruck, ohne den beim ungefährlichen Versuch kein hinreichender Strafgrund sumieren. Dagegen spricht aber, daß bei einer solchen Auslegung § 23 III entge-
besteht (Rn. 12, 19). Die Begründung des E 1962 hatte das grundsätzliche Be- gen seiner strafbarkeitseinschränkenden Funktion strafausdehnende Wirkung ge-
stehenbleiben der Strafbarkeit damit begründet, daß der möglicherweise erheb- wönne; denn vor der Strafrechtsreform war die Straflosigkeit des abergläubischen
liche verbrecherische Wille des grob unverständigen Täters eine spätere Wieder- Versuchs auch in der Rspr. unbestritten (RGSt 33, 321). Die Gesetzesmaterialien
holung mit tauglichen Mitteln befürchten lassen könne. 395 Jedoch kann die - sind leider sehr unklar. Es heißt dort, 401 in Fällen, „in denen der Täter lediglich ei-
ohnehin nur zu vermutende - Gefährlichkeit eines Täters für die Zukunft allein nem abergläubischen Wahn folgt und etwa durch Totbeten' einen Menschen oder
keine Strafbarkeit begründen (Rn. 18 f.).396 §§25 III Nr. 2 und 15 III österr. StGB durch .Behexen' ein Tier töten zu können glaubt" fehle es an einem untauglichen
kommen denn auch zur Straflosigkeit des grob unverständigen untauglichen Ver- Versuch „in der Regel schon deswegen, weil Handlungen, die allein von unwirk-
suches. lichen Hoffnungen und Wünschen getragen sind und noch kein rechtserhebliches
370 Der Sonderausschuß397 ist den Kritikern der Strafbarkeit398 insoweit entgegen- Wollen enthalten, für die Annahme eines Vorsatzes nicht genügen". Daraus ließe
gekommen, als durch das Voranstellen der Möglichkeit des Absehens von Strafe sich folgern, daß der Gesetzgeber den abergläubischen Versuch nicht für strafbar
zum Ausdruck gebracht werden soll, „daß der Richter in erster Linie das Absehen hält; die Worte, daß es an einem untauglichen Versuch nur „in der Regel" fehle,
von Strafe in Erwägung zu ziehen hat". Im Normalfall wird also keine Strafe ver- stellen aber diese Annahme für einen Teil der Fälle (welchen?) in Frage. Für eine
hängt werden dürfen. Für das, wenn auch nachrangige, Bestehenbleiben der Straf- generelle Bejahung der Strafbarkeit durch den Gesetzgeber spricht aber dann der
verhängungsmöglichkeit hat der Sonderausschuß auf vermeintlich strafwürdige zur Rechtfertigung des § 23 III herangezogene Satz, ein Versuch könne „... aber-
Fälle hingewiesen: „so etwa bei einem Mordversuch unter Verwendung eines gläubisch sein ..., gleichwohl aber kann in ihm ein erheblicher verbrecherischer
Beruhigungsmittels, von dem der Täter annimmt, es wirke in der von ihm ge- Wille zutage treten, der befurchten läßt, daß er sich nach dem Fehlschlag auf an-
wählten Dosis tödlich". Doch ist ein derartiger Irrtum kein Fall groben Unverstan- dere, taugliche Weise durchzusetzen versucht".
des, da die Wirkung bestimmter Stoffe für den Laien kaum abschätzbar ist (so auch
Angesichts dieser Widersprüche muß die Frage mit Sachargumenten entschie- 373
BGHSt 41, 94 399 für den Fall der Verwendung einer zu geringen Giftmenge). Des- den werden. Diese sprechen eindeutig gegen die Strafbarkeit. „Wir bestrafen die
393
Zauberei nicht mehr, und daraus folgt, daß wir auch die versuchte Zauberei nicht
Bericht des Sonderausschusses, BT-Drucks. V/4095,12. strafen dürfen. Dämonen anzurufen, die Unterwelt zu beschwören oder den Zorn
394
Ebenso Jescheck/Weigend, AT5, §50 I 5 b bb: „ein Strafbedürfnis im Grunde zu vernei-
nen". des Himmels auf einen anderen herabzuflehen, steht jedermann frei."402 Die juri-
395 BT-Drucks. IV/650,145. stische Begründung der Straflosigkeit schwankt. Vielfach wird nach dem Vorbild
396
Gut dazu Stratenwerth, AT4, § 11, Rn. 60: „... verbietet sich für ein Tatstrafrecht".
39* BT-Drucks. V/4095,12. 400 SK6-Rudolphi, § 23, Rn. 10; Sch/Sch/Eser26, § 23, Rn. 18; LK10'-Vogler, § 23, Rn. 36.
398
Der AE (§ 25 Nr. 3) hatte den Versuch straflos gestellt, „wenn er auf grobem Unverstand «01 Begr. zu § 27 III E 1962, auf den der heutige § 23 III zurückgeht (BT-Drucks. IV/650,
beruht und deshalb von vornherein ungefährlich ist".
399
Zu diesem Urteil Radtke, JuS 1996, 878; B. Heinrich, Jura 1998, 396. 145).
"02 Bockelmann, 1957,160f.
454
455
§ 29 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt IV § 29
403
des E 1962 (Rn. 372) schon der Vorsatz bestritten. Das ist insofern zweifelhaft,
als der Täter immerhin von seiner Fähigkeit zur schädlichen Einwirkung auf das IV. Der untaugliche Unterlassungsversuch
Tatobjekt ausgeht. Warum die Abwegigkeit dieser Annahme den Vorsatz ausschlie-
Die grundsätzliche Strafbarkeit des Unterlassungsversuchs (dazu Rn. 266) steht 376
ßen soll, wenn der grobe Unverstand dies nicht tut, ist nicht ohne weiteres ersicht-
heute außer Zweifel. Die Strafbarkeit des untauglichen Unterlassungsversuchs
lich. Die richtige Begründung für die Straflosigkeit liegt darin, daß der abergläu-
wird jedoch von Rudolphi40*1 und Schmidhäuser409 bestritten. Beide gehen davon
bische Versuch, weil er von jedermann als lächerlich empfunden wird, gänzlich
aus, daß es sich bei der Bestrafung des untauglichen Versuchs um ein Gesinnungs-
des rechtserschütternden Eindrucks entbehrt, so daß sich seine juristische Irrele- strafrecht handele. Da objektiv keine Gefahr drohe und der Täter auch keine auf
vanz schon aus dem Fehlen des Strafgrundes erklärt, der der Strafbarkeit anderer Rechtsgutsverletzung zielende Handlung vornehme, bleibe nur die in seinem
ungefährlicher Versuche zugrunde liegt (vgl. Rn. 10 ff., 12,18).404 Willensentschluß liegende böse Gesinnung als Grund der Strafbarkeit übrig;
374 Herzberg405 will den abergläubischen Versuch als erlaubtes Risiko aus dem ob- „während beim Begehungsdelikt immerhin zur Verwirklichung eines verpönten
jektiven Tatbestand ausgrenzen. Daran ist richtig, daß der abergläubische Versuch Willensziels gehandelt wird, bleibt - wenn der Täter sich eine gefährliche Lage
weitergehend von vornherein überhaupt kein rechtlich relevantes Risiko der Tat- oder eine Rettungsmöglichkeit irrig vorstellt - alles nur böser Gedanke, der allein
bestandsverwirklichung schafft. Aber das tut der grob unverständige Versuch auch das Unrecht und die Strafbarkeit nie begründen kann".410 Der BGH hat zu der
nicht, der dennoch prinzipiell unter Strafe steht (§ 23 III). Wenn der Gesetzgeber Frage bisher nicht Stellung genommen. In BGHSt 38, 359 werden beiläufig die
aber schon ausnahmsweise bei den ungefährlichen Versuchen die Strafbarkeit an- Unterlassungsfälle erwähnt, „in denen keinerlei Gefahr für das Rechtsgut besteht".
statt auf die Risikoschaffung auf den rechtserschütternden Normbruch gründet, Die Entscheidung fährt dann fort: „Es kann dahinstehen, ob in diesen Fällen eine
ist doch dieses Kriterium, dessen gesetzgeberische Bejahung schon beim grob un- Ausnahme von dem Grundsatz gilt, daß der Versuch eines unechten Unterlas-
verständigen Versuch selbst in der gemilderten Form des § 23 III kriminalpolitisch sungsdeliktes strafbar ist."
fragwürdig ist, beim abergläubischen Versuch schlechthin nicht erfüllt — und dar-
Die für die Straflosigkeit eines untauglichen Unterlassungsversuchs vorgebrach- 377
auf gründet sich dessen NichtZurechnung zum objektiven Tatbestand.
ten Argumente überzeugen jedoch nicht.411 Denn ein untauglicher Unterlassungs-
375 Einzelne Autoren plädieren auch heute noch dafür, den abergläubischen Versuch
versuch ist ex ante genauso gefährlich wie ein entsprechender Begehungsversuch,
dem § 23 III zu unterstellen. 406 Das wird aber nicht mit der Strafbedürftigkeit
sofern auch ein einsichtiger Drittbeurteiler eine zum Eingreifen verpflichtende
dieser Fälle, sondern mit der Schwierigkeit der Abgrenzung von abergläubischen
Situation angenommen hätte. Wenn z. B. einem Vater, der mit seinem Kind zum
und nur grob unverständigen Versuchen begründet. Jedoch ist die Abgrenzung im
Baden ans Meer gegangen ist, glaubwürdig mitgeteilt wird, daß sein Kind in
Prinzip klar: Wer mit Hilfe von Kamillentee einen Fruchtabgang herbeiführen zu
Lebensgefahr schwebe und dringend seiner Hilfe bedürfe, dann ist sein Untätig-
können meint, ist nicht abergläubisch, sondern nur dumm, muß also nach § 23 III
bleiben gefährlich und strafbedürftig — auch wenn sich später herausstellt, daß die
behandelt werden. Abschichtungsschwierigkeiten in Grenzfällen können aber
Information auf einer Personenverwechslung beruhte. 412 Es ist keineswegs nur
hier, wie überall im Recht, keinen Verzicht auf Unterscheidungen begründen.
eine Gesinnungsfrage, sondern ein tatbestandsnahes Versuchsunterlassen, wenn
Wenn man dazu noch, wie Otto407, den § 23 III für den Fall des abergläubischen
der Vater unter derart alarmierenden Umständen ein Eingreifen ablehnt. Anders
Versuchs so auslegt, daß „hier das Ermessen des Richters dahin gebunden ist, in
ist es freilich bei einem für einen Beobachter von vornherein als ungefährlich er-
diesen Fällen von Strafe abzusehen" muß man die Abgrenzung doch wieder
kennbaren Unterlassen (wenn z. B. das vermeintlich gefährdete Kind deutlich
durchführen, sofern man nicht alle Fälle des grob unverständigen Versuchs einer
sichtbar am Strande spielt). Auch dies ist nach geltendem Recht strafbar.413 Doch
solchen Rechtsfolgeregelung unterwirft.
ist das daraus entstehende Problem nicht anders gelagert als beim aktiven Be-
gehungsversuch.414 Es ist zudem von geringer praktischer Bedeutung, weil un-
"03 So etv/ajakobs, AT2, 25/22; Rath, JuS 1998,1113; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 620.
«°« So z.B. Kühl, AT3, §15, Rn.93. Ebenso Ebert, AT3, 125; Gössel, GA 1971, 233; Jescheck/ r
Weigend, AT5, §50 I 6;J. Meyer, ZStW 87 (1975), 618f.; SK6-Rudolphi, §22, Rn.34f.; Sch/Sch/ "08 Rudolphi, MDR 1967, 2; ders., SK7, vor § 13, Rn. 55.
Ese?6, § 22, Rn. 65; Schünemann, GA 1986, 315.
"09 Schmidhäuser, LB AT2,17/27, 28.
«5 Herzberg, GA 2001, 267 ff. 410
Schmidhäuser, LB AT2, 17/27. Auch Niepoth, 1994; ders., (in guter Zusammenfassung), JA
•»06 Baumann/Weber, AT10, §26 III 1 e (etwas zweifelnd); Guhra, 2002, 41 f.; Otto, AT6, §18 1994, 337, verneint neuerdings die Strafbarkeit des untauglichen Unterlassungsversuchs, indem
IV 3 b; Stratenwerth, AT4, § 11, Rn.61; Schmidhäuser, LB AT2, 15/44ff. (anders ders., StuB AT2, er zwar die Strafwürdigkeit bejaht, die Strafbedürftigkeit aber ablehnt.
11/45); differenzierend ß. Heinrich, Jura 1998, 393, 398, der gleichwohl meint, daß sich „eine tu BGHSt 38, 359 läßt die Frage dahinstehen.
sinnvolle Grenzziehung zwischen einem grob unverständigen und einem abergläubischen Ver- 412
So auch im Anschluß an ihren Lehrer Hirsch die Monographie von Malitz, 1998.
halten ... nicht ziehen läßt". 4
" Wie auch Malitz, 1998, 291, einräumt.
"°7 Otto, AT6, § 18 IV 3 b (hier auch das folgende Zitat). 414
Vgl. dazu die Ausführungen zum Strafgrund des Versuchs (oben Rn. 9—58).
456
457
§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V § 29
gefährliche Unterlassungsversuche mangels äußerer Anhaltspunkte nur selten be- glaubt, dieses aber dem Finanzamt nicht deklariert, ist das ein strafbarer Versuch
weisbar sein werden.415 einer Steuerhinterziehung (§ 370 II AO). Die Frage, ob ein Wahndelikt vorliegt,
kann nur auftauchen, wenn sich der Handelnde in einem ihn belastenden Rechts -
irrtum befindet, indem er z. B. dem Finanzamt einen Gefdeingang verschweigt,
V. Die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt
von dem er fälschlich annimmt, er müsse ihn versteuern (dazu Rn. 394ff.,
1. Der einfache Grundgedanke und der schwierige Grenzbereich Rn. 409f., 416). Von der Regel, daß Sachverhaltsirrtümer kein Wahndelikt be-
gründen können, gibt es eine - umstrittene und schon besprochene - Ausnahme:
378 Die Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt ist im Kern ein-
die irrtümliche Ausnahme einer Statuspflicht (Rn. 356ff): Wer also eine Fäl-
fach: Wer bei seiner Handlung irrig von Umständen ausgeht, bei deren Gegeben-
schung für eine Beamtenernennungsurkunde hält und daraufhin ein vermeint-
sein er einen Tatbestand erfüllen würde, begeht einen untauglichen Versuch. Wer
liches Amtsdelikt begeht, verübt ein strafloses Wahndelikt, obwohl sein Irrtum
dagegen alle äußeren Umstände zutreffend übersieht, aber fälschlich annimmt,
auf tatsächlichem Gebiet liegt.
sein Verhalten verstoße gegen ein strafrechtliches Verbot, verübt ein strafloses
Wahndelikt. Wer also den Baumstamm, auf den er schießt, in der Dämmerung irr- b) Die Annahme nicht existierender Tatbestände als Wahndelikt
tümlich als einen Menschen ansieht, begeht einen Tötungsversuch. Wer dagegen
Hierher gehören Fälle wie die, daß jemand Ehebruch begeht, sich auf einen 381
im eigenen Waldgelände auf einen von ihm als solchen erkannten Baumstamm
Partnertausch einläßt, homosexuelle Handlungen vornimmt oder „Unzucht" mit
schießt und dies für strafbar hält, begeht ein Wahndelikt. Die Straflosigkeit des
Tieren treibt und dabei davon ausgeht, derartiges Verhalten sei strafbar. Solche Irr-
Wahndelikts ergibt sich aus dem Grundsatz nulluni crimen sine lege416 (Art. 103 II
tümer sind möglich, weil die genannten Handlungen tatsächlich noch bis weit in
GG): Wo kein Straftatbestand besteht, sind Vollendung und Versuch gleicher-
die Nachkriegszeit hinein mit Strafe bedroht waren.417 Natürlich können die fal-
maßen unmöglich. Die rechtsfeindliche Gesinnung des Täters allein kann keine
schen rechtlichen Vorstellungen den „Täter" nicht strafbar machen, weil für sein
Strafbarkeit begründen.
Verhalten keine Strafvorschrift zur Verfügung steht. Entsprechendes gilt, wenn je-
379 Trotz der Selbstverständlichkeit des Grundgedankens ist die Unterscheidung
mand etwas für strafbar hält, was unter der Geltung des StGB nie unter Strafe
von untauglichem Versuch und Wahndelikt jedoch im Grenzbereich sehr schwie- stand: den Gebrauchsdiebstahl (abgesehen von §248 b), die Bemühungen eines
rig und bis heute nicht abschließend geklärt. Begeht z.B., wer vor einem Staats- Delinquenten, seine Bestrafung zu vereiteln, die Flucht aus der Haft oder die
anwalt einen Eid ablegt, einen versuchten Meineid, weil er ein Tatbestandsmerk- heimliche Benutzung eines fremden Telefons.
mal („zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle") irrtümlich angenommen hat?
Oder verübt er ein strafloses Wahndelikt, weil er ein nicht pönalisiertes Verhalten c) Die Verkennung von Rechtfertigungsgründen und anderen Bestrafungs-
(Schwur vor einem zur Eidesabnahme unzuständigen Staatsanwalt) fälschlich für hindernissen als Wahndelikt
strafbar gehalten hat? Solche Fragen werden bis heute in Literatur und Rspr. un- Wenn jemand sein Eigentum gegen einen fliehenden Dieb verteidigt, indem er 382
terschiedlich beantwortet (näher Rn. 394 ff, Rn. 417). Trotz derartiger Unklarhei- ihn im Rahmen des Erforderlichen ins Bein schießt, ist das durch Notwehr (§ 32)
ten besteht aber in weiten Bereichen über die Abgrenzung Einigkeit, und zwar gedeckt.418 Hält der Täter dies für strafbar, weil er meint, man dürfe sich nur ge-
teilweise in dem Maße, daß es darüber nicht einmal Entscheidungen gibt. Mit den gen körperliche Angriffe mit der Schußwaffe verteidigen, so begeht er gleichwohl
(mehr oder weniger) unumstrittenen Konstellationen soll hier begonnen werden. nicht den Versuch einer Körperverletzung (§ 224), sondern ein Wahndelikt. Straf-
los ist ebenso, wer einen anderen unter den Voraussetzungen der vorläufigen Fest-
2. Der unstrittige Bereich nahme (§ 127 StPO) arretiert und dies für eine strafbare Freiheitsberaubung
a) Sachverhaltsirrtümer führen (fast) nie zum Wahndelikt (§ 239) hält, weil er glaubt, nur Strafverfolgungsorgane dürften Festnahmen vor-
nehmen. Ebenso verhält es sich bei der Verkennung von Entschuldigungsgründen:
380 Wenn der Täter sich einen Sachverhalt vorstellt, der einen Tatbestand erfüllen
Wer unter den Voraussetzungen des § 35 eine rechtswidrige Tat begeht, ist auch
würde, kann sein auf Verwirklichung dieses Sachverhaltes gerichtetes Tun i. d. R.
dann straflos, wenn er sie selbst für strafbar hält. Nicht anders ist es bei Strafaus-
nur einen untauglichen Versuch und kein Wahndelikt begründen. Wenn also ein
schließungsgründen (oder objektiven Bedingungen der Strafbarkeit): Der Parla-
zerstreuter Professor irrtümlich ein hohes Gutachterhonorar erhalten zu haben
mentarier, der im Bundestag jemanden beleidigt, begeht im Hinblick auf § 36
415
Hier liegt auch der Grund, warum Niepoth (wie Fn. 408) diese Fälle durch die Annahme
eines
4
Strafausschließungsgrundes von Strafe freistellen will. 417
Vgl. Roxi«, ATI3, §2, Rn.3.
« Vgl. Herzberg, ]uS 1980, 469. 4
« Roxin, AT l3, § 15, Rn. 46.
458
459
§ 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V § 29
§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Der Satz, daß überdehnende Interpretationen von Tatbestandsmerkmalen zum 385
auch dann ein Wahndelikt, wenn er selbst sein Verhalten als strafbar beurteilt (frei-
Wahndelikt führen, gilt für alle Merkmale, so daß es keiner weiteren Beispiele be-
lich wäre auch ein Versuch straflos). darf. Es sei nur noch bemerkt, daß er auch für solche Tatbestandsmerkmale gilt,
d) Die Überdehnung von Tatbestandsbegriffen alsWahndelikt die nicht ausdrücklich im Gesetz benannt werden, sondern aus dem Kontext der
383 Nicht ganz unstrittig, aber doch heute weitgehend anerkannt ist das Vorliegen Bestimmung erst erschlossen werden müssen.
eines Wahndelikts bei der Überdehnung von Tatbestandsmerkmalen, d. h. wenn So ist anerkannt, daß eine Wartepflicht nach § 142 nicht entsteht, wenn jemand 386
der Täter ein Merkmal zu seinen Lasten falsch definiert. In der Rspr. ist das Pro- durch einen von ihm verursachten Verkehrsunfall „ausschließlich selbst Schaden
blem vor allem beim Tatbestand der Urkundenfälschung aktuell geworden. Im erleidet" (BGHSt 8, 263); denn die ratio des § 142 liegt in der Sicherung fremder
Fall BGHSt 13, 235 hatte der Angeklagte Bezugskarten drucken lassen, deren lose Ersatzansprüche. Wenn nun jemand, bei dem allein eine Selbstschädigung in Be-
Abschnitte zum Einkauf von Zigaretten in den Kantinen ausländischer Streit- tracht kommt, sich irrtümlich für wartepflichtig hält, überdehnt er das „un-
kräfte dienen sollten. Den Karten und Abschnitten fehlten der Aussteller und die geschriebene Tätbestandsmerkmal" der „passiven Feststellungspflicht" (BGHSt 8,
Beweisbestimmung, der Angeklagte hatte sie aber trotzdem für Urkunden gehal- 265) und begeht keine versuchte Unfallflucht, sondern ein Wahndelikt (BGHSt 8,
ten. Der BGH erklärte dazu (aaO., 240f.): „Glaubte er ..., die losen Abschnitte 268).421 Der Umstand, daß auch die versuchte Unfallflucht heute straflos ist, min-
wären trotz Fehlens eines Ausstellers und trotz Mangels der Beweisbestimmung dert die wissenschaftliche Bedeutung der Unterscheidung nicht.
Urkunden im Sinne des § 267 StGB, so würde er zu einer Tat Hilfe geleistet ha- Entsprechendes gilt für die Überdehnung von Garantenpflichten beim unech- 387
ben, die er aufgrund irriger rechtlicher Bewertung (Subsumtionsirrtum) für straf- ten Unterlassungsdelikt. „Der Unterlassungstäter, der - irrigerweise - eine Ga-
bar hielt, also zu einem Wahndelikt." Unter diesen Umständen sei auch sein eige- rantenpflicht annimmt, obwohl der - ihm bekannte - Sachverhalt diese Pflicht
nes Verhalten „ein Wahndelikt und deshalb nicht strafbar". Das Urteil ist damals nicht ergibt", verübt nach der zutreffenden Ansicht des Großen Senats für Straf-
nicht unwidersprochen geblieben,419 und auch der BGH war nicht immer dieser sachen (BGHSt 16,155,160) nur ein Wahndelikt.
Meinung. Noch BGHSt 7, 53 (58) hatte in einem ähnlichen Fall gemeint, es könne
eine versuchte Urkundenfälschung vorliegen, falls die Angeklagten „die Lebens- 3. Der strittige Bereich: Selbstbelastende Irrtümer im Vorfeld
mittelkarten der sowjetischen Besatzungszone für Urkunden hielten, ohne daß sie des Tatbestandes
es sind". Richtig ist aber allein die Annahme eines Wahndelikts in Gestalt eines a) Die Fallkonstellationen
„umgekehrten Subsumtionsirrtums": Was die Angeklagten sich vorstellten, be-
Die bisher nicht abschließend geklärten Fälle, bei denen auch die Rspr. noch zu 388
gründet bei objektiver Betrachtung keine Urkundenfälschung. Es fehlt deshalb
keiner klaren Linie hindurchgefunden hat, betreffen belastende Rechtsirrtümer
ein dem objektiven Tatbestand entsprechender Vorsatz. Wer als Urkundenfäl-
im Vorfeld des Tatbestandes. Was damit gemeint ist, soll an fünf besonders wichti-
schung ansieht, was auf der Grundlage seines Vorstellungsinhalts keine solche ist,
gen Fallkonstellationen verdeutlicht werden.
muß straflos bleiben.
384 Das gilt für überdehnende Interpretationen aller Tatbestandsmerkmale, und aa) Fremdheit
zwar nicht nur der im Vordergrund stehenden normativen, sondern auch der vor- Man nehme an, jemand verkauft eine Sache, die er schon einmal verkauft, aber 389
wiegend deskriptiven.420 Wer z. B. jemanden, der an ein Beatmungsgerät ange- noch nicht übergeben hat, wegen eines höheren Gebotes an einen zweiten Käufer,
schlossen ist, noch nach dessen von ihm erkannten Hirntod für einen „Menschen" dem er auch den Besitz überträgt. Dabei nimmt er an, eine Unterschlagung zu be-
i. S.d. §§ 211 ff. hält und mit der Abschaltung des den Kreislauf aufrechterhalten- gehen, weil er die verfehlte Rechtsansicht hat, das Eigentum sei schon mit dem er-
den Gerätes einen Totschlag zu begehen glaubt, hat in Wahrheit nur ein Wahn- sten Kaufvertrag an den damaligen Vertragspartner übergegangen. Eine vollendete
delikt verübt. Wenn man von der h.M. ausgeht, derzufolge das Leben mit dem Unterschlagung scheidet hier aus, weil die Sache beim zweiten Verkauf nicht
Hirntod erlischt, hat er seine Handlung an einem Toten vorgenommen. Indem er „fremd" war, sondern immer noch im Eigentum des Täters stand. Der Täter hat sie
den Toten als einen „Menschen" beurteilt, überdehnt er diesen Begriff und befin- aber infolge irriger Rechtsüberlegungen für fremd gehalten. Ist das nun der un-
det sich in einem straflosen umgekehrten Subsumtionsirrtum. Was bei richtiger taugliche Versuch einer Unterschlagung oder ein Wahndelikt? Der Täter hat hier
Definition des Begriffes „Mensch" als straflos erkannt würde, kann durch eine fal- nicht den Begriff „fremd" falsch und überdehnend definiert. Er wußte, daß eine
sche Definition nicht strafbar werden. Sache fremd ist, wenn sie im Eigentum oder Miteigentum eines anderen steht. Er

421
Das ist noch im Jahre 1972 von Engisch bezweifelt worden (Heinitz-FS, 1972, 191 ff.,
«9 Für eine versuchte Urkundenfälschung Foth, JR 1965, 370; Traufe, JuS 1967,115. 201 f.). Dagegen zutreffend Herzberg, JuS 1980, 470.
«0 Vgl. dazu Roxin, AT l3, § 10, Rn. 57 ff.
461
460
§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V § 29
hat lediglich über die rechtlichen Voraussetzungen des Eigentumsüberganges ge- jemand die Vortat, deren Sanktionierung er vereiteln will, bei Kenntnis ihrer
irrt. Er irrt über Rechtsregeln im Vorfeld des Tatbestandes. äußeren Umstände für eine strafbare Handlung hält, während es sich in Wirklich-
bb) Vermögensschaden keit nur um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Auch hier definiert der Täter die
390 Auch beim Betrug können derartige Irrtümer vorkommen. Jemand gibt etwa „rechtswidrige Tat" i. S. d. § 258 zutreffend als „eine solche, die den Tatbestand
eines Strafgesetzes verwirklicht" (§ 11 I Nr. 5). Er irrt aber über deren Vorausset-
bei der notariellen Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages einen zu niedri-
zungen (nämlich darüber, ob das ihm in seinem Hergang bekannte Vortatgesche-
gen Preis an, um Gebühren zu sparen.422 Dabei geht er fälschlich davon aus, daß
hen eine Straftat ist). Die Annahme der Strafbarkeit beruht also wieder auf einem
sich die Gebühren des Notars nach dem wahren höheren Kaufpreis bemessen,
belastenden Vorfeldirrtum.
während sie sich in Wahrheit allein nach dem beurkundeten Kaufpreis richten.
Mangels Schaden lag also ein vollendeter Betrug nicht vor. Es stellt sich damit die ee) Die Steuerpflicht
Frage, ob ein untauglicher versuchter Betrug oder ein Wahndelikt anzunehmen Als letzter Fall sei die irrtümliche Annahme einer Steuerpflicht angeführt. We- 393
ist. Der Täter definiert den Begriff des Vermögensschadens durchaus richtig. Er gen der Vielzahl und Unübersichtlichkeit der Steuerpflichten sind belastende
irrt aber über die gebührenrechtlichen Voraussetzungen der Entstehung eines sol- Rechtsirrtümer in diesem Bereich besonders leicht möglich, 424 wenn auch schwer
chen Schadens. Auch hier kommt der Täter zur Annahme seiner Strafbarkeit beweisbar (so daß sich dadurch die praktische Bedeutung des Problems in Grenzen
durch eine falsche Rechtsansicht im tatbestandlichen Vorfeld. Ähnlich liegt es - hält). Hier sei nur der einfache Fall genannt, 425 daß jemand von seiner Frau einige
wenigstens nach früherer Rechtsauffassung - im „Telefonsex"-Fall.423 Hier hatte tausend Mark erbt und irrig glaubt, diesen Betrag versteuern zu müssen, so daß er
der Täter mit einem „Telefonsexstudio" ein Ferngespräch für 60 DM vereinbart, auf die Anfrage des Finanzamtes bewußt unrichtig antwortet, es seien nur Schul-
aber durch einen Trick bewirkt, daß das von ihm entgegengenommene Telefonat den vorhanden. Ist das eine versuchte Steuerhinterziehung oder ein Wahndelikt?
einem anderen Fernsprechteilnehmer auf die Rechnung gesetzt wurde (der natür- Der Täter irrt nicht über den Begriff der Steuerverkürzung oder der steuerlich er-
lich nicht zahlte). Wenn man von der - nach der Legalisierung der Prostitution heblichen Tatsache i. S. d. § 370 AO, sondern über die rechtlichen Voraussetzungen
heute nicht mehr zutreffenden - Prämisse ausgeht, daß der Anbieter wegen der der Entstehung eines Steueranspruchs, also einen dem Tatbestand der Steuerhin-
Sittenwidrigkeit des „Vertrages" keinen Anspruch auf das Entgelt hat, der Täter terziehung vorgelagerten Umstand.
aber vom Bestehen einer Zahlungspflicht überzeugt war, liegt auch hier ein Irr-
tum über die zivilrechtlichen Voraussetzungen des Schadens vor, der entweder als b) Die Lehre von der versuchsbegründenden Wirkung des Vorfeldirrtums
untauglicher Versuch oder als Wahndelikt eingeordnet werden kann. Als erster hat Blei426 die Ansicht vertreten, daß immer ein Versuch vorliege, 394
wenn der Täter „im Vorfeld des Tatbestandes einem Rechtsirrtum unterlegen ist, in
cc) Zuständigkeit
dessen Folge er das für sich gesehen richtig verstandene Tatbestandsmerkmal zu
391 Ein in der Rspr. besonders häufiger Irrtum dieser Art besteht im Irrtum über verwirklichen glaubte". Dieser Ansatz ist von Herzberg427 zu einer bis heute ein-
die Zuständigkeit bei § 154. Jemand macht unter Eid eine falsche Angabe vor einer flußreichen Theorie ausgebaut worden. Bei Merkmalen wie dem der „Fremdheit"
unzuständigen Stelle, die er aber für zuständig hält. Versuch oder Wahndelikt? (§§ 242, 246) oder der „rechtswidrigen Tat" (§ 258) handele es sich um „Verwei-
Auch hier irrt der Täter nicht über den Begriff der Zuständigkeit, denn er weiß, sungsbegriffe"428 Es wird auf die Eigentumsübertragungsregeln bzw. sämtliche
daß damit eine allgemein und im konkreten Fall zur Abnahme von Eiden befugte Straftatbestände verwiesen. „Soweit der belastende Irrtum des Täters den Ver-
Stelle gemeint ist. Sein Irrtum, auf Grund dessen er sich für strafbar hält, bezieht weisungsbereich, das rechtliche Vorfeld, betrifft, begründet er den Vorsatz und
sich auf die außerstrafrechtlichen Kompetenzzuweisungsnormen, durch die einer einen untauglichen Versuch. Ein Wahndelikt ist dagegen anzunehmen, wenn das
Stelle die Befugnis zur Abnahme von Eiden zugewiesen wird. Mithin haben wir Rechtsverständnis des Täters im Widerspruch zu der mit der Setzung des Merk-
wieder einen belastenden rechtlichen Vorfeldirrtum vor uns. mals getroffenen Grundentscheidung steht."
dd) Die Vortat bei der Strafvereitelung Wer sich also fremde Sachen zueignen oder eine Straftat vereiteln will, lehnt 395
392 Mehrfach (und uneinheitlich, vgl. Rn. 418) ist auch der Fall entschieden wor- sich gegen die „Grundentscheidung" des Gesetzgebers auf und verdient die Ver-
den, daß der Täter einer vermeintlichen Strafvereitelung (§ 258) auf Grund einer
424
juristischen Fehlbeurteilung eine „rechtswidrige Vortat" annahm. So liegt es, wenn Vgl. etwa die praktischen Beispiele bei Reiß, wistra 1986,193 f.
«5 Beispiel von Burkhardt, wistra 1982,180.
426
422 Am Ende einer dem Wahndelikt gewidmeten Aufsatzreihe Blei, in JA 1973, 237, 321,
So etwa lag der Fall BayObLG NJW 1955,1567 f. 389,459, 529, 601 (604); ihm folgend Herdegen, BGH-FS, 1975, 206.
423
LG Mannheim NJW 1995, 3398; die zahlreichen Besprechungen des Urteils werden in ™ Herz6«g,JuS1980,472ff.
Fn. 445 nachgewiesen. 428
Hier und im folgenden Herzberg, JuS 1980, 473.
462
463
§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V § 29
Vereitelungsbemühungen hinsichtlich eines dort nicht genannten Verhaltens seien
Suchsstrafe, auch wenn er im übrigen zu seinen Ungunsten rechtlich irrt. Wenn je-
nach §258 strafbar, würde dann den Straftatbestand überdehnen und unstrittig
mand dagegen den Zweitverkauf eigener Sachen (die auch er als eigene beurteilt)
straflos sein. Warum soll es dann bestraft werden, wenn heute jemand bei seiner
oder die Ordnungswidrigkeiten, die er als solche erkennt, für „rechtswidrige Ta-
Vereitelungshandlung eine Ordnungswidrigkeit rechtsirrtümlich für eine Straftat
ten" i. S. d. § 258 hält, irrt er über die „Grundentscheidung" des Gesetzgebers, nur
hält? Ebenso ließe es sich denken, daß die zur Eidesabnahme zuständigen Stellen
die Zueignung fremder Sachen bzw. die Vereitelung einer Bestrafung zu verhin-
alle im Tatbestand genannt würden; sind es nur wenige, ist ein solches Verfahren
dern, und sein Tun bleibt als Wahndelikt straflos.429 Welche Merkmale ins Vorfeld
gesetzestechnisch sogar sinnvoll, weil es größere Klarheit schafft. Dann wäre die
des Verweisungsbereichs gehören, läßt sich nach dieser Lehre daraus erkennen, daß
Annahme, der Schwur vor einer dort nicht genannten Stelle sei ein Meineid, ein
Rechtsänderungen im Verweisungsbereich den Straftatbestand nicht berühren.
Wahndelikt, weil die Vorstellung des Täters sich nicht auf etwas richtet, was einen
Änderungen der Eigentumsübertragungsregeln, der Strafbarkeit von Vortaten
Tatbestand erfüllt. Die bloße Gesetzestechnik kann aber schwerlich die Reichweite
oder der Steuerpflichtigkeit haben auf Wortlaut und Sinn der betreffenden Straf-
des Tatbestandes bestimmen.
tatbestände keinen Einfluß, auch wenn sie deren Reichweite modifizieren. Folgt
man dieser „Vorfeldtheorie" so liegt in allen fünf Ausgangsbeispielen jeweils ein c) Die Lehre von der Straflosigkeit aller selbstbelastenden Rechtsirrtümer
strafbarer Versuch vor. Im Anschluß an eine alte Abhandlung von Kriegsmann434 und mit wesentlich 398
396 Gegen diese — sehr beachtenswerte! — Lehre lassen sich vor allem zwei Einwän- vertiefter Begründung hat Burkhardt435 die Gegenthese entwickelt, derzufolge
de erheben. Erstens führt sie zu einer enormen und kriminalpolitisch nicht immer auch alle Vorfeldirrtümer zum Wahndelikt führen: 436 „Ein umgekehrter Rechts-
plausiblen Ausweitung der Strafbarkeit. Schon RGSt 65,165 (172) hat zum Irrtum irrtum - gleich welcher Provenienz - wirkt nicht versuchsbegründend, sondern
über die Steuerpflicht bemerkt: 430 „Angesichts der Unübersichtlichkeit der Pflich- führt zum straflosen Wahndelikt." Wer sich also eine Sache zueignet, die er infolge
ten, die in den Steuergesetzen ... auferlegt sind, würde es unerträgliche Folgen falscher Rechtsauslegung für fremd hält (vgl. das Bsp. Rn. 389), begeht nur ein
nach sich ziehen, wenn zugelassen würde, daß jeder ... verantwortlich zu machen Wahndelikt, das nach dieser Lehre auch bei allen anderen oben genannten Kon-
sei, in dem Rechtsunkenntnis die Vorstellung hervorruft, daß sein Verhalten, das stellationen vorliegt.
mangels des Bestehens des vermeintlichen Steueranspruchs steuerrechtlich belang- Diese Auffassung gründet sich vor allem auf die These,437 daß „jeder umge- 399
los ist, die Verkürzung eines Steueranspruchs zur Folge haben werde." Oder man kehrte Bedeutungsirrtum, der auf einer Verkennung von Rechtsnormen beruht,
denke sich den Fall, daß jemand vor der zur Abnahme von Eiden völlig unzustän- mit einer Überdehnung des strafrechtlichen Schutzbereiches verbunden ist". Es sei
digen Polizei einen vermeintlichen Meineid schwört!431 Nach der Vorfeldtheorie falsch zu sagen, wenn jemand sich eine Sache zueigne, die er infolge irriger Recht-
ist das ein untauglicher Versuch nach § 154. Das leuchtet nicht ein, weil der Ge- süberlegungen für fremd halte, irre er nicht über den Begriff der „Fremdheit", son-
setzgeber kein Interesse daran hat, „die Eidesabnahme durch Verkehrspolizisten dern nur über Eigentumsübertragungsnormen im Vorfeld dieses Merkmals. Denn
unter strafrechtlichen Schutz zu stellen; er hat ihnen ja im Gegenteil das Recht da- in Wirklichkeit verstehe er unter Fremdheit etwas anderes als der Gesetzgeber,
zu versagt".432 Auch Herzberg fühlt das Mißliche des Ergebnisses und will mit § 23 wenn er auf Grund irriger Rechtsüberlegungen zur Bejahung dieses Merkmals
III („grober Unverstand") helfen. Aber man kann juristischen Laien, die in Fragen komme. Das führt Burkhardt zu dem Schluß, der Begriffsumfang (die Extension)
der Zuständigkeit völlig unkundig sind, wegen deren Verkennung schwerlich rechtsnormativer Tatbestandsmerkmale hänge immer von den dafür konstitutiven
groben Unverstand vorwerfen. Erst recht gilt das für Steuerverpflichtungen, die Rechtsnormen ab. „Ein Irrtum über diese Rechtsnormen betrifft deshalb eo ipso
selbst für Experten kaum zu übersehen sind. Unverständig ist in solchen Fällen die Extension der normativen Tatbestandsmerkmale und damit auch den Anwen-
nicht der Laie, sondern seine Bestrafung! dungsbereich des jeweiligen Straftatbestandes."438
397 Ein zweites Gegenargument 433 liegt darin, daß es oft nur eine gesetzestechni-
Das ist eine bestechende Konzeption,439 die auch in den meisten Fällen zu plau- 400
sche Frage ist, ob etwas im „Vorfeld" oder im Tatbestand selbst geregelt ist. So
siblen Ergebnissen führt, indem sie es z. B. gestattet, nur eingebildete Steuer-
könnte der Gesetzgeber z. B. nur die Vereitelung bestimmter, besonders schwerer
ansprüche, Zuständigkeiten und Straftaten (Rn. 391-393) aus dem Strafbarkeits-
Strafen pönalisieren und die betroffenen Straftaten in § 258 nennen. Wer glaubt,
«* Kriegsmann, 1904.
«5 Burkhardt, JZ 1981, 681; dm., wistra 1982,178.
«« Ähnlich auch Kudlich, NStZ 1997, 433. «6 Burkhardt, ]Z 1981, 681.
«° Im selben Sinne aus heutiger Sicht etwa Burkhardt,)Z 1981, 687f.; Heidingsfelder, 1991, «7 Hier und im folgenden Burkhardt, JZ 1981, 685.
90; Reiß, wistra 1986,193 ff. «8 Burkhardt, JZ 1981, 686.
«i Naher Roxin, 21970,164ff.; zust. Burkhardt,}Z 1981, 685. «9 Burkhardt folgen Jakobs, AT2, 25/42; Otto, JZ 1984, 143 ff. (144); ders., AT6, §18 IV 4;
«2 Roxin, 21970,165. Schlüchter, wistra 1985, 46ff., 94ff. (95).
«3 Dazu Burkhardt, JZ 1981, 687.
465
464
§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V § 29
bereich der Steuer-, Eides- und Strafvereitelungsdelikte herauszuhalten. Gleich- den Fall, daß der Angeklagte in einem Offenbarungseidverfahren in der Annah-
wohl muß aber die generelle Gültigkeit der These, daß schlechthin jeder belasten- me, damit einen Meineid zu begehen, eine falsche Angabe über einen Umstand
de Rechtsirrtum auf einer Überdehnung des vom Täter angenommenen Tatbe- gemacht hatte, der überhaupt nicht unter die Auskunfts- und Eidespflicht fiel. Der
standes beruhe, bezweifelt werden. In dem oben gegebenen Betrugsbeispiel etwa BGH sah darin (entgegen BGHSt 2, 74, 76) ein Wahndelikt und erklärte, die
(Rn. 390: fälschlich zu niedrig angesetzter Grundstückspreis) will der Täter den Unterscheidung von Tatbestands- und Verbotsirrtum sei „auch für die Frage, ob
Notar schädigen und würde dies auch tun, wenn dessen Gebührenanspruch in der ein untauglicher Versuch oder ein Wahndelikt vorliegt, maßgebend. Ein untaugli-
zugrunde gelegten Höhe bestünde. Der Irrtum des Täters bezieht sich nicht auf das cher Versuch ist gegeben, wenn der Täter irrig ein nicht vorhandenes Tatbestands-
Verständnis des Begriffes „Vermögensschaden" (denn er nimmt richtig an, daß die merkmal annimmt, während die irrige Annahme des Verbotenseins des Tuns, also
Verkürzung eines Anspruchs ein Schaden sei), sondern auf das Gebührenrecht der auch die irrige Annahme, das Verhalten des Täters falle unter die Strafnorm, ein
Notare. Daß diese Materie zum Betrugstatbestand hinzugehöre, ist wenig ein- Wahnverbrechen ist. Glaubt also der Täter irrigerweise, daß eine von ihm ge-
leuchtend; die Annahme, daß trotz des Irrtums in diesem Bereich ein Schädi- machte Angabe nicht unter den Eid falle, während dies rechtlich der Fall ist, so irrt
gungsvorsatz und damit ein versuchter Betrug vorliege, ist daher auch kriminal- er über den Umfang der Norm, befindet sich also in einem Verbotsirrtum. Er irrt
politisch vorzugswürdig. Entgegen Burkhardt ist also anzunehmen, daß es auch nicht über ein Tatbestandsmerkmal, sondern darüber, daß sein Verhalten unter das
normbereichsneutrale, zur Versuchsstrafbarkeit führende belastende Rechtsirrtü- gesetzliche Verbot fällt. Die irrige Annahme des Täters, eine von ihm beschworene
mer gibt. Falschaussage falle unter die Wahrheitspflicht, ist daher als Wahnverbrechen an-
zusehen."
d) Die Lehre vom Umkehrschluß
401 Eine trotz aller Kritik sich bis heute in Rspr. und Literatur 440 behauptende Leh- Auch der Beschluß des Großen Senats über den Irrtum beim unechten Unter- 403
lassungsdelikt (vgl. Rn. 387) operiert mit dem Umkehrschluß. Der BGH gründet
re grenzt das Wahndelikt vom untauglichen Versuch mit Hilfe eines „Umkehr-
seine Entscheidung, daß die Unkenntnis der Garantenpflicht bei Kenntnis der
schlusses" ab: Der untaugliche Versuch sei ein umgekehrter Tatbestandsirrtum, das
diese Pflicht begründenden Umstände ein Verbotsirrtum sei, auf die untragbaren
Wahndelikt ein umgekehrter Verbotsirrtum. Wer also etwa eine Vogelscheuche für
Ergebnisse, die die Annahme, die Garantenpflicht müsse vom Vorsatz umfaßt wer-
einen Menschen hält und in Tötungsabsicht auf sie schießt, irrt über einen Tat-
den, für die Versuchslehre hätte. „Der Unterlassungstäter, der — irrigerweise — eine
umstand. So, wie die Verkennung eines tatsächlich gegebenen Tatumstandes (der
Garantenpflicht annimmt, obwohl der - ihm bekannte - Sachverhalt diese Pflicht
Schütze hält den Menschen irrig für eine Vogelscheuche) den Vorsatz ausschließt,
nicht ergibt, muß, wenn man der Gegenmeinung folgt, wegen eines versuchten
begründet der umgekehrte Irrtum (die Vogelscheuche wird als Mensch angesehen)
unechten Unterlassungsdelikts bestraft werden. In Wahrheit muß dieser Fall als
den Vorsatz und führt zum untauglichen Versuch. Wer andererseits den furtum
strafloses Wahnverbrechen beurteilt werden."
usus für generell strafbar hält, ist einem umgekehrten Verbotsirrtum unterlegen
(was nicht ganz stimmt, weil Verbotsirrtum und Strafbarkeitsirrtum zweierlei Der Umkehrschluß ist jedoch kein taugliches Instrument zur Abgrenzung von 404
sind, vgl. Roxin, AT 1 , §21, Rn. 13): So, wie der Verbotsirrtum (etwa die An- Versuch und Wahndelikt. Richtig ist er nur in dem trivialen Sinne, daß der un-
taugliche Versuch einen auf die Verwirklichung der Tatumstände gerichteten Vor-
nahme, der Gebrauch fremder Fahrräder sei entgegen § 248 b nicht verboten),
satz erfordert, der beim Tatbestandsirrtum fehlt, während der Verbotsirrtum den
nicht ohne weiteres entlastet, könne der umgekehrte Verbotsirrtum (z. B. daß die
Tatbestandsvorsatz bestehen läßt, an dem es beim Wahndelikt mangelt. Daraus
„Zwangsausleihe" fremder Gartengeräte strafbar sei) nicht belasten und müsse zum
folgt aber nicht, daß der umgekehrte Tatbestandsirrtum (also die irrige Annahme
Wahndelikt führen. (Auch dieser Schluß ist schon auf den ersten Blick nicht ganz
des Umstandes, dessen Nichtkenntnis den Vorsatz ausschließt) notwendig die
zutreffend, weil der Verbotsirrtum i. d. R. immerhin zur Strafmilderung und im
Strafbarkeit oder auch nur einen Versuch begründet. 442
Falle der Unvermeidbarkeit auch zum Strafausschluß führt, während das Wahn-
delikt schlechthin straflos ist.) Das gilt sogar schon für den scheinbar eindeutigen Fall des Sachverhaltsirrtums 405
402 Der Umkehrschluß hat schon in der Rspr. des RG eine Rolle gespielt441 und ist bei Tatbestandsmerkmalen. Wenn dieser nach § 16 den Vorsatz ausschließt, folgt
daraus keineswegs nach logischen Gesetzen, daß der umgekehrte Irrtum, also die
auch vom BGH wiederholt aufgenommen worden. In BGHSt 15, 345 ging es um
442
44 Es gibt zu den logischen, rechtstheoretischen und juristischen Aspekten des Umkehr-
° Foth, JR 1965, 370; Jescheck/Weigend, AT5, § 50 II 1; Maiwald, 1984, 29; Nierwetberg, Jura schlusses eine umfangreiche Literatur, aus der hier die wichtigsten neueren Stellungnahmen
1985, 241; Puppe, Lackner-FS, 1987, 202; SK6 -Rudolphi, §22, Rn.30; Sch/Sch/Eser26, §22, angeführt seien: Spendet, ZStW 69 (1957), 441; ders., NJW 1965, 188; Baumann, NJW 1962, 16;
Rn.69 (zurückhaltend); Traub, NJW 1960, 349; den., JuS 1967,115; Tröndle/Fischer50, § 16, Rn.9; Sax, JZ 1967, 261; Engisch, Heinitz-FS, 1972,185; Herzberg, JuS 1980, 478 ff.; Burkhardt, JZ 1981,
LK10-Vogler, § 22, Rn. 143; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 621. 684; Puppe, Lackner-FS, 1984, 199; Schünemann, GA 1986, 313, Fn. 96. Ausführl. m.w.N. Hei-
"i RGSt 42,94; 66,126; 72,112. dingsfelder, 1991, 95-112.
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§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V § 29

irrige Annahme der Umstände eines Tatbestandes, notwendig zum Versuch führt. Verkennung eines wirklich bestehenden Anspruchs. Wenn diese zur Straflosigkeit
Wer auf eine Vogelscheuche schießt in der Absicht, damit einen Menschen zu tö- führt, muß eine Falschbeurteilung der Rechtslage, die zur Annahme überhaupt
ten, begeht durch diesen umgekehrten Tatbestandsirrtum einen Versuch nämlich nicht existierender Steueransprüche verleitet, erst recht entlasten!445
nur dann, wenn der Gesetzgeber ein derartiges Verhalten als untauglichen Versuch Besonders deutlich wird die teleologische Verfehltheit eines Umkehrschlusses, 408
unter Strafe stellt - und das ist keineswegs selbstverständlich (vgl. Rn. 23f.)! Man der den reinen selbstbelastenden Rechtsirrtum ohne Rücksicht auf die für den
kann auch nicht einmal sagen, die Logik zwinge in einem solchen Fall zur Annah- Vorsatz sonst noch erforderlichen Kenntnisse für den Versuch genügen läßt, auch
me eines Versuchs, und beim Gesetzgeber stehe es nur, diesen zu bestrafen oder anhand der Entscheidung des Großen Senats zum Irrtum über die Garantenpflicht
straflos zu lassen. Denn wenn man den Strafgrund des Versuchs in der Gefährlich- bei unechten Unterlassungsdelikten (vgl. Rn. 403). Der Senat meint, wenn man -
keit des Täterverhaltens erblickt, ist ein von Anfang an zur Herbeiführung des Tat- wie es die frühere Rspr. getan hatte - die Erfolgsabwendungspflicht als Tat-
bestandserfolges offenkundig ungeeignetes Verhalten wegen fehlenden Strafgrun- bestandsmerkmal ansehe, so daß ihre Nichtkenntnis vorsatzausschließend wirken
des überhaupt kein Versuch im Rechtssinn. Es entscheiden also teleologische, nicht würde, müsse man bei einer auf irrigen Rechtsüberlegungen beruhenden An-
logische Gesichtspunkte darüber, was ein Versuch ist. nahme einer nicht existierenden Erfolgsabwendungspflicht einen Versuch (anstatt
406 Selbst wenn man aber von der grds. Strafbarkeit des untauglichen Versuchs aus- richtigerweise ein Wahndelikt) annehmen. Aber davon kann keine Rede sein!
geht, ist die versuchsbegründende Kraft eines umgekehrten Irrtums keineswegs Auch wenn man die Nichtkenntnis einer Erfolgsabwendungspflicht als Tatbe-
zwingend. Das zeigt der Fall, daß sich jemand infolge eines Sachverhaltsirrtums standsirrtum ansähe, könnte die selbstbelastende rechtsirrtümliche Konstruktion
einen Status (als Beamter, Soldat usw.) beilegt, der ihm nicht zukommt. Obwohl nicht existierender Unterlassungstatbestände schon wegen des Grundsatzes nul-
die Nichtkenntnis des statusbegründenden Sachverhalts den Vorsatz ausschließt, luni crimen sine lege keinen Versuch begründen. Auch in diesem Fall würde der
kann seine fälschliche Annahme ihn nicht begründen, weil — seien es auch nur Umkehrschluß nichts weiter besagen, als daß zur Bejahung des Versuchs die An-
versuchskonstituierende - Statuspflichten nicht durch deren irrtumsbedingte Ein- nahme einer Erfolgsabwendungspflicht gehört; ob und welche Tatsachen der Täter
bildung erlangt werden können (vgl. Rn. 356 ff.). Auch insoweit entscheiden juri- sonst noch annehmen muß, folgt daraus nicht.
stische, nicht logische Argumente. e) Die zutreffende differenzierende Lösung
407 Beim umgekehrten Rechtsirrtum kann der Umkehrschluß zur Abgrenzung von
Den Vorzug verdient eine Lösung, die bei Vorfeldirrtümern zwischen den ent- 409
Versuch und Wahndelikt erst recht nichts beitragen. So ist es z. B. angebracht, die
gegengesetzten Lösungen von Herzberg (Rn. 394 ff.) und Burkhardt (Rn. 398 ff.)
auf Rechtsunkenntnis beruhende Annahme, keine Steuer zu schulden, als Tat-
hindurchsteuert und eine Differenzierung vornimmt. 446 Die Merkmale, die auf
bestandsirrtum i. S. d. § 370 AO anzusehen;443 denn ein solcher „Täter" erfaßt auch
Vorfeldnormen verweisen, sind nämlich unterschiedlicher Art. Teilweise handelt
nicht laienhaft den „sozialen Sinn" der objektiv von ihm begangenen Steuerhinter-
es sich um - hier zunächst zu erörternde - „Sammelbegriffe" um zusammenfas-
ziehung. Daraus folgt aber noch keineswegs, daß eine strafbare versuchte Steuer- sende Kurzbezeichnungen für eine Vielzahl von Ansprüchen (§ 370 AO), Straf-
hinterziehung vorliegen muß, wenn jemand auf Grund falscher rechtlicher Über- tatbeständen (§ 258) oder zuständigen Stellen (§ 154). Hinter dem Begriff der
legungen einen gar nicht bestehenden Steueranspruch annimmt und nicht an- Steuerverkürzung verbirgt sich die Nichterfüllung zahlreicher einzelner und je-
zeigt. 444 Denn wenn die Unkenntnis der Steuerpflicht den Vorsatz ausschließt, ist weils verschiedenartiger Steueransprüche, die in § 370 AO alle aufzuführen un-
deren Annahme doch nur eine notwendige, nicht aber ohne weiteres auch eine möglich ist, die man aber in ihn hineindenken muß, wenn man die möglichen
hinreichende Bedingung für die Bejahung des Vorsatzes. Vielmehr sprechen alle Gegenstände der Verkürzungshandlung vollständig erfassen will. Der Begriff der
teleologischen Argumente dafür, für einen versuchsbegründenden Vorsatz neben „rechtswidrigen Tat" in § 258 I ist ein Kürzel für sämtliche Straftatbestände, die
der Annahme einer Steuerpflicht auch die irrtümliche Vorstellung eines Sachver- sich aus gesetzestechnischen Gründen in der Strafbestimmung nicht alle auffuhren
haltes zu verlangen, dessen Vorliegen tatsächlich eine Steuerschuld begründen lassen, der Sache nach aber in sie hineingehören. Ebenso ist der Begriff der „zu-
würde. Denn wenn die Unübersichtlichkeit der Steuergesetze den in Unkenntnis ständigen Stelle" in § 154 eine zusammenfassende Kennzeichnung aller zur Eides-
einer Steuerpflicht handelnden Bürger entlastet, hat es keinen Sinn, die auf der- abnahme befugter Einrichtungen, die damit zum Bestandteil des Tatbestandes
selben Unübersichtlichkeit beruhende irrtümliche Annahme von Steuerpflichten werden.
als belastend anzusehen. Auch derartige Irrtümer sind angesichts der Verworren-
heit der Steuergesetzgebung leicht möglich und sogar noch verzeihlicher als die 445
Zum Streitstand im Steuerrecht vgl. m. w. N. Reiß, wistra 1986,193.
446
3 Vielfältig und mit z.T. abw. Ergebnissen differenzierend auch Lüderssen, Roxin-FS,
«« Vgl. Roxin, AT l , § 12, Rn. 91. 2001, der den interessanten Versuch unternimmt, die Probleme des „umgekehrten Irrtums" mit
444
So aber, obwohl beide das Ergebnis für unbefriedigend erklären, SK -Rudolphi, § 22, den Maßstäben einer präventiven Strafzwecklehre zu lösen.
Rn. 32 a, 32 b; Samson, 1983,112.
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§ 29. Der Versuch - E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V § 2 9
410 Bei Sammelbegriffen gehören also die gesammelten Einzelgegebenheiten in entstanden ist, dessen Vorenthaltung einen Schaden begründet, hat m i t d e m
den Bereich der Strafrechtsnorm. Das bedeutet, daß ein belastender Rechtsirrtum Begriff des Vermögensschadens nichts mehr zu tun. Im Ausgangsbeispiel, in
zum Wahndelikt führt, weil er eine durch keinen Tatbestand gedeckte Strafbarkeit dem der Täter einen Notar u m seine Gebühren betrügen wollte (Rn. 390), ändert
konstruiert; in diesem Bereich ist daher der Lehre Burkharäts ( R n . 398 ff.) zuzu- es also nichts am Vorliegen eines Betrugsversuches, daß der vermeintliche A n -
stimmen. Wenn also jemand sich in der Absicht der Hinterziehung Steueransprü- spruch nach der einschlägigen Gebührenordnung nicht entstanden war. Dasselbe
che einbildet, die gar nicht existieren, liegt dieser Irrtum außerhalb des N o r m - gilt im viel diskutierten Telefonsex-Fall, w e n n der Täter in Verkennung der zivil-
bereiches von § 370 AO, der nur die wirklich bestehenden Steueransprüche zu- rechtlichen Lage angenommen hat, daß das „Studio" einen Anspruch auf Bezah-
sammenfaßt. Es handelt sich also u m eine Ü b e r d e h n u n g des Tatbestandes, die nur lung des Ferngesprächs habe. 4 4 8 Ein Versuch ist ferner zu bejahen, wenn der Täter
ein Wahndelikt begründen kann. W e n n jemand die A h n d u n g einer O r d n u n g s w i d - einen von i h m erstrebten, tatsächlich rechtmäßigen Vermögensvorteil irrtümlich
rigkeit vereitelt und diese bei Kenntnis des Sachverhalts als „rechtswidrige Tat" für rechtswidrig hält. 4 4 9
i. S. d. § 258 beurteilt, erstreckt er den Straftatbegriff dieses Tatbestandes auf Ver-
Es k o m m t also darauf an, ob eine Verweisung auf Vbrfeldnormen einen viele 414
haltensweisen, die nicht darunter fallen, u n d begeht ebenfalls nur ein Wahndelikt. Einzelfälle sammelnden zusammenfassenden Charakter hat oder ob lediglich B e -
Nicht anders ist es bei der auf Rechtsunkenntnis beruhenden falschen Annahme griffe wie „Eigentum" oder „Vermögensschaden" in Bezug g e n o m m e n werden,
der „Zuständigkeit": Wer vor einem Staatsanwalt einen „Meineid" schwört und da- deren Verständnis nicht die Kenntnis voraussetzt, wie das Eigentum oder der A n -
bei irrtümlich davon ausgeht, daß Staatsanwälte Eide abnehmen dürfen, richtet spruch, u m den das Opfer geschädigt werden soll, entstanden sind. Im ersten Fall
seine Deliktsbegehungsintention auf eine „Stelle", die in der zusammenfassenden gehören die Vorfeldnormen der Sache nach z u m Tatbestand, so daß ihre Ü b e r -
Kennzeichnung als „zuständig" in § 154 nicht enthalten ist, so daß wiederum nur dehnung ein Wahndelikt begründet. Im zweiten Fall stehen die juristischen E n t -
ein tatbestandsüberdehnendes Wahndelikt in Frage k o m m t . stehungsbedingungen des Eigentums oder Anspruchs außerhalb des Tatbestandes,
411 Manche Merkmale, die auf Vorfeldnormen verweisen, sind aber anderer Art. So so daß ihre Verkennung einen Versuch nicht hindert, w e n n der Täter nur die u n -
verweist der Begriff der Fremdheit nur auf das Eigentum oder Miteigentum eines mittelbaren Gegenstände der Verweisung (Eigentum, Schädigung durch Verkür-
anderen. Wer also den Begriff fremden Eigentums richtig deutet, hat ggf. den zung finanzieller Ansprüche) im Sinne einer laienhaften Parallelwertung richtig
Vorsatz der Eigentumsverletzung. Die umfangreichen Normenkomplexe, die die definiert.
Entstehung von Eigentum regeln, gehören nicht z u m Tatbestand der betref-
Differenzierende Lösungen bei Vorfeldirrtümern, wie sie hier vorgeschlagen werden, sind 415
fenden Eigentumsdelikte, so daß deren Verkennung bei richtigem Verständnis des auch sonst in der Literatur im Vordringen. So kommt etwa Heidingsfelder , dem die hier
Eigentumsbegriffs ggf. am Vorliegen eines Versuchs nichts ändert. Wer sich eine vorgeschlagene Lösung vielfach verpflichtet ist, zu denselben Ergebnissen, indem er merk-
im Eigentum eines anderen stehende Sache zueignen will und dabei den Begriff malsumschreibende, merkmalsausfullende, merkmalsbegrenzende und normbereichsneutrale
Normen unterscheidet und nur im letzten Fall selbstbelastende Rechtsirrtümer versuchsbe-
des Eigentums i.S. von § 903 BGB richtig versteht, hat also einen Unterschla- gründend wirken läßt. Schünemann452 erzielt auf der Grundlage der Eindruckstheorie ähnliche
gungsvorsatz, auch w e n n er über die Regeln der Eigentumsübertragung irrt. Lösungen, wie sie hier vorgeschlagen werden. In anderer, aber immerhin vergleichbarer Weise
differenzieren Vogler, Schlächter'"4 und Kuhlen.455
412 Drastisch hat das Heidingsfelder ausgedrückt: „So wenig wie ... der Vorsatz im Hinblick
auf die berauschende Wirkung alkoholhaltigen Bieres von der Kenntnis der Brautechnik ab- f) Zur Rechtsprechung i m Bereich der Vorfeldirrtümer
hängt, können Fehlvorstellungen über die den Übereignungsvorgang regelnden Rechtssätze
den Vorsatz im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal ,fremd' ausschließen. Notwendiger Vor- Die Rechtsprechung ist uneinheitlich, wie es beim Mangel einer allgemein an- 416
satzgegenstand ist einzig die Vorstellung des Täters, nicht Alleineigentümer des Tatobjekts zu erkannten Lösung auch naheliegt. Bei der irrtümlichen Annahme einer Steuer-
sein. Wie das Tatopfer Eigentum am Tatobjekt erlangt hat, sei es nach einer Bestimmung des
BGB oder z. B. nach den Regeln einer ausländischen Rechtsordnung, ist für den Vorsatz uner- pflicht hatten RGSt 64, 229, 238; 65,165,172 ein Wahndelikt bejaht, während nach
heblich." In unserem Ausgangsbeispiel (Rn. 389), daß jemand eine eigene Sache in der rechts- RGSt 68, 44, 53 f. ein untauglicher Versuch vorliegen soll. Auch das KG wistra
irrigen Meinung übereignet, sie sei fremd, liegt also eine versuchte Unterschlagung vor. Inso- 1982,196 will einen untauglichen Versuch annehmen, indem es sich ausdrücklich
weit ist der Vbrfeldtheorie Herzbergs (Rn. 394 ff.) zuzustimmen.
1
4
413 Ebenso ist der Begriff des Vermögensschadens kein Sammelbegriff. Er bezeich- « So auch LG Mannheim NJW 1995, 3398; GeppertJK 96, StGB §263/44. Für Wahnde-
net nichts als die bei einer saldierenden Betrachtung sich ergebende Verringerung likt dagegen Behm, NStZ 1996, 317; Scheffler, JuS 1996,1070; Abrahams/'Schwarz, Jura 1997, 355.
t« BGHSt 42, 268; dazu GeppertJK 97, StGB, § 263/48.
der geldwerten Güter einer Person. Ein solcher Vermögensschaden ist auch die "50 Vgl. Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 15.
Verkürzung eines Anspruchs. Wer also j e m a n d e n u m einen Anspruch prellen will, «* Heidingsfelder, 1991,152 ff.
«2 Schünemann, GA 1986, 312 ff.
hat einen Vorsatz der Vermögensschädigung. Nach welchen Regeln der Anspruch 453 LK10-Vogler, § 22, Rn. 143-149.
«4 Schlüchter, 1983,145 ff.
™ Heidingsfelder, 1991,162. 455 Kuhlen, 1987, 558.
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§ 29 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§29. DerVersuch-E. Untauglicher Versuch und Wahndelikt V §29
auf die von Blei und Herzberg (Rn. 358 ff.) entwickelte Lehre stützt, daß alle
Konstellation der auf rechtsimümhchen Erwägungen beruhenden Annahme ei-
belastenden rechtlichen Vorfeldirrtümer versuchsbegründend wirken. Demgegen-
über ist nach der hier vertretenen Auffassung ein Wahndelikt zu bejahen 1955S7 rARnn90) Hegt Cme * " * * * » * *• BayObLG NJW
(Rn.373f.). 456 1955, 1567 f: zugrunde. Das Gericht hat in Übereinstimmung mit der Wer ver
tretenen Auffassung ( Rn.413) emen strafbaren untaugHchen Versuch a n ^ n o l - "
417 Die irrtümliche Annahme der Zuständigkeit sah das RG als versuchsbegrün-
dend an (RGSt 60, 25: „Meineid" vor einem Staatsanwalt; RGSt 65, 206: „Mein-
eid" vor einer unzuständigen Referendarin). Der BGH folgt dieser Linie.457 Dage-
gen führt nach der hier vertretenen Ansicht die auf Rechtsunkenntnis beruhende
Annahme einer Zuständigkeit zum Wahndelikt (Rn.409f). Ein Versuch kommt «« Übereinstimmend Heidingsfelder, 1991, 161- vgl auch BGH M W lao-r , , , •
ZUSt
Anm. Kudlich, NStZ 1997, 432? und LG MannheimNTW i f S £ Q S l f ^
hier nur bei Sachverhaltsirrtümern in Betracht: Wer vor einem Staatsanwalt oder
NStZ 1996, 317; Scheffler. luS 1996 1070 M a n n h e i m N J W 1 9 9 5 - 3398 mit abl. Anm. Behm,
Notar falsch schwört, diesen aber für den Ermittlungsrichter hält, begeht einen
strafbaren untauglichen Meineidsversuch.458
418 Die irrtümliche Annahme, die Handlung, deren Ahndung vereitelt wird, sei
eine Straftat, soll nach BGHSt 15, 210 auch dann einen Versuch nach § 258 begrün-
den, wenn sie allein auf falschen rechtlichen Erwägungen beruht. Im Gegensatz
dazu hat BayObLG JZ 1981, 715 f. ein Wahndelikt in einem Fall angenommen, in
dem jemand die Polizei belogen hatte, um seinen Bekannten, der in einen Ver-
kehrsunfall verwickelt war, vor einer Geldstrafe zu bewahren. In Wahrheit war die
dem Täter in ihrem äußeren Hergang bekannte Vortat nur eine Ordnungswidrig-
keit; sie wird mit einer Geldbuße geahndet, deren Vereitelung straflos ist. Die
Meinung des BayObLG, wonach die falsche rechtliche Qualifizierung einer Ord-
nungswidrigkeit als Straftat keinen Versuch nach § 258 begründen kann, ent-
spricht der hier vertretenen Ansicht (Rn. 409 f.). Ein Versuch würde erst vorliegen,
wenn der Täter irrtümlich Tatsachen angenommen hätte, die eine strafbare Vortat
ergeben würden. 459
419 Der Fall der rechtsirrtümlichen Annahme, eine doppelt verkaufte Sache sei fremd
(Rn. 389), ist bei einer ähnlichen Konstellation vom OLG Stuttgart - freilich auf der
Grundlage des Umkehrschlusses — im Sinne einer versuchten Unterschlagung ent-
schieden worden. Das entspricht im Ergebnis der hier vertretenen Meinung
(Rn.411f.) und auch der sonst in der Literatur vorherrschenden Ansicht.460 Der

«6 Für Versuch: Maiwald, 1984, 30ff.; SK6-Rudolphi, §22, Rn.32 a, b; Samson, 1983, 112;
Sch/Sch/Eser26, § 22, Rn. 90. Für Wahndelikt: Burkhardt, wistra 1982,178 ff.; Heidingsfelder, 1991,
157; Jakobs, AT2, 25/39 ff.; Lackner/Kühl24, § 22, Rn. 15; Reiß, wistra 1986,198 f.
«7 BGHSt 3, 348; 5,111,113f., 117; 10, 272, 275f.; 12, 56, 58.
«8 Wie hier Burkhardt, JZ 1981, 681ff.;den., wistra 1982, 178 {{.Jakobs, AT2, 25/38ff; Kühl,
JuS 1981,193; den., AT3,15/100; Otto, AT6, § 18 IV 4 c. Für Versuch dagegen Herzberg, JuS 1980,
469; Nierwetberg, Jura 1985, 238; SK6-Rudolphi, §22, Rn.32 a, b; Schlüchter, JuS 1985, 528;
jeweils m. w. N.
«9 Für Wahndelikt auch Burkhardt, JZ 1981, 686, Fn. 59; Heidingsfelder, 1991, 157; Lackner/
Kühl24, §22, Rn.15; Weber, MDR 1961, 426f. Für Versuch dagegen Blei, JA 1973, 603; ders.,
AT18, § 65 II 1; Maurach, NJW 1962, 720; Puppe, Lackner-FS, 1987, 228; SK6-Rudolphi, § 22,
Rn. 32 a; Stree, JR 1981, 299; Tröndle/Fischer50, § 258 a, Rn. 6.
*>° Wie hier etwa Baumann, NJW 1962, 16ff.; Heidingsfelder, 1991, 162; Herzberg, JuS 1980,
A12{.; fescheck/Weigend, AT5, § 50 II 2; Maurach, NJW 1962, 720; Schlüchter, 1983,161 f.; dies., JuS
1985, 528; Zaczyk, 1989, 265. Für Wahndelikt dagegen Burkhardt, JZ 1981, 685; Jakobs, AT2, 25/
42.
472
473
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch § 30

Versuch und Rücktrittsvoraussetzungen, JA 1980, 158; Walter, Der Rücktritt vom Versuch als
Ausdruck des Bewährungsgedankens im zurechnenden Strafrecht, 1980; Backmann, Strafbar-
keit des vor Tatbeginn zurückgetretenen Tatbeteiligten wegen vollendeter Tat?, JuS 1981, 326;
Krauß, Der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch, JuS 1981, 883; Kühl, Grundfälle zu Vorbe-
reitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1981,196 (Teil 6); Roxin, Der fehlgeschla-
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch gene Versuch. Zugleich ein Beitrag zum Problem der wiederholten Ausführungshandlung, JuS
1981,1; Walter, Bestimmung der Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch, GA 1981, 403; Wol-
ter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem
Literatur: Feuerbach, Kritik des kleinschrodischen Entwurfs zu einem peinlichen Gesetzbu- funktionalen Straftatsystem, 1981; ders., Zur Struktur der erfolgsqualifizierten Delikte, JuS
che für die Chur-Pfalz-Bayerischen Staaten, 1804; Zachariä, Die Lehre vom Versuche der Ver- 1981, 168; Borchert/Hellmann, Die Abgrenzung der Versuchsstadien des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB
brechen, Teil II, 1839; Oppenhqff, Das StGB für die preußischen Staaten, 1867; Baumgarten, Die anhand der Erfolgstauglichkeit, GA 1982, 429; dies., Übungsklausur Strafrecht - Fall aus den
Lehre vom Versuche der Verbrechen, 1888; Thomsen, Über den Versuch der durch eine Folge Bereichen: Rücktritt vom Versuch, Tötungsdelikte, Jura 1982, 658; Gores, Der Rücktritt des
qualifizierten Delikte, 1895; Radbruch, in: Vergleichende Darstellung des deutschen und auslän- Tatbeteiligten, 1982; Weber, Übungsklausur Strafrecht. Der präparierte Sportwagen, Jura 1983,
dischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, Bd. I-IV, 1908; Binding, Strafrechtliche und strafprozes- 544; Wolter, Vorsätzliche Vollendung ohne Vollendungsvorsatz?, Leferenz-FS, 1983, 545; Puppe,
suale Abhandlungen, 1915; Glaeser, Kritische Betrachtung des „Freiwilligen Rücktritts", 1933; Der halbherzige Rücktritt, NStZ 1984, 488; Streng, Tatbegriff und Teilrücktritt, JZ 1984, 652;
zu Dohna, Die Freiwilligkeit des Rücktritts vom Versuche im Lichte der Judikatur des RG, Herzberg, Der Rücktritt durch Aufgeben der weiteren Tatausführung, Blau-FS, 1985, 97; Otto,
ZStW 59 (1940), 541; Schröder, Der Rücktritt des Teilnehmers vom Versuch nach §§46 und 49a, Die neuere Rechtsprechung zu den Vermögensdelikten - Teil 1, JZ 1985, 21; Herzberg, Beende-
MDR 1949, 714; Bockelmann, Wann ist der Rücktritt vom Versuch freiwillig?, NJW 1955,1417 ter oder unbeendeter Versuch: Kritisches zu einer neuen Unterscheidung des BGH, NJW
(= Untersuchungen, 180); Heinitz, Streitfragen der Versuchslehre, JR 1956, 248; Schröder, Die
Freiwilligkeit des Rücktritts vom Versuch, MDR 1956, 321; Lönnies, Rücktritt und tätige Reue 1986, 2466; ders., Der Rücktritt mit Deliktsvorbehalt, H. Kaufmann-GS, 1986, 709; Mayer, Pri-
bei unechtem Unterlassungsdelikt, NJW 1962, 1950; Schröder, Grundprobleme des Rücktritts vilegierungswürdigkeit passiven Rücktrittsverhaltens bei modaler Tatfortsetzungsmöglich-
vom Versuch, JuS 1962, 81; Gutmann, Die Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch und bei keit, 1986; Puppe, Zur Unterscheidung von unbeendetem und beendetem Versuch beim Rück-
der tätigen Reue, 1963; Arzt, Zur Erfolgsabwendung beim Rücktritt vom Versuch, GA 1964,1; tritt, NStZ 1986,14; Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte und verwandte Erscheinungsformen,
Roxin, Literaturbericht, ZStW 77 (1965), 60; R. v. Hippel, Untersuchungen über den Rücktritt 1986; Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im
vom Versuch, 1966; Otto, Fehlgeschlagener Versuch und Rücktritt, GA 1967, 144; Roxin, Lite- Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars (Teil 2), GA 1986, 293; Vogler,
raturbericht. Strafrecht. Allgemeiner Teil, ZStW 80 (1968), 694; Hruschka, Zur Frage des Versuch und Rücktritt bei Beteiligung mehrerer an der Straftat, ZStW 98 (1986), 331; Bloy, Zu-
Wirkungsbereiches eines freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch, JZ 1969, 495; rechnungsstrukturen des Rücktritts vom beendeten Versuch und Mitwirkung Dritter an der
Lang-Hinrichsen, Bemerkungen zum Begriff der „Tat" im Strafrecht unter besonderer Berück- Verhinderung der Tatvollendung, BGHSt 31, 46 und BGH NJW 1985, 813, JuS 1987, 528; Herz-
sichtigung der Strafzumessung, des Rücktritts und der tätigen Reue beim Versuch und der berg, Grund und Grenzen der Strafbefreiung vom Rücktritt vom Versuch — Von der Straf-
Teilnahme, Engisch-FS, 1969, 353; Geilen, Zur Abgrenzung zwischen beendetem und unbeen- zwecklehre zur Schulderfüllungstheorie, Lackner-FS, 1987, 325; Ranft, Zur Abgrenzung von
detem Versuch, JZ 1972, 335; Munoz-Conde, Theoretische Begründung und systematische Stel- unbeendetem und fehlgeschlagenem Versuch bei erneuter Ausführungshandlung (Teil 1), Jura
lung der Straflosigkeit beim Rücktritt vom Versuch, ZStW 84 (1972), 756; Otto, Kausaldia- 1987, 434; (Teil 2) 527; Römer, Fragen des „ernsthaften Bemühens" bei Rücktritt und tätiger
gnose und Erfolgszurechnung, Maurach-FS, 1972, 91; Roxin, Über den Rücktritt vom unbe- Reue, 1987; Bergmann, Die Milderung der Strafe nach §49 Abs. 2 StGB, 1988; ders., Einzelakts-
endeten Versuch, Heinitz-FS, 1972, 251; v. Scheurl, Rücktritt vom Versuch und Tatbeteiligung oder Gesamtbetrachtung beim Rücktritt vom Versuch, ZStW 100 (1988), 329; Frisch, Tatbe-
mehrerer, 1972; Roxin, Der Anfang des beendeten Versuchs, Maurach-FS, 1972, 213; Herzberg, standsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 1988; Herzberg, Gesamtbetrachtung
Der Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, MDR 1973, 89; den., Aberratio ictus und ab- und Einzelaktstheorie beim Rücktritt vom Versuch, NJW 1988, 1559; Mayer, Nochmals:
weichender Kausalverlauf, ZStW 85 (1973), 867; Lenckner, Probleme beim Rücktritt des Betei- Gesamtbetrachtung und Einzelaktstheorie beim Rücktritt vom Versuch, NJW 1988, 2589;
ligten, Gallas-FS, 1973, 281; Muhoz-Conde, Der mißlungene Rücktritt: Eine Wiederkehr der Sonnen/Hansen-Siedler, Die Abgrenzung des Versuchs von Vorbereitung und Vollendung, JA
Erfolgshaftung, GA 1973, 33; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 21973; Rudolphi, 1988,17; Grasnick, volens - nolens, JZ 1989, 821; Günther, Partieller Rücktritt vom Versuch und
Literaturbericht. Strafrecht - Allgemeiner Teil, ZStW 85 (1973), 104; Grünwald, Zum Rücktritt Deliktswechsel, Armin Kaufmann-GS, 1989, 541; Herzberg, Problemfälle des Rücktritts durch
des Tatbeteiligten im künftigen Recht, Welzel-FS, 1974, 701; Burkhardt, Der „Rücktritt" als Verhindern der Tatvollendung, NJW 1989, 862; ders., Zum Grundgedanken des §24 StGB,
Rechtsfolgebestimmung, 1975; Gössel, Über den fehlgeschlagenen Versuch, ZStW 87 (1975), 3; NStZ 1989, 49; ders., Rücktritt vom Versuch trotz bleibender Vollendungsgefahr ?, JZ 1989,114;
Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, 1976; Lampe, Rücktritt vom Versuch „mangels Interesses" - BGHSt 35, 184, JuS 1989, 610; Römer,
Maiwald, Literaturbericht Strafrecht Allgemeiner Teil (Teilnahmelehre), ZStW 88 (1976), 712; Vollendungsverhinderung durch „ernsthaftes Bemühen" - Überlegungen zu einer Harmoni-
Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976; Roxin, Ge- sierung der Rücktrittsvorschriften, MDR 1989, 945; Rudolphi, Rücktritt vom beendeten Ver-
danken zum „Dolus Generalis", Würtenberger-FS, 1977,109; Wolter, Der Irrtum über den Kau- such durch erfolgreiches, wenngleich nicht optimales Rettungsbemühen, NStZ 1989, 508;
salverlauf als Problem objektiver Erfolgszurechnung — zugleich ein Beitrag zur versuchten Streng, Schuld ohne Freiheit?, ZStW 101 (1989), 237; Herzberg, Theorien zum Rücktritt und te-
Straftat sowie zur subjektiven Erkennbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt, ZStW 89 (1977), 697; leologische Gesetzesdeutung, NStZ 1990, 172; ders., Aufgeben durch bloßes Aufhören? Der
Krumpelmann, Die strafrechtliche Behandlung des Irrtums, Beiheft in ZStW 90 (1978), 6; Bott- BGH im Dilemma einer Theorie, JuS 1990, 273; ders., Die aktuelle Entscheidung: Abergläubi-
ke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden sche Gefahrabwendung und mittelbare Täterschaft durch Ausnutzung eines Verbotsirrtums,
und strafmildernden Täterverhalten, 1979; Haft, Der Rücktritt des Beteiligten bei Vollendung Jura 1990, 16; Jerouschek, Jenseits von Gut und Böse: Das Geständnis und seine Bedeutung im
der Straftat, JA 1979, 306; Hassemer, Generalprävention und Strafzumessung, in: Hauptproble- Strafrecht, ZStW 102 (1990), 793; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik,
me der Prävention, 1979; Küper, Versuchs- und Rücktrittsprobleme bei mehreren Tatbeteilig- 1990; Puppe, Rücktritt vom Versuch des Totschlags, NStZ 1990, 433; Schall, Zum Rücktritt
ten, JZ 1979, 775; Ulsenheimer, Zur Problematik des Rücktritts vom Versuch erfolgsqualifizier- vom Versuch bei bedingtem Tötungsvorsatz und wiederholter Ausführungshandlung trotz
ter Delikte, Bockelmann-FS, 1979, 405; Bottke, Zur Freiwilligkeit und Endgültigkeit des Rück- Zielerreichung - BGH, NStZ 1990, 30, JuS 1990, 623; Streng, Rücktritt und dolus eventualis,
tritts vom versuchten Betrug, JR 1980, 441; Jakobs, Die Bedeutung des Versuchsstadiums für JZ 1990, 212; Weinhold, Rettungsverhalten und Rettungsvorsatz beim Rücktritt vom Versuch,
die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts, JuS 1980, 714; Otto, Versuch und Rück- 1990; Herzberg, Grundprobleme des Rücktritts vom Versuch und Überlegungen de lege feren-
tritt bei mehreren Tatbeteiligten, JA 1980, 641 (Teil 1); 707 (Teil 2); Sonnen, Fehlgeschlagener da, NJW 1991,1633; Bauer, Der strafbefreiende Rücktritt vom unbeendeten Versuch - ein Pro-

475
474
§30 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - A. Ratio u. System. Stellung I § 30
blem der subjektiven Geschäftsgrundlage (Tatgrundlage), wistra 1992, 201; Erb, Mord in Mittä-
terschaft - BGH, NJW 1991, 1068, JuS 1992, 197; Fehes, Der (vorläufig) fehlgeschlagene Ver-
such, GA 1992, 394; Jakobs, Rücktritt als Tatveränderung versus allgemeines Nachtatverhalten, A. Ratio und systematische Stellung des
ZStW 104 (1992), 82; Kampermann, Grundkonstellationen beim Rücktritt vom Versuch, 1992; strafbefreienden Rücktritts
Mitsch, Der Rücktritt des angestifteten oder unterstützten Täters, Baumann-FS, 1992, 89; Otto,
Fehlgeschlagener Versuch und Rücktritt, Jura 1992, 423; Schäfer, Die Privilegierung des „frei-
willig-positiven" Verhaltens des Delinquenten nach formell vollendeter Straftat: Zugleich ein I. Der rechtliche Grund der Strafbefreiung
Beitrag zum Grundgedanken des Rücktritts vom Versuch und zu den Straftheorien, 1992;
Schlüchter, Normkonkretisierung am Beispiel des Rücktrittshorizonts, Baumann-FS, 1992, 81; 1. Gesetzliche Regelung und Problemstellung
Häuf, Rücktritt vom Versuch - Diskussion ohne Ende, 1993; ders., Der Große Senat des BGH
zum Rücktritt vom unbeendeten Versuch bei außertatbestandlicher Zielerreichung, MDR Nach § 24 11 wird nicht wegen Versuchs bestraft, wer freiwillig die weitere Aus- 1
1993, 929; Kolster, Die Qualität der Rücktrittsbemühungen des Täters beim beendeten Versuch,
fiihrung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Der Gesetzgeber un-
1993; Pahlke, Rücktritt bei dolus eventualis, 1993; Streng, Handlungsziel, Vollendungsneigung
und „Rücktrittshorizont", NStZ 1993, 257; Bauer, Außertatbestandliche Handlungsziele beim terscheidet also zwischen Versuchen, die weiter ausgeführt werden müssen - die
strafbefreienden Rücktritt vom Versuch, MDR 1994, 132; Bottke, Mißlungener oder fehlge- in Anschlag gebrachte Pistole muß z. B. noch abgedrückt werden - , und solchen,
schlagener Vergewaltigungsversuch bei irrig angenommenem Einverständnis?, JZ 1994, 71;
bei denen dies nicht nötig ist - die Bombe, die durch einen Zeitzünder zur Ex-
Vitt, Zum Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung bei irrtümlicher Annahme der Einwilli-
gung der Verletzten nach Versuchsbeginn, J R 1994,199; Pahlke, Rücktritt nach Zielerreichung, plosion gebracht werden soll, ist bereits gelegt. Im ersten Fall genügt für die Er-
GA 1995, 72; Th. Schmidt, Zulässigkeit der Aufzeichnung und Verwertung von „Raumgesprä- langung von Straffreiheit ein freiwilliges Aufgeben - der Versuchstäter drückt
chen", JuS 1995, 651; Sowada, Die erfolgsqualifizierten Delikte im Spannungsfeld zwischen All-
nicht ab und steckt die Pistole wieder ein; im zweiten Fall ist dagegen ein freiwil-
gemeinem und Besonderem Teil des Strafrechts, Jura 1995, 644; Sancinetti, Subjektive Un-
rechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch, 1995; Heckler, Beendeter Versuch bei fehlender liges Verhindern nötig - die Bombe muß vor der Explosion entschärft oder die
Vorstellung des Täters über die Folgen seines Tuns?, NJW 1996, 2490; Jäger, Der Rücktritt vom Polizei rechtzeitig informiert werden. Es hat sich eingebürgert, den ersten Fall als
Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr, 1996; Loos, Beteiligung und Rücktritt, Jjira
unbeendeten, den zweiten als beendeten Versuch zu bezeichnen (vgl. Rn. 163 ff).
1996, 518; Murmann, Rücktritt vom Versuch bei Gleichgültigkeit des Täters?, JuS 1996, 590;
Beinecke, Rücktritt vom Raub bei leichtfertiger Verursachung der qualifizierenden schweren Für den Fall des beendeten Versuchs eröffnet § 24 12 noch eine weitere Strafbefrei-
Folge, JuS 1997,1151; v. Heintschel-Henegg,Versuch. und Rücktritt, ZSfW 109 (1997), 29; Küper, ungsmöglichkeit: Wird die Tat ohne Zutun des Versuchstäters nicht vollendet, so
Der Rücktritt vom „erfolgsqualifizierten Versuch" JZ 1997, 229; Martin, Rücktritt vom Raub
genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu verhindern. Für
bei leichtfertiger Verursachung der qualifizierenden schweren Folge, JuS 1997, 178; Jäger, Der
Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Versuch, NStZ 1998, 161; Maiwald, Das Erfordernis des die Beteiligung mehrerer entwirft § 24 II eine selbständige Regelung, die auf dem
ernsthaften Bemühens beim fehlgeschlagenen oder beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 2 Erfordernis der freiwilligen Tatverhinderung oder doch des freiwilligen und
StGB), E. A. Wolff-FS, 1998, 337; Eisele, Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Ver-
ernsthaften Bemühens darum beruht.
such, JA 1999, 922; Kudlich, Grundfälle zum Rücktritt vom Versuch, JuS 1999, 240; 349; 449;
ders., Rücktritt vom Versuch bei mehreren Beteiligten, wenn die Rettung des Opfers verein- Es ist klar, daß diese Regelung vielfältige Auslegungsprobleme aufwirft. Schon 2
bart war, JA 1999, 624; Murmann, Versuchsunrecht und Rücktritt, 1999, 49; Stuckenberg, Rück-
tritt vom Totschlagsversuch, JA 1999, 751; Anders, Zur Möglichkeit des Rücktritts vom erfolgs- die Grundkategorien - Aufgeben, Verhindern, Freiwilligkeit - sind so umstritten
qualifizierten Versuch, GA 2000, 64; Bacher, Versuch und Rücktritt beim erfolgsqualifizierten wie wenige Begriffe des Allgemeinen Teils.Will man diese Termini klären und zu ei-
Delikt - zugleich ein Beitrag zum Begriff der Tat, 2000; Bottke, Untauglicher Versuch und ner einheitlichen Konzeption verbinden, so muß man auf den gesetzgeberischen
freiwilliger Rücktritt, BGH-FG, Band IV, 135; Greeve, Zielerreichung im Eventualversuch und
in anderen Versuchsformen, 2000; Jäger, Das Freiwilligkeitsmerkmal beim Rücktritt vom Ver- Leitgedanken zurückgreifen, der dem strafbefreienden Rücktritt zugrunde liegt.
such, ZStW 112 (2000), 783; Küper, Der Rücktritt vom Versuch des unechten Unterlassungsde- Die - ihrerseits umstrittene - ratio des durch § 24 gewährten Privilegs ist also für
likts, ZStW 112 (2000), 1; Otto, Rücktritt und Rücktrittshorizont, Jura 2001, 341; Yamanaka, die Auslegung der zahlreichen Einzelprobleme, die diese Vorschrift bietet, wichtig.
Betrachtungen über den Strafbefreiungsgrund des Rücktritts vom Versuch, Roxin-FS, 2001,
773; Boß, Der halbherzige Rücktritt, 2002; Hardtung, Versuch und Rücktritt bei den Teilvor- Sie muß daher vorab geklärt werden. Man muß sich freilich vor dem Irrtum hü-
satzdelikten des § 11 Abs. 2 StGB, 2002; Heckler, Die Ermittlung der beim Rücktritt vom Ver- ten, als könnte eine — notwendigerweise abstrakte — Konzeption des freiwilligen
such erforderlichen Rücktrittsleistung anhand der objektiven Vollendungsgefahr, 2002; Rau, Rücktritts ohne weiteres die vielen Detailfragen beantworten, die sich bei der
Ernsthaftes Bemühen beim Rücktritt nach § 24 Abs. 1 S. 1 StGB?, 2002; Schliebitz, Die Erfolgs-
zurechnung beim „mißlungenen" Rücktritt, 2002. Auslegung stellen. Aber sie kann immerhin bestimmte Lösungen als mit dem
Grundgedanken der Vorschrift unvereinbar ausschließen und für andere Fälle eine
Richtlinie geben, die anhand der verschiedenen Sachverhaltsgestaltungen konkre-
tisierend zu entfalten ist. Wie sich das bei der Lösung von Einzelfragen auswirkt,
kann sich erst im Fortgang der Darstellung zeigen.
Im folgenden werden die fünf bedeutendsten Rücktrittslehren unter Vbranstel- 3
lung der hier vertretenen Strafzwecktheorie erörtert. Dabei muß man sich bewußt
sein, daß seit bald 200 Jahren eine kaum noch übersehbare Anzahl von Auffassun-
gen miteinander streitet und daß die verschiedenen Lehren auch noch in vielfälti-
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§ 30 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - A. Ratio u. System. Stellung I § 3 0
1
gen Kombinationen auftreten. Hier können unter Verzicht auf Nuancen nur die D e n n der Wegfall der spezialpräventiven Bestrafungsnotwendigkeit beim freiwil-
wesentlichen Argumentationslinien nachgezeichnet werden. lig Zurücktretenden läßt sich überhaupt nicht so begründen, wie der B G H es tut.
„Schädliche Neigungen" allein liefern in einem Tatstrafrecht noch keine Rechtfer-
2. D i e Strafzwecktheorie tigung für strafrechtliches Eingreifen. Vielmehr m u ß sich diese Rechtfertigung im
Versuchsfall daraus ergeben, daß die konkrete Tat des Delinquenten ihn als einen
4 Herrschend ist heute die Strafzwecktheorie. Sie besagt in ihrer einfachsten
zur Deliktsbegehung willigen und fähigen Täter erweist, der seinen Entschluß
Form, daß bei freiwilligem Rücktritt eine Bestrafung durch keinen möglichen
Strafzweck mehr gedeckt wäre: Weder spezial- noch generalpräventive Bedürf- durchgehalten hat und nur durch äußere Umstände an der Verwirklichung der Tat
nisse oder die Notwendigkeit eines Schuldausgleichs erfordern eine Bestrafung. gehindert worden ist. Das spezialpräventive Einwirkungsbedürfnis m u ß sich also
Mit großer Deutlichkeit hat das erstmals BGHSt 9, 48, 52 ausgesprochen: 2 „Steht aus dem realen Geschehen, der vorliegenden „Tat", ergeben. Diese Voraussetzung
der Täter von dem begonnenen Versuch freiwillig ab, so zeigt sich darin, daß sein liegt beim freiwillig Zurücktretenden nicht vor. Er ist hinsichtlich der versuchten
verbrecherischer Wille nicht so stark war, wie es zur Ausführung der Tat erforder- Tat in die Legalität zurückgekehrt, und seine etwa noch vorhandenen Deliktsnei-
lich gewesen wäre. Seine Gefährlichkeit, die im Versuch zunächst zum Ausdruck gungen geben zu einer Bestrafung so wenig Anlaß wie bei anderen kriminell g e -
gekommen war, erweist sich nachträglich als wesentlich geringer. Aus diesem fährdeten Menschen. 6
Grunde sieht das Gesetz davon ab, den .Versuch als solchen' zu ahnden. D e n n eine Daraus ergibt sich eine „modifizierte Strafzwecktheorie" 7 , die trotz mancher 7
Strafe erscheint ihm nicht nötig, u m den Täter für die Zukunft von Straftaten ab- unterschiedlicher Akzentuierungen heute überwiegend vertreten wird. 8 Sie er-
zuhalten, u m andere abzuschrecken und die verletzte Rechtsordnung wieder her- klärt vom hier vertretenen Standpunkt aus die Strafbefreiung des freiwillig Z u -
zustellen." Der naheliegende Gedanke, daß bei freiwilligem Rücktritt die Straf- rücktretenden aus dem R n . 6 begründeten und gegen Mißverständnisse gesicher-
zwecke eine A h n d u n g nicht mehr gebieten, ist auch früher schon geäußert w o r - ten Wegfall des spezialpräventiven Strafbedürfnisses und daraus, daß auch aus g e -
den; 3 zu einer selbständigen „Theorie" hat sich diese Auffassung erst seit BGHSt 9, neralpräventiver Perspektive keine Notwendigkeit einer Bestrafung mehr besteht.
48 entwickelt. Denn die Gefährlichkeit des Versuchs, die dessen primären Strafgrund abgibt
5 Die Fassung, die diese Lehre beim B G H gefunden hat, ist insofern nicht u n b e - (§ 29, R n . 10 ff.), hat der Zurücktretende selbst beseitigt, und der rechtserschüt-
denklich, als die Gefährlichkeit des zurücktretenden Täters in zu pauschaler Weise ternde Eindruck, der auch die Strafbarkeit ungefährlicher Versuche noch tragen
minimalisiert und daraus allein das mangelnde Strafbedürfnis hergeleitet wird. kann (§ 29, R n . 17), wird durch die Freiwilligkeit des Rücktritts ebenfalls aufge-
D e n n ein Täter, der in das Versuchsstadium vordringt und dann wieder zurück- hoben. Der Täter, der noch rechtzeitig und aus freien Stücken zurückgetreten ist,
tritt, zeigt sich immerhin als ein im Hinblick auf die Anforderungen des Straf- gibt der Allgemeinheit kein schlechtes Beispiel, sondern bestätigt gewissermaßen
rechts labiler Mensch. Auch mag es sein, daß jemand, der seine H e m m u n g e n jetzt das Recht, das sich in seinem Verhalten am Ende noch durchgesetzt hat. Gelingt
noch nicht ganz überwinden kann, doch vielleicht auf dem Wege dazu ist und das dem Täter bei beendetem Versuch die Verhinderung des Erfolges nicht, so liegt
nächste Mal das Delikt durchführen wird. Lang-Hinrichsen hat deshalb die A n - eine Rechtsgutsverletzung vor, die aus generalpräventiven Gründen Strafe erfor-
nahme, daß eine spezialpräventive Einwirkung auf den Täter unnötig sei, als „eine dert. Der gute Wille des umkehrbereiten Täters allein reicht dann nicht aus, das
äußerst kühne kriminologische Prognose" 4 apostrophiert, und Herzberg5 spricht Strafbedürfnis entfallen zu lassen; hier wie sonst 9 kann sich die Notwendigkeit
von einem „kriminalpolitischen Optimismus", der in den meisten Fällen „bloßes der Strafe allein aus generalpräventiven Gründen ergeben. Dagegen führt auch ein
Wunschdenken und grundlose Spekulation" sei. erfolgloses Bemühen des Täters zur Straflosigkeit, w e n n die Tat ohne sein Zutun
6 Das ist zwar auch wieder übertrieben. Aber richtig ist, daß die Frage, ob und in- nicht vollendet wird. Da in diesem Fall der Erfolg ausgeblieben ist, sind die gene-
wieweit ein freiwillig Zurücktretender von seinen kriminellen Neigungen ein für
allemal geheilt ist, je nach Lage des Einzelfalles unterschiedlich zu beantworten ist. 6 Roxin, 21973, 37; dm., Heinitz-FS, 1972, 256. Ausdrücklich zust. Bloy, 1976, 159. Ebenso
in Auseinandersetzung mit Herzberg Rudolphi, NStZ 1989, 511.
Doch begründet das keinen Einwand gegen die Strafzwecktheorie als solche. 7
So nennt Bloy, 1976,158 die hier entwickelte Konzeption. '
1 s Bloy, 1976, 160; Bottke, 1979, 350, 565ff.; Gores, 1982, 149; Günther, Arm. Kaufmann-FS,
Die gründlichste Übersicht aus neuerer Zeit liefert Ulsenheimer, 1976, 33-119. Noch aktuel- 1989, 546; Gutmann, 1963, 64ff.Jerouschek,ZStW 102 (1990), 812; KraußJuS 1981, 888; Lampe,
ler ist die ebenfalls gute Darstellung bei Schäfer, 1992, 13-95; ferner Boß, 2002,15-35, der das JuS 1989, 610; Krey, AT/2, Rn.455; Maurach/Gössel, AT/27, 41/14; Munoz-Conde, ZStW 84
Rücktrittsprivileg „aus verschiedenen Ansatzpunkten heraus" zu erklären versucht, und (knap- (1972), 761; Ranft, Jura 1987, 532; den., JZ 1989, 1128, 1129; SK6-Rudolphi, §24, Rn.4; Schall,
per) bei Heckler, 2002,109 ff. JuS 1990, 626; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn. lff. Ähnlich Heckler, 2002,121 ff. (121): Es gehe darum,
2
Darauf bezieht sich auch BGHSt 14, 75 (80). „daß der Täter den Grund für die Versuchsstrafbarkeit nachträglich (jedenfalls weitgehend)
3 Vgl. Bloy, 1976,158 m.w.N. wieder entkräftet". Der hier verfolgte Ansatz wird aufgenommen und weiterentwickelt bei
4
Lang-Hinrichsen, Engisch-FS, 1969, 370. Yamanaka, Roxin-FS, 2001, 773.
9
5 Herzberg, NStZ 1989, 56. Vgl. Roxin, AT l3, § 3, Rn. 37.
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479
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - A. Ratio u. system. Stellung I § 30
§ 30 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Es empfiehlt sich also, die Strafzwecktheorie dem freiwilligen Rücktritt als 10
ralpräventiven Strafbedürfnisse wesentlich geringer, so daß die spezialpräventiv
Deutungsmuster zugrunde zu legen. Freilich werden auch von dieser Lehre die
relevante „Umkehr" des Täters mit Straflosigkeit honoriert werden kann.
Akzente unterschiedlich verteilt, je nachdem, welche Straftheorie ein Autor ver-
8 Die Überzeugungskraft der Strafzwecktheorie beruht darauf, daß sie die Vielfalt
tritt. Wenn man mit dem BGH (Rn. 3) - und anders als es hier geschieht11 - ne-
der gesetzlichen Regelungen zwanglos und einleuchtend erklärt. Außerdem strei-
ben der Prävention auch der Vergeltung Bedeutung im Rahmen der Strafzwecke
tet für sie die Besinnung auf die Grundlagen der Versuchsstrafbarkeit: Wenn diese
zumißt, kann man daraufhinweisen, daß die „verletzte Rechtsordnung" bei einer
unbestreitbar von strafzweckorientierten gesetzgeberischen Überlegungen über
Tat, auf die der Täter freiwillig verzichtet hat, keiner vergeltenden Wiederherstel-
die Notwendigkeit einer Pönalisierung abhängt, liegt es von vornherein nahe an-
lung bedarf. Vielfach wird auch allein auf den Wegfall des rechtserschütternden
zunehmen, daß die Straffreistellung nach § 24 auf dem Wegfall dieser Notwendig-
Eindrucks abgestellt.12 Das beruht teils auf der strafzwecktheoretischen Bevorzu-
keit beruht, daß also Strafzweckgesichtspunkte den Ausschluß der Bestrafung ge-
gung der Generalprävention, teils auf dem Mißverstehen des spezialpräventiven
nauso tragen wie deren Anordnung. Der Schluß ist zwar als solcher nicht zwin-
Aspektes in BGHSt 9, 52 (Rn. 3). Aber auch der spezialpräventive Topos der „Be-
gend. Denn theoretisch könnten auch außerhalb der Strafbedürftigkeit stehende
währung" des Täters wird vereinzelt in den Vordergrund gerückt.13
Erwägungen, wie etwa der Opferschutzgedanke im Rahmen der Lehre von der
goldenen Brücke (Rn. 14 ff.) oder ein außerstrafrechtliches „Erledigungsprinzip"
3. Die Rechtstheorien
(Rn. 25 ff), das Motiv der Strafbefreiung bilden. Wenn freilich alle derartigen
Deutungen sich als nicht haltbar erweisen (Rn. 17 ff, 26 ff), bleibt die Strafzweck- Die älteste, heute kaum noch vertretene Konzeption geht davon aus, daß der 11
theorie als einzige schlüssige Konzeption übrig. freiwillige Rücktritt die Tat als solche (das heißt nach heutigen Begriffen: ihre Tat-
9 Demgegenüber wird als Haupteinwand gegen die Strafzwecktheorie vorgetra- bestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit) entfallen lasse und insofern ein zwin-
gen, daß alle Aussagen über das präventiv Notwendige unsicher und empirisch gendes rechtliches Bestrafungshindernis bilde. So meinte Zachariä14, daß durch
nicht hinreichend belegbar seien.10 Solche Einwände sind gegenüber den spezial- den freiwilligen Rücktritt sowohl die äußere dem Gesetz widersprechende Tätig-
präventiven Prognosen des BGH (Rn. 4, 5) durchaus berechtigt, nicht aber gegen- keit als auch der auf die Deliktsvollendung gerichtete böse Wille des Täters „rück-
über der modifizierten Strafzwecktheorie, die auf den normativen Vorgaben des wärts" annulliert würden. In ähnlicher Weise betrachtet BindingXh Versuch und
Tatstrafrechts basiert (Rn. 6). Und was die generalpräventiven Annahmen anlangt, Rücktritt - prinzipiell richtig, vgl. Rn. 29 - als Einheit und folgert daraus, daß
so ist es gewiß richtig, daß sie empirisch schwer beweisbar sind. Aber das ist nicht das freiwillige Abstandnehmen von der Vollendung die „Ursache zu einem schäd-
entscheidend, weil die gesetzliche Regelung natürlich nicht auf tatsächlichen Be- lichen Erfolg" und damit die Rechtswidrigkeit beseitige.
funden für den Einzelfall, sondern auf generalisierten legislatorischen Annahmen Man kann dem entgegenhalten, daß das äußere und innere Geschehen als sol- 12
beruht. Das gilt schon für die Strafbegründung. Ob wirklich der untaugliche Ver- ches nicht „rückwärts annulliert" und aus der Welt geschafft werden kann. Ein
such im Einzelfall einen Strafe fordernden „rechtserschütternden Eindruck" her- Versuch bleibt Versuch, auch wenn ihm ein Rücktritt folgt. Das hindert freilich
vorruft, kann man bezweifeln; für den Interpreten reicht es aus, daß der Gesetzge- bei einer „Ganzheitsbetrachtung" nicht einen Ausschluß der Rechtswidrigkeit, wie
ber davon ausgeht und eine grundsätzliche Strafbarkeit anordnet. Entsprechend ihn Binding vornimmt. Daß aber gar kein rechtswidriger Tötungsversuch mehr
genügt für den strafbefreienden Rücktritt das gesetzgeberische Urteil, der rechts- gegeben sein soll, wenn der Täter z. B. das verwundete Opfer nachträglich rettet,
erschütternde Eindruck werde durch ihn aufgehoben. Gesetze sind notwendig leuchtet auch normativ wenig ein. Vor allem aber sprechen die Folgen, die sich
normative Aussagen, die an empirische Annahmen nur anknüpfen, gleichwohl für die Teilnahme ergeben, gegen einen Ausschluß des strafrechtlichen Unrechts.
aber Richtlinie der Auslegung bilden müssen. Sicher darf man den Gesetzgeber Denn Anstifter und Gehilfen müßten bei einem freiwilligen Rücktritt des Täters
nicht auf zweifelhafte kriminologische Prognosen festlegen, auf die es nach den mangels rechtswidriger Haupttat straflos bleiben. Es ist aber nicht einzusehen,
Grundlagen unseres Tatstrafrechts nicht ankommen kann (Rn. 6); und man darf warum die Straflosigkeit des unmittelbar Handelnden einem Außenstehenden zu-
ihm auch keine klar widerlegbaren empirischen Hypothesen unterstellen, wie es gute kommen sollte, der selbst nicht zurückgetreten ist und dies auch niemals tun
die „Lehre von der goldenen Brücke" tut (Rn. 17-19). Aber man darf bei immer-
hin plausiblen generalpräventiven Annahmen hinsichtlich der Strafbefreiung an " Vgl. Roxin, AT l3, § 3, Rn. 43 ff.
die Beweisbarkeit vernünftigerweise keine höheren Anforderungen stellen als bei '2 Bergmann, 1988, 150ff.; ders., ZStW 100 (1988), 335f.; Gores, 1982, 155f.; Grünwald, Wel-
zel-FS, 1974, 711 f.; v. Scheurl, 1972, 26 ff.; Schmidhäuser, LB AT2, 15/69; Schünemann, GA 1986,
der Strafbegründung. 323{.; Streng, JZ 1984, 654.
« Walter, 1980, 5; ders., GA 1981, 403; zu Walter vgl. Schäfer, 1992, 52ff.
M
Zachariä, 1839, 239.
's BiWmg,1915,125ff.
•o So etwa Hassemer, 1979, 35f.; Herzberg, Lackner-FS, 1987, 334; Schäfer, 1992, 55.
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§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - A. Ratio u. system. Stellung I § 30
§ 30 I 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
Heute gewinnt diese Lehre wieder Anhänger vor allem in der älteren, „negati- 16
wollte. Daß der Rücktritt eines Mitwirkenden die Beteiligung anderer straflos
machen könnte, verstößt zudem gegen die im neuen AT getroffene Regelung des ven" Fassung, die sie schon bei Feuerbach gefunden hat. Dieser schreibt:22 „Läßt der
§ 24 II.16 Staat den Menschen nicht ungestraft die schon unternommene Tat bereuen, so
13 In der neueren Literatur hat R. von Hippef7 die Rechtstheorien wieder aufgenommen und nöthigt er gewissermaßen das Verbrechen zu vollenden; denn der Unglückliche,
den freiwilligen Rücktritt als „negatives Tatbestandsrnerkmal" (also als Tatbestands- der sich zu einem Versuche fortreißen ließ, weiß ja sonst, daß er nichts Großes
ausschließungsgrund) gedeutet. Aber er sieht selbst die mißlichen Folgen für die Teilnehmer- mehr durch Reue zu gewinnen, und durch die Beendigung der That nichts Be-
bestrafung. Der von ihm erwogene Ausweg, auf die Akzessorietät zu verzichten, ist nach gel-
deutendes mehr zu verlieren hat." Charakteristisch für die Aufnahme dieses Ge-
tendem Recht nicht gangbar. Bestraft man aber, wie es der heute einhelligen Meinung ent-
spricht, den Außenstehenden wegen Teilnahme am Versuch des - kraft Rücktritts straflosen - dankens in der Gegenwart ist Puppe23, wenn sie sagt, es gehe darum, „um der Ret-
Täters, kann man nicht zugleich behaupten, daß nichts vorliege, woran teilgenommen werden tungschance für das Opfer willen, ... dem Täter die ,Goldene Brücke' der Erfolgs-
könne. abwendung zu bauen und so lange als möglich zu erhalten. Mag das Angebot der
Straffreiheit auch kaum ein geeignetes Mittel sein, den Täter zur Erfolgsabwen-
4. Die Lehre von der goldenen Brücke dung zu motivieren, so beseitigt es doch ein psychologisches Hindernis, das sonst
14 Der Grundgedanke dieser Lehre, die man auch „kriminalpolitische Theorie"18 darin bestehen würde, daß mit dem Versuch die Strafbarkeit des Täters endgültig
nennt, beruht auf dem Gedanken, daß man dem Täter einen Anreiz bieten muß, feststeht." Die hier anklingende Wendung zum modernen Opferschutzgedanken
um ihn von der Vollendung des Delikts abzuhalten. Dieser Anreiz - die „goldene ist von Puppes Schülerin Weinhold noch ausgebaut worden. Ihr zufolge24 ist es
Brücke" - ist das Versprechen, daß der Versuch bei freiwilligem Rücktritt nicht „konsequent, den staatlichen Strafanspruch zurückzustellen, soweit er dem Opfer-
bestraft wird. Dieser Gedanke war unter dem Einfluß Franz v. Liszts in der älteren interesse entgegensteht. Das Bild von der .goldenen Brücke', die dem Täter gebaut
deutschen Literatur herrschend.19 Noch in der letzten von ihm bearbeiteten Auf- werden soll, stellt insofern eine Verzerrung des Konzeptes dar, als es eben nicht auf
lage seines Lehrbuchs20 heißt es, die Strafbarkeit des Versuchs könne nicht „nach den Täter ankommt." Auch im übrigen wird die „Feuerbachsche Variante" — wenig-
rückwärts annulliert" nicht aus der Welt geschafft werden. „Wohl aber kann die stens neben anderen Begründungsansätzen - im neueren Schrifttum wiederholt
Gesetzgebung aus kriminalpolitischen Gründen dem bereits straffällig geworde- vertreten.25
nen Täter eine goldene Brücke zum Rückzüge bauen." Gleichwohl ist die Lehre von der goldenen Brücke heute in eine Randposition 17
15 In der Rechtsprechung des RG war die Lehre von der goldenen Brücke herr- geraten, und dies mit Recht. Einen durchschlagenden Einwand gegen sie bildet
schend,21 wenngleich sich dort auch Anklänge an die Strafzwecktheorie (Rn.4ff.) der Umstand, daß das Motiv, das den Grund für den Rücktritt bilden soll, sich in
und an die Prämien- bzw. Gnadentheorie (Rn. 22 ff.) finden. So heißt es schon in der Praxis nicht auffinden läßt. „Die Entscheidungen des RG und des BGH ent-
RGRspr. VIII, 13, es sei der Zweck der Rücktrittsregelung, dem Täter „einen An- halten auch nicht einen Fall, in dem der Täter vom Versuch deswegen zurück-
reiz zum Aufgeben ... so lange wie möglich zu gewähren und auf diesem Wege getreten wäre, weil er sich Straflosigkeit verdienen wollte."26 Ulsenheimer27 hat die-
die mit der Vollendung der Straftat verknüpften Gefahren zu verhüten". Noch die sen Nachweis auf alle weiteren erreichbaren deutschsprachigen Urteile erstreckt.
letzte einschlägige Entscheidung (RGSt 73, 60) spricht von dem Willen, dem Auch BGHSt 9, 52 hat sich vom Gedanken der „goldenen Brücke" abgewandt: „In
Täter „für den Rückweg aus einem verbrecherischen Vorhaben gewissermaßen den meisten Fällen denkt der Täter ... beim Versuch gar nicht an die strafrecht-
eine .goldene Brücke zu bauen". Sogar BGHSt 6, 87 erwähnt neben dem fehlen- lichen Folgen." Er werde sich zum Rücktritt „auch nicht gerade durch solche Er-
den Sühnebedürfnis beim freiwilligen Rücktritt die Notwendigkeit, „daß Hand- wägungen, selbst wenn er sie anstellen sollte, bestimmen lassen."
lungen des Täters gefordert werden, die der Abwendung des drohenden Schadens Das liegt nicht nur, wie durchweg angenommen wird, daran, daß Delinquen- 18
dienen". ten rationalen Abwägungen, wie sie diese Theorie voraussetzt, kaum zugänglich
sind. Es hat auch darin seinen Grund, daß der Täter gerade im klassischen Fall des
i« Bottke, 1979, 579; Schäfer, 1992,72. freiwilligen Rücktritts, in dem er ohne Furcht vor Entdeckung die Tat risikplos
17
R. v. Hippel, 1966, 66; ihm weitgehend folgend v. Scheurl, 1972, 25 ff. vollenden könnte, keine Veranlassung haben kann, sich Straffreiheit verdienen zu
18
Diese Bezeichnung wird hier vermieden, weil auch die Strafzwecktheorie auf kriminal-
politischen Erwägungen über das fehlende Strafbedürfnis beruht. 22 Feuerbach, 1 8 0 4 , 1 0 2 .
19 23 Puppe, NStZ 1984,490.
Er tritt schon in der 1. Aufl. (1881) seines Lehrbuchs (S. 143) auf, ist aber schon früher
von anderen Autoren formuliert worden (vgl. Ulsenheimer, 1976, 42, Fn.60). Die weiteren 2" H*in/wtö,1990,31f.
Anhänger dieser Theorie in der älteren Literatur werden angeführt bei Ulsenheimer aaO. 25 Blei, AT18, §69 I; Grünwald, Welzel-FS, 1974, 709; Krauß, JuS 1981, 807; Puppe, NStZ
2" v. Liszt, StrafR, 21,221919, 201. 1984, 490; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 626; wohl zuchJescheck/Weigend, AT5, § 5112.
21 RGSt 6, 341, 342; 10, 324, 325; RGRspr. Bd. VIII, 12,13; RGSt 14, 19, 23; 17, 243, 244; 26 Bockelmann, NJW 1955,1420, Fn.41 (= Untersuchungen, 180, Fn.41).
27 Ulsenheimer, 1976, 70.
RG JW 1892, 5,6; RGSt 38, 402,403; 39, 37, 39; 47, 358, 360; 62, 303, 305; 63,158,159; 72, 349,
350; 73, 52, 60. 483
482
§ 30 I 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - A. Ratio u. system. Stellung I § 30
wollen. Denn er rechnet in diesem Fall ohnehin nicht mit der Möglichkeit einer der Strafbarkeit vom Rücktritt abzuschrecken, als ein - nicht tragender und nur
Bestrafung. Selbst wenn bei besonderen Konstellationen der Gedanke an die Er- in Einzelfällen relevant werdender - begleitender Gesichtspunkt mit der ebenfalls
langung von Straffreiheit doch eine Rolle spielen mag, wie man es bei der steuer- kriminalpolitisch fundierten Strafzwecktheorie verbunden werden.
lichen Selbstanzeige (§ 371 AO) annehmen muß, 28 läßt sich darauf keine allge-
mein gültige Theorie gründen. 5. Die Gnaden- oder Prämientheorie
19 Hinzu kommt, daß schon die Kenntnis über Strafbarkeit und Beginn des Ver-
Diese Lehre geht davon aus, daß dem Täter das Verdienst, das er sich durch den 22
suchs sowie die Wirkungen des Rücktritts beim Laien nicht vorausgesetzt werden
strafbefreienden Rücktritt erwirbt, durch die „Gnade" oder „Prämie" der Straf-
können. Auch die Berufung auf das laienhafte Empfinden, „daß derjenige mit
freiheit belohnt wird.31 Sie ist besonders wirksam durch Bockelmann32 erneuert
Milde zu rechnen hat, der sich rechtzeitig anders besinnt" 29 entkräftet diesen Ein-
worden, der sich dabei auf eine lange, bis zum Preußischen Allgemeinen Land-
wand nicht. Denn allenfalls ließe sich durch eine solche Erwägung eine gesetz-
recht (II 20 § 43) zurückreichende Tradition berufen konnte. Der Täter wiege „das
liche Strafmilderung und nicht die Straffreiheit des geltenden Rechts erklären.
Gewicht des Schuldvorwurfs, der ihn trifft, bis zum gewissen Grade wenigstens
Und außerdem braucht auch auf Milde derjenige nicht zu spekulieren, der, wie es
durch ein Gegengewicht verdienstlichen Handelns auf. 33 Und deshalb erscheint
der Regel entspricht, ohne Gefahr vor Entdeckung freiwillig zurücktritt und die
es angebracht, ihn mit Strafe zu verschonen, das heißt: „ihm Gnade zu gewähren".
Möglichkeit einer Strafverfolgung gar nicht in Rechnung zieht. Wessels34 drückt das so aus, „daß das Gesetz die Verdienstlichkeit des freiwillig ge-
20 Gegen die Lehre von der goldenen Brücke spricht auch, daß sie, selbst wenn wählten Rücktritts durch die Gewährung von Straffreiheit belohnt".
ihre psychologischen Voraussetzungen real wären, das Freiwilligkeitskriterium
Es ist gewiß richtig, daß der freiwillige Rücktritt mit Straffreiheit „belohnt" 23
nicht hinreichend erklären kann. 30 Denn gerade wenn der Täter sich entdeckt
oder „prämiert" wird. Aber diese Aussage liefert nur eine Umschreibung des
sieht, die Tat noch vollenden könnte, aber mit seiner nachherigen Festnahme rech-
Gesetzestextes. Die eigentliche Frage besteht darin, warum der freiwillige Rück-
nen muß, könnte das Versprechen von Straflosigkeit ein starkes Motiv bilden, von
tritt mit Straflosigkeit honoriert wird. Darauf aber weiß die geschilderte Theorie
der Verwirklichung des Tatbestandes abzusehen, während andererseits die Erwä-
keine Antwort. 35 Wenn der Gesichtspunkt der „Gnade" mehr als die aus dem Ge-
gung, so oder so bestraft zu werden, ihn zur Vollendung der Tat antreiben könnte.
setz hervorgehende Belohnung des freiwilligen Rücktritts ausdrücken soll, ist er
Da eine Freiwilligkeit des Rücktritts in den genannten Fällen heute allgemein ab-
unzutreffend. Denn es ist nicht Sache des Gesetzgebers, außerhalb besonderer
gelehnt wird, müßte man also auch den unfreiwilligen Rücktritt strafbefreiend
historischer Situationen Gnade vor Recht ergehen zu lassen und ein an sich straf-
wirken lassen, um dem Täter eine das Opfer schonende goldene Brücke zum
bares Verhalten von vornherein zu amnestieren. In Wirklichkeit greifen denn auch
Rücktritt zu bauen. Gerade dies geschieht aber nicht. Auch sind die psycholo-
die Vertreter dieser Lehre mehr oder weniger deutlich auf Elemente der Straf-
gischen Annahmen der Lehre von der goldenen Brücke, wenn man sie einmal zwecktheorie zurück. Bockelmann verweist auf die Minderung des Schuldvorwurfs
hypothetisch zugrunde legt, ambivalent. Denn zwar würde die verheißene Straf- und die Hoffnung, daß man sich in Zukunft keiner Übeltat mehr vom Täter zu
losigkeit der Schonung des Opfers dienen. Die Möglichkeit, sich immer noch versehen habe; 36 Jescheck verweist u.a. darauf, daß der freiwillig zurücktretende
straflos aus der Affäre ziehen zu können, könnte aber andererseits auch zum Ver- Täter „den rechtserschütternden Eindruck" seiner Tat wieder aufhebe;37 und Wes-
such und ggf. zur Vollendung anreizen, so daß auch auf der Grundlage ihrer - un- sels sieht im freiwilligen Rücktritt eine „Rückkehr in die Legalität" und einen
zutreffenden - Prämisse offenbleibt, ob die Lehre von der goldenen Brücke zur Ausgleich der negativen „Einwirkung des Täters auf das Rechtsbewußtsein der
Verhinderung von Straftaten irgend etwas beitragen könnte. Allgemeinheit".38 Daran zeigt sich, daß die Gnaden- oder Prämientheorie eine
21 Die negative Fassung Feuerbachs (Rn. 16) entgeht zwar dem Einwand, der sich rudimentäre Strafzwecktheorie ist und neben ihr keine selbständige Bedeutung
gegen die Annahme richtet, die Versuchstäter träten zur Erlangung von* Straffrei- beanspruchen kann.
heit zurück (Rn. 17/18). Aber die übrigen Argumente - die durchweg fehlende
Furcht vor Strafe beim Rücktritt des Unentdeckten (Rn. 18/19) und die Unge- 31
Zu der (eher zu verneinenden) Frage, ob zwischen Prämien-, Belohnungs-, Verdienst-
reimtheiten, die sich selbst auf der Basis der unzutreffenden Voraussetzungen die- und Gnadentheorie buchenswerte Abweichungen bestehen, vgl. Ulsenheimer, 1976, 74 ff.
32
ser Lehre ergeben (Rn. 20) - sprechen auch gegen diese Erklärung des Rücktritts- Bockelmann, N J W 1955,1421 ( = U n t e r s u c h u n g e n , 182).
33
privilegs. Immerhin kann der Gedanke, den Täter nicht durch Aufrechterhaltung 3
Fast w ö r t l i c h übereinstimmendJesc/ieck/H^igeHii,
31
AT 3 , § 511 3.
* Wessels/Beulke, A T , R n . 6 2 6 .
35
Vgl. zu diesem heute weithin anerkannten Gegenargument Roxin, Heinitz-FS, 1972,
28 Vgl. Bockelmann, NJW 1955,1420, Fn.41 (= Untersuchungen, 180, Fn.41). 271.
29
Weinhold, 1990, 33. 3
6 Bockelmann, N J W 1955,1420 ( = U n t e r s u c h u n g e n , 182).
30 3
Insoweit abw. Ulsenheimer, 1976, 72, der aber nur den Fall ins Auge faßt, daß der Täter ? Jescheck/Weigend, AT 5 , § 511 3.
3
die Tat nicht mehr vollenden kann. Doch läge dann schon ein fehlgeschlagener Versuch vor. « Wessels/Beulke, AT 3 1 , R n . 626.
484
485
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - A. Ratio u. System. Stellung II § 30
§30 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Ein zweiter entscheidender Einwand gegen die Schulderfüllungstheorie liegt 27
24 Ähnliches gilt für die LehreJägers39, derzufolge „der maßgebliche Strafbefreiungsgrund ... in
der durch den Rücktritt bewirkten oder zumindest beabsichtigten Gefährdungsumkehr" liegt. darin, daß sie das für alle Erscheinungsformen des strafbefreienden Rücktritts ent-
Gewiß bedeutet die Gefährdungsumkehr, wie immer man dieses Kriterium versteht, ein Ver- scheidende Freiwilligkeitskriterium nicht erklären kann. Denn auch der unfrei-
dienst. Fragt man aber, warum dieses Verdienst zur Straflosigkeit führt, so kommt auch Jager willige und selbst der (aus der Unmöglichkeit weiterer Tatausführung resultieren-
auf die Strafzwecklehre zurück, indem er eine fehlende Strafwürdigkeit annimmt, wenn der
Täter sich „in der Gegenwart bewährt, indem er die konkret bestehende Gefährdung zur Um- de) fehlgeschlagene Versuch (dazu Rn. 77-112) „erledigen" die Straftat, ohne daß
kehr bringt oder, sofern die Gefährdung tatsächlich nicht besteht, eine Umkehr versucht". Straffreiheit einträte. Das sieht natürlich auch Herzberg und erklärt es daraus, daß
der Gesetzgeber neben dem Erledigungsprinzip auch Gesichtspunkte der Präven-
6. Die Schulderflillungstheorie tion berücksichtige. „Der Einbrecher, der von einem Hausbewohner ertappt wird
25 Eine neue Konzeption hat im Jahre 1987 Herzberg40 in Gestalt der von ihm so und daraufhin die Beute fallen läßt, erfüllt seine Pflicht zur Respektierung frem-
genannten Schulderflillungstheorie vorgelegt. Er geht von einem außerstrafrecht- den Eigentums, bringt damit aber nur zivilrechtlich die Sache ins reine. Die Fälle
lichen Ansatz, nämlich dem im Zivilrecht und im öffentlichen Recht vorfind- der Selbstentschärfung eines Versuchs (Fehlschlag) und des unfreiwilligen Rück-
baren Prinzip aus, „daß Zwangsandrohung mit der Ausgleichung des Anlaßver- tritts hat das Strafrecht genau wie den Fall der Wiedergutmachung nach vollende-
haltens hinfällig wird".41 Er sieht darin einen allgemeinen Rechtsgrundsatz und tem Delikt seinem eigenen Grundsatz der absoluten Präventionsstrafe erhalten!"46
folgert: „Ratio der Strafbefreiung ist ... die Befolgung des allgemeinen Rechts- Erst aus dem „Spannungsverhältnis" von Erledigungsprinzip und Präventionsnot-
grundsatzes, daß sich Zwangsandrohung (hier: die Strafdrohung) erledigt, wenn wendigkeit erklärt sich also für Herzberg die Rücktrittsregelung. Damit ergibt sich
der Täter seine Pflicht zur Beendigung und Wiedergutmachung des Unrechtsver- aber, daß auch für ihn in Wirklichkeit präventive Gesichtspunkte über die Straf-
haltens, das die Drohung ausgelöst hat, durch eine ihm zuzurechnende Leistung barkeit des Versuchs entscheiden, so daß nicht die „Erledigung", sondern das Feh-
erfüllt.'' Oder, in der knappsten Fassung:42 „Der freiwillig Zurücktretende befreit len präventiver Erfordernisse gegebenenfalls die Straflosigkeit begründet. 47 Damit
sich von staatlicher Zwangsandrohung, weil er seine Schuld durch eine ihm zure- kehrt Herzberg entgegen seinem Ausgangspunkt zu der von ihm so heftig be-
chenbare Leistung erfüllt." kämpften Strafzwecktheorie zurück.
26 Gegen diese Lehre spricht zunächst, daß es nicht möglich ist, das Erledigungs- Neben diesen zentralen Schwächen der Schulderfüllungstheorie sei nur am 28
prinzip ohne weiteres ins Strafrecht zu übertragen. In anderen Rechtsgebieten Rande erwähnt, daß auch beim Vorliegen von Freiwilligkeit der Erledigungs-
geht es um die Herstellung rechtmäßiger Zustände (die Erfüllung einer Schuld, die gedanke auf manche Erscheinungsformen des Rücktritts nicht recht paßt. Beim
Beseitigung einer Störung usw.); ist sie erfolgt, hat sich das Rechtsproblem in der untauglichen Versuch, bei dem von vornherein keine Gefahr droht, ist nichts zu
Tat erledigt. Ein strafrechtlicher Grundsatz, daß die nachträgliche „Wiedergutma- erledigen, und doch ist ein freiwilliger Rücktritt möglich. Wenn man den Erledi-
chung" eine einmal begründete Strafbarkeit tilgt (erledigt), existiert aber nicht. gungseffekt in der Beseitigung des durch den Versuch hervorgerufenen rechtser-
Selbst der erst 1994 eingeführte § 46 a sieht für die Wiedergutmachung nur bei schütternden Eindrucks sieht, ist man wieder bei der Strafzwecktheorie angelangt.
leichten Delikten äußerstenfalls ein fakultatives Absehen von Strafe vor. Wenn Mit der Schulderfüllungstheorie unvereinbar erscheint mir auch die Regelung
demgegenüber § 24 bei freiwilligem Rücktritt die völlige Straflosigkeit anordnet, nach § 24 II, derzufolge ein „freiwilliges und ernsthaftes", aber erfolgloses und da-
bedürfte dies einer Erklärung, die Herzberg aber nicht gibt. Er verweist nur darauf, her nichts erledigendes Tun zur Straffreiheit führt.
daß „der Gesetzgeber sich insoweit, wie ein Rücktritt befreiend wirkt, für den Er-
ledigungsgrundsatz entschieden hat".43 Damit wird aber nur der Gesetzestext pa- II. Die systematische Stellung des strafbefreienden Rücktritts
raphrasiert;44 die entscheidende Frage, warum der Gesetzgeber auf die Strafe ver-
zichtet, bleibt unbeantwortet. 45 Nach der hier befürworteten Strafzwecktheorie ist der strafbefreiende Rücktritt 29
ein Fall ausgeschlossener strafrechtlicher Verantwortlichkeit.48 Dabei sind Ver-
such und Rücktritt als eine Bewertungseinheit zu betrachten.49 Denn so, wie
der Erfolg zur Tat hinzugehört, muß auch die Aufgabe seiner Herbeiführung oder
s« Jäger, 1996,126; krit. Yamanaka, Roxin-FS, 2001,777 ff.
"0 Herzberg, Lackner-FS, 1987, 325 (349ff.); ferner ders., NStZ 1990,172 (in Auseinanderset-
46
zung mit Rudolphi, NStZ 1989, 508). Hier und im folgenden Herzberg, Lackner-FS, 1987, 351.
41 v Ähnlich schon Bergmann, ZStW 100 (1988), 337.
Hier und im folgenden Herzberg, Lackner-FS, 1987, 349.
"8 So schon Roxi«, 21973, 36 ff; ders., Heinitz-FS, 1972, 273 ff.; ders., AT l3, § 23, Rn. 17.
« Herzberg, Lackner-FS, 1987, 350. 49
Bloy, 1976, 168ff; Bottke, 1979, 682f.; R. v. Hippel, 1966, 63ff.; Lang-Hinrichsen, Engisch-
« Herzberg, Lackner-FS, 1987, 349.
44 FS, 1969, 370ff.; Schmidhäuser, StuB AT2, 11/69; Ulsenheimer, 1976, 88ff.; LKw-Vogler, §24,
Schäfer, 1992,68. Rn.15.
« SK6-Rudolphi, §24, R n . 3 a; ders., NStZ 1989, 508 (dagegen wieder Herzberg, NStZ
487
1990,170); Rudolphi zust. Yamanaka, Roxin-FS, 2001,775ff.

486
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit I § 30
§ 30 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
de die Lehre von der „goldenen Brücke" (oben Rn. 14 ff.) eine Deutung des Rück-
seine Verhinderung durch den Täter in die rechtliche Beurteilung des Geschehens
tritts als persönlicher Strafaufhebungsgrund zulassen. Denn ihr Grundgedanke,
einbezogen werden. Dann zeigt sich, daß in der Herbeiführung des Versuchs eine
dem Täter durch Versprechen von Straffreiheit eine Verlockung zum Aufhören zu
tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung liegt, deren Schuld
bieten, ändert nichts an der Strafbedürftigkeit des Täters, sondern schont ihn um
durch den Rücktritt zwar in milderem Lichte erscheint, aber nicht aus der Welt
der Erhaltung des bedrohten Rechtsgutes willen. Auch das „Erledigungsprinzip"
geschafft werden kann. Da jedoch weder ein spezial- noch ein generalpräventives
(Rn. 25 ff.) müßte, wenn es wirklich über die Straflosigkeit entschiede, als ein
Strafbedürfnis besteht (dazu Rn. 6, 7), kann die strafrechtliche Verantwortlichkeit
„außerstrafrechtlicher Ansatz" jenseits von Unrecht und Schuld bei den Strafaufhe-
ausgeschlossen werden. 50 Diese systematische Einordnung entspricht derjenigen
bungsgründen angesiedelt werden. Strafbefreiungsgründe, die von der Straf-
der §§ 33, 35 und ähnlicher Fälle,51 bei denen ebenfalls eine geminderte Schuld
bedürftigkeit des Täters unabhängig sind, sind systematisch immer bei den Straf-
bestehenbleibt, die Verantwortlichkeit aber mangels präventiver Bestrafungsnot-
ausschließungs- oder Strafaufhebungsgründen einzuordnen.61
wendigkeit entfällt. Die Deutung des freiwilligen Rücktritts als eines Grundes
ausgeschlossener strafrechtlicher Verantwortlichkeit paßt sich also nahtlos in die Auch sonst gibt es noch manche systematisch abweichende Ansätze, die aber vereinzelt g e - 3 2
blieben sind. D a ß die Deutung des freiwilligen Rücktritts als Tatbestands- oder Unrechtsaus-
hier entwickelte Konzeption der Verbrechenslehre ein. schließungsgrund zu unhaltbaren Ergebnissen fuhrt u n d auch mit dem geltenden Recht nicht
Der im Text entwickelten Auffassung entspricht weitgehend die Ansicht von zu vereinbaren ist, wurde schon i m Zusammenhang m i t den Rechtstheorien ( R n . 11 ff.) dar-
Rudolphi52 und Uhenheimer53, die den freiwilligen Rücktritt als Entschuldigungs- gelegt. Etwas anders spricht Bloy von einem „persönlich wirkenden Ausschluß der straf-
rechtlichen Erheblichkeit des Unrechts" und kann dadurch die Straflosigkeit auf den Zurück-
grund auffassen.54 Der Rücktritt mindere das Unrecht (wegen des fehlenden Er- tretenden beschränken. Doch wird die Schuld genauso gemindert wie das Unrecht; daß aber
folges) und ebenso die Schuld so weitgehend, daß auf Strafe verzichtet werden daraufhin die „strafrechtliche Erheblichkeit" gänzlich entfällt, läßt sich nur durch Strafzweck-
könne. In sehr ähnlicher Weise spricht Streng55 von einem „Schuldtilgungsgrund*. erwägungen erklären. Jäger' deutet den strafbefreienden Rücktritt als „eigenständigen Straf-
befreiungstatbestand", der nichts m i t Unrecht u n d Schuld des vorangegangenen Versuchs zu
Wenn Jakob^6 „die Minimierung des Normbruchs ... auf allen Stufen des Delikts" tun habe. Daran ist auch bei der gebotenen „Gesamtbetrachtung" (Rn. 29) richtig, daß der
ansiedelt, so ist wegen des tatsächlich geminderten Unrechts auch das richtig. Es freiwillige Rücktritt Unrecht u n d Schuld des Versuchs in freilich geminderter Form bestehen-
läßt. Da aber der „Strafbefreiungstatbestand" die Strafbarkeit des Versuchs beseitigt, m u ß er
fehlt nur die Verknüpfung mit der Strafzwecklehre, aus der die Straflosigkeit des straftatsystematisch beim Versuch (als Grund ausgeschlossener Verantwortlichkeit) unter-
verbleibenden „Restes" an Unrecht und Schuld folgt. Unentschieden äußerst sich gebracht und kann nicht als „eigenständig" neben die Versuchstat gestellt werden. Auch Burk-
Boß, 57 demzufolge der Rücktritt „sowohl als Strafaufhebungsgrund als auch als hardt64 löst den freiwilligen Rücktritt vom Deliktsaufbau der Versuchstat und beurteilt ihn als
Rechtsfolgebestimmung, indem er ihn „über eine Verknüpfung mit einem Absehen von Strafe
Schuldtilgungsgrund" aufgefaßt werden kann. zu einer tatschuldgelösten Strafzumessungsreger machen will. D e m ist entgegenzuhalten, daß
Demgegenüber versteht die h.L. den freiwilligen Rücktritt als persönlichen der Gesetzgeber de lege lata den Rücktritt von vornherein straflos gestellt hat. Auch abgesehen
Strafaufhebungsgrund.58 Damit ist „wenig gesagt",59 wie selbst Anhänger dieser davon gehören präventive Erwägungen durchaus schon zur Frage nach der Strafbarkeit u n d
nicht erst in den Bereich der Rechtsfolgen.
Lehre einräumen. Jedenfalls ist diese Annahme vom Standpunkt der hier vertrete-
nen Systemkonzeption aus unrichtig, soweit der Grund der Strafbefreiung im
mangelnden Strafbedürfnis gegenüber dem Zurücktretenden erblickt wird. Denn
diese Fälle gehören allein in die Kategorie der Verantwortlichkeit.60 Dagegen wür- B. Riicktrittsunfähigkeit und Rücktritt

50
Übereinstimmend Bottke, 1979, 603ff.: strafzumessungsnaher Verantwortlichkeitsaus- I. Die Grundkonzeption des Rücktritts
schluß; wie hier ferner Haft, JA 1979, 312; Schäfer, 1992,176. Ebenso mit ausführl. Begründung
auf der Basis der hier befürworteten Verantwortlichkeitskonzeption Heckler, 2002,126 ff. Der Begriff des „Rücktritts" bildet die Überschrift des § 24, wird aber im Text 33
5i Ausführlich Roxin, AT l 3 , § 2 2 . der Vorschrift nicht verwendet. Jedoch ist davon auszugehen, daß alle Konstella-
52 Ruäolphi, ZStW 85 (1973), 121 f.; das., SK 6 , §24, R n . 6 . tionen, bei denen gemäß § 24 unter der weiteren Voraussetzung freiwilligen Han-
53 Uhenheimer, 1 9 7 6 , 9 4 ff.
54
Über ältere Vertreter dieser Auffassung Roxin, Heinitz-FS, 1972, 274 f.; Uhenheimer, 1976, delns Straffreiheit eintritt, als Fälle des Rücktritts zu beurteilen sind. Die Literatur
107 ff. hat sich bisher mit einer Definition des Rücktritts, die seine einzelnen Erschei-
55
Streng, ZStW 101 (1989), 324; ähnlich Köhler, AT, 470 f. („Schuldaufhebungsgrund"). nungsformen (Aufgeben, Verhindern, ernsthaftes Bemühen) umgreift, kaum be-
56 Jakobs, A T 2 , 2 6 / 2 .
57 Boß, 2002,45.
58 Baumann/Weba, A T 1 0 , 27/6; Jescheck/Weigend, A T 5 , § 51 V I 1; Krauß, J u S 1981, 8 8 9 ; Krey, « Vgl. Roxin, AT l 3 , § 23, R n . 21 ff.
3 2 26
AT/2, R n . 4 5 6 ; Kühl, AT , § 16, R n . 8 ; Lackna/Kühl *, § 24, R n . l ; Sch/Sch/Eser , § 2 4 , R n . 4 ; « Bloy, 1976,17 f.
a
Stratenwerth, AT 4 , § 7 , R n . 3 0 ; §11, R n . 6 8 , 71; Tröndle/Fischer50, § 2 4 , R n . 2; Wesseh/Beulke, Jäger, 1 9 9 6 , 1 2 6 f.
« Burkhardt, 1975, 70.
AT 31 , R n . 6 2 6 ; % / e r , ZStW 98 (1986), 335.
« Vgl. Roxin, AT l3, § 19, Rn. 1-7.
5» Stratenwerth, AT 4 , § 11, R n . 71.
«o Vgl. Roxin, AT l 3 , § 23, R n . 16 ff. 489
488
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit I § 30
§ 30 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
men hat. Der zielerreichende Versuch schließt also eine Rücktrittsmöglichkeit aus
schäftigt,66 sondern sich fast ganz auf das Kriterium der Freiwilligkeit konzen-
(näher Rn. 47 ff.).
triert. Die Frage, ob es Versuchsabbrüche gibt, die kein Rücktritt sind und schon
Dasselbe gilt, wenn der Täter nicht einmal subjektiv davon ausgeht, daß er sein 36
deshalb nicht zur Straffreiheit führen können - so daß sich das Freiwilligkeits-
Ziel noch erreichen kann. Der Dieb, der in eine fremde Tasche greift und sie leer
problem gar nicht mehr stellt - , ist darüber vernachlässigt worden. Daher rührt
findet, tritt nicht vom Diebstahlsversuch zurück, wenn er sich enttäuscht ab-
es, daß Fallkonstellationen wie die des zielerreichenden und des fehlgeschlagenen
wendet. Denn er kann keine Gefährdung umkehren oder umzukehren versuchen,
Versuchs (Rn.47ff., 77 ff.), bei denen eine Strafbefreiung schon am Fehlen eines
wo sie objektiv und nach seiner Vorstellung überhaupt nicht besteht. Hier liegt ein
Rücktritts (und nicht an seiner etwaigen Unfreiwilligkeit!) scheitert, in ihrer Exi-
fehlgeschlagener Versuch vor, der wie der zielerreichende Versuch rücktritts-
stenz und Reichweite bis heute äußerst umstritten sind. Überhaupt betrifft, wie
unfähig ist. Die nähere Begründung dafür soll später gegeben werden (Rn. 77 ff.).
sich zeigen wird, ein großer Teil der Probleme, die § 24 stellt, Fragen des Rück-
Hier geht es nur darum, beide Formen des Versuchs in die skizzierte Rücktritts-
tritts, so daß dessen begriffliche Erfassung größere Beachtung verdient, als ihr bis-
konzeption einzufügen.
her zuteil geworden ist.
Erst recht scheidet ein Rücktritt aus, wenn der Erfolg trotz der vom Täter 37
34 Eine inhaltlich brauchbare Kennzeichnung des Rücktritts liefert das von Jäger
unternommenen Rücktrittsbemühungen eintritt. Das ist schon nach dem Ge-
entwickelte Kriterium der „ Gefährdungsumkehr"67. Wer die weitere Ausführung
setzeswortlaut (§ 24 11: verhindert) eindeutig, wenn dem Täter die Erfolgsverhin-
der Tat aufgibt, indem er z. B. trotz möglicher Tatbestandserfüllung unverrich-
derung nicht gelingt: Er bringt z.B. das von ihm mit Tötungsabsicht verletzte
teterdinge wieder nach Hause geht, oder wer die Tat verhindert, indem er den
Opfer ins Krankenhaus; dessen Rettung ist aber nicht mehr möglich. Da der Täter
bereits am Tatort versteckten Sprengkörper entschärft, legt ein im Verhältnis zu
den Erfolg nicht verhindert hat, bleibt er wegen vollendeter Tötung strafbar. Das
seiner ursprünglichen Intention gegenläufiges Verhalten an den Tag, indem er die
entspricht der hier entwickelten Konzeption, wonach eine versuchte Gefähr-
geschaffene Gefährdung „umkehrt" (also rückgängig macht). Aus § 24 I 2; II 2 er-
dungsumkehr nur dann einen Rücktritt ergibt, wenn der Erfolg ausbleibt.
gibt sich freilich, daß ein Versuch der Gefährdungsumkehr (ein „ernsthaftes Be-
Daraus folgt weiter, daß ein Rücktritt auch ausscheidet, wenn der Erfolg trotz 38
mühen") für den Rücktritt genügt, wenn der Erfolg von vornherein nicht ein-
einer „Aufgabe" des Täters eintritt: Dieser stellt etwa seine Vergiftungsbemühungen
treten kann oder sonst ohne Zutun des Täters nicht eintritt oder sein Eintritt vom
in der Annahme ein, daß die dem Opfer bisher zugeführte Dosis zu dessen Tötung
früheren Tatbeitrag des Täters unabhängig ist. Das entspricht der Regelung bei der
nicht ausreiche; in Wahrheit stirbt das Opfer aber schon daran. Die Bejahung eines
Strafbegründung. So, wie eine nur vorgestellte Gefährdung für einen strafbaren
„Aufgebens" ist hier zwar (anders als beim Verhindern) nicht schon sprachlich aus-
(untauglichen) Versuch ausreicht, genügt für den Rücktritt der (untaugliche) Ver-
geschlossen. Wenn es aber in §24 I 1 heißt: „Wegen Versuchs wird nicht bestraft,
such einer nur subjektiv für möglich oder nötig gehaltenen Gefährdungsumkehr.
wer ...", setzt der Rücktritt voraus, daß es beim Versuch geblieben ist. Hier aber
Man kann also zusammenfassend sagen: Der Rücktritt ist, wenn der Täter den
liegt ein vollendetes Delikt vor. Denn dafür genügt es, daß eine vorsätzliche Ver-
Erfolg noch herbeiführen könnte, eine vollendete, sonst eine versuchte Ge-
suchshandlung den Erfolg herbeiführt; die Vorstellung des Täters, noch weitere
fährdungsumkehr.
Handlungen zur Erfolgsherbeiführung vornehmen zu müssen, ist ein unbeacht-
35 Folgt man dem, so wird erkennbar, daß nicht jedes Versuchsende auf einem
licher Irrtum über den Kausalverlauf und hindert auch die objektive Zurechnung
Rücktritt beruht. Vielmehr kann eine (sei es auch versuchte) Gefährdungsumkehr
des Geschehens nicht.68 Auch diese Lösung ist umstritten und bedarf weiterer Be-
nur erfolgen, solange der Täter sein Ziel noch nicht erreicht hat und es noch errei-
gründung (Rn. 115 ff.). Sie folgt aber im Prinzip schon aus der entwickelten Rück-
chen zu können glaubt. Wer z. B. eine Frau bis zur Bewußtlosigkeit würgt und da-
trittskonzeption: Denn die Gefährdungsumkehr ist, obwohl der Erfolg eintreten
bei ihren Tod in Kauf nimmt, um eine Vergewaltigung durchzuführen, tritt nach
konnte, nicht gelungen.
geschehener Tat nicht von seinem mit dolus eventualis begangenen Mordversuch
In den Fällen des Erfolgseintritts ist die Gefährdungsumkehr also nach objekti- 39
zurück, wenn er sein Opfer nicht vollends tötet! Denn sein eventueller Tötungs-
ven Maßstäben zu behandeln, so daß bei ihrem Mißlingen kein Rücktritt vorliegt.
vorsatz bestand nur im Hinblick auf das Ziel der Vergewaltigung und ist mit dessen
Anders ist es dagegen beim Ausbleiben des Erfolges. Hier genügt schon die sub-
Erreichung erloschen. Wo aber kein Vorsatz mehr besteht, besteht auch kein Ver-
jektive Vorstellung des Täters, daß der Erfolg auf Grund seines Verhaltens nicht
such, von dem zurückgetreten werden könnte. Eine Gefährdungsumkehr ist (selbst
eintreten werde. Das ist wiederum eindeutig in den Fällen des § 24 I 2; II 2: Auch
in Form des Versuchs) nicht mehr möglich, wenn der Täter seinen Plan ausgeführt
wenn der Erfolgsabwendungsversuch objektiv gesehen von vornherein sinnlos ist
und eine weitere Gefährdung von vornherein nicht in seinen Vorsatz aufgenom-
oder keine Wirkung zeigt, genügt der gute Wille des Täters für die Bejahung eines
66
Wenn Jakobs den Rücktritt als „zurechenbares Versuchsende" charakterisiert (AT , 26/2),
bleibt die entscheidende Frage offen, wann denn nun ein Versuchsende „zurechenbar" ist. «s Vgl. Roxi», AT l3, § 12, Rn. 165.
67 Jäger, 1996, 6 5 ff.
491
490
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit II § 30
8 30 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Aber: So wie der Versuch das Ansetzen nach der „Vorstellung" des Täters voraussetzt, muß 44
Rücktritts. Nichts anderes muß dann aber beim „Aufgeben" nach § 24 11 gelten. auch die Gefährdungsumkehrleistung, die zu verlangen ist, auf den Vorstellungen des Täters
Wenn also der Täter bei Aufgabe seiner Tötungsabsicht irrtümlich davon ausgeht, beruhen. Wenn er der Meinung ist, der Erfolg könne nach dem bisher Geschehenen nicht ein-
treten, kann er keine Motivation zu Verhinderungsbemühungen haben. Ist der Erfolg ausge-
das dem Opfer zugeführte Gift könne dessen Tod nicht herbeiführen (Rn. 38), das
blieben, besteht kein Bedürfnis, den Täter dafür zu bestrafen, daß er etwas unterlassen hat, was
anderenfalls verlorene Opfer aber durch die Kunst des Arztes gerettet wird, liegt er auf der Grundlage seines Vorstellungsbildes für überflüssig und sinnlos hielt.
ein Rücktritt vom Tötungsversuch vor. Denn beim Ausbleiben des Erfolges ge- Freilich läßt sich der vonjäger und Heckler vorgenommenen Objektivierung ein berechtigter 45
nügt (anders als bei seinem Eintritt, Rn. 38!) eine versuchte Gefährdungsumkehr, Kern nicht absprechen. Es wäre tatsächlich unangemessen, wenn ein Versuchstäter schon dann
Straflosigkeit erlangen würde, wenn er sich darauf beruft, die Möglichkeit des Erfolgseintrittes
die hier gegeben ist. Wer andererseits den zum Schuß erhobenen Revolver in der nicht erkannt zu haben, obwohl jeder normale Mensch die Vollendungsgefahr und die Not-
irrigen Meinung sinken läßt, keine Kugel mehr im Lauf zu haben, ist nicht zu- wendigkeit von Verhinderungsbemühungen bemerkt hätte. Aber solchen Ergebnissen läßt sich
auch vom hier vertretenen Standpunkt aus dadurch begegnen, daß man mit dem BGH an die
rückgetreten. Denn eine Gefährdungsumkehr kann nicht versuchen, wer davon
Annahme, der Erfolg werde nicht eintreten, „strenge Anforderungen" stellt (näher Rn. 173).
ausgeht, daß gar keine Möglichkeit weiterer Gefährdung vorliegt. Es ist ein fehl- Man kann davon ausgehen, daß jemand, der mit Vollendungsvorsatz eine äußerst gefährliche
geschlagener Versuch (Rn. 36) anzunehmen. Situation geschaffen hat, auch die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkannt hat, sofern nicht
besondere Indizien dagegensprechen. Der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver
40 Demgegenüber bestreitet Jäger für den Fall einer trotz der Rücktrittsbemühungen objektiv Betrachtungsweise wird dadurch in erheblichem Maße relativiert.
bestehenbleibenden Gefährdung, daß deren Umkehr nach subjektiven Maßstäben zu bestim-
men sei; er will statt dessen auf den objektiven Sachverhalt abstellen. So soll im Vergiftungs- Die oben geschilderte Konzeption stellt nur den Grundriß einer Rücktrittslehre 46
fall (Rn. 39), weil dem Täter eine wirkliche Gefährdungsumkehr nicht gelungen sei, mangels dar. Sie liefert einen Rahmen, in den sich die verschiedenen Konstellationen ein-
Rücktritt auch bei schließlich ausgebliebenem Erfolg ein strafbarer Versuch bestehenbleiben,
während im Revolverbeispiel (Rn. 39) ein Rücktritt vorliegen soll, weil der Täter die durch fügen lassen und der bestimmte Lösungen vorzeichnet. Diese Lösungen sollen
den Revolver drohende Gefahr objektiv beseitigt habe. Da Jäger jedoch einen unfreiwilligen nachstehend in Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Lehre in vertiefter
Rücktritt annimmt, kommt er im Ergebnis immerhin auch zur Bejahung eines strafbaren Ver- Weise begründet und auf die ratio des strafbefreienden Rücktritts zurückbezogen
suchs.
werden, soweit dies ohne nähere Behandlung der Freiwilligkeitsproblematik
41 Dieser partiellen Objektivierung des Rücktritts ist aber nicht zu folgen. In der durch das
Vergiftungsbeispiel bezeichneten Konstellation widerspricht sie der in § 24 I 2 getroffenen Re- möglich ist.
gelung. Denn danach begründen ernsthafte Verhinderungsbemühungen einen Rücktritt auch
dann, wenn sie an der geschaffenen Gefährdung nichts ändern und deT Erfolg lediglich auf
Grund anderer Umstände ausbleibt. Es ist nicht einzusehen, warum für das Aufgeben etwas II. Der zielerreichende Versuch als Fall der Rücktrittsunfähigkeit
anderes als für das Verhindern gelten soll, zumal da man das Aufhören in der Annahme, noch
nichts für die Herbeiführung des Erfolges Ausreichendes getan zu haben, selbst schon als Ver- Die Konstellation ist in ihrer Struktur schon gekennzeichnet worden (Rn. 35): 47
hinderungsbemühung deuten könnte.
42 Bei der umgekehrten Konstellation, die das Revolverbeispiel verdeutlicht, führt die vonjä- Der Täter hat sein Ziel bereits mit einem gegen das Opfer gerichteten Versuch er-
ger vorgenommene Objektivierung zu der schwer nachvollziehbaren Konstruktion eines un- reicht und sieht deshalb von der ihm an sich möglichen Vollendung ab. Fälle dieser
vorsätzlichen Rücktritts; denn der Täter wollte gar keine Gefährdungsumkehr bewirken, weil Art sind aus der älteren Rechtsprechung nicht bekannt. Offenbar ist man als
er die Tat für unausführbar hielt.Wenn aber schon die vorgestellte Gefährdung den Versuch be-
gründet, muß beim Ausbleiben des Erfolges ebenso eine vorgestellte Gefährdungsumkehr für selbstverständlich davon ausgegangen, daß ein strafbefreiender Rücktritt nicht
den Rücktritt erforderlich und ausreichend sein. Auch wird man von einer „Versuchsgefahr" vorliegt. Seit dem Jahre 1984 haben solche Sachverhalte die Rechtsprechung aber
überhaupt nicht mehr sprechen können, wenn der Täter die Tat mangels Munition nicht mehr in zahlreichen Fällen beschäftigt. Die Entscheidungen sind extrem uneinheitlich;
ausführen zu können glaubt. Die Gefahr, daß er seinen Irrtum entdeckt und einen neuen Tö-
tungsentschluß faßt, kann den wegen der angenommenen Unmöglichkeit weiteren Handelns der Große Senat hat, ohne eine übereinstimmende Linie durchsetzen zu können,
erloschenen Verwirklichungsvorsatz nicht ersetzen. Die Fehlvorstellung des Täters hindert die einen freiwilligen Rücktritt angenommen (BGHSt 39, 221). Dagegen lehnt das
Fortdauer des Versuchs; ohne diesen aber ist ein Rücktritt ausgeschlossen. Schrifttum ganz überwiegend und mit unterschiedlichen Begründungen einen
43 In weitgehender Übereinstimmung mitjiäger will auch Heckler71 das bloße „Aufgeben" für ei-
strafbefreienden Rücktritt ab. Teilweise werden auch differenzierende Lösungen
nen freiwilligen Rücktritt nicht genügen lassen, wenn im Zeitpunkt des Abstandnehmens von
der Tat eine vom Täter nicht erkannte „Vollendungsgefahr" bestand, d. h. wenn ein objektiver vorgeschlagen. Es handelt sich hier um die gegenwärtig umstrittenste Fallgruppe
Beobachter eine Tatbestandsverwirklichung für nicht ganz unwahrscheinlich gehalten hätte. aus dem Bereich des Rücktritts. Der näheren Begründung der hier vertretenen
Er leitet das aus dem Strafgrund des Versuchs ab, da er in Übereinstimmung mit der hier ver- Lösung sollen die Sachverhalte der wichtigen einschlägigen Fälle und die Ergeb-
tretenen Auffassung im wesentlichen in der Gefährdung des Handlungsobjektes liege. Umge-
kehrt könne dann auch als Rücktrittsleistung nur die dem Täter zurechenbare Beseitigung die- nisse, zu denen die Rechtsprechung gekommen ist, vorangestellt werden.
ser Gefahr anerkannt werden.
69
Jäger, 1996, 66 f.; grds. „für das vonjäger vorgeschlagene Konzept" Otto, Jura 2001, 346.
Ähnlich auch Köhler, AT, 475.
70
Trotz der beachtenswerten Argumente beiJäger, 1996, 68 ff.
71
Heckler, 2002,161 ff.; Zusammenfassung 219.
493
492
§ 30 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit II § 30
Verwirklichung" liege „bei dem Täter nicht vor, der nach Erreichung seines Hand-
1. Die maßgeblichen Entscheidungen der Rechtsprechung
lungsziels nicht auf Grund eines neuen Entschlusses eine neue Gefährdung des
a) BGH, 1. Senat, NJW1984,1693 72 Rechtsguts erstrebt."
48 Der Täter stach dem Opfer mit bedingtem Tötungsvorsatz in den Bauch, um
e) BGH, 5. Senat, NJW 1991,1189
seinen Zorn abzureagieren. Er ließ dann das Opfer ungehindert entfliehen, ob-
wohl er es durch weitere Stiche hätte töten können. Der BGH lehnte einen Rück- Der Angeklagte (A) hatte ein Geldinstitut beraubt und mit bedingtem Tötungs- 52
tritt ab, da der Täter sein Verletzungsziel „mit dem einen Stich erreicht" habe. vorsatz auf einen ihn verfolgenden Polizisten (P) geschossen, um sich im Besitz
der Beute zu halten und sich der Festnahme zu entziehen. Als P die Flucht ergriff,
b) BGH, 1. Senat, NStZ 1989, 317 gab A keine weiteren Schüsse ab, obwohl er noch mit eventuell tödlicher Wirkung
49 Der Täter hatte das Opfer, um ihm „eine zu verpassen", mittels eines spitzen hinter ihm hätte herschießen können. Der 5. Senat lehnte einen freiwilligen
Küchenmessers mit bedingtem Tötungsvorsatz „wuchtig in den Rücken" ge- Rücktritt mit der Begründung ab, daß ein weiteres Schießen eine neue Tat gewe-
stoßen. Dann ließ er von ihm ab, obwohl eine Tötung noch möglich gewesen wä- sen wäre. Im Verzicht daraufliege kein Rücktritt von der schon vorher abgeschlos-
re. Anders als im Falle a) nahm der Senat hier einen freiwilligen Rücktritt an. senen versuchten Straftat.
„Das kommt dem Schutz des Opfers zugute und führt nicht zu einer ungerecht-
fertigten Bevorzugung des Täters, der - umgekehrt - sonst, obwohl nur mit be- f) BGH, 1. Senat, NStZ 1993, 280 (Vorlagebeschluß); BGH, Großer Senat,
BGHSt 39, 221
dingtem Vorsatz handelnd, schlechter gestellt wäre als der mit direktem Vorsatz
Angreifende." Der Täter hatte dem Opfer mit bedingtem Tötungsvorsatz ein Messer in den 53
Leib gestoßen, um ihm einen „Denkzettel" zu verpassen und ihm unmißverständ-
c) BGH, 1. Senat, NStZ 1990, 30 lich klarzumachen, „daß er keine Gegenwehr dulde". Von weiteren möglichen
50 Der Täter wollte dem Opfer das beim Pokern verlorene Geld wieder wegneh- Messerstichen hatte er abgesehen. Das Opfer wurde durch ärztliche Hilfe gerettet,
men. Beim Handgemenge fiel diesem ein Gasrevolver aus der Tasche. Der Täter wäre ohne sie jedoch an der zugefügten Verletzung gestorben. Der 1. Senat wie der
nahm ihn auf. Er wußte nicht, ob es sich um einen echten oder einen Gasrevolver Große Senat sehen im Unterlassen weiterer auf die Tötung des Opfers gerichteter
handelte und schoß dem Opfer mit bedingtem Tötungsvorsatz mitten ins Gesicht. Handlungen einen freiwilligen Rücktritt vom Versuch.
Dabei ging es ihm nicht darum, das Opfer zu töten, sondern es kampfunfähig zu
g) BGH, 5. Senat, NStZ 1994,493
machen. Als es benommen zu Boden sank, nahm der Täter ihm das Geld weg und
entfernte sich. Der BGH hat auch hier einen freiwilligen Rücktritt vom Tötungs- Der Angeklagte (A) hatte auf L geschossen - offenbar mit bedingtem Tötungs- 54
versuch angenommen. Er bezweifelt freilich — und legt damit nach den entgegen- vorsatz - , als dieser ihn bei der Verfolgung bereits erreicht und berührt hatte. L
gesetzten Entscheidungen a) und b) einen dritten Lösungsvorschlag vor - , ob ein wurde am Arm getroffen und begab sich ins Lokal zurück; A gab daraufhin keine
Rücktritt bei „optimaler Zielerreichung" noch möglich sei. Eine solche liege hier weiteren Schüsse auf L mehr ab. In diesem Fall wurde ein freiwilliger Rücktritt
aber nicht vor, weil dem Angeklagten weitere „unter Umständen tödlich wirken- abgelehnt, weil ein weiterer Schuß auf L nach Meinung des Gerichts einen neuen
Tatentschluß vorausgesetzt hätte.
de Tatmittel" zur Verfügung gestanden hätten, „mit denen er die Erreichung seines
Zieles, den Geschädigten kampfunfähig zu machen, noch hätte fördern können" Die Rechtsprechung ist also gespalten. Von den acht angeführten BGH-Ent- 55
(„Schläge mit dem Revolver auf den Kopf, die Anwendung von Würgegriffen Scheidungen (unter Einbeziehung des Vorlagebeschlusses, Rn. 53) kommen im Er-
oder dergleichen"). Im Unterlassen derartiger Handlungen liege „ein freiwilliger gebnis vier zur Bejahung eines freiwilligen Rücktritts, während vier einen Rück-
Verzicht auf die weitere Ausführung eines Tötungverbrechens". tritt verneinen. Auch der Spruch des Großen Senats (BGHSt 39, 221) hat den
Streit nicht beenden können. Denn noch danach ist der 5. Senat (Rn. 54) wieder
d) BGH, 2. Senat, NStZ 1990,77 zur Verneinung des Rücktritts gekommen. Die Sachverhalte lassen eine deutliche
51 Der Angeklagte (A) hatte mit einem Komplizen einen Supermarkt beraubt und Typik erkennen. Sie behandeln allesamt versuchte Tötungen. Dabei geht es ent-
wurde von dessen Leiter (L) im Auto verfolgt. Der A gab, um ihn zu vertreiben, weder um die „Verpassung" eines „Denkzettels", bei der der Täter seine aggressiven
mit bedingtem Tötungsvorsatz fünf Schüsse auf ihn ab. Als L daraufhin von der Affekte abreagieren will (a, b, f); oder der Täter will einen Verfolger abwehren und
Verfolgung abließ, stellte A das weitere Schießen ein. Hier lehnte der 2. Senat ei- vertreiben (d, e, g); oder er will den Widerstand des Opfers (etwa bei einem Raub
nen freiwilligen Rücktritt ab. „Ein honorierbarer Verzicht auf eine Tatbestands- oder einer Vergewaltigung) brechen (c; hierher gehört auch der in Rn. 35 gebil-
dete Fall). Weitere Konstellationen sind denkbar; aber sie sind praktisch wenig re-
72
Ähnlich entscheidet der 1. Senat auch in StV 1986,15. levant und werden schwerlich zur Anklage führen. Ein lehrreiches Beispiel für
494
495
§ 30 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit II § 30

stellt weder seine Rechtstreue unter Beweis, noch zeigt er, daß er nicht fähig ist, die geplante
einen tatbestandlich und motivisch ganz anders gelagerten Sachverhalt bildet der Tat zu vollenden." Wenn der Große Senat (BGHSt 39, 231) demgegenüber meint, der Gesetz-
von Jakobs73 ersonnene Parklücken-Fall: „Ein Autofahrer zwängt sich trotz der geber honoriere schon „den Verzicht auf mögliches Weiterhandeln mit Straffreiheit" und es sei
Gefahr der Beschädigung eines fremden Fahrzeuges in eine Parklücke, was i h m „für zusätzliche wertende Elemente ... bei diesem objektiven Merkmal des Rücktrittstat-
bestandes kein Raum" so wird dem Gesetzgeber eine kriminalpolitisch sinnlose, wertblinde
gelingt, ohne daß etwas passiert." Auch bei einer solchen Situation stellt sich auf Konzeption unterstellt. Das widerspricht allen Regeln teleologischer Interpretation.
der Grundlage der neueren Rechtsprechung die Frage, ob nicht etwa ein freiwilli-
ger Rücktritt vom Versuch einer Sachbeschädigung vorliegt. c) Es entspricht auch dem Wortlaut des Gesetzes, für den Rücktritt eine U m - 62
besinnung des Täters, eine (freiwillige oder unfreiwillige) Revision seines Tatent-
56 Dabei ist in allen Fällen davon auszugehen, daß der Täter nicht mit der Möglichkeit rechnet,
die von ihm bisher vorgenommenen Handlungen (i.d.R.: Verletzungen) könnten zur Voll- schlusses zu verlangen. Für die in § 24 I, II geforderten Verhinderungsbemühun-
endung fuhren. Denn bei einer solchen Annahme können unstrittig auch nach der Rechtspre- gen ist das evident. Es gilt aber ebenso für das „Aufgeben" (§ 24 I 1). D e n n man
chung nur Verhinderungsbemühungen einen Rücktritt auslösen (näher Rn. 211 ff.). kann nur aufgeben, was man gewollt und noch nicht erreicht hat. Ein Unterlassen
57 Man spricht bei allen Fällen dieser Art von außertatbestandlicher Zielerreichung; der Täter
habe „sein außertatbestandliches Handlungsziel ... erreicht" (BGHSt 39, 231; fast wörtlich weiterer deliktischer Handlungen nach Zielerreichung ist keine „Aufgabe"; diese
ebenso 225). Das ist insofern ungenau, als auch das eigentliche Ziel meist, wenngleich nicht setzt ihrem Wortsinn nach voraus, daß man von der Verfolgung eines nicht er-
immer, eine Tatbestandserfüllung darstellt (Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung). Der reichten Ziels Abstand n i m m t . Auch der in der Überschrift des Gesetzes ver-
Sprachgebrauch ist aber unschädlich, wenn man sich darüber klar ist, daß das Ziel jedenfalls
nicht in der Vollendung der versuchten Tatbestandsverwirklichung liegt, um deren rechtliche wendete Begriff des „Rücktritts" verlangt nach seiner sprachlichen Bedeutung ein
Würdigung es in diesen Fällen geht. gegenläufiges Verhalten vor Zielerreichung. Wer sich mit der Verwirklichung sei-
ner Ziele begnügt, tritt von nichts zurück.
2. Das Fehlen eines Rücktritts in allen Fällen der Zielerreichung Demgegenüber meint der Große Senat (BGHSt 39, 230), Tat sei die „tatbestandsmäßige 63
58 Richtig ist es, in allen Fällen schon einen Rücktritt auszuschließen ( R n . 35). Handlung und der tatbestandsmäßige Erfolg". Dementsprechend beschränke sich die Aufgabe
„auf die Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale". Das ist aber nicht richtig.
Das folgt aus dem Gedanken der Gefährdungsumkehr als dem leitenden Prinzip Denn die geplante Tat wird vom Vorsatz des Täters begrenzt. Was er nicht gewollt hat, ist nicht
des Rücktritts (a); es entspricht ferner der ratio des Strafbefreiungsprivilegs Bestandteil der geplanten Tat und kann nicht aufgegeben werden.
(b), dem Wortlaut der Rücktrittsvorschrift (c) u n d den Grundsätzen der Vorsatz- d) Daraus ergibt sich das Argument aus der Vorsatzlehre: Was der Täter auf- 64
lehre (d). gibt, ist sein Verwirklichungswille, sein Tatentschluß, mit anderen Worten: sein
59 a) Eine (vollendete oder versuchte) Gefahrdungsumkehr kann nicht mehr er- Vorsatz; „und einen Vorsatz kann man nicht aufgeben, w e n n man ihn nicht mehr
folgen, wenn der Täter erreicht hat, was er wollte. Daß er keine weiteren delik- hat".76 Wenn der Täter erreicht hat, was er - unter Inkaufnahme eventueller tödli-
tischen Handlungen — etwa im Sinne einer n u n m e h r absichtlichen vollendeten cher Folgen - erstrebte, ist der Vorsatz erloschen, so wie die äußere deliktische Ak-
Tötung - vornimmt, ist das Unterlassen einer neuerlichen Entschlußfassung und tivität ihr Ende gefunden hat. Es ist dann nichts mehr da, was aufgegeben und
einer darauf beruhenden Tat, 74 aber keine U m k e h r des ursprünglichen Gefähr- wovon zurückgetreten werden könnte.
dungswillens, der nur bis zur Zielverwirklichung reichte. D e m hält Jäger77 entgegen: „Der Täter gibt seinen Vorsatz gerade deshalb auf, 65
60 b) Die ratio des Rücktrittsprivilegs liegt im Wegfall des Strafbedürfnisses weil er jetzt keinen Sinn mehr in der Fortsetzung der Tat sieht." Aber es geht nicht
( R n . 4 ff). Wann dieses Bedürfnis entfällt, mag im Einzelfall zweifelhaft sein. u m eine Vorsatzaufgabe infolge nachträglichen Sinnverlustes, sondern u m einen
Nicht zweifelhaft ist aber die Mindestvoraussetzung, daß jedenfalls eine U m b e - von vornherein in so weitreichender Form nicht vorhanden gewesenen Vorsatz.
sinnung des Täters stattgefunden haben muß. 7 5 Es ist kriminalpolitisch absurd, Wennjäger meint, vom hier vertretenen Standpunkt aus könne auch der nicht auf-
den Täter bei vollständiger Verwirklichung seiner Pläne nur deshalb mit Straffrei- geben, „der seine Tat aus Mitleid für das Opfer nicht fortsetzt, denn auch er hat
heit zu belohnen, weil er sich nicht zu strafrechtlichen Aktivitäten motiviert fühlt, keinen Vorsatz mehr zum Weiterhandeln" dann verkennt er, daß hier ursprünglich
die er nie geplant hatte. ein weiterreichender Vorsatz vorhanden war, den der Täter aus Mitleid hat fallen-
i
61 In diesem Sinne hatte schon der zweite Senat (NStZ 1990, 78; Rn. 51) richtig gesagt: „Ein
— aus welchen Gründen auch immer — honorierbarer Verzicht auf eine Tatbestandsverwirk- lassen. Gerade daran fehlt es beim Nichtweiterhandeln infolge Zielerreichung.
lichung liegt bei dem Täter nicht vor, der nach Erreichung seines Handlungsziels nicht auf
Grund eines neuen Entschlusses eine neue Gefährdung des Rechtsguts anstrebt. Dieser Täter

" Jakobs, AT2, 26/39 a.


7
* Diesen Gesichtspunkt hatte auch der 5. Senat (BGH NStZ 1991, 1189; NStZ 1994, 493)
oben Rn. 52, 54 betont. 7
« Roxin, ]Z 1993, 896.
" In diesem Sinne vor allem schon Puppe, NStZ 1986,17; Herzberg, NJW 1986, 2467; Roxin, 77
Jäger, 1996,117.
JZ 1993, 896. 497
496
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit II § 30
§ 30 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
ohne diesen erreichen; dem würde es widersprechen, wenn er weitere lebens-
3. Die Gegenargumente und ihre Widerlegung gefährliche Handlungen vornehmen würde, die gar nicht mehr nötig sind. Die
66 In der Literatur wird ganz überwiegend ein freiwilliger Rücktritt in Fällen der Minimierung des Tötungs- (und damit des eigenen Bestrafungs-)Risikos ist also
vorliegenden Art abgelehnt.78 Diese Ablehnung wird meist, wie hier, auf die feh- Bestandteil optimaler Zielerreichung. Es wäre z. B. im Pokerfall (Rn. 50) aus der
lende „Aufgabe",79 teils - vor allem von den Vertretern der sog. Einzelaktstheorie, Sicht des Täters eine Dummheit, durch weitere Würgegriffe die Wegnahme des
Rn. 178 f. - auf die Annahme eines beendeten bzw. fehlgeschlagenen Versuchs,80 Geldes zu verzögern und dadurch die Gefahr des Gefaßtwerdens und einer Bestra-
teils auch auf die Unfreiwilligkeit eines an sich bejahten Rücktritts 81 gegründet. fung (womöglich wegen vollendeten Mordes!) zu erhöhen, wenn die Erlangung
Die Anhänger eines freiwilligen Rücktritts, wie er vor allem in der Rechtspre- der Summe schon infolge der Benommenheit des Opfers möglich war.
chung vertreten wird, machen gegen dessen Ablehnung vor allem drei Einwände Im Einzelfall kann allerdings eine Intensivierung der Täterhandlungen zur Ziel- 69
geltend: das Optimierungsargument (a), das Opferschutzargument (b) und das erreichung noch nötig sein, und dann liegt in deren Unterlassung in der Tat ein —
Absichtsargument (c). sogar freiwilliger - Rücktritt. Will der Täter dem Opfer z. B. einen „Denkzettel"
67 a) Das Optimierungsargument findet sich in der Rechtsprechung vor allem im in Gestalt eines Messerstichs verpassen, hat er sein Ziel noch nicht erreicht, wenn
„Pokerfall" (BGH NStZ 1990, 30, oben Rn.50), wo der Täter die durch einen das Messer entgegen seiner Absicht nur den Arm des Opfers streift. Verzichtet der
Schuß mit dem Gasrevolver hervorgerufene Benommenheit des Opfers zu seiner Täter in dieser Situation auf den an sich noch möglichen Stich, so ist er zurück-
Beraubung ausgenutzt hatte. Der 1. Senat meint, daß hier eine weitere „Ver- getreten. Aber so liegt es in den die Rechtsprechung beschäftigenden Fällen nicht.
stärkung der Wehrlosigkeit des Opfers" (durch Würgegriffe oder Schläge mit dem Denn hier hatte der Täter jeweils erreicht, was er gewollt hatte. Keiner hat auch
Revolver) möglich gewesen wäre, und will im Verzicht auf derartige „weitere nur behauptet, mehr gewollt zu haben.
lebensgefährliche Mittel" einen Grund für die Zubilligung eines strafbefreienden b) Daß die Zubilligung eines freiwilligen Rücktritts auch in den Fällen der 70
Rücktritts vom Tötungsversuch sehen. Dagegen erschien es dem 1. Senat bei Zielerreichung „dem Schutz des Opfers" zugute komme, wird schon in BGH
„optimaler Zielerreichung", wenn weitere Handlungen aus der Sicht des Täters NStZ 1989, 317 (Rn.49) betont. Der Gedanke rückt dann in BGHSt 39, 232
„völlig sinnlos" gewesen wären - etwa bei einer Bewußtlosigkeit des Opfers - , (Rn. 53) ganz in den Vordergrund: „Das Opfer kann auch dann akut gefährdet
„zweifelhaft, ob von einem Rücktritt noch die Rede sein kann". Das Argument sein, wenn der Täter sein vorgreifliches Handlungsziel schon erreicht hat..., weil
ließe sich auf die meisten Fälle dieser Art übertragen, in dem z. B. der Denkzettel er ... den Angriff zur endgültigen Sicherung seines Handlungsziels fortsetzen
durch weitere lebensgefährliche Stiche noch nachhaltiger hätte gestaltet oder der kann. Dem Täter dabei die Rücktrittsmöglichkeit offenzuhalten, dient daher dem
Verfolger durch wiederholte möglicherweise tödliche Schüsse noch sicherer hätte Schutz des durch den Beginn der Tatausführung gefährdeten Rechtsguts."
vertrieben werden können. Es ist nicht recht klar, wie das gemeint ist. Die Wendung von der „endgültigen 71
68 Das Argument würde freilich nur in einem Teil der Fälle - bei nicht optimaler Sicherung des Handlungsziels" könnte im Sinne einer noch ausstehenden „opti-
Zielerreichung - die Annahme eines (freiwilligen) Rücktritts ermöglichen. Es ist malen Zielerreichung" zu verstehen sein und wäre dann aus den dagegen schon
aber auch in seinem begrenzten Anwendungsbereich nicht überzeugend. Zunächst Rn. 68 vorgebrachten Gründen verfehlt. Man könnte den BGH aber auch so ver-
läßt sich zwischen völliger und etwas geringerer Sinnlosigkeit des Weiterhandelns, stehen, daß der Täter durch die Befreiung von der Anklage der versuchten Tötung
zwischen optimaler und gewöhnlicher Zielerreichung nicht ohne Willkür unter- vor einem Verdeckungsmord bewahrt werden soll. Diesen Gesichtspunkt erwähnt
scheiden. Sodann ist aber auch das Absehen von weiteren lebensgefährlichen ausdrücklich der Vorlagebeschluß BGH NStZ 1993, 281 (Rn. 53). Aber auch das
Handlungen kein Zurückbleiben hinter dem vom Täter erstrebten Optimum. wäre kein plausibler Gedanke. Denn erstens wäre nur bei einem Teil der Fälle — bei
Denn er erstrebt ja nicht den Tod des Opfers, sondern will sein Ziel möglichst dem es keine sonstigen Zeugen gibt - ein Verdeckungsmord möglich. Und zwei-
tens kann man das Opfer auch in diesen Fällen vor einer Verdeckungstat nicht da-
™ Dafür jedoch mit BGHSt 39, 221: Häuf, 1993, 40ff.; den., MDR 1993, 929; Kudlich, JuS durch schützen, daß man den Täter von der Versuchsstrafbarkeit freistellt. Dehn
1999, 354; Pahlke, 1993,157ff.; den., GA1995, 76ff. daß das i. d. R. vorliegende bereits vollendete Delikt (ob dies nur eine sehr gefähr-
T> Roxin, JZ 1993, 896ff.; Baumann/Weber, AT10, §27, Rn.25; Herzberg, NJW 1991, 1635; liche Körperverletzung, ein Raub oder eine Vergewaltigung ist) und dessen Straf-
den., Blau-FS, 1985,113; Kühl, AT3, § 16, Rn. 39; Lackner/Kühl24, § 24, Rn. 11; Murmann, 1999,
49ff.; Otto, Jura 1992, 430; Puppe, NStZ 1986, 17; dies., NStZ 1990, 433; Rengier, JZ 1988, 931; barkeit aufjeden Fall bestehenbleiben, ist ein mindestens ebenso gravierender An-
Rudolphi, JZ 1991, 525, 527; den SK6, § 24, Rn. 14 b; Schall, JuS 1990, 630; Sch/Sch/Eser26, laß für eine Verdekkungstat wie ein nebenher laufender Eventualversuch. Hinzu
§ 24, Rn. 17 b; Wessels/Beulke, AT 1 , Rn. 634. kommt drittens, daß der Täter in solchen Fällen zwar weiß, er habe sich durch sein
so Biet, PdW, AT12, Nr. 251f.; Kampermann, 1992, 217f.; Puppe, NStZ 1986, 17f.; Ranft, Jura bisheriges Verhalten strafbar gemacht, daß er aber von einer Rechtsprechung, der-
1987, 533; Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 17 b. zufolge ein Unterlassen weiterer deliktischer Handlungen nach Zielerreichung ein
« Bottke, 1979, 526f.; Greeve, 2000, 244; Maurach/Gössel, AT/27, 41/119; Greeve, 2000; teil-
weise auchJäger, 1996,114 ff.; den., ZStW 112 (2000), 805 ff.; Streng, NStZ 1993, 258f. 499
498
§ 30 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit II § 30

freiwilliger Rücktritt von einem mit dolus eventualis begangenen Versuch sein schon deshalb nicht bewirkt werden, weil der Täter davon i. d. R . nichts weiß.
soll, keine A h n u n g haben wird. Es hat sich auch noch nie ein Täter zur B e g r ü n - Auch muß, w e n n man schon den Opferschutz bezweckt, die generalpräventive
dung seines Verhaltens auf eine solche Rechtsprechung berufen. Was allgemein Perspektive in die Überlegungen einbezogen werden: W e n n gewalttätige Schläger,
zur Theorie von der „goldenen Brücke" gesagt w u r d e ( R n . 14 ff.), gilt besonders die den Tod ihres Opfers in Kauf nehmen, wissen, daß sie wegen versuchten M o r -
auch hier. Einen vierten Grund gegen das Opferschutzargument hat Puppe82 bei- des oder Totschlages bestraft werden, wird sie das von ihrem Tun eher abhalten als
gebracht: „Es mag zwar im Interesse des einzelnen betroffenen Opfers sein, den die Annahme, beim Überleben des Opfers nur eine Körperverletzungsstrafe b e -
konkreten Täter durch das Angebot der Straffreiheit von einem Verdeckungsmord fürchten zu müssen.
abzubringen, vorausgesetzt, dieses Angebot wäre überhaupt dazu geeignet. Es ist c) Das auf den ersten Blick eindrucksvollste Gegenargument bildet der Vergleich 74
aber sicher nicht im Interesse aller zukünftigen Opfer, w e n n man den Täter, der mit d e m Absichtstäter. Wer einen anderen umzubringen beabsichtigt und dies mit
die Tötung des Opfers nicht als Endziel verfolgt, sondern allenfalls als Zwischen- dem ersten Schuß oder Stich nicht schafft, kann nach h. M . durch Abstandnehmen
ziel oder Nebenfolge in Kauf n i m m t , von vornherein vom Risiko der Strafbarkeit von weiteren Handlungen vom Tötungsversuch freiwillig zurücktreten. Er hat sein
wegen Versuchs freistellt, sofern er nur auf den Verdeckungsmord verzichtet." Ziel noch nicht erreicht und bewirkt deshalb durch Gefährdungsumkehr die Straf-
72 Eine Variante des Opferschutzgedankens, an die der B G H ebenfalls gedacht ha- losigkeit seiner Versuchshandlung. Das wird nur von wenigen, wie Herzberg (dazu
ben mag, hat Streng83 entwickelt. Ihm zufolge w o h n t bei den Denkzettelfällen R n . 7 6 ) u n d den Vertretern der sog. Einzelaktstheorie (dazu Rn.l78f.), mit nicht
„regelmäßig der zunächst nur in Körperverletzungsabsicht durchgeführten Aktion hinreichenden Gründen bestritten. W e n n aber der Absichtstäter durch bloßes Auf-
eine Eigendynamik zum Weiterhandeln inne, die auf die letztendliche Tötung des hören vom Versuch zurücktreten kann, w a r u m dann nicht auch der dolus-eventu-
Angegriffenen hinausläuft. Sich in einem solchen Falle bestehender Vollendungs- alis-Täter ? Nach verbreiteter M e i n u n g verdient der Absichtstäter gegenüber d e m -
neigung gebremst zu haben, verdient durchaus die Einstufung als freiwilliges Auf- jenigen, der „nur" mit dolus eventualis handelt, den schwereren Vorwurf. D a n n
geben der Tat." Streng beschränkt diesen Ansatz im wesentlichen auf die D e n k - kann es ungereimt wirken, daß ihm der Rücktritt leichter gemacht wird als dem,
zettelfälle, also auf die Fälle „(teilweiser) Rechtsgutsidentität zwischen dem Straf- der mit bedingtem Vorsatz tätig wird. So spricht Herzberg84 von einer „schreiend
tatbestand, in dem das ursprüngliche Handlungsziel verkörpert ist, und dem nur falsche(n) Besserstellung des Absichtstäters", während Ulsenheimer85 die unter-
mit Eventualvorsatz angegriffenen Straftatbestand". Diese teilweise Befreiung von schiedliche Behandlung „weder einsichtig, noch gerecht" nennt. Auch der B G H
der Strafbarkeit wegen versuchter Tötung führt zu einer wenig einleuchtenden (NStZ 1989, 317; R n . 4 9 ) erwähnt diesen Gesichtspunkt.
Ungleichbehandlung der Zielerreichungsfälle. W a r u m soll der brutale Schläger, D e m ist zweierlei entgegenzuhalten. Erstens liegt es auch unabhängig von d i e - 75
der den Tod des Opfers in Kauf n i m m t , wegen seiner angeblich „gebremsten Voll- ser Konstellation in der Natur des Rücktritts, daß derjenige, der weiterreichende
endungsneigung" milder davonkommen als ein Gewalt anwendender Räuber? Ziele hat, länger zurücktreten kann als derjenige, der sein Ziel früher erreicht hat.
73 Aber der Gedanke überzeugt auch im übrigen nicht. Mit Recht hat schon Und zweitens liegt gerade nur beim Absichtstäter, der freiwillig auf die ohne
BGHSt 35,123 festgestellt: „Daß die Gleichheit der Angriffsrichtung, wie sie etwa weiteres mögliche Erreichung seines Zieles verzichtet, jene Revision seines Tat-
im Verhältnis von Körperverletzung u n d Tötung durch das gemeinsame Angriffs- entschlusses, die „Umkehr" und „Rückkehr in die Legalität" vor, die allein eine
objekt . . . vermittelt wird, die Hemmschwelle gegenüber der Tötung in einer spe- Zubilligung des Rücktrittsprivilegs rechtfertigt. Daran aber fehlt es, w e n n der mit
zifischen Weise herabsetze, läßt sich empirisch k a u m belegen." Ebensogut kann ein dolus eventualis handelnde Täter sein außertatbestandliches Ziel in vollem U m -
verletzender Stich oder Schuß den Abbau der handlungsauslösenden Aggression fang erreicht hat. Die Gewährung der Rücktrittsmöglichkeit im einen und ihre
bewirken. Tatsächlich liefert keiner der entschiedenen Fälle Anhaltspunkte dafür, Versagung im anderen Fall ist also in der Sache begründet.
daß der Täter eine Tötungsneigung hätte „bremsen" müssen. Auch ist dem Gesetz Herzberg hat eine andere Lösung entwickelt, um die vermeintliche Ungleichbehandlung 76
der Gedanke fremd, die Zügelung weitergehender Deliktsneigungen mit Straf- zu beseitigen. Er meint, in der Absicht des Versuchstäters stecke immer auch - als mindere
Vorsatzform - ein dolus eventualis. Das Aufgeben der Tötungsabsicht lasse den schon ver-
losigkeit wegen eines schon begangenen Delikts zu honorieren. Die zugefügte wirklichten Versuch mit dolus eventualis bestehen; von diesem sei kein Rücktritt möglfch.
lebensgefährliche Körperverletzung bleibt selbstverständlich in vollem Umfange Damit würde dann die „Besserstellung" des Absichtstäters gegenüber dem mit dolus eventualis
strafbar. Wer seine etwa vorhandene Tötungsneigung „bremst", kann nicht wegen Versuchenden entfallen. Aber das ist kein möglicher Ausweg. 7 Denn das Gesetz kennt keinen
vollendeter Tötung bestraft werden; mehr als dieser adäquate „Lohn" ist nicht ver-
dient. Ein Opferschutz kann durch eine weitergehende Tilgung der Versuchsstrafe 8" Herzberg, NJW 1988,1564.
85 Ulsenheimer, JZ 1984, 852, 853.
86 Herzberg, NJW 1988,1559ff., 1562ff.
« Puppe, JR 2000,72. s' Abi. auch Rengier, JZ 1988, 932; Mayer, NJW 1988, 2589f.; Streng, JZ 1990, 220; Weinhold,
83 Streng, JZ1993, 259. 1990, 59 f.

500 501
§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit III § 30
Rücktritt von einzelnen Elementen des Vorsatzes: Wer die Absicht der Tatvollendung aufgibt, 88
gibt mit seiner Gefährdungsumkehr den Vorsatz und die Tat als ganzes auf, ohne daß ein dolus nen Versuchs; die Wissenschaft darf selbstverständlich Begriffe für Konstellatio-
eventualis zurückbliebe. Auch sieht der Gesetzgeber für den freiwilligen Rücktritt ersichtlich nen prägen, deren Existenz sich aus dem Gesetz ergibt, dort aber nicht benannt
das Entfallen der Versuchsstrafbarkeit vor, während die Bestrafung wegen eines Versuchs mit wird.
dolus eventualis daran gerade festhält. Schließlich ergibt sich aus § 24 I 2 eindeutig, daß Ver-
hindern und Verhinderungsbemühungen beim Ausbleiben des Erfolges zur Straflosigkeit fuh- Schlagwortartig zusammengefaßt ist ein Versuch fehlgeschlagen, wenn der Tä- 79
ren. Dann ist es widersprüchlich, daß ein den Erfolg ebenfalls verhinderndes Aufhören diese ter sich sagt: „Ich kann nicht zum Ziele kommen, selbst wenn ich es wollte."
Wirkung nicht haben soll. Diese berühmte Franksche Formel, die von ihrem Urheber ursprünglich zur Um-
schreibung des unfreiwilligen Rücktritts erfunden worden war,89 bezeichnet in
Wirklichkeit den fehlgeschlagenen Versuch.90
III. Der fehlgeschlagene Versuch als Fall der Rücktrittsunfähigkeit Manchmal wird bestritten, daß der Wortsinn des Begriffes „Aufgeben" den Fehlschlag aus- 80
schließt. So meint Streng: „Im alltagssprachlichen Verständnis gibt sogar derjenige auf, der
überhaupt keine Chancen zur Verwirklichung seiner Ziele mehr sieht; denn er faßt immerhin
1. Begriff und teleologische Grundlage des fehlgeschlagenen Versuchs einen dies nachvollziehenden Entschluß zum Nichtweiterhandeln." Das leuchtet aber nicht
ein. Wer weiß, daß er nicht weiterhandeln kann, braucht keinen „dies nachvollziehenden Ent-
Ein fehlgeschlagener Versuch (vgl. Rn. 36) liegt vor, wenn der Täter er- schluß" zum Nichtweiterhandeln zu fassen; denn ein solcher Entschluß wäre folgenlos. Der
kennt oder doch wenigstens annimmt, daß sein Ziel im Rahmen der konkre- Dieb, der den Tresor leer findet, entschließt sich nicht, von Wegnahmehandlungen Abstand zu
nehmen; die Unmöglichkeit einer Wegnahme macht einen solchen Entschluß überflüssig und
ten Tat unerreichbar geworden ist. Hat der Täter also seine einzige Kugel ver- sinnlos. Zwar kann man manchmal zwecklose weitere Handlungen aufgeben, wenn eine Ziel-
schossen und kein weiteres Tötungsmittel zur Hand, so ist er gescheitert. Sein erreichung definitiv unmöglich ist; so liegt es z.B., wenn der Täter eines Raubversuchs die
Versuch ist fehlgeschlagen und keinem Rücktritt mehr zugänglich. Das folgt Verfolgung des Opfers aufgibt, weil er es nicht mehr erreichen kann. Aber dann wird nicht der
fehlgeschlagene Raub aufgegeben, sondern eine zur Erreichung des Zieles untaugliche weitere
zunächst aus dem Verständnis des Rücktritts als einer Gefährdungsumkehr: Eine Verfolgung.
nicht mehr bestehende Gefährdung kann vom Täter nicht „umgekehrt" werden.
Eine Beseitigung der Gefährdung, die überhaupt erst die Frage nach ihrer Die früher zahlreichen Gegner einer selbständigen Rechtsfigur des fehlgeschla- 81
Freiwilligkeit aufwirft, ist in solchen Fällen nicht möglich. Fehlgeschlagen ist genen Versuchs befinden sich inzwischen in der Defensive.92 Gössel93, der die hier
der Versuch aber auch, wenn der Täter eine Unmöglichkeit der Tatvollendung vertretene Auffassung am entschiedensten bekämpft und weiterhin die Vermei-
nur irrtümlich annimmt, indem er z. B. fälschlich glaubt, seine letzte Kugel ver- dung „dieses unklaren Begriffs" propagiert, räumt gleichwohl ein, es sei möglich,
schossen zu haben. Denn auch in einem solchen Fall ist das Abstandnehmen von „als fehlgeschlagenen Versuch alle Fälle zu bezeichnen, in denen es an einem a u f -
weiteren Schüssen nicht die vorsätzliche Umkehr, die Revision des Tatentschlus- geben ... fehlt".94 Da er mithin nicht rücktrittsfähige Versuche anerkennt, redu-
ses, die den Rücktritt kennzeichnet. Damit ist der Anschluß an die ratio des ziert sich der Streit auf die Terminologie. Baumann/Weber95 wollen auf den Begriff
Rücktrittsprivilegs gewonnen (vgl. Rn. 4 ff.): Die Frage, ob der Strafzweck des fehlgeschlagenen Versuchs bei der Rechtsanwendung verzichten, sagen aber
durch den Verzicht des Täters auf die Durchführung der Tat entfallen ist, stellt gleichwohl: „Es mag sein, daß dies eine treffende Bezeichnung für einen be-
sich nicht, wenn ein solcher Verzicht gar nicht vorliegt, weil der Täter die Aus- stimmten Versuchs-Phänotyp ist, bei dem die Erfüllung eines bestimmten Rück-
führung für unmöglich hält. trittsmerkmals fehlt." Warum man eine „passende Bezeichnung" nicht verwenden
Die hier gegebene Deutung des fehlgeschlagenen Versuchs wird durch den soll, bleibt aber dunkel. Heckler96 will den „Terminus .fehlgeschlagener Versuch'...
Wortlaut des Gesetzes gestützt. Denn wer nicht weitermachen kann oder wenig- allenfalls als phänotypische Sammelbezeichnung für all jene Fälle" gelten lassen, in
stens weiterhandeln zu können glaubt, gibt nicht auf und tritt nicht zurück, son-
88 Baumann/Weber, AT10, § 27 I 3; Borchert/Hellmann, GA 1982, 44f.; Haft, NStZ 1994, 536,
dern fügt sich in eine aus seiner Sicht unveränderliche Sachlage. Wer den geöff- 537; Maurach/Gössel, AT/27, 41/38; Ranft, Jura 1987, 434; Sonnen, JA 1980,159; Walter, 1980,103.
neten Tresor leer findet, gibt nicht die Wegnahme von Schmuckstücken auf, 8* Frank, StGB, 181931, § 46 II.
sondern ihm fehlt jede Deliktsbegehungsmöglichkeit. Er mag tun oder lassen, was «o Roxin, TuS 1981, 2; Borchert, JA 1980, 254, 256; Joecks3, § 24, Rn. 21; Kadel, J R 1987, 119;
Sch/Sch/Ese?6, § 24, Rn. 9; Sonnen, JA 1988, 297; a.A. Maurach/Gössel, AT/27,41/36 ff. (
er will: Er ist gescheitert. Der Begriff des Fehlschlages ist somit eine zusammen- « Streng, NStZ 1993, 258.
fassende Bezeichnung für Versuche, bei denen wegen der (realen oder angenom- 92
Für mehr oder weniger überflüssig halten den Begriff des fehlgeschlagenen Versuches
menen) Unmöglichkeit der Zielerreichung nichts mehr aufzugeben oder zu ver- immer noch Bordiert/Hellmann, GA 1982, 448; dies., Jura 1982, 661; Gössel, ZStW 87 (1975), 3ff.;
Haft, NStZ 1994, 536; Heckler, 2002, 151 ff; Maurach/'Gössel, KT/27, 41/36 ff; Ranft, Jura 1987,
hindern ist. Da die Möglichkeit solcher Versuche in §24 vorausgesetzt wird, 527; Sonnen, JA 1980,159 ff.
erkennt diese Bestimmung den fehlgeschlagenen Versuch implizit als eine selb- M Maurach/Gössel, AT/27, 41/4; eingehende Antikritik beider, 1996, 30 f.
94
ständige Kategorie an. Es ist also nicht stichhaltig, wenn diese Rechtsfigur mit der Hier müßte freilich auch der zielerreichende Versuch noch ausgegrenzt werden.
"5 Baumann/Weber, AT10, § 27 I 3.
Begründung abgelehnt wird, das Gesetz nenne keinen Begriff des fehlgeschlage- 9
« Heckler, 2002,154.
502
503
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit III § 30
§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
geschlagene Versuch in seiner modernen Form größere Aufmerksamkeit. Heute
denen der Versuch „vom Ergebnis der Subsumtion her gesehen nicht rücktritts-
hat sich die in Rn. 77 ff. geschilderte Grundkonzeption weitgehend durchge-
fähig ist". Jedenfalls wird auch von den Gegnern anerkannt, daß es in solchen Fäl-
setzt,100 auch wenn vielfach noch strittig ist, welche Fallgruppen dem fehlgeschla-
len an einer Aufgabe und an einem Rücktritt fehlt; und das ist entscheidend.
genen Versuch zugeordnet werden können (dazu Rn. 85 ff). >
Auch in der Rechtsprechung hat die Rechtsfigur des fehlgeschlagenen Ver- 84
2. Die Abgrenzung von fehlgeschlagenem und untauglichem Versuch
suchs heute grundsätzliche Anerkennung gefunden. In BGHSt 34, 56101 heißt es
82 Vom untauglichen Versuch, der aus objektiven Gründen nicht zum Erfolge füh- resümierend, aber noch vorsichtig: „Der BGH ... geht in seiner neueren Rspr. ...
ren kann, unterscheidet sich der fehlgeschlagene Versuch vor allem durch das Ab- davon aus, daß es außerhalb des Anwendungsbereichs des § 24 StGB eine eigen-
stellen auf die subjektive Einschätzung des Täters. Einen untauglichen Versuch ständige Fallgruppe des fehlgeschlagenen Versuchs für Tatbestandsverwirklichun-
kann man noch mit strafbefreiender Wirkung aufgeben, solange man seine Un- gen gibt, in denen dem Täter die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts versagt
tauglichkeit nicht kennt (vgl. §24 I 2: durch freiwilliges und ernsthaftes Be- ist. Wie diese im einzelnen ... abzugrenzen ist, hat er noch nicht umfassend und
mühen); er ist also, soweit er aufgebbar ist, nicht fehlgeschlagen. Umgekehrt muß abschließend geklärt."102 Bestimmter äußert sich dann BGHSt 39, 228 (GrSen), in-
ein fehlgeschlagener Versuch nicht untauglich sein; wenn z. B. der einzige dem dem er von den Fällen des fehlgeschlagenen Versuchs spricht, „in denen entweder
Mörder zur Verfügung stehende Schuß sein Opfer nur um Haaresbreite verfehlt, der Erfolgseintritt - für den Täter erkanntermaßen - objektiv nicht mehr mög-
handelt es sich um einen zwar tauglichen, aber fehlgeschlagenen Versuch. Er kann lich ist oder der Täter ihn nicht mehr für möglich hält".103 Das entspricht ganz der
sogar objektiv weiterhin tauglich sein, wenn nur der Täter das Ziel für unerreich- hier entwickelten Auffassung.
bar hält; hat er seine geladene Pistole in Anschlag gebracht und ruft ihm ein
Dritter geistesgegenwärtig zu, die Pistole sei ungeladen, woraufhin der Schütze 4. Die Fallgruppen des fehlgeschlagenen Versuchs
die Waffe resigniert sinken läßt, so ist der Versuch fehlgeschlagen. Denn weil der
a) Die Tatbestandserfullung ist unmöglich
Handelnde keine Alternative vor Augen sieht, ist das Absetzen der Waffe kein
„Aufgeben" des Tatentschlusses. Freilich stellen sich untaugliche Versuche oft als Sachverhalte dieser Art bilden die einfachen und klassischen Situationen des 85
fehlgeschlagen dar, wenn der Handelnde die Untauglichkeit (z. B. die wirkliche fehlgeschlagenen Versuchs. Dabei ist mit der „Unmöglichkeit" der Tatbestands-
Ungeladenheit der Pistole) erkennt und dadurch an der Weiterführung seines erfüllung immer gemeint, daß der Täter hier und jetzt, d. h. in unmittelbarer Fort-
Versuchs gehindert wird. Man kann also zusammenfassend sagen: Fehlgeschla- führung der bisherigen Ausführungsbemühungen, den Tatbestand nicht mehr
gene Versuche sind oft untauglich; aber ein fehlgeschlagener Versuch braucht vollenden kann. Daß sich der Plan bei späterer, günstigerer Gelegenheit vielleicht
nicht untauglich und ein untauglicher nicht fehlgeschlagen zu sein. noch verwirklichen läßt, schließt den Fehlschlag des konkreten Versuchs nicht aus.
Die Unmöglichkeit der Ausführung kann auf der Untauglichkeit des Tatmittels,
auf der Unfähigkeit des Täters oder auf dem Fehlen des Handlungsobjektes be-
3. Zur Entwicklung und zum heutigen Stand der Lehre vom
ruhen.
fehlgeschlagenen Versuch
Um das Versagen des Tatmittels handelt es sich z.B., wenn das Gewehr nicht 86
83 Die Kategorie des fehlgeschlagenen Versuchs ist in ihrem heutigen Verständnis losgeht (sei es, daß es nicht geladen war, heimlich entladen wurde oder Ladehem-
erst in der Nachkriegszeit entwickelt worden. Dagegen hat der Begriff als solcher mung hat), die Bombe nicht explodiert, das vermeintliche Gift unwirksam ist, der
unter wechselnden Bedeutungen eine lange Geschichte. Das ältere italienische und Schlüssel nicht öffnet oder im Schloß abbricht. Eine Unfähigkeit des Täters liegt
französische Recht verstand unter einem „delitto frustrato" bzw. „delit manque" vor, wenn der Mörder durch einen Herzinfarkt aktionsunfähig wird, der Ver-
einen beendeten Versuch, bei dem der Erfolg durch ein nach dem Abschluß der gewaltiger die Potenz verliert oder der Täter vom Opfer überwältigt oder in die
Täterhandlung eintretendes zufälliges Ereignis ausbleibt.97 Das ist eine mögliche Flucht geschlagen wird. Das Handlungsobjekt fehlt, wenn das Opfer nicht an-
Begriffsbestimmung, aber sie hat auf der Grundlage des geltenden Gesetzes keine
Funktion, so daß an sie heute nicht mehr angeknüpft werden kann. Auch die Ver- '"o Bottke, 1979, 355 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, §51 II 6; Joecks3, §24, Rn.löf.; Kindhäuser,
wendung des Begriffs in der deutschen Literatur ist bis in die Nachkriegszeit hin- AT2,468; Köhler, AT, 471 ff.; Lackner/Kühl24, § 24, Rn. 10ff.; SK6-Rudolphi, § 24, Rn. 8; Schmid-
häuser, LB AT2, 15/77ff.; ders., StuB AT2, 11/76ff.; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.7; Tröndle/Fischer50,
ein von vielen Unklarheiten geprägt gewesen.98 Erst um 197099 findet der fehl- § 24, Rn. 29; LK10'-Vogler, § 24, Rn. 23 ff; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 628.
101
Erwähnungen des fehlgeschlagenen Versuchs finden sich schon früh, so in BGHSt 10,
131; 20, 279 f. (wo aber der fehlgeschlagene Versuch noch als Fall des unfreiwilligen Rücktritts
97 Näher Gössel, ZStW 87 (1975), 8 ff. angesehen wird).
98 D a z u Roxin, J u S 1981, 2; Gössel, Z S t W 87 (1975), 3ff.; Bottke, 1979, 352ff. 102
BGHSt 33, 295 hatte die Abgrenzungsfrage offengelassen.
' 9 Z u n ä c h s t bei Otto, G A 1967,144ff.; Hruschka, J Z 1969, 495 f.; Schmidhäuser, L B AT, H970, "» Ebenso BGHSt 39, 246.
15/81 ff.; 2 1975, 627ff.; Roxin, H e i n i t z - F S , 1972, 251 (253 f.).
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wesend ist oder entkommt, w e n n die von hinten zum Zwecke der Vergewaltigung gehabt habe" ( a a O , 244). Der daraufhin durchgeführte Geschlechtsverkehr war
angefallene Person sich als M a n n entpuppt oder w e n n etwa das Objekt eines objektiv eine Vergewaltigung, weil das nur vorgetäuschte Einverständnis unwirk-
Diebstahls sich nicht vorfindet. sam war. D e m Täter fehlte aber wegen irriger A n n a h m e des Einverständnisses der
87 Meist werden der objektive Sachverhalt und die Vorstellung des Täters überein- Vorsatz im Zeitpunkt der Beischlafsvollziehung, 107 so daß eine vollendete Verge-
stimmen. Wenn dies aber einmal nicht der Fall ist, entscheidet die Vorstellung des waltigung unstrittig ausscheidet. Trotzdem lehnt der B G H einen Fehlschlag ab:
Täters ( R n . 82). Glaubt also der Täter irrtümlich, er habe keine Munition mehr, „Während für den Täter bei Hindernissen im tatsächlichen Bereich eine in § 24
entdeckt er das Opfer in seinem Versteck nicht oder kann er aus technischer U n - StGB vorausgesetzte Wahlmöglichkeit, die Tat mit Aussicht auf den angestrebten
kenntnis das Auto, das er stehlen will, nicht in Gang bringen, so ist seine A b - Erfolg weiter auszuführen oder sie aufzugeben, nicht besteht, ist dies bei recht-
w e n d u n g kein Rücktritt, sondern die Folge eines Fehlschlags ( R n . 39); zur Kritik lichen Hindernissen durchaus der Fall. Erklärt sich das Opfer eines Vergewalti-
eines objektivierenden Fehlschlagsbegriffes vgl. R n . 40 ff. gungsversuchs ernsthaft oder zum Schein mit dem vom Täter beabsichtigten
88 Ein Fehlschlag liegt freilich nur dann vor, w e n n der Täter die Verwirklichung Geschlechtsverkehr einverstanden, so kann dieser - unbeeinflußt durch die E i n -
des Tatbestandes für ausgeschlossen hält. Wenn er nicht sicher ist, ob die Tat gelin- willigung - sein Handlungsziel weiterverfolgen und den Beischlaf... durchfüh-
gen wird, und n u n m e h r aufhört, ist das ein - freiwilliger oder unfreiwilliger - ren" (aaO., 246 f.).
Rücktritt. Wenn der Dieb also verdächtige Geräusche hört und aus Angst vor Ent- Das ist jedoch ein Trugschluß. D e n n zwar kann der Täter, wie der B G H sagt, 91
deckung flieht, ist er zurückgetreten. Das ist im Grunde selbstverständlich: D e n n „den Beischlaf durchführen". Aber das ist unerheblich. D e n n es k o m m t allein dar-
da deliktische Pläne i. d. R . mit dem Risiko des Mißlingens behaftet sind, wäre auf an, ob er eine Vergewaltigung durchführen kann; u n d das kann er nicht, wie
sonst kaum ein Rücktritt möglich. auch der Umstand beweist, daß der B G H selbst trotz vollzogenen Beischlafs nur
89 Zu den Konstellationen des wegen Unmöglichkeit fehlgeschlagenen Versuchs einen Vergewaltigungsversuch a n n i m m t . W e n n der B G H sagt, es erscheine „bereits
gehören auch die Fälle der sog. rechtlichen Unmöglichkeit. Sie betreffen Sach- vom Wortsinn her . . . befremdlich, ein solches Tatgeschehen als .fehlgeschlagenen'
verhalte, bei denen ein Tatbestandsmerkmal nur gegen den Willen des Rechtsguts- Versuch zu bezeichnen" ( a a O , 247), so beruht das auf der unzulässigen Gleich-
trägers verwirklicht werden kann, so daß dessen Einverständnis die Tatbestands- setzung von straflosem Beischlaf und strafbarer Vergewaltigung. Natürlich ist der
erfüllung ausschließt. 104 So ist eine Wegnahme i. S. d. § 242 eine H i n n a h m e gegen Beischlaf gelungen, nicht aber die Vergewaltigung (sonst müßte ja wegen deren
oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers. Ist dieser mit der H i n n a h m e ein- Vollendung bestraft werden).
verstanden, ist eine Wegnahme rechtlich nicht möglich. W e n n also der W o h - Der kriminalpolitische G r u n d für die Ablehnung eines Fehlschlages liegt beim 92
nungseigentümer den Einbrecher im Versuchsstadium überrascht und ihn in einer B G H darin, daß er dem Täter die Möglichkeit eines freiwilligen Rücktritts offen-
romantischen Laune auffordert, sich nach Belieben zu bedienen, ist eine W e g - halten will: „Der Täter kann seinen Tatplan auch aus Gründen, die mit der Einwil-
nahme (und übrigens auch eine rechtswidrige Zueignung) nicht mehr möglich. ligung in keinem Zusammenhang stehen, etwa aus Scham oder R e u e über sein
Der Einbrecher wird aber wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Diebstahls b e - bisheriges Verhalten, aufgeben. Ihm unter derartigen Umständen die Möglichkeit
straft; ein Rücktritt scheidet aus. Fehlgeschlagen ist auch eine Vergewaltigung, strafbefreienden Rücktritts abzuschneiden, obwohl er auf den Boden der Rechts-
wenn das vom Täter Überfallene Opfer in den Geschlechtsverkehr wirksam - d. h. treue zurückgekehrt ist, stünde mit der kriminalpolitischen Zielsetzung des § 24
nicht auf Grund der Nötigung, sondern aus eigenem Interesse an der sexuellen StGB nicht in Einklang." Aber das ist eine schiefe Betrachtungsweise: D e n n wenn
Handlung - einwilligt. Da der Verkehr mit einem bereitwilligen Partner keine der Partner, wie der Täter a n n i m m t , den Beischlaf herbeiwünscht, besteht keiner-
Vergewaltigung ist, kann der Täter die Tat nicht vollenden, aber auch nicht zu- lei Veranlassung mehr, ihn aus „Scham oder Reue" aufzugeben. U n d selbst w e n n
rücktreten; er bleibt daher wegen Versuchs nach § 177 strafbar. der Täter sich entschlösse, seinen vermeintlichen Partner zu enttäuschen, läge dar-
90 Entgegen der h. M. 1 0 5 hält der B G H die „rechtliche Unmöglichkeit" nicht für in kein Rücktritt vom Vergewaltigungsversuch, sondern ein Beischlafsverzicht.
einen Fehlschlag. In B G H S t 39, 244 1 0 6 hatte das v o m Täter niedergerissene Ver- Warum dieser „Rechtstreue" beweisen und den Täter von der Strafe für seine vor-
gewaltigungsopfer diesem erfolgreich vorgespiegelt, „daß er ihr ,wie gerufen angegangene sexuelle Gewalthandlung befreien sollte, ist unerfindlich.
k o m m e , da sie . . . schon lange keine sexuelle Begegnung mit einem M a n n mehr
Im konkreten Fall hat der BGH eine „Aufgabe der geplanten Tatausführung" abgelehnt, so 93
daß er im Ergebnis ebenfalls zu einer Bestrafung nach §§ 22, 177 kam; auch er verneint also
3
«* Vgl. Roxin, AT l , § 13, Rn. 2. einen Rücktritt. Die Konstruktion eines nicht fehlgeschlagenen, aber gleichwohl nicht voll-
W5 Bottke, 1979, 355f.; ders., JZ 1994, 71; Krey, AT/2, Rn.473f.; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.9; endbaren Versuchs ist freilich sonderbar und widersprüchlich. Zu derselben Lösung kommt
Ulsenheimer, 1976, 328 ff.; Vitt, JR 1994,199.
W6 Dazu Bauer, MDR 1994, 132; Bottke, JZ 1994, 71; Jäger, 1996, 71 f., 74ff.; Kudlich, JuS
1999, 244 (dem BGH folgend); Streng, NStZ 1993, 582; Fi«, JR 1994,199. 107 Vgl. Roxin, AT l3, § 13, Rn. 13.

506 507
§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit III § 30
108
Jäger , aber mit anderer Begründung: Er verneint einen Fehlschlag auf der Grundlage seines es gewiß richtig, daß kein äußerer Umstand den Täter am M i t n e h m e n der H o l z -
objektiven Gefährdungsbegriffes (Rn.40), schließt aber einen Rücktritt mangels Gefähr-
kugel hinderte und daß ein Rücktritt, der auf „rein inneren" Überlegungen b e -
dungsumkehr aus. Dagegen nimmt Streng109 (dazu Rn.80) eine Aufgabe und einen Rücktritt
an, verneint aber die Freiwilligkeit. ruht, zu den typischen Fällen der Freiwilligkeit gehört. Aber das Urteil zeigt, daß
solche Erwägungen in die Irre fuhren müssen, wenn ein- Rücktritt überhaupt
b) D i e Identität des Handlungsobjekts entspricht nicht d e m Tatplan nicht vorliegt.
94 Hierher gehört die Gruppe der Verwechslungs- u n d Irrtumsfalle, die nicht die Ebenso ist ein Fehlschlag anzunehmen, wenn jemand die Tasche eines anderen 97
Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ausschließen, gleichwohl aber den öffnet, u m ein Geheimdokument zu stehlen, beim ersten Anblick des Konvoluts
Tatplan vereiteln. W e n n A den B erschießen will, sich dem Opfer von hinten n ä - aber feststellt, daß es sich u m andere, bedeutungslose Papiere handelt, u n d sie l i e -
hert, i m letzten M o m e n t feststellt, daß er einen anderen (C) vor sich hat u n d n u n gen läßt. Darin liegt weder eine Aufgabe noch ein Rücktritt.
die Pistole enttäuscht wieder einsteckt, ist der Versuch fehlgeschlagen. Zwar An den Beispielen wird deutlich, daß die Anerkennung eines fehlgeschlagenen 98
könnte der Täter den Tatbestand noch erfüllen, i n d e m er das „falsche" Opfer er- Versuchs nicht n u r eine begriffliche Korrektur u n d eine terminologische Verbesse-
schösse. Aber der Rücktritt besteht nicht i m Verzicht auf die Verwirklichung eines rung, sondern auch einen großen Gewinn an Rechtsklarheit bringt. D e n n wenn
Tatbestandes - so verbreitet u n d ausreichend diese ungenaue Annahme in der man in den Fällen, in denen das reale Tatobjekt v o m Vorsatz des Täters nicht u m -
Regel ist - , sondern nach dem klaren u n d richtigen Wortlaut des § 24 I in der Auf- faßt ist, erst einmal einen Rücktritt a n n i m m t , so m u ß man zwar nicht - wie das
gabe der „Tat". Diese Tat aber u n d der auf ihre Ausführung gerichtete Plan des R G im Holzkugel-Fall - notwendig zur A n n a h m e der Freiwilligkeit u n d damit
Täters werden durch die Identität des Opfers konstituiert, soweit es d e m H a n - der Straflosigkeit k o m m e n . Aber angesichts der Umstrittenheit der über Freiwil-
delnden auf dessen konkrete Person ankommt. 1 1 0 D e n n der Vorsatz bezieht sich in ligkeit und Unfreiwilligkeit entscheidenden Kriterien ist das Ergebnis jedenfalls
einem solchen Fall auf die individuelle Person u n d nicht etwa auf die Tötung unsicher, während die Rechtsfigur des fehlgeschlagenen Versuchs eine eindeutige
irgendeines Menschen. Diese Tötung aber ist in Ermangelung des H a n d l u n g s - und überzeugende Lösung ermöglicht. Allerdings m u ß man sich darüber klar
objektes undurchführbar. M a n kann - in unserem Beispiel - nicht v o m Versuch sein, daß auch diese Lösung nicht einfach aus einem vorgefaßten Fehlschlagsbe-
der E r m o r d u n g des B zurücktreten, indem man auf die - an sich mögliche - griff abgeleitet werden kann, sondern auf einer Wertung beruht. Aber die Aner-
Tötung des C verzichtet. kennung des fehlgeschlagenen Versuches hat für die Rechtsanwendung den außer-
95 Das gilt auch dann, w e n n das Tatobjekt eine Sache ist. In dem Sachverhalt, der ordentlichen Vorteil, daß über eine Wertung i m Sinne der Strafbarkeit dieser Fälle
der Entscheidung R G S t 39, 37 zugrunde lag, wollte der Täter aus einem fremden unabhängig von den miteinander streitenden Theorien über Freiwilligkeit oder
Garten einen roten Ball stehlen. Als er in den Garten eingedrungen war u n d den Unfreiwilligkeit eines Rücktritts leicht Einigkeit zu erzielen ist. Wollte man n ä m -
vermeintlichen Ball in die Hand g e n o m m e n hatte, erkannte er, daß es sich u m lich einem Täter allein deshalb Straffreiheit gewähren, weil er mit seinem Versuch
eine Holzkugel handelte, warf sie enttäuscht weg u n d verließ den Garten wieder. gescheitert ist, so stände das im Widerspruch zu der grundsätzlichen Strafbarkeit
des tauglichen wie des untauglichen Versuchs; es ist daher völlig eindeutig, daß
Da das R G ausdrücklich feststellt (aaO., 39, 40), daß der Täter „nicht eine beliebige
der Gesetzgeber den fehlgeschlagenen Versuch bestraft wissen will. Demgegen-
fremde Sache, sondern gerade den . . . vermeintlichen Gummiball, also einen b e -
über liegt es auf der Hand, daß eine Entscheidung über Strafbarkeit oder Straf-
stimmten körperlichen Gegenstand", haben wollte, war sein Tatplan also fehl-
losigkeit sehr viel schwerer zu treffen ist, w e n n der Täter von der weiteren D u r c h -
geschlagen; denn das Vorhandensein eines Gummiballs war dessen Grundlage.
führung seines Planes Abstand n i m m t , obwohl er sein Ziel noch erreichen könnte.
Der Täter war wegen versuchten Diebstahls zu bestrafen, ohne daß auf Freiwillig-
Hier sind, w e n n sich die Umstände ändern und z. B. das Risiko, gefaßt zu werden,
keit oder Unfreiwilligkeit eines Rücktritts, der gar nicht mehr möglich war, hätte
trotz bestehenbleibender Ausführungsmöglichkeiten größer wird, diffizile A b -
eingegangen werden dürfen.
wägungen nötig, für die der Gesetzgeber mit dem Abstellen auf die „Freiwillig-
96 Demgegenüber hat das R G einen freiwilligen Rücktritt angenommen. Der Tä-
keit" des Rücktritts nur eine vage Anweisung geben kann und die deshalb niit
ter sei an der Weiterfuhrung der Handlung „nicht durch einen äußeren, von sei-
einer gewissen Zwangsläufigkeit eine große Theorienvielfalt hervorrufen mußten
nem Willen unabhängigen Umstand gehindert worden", sondern „ein rein innerer,
(vgl. R n . 354 ff). In den Fällen des fehlgeschlagenen Versuchs brauchen wir uns
seelischer Vorgang, nämlich eine durch die Entdeckung des wahren Sachverhalts
damit nicht zu belasten.
nur ausgelöste Überlegung" (aaO., 40) habe ihn z u m Aufhören veranlaßt. N u n ist
Auch die h. M . n i m m t einen Fehlschlag an, w e n n das Tatobjekt ein anderes ist, 99
als es dem Vorsatz des Täters entsprach. 111 Doch unstrittig ist das nicht. So bestrei-
W8 Jäger, 1996, 71 f., 74ff.
W9 Streng, NStZ 1993, 582.
111
»o Zum Begriff des Tatplans Roxin.Würtenberger-FS, 1977,109 ff. Vgl. nur Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 9.
508 509
§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit III § 30
n2
tet Feltes im Falle der Personenverwechselung einen Fehlschlag mit der beacht- 300 D M an. Ein geringerer Betrag hatte für den Täter „keinen Zweck"; sein Vorha-
lichen Begründung, daß bei einer irrtumsbedingten Erschießung des B eine voll- ben war also gescheitert, auch w e n n er einen geringeren Betrag ohne weiteres
endete Tötung vorliege. (Der error in persona schließt den Vorsatz nicht aus, vgl. hätte wegnehmen können. Der B G H k o m m t mit einer im wesentlichen gleichen
Roxin, AT l 3 , §12, R n . l 6 8 f f ) „Daher müssen auch beim Versuch entsprechende Begründung zur A n n a h m e eines unfreiwilligen Rücktritts (vielleicht nur deshalb,
Maßstäbe angelegt werden." Es macht aber einen Unterschied, ob der Täter den weil die Rechtsfigur des fehlgeschlagenen Versuchs sich damals in der Rechtspre-
wahren Sachverhalt kennt oder nicht: Der Vorsatz, den vor ihm stehenden ver- chung noch nicht durchgesetzt hatte). M a n könnte das für unschädlich und das
meintlichen B zu erschießen, wird gegenstandslos mit der Entdeckung, daß es sich Beharren auf der Einordnung in die Kategorie eines rücktrittsunfähigen fehlge-
u m C handelt. Jäger113 meint, A kehre, indem er nach Erkenntnis seines Irrtums schlagenen Versuchs für eine terminologische Pedanterie halten, w e n n nicht auch
den C nicht erschieße, die „Gefährdung hinsichtlich der ins Auge gefaßten Person" hier die Rücktrittsauffassung ebenso leicht die B e g r ü n d u n g des gegenteiligen Er-
u m und gebe damit die Tat auf. Aber in dem Augenblick, in d e m A seine Ver- gebnisses ermöglichte. Geht man nämlich einmal davon aus, daß der Täter die
wechselung entdeckt, ist subjektiv und objektiv niemand mehr gefährdet: weder weitere Ausführung „aufgegeben" habe, so k o m m t man schwer u m die Erkenntnis
der abwesende B noch der C, hinsichtlich dessen kein Tötungsvorsatz besteht u n d herum, daß der Täter die Erlangung der 2 0 - 3 0 D M , die allein aufzugeben in sei-
der dem A nun so gleichgültig ist wie jeder andere in der Nähe befindliche und ner Macht lag, freiwillig unterlassen hat, so daß man unter diesem Gesichtspunkt
ebenfalls nicht gefährdete Passant. Straflosigkeit annehmen müßte, w e n n man davon ausgeht, daß in d e m Vorsatz,
100 Im Holzkugel-Fall beruft sich Jäger für die A n n a h m e eines Rücktritts darauf, 300 D M zu rauben, ein auf kleinere S u m m e n gerichteter Teilvorsatz enthalten ist,
daß doch auch der noch zurücktreten könne, der den unbestimmten Vorsatz habe, ist der Täter von dem Versuch, 2 0 - 3 0 D M zu rauben, tatsächlich freiwillig zurück-
„irgend etwas aus dem Garten zu stehlen", aber die unbrauchbare Holzkugel lie- getreten. Aber das ändert nichts daran, daß der auf 300 D M gerichtete Raubver-
genlasse. Doch in einem solchen Fall wird der Vorsatz auf brauchbare Gegenstände such schlechterdings undurchführbar war und deshalb fehlgeschlagen ist. 115
eingeschränkt sein, so daß der Täter bei deren Nichtvorhandensein ebenfalls g e - Es ist also nicht richtig, w e n n die ältere Rechtsprechung, soweit sie sich mit den 103
scheitert ist (vgl. R n . 105). Will er aber wirklich ohne Rücksicht auf die Brauch- Fällen der „Erwartungsenttäuschung" befaßt hat, das Problem in der „Freiwillig-
barkeit „irgend etwas stehlen", etwa u m seine Fertigkeit in diesem Handwerk zu keit oder Unfreiwilligkeit" anstatt in der Abgrenzung von Fehlschlag und frei-
beweisen, so hat er, w e n n er diesen Gedanken aufgibt, seinen Plan tatsächlich revi- willigem Rücktritt gesehen hat. Auf diesem unrichtigen Ansatz beruht es, daß das
diert und ist zurückgetreten. Diese A n n a h m e ist aber keine „Ungleichbehand- R G bei der Entscheidung solcher Fälle i m m e r eine sehr schwankende Haltung
lung" sondern in den unterschiedlichen Zielsetzungen der Täter begründet. eingenommen hat. 116 In RGSt 24, 222 w u r d e ein freiwilliger Rücktritt angenom-
men, nachdem der Täter die in der von ihm erbrochenen Kiste vorgefundenen
c) Das Tatobjekt bleibt hinter den Erwartungen des Täters zurück
Sachen hatte liegenlassen, weil sie i h m nicht als stehlenswert erschienen. Ebenso
101 Eine sehr häufige Konstellation ist die, daß der Täter eines Eigentumsdeliktes bejahte RGSt 55, 66 einen freiwilligen Rücktritt, weil der Täter, der einen g r ö ß e -
(meist eines Raubes oder Diebstahls) eine geringere Beute vorfindet, als er an- ren Posten Schleichhandelsware vermutet hatte, die kleineren Pakete mit Lebens-
g e n o m m e n hatte; wenn er sich daraufhin unverrichteterdinge zurückzieht, ist oft mitteln, deren Diebstahl ihm nicht lohnend schien, unangetastet gelassen hatte.
rechtlich nicht leicht zu beurteilen, ob ein fehlgeschlagener Versuch, ein unfreiwil- Andererseits hat RGSt 70, 1 einem Straßenräuber keinen freiwilligen Rücktritt
liger oder ein freiwilliger Rücktritt vorliegt. D e n leading-case der neueren Recht- zugebilligt, der ein von ihm überfallenes Mädchen, das er seines Geldes berauben
sprechung bildet die Entscheidung BGHSt 4, 56: Der Angeklagte benötigte für wollte, ohne A n n a h m e der vorhandenen S u m m e laufen ließ, als sich herausstellte,
eine von ihm erstrebte Vertreterlaufbahn ein Anfangskapital von „etwa 300 DM", daß dessen ganze Barschaft n u r 2 0 - 3 0 Pfennig betrug.
besaß aber nichts. U m in den Besitz des benötigten Geldes zu k o m m e n , überfiel er Prüft man die in R n . 103 angeführten Fälle unter dem Gesichtspunkt des Fehl- 104
einen Gastwirt, fand in der Kasse jedoch nur 2 0 - 3 0 D M und entfloh, ohne etwas zu Schlages, so sind freilich auch schwierigere Abwägungen erforderlich als bei den
nehmen. vorher (a, b) behandelten, verhältnismäßig unproblematischen Konstellationen.
102 Hier ist richtigerweise ein fehlgeschlagener Versuch zu bejahen. 114 D e n n nach
115
dem Tatplan kam es entscheidend auf die Erlangung eines Betrages von etwa Freilich wäre der Täter, wenn er die 20-30 DM mitgenommen hätte, nicht wegen eines
versuchten und eines vollendeten, sondern nur wegen eines vollendeten Diebstahls bestraft
worden. Das liegt aber nicht am fehlenden Scheitern des weitergehenden Planes (so aber wohl
»2 Fehes, GA1992,413. Bockelmann, NJW 1955, 1418, Fn. 26 = Untersuchungen, 176, Fn. 26), sondern daran, daß die
"3 Jäger, 1996,78. 24
Rechtsprechung im Rahmen desselben Tatbestandes bei Mitnahme des Vorgefundenen eine
114 Das entspricht der heute h.M.; vgl. nur Bauer, wistra 1992, 204; Lackner/Kühl , §24, Umstellung des Tatplans akzeptiert (vgl. auch Bottke, 1979, 368, Fn.43).
1)6
Rn.ll; Roxi«, JuS 1981, 3f.; SK6-Rudolph!, §24, Rn.9; Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn.ll; LK10-Vog- Vgl. zu den folgenden Entscheidungen die Sachverhaltsschilderungen bei Bottke, 1979,
367 f.
ler, § 24, Rn. 30.
510 511
§ 30 III 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit HI § 30
D e n n ein Fehlschlag kann nicht schon deshalb angenommen werden, weil das Diebstahlsobjekte (das Fenster und ein Drahtgitter) im Verlauf der Wegnahme aus
Vorgefundene hinter den Hoffnungen des Täters zurückbleibt. Vielmehr k o m m t es Ungeschicklichkeit so beschädigten, daß sie wertlos oder doch für ihre Zwecke
darauf an, ob der Tatplan auf eine bestimmte Größenordnung der Beute fixiert unbrauchbar wurden. Da sie die Gegenstände nicht mehr nach Maßgabe ihres Tat-
war. In der Entscheidung BGHSt 4, 56 war das wegen des vom Täter mit dem plans verwenden konnten, war der Plan gescheitert. '
Gelde verfolgten Zweckes der Fall, so daß das Vorliegen eines Fehlschlages eindeu- Die Möglichkeit, daß das Handlungsobjekt hinter den Erwartungen des Täters 106
tig ist. Wenn aber ein Dieb, der zu allgemeinen Bereicherungszwecken stiehlt und zurückbleibt, ist schließlich nicht nur bei Sachwerten, sondern auch dann g e -
sich eine gefüllte Kasse erhofft, nur einen wesentlich geringeren Betrag vorfindet geben, w e n n Personen das Opfer deliktischer Handlungen werden. Doch k o m m t
und ihn liegenläßt, so ist das kein Fehlschlag, sondern ein freiwilliger Rücktritt. das meist nur in den Fällen in Betracht, in denen der Täter die von i h m angegrif-
D e n n wer nicht u m einer bestimmten S u m m e willen stiehlt und keine Anhalts- fene Person nicht vorher kennt. Ein Fehlschlag ist auch dann nur selten möglich,
punkte für die Größe einer vorzufindenden Beute besitzt, kann nur einen u n - weil menschliche „Objekte" im Gegensatz zu Sachwerten nicht quantitativ abstuf-
spezifizierten Tatplan haben. Findet er wenig vor, so ist das eine Enttäuschung, bar und auch ihrer Art und Beschaffenheit nach nicht so unterschiedlich sind, daß
aber noch kein Fehlschlag. Es ist deshalb zu undifferenziert, w e n n BGHSt 13,156 ein Abweichen von den Vorstellungen des Täters ohne weiteres als Scheitern des
sagt: „Wer vom Versuch eines Diebstahls zurücktritt, weil er weniger vorfindet, als Tatplans beurteilt werden könnte. Wenn z. B. jemand eine fremde Frau von hinten
er erwartet, tritt nicht freiwillig zurück." Wer das Vorhandene gut gebrauchen umarmt, u m sie gewaltsam zu küssen (Nötigung!), bei näherem Hinsehen aber
kann, aber aus Ärger über die Enttäuschung seiner weitgehenden Hoffnungen lie- von der Ausführung Abstand n i m m t , weil sie ihm nicht schön oder j u n g genug
genläßt, tritt i m m e r noch freiwillig zurück. Unter diesem Gesichtspunkt hätten erscheint, so wird man das nicht als einen fehlgeschlagenen Versuch ansehen k ö n -
auch die Sachverhalte der in R n . 103 angeführten R G - U r t e i l e noch näher analy- nen. D e n n w e n n der Täter die Frau nicht kannte, konnte er keine so konkreten
siert werden müssen. Allerdings — u n d insofern enthält BGHSt 13,156 wenigstens Vorstellungen haben, daß er — von Ausnahmefällen abgesehen - bestimmte Er-
eine Faustregel - ist der Umstand, daß der Täter eine sonst leicht erlangbare Beute wartungen zum konstituierenden Element eines Planes machen konnte. Der Plan
wegen ihrer Geringfügigkeit verschmäht, ein Indiz dafür, daß eine andere G r ö - konnte sich normalerweise nur darauf richten, eine fremde Frau nicht genau b e -
ßenordnung die condicio sine qua n o n des Tatplans war, so daß die Annahme, bei kannten Aussehens zu küssen. Dieser Plan ist nicht gescheitert, so daß ggf. ein
allen geschilderten Sachverhalten habe es sich u m Fälle des Fehlschlags gehandelt, freiwilliger Rücktritt vorliegt. Anders ist es natürlich, w e n n der Täter ein b e -
die wahrscheinlichste ist. stimmtes Mädchen küssen will und von ihm abläßt, als er erkennt, daß er die fal-
105 Einfacher sind die Fälle zu beurteilen, in denen das Vorgefundene nicht quanti- sche erwischt hat. Aber dann handelt es sich u m einen Verwechslungsfall (oben b),
tativ, sondern seiner Art und Beschaffenheit nach hinter den Erwartungen des Tä- der schon aus diesem Grunde in die Kategorie des fehlgeschlagenen Versuchs ein-
ters zurückbleibt. Hier kann man von der Leitlinie ausgehen, daß ein Versuch fehl- zureihen ist.
geschlagen ist, „wenn der Täter bei nur allgemeinem, unbestimmtem W e g n a h m e -
Zu den seltenen Fällen, in denen ohne Personenverwechslung bei einem 107
willen überhaupt nichts oder bei einem auf Wegnahme bestimmter Sachen oder
menschlichen Angriffsobjekt ein Fehlschlag vorliegt, weil das Opfer nicht den Er-
von Gegenständen bestimmter Art gerichteten Vorsatz keine Sachen dieser Art
wartungen des Täters entspricht, gehört die Entscheidung BGHSt 20, 279f.: Der
vorfindet". 117 Einen Sonderfall behandelt BGHSt 13, 156: Der Täter hatte „vor
Täter hatte ein Mädchen zum Zwecke der Vergewaltigung überfallen, sich aber
allem Bargeld, aber auch andere brauchbare Gegenstände" stehlen wollen. Er fand
zurückgezogen, als er feststellte, daß es „eine Monatsbinde trug" u n d „seine Tage
kein Geld und n a h m daraufhin zunächst einen Fotoapparat und einen Mantel an
hatte". Hier hat auch der B G H einmal ausdrücklich von einem fehlgeschlagenen
sich, verzichtete aber schließlich doch auf deren Mitnahme, weil er Absatzschwie-
Versuch gesprochen. 118 „Dem Angeklagten erwies sich die Überfallene wegen
rigkeiten und andere unangenehme Folgen fürchtete. Hier liegt ein Fehlschlag
ihres Zustandes für den von ihm - mit einer dazu disponierten Frau - erstrebten
vor, wenn Geld und Sachwerte nach dem Tatplan nicht im Verhältnis des „ E n t w e -
Geschlechtsverkehr als ungeeignet" (aaO., 280). D e m ist zuzustimmen. D e n n
der — Oder" standen, sondern der Diebstahl von Geld ein essentielles Element des
wenn auch der Täter über den Zustand der Frau bei Fassung des Tatentschlusses
Tatplans war. Da der B G H feststellt, es sei dem Täter „vor allem auf Bargeld" an-
nicht nachgedacht haben mag, so war er, wie seine Reaktion zeigt, doch von ihrer
gekommen, wird man hinsichtlich des Geldes einen Fehlschlag und hinsichtlich
„Disponiertheit" als einer stillschweigend-selbstverständlichen und hinreichend
der übrigen Sachen einen Rücktritt annehmen müssen. Ein eindeutiger Fehl-
konkretisierbaren Voraussetzung seines Planes ausgegangen; fehlte es daran, so war
schlag lag auch im „Gazefenster-Fall" (RGSt 45, 6) vor, bei dem die Täter die
das Ziel - Geschlechtsverkehr mit einer dazu „disponierten" Frau - unerreichbar

117
So BGHSt 4, 57 unter Anschluß an die ältere Rechtsprechung - aber unter dem 118
Der jedoch zugleich einen unfreiwilligen Rücktritt darstellen soll; vgl. zu diesem
Gesichtspunkt der Unfreiwilligkeit des Rücktritts. Sprachgebrauch schon Fn. 102.
512
513
§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit III § 30
und der Plan gescheitert. Wollte man dagegen einen Rücktritt annehmen und die mehr, seinem Ziel durch Fortführung seines Tatkonzeptes näherzukommen, so
„Aufgabe" der Ausführung daraufstützen, daß der Täter rein physisch gesehen zur daß von einem ,Aufgeben' keine Rede sein kann."123 Hier werden also unter dem
Ausführung des Geschlechtsverkehrs weiterhin imstande war - was der BGH aus- Begriff des „Tatkonzepts" die Mittel und Wege zum Ziel mit dem Ziel selbst
drücklich bejaht - so wäre eine Entscheidung über Freiwilligkeit oder Unfreiwil- gleichgesetzt. Daß dies nicht richtig sein kann, läßt sich aus rlem Gesetz beweisen.
ligkeit dieses Rücktritts nur sehr schwer zu treffen. Auch dieses Beispiel zeigt also, Denn wenn Ulsenheimer recht hätte, wäre praktisch jeder Fall des unfreiwilligen
welchen Erkenntnisgewinn die Anerkennung des fehlgeschlagenen Versuchs und Rücktritts ein fehlgeschlagener Versuch, weil die Unfreiwilligkeit des Rücktritts
seine Unterscheidung vom Rücktritt bringt.119 allemal darauf beruht, daß bestimmte Modalitäten des Geschehens sich verändert
haben und dem Täter ein Abstandnehmen von seinem Plan geraten erscheinen las-
d) Kein Fehlschlag beim Abweichen von Tatmodalitäten, beim Wegfall sen. Da aber das Gesetz offensichtlich von der Existenz unfreiwilliger Rücktritte
von Motiven und bei wiederholbarer Ausfuhrungshandlung ausgeht, kann eine Auffassung nicht haltbar sein, die deren Fälle in solche des
108 Abschließend seien einige Fallgruppen erwähnt, die unter dem Gesichtspunkt Fehlschlagens umdeutet. So falsch es ist, den fehlgeschlagenen Versuch als einen
des Fehlschlages diskutiert werden, bei denen aber richtigerweise ein (sei es frei- (meist) unfreiwilligen Rücktritt zu betrachten, so falsch ist das umgekehrte Ver-
williger, sei es unfreiwilliger) Rücktritt anzunehmen ist. fahren, einen unfreiwilligen Rücktritt in einen Fehlschlag zu verwandeln. Ulsen-
heimer sieht diese Gefahr selbst124 und versucht ihr dadurch zu entgehen, daß er nur
aa) Die Tatmodalitäten weichen vom Tatplan ab
bestimmte Fälle „modaler Unmöglichkeit" dem fehlgeschlagenen Versuch zuord-
109 Dieser Fall ist überaus häufig. Wenn der Täter sich beim Einbruch beobachtet
nen will. Er will das nur dort tun, „wo der Täter von einem detaillierten Plan aus-
fühlt und sich daraufhin, obwohl die Tat ihm noch durchführbar erscheint, zu-
gegangen ist, in dem die Einzelheiten für die Erfolgsherbeiführung spezifische
rückzieht, um nicht vielleicht später gefaßt zu werden, so gibt er die Tat auf. Es ist
Bedeutung haben, so daß die tatbestandsmäßige Vollendung mit dem Eintritt der
dann zu klären, ob dies freiwillig oder unfreiwillig geschah; aber es liegt kein
geplanten oder dem Ausbleiben der erwarteten Umstände ,steht und fällt' wo also
Fehlschlag vor, weil das Ziel - der geplante Diebstahl - erreichbar geblieben war.
der Täter sich bewußt selbst gebunden hat". Dagegen sollen die „im Regelfall völ-
Man könnte dem entgegenhalten, der Täter habe den Plan gehabt, unbeobachtet
lig selbstverständlichen Voraussetzungen einer Straftat" sowie „unreflektierte Er-
zu stehlen; wenn das nicht möglich sei, sei der Plan gescheitert, der Versuch also
wartungen, allgemeine Vorstellungen und Hoffnungen" keine Bestandteile des
fehlgeschlagen. Der Fehler dieser Argumentation liegt darin, daß die Modalitäten
Tatplans sein, im Falle ihres Nichteintreffens also noch keinen Fehlschlag begrün-
der Ausführung zwar Begleitumstände auf dem Wege zum Ziel und als solche Be-
den.125 Diese Unterscheidungen sind jedoch weder einleuchtend noch praktisch
standteile des Planes, nicht aber das Ziel darstellen, dessen Nichterreichbarkeit für
oder theoretisch durchführbar. Sie sind nicht einleuchtend, weil gerade die selbst-
den Täter allein den Fehlschlag seines Versuchs begründen kann. Richtig wird das
verständlichen Voraussetzungen der Tatbegehung zu den notwendigsten Elemen-
von Schmidhäuser120 formuliert, wenn er (in etwas anderem Zusammenhang121)
ten des Tatplans gehören. Sie sind praktisch nicht durchführbar, weil, wie Ulsen-
sagt, es komme beim fehlgeschlagenen Versuch „auf den Tatplan des Täters nur in-
heimer selbst sieht, die Abgrenzung von Fehlschlag und Aufgabe sich nach solchen
soweit an, als dieser Plan das Ziel bezeichnet, das der Täter erreichen wollte".
Kriterien „äußerst schwierig gestaltet und weitgehend von der Einlassung des
110 Demgegenüber hat Ulsenheimer122 die Auffassung vertreten, daß auch eine Än-
Täters abhängt". Sie sind schließlich aber nicht einmal theoretisch durchführbar;
derung der Tatmodalitäten bei bestehenbleibender Möglichkeit der Zielerreichung
denn auch in den Fällen des unfreiwilligen Rücktritts „steht und fällt" die Tat mit
zum Fehlschlag des Versuchs fuhren könne: „Denn Art und Weise der Deliktsver-
der Veränderung der Ausfuhrungsmodalitäten (sonst würde ja der Täter nicht zu-
wirklichung, Handlungsmittel, Örtlichkeit und Zeitpunkt des Geschehens kön-
rücktreten). Es muß also dabei bleiben, daß Abweichungen der Realität vom Plan
nen im Einzelfall für das Vorhaben des Täters genauso wichtig und darum genauso
des Täters die Erreichung des Ziels nur dann unmöglich machen und einen fehl-
exakt festgelegt sein wie das Tatobjekt, dem der Angriff galt ... Der Unterschied
geschlagenen Versuch begründen, wenn sie das Tatobjekt und nicht allein die Be-
... liegt nur darin, daß das vom Täter als unmöglich Erkannte einmal das, was er
gleitumstände der Ausführung betreffen. ,
wollte, betraf, das andere Mal dagegen sich auf das Wie der Ausführung bezog; die
Motivation seines Nichtweiterhandelns war jedoch dieselbe: er sah keine Chance

26
i» Wie hier für Fehlschlag: Kampermann, 1992, 53; Sch/Sch/Eser7
, § 24, Rn. 11; für unfrei-
willigen Rücktritt: Jäger, 1996, 79,112; 2
Maurach/Gössel, AT/2 , 41/113; LK10'-Vogler, § 24, Rn.98;
für freiwilligen Rücktritt: Jakobs, KT , 26/46. 123 Ulsenheimer, 1976, 322 f.
•2« Schmidhäuser, LB AT, 15/78. 124
Ulsenheimer, 1976, 324: Es müsse davor gewarnt werden, „das Gebiet des fehlgeschlage-
121
Vgl. dazu Rn. 175 ff. über die wiederholbare Ausfuhrungshandlung. nen Versuchs ins Uferlose auszudehnen".
"2 Ulsenheimer, 1976, 320 ff. '25 Ulsenheimer, 1976, 325 f.
514
515
§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit IV § 30
bb) Der Wegfall von Motiven gen Konstruktionen versucht, dem um Rücktritt bemühten Täter das Erfolgsrisiko
Der Wegfall von Motiven kann eine Tat sinnlos machen, aber er begründet kei- abzunehmen. Auch bei einer Beschränkung auf die wichtigsten Differenzierungen
nen Fehlschlag. Wenn A seinen Erbonkel töten will, um ihn rascher zu beerben, empfiehlt es sich, zwischen dem Erfolgsrisiko vor Versuchsbeendigung, nach Ver-
und von der Tat im Versuchsstadium Abstand nimmt, weil er im letzten Moment suchsbeendigung und beim unechten Unterlassungsdelikt zu unterscheiden.128
erfährt, daß der Onkel sein ganzes Vermögen verspielt hat,126 ändert dies nichts an
der Möglichkeit, das Opfer zu ermorden. Die Tat ist also weiterhin ausführbar und 1. Das Erfolgsrisiko vor Versuchsbeendigung
nicht fehlgeschlagen. Denn die Motive sind Anlaß, aber nicht Bestandteile der Tat.
Hierher gehörte der schon oben (§ 29, Rn. 64) im Zusammenhang mit der Vor- 115
Es liegt also ein Rücktritt vor, dessen Motive bei der Entscheidung über Freiwil-
satzproblematik beim Versuch behandelte Giftmischerfall: Der Täter hört schon
ligkeit oder Unfreiwilligkeit zu berücksichtigen sind. Die Sinnlosigkeit weiterer nach Verabreichung der zweiten Giftdosis freiwillig auf, obwohl er mit einer töd-
Durchführung der Tat kann auch die Unfreiwilligkeit des Rücktritts begründen lichen Wirkung frühestens nach fünf Raten gerechnet hatte; das Opfer stirbt aber
und verweist nicht notwendig auf einen Fehlschlag. Dessen entscheidendes Krite- schon an den beiden Anfangsquanten des Giftes. Oder: Der Täter eines Tot-
rium ist die Unmöglichkeit der Täterschaftsverwirklichung in den vom Vorsatz schlagsversuches glaubt, mehrere Messerstiche für die Tötung zu benötigen, gibt
umfaßten Grenzen. aber schon nach dem ersten Stich aus freien Stücken auf; das Opfer stirbt jedoch
cc) Die wiederholbare Ausfiihrungshandlung an den Folgen des ersten Stiches.
Dieser Fall liegt vor, wenn der Täter mit einer Ausführungshandlung scheitert, Es wurde schon oben (§ 29, Rn. 66 ff.) für die Fälle des verfrühten Erfolgsein- 116
aber weitere mit Aussicht auf Erfolg vornehmen könnte: Sein erster Schuß geht trittes, bei denen der Täter selbst keine Möglichkeit zur Entfaltung von Rück-
etwa fehl, er könnte noch weitere abfeuern, tut dies aber nicht. Wenn man allein trittsbemühungen sieht, dargelegt, daß der Täter grds. wegen vorsätzlicher Her-
auf den ersten Schuß blickt, wie es die sog. Einzelaktstheorie tut, so liegt hier ein beiführung des Tatbestandserfolges zur Verantwortung zu ziehen ist, sofern der
Fehlschlag vor, und ein Rücktritt vom Tötungsversuch ist unmöglich. Bezieht Erfolg ihm objektiv und subjektiv zurechenbar ist. Das gilt auch, wenn er durch
man jedoch die Möglichkeit weiterer Schüsse in die Betrachtung ein, so ist die Tat Abstandnahme von weiteren Aktivitäten gutgläubig zurücktreten wollte. 129 Denn
fortführbar und das Aufhören eine „Aufgabe", d. h. ein Rücktritt. Die Konstella- es ist dann nicht beim Versuch geblieben, wie § 24 11 dies voraussetzt.
tion ist sehr umstritten. Da nach der hier vertretenen Auffassung jedoch kein Voraussetzung für die Annahme eines vollendeten Vorsatzdeliktes ist allerdings, 117
Fehlschlag, sondern ein freiwilliger Rücktritt vorliegt, kann ihre eingehende Be- daß der Erfolg dem Täter zurechenbar ist. Wenn das Vergiftungsopfer nur wegen
handlung erst später erfolgen (Rn. 175 ff.). einer unvorhersehbaren Allergie und der durch den Messerstich Verletzte nur
wegen seiner Eigenschaft als Bluter so frühzeitig gestorben sind, scheidet die An-
nahme einer vorsätzlich-vollendeten Tötung aus. Denn der Erfolg ist nicht die
IV. Der objektiv und subjektiv zurechenbare Erfolgseintritt als Fall der Verwirklichung eines vom Täter geschaffenen unerlaubten Todesrisikos und des-
Rücktrittsunfähigkeit halb objektiv nicht zurechenbar. Es bleibt ein Versuch, von dem der Täter durch
Aufgabe (§ 24 11, erster Fall) zurückgetreten ist: Er hat die Gefahr, soweit sie ihm
Ein Rücktritt setzt grds. voraus, daß die Tat unvollendet bleibt. Denn § 24 stellt zurechenbar war, durch das Abstandnehmen von weiteren Tötungsaktivitäten um-
nur den Versuch von Strafe frei („wegen Versuchs wird nicht bestraft" ...). Der gekehrt.
mißlungene Rücktritt nützt dem Täter also nichts. Hat er das'Opfer mit Tötungs-
absicht durch einen Revolverschuß schwer verletzt und bringt ihn dann, von Aber das sind seltene Ausnahmen. Im Regelfall ist der vorfristige Erfolg vorher- 118
Reue erfaßt, ins Krankenhaus, so wird er trotzdem wegen vollendeter vorsätz- sehbar und damit objektiv zurechenbar. Er stellt sich auch nach normativen Maß-
licher Tötung bestraft, wenn es den Ärzten nicht gelingt, das Leben des schwer stäben als Verwirklichung des Täterplanes und damit als zum Vorsatz zurechenbar
dar (als Beispiel für eine Ausnahme vgl. §29, Rn. 69f.). Denn wenn jemand einen
Verletzten zu retten. § 24 11, zweiter Fall, bringt das noch zusätzlich dadurch zum
anderen umbringen will, ist es für die Verwirklichung der Ziele des Täters durch-
Ausdruck, daß er ausdrücklich eine Verhinderung des Erfolges verlangt.
weg gleichgültig, ob dessen Tod etwas früher oder später eintritt.
Trotz dieser einfachen Grundaussage ist kaum ein Gebiet der Rücktrittslehre im
einzelnen so umstritten wie das des Erfolgseintritts bei Rücktrittshandlungen. 127 128
Diese Unterscheidung liegt auch dem Buch von Schliebietz, 2002, zugrunde.
Denn in der Literatur wird bei manchen Konstellationen und mit verschiedenarti- 129
So auch die h.M.: Arzt, GA 1964, 6f.; Borchert/Hellmann, GA 1982, 442; Gutmann, 1963;
12 109; Jescheck/Weigend, AT5, §51 III 3; Krümpelmann, ZStW Beiheft 1978, 6f., 24f.; Lackner/
« Beispiel beiJäger, 1996, 78. Kühr4, §24, Rn.15; Mayer, 1986, 83ff.; Roxin, KT l3, §12, Rn.170; SK6-Rudolphi, §24,
127
Eine umfassende Darstellung und Kritik aller Lösungsvorschläge mitsamt ihrer Veräste- Rn. 16; Schmidhäuser, LB AT2,15/76; Stratenwerth, AT4, Rn. 283; LKX0-Vogler, §24, Rn. 151; Wes-
lungen liefert Schliebitz, 2002. sels/Beulke, AT31, Rn. 627.
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517
§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit IV § 30
119 Die Gegenmeinung, die eine Vollendungsstrafbarkeit ablehnt, kann sich vor tot, als der Täter durch ein Aufhören nach der zweiten Dosis den Erfolg zu ver-
allem auf zwei Begründungsansätze stützen. 1 3 0 M a n kann zunächst die M e i n u n g hindern glaubt - , so will auch er eine vollendete Tat annehmen. Eine andere L ö -
vertreten, daß der Täter, solange der Versuch unbeendet ist, noch keinen Voll- sung soll aber erfolgen, w e n n beim unbeendeten Versuch der Erfolg im Augen-
endungsvorsatz hat. 131 D a n n ist ein Erfolg, der aus dem unbeendeten Versuch her- blick der Aufgabehandlung noch nicht eingetreten ist. H ö r t A nach Beibringung
vorgeht, nicht vorsätzlich herbeigeführt. Es bleibt nur ein Versuch übrig, von dem der zweiten Giftdosis in der Überzeugung auf, daß das Opfer überleben werde,
der Täter freiwillig zurückgetreten ist. Diese Auffassung ist schon oben (§ 29, stirbt dieses aber nachträglich doch an dem zugeführten Giftquantum, so soll ein
R n . 62 ff.) abgelehnt worden. Darauf kann hier verwiesen werden. strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch vorliegen. Im Augenblick
120 Der zweite Ansatz, der auf Schröder 132 zurückgeht, leitet die Rücktrittsmög- des Aufhörens habe (nach der maßgeblichen Vorstellung des Täters) noch ein u n -
lichkeit und die fehlende Erfolgszurechnung nicht aus dem mangelnden Voll- beendeter Versuch vorgelegen, von dem dieser durch Aufgabe zurückgetreten sei.
endungsvorsatz, sondern aus der Rücktrittsregelung des § 24 11 ab: Diese verlange
Das überzeugt jedoch nicht. 1 3 8 D e n n wenn, wie auch Eser einräumt, eine voll- 123
beim unbeendeten Versuch kein Verhindern, sondern nur ein Aufgeben, das auch
endete Vorsatztat vorliegt, soweit der Erfolg im Zeitpunkt des „AufhÖrens" schon
beim mißlungenen Rücktritt vorliege. Der Gesetzgeber habe dem Täter das R i -
eingetreten ist, kann es hier nicht anders sein. D e n n so oder so verwirklichen sich
siko der Erfolgsabwendung nur beim beendeten Versuch aufgebürdet, während
im Tod des Opfers eine vom Täter geschaffene unerlaubte Gefahr und der u r -
ihm beim unbeendeten Versuch „eine derartige Erfolgsgarantie nicht auferlegt"
sprüngliche Tötungsplan des Täters. Zwar liegt im Augenblick des vermeintlichen
worden sei. Beim unbeendeten Versuch ist danach ein strafbefreiender Rücktritt
Rücktritts noch ein Versuch vor. Aber § 24 11 setzt voraus, daß es auch beim Ver-
„auch dann möglich, w e n n der Täter die Wirksamkeit seiner bisherigen H a n d -
such bleibt, ein zurechenbarer Erfolg also nicht eintritt.
lungen falsch beurteilt und nur irrtümlich davon ausgeht, den Erfolg abwenden
Einen anderen Mittelweg geht Wolter.139 Er lehnt einen strafbefreienden R ü c k - 124
zu können".
tritt in allen Fällen ab, weil der Erfolg objektiv zurechenbar eingetreten sei, will es
121 D e m ist aber ebenfalls nicht zuzustimmen. 1 3 3 D e n n § 24 entscheidet allein über
aber bei einer Versuchsstrafe bewenden lassen, weil der volle Handlungsunwert
Strafbarkeit und Straflosigkeit von Versuchen, nicht aber über die Zurechnung des
eines vorsätzlichen Delikts fehle. Diese „Lösung zwischen den Fronten von voll-
Erfolges. „Durch den Erfolgseintritt ist der Anwendungsbereich der Versuchs-
endeter Straftat und straflosem Verhalten" 140 läßt aber dogmatisch ungeklärt, w i e -
regeln grds. überschritten." 134 W e n n § 24 11 beim unbeendeten Versuch nicht von so der Quasi-Rücktritt zwar die Vollendung ausschließen, sich aber gerade auf den
„Verhindern", sondern vom „Aufgeben" spricht, dann beruht das auf der für den Versuch, auf den er sich bezieht, nicht auswirken soll. 141 Auch bleibt unberück-
Regelfall zutreffenden Einsicht, daß beim unbeendeten Versuch die Erfolgs- sichtigt, daß § 24 11 zwar ggf. eine Versuchsstrafe, nicht aber die Vollendung aus-
verhinderung im „Aufgeben" besteht. Das Aufgeben ist eine Vollendungsverhin- schließen kann.
derung durch Unterlassen, das Verhindern eine solche durch aktives Tun. Die g e -
scheiterte Verhinderung schließt in beiden Fällen den Rücktritt aus.13D Selbst 2. Das Erfolgsrisiko nach Versuchsbeendigung
wenn man aber anders entscheiden und bei gutgläubig-irrtümlicher Aufgabe
einen freiwilligen Rücktritt bejahen wollte, würde das an der Erfolgszurechnung Es entspricht der ganz h. M . und auch der Rspr., 1 4 2 daß bei beendetem Versuch 125
nichts ändern. 1 3 6 Die Wirksamkeit der Aufgabe erschöpft sich dann „in der Straf- grds. eine Strafbarkeit wegen vollendeter Vorsatztat eintritt, w e n n es dem Täter
losigkeit des durchgangsweise verwirklichten Versuchs. Die Vollendung ist i m - nicht gelingt, den Eintritt des Erfolges zu verhindern. Hat also der Täter die
m u n gegen die Rechtsfolge des § 24." Bombe im Flugzeug deponiert, deren Zeitzünder die spätere Explosion und den
Absturz bewirken soll, so nützt es ihm nichts, daß er durch eine Warnung in letz-
122 Eser137 vertritt eine differenzierende Lösung. Ist der Erfolg im Zeitpunkt der
ter Minute die Passagiere vergeblich zu retten versucht. 143 Er wird wegen vorsätz-
mißlingenden Rücktrittsbemühungen bereits eingetreten - das Opfer ist schon
licher Tötung aller Passagiere bestraft. Diese Ansicht ist auch zutreffend: Das er-
wo Weitere Literaturmeinungen bei Schliebietz, 2002, 26 f. gibt sich erstens aus dem Wortlaut des § 24 11 (zweiter Fall), wonach der Täter in
131
Diese Auffassung ist oben, § 29, Rn. 62 ff., näher dargestellt und belegt worden.
132
Schröder, JuS 1962, 82; hier auch die nachfolgenden Zitate. 138
Vgl. zu ßerauch Schliebitz, 2002, 38-40.
133
So auch die h.M.: Arzt, GA 1964, 6ff. (zu §46 StGB a.F); Jescheck/Weigend, AT5, §51 139
III 3; KrawftJuS 1981, 886; Kühl, AT3, §16, Rn.79ff.; Küper, aaO., 33ff.; Lackner/Kühl24, §24, Wolter, Leferenz-FS, 1983, 560ff.; für eine Versuchsbestrafung auch Munoz-Conde, GA
1973,40.
Rn.15; Stmtenwerth, AT4, Rn.715ff; LK10-Vogler, §24, Rn.l, 148ff, 151; Wesseh/Beulke, AT31, wo Wolter, ZStW 83 (1977), 697 ff. (697).
Rn. 627. i4i Vgl. zu W-Wferauch Küper, ZStW 112 (2000), 38ff.
'*» LK10'-Vogler, § 24, Rn. 151.
135
Näher zum Ganzen Küper, ZStW 112 (2000), 33 ff. i« BGH NJW 1973, 632, 633; Krauß, JuS 1981, 886; Lacktier/Kühl24, §24, Rn. 20 m.w.N.;
Lönnies, NJW 1962, 1950 f.; Schmidhäuser, LB AT2, 15/76; Tröndle/Fischer50, §24, Rn.46; Wessels/
»« Schliebitz, 2002, 36 ff. (37). Beulke, A T , Rn. 645.
«7 Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.23f. 143
Vgl. zu diesem Beispiel schon Roxin, AT l3, § 12, Rn. 81.
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§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit IV § 30
§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
k o m m t . Warum soll es anders sein, wenn ein Dritter die Panne durch Sabotage
einem solchen Fall nicht nur nicht zurücktreten kann, sondern auch die Voll-
verwirklicht hat oder wenn der Täter von seinen Komplizen am Rücktritt gehin-
endung nicht verhindert hat. 144 Es folgt zweitens auch daraus, daß die vom Täter
dert wird?" 1 4 9
geschaffene unerlaubte Gefahr sich plangemäß verwirklicht hat, so daß alle Vor-
Bei Irrtümern m u ß man unterscheiden: 1 5 0 Wenn der Täter glaubt, die von i h m 130
aussetzungen einer vorsätzlichen Vollendungstat gegeben sind.
gelegte B o m b e noch rechtzeitig entschärfen zu können, ohne dies freilich bei ihrer
126 Anders wird man nur dann entscheiden müssen, w e n n der Täter eines b e -
Anbringung vorzuhaben, nützt es ihm nichts mehr, daß er nachträglich einen
endeten Versuchs eine Erfolgsverhinderung eingeleitet hat, die nur daran scheitert,
Entschärfungsentschluß faßt und bei dessen Realisierung scheitert. Er bleibt w e -
daß der Erfolg auf eine nicht zurechenbare Weise eintritt. A sticht z. B. den B mit
gen vollendeter Vorsatztat strafbar, weil die Verhinderung mißlungen ist. Anders
Tötungsvorsatz nieder, so daß dieser verbluten würde. D a n n besinnt er sich aber
ist es, w e n n die Erfolgsverhinderung von vornherein eingeplant war und der Tä-
und ruft einen Krankenwagen. Auf dem Wege ins Krankenhaus, in dem B mit
ter auf ihr Gelingen vertraut hat: Der Täter hetzt einen H u n d auf das Opfer und
Sicherheit gerettet worden wäre, wird der Wagen jedoch in einen Unfall verwik-
glaubt, er könne das Tier zurückpfeifen, bevor es den Angegriffenen totgebissen
kelt, bei dem B zu Tode k o m m t .
hat. Wenn er in dieser A n n a h m e irrt, ist er trotzdem nicht nach § 212 strafbar, weil
127 Hier ist ein freiwilliger Rücktritt vom beendeten Versuch anzunehmen. Hätte
ihm der Tötungsvorsatz von vornherein gefehlt hat. Dagegen k o m m t eine Straf-
nämlich A überhaupt keine Erfolgsabwendungsbemühungen u n t e r n o m m e n und
barkeit nach § 227 in Betracht.
wäre der Krankenwagen von einem Dritten gerufen worden, läge gleichwohl kein
Die Annahme, daß der Erfolgseintritt bei mißlungenem Rücktritt vom been- 131
vollendeter Totschlag vor, weil der Erfolg sich nicht als Verwirklichung des von A
deten Versuch zur Bestrafung wegen vorsätzlicher vollendeter Tat führt, wird nur
geschaffenen Risikos darstellen würde. 1 4 5 Auch im Beispielsfall ist also nur ein
vereinzelt bestritten. Muhoz-Conde151 hält es für einen Verstoß gegen das Schuld-
Versuch gegeben, von dem A durch Herbeirufung des Krankenwagens freiwillig
prinzip, für eine Rückkehr zur Erfolgshaftung und der Strafbarkeit des versari in
zurückgetreten ist. Man kann dem nicht entgegenhalten, daß die von § 24 11 ver-
re illicita, wenn man den Bombenleger, dem die nachträgliche Entschärfung der
langte Erfolgsverhinderung fehle. D e n n diese Vorschrift kann v o m Täter sinn-
B o m b e mißlingt, wegen vorsätzlicher Tötung bestraft. Statt dessen will er einen
vollerweise nur verlangen, daß er eine zurechenbare Vollendung verhindert. Ein
beendeten Versuch in Idealkonkurrenz mit fahrlässiger Tötung annehmen. 1 5 2 In
nicht zurechenbarer Erfolg kann weder eine Vollendungs- noch (bei Vornahme
ähnlicher Weise will Bottke153 eine vollendete Vorsatztat ablehnen, weil der „sub-
geeigneter Rücktrittshandlungen) eine Versuchsstrafe tragen. 1 4 6 Die von ihm g e -
jektive Zurechnungszusammenhang" durch die Rücktrittsbemühungen beseitigt
schaffene Gefährdung hat der Täter durch den Transport nach dem Krankenhaus
werde. Nach der Umorientierung sei der Erfolg „nicht mehr das .tatzielkonform'
„umgekehrt" und dadurch eine zurechenbare Vollendung vereitelt. Das m u ß für
oder ,tatplanadäquat' vollendete Werk des Täters".
einen strafbefreienden Rücktritt genügen.
Diese Ansichten verdienen aber keine Zustimmung. D e n n der Erfolgseintritt ist 132
128 Nicht zurechenbar ist der Erfolg auch dann, w e n n er zwar auf eine vom Täter
kein Zufall, sondern die durchaus tatplanadäquate W i r k u n g vorsätzlichen Täter-
geschaffene unerlaubte Gefahr zurückgeht, seine Zurechnung aber daran scheitert,
handelns. Was dem Täter als Vorsatztat vorgeworfen wird, ist nicht die gescheiterte
daß der Erfolg in den Verantwortungsbereich des Opfers fällt, das die Gefahr vor-
Rettung, sondern sein vorheriges Tun. Daß die Rettungsbemühungen den Täter
sätzlich freiwillig auf sich nimmt. 1 4 7 Wenn der Mörder nach Zuführung des Gifts
vom Vorwurf der vorsätzlichen Deliktsverwirklichung nicht entlasten, ist ange-
einen Arzt holt, der ein rettendes Gegengift geben will, das Opfer aber dessen
messen. D e n n der Schaden ist eingetreten, so daß es an einer Gefährdungsumkehr
Einnahme verweigert, weil es aus dem Leben scheiden möchte, 1 4 8 ist sein Tod dem
fehlt. Freilich ist die zu späte und fruchtlose U m k e h r ein Strafmilderungsgrund.
Täter nicht zuzurechnen. Dieser hat nur einen Mordversuch begangen, von dem
In entgegengesetzter R i c h t u n g weicht Schliebitz154 von der h. M. ab. Er will bei 133
er aus den in R n . 127 genannten Gründen zurückgetreten ist.
Distanzdelikten eine vollendete Vorsatztat sogar schon dann annehmen, wenn
129 Anders ist es, wenn der verhinderungswillige Täter durch Dritte an der R e t -
eine Vorbereitungshandlung den Erfolg auslöst: A vergiftet die Whisky-Flasche
tung gehindert wird. D e n n in diesem Fall verwirklicht sich i m m e r noch das plan-
des bei ihm wohnenden X , der in zwei Wochen von einer Reise zurückerwartet
entsprechende ursprüngliche Risiko. Das Mißlingen des Rücktritts braucht nicht
wird und dann das Getränk mit tödlicher W i r k u n g zu sich nehmen soll. Darauf-
verschuldet zu sein. Es ändert an der Vollendungsstrafe nichts, „wenn der Atten-
täter die B o m b e entschärfen will, dabei aber infolge einer Autopanne zu spät •« Schliebitz, 2002, 96 f.
150 Schliebitz, 2002,104 ff.
'51 Muhoz-Conde, GA1973, 33ff. (35 f.).
i" Schliebitz, 2002, 95. 152 Muhoz-Conde, GA 1973, 40.
i« Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 37, 63 ff. iss Bottke, 1979, 558.
M
« Vgl. oben Rn. 115 ff. 154 Schliebietz, 2002,110ff., 128ff. (unter Auseinandersetzung mit vergleichbaren Lösungen
w Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn.95. von Herzberg und Schlehofer).
•« Beispiel von Otto, AT6, § 19 IV, Rn. 78, der wie hier entscheidet.
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§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit IV § 30

hin legt A sich schlafen. Überraschend kehrt X noch in derselben Nacht zurück, im Stadium des unbeendeten Versuchs, solange sie glaubt, durch Wiederaufnahme
der Nahrungszufuhr das Kind am Leben erhalten zu können. Wenn sie eines Tages
trinkt von dem Whisky und stirbt.155 Oder: Der Täter bereut die Vergiftung, will
ihr erschreckend abgemagertes Kind wieder zu füttern beginnt, ohne weiter-
die Flaschen wieder umtauschen, läßt aber aus Versehen die vergiftete stehen, an
gehende Maßnahmen für erforderlich zu halten, das Kind aber trotzdem stirbt,
deren „Genuß" der X zwei Wochen später bei seiner Heimkehr stirbt.
scheiden nach dieser Lehre eine vorsätzliche Tötung und auch eine versuchte
134 Wenn man der hier vertretenen Meinung folgt (vgl. § 29, Rn. 195 ff), liegt im
Tötung aus. Denn die Mutter hat, indem sie die Ernährung schließlich fortsetzte,
Vergiften der Flasche noch kein Mordversuch, weil der Kausalverlauf den Herr-
ihren unbeendeten Tötungsversuch freiwillig aufgegeben. Es kommt nur eine
schaftsbereich des Täters noch nicht verlassen hat. Daher ist eine vorsätzliche voll-
fahrlässige Tötung in Betracht, wenn sie hätte erkennen können, daß ihre Be-
endete Tötung in beiden Fallvarianten abzulehnen. Denn der Vorsatz muß min-
mühungen, das Kind am Leben zu erhalten, zu spät kommen würden.
destens beim Eintritt ins Versuchsstadium gegeben sein,156 zu dem es hier nicht
Die Gegenmeinung („Einheitstheorie") nimmt in allen Fällen des mißlunge- 138
gekommen ist. So bleibt ggf. nur die Möglichkeit einer Bestrafung wegen fahrläs-
nen Rücktritts eine vollendete Unterlassungstat, im Rabenmutter-Fall also eine
siger Tötung.
vorsätzliche Tötung durch Unterlassen, an.160 Sie stellt den Unterlassenden dem
135 Demgegenüber will Schliebitz schon einen für den Versuch nicht ausreichenden
Täter eines beendeten Versuchs gleich. Er könne wie dieser nur durch Verhinde-
Vorsatz im Vorbereitungsstadium für die Vollendungsstrafbarkeit ausreichen las-
rung des Erfolges straffrei werden.
sen, wenn die Vorbereitung den Erfolg auslöst. Es ergäbe sich dann eine vollendete
Dem ist grds. zuzustimmen. Da man richtigerweise beim Unterlassungsversuch 139
Tat ohne vorhergehenden Versuch. Aber das ist eine zu kühne Lösung. Denn ab-
nicht zwischen unbeendetem und beendetem Versuch unterscheiden kann, viel-
gesehen von der konstruktiven Problematik, daß eine Vollendung ohne Erreichen
mehr jeder Unterlassungsversuch die Struktur eines beendeten Versuchs hat (§ 29,
der Versuchsschwelle schwer vorstellbar ist, fehlt es auch im Vorbereitungsstadium
Rn. 268), kann schon aus diesem Grunde nur die Verhinderung die Erfolgszurech-
an der vorsätzlichen Gefährdung, die durch den Erfolgseintritt zur Vollendung
nung auslösen. Mißlingt diese (im Rabenmutter-Fall durch verspätete Wieder-
wird. Es ist nach der Vorstellung des Täters noch „nichts geschehen", kein vorsätz-
aufnahme der Nahrungszufuhr), so liegt ein vollendetes Delikt genauso vor, wie
lich-unerlaubtes Risiko geschaffen, sondern dessen Schaffung erst vorbereitet
wenn der Bombenleger mit seinen Entschärfungsbemühungen zu spät kommt.
worden. Das trägt nicht die Annahme vorsätzlicher Erfolgsherbeiführung.
Selbst wenn man aber einen unbeendeten Versuch des Unterlassens für möglich 140
halten wollte, würden doch die beim unbeendeten Begehungsversuch angeführ-
3. Das Erfolgsrisiko beim unechten Unterlassungsdelikt
ten und auch schon nicht stichhaltigen Gründe (oben Rn. 119 ff.), die dort einen
a) Die Meinungen in der Literatur Rücktritt trotz Erfolgseintritts möglich machen sollen, auf Unterlassungstaten
136 Die Frage, ob ein mißlingender Rücktritt vom unechten Unterlassungsdelikt nicht übertragbar sein. Denn die Annahme, daß beim unbeendeten Begehungs-
zur Strafbarkeit wegen vollendeter oder auch nur versuchter Vorsatztat oder allen- versuch kein die Erfolgszurechnung tragender Vollendungsvorsatz bestehe, weil
falls zu einer Fahrlässigkeitsbestrafung führen kann, ist umstritten und hängt we- noch keine Gefahrenlage vorliege, aus der sich der Erfolg selbständig entwickeln
sentlich davon ab, ob man bei der unechten Unterlassung zwischen unbeendetem kann (vgl. § 29, Rn. 62 ff), hat beim Unterlassungsversuch keine Parallele.161 Die
und beendetem Versuch unterscheidet.157 Eine weit verbreitete Meinung tut dies Gefahrenlage entwickelt sich hier selbständig weiter. Und die aus dem Wortlaut
und zieht daraus die Konsequenz, daß der Garant beim Rücktritt vom unbeende- des § 24 I 1 abgeleitete Annahme, daß beim unbeendeten Versuch für die Straf-
ten Unterlassungsversuch kein Erfolgsabwendungsrisiko trägt. Es soll also auch losigkeit nur ein gutgläubiges Nichtweiterhandeln (aufgeben) nötig sei (oben
beim Mißlingen des Erfolgsabwendungsversuchs allenfalls eine Fahrlässigkeits- Rn. 119 f.), paßt auf den Unterlassungsversuch ebenfalls nicht, weil dieser in allen
bestrafung eintreten.158 seinen Stadien ein aktives Verhinderungsbemühen verlangt.
137 Meist wird das am „Rabenmutter-Fall" demonstriert.159 Wenn eine Mutter ihr Der unterlassende Garant haftet also, wenn seine Abwendungsbemühungen 141
Kind in Tötungsabsicht verhungern läßt, befindet sie sich nach dieser Lehre noch scheitern, für den Erfolg im selben Maße wie der Täter eines beendeten Be-
gehungsversuchs. Auch beim Unterlassungsversuch ist also ein unzurechenbarer
'55 Beispiele bei Schliebitz, 2002,113. Erfolg für die Vollendung nicht ausreichend. Wenn der Garant die Rettung in die
•56 Vgl. Roxin, AT l3, § 12, Rn. 170, 80 f. Wege leitet, der zu Rettende aber auf dem Transport ins Krankenhaus das Opfer
«7 Näher § 29, Rn. 266 ff.
iss Freund, AT, §9, Rn.48; Jescheck/Weigend, AT5, §60 III 3; Köhler, AT, 482; Kühl, AT3, wo Freund, AT, §8, Rn.67; Krey, AT/2, Rn.460; Gropp, AT2, Rn.72; Herzberg, MDR 1973,
§18, Rn.153; Lackner/Kühl24, §24, Rn.22a; Lönnies, NJW 1962,1950f.; Sch/Sch/Eser26, §24, 93; Roxin, Maurach-FS, 1972, 232 (Anm. 54); SK1-Rudolphi, vor § 13, Rn. 56; Schmidhäuser, LB
Rn. 27f.; Schröder, JuS 1962, 86; LK10-Vogler, § 24, Rn. 142; Wolter, 1981, 257f., 259. AT2,13/33 und 17/43; Womehdorf, 1976,177f.; grds. auch Küper, ZStW 112 (2000), 43.
159 Über dessen Geschichte in der strafrechtlichen Literatur vgl. Küper, ZStW 112 (2000), 1« Küper, ZStW 112 (2000), 40ff.; Schliebitz, 2002,160.
12, Fn. 37. Weitere anschauliche Fälle bei Schliebitz, 2002,145.
523
522
§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit IV § 30
eines Verkehrsunfalls wird oder die Rettung verweigert (vgl. Rn. 126 ff.), tritt also In der ersten Entscheidung, einem Urteil des 5. Strafsenats165, lag es so, daß der 146
keine Strafbarkeit ein. Angeklagte sein Opfer ohne Tötungsvorsatz hinter einem Heizkörper eingeklemmt
Eine Ausnahme von der Erfolgszurechnung muß auch dann eintreten, wenn hatte. Als er am nächsten Morgen erkannte, daß die von ihm eingeklemmte Frau
der Erfolg nicht die Auswirkung des versuchsspezifischen Risikos ist. Wenn z. B. an der Hitzeeinwirkung sterben könnte, war eine Rettung schon nicht mehr
eine Mutter ihren Säugling in einer einsamen Waldgegend zurückläßt, um ihn möglich. Erst einige Stunden später wurde die Frau aus ihrer Lage befreit, nach-
dem Hungertod preiszugeben, liegt schon in diesem Augenblick ein Tötungs- dem der Angeklagte auf das Drängen eines Dritten den Zugang zur Wohnung ge-
versuch durch Unterlassen vor (vgl. §29, Rn. 269 ff., 275). Wenn sie ihr Verhalten öffnet hatte. Das Opfer starb am übernächsten Tag.
aber bald darauf bereut und umkehrt, auf dem Weg zu ihrem Kind aber durch eine Der BGH nimmt einen untauglichen Tötungsversuch durch Unterlassen an 147
Gehirnblutung für längere Zeit bewußtlos und handlungsunfähig wird, so daß (untauglich, weil das Opfer nicht mehr zu retten war) und verneint einen Rück-
das Kind nicht mehr gerettet werden kann, ist eine vollendete Tötung abzulehnen. tritt (den man in der Ermöglichung der Befreiung sehen könnte). Ein Rücktritt
Denn wenn die Mutter bei dem Kinde geblieben wäre, hätte bis zum Eintritt wird abgelehnt, weil der Angeklagte „die Vollendung der Tat nicht mehr ver-
einer kritischen Situation für das Kind noch eine Vorbereitungshandlung vorge- hindern konnte. Allein auf diesen Gesichtspunkt kann es für die Frage des straf-
legen (vgl. § 29, Rn. 271 ff), so daß nach dem Ausfall der Handlungsfähigkeit befreienden Rücktritts vom Versuch des Unterlassungsdelikts ankommen. Die
keine Strafbarkeit mehr eintreten konnte. Dann aber muß man beim Eintritt der Rücktrittsvoraussetzungen beim Versuch des Unterlassungsdeliktes seien „die-
Gehirnblutung im Versuchsstadium ebenso entscheiden. Ein derartiger Kausal- selben wie beim beendeten Versuch des Begehungsdeliktes" weil die Gefahr „ohne
verlauf liegt außerhalb des zurechenbaren Versuchsrisikos. weiteres in den tatbestandsmäßigen Erfolg umschlagen" könne.
Weitergehend will Schliebitz162 das Erfolgsrisiko nicht notwendig mit dem Ver- Die Entscheidung beruht, wie in der Kritik allgemein hervorgehoben wird, auf 148
suchsbeginn, sondern immer erst mit dem nach seiner Meinung u.U. erst später einer irrigen Prämisse. Denn vom untauglichen Versuch ist ein Rücktritt zwar
einsetzenden Beginn der Handlungspflicht des Unterlassenden beginnen lassen. nicht nach § 24 11, wohl aber nach § 24 I 2 (durch freiwilliges und ernsthaftes Be-
Wenn die Eltern ihr krankes Kind mit Tötungsvorsatz allein im Haus lassen, soll mühen) möglich. Freilich wird man die verspäteten Bemühungen des Angeklag-
zwar ein Versuchsbeginn vorliegen, aber noch keine aktuelle Handlungspflicht ten nicht als ausreichend ansehen können, so daß die Bestrafung wegen Versuchs
bestehen, solange das Kind nicht in akuter Gefahr schwebt. Scheitern Rettungs- im Ergebnis zu recht erfolgt ist. Abgesehen davon verdient aber die Parallelisie-
bemühungen vor dem Beginn einer so verstandenen „Handlungspflicht", soll rung von Unterlassungsversuch und beendetem Versuch des Begehungsdeliktes
keine Erfolgszurechnung erfolgen.163 Beifall: In beiden Fällen entwickelt sich - anders als beim unbeendeten Versuch -
Wenn die Mutter einen Herzinfarkt erleidet,164 ist das aus den Rn. 142 genann- das Geschehen selbständig zum Erfolg, so daß dessen Zurechnung nur durch akti-
ten Gründen zutreffend. Wenn aber die Rettung mißlingt, weil die Mutter bei der ves Verhindern ausgeschlossen werden kann.
Rückkehr mit dem Auto im Stau stecken bleibt, in einen Verkehrsunfall ver- In der zweiten Entscheidung, einem Beschluß des ersten Senats166, ging es um 149
wickelt oder von Dritten an ihrem Vorhaben gehindert wird, sollte eine vollende- einen Sachverhalt, in dem Pflegeeltern ihr Pflegekind hatten verhungern lassen.
te Tötung durch Unterlassen angenommen werden. Denn hier haben sich ver- Sie hatten zwar in der Todesnacht noch einen Notarzt herbeigerufen, der das Kind
suchsspezifische Risiken verwirklicht. Wenn man den Versuchsbeginn mit dem aber nicht mehr reanimieren konnte.
Aus-der-Hand-Geben der Kontrolle über den Kausalverlauf ansetzt, beruht das Der BGH nimmt deutlich ablehnend zur Differenzierungstheorie Stellung und 150
gerade auf der gesteigerten Gefährlichkeit dieses Verhaltens; denn es gibt zahlrei- bekennt sich zur Einheitslösung. Das Gericht meint, bei der gegebenen Sachlage
che Hindernisse, die sich einem Rücktritt entgegenstellen können. Die mißlunge- sei „nach einer in der Literatur verbreiteten Ansicht ... auf den sogenannten
ne Verhinderung sollte deshalb nicht anders behandelt werden als beim beendeten Rücktrittshorizont des Angekl. abzustellen gewesen, weil beim unbeendeten Ver-
Versuch der Begehungstat. such eines unechten Unterlassungsdelikts das Risiko der Erfolgsabwendung durch
b) Die Rspr. zum Rücktritt vom Unterlassungsversuch letztlich doch noch pflichtgemäßes Handeln des Täters nicht von diesem zu tragen
sein soll.. ."Jedoch seien „die Rücktrittsvoraussetzungen beim Versuch des Unter-
Mit dem Rücktritt vom Unterlassungsversuch beschäftigen sich auch zwei
lassungsdelikts entgegen der zitierten Ansicht dieselben ... wie beim beendeten
neuere Entscheidungen des BGH, die beide mit der hier vertretenen Ansicht den Versuch des Begehungsdelikts".
Unterlassungsversuch dem beendeten Versuch der Begehungstat gleichstellen.

«2 Schliebitz, 2002,181 ff. «5 NStZ 1197, 485; dazu Brandt-Fett, NStZ 1998, 507f.; Kudlich/Hannich, StV 1998, 370;
163
Vgl. das Bsp. bei Schliebitz, 2002,183 f. Küper, ZStW 112 (2000), 6ff.; Schliebietz, 2002,187; Stuckenberg, JA 1999, 273f.
164
Mit diesem Beispiel operiert Schliebitz, 2002,185. i*6 NJW 2000,1730 (1732).
524
525
§ 30 V 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
167
151 Der Beschluß versteht die Differenzierungstheorie falsch. D e n n auch diese Diese Kritik ist berechtigt, soweit sie einen über den Gesetzeswortlaut hinaus- 154
würde hier einen beendeten Versuch annehmen u n d dem Unterlassenden das E r - gehenden Aussagegehalt der Unterscheidung von unbeendetem u n d beendetem
folgsrisiko aufbürden, weil die Eltern das Kind nicht mehr durch Wiederaufnah- Versuch bestreitet. Wenn zu entscheiden ist, ob der Täter durch „Aufgeben" oder
m e der Fütterung, sondern höchstens noch durch eine Sondermaßnahme (Herbei- „Verhindern" nach § 24 11 zurücktreten kann, läßt sich das i n Zweifelsfällen nicht
rufen des Notarztes) glaubten retten zu können. Es wäre also in einem Fall wie aus dem Begriff des unbeendeten oder beendeten Versuchs deduzieren, sondern
dem vorliegenden auf den Streit zwischen Differenzierungs- u n d Einheitstheorie nur aus einer Interpretation des Gesetzestextes erschließen. Ist es z . B . ein u n -
nicht angekommen, weil nach beiden Ansichten eine vollendete Tötung durch beendeter oder ein beendeter Versuch, genügt also für den Rücktritt ein Aufgeben
Unterlassen vorlag. Unbeschadet dessen verdient aber die klare Ablehnung der oder ist ein Verhindern erforderlich, w e n n der Täter zunächst meint, sein Opfer
Differenzierungslösung Beifall. tödlich getroffen zu haben, dann aber seinen Irrtum erkennt und trotzdem an sich
mögliche weitere Tötungsbemühungen einstellt (BGHSt 36, 224)? Hier entspricht
die Bewußtseinslage des Täters zunächst den Kriterien des beendeten, dann des
V. D i e Aufgabe als Rücktritt v o m unbeendeten Versuch
unbeendeten Versuchs. Die Lösung des Falles von der Frage abhängig zu machen,
1. Das Aufgeben ob ein beendeter Versuch sich in einen unbeendeten zurückverwandeln kann, w ä -
re ein begriffsjuristischer Irrweg. Entscheidend kann allein der Umstand sein, ob
152 Nach h. M . ist ein „Aufgeben" i. S. d. ersten Rücktrittsvariante des § 24 I 1 nur
es dem Sinn des Gesetzes entspricht, dem Täter schon bei bloßem Aufhören oder
beim sog. unbeendeten Versuch möglich u n d besteht in einem bloßen Aufhören
erst auf Grund von Verhinderungsbemühungen einen (ggf. freiwilligen) Rücktritt
(vgl. schon R n . 1), d.h. im Fallenlassen des Tatentschlusses u n d in der Einstellung
zuzubilligen. Da der Tod bei einer v o m Täter schließlich als nicht tödlich erkann-
der auf die Tatbestandserfüllung gerichteten Aktivitäten (näher R n . 158 ff). Ein
ten Verletzung nicht mehr verhindert zu werden braucht, ist es angemessen, ein
unbeendeter Versuch ist danach anzunehmen, w e n n der Täter noch nicht alles
Aufhören für den Rücktritt genügen zu lassen u n d einen unbeendeten Versuch an-
getan hat, was er aus seiner subjektiven Sicht zur Erfolgsherbeiführung für nötig
zunehmen (so i m Ergebnis auch der B G H ) . Das folgt aber nicht aus einem vor-
hält. Der Dieb, der den A r m bereits nach dem zu stehlenden Gegenstand aus-
gegebenen Begriff des unbeendeten Versuchs, sondern umgekehrt wird ein u n -
streckt, befindet sich also im Stadium des unbeendeten Versuchs, weil er die Sache
beendeter Versuch angenommen, w e n n es sachgemäß ist, für den Rücktritt ein
noch ergreifen und wegnehmen muß. W e n n er aufhört, indem er unverrichteter- bloßes Aufgeben genügen zu lassen. Das gilt nicht n u r für das geschilderte Bei-
dinge weggeht, so hat er aufgegeben u n d ist zurückgetreten. spiel, sondern für alle Probleme der Abgrenzung von unbeendetem u n d beende-
153 Die Anknüpfung des „ Aufgebens" an das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs tem Versuch (vgl. R n . 166 ff).
im dargelegten Sinne entspricht der st. Rspr. 1 6 8 u n d wird auch in der Literatur 169
oft ohne Problematisierung als selbstverständlich vorausgesetzt. Andererseits wird Der in R n . 154 entwickelte Befund hindert uns aber nicht, die Voraussetzun- 155
die Unterscheidung von unbeendetem und beendetem Versuch (bei dem der Täter gen, unter denen man durch Aufgeben zurücktreten kann, zu beschreiben u n d in
alles nach seiner Vorstellung zur Erfolgsherbeiführung Erforderliche schon getan, der Bezeichnung des unbeendeten Versuchs zusammenzufassen. Ein unbeendeter
z. B. die Höllenmaschine am Explosionsort deponiert hat) von alters her 170 und in Versuch ist dann ein solcher, bei d e m der Täter i m Zeitpunkt seines Aufga-
neuerer Zeit zunehmend 1 7 1 als überflüssig und irreführend abgelehnt. M a n weist beentschlusses meint, die Erfblgsherbeiführung setze unter allen Umständen
darauf hin, daß das Gesetz die Begriffe des unbeendeten u n d des beendeten Ver- noch ein weiteres Handeln durch ihn voraus (vgl. dazu näher noch R n . 166 ff.).
suchs nicht kennt u n d daß konkrete Ergebnisse daher nicht aus ihnen, sondern nur Herzbergs Vorschlag, statt dessen von „passivem" u n d „aktivem" Rücktritt zu spre-
aus einer teleologischen Auslegung der Worte „Aufgeben" u n d „Verhindern" ab- chen, 172 ist weniger glücklich als die überlieferte Unterscheidung, 1 7 3 weil diese
Begriffe in ihrer geläufigen Definition immerhin die sachlichen Voraussetzungen
geleitet werden können.
benennen, unter denen aufgegeben werden kann oder verhindert werden m u ß ,
während die Termini „passiv" (= Aufgeben) u n d „aktiv" (= Verhindern) nur den
Gesetzeswortlaut paraphrasieren.
167 Vgl. Schliebitz, 2002,148.
168 Vgl. etwa BGHSt 4,181; 14,79; 22,177, 331; 31,48; 34, 57; 35, 92.
«9 Jakobs, AT2, 26/9ff., 14ff.; Jescheck/Weigend, AT5, §51 II 1; Köhler, AT, 469, 473; SK6-
Rudolphi, § 24, Rn. 15; Wessels/Beulke, AT , Rn. 631. i72 Herzberg, NJW 1988, 1563; ähnlich die Unterscheidung von „einfachem" und „tätigem"
™ Baumgarten, 1888, 444. Rücktritt bei Schmidhäuser, LB AT2,15/79, 87.
i7i Heckler, 2002, 148; Herzberg, NJW 1988, 1562; ders., NJW 1989, 865; ders., JZ 1989, 120; 173 Für die Beibehaltung der Unterscheidung von unbeendetem und beendetem Versuch
ders., JuS 1990, 274; ders., NJW 1991, 1633; ders., JR 1991, 160; Jäger, 1996, 65; Krauß, JuS 1981, auch z.B. Lackner/Kühl24, §24, Rn. 3; Ottojura 1992, 423; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.6; Tröndle/
885; Pahlke, GA 1993,111; v. Scheurl, 1972,44; Ulsenheimer, 1976,148 f. Fischer50, § 24, Rn. 14; Wolter, Leferenz-FS, 1983, 564.
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§ 30 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
175
156 Der Begriff des Aufgebens ist so zu verstehen, daß er den zielerreichenden ten. Der Versuch als solcher ist aufgegeben, die zurückbleibende Disposition, es
(Rn. 47 ff), den fehlgeschlagenen (Rn. 77 ff.) und den Versuch mit zurechenbarem ggf. doch wieder zu versuchen, ist für sich so wenig strafbar wie die kriminelle
Erfolgseintritt (Rn. 113 ff.) ausschließt. Der fliehende Delinquent, der seinen Ver- Gefährdetheit auch sonst.
folger durch einen bedingt vorsätzlichen Tötungsversuch vertreibt, gibt also sei- Man wird aber weitergehend einen Rücktritt auch dann annehmen müssen, 160
nen — in Wahrheit erloschenen — Tötungsvorsatz nicht auf, wenn er es beim wenn der Täter seinen Tatentschluß aufrechterhält, die Ausführung aber verschiebt
Versuch bewenden läßt; der Taschendieb, der in eine leere Tasche greift und sich (auf den nächsten Tag, die nächste Woche usw.).176 Denn wenn die geplante spätere
enttäuscht abwendet, gibt nicht auf, sondern ist gescheitert; und der Giftmörder, Ausführung mit dem vorliegenden Versuch keine natürliche Handlungseinheit
der den Tod des Opfers schon mit der zweiten anstatt, wie erwartet, mit der fünf- bildet (wie es beim bloßen Innehalten der Fall ist, Rn. 158), ist der Entschluß zur
ten Dosis herbeiführt, kann nicht mehr aufgeben, wenn der Erfolg früher ein- Begehung der konkreten Tat aufgegeben und der Wille zur späteren Ausführung
tritt, als er angenommen hatte. Dies alles ist oben (II-IV) näher begründet wor- der Entschluß zu einer neuen Tat, für die es aber an einer Ausführungshandlung
den und muß bei der Prüfung eines etwaigen Aufgebens stets gegenwärtig gehal- mangelt. Eine andere Frage ist es, ob ein solcher Rücktritt freiwillig oder unfrei-
ten werden. willig ist (Rn. 381, 413 f.).
157 Ist ein Versuch nach den vorstehenden Regeln aufgebbar, so entscheidet nicht Demgegenüber wird vielfach für den Rücktritt eine endgültige Aufgabe des 161
der objektive Sachverhalt, sondern die subjektive Sicht des Täters über die Mög- Tatentschlusses verlangt. So sagt BGHSt 35, 187, es könne „nur derjenige straf-
lichkeit eines Rücktritts durch Aufgabe.174 Da dies für den beendeten Versuch in befreiend zurücktreten, der die Durchführung des kriminellen Entschlusses im
§ 24 I 2 ausdrücklich angeordnet ist, würde ein Perspektivenwechsel beim Auf- ganzen und endgültig aufgibt" (wobei freilich offenbleibt, ob bei fehlender End-
geben einen "Wertungswiderspruch bedeuten. Man kann also auch von einem un- gültigkeit der Rücktritt oder die Freiwilligkeit bestritten wird). Eser177 verlangt
beendeten untauglichen Versuch zurücktreten, solange man seine Untauglichkeit „das Abstandnehmen von dem versuchten und einem etwaigen äquivalenten An-
nicht kennt (im letzten Fall liegt ein Fehlschlag vor). Der Giftmörder, dessen ver- griff auf das gleiche Tatobjekt". Auch Rudolphi178 verneint einen Rücktritt, wenn
meintlich tödliches Pulver in Wahrheit harmlos ist, tritt also vom Mordversuch „die Aufgabe der konkreten Ausführungshandlung allein" geschieht, „weil der
zurück, wenn er in Unkenntnis der Wirkungslosigkeit des Mittels nach Bei- Täter glaubt, daß er sein Tatziel an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit
bringung der ersten und auch nach seiner Meinung nicht ausreichenden Giftdosis leichter oder mit geringerem Risiko erreichen kann". Aber die auf Strafzweck-
aufhört. Ebenso tritt zurück, wer nach einer bereits tödlichen Dosis einhält in der überlegungen zurückweisenden Begründungen, die dafür gegeben werden, be-
Meinung, sie sei noch nicht tödlich — sofern der Erfolg auf andere Weise (etwa treffen die Freiwilligkeit, nicht den Rücktritt. Denn der „äquivalente Angriff" bei
durch das Gegenmittel eines Arztes) verhindert wird. In beiden Fällen hat der „anderer Gelegenheit" ist eine neue Tat und ändert nichts an der Aufgabe des
Täter den Versuch abgebrochen, obwohl er noch nicht alles getan hatte, was aus konkreten Vorhabens. Jede andere Auffassung würde auch an unlösbaren Beweis-
seiner Sicht zur Herbeiführung des Erfolges nötig war. schwierigkeiten scheitern. Ob die zurückbleibenden Pläne zu einer späteren „Wie-
158 Umstritten ist, inwieweit die Aufgabe durch den Täter endgültig sein deraufnahme des Delikts" die an sich schon schwer zu beweisen sind, eine bloße
muß, um als Rücktritt zu gelten. Ausgangspunkt für die Lösung dieser Frage ist Deliktsneigung oder einen Tatentschluß darstellen, entzieht sich forensischer Fest-
die Einsicht, daß der Rücktritt nicht nur in der Einstellung weiterer auf die stellung. Für den Rücktritt muß daher das „Verlassen der Versuchssituation"179 ge-
Deliktsherbeiführung gerichteter Aktivitäten, sondern vor allem auch in der Auf- nügen.
gabe des Tatentschlusses besteht. Der Täter, der bei der Deliktsausführung nur ein Andererseits ist ein Wechsel der Modalitäten natürlich kein Aufgeben und kein 162
wenig innehält, eine Pause macht, hat damit also noch nicht aufgegeben. Wie der Rücktritt, wenn die Tat dieselbe bleibt. Wer den Revolver hervorzieht, weil ihm
Versuch sich ausTatentschluß und Anfang der Ausführung zusammensetzt, besteht die Tötung mit dem Messer zu zeitraubend wird, hat den konkreten Totschlags-
der Rücktritt durch Aufgabe als „versuchstilgende Gefährdungsumkehr" im versuch nicht aufgegeben, sondern vollendet dieselbe Tat. Wer von einer versuch-
Fallenlassen des Tatentschlusses und dem Abbruch aller äußeren Deliktsaktivi- ten sexuellen Nötigung (Erzwingung des Oralverkehrs) zu einer Vergewaltigung
täten. übergeht (so der Sachverhalt in BGHSt 33, 142), hat die sexuelle Nötigung, die
159 Dabei genügt es, wenn der Deliktsbegehungswille unter die Grenze der Tatent-
schlossenheit zurückfällt (vgl. schon §29, Rn. 81 ff.). Wenn der Täter also aufhört, 175 SK6-Rudolphi, § 24, Rn. 18 a.
weil er sich schließlich doch nicht traut, aber eine Tatgeneigtheit (der Wunsch, die ™ Köhler, AT, 474f.; Krauß, JuS 1981, 884; Lenckner, Gallas-FS, 1973, 320f.; Stratenwerth,
AT4, § 11, Rn. 80; ähnlich Küper, JZ 1979, 780; LK10-Vogler, § 24, Rn. 80.
inneren Widerstände überwinden zu können) zurückbleibt, so ist er zurückgetre- 177 Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.40.
"8 SIC -Rudolphi, § 24, Rn. 18 a.
174 179 Herzberg, H. Kaufmann-GS, 1986, 723 ff.
Zur objektivierenden Lehtejägers vgl. oben Rn. 40—42.
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§ 30 V 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
unbeendeten Versuchs, wenn er die Verletzung nicht für tödlich hält. Demgegen-
auch in der Vergewaltigung enthalten ist, nicht aufgegeben, sondern in modifi-
über will Fehes183 in solchen Fällen einen beendeten Versuch annehmen: „Hat z. B.
zierter (und tatbestandlich erschwerter) Form zu Ende geführt (so auch der BGH
der Tötungsversuch zumindest zu einer Verletzung des Opfers geführt, kann der
aaO.). Täter nicht durch Aufhören strafbefreiend zurücktreten/sondern nur, wenn er
den wie auch immer sich darstellenden Erfolg verhindert oder sich um diese Ver-
2. Die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch
hinderung bemüht. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die Verletzung tat-
163 Ein unbeendeter Versuch setzt voraus, daß der Täter im Augenblick des Ab- sächlich geeignet war, den Tod herbeizuführen, und ob der Täter dies annahm."184
standnehmens von der Tat davon ausgeht, der Erfolg werde nicht eintreten. Dem ist aber nicht zu folgen.185 Denn die zugefügte Körperverletzung bleibt
Auch wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Erfolgseintritt selbstverständlich als solche strafbar. Eine Todesverhinderung aber ist überflüssig,
für sicher gehalten hat, liegt immer noch ein unbeendeter Versuch vor, sobald er wenn die Verletzung gar nicht „geeignet war, den Tod herbeizuführen" und der
seinen Irrtum erkennt und aufhört, obwohl er die Möglichkeit zur Vollendung Täter das auch erkannt hat. Nur diese Lösung entspricht auch dem Wortlaut des
der Tat hat (vgl. schon Rn. 154). In BGHSt 36, 224 180 hatte der Angeklagte mit Gesetzes, das nur die Verhinderung der Vollendung verlangt, im übrigen aber das
Tötungsabsicht auf sein Opfer eingestochen und schließlich in der Erwartung des bloße Aufgeben für den Rücktritt genügen läßt.
Erfolgseintritts mit den Worten „Jetzt bist du erledigt!" von ihm abgelassen. Als Dagegen liegt kein unbeendeter, sondern ein beendeter Versuch vor, wenn der 166
das Opfer entgegnete: „Ich lebe noch, ich rufe die Polizei", ging der Täter nunmehr Täter im Zeitpunkt des Aufhörens nicht weiß, ob aufgrund seiner bisherigen
davon aus, das Opfer nicht tödlich verletzt zu haben, sah aber von weiteren und Bemühungen der Erfolg eintreten wird oder nicht und er deshalb mit beiden
nunmehr tödlichen Stichen ab. Darin lag ein Rücktritt durch Aufgabe (zur Be- Möglichkeiten rechnet. Er hat in einem solchen Fall die Zubilligung eines - ggf.
gründung Rn. 154). Entsprechendes gilt für den Fall BGH NStZ 1999, 449,181 in strafbefreienden Rücktritts - nur verdient, wenn er es nicht auf den Erfolgs-
dem die Täterin ursprünglich ihren Vater durch Messerstiche möglicherweise töd- eintritt ankommen läßt, sondern aktiv zu seiner Verhinderung tätig wird.
lich verletzt zu haben glaubte, bald darauf aber — wie man in dubio pro reo an- Dies entspricht auch der st. Rspr. 186 und wird von ihr zutreffend mit der 167
nehmen muß - zu der Annahme gelangte, die Stiche seien doch nicht tödlich Strafzwecktheorie als auch der ratio des Rücktrittsprivilegs (Rn.4ff.) begründet;
gewesen, und ihren Vater aus der Wohnung gehen ließ, „obwohl sie das Messer er- auch der Opferschutzgedanke (vgl. Rn. 16) weist in diese Richtung. In BGHSt 14,
neut hätte einsetzen können". In solchen Fällen findet also eine ZurückverWande- 80 heißt es: „... auch der Täter, der sich des Erfolges seines Handelns nicht sicher
lung eines beendeten Versuchs in einen unbeendeten statt. ist, läßt sich ... von der Vorstellung bestimmen, er habe das zur Erreichung seines
164 Umgekehrt kann sich ein unbeendeter Versuch in einen beendeten verwandeln, Zieles Ausreichende getan. Allein deshalb, weil er sich ... mit einer geringeren
sobald der Täter, der ursprünglich gemeint hatte, sein bisheriges Handeln könne Erfolgsaussicht begnügt, anstatt sich durch weitere Tathandlungen größere
den Erfolgseintritt nicht bewirken, zu der nachträglichen Einsicht kommt, daß Erfolgssicherheit zu verschaffen, kann er die Vergünstigung ..., Straflosigkeit
dies möglicherweise doch der Fall sei. So lag es in BGH NStZ 1998, 614,182 wo der durch bloßes Unterlassen (Rücktritt) zu erwerben, nicht beanspruchen. Andern-
Täter einem Bettler, über den er sich geärgert hatte, mit bedingtem Tötungs- falls würde dem Sinn dieser Vorschrift nicht genügt, der dahin geht, daß eine
vorsatz ein Messer in die Brust stach. Auch wenn er diesen Stich zunächst nicht für Strafe sich deshalb erübrigt, weil der verbrecherische Wille des vom — unbeende-
tödlich hielt, so daß man den Verzicht auf weitere Angriffe als freiwilligen Rück- ten - Versuch zurückgetretenen Täters nicht so stark gewesen ist, wie es zur
tritt von einem unbeendeten Totschlagsversuch hätte ansehen können, war der Durchführung der Tat erforderlich gewesen wäre ... Sowohl der nur mit dem Er-
Versuch doch jedenfalls beendet, als der Angeklagte kurz daraufsah, „wie sich der folgseintritt als möglich rechnende wie der von ihm überzeugte Täter haben nach
Geschädigte die Brust hielt, torkelte und zu Boden fiel". Denn von nun an hielt er ihrer Vorstellung beide die Gefahr der Verwirklichung des strafbaren Erfolges ge-
einen tödlichen Ausgang jedenfalls für möglich, so daß er nur noch durch aktive setzt ..."
Rettungshandlungen (Verbringung ins Krankenhaus) eine Bestrafung wegen ver-
suchten Totschlages hätte vermeiden können.
165 Auch der Umstand, daß der Täter eines Tötungsversuchs, wie im Rn. 163 ge- '« Feltes, GA1992,418 ff. (418).
184
gebenen Beispiel, das Opfer schon verletzt hat, ändert nichts am Vorliegen eines Doch führt auch Feltes diese Konzeption nicht strikt durch, denn an anderer Stelle (auch
GA 1992, 418) will er einen beendeten Versuch nur annehmen, „wenn der Erfolgseintritt aus
der Sicht des Täters nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt".
«o M. Anm. Ranft, JZ 1989, 1128; ferner BGHR §24 I 1, Versuch, unbeendeter, Nr. 25; «5 So auch SK6-Rudolphi, § 24, Rn. 15 c.
'86 BGHSt 14, 74; 22,177, 331f.; 31, 48, 175f.; 33, 297ff.; 35, 92f.; BGHR §24 11, Versuch,
BGH NStE Nr. 34 zu § 24; BGHSt 39, 227f.; StV 1996, 23 und StV 1997,128.
unbeendeter, Nrn. 4, 6,11; Freiwilligkeit, Nr. 15; BGH NStE Nr. 12 zu §24; BGH MDR (D)
«8i Näher zu diesem Beschluß: Otto, JK 2000, StGB § 24/29; Puppe, JR 2000, 72. 1975, 724; BGH NJW1980,195; BGH NStZ 1981, 342.
182
Dzzujäger, NStZ 1999, 608; Otto, JK 99, StGB, §24/26.
531
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§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
§ 30 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
die Verletzung als - wenigstens möglicherweise - tödlich erkennbar war, so ist
168 Dieser Rspr. k o m m t große praktische Bedeutung zu. D e n n der Täter wird vor
ein beendeter Versuch anzunehmen. So lag es im Sachverhalt von BGHSt 40, 304
allem bei Tötungsdelikten selten eine klare Vorstellung davon haben, ob die b e -
(Rn. 169), so daß die Entscheidung im Ergebnis Beifall verdient. 1 8 9 Wenn aber die
reits zugefügten Verletzungen tödlich sind oder nicht; selbst ein Arzt kann das bei
Verletzung von der Art ist, daß der Täter beim Nachdenken über die Folgen seines
Schüssen oder Stichen meist erst nach gründlicher Untersuchung feststellen. In ei-
Tuns zu dem Ergebnis hätte k o m m e n müssen, daß das Opfer am Leben bleiben
n e m solchen Fall m u ß Vorsorge für die schlimmstmögliche Eventualität getroffen
werde, wäre ein unbeendeter Versuch zu bejahen, so daß dann also ein freiwilliges
werden. Daher kann dem Täter ein - ggf. freiwilliger - Rücktritt nur zugebilligt
Aufhören einen strafbefreienden Rücktritt nach sich zieht. D e n n ein solcher Täter
werden, wenn er dem Opfer hilft (i. d. R . durch Einschaltung eines Arztes) und es
sollte nicht schlechter behandelt werden als derjenige, der leichtsinnig auf das
am Leben bleibt. Auch diese Konstellation zeigt, daß teleologisch-kriminalpoliti-
Ausbleiben des Erfolges vertraut und auch durch bloßes Aufhören zurücktreten
sche Erwägungen über Unbeendetheit und Beendetheit des Versuchs entscheiden;
kann. Wenn er nur deshalb über möglicherweise tödliche Folgen seines Tuns nicht
die Benennung als „beendeter Versuch" folgt der Wertentscheidung erst nach (vgl.
nachgedacht hat, weil die Situation dazu keinen hinreichenden Anlaß gab, ist das
Rn.l54f.). kein Grund, i h m den Rücktritt und ggf. die Straffreiheit zu versagen.
169 Erst seit 1994 hat sich die Rspr. mit Fällen befaßt, in denen der mit ursprüng- Die Fälle des unbeendeten Versuchs werden von der Rspr. noch weiter da- 173
lichem Tötungsvorsatz handelnde Täter nach Zufügung von Verletzungen auf- durch eingeschränkt, daß nach der Rspr. des BGH 1 9 0 an die Annahme, der Tä-
hört, ohne sich irgendwelche Gedanken über die Folgen seines bisherigen Tuns ter habe den Erfolgseintritt (noch) nicht für m ö g l i c h gehalten, „strenge
z u machen. So lag der Sachverhalt in BGHSt 40, 304: Der Angeklagte hatte sei-
Anforderungen zu stellen" sind. Danach hält den Erfolg auch für möglich, „wer
nem Bruder mit bedingtem Tötungsvorsatz zwei Messerstiche in den Oberbauch
die tatsächlichen Umstände erkennt, die diesen Erfolgseintritt nach der Lebens-
versetzt und dann aufgehört, ohne eine Vorstellung darüber zu entwickeln, ob die
erfahrung nahelegen". Das ist insofern unglücklich formuliert, als die Kenntnis
Stiche tödlich sein könnten oder nicht. Der Bruder konnte ohne Z u t u n des A n g e -
von Sachverhaltsumständen den Schluß auf die Möglichkeit des Erfolgseintritts
klagten gerettet werden.
nicht ohne weiteres ersetzen kann. Aber gemeint ist wohl, wie der B G H an-
170 Der B G H n i m m t hier einen beendeten Versuch an, 187 läßt also ein bloßes Auf-
schließend auch ausführt, „bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Ver-
geben nicht genügen: „Macht ein Täter sich nach der letzten Ausführungshand-
letzungen, deren Wirkungen der Täter wahrgenommen hat, liege es auf der Hand,
lung keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns, so ist ein beendeter Versuch
daß er die lebensgefährdende W i r k u n g und die Möglichkeit des Erfolgseintritts
anzunehmen. In diesem Fall rechnet der Täter sowohl mit der Möglichkeit, daß
erkennt".
der . . . Erfolg eintritt, als auch damit, daß er ausbleibt. Hält der Täter aber den Er-
Eine noch strengere Auffassung vertreten Puppe191 und Weinhold}92 Sie leiten aus 174
folgseintritt für möglich, so liegt ein beendeter Versuch vor, und der Täter kann
dem vorangegangenen Tun des Versuchstäters die Pflicht ab, „gewissenhaft zu p r ü -
Straffreiheit nur erlangen, w e n n er zur Verhinderung der Tatvollendung handelt."
fen, ob das Opfer in Gefahr ist und er deshalb verpflichtet ist, alles ihm Mögliche
171 Das ist aber keine überzeugende Begründung. D e n n w e n n der Täter sich „keine
zu seiner R e t t u n g zu tun". 193 Erlangt er „fahrlässig oder gar leichtfertig" die Ü b e r -
Vorstellungen" macht, kann er nicht, wie der B G H behauptet, mit der Möglich-
zeugung, der Erfolg werde nicht eintreten, soll er keine Straflosigkeit erlangen,
keit rechnen, daß der Erfolg entweder eintritt oder ausbleibt. D e n n das Rechnen
wenn der Erfolg tatsächlich nicht eintritt. Das geht aber wohl etwas zu weit:
mit beiden Möglichkeiten ist schon eine konkrete Vorstellung. Der B G H deutet
also den Fall des vorstellungslosen Täters in den eines mit dem Erfolgseintritt 189
Da der Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hatte, wäre freilich vom hier vertretenen
rechnenden Täters ( R n . 166-168) u m . Das ist nicht zulässig. 188 Außerdem leuchtet Standpunkt aus zu prüfen gewesen, ob nicht schon ein zielerreichender Versuch (Rn.47ff.) in
auch das Ergebnis nicht immer ein: Soll wirklich ein beendeter Versuch vorliegen, Gestalt eines „Denkzetter-Falles vorlag, der den Rücktritt von vornherein ausschließt. Auch
wenn die zugefügten Verletzungen relativ so geringfügig waren, daß dem Täter die Stellungnahmen zu dem Urteil (vgl. außer den in Fn. 188 genannten noch Th. Schmidt, JuS
1995, 651) stimmen dem BGH bei aller Kritik an der Begründung im Ergebnis zu (Stuckenberg,
der Gedanke, sie könnten tödlich sein, überhaupt nicht gekommen ist? JA 1999, 752, Fn. 14 postuliert eine „normative Gleichstellung" mit dem beendeten Versuch,
172 Richtigerweise ist zu differenzieren. Die Entscheidung sollte davon abhängig ohne auf die im Text [Rn. 172] vorgenommene Differenzierung einzugehen).
190
gemacht werden, wie der Täter hätte handeln müssen, w e n n er sich die Frage nach Mit Hinweisen auf die vorhergehende Rspr. BGHSt 39, 231 (GrS), woraus die nachfol-
genden Zitate entnommen sind. In BGH NStZ 1999, 300 (dazu Stuckenberg, JA 1999, 751) wer-
den Folgen seines Tuns gestellt hätte. Wäre eine aktive Hilfe geboten gewesen, weil den diese Grundsätze wörtlich wiederholt; im selben Sinne auch BGH NStZ 1999, 299 (linke
Spalte). Differenzierend BGH NStZ 1999 (rechte Spalte), wo trotz lebensgefährlicher Verlet-
zung auch Indizien gegen die Annahme eines möglichen Erfolgseintrittes in die Beurteilung
•87 Ebenso BGH StV 1996, 86. einbezogen werden (zu diesem Beschl. Eisele, JA 1999, 922).
188
Daß die Begründung des BGH „unlogisch" sei (Stuckenberg, JA 1999, 752, Fn. 14) wird »i Puppe, NStZ 1995, 403, 404; dies., JR 2000, 74.
auch in weiteren Stellungnahmen zu dieser Entscheidung betont: Heckler, NJW 1996, 2490f.; i»2 Weinhold, 1990,129.
f. Heintschel-Heinegg, ZStW 109 (1997), 29, 33ff.; Murmann, JuS 1996, 590, 592; Puppe, NStZ IM Hier und im folgenden Zitat Puppe, JR 2000, 74.
1995, 403 f.;
533
532
§ 30 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
D e n n w e n n der Täter den Vorsatz der Erfolgsherbeiführung aufgegeben hat, den, u n d sie haben auch im übrigen die Rspr. bis 1982 (vereinzelt bis 1984) b e -
besteht kein hinreichender Grund, seine folgenlose Fahrlässigkeit als versuchte herrscht. 194
Vorsatztat zu ahnden. Woher soll der Täter die Motivation zu Verhinderungs-
b e m ü h u n g e n nehmen, w e n n er zu der Überzeugung gelangt ist, es bestehe keine b) D i e Einzelaktstheorie "
Gefahr des Erfolgseintritts ? Die beiden Autorinnen bewegen sich hier ganz in der
Nach dieser Lehre ist jeder Einzelakt, den der Täter zur Herbeiführung des E r - 178
Nähe der rein objektiven Rücktrittskonzeptionen von Jäger u n d Heckler (vgl.
folges für geeignet hält, ein selbständiger Versuch. Sein Mißlingen ist ein Fehl-
R n . 43-45).
schlag, von dem kein Rücktritt mehr möglich ist. Hat der Täter also geglaubt,
durch den Schlag mit dem Flachmann ( R n . 175) das Opfer töten zu können, so
3. D e r Rücktritt bei n o c h nicht gelungener, aber m i t Aussicht auf Erfolg liegt darin ein fehlgeschlagener Versuch, auch wenn er für den Fall des Mißlingens
wiederholbarer Ausführungshandlung den Übergang zu anderen Mitteln von vornherein ins Auge gefaßt hatte. In dem
Bei dieser in der Nachkriegszeit u n d bis heute besonders umstrittenen Konstel- bekannten Schulfall, daß der Täter sechs Schüsse im Revolver hat, ist demnach
lation geht es nicht u m die Abgrenzung von unbeendetem u n d beendetem (dazu kein Rücktritt vom Totschlagsversuch mehr möglich, w e n n der erste Schuß fehl-
2., R n . 163 ff.), sondern von unbeendetem u n d fehlgeschlagenem Versuch. geht; das gilt unabhängig davon, wie der Plan des Täters beschaffen war. Die Ein-
zelaktstheorie ist in der Rspr. vor allem v o m R G vertreten worden, 1 9 5 hat aber -
Fall 1 (BGHSt 10,129, Flachmann-Fall): Bei einer Autofahrt forderte der Angeklagte seine
frühere Braut, die sich von ihm getrennt hatte, auf, zu ihm zurückzukehren. Angesichts ihrer mit kleinen Variationen - in der Literatur bis heute viele Anhänger. 1 9 6
Weigerung schlug er ihr mit einer /s -Liter-Flasche in Tötungsabsicht auf den Kopf. Das Die Einzelaktstheorie wird gegenwärtig durchweg in einer präzisierten Form (als „modifi- 179
führte nicht zum Erfolg, weil er infolge der Raumenge nicht weit genug ausholen konnte. zierte Einzelaktstheorie") vertreten, derzufolge ein Einzelakt nur fehlgeschlagen ist, wenn
Daraufhin ging der Angeklagte dazu über, die Frau zu würgen, bis sie das Bewußtsein verlor. er sich „absolut verselbständigt" hat, d. h. dem Täter als nicht mehr beherrschbar erscheint (wie
Schließlich ließ er jedoch von ihr ab, weil er sich, wie man zu seinen Gunsten annehmen muß, beim fehlgehenden Schuß oder der vermeintlich sofort tödlichen Gift-Injektion). Dagegen
eines Besseren besonnen hatte. Das Mädchen überlebte. bleibt ein an sich beendeter Einzelakt als „relativ verselbständigt" noch rücktrittsfähig, solange
der Täter glaubt, das Geschehen noch anhalten zu können (das Gift ist der Speise schon bei-
Die entscheidende Frage geht dahin, ob i m Schlag mit dem Flachmann ein fehl- gemischt, der Täter kann aber das Opfer vor dem Genuß noch warnen).
geschlagener Versuch liegt, von dem der Täter, auch w e n n er das Würgen freiwillig
c) D i e Gesamtbetrachtungslehre
aufgegeben hat, nicht mehr zurücktreten kann, oder ob man das Gesamtgeschehen
als einen einheitlichen Versuch betrachten m u ß , der während des Würgens noch Diese Auffassung vertritt die Gegenposition zur Einzelaktstheorie. Sie sieht ei- 180
unbeendet ist, so daß ein freiwilliges Abstandnehmen davon den Täter von der nen Versuch auch beim Mißlingen von Einzelakten so lange als unbeendet an, wie
Strafe des Totschlagsversuchs befreit. Auf diese Frage sind grds. drei Antworten der Täter i m unmittelbaren Zusammenhang mit dem bisherigen Geschehen seine
möglich (a-c), die mit Varianten (d) dargestellt werden sollen, bevor das eigene Versuchsaktivitäten mit Aussicht auf Erfolg weiterführen kann. Ein Aufhören ist
Votum für die „Gesamtbetrachtungslehre" (c) näher entwickelt wird (e). dann ein Aufgeben u n d beseitigt i m Falle der Freiwilligkeit die gesamte Versuchs-
strafbarkeit. Im Flachmann-Fall ( R n . 175) liegt also beim Würgen ein einheit-
a) D i e Tatplantheorie licher, unbeendeter Totschlagsversuch vor, von dem der Täter durch Aufhören
zurücktritt, einerlei, auf welches Tötungsmittel sein ursprünglicher Plan sich g e -
Die Tatplantheorie unterscheidet: Richtete sich der Plan des Täters ursprünglich
richtet hatte. Wenn der Täter eines Tötungsversuches mehrere Fehlschüsse tut, tritt
nur auf die Erfolgsherbeiführung durch ein bestimmtes Mittel (z. B. im Ausgangs-
er dennoch zurück, sobald er auf die erfolgversprechende Möglichkeit verzichtet,
fall: Tötung durch Schlag mit dem Flachmann), so ist die Tat beim Versagen dieses
weitere Schüsse auf das Opfer abzufeuern.
Mittels fehlgeschlagen und ein Rücktritt nicht mehr möglich. Der Übergang zu
einem neuen Mittel (Würgen) ist dann ein neuer Plan u n d eine neue Tat; der
Rücktritt von ihr erfaßt aber nicht den vorangegangenen Tötungsversuch. Wenn
ist Vgl. BGHSt 4, 180; 10, 129; 21, 319; 22, 176; 22, 330; 23, 356; BGH MDR 1951/117;
der Täter seinen Plan dagegen von vornherein nicht auf das zunächst angewandte BGH MDR (D) 1966, 22; 1970, 381; 1975, 541; BGH GA 1956, 89; 1966, 208; 1974, 77; BGH
Mittel beschränkt, sondern auch ggf. das Würgen schon in ihn aufgenommen NJW 1980, 195; BGH MDR (H) 1980, 628; BGH NStZ 1981, 342; 388; BGH StV 1981, 54;
hatte, oder w e n n es i h m auf ein bestimmtes Tötungsmittel überhaupt nicht ange- 1982,70; BGH MDR (H) 1983, 983f.; BGH NStZ 1984,116.
i»5 RGSt 39, 220; 43, 137; 68, 308; RG JW 1924, 299; 1936, 324; BGH MDR (D) 1956,
k o m m e n war u n d er nur zufällig nach der gerade in seiner Reichweite liegenden 394.
Flasche gegriffen hätte, ist das Geschehen als einheitliche Tötungshandlung zu W6 Bergmann, ZStW 100 (1988), 351; Gutmann, 1963, 92 ff; Jakobs, AT2, 26/15 f.; ders., JuS
werten u n d das Abstandnehmen v o m Würgen ein Rücktritt von der Gesamttat. 1980, 715ff.; ders., ZStW 104 (1992), 89ff; Kühl, JuS 1981,195; Ulsenheimer, 1976, 230ff; ders.,
JZ1984, 852.
Nach diesen Grundsätzen hat der B G H seinerzeit den Flachmann-Fall entschie- 197 Näher m.w.N. Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 21; Jäger, 1996,48 f.
534
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§ 30 V 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
198
181 Die schon vorher schwankende und teilweise uneinheitliche Rspr. ist seit nachträglichen Entschluß zum Würgen ein neuer Versuch, und der Rücktritt er-
BGHSt 31, 170 (und anschließend 33, 295; 34, 53) 199 von der Tatplantheorie zur strecke sich nur auf den zweiten Teil des Geschehens (aaO., 58).
Gesamtbetrachtungslehre übergegangen und hat diese seither in st. Rspr. vertre-
Nicht ganz unumstritten ist unter den Vertretern der Gesamtbetrachtungslehre, 183
ten. 200 Auch in der Literatur, deren Kritik zur Aufgabe der Tatplantheorie wesent-
wie der zeitlich-räumliche Zusammenhang beschaffen sein muß, der den zweiten
lich beigetragen hat, hat die Gesamtbetrachtungslehre eine starke Position. 201 Sie
Akt noch als Fortsetzung des ersten und das ganze Geschehen als Einheit erschei-
wird in der Rspr. auch angewendet, wenn der ursprüngliche Plan das später an- nen läßt. Der BGH verlangt einen „einheitlichen Lebensvorgang" (BGHSt 34, 57,
gewandte völlig andere Tötungsmittel nicht im entferntesten umfaßte. vgl. Rn. 182),202 während in der Literatur203 vielfach eine „natürliche Handlungs-
Fall 2 (BGH NStZ 1986, 265: Benzinguß-Fall): Der Angeklagte wollte seine Frau aus Ver- einheit" oder „rechtliche Tatidentität" i. S. d. § 52 gefordert wird. Wenn die einzel-
zweiflung über ihre Scheidungsabsicht töten. Er übergoß sie mit einem Eimer voll Benzin nen Akte mehrere Tage auseinanderliegen (bei verschiedenen Geldübergabeversu-
und versuchte, sie mit Streichhölzern anzuzünden. Als das mißlang und sie in den Garten floh,
riß er sie dort zu Boden und würgte sie, ließ aber dann von ihr ab. chen im Rahmen einer räuberischen Erpressung), hat jedenfalls auch der BGH
eine einheitliche Handlung abgelehnt und mehrere selbständig zu bewertende
Obwohl der Sachverhalt strukturell dem Flachmann-Fall (Rn. 175) entspricht, Fehlschläge angenommen. 204
hat der BGH einen strafbefreienden Rücktritt vom Totschlagsversuch angenom-
men. Es komme nicht auf die „Vorstellungen des Täters bei Tatbeginn" an; entschei- d) Vermittelnde Lösungen
dend seien „die Vorstellungen des Täters nach der letzten Ausführungshandlung" Es werden auch verschiedene Lösungswege vorgeschlagen, die zwischen Einzel- 184
(der sog. Rücktrittshorizont). „Ein strafbarer fehlgeschlagener Versuch liegt jeden- aktstheorie und Gesamtbetrachtungslehre hindurchlaufen. So will Herzberg (vgl.
falls dann nicht vor, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetz- zu seiner Lehre schon Rn. 76) 205 beim Abstehen von wiederholter Ausführungs-
ten oder den zur Hand liegenden einsatzbereiten Mitteln noch vollenden kann." handlung zwar die „Aufgabe" der „Absicht" hinsichtlich des Gesamtgeschehens an-
182 Fall 3 (BGHSt 34, 53) erkennen, aber einen nicht rücktrittsfähigen, fehlgeschlagenen Versuch mit dolus
Der Angeklagte versuchte, den neuen Freund seiner früheren Lebensgefährtin durch Überfah- eventualis bestehen lassen. Für den Täter wirkt sich der „Rücktritt" dann i. d. R.
ren zu töten. Als er damit scheiterte, weil das Opfer beiseite sprang, stürzte sich der Täter auf
ihn und würgte ihn mit beiden Händen, bis ihm schwarz vor Augen wurde. Dann ließ er sich nur bei der Strafzumessung aus. Wenn er dagegen nach dem Scheitern eines Ein-
zum Aufhören überreden. zelaktes aktive Erfolgsbemühungen unternimmt (z. B. das Opfer ins Krankenhaus
bringt), soll darin ein Rücktritt von der Gesamttat liegen.
Auch hier neigt der BGH zu der Annahme, daß nur ein Tötungsversuch vor-
Ranft206 will nur bei „artgleichen Tatmitteln" einen Rücktritt zulassen. Wer also 185
liegt, von dem der Täter durch Aufhören zurücktreten konnte. Die Frage, ob das
nach einem ersten Fehlschuß auf den zweiten Schuß verzichtet, ist vom Tot-
Gesamtgeschehen „als einheitlicher Lebensvorgang angesehen werden" könne, sei
schlagsversuch insgesamt zurückgetreten. Wer nach dem Fehlschuß zum Messer
zu bejahen, „wenn der Angeklagte den Entschluß, den Zeugen zu töten, nach dem greift und den Angriff mit dem Messer hernach aufgibt, bleibt wegen Tötungs-
Scheitern des Versuchs, ihn zu überfahren, nicht aufgegeben, sondern ohne zeit- versuchs mit dem Revolver strafbar. In den in Rn. 175, 181, 182 geschilderten
liche Zäsur zum Mittel des Würgern gegriffen hätte. Eine solche Sachverhalts- BGH-Fällen würde Ranft also mit der Einzelaktstheorie zur Versuchsbestrafung
gestaltung liege ... nicht fern" (aaO., 57). Anders sei es nur, wenn der Täter nach kommen.
dem Scheitern seines ursprünglichen Tatplans die Möglichkeit einer erfolgverspre-
Rudolphi207 will auch bei artverschiedenen Tatmitteln die Gesamtbetrachtungs- 186
chenden Fortsetzung mit anderen Mitteln nicht erkannt habe. Nur dann liege im
lehre anwenden, aber zwei verschiedene Taten und damit einen nicht rücktritts-
i9» Sorgfältige Nachweise in BGHSt 31,171-174. fähigen Fehlschlag der Ersthandlung annehmen, „wenn die weiteren dem Täter
»9 BGHSt 31, 170 stammt vom 3.12.1982. Immerhin haben BGH NStZ 1984, 116 (m. abl. zur Erreichung des ... Tatziels zu Gebote stehenden Mittel von dem von ihm zu-
Anm. Ulsenheimer, JZ 1984, 852) und BGH MDR (H) 1983, 893 noch auf der Grundlage der nächst vergeblich eingesetzten Tatmittel erheblich abweichen, diese für ihn also
Tatplantheorie entschieden.
200 Vgl. neben BGHSt 31, 170 auch BGHSt 33, 295; 34, 53; 35, 90; BGH NStZ 1986, 264; z. B. riskanter oder nur weniger geeignet sind, sein Tatziel zu erreichen". Mißli'ngt
1986, 321; 1989,18; 1993, 433; BGH JR 1986, 423; BGH StV 1987, 529; 1988, 200; 1992,10, 62; also die schwer nachweisbare Vergiftung, soll im Abstandnehmen vom Gebrauch
BGH MDR (H) 1988, 99; BGH NJW 1993, 2125.
201
Im kaum noch überschaubaren Schrifttum wird die Gesamtbetrachtungslehre mit ver-
schiedenen Nuancierungen unter anderem vertreten von Baumann/Weber, AT , § 27 III1 a, cc; 202 Dazu A n m . Fahrenhorst, N S t Z 1987, 278f.; A n m . Kadel, J R 1987, 117ff.; ferner B G H S t
Busch, JuS 1993, 307; Ebert, AT3, 131 ff.; Joecks3, §24, Rn.löf.; Köhler, AT, 478f.; Krey, AT/2, 35, 94; B G H N S t Z 1986, 265; zusammenfassend B G H N S t Z 1994, 535 m . A n m . Haft.
Rn.470; Otto, AT6, § 19 II1; ders., Jura 1992, 427ff.; Puppe, NStZ 1986,16; Roxin, Heinitz-FS, 203 Vgl. Lackner/'Kühl24, § 2 4 , R n . 6 m . w . N . ; Schlüchter, B a u m a n n - F S , 1992, 83f.
1972, 267f.; ders., JuS 1981, 6ff.; ders., JR 1986, 425; SK6-Rudolphi, §24, Rn.14; ders., NStZ 204 B G H N S t Z 1994, 535 m . A n m . Haft.
1983, 362; Schall, JuS 1990, 625; Schlucker, Baumann-FS, 1992, 83ff; Streng, JZ 1990, 214; 205 Herzberg, Blau-FS, 1985, 97; ders., N J W 1988,1559ff, 1562ff.
Tröndle/Fischer50, § 24, R n . 17; Wessels/Beulke, AT 3 1 , R n . 629, 630. 206 Ran/r, Jura 1987, 527.
207 SK?-Rudolphi, § 2 4 , R n . 14; ähnlich Schlüchter, B a u m a n n - F S , 1992, 86.
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§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
§ 30 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
die Verletzung sei mit Sicherheit nicht tödlich, wird sich dann kaum treffen lassen.
einer zuhandenen, aber den Täter leicht verratenden Schußwaffe kein Rücktritt
In solchen Fällen aber ist ein Rücktritt nicht durch Aufhören, sondern nur durch
liegen. erfolgsverhindernde Bemühungen möglich ( R n . 163 ff.).
e) D i e modifizierte Gesamtbetrachtungslehre als vorzugswürdige Lösung Fall 4 (BGHSt 33, 295, Schläfenschuß-Fall): Der Angeklagte schoß das Opfer, das er „be- 190
strafen" wollte, aus kurzer Entfernung durch die rechte Schläfe. Das Projektil durchlief die
aa) D i e Begründung der eigenen K o n z e p t i o n
Weichteile oberhalb des rechten Augapfels und unterhalb der rechten Augenbraue und trat ne-
187 Die prinzipiell richtige Auffassung ist die Gesamtbetrachtungslehre. D e n n sie ben der Nasenwurzel wieder aus. Das Opfer sagte daraufhin zu dem Angeklagten, was dieser
trägt dem Umstand Rechnung, der für die Aufgabevariante des § 24 11 leitend ist: für „Scheiße" mache. Der Angeklagte antwortete ihm, er solle keine Angaben machen, man
werde die Sache schon regeln, und verließ den Raum, obwohl seine Pistole noch geladen war
Wer auf dem Weg zum Erfolg ist und trotzdem weitere Bemühungen einstellt, ist und er das Opfer durch einen weiteren Schuß vollends hätte töten können. Das Opfer über-
zurückgetreten. So liegt es in den Fällen 1-3 ( R n . 175, 181, 182): Die nach dem lebte, doch mußte sein rechtes Auge entfernt werden.
Versagen des ersten Tatmittels (Flachmann, Anzündung, Überfahren) das Opfer
würgenden Täter hatten den Tötungs„erfolg" buchstäblich „in der Hand", waren Der B G H äußert sich nicht dazu, ob der Angeklagte die Tötung beabsichtigt 191
also nicht gescheitert und haben trotzdem von seiner Herbeiführung Abstand g e - oder nur mit dolus eventualis gehandelt hatte. Bei bloßem dolus eventualis läge
n o m m e n . Darin liegt die „Gefährdungsumkehr" ( R n . 33 ff.), die den Rücktritt ein Denkzettel-Fall vor, der richtigerweise einen Rücktritt von vornherein aus-
ausmacht. Deshalb ist ein freiwilliges Aufhören kurz vor der Zielerreichung eine schließt ( R n . 47 ff.). Der überwiegend v o m B G H vertretene Standpunkt ist frei-
honorierungsfähige Aufgabe, die mit Befreiung von der Versuchsstrafe belohnt lich ein anderer ( R n . 53). Aber selbst w e n n man von einer Rücktrittsmöglichkeit
werden kann: Der Täter hat seine für ihn ohne weiteres vollendbare Tat abge- ausgeht, liegt hier im Aufhören kein Rücktritt. D e n n der Angeklagte kann, auch
brochen und hat damit - spät, aber doch - die Erfolgsherbeiführung unterlassen; wenn das Opfer zunächst noch redete, nicht angenommen haben, bei einer sol-
ob und in welchen Fällen das freiwillig geschah, ist eine weitere, erst später chen Verletzung sei ein tödlicher Ausgang ausgeschlossen. Auch der B G H sieht das
( R n . 354 ff.) zu erörternde Frage. Die dem Opfer bereits zugefügten Verletzungen so ( a a O , 300): Bei bestimmten schweren Verletzungen liege es auf der Hand, daß
bleiben natürlich als vollendete Delikte strafbar; was geschehen und nicht wieder der Täter die Möglichkeit erkannte, sein Opfer werde die Verletzung nicht über-
gutzumachen ist, kann also mit der dafür angemessenen Strafe geahndet werden. leben. Es sei auszuschließen, der Angeklagte könne nicht gewußt haben, „daß ein
188 Für die Gesamtbetrachtungslehre spricht auch der Gesichtspunkt des Opfer- aus kürzester Entfernung . . . in den Kopf eines Menschen abgegebener Schuß
schutzes. Wenn denTäter das freiwillige Aufhören (z. B. mit dem Würgen) nicht von nahezu ausnahmslos mit Lebensgefahr verbunden ist".
der Versuchsstrafe befreit, bringt ihm die Verschonung des Opfers nur Nachteile. Aber nicht immer judiziert der B G H so lebensnah. 192
D e n n er m u ß mit dessen Anzeige, mit einem vergrößerten Strafverfolgungsrisiko Fall 5 (BGHSt 35, 90, Nackenstich-Fall): Der Angeklagte hatte mit Tötungsabsicht dem B
und mit schwerer Bestrafung rechnen, während die Tötung des Opfers eine Anzeige ein Messer mit langer, spitzer Klinge von hinten heftig in den Nacken gestochen, so daß es 7
cm tief eindrang und im Hals des B steckenblieb. Nachdem B, der sehr stark blutete, das Mes-
ausschließt und damit das Entdeckungsrisiko u n d die Gefahr, überhaupt bestraft zu ser herausgezogen und auf den Boden geworfen hatte, ließ der Angeklagte ihn laufen.
werden, erheblich verringert. D e m läßt sich entgegenhalten, daß der Opferschutz-
gedanke und die Lehre von der goldenen Brücke das Rücktrittsprivileg u.a. deshalb Hier meint der B G H , der Angeklagte habe erkannt, daß sein Opfer „ohne 193
nicht tragen können, weil die meisten Täter die Rücktrittsregelungen nicht kennen erhebliche körperliche Beeinträchtigung vor ihm stand" (aaO., 92) und will dem
und sich deswegen durch sie auch nicht motivieren lassen ( R n . 14 ff.). Aber das Täter einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch zubilligen, wenn er
schließt nicht aus, ihr in der negativen Fassung Feuerbachs ( R n . 16, 21) neben der die Möglichkeit hatte, „das auf dem Boden liegende Messer erneut zu ergreifen"
Strafzwecktheorie eine relative Bedeutung zuzuerkennen: Es ist nicht sinnvoll, und weiter auf das Opfer einzustechen oder wenn i h m „sonstige Tötungsmittel
den § 24 so auszulegen, daß er einen rechtlich informierten oder sich informieren- (etwa Würgegriffe) zur Verfügung gestanden hätten, die er hätte einsetzen k ö n -
den Täter (etwa einen Juristen oder einen alle Eventualitäten vorausbedenkenden nen, aber bewußt nicht eingesetzt hat" (aaO., 95). Jedoch wird man auch hier
sagen müssen, daß der Angeklagte die Möglichkeit eines tödlichen Ausganges
Delinquenten) geradezu abschreckt. Auch wäre eine Rspr. nicht angemessen, d e -
nicht ausschließen konnte; denn auch w e n n das Opfer, wie im Schläfenschuß-Fall
ren praktische Folgen nur erträglich sind, w e n n niemand sie kennt.
(Rn. 190), zunächst noch gehen und reden konnte, konnte der Täter nicht wissen,
189 D e m Einwand, die Gesamtbetrachtungslehre sei - vor allem bei Tötungsdelik-
ob nicht die Gefahr eines inneren Verblutens bestand oder lebenswichtige Organe
ten - zu rücktrittsfreundlich, läßt sich entgegenhalten, daß sie bei sinnvoller Aus-
verletzt waren. Er hätte also aktiv Hilfe leisten müssen. 2 0 8
legung einen Rücktritt seltener ermöglicht, als es nach der Rspr. den Anschein
hat. Hat nämlich der Täter dem Opfer schon schwere Verletzungen zugefügt, so
wird man i h m kaum attestieren können, er habe einen Todeseintritt auf Grund 208 Vielleicht ist das Urteil dadurch beeinflußt worden, daß der Angeklagte dazu immerhin
des schon bisher Getanen für unmöglich gehalten (vgl. R n . 168): Eine Diagnose, bereit war, aber nichts weiter unternahm, als das Opfer laut um Hilfe schrie.
539
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§ 30 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
zu benötigt, aber nicht kennt oder nicht verwenden kann, etwa weil er sie objek-
194 Ferner ist zu beachten, daß die bloße Möglichkeit, nach dem Mißlingen einer
tiv nicht beherrscht oder subjektiv zu ihrer Anwendung nicht in der Lage ist"
für erfolgstauglich gehaltenen Handlung zu anderen Mitteln überzugehen, im
(BGHSt 34, 56).
Falle ihrer Nichtergreifung für einen Rücktritt noch nicht ausreichen kann. Zu-
Freilich liegt das Gegenargument nahe, daß der Täter darin nur eine Scheinfort- 198
nächst muß, wie auch die Rspr. anerkennt (Rn. 182), der Täter diese Möglichkeit
setzung zu inszenieren brauche, um sich durch deren Einstellung einen Rücktritt
erkannt haben. Wer seinen einzigen Schuß verschossen hat und nicht auf den Ge-
zu verschaffen. Aber das ist kein tauglicher Einwand. 213 Denn eine derartige Ver-
danken kommt, daß er seinen Tötungsversuch noch fortsetzen könnte, indem er
anstaltung würde die Rechtskenntnisse eines Experten voraussetzen; auch würde
dem Opfer ein Bierseidel auf den Kopf schlägt, ist nicht zurückgetreten, sondern
eine nur fingierte Fortsetzung meist als solche erkennbar sein und keinen Rück-
nach seiner Vorstellung gescheitert.
tritt ermöglichen. Es ist auch nicht richtig zu sagen, daß der rücksichtslosere Täter
195 Darüber hinaus wird man aber einen Rücktritt nur dann annehmen können,
prämiiert wird, wenn man demjenigen eine Aufgabe durch Aufhören ermöglicht,
wenn der Täter eine erkannte Fortsetzungsmöglichkeit als für ihn geeignet an-
der schon zu einem erfolgversprechenden anderen Mittel übergegangen ist oder
sieht und von ihrer Verwirklichung trotzdem Abstand nimmt. Diese Vorausset-
dem die Fortsetzbarkeit mit geeigneten Mitteln (etwa weiteren Schüssen oder Sti-
zung ist jedenfalls dann erfüllt, wenn der Täter zu einem neuen Mittel (wie dem
chen) klar vor Augen stand. Denn ein solcher Täter ist nicht rücksichtsloser, son-
Würgen, Rn. 175,181,182) schon übergegangen war und dann davon abläßt. Es ist
dern er hat nur mehr Möglichkeiten als ein anderer, der keine für ihn passende
auch der Fall, wenn er mit demselben Mittel fortfahren, also das Opfer nach an-
Fortsetzungsalternative sieht. Auch bedeutet das Absehen von einer bereits er-
fänglichem Mißlingen mit weiteren Schüssen oder Stichen traktieren kann.
griffenen oder als geeignet erscheinenden Möglichkeit des Weitermachens eine
196 Wenn aber die Ehefrau das vergiftete Getränk, das ihr der Gatte bereitet hat,
Umkehrleistung, die bei dem fehlt, der auf keine ihm real erscheinenden Voll-
ausgießt,209 liegt ein Rücktritt des Mannes nicht schon darin, daß er nicht zum
endungs-Chancen verzichtet.
Küchenmesser oder einem als Schlagwerkzeug geeigneten Gegenstand gegriffen
Bei der Verklammerung von Erst- und Zweithandlung zu einem einheitli- 199
hat. Denn wer eine Vergiftung fertigbringt, ist deswegen nicht ohne weiteres zu
chen Versuch wird man nicht zu engherzig verfahren dürfen. So muß zwar ein en-
Gewaltakten disponiert; deren Unterlassung ist dann noch keine Umkehrleistung.
ger raumzeitlicher Zusammenhang bestehen, aber es würde zu weit gehen, wenn
Auch das Erwürgen ist nicht jedes Tötungstäters Sache. Wären also die Täter un-
schon eine geringe zeitliche Zäsur oder räumliche Veränderung die Versuchseinheit
serer Fälle 1-3 (Rn. 175,181, 182) nach dem Scheitern des zuerst eingesetzten Tat-
ausschließen sollte. Wenn also der Täter mit dem Opfer, das er zu erstechen ver-
mittels nicht zum Würgen übergegangen, weil eine solche Methode ihnen nicht
sucht, vergeblich ringt und danach eine kleine Ruhepause einlegt, bevor er zu
lag und deshalb von ihnen nicht in Erwägung gezogen wurde, läge darin noch
einem Schlagwerkzeug greift, liegt immer noch ein einheitlicher Versuch vor (vgl.
kein Rücktritt. zum Problem der Pause schon Rn. 158). Auch wenn das Opfer nach einem in der
197 Denn hypothetische andere Möglichkeiten gibt es fast immer. Wäre deren Aus- Wohnung unternommenen Mordversuch in den Garten flieht und die Tötung dort
lassung ein Rücktritt, würden Fehlschläge kaum noch möglich sein. „So könnte
mit anderen Mitteln erneut in Angriff genommen wird (vgl. den Fall Rn. 181), ist
sich der Angeklagte z. B. nach erfolgloser Schußabgabe nahezu stets eine greifbare
das noch ein einheitlicher Versuch, von dem ein Rücktritt möglich ist. Ob man
Handlungsalternative überlegen und behaupten, er habe es unterlassen, das Opfer
hier von einer „natürlichen Handlungseinheit" sprechen kann, hängt von der Defi-
noch zu erwürgen, zu erschlagen oder ... zu überfahren."210 Würde man darin
nition dieses noch nicht endgültig geklärten Begriffes ab (vgl. § 33, Rn. 29 ff). Der
schon einen strafbefreienden Rücktritt sehen, würde § 24 „zum Tummelplatz von
vom BGH verwendete Begriff des „einheitlichen Lebensvorganges" (vgl. Rn. 182,
Ausreden ... und Schutzbehauptungen bzw. zum Spielball eines geschickten Ver-
183) umschreibt wohl am besten die Grenzen dessen, was als „einheitliche Tat"
teidigers werden".211 Ein Rücktritt kann also nur angenommen werden, wenn sich
i. S. d. § 24 gelten kann. Er schließt es jedenfalls aus, die Wiederholung „bei an-
Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Täter auf ein ihm geeignet erscheinendes
derer Gelegenheit" mit der Vortat zu einer Einheit zusammenzuschließen. Wer also
Fortsetzungsmittel verzichtet hat. Darin liegt eine kleine Konzession an die Ein-
bei einem Diebstahl scheitert, weil sein Dietrich das Schloß nicht öffnet, am näch-
zelaktstheorie, die es gestattet, von einer „modifizierten Gesamtbetrachtungs-
sten Tage mit einem funktionierenden Nachschlüssel zurückkehrt und nach Öff-
lehre" zu sprechen.212 Anklänge an eine solche Modifikation finden sich auch in
nung des Schlosses freiwillig zurücktritt, bleibt dennoch wegen des am Vortage
der Rspr., wenn es heißt, es liege ein Fehlschlag vor, sofern „objektiv die Mög-
lichkeit der Vollendung der Tat noch gegeben wäre, der Täter die Mittel, die er da- unternommenen Versuchs strafbar.
Ein gutes Beispiel für die Ablehnung einer rücktrittsfähigen „Gesamttat" liefert 200
2«9 Beispiel von Herzberg, NJW 1988,1560. BGHSt 40, 75. Hier hatten die Täter eine räuberische Erpressung ins Werk gesetzt
2"> Jäger, 1996,124.
2" Ulsenheimer, 1976, 235. 213 Jäger, 1996,125.
212 Jäger, 1996,126.
541
540
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit V § 30
§ 30 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Daran ist richtig, daß die Konstellation sich vom Normalfall des unbeendeten 203
und nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen zur Erreichung einer Geldübergabe auf
Versuchs zuungunsten des Täters unterscheidet. Wer die Pistole abgedrückt hat, hat
einen dritten Versuch schließlich freiwillig verzichtet. Der B G H hat es abgelehnt,
eine erheblichere Sozialstörung verursacht und sich als gefährlicher erwiesen als
die drei Übergabeversuche zu einer insgesamt rücktrittsfähigen Gesamttat zusam-
derjenige, der die Pistole vor dem Schuß sinken läßt. Aber' man m u ß zugleich er-
menzufassen und auf der Notwendigkeit eines „einheitlichen Lebensvofganges"
kennen, daß die Situation sich von der des fehlgeschlagenen Versuchs zugunsten
bestanden. Daran habe es gefehlt, weil die Übergabeversuche u m Tage auseinander
des Täters erheblich unterscheidet. Wer die Tat — durch weitere Schüsse — noch
lagen und an verschiedenen O r t e n ausgeführt werden sollten.
zum Erfolg führen kann und darauf freiwillig verzichtet, erbringt eine U m k e h r -
bb) Auseinandersetzung m i t den abweichenden Auffassungen leistung, die das general- und spezialpräventive Strafbedürfnis erheblich reduziert,
201 Von den abw. Auffassungen kann die Tatplantheorie (Rn. 177) von vornherein ausgeschie- während der endgültig Gescheiterte keinerlei honorierungsfähiges Verdienst hat.
den werden, weil sie heute nicht mehr vertreten wird. Gegen sie sprechen drei Argumente: 214 Der Sachverhalt steht also gewissermaßen in der Mitte zwischen der Aufgabe 204
Erstens hat es keinen kriminalpolitischen Sinn, dem Täter den Rücktritt nur deshalb zu versa- bei noch nicht aus der H a n d gegebenem Kausalverlauf und dem endgültigen
gen, weil er anfangs sein Ziel mit einem Einzelakt erreichen zu können geglaubt hatte. Denn Scheitern. Darin liegt auch die Ursache für den fortdauernden Streit zwischen
wer sich über die Zahl der erforderlichen Einzelakte überhaupt keine Gedanken gemacht oder Einzelakts- und Gesamtbetrachtungslehre. Jede der beiden Auffassungen hat
die Notwendigkeit mehrerer Handlungen von vornherein in seine Planungen einbezogen
Gründe für sich, ohne die der anderen widerlegen zu können. Es k o m m t bei der
hatte, kann nach der Tatplantheorie noch zurücktreten, ohne daß sich die abweichende Be-
handlung durch eine unterschiedliche Strafbedürftigkeit rechtfertigen ließe. Zweitens ist es ju- Entscheidung für die eine oder andere Ansicht aber nicht auf das Rechtsgefühl des
ristisch ungereimt, die Frage, ob der Täter nach anfänglichem Mißerfolg noch zurücktreten individuellen Beurteilers, sondern auf den Standpunkt des Gesetzes an, und dieser
kann, teils von seinen Vorstellungen vor der Tat und teils von nachträglichen Überlegungen spricht für die Gesamtbetrachtungslehre. D e n n wenn nach § 24 I bei beendetem
abhängig zu machen. Wenn man nicht in Wertungswidersprüche geraten will, muß man ein- Versuch ein strafbefreiender Rücktritt durch Erfolgsverhinderung oder das
heitlich entweder - wie die Einzelaktstheorie - auf den Standpunkt des Täters vor oder - wie bloße B e m ü h e n darum noch möglich ist, beweist dies, daß ein von sich aus
die Gesamtbetrachtungslehre - nach dem Erstakt abstellen. Drittens macht die Tatplantheorie z u m Erfolg führender Schuß, Stich oder Schlag bei anschließender Umkehr-
die Entscheidung in vielen Fällen von der unüberprüfbaren Einlassung des Täters abhängig:
leistung für den Gesetzgeber kein ausreichendes Strafbedürfnis begründet. An
Auch wenn er sein Ziel mit einer Handlung hatte erreichen wollen, braucht er nur zu behaup-
ten, er habe über die Zahl der erforderlichen Einzelakte nicht nachgedacht oder die eventuelle diese Wertung haben wir uns zu halten. Sie findet eine weitere gesetzliche Stütze
Notwendigkeit mehrerer Einzelakte ins Auge gefaßt, um eine Rücktrittsmöglichkeit zugebil- darin, daß § 24 I den Rücktritt durch Aufhören ausschließlich an die Aufgabe der
ligt zu erhalten, die er sonst nicht hätte. weiteren Ausführung knüpft, ohne zu berücksichtigen, was etwa schon vorher-
202 Demgegenüber läßt sich für die Einzelaktstheorie 2 1 5 ein sehr beachtlicher Grund gegangen ist. „ § 2 4 wirft den Blick nach vorn und nicht zurück." 217
gerade dann geltend machen, w e n n man die ratio des Rücktrittsprivilegs i. S. d. Die Einzelaktstheorie scheitert also am Gesetz. 218 Das bestreitet Herzberg219 (vgl. 205
Strafzwecktheorie versteht (Rn.4ff.). Man kann daraufhinweisen, daß der Täter R n . 184, 76). Für ihn ist nach vollbrachtem Einzelakt ein Rücktritt n u r durch akti-
mit dem Erstakt das Geschehen aus der Hand gegeben habe und daß es nicht sein
ves Handeln möglich. Es mache einen Unterschied, ob jemand „das Leben seines
Verdienst, sondern ein unverdientes Glück sei, w e n n der Schuß sein Ziel verfehlt,
der Schlag mit dem Flachmann ( R n . 175) keine ausreichende W i r k u n g gehabt, das Feindes durch Nichtweiterschießen oder durch Einlieferung ins Krankenhaus" g e -
Benzin nicht Feuer gefangen habe ( R n . 181) oder das Überfahren nicht geglückt rettet habe. Im ersten Fall liege „ein schwacher und billig daherbehaupteter" (und
sei ( R n . 182). Mit dem Erstakt habe der Täter eine schwere soziale Störung verur- daher nicht strafbefreiender), im zweiten „ein starker u n d durch die Tat bewiese-
sacht, die auch durch die Unterlassung weiterer auf den Erfolg hinzielender H a n d - ner" (und daher strafbefreiender) Rücktritt vor. Das überzeugt aber nicht. D e n n
lungen nicht beseitigt werden könne; es bestehe also ein generalpräventives Straf- warum soll der, „der das Opfer immerhin halb totgeschossen hat, eine Rücktritts-
bedürfnis. Auch eine spezialpräventive Bestrafungsnotwendigkeit lasse sich nicht chance bekommen, die demjenigen, der mit Zittern und Zagen vorbeigeschossen
leugnen. D e n n dem Täter habe keineswegs die letzte Entschlossenheit zur D u r c h -
hat, von vornherein versagt w i r d ? " 2 2 0 W a r u m soll der, der das Opfer schwer
führung der Tat gefehlt. Mit dem Abdrücken der Pistole und entsprechenden an-
deren erfolgsgeeigneten Handlungen habe er vielmehr bewiesen, daß er die Tat bis verletzt hat, besser gestellt werden als der, der noch keinen Schaden angerichtet
zum Ende durchzuführen in der Lage sei. Das zufällige Ausbleiben des Erfolges hat? 2 2 1 Aus dem drohenden Schaden läßt sich die Notwendigkeit von Verhinde-
verringere nicht das Bedürfnis, mit der Strafe auf ihn einzuwirken. 2 1 6
217 Jäger, 1996,123.
2'4 Roxm,JuS1981,7. 218 Vgl. Bergmann, ZStW 100 (1988), der, obwohl er selbst der Einzelaktstheorie zuneigt,
2 15 Zu dieser umfassend Bottke, 1979, 407 ff., 449ff. von einem „unlösbaren Dilemma" spricht.
216
Vgl. dazu mit wechselnden Akzentuierungen Bergmann, ZStW 100 (1988), 344; Burkhardt, 2W Herzberg, NJW 1988,1564.
1975, 93; Geilen, JZ 1972, 338; Heckler, 2002, 196ff.; v. Heintschel-Heinegg, ZStW 109 (1997), 220 Roxi«, JR 1986, 425.
29ff. (51); Herzberg, Blau-FS, 1985, 97ff.; Jakobs, AT2, 26/16; den., JuS 1980, 716f.; Sch/Sch/ 221 Roxin, JR 1986,425; Puppe, NStZ 1986,16; Rengier, }Z 1986, 965.
Eser26, § 24, Rn. 18 a; Ulsenheimer, 1976, 233.
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542
§ 30 V 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VI § 30
rungsbemühungen folgern, nicht aber, daß der, bei dem wegen seines Fehlschusses Die hier vertretene Auffassung behauptet sich auch gegenüber den vermitteln- 209
kein Anlaß für aktives Handeln besteht, deswegen überhaupt nicht mehr zurück- den Lösungen (vgl. R n . 184 ff), weil deren weiterführende Impulse von der m o d i -
treten kann. Es ist auch nicht so, daß der Rücktritt durch Aufhören „billig daher- fizierten Gesamtbetrachtungslehre ( R n . 187 ff.) aufgenommen werden. Z u r K o n -
behauptet" und deshalb „schwach" sei. D e n n w e n n jemand in aussichtsreicher Lage zeption Herzbergs ist schon Stellung g e n o m m e n w o r d e n ' ( R n . 2 0 5 f f , 184, 76).
auf ein Weiterhandeln und die Erfolgsherbeiführung verzichtet hat, ist das ein Wenn Ranft nur bei einer Fortsetzung oder Fortsetzbarkeit mit „artgleichen Tat-
Faktum und keine hergesuchte Behauptung. mitteln" den Rücktritt durch Unterlassung weiterer Angriffshandlungen zulassen
206 Herzberg beruft sich für seinen Standpunkt auf § 306e und andere vollendete Gefährdungs- will ( R n . 185), dann steckt darin die richtige Einsicht, daß der Verzicht auf entle-
delikte, bei denen auch nur aktives Handeln für den Rücktritt ausreiche. Daß jedoch der Ge- gene, dem Täter von vornherein nicht geeignet erscheinende Handlungsalternati-
setzgeber bei vollendeten Delikten dem Täter noch keine Straffreiheit gewähren will, wenn er
es bei der Vollendung beläßt, ist verständlich. Das läßt aber keinen Rückschluß auf § 24 zu, der ven keinen Rücktritt begründen kann (vgl. Rn.l95ff.). Die A n n a h m e aber, daß
aktiven und passiven Rücktritt gleich behandelt. Abgesehen davon könnte man selbst in jeder Übergang zu einem anderen Tatmittel den Rücktritt ausschließen soll,
§ 306 e das Unterlassen der Nachlegung weiterer Scheite als „Löschen" (= Verlöschen-Lassen) leuchtet nicht ein. „Damit wäre ein sehr formales Kriterium für die Straffreiheit
deuten.
entscheidend und die Bedeutung des Tatmittels für die Tatausführung über-
207 Gegen die Einzelaktstheorie spricht außerdem der Gesichtspunkt des Opfer- schätzt." 225 O b der Täter eines Tötungsversuchs nach einem ersten erfolglosen
schutzes, der zwar nur in einem geringeren Teil der Fälle praktisch relevant werden Messerstich zu weiteren Stichen oder zum Würgen übergeht, kann für die Zubilli-
kann, der aber doch nicht ganz vernachlässigt werden darf (vgl. R n . 188). Ein wei- gung eines Rücktritts nicht entscheidend sein, w e n n er nur auf die Tötung
teres Argument gegen die Einzelaktstheorie ist umstritten: 2 2 2 Daß nämlich mit schließlich verzichtet und den etwa drohenden Erfolg abwendet.
der „Tat", von der nach § 24 zurückgetreten werden kann, der Vorgang gemeint sei, An der vermittelnden Lösung Rudolphis ( R n . 186) ist zutreffend, daß die Unter- 210
der auch im Falle der Vollendung als eine einheitliche Tat betrachtet werde. Wenn lassung des Einsatzes „erheblich abweichender" oder „riskanter" Tatmittel i. d. R .
jemand, der nach drei Fehlschüssen das Opfer mit dem vierten Schuß tötet, nur nach den in Rn.l95ff. dargelegten Grundsätzen keinen Rücktritt begründen
wegen einer vollendeten Tötung (und nicht auch noch wegen dreifachen fehlge- wird, w e n n deren n u r hypothetisch mögliche Verwendung d e m Täter ohnehin
schlagenen Versuchs) bestraft werde, dürfe man beim Rücktritt nicht jeden Teilakt nicht als realistische Möglichkeit erschien. Wenn aber der Täter schon zu einem er-
als selbständige Tat beurteilen. D e m wird entgegengehalten, daß die Versuchslehre heblich abweichenden Tatmittel übergegangen ist (etwa vom Überfahren zum
sich ihren Tatbegriff nach eigenen Zwecken bilden dürfe und einen Einzelakt als Würgen, B G H S t 34, 53, Fall 3, R n . 182) oder vom Erstechen z u m Überfahren
selbständige Tat ansehen könne, auch w e n n er im Sinne der Konkurrenzlehre nur (BGHSt 35, 184), wird man das Abstandnehmen davon als Rücktritt von der G e -
Teil einer solchen sei. Möglich wäre ein derartiger eigens für die Rücktrittslehre samttat ansehen müssen. D e n n die Gründe, die für eine Gewährung der R ü c k -
konstruierter spezieller Tatbegriff gewiß. Aber es ist doch unwahrscheinlich, daß trittsmöglichkeit sprechen ( R n . l 8 7 f f ) , gelten unabhängig davon, mit welchen
der Gesetzgeber beim Versuch eine ganz andere Tatkonzeption als bei der Voll- Mitteln die Tat fortgesetzt worden ist. W e n n ein anderes Mittel (etwa ein Revolver
endung haben sollte, zumal der von der Aufgabe der „weiteren Ausführung der nach vergeblichem Messerstich) bequem zur H a n d ist, vom Täter aber wegen des
Tat" sprechende Wortlaut des § 24 auf die Zukunftsperspektive abstellt u n d von höheren Risikos (entdeckungsfördernder Lärm!) nicht benutzt wird, wird man
einer einzigen Tat ausgeht, die „weiter ausgeführt" werden könnte. freilich einen Rücktritt noch bejahen, diesen aber - wie i m m e r bei erheblich g e -
208 Die Vertreter der Einzelaktstheorie haben sich vielfach auch darauf berufen, daß die Gesamt- steigertem Risiko - als unfreiwillig ansehen müssen ( R n . 395 ff).
betrachtungslehre zu Unrecht den umsichtig planenden Täter gegenüber dem weniger be-
dachtsamen privilegiere:223 Wer klüglich einen Revolver mit sechs Kugeln zu sich stecke,
könne nach mehreren Fehlschüssen immer noch zurücktreten, während derjenige, der nur
eine Kugel im Lauf habe, keine Rücktrittsmöglichkeit besitze. Aber dieses Argument ist leicht VI. D i e Verhinderung der Vollendung als Rücktritt v o m beendeten Versuch
zu widerlegen.224 Denn nicht nur bei wiederholbaren Ausführungshandlungen, sondern stets
und überall hat der umsichtig Planende länger und häufiger eine Rücktritts-Chance als der- 1. Einführung
jenige, der gleich am Anfang scheitert. Das ist auch nicht ungerecht: Denn wer erfolgverspre-
Bei beendetem Versuch setzt ein Rücktritt voraus, daß der Täter die Vollendung 211
chend weitermachen kann, kehrt durch sein freiwilliges Aufhören in die Legalität zurück,
während der endgültig Gescheiterte dies nicht tut, so daß kein Grund besteht, seinen Versuch der Tat verhindert (§24 I 1). Wenn er auch nur mit der Möglichkeit rechnet, daß
straffrei zu stellen. sein bisheriges Verhalten den Erfolg herbeiführen könnte, genügt nicht mehr das
freiwillige Aufhören zur Erlangung von Straffreiheit, sondern der Täter m u ß
222 Vgl. Roxin, JuS 1981, 7 f.
223 Vgl. Roxin, J u S 1981, 8; ders., J R 1986, 425; Herzberg, B l a u - F S , 1985, 97 ff. (116), w o die
einzelnen Verfechter dieses Arguments namhaft gemacht werden.
224
Herzberg meint, obwohl er selbst eine modifizierte Einzelaktstheorie vertritt, „dieses 225 Kühl, AT3, § 16, Rn. 36; so auch Rengier, JZ 1988, 932f.; gegen Ranft auch BGHSt 40,
Argument sollte schlicht aus dem Verkehr gezogen werden" (Blau-FS, 1985,110). 77.
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§ 30 VI 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VI § 30
aktiv und erfolgreich zur Verhinderung der Tatbestandserfüllung tätig werden Sancinetti hat auf der Basis einer subjektivistischen, an Armin Kaufmann und 215
(näher Rn. 163 ff.). seine Schüler229 anknüpfenden Unrechtslehre 230 den Ansatz von Jakobs so umin-
Unstrittig ist, daß eine Erfolgsverhinderung mindestens eine Kausalität des terpretiert, daß er die Fälle, in denen der Täter den Kausalverlauf noch nicht aus
Versuchstäters für die Erfolgsverhinderung voraussetzt. Daran fehlt es im der Hand gegeben hat, als unbeendete Versuche deutet, so >daß es einen Rücktritt
Schläfenschuß-Fall (BGHSt 33, 295, oben Rn. 190). Hier hatte der Täter den An- vom beendeten Versuch überhaupt nicht mehr gibt. „Es gibt Rücktritt nur von ei-
gestellten, die den Schuß gehört hatten und auf dem Weg ins Büro waren, gesagt, nem unbeendeten, nicht fehlgeschlagenen Versuch ... Die Versuchsbeendigung ist
„sie sollten nach ihrem Chef sehen". Da sie dies ohnehin wollten, konnten die erreicht, wenn der Täter die Möglichkeit eines Verlustes der Kontrolle über die
Worte des Täters den Geschehensablauf nicht beeinflussen und waren schon des- Vollendungsverhinderung in Kauf genommen hat. Nach diesem Zeitpunkt
halb keine Verhinderung. Irrig ist es dagegen, wenn der BGH (NJW 1986, 1001, kommt nur ein .allgemeines Nachtatverhalten' in Betracht.. ."231
dazu Rn. 226) meint, der Täter, der seinem Vater ein Telefonbuch reicht, das die- Diese Auffassungen sind aber schon mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut 216
sem zu einem rettenden Notruf verhilft, sei für die Erfolgsverhinderung nicht nicht zu vereinbaren. Denn danach scheidet eine Versuchsbestrafung aus, wenn der
kausal, wenn der verletzte Vater sich das Buch auch selbst noch hätte holen kön- Täter freiwillig die Vollendung der Tat verhindert. Dies hat er auch dann getan,
nen. Ein solcher hypothetischer Kausalverlauf kann an der realen Kausalität des wenn der Erfolg bei anderem Verlauf hätte eintreten können. Diese gesetzgebe-
Sohnes nichts ändern. Ob eine derartige Kausalität für die Zubilligung eines rische Entscheidung ist auch sachgemäß, wenn man mit der hier vertretenen Auf-
Rücktritts ausreicht, steht auf einem anderen Blatt (Rn. 260-262). fassung den Versuch als Gefährdungsumkehr versteht (Rn. 34 ff.) und bei noch
Die Verhinderung setzt aber neben der Kausalität auch die Zurechenbarkeit nicht gelungener, aber mit Aussicht auf Erfolg wiederholbarer Ausführungshand-
der Erfolgsvermeidung voraus. Wenn jemand sein schwerverletztes Opfer an ein- lung einen Rücktritt durch freiwilligen Verzicht auf weitere Vollendungsbe-
samer Stelle aussetzt, wo es zufällig gefunden und gerettet wird, ist das dem Täter, mühungen zuläßt (vgl. Rn. 175 ff.). Mit einem Wort: In der freiwilligen Rettung
weil er ex ante keine Rettungschancen eröffnet hat, schon objektiv nicht als seine des Opfers liegt eine Rückkehr in die Legalität, die nach der hier vertretenen
Leistung zuzurechnen. Die Rspr. löst solche Fälle durchweg, indem sie den - na- Strafzwecktheorie (Rn. 4 ff.) eine Straffreistellung des Versuchstäters legitimiert.
türlich auch erforderlichen - auf die Abwendung des Erfolges gerichteten Vorsatz Außerdem dient es dem Opferschutz, wenn der Täter nicht dadurch von der Ret-
verneint. 226 Wenn jemand nur zur Verschleierung seines Versuchs bei der Polizei tung des Opfers abgehalten wird, daß seine Versuchsstrafbarkeit bestehen bleibt
anruft und dadurch ungewollt („versehentlich") polizeiliche Rettungsmaßnahmen (vgl. Rn. 21).
auslöst, ist er jedenfalls wegen fehlenden Verhinderungsvorsatzes nicht freiwillig Wenn man Versuch und Rettung als Einheit sieht, ist die Erfolgsverhinderung 217
zurückgetreten (BGH NJW 1986,1002). auch kein Nachtatverhalten, sondern Bestandteil einer Gesamttat, die unter dem
Weitergehend plädiert Jakobs227 dafür, beim beendeten Versuch „die Rücktritts- Gesichtspunkt des Versuchs nicht mehr als strafbedürftig erscheint, so daß auf eine
möglichkeit drastisch zurückzuschneiden". Er will einen Rücktritt nur zulassen, Sanktionierung verzichtet werden kann. Sieht man freilich, wie Sancinetti es tut,
wenn der Täter nach abgeschlossener Tathandlung das Geschehen noch vollständig „im Ende des Versuchs auch das Ende der Straftat"232, so daß Eintritt oder Aus-
in der Hand behält, den Erfolgseintritt also jederzeit verhindern kann. „Zurück- bleiben des Erfolges auch als Werk des Täters keinen Einfiuß auf Unrecht und Ver-
treten kann der Täter nur in denjenigen Fällen des beendeten Versuchs, in denen antwortlichkeit haben, so ist die von ihm vorgeschlagene Lösung konsequent.
der Verlauf von der Gefahrschaffung bis zur Gefahrrealisierung noch gewiß von Aber der Ausgangspunkt verdient keine Zustimmung, 233 und mit ihm entfallen
seinem Verhalten abhängig ist."228 Wenn also der Täter mit Tötungsvorsatz auf auch die aus ihm abgeleiteten Folgen.
sein Opfer schießt, das Opfer aber nur verwundet wird, so soll auch eine nunmehr Es ist also mit absolut h. M. daran festzuhalten, daß freiwillige Erfolgsverhinde- 218
freiwillige und gelingende Rettung des Opfers „an dem Fehlschlag der sofortigen rung eine Versuchsstrafe ausschließt. Sehr umstritten ist aber, ob neben Kausa-
Tötung nichts ändern, da dieser Fehlschlag schon in der Vergangenheit liegt". Hier lität und Zurechenbarkeit noch weitere Anforderungen an die Qualität des
handelt es sich aus seiner Sicht um ein im Rahmen des § 46 zu berücksichtigendes Verhinderungsverhaltens zu stellen sind. Hier stehen sich im wesentlichen z,wei
Nachtatverhalten; Rücktritt setzt für ihn eine Tatänderung voraus, die er nach große Meinungsgruppen gegenüber. Die eine läßt es für eine Verhinderung genü-
dem fehlgeschlagenen Versuch für nicht mehr möglich hält. gen, daß der Täter des beendeten Versuchs mit Verhinderungsvorsatz einen Kausal-

229 Roxin, AT l3, § 10, Rn. 94 ff.


230 Sancinetti, 1995, passim (vgl. v o r allem § 11 u n d die Z u s a m m e n f a s s u n g 281 f.).
226 BGHSt 31, 49; BGH NJW 1989, 2068; 1990, 3219. 23i Sancinetti, 1995, 281.
227 Jakobs, Z S t W 104 (1992), 89. 232 Sancinetti, 1995, 2 8 2 .
228 Jakobs, Z S t W 104 (1992), 93; hier auch das folgende Zitat. 233 Roxin, AT l3, § 10 VII, Rn. 88 ff.
546 547
§ 30 VI 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VI § 30

verlauf in Gang setzt, der (in zurechenbarer Weise) zum Ausbleiben des Erfolges Auch „die Möglichkeit, etwas anderes oder mehr zu tun, um die Vollendung der
führt, für diesen also wenigstens mitursächlich wird. Die andere verlangt darüber Tat mit größerer Sicherheit zu verhindern" (z. B. Ausweichen), schließe den Rück-
hinausgehend, daß der Täter unter den möglicherweise erfolgsverhindernden Mit- tritt nicht aus.
teln das aus seiner Sicht beste einsetzt, d. h. daß er optimale Leistungen erbringt. Fall 2 (BGH NJW 1985, 813, Brandfall, 2. Senat): * 223
Der Täter hatte im Haus des Ehepaars M Feuer gelegt. Er bekam dann Gewissensbisse wegen
219 Fall 1 (BGHSt 31, 46, Krankenhaus-Fall): Der Täter hatte seine Frau durch lebensgefährliche der im Haus schlafenden Kinder, rief ohne Preisgabe seines Namens und ohne Hinweis auf
Mißhandlungen mit dolus eventualis zu töten versucht. Dann besann er sich und fuhr sie, um den Brand bei Frau M an, die sich in einer Gaststätte aufhielt, und sagte: „Ist Frau M da, die
ihr Leben zu retten, bis auf 95 m an einen Nebeneingang des Krankenhauses heran, weil er möchte bitte nach Hause kommen." Frau M ließ sich nach Hause bringen und rief die Feuer-
nicht als Täter entdeckt werden sollte. Dort ließ er sie aussteigen und allein weitergehen. Die wehr, die den Brand löschte, bevor er auf das Haus übergreifen konnte.
Frau brach alsbald in einem Gebüsch bewußtlos zusammen. Dort wurde sie von Passanten ent-
deckt und ins Krankenhaus gebracht. Sie wäre ohne diese Hilfe gestorben, konnte aber nun Auch hier nimmt der BGH unter Verwendung der Formel vom willentlichen 224
gerettet werden. Ingangsetzen einer mitursächlichen Kausalreihe einen freiwilligen Rücktritt an.
220 Hier hat der Täter die Rettung seiner Frau in zurechenbarer Weise verursacht. Zwar wird noch vorsorglich darauf hingewiesen, daß der Täter sich an der Brand-
Denn er hat ihr durch das Heranfahren an das Krankenhaus eine Rettungschance stelle vergewissert habe, ob der Brand auch gelöscht werde. Das ändert aber nichts
eröffnet, die sich auch realisiert hat. Nach der ersten Meinung („Chanceneröff- daran, daß er eine optimale Leistung jedenfalls nicht erbracht hat: Diese hätte -
nungstheorie") genügt das für einen freiwilligen Rücktritt. Nach der zweiten anstatt in der sehr unsicheren Einschaltung der Frau M - in der unmittelbaren
(„Bestleistungstheorie")234 liegt dagegen kein Rücktritt vor, weil er die von ihm Herbeirufung der Feuerwehr bestanden.
erwartete optimale Leistung (Herbeirufung eines Notarztes oder Ablieferung der Im Schläfenschußfall (BGHSt 33, 295, 301, oben Rn. 190) hat der 4. Senat die 225
Frau im Krankenhaus) nicht erbracht hat. Das vorzeitige „Absetzen" der Frau ließ von ihm vertretene Chanceneröffnungstheorie noch einmal bündig zusammen-
ihren Tod wegen nicht rechtzeitiger Behandlung befürchten und kann deswegen gefaßt (obwohl es darauf nicht ankam, weil der Täter für das Ausbleiben des Er-
für die Zubilligung von Straflosigkeit nicht ausreichen. Der Streit zwischen bei- folges ohnehin nicht ursächlich war, Rn. 212): „Die Tat verhindert, wer bis zu
den Auffassungen geht quer durch Rspr. und Literatur. dem Zeitpunkt, in dem er den Erfolg nicht mehr abzuwenden vermag ..., eine
neue Kausalreihe in Gang setzt, die für die Nichtvollendung der Tat mit ur-
sächlich wird ... Ohne Belang ist dabei, ob der Angeklagte noch mehr hätte tun
2. Das Verhindern in der neueren Rechtsprechung
können ... oder ob andere vom Willen des Täters unabhängige Umstände zur
a) Die Chancenerhöhungstheorie Verhinderung der Tat drängen ..."
221 Im Sachverhalt der Entscheidung BGH StV 1981, 396 (4. Senat) hatte der Täter Ein weiteres Urteil des 4. Senats (BGH NJW 1986, 1001: Telefonbuchfall) be- 226
mit Tötungsvorsatz auf seine Frau geschossen und sie lebensgefährlich verletzt. trifft einen Sachverhalt, in dem der Angeklagte seinem Vater mit bedingtem
Dann meldete er die Tat telefonisch der Polizei und bat um Entsendung eines Tötungsvorsatz ein Küchenmesser in die Brust gestoßen hatte. Als der schwerver-
Krankenwagens. Die Frau wurde gerettet. Der BGH nahm einen freiwilligen letzte Vater um Benachrichtigung eines Krankenwagens bat, blätterte der Sohn ei-
Rücktritt an: „Hat der freiwillige Rettungsversuch des Täters Erfolg, genügt sein nige Zeit im Telefonbuch, erklärte dann, er könne die Nummer nicht finden, und
Verhalten für die Anwendung des § 24 Abs. 1 StGB. Ob er etwa noch mehr hätte reichte ihm das Telefon. Der Vater wählte daraufhin den Notruf 110, bat um ärzt-
tun können, ist für die Anwendung dieser Vorschrift ohne Belang." Die Aussage- liche Hilfe und wurde gerettet. Der BGH will danach differenzieren, ob der Vater
kraft des Urteils wird freilich dadurch geschwächt, daß der Täter hier durch Her- trotz seiner Verletzung das Telefon noch selbst hätte erreichen können oder ob das
beiholung des Krankenwagens schon optimale Bemühungen entfaltet hatte, so Telefongespräch nur durch den Sohn ermöglicht worden sei. Im ersten Fall fehle
daß es der Einschränkung in concreto nicht bedurfte. es schon an der Kausalität der Verhinderungsbemühung (vgl. Rn. 212), so daß nur
222 Im Falle BGH StV 1981, 514 (4. Senat) war der Angeklagte mit Tötungsabsicht §24 I 2 („ernstliches Bemühen") in Betracht komme. Im zweiten Fall wird da-
auf das Auto seiner (ehemaligen) Freundin zugefahren, hatte aber durch eine Voll- gegen ein Rücktritt durch Verhinderung bejaht: „Dem Angeklagten könnte'...
bremsung im letzten Augenblick den Zusammenstoß so abgemildert, daß diese nicht entgegengehalten werden, daß er noch andere Rettungsmaßnahmen hätte
unverletzt blieb. Auch dies ließ der BGH für einen (freiwilligen) Rücktritt ge- ergreifen können."
nügen. Der Täter verhindere die Tat, „wenn er willentlich eine neue Kausalreihe in Der Chanceneröffnungstheorie wird man auch BGH NStZ 1999, 238 235 zuord- 227
Gang setzt, die für die Nichtvollendung der Tat mindestens mitursächlich wird". nen müssen. Hier ging es um die Frage, ob die für die Minensperren an der Grenze

234
Es handelt sich bei diesen „Theorien" nicht um eingebürgerte Bezeichnungen, sondern 2« Dazu Kudlich,}K 1999, 624; Otto, JK 99, StGB §24/27; Rotsch, NStZ 1999, 239; Schroetter,
um Benennungen, die ich zur Vereinfachung der nachfolgenden Darstellung gewählt habe. JR 1999, 297.

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§ 30 VI 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfihigkeit VI § 30

der ehemaligen DDRVerantwortlichen, die im Falle der Tötung eines Flüchtlings ausgesprochen, „also ohne sich dadurch noch aufhalten zu lassen und ohne seiner
als mittelbare Täter verantwortlich sind (BGHSt 40, 218), sich auf einen straf- Aufforderung sonderlichen Nachdruck zu verleihen". Er habe auch „keine konkre-
befreienden Rücktritt berufen können, wenn ein durch Minen schwer verletzter ten Maßnahmen" bezeichnet, nicht auf Eile gedrungen und keine erste Hilfe gelei-
Flüchtling entsprechend einer DDR-Regelung schließlich geborgen und im stet oder auch nur Anweisungen dazu gegeben. Die hier vom BGH gestellten An-
Krankenhaus gerettet wurde. Der BGH sagt (Leitsatz): „Wird im Rahmen einer forderungen entsprechen also der Bestleistungstheorie.
Tötungsanordnung innerhalb eines organisierten Systems für den Fall einer ver- Das entschiedenste Plädoyer für die Bestleistungstheorie liefert aber der schon 230
suchten Tötung eine Anweisung auch dahin erteilt, daß das Opfer eines (beende- erwähnte Krankenhausfall (Rn. 219). Der BGH lehnt hier eine Vollendungsver-
ten) Tötungsversuchs nach Möglichkeit zu retten ist, so kommt eine demgemäß hinderung wegen unzureichender Maßnahmen des Angeklagten ab, obwohl die-
erfolgte Rettung dem Angeklagten als mittelbaren Täter ... unter den Gesichts- ser die Rettung der Frau immerhin in zurechenbarer Weise verursacht hatte. Die
punkten des Rücktritts vom Versuch regelmäßig zugute." Im konkreten Fall war es Verhinderung setze Handlungen des Täters voraus, die „objektiv oder wenigstens
so gewesen, daß der Verletzte erst einmal ohne Hilfe in seinem lebensgefährlichen aus seiner Sicht dazu ausreichen ... Er darf sich nicht mit Maßnahmen begnügen,
Zustand belassen und erst nach anderthalb Stunden auf der Ladefläche eines Last- die, wie er erkennt, (möglicherweise) unzureichend sind, wenn ihm bessere Ver-
wagens abtransportiert wurde. Dies beruhte darauf, daß nur bestimmte militär- hinderungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Solche Verhinderungsmöglich-
eigene Ärzte, die erst nach längerer Zeit am Ort sein konnten, solche Bergungs- keiten muß er ausschöpfen. Er darf dem Zufall dort nicht Raum bieten, wo er ihn
maßnahmen durchführen durften. Daß durch die dadurch bedingten Verzögerun- vermeiden kann." Da es an diesen Voraussetzungen fehlt, wurde dem Angeklagten
gen der Tod eines Verletzten eintreten konnte, wurde in Kauf genommen. Wenn kein Rücktritt zugebilligt.
der BGH trotzdem einen Rücktritt bejaht, begnügt er sich also mit einer zure- Fall 3 (BGH NStZ 1989, 525, E-605-Fall, 2. Senat): 231
Die Angeklagte brachte ihrem Ehemann eine Dosis des Giftes E 605 bei, die ohne alsbaldige
chenbaren Verursachung der Rettung und verlangt nicht die Veranlassung best- ärztliche Hilfe zum Tode geführt hätte. Als die Wirkung des Giftes eintrat, rief sie - auf die
möglicher Rettungsmaßnahmen. energische Aufforderung ihres Ehemannes hin - den Arbeiter-Samariterbund an und bat um
228 Ein - wenigstens verbales - Bekenntnis zur Chanceneröffnungstheorie enthält Entsendung eines Krankenwagens, da es ihrem Mann schlecht gehe und er in der Küche „her-
umtaumele". Der daraufhin herbeigerufene Notarzt konnte das Leben des Mannes retten, ob-
auch eine kurz darauf ergangene weitere Entscheidung desselben (5.) Senats (NStZ wohl die Frau ihm dessen Vergiftung verschwieg und nur angab, er habe Kaffee getrunken und
1999,128).236 Hier hatte der Täter seinen Nebenbuhler in flagranti mit seiner vor- ein blaues Medikament genommen.
maligen Geliebten erwischt und ihn, den Tod des Opfers in Kauf nehmend, mit
einem Baseballschläger so heftig auf den Kopf geschlagen, daß er mit seinem Tod Der BGH meint, die Angeklagte habe anfangs objektiv und auch aus ihrer Sicht 232
rechnete. Dann verließ er das Haus, indem er die Geliebte in sein Auto mit- das zur Rettung ihres Mannes Erforderliche getan, indem sie den Arzt rief und
schleppte. Nach zweiminütiger Fahrt kehrte er aber auf deren Wunsch zurück und den Zustand ihres Mannes so schilderte, daß sofortige Rettungsmaßnahmen in die
gab ihr auf, den Nebenbuhler ins Krankenhaus zu bringen. Dieser wurde durch Wege geleitet wurden. Nach dem Eintreffen des Arztes habe sie jedoch den Ret-
eine Notoperation gerettet. Der BGH bejaht einen freiwilligen Rücktritt durch tungswillen „in einem Zeitpunkt wieder aufgegeben, in dem es erforderlich und
Verhinderung der Vollendung. Die anfängliche Rettungsunwilligkeit und die ihr auch möglich war, mehr zur Verhinderung des schädlichen Erfolges beizutra-
Entfernung vom Tatort seien gleichgültig. Unerheblich sei auch, „ob der Täter gen". Sie habe die Vergiftung verschwiegen, obwohl sie annahm, daß sie den Arzt
mehr als von ihm getan zur Rettung hätte leisten können". von der Giftbeibringung informieren müßte, wenn das Leben des Mannes geret-
tet werden sollte. Obwohl die Verneinung des Rücktritts wegen fehlenden Ret-
b) Die Bestleistungstheorie tungswillens problematisch ist, weil die Frau dem Mann immerhin bewußt eine
229 Noch unter der Geltung des früheren § 46 hat der 3. Senat (BGH M D R (D) Lebensrettungschance eröffnet und aufrechterhalten hat, die sich auch verwirk-
1972, 751) einen Fall entschieden, in dem der Angeklagte „seiner Ehefrau mit Tö- lichte, entspricht das Urteil der Sache nach der Bestleistungstheorie. Denn die
tungsvorsatz einen Messerstich" versetzt hatte und dann den Raum verließ, „wobei Versagung des Rücktritts wird schließlich darauf gegründet, daß die Frau es un-
er noch ... seine Mutter aufforderte, alles Notwendige zu veranlassen". Auf deren terlassen hat, „mehr zur Verhinderung des schädlichen Erfolges beizutragen".
Bitte sorgte der Verwalter der Unterkunft für die Einlieferung der Frau ins Kran-
kenhaus, wo sie auch gerettet wurde. Der BGH ließ das als Verhinderungsleistung
nicht genügen, obwohl der Sohn den rettenden Kausalverlauf in Gang gesetzt
hatte. Der Sohn habe seine Bitte an die Mutter erst beim Verlassen des Raumes

236 Dazu Otto, JK 99, StGB § 24/28.


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§30 VI 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VI § 30
c) Das Argument aus der objektiven Zurechnung
3. Argumente für die Chanceneröffnungstheorie
Für die Verwirklichung des Tatbestandserfolges genügt es, daß man eine uner- 236
233 Die Chanceneröffnungstheorie war früher die alleinherrschende und ist auch
laubte Gefähr für das Handlungsobjekt schafft, die sich im Erfolg verwirklicht. 241
heute noch die überwiegende Auffassung.237 Für sie lassen sich vor allem drei Ar-
Dem entspricht es, wenn man für die Verhinderung der Vollendung ebenfalls nur
gumente geltend machen.
die Schaffung einer Rettungschance verlangt, die sich im Verhinderungserfolg
a) Das Wortlautargument realisiert.242 Wenn man so argumentiert, liegt dem der Gedanke zugrunde, daß
234 Zumindest dann, wenn jemand eigenhändig und zurechenbar den Erfolg ab- für die Verhinderung eines Erfolges dieselben Zurechnungsgrundsätze gelten
wendet, läßt sich nicht leugnen, daß er den Erfolg verhindert hat, auch wenn dies müssen wie für seine Herbeiführung.
keineswegs auf die bestmögliche Weise geschehen ist. Man nehme den einfachen
Fall, daß der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz niedergestochen hat und hernach 4. Argumente für die Bestleistungstheorie
dessen Leben dadurch rettet, daß er die Wunde verbindet! Er macht das recht di- Auch für sie lassen sich drei zentrale Gründe anführen.243
lettantisch, so daß ein leicht herbeizurufender Arzt weit bessere Hilfe hätte leisten
a) Das dolus-eventualis-Argument
können. Entsprechendes gilt, wenn etwa der Giftmischer den Tod des Opfers
durch ein Brechmittel abwendet, obwohl professionelle Hilfe weit größere Ret- Wer zur Abwendung des Erfolges bewußt nur halbherzige Methoden anwen- 237
tungssicherheit geboten hätte. 238 Oder der Täter entschärft eine von ihm zuvor det, wie im Krankenhausfall (Rn. 219) oder im Brandfall (Rn. 223), ist sich dar-
gelegte Bombe mit einer Methode, die risikoreicher ist als eine andere, die er über klar, daß die Wahrscheinlichkeit der Erfolgsabwendung bei seinem Vorgehen
ebenfalls kennt und anwenden kann. 239 In all diesen Fällen wäre es beim Gelingen erheblich geringer ist, als wenn er die beste ihm mögliche Verhinderungsleistung
der Rettung mit dem Wortlaut des Gesetzes und folglich mit dem nullum-cri- erbrächte. Er nimmt also einen vermeidbaren Erfolgseintritt in Kauf. Wer aber mit
men-Grundsatz nicht vereinbar, wenn man bestreiten wollte, daß der Täter die dolus eventualis handelt, erbringt, so läßt sich folgern, keine für den Rücktritt zu-
Vollendung verhindert hat. Man kann darüber streiten, ob dieses Wortlautargu- reichende Umkehrleistung, weil der dolus eventualis hier wie sonst für die Zu-
ment ebenso gilt, wenn man dritte Personen zur Rettung einsetzt (vgl. Rn. 246). rechnung zur vorsätzlichen Vollendungstat ausreicht.
Aber jedenfalls liegt die Folgerung nahe, daß die Eröffnung einer sich verwirk- Bloy bestreitet einen solchen dolus eventualis: „Sobald die unsichere Rettungsmaßnahme 238
lichenden Rettungschance überall zur Verhinderung genügen muß, wenn sie bei zurechenbar den Eintritt des Deliktserfolges vereitelt, manifestiert sich in dieser Umkehrlei-
stung ein Gesinnungswandel, der einen Verletzungsvorsatz ausschließt ..." Das ist aber nicht
der eigenhändigen Erfolgsabwendung unbestreitbar ausreicht. richtig. Denn wer beide Möglichkeiten für gegeben hält, rechnet auch mit dem Mißerfolg und
nimmt ihn notfalls in Kauf. Seine Hoffnung auf Rettung schließt den dolus eventualis nicht
b) Das Opferschutzargument aus.
235 Man kann sodann darauf hinweisen, daß es dem Opfer dient, wenn man dem
Das dolus-eventualis-Argument läßt sich durch Vergleichsbeispiele stützen. Bei 239
Täter eine goldene Brücke baut und von ihm nicht optimale Leistungen verlangt,
der Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch besteht Einigkeit dar-
die ihn vielleicht von jeder Rettungsaktivität abschrecken.240 Denn die Praxis
über, daß ein beendeter Versuch mit der Folge, daß ein Rücktritt nur noch durch
(z. B. im Krankenhausfall, Rn. 219, im Brandfall, Rn. 223, im E-605-Fall,
Erfolgsverhinderung zu erlangen ist, schon dann vorliegt, wenn der Täter auch
Rn. 231) zeigt, daß der Täter auf optimale Rettungsleistungen häufig deshalb ver-
nur mit der Möglichkeit rechnet, der Erfolg könne ohne sein weiteres Zutun ein-
zichtet, weil er sich und seinen vorangegangenen Versuch nicht verraten will.
treten (näher Rn. 166 ff). Das wird damit begründet, daß im Interesse des Opfers
Würde man ihn zur Bestleistung und damit zur Selbstpreisgabe zwingen, würde
alles nur Erdenkliche geschehen müsse und daß der Täter Straflosigkeit nur ver-
er, so läßt sich argumentieren, auf für ihn nutzlose halbherzige Aktivitäten ver-
dient habe, wenn er jede Möglichkeit ausschließe, daß der Erfolg eintreten könne.
zichten, und das Opfer wäre verloren.
Ist das richtig, so wäre es ein unstatthafter Widerspruch, wenn man dem daraufhin
aktiv werdenden Täter schon für halbherzige Bemühungen das Rücktrittsprivileg
™ Bloy, JR 1989, 70; Freund, AT, §9, Rn.61ff., 64; Gropp, AT2, §9, Rn.50; Grünwald, Wel-
zel-FS, 1974, 715; Jäger, 1996, 94ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 51 IV 2 bei und in Fn. 41; Joecks3, zubilligen würde.
§ 24, Rn. 25; Köhler, AT, 475 f.; Kühl, AT3, § 16, Rn. 64ff., 70ff. (70); Maurach/Gössel, AT/27, 41/
24
88; Otto, AT6, § 19 II 3; Puppe, NStZ 1984, 489; Rudolphi, NStZ 1989, 508; ders., in SK6, §24, ' Vgl. Roxin, ATI 3 , §11.
Rn.27f; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.59; Stratenwerth, AT4, §11, Rn.90f.; Tröndle/Fischer50, §24, 2« So etwa Bloy, JuS 1987, 533; Rudolphi, NStZ 1989, 511.
Rn. 32 ff., 35; Wessels/ Beulke, AT31, Rn. 644. 2« Baumann/Weber, AT10, §27 III1 a, bb; Blei, AT18, §69 III 2 a; v. Heintschel-Heinegg, ZStW
«8 Bsp. von Rudolphi, NStZ 1989, 512. 109 (1997), 53; Herzberg, NJW 1989, 867;Jakobs, ZStW 104 (1992), 89; ders., AT2, 26/21; Lackner/
2W Bsp. von Bloy, JuS 1987, 531, Fn. 22. Kühl24, §24, Rn.19 b; Schmidhäuser, AT\ 15/89 ff.
240 Puppe, NStZ 1984,490. 244 ß/oy, JuS 1987, 532.
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245 246
240 Jakobs und Puppe haben weiterhin einen aufschlußreichen Vergleich mit durch Unterlassen, wenn seine Hilfe keine optimale N u t z u n g der ihm verfüg-
halbherzigen Verhinderungsbemühungen gezogen, die vor der Tat u n t e r n o m m e n baren Abwehrchancen ist."
werden. Jakobs hält der Chanceneröffnungstheorie entgegen: „Der Brandstifter,
der zur Vermeidung einer Todesfolge die Hausbewohner vor der Tat (und im Er- 5. D i e Differenzierungstheorie als angemessenste Lösung
gebnis erfolgreich) warnt, begeht einen Tötungsversuch, w e n n er trotz der War-
a) Eigenhändige Erfolgsverhinderung
nung den Eintritt der Folge weiterhin als nicht unwahrscheinlich beurteilt; er soll
Richtigerweise wird man zwischen eigenhändiger und fremdhändiger Erfolgs- 243
aber zurücktreten können, w e n n er bei gleicher subjektiver Lage nach der Brand-
Verhinderung unterscheiden müssen. Der Täter, der das Rettungswerk allein und
stiftung warnt." Puppe247 will diesem Argument durch einen Verzicht auf die B e -
mit eigenen Händen vollbringt, m u ß allemal nach der Chanceneröffnungstheorie
strafung des Versuchs mit dolus eventualis begegnen. Das ist aber aus schon g e -
behandelt und damit als derjenige angesehen werden, der die Vollendung verhin-
nannten Gründen (§ 29, R n . 59 ff.) unmöglich.
dert hat. Das folgt aus dem in diesem Bereich unwiderleglichen und oben
b) Das Beispiel des untauglichen Versuchs (Rn. 234) schon anhand von Beispielen erläuterten Wortlautargument. Auch k r i -
241 Die Bestleistungstheorie kann ferner das Beispiel des untauglichen Versuchs für minalpolitisch läßt sich die Zubilligung eines freiwilligen Rücktritts bei eigen-
sich geltend machen. 2 4 8 Bei diesem fordert § 24 II 2 ein „freiwilliges und ernst- händig-alleintäterschaftlicher Erfolgsabwendung rechtfertigen, selbst w e n n der
haftes Bemühen" als Voraussetzung strafbefreienden Rücktritts. Ein „ernsthaftes" Täter auf das optimale Verhinderungsmittel verzichtet hat. D e n n das R e t t u n g s -
Bemühen wird hier allgemein (näher R n . 265 ff.) nur angenommen, w e n n der Tä- engagement des Täters ist gleichwohl so augenfällig und erfolgreich, daß es nicht
ter das aus seiner Sicht Beste zur Verhinderung des Erfolges tut. Das führt zu dem schwerfällt, seinen Willen zur Rückkehr in die Legalität darin in ausreichendem
Argument: Wenn schon beim untauglichen Versuch für den Rücktritt verlangt Maße manifestiert zu sehen. „Dem Alleintäter der Verhinderung gibt der Erfolg
wird, daß der Täter das O p t i m u m leistet, m u ß dies für den tauglichen Versuch erst recht; ob er sich noch mehr hätte anstrengen können, wird der Richter kaum fra-
gen." 250 Das Ergebnis entspricht auch der noch darzulegenden Regel bei fremd-
recht oder jedenfalls nicht weniger gelten! Das läßt sich besonders augenfällig an
händiger Erfolgsverhinderung ( R n . 255), daß eine Rettungstäterschaft ausnahms-
den hier interessierenden Konstellationen demonstrieren, in denen der Täter dem
los als Erfolgsverhinderung anzuerkennen ist.
Opfer erhebliche Verletzungen zugefügt hat: W ü r d e n diese Verletzungen ohne das
Eingreifen des Täters zum Tode führen, sollen nach der Gegenmeinung im Falle Dieses Ergebnis kann auch durch die Argumente der Bestleistungstheorie nicht widerlegt 244
der Verhinderung halbherzige Maßnahmen für den Rücktritt genügen. Erweisen werden. Diese scheitert am Wortlaut des Gesetzes und ist bei eigenhändiger Verhinderung
auch im übrigen nicht zwingend. Denn mag auch ein dolus eventualis des dilettantisch-eigen-
sich die Verletzungen aber nachträglich u n d entgegen den Erwartungen des Täters händig Rettenden bestehenbleiben; der Gesetzgeber ist nicht gehindert, den so nachhaltig de-
als von vornherein nicht tödlich, sollen Bestleistungen erforderlich sein! Das ist monstrierten Abwendungswillen in solchen Fällen höher zu bewerten und die in ihm zum
ein schwer verständlicher Widerspruch. Ausdruck kommende Umkehrtendenz als Rücktritt zu beurteilen. Auch der Vergleich mit
dem höhere Rücktrittsanforderungen stellenden untauglichen Versuch hilft dann nicht; denn
c) Das Unterlassungsargument bei diesem fehlt es an einer eigenhändig-persönlichen Rettung, die die Annahme eines Rück-
tritts trotz der Außerachtlassung besserer Hilfsmöglichkeiten durch den Täter trägt. Und bei
242 Jakobs249 hat darauf hingewiesen, daß die Chanceneröffnungstheorie „von der Unterlassungen sollte man in Fällen alleintäterschaftlicher Rettung eine Erfolgsabwendung
Haftung aus Ingerenz konterkariert" werde. Tatsächlich wird im Bereich der durch den Garanten ebenfalls anerkennen, so daß der Wertungswiderspruch, auf den die Best-
leistungstheorie sich beruft, bei vernünftiger Auslegung in diesem Bereich nicht besteht.
Unterlassungsdelikte vom erfolgsabwendungspflichtigen Garanten verlangt, daß
er sein Bestes tue. Daraus läßt sich folgern, daß m a n vom Täter eines beendeten Die einzige BGH-Entscheidung, der eine eigenhändige Erfolgsverhinderung 245
Versuchs, der ebenfalls eine Garantenstellung aus Ingerenz habe, nicht weniger zugrunde lag, ist die, in der der Täter seine ehemalige Freundin zunächst durch ei-
fordern dürfe. „Wer sein Opfer so zusammenschlägt, daß er dessen Tod für nicht nen Autozusammenstoß töten wollte, diesen Erfolg dann aber in letzter Sekunde
unwahrscheinlich hält, w e n n Hilfe ausbleibt", tritt, so argumentiert Jakobs, nach durch eine Vollbremsung verhinderte (BGH StV 1981, 514, R n . 222). Die A n n a h m e
der Chanceneröffnungstheorie „zwar v o m Tötungsversuch durch Tun zurück, eines Rücktritts durch den B G H ist zutreffend, und zutreffend ist es nach d'em
w e n n er eine letztlich effektive Hilfe initiiert, nicht aber v o m Tötungsversuch Dargelegten auch, w e n n der B G H meint, es k o m m e nicht darauf an, ob der A n -
geklagte einen besseren Weg zur Erfolgsvermeidung (etwa durch Ausweichen)
hätte wählen können.
245 Jakobs, A T 2 , 2 6 / 2 1 .
246 Puppe, NStZ 1984,489f.; zu Puppe krit. Herzberg, NJW 1989, 867ff.
247 pUppe, NStZ 1984, 491.
248 Herzberg, N J W 1989, 863. 250
249 Hier und im folgenden: Jakobs, KT2, 26/21. Herzberg, NJW 1989, 867.

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§ 30 VI 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VI § 30
253
überhaupt ein Unterlassungsdelikt ist oder in der Begehungstat aufgeht. Denn
b) Fremdhändige Erfolgsverhinderung
es ist so oder so unerträglich, daß der Vorsatztäter durch geringere Bemühungen
246 Wenn dagegen der Versuchstäter sich auf eine fremdhändige Erfolgsabwendung
Straflosigkeit soll erlangen können als der nur fahrlässig Handelnde.
verläßt, wird man für die Vollendungsverhinderung verlangen müssen, daß der
Dem Argument, daß es nicht angehe, an den Rücktritt vom untauglichen Ver- 249
Versuchstäter die beste ihm erkennbare Rettungsmöglichkeit ergreift. Der Wort-
such strengere Anforderungen zu stellen als an die Verhinderungsleistung bei
laut zwingt in solchen Fällen nicht zu einer Deutung im Sinne der Chancen-
tauglichem Versuch (Rn. 241), läßt sich zwar entgegenhalten, daß beim untaug-
eröffnungstheorie,251 weil beim Tätigwerden mehrerer nicht jeder Mitverursa-
lichen Versuch jeder real wirksame Beitrag zur Erfolgsabwendung fehle und daß
cher schon als Verhinderer angesehen werden muß. So läßt sich sehr wohl sagen,
sich der Täter deshalb wenigstens subjektiv mehr bemühen müsse als beim taug-
daß im Krankenhaus-Fall (Rn. 219) nicht der Ehemann den Tod der Frau ver-
lichen Versuch.254 Gleichwohl hat es keinen Sinn, bei objektiv unnötigen Bemü-
hindert hat, sondern der Passant, der sie ins Krankenhaus brachte, und der Arzt,
hungen vom Täter mehr zu verlangen als dort, wo diese dringend erforderlich
der sie rettete. Im Brand-Fall (Rn. 223) liegt es näher, der heimkehrenden Mutter
sind.
und der Feuerwehr die Erfolgsverhinderung zuzuschreiben als dem anonymen
Schließlich ist auch das Argument nicht schlüssig, daß jede zurechenbare Er- 250
Anrufer. folgsvermeidung als „Verhinderung" anerkannt werden müsse und daß dafür
247 Kriminalpolitisch spricht in solchen Fällen kein hinreichender Grund dafür, schon die Verwirklichung einer dem Opfer eröffneten Rettungschance genüge
den dolus eventualis dessen zu ignorieren, der mit seinen halbherzigen Hand- (Rn. 236). Denn wenn für die Zurechnung einer Tatbestandserfullung die Ver-
lungen größere Gefahren als nötig für das Opfer bestehen läßt. Der Gedanke, daß wirklichung eines unerlaubten Risikos genügt, ist damit keineswegs gesagt, daß
der Täter sonst aus Furcht vor einer Selbstpreisgabe gar nichts tun werde, so daß es für die Zurechnung einer Vollendungsverhinderung ggf. schon die Eröffnung ei-
immer noch besser sei, auch unzureichende Bemühungen mit dem Rücktrittspri- ner Rettungschance ausreicht. Vielmehr ist dies eine kriminalpolitische Frage, die
vileg zu honorieren (Rn. 235), überzeugt nicht. Ebensogut könnte man sagen,
der Gesetzgeber im Sinne der Bestleistungstheorie gelöst hat, wie die Vergleichs-
daß der Täter sich zu lebensgefährlichen Handlungen um so eher hinreißen lassen
beispiele beim Unterlassen (Rn. 248) und beim untauglichen Versuch (Rn. 249)
werde, je leichter es sei, einen strafbefreienden Rücktritt zu erlangen. Außerdem
deutlich genug zeigen. Außerdem ist zu bedenken, daß dem Täter, der nur Halb-
ist im Sinne des Opferschutzes zu berücksichtigen, daß Bestleistungen ihm natür-
herziges leistet, nach den Zurechnungsregeln der Begehungstat auch die verblei-
lich dienlicher sind als halbherzige Bemühungen. Auch ist eine Selbstpreisgabe
bende Chance des Erfolgseintritts zugerechnet werden müßte. 255 Es ist aber nicht
mit optimalen Rettungsbemühungen kaum je notwendig verknüpft. Der Ehe-
möglich, im Wege einer „Doppelzurechnung" den unzureichend Handelnden
mann im Krankenhaus-Fall (Rn. 219) hätte mit der Ablieferung der Frau im Spital
gleichzeitig als Verhinderer und NichtVerhinderer des Erfolges zu bewerten.
sein Möglichstes getan, auch wenn er sich als anonymer Passant ausgegeben hätte,
der das Opfer nur aufgefunden habe. Der Brandstifter im Brand-Fall (Rn. 223) c) Fallgruppen der fremdhändigen Erfolgsverhinderung
hätte die Feuerwehr alarmieren können, ohne sich zu verraten usw.252 In den meisten von der Rspr. entschiedenen Fällen kann man zwischen der blo- 251
248 Auch der Vergleich mit den Handlungsanforderungen beim Unterlassen ßen Ermöglichung fremden Rettungsverhaltens und der Beteiligung an diesem
(Rn. 242) spricht bei fremdhändiger Rettung entscheidend für die Bestleistungs- in Form der Mittäterschaft oder mittelbaren Täterschaft, der Anstiftung oder Bei-
theorie. Wenn jemand aus Fahrlässigkeit einen anderen in lebensgefährlicher Weise hilfe unterscheiden.
überfährt, verpflichtet ihn seine Ingerenz-Garantenstellung, in bestmöglicher Eine bloße Ermöglichung liegt im Krankenhaus- und im Brand-Fall (Rn. 219, 252
Weise für die ärztliche Versorgung des Verunglückten zu sorgen. Dann kann er, 223) vor. 256 Sie genügt i. d. R. und auch in den beiden vom BGH entschiedenen
wenn er ihn vorsätzlich überfahren hat, sinnvollerweise nicht mit unzulänglichen Fällen nicht für eine Erfolgsverhinderung, wenn der Täter die Möglichkeit hat,
Rettungsbeiträgen Straffreiheit wegen vollendungsverhindernden Rücktritts er-
eine Rettungsperson oder sogar, wie in den Rspr.-Sachverhalten, eine professio-
langen. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob das Unterlassen des Rücktritts
nelle Rettungsinstanz einzuschalten. Das heißt: Nur wenn der Ehemann den Not-
arzt gerufen oder seine Frau im Krankenhaus abgeliefert und der Brandstifter so-
25i Dazu Herzberg, NJW 1989, 865 f.; Lackner/Kühl2\ §24, Rn.19 b; Rudolphi, NStZ 1989,
513. Kühl, AT , § 16, Rn. 70, scheint das Wortlautargument auch hier für unüberwindlich zu
fort die Feuerwehr alarmiert hätte, wäre beiden ein freiwilliger Rücktritt zuzu-
halten. 253 In diesem Sinne Bloy, JuS 1987, 531 f.
252
Auch der BGH betont mit Recht, daß Bemühungen zur Verschleierung der eigenen 25" Vgl. etwa Puppe, NStZ 1984, 490; dazu krit. Herzberg, NJW 1989, 863 f.
Täterschaft einem freiwilligen Rücktritt nicht entgegenzustehen brauchen. „Die Absicht ..., 255 Vgl. Jakobs, AT2, 26/21, Fn. 39.
die Tat ... zu verschleiern, schließt weder Bemühungen um die Rettung des Opfers noch die 256 Dem Krankenhaus-Fall sind speziell die Aufsätze von Puppe, NStZ 1984, 488 und Bloy,
Ernsthaftigkeit und Freiwilligkeit des Rücktritts aus" (NJW 1986,1002). Ein Wille zur Tatver- JuS 1987, 528 gewidmet; der Aufsatz von Bloy behandelt außerdem den Brand-Fall. Beide
schleierung „würde der Annahme eines (noch fortdauernden) Rettungswillens nicht generell Autoren favorisieren die Chanceneröffnungstheorie.
entgegenstehen" (BGH NStZ 1989, 525).
557
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§ 30 VI 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VI § 30

gestehen. Dabei ist BGHSt 31, 46 ( R n . 219) richtig entschieden, während B G H kenhaus zu fahren; das ist, w e n n das Opfer gerettet wird, natürlich eine Verhinde-
N J W 1985, 813 ( R n . 223) abzulehnen ist. Eine rücktrittsverbürgende Bestleistung rung. Eine Quasi-Mittäterschaft ist etwa gegeben, w e n n der Täter gemeinsam
lag z. B. in der Entscheidung B G H StV 1981, 396 ( R n . 221) vor, in dem der Täter mit einem anderen den von i h m in Tötungsabsicht von einer Brücke in den Fluß
eines versuchten Totschlages sofort danach die Polizei angerufen, sich als Täter b e - gestoßenen Nichtschwimmer aus dem Wasser wieder herauszieht. Solche mittäter-
kannt u n d u m die Entsendung eines Krankenwagens gebeten hatte. schaftlichen Konstellationen werden grds. als Rücktritt zu würdigen sein, denn sie
253 Freilich wird man an eine rücktrittsermöglichende Bestleistung keine exzes- genügen i. d. R . sowohl den Bestleistungsanforderungen als auch dem Eigenhän-
siven Forderungen stellen dürfen, sondern schon annähernd gleichwertige Lei- digkeitskriterium.
stungen als äquivalent anerkennen müssen; n u r die Inkaufnahme einer deutlichen Bei der „Anstiftung" wird man differenzieren müssen. Eine Verhinderung und 256
und unbezweifelbar größeren Mißlingenschance, wie sie i m Krankenhaus- u n d damit ein Rücktritt liegen jedenfalls dann vor, wenn der Täter einen professio-
Brand-Fall ( R n . 219, 223) vorlag, sollte die Zubilligung des Rücktrittsprivilegs nellen Retter (Arzt, Feuerwehr, Wasserwacht usw.) herbeiholt 2 5 9 und ihm, w o
ausschließen. Auch im Falle der R e t t u n g Verletzter an der Grenze der ehemaligen dies erforderlich ist, auch die nötige Aufklärung (etwa über die A r t der Krankheit
D D R ( R n . 227) wird man die getroffenen Maßnahmen, die bei der N o t w e n d i g - oder die Lage des Brandherdes) gibt u n d dem Opfer bis zu einem Eintreffen ggf.
keit sofortiger Hilfe den Verletzten dem Tod auslieferten, nicht als ausreichend erste Hilfe leistet. Kleinere Abstriche von diesem O p t i m u m hindern nach Maßga-
ansehen können. Dagegen können kleine Unterschiede vernachlässigt werden. So be des R n . 253 Dargelegten einen Rücktritt nicht.
wird man im Krankenhaus-Fall ( R n . 219) als die allerbeste M a ß n a h m e die Herbei-
Herzberg260 verlangt, daß „der Zurücktretende das Verhinderungsgeschehen (mit-)beherr- 257
rufung eines Notarztes ansehen können, weil schon der Transport der schwerver- sehen muß, z. B. nach dem Anruf beim Arzt nicht einfach davonlaufen darf, sondern sein
letzten Frau im Auto zu einer weiteren Gefährdung hätte führen können; 2 5 7 aber Opfer betreuen und der weiterfuhrenden Rettung übergeben muß". Das dürfte der hier vertre-
tenen Meinung entsprechen, soweit derartige zusätzliche Handlungen nach Lage des Falles für
auch die Ablieferung im Krankenhaus u n d selbst das Absetzen der Verletzten
eine möglichst sichere Rettung erforderlich sind. Wenn aber die Herbeiholung des Arztes völ-
unmittelbar vor dem Haupteingang wird man noch als gleichwertige Leistung lig ausreicht, genügt eine derartige Anstiftung ohne jede „Mitbeherrschung". Nach Jäger
ansehen können, weil sie die rasche Überführung des Opfers in die Hand eines „bestimmt derjenige, der Rettungsexperten ... telefonisch herbeiruft, den Rettungsprozeß
steuernd mit, weil er das ,Ob' und ,Wie' des eigentlichen Rettungsprozesses leitend in Gang
fachkundigen Arztes mit großer Wahrscheinlichkeit sicherte. Ebenso wird man im setzt und daher als Quasimittäter des Rettungsgeschehens in Erscheinung tritt...". Richtig ist,
Baseballschläger-Fall ( R n . 228), obwohl der B G H mit der Chanceneröffnungs- daß in solchen Fällen eine Vbllendungsverhinderung vorliegt. Aber es handelt sich, wenn man
theorie argumentiert, auch v o m hier vertretenen Standpunkt aus eine freiwillige schon auf die Teilnahmelehre rekurrieren will, um einen klaren Fall der Anstiftung und nicht
der Mittäterschaft. Gegen die alleinige Maßgeblichkeit des Tatherrschaftsprinzips wendet sich
Verhinderung annehmen können. D e n n der Täter hatte die gebotene Überfüh- mit Recht auch Rudolphe. Sie fuhrt zu einer Überdehnung des Herrschaftskriteriums und
rung ins Krankenhaus gesichert, u n d die durch sein anfängliches Verhalten b e - zur Verkennung des Befundes, daß die „Anstiftung" von Rettungspersonen der häufigste Fall
wirkte Verzögerung war — anders als im Falle der durch Minen schwer verletzten der Vollendungsverhinderung ist. Vom Versuchstäter wird die beste ihm mögliche Leistung,
aber nicht notwendig die Tatherrschaft bei der Verhinderung verlangt!
DDR-Flüchtlinge — so geringfügig, daß sie nicht entscheidend ins Gewicht fällt.
In der unterlassenen Aufklärung liegt der neuralgische Punkt im Sachverhalt des von BGH 258
254 Eine fremdhändige R e t t u n g ist auch dann anzunehmen, w e n n der Täter dem NStZ 1989, 525 (Rn.231) entschiedenen E-605-Falles. 263 Die angeklagte Täterin eines Gift-
Opfer selbst die Rettungsmaßnahmen überläßt, sofern diese eine selbständige Ver- mordversuchs hatte zwar einen Notarzt herbeigerufen, diesem aber verschwiegen, daß sie ih-
rem Mann E 605 eingegeben hatte; sie hatte lediglich erwähnt, er habe ein blaues Medikament
hinderungsleistung darstellen u n d sich nicht in der A n n a h m e des R e t t u n g s -
genommen. Hier kommt es darauf an, ob diese Äußerung, die immerhin in die Richtung ei-
angebotes (der heilenden Medizin, des Gegengiftes usw.) erschöpfen. Hätte also ner Vergiftung deutete, dem Notarzt genügend Anhaltspunkte für ein sofortiges und effektives
im Falle BGHSt 31, 46 ( R n . 219) die Frau schließlich noch aus eigener Kraft das Eingreifen gab. Wenn ja, müßte ein solches Verhalten als der Bestleistung (volle Aufklärung)
noch äquivalent angesehen werden, da der Täter sich nicht zu verraten braucht (vgl. Rn. 247
Krankenhaus erreicht, wäre das Verhalten des Mannes ebensowenig ein Verhin- mit Fn. 252). Ob es so war, ist eine Tatfrage, die im Prozeß weiter aufzuklären und im Zweifel
dern gewesen. zugunsten der Angeklagten zu entscheiden war. Nicht überzeugend ist jedenfalls die Lösung
255 Die Motivierung des Opfers zur Selbstrettung leitet zu den häufigeren Fällen des BGH, wonach die Frau, weil sie ihre eigene Täterschaft verschwieg, den Rettungswillen
nachträglich wieder aufgegeben habe und deshalb nicht zurückgetreten sei. Denn wenn der
über, in denen der Täter an der R e t t u n g durch andere in einer Weise mitwirkt, auf
die sich die Beteiligungsformen des geltenden Rechtes sinngemäß übertragen las-
259
sen: als mittelbare Täter, Mittäter, Anstifter oder Gehilfe. Eine mittelbare Täter- Bloy, JuS 1987, 534 f. will anscheinend schon das Herbeirufen (ohne Sicherheit hinsicht-
lich des Ergebnisses) genügen lassen.
schaft 258 liegt z. B. vor, w e n n der Versuchstäter einen dazu freiwillig nicht berei- 2» Herzberg, NJW 1989, 866.
ten Autofahrer mit vorgehaltener Pistole zwingt, den Schwerverletzten ins Kran- 2« Jäger, 1996, 97.
2« Rudolphi, NStZ 1989, 513.
263
Mit dieser Entscheidung beschäftigt sich der Aufsatz von Rudolphi, NStZ 1989, 508ff.,
257 Kolster, 1993,116. der vom Standpunkt der Chanceneröffnungstheorie aus zur Annahme eines Rücktritts
25
8 Dazu Bloy, JuS 1987, 534. kommt.

558 559
§ 30 VI 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VII § 30

Täter hinter der Bestleistung zurückbleibt, um sich nicht der Strafverfolgung auszuliefern, läßt reichen konnte. D e n n dann hat der Sohn einen unersetzlichen Rettungsbeitrag
das noch nicht auf einen fehlenden Rettungswillen schließen. geleistet. Als Bestleistung und damit als Verhinderung kann das freilich nicht
schon per se, sondern erst dann anerkannt werden, w e n n der Sohn nicht durch
259 Dagegen reicht die bloße Aufforderung (= „Anstiftung") nicht professionel-
sein vorhergehendes ergebnisloses Herumblättern im Telefonbuch die R e t t u n g des
ler Retter ohne sichernde Erfolgskontrolle für ein Verhindern nicht aus. Mit
Vaters in lebensgefährdender Weise verzögert und w e n n er auch das Eintreffen des
Recht hat also B G H M D R (D) 1972, 751 ( R n . 229) es nicht für einen Rücktritt
Rettungswagens abgewartet und dessen Insassen z u m Vater geführt hat. O b das
genügen lassen, daß der Täter eines versuchten Totschlages, der seine Frau nieder-
der Fall war, ist eine Tatfrage, auf die der B G H nicht eingeht, weil er in diesem
gestochen hatte, sich mit dem an seine Mutter gerichteten Worten entfernte, sie
Urteil fälschlich schon eine Minderleistung als ausreichende Verhinderung aner-
solle „alles Notwendige veranlassen". D e n n in solchen Fällen kann der Täter nicht
kennt (vgl. R n . 226).
wissen, ob der Angesprochene überhaupt etwas veranlaßt und ob es ggf. das R i c h -
tige und Gebotene ist. Der Sohn hätte also seine Mutter konkret auffordern m ü s - Eine Mittelstellung zwischen Chanceneröffnungs- und Bestleistungstheorie schreibt 263
Kolster der von ihm begründeten „Kompensationstheorie" zu. Danach müssen die Anforde-
sen, einen Arzt und einen Krankenwagen herbeizurufen, und er hätte sich nicht rungen an die Vollendungsverhinderung „ein ausreichendes Gegengewicht zum Versuchsver-
eher entfernen dürfen, bis diese eintrafen und er nicht weiter benötigt w u r d e . 2 6 4 halten bilden" wobei der Rettungswille sich in einer „geeigneten Rettungsmaßnahme unter
260 W o ein Versuchstäter nur als „Gehilfe" des Retters auftritt, wird eine Verhin- Beachtung der Tatsituation und der persönlichen Fähigkeiten manifestiert" haben muß. Das ist
ein zu vager Maßstab. Doch zeigen die praktischen Ergebnisse, zu denen der Autor 267 kommt,
derung von den meisten Autoren abgelehnt; 2 6 5 aber auch hier ist eine Differenzie- daß sie etwa denen der Bestleistungstheorie entsprechen, wenn man, wie es auch hier ge-
rung geboten, für die der Telefonbuch-Fall (BGH N J W 1986,1001, R n . 226) ein schieht (Rn. 254), verschiedene, annähernd gleichwertige Leistungen noch als Bestleistungen
anerkennt. So lehnt er mit der hier vertretenen Auffassung im Krankenhaus- und im Brand-
schönes Beispiel gibt. Wo ein Gehilfenbeitrag ohne weiteres ersetzbar ist, kann
Fall (Rn. 252) eine Vollendungsverhinderung ab. 268
er nicht als Verhinderungsleistung angesehen werden, weil es seiner zu der von Eine vermittelnde Lösung anderer Art vertritt Boß. Er verlangt keine „Optimalleistungen" 264
anderen vorgenommenen Verhinderung nicht bedurfte. W e n n also der Sohn, der sondern stellt auf „die Geeignetheit der Rettungshandlung und die mit ihr verbundene Vor-
seinen Vater niedergestochen hat ( R n . 226), i h m zur Herbeiholung von Hilfe nur aussehbarkeit des Rettungserfolges" ab. In „seltenen Ausnahmefällen" wird auch dem Erfor-
dernis, daß der Erfolg „als Werk" des Täters erscheint, selbständige Bedeutung beigemessen.
das Telefonbuch reicht, das dieser sich auch selbst hätte nehmen können, ist das Auch diese Lösung erscheint als zu unbestimmt. Denn vorhersehbar ist ein Rettungserfolg im-
kein Verhindern. Ebensowenig reicht es aus, daß jemand sein Auto herleiht, damit mer, wenn dafür eine Chance eröffnet wird. Das meint aber Boß nicht, denn auch er lehnt im
der von ihm lebensgefährlich Verletzte durch andere ins Krankenhaus gefahren Krankenhaus- und im Brandfall eine „Verhinderung" ab, obwohl die Täter eine ernsthafte,
wenn auch nicht ausreichende Rettungsmöglichkeit geschaffen hatten, die sich auch verwirk-
werden kann, wenn dafür auch zahlreiche andere Autos zur Verfügung stehen. licht hat. Für eine „Geeignetheit" die mehr als eine reelle Chance und weniger als die hier ge-
261 Eine andere Würdigung verdient aber der Fall, daß der Gehilfe einen forderte annähernde Bestleistung verlangt, läßt sich keine handhabbare Abgrenzung finden.
Doch zeigen die praktischen Ergebnisse, zu denen Boß gelangt, daß er der hier vertretenen Lö-
unersetzlichen Rettungsbeitrag leistet. Man nehme an, der Täter eines versuch- sung nahekommt.
ten Giftmordes verfügt über das einzige wirksame Gegengift und stellt es dem
Krankenhaus, in das das Opfer eingeliefert worden ist, zur Verfügung! Hier ist der
Lieferant des Gegengiftes nur „Gehilfe" der „täterschaftlich" im Krankenhaus vor-
VII. Das freiwillige und ernsthafte B e m ü h e n b e i m nichtkausalen Rücktritt
genommenen Vollendungsverhinderung. Da er aber einen entscheidenden und
auch bestmöglichen Beitrag zur R e t t u n g des Opfers geleistet hat, ist dieses als Ver- 1. Ratio und Entstehung der Vorschrift
hinderung und als Rücktritt anzuerkennen. Die Übertragung von Begriffen der
Mit dem nichtkausalen Rücktritt beschäftigt sich § 24 I 2: „Wird die Tat ohne 265
Teilnahmelehre auf die Rücktrittssituationen kann keine Problemlösungen präju-
Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, w e n n er sich frei-
dizieren. Diese sind nach ihren eigenen Regeln zu behandeln, wonach der Täter
willig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern." Die Vorschrift erfaßt
vom Versuch zurücktritt, w e n n er sein Bestes zur Verhinderung tut und diese auch
vor allem den untauglichen Versuch: Will A den B durch Gift töten, verabreicht er
erreicht. ihm aber in Unkenntnis über dessen W i r k u n g eine viel zu geringe, objektiv u n -
262 Im Telefonbuch-Fall (BGH N J W 1986,1001, R n . 226) k o m m t also, obwohl der schädliche Menge, so kann er, w e n n er sich eines Besseren besinnt, durch Herbei-
Sohn bloßer Gehilfe des seine R e t t u n g selbst in die Hand nehmenden Vaters ist,
ein Rücktritt sehr wohl in Frage, wenn der schwerverletzte Vater dieses Buch zur
266
Herbeiholung von Hilfe benötigte und selbst infolge seines Zustandes nicht er- Hier und die folgenden Zitate: Kolster, 1993,112.
2w Kofoer, 1993,115 ff.
268 Kolster, 1993,115-121.
264 Für Rücktritt aber Bloy, JuS 1987, 535; Grünwald, Welzel-FS, 1974, 715, Fn.48; SK6-Rudol- 2« Boß, 2002,158.
270 Boß, 2002,161.
ph, §24, Rn.27bff. 27i Boß, 2002,187 ff.
2« Vgl. Bloy, JuS 1987, 535; Rudolphi, NStZ 1989, 514; Jäger, 1996, 96.
561
560
§ 30 VII 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VII § 30
rufung eines Arztes freiwillig zurücktreten, obwohl der Erfolg ohnehin nicht ein- deswegen auf die Herbeiholung eines Krankenwagens und halfen am Tatort, ohne
treten konnte. Die Vorschrift ist aber auch anwendbar, wenn der Versuch an sich ihre Verwicklung in den Fall zu offenbaren.
tauglich ist, aber durch Gegenmaßnahmen des Opfers, das Eingreifen eines Drit- Der BGH hat bei dieser Sachlage ein „Bemühen" abgelehnt. Dazu gehöre jeden- 269
ten oder andere Umstände nicht zum Erfolge führt: Wer eine Bombe mit Zeitzün- falls „mehr als bloß etwas tun wollen und sich dazu auf d£n Weg machen. Min-
der gelegt hat, kann, auch wenn die Polizei sie schon entdeckt hat, solange er dies destens gehört dazu - ohne daß damit schon eine Abgrenzung vollzogen werden
nicht weiß, immer noch durch einen seine Tat anzeigenden Anruf bei der Polizei soll -, daß der Täter die Handlungsreihe, die den Erfolg abwenden soll, bereits in
freiwillig zurücktreten. einer Weise in Gang gesetzt hat, die sein Vorhaben nach außen hin eindeutig er-
266 Die ratio der Vorschrift, die erst durch die Strafrechtsreform (1975) in das StGB kennen läßt. Andernfalls könnte er sich immer auf eine solche Absicht heraus-
gekommen ist, verdient Zustimmung. Wenn allein die subjektive Vorstellung des reden." Das hat in der Literatur überwiegend Beifall gefunden und wird meist auf
Täters einen Versuch begründen kann, muß sie beim Ausbleiben des Erfolges auch die Formel gebracht, daß der Gang zur Telefonzelle noch kein „Bemühen" sei,
einen Rücktritt ermöglichen können. Es wäre ein untragbarer Wertungswider- wohl aber die Wahl der Nummer eines Arztes oder Rettungsschwimmers. 272
spruch, wenn derjenige, der dem Opfer eine zur Tötung hinreichende Menge Gift Gleichwohl überzeugt diese Lösung wenig. 273 Soweit der BGH auf die Beweis- 270
beigebracht hat, vom Versuch zurücktreten könnte, nicht aber der, dessen Giftzu- barkeit des Verhinderungswillens abstellt, vermengt er materiellrechtliche und
führung entgegen seiner Annahme von vornherein unschädlich war (vgl. prozessuale Kategorien. Gewiß kann die bloße Behauptung des sich vom Tatort
Rn. 265). Der BGH hatte deshalb entgegen der Rspr. des RG schon unter dem bis entfernenden Täters, er sei auf dem Wege zum Arzt gewesen, für die Zubilligung
1975 geltenden alten Recht, dessen § 46 Nr. 2 eine Erfolgsabwendung durch den eines „Bemühens" noch nicht ausreichen, wenn es dafür keinerlei Anhaltspunkte
Versuchstäter verlangte, in einem entsprechenden Sachverhalt (BGHSt 11, 324: gibt und z. B. vom Tatort aus die Herbeirufung eines Arztes viel rascher und ein-
Luminalfall) einen Rücktritt vom untauglichen Versuch bei ernstlichem Verhin- facher möglich gewesen wäre. Die Einlassung ist dann nicht glaubhaft. Das Vor-
derungsbemühen des Täters zugelassen (u.a. durch Heranziehung des in § 49 a IV, liegen innerer Tatsachen kann - wie auch sonst - nur aus objektiven Indizien
dem heutigen § 31II, damals schon enthaltenen Rechtsgedankens). Der BGH hatte gefolgert werden, die noch nicht im bloßen „Gehen" liegen, in dem vom BGH
seine Entscheidung auf den Fall des untauglichen Versuchs beschränkt und offen- entschiedenen Fall aber aus anderen Umständen zu entnehmen sind. Die eine Ent-
gelassen, wie zu entscheiden ist, wenn der Erfolg bei tauglichem Versuch unab- deckungsgefahr mit sich bringende Rückkehr in Tatortnähe und die nachfolgende
hängig von den Bemühungen des Täters ausbleibt. § 24 I 2 hat jetzt diese Fälle Hilfe am Tatort machen die Einlassung der Täter, sie hätten einen Arzt benach-
(vgl. Rn. 265) denen des untauglichen Versuchs gleichgestellt. richtigen wollen, hinreichend plausibel, so daß nach dem in-dubio-Grundsatz da-
von auszugehen war. Dann aber kann man dem Gang zum Arzt nicht schlechthin
den Bemühens-Charakter schon aus Beweisgründen absprechen. Der Täter kann
2. Das Bemühen ggf. seinen Entschluß, einen Arzt zu holen, ja auch Umstehenden oder dem Opfer
267 Voraussetzung auch eines nichtkausalen Rücktritts ist, daß der Täter die Tat mitgeteilt haben.
noch für vollendbar gehalten hat: „Ist er sich des Fehlschlags bewußt, kann er Materiell ließe sich der BGH-Entscheidung eine Differenzierung zwischen ei- 271
nicht mehr zurücktreten, sondern allenfalls auf einen neuen Versuch verzichten" nem - ggf. strafbefreienden - Versuch der Erfolgsabwendung und ihrer noch
(BGH MDR 1969, 494). Das ist richtig: Niemand kann sich um die Verhinderung nicht ausreichenden Vorbereitung unterlegen. Man müßte dann verlangen, „daß
eines Erfolges bemühen, wenn dieser nach seiner Vorstellung nicht mehr eintreten der Täter zu dem Zeitpunkt, in dem er die Untauglichkeit bzw. den Fehlschlag des
kann und daher nicht verhindert zu werden braucht. Hat er sich schon ernstlich Versuchs erkennt, zur Erfolgsabwendung bereits unmittelbar angesetzt, d. h. sei-
bemüht und erkennt er nun den Fehlschlag, ändert das hingegen nichts mehr am nen Rücktrittsentschluß schon in Form eines unbeendeten Versuchs' betätigt
Rücktritt. hat".274 Dann wäre freilich das Sich-auf-den-Weg-Machen noch kein Bemühen.
268 Es ist daher eine wichtige Frage, von welchem Zeitpunkt an man sagen kann, Aber selbst der Anruf beim Arzt wäre kein Versuch der Abwendung, sondern nur
daß der Verhinderungswillige sich „bemüht" habe. Die bloße Erklärung, sich be- eine versuchte Anstiftung dazu. Soll das ausreichen, obwohl die versuchte Anstif-
mühen zu wollen, ist sicher noch kein Bemühen. Aber wie viel Tätigkeit ist erfor- tung im Grunde noch eine Vorbereitung ist? Erst recht würde das für das bloße
derlich? BGH NJW 1973, 632 f. behandelt einen Fall, in dem die beiden Täter nach Wählen der Nummer eines Arztes gelten. Bei einer Beschränkung auf versuchte
beendetem Tötungsversuch das Opfer zunächst hatten liegen lassen. Dann hatten Abwendungen bleiben bei einer solchen Konzeption nur noch wenige Fälle straf-
sie Bedenken bekommen und sich auf den Weg in ein Gasthaus gemacht, von wo
aus sie einen Arzt anrufen wollten. Dabei kamen sie am Tatort vorbei und bemerk- ™ Vgl. etwa Kühl, AT3, § 16, Rn. 87; Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 71; LK10-Vogler, 8 24, Rn. 137
2
" Krit. auch Römer, 1987, 77 ff.
ten, daß schon andere Personen sich um das Opfer kümmerten. Sie verzichteten 274 SK6-Rudolphi, § 24, Rn. 30.

562
§ 30 VII 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch §30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VII §30

befreienden Rücktritts übrig. Denn wenn jemand schon mit der Verhinderung ein Problem nicht des Bemühens, sondern der Freiwilligkeit, das bei Erörterung dieses Merk-
mals näher zu besprechen ist (vgl. Rn. 395 ff.).
angefangen hat, werden nur noch wenige Versuche aus anderen Gründen scheitern
oder erst nachträglich als untauglich erkannt werden. Kann der Versuch nicht voll-
3. Die Ernstlichkeit des Bemühens
endet werden, wird der Täter das i. d. R. am Tatort kurz vor dem Beginn der Ab-
wendungshandlung bemerken und dann nicht mehr zurücktreten können. Eine Die „Ernstlichkeit" des Bemühens setzt nach der hier vertretenen Auffassung 275
so weitgehende Restriktion widerspricht dem Grundgedanken des § 24 I 2, den voraus, daß der Täter das aus seiner Sicht beste Mittel zur Verhinderung des Erfol-
nichtkausalen dem kausalen Rücktritt gleichzustellen. ges einsetzt. Die Gründe dafür sind oben (Rn.237ff., 246 ff.) im Zusammenhang
272 Es ist daher richtiger, auch die Vorbereitung der Erfolgsverhinderung schon als mit dem Erfordernis der Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch dar-
„Bemühen" anzuerkennen. Dafür spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes, der gelegt worden und gelten auch hier. Wenn der Täter schon bei einer tatsächlichen
auch die Vorbereitung umfaßt. Wenn jemand für eine zu schreibende Abhandlung Verursachung der Erfolgsabwendung nur dann straffrei wird, wenn er sein Bestes
Literatur sammelt, bemüht er sich um den Beitrag, auch wenn er seine Abfassung zur Verhinderung getan hat, dann muß das bei objektiv erfolglosem Handeln
erst vorbereitet. Genauso bemüht sich um die Rettung des Opfers auch schon der, ebenso und erst recht gelten. Die Einschränkung, die beim beendeten Versuch für
der in helfender Absicht zum Arzt oder an die Unfallstelle eilt. Für diese Deutung den Fall der eigenhändigen Erfolgsverhinderung zu machen war (Rn. 243 ff), fin-
läßt sich auch der kriminalpolitische Gesichtspunkt geltend machen, daß etwa ein det hier keine Parallele, weil kein kausaler Rücktritt vorliegt. Die hier verfochtene
strapaziöser Dauerlauf zum Arzt oder Krankenhaus weit mehr Persönlichkeitsein- Lösung führt gleichzeitig zu einer sehr erwünschten Harmonisierung 278 der
satz erfordern kann als das Wählen einer Telefonnummer. Jedenfalls leuchtet nicht Rücktrittsvoraussetzungen beim beendeten (§ 24 11, 2. Halbs.) und beim untaug-
ein, daß ggf. die Möglichkeit eines Rücktritts davon abhängen soll, ob gerade ein lichen bzw. gescheiterten Versuch (§ 24 I 2). Da Zweifel entstehen können, ob die
Telefon zur Hand war oder nicht. Man wird deshalb als „Bemühen" alle diejeni- eine oder die andere Vorschrift anzuwenden ist (d.h. ob der Erfolg ohne die Be-
gen Handlungen anerkennen müssen, die aus der Sicht des Täters die Chance mühungen des Täters eingetreten wäre oder nicht), ist es schon aus diesem Grunde
angemessen, an die Verhinderungsbemühungen hier und da dieselben Anforde-
der Erfolgsabwendung erhöhen. Ein solcher Fall liegt auch dann vor, wenn der
rungen zu stellen.
Täter sich zur Rettung auf den Weg macht.
273 Im Einzelfall kann das strafbefreiende „Bemühen" sogar in einem Unterlassen Anders als beim beendeten Versuch verlangen im Falle des § 24 I 2 auch Rspr. 276
liegen, wenn nämlich der Unterlassende davon ausgeht, daß ohne sein Handeln und Lehre durchgängig, daß der Täter das aus seiner Sicht Beste leisten muß, wenn
der Erfolg nicht eintreten kann. Er wird dann durch sein Unterlassen straffrei, sein Bemühen als „ernsthaft" anerkannt werden soll. „Der Täter muß", heißt es in
auch wenn der Erfolg ohnehin aus einem anderen Grunde nicht eintreten konnte. BGHSt 31, 50, „eine ihm bekannte, objektiv oder doch wenigstens aus seiner Sicht
„Ist die Durchführung der geplanten Tat ohne den zugesagten Tatbeitrag des Zu- ausreichende Verhinderungsmöglichkeit ausschöpfen." „Der Täter muß alles tun,
rücktretenden nicht möglich, oder kann derjenige sicher davon ausgehen, die Tat was in seinen Kräften steht und was nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwen-
werde ohne seine Mitwirkung nicht ausgeführt werden, so hat er dadurch, daß er dung erforderlich ist" (BGHSt 33, 302). 279 Wenn also die Täterin nach einem ob-
seinen Tatbeitrag nicht erbringt, sich also passiv verhält, das aus seiner Sicht Erfor- jektiv untauglichen, aber aus ihrer Sicht beendeten Giftmordversuch „halben Her-
derliche getan, um die Straftat zu verhindern."275 Allerdings wird es sich bei dem zens" damit einverstanden ist und „gestattet", daß ein Dritter das Rote Kreuz an-
„Bemühen durch Unterlassen" i. d. R. um Fälle des § 31II, nicht des § 24 I 2 han- ruft, so ist das kein ernsthaftes Bemühen (BGH M D R (D) 1969, 532). Wenn der
deln. 276 Doch lassen sich auch bei § 24 I 2 ernsthafte Verhinderungsbemühungen Täter seiner Frau in Tötungsabsicht einen Stich in den Rücken versetzt, den er für
durch Unterlassen immerhin denken. So, wenn jemand eine funktionsuntüchtige, möglicherweise tödlich hält, so ist es kein ernsthaftes Bemühen um Erfolgsver-
von ihm aber für explosionsfähig gehaltene Zeitbombe installiert hat und es be- hinderung, wenn er ihr lediglich zur Stillung des Blutes ein Bündel Babywäsche
wußt unterläßt, den Hund zu verjagen, der ihren Zünder zerbeißt.277 in den Rücken stopft (BGH M D R (D) 1978, 279). Wenn der Täter von einer Fern-
274 Eine Entdeckung des Täters durch das Opfer oder Dritte hindert dessen Rettungsbemühun- sprechzelle aus Hilfe herbeiholen will, dieses Bemühen aber aufgibt, weil er keine
gen nicht, wenn sie nicht in den Augen des Täters die Vollendbarkeit der Tat ausschließt. Doch Münzen bei sich hat, und die Benachrichtigung anderer Personen oder einer ge-
kann die Entdeckung zur Unfreiwilligkeit des Rücktritts fuhren, wenn der Täter z. B. nur aus genüberliegenden Rote-Kreuz-Station unterläßt, um sich nicht als Täter zu offen-
Furcht vor einer Anzeige Abwendungsbemühungen unternimmt. Es handelt sich hier also um
baren, hat er sich nicht ernsthaft bemüht (BGH M D R 1978, 985). Ebensowenig
hegt ein ernsthaftes Bemühen vor, wenn der Täter sich nicht darum kümmert, ob
275 BGH GA1973, 243. die herbeigerufenen Helfer auch wirklich tätig werden (BGH J R 1986, 423).
276 So auch in BGH GA 1973, 243, wo es um § 49 a IV a.F. (= heute § 31II) ging.
2?
277 Ausführt. Maiwald, E. A. Wolff-FS, 1998, 351 ff.; von ihm stammt auch das im Text 8 Zur Harmonisierung der Rücktrittsvorschriften Römer, MDR 1989 945
gebrachte Beispiel. 279 Im Anschluß an BGH MDR (H) 1978, 279.

564 565
§ 30 VII 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VII § 30
277 Die Gegenmeinung, daß auch aus der Sicht des Täters unzureichende Bemühungen „ernst- oder gescheiterten Versuchs im Verhältnis zu dem eines tauglichen Versuchs nicht
haft" sein können, ist in der Literatur vereinzelt geblieben. So meint Grünwald2*0, daß der privilegieren dürfe. So, wie dieser den Erfolgseintritt verhindern müsse, müsse je-
Täter „von mehreren Rettungsmöglichkeiten die mit der höchsten Erfolgswahrscheinlichkeit
ergreift", sei nicht erforderlich. Der Täter brauche nicht alles ihm Mögliche getan zu haben, es ner eine hypothetische Verhinderungskausalität ins Werk setzen oder - nach einer
seien keine strengen Anforderungen zu stellen. Er begründet das mit einer Parallele zur Ver- milderen Variante - doch wenigstens objektiv abwendungsgeeignete Maßnahmen
hinderung in § 24 11, 2. Halbs.: „Die gegenteilige Annahme wäre eine Schlechterstellung ge- ergreifen.286 „Solange der Täter glaubt, der Erfolg könne von ihm noch erreicht
genüber dem Täter des aussichtsreichen Versuchs, der ja auch durch eine ex ante unsichere Ge-
genmaßnahme Straffreiheit erlangen kann." Aber das ist irrig (oben Rn. 237ff., 246ff.), so daß werden oder auf Grund der angelegten Kausalkette eintreten, ist es sinnvoll, ihm
mit der Prämisse auch die Folgerung entfällt. genausoviel an Abwehrbemühungen abzuverlangen wie dem Delinquenten, der
taugliche Bedingungen setzte. So wie dieser die konkrete Rechtsgutsgefährdung
278 Freilich kann der Täter eine aus seiner Sicht weniger geeignete, aber bequemere
beseitigen muß, muß jener der abstrakten entgegenwirken, sollen die präventiven
oder eine geringere Entdeckungsgefahr in sich tragende Maßnahme ohne Verlust
Gründe für die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs entfallen."287
seiner Rücktrittsmöglichkeit ergreifen, wenn er davon ausgeht, bei ausbleiben-
dem Erfolg immer noch die bessere Möglichkeit wählen zu können. 281 Außerdem Die besseren Gründe sprechen jedoch für die herrschende Gegenmeinung, 288 281
muß es wie bei der Erfolgsverhinderung (Rn. 253) nach § 24 I 1 ausreichen, daß wonach es genügt, wenn der Täter das Mittel einsetzt, das er subjektiv für das
der Täter Verhinderungsmaßnahmen trifft, die dem optimalen Verhalten nur an- zur Abwendung am besten geeignete hält. Denn die Ernsthaftigkeit der
nähernd entsprechen.282 Andererseits muß ein Täter, wenn er sieht, daß das ge- Verhinderungsbemühungen ersetzt nicht die reale Erfolgsabwendung beim taug-
wählte Mittel erfolglos bleibt, weitere Rettungsmöglichkeiten ergreifen, wenn lichen beendeten Versuch, sondern tritt schon dort neben sie (vgl. oben
ihm das Rücktrittsprivileg erhalten bleiben soll. 283 Wenn der angerufene Arzt A Rn. 237 ff.; 246 ff.); deshalb kann es auf eine hypothetische Verhinderungskausali-
nicht zu Hause ist, bemüht sich der Täter also nur ernsthaft, wenn er nunmehr den tät nicht ankommen. 289 Hinzu kommt: Wenn beim untauglichen Versuch allein
Arzt B konsultiert. die subjektiven Fehlvorstellungen des Täters eine strafbedürftige Friedensstörung
279 Strittig ist die Frage, ob die Ernsthaftigkeit des Bemühens nicht nur voraussetzt, bewirken, ist es konsequent, auch seine subjektiv optimalen Rettungsbemühun-
daß der Täter subjektiv den ihm am geeignetsten erscheinenden Rettungsweg ge- gen als eine hinreichende Beseitigung dieser Friedensstörung zu beurteilen. Frei-
gangen ist, sondern ob darüber hinaus auch objektiv verlangt werden muß, daß lich erfaßt § 24 I 2 auch taugliche, objektiv fehlgeschlagene (gescheiterte) Versu-
die Handlung des Täters, wenn seine Annahme eines möglichen Erfolgseintritts che. Aber wenn beim unbeendeten Versuch ein Aufhören in der subjektiv-irrigen
zutreffend gewesen wäre, den Erfolg tatsächlich abgewendet hätte oder doch we- Annahme, ein Erfolg werde nicht eintreten, von Strafe befreit (vorausgesetzt, der
nigstens ex ante dazu geeignet gewesen wäre. Z.B. will A den B mit Hilfe von Ar- Erfolg bleibt aus einem anderen Grunde aus), ist nicht einzusehen, warum beim
sen töten, schüttet ihm aber infolge einer Verwechslung Aspirin statt Arsen in den beendeten Versuch nicht entsprechend subjektiv geeignete Maßnahmen genügen
Kaffee. Hernach besinnt er sich eines Besseren und ruft einen Notarzt; dieser sollen, wenn der Erfolg ohne Zutun des Täters ausbleibt. Man kann diese Überle-
hätte, wie der Sachverständige feststellt, den B nicht mehr retten können, wenn gungen unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten in einem Satz zusammenfas-
dieser tatsächlich Arsen zu sich genommen hätte. 284 Hier hat der Täter sich zwar sen: Wenn objektiv nichts geschehen ist und der Täter sich subjektiv nach besten
subjektiv ernsthaft um eine Rettung bemüht; sie wäre aber auf der Grundlage sei- Kräften um eine Erfolgsverhinderung bemüht hat, besteht kein Strafbedürfnis.
nes Vorstellungsbildes objektiv nicht gelungen. Auch als ein bei objektiver Be- Aus diesem Grunde ist es auch nicht richtig, für die Ernsthaftigkeit des Bemü- 282
trachtung geeignetes Mittel zur Erfolgsabwendung kann man die Herbeirufung hens eine sorgfältige Prüfung des Täters zu verlangen, ob die von ihm gewählte
des Arztes in einem solchen Fall nicht ansehen.285 Verhinderungsart auch wirklich die objektiv beste sei. 290 Denn auf diese Weise
280 Als Argument für das Erfordernis einer objektiv-hypothetischen Abwen- wird die soeben (Rn. 281) verworfene objektive Beurteilung auf einem Umweg
dungskausalität läßt sich geltend machen, daß man den Täter eines untauglichen
286 Hauptvertreter dieser Auffassung sind Arzt, GA 1964, 1, und Bottke, 1979, 532 ff. (mit
28
einer weiteren Differenzierung aaO., 537).
o Grünwald, W e l z e l - F S , 1974, 715 b e i u n d i n F n . 3 8 . 287 Bottke, 1979, 536. '
28i Gores, 1982, 209f.; SK 6 -Rudolphi, § 24, R n . 3 0 . 288 Grünwald, Welzel-FS, 1974, 715 f.; Lenckner, Gallas-FS, 1973, 298; Maiwald, ZStW 88
282 Abi. Römer, 1987, 59 ff. Wie unser Text will aber auch Maiwald, E. A.-Wolff-FS, 1998, (1976), 714, 726; Römer, 1987, 66 ff. D e m folgt durchweg die Kommentar- u n d Lehrbuchlitera-
341, 359, „zweitbeste" Rücktrittsbemühungen genügen lassen. tur; vgl. nur Baumann/Weber, AT 10 , § 27 III1 b; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 51 HI 2, Fn. 34; Joecks3,
283 Grünwald, Welzel-FS, 1974, 716; d e m folgen B G H M D R (H) 1978, 279 und die übrige §24, R n . 3 3 ; Maiwald, E. A.Wolff-FS, 1998, 341 ff.; SKk-Rudolphi, §24, R n . 3 0 ; Sck/Sch/Eser26,
Literatur. § 24, R n . 71; Ui10-Vogler, § 24, R n . 136.
284 Bsp. v o n Römer, 1987, 67. 289 Vgl. Römer, 1987, 69.
285
So aber anscheinend Römer, 1987, 67, der als Beispiel für eine von vornherein fehlende 290 So aber IKW-Vogler, § 24, R n . 140. Dagegen mit Recht Grünwald, Welzel-FS, 1974,
Abwendungseignung den Fall nennt, daß der Täter d e m antelefonierten Arzt fälschlich eine 215f.; Lenckner, Gallas-FS, 1973, 299; Römer, 1987, 63ff.; SK 6 -Rudolphi, § 2 4 , R n . 3 0 ; Sch/Sch)
26
unrichtige Adresse angibt. Eser , § 24, R n . 72.
566
567
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VIII § 30
§ 30 VII 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
Denn wenn das Opfer daraufhin stirbt, ist sein Tod dem Täter nicht zuzurech-
doch wieder zu einer Voraussetzung der Ernsthaftigkeit: Hat der Täter den nach
nen. 2 9 7 Er hat nur einen Versuch begangen, von dem er durch seine ernsthaften
seiner Einsicht besten, objektiv aber nicht oder nicht im erforderlichen Maß ab- Rettungsbemühungen freiwillig zurückgetreten ist.
wendungstauglichen Rettungsweg eingeschlagen, kann man i h m das Rücktritts-
privileg wegen unzureichender Prüfung versagen. Gerade das sollte aus den
R n . 281 genannten Gründen nicht geschehen. VIII. Der Rücktritt v o m erfolgsqualifizierten Delikt
283 Eine Konzession freilich wird man der objektiven Auffassung machen müssen:
1. Rspr. und h . L . : ein Rücktritt ist m ö g l i c h
Wenn der Täter sich bei seinen Rettungsbemühungen irrealer Mittel bedient, die
er für die geeignetsten hält, kann das nicht als ernsthaftes Bemühen gelten. 2 9 1 Er Der Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Delikt ist im Jahre 1996 erstmals zum 285
wird also nicht straffrei, w e n n er sich zur R e t t u n g des Opfers auf magische Prak- Gegenstand einer grundsätzlichen BGH-Entscheidung geworden (BGH J Z 1997,
tiken oder ein „Gesundbeten" beschränkt. D e n n der Einsatz irrealer Methoden ist 261 = BGHSt 42,158). Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
rechtlich ohne Bedeutung: Wie der abergläubische Versuch keine hinreichende Die Angeklagten hatten sich bei einem Einbruch mit einer Pistole bewaffnet; sie sollte be-
Friedensstörung bedeutet und deshalb straflos bleibt (oben § 2 9 , R n . 8, 371 ff.), nutzt werden, um etwaigen Widerstand zu brechen. Sie sollte erforderlichenfalls auf Menschen
gerichtet werden; doch der Plan ging dahin, nur auf den Boden oder in die Luft zu schießen.
können irreale Rettungsbemühungen, weil sie von niemandem ernst g e n o m m e n Als die Angeklagten von B überrascht wurden, richtete A, einer der Angeklagten, die Pistole
werden, das Strafbedürfnis nicht wieder aufheben. Dagegen wird man, da es auf auf ihn. Dabei löste sich ungewollt ein Schuß, der den B tötete. A war sehr erschrocken; alle
die hypothetische Verhinderungsmöglichkeit nicht ankommt, auch grob unver- Beteiligten machten ihm heftige Vorwürfe. Sämtliche Angeklagte (einschließlich des A) bra-
chen daraufhin die weitere Tatausfiihrung ab und verließen den Tatort ohne Beute.
ständige Abwendungsbemühungen ausreichen lassen müssen, w e n n nur der Täter
von ihrer optimalen Eignung ausgeht. 2 9 2 Hier lag beim Tod des B ein versuchter R a u b mit Todesfolge vor (§§249 I, 286
251, 22). D e n n da die tatbestandsspezifische Gefahr in der Nötigungshandlung
4. D e r Rücktritt bei nicht zurechenbarem Erfolgseintritt (Gewalt oder Drohung) und nicht in der Wegnahme liegt, genügt bereits der Ver-
284 Grundsätzlich können noch so ernsthafte Abwendungsbemühungen des Täters such des § 249 für die Auslösung der in § 251 vorgesehenen Rechtsfolge. Geht man
nicht zum Rücktritt führen, w e n n der Erfolg trotzdem eintritt. Das entspricht von einer leichtfertigen Todesverursachung aus, ist dann die Strafe lebenslang oder
den für das gesamte Rücktrittsrecht geltenden Regeln (vgl. oben Rn.ll3f.) und Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, wobei ggf. die fakultative Versuchsmilde-
auch dem Wortlaut des § 24 I 2 („wird die Tat nicht vollendet"). Eine (scheinbare) rung nach § 49 I eingreifen kann. Es fragt sich jedoch, ob im geschilderten Fall ein
Ausnahme gilt aber für den Fall, daß der Erfolgseintritt dem Täter nicht zurechen- freiwilliger Rücktritt vom Raubversuch einschließlich der Erfolgsqualifikation
bar ist (vgl. schon oben R n . 113 ff.). W e n n A den B mit Tötungsvorsatz nieder- vorliegt. Bei seiner Annahme bleibt nur die sehr viel geringere Strafbarkeit nach
sticht, hernach mit Rettungsabsicht an den Tatort zurückkehrt, w o jedoch ein § 222 übrig.
Dritter unabhängig von A den B inzwischen erstochen hat, 2 9 3 kann A nach § 24 I Der B G H hat eine Rücktrittsmöglichkeit bejaht und hat damit die ältere 287
2 von Strafe befreit werden. 2 9 4 D e n n der Tod des B ist keine Verwirklichung des Rspr. 2 9 8 und die h. M . 2 9 9 auf seiner Seite. Für die Rücktrittsmöglichkeit werden
von A gesetzten Risikos und diesem folglich nicht zuzurechnen. Für ihn stellt sich drei Argumente geltend gemacht. Erstens gestatte es der Wortlaut des § 24 I nicht,
das Geschehen nur als versuchter Mord dar, von dem er nach § 24 I 2 zurückgetre- dem Täter die Möglichkeit eines Rücktritts vom Versuch zu versagen; die Wort-
ten ist. Man m u ß § 24 I 2 sinngemäß so lesen, daß die Tat nicht oder in einer dem lautgrenze des Art. 103 II GG gelte auch im Allgemeinen Teil (BGH aaO., 262).
Täter nicht zurechenbaren Weise vollendet wird; dann ist § 24 I 2 bei solchen Kon- Zweitens werde der Grundtatbestand des Raubes bei Versagung eines Rücktritts
stellationen unmittelbar und nicht nur analog anwendbar. 2 9 5 Die praktisch wich- gegen das Gesetz in ein Unternehmensdelikt umgewandelt (BGH aaO., 262). 3 0 0
tigste Konsequenz des Zurechenbarkeitserfordernisses ist, daß das Opfer den Täter Drittens sei die Erfolgsqualifikation an eine „grunddeliktische Versuchsakzesso-
straflos macht, w e n n es dessen Rettungsbemühungen ablehnt und vereitelt. 2 9 6
297 Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 102.
298
Sie ist ohne Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten von der Möglichkeit eines
291 Bottke, 1979, 534f.; Herzberg, Jura 1990, 19-Jakobs, AT2, 25/22; Maiwald, E. A. Wolff-FS, Rücktritts ausgegangen; vgl. RGSt 75, 54; RG H R R 1941, Nr. 521; BGH NJW 1955, 1328.
1998, 343ff; Römer, 1987, 75ff.; SK6-Rudolphi, §24, Rn.30; anders wohl Lenckner, Gallas-FS, Näher dazu Ulsenheimer, Bockelmann-FS, 1979,405 ff.
1973, 298, Fn. 43. 299 Vgl. n u r aus n e u e r e r Z e i t Anders, G A 2 0 0 0 , 6 4 ( 7 2 - 7 6 ) ; Beinecke, J u S 1997,1151; Hardtung,
2« Ausführl. in diesem Sinne Maiwald, E. A. Wolff-FS, 1998, 342 ff. 2 0 0 2 , 256; Jakobs, A T 2 , 26/49; Joecks3, § 2 5 1 , R n . 1 4 ; Kindhäuser A T 2 , 478; Kudlich, J u S 1999, 355;
2M Bsp. bei Baumann/Weber, AT10, § 27 III1 b. Küper, JZ 1997, 229 (232); Uckner/Kühl24, § 24, Rn. 22; Marti«, JuS 1997, 178; Rengier, 1986,
294 Vgl. nur Kühl, AT3, § 16, Rn. 82; Otto, JA 1980, 645; SK6 -Rudolphi, § 24, Rn. 28; LK10- 244f.; Schmidhäuser, KT2,15/103; Sowada, Jura 1995, 644 (653); LK10-Vogler, § 24, Rn. 143 f.; Wes-
Vogler, § 24, Rn. 134. sels/Beulke, AT31, Rn. 653 a.
3
2« Für Analogie Maurach/Gössel, AT/27,41/95. °o Im Anschluß an AK-Paeffgen, § 18, Rn. 111,127; ders., NK, § 18, Rn. 130.
296 Vgl. dazu nur LK10 -Vogler, § 24, Rn. 117.
569
568
§ 30 VIII 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit VIII § 30
301
rietät" gebunden. Der Qualifikationstatbestand baue auf dem Grunddeliktsver-
3. Die Vorzugswürdigkeit der Mindermeinung
such auf; mit dem Rücktritt vom versuchten Grunddelikt entfalle „das Funda-
ment für die Anwendung der .vollendeten' Qualifikation auf diesen Versuch". Es Die besseren Gründe sprechen für die Mindermeinung, also für den Ausschluß 289
bleibe nur eine Nötigung mit Todesfolge übrig, die als solche keiner verschärften des Rücktritts. Daß das Ergebnis, zu dem die Rspr. führt, unbefriedigend ist, wird
Strafdrohung unterliege.302 auch von ihren Anhängern durchweg zugegeben. Auch der BGH meint (aaO.,
262), daß die von ihm abgelehnte Auffassung „im Einzelfall unbefriedigende Er-
2. Die Mindermeinung: ein Rücktritt ist ausgeschlossen gebnisse vermeiden könnte", doch bedürfe es dafür einer Gesetzesänderung. Er be-
zieht sich auf Radbruch, der schon 1906 307 eine Vorschrift vorgeschlagen hatte, der-
288 Die Gegenmeinung, die eine Rücktrittsmöglichkeit ausschließt,303 stützt sich
zufolge der Versuch bei erfolgsqualifizierten Delikten im Falle des Rücktritts nur
ebenfalls auf drei (zusammenhängende und sich überschneidende) Argumente. dann straflos bleiben solle, „wenn auch jener Erfolg ausgeblieben oder straflos ist".
Das erste stammt von Ulsenheimer, der die Lehre vom Rücktrittsausschluß in der Hinweise auf die unglücklichen Ergebnisse der h. L. finden sich auch sonst immer
Nachkriegszeit begründet hat. 304 Für ihn gilt: 305 „Der straferhöhende Umstand wieder.308
ist als spezifische Folge der tatbestandsmäßigen Gefahr bereits eingetreten, die
Strafverschärfung damit perfekt." Zwar fehle „gesetzestechnisch" noch das End- Es kommt also entscheidend darauf an, ob der Wortlaut wirklich nur im Sinne 290
stück des Raubes, so daß „formal gesehen" ein „Versuchsfali" vorliege, doch stehe einer „zwingend aus § 24 folgenden, aber unbefriedigenden Rechtslage"309 gedeu-
tet werden kann. Diese Frage ist zu verneinen. § 24 knüpft den Rücktritt vom
materiell „unter dem Gesichtspunkt der Gefahrverwirklichung und im Hinblick
Versuch an die Voraussetzung, daß der Täter „die weitere Ausführung der Tat auf-
auf die ratio legis der Erfolgsqualifikation" in diesem Versuch bereits ein vollende-
gibt". Aus diesem Wortlaut ergibt sich nicht, daß bei einem erfolgsqualifizierten
tes Delikt. Zweitens läßt sich geltend machen: Der Rücktritt vom Versuch ist als
Delikt mit der „Tat" allein der Grundtatbestand gemeint ist.310 Es liegt näher und
„Gefährdungsumkehr" zu verstehen. 306 Von einer durch den Versuch geschaffenen
ist jedenfalls sprachlich durchaus möglich, unter „Tat" das gesamte Delikt, also das
realen Gefährdung kann der Täter nur zurücktreten, sofern er diese Gefährdung
versuchte Grunddelikt einschließlich des qualifizierenden Erfolges, zu verstehen.
beseitigt. Daran fehlt es, wenn beim erfolgsqualifizierten Delikt der Erfolg als
Dann aber läßt sich die Ausführung der Tat nicht mehr aufgeben, soweit deren
Verwirklichung einer tatbestandsspezifischen Gefahr bereits eingetreten ist. Der
qualifizierender Erfolg bereits eingetreten ist. Mit Recht betont auch KüpePn in
Verzicht auf die Vollendung des Grunddelikts kann dann die schwere Friedens-
seiner bisher gründlichsten Analyse des Wortlautarguments, es ließe sich ohne
störung, die im qualifizierenden Erfolg liegt, nicht wieder beseitigen. Dieser
weiteres sagen, daß die „Tat" „mit dem Eintritt der schweren Folge bereits im we-
generalpräventive Gesichtspunkt läßt sich drittens durch das spezialpräventive Ar-
sentlichen ausgeführt oder vollendet sei und deshalb ein Aufgeben der weiteren
gument ergänzen, daß der Täter - am Beispiel unseres Falles erläutert - vom
Ausführung nicht mehr in Betracht komme". Er warnt mit Recht davor, der Sach-
Standpunkt der h. M. aus durch den Verzicht auf die Wegnahme schon dann von entscheidung unter Berufung auf einen mehrfacher Deutung fähigen Wortlaut
der Bestrafung aus § 251 befreit wird, wenn dieser Verzicht allein auf dem Kalkül auszuweichen.
beruht, auf diese Weise der Bestrafung für die Herbeiführung des Todeserfolges
entgehen zu wollen. Die Gewährung einer so weitgehenden Straffreiheit ist aber Nicht zutreffend ist auch die Annahme des BGH, durch den Ausschluß des 291
Rücktritts werde der Raubtatbestand in ein Unternehmensdelikt umgewan-
spezialpräventiv kontraindiziert, weil sie außer Verhältnis zum Verdienst des Täters
delt.312 Ein Unternehmensdelikt ist ein Tatbestand, bei dem Versuch und Voll-
steht. Es ist sachgerecht, den Täter für die Unterlassung der Wegnahme mit der
endung gleichgestellt werden (vgl. § 11 I Nr. 6). Davon kann hier nicht die Rede
Versuchsmilderung, nicht aber mit der Aufhebung der nach § 251 schon verwirk-
sein, weil der Täter nicht wegen eines vollendeten, sondern wegen eines versuch-
ten Strafe für die Erfolgsqualifikation zu belohnen.
ten erfolgsqualifizierten Delikts bestraft wird.
Nicht stichhaltig ist schließlich das Argument, daß die „grunddeliktische Ver- 292
suchsakzessorietät" eine Bestrafung ausschließe, so daß mit dem Rücktritt vom
30i Hier und im folgenden Küper, JZ 1997, 232. Grunddelikt eine Bestrafung wegen der Erfolgsqualifikation entfallen müsse.
302 Jakobs, AT 2 , 26/49, Fn. 89. Denn nach der hier vertretenen Meinung bilden das Grunddelikt (oder dessen
303 Bacher, 2 0 0 0 ; LKn-Herdegen, § 2 5 1 , R n . 1 6 ; Jäger, N S t Z 1998, 163; Tröndle/Fischer49, § 1 8 ,
Rn.4; Tröndle/Fischer50, § 18, Rn. 4 folgt jetzt der Rspr. u. h.M.; Ulsenheimer, Bockelmann-FS, 307 Radbruch,VDA, B d . 2, 2 3 6 .
1971, 405 ff.; Wolter, JuS 1981,178. 308 Vgl. e t w a Lackner/Kühl24, § 24, R n . 22; SK7-Rudolphi, § 18, R n . 8 a.
30" Ulsenheimer, Bockelmann-FS, 1979, 405 ff. Über seine Vorläufer Thomsen, 1895, und Glae- 309 Lackner/Kühl24, § 2 4 , R n . 22.
ser, 1933, vgl. Ulsenheimer aaO., 410f. 3io ZutrJä^er.NStZ 1998,163.
305 Ulsenheimer, B o c k e l m a n n - F S , 1979, 415. 3» Küper, JZ 1997, 231 f. (232); die anschließende Bemerkung aaO., 231.
306 Vgl. oben Rn. 24 im Anschluß anJäger, 1996. 3« DazuJäger, NStZ 1998,163.
570
571
§ 30 VIII 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit IX § 30

Versuch) mit dem qualifizierenden Erfolg eine einheitliche „Tat", von der nach IX. Der Teilrücktritt
dem Eintritt der schweren Folge nicht mehr zurückgetreten werden kann, so daß
der strafbare Grunddeliktsversuch als Anknüpfungspunkt für die Qualifikation Mit dem Begriff „Teilrücktritt" bezeichnet man den Fall, daß der Täter im Aus- 295
durchaus bestehenbleibt. Es ist also nicht richtig, daß nur eine Nötigung mit fuhrungsstadium auf einen bereits verwirklichten qualifizierenden Umstand frei-
Todesfolge gegeben sein soll. Im übrigen würde selbst unter der Prämisse eines
willig verzichtet, den Grundtatbestand dagegen vollendet. Die Konstellation wird
Rücktritts vom Raubversuch das Versuchsunrecht als Anknüpfungsgeschehen für
den Erfolg immer noch bestehenbleiben.313 erst lebhafter diskutiert, seit der BGH im Jahre 1983318 einen Fall dieser Art ent-
293 Küpe?u meint, wenn der Täter eines Raubversuchs das Opfer in Lebensgefahr gebracht ha- schieden hat.
be, die Erfolgsqualifikation des § 250 II Nr. 3 lit. b also verwirklicht sei, ließe sich diese durch Der Angeklagte hatte im Versuchsstadium einer räuberischen Erpressung eine Waffe bei sich
einen Verzicht auf die Wegnahme auch nicht mehr „zurückholen" und doch sei ein Rücktritt geführt (§§255, 250 I Nr. 1 a.F., 22). Plötzlich durchfuhr ihn ein „ekliges Gefühl". Er warf die
vom versuchten Raub zulässig; dann müsse für § 251 dasselbe gelten. Aber auch im Falle des Waffe fort, um seinen Tatplan nicht mehr mit ihrer Hilfe zu verwirklichen. Im übrigen wollte
§ 250 II Nr. 3 lit. b ist die Zulassung eines Rücktritts unangemessen, soweit der Täter nicht die er nach wie vor in den Besitz des Geldes gelangen.
Gefährlichkeit seines Verhaltens selbst neutralisiert hat. „Es ist nicht einzusehen, warum ein Die Vorinstanz hatte darin einen freiwilligen Teilrücktritt gesehen und den An- 296
Täter vom versuchten gefährlichen Raub ... zurücktreten können soll, indem er nur das Un-
geklagten nur wegen versuchter einfacher räuberischer Erpressung verurteilt
gefährliche an ihm tilgt."315 Anders liegt es im Falle des § 2501 Nr. \ lit. a. Wenn der Täter mit
der Waffe wieder nach Hause geht, bevor er die Beute genommen hat, hat er selbst die Gefähr- (§§255, 249, 22). Dagegen will der BGH einen solchen Teilrücktritt nicht zulas-
lichkeit seines Tuns beseitigt, und deshalb ist ein strafbefreiender Rücktritt möglich (vgl. dazu sen. Die Qualifikation setze nur voraus, daß der Räuber (bzw. Erpresser) „eine
näher Rn. 295 ff). Schußwaffe bei sich führt. Das bedeutet nicht, daß er die Waffe vom Beginn bis
zur Vollendung der Tat bei sich haben müßte. Es genügt, wenn er sie in irgend-
4. Die praktische Bedeutung der Problemkonstellation einem Zeitpunkt des Tatherganges derart bei sich hat, daß er sich ihrer jederzeit
294 Die praktische Bedeutung des Rücktritts vom erfolgsqualifizierten Versuch be- bedienen kann." Es wird also eine quasi „vollendete" Qualifikation schon ange-
schränkt sich nicht auf den Raub. Die wichtigsten sonst in Betracht kommenden nommen, wenn der Täter irgendwann während der Ausführung eine Waffe bei
Tatbestände sind §§ 177 III, IV, 178, 179 IV, 218 II Nr. 2, 239 a III, 239 b II, 316 c sich hat; und von dieser Vollendung soll ein Rücktritt nicht mehr möglich sein. In
III.316 Manchmal freilich tritt das Problem nicht auf, weil der Tod des Opfers den einer späteren Entscheidung (BGHSt 33, 145) hat der BGH die Frage offengelas-
Rücktritt schon aus einem anderen Grund unmöglich macht. Wenn z. B. bei ei- sen: „Es kann hier auf sich beruhen, wie zu entscheiden ist, wenn der Täter nach
nem Vergewaltigungsversuch das Opfer am Würgegriff des Täters schon stirbt, be- Versuchsbeginn auf Modalitäten verzichtet, die zur Anwendung eines Qualifika-
vor er zum Beischlaf gekommen ist, liegt wegen Unmöglichkeit der Tatbestands- tionstatbestandes führen können."
verwirklichung ein von vornherein fehlgeschlagener Versuch vor (vgl. dazu oben Demgegenüber hat sich in der Literatur319 fast allgemein die Auffassung durch- 297
Rn. 85 ff.). In anderen Fällen kann die Freiwilligkeit des Rücktritts ausgeschlossen gesetzt, daß ein Teilrücktritt von Qualifikationsmerkmalen möglich sei, auch
sein. Ist freilich das Opfer zunächst nur bewußtlos und gibt der Täter nun die Ver- wenn diese schon verwirklicht sind. Wie dies konstruktiv denkbar sei, bleibt dabei
gewaltigung aus Furcht vor dem - später tatsächlich eintretenden - Tode der Frau oft unklar. An diesem Punkt hakt denn auch die Kritik an der h. M. ein. So meint
auf, so haben wir hinsichtlich einer Strafbarkeit nach § 178 dasselbe Problem vor Otto320, nach Beginn des Versuchs sei ein Rücktritt von einzelnen Merkmalen
uns wie im Ausgangsbeispiel des § 251. Entsprechendes gilt für § 218 II Nr. 2, „konstruktiv nur schwer zu begründen, weil das einheitliche Delikt aufgespalten
wenn „der Kurpfuscher, der die Schwangere in akute Lebensgefahr gebracht hat, werden müßte". Ähnlich betont Küpet321, ein Rücktritt vom „vollendeten Teil" des
seine Manipulation aufgibt aus Angst, die Frau könne sterben";517 oder für den qualifizierten Versuchs lasse sich „nicht schlüssig begründen".
Fall, daß das Opfer eines erpresserischen Menschenraubes (§239 a) schon bei der Teilweise wird deshalb eine vermittelnde Lösung vorgeschlagen. Zaczyk3,22 will 298
Entführung zu Tode kommt, worauf die Täter es liegen lassen und sich aus dem den Versuchsbeginn beim Grunddelikt und beim Qualifikationstatbestand unter-
Staube machen. schiedlich bestimmen. Das Merkmal des Beisichführens einer Schußwaffe weyde
nicht schon verwirklicht, wenn der Täter im Besitz der Waffe ins Versuchsstadium

3i8 BGH NStZ 1984, 216.


3W Jakobs, AT2, 26/13 a, 23, 49; Streng, JZ 1984, 652ff, 654 ff; LK10-Vogler, §24, Rn.208;
3« Vgl. Jäger, NStZ 1998,164. Wessels/Beulke, AT31, Rn.643
3M Küper, ]Z 1997, 332. 320 Cte>,JZ1985, 27.
315 Hier und im folgenden/«^, NStZ 1998,164, Fn. 31. 32i Küper, ]Z 1997, 233.
316 Ulsenheimer, Bockelmann-FS, 1979, 412. _c .Q.Q A1, 322 Zaczyk, NStZ 1984, 217.
317 Dieses und das folgende Bsp. bei Ulsenheimer, Bockelmann-FS, 1979, 41Z.
573
572
§ 30 IX 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30

Stiftung zu einer neuen Tat vorliegt, w e n n der Anstifter den Unrechtsgehalt der
des Grunddelikts eintrete, sondern erst dann, „wenn die in der Schußwaffe liegen-
vom Täter schon beschlossenen Tat durch seine Beeinflussung wesentlich steigert
de Gefahr wenigstens real werden könnte, d.h. w e n n die Schußwaffe mit der
(vgl. näher § 26, R n . 102 ff).
Sphäre des Opfers in Berührung kommt". Dieses Stadium war im Ausgangsfall
noch nicht erreicht, so daß ein Rücktritt vom bloßen Qualifikationsversuch m ö g -
lich sei. Dagegen sei nach der Berührung mit der Opfersphäre kein (Teil-)Rück-
tritt mehr möglich; hier k o m m e nur § 250 II a.F. (heute III) in Frage. Dieser L ö - X . Der Rücktritt bei Beteiligung mehrerer
sung neigt auch Küpet323 zu. 1. Überblick
299 Die h . M . , die einen Teilrücktritt bis zur Vollendung des Grunddelikts zuläßt,
Die Regelung des § 24 II ist nicht leicht verständlich und wirft zahlreiche Z w e i - 301
hat aber die besseren Gründe für sich. D e n n eine - freilich auf § 250 beschränkte,
felsfragen auf. Ausgangspunkt der Interpretation ist die Erkenntnis, daß nur der
also § 249 nicht betreffende - Gefährdungsumkehr liegt allemal vor, wenn der
Rücktritt v o m Versuch, nicht aber die Vorbereitung und die Vollendung betroffen
Täter die Qualifikationsgefahr (hier: des Schußwaffengebrauchs) vor Vollendung
wird.
des Grundtatbestandes beseitigt; in dieser Gefährdungsumkehr aber liegt das
Wesensmerkmal des Rücktritts (vgl. R n . 24). Seine Zubilligung wird durch die Fall 1:
Der Schlosser S leiht dem Einbrecher E für dessen deliktische Pläne einen Dietrich, bekommt
strafzwecktheoretische Begründung des Rücktrittsprivilegs (vgl. R n . 4 f f , 7) g e - aber hernach Bedenken und holt das Werkzeug vor der Benutzung zurück. E fuhrt den Ein-
deckt. D e n n ein general- oder spezialpräventiv motiviertes „höheres Strafbedürf- bruch nun mit einem anderswo beschafften Werkzeug durch.
nis ^schwerer' R a u b gemäß § 2 5 0 I Nr. la) besteht nicht, da der Täter auf die
Dies ist kein Fall des § 24 II. D e n n der Tatbeitrag des S (der Dietrich) hat über-
gefährlichere Durchsetzung seiner Raubabsichten durch die Entledigung des
haupt nicht ins Versuchsstadium hineingewirkt. S ist also straflos, ohne daß die
gefährlichen Tatmittels verzichtet hat". 324 M a n kann dem nicht entgegenhalten,
einschränkenden Voraussetzungen des § 24 II vorzuliegen brauchen.
daß mit dem Besitz der Waffe beim Raubversuch eine abstrakte und mit der
Berührung der Opfersphäre ggf. eine konkretere Gefährdung bereits eingetreten Fall 2: 302
S fordert vor Tatbegehung vergeblich den Dietrich von E zurück; dieser begeht den Einbruch
sei, die einen Rücktritt ausschließe. D e n n der schwere R a u b bleibt unbeschadet unter Benutzung des Werkzeugs.
der „Begleitgefahr" ein Erfolgsdelikt. Bei diesem aber läßt der Gesetzgeber auch
bei einer noch so großen Gefährdung des Opfers den Rücktritt immer zu, wenn Auch hier ist § 24 II nicht einschlägig, weil die Tat über den Versuch hinausge-
der Täter dafür sorgt, daß die Gefährdung nicht in eine Verletzung umschlägt langt ist. Es liegt eine Beihilfe zum vollendeten Einbruchsdiebstahl vor. § 24 II 2,
letzter Halbs. (wenn die Tat „unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag began-
(§2411).
gen wird") k o m m t nicht zum Zuge, weil die Tat unter Verwendung des Beitrages
300 Auch „konstruktiv" läßt sich der Rücktritt ohne weiteres begründen. Entschei-
von S begangen wird.
dend ist dabei die - vom B G H in diesem Zusammenhang leider nicht behandelte
— Frage nach dem Tatbegriff in § 24. 3 2 5 Versteht man unter „Tat" einen konkreten Fall 3: 303
S erscheint am Tatort und nimmt dem E den Dietrich weg, als dieser damit gerade am Tür-
gesetzlichen Tatbestand, 3 2 6 so kann man von der Verwirklichung dieses Tatbestan- schloß herummanipuliert. E begeht daraufhin den Einbruch, indem er die Tür mit einem vor-
des zurücktreten, solange der Erfolg (der ja ein Merkmal auch des qualifizierten sichtshalber mitgenommenen Brecheisen aufstemmt.
Tatbestandes ist) noch nicht eingetreten ist. Zu demselben Ergebnis k o m m t man,
Hier handelt es sich u m die in § 24 II geregelte Konstellation. Der Beitrag des
w e n n man mit Streng*27 annimmt, „daß bei erheblicher Reduzierung im U n w e r t -
S hat in das Versuchsstadium hineingewirkt, so daß eine strafbare Beihilfe zum
gehalt zwei . . . Taten i.S. von § 24 gegeben sind". Da der einfache R a u b im Ver-
versuchten Diebstahl vorlag, als E zur Tat ansetzte. S hat sich bemüht, von dieser
hältnis zum R a u b mit Waffen einen erheblich geringeren Unwertgehalt aufweist,
Beihilfe zum Versuch zurückzutreten, indem er seinen Tatbeitrag zurückgezogen
ist der schwere R a u b i h m gegenüber eine selbständige Tat, von der man auch bei
Erfüllung des Grunddelikts zurücktreten kann. Das korrespondiert mit der (um- hat. Nach der sehr umstrittenen Verschärfung der Rücktrittsvoraussetzungen, die
strittenen, aber zutreffenden) Ansicht, daß auch bei der „Übersteigerung" eine A n - § 24 II im Verhältnis zur früheren Praxis gebracht hat, genügt aber die Annullie-
rung des eigenen Tatbeitrages für einen Rücktritt vom Versuch noch nicht. Der
323 Küper, JZ1997, 233 f. Gehilfe m u ß vielmehr nach § 24 I I 1 zusätzlich die Tat verhindern, w e n n er straf-
324 Kühl, AT3, §16, Rn.48. frei werden will. Eine solche Verhinderung liegt hier nicht vor; E hat die Tat u n a b -
325
Die Frage der „Tat" i. S. d. § 24 spielt eine wesentliche Rolle bei der „Freiwilligkeit" des
hängig vom Beitrag des S begangen. S hätte sich deshalb — über die R ü c k n a h m e
Rücktritts und wird daher erst im Zusammenhang mit dieser Frage näher behandelt; vgl.
Rn.413ff. des Dietrichs hinaus — nach § 24 II 2 wenigstens freiwillig und ernsthaft bemühen
326 Vgl. Günther, Armin Kaufmann-GS, 1989, 541 ff. müssen, den E von seinem Einbruchsplan abzubringen. Selbst wenn ihm das nicht
327 Streng, J Z 1984, 652ff. (654); dazu auch Kudlich, J u S 1999, 356.
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§ 30 X 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30
gelungen wäre, hätte er dadurch Straffreiheit erlangen können. Da es aber an an der Tat eines anderen oder jedenfalls nicht allein durch ihr eigenes Verhalten be-
einem solchen Bemühen fehlt, bleibt S strafbar. gründet wird. Der Rücktritt eines Anstifters, Gehilfen oder Mittäters regelt sich
304 Man versteht die Vorschrift aber nur richtig, wenn man drei Umstände bedenkt, also nach § 24 II. „§24 Abs. 2 ergänzt § 24 Abs. 1, indem er einen zusätzlichen Weg
die gleichwohl eine Strafbarkeit des S einschränken und ggf. sogar ausschließen zum strafbefreienden Rücktritt für diejenigen Tatbeteiligten,eröffnet, die dies über
können. Erstens ist S im Fall 3 nur wegen Beihilfe zum versuchten, nicht etwa § 24 Abs. 1 nicht erreichen."331
wegen Beihilfe zum vollendeten Einbruchsdiebstahl strafbar.328 Denn eine Zu- § 24 II gilt demnach für Anstifter und Gehilfen, besonders aber auch für Mit- 308
rechnung zur vollendeten Tat kann nicht erfolgen, weil S für diese infolge der An- täter. Ein Mittäter kann also Straffreiheit nicht erreichen, indem er im Versuchs-
nullierung seines Tatbeitrages nicht ursächlich geworden ist und sie auch nicht stadium ausscheidet, sondern er muß dafür die weiteren in § 24 II1, 2 genannten
i. S. d. Rspr. „gefördert" hat (vgl. dazu § 26, Rn. 186). Es wird also lediglich die in Leistungen erbringen. Dagegen gilt § 24 II für den mittelbaren Täter nur insoweit,
zurechenbarer Weise bewirkte Beihilfe zum Versuch nicht straffrei gestellt. Zwei- wie auch der unmittelbare Täter strafbar ist (also im Fall des „Täters hinter dem
tens greift sogar § 24 II 2 mit der Wirkung der Straflosigkeit ein, wenn S geglaubt strafbaren Täter", vgl. §25, Rn.40, 76ff., 105 ff.).332 Denn nur in diesem Fall sind
hat, der E könne die Tat nach der Wegnahme des Dietrichs nicht mehr durchfüh- mehrere strafbar Beteiligte vorhanden; und auf die Strafbarkeit des Beteiligten
ren. Denn dann liegt schon darin das geforderte ernsthafte Bemühen um eine Ver- kommt es an, weil im Bereich des § 24 II dessen Straftat verhindert werden soll.
hinderung der Tat. Drittens schließlich würde die Wegnahme des Dietrichs schon Wer sich also z. B. eines Geisteskranken bedient, ist Einzeltäter und kann nach
für sich alleine zur Straflosigkeit des S führen, wenn man in dem anschließenden § 24 I zurücktreten, was freilich nach erfolgreicher Aufforderung des Tatmittlers
Einbruch des E durch Aufstemmen der Tür eine neue und andere „Tat" i. S. d. § 24 auch auf ein Verhindern hinausläuft.333 Ein „Aufgeben" nach § 24 I 1 wird man
II sehen würde. Denn dann wäre die ursprüngliche Tat (Einbruch mittels Dietrich) auch bei einem gemeinsamen Rücktritt aller Beteiligten annehmen können. Denn
durch S verhindert worden. Wann eine „neue Tat" vorliegt, ist sehr umstritten (da- in einem solchen Fall ist nichts mehr i.S.v. § 24 II zu „verhindern".
zu Rn. 345 ff); im konkreten Fall wird man freilich von der Fortführung der-
selben Tat ausgehen müssen (Rn. 347). 3. Der „Rücktritt" im Vorbereitungsstadium
Es wurde schon dargelegt (Rn. 301), daß der Beteiligte straflos bleibt, wenn er 309
2. Die von § 24 II betroffenen Personen seinen Beitrag im Vorbereitungsstadium unwirksam macht (der Gehilfe läßt sich
305 § 24 II spricht von dem Fall, daß „an der Tat mehrere beteiligt" sind. Die Vor- das verliehene Einbruchswerkzeug vor Beginn der Tat zurückgeben). Es handelt
schrift paßt nach ihrem Wortlaut also auch auf den Fall eines angestifteten oder sich hier nicht um einen Rücktrittsfall — der Rücktritt setzt immer einen Versuch
unterstützten Einzeltäters. Tatsächlich wollen verschiedene Autoren 329 auf den voraus - , sondern darum, daß Vorbereitungshandlungen grundsätzlich straflos
Rücktritt eines solchen Einzeltäters § 24 II angewendet wissen. Gibt dieser die und nur nach Maßgabe des § 30 (dazu oben § 28) ausnahmsweise strafbar sind.
weitere Ausführung auf, müßte das also als ein Verhindern i. S. d. § 24 II interpre- Wer dem Einbrecher einen Dietrich liefert, hat, solange der potentielle Täter nicht
tiert werden. zur Ausführung schreitet, eine (noch) straflose versuchte Beihilfe begangen. Er
306 Aber das ist eine sehr gekünstelte Auffassung.330 Denn wenn ein Einzeltäter, bleibt straflos, auch wenn der Täter ganz ohne sein Zutun den Dietrich nicht ver-
den niemand anstiftet oder unterstützt, selbstverständlich nur nach Maßgabe des wendet. Dann muß er natürlich erst recht straflos sein, wenn er den Dietrich selbst
§ 24 I zurücktreten kann, ist nicht einzusehen, warum das nur deshalb nicht mehr zurückholt. Gleichgültig ist, ob dies freiwillig geschieht; er ist straflos, auch wenn
möglich sein soll, weil ein Anstifter oder Gehilfe vorhanden ist, der mit dem er etwa nur unter dem Druck einer in Aussicht gestellten Strafanzeige seinen Bei-
Rücktritt des Täters nicht das geringste zu tun hat. Für einen Rücktritt gemäß trag zurücknimmt. Wählt der Täter von sich aus ein anderes Werkzeug, hängt die
§ 24 I spricht auch der Parallelfall des § 311 Nr. 2, der für einen Rücktritt des An- Straflosigkeit dessen, der den Dietrich geliefert hat, auch nicht davon ab, ob er sich
gestifteten im Vorbereitungsstadium ein „Aufgeben" genügen läßt. um eine Verhinderung bemüht hat. 334 Kurz: § 24 II ist hier nicht einschlägig.
307 Gibt also der angestiftete oder unterstützte Täter die Ausführung auf oder wen-
det er nach beendetem Versuch den Erfolg ab, so ist dies ein Fall des § 24 11. § 24 II
331 Mitsch, Baumann-FS, 1992,100; zustimmend Loos, Jura 1996, 518.
bezieht sich dann nur auf Beteiligte, deren Strafbarkeit erst durch die Mitwirkung 332 Ähnl. Maurach/Gössel, AT/27, 50/79 in Verb, mit 48/122.
333 Vielfach wird auf den mittelbaren Täter ausschließlich § 24 I (so etwa Baumann/Weber,
AT10, § 27 III 3; Maurach/Gössel, KT/27, 50/79; LK10-Vogler, § 24, Rn. 145; ders., ZStW 98 [1986],
328 Vgl. GrünwaW, W e l z e l - F S , 1974, 708; Otto, J A 1980, 710. 346) oder §24 II (SK6 -Rudolphi, §24, Rn.36; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.79) angewendet.
329 Haft, AT8, 236f., 241; Herzberg, NJW 1991, 1638, der ein Abstellen auf §24 I 1 für Unterschiedliche Ergebnisse zeitigen diese Differenzen nicht.
„strenggenommen ... nicht korrekt" erachtet; Weber, Jura 1983, 547. 33t Vgl. zu alledem Grünwald, Welzel-FS, 1974, 706; Lenckner, Gallas-FS, 1973, 283; SK6-
330
Eingehende Auseinandersetzung und Kritik bei Mitsch, Baumann-FS, 1992, 89. Rudolphi, § 24, Rn. 36; Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 79.
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§ 30 X 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30

310 Beispiele aus der Rspr. liefern etwa die Fälle, daß jemand einen Zeugen zu einer
4. Kein Rücktritt, w e n n ein Beteiligungsbeitrag bis ins Vollendungs-
Falschaussage auffordert, dann aber auf dessen Benennung als Zeuge verzichtet
stadium weiterwirkt
(BGHSt 4, 200) oder daß die Ehefrau, die verabredungsgemäß ihren M a n n an den
O r t seiner E r m o r d u n g bringen soll, dies unterläßt, so daß die Tat nicht ausgeführt Kein Rücktritt nach § 24 II liegt auch vor, w e n n der Beteiligte durch eine Los- 314
werden kann (BGH GA1974, 243). Fälle solcher Art liegen, weil es zu keinem Ver- sagung von der Tat und selbst durch Vereitelungsbemühungen - sei es im Vor-
such gekommen ist, außerhalb der Reichweite des § 24 II. Strafbarkeit und R ü c k - berei tungs-, sei es im Versuchsstadium - nicht hindern kann, daß das Delikt unter
tritt der Beteiligten richten sich allein nach § § 30, 31 (vgl. zum Ganzen und zu Verwendung seines Tatbeitrages vollendet wird.
den genannten Entscheidungen § 28, speziell R n . 92,111). Fall 4 (BGHSt 28, 346):
311 Das alles ist nicht bestreitbar u n d verdient nur deshalb eine Hervorhebung, weil A verabredete mit zwei Frauen einen Banküberfall und beteiligte sich an den Vorbereitungen
(durch Auskundschaften des Tatortes und Diebstahl eines Fahrrades, mit dem eine der Frauen
bei den Gesetzesberatungen des Sonderausschusses 335 auf den Fall der Zurück- zur Bank fahren sollte). Als es an die Ausführung gehen sollte, bekam er Bedenken. Er machte
holung des Tatwerkzeugs hingewiesen u n d dieser Sachverhalt als Beispiel für eine einen vergeblichen verbalen Versuch, wenigstens eine der beiden Frauen (seine Freundin), die
Annullierung des eigenen Tatbeitrages zitiert wurde, die nach § 24 II für eine die Bankkunden mit einer Gaspistole bedrohen sollten, von ihrer Tat abzubringen. Auch sei-
nen eigenen Tatbeitrag - er sollte das Geld in eine Plastiktüte füllen lassen — erbrachte er nicht.
Straffreiheit noch nicht genüge. Dies ist richtig n u r unter der - selten erfüllten - Er entfernte sich vielmehr, ohne die Bank betreten zu haben. Daraufhin führten die beiden
Voraussetzung, daß die Tat sich bei der Zurückholung des Werkzeuges bereits im Frauen ohne ihn den Bankraub erfolgreich durch.
Versuchsstadium befindet (vgl. R n . 303 f.). Sonst tritt unabhängig von den Vor-
Auch dies ist kein Fall des § 24 II. D e n n A hat die Tat noch während der Vor- 315
aussetzungen des § 24 II Straflosigkeit ein.
bereitungsphase aufgegeben. Hätte er seinen Tatbeitrag völlig annulliert, wäre er
312 Kein Fall des § 24 II liegt ferner vor, w e n n der Täter seinen Beitrag im Vorberei-
straflos gewesen ( R n . 309). 3 3 8 Dies ist i h m aber nur teilweise (hinsichtlich der g e -
tungsstadium untauglich macht; 3 3 6 er tauscht z. B. das von i h m gelieferte tödliche
planten Wegnahme des Geldes durch ihn) gelungen. Andere Beiträge (Planung,
Gift gegen ein harmloses Pulver aus. Auch in diesem Fall ist der Gehilfenbeitrag
Auskundschaftung, Fahrraddiebstahl) wirkten bis zur Vollendung fort, für die A
schon im Vorbereitungsstadium annulliert worden. D e n n die Unterschiebung des
infolgedessen einstehen m u ß . Der B G H hat i h m seinen „Rückzug" nur insofern
harmlosen Pulvers ist keine (versuchte) Beihilfehandlung, weil diese den Voll-
zugute gehalten, als er dazu neigt, ihn allein wegen Beihilfe zu verurteilen (anstatt
endungsvorsatz des Gehilfen voraussetzt (vgl. § 26, R n . 271). W e n n derjenige unter
wegen Mittäterschaft, die anzunehmen wäre, wenn A weiter mitgemacht hätte).
dem Gesichtspunkt der Beihilfe straflos ist, der ein von vornherein untaugliches
Diese Lösung wird von Backmann339 bestritten. Er will einen strafbefreienden 316
Mittel liefert (vgl. § 26, aaO.), kann nicht anders behandelt werden, wer seinen
Rücktritt des Ausscheidenden annehmen, wenn dieser die „Gefahrherrschaft"
Beitrag nachträglich, aber noch i m Vorbereitungsstadium unschädlich macht. Auf
hatte, d. h. w e n n er „bis zum Zeitpunkt seines Abstandnehmens" davon ausgehen
die Freiwilligkeit k o m m t es deshalb auch hier nicht an; wird der potentielle G e -
konnte, „daß es ohne seine weitere Tatbeteiligung zu einer Ausführung der Tat
hilfe zum Umtausch gezwungen, bleibt er ebenfalls straflos.
überhaupt nicht k o m m e n werde", so daß also „die letzte u n d endgültige Entschei-
313 Straflosigkeit tritt sogar dann ein, w e n n der potentielle Gehilfe das Gift i r r t ü m -
dung" über die Ausführung des Plans noch in seiner H a n d liege. 3 4 0 Diese Voraus-
licherweise gegen ein anderes, von i h m für harmlos gehaltenes, in Wirklichkeit
setzung wird hier bejaht. D e n n allein A sei die letzte Entscheidung „unvorher-
aber ebenfalls tödliches Gift austauscht. D e n n auch bei dieser Konstellation fehlt
gesehen aus der Hand geschlagen und dem Zufall überantwortet" worden. 3 4 1
es, w e n n der Mord mit dem Gift ausgeführt wird, für eine Beihilfe am Voll-
Das verdient jedoch keinen Beifall. D e n n das Gesetz verlangt n u n einmal beim 317
endungswillen. Hätte der scheinbare Gehilfe von vornherein ein harmloses Pulver
Versuch u n d bei der strafbaren Vorbereitung nach § § 2 4 II 1; 31 I (mit den hier
liefern wollen, dem Täter aber aus Versehen Gift hingereicht, hätte keine Beihilfe
nicht vorliegenden Einschränkungen der § § 24 I I 2 ; 31II) die Erfolgsverhinderung
vorgelegen; ob die Verwechselung i m Vorbereitungsstadium etwas früher oder
und nicht das bloße Bemühen u m sie im Glauben an die eigene Fähigkeit dazu.
später unterläuft, kann keine Rolle spielen. 337
Das Kriterium der Gefahrherrschaft ist den § § 2 4 II, 31 fremd. Es ist abgesehen da-
von auch nicht praktikabel. D e n n w e n n die Tat nach dem Ausscheiden eines Betei-

338 So auch BGHSt 28, 347 und - unter dem früheren Recht - RGSt 47, 358 (359); 54,
177 (178); ebenso Gores, 1982, 23ff., 72ff., 106ff.; Haft, JA 1979, 309; Jakobs, AT2, 26/29; Lack-
ner/Kühl24, § 24, Rn. 28; Otto, JA 1980, 707; Tröndle/Fischer50, § 24, Rn. 38; LKw-Vogler, § 24,
335 Protokolle V, 1757,1762 (Corves, Dreher). Rn. 162; dm., ZStW 98 (1986), 344f.; Wessels/Beulke, AT31, Rn.653.
336 Dazu Lenckner, Gallas-FS, 1973, 284f.; Otto, JA 1980, 708; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.83; 339 Backmann, JuS 1981, 3 3 6 .
3"o Backmann, ]uS 1981, 3 3 8 .
abw. Gores, 1982, 23ff., 83ff., 179ff. 341 Backmann, JuS 1981, 3 4 1 .
337 A u c h dazu Lenckner, Gallas-FS, 1973, 2 8 4 g e g e n Schröder, M D R 1949, 716.
578 579
§ 30 X 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30
ligten trotzdem durchgeführt wird, ist nicht ersichtlich, w a r u m der sich Zurück- vom Kausalverlauf, die nicht vom Vorsatz des A umfaßt gewesen u n d auch nicht
ziehende berechtigt gewesen sein sollte, von der gegenteiligen A n n a h m e auszuge- als unwesentlich zu vernachlässigen sei. Die psychische Unterstützung könne dem
hen. Das zeigt sich auch in unserem Fall. Warum hätte A einen Umstimmungsver- A daher nicht als Beihilfe zugerechnet werden. D e m ist aber entgegenzuhalten,
such unternehmen sollen, wenn er annahm und auch annehmen durfte, die beiden daß das Versprechen wechselseitiger Schützenhilfe die psychische Unterstützung
Frauen würden die Tat ohne ihn sowieso nicht ausführen können? Auch zeigte des anderen von vornherein einschloß; der Schütze sollte sich durch den Gedan-
ihm die Vergeblichkeit des Umstimmungsversuches, daß er die Gefahrherrschaft ken ermutigt fühlen, daß er nicht allein stehe und erforderlichenfalls Hilfe er-
gerade nicht hatte. halten werde. Dieser Effekt ist, wie geplant, eingetreten. Daß der weitergehende
318 Darüber hinaus ist die A n n a h m e eines strafbefreienden Rücktritts auch nicht und ggf. mittäterschaftsbegründende Schußwaffengebrauch nicht vorgenommen
sachgerecht, w e n n man vom Verhinderungsprinzip als der kriminalpolitischen wurde, ändert daran nichts, hätte freilich eine wesentliche Strafherabsetzung ver-
Vorgabe des Gesetzgebers ausgeht (vgl. zur Beurteilung de lege ferenda aber dient gehabt.
R n . 330). D e n n A hätte die Tat verhindern können. Er hätte nur seine Freundin
Fall 6 (RGSt 55,105): 322
mit Gewalt zurückzuhalten oder die Bankangestellten zu warnen und darauf h i n - A gibt dem B den Ladenschlüssel seines Prinzipals, damit dieser ihn zu Diebstahlszwecken
zuweisen brauchen, daß die Frauen nur mit relativ ungefährlichen Gaspistolen b e - nachmachen kann. Später bereut er das. Er läßt sich von B versprechen, daß dieser nichts un-
ternehmen werde. B hat seine Zusage aber nur zum Schein gemacht; er führt den Diebstahl
waffnet seien. Warum sollte der Gesetzgeber die Chance, einen Raubüberfall mit Hilfe des Nachschlüssels aus.
durch energische Bemühungen des A verhindern zu lassen, verschenken, indem er
ihm schon für ein im Ergebnis folgenloses Ausscheiden Straffreiheit gewährt? Die Auch hier wirkt der Tatbeitrag des A bis zur Ausführung des Delikts weiter, so 323
Reduzierung der Täterstrafe, die bei vollem Mitmachen verwirkt gewesen wäre, daß das R G den A wegen Beihilfe zur vollendeten Tat verurteilt hat. Dagegen
auf eine Gehilfenstrafe 342 wird der durch A vorgenommenen Abschwächung sei- werden in der Literatur ebenfalls Einwendungen erhoben. Bei Vogler und Back-
nes Tatbeitrages besser gerecht. mann344 beruht das auf der schon ( R n . 316 ff.) erörterten Annahme, Straffreiheit
319 Fall 5 (BGHSt 37, 289): trete bereits ein, „wenn der Beteiligte überzeugt sein durfte, daß die Tat infolge
A hatte mit D verabredet, daß jeder von ihnen Polizisten, von denen sie gesucht wurden, ggf. seiner Bemühungen nicht geschehen werde". Dagegen sind die R n . 317 f. erhobe-
erschießen würde, um sich die Flucht freizukämpfen. Als sie von der Polizei gestellt wurden, nen Einwendungen geltend zu machen. Einen anderen Begründungsansatz wählt
erschoß D zwei Polizisten und versuchte zwei weitere zu töten, die er aber nicht traf. A hatte
nicht geschossen, von vornherein die Arme gehoben und sich schließlich auf den Boden ge- Otto345. Ihm zufolge wird der Zurechnungszusammenhang unterbrochen, wenn
worfen, ohne die Waffe zu ziehen. D hatte das passive Verhalten des A nicht bemerkt, sondern ein Dritter (hier: der Täter) den Gehilfen durch Täuschung von der Herrschaft
angenommen, in A einen Helfer zu haben, der ihn erforderlichenfalls schützen würde. über das Geschehen ausschließt. Aber diese Konstruktion ist aus verschiedenen
320 Hier ist § 2 4 II ebensowenig anwendbar. D e n n die psychische Unterstützung Gründen nicht durchführbar (vgl. dazu näher noch R n . 327 f.). D e n n die Zurech-
des D durch A blieb bis zum Schluß wirksam, so daß das Geschehen auch ihm zu- nung wird nach allgemeinen Grundsätzen 3 4 6 durch die Verwirklichung eines u n -
zurechnen ist. Freilich hätte dem A seine Untätigkeit (wie im Falle 4) durch A n - erlaubten Risikos begründet. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, weil gerade
die Hingabe des Schlüssels den Erfolg ermöglicht hat.
nahme einer bloßen Beihilfe honoriert werden müssen, während der B G H fälsch-
lich eine Mittäterschaft angenommen hat (vgl. dazu und zur Kritik § 25, Lenckner347 bekennt ebenfalls ein „Unbehagen" bei der Bestrafung des A und 324
R n . 201 ff.). Hätte A, als D zum Schießen ansetzte, diesem offen seine Gefolgschaft fragt, was der Gehilfe oder Anstifter, der den Täter umgestimmt zu haben glaube,
aufgekündigt, so hätte er seinen Tatbeitrag rückgängig gemacht. Ein nach § 24 II denn eigentlich noch mehr tun solle, da doch auch die Warnung des Opfers oder
strafbefreiender Rücktritt hätte aber auch darin nicht gelegen, weil A die Voll- die Benachrichtigung der Polizei keine absolute Sicherheit der Verhinderung g e -
endung durch D nicht verhindert und sich auch nicht darum bemüht hätte. Frei- be. Aber das ist nicht die richtige Frage. D e n n die Strafbefreiung knüpft nicht dar-
lich wäre er dann nur wegen Beihilfe zum Versuch (anstatt zur vollendeten Tat) an an, daß der Täter alles scheinbar Erforderliche getan, sondern daß er die G e -
strafbar gewesen. fahrdung umgekehrt, d. h. den Erfolg verhindert hat. Da ihm das nicht gelungen
321 Das Vorliegen selbst einer Beihilfe bestreitet Erb343. Er meint, der Vorsatz des ist, bleibt er genauso strafbar wie derjenige, der die Polizei angerufen oder das
A sei bei der Verabredung nur auf „gegenseitige Schützenhilfe" gerichtet gewesen. Opfer gewarnt hat, ohne dadurch die Tat noch abwenden zu können. D e m hält
Tatsächlich habe die Verabredung aber nur die psychische Unterstützung der von 344
Vogler, ZStW 98 (1986), 345; ders., LK10, § 24, Rn. 163; Backmann, JuS 1981, 336 (339).
3
D allein übernommenen Tatausführung bewirkt. Darin liege eine Abweichung « Otto, JA 1980, 711.
3« Ausführlich Roxin, AT l3, § 11.
342 347 Lenckner, Gallas-FS, 1973, 288 im Anschluß an Maurach, AT3, § 50 III C 2 c, aa; zweifelnd
Und ggf. de lege ferenda auch noch deren Milderung, vgl. Rn. 330. auch Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 84, der im Anschluß an Lenckner, aaO., 284 f. zu Recht auf die
3« Erb, JuS 1992, 200 f. verbleibende Möglichkeit einer Fahrlässigkeitsbestrafung verweist.
580
581
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30
§ 30 X 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
bleibt ein Versuch übrig, von dem A nach Otto gemäß § 24II 2 zurückgetreten sein
Lenckner wieder entgegen, daß man bei Rücktritt „im Vorfeld" nicht so streng zu soll. Denn die Tat sei unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen worden, „nach-
sein brauche wie bei der Umkehr im Versuchsstadium (§§ 2411; II1). Aber das Ge- dem er sich ernsthaft bemüht hatte, ihre Vollendung zu verhindern".
setz verlangt auch bei strafbaren Vorbereitungshandlungen immer ein „Abwen- Auf der Grundlage des geltenden Rechts leuchtet das alles jedoch nicht ein. 328
den" oder „Verhindern", wo die Gefahr der Vollendung durch andere besteht (§ 31 Denn es ist ein allgemeiner (auch für den Einzeltäter gültiger) Grundsatz, daß bei
I). Dies läßt sich dadurch rechtfertigen, daß der Außenstehende, wenn er seinen zurechenbarem Erfolgseintritt ein Rücktritt unmöglich ist (vgl. näher Rn. 113).
Beitrag einmal geleistet und das Geschehen aus der Hand gegeben hat, bei seinen Hier aber ist der Erfolg zurechenbar, weil er auf einer von A geschaffenen Gefahr
Umkehrbemühungen immer auf sein Glück und meist auch auf den guten Willen beruht. 353 Es ist auch nicht recht einzusehen, warum mißlingende Rücktrittsbe-
des Täters angewiesen ist und deshalb auch das Risiko des Mißlingens tragen mühungen hier honoriert werden sollen, während sie sonst einflußlos bleiben.
muß. 348 Wäre A durch eine Ohnmacht ohne jede Fremdeinwirkung zur geplanten Ent-
325 Straflosigkeit tritt nach st. Rspr. und absolut h. M. 349 nur dann ein, wenn — wie schärfung der Bombe unfähig geworden, würde er jedenfalls für den Erfolg haf-
hier am Sachverhalt des Falles 6 demonstriert werden soll - der B sich zunächst ten. Warum soll es nur deshalb anders sein, weil er durch das Eingreifen Dritter
tatsächlich umstimmen läßt, seinen Diebstahlsplan aufgibt und erst hernach auf handlungsunfähig wird?
Grund eines neuen Entschlusses die Tat unter Benutzung des Schlüssels begeht. Aber auch die Annahme eines Rücktritts vom Versuch - unterstellt, nur ein sol- 329
Die Straflosigkeit ergibt sich in einem solchen Fall daraus, daß nach Aufgabe des eher liege vor - ist wenig überzeugend. Denn es ist nicht recht verständlich, wieso
Tatentschlusses durch den potentiellen Täter kein deliktsrelevantes Geschehen die Tat unabhängig von A's Tatbeitrag vollendet worden sein soll, während sie in
(auch nicht einmal mehr in Form einer noch straflosen Vorbereitungshandlung) Wirklichkeit auf einer von ihm gebauten Bombe beruhte. Die in § 24 II 2 gefor-
mehr vorliegt. Der spätere Entschluß, das Delikt doch durchzufuhren, begründet derte „Unabhängigkeit" kann unmöglich allein auf dem „ernsthaften Bemühen"
eine neue Tat, an der sich A nicht mehr beteiligt hat. des A beruhen, da § 24 II 2 sie sonst nicht neben diesem als selbständiges Element
326 Fall 7: der Strafbefreiung hätte nennen dürfen.
Die Mittäter A, B und C haben zur Durchführung eines Sprengstoffattentats die von A her- Andererseits ist es in allen Fällen der geschilderten Art (Fall 4, 6, 7) sehr unbe- 330
gestellte Bombe eingebaut. Danach bekommt A Bedenken und will die Bombe wieder aus- friedigend, wenn mit großer Energie ins Werk gesetzte Abwendungsbemühun-
bauen oder unschädlich machen, woran ihn B und C hindern, indem sie ihn fesseln. Der An- gen, die vielleicht nur an einem Zufall scheitern, nach geltendem Recht unhono-
schlag gelingt.350 riert bleiben. Es wäre richtig gewesen, wenn in § 24 II eine Regelung aufgenom-
327 Auch hier haftet A als Mittäter des Mordes.351 Ein Rücktritt kommt nicht in men worden wäre, die den Richter ermächtigt, die Strafe zu mildern oder ganz
Betracht, weil es ihm nicht gelungen ist, seinen Beitrag zu neutralisieren. Nicht von Strafe abzusehen, wenn es dem Täter nicht gelungen ist, die Vollendung zu
einmal eine Zurückstufung zur Beihilfe, wie sie in Fall 4 und 5 sachgerecht ist, verhindern, er sich darum aber freiwillig und ernsthaft bemüht hat. 354 Im Fall 4
läßt sich plausibel begründen, weil A im Ausführungsstadium einen entscheiden- wäre dann eine Strafmilderung, in den Fällen 6 und 7 eher sogar ein Absehen von
den Beitrag geliefert hat und diesen nicht einmal hat abschwächen können. Eine Strafe angemessen. Eine Regelung, die der vorgeschlagenen entspricht, hat der
andere Lösung vertritt freilich Otto352. Ihm zufolge ist A für den Erfolg nicht ver- Gesetzgeber in §§ 84 V, 85 III und 129 VI für Fälle des erfolglosen Rücktritts vom
antwortlich, weil der Zurechnungszusammenhang ausgeschlossen sei (vgl. schon vollendeten Delikt geschaffen; doch besteht Einigkeit darüber, daß aus diesen
Rn. 323): „Der zwischen Täterverhalten und Erfolg nötige Zurechnungszusam- Sonderregelungen kein allgemeiner, auf § 24 übertragbarer Grundsatz gewonnen
menhang wird unterbrochen, wenn der Tatbeteiligte von einer Person, die sich des werden kann. So bleibt nach geltendem Recht nur die Berücksichtigung bei der
Risikos in vollem Umfang bewußt ist, von der Herrschaft über das Geschehen Strafzumessung. Bei einem täterschaftlichen Mord (wie in Fall 7), für den ein ob-
ausgeschlossen wird mit der Folge, daß dieses Verhalten dem Tatbeteiligten die ligatorisches „lebenslänglich" vorgeschrieben ist, muß mit Hilfe der „Rechtsfol-
Unschädlichmachung seines Tatbeitrages unmöglich macht." Folgt man dem, genlösung" (BGHSt 30, 105) eine Milderungsmöglichkeit nach § 49 I geschaffen
i

348 werden.
So denn auch - zögernd - Lenckner selbst, Gallas-FS, 1973, 290.
3
« R G S t 20, 259; 47, 358 (361); R G H R R 1933, 1898; B G H N J W 1956, 30 (31); B G H
M D R (D) 1966, 22. Für Strafbarkeit wegen Beihilfe n u r v. Scheurl, 1972, 84 ff. (dagegen tref- 353
fend Lenckner, Gallas-FS, 1973, 287, Fn. 19). Freilich wird der Zurechnungszusammenhang trotz unerlaubter Gefahrschaffung unter-
350
Der Fall ist von Schlee bei den Beratungen des Sonderausschusses (Prot. V, 1771) gebildet brochen, wenn etwa das Opfer seine R e t t u n g verweigert oder vorsätzlich selbst verhindert.
Aber das beruht auf dem Gedanken strafloser M i t w i r k u n g an einer Selbstgefährdung (vgl.
worden.
Roxin, AT l 3 , § 11, R n . 91 ff.), von der hier nicht die Rede sein kann.
351 Ausführlich dazu Lenckner, Gallas-FS, 1973, 291 ff. Auch i m Sonderausschuß, Prot. V,
** Näher dazu Lenckner, Gallas-FS, 1973, 293 ff.
1771, wurde der Fall so gelöst.
352 Otto, JA 1980, 777; vgl. ferner den., Maurach-FS, 1972,101 ff.; den., AT 6 , § 19 IV. 583
582
§ 30 X 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30
knüpfung der Lehre von der goldenen Brücke mit dem Opferschutzgedanken, die
5. Die Möglichkeiten strafbefreienden Rücktritts dem Gesetz und auch der Rspr. in dieser Ausgeprägtheit sonst fremd ist (vgl. nä-
a) Zur Strafverschärfung des geltenden Rechts her oben Rn. 14 ff), die aber als geltendes Recht hingenommen werden muß.
331 Gelangt das Delikt ins Versuchsstadium, so setzt der strafbefreiende Rücktritt Man muß sich außerdem bewußt machen, daß neben xier immer schon un- 336
eines Beteiligten nach § 24 II 1 die Verhinderung der Tatvollendung voraus. Es bestrittenen Notwendigkeit der Tilgung des eigenen Tatbeitrages entgegen dem
genügt also nicht schon die Rückgängigmachung des eigenen Tatbeitrages (vgl. Anschein des § 24 II1 für die Strafbefreiung keine Verhinderung der Tat, sondern
näher schon Rn. 303), wie bis zum Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils all- nur das freiwillige und ernsthafte Bemühen darum gefordert wird. Denn wenn
die Tat trotz Eliminierung eines Beteiligtenbeitrages verübt wird, ist sie „un-
gemein angenommen worden war. Ob diese Verschärfung der Rücktrittsanforde-
abhängig" davon begonnen worden, und in diesem Fall genügt ein „Bemühen"
rungen, die freilich durch § 24 II 2 bedeutend abgeschwächt wird (vgl. Rn. 304),
i. S. d. § 24 II 2.
kriminalpolitisch berechtigt ist, ist sehr umstritten. Die h. M. bestreitet zutreffend
die kriminalpolitische Legitimität dieser Regelung. 355 b) Die Verhinderung
332 In der Begründung des Sonderausschusses356 heißt es: „Maßgeblich für diesen
Was oben (Rn. 211-264) zur Verhinderung im Rahmen des § 24 11 gesagt wur- 337
Beschluß war die Erwägung, daß eine Tat, an der mehrere Täter beteiligt sind, in
de, kann auf den Fall des § 24 II1 sinngemäß übertragen werden. Wo der Beteiligte
der Regel gefährlicher ist als die einer Einzelperson und daß mit der Rückgängig-
ohne fremde Hilfe die Tat des oder der anderen vereitelt - sei es durch die Rück-
machung des einzelnen Tatbeitrages diese erhöhte Gefährlichkeit nicht aufgehoben
nahme oder Unterlassung des eigenen unentbehrlichen Beitrages, durch Umstim-
wird. Da der Mittäter dazu beigetragen hat, daß die anderen Täter mit ihrer Tätig-
mung oder Drohung mit der Polizei, durch Verteidigung des Opfers oder Ermög-
keit begonnen haben, ist von ihm im Grundsatz zu fordern, daß er die Vollendung
lichung seiner Flucht —, liegt stets eine strafbefreiende Tatverhinderung vor. Be-
der Tat verhindert." dient der Ausscheidende sich fremder Hilfe, wird man nach Maßgabe des in
333 Darin stecken zwei Gedanken. Der erste von der „erhöhten Gefährlichkeit" ist Rn. 246 ff. Dargelegten differenzieren müssen: Die bloße Aufforderung an belie-
falsch. Denn wenn ein Tatbeteiligter seinen Beitrag annulliert, ist das von ihm bei- bige Personen zur Vereitelung der Tat kann, solange der Ausscheidende sich nicht
gesteuerte Gefährlichkeitsquantum entgegen dem Begründungssatz „aufgehoben" ihres Erfolges vergewissert und erforderlichenfalls selbst mitwirkt, dann so wenig
und kann nicht mehr zur Rechtfertigung erhöhter Rücktrittsanforderungen die- ausreichen wie eine nebensächliche (ersetzbare) Unterstützung von sich aus tatver-
nen. Im zweiten steckt der kriminalpolitische Zweck, das Rücktrittsprivileg so hindernd tätig werdender Personen. Wohl aber genügt die - im Versuchsstadium
auszugestalten, daß Straftaten möglichst verhindert werden. Der hier eingeschla- freilich selten mögliche — Einschaltung verhinderungsmächtiger Behörden, vor
gene Weg zu diesem Ziel ist aber systemfremd. Denn die Strafbefreiung des Be- allem der Polizei oder eine quasi-mittäterschaftliche Verhinderung (z. B. in ar-
teiligten wird davon abhängig gemacht, daß er ein Geschehen verhindert, an dem beitsteiligem Zusammenwirken mit einem herbeieilenden Retter).
er keinen Anteil mehr hat. An die Nichtverhinderung fremder Straftaten werden
aber sonst nur in sehr speziellen Fällen strafrechtliche Nachteile geknüpft (§§ 138, c) Das freiwillige und ernsthafte Bemühen
323 c). Hier gilt entsprechend, was über diese Begriffe oben (Rn. 265-284) bei Erläu- 338
334 Auch die Strafzwecktheorie, die dem Rücktrittsprivileg sonst zugrunde liegt terung des § 24 I 2 gesagt worden ist. Die erste Alternative, bei der die Tat ohne
(vgl. Rn.4ff), deckt die Verweigerung der Straffreiheit bei Rückgängigmachung Zutun des Ausscheidenden nicht vollendet wird, liegt z. B. vor, wenn der Auftrag-
des eigenen Tatbeitrages nicht. Denn der Beteiligte ist für seine Person in die Lega- geber seine Anstiftung widerruft oder der Gehilfe sich um Rückgängigmachung
lität zurückgekehrt, und die von ihm ausgehende Gefährdung (bzw. der von ihm seines Beitrages bemüht, ohne zu wissen, daß der Täter seinen Entschluß schon
verursachte rechtserschütternde Eindruck) ist beseitigt, so daß eine Bestrafung von sich aus im Vorbereitungsstadium aufgegeben hat, daß die Tat bereits fehlge-
weder spezial- noch generalpräventiv gefordert ist.357 schlagen ist oder der Versuch sich als ohnehin untauglich entpuppt hat. .'
335 Gleichwohl ist die gesetzliche Entscheidung zu respektieren. Denn da der Die zweite Alternative, bei der die Tat unabhängig vom früheren Tatbeitrag des 339
Gesetzgeber überhaupt nicht verpflichtet ist, an den freiwilligen Rücktritt völlige Ausscheidenden begangen wird, kommt praktisch nur für den Gehilfen oder Mit-
Straffreiheit zu knüpfen, kann er diese auch von erschwerten Voraussetzungen ab- täter in Betracht. Denn wenn der Anstifter den Täter nicht mehr umstimmen und
hängig machen. Unter dem Gesichtspunkt der Rücktrittsratio liegt darin eine Ver- die Tat auch sonst nicht verhindern kann, seine Aufforderung also weiterwirkt, ist
M5 Vgl. Roxin, 21975, 23f.; Lenckner, Gallas-FS, 1973, 305 f.; krit. auch Grünwald, Welzel-FS, die Tat nicht unabhängig von ihr begangen. Beim Gehilfen oder Mittäter sind
1974, 701; v. Scheurl, 1972, 76; Stratenwerth, AT4, § 12, Rn. 168. zwei Konstellationen betroffen: die Rückgängigmachung des eigenen Tatbeitrages
356 BT-Drucks. V/4095,12. oder der Fall, daß der Täter von den in das Versuchsstadium hineinwirkenden Lei-
357
Vgl. zum Ganzen auch Lenckner, Gallas-FS, 1973, 305 f.
585
584
§ 30 X 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30

stungen des anderen (etwa dem gelieferten Werkzeug) schließlich doch keinen Ge- aussichtslose Maßnahme kann aber nicht als Verhinderungsbemühen (und schon
brauch macht. gar nicht als ernsthaftes) gedeutet werden. Ist dies aber unbestreitbar, so kann der
340 Man kann in diesen Fällen die Frage stellen, ob eventuell eine psychische Fort- Fall nicht anders behandelt werden, daß der Ausscheidende die Zwecklosigkeit
wirkung rückgängig gemachter oder unverwendet gebliebener physischer Tat- seiner Umstimmungsbemühungen erst aus der Reaktion der Komplizen erkennt.
beiträge einen Rücktritt trotz ernsthafter Verhinderungsbemühungen ausschließt, Sieht er in dieser Situation eine andere Verhinderungsmöglichkeit, muß er sich um
weil die ursprüngliche Bestärkung des Tatentschlusses oder die Verabredung bis in diese genauso bemühen, wie wenn ihm die Zwecklosigkeit guten Zuredens von
die Vollendung hineinwirken. 358 Aber das ist im Regelfall abzulehnen. Denn vornherein klar gewesen wäre. Denn wer Abwendungshandlungen unterläßt, die
wenn die Verhinderungsbemühungen, wie meist, verbaler Art sind oder dem er als aussichtsreich erkannt hat, bemüht sich nicht ernstlich um die Verhinderung
(bzw. den) Weitermachenden sonstwie erkennbar werden (anders etwa in BGHSt der Tat. Allerdings wird es nicht selten so sein, daß nach dem Scheitern eines ex
37, 289, oben Rn. 319), neutralisieren diese Gegenfaktoren auch die ursprüngliche ante als erfolgversprechend erscheinenden Umstimmungsversuches kein anderes
psychische Förderung (es sei denn, in einer Verabredung stecke eine Anstiftung). zumutbares Verhinderungsmittel mehr zur Hand ist; dann hat der Ausscheidende
Auch würde bei anderer Auslegung diese Alternative des § 24 II 2 weitgehend leer- sein Möglichstes getan und ist mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten.
laufen, was der Gesetzgeber, der die Verschärfung des neuen Rechtes einschränken In der Literatur plädiert Grüriwald360 dafür, „von dem Erfordernis abzusehen, 343
wollte, nicht beabsichtigt haben kann. daß der Beteiligte beim Scheitern einer Gegenmaßnahme weitere ergreifen
341 Die „Ernsthaftigkeit" des Bemühens verlangt, daß der Zurücktretende nach müsse". Er meint, da „fast immer effektive Wege zur Verhinderung zur Verfügung"
Maßgabe des in Rn. 275 ff. Dargelegten das aus seiner Sicht annähernd beste Mit- stünden, würde die Notwendigkeit, diese zu beschreiten, meistens zur erfolg-
tel einsetzt, das aber nicht notwendig objektiv zur Erfolgsabwendung geeignet reichen Verhinderung fuhren, so daß das Bemühen „nur in seltenen Fällen eine
oder sorgfältig auf seine Tauglichkeit überprüft worden sein muß. Immerhin be- selbständige Bedeutung" gewönne. Aber abgesehen von der Bestreitbarkeit der
deutet das, daß der Ausscheidende sich nicht schon dadurch Straffreiheit erwirbt, Prämisse, daß der Ausscheidende die Tat „fast immer" verhindern könne, stellt das
daß er den oder die Komplizen auffordert, ebenfalls zurückzutreten. Wenn er die gesetzgeberischen Intentionen auf den Kopf: Wenn diese die Verschärfung ei-
sieht, daß diese Aufforderungen keinen Erfolg haben, muß er zu anderen sich ihm gens eingeführt hat, um Straftaten so weitgehend wie möglich zu verhindern (vgl.
aufdrängenden Verhinderungsmitteln greifen, indem er etwa mit einer Sabotie- Rn. 333), liegt es im Sinne dieser Zielsetzung, Straffreiheit nur zu gewähren,
rung der Ausführung oder mit späterer Strafanzeige droht. Die Grenze für das wenn der Ausscheidende die von ihm erkannten Verhinderungsmittel im Rahmen
Ausmaß der eigenen Bemühungen wird man unter Heranziehung des in § 35 ent- des Zumutbaren auch einsetzt.
haltenen Rechtsgedankens dort ziehen müssen, wo weitergehende Verhinde- Grünwalds weiterer Gedanke, das Bemühenserfordernis habe nur den Zweck zu 344
rungsbemühungen eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Rücktrittswilli- zeigen, „daß sich der Beteiligte über die Rückgängigmachung des Tatbeitrages
gen mit sich bringen würden. Dieser braucht also gegen die zum Weitermachen hinaus durch einen die Norm bestätigenden positiven Akt von der Tat distanziere
entschlossenen Komplizen nicht mit Gewalt vorzugehen, wenn er Gefahr läuft, und damit den rechtserschütternden Eindruck der bisherigen Normverletzung
von diesen erschossen, schwer mißhandelt, gefesselt oder eingesperrt zu werden. kompensiere" ist auch nicht überzeugend. Denn einerseits liegt schon in der
Es genügt, wenn er das Mittel wählt, das unter Vermeidung der genannten Ge- Rückgängigmachung des eigenen Tatbeitrages eine volle „Kompensation" und
fährdungen das aus seiner Sicht geeignetste ist. auch eine Distanzierung von der Tat. Und andererseits kommt es dem Gesetz-
342 Das alles ist freilich wissenschaftlich noch nicht gründlich untersucht und auch geber, wie schon der Wortlaut des § 24 II 2 zeigt, nicht primär auf eine Distanzie-
nicht unumstritten. So ist bei den Gesetzgebungsberatungen im Sonderausschuß rung, sondern gerade auf die Verhinderung an.
die Meinung vertreten worden (allerdings nicht einhellig), es genüge für ein
„ernsthaftes Bemühen" daß der Ausscheidende versuche, die anderen Beteiligten 6. Strafbefreiender Rücktritt bei Durchführung einer anderen Tat
von der weiteren Tatbegehung abzubringen. 359 Man wollte auf diese Weise die Verhindert ein Ausscheidender die geplante Tat, an der er ursprünglich mitge- 345
Bedenken gegen die Verschärfung des bis dahin geltenden Rechts (Rn. 331 ff.) ab- wirkt hatte, ist er auch dann straffrei, wenn die übrigen oder der übrige nunmehr
schwächen. Aber eine solche Auslegung ist nicht gut möglich. Denn in vielen Fäl- eine andere Tat ausführen. Vereitelt z. B. A den mit B verabredeten mittäterschaft-
len wird der Ausscheidende selbst wissen, daß es aussichtslos ist, die übrigen Be- lichen Einbruch, indem er am Tatort den ihm zufallenden Beitrag nicht erbringt
teiligten von ihrem Vorhaben abzubringen. Eine von vornherein bekanntermaßen oder zurückzieht, so ändert es nichts an seiner Straflosigkeit, daß sich der B am

358 \M}°-Vogler, § 24, Rn. 190 m.w.N.; den., ZStW 98 (1986), 351.
359
Beratungen des Sonderausschusses V, 1759—1765. Vor allem Dreher hat in diesem Sinne 360
GrönwaM, Welzel-FS, 1974, 717.
votiert. Vgl. dazu auch Grünwald, Welzel-FS, 1974, 716 f.
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586
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - B. Rücktrittsfähigkeit X § 30
§ 30 X 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
es sich nicht mehr um die Tat handelt, zu der er angestiftet hat. Dann muß aber
nächsten Tag das begehrte Geld durch einen Betrug beschafft. Denn A hat die ver-
auch im Rahmen des § 24 II eine andere Tat vorliegen.
einbarte Tat verhindert; alles weitere geht ihn nichts an.
Ein wichtiges Problem bilden die durch das Ausscheiden eines Beteiligten er- 349
346 Eine schwierige und noch nicht endgültig gelöste Frage ist aber die, wann die
zwungenen Verschiebungen. Man nehme an, daß der A dem B das von ihm gelie-
Abweichung des durchgeführten Delikts vom ursprünglichen Plan so groß ist,
ferte und zur Durchführung unentbehrliche Mittel (z. B. Gift) oder Werkzeug
daß man von einer anderen und neuen Tat sprechen muß. Das Problem tritt auch
(etwa den Nachschlüssel) wieder wegnimmt! B bricht daraufhin die Deliktstätig-
bei Umdispositionen eines Einzeltäters auf und wird dort im Zusammenhang mit
keit zunächst ab, kündigt dabei aber an, er werde die Tat doch noch durchführen,
der Freiwilligkeit näher behandelt (vgl. Rn. 413 ff.). Hier sollen deshalb nur die
sobald er sich ein anderes Gift oder einen anderen Nachschlüssel verschafft habe.
Aspekte des Problems gründlicher erörtert werden, die sich aus den Besonderhei-
Muß A das verhindern bzw. sich um eine Verhinderung bemühen, wenn er straf-
ten der Beteiligung mehrerer ergeben.
frei werden will?
347 Selbstverständlicher Ausgangspunkt ist dabei die Erkenntnis, daß jedenfalls
Richtigerweise wird das zu verneinen sein: Eine Tat ist nur dann dieselbe, 350
der Wegfall des Beitrages, der vom Ausscheidenden zu erbringen gewesen wä-
wenn sie aus dem Versuchsstadium an Ort und Stelle zu Ende geführt wird.
re, die dennoch durchgeführte Tat nicht zu einer anderen macht. Denn dann
Gewiß wird ihre Identität nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Täter, wenn ein
wäre das gesetzliche Verhinderungserfordernis sinnlos, weil schon die Annullie-
Komplize wegfällt und seinen Beitrag eliminiert, innehalten und sich verständi-
rung des eigenen Beitrages zur Straflosigkeit verhülfe. Auch kleinere Abweichun-
gen, ob und wie sie unter den veränderten Umständen die Tat noch durchführen
gen vom ursprünglichen Plan verändern die Tatidentität noch nicht: 361 Führen die
können. Entscheiden sie sich in einer solchen Situation für das Weitermachen,
Komplizen, nachdem der Ausscheidende ihnen den ursprünglich zur Verfügung
vollenden sie noch dieselbe Tat. Beschließt dagegen im Ausgangsbeispiel
gestellten Dietrich wieder weggenommen hat, den Einbruch durch das Zertrüm-
(Rn. 349) der B, nach Hause zu gehen und das Delikt an einem anderen Tage
mern der Tür oder durch Einsteigen aus, ist das nur eine Anpassung der alten Tat
durchzuführen, hat A die konkrete Tat verhindert und ist straffrei.
an die neuen Gegebenheiten, wie sie der Wegfall eines ursprünglich geplanten
Dafür sprechen zwei entscheidende Gründe: Erstens gibt es kein anderes plau- 351
Beitrages fast immer erzwingt. Deshalb muß der Gesetzgeber, wenn seine Rege-
sibles Abgrenzungskriterium als den engen raum-zeitlichen Zusammenhang (bei
lung Sinn haben soll, auch hier von der Vollendung der ursprünglichen Tat ausge-
Identität des verwirklichten Tatbestandes). Wollte man nach einer Unterbrechung
gangen sein. Aus denselben Gründen liegt keine neue Tat vor, wenn sich ein Wa-
von drei Tagen noch dieselbe Tat annehmen, bliebe unklar, warum das nicht auch
chestehender, der Fahrer des Fluchtautos oder ein sonstiger Mittäter (wie z. B. in
noch nach drei Wochen oder drei Monaten der Fall sein sollte. Das aber würde ins
Fall 4, Rn. 314) entfernt und die übrigen nunmehr die Aufgabenverteilung und
Uferlose führen. Und zweitens kann nur bei einem Weitermachen hie et nunc der
Durchführung so modifizieren, daß sie die Tat ohne den ursprünglich eingeplan-
§ 24 II sinnvoll angewendet werden. Er besagt dann, daß der seinen Tatbeitrag Eli-
ten Beitrag des Ausgeschiedenen vollenden können. Es muß mithin eine Situation
minierende bei seinem Ausscheiden wenigstens versuchen muß, auch die anderen
vorliegen, in der die Täter sagen können: „Wir haben es auch ohne ihn - den Weg-
oder den anderen von ihrer Tat abzubringen oder sich ihr hindernd in den Weg zu
gefallenen - geschafft."
stellen. Was aber zu späteren, dem Ausscheidenden i. d. R. nicht einmal bekannten
348 Dagegen liegt sicher eine andere Tat vor, wenn der von seinem Mittäter oder
Zeitpunkten geschehen könnte, entzieht sich von vornherein seiner Beherrschbar-
Gehilfen im Stich Gelassene nunmehr einen anderen Tatbestand verwirklicht,
keit. Denn er hat weder das Recht noch die Möglichkeit, die Lebensführung sei-
etwa einen Betrug statt des ursprünglich geplanten Diebstahls (Rn. 345), eine
ner ehemaligen Komplizen auf Schritt und Tritt zu überwachen. Nicht einmal
Vergewaltigung statt einer Brandstiftung usw. Denn dabei geht es nicht mehr um
eine Strafanzeige würde helfen, da bisher nichts Strafbares oder wenigstens nichts
die Durchführung dessen, woran der Ausscheidende mitgewirkt hatte. Auch ein
Beweisbares geschehen ist.
Exzeß verändert den Charakter der Tat (vgl. zum Exzeß die Darlegungen im
In der Literatur wird das Erfordernis der raum-zeitlichen Nähe oft mit dem 352
Rahmen der Anstiftung § 26, Rn. 109 ff.).362 Wenn also nach dem Wegfall eines
Kriterium der natürlichen Handlungseinheit gleichgesetzt.363 Daran ist richtig,
Beteiligten und seines Beitrages der andere einen Raub statt eines Diebstahls,
daß die für die „Tat" i. S. d. § 24 II und die „natürliche Handlungseinheit" maßge-
einen Mord statt einer gefährlichen Körperverletzung verübt, wird man den Aus-
benden Kriterien einander ähneln. Beide Begriffe betreffen aber unterschiedliche
scheidenden nicht wegen Versuchs nach §§242, 224 bestrafen können. Denn
Problemlagen und sind deshalb nicht identisch.364 So hat z. B. der BGH entschie-
wenn ein Exzeß dem Anstifter nicht angelastet werden kann, folgt das daraus, daß
363
361 Lenckner, Gallas-FS, 1973, 303; Küper, JZ 1979, 780, folgt ihm prinzipiell, will aber bei
Vgl. auch die im Sonderausschuß behandelten Beispiele (Prot. V, 1759 f.) und dazu Lenck- Gleichartigkeit von Angriffsobjekt und Ausflihrungsweise auf einen engen räumlich-zeitli-
ner, Gallas-FS, 1973, 300. chen Kontakt verzichten.
364
3« So auch Otto, JA 1980, 710; Sch/Sch/Eser26, §24, Rn.92; LK1C'-Vogler, §24, Rn. 174; den., So richtig Grünwald, Welzel-FS, 1974, 714.
ZStW 98 (1986), 349; vgl. auch v. Scheurl, 1972,120; Grünwald, Welzel-FS, 1974, 713.
589
588
§ 30 I 9. Abschnitt — Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit I § 30
den, daß eine vorübergehende Aufgabe des Tatentschlusses durch den Täter das
Über die Bestimmung der Freiwilligkeit herrscht ein nach wie vor ungeklärter 355
Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit nicht zu hindern braucht (BGHSt
Streit. Der unübersichtliche und zersplitterte Diskussionsstand gestattet es immer-
4, 219; vgl. dazu näher § 33, Rn. 48), während eine sei es auch nur vorübergehende
hin, zwei gegensätzliche Grundkonzeptionen zu benennen, zwischen denen sich
Umstimmung der Mitbeteiligten auch bei späterer Wiederaufnahme des Planes
die Auseinandersetzung bewegt. Nach der psychologischen Theorie ist der Rück-
durch sie immer eine Verhinderung der Tat bedeutet (vgl. Rn. 325).
tritt freiwillig, wenn der Täter ohne psychischen Zwang gehandelt hat, unfreiwil-
353 Otto365 verlangt „eine wertende Betrachtungsweise, bei der die zeitlich-räum- lig dagegen, wenn die Umstände einen so starken seelischen Druck auf den Täter
liche Kontinuität des deliktischen Vorgehens, aber auch die Identität des Angriffs- ausgeübt haben, daß er nicht mehr anders konnte als zurückzutreten. Nach den
objekts und die Vergleichbarkeit der Angriffsweise wertend zu beurteilen sind". normativen Theorien, die in zahlreichen Spielarten auftreten, kommt es nicht
Dabei ist aber (unter der Voraussetzung desselben Tatbestandes) nur die räumlich- allein auf den psychischen Befund, sondern auf eine Bewertung des Rücktritts-
zeitliche Kontinuität unverzichtbar. Denn auch Otto will eine wesentliche Än- motivs an: Der Rücktritt wird nur dann als „freiwillig" beurteilt, wenn er sich als
derung der Tatmodalitäten (etwa Einsteigen statt Einbruch) bei gleichem Opfer „Umkehr", als Ausdruck einer gewandelten Einstellung und insoweit als „Rück-
noch nicht als „neue Tat" beurteilen. Andererseits sind auch die Identität von kehr in die Legalität" darstellt.
Opfer und Tatobjekt zwar wesentliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer ein-
Beide Konzeptionen fuhren zum selben Ergebnis bei der praktisch bedeutsam- 356
heitlichen, zunächst versuchten und dann vollendeten Tat. Aber absolut zwingend
sten Fallgruppe, daß das Risiko der Tatausführung zu groß wird: Der Täter tritt
sind sie nicht: 366 Wenn eine „Gang" von Taschendieben infolge des Ausscheidens
etwa zurück, weil er sich beobachtet sieht und im Falle der Tatbestandsverwirk-
eines Beteiligten die S-Bahn verpaßt, in der der nächste Coup durchgeführt wer-
lichung mit baldiger Festnahme und Überführung rechnen muß. Die psychologi-
den sollte, liegt immer noch dieselbe Tat vor, sofern das Delikt nun in der geplan-
sche Theorie wird hier eine Freiwilligkeit mit der Begründung verneinen, daß der
ten Weise an den Reisenden der nächsten einfahrenden S-Bahn durchgeführt
Täter sich in einer psychischen Zwangssituation befunden und praktisch keine an-
wird. Der Ausscheidende muß sich also bemühen, auch ein solches „Weiterma-
dere Wahl gehabt habe als zurückzutreten. Die normativen Theorien werden eine
chen" zu verhindern, wenn er straffrei werden will. Die Identität von Handlungs-
Freiwilligkeit ebenfalls ablehnen, weil der Rücktritt nicht auf einer gewandelten
objekt und Tatopfer ist deshalb nur dann ein Kriterium für das Vorliegen der Tat,
Einstellung des Täters, sondern nur auf einer deliktsadäquaten Anpassung an die
wenn es den Beteiligten auf ein individuelles Opfer oder ein individuelles Objekt
Situation beruht und deshalb keine Straffreiheit verdient.
ankommt. Ist dies, wie in der Regel, der Fall, bietet sie bei dem immer zu fordern-
den engen zeitlich-räumlichen Zusammenhang ein ziemlich verläßliches Merk- Während in der Rspr. die psychologische Theorie dominiert, herrschen in der 357
Literatur, wenn auch keineswegs einhellig, normative Auffassungen vor. Prakti-
mal für die Einheit des Tatgeschehens.
sche Bedeutung gewinnt der Meinungsgegensatz vor allem dort, wo er zu unter-
schiedlichen Ergebnissen führen kann, und dies ist vornehmlich bei drei Konstel-
lationen der Fall, die durch Rechtsprechungsbeispiele verdeutlicht werden sollen.
C. Die Freiwilligkeit des Rücktritts Die erste Konstellation betrifft den Sachverhalt, daß der Täter seinen Delikts- 358
plan zwar nicht umfassend verwirklichen kann, ihn aber unter Vernachlässi-
I. Psychologische und normative Theorien gung nachrangiger Zielsetzungen so weit wie irgend möglich realisiert.
Fall 1 (BGHSt 35,184):
354 Die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts ist in allen ihren Erscheinungsfor- Der Angeklagte (A) wollte seine frühere Ehefrau (E) und deren neuen Freund (F) töten. Er
lauerte ihnen an einem Parkplatz auf und hatte den zuerst erschienenen F schon schwer verletzt
men an die „Freiwilligkeit" gebunden. Alle vier Sätze des § 24, die jeweils noch und fluchtunfähig gemacht. Dann ließ er aber von ihm ab, weil inzwischen die E erschienen
wieder verschiedene Fallgestaltungen umfassen, nehmen darauf Bezug; Entspre- war und er befürchtete, sie bei einer weiteren Beschäftigung mit F zu „verpassen". Da er „die
chendes gilt für den Rücktritt vom Versuch der Beteiligung nach § 31. Das Merk- Tötung seiner geschiedenen Ehefrau für vorrangiger erachtete" als die des F, brachte er nun-
mal der Freiwilligkeit fordert daher im Anschluß an die diversen Rücktrittskon- mehr die E durch 17 Messerstiche um, während der F am Leben blieb.
i
stellationen eine selbständige und einheitliche Behandlung.
Die Frage, ob A vom Mordversuch an F freiwillig zurückgetreten ist, muß vom 359
Standpunkt der psychologischen Theorie aus bejaht werden. 367 Denn A hätte statt
der E auch den F töten können. Er hat sich in „freier Wahl" für die Tötung der E
3« Otto, JA 1980, 710; ihm folgend Vogler, ZStW 98 (1980), 349.
36
<> So auch Lenckner, Gallas-FS 1973, 304. Dagegen steht für Grünwald, Welzel-FS, 1974,
713 „außer Zweifel, daß die Identität ... zu verneinen ist, wenn ... ein Wechsel im Tatobjekt 367 p u r Freiwilligkeit treten außer dem BGH ein: Jäger, 1996, 104f.; Jescheck/Weigend, AT5,
eintritt". §51III 2;2 Lampe, JuS 1989, 610; tendenziell auch Lackner, NStZ 1988, 405; krit. aber den., Lack-
ner/Kühl \ § 24, Rn. 17.
590
591
§ 30 I 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit I § 30

en Entschluß der O beruht, sondern wäre durch die anfängliche Gewaltanwen-


entschieden, ohne durch einen äußeren Zwang dazu veranlaßt zu sein. Zur A n -
dung erzwungen worden, so daß er i m m e r noch als Vollendung der nur kurz-
nahme eines freiwilligen Rücktritts k o m m t denn auch der B G H . Für ihn ist ent-
fristig „unterbrochenen" Vergewaltigung angesehen werden könnte. Aber auch
scheidend, „ob sich der betreffende Umstand für den Täter als ein .zwingendes
wenn man einen Rücktritt annimmt, wird man aus normativer Sicht diesen nicht
Hindernis' darstellt . . . Solcher Art war der Anlaß, wegen dessen der Angeklagte
als freiwillig beurteilen können. 3 7 0 D e n n in i h m manifestiert sich keine Umkehr,
von einer weiteren Verfolgung des Zeugen . . . absah, jedoch nicht. Vielmehr er-
keine Einstellungsänderung, sondern nur der Umstand, daß ein Sexualdelinquent
weist sich sein Abstandnehmen als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung"
den bequemeren Weg zur Zielerreichung gegangen ist, der sich ihm schon auf
(aaO., 186). Dagegen wird man vom Standpunkt der normativen Theorien aus
Grund seiner gewaltsamen Versuchshandlungen eröffnete.
eine Freiwilligkeit des Rücktritts ablehnen müssen. 3 6 8 D e n n w e n n jemand einen
Mord nur deshalb nicht zu Ende führt, weil i h m im R a h m e n seines Tatplans ein Fall 3 (BGH NJW 1980, 602, vereinfachter Sachverhalt): 362
Der A veranlaßte denT, eine Risiko- und Diebstahlsversicherung für sein Boot abzuschließen,
anderer Mord noch wichtiger ist, liegt darin keine U m k e h r auf dem Wege seiner die er ihm vermittelte. Er veranlaßte ihn weiter, das Boot zu verstecken und als gestohlen zu
verbrecherischen Zielsetzungen, keine gewandelte Einstellung zur Tat und keine melden. Die Versicherungssumme wollten sie sich teilen. Als sich die Auszahlung verzögerte,
kam er auf eine andere Idee: Er teilte der Versicherungsgesellschaft mit,T habe das Boot ver-
Rückkehr in die Legalität; er hat die Befreiung von der Versuchsstrafe nicht ver-
steckt, und er werde ihr das Versteck nennen, wenn sie ihm eine bestimmte Summe zahle (die
dient. dem aus dem Versicherungsbetrug erstrebten Vorteil entsprach). So geschah es.
360 D i e zweite Fallkonstellation, bei der die differenzierenden theoretischen A n -
Wiederum k o m m t der B G H mit Hilfe der psychologischen Auffassung zu der 363
sätze zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ist die, daß der Täter nur deshalb
Annahme, A sei von der Anstiftung zum versuchten Versicherungsbetrug frei-
zurücktritt, weil er das erstrebte Ziel auf andere Weise besser und gefahrloser
willig zurückgetreten. 3 7 1 Es müsse zugunsten des A davon ausgegangen werden,
erreichen kann.
„daß er die Tat, so wie sie geplant war, nicht mehr ausführen wollte, obwohl er i h -
Fall 2 (BGHSt 7, 296):
re Ausführung durchaus noch für möglich hielt und somit freiwillig von dem Ver-
Der Angeklagte (A) hatte sein Opfer (O) zum Zwecke der Vergewaltigung umfaßt und zu Bo-
such zurückgetreten ist . . . Daran würde sich auch nichts ändern, w e n n der A den
den geworfen. Da die körperlich unterlegene O keine Möglichkeit erfolgreicher Gegenwehr
sah, versuchte sie es mit List. Sie sagte dem A, er solle „es doch nicht mit Gewalt versuchen. Tatplan nur deshalb aufgegeben hat, weil er die durch die Versuchshandlung ent-
Sie sollten sich erst etwas ausruhen, und wenn er dann noch mit ihr verkehren wolle, könne er standene Sachlage ausnutzen" und auf andere Weise zu der Versicherungssumme
das ohne Gewalt haben". Sie hoffte, dadurch Zeit zu gewinnen und jemanden zu entdecken, k o m m e n wollte. Eine normative Konzeption wird hier die Freiwilligkeit ableh-
den sie um Hilfe angehen könnte. So geschah es auch. A ließ von ihr ab. Als sich zwei Spazier- nen. 3 7 2 D e n n es verdient keine Straffreiheit, wenn der Täter von einer Form der
gänger näherten, rief O um Hilfe und A entfloh. täuschenden Schädigung zu einer etwas anderen Täuschung übergeht. (In dem
361 Der B G H will hier vom Standpunkt der psychologischen Theorie aus einen Vorbringen, das von T versteckte Boot entdeckt zu haben, sieht der B G H einen
freiwilligen Rücktritt vom Versuch annehmen, weil der Täter nicht gezwungen neuen Betrugsversuch, den er allerdings aus hier nicht interessierenden Gründen
gewesen sei, sich hinhalten zu lassen und auf eine sofortige Erzwingung des G e - als straflose Nachtat beurteilt.) Von einer Rückkehr in die Legalität kann nicht die
schlechtsverkehrs zu verzichten. „Hier hat die Überfallene dem A, u m ihn hinzu-
Rede sein.
halten, die freiwillige Hingabe in Aussicht gestellt. Die Erreichung seines Zieles
Die dritte Fallkonstellation, bei der es zwischen psychologischen und normati- 364
schien i h m also — nach seiner Vorstellung — sozusagen wie eine reife Frucht in den
ven Deutungen zu Abweichungen im Ergebnis k o m m e n kann, betrifft den
Schoß zu fallen." Es sei jedoch nicht dargetan, daß diese Erwartung für den A „ein
zwingender Grund zur Verbrechensaufgabe war, so daß ihm keine andere Wahl Rücktritt wegen schwer überwindbarer innerer Hemmnisse (Gewissensnot,
verblieb. Die . . . Annahme, auch ohne große Gefahr zum Geschlechtsverkehr zu Vergegenwärtigung des eigenen Verschuldens, Mitleid, Scham u.a.).
k o m m e n , n a h m i h m nicht ohne weiteres die Freiheit der Entschließung." 3 6 9 Eine Fall 4 (BGH NStZ 1994, 428).
normative Rücktrittskonzeption wird hier zu einem anderen Ergebnis k o m m e n . Der A stach mit Tötungsabsicht auf seine Frau ein, als plötzlich die beiden Söhne des Ehepaa-
Es ist schon sehr zweifelhaft (und eher zu verneinen), ob überhaupt ein Rücktritt res, die von dem „Kampfgeschehen" wach geworden waren, in der Schlafzimmertür erschie-
nen. „Der A ließ daraufhin, da er seine Tat vor den Augen seiner Kinder nicht weiter fortsetzen
vorlag; denn auch ein später erfolgter Geschlechtsverkehr hätte nicht auf d e m frei-
wollte und emotional und psychisch auch nicht konnte, von seiner Ehefrau ab" und drängte

37
368 G e g e n Freiwilligkeit: Bloy, J R 1989, 70; Jakobs, J Z 1988, 519; Sch/Sch/Eser26, § 24,
° Gegen Freiwilligkeit: Bottke, 1979, 528; SK6-Rudolphi, §24, Rn. 25; Sch/Sch/Eser26,
§24, Rn. 56; Ulsenheimer, 1976, 329 f.
R n . 56; Tröndle/Fischer* , § 2 4 , R n . 6 d; diese P o s i t i o n w u r d e i n TröndlejFischer50, § 2 4 , R n . 20,
"i Für Freiwilligkeit ebenfalls:Jakobs, AT2, 26/35 m. Fn.70; Lackner/Kühl24, §24, Rn.18;
definitiv aufgegeben. Maurach/Gössel, AT/2 7 , 41/116; LKl(f-Vogler, § 24, R n . 90.
369
Literarische Stellungnahmen zugunsten einer Freiwilligkeit: Jescheck, MDR 1955, 563; 372
Gegen Freiwilligkeit: Bottke, JR 1980, 442; das., JA 1981, 63; SK6-Rudolphi, §24,
Jescheck/Weigend, A T 5 , § 5 1 III 2; Uckner/Kühl24, § 2 4 , R n . 1 8 ; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 41/122; Rn. 25; Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 56; Walter, GA 1981, 403.
Schmidhäuser, L B A T 2 , 1 5 / 8 4 ; LK.10-Vogler, § 24, R n . 90; Wessels/Beulke, AT 3 1 , R n . 651.
593
592
§ 30 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit II § 30
die Kinder aus dem Zimmer. Aber obwohl er jetzt wieder mit der Frau allein war, war er auch größter krimineller Energie verwirklicht (Fall 1), wenn er auf Grund der ange-
weiterhin „aus seelischen Gründen nicht mehr imstande, in der Nähe der Kinder, die auf das
furchtbare Geschehen aufmerksam geworden waren, ... auf seine Frau einzustechen". wendeten Gewalt das Ziel schließlich auf bequemere Weise (Fall 2) oder wenn er
die unrechtmäßige Bereicherung und die Schädigung des Opfers durch eine Mo-
Der BGH wird hier durch seine psychologische Rücktrittskonzeption zur An- difizierung des Tatplanes erreicht (Fall 3), paßt er sich n u t der Situation an, wie
nahme eines unfreiwilligen Rücktritts gedrängt. 373 Die psychische Erschütterung, dies jeder rational kalkulierende Delinquent tun wird. Warum ein solches im
die das Erscheinen der Kinder bei A ausgelöst hatte, habe auch nach deren Hinaus- Sinne der Deliktsverwirklichung rein zweckbedingte Verhalten zur Straflosigkeit
drängen fortbestanden und ihn unfähig gemacht, die Tat zu vollbringen. Bei einer führen soll, ist unter teleologisch-kriminalpolitischen Gesichtspunkten nicht ein-
normativen Beurteilung wird man dagegen zur Freiwilligkeit des Rücktritts kom- zusehen. Da der Täter strafbedürftig bleibt, wird die Straflosigkeit durch die ratio
men müssen.374 Denn der Anblick der Kinder hatte seine Einstellung geändert, er des Rücktrittsprivilegs nicht gedeckt.
wollte und konnte deshalb die Tat nicht mehr fortsetzen und war in die Legalität Der BGH hat das erstmals in BGHSt 35, 187 (Fall 1, Rn. 358) im Hinblick 367
zurückgekehrt. Hier liegt die innere Umkehr vor, die eine Befreiung von der auf die Kritik der normativen Lehren deutlich selbst ausgesprochen: „Der Senat
Strafbarkeit wegen versuchter Tötung rechtfertigt. Bei einer solchen Konstellation verkennt nicht, daß die von der Rspr. vertretene Auffassung nicht immer zu be-
begünstigt die normative Beurteilung den Zurücktretenden, während sie bei den friedigenden Ergebnissen führt. Das erklärt auch, weshalb sich ein erheblicher
beiden übrigen Sachverhaltsgruppen (Fälle 1-3) den Zurücktretenden strenger be- Teil des Schrifttums gegen die ,psychologisierende' Betrachtungsweise der Rspr.
handelt als die psychologische Theorie. gewandt hat und eine normative Bewertung des Rücktrittsmotivs für geboten
ansieht ... Jene Lehren tragen zwar mehr als die von der Rspr. vertretene An-
sicht dem Grundgedanken der Rücktrittsregelung Rechnung. Sie sind aber mit
II. Die Unhaltbarkeit des psychologischen Ansatzes
dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar ..." Der BGH stützt also eine von
365 Die psychologische Theorie 375 scheitert vor allem an zwei Einwänden: ihrer ihm selbst als sinnwidrig erkannte Konzeption allein auf die angeblichen Erfor-
Unvereinbarkeit mit der ratio des Rücktrittsprivilegs (1) und ihrer praktischen dernisse des Gesetzeswortlauts (vgl. dazu Rn.406f.). Das kann nicht überzeu-
Undurchführbarkeit (2). gen!

1. Die Unvereinbarkeit der psychologischen Theorie mit der ratio des 2. Die Undurchführbarkeit der psychologischen Theorie
Rücktrittsprivilegs Die für die Rspr. entscheidende Frage, ob „emotionaler Zwang den Täter un- 368
366 Wenn man, wie es hier geschieht (Rn.4ff.) und wie es mindestens seit BGHSt fähig macht, die Tat zu vollbringen" (BGHSt 21, 316), ob das Motiv des Rücktritts
9,48 auch die Rspr. tut (Rn. 4), mit der Strafzwecktheorie die ratio des Rücktritts- „ein zwingender Grund zur Verbrechensaufgabe" war, so daß dem Täter „keine
privilegs darin sieht, daß weder general- noch spezialpräventive Bedürfnisse noch andere Wahl verblieb" (BGHSt 7, 299 f.), ob sich der den Rücktritt auslösende
die Notwendigkeit gerechter Vergeltung (sofern man diesen Strafzweck überhaupt Umstand für den Täter als „zwingendes Hindernis" darstellt,376 ist in Wirklichkeit
anerkennt), eine Bestrafung erfordern, ist es allein sinnvoll, die „Rückkehr in die unbeantwortbar. 377 Denn wenn die Tatbestandsverwirklichung unmöglich ist
Legalität", die „innere Umkehr" zum Kriterium der Freiwilligkeit zu machen. oder auch nur vom Täter als unmöglich angesehen wird, ist der Versuch fehlge-
Denn nur unter dieser Voraussetzung entfallen die Gründe, die die Strafbarkeit des schlagen (Rn. 85 ff.), so daß ein Rücktritt von vornherein ausscheidet. Dieser liegt
Versuchs tragen. Wenn der Täter seinen Plan im Rahmen des Möglichen mit vielmehr nur dann vor, wenn der Täter davon ausgeht, er könne die Tatbestands-
verwirklichung noch vollbringen. Nimmt er dies aber an, kann er nicht gleichzei-
373
Für Unfreiwilligkeit wohl auch Sch/Sch/Eser26, §24, Rn. 57; Wessels/Beulke, AT31, tig glauben, durch inneren oder äußeren Zwang daran gehindert zu sein.
Rn.652. Wenn z. B. ein Täter sich beobachtet sieht, die Sache, die er stehlen will, zwar 369
374 p u r Freiwilligkeit auchjäger, 1996,101 f. noch ohne weiteres wegnehmen könnte, wegen des hohen Risikos anschließender
375
Zu ihren Anhängern in der Literatur zählen Baumann/Weber, AT10, § 27 II 4; Blei, AT18,
§ 69 III1; Gropp, AT, § 9, Rn. 73; in Gropp, AT2, § 9, Rn. 73, schließt er sich jedoch der norma- Festnahme aber zurücktritt, wird er nicht der Meinung sein, sich einem unwider-
tiven Betrachtungsweise an; Heinitz, JR 1956, 249; Küpper, 1990, 179ff.; Lackner, NStZ 1988, stehlichen Zwang gebeugt, sondern die weitere Ausführung aufgegeben zu haben,
405; dm., Uckner/Kühl24, 824, Rn.18; Schmidhäuser, StuB AT2, 11/83; Schröder, MDR 1956,
321; den., JuS 1962, 83; UC°-Vogler, §24, Rn.86, 88; Wessels/Beulke, AT31, Rn.651; teilweise 376
Die zitierten Stellen verweisen alle auf gleich- oder ähnlichlautende Belege aus anderen
auch Jager, 1996, 98 ff., der aber den neuartigen Versuch unternimmt, die Freiwilligkeit nach Urteilen.
dem für die mittelbare Täterschaft maßgebenden Verantwortungsprinzip zu bestimmen, um 377
In diesem Sinne auch Bockelmann, DR 1942, 432; ders., NJW 1955, 1418; Bottke, 1979,
auf diese Weise den psychologischen Ansatz näher an das Gesetz zu binden (vgl. dazu unten 184; zu Dohna, ZStW 59 (1940), 541; Gutmann, 1963,190; Jäger, 1996, 98ff.; Jakobs, AT2, 26/33;
Rn.442ff). ders.,]Z 1988, 519; SK6-Rudolphi, § 24, Rn. 24; Ulsenheimer, 1976, 300ff.
594
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§ 30 II 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit II § 30

weil sie sich unter den gegebenen Umstanden nicht lohnte. Entsprechendes gilt, diesem Befund hier aber eine Freiwilligkeit des Rücktritts ab. Den Feststellungen
wenn der Täter erkannt wird und nun zurücktritt, weil er Anzeige und Bestrafung der Vorinstanz sei nicht zu entnehmen, „daß die bei dem A durch den Anblick der
fürchtet; hier liegt kein zwingendes Hindernis vor, sondern der Rücktritt ist eine Verletzten hervorgerufene seelische Erschütterung für ihn ein zwingender Grund
Frage der Abwägung von Chance und Risiko. war, den zu befürchtenden Tod seines Opfers ... abzuwenden ... Der Angeklagte
370 Natürlich lastet auf dem unfreiwillig zurücktretenden Täter ein psychischer wurde lediglich innerlich dazu gedrängt, die von ihm verletzte Frau zu retten,
Druck, aber das ist bei Rücktritten, die allgemein und mit Recht als freiwillig an- ohne dabei unfähig zu sein, sich zu den hierzu erforderlichen Handlungen zu ent-
gesehen werden, ebenso der Fall, z. B. wenn grundlose Angst oder abergläubische schließen oder nicht" (aaO., 217). Die Annahme eines freiwilligen Rücktritts ist
Befürchtungen ihn zum Rücktritt bewegen oder wenn er von Mitleid überwäl- im Ergebnis sicher richtig. Wieso die Stärke des psychischen Drucks und die
tigt seine Absicht aufgibt. Es ist, wie die Beispiele zeigen, nicht sachgerecht und Entscheidungsfreiheit des A aber anders zu beurteilen sein soll als im Fall 4, bleibt
auch nicht möglich, nach der Stärke des psychischen Drucks zwischen „unfreiwil- unerklärlich. Daß er im einen Fall zur Vollendung nicht imstande war, im anderen
lig" und „freiwillig" zu unterscheiden. Denn erstens läßt sich dieser Druck weder aber doch, bleibt eine reine Behauptung. Die Ergebnisse, zu denen die psychologi-
messen noch gar nachträglich forensisch rekonstruieren; und zweitens läßt sich sche Theorie führt, sind bei derartigen Konstellationen daher beliebig und wider-
auch kein Punkt angeben, von dem an eine noch bestehende Freiwilligkeit in sprüchlich.
Unfreiwilligkeit umschlägt. Auf den letzten Gesichtspunkt hat schon frühzeitig Ähnlich unterschiedliche Ergebnisse zeigen sich auch in anderen Fällen. In der 374
zu Dohna319, hingewiesen, wenn er davon spricht, daß der psychische Zwang sich Entscheidung BGH M D R (D) 1958,12 hatte der Täter einen Geschäftsinhaber mit
„in unendlichen Nuancen" abstufe, „ohne daß es möglich wäre, auf dieser Skala ... einer Eisenstange über den Kopf geschlagen, um die Kasse berauben zu können.
Dann trat er zurück mit der Begründung, es habe „ihn der brechende Blick seines
eine Zäsur vorzunehmen".
niedersinkenden Opfers an ein Tier auf der Schlachtbank erinnert und ihn in
371 Besonders deutlich wird die Unbrauchbarkeit einer „psychometrischen" Ab-
Angst versetzt. Deshalb sei er nicht in der Lage gewesen, das Geld an sich zu neh-
grenzung, wo der Rücktritt nicht auf äußerem Druck, sondern auf seelischer Er-
men." Darin sah der BGH ein zwingendes Hindernis und erklärte den Rücktritt
schütterung beruht. So lag es in Fall 4 (Rn. 364). Wenn der Täter hier nach dem
für unfreiwillig. Dagegen soll nach BGH M D R (D) 1952, 530/31 ein freiwilliger
Erscheinen der Kinder, die objektiv keinen Hinderungsgrund bildeten und leicht
Rücktritt bei einem Täter vorliegen, der von einem Tötungsversuch zurückgetre-
hinausgedrängt wurden, die Tat nicht mehr „fortsetzen wollte und emotional und
ten war, weil ihm nach mehreren Beilschlägen auf den Kopf des Opfers beim
psychisch auch nicht konnte", so wird selbst an der Diktion des Urteils deutlich,
Anblick des bewußtlosen, blutüberströmten Mädchens die Folgen seiner Tat zum
daß in solchen Situationen „Nicht-Wollen" und „Nicht-Können" (d.h. Freiwillig-
Bewußtsein gekommen waren. Warum, wenn der erbarmungswürdige Anblick
keit und Unfreiwilligkeit) nicht voneinander zu trennen sind. Wenn man hier mit
dem BGH eine Unfreiwilligkeit annimmt, bestraft man durch Versagung des des Opfers den Täter zum Rücktritt bewegt, dieser im einen Fall freiwillig, im an-
Rücktrittsprivilegs den Täter für die Stärke seiner seelischen Erschütterung, ob- deren unfreiwillig sein soll, ist weder psychologisch noch sonstwie plausibel zu
wohl gerade sie bezeugt, daß er sich eines Besseren besonnen hat und in die Lega- machen.
lität zurückgekehrt ist.379 Der Umstand, der unter kriminalpolitischen Gesichts- Die Undurchführbarkeit des Ansatzes zeigt sich auch darin, daß die Rspr. ihn oft 375
punkten das Strafbedürfnis entfallen läßt, wird paradoxerweise gerade zur Auf- ohne weitere Begründung außer acht läßt, wenn er zu völlig unerträglichen Ergeb-
rechterhaltung der Strafbarkeit benutzt! nissen führen müßte. So müßte etwa bei einem Rücktritt auf Grund unüberwind-
372 Wie zufällig und unkontrollierbar die Ergebnisse beim Versuch einer psycho- licher Gewissensbedenken bei psychologischer Betrachtungsweise ein unfreiwilli-
logischen Abgrenzung werden, möge ein Gegenbeispiel zeigen: ger Rücktritt angenommen werden (oder wenigstens naheliegen). Wenn der Täter
sich dahin einläßt, es sei ihm schlechthin unmöglich gewesen, gegen sein Gewissen
Fall 5 (BGHSt 21, 216):380 handelnd das Delikt zu vollenden, müßte „psychischer Zwang" die Freiwilligkeit
Der A hatte das Opfer mit Tötungsabsicht lebensgefahrlich verletzt, hatte dann aber einen Arzt
gerufen, der das Opfer rettete. Der Anblick der verletzten Frau war nach den Feststellungen ausschließen. Doch heißt es schon in einer früheren RG-Entscheidung (RGSt,14,
des tatrichterlichen Urteils „zuviel für ihn ..., er konnte einfach nicht mehr"; „er wollte jetzt 19ff., 22), der die Rspr. seither folgt: „Von seinem Gewissen gedrückt, ... also frei-
nicht mehr, daß die Frau im Keller verblutete".
willig, ... gab der Zeuge es auf..." Das ist natürlich ein richtiges Ergebnis, weil die
373 Auch hier ist es so, daß der Täter infolge starker seelischer Erschütterung nicht Gewissensentscheidung für das Recht die Strafbedürftigkeit beseitigt. Aber eine
mehr wollte und nicht mehr konnte. Im Gegensatz zum Fall 4 leitet der BGH aus allein auf den psychischen Druck abstellende Lehre kann dafür keine plausible Be-
gründung liefern.
378 zu Dohna, Z S t W 59 (1940), 541 ff. (544). Nicht selten finden sich auch verkappte Normativierungen. 376
379 Vgl. auch Freund, AT, § 9, R n . 59.
380 Für Freiwilligkeit in diesem Fall suchjäger, 1996,106.
597
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§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit III § 30
Fall 6 (BGHSt 9, 48): Rechtes"384 immer mehr durch. Als wichtigstes Kriterium zur Ausfüllung des
Der A hatte zum Zwecke der Vergewaltigung eine Frau von hinten angefallen und niedergeris-
sen. Erst jetzt bemerkte er, daß das Opfer eine Bekannte von ihm war. Daraufhin ließ er von Rückkehrerfordernisses wird man die Planwidrigkeit des Täterverhaltens anerken-
der Frau ab, nachdem sie ihm versprochen hatte, keine Anzeige zu erstatten. Aus den Feststel- nen müssen.385
lungen der Tatsacheninstanz ergibt sich, „daß der A sich gegenüber der Zeugin, die ihn erkannt
hatte, geschämt hat, und daß er eine Strafanzeige dieser Zeugin fürchtete. Ob einer dieser Wenn der Täter z. B. zurücktritt, weil er Mitleid mit dem Opfer hat oder weil 380
Gründe allein ausschlaggebend für den Rücktritt war, läßt das Urteil nicht... erkennen ..." er grundlose Angst bekommt und den Mut verliert, so ist das ein planwidriges,
mit der Motivation zur konkreten Tat unverträgliches Verhalten, durch das sich der
377 Der BGH nimmt an, es liege Unfreiwilligkeit vor, wenn für den A die Gewiß - Täter aber im Hinblick auf den gegebenen Fall als letztlich legal handelnder
heit, bei weiterem Handeln angezeigt und bestraft zu werden, für sich allein ge- Mensch erweist. Deshalb sieht der Gesetzgeber das Strafbedürfnis entfallen: Es
nügt hätte, ihn von weiterem Tun abzuhalten. Es reiche aus, daß er diese Gefahr bedarf - sofern man diesen Strafzweck überhaupt anerkennt - keiner gerechten
„vernünftigerweise nicht auf sich nehmen konnte und daher von der Ausführung Vergeltung, weil der Täter seine Tat schon selbst „aufgehoben", aus der Welt ge-
der Tat absehen mußte" (aaO., 50). Der Täter könne sich an seinem Tun auch durch schafft, hat. Ein generalpräventives Strafbedürfnis besteht nicht, weil sich die An-
solche Umstände gehindert sehen, „die ihm im Wege stehen, ohne es unmöglich forderungen des Rechts gegenüber dem Deliktsplan des Täters schließlich durch-
zu machen" (aaO., 51). Nur die Annahme der Unfreiwilligkeit ermögliche „ge- gesetzt haben. Und auch ein spezialpräventives Strafbedürfnis wird durch das kon-
rechte Entscheidungen". Denn wer die Fortführung der Tat nur deshalb aufgebe, krete Tatverhalten nicht ausgelöst, weil der Täter das Recht schließlich respektiert
weil seine Hoffnung, nicht überführt zu werden, ihn getrogen habe, bleibe „ge- hat.
fährlich und strafwürdig" (aaO., 51/52). Auf diese Weise wird die Deutung der Freiwilligkeit mit der Strafzwecktheorie 381
378 Das ist sicher richtig, aber doch ein deutlicher Rückgriff auf die Strafzweck- als der ratio des Rücktrittsprivilegs (Rn. 4 ff.) in Einklang gebracht. Dabei muß
theorie als ratio des Rücktrittsprivilegs und damit eine Normativierung, die sich man sich vor zwei Irrtümern von vornherein hüten. Erstens verlangt die Freiwil-
psychologischer Formeln nur noch in einer ganz unverbindlichen Weise bedient. ligkeit kein sittlich hochwertiges Rücktrittsmotiv. Das ist mit Recht auch die Mei-
Denn es wird nur noch verlangt, daß irgendwelche Umstände einer Weiterfüh- nung des BGH. 386 Es ist aber kein Argument gegen eine normative Rücktritts-
rung entgegenstehen, nicht aber, daß sie psychisch zwingend wirken. Entspre- konzeption, weil auch diese keine ethische Qualität des Rücktrittsgrundes fordert.
chendes gilt für die Meinung des BGH, daß Freiwilligkeit vorliege, wenn der Ob das Motiv, wie beim Mitleid, sittliche Anerkennung verdient, ist gleichgültig.
Täter „wesentlich auch" aus Scham von seinem Opfer abgelassen habe. Denn er sei Wenn der Täter aufhört, weil er ohne äußeren Grund Angst bekommt, weil er den
dann nicht in einer Lage gewesen, „die seinen Willen zwingend bestimmte und in ursprünglich übernommenen Aufwand nicht mehr lohnend findet oder sonst die
der er verständigerweise keine andere Wahl treffen konnte" (aaO., 53). Warum aber Lust verliert, so ist auch das freiwillig; denn es wird nicht mehr als legales Verhal-
Scham psychologisch gesehen kein ausreichendes Hindernis darstellen soll, bleibt ten verlangt. Zweitens setzt die Rückkehr in die Legalität nicht voraus, daß der
unklar. Jedermann kann (auch an sich selbst) beobachten, daß die Scham sehr star- Täter auch künftig keine Straftaten mehr begehen will. Es genügt, daß er im Hin-
ke psychische Hinderungswirkungen auslöst. Plausibel wird die Entscheidung erst blick auf die konkret versuchte Tat zur Legalität zurückgekehrt ist (vgl. dazu schon
dann, wenn man erkennt, daß jemand, der aus Scham von einem Deliktsversuch Rn. 6). Wenn der aus Mitleid oder Angst zurückgetretene Täter sich also vor-
zurücktritt, sich letztlich als rechtstreu erweist und deshalb keiner Strafe bedarf. nimmt, seine „Weichlichkeit" zu bekämpfen und ggf. die Tat spater doch noch zu
Das aber ist ein normativer Gesichtspunkt. begehen, so ist er — abgesehen von der Unbeweisbarkeit derartiger Vorbehalte —
immer noch freiwillig zurückgetreten: Denn der Gesetzgeber stellt allein auf den
Rücktritt von der konkreten Tat ab; die Pläne des Täters hinsichtlich seines künfti-
III. Zur Begründung der normativen Freiwilligkeitskonzeption
gen Verhaltens sind dafür irrelevant (vgl. dazu noch Rn. 413 f.).
1. Die Rückkehr in die Bahnen des Rechts durch planwidrige Tataufgabe Wenn der Täter sich dagegen entdeckt sieht und die Tat zwar noch vollenden 382
oder Erfolgsverhinderung könnte, aber mit einer Anzeige und Bestrafung rechnen muß, oder wenn sich ent-
379 Wie die somit unumgängliche Normativierung des Freiwilligkeitskriteriums gegen der ursprünglichen Erwartung des Täters zeigt, daß der zur Vollendung er-
durchgeführt werden muß, ist im einzelnen sehr umstritten. 381 Jedoch setzt sich forderliche Aufwand an Geld, Zeit und Mühe außer Verhältnis zum erreichbaren
„der leitende Topos"382 der „Rückkehr in die Legalität"383 bzw. „in die Bahnen des Gewinn steht, dann ist der Rücktritt unfreiwillig. Denn in diesem Fall ändert er
381
Umfassende Darstellungen liefern die Monographien von Ulsenheimer, 1976, und Bottke, 384 Ulsenheimer, 1976, 314 u. pass.
1979. Einen guten Überblick auch über die anschließende Entwicklung gibtjäger, 1996, 21 ff. 385 So etwa auchjakobs, KT2, 26/30: „Freiwillig ist demnach eine Motivation zum Rücktritt,
382 Bottke, ]K 1980, 444. die mit der Motivation zur konkreten Tat unverträglich ist."
383 R0Xint H e i n i t z - F S , 1972, 256; ähnlich Köhler, AT, 479. 386 BGHSt 7, 296, 299; 9, 48ff.; 33,145 f.; 35,184ff., 186; BGH NJW1980, 602.
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§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit III § 30
§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
die befürchtete Zahlungsverweigerung durch die Versicherungsgesellschaft durch
nicht seine Einstellung zu dem Delikt, verhält sich nicht tatplanwidrig, sondern
ein anderes Angebot umging. Dagegen ist im Falle 4 entgegen dem B G H ein
paßt sich „tatzielkonform" 387 der veränderten Situation an. Er kehrt nicht in die
freiwilliger Rücktritt anzunehmen. D e n n w e n n jemand beschließt, seine Ehefrau
Legalität zurück, sondern er tut nur, was auch der hartnäckigste Delinquent in
umzubringen, sich aber wegen der durch den Gedanken an die gemeinsamen K i n -
Anbetracht der Situation tun würde. Es besteht kein Anlaß, ein solches Verhalten
der ausgelösten seelischen Erschütterung davon abbringen läßt, handelt „tatplan-
mit Straffreiheit zu honorieren; das Strafbedürfnis bleibt in vollem Umfang b e -
widrig" d.h., u m mit Jakobs391 zu sprechen, auf Grund einer Motivation, „die mit
stehen.
der Motivation zur konkreten Tat unverträglich ist". D e n n die Folgen der Tat für
383 Ich habe schon vor Jahrzehnten versucht, diese Konzeption durch die Lehre v o n
die Kinder lagen schon bei der Entschlußfassung auf der Hand. Wenn sich ein Gat-
der sog. Verbrechervernunft zu konkretisieren. 3 8 8 Diese Lehre geht zurück auf
tenmörder darüber hinwegsetzt, ist es aus der Perspektive seines Deliktsplans „un-
eine ständige Rspr. schon des RG 3 8 9 , wonach ein Rücktritt unfreiwillig ist, „wenn
vernünftig", i m Versuchsstadium dann doch mit Rücksicht auf die Kinder von der
nach den gesamten Umständen die Gefahr baldiger Entdeckung u n d Bestrafung
Vollendung Abstand zu nehmen. 3 9 2 Gerade in dieser „Unvernunft" zeigt sich aber
dem Angeklagten sich so aufgedrängt habe, daß er sie vernünftigerweise nicht auf
die schließliche Durchsetzung einer rechtskonformen Einstellung u n d damit eine
sich nehmen konnte ..." (BGHSt 9, 50). Mit diesem Abstellen auf das „Vernünftige"
Rückkehr in die Legalität, die unter normativen Gesichtspunkten hinsichtlich der
hat die Rspr., ohne es zu bemerken, den psychologischen Ausgangspunkt verlassen
versuchten Tötung eine Strafbefreiung rechtfertigt.
und ist auf ein normatives Kriterium übergeschwenkt. D e n n welche „Vernunft" ist
hier gemeint? Ich habe damals 3 9 0 ausgeführt, es sei die Vernunft „eines hartgesotte- Die Lehre von der „Verbrechervernunft" hat mancherlei Kritik erfahren, die teils darauf ver- 385
weist, daß es keine gesicherten empirischen Kenntnisse darüber gibt, wie sich „typische"
nen, Risiko u n d Chancen des konkreten Tatplans kalt abwägenden Delinquenten. Tötungsdelinquenten, Vergewaltiger, Betrüger usw. benehmen, teils auch die Unsicherheit des
Wer sich entdeckt sieht u n d n u n zurücktritt, handelt in diesem Sinne .vernünftig', Maßstabs monieren. Darin liegt ein Mißverständnis meiner Intention. Es geht mir nicht
wobei zwar v o m individuellen Tatplan auszugehen, der an den Rücktritt anzule- um empirische Feststellungen, sondern um ein normatives Prinzip, das bei der Bestimmung
dessen helfen soll, was als tatplanwidrige Rückkehr in die Legalität gelten kann. 394 Auch ist
gende Maßstab aber auf seiner Grundlage generell zu bestimmen ist. Ein solcher ein solches Interpretationshilfsmittel kein Universalschlüssel, der überall gleich gut paßt und
Gehorsam gegenüber den Regeln des Verbrecherhandwerks verdient natürlich weitere normative Festlegungen überflüssig macht (vgl. dazu noch Rn. 387 ff.). „Indessen ist
nicht den Lohn der Rechtsordnung, so daß dieser Rücktritt als unfreiwillig bewer- das Schlagwort als Kennzeichnung einer .spiegelbildlichen Verkehrung der Rechtsmoral' sehr
einprägsam und trifft jedenfalls einen Rücktrittstypus, der einheitlich zu beurteilen ist."395
tet werden muß. Wer dagegen auf seinem Diebesgang ohne konkreten Anlaß Andere Vertreter der normativen Theorie begnügen sich damit, auf eine „Rückkehr ... in 386
plötzlich von heftiger Angst gepackt wird u n d davonläuft, verfährt nach den die Bahnen des Rechts" 396 abzustellen, oder sie rücken einzelne Komponenten der Straf-
Maßstäben seines Gewerbes .unvernünftig' (denn ein .ordentlicher' Verbrecher zwecklehre in den Vordergrund. So hebt Walter"97 darauf ab, ob sich im Rücktritt eine „norm-
konforme Konfliktslösung" und damit eine „hinreichende Normbefolgungsbereitschaft" ma-
fürchtet sich nicht grundlos). Der Rücktritt ist daher freiwillig, weil die Rechts- nifestiert. Das ist prinzipiell richtig: Wer sich gegen seinen Deliktsplan entscheidet, handelt
ordnung den Abfall von den N o r m e n der Verbrechervernunft belohnt." normkonform und kehrt insoweit in die Legalität zurück. Aber damit wird nur die spezialprä-
384 Bei Anlegung dieser Maßstäbe sind die Fälle 1-4 ( R n . 358, 360, 362, 364) an- ventive Seite des Rücktrittsprivilegs erfaßt, die beim Rücktritt nur eine reduzierte Rolle
spielt, weil „schädliche Neigungen" auch bei freiwilligem Rücktritt bestehenbleiben kön-
ders zu entscheiden, als es der B G H getan hat. Wer zwei Personen (E u n d F) töten nen. 3 8 Schünemanr?99 andererseits nimmt einen freiwilligen Rücktritt an, wenn der Täter
will, die eine (E) aber dringlicher als die andere (Fall 1), handelt tatzielkonform den rechtserschütternden Eindruck des Versuchs wieder aufhebt. Hier wird der generalpräven-
und situationsadäquat, m.a.W nach Maßgabe seines Tatplanes „vernünftig", w e n n tive Aspekt des Rücktritts zutreffend erfaßt. Doch bleibt der bloße Rückgriff auf den Straf-
zweck etwas zu vage, weil er zu wenig Hinweise für die Beantwortung der Frage gibt, unter
er angesichts der Alternative, nur entweder den schon schwer verletzten F oder die welchen Voraussetzungen die Allgemeinheit das Strafbedürfnis entfallen sieht.
E töten zu können, die E ermordet. Sein Rücktritt ist daher unfreiwillig! Wer sein
Opfer (O) vergewaltigen will, schon Gewalt angewendet hat u n d nur deshalb auf 39i Jakobs, AT2, 26/30.
392 Wenn Jäger, ZStW 112 (2000), 794 dem entgegenhält, es entspreche „väterlichem Plan
weitere Gewalt verzichtet, weil O i h m nach kurzer „Verschnaufpause" die freiwilli-
und väterlicher Vernunft" den Kindern den Anblick einer Tötung ihrer Mutter zu ersparen, so
ge Hingabe verspricht (Fall 2), verfährt tatplangemäß, w e n n er darauf eingeht. Es verwechselt er die Vernunft eines normalen mit der hier allein interessierenden eines gatten-
ist gerade v o m Standpunkt eines Vergewaltigers aus nur „vernünftig", den b e q u e - mörderischen Vaters; ganz abgesehen davon, daß den Kindern nach ihrem Hinausdrängender
Anblick der Tötung ohnehin „erspart" geblieben wäre.
meren Weg zum Ziel zu wählen, so daß auch ein so motivierter Rücktritt unfrei-
393 Vgl. nur etwa Jäger, 1996, 24, 102; Ulsenheimer, 1976, 306ff.; Stratenwerth, AT4, §11,
willig ist. Entsprechendes gilt für die Tatplanumstellung i m Falle 3, w o der Täter Rn. 87.
39t Vgl. dazu die Würdigung bei Bottke, 1979,1988 ff.
395 Kra«jl?,JuS1981, 887, F n . 1 6 .
387 Bottke, JA 1981, 63. 396 Ulsenheimer, 314; ä h n l i c h Bottke, 1979, 4 9 6 ff. u . pass.
388 Zuerst in ZStW 77 (1965), 97; wörtlich wiederholt in Heinitz-FS, 1972, 256; entspr. 397 Walter, 1980, 70 ff.
ZStW 80 (1968), 708; 1970, 21973, 36-38. Ebenso SK6 -Rudolphi, § 24, Rn. 28. 398 Vgl. d a z u auchJäger, 1996, 25f.; Schäfer, 1992, 55.
389 RGSt 37,402 (406); 47,74 (79); 65,145 (149); ebenso wieder BGHSt 9,48 (50). 3» Schünemann, G A 1986, 323.
390 Im Jahre 1965; vgl. Fn. 388.
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§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit III § 30

2. Fallgruppen freiwilligen Rücktritts b) Der Täter wird durch äußere Umstände zum Rücktritt veranlaßt, die
das Risiko des Mißlingens oder nachträglicher Bestrafung nicht oder
a) Der Täter tritt aus inneren Gründen zurück nur unbedeutend erhöhen
387 Die deutlichsten Fälle freiwilligen Rücktritts sind die, in denen die äußeren
Hierher gehören zunächst Sachverhalte wie die in Fall 4 (Rn. 364) und 5 389
Umstände sich nicht verändern, der Täter aber seinen Entschluß gleichwohl revi-
(Rn. 372) geschilderten. Das Erscheinen der Kinder in Fall 4 bedeutete zwar eine
diert. Das kann aus anerkennenswerten Motiven geschehen: 400 Dem Täter schlägt
„Störung", war für die geplante Tötung der Ehefrau aber kein wirkliches Hinder-
das Gewissen; er schämt sich seines bisherigen Tuns; er kommt, nachdem der erste nis, während der Anblick der verletzten Frau in Fall 5 auf das Risiko der Plan-
Zorn verraucht ist, zu besserer Einsicht; er hat Mitleid mit dem Opfer usw. Die verwirklichung überhaupt keinen Einfluß ausübte. Entsprechendes gilt, wenn der
Motive können aber auch indifferent sein. Wer zurücktritt, weil ihm im entschei- Täter zurücktritt, weil der Anblick des verletzten Opfers ihn aus sonstigen Grün-
denden Moment die Entschlußkraft fehlt, weil er ohne äußeren Anlaß von ängst- den entsetzt oder erschreckt403 oder weil das Kind, das der Täter sexuell mißbrau-
lichen Vorstellungen heimgesucht wird, weil er das Interesse an der Tat verliert chen will, leise weint (RGSt 69,140) oder den Täter in ängstlichem Tone fragt, was
und die weitere Ausführung ihm langweilig wird oder weil er aus „Ärger, Ver- er von ihm wolle (RGSt 47, 76). Der Rücktritt ist in allen diesen Fällen freiwillig
stimmung und Unmut über den bisherigen Verlauf"401 keine Lust mehr hat, han- (vgl. schon Rn. 39, 380 ff.), weil er mit dem Tatplan unvereinbar und vom Stand-
delt immer noch freiwillig. Denn der Täter handelt in allen Fällen planwidrig, aus punkt eines zur Vollendung entschlossenen Täters unvernünftig ist; denn das Leid
Motiven, die mit der ursprünglichen Motivation zur Tat unverträglich sind und der Opfer war im Tatplan enthalten und ist deshalb kein tatzielkonformer Hin-
den Rücktritt vom ursprünglichen Tatplan aus als unvernünftig erscheinen lassen. derungsgrund. Gerade die Inkonsequenz, die in der menschlichen Regung des
Ob er dabei unter größerem oder geringerem inneren Druck stand, ist gleichgül- Täters liegt und den Rücktritt motiviert, begründet die Rückkehr in die Legalität
tig. Zwar wird auch die Rspr. vom Standpunkt der psychologischen Theorie aus und den Wegfall des Straf bedürfnisses.
in solchen Fällen durchweg zur Freiwilligkeit kommen; bei unüberwindlichen
Immer freiwillig ist ein religiös motivierter Rücktritt, auch wenn er durch äu- 390
inneren Hemmungen liegt darin aber eine Folgewidrigkeit (vgl. schon Rn. 371-
ßere Umstände ausgelöst worden ist. Tritt der Täter also zurück, weil ihm ein Hei-
374), die eine normative Konzeption vermeidet.
ligenbild entgegengehalten wird (RG JW1934, 486) oder weil die Kirchenglocken
388 Die Grenze liegt erst dort, wo der Täter ohne Veränderung der Tatsituation zur zu läuten beginnen, so wird der Versuch mit Recht straflos gestellt. Der Täter han-
Vollendung physisch unfähig wird. Die Aufregung und Anspannung in der Tat- delt als Delinquent unvernünftig; aber gerade die innere Umkehr läßt den Straf-
situation führen etwa zu einem Kreislaufkollaps, der eine weitere Ausführung un- zweck entfallen. Nichts anderes gilt auch beim Rücktritt aus Aberglauben. Wer im
möglich macht; oder der Vergewaltiger findet sich im entscheidenden Augenblick Versuchsstadium aufgibt, weil ein Käuzchen schreit oder ihm eine schwarze Katze
zu seinem Ärger impotent. In solchen Fällen liegt ein fehlgeschlagener Versuch über den Weg lauft, verhält sich nach den Regeln des deliktischen Handwerks un-
vor (Rn. 77 ff, 86), bei dem ein Rücktritt von vornherein nicht in Betracht vernünftig. Daher muß ihm das Rücktrittsprivileg ebenso wie einem aus anderen
kommt. Aber auch hier müssen die Wechselwirkungen von Psyche und Physis Gründen überängstlichen Täter zugute kommen.
beachtet werden. Wo die körperliche Unfähigkeit nur die Folge einer inneren Um-
Freiwillig tritt auch zurück, wer sich vom Opfer, von einem Tatzeugen (BGH 391
kehr ist, bleibt der Rücktritt freiwillig. Wer unter dem Druck seines Gewissens
NStZ 1989, 69) oder von ihm nahestehenden Personen dazu überreden läßt. Denn
einen Nervenschock erleidet und nun auch physisch nicht mehr weitermachen
auch in einem solchen Fall kehrt er, wenn auch unter dem Aspekt seines ursprüng-
kann, ist immer noch freiwillig zurückgetreten. Und wer beim Versuch der Ver-
lichen Tatplans unvernünftigerweise, in die Bahnen des Rechts zurück. Anders
gewaltigung von Scham und Reue erfaßt wird und infolgedessen nun auch phy- liegt es, wenn hinter der „Überredung" eine Drohung mit Strafanzeige steht:
sisch zum Vollzug des Beischlafs nicht mehr in der Lage ist, sollte das Privileg der Wenn diese die Chance, gefaßt zu werden, erheblich erhöht, ist es auch für einen
Strafbefreiung erhalten. „Die Abwendung vom Versuch mit Leib und Seele kann weiterhin vollendungswilligen Täter „vernünftig", sich ihr zu beugen, so daß ein
nicht weniger bringen als diejenige nur mit der Seele."402 freiwilliger Rücktritt ausscheidet. Andererseits ist ein Rücktritt wiederum frei-
willig, wenn die Drohung mit Strafanzeige das von Anfang an eingegangene
Risiko nicht erhöht. Wenn A sich entschließt, den B zu verprügeln, muß er dessen
eventuelle nachträgliche Strafanzeige in Kauf nehmen. Weist B ihn im Versuchs-
"oo Dazu Bottke, 1979, 497 ff. stadium darauf hin, ist der Rücktritt mit der ursprünglichen Motivation unver-
4 träglich und insoweit unvernünftig - also freiwillig.
<" BGH MDR (H) 1989, 857.
"02 So sehr gut Jakobs, AT2, 26/45; ähnlich Köhler, AT, 481. In Literatur und Rspr. (RG DR
1943, 910; BGH LM § 177 Nr. 6) wird das meist nicht richtig erfaßt. «3 RGSt 68, 238; RG DR 1943, 910; BGH MDR (D) 1958,12; BGH LM § 177 a.F. Nr. 6.
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392 Wird die Durchführung der Tat schwieriger als ursprünglich angenommen, so Standpunkt eines vollendungswilligen Täters aus bei objektiver Beurteilung ver-
ist der Rücktritt immer noch freiwillig, w e n n sich das Risiko nicht erheblich er- nünftig ist, m u ß der Rücktritt als unfreiwillig beurteilt werden. Anders liegt es,
höht. Entdeckt der Täter eine Alarmanlage, die er aber auf Grund seiner techni- wenn der Widerstand schwach und leicht zu überwinden ist oder w e n n in einsa-
schen Kenntnisse mühelos außer Betrieb setzen könnte, so kann er immer noch mer Gegend oder außerhalb eines geschlossenen Raumes die Hilferufe des Opfers
freiwillig zurücktreten; denn ein „vernünftiger" Einbrecher läßt sich nicht durch nicht zu hören sind. Wenn der Täter diese Umstände trotzdem zum Anlaß eines
leicht überwindbare Hindernisse von der Tat abhalten. 4 0 4 Im Regelfall freilich Rücktritts n i m m t , handelt er aus der Perspektive seines Deliktsplans unvernünftig
liegt es bei Taterschwerungen anders: Wenn die offen geglaubte Tür gewaltsam und eben deshalb freiwillig. Entsprechendes gilt für die Entdeckung durch das
eingeschlagen oder erst ein Hofhund getötet oder ein unvermutet auftauchender Opfer. Befürchtet z. B. der vom Wohnungseigentümer überraschte Dieb, daß der
Nachtwächter betäubt und gefesselt werden m u ß , bringt das für das Gelingen des zu Bestehlende ihn erfolgreich an der Wegnahme hindern werde, so ist sein R ü c k -
Plans so große Risiken mit sich, daß ein Aufhören situationsadäquat („vernünf- tritt unfreiwillig. Wenn der Eigentümer dagegen dem Dieb voller Angst selbst das
tig") und damit unfreiwillig ist. 4 0 5 Würde sich durch die Ü b e r w i n d u n g des H i n - gesuchte Geld herbeiholt, wäre ein gleichwohl erfolgender Rücktritt freiwillig.
dernisses der Deliktscharakter ändern - es müßte Gewalt angewendet werden, die
b) D i e durch eine Veränderung der äußeren U m s t ä n d e begründete Furcht,
aus dem geplanten Diebstahl einen R a u b macht - , so ergibt sich die Rücktritts-
nach der Tatvollendung f e s t g e n o m m e n und bestraft z u werden oder
unmöglichkeit außerdem schon daraus, daß das geplante weniger schwere Delikt
der Beute verlustig z u gehen
fehlgeschlagen ist.
Solche Fälle sind in der Praxis sehr häufig 4 0 7 und genauso zu behandeln wie die 395
der ersten Fallgruppe. Wenn die durch die Umstände begründete Furcht, alsbald
3. Fallgruppen unfreiwilligen Rücktritts 4 0 6 festgenommen oder der Beute wieder beraubt zu werden, bei objektiver Beurtei-
a) D i e durch eine Veränderung der äußeren U m s t ä n d e begründete Furcht, lung berechtigt ist, ist ein Rücktritt situationsadäquat und vom Standpunkt eines
die Vollendung könnte verhindert werden erfahrenen Straftäters aus vernünftig, mithin unfreiwillig.
393 Dieser Fall liegt vor, w e n n der Täter Polizisten oder Helfer des Opfers auftau- Dies n i m m t auch die st. Rspr. an, indem sie auf der Grundlage ihrer psycho- 396
chen sieht, wenn die Alarmanlage ertönt oder ein H u n d anschlägt und der Täter logischen Theorie davon ausgeht, daß dem Täter keine andere Wahl geblieben sei.
sich daraufhin vorsichtshalber zurückzieht. N i m m t er an, daß eine Tatbestands- Das ist freilich noch zweifelhafter als bei der vorher (a) behandelten Fallgruppe:
verwirklichung unmöglich geworden sei, liegt schon ein fehlgeschlagener Ver- D e n n der Täter könnte es - freilich unklugerweise - auch darauf a n k o m m e n
such vor, so daß sich die Rücktrittsfrage gar nicht erst stellt ( R n . 85 ff.). Aber meist lassen, und mancher tut dies sogar. Maurach/Gössel408 verweisen denn auch alle
wird es so sein, daß er nicht weiß, ob die Tat noch durchführbar ist. D a n n ist noch Überlegungen über das, was nach der Tatvollendung geschehen werde, „ins Gebiet
kein Fehlschlag, sondern ein Rücktritt anzunehmen (vgl. schon R n . 88). Er ist der Ethik. Sie können das Privileg selbst dann nicht ausschließen, w e n n von einer
unfreiwillig, wenn auf der Grundlage des Vorstellungsbildes, das der Täter sich inneren Läuterung des Täters nicht die Rede ist." So soll freiwillig zurückgetreten
gemacht hat, ein Aufgeben der Tat bei objektiver Beurteilung „vernünftig" und sein, wer aufgehört hat, damit ihm nicht der Fluchtweg abgeschnitten werde (an-
situationsadäquat ist. Ob, wie es die Rspr. annehmen m u ß , die Entschließungs- ders R G DJ 1938, 596) oder u m eine Anzeige bei der Polizei zu verhindern (anders
freiheit des Täters so stark beeinträchtigt ist, daß er keine andere Wahl hat, wird BGHSt 9, 49).
vielfach zweifelhaft sein. D e n n der Rücktritt kann das Ergebnis kühler Abwä- Aber das ist gerade unter dem Gesichtspunkt der Kriminalpolitik, auf die die 397
gung und freier Entscheidung des Täters sein. Aber er beruht jedenfalls nicht auf Autoren sich berufen, 4 0 9 ein ganz ungereimtes Ergebnis. Denn ob der Täter über-
einer gewandelten Einstellung, sondern auf deliktskonformer Zweckmäßigkeit, haupt nicht mehr zur Vollendung k o m m t oder bald danach gefaßt wird oder auch
die das Strafbedürfnis bestehen läßt. nur die Beute wieder aufgeben m u ß : Ein Weitermachen ist für ihn in allen Fällen
394 Ein häufiger Fall dieser Gruppe liegt auch in der Gegenwehr oder den Hilfe- gleichermaßen sinnlos. Es ist kriminalpolitisch so oder so verfehlt, die Unter-
rufen des Opfers. Wenn das Risiko so groß wird, daß ein Aufgeben auch vom lassung von Handlungen, die auch für einen deliktisch motivierten Täter sinnlos
geworden sind, mit Straffreiheit zu belohnen. Dazu tritt noch der Umstand, daß
404
die Fälle der Gruppen a und b oft ineinander übergehen und der Täter selbst nicht
A.A. offenbarJakobs, KT2, 26/46, für den der Rücktritt unfreiwillig ist, wenn die Über-
windung des Hindernisses Unrecht und Schuld erhöhen würde. 4 7
405 ° Vgl. nur BGHSt 9, 52; BGH JR 1952, 414; BGH NStZ 1984, 116; 1992, 536; 1993, 77,
Insofern besteht wieder Übereinstimmung mitjakobs, AT , 26/46.
406 279; BGH MDR (H) 1993,1038; 1994,127.
Das umfangreiche Rspr.-Material wird detailliert dargestellt bei Ulsenheimer, 1976, 408
253-279, 348-376; Bottke, 1979, 502 ff.; Walter, 1980, 881 ff., und - unter Beschränkung auf die Maurach/Gössel, AT/2 7 , 41/118,120.
4
BGH-Rspr. - beiJäger, 1996,10 ff. <» Maurach/Gössel, AT/2 7 41/118.

604 605
§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit III § 30

weiß, ob er vor oder nach der Tatvollendung gefaßt zu werden befürchten muß. Es nur durch Tötung der Eltern verwirklichen, ist ein Rücktritt situationsadäquat und
wäre auch aus diesem Grunde verfehlt, an eine solche Differenzierung unter- daher unfreiwillig. Daß der Täter wenigstens noch seine Eltern geschont hat, kann
schiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen. die Strafbedürftigkeit hinsichtlich der versuchten Sprengstoffexplosion nicht be-
seitigen. Die Unfreiwilligkeit ergibt sich auch daraus, daß,die Tötung der Eltern
c) Der Täter tritt wegen anderer Erschwerungen zurück Unrecht und Schuld des Täters und ggf. seine Strafe wesentlich erhöhen würden
398 Diese Fallgruppe ist schon (Rn. 392) unter dem Gesichtspunkt erörtert worden, (vgl. schon Rn. 392). Deshalb ist der Rücktritt auch schon dann unfreiwillig, wenn
daß sich das Risiko des Mißlingens oder Gefaßtwerdens erhöht. Es gibt aber auch der Täter, der ein leeres Gebäude in die Luft sprengen will, zurücktritt, weil er im
den hier noch zu behandelnden Fall, daß der Täter deshalb zurücktritt, weil ihm letzten Moment einen ihm unbekannten Menschen im Haus entdeckt. Denn der
der Arbeits- und Zeitaufwand oder die aufzubringenden Geldmittel zu groß wer- Täter, der nur ein Gebäude sprengen will, würde ein unkalkulierbares Risiko ein-
den. Der professionelle Fälscher stellt z. B. fest, daß der Arbeitsaufwand sehr viel gehen, wenn er die Ausführung dieses Plans mit einem Mord verbinden würde.
größer ist als ursprünglich angenommen, so daß die aufgewendete Mühe außer Schon diese Variante zeigt, daß der Hinweis auf § 35 zwar ein unterstützendes 401
Verhältnis zum Honorar des Auftraggebers steht. Wenn er daraufhin seine Tätig- Argument darstellt, aber nicht den Kern der Sache trifft. Denn wenn die Tat auf-
keit abbricht, ist das vom „beruflichen'' Standpunkt eines Fälschers aus konsequent gegeben wird, weil das Ziel nur mit Hilfe eines Mordes erreicht werden kann, ist
und „vernünftig", und es besteht unter Strafzweckgesichtspunkten kein Anlaß, ihn der Rücktritt völlig unabhängig von § 35 unfreiwillig. Entsprechendes gilt für
mit Straffreiheit zu honorieren. Der Rücktritt ist also unfreiwillig. Entsprechen- den Streitfall, daß ein Einbrecher den Diebstahl aufgibt, um sein eigenes brennen-
des gilt, wenn etwa bei einer versuchten Anstiftung zum Meineid die für die Ge- des Haus zu löschen. Hier wird teils Freiwilligkeit415, teils Unfreiwilligkeit416 an-
winnung des Täters zu zahlende Geldsumme größer wird als der Gewinn, der mit genommen. Zutreffend ist die Bejahung eines unfreiwilligen Rücktritts, obwohl
Hilfe des Meineides erzielt werden soll. Dagegen ist der Rücktritt freiwillig, wenn das Motiv der Rettung des Eigentums nach § 35 nicht verantwortungsausschlie-
unter dem Aspekt der Zielsetzung des Täters die Vollendung sich bei objektiver ßend wirkt. Denn der Rücktritt entspringt einem nüchternen Kalkül und ist also
Beurteilung immer noch gelohnt hätte.410 Die psychologische Theorie müßte bei auch nach den „Regeln des Einbrecherhandwerks" vernünftig, wenn der Nutzen
konsequenter Handhabung wohl in allen Fällen dieser Gruppe Freiwilligkeit an- der Tatvollendung geringer ist als der Schaden, der aus dem Brand des Hauses
nehmen; doch wird das Kriterium der Wahlfreiheit so flexibel gehandhabt, daß entstehen würde. Wenn dagegen jemand zurücktritt, weil er im Falle der Tatvoll-
sich das Ergebnis nicht sicher voraussagen läßt. endung die für ihn interessante Übertragung eines Fußballspiels im Fernsehen
versäumen würde, handelt freiwillig. Denn das ist unter dem Gesichtspunkt des
d) Der Täter tritt wegen unerwartet drohender Nebenfolgen zurück Einbruchsziels eine ausgesprochen unvernünftige, mit dem ursprünglichen Plan
399 Fälle dieser Art kommen zwar in der Praxis kaum vor, werden aber als in der unverträgliche Motivation.
Tat interessante Grenzfälle in der Literatur viel erörtert. Sehr umstritten ist der Fall
Unfreiwilligkeit ist auch anzunehmen, wenn der Täter sich (nur) dadurch von 402
des Bombenlegers,411 der den von ihm gelegten Sprengsatz gerade entzünden will,
der Vollendung abhalten läßt, daß seine im Versuchsstadium hinzukommende
als er sieht, daß sich seine Eltern im Saal befinden; deshalb sieht er von der Spren-
Frau ihm für den Fall der Tatbegehung mit Selbstmord droht.417 Zwar ist vom
gung ab. Bottke4n will hier einen freiwilligen Rücktritt annehmen, weil der Täter
Standpunkt der normativen Lehre aus vorgeschlagen worden, 418 Freiwilligkeit an-
zeige, daß in ihm „wenigstens teilweise noch sozial anerkannte Wertvorstellungen
zunehmen, wenn der Täter aus Liebe zu seiner Frau zurückgetreten ist, Unfreiwil-
wirksam sind". Herzberg413 undjäger414 lehnen eine Freiwilligkeit unter Hinweis auf
ligkeit dagegen, wenn ihn die Befürchtung geleitet hat, das Geld seiner Frau zu
§ 35 ab; aus der Notstandsvorschrift ergebe sich, daß der Gesetzgeber das Handeln
verlieren oder nach § 323 c bestraft zu werden. Doch führt das in nicht mehr ju-
zur Rettung eines Angehörigen als unfrei bewerte.
stiziable Subtilitäten.419 Für die typisierende Betrachtungsweise, die im Recht un-
400 Richtigerweise wird man - entgegen Bottke - auch vom Standpunkt einer nor-
vermeidlich ist, ist der Tod der Ehefrau allemal ein schwerer Verlust (aus welchen
mativen Theorie aus einen unfreiwilligen Rücktritt annehmen müssen. Denn wer
Gründen nun immer), 420 so daß es auch vom Standpunkt eines Delinquenten aus
eine Bombe zünden will, ist deshalb noch kein Elternmörder. Läßt sich sein Plan i
4
410 rj)je Fälle des „geschäftsmännischen Verzichts", die Herzberg unterschiedslos der Freiwil- '5 Jäger, 1996,100; LK10-Vogler, § 24, Rn. 103.
4
ligkeit zuschlagen will (Lackner-FS, 1987, 330 f.), sind also differenziert zu beurteilen. "> Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 49.
411
Jäger, 1996, 99f.; ganz ähnlich Bottke, 1979, 395 f., der einen Terroristen in letzter Minute «7 Dieser Fall geht auf Schröder, MDR 1956, 323, zurück. Gegen Freiwilligkeit auch Schröder,
den schon in Gang gesetzten Zündmechanismus zerstören läßt, als er sieht, daß sein Vater das aaO.; Herzberg, Lackner-FS, 1987, 352; Jäger, 1996,101.
Gebäude betritt. «8 Roxin, Heinitz-FS, 1972, 264; Bottke, 1979, 514.
4
412
Bottke, 1979, 399. » Richtig die Kritik beiJäger, 1996,101.
42
«3 Herzberg, Lackner-FS, 1987, 352 f. ° Auch § 35 macht ja solche Unterscheidungen nicht, sondern exkulpiert die Rettung
414
Jäger, 1996,100. des Angehörigen, ohne das Motiv des Retters zu hinterfragen.

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§ 30 III 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch §30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit III §30
zweckmäßig ist, die Tat abzubrechen, w e n n sie nur u m diesen Preis vollendbar
4. DerWortlaut-Einwand
wäre.
Die geschilderten Fallgruppen und Beispiele zeigen, daß eine normative A b - 406
e) D e r Täter tritt zurück, weil sein Tatmotiv wegfällt
grenzung, wie sie hier befürwortet wird, i. d. R . plausiblere und mit der ratio des
403 Die meisten Fälle dieser Art, die von der älteren Rspr. und z.T. auch noch von Rücktrittsprivilegs besser zu vereinbarende Ergebnisse erzielt als ein i m strengen
der modernen Literatur 421 unter dem Gesichtspunkt eines freiwilligen oder u n - Sinne des Wortes undurchführbarer, auf die Stärke des psychischen Druckes a b -
freiwilligen Rücktritts beurteilt werden, sind nach der oben (Rn.94ff.) näher b e - stellender „psychometrischer" Ansatz. Die Gegenmeinung bestreitet denn auch die
gründeten Meinung Erscheinungsformen des fehlgeschlagenen Versuchs, brau- teleologisch richtigeren Lösungen einer normativen Auffassung durchweg nicht,
chen hier also nicht mehr behandelt zu werden. Dazu gehört der Abbruch der Tat, behauptet aber, der Wortsinn des Begriffes freiwillig erzwinge eine psychologi-
weil die Identität des Handlungsobjekts nicht d e m Tatplan entspricht (RGSt 39, sche Auslegung. Das ist zunächst von Lackner424 vorgetragen und dann von
37: Der Ball, der gestohlen werden soll, entpuppt sich als Holzkugel) oder weil das BGHSt 35, 187 (vgl. schon R n . 367) aufgenommen worden. 4 2 5 Eine rein n o r m a -
Tatobjekt den Erwartungen des Täters nicht gerecht wird (BGHSt 4, 56: Die vor- tive D e u t u n g des Freiwilligkeitskriteriums sei „wegen Überschreitung der ver-
gefundene Beute erweist sich als unbrauchbar). fassungsrechtlich gewährleisteten Wortlautschranke . . . insoweit unzulässig, als sie
404 Somit bleiben als Beispiele des „sinnlosen Versuchs" 422 für die Freiwilligkeits- eindeutige Fälle freiwilligen, d. h. nicht auf äußerem Druck oder innerer H e m -
problematik nur Fälle übrig, in denen die Tatbestandsverwirklichung ohne weite- m u n g beruhenden, Rücktritts mit teleologischen Erwägungen für strafbar er-
res möglich ist, das Handlungsobjekt auch nach seiner Identität u n d Beschaffen- klärt". 426
heit das v o m Täter vorgestellte ist, das Motiv aber plötzlich wegfällt (vgl. schon Doch läßt sich auf diese Weise die entwickelte normative Deutung nicht wider- 407
R n . 101): Der Täter hat schon zur Tötung des vermeintlichen Mörders seiner K i n - legen. Teilweise wird schon bestritten, daß der Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit
der, des ehebrecherischen Geliebten seiner Frau, des infamen Denunzianten usw. (Art. 103 II GG) und damit die Beschränkung der Auslegung auf den möglichen
angesetzt, als sich herausstellt, daß alles auf einem Irrtum beruht und das Opfer umgangssprachlichen Wortsinn 4 2 7 für die Rücktrittsvoraussetzungen überhaupt
unschuldig ist. Wenn der Täter es daraufhin laufen läßt, ist der Rücktritt unfrei- gilt. Bottke428 bestreitet das mit der Begründung, daß § 24 sich nicht an den p o -
willig. D e n n auch unter dem Gesichtspunkt der aufrechterhaltenen deliktischen tentiellen Delinquenten wende, so daß es auf dessen Verstehenshorizont nicht an-
Zielsetzung ist die Vollendung der hie et nunc versuchten Tötung unsinnig, der k o m m e ; u n d Lampe429 meint, die Garantiefunktion des Gesetzesvorbehalts sei auf
Rücktritt also vernünftig und daher unfreiwillig. die verbale Klärung dessen beschränkt, was „sein soll oder darf, nicht aber, welche
405 Die Konstellation zeigt besonders deutlich, wie unumgänglich eine normative schuldbefreienden Ausnahmen vom Gebot der Rechtstreue für bestimmte Täter
Rücktrittskonzeption ist und wie wenig man hier mit einem psychologischen A n - oder Tätergruppen gelten". Doch bleiben solche Ausnahmen vom n u l l u m - c r i m e n -
satz ausrichten kann. 4 2 3 D e n n äußere Umstände, die den Täter zum Rücktritt g e - Grundsatz problematisch. D e n n durch jede Wortlautüberschreitung wird die
zwungen hätten, lagen nicht vor. Er ist nur deshalb zurückgetreten, weil er nach Strafbarkeit zu Lasten des Täters erweitert - und dies soll u m der Rechtssicherheit
der Aufklärung des Irrtums keinen Anlaß für die Tat mehr hatte. Wenn m a n aber willen nicht geschehen, einerlei, ob die Vorschrift im Motivationsprozeß des Tä-
nur aufhört, weil ein weiteres Handeln sinnlos geworden ist, verdient das keine ters eine Rolle spielt oder nicht.
Straffreiheit. Die Fallgruppe läßt außerdem erkennen, daß die Abgrenzung des Anders argumentiert Jakobs430: „Die Bestimmung freien Verhaltens durch das 408
fehlgeschlagenen Versuchs vom Rücktritt zwar auf der Basis einer psychologischen Normgemäße entspricht langer philosophischer Tradition und überschreitet des-
Freiwilligkeitskonzeption große praktische Bedeutung hat (vgl. R n . 111), für ein halb als gebräuchliche Bestimmung die Auslegungsgrenze nicht." Lackner431 hält
normatives Freiwilligkeitsverständnis aber weniger bedeutsam ist. D e n n soweit
man einen sinnlosen Versuch nicht als Fehlschlag anerkennt, ist er jedenfalls ein 424
Lackner, jetzt in Lackner/Kühl24, § 24, Rn. 18.
unfreiwilliger Rücktritt, weil es aus der Perspektive des Tatplans nur vernünftig «5 Dazu wieder Lackner, NStZ 1988, 405; Lackner und dem BGH zust.: Herzberg, Lackner-
ist, sinnlose Versuche einzustellen. FS, 1987, 328 ff.; Otto, AT6, § 19 II 2 b, bb; unter Aufgabe seiner früheren Meinung jetzt auch
Bottke, BGH-FG, Bd. IV, 169 ff.
«* Lackner/Kühl24, 6 24, Rn. 18.
42
? Vgl. Roxin, AT l3, § 5, Rn. 26 ff.
«8 Bottke, JK 1980, 443.
429
421
Lampe, ]uS 1989, 613.
Etwajäger,1996,77ff.,109ff. «o Jakobs, AT2, 26/33, Fn. 62. Ähnlich den., JZ 1988, 520, unter Hinweis auf „eine lange Tra-
422
So der Terminus von Bauer, wistra 1992, 204. dition in der praktischen Philosophie: Nicht, wer seinen Interessen folgt, ist frei, sondern wer
423
Das ist Rn. 98 auch schon an den Fällen des fehlgeschlagenen Versuchs demonstriert der Einsicht in das Richtige folgt."
worden. «i Lackner, NStZ 1988,406.
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dem entgegen, eine solche philosophische These liege „auf einer ganz anderen nen, ist sprachlich zulässig. Man kann dem nicht entgegenhalten, daß der Täter
Ebene" und habe „mit dem umgangssprachlichen Sinn des Freiwilligkeitsbegriffs doch auch hätte unvernünftig handeln und auf der weitaus mühevolleren und in
nicht das Geringste zu tun". Daran ist richtig, daß man jedenfalls den umgangs- ihrer Erfolgsaussicht zweifelhaften sofortigen Vergewaltigung hätte bestehen k ö n -
sprachlichen Wortsinn nicht durch fachsprachliche Sonderbegrifflichkeiten b e - nen und in seiner Entscheidung insofern frei gewesen sei.- D e n n die Freiheit zu
deutungslos machen darf. 432 D e n n das würde die Auslegungsschranken so weit unvernünftigem Handeln ist in jedem Fall gegeben (sonst liegt ein Fehlschlag vor)
öffnen, daß von der Rechtssicherheit, die der Bestimmtheitsgrundsatz gewähr- und hindert die Unfreiwilligkeit des Rücktritts keineswegs: Wer sich beobachtet
leisten soll, kaum noch etwas übrigbliebe. Es k o m m t also darauf an, ob der ideali- sieht und mit Recht befürchtet, nach Vollendung der Tat gefaßt zu werden, hat
stische Freiheitsbegriff wenigstens als Variante des allgemeinen Sprachgebrauchs auch die Freiheit, es unvernünftigerweise darauf a n k o m m e n zu lassen, und tritt
gelten kann. Das mag zweifelhaft sein. doch, wenn er sich zurückzieht, unfreiwillig zurück.
409 Doch k o m m t es darauf nicht an, weil sich die normative Konzeption des Frei- Auch die normative Freiwilligkeitsauffassung hat also eine empirische G r u n d - 411
willigkeitsbegriffs, wie sie vorstehend entwickelt wurde, auch mit einem nicht läge: Es m u ß für die A n n a h m e von Unfreiwilligkeit eine Situation gegeben sein,
fachsprachlichen Verständnis von Freiwilligkeit durchaus vereinbaren läßt. Schon die dem Täter auf der Basis seines Tatplanes einen Abbruch des Versuchs vernünfti-
Schünemann433 hat darauf hingewiesen, daß „die Grenze der denkbaren alltags- gerweise nahelegt. Diese Vorzeichnung des Rücktritts durch die Gegebenheiten
sprachlichen Bedeutung in den umstrittenen Fällen niemals überschritten wird". der Situation genügt, u m von Unfreiwilligkeit zu sprechen. Weitere Abstufungen
So kann man im Fall 1 ( R n . 358), in dem der B G H die Ablehnung eines normati- nach der Stärke des seelischen Drucks, wie sie die psychologische Theorie vorneh-
ven Freiwilligkeitsverständnisses ausschließlich auf das Wortlautargument stützt, men will, sind weder sinnvoll noch durchführbar u n d auch vom Sprachgebrauch
sehr wohl sagen, der Täter habe auf der Grundlage seines Tatplanes von dem F ab- nicht erzwungen.
lassen müssen, u m die E töten zu können; er habe daher die Vollendung des M o r - Sprachliche Zweifel können allenfalls dort berechtigt sein, w o u n ü b e r w i n d - 412
des an F unfreiwillig aufgegeben. Oder, mit der Formulierung Grasnicks434: „Der liehe Gewissensnot oder seelische Erschütterung den Täter am Weiterhandeln h i n -
Wille zur E r m o r d u n g seiner geschiedenen Ehefrau erzeugte den seelischen Druck, dert (vgl. R n . 371 ff). Aber selbst wenn man sich nicht der bei solchen inneren
unter dem er den Mordversuch . . . abbrach, weil er nicht mehr anders konnte." Wandlungen auch in die Volkssprache übergegangenen Auffassung anschließen
Wer im Falle eines Betruges eine bestimmte Täuschung, die möglicherweise nicht wollte, daß die aus inneren Gründen folgende Entschließung zu normgemäßem
zum Erfolge führt, durch eine andere, aussichtsreichere ersetzt (Fall 3, R n . 362), Handeln i m m e r frei sei, würde eine teleologisch gebotene Überschreitung der
wird in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch erklären: „Ich Wortlautgrenze zugunsten des Täters ohnehin zulässig sein. 435
mußte so handeln, w e n n ich mein Ziel mit größtmöglicher Sicherheit erreichen
wollte." In diesem Sinne war der Rücktritt vom ersten Betrugsversuch nach dem 5. D e r Einwand des Versagens der Strafzwecklehre b e i m Vorbehalt oder
gewöhnlichen Verständnis dieses Wortes unfreiwillig. bei der Absicht späterer Wiederholung
410 Abgesehen von Einzelfällen, die hier nicht alle sprachlich durchgespielt werden Es ist schon dargelegt worden, daß es an der Freiwilligkeit eines durch keine 413
können, läßt sich allgemein sagen: W e n n jemand infolge einer Veränderung der äußeren Umstände motivierten Rücktritts nichts ändert, w e n n der Täter sich vor-
äußeren Umstände vor einer Situation steht, in der er auf der Grundlage seines behält, die Tat bei späterer Gelegenheit doch noch auszuführen ( R n . 381, 6 ff). Das
Tatplanes vernünftigerweise keine andere Wahl hat als zurückzutreten, kann man m u ß auch gelten, wenn der Täter beim Rücktritt sogar die feste Absicht hat, den
einen solchen Rücktritt ohne Verstoß gegen die Regeln normalen Sprachge- Versuch zu einem anderen Zeitpunkt zu wiederholen. D e n n im Hinblick auf die
brauchs unfreiwillig nennen. Das gilt nicht nur für eine Verschlechterung der konkrete Tat hat der Zurücktretende den legalen Zustand wiederhergestellt, ohne
Situation - der Täter m u ß fürchten, an der Vollendung gehindert oder hernach daß die äußere Situation dafür einen vernünftigen Anlaß geboten hätte. Die R ü c k -
gefaßt zu wer-den - , sondern auch für eine Verbesserung. W e n n der Täter den G e - trittsmotivation ist mit dem ursprünglichen Plan, die Tat hie et nunc zu begehen,
schlechtsverkehr mit Gewalt erzwingen will u n d die Frau i h m zur Vermeidung unvereinbar, der Rücktritt also freiwillig. Was der Täter künftig tun will, ist nicht
weiterer Gewalt die freiwillige Hingabe nach einer durch die Situation ohnehin erforschlich und kann als zunächst innerlich bleibende Gesinnung für ein Tatstraf-
indizierten kurzen Verschnaufpause zusagt (Fall 2, R n . 360), hat er vernünftiger- recht kein Anknüpfungspunkt dogmatischer Differenzierungen sein. Der spezial-
weise keine Wahl, als den bequemeren Weg zur Zielerreichung zu gehen. D e n präventive Aspekt der Strafzwecktheorie m u ß also von prognostischen Ü b e r -
Rücktritt als durch die Situation abgenötigt u n d daher unfreiwillig zu bezeich- legungen über die künftige Gefährlichkeit des Täters befreit und auf die Frage
beschränkt werden, ob das, was bisher geschehen ist, eine Notwendigkeit straf-
«2 Vgi. R0Xin, AT l3, § 5, Rn. 37.
«3 Schünemann, GA 1986, 323.
«t Grasnick, ]Z 1989, 829. «5 Wie hier auch Freund, AT, § 9, Rn. 56.

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rechtlicher Einwirkung auf den Täter begründet. Auch aus dem Gesetz ergibt sich 6. Der Einwand des Versagens der Strafzwecklehre beim Deliktswechsel
das eindeutig. Denn es verlangt das freiwillige Aufgeben der „Tat" und nicht einer
zu Straftaten geneigten Lebensführung. Dasselbe gilt für den Fall, daß der Täter nicht in der Absicht späterer Wieder- 416
414 Das hat der BGH nicht richtig erkannt (Rn. 4 f.), und es wird auch von den An- holung, sondern um eines anderen Deliktes willen zurücktritt. Herzberg440 bildet
den Fall, daß jemand seinen Einbruchsversuch aufgibt, „weil es ihn mehr verlockt,
hängern eines normativen Freiwilligkeitsbegriffs oft übersehen. So bildet Ulsen-
einem Mädchen nachzuschleichen und es an einsamer Stelle zu vergewaltigen". Er
heimer436 den Fall eines Täters, „der vom Versuch der Brandstiftung einer Scheune
nimmt hier zutreffend einen freiwilligen Rücktritt an, meint aber, eine auf die
absteht, weil er die noch nicht eingebrachte Ernte mitverbrennen will". Er nimmt
Rückkehr in die Legalität abstellende normative Lehre müsse hier zur Unfreiwil-
einen unfreiwilligen Rücktritt an, weil „von einer .rechtlichen' Motivierung des
ligkeit kommen. Da es aber mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar sei, den
Täters ... keine Rede sein" könne. Herzberg437 kritisiert diese Lösung mit Recht
Rücktritt unfreiwillig zu nennen, 441 werde die Strafzwecktheorie durch Fälle die-
und bejaht zutreffend einen freiwilligen Rücktritt, will daraus aber weitergehend
ser Art widerlegt.
eine Widerlegung der gesamten Strafzwecktheorie als Grundlage einer normativen
Freiwilligkeitskonzeption ableiten. Das beruht jedoch auf der geschilderten Ver- Hier obwaltet jedoch dasselbe Mißverständnis wie beim Rücktritt mit Wieder- 417
kennung des spezialpräventiven Ansatzes im Rahmen der Rücktrittslehre. Würde holungsabsicht. Denn auch nach der oben entwickelten normativen Lehre ist der
man diesen auf die künftigen Pläne des Täters erstrecken, so könnte in der Tat von Rücktritt vom Einbruchsversuch freiwillig, da das vorübergehende Mädchen -
der von außen kommende Rücktrittsanlaß - das Risiko, vor oder nach dem Ein-
einer „Rückkehr in die Legalität" nicht die Rede sein, und die Verschiebung
bruch festgenommen zu werden, nicht vergrößerte (vgl. Rn. 389 ff.). Aus der Tat-
könnte im Hinblick auf die Schädigungsabsicht des Täters auch als vernünftig und
situation, auf die es allein ankommt, ergab sich also kein Anlaß zum Rücktritt.
mit der ursprünglichen Motivation im Einklang stehend angesehen werden. Aber
Vom Standpunkt eines auf Einbruch abzielenden Tatplanes aus ist es sogar durch-
das ist falsch. Die Frage darf nur dahin gestellt werden, ob der Täter im Hinblick
aus unvernünftig, ihn wegen eines vorüberkommenden Mädchens aufzugeben.
auf die hie et nunc versuchte Tat in die Bahnen des Rechts zurückgekehrt ist. Mit
Was der Täter aber mit dem Mädchen anstellen will, hat mit dem Rücktritt und
anderen Worten: Die deliktische „Vernunft" und damit die Unfreiwilligkeit des
seiner Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit nichts mehr zu tun. Das Beispiel bestä-
Rücktritt darf sich nur aus der Tatsituation zur Zeit des Rücktritts und nicht aus
tigt also die „modifizierte Strafzwecktheorie" (Rn. 7), anstatt sie zu widerlegen.
dem möglichen künftigen Verhalten des Täters ergeben. Mit großer Klarheit wird
das bei Jakobs438 formuliert: „Es geht nicht darum, neue Pläne des Täters zu be- Die Annahme eines freiwilligen Rücktritts vom Einbruchsversuch ist auch kri- 418
urteilen, sondern die Preisgabe des in Rede stehenden deliktischen Unternehmens minalpolitisch (d. h. unter den hier maßgebenden Strafzweckgesichtspunkten) al-
... Die Rückkehr in die Bahnen des Rechts geschieht demnach einzig durch die lein richtig. Denn der Täter hat sich im konkreten Fall als zur Durchführung eines
Abkehr von diesem Unternehmen, nicht erst durch diese Abkehr plus Verzicht auf Einbruchs nicht hinreichend entschlußkräftig erwiesen, so daß mit dem Aufgeben
andere Delikte." dieses Planes das Strafbedürfnis insoweit entfällt. Wenn auch der Vergewaltigungs-
plan nicht zur Ausführung kommt, bleibt der Täter straffrei. Begeht er aber die
415 Wie wenig man die Freiwilligkeit von täterstrafrechtlichen Prognosen abhängig machen Vergewaltigung, wird er deswegen bestraft. Damit wird der kriminelle Gehalt sei-
darf, zeigt sich auch im umgekehrten Fall, daß der Täter z. B. zurücktritt, weil die Polizei er-
scheint und er befürchten muß, festgenommen zu werden. 439 Es kann durchaus sein, daß er nes Tuns zutreffend erfaßt.
sich diese Erfahrung zur Lehre dienen läßt und nicht wieder straffällig wird, insofern also in Schon in meiner ersten Äußerung zum Thema 442 habe ich die normative Frei- 419
die Bahnen des Rechts zurückkehrt. Aber deshalb ist der Rücktritt natürlich doch unfreiwil-
lig. Denn aus den Umständen des situationsadäquaten Rücktritts ergibt sich kein Motivations- Willigkeitskonzeption im dargelegten Sinne vertreten und nicht die Ergebnisse
wechsel, und darauf allein kommt es an. Wenn der Entschluß des Täters zu künftig rechts- befürwortet, durch die Herzberg sie widerlegen will: „... der Attentäter, der sich in
treuem Verhalten bei situationsbedingtem Rücktritt nicht zu seinen Gunsten wirkt, kann der letzter Minute den Mord durch ein hohes Geldgeschenk des Opfers abkaufen läßt,
Wille zur Begehung späterer Straftaten seinen im übrigen freiwilligen Rücktritt auch nicht
unfreiwillig machen. tritt trotz verwerflicher Gesinnung freiwillig zurück, weil es vom Standpunkt ei-
nes zum Attentat Entschlossenen unvernünftig ist, sich den Plan auf solche Weise
durchkreuzen zu lassen." Manche Vertreter der normativen Auffassung entscheiden
freilich anders. 443 So beurteilt Ulsenheimer444 den Parallelfall, daß jemand sich
<M° Herzberg, L a c k n e r - F S , 1987, 352.
44
436
Ulsenheimer, 1976, 341. Erfinder das Beispiels ist Oppenhqff, 51867, der Freiwilligkeit i Herzberg, L a c k n e r - F S , 1987, 3 2 8 ff.
annimmt. 442 Roxin, ZStW 77 (1965), 98.
«7 Herzberg, Lackner-FS, 1987, 328 ff. 443 Auch das von mir in Heinitz-FS, 1972, 262, gebildete Beispiel wird von Herzberg, Lack-
«s Jakobs, AT2, 26/34 a. ner-FS, 1987, 329 mit Recht als „Kompromißlösung" kritisiert.
«9 Vgl. dazu Herzberg, Lackner-FS, 1987, 340. 444 Ulsenheimer, 1976, 3 4 1 .

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§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit III § 30
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durch Zahlung von DM 100 von einem Vergewaltigungsversuch abbringen läßt, Die Lösung überzeugt und bewährt sich auch an den oben (6., Rn.416ff.) 422
als unfreiwilligen Rücktritt. Walter445 hält einen Rücktritt vom Einbruchsversuch angeführten Beispielen (Übergang vom Einbruchsversuch zu Vergewaltigung
für unfreiwillig, wenn er erfolgt, weil der Täter lieber seinen Feind verprügeln oder Körperverletzung, vom Mord zur Erpressung usw.), in denen die neue „Tat"
will. Es ist das Verdienst Herzbergs, mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen zu jeweils einen anderen Tatbestand erfüllt.451 Eine kleine (vom BGH nicht überse-
haben, daß dies keine richtigen Lösungen sind. hene) Modifikation gilt nur für den Fall, daß der Täter vom versuchten Grund-
420 Die Kritik kann aber nicht die hier vertretene Konzeption, sondern nur die irri- delikt zu einer Qualifikation oder zu einem qualifizierten selbständigen Tat-
ge Annahme treffen, daß die Unfreiwilligkeit aus dem hergeleitet werden kann, bestand übergeht, indem er z. B. bei einem Diebstahl (§ 242) Gewalt anwendet
was der Täter anstelle der aufgegebenen Tat tut oder tun will. 446 Richtig und in und dadurch den Tatbestand des Raubes (§ 249) verwirklicht. Hier liegt eine ein-
der pointiertesten Form hat das Günther447 formuliert: „Die Rücktrittsratio in al- zige Tat und nicht etwa ein Rücktritt vom versuchten Diebstahl vor. Eine eigent-
len ihren Spielarten greift, wenn man sie nur auf die versuchte Verwirklichung des liche Ausnahme von der Tatbestandsbezogenheit des Tatbegriffs ist das aber nicht,
jeweiligen Straftatbestandes bezieht. Selbst der Täter, der freiwillig auf die anvi- weil im Raub ein Diebstahl enthalten ist, der Tatbestand insofern also identisch
sierte Sachbeschädigung verzichtet und statt der Fensterscheibe deren Eigentümer bleibt.
an Ort und Stelle erschlägt, kehrt hinsichtlich der Achtung fremden Eigentums
Wenn demnach also der Wechsel des Tatbestandes (mit der genannten 423
gegen Zerstörung auf den Boden der Rechtsordnung zurück, gibt insoweit ein
Modifikation) immer eine neue Tat begründet, gewährleistet die Identität des zu
gutes Beispiel usw."
verwirklichenden Tatbestandes und selbst der Begehungsweise noch keineswegs
das Vorliegen derselben Tat. Denn auch wer einen Versuch in der Absicht aufgibt,
7. Tat und Tatplan in der Rücktrittslehre
die Tat bei späterer Gelegenheit und evtl. an einem anderen Ort doch noch durch-
421 Damit ist zugleich eine klare Bestimmung des Tatbegriffs in der Rücktrittslehre zuführen, ist zurückgetreten (vgl. 5., Rn. 413 ff.). Die spätere Verwirklichung ist
gegeben, der lange Zeit als völlig ungeklärt gelten mußte, 448 obwohl er für die eine andere Tat. Daraus ergibt sich das Problem, wie groß die zeitliche und ggf.
Lösung der Probleme des Deliktswechsels präjudiziell ist. Denn nur wenn das räumliche Distanz sein muß, damit aus der Verschiebung eine neue Tat wird.
Delikt, das der Täter anstelle des aufgegebenen verwirklichen will, eine neue „Tat" Wenn z. B. die Täter eines Einbruchsversuches sich beim Erscheinen der Polizei
ist, kommt ein freiwilliger Rücktritt vom ersten Versuch in Betracht. Günther449 für kurze Zeit verstecken, um, wie von vornherein geplant, die Tat nach deren
schließt sich an eine richtungweisende Bestimmung des BGH an (BGHSt 33, Verschwinden zu Ende zu fuhren, wird man einen einheitlichen Einbruchsdieb -
144): stahl annehmen müssen, das Verstecken also nicht als Rücktritt werten dürfen.
„Tat im Sinne des § 24 StGB ist eine Straftat im Sinne eines materiellrechtlichen Straftatbe- Entsprechendes gilt, wenn der Täter einer sexuellen Nötigung den Versuch zur Er-
standes. Wäre es anders, so könnte der Täter, der dazu ansetzt, durch ein und dieselbe Handlung zwingung des Oralverkehrs ohne äußeren Hinderungsgrund aufgibt, das Opfer
mehrere Straftatbestände zu erfüllen - etwa Raub mit Mitteln des Mordes - nur zurücktreten, aber unter ständiger Bedrängung im Verlauf der anschließenden Stunde ins
wenn er insgesamt die weitere Ausführung des Verbrechensplanes aufgäbe. Im genannten Beispiels-
fall wäre der Rücktritt vom Mordversuch also nur möglich, wenn der Täter gleichzeitig darauf ver- Wohnzimmer verschleppt und es dort schließlich vergewaltigt (so der Sachverhalt
zichten würde, den Raub - mit geringerer Gewalt oder mit Drohung für Leib oder Leben - zu in BGHSt 33, 142). Auch hier handelt es sich um eine einheitliche Tat; ein Rück-
vollenden. Ein solches Ergebnis wäre mit § 24 StGB nicht zu vereinbaren." tritt vom ersten Handlungsakt scheidet aus.
Man darf das Problem der Einheitlichkeit der Tat nicht für praktisch bedeutungslos erklären 4 2 4
mit der Begründung, daß der Tater auch bei Annahme eines freiwilligen Rücktritts vom er-
sten Teilakt wegen vollendeter Tat verurteilt werde, es im Ergebnis also auf die Frage nicht an-
4 komme. Denn wenn unter der Prämisse zweier Taten die zweite in der Vorbereitung stecken-
« Walter, 1980, 78.
446
Ganz richtig also Jakobs, AT 2 , 26/35, der einen Rücktritt vom Versuch der Straßenver- bleibt, entscheidet die Rücktrittsfrage über die Strafbarkeit. Wenn ein Einbrecher z. B. nach
kehrsgefährdung auch dann als freiwillig ansieht, wenn er nur erfolgt, u m die Beifahrerin ver- Eintritt ins Versuchsstadium nach Hause zurückkehrt, weil er die Übertragung eines Fußball-
gewaltigen zu können. Die Antikritik von Herzberg, H. Kaufmann-GS, 1986, 717f., geht daran spiels nicht versäumen will (vgl. R n . 401), sich aber vornimmt, die Tat am nächsten Tage aus-
vorbei, daß die Vergewaltigung eine andere Tat ist, die zur Beurteilung der Freiwilligkeitsfrage zufuhren, woran er dann aber durch die noch am selben Tage erfolgende Festnahme wegen
nicht herangezogen werden darf. eines anderen Deliktes gehindert wird, ist er bei Annahme zweier Taten straflos; denn er ist
447
Günther, A. Kaufmann-GS, 1989, 552. von der ersten freiwillig zurückgetreten und die zweite ist noch nicht versucht worden. Hält
448 Vgl. etwa v. Scheurl, 1972, 120: Es handele sich u m „einen jener Begriffe, die sich einer man die Gesamtaktion aber für eine Tat, ist diese im strafbaren Versuch Steckengeblieben.
annähernd exakten Definition entziehen"; Küper (JZ 1979, 779) sah in der Tatbestimmung „ein
noch durchaus offenes und kaum in Angriff genommenes Problem"; Otto (JA 1980, 710) ver- 450
Vgl. zum Teilrücktritt schon oben R n . 295 ff.
wies auf eine „Wertung im Einzelfall". Noch 1984 meinte Streng (JZ 1984, 652), der Begriff der 451
Tat sei bisher in der Rücktrittslehre „erstaunlich wenig ernst genommen worden". Eine überzeugende Verteidigung des B G H unter Auseinandersetzung mit seinen Kriti-
4 kern (Streng, NScZ 1985, 359; Herzberg, H. Kaufmann-GS, 1986, 709) liefert Günther, A. Kauf-
« Günther, A. Kaufmann-GS, 1989, 552. mann-GS, 1989, 541 ff.
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425 Wie bei identischem Tatbestand die Einheit der Tat unter zeit-räumlichen nur in dem selbstverständlichen Sinne, daß mit jedem Rücktritt die bisher ver-
Gesichtspunkten zu bestimmen ist, ist umstritten. Meist wird auf das Vorlie- suchte Tat endgültig aufgegeben wird; der beim Rücktritt etwa vorhandene Wille,
gen einer einheitlichen Tat unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenzlehre zu- denselben Tatbestand zu einem späteren Zeitpunkt oder auch einen anderen Tatbe-
rückgegriffen. Vielfach ist in der Rspr. (vgl. BGHSt 33,146 m.w.N.) auf den Fort- stand sogleich zu verwirklichen, ist der Entschluß zu einer neuen und anderen Tat
setzungszusammenhang abgestellt worden, und auch in der Literatur findet sich und hindert die Endgültigkeit des Rücktritts von der bisher versuchten Tat nicht.
dieser Ansatz, wenn Gleichartigkeit des Angriffsobjekts und der Ausführungswei- Für den Fall des Deliktswechsels hat das jetzt auch der BGH ausgesprochen:455 Er
se gefordert und außerdem verlangt wird, daß der Täter Zeit und Ort des späteren habe zwar „wiederholt (vgl. BGHSt 7, 296, 297; BGH NJW1980, 602) daraufhin-
Handelns bereits konkret ins Auge gefaßt hat.452 Seit Aufgabe der Rechtsfigur der gewiesen, daß nur derjenige strafbefreiend zurücktreten könne, der die Durch-
fortgesetzten Handlung durch die Rspr. (BGHSt 40, 138) ist dieser Weg nicht führung des kriminellen Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgebe. Diese
mehr gangbar. BGHSt 33,146 stützt sich auf die Formel von Lenckner453, der eine Erwägungen betreffen aber stets den Entschluß, von der Verwirklichung eines be-
einheitliche Tat annimmt, „wenn die weiteren Akte mit dem zunächst begonne- stimmten Verbrechens oder Vergehens im Sinne eines gesetzlich umschriebenen
nen Versuch in so engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stehen, daß Straftatbestandes abzusehen." Für den - von der Formulierung des BGH wohl
die Akte sich als Einheit darstellen". Aber das ist wenig aussagekräftig, weil es nicht sogar noch gedeckten - Fall, daß der Täter beim Verlassen des Versuchsstadiums
erkennen läßt, unter welchen Voraussetzungen sich ein Zusammenhang „als Ein- beschließt, denselben Tatbestand später noch zu verwirklichen, muß dasselbe gel-
heit darstellt". ten; denn auch hier wird der frühere Versuch nicht mehr fortgeführt, sondern
426 Vorzugswürdig ist deshalb die Lösung von Herzberg454, wonach es allein endgültig aufgegeben.
darauf ankommt, „ob der Rücktritt den Täter aus der Versuchssituation wieder Aus alledem folgt, daß das Kriterium der „Endgültigkeit" in der Rücktritts- 429
hinausfuhrt". In einem solchen Falle liegt kein Versuch mehr vor, und eben das lehre keine selbständige Bedeutung beanspruchen kann. Es steckt, soweit es be-
bezeichnet den Rücktritt. Wenn also der Einbrecher den Versuch abbricht, die Tat rechtigt ist, bereits im Begriff des Rücktritts von der Tat, an dem es fehlt, wenn
aber am nächsten Tage durchführen will, ist ein Rücktritt zu bejahen (Rn. 424); der Täter den Versuch ohne Verlassen des Versuchsstadiums weiterführen will. Frei-
denn der zu Hause am Fernseher sitzende Einbrecher befindet sich nicht im Sta- lich wird oft ein unfreiwilliger Rücktritt vorliegen, wenn der Täter den aufgege-
dium des Versuchs. Wenn dagegen die Einbrecher sich nur kurze Zeit vor der Poli- benen Versuch später wiederholen will: Er sieht sich z. B. beobachtet und be-
zei verstecken, um sofort nach deren Verschwinden mit dem Diebstahl fortzufah- schließt „abzuhauen", an einem anderen Tage aber den Versuch zu erneuern. Die
ren (Rn. 423), liegt kein Rücktritt, sondern eine einheitliche Tat vor, weil auch Unfreiwilligkeit wird in solchen Fällen aber nicht wegen einer im Wiederho-
während der Unterbrechung noch immer ein „Ansetzen" im Sinne eines versuch- lungsentschluß sich manifestierenden mangelnden Endgültigkeit der Aufgabe,
ten Einbruchs bestehenbleibt. Ebenso steht es mit dem Täter der sexuellen Nöti- sondern wegen der Umstände des Rücktritts angenommen, der sich unter dem
gung (BGHSt 33, 142, Rn.423), der sein Opfer nach längerer Bedrängung Aspekt der Deliktsmotivation als situationsgerecht darstellt. Der Rücktritt ist auch
schließlich vergewaltigt. Auch wenn er den ursprünglichen Gedanken an die Er- dann noch unfreiwillig, wenn der Täter einen solchen Versuch nie wiederholen
zwingung von Oralverkehr hat fallenlassen, liegt darin kein Rücktritt, weil er das will.
Stadium der versuchten sexuellen Nötigung nie verlassen hat. Während demnach der Rücktritt sich auf die „Tat" im dargelegten Sinne be- 430
427 Es gilt also: Ein Rücktritt liegt trotz des Vorbehalts oder der Absicht anderwei- zieht, orientiert die Freiwilligkeit sich am „Täterplan", wie dies oben (Rn. 379 ff.)
tiger Deliktsbegehung vor, wenn der Täter entweder (abgesehen vom Übergang schon im einzelnen dargelegt wurde: Nur ein planwidriger, im Widerspruch zur
zu Qualifikationen) den Tatbestand wechselt oder bei fortdauerndem Willen zur ursprünglichen Motivation stehender Rücktritt ist freiwillig. Wenn der Täter also
Erfüllung desselben Tatbestandes das Versuchsstadium verläßt. Ein solcher Rück- wegen eines nachträglich auftretenden, objektiv zu hohen Risikos aufgibt, ist er,
tritt kann freiwillig oder unfreiwillig sein. Die Unfreiwilligkeit darf aber nur aus was immer er statt dessen oder künftig tun will, (endgültig) zurückgetreten. Aber
den Umständen der Versuchsaufgabe und nicht aus dem Willen zu späterer Wie- der Rücktritt ist unfreiwillig, weil er nicht durch eine Aufgabe des ursprünglichen
derholung der versuchten Tat oder zu anderweitiger Tatbegehung hergeleitet wer- Planes ausgelöst wird, sondern lediglich eine „vernünftige" Anpassung an die ver-
den. änderte Situation darstellt. Ebenso ist zurückgetreten, wer einen konkreten Tö-
428 Damit erledigt sich auch die lange Zeit viel behandelte Frage, ob die „Endgül- tungs- oder Vergewaltigungsversuch aufgibt (Fall 1 und 2, Rn. 358, 360). Aber der
tigkeit" der Aufgabe Voraussetzung eines freiwilligen Rücktritts sei. Sie ist es Rücktritt ist unfreiwillig, wenn, wie es bei diesen Sachverhalten der Fall war, die
Umstände des Rücktritts den ursprünglichen Plan des Täters in der bestmöglichen
452 Vgl. die Nachweise bei Herzberg, H. Kaufmann-GS, 1986, bei und in Fn. 25.
«3 Lenckner, Gallas-FS, 1973, 304.
«5 BGHSt 33,145.
«4 Herzberg, H. Kaufmann-GS, 1986, 723 ff. (725).
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§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch § 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit IV § 30
Weise zu verwirklichen gestatten. Ein bei oder nach dem Rücktritt gefaßter neuer sich mit ihr so verschiedene Bedeutungen verbinden lassen, daß ihr jeder selbstän-
Plan dagegen steht, auch wenn er deliktischen Inhalt hat, einer aus der Rücktritts- dige Aussagegehalt fehlt; Schünemann45S spricht mit Recht von einer „Worthülse".
situation selbst begründeten Freiwilligkeit nicht entgegen. Für Frank (vgl. Rn. 431) war sogar ein Rücktritt wegen drohender Anzeige und 434
Bestrafung noch autonom, so daß auch ein sehr starker psychischer Druck als
Rücktrittsmotiv die Freiwilligkeit nicht beeinträchtigen sollte. Schröder459, der in
IV. Andere Ansichten zur Freiwilligkeit
der Nachkriegszeit die Differenzierung wieder populär gemacht hat, hielt dage-
1. Die Franksche Formel gen einen Rücktritt für freiwillig, „wenn er durch autonome Motive des Täters
veranlaßt wird, wenn sich der Täter also ohne eine ihm nachteilige Veränderung
431 Lange Zeit weit verbreitet war die Formel von Frank456, die auch heute noch
der Sachlage nur auf Grund innerer Überlegungen zum Rücktritt entschließt".
vereinzelte Anhänger findet457: „Freiwillig ist ... der Rücktritt nur bei einem
Das ist eine genau entgegengesetzte Position, indem danach schon jeder äußere
autonomen, selbstgesetzten Motiv, wenn m.a.W. der Täter sich sagt: ich will nicht
Druck zur heteronomen Unfreiwilligkeit führt. Wessels460 füllt das zur Bestim-
zum Ziele kommen, selbst wenn ich es könnte ... In allen anderen Fällen ist der
mung der Freiwilligkeit für ihn entscheidende Kriterium „der eigenen autonomen
Rücktritt unfreiwillig, namentlich dann, wenn der Täter sich sagt: ich kann nicht
Entscheidung des Täters" mit Hilfe der psychologischen Theorie des BGH aus. In
zum Ziele kommen, selbst wenn ich es wollte." Dabei wollte Frank die Fälle, in
völligem Gegensatz dazu leitet Eser461 aus diesen Begriffen eine normative Frei-
denen der Täter nicht genau weiß, ob die Tatbestandsverwirklichung noch mög-
willigkeitskonzeption ab, die der hier vertretenen ähnelt: Es könne an der „nicht
lich sei, der Unfreiwilligkeit zuschlagen: „Würdigt der Täter die Entdeckung in
in erster Linie psychologisierenden, sondern wertenden Differenzierung zwischen
dem Sinn, daß er Hinderung der Vollendung befürchtet, so ist sein Rücktritt ein
autonomen und heteronomen Gründen ... als Basis für die Inhaltsbestimmung
unfreiwilliger. Veranlaßt sie ihn aber nur deshalb zum Rücktritt, weil er Anzeige
der Freiwilligkeit festgehalten werden ..., und zwar gerade deshalb, weil eine au-
und Bestrafung voraussieht, so bleibt sein Rücktritt ein freiwilliger."
tonom motivierte Umkehr auf die Verdienstlichkeit' des Rücktritts bzw. die letzt-
432 Läßt man den Autonomiegedanken beiseite, der eine selbständige Würdigung
lich doch rechtstreue Gesinnung des Zurücktretenden verweist ..." Schon diese
verdient (Rn.433f), so ergibt sich aus dem schon Dargelegten, daß die Franksche
wenigen Beispiele zeigen, daß mit dem Autonomie/Heteronomie-Kriterium alles
Formel unbrauchbar ist. Soweit sie den Fall erfaßt, daß der Täter davon ausgeht,
— und damit nichts — bewiesen werden kann. Es hat keinen selbständigen Wert.
den Tatbestand nicht mehr verwirklichen zu können, liegt ein Fehlschlag vor (Rn.
85 ff.); die Annahme eines unfreiwilligen Rücktritts ist nur daraus erklärlich, daß
3. Schmidhäusers Interessenkriterium
die Rechtsfigur des fehlgeschlagenen Versuchs zur Zeit Franks in der heutigen Be-
deutung noch nicht erkannt war. Soweit Frank auch die Fälle einbezieht, daß der Schmidhäuserlehrt:462 „Der Täter gibt die Ausführung ,freiwillig' auf, wenn ihm 435
Täter die Hinderung der Vollendung nur befürchtet, liegt in der Tat ein unfreiwil- die konkrete Tat an sich und auch im Hinblick auf die Folgen noch immer interes-
liger Rücktritt vor (Rn. 393); aber die weitere Konsequenz, daß der Rücktritt aus sant ist, er sich aber von seinem Interesse distanziert — unfreiwillig, wenn sie ihm
begründeter Furcht vor nachfolgender Anzeige und Bestrafung freiwillig sei, als solche oder im Hinblick auf die erwarteten Folgen uninteressant geworden ist."
führt zu einer ganz unpraktikablen und kriminalpolitisch sinnwidrigen Differen- Die Beispiele, die der Autor anschließend gibt, sind meist plausibel gelöst; aber es
zierung (Rn. 396 f.). bleibt unklar, wie der oben umschriebene Interessenbegriff bei ihrer Lösung hel-
fen soll.463 Es leuchtet nicht ein, daß dem freiwillig zurücktretenden Täter die Tat
2. Die Unterscheidung zwischen autonomen und heteronomen Motiven „noch immer interessant ist". Wenn jemand plötzlich zu besserer Einsicht und aus
Reue über sein verfehltes Verhalten zurücktritt, ist ihm die Tat gerade nicht mehr
433 Die Annahme, daß ein freiwilliger Rücktritt „autonom" beschlossen, ein un- „interessant"; aber der Rücktritt ist selbstverständlich freiwillig. Er ist auch dann
freiwilliger aber „heteronom" bestimmt sei, findet sich schon bei Frank (Rn. 431), noch freiwillig, wenn der Täter von einer spontan und unbedacht begonnenen Tat
hat aber eine von der Frankschen Formel im übrigen unabhängige Karriere ge- nur deshalb zurücktritt, weil er z. B. das Interesse an dem anfangs so verlockend
macht und erfreut sich noch heute so großer Beliebtheit, daß dieses Begriffspaar erscheinenden Diebstahlsgegenstand verloren hat.
in den meisten Lehrbüchern und Kommentaren - mindestens neben anderen
Kriterien - angeführt wird. Trotzdem ist diese Unterscheidung ungeeignet, weil «s Schünemann, GA 1986, 323.
™ Schröder, JuS 1962, 83; auch schon den., MDR 1956, 321.
460 Wessels/Beulke, AT31, Rn. 651 f.
4
«6 Frank, StGB, 181931, § 46 II. « Sch/Sch/Eser26, § 24, Rn. 43.
4
«7 Vor allem Maurach/Gössel, AT/27, 41/118, 120; LKW-Vogler, § 24, Rn. 87; Welzel, StrafR11, « Schmidhäuser, StuB AT2,11/83.
197, will die Formel immerhin als „grobe Faustregel" gelten lassen. 4« Vgl. zur Kritik auch Walter, 1980, 64; Jäger, 1996, 22 f.

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436 Es ist auch nicht zutreffend, wenn Schmidhäuser464 meint, der Rücktritt sei u n - nachträgliche Preiskorrektur zu erreichen, oder die Anwesenheit anderer Leute in
freiwillig, w e n n die Tat „jeden Reiz für den Täter verloren" hat. Nach Schmidhäuser der W o h n u n g des Opfers nach - ohnehin nicht recht passenden - zivilistischen
ist ein Rücktritt freiwillig, w e n n der Täter „aus einem nicht durch konkrete Ver- Maßstäben nicht gleich ein Wegfall der Geschäftsgrundlage. Aber der Sache nach
änderung der Tatsituation bedingten Bewußtsein der Strafmöglichkeit aufgegeben verbirgt sich hinter Herzbergs richtigen Ergebnissen nichts anderes als das hier
hat. 4 6 5 Aber wieso hat er damit nicht das Interesse verloren, w e n n ihm bei der den (Rn. 379 ff.) entwickelte Kriterium der planwidrigen, „unvernünftigen" Tataufga-
Rücktritt veranlassenden begründeten Furcht vor Entdeckung u n d Bestrafung be als Voraussetzung der Freiwilligkeit. Wer aus Angst oder Gewissensgründen
von Schmidhäuser alles weitere Interesse abgesprochen wird mit der Folge, daß ihm einen Mordauftrag nicht erfüllt, handelt planwidrig und vom Standpunkt eines
- zutreffend - ein unfreiwilliger Rücktritt zugeschrieben wird? Auch ließe sich professionellen „Killers" aus unvernünftig: aber seine „löbliche" Rückkehr in die
sehr wohl behaupten, jeder Rücktritt, der freiwillige wie der unfreiwillige, setze Bahnen des Rechts legitimiert die Strafbefreiung. Wer dagegen als Berufsverbre-
voraus, daß der Täter das Interesse (entweder an der Tat an sich oder im Hinblick cher wegen nicht ausreichender Bezahlung oder zu großen Risikos (wegen A n -
auf ihre Folgen) verloren hat. Zur Abgrenzung ist das vielfältig deutbare Interes- wesenheit zahlreicher Gäste) zurücktritt, verhält sich situationsadäquat so, wie die
senkriterium jedenfalls nicht tauglich. „Delinquentenvernunft" es gebietet; deshalb ist der Rücktritt unfreiwillig.
Wie sehr Herzbergs Freiwilligkeitskonzeption den von i h m vermeintlich ausge- 440
4. Herzbergs Anlehnung an das Zivilrecht schlagenen „Angeboten der Strafzwecklehre" verpflichtet ist, zeigt sich noch deut-
437 Die am Zivilrecht orientierte „Schulderfüllungstheorie", mit Hilfe deren Herz- licher in den bei weitem zahlreicheren Fällen, in denen der Zurücktretende auch
berg das Rücktrittsprivileg erklären will, ist schon kritisch gewürdigt worden bei weitherziger Auslegung keine quasi-vertragliche Verpflichtung zur Delikts-
( R n . 25 ff.). O b w o h l er selbst für die Bestimmung der Unfreiwilligkeit auf prä- ausführung eingegangen war. In diesen Fällen, meint Herzberg, gehe es darum,
ventive Strafzweckgesichtspunkte zurückgreift ( R n . 27), versucht er doch, anders „daß unerwartet sich herausstellende oder verändernde Außenumstände den, der
als dies hier geschieht, bei deren Konkretisierung zivilrechtliche Kategorien als sich auf etwas festgelegt hat, so unter Druck setzen, daß ein neutraler Beobachter
„wertvolle Hilfe" 4 6 6 heranzuziehen. Er stimmt mit der hier vertretenen Auffas- von ihm .nichts anderes erwartet'als die Abstandnahme. Auch w o jede fremde B e -
sung jedoch überein in der Ablehnung aller psychologischen Rücktrittskonzeptio- teiligung fehlt, gilt es darum auslegend zu ermitteln, was der Versuchstäter mit
nen. Die Unfreiwilligkeit bemesse „sich durchgängig nach normativen Kriterien; sich abmacht, d. h. sich vorgenommen hat, ob ein wesentlicher Motivirrtum vor-
auf ein psychologisierendes Vorgehen sind wir nirgends zurückgeworfen, auch liegt, ob die Investitionen unverhältnismäßig werden (Risikosteigerung!), ob die
w e n n wir die Angebote der Strafzwecklehre ausschlagen". Deliktsvollendung die Sinnbasis verloren hat."
438 Herzbergs eigene „Angebote" bestehen darin, daß er die zivilrechtlichen Wenn Herzberg hier den freiwilligen Rücktritt als Bruch einer Abmachung deu- 441
Rechtsfiguren des Vertragsbruchs und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für tet, die der Täter mit sich selbst abgeschlossen hat, während bei Motivwegfall,
die Bestimmung der Freiwilligkeit fruchtbar machen will. Bei einem „Ver- unzumutbarer Risikosteigerung usw. die Selbstverpflichtung wegen Wegfalls der
tragsbruch" sei der Rücktritt freiwillig, bei einem „Wegfall der Geschäftsgrundla- Geschäftsgrundlage entfalle, so ist die Einkleidung seiner Thesen in zivilrechtliche
ge" dagegen unfreiwillig. Termini noch gekünstelter als bei deliktischen Vereinbarungen unter mehreren.
Das ändert aber nichts daran, daß sich unter verfremdender U m h ü l l u n g nur allzu
„Hat sich etwa A gegenüber M für 10.000 DM bereit erklärt, M's Frau F an einem bestimm-
ten Abend in ihrem Haus umzubringen, so ist das Aufgeben des Vorhabens aus Angst oder Ge- deutlich die Konturen der vermeintlich aufgegebenen Strafzwecktheorie heraus-
wissensgründen ein willkürlicher (hier löblicher) Vertragsbruch und deshalb dem A als frei- schälen. D e n n wenn ein „neutraler Beobachter" vom Täter nichts anderes als eine
williger Rücktritt (§ 31 I Nr. 2 StGB) zuzurechnen. Gibt A aber umständehalber auf, etwa
Abstandnahme vom Versuch erwartet hat, dann ist nach der hier befürworteten
weil er F unerwartet nicht allein, sondern mit Gästen feiernd antrifft oder weil M ihm mit-
teilt, er könne nun doch nur 5.000 DM zahlen, dann fällt die Geschäftsgrundlage weg, und A Konzeption der Rücktritt unter dem Gesichtspunkt des Deliktsplans bei objek-
kann sich darauf berufen, daß ihm unter diesen Umständen die Vertragstreue Ausführung tiver Beurteilung vernünftig und darum unfreiwillig. Herzberg467 zitiert denn
nicht zuzumuten sei; sein Rücktritt ist unfreiwillig." auch beifällig Stratenwerth, der Unfreiwilligkeit a n n i m m t , wenn „die Nachteile .'..
439 Die Herbeiziehung des Zivilrechts zur Lösung solcher Fälle wirkt sehr weit her- in der Sicht des T ä t e r s . . . unverhältnismäßig schwer ins Gewicht" fallen, so daß „es
geholt. D e n n einerseits sind die „Verträge" nichtig, so daß ein „Vertragsbruch" offenbar unvernünftig wäre, sie in Kauf zu nehmen". Hier wird also das Vernunft-
schon deshalb ausscheidet; und andererseits ist der Versuch des „Schuldners", eine kriterium ohne weiteres akzeptiert. Herzberg468 stimmt mit der hier vertretenen
Auffassung auch darin völlig überein, daß er auf „die vorrangige Maßgeblichkeit

4M Schmidhäuser, StuB AT2,11/84.


465 Schmidhäuser, StuB AT2,11/87. 467 Herzberg, Lackner-FS, 1987, 362, Fn. 54.
466 Hier u n d i m folgenden: Herzberg, Lackner-FS, 1987, 359. 468 Herzberg, L a c k n e r - F S , 1987, 3 6 2 .

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§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch
§ 30. Der Rücktritt vom Versuch - C. Die Freiwilligkeit IV § 30
des Täterplanes" verweist. Man kann also abschließend sagen, daß seine Lehre terhandeln mehr Schaden als Nutzen bringen würde, folgt nur den Regeln delik-
zwar die strafzwecktheoretische Freiwilligkeitskonzeption von spezialpräventiv- tischer Vernunft und handelt deshalb unfreiwillig.
täterstrafrechtlichen Überdehnungen befreit hat (Rn.413ff, 416 ff.), daß sie aber Kriminalpolitisch nicht überzeugend ist auch die Annahme, daß ein nach den 444
im übrigen in der Sache mit ihr übereinstimmt. Die vermeintlichen zivilrecht- Grundsätzen der actio libera in causa Verantwortlicher nicht mehr freiwillig soll
lichen Parallelen bringen nichts Neues. zurücktreten können, wenn er in schuldunfähigem Zustand z. B. aus Mitleid mit
dem Opfer die weitere Ausführung aufgibt. 473 D e n n § 20 soll eine Exkulpation
5. Jägers A n l e h n u n g an die mittelbare Täterschaft bewirken und wird in sein Gegenteil verkehrt, w e n n er nur deshalb zur Versagung
442 Jäger469 unternimmt den neuartigen Versuch, die Freiwilligkeit von der U n - einer Strafbefreiung fuhren soll, weil ein Hintermann mittelbarer Täter ist, wenn
freiwilligkeit nach den Kriterien abzugrenzen, die für die mittelbare Täter- er sich eines Schuldunfähigen bedient. Die rechtlichen Wertungen liegen hier auf
schaft entwickelt worden sind. Wo ein Ausführender unter der Voraussetzung der ganz unterschiedlicher Ebene. Ebensowenig leuchtet es ein, daß Jäger einen frei-
mittelbaren Täterschaft unfrei handeln würde, soll sein Rücktritt unfreiwillig willigen Rücktritt annehmen will, 4 7 4 wenn der Täter nur deshalb zurücktritt, weil
sein. Wird also jemand z.B. durch eine Todesdrohung zum Rücktritt veranlaßt, 470 wegen einer Veränderung der äußeren Umstände das Risiko einer Fortführung
ist sein Rücktritt unfreiwillig; denn w e n n eine entsprechende D r o h u n g einen Tat- der Tat zu groß wird (der Wachhund frißt die vergiftete Wurst nicht, die Straßen-
mittler zu einer Deliktsbegehung veranlaßt, wird dieser nach § 35 exkulpiert, und beleuchtung geht plötzlich an, Kunden sind am O r t des Überfalls anwesend). Weil
der Hintermann ist mittelbarer Täter. Auf diese Weise will Jäger den Begriff der solche Gründe nicht exkulpieren, brauchen sie doch deshalb einen situations-
Freiwilligkeit „weder psychologisch noch normativ, sondern mit den vom Gesetz- adäquaten, vom Delinquentenstandpunkt aus vernünftigen Rücktritt nicht als
geber vorgegebenen Maßstäben" ausfüllen. Problematisch ist daran, daß man die freiwillig erscheinen lassen! Ein Rücktritt ist unfreiwillig, wenn er durch die
vom Gesetzgeber für die Bestimmung der Freiwilligkeit „vorgegebenen M a ß - Situation zwingend nahegelegt wird, aber trotzdem kühler Abwägung entspringt
stäbe" schwerlich in der Verantwortlichkeits- und der Täterlehre finden kann; man und insofern frei ist.
m u ß sie in der ratio des Rücktrittsprivilegs (also in der Strafzwecktheorie) su- b) Die Konzeption ist aber auch nicht ohne Widersprüche durchfuhrbar. So wird 445
chen. 471 So zeigt sich denn auch, daß Jägers origineller Ansatz einerseits zu vielfach der Rücktritt aus Furcht vor einer sonst drohenden Festnahme mit Recht als u n -
unbefriedigenden Ergebnissen nötigt (a) und andererseits auch nicht bei allen ein- freiwillig beurteilt. Aber die Begründung, wonach „auch der drohende Verlust der
schlägigen Fallgruppen durchführbar ist (b). Freiheit" einen „Notstand i. S. d. § 35 und damit einen Verantwortungsausschluß"
443 a) Durchaus unbefriedigend ist z. B. die Konsequenz, daß jemand, der von begründe, 4 7 5 paßt nicht auf die erlaubte Festnahme, bei der eine tatbestands-
einem Diebstahlsversuch zurücktritt, u m sein brennendes Haus zu löschen mäßig-rechtswidrige Gegenwehr unbestrittenermaßen nicht exkulpiert wird. 4 7 6
( R n . 401) oder u m eine sonst drohende Zerstörung seiner wirtschaftlichen E x i - Ebensowenig läßt sich der Ansatz auf den Fall des „sinnlosen Versuchs", des w e g - 446
stenzgrundlage abzuwenden, nur deshalb freiwillig zurückgetreten sein soll, weil fallenden Tatmotivs (vgl. R n . 403—405), anwenden. Wenn der Täter seinen Vater
die R e t t u n g wirtschaftlicher Werte nicht zu den Exkulpationsgründen des § 35 zur Erlangung einer großen Erbschaft umbringen will, aber im letzten M o m e n t
gehört. 4 7 2 D e n n der Zurücktretende handelt auf Grund einer Güterabwägung, bei zurücktritt, weil er erfährt, daß der Väter sein ganzes Vermögen verloren hat, 4 7 7 so
der das zu errettende Gut das durch den Diebstahl zu erlangende in seinem Wert ist das ein unfreiwilliger Rücktritt, wie auch Jäger zutreffend a n n i m m t (zur B e -
weit übertrifft. Einen Rücktritt, der in einem solchen quasi-rechtfertigenden
„Notstand" erfolgt, freiwillig zu nennen, zwingt uns keine sprachliche und teleo- ™ Jäger, 1996, 106. In ZStW 112 (2000), 799, kommt Jäger der hier vertretenen Auffassung
entgegen, indem er bei einem Rücktritt im Zustand der Trunkenheit „im Zweifel Zurech-
logische gesetzgeberische Vorgabe. Im Gegenteil: Wer aufhört, weil ihm ein Wei- nungsfähigkeit" annehmen will.
474
Jäger, 1996,110. In ZStW 112 (2000), 804, neigt Jäger nunmehr zur Annahme von Unfrei-
*» Jäger, 1996, 98 ff. willigkeit mit der Begründung, die Rücktrittsmotive wiesen „bereits eine rechtliche Drang-
470
Hier und beim folgenden Zitat: Jäger, 1996, 99 (ähnlich Köhler, AT, 472). stärke im Sinne von § 35 StGB auf, da der Täter in solchen Fällen bei Fortsetzung seines Vor-
471
In ZStW 112 (2000), 794 ff. hat Jager seine ursprüngliche Auffassung eingeschränkt und habens mit Ergreifung bzw. körperlicher Beeinträchtigung zu rechnen hat". Der Rücktritt» ist
betont nun, „daß eine Übertragung der Täterschaftsgrundsätze die Besonderheiten des Rück- aber auch dann schon unfreiwillig, wenn eine gegenwärtige Gefahr i. S. d. § 35 - noch - nicht
tritts zu berücksichtigen hat". besteht und nur das vernünftigerweise nicht zu tragende Risiko des Scheiterns den Täter zum
47
2 Jäger, ZStW 112 (2000), 796, Fn. 53, will jetzt ebenfalls Unfreiwilligkeit annehmen mit Rücktritt veranlaßt.
der Begründung, daß man den „Gedanken" des § 35 „auch in Fällen existentieller Bedrohun- 47
5 Jäger, 1996,103.
gen der vorliegenden Art" heranziehen könne. Abgesehen davon, daß eine solche Ausdehnung 476
Jäger, ZStW 112 (2000), 798, hält dem entgegen, auf die Entschuldigung k o m m e es nicht
des § 35 wenigstens bei vorsätzlichen Delikten abzulehnen ist (Roxin, AT 1 , § 22, Rn. 23), an. Entscheidend sei „allein der vom Täter empfundene Druck auf das Rechtsgut Freiheit".
muß aber eine Unfreiwilligkeit des Rücktritts unabhängig von allen existentiellen Bedrohun- Damit wird dann freilich der rechtliche Maßstab verlassen und im Sinne der psychologischen
gen immer schon dann angenommen werden, wenn das Interesse des Täters an der Bewahrung Theorie allein auf die psychische Zwangswirkung abgestellt.
des zu rettenden Gutes sein Interesse an der Diebesbeute übersteigt. 477
Beispiel vonJäger, 1996,112.
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§ 30 IV 9. Abschnitt - Die Lehre vom Versuch

gründung vgl. Rn. 404). Aber ein Exkulpationsgrund liegt beim Sohn nicht vor,
und obwohlJäger*78 kühn behauptet, wenn jemand sehe, daß seine Tat keinen Sinn
mehr habe, so erscheine es gerechtfertigt, „einen Verantwortungsausschluß des Tä- 10. Abschnitt. D i e Unterlassungstat
ters anzunehmen", findet diese These im Gesetz keine Stütze. Auch der Rückgriff
auf die Strukturen der mittelbaren Täterschaft hilft nicht weiter. Denn zwar kann
der Irrtum über den konkreten Handlungssinn in der Person des unmittelbar Aus- § 31. Das Unterlassungsdelikt i m allgemeinen und seine
Abweichungen v o m Begehungsdelikt
führenden beim Hintermann u.U. eine mittelbare Täterschaft begründen (näher
§25, Rn.94ff), aber die Verantwortlichkeit des Tatmittlers wird in diesen Fällen
des „Täters hinter dem Täter" gerade nicht ausgeschlossen.479 Eine tragfähige Ge- Literatur: v. Buri, Ueber die Begehung der Verbrechen durch Unterlassen, GerS 21 (1869),
189; Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. II, Hälfte 1,21914; v. Oberbeck, Unterlas-
samtkonzeption kann also auchJäger nicht bieten. sung durch Begehung, GerS 88 (1922), 319; Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrecht-
lichen Tatbestände, 1931; Grünhut, Grenzen des übergesetzlichen Notstandes, ZStW 51 (1931),
455; Engisch, Der Arzt im Strafrecht, MSchKrim 1939, 414; Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht,
1939; Gallas, Zur Revision des § 330 c StGB, JZ 1952* 396; Kielwein, Unterlassung und Teilnah-
me, GA 1955, 225; Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungs-
«8 Jäger, 1996,109. delikten, 1957; Grünwald, Das unechte Unterlassungsdelikt. Seine Abweichung vom Hand-
™ Jäger sagt jetzt selbst (ZStW 112, 2000, 803), es sei eine Besonderheit des Rucktritts, lungsdelikt, 1957; Hardwig, Die Zurechnung, 1957; Welzel, Zur Problematik der Unterlassungs-
„daß jeder Wegfall des objekts- und rechtsgutsbezogenen Handlungssinnes zu einem Freiwil- delikte, JZ 1958, 494; Armin Kaufmann, Die Dogmatik der unechten Unterlassungsdelikte,
ligkeitsausschluß führt" und distanziert sich von einer „blinden Anwendung der Täterlehre". 1959; Grünwald, Die Beteiligung durch Unterlassen, GA 1959,110; Gallas, Strafbares Unterlas-
sen im Fall einer Selbsttötung, JZ 1960, 649; Armin Kaufmann, Methodische Probleme der
Gleichstellung des Unterlassens mit der Begehung, JuS 1961,173; Arthur Kaufmann, Die Bedeu-
tung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, Eb. Schmidt-FS, 1961, 200; Spendet, Zur
Unterscheidung von Tun und Unterlassen, Eb. Schmidt-FS, 1961,183; Roxin, Zur Kritik der fi-
nalen Handlungslehre, ZStW 74 (1962), 411; Engisch, Das Problem der psychischen Kausalität
beim Betrug, von Weber-FS, 1963, 247; Armin Kaufmann, Unterlassung und Vorsatz, von We-
ber-FS, 1963, 207; Ranft, Zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen im Strafrecht, JuS
1963, 340; Bertel, Begehungs- oder Unterlassungsdelikt?, JZ 1965, 53; Ulsenheimer, Das Verhält-
nis zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg bei den Fahrlässigkeitsdelikten, 1965; E. A. Wolff,
Kausalität von Tun und Unterlassen, 1965; Grünwald, Der Vorsatz des Unterlassungsdelikts, H.
Mayer-FS, 1966, 281; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungs-
delikte und der Gedanke der Ingerenz, 1966; Wessels, Rezension des Buches „Petters-Preisen-
danz, StGB mit Erläuterungen und Beispielen, 25. Aufl." JZ 1967, 191; Bockelmann, Strafrecht
des Arztes, 1968; Gallas, Der dogmatische Teil des Alternativentwurfs, ZStW 80 (1968), I; Gei-
len, Neue juristisch-medizinische Grenzprobleme, JZ 1968, 145; Geilen, Das Leben des Men-
schen in den Grenzen des Rechts, FamRZ 1968,121; Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage
einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968; Roxin, An der Grenze von Begehung und
Unterlassung, Engisch-FS, 1969, 380; Schaffstein, Die Risikoerhöhung als objektives Zurech-
nungsprinzip im Strafrecht, insbesondere bei der Beihilfe, Honig-FS, 1970, 169; Herzberg, Die
Kausalität beim unechten Unterlassungsdelikt, MDR 1971, 881; Küper, Noch einmal: Recht-
fertigender Notstand, Pflichtenkollision und übergesetzliche Entschuldigung, JuS 1971, 474;
Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971; Geilen, Medizini-
scher Fortschritt und juristischer Todesbegriff, Heinitz-FS, 1972, 373; Herzberg, Die Unterlas-
sung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972; Otto, Kausaldiagnose und Erfolgszurech-
nung im Strafrecht, Maurach-FS, 1972, 91; Ulsenheimer, Zumutbarkeit normgemäßen Verhal-
tens bei Gefahr eigener Strafverfolgung, GA 1972, 1; Engisch, Tun und Unterlassen, Gallas^FS,
1973, 163; Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973; Stratenwerth, Bemerkungen zum
Prinzip der Risikoerhöhung, Gallas-FS, 1973, 227; Busse, Täterschaft und Teilnahme bei Unter-
lassungsdelikten, 1974; Otto, Grenzen der Fahrlässigkeitshaftung im Strafrecht — OLG Hamm,
NJW 1973, 1422, JuS 1974, 702; Philipps, Der Handlungsspielraum, 1974; Rudolphi, Rezension
des Buches „Reinhart Maurach: Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl.", ZStW 86
(1974), 68; Samson, Begehung und Unterlassung, Welzel-FS, 1974, 579; Schöne, Unterlassene Er-
folgsabwendung im Strafgesetz, 1974; Haffke, Unterlassung der Unterlassung? Zur logischen,
ontologischen und teleologischen Kritik des Umkehrprinzips, ZStW 87 (1975), 44; Roxin, in:
Roxin/Stree/Zipf/Jung, Einführung in das neue Strafrecht, 1975; Sax, Zur rechtlichen Pro-

625
624
§ 31 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen § 31
blematik der Sterbehilfe durch Abbruch einer Intensivbehandlung, JZ 1975,137; Kienapfel, Zur rechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen, 1996; Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei
Abgrenzung von Tun und Unterlassen, ÖJZ 1976, 281; Sax, „Tatbestand" und Rechtsgutsverlet- Unterlassungen, 1996 Verrel, Selbstbestimmungsrecht contra Lebensschutz, JZ 1996, 224- Hoyer
zung (II), JZ 1976, 429; Engisch, Konflikte, Aporien und Paradoxien bei der rechtlichen Beur- Strafrechtsdogmatik nach Armin Kaufmann, 1997; Schneider, Tun und Unterlassen beim Ab-
teilung der ärztlichen Sterbehilfe, Dreher-FS, 1977, 309; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, bruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung, 1997; Baier, Unterlassungsstrafbarkeit
1977; Hruschka, Über Tun und Unterlassen und über Fahrlässigkeit, Bockelmann-FS, 1979, 421; trotz fehlender Handlungs- oder Schuldfähigkeit. Zugleich ein Beitrag zur Rechtsfigur der
Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pfiichtenkollision im Strafrecht, 1979; omissio hbera in causa, GA 1999, 272; Röhl, Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen und das
Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1979; Arzt, Zur Garantenstellung beim fahrlässige Unterlassungsdelikt, JA 1999, 885; Sanchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung,
unechten Unterlassungsdelikt (1. Teil), JA 1980, 553; Puppe, Der Erfolg und seine kausale Er- 1999; Tag, Der Körperverletzungstatbestand usw., 2000; Winter, Der Abbruch rettender Kausa-
klärung im Strafrecht, ZStW 92 (1980), 863; Arzt, Rezension des Buches „StGB Leipziger lität, 2000; Schmidhäuser, Über Unterlassungsdelikte. Terminologie und Begriffe, Müller-
Kommentar, Hrsg.: Hans-Heinrich Jescheck, Wolfgang Ruß, Günther Wilms, 10. Aufl." JZ Dietz-FS, 2001, 761; Silva Sanchez, Zur Dreiteilung der Unterlassungsdelikte, Roxin-FS, 2001,
1981, 412; v, Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflichten des Arztes, 641; Brammsen,Tun oder Unterlassen? Die Bestimmung der strafrechtlichen Verhaltensformen'
1981; Maiwald, Grundlagenprobleme der Unterlassungsdelikte, JuS 1981, 473; Maaß, Betrug
verübt durch Schweigen, 1982; Ranft, Garantiepflichtwidriges Unterlassen der Deliktshinde-
rung, ZStW 94 (1982), 815; Wachsmuth/Schreiber, Sicherheit und Wahrscheinlichkeit - juristi-
sche und ärztliche Aspekte, NJW 1982, 2094; Puppe, Zurechnung und Wahrscheinlichkeit,
ZStW 95 (1983), 287; Sieber, Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen bei der „passiven" Ge- I. Einleitung
sprächsteilnahme, JZ 1983, 431; Vogel, Norm und Pflicht bei den unechten Unterlassungsdelik-
ten, 1983; Gössel, Zur Lehre vom Unterlassungsdelikt, ZStW 96 (1984), 321; Schünemann, Die Wenn das Unterlassungsdelikt in den Darstellungen des Allgemeinen Teils ei- 1
Unterlassungsdelikte und die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Unterlassungen, ZStW 96 nen eigenen Abschnitt zugewiesen bekommt, so hat das zwei Gründe. Der erste
(1984), 287; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985; Fünfsinn,
Der Aufbau des fahrlässigen Verletzungsdelikts durch Unterlassen, 1985; Otto/Brammsen, Die liegt darin, daß viele bei den Begehungsdelikten entwickelte Grundbegriffe
Grundlagen der strafrechtlichen Haftung des Garanten wegen Unterlassens (I), Jura 1985, 5; der allgemeinen Verbrechenslehre nicht ohne weiteres auf die Unterlassungs-
Schürmann, Unterlassungsstraftaten und Gesetzlichkeitsgrundsatz, 1986; Sowada, Täterschaft delikte übertragen werden können. Die Kausalität dessen, der einen anderen
und Teilnahme beim Unterlassungsdelikt, Jura 1986, 399; Bloy, Anstiftung durch Unterlassen?,
JA 1987, 490; Hirsch, Behandlungsabbruch und Sterbehilfe, Lackner-FS, 1987, 597; Kahlo, Das durch einen Messerstich tötet, ist von anderer Art als die Kausalität eines Men-
Bewirken durch Verlassen bei drittvermitteltem Rettungsgeschehen - Zur notwendigen Mo- schen, der ihn zu retten unterläßt - wenn man im zweiten Fall, was auch schon
difikation der Risikoerhöhungslehre bei den unechten Unterlassungsdelikten, GA 1987, 66; strittig ist, überhaupt von Kausalität sprechen will. Der Vorsatz eines Täters, der
Otto, Täterschaft, Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft, Jura 1987, 246; Ranft, Rechtspre-
chungsbericht zu den Unterlassungsdelikten - Teil 1, JZ 1987, 859; Teil 2, 908; Roxin, Die Ster- den Kausalverlauf bewußt auf das ins Auge gefaßte Ziel hinsteuert, ist nicht der-
behilfe im Spannungsfeld von Suizidteilnahme, erlaubtem Behandlungsabbruch und Tötung selbe wie der Vorsatz eines Unterlassenden, in einen unabhängig von ihm sich ent-
auf Verlangen. Zugleich eine Besprechung von BGH NStZ 1987, 365 und LG Ravensburg wickelnden Kausalverlauf nicht einzugreifen. Das „Ansetzen" beim Versuch kann
NStZ 1987, 229, NStZ 1987, 348; Tröndle, Wann ist Sterbehilfe ein rechtliches Problem?, ZStW
99 (1987), 31; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988; Herzberg, beim Unterlassungstäter, der in Passivität verharrt, nicht in derselben Weise be-
Straffreie Beteiligung am Suizid und gerechtfertigte Tötung auf Verlangen, JZ 1988, 182; stimmt werden wie beim Begehungstäter, der das Geschehen aktiv vorantreibt.
Brammsen, Erfolgszurechnung bei unterlassener Gefahrverminderung durch einen Garanten, Die Tatherrschaft, die uns bei den Begehungsdelikten in den meisten Fällen zur
MDR 1989,123; Odersky, Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Gewässerverunreinigun-
gen, Tröndle-FS, 1989, 291; Volk, Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen. Dogmatische Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gedient hat, kann bei den Unterlas-
Aspekte und kriminalpolitische Probleme, Tröndle-FS, 1989, 219; Küpper, Grenzen der norma- sungsdelikten nicht denselben Dienst leisten, weil sich ein Geschehen durch reines
tivierenden Strafrechtsdogmatik, 1990; Kuhlen, Strafhaftung bei unterlassenem Rückruf ge- Unterlassen nicht - oder jedenfalls nicht im selben Sinne - beherrschen läßt.
sundheitsgefährdender Produkte, NStZ 1990, 566; Seier, Der Einheitstäter im Strafrecht und
im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (Teil 2), JA 1990, 382; Tröndle, Strafrechtlicher Lebens- Die augenfälligen Unterschiede zwischen Begehung und Unterlassung, die 2
schutz und Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Betrachtungen zum „Ravensburger Fall",
Göppinger-FS, 1990, 595; Brammsen, Kausalitäts- und Täterschaftsfragen bei Produktfehlern, sich noch an anderen Beispielen demonstrieren lassen würden, hat Armin Kauf-
Jura 1991, 533; Samson, Probleme strafrechtlicher Produkthaftung, StV 1991, 182; Beulke/Bach- mann zu einem „Umkehrprinzip" zugespitzt.1 Danach unterscheiden sich Hand-
mann, Die „Lederspray-Entscheidung" - BGHSt 37, 106, JuS 1992, 737; Meier, Verbraucher- lung und Unterlassung wie A und non-A, so daß bei Unterlassungen immer das
schutz durch Strafrecht?, NJW 1992,193; Puppe, Zur Kausalitätsproblematik bei der strafrecht-
lichen Produkthaftung, J R 1992, 30; Seebode, Zur gesetzlichen Bestimmtheit des unechten Un- Gegenteil dessen gilt, was bei Begehungsdelikten für richtig befunden wurde. So
terlassungsdelikts, Spendel-FS, 1992, 317; Stoffers, Die Formel vom „Schwerpunkt der Vorwerf- sei z. B. 2 nicht der Entschluß („Vorsatz"), eine Unterlassung vorzunehmen, recht-
barkeit" bei der Abgrenzung von Tun und Unterlassen, 1992; Stoffers, Sterbehilfe: Rechtsent- lich von Bedeutung, sondern umgekehrt das Fehlen des Entschlusses, die gebotene
wicklungen bei der Reanimator-Problematik, MDR 1992, 621; Stoffers, Die Rechtsfigur
„Unterlassen durch Tun" (Teil 1), JA 1992,138; Cramer, Die Rechtspflicht des Aufsichtsrates zur Handlung vorzunehmen; die Existenz eines Unterlassungsvorsatzes wird also von
Verhinderung unternehmensbezogener strafbarer Handlungen und Ordnungswidrigkeiten, dieser Lehre geleugnet. Auch sei nicht etwa ein Unterlassungsversuch juristisch re-
Stree-/Wessels-FS, 1993, 563; Dencker, Ingerenz: Die defizitäre Tathandlung, Stree/Wessels-FS, levant, sondern vielmehr das Unterlassen des Versuchs, die gebotene Handlung
1993,159; Stoffers, Die vorrechtlich-ontologische Unterscheidung der Verhaltensformen positi-
ves Tun und Unterlassen, GA 1993, 262; Struensee, Handeln und Unterlassen, Begehungs- und durchzuführen usw.
Unterlassungsdelikt, Stree/Wessels-FS, 1993, 133; Hilgendorf, Fragen der Kausalität bei
Gremienentscheidungen am Beispiel des Lederspray-Urteils, NStZ 1994, 561; fakobs, Die straf- 1
Armin Kaufmann, 1959, 87 ff.; ihm folgend Welzel, StrafR11, 203.
2
Zu den Beispielen vgl. Armin Kaufmann, 1959, 88.
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§ 31 II 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen II § 31
3
3 Ein derartiges Umkehrprinzip ist freilich abzulehnen. D e n n die Unterlassungs- wie die aktive Beteiligung an den gemeinsamen Aktivitäten eine solche gewesen
lehre stellt sich nur dann als eine U m k e h r der Begehungsdogmatik dar, wenn man wäre. Der Begriff der Persönlichkeitsäußerung erfaßt selbst noch das u n b e w u ß t e
die strafrechtlichen Begriffe auf ontische Strukturen gründet, wie es die Finalisten Unterlassen. W e n n jemand etwas Wichtiges vergißt, so äußert sich gerade darin
der Welzel-Schule allerdings tun. 4 D a n n ist das Nicht-Tun das gerade Gegenteil seine Persönlichkeit als die eines zerstreuten oder sorglosen Menschen.
des Tuns, und diese zentrale Negation läßt sich auf alle Erscheinungsformen des Wenn man das im Zusammenhang mit dem Handlungsbegriff schon Gesagte
Unterlassens übertragen. Wenn man dagegen, wie es in diesem Buche geschieht, 5 zusammenfaßt und konkretisiert, ergibt sich, daß das Unterlassen von zwei Vor-
das Strafrechtssystem aus zentralen kriminalpolitischen Wertungen ableitet, gelten aussetzungen abhängig ist: 8
diese für Tun und Unterlassen gleichermaßen. Der aktiv Tätige und der Unterlas-
sende können sich für die mögliche Rechtsgüterverletzung entscheiden und damit 1. D i e Handlungserwartung
vorsätzlich handeln. Das unterschiedliche sachliche Substrat der Entscheidung (auf
Es m u ß eine Handlungserwartung vorliegen, die sozial oder individuell b e - 6
der einen Seite z. B. ein Zuschlagen, auf der anderen ein scheinbares Nichtbemer-
gründet sein kann. So widerspricht das Schweigen beim gemeinsamen Singen
ken) beeinflußt aber die Erscheinungsform des Vorsatzes, 6 so daß dieser bei den
oder Beten einer sozialen Erwartung und ist deshalb ein Unterlassen. Es genügt
Unterlassungen trotz gleicher normativer Grundlage Modifikationen aufweist, die
aber für ein Unterlassen schon, daß jemand einer nahestehenden Person einen
später näher darzustellen sind ( R n . 184 ff.). Ähnliche Modifikationen gibt es in
Brief in Aussicht stellt, den er dann nicht schreibt. Schon die Enttäuschung dieser
allen Bereichen der Verbrechenslehre. Sie sind neben dem Begriff und den Arten
individuellen Erwartung läßt die Untätigkeit als Unterlassung erscheinen. Fehlt
des Unterlassens der wesentliche Gegenstand des § 31 unserer Darstellung.
dagegen jede Erwartung, kann man auch von keinem Unterlassen sprechen. Jeder
4 Daneben gibt es noch einen zweiten Grund, der eine gesonderte Behandlung könnte täglich vieles tun, woran weder er noch andere j e gedacht haben: Selbst-
der Unterlassungsdelikte erfordert. Während nämlich die Begehungsdelikte mord begehen, sich betrinken, plötzlich wegreisen usw. Dies nicht getan zu ha-
grundsätzlich (mit Ausnahme der Sonderdelikte) jeder begehen kann, kann Täter ben, begründet noch keine Unterlassung.
eines Unterlassungsdeliktes von vornherein nur sein, wer entweder in den Tat-
Der geschilderte Handlungsbegriff ist zunächst vortatbestandlich. Das Unter- 7
beständen des Besonderen Teils als solcher beschrieben wird (was nur vereinzelt
lassen - etwa einer erwarteten Hilfe - erfüllt einen Tatbestand erst dann, wenn es
geschieht) oder wer gemäß § 13 „dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht ein-
einer strafrechtlichen Handlungserwartung, die z. B. aus § 323 c abgeleitet werden
tritt" und dessen Unterlassen außerdem „der Verwirklichung des gesetzlichen Tat-
kann, zuwiderläuft. Es gibt freilich Fälle, in denen ein Unterlassen überhaupt
bestandes durch ein Tun entspricht". Das Einstehenmüssen w i e die Entspre-
erst durch die strafrechtliche Handlungserwartung konstituiert wird, 9 also
chensklausel sind spezifische Voraussetzungen der meisten „unechten" Unter-
keine vortatbestandliche Existenz hat. Wenn eine Meldepflicht oder eine neue
lassungen. Ihre Bestimmung gehört zu den umstrittensten Problemen des Allge-
Steuer eingeführt wird, ist die Nichtmeldung oder Nichtzahlung der Steuer bis
meinen Teils und bildet den Inhalt des nachfolgenden § 32.
dahin keine Unterlassung gewesen, weil insoweit keine irgendwie geartete H a n d -
lungserwartung bestanden hatte. Erst mit der Einführung einer strafbewehrten
II. Das Unterlassen Handlungspflicht kann in solchen Fällen aus dem, was vorher ein Nichts war, ein
Unterlassen werden.
5 Es ist möglich, einen vortatbestandlichen UnterlassungsbegrifF zu bilden,
der wie der Begriff des Tuns dem gemeinsamen Oberbegriff der Handlung unter-
2. D i e individuelle Handlungsfähigkeit
stellt werden kann. Nach der hier entwickelten Konzeption 7 ist die Handlung im
Sinne des Strafrechts eine „Persönlichkeitsäußerung", und diesem Begriff unter- Die zweite Voraussetzung des Unterlassens ist die individuelle Handlungsfähig- 8
fällt auch das Unterlassen. Wenn etwa j e m a n d in einem Kreise, in dem gebetet keit. Sie ist nicht gegeben, w e n n dem Normadressaten die erwartete Handlung
oder gesungen wird, nicht mitbetet oder mitsingt, unterläßt er ein Mitsingen und physisch unmöglich war. Das ist zunächst der Fall, w e n n es dem untätig Bleiben-
Mitbeten. Dieses „Nichtmitmachen" ist eine Persönlichkeitsäußerung, genauso den an der körperlichen Handlungsfähigkeit fehlt. Wenn ein Ertrinkender nur
durch einen Rettungsschwimmer vor dem Tode bewahrt werden kann, unterläßt
3 Arzt, JA 1980, 554f.; Haßke, ZStW 87 (1975), WJescheck/Weigend, AT5, vor § 58; Schmid- derjenige die R e t t u n g nicht, der, weil er Nichtschwimmer oder gelähmt ist, taten-
häuser, StuB AT2,16/6, Fn. 1; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 13ff., Rn. 138. los am Ufer sitzen bleibt. Kann er allerdings Hilfe herbeirufen, so ist er hand-
4
Vgl. dazu näher Roxin, AT l3, § 7, Rn. 16, 20, § 8, Rn. 25.
s Vgl. zur Begründung Roxin, AT l3, § 7, Rn. 24ff., 51ff.
8
« Vgl. zu diesem „Widerstand der Sache" Roxin, AT l3, § 7, Rn. 47, 84. Vgl. dazu auch SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 1-4 m.w.N.
^ Roxi«, ATI 3 , §8, Rn.44ff. 9
Vgl. dazu näher schon Roxin, AT 1, § 8, Rn. 54 ff.
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§ 31 II 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen II § 31

lungsfähig 10 - denn die erwartete Handlung m u ß nicht persönlich vorgenommen rungen fahrlässige Unterlassungen von der Strafbarkeit auszunehmen. Wenn die
werden - und unterläßt die Rettung, w e n n er untätig bleibt. Erst recht liegt kein physische Handlungsfähigkeit gegeben ist, können sonstige Defizite nur den Vor-
Unterlassen vor, wenn wegen räumlicher Distanz ein Handeln unmöglich ist: Wer satz oder die Schuld betreffen.
in München sitzt, kann nicht zur selben Zeit die Vornahme einer in H a m b u r g er- Keine Fälle fehlenden Unterlassens sind auch Konstellationen, bei denen es u m 12
warteten oder gebotenen Handlung unterlassen. Die physische Unmöglichkeit Fragen der Rechtfertigung geht. Wenn ein Polizeibeamter wegen eines Ü b e r m a -
kann aber auch auf einem Mangel an Hilfsmitteln, an technischen Fertigkeiten ßes anderer Aufgaben eine Strafverfolgung unterläßt, so erfüllt er den Tatbestand
u n d Kenntnissen beruhen: Wer in einsamer Landschaft einen Schwerverletzten der Strafvereitelung im A m t (§ 258 a); denn er hätte die Verfolgungsaufgabe a n d e -
antrifft, unterläßt nichts, w e n n er untätig bleibt, weil er weder ein Handy zur ren Pflichten vorziehen können, war also handlungsfähig. Er kann aber durch eine
Herbeirufung eines Krankenwagens bei sich hat noch das Gerät, die technischen Pflichtenkollision gerechtfertigt sein. 14
Fertigkeiten oder auch nur die Kenntnisse hat, u m die erforderliche Notoperation Ebenso wird man die Zurechnungsunfähigkeit (§ 20), den unvermeidbaren Ver- 13
selbst durchzuführen. botsirrtum (§ 17) und erst recht den exkulpierenden Notstand (§ 35) nicht als Fälle
Die Handlungsunfähigkeit braucht also nicht absolut und in jeder Hinsicht g e - der individuellen Handlungsunfähigkeit, sondern, wie bei den Begehungsdelik-
geben zu sein. Sie ist vielmehr schon dann zuzubilligen, w e n n jemand in der k o n - ten, als Gründe ausgeschlossener Schuld oder Verantwortlichkeit ansehen müssen.
kreten Situation nichts Sinnvolles zur Gebotserfüllung tun kann. 1 1 Es kann also Demgegenüber haben die schon das Unterlassen ausschließenden Fälle individuel-
wegen Brandstiftung durch Unterlassen zur Verantwortung gezogen werden, wer ler Handlungsunfähigkeit bei den Begehungsdelikten keine Parallele, weil sich bei
zwar den Brand nicht löschen, aber seine Frau von der Brandstiftung abhalten diesen die physische Handlungsmöglichkeit aus der Verwirklichung des Tatbestan-
konnte (RGSt 64, 273, 276). D e n n dies war eine sinnvolle Möglichkeit zur Er- des durch aktives Tun ohne weiteres ergibt.
folgsabwendung. Wer aber bei einem Brand h i n z u k o m m t , unterläßt die Löschung Kein Fall der Handlungsunfähigkeit ist auch die rechtliche U n m ö g l i c h - 14
nicht, wenn er in untätiger Verzweiflung verharrt, anstatt mit den Händen g e - keit. 15 In dem Sachverhalt, der der Entscheidung O L G Bremen N J W 1957, 72 zu-
schöpftes Wasser in die Flammen zu gießen; denn auf diese Weise läßt sich der grunde lag, hatte der Angeklagte die Gefahren nicht beseitigt, die von einem i m
Brand nicht erfolgreich bekämpfen. Haushalt lebenden bissigen H u n d ausgingen. Der H u n d hätte weggegeben wer-
Andererseits lassen ernstliche Zweifel am Erfolg möglicher Rettungsmaßnah- den müssen. Doch war dies gegen den Willen der Eigentümerin rechtlich nicht
men die Handlungspflicht und die Handlungsfähigkeit noch nicht entfallen. „Nur zulässig. Hier liegt ein Unterlassen vor; denn der Angeklagte hätte handeln k ö n -
die sicher voraussehbare Erfolglosigkeit eines Rettungsbemühens" kann eine solche nen. Da man aber zu rechtswidrigem Handeln nicht verpflichtet sein kann, fehlt
Annahme tragen (BGH N S t Z 2000, 415). Polizei und Notarzt müssen also auch es - vorausgesetzt man teilt die Prämissen des Urteils - an einer Erfolgsabwen-
dann gerufen werden, w e n n der Rettungspflichtige nicht weiß, ob dies noch etwas dungspflicht und damit an der Tatbestandsmäßigkeit des Unterlassens. 16
nützen wird. Stellt sich hinterher heraus, daß das Opfer nicht mehr zu retten war, Die Handlungsmöglichkeit als Voraussetzung des Unterlassens ist in der 15
so ist im Falle einer Garantenstellung eine versuchte Tötung durch Unterlassen an- Literatur im wesentlichen anerkannt, 1 7 wenngleich die Terminologie nicht ganz
zunehmen. einheitlich ist u n d auch nicht i m m e r klar wird, ob in solchen Fällen das Unter-
Dagegen besteht keine Handlungsunfähigkeit, w e n n es u m Fragen des Vorsatz- lassen als solches oder erst ein tatbestandsmäßiges Unterlassen ausgeschlossen
ausschlusses, der Rechtfertigung oder der Schuld geht. Die Verkennung des Sach- sein soll. 18 Vereinzelt werden aber auch andere Ansätze vertreten. Nach Mai-
verhalts - der Vater bemerkt z. B. nicht, daß sein Sohn in Gefahr geraten ist und der
R e t t u n g bedarf, oder er bleibt untätig, weil ihm die objektiv existierende R e t - 14
So wohl auch BGHSt 15, 18 ff. (22), wonach dem Beamten „nicht der Vorwurf der
tungsmöglichkeit nicht einfällt - ändert nichts am Vorliegen eines Unterlassens. Es Pflichtwidrigkeit und damit eines rechtswidrigen Verhaltens gemacht werden" kann. Ähnlich
liegt der Fall (Notstand!) BGH MDR (DJ 1971, 361: Fenstersturz zur Rettung vor Flammen-
ist nur der Vorsatz ausgeschlossen, eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit aber ggf. tod. Dagegen wollenJescheck/Weigend, AT5, § 59 II 2, anscheinend in beiden Fällen Handlungs-
möglich. Abweichend davon verlangen Armin Kaufmann12 und Welzel13 für das U n - unfähigkeit annehmen.
terlassen die Kenntnis der tatbestandsmäßigen Situation und der erforderlichen 15 So aber Eser, StrafR II3, Fall 28; Gropp, AT2, § 11, Rn. 48 f.
Handlungsmittel. Doch gibt es keinen Grund, durch derart überspannte Anforde- '« So auch Baumann/Weber, AT10, § 15, Rn. 18; Gramer, Stree/Wessels-FS, 1993, 570 (hinsicht-
lich der Uberwachungspflichten des Aufsichtsrats).
17
Vgl. etwa Baumann/Weber, AT10, § 15, Rn. 15-18; Gropp, AT2, § 11, Rn.43ff.;>bfo, AT2,
w OLG Hamm VRS 34 (1968), 149; ganz h.M., vgl. etwa LKn-Je Scheck, vor § 13, Rn.95; 29/10 ff. Jescheck/Weigend AT5, §59 II 2; Kindhäuser, StGB, § 13, Rn.10; Köhler, AT, 215; Kühl
Armin Kaufmann, 1959,106; Kindhäuser, StGB, § 13, Rn. 10; Welzel, StrafR11, 211 f. AT , § 18, Rn. 36ff.; SK-Rudolphi, vor § 13, Rn. lff.; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 13ff., Rn 141ff •
ii Jescheck/Weigend, AT5, § 59 II 2; Kindhäuser, StGB, § 13, Rn. 10. Wessels/Beulke, AT31, Rn. 708 ff.
12 Armin Kaufmann, 1959, 35 ff., 59 ff. w Jescheck/Weigend, AT5, § 59 II 2 differenzieren: Das Unterlassen soll nur die allgemeine
13 Welzel, StrafR11, 201. Handlungsfähigkeit (d.h. die Handlungsfähigkeit eines Durchschnittsmenschen) vorausset-

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§ 31 III 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen III §31
wald19 unterläßt schon derjenige, der trotz individueller Handlungsunfähigkeit
„diejenige Leistung nicht erbringt, für die er kraft seiner sozialen Stellung auf Po- 2. Die „Begehungsgleichheit" als Abschichtungskriterium
sten gestellt" ist. Der Nichtmediziner unterläßt danach eine lebensrettende Maß- Richtigerweise wird man die vorhandene oder fehlende „Begehungsgleichheit" 17
nahme nicht, wenn er sie ohne medizinische Kenntnisse nicht vornehmen kann. zum Kriterium der Abschichtung machen müssen. Denn vpn einem „Begehungs-
Wohl aber unterläßt der Arzt ihm an sich mögliche Rettungsmaßnahmen auch delikt durch Unterlassen" und einem aus diesem Grunde „unechten" Unterlassen
dann, wenn er nach 20stündigem Katastropheneinsatz schlechthin nicht mehr kann man mit Recht dort sprechen, wo der Gesetzgeber ein Unterlassen dem Tun
„kann"; sein Unvermögen soll nur entschuldigen. Das überzeugt aber nicht. soweit wie möglich gleichgestellt hat (soweit nämlich die unterschiedliche onti-
Denn: ultra posse nemo obligatur. Man kann dem Arzt, der vor Erschöpfung sche Struktur dies zuläßt).23 Das ist bei zwei gesetzlich geregelten Formen der
ohnmächtig wird oder mit einem Herzanfall zusammenbricht, nicht Pflichten Unterlassung der Fall: erstens bei den Unterlassungen, die durch § 13 der Verwirk-
auferlegen, die einen leistungsfähigen Arzt voraussetzen. Während Maiwald dem- lichung des Tatbestandes durch aktives Handeln gleichgestellt werden; und zwei-
nach an das Unterlassen, wenn auch nur in einem Teilbereich, zu geringe Anfor- tens Unterlassungen, die im Besonderen Teil dem Tun unter dort ausdrücklich ge-
derungen stellt, belasten andere Autoren das Unterlassen mit zu vielen Vorausset- nannten Voraussetzungen an die Seite gerückt werden. Da die Garantenstellungen
zungen. So verlangt Androulakis20 „die volle Freiheit des (Verhalten)Könnens" und Voraussetzungen der Begehungsgleichheit sind, können andere Unterscheidungen
E. A. IVolff21 macht die Motivationsfähigkeit zur Voraussetzung der Handlungsfä- schon aus diesem Grunde die Abgrenzung nicht tragen.
higkeit. Aber auf der Basis solcher Lehren ist nicht ersichtlich, wie die Unterlas- Die erste Gruppe umfaßt die Fälle des Einstehenmüssens, der „Garantenstellun- 18
sung noch von der Schuld abgegrenzt werden soll. gen", die den Inhalt des nachfolgenden § 32 bilden. Die zweite Gruppe gehört mit
ihren besonderen Gleichstellungsvoraussetzungen in den Besonderen Teil und
III. Echtes und unechtes Unterlassen wird beispielsweise repräsentiert durch den Hausfriedensbruch dessen, der ohne
Befugnis in einem geschützten Raum verweilt und „auf die Aufforderung des Be-
1. Die grundsätzliche Unterscheidung rechtigten sich nicht entfernt". Ein anderer Fall der letztgenannten Art ist die Aus-
16 Die Unterscheidung von echtem und unechtem Unterlassen ist eingebürgert setzung durch einen Täter, der „einen Menschen ... in einer hilflosen Lage im Stich
und wird grundsätzlich kaum bestritten. 22 Als klassische Beispiele echter Unter- läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist
lassungen sind §§ 138 (Nichtanzeige geplanter Straftaten) und 323 c (unterlassene ..." (§221 I Nr. 2). Hier wird das Im-Stich-Lassen durch Untätigbleiben der akti-
Hilfeleistung) anerkannt. Von einem echten Unterlassen kann man hier sprechen, ven Versetzung „in eine hilflose Lage" gesetzgeberisch gleichgestellt.
weil die Tatbestände sich auf die Beschreibung eines Unterlassens beschränken, Bei den schon als Beispiele für echte Unterlassungsdelikte genannten §§ 138, 19
dafür einen eigenen Strafrahmen vorsehen und weil es zu diesen Unterlassungen 323 c fehlt es demgegenüber an einer Gleichstellung schon deswegen, weil ein
kein Gegenstück in Form eines Begehungsdeliktes gibt. Prototyp eines unechten Begehungstatbestand, der auf das Unterlassen erstreckt werden könnte, nicht exi-
Unterlassungsdelikts ist dagegen eine Tötung durch Unterlassen, wie sie vorliegt, stiert. Die Tatbestände umfassen deshalb nur das beschriebene Unterlassen und
wenn eine Mutter ihr Kind verhungern läßt. Unecht nennt man dieses Unter- haben einen selbständigen Strafrahmen.
lassen, weil die Bestrafung aus einem Begehungstatbestand (dem des Totschlages Unechte Unterlassungen liegen auch dort vor, wo ein Unterlassen ohne aus- 20
oder Mordes) und nach dessen Strafdrohung erfolgt (vorbehaltlich des § 13 II) und drückliche Erwähnung im Gesetz einem Begehungstatbestand unterstellt wird.
weil das Unterlassen in der Tötung durch positives Tun ein ihm entsprechendes So kann z. B. eine Rechtsbeugung (§ 339) auch durch Unterlassen (Vorenthaltung
Gegenstück hat. So plausibel diese Unterscheidung auch ist, so umstritten ist die sachgemäßer Verteidigung) begangen werden (BGHSt 10, 294, 298). Untreue
Abgrenzung beider Unterlassungsformen im einzelnen. (§ 266) kann ohne weiteres durch Unterlassen (der erforderlichen vermögensfür-
sorgerischen Maßnahmen) verübt werden. Parteiverrat (§356) begeht, wer zum
Vorteil der Gegenpartei bestimmte Fristen verstreichen läßt.
zen, während die individuelle Handlungsfähigkeit erst ein Erfordernis des tatbestandsmäßigen
Unterlassens sein soll. Aber das ist eine unnötige Komplizierung.
» Maiwald, ]uS 1981, 479.
20 Androulakis, 1963,115. 23 Vgl. Schünemann, 1971, 43f.; ders., ZStW 96 (1984), 302f. Wenn Jescheck/Weigend, AT5,
2i E. A. Wolff, 1965,46, Fn. 26. § 58 III 3, einwenden, der Gesichtspunkt der Begehungsgleichheit bringe „keine Lösung, weil
22
Abi. aber Schmidhäuser, StuB AT , 12/6, der die Unterscheidung „sachlich unbegründet" auch das unechte Unterlassungsdelikt nicht der Begehung durch positives Tun gleichsteht" so
nennt. Er meint, daß sie sich „als irreführend erweist und zudem nicht mehr in einheitlicher wird die im Text gemachte Einschränkung nicht beachtet. Übereinstimmung besteht dagegen
Begriffsbildung verwendet wird". Eingehend in diesem Sinne ders., Müller-Dietz-FS, 2001, mit der Ansicht, die Herzberg (1972, 22) so formuliert: „Echte Unterlassungsdelikte sind m.E.
761. Gegen die Unterscheidung auch NK-Seelmann, § 13, Rn.13. alle die Gesetzestatbestände, die nur durch Unterlassen, unechte diejenigen, die sowohl durch
aktives Handeln wie durch Unterlassen verwirklicht werden können."
632
633
§ 31 III 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen III § 31

Räumen), ist nicht ersichtlich, wie eine Unterscheidung zwischen tätigkeits- und
3. Nichtvornahme einer Handlung und Nichtabwendung des Erfolges
erfolgsbezogenem Unterlassen hier zur A n n a h m e eines echten Unterlassungsdelik-
als Merkmale echten und unechten Unterlassens tes sollte führen können. Sie beruht auf einer Differenzierung, die ernstlich nicht
21 In Rspr. und Literatur am meisten vertreten wird jedoch eine Auffassung, die durchführbar ist. >
echte und unechte Unterlassungsdelikte als „tätigkeitsbezogen" und „erfolgs-
bezogen" unterscheidet. Die repräsentative Formulierung dieser Lehre liefert 4. Geschriebene und ungeschriebene Unterlassungstatbestände als Krite-
BGHSt 14, 280 (281) 24 am Beispiel des § 84 G m b H G (unterlassene Konkursan- rien der Echtheit und Unechtheit
meldung): „Bei einem echten Unterlassungsdelikt . . . erschöpft sich das strafbare
Weit verbreitet hat sich im Anschluß an Armin Kaufmann29 auch die Ansicht, 24
Verhalten im Verstoß gegen eine Gebotsnorm, also im bloßen Unterlassen einer
daß die Unterscheidung von echten und unechten Unterlassungsdelikten allein
bestimmten Tätigkeit, die zwar mittelbar einen .Erfolg' - hier die rechtzeitige Er-
danach zu treffen sei, ob das strafbare Unterlassungsverhalten im Gesetz ausdrück-
öffnung des Konkursverfahrens - herbeiführen soll, aber ohne Rücksicht hierauf
lich als Unterlassen beschrieben wird oder nicht. 3 0 Nach Kaufmann31 lassen sich
vom Gesetz gefordert wird. Daher k o m m t es für die Strafbarkeit nicht auf das Ver-
echte und unechte Unterlassungsdelikte „lediglich an dem äußerlichen Kriterium
hindern des .Erfolges', sondern allein auf das Unterlassen des geforderten Handelns
unterscheiden, daß die echten vom Gesetz selbst vertypt worden sind, während
an. So schließt z. B. die Anzeigepflicht nach § 138 . . . keine ,Verbrechenshinde-
die unechten Omissivdelikte im Gesetz keine Regelung gefunden haben". Der U n -
rungspflicht'ein .. ."Auch in der Literatur hat diese M e i n u n g viele Anhänger. 2 5 So terschied ist dann „ein rein positivrechtlicher, kein materialer". 32
bezeichnen etwa Jescheck/Weigend26 die echten Unterlassungsdelikte geradezu als
D e m ist entgegenzuhalten, daß eine solche rein „äußerliche" Unterscheidung 25
„das Gegenstück zu den reinen Tätigkeitsdelikten".
den Strukturunterschied verdeckt, der die Differenzierung zwischen unechten
22 Doch gestattet die Unterscheidung keine überzeugende Abgrenzung. D e n n so,
und echten Unterlassungen überhaupt erst sinnvoll macht. Die „Unechtheit" liegt
wie die Tätigkeitsdelikte einen Erfolg haben, der sich nur von der Handlung nicht
in der Gleichstellung mit den Begehungsdelikten, die meistens durch § 13 erfolgt,
abtrennen läßt, 2 7 haben auch die nach dieser M e i n u n g „echten" Unterlassungs-
aber auch schon in dem betreffenden Tatbestand des Besonderen Teils vorgenom-
delikte einen Erfolg, der nur in manchen Fällen nicht gegenüber dem Unterlassen
men werden kann. Wenn z. B. § 225 I Nr. 4 das Quälen, das rohe Mißhandeln und
isolierbar ist, sondern in diesem selbst besteht. So liegt z. B. bei der zweiten Alter- die gesundheitsschädigende böswillige Vernachlässigung in eine Reihe stellt und
native des Hausfriedensbruchs, die als echtes Unterlassungsdelikt betrachtet gleichermaßen als „Mißhandlung von Schutzbefohlenen" bestraft, rechtfertigt die
wird, 2 8 der Erfolg in der Störung des Hausfriedens, die durch die unerwünschte normative Gleichbewertung der drei Varianten die Beurteilung der Vernachlässi-
Anwesenheit einer unbefugten Person herbeigeführt wird. Bei § 323 c liegt der gung als unechtes Unterlassen. D e n n sie stellt ein Mißhandeln dar wie das ent-
Erfolg in der fortdauernden Hilflosigkeit des Verunglückten. Im Falle des § 138 sprechende aktive Tun. Dasselbe gilt für Unterlassungen, die ohne ausdrückliche
richtet sich das Handlungsgebot auf die Erstattung einer Anzeige; der tatbestands- N e n n u n g in der Beschreibung aktiven Handelns enthalten sind, wie beim Partei-
mäßige Erfolg besteht also in der fortdauernden Ahnungslosigkeit des potentiel- verrat oder der Rechtsbeugung durch Unterlassen ( R n . 20).
len Opfers usw.
Bei Tatbeständen wie § § 323 c, 138, denen kein aktives Handeln entspricht, ist 26
23 Freilich wird immer wieder darauf hingewiesen, daß dem Unterlassenden in
das ganz anders. Dieser materiale Unterschied wird übergangen, wenn man bei
den Fällen etwa der §§ 323 c, 138 ein Erfolg wie der Tod des Gefährdeten nicht im
der „Äußerlichkeit" stehenbleibt, ob die Gleichstellung im Allgemeinen oder im
Sinne des § 212 (d. h. als Totschlag) zugerechnet werden kann. Aber das beruht
Besonderen Teil erfolgt. Eine rein „positivrechtliche" Abgrenzung ist auch in den
darauf, daß keine Gleichstellung mit dem Begehungsdelikt der aktiven Tötung
meisten Fällen zufällig und damit willkürlich. D e n n w e n n der Gesetzgeber die
stattfindet, läuft also auf die hier (oben 2) befürwortete Abgrenzung hinaus. Im
böswillige Vernachlässigung nicht ausdrücklich in § 225 I Nr. 4 anführen würde,
Falle des Hausfriedensbruchs durch Nichtverlassen des geschützten Raumes er-
könnte man sie auch über § 13 als Mißhandlung durch Unterlassung qualifizieren,
folgt diese Gleichstellung, so daß konsequenterweise auch ein unechtes Unterlas- womit dann dasselbe Unterlassen plötzlich „unecht" würde. Das gibt keinen
sungsdelikt anzunehmen ist. Da auch ein Erfolg nicht zu leugnen ist (er ist ganz Sinn.
derselbe wie beim aktiven Handeln: ein unerwünschter Mensch in den eigenen

2" Ferner BayObLG NJW 1990,1861.


25 Vgl. n u r Jescheck/Weigend, A T 5 , § 5 8 III 1; SK7-Rudolphi, v o r § 13, R n . 10; Schöne, 1974, 29 Armin Kaufmann, 1959, 206ff., 275; den., J u S 1961,174.
56ff.,n5 ff.;Wessels/Beulke, AT31, Rn.696f.; jeweils m.w.N. 30 S o auch Jakobs, A T 2 , 2 8 / 9 ; Maurach/Gössel, AT/27, § 4 5 , R n . 3 8 ; Sch/Sch/Stree26
26 ßscheck/Weigend, AT5, § 58 III1. §§ 13 ff., Rn. 137; Welzel, StrafR11, 202 f.
31
2 7 Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 103 f. Armin Kaufmann, JuS 1961,174.
28
Vgl. nur Jescheck/Weigend, A T 5 , § 5 8 III 4. 32 Welzel, StrafR11, 202 f.

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§ 31 III 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen IV § 31
Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die Milderungsklausel des § 13 II auch 30
5. Der Verstoß gegen eine Verbots- oder eine Gebotsnorm als Unter- auf solche unechten Unterlassungen angewendet werden kann, die im Besonderen
scheidungskriterium Teil angeführt werden. Das ist sehr umstritten, aber zu bejahen. Eine nähere Be-
27 Eine ältere, heute noch in BGHSt 14, 281 (oben Rn. 21) herangezogene Diffe- handlung des Problems soll erst später im Zusammenhang mit § 13 II erfolgen
renzierung sieht in den unechten Unterlassungsdelikten einen Verstoß gegen eine (Rn. 248 ff.). Doch bleibt festzuhalten, daß die Frage jedenfalls nur bei unechten
Verbots-, in den echten einen Verstoß gegen eine Gebotsnorm. Das wird heute im und nicht bei echten Unterlassungen eine Rolle spielt.
Anschluß an Engisch2'2' und Armin Kaufmann3* durchweg schon aus „normlogi-
schen" Gründen abgelehnt: Jedes strafrechtlich relevante Unterlassen, ob echt oder
IV. Unterlassung und nulluni crimen sine lege
unecht, könne immer nur gegen eine Gebotsnorm (eine Handlungspflicht)35 ver-
stoßen. Abgesehen davon hilft diese Unterscheidung aber auch deswegen nicht Die Vereinbarkeit der echten Unterlassungsdelikte mit dem nullum-crimen- 31
weiter, weil sie im Grunde nur die These umschreibt, daß unechte Unterlassungs- Grundsatz 36 steht seit eh und je außer Zweifel, da bei ihnen die Voraussetzungen
delikte (anders als die echten) eigentlich Begehungsdelikte seien oder mindestens strafbaren Unterlassens in den Tatbeständen des Besonderen Teils exakt beschrie-
als solche behandelt werden müßten. Unter welchen Voraussetzungen aber ein ben werden. Dagegen bestanden gegen die Verfassungsmäßigkeit der unechten
Unterlassen gegen eine Verbotsnorm (im Verständnis dieser Lehre) verstößt, muß Unterlassungsdelikte vor 1975 (also vor Einführung des § 13) doppelte Bedenken,
aus einem anderen Gesichtspunkt entwickelt werden. Als solcher bietet sich die soweit die Voraussetzungen ihrer Begehungsgleichheit nicht im Besonderen Teil
Gleichstellung des Unterlassens mit dem entsprechenden Begehungsdelikt an, was näher beschrieben waren (dazu Rn. 17 ff.), sondern durch Rspr. und Wissenschaft
dann auf die hier (Rn. 17 ff.) vertretene Auffassung zurückführen würde. erst - mit Hilfe der Entwicklung von Garantenstellungen - geschaffen wurden.
Erstens konnte man in der gesetzlich nicht geregelten Bestrafung von Unterlas-
6. Die praktische Bedeutung der Unterscheidung sungen aus dem Tatbestand von Begehungen einen Verstoß gegen das Analogie-
28 Die praktische Bedeutung der Unterscheidung liegt vor allem darin, daß die verbot sehen; und zweitens konnte man in der fehlenden legislatorischen Nam-
Garantenstellungen - das schwierigste und wichtigste Problem der Unterlas- haftmachung der Gleichstellungsvoraussetzungen eine Verletzung des Bestimmt-
sungsdogmatik - auf die unechten Unterlassungsdelikte beschränkt sind. Die Ga- heitsgebots erblicken. Die Praxis hat sich über diese Bedenken hinweggesetzt.
rantenstellungen müssen im wesentlichen aus § 13 entwickelt werden. Wo sich un- Doch hat der Gesetzgeber sie gesehen und durch den neuen § 13 zu beseitigen ge-
echte Unterlassungen im Besonderen Teil finden, sind die Gleichstellungsvor- sucht.
aussetzungen dort vielfach selbständig und genauer beschrieben. Doch muß auch Hinsichtlich des Analogieverbotes ist das unbestreitbar gelungen. Denn § 13 32
insoweit nicht selten auf die Garantenlehre des Allgemeinen Teils zurückgegriffen ordnet unter den dort genannten Voraussetzungen die Strafbarkeit des Unterlas-
werden. Wenn z. B. § 2211 Nr. 2 eine Aussetzung durch Unterlassen annimmt, so- sens aus den Vorschriften der jeweiligen Begehungstatbestände ausdrücklich an.
fern der Täter einen Menschen in einer hilflosen Lage im Stich läßt, „obwohl er Die Bestrafung kann sich also nunmehr auf das Gesetz und nicht mehr bloß auf ei-
ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist", so kann die nen Analogieschluß berufen. Zweifelhaft ist aber nach wie vor die Vereinbarkeit
allgemeine Garantenlehre bei der Ausfüllung dieser Formel behilflich sein. auch des § 13 mit dem Bestimmtheitsgebot. Denn das Gesetz nennt als Vorausset-
29 Wichtig ist auch die Erkenntnis, daß niemals eine Garantenstellung aus der zungen der Unterlassungsstrafbarkeit nur die Kriterien des „Einstehenmüssens"
Handlungspflicht eines echten Unterlassungsdelikts abgeleitet werden darf. Die und des „Entsprechens" ohne zu sagen, wann man „dafür einzustehen hat, daß der
Hilfspflicht des § 323 c und die Anzeigepflicht des § 138 dürfen also nicht benutzt Erfolg nicht eintritt", und wann das Unterlassen dem Tun „entspricht". Daß die ge-
werden, um daraus eine Garantenstellung zu konstruieren mit der Wirkung, daß setzliche Regelung unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht
der untätig Bleibende bei einem tödlichen Ausgang wegen vorsätzlicher oder unbedenklich ist, wird denn auch in der Literatur vielfach betont. 37
fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zur Verantwortung gezogen werden kann. Immerhin sind diese gesetzlichen Aussagen nicht ganz inhaltslos, sondern lass/en 33
Daß dies gerade nicht möglich ist, ist die entscheidende Besonderheit der echten erkennen, daß das Unterlassen nach normativen Maßstäben dem genau um-
Unterlassungen. schriebenen Begehen gleichstehen muß. Hält man sich - was bei der Interpreta-
36
Grundsätzlich dazu Roxin, AT l3, § 5.
37
33 Engisch, MSchrKrim 1939, 424. Eine Zusammenstellung kritischer Literaturzitate liefert Seebode, Spendel-FS, 1992,
3t Armin Kaufmann, 1959, 3 ff. 334f. Besonders streng neuerdings Köhler, AT, 213f.: „Diese Norm (seil. § 13) ist ... in ihrer
35 Eine „Rehabilitation" der älteren Lehre behauptet im Anschluß an Philipps (1974, 15 ff.) Zirkularität nicht hinreichend bestimmt, daher mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmt-
NK-Seelmann, § 13, Rn. 14. heitsgrundsatz ... nicht vereinbar." Für Verfassungswidrigkeit auch Schümann, 1986,190.

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§ 31 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen V § 31
tion beachtet werden muß! — strikt an diesen Maßstab der Begehungsgleichheit,
kann man § 13 noch als eine gesetzlich ausreichend bestimmte Regelung verste- V. Die Kausalität beim Unterlassen
hen. 38 Dies gilt jedenfalls dann, wenn man zusätzlich noch berücksichtigt, daß in
1. Gibt es eine Kausalität des Unterlassens?
den Partien des Allgemeinen Teils, die der Gesetzgeber bewußt der weiteren Ent-
wicklung durch Rspr. und Lehre überlassen hat — und um einen solchen Fall a) Unterlassen als Wirkkraft?
handelt es sich hier —, die Bestimmtheitsanforderungen ohnehin eingeschränkt
Über die Frage, ob ein Unterlassen für den Erfolg kausal sein könne, besteht 37
werden müssen.39
seit dem 19. Jahrhundert ein lebhafter Streit, „einer der unfruchtbarsten, welche
34 In der Literatur werden teilweise andere Lösungen vorgeschlagen, um den aus die strafrechtliche Wissenschaft je geführt hat", wie es bei Liszt/'Schmidt45 heißt. Da
dem Bestimmtheitsgrundsatz abgeleiteten verfassungsrechtlichen Bedenken zu dieses Verdikt mindestens für die älteren Bemühungen um die Unterlassungskau-
begegnen. So meint Seebode40, daß § 13 nur insoweit mit Art. 103 II GG vereinbar salität zutrifft, soll ihrer nur noch kurz gedacht werden.
sei, als die Erfolgsabwendungspflicht „gesetzlich oder vertraglich begründet ist".
Die Diskussion ging ursprünglich von der Voraussetzung aus, daß jede Straftat 38
Die Ableitung von Handlungspflichten „aus nur faktischen Gegebenheiten, z. B.
die Kausalität des potentiellen Täters für den Erfolg erforderte und daß die zu er-
aus vorangegangenem Tun oder Gemeinschaften", sei also unzulässig. Die damit
mittelnde Kausalität in einer realen Wirkkraft bestehe. Eine solche Wirkkraft des
vollzogene Rückkehr zur sog. formellen Rechtspflichtlehre (näher §32, Rn. 4 f.) Unterlassens nachzuweisen, hat die Wissenschaft sich lange Zeit bemüht. Diese
ist aber deshalb problematisch, weil diese Lehre heute dogmengeschichtlich über- Bemühungen sind gescheitert und bedürfen deshalb keiner näheren Darstellung
holt ist und dem Gesichtspunkt der Begehungsgleichheit gerade nicht gerecht mehr.46 Am meisten Anklang hatte noch die durch von v. Buri47 begründete und
werden kann. vor allem von Binding48 akzeptierte „Interferenztheorie" gefunden. Danach sollte
35 § 13 E 1958 und § 12 AE hatten versucht, die Garantenstellungen im Gesetz ein wenig näher die Kausalität der Unterlassung in der Unterdrückung eines Handlungsimpulses
zu beschreiben. Das hat den Vorteil etwas geringerer Unbestimmtheit. Dieser Vorteil wird
aber durch den Nachteil erkauft, daß der wissenschaftlichen Entwicklung der Unterlassungs-
bestehen und als Beseitigung eines erfolgshindernden Faktors (des Handlungswil-
dogmatik Hindernisse bereitet werden und eine einschränkende Auslegung (z. B. im Falle des lens) den Erfolg real verursachen. Aber es ist offensichtlich, daß bei der unbewußt
vorangegangenen Tuns) geradezu blockiert werden kann. fahrlässigen Unterlassung von der Unterdrückung eines Handlungsimpulses nicht
36 Eine Lösung der Bestimmtheitsproblematik im Zusammenhang mit den Tatbeständen des die Rede sein kann und daß diese auch bei vorsätzlichen Unterlassungen fehlt, wo
Besonderen Teils hat zuletzt Schöne vorgeschlagen. Dem läßt sich mit Weizel entgegenhal-
ten: „Es ist prinzipiell unmöglich, in gesetzlichen Tatbeständen die unübersehbare Mannigfal- von vornherein kein Handlungsimpuls bestand.
tigkeit möglicher Unterlassungstäter erschöpfend und konkret zu umschreiben." Tatsächlich ist
ein solcher Versuch, der den Umfang des StGB beträchtlich erweitern würde, noch nie unter- b) Unterlassen als gesetzmäßige Bedingung
nommen worden. Immerhin verdient der Vorschlag insofern Beachtung, als der Gesetzgeber
eine konkretisierende Regelung unechter Unterlassungen im Besonderen Teil, wie sie sich im Heute wird die Auffassung, daß ein Unterlassen für den Erfolg im Sinne einer 39
geltenden Recht schon vereinzelt findet (vgl. Rn. 17 ff.), überall dort vornehmen sollte, wo realen Wirkkraft ursächlich sein könne, nicht mehr vertreten. Gleichwohl bejaht
eine genauere Beschreibung begehungsgleichen Unterlassens ohne weiteres möglich ist. eine von namhaften Autoren vertretene Mindermeinung die Kausalität des Unter-
lassens, indem sie sich auf die von Engisch entwickelte Formel von der Kausalität
als „gesetzmäßige Bedingung" stützt.49 An ihrer Spitze steht Engisch50 selbst, für
den „die Nichtvornahme einer solchen Handlung, die nach Naturgesetzen ... ei-
nen (mißbilligten) Erfolg abgewendet hätte, als mit eben diesem Erfolg gesetzlich
verbunden und daher für ihn kausal angesehen werden darf". Zu demselben Er-
gebnis kommt Puppe51, indem sie dartut, daß „Negationen . . . für vollständige
38 Vgl. Schünemann, ZStW 96 (1984), 304. Kausalerklärungen nicht nur zulässig, sondern unerläßlich" seien. Der Erfolg
* Vgl. Roxi«, AT l3, § 5, Rn. 78; Jakobs, AT2, 29/5.
«o Seebode, Spendel-FS, 1992, 328 ff. (344 f.). werde nicht nur durch die ihn positiv fördernden Bedingungen, sondern auch
41
§ 13 E 1958 hat auf gesetzliche Verpflichtung, Gewährübernahme und die Herbeiführung durch den Ausfall erfolgsverhindernder Faktoren bewirkt. Ein Kranker ist also
einer nahen Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts abgestellt, während § 12 AE eine gesetzlich
oder freiwillig übernommene Rechtspflicht oder die Schaffung einer nahen Gefahr für den
Eintritt des Erfolges verlangt hatte. « Liszt/Schmidt, StrafR, 251927,164.
46
« Näher Gallas, ZStW 80 (1968), 16 ff. Vgl. aber die Nachweise beiJescheck/Weigend, AT5, § 59 III 3, Fn. 23.
43
Schöne, 1974, 342ff. (aaO., 2, findet sich eine Auflistung von Vorläufern dieser Auffas- v v. Buri, GerS 21 (1869), 196 ff.
sung). ** Binding, Normen, Bd. II, 516ff., 536ff., 555 ff.
49
44
Weizel, StrafR11, 210. Auch Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn.6, erklären eine solche Lösung für Näher Roxin, AT l3, § 11, Rn. 14.
„nicht durchführbar". 50 Engisch, v o n W e b e r - F S , 1963, 2 6 4 f.; ausführlich ders., 1931, 2 9 ff.
5i Puppe, Z S t W 9 2 (1980), 8 9 5 ff. (899).
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§ 31 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen V § 31
ggf. nicht nur deshalb gestorben, weil er einem Leiden erlegen ist, sondern auch Unterlassungsdelikten gleichermaßen anzuwenden. Das führt dann in der Tat zu
deshalb, weil er keinen Arzt aufgesucht hat. Auch Hilgendorf52 findet „die Formel dem von Engisch, Puppe und Hitgendorf angenommenen Ergebnis, daß auch ein
von der gesetzmäßigen Bedingung ... bei unechten Unterlassungsdelikten ohne Unterlassen mit einem Erfolg in einem gesetzmäßigen Zusammenhang stehen
Einschränkungen anwendbar ... Wenn also etwa der geübte Rettungsschwimmer kann: Wenn eine Mutter ihr Kind nicht ernährt, wird es- mit naturgesetzlicher
A seelenruhig zusieht, wie neben ihm B ertrinkt, so ist das Verhalten von A kausal Sicherheit verhungern. Es wird also im folgenden Text ohne weiteres von einer
für den Tod des B, denn zwischen dem Verhalten des A und dem Tod des B besteht Kausalität des Unterlassens gesprochen, wo die Gegner der Unterlassungskausali-
ein gesetzmäßiger Zusammenhang." tät nur eine „Quasi-Kausalität", eine „hypothetische Kausalität" oder einfach nur
40 Demgegenüber verneint die heute h.L. eine Kausalität des Unterlassens. So eine Zurechnung des Erfolges zum Unterlassen annehmen können.
lesen wir bei Wetzet:53 „Der Unterlassungstäter wird nicht dafür bestraft, daß er Freilich muß man sich auch bei einer Bejahung der Möglichkeit kausalen Un- 43
den tatbestandsmäßigen Erfolg verursacht, sondern dafür, daß er ihn nicht abge- terlassens bewußt bleiben, daß zwischen Begehungs- und Unterlassungskausalität
wendet hat ... Die Unterlassung als Nichtvornahme einer Handlung verursacht ein Unterschied besteht. Die Begehungskausalität setzt neben der gesetzmäßigen
schlechterdings nichts." „Die Unterlassung als solche ist niemals kausal", sagt auch Verknüpfung des Täterverhaltens mit dem Erfolg einen aktiven „positiven" Ener-
Arthur Kaufmann54 und führt die Gegenmeinung auf die Ansicht zurück, „daß die gieeinsatz voraus, während die Unterlassungskausalität sich auf den gesetzmäßigen
Kausalität nichts Reales, sondern nur etwas im Denken Existierendes sei". Bei Zusammenhang zwischen Unterlassen und Erfolg beschränkt.
Jescheck/Weigend55 heißt es: „Die Kausalität als Seinskategorie erfordert eine wirk-
liche Energiequelle, die fähig ist, einen Kraftaufwand zu erbringen, und daran 2. Die Feststellung der Unterlassungskausalität in der Rechtsprechung
fehlt es gerade bei der Unterlassung (,ex nihilo nihil fit')." Die Rspr. des BGH geht im Anschluß an das RG59 davon aus, daß eine 44
41 Es ist leicht ersichtlich, daß den widerstreitenden Meinungen verschiedene „Unterlassung dann ursächlich für einen Erfolg" sei, „wenn er durch die un-
Kausalvorstellungen zugrunde liegen. Die erstgenannte Ansicht (Rn. 39) begnügt terbliebene Handlung verhindert worden wäre" (BGHSt 6, lf.). 60 Dabei arbeitet
sich mit einem gesetzmäßigen Zusammenhang, während die zweite (Rn. 40) „eine sie mit einer Umkehrung der bei Begehungsdelikten verwendeten Formel vom
Auffassung von der dynamischen Natur der Kausalität"56, eine „Vorstellung von „Hinwegdenken"61, indem sie die Frage stellt, ob bei einem „Hinzudenken" der
der Ursache als Kraft oder Agens"57 zugrunde legt. Darüber ist schwer zu rechten, gebotenen Handlung der Erfolg verhindert worden wäre. Die Erfolgsverhinde-
und es kommt im Ergebnis auch nicht darauf an. Denn wenn man auf der Grund- rung muß „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" festzustellen
lage eines engeren Kausalbegriffs eine Kausalität des Unterlassens verneint, ist man sein, was keine Minderung der Beweisanforderungen darstellen soll, sondern nur
trotzdem nicht gehindert, demjenigen, der einen Erfolg nicht abgewendet hat, eine Art Richtlinie für die Überzeugungsgewinnung ist, die der Begrenztheit des
diesen beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zuzurechnen. Eine Zu- menschlichen Erkenntnisvermögens Rechnung trägt (RGSt 75, 374).62 Eine prä-
rechnung ist nicht notwendig an die Kausalität gebunden. Auch die Leugner einer zise Zusammenfassung der Judikatur liefert BGH NStZ 1985, 27: „Der Erfolgsein-
Unterlassungskausalität ziehen daraus natürlich nicht den Schluß, daß das Unter- tritt ist dem Täter zuzurechnen, wenn die unterlassene Handlung nicht hinzuge-
lassen schlechthin straflos sei, sondern bestrafen beim Vorliegen einer Garanten- dacht werden kann, ohne daß der eingetretene Erfolg entfiele. Es muß eine an Si-
stellung und der weiteren deliktischen Erfordernisse das Unterlassen genauso wie cherheit grenzende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß der Erfolg bei Vor-
die Verfechter der Unterlassungskausalität. Man könnte die Streitfrage also dahin- nahme der unterbliebenen Handlung nicht oder erheblich später oder in wesent-
gestellt lassen. lich geringerem Umfang eingetreten wäre."
42 Mit diesem Vorbehalt wird hier gleichwohl die Meinung vertreten, daß man
Dabei ist die Formel vom „Hinzudenken" genausowenig hilfreich wie die 45
ohne Bedenken von einer Kausalität des Unterlassens sprechen kann. Denn da wir
Methode des „Hinwegdenkens" bei Begehungsdelikten.63 Denn wenn man z. B.
von einer „Wirkkraft" oder „Dynamik" der Kausalität sogar bei Begehungsdelikten
wissen will, ob eine gebotene ärztliche Handlung (etwa das Verabreichen eines be-
nichts Näheres wissen,58 empfiehlt es sich, die im übrigen heute anerkannte For-
f—
mel von der Kausalität als gesetzmäßiger Bedingung bei Begehungs- und s« RGSt 15,151 (153f.); 51,127; 58,130 (131); 74, 350 (352); 75, 49 (50); 75, 372 (374).
60 Ferner BGHSt 7, 211 (214); 37, 106 (126); BGH NStZ 1981, 218; 1985, 26; 1986, 227;
52 Hilgendorf, NStZ 1994, 564. BGH NJW 1987, 2940; 2000, 2757.
53 Welzel, StrafR11, 212 f. « Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 8 ff.
54
Arthur Kaufmann, Eb. Schmidt-FS, 1961, 214. 62
Wachsmuth/Schreiber, NJW 1982, 2094, plädieren für eine Aufgabe dieser Formel, weil es
55 Jescheck/Weigend, AT5, § 59 III 3. im medizinischen Bereich keine „Sicherheit" gebe. Statt dessen soll es auf eine „einen vernünf-
s« Engisch, von Weber-FS, 1963, 265, Fn. 31. tigen Zweifel ausschließende Überzeugung" von der erfolgsverhindernden Wirkung des gebo-
57 Puppe, ZStW 923 (1980), 896. tenen Handelns ankommen. Doch liegt darin kaum ein sachlicher Unterschied.
ss Vgl. Roxi«, AT l , § 11, Rn. 4. " Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 8 ff.
640
641
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen V § 31
§ 31 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
eine Rettungschance bewußt ausgelassen worden, kommt die Rspr. immerhin zu
stimmten Medikaments oder eine sofortige Operation) den Tod des Patienten ver-
einer Versuchsbestrafung. So heißt es in dem vorgenannten Fall des brutalen Ehe-
hindert hätte, führt das Hinzudenken der ärztlichen Maßnahme nicht weiter, so-
mannes: „Läßt sich nicht feststellen, ob die unterbliebene Handlung den Erfolg
lange man nicht weiß, wie sich das Medikament oder die Operation ausgewirkt
verhindert hätte, liegt keine vollendete Tat vor; möglich bleibt lediglich die Verur-
hätten. Die Kausalität des Unterlassens hängt allein davon ab, ob das unterlassene
teilung wegen Versuchs."65 Etwas vorsichtiger, aber im selben Sinne drückt sich
ärztliche Handeln nach naturwissenschaftlichen Gesetzen den Tod verhindert
das bekannte Lederspray-Urteil aus (BGHSt 37, 106, 127): „Der im Schrifttum
hätte. Erst wenn man dies weiß, führt das Hinzudenken des gebotenen Tuns zum
weithin vertretenen Auffassung, es genüge bereits, daß die Vornahme der unter-
Wegfall des Erfolges; aber daraus ergibt sich kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn.
lassenen Handlung das Risiko des Erfolgseintritts (erheblich) vermindert hätte
Es kommt also auch hier darauf an, ob sich zwischen dem Unterlassen und dem
(dies entspricht der sog. Risikoerhöhungstheorie ...), ist die Rechtsprechung bis-
Erfolgseintritt ein gesetzmäßiger Zusammenhang feststellen läßt.
her nicht gefolgt."
Immerhin wird die praktische Bedeutung des Problems relativiert durch die 48
3. Genügt es schon für die Zurechnung des Erfolges, daß das gebotene
Möglichkeit einer Versuchsbestrafung (die allerdings bei fahrlässigen Delikten
Handeln das Risiko des Erfolgseintritts vermindert hätte?
und bei fehlender Versuchsstrafbarkeit den Freispruch des eine Rettungschance
a) Die Rechtsprechung versäumenden Garanten nicht verhindern kann). Doch wird die Zulässigkeit einer
Die wichtigste Streitfrage im Bereich der Unterlassungskausalität besteht aber Versuchsbestrafung bei Zugrundelegung der Rechtsprechungsauffassung auch
darin, ob für die Zurechnung überhaupt nötig ist, daß das gebotene Handeln den schlechthin bestritten mit der Behauptung, daß dann für den Versuch die Vorstel-
Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte, oder lung einer Risikominderungsmöglichkeit genüge, so daß für den Versuchsvorsatz
ob man nicht die für Begehungsdelikte geltende - wenngleich auch hier sehr weniger verlangt werde als für den Vollendungsvorsatz.66 Das ist aber nicht rich-
umstrittene - Risikoerhöhungstheorie64 auf Unterlassungsdelikte übertragen tig.67 Denn wenn der Unterlassende den Erfolg mit 50%iger Wahrscheinlichkeit
kann mit der Wirkung, daß man einen Erfolg dem Unterlassenden schon dann abwenden zu können glaubt, nimmt er seinen durch das Unterlassen bedingten
zurechnen kann, wenn sein Handeln den Erfolgseintritt zwar nicht mit an Eintritt mit eben dieser Wahrscheinlichkeit in Kauf, und das genügt für die Be-
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, aber doch möglicherweise abge- jahung eines Versuchs mit dolus eventualis.
wendet hätte. Ist also ein Vater wegen vorsätzlichen Totschlages zu bestrafen, der Außerdem darf man nicht übersehen, daß die Rspr. sich im Unterlassungsbe- 49
absichtlich nichts zur Rettung seines in einem Fluß ertrunkenen Kindes unter- reich der Risikoerhöhungstheorie - die man hier besser als Risikoverminde-
nommen hat, wenn sich ergibt, daß ein Rettungsversuch des Vaters zwar eine rungstheorie bezeichnet - 6 8 wenigstens im Ergebnis dadurch annähert, daß sie
50%ige Erfolgschance gehabt, mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit aber nichts schon eine geringe Lebensverlängerung als Folge des gebotenen Eingreifens für
mehr genützt hätte? Und ist ein Arzt wegen fahrlässiger Tötung strafbar, wenn er die Vollendungsstrafbarkeit ausreichen läßt. So heißt es in BGH NStZ 1981, 219
eine gebotene Maßnahme unterlassen hat, nach dem Tode des Patienten aber zwei- (einem Fall ärztlicher Fahrlässigkeit): „Bei einem chirurgischen Eingriff an diesem
felhaft bleibt, ob diese ihn noch hätte retten können? Tag hätte die Patientin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen
Es ist klar, daß der BGH mit seinem Abstellen auf die „an Sicherheit grenzende Tag überlebt, und es hätte die hochgradige Wahrscheinlichkeit des Überlebens
Wahrscheinlichkeit" in Fällen wie den geschilderten eine Bestrafung wegen voll- überhaupt bestanden." Hier entsteht der Eindruck, als würde auf dem Umweg
endeter Tat ablehnen muß. Das ist denn auch wiederholt ausgesprochen worden. über die kurzfristige Lebensverlängerung die an Sicherheit grenzende durch eine
In einem Fall, in dem ein brutaler Ehemann seine von ihm zusammengeschlagene, hochgradige Wahrscheinlichkeit ersetzt. Entsprechendes gilt für BGH NStZ 1985,
aufgrund der Verletzungen verstorbene Frau nicht ins Krankenhaus gebracht hatte, 27: „Die Behandlung zu diesem Zeitpunkt hätte dazu geführt, daß die Über-
hat der BGH eine vorsätzliche Tötung durch Unterlassen verneint, obwohl „bei lebenschance des Patienten erheblich größer gewesen wäre. Nach Auffassung des
sofortiger Operation einige wenige Überlebenschancen ... bestanden hätten" Tatgerichts wäre ihr Leben zumindest um Stunden verlängert worden." Auch hier
(BGH StV 1985, 229). Bleibt ungewiß, ob die gebotene Meldung bei der „höheren 65
Schon BGHSt 14, 284 hatte gesagt: „Ein vollendetes Tötungsverbrechen würde dann vorge-
Behörde" den Erfolg abgewendet hätte, scheidet eine vollendete Unterlassung legen haben, wenn die unterlassene Hilfe den Tod des Verletzten hätte verhüten können, ein ver-
schon deswegen aus (BGH NJW 2000, 2757). Aber selbst bei 90%iger Wahr- suchtes Tötungsverbrechen dann, wenn dieser Nachweis nicht hätte erbracht werden können."
scheinlichkeit einer lebensverlängernden Bestrahlung ist deren versehentliche Un- 66 Vgl. e t w a Otto, A T 6 , § 9 IV 2; Brammsen, M D R 1989,125 f.; d e r Sache n a c h auch Straten-
werth, AT4, §13, Rn.54f.
terlassung nicht als fahrlässige Tötung bestraft worden (BGH NJW 1987, 2940). Ist 67 Schünemann, StV 1985, 232; Puppe, ZStW 95 (1983), 303; Jakobs, AT2, 29/40: „Haftung
für Versuch — dies allerdings nur bei Vorsatz - ist fraglos."
68 Beulke/Bachmann, J u S 1992, 743, Fn. 9 0 .
64 Dazu Roxin, AT l3, § 11, Rn. 76 ff.
643
642
§ 31 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen V § 31
liegt der eigentlich tragende Grund der Entscheidung wohl in der erheblichen
plastisch Stratenwerth-75 „Unterlassen z. B. die Eltern eines schwer erkrankten Kin-
Risikominderung, die das gebotene Eingreifen mit sich gebracht hätte.
des, einen Arzt beizuziehen, so würden sie für den Tod des Kindes nach h.L. nur
50 Manchmal begnügt die Rspr. sich für die Kausalität des Unterlassens auch
dann haften, wenn es bei ärztlicher Behandlung mit an Sicherheit grenzender
schon mit der schlichten Wahrscheinlichkeit der Erfolgsabwendung durch das ge-
Wahrscheinlichkeit gerettet worden wäre; bei einer Erkrankung mit hoher Sterb-
botene Tun. So läßt RGSt 75, 324 (328) eine „der allgemeinen Lebenserfahrung
lichkeitsrate dagegen dürften sie auf ärztlichen Beistand von vornherein verzich-
entsprechende Wahrscheinlichkeit" genügen. Und BGHSt 25, 163 meint zur
ten." Und, an anderer Stelle:76 „Daß Handlungen zur Rettung eines bedrohten
Unterlassungshaftung des Betriebsleiters eines Weinbauunternehmens, der es ver-
Rechtsguts nur dann geboten sein sollten, wenn der Rettungserfolg so gut wie
säumt hatte, die Beachtung seiner Anweisungen durch Stichproben zu überprü-
sicher ist, aber nicht, wenn sie die Rettungschancen ,nur' wesentlich erhöhen
fen: „Auch kann es nicht darauf ankommen, ob durch Stichproben tatsächlich würden — das ist eine Konsequenz der h.L., für die bislang ... noch niemand auch
Mißstände aufgedeckt worden wären. Entscheidend ist allein, daß durch erkenn- nur den Versuch einer Rechtfertigung unternommen hat."
bare Überwachung der mit der Weinherstellung befaßten Betriebsangehörigen
Zur Kausalfrage äußern sich die Vertreter der Risikoverminderungslehre unter- 53
der Gefahr einer Falschbezeichnung der verschnittenen Weine weitgehend vorge-
schiedlich. Schaffstein77 will auf eine Kausalität verzichten und die Umwandlung
beugt worden wäre." Die Linie der Rspr. ist also nicht ganz einheitlich.
der Fahrlässigkeits- in Gefährdungsdelikte in Kauf nehmen. Otto78 verlangt und
b) Der Diskussionsstand in der Literatur begnügt sich damit, daß „sich in dem Erfolg jene Gefahr realisiert hat, zu deren
51 In der Literatur ist die Frage äußerst umstritten. Die ganz h.L. folgt freilich der Abwendung oder Verminderung der Garant verpflichtet war". Stratenwerth79 be-
Rspr. im Verlangen nach einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit". gründet die Kausalität mit dem Argument, daß „das vom Täter zu verantwortende
Soweit die Autoren die Risikoerhöhungslehre schon bei Begehungsdelikten ab- Quantum an Gefahr ... unabgrenzbar ... in das gesamte Gefährdungspotential"
lehnen, ist dies selbstverständlich und bedarf keines gesonderten Nachweises.69 eingehe. Am einläßlichsten äußert sich Rudolphi,80 indem er auf die durch die
Aber auch ein Teil der Anhänger, die die Risikoerhöhungslehre bei den Be- Risikoverminderung herbeigeführte Änderung des Kausalverlaufs abstellt: „Die
gehungsdelikten hat, versagt ihr (bzw. besser: der Risikoverminderungslehre) bei ... gefahrmindernde Wirkung ... kann nämlich allein darin bestehen, daß ent-
Unterlassungsdelikten die Gefolgschaft.70 Die Ablehnung stützt sich vor allem auf weder der ursprüngliche das Rechtsgut bedrohende Kausalprozeß durch einen
das Argument, daß auf den Beweis der Unterlassungskausalität verzichtet werde, (völlig) anderen, weniger gefährlichen ersetzt wird (so z. B. bei einer Operation,
wenn man den Erfolg zurechne, obwohl zweifelhaft sei, daß das gebotene Han- die den lebensbedrohenden Krankheitsherd beseitigt, aber geringere andere
deln ihn verhindert hätte. Damit werde eine fundamentale Zurechnungsvoraus- Mortalitätsrisiken begründet) oder daß der ursprüngliche ... Kausalprozeß durch
setzung preisgegeben, der Verletzungs- in einen Gefährdungstatbestand umge- Ausschaltung bestimmter - wenn auch nicht aller - seine Gefährlichkeit begrün-
deutet und der Grundsatz in dubio pro reo verletzt. Es liege insoweit ganz anders dender Umstände so modifiziert wird, daß er jetzt weniger gefährlich und damit
als bei den Begehungsdelikten: Denn dort stehe die Kausalität des Täterverhaltens nicht mehr der gleiche ist (so z. B. bei der Einnahme von den Krankheitsverlauf
fest, zu der die Risikoerhöhung nur als zusätzliches strafbarkeitseinschränkendes abschwächenden Medikamenten). Damit ist aber auch die Kausalität zwischen der
Kriterium hinzukomme, während bei Anwendung des Prinzips auf Unterlas- gebotenen Gefahrminderung und dem konkreten Erfolgseintritt gegeben."
sungen die Risikominderung die Kausalität in strafbarkeitsausdehnender Weise er- c) Die differenzierende Lösung
setze.
Die richtige Lösung wird man in der Mitte zwischen den Extrempositionen 54
52 Die Gegenmeinung, als deren Hauptvertreter Stratenwerth71, Rudolphi72 und
suchen und darauf abstellen müssen, ob eine Risikominderung nur bei einer
Otto73 angesehen werden können, 74 beruft sich vor allem auf kriminalpolitisch be-
Betrachtung ex ante als möglich erschien (dann keine Zurechnung des Erfol-
gründete Strafbedürfnisse, bestreitet aber meist auch den Verzicht auf die Kausa-
ges) oder ob auch bei einer Beurteilung ex post eine Risikominderung tat-
lität und die daraus abgeleiteten Folgerungen. Zum ersten Punkt argumentiert
sächlich eingetreten wäre (dann Zurechnung).

w Vgl. nur Roxin, AT l3, § 11, Rn.76ff. (bes. Fn. 146).


70 EtwaJescheck/Weigend, AT5, § 59 III 4; Lackner/Kühl24, vor § 13, Rn. 14; am gründlichsten 75
Schünemann, StV 1985, 229, 231 ff. Stratenwerth, AT4, § 13, Rn. 55. Dies ist aus den Rn. 48 angegebenen Gründen freilich
übertrieben.
7i Stratenwerth, AT4, § 13, Rn. 54ff.; den., Gallas-FS, 1973, 237ff.
72 SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 16,16 a. 76 Stratenwerth, Gallas-FS, 1973, 239. Auch dies ist übertrieben; vgl. Rn. 48.
73 Otto, AT6, § 9 IV; ders., Maurach-FS, 1972,102; den., JuS 1974, 708. 77 Schaffstein, Honig-FS, 1970,173.
7" Ferner Bramtnsen, MDR 1989, 126; Maurach/Gössel, AT/27, 46/23; Schaffstein, Honig-FS, 78 Otto, AT6, § 9 IV 2; ebenso Brammsen, MDR 1989,127.
1970,172; zuerst wohl bei Hardwig, 1957,156 ff. 79 Stratenwerth, Gallas-FS, 1973, 238.
so SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 16 a.
644
645
§31 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen V § 31

55 Der letztgenannte Fall der wirklich beweisbaren Risikominderung sei an den einflußt hätte. Wenn die reale Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit gegeben ist,
Anfang gestellt. Wenn nämlich das gebotene Handeln mit an Sicherheit grenzen- daß beim Eintreffen des Arztes, dessen Herbeirufung pflichtwidrigerweise unter-
der Wahrscheinlichkeit zu einer risikovermindernden Änderung des Kausalver- lassen worden ist, der Patient schon tot gewesen wäre oder daß er jedenfalls das
laufs geführt hätte, läßt sich die Kausalität des Unterlassens nicht bezweifeln, und Krankenhaus nicht mehr lebend erreicht hätte, kann das Unterlassen nicht als voll-
eine Zurechnung des konkreten Erfolges ist ohne weiteres möglich. Daß der Er- endete, sondern bei Bestehen des entsprechenden Vorsatzes nur als versuchte T ö -
folg aufgrund anderer Umstände, aber mit geringerer Wahrscheinlichkeit, gleich- tung bestraft werden (vgl. R n . 48). Bei bloßer Fahrlässigkeit tritt Straflosigkeit
wohl noch hätte eintreten können, ist ein erlaubtes Restrisiko, das die Zurechnung ein. Entsprechendes gilt, w e n n unklar bleibt, ob derjenige, der zu Rettungszwek-
des real verwirklichten unerlaubten Risikos nicht ausschließen kann. ken hätte ins Wasser springen oder mit dem Ruderboot zur Unglücksstelle hätte
56 Stirbt also der Patient an Herzversagen, weil die gebotene Operation unterblie- fahren müssen, den Ertrinkenden überhaupt noch erreicht hätte.
ben ist, liegt eine Tötung durch Unterlassen vor, sofern die gebotene ärztliche Hier gelten gegen eine Zurechnung des Erfolges alle aus der fehlenden Kausa- 60
Maßnahme die Herzfunktion wenigstens zunächst aufrechterhalten hätte. Die lität abzuleitenden Einwände. Auf sie zu verzichten, wie es etwa Schaffstein vor-
Möglichkeit, daß der Patient trotzdem an Nebenwirkungen oder nachträglichen schlägt (Rn.53), ist nach geltendem Recht nicht möglich, weil z.B. § 2 2 2 aus-
Komplikationen gestorben wäre, ändert daran nichts. D e n n das wäre ein anderer drücklich fordert, daß der Täter den Erfolg durch Fahrlässigkeit verursacht habe.
Kausalverlauf. Ebenso gilt: Hätte die gebotene u n d mögliche Transplantation das Es genügt auch nicht für einen Kausalitätsnachweis, daß sich, wie Otto (Rn. 53)
Leben des Patienten zunächst gerettet, ist deren Unterlassung als Tötung zuzurech- verlangt, die Gefahr realisiert hat, die der Garant hätte abwenden oder vermindern
nen, auch w e n n die Möglichkeit bestehenbleibt, daß eine Abstoßung des trans- sollen. D e n n damit wird nicht erwiesen, daß eine Verminderung überhaupt m ö g -
plantierten Organs am Ende doch zum Tode des Patienten geführt hätte. Oder: lich war. Ebensowenig reicht, wie es Brammsen will, 8 4 eine Risikominderungs-
Wenn die Verabreichung medizinisch indizierter Medikamente oder Spritzen den möglichkeit, die sich nur bei einer Beurteilung ex ante ergab; sie m u ß vielmehr ex
Krankheitsverlauf mit Sicherheit günstig beeinflußt hätten, ist der Tod, der infol- post feststehen. 85 Wenn zwischen dem Unterlassen und dem Erfolg kein gesetz-
ge der Unterlassung dieser M a ß n a h m e n eintritt, dem Garanten auch dann zuzu- mäßiger Zusammenhang nachgewiesen werden kann, eine reale R i s i k o m i n d e -
rechnen, w e n n die Maßnahmen den Erfolg vielleicht nicht endgültig abgewendet rung durch das gebotene Handeln also nicht sicher ist, würde die Erfolgszurech-
hätten. nung gegen den Grundsatz in dubio pro reo verstoßen und das Verletzungsdelikt
57 Wenn Schünemannsl einer solchen Betrachtungsweise entgegenhält, daß der zu einem bloßen Gefährdungsdelikt machen. Der Unterlassende würde wegen
„Zweck der Rettungspflicht nicht auf die Veränderung der Begleitumstände, son- Herbeiführung eines Erfolges bestraft, auch wenn zweifelhaft ist, ob er in den
dern auf Verhinderung des Erfolgseintritts zielt", so ist darauf zu erwidern: Erstens Kausalverlauf überhaupt hätte eingreifen können.
genügt für die Zurechnung nicht eine beliebige Veränderung, sondern nur eine Die Risikoverminderungstheorie und die auf der gesetzmäßigen Verknüp- 61
effektiv risikomindernde Beeinflussung des Kausalverlaufs; und zweitens ist der fung von Unterlassen und Erfolg beharrende Lehre haben also beide ein relati-
möglicherweise am Ende eintretende Erfolg ein anderer als der, dessen unterlas- ves Recht. Sie stehen nicht in einem Ausschluß-, sondern in einem Ergän-
sene Abwendung dem Garanten zugerechnet wird. zungsverhältnis zueinander. Ganz wie hier sieht das Stratenwerth,86 w e n n er sagt:
„Wer einen Verunglückten (entgegen Garantenpflichten) nicht in ärztliche B e -
58 Daran zeigt sich, daß die Rspr. mit ihren tastenden Versuchen, bei großer, wenn auch nicht
sicherer Erfolgsabwendungsmöglichkeit und bei einem im Falle des gebotenen Handelns je- handlung bringt, ist für den Tod verantwortlich, w e n n solche Behandlung eine
denfalls längeren Leben des Patienten den Erfolg zuzurechnen, tendenziell auf dem rechten Überlebenschance eröffnet hätte, nicht aber, wenn feststeht oder nicht auszu-
Wege ist. Denn in den meisten Fällen dieser Art hätte der Kausalverlauf eine andere, risiko- schließen ist, daß ärztliche Hilfe ohnehin zu spät gekommen wäre." U n d wenn Ru-
mindernde Wendung genommen. Auch die Auffassung, die meist nur an den Begehungsdelik-
ten exemplifiziert wird und die auf den Kausalverlauf in seiner ganz konkreten Gestalt ab- dolphi87 betont, die gefahrmindernde W i r k u n g könne „allein darin bestehen" daß
stellt, zeigt hier ihren richtigen Kern. Entsprechendes gilt für Frischs Lehre vom erlaubten der Kausalverlauf zugunsten des Opfers verändert werde, so werden auf diese Wei-
Restrisiko. Denn was bei einer erwiesenen Risikominderung übrigbleibt, ist ein erlaubtes se nichtkausale Unterlassungen implizit von der Erfolgszurechnung ausgeschlos-
Restrisiko, das an der Verursachung des unerlaubten Risikos und seiner Verwirklichung nichts
ändert. sen. Im übrigen neigen aber die Vertreter beider Ansichten zur einseitigen Verab-
solutierung ihres Standpunktes.
59 Anders ist es aber, wenn nicht m i t an Sicherheit grenzender Wahrschein-
lichkeit feststeht, daß das gebotene Handeln den Kausalverlauf überhaupt b e - «4 Brammsen, MDR 1989,123 f.
85 So ausdrücklich Stratenwerth, AT3, Rn. 1028, nicht mehr so deutlich ders., AT4, §13,
Rn. 56.
8' Schünemann, StV 1985, 229, 232 f.
86 Stratenwerth, AT 3 , R n . 1028, s i n n g e m ä ß e b e n s o ders., A T 4 , § 13, R n . 5 6 .
82 Vgl. Roxi», AT l3, § 11, Rn. 20/21.
87 SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 16 a.
w Frisch, 1988, 546 ff.
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§ 31 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen V § 31

62 Im geschilderten Sinne wäre auch die Rspr. zu differenzieren. Wenn man z. B. der gesetzmäßigen Bedingung nicht arbeiten, weil das Handeln des Oberarztes als
nicht weiß, ob ein betrunkener Kraftfahrer durch Zureden v o m Weiterfahren hätte frei zu denken und jedenfalls keiner naturgesetzlichen Berechnung zugänglich ist.
abgehalten werden können, kann das unterlassene Zureden nicht zur Zurechnung Jedoch wäre nach normativen Maßstäben mit der Meldung an den Oberarzt eine
des Erfolges führen (so auch B G H N J W 1954,1047 f.); denn es steht nicht fest, ob neue Situation entstanden. Der Stationsarzt wäre entlastet gewesen, und das G e -
der Kausalverlauf überhaupt abänderbar war. Dagegen ist die unterlassene Anbrin- schehen hätte im Verantwortungsbereich des Oberarztes gelegen, was den dann
gung von Warnlampen an einer Baugrube entgegen O L G H a m m N J W 1959,1551 einsetzenden Kausalverlauf zu einem anderen gemacht hätte. Die unterlassene In-
für einen Unfall ursächlich, w e n n ihr Vorhandensein den Unfall verhindert hätte. formation des Oberarztes führt also dazu, dem Stationsarzt den Erfolg als fahrläs-
Die Möglichkeit, daß Unfugstifter die Warnlampen entfernt hätten, hätte einen sige Tötung zuzurechnen, ohne daß es auf die Spekulationen des B G H ankommt,
anderen Kausalverlauf bedeutet, der die Zurechnung des tatsächlichen Geschehens wie der Oberarzt sich wohl verhalten haben würde. Anders entscheidet freilich
nicht ausschließt. Wer es unterläßt, bei einem Brand seine Kinder in die Arme u n - B G H N J W 2000, 2757, w o eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen abgelehnt
ten aufgestellter Helfer zu werfen, ist für ihren Tod in den Flammen ursächlich, wird, weil es sich „nicht von selbst" verstanden hätte, daß eine Meldung an die
obwohl der Wurf aus dem Fenster ebenfalls ein - geringeres - Risiko tödlichen vorgesetzte Behörde die Einstellung einer verfehlten Behandlungspraxis zur Folge
Ausganges in sich geborgen hätte. Es k o m m t also nicht darauf an, ob das Hinaus- gehabt hätte.
werfen das Leben der Kinder mit Sicherheit gerettet hätte (so aber B G H M D R
(D) 1971, 361 f.).88 Viele Entscheidungen lassen keine eindeutige Beurteilung zu, 5. D i e Unterlassungskausalität bei Kollegialentscheidungen
weil sie der hier vertretenen Differenzierung keine Beachtung schenken.
Wieder anders stellt sich das Kausalproblem bei Kollegialentscheidungen. Ist, 65
63 De lege ferenda kann man freilich darüber streiten, ob es nicht kriminalpolitisch wün- wenn durch einstimmigen Vorstandsbeschluß ein gebotenes Handeln unterlassen
schenswert wäre, alle Fälle zu bestrafen, in denen ein Garantenunterlassen auch nur ex ante
eine realistische Chance der Erfolgsabwendung geboten hätte. Besonders dringlich ist das Pro- wird, jedes Vorstandsmitglied für den Erfolg kausal, oder kann sich der einzelne
blem bei der Vernachlässigung von Aufsichts- und Kontrollpflichten in Betrieben (vgl. schon darauf berufen, daß seine Gegenstimme nichts genützt hätte, weil auch in diesem
oben Rn. 50 zu BGHSt 25,163). Denn einerseits gibt es kaum Überwachungsmaßnahmen, die Falle das gebotene Handeln von der Mehrheit abgelehnt und somit nicht erfolgt
jeglichen Schadenserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abwenden. Ande-
rerseits kann die meist fehlende Möglichkeit des Kausalitätsnachweises dazu verleiten, es mit wäre? Der B G H hat im Lederspray-Urteil (BGHSt 37, 131) eine Kausalität mehr
der Überwachung nicht so genau zu nehmen, was die Effektivität der Garantengebote sehr statuiert als begründet: „Kann die zur Schadensabwendung gebotene Maßnahme,
vermindern würde. Schünemarw89 hat deshalb die Einführung eines § 13 II vorgeschlagen: hier der von der Geschäftsleitung zu beschließende R ü c k r u f (eines gefährlichen
„Wird der Erfolg durch weisungsgebundenes Handeln für einen Betrieb oder mit einem
gefährlichen Gegenstand des Betriebsvermögens herbeigeführt, so findet § 13 I auf den Wei- Produkts), nur durch das Zusammenwirken mehrerer Beteiligter zustande
sungsberechtigten auch dann Anwendung, wenn die Tat bei ordnungsmäßiger Kontrolle kommen, so setzt jeder, der es trotz seiner Mitwirkungskompetenz unterläßt,
wesentlich erschwert worden wäre." Es bedarf weiterer Diskussion, ob eine solche Vorschrift seinen Beitrag dazu zu leisten, eine Ursache dafür, daß die gebotene Maßnahme
notwendig ist oder vielleicht sogar auf ärztliche Versäumnisse oder das gesamte garanten-
pflichtwidrige Unterlassen erstreckt werden sollte. unterbleibt; innerhalb dieses R a h m e n s haftet er für die sich daraus ergebenden
tatbestandsmäßigen Folgen . . . Dabei kann er sich nicht damit entlasten, daß sein
Bemühen, die gebotene Kollegialentscheidung herbeizuführen, erfolglos g e -
4. D i e Kausalität des Unterlassens, w e n n das gebotene Handeln nur über blieben wäre, weil ihn die anderen Beteiligten im Streitfall überstimmt hätten.
das freie und verantwortliche Verhalten eines Dritten zur Erfolgsab- Von seiner strafrechtlichen Mitverantwortung wäre er nur befreit, w e n n er alles
w e n d u n g geführt hätte ihm Mögliche und Zumutbare getan hätte, u m den gebotenen Beschluß zu er-
64 Als kausal wird man auch den Fall ansehen müssen, daß das gebotene Handeln wirken."
nur über den freien Willen eines anderen zur Erfolgsabwendung geführt hätte: 9 0 Das Kausalitätsproblem würde sich in diesem Falle entschärfen, wenn man die 66
Der Stationsarzt, der wegen fehlender Kenntnisse und Erfahrungen den Erfolg ex ante bestehende Möglichkeit einer Erfolgsabwendung genügen ließe. D e n n
nicht selbst abwenden kann, unterläßt es, den Oberarzt auf einen besorgniserre- nicht selten wird man sagen können, daß ein Widerspruch (hier: das Verlangen
genden Krankheitsverlauf hinzuweisen, worauf der Patient verstirbt. Daß der eines Rückrufs) eine reale Chance zur Herbeiführung der gebotenen Entscheidung
Oberarzt bei einem Hinweis erfolgsabwendend eingegriffen hätte, ist wahrschein- eröffnet hätte. Doch wurde schon gezeigt, daß dieser Weg nicht gangbar ist
lich, aber nicht sicher (BGH N S t Z 1986, 217). Hier kann man mit dem Kriterium (Rn. 59 f.). Auch durch eine Mittäterschaftskonstruktion 9 1 kann man das Kausal-
problem irrelevant machen. D e n n da es für die Mittäterschaft ausreicht, daß der
88
Näher Herzberg, MDR 1971, 881 ff. Beitrag des Mittäters bei einer Beurteilung ex ante für den Geschehensablauf hätte
89
Schünemann, 1979, 207.
90 91
Näher Kahlo, GA 1987, 66 ff., der im Ergebnis wie der Text entscheidet. In diesem Sinne Brammsen, Jura 1991, 533, 537 f.
648 649
§ 31 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31
relevant sein können (auch w e n n sich hinterher herausstellt, daß er es nicht
war), 9 2 und da im übrigen das Gesamtgeschehen allen Mittätern zugerechnet VI. D i e A b g r e n z u n g von B e g e h u n g und Unterlassung
wird, k o m m t es bei A n n a h m e einer Mittäterschaft auf die tatsächlichen Auswir- 1. Notwendigkeit und Bedeutung der A b g r e n z u n g
kungen des Einzelvotums nicht an. Gleichwohl bedarf die Kausalfrage der Ent-
Die Abgrenzung von Begehung und Unterlassung ist ein altes und immer noch 69
scheidung. D e n n bei fahrlässigen Delikten, die in diesem Bereich im Vordergrund
umstrittenes Problem. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus der im Verhältnis zum
stehen, ist nach h. M . eine Mittäterschaft nicht möglich. U n d auch wenn man ihre
Begehungsdelikt eingeschränkten Strafbarkeit des nur Unterlassenden (§13 I;
Möglichkeit anerkennt, werden ihre Voraussetzungen oft nicht vorliegen (z. B.
R n . 4), aus der auch bei einer Gleichstellung mit dem Begehungsdelikt beim U n -
wenn die Untätigkeit nicht auf einem Beschluß der Kollegen, sondern auf indivi-
terlassen möglichen Strafmilderung (§ 13 II) und aus den mannigfachen dogmati-
dueller Nachlässigkeit jedes einzelnen beruht).
schen Unterschieden zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten ( R n . 1).
Im Ergebnis ist dem B G H recht zu geben. W e n n im Lederspray-Fall alle M i t -
Gleichwohl wird das Gewicht der Unterscheidung nicht einheitlich beurteilt. 70
glieder der Geschäftsleitung gegen den R ü c k r u f des gefährlichen Produktes v o -
Wer das Strafrechtssystem auf ontische Vorgegebenheiten gründet, wird der
tiert haben, ist ihre Stimmabgabe in den Unterlassungsentschluß eingegangen, der
vorrechtlichen Differenzierung zwischen aktivem Tun („Energieaufwand in
den Erfolg herbeigeführt hat. Wer aber für den Unterlassungsentschluß mitursäch-
einer bestimmten Richtung") und Passivität („Nichtaufwand von Energie in
lich ist, ist auch für den daraus entstehenden Schaden ursächlich. 93 Mit Recht sa-
einer bestimmten Richtung") 9 7 große dogmatische Bedeutung beimessen. So
gen Beulke/Bachmann:94 „Das unterbliebene Abstimmen für einen R ü c k r u f durch
sah Radbruch98 als Vertreter eines natürlichen (kausalen) Handlungsbegriffes durch
jedes einzelne Geschäftsführungsmitglied war Bedingung für einen mehrheit-
die Unterscheidung das gesamte Strafrechtssystem „in zwei Teile zerrissen", so daß
lichen Geschäftsführungsbeschluß gegen den Rückruf. Ein Mehrheitsentscheid
man konsequenterweise zwei verschiedene Systeme nebeneinanderstellen müßte.
ohne die Stimme des jeweiligen Geschäftsführers, also in anderer Konstellation,
Auch das aus finalistischer Sicht von Armin Kaufmann entwickelte „Umkehr-
hätte zwar einen solchen R ü c k r u f auch nicht herbeigeführt; diese andere hinrei-
prinzip" ( R n . 2, 3) beruht auf einer absoluten Entgegensetzung von Tun und U n -
chende Erfolgsbedingung ist tatsächlich aber nicht wirksam geworden." Anderen-
terlassen.
falls käme man zu dem absurden Ergebnis, daß überhaupt niemand kausal wäre,
weil sich jeder darauf berufen könnte, daß sein Votum an der Mehrheitsentschei- Wenn man dagegen das System, wie es hier geschieht, nach kriminalpolitischen 71
dung nichts geändert hätte. Es steht hier ähnlich wie mit den hypothetischen Kau- (oder anderen normativen) Gesichtspunkten konzipiert, wird man geneigt sein,
den Unterschied zu relativieren. 99 So habe ich schon früh 1 0 0 darauf hingewiesen,
salverläufen beim Begehungsdelikt, w o derjenige, der den Erfolg verursacht hat,
daß die von mir zuerst beschriebene Kategorie der Pflichtdelikte den seinsstruk-
seine Kausalität auch nicht durch den Einwand hinweginterpretieren kann, daß
turellen Unterschied von Begehen und Unterlassen weitgehend irrelevant
sonst ein anderer den Erfolg herbeigeführt hätte. 9 5
macht: „ O b ich als Vermögensfürsorgepflichtiger den Auftraggeber dadurch schä-
Zu weit geht es demgegenüber, wenn das OLG Stuttgart 96 das Mitglied eines Kollegial- dige, daß ich eine notwendige Handlung absichtlich unterlasse, oder dadurch, daß
organs auch dann für den Erfolg zur Verantwortung ziehen will, wenn es gegen die diesen ver-
ursachende Entscheidung gestimmt hat. Es ist zwar richtig, wenn es dort heißt: „Soweit alle ich eine nachteilige Handlung vornehme", macht tatbestandlich ebensowenig ei-
Stimmen zusammengenommen die Entscheidung ausmachen, müssen sie auch zusammen als nen Unterschied wie die Frage, „ob der Gefängnisaufseher es bewußt unterläßt,
für den Erfolg kausal angesehen werden." Keinen Beifall verdient aber die weitere These, es die Tür abzuschließen, oder ob er den Häftlingen die Befreiung durch Zustecken
würde „dem Wesen einer Unterwerfung unter die Kollektiventscheidung widersprechen,
wenn man sich der damit übernommenen Mitverantwortung durch schlichtes Dagegenstim- des Schlüssels - also ein positives Tun - ermöglicht". Auch ist es - unter noch nä-
men entziehen könne." Denn das „Dagegenstimmen" wirkt nicht auf die Entscheidung ein, die her zu klärenden Voraussetzungen - ggf. möglich, ein seinsstrukturelles Tun (z. B.
den Erfolg herbeiführt, und ist insoweit nicht kausal. das Abschalten eines Beatmungsgerätes) als Unterlassen (nämlich als Unterlassen
weiterer Behandlung) zu verstehen u n d auf solche Weise die ontischen Differen-
zen einzuebnen (vgl. R n . 115 ff).

« Vgl. oben § 25, Rn. 211 ff. (213).


« Im wesentlichen ebenso Beulke/Bachmann, JuS 1992, 737 ff. (742f.); Kuhlen, NJW 1990,
566 ff; Meier, NJW 1992, 3193 ff. Ähnlich auch Puppe (JR 1992, 30 ff), die eine „Mehrfachkau- 97 Engisch, Gallas-FS, 1973,167 im Anschluß an frühere Arbeiten.
salität" annimmt. Teilw. abw. Samson (StV 1991,182 ff), der solche Mitglieder der Geschäftslei- 98 Vgl. Roxin, AT l3, § 8, Rn. 14 f.
tung von der Erfolgszurechnung ausschließen will, die vor der uneinsichtigen Mehrheit der 99 Das wird sehr gut herausgearbeitet bei Volk, Tröndle-FS, 1989, 219 ff, der die Unterschei-
Geschäftsführer resigniert haben. Ähnlich wie Samson auch SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 16 b. dung von Tun und Unterlassen für kriminalpolitisch bedeutungslos hält. Auchjakobs und seine
9" Beulke/Bachmann, JuS 1992, 744. Schule haben diesen Gedanken weiterverfolgt; vgl. nurJakobs, 1996, 36 ff; Sanchez-Vera, 1999.
« Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 22. Von einer Verwandtschaft von Tun und Unterlassen spricht Arzt, JA 1980, 554 f.
100
% OLG Stuttgart NStZ 1981, 28. Roxi«,Täterschaft, 72000, 461.
650 651
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31
72 Gleichwohl kann auf die Abgrenzung nicht verzichtet werden. Denn Abwei- Zur Abgrenzung sind zahlreiche Lösungsansätze entworfen worden, 105 die 75
chungen des ontischen Substrats können auch bei identischen normativen Maß- heute nur noch teilweise bedeutsam sind und die sich jedenfalls in zwei große Mei-
stäben differenzierte Lösungen erzwingen (vgl. schon Rn. 3). So wird etwa im nungsgruppen zusammenfassen lassen. Die erste, die die Rspr. des BGH be-
Beispiel der Gefangenenbefreiung das Ansetzen zum Versuch (§ 22) im Falle posi- herrscht, stellt auf eine Wertung nach dem sozialen Sinn, nach der Richtung des
tiven Tuns auf den Zeitpunkt der Schlüsselhingabe anzusetzen sein. Wann der Ver- Vorwurfs oder dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit ab. Sie geht auf Mezger106
such aber beim Nichtverschließen der Tür beginnt, ist unter Berücksichtigung der zurück, demzufolge die Abgrenzung von Tun und Unterlassen „nicht nach der
bei Unterlassungen vorliegenden Gegebenheiten selbständig zu bestimmen. äußeren Gestaltung des einzelnen Falles, sondern allein danach beantwortet wer-
den kann, wogegen der rechtliche Vorwurf sich jeweils richtet". Die Unterschei-
2. Die Abgrenzung bei zweideutigen Verhaltensformen dung sei also „keine Tatsachen-, sondern eine Wertungsfrage". Diese Methode fuhrt
73 Im Normalfall ist die Abgrenzung einfach und mit Begriffen wie erfolgsbe- ihn z. B. im Apotheker- und Ziegenhaarfall zur Annahme eines Unterlassungsde-
wirkendes Tun und Untätigkeit, Aktivität und Passivität, Energieaufwand und likts,107 (was bei fehlender Unterlassungskausalität oder Ablehnung einer Garan-
Nichtaufwand von Energie unschwer zu bewältigen. Daß es ein Begehungsde- tenstellung ggf. zum Freispruch fuhren kann), während er im Lastzugfall ein Be-
likt ist, wenn jemand einen anderen mit tödlicher Wirkung ins Wasser stößt und gehungsdelikt annehmen will, weil nicht „die Nichteinhaltung eines bestimmten
daß nur eine Unterlassungsstrafbarkeit in Frage kommt, wenn jemand einen von Abstandes", sondern die Tatsache, „daß der Angeklagte durch sein Überfahren posi-
selbst ins Wasser Gestürzten nicht rettet, wird niemand bezweifeln. Umstritten tiv den Tod des Radfahrers veranlaßt" habe, „im Vordergrund" stehe.108
sind aber die Fälle, in denen einerseits ein Tun vorliegt, andererseits aber eine ge- Während die Entscheidungen des RG und manchmal auch des BGH (BGHSt 76
botene erfolgsverhindernde Maßnahme unterlassen worden ist. 11, lff.) sich zur Abgrenzungsfrage undeutlich verhalten,109 hat sich in der neue-
74 Einige bekannte Beispielsfälle sollen das verdeutlichen: Im „Apothekerfair ren Rspr. eine „Schwerpunkf-Formel durchgesetzt, die zuerst in BGHSt 6, 59
(RGSt 15,151) war ein Kind an Phosphorvergiftung gestorben, nachdem ein Apo- formuliert worden ist (aus Anlaß eines heute anachronistischen Falles von Kuppe-
theker eine phosphorhaltige Medizin, zu deren erstmaliger Herausgabe er durch lei, bei der die „Unzucht" durch Duldung und „tätiges Handeln" gefordert sein
ein ärztliches Rezept befugt war, ein zweites Mal auf Bitten der Mutter ohne konnte). Der Große Senat warnt hier vor der „formalen Überbetonung einer ein-
Rezept herausgegeben hatte. Kommt hier ein Begehungsdelikt (durch Herausgabe zelnen Verhaltensweise". Es könne jeweils nur „auf den Schwerpunkt der Vorwerf-
der Medizin) oder eine Unterlassungstat (durch Nichteinholung einer ärztlichen barkeit ankommen".110 Noch im Jahre 1999 formuliert der BGH (NStZ 1999, 607):
Zustimmung) in Frage? Im „Ziegenhaarfall" (RGSt 63, 211)101 hatte ein Fabrik- „Für die Entscheidung der Frage, ob ein Tun oder Unterlassen vorliegt, kommt es
besitzer durch Milzbrandbazillen verseuchte Ziegenhaare zur Verarbeitung aus- auf den Schwerpunkt des Täterverhaltens an ... Darüber ist in wertender Würdi-
gegeben. Vier Arbeiterinnen starben. Sind sie durch Begehen (Auslieferung der gung vom Tatrichter zu entscheiden."111 Ein Teil der Literatur112 hat sich dieser
Ziegenhaare) oder durch Unterlassen (einer Desinfektion) zu Tode gekommen? Im Auffassung (bisweilen mit leichten Modifikationen)113 angeschlossen.
„Radlampenfall" (RGSt 63, 392)102 war ein Unfall durch Fahren mit unbeleuchte- Demgegenüber gewinnt in der Literatur allmählich eine zweite Meinungs- 77
ten Fahrrädern entstanden. Ist das unter dem Gesichtspunkt des Begehens (Fahren) gruppe die Oberhand. Sie macht die Abgrenzung von Ihn und Unterlassen bei
oder des Unterlassens (der Beleuchtung) zu würdigen? Im „Lastzugfall" (BGHSt ambivalenten Fällen der geschilderten Art vom Vorliegen oder NichtVorliegen
11, l) 1 0 3 war ein Radfahrer durch zu enges Überholen eines Lastwagens tödlich einer Begehungskausalität abhängig. Steht ein aktiver Energieaufwand in ge-
verunglückt. Das wird teils als Begehen (durch Heranfahren), teils als Unterlassen lf)
5 Ausführlich dazu Ulsenheimer, 1965, 103ff; Welp, 1968, 118ff. Gute Übersichten geben
(der Einhaltung des gebotenen Abstandes) beurteilt. Im „Aids-Fall"104 nimmt der Engisch, Gallas-FS, 1973, 169f., und nach dem neuesten Stande der Diskussion Brammsen, GA
HlV-infizierte Täter sexuelle Kontakte mit einem Partner auf und infiziert diesen, 2002,193; Hoyer, 1997, 345ff.; Schneider, 1997, 53ff.
10
6 Mezger/Blei, AT9, 76.
weil er auf die gebotene Benutzung eines Kondoms verzichtet hat. Ist hier straf- K>7 Mezger, StrafR, 31949, XIX (Vorwort zur 2. Aufl.).
rechtlich ein Begehen (sexuelle Betätigung) oder ein Unterlassen (der Kondom- W8 Mezger, JZ 1958, 281, 282. *
benutzung) zu prüfen? W9 Näher dazu Engisch, Gallas-FS, 1973,164 f.
110
Monographie: Stoffers, 1992.
»' Ebenso BGH MDR (H) 1982, 624; OLG Karlsruhe GA 1980, 429 (431); OLG Düsseldorf
101
JMB1. NW 1983,199 (200); OLG Frankfurt GA 1987, 540 (551); OLG Saarbrücken NJW 1991,
Näher dazu unter Zurechnungsgesichtspunkten Roxin, AT l3, § 11, Rn. 68. 3045 (3046); OLG KölnJR 1991, 523 (525).
102
Zu den Zurechnungsproblemen dieses Falles Roxin, AT 1 , § 11, Rn. 72 ff. "2 Vgl.etwaEkrt, AT , 172ff., 173; Geilen, JZ 1968,151; G. £. Hirsch, NJW1969, 854; Odersky,
103
Zu den hier auftretenden Problemen der Risikoerhöhungslehre Roxin, AT 1 , § 11, Tröndle-FS, 1989, 297f.; Preisendanz30, §13, Anm. II 2; Ranft, JuS 1963, 344; ders., JZ 1987,
Rn.76ff. 862; ders., JZ 1987, 916; Sch/Sch/Stree26, vor §§13 ff, Rn. 158; Wessels/Beulke, AT31, Rn.700.
104
Baumann/Weber, AT10, § 15, vor Rn. 1. '« Vgl. dazu etwa die Übersicht bei Sieber, JZ 1983, 433.
652
653
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31

setzmäßigem Zusammenhang mit dem Erfolg, ist ein Begehungsdelikt zu prüfen. momentes, das allen fahrlässigen Delikten eigen ist: der Außerachtlassung der er-
Fehlt es daran, kann ein Unterlassungsdelikt untersucht werden. 1 1 4 Ein solches forderlichen Sorgfalt. Der Eindruck, es handele sich u m ein spezielles, nicht jeder
Verfahren führt in den anfangs geschilderten Fällen ausnahmslos zur Annahme ei- Fahrlässigkeit eigentümliches Unterlassen, entsteht nur dadurch, daß nicht die Er-
ner Begehungstat, während die Vertreter der Schwerpunktformel und anderer bringung einer allgemeinen „Sorgfalt", sondern ein genau,umschriebenes Siche-
wertender Theorien zu wechselnden und auch untereinander abweichenden Er- rungsverhalten unterlassen wird. Dennoch handelt es sich nur u m eine Konkreti-
gebnissen k o m m e n . Auch die These, man müsse „im Zweifel" ein positives Tun sierung des Sorgfaltsgebotes. Man könnte daher theoretisch alle fahrlässigen Taten
annehmen, 1 1 5 ist noch zu ungenau; denn es gibt in diesem P u n k t nichts zu zwei- in Unterlassungsdelikte umdeuten, indem man den Schwerpunkt der Vorwerfbar-
feln. keit im Unterlassen der nötigen Sorgfalt erblickte. Das wird zwar nirgends vertre-
ten. Warum aber der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit teils im Begehens- und teils
78 Richtig ist die zweite Auffassung, wonach ein Fall i m m e r dann unter dem
im Unterlassungsmoment der Fahrlässigkeit liegen soll, bleibt unerklärt. 1 1 7
Gesichtspunkt eines Begehungsdelikts z u erörtern ist, wenn ein aktiver Ener-
gieeinsatz für den Erfolg kausal ist oder doch nach d e m Vorsatz des Täters wer- Viertens läßt es sich auch mit dem Gesetz nicht vereinbaren, durch aktiven 82
den soll. Oder, in der präzisierenden Formulierung von Brammsen:116 „Ein Energie- Energieeinsatz herbeigeführte fahrlässige Erfolgsverursachungen von der Strafbar-
einsatz ist . . . nur dann strafrechtsrelevantes aktives Tun, w e n n eine Person damit keit auszunehmen, indem man sie in nicht garantenpflichtwidrige Unterlassungen
einen Geschehensablauf einleitet, fortführt oder verstärkt, der tatsächlich oder nur umdeutet. § 222 spricht nur von der Voraussetzung, daß jemand „durch Fahr-
nach ihrer Vorstellung in der konkreten Situation zur Beeinträchtigung eines tat- lässigkeit den Tod eines Menschen verursacht" haben muß. Wenn man dies getan
bestandlich benannten Angriffsobjekts geeignet ist." Daß es nach der hier vertrete- hat - wie z. B. der Apotheker durch Ausgabe des todbringenden Medikamentes
nen Auffassung einige Ausnahmen von dieser Regel gibt, die unten (Rn.99ff.) (Rn. 74) - , kann man die Strafbarkeit nicht hinwegdisputieren, indem man den
unter dem Gesichtspunkt des „Unterlassens durch Tun" zusammengefaßt werden, „Schwerpunkt" darauf legt, daß die Einforderung eines ärztlichen Rezepts unter-
lassen wurde.
ändert am Grundsatz nichts. Seine Geltung beruht auf vier Gründen:
79 Erstens bezeichnet die Formel vom Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit einen Zir- In der Praxis treten die geschilderten Fälle häufig in der Variante auf, daß der Erfolg mög- 83
kelschluß. D e n n natürlich richtet sich bei Begehungsdelikten der „Vorwurf" gegen licherweise auch bei einer Vornahme der unterlassenen Sicherheitsvorkehrungen eingetreten
wäre. Das ist dann eine Zurechnungsfrage, die sich danach entscheidet, wie man zur Anwen-
das Begehen und bei Unterlassungsdelikten gegen das Unterlassen. U m aber zu dung der Risikoerhöhungstheorie bei Begehungsdelikten steht.118 Mit der Unterlassungsdog-
wissen, ob man dem Vorwurf diese R i c h t u n g gibt, m u ß man sich zuvor für die matik hat sie nichts zu tun.
A n n a h m e eines Begehungs- oder Unterlassungsdelikts entschieden haben.
Ein weiteres, vielfach nicht oder nur beiläufig behandeltes Problem liegt darin, 84
80 Zweitens ist es noch niemandem gelungen, Maßstäbe dafür anzugeben, wie
ob in Fällen der geschilderten Art neben der Begehungstat auch noch ein selb-
man den „Schwerpunkt" der Vorwerfbarkeit oder den „sozialen Sinn" eines G e -
ständiger W ü r d i g u n g zugängliches Unterlassen gegeben ist, das zum Begehen in
schehens in der Weise bestimmen soll, daß sich eine klare Z u o r d n u n g zur B e -
ein Konkurrenzverhältnis tritt, bei dessen Behandlung man entweder dem Bege-
gehungs- oder zur Unterlassungstat vornehmen läßt. O b man den Vorwurf mehr
hungsdelikt prinzipiell den Vorrang geben oder auch wieder nach dem „Schwer-
gegen das riskante Tun oder gegen das Unterlassen von Sicherungsmaßregeln rich-
punkt der Vorwerfbarkeit" entscheiden kann. Der Meinungsstand darüber ist
ten will, ist ziemlich beliebig und liefert die Abgrenzung einem irrationalen G e -
wenig abgeklärt. 119 Doch lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Positionen
fühlsurteil aus. ausmachen. Nach der einen ist die in der Begehungstat steckende Unterlassung
81 Drittens ist das Unterlassen, das in den vermeintlich zweideutigen Fällen mit „jeder Verselbständigung unzugänglich" und bildet „für eine selbständige Kausa-
dem Begehen verknüpft ist, nur eine Erscheinungsform jenes Unterlassungs- litätsprüfung . . . keinen tauglichen Anhaltspunkt". 1 2 0 Das Unterlassungsmoment
114 in der Begehungstat wird aus dieser Sicht nur „als deren negativ zu bewertende
In der großen Linie stimmen fast alle Spezialarbeiten der letzten Jahrzehnte darin über-
ein: Böhm, 1957,18ff.; Brammsen, GA 2002,193; Engisch, Gallas-FS, 1973,163ff.; Fünfsinn, 1985, Ausführungsmodalität" beurteilt. 1 2 1
42; Grünwald, 1957, 21 ff.; Kienapfel, ÖJZ 1976, 286f.; Küpper, 1990, 73; Roxin, ZStW 74 (1962),
415 (= Grundlagenprobleme, 152); Samso«, Welzel-FS, 1974, 589ff.; Sieber, JZ 1983, 434ff.; Stof-
fers, 1992, 107ff.; ders., GA 1993, 262ff.; Ulsenheimer, 1965, 103; Vogel, 1993, 122ff.; Welp, 1968, Bei Vorsatzdelikten, bei denen sich die Abgrenzungsfrage seltener stellt, gilt grundsätz-
109f. Kritisch gegenüber dem Kausalitätskriterium dagegen Struensee, Stree/Wessels-FS, 1993, lich dasselbe, weil man auch hier den Vorwurf theoretisch gegen das Unterlassen der notwen-
140ff. Aus der Kommentar- und Lehrbuchliteratur: Jakobs, KT2, 28/1; Jescheck/Weigend, AT , digen Sicherungsmaßnahmen richten könnte.
§58 II 2; LKn-Iescheck, vor § 13, Rn.90; Otto, AT6, §9, I 2 a; SK7-Rudolphi, vor §13, Rn.7; »8 Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn.76ff.
119
Welzel, StrafR11, 203; ähnlich Stratenwerth, AT4, § 13, Rn.4f.; unklar Tröndle/Fischer™, vor § 13, Eine zusammenfassende und gute Darstellung liefert Struensee, Stree/Wessels-FS, 1993,
Rn.12. 152 ff.
»5 Spendel und Arthur Kaufmann, Eb. Schmidt-FS, 1961,194 und 212. 12° Wessels, JZ 1967, 450; ebenso wohl BGHSt 8, 8 (11 f.).
121
"6 Brammsen, GA 2002, 206. Wessels, JZ 1967, 451.

654 655
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31
85 Die Gegenmeinung sieht in den verabsäumten Sicherungsmaßnahmen eine
3. Die Bedeutungslosigkeit nichtkausalen Tuns für die Abgrenzung
selbständige und ggf. auch tatbestandsmäßige Unterlassung. So finden z. B. Bau-
mann/Weber122 im Ziegenhaarfall (Rn. 74) in der unterlassenen Desinfektion eine Andererseits gibt es auch Fälle, in denen nur ein Unterlassungsdelikt in Betracht 88
selbständige Unterlassungstat: „Weil die Ziegenhaare zur Aushändigung an die Ar- kommt, weil mit dem Unterlassen zwar ein aktives Tun einhergeht, dieses aber für
beiterinnen bestimmt waren, war bereits ihre Nichtdesinfektion sorgfaltswidrig." den Erfolg nicht kausal ist. BGH NStZ 1999, 607 behandelt den Fall, daß eine
Das führt dann zur Annahme auch eines Unterlassungsdelikts, das freilich hinter Mutter ihre dreijährige Tochter in der Wohnung allein gelassen hatte, ohne die ge-
dem Begehungsdelikt als subsidiär zurücktreten soll. Man mag es als für das Er- botenen Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß das Kind, wie früher schon ge-
gebnis gleichgültig und deshalb unwichtig ansehen, ob man schon das Vorliegen schehen, die Herdplatten mit erheblich gefährdender Wirkung einschalten konnte.
einer Unterlassungstat bestreiten oder sie erst im Konkurrenzwege aus der straf- So geschah es auch jetzt, und es kam infolge der Hitzeentwicklung zu einem Kü-
rechtlichen Würdigung ausschließt. Aber die Frage kann praktische Bedeutung ge- chenbrand, bei dem das Kind erstickte. Das LG hatte hier eine fahrlässige Tötung
winnen: „Denn möglicherweise ist Strafbarkeit ja nur durch Anknüpfung an das durch aktives Tun, nämlich das „Verlassen der Wohnung unter Zurücklassung des
Unterlassen der Desinfektion zu begründen, z. B. weil der Täter bei der Ausgabe Kindes" angenommen. Der BGH gibt demgegenüber im Banne seiner Schwer-
der Haare schuldunfähig war." punkt-Formel zu bedenken, „daß zwar das Verlassen der Wohnung ein aktives Tun
86 Eine zutreffende Lösung wird differenzierend ausfallen müssen. Im Ziegen- darstellt, daß dies für sich genommen aber unschädlich gewesen wäre, wenn es die
haarfall ging die Unterlassung der Desinfektion der Ausgabe der Ziegenhaare vor- Angeklagte nicht unterlassen hätte, für eine anderweitige Aufsicht zu sorgen oder
aus. Zur Zeit der Unterlassung bestand aber noch gar keine „tatbestandsmäßige zumindest den Herd technisch zu sichern".
Situation", die eine Erfolgsabwendungspflicht hätte begründen können. Denn der In der Tat liegt hier eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor. Denn die 89
Plan zur Ausgabe der Ziegenhaare war zu dieser Zeit erst ein „täterpsychischer Mutter nahm eine Garantenstellung ein, und die vom BGH genannten Maßnah-
Vorgang"123 und lag im Vorfeld einer noch gar nicht existierenden gefährdenden men hätten den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewen-
Handlung. Wäre also der Täter bei Ausgabe der Haare unzurechnungsfähig, könn- det. Die Ablehnung eines Begehungsdeliktes beruht aber nicht, wie der BGH
te entgegen der Rn. 85 dargestellten Konkurrenzlösung eine Strafbarkeit wegen meint, auf einer schwerpunktorientierten Abwägung, sondern darauf, daß das
fahrlässiger Tötung nicht auf eine im früheren zurechnungsfähigen Zustand unter- Weggehen der Mutter für den Erfolg überhaupt nicht kausal ist. Nicht das Verlas-
lassene Desinfektion gestützt werden. Denn damals bestand in Ermangelung einer sen der Wohnung steht in einem gesetzmäßigen Zusammenhang mit dem Erfolg
gefährdenden Situation überhaupt noch keine Handlungspflicht, so daß es an ei- — dieser wäre bei einem untätigen oder anderweitig tätigen Verbleiben in der
nem tatbestandsmäßigen Unterlassen fehlt. Es wäre freizusprechen. Wohnung derselbe gewesen - , sondern allein das Unterlassen geeigneter Vorkeh-
87 Es kann aber auch die unterlassene Sicherungsmaßnahme mit der gefährdenden rungen zur Abwendung des Erfolges.
Begehungstat zeitgleich sein, und dann ergibt sich eine andere Situation. Wenn Man muß also stets beachten, daß die Tätigkeit, die ein unterlassender Ga- 90
z. B. im Radlampenfall (Rn. 74) der Radler die Beleuchtung jederzeit und auch in rant anstelle der erfolgsabwendenden Handlung vorgenommen hat, aus einem
der gefährlichen Situation des unmittelbar bevorstehenden Zusammenstoßes mit Unterlassungsdelikt niemals - auch nicht durch eine Schwerpunktverlagerung
erfolgsverhindernder Wirkung hätte einschalten können, läge neben dem Begehen - ein Begehungsdelikt machen kann. Mit Recht nennt es Engisch124 „Gemeingut
auch ein Unterlassen vor. Bestreitet man eine Garantenstellung, kommt neben der strafrechtlichen Dogmatik ..., daß die Tatsache, daß der Unterlassende etwas
dem fahrlässigen Begehungsdelikt nur eine zusätzliche Bestrafung wegen unter- Bestimmtes nicht tut, vereinbar ist damit, daß er gleichzeitig etwas anderes tut
lassener Fahrradbeleuchtung in Frage. Bejaht man eine Garantenstellung (etwa aus (der Schrankenwärter, der die Schranke nicht schließt, arbeitet derzeit in seinem
vorangegangenem Tun), liegt in der Tat auch ein Erfolgsdelikt in Gestalt fahrlässi- bei dem Wärterhaus befindlichen Garten)". Wenn es anders wäre, müßte ja auch
gen Unterlassens vor, das aber gegenüber dem fahrlässigen Begehungsdelikt subsi- ein Nichtgarant, der z. B. davongeht, anstatt den Ertrinkenden zu retten, Bege-
diär ist. hungstäter eines Tötungsdelikts sein können (anstatt nach § 323 c bestraft zu wer-
den). Davon kann natürlich nicht die Rede sein.
Man darf-die Abgrenzungsfrage auch dann nicht für ein rein theoretisches Problem ohne 91
praktische Bedeutung halten, wenn der Täter, wie im Ausgangsfall (Rn. 88), auf Grund seiner
Garantenstellung so oder so wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen ist. Denn bei der richtigen
Annahme eines bloßen Unterlassens besteht eine Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 II, die
bei einem Begehungsdelikt entfällt.
122
Baumann/Weber, AT10, § 15, Rn. 27; hier auch das Zitat am Ende des Absatzes.
123
Näher zum Ganzen Struensee, Stree/Wessels-FS, 1993,156. ™ Engisch, Gallas-FS, 1973,174.
656 657
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31

4. Verhaltensformen m i t fehlendem oder g e r i n g e m Energieaufwand 5. D i e Sukzession von Verhaltensformen 1 3 3


92 Einige Abgrenzungsschwierigkeiten machen auch die „Verhaltensformen mit Verhältnismäßig geringe Schwierigkeiten bereitet der Fall, daß ein tatbestands- 96
geringem Energieaufwand" 125 . Ist ein Mädchen - ggf. mit dem Ergebnis strafba- mäßiger Erfolg eintritt, weil einem Tun die Unterlassung, einer Sicherungsmaß-
rer vorsätzlicher Sachbeschädigung - als Begehungstäterin kausal, wenn sie durch nahme nachfolgt. 134 Es wird etwa eine Baugrube ausgehoben, hernach aber deren
ihre bloße Anwesenheit ihren imponiersüchtigen Freund zu Zerstörungen m o t i - Sicherung unterlassen, so daß ein Passant hineinstürzt und sich ein Bein bricht.
viert? 1 2 6 O d e r kann man d e m teilnahmslosen Zeugen eines Überfalls eine B e - Oder: Eine Mutter stellt beim Saubermachen ein Gefäß mit Fliegengift auf den
gehungskausalität zuschreiben, w e n n er durch sein Vorhandensein dazu beiträgt, Boden; in einem unbewachten Augenblick trinkt ihr zweijähriges Kind von der
das nicht zwischen Täter und Zeugen unterscheidende Opfer einzuschüchtern? Flüssigkeit und trägt schwere Verletzungen davon. 135
Richtig ist die heute vorherrschende Auffassung, daß das „Dasein" eines Menschen In Fällen solcher Art ist es entsprechend dem oben ( R n . 78 ff.) Dargelegten nicht 97
als solches keine Begehungskausalität begründen kann; es fehlt der positive Ener- richtig, die Vorgänge zu einem einheitlichen Verletzungsgeschehen zusammenzu-
gieaufwand. 127 Vielmehr bedarf es für ein Begehungsdelikt „einer kumulativen fassen und dann nach dem „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" oder dem „sozialen
Kombination von Kausalitäts- und Energiekriterium", 128 was sich für die hier ver- Sinn" zu entscheiden, ob eine Begehungs- oder eine Unterlassungstat vorliegt.
tretene Auffassung auch schon aus der Anerkennung einer Unterlassungskausalität Vielmehr sind das Tun und das Unterlassen jeweils selbständig zu prüfen.
ergibt. So ist das Ausheben der Baugrube sicher ein für den Erfolg ursächliches Tun. S o - 98
93 Der Freundin oder dem Zeugen unserer Beispiele kann also allenfalls ein U n - weit es aber, wie in der Regel, durch zivil- und öffentlich-rechtliche Vorschriften
terlassen vorgehalten werden; beim Fehlen einer Garantenstellung ist mithin nur gerechtfertigt ist, scheidet eine Bestrafung unter diesem Gesichtspunkt aus. Das än-
§ 323 c zu prüfen. Dies alles m u ß deswegen betont werden, weil die Rspr. dazu dert jedoch nichts an einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger (oder ggf. auch vorsätz-
neigt, das „Dabeistehen" oder auch „Dabeisitzen" (etwa bei einem erpresserischen licher) Körperverletzung durch Unterlassen; denn es bestand eine aus der Verkehrs-
Gespräch) als psychische Beihilfe durch aktives Tun zu bestrafen und dadurch die sicherungspflicht abzuleitende Garantenstellung. Auch im Fliegengiftfall ist es
Strafbarkeit zu überdehnen. Das ist schon im Zusammenhang mit der Beihilfe nicht etwa „ganz sinnwidrig" 1 3 6 ihn unter dem Gesichtspunkt einer Körperverlet-
näher erörtert worden; 1 2 9 darauf sei hier verwiesen. zung durch positives Tun zu behandeln. Eine solche ist vielmehr zu bejahen, wenn
94 Im übrigen bedarf es aber keines quantitativ erheblichen Energieeinsatzes, schon das Hinstellen des Giftes unter Umständen erfolgte, die eine nicht sicher
u m ein Begehungsdelikt z u begründen. Wenn also „ein Kraftwagen durch beherrschbare Gefahr für das Kind in sich bargen. Wenn dagegen eine Ü b e r w a -
gleichmäßiges ruhiges Treten auf das Gaspedal in Gang gehalten wird", 130 ist dies, chung ohne weiteres möglich war, kann das Hinstellen ein erlaubtes Risiko und
sofern es für einen strafrechtlichen Erfolg kausal ist, unter dem Gesichtspunkt deswegen strafrechtlich irrelevant sein. D a n n ist die mangelnde Beaufsichtigung
eines Begehungsdeliktes zu prüfen. Auch w e n n ein Gärtner, der ein Bassin mit als Körperverletzung durch Unterlassen zu ahnden. Wenn im Einzelfall sowohl ein
Wasser füllen will, den Schlauch in der H a n d behält und weiterhin Wasser in das Begehen wie ein Unterlassen vorliegt, richtet sich deren Verhältnis zueinander
Schwimmbecken laufen läßt, so daß das hineingestürzte Kind ertrinkt, liegt ein nach Konkurrenzgrundsätzen.
Begehungsdelikt vor. 131
95 Selbst „innere Energie" 132 kann ausreichen, sofern ein äußerlich untätiges Ver- 6. Unterlassen durch I h n
halten einen strafrechtlich relevanten „positiven" Äußerungswert hat. Wenn also Die prinzipielle Abgrenzung von Tun und Unterlassen, wie sie bisher dargelegt 99
ein Fahrgast auf die Frage des Schaffners: „Noch jemand ohne gültigen Fahraus- wurde, folgt dem ontisch-phänomenologischen Befund. Ein für den Erfolg kausaler
weis?" ostentativ schweigt, erklärt er schlüssig, eine gültige Fahrkarte zu besitzen, Energieaufwand (also eine Aktivität) wird als Tun, ein für den Erfolg kausaler Nicht-
und verübt i.S.d. § 263 eine Täuschung durch Begehen. aufwand von Energie (also ein passives Verhalten) als Unterlassung gedeutet. Gleich-
wohl schließt dies nicht aus, bei einzelnen Fallkonstellationen ein Tun aus einem
Unterlassungstatbestand zu bestrafen. Ich nenne das „Unterlassen durch Tun" 137 .
125 Ausdruck von Sieber, }Z 1983, 432.
126 Beispiel von Sieber, JZ 1983, 434. 133 Ausdruck von Welp, 1968,116.
127 Sieber, JZ 1983, 434 ff. (ausfuhrlichste Behandlung der Problematik). »4 Zu solchen Konstellationen Herzberg, 1972, 284ff.; Welp, 1968,116ff.
128 Sieber, JZ 1983, 435. 135 Der Fall stammt von Eb. Schmidt, 1939, 79.
129 Vgl. oben § 26, Rn. 186ff., 204ff. »6 So aber Eb. Schmidt, 1939, 79.
130 Engisch, G a l l a s - F S , 1973,172. 137 Diese Rechtsfigur ist vor allem durch v. Oberbeck (GerS 88 (1922), 319 ff.) unter dem Titel
i3i Sieber, JZ 1983, 432 in Abwandlung eines Falles von Herzberg, 1972, 277 f. „Unterlassung durch Begehung" in die Diskussion eingeführt, durch Androulakis (1963,152 ff.)
132 Engisch, Gallas-FS, 1973,172. der Vergessenheit entrissen und durch meine Abhandlung in der Engisch-FS, 1969, 380 ff. an

658 659
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
tretenden Zugzusammenstoß k o m m e n zahlreiche Menschen ums Leben. Nach
100 Allerdings ist schon die Möglichkeit einer solchen Konstruktion umstritten. Sie
allgemeiner Ansicht liegt hier ein Tötungsdelikt durch Unterlassen vor, obwohl
wird etwa bei Otto128 als „begriffsnotwendig ausgeschlossen" bezeichnet. Aber so
die strafrechtliche Zurechnung ontologisch gesehen nicht an ein Unterlassen, son-
ist es nicht. D e n n zwar würde eine untragbare Begriffsverwirrung entstehen,
dern an ein Tun (das Sich-Betrinken) anknüpft. Ein Unterlassen k o m m t im
w e n n man ein Tun zu einem Unterlassen erklären würde. Dagegen ist es sehr wohl
Geschehensablauf überhaupt nicht vor. D e n n das Sich-Betrinken ist ein aktives
möglich, ein Tun einem Unterlassungstatbestand zu unterstellen, w e n n normative
Handeln, und das spätere Versäumen der Weichenstellung ist auch kein Unterlas-
Gründe dies gebieten. Das Tun bleibt Tun, aber es wird in einem solchen Fall aus
sen, weil es dem Täter in diesem Zeitpunkt an der Handlungsfähigkeit fehlt, die
einem Unterlassungstatbestand bestraft. Es geht auch nicht darum, die „Schwer-
eine Voraussetzung des Unterlassens ist (vgl. R n . 8 ff.). So bleibt ein Unterlassen
p u n k t - F o r m e l oder die Abgrenzung nach dem „sozialen Sinn" ( R n . 75, 76) durch
durch Tun. 1 4 3
die Hintertür wieder einzuführen. Vielmehr handelt es sich u m fest umrissene
Entsprechendes gilt auch für echte Unterlassungsdelikte. Wer den Brief, der den 104
Konstellationen, die aus genau angebbaren Gründen nach Unterlassungsregeln zu
anzeigepflichtigen Verbrechensplan enthält, ungelesen vernichtet, macht sich nach
behandeln sind.
§ 138 strafbar, obwohl er zu einer Anzeige nicht mehr in der Lage ist. Wer das Boot
a) D i e aktive Teilnahme a m Unterlassungsdelikt zerstört, ohne das er den Ertrinkenden nicht erreichen kann, macht sich der unter-
101 Wenn jemand den nach § 138 Anzeigepflichtigen (etwa bei einem bevorstehen- lassenen Hilfeleistung schuldig, obwohl keine Hilfe mehr möglich war usw. 144
den Totschlag) oder einen nach § 323 c Hilfeleistungspflichtigen anstiftet, keine Das Ergebnis ist allgemein anerkannt, die B e g r ü n d u n g schwierig. Daß der Tod 105
Anzeige zu erstatten bzw. keine Hilfe zu leisten, ist er wegen Anstiftung aus den der Fahrgäste, des Verbrechensopfers oder des Ertrinkenden demjenigen, der seine
Tatbeständen und damit auch nach dem Strafrahmen der §§ 138, 323 c zu bestra- Erfolgsabwendungsfähigkeit vernichtet hat, nicht als vorsätzliches Tötungsdelikt
fen. Entsprechendes gilt für die Beihilfe. Der Teilnehmer wird also nicht etwa bei durch Begehen zugerechnet werden kann, ist freilich klar. D e n n erstens fehlt es an
bestehendem Vorsatz wegen Totschlag durch aktives Handeln bestraft, w e n n der der Kausalität: 145 Es wurde kein rettender Kausalverlauf verhindert - was für eine
Bedrohte infolge der Anstiftung zu Tode k o m m t . Dies haben zwar Armin Kauf- Begehungskausalität ausgereicht hätte — , 146 weil der seine Handlungsfähigkeit
mann und Welzeß2'9 vertreten, aber sie sind damit auf allgemeine Ablehnung g e - ausschaltende Täter von vornherein nicht handlungswillig war. U n d zweitens
stoßen. 1 4 0 Wir haben hier somit trotz unbezweifelbarer Begehungskausalität die müßte, w e n n man eine Begehungstäterschaft annehmen wollte, auch der Nicht-
Bestrafung aus einem Unterlassungstatbestand vor uns. garant, der seine Handlungsfähigkeit lahmlegt, beim Eintritt eines Todeserfolges
wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes zur Verantwortung gezogen werden.
102 Wenn Samson dem entgegenhält, es gehe dabei nicht um „die Unterscheidung von Be-
gehung und Unterlassung" sondern um „Probleme der Akzessorietät und des Strafgrundes der Das geht aber nicht an, weil im Ergebnis immer nur ein Nichteingreifen in den
Teilnahme" so kann das an der Strafbarkeit als „Unterlassen durch Tun" nichts ändern. Viel- Geschehensablauf vorliegt (einerlei, ob der Entschluß zur Passivität durch U n -
mehr sind die Regeln der Teilnahmelehre der normative Grund dafür, daß eine aktiv-kausale tätigkeit oder durch Beseitigung der Handlungsmöglichkeit verwirklicht worden
Erfolgsbewirkung aus einem Unterlassungstatbestand bestraft wird.
ist).
b) D i e omissio libera in causa Man m u ß also ein solches Verhalten normativ dem jeweiligen Unterlassungstat- 106
103 Als omissio libera in causa 142 bezeichnet man den Fall, daß ein erfolgsabwen- bestand subsumieren, auch wenn es phänomenologisch ein Tun ist. 147 Der Täter
dungspflichtiger Garant seine Handlungsfähigkeit durch aktives Handeln aus- verletzt ein aus der Handlungspflicht abgeleitetes „Verbot, sich zur Erfüllung die-
schließt. Der Weichenwärter versetzt sich z. B. in sinnlose Trunkenheit, u m sich ses Gebotes unfähig zu machen oder sich ihm auf andere Weise zu entziehen". 148
eine spätere Weichenstellung unmöglich zu machen. Bei einem daraufhin ein- Der Verbotsverstoß wird also, weil er Derivat eines Gebots ist, dem Unterlassungs-
aktuellen Problemkonstellationen demonstriert worden. Erschöpfende dogmengeschichtliche tatbestand subsumiert.
Nachweise bei Stoffers, JA 1992,138 ff. Dort werden 140, Fn. 29, auch alle Autoren aufgelistet,
die der Denkfigur des Unterlassens durch Begehen „ausdrücklich positiv" gegenüberstehen.
'*> Otto, AT , § 9 I 2 b. Ähnlich Stoffers, JA 1992, 178: Es würden „durch Gleichsetzung 143
Auch Samson, Welzel-FS, 1974; der gründlichste Kritiker dieser Rechtsfigur, will den
von a und non-a die begrifflichen Grenzen zerschlagen". Grundsätzlich ablehnend etwa auch Ausdruck hier gelten lassen.
Hruschka, Bockelmann-FS, 1979, 421 ff. (433ff.); Samson, Welzel-FS, 1974, 596; wohl auch Sieber, 144 Weitere und ähnliche Beispiele bei Meyer-Bahlburg, GA 1968, 51.
14
JZ 1983, 436. 5 Vgl. Samson, Welzel-FS, 1974, 597 f.
»9 Armin Kaufmann, 1959,190 ff; Welzel, StrafR11, 206. i4* Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 32 f.
14 147
° Vgl. näher oben § 26, Rn. 170f. Damit ist nicht gesagt, daß es immer ein Tun sein muß. Es kann auch ein „Unterlassen
wi Samson, Welzel-FS, 1974, 582. durch Unterlassen" (eine „omissio libera in omittendo") geben; wenn jemand sich etwa durch
142
Androulakis, 1963,156; Maurach, JZ 1961, 377 zieht zur Erklärung die actio libera in causa Unterlassen handlungsunfähig macht. Näher dazu Baier, GA 1999, 274.
heran (dagegen jedoch Bertel, JZ 1965, 53f.); Winter, 2000, 113, 132. Ausführl. Baier, GA 1999, U8 Bertel, JZ 1965, 55.
272. 661
660
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31

107 Baier149 will die Rechtsfigur der omissio libera in causa aufgegeben sehen und de lege feren- reißt, macht er sich beim Eintritt des Todeserfolges eines vorsätzlichen Tötungs-
da entweder § 323 a auf diesen Fall erstrecken oder ihn als Ausnahme zu § 20 betrachten. Doch deliktes schuldig. 153
ist - abgesehen von den geringen Durchsetzungschancen - nicht ersichtlich, warum derartige
Lösungen vorzugswürdig sein sollten. D i e überwiegende Meinung, die am ausführlichsten von Samson154 begründet 111
worden ist, n i m m t demgegenüber ein vorsätzliches Begehungsdelikt bereits
c) D e r abgebrochene Gebotserfüllungsversuch 1 5 0 bei jeder Rückgängigmachung eines beendeten Gebotserfiillungsversuches an.
108 Diese Fallgruppe ist die umstrittenste. Sie sei an zwei Schulbeispielen d e m o n - Der Hilfspflichtige ist also Begehungstäter, w e n n er einen rettenden Kausalverlauf
striert. abbricht, den er schon aus der Hand gegeben hatte, wie es beim abgesendeten A n -
zeigebrief und beim geworfenen Seil unserer Beispiele der Fall ist. 155
Fall 1: Der nach § 138 anzeigepflichtige A steckt den Brief, der den Totschlagsplan der Poli-
zei meldet, in den Briefkasten, besinnt sich dann aber eines anderen und läßt ihn sich vor der D e m ist aber nicht zu folgen. Daß beim Abbruch eines beendeten Gebotserfül- 112
Zustellung von der Post wieder herausgeben. Das Tötungsdelikt wird durchgeführt. Ist der A lungsversuches eine Erfolgsverursachung durch aktiven Energieeinsatz (also durch
nach § 138 oder nach § 212 strafbar? ein Tun) vorliegt, wird nicht bestritten. Aber das schließt eine Unterstellung unter
Fall 2: Der nach § 323 c hilfspflichtige A wirft einem vom Ertrinken bedrohten Badegast einen Unterlassungstatbestand nicht aus, w e n n man das „Abbruchsverbot" als b l o -
B ein Seil zu, an das dieser sich mit lebensrettender Wirkung anklammern könnte. Bevor je-
doch das Seil in die Reichweite des B gekommen ist, zieht der A es wieder zurück, so daß B er- ßen Bestandteil der Handlungspflicht versteht. U n d das ist angebracht. D e n n u n -
trinkt. Hat A einen Totschlag begangen, oder ist er nur wegen unterlassener Hilfeleistung ter teleologisch-kriminalpolitischen Gesichtspunkten ist nicht einzusehen, w a r u m
(§ 323 c) strafbar? derjenige, der in eiserner Entschlossenheit von vornherein untätig geblieben ist,
109 In Sachverhalten dieser Art wird ein rettender Kausalverlauf abgebrochen. Das besser gestellt werden soll als der H i n - und Herschwankende, der zunächst einen
müßte im Fall des Erfolgseintrittes nach allgemeinen Regeln von Kausalität und rettenden Kausalverlauf in Gang setzt, ihn dann aber doch wieder abbricht. D e n n
Zurechnung zur Verantwortlichkeit wegen eines vollendeten Begehungsdeliktes das Ergebnis, daß nicht angezeigt und nicht Hilfe geleistet wird, ist in beiden
führen. 151 Jedoch liegt hier die Besonderheit vor, daß der Handelnde seinen eige- Fällen dasselbe. Zwar verweist Samson156 darauf, daß der vom beendeten Gebots-
nen Rettungsversuch rückgängig macht mit dem Ergebnis, daß die Situation erfüllungsversuch Zurücktretende anders als der gänzlich Untätige die „Rechts-
dieselbe ist, wie wenn er von Anfang an untätig geblieben wäre. Der positive und gutslage" verschlechtere. Aber diese „Verschlechterung" besteht ja nur in der Auf-
der negative Energieeinsatz heben einander auf. Ich habe daraus die These ab- hebung einer zuvor selbst ins Werk gesetzten „Verbesserung" d. h. in der R ü c k n a h -
geleitet, 152 daß die Täter unserer Beispiele nicht anders zu behandeln sind als ein me des eigenen rechtsgutsbegünstigenden Handelns, das beim gänzlich Untätigen
von vornherein Rettungsunwilliger. Abstrakt ausgedrückt: Ein Tun, das sich als kein Pendant hat und das dem Unterlassenden billigerweise gutgebracht werden
Rücktritt von einem Gebotserfüllungsversuch darstellt, ist dem Tatbestand des m u ß (anstatt ihm durch seine Bestrafung als Begehungstäter zum schweren Nach-
Unterlassungsdelikts zu subsumieren, dessen Gebot durch das aktive Eingreifen teil zu werden).
vereitelt wird. Das bedeutet nicht, daß das Tun zu einem Unterlassen gemacht Die Gegenmeinung müßte auch zu dem Ergebnis führen, daß man einen nicht 113
werden soll. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Gebotstatbestand als sekun- Handlungspflichtigen, der einen Hilfsversuch abbricht, als Begehungstäter b e -
däre Folgenorm das Verbot in sich enthält, einen Gebotserfüllungsversuch abzu- strafte. Wenn also jemand den Brief, in dem er eine geplante Körperverletzung
brechen. oder Sachbeschädigung anzeigt, aus dem Postlauf wieder zurückholt, müßte er
110 Ein Begehungsdelikt (in den Ausgangsbeispielen eine vorsätzliche Tötung) beim Eintritt der entsprechenden Erfolge wegen vorsätzlicher Körperverletzung
liegt danach erst dann vor, wenn die Gebotserftillung aus d e m Versuch in das oder Sachbeschädigung bestraft werden. Er würde also bestraft, weil er etwas g e -
Vollendungsstadium eingetreten ist, d. h. sobald der rettende Kausalverlauf die tan hat, wozu er nicht verpflichtet war und weil er die nicht gebotene Handlung
Sphäre des Opfers erreicht hat. Dazu ist nicht erforderlich, daß der Gefährdete das zurückgenommen hat. Das ist ein unhaltbares Ergebnis.
Rettungsmittel physisch „in der Hand" hat. Es genügt, daß der Bedrohte die Ver- Auch Samsons weitere Einwände gegen die hier vertretene Lösung schlagen nicht durch. 114
Daß die Abgrenzung zwischen Täter- und Opfersphäre „nicht durchführbar" sei, kann nicht
brechensanzeige jederzeit aus seinem Briefkasten holen und daß der Ertrinkende
zugegeben werden. Um es an den Ausgangsbeispielen zu verdeutlichen: Ob der Bedrohte von
ohne fremde Hilfe die Rettungsleine ergreifen konnte. W e n n der H a n d l u n g s - der in seinem Briefkasten liegenden Anzeige Kenntnis nehmen konnte, oder ob der in Seenot
pflichtige in diesem Stadium den Brief zurückholt bzw. die Leine wieder w e g -
153 Wie hier Sch/Sch/Stree26, vor §§ 13 ff, Rn. 160; Winter, 2000, 46, 77. Vor mir schon Armin
Kaufmann, 1959,108; Berte/, JZ 1965, 55, Anm. 16 a.
M» Baier, GA 1999, 284. 15" Samson, Welzel-FS, 1974, 579 ff. (598 ff). Ähnlich Stoffers, JA 1992,178 ff.
iso D e r Ausdruck stammt von Armin Kaufmann, 1959,107. iss So etwa auch Baumann/Weber, AT10, § 15, Rn. 31; SlF-Rudolphi, vor § 13, Rn. 47.
i5i Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 32. iss Smmon, Welzel-FS, 1974, 383.
157
152 Roxin, Engisch-FS, 1969, 381 ff. (383). Samson, Welzel-FS, 1974, 569; hier auch der anschließende Einwand.

662 663
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VI § 31
Geratene das rettende Seil ergreifen konnte oder schon ergriffen hatte, ist normalerweise ein- Abschalten des Beatmungsgeräts zwar äußerlich als ein Tun dar, das aber norma-
deutig festzustellen. Wenn Samson mir ferner entgegenhält, daß doch auch ich selbst 5 8 ein Be-
gehungsdelikt annehme, wenn ein Eigentümer sein Boot zerstöre, das ein Dritter zur Rettung tiv nach Unterlassungsregeln zu behandeln und in Ermangelung einer Hand-
eines Schiffbrüchigen zu benutzen sich anschicke, so übergeht er die entscheidende Abwei- lungspflicht straflos ist. Das gilt für alle Fälle, in denen weitere Rettungsbemü-
chung, die darin liegt, daß hier ein von einem Dritten in Gang gesetzter rettender-Kausal- hungen nicht mehr geboten sind. Diese Auffassung hat in der Literatur vielfach
verlauf abgebrochen wird. Dieser Fall ist selbstverständlich ein Begehungsdelikt. Auch wenn Zustimmung gefunden.162
jemand den von einem Dritten abgesendeten Anzeigebrief aus dem Postlauf entfernt oder den
von einem Dritten geworfenen Rettungsring anhält, liegt ggf. ein Tötungsdelikt durch aktives Demgegenüber beharrt eine verbreitete Meinung auf der Annahme einer 118
Tun vor. aus der Begehungskausalität abgeleiteten vorsätzlichen Tötung.163 Aber dem ist
d) Der technische Behandlungsabbruch159 nicht zuzustimmen. Denn die Konsequenz einer Bestrafung wegen vorsätzlicher
Tötung, die denn auch nur von wenigen Autoren gezogen wird, 164 ist kriminalpo-
115 Die aktuellste und meistdiskutierte Fallgruppe aus dem Bereich des Unterlas-
litisch schlechterdings unerträglich. Nicht nur würden dann Freispruch oder Tot-
sens durch Tun betrifft den technischen Behandlungsabbruch. Ihm liegen Sach-
schlagsstrafbarkeit von der Konstruktion des Beatmungsgerätes abhängen.165 Es
verhalte zugrunde, bei denen es angezeigt ist, lebensverlängernde Maßnahmen
müßte auch, während die Einstellung einer manuellen Herzmassage ggf. straflos
einzustellen, wenn z. B. ein zerebral Schwerstgeschädigter Patient das Bewußtsein
wäre, der ceteris paribus durch Knopfdruck erfolgende Abbruch einer apparativen
irreversibel verloren hat und mit dem Abbruch weiterer Bemühungen zur Lebens-
Kreislaufstützung ein strafbarer Totschlag sein. Mit Recht sagt Eser,166 es könne
erhaltung mutmaßlich einverstanden wäre (BGHSt 40, 257). Daß dies zulässig sei,
„kein Zweifel sein, daß dort, wo ein medikamentös-therapeutischer Behand-
ist dogmatisch leicht begründbar, wenn die Einstellung der Behandlung in einem
lungsabbruch zulässig wäre, auch der technische Behandlungsabbruch zulässig
reinen Unterlassen (etwa des Anschlusses an kreislaufstützende Apparate) besteht.
sein muß".
Denn es fehlt in solchen Fällen eine Pflicht zum Handeln. Wie aber, wenn der Be-
handlungsabbruch durch ein „positives Tun" wie das Abstellen eines Gerätes zur Die meisten Autoren, die das Abstellen von Reanimatoren als Begehungstat an- 119
künstlichen Beatmung bewirkt wird? Der dafür erforderliche Knopfdruck ist ein, sehen, stellen diese denn auch mit den verschiedensten Begründungen 167 von
Strafe frei, wenn die Voraussetzungen einer Behandlungseinstellung vorliegen. Sie
wenn auch geringer, positiver Energieeinsatz, so daß nach den allgemeinen Re-
kehren damit implizit zu der zuvor verworfenen Unterlassungslösung zurück;
geln der Abgrenzung von Begehung und Unterlassung eine nach § 212 strafbare
denn die Zulässigkeit der Behandlungseinstellung richtet sich nach Unterlassungs-
Begehungstat vorliegen müßte. Selbst das ausdrückliche Verlangen, durch aktives
regeln.
Handeln eines anderen getötet zu werden, führt ja für den Außenstehenden nur zu
einer Strafmilderung nach § 216 und nicht zu einem Freispruch. Samson z. B. 168 nimmt ein Begehungsdelikt an, postuliert aber ein „Recht auf 120
116 Die Annahme eines Tötungsdeliktes wäre aber ungereimt. Denn ob die an sich einen natürlichen Tod". Das verstößt in dieser Form gegen §216 und muß als viel
zulässige Behandlungseinstellung auf diese oder jene Art erfolgt, kann sinnvoller- zu weitgehend auf die Umstände eingeschränkt werden, die das Unterlassen einer
weise keinen Unterschied machen. Man müßte sonst Beatmungsgeräte so kon- 162
Vgl. aus der unübersehbaren Literatur etwa: v. Dellingshausen, 1981, 468; Engisch Gallas-
struieren, daß sie zum Weiterlaufen einen täglichen positiven Handlungsimpuls FS, 1973, 178; ders., Dreher-FS, 1977, 325ff.; Frisch, 1988, 134; Geilen, Heinitz-FS 1972 383-
erfordern, dessen Unterbleiben das aktive „Abstellen" überflüssig machen würde. Herzberg, JZ 1988, 186; Jakobs, AT2, 7/64; Küper, JuS 1971, 476f.; Lackner/Kühl24, vor *§ 211*
117 Doch hilft auch hier die Denkfigur des Unterlassens durch Tun weiter.160 Der Rn.8; Sch/Sch/Stree , vor §§ 13 ff, Rn.160; Tröndle, ZStW 99 (1987), 31; Verrel, JZ 1996 227
Wessels/Beulke, AT , Rn.703ff. Mit etwas abw. Begründung auch die Monographie von
Fall ist strukturell etwas anders gelagert als der des Rücktritts von einem beende- Schneider, 1997, 175 f. Dem Arzt sei, „wenn er die intensivmedizinischen Geräte abstellt, nicht
ten Gebotserfüllungsversuch. Denn die Hilfe (Aufrechterhaltung der Atmungs- ein Tun vorzuhalten, sondern ein Unterlassen: das Unterlassen weiterer Leben garantierender
und Herztätigkeit) hat den Gefährdeten schon erreicht.161 Es ist aber so, daß die Behandlung".
*» In diesem Sinne etwa Baumann/Weber, AT10, § 15, Rn. 33; Blei, AT18, § 84 II 5; Bockelmann,
anfangs aussichtsreich erscheinenden Bemühungen um den Patienten sich als er- 1968, 112, 125, Fn. 45; Hirsch, Lackner-FS, 1987, 605; SK6-Hörn, §212, Rn.22, 26 a d- LK10-
folglos erwiesen haben. Beim nunmehrigen Stand der Dinge wäre ein Anschluß Jähnke, vor §211, Rn.17; Jescheck/Weigend, AT5, §58 II 2; Maurach/Gössel, AT/27, 45/32- SK7-
an das Beatmungsgerät nicht mehr indiziert. In einem solchen Fall stellt sich das Rudolph, vor §13, Rn.48; Samson, Welzel-FS, 1974, 601; Sax, JZ 1975, 137 ff; NK-See'lmann
§ 13, Rn. 23 f.; Vogel, 1983,120.
"" Bockelmann, 1968,112. Wohl auch Baumann/Weber, AT10, § 15, Rn. 33, wo zwar auf mögli-
'58 Roxin, Engisch-FS, 1969, 388 ff. gegen Ranft, JuS 1963, 342.
159
che Rechtfertigungsgründe verwiesen, aber keiner genannt wird. AuchJescheck/Weigend, AT5,
160
Monographie: Schneider, 1997. § 58 II 2, erwähnen eine Straflosigkeit nicht. Undeutlich Maurach/Gössel, AT/27, 45/32
Erstmals und ausführlich in diesem Sinne Roxin, Engisch-FS, 1969, 395 ff. Der Sache i« Vgl. Rn. 116 sowie Sch/Sch/Stree26, vor §§ 13ff., Rn. 160
16
nach hatte schon vorher Geilen, FamRZ 1968, 126, bei und in Anm. 35, die Unterlassungslö- « Sch/Sch/Eser26, vor § 211, Rn. 32.
sung vertreten. 67
i Eine gute Übersicht über die im Text nur exemplarisch angeführten Begründungsan-
i6i Worauf Samson, Welzel-FS, 1974, 599, Fn. 83, mit Recht hinweist. Doch hindert das, satze geben Lackner/Kühl , vor § 211, Rn. 8.
wie im Text dargelegt, nicht die Annahme eines Unterlassens durch Tun. K* Samson, Welzel-FS, 1974, 602.
664 665
§ 31 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VII § 31

Weiterbehandlung gestatten. Entsprechendes gilt für eine Tatbestandseinschrän- durch einen Arzt, eine Krankenschwester oder einen sonstigen Dritten herbei-
kung nach dem „Schutzzweck der Norm" 1 6 9 der nur nach Unterlassungsregeln b e - geführt wird".
stimmt werden kann.
121 Rudolph?70 will die Tatbestandsmäßigkeit der auch von ihm angenommenen VII. Täterschaft und Beihilfe durch Unterlassen
Begehungstat verneinen, „wo die Fortsetzung der Reanimation nicht mehr dem
Willen des Patienten entspricht. Andernfalls ergäbe sich . . . für den Arzt ein unserer Da das Problem der Anstiftung durch Unterlassen schon im Zusammenhang 124
Rechtsordnung fremdes Recht zur Zwangsbehandlung". Aber der Schutz vor der Teilnahmelehre behandelt worden ist (vgl. § 26, R n . 5 f.), bleibt hier haupt-
Zwangsbehandlung gebietet nur, w e n n der Patient dies wünscht, ein Unterlassen sächlich die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe zu erörtern. Ihre Darstel-
weiterer Behandlung durch den Arzt, nicht aber gestattet er eine gegen § 216 ver- lung im R a h m e n der Unterlassungslehre rechtfertigt sich daraus, daß von m a n -
stoßende Tötung auf Verlangen! Der Wille oder mutmaßliche Wille des Patienten ist chen Autoren die Besonderheiten der Garantenstellungen für die Abgrenzung
also entscheidend nur im Hinblick auf ein Unterlassen des Arztes, spielt aber bei ei- nutzbar gemacht werden. Eine kurze Behandlung der praktisch wenig bedeut-
ner aktiven Tötung keine Rolle. Dasselbe ist Otto"1 entgegenzuhalten, der eine akti- samen Frage, ob und inwieweit eine Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft
ve Tötung als straflos ansehen will, sofern „das Abstellen des Gerätes das g r u n d - durch Unterlassen möglich ist, soll sich anschließen.
gesetzlich garantierte Recht auf Behandlungsfreiheit des Kranken realisiert".
122 Hirsch172 hält die auch von ihm angenommene Begehungstat für straflos auf- 1. D i e A b g r e n z u n g von Täterschaft und Beihilfe durch Unterlassen
grund der „Besonderheit, daß zur Vornahme des bewahrenden Kausalverlaufs, in
a) D i e Übertragung der für Begehungsdelikte geltenden R e g e l n
den eingegriffen wird, keine Rechtspflicht mehr bestand". Das ist eine zutreffende
auf das Unterlassen
Einsicht (vgl. R n . 117), aber die fehlende Pflicht zur Vornahme eines „bewahren-
aa) D i e Rechtsprechung
den Kausalverlaufs" kennzeichnet doch ein strafloses Unterlassen und paßt nicht
auf aktive Tötungshandlungen. Es entspricht der st. Rspr., die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe beim 125
123 Die Zulässigkeit eines technischen Behandlungsabbruchs ist in der Regel auf Unterlassen in derselben Weise vorzunehmen wie beim Begehen. Das R G ist also
den behandelnden Arzt zu beschränken, weil nur dieser deren Voraussetzungen auch in diesem Bereich der von i h m stets vertretenen subjektiven Theorie (vgl.
sachverständig beurteilen kann und weil er die Verantwortung für eine sachge- § 25, R n . 7) gefolgt und hat darauf abgestellt, ob ein unterlassender Garant, der
mäße Behandlung trägt. Wenn daher die Putzfrau oder ein Besucher das Beat- gegen die Tatbestandsverwirklichung durch einen Begehungstäter nicht einge-
mungsgerät eigenmächtig abstellen, sind sie wegen Totschlages strafbar, auch schritten war, einen Täter- oder einen Teilnehmerwillen hatte. Im Ergebnis ist in
wenn der Arzt die Behandlung zulässigerweise hätte abbrechen dürfen. Etwas an- den meisten Fällen eine Beihilfe angenommen worden. 1 7 5
deres gilt nur dann, w e n n der Patient, wie es im Sachverhalt der Entscheidung LG D i e Rspr. des B G H schwankt w i e bei den Begehungsdelikten zwischen sub- 126
Ravensburg N S t Z 1987, 229 1 7 3 der Fall war, bei klarem Bewußtsein wegen seines jektiver Theorie und Tatherrschaftslehre, wobei aber weniger als bei diesen eine
unerträglichen Leidens u m die Abschaltung des Gerätes bittet. D e n n bei einem Kombination beider Lehren (vgl. § 25, R n . Uff.) als vielmehr ein häufiger Wechsel
ausdrücklich geäußerten und verantwortlichen Willen des Patienten entscheidet zwischen beiden Auffassungen festzustellen ist. Dabei erlangt die Abgrenzung in
über die Behandlungseinstellung allein dieser und nicht die Beurteilung des Arz- vielen Fällen eine besondere praktische Bedeutung dadurch, daß der B G H die
tes. In diesem Fall war also auch der Ehemann, der das Gerät abgeschaltet hatte, Strafbarkeit der unterlassenen Selbstmordhinderung durch eine prinzipiell garan-
straflos. Zu undifferenziert ist es jedoch, wenn z. B. Eser174 meint, es könne über- tenpflichtige Person davon abhängig macht, ob ihr Unterlassen als Täterschaft oder
haupt „keinen wesentlichen Unterschied machen, ob der Behandlungsabbruch als Beihilfe zu beurteilen ist. Im ersten Fall soll eine Totschlags- oder gar M o r d -
strafe, im zweiten ein Freispruch geboten sein (vgl. dazu noch § 32, R n . 47 f.).
In BGHSt 2, 150 wird die A n n a h m e einer Täterschaft erstmals in der Rspr. des 127
169 LK10-Jähnke, vor §211, Rn. 17; Sax, JZ 1976, 429, 438, für den das Leben gegebenenfalls
aus dem Schutz als Rechtsgut entlassen wird. B G H unter ausdrücklicher Zurückweisung der subjektiven Lehre auf den G e -
™ SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 47. sichtspunkt der Tatherrschaft gestützt. Eine Frau hatte ihren M a n n , der sich er-
m Otto, AT6, § 9 I 2 b, aa. hängt hatte und schon bewußtlos, aber noch zu retten war, vorsätzlich nicht abge-
"2 Hirsch, Lackner-FS, 1987, 605.
ro Dazu Herzberg, JZ 1988, 182ff.; Roxin, NStZ 1987, 348ff.; Stqffers, MDR 1992, 621 ff.; schnitten und wurde dafür als Täterin eines Totschlages durch Unterlassen bestraft.
Tröndle, Göppinger-FS, 1990, 595, 600. Der Hilfspflichtige habe regelmäßig „die volle oder doch einen großen Teil der
174 Sch/Sch/Eser26, vor §211, Rn.32. Ebenso Stoffers, MDR 1992, 621 ff. (mit Recht tadeln
Lackner/Kühl , vor § 211, Rn. 8, die durch diesen erfolgende volle Einbeziehung von Eingrif-
fen Dritter). 175 Vgl. nur RGSt 53, 292; 58, 244, 247; 64, 273, 275; 66, 71, 75; 69, 349; 73, 53, 54.

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§ 31 VII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VII § 31
Herrschaft über die Sachlage" und könne „ihr durch sein Eingreifen die entschei- damit zu dieser selbst gehört. Die innere Unterordnung unter den Wunsch der
dende Wendung geben". Der Vorbehalt, die Tat nicht als eigene zu wollen, könne Sterbenden, der sonst oft als „Gehilfenwille" gedeutet wird, soll an der Täterschaft
keinen Gehilfenvorsatz begründen, „weil dessen rechtliche Voraussetzung, die Un- des Arztes nichts ändern.
terordnung unter fremden Täterwillen, ... angesichts der Sachherrschaft des Ver- Neuere Entscheidungen kommen dagegen wieder zu einer durchaus subjek- 131
pflichteten unbeachtlich" sei (aaO., 156). Es soll also nicht auf die Willensunterord- tiven Abgrenzung. In einem Fall, in dem ein Garantenpflichtiger einer Tötung
nung, sondern auf die Sachherrschaft (wie der BGH sie versteht) ankommen. tatenlos zugesehen hatte (BGH StV 1986, 59) soll es darauf ankommen, „ob das
128 Im nächsten Fall, in dem ein Vater der Tötung eines neugeborenen Kindes durch Nichteinschreiten vom Gehilfen- oder Tätervorsatz getragen war". Entscheidend
die Mutter tatenlos zugesehen hatte (BGH LM Nr. 10 vor § 47), kombiniert der sei „die innere Haltung des Unterlassenden zu der Begehungstat des anderen". In
BGH objektive und subjektive Gesichtspunkte in einer Weise, die heute bei Be- einem anderen Fall dieser Art (BGH NStZ 1992, 31) wird darauf abgestellt, ob die
gehungsdelikten in der Rechtsprechung durchaus vorherrscht. Es seien „Willens- „innere Haltung des Unterlassenden ... - insbesondere wegen des Interesses am
richtung, Tatherrschaft und Interesse am Taterfolg unter Berücksichtigung des abzuwendenden Taterfolg - als Ausdruck eines . . . Täterwillens aufzufassen ist
Umfangs der eigenen Tatbestandsverwirklichung ins Auge zu fassen". Das Ergebnis oder ob seine innere Einstellung davon geprägt ist, daß er sich dem Handelnden
einer solchen Verfahrensweise bleibt in der Entscheidung offen. ... im Willen unterordnet und das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne
129 Es folgen wieder zwei Fälle unterlassener Selbstmordhinderung, die aber ganz Interesse ... im Sinne bloßen Gehilfenwillens lediglich ablaufen läßt".
verschieden gelöst werden. In BGHSt 13,162 hatte der Angeklagte den Selbstmord
seiner Schwiegermutter nicht verhindert, obwohl dazu Gelegenheit bestanden bb) Die Untauglichkeit der von der Rechtsprechung verwendeten
Kriterien
hätte.- Auf der Basis der höchst fragwürdigen Annahme, daß der Schwiegersohn
eine Garantenstellung innehabe, hat der BGH gleichwohl eine straflose Beihilfe Kritikbedürftig ist zunächst, daß die Rspr. keine einheitliche Linie erkennen 132
angenommen, weil er „das zum Tode seiner Schwiegermutter führende, von ihr läßt. Wenn teils eine mit der Erfolgsabwendungsmöglichkeit gleichgesetzte „Tat-
selbständig herbeigeführte Geschehen ... nicht beherrschen wollte", ihm also der herrschaft" des Unterlassenden, teils seine innere Einstellung (das Interesse oder
„Täterwille" gefehlt habe (aaO., 166). Es soll hier mithin ein Umstand entscheiden, auch das Einverstandensein mit dem Erfolg) maßgeblich sein soll, werden die Er-
den BGHSt 2, 156 gerade für „unbeachtlich" erklärt hatte. In einem Fall, der gebnisse beliebig. Der Richter kann sich gewissermaßen aussuchen, ob er Täter-
BGHSt 2,150 ähnlich war, hat BGH M D R 1960, 939 dann wieder eine objektive schaft oder Beihilfe annehmen will, und wird seine Entscheidung meist nach
Abgrenzung vorgenommen. Die Angeklagte sei Täterin eines Totschlages durch Strafmaßgesichtspunkten treffen, obwohl die Entscheidung über Täterschaft und
Unterlassen, weil sie, als ihr Verlobter „sich in die Schlinge hatte fallen lassen und Teilnahme kein Strafzumessungsproblem ist, sondern davon abhängt, ob ein Ver-
bewußtlos war, die volle und alleinige Tatherrschaft" innehatte. halten den Tatbestand erfüllt oder nicht. Abgesehen davon sind aber weder die
130 Im Sachverhalt der Entscheidung BGH NJW 1966, 1763 hatte eine Gastwirtin „Tatherrschaft" noch der „Täterwille« geeignet, das Abgrenzungsproblem bei
geduldet, daß männliche Gäste, denen eine Frau einen Tanz verweigert hatte, ihr Unterlassungsdelikt zu lösen.
die Haare abschnitten. Der BGH spricht der Wirtin eine Garantenstellung zu, will Das gilt zunächst für das Kriterium der Tatherrschaft. Sie wird von der Rspr. in 133
die Frage nach Täterschaft oder Beihilfe wie bei Begehungsdelikten wertend den angeführten Urteilen, denen sich weitere hinzufügen lassen (BGH 11, 272; 37,
durch eine Kombination objektiver und subjektiver Gesichtspunkte lösen, läßt 293), daraus hergeleitet, daß der Unterlassende durch sein Eingreifen dem Gesche-
aber schließlich ein rein subjektives Kriterium den Ausschlag geben: „Sie billigte hen die entscheidende Wendung hätte geben können. Auf diese Weise läßt sich
das Treiben der vier männlichen Täter und identifizierte sich mit ihnen, wie sie aber eine Tatherrschaft nicht begründen. 176 Denn dadurch wird nur die Erfolgs-
durch ihre Belustigung über deren Handlungsweise zu erkennen gab." Im Fall abwendungsmöglichkeit177 bezeichnet, die ein Begriffsmerkmal jeglichen Unter-
Wittig (BGHSt 32, 367, 374) stützt der BGH sich dagegen wieder überwiegend lassens ist (vgl. Rn.8ff, 37 ff.) und deshalb logischerweise keiner besonderen Er-
auf die Tatherrschaft des Arztes, der eine bewußtlose Suizidpatientin aus Respekt
™ Raxin, Täterschaft, 72000, 462f.; Schwab, 1996, 72ff. Die Untauglichkeit des Tatherr-
vor deren Entscheidung des Patienten sterben läßt: „Wenn nämlich der Suizident schaftsgedankens ist heute in der Literatur weitgehend anerkannt; vgl. nur Baumann/Weber
die tatsächliche Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehens (Tatherrschaft') * L 'A29 H I 2 c R n 5 8 ; F und
' ? < AT
> § 1 0 'Rn-48; Gallas
< JZ i960, 646, 686, Fn. 56; Gropp,
endgültig verloren hat, ... hängt der Eintritt des Todes jetzt allein vom Verhalten AT , § 10,2Rn. 93; Jakobs, AT2, 29/101; Otto,Jura 1987, 246, 250; ders., AT5, § 21III; Sch/Sch/Cra-
mer/Heine , vor §25, Rn. 103; Seelmann, StV 1992, 416. Nur wenige Autoren vertreten eine
des Garanten ab." Dieser habe „die Tatherrschaft und, wenn er die Abhängigkeit Anwendung des Tatherrschaftskriteriums auf Unterlassungen: Busse, 1974 253 ff. 258ff- Gös-
des weiteren Verlaufs ausschließlich von seiner Entscheidung in seine Vorstellung sel, ZStW 96 (1984), 321, 333 f.; ders. in Maurach/Gössel, AT/27, 50/71f; Kielwein GA 1955 227 f.
(zur Kritik Schwab, 72 ff).
aufgenommen hat, auch den Täterwillen." Was der BGH hier als „Täterwille" be- 177
Wozu auch eine ex post feststellbare Risikominderungsmöglichkeit gehört, vgl. oben
zeichnet, ist nur das Bewußtsein der Tatherrschaft, das zu deren Ausübung und Rn. 45 ff.
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§ 31 VII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VII § 31

scheinungsform des Unterlassens vorbehalten bleiben kann. Die Tatherrschaft setzt nicht (aber doch immerhin etwas) an ihm interessiert sein. Wo hier die Täterschaft
notwendig ein aktiv beherrschendes Steuern des Kausalverlaufs voraus und kann aufhört und die Beihilfe beginnt, bleibt dunkel.
durch bloßes Nichtstun nicht erlangt werden. Wäre es anders, müßten ja auch Zweitens geht es dabei um innere Einstellungen und Motive, die zwar für Schuld 138
Anstifter und Gehilfen, wenn sie, wie im Regelfall, eine mit ihrem aktiven Tat- und Strafmaß relevant sind, aber nicht zur Abgrenzung der tatbestandserfüllenden
beitrag einhergehende Erfolgsverhinderungsmöglichkeit haben (etwa durch Täterschaft von der nicht mehr tatbestandsmäßigen Beihilfe taugen. Verwendet
Drohung mit Anzeige), damit zugleich Tatherren und Täter werden. Eine solche man sie dennoch zur Tatbestandsabgrenzung, nähert man sich in bedenklicher Wei-
Auffassung, die von der Teilnahme nicht viel übrig ließe, hat mit Recht noch nie- se einem Gesinnungsstrafrecht. Die innere Einstellung macht dann den Täter und
mand vertreten. nicht, wie es einem Tatstrafrecht entspricht, sein tatbestandsmäßiges Verhalten.
134 Etwas anders verhält es sich mit der subjektiven Theorie, die auf den ersten Drittens ist dieser Lehre entgegenzuhalten, daß ihre Kriterien sich einer objek- 139
Blick für eine Abgrenzung im Unterlassungsbereich als geeignet erscheinen tiven gerichtlichen Feststellung entziehen und daher auf eine ziemlich beliebige
könnte, weil sie auf die äußere Form der Mitwirkung kein Gewicht legt und sich Festsetzung hinauslaufen. Denn innere Einstellungen lassen sich allenfalls aus dem
eine Differenzierung nach der „inneren Einstellung" auch bei Unterlassenden tref- äußeren Verhalten eines Menschen erschließen. Wenn dieses Verhalten aber in rei-
fen läßt.178 Abgesehen von den Gründen, die gegen die subjektive Theorie prinzi- nem Nichtstun besteht - die Äußerung von Zustimmung oder Beifall wird ja
piell geltend zu machen sind (vgl. oben §25, Rn. 8,10, 27), erweist sie sich jedoch schon als aktive Mitwirkung bestraft —, fehlen die Anhaltspunkte für solche
bei genauerem Hinsehen gerade auch bei Unterlassungen als unbrauchbar. Schlußfolgerungen. So hat denn auch der BGH im Falle der Gastwirtin, die gegen
135 Das gilt zunächst für die Dolustheorie, die der Tatherrschaftslehre noch am das Kahlscheren einer weiblichen Besucherin durch männliche Gäste nicht ein-
nächsten stehende Variante der subjektiven Auffassung. Wenn danach der Teilneh- geschritten war (oben Rn. 130), die Täterschaft der Wirtin aus ihrer „Belustigung"
merwille in der Willensunterordnung, d. h. darin besteht, daß der Teilnehmer über den Vorgang gefolgert. Daß der — auf welche Weise zuverlässig rekonstruier-
dem Täter die Ausführung der Tat anheimstellt, müßte — anders als einige der an- bare? — Gesichtsausdruck des Unterlassenden über seine Täterschaft entscheiden
geführten Urteile es wollen — der Unterlassende neben einem Begehungstäter im- soll, ist aber weder ein einleuchtendes noch ein hinreichend verläßliches Verfah-
mer nur Gehilfe sein können. Denn wenn jemand überhaupt nichts tut und folg- ren. In einem anderen Fall (Rn. 131, BGH StV 1986, 59) soll ein „lachendes" Zu-
lich auch keinen in irgendeiner Weise dominierenden oder gleichrangigen Willen sehen des nicht eingreifenden Garanten für seine Täterschaft sprechen, obwohl
zu erkennen gibt (was schon eine aktive Beteiligung wäre), bleibt ihm schlechter- sein Zuruf an den Handelnden, „er solle aufhören", mit größerem Recht eine
dings nichts übrig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen und dem Begehungstäter Ablehnung des Täterwillens begründen könnte. Aber letztlich bleiben alle solche
alles „anheimzustellen". Eine solche Auffassung, die vielfach vertreten wird und Annahmen vage und willkürlich. Zwar meint Arzt179: „Wer die subjektive Teil-
aus noch zu nennenden Gründen abzulehnen ist (vgl. Rn. 151 ff), ist aber jedenfalls nahmelehre beim Unterlassen nicht faßbar findet, müßte die Konsequenz ziehen,
nicht die des BGH und kann dessen differenzierende Lösung nicht stützen. Motive (vgl. § 211) generell als nicht faßbar und strafrechtlich irrelevant' zu er-
136 Eine differenzierende subjektive Theorie kann daher nur auf die einander sehr klären." Aber dabei wird übersehen, daß die Motive beim Mord Schuld- und nicht
nahestehenden Kriterien der „inneren Billigung" und des „Eigeninteresses" zu- Tatbestandsmerkmale und außerdem anders als bei reiner Passivität aus dem akti-
rückgreifen. Täter wäre dann ein unterlassender Garant, der die Tatbestands- ven Verhalten des Täters weitgehend ablesbar sind.
verwirklichung durch den Begehungstäter innerlich billigt und ein eigenes Inter- b) Die eigene Auffassung: Der Unterlassende ist immer Täter, wenn er die
esse daran hat, während Gehilfe derjenige wäre, der kein Interesse am Erfolg hat Gleichstellungskriterien und die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen
und dem Geschehen nur ohne innere Billigung seinen Lauf läßt. Gegen eine sol- erfüllt (Pflichtdeliktstheorie)
che Unterscheidung spricht dreierlei. Nach der hier vertretenen Auffassung sind die Unterlassungsdelikte Pflicht- 140
137 Erstens erlauben diese Begriffe schon deswegen keine halbwegs klare Abgren- delikte (vgl. oben § 25, Rn. 25), d. h. ihr Täterschaftskriterium ist nicht die Tat-
zung, weil sie abstufbar sind und im Bereich der Abstufungen keine Täterschaft herrschaft, sondern die Verletzung der tatbestandsbegründenden Erfolgsabwen-
und Teilnahme scheidende Grenze angegeben werden kann. Man kann einen dungspflicht und die Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen. Liegen
Erfolgseintritt halb und halb billigen, kann mehr oder weniger oder beinahe gar diese Kriterien vor, ist der Unterlassungstatbestand verwirklicht. Da Täterschaft
178
Tatbestandserfüllung ist, kann für sie mehr nicht gefordert werden. Wenn also
Als Vertreter der subjektiven Theorie in der Literatur sind zu nennen: Arzt, JA 1980,
553, 558; ders., JZ 1981, 412, 414; ders., StV 1986, 337; Baumann/Weber, AT10, §29 III 2 d; Seel-
z. B. der Vater ungerührt zusieht, wie die Mutter das neugeborene Kind ertränkt,
mann, StV 1992, 416 (wobei dieser die subjektive Theorie mit einer Berücksichtigung unter-
schiedlicher Gewichtungen der Garantenpflichten verschiedener Beteiligter kombiniert);
Weber, 1976, 296f., 347f. ™> Arzt, JA 1980, 558.
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ist er Täter eines Totschlages durch Unterlassen, sofern er durch sein Eingreifen § 25, Rn. 303 ff.): Der Garant, der einen Meineid nicht verhindert, kann doch im-
den Erfolg hätte verhindern können. Mit welcher inneren Einstellung er untätig mer nur Beihilfe zum Meineid leisten, weil eine Tatbestandsverwirklichung den
blieb (zustimmend, gleichgültig oder mißbilligend), ändert an seiner Täterschaft eigenhändigen Schwur voraussetzt, durch Unterlassen also nicht zu verwirklichen
nichts und kann nur das Strafmaß beeinflussen. Denn er hat, da auch die Voraus- ist. Zur zweiten Gruppe sind die Tatbestände zu zählen, in, denen subjektive Tat-
setzungen der Entsprechungsklausel als erfüllt anzusehen sind, den Tatbestand bestandsmerkmale vorausgesetzt werden (z. B. eine Zueignungs- oder Bereiche-
einer Tötung durch Unterlassen erfüllt. Wenn der Vater jedoch gegen Inzesthand- rungsabsicht, die Absicht der Vorteilssicherung, das Handeln zur Täuschung im
lungen seiner Kinder nicht einschreitet (§ 173 II 2), kann er auch bei bestehender Rechtsverkehr usw.), die beim untätigen Garanten fehlen. Solche Fälle sind zahl-
Garantenstellung nur wegen Beihilfe durch Unterlassen bestraft werden. Denn da reich.
der Inzest ein eigenhändiges Delikt ist, kann niemand Täter sein, der nicht selbst Ein seltenerer Fall, der als Beihilfe durch Unterlassen bestraft werden muß, ist
den Beischlaf vollzieht. Ebenso kann das Bewachungspersonal, das einen zu ver- der, daß die Garantenstellung eines Unterlassenden nur dahin geht, die Beihilfe-
hindernden Diebstahl tatenlos geschehen läßt, nur wegen Beihilfe zu § 242 durch handlung eines anderen zu verhindern: 183 Der Vater schreitet z.B. nicht dagegen
Unterlassen bestraft werden. Denn es fehlt die Tatbestandsvoraussetzung der Zu- ein, daß sein minderjähriger Sohn Beihilfe zu einer Körperverletzung leistet. Da
eignungsabsicht, die auch in Form der Drittzueignung doch wenigstens eine akti- der Vater keine Garantenstellung gegenüber dem Opfer einnimmt, sondern nur
ve Beteiligung an der Wegnahme und Verfügung über die Sache voraussetzt.180 die Handlung des Sohnes zu verhindern hat, kann er nur wie dieser bestraft wer-
141 Dieses Ergebnis wird außer durch die täterschaftliche Struktur der Pflicht- den. Er ist, korrekt ausgedrückt, Unterlassungstäter einer Beihilfe und ist nur
delikte auch durch die Erkenntnis gestützt, daß eine Beihilfe in der Art, wie sie ihretwegen zu verurteilen.
bei Begehungsdelikten den Regelfall bildet, beim Unterlassen von vornherein Man kann gegen die hier befürwortete Lösung nicht einwenden, daß, wenn der
nicht möglich ist.181 Der akzessorische Rechtsgutsangriff des Gehilfen, wie er für unterlassende Garant im Regelfall als Täter beurteilt werde, er trotz seines Nichts-
die Teilnahme schlechthin charakteristisch ist (vgl. oben §26, Rn. 11 f.), vollzieht tuns ungerechterweise härter bestraft werde als derjenige, der einen aktiven Tat-
sich so, daß der Teilnehmer über den Täter (d. h. durch dessen Vermittlung) auf beitrag leiste und doch ggf. nur als Gehilfe zur Verantwortung gezogen werde.184
den Erfolg hinwirkt. Daran fehlt es beim Unterlassenden, der gerade nicht auf den Denn erstens ist die Untätigkeit eines Garanten keineswegs immer weniger straf-
Täter einwirkt (denn dann läge schon eine aktive Beteiligung vor), sondern un- würdig als eine aktive Beihilfe: Die Mutter, die ihr Kind vor einer Tötung absicht-
abhängig von ihm den Unterlassungstatbestand erfüllt. Mit Recht stellt daher lich nicht rettet, obwohl ihr dies leicht möglich wäre, ist nicht milder zu beurtei-
Cramer182 fest, die Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme sei „auf len als derjenige, der dem Täter eines Totschlages den Revolver leiht. Und zwei-
positive Handlungen zugeschnitten und findet bei Unterlassungen keine Parallele. tens hat der Gesetzgeber mit Vorbedacht beim Unterlassen in § 13 Abs. 2 eine der
Wer den Mörder an seiner Tat nicht hindert, ,hilft' ihm nicht, sondern unterläßt Beihilfe entsprechende Milderungsmöglichkeit eingefügt, so daß eine Unterlas-
die Abwendung des Deliktserfolges..." sung niemals härter bestraft zu werden braucht als eine aktive Beihilfe und inner-
142 Die Unterlassung erfüllt also unter den Voraussetzungen des § 13 ggf. einen ei- halb ihres Strafrahmens natürlich ggf. auch milder bestraft werden kann. Zudem
genen Tatbestand und hat mit einer Begehungsbeihilfe nichts zu tun. Wenn trotz- ist gesichert, daß der Gesetzgeber in dem Streit, ob und inwieweit überhaupt eine
dem im Falle der Nichterfüllung des Tatbestandes durch den Unterlassenden bei Beihilfe durch Unterlassen möglich sei, keine Stellung beziehen wollte. Die noch
Vorliegen der sonstigen Gleichstellungsvoraussetzungen eine Strafbarkeit wegen im E 1962 enthaltene Wendung, daß der Unterlassende „als Täter oder Teilnehmer"
Beihilfe durch Unterlassen eintritt, so liegt das daran, daß die Beihilfe als „sekun- strafbar sei, ist vom Sonderausschuß für die Strafrechtsreform gestrichen wor-
därer" Begriff auch eine Auffangfunktion im Sinne einer Mitwirkung außerhalb den,185 „um nicht in den dogmatischen Streit um die Frage einzugreifen, ob bei
der Täterschaft erfüllt (vgl. oben § 26, Rn. 10). Es ist das eine Beihilfe im weiteren Unterlassungsdelikten überhaupt eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und
Sinne des Wortes (also ein strafbares Unterlassen außerhalb der Täterschaft), und Teilnahme möglich ist". Die Auffassung, daß der unterlassende Garant grundsätz-
auf diese Fälle ist die Unterlassungsbeihilfe im wesentlichen beschränkt. lich (d.h., wenn keine speziellen Tatbestandsvoraussetzungen entgegenstehen),
143 Die Hauptfälle der Beihilfe durch Unterlassen betreffen zwei Fallgruppen. Zur auch beim Nichteinschreiten gegen ein Begehungsdelikt Unterlassungsfäter sei,
ersten gehören die Fälle, in denen ein Garant gegen eigenhändige Delikte nicht verstößt also nicht etwa gegen die Vorstellungen des Gesetzgebers.
einschreitet. Praktisch bedeutsam in diesem Bereich ist vor allem das garanten-
gebotswidrige Geschehenlassen höchstpersönlicher Pflichtdelikte (zu diesen vgl.
183 SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 42.
3 184
wo Vgl. Schroth, BT ,119. Die Einwendungen, mit denen ich mich hier und im folgenden auseinandersetze, sind
i8i Klärend dazu Bloy, JA 1987, 490 ff. (492 f.). mir am ausführlichsten von meinem Schüler Schwab, 1996,171 ff., entgegengehalten worden.
182 Seh/Seh/Cramer/Heine26, vor §§ 25 ff., Rn. 102. iss BT-Drucks. V/4095, 8.
672 673
§ 31 VII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VII § 31
146 So bleibt als vermeintlicher Haupteinwand eine scheinbare Diskrepanz zwi- sich bei Rudolphi188. Zu im wesentlichen identischen Ergebnissen kommen auch
schen der Straflosigkeit der versuchten aktiven Beihilfe im Verhältnis zu einer Armin Kaufmann189 und Stratenwerth190, die prinzipiell vom Einheitstäterbegriff bei
möglichen Strafbarkeit der versuchten Unterlassungstäterschaft. Man nehme den Unterlassungen ausgehen, aber in den von mir genannten Ausnahmefällen man-
Fall,186 daß die Mutter des nichtehelichen Kindes dem Vater zur Tötung des Neu- gelnder Tatbestandsverwirklichung durch den Unterlassenden doch auch „mehr
geborenen ein Messer reicht, das dieser dann aber nicht benutzt! Wenn man bei schlecht als recht" (Kaufmann) oder „in aushilfsweiser Anwendung der Teilnahme-
einer solchen Konstellation die Mutter unter der Voraussetzung, daß der Vater vorschriften" (Stratenwerth) wegen Beihilfe bestrafen. Dem folgt auch Bloym, der
schließlich von der Tat Abstand nimmt, wegen einer nur versuchten Beihilfe straf- einerseits dafür plädiert, „das Garantenunterlassen einheitlich einem täterschaft-
los läßt, ist es gewiß eine ungerechte Ungleichbehandlung, sie als Täterin eines lichen aktiven Tun gleichzustellen", andererseits aber, wenn der Unterlassende den
Unterlassungsversuches zu bestrafen, sofern sie ganz untätig geblieben ist und den Tatbestand nicht erfüllt, die „Teilnahmevorschriften als Auffangregelungen" her-
Vater lediglich nicht gehindert hat - obwohl sie dies gekonnt hätte - , zum Zwek- anziehen will.
ke der dann doch unterbliebenen Tötung in das Kinderzimmer zu gehen. Der
Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber es sachwidrig versäumt habe, bei seinen c) Die Theorie der Einheitsbeihilfe
Strafdrohungen die Beihilfe mit der Unterlassung auf einen Nenner zu bringen Eine weit verbreitete, vor allem von Gallas192 begründete Lehre geht davon aus, 151
und daß die Differenz sofort verschwinden würde, wenn die versuchte Beihilfe daß neben einem aktiven Begehungstäter der unterlassende Garant immer nur
unter Strafe stünde,187 kann zwar eine Erklärung für das unbefriedigende Ergeb- Gehilfe sein könne. 193 Das soll allerdings nur gelten, solange der Handelnde den
nis liefern, aber keine sachgerechte Lösung bieten. Tatablauf noch beherrscht. Sieht sich der Unterlassende dagegen „nicht mehr der
147 Doch besteht die angenommene Diskrepanz in Wirklichkeit überhaupt nicht. Betätigung von Tatherrschaft, sondern lediglich den noch korrigierbaren Wirkun-
Denn die Mutter, die im genannten Beispiel dem Begehungstäter das nicht be- gen einer solchen Betätigung gegenüber (stößt er etwa auf das schwer verletzte
nutzte Messer gereicht hat, hat nicht nur eine - als solche straflose - versuchte Opfer eines Mordanschlages), so ist er, wenn er untätig bleibt, ... ebenso als Täter
aktive Beihilfe begangen, sondern auch einen täterschaftlichen Unterlassungs- anzusehen wie in dem Fall, in dem die Gefahr ... überhaupt nicht auf der Straftat
versuch, der unabhängig davon strafbar ist! Der Garant, der den nach seiner Vor- eines Dritten, sondern auf einem Unfall o. dgl. beruht".194 Zur Begründung wird
stellung letzten Augenblick zur Hinderung des Begehungstäters absichtlich ver- geltend gemacht, daß der unterlassende Garant neben einem aktiven Begehungs-
streichen läßt, kann vernünftigerweise nicht deshalb von seiner Strafe wegen ver- täter nur eine Randfigur sei, daß der mit Tatherrschaft aktiv Handelnde dem un-
suchter Unterlassungstäterschaft befreit werden, weil er zusätzlich auch noch aktiv tätig bleibenden Garanten den unmittelbaren Zugang zum Erfolg verstelle und
Hilfe leisten wollte! Keine Konkurrenzregel verbietet das: Denn die versuchte daß der unmittelbar rettende Zugriff im allgemeinen geringere Anforderungen an
Täterschaft tritt durchaus nicht hinter einer - auch noch straflosen - versuchten den Garanten stelle als die Überwindung eines entgegenstehenden Handlungswil-
Beihilfe zurück. lens. Gegen diese Lehre lassen sich aber sechs durchschlagende Argumente gel-
148 Es handelt sich bei näherem Zusehen auch nicht einmal um ein bloßes Ver- tend machen:
suchsproblem. Wenn der Vater unseres Beispiels zwar das ihm dargereichte Messer Erstens ist nicht einzusehen, warum es über Täterschaft oder Teilnahme ent- 152
unbenutzt läßt, das Kind aber mit bloßen Händen erwürgt, muß die Mutter, die scheiden soll, ob der Garant z. B. den Begehungstäter am Ertränken eines Kindes
das trotz bestehender Möglichkeit nicht verhindert hat, als Täterin einer vollende- nicht hindert oder ob er das von selbst in den Fluß gefallene, vom Ertrinken be-
ten Tötung durch Unterlassen bestraft werden. Die Vergeblichkeit ihrer aktiven drohte Kind nicht herauszieht.195 Entscheidend für seine Beurteilung kann doch
Beihilfebemühungen kann daran vernünftigerweise nichts ändern.
149 Eine Diskrepanz der Ergebnisse liegt demnach nur dann vor, wenn man die iss Rudolphi, 1966, 138ff.; ders., SK7, vor §13, Rn. 37-43; ihm folgend Blei, AT18, §86 IV
versuchte Unterlassungstäterschaft des Garanten mit der versuchten aktiven Bei- 2 b.
hilfe des Nichtgaranten vergleicht. Der erste Fall ist ggf. strafbar, der zweite nicht. 189 Armin Kaufmann, 1959, 291 ff. (299/30); ihm folgend Welzel, StrafR11, §28 V 2. Auch
Grünwald, GA 1959,110 ff, vertritt den Einheitstäterbegriff. ,
Das aber ist auch berechtigt, weil der große Strafbarkeitsunterschied zwischen Ga- wo Stratenwerth, AT4, § 14, Rn. 11.
191
ranten und Nichtgaranten ein Grundprinzip unseres Gesetzes ist. Bloy, 1985, 214 ff; ders., JA 1987, 490 ff. (492, 494).
150 Die hier befürwortete Auffassung wird in gleicher oder ähnlicher Form auch "2 Gallas, JZ 1952, 372; ders., JZ 1960, 687, Fn. 67.
1« So etwa auch Bockelmann/Volk, AT4, §26 I 2 b; Jescheck/Weigend, AT5, §64 III 5; Kühl,
sonst in der Literatur vielfach vertreten. Vollständige Übereinstimmung findet AT, §20, Rn. 230- Lackner/Kühl24, §27, Rn.5. Ganz ähnlich auch Kielwein, GA 1955, 225;
Schmidhäuser, LB AT , 17/12 sowie ders., StuB AT2, 13/13. Ausführlich zugunsten dieser Lehre
Ranft, ZStW 94 (1982), 815, 830 f.
186 Man vergleiche den Sachverhalt bei Schwab, 1996,174 f. 19
* Hier und im folgenden Gallas, JZ 1960, 687.
187
Roxitt, Täterschaft, 72000, 505. 195
Vgl. Armin Kaufmann, 1959, 296, und auch schon Kielwein, GA 1955, 227.
674
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§ 31 VII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VII § 31

nur sein, daß er als Garant ein vom Ertrinken bedrohtes Kind nicht rettet, nicht Sechstens führt die hier abgelehnte Lösung, wie schon Grünwald199 aufgedeckt 157
aber, wie die Bedrohung zustande gekommen ist. D e m wird zwar entgegengehal- hat, auch beim Versuch zu ganz ungereimten Lösungen. Der Vater, „der seinem
ten, 1 9 6 auch ein Tun führe „notwendig zur Täterschaft, w e n n Zufallsgefahr geför- Kind nicht zu Hilfe eilt, w e n n er irrig a n n i m m t , daß es ermordet werde" müßte
dert wird, während dasselbe Tun Beihilfe sein kann, wenn die Gefahr für das wegen nur versuchter Beihilfe straflos bleiben, während- er wegen versuchten
Opfer von einem Täter verantwortlich geschaffen worden ist".197 Aber dabei wird Mordes zu langjähriger Freiheitsstrafe verurteilt werden müßte, w e n n er sein
außer acht gelassen, daß bei Begehungsdelikten der Gehilfe im Regelfall auf die Kind fälschlich für verunglückt hielt! Eine derartige Ungleichbehandlung unter
Aktivität des Täters angewiesen ist, also ohne ihn nichts bewirken kann, während Strafwürdigkeitsgesichtspunkten gleich gelagerter Fälle ist nicht hinnehmbar.
die Unterlassung einer Erfolgsabwendung mit oder ohne Begehungstäter glei-
d) D i e Unterscheidung nach der Art der Pflichtenstellung
chermaßen möglich ist.
Eine weitere Gruppe von Autoren 2 0 0 differenziert zwischen Garantenstellun- 158
153 Zweitens: Daß der unterlassende Garant im Verhältnis z u m Begehungstäter
gen, die stets Täterschaft begründen, und solchen, die grundsätzlich oder, nach an-
eine Randfigur sei, trifft nur unter dem Aspekt der Tatherrschaft zu, die er im G e -
deren, doch meistens, nur zu einer Beihilfe durch Unterlassen fuhren können
gensatz zum Begehungstäter nicht innehat. Aber die Tatherrschaft hat der unterlas-
(Pflichtinhaltstheorie). A m meisten vertreten wird die Unterscheidung zwischen
sende Garant auch beim Fehlen eines Begehungstäters nicht, und doch ist er
Beschützer- u n d Überwachungsgaranten (vgl. dazu grds. § 32, R n . 6 f.). Der B e -
Unterlassungstäter. Wenn man erkennt, daß die Unterlassungsdelikte Pflicht-
schützergarant, der ein Rechtsgut vor allen Gefahren zu bewahren hat, wie z. B.
delikte sind, daß also die Pflichtverletzung die Täterschaft begründet, ergibt sich
der Vater Leben und Gesundheit seines Kindes, soll i m m e r Unterlassungstäter sein,
ohne weiteres, daß beide als Nebentäter „Zentralgestalten" des Geschehens sind,
wenn er seine Erfolgsabwendungspflicht verletzt. Wenn der Vater also bewußt
der eine kraft seiner Tatherrschaft und der andere durch seine Garantenstellung.
nicht verhindert, daß ein Dritter sein Kind tötet, wird er als Täter eines Totschlages
Tatherrschaft und Garantenstellung sind also selbständige u n d gleichwertige Tä-
durch Unterlassen bestraft. Insoweit stimmt diese Lehre mit der hier vertretenen
terschaftskriterien.
Auffassung überein. Der Überwachungsgarant dagegen, also z. B. die Kranken-
154 Drittens ist es nicht zutreffend, daß der aktiv Handelnde dem unterlassenden
schwester, die giftige Medikamente vor dem Zugriff Dritter zu bewahren hat, soll
Garanten den Zugang zum Erfolg „verstellt". Er tut dies nicht, weil er die Erfolgs-
da gegen nur Gehilfin durch Unterlassen sein, wenn sie bewußt nicht verhindert
abwendung durch den Garanten gerade nicht verhindern kann. Sofern man im daß ein Unbefugter sich das Gift n i m m t u n d damit einen Menschen tötet.
Begehungstäter ein Hindernis für die Erfolgsabwendung sieht, können Naturge-
Diese Differenzierung ist zuerst von Schröder201 entwickelt und später besonders 159
walten (etwa bei der R e t t u n g aus Feuersnot) ebenso große und größere Hinder-
von Herzberg202 ausgebaut worden; ähnliche Konzeptionen finden sich auch
nisse bilden.
sonst. 2 0 3 Schröder stützt sich vor allem auf den bis heute weiterwirkenden Gedan-
155 Es ist viertens auch nicht richtig, daß es „im allgemeinen" schwieriger sei, einen
ken, daß der Überwachungsgarant anders als der Beschützergarant nicht dem ver-
Begehungstäter als eine Naturkausalität von der Erfolgsherbeiführung abzuhal-
letzten Rechtsgut gegenüber verpflichtet sei. Herzberg beruft sich außerdem auf
ten. 1 9 8 Häufig trifft das Gegenteil zu: So kann es i m Ausgangsbeispiel sehr einfach
seinen besonderen Handlungsbegriff, wonach „auch die aktiv verübte Straftat . . .
sein, den Begehungstäter durch A n d r o h u n g einer Strafanzeige von seinem Tun
im Kern pflichtwidrige NichtÜberwachung einer Gefahrenquelle", nämlich der
abzubringen, während es sehr schwierig sein kann, das von selbst ins Wasser gefal-
von der eigenen Person ausgehenden Bedrohung, sei. Die Überwachungsgaranten
lene und mit der Strömung abtreibende Kind vor dem Ertrinken zu retten.
wären danach gar nicht Täter eines Pflichtdeliktes, sondern nach den Grundsätzen
156 Fünftens sprechen gegen eine Lösung, die beim Dazwischenstehen eines B e -
der Herrschaftsdelikte zu behandeln und danach im Verhältnis zum Begehungs-
gehungstäters den Garanten i m m e r z u m Gehilfen macht, die dadurch erzielten
täter immer nur Gehilfen.
Zufallsergebnisse. Verhindert der Garant den tödlichen Schuß des Mörders nicht,
Jedoch kann auch diese Konzeption nicht überzeugen und ist überwiegend auf
so ist er, wenn das Opfer sofort tot ist, immer nur Gehilfe. Wäre das verblutende
Ablehnung gestoßen. 2 0 4 Gegen sie ist vor allem viererlei einzuwenden:
Opfer aber durch einen Transport ins Krankenhaus eine Zeitlang noch zu retten,
rückt der konsequenterweise weiter untätig bleibende Garant mit einem Male
199
z u m Täter auf, obwohl i h m in beiden Fällen i m m e r nur sein Nichteinschreiten Grünwald, GA 1959,116-119, im Anschluß an Armin Kaufmann, 1959, 293/94.
200
Eine ausfuhrliche Zusammenstellung liefert Schwab, 1996, 90 ff.
vorgehalten werden kann. 201
Zuletzt Schänke/'Schröder17, vor § 47, Rn. 105-112. Ähnlich noch Seh/Seh/Cramer/Heine26,
vor § 25, Rn. 103-108; dem folgt auch Eser, StrafR II3, Fall 27, Rn. 22 ff.
2 2
° Herzberg, 1972, 257-273; ders., 1977, 82 ff.
2
•'s Arzt, JA 1980, 559; auch Herzberg, 1972, 259; Sowada, Jura 1986,403. "3 Etwa bei Schünemann, 1971, 377; Seier, JA 1990, 382 ff.
2
"7 Arzt, aaO. « Zur Kritik: Arzt, JA 1980, 559 f.; Bloy, 1985, 216 ff; ders., JA 1987, 491 f.; Ranft, ZStW 94
»8 So schon Armin Kaufmann, 1959, 296/297. (1982), 857 ff; Schwab, 1996,106 ff; Sowada, Jura 1986, 406 f.

676 677
§ 31 VII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VII § 31

160 Erstens ist die Abgrenzung von Beschützer- u n d Überwachungsgaranten in dert, es dem Opfer in den Kaffee zu schütten, als w e n n er es in der Position des
vielen Fällen nicht plausibel durchführbar, so daß schon aus diesem Grunde so Unterlassungstäters geschehen läßt, daß ein Nichtsahnender ohne Vermittlung
weitreichende Folgerungen für die Teilnahmelehre daran nicht geknüpft werden eines Dritten irrtümlich das Gift trinkt?
können. „Ist der Bademeister Beschützer der Gäste vor den Gefahren des Wassers Eine interessante Variante der Pflichtinhaltstheorie hat Jakobs210 entwickelt. Er 164
oder Überwacher dieser Gefahr?" fragt Jakobs205 mit Recht. Solche Fragen lassen kennt einerseits „Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit" (Eltern-Kind-Ver-
sich beliebig häufen, „da die identische Aufgabe regelmäßig als Beschützeraufgabe hältnisse, Ehe, Vertrauensbeziehungen, staatliche Gewaltverhältnisse, elementare
sowie als Überwachungsaufgabe formulierbar ist". Soll der Warenhausdetektiv das Amtspflichten), bei denen das Unterlassen als Pflichtdelikt zu qualifizieren, der
Eigentum des Besitzers beschützen oder die Gefahren überwachen, die mit dem unterlassende Garant also immer Täter sei. Andere Garantenstellungen begründen
Betrieb eines allgemein zugänglichen Warenhauses verbunden sind, usw.? demgegenüber für ihn „Pflichten kraft Organisationszuständigkeit" bei denen es
161 Zweitens entwerten die bei dieser Lösung unumgänglichen Ausnahmen von u m „Verantwortungsbereiche für Gefahren" gehe (Verkehrssicherungspflichten, In-
der Grundentscheidung den Ansatz im ganzen. W e n n z. B. die zu überwachende gerenz, Ü b e r n a h m e von Pflichten). Hier könne der unterlassende Garant sowohl
Gefahrenquelle, wie es häufig sein wird, eine nicht schuldfähige Person ist (ein Mittäter wie Gehilfe sein. Es k o m m e darauf an, „ob die Anteile am Verlauf, die
Kind, ein Jugendlicher, ein Geisteskranker oder Volltrunkener), wollen auch die zum Organisationskreis des Unterlassungstäters gehören, zumindest mit dem Bei-
trag des Haupttäters gleichwertig die Tatgestalt mitbestimmen, dann Mittäter-
Vertreter der Pflichtinhaltstheorie den Garanten als Unterlassungstäter bestra-
schaft, oder aber schwächer sind, dann Beihilfe". 211 Danach soll, „wer nur Garant
fen. 2 0 6 Der Umstand, daß eine spezielle Pflicht gegenüber dem verletzten Rechts-
dafür ist, daß gefährliche Gegenstände unverfügbar oder gefährdete Objekte g e -
gut angeblich nicht besteht, soll hier also einer Täterschaft des Garanten nicht im
sichert werden (Türen verschlossen, Kinder behütet)" werden, „in der Regel nur
Wege stehen. Damit wird aber das Prinzip preisgegeben. Andererseits kann auch
Gehilfe sein".
der Beschützergarant bei eigenhändigen Delikten oder beim Fehlen bestimmter
Tatbestandsvoraussetzungen (etwa der Zueignungs- oder Bereicherungsabsicht) Die Konzeption ähnelt derjenigen, die zwischen Beschützer- und Ü b e r w a - 165
nicht Täter sein, woraus sich ergibt, daß die Unterlassungstäterschaft von der Tat- chungsgaranten unterscheidet, bietet aber eine plausiblere Abgrenzung der Pflicht-
bestandserfüllung und nicht von der Art der Pflichtenstellung abhängt. inhalte und unterscheidet sich von ihr weiterhin dadurch, daß sie auch bei der
162 Drittens ist der Gedanke, daß der Überwachungsgarant gegenüber dem poten- Organisationszuständigkeit eine Mittäterschaft immerhin zuläßt. Gleichwohl gel-
tiellen Opfer keine Verpflichtung habe, unzutreffend. D e n n aus dem Gesetz (§ 13) ten wesentliche Einwände, die gegen die ältere Pflichtinhaltstheorie vorgebracht
ergibt sich eindeutig eine Pflicht zur Erfolgsabwendung und damit zum Schutz wurden, auch hier. Vor allem läßt sich eine wertende Abstufung zwischen Garan-
des bedrohten Rechtsgutes bei allen Garantenstellungen. Ein Mehr oder Weniger tenpflichten, die mehr der Täterschaft ,und solchen, die mehr der Beihilfe bei B e -
gibt es hier nicht. 2 0 7 Alle Garantenstellungen konstituieren gleichermaßen „eine gehungsdelikten „entsprechen", nicht treffen, weil jede Garantenpflicht gleicher-
nicht weiter abstufbare Erfolgsabwendungspflicht". 208 Diese „Identität des Pflich- maßen die Verhinderung des Erfolges zum Inhalt hat.
teninhalts" 2 0 9 spricht entscheidend für eine Gleichbehandlung aller Garantenstel- e) D i e Lösung m i t Hilfe der Entsprechungsklausel
lungen.
Schwab212 will die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe bei Unterlassungen 166
163 Viertens müssen die Strafwürdigkeitsargumente, die sich aus dem Vergleich mit
danach vornehmen, ob das Unterlassen einer Begehungstäterschaft oder einer B e -
der Begehungsbeihilfe herleiten lassen - wer dem Begehungstäter das Gift in die
gehungsbeihilfe „entspricht". Das führt ihn zu dem Ergebnis, daß „in der Regel"
Hand gebe, sei auch nur Gehilfe; wie solle da die bewußt unterlassene Sicherung
dem Unterlassenden neben einem Aktivtäter „nur die Rolle einer Randfigur ver-
eine Täterschaft begründen? - , nicht durch Sonderregeln für Ü b e r w a c h u n g s -
bleibt" er also Gehilfe ist. 213 Das soll für Ü b e r w a c h u n g s - wie Beschützergaranten
garanten, sondern so gelöst werden, wie dies bei Entwicklung der eigenen M e i -
gleichermaßen gelten. Es sollen aber ausnahmsweise auch Fälle verbleiben, „in
nung ( R n . 140 ff.) schon dargelegt worden ist. Außerdem tritt das Problem des
denen die Wertung ergibt, daß dem Unterlassenden trotzdem die Rolle als Z e n -
Verhältnisses zur Begehungsbeihilfe natürlich bei Beschützergaranten auch auf.
tralfigur zukommt, er also als Täter zu bestrafen ist. Schwab verdeutlicht das' an
U n d w a r u m soll derjenige, der ein Gift unvorsichtig verwahrt hat, weniger straf-
einem Fall, 214 in dem der Garant gegen eine Begehungstat nicht einschreitet, die
würdig (und deshalb nur Gehilfe) sein, w e n n er den Mörder willentlich nicht h i n -
210 Jakobs, AT2, 28/14ff.; 29/101 ff. Eine gute Ausarbeitung dieser Theorie liefert Sanchez-
205 2
Jakobs, AT , 29/72; hier auch das folgende Zitat. Vera, 1999.
206 Vgl. Herzberg, 1972, 260 f.; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, v o r § 25, R n . 106. 2» Jakobs, AT2, 29/102; hier auch das folgende Zitat.
207 SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 40. 212 Schwab, 1996,189.
208 B/oy, J A 1987,492. 21 3 So das Resümee bei Schwab, 1996, 227; hier auch das folgende Zitat
209 SouWdJura 1986,407. 21" Schwab, 1996, 221 f. Das folgende Zitat: 222.

678
§ 31 VII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VII § 31
„nur" mit dolus eventualis begangen wird und bei der eine R e t t u n g auch nach der
2. Mittäterschaft durch Unterlassen
todesverursachenden Handlung eines Begehungstäters (einer Brandstiftung) noch
möglich geworden wäre. „Bei einer Gesamtbetrachtung" erscheine hier der U n t e r - Im Regelfall sind mehrere unterlassende Garanten nicht Mittäter, weil es an 171
lassende „nicht als R a n d - , sondern als Zentralfigur". einem gemeinsamen Tatentschluß fehlt. Wenn also mehrere garantenpflichtige
Aber auch auf diese Weise läßt sich eine überzeugende Abgrenzung nicht durch- Menschen die R e t t u n g eines Verunglückten unterlassen, sind sie Nebentäter durch
führen. Zunächst bezieht sich die Entsprechungsklausel des § 13 I nicht auf die A b - Unterlassen, 217 aber nicht Mittäter. Entsprechendes gilt, w e n n ein Unterlassender
grenzung von Täterschaft und Teilnahme, sondern auf die Strafbarkeit als solche. gegen einen Begehungstäter nicht einschreitet.
Ein Unterlassen ist schlechthin, wie § 13 I deutlich sagt, „nur dann strafbar" w e n n Daraus braucht aber nicht gefolgert zu werden, daß ein Unterlassender über- 172
das Unterlassen der Begehung durch ein Tun entspricht. Daß die Entsprechung haupt nicht Mittäter sein könne. 2 1 8 Eine Mittäterschaft ist zunächst in der Form
nicht gleichzeitig das Täter-Teilnehmer-Problem lösen soll, ergibt sich schon dar- möglich, daß mehrere Unterlassende vereinbarungsgemäß ein und dieselbe Er-
aus, daß der Gesetzgeber offenlassen wollte, ob bei Unterlassungen eine Unter- folgsabwendungspflicht verletzen. Wenn z. B. Vater und Mutter auf Grund eines
scheidung von Täterschaft und Teilnahme überhaupt möglich ist (vgl. R n . 145). gemeinsamen Beschlusses ihr Kind unversorgt lassen (§ 225 I, ggf. § 212), sind sie
Sodann läuft die Unterscheidung der Sache nach doch weitgehend auf die Mittäter durch Unterlassen (RGSt 66, 74). Oder mehrere Geschäftsführer unterlas-
Theorie der „Einheitsbeihilfe" ( R n . 151 ff.) hinaus u n d ist allen dagegen zu er- sen einvernehmlich den Rückrufeines gesundheitsschädlichen Produktes (BGHSt
hebenden Einwänden ausgesetzt. Die Ausnahmen, bei denen im Wege einer „ G e - 37, 106, 129: mittäterschaftliche Körperverletzung durch Unterlassen). Entspre-
samtbetrachtung" doch eine Täterschaft a n g e n o m m e n werden soll, bleiben vage chendes gilt, wenn mehrere Aufseher nach einem gemeinsamen Plan Gefangene
und sind das Ergebnis einer gefühlsmäßigen Wertung, die keine klare Abgrenzung durch Untätigkeit entkommen lassen (§ 120 II), w e n n mehrere Vermögensverwal-
ermöglicht. ter einvernehmlich Maßnahmen zur Wahrung der ihnen anvertrauten Güter u n -
terlassen (§ 266) usw.
f) Unterlassene Taterschwerung als Beihilfe
Besondere praktische Bedeutung hat die A n n a h m e einer mittäterschaftlichen 173
Ein Sonderproblem bildet die Frage, ob der Handlungspflichtige nicht bei einer
Unterlassung allerdings nicht. D e n n jeder Unterlassende ist schon für sich allein
Unmöglichkeit der Erfolgsabwendung wenigstens die Erschwerung der Tat-
Täter. Es fehlt also das arbeitsteilige Zusammenwirken, das die Begehungs-Mit-
bestandsverwirklichung unternehmen m u ß und wegen Beihilfe bestraft werden
täterschaft kennzeichnet. Ein wechselseitiges Aufeinander-angewiesen-Sein und
kann, w e n n er dies unterläßt. Dies hat die ältere Rspr. angenommen. 2 1 5 Es ist aber
damit „der eigentliche Fall der Mittäterschaft" 219 ist nur dann gegeben, wenn die
richtigerweise abzulehnen. 2 1 6 D e n n erstens setzt jedes vollendete Unterlassen
geforderte Handlung nicht anders als gemeinsam erbracht werden kann. Beispiels-
(auch in Gestalt der Beihilfe) eine Kausalität im Sinne einer Erfolgsabwendungs-
weise unterlassen Ehepartner die Abgabe der gemeinsamen Steuererklärung; ein
möglichkeit voraus; die Rspr. hat davon nur absehen können, weil sie fälschlich
Tresorraum, in dem jemand eingeschlossen ist, kann nur von zwei Inhabern ver-
eine Kausalität der Beihilfe nicht für nötig hält (dazu näher oben § 26, R n . 186 f.).
schiedener Schlüssel gemeinsam geöffnet werden; 2 2 0 oder das gesundheitsgefähr-
U n d zweitens ist es sinnlos, ein Tätigwerden zu verlangen, das den Erfolg doch
dende Produkt kann nur von mehreren gemeinsam zurückgerufen werden.
nicht abwenden kann. Warum soll man z. B. zur Bewahrung fremden Gutes vor
Eine Mittäterschaft zwischen einem Begehungs- u n d einem Unterlassungstäter 174
den Räubern weglaufen müssen, w e n n man ihnen doch nicht entfliehen kann?
ist bei der gemeinsamen Verwirklichung von Pflichtdelikten möglich. Wenn z. B.
Anders liegt es freilich, w e n n die Erschwerung die Chance der Erfolgsverhin-
zwei Aufsichtsbeamte dem Gefangenen vereinbarungsgemäß dadurch die Flucht
derung geboten und das Risiko des Erfolgseintrittes auch bei einer Betrachtung
ermöglichen, daß der eine i h m den Schlüssel zur Öffnung der Zellentür über-
ex post vermindert hätte. D a n n gilt alles, was zur Kausalität des Unterlassens und
reicht (aktives Tun), während der andere entgegen seiner Pflicht die Außenpforte
zur Risikominderung schon ausgeführt worden ist (oben Rn.46ff.). Eine Zurech-
unverschlossen läßt (Unterlassen), so sind sie Mittäter der Gefangenenbefreiung
n u n g des Erfolges ist dann sehr wohl möglich; aber es liegt dann, w e n n der Tat-
(§ 120 II). D e n n sie erfüllen denselben Tatbestand und verstoßen gegen eine g e -
bestand überhaupt durch Unterlassen verwirklicht werden kann, eine Täterschaft
meinsame Aufsichtspflicht, deren Verletzung sie ohne Rücksicht auf die Art 'des
und nicht bloß eine Beihilfe durch Unterlassen vor (näher R n . 140 ff.).
äußeren Verhaltens zu Tätern macht. Dagegen wird man entgegen dem B G H
217
Armin Kaufmann, 1959,189.
218
So aber Grünwald, GA 1959, 111, wegen der von ihm angenommenen Eigenständigkeit
der Beteiligung durch Unterlassen; Armin Kaufmann, 1959, 189 (weil es keinen Unterlassungs-
2'5 RGSt 71,176-178 (178); 73, 52-60 (54); BGH NJW1953,1838f. (1838). vorsatz gebe); Welzel, StrafR11, 206.
216 219
7
Vgl. nur Grünwald, GA 1959, 118, Fn. 21; Armin Kaufmann, 1959, 293; Roxin, Täterschaft, Jescheck/Weigend, AT5, § 63 IV, 2; hier auch das erste der folgenden Beispiele.
2000, 489; Seh/'Seh/Cramer/'Heine26, § 27, Rn. 16. 220
Stratenwerth, AT4, § 14, Rn. 15.
680 681
§ 31 VIII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VIII § 31
schwerlich von Mittäterschaft sprechen können, wenn eine Wirtin gegen Körper- Im Regelfall der unechten Unterlassung besteht die tatbestandsmäßige Situation 178
verletzungshandlungen ihrer Gäste nicht einschreitet (vgl. oben Rn. 130). Denn jedoch in der bloßen Gefahr des Erfolgseintritts. Für den Vater ist also eine zum
zwar ist sie auch nach der hier vertretenen Auffassung Täterin (vgl. Rn. 140 ff.), Eingreifen verpflichtende tatbestandsmäßige Situation gegeben, einerlei, ob sein
aber auf Grund des selbständigen Täterbegriffs der Unterlassungsdelikte und nicht Kind durch Wasser oder Feuer, durch eine Lawine oder Verkehrsrisiken oder durch
durch eine Teilhabe an der Tatherrschaft der Gäste. eine von Menschen ausgehende Bedrohung in Gefahr gerät. Die Grenze, von der
an Risiken zu einer tatbestandsmäßigen Situation werden, wird durch den Beginn
3. Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen? des Unterlassungsversuchs gezogen (dazu §29, Rn.266ff.). Selbst wenn der Ver-
175 Dagegen ist die Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen such als solcher nicht strafbar ist, kann doch ein Nichteinschreiten in diesem Sta-
abzulehnen.221 Sie wird von einigen Autoren 222 für den Fall vertreten, daß ein Ga- dium die Haftung für den späteren Erfolg begründen.
rant gegen die Begehungstat eines „Werkzeuges" (also etwa eines kleinen Kindes
b) Das Ausbleiben der geforderten Handlung
oder eines Geisteskranken) nicht einschreitet. Aber hier liegt eine unmittelbare
Unterlassungstäterschaft vor wie in allen Fällen, in denen ein Garant den Erfolg Eine tatbestandsmäßige Unterlassung ist ferner nur dann gegeben, wenn die in 179
nicht abwendet. Hier von mittelbarer Täterschaft zu sprechen, ist nicht nur über- der tatbestandsmäßigen Situation geforderte Handlung unterbleibt. Welche Hand-
flüssig, sondern sogar sachwidrig, weil der Garant den Begehungstäter nicht zum lung das ist, ergibt sich bei den echten Unterlassungsdelikten wiederum aus dem
Gesetz, z. B. ein Hilfeleisten in § 323 c oder eine rechtzeitige Anzeige an die Be-
Werkzeug seines Willens macht, sondern den vollkommen ungenötigt handeln-
hörde oder den Bedrohten in § 138. Dasselbe gilt für die im Besonderen Teil vor-
den unmittelbaren Täter nur gewähren läßt.
findbaren unechten Unterlassungsdelikte, etwa das Sich-Entfernen in § 123 oder
das Beistehen in § 2211 Nr. 2.
VIII. Der Tatbestand bei den Unterlassungsdelikten Bei der großen Mehrzahl der unechten Unterlassungsdelikte, die durch § 13 den 180
Begehungstaten gleichgestellt werden, sind die vorzunehmenden Handlungen im
1. Der objektive Tatbestand Gesetz nicht beschrieben. Sie ergeben sich jedoch aus dem, was in der jeweiligen
176 Der objektive Tatbestand des hier im Vordergrund stehenden unechten Unter- Situation zur Verhinderung des Erfolges erforderlich ist. Dabei können dem Ga-
lassungsdelikts hat fünf Voraussetzungen (a-e), von denen die ersten drei für alle ranten verschiedene Alternativen zu Gebote stehen, etwa eigenes Zupacken oder
und damit auch die echten Unterlassungsdelikte gelten. 223 Sie werden durchweg das Herbeiholen von Hilfe. Wählt der Unterlassende eine Handlungsalternative,
in anderen Zusammenhängen näher behandelt, so daß es hier bei erläuternden die er zur Abwendung des Erfolges irrtümlich als geeignet ansieht - er ruft z.B.,
Hinweisen und Ergänzungen bewenden kann. anstatt selbst Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, die Polizei, die keinesfalls recht-
zeitig eingreifen kann - , so kommt ein fahrlässiges Unterlassungsdelikt in Be-
a) Die tatbestandsmäßige Situation
tracht.224
177 Eine tatbestandsmäßige Unterlassung setzt zunächst immer voraus, daß eine
Situation gegeben ist, die ein Eingreifen erfordert (vgl. dazu schon Rn. 86). Wie c) Die individuelle Handlungsfähigkeit
diese Situation beschaffen sein muß, ist bei den echten Unterlassungsdelikten ge- Schließlich fordert ein tatbestandsmäßiges Unterlassen die individuelle Hand- 181
nau beschrieben, z. B. in § 323 c als ein Unglücksfall, eine gemeine Gefahr oder lungsfähigkeit des Unterlassenden. Was darunter zu verstehen ist, ist schon oben
Not, bei der Hilfe erforderlich ist, in § 138 als das rechtzeitige und glaubhafte Er- (Rn. 8-15) als Voraussetzung auch des vortatbestandlichen Unterlassens näher aus-
fahren von bestimmten verbrecherischen Plänen oder Ausführungshandlungen. geführt worden. Darauf sei hier verwiesen.
Auch bei unechten Unterlassungsdelikten wird die tatbestandsmäßige Situation
bisweilen im Besonderen Teil geschildert, z. B. die Aufforderung des Berechtigten d) Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges
an jemanden, der sich in einem fremden Hausrechtsbereich aufhält, in § 123 (dar- Eine Zurechnung des Erfolges im Sinne der Begehungsdelikte kommt nur bei 182
über, daß es sich hier um ein unechtes Unterlassungsdelikt handelt, vgl. Rn. 18). unechten Unterlassungen in Betracht. Sie richtet sich nach den Regeln, die oben
unter dem Stichwort der „Kausalität beim Unterlassen" (Rn. 37 ff.) dargelegt wor-
den sind. Die Verwirklichung eines unerlaubten Risikos, die bei Begehungsdelik-
22i Gropp, KT2, § 10, Rn.69; Grünwald, GA 1959, 110, 112; Jescheck/Weigend, AT5, §62 IV 2;
Roxi»,Täterschaft, ^2000, 471 f.; Seh/Seh/Cramer/Heine26, § 25, Rn. 54f.; Stratenwerth, AT4, § 14,
Rn. 12; Welzel, StrafR11, 206. 224 Jakobs, AT 2 , 29/94; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 5 9 II 1; Armin Kaufmann, 1959, 109ff., 133f.,
222 Baumann/Weber, AT 1 0 , § 29 IV 2 a; Blei, AT 1 8 , § 72 II 2; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 48/95. 310; Köhler, AT, 234; SK7-Rudolphi, v o r § 13, R n . 12; Seh /Seh /Cramer/Sternberg-Lieben26, § 15,
223 Vgl. zum Ganzen SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 11-17. Rn. 143; Welzel, StrafR11, 204, 212.

682 683
§ 31 VIII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VIII § 31

ten neben der Kausalität die Zurechnung begründet, 2 2 5 ist zwar auch bei der voll- aber erkennt, daß dies bei seinem Untätigbleiben mit Sicherheit eintreten wird. Er
endeten Unterlassungstat gegeben. Aber hier findet der Unterlassende in der tat- handelt schließlich mit dolus eventualis, w e n n er erkennt, daß infolge seines
bestandsmäßigen Situation das unzulässige Risiko bereits vor und schafft es nicht Nichteingreifens zwar möglicherweise der tatbestandsmäßige Erfolg eintreten
wird und er diesen Ausgang zwar nicht bezweckt, er diese Möglichkeit aber ernst
selbst.
n i m m t und sich mit ihrem eventuellen Eintritt abfindet. Es liegt dann eine „Ent-
e) Garantenstellung und Entsprechung scheidung für die mögliche Rechtsgüterverletzung" vor, die den dolus eventualis
183 N u r bei unechten Unterlassungsdelikten, die keine Gleichstellung im Besonde- auch sonst kennzeichnet. In diesem Sinne hat sich auch der Bundesgerichtshof g e -
ren Teil erfahren haben, müssen zur Erfüllung des Tatbestandes außerdem die Vor- äußert (BGHSt 16,159): Der „Entschluß, untätig zu bleiben, ist eine bewußte und
aussetzungen des § 13 gegeben sein. Das heißt: Der Unterlassende m u ß rechtlich gewollte Entscheidung. Das genügt für den Vorsatz."
dafür einzustehen haben, daß der Erfolg nicht eintritt, und das Unterlassen m u ß Dabei m u ß der Vorsatz im geschilderten Sinne sich auf alle Umstände beziehen, 186
der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen. D i e - die als Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes bei Unterlassungsdelikten g e -
sen besonders wichtigen Tatbestandsvoraussetzungen der unechten Unterlassungs- nannt worden sind. Der vorsätzlich handelnde Unterlassungstäter m u ß also die
delikte ist der folgende § 32 dieses Buches gewidmet. tatbestandsmäßige Situation (also in der Regel die jeweilige Gefahrenlage) er-
kannt haben ( R n . 177 f.). Er m u ß das Ausbleiben der geforderten H a n d l u n g in sei-
2. D e r subjektive Tatbestand nen Vorsatz aufgenommen haben (Rn. 179 f.) und sich seiner individuellen H a n d -
lungsfähigkeit bewußt sein ( R n . 183). Bei den unechten Unterlassungsdelikten
a) D e r Vorsatz
k o m m e n zwei wesentliche Vorsatzerfordernisse hinzu. Der Unterlassende m u ß die
184 Ein Vorsatz ist bei Unterlassungsdelikten genauso möglich w i e bei B e g e -
Umstände kennen, die eine Zurechnung des Erfolges begründen ( R n . 182), und er
hungsdelikten. Dies wird zwar von der orthodox-finalistischen Lehre Armin Kauf-
m u ß sich der Sachverhaltsumstände bewußt sein, aus denen sich seine Garanten-
manns und Welzels226 bestritten. Da sie einen Vorsatz nur im Sinne einer finalen
stellung und die Entsprechung seines Unterlassens im Verhältnis zur jeweiligen
Steuerung des Kausalverlaufs anerkennen, kann es für sie, da eine aktive Steuerung
Begehungshandlung ergeben ( R n . 183). Der Vater, der sein ins Wasser gefallenes
nur bei Begehungsdelikten möglich ist, einen Unterlassungsvorsatz nicht geben.
Kind nicht rettet, m u ß also wissen oder wenigstens mit der Möglichkeit rechnen,
D e m ist jedoch mit der ganz h. M . 2 2 7 nicht zu folgen. D e n n da der Gesetzgeber
daß sein Eingreifen den Erfolg abwenden könnte, u n d er m u ß erkennen oder
offensichtlich von der Möglichkeit vorsätzlicher Unterlassungsdelikte ausgeht und
doch für möglich halten, daß es sein Kind und nicht etwa dasjenige eines Dritten
auch Kaufmann und Welzel bei Unterlassungsdelikten Bestrafungen aus dem
ist, u m dessen R e t t u n g es geht. Im großen und ganzen gelten dabei die für den
Vorsatzstrafrahmen vornehmen, 2 2 8 ist es nicht sinnvoll, den Vorsatzbegriff so zu
Vorsatz bei Begehungsdelikten entwickelten Grundsätze, auf die deshalb für die
bestimmen, daß er von vornherein nur auf Begehungsdelikte paßt. Vielmehr ist
Einzelheiten verwiesen sei (Roxin, AT l 3 , § 12). N u r zwei Punkte bedürfen geson-
der Vorsatzbegriff nach den normativen Vorgaben, die auch für Begehungsdelikte
derter Erwähnung.
gelten, in einer der ontischen Struktur des Unterlassens entsprechenden Weise zu
Erstens ist strittig, ob und ggf. wie genau der Unterlassende die i h m zu Gebote 187
modifizieren.
stehenden Rettungswege, also die sachlichen Voraussetzungen der Erfolgszurech-
185 D a n n ergibt sich, daß auch die Unterlassung sich als „Planverwirklichung" in
nung, gekannt haben muß. Nach einer verbreiteten M e i n u n g 2 3 0 m u ß sich der
den drei Erscheinungsformen der Absicht, des dolus directus und des dolus even-
Vorsatz „auch auf die Möglichkeit beziehen, eine bestimmte zur Verhinderung der
tualis darstellen kann. 2 2 9 Der Unterlassende handelt demnach absichtlich, w e n n
drohenden Rechtsgutsbeeinträchtigung führende Aktivität entwickeln zu k ö n -
der Zweck seines Untätigbleibens darin besteht, den tatbestandsmäßigen Erfolg
nen". Der Unterlassende m u ß danach also den Weg zur R e t t u n g sehen und bewußt
eintreten zu lassen. Er handelt mit direktem Vorsatz, w e n n er zwar den Eintritt des
nicht einschlagen. Demgegenüber verlangen Armin Kaufmann und Welzel, da sie
Erfolges nicht bezweckt - ihm ist z. B. das Geschehen gleichgültig - , w e n n er
auf einen eigentlichen Unterlassungsvorsatz ohnehin verzichten ( R n . 184), vom
225 Vgl. Roxi«, ATI 3 , §11. Untätigen nur, daß er „die Wege und Mittel zur R e t t u n g des bedrohten Rechts-
226 Armin Kaufmann, 1959, 6 0 ff., 110 ff, 148 ff., 309ff. u. passim; den., v o n W e b e r - F S , 1963, guts" müsse „erkennen können". 231 „Wer sich . . . angesichts eines Unglücksfalles
207; Welzel, StrafR11, 204 f. erst gar keine Gedanken darüber macht, ob und wie er . . . helfen kann, der unter-
227 Vgl. e t w a Baumann/Weber, A T 1 0 , § 2 0 I 1; Freund, AT, § 7 , R n . 4 1 ; Gropp, A T 2 , § 1 1 ,
R n . 84; Jakobs, KT , 29/82f.; Jescheck/Weigend, A T 5 , § 5 9 V I , F n . 78; Köhler, AT, 230f.; Kühl,
2 läßt ,unbewußt' gerade deshalb, weil ihm die Folgen d e s . . . Unglücks gleichgültig
A T 2 , § 18, R n . 125; Maurach/'Gössel, AT/2 7 , 46/110.
228 Über Abweichungen von der hier vertretenen Auffassung vgl. Rn. 185 f. 230 Maurach/Gössel, AT/27, 46/113; ferner etwa Grünwald, H. Mayer-FS, 1966, 294f.; Jakobs,
2
229 Grünwald, H . M a y e r - F S , 1966, 294f.; Jakobs, A T , 2 9 / 8 6 , 87; Jescheck/Weigend, 5
AT , § 5 9 AT2, 29/86, 87; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 VI 2 b; Köhler, AT, 231 f.
VI 2 b . 23i Welzel, StrafR11, 212.

684 685
§ 31 VIII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VIII § 31
oder erwünscht sind." 232 Es soll also auch die u n b e w u ß t e Unterlassung aus dem garantenpflichtige Täter unterließ es, gegen eine Vergewaltigung einzuschreiten.
Vorsatzstrafrahmen bestraft werden. „Die Beschränkung auf die bewußte Unter- Ihm war bekannt, daß er die Möglichkeit dazu hatte. Doch war er sich seiner
lassung würde den sozial Gleichgültigen u n d Gefühllosen prämiieren!" 2 3 3 Rechtspflicht zum Eingreifen nicht bewußt. Diese Fehlvorstellung wurde vom
188 Die richtige Lösung liegt in der Mitte zwischen den extremen Positionen. 2 3 4 B G H mit Recht als bloßer Gebotsirrtum beurteilt, der die Bestrafung wegen einer
Wenn der Unterlassende keine Rettungsmöglichkeit sieht - aus welchen Gründen vorsätzlichen Unterlassungstat nicht hindert. D e n n die Erfolgsabwendungspflicht
auch i m m e r - , kann ihm keine vorsätzliche Unterlassungstat zur Last gelegt ist kein normatives Tatbestandsmerkmal, dessen Verkennung den Vorsatz aus-
werden. D e n n die Voraussetzungen keiner der drei Vorsatzformen sind gegeben. schlösse, sondern betrifft die Gesamtbewertung der Tat 237 und damit deren
Insbesondere liegt kein dolus eventualis vor, weil der Täter sich nicht gegen das Rechtswidrigkeit. Wer nur über sie irrt, irrt allein über das Gebot und bleibt nach
geschützte Rechtsgut entscheidet, wenn er gar keine Möglichkeit der Erfolgs- § 17 nur dann straflos, wenn der Irrtum unvermeidbar war. 2 3 8 Hätte dagegen der
abwendung sieht. Mit dem Hinweis auf etwaige „Gleichgültigkeit" u n d „Gefühl- Unterlassende in dem v o m B G H entschiedenen Fall irrtümlich angenommen, das
losigkeit" läßt sich dieser Befund nicht umstoßen. D e n n erstens beruhen die mei- Opfer sei mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden, so hätte er sich in einem
sten Situationsverkennungen ohnehin nur auf schlichter Unachtsamkeit, also vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum befunden.
einer typischen Fahrlässigkeit. U n d zweitens kann auch schon das Verkennen der Diese Regeln sind auf alle denkbaren Konstellationen anzuwenden. Wenn z. B. 192
tatbestandsmäßigen Situation (also das Nichterkennen der Gefahr) auf rücksichts- der Vater nicht bemerkt, daß es sich bei d e m Kind, das er zu retten unterläßt, u m
loser Gleichgültigkeit beruhen und begründet gleichwohl unbestrittenermaßen sein eigenes handelt, befindet er sich im Tatbestandsirrtum und kann - außer nach
nur eine Fahrlässigkeit. Andererseits wird für die Bestrafung wegen vorsätzlicher § 323 c - nur wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen bestraft werden. Wenn
Unterlassung zu viel verlangt, w e n n der Täter sich die konkrete zu ergreifende er dagegen die gefährdete Person als sein Kind erkennt, sich zu seiner R e t t u n g
Rettungsmaßnahme genauer vorgestellt haben soll. Es genügt, w e n n der untätig aber nicht verpflichtet fühlt und deshalb untätig bleibt, ist das ein bloßer Gebots-
Bleibende davon ausgeht, erfolgversprechende Rettungsmöglichkeiten, die ihn irrtum, der an seiner Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung durch Unterlassen
freilich nicht interessieren, könnten gegeben sein. Schon damit n i m m t der Unter- nichts ändert. Ferner ist etwa ein Tatbestandsirrtum anzunehmen, w e n n jemand,
lassungstäter „die Verknüpfung des Erfolgseintritts mit der eigenen Untätigkeit in der einen Unfall verursacht hat, die Hilfe gegenüber dem Opfer unterläßt, weil er
Kauf" 2 3 5 und entscheidet sich bei weiterem Untätigbleiben gegen das geschützte nicht bemerkt hat, daß er einen anderen Menschen überfahren hat. W e n n er aber
Rechtsgut. 2 3 6 den Unfall zur Kenntnis g e n o m m e n hat und nichts tut, weil er zur Hilfe für das
189 Der zweite Punkt, der noch der Erörterung bedarf, betrifft die Abgrenzung von Opfer nicht verpflichtet zu sein glaubt, liegt ein Verbotsirrtum vor.
Tatbestands- und Verbotsirrtum beim Unterlassen. Was beim Begehungsdelikt als Der B G H hat diese aus der allgemeinen Irrtumslehre abzuleitenden Grundsätze 193
Verbotsirrtum in Erscheinung tritt - der Täter kennt die Tatumstände, nicht aber mit Recht auch auf echte Unterlassungsdelikte übertragen. BGHSt 19, 295 2 3 9 sagt
das Verbot (ausführlich Roxin, AT l 3 , § 21) - tritt bei Unterlassungsdelikten als schon im Leitsatz: „Wer das Vorhaben eines Raubes anzuzeigen unterläßt aus
Gebotsirrtum auf: Der Unterlassende kennt die Sachgegebenheiten, zieht aber aus Unkenntnis, daß er zur Anzeige verpflichtet ist, befindet sich im Gebotsirrtum."
ihnen nicht den Schluß auf seine Handlungspflicht. Hätte dagegen der Unterlassende trotz der ihm zuteil gewordenen Information
190 Für die Abgrenzung von Tatbestands- und Gebotsirrtum beim Unterlassungs- nicht begriffen, daß ein R a u b geplant war, oder hätte er die Möglichkeit recht-
delikt hat das folgende Konsequenz: Wer eine sachliche (deskriptive oder n o r m a - zeitiger Anzeige nicht erkannt, so wäre das ein Tatbestandsirrtum. In entsprechen-
tive) Voraussetzung seiner Handlungspflicht nicht kennt, befindet sich in einem der Weise liegt in Fällen des § 323 c ein Gebotsirrtum vor, w e n n der Täter den U n -
den Unterlassungsvorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum. Wer sich aber aller glücksfall erblickt, sich aber nicht zur Hilfeleistung für verpflichtet hält, während
Sachverhaltsumstände bewußt ist und gleichwohl meint, zum Handeln nicht ver- ein Tatbestandsirrtum gegeben ist, w e n n der untätig Bleibende den Unfall nicht
pflichtet zu sein, unterliegt einem nach § 17 zu behandelnden Verbotsirrtum. bemerkt hat.
191 Der B G H hat das - nach anfänglichem Schwanken - für unechte Unterlas-
sungsdelikte zum ersten Mal in BGHSt 16,155 (Großer Senat) ausgesprochen. Der

232 Armin Kaufmann, 1959,112.


233 Armin Kaufmann, 1959,112. 237 Vgl. zu gesamttatbewertenden Merkmalen und dem Irrtum über sie bei Begehungsde-
234 In diesem Sinne Kühl, AT2, § 18, Rn. 126; SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 24; Stratenwerth, likten Roxin, AT l3, § 10, Rn.45ff.; § 12, Rn.94ff.
AT4, §13, Rn. 71. 238 Vgl. zum Gebotsirrtum beim Unterlassenden noch unten Rn. 209 und 210.
235 Stratenwerth, a a O . 239 AaO., 297/98 weist die ältere Rspr. nach, in der die Handlungspflicht bei echten Unter-
236 SK7-Rudolphi, vor § 13, R n . 24. lassungsdelikten als Tatbestandsmerkmal angesehen worden war.
686 687
§ 31 VIII 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen VIII § 31
b) D i e Absicht und sonstige subjektive Merkmale in den Tatbeständen des c) Das fahrlässige Unterlassen
Besonderen Teils
Ein fahrlässiges Unterlassen ist ohne weiteres möglich. Es besteht darin, daß der 196
194 O b Absichten und sonstige subjektive Tatbestandselemente, die neben dem Vor- Garant sich in einer z u m Einschreiten verpflichtenden Gefahrensituation unvor-
satz in vielen Tatbeständen des Besonderen Teils verlangt werden, auch durch sätzlich, aber in objektiv vermeidbarer Weise untätig oder sonst fehlerhaft verhält
Unterlassen verwirklicht werden können, ist umstritten. Wenn man, wie es auch und dadurch den Erfolg verursacht (zur Kausalität des Unterlassens vgl. R n . 3 7 -
beim Vorsatz vertreten wird (vgl. R n . 184), für derartige Tendenzen eine den Kau- 68). Man kann vier verschiedene Erscheinungsformen fahrlässigen Unterlas-
salverlauf steuernde Begehungskausalität fordert, können sie natürlich beim b l o - sens unterscheiden. 2 4 2
ßen Unterlassen nicht vorliegen. 2 4 0 Jedoch ist es, wie beim Vorsatz ( R n . 184),
D i e erste Möglichkeit besteht darin, daß der unterlassende Garant die tat- 197
geboten, solche Merkmale in einer der ontischen Struktur des Unterlassens an- bestandsmäßige Situation (also die z u m Einschreiten verpflichtende Gefahr)
gemessenen Weise zu modifizieren. D a n n ergibt sich, daß auch beim Unterlassen sorgfaltswidrig verkennt. Dabei liegt u n b e w u ß t e Fahrlässigkeit vor, w e n n der
ein zielgerichtetes Verhalten durchaus vorliegen kann. Inwieweit das zur Erfüllung Garant die erkennbare Gefahr überhaupt nicht bemerkt: Der Vater überhört
eines Tatbestandes ausreicht, ist eine Frage der Auslegung der jeweiligen Bestim- etwa die Hilfeschreie seines Kindes, oder die Mutter übersieht die Anzeichen
mungen des Besonderen Teils und kann hier nur beispielhaft erläutert werden. der schweren Erkrankung, an der das Kind stirbt. Bewußte Fahrlässigkeit ist g e -
195 So wird man bei Diebstahl (§ 242) dem lediglich Unterlassenden keine Zueig- geben, w e n n der Garant die Gefahr zwar sieht, aber darauf vertraut, sie werde
nungsabsicht zuschreiben können (vgl. schon R n . 140). Der garantenpflichtige auch ohne sein Einschreiten vorübergehen: Der Vater hört die Hilferufe des
Aufseher, der gegen einen Diebstahl bewußt nicht einschreitet, ist also nicht Täter, Kindes, vertraut aber leichtsinnig darauf, es werde sich selbst retten können; die
sondern nur Gehilfe eines Diebstahls durch Unterlassen. D e n n auch von einer A b - Mutter erkennt die Erkrankung des Kindes, verläßt sich aber unbegründeter-
sicht der Drittzueignung, wie sie seit dem 6. StrafrRefG zur Erfüllung des D i e b - weise auf die Möglichkeit, daß sie auch ohne ärztliche Behandlung vorüberge-
stahlstatbestandes genügt, wird man bei einer am Deliktstyp orientierten Aus- hen werde.
legung nur sprechen können, wenn jemand die Übertragung auf den Dritten b e -
Zweitens kann die Fahrlässigkeit auch darin liegen, daß der Unterlassende 198
herrscht oder mitbeherrscht. Dagegen bestehen z. B. beim Betrug (§ 263) durch
seine Garantenstellung nicht erkennt. Der untätig bleibende Vater bemerkt z. B.
Unterlassen gegen die Möglichkeit einer Bereicherungsabsicht keinerlei Bedenken. nicht, daß die Hilfeschreie, die er unbeachtet läßt, diejenigen seines eigenen K i n -
Der Garant, der seinen Partner durch das Verschweigen Offenbarungspflichtiger des sind; oder der Autofahrer, der einen Verletzten ohne Hilfe auf der Straße liegen
Tatsachen schädigt, u m dadurch einen Vermögensvorteil zu verlangen, hat also die läßt, wird sich nicht der Tatsache bewußt, daß er es war, der ihn unvorsichtiger-
Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern. 2 4 1 D e n n er verwirklicht durch sein täu- weise überfahren hatte. Daß in solchen Fällen eine fahrlässige Körperverletzung
schendes Unterlassungsverhalten den Zweck, sich durch Schädigung eines anderen oder Tötung durch Unterlassen in Betracht k o m m t , bestreitet zwar Welzet243 mit
einen i h m nicht zustehenden Vermögensvorteil zu verschaffen. Auch bestehen der B e g r ü n d u n g : „Sinnvoll ist zwar eine N o r m , ertrinkende Kinder zu retten,
keine Bedenken dagegen, einem Aufsichtsbeamten, der einen Gefangenen bewußt nicht aber eine solche, darauf zu achten, ob das ertrinkende Kind ein eigenes ist!''
entfliehen läßt, eine Absicht der Strafvereitelung (§ 258) zuzuschreiben. Anderer- Doch ist nicht einzusehen, w a r u m das Recht nicht gebieten soll, darauf zu achten,
seits wiederum erscheint es zutreffend, w e n n der B G H (BGHSt 7, 287) es ablehnt, ob das eigene Kind in Gefahr geraten ist oder ob man einen Erfolgsabwendungs-
eine Tötung, „um eine andere Straftat... zu verdecken" bei bloßem Unterlassen an- pflichten auslösenden Unfall verursacht hat.
zunehmen. Der Verkehrsteilnehmer, der schuldhaft einen Unfall verursacht und das
Drittens kann ein fahrlässiges Unterlassen gegeben sein, wenn der untätig 199
daraufhin versterbende Opfer nicht ins Krankenhaus bringt, wird also nur wegen bleibende Garant sich unbedachtsamerweise für handlungsunfähig hält. Er
Totschlages und nicht wegen Mordes durch Unterlassen bestraft. Denn das bloße unterläßt z. B. die R e t t u n g eines Schwer verletzten, weil er als medizinischer Laie
Unterlassen der Rettung, das doch (auf der Grundlage vorangegangenen Tuns) erst nichts Erfolgversprechendes unternehmen zu können glaubt. Aus Unaufmerk-
die Gleichstellung mit einer aktiven Tötungshandlung begründet, würde sonst eo samkeit bedenkt er aber nicht, daß er ein Handy bei sich hat, mit dem er Hilfe her-
ipso zu einem Mord (mit der D r o h u n g lebenslänglicher Freiheitsstrafe). Das stünde beirufen könnte.
außer Verhältnis zur Behandlung vieler aktiver Tötungen.
Viertens schließlich kann ein fahrlässiges Unterlassen darin gesehen werden, 200
240 daß der Garant die gebotene Handlung sorgfaltswidrig fehlerhaft ausführt und da-
Vgl. etwa hier nur Grünwald, H. Mayer-FS, 1966, 281 ff., 289 und Schürmann, 1986, 46f.
241
Gerade beim Betrug wird die Möglichkeit einer Bereicherungsabsicht bei der Täuschung
durch Unterlassen heute durchweg anerkannt. Baumann/Weber, AT , § 20 11; Jescheck/Weigend,
§ 59 VII; Km AT § 19 Rn 2: SK7 RM vor
AT5, § 59 VI 2 b; Kühl, AT3, § 18, Rn. 132; Maaß, 1982, 7 f.; SYL7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 27 und
28; Sch/Sch/Cramer/Heine26, § 15, Rn.98.
ä 243h S Ä ^ 29/9T'
11
' ' ' - - ^ § 13> *»• 2 8 *
Welzel, StrafR , 223.
688
689
§ 31 IX 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen IX § 31
durch den Erfolg verursacht. 2 4 4 Der rettungspflichtige Garant wirft z. B. dem Er- Praktische Bedeutung gewinnen nur zwei Rechtfertigungskonstellationen: 204
trinkenden ein diesen nicht erreichendes Seil zu, anstatt - was ohne weiteres m ö g - die Pflichtenkollision und der rechtfertigende Notstand (§ 34). Dabei ist die
lich wäre — selbst hineinzuspringen und ihn aus dem Wasser zu ziehen. Oder: Ein Pflichtenkollision ein nur bei Unterlassungen vorkommender Sonderfall. Es geht
Kind stirbt, weil die Eltern zur Behandlung nur einen Quacksalber beiziehen, an- dabei u m den Widerstreit zweier (oder mehrerer) Handlungspflichten, von denen
statt einen Arzt zu konsultieren, der das Kind gerettet hätte. nur eine erfüllt werden kann. Der Vater kann z. B. nur eines seiner beiden verun-
glückten Kinder vor dem Tode durch Ertrinken retten, der Arzt, der gleichzeitig
zu zwei Schwerverletzten gerufen wird, nur einer Anforderung genügen. Hier ist
I X . D i e Rechtswidrigkeit bei Unterlassungsdelikten
ein Unterlassen nach überwiegender und zutreffender M e i n u n g schon dann g e -
201 Eine auf dem Tatbestand aufbauende besondere „Verbrechensstufe" der Rechts- rechtfertigt, w e n n der Pflichtige nur eine der beiden Handlungspflichten erfüllt
widrigkeit kann beim Unterlassungsdelikt keine Bedeutung gewinnen. D e n n (also eines der Kinder gerettet oder einer der Verletzten versorgt wird). Anders als
w e n n ein Unterlassen gerechtfertigt ist, hat der Unterlassende weder für den beim rechtfertigenden Notstand braucht das gerettete Rechtsgut nicht wertvoller
Nichteintritt des Erfolges einzustehen noch kann man sagen, daß sein Unterlassen zu sein als dasjenige, dessen R e t t u n g unterlassen w u r d e ; Gleichwertigkeit genügt.
der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. Jeden- Die Pflichtenkollision ist schon im Zusammenhang mit den allgemeinen Recht-
falls würde es — wiewohl theoretisch möglich — gekünstelt wirken zu sagen, daß fertigungsgründen näher behandelt worden; für den Streitstand und die Einzel-
„an sich" eine Erfolgsabwendungspflicht und ein Entsprechungsverhältnis bestün- heiten sei darauf verwiesen. 2 4 8
den, daß aber im konkreten Fall der Verstoß gegen das Gebot gerechtfertigt sei. Daneben sind Fälle rechtfertigenden Notstandes, in denen eine H a n d l u n g s - mit 205
Die Annahme, daß in solchen Fällen ein Gebot gar nicht besteht, so daß schon die einer Unterlassungspflicht kollidiert, leicht denkbar. Wenn j e m a n d bei einem
Tatbestandserfüllung abzulehnen ist, entspricht den Gegebenheiten mehr. Schiffsunglück die ihm anvertrauten Geldbarren nur dadurch retten kann, daß er,
202 Man wird also bei Unterlassungsdelikten von einem Tatbestand und Rechts- u m Platz zu schaffen, einen Passagier aus dem überfüllten Rettungsboot heraus-
widrigkeit überwölbenden „Gesamtunrechtstatbestand" auszugehen haben. wirft und so dem Tode überliefert, ist er - etwa im Hinblick auf den Tatbestand
Das ist insofern keine Anomalie, als schon bei Begehungsdelikten die systemati- der Untreue - durch Notstand gerechtfertigt, wenn er dies unterläßt. Dabei ist es
sche Trennung von Tatbestand und Rechtswidrigkeit umstritten ist und vielfach nicht einmal nötig, daß, wie im Beispielsfall, das bewahrte Rechtsgut das b e -
einem zwei- statt einem dreistufigen Verbrechensaufbau das Wort geredet wird. 2 4 5 einträchtigte an Wert überwiegt. Vielmehr ist es so, daß „für die Rechtfertigung
Auch w e n n man hier mit guten Gründen die systematische Unterscheidung von Unterlassungsdelikten . . . § 34 in seiner Umkehrung" gilt. 2 4 9 Wenn also zur
aufrechterhält, ist doch auch bei aktivem Handeln das Unrecht „als höhere Einheit Rettung der Goldbarren auch nur Gegenstände von gleichem oder nicht deutlich
von Tatbestand und Rechtswidrigkeit der Verantwortlichkeit gegenüberzustel- geringerem Wert aus dem Rettungsboot geworfen werden müßten, wäre ein U n -
len". 246 Auch ist nicht zu leugnen, daß schon im Begehungsbereich aufgrund b e - tätigbleiben schon gerechtfertigt. Das ergibt sich daraus, daß die Zerstörung der
sonderer Deliktsstrukturen Tatbestand und Rechtswidrigkeit oft nicht zu trennen fremden Sachen ein Eingriff in die Rechte Dritter wäre, der gemäß § 34 nur bei
sind. 2 4 7 wesentlichem Überwiegen des geschützten Rechtsgutes gerechtfertigt werden
203 Abgesehen davon k o m m e n bei den Unterlassungsdelikten die meisten Recht- kann.
fertigungsgründe, weil sie ein aktives Handeln voraussetzen, von vornherein nicht Eine Rechtfertigung durch Notstand k o m m t auch in Frage, wenn j e m a n d ein 206
in Betracht. So kann ein Unterlassen schwerlich durch N o t w e h r gerechtfertigt Handeln unterläßt, weil es ihn selbst oder eigene Rechtsgüter gefährden würde.
sein, weil ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff nicht durch Untätigkeit ab- Wer es also unterläßt, den i h m zur Betreuung anvertrauten H u n d aus seinem
gewehrt werden kann. Auch z. B. eine vorläufige Festnahme (§ 127 StPO) durch brennenden Hause zu retten, ist gerechtfertigt und erfüllt nicht den Tatbestand der
Unterlassen ist nur in extremen Ausnahmefällen denkbar (z. B. der Hausrechts- Sachzerstörung durch Unterlassen, w e n n er untätig bleibt, weil ein Handeln sein
inhaber läßt den versehentlich Eingeschlossenen nicht hinaus, weil er ihn wegen Leben gefährden würde. Auch in solchen Fällen tritt eine Rechtfertigung immer
eines Deliktes bis zum Eintreffen der Polizei festhalten darf). schon dann ein, wenn das vernachlässigte Interesse die eigenen Interessen des
Untätigen nicht wesentlich überwiegt. 2 5 0 Wer also seine Frau aus dem Brand zu
retten unterläßt, weil er selbst bei einer solchen Aktion schwere gesundheitliche
244
In einem solchen „unsachgemäßen Versuch, das Gebot zu erfüllen" scheint Armin Kauf- Beeinträchtigungen auf sich nehmen müßte, macht sich keines rechtswidrigen
mann, 1959,172ff., die Unterlassungsfahrlässigkeit beschränken zu wollen.
2« Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 16 ff. 2« Roxin, AT l3, § 16, Rn. 101-111.
2« Roxin, AT l3, § 10, Rn. 23. 249
SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 29 a m.w.N.
2*7 Vgl. Roxin, AT l3, § 10, Rn. 24. 250 Näher Küper, 1979, 92 ff.; SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 29 b.
690 691
§ 31 X 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat §31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen X §31

Unterlassens schuldig. Denn der durch die Rettungspflicht Begünstigte kann von Auch die schuldausschließende Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums wird 210
dem Rettungspflichtigen „keine größeren Opfer verlangen, als er sie nach § 34 bei sich bei Unterlassungstaten häufiger feststellen lassen als bei Begehungsdelikten.
einem schädigenden oder gefährdenden Eingriff in dessen Rechtsgutssphäre be- Zwar gelten die bei der Begehungstat dargelegten Voraussetzungen der Vermeid-
wirken dürfte".251 barkeit 253 auch bei Unterlassungen, aber ihre Prüfung wird häufiger zur Annahme
der Unvermeidbarkeit führen. Bei unechten Unterlassungsdelikten gilt das schon
deswegen, weil das Bestehen von Garantenstellungen in vielen Fällen äußerst um-
X. Die Schuld bei Unterlassungsdelikten
stritten und ungeklärt ist (vgl. näher § 32), so daß man dem juristisch unvorgebil-
207 Für die Schuld bei Unterlassungstaten gilt dasselbe wie bei Begehungsdelikten deten Bürger in vielen Fällen keinen Vorwurf daraus machen kann, daß er nicht
mit den Modifikationen, die sich aus der besonderen Seinsweise der Unterlassun- erkannt hat, was selbst gelehrte Strafjuristen nicht erkennen können. Bei echten
gen ergeben. So ergeben sich etwa bei der Zurechnungsunfähigkeit (§ 20) keiner- Unterlassungsdelikten erklärt sich die Unvermeidbarkeit eines Gebotsirrtums oft
lei Unterschiede, während ein Notwehrexzeß (§ 33) beim Unterlassen ähnlich wie daraus, daß das Nebenstrafrecht zahlreiche, in keiner sozialen Erwartung begrün-
die Notwehr selbst (Rn. 203) kaum in Betracht kommt. Dagegen ist ein entschul- dete, rein positiv-rechtliche Handlungspflichten vorsieht, die ein mit der Materie
digender Notstand (§ 35) sehr wohl möglich, wenn jemand wegen einer der im unvertrauter Bürger nicht ohne weiteres kennen kann. Denn das gesamte Neben-
Gesetz beschriebenen Gefahren eine an sich gebotene Handlung unterläßt. Es ist strafrecht zu überblicken ist selbst ein Strafrechtler nicht imstande. Das hat auch
nur zu bedenken, daß wegen der beim Unterlassen etwas anderen Abwägungs- der BGH erkannt und ausgesprochen (BGHSt 19, 299): Es mache für die „Ent-
situation (vgl. Rn. 205, 206) hier oft schon eine Rechtfertigung nach § 34 in Be- schuldbarkeit des Gebotsirrtums einen Unterschied, was für eine Handlung das
tracht kommt, die dann der Entschuldigung vorgeht. Daher bleiben für eine Ent- Gesetz im Einzelfall verlangt, unter welchen Umständen und von wem. Wer die
schuldigung hier vor allem die Fälle übrig, in denen für den Unterlassenden eine Unkenntnis von einer Rechtspflicht vorschützt, die schon im allgemeinen sitt-
Rechtfertigung ausscheidet, weil er auf der Seite des Unrechts tätig geworden lichen Bewußtsein der Menschen begründet ist, wie z. B. daß man in Unglücks-
ist.252 Wer eine gebotene Rettung unterläßt, weil er von anderen mit den Mitteln fällen zumutbare Hilfe leisten müsse ..., wird weniger selbstverständlich entschul-
des § 35 dazu genötigt worden ist, ist nur entschuldigt. digt sein als jemand, dem ein seinem Lebenskreis ferner liegendes Gebot unbe-
208 Etwas nähere Behandlung verdienen nur der Verbotsirrtum und die Unzumut- kannt geblieben ist ... Je weniger selbstverständlich das Gebot des Gesetzes ist,
barkeit, die nach der Rspr. und einem Teil der Lehre bei Unterlassungen zur Straf- desto eher wird entschuldigt werden können, wer es aus Unkenntnis übertritt."
befreiung führen kann, wobei freilich deren systematische Einordnung bei den
Befürwortern dieser Auffassung sehr umstritten ist. 2. Die Unzumutbarkeit bei Unterlassungen
a) Die Rechtsprechung des RG
1. Der Verbotsirrtum bei Unterlassungen
Schon das RG hat anerkannt, daß die Unzumutbarkeit handelnden Eingreifens 211
209 Es wurde schon dargelegt (Rn. 190 ff), daß ein Unterlassender, der den gesam-
bei Unterlassungen zur Straflosigkeit fuhren kann. So wurde zwar das Nichtein-
ten Sachverhalt kennt, daraus aber nicht den Schluß auf seine Handlungsfähigkeit
schreiten gegen den ehebrecherischen Geschlechtsverkehr der Frau in der eheli-
zieht, sich in einem Gebotsirrtum befindet und gemäß § 17 zu behandeln ist.
chen Wohnung von seiten des Ehemannes nach damaligem Recht grundsätzlich
Dabei ist aber zu bedenken, daß Verbotsirrtümer bei Unterlassungen leichter
als strafbare Kuppelei durch Unterlassen beurteilt. Dies sollte aber nicht gelten,
vorkommen und häufiger unvermeidbar sein werden als bei Begehungsdelik-
wenn ihm ein Einschreiten (etwa wegen der Gefahr einer „Entfernung aus der
ten. Sie können leichter vorkommen, weil die aktive Tatbestandsverwirklichung
Wohnung", einer Geschäftsschädigung oder tätlicher Auftritte) nicht zugemutet
in regelmäßig leicht erkennbarer Weise zur Schädigung oder Gefährdung fremder
werden konnte (RGSt 58, 97, 98). Ebenso wurde dem Ehemann nicht zugemutet,
Rechtsgüter oder zu sonstigen Eingriffen in die Rechtssphäre anderer führt, deren
der gewerbsmäßigen Unzucht seiner Ehefrau durch eine Klage entgegenzutreten
prinzipielle Unzulässigkeit sich dem Handelnden aufdrängt. Wo man dagegen
(RGSt 58, 226, 221). In entsprechender Weise wurde den Eltern nicht zugemutet,
zum aktiven Eingreifen verpflichtet ist, ist weit weniger leicht ersichtlich, zumal
„gegen den eigenen Sohn Polizeischutz zu erbitten, um zu verhindern, daß er in
da — außer bei akuten Gefahrenlagen — die Situation oft keinen Hinweis darauf
ihrer Wohnung Unzucht treibt" (RGSt 77,125).
gibt, daß ein Handeln geboten sein könnte.

25i SK7-Rudolphi, vor § 13, Rn. 29 b.


252 Vgl. dazu Roxin, AT l3, § 16, Rn. 58 ff. 253 Vgl. Roxin, AT l3, § 21, Rn. 51 ff.

692 693
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen X § 31
§31 X 10. Abschnitt — Die Unterlassungstat
Auch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat sich mit der Frage der 215
b) Die Nachkriegsrechtsprechung Zumutbarkeit beschäftigt. Nach OLG Bremen NJW 1957, 72 soll ein Ehemann,
212 In der Rspr. der Nachkriegszeit ist die Frage der Unzumutbarkeit bei Unterlas- der die Aufnahme eines seiner Frau gehörigen Hundes in den gemeinsamen Haus-
sungen in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder diskutiert worden. halt duldet, zur Abwehr aller aus der Haltung des Hundes sich ergebenden Gefah-
BGHSt 4, 20 hält es auch gegenüber einem fahrunfähigen Stammgast für zumut- ren verpflichtet sein. „Klagen oder Anrufen polizeilicher Hilfe sind ihm aber nicht
bar, daß der Wirt, der ihm viel Alkohol ausgeschenkt hat, ihn an der Fortsetzung zuzumuten." Nach OLG Köln NJW 1973, 861 muß die Ehefrau zwar einen Dieb-
der Fahrt hindern muß. In BGHSt 6, 47 beschäftigt sich der Große Senat in der stahl ihres Mannes zu verhindern suchen, wenn sie die Gefahr durch unvorsichtige
Tradition des RG noch einmal mit der Verpflichtung von Eltern und sonstiger Er- Äußerungen heraufbeschworen hat. Eine polizeiliche Anzeige des Mannes soll
ziehungspersonen, in ihren Räumen dem „gegen die geschlechtliche Zucht ver- aber unzumutbar sein. OLG Karlruhe M D R 1975, 771 schließlich hält es ebenfalls
stoßenden Verkehr der Verlobten" entgegenzutreten. Hier wird in grundsätzlichen für unzumutbar, einen Ehemann durch eine Anzeige an einem Betrug zu hindern.
Ausführungen dargelegt, das gerechte Ergebnis im Einzelfall werde „vor allem Doch will das Gericht in einem solchen Falle im Anschluß an die Begründung des
durch die Prüfung der Zumutbarkeit gewährleistet. Dafür, wann dieser Schuld- E 1962254 schon ein „Entsprechen" i.S.d. § 13 verneinen.
ausschließungsgrund eingreift, lassen sich keine festumrissenen Leitsätze, sondern
nur allgemeine Richtlinien aufstellen." Es sei ein strenger Maßstab anzulegen. c) Die begrenzte Reichweite des Gedankens der Unzumutbarkeit
Doch handele es sich „um eine vornehmlich dem Tatrichter vorbehaltene Wertung Es ist leicht zu sehen, daß der Gedanke der Unzumutbarkeit in viel zu weitge- 216
des Einzelfalles'' (aaO. 57). Im allgemeinen werde es mit Recht als Überforderung hendem Maße von der Rechtsprechung zur Behandlung von Problemem benutzt
empfunden, „wenn die Eltern gezwungen sein sollen, das Jugendamt oder die Po- worden ist, die besser auf andere Weise gelöst worden wären. Die einschlägige
lizei in Anspruch zu nehmen und auf diese Weise das Verhältnis des Kindes, meist Rspr. ist in den Zeiten des RG (vgl. Rn. 211) vornehmlich an Fällen entwickelt
der Tochter, an die Öffentlichkeit zu zerren". Doch sei auch dies nur nach Lage des worden, in denen es darum ging, sexuelle Handlungen von Familienangehörigen
einzelnen Falles zu beurteilen (aaO. 58). zu verhindern; noch der BGH hat sich in einer sehr grundsätzlichen Entscheidung
213 BGHSt 7, 268 hält es für unzumutbar, bei einer Frau auszuharren, die dem des Großen Senats (Rn. 212) mit diesem Problem beschäftigt. Schon nach damali-
Mann für den Fall des Verlassens mit Selbstmord gedroht hatte und diese Drohung gem Recht wäre es richtig gewesen, eine Garantenstellung von vornherein ab-
dann auch ausführte. Die Forderung, bei der Frau zu bleiben, „wäre ein unzumut- zulehnen. Denn diese erstreckt sich zwar darauf, Schaden von nahestehenden
barer Eingriff in die Freiheit und Würde der Persönlichkeit" (aaO. 271). BGHSt 11, Personen abzuwenden, begründet aber keine Pflicht, verantwortlich handelnde
135 mutet es der beim Unfall anwesenden Ehefrau des Kraftfahrzeugführers zu, Menschen an Straftaten zu hindern (vgl. § 32, Rn. 46 ff.). Nach geltendem Recht
dem Opfer zu helfen, sofern dies möglich ist, ohne ihren Mann strafgerichtlicher sind die damaligen Vorschriften ohnehin obsolet, so daß die Anerkennung einer
Verfolgung auszusetzen. Die Rechtsordnung mute es im allgemeinen niemandem Unzumutbarkeit bei Unterlassungen aus den zugrunde liegenden Sachverhalten
zu, einen nahen Angehörigen dem Strafrichter zu überantworten (aaO. 138). nicht mehr abgeleitet werden kann.
Ebensowenig mutet BGH, GA 1963, 16, wenn eine Frau aus einem Auto ausstei- Auch werden unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit Fragestellungen 217
gen will, dem Garanten ein Anziehen der Handbremse zu, weil dies „leicht zu erörtert, die nach anderen dogmatischen Kriterien präziser zu behandeln sind.
einem Unfall führen" kann. „Für die Frage der Zumutbarkeit kommt es aber ent- Wenn ein an sich garantenpflichtiger Nichtschwimmer am Ufer des Flusses ste-
scheidend darauf an, ob und in welchem Ausmaß durch den ... Eingriff Gefahren henbleibt, anstatt zu Rettungszwecken in den gefährlichen Strom zu springen,
für die Wageninsassen herbeigeführt werden konnten." sagt man wohl, ihm sei ein Handeln nicht zuzumuten gewesen. In Wahrheit fehlt
214 Andererseits ist es nach BGH NJW 1964, 731 dem in Hausgemeinschaft mit der es aber schon an der Handlungsfähigkeit und damit an einem Unterlassen (vgl.
Familie lebenden Sohn zuzumuten, den Vater vor einem Mordkomplott von Rn. 8 ff), so daß die Berufung auf Unzumutbarkeit überflüssig und falsch ist.
Angehörigen zu warnen und notfalls auch die Polizei anzurufen. Auch wird von An einer Erfolgsabwendungspflicht fehlt es abgesehen von den schon erörterten 218
BGH NStZ 1984,164 einer Ehefrau zugemutet, gegen ihren Mann, der-mit ihren Kuppeleifällen (Rn. 216) auch sonst in manchen von der Rspr. entschiedenen
beiden minderjährigen Töchtern aus erster Ehe fortgesetzt geschlechtlich verkehrt, Sachverhalten. Wenn BGHSt 7, 268 es für unzumutbar hält, daß jemand sich
erforderlichenfalls auch das Jugendamt oder die Polizei anzurufen. Dagegen ist es durch Selbstmorddrohungen einer Frau zum Ausharren bei ihr sollte bewegen las-
nach BGH NStZ 1994, 29 einem Ehemann nicht zuzumuten, zur Rettung seiner sen müssen (Rn. 213), so wird man richtigerweise sagen müssen, daß zur Verhin-
Frau eine „konkrete Lebensgefahr auf sich (zu) nehmen oder gar das eigene Leben derung eines verantwortlichen Suizids überhaupt keine Pflicht besteht. Das folgt
(zu) opfern"; auch im übrigen ist eine Abwägung vorzunehmen, bei der die Er-
folgsaussichten der in Frage kommenden Handlung zu berücksichtigen sind.
254 BT-Drucks. IV/650,126.
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694
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen X § 31
§31 X 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
der ersten Fallgruppe ist die verantwortungsausschließende Wirkung der Unzu-
nicht aus Unzumutbarkeit, sondern aus der Straflosigkeit der aktiven Teilnahme
mutbarkeit ein Ergebnis der Fahrlässigkeits- und nicht der Unterlassungsdogma-
am Selbstmord. Und wenn jemand zur Vornahme einer Handlung rechtlich nicht
tik. Die Bedeutung des Unzumutbarkeitsgedankens für die Fahrlässigkeitsbestra-
in der Lage ist (vgl. OLG Bremen, Rn. 14, 215), kann er auch keine Pflicht dazu
fung ist oben schon behandelt und gerade auch an Beispielen unterlassenen Han-
haben; der Berufung auf Unzumutbarkeit bedarf es dann nicht.
delns demonstriert worden; 261 darauf kann hier verwiesen werden.
219 Häufig werden auch Fälle des rechtfertigenden Notstandes fälschlich als solche
So bleiben als ein Spezifikum der Unterlassungsdogmatik die Fälle, in denen 222
der Unzumutbarkeit angesehen. Wenn etwa, wie aus den Gründen der Entschei-
ein Angehöriger durch das gebotene Handeln unmittelbar oder mittelbar polizei-
dung RGSt 77,125 (oben Rn. 211) zu entnehmen ist, Eltern bei einer Anzeige des
licher Verfolgung ausgeliefert werden müßte. Zwar fehlt in vielen Fällen dieser
Sohnes mit dessen Einweisung in ein Konzentrationslager rechnen mußten, wäre
Art eine Erfolgsabwendungspflicht (vgl. Rn. 216, 218), so daß es eines Rückgriffs
deren Unterlassung mindestens nach heutigem Recht ein Fall des §34. 255 Ein
auf die Unzumutbarkeit eines solchen Verhaltens nicht bedarf. Aber es gibt auch
rechtfertigender Notstand liegt auch vor, wenn jemand eine Handlung unterläßt,
andere Sachverhalte. So haben Eltern die Pflicht, strafbaren Handlungen ihrer
die leicht zu einem lebensgefährlichen Unfall führen könnte (BGH GA 1963, 16,
Kinder nach Möglichkeit entgegenzutreten. Müssen sie also ihren 16jährigen Sohn
oben Rn. 213). Ebenso ist ein eindeutiger Fall rechtfertigenden Notstandes gege-
anzeigen, wenn dessen fortdauernde Diebstähle nur auf diese Weise zu verhindern
ben, wenn ein Ehemann eine mit konkreter Lebensgefahr verbundene Rettungs-
sind? Eine Erfolgsabwendungspflicht kann auch gegenüber erwachsenen Angehö-
handlung zugunsten seiner Frau unterläßt oder wenn der Gefährlichkeit des Ret-
rigen bestehen, wenn man deren Straftat durch unzulässig-gefährdendes Vor-
tungseinsatzes nur sehr geringe Rettungschancen gegenüberstehen (BGH NStZ
verhalten heraufbeschworen hat (vgl. OLG Bremen, oben Rn. 215). Muß in einem
1994, 29, oben Rn. 214). Auf eine Unzumutbarkeit kommt es hier also nicht an.
solchen Fall die Frau das Delikt ihres Mannes erforderlichenfalls durch eine An-
Die Fälle des entschuldigenden Notstandes (vgl. dazu Rn. 207) kann man zwar
zeige verhindern? Nicht selten ist auch der Fall, daß sich eine Erfolgsabwendungs-
wie bei Begehungsdelikten als Ausdruck des Gedankens der Unzumutbarkeit be-
pflicht aus einer Garantenstellung gegenüber dem Opfer ergibt. Muß der Sohn
zeichnen. Aber für die Problemlösung ist doch auf § 35, also auf das positive
die Familienangehörigen anzeigen, die den Vater umbringen wollen (BGH, oben
Recht, abzustellen, so daß auf eine besondere Unzumutbarkeit auch insoweit nicht
Rn. 214)? Und muß die Ehefrau ihren Mann ggf. der Polizei ausliefern, wenn die-
zurückgegriffen zu werden braucht.
ser sich fortgesetzt an den beiden minderjährigen Töchtern aus erster Ehe vergeht
220 Angesichts dessen ist es verständlich, wenn namhafte Autoren eine Unzumut-
(BGH, oben Rn. 214)?
barkeit als Grund der Strafbefreiung bei Unterlassungen prinzipiell nicht anerken-
Richtig erscheint in diesem Bereich eine differenzierende Lösung, die im Er- 223
nen wollen. 256 Die positiv-rechtliche Erwähnung der Unzumutbarkeit in § 323 c
gebnis weitgehend auf der Linie der Rechtsprechung liegt, auch wenn sie von dieser
wäre dann eine auf andere Unterlassungsdelikte nicht übertragbare Ausnahme;257
noch nicht hinreichend klar formuliert worden ist. Danach ist es grundsätzlich
auch die Ablehnung einer Anzeigepflicht gemäß § 138 in den Fällen des § 139 und
niemandem zuzumuten, seine Angehörigen der Strafverfolgung zu überlie-
bei eigener Beteiligung an der Tat258 läßt sich als Sonderfall deuten. Dagegen be-
fern. Von diesem Grundsatz gibt es aber eine Ausnahme, bei der eine Abwägung
deutet es keine Ablehnung des Unzumutbarkeitsgedankens, wenn die Begrün-
gleichwohl zu einer Anzeigepflicht führen kann; das ist dann der Fall, wenn der
dung des E 1962,259 das OLG Karlsruhe (oben Rn. 215) und Schünemann260 im
Unterlassende gegenüber dem Opfer eine Garantenstellung einnimmt, die von
Rahmen der Entsprechungsklausel des § 13 prüfen wollen, ob die Handlung dem
der diesem in der konkreten Situation drohenden Gefahr unabhängig ist.
Unterlassenden zuzumuten gewesen wäre. Denn das ist eine Frage der systemati-
schen Einordnung (vgl. dazu Rn. 229-235). Zunächst zum Regelfall, wie er durch die in Rn. 222 genannten ersten zwei 224
221 Gleichwohl gibt es auch nach der Ausscheidung aller unter anderen dogma- Beispielsfälle repräsentiert wird! Hier wird man eine Einschaltung der Polizei
tischen Gesichtspunkten zu behandelnden Sachverhalte zwei Fallgruppen, bei gegen die Diebstähle des Sohnes bzw. Ehemannes für unzumutbar halten müssen.
denen auf den Gedanken der Unzumutbarkeit nicht verzichtet werden kann: Ebenso muß (mit BGHSt 11, 135, oben Rn. 213) zwar die Ehefrau dem Opfer des
die fahrlässigen Unterlassungen und die Konstellationen, bei denen. Angehöri- von ihrem Mann verschuldeten Unfalls helfen; den Mann strafrechtlicher Ver-
ge angezeigt oder sonst der Strafverfolgung ausgeliefert werden müßten. Bei folgung auszusetzen, ist ihr aber nicht zuzumuten. Bei diesen Annahmen handelt
es sich nicht um rechtsgefühlsgeleitete Billigkeitsurteile, sondern um eine Folge-
255 Vgl. Jakobs, AT2, 29/98, Fn. 192. rung aus klaren gesetzlichen Vorgaben: §§258 VI, 139 III StGB, sowie §§52, 55
256 Jakobs, AT 2 , 2 9 / 9 8 ff.; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 5 9 III 3; Maurach/Gössel, AT/2 7 , § 4 6 , StPO lassen deutlich erkennen, daß der Gesetzgeber es grundsätzlich niemandem
Rn.BOff. zumutet, seine Angehörigen der Strafverfolgung auszuliefern oder sie strafrecht-
257 So ausdrücklichJescheck/Weigend, AT 5 , § 59 VIII 2.
258 BGH FamRZ 1964, 386 ff.
259 BT-Drucks. IV/650,126. 2« Roxin, AT l3, § 24, Rn. 117.
2M Schünemann, 1971, 204f., 327, 379; ders., ZStW 96 (1984), 316. 697
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§ 31 X 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen X § 31
262
lieh zu belasten. Das gilt nicht nur für bereits geschehene, sondern ausweislich des einzelnen Falles' beurteilt werden" und es gehe dabei „um eine vornehmlich
des § 139 III auch für erst geplante Straftaten. Die Ausnahmen, in denen dort für dem Tatrichter vorbehaltene Wertung". 2 6 4 D e n n eine solche Auffassung ist, indem
einige Fälle der Schwerstkriminalität gleichwohl eine Anzeigepflicht statuiert sie die Entscheidung über die Strafbarkeit weitgehend in die H a n d des Richters
wird, belegen deren Nichtbestehen bei der großen Masse der Straftaten und b e - legt, mit dem Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 II GG) k a u m zu vereinbaren und
gründen außerdem keine Garantenstellung, sondern n u r ein echtes Unterlassungs- kann deshalb der Durchsetzung des Unzumutbarkeitsgedankens in der Unterlas-
delikt. Der allgemeine Rechtsgedanke, der sich aus den genannten Vorschriften sungsdogmatik nur abträglich sein. Auch ist ein Verweis auf die richterliche Wer-
abstrahieren läßt - im Regelfall keine Anzeigepflicht gegenüber Angehörigen! - , tung des Einzelfalles unnötig, weil sich verbindliche juristische Maßstäbe für die
ist also im geltenden Recht wohlfundiert. Entscheidung durchaus angeben lassen.
225 Anders liegt es dagegen, w e n n gegenüber dem Opfer eine vom vorliegenden Dagegen lehnt die st. Rspr. eine Unzumutbarkeit mit Recht ab in Fällen, in 228
Delikt unabhängige Garantenstellung besteht, wie in den R n . 222 angeführten denen sich jemand einer Erfolgsabwendungspflicht oder einer Hilfspflicht nach
letzten zwei Beispielsfällen. So m u ß der im Hause des Vaters lebende Sohn diesen § 323 c entzieht, u m einer eigenen Strafverfolgung zu entgehen. 2 6 5 Praktisch b e -
auch unabhängig von dem gegen ihn geschmiedeten Mordkomplott vor Gefahren deutsam wird das vor allem bei der fahrlässigen Verursachung von Straßen-
beschützen, so wie die Mutter gegenüber ihren minderjährigen Töchtern eine Ga- verkehrsunfällen; wer als Täter die Hilfe versagt, u m nicht entdeckt und bestraft
rantenstellung einnimmt, die sich auf alle (und nicht nur die im konkreten Fall zu werden, wird, wenn das Opfer daraufhin stirbt, nach §§ 222 bzw. 229 oder ggf.
drohenden) Gefahren bezieht. Wenn nun, wie in den Beispielsfällen, der Vater von auch nach 323 c bestraft (sofern eine R e t t u n g nicht mehr möglich gewesen wäre).
Angehörigen des Sohnes getötet werden soll oder die Töchter vom Ehemann der Dasselbe gilt aber auch bei vorsätzlichen Straftaten (etwa einer körperlichen M i ß -
Mutter sexuell mißbraucht werden, ergibt sich, daß die Rücksicht gegenüber dem handlung), w e n n dem Opfer ein weiterer Schaden droht als der, den der Täter
Angehörigen als Täter der Rücksicht auf die Angehörigen als potentielle Opfer gewollt hatte (BGHSt 14, 286). Ihre Rechtfertigung findet diese nicht ganz u n -
und der Verpflichtung ihnen gegenüber keineswegs generell vorzuziehen ist. Im umstrittene Judikatur darin, daß zwar jedermann sich sanktionslos der Strafverfol-
Gegenteil: Bei allen schwereren Delikten (besonders bei nachhaltigen Verletzun- gung entziehen, daß dies aber nicht durch die Begehung weiterer Delikte gesche-
gen der körperlichen oder sexuellen Integrität) m u ß die Verpflichtung gegenüber hen darf. Der Unterschied im Verhältnis zu den nicht zur Anzeige verpflichteten
dem Opfer der Rücksicht auf den angehörigen Täter und der Beziehung zu ihm Angehörigen liegt vor allem darin, daß der Täter i. d. R . die Situation herbeige-
vorgezogen werden. D e n n erstens drohen dem Opfer größere Gefahren, als sie der führt hat. Es wäre unverständlich, w e n n von der jedermann treffenden R e t t u n g s -
potentielle Täter bei einer Anzeige zu gewärtigen hat. U n d zweitens stammt die pflicht ausgerechnet derjenige ausgenommen würde, der die Notlage verschuldet
Gefahr aus der Sphäre des (meist auch schuldhaft handelnden) Täters, was bei der hat. Strittig ist daher, ob auch denjenigen eine Hilfspflicht trifft, der im Falle der
Abwägung auch ins Gewicht fallen muß. Hilfe die Verfolgung wegen einer anderen Straftat zu gewärtigen hat (der verfolgte
226 Zwar läßt sich dem hier erzielten Abwägungsergebnis entgegenhalten, daß die Einbrecher würde z. B. bei einer Hilfe am Unfallort von den Verfolgern eingeholt
§ § 5 2 , 55 StPO das Zeugnis- bzw. Auskunftsverweigerungsrecht und § 2 5 8 VI werden). 2 6 6 Doch läßt sich auch dies noch mit der B e g r ü n d u n g bejahen, daß das
StGB die Straffreiheit auch für den Fall gewähren, daß das Opfer ein Angehöriger Ziel der Vermeidung einer rechtmäßigen Strafverfolgung kein Grund ist, den
ist. Aber dieser Einwand ist dadurch zu entkräften, daß die genannten Vorschrif- Straftäter von den bürgerlichen Solidaritätspflichten zu entbinden.
ten nur die A h n d u n g bereits begangener Straftaten betreffen, während zur Verhin-
derung künftiger Straftaten, wie nicht zuletzt § 139 III StGB zeigt, ggf. auch eine d) D i e systematische Einordnung der Unzumutbarkeit
Anzeige Angehöriger verlangt wird. Auch kann ein echtes Unterlassungsdelikt Soweit die Unzumutbarkeit überhaupt als Grund für eine Strafbefreiung an- 229
wie §§ 138/39 StGB nicht die Verpflichtungen aufheben, die sich aus Garanten- erkannt wird, ist auch deren systematische E i n o r d n u n g überaus umstritten. Schon
stellungen im Sinne unechter Unterlassungsdelikte ergeben. 2 6 3 die Rspr. äußert sich zu dieser Frage uneinheitlich und wenig klar. BGHSt 6, 57
227 Aus dem Dargelegten ergibt sich eine verhältnismäßig klare Lö.sung der U n - spricht von einem „Schuldausschließungsgrund", aber BGHSt 7, 270f. behandelt
zumutbarkeitsproblematik bei Unterlassungen. Angesichts dessen ist es wenig die vom B G H angenommene Unzumutbarkeit des Verbleibens bei der Ehefrau
glücklich, wenn der B G H wiederholt betont, die Strafbefreiung wegen U n z u - unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit. In B G H N J W 1964, 732 heißt es,
mutbarkeit könne nicht nach allgemeinen Grundsätzen, „sondern nur nach ,Lage
264
BGHSt 6, 57 (Großer Senat), fast wörtlich ebenso BGH NStZ 1984,164
2« Darauf weist auch BGHSt 11,138 hin. 2« Vgl. nur BGHSt 11, 353 (357); 14, 282 (286); BGH MDR (H) 1982, 103; BGH NStZ
263 Vgl. zur Gesamtproblematik die Entscheidung BGH NStZ 1984, 164 und die daran 1984,452 f.
anschließende literarische Diskussion bei Geilen, JK, StGB vor § 13/1; Otto/Brammsen, Jura 266 Für § 323 c RGSt 72,19; dagegen Sch/Sch/Stree26, vor §§ 13ff., Rn. 156. Näher zum Gan-
1985, 541; Ranft, JZ 1987, 908 ff.; Seier, JA 1984, 539ff. zen Ulsenheimer, GA 1972,10 ff.
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auch die Gefahr, die Angehörigen einem Strafverfahren auszusetzen, könne „die wegen Beteiligung an einer Unterlassungstat strafbar." Das ist im Ergebnis richtig. Da das an-
geführte Beispiel aber einen Fall des rechtfertigenden Notstandes betrifft, kann es nicht zum
Rechtspflicht (seil, zur R e t t u n g des Vaters) nicht beseitigen". Das legt eine Loka- Beweis des tatbestandsausschließenden Charakters der Unzumutbarkeit dienen.
lisierung des Problems im Unrechtsbereich nahe. B G H N S t Z 1994, 29 redet in
einem Falle angenommener Unzumutbarkeit von den Gründen „gegen eine . . . Demgegenüber wird man die Straffreiheit einer unterlassenen Anzeige von A n - 233
Verpflichtung des Angekl. zum Nachspringen", was ebenfalls für eine Zuordnung gehörigen und ggf. einer fahrlässigen Unterlassung, auf die sich das Problem im
zum Unrecht spricht. wesentlichen reduziert, als Grund ausgeschlossener Verantwortlichkeit (also als
230 Auch in der Literatur werden sehr unterschiedliche Ansichten vertreten. Teils Schuldausschließungsgrund im herkömmlichen Sinne) ansehen müssen. Für die
soll die Unterlassung eines unzumutbaren Verhaltens schon nicht tatbestands- fahrlässigen Delikte ist das schon begründet worden. 2 7 1 Für den Fall der unterlas-
mäßig sein, 2 6 7 teils soll sie rechtfertigend wirken, 2 6 8 während andere einen senen Angehörigenanzeige folgt dies daraus, daß auch die sonstigen Angehörigen-
Schuldausschließungsgrund annehmen. 2 6 9 Eine Sonderstellung n i m m t die ver- privilegierungen des materiellen Rechtes (§§ 139 III 1, 258 VI) Gründe ausge-
einzelt aufgenommene Begründung des E 1962 (vgl. oben R n . 220) ein, die das schlossener Verantwortlichkeit sind. 2 7 2 Sie verändern nicht den Deliktstyp, denn
Problem der Unzumutbarkeit mit Hilfe der Entsprechungsklausel des § 13 lösen auch ein Angehöriger soll geplante Verbrechen i.S.d. § 138 verhindern, 2 7 3 und es
will und auf diese Weise zu einem Tatbestandsausschließungsgrund k o m m t : „Da ist keineswegs erlaubt, die Bestrafung von Angehörigen zu vereiteln. 2 7 4 Der G e -
. . . die Gleichwertigkeitsprüfung verlangt, daß alle Umstände des einzelnen Falles setzgeber verzichtet nur mit Rücksicht auf die familiäre Bindung und die i.S.d.
berücksichtigt werden, wird zugleich erreicht, daß die Fälle, die die Rechtspre- § 35 notstandsähnliche Lage, die sich aus einem Z w a n g zur Anzeige ergeben w ü r -
chung bisher unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit des Einschreitens de, auf eine Bestrafung ihrer Unterlassung. Die Bestrafung ist unter präventiven
entschuldigt hat, bereits den tatbestandsmäßigen Erfordernissen des strafbaren Gesichtspunkten nicht erforderlich, weil die Unterlassung ihre Wurzel nicht in
Unterlassens nicht mehr gerecht werden. Ist nämlich die Erfolgsabwendung nicht einem kriminellen Antrieb, sondern in der Familiensolidarität hat und weil auch
zumutbar, so kann sie der Verwirklichung des Erfolges durch ein Tun nicht gleich- die Allgemeinheit dem Täter diesen Umstand zugute zu halten bereit ist.
wertig sein." Ein zweiter Grund, der die Unzumutbarkeit in die Verantwortlichkeitskatego- 234
231 Eine Stellungnahme zum Meinungsstreit kann zunächst die Unterscheidung zwi- rie verweist, liegt darin, daß die Handlungspflicht des Unterlassenden prinzipiell
schen Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsausschluß vernachlässigen, weil die beiden unstrittig bestehenbleibt. Das gilt für echte und unechte Unterlassungsdelikte
angesprochenen Deliktskategorien im Falle des Unterlassens ohnehin zu einem U n - gleichermaßen. So verlangt z. B. der B G H mit Recht von der Ehefrau eines A u t o -
rechtsgesamttatbestand zusammenfließen (vgl. R n . 201, 202). O b man den Tatbe- fahrers, der einen Unfall verschuldet hat, daß sie dem Opfer hilft, etwa durch den
stand verneint oder das Unterlassen rechtfertigt: Der Sache nach fehlt jedenfalls im heimlichen Anruf bei einer Rettungsstelle oder einem Krankenhaus; 2 7 5 allein die
konkreten Fall eine Pflicht zur Erfolgsabwendung. Im übrigen hat die Auffassung, Anzeige ihres Mannes wird ihr nicht zugemutet. Bei der unterlassenen Verbre-
die bei einer Unzumutbarkeit des Handelns das Unrecht ausschließt, natürlich inso- chensanzeige fordert § 139 II, 1. Halbs. ausdrücklich ernsthafte Erfolgsabwen-
weit recht, als unter diesem Gesichtspunkt weithin Sachverhalte abgehandelt wer- dungsbemühungen. U n d daß man beim Bestehen einer darauf zielenden Garan-
den, bei denen eine Garantenpflicht von vornherein nicht besteht oder das Unter- tenstellung Straftaten Angehöriger verhindern m u ß (nur eben ggf. nicht durch
lassen durch eine Pflichtenkollision oder durch Notstand gerechtfertigt wird (vgl. Anzeige!), versteht sich von selbst. 276 Wenn aber eine Handlungspflicht grds.
R n . 204-206, 216-219). Wenn man in diesen Fällen, wie es geboten ist, auf die Her- gegeben ist, verwirklicht ihre Nichterfüllung den Deliktstyp. Eine unterlassene
anziehung der Unzumutbarkeit verzichtet, lassen sich aus ihnen freilich auch keine Hilfeleistung, Verbrechensanzeige oder Deliktsverhinderung bleibt also bestehen,
Argumente für deren systematische Einordnung beim Unrecht ableiten. und die Versäumung einer bestimmten Handlungsmodalität kann nur die straf-
rechtliche Verantwortlichkeit ausschließen.
232 So sagt z. B. Strec' zur Verdeutlichung eines Tatbestands- bzw. Unrechtsausschlusses bei
Unzumutbarkeit: „Wer einem Garanten rät, von einem unzumutbaren Handeln abzusehen, An diesem Ergebnis kann auch die Begründung des E 1962 (oben R n . 230) 235
etwa die für diesen lebensgefährliche Rettungshandlung zu unterlassen, macht sich daher nicht nichts ändern, die das Unzumutbarkeitsproblem in den Tatbestand verweist. A b -

267 Grünhut, Z S t W 51 (1931), 467; Henkel, M e z g e r - F S , 1954, 2 8 0 ; H. Mayer, LB AT, 119; 27i Roxin, AT l3, § 24, Rn. 115 ff.
272
AK-Seelmann, § 13, R n . 6 3 ; Sch/Sch/Stree26, v o r § § 13ff., R n . 155; Tröndle/Fischer50, § 13, R n . 1 6 Vgl. mit näheren Darlegungen zum Streitstand Roxin, AT l3, § 22, Rn. 135,136.
273
Wie sich aus § 139 III, erster Halbsatz, ergibt.
a.E. 274
Der BGH, der sogar nur einen persönlichen Strafausschließungsgrund annimmt, betont,
268 Köhler, AT, 297f.; Küper, 1979, 97ff.; Schmidhäuser, LB A T 2 , 1 6 / 8 4 . daß § 258 VI „sowohl die Rechtswidrigkeit wie die Schuld des Täters unberührt läßt" (BGHSt
269 Baumann/Weber, AT 1 , § 2 3 III 2; Kienapfel, Ö J Z 1976, 201; Lackner/Kühl24, § 13, R n . 5; 9, 74).
Kühl, AT 3 , § 18, R n . 140; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 46/132; Stratenwerth, AT 4 , § 13, R n . 7 7 ; Welzel, 27
s So ausdrücklich BGHSt 11,135 (Leitsatz).
J Z 1958, 496; den., StrafR 1 1 , 220; ders., Wessels/Beulke, AT 3 1 , R n . 7 3 9 . 276 Vgl. die Rn. 215 angeführten oberlandesgerichtlichen Entscheidungen.
270 Sch/Sch/Stree26, vor § § 13ff., R n . 155.
700 701
§ 31 XI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen XI § 31

gesehen davon, daß der E 1962 noch einen anderen Wortlaut hatte als das heutige Man kann gegen diese Milderung Bedenken erheben unter dem Gesichtspunkt, 238
Gesetz (es stand damals eine Gleichwertigkeitsklausel an der Stelle der heutigen daß sie im Ergebnis zu einer Ausweitung anstatt zu einer Einschränkung der Unter-
Entsprechungsklausel), wird hier übersehen, daß eine tatbestandliche Entspre- lassungsstrafbarkeit führen könne. Ich selbst habe beim Inkrafttreten des Gesetzes
chung von Unterlassen und Tun sehr wohl vorliegen u n d eine Bestrafung'gleich- die Befürchtung ausgesprochen, die Milderungsmöglichkeit drohe „die Entspre-
wohl aus notstandsähnlichen Gründen ausscheiden kann. Mit der Entsprechens- chungsklausel wie überhaupt die Bemühungen u m eine Einengung der Unterlas-
klausel sind derartige Fälle nicht zu bewältigen, weil diese auf den Tatbestand sungshaftung zu entwerten, da der Richter indirekt dazu angehalten wird, es sich bei
beschränkt ist und die Verfasser einer Entwurfsbegründung für die Entscheidung der Gleichstellung des Unterlassens mit dem Tun nicht so schwer zu machen". 279
systematischer Fragen unzuständig sind. Wenn man das obsolete Beispiel der Ent- Diese Gefahr besteht tatsächlich, läßt sich aber durch eine restriktive Auslegung 239
wurfsbegründung - die Nichtanrufung der Polizei gegen den außerehelichen G e - bannen. Unter dieser Voraussetzung ist die Milderungsmöglichkeit als solche b e -
schlechtsverkehr des erwachsenen Sohnes in der elterlichen W o h n u n g - durch den rechtigt. 2 8 0 D e n n vor allem bei den reinen Erfolgsdelikten ist der Unrechts- und
Fall ersetzt, daß die Eltern die Straftaten ihres minderjährigen Sohnes geschehen Schuldgehalt des Unterlassens auch bei einer unbezweifelbaren Gleichstellung
lassen, so „entspricht" dies sehr wohl einer aktiven Förderung (sonst brauchten ja nach § 13 I ceteris paribus geringer als der des Begehens. So kann kein Zweifel b e -
die Eltern überhaupt nichts zu tun). D e n n die Untätigkeit der Eltern bleibt stehen, daß der Vater, der sein in Lebensgefahr geratenes Kind nicht vor dem Tode
grundsätzlich strafbar; eine die Entsprechung unberührt lassende Straflosigkeit er- des Ertrinkens rettet (vorbehaltlich der § § 3 4 , 35), Täter einer Tötung durch U n -
gibt sich aus den geschilderten notstandsähnlichen Gründen nur dann, wenn die terlassen ist; sein Verhalten wird also der aktiven Tötung des Kindes - etwa durch
Anzeige der einzige Weg zur Erfolgsabwendung war. Ertränken - gleichgestellt. Gleichwohl verlangt aber der Gesetzgeber vom N o r m -
adressaten mehr, w e n n er i h m eine Rettungsaktion auferlegt, als w e n n er von i h m
lediglich fordert, von einem Ertränken oder Ins-Wasser-Stoßen des Kindes
XI. D i e Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 II Abstand zu nehmen. Daraus folgt ein größerer Handlungsunwert des Tuns im
Verhältnis zum Unterlassen. Die aktive Tötung wiegt objektiv schwerer als die
236 § 13 II sieht für Unterlassungsdelikte eine Strafmilderungsmöglichkeit nach
lediglich unterlassene Erfolgsabwendung. Oft wird eine Schulddifferenz hinzu-
dem Strafrahmen des § 49 I vor. Die Einführung einer solchen Milderung war im kommen. 2 8 1 D e n n wer sein Kind durch aktives Handeln tötet, wird weit seltener
Gesetzgebungsverfahren sehr umstritten. Der E 1962 hatte auf eine Milderungs- Milderungsgründe auf seiner Seite haben als derjenige, der in einer plötzlichen
möglichkeit noch verzichtet, u n d zwar vor allem deshalb, weil § 13 I nach dem da- Gefahrensituation versagt und sich zur rettenden (und vielleicht nicht ganz g e -
maligen Gesetzgebungsvorschlag verlangte, daß das Unterlassen „der Verwirk- fahrlosen) Tat nicht aufrafft.
lichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun gleichwertig" sei. Es wurde
geltend gemacht, 2 7 7 daß zwar für die Strafmilderung „Gründe von Gewicht vor- Besonders augenfällig ist die Notwendigkeit einer Strafmilderungsmöglichkeit 240
in den Ingerenzfällen: 2 8 2 Ein Autofahrer, der fahrlässig einen Unfall verursacht
gebracht werden können. Insbesondere ist nicht zu übersehen, daß die Tat-
hat und dann davonfährt, ohne sich u m das Opfer zu k ü m m e r n , wird ggf. wegen
bestandsverwirklichung durch ein Unterlassen in vielen Fällen im Unrechtsgehalt
Totschlag durch Unterlassen bestraft. Auch wer das für angemessen hält, wird
hinter der durch ein Tun zurückbleibt . . . Die Zulässigkeit einer Strafmilderung
nicht leugnen können, daß der Unrechts- und Schuldgehalt eines solchen Vorgan-
stünde aber . . . in einem auffallenden Gegensatz zum Erfordernis der Gleichwer-
ges geringer ist als der einer aktiven Tötung durch Messer oder Revolver. 2 8 3
tigkeit der Unterlassungstat."
237 Der Sonderausschuß hat sich dann den Befürwortern der Milderungsmöglich- 279 In: Roxin/Stree/Zipf/Jung, 2
1975, 8 m . w . N . ; Arzt, J A 1980, 555; Schöne, 1974, 338ff.; Timpe,
keit angeschlossen und den vom E 1962 befürchteten Widerspruch zur Gleich- 1983, 161 ff. Vgl. zur Problematik auch Silva-Sanchez, Roxin-FS, 2001, 641 ff., der für eine
„Dreiteilung der Unterlassungsdelikte" eintritt, wie man sie auch dem deutschen Recht
stellungsformel dadurch zu vermeiden gesucht, daß er den Begriff der Gleichwer- zugrunde legen kann, wenn man zwischen echten und auch im Strafwürdigkeitsgehalt bege-
tigkeit in § 13 I durch den des Entsprechens ersetzt hat. „Dieser etwas neutralere hungsgleichen unechten Unterlassungsdelikten noch eine dritte Gruppe einschiebt, bei denen
Begriff", so heißt es jetzt in der B e g r ü n d u n g , 2 7 8 wurde gewählt, weil sich der der Strafrahmen des Begehungsdeliktes gemildert wird. i
280 Vgl. Roxi«, w i e F n . 279, 8ff.; Bruns, T r ö n d l e - F S , 1989, 125ff.; Jescheck/Weigend, AT5,
Ausschluß . . . für die Zulassung einer fakultativen Milderung entschied, für eine § 58 V 1, 2; SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 65 m.w.N. Teilweise abw. zu den Voraussetzungen der Mil-
solche Regelung aber kein R a u m gewesen wäre, w e n n man an dem Erfordernis derungsmöglichkeit/afeofo, AT2, 29/124 ff.
festgehalten hätte, daß die Unterlassung der Verwirklichung des Tatbestandes tat- 281 Jescheck/Weigend, AT3, § 58 V 1, 2, legen demgegenüber das Hauptgewicht auf den gerin-
geren Schuldgehalt des Unterlassens und nehmen nur „ausnahmsweise" auch ein geringeres
sächlich gleich sein muß." Unrecht an.
282 Soweit man hier eine Garantenstellung überhaupt anerkennt, vgl. § 32, Rn. 14.
2^7 Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650,126. 283 Dencker, Stree/Wessels-FS, 1993, 169, will daher in solchen Fällen eine obligatorische
278 BT-Drucks. V/4095, 8. Strafmilderung annehmen.

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§ 31 XI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 31. Das Unterlassungsdelikt und seine Abweichungen XI § 31
241 Auf die Strafmilderungsmöglichkeit kann auch dort nicht verzichtet werden,
folge schlechter familiärer Verhältnisse (zerrüttete Ehe, Ehemann Alkoholiker,
wo der Garant gegen einen Begehungstäter nicht einschreitet. Die Mutter, die es
eigene Neigung zum Alkoholmißbrauch) ein Kind so mangelhaft versorgt hatte,
lediglich geschehen läßt, daß der Vater das gemeinsame Kind tötet, ist immer noch
daß es starb. Ähnlich liegt es im Sachverhalt der Entscheidung BGH StV 1987,
Täterin eines Totschlages durch Unterlassen.284 Aber der Strafwürdigkeitsgehalt
527: Eine 21jährige, von ihrem Ehemann getrennt lebende'und unerfahrene Frau
ihrer Untätigkeit entspricht doch nur demjenigen einer Beihilfe, und dem läßt
hatte „ihre schwierige persönliche Situation nicht meistern" können und ihr Kind
sich durch § 13 II Rechnung tragen.
verhungern lassen. In beiden Fällen will der BGH der Mutter die Strafrahmen-
242 Andererseits gibt es auch Fälle, in denen eine Strafmilderung nicht angebracht
reduktion des § 13 II zukommen lassen. Zwar meint auch der BGH, daß im Regel-
ist. So liegt es z. B. dort, wo das gebotene Handeln „in den normalen Regelablauf
fall die unterlassene Versorgung des Kindes seiner aktiven Schädigung gleichstehe
des Lebens von vornherein eingeplant ist".285 Ob der Weichenwärter, der einen
(vgl. Rn. 242). Dies gelte aber nicht, wenn infolge besonderer Umstände, wie sie
Zugzusammenstoß herbeiführen will, eine Weiche falsch stellt oder die ge-
in beiden Fällen angenommen wurden, die gebotene Handlung vom Unterlassen-
botene Weichenstellung absichtlich unterläßt, macht für die Strafzumessung
den mehr verlange als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens.
keinen Unterschied (vgl. zu ähnlichen Fällen schon oben Rn. 71). Ebenso spielt es
für die Strafwürdigkeit einer Mutter keine Rolle, ob sie ihr Kind durch absicht- Die genannten Milderungsumstände wären aber bei einem Begehungsdelikt 246
(etwa bei Mißhandlungen durch die überforderte Mutter) genauso zu berücksich-
liches Verhungernlassen oder durch eine aktive Handlung vorsätzlich zu Tode
tigen gewesen. Deshalb wäre es angemessener, den normalen Strafrahmen anzu-
bringt.
wenden und innerhalb seines eine der subjektiven Situation der Mutter Rechnung
243 Schließlich ist auch bei Fahrlässigkeitsdelikten ein unterschiedlicher Strafrah-
tragende Strafmilderung vorzunehmen.
men für Tun und Unterlassen i. d. R. nicht angemessen. Wenn man etwa aus man-
gelnder Sorgfalt einen Unfall herbeiführt, spielt es keine Rolle, ob dies durch Bei einer Beihilfe durch Unterlassen kann unbestrittenermaßen ggf. eine dop- 247
aktives Tun oder durch Unterlassen einer gebotenen Handlung geschieht. pelte Strafrahmenreduktion erfolgen; eine nach § 27 II2 und eine nach § 13 II.
244 Die Strafzumessungsentscheidung in Unterlassungsfällen erfolgt in zwei Schrit- Umstritten ist die Frage, ob § 13 II auch auf solche unechten Unterlassungen an- 248
ten. Zunächst ist unter Berücksichtigung der Rn. 239 ff. dargelegten Gesichts- gewendet werden kann, die im Besonderen Teil geregelt sind. Der BGH hat einen
Mittelweg eingeschlagen (BGHSt 36, 227). 288 Grundsätzlich soll § 13 II auch im
punkte zu prüfen, ob das Unterlassen dem milderen Strafrahmen des § 13 II unter-
Besonderen Teil gelten, wenn ein Tatbestand bei sachgemäßer Auslegung auch das
stellt werden soll. Dabei dürfen nur „unterlassungsbezogene" Gesichtspunkte
Unterlassen umfaßt, wie es besonders bei Pflichtdelikten der Fall ist. So kann z. B.
berücksichtigt werden, also der in vielen Fällen geringere Unrechts- und Schuld-
der Tatbestand der Untreue durch Verletzung einer Vermögensfürsorgepflicht im
gehalt des Unterlassens im Verhältnis zum aktiven Tun. Ist auf diese Weise der
Wege des Unterlassens ebenso wie durch aktives Tun verwirklicht werden (vgl.
Strafrahmen festgelegt, sind in einem zweiten Schritt innerhalb dieses Strafrah-
schon Rn. 20). In einem solchen Fall will der BGH § 13 II anwenden, denn die
mens die Gesichtspunkte zu prüfen, die für Tun und Unterlassen gleichermaßen
Untreue durch Unterlassen bleibe „eine die Merkmale des unechten Unterlassens
strafzumessungsrelevant sind. So können z. B. das positive Nachtatverhalten oder
aufweisende Tat. Schon das spricht für die Anwendbarkeit der Strafmilderungs-
eine lange Verfahrensdauer nicht zur Anwendung des § 13 II fuhren, weil sie sich
vorschrift des § 13 II StGB" (aaO., 228). Anders soll es aber sein, wenn das unechte
bei Begehungsdelikten im selben Maße mildernd auswirken. Doch müssen sie in-
Unterlassen im Besonderen Teil besonders beschrieben und in dieser Form mit
nerhalb des Regelstrafrahmens strafreduzierend berücksichtigt werden.
einem eigenen, demjenigen des Begehungsdelikts gleichenden Strafrahmen aus-
245 Das geschilderte zweistufige Verfahren ist prinzipiell anerkannt. 286 Strittig und gestattet sei. Der BGH nennt (aaO., 228/29) die Vernachlässigung der Sorgepflicht
nicht abschließend geklärt ist, welche Umstände noch als unterlassungsbezogen (§ 223 b I, heute § 225) sowie die §§ 315 c I Nr. 2 g (nicht ausreichende Kenntlich-
gelten dürfen. So hat der BGH die schwierige persönliche Lage der Mutter, die ih- machung haltender Fahrzeuge), 340 I (Begehenlassen einer Körperverletzung im
re Kinder durch mangelnde Versorgung schädigt, für eine Strafrahmenmilderung Amt), 353 b II (das An-einen-anderen-gelangen-lassen geheimhaltungsbedürfti-
nach § 13 II genügen lassen. BGH NJW 1982, 393 287 behandelt den Fall einer ger Umstände), 357 (das Geschehenlassen von Straftaten Untergebener) sowie
Mutter, die wegen Körperverletzung mit Todesfolge bestraft wurde, weil sie in- § 370 I Nr. 2 AO (das In-unkenntnis-Lassen der Finanzbehörden über steuerlich
erhebliche Tatsachen).
284 Vgl. zur näheren Begründung oben Rn. 145.
285 R0xi„t W ie Fn. 279, 9; vorher schon in: Täterschaft, 72000, 465 ff.; 21973,18 ff. Dem fol-
Demgegenüber treten die beiden in der Literatur vertretenen gegensätzlichen 249
gen z. B.Jescheck/Weigend, AT5, § 58 V 2, Fn. 64; Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 64. Meinungen entweder für die grundsätzliche Nichtanwendung des § 13 II auf un-
286 Vgl. n u r LK n -Jescheck, § 1 3 , R n . 6 3 ; SK7-Rudolphi, § 1 3 , R n . 6 6 ; Sch/Sch/Stree26, §13, echte Unterlassungsdelikte des Besonderen Teils oder für die prinzipielle Geltung
Rn.64.
287 M. Anm. Bruns, J R 1982, 465. 288
M. Anm. Timpe, JR. 1990, 428.
704
705
§ 31 XI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat

der Milderungsmöglichkeit auch hier ein. Die Nichtanwendung des § 13 II im B e -


sonderen Teil 2 8 9 wird vor allem damit begründet, daß der Gesetzgeber im Beson-
deren Teil eine abschließende Strafrahmenregelung getroffen habe. Die Gegen-
meinung, die eine Anwendung des § 13 II auch im Besonderen Teil für möglich § 32. Die Gleichstellung des Unterlassens m i t dem Begehen
hält, 2 9 0 beruft sich darauf, daß die unechten Unterlassungsdelikte des Besonderen
Teils nur einen näher geregelten Anwendungsfall des § 13 I darstellten und daß die
Literatur: Stübel, Über die Teilnahme mehrerer Personen an einem Verbrechen, 1828; Feuer-
vielfach geringere Strafwürdigkeit des Unterlassens durch gesetzestechnische U n - bach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 141847; Traeger, Das
terschiede der Regelung nicht berührt werde. Problem der Unterlassungsdelikte in Straf- und Zivilrecht, Diss. Marburg, 1913; Schaffstein,
Die unechten Unterlassungsdelikte im System des neuen Strafrechts, Gleispach-FS, 1936, 70;
250 Von den drei Auffassungen überzeugt die des B G H am wenigsten. D e n n w e n n Drost, Der Aufbau der Unterlassungsdelikte, GerS 109 (1937), 1; Naglet, Die Problematik der
eine Beschreibung der Gleichstellungsvoraussetzungen im Besonderen Teil den Begehung durch Unterlassung, GerS 111 (1938), 1; Dahrn, Bemerkungen zum Unterlassungs-
milderen Strafrahmen ausschließen soll, m u ß dies auch dann gelten, w e n n das problem, ZStW 59 (1940), 133; Roeder, Zum Standortproblem der unechten Unterlassungsde-
likte, DStR 1941, 105; Maurach, Beihilfe zum Meineid durch Unterlassung, DStR 1944, 14;
Unterlassen im Besonderen Teil nicht selbständig beschrieben, sondern durch den den., Zur neueren Judikatur über Meineidsbeihilfe durch Unterlassen, SJZ 1949, 541; Doldi, Die
Wortlaut der Vorschrift von vornherein gedeckt ist (wie bei § 266). D e n n so oder Rechtspflichten bei den Unterlassungsdelikten, Diss. Kiel, 1950; Vogt, Das Pflichtproblem der
so läge eine abschließende Regelung mit eigenem Strafrahmen vor. Im übrigen kommissiven Unterlassung, ZStW 63 (1950/51), 381; Nahstall, Unterlassen nach Notwehr, Diss.
Heidelberg, 1951; Bockelmann, Zum Problem der Meineidsbeihilfe durch Unterlassen, NJW
verdient aber die Auffassung den Vorzug, die eine Heranziehung des § 13 II auch 1954, 697; Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten,
im Besonderen Teil gestattet. D e n n w e n n der Unrechts- u n d Schuldgehalt des Diss. Frankfurt a. M., 1957; Grünwald, Zur gesetzlichen Regelung der unechten Unterlassungs-
Unterlassens vielfach geringer ist als der des Begehens, gilt dies auch bei einer R e - delikte, ZStW 70 (1958), 412; Welzel, Zur Problematik der Unterlassungsdelikte, JZ 1958, 494;
Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959 sowie 1988; Lampe, Ingerenz
gelung im Besonderen Teil. In § 221 z. B. ist das aktive Aussetzen ceteris paribus oder dolus subsequens?, ZStW 72 (1960), 93; Böhm, Methodische Probleme der Gleichstellung
eine schwerere Tat als das bloße Im-Stich-Lassen. Auch wäre es nicht verständlich, des Unterlassens mit der Begehung, JuS 1961,177; Geilen, Garantenpflichten aus ehelicher und
eheähnlicher Gemeinschaft, FamRZ 1961, 147; Granderath, Die Rechtspflicht zur Erfolgsab-
w a r u m die Versäumung einer Beistandspflicht nur deswegen keiner Strafrahmen- wendung aus einem vorausgegangenen gefährdenden Verhalten bei den unechten Unterlas-
milderung zugänglich sein sollte, weil sie in § 221 geregelt ist, während die M i l d e - sungsdelikten* Diss. Freiburg i. Br., 1961; Henkel, Das Methodenproblem bei den unechten
rung ohne weiteres möglich ist, wenn der verabsäumte Beistand unter dem G e - Unterlassungsdelikten, MSchKrim 1961, 173; Oehler, Konkurrenz von unechtem und echtem
Unterlassungsdelikt, JuS 1961, 154; Androulakis, Studien zur Problematik der unechten Unter-
sichtspunkt des Totschlages durch Unterlassen gewürdigt werden kann. lassungsdelikte, 1963; Geilen, Stillschweigen des Angehörigen beim Mordkomplott, FamRZ
251 Freilich ist einzuräumen, daß bei einer Gleichstellung im Besonderen Teil die 1964, 385; Arthur Kaufmann/Hassemer, Der praktische Fall — Strafrecht: Der Überfallene Spazier-
Fälle, in denen eine an sich mögliche Strafmilderung nicht angebracht ist gänger, JuS 1964,151; Geilen, Zur Mitverantwortung des Gastwirtes bei Trunkenheit am Steuer,
JZ 1965,469; fescheck/'Goldmann, Die Behandlung der unechten Unterlassungsdelikte nach deut-
( R n . 242 ff.), häufiger sind als sonst. D e n n w e n n die Modalitäten des Unterlassens schem und ausländischem Strafrecht, ZStW 77 (1965), 109; Kreuzer, Ärztliche Hilfeleistungs-
näher beschrieben werden, kann sich auch hinsichtlich der Begehungsweise eine pflicht bei Unglücksfällen im Rahmen des §330c StGB a. F., 1965; Blei, Garantenpflichtbe-
Gleichwertigkeit ergeben, die eine Strafrahmenmilderung ausschließt. U n d w e n n gründung beim unechten Unterlassen, H. Mayer-FS, 1966, 119; Stree, Garantenstellung kraft
Übernahme, H. Mayer-FS, 1966, 145; Rudolphi, Die Gleichstellungsproblematik der unechten
bei Pflichtdelikten, wie der Untreue, das unterlassene Handeln in den Regelablauf Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz, 1966; Kreuzer, Die unterlassene ärztliche
des Lebens eingeplant war (vgl. R n . 242), m u ß aus diesem Grunde von der Straf- Hilfeleistung in der Rechtsprechung, NJW 1967, 278; Anterist, Anzeigepflicht und Privatsphäre
des Staatsanwalts, 1968; Bärwinkel, Zur Struktur der Garantieverhältnisse bei den unechten Un-
milderung abgesehen werden. So ist der Meinungsunterschied im praktischen Er-
terlassungsdelikten, 1968; Bockelmann, Strafrecht des Arztes, 1968; Pfleiderer, Die Garantenstel-
gebnis doch nicht so groß wie im theoretischen Ansatz. lung aus vorausgegangenem Tun, 1968; Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Hand-
lungsäquivalenz der Unterlassung, 1968; Ebert, Der praktische Fall — Strafrecht: Die verjüngte
Schauspielerin, JuS 1970, 400; Bringewat, Der Notwehrer als Garant aus vorangegangenem Tun,
MDR 1971, 716; Herzberg, Garantenpflichten aufgrund gerechtfertigten Vorverhaltens - BGH,
28? Jescheck/Weigend, AT5, § 58 V, 4; Rudolphi, ZStW 86 (1974), 68, 69; SK7-Rudolphi, § 13, NJW 1970, 2252, JuS 1971, 74; Langer, Das Sonderverbrechen, 1972; Roxin, Ein „neues Bild" .des
Rn. 65; Lackner/Kühl2\ § 13, Rn. 19. Strafrechtssystems, ZStW 83 (1971), 369; Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unter-
290
Maurach/Gössel, AT/27, 46/144; Schünemann, ZStW 96 (1984), 303, 317. lassungsdelikte, 1971; Doehring, Strafrechtliche Garantenpflicht aus homosexueller Lebensge-
meinschaft, MDR 1972, 664; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garanten-
prinzip, 1972; Nickel, Die Problematik der unechten Unterlassungsdelikte usw., 1972; Pallin,
Lage und Zukunftsaussichten der österreichischen Strafrechtsreform im Vergleich mit der deut-
schen Reform, ZStW 84 (1972), 198; Hepp, Verkehrssicherungspflicht der Bergbahnunterneh-
mer für Skiabfahrtsstrecken, NJW 1973, 2085; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem,
1973, 19; ders., Unterlassung, Vorsatz und Fahrlässigkeit, JuS 1973,197; Tröndle, Die Rechtspre-
chung des BGH in Strafsachen. Materielles Recht, GA 1973, 295; Hummel, Verkehrssicherungs-
pflichten für Skipisten, NJW 1974, 170; Otto, Vorangegangenes Tun als Grundlage strafrechtli-

706
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§ 32 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem Begehen § 32

eher Haftung, NJW 1974, 528; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen im Strafgesetz, 986; Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers zur Verhinderung strafbarer Handlungen sei-
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beim unechten Unterlassungsdelikt, JA 1980, 553; 712; Möhrenschlager, in: Kolloqium des Insti- 1988, 543; Otto, Täterschaft, Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft, Jura 1987, 246; Ranft, Recht-
tuts für das Recht der Wasserwirtschaft an der Universität Bonn am 8.12.1978: Das neue Was- sprechungsbericht zu den Unterlassungsdelikten (Teil II), JZ 1987, 908; Rudolphi, Zur Garan-
serstrafrecht im Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - Entwurf des 16. Straf- tenstellung aus vorangegangenem - pflichtwidrigem - Tun, J R 1987,162; Frisch, Tatbestands-
rechtsänderungsgesetzes, ZfW 1980, (205), 214; Salzwedel, Diskussionsbeitrag in: Kolloquium mäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 1988; Weber, Strafrechtliche Verantwortlichkeit
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strafrecht, 1980; Wemicke, Zur Strafbarkeit der Amtsträger von Wasseraufsichtsbehörden bei beim Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB), 1989; Rengier, Kündigungsbetrug des Vermieters
Unterlassungen, ZfW 1980, 261; Hörn, Strafbares Fehlverhalten von Genehmigungs- und Auf- bei vorgetäuschtem Eigenbedarf, JuS 1989, 807; Sangenstedt, Garantenstellung und Garanten-
sichtsbehörden, NStZ 1981,1; Ostendorf, Die strafrechtliche Rechtmäßigkeit rechtswidrigen ho- pflicht von Amtsträgern, 1989; Kahlo, Zum Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs bei
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des Wiener Kommentars, GA 1985, 341; Schultz, Aufhebung von Garantenstellungen und Betei- tel"-Urteil, WiB 1995, 929; Prittwitz, Straflose Obstruktion der Rechtspflege durch den Ange-
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Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986; Döiling, Suizid und unterlassene mann/Wolter (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts. Coimbra-Symposium für Claus
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Probleme der strafrechtlichen Produkthaftung, GA 1996, 160; Ransiek, Unternehmensstraf-

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§ 32 I 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen I § 32
recht, 1996; Weißer, Kausalitäts- und Täterschaftsprobleme bei der strafrechtlichen Würdigung
pflichtwidriger Kollegialentscheidungen, 1996; Gürbüz, Zur Strafbarkeit von Amtsträgern im Dieser Ausgangspunkt erfreut sich weitgehender Zustimmung. Er hat aber für 2
Umweltstrafrecht, 1997; Ingelfinger, Die Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen die Feststellung der Unterlassungsstrafbarkeit nur sehr begrenzte Aussagekraft,
und die Entsprechensklausel des § 13 Abs. 1 Halbs. 2 StGB, GA 1997, 573; Renzikowski, Restrik- weil offenbleibt, unter welchen Voraussetzungen im einzelnen eine derartige Ga-
tiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997; Albrecht, Begründung von Garantenstel-
lungen in familiären und familienähnlichen Beziehungen, 1998; Erlinger, Behandlungsfreiheit rantenstellung zu bejahen ist. Die allgemein angenommerten Garantenstellungen
und ärztliche Behandlungspflicht, Diss. München, 1998; Hoyer, Die strafrechtliche Verantwort- haben sich seit dem 19. Jahrhundert ohne gesetzliche Grundlage aus vielfältig d i -
lichkeit innerhalb von Weisungsverhältnissen, 1998; Otto, Die Haftung für kriminelle Hand- vergierenden Ansätzen von Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelt. Die
lungen in Unternehmen, Jura 1998, 409; Gimbernat, Das unechte Unterlassungsdelikt, ZStW
111 (1999), 307; Otto, Die strafrechtliche Haftung für die Auslieferung gefährlicher Produkte, Bemühungen u m eine tragfähige theoretische Fundierung haben sich in der Nach-
H. J. Hirsch-FS, 1999, 291; Pawlik, Der Polizeibeamte als Garant zur Verhinderung von Straf- kriegszeit verstärkt, aber bis heute nicht zu einer allgemein anerkannten Lehre
taten, ZStW 111 (1999), 335; Stein, Garantenpflichten aufgrund vorsätzlich-pflichtwidriger geführt. Auch die gesetzgeberischen Versuche zur näheren Umschreibung der Ga-
Ingerenz, JR 1999, 265; Brammsen, Unterlassungstäterschaft in formalen Organisationen, in:
Amelung, Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokra- rantenstellungen haben nicht zum Erfolg geführt. 4 M a n kann daher sagen, daß
tischen Organisationen des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft, 2000; Brückner, Das die Gleichstellungsproblematik bei den unechten Unterlassungsdelikten das heute
Angehörigenverhältnis der Eltern im Straf- und Strafprozeßrecht, 2000; Schünemann, Unter- noch umstrittenste und dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeinen Teils
nehmenskriminalität, BGH-FG, 2000, Bd. IV, 621; Tag, Der Körperverletzungstatbestand usw.,
2000; Gimernat Ordeig, Unechte Unterlassung und Risikoerhöhung im Unternehmensstraf- darstellt.
recht, Roxin-FS, 2001, 651; Grünewald, Zivilrechtlich begründete Garantenpflichten im Straf- A m Anfang der Garantendogmatik steht Feuerbach5. Bei ihm heißt es: 6 „Sofern 3
recht?, 2001; Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht. Allgemeiner Teil, 2001; Silva
Sanchez, Zur Dreiteilung der Unterlassungsdelikte, Roxin-FS, 2001, 641; Weigend, Zur Frage eine Person ein Recht auf wirkliche Aeusserung unserer Thätigkeit hat, insofern
eines „internationalen" Allgemeinen Teils, Roxin-FS, 2001, 1375; Ambos, Der Allgemeine Teil gibt es Unterlassungsverbrechen . . . Weil aber die ursprüngliche Verbindlichkeit
des Völkerstrafrechts, 2002. des Bürgers nur auf Unterlassungen geht, so setzt ein Unterlassungsverbrechen
immer einen besonderen Rechtsgrund (Gesetz oder Vertrag) voraus, durch wel-
chen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet wird. O h n e diesen wird man
A. Das Einstehenmüssen durch Unterlassung kein Verbrecher." Hier sind also die für die Folgezeit wichtig-
sten Garantenstellungen schon vorformuliert. Stübel hat denn schon 1828 7 das vor-
I. Zur geschichtlichen E n t w i c k l u n g angegangene Tun hinzugefügt: „So machen sich z. B. . . . diejenigen, welche einen
Anderen in einen Zustand versetzt haben, in welchem er ohne ihre Hülfe u m das
1 Wenn der Gesetzgeber, der im neuen Allgemeinen Teil von 1975 den unechten Leben k o m m e n muß, w e n n sie ihm solche nicht leisten, des Verbrechens der Töd-
Unterlassungsdelikten erstmals eine eigene Vorschrift gewidmet hat, als wichtigste tung schuldig." Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschende
Voraussetzung einer Gleichstellung des Unterlassens mit dem Begehen verlangt, strafrechtliche Naturalismus, der die Kausalität als ein zentrales Problem des U n -
daß der Unterlassende „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht ein- terlassens ansah, hat die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun zu weiterer
tritt" so knüpft er damit an das Erfordernis einer „Garantenstellung" des Unterlas-
Geltung gebracht, weil hier wenigstens durch die Vorhandlung eine kausale Ver-
senden an. Es ist zuerst von Nagler1 so bezeichnet worden, hat sich allgemein
knüpfung mit dem Erfolge ohne weiteres hergestellt werden konnte.
durchgesetzt 2 und soll auch hier beibehalten werden. Der E 1962, der diese For-
U m die Jahrhundertwende setzte sich dann mit der Ü b e r w i n d u n g des natura- 4
mulierung schon enthielt, sagt ausdrücklich: 3 „Diese Umschreibung verdeutlicht
Iistischen Denkens und der H i n w e n d u n g zur wertbeziehenden Methode des
das Erfordernis der Garantenstellung und der aus ihr entspringenden Garanten-
Neukantianismus 8 die sog. formelle Rechtspflichttheorie durch, die Gesetz,
pflicht, in R i c h t u n g auf die Abwendung des drohenden Erfolges tätig zu werden.
Vertrag und vorangegangenes Tun als die drei Entstehungsgründe von Erfolgs-
In der Garantenstellung liegt ein besonderes Pflichtenverhältnis begründet, das
abwendungspflichten beurteilte. Sie herrschte u m 1930 „völlig unangefochten in
den Garanten aus der Masse der übrigen Rechtsgenossen heraushebt und gerade
Rechtsprechung und Schrifttum" 9 . In den Dreißigerjahren sind zu dieser Trias der
ihm den Schutz des betreffenden Rechtsgutes vor dem drohenden tatbestands-
überlieferten Garantenstellungen noch „enge Lebens- und Gefahrengemein-
mäßigen Erfolg auferlegt. D e m Garanten ist die Unversehrtheit des Schutzwertes
schaften" hinzugekommen, bei denen die Garantenstellung nicht v o m Bestehen
anvertraut."
« Vgl. dazu §31, Rn. 31 f.
5
Zur Geschichte der Gleichstellungsproblematik aus neuerer Zeit zusammenfassend Rudol-
ph, 1966,4 ff; knapper Schünemann, ZStW 96 (1984), 287 ff.
6
Feuerbach, hier zitiert nach der 14. Aufl., 1847, 24.
i Nagler, GerS 111 (1938), lff 1
Stübel, 1828, 61.
2
Dagegen aber Freund, 1992, 39 ff, 154 ff. 8
Allgemein zu dieser Entwicklung Roxin, AT 1 , § 7, Rn. 19.
3 BT-Drucks. IV/650,124. 9
Schünemann, ZStW 96 (1984), 290 f.
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§ 32 I 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen I § 32
gesetzlicher oder vertraglicher Schutzpflichten abhängen soll. So wurde z. B. die bewahrenden Sachwerten, ist das zu schützende Rechtsgut durch den Garanten ge-
Vernachlässigung einer in den Haushalt aufgenommenen Schwerkranken ohne gen alle zum Schutzbereich gehörenden Gefahren zu verteidigen. Im zweiten Fall
weiteres als unechtes Unterlassungsdelikt bestraft (RGSt 69, 321, 323)10, und es hat der Garant lediglich bestimmte Gefahrenquellen zu überwachen, wie etwa die
setzte sich die Ansicht durch, daß z. B. Expeditionsteilnehmer oder Bergsteiger Verkehrssicherheit des eigenen Grundstücks, die eigenen Kinder oder Haustiere,
gegenüber in Not geratenen Mitgliedern der Gruppe eine Garantenstellung ein- die von der Schädigung Dritter abgehalten werden müssen, oder auch die Gefah-
nehmen. ren, die man durch eigene Vorhandlungen gesetzt hat (wenn man die Garantenstel-
5 An diesen Grundlagen hat auch die Rspr. des BGH im wesentlichen festgehal- lung aus vorangegangenem Tun anerkennt). In dieser zweiten Gruppe „beschränkt
ten. BGHSt 19,167 (168) resümiert die Entwicklung. Früher habe die Rspr. (so das sich die Schutzfunktion des Garanten auf eine einzige Angriffsrichtung, auf dieje-
RG bis RGSt 66, 71) und überwiegend auch die Literatur Erfolgsabwendungs- nige, die aus der einzudämmenden Gefahrenquelle dem Rechtsgut droht".14
pflichten „nur aus Gesetz, Vertrag und vorangegangenem Tun abgeleitet. Die spä- Eine Weiterentwicklung der Rn. 6 dargelegten Unterscheidung von Obhuts- 7
tere Entwicklung ist jedoch mit Recht darüber hinausgegangen." Unter Berufung und Überwachungsgaranten hat Jakobs15 vorgelegt. Er differenziert zwischen
auf RGSt 61, 71 habe schon das RG in RGSt 69, 321 (vgl. Rn. 4) ausgeführt, „die „Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit" (z. B. Eltern-Kind-Verhältnis,
sittliche Pflicht zur Leibes- und Lebensfürsorge könne zur Rechtspflicht werden Ehe, Vertrauensbeziehungen, staatliche Gewaltverhältnisse, elementare Amts-
für Menschen, die in so enger Lebensgemeinschaft verbunden seien, wie üblicher- pflichten) und „Pflichten kraft Organisationszuständigkeit" (z.B. Verkehrssi-
weise in der Familie oder in der häuslichen Gemeinschaft. „Auch ohne gesetzliche cherungspflichten, Ingerenz, Übernahme von Pflichten), bei denen es um „Verant-
Vorschrift oder vertragliche Bindung seien sie verpflichtet, dem Mitglied dieser wortungsbereiche für Gefahren" geht.
Gemeinschaft Hilfe zu leisten, das in Leibes- oder Lebensgefahr gerate, zu deren Eine weitere selbständige, aber ebenfalls auf einer Zweiteilung beruhende Kon- 8
Abwehr es selber nicht imstande sei. Seitdem ist in der Rechtsprechung die enge, zeption hat Schünemann16 entwickelt.17 Für ihn ist das zentrale Kriterium der Ga-
auch nur tatsächliche, Lebensgemeinschaft als Rechtsgrund für Garantenpflichten rantenstellung die „Herrschaft über den Grund des Erfolges" (d.h. über die
anerkannt ..." Im konkreten Fall ging es um die Garantenpflicht des Sohnes bei wesentlichen Bedingungen der Rechtsgutsverletzung).18 Diese Herrschaft setzt
einem Mordanschlag auf den Vater. Der BGH meint, anders als im Verhältnis von eine aktuelle Kontrolle über das Geschehen voraus, die entweder auf der Hilflosig-
Eltern zu Kindern oder von Ehegatten untereinander gebe es keine gesetzliche keit des Rechtsguts oder auf der Beherrschung einer wesentlichen Erfolgsursache
Schutzpflicht des Sohnes (dessen eventuelle Unterhaltspflicht könne man dafür beruhen kann. An anderer Stelle19 spricht er von einer „Obhutsbeziehung über
nicht heranziehen). Doch könne beim vorliegenden Sachverhalt „auch ohne ge- die Hilflosigkeit des Rechtsgutes" einerseits und einer „Sachherrschaft über den
setzliche Bestimmung ... aus den Grundgedanken der Rechtsordnung eine Er- Gefahrenherd" andererseits. Der erste Fall wird etwa durch das Verhältnis von El-
folgsabwendungspflicht abgeleitet werden". Auch in der Literatur hat die formelle tern zu ihren Kindern oder des Arztes zu seinen Patienten, der zweite durch die
Rechtspflichttheorie mit ihren nunmehr vier Garantenstellungen nach wie vor Verkehrssicherungs- und sonstigen Überwachungspflichten repräsentiert. Dabei
namhafte Anhänger.11 ist der Leitgesichtspunkt immer die tatsächlich ausgeübte Herrschaft, sei es über
6 Die führende Stellung in der Literatur hat sich aber heute eine im Grundgedan- das Objekt oder die Quelle des Verletzungsgeschehens.20
ken auf Armin Kaufmann12 zurückgehende Lehre erobert, die zwischen Obhuts- Daneben gibt es noch eine große Zahl anderer Versuche zur Charakterisierung 9
und Überwachungsgarantenstellungen unterscheidet (die sog. Funktionenleh- der Garantenstellungen.21 So wollen Otto22 und sein Schüler Brammsen25 die Ga-
re).13 Im ersten Fall, wie im Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern, von Ehe-
gatten untereinander, von Aufsichtspersonen zu ihren Schützlingen oder zu 14
Armin Kaufmann, wie Fn. 12.
is Jakobs, AT, 28/14ff.; 29/101 ff.; ähnlich Vogel, 1993.
w Ähnliche Fälle in RGSt 73, 389; 74, 309. 16 Schünemann, 1971; ders., ZStW 96 (1984), 287ff.; ders., Madrid-Symposium, 1995, 49ff
ii Baumann/Weber, AT10, § 15 III 4 a; Bickel, ZfW 1979, 148 f.; Blei, AT18, § 87 I; Hörn, NJW (72ff.) u.a.
1981, 5f.; Kienapfel, AT4, 499f.; Lackner/Kühl24, § 13, Rn.6f. (7, 14); vor §224, R n . l l f ; Möh- v
Ihm folgen in wichtigen Punkten SK -Rudolphi, § 13, Rn. 26, 46 und passim; Bottke,
renschlager, ZfW 1980, 216; Triffierer, 1980,137ff.; Wagner, 1975, 243ff., 255 ff. 1992,122 ff; Sangenstedt, 1989.
i2 Armin Kaufmann, 1959, 282 ff. (283) sowie 1988, 282 ff. (283). ,8
Hier und im folgenden beziehe ich mich auf die jüngste Zusammenfassung seiner Lehre,
« Androulakis, 1963, 205ff, 211 f.; Baumann/Weber, AT10, §15 III 3; Eser, StrafR II3, §25, in: Madrid-Symposium, 1995, 72ff.
Rn.49ff.; Gropp, AT2, §11, Rn.21f.; Henkel, MSchrKrim 1961, 190; LK11 -Jescheck, §13, 9
1 Schünemann, ZStW 96 (1984), 294.
Rn. 19ff.; Jescheck/Goldmann, ZStW 77 (1965), 123; JescheckIWeigend, AT5, §59 IV 2; Joecks3, 20
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, 72.
§ 13, Rn. 21 f.; Armin Kaufmann, 1959, 283 ff; Kindhäuser, AT2, 244; Köhler, AT, 212; Krey, AT/2, 21
Über die schon bis 1970 vorliegenden Bemühungen referiert ausfuhrlich Schünemann,
Rn. 332f.; Kühl, AT3, § 18, Rn. 44f.; Rudolphi, 1966,101; den., SK7 § 13, Rn. 24f.; Schmidhäuser, 1971, 77 ff.
LB AT2, 16/38f.; Sch/Sch/Stree26, §13, Rn.9; Stratenwerth, AT4, §13, Rn. 15; Wessels/Beulke, 22
Otto, AT6, § 9 I 5.
AT31, Rn.716. « Brammsen, AT, 1998, § 6, Rn. 177 ff. (185 f.).
712
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§ 32 II 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen II § 32

rantenposition „auf gegenseitige Erwartungen innerhalb der Sozietät" gründen. strafrechtliche Haftung für den Erfolg begründen zu wollen. Es genügt mithin
„Die Erwartung m u ß von solcher Festigkeit u n d solchem Gewicht sein, daß ihre nicht das bloße Bestehen einer Pflicht, selbst dann nicht, w e n n diese Pflicht aufer-
Verletzung einen derart schweren Schaden für die Vertrauensbasis des Soziallebens legt worden ist, damit Erfolge dieser Art abgewendet werden." Mezger nennt es
bedeutet wie die Verletzung dieser Basis durch Gefährdung und Verletzung'einzel- eine „äußerst schwierige und bisher noch nicht befriedigend gelöste Frage" welche
ner Rechtsgüter durch positives Tun." Auf die „Sonderverantwortlichkeit'' des gesetzliche Pflicht „zugleich ein strafrechtliches Haftbarmachen für den Erfolgs-
Garanten stellt Freund24 ab, nennt dann aber als „bedeutsame Fallgruppen der eintritt in sich schließt". In Wirklichkeit wird aber die Garantenstellung aus „ G e -
Sonderverantwortlichkeit" die „Gefahrenquellen- und Schutzgarantenpflichten". setz" durch diesen Befund obsolet. D e n n es ist offenbar nicht das Gesetz, das über
Andere Ansätze beschränken sich auf einzelne Gruppen von Garantenstellungen die Garantenstellung entscheidet, sondern ein davon unabhängiges, unbekanntes
und sind bei deren Erörterung zu behandeln. Kriterium.
Auch der Gesichtspunkt des „Vertrages" trifft nicht den Kern der damit b e - 13
zeichneten Garantenstellung. D e n n es ist seit eh und j e anerkannt, daß der Ver-
II. D i e Ablehnung der formellen Rechtspflichttheorie
trag als solcher für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht genügt, solange
10 Die formelle Rechtspflichttheorie 2 5 ist heute nicht mehr haltbar und wird auch die daraus erwachsenden Pflichten nicht tatsächlich ü b e r n o m m e n worden sind:
von der Rspr. aufgegeben werden müssen, da sie der tatsächlich praktizierten J u d i - Der Bergführer, der entgegen seiner Verpflichtung nicht zu der vereinbarten E x -
katur keine tragfähige B e g r ü n d u n g mehr geben kann. Das gilt für alle vier als kursion erscheint, haftet nicht wegen Körperverletzung oder Tötung durch Unter-
Entstehungsgründe von Garantenstellungen in Anspruch g e n o m m e n e n Rechts- lassen, wenn der Tourist sich n u n allein auf den Weg macht und dabei verun-
quellen gleichermaßen. glückt. 2 7 Andererseits wird man, w e n n der Bergführer den Touristen tatsächlich
11 Schon die scheinbar konkreteste, dem Bestimmtheitsgrundsatz am meisten ent- begleitet, eine Garantenstellung auch dann annehmen müssen, w e n n der zivil-
gegenkommende Garantenstellung aus „Gesetz" liefert in Wahrheit keinen rechtliche Vertrag aus irgendeinem Grunde (etwa wegen eines Dissenses) unwirk-
plausiblen Entstehungsgrund für strafrechtliche Erfolgsabwendungspflichten. sam ist oder (z. B. wegen Irrtums) angefochten wird. 2 8 Die zivilrechtliche Ver-
D e n n selbst strafrechtliche „Gesetze", die eine Handlungspflicht normieren, wie pflichtung ist es also offenbar nicht, die die Garantenstellung begründet.
etwa § § 3 2 3 c , 138, begründen anerkanntermaßen keine Erfolgsabwendungs- Noch weniger läßt sich die schon von der Rspr. des R G (mit noch zu bespre- 14
pflicht. Erst recht gilt das für gesetzliche Handlungspflichten außerstrafrechtlicher chenden Einschränkungen) praktizierte Garantenstellung aus vorangegangenem
Art. In einer der berühmtesten Unterlassungsentscheidungen des B G H , dem L e - Tun (Ingerenz) mit der formellen Rechtspflichttheorie erklären. D e n n wenn
derspray-Fall (BGHSt 37,106,115), war daran gedacht worden, die zivilrechtlichen jemand dem Opfer eines von i h m verschuldeten Verkehrsunfalls nicht hilft, ist
Rückruf-, Produktbeobachtungs- und ggf. Schadensersatzpflichten für die G e - nicht ersichtlich, welche „Rechtspflicht" ggf. zur Bestrafung wegen Körperverlet-
schäftsführer der Firma, die das gesundheitsschädliche Produkt in den Handel g e - zung oder Tötung durch Unterlassen herangezogen werden kann. § 323 c ist dafür
bracht hatte, zur Grundlage einer gesetzlichen Garantenstellung zu machen. Aber jedenfalls nicht geeignet (vgl. R n . 11). Die ältere Lehre hat, u m dem Rechtspflicht-
der B G H äußert sich nur zögernd: „In der Tat spricht manches dafür, daß diesel- kriterium Genüge zu tun, entweder auf die zivilrechtliche Schadensersatzver-
ben Pflichten, die für die zivilrechtliche Produkthaftung maßgeblich sind, auch pflichtung oder auf Gewohnheitsrecht zurückgegriffen. 2 9 Aber daß zivilrechtliche
die Grundlage strafrechtlicher Verantwortlichkeit bilden, zumal die Verpflichtung Ansprüche nicht ohne weiteres zur Begründung strafrechtlicher Folgen dienen
produktfehlerbedingter Schäden als ein Fall deliktischer Haftung (§§ 823 ff. BGB) können, wurde schon dargelegt ( R n . 11). U n d strafbegründendes Gewohnheits-
begriffen wird. Andererseits dürfen die schadensersatzorientierten Haftungsprin- recht ist durch Art. 103 II GG ausgeschlossen. Schünemann30 stellt denn auch fest,
zipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung strafrechtlicher Verant- daß die Rechtspflichttheorie sich mit der Anerkennung des vorangegangenen
wortlichkeit benutzt werden." Der B G H läßt die Frage dann offen. Tuns zur Begründung einer Garantenstellung „lediglich aus der Konkursmasse der
12 Das Problem ist schon zur Zeit der Hochblüte der formellen Rechtspflicht- fallierten Kausalitätstheorien bediente, ohne die dadurch selbst produzierte Zer-
theorie erkannt worden. So schrieb Mezger26 bereits 1931, eine gesetzlich statuierte rüttung des eigenen dogmatischen Ansatzes zu bemerken". Aber selbst ein kausaler
Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung genüge nicht für die Bejahung einer Ansatz kann diese Garantenstellung nicht begründen, weil der Unterlassungsvor-
Garantenstellung. Vielmehr müsse diese „den erweislichen Sinn" haben, „eine
27
Vgl. auch h i e r z u n u r Mezger, Strafrecht, 2 1931,144, m i t N a c h w . aus d e r älteren Literatur.
2" Freund, AT, § 6, Rn. 14ff., 24ff. 28 D a z u g r u n d l e g e n d schon Schaffstein, Gleispach-FS, 1936, 70 ff. (79 ff.).
25
Z u ihrer D o g m e n g e s c h i c h t e n ä h e r Schünemann, 1971, 218 ff. 29 Vgl. Rudolphi, 1966, 2 8 m . w . N .
30
26 Mezger, Strafrecht, 21931,140,141. Schünemann, Z S t W 9 6 (1984), 2 9 2 .

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§32 III 10. Abschnitt — Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung — A. Das Einstehenmüssen III § 32
satz der Verursachung nachfolgt und ein zur Legitimierung einer vorsätzlichen
Stellung, auf eine institutionelle Zuständigkeit oder auf eine Herrschaft über die
Verursachung ungeeigneter dolus subsequens wäre. Hilflosigkeit des anderen zurückführt.
15 Bei der vierten tradierten Garantenstellung schließlich, der engen Lebens-
Ob die hier verwendeten Begriffe von Obhut und Überwachung, Organisation, 18
und Gefahrengemeinschaft, hat die Rspr. selbst das Rechtspflichtkriterium
Institution und Herrschaft hinreichend präzise sind und eine den verfassungsrecht-
praktisch aufgegeben. So heißt es in der grundlegenden reichsgerichtlichen Ent-
lichen Anforderungen genügende Abgrenzung der Garantenstellungen gestatten,
scheidung RGSt 69, 321, 323 (vgl. Rn.4): „Die sittliche Pflicht kann zur Rechts-
ist unter den damit operierenden Autoren ebenso umstritten 33 wie die Beurtei-
pflicht werden für Menschen, die der Außenwelt in so enger Lebensgemeinschaft
lung des Einstehenmüssens im Detail. Aber die Übereinstimmung in einem
verbunden gegenüberstehen, wie es in der Familie oder der häuslichen Gemein-
grundlegenden Kernbereich von Problemlösungen ist unverkennbar. So be-
schaft der Fall zu sein pflegt. Ähnliche Verhältnisse lassen sich z. B. bei gemeinsa-
zeichnet z. B. Schünemann3,4 die „Unterscheidung von Aufsichts- und Obhutsga-
mer Bergnot, wohl auch auf Streifdienst am Feind denken." Darauf beruft sich rantenstellungen" als „direkte Konsequenz der beiden sachlogisch möglichen Herr-
noch die für diese Garantenstellung in der Nachkriegszeit maßgebliche Entschei- schaftsformen entweder über die Gefahrenquelle oder über die Hilflosigkeit des
dung BGHSt 19, 168 (vgl. Rn. 5). Der hier vom BGH aufgenommene Gedanke, Rechtsgutes". Und obwohl er die vonJakobs kreierte „institutionelle Zuständigkeit"
daß eine sittliche Pflicht zur Rechtspflicht werden könne, kann die Garantenstel- als „rhetorische Scheinbegründung" verwirft, 35 meint doch auch er, daß dessen
lung jedenfalls nicht aus einer vorgängigen Rechtspflicht begründen und ist mit „Strukturierung der unechten Unterlassungsdelikte"„ganz nahe beim Herrschafts-
dem Wortlaut des § 13, der ein „rechtliches" Einstehenmüssen verlangt, schwer zu konzept angesiedelt" sei.
vereinbaren. In der Begründung des E 196231 heißt es ausdrücklich: „Es genügt
Tatsächlich ist der von Schünemann gewählte Auslegungsansatz der plausibelste. 19
auch nicht etwa die bloße sittliche Pflicht, einen drohenden Erfolg zu verhindern."
Er geht davon aus, daß bei Begehungsdelikten der Täter im Regelfall durch die Inne-
Wie sollte auch eine sittliche Pflicht eine Garantenstellung begründen können,
habung der „Tatherrschaft"36 charakterisiert sei. Wenn nun der Gesetzgeber in § 13
wenn schon gesetzliche Pflichten dies nicht ohne weiteres tun?
bestimmte Unterlassungen der Begehungstat gleichstellt, kann dies korrekterweise
16 Die formelle Rechtspflichttheorie kann also keine der in Anspruch genommenen
nur im Wege eines Ähnlichkeitsschlusses und damit durch ein Kriterium gesche-
Garantenstellungen einleuchtend begründen. Wenn einzelne Anhänger der formel-
hen, das der Tatherrschaft bei Begehungsdelikten nahesteht. So liegt es bei der
len Rechtspflichttheorie für „verfassungsrechtlich unbedenklich"32 nur die Unter-
„Herrschaft über den Grund des Erfolges", die von dieser Lehre zum zentralen
lassungstatbestände halten, „die sich auf eine gesetzlich oder rechtgeschäftlich be-
Merkmal der Garantenstellung erhoben wird. Wenn dieser „Grund" in der „Hilf-
gründete Erfolgsabwendungspflicht zurückführen lassen", so erkennen sie richtig
losigkeit des Rechtsgutes" bzw. der „Anfälligkeit des Opfers" liegt, 37 wie es z.B.
die Unvereinbarkeit der „Ingerenz" und der „engen Lebensbeziehungen" mit der
bei der Betreuung kleiner Kinder durch die Eltern oder eines Patienten durch die
Rechtspflichttheorie. Aber sie übersehen, daß auch Gesetz und Vertrag die mit die-
Pflegeperson der Fall ist, begründet das Untätigbleiben des Aufsichtspflichtigen in
sen Begriffen umschriebenen Garantenstellungen nicht zu erklären vermögen.
einer Situation der Hilfsbedürftigkeit zwar keine Tatherrschaft im Sinne aktiver
Steuerung des Kausalverlaufs, aber doch etwas Analoges, nämlich die Erfolgsher-
III. Der richtige Ansatz der Zweiteilungslehre beiführung durch mangelnden Schutz des der eigenen Herrschaft (= Aufsicht,
(vor allem der Konzeption Schünemanns) Obhut, Kontrolle) unterstehenden Opfers. Entsprechendes gilt von der „Sach-
herrschaft über den Gefahrenherd": Wer ein gefährliches Unternehmen betreibt
17 Wenn man die neueren Garantenlehren ins Auge faßt, so fällt bei aller Unter- und die gebotenen Sicherheitsvorkehrungen unterläßt, hat, wenn daraufhin ein
schiedlichkeit der theoretischen Ansätze die Ähnlichkeit der zentralen Ergebnisse Unglück passiert, die Herrschaft über den Grund des Erfolges gehabt und ist als
ins Auge. Daß z. B. die Verkehrssicherungspflichten eine Garantenstellung be- Unterlassungstäter zu bestrafen. Man kann also von einer alle Garantenstellungen
gründen, ist prinzipiell unstrittig, einerlei, ob man hier von einer Überwachungs-
garantenstellung, von einer Organisationszuständigkeit oder von einer Sachherr- 33
Vgl. etwa die vehemente Kritik Schünemanns an der Verwendung der Begriffe von Orga-
schaft über den Gefahrenherd spricht. Ebenso herrscht weithin Einigkeit darüber, nisation und Institution bei Jakobs und Freund, Madrid-Symposium, 1995, 50 ff., aber auch die
daß Eltern für ihre Kinder oder Ehegatten für ihren hilfsbedürftigen Partner ein- knappe Bemerkung vonJescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 2, Fn. 34, Schünemann erziele mit sei-
stehen müssen, einerlei, ob man das auf eine Obhuts- oder Beschützergaranten- nen Kriterien „keinen Gewinn an Rechtssicherheit". Ähnlich Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 15,
wonach Schünemann zwar „eine Begründung für die Existenz der unechten Unterlassungsde-
likte" liefere; für deren Grenzen sei „jedoch wenig an Sicherheit gewonnen".
34
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, 73.
3i BT-Drucks. IV/650,124. 33
32 Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, 62.
Baumann/Weber, AT , §15, Rn. 41; zur entspr. Auffassung von Seebode vgl. schon §31, 3
* Vgl. Roxi«, Täterschaft, 72000, und oben § 25, Rn. 17.
Rn. 34. * Schünemann, ZStW 96 (1984), 294.
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§ 32 III 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen III § 32

kennzeichnenden „Kontrollherrschaft" sprechen, die in die beiden Formen der Pflicht. Maßgebend sind also Entstehungsgrund und materieller Gehalt der H a n d -
„Schutzherrschaft" (= Obhutsherrschaft) und „Sicherungsherrschaft" (= lungspflicht, d. h. geboten ist eine Verbindung der formellen und materiellen B e -
Überwachungsherrschaft) zerfallt und der „Steuerungsherrschaft'' der Bege- trachtungsweise". Ähnlich äußert sich zuchjescheck44, der bei einem Absehen von
hungsdelikte so nahesteht, daß eine Gleichstellung den gesetzlichen Bestimmt- den Entstehungsgründen befürchtet, „daß Garantenpflichten uferlos ausgedehnt
heitsanforderungen entspricht. werden". Die Befürchtungen sind begründet. Die formelle Rechtspflichttheorie
20 Der Umstand, daß es bei Begehungsdelikten neben den Herrschaftsdelikten kann aber die Entstehungsgründe der Garantenstellungen auch nicht erklären, wie
noch Pflichtdelikte und eigenhändige Delikte gibt, 3 8 hindert das alleinige A b - schon dargelegt wurde ( R n . 10-16). Sie liegen vielmehr in der Schutz- und Siche-
stellen auf die Kontrollherrschaft bei den Unterlassungsdelikten nicht. D e n n die rungsherrschaft, so daß auf diese Weise der Funktionenlehre ein materielles F u n -
Pflichtdelikte charakterisieren schon bei Begehungsdelikten den Täter zwar nicht dament geliefert wird.
durch die Tatherrschaft, wohl aber durch eine Kontrollherrschaft, die derjenigen Die von Jakobs als Grund für Garantenstellungen benannte „Organisationszu- 23
der Unterlassungsdelikte entspricht. So hat der Täter der Untreue, der seine Ver- ständigkeit" beruht auf dem Gedanken, jedermann müsse in seinem Organisa-
mögensfürsorgepflicht verletzt, die Kontrolle über das von ihm zu betreuende tionskreis dafür sorgen, daß niemand zu Schaden k o m m e . Das entspricht im
Vermögen, und darin liegt der Grund, daß bei Pflichtdelikten die Unterscheidung wesentlichen der „Sachherrschaft über den Gefahrenherd", wie wir sie bei Schüne-
von Begehung und Unterlassung k a u m praktische Bedeutung hat u n d die Gleich- mann finden, und auch der Überwachungsgarantenstellung der Funktionenlehre.
stellung keine Probleme aufwirft. 39 Die Pflichtdelikte bilden also geradezu eine Jakobs spricht denn auch hier geradezu von „Herrschaftsdelikten" und sieht in d i e -
Brücke zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten, indem sie die Gleich- sem Bereich keinen Unterschied zwischen Begehung und Unterlassung. Man
stellung durch das Kriterium der Kontrollherrschaft schon vorzeichnen. Was kann durchaus sagen, daß beim Eintritt von Rechtsgüterverletzungen die „Herr-
schließlich die eigenhändigen Delikte betrifft, so ist es klar, daß ihr Tatbestand schaft über den Grund des Erfolges" in der schlechten Verwaltung des eigenen O r -
durch Unterlassen nicht erfüllt werden kann. 4 0 Einen Meineid durch Unterlassen ganisationskreises liegt, wobei die Abgrenzung dieses „Kreises" manche Probleme
gibt es nicht, so daß bei eigenhändigen Delikten ein Gleichstellungsproblem nicht aufwirft, die aber beim Herrschaftskriterium auch auftreten.
auftreten kann. Dagegen setzt die zweite von Jakobs benannte Garantenstellung, die institutio- 24
21 Das Kriterium der Kontrollherrschaft liefert zwar nur, wie die Tatherrschaft nelle Zuständigkeit, ganz normativ an, nämlich bei den „Pflichten zur Aufopfe-
auch, 41 ein oberstes Leitprinzip, das anhand der vielfältig verschiedenen Erschei- rung", zur „Garantie von Solidarität". 45 Er zählt dazu auch das „besondere Ver-
nungsformen des realen Lebens konkretisierend entfaltet werden m u ß und auch trauen", die polizeiliche „Sorge für elementare Sicherheit" und überhaupt „die
normativer Abgrenzungen bedarf. Aber es hat doch durch die Ähnlichkeit mit der Sorge für die Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung". 4 6 O b man
Tatherrschaft eine gesetzliche Gleichstellungsgrundlage und einen deskriptiv-an- hier noch von „Institutionen" sprechen kann und ob das zusätzliche Erfordernis,
schaulichen Kern, der empirisch überprüfbare Ergebnisse gewährleistet. daß die „Institution" für den gesellschaftlichen Bestand von „elementarem G e -
22 Demgegenüber ist der Ansatz der herrschenden Funktionenlehre, die von der wicht" sein muß, eine hinreichende Rechtssicherheit verbürgt, läßt sich bezwei-
Zweiteilung in O b h u t s - und Überwachungspflichten ausgeht, trotz der Ähnlich- feln. 47 Im Ergebnis sind die von Jakobs postulierten Pflichten zur Aufopferung
keit ihrer Ergebnisse zu normativistisch. D e n n die gewählten Merkmale benennen und Solidarität aber doch nur die Kehrseite der „Obhutsbeziehung über die Hilf-
zwar verschiedene Pflichten, lassen aber nicht erkennen, unter welchen Vorausset- losigkeit des Rechtsgutes", so daß die Parallelität beider Konzeptionen gewahrt
zungen sie entstehen und auf welchem Rechtsgrund sie beruhen. 4 2 Manche A u t o - bleibt.
ren ziehen aus diesem Manko die Folgerung, daß man die materielle „Funktionen- Eine neue Konzeption zur Einschränkung von Garantenstellungen entwickelt 25
lehre" mit der formellen Rechtspflichttheorie verknüpfen müsse. So sagt z. B. Gimbemat.48 Er sieht die Begehungsgleichheit eines Unterlassens darin begrün-
Srree43, es dürfe „der Blick . . . nicht einseitig auf den Inhalt der Handlungspflicht det, daß jemand einen von i h m z u überwachenden „Gefahrenherd" durch
gerichtet werden. Einzubeziehen ist stets auch die rechtliche Grundlage dieser Nichteinschreiten destabilisiert oder, wenn eine Destabilisierung bereits e i n -
getreten ist, nicht wieder auf das rechtmäßige Niveau zurückführt, sofern
38 Vgl. näher oben § 25, Rn. 13-16. „dieser Gefahrenherd dann mit absoluter Sicherheit den tatbestandsmäßigen Er-
39
Vgl. dazu mit Beispielen schon oben § 31, Rn. 71 f.
4
° Vgl. dazu schon oben § 31, Rn. 140. 44
Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 2.
« Vgl. dazu oben § 25, Rn. 17. « Jakobs, AT2, 28/15.
42
Vgl. etwa Baumann/Weber, AT , §15, Rn. 50: „Keine Auskunft geben die Begriffe 4
* Jakobs, AT2, 29/58.
Beschützergarant und Überwachergarant zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen jemand 47
Vgl. die Kritik von Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, 60 ff.
Inhaber einer Garantenstellung wird." 4
» Gimbemat, ZStW 111 (1999), 307.
« Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn.8.
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§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen III § 32
§ 32 III 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
Wiederum andererseits ist nicht zu verkennen, daß Gimbemats Thesen große 29
folg bedingt".49 So liegt es z. B. beim Schrankenwärter, der beim Herannahen ei-
Ähnlichkeit mit einer von mir schon vor Jahrzehnten geäußerten Ansicht haben,
nes Zuges mit Tötungsvorsatz die Schranke nicht herunterläßt und beim Anästhe-
derzufolge eine völlige Gleichstellung von Begehung und Unterlassung nur dort
sisten, der, um den Tod des Patienten zu veranlassen, in einer kritischen Situation
bejaht werden kann, wo ein Handeln von vornherein in den sozialen Regelablauf
die gebotenen Maßnahmen unterläßt. 50
eingeplant ist.55 So liegt es bei der Ernährung des Säuglings durch die Mutter, bei
26 Im praktischen Ergebnis führt das zu einer Beschränkung der unechten Unter-
der Versorgung des Kranken durch den Arzt usw. In solchen Fällen entspricht es
lassungsdelikte auf die Fälle der Überwachungsgarantenstellung. 51 Dazu kommen
dem Sprachgebrauch zu sagen, die Mutter oder der Arzt hätten den Säugling bzw.
aus dem Bereich der Schutzgarantenstellung die Fälle, in denen der zu Beschüt-
Patienten getötet, wenn die Mutter ihr Kind verhungern oder der Arzt den Patien-
zende einen Gefahrenherd darstellt, wie dies bei kleinen Kindern grundsätzlich
ten durch Vorenthaltung eines lebensnotwendigen Medikamentes sterben läßt.
der Fall ist, aber auch bei Erwachsenen, „wenn sie infolge von Krankheit oder
Dagegen sträubt sich das Sprachgefühl gegen die Behauptung, ein Mann habe 30
Alter in eine hilflose Lage geraten, die die Überwachung und gegebenenfalls die
seine Frau getötet, wenn sie an einem Unglückfall stirbt, ohne daß er eine ihm an
Anwendung von Vorbeugungsmaßnahmen erfordert"52. Dagegen soll nur ein
sich mögliche Rettungshandlung vorgenommen hätte. Darin drücken sich feine
echtes Unterlassungsdelikt vorliegen, wenn bei einer der herkömmlichen Schutz-
Differenzen im Maße der Gleichstellung aus, und es ließe sich durchaus vertreten,
verhältnisse bei einer plötzlich eintretenden Gefahr die Rettung unterlassen wird.
einen Sachverhalt wie den letztgenannten nur als qualifizierten Fall der unterlasse-
„Wer es unterläßt, zu dem an einem Schlaganfall darniederliegenden Lebensge-
nen Hilfeleistung zu bestrafen.56 Da aber der deutsche Gesetzgeber für unechte
fährten einen Arzt zu rufen" 53 soll nur nach § 323 c verantwortlich sein. Denn:
Unterlassungen in § 13 II eine fakultative Strafmilderungsmöglichkeit vorgesehen
„Dieses Nichtstun kann ... nicht als Unterlassung einer stabilisierenden Vorbeu-
hat - was Gimbernat57 konsequenterweise für einen „Grundfehler" erklärt - kön-
gungsmaßnahme gegenüber einem vorher bereits vorhandenen, in den Tod mün-
nen diese Unterschiede im Rahmen des § 13 berücksichtigt werden, so daß die
denden Gefahrenherd verstanden werden."54
Rn. 28 genannten Gründe letztlich doch dafür sprechen, alle Schutzverhältnisse
27 Dies ist eine Lehre, die sich der überwiegenden Differenzierung zwischen
als Garantenstellungen zu beurteilen.
Überwachungs- und Schutzgarantenstellung bis zu einem gewissen Grade ein-
Wir können also der folgenden Darstellung die heute herrschende Zweitei- 31
fügt. Denn sie leugnet die Obhutsgarantenstellungen nicht, sondern reduziert sie
lung der Garantenstellungen zugrunde legen, wobei für die Herleitung dem
nur auf von vornherein hilfsbedürftige Schutzobjekte. In der Tat ist die Erstrek-
von Schünemann entwickelten Kriterium der „Herrschaft über den Grund des
kung der Obhutsgarantenstellung auf Ehepartner und sonstige enge Bezugsperso-
Erfolges" die Präferenz einzuräumen ist. Dagegen bleiben andere Begründungs-
nen insofern eine Besonderheit, als diese Menschen im Gegensatz zu Kindern,
versuche von vornherein zu abstrakt und vage. Ein Kriterium wie das der „gegen-
Gebrechlichen, Kranken usw. per se überhaupt nicht hilfsbedürftig sind und sich
seitigen Erwartungen innerhalb der Sozietät" (Otto, Brammsen) hilft nicht weiter,
bevormundende Schutzmaßnahmen daher auch mit Recht verbitten dürfen.
weil es viele Erwartungen gibt (auch zu gesetzlichen Handlungspflichten ver-
28 Dennoch: Es ist nicht recht ersichtlich, warum nicht eine latente Schutzfunk-
dichtete, vgl. Rn. 11/12), deren Enttäuschung gleichwohl keine Strafbarkeit we-
tion in Kraft treten sollte, sobald diese Personen hilfsbedürftig werden, d.h. sich
gen unechten Unterlassens begründen kann. Otto will deshalb auch nur auf solche
durch eine plötzliche Erkrankung oder einen Unglücksfall in einen „Gefahren-
Erwartungen abstellen, deren „Verletzung einen begehungsgleichen schweren
herd" verwandeln. Auch z. B. Kinder und Alte bedürfen ja nicht ständiger Schutz-
Schaden für die Vertrauensbasis des Soziallebens bedeutet" (vgl. Rn. 9). Aber das
maßnahmen, sondern nur im Falle der Erforderlichkeit. Auch führt Gimbemats
ist zu unbestimmt. Und Freunds Kriterium der „Sonderverantwortlichkeit"
Ansicht zu problematischen Differenzierungen. Denn sobald ein Ehegatte die
(Rn. 9) 58 umschreibt im Grunde nur, was schon durch den Begriff der Garanten-
Pflege des erkrankten Partners übernommen hat, nimmt auch er ein unechtes
stellung ausgedrückt wird, ohne über deren konkrete Inhalte etwas aussagen zu
Unterlassungsdelikt an, wenn die unterlassene Beiziehung eines Arztes in einer
können.
kritischen Situation zum Tode des Pfleglings führt. Sollte dem nicht dieselbe Un-
Auch die Rspr. akzeptiert mehr und mehr die Einteilung in Schutz- und Über- 32
terlassung vor Aufnahme der Pflege gleichgestellt werden?
wachungsgarantenstellungen und beschränkt sie unter Vermeidung normativisti-
scher Überdehnungen auf tatsächlich übernommene Kontrollaufgaben. So sagt

«> Gimbernat, ZStW 111 (1999), 331 (hier das Zitat), 328. 55 Vgl. schon oben § 31, Rn. 242; ferner Roxi«,Täterschaft, 7
2000, 465ff.; den., 21973,18ff.
so Gimbernat, ZStW 111 (1999), 331. 56
Wie ich dies früher auch vorgeschlagen hatte; vgl. 21973,19f. Instruktiv auch die von Silva
5i Gimbernat, ZStW 111 (1999), 333. Sanchez, Roxin-FS, 2001, 641, vorgeschlagene „Dreiteilung der Unterlassungsdelikte".
52 Gimbernat, Z S t W 111 (1999), 332. 57 Gimbernat, Z S t W 111 (1999), 314.
53 Gimbernat, Z S t W 111 (1999), 333. 58
Zur Kritik Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, 51 ff.
5" Gimbernat, Z S t W 111 (1999), 332.
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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung — A. Das Einstehenmüssen IV § 32
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das O L G Stuttgart: „Nach der sogenannten Funktionenlehre wird nach dem s o -
Diese Regeln werden allerdings dadurch relativiert, daß die Kinder i m 35
zialen Sinngehalt heute nur noch zwischen Garantenstellungen aus der Pflicht zur
Rahmen des erzieherisch Vertretbaren Freiheit und Selbständigkeit brauchen,
Beherrschung einer Gefahrenquelle u n d aus der Pflicht zum Schutz eines Rechts-
u m sich zu verantwortlichen Menschen zu entwickeln. 6 0 Es wäre verfehlt, m i t
guts unterschieden." Für den Sozialarbeiter, u m den es im konkreten Fall ging,
strafrechtlichen Mitteln überbehütete Kinder heranbilden zu wollen. Deshalb
erwachse „aus der eigenen, von i h m ü b e r n o m m e n e n Aufgabenerfüllung eine
müssen die dem Kleinkindalter entwachsenen Sprößlinge vorbehaltlich der
Garantenpflicht aus tatsächlicher Schutzübernahme". Es gibt also Anzeichen dafür,
R n . 34 genannten Einschränkungen unbeaufsichtigt mit ihren Freunden spielen,
daß die Rspr. sich von der Fixierung auf die formelle Rechtspfiichttheorie all- öffentliche Verkehrsmittel benutzen und Ausflüge machen dürfen. Auch wird man
mählich löst. sie, wenn sie nach elterlicher Erfahrung hinreichende Umsicht gewonnen haben,
etwa von einem Alter von zehn Jahren an auch allein im Hause lassen dürfen,
IV. D i e Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes wenn ansprechbereite Dritte erreichbar sind.
(Schutz- oder Obhutsgarantenstellung) Das Maß des erzieherisch Vertretbaren bestimmt auch die Vermögensfürsor- 36
gepflicht der Eltern. Sie brauchen nicht zu verhindern, daß ihr Kind sein Ta-
1. Familiäre oder familienähnliche Schutzbeziehungen schengeld verliert oder vergeudet oder sein Fahrrad der Gefahr einer Beschädi-
a) Das Verhältnis der Eltern z u ihren Kindern gung oder des Diebstahls aussetzt. D e n n das Kind m u ß lernen, mit seinen Sachen
selbständig u n d vernünftig umzugehen; durch Schaden wird man klug. Dagegen
33 Die Garantenstellung der Eltern gegenüber den i m Haushalt lebenden minder-
müssen Eltern, die das ererbte Vermögen ihres Kindes verwalten, bei Gefahr einer
jährigen Kindern ist unbestritten. Sie wurde früher (und wird zum Teil noch
Bestrafung wegen Untreue (§ 266) verhindern, daß andere sich daran bereichern.
heute) auf das Gesetz gestützt, das den Eltern in § § 1626 ff. B G B die Personen-
Auch müssen sie dem Kind gehörende wertvolle Gegenstände (z. B. Gemälde) 6 1 vor
und die Vermögensfürsorge zuweist. Aber auch w e n n man zivilrechtliche Pflichten
dem Verderb bewahren u n d verhindern, daß das Kind „massiv betrogen" 6 2 wird.
nicht für entscheidend hält (vgl. R n . 11,12), üben die Eltern doch die Betreuungs-
Dagegen wird man eine Garantenpflicht zur Verhinderung eines kleinen Betruges
herrschaft über ihre Kinder aus, die in ihrer Hilflosigkeit auf den Schutz der
(etwa bei der Herausgabe von Wechselgeld) verneinen müssen. D e n n aus einem sol-
Eltern angewiesen sind. Die Kinder müssen also ernährt ( R G LZ 1925, 485),
chen Vorkommnis kann das Kind ohne nachhaltigen Schaden Achtsamkeit lernen.
gepflegt, d. h. vor Verwahrlosung geschützt (RGSt 76, 371), vor Gefahren in und
außerhalb der W o h n u n g (also etwa einem Sturz aus dem Fenster oder einem U n - D i e Garantenstellung eines Elternteils besteht auch dann, wenn die Gefahr 37
fall im Straßenverkehr) und vor selbstschädigendem Verhalten (Suizid, D r o g e n - v o m anderen Elternteil ausgeht und nur durch eine Anzeige abgewendet werden
mißbrauch, lebensgefährlichen Abenteuern) bewahrt, bei Krankheit ärztlich ver- kann. Im Sachverhalt der Entscheidung B G H N S t Z 1984, 164 hatte eine Mutter
sorgt u n d aus bereits eingetretenen Gefahren gerettet werden. Bleiben die Eltern nichts dagegen unternommen, daß ihr M a n n (der Stiefvater) mit ihren beiden
untätig, können sie je nach Lage der Dinge wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher minderjährigen Töchtern aus erster Ehe fortgesetzt geschlechtlich verkehrte. Der
Körperverletzung oder Tötung durch Unterlassen (§§ 222, 229), aber auch wegen B G H hat mit Recht eine Garantenstellung u n d beim Fehlen milderer Mittel auch
eines Lebensgefährdungsdeliktes (§ 221) oder Körperverletzung mit Todesfolge die Zumutbarkeit einer Anzeige bejaht. Die von der Rspr. durchweg angenom-
(§ 227) bestraft werden. mene Unzumutbarkeit einer Anzeige naher Verwandter 6 3 sei dann nicht anzuer-
kennen, w e n n gleichzeitig gegenüber dem Opfer eine Garantenstellung bestehe.
34 Die Garantenstellung ist nicht an die körperliche Anwesenheit der Eltern g e -
D e m ist zuzustimmen, w e n n u n d soweit der Schutz der Kinder, wie es hier außer
bunden. Auch wenn sie eine Abendgesellschaft besuchen, unterstehen die i m
Zweifel steht, größeres Gewicht hat als die Rücksicht auf die Ehe und den E h e -
Hause gebliebenen Kinder weiter ihrer Kontrollherrschaft. Die Eltern müssen also
mann. § 52 I Nr. 2 StPO, der dem Ehegatten ein Zeugnisverweigerungsrecht gibt,
j e nach dem Alter der Kinder und dem Vorhandensein von Gefährdungsmöglich-
ihn also nicht verpflichtet, an der Überführung des Partners mitzuwirken, steht
keiten eine Aufsichtsperson engagieren bzw. ggf. die Nachbarin zu gelegentlichem
dem nicht entgegen. D e n n das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht sich auf bereits
Nachschauen veranlassen oder zu Hause anrufen, ob alles in O r d n u n g ist. Anderer-
begangene Taten, während die Erfolgsabwendungspflicht die Verhinderung künf-
seits bleiben die Kinder auch dann im Schutzbereich der Eltern, w e n n sie sich aus
tiger Taten betrifft. 64
dem Hause entfernen. Die Eltern müssen also darauf achten, daß die Kinder nicht
gefährlichen Spielen nachgehen oder in eine sie ernstlich gefährdende U m g e b u n g
geraten. w Vgl. Freund, 1992, 276f.; Köhler, AT, 217; Kühl, AT3, § 18, Rn. 51.
« Jakobs, AT2, 29/59.
«2 Jakobs, AT2, 29/85.
« Vgl. näher oben § 31, Rn. 224, 233.
ä' OLG Stuttgart NJW1998, 3132. 6
« Zu diesem Urteil: Otto/Brammsen, Jura 1985, 541; Ranft, JZ 1987, 908 f.
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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32

38 Die Eltern können ihre Schutzpflichten teilweise auf andere Personen über- die Lebensgestaltung des Kindes nicht von seiner Betreuung abhängt. Nach ande-
tragen, etwa auf eine Schule, ein Internat oder den Veranstalter von Jugendreisen. rer Auffassung71 soll eine Erfolgsabwendungspflicht bestehen, die aber ähnlich wie
Das entlastet von eigenen Aufsichtspflichten, entläßt die Kinder aber nicht aus bei erwachsenen, selbständig lebenden Kindern auf die Verwandtschaft allein
dem Kontrollbereich der Eltern. 65 Wenn diese z. B. erfahren, daß ihr Kind in der (§ 1589 BGB) nicht gestützt werden kann. Eine Garantenstellung des nichtehe-
Einrichtung, der sie es übergeben haben, mißhandelt oder sexuell mißbraucht lichen Vaters besteht nur dann, wenn er mit dem Kind tatsächlich zusammenlebt
wird, müssen sie einschreiten. Entsprechendes gilt, wenn die Eltern sich trennen. (sei es allein, sei es mit der Partnerin) und seine Betreuung übernommen hat. Aber
Der allein lebende Elternteil muß sich weiter um das Kind kümmern und eingrei- dafür ist dann weder die Verwandtschaft noch ein etwaiges Sorgerecht (vgl.
fen, wenn der andere Elternteil nicht hinreichend für das Kind sorgt. Anders ist es § 1626 a BGB), sondern allein die reale Schutzfunktion entscheidend.
nur, wenn ein Kind völlig in den Schutzbereich Dritter übergeht, wie bei der
Weggabe zur Adoption. b) Sonstige Verwandtschaftsverhältnisse
39 Die Garantenstellung gegenüber den Kindern endet mit ihrem Ausscheiden Auch im umgekehrten Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern nimmt der BGH 42
aus dem Schutzbereich der Eltern.66 Das ist der Fall, wenn volljährige Kinder eine Garantenstellung an, und zwar, wie er ausdrücklich betont, „unabhängig
das Elternhaus verlassen und ihre eigenen Wege gehen. Bleiben sie dagegen in der von einer Hausgemeinschaft" (BGHSt 19, 167). Das ist insofern ein Schritt über
Lebensgemeinschaft der elterlichen Familie, dauert die Garantenpflicht kraft über- die frühere Rspr. hinaus, als diese, obwohl der BGH sich ausdrücklich auf sie be-
nommener Schutzfunktion fort, auch wenn sie nunmehr durch die rechtliche ruft (vgl. oben Rn. 5), immer nur enge Lebensgemeinschaften zur Grundlage
Selbständigkeit des volljährigen Kindes begrenzt wird. von Garantenstellungen gemacht hatte. Die Annahme, daß schon das „Sohn-
40 Das ist freilich umstritten. Bei Stree67 heißt es apodiktisch: „Verwandte gerader Vater-Verhältnis" allein (und entsprechend das Tochter-Vater-Verhältnis) eine
Linie haben sich gegenseitig Hilfe zu leisten, auch wenn sie nicht zusammen- Garantenstellung begründen soll, geht auch zu weit.72 So wenig die selbständig
leben." Ähnlich meinen Wessels/Beulke68, auch wenn sich erwachsene Kinder aus gewordenen, ihr eigenes Leben führenden Kinder der Kontrollherrschaft ihrer
dem Elternhaus gelöst hätten, schuldeten die Eltern ihnen „bei akuten Gefahren Eltern weiterhin unterstehen, sind diese der Aufsicht ihrer Kinder unterworfen.
für Leib, Leben oder Freiheit weiterhin Schutz und Beistand".69 Daß eine sittliche Daran ändert auch der 1979 eingeführte § 1618 a BGB nichts. Dort heißt es zwar:
Pflicht solcher Art besteht, wird sich im Regelfall nicht bestreiten lassen. Aber „Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig." Aber das ist
eine sittliche Pflicht genügt anerkanntermaßen nicht für eine strafrechtliche Er- ein uneinklagbarer Programmsatz, 73 auf den eine Strafbarkeit unterlassener Für-
folgszurechnung (vgl. Rn.15); erst recht genügen natürlich die „Blutsbande" sorge nicht gestützt werden kann.
nicht. Da eine andere Begründung nicht ersichtlich ist, muß eine derartige Er- Anders ist es nur in dem - mindestens früher - häufigen Fall, daß die Eltern 43
weiterung der Garantenstellung abgelehnt werden. An diesem Beispiel zeigt sich, (oder ein überlebender Elternteil) mit dem Kind in einer Familie zusammenleben.
wie fruchtbar und zur rechtsstaatlichen Strafbarkeitseinschränkung geeignet der Aber dann geht es um die Übernahme einer Schutzfunktion, die von dem speziel-
Gedanke der Kontrollherrschaft ist. Sie besteht gegenüber einem aus der Lebens- len Verwandtschaftsverhältnis unabhängig ist und auch im Verhältnis zu weitläufi-
gemeinschaft mit den Eltern ausgeschiedenen erwachsenen Kind ersichtlich ger oder gar nicht verwandten Personen bestehen kann (vgl. näher Rn. 53 ff). Be-
nicht. Wenn man dagegen allein mit dem Gedanken der Schutzgarantenstellung sonders augenfällig ist diese Garantenstellung, wo es um die Pflege alter Eltern
arbeitet, läßt sich eine solche aus dem ethisch gespeisten, Art. 103 II GG aber geht. Aber sie besteht auch unabhängig davon. Denn in einer Lebensgemeinschaft
nicht standhaltendem Rechtsgefühl in viel weitergehendem Maße herbeikonstru- verläßt sich einer auf den anderen und darf von ihm erwarten, daß dieser ihn er-
ieren. forderlichenfalls vor Gefahren beschützt. In dem Fall, der BGHSt 19,167 zugrunde
41 Aus denselben Erwägungen hat auch der nichteheliche Vater, soweit er nur liegt, lebte der Sohn „in Hausgemeinschaft mit der Familie". Geht man davon aus,
als „Zahlvater" in Erscheinung tritt und mit dem Kind nicht zusammenlebt, daß diese Hausgemeinschaft ein familiäres Zusammenleben bezeichnet, ergibt sich
keine Garantenstellung diesem gegenüber.70 Ihm fehlt die Kontrollherrschaft, da die Garantenstellung des Sohnes (und damit die Richtigkeit des vom BGH erziel-
ten Ergebnisses) also schon aus einer Kontrollherrschaft im innerfamiliären Be-
« Vgl. Rudolphi, NStZ 1984,153.
66 Ährdichjescheck/Weigend, AT 5 , § 59 IV 2,*; Jakobs, AT 2 , 29/62; Joecks\ § 13, R n . 25; Köhler,
AT, 217. 7i RGSt 66, 71; Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 18.
67 Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 19. 72 W i e hier Freund, AT, § 6 , R n . 90; Jakobs, A T 2 , 29/62; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 5 9 I V 3 a;
68 Wessels/Beulke, AT 3 1 , R n . 718. Joecks3, § 13, R n . 24f.; Nickel, 1972,186 f.; SYJ-Rudolphi, § 13, R n . 49; Schünemann, 1971, 357f.;
69 Besonders nachdrücklich i n diesem Sinne schon vorher Geilen, F a m R Z 1961, 147; ders., AK-Seelmann, 2§ 13, Rn. 137; Stratenwerth, AT4, § 13, Rn. 39; a.A. Kühl, AT3, § 18, Rn. 54.
FamRZ 1964, 385. 73 Jakobs, AT , 29/62.
70 W i e hier Freund, 1992, 275; Jakobs, AT 2 , 29/62; Schünemann, 1971, 347. 725
724
§ 32. Die Gleichstellung — A. Das Einstehenmüssen IV § 32
§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
Allerdings sind die Beistandspflichten der Ehegatten durch weite Bereiche 46
reich, so daß es des verfehlten Rückgriffs auf das Sohn-Vater-Verhältnis nicht b e -
autonomer Selbstbestimmung begrenzt. 8 2 Die Partner können also ihre Bezie-
durfte.
hungen so regeln, daß jeder für seine privaten Geldgeschäfte allein verantwortlich
44 Die Rspr. hat auch den Großeltern eine Garantenstellung zugesprochen. 74 Doch
ist, daß einer d e m anderen in seine Hobbys oder andere private Aktivitäten nicht
kann dies nach den vorstehend entwickelten Grundsätzen nur dann gelten,' wenn
hereinredet usw. Insoweit wird dann auch keine Schutzpflicht übernommen, und
die Großeltern tatsächlich in der Familie leben u n d die Betreuung oder Mitbetreu-
es entsteht keine Garantenstellung. Daß man jedoch, soweit das Vermögen des
ung der Kinder ü b e r n o m m e n haben. 7 5 Ebenso ist eine in der Literatur teilweise
Partners in den wechselseitigen Schutzbereich fällt, eine Garantenstellung erst von
bejahte wechselseitige Garantenstellung von Geschwistern 7 6 mit der in diesem
einer bestimmten Schadenshöhe an eintreten läßt, kann nicht sinnvoll begründet
Fall inzwischen h. M . 7 7 abzulehnen; nur bei einem Zusammenleben von Geschwi-
werden. 8 3 Freilich werden Bagatellen schwerlich zur Anzeige k o m m e n und k ö n -
stern gilt etwas anderes. Erst recht besteht keine Garantenstellung gegenüber der
nen ggf. nach § 153 StPO erledigt werden.
im Altenheim lebenden Schwiegermutter, wie dies B G H S t 13,162 ohne Begrün-
Vor allem ergibt sich aus der Garantenstellung der Ehepartner keine Ver- 47
dung annimmt. Auch sonstige weitläufige Verwandtschaftsverhältnisse führen als
pflichtung, den anderen vor verantwortlichen Selbstschädigungen z u bewah-
solche nicht zu einem Einstehenmüssen i.S.d. § 13.
ren, wie dies der B G H getan hat (BGHSt 2,150). 8 4 Dies entspricht auch der heute
c) Ehe und eheähnliche Partnerschaften h. M . in der Literatur. 85 D e n n ein Ehegatte soll den anderen vor äußeren Gefahren,
45 Unstrittig ist auch die Garantenstellung derer, die in einer ehelichen Lebensge- aber nicht vor sich selbst schützen. Freilich beruhen viele Suizide auf einer die
meinschaft verbunden sind. 78 Vielfach wird das aus „Gesetz" nämlich aus § 1353 I, freie Selbstbestimmung ausschließenden psychischen Erkrankung (etwa einer en-
2 BGB gefolgert: „Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft dogenen Depression). In solchen Fällen, die dem Partner meist aus vorhergehen-
verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung." Jedoch ist dies eine Ableitung den Ereignissen (Verhaltensauffälligkeiten, psychiatrischer Behandlung u. ä.) b e -
aus der abzulehnenden formellen Rechtspfüchttheorie (vgl. R n . 10ff, 11/12). kannt sein werden, ist der suizidale Akt ein Unglücksfall, der der ehelichen B e -
§ 1353 BGB beschreibt den erwünschten Zustand, kann aber keine Strafbarkeit schützergarantenstellung untersteht.
begründen; schon zivilrechtlich ist ja die Herstellung der ehelichen Lebensge- O b der B G H freilich an dieser Rspr. noch uneingeschränkt festhält, ist nicht si- 48
meinschaft nicht erzwingbar (§ 888 III Z P O ) . 7 9 D i e Garantenstellung setzt da- eher. So will B G H N S t Z 1988, 127 „einem ernsthaften, freiverantwortlich gefaß-
her eine tatsächlich praktizierte Lebensgemeinschaft voraus; 80 die Verpflich- ten Selbsttötungsentschluß . . . eine stärkere rechtliche Bedeutung beimessen", als
tung zu ihrer Herstellung genügt nicht. 8 1 In einer derart gelebten Ehe verläßt sich frühe Urteile dies getan haben. Schon BGHSt 7, 271 hatte das Verlassen einer mit
einer auf den anderen. Die Partner sorgen füreinander und übernehmen dadurch Selbstmord drohenden Frau für „nicht rechtswidrig" erklärt. Nach BGHSt 32, 262
eine wechselseitige Schutzfunktion. Wenn also der eine Partner verunglückt oder ist die M i t w i r k u n g an eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbst-
erkrankt, hat der andere eine Erfolgsabwendungspflicht; er m u ß ihm helfen, ggf. gefährdungen grds. nicht strafbar, was für eine bloße Unterlassung ihrer H i n d e -
einen Arzt oder Krankenwagen herbeirufen usw. rung natürlich erst recht gelten muß. Wie es ist, w e n n den Mitwirkenden „Garan-
tenpflichten für Leib oder Leben des Selbstschädigers treffen", hat der B G H hier
™ RG LZ 1916,404; RGSt 49, 397; 64, 316; 72, 373; OGHSt 1, 88. offengelassen (aaO., 264), eine solche Pflicht also jedenfalls nicht ohne weiteres
75 Wie hier SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 48; Kühl, AT3, § 18, Rn. 53-, Jakobs, AT2, 29/62. Auf die- bejaht. Schließlich hat B G H N S t Z 1987, 406 es für straflos erklärt, w e n n ein E h e -
sen Gesichtspunkt stellen auch RGSt 72, 374 und OGHSt 1, 88 ab. mann es unterläßt, seine schwerkranke Frau gegen ihren ausdrücklichen Willen
*> Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 18. ärztlicher Behandlung zuzuführen.
-n Freund, 1992, 291; den., AT, § 6, K.n.91; Jakobs, AT2, 29/62; Nickel, 1972,186; SK7-Rudolphi,
§ 13, Rn. 49; Schiinemann, 1971, 357f.; Stratenwerth, AT4, § 13, Rn. 39. Entgegen der herkömmlichen Rspr. 8 6 erstreckt sich der eheliche Schutz- und 49
78 RGSt 64, 278; 71,187; H R R Nr. 1624; BGHSt 2,153; OGHSt 3, 4. Aus der Literatur: Bau- Kontrollbereich auch nicht auf die Verhinderung von Straftaten des Partners.
mann/Weber, AT10, § 15 III 4 a; Freund, AT, § 6, Rn. 80, 88; Gropp, AT2, § 11, Rn. 14; Jakobs, AT2, D e n n die Kontrollherrschaft der Ehegatten dient dem wechselseitigen Schutz,
29/63; LKn-Jescheck, § 13, Rn. 22; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 3 a; Joecks2, § 13, Rn. 26; Kind-
häuser, KT2, 257; Köhler, AT, 216; Krey, AT/2, Rn. 335; Kühl, AT3, § 18, Rn. 56; Maurach/Gössel,
AT/27 46/58; SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 50; Schmidhäuser, LB AT2, 16/42; Sch/Sch/Stree26, § 13,
Rn.18; Stratenwerth, AT4, §13, Rn. 59; Tröndle/Fischer50, §13, Rn.6; Wessels/Beulke, AT31, 82 Vgl. Freund, 1992, 289.
83
Rn.718. Herzberg, 1972, 338 mit Nachweisen zu abw. Literaturstimmen.
84
79 Dazu auch BGHSt 7, 268, 270 f. Vgl. darüber schon ausfuhrlich oben §25, Rn. 56, 148 ff. sowie §31, Rn. 216 f. sowie
Roxin,Täterschaft, 72000, 425f.; den., Dreher-FS, 1977, 347ff.
so Wie hier BGHSt 2, 150, 153; 6, 322, 324; Brammsen, 1986, 162; Freund, AT, §6, Rn.88; 85 Vgl. nur Sch/Sch/Eser26, vor §§ 211 ff, Rn. 41 m.w.N.
Joecks3, § 13, Rn. 26; Köhler, AT, 217; Kühl, AT3, § 18, Rn. 58; Maurach/Gössel, AT/27, 46/82, 86 RGSt 72, 19; 74, 285; BGHSt 6, 322; BGH NJW 1951, 204; 1953, 591. Wie hier dagegen
89f.; S¥L7-Rudolphi, §13, Rn.50; Schünemann, 1971, 355ff.; Stratenwerth, AT4, §13, Rn.39; OLG Stuttgart NJW 1986,1767 (dazu Ranft, JZ 1987, 909).
Tröndle/Fischer50, § 13, Rn.6.
8i So aber Geilen, FamRZ 1961, US; Jakobs, AT2, 29/64; Welzel, StrafR11, 217. 727
726
§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32
87
nicht dem Schutz der Allgemeinheit. Der Ehepartner ist dem anderen ein Hel- handene Vertrauen auf Abwendung") könne bei solchen Verbindungen „rechtlich
fer, aber er ist nicht sein Vormund. Die neuere Rspr. ist denn auch schwankend nicht gestützt werden; würden Intimgruppen außer der Ehe durch Garanten-
geworden. BGHSt 19, 297 läßt offen, „wie es sich mit der Frage verhält, ob und pflichten abgesichert, so würde das Ehemonopol zerstört". Aber erstens leitet sich
inwieweit ein Ehegatte kraft der ehelichen Lebensgemeinschaft rechtlich ver- die strafrechtliche Verantwortung nicht aus dem Familienrecht, sondern aus der
pflichtet ist, den anderen von Straftaten abzuhalten". Die Entscheidung meint, daß tatsächlich übernommenen Schutzfunktion ab; und zweitens bemüht sich sogar
dies vielleicht dann nicht der Fall sei, „wenn die Straftat des anderen Teils sich der Gesetzgeber um die rechtliche Regelung eheähnlicher Verbindungen und zer-
allein gegen ein fremdes Rechtsgut richtet, für das der Ehegatte ... keine Garan- stört insoweit selbst das „Ehemonopol".
tenstellung ... einnimmt". Dagegen begründet das Verlöbnis als solches keine Garantenstellung, solan- 52
50 Eine „Zerrüttung" der Ehe hebt die Garantenstellung nicht auf, solange die ge es nicht in ein eheähnliches Zusammenleben übergeht;94 dann aber ist dieses
Lebensgemeinschaft besteht. Denn noch so ernste Streitigkeiten können die So- und nicht das Verlöbnis die Quelle der Garantenstellung. Das Verlöbnis ist erst das
lidaritätsbeziehung nicht beseitigen.88 Anders ist es, wenn die Eheleute sich ge- Versprechen einer künftigen gemeinsamen Lebensgestaltung, stellt diese mit den
trennt, ihre Lebensgemeinschaft also aufgegeben haben. 89 Denn in diesem Fall daraus entspringenden Schutzpflichten aber noch nicht her. Die Ehe kann nicht
fehlt es an einer realen Grundlage für die Schutzfunktion. Beide Ehegatten leben einmal eingeklagt und die Verlobung jederzeit einseitig aufgelöst werden. Es fehlt
in verschiedenen Sphären und können den Lebensbereich des anderen nicht kon- also noch die reale Bindung, das Sorgen füreinander, das erst die Garantenstellung
trollieren. Für den Fall einer „gescheiterten" Ehe ordnet § 1353 II BGB sogar aus- entstehen läßt.
drücklich an, daß die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft verweigert
werden kann. 90 Aber darauf kommt es noch nicht einmal an. Denn die bloße 2. Die Übernahme sonstiger Schutzfunktionen
Pflicht zur Herstellung einer Schutzbeziehung kann diese nicht ersetzen.
Neben den familiären oder familienähnlichen Schutzbeziehungen gibt es viele 53
51 Ein eheähnliches Zusammenleben Unverheirateter begründet dagegen sehr
andere Fälle der Übernahme an Schutzfunktionen, die eine Garantenstellung be-
wohl eine Garantenstellung, da einer sich auf den anderen verläßt und für ihn
gründen. Sie treten zunächst an die Stelle der von der formellen Rechtspflicht-
sorgt wie in einer Ehe. Die fehlende standesamtliche Trauung ändert nichts an der
theorie proklamierten Garantenstellung aus Vertrag. Garant ist mithin der Arzt
Zugehörigkeit zum Schutzbereich des jeweils anderen.91 Das gilt auch für gleich-
gegenüber seinem Patienten, der Schwimm- (oder Fahr-)lehrer gegenüber seinem
geschlechtliche Partnerschaften, sofern nur die erforderliche enge Lebensgemein-
Schüler oder der Babysitter gegenüber dem zu beaufsichtigenden Kinde. Daß der
schaft (gemeinsame Haushaltsführung, gemeinsame Freizeitgestaltung usw.) ge-
Vertrag nicht der eigentliche Rechtsgrund der Garantenstellung ist, wurde schon
geben ist.92 Jakobs93 meint, daß Sich-Verlassen auf den anderen („das faktisch vor-
dargelegt (Rn. 13). Denn die Garantenstellung ist bei tatsächlicher Übernahme der
Schutzfunktion vom Bestehen eines Vertrages ganz unabhängig. Sie liegt z. B.
»7 Ganz h.M.Wie hier Freund, AT, §6, Rn.79; Geilen, FamRZ 1961,147,157f.;Jescheck/Wei- auch dann vor, wenn der Schwimmunterricht oder die Beaufsichtigung des Kin-
gend, AT5, §59 IV * c; Joecks3, §13, Rn.26; Kindhäuser, AT2, 258; Köhler, AT, 217; Kühl, AT3, des aus reiner Gefälligkeit übernommen wird. Andererseits besteht sie trotz gülti-
§18, Rn.59f.; Lackner/Kühl24, §13, Rn.14; Maurach/Gössel, AT/27, 46/77; Ranft, JZ 1987,
909ff.; Rudolphi, 1966, 94f., 105; den., SK7 §13, Rn.52; Sch/Sch/Stree26, §13, Rn. 53; Straten- gen Vertrages nicht, wenn sie nicht übernommen, d. h. der Dienst nicht angetre-
werth, AT4, § 13, Rn. 40; Tenckhoff, JuS 1978, 308, 311. ten wird.
88 Kühl, AT3, § 18, Rn. 58; SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 51.
89 Köhler, AT, 217; Kühl, AT3, § 18, Rn. 58; SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 51. Früher schon aus- Dagegen kommt es nicht darauf an, ob der zu Beschützende sich auch ohne den Garanten
führt, in diesem Sinne Bärwinkel, 1968,136f.; a.A. Krey, AT/2, Rn. 335. der Gefahr ausgesetzt hätte: 95 Wenn der Tourist die Bergbesteigung beim Nichterscheinen des
w Nur für diesen Fall wollen Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 19 die Garantenstellung entfallen las- Führers auch allein unternommen hätte, ist dieser, wenn er die Führung innehat, gleichwohl
sen, während Geilen, FamRZ 1961, 148 und Herzberg, 1972, 324 f. auch hier eine solche beja- Garant.
hen.
9i Wie hier Baumann/Weber, AT10, §15 III 4d; Brammsen, 1986, 168f.; Freund, AT, §6, Die Übernahme einer Schutzfunktion deckt aber auch die Garantenstellung aus 54
Rn.88; Gropp, AT2, § 11, Rn. 26; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 3b;Joecks3, § 13, Rn. 27; Köhler, enger Lebensgemeinschaft ab, die schon von der späteren Rspr. des RG und dann
AT, 217; Maurach/Gössel, KT/27, 46/89ff.; SK7-Rudolphi, §13, Rn.51; Stratenwerth, AT4, §13,
Rn.39. Gegen eine Garantenstellung jedoch Geilen, FamRZ 1961, 149ff., 153; Konrad, 1986,
74ff., 86ff.; Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 17; Timpe, 1983,191ff. » BGH JR 1955, 104, 105; BGH NJW 1960, 1821 nehmen eine Garantenstellung an, wobei
92
So AG Duisburg MDR 1971,1027 für eine Lebensgemeinschaft Homosexueller. Für eine freilich eine tatsächliche Lebensgemeinschaft vorlag. Gegen eine Garantenstellung aus Verlöb-
Garantenstellung Brammsen, 1986, 168; Kühl, AT3, § 18, Rn.63; Maurach/Gössel, AT/27, 46/91; nis Geilen, FamRZ 1961,155;Jakobs, AT2, 29/65; Köhler, AT, 217; Stratenwerth, AT4, § 13, Rn.39.
Otto, AT6, §9 II l b ee; SK7-Rudolphi, §13, Rn.51; Stratenwerth, AT4, §13, Rn.39; Tröndle/ Für eine solche Garantenstellung Haft, AT8, 184; Heinitz, J R 1955, 105; Kienapfel AT4 500-
Fischer50, § 13, Rn. 10. Gegen eine Garantenstellung Blei, H. Mayer-FS, 1965, 127, Doehring, Schmidhäuser, LB AT2,16/42, Fn. 26a E; Wessels/Beulke, AT31 Rn 718
MDR 1972, 664, 665; Jakobs, AT2, 29/66. « Blei, AT18, §87 VI 3 b; Herzberg, 1972, 353; SK7-Rudolphi, § 13, Rn.59, Stratenwerth, AT4,
« Jakobs, AT2, 29/66. §13, Rn.25.
728 729
§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32
auch vom BGH als selbständiger Entstehungsgrund von Erfolgsabwendungspflich- §§35, 241 findet, für die Begründung und Begrenzung der Garantenstellung
ten anerkannt worden ist (vgl. Rn. 4, 5). Wer eine pflegebedürftige Person (mit oder fruchtbar machen will. Das bloße „Nahestehen" genügt noch nicht, wenn es nicht
ohne Vertrag, verwandt oder nicht verwandt) in seinen Haushalt aufnimmt und be- mit der Übernahme einer Schutzfunktion verbunden ist.100
treut, ist Garant. Auch die sog. Gefahrengemeinschaften sind keine selbständigen Aus den genannten Voraussetzungen der Schutzpflicht ergibt sich auch, daß 59
Garantenstellungen, sondern Fälle der Übernahme einer Schutzfunktion: Die Berg- diese ihre Grenze in der Persönlichkeitsautonomie der zu Beschützenden findet.
steiger, die am selben Seil hängen, übernehmen wechselseitig die Verantwortung für So hat der BGH den Fall entschieden,101 daß der Angeklagte einen Freund in seine
ihre Sicherheit: dasselbe gilt etwa für Expeditionsteilnehmer. Wohnung aufgenommen und diesen, als er bettlägerig wurde, auch zunächst be-
55 Wichtig ist, daß eine Schutzfunktion sich nicht aus der Gemeinschaft als sol- treut hatte. Da der Freund jedoch sterben wollte, stellte der Angeklagte mit dessen
cher ergibt, sondern von seiten der zu Beschützenden eine Abhängigkeit vor- Zustimmung die Betreuung weitgehend ein und rief auch keine ärztliche Hilfe
aussetzt, der auf seiten des Garanten eine Obhutsbeziehung entspricht. Eine herbei. Der BGH stellt mit Recht fest, daß sich aus der Wohn- und Lebensge-
solche Beziehung liegt vor, wenn jemand sich entweder im Vertrauen auf den Be- meinschaft keine Rechtspflicht ergibt, den anderen am selbstgewollten Ableben
schützer Gefahren aussetzt, denen er allein nicht gewachsen wäre (etwa der Berg- zu hindern, sofern sich dieser in freier Willensbestimmung dazu entschlossen hat.
tourist im Verhältnis zum Bergführer oder der Schwimmschüler im Verhältnis zu Wegen der fehlenden Abhängigkeit ergibt sich keine Garantenstellung aus - 60
seinem Lehrer), oder wenn er wegen seiner Hilflosigkeit auf einen Beschützer an- selbst langjährigen - Freundschaften102, aus sexuellen Beziehungen (soweit diese
gewiesen ist und im Vertrauen auf ihn andere Sicherungsmaßnahmen unterläßt nicht zu einer Lebensgemeinschaft führen), aus Zechgemeinschaften103 oder ge-
(der Patient im Verhältnis zum Arzt, das Kind im Verhältnis zu Aufsichtspersonen, meinsamem Drogenkonsum104, aus der Sportkameradschaft, der gemeinsamen
auf die die Schutzfunktion von den Eltern vorübergehend übertragen wird). 96 Betriebs- oder Vereinszugehörigkeit oder einer gemeinsamen Autofahrt.105
56 Fehlt es an einer Abhängigkeit im geschilderten Sinne, so entsteht auch keine Die Übernahme einer Schutzfunktion liegt auch noch nicht darin, daß j e - 61
Schutzfunktion. Das bloße Zusammenleben in einer Hausgemeinschaft be- mand die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht nach §323c zusagt oder eine
gründet noch keine Garantenstellung gegenüber den Hausgenossen. Die Fälle, Hilfeleistung beginnt. Wenn also ein Wanderer in einsamer Gegend auf einen Verun-
in denen die frühere Rspr. dies angenommen hatte, 97 waren in Wirklichkeit sol- glückten trifft und ihm die Herbeiholung von Hilfe verspricht, die er dann aber doch
che, in denen gegenüber hilfsbedürftigen Personen eine Obhutspflicht übernom- unterläßt, oder wenn er seine eigenen Hilfeleistungsbemühungen vorzeitig einstellt, ist
men worden war. er prinzipiell nur nach § 323 c strafbar. Denn er kann nicht schlechter gestellt wer-
57 Dies wird jetzt auch vom BGH anerkannt98 und in einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 den als der, der von vornherein jede Hilfe verweigert.
programmatisch ausgesprochen: „In Rechtsprechung und Schrifttum wird vielfach die ,enge Das Ergebnis folgt aber auch aus den allgemeinen Grundsätzen der Übernahme 62
häusliche Gemeinschaft' als ein die Garantenpflicht begründendes Merkmal erwähnt. Eine
Betrachtung der bisher beurteilten Sachverhalte zeigt jedoch, daß die Annahme der Hand- von Schutzfunktionen. Denn wenn der Verunglückte auf keine anderen Ret-
lungspflicht in keinem Fall allein auf diese Gemeinschaft gestützt wurde. Vielmehr wurde als tungsmaßnahmen verzichtet, weil solche nicht vorhanden sind, begibt er sich in
maßgebender Umstand entweder ein Verwandtschaftsverhältnis oder Verlöbnis ... oder die keine größere Abhängigkeit als die durch die Situation ohnehin bedingte. Rein
Übernahme einer Schutzfunktion ... gegenüber einem Hilfsbedürftigen ... angesehen. Der
erkennende Senat teilt die Auffassung, daß das tatsächliche Zusammenwohnen allein noch situationsbedingte Abhängigkeiten, wie sie in den meisten Fällen des §323c vor-
keine Handlungspflicht i.S.d. § 13 begründet ... Andernfalls würde bei der Unterschiedlich- liegen, begründen aber keine Schutzfunktion. Eine Garantenstellung entsteht da-
keit der vorkommenden Wohngemeinschaften - Kommunen, Heimbewohner, Arbeiter in
Gemeinschaftsunterkünften usw. - der Kreis der Handlungspflichtigen in unüberschaubarer
her in solchen Situationen nur dann, wenn der Verunglückte wegen der zugesag-
und teils unvertretbarer Weise ausgedehnt." ten oder schon teilweise geleisteten Hilfe andere Rettungsmöglichkeiten preisgibt
(vgl. Rn. 55). Wenn also der Verunglückte im Hinblick auf die von dem Wanderer
58 In der Vernachlässigung des Abhängigkeitsverhältnisses liegt auch die Schwäche Nr. 1 zugesagte Benachrichtigung von Rettungspersonen oder die von diesem
des Ansatzes von Lilie", der den Begriff der „nahestehenden Person", wie er sich in schon eingeleiteten Maßnahmen das Hilfsanerbieten eines hinzukommenden
Wanderers Nr. 2 dankend ablehnt, wird der Wanderer Nr. 1 zum Garanten. Denn
% OLG Düsseldorf NStZ 1991, 531; Blei, H. Mayer-FS, 1966, 121 ff.; Jakobs, AT2, 29/47;
LK11-Jescheck, §13, Rn. 27; Jescheck/Weigend, AT5 , § 59 IV 3 c; Maurach/Gössel, AT/27, 46/91; 100
Der Ansatz von Lilie wird umfassend ausgearbeitet von seiner Schülerin Albrecht, 1998.
SK7-Rudolphi, S 13, Rn.58; Schünemann, 1971, 344ff., 350ff.; Stree, H. Mayer-FS, 1966, 184f.; Da sie für das „Nahestehen" eine „tatsächliche enge Beziehung" verlangt (aaO., 194), kommt sie
rfm., Sch/Sch2" § 13, Rn.27. aber vielfach zu ähnlichen Ergebnissen, wie sie hier vertreten werden.
97 RGSt 69, 321; 73, 390; 74, 311; BGHSt 3, 21. 101
BGH NStZ 1983,117; dazu Ranft, JZ 1987, 911.
102
's BGH NStZ 1984, 163 (daraus das Zitat); BGH NJW 1987, 850; BGH NStE Nr. 3 zu a.A. KG VRS 11 (1956), 360.
§13. W3 BGH NJW 1954,1047 f.; OLG Düsseldorf NJW 1966,1175,1176.
99 Lilie, JZ 1991, 541: Kritisch SK-Rudolphi, §13, Rn.51a, der aus der unterschiedlichen rot OLG Stuttgart NJW 1981,182.
Zielrichtung der §§35,13 die Notwendigkeit unterschiedlicher Interpretationen ableitet. W5
a.A. KG VRS 10 (1956), 138,139; dagegen Heinitz, JR1954, 270.
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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32

n u n ist der Verunglückte, weil er allein i h m seinen Schutz anvertraut hat, von i h m bei einer bestimmten H ü t t e entläßt, u m den Rest des Abstiegs am nächsten M o r -
abhängig. 1 0 6 gen allein zu unternehmen, ist der Führer aller weiteren Verpflichtungen ledig.
63 Aus dem Dargelegten folgt, daß auch die „Unglücksgemeinschaft" keine Ga- Auch der Beginn der Garantenstellung bedarf noch der Präzisierung. Die N o t - 66
rantenstellung begründet. 1 0 7 Die Schiffbrüchigen, die in einem Boot sitzen, oder wendigkeit einer tatsächlichen Ü b e r n a h m e der Schutzfunktion ist prinzipiell an-
die Personen, die gemeinsam in einer brennenden W o h n u n g eingeschlossen sind, erkannt (der Bergführer m u ß also tatsächlich erschienen sein und sich mit dem
haben also nicht füreinander einzustehen. Z w a r kann einer v o m anderen abhängig Touristen auf den Weg gemacht haben), aber sie wird doch in der Literatur bis-
sein. Aber es fehlt an der Ü b e r n a h m e einer Schutzfunktion und an der Aufgabe weilen relativiert. So meint etwa Kühl113, „ausnahmsweise" könne auch schon die
anderer Sicherungsmöglichkeiten. Zusage allein eine Garantenstellung begründen, z. B. „wenn die Eltern mit dem
Babysitter vereinbaren, daß dieser kurz nach ihrem Weggang das schlafengelegte
64 Die Schutzfunktion, die eine Garantenstellung begründet, entsteht in den mei-
Baby übernehmen soll, der Babysitter aber nicht erscheint." Doch wird damit das
sten Fällen durch einen Vertrauensakt 108 des Hilfsbedürftigen, der sich in die H ä n -
Übernahmeprinzip ohne hinreichenden Grund preisgegeben. Hier müssen die
de des Arztes, der Pflegeperson, des Bergführers usw. begibt. Sie kann aber auch
Eltern die Verantwortung tragen, so wie sie dies tun müssen, w e n n der Babysitter
„durch eigenen Zugriff" 1 0 9 des Beschützers entstehen, wie es z.B. in früheren
nicht pünktlich erscheint und sie im Vertrauen darauf weggehen, daß er d e m -
Zeiten oft der Fall war, wenn verwaiste Kinder oder Findelkinder von ursprüng-
nächst noch k o m m e n werde.
lich fremden Personen in die Familie aufgenommen wurden. Unter heutigen Ver-
hältnissen liegt ein solcher Fall vor, w e n n ein Sozialarbeiter des Jugendamtes die Wieder anders liegt es in dem von Rudolphi114 im Anschluß an Blei115 gebildeten 67
Betreuung der Kinder in einer Problemfamilie tatsächlich übernimmt. 1 1 0 Eine Fall, daß „die Eltern nur deshalb das Haus verlassen, weil die Nachbarin ihnen zu-
Garantenstellung wird sogar dann begründet, w e n n der Zugriff verbotswidrig gesagt hat, in bestimmten Zeitabständen nach dem Baby zu sehen". Hier ist die
und gewaltsam erfolgt, wie es bei einer Entführung der Fall ist. 111 Man braucht in Schutzfunktion vereinbarungsgemäß auf ein gelegentliches „Nachsehen" b e -
solchen Fällen also nicht auf eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun zu- schränkt. Wenn das nicht ausreicht (vgl. dazu schon R n . 34), liegt die strafrecht-
rückzugreifen. liche Verantwortung bei den Eltern. Wenn allerdings die Nachbarin überhaupt
65 Das Ausmaß der SchutzVerpflichtung ergibt sich teils aus den Grenzen der nicht nachschaut und dadurch ein Schaden für die Kinder entsteht, ist sie Unter-
Hilfsbedürftigkeit des Schützlings, teils aus Vereinbarungen mit ihm. Wer die lassungstäterin. Hier lag dann die Ü b e r n a h m e schon in der Zusage, weil diese
Pflege eines Kranken ü b e r n o m m e n hat, ist deshalb nicht auch für sein Vermögen nicht auf eine ständige Anwesenheit abzielte.
verantwortlich, wenn dieser insoweit noch zu dessen eigener Verwaltung und Si- Beim Ende der Schutzpflicht können der Wegfall des Schutzbedürfnisses und 68
cherung willens und in der Lage ist. Die Genesung des Kranken setzt dann auch die Vereinbarung, die je für sich zum Erlöschen der Garantenstellung führen k ö n -
der Garantenstellung im übrigen ein Ende. Wer einen gebrechlichen Passanten nen, in Kollision geraten. M a n wird dann der einmal ü b e r n o m m e n e n Schutzauf-
über die Fahrbahn geleitet, hat - natürlich ohne jeden Vertrag! - zunächst dessen gabe den Vorrang geben müssen, solange nicht der autonome Wille des „Schütz-
Schutz ü b e r n o m m e n und ist Garant. 112 Läßt er ihn mitten auf der Fahrbahn ste- lings" dagegensteht. Wenn also die Eltern, die einen Babysitter engagiert haben,
hen, so daß der Gebrechliche Opfer eines Unfalls wird, ist der Begleiter also als später als erwartet zurückkehren, wird dieser sich nicht einfach im Zeitpunkt der
Unterlassungstäter verantwortlich. Bei Erreichen des Bürgersteiges endet dann vereinbarten Rückkehr zurückziehen dürfen, sondern auf die Eltern warten m ü s -
aber die Schutzpflicht, weil keine unmittelbare Gefahr mehr droht und der G e - sen. (Ausnahmen können sich aus dem Gesichtspunkt der Pflichtenkollision erge-
brechliche sich hier selbst helfen kann. Sehr oft werden die Grenzen der Schutz- ben.) Oder, u m es zuzuspitzen: Wenn eine Frau eine andere bittet, zehn Minuten
pflicht auch durch Vereinbarungen festgelegt. W e n n der Tourist den Bergführer lang auf ihr Kleinkind aufzupassen, während sie eine Besorgung zu erledigen ha-
be, und w e n n die Mutter dann niemals wiederkehrt, weil sie sich auf diese Weise
«* Im wesentlichen ebenso BGHSt 26, 39; BayObLG NStZ 1990, 85; OLG Düsseldorf des Kindes entledigen wollte, darf die „Aufpasserin" das Kind dennoch nicht mit-
NStZ 1991, 531; Kühl, AT3, §18, Rn.76; Otto, AT, §9 II 3 a cc; SK7-Rudolphi, §13, Rn.64; ten im Straßenverkehr allein lassen, sondern sie m u ß für die Sicherheit des Kindes
Schünemann, 1971, 344ff., 350ff.; Stratenwerth, AT4, §13, Rn. 25; Stree, H. Mayer-FS, 1966,
154f. A.A. joecks3, § 13, Rn. 27. einstehen, bis sie es in die H ä n d e einer zuständigen Behörde gegeben hat.
107
Kühl, AT3, § 18, Rn.67; Maurach/Gössel, AT/27, 46/92; AK-Seelmann, § 13, Rn.104; ders., Anderes gilt, wenn der zu Betreuende das Schutzverhältnis durch eine verant- 69
NK, § 13, Rn. 104, wohl mchjakobs, AT2 , 29/71. wortliche Entscheidung beendet. In dem erwähnten Fall des Bergführers ( R n . 65)
W8 Dazu näher Schünemann, 1971, 344 ff.
109
Schünemann, 1971, 343. erlischt dessen Schutzaufgabe also auch dann, w e n n der Rest des Abstieges, den
110
OLG Stuttgart NJW 1998, 3131.
i" OGHSt 2, 14f.; 2, 68; Freund, 1992, 296ff.; SK7-Rudolphi, §13, Rn.64; Schünemann, »3 Kühl, AT3, § 18, Rn. 70.
1971, 343, 349. »* SK1-Rudolphi, § 13, Rn.62.
112
OLG Hamm VRS 12 (1957), 45 im Hinblick auf einen Blinden. »5 Blei, H. Mayer-FS, 1966,122; ders., AT18, § 87 VI 3.

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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32
der Tourist allein unternehmen will, nicht ungefährlich ist und die schützende auch hier keine Garantenstellung mehr, weil es in der Hand des Patienten liegt,
Begleitung eines Bergführers objektiv angemessen wäre. Auf den Fall, daß ein die Beziehung zum Arzt jederzeit und aus beliebigen Gründen zu beenden.
Sterbewilliger sich lebensverlängernde Maßnahmen einer Betreuungsperson ver- Umstritten ist, ob der Bereitschaftsarzt auch ohne tatsächliche Übernahme, für 73
bittet, wurde schon hingewiesen (Rn. 59). die ja eine Behandlungszusage genügt (Rn.70), eine Garantenstellung innehat, so
70 Der praktisch wichtigste Fall der Garantenstellung kraft Übernahme einer daß er sich z. B. einer fahrlässigen oder gar vorsätzlichen Tötung durch Unterlassen
Schutzfunktion ist der des Arztes im Verhältnis zum Patienten.116 Die Übernah- schuldig macht, wenn er sich einer Inanspruchnahme verweigert und der Patient
me der Schutzfunktion kommt hier schon mit der - ggf. auch telefonischen - Be- daraufhin stirbt. Der BGH bejaht eine solche Garantenstellung (BGHSt 7, 211,
handlungszusage des Arztes zustande. Das ist aber keine Ausnahme von dem 212). Der Bereitschaftsarzt habe „eine strafrechtlich geschützte Rechtspflicht nicht
Erfordernis tatsächlicher Übernahme der zugesagten Tätigkeit,117 sondern ergibt nur gegenüber der kassenärztlichen Einrichtung, sondern gegenüber der Bevöl-
sich aus der Eigenart dieser Garantenstellung. Da sie keine ständige persönliche kerung ..., in dringenden Erkrankungsfällen einzugreifen" Das ergebe sich „aus
Anwesenheit beim Patienten voraussetzt, liegt die „tatsächliche Übernahme" in dem Wesen des Bereitschaftsdienstes und dem überragenden Interesse der Be-
der Begründung des Patientenstatus. Hat sich der Patient also beim Arzt gemeldet völkerung ..." schon deshalb, „weil die Pflichten anderer Ärzte gegenüber ihren
und dieser, sei es auch zunächst nur durch eine verbale Zusage, die Behandlung Patienten für die Dauer des Bereitschaftsdienstes erheblich eingeschränkt werden".
übernommen, treffen ihn alle Garantenpflichten (die hier im einzelnen nicht dar- Dem folgen auch die Instanzgerichte und die meisten Stimmen in der Litera-
gelegt werden können).118 tur.121
71 Dagegen besteht kein Kurierzwang. Wenn der Arzt einen Patienten zurück- Demgegenüber bestreitet eine andere Auffassung122 die Garantenstellung des 74
weist, entsteht also keine Garantenstellung. (Über den umstrittenen Fall des Be- Bereitschaftsarztes und verlangt auch bei ihm einen ausdrücklichen Übernahme-
reitschaftsarztes vgl. Rn. 73-75). Die Gründe für die Zurückweisung sind gleich- akt, wenn eine Erfolgsabwendungspflicht entstehen soll. Dies läßt sich damit be-
gültig. Es ist also einerlei, ob der Arzt einen Patienten wegen Überlastung, wegen gründen, daß sonst der theoretische Ansatz, das Bestehen einer konkreten O b -
persönlicher Abneigung, wegen vermuteter Zahlungsunfähigkeit oder deshalb zu- hutsbeziehung, aufgegeben werde, und daß die „Monopolstellung", die der Bereit-
rückweist, weil er sich für die Behandlung der Krankheit nicht hinreichend kom- schaftsarzt als der u.U. einzige erreichbare Helfer haben könne, auch sonst nur
petent fühlt. Allerdings kann, wenn Hilfe dringend geboten ist und der angeru- eine Strafbarkeit nach § 323 c begründe.
fene Arzt in der konkreten Situation besser und rascher helfen kann als andere, ein Die richtige Lösung liegt in der Mitte. 123 Soweit die Patienten, die sich an den 75
Untätigbleiben nach §323c strafbar sein.119 Wenn also ein Arzt zufällig an einer Bereitschaftsarzt wenden, schon bei einem anderen Arzt in Behandlung sind,
Unfallstelle vorbeikommt oder auch nur von dort aus angerufen wird und sich übernimmt der Bereitschaftsarzt vorübergehend dessen Schutzfunktion. Es liegt
weigert, tätig zu werden, obwohl er wirkungsvoller hätte eingreifen können als insoweit nicht anders als bei Betreuungspersonen, auf die die Eltern während ihrer
die umstehenden Laien, ist er einer unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Abwesenheit die Aufsicht über ihre Kinder übertragen. Wendet sich dagegen ein
72 Eine Beendigung der ärztlichen Garantenstellung ergibt sich mit dem Abschluß bisher noch nicht behandelter Patient an den Bereitschaftsarzt, so zieht dessen Ab-
der Behandlung, aber auch mit einer einseitigen Aufkündigung des Behandlungs- lehnung ggf. nur eine Strafbarkeit nach §323c nach sich. Denn die von ihm ver-
vertrages durch den Patienten, der den Arzt wechseln oder überhaupt auf eine tretenen Arzte haben auch nur eine allgemeine Hilfspflicht, deren Verletzung ggf.
weitere Behandlung verzichten will. Das gilt selbst dann, wenn der Patient eine nach § 323 c zu ahnden ist; mehr können sie auf den Bereitschaftsarzt nicht über-
lebensrettende Behandlung auf Grund eines verantwortlichen Entschlusses ver- tragen. Eine gesetzliche Pflicht, die der Bereitschaftsarzt gegenüber der „kassen-
weigert, indem er z. B. aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion ablehnt ärztlichen Einrichtung" (vgl. Rn.73) hat, begründet keine Garantenstellung ge-
(BVerfGE 32, 98). Auch sonstige „unvernünftige" Entscheidungen des Patienten genüber der Gesamtbevölkerung. Auch die u.U. schwierige Erreichbarkeit anderer
sind vom Arzt zu respektieren (BGHSt 11, 114). Eine einzige Ausnahme hat die
Rspr. beim Selbstmordversuch eines Patienten gemacht, der sich eine Rettung
1984, 867; den., JZ 1985, 367f.; Schultz, JuS 1985, 271, 273; Sowada, Jura 1985, 75; Uhlenbmck,
durch den Arzt ausdrücklich verbittet (BGHSt 32, 367ff, 377).120 Doch besteht 1985,16.
'21 BGHSt 7, 211, 212; OLG Hamm NJW 1975, 604, 605; AG Jever MDR 1991, 461- Blei
»6 RG DR 1943, 896, 897; BGHSt 7, 211 f.; 31, 348f.; BGH NStZ 1983, 263; BayObLG JZ AT , § 87 I 4 a; Bockelmann, 1968, 23;5 Freund, 1992, 291; Gropp, AT4, § 11, Rn. 28;3 Jakobs, AT2 ',
1973, 319; OLG Hamm NJW 1975, 604 f. Neue literarische Darstellung bei Tag, 2000, 407 ff. 29/47, Fn.102; Jescheck/Weigend, AT , §59 IV 3 c; Kreuzer, 1965, 81 f.; Kühl, AT , § 18, Rn.74,
»7
118
So aber Kühl, AT3, § 18, Rn. 70. Otto, AT , § 9 II 3a aa; Otto/Brammsen, Jura 1985, 595; SK7-Rudolphi, § 13, Rn.61; Schmidhäuser,
Vgl. zu den in der Rspr. entschiedenen Fällen Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 28 a. LB AT^, 46/16; Stree, H. Mayer-FS, 1966,160; ders., Seh/Seh , § 13, Rn. 28 a; Tröndle/Fischer50,
26

"9 Vgl. zusammenfassend Kreuzer, 1965; den., NJW 1967, 278. §13, Rn.9. ' a /
120 Zustimmend Dölling, NJW 1986,1011; Eser, MedR 1985, 6; Gropp, NStZ 1985, 97; Herz- 122 Erlinger, 1998,116 ff., 119 ff.; Schünemann, 1971, 353.
berg, JA 1985, 184f.; Kutzer, MDR 1985, 711 f.; Otto/Brammsen, Jura 1985, 596; R. Schmitt, JZ 123 Ranft, JZ 1987, 914, SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 61; Tag, 2000, 411 ff.
734
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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32

Helfer kann eine solche nicht hervorrufen, da ja selbst eine Monopolstellung dies darf er Beamter und Angestellter, die diese Schutzfunktion übernehmen. 1 2 7 Dabei
nicht vermag (vgl. R n . 74). Im übrigen dürfte die Strafdrohung nach § 323 c in ergeben sich hinsichtlich der fiskalischen Rechtsgüter keine Besonderheiten. Wer
Verbindung mit den standesrechtlichen Konsequenzen für den Schutz der Bevöl- im R a h m e n seines Zuständigkeitsbereichs die Vermögensbelange des Staates nicht
kerung ausreichen. wahrnimmt, kann sich wegen Untreue durch Unterlassen strafbar machen; wer
76 Ein Sondergebiet ist die Ü b e r n a h m e von Schutzverpflichtungen gegenüber das in Sachwerten verkörperte Eigentum des Staates durch Untätigkeit verfallen
fremdem Vermögen. 1 2 4 Sie ist vor allem eine Frage der Auslegung des Untreuetat- läßt, kann der Sachbeschädigung durch Unterlassen schuldig sein.
bestandes, der in einer Darstellung des Allgemeinen Teils nicht interpretiert wer- Den Amtswaltern des Staates sind aber auch hoheitliche Rechte anvertraut, für 79
den kann. Aber auch ein Betrug durch Unterlassen kann nur dann in Betracht deren Wahrung sie einzustehen haben. Wenn also der Steuerbeamte bestimmte
k o m m e n , wenn der Unterlassende eine Schutzpflicht gegenüber dem Vermögen Steuern nicht erhebt oder falsche Steuererklärungen bewußt unbeanstandet läßt,
des Geschäftspartners hat. Bei der Entgegennahme irrtümlich zuviel herausgege- kann er sich der Untreue und auch der Steuerhinterziehung durch Unterlassen
benen Geldes oder der Zahlung eines infolge eines Versehens zu niedrig angesetz- schuldig machen. 1 2 8
ten Preises ist das nicht der Fall, so daß eine Garantenstellung und damit auch ein
b) insbesondere bei der Strafverfolgung
Betrug durch Unterlassen ausscheidet. Eine Ausnahme kann nur hinsichtlich der
Garanten sind vor allem auch diejenigen, „denen die Strafverfolgung als amt- 80
Pflicht zur Offenbarung der eigenen Zahlungsunfähigkeit im R a h m e n enger Ver-
liehe Aufgabe anvertraut ist (Strafrichter, Staatsanwälte, Polizeibeamte, Hilfs-
trauensbeziehungen gelten. Diese führen dann zu einer Schutzposition. Der B G H
beamte der Staatsanwaltschaft, vgl. §§ 160, 161, 163 Abs. 1 StPO, § 152 GVG". 129
sagt: 125 „Ein solches Vertrauensverhältnis kann aber nicht schon allein daraus her-
Die Strafrechtspflege untersteht im R a h m e n der jeweiligen Zuständigkeit der
geleitet werden, daß mit einem Lieferanten wiederholt Kaufverträge geschlossen
Herrschaft dieser Funktionsträger. Die Vernachlässigung der dadurch gestellten
worden sind; es ist erst recht nicht beim erstmaligen Abschluß eines Vertrages an-
Strafverfolgungspflichten unterfällt dem Sondertatbestand des § 258 a.
zunehmen. Anders wäre es nur, w e n n eine langjährige Geschäftsbeziehung und
Dagegen haben Amtsträger, die nicht m i t der Strafverfolgung befaßt sind, 81
die korrekte Abwicklung der in ihrem Verlauf geschlossenen Verträge dem Liefe-
keine Pflicht, ihnen bekannt gewordene Straftaten anzuzeigen. 1 3 0 Es besteht
ranten die dem Angeklagten bewußte Überzeugung vermittelt hätten, eine Ü b e r -
auch keine Pflicht des Dienstvorgesetzten, von i h m entdeckte Straftaten seiner
prüfung der Kreditfähigkeit erübrige sich." Die Einzelheiten sind auch h i n -
Untergebenen anzuzeigen. 131 Nach der älteren Rspr. und Lehre 132 sollte zwar der
sichtlich des Betrugstatbestandes eine Frage des Besonderen Teils. Hier gilt es nur
Dienstvorgesetzte immer dann als Garant für die Bestrafung seines Untergebenen
festzuhalten, daß auch im Vermögensstrafrecht Garantenstellungen nur aus
verantwortlich sein, w e n n er eine öffentlich-rechtliche Anzeigepflicht hat. Das ist
Schutzpositionen und nicht, wie früher a n g e n o m m e n wurde, aus „Treu und Glau-
der Fall, w e n n jede andere Entscheidung ermessensmißbräuchlich wäre, das Er-
ben" abgeleitet werden können.
messen mithin auf Null reduiert ist. Aber nicht einmal in diesem Fall ist eine Ga-
rantenstellung zu bejahen. D e n n eine solche Anzeigepflicht, deren Verletzung ggf.
3. Schutzpositionen auf Grund v o n Organstellungen und Amtsträger-
dienstrechtlich geahndet werden kann, „dient nicht der Gewährleistung der vom
pflichten
§ 258 StGB geschützten Strafverfolgung", sondern ausschließlich der „Aufrechter-
a) i m Hinblick auf private und hoheitliche Rechte des Staates haltung der Disziplin der Beamtenschaft sowie der Funktionsfähigkeit der Exeku-
77 Da juristische Personen selbst nicht handeln können, müssen sie ihre Rechts- tive".133 Es ist ein Rückfall in die überwundene formelle Rechtspflichttheorie,
güter ihren Organen anvertrauen, die dadurch zu Schutzgaranten werden. Die wenn man aus öffentlich-rechtlichen Pflichten ohne weiteres Garantenstellungen
Organe haben vor allem eine Schutzfunktion hinsichtlich des Vermögens der j u r i - ableitet (vgl. R n . 10-12). Da der Vorgesetzte keine Schutzfunktion gegenüber der
stischen Person. Ein Organ, das durch Untätigkeit und Versäumnisse die juristi-
sche Person zu Schaden bringt, kann sich also der Untreue durch Unterlassen 127 Kühl, AT3, § 18, Rn. 78. Rudolphi, NStZ 1991, 361 (366).
128 Vgl. etwa RGSt 70, 396, 399; RStBl. 1938, 388; BGH NJW 1955,192; Kohlmann, Steuer-
schuldig machen. Voraussetzung ist dabei immer, daß die Unterlassung den Auf-
strafR, 71997, § 370 AO, Rn. 15.6 ff.; Kühl, AT3, § 18, Rn. 78; Rudolphi, JR 1987, 338; ders., SK7,
gabenbereich des betreffenden Organs betrifft. §13, Rn.54a; Seckel, 21979, 50f., 63. Die steuerrechtlichen Einzelheiten können hier nicht
78 Entsprechendes gilt für juristische Personen des öffentlichen Rechts, also vor dargestellt werden. Eingehend dazu mit umfassenden Nachweisen Sangenstedt, 1989, 509 ff.
Zum Verhältnis von Steuerhinterziehung und Untreue 524 ff.
allem für den Staat. 126 Da der Staat sich als solcher nicht selbst schützen kann, b e - 129 So wörtlich BGHSt 43, 85.
130
Das ist unstrittig; vgl. BGHSt 43, 85 m.w.N.
124 Vgl. Otto/Brammsen, Jura 1985, 597 f. Ausführlich Maaß, 1982. "1 Grundlegender Aufsatz: Rudolphi, NStZ 1991, 361; ferner Sangenstedt, 1989, 529 ff.
125 BGH wistra 1984, 224. «2 Nachweise bei Rudolphi, NStZ 1991, 361, sowie in BGHSt 43, 88.
•26 Wichtige neuere Monographien: Schulz, 1984; Hüwels, 1986; Sangenstedt, 1989. 133 Rudolphi, NStZ 1991, 361 ff, 367.

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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32

Strafrechtspflege hat, kann ihn auch keine Erfolgsabwendungspflicht i.S.d. § 258 in staatlichen Anstalten und Heimen untergebrachten Menschen (etwa Geistes-
treffen. kranken und schwer erziehbaren Jugendlichen). Aber auch Schüler unterliegen
82 Auch der B G H hat sich diese Auffassung jetzt zu eigen gemacht. In dem der während der Schulzeit der Kontrollherrschaft des Staates, der dafür einstehen
Entscheidung BGHSt 43, 82 zugrunde liegenden Sachverhalt hatten leitende B e - muß, daß ihnen nichts zustößt.
amte einer Strafvollzugsanstalt es pflichtwidrig unterlassen, dem Anstaltsleiter Besonders umstritten ist aber, ob der Staat eine Schutzgarantenstellung auch 86
Körperverletzungen anzuzeigen, die Anstaltsbedienstete gegenüber „Meuterern" gegenüber den Bürgern e i n n i m m t , die in keinem speziellen Abhängigkeits-
vorgenommen hatten. Mit Recht verneint der B G H eine Garantenstellung von verhältnis z u i h m stehen. Das Hauptbeispiel bildet das Verhältnis der Polizei
Strafvollzugsbeamten. D e n n diese setze eine Pflicht zur M i t w i r k u n g an der Straf- z u m straftatbedrohten Bürger. Ist der Polizist, wenn er gegen einen von ihm b e -
verfolgung voraus. Vollzugsbeamte hätten aber keine Aufgaben der Strafverfol- obachteten Einbruch nicht einschreitet, wegen Beihilfe durch Unterlassen straf-
gung wahrzunehmen. „Daran ändert es nichts, daß sie ebenfalls mit Strafe ,befaßt bar? Ist der Polizist, der einem Totschlag tatenlos zusieht, selbst ein Totschläger
sind' und das Strafvollzugswesen Teil der Strafrechtspflege ist" (aaO., 85). Auch (durch Unterlassen)? 138
eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Anzeige der Verfehlungen begründe keine Die Rspr. und die h . M . 1 3 9 bejahen dies. Die für die Praxis heute maßgebliche 87
Garantenstellung, sondern diene nur „der Aufrechterhaltung oder Wiederherstel- Entscheidung BGHSt 38, 388 1 4 0 geht davon aus, daß die öffentlich-rechtliche
lung eines geordneten Strafvollzugs in der Anstalt" und schlage „nicht in eine Ver- Pflicht des Polizeibeamten, Straftaten zu verhindern, zumindest auch dem Zweck
pflichtung zur Wahrnehmung oder Förderung von Strafverfolgungsbelangen um" dient, „das von dem jeweiligen Straftatbestand geschützte Rechtsgut vor der i h m
(aaO., 88/89). konkret drohenden Gefahr zu bewahren . . . Beide Schutzzwecke - Verhinderung
oder Beseitigung normwidriger Zustände im Interesse der Allgemeinheit und Si-
83 Dagegen hatte OLG Hamburg NStZ 1996, 102 noch entschieden:134 „Der Leiter einer Ju-
cherung von Individualrechtsgütern im Interesse des einzelnen - sind untrennbar
stizvollzugsanstalt macht sich wegen Strafvereitelung strafbar, wenn er schwere, von Gefange-
nen während der Haft begangene Straftaten nicht zur Anzeige bringt." Das lehnt der BGH jetzt miteinander verbunden. Die Aufgabe, den einzelnen Bürger vor Straftaten zu
ausdrücklich ab. schützen, ist damit nicht nur Reflex- oder Nebenwirkung einer Berufspflicht an-
deren Inhaltes . . . , sondern sie ist wesentlicher Bestandteil der Berufspflicht des
84 Auch Polizeibeamte, die an sich zur Strafverfolgung berufen sind, haben keine
Polizeibeamten . . . Dies ergibt sich schon daraus, daß der Bürger Träger öffent-
Garantenpflicht, wenn sie von einer Straftat nur privat (also außerdienstlich) er-
licher Rechte gegen den Staat ist. Somit hat er einen Anspruch darauf, daß die
fahren haben. 1 3 5 O b diese Regeln auch für die Staatsanwaltschaft gelten, läßt sich
Polizei zum Schutze seiner Rechtsgüter eingreift." Der B G H bejaht ausdrücklich
BGHSt 38, 388 nicht entnehmen. Doch wird man die Frage bejahen müssen, weil
eine „Obhuts"- oder „Beschützergarantenstellung" obwohl der bedrohte Bür-
triftige Gründe für eine unterschiedliche Behandlung nicht ersichtlich sind. Die
ger sich selbst verteidigen darf, „weil Polizeibeamte kraft ihrer hoheitlichen Ein-
ältere Rspr. hat für die Staatsanwaltschaft eine durch § 152 II, 160, 163 StPO b e -
griffsrechte wirksamere Maßnahmen der Gefahrenabwehr treffen können" (aaO.,
gründete und durch die Strafdrohung des § 258 a sanktionierte Pflicht zum Ein-
390). Der B G H folgt insoweit also der neueren Funktionenlehre (vgl. R n . 6 ) und
schreiten bei außerdienstlich erworbenem Wissen nur, aber immerhin für solche
befindet sich mit der A n n a h m e einer Beschützergarantenstellung im Einklang mit
Taten angenommen, die nach Art und Umfang die Belange der Öffentlichkeit
der h. M. Eine Überwachergarantenstellung k o m m t deshalb nicht in Frage, weil
und der Volksgesamtheit in besonderem Maße berühren. 1 3 6
die Polizei nicht die Aufgabe hat, sämtliche Bürger als „Gefahrenquellen" zu über-
wachen. 141
c) i m Hinblick auf individuelle Personen, insbesondere i m Verhältnis der
Polizei z u straftatbedrohten Bürgern
85 Besondere Probleme bereitet die Frage, ob und inwieweit der Staat Schutzauf-
«8 Eine gute Darstellung des aktuellen Streitstandes gibt Pawlik, ZStW 111 (1999), 335.
gaben gegenüber seinen Bürgern hat. Soweit sich Menschen in der Gewalt des » 9 Androulakis, 1963, 206f.; Bärwinkel, 1968, 74; Bergmann, StV 1993, 518f.; Bimbacher, 1995
Staates und somit in seiner Abhängigkeit befinden, ist das freilich unstrittig. 137 300£; Brammsen, 1986, 193ff.; Frank, 1985, 109f.; Freund, AT, §6, Rn.93; Gallas, 1989 (1963)'
Der Staat ist also Garant im Verhältnis zu Strafgefangenen oder sonst zwangsweise 84; LK -Jescheck, § 13, Rn. 27, 29; Kindhäuser, AT2, 261; Köhler, AT, 226, 228; Krey, AT/2!
Rn.337ff.; Otto, AT , §9 II 3b; Otto/Brammsen, Jura 1985, 597; Sangenstedt, 1989, 606ff.; NK-
Seelmann, §13, Rn.139; Stratenwerth, AT4, §13, Rn.17; Tröndle/Fischer50, §13, Rn 6 a- Wagner
»4 Mit zust. Anm. Kkszewski und abl. Anm. Volckart, StV 1996, 608; Küpper, J R 1996, 524. 1975, 251 ff.; Wernicke, ZfW 1980, 263, Wessels/Beulke, AT31, Rn. 721.
W5 BGHSt 38, 393; BGH NJW1989, 914, 916 m.w.N. wo Vorher schon BGHSt 8, 186, 189; BGH NJW 1987, 199 m. abl. Anm. Rudolphi, J R
« 6 BGHSt 5, 229 (229); 12, 277 (281). Dagegen hatte schon Anterist, 1968, eine Garantenstel- 1987, 336; Winkelbauer, JZ 1986,1119. Eine sehr gute Übersicht über die gesamte vorhergehende
lung des Staatsanwalts bei außerdienstlich erlangtem Wissen abgelehnt, eine disziplinarrechtli- Rspr. liefert OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 332.
141
che Sanktionierung aber für zulässig gehalten. Wie hier auch Sangenstedt, 1989, 538 ff. Näher dazu Pawlik, ZStW 111 (1999), 337f. Bergmann, StV 1993, 518f.; Mitsch, NStZ
137
Eingehend und mit umfassenden Nachweisen Sangenstedt, 1989, 557 f. 1993, 383ff.; Laubenthal, JuS 1993, 907ff.

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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32
88 Freilich macht der BGH zwei Einschränkungen. Erstens muß der Beamte ört-
nicht mehr gegeben."145 Für eine Schutzgarantenstellung mangelt es nach dieser
lich und sachlich zuständig sein.142 Zweitens muß er sich im Dienst befinden.143 Auffassung „an einem konkreten Dispositionsakt des Opfers".146
Wenn er in seiner Freizeit gegen Körperverletzungen nicht einschreitet, kann er
Es gibt auch vermittelnde Auffassungen. So will Kühl147 eine Garantenstellung 91
also ggf. nur nach § 323 c bestraft werden. In BGHSt 38, 388 sind die Polizisten
der Polizisten nur annehmen, wenn der Bürger einen Anspruch auf polizeiliches
also nicht wegen Beihilfe zur Förderung der Prostitution durch Unterlassen be- Einschreiten geltend macht. Dadurch werde eine personale Beziehung zwischen
straft worden, nachdem sie außerhalb des Dienstes in der von ihnen besuchten Amtsträger und Bürger geltend gemacht und eine uferlose Ausdehnung der
Kneipe Kenntnis von den dort stattfindenden Delikten nach § 180 a I erhalten hat- Garantenpflichten verhindert. Allerdings soll eine „Geltendmachung" nicht nötig
ten und nicht dagegen eingeschritten waren. Dauert freilich das Delikt, wie in sein, wo sie wegen der tatsächlichen Situation nicht möglich ist. Auch bei Straf-
dem vom BGH entschiedenen Fall, auch während der später wieder aufgenomme- taten gegen Leben und Gesundheit soll es darauf nicht ankommen.
nen Dienstausübung fort, soll im Einzelfall abgewogen werden, ob das öffentliche
Die Argumente gegen eine Garantenstellung sind stark, zumal da einige für sie 92
Interesse privaten Belangen vorgeht (aaO., 391 f.). vorgebrachte Argumente problematisch sind. Wenn sich der BGH darauf beruft,
89 In dem von BGH entschiedenen Fall der Prostitutionsförderung wurde das ver- daß „Polizeibeamte kraft ihrer hoheitlichen Eingriffsrechte wirksamere Maßnah-
neint. Ebenso meint der BGH, die privat erlangte Kenntnis davon, daß jemand men der Gefahrenabwehr treffen können" so läßt sich darauf hinweisen, daß der
ständig ohne Fahrerlaubnis fährt, begründe bei der späteren Dienstausübung noch Bürger viele Selbstverteidigungsrechte hat, die zum Teil weitergehen als die der
keine zum Einschreiten verpflichtende Garantenstellung für den Polizisten. Da- Polizei (z. B. beim SchußWaffengebrauch),148 und daß er auch umfassende private
gegen soll bei gravierenden Delikten auch im Falle privat erlangter Kenntnis eine Sicherungsmaßnahmen treffen kann. 149
Garantenstellung entstehen, wenn sie während des Dienstes fortdauern. „Dies
Trotzdem haben die Gründe, die für eine Garantenstellung der Polizei sprechen, 93
kann auch außerhalb des Katalogs des § 138 StGB bei schweren Straftaten wie z. B.
das größere Gewicht. Denn trotz aller Eigenbefugnisse ist der Bürger für seine
schweren Körperverletzungen, erheblichen Straftaten gegen die Umwelt, Delikten
Sicherheit auf den Schutz des Staates angewiesen und muß sich ihm anvertrauen.
mit hohem wirtschaftlichen Schaden oder besonderem Unrechtsgehalt der Fall
Gäbe es keinen Staat und keine Polizei, würde die Gesellschaft in Anarchie ver-
sein. So wird ein Polizeibeamter ungeachtet privater Interessen in der Regel zum
sinken und die Sicherheit seiner Bürger keineswegs mehr gewährleistet sein. „Die
Einschreiten verpflichtet sein, wenn er von schwerwiegenden Verstößen mit
äußere und innere Sicherheit sind Hauptzwecke des Staates. Ihretwegen begibt
Dauercharakter, nicht auf den Einzelfall beschränktem Handel mit harten Drogen
sich der aufgeklärte Mensch in den Status des Bürgers, beschränkt also seine natürli-
oder Schutzgelderpressung erfährt. Gleiches gilt für Straftaten aus dem Bereich
che Freiheit zum Gebrauch von Notrechten und leistet den Gesetzen Gehorsam."150
der organisierten Kriminalität, die erfahrungsgemäß auf Wiederholung angelegt
Der Dispositionsakt des Bürgers, die besondere Abhängigkeitsbeziehung, die
sind" (aaO., 392). BGH NStZ 2000,147, hat diese Rspr. bekräftigt.
die Schutzfunktion des Staates begründet, „entsteht beim Eintritt in den bür-
90 Demgegenüber bestreitet eine beachtliche Mindermeinung144 eine Garan-
gerlichen Zustand".151 Mit anderen Worten: Der Staatsvertrag wird gerade um des
tenstellung der Polizei schlechthin, solange diese keinen bestimmten Perso-
Schutzes willen abgeschlossen, den der Staat dem einzelnen gewähren soll.
nen- oder Objektschutz übernimmt. Das Fehlen einer Garantenstellung wird
Das ist eine letztlich staatsphilosophische Begründung der Schutzgarantenstel- 94
vor allem daraus hergeleitet, daß es im Verhältnis Staat-Bürger an einem Abhän-
lung, die von den Bestreitern der Garantenstellung als zu normativistisch verwor-
gigkeitsverhältnis fehle. Der Bürger sei in seinen Verteidigungsmöglichkeiten
fen werden wird. Aber es ist durchaus nicht so, daß ein Schutzverhältnis auf einem
nicht beschränkt und besitze umfangreiche Notwehr-, Notstands- und Selbsthil-
die Obhut übertragenden Willensakt des zu Beschützenden beruhen muß. Es kann
febefugnisse. „Damit bleibt er aber prinzipiell selbst dafür zuständig und verant-
sich auch auf Realakte wie eine Lebensgemeinschaft gründen und man kann auch
wortlich, sich und seine Rechtsgüter vor Schaden zu bewahren. Raum für eine
in ein Schutzverhältnis hineingeboren werde. Das gilt gerade für den Urtyp aller
besondere Obhutsgarantenstellung des Staates und seiner Amtsträger ist daneben
Obhutsgarantenstellungen, das Verhältnis der Mutter zum Kind. Sie ist im Augen-

i« An der Zuständigkeit fehlte es z. B. im Fall BGHR, StGB § 13 Abs. 1, Garantenstellung, , f—

Nr. 4. i« SK7-Rudolphi„§ 13, Rn.54c.


146
!« So auch schon BGH NJW1989, 914; BGH NStZ 1993, 383. Schünemann, 1971, 363.
™ Kühl, AT3, § 18, Rn. 87-90; ganz ähnlich Bergmann, StV 1993, 518, und Krey, AT/2,
m Grünwald, ZStW 70 (1958), 425, 428; Gürbüz, 1997, 181 ff., 183; Herzberg, 1972, 356; Hoh- Rn.337ff..
mann, NuR 1991, 12; Immel, 1987, 183f.; Mitsch, NStZ 1993, 384; Nestler, GA 1994, 524; Ranfi, M
» Pawlik, ZStW 111 (1999) 343 in vertiefender Argumentation.
JZ 1987, 914f.; Roeder, DStR 1941, 112f.; Rudolphi, Dünnebier-FS, 1982, 580; ders., J R 1987, 149
336ff.; dm., JR 1995, 167f.; den., SK7, § 13, Rn.36, 54 bff.; Schünemann, 1971, 329, 363; ders., Schünemann, wistra 1986, 243.
150
ZStW 96 (1984), 311; ders., GA 1985, 380; ders., wistra 1986, 243f.; Winkelbauer, NStZ 1986,151; Jakobs, AT2, 29/77 d. Der Ansatz wird ausführlich entwickelt bei Pawlik, ZStW 111
(1999), 345 ff. Ganz ähnlich schon Sangenstedt, 1989, 612 ff.
<fers.; JZ 1986,1119ff., 1120f. 151
Jakobs, AT2, 29/77 d, Fn. 156.
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§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen IV § 32

blick der Geburt Beschützergarantin, obwohl psychische Dispositionsakte des Neu- Polizei bei besserer Kontrolle hätte verhindert werden können. Denn der einzelne
geborenen nicht vorliegen können und ein Wille der Mutter zur Übernahme der Polizist hat eine Garantenstellung nur mit den schon vom BGH herausgearbeite-
Schutzfunktion ebenfalls nicht zu bestehen braucht (auch wenn er im Normalfall ten Einschränkung (Rn. 88, 89).
natürlich vorhanden ist). In vergleichbarer, wenn auch juristisch-philosophisch ver- Vor allem aber hat die Polizei bei der Frage, ob und wie sie gegen Störungen 98
mittelter Weise, wird der Mensch in den Schutz des Staates hineingeboren. der öffentlichen Sicherheit einschreiten soll, nach öffentlichem Recht ein weitrei-
95 Abgesehen davon macht der einzelne bei seiner praktischen Lebensgestaltung chendes Ermessen. Welche Kapazitäten wo eingesetzt werden und ob aus polizei-
von der Schutzgarantie des Staates ständigen Gebrauch. Denn zwar hat er selbst taktischen Gründen jetzt oder erst später eingegriffen werden soll, hat die Polizei
auch Notwehr- und Selbsthilferechte, die freilich waffenrechtlich sehr einge- nach ihrem Ermessen zu entscheiden. Erst bei einer „Ermessensreduzierung auf
schränkt sind, und er kann sich auch auf andere Weise zu sichern versuchen. Aber Null" entwickelt sich aus der Schutzfunktion eine unmittelbares Eingreifen erfor-
die Schutzvorkehrungen des einzelnen können doch nur effektiv sein auf der Basis dernde Erfolgsabwendungspflicht.154 Eine solche Reduzierung liegt vor, sobald
einer vom Staat gewährten Grundsicherheit. Private Zusatzmaßnahmen können ein Polizist mit einem konkreten Rechtsgutsangriff konfrontiert wird, gegen den
nur die Lücken füllen, die auch der staatliche Schutz noch läßt. Hielte aber nicht sofort eingeschritten werden muß, wenn schwere Schäden vermieden werden sol-
prinzipiell der Staat seine Hand über uns, würden private Anstrengungen keinen len. Bei Bagatelldelikten steht dagegen ein Einschreiten im Ermessen der Polizei.
hinreichenden Schutz gewährleisten können. Es ist also ein durchaus realer Be- Denn Bagatelldelikte geben „keinen Anlaß für eine Staatsgründung; Prävention
fund und keine theoretische Konstruktion, daß der Bürger auf weit umfangrei- der Bagatellkriminalität wird demgemäß vom Staat auch nicht per se institutio-
chere Schutzmaßnahmen verzichtet - wenn er sie sich überhaupt leisten könnte - , nell garantiert".155 Praktisch bedeuten alle genannten Einschränkungen eine Rela-
weil er sich dem im Regelfall ausreichenden Schutz des Staates anvertraut.152 Dar- tivierung der polizeilichen Garantenstellung, so daß weder deren Gegner noch
aus folgt: Der Staat hat nicht nur eine abstrakte „Sicherheit und Ordnung" zu deren uneingeschränkte Befürworter ganz im Recht sind. Doch entspricht die hier
schützen, bei der sich der Schutz des einzelnen nur als Reflexwirkung ergibt,153 skizzierte mittlere Lösung den praktischen Bedürfnissen und auch den juristischen
sondern er ist gerade um des Individualschutzes willen vorhanden. Aus seiner Grundlagen dieser Schutzfunktion.
Gewährleistung zieht er seine Existenzberechtigung. d) im Hinblick auf Rechtsgüter der Allgemeinheit, exemplifiziert am
96 Das tatsächliche Bestehen einer durch die Polizei auszuübenden Schutzfunk- Beispiel des Gewässerschutzes
tion ergibt sich auch, wie der BGH mit Recht betont, aus dem subjektiven öffent- In ähnlicher Weise umstritten ist die Garantenstellung von Umweltschutzbe- 99
lichen Recht des Bürgers auf ein Eingreifen der Polizei in Notlagen. Ein Bürger, hörden, die bisher vor allem am Beispiel der Wasserbehörden erörtert worden ist.
der sich der Bedrohung durch Straftaten ausgesetzt fühlt, wird die Polizei rufen. Anerkannt ist zunächst, daß der zuständige Beamte Garant ist, wenn der Staat
Wenn sie daraufhin erscheint und den Hilfesuchenden gegen Angriffe schützt, selbst eine umweltgefährdende Anlage betreibt. Der Amtsträger, der staatliche
kann man nicht bezweifeln, daß sie eine Schutzfunktion übernommen hat. Dann Kläranlagen156 oder Schwimmbäder157 unzureichend betreut, kann also ggf. we-
aber ist es nicht sinnvoll, eine Garantenstellung abzulehnen, wenn der Polizist auf gen Gewässerverunreinigung durch Unterlassen bestraft werden (§ 324).158
einem nächtlichen Streifengang Zeuge eines Einbruchs wird, den der Eigentümer Einigkeit besteht sodann auch darüber, daß der in der Wässerbehörde jeweils 100
noch gar nicht bemerkt hat. Denn jedermann vertraut sich dem Schutz der Polizei zuständige Amtsträger eine fehlerhaft erteilte oder durch veränderte Umstände
gegen rechtswidrige Eingriffe an, solange er sich diesen nicht ausdrücklich verbit- fehlerhaft gewordene Erlaubnis zurücknehmen muß und für diese Rücknahme
tet. Das ist ein Bestandteil des Staatsvertrages und auch eine soziale Realität. Denn bei Gefahr einer Bestrafung nach § 324 einzustehen hat.159 Es besteht eine Kon-
wenn der Polizist etwa aus Bequemlichkeit den Einbruch geschehen läßt, wird je-
der das empört als ein Versagen des Staates vor seiner Schutzaufgabe betrachten.
«« Dazu Köhler, AT, 227; Kühl, AT3, §18, Rn.87; Pawlik, ZStW 111 (1999), 355 f. m.w.N.
97 Die vermittelnde Ansicht von Kühl (Rn. 91) verdient danach im Ergebnis weit- in Fn. 77. Aus der 2neueren Rspr. vgl. OLG Rostock NStZ 2001,199.
gehend Beifall. Nur ist es so, daß die Geltendmachung des Anspruchs auf behörd- '55 Jakobs, AT , 29/77 d.
liches Einschreiten die staatliche Schutzfunktion nicht erst zur Entstehung bringt, «6 Dazu OLG Saarbrücken NJW 1991, 3045.
157 Dazu OLG Köln NJW 1988, 2119.
sondern nur konkretisiert, wie die von Kühl selbst zugestandenen „Ausnahmen" 158 Näher dazu mit Nachweisen aus der Rspr. Schall, NStZ 1992, 267; Sangenstedt, 1989,
zeigen. Andererseits bedeutet die Garantenstellung der Polizei keine Haftbar- 35 f. mit Nachweisen in Fn. 33.
machung für alles und jedes, was sich täglich an Straftaten ereignet und von der 159 OLG Frankfurt NJW 1987, 2757; Größer, 1985, 89ff.; Hörn, NJW 1981, 6; Hüwels, 1986,
60fT.; Joecks3, vor §324, Rn.ll; Kühl, AT, §18, Rn.79; Lackner/Kühl2*, vor §324, Rn. 11;
Meinberg, NJW 1986, 2224; Ostendorf, JZ 1981,166; Rudolphi, Dünnebier-FS, 1982, 576f.; den.,
SK7, §13, Rn.40b; Sack, UmwekschutzstrafR, §324 StGB, Rn.202d; Schünemann, wistra
152 Vgl. Schultz, 1984,160 ff. 1986, 244; Schultz, 1984,166 ff., 168; Seier, JA 1985, 28; Zeitler, 1982, 64ff.
153 So aber Herzberg, 1972, 356.
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trollherrschaft in dem Sinne, „daß der jeweils zuständige Beamte der Wasserwirt- wässer, entsprechen. Wenn unstrittig den Strafverfolgungsbehörden die Straf-
schaftsverwaltung eine Garantiepflicht des Inhalts übernimmt, die in seinen K o m - rechtspflege anvertraut ist, ist nicht einzusehen, w a r u m es bei den Wasserbehörden
petenzbereich fallenden Nutzungsgenehmigungen unter Kontrolle zu halten und hinsichtlich der Gewässer anders sein soll, da doch deren einzige Aufgabe in der
den im Laufe der Zeit jeweils wechselnden Gegebenheiten anzupassen". 160 Vielfach Verwaltung des Wassers besteht. Gerade wenn man mit dem restriktiven Ansatz
wird eine solche Garantenstellung auch aus vorangegangenem rechtswidrigen Tun Schünemanns eine „Kontrollherrschaft" des Schutzgaranten verlangt, ist diese hier
hergeleitet, wobei man dann die nachträglich rechtswidrig gewordenen G e n e h m i - gegeben. 170 D e n n die ständige Kontrolle des Zustandes der Gewässer ist diesen
gungen wegen ihrer Dauerwirkung in die durch § 13 abgesicherte R ü c k n a h m e - Behörden anvertraut.
pflicht einbeziehen muß. 1 6 1 Die Gegenargumente schlagen demgegenüber nicht durch. Rudolphi171 meint, 103
101 Sehr strittig ist aber die Frage, ob die zuständigen Amtsträger auch dann alle Bürger seien im eigenen Herrschaftsbereich selbst verpflichtet, Gefahren einer
wegen Gewässerverunreinigung durch Unterlassen strafbar sind, wenn sie g e - Gewässerverunreinigung zu bekämpfen. Aber w e n n dies nicht geschieht — und
gen von vornherein ungenehmigte „wilde" Gewässerverunreinigungen Drit- ohne die Kontrolle der Wasserbehörden würde es kaum j e geschehen —, sind nur
ter nicht einschreiten. Die Rspr. 1 6 2 und die in der Literatur überwiegende M e i - noch die zuständigen Amtsträger zum Schutz der bedrohten Rechtsgüter da! 172
n u n g 1 6 3 bejahen das, eine beachtliche M i n d e r m e i n u n g 1 6 4 lehnt es entschieden ab. Auch ist es keineswegs so, daß eine Garantenstellung schon dann abzulehnen ist,
102 Gleichwohl sprechen die besseren Gründe fiir die Bejahung einer Garanten- wenn noch andere Garanten vorhanden sind. 173 Selbstverständlich ist ein Eltern-
stellung. 165 Hörn166 hat schon früh betont: „ . . . die betreffenden Opfer sind bereits teil auch dann - und gerade dann! - Garant, w e n n der andere Elternteil seine
konstitutionell unfähig, sich vor den sie bedrohenden Gefahren zu beschützen; das Schutzpflicht versäumt. U n d wenn Schünemann174 sich auf die „Bewirtschaftungs-
Rechtsgut .reines Gewässer' z. B. .gehört' der Allgemeinheit, es hat keinen .Träger'; aufgabe" der Wasserbehörden beruft, die z. B. auch Einleitungsgenehmigungen —
es braucht daher einen .Beschützer'. Diese Funktion üben Behörden aus. Sie n ä m - also eine kontrollierte Verschmutzung — umfaßt, so bleibt doch die Tatsache b e -
lich allein sind befugt und aufgerufen, durch Erlaubnisse und Auflagen diese stehen, daß zu einer ordnungsmäßigen Bewirtschaftung gerade die Verhinderung
Güter 'zu verwalten'." Tatsächlich ist „das ganze Umweltschutzsystem . . . auf die von Verstößen gegen § 324 gehört. 1 7 5
Kontrolle und Überwachung durch kompetente Behörden ausgerichtet". 167 So ha- Hintergrund des Streites über die Garantenstellung der Umweltbehörden ist die 104
ben die Umweltbehörden „Auskunfts- und Betretungsrechte sowie das Recht zur rechtspolitische Frage, „ob die Strafbarkeit der Amtsträger in diesem Bereich m ö g -
Vornahme von Prüfungen, Untersuchungen und Stichproben". 168 Diesen u m - lichst extensiv oder möglichst restriktiv bestimmt werden soll".176 Die Exekutive
fangreichen verwaltungsrechtlichen Einflußmöglichkeiten m u ß eine besondere möchte - teilweise unterstützt von Verwaltungsrechtlern 1 7 7 - ihr Strafbarkeitsrisi-
Verpflichtung, ein Einstehenmüssen für den ordnungsmäßigen Zustand der G e - ko minimieren, während die Strafrechtler überwiegend einen wirksameren U m -
weltschutz verlangen und im Strafbarkeitsrisiko des Amtsträgers ein geeignetes
160
Schünemann, wistra 1986, 244. Mittel dazu sehen.
161
Rudolphi, Dünnebier-FS, 1982, 577.
«2 LG Bremen NStZ 1982, 164; OLG Düsseldorf ZfW 1990, 352, 355f.; OLG Frankfurt Freilich ist die praktische Bedeutung des Streites nicht so groß, wie es die t h e o - 105
NJW 1987, 2753ff., 2757; LG Bremen NStZ 1982, 164; AG Hanau wistra 1988, 199, 200; AG retische Differenz nahelegt. D e n n den Amtsträgern der Umweltbehörden wird
Hechingen NJW 1976,1222; AG Lübeck StV 1989, 348, 349.
1« Bickel, ZfW 1979, 148; Brammsen, 1986, 197f.; Freund, 1992, 305ff.; SK6-Hörn, vor § 324, durch das Umweltverwaltungsrecht in der Frage, ob, w a n n und gegen wen sie
Rn. 23; Hüweh, 1986,175f., 182ff.;>ecfes3, vor § 324, Rn. 11; Kühl, AT3, § 18, Rn. 80f.; Lackner/ einschreiten wollen, ein breiter Ermessensspielraum eingeräumt. 1 7 8 Da es - wie
Kühl24, vor §324, Rn.4; Maurach/Schroeder, BT/28, 58/30; Meinberg, NJW 1986, 2220, 2224;
Otto, Jura 1991, 315; Sack, UmweltschutzstrafR, §324 StGB, Rn.202d; Seh/Sehj Gramer/
Heine*6, vor §324, Rn.30, 38ff.; Schultz, 1984, 166ff.; LK11 -Steindorf, §324, Rn.64; Straten- 169 Freund, 1992, 305f.; Kühl, AT3, § 18, Rn. 80.
werth, AT4, § 13, Rn. 17; Trißerer, 1980,138; Winkelbauer, NStZ 1986,151, Zeitler, 1982,18 ff. 170
Abw. insoweit Sangenstedt, 1989, 638 ff. (639), der deshalb eine originäre Beschützerga-
ist Czychowski, ZfW" 1984, 265ff., 267f.; Gehler, NJW 1982, 12f.; GenStA Hamm NStZ rantenstellung der zuständigen Amtsträger ablehnt, diese aber als „Sekundärgaranten" ansieht.
1984, 219; Gieseke/Wiedemann/Czychowski,VJHG7, §324 StGB, Rn. 25; Jescheck/Weigend, AT5, i7i Rudolphi, Dünnebier-FS, 1982, 578 f.
§59 IV 3c; Rudolphi, Dünnebier-FS, 1982, 580f.; den., NStZ 1984, 198f.; den., SK7, §13, 1 72 Vgl. dazu auch Winkelbauer, NStZ 1986,151.
Rn.54 cf.; Salzwedel, ZfW 1980, 211 ff., 212f.; Schall, NJW 1990, 1270; Schink, DVB1. 1986, 173 Näher Sangenstedt, 1989, 643ff; Winkelbauer, NStZ 1986,151, Fn. 31.
1081; Schünemann, wistra 1986, 243 f.; Tiedemann, 1980, 45; Tröndle, Meyer-GS, 1990, 618f.; 174 Schünemann, wistra 1986, 244; ähnlich Schall, NJW 1990, 1270; Tröndle, K. H. Meyer-
Tröndle/Fischer50, vor § 324, Rn. 18 f; Weber, 1988, 56f.; Winkemann, 1991, 67. GS, 1990, 608 (619).
165 175 Vgl. dazu auch Winkelbauer, NStZ 1986,151.
Eine vorzügliche Darstellung des gesamten Argumentationsstandes liefert Sangenstedt,
1989, 633ff, der zur Bejahung einer Garantenstellung kommt. Ebenso Rogall, 1991, 217ff. i76 Schünemann, wistra 1986, 235.
(bes. 226 f.) 177 Näher dazu Schall, NJW 1990, 1268f.; Schünemann, wistra 1986, 235; Tröndle, K.H.
166 Hörn, NJW 1981, 6. Meyer-GS, 1990, 610.
167 Kühl, AT3, § 18, Rn. 80. 1 78 Sangenstedt, 1989, 704f., spricht von einer „durch weitgespannte administrative Ermes-
168 Rogall 1991, 227. sens-, Beurteilungs- und Bewirtschaftungsspielräume" eingeschränkten Umweltorientierung.
744 745
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
im Falle der Polizei ( R n . 98) - anerkannt ist, daß eine strafrechtlich relevante Ver-
letzung der Garantenpflicht eine Ermessensreduzierung auf Null voraussetzt, 1. D i e Pflicht zur Ü b e r w a c h u n g gefahrlicher Sachen i m eigenen
k o m m t es in der Praxis bisher nur sehr selten zu einer Bestrafung von Amtsträ- Herrschaftsbereich
gern, die gegen das Handeln Dritter nicht eingeschritten sind. 179 Hierher gehören zunächst alle Überwachungsaufgaben, die auch im Zivilrecht 108
106 Die Furcht vor einer zu weitgehenden Kriminalisierung der Exekutive ist also als Verkehrssicherungspflichten bekannt sind. Wer ein Haus und ein Grundstück
unbegründet. Man wird, wenn man den Umweltschutzbehörden eine Garanten- besitzt, m u ß also dafür sorgen, daß Bewohner und Besucher nicht durch unzurei-
stellung zuschreibt, auch nicht mit jeder anderen Aufsichtsbehörde in derselben chende Sicherungsmaßnahmen zu Schaden k o m m e n . In der älteren Rspr. hat die
Weise verfahren und damit „zu einer uferlosen Ausdehnung der Garantenstel- Verkehrssicherungspflicht als Garantenstellung keine selbständige Rolle gespielt,
lungen" 1 8 0 k o m m e n müssen. Hinsichtlich der Bankaufsicht z. B. schließt § 6 III weil man diese Fälle unter dem Gesichtspunkt des vorangegangenen Tuns behan-
KreditwesenG 1 8 1 eine Garantenstellung gegenüber den Anlegern aus. U n d bei der deln zu können glaubte. Eine solche Einordnung ist aber teils k a u m möglich, teils
Versicherungsaufsicht ist zu bedenken, daß der Versicherungsnehmer sich — anders verdeckt sie den wahren Grund des Einstehenmüssens, der in der Herrschaft über
als die Umwelt — weitgehend selbst schützen kann. Auch generell läßt sich sagen, die Gefahrenquelle liegt. 183 Wenn etwa ein Passant durch einen nicht hinreichend
daß die Befugnisse der Wasserbehörden „deutlich über die sonst üblichen b e - befestigten Dachziegel verletzt wird, kann eine Strafbarkeit des Hauseigentümers
hördlichen Aktionsbefugnisse" hinausgehen. 1 8 2 Freilich hat die Unterlassungsdog- wegen Körperverletzung durch fahrlässiges Unterlassen schwerlich auf eine Vor-
matik im Bereich staatlicher Aufsichtspflichten noch viel differenzierende Arbeit handlung gestützt werden, da beim Hausbau alles in O r d n u n g war und auch der
zu leisten. Eigentümer längst gewechselt haben kann: 1 8 4 Allein der Umstand, daß der Eigen-
tümer den Zustand seines Daches nicht hinreichend kontrolliert hat, begründet
das Einstehenmüssen. Entsprechendes gilt etwa für die Schäden, die aus der Ver-
V. D i e Herrschaft über den Gefahrenherd ( Ü b e r w a c h u n g s - oder nachlässigung einer übernommenen Streupflicht entstehen.
Sicherungsgarantenstellung)
Es ist hier nicht möglich, die tausendfältigen Verkehrssicherungspflichten im 109
107 D i e Uberwachungsgarantenpositionen lassen sich auf drei Quellen zurück- einzelnen aufzufuhren. 185 Einige Beispiele mögen zur Illustration genügen. So
fuhren. Erstens hat jedermann die seinem Herrschaftsbereich unterstehenden u n - müssen Gruben auf dem Grundstück gesichert werden; 1 8 6 ein für Besucher offen-
beweglichen und beweglichen Sachen (also z. B. Grundstücke und Tiere) zu über- stehendes Treppenhaus m u ß beleuchtet werden. 1 8 7 Brände im Haus, die Außen-
wachen. Zweitens m u ß derjenige, der die Kontrollherrschaft über bestimmte Per- stehende gefährden, müssen gelöscht werden. 1 8 8
sonen hat, deren rechtswidrige Taten verhindern. Eltern müssen also dafür sorgen, Ebenso müssen Betriebe und Anlagen von den Betreibern in verkehrsgerech- 110
daß ihre Kinder keinen Schaden anrichten, ebenso wie der Leiter einer psychiatri- tem Zustand gehalten werden. Beispiele bieten Skipisten 189 , Kinderspielplätze 190 ,
schen Heilanstalt Delikte der ihm anvertrauten Patienten verhindern muß. D r i t - Sprungturmanlagen 1 9 1 , Seilbahnen, Sportplätze 192 usw. Umstritten ist, ob die
tens m u ß nach der absolut herrschenden (wenn auch nicht ganz unumstrittenen) Überwachungsgarantenstellung auch dann besteht, w e n n die Gefahr von einem
Meinung jedermann dafür einstehen, daß von i h m in Gang gesetz'te gefährliche Dritten geschaffen worden ist. Das ist in der Rspr. für den Fall „wilder" M ü l l -
Kausalverläufe nicht in einen tatbestandsmäßigen Erfolg umschlagen. Dieser Fall ablagerungen in einer stillgelegten Abfallbeseitigungsanlage bejaht worden. 1 9 3
betrifft die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun (Ingerenz), deren exem- Grundsätzlich mit Recht. D e n n wenn eine Anlage für die Allgemeinheit zugäng-
plarischer Fall der Unfallverursacher im Straßenverkehr ist, der ggf. wegen (fahr- 183
lässiger oder vorsätzlicher) Tötung durch Unterlassen zur Verantwortung gezogen Ausfuhrlich zum Verhältnis von „Verkehrspflichten und Ingerenz" Schünemann, 1971,
281 f.
4
wird, w e n n er das Opfer nicht rettet. Als vierter Fall wird hier die in den letzten i« Schünemann, 1971, 284.
185
Jahren besonders aktuell gewordene strafrechtliche Produktverantwortung er- Eine Übersicht über „Die Verkehrspflichten im Spiegel der Rechtsprechung" liefert Schü-
nemann, 1971, 303f.
örtert, bei der umstritten ist, ob sie in eine der überlieferten Überwachungsgaran- iss RGSt 6, 64; 15, 58.
tenstellungen eingeordnet werden kann, einen eigenen Typ des sichernden Ein- 187 RGSt 14, 362.
stehenmüssens oder eine Beschützergarantenstellung darstellt. iss BGHSt 3,1.
189 BGH NJW 1971, 1093; 1973, 1379; OLG München NJW 1974, 189. Aufsätze: Hepp,
NJW 1973, 2085; Hummel, NJW 1974,170.
" 9 Näher Schall, NStZ 1992, 268, der lediglich eine Verurteilung durch das AG Hanau »0 OLG Karlsruhe OLGSt 222, 29.
wistra 1988,199 hat auffinden können. »i OLG Stuttgart VersR 1961,1026.
iso Rudolphi, Dünnebier-FS, 1982, 580. IM BGH VRS 18 (1960), 48.
i8i Winkelbauer, NStZ 1986,150, Fn. 30.
1« OLG Stuttgart 26 NJW 1987, 1282; LG Koblenz NStZ 1987, 281 f.: Kühl, AT3, §18,
182 Ragall, 1991, 227. Rn. 109; Sch/Sch/Stree , § 13, Rn. 44.
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747
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
§32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
der ein begeisterter Autofahrer ist, aber keine Fahrerlaubnis besitzt, ihr den Zünd-
lieh ist, woran sich freilich gerade in dem entschiedenen Fall zweifeln läßt, muß der
schlüssel entwendet. 204 Eine verkehrswidrige Position des eigenen Fahrzeugs muß
Betreiber oder Inhaber diese gegen alle auf der Anlage drohenden Gefahren sichern,
beseitigt werden. 205 Zu weit geht es jedoch, daß der Halter eines Kraftfahrzeuges
einerlei, wodurch sie ausgelöst worden sind.
Garant für die Verhinderung einer Unfallflucht des selbstveFantwortlich handeln-
111 Wichtige Überwachungspflichten betreffen auch die Verhinderung von Ar-
den Kraftfahrzeugführers sein soll. 206 Denn aus der Eigenschaft als Kraftfahrzeug-
beitsunfallen194 im Betrieb und bei Bauarbeiten, wobei im letzteren Fall die Si-
halter läßt sich keine Deliktsverhinderungspflicht herleiten. Ebenso verfehlt ist es,
cherungspflicht gegenüber den Arbeitern und der Allgemeinheit gleichermaßen
dem Halter eines Kraftfahrzeuges eine Garantenpflicht dafür aufzubürden, daß er
besteht.195 Dabei trifft die Garantenstellung grds. den Bauunternehmer und nicht
selbst keine Trunkenheitsfahrt vornimmt. 207 Denn hier geht die Gefahr nicht vom
den Bauherren oder den diesen vertretenden „Oberbauleiter" (BGHSt 19, 286).
Auto aus, sondern vom Fahrer, und dieser kann, wenn er bei der Fahrt schuld-
Die „der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht zu entnehmende Garantenstel-
unfähig ist, abgesehen von § 323 a nur nach den Grundsätzen der actio libera in
lung" des Bauherren bleibt allerdings insoweit „weiter wirksam, als er die Ver-
causa verantwortlich gemacht werden.
antwortung für die Auswahl des beauftragten Unternehmers trägt ... Nimmt er
Eine Uberwachungsgarantenstellung hat auch der Besitzer von Tieren im 114
wahr, daß der Bauunternehmer ... nachlässig arbeitet oder daß eine neue Gefah-
Hinblick auf die von ihnen ausgehenden Gefahren. Große praktische Bedeu-
renquelle entsteht, welcher der beauftragte Bauunternehmer mit seinen Mitteln
tung hat das vor allem für den Hundehalter, der wegen Körperverletzung oder
und Kenntnissen möglicherweise nicht gewachsen ist, so darf er nicht untätig blei-
Sachbeschädigung durch Unterlassen verantwortlich ist, wenn sein Hund infolge
ben. Entsprechendes gilt für denjenigen, der für ihn - sei es nun als Architekt
unzureichender Erziehung, Überwachung oder Sicherung (durch Zaun, Maul-
oder als Statiker - die Aufgabe übernimmt, in diesem Rahmen über die Bauaus-
korb oder Leine) andere Menschen oder fremde Tiere beißt. 208 Im Extremfall -
führung zu wachen .. ."196 Im übrigen hat bei Bauarbeiten vor allem die aus der
etwa bei unzureichend überwachten „Kampfhunden'' - kann auch ein Totschlag
Uberwachungsgarantenstellung folgende Pflicht zur Sicherung von Baustellen
durch Unterlassen in Betracht kommen.
durch Absperrungen und Warnlampen die Rspr. häufiger beschäftigt.197
Sehr umstritten ist die Frage, inwieweit die Wohnung als eine zu überwa- 115
112 Ein Spezialgebiet, dessen Einzelheiten den Kommentaren zum Straßenverkehrs-
chende und Garantenstellungen auslösende Gefahrenquelle angesehen werden
recht überlassen werden müssen, stellt der Besitz und Betrieb von Kraftfahrzeugen
kann. Sie ist eindeutig zu bejahen, soweit die Gefahren von der Wohnung ausge-
dar.198 Der Halter muß dafür sorgen, daß das Fahrzeug stets betriebssicher ist,199
hen. Wenn also die defekte Treppe mit dem Gast zusammenbricht, ist der Woh-
der Fahrer muß vor Antritt der Fahrt prüfen, ob Bremsen, Reifen und Beleuch-
nungseigentümer, der sie nicht rechtzeitig hat reparieren lassen, wegen Körperver-
tung in Ordnung sind. 200 Er muß in gefährlichen Situationen abbremsen201 und
letzung durch Unterlassen strafbar. Eine Garantenpflicht besteht aber auch, wenn
ein liegengebliebenes Fahrzeug gegen das Auffahren durch andere sichern.202
eine in ordnungsmäßigem Zustand befindliche Wohnung im Einzelfall Gefahren
113 Die Rspr. verlangt auch die Überwachung und Sicherung des eigenen Fahr-
heraufbeschwört. So muß der Wohnungseigentümer bzw. Mieter den von wem
zeugs gegen die Benutzung durch Fahrunfähige, Fahrunkundige und Menschen
auch immer vorsätzlich oder fahrlässig Eingeschlossenen aus seiner Lage befreien,
ohne Fahrerlaubnis.203 Wie weit diese Überwachungspflicht geht, muß allerdings
wenn er nicht wegen Freiheitsberaubung durch Unterlassen bestraft werden will.
nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt werden. So braucht man norma-
„Hier stellt die Abgeschlossenheit der Wohnung eine im Herrschaftsbereich des In-
lerweise nicht damit zu rechnen, daß Fahrunkundige mit einem fremden Auto
habers liegende Gefahrenquelle dar und erzeugt infolgedessen für diesen eine Ga-
davonfahren könnten. Auch kann eine Ehefrau kaum verhindern, daß ihr Mann,
rantenpflicht."209

»4 Wichtige Monographien Herzberg, 1984; C. P. Schmidt, 1986.


i« Monographie: Gallas, 1989 (1963). 204 Vgl. n u r O L G Düsseldorf StV 1987, 2 5 3 ; B a y O b L G bei Janiszewski, N S t Z 1988, 545
196
BGHSt 19, 288 f. mit weiter differenzierenden Ausführungen. Zur Verantwortlichkeit m.w.N.
des bauleitenden Architekten OLG Stuttgart NJW 1984, 2879 m. abl. Anm. Henke, NStZ 205 OLGStuttgartVRS30(1966),78.
1985,124. 206 BGHSt 18, 7; OLG Stuttgart N J W 1981, 2369; abl. SK1-Rudolphi, § 13, R n . 30; Brammsen,
w Vgl. BGH VRS 16 (1959), 28; OLG Hamm NJW 1959, 1551; OLG Karlsruhe NJW 1986, 250; Weber, Oehler-FS, 1985, 93.
1977,1930. 207 So aber B a y O b L G J R 1979, 2 8 9 ff.; Freund, 1992, 178; Jakobs, A T 2 , 29/31, F n . 5 8 ; Jescheckf
W8 Gute Übersicht bei Schünemann, 1971, 305 ff. Weigend, AT5, §59; Sch/Sch/Stree26, §13, Rn.43. Wie hier Hörn, JR 1979, 291 ff., 292; Otto/
W9 BGH VRS 17 (1959), 388; VRS 22 (1962), 211, 281; VRS 37 (1969), 271; OLG Düsseldorf Brammsen, Jura 1985, 601; SK'-Rudolphi, § 13, Rn. 30.
NJW 1971, 65. 208 Vgl. aus der Rspr. BayObLGSt 1986, 115; 1986,140; BayObLG NJW 1993, 2001; OLG
200 BGH VRS 15 (1958), 431; DAR 1961, 341; BGHSt 17, 277; BGH NJW 1964,1631. Bremen NJW 1957, 72 f.; OLG Celle NJW 1970, 202; OLG Düsseldorf NJW 1993,1609; OLG
20i RGJW 1937, 2645; BayObLG VRS (1960), 128; BGHSt 17, 223. Hamm NJW 1996,1295.
202 R G DJZ1930,1592; RGJW 1932, 801 f.; RGSt 74,195; BGHSt 4, 360. 209 Schünemann, 1971, 3 6 1 .
203 BGHSt 17, 289; 18, 361; OLG Hamm NJW 1983, 2456; OLG Köln VRS 77 (1989), 232. 749
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§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
116 Sehr zweifelhaft ist aber, ob der Inhaber von Räumlichkeiten als Garant ver- wird jetzt vom BGH ausdrücklich abgelehnt. Vielmehr begründe die Eigenschaft
pflichtet ist, gegen Straftaten einzuschreiten, die sich darin abspielen. Die Rspr. als Wohnungsinhaber eine Garantenstellung nur dann, „wenn die Wohnung we-
hat dies - mit zunehmenden Zweifeln - grundsätzlich bejaht. In der Entschei- gen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage eine Gefahrenquelle darstellt, die
dung BGH NJW 1966,1763210 war eine Gastwirtin nicht dagegen eingeschritten, er so zu sichern oder zu überwachen hat, daß sie nicht zum Mittel für die leichtere
daß vier junge Männer einer Frau, die einen Tanz verweigert hatte, Körperverlet- Ausführung von Straftaten gemacht werden kann" (aaO., 396). Einen Wider-
zungen zufügten. Der BGH ließ dahingestellt, ob aus dem Gaststättengesetz eine spruch im Verhältnis zur früheren Rspr. sucht der BGH zu vermeiden, indem er
Garantenstellung abzuleiten wäre (was zu verneinen ist, vgl. Rn. 11, 12): „Jeden- darlegt, es hätten dort neben der Eigenschaft als Wohnungsinhaber „besondere
falls ergab sich daraus, daß die Angekl. eine Gaststätte betrieb, ihre Rechtspflicht, Umstände" vorgelegen, die eine Garantenstellung begründen. „Solche Umstände
in den Räumen, über die sie die Verfügungsgewalt hatte, für Ordnung zu sorgen, sind in der Stellung als Haushaltsvorstand gegenüber der Täterin einer Kinds-
insbesondere ihre Gäste vor solchen Ausschreitungen anderer Gäste, wie sie hier tötung (RGSt 72, 373; OGHSt 1, 87), in der Stellung als Ehemann einer Abtreibe-
geschehen sind, zu schützen .. " 2 n rin (BGH ... NJW 1953, 591; BGH GA 1967, 115), ferner in dem Betreiben einer
117 BGHSt 27, 10 (12) hat diese Rspr. auf einen Wohnungsinhaber übertragen, der Gaststätte (RGSt 58, 299; BGH NJW 1966,1763 ...) und ... in der Aufnahme des
einen Rentner (mindestens für eine Nacht) in seine Wohnung aufgenommen Opfers in den Schutzbereich der Wohnung gesehen worden" (aaO., 395/96).
hatte. Der Rentner wurde Opfer einer von einem anderen Gast verübten räube- Die anschließende Rspr. ist dem gefolgt. So hat der BGH bei der bloßen Dul- 119
rischen Erpressung mit Todesfolge. Der Wohnungsinhaber „verhinderte die Tat düng von Rauschgiftgeschäften in der eigenen Wohnung eine Garantenstellung
nicht, obwohl er dies gekonnt hätte" (aaO., 11). Der BGH läßt dahingestellt, „ob abgelehnt;213 auch wenn ein Gast infolge der Einnahme von Drogen hilfsbedürf-
sich die Verpflichtung des Wohnungsinhabers schon daraus ergibt, daß ihn die tig wird, begründet das keine Garantenstellung des Wohnungsinhabers.214 Auch
Rechtsordnung auf der anderen Seite besondere Abwehrbefugnisse zum Schutz der Anbau von Cannabispflanzen durch einen Mitbewohner auf dem Grundstück
seiner Wohnung einräumt" oder ob er auch Gefahren „von ungebetenen .Besu- (§ 29 I BtMG) führt nicht zu einer Erfolgsabwendungspflicht des Grundstücks-
chern', wie etwa von einem verunglückten Einbrecher oder einem Bettler ... ab- inhabers.215
zuwehren hat" (aaO, 12). Denn er habe eine „Vertrauensgrundlage geschaffen" Man kann also davon ausgehen, daß die bloße Inhaberschaft an einer Woh- 120
indem er ihn „in seiner Wohnung aufgenommen und ihm deren Schutz zur Ver- nung, einer Gastwirtschaft oder einem Grundstück nach der neueren Rspr.
fügung gestellt" habe: „Wer sich auf Einladung des Wohnungsinhabers in eine keine dem § 13 zu subsumierende Pflicht zur Verhinderung von Straftaten in die-
fremde Wohnung begibt, darf sich darauf verlassen, daß ihm dieser - in seinem sen Bereichen nach sich zieht. Das ist richtig und wird heute entgegen früherer Auf-
Herrschaftsbereich' - bei schwerwiegenden Gefahren zur Seite steht." Bei bagatel- fassung auch von der in der Literatur h. M. anerkannt.216 Denn da die Räume als sol-
larischen Delikten („geringfügige Beleidigungen oder kleine Betrügereien beim che keine Gefahrenquelle darstellen, kann aus ihrer Inhaberschaft auch keine
Kartenspiel") soll das nicht gelten, wohl aber bei Vergewaltigungen,212 Tötungen, Überwachungspflicht erwachsen, es sei denn, daß die Beschaffenheit der Woh-
schweren Verletzungen, Raub und räuberischer Erpressung. Obwohl sich das Ur- nung selbst die Gefahr von Straftaten heraufbeschwört.
teil an die Entscheidung von 1966 anschließt, hat sich doch die Basis der Begrün- Die hinzutretenden „besonderen Umstände", bei denen auch nach BGHSt 30, 121
dung verschoben, indem nicht mehr ausschließlich auf die Räumlichkeit, sondern 395 f. dem Raumbesitzer im Falle des Untätigbleibens eine begehungsgleiche Un-
auf eine Schutz- oder Vertrauensbeziehung abgestellt und die Garantenpflicht auf terlassung zurechnet, müßten also selbständige garantenbegründende Kraft haben
schwere Straftaten beschränkt wird. und anderswo einzuordnen sein als unter die „Pflicht zur Überwachung gefähr-
118 In BGHSt 30, 391 wird dieser restriktive Kurs fortgesetzt. In diesem Fall hatte licher Sachen im eigenen Herrschaftsbereich" (vgl. die Überschrift bei Rn. 108).
der „Haupttäter" eine junge Frau in die Wohnung eines Landsmannes verschleppt Der Gastwirt und auch der private Gastgeber müßten entweder gegenüber ihren
und dort vergewaltigt. Die Angeklagten (der Wohnungseigentümer und seine Gästen eine Schutzfunktion übernehmen oder eine Pflicht zur Überwachung der
Frau) hatten dies unter dem Einfluß von Drohungen des Haupttäters geschehen Gefahren haben, die von delinquierenden Gästen ausgehen können. BGHSt 27,10
lassen. Eine „allein aus der Eigenschaft als Wohnungsinhaber abgeleitete Garan- i

tenstellung", wie sie noch die Vorinstanz aus der „Verfügungsgewalt über die von 2» BGH NJW 1993, 76; BGH StV 1999, 212.
2i" OLG Stuttgart NJW 1981,182.
dem Angeklagten zu seiner Tat benutzten Räume" abgeleitet hatte (aaO., 393, 395) 215 OLG Zweibrücken StV 1986,483; 1999, 212.
2W Vgl. Bmmmsen, 1986, 267ff.; Freund, AT, §6, Rn.76ff.; Gropp, AT2, § 11, Rn.41; Herzberg,
210 Vorher schon RGSt 72, 373; OGHSt 1, 87. 1972, 332ff.; LKn-Jescheck, § 13, Rn.44; Kindhäuser, AT2, 250; Köhler, AT, 221, 225; Kühl, AT3,
2" Abi. z.B. Jescheck/Weigend, AT5, 59 IV 4b; Sch/Sch/Stree26, §13, Rn. 54 („geht ... zu § 13, Rn. 112ff., 115; Landscheidt, 1985; SK7-Rudolphi, § 13, Rn.37; Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn.54;
weit"). Schünemann, 1971, 361, AK-Seelmann, § 13, Rn. 133; Stratenwerth, AT4, § 13, Rn. 45; Tenckhoff,
212 Dagegen BGH GA 1971, 336. JuS 1978, 310 f.

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§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
(Rn. 117) geht ersichtlich von einer Schutzgarantenstellung gegenüber geladenen
Gästen aus. Diese scheitert aber daran, daß es an einer Abhängigkeit des Gastes ge- spiel zu gebrauchen - einem Passanten ein unzureichend befestigter Dachziegel
auf den Kopf fällt, läßt sich aus der Überwachungsgarantenstellung des Haus-
genüber dem Gastgeber fehlt. Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) führt
eigentümers also keine Pflicht zur Rettung des Verletzten herleiten. Denn diese
nicht etwa dazu, daß der Hausrechtsinhaber den staatlichen Schutz, den der Bür-
hat mit der gebotenen Überwachung und Sicherung des Daches nichts zu tun. Das
ger sonst genießt, übernehmen muß; denn bei „dringenden Gefahren" (Art. 13 VII
Problem ist aber ohne praktische Bedeutung, wenn man der herrschenden Inge-
GG) tritt das Hausrecht zurück.217 Auch läßt sich nicht behaupten, daß das Opfer renzlehre folgt (dazu Rn. 143 ff.). Denn dann ergibt sich eine Erfolgsabwendungs-
eines Angriffs in Wohnungen, Gaststätten und auf Grundstücken weniger leicht pflicht aus vorangegangenem Tun.
Hilfe erlangen könne als anderwärts, so daß eine Schutzgarantenstellung des Haus-
rechtsinhabers dieses Defizit kompensieren müsse. Denn in Gaststätten, Wohnun-
gen und befriedeten Besitztümern halten sich durchschnittlich eher mehr nach 2. Die Pflicht zur Sicherung der Allgemeinheit vor rechtswidrigen
Taten Dritter
§ 323 c hilfsverpflichtete Personen auf (oder lassen sich durch Hilferufe erreichen)
als bei Angriffen in der Öffentlichkeit, für die meist menschenleere Orte gewählt Aus dem Prinzip der Selbstverantwortung ergibt sich, daß grundsätzlich keine 125
werden. Ebensowenig besteht eine Überwachungsgarantenstellung gegenüber Pflicht besteht, das Verhalten anderer Menschen zu überwachen. Wer also gegen
delinquenzgeneigten Gästen. Eine Pflicht zur Kontrolle des Verhaltens verant- eine von ihm beobachtete Straftat nicht einschreitet, obwohl ihm dies möglich
wortlicher Dritter besteht nur in seltenen Ausnahmefällen (näher Rn. 125 ff.) und wäre, kann allenfalls nach §323c bestraft werden. Selbst die schon erörterte
ist aus der Zulassung von Besuchern jedenfalls nicht herzuleiten. Garantenstellung der Polizei (Rn.85ff.) und der Wasserbehörden (Rn. 99 ff.) be-
122 Es ergibt sich also, daß eine Garantenstellung in den eigenen Räumen auch bei ruht nicht auf einer Pflicht zur Überwachung sämtlicher Bürger, sondern auf
den von der Rspr. heute noch anerkannten „besonderen Umständen" durchweg einer Schutzgarantenstellung gegenüber Deliktsopfern bzw. hinsichtlich des
nicht besteht. Weder der Wirt noch der Wohnungsinhaber sind Garanten für die Zustandes der Gewässer. Gleichwohl gibt es Ausnahmefälle, in denen jemand als
Verhinderung von Straftaten ihrer Gäste. Garantenstellungen zur Verhinderung Garant für die Verhinderung von Straftaten Dritter einstehen muß: Sie setzen alle-
von Straftaten in den eigenen Räumen entstehen somit nur in Ausnahmefällen: mal ein Herrschafts verhältnis voraus, das auf der mangelnden oder eingeschränk-
Wer einen geistig Behinderten in die Wohnung aufgenommen oder Kinder zu ten Verantwortlichkeit der zu Überwachenden, aber auch auf rechtlichen Über-
versorgen hat, muß diese Personen gegen Straftaten schützen (Obhutsgaranten- ordnungsverhältnissen beruhen kann.
stellung) und von ihnen etwa ausgehende rechtswidrige Taten verhindern (Über- a) Der Grundsatz der Selbstverantwortung
wachungsgarantenstellung). Aber das folgt aus anderen Einstehenspflichten und
hat mit der Wohnung im Grunde nichts zu tun. Abgesehen von den genannten beiden Ausnahmefällen besteht keine Garanten- 126
pflicht zur Verhütung von Straftaten anderer. Wir haben schon gesehen, daß dies
123 Soweit Wohnungen und Grundstücke durch ihre Beschaffenheit Gefahren mit
für Behörden (vgl. nur Rn. 125) ebenso wie für den Hausrechtsinhaber im Hin-
sich bringen, dient die Überwachungspflicht grds. nur dem Schutz derer, die diese
blick auf etwaige Straftaten seiner Gäste (Rn. 121) gilt. Ebenso gilt es, wie schon
Räume berechtigtermaßen betreten.218 Der Wohnungseigentümer bleibt also
dargelegt wurde (Rn. 49), für das Verhältnis von Ehegatten zueinander. So hatte
straflos, wenn ein Einbrecher vom ungenügend gesicherten Balkon hinabstürzt
das RG noch einen Ehemann wegen Beihilfe zum Meineid (durch Unterlassen)
und sich verletzt. Eine Ausnahme gilt für Kinder, die für ihre Taten nicht verant-
bestraft, der seine Ehefrau nicht daran gehindert hatte, einen Meineid zu schwö-
wortlich sind und vor sich selbst geschützt werden müssen. Eine Ausnahme wird
ren. 221 Noch der BGH 222 hat zwei Ehemänner wegen Beihilfe zum Schwanger-
man weiterhin für Räume machen müssen, die von jedermann besucht werden
schaftsabbruch durch Unterlassen bestraft, die ihre Ehefrauen nicht davon abhiel-
können (Warenhäuser, Sportstadien) und deshalb auch für jedermann gefahrlos
ten, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Freilich war der BGH hier schon
betretbar sein sollten.219
geneigt, eine solche Garantenstellung nur bei Straftaten im Bereich der ehelichen
124 Für sämtliche Pflichten zur Überwachung gefährlicher Sachen gilt, daß sie nur
Wohnung anzuerkennen. Aber auch die Eigenschaft als Wohnungsinhaber kann
Sicherungs- und keine Rettungspflichten sind. 220 Wenn - um das Standardbei- ein Einstehenmüssen für die Straftaten verantwortlicher Personen nicht begrün-
den (Rn. 122). Heute würde wohl auch der BGH an einer wechselseitigen Über-
217
Schünemann, 1971, 362; BGHSt 30, 394. wachungspflicht der Ehepartner nicht mehr festhalten.223 Aus dem Gesagten er-
218 SK7-Rudolphi, §13, Rn.31; Schünemann, 1971, 304f.; ähnlich Sch/Sch/Stree26, §13, gibt sich, daß auch der Vater nicht i.S.d. § 13 verpflichtet ist, Straftaten seiner
Rn. 47; z.T. abw. Arzt, JA 1980, 716.
219 Landscheidt, 1985, 87; SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 31.
22i RGSt 74, 283.
220 Kühl, AT3, § 18, Rn. 111; SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 31; Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn. 45; Schüne-
mann, 1971, 290ff. A.A. Brammsen, 1986, 241 f.; Herzberg, 1972, 322ff. 222 BGH NJW 1953, 591; BGH GA 1967,115.
223 Vgl. die in Rn. 49 zitierte Passage aus BGHSt 19, 297.
752
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§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
224
erwachsenen Kinder zu verhindern. Eine Entscheidung des KG, derzufolge ein Verhaltensstörungen ein den Eltern bekanntes Sicherheitsrisiko darstellen. Wenn
Vater wegen Beihilfe zur Falschaussage bestraft wurde, weil er eine Falschaussage sie dann doch einmal eine Körperverletzung oder einen Diebstahl begehen, trifft
seines volljährigen Sohnes zugunsten des Vaters nicht unterbunden hatte, ist also die Eltern dafür keine strafrechtliche Verantwortung. Allgemein läßt sich sagen,
unhaltbar. Ü b e r die geschilderten Grundsätze besteht in der Literatur weitgehende daß die Überwachungspflichten der Eltern mit dem fortschreitenden Alter der
Einigkeit, so daß sich weitere Nachweise erübrigen. Kinder i m m e r mehr schrumpfen 2 2 7 und mit der Volljährigkeit enden (vgl
R n . 126).
b) D i e mangelnde oder eingeschränkte Verantwortlichkeit der z u
Wie die Obhutspflichten können auch die Sicherungspflichten vorübergehend 130
Überwachenden
delegiert werden. Die von den Eltern für die Zeit ihrer Abwesenheit engagierte
127 Das Hauptbeispiel bildet das Verhältnis der Eltern zu ihren minderjährigen K i n - Aufsichtsperson übernimmt also nicht nur die Schutzgarantenpflicht für das Kind,
dern. Eltern haben nicht nur eine Schutzgarantenstellung gegenüber ihren sondern m u ß dieses auch - im selben Umfang wie sonst die Eltern - an rechts-
Kindern (Rn. 33 ff), sondern sie müssen auch von ihnen ausgehende Gefahren widrigen Taten hindern. Erst recht gilt das für den Lehrer, dessen Schutz- und
abwenden und sie insoweit überwachen. Die Eltern können sich zivilrechtlich Überwachungsgarantenpflicht auf dem staatlichen Schulrecht beruht. Freilich b e -
wegen Verletzung der Aufsichtspflicht schadensersatzpflichtig machen. Die schränkt sie sich auf den schulischen Bereich. 2 2 8 Wenn der Lehrer den Schüler
strafrechtliche Garantenpflicht ergibt sich zwanglos daraus, daß die Kinder der nachmittags bei einem Krawall beobachtet, braucht er ihn also nicht zu über-
Kontrollherrschaft der Eltern unterstehen. Da sie selbst nicht verantwortlich sind, wachen.
müssen die Eltern die Verantwortung für sie übernehmen.
Eine Überwachungsgarantenstellung besteht auch gegenüber Geisteskran- 131
128 Allerdings sind dabei zwei Einschränkungen zu berücksichtigen. Erstens ist
ken und trifft vor allem den Leiter und das Personal der Anstalten, in denen diese
eine Strafanzeige zur Verhinderung von Straftaten der Kinder den Eltern i. d. R . untergebracht sind. 2 2 9
nicht zuzumuten. Das T h e m a ist schon an anderer Stelle behandelt worden (§ 31,
Auch d e m Fahrlehrer wird mit Recht eine Überwachungsgarantenstellung 132
R n . 211 ff.), so daß hier darauf verwiesen werden kann. Zweitens ist zu bedenken,
i m Hinblick auf den Fahrschüler zugesprochen. 2 3 0 Zwar ist dieser nicht prinzi-
daß eine lückenlose Überwachung der Kinder durchweg nicht möglich und, da
piell schuldunfähig. Aber er ist, solange er das Autofahren noch nicht erlernt hat,
die Kinder zur Selbständigkeit erzogen werden sollen, auch erzieherisch nicht unfähig, den Anforderungen des Verkehrs gerecht zu werden. Dieses individuelle
wünschenswert ist. Es müssen also die Gütererhaltungsinteressen der Allgemein- Unvermögen ist ein Schuldausschließungsgrund. 2 3 1 Das dadurch entstehende D e -
heit gegen die Freiheitsentfaltungsinteressen bei der elterlichen Erziehung abge- fizit m u ß durch den Fahrlehrer aufgefangen werden, der das Fahrverhalten seines
wogen werden. 2 2 5 Schülers kontrolliert und auf diese Weise die Verkehrssicherheit garantiert. Ent-
129 Praktisch läuft das darauf hinaus, daß zwar Kleinkinder unter Umständen, die sprechendes gilt für alle Lehrer-Schüler-Verhältnisse, bei denen der Schülerstatus
ihnen gefährliche Handlungen ermöglichen, ständig überwacht werden müssen: gefahrenträchtige Aktionen mit sich bringt.
Das dreijährige Kind darf also nicht in R ä u m e n allein gelassen werden, in denen
es zündeln, den Gasherd aufdrehen oder gefährliche technische Einrichtungen in c) A u f Überordnungsverhältnissen beruhende Garantenstellungen
Betrieb setzen kann. Bei einem neunjährigen Kind ist das schon anders. 2 2 6 Bei i m Hinblick auf das Handeln verantwortlicher Personen
größeren Kindern müssen die Eltern nur im Falle erkennbarer Tatgeneigtheit ein- In bestimmten Überordnungsverhältnissen ordnet das Gesetz selbst durch eige- 133
schreiten, w e n n sie also sehen, daß ihr Sprößling sich anschickt, die Fenster des ne Strafvorschriften eine Überwachungsgarantenstellung des Vorgesetzten im Ver-
Nachbarn mit Steinen zu bewerfen, Hindernisse auf die Straße zu legen usw. Sie hältnis zu seinem Untergebenen an. So hat nach § 357 I ein Vorgesetzter, der die
müssen insbesondere Maßnahmen gegen die Wiederholung bereits erfolgter rechtswidrige Tat eines Untergebenen geschehen läßt, „die für diese rechtswidrige
rechtswidriger Taten treffen. Auch fahrlässigen Delikten müssen sie bei erkennba- Tat angedrohte Strafe verwirkt". Er wird also in Übereinstimmung mit der von
rer Gefahrenträchtigkeit vorbeugen: Sie dürfen das Kind also nicht in der D u n k e l - mir vertretenen Pflichtdeliktstheorie (vgl. §31, Rn.l40ff.) als Unterlassungstäter
heit mit einem unbeleuchteten Fahrrad fahren lassen oder i h m einen gefährlichen
227
„Kampfhund" zum Ausführen anvertrauen. Dagegen dürfen größere Kinder sich Schünemann, 1971, 327.
unbeaufsichtigt in der Öffentlichkeit bewegen, solange sie nicht auf G r u n d von ™ Jescheck/Weigend, AT5, § 59; Kühl, AT3, § 18, Rn. 116; SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 33; Schüne-
mann, 1971, 325.
2
*> Köhler, AT, 228; SK7-Rudolphi, § 13, Rn.33; BGH (zivilrechtlich) FamRZ 1958 211
224
KG JR 1969, 27. Schünematm, 1971, 333, spricht von einem „schlimmen Mißgriff"; Freund, ™ OLG Hamm NJW 1979, 993; Brammsen, 1986,7 234, der allerdings an die tatsächliche
1992, 262, Fn. 63, nennt das Urteil „abwegig". Herrschaft des Lehrers über das Fahrzeug anknüpft; SK -Rudolphi, § 13, Rn. 35; Sch/Sch/Stree26
22
5 I n s t r u k t i v Freund, 1992, 249 ff. § 13, Rn. 52. '
231
226 Vgl. dazu BGH NJW1984, 2574. Näher Roxin, AT l3, 24, Rn. 107 ff.

754 755
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
bestraft. Nach § 357 II gilt dasselbe für einen Amtsträger, „welchem eine Aufsicht genstehe. Rudolphi,240 ein Wortführer dieser Auffassung, stützt sich vor allem auf
oder Kontrolle über die Dienstgeschäfte eines anderen Amtsträgers übertragen ist, diesen Gesichtspunkt und sodann auch auf einen Gegenschluß aus § 357: Eine ent-
sofern die von diesem letzteren Amtsträger begangene rechtswidrige Tat die zur sprechende Vorschrift für den Geschäftsherren fehle im Gesetz. Auch aus § 130
Aufsicht oder Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft". Dem § 357 I entsprechen- OWiG lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten, da nach dieser Vorschrift die Ver-
de Bestimmungen gibt es für militärische Vorgesetzte (§ 41 WStG) und für die letzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen gerade nur als Ord-
Schiffsoffiziere im Verhältnis zu den Besatzungsmitgliedern (§ 108 Seemanns- nungswidrigkeit verfolgt werde.
G). 232 Auch die Gefängnisaufseher haben Straftaten der Gefangenen zu verhin- Die besseren Gründe sprechen aber für eine Garantenstellung der Leitungs- 137
dern. 233 In all diesen Fällen ist zwar der Begehungstäter ein verantwortlich han- personen. Diese sind zwar, wenn sie betriebsbezogene Straftaten ihrer Untergebe-
delnder Mensch. Aber der Vorgesetzte kann kraft seiner Anordnungsgewalt diesen nen veranlassen oder aktiv fordern, nicht ohne weiteres mittelbare Täter kraft
Bereich gestalten und kontrollieren. Er muß deshalb dafür einstehen, daß von ihm „Organisationsherrschaft".241 Denn der Untergebene kann und muß - wie auch
keine rechtswidrigen Taten ausgehen.234 Beamte und Soldaten — strafbare Ansinnen, selbst wenn sie „von oben" kommen,
134 Zu den heute noch umstrittensten Problemen der Garantendogmatik gehört die zurückweisen.242 Aber der Vorgesetzte hat wenigstens die Pflicht und die Mög-
Frage, ob es darüber hinaus eine strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung gibt, lichkeit, durch bindende Anweisungen und Kontrollen strafbare Betriebshand-
d.h., ob Betriebsinhaber und leitende Funktionäre eines Unternehmers eine Ga- lungen zu verhindern. Insofern untersteht der Betrieb seiner Herrschaft und wird
rantenpflicht zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten von Untergebenen von ihm kontrolliert. Die prototypischen Voraussetzungen einer Garantenstellung
haben. Richtungweisende Urteile fehlen.235 Eine in der Literatur überwiegende sind also erfüllt (vgl. Rn. 19). Man kann hier am besten von einer „verlängerten
Meinung bejaht eine solche Geschäftsherrenhaftung,236 eine starke Minderheit Sachgarantenstellung"243 sprechen. Die Leitungspersonen müssen dafür sorgen,
lehnt sie ab. 237 daß der „Gefahrenherd" Betrieb unter sicherheitsgewährender Kontrolle bleibt,
135 Die Befürwortung einer Garantenstellung wird im wesentlichen auf die Be- einerlei, ob die Gefahren vom sachlichen oder persönlichen Potential des Betriebes
fehlsgewalt der Leitungspersonen gestützt. So meint Schünemann,23^ die Garan- ausgehen. Beides läßt sich auch oft kaum trennen, z. B. wenn technische Mängel
tenstellung lasse sich aus seiner - auch hier vertretenen - Herrschaftskonzeption durch Wartungsfehler hervorgerufen oder potenziert werden.
unter der Bedingung „stringent ableiten, daß ein Leitungsorgan die ihm mit den Eine differenzierende Ansicht vertritt Gimbernat,244 indem er auf seine zur 138
Mitteln der Verbandsdisziplin mögliche Verhinderung der Zuwiderhandlung eines Gleichstellungsproblematik vertretene Grundthese zurückgreift, „daß ein unechtes
Untergebenen unterlassen hat. In diesem Falle übt nämlich das Leitungsorgan ver- Unterlassungsdelikt nur dann vorliegt, wenn derjenige, der einen präexistenten
möge seiner Befehlsgewalt die Herrschaft über den Grund des Erfolges aus, und es Gefahrenherd zu überwachen verpflichtet ist",245 von Maßnahmen absieht, die
ist deshalb gerechtfertigt, von einer Aufsichts-Garantenstellung infolge der Be- eine Überschreitung des erlaubten Risikos verhindert oder das bereits überschrit-
fehlsgewalt und Organisationsherrschaft zu sprechen." Auch Rogall239 stützt sich tene Risiko auf das Maß des Erlaubten zurückgeführt hätten (näher oben
darauf, „daß der Inhaber von Betrieben de facto und de iure eine Befehls- und Rn. 25 ff.) Der Unternehmensleiter ist danach wegen eines unechten Unter-
Organisationsherrschaft innehat". lassungsdeliktes nur dann verantwortlich, wenn die vorsätzliche oder fahrlässige
136 Demgegenüber beharrt die Gegenmeinung darauf, daß die Eigenverantwort- Straftat des Untergebenen „gerade darin bestand, daß sie auf einen betriebsbezo-
lichkeit des Untergebenen einer Garantenstellung von Leitungspersonen entge- genen Gefahrenherd einwirkte, aus dem sich später Rechtsgutsbeeinträchtigungen
232 Dazu RGSt 71,177.
ergaben".246 Der Geschäftsführer haftet also ggf. wegen unechten Unterlassens,
233 RGSt 53, 292. wenn fehlerhafte Produkte ausgeliefert oder die Feuersicherungs- und Unfallver-
234
Zu einer allgemeinen „Vorgesetztenverantwortlichkeit" („superior responsibility") nach hütungsvorschriften nicht beachtet werden. Dagegen scheidet jegliche Haftung
den Grundsätzen des europäischen Strafrechts und des Völkerstrafrechts Ambos, 2002, 666ff.;
Weigend, Roxin-FS, 2001,1393 ff.
aus „für die Nichtabwendung von etwaigen im Betrieb begangenen Diebstählen,
235 Vgl. aber die Angaben bei Schünemann, ZStW 96 (1984), 318, Fn. 104. von Beamtenbestechungen, von Wettbewerbsverstößen, von Manipulationen sei-
236 Brammsen, 1986, 275ff., 277; ders., GA 1993, 97ff, 110; Göhler, Dreher-FS, 1977, 613ff.,
621 f.; Hoyer, 1998, 31 f., 32, 34; Köhler, AT, 223 ff., 225 f.; Landscheidt, 1985,113 ff.; Ransiek, 1996, 2"o SK7-Rudolphi, § 13, R n . 35 a.
36; KKOWiG2-.Rengier, § 8 , R n . 47-50; Rogall, ZStW 98 (1986), 613ff., 616ff.; Sch/Sch/Stree26, 2« So aber Rogall, ZStW 98 (1986), 617 und auch Schünemann, 1971, 328; ders., 1979, 95ff.,
§ 13, R n . 52, Schubarth, SchwZStr 1976, 373f.; Schünemann, 1979, lOlff., ders., ZStW 96 (1984), 102f.; ders., ZStW 96 (1984), 287, 310ff.; ders., LK11, § 14, R n . 65.
310; ders., Madrid-Symposium, 1995, 274ff.; Stratenwerth, AT 4 , § 13, R n . 46f., 48. 2« Näher § 25, R n . 60,107.
237 Heine, 1995, 116 ff; Hsü, 1986, 254; L K n -Jescheck, § 13, R n . 4 5 ; Otto, Jura 1998, 413; SK 7 - 2« Schlüchter, Salger-FS, 1995,158.
Rudolphi, § 13, R n . 35 a; Schall, NJW1990,1269. 244
Gimbernat, Roxin-FS, 2001, 651, mit interessantem Material aus der spanischen Rspr.
245
238 Schünemann, Z S t W 9 6 (1984), 318. Gimbernat, Roxin-FS, 2001, 656.
246
239 Rogall, ZStW 98 (1986), 617. Hier und im folgenden: Gimbernat, Roxin-FS, 2001, 661.

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757
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
tens des Casino-Croupiers oder von gewalttätigen Handlungen des ,Türstehers'
einer Diskothek". wachung der ausliefernden Personen anerkannt. Warum sich die Garantenpflicht
139 Der Ansatz von Gimbemat ist fruchtbar, läßt sich aber bei einer weniger engen dann aber nicht auf die Verhinderung anderer Straftaten erstrecken sollen, die die
Bediensteten „in Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben begehen", ist nicht
Fassung durchaus mit einer Beschränkung der Geschäftsherrenhaftung auf be-
recht ersichtlich. >
triebsbezogene Straftaten vereinbaren. Wenn ein Angestellter seinen Kollegen aus
Eifersucht erschlägt, ist der Geschäftsherr nicht Garant für die Verhinderung einer Geboten sind immer nur „unternehmensspezifische Steuerungsmaßnah- 142
solchen Tat. Denn sie könnte sich außerhalb des Betriebes genauso ereignen, ist men",251 d.h. das Ausmaß der Pflichten des einzelnen richtet sich nach den Gege-
nicht betriebsbezogen und erwächst deshalb nicht aus einem betrieblichen Gefah- benheiten des ihm anvertrauten Kontrollbereiches. Dagegen hat die oberste Ge-
renherd. Daß ein Angestellter im Dienste des Betriebes Bestechungen oder Wett- schäftsleitung eine umfassende Organisations- und Kontrollpflicht. Zwar können
bewerbsverstöße vornimmt, daß ein Croupier sich an dem ihm zugänglichen Geld bei einer mehrköpfigen Geschäftsleitung bestimmte Verantwortungsbereiche ein-
vergreift oder ein zu ggf. legitimer Gewaltanwendung engagierter Türsteher seine zelnen Geschäftsführern zugewiesen werden, so daß die übrigen insoweit von
ihrer Aufsichtspflicht entlastet sind. Wenn aber bemerkbar wird, daß ein anderer
Befugnisse überschreitet, gehört aber zur spezifischen Betriebsgefahr der jeweili-
Geschäftsführer seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt oder wenn das
gen Unternehmen. Deshalb muß dieser „Gefahrenherd" vom Geschäftsleiter unter
Unternehmen als ganzes durch Krisen- oder Ausnahmesituationen betroffen ist,
Kontrolle gehalten werden. Gimbemat meint, 247 man könne einen Angestellten
gilt wieder der Grundsatz der Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer. Die
nicht als „Gefahrenquelle" bezeichnen. Dies scheint mir aber doch möglich, soweit
Geschäftsleitung kann auch bestimmte Kontrollaufgaben delegieren. Aber sie
die Gegebenheiten des jeweiligen Betriebes die Gefahr einer Begehung entspre-
muß dann ihre Mitarbeiter sorgfältig auswählen, ihren Pflichtenkreis exakt fest-
chender Straftaten mit sich bringen. legen und sich durch fachmännische Kontrollen vom ordnungsmäßigen Ablauf
140 Vorschriften wie § 130 OWiG und § 357 stehen einer solchen Garantenstellung der Betriebsvorgänge überzeugen. Die näheren Einzelheiten gehören in das
nicht entgegen. Denn § 130 OWiG hat den Zweck, die Garantenstellung des Spezialgebiet der Unternehmenskriminalität und können hier nicht dargelegt
Unternehmers insofern zu erweitern, „als auf den Schuldzusammenhang mit der werden.
Zuwiderhandlung" des Untergebenen verzichtet wird. 248 § 130 OWiG soll also die
Möglichkeit einer Ahndung auch für den Fall gewährleisten, „daß bei dem Auf-
sichtspflichtigen Vorsatz oder Fahrlässigkeit in bezug auf die konkrete Zuwider- 3. Die Pflicht zur Erfolgsabwendung auf Grund vorangegangenen Tuns
(Ingerenz)
handlung nicht nachgewiesen werden können". Die Garantenhaftung beim Be-
stehen eines Schuldzusammenhanges wird dabei vorausgesetzt. § 357 spricht somit a) Zur Möglichkeit einer Ingerenzgarantenstellung
einen allgemeinen Rechtsgedanken aus, der auch für die Geschäftsherrenhaftung
Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, die man auch Ingerenz252 143
gilt. nennt, stammt schon aus den Anfängen der modernen Unterlassungsdogmatik
141 Auch die Unterschiede der hier vertretenen Auffassung gegenüber den Autoren, (vgl. Rn. 3) und ist bis heute von Rspr. und h. L. anerkannt, obgleich sowohl ihre
die eine Garantenstellung von Leitungspersonen ablehnen, sind nicht so groß, wie Existenz wie ihre Begründung und ihre Ausgestaltung im einzelnen hoffnungslos
es auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn eine Begrenzung der Garanten- umstritten sind. Sie läßt sich nach dem gegenwärtigen Stande der Diskussion in
haftung auf betriebsbezogene Straftaten, d. h. auf Pflichten, „die den Inhaber als vereinfachender Zusammenfassung als „Schaffung einer neuen Gefahrenquelle"
solchen treffen" (§ 130 I OWiG), reduziert die Verantwortlichkeit beträchtlich. charakterisieren. Das praktisch wichtigste Beispiel ist die Verursachung eines Ver-
Wenn ein Betriebsangehöriger einen Arbeitskollegen oder auch einen fremden kehrsunfalls. Wer einen anderen fahrlässig anfährt und dadurch dessen Leben ge-
Besucher bestiehlt, beleidigt, schlägt oder sich ihm gegenüber sexuelle Übergriffe fährdet, hat nach der Lehre von der Ingerenz eine Garantenstellung, die ihn ver-
erlaubt, hat der Geschäftsherr insoweit keine Garantenstellung. 249 Andererseits pflichtet, den Tod des Unfallopfers zu verhindern. Er muß ihn also ins Kranken-
hält auch ein Gegner der Garantenstellung wie Rudolphi250 den Geschäftsherren haus bringen oder auf andere Weise retten. Wenn er dies unterläßt und das Opfer
als Garanten für verpflichtet, „die Auslieferung mangelhafter Arzneimittel oder infolgedessen stirbt, kann er je nach seiner subjektiven Einstellung wegen fahrläs-
fehlerhafter Kraftfahrzeuge ebenso zu verhindern wie etwa die Lieferung von siger Tötung (§ 222), Totschlag (§212) oder gar Mord (§211) durch Unterlassen
Waffen an Terroristen". Damit wird immerhin die Notwendigkeit einer Über- bestraft werden.
247
Gimbemat, Roxin,-FS, 2001, 661 f. im Anschluß an Schünemann, wistra 1982, 43.
Die Beschränkung der Ingerenzdiskussion auf die Schaffung neuer Gefahren- 144
2« Rogall, ZStW 98 (1996), 615; das folgende Zitat: 620. quellen ist eine (noch keineswegs überall anerkannte) Entwicklung der Nach-
2« Rogall, ZStW 98 (1996), 618.
251
250 SVU-Rudolphi, § 13, Rn. 35 a. Schünemann, 1979,105; welche das sind, wird aaO., 106 ff. näher ausgeführt.
252
Von lat. ingerere, sich in etwas (hier: in eine fremde Sphäre) einmischen.
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§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
257
selbst geschaffener Gefahren einstehen muß, als nahezu evident empfunden. Als
kriegszeit. Bis dahin hatte man die Ingerenz vor allem als „Lückenbüßer"253 für
Grundlage gilt das Verbot, andere zu verletzen (neminem laedere). Aber das Pro-
Fälle herangezogen, in denen „das Unterlassen zwar als strafwürdig erschien, eine
blem ist ja gerade, ob und wann die Unterlassung der Rettung eine über den Ver-
Handlungspflicht aber weder auf Gesetz noch auf Vertrag gestützt werden
stoß gegen § 323 c hinausgehende Verletzung darstellt! Die bloße Kausalität der
konnte". So hat man die Verkehrssicherungspflichten lange Zeit als Ingerenzfalle
Vorhandlung, die im 19. Jahrhundert unter der Herrschaft des juristischen Natura-
behandelt (vgl. schon Rn. 108), indem man zur Begründung der Garantenstellung
lismus zur Etablierung der Ingerenzgarantenstellung gedient hat, kann jedenfalls
auf Vorhandlungen wie den Erwerb des spater ungenügend gesicherten Hauses,
nach heutigen Zurechnungsmaßstäben keine Tötungsstrafbarkeit des Unterlassen-
Grundstücks usw. zurückgriff und auch sonst bei der Unterlassungshaftung zu-
den begründen (vgl. schon Rn. 3,14).
rückliegende Handlungsakte zum Anknüpfungspunkt für Erfolgsabwendungs-
Eine beachtliche Mindermeinung lehnt denn auch eine Garantenstellung aus 147
pflichten machte. Dies ist heute nicht mehr nötig, weil die Konstellationen der
vorangegangenem Tun ab. 258 Diese sog. Antiingerenztheorie 259 hat ihren Wort-
Sicherungs- und auch der Schutzherrschaft eine bessere Begründung der Garan-
fuhrer in Schünemann, dessen Begründung besondere Aufmerksamkeit verdient,
tenstellung liefern. Das ist praktisch vor allem deshalb bedeutsam, weil man da-
weil sie aus seiner auch hier verwendeten Gleichstellungsrichtlinie der „Herrschaft
durch diese Fälle aus dem Streit um die Ingerenz heraushalten kann.
über den Grund des Erfolges" abgeleitet ist. Er bestreitet, 260 daß der Ingerent -
145 Die Ingerenzgarantenstellung in der heute noch zu diskutierenden Form unter-
z. B. nach einer schuldhaften Unfallverursachung - noch die Herrschaft über die
scheidet sich also von den sonstigen Überwachungsgarantenstellungen dadurch,
Gefahrenquelle habe. Er habe wie der quivis ex populo nur eine Erfolgsabwen-
daß es nicht primär um Sicherung, sondern um Rettung aus einer vom Erfolgs-
dungsmöglichkeit und damit eine potentielle, nicht aber eine reale Herrschaft
abwendungspflichtigen geschaffenen Gefahr geht. In dieser Form ist die Ingerenz-
über das Geschehen. „Durch die Vorhandlung hat der Ingerent den Kausalverlauf
garantenstellung namentlich im Bereich der Verkehrsdelikte erst eine Schöpfung
aus seinem Herrschaftsbereich ,entlassen'... Gerade deswegen steht er dem weite-
der Nachkriegszeit. Welzel254 hat nachgewiesen, daß das RG den Unfallverursa-
ren Geschehen ontologisch wie jeder andere auch gegenüber.. .Wenn der Ingerent
cher niemals als Garanten angesehen, sondern dessen mangelnde Hilfeleistung
plötzlich dolos wird, so ist das ein Vorsatz ohne Herrschaft und daher bloßer böser
nach wechselnden Spezialvorschriften und schließlich nach § 330 c (dem heutigen
Wille ohne Tat ..." Exemplifiziert am schuldhaft verursachten Verkehrsunfall:261
§323c) bestraft hatte. Er knüpft daran die Frage: „Sollte sich inzwischen das
„Die Verletzung ... ist abgeschlossen und wirkt nur im Körper des Verletzten wei-
Rechtsbewußtsein so stark gewandelt haben, daß dasselbe Verhalten, das im Jahre
ter, über den der Unfallverursacher keine (aktuelle) Gewalt ausübt." Auch eine
1906 als bloße Übertretung, im Jahre 1909 als leichtes Vergehen, 1939 als mittleres
Obhutsgarantenstellung wird abgelehnt, 262 weil es am Herrschaftswillen des In-
Vergehen beurteilt wurde, seit 1955 zur Hochkriminalität gehört?" In BGHSt 11,
gerenten und an einer Unterwerfung des Opfers fehle.263
355 geht der BGH von einer Garantenstellung des Unfallverursachers schon als
Auch ein kriminalpolitisches Bedürfnis für eine begehungsgleiche Bestrafung 148
selbstverständlich aus: „So ist in der Rechtsprechung anerkannt, 255 daß der Kraft-
der Ingerenz wird bestritten. Schünemann sieht zwischen der Unachtsamkeit vor
fahrer, der einen Fußgänger angefahren und schwer verletzt hat, sich - gegebe-
dem Unfall und der späteren Untätigkeit keinen teleologischen Zusammenhang,
nenfalls neben fahrlässiger Tötung und neben Verkehrsunfallflucht - des (versuch-
der es gestatten würde, eine fahrlässige Körperverletzung oder Tötung und eine
ten) Totschlags schuldig macht, wenn er weiterfährt und den Verletzten seinem
unterlassene Hilfeleistung zu einem Delikt der Schwerstkriminalität zu addie-
Schicksal überlaßt, obwohl er mit der Möglichkeit rechnet und sie in seinen Wil-
ren. 264 Bei vorsätzlichen Vortaten könnten auch erfolgsqualifizierte Delikte das
len aufnimmt, der Fußgänger habe lebensgefährliche Verletzungen erlitten und
257
werde daran sterben, wenn ihm nicht umgehend Hilfe gebracht wird." Dies ist - Vgl. etwa Stratenwerth, AT4, § 13, Rn. 27: Es sei nicht gelungen, „die Verpflichtungskraft
mit den noch zu besprechenden Einschränkungen - seither die ständige Rspr. der Ingerenz auf einfache und überzeugende Weise anders als durch die Berufung darauf zu
begründen, daß sie unmittelbar einleuchtet". Kühl, AT , § 18, Rn.91 spricht von einer „Über-
146 Auch in der Wissenschaft ist die Möglichkeit einer Garantenstellung aus voran- zeugungskraft" „auch ohne nähere Begründung".
gegangenem Tun (mit unterschiedlichen Modifikationen) ganz überwiegend an- 258 Lampe, Z S t W 72 (1960), 93 ff, 106; Langer, 1972, 504f.; den., L a n g e - F S , 1976, 2 4 3 ,
erkannt, doch sind alle dafür gelieferten Begründungen umstritten geblieben.256 Fn. 12; (Dehler, J u S 1961, 154; Roxin, Z S t W 8 3 (1971), 4 0 3 ; den., 21973, 18ff.; Schünemann, 1971,
313 ff.; den., G A 1974, 231 ff; z u r ü c k h a l t e n d e r den., Z S t W 9 6 (1984), 3 0 9 ; Seebode, S p e n d e l - F S ,
Von den meisten Autoren wird der Satz, daß man als Garant für die Beseitigung 1992, 342 ff.
253
259 Die Bezeichnung stammt von Hillenkamp, 102001,190.
Hier und im folgenden Stratenwerth, AT4, § 13, Rn. 26. 260 Schünemann, 1971, 316.
254 H£/2e/,JZ1958,494ff. (495). 26i Schünemann, G A 1974, 235, F n . 34.
255 Vorangegangen waren aber erst zwei auf derselben Linie liegende Entscheidungen: 2« Schünemann, 1971, 316; den., G A 1974, 235f.
BGHSt 7, 287 (aus dem Jahre 1955) und BGH VRS 13 (1957), 120 ff., 122. 263 Eine ausführliche Kritik an Schünemann liefert Herzberg, 1972, 189ff, 288ff., 324f.,
256 "Wichtige S p e z i a l m o n o g r a p h i e n : Rudolphi, 1966; Pfleiderer, 1968; Welp, 1968; Herzberg, 340 f. Darauf erwidert Schünemann in GA 1974, 236 ff.
1972. Man vergleiche dazu die von Schünemann, 1971, geübte Kritik an Rudolphi (165 ff.), Pfleide- 264 Schünemann, G A 1974, 233.
rer (81 ff.), Welp (106 ff.). Gegen Herzberg wendet sich Schünemann in GA1974, 236 ff.
761
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§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
§ 32 V 10- Abschnitt - Die Unterlassungstat
der Gefahr, die durch den Unfall eintritt, für die Verhinderung des Erfolges erst
gesteigerte Strafbedürfnis befriedigen. 2 6 5 Per Saldo n i m m t Schünemann bei den
recht verantwortlich sein. Es hat keinen Sinn, jemanden nur für den Anstoß und
Ingerenzfällen an, daß Unrecht und Strafwürdigkeit unter §212 (bzw. § § 2 2 3 ff.)
nicht für die verhinderbare Fortentwicklung eines zur Tatbestandsverwirklichung
und über § 323 c liegen. 2 6 6 Er schlägt deshalb de lege ferenda für diese Fälle eine
führenden Kausalverlaufs strafrechtlich einstehen zu lassen.,
Qualifizierung des § 323 c vor. 2 6 7
Die Vereinbarkeit mit dem Herrschaftskriterium läßt sich herstellen, w e n n man 151
149 Eine extrem entgegengesetzte Auffassung vertritt Brammsen26S, indem er zwar
den Umfang der Überwachungspflicht so beschreibt: D i e beherrschbare Weiter-
ebenfalls eine Garantenstellung ablehnt, die Ingerenzsituation aber in das System
entwicklung eines z u überwachenden Gefahrenherdes (ob das nun der eigene
der Begehungsdelikte einordnet. Er n i m m t also einen vorsätzlichen Totschlag
Körper, ein Auto, ein Kind, ein Tier oder ein Haus ist) gehört z u m Herr-
durch Begehen an, w e n n der fahrlässige Unfallverursacher vorsätzlich die A b -
schaftsbereich des Verantwortlichen hinzu und ist vor d e m Umschlagen in ei-
w e n d u n g des Erfolges unterläßt. Für den Begehungsvorsatz sei ausreichend, daß
nen tatbestandlichen Erfolg z u sichern. Gegenüber der abweichenden M e i n u n g
dieser als „dolus superveniens" während der Ausführung der Tat hinzukomme. Er
Schünemanns ( R n . 147) läßt sich diese These behaupten, weil die Grenzen des K o n -
beruft sich dabei auf Mezger.269 „Das Wesen des .hinzutretenden Vorsatzes (dolus
trollbereiches unbeschadet seiner realen Grundlage - wie fast alle juristischen
superveniens)' besteht darin, daß die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes
Grenzen - normativ zu bestimmen sind. Der hier maßgebende normative Grund
der Straftat schuldlos oder fahrlässig begonnen wurde, aber vor der endgültigen
ist schon genannt worden ( R n . 150): Wenn man für die Verhinderung eines Kau-
Verursachung der Täter der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens inne wird und
salverlaufs rechtlich einstehen muß, m u ß dies für jede Phase seiner Entwicklung
trotzdem die Tat zu Ende führt ..." Entscheidend ist dabei, daß bei der Vorsatz-
gelten. Hinzu k o m m t der besonders von Rudolphi271 betont Gesichtspunkt, daß
begründung das der Steuerungsmöglichkeit des Gefahrbegründers unterliegende
der Ingerent durch sein pflichtwidriges Vorverhalten das Opfer schutzlos macht.
Geschehen noch nicht seinen Abschluß gefunden hat. 2 7 0 Es genügt also nach d i e -
Das reicht zwar für die A n n a h m e einer Obhutsgarantenstellung nicht aus (vgl.
ser Lehre nicht, daß der vorsatzlose Verursacher sich über den Erfolg freut, nach-
R n . 147), verstärkt aber die Gründe, die für die Bejahung einer Sicherungsgaran-
dem dieser schon eingetreten oder nicht mehr abwendbar ist; das wäre eine irrele-
tenstellung sprechen.
vanter dolus subsequens.
Die radikale Ablehnung der Ingerenz nötigt auch zu einer Abgrenzung von den 152
150 Hier soll die Meinung vertreten werden, daß eine Garantenstellung aus vor-
zweifellos garantiebegründenden Verkehrspflichten, die nicht mehr einleuchtet.
angegangenem Tun grundsätzlich möglich und auch m i t d e m Kriterium der
So will Schünemann272 eine Garantenstellung annehmen, „wenn die geschaffene
Kontrollherrschaft als oberstem Gleichstellungsmaßstab vereinbar ist. Das
Gefahrenlage noch innerhalb des Herrschaftsbereichs des Ingerenten weiterwirkt".
„Evidenzerlebnis" (vgl. R n . 146), dem die h. M . ihre Durchsetzung verdankt, läßt
Als Beispiel nennt er den Fall, daß jemand beim Spaziergang seinen H u n d nicht
sich mit schlichten Worten so ausdrücken: W e n n m a n der Verursachung von G e -
anleint und dieser über einen Passanten herfällt: „Wegen der fortdauernden Herr-
fahren für fremde Rechtsgüter grundsätzlich vorbeugen muß, ist nicht einzuse-
schaft über den Hund" sei „die Unterlassung des Besitzers, der den H u n d trotz b e -
hen, w a r u m man nach Herbeiführung einer solchen Gefahr ihrer Weiterentwick-
stehender .Gehorsamsbereitschaft' nicht zurückpfeift, begehungsgleich." Wie ist es
lung zu einem tatbestandsmäßigen Erfolg nicht ebenso sollte vorbeugen müssen.
aber, wenn der H u n d auf die Zurufe seines Herren nicht hört, also nicht „gehor-
U m es am Schulbeispiel zu verdeutlichen: W e n n man, u m das Leben der Passanten
samsbereit" ist? Dieser wird ihn dann doch wohl mit eigener H a n d vom Opfer zu-
zu schützen, dafür sorgen muß, daß diesen keine lockeren Dachziegel des eigenen
rückreißen müssen und, w e n n er dies nicht tut, wegen Körperverletzung durch
Hauses auf den Kopf fallen, m u ß man, falls ein solcher Unfall gleichwohl g e -
Unterlassen strafbar sein. Wollte man das bestreiten, weil der H u n d sich nicht
schieht, das Leben des Passanten wenigstens dadurch bewahren, daß man ihn ins
mehr im Herrschaftsbereich seines Besitzers befunden habe, würde man zwischen
Krankenhaus bringt oder sonst versorgt. Die gegenteilige A n n a h m e schafft einen
der Möglichkeit des Zurückrufens und des Zurückreißens einen Strafbarkeits-
unerklärlichen Wertungswiderspruch. D e n n w e n n man für die Anfangsgefahr
unterschied begründen, der teleologisch nicht mehr verständlich zu machen ist.
(den Unfall) als Täter haftet, m u ß man bei einer Weiterwirkung und Steigerung
Beurteilt man aber, wie es angemessen ist, auch das unterlassene Zurückreißen als
begehungsgleich, ist nicht einzusehen, w a r u m andere Fälle, in denen der durch
265
Schünemann, Madrid-Symposium, 1995, 59. vorangegangenes Tun in Gang gesetzte Kausalverlauf hätte gestoppt werden k ö n -
2<* Schünemann, 1971, 315.
267 nen, nicht begehungsgleich sein sollen.
Schünemann, 1971, 381. Ich habe mich diesem Vorschlag in „Kriminalpolitik und Straf-
rechtssystem" 21973, 19, angeschlossen. Auch Art. 489 ter Abs. 3 des früheren spanischen
Codigo Penal sah eine solche Regelung vor. Der neue Codigo Penal von 1995 erkennt jetzt die
Ingerenz an (Art. 11, b). 2
2
<* Brammen, 1986, 418 ff. 'i Rudolphi, 1966, HOfi*.; den., SK7, § 13, Rn. 38.
272
269 Schünemann, GA 1974, 235.
LK8 -Mezger, § 59, Anm. III, 21 f.
27
° Brammsen, 1986,419.
763
762
§ 32 V 10. Abschnitt ~ Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32

153 Unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit würde man freilich durch eine Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Garantenstellung aus vorangegan- 156
Qualifizierung des § 323 c ähnliche Ergebnisse wie bei einer Behandlung der In- genem Tun immer, aber auch nur dann anzunehmen, wenn die Vorhandlung dem
gerenzfälle nach § 13 erzielen. Denn durch eine Qualifizierung würde man etwa Verursacher zurechenbar ist. Wer also einen andern fahrlässig umfährt, hat eine
auf das Strafmaß kommen können, das sich auch mit Hilfe der bei Ingerenzfällen Garantenstellung. Denn der hilfsbedürftige Zustand des Opfers ist sein Werk, und
notwendigen Heranziehung des § 13 II (dazu § 31, Rn. 240) ergibt. Da aber die ge- deshalb ist es aus den oben (Rn. 150) genannten Gründen angemessen, ihn für die
forderte Qualifizierung nicht geltendes Recht ist, liefert § 13 II den angemessenen Nichtverhinderung weiterer Folgen verantwortlich zu machen. Ist jemand aber,
Strafrahmen. Auch könnte bei einer Qualifizierung nach § 323 c der eingetretene wie im Einladungsbeispiel (Rn. 155), für den Unfall nur kausal, ohne daß sich der
Erfolg schwerlich außer Betracht bleiben. Denn es macht einen großen Unter- Unfall als Folge eines von ihm geschaffenen rechtlich relevanten Risikos darstellt,
schied, ob jemand im Anschluß an eine gefährdende Vorhandlung eine gewöhn- ist das Geschehen für ihn ein Zufall, aus dem sich keine über die allgemeine straf-
lich Körperverletzung oder den Tod eines Menschen abzuwenden unterl'äßt. rechtliche Hilfspflicht (§ 323 c) hinausgehende Verantwortung ableiten läßt. Auch
Nimmt man aber darauf beim Strafmaß Rücksicht, nähert man sich schon wieder die übrigen Garantenstellungen, die auf der Pflicht zur Überwachung einer Ge-
einer verkappten Gleichstellung. fahrenquelle beruhen, knüpfen ja nicht an die bloße Kausalität, sondern an einen
154 Die Angemessenheit einer Gleichstellung auch bei Ingerenzfällen wird dadurch zurechenbaren Sorgfaltsmangel bei der Überwachung an.
bestätigt, daß Brammsen hier sogar ein Begehungsdelikt annehmen will (Rn. 149). Die Lehre von der objektiven Zurechnung läßt sich also auf die Ingerenz über- 157
Doch geht das zu weit. 273 Denn der Entschluß, eine nachfolgende Handlung (die tragen. Wie sich das im einzelnen auswirkt, soll nachfolgend (Rn. 160 ff.) am Bei-
Rettung des Opfers) zu unterlassen, begründet logischerweise einen Unterlas- spiel einer fallgruppenbezogenen Analyse (bb-hh) näher dargelegt werden. Je-
sungsvorsatz. Die Annahme eines Begehungsvorsatzes ist nur als dolus subsequens denfalls ergibt sich aus den hier und auch von den heute h. M. vorgenommenen
möglich; und diesen kennt das moderne Strafrecht nicht. Außerdem würde bei starken Einschränkungen der Ingerenzhaftung, daß die richtige Lösung etwa in
der Mitte zwischen einer radikalen Ablehnung dieser Garantenstellung und ihrer
Zugrundelegung eines Begehungsdeliktes die Möglichkeit einer Milderung nach
uferlosen Ausdehnung auf alle kausalen Vorhandlungen hindurchläuft.
§ 13 II verlorengehen, die gerade in den Ingerenzfällen besonders nötig ist.
In der Literatur und auch in der Rspr. werden, soweit man sich nicht mit der 158
b) Einschränkungen der Ingerenzgarantenstellung
Kausalität der Vorhandlung begnügt, an deren Beschaffenheit verschiedene, aber
aa) Grundsatz: Die Vorhandlung muß dem Verursacher objektiv
der hier vertretenen Meinung ähnliche Anforderungen gestellt. Rudolphi, der die
zurechenbar sein
Ablehnung des Kausaldenkens im Bereich der Ingerenzhaftung als erster durch-
155 Wenn man die Möglichkeit einer Garantenstellung aus vorangegangenem Tun
schlagend begründet hat, verlangt eine rechtswidrige Vorhandlung. 275 Das geht
anerkennt, stellt sich die weitere Frage, welche Qualität die Vorhandlung aufwei-
etwas zu weit, weil Gefahren, die auf gerechtfertigten Notstandslagen oder auf
sen muß, um garantenpflichtbegründend zu wirken. Ursprünglich hatten Rspr.
dem Wegfall einer ursprünglich gegebenen Rechtfertigung beruhen, an eine recht-
und Literatur die reine Kausalität genügen lassen, und sie tun dies zum Teil auch
mäßige Vorhandlung anknüpfen und trotzdem eine Garantenstellung begründen
heute noch.274 Das ist daraus erklärlich, daß die Ingerenzgarantenstellung ihre
können (Rn. 186 ff, 189). Doch lassen sich solche Fälle, die Rudolphi als „Ausnah-
Wurzeln im Kausaldenken des 19. Jahrhunderts hat (vgl. nur Rn. 3). Haltbar ist es
men"276 ebenfalls anerkennt, mit Hilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung
aber nicht. Denn ein völlig wertfreier Kausalzusammenhang kann keinen An-
ohne weiteres in die Ingerenzgarantenstellung integrieren. Jakobs277 formuliert tref-
knüpfungspunkt für strafrechtliche Wertungen (hier: die Belastung mit einer Er-
fend: „Das Erfordernis eines rechtswidrigen Vorverhaltens engt die Ingerenz-
folgsabwendungspflicht) bilden. Wenn jemand einen anderen einlädt, der auf dem haftung ... zu stark ein, da das Opfer ein Recht haben mag, zwar nicht vor dem
Wege zu ihm mit seinem Auto verunglückt, ist der Einladende für diesen Unfall Verhalten selbst, wohl aber vor dessen Konsequenzen geschützt zu werden."
i.S.d. Äquivalenztheorie kausal. Es wäre aber abwegig, ihn deshalb als Garanten Es gibt noch manche anderen Versuche zur Einschränkung der Ingerenzgaran- 159
für die Rettung des Verunglückten anzusehen. Denn er ist, wenn er zufällig Zeuge tenstellung. „Die Palette der angebotenen Eingrenzungskriterien ist bunt." 278 ßo
des Unfalls wird, an diesem genausowenig beteiligt wie jeder andere hinzukom- wird etwa auf einen Schutzzweckzusammenhang279, auf eine durch die Vorhand-
mende Passant, so daß nur eine Hilfspflicht nach § 323 c in Betracht kommen
kann. 275 Rudolphi, 1966 (bes. 157ff., 163ff.); ders., JR 1987, 62; ders., SK7, §13, Rn.40; ebenso
BGHSt 37,106; 43, 381, 397; OLG Celle VRS 41 (1971), 98, 99; OLG Karlsruhe Justiz 1975,151;
Gallas, 1989 (1963), 90, 92; Lackner/Kühl2*, § 13, Rn. 13.
276 SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 40 a, b.
273 277 Jakobs, BGH-FG, 2000, Bd. IV, 47.
Ausführliche Kritik bei Sangenstedt, 1989, 336ff., der freilich auch eine Ingerenzgaranten-
27« Dencker, Stree/Wessels-FS, 1993,163.
stellung ablehnt. 279 Stree, Klug-FS, 1983, 395, 399.
2't RGSt 14, 362; BGHSt 3, 203 (205); Arzt, JA 1980, 713ff., 714ff.; Welp, 1968, 265ff., 273.
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§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32

lung bedingte Risikoerhöhung 280 , die Adäquanz281 oder die „nahe Wahrschein- hersehbarerweise auf V einstach und ihn lebensgefährlich verletzte. Der An-
geklagte war dann weggelaufen, anstatt Rettungsbemühungen zu unternehmen.
lichkeit"282 des Erfolgseintritts, auf die Zuordnung zu Verantwortungsberei-
Darin liegt eine unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c). Der BGH will aber eine
chen 283 oder Organisationskreisen284 abgestellt. Herzberg285 will entscheidend
Garantenstellung annehmen. Der Angeklagte sei zur Erfolgsabwendung „ohne
sein lassen, ob der Unterlassende „schon während seines gefahrauslösenden aktiven
Rücksicht darauf verpflichtet, ob er die für V entstandene Gefahr schuldhaft oder
Tuns verantwortlich war, den jetzt manifest drohenden Erfolg möglichst zu ver-
ohne Verschulden herbeigeführt hatte" (aaO., 355). Das liegt neben der Sache.
meiden". Dies alles ist nicht falsch. Aber es werden dadurch nur Teilaspekte der ob-
Denn zwar kommt es auf eine Schuld bei der Vorhandlung in der Tat nicht an.
jektiven Zurechnung erfaßt, so daß sich diese Auffassungen in die hier entwickelte
Aber das vorangegangene Tun war im vorliegenden Fall nicht einmal objektiv
Konzeption zwanglos einfügen lassen. Das gilt auch für die neue These Den-
fahrlässig, sondern vollkommen legal. Denn nach dem Vertrauensgrundsatz291
ckers:2s6 „Die Vorhandlung müßte ... alle, aber auch nur die Qualitäten aufweisen,
darf außer im Falle erkennbarer Tatgeneigtheit jedermann darauf vertrauen, daß
die die objektiv tatbestandsmäßige Handlung des Begehungsdelikts aufweisen
andere keine vorsätzlichen Straftaten begehen. Da hier eine solche Tatgeneigtheit
muß." Das entspricht der hier entwickelten Lösung insoweit, als die objektive Zu-
nicht erkennbar war, konnte das nachfolgende Geschehen dem Angeklagten von
rechnung Voraussetzung der Tatbestandserfüllung ist. Auch die neuere Rspr. ope-
vornherein nicht zugerechnet werden, so daß es nicht erst an der Schuld, sondern
riert mit wechselnden Elementen der Lehre von der objektiven Zurechnung. 287
schon an jeder unerlaubten Gefahrschaffung fehlt. Das Herleihen eines Taschen-
bb) Keine Garantenstellung, wenn die Vorhandlung sich innerhalb messers begründete ein erlaubtes Risiko, so daß eine Garantenstellung zur Ver-
des erlaubten Risikos hält hinderung der aus dem Mißbrauch des Messers drohenden Folgen von vornherein
160 Zunächst entfällt eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, wenn die entfiel.
Vorhandlung für die geschaffene Gefahr zwar kausal ist, für das Opfer aber kein Die Ablehnung einer Garantenstellung im vorliegenden Fall entspricht der 162
erhöhtes Risiko geschaffen hat. 288 Wer jemanden motiviert, statt, wie geplant, ins h.M. 2 9 2 Wenn dies aber vielfach293 auf die Selbstverantwortlichkeit des Be-
Theater lieber mit ihm ins Kino zu gehen, ist nicht Garant, wenn dieser auf dem gehungstäters zurückgeführt wird, so ist das nicht zutreffend. Hätte nämlich der
Wege in Kino Opfer eines Verkehrsunfalls wird. Denn das Verkehrsrisiko wäre bei Angeklagte, wie es in bestimmten Situationen naheliegt, ohne weiteres erkennen
einem Besuch des Theaters gleich groß gewesen. Wer einem anderen bei seinem können, daß S mit dem Taschenmesser auf V einstechen wollte, so wäre er zur Er-
Kindergeldantrag hilft, ist der Behörde gegenüber nicht zur Aufklärung verpflich- folgsabwendung verpflichtet gewesen, obwohl dies an der Verantwortlichkeit des
tet, wenn der Bezieher des Kindergeldes nachträgliche Änderungen, die zum S nichts geändert hätte. 294 In einem solchen Fall ist die Hingabe eines Messers kein
Wegfall des Anspruchs führen, nicht mitteilt. 289 Denn dieses geringe und straf- erlaubtes Risiko mehr. Auch wenn Stree295 sagt: „Wer entgegen dem WaffenG
rechtlich irrelevante Risiko hätte auch bei einem ohne Hilfe gestellten Kinder- einem Erwachsenen eine Schußwaffe veräußert, ist nicht für das Verhalten des Er-
geldantrag bestanden. werbers verantwortlich ... und ist dementsprechend nicht nach § 13 verpflichtet,
161 Entsprechendes gilt, wenn die Vorhandlung nur ein erlaubtes Risiko geschaffen eine vom Erwerber angeschossene Person vor weiteren Schäden ... zu bewahren"
hat; denn auch dies schließt eine Zurechnung aus. 290 Freilich ist das im einzelnen so ist das nur richtig mit der Einschränkung, daß eine Garantenstellung immerhin
umstritten. Nach dem Sachverhalt der Entscheidung BGHSt 11, 353 hatte der An- dann entsteht, wenn schon bei der Übergabe der Schußwaffe der damit verfolgte
geklagte dem S ein Taschenmesser zur Verfügung gestellt, mit dem dieser unvor- deliktische Zweck erkennbar war. Der Verstoß gegen das WaffenG ist selbständig
strafbar, schafft aber als solcher noch nicht ohne weiteres ein unerlaubtes Risiko
280 Otto/Brammsen, J u r a 1985, 6 4 6 , 648; vgl. a u c h Otto, N J W 1974, 528. für das Leben eines anderen.
28i Z . B . Welp, 1968, 201 ff., 226ff. Nach diesen Grundsätzen sind auch die mehrfach vom BGH behandelten Fälle 163
282 So etwa Grünwald, ZStW 70 (1958), 431. B G H N J W 2000, 2756, verlangt unter Hinweis
auf eine st. Rspr. u n d verschiedene Stimmen der Literatur „die nahe Gefahr des Eintritts des
zu entscheiden, in denen ein Mittäter es unterläßt, die von anderen Mittätern ge-
... tatbestandsmäßigen Erfolgs". >—
283 Rengier, JuS 1989, 8 0 2 , 8 0 7 . 291 Näher Roxin, AT l 3 , § 24, R n . 26 ff.
284 ßkobs, AT 2 , 29/29-36. 292 Freund, 1992, 237f.; Frisch, 1988, 360f., F n . 4 8 9 , 490; Joecks3, § 1 3 , R n . 8 0 ; Kühl, A T 3 ,
285 Herzberg, ]Z 1986, 989. § 18, Rn.104; Renzikowski, 1997,139-142; Rudolphi, 1966,123; ders., SK7, § 13, R n . 4 4 ; Seh/Seh/
286 Dencker, Stree/Wessels-FS, 1993,171. Stree26, § 13, R n . 39.
287 Eine zusammenfassende Analyse der Ingerenz-Rspr. des B G H liefert Jakobs, BGH-FG, 293 Freund, 1 9 9 2 , 237; Kühl, A T 3 , § 18, R n . 104; Rudolphi, 1 9 6 6 , 123; Seh/Seh/Stree26, § 13,
2000, Bd. IV, 29 ff. R n . 39.
288
Z u m Parallelfall der objektiven Zurechnung i m R a h m e n der Tatbestandserfüllung vgl. 294 Gegen das Kriterium der „erkennbaren Tatgeneigtheit" Sch/Sch/Lencknej26, vor §§ 13ff.,
Roxitt, A T I 3 , §11, R n . 4 9 f . Rn. 101 e.
289 OLG Stuttgart N J W 1986,176 f. 295 Seh/Seh/Stree26, § 13, R n . 39.
2W Vgl. Roxin, AT l 3 , § 11, R n . 59f.; § 24, R n . 14-38.
767
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§ 32. Die Gleichstellung — A. Das Einstehenmüssen V § 32
§32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
Das sind diskutable Argumente, aber die besseren Gründe sprechen doch für die 167
schaffenen Gefahren (meist für Leib und Leben eines Dritten) abzuwenden. 296
h. M. Denn eine nicht zurechenbare Verwicklung in einen Unfall ist juristisch keine
Wird die erkennbare Tatgeneigtheit eines Begehungstäters gefördert, entsteht dar-
tatbestandsmäßige Verletzung, sondern ein für den Autofahrer auf Zufall beruhendes
aus eine Garantenstellung zur Abwendung der von diesem geschaffenen - sei es Unglück. Bei einem solchen Unglück muß er zwar wie jeder zufällig Anwesende
auch über den gemeinsamen Tatplan hinausgehenden - Gefahren. Bei nicht nahe- nach § 323 c Hilfe leisten. Aber es handelt sich gerade nicht um die Verhinderung
liegenden und daher nicht ohne weiteres voraussehbaren Exzeßtaten eines Mit- der Folgen einer mangelhaft überwachten Gefahrenquelle — und nur dieser Ge-
täters (z. B. vergewaltigt einer von zwei Räubern planwidrig und unerwartet das sichtspunkt trägt bei erlaubtem Risikoverhalten die Ingerenzgarantenstellung
Opfer 297 ) ist dagegen keine Erfolgsabwendungspflicht des untätig bleibenden (vgl. Rn. 150 f.)! Auch ist zu bedenken, daß in solchen Fällen die Verantwortung
Komplizen anzunehmen. für das Geschehen in der Regel beim Opfer liegt und daß es nicht angemessen wä-
164 Richtig ist es auch, wenn der BGH 298 annimmt, daß die Anstiftung zur uneid- re, daraus Zusatzbelastungen für den Verursacher herzuleiten. Mit Recht sagt der
lichen Falschaussage den Anstiftenden, der zudem die Vereidigung der Zeugen be- BGH (aaO., 201), „ein sich auf solche Weise rechtmäßig verhaltender Kraftfahrer"
antragen läßt, zum Garanten für die Verhinderung eines Meineides macht. Denn könne „billigerweise nicht zum Hüter eines Verkehrsteilnehmers bestellt werden,
wenn jemand sich zu einer Falschaussage bereit erklärt, liegt es sehr nahe, daß er der... allein schuldhaft die Ursache für den Verkehrsunfall und damit für die eige-
sie, wenn er dem Anstiftenden nicht von vornherein das Gegenteil versichert hat, ne Gefahr ... gesetzt hat". Wenn die Gegenmeinung die Garantenstellung quasi als
ggf. auch beschwören wird. Auf derartige, über das eigene Prozeßverhalten hin- Preis für die Genehmigung zum Autofahren ansehen will, löst sie sich von den
ausgehende aussagespezifische Gefahrschaffungen sollte man die Ingerenz bei Aus- Grundlagen der Überwachungsgarantenstellung und übersieht auch, daß das Au-
sagedelikten freilich auch beschränken (näher Rn. 177 ff.). tofahren kein mit Sonderbelastung zu erkaufender Luxus, sondern eine für das
165 Innerhalb des erlaubten Risikos hält sich auch ein Kraftfahrer, der einen Funktionieren der Gesellschaft heute unentbehrliche Art der Fortbewegung ist.
Unfall verursacht, obwohl er keinen Sorgfaltsverstoß begangen hat. So hat Jakobs 304 will differenzieren und aus erlaubt riskantem Verhalten eine Garan- 168
denn auch BGHSt 25, 218 299 entschieden (Leitsatz): „Ein Kraftfahrer, der sich in tenstellung unter der zweifachen Voraussetzung ableiten, daß es sich um ein
jeder Hinsicht pflichtgemäß und verkehrsgerecht verhält, hat gegenüber dem al- Sonderrisiko (ein höheres Risiko als beim unumgehbaren täglichen Verhalten)
leinschuldigen Unfallopfer keine Garantenstellung." Für alle anderen Fälle handelt und der Gefährdete die ihm seinerseits obliegenden Sicherungen getrof-
sorgfaltsgemäßen Handelns (beim Betrieb von Maschinen, bei Bauarbeiten usw.) fen hat. Als Indiz für das Bestehen eines Sonderrisikos nennt er die zivilrechtliche
muß dasselbe gelten. Gefährdungshaftung und eine Pflichtversicherung.
166 Die Ablehnung einer Garantenstellung entspricht zwar der h. M., 3 0 0 ist aber Danach kann grds. auch der sorgfaltsgemäß fahrende Autofahrer, der in einen 169
nicht unbestritten. Freund meint, 301 die Nichtabwendung der Todesgefahr können Unfall verwickelt wird, Garant für die Rettung des Verunglückten sein. Dies soll
„nicht auf eine entsprechende Risikoerlaubnis gestützt werden: denn der Sach- aber z.B. nicht gelten, wenn ein Betrunkener gegen sein Auto getorkelt ist.305
grund der Freiheitsentfaltung in der Form des Autofahrens trägt nicht das Ster- Denn dann hat das Opfer, das die notwendigen Sicherungen verabsäumt hat, das
benlassen des Opfers nach einem unvermeidbaren Zusammenstoß!" Maurach/Gös- Geschehen selbst zu verantworten. Damit wird freilich die Garantenstellung weit-
sel302 halten es für berechtigt, denjenigen, „der bei generell gefährlichem Verhalten gehend wieder aufgehoben. Denn wenn Verursacher und Opfer sich einwandfrei
andere auch straflos in ihren Rechtsgütern verletzt, zur Abwendung des... weite- verhalten, wird es schwerlich zu einem Unfall kommen. Eine halbwegs nahelie-
ren Schadens zu verpflichten". Auch Kühl303 betont, das Sterbenlassen des angefah- gende Möglichkeit ist allenfalls die, daß ein Drittverursacher im Spiele ist. Dann
renen Fußgängers sei jedenfalls nicht „durch die Risikoerlaubnis gedeckt, die das aber genügt dessen Garantenstellung zum Schutz des Opfers. Auch sollte man aus
riskante Autofahren bei Einhaltung der Verkehrsregeln gestattet". zivilrechtlichen Haftungsvorschriften nicht ohne weiteres eine verstärkte straf-
z«« BGH NJW 1992,1246 (dazu Seelmann, StV 1992, 416f.; ders., NK, § 13, Rn.113); BGH rechtliche Verantwortlichkeit ableiten, derer es gerade wegen des zivilrechtlichen
NStZ-RR 1997, 292; BGH NStZ 1998, 83f.; BGH NJW 1999, 69, 71 f. Näher zur Problematik Opferschutzes weniger bedarf. Gegen die Differenzierung spricht auch, daß j e -
Stree, Klug-FS, 1983, 395ff.-Jakobs,BGH-FG, 2000, Bd. IV, 44 ff. mand, der trotz völlig tadelfreien Verhaltens in einen Unfall verwickelt wird, das
2« So der Sachverhalt in BGH NStZ-RR 1997, 292. etwaige Verschulden anderer Unfallbeteiligter und sein Ausmaß in der konkreten
298 BGH NStZ 1993,489.
2W Bei Roxin, HRR, AT, Fall 94,145 ff., 212f. Situation kaum beurteilen kann, so daß große Rechtsunsicherheit die Folge einer
300 O L G Celle V R S 41 (1971), 98; Jakobs, 1976, 813; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 5 9 IV 4 a ; Joedb 3 , differenzierenden Lösung wäre.
vor § 13, R n . 47; Otto, N J W 1974, 535; Rudolphi, J R 1974,160; Seh/Seh/Stree26, § 13, R n . 35.
301
Freund, 1992, 182. Er will eine Garantenstellung allerdings nur bei qualifiziert riskanten
Tätigkeiten annehmen, zu denen er das Autofahren zählt; näher ders., AT, § 6, Rn. 67ff. 304 Jakobs, A T 2 , 2 9 / 4 2 .
M2 Maurach/Gössel, AT/27, § 46, Rn. 102. 305 Beispiel vonJakobs, A T 2 , 2 9 / 4 2 .
303 Kühl, AT3, § 18, Rn. 101.
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§32 V 10. Abschnitt — Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
170 Umstritten ist, ob eine Garantenstellung entsteht, wenn die Vorhandlung
Die Frage ist zu verneinen. Denn es ist nicht der Zweck der Straßenverkehrsvor-
sich zwar nicht im erlaubten Risiko bewegt, die Risikoüberschreitung sich schriften, Diebstähle zu verhindern.
aber nicht auf den Erfolg ausgewirkt hat. So lag es in BGHSt 34, 82: 306 Der An-
Ein nicht garantenpflichtbegründender Hauptfall eines sich innerhalb des er- 173
geklagte war mit 120 km/h (anstatt der zulässigen 100 km/h) gefahren und.hatte
laubten Risikos bewegenden Vbrverhaltens ist auch der zulässige Alkoholaus-
dadurch gegen die StVO verstoßen. Doch war der getötete Motorradfahrer an dem
schank.311 Wenn ein Gast in einer Wirtschaft so viel Alkohol zu sich nimmt, daß
Unfall allein schuld; es stand fest, daß der Unfall auch bei Einhaltung der Höchst-
er - bei bestehenbleibender Zurechnungsfähigkeit - fahruntüchtig wird, wenn er
geschwindigkeit nicht vermeidbar gewesen wäre. Hier will der BGH eine Garan-
sodann in diesem Zustand mit seinem Auto nach Hause fährt und dabei einen
tenstellung annehmen, weil der Angeklagte „sich verkehrswidrig verhalten hatte
Unfall verursacht, erhebt sich die Frage, ob neben dem Fahrer auch der Gastwirt
und dieses Verhalten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Unfall stand"
für die Folgen als fahrlässiger Nebentäter durch Unterlassen verantwortlich ist.
(Leitsatz). „Der Senat läßt offen, ob dies auch dann zu gelten hat, wenn das
Noch BGHSt 4, 20 hatte dies bejaht: Der Wirt müsse seinen Gast am Autofahren
nichtverkehrsgerechte Verhalten des Fahrers zu dem Unfall keine Beziehung haben
hindern, notfalls sogar durch Herbeirufung der Polizei. Seine Garantenstellung
kann" (aaO., 84). Richtigerweise war eine Garantenstellung abzulehnen.307 Denn
ergebe sich aus der Verabreichung der alkoholischen Getränke, die den Rausch
wenn, wie der Sachverständige festgestellt hatte, der Angeklagte „auch bei Einhal- ausgelöst hatten. „Wer die Gefahr für die Begehung einer Straftat schafft, ist ver-
tung der ... Höchstgeschwindigkeit ... den Unfall weder durch eine Vollbrem- pflichtet, den aus dieser Lage drohenden Erfolg abzuwenden."
sung noch durch kräftiges Lenken nach links" hätte vermeiden können, stand die
Diese Rspr., die für das Gastwirtsgewerbe möglicherweise ruinös geworden 174
Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit gerade nicht in unmittelbarem Zu-
wäre, hat BGHSt 19, 152 aufgegeben.312 Der BGH beruft sich nun darauf, daß
sammenhang mit dem Unfall. Die vom BGH gleichwohl herbeikonstruierte „Be-
nach dem Gaststättengesetz die Abgabe geistiger Getränke nur an Betrunkene ver-
ziehung" zu dem Unfall läuft auf eine unzulässige Zurechnung unter dem Ge-
boten sei. „Solange der Gastwirt verständigerweise annehmen darf, der Gast sei
sichtspunkt eines versari in re illicita hinaus.
noch fähig, selbstverantwortlich zu handeln, braucht er sich in dessen Tun oder
171 Auch abgesehen von der fehlenden Auswirkung eines Sorgfaltsverstoßes setzt
Lassen ... nicht einzumischen; jedenfalls kann ihm keine derartige strafrechtlich
eine garantenpflichtbegründende Vorhandlung einen Risikozusammenhang in
erhebliche Pflicht auferlegt werden" (aaO., 154f.). Die Grenze sei erst überschrit-
dem Sinne voraus, daß die Vorhandlung gerade das Risiko geschaffen haben
ten, wenn der Gast „zurechnungsunfähig geworden, also der sichere Bereich des
muß, dessen Abwendung der Zweck der übertretenen Norm war. Denn was für
§51 Abs. 2 StGB (heute: §21) überschritten ist" (aaO., 154). BGHSt 26, 35 hat
die objektive Zurechnung im Rahmen der Fahrlässigkeit Voraussetzung ist, 308
diese Rspr. weitergeführt und auf den privaten Gastgeber übertragen.
muß für die Vorhandlung bei der Ingerenz ebenso gelten. Dem stimmt auch der
BGH zu, wenn er in BGHSt 37, 115 f. bei der Ingerenz eine Garantenstellung cc) Keine Garantenstellung, wenn die durch die Vorhandlung herauf-
„mindestens dann" annehmen will, wenn „die Pflichtwidrigkeit gerade in der Ver- beschworene Gefahr im alleinigen Verantwortungsbereich
letzung eines solchen Gebotes besteht, das dem Schutz des gefährdeten Rechtsguts des Gefährdeten liegt
zu dienen bestimmt ist..." Die Zurechnung einer Vorhandlung scheidet auch dann aus, wenn die daraus 175
172 Wenn also ein Wohnungsinhaber auf der Suche nach einem Einbrecher die Kel- entstandene Gefahr im alleinigen Verantwortungsbereich des Gefährdeten liegt.
lertreppe hinunterstürzt und sich verletzt, 309 ist der Einbrecher nicht Garant für Ein Prototyp dieser Konstellation ist die Mitwirkung an der vorsätzlichen Selbst-
die Abwendung der aus dem Unfall resultierenden Folgen. Denn es ist nicht der gefahrdung eines anderen.313 Der praktisch wichtigste Fall dieser Art betrifft die
Zweck des übertretenen Diebstahlsverbotes, körperliche Schädigungen des Eigen- Verschaffung von Rauschgift, dessen Konsum den Empfänger in Lebensgefahr
tümers zu verhindern. „Soll ... der Kraftfahrer, der verkehrswidrig den Sturz ei- bringt. Der Lieferant macht sich in diesem Fall nicht wegen Körperverletzung
nes Radfahrers verursacht, so daß dieser im Straßengraben liegenbleibt, als Garant strafbar, wenn das Opfer das Risiko im selben Ausmaß übersah wie er (so nun-
einen Dritten hindern müssen, die Brieftasche des Bewußtlosen zu stehlen?"310 mehr auch BGHSt 32, 262).314 Vielmehr liegt nur eine Mitwirkung an einer straf-
losen Selbstgefährdung vor, die mangels tatbestandsmäßiger Haupttat ebenfalls
straflos ist. Für die Unterlassungsdogmatik hat das zur Folge, daß der Lieferant
306 M. abw. Anm. Ranft, JZ 1987, 859ff.; Rudolphi, JR 1987, 162; zust. Herzberg, JZ 1986,
986(f., 989ff.
auch keine Garantenstellung hat, wenn der Empfänger infolge des Rauschgift-
3(" So auch SK7-Rudolphi, §13, Rn.39b; Stree, Klug-FS, 1983, 398; Kühl, AT3, §18,
Rn. 102; krit. auchJakobs, BGH-FG 2000, Bd. IV, 41 f. 3» Näher zur Rspr .Jakobs, BGH-FG, 2000, Bd. IV, 35 ff.
308 Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 72 ff. 3f2 Abi. Geilen, }Z 1965,469.
313
309 Beispiel nach Stree, K l u g - F S , 1983, 397, 399. Vgl. Roxin, AT l3, § 11, Rn. 91 ff., wo die Konstellation unter dem Obertitel Mitwirkung
3io Stree, K l u g - F S , 1983,403. bei vorsätzlicher Selbstgefährdung behandelt wird.
3it Roxin, H R R AT, Fall 3, S. 3,158.
770
771
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
genusses in einen hilfsbedürftigen Zustand gerät. Denn die entstandene Gefahr ist stens erhöht, falsch auszusagen und einen Meineid zu schwören" (aaO., 323 im
nicht dem Lieferanten, sondern dem Kunden selbst zuzurechnen. Da sogar die Anschluß an BGHSt 2,129; 14, 22). 320
Mitwirkung an einer vorsätzlichen Selbsttötung unbestrittenermaßen straflos ist, Die Abkehr von der früheren Rspr. verdient im Ergebnis Beifall. Doch bedarf 179
muß die Verhinderung von Folgen, die aus einer vorsätzlichen Selbstgefährdung die Begründung des Urteils der Kritik. Das Ausmaß der „Gefahr für den Zeugen"
resultieren, ebenfalls außerhalb der Reichweite der Tötungstatbestände liegen. kann schon deshalb nicht der richtige Gesichtspunkt sein, weil nicht dieser, son-
Eine im vollen Bewußtsein des Risikos eingegangene Selbstgefährdung hat der dern allenfalls die Rechtspflege durch einen Meineid geschädigt werden kann.
sich Gefährdende stets allein zu verantworten. Unterläßt der Lieferant also die ihm Was aber die Gefährdung der prozessualen Beweisführung betrifft, so läßt sich
- etwa durch Verbringung ins Krankenhaus - mögliche Rettung des Patienten, so kaum leugnen, daß unwahre Bekundungen einer Partei oder eines Angeklagten
ist er nur nach § 323 c und nicht wegen einer Tötung durch Unterlassen strafbar. die Gefahr mit sich bringen, daß diesen nahestehende Zeugen ebenfalls die Un-
Leider sieht der BGH das anders und bestraft in solchen Fällen wegen fahrlässiger wahrheit sagen. Unter diesem Aspekt hätte daher eine Aufrechterhaltung der frü-
(oder ggf. sogar vorsätzlicher) Tötung durch Unterlassen.315 heren Rspr. nähergelegen.
176 Das Gesagte ist auf alle anderen Fälle verantwortlicher und im vollen Bewußt- Eine Garantenstellung der bestreitenden Prozeßpartei bzw. des bestreitenden An- 180
sein des Risikos vorgenommener Selbstgefährdungen zu übertragen. Um es an geklagten scheitert jedoch daran, daß es im Regelfall ausschließlich im Verantwor-
zwei abgewandelten Rspr.-Fällen zu verdeutlichen: Wer mit einem anderen eine tungsbereich des Zeugen liegt, wie er im Prozeß aussagt. Eine Mitverantwortung
gefährliche Wettfahrt auf Motorrädern veranstaltet, ist nicht Garant, wenn der an- Außenstehender kommt nur bei direkten prozeßspezifischen Einwirkungen auf die
dere dabei durch eigenes Verschulden verunglückt.316 Wer an Pocken erkrankt auf Zeugenaussage in Betracht, wie sie bei der Anstiftung und Beihilfe vorliegen. Hier
einer Quarantäne-Station liegt, ist nicht Garant für die Verhinderung einer An- kann dann auch einmal eine zur Meineidsbeihilfe durch Unterlassen führende Ga-
steckung des ihn besuchenden Krankenhausgeistlichen, wenn dieser sich unter rantenstellung entstehen, wenn der Anstifter zur Falschaussage deren Vereidigung
Inkaufnahme des ihm bekannten Risikos in die Quarantäne begeben hat.317 tatenlos geschehen läßt (dazu oben Rn.164). Andere Einflüsse auf den Zeugen, die
177 Ein weiteres Hauptbeispiel für die Zuordnung einer Gefahr zum Verantwor- sich aus den persönlichen Beziehungen der Beteiligten ergeben, lassen sich nicht
tungsbereich eines anderen ist die Nichtverhinderung eines Meineides von Sei- eingrenzen und ändern an der ausschließlichen Verantwortlichkeit eines irrtumsfrei
ten einer Prozeßpartei, die durch ihr wahrheitswidriges Bestreiten einen Zeu- und ungenötigt aussagenden Zeugen für den Inhalt seiner Aussage nichts.321
gen zu einem Meineid motiviert hat.318 Noch BGHSt 3,18 hatte im Anschluß an
dd) Keine Garantenstellung, wenn die GefahrschafTung durch Notwehr
die Rspr. des RG 319 der bestreitenden Partei eine Garantenstellung aus vorange- gerechtfertigt ist
gangenem Tun zugesprochen. Sie mache sich der Beihilfe zum Meineid durch Un-
BGHSt 23, 327322 hat entschieden: „Die Verletzung eines Angreifers in Not- 181
terlassen schuldig, wenn sie bei der in ihrer Gegenwart stattfindenden Beweisauf-
wehr macht in der Regel den Angegriffenen nicht zum Garanten für das Leben
nahme eine vorsätzliche Eidesverletzung des Zeugen nicht durch das Bekenntnis
des Angreifers."323 Das entspricht der durchaus herrschenden und zutreffenden
der Wahrheit verhindere.
Meinung, 324 ist aber nicht ganz unumstritten 325 und auch nicht selbstverständ-
178 Diese Rspr. hat BGHSt 17, 321 ausdrücklich aufgegeben. „Das Gefühl gegensei-
tigen Verpflichtetseins'' - es ging hier stets um das Bestreiten ehewidriger Be- 320 So i m wesentlichen auch Krey, B T I11, Rn.574ff.; Lackner/Kühl24, vor § § 153ff R n T
ziehungen in Scheidungsprozessen - reiche „nicht aus, um eine besondere Gefah- Prittwitz, StV 1995, 274; SK 6 -Rudolph*, vor § § 153ff., R n . 52f.; Scheffler, G A 1993, 348; 'schüne-
mann, 1971, 199ff. (der jedoch auf § 138 I Z P O abstellt); Tenter, wistra 1994, 247; Web 1968
renlage für den Zeugen zu schaffen, die den schuldigen Ehegatten verpflichtet, 307 ff. y
'
den Zeugen von der Falschaussage abzuhalten". Eine solche Gefahr entstehe erst 32i So auch LG Essen N J W 1952, 116f.; LG Göttingen N J W 1954, 731; LG Münster StV
1994,134f.; Ebert, JuS 1970, 400ff. (ohne ganz eindeutige Stellungnahme); Hillenkamp, Wasser-
durch weitere hinzukommende Umstände, „etwa dadurch, daß er noch während mann-FS, 1985, 865; Otto, J u S 1984, 161 ff., 169. Ähnlich restriktiv Bockelmann, N J W 1954
des Ehescheidungsverfahrens die ehebrecherischen oder ehewidrigen Beziehungen 697 ff., 700; Heinrich,]uS 1995,1115 ff, 1119; Maurach, D S t R 1944,16; ders., SJZ 1949 541ff.
322 Ebenso B G H N S t Z 1985, 501; 1987,171; 2000,414.
zu dem Zeugen fortsetzt und dadurch die Gefahr für ihn herbeiführt oder wenig- 323 Dazu auch Roxin, H R R AT, Fall 93, S. 144, 212.
es BGH NStZ 1984, 452; NStZ 1985, 319 m. abl. Anm. Roxin. Vgl. zum Ganzen m.w.N. 324 Baumann/Weber, AT 1 0 , § 1 5 III 4 c ; Bringewat, M D R 1971, 718; Dahm, Z S t W 59 (1939/
schon Roxin, AT l 3 , § 11, R n . 96. 40), 179; Dencker, Stree/Wessels-FS, 1993, 175; Freund, AT, § 6, R n . 74; Gallas, 1989 (1963) 90-
31« U m b i l d u n g v o n B G H S t 7,112; näher Roxin, AT l 3 , § 11, R n . 9 2 ; ders., H R R AT, Fall 4, Henkel, M S c h r K r i m 1961, 183f.; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 5 9 I V 4 a ; Joecks3 § 1 3 R n 42- Otto
S. 5,158 f. AT , § 9 III l a , ders., H . J. Hirsch-FS, 1999, 291, 309; Rudolph, 1966, 180ff.; ders., SK^, § 13^
317
Ein fahrlässiges Begehungsdelikt n i m m t in diesem Fall fälschlich B G H S t 17, 359 an. R n . 4 1 ; Schünemann, 1971, 314; LK 11 -Spendel, § 3 2 , R n . 3 3 2 ; Tröndle, GA 1973, 295; Welzel
Näher dazu Roxin, AT l 3 , § 11, R n . 93; ders., H R R AT, Fall 32, S. 43,173. StrafR 11 , 215; Wessels/Beulke, AT 31 , R n . 726.
318 Näher zur R s p rJakobs, B G H - F G , 2000, Bd. IV, 32 ff. 325 Für eine Garantenstellung bei einer durch N o t w e h r gerechtfertigten Vorhandlung Böhm
3» R G S t 72, 20; 74, 283; 75, 271. 1957, 84; Drost, GerS 109 (1937), 21 f.; Granderath, 1961, 202ff.; Herzberg, JuS 1971, 74; ders., W2,
772 773
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
lieh. Denn das Handeln in Notwehr ist immerhin als tatbestandsmäßiges Verhal- gemeine Hilfeleistungspflicht nach § 323 c bestehen. Zwar ist auch dies nicht ganz
ten zurechenbar. Zudem ist die Rechtfertigung der Notwehr an eine Erforderlich- unumstritten, 328 weil der Gefährdete den Notwehrtäter rechtswidrig angegriffen
keit gebunden, die beim Unterlassen späterer Hilfeleistung nicht mehr gegeben hat, ihm also nicht in derselben Weise gegenübersteht wie ein unschuldig Ver-
ist. Auch die Annahme, daß die Vorhandlung bei der Ingerenz ausnahmslos unglückter. Auch werden die Grenzen der Tatbestandsauslegung arg strapaziert,
pflichtwidrig sein müsse,326 so daß schon deshalb eine Garantenstellung des Not- wenn man die Folgen einer berechtigten Abwehr als „Unglücksfall" bezeichnet.
wehrtäters entfalle, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig (vgl. oben Rn. 158 Doch verbietet es die Humanität, selbst einen rechtswidrigen (und meist auch
und unten Rn. 186 ff). schuldhaft handelnden) Angreifer quasi für vogelfrei zu erklären und ggf. schutz-
182 Gleichwohl wird man eine Garantenstellung des Notwehr Übenden ablehnen los dem Tode preiszugeben. Die Tolerierung einer derartigen, privat verhängten
müssen. Denn man wird die für den Tatbestand geltenden Zurechnungsregeln in „Todesstrafe" läge weit jenseits aller Verhältnismäßigkeit und wäre rechtsstaats-
den Unrechtsbereich ausdehnen müssen. Dann ergibt sich, daß bei einer widrig.
notwehrbedingten Vorhandlung die entstandene Gefahrdung im ausschließli-
ee) Bejahung einer Garantenstellung, wenn die Vorhandlung durch
chen Verantwortungsbereich des rechtswidrigen Angreifers liegt, dem Notwehr Notstand gerechtfertigt ist
Übenden also nicht zugerechnet werden kann. Diesen entscheidenden Gesichts-
Beim rechtfertigenden Notstand ist die Interessenlage eine andere. Wenn ein 186
punkt hebt der Sache nach auch der BGH hervor: „Wer durch einen rechtswidrigen
Autofahrer, um einen sonst mit Sicherheit tödlichen Unfall zu vermeiden, blitz-
Angriff eine Selbstgefährdung herbeiführt, kann hierdurch nicht erzwingen, daß
schnell auf den Fußweg ausweicht und dabei die Verletzung eines Passanten in
der Angegriffene als Garant zu seinem Beschützer wird" (aaO., 328). Durch den
Kauf nehmen muß, mag man dies als durch § 34 gerechtfertigt ansehen. Man wird
Hinweis auf die Selbstgefährdung wird der Zusammenhang mit der Lehre von der
dem Autofahrer aber gegenüber dem verletzten Passanten eine Garantenstellung
objektiven Zurechnung (vgl. Rn. 175 f.) durchaus zutreffend hergestellt.
aufbürden müssen, so daß er ggf. wegen Körperverletzung durch Unterlassen zu
183 Das Ergebnis wird durch spezifisch notwehrrechtliche Überlegungen bestätigt.
bestrafen ist, wenn er nicht für ärztliche Hilfe sorgt. 329
Denn bei Bejahung einer Garantenstellung würde ein rechtswidriger Angreifer
Denn hier liegt das Geschehen nicht im Verantwortungsbereich des Passanten, 187
stärker geschützt als ein ohne eigene Schuld Verunglückter. Das wäre nicht nur
der an der Gefahrentstehung völlig unbeteiligt ist. Vielmehr hat der Notstandstäter
eine ungerechte Privilegierung rechtswidrig Handelnder. Es widerspräche auch
in den Freiheitsraum eines Menschen eingegriffen, der für die Notlage, um de-
dem Sinn des Notwehrrechts, demjenigen, der durch seine legitime Abwehr ne-
rentwillen er seine Rechtsgüter aufopfern mußte, keinerlei Verantwortung trägt.
ben dem Individualschutz auch der Rechtsbewährung im Interesse der Allgemein-
Zwar ist der Notstandstäter gerechtfertigt, aber die Rechtfertigung ist nach § 34
heit dient, 327 dafür noch zusätzliche Verpflichtungen aufzubürden. Sehr gut zeigt
(und auch nach den zivilrechtlichen Notstandsvorschriften) an eine Interessen-
dies auch der Fall des Nothelfers. Warum sollte er für seinen tatkräftigen Einsatz,
abwägung gebunden, die zu größtmöglicher Schonung des Opfers verpflichtet.
mit dem er die allseits geforderten Zivilcourage zeigt und gegen gewalttätige
Daraus leitet sich die Legitimation ab, den Notstandstäter mit der Verantwortung
Handlungen einschreitet, mit einer Garantenstellung „bestraft" werden, die ein
dafür zu belasten, daß der Schaden des Opfers so gering wie möglich gehalten
untätig bleibender Beobachter des Geschehens nicht einnimmt?
wird. Das entspricht dem Rechtsgedanken des § 904 S. 2 BGB, wonach der Be-
184 Der Umstand, daß die Notwehr an eine Erforderlichkeit gebunden ist, die ge- troffene Entschädigung verlangen kann, und bedeutet strafrechtlich, daß der Not-
genüber dem nunmehr hilfsbedürftigen Angreifer nicht besteht, begründet kei- standstäter für die Verhinderung weiterer, durch den Notstand nicht gedeckter
nen triftigen Einwand gegen die Ablehnung einer Garantenstellung. Denn es geht Folgen einstehen muß.
bei dem Verhalten nach der Abwehr nicht um die Rechtfertigung einer Notwehr-
Wenn der Notstandstäter, wie es meist der Fall ist, zugleich der durch die Tat 188
handlung, auf die sich das Merkmal der Erforderlichkeit allein bezieht, und auch
Begünstigte ist, kommt der weitere Gesichtspunkt hinzu, daß es kriminalpolitisch
nicht einmal um die Straflosigkeit des untätig Bleibenden, sondern allein um die
angemessen ist, denjenigen, der sich auf Kosten eines anderen gerettet hat, wenig-
Frage, ob eine Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt eines unechten Unterlas-
stens nachträglich auch für die Rettung seines Opfers im Rahmen des ihm Mög-
sungsdelikts oder lediglich nach Maßgabe des § 323 c eintritt.
lichen verantwortlich zu machen. Ist der Begünstigte ein anderer als der Eingrei-
185 Auch dem Notwehrbefugten ist es also nicht erlaubt, den niedergeschlagenen
fende (z. B. derjenige, der in dem Rn. 186 gebrachten Beispiel vor einem Zusam-
Angreifer verbluten zu lassen (so auch BGHSt 23, 328). Vielmehr bleibt die all-
328 Vgl. näher LK n -Spendet, § 32, R n . 333.
295ff.; Maurach/Gössel, AT/27, 46/100; Nahstoll, 1951, 87ff., 120ff., 140; Traeger, 1913, 106; Vogt, 329 So auch Blei, A T , § 8 7 VI 2 c; Freund, 1992,185; Kühl, AT 3 , § 18, R n . 9 6 ; Lackner/Kühl24,
6
ZStW 63 (1950/51), 403; Welp, 1968, 266ff, 271ff; ders.,JZ 1971,433f. § 13, R n . 13; Landscheidt, 1985, 119; Otto, AT , § 9 III 1; Rengier, J u S 1989, 807; Sch/Sch/Stree26,
10
326 Vgl. die Nachweise bei Hilknkamp, 2001,189 f. § 13, Rn. 36; Timpe, 1983, 182. Zweifel an der unterschiedlichen Behandlung eines durch § 32
327 Vgl. Roxin, AT l3, § 15, Rn. 2. oder § 34 gerechtfertigten vorangegangenen Tuns äußertJoecks3, § 13, Rn. 43.
774 775
§ 32 V 10. Abschnitt — Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen V § 32
menstoß bewahrt wird), so ist es sachgemäß, auch ihm eine Garantenstellung auf-
Dagegen soll nach der Rspr. keine Garantenstellung vorliegen, wenn ein 192
zuerlegen, wenn er für die Gefahrensituation verantwortlich war. 330
Vorsatztäter den Eintritt des vorsätzlich bewirkten Erfolges abzuwenden un-
ff) Bejahung der Garantenstellung, wenn bei einer gerechtfertigten terläßt, obwohl dies noch möglich wäre. Wer also einen anderen mit Tötungsvor-
Vorhandlung mit Dauerwirkung die Rechtfertigungsvoraussetzungen satz niederschießt und das zunächst noch lebende Opfer ungerührt an seinen in-
nachträglich wegfallen neren Verletzungen sterben läßt, obwohl es durch Einlieferung ins Krankenhaus
189 Eine Garantenstellung entsteht auch dann, wenn eine gerechtfertigte Vorhand- noch zu retten gewesen wäre, hat nach dieser Auffassung nur den Tatbestand eines
lung mit Dauerwirkung durch den Wegfall der Rechtfertigungsvoraussetzungen vorsätzlichen Tötungsdeliktes durch Begehen verwirklicht. Dagegen liegt man-
ihre Rechtfertigungswirkung für die Zukunft verliert. Wenn z. B. jemand einen gels Garantenstellung nicht auch eine Tötung durch Unterlassen vor. Der BGH
krakeelenden und für die Allgemeinheit gefährlichen Betrunkenen einsperrt, sagt (ohne nähere Begründung): 334 „... der Täter, der vorsätzlich oder bedingt
kann dies nach § 34 gerechtfertigt sein. Doch muß der Einsperrende ihn freilassen, vorsätzlich einen Erfolg anstrebt oder billigend in Kauf nimmt, ist nicht zugleich
wenn der Betrunkene wieder nüchtern geworden ist und keine Gefahr mehr dar- verpflichtet, ihn abzuwenden." Otto3*5 versucht diese These durch den Hinweis zu
stellt. Widrigenfalls macht er sich einer Freiheitsberaubung durch Unterlasen stützen, daß anderenfalls der Unterlassende sich selbst (als dem gleichzeitigen Be-
(§ 239) schuldig.331 Denn mit dem Verschwinden der Notstandsvoraussetzungen gehungstäter) gleichgestellt werde und daß dies nicht den Prämissen des StGB
wird die weitere Einsperrung rechtswidrig, so daß der Einsperrende für die Besei- entspreche: „Danach begründet die verbrecherische Anstrebung tatbestandsmäßi-
tigung dieser unerlaubten Gefahr zu sorgen hat. Ebenso haben die Umweltbehör- ger Erfolge die Strafbarkeit, nicht aber eine Rechtfertigung zur Abwendung dieser
den eine Garantenstellung, wenn die Voraussetzungen für eine ursprünglich recht- Erfolge."
mäßige Genehmigung nachträglich wegfallen (vgl. dazu schon oben Rn. 100). Den Vorzug verdient jedoch die Gegenmeinung, die einen Totschlag durch 193
gg) Vorangegangenes garantenpflichtwidriges Unterlassen Unterlassen bejaht, diesen jedoch hinter der vorsätzlichen Begehungstötung
im Wege der Gesetzeskonkurrenz (als vorbestrafte Nachtat) zurücktreten
190 Zu beachten ist, daß die Vorhandlung auch in einem begehungsgleichen Unter-
läßt.336 Denn wenn Otto sagt, daß die Begehungstäterschaft die Strafbarkeit be-
lassen bestehen kann, 332 so daß die Bezeichnung als „vorangegangenes Tun" die In-
gründe, so trifft dies auch auf die Konkurrenzlösung zu. Im übrigen muß aber,
gerenz nicht in allen Fällen ganz zutreffend charakterisiert. Wenn also ein Passant
„wenn die fahrlässige Vorhandlung haftungsbegründend wirkt ..., dies erst recht
durch einen herabfallenden Dachziegel verletzt wird, den der Hauseigentümer in
für die vorsätzliche Vorhandlung gelten"337. Daß damit eine gesetzliche Pflicht
pflichtwidriger Weise zu befestigen unterlassen hatte, muß er für die ärztliche Ver-
zum Rücktritt statuiert wird, steht dem nicht entgegen; dies gilt auch für andere
sorgung des Verletzten einstehen (vgl. schon oben Rn. 124).
Konstellationen (vgl. das Beispiel Rn. 191 am Ende).
hh) Begründen auf den Erfolg gerichtete Vorsatztaten eine Garanten- Die Frage kann praktische Bedeutung erlangen fiir die Strafbarkeit einer 194
pflicht zur Abwendung des Erfolges? nachträglichen Beteiligung Dritter. Wenn man den Fall setzt, daß der Bege-
191 Klar ist, daß eine fahrlässige Vorhandlung eine Erfolgsabwendungspflicht aus- hungstäter zunächst vom Tötungsversuch zurücktreten und das schwerverletzte
löst. Der Fall, daß ein fahrlässiger Unfallverursacher das Opfer ohne Hilfe läßt und Opfer ins Krankenhaus bringen will, sich aber durch einen Dritten wieder um-
daraufhin wegen vorsätzlicher versuchter oder ggf. vollendeter Körperverletzung stimmen und daraufhin das Opfer sterben läßt, kann der Dritte nach der hier ver-
oder sogar wegen Tötung durch Unterlassen zur Verantwortung gezogen wird, ist tretenen Auffassung wegen Anstiftung zu einer Tötung durch Unterlassen bestraft
geradezu ein Prototyp der neueren Ingerenzrechtsprechung (vgl. Rn. 143). An- werden. Die Gegenmeinung müßte zur Straflosigkeit kommen, würde damit aber
erkannt ist auch, daß eine vorsätzliche Verletzung den Täter zur Abwendung eine vorsätzliche Tötung entgegen allen strafrechtlichen Regeln straflos stellen.
schwerer Folgen (etwa des Todes) verpflichtet. Wer also jemanden ohne Tötungs- Denn die Annahme einer unmittelbaren Begehungstäterschaft scheitert an der
vorsatz niedersticht und ihn dann vorsätzlich verbluten läßt, ist wegen vorsätz- fehlenden Tatherrschaft des Außenstehenden.
licher Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Tötung
durch Unterlassen zu bestrafen.333

330 Vgl. d a z u auchJakobs, A T 2 , 2 9 / 4 4 a.


331 So auch Kühl, AT3, §18, Rn.97; SK7-Rudolphi, §13, Rn.40a; Sch/Sch/Stree26, §13,
Rn. 36.
334 BGH NStZ-RR 1996,131.
332 Näher dazu SK7-Rudolphi, § 13, Rn. 45.
33= Otto, H. J. Hirsch-FS, 1999, 305 f.
333 Vgl. BGH NStZ 2000, 29 f. Der Todeserfolg verbindet „die Taten zur Tateinheit". Ebenso
BGH NStZ-RR 2000, 329 f. 3» So auch Kühl, AT3, § 18, Rn. 105 a; Stein, JR1999, 265, 271 ff.; Welp, 1968, 321 ff.
337 So Otto selbst, Hirsch-FS, 1999, 305.
776
777
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen VI § 32
c 32 vi 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
... Insoweit genügt die rechtliche Mißbilligung des Gefährdungserfolges. Darauf,
VI. Die strafrechtliche Produktverantwortung ob das Verhalten dessen, der ihn herbeiführt, im Sinne persönlicher Schuld vor-
werfbar ist, kommt es nicht an" (aaO., 118/110).
195 Eines der am wenigsten geklärten Probleme der modernen Strafrechtsdogmatik Dies ist aber falsch und hat allgemeine Ablehnung gefunden. 338 Denn auch eine 199
betrifft die Verantwortung für gefährliche Produkte. Es kann sich dabei um ge- objektive Pflichtwidrigkeit setzt ein Verhaltensunrecht voraus. Der Täter muß ein
sundheitsgefährliche Nahrungsmittel oder Medikamente, aber auch um Ge- unerlaubtes Risiko geschaffen haben, 339 und daran fehlt es, wenn Herstellung und
brauchsgegenstände beliebiger Art (Maschinen oder Autos mit schadensträchtigen Vertrieb der Ware ohne Sorgfaltsmangel erfolgt sind. Die Pflichtwidrigkeit eines
Fehlern, krankheitserzeugende Ledersprays oder Holzschutzmittel usw.) han- Verhaltens kann nur ex ante und gerade nicht ex post — aus dem Gefährdungs-
deln. Werden solche Produkte in den Verkehr gebracht, obwohl ihre Gefährlich- erfolg - bestimmt werden. Es ist nicht möglich, eine „objektive Pflichtwidrig-
keit erkennbar war, kommt eine fahrlässige Körperverletzung durch aktives Han- keit" ohne „Sorgfaltspflichtverletzung" anzunehmen; denn beides ist identisch. Der
deln in Betracht. Werden nach dem Bekanntwerden schädlicher Folgen, deren BGH verwechselt demgegenüber Unrecht und Schuld, wenn er die Sorgfalts-
Möglichkeit von vornherein erkennbar war, keine Erfolgsabwendungsbemühun- widrigkeit mit der Schuld gleichsetzt. Die Sorgfaltswidrigkeit (bzw. Pflichtwid-
gen unternommen (durch Rückruf der Waren oder Warnung der Käufer), kann rigkeit) setzt ein im Zeitpunkt der Tatbegehung als objektiv fehlerhaft erkenn-
auch eine ggf. vorsätzliche Unterlassungstat vorliegen. Die Erfolgsabwendungs- bares Verhalten voraus, ohne das schon kein Unrecht vorliegt. Die Frage, ob der
pflicht ließe sich aus vorangegangenem zurechenbaren Tun herleiten (Rn. 143ff., Täter schuldhaft gehandelt hat, also seinen Fehler vermeiden konnte, steht auf
216). einem anderen Blatt.
196 Überaus kontrovers ist aber die Frage, ob und ggf. wie sich eine Garantenstel- Da die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun niemals aus der bloßen 200
lung des Produktherstellers begründen läßt, wenn die Gefährlichkeit der Ware bei Kausalität, sondern immer nur aus der objektive Zurechnung des vorangegange-
der Herstellung und ihrer Einleitung in den Verkehr noch nicht erkennbar ist, nen Tuns abgeleitet werden kann (Rn. 156 ff), ist die vom BGH gegebene Begrün-
sondern erst später hervortritt. So lag es im leading-case der neueren Rspr., dung also nicht haltbar. Die Berufung auf Ingerenz wäre aber auch dann verfehlt,
dem sog. Lederspray-Fall (BGHSt 37,106). Hier hatte eine Firma ein Lederpfle- wenn sie allein auf die Kausalität gestützt werden dürfte. Denn wenn man der in
gemittel auf den Markt gebracht, das bei einer Reihe von Verbrauchern Lungen- der Firma zuständigen Person eine Erfolgsabwendungspflicht auferlegen will,
ödeme auslöste. Ein Produktionsfehler bei der Herstellung des lange Zeit ohne muß man dies natürlich auch dann tun, wenn sie erst nach der Auslieferung der
Beanstandungen vertriebenen Mittels lag nicht vor. Der Erfolg konnte also nicht Waren in ihre Stellung eingetreten ist, durch vorangegangenes Tun also nicht ein-
vorhergesehen werden. Auch konnte nicht geklärt werden, welche in dem Spray mal einen kausalen Beitrag zur Hervorrufung der Gefahr geleistet hat. 340 Der
enthaltene Substanz die Schäden ausgelöst hatte. BGH hält dem Einwand mangelnder Kausalität entgegen, daß der in den Betrieb
197 Eine Körperverletzung durch aktives Handeln schied aus, weil der Vertrieb bei Eintretende „regelmäßig durch Übernahme der Aufgaben in die Garantenstellung
der gebotenen Betrachtung ex ante kein unerlaubtes Risiko geschaffen hatte, also des Vorgängers" einrücke. Auch wenn dies zutrifft, ist es dann aber doch nicht
nicht sorgfaltswidrig gewesen war. Zweifelhaft ist aber, ob eine (fahrlässige oder mehr ein vorangegangenes Tun, auf das sich die Garantenstellung des Nachrücken-
auch vorsätzliche) Unterlassungstat vorliegt, wenn der Hersteller es nach dem Be- den stützen läßt.
kanntwerden der ersten Erkrankungen versäumt, durch Warnungen oder Rückruf
weitere Schäden bei den Verbrauchern zu verhindern. Mit diesem Problem hatte es 2. Garantenstellungen aus gesteigert riskantem Vor verhalten?
der BGH zu tun. Im folgenden sollen seine Losung und die sonst in der Literatur
Besonderer Beliebtheit erfreut sich eine Auffassung, die die Garantenstellung 201
angebotenen Konstruktionen geprüft werden.
des verantwortlichen Produzenten zwar ebenfalls auf vorangegangenes Tun grün-
det, dafür aber keine Pflichtwidrigkeit verlangt, sondern ein - wenngleich er-
1. Garantenstellungen aus vorangegangenem Tun?
198 Der BGH meint, eine Garantenstellung folge „aus vorangegangenem pflicht- 3M Beulke/Bachmann, JuS 1992, 739: Bmmmsen, GA 1993,102ff.; Freund, 1992, 219, Fn.84; HU-
widrigen Gefährdungsverhalten (Ingerenz)" (aaO., 115). Eine solche Garantenstel- gendorf, 1993,138ff.; Kuhlen, NStZ 1990, 568; Meier, NJW 1992, 3196; Otto, WiB 1995, 933; im.,
lung ist heute weitgehend anerkannt, wenn auch nicht ganz unbestritten H. J. Hirsch-FS, 1999, 291, 304f.; Puppe, JR 1992, 30; SK7-Rudolphi, § 13, Rn.39, 39 b, 40c;
Samson, StV 1991, 182, 184; Schünemann, in: Gimbernat/Schünemann/Wolter (Hrsg.), 1995, 66ff.,
(Rn. 143 ff.). Die Schwierigkeit einer solchen Konstruktion liegt aber in der Be- 68f.; ders., BGH-FG, 2000, Bd. IV, 638; Weißer, 1996, 35 ff., 64.
gründung der Pflichtwidrigkeit. Der BGH begründet sie mit den Worten: „Die 339 Näher Roxin, AT l3, § 24, Rn. 3 ff.
340
objektive Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens setzt nicht voraus, daß der Handeln- Vgl. Schünemann, 1979, 99ff.; ders., wistra 1982, 41, 44f.; ders., in: Gimbernat/Schüne-
mann/Wolter (Hrsg.), 1995, 69 f.
de bereits damit seine Sorgfaltspflichten verletzt, sich also fahrlässig verhalten hat
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778
§ 32 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen VI § 32
laubtes — „gesteigert" oder „qualifiziert" riskantes Vorverhalten genügen läßt. 341 Schließlich muß sich auch die These vom gesteigert riskanten vorangegangenen 205
Freund 342 begründet das so: „Wer qualifiziert riskante Tätigkeiten ausübt, die so- Tun den schon dem BGH (Rn. 200) zu machenden Einwand entgegenhalten las-
zusagen mit dem mehr oder weniger ausdrücklichen oder stillschweigenden Vor- sen, daß sich die Garantenstellung einer erst nachträglich in den Betrieb eingetre-
behalt versehen sind, bei Bedarf gefahrabwendend tätig zu werden, muß das — tenen Person nicht aus ihrem Vorverhalten erklären läßt.
wenn er diese Tätigkeit ausüben möchte — dann auch kraft einer entsprechenden
Sonderverantwortung tun. Man kann nicht die entsprechenden Vorteile haben 3. Garantenstellung aus Gesetz?
wollen, ohne dafür die angemessene ,Gegenleistung' zu erbringen." Auf diese Wei- Der BGH erwägt auch die Möglichkeit, eine Garantenstellung des Produzenten 206
se erklärt er denn auch die Garantenstellung des Produktherstellers. Seelmann343 auf gesetzliche Verpflichtungen zu stützen. So verweist er auf das zivilrechtliche
sagt: „Bei erlaubten Risiken muß . . . unterschieden werden, ob ein höheres Risiko Produkthaftungsgesetz, läßt die Frage aber zugunsten der Ingerenzbegründung
gegeben ist als beim unumgänglichen alltäglichen Verhalten." offen, nachdem er auch die Bedenken erwähnt hat, die gegen eine unmittelbare
202 Doch erweckt auch diese Lösung Bedenken. 344 Erstens verstößt sie gegen den Transformation schadensorientierter Haftungsprinzipien des Zivilrechts in straf-
Grundgedanken der Ingerenz, wonach die Vorhandlung, soweit es um die tat- rechtliche Garantenpflichten geltend gemacht werden können (vgl. näher schon
bestandsmäßige Zurechnung geht, in einer ex ante pflichtwidrigen Weise eine Ge- Rn. 11). Doch kommt er auch bei Begründung der Ingerenz auf den Gedanken ge-
fahrenquelle geschaffen haben muß (Rn. 150ff, 156ff, 199f.).345 Zweitens ist die setzlicher Verpflichtung zurück. Er meint, „die objektive Pflichtwidrigkeit des ge-
Unterscheidung zwischen „normalem" und „gesteigertem" erlaubten Risiko auch fahrbegründenden Vorverhaltens" folge „auch aus gesetzlichen Bestimmungen"
wegen ihrer Unbestimmtheit unbrauchbar. Jede Risikosteigerung bewegt sich auf (aaO., 117), nämlich aus dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, wo-
einer kontinuierlichen Skala ohne eine Zäsur, an der sich eine rechtsfolgenrele- nach es verboten ist, gesundheitsschädliche Gegenstände in den Verkehr zu brin-
vante Steigerung festmachen ließe. 346 gen. Hier werden also Gesetz und vorangegangenes Tun miteinander verquickt.
203 Als gesteigert riskant wird bisher vor allem die Herstellung von Produkten Eine Garantenstellung ergibt sich aus alledem aber nicht. Das resultiert schon 207
und das Autofahren (dazu Rn. 165 ff.) angesehen. Aber worin besteht denn bei aus der Ablehnung der formellen Rechtspflichttheorie und mit ihr der Garanten-
Einhaltung aller Sicherheitsstandards das gesteigerte Risiko? Statistisch gesehen stellung aus Gesetz (oben Rn. 10-12). Es zeigt sich besonders deutlich daran, daß
sind unerkennbar schädliche Auswirkungen ordnungsmäßig hergestellter Pro- auch der BGH kein Kriterium dafür angeben kann, wann außerstrafrechtliche
dukte äußerst selten. Man könnte also das „gesteigerte" Risiko höchstens aus der Normen strafrechtliche Garantenstellungen begründen können und wann nicht.
Vielzahl der potentiell Betroffenen ableiten. Aber das paßt nicht auf das Autofah- Bei der Berufung auf das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz kommt
ren und ergibt auch sonst keinen Sinn. Denn wenn man schon eine Garantenstel- noch hinzu, daß ein Verbotsverstoß nicht gut angenommen werden kann, wenn
lung des Produzenten annehmen will, muß sie vernünftigerweise auch dann be- derjenige, der Gegenstände in den Verkehr bringt, sich völlig einwandfrei verhal-
stehen, wenn die Schäden sich gleich nach der Erstauslieferung herausstellen, so ten hat. Was aber (Rn. 199) über die „objektive Pflichtwidrigkeit" gesagt wurde,
daß bisher nur wenige Menschen gefährdet sind. gilt auch gegenüber dem Versuch, sie zusätzlich auf einen Gesetzesverstoß zu
204 Sodann kann man schwerlich die Meinung vertreten, daß die Warenerzeugung gründen.
und das Autofahren in der modernen Welt kein „unumgängliches alltägliches Ver-
halten" darstellen. Auch Freunds tastende Ausdrucksweise („sozusagen", „mehr oder 4. Garantenstellung aus Überwachungspflicht?
weniger", „ausdrücklich oder stillschweigend") zeigt die Unsicherheit bei Bestim-
mung der maßgebenden Kriterien. Brammsen347 hat die These entwickelt, daß eine Überwachungsgarantenstellung 208
den Produzenten gesundheitsschädlicher Waren zum Rückruf verpflichte. Er
bekämpft die Auffassung, daß die Überwachungsgarantenstellung „auf Fälle
physisch-realer (Sach)Herrschaftsbeziehungen"348 zu beschränken sei. Produkt-
3<i Freund, AT, §6, Rn. 69; Jakobs, AT2, 29/42; Kuhlen, NStZ 1990, 568; Lackner/Kühf4, rückrufpflichten entsprächen den „verfestigten tatsächlichen Erwartungsverhält-
§13, Rn.13; Otto, WiB 1995, 933; dm., AT6, §9 III la; Rengier, JuS 1989, 807; NK-Seelmann,
§ 13, Rn. 117. Ähnlich Herzberg, JZ 1986, 986ff., 988ff. nissen"349 und bestünden „unabhängig davon, ob die Erzeugnisse sich noch im
342
Freund, AT, § 6, Rn. 69 (zur Produktverantwortung Rn. 71). Unternehmensbereich ... befinden oder schon in den Handel bzw. in die Hände
343
NK-Seelmann, § 13, Rn. 117. der Verbraucher gelangt sind".
344
Vgl. zur Kritik auch Otto, Hirsch-FS, 1999, 308; Brammsen, 2000,116.
345
Mit Recht rügt Brammsen, 2000, 116, daß durch die kritisierte Konstruktion die „ex- 347
ante-Perspektive bei der Bestimmung handlungsfundierter Erfolgsvermeidepflichten ... Brammsen, GA 1993, 97ff.; den., 2000,105ff. (113ff.).
348
unterlaufen" werde. Brammsen, GA 1993,113.
3 3
"6 Dazu Hoyer, GA1996,160,175. *> Brammsen, GA 1993,116.
780
781
§ 32 VI 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - A. Das Einstehenmüssen VI § 32
209 Auch wenn man das von Bramtnsen erzielte Ergebnis für richtig hält, läßt es sich
duzenten oder seiner Vertriebsorganisation gegenüber den Abnehmern von der-
doch schwerlich dadurch erreichen, daß man die Überwachungsgarantenstellung
jenigen eines unbeteiligten Dritten." Das alles hat mit „vorangegangenem Tun"
von jeder realen Grundlage ablöst. Denn wenn die Ware den tatsächlichen Herr-
nichts zu schaffen, beschreibt aber zutreffend die überlegene Schutzposition des
schaftsbereich des Produzenten verlassen hat und sich im Besitz unbekannter
Produzenten gegenüber dem auf seine Kompetenz angewiesenen Verbraucher.
Händler oder Verbraucher befindet, kann von einer Überwachung und der für sie
Die Begründung der Garantenstellung des Produzenten aus der Übernahme ei- 213
nötigen tatsächlichen Zugriffsmöglichkeit nicht mehr die Rede sein. Für den
ner Schutzfunktion ist zuerst von Schünemann250 entwickelt worden. Der Kunde
Produzenten ist dann nichts mehr vorhanden, was sich überwachen ließe. Ob die
verlasse sich auch für den Fall erst nachträglich erkennbar gewordener Gefährlich-
jetzigen Besitzer sich um etwaige Hinweise des Produzenten kümmern, ist allein
keit eines Produkts auf den Hersteller in der Weise, daß er „nicht anders als der
ihre Sache und unterliegt keiner „Überwachung". Wenn man den Produzenten
Patient gegenüber dem Hausarzt oder der Kraftfahrzeughalter gegenüber der
verpflichten will, seine inzwischen -nicht durch Überwachung, sondern durch
Werkstatt die Sorge für die Gefahrlosigkeit des Produkts ... in die Hände des
einlaufende Schadensmeldungen - erlangten Kenntnisse über die Gefährlichkeit Produzenten legt." Schünemann will die Garantenstellung des Produzenten auf
seiner Ware den Verbrauchern und Zwischenhändlern warnend mitzuteilen, so hat Markenware beschränken; diese sei i. d. R. teurer als Nicht-Markenware, so daß
das nichts mit einer Überwachung zu tun, sondern beruht auf einer Schutzver- der Kunde sogar ein „spezifisches Entgelt" für die „Zusatzleistung" der Schutzüber-
pflichtung, die auch aus einiger Distanz wahrgenommen werden kann. nahme bezahlte.351 Doch sollte man dem Hersteller schlechthin die Pflicht auf-
erlegen, den Kunden vor einer Schädigung durch seine Waren zu schützen. Da
Produzenten oft die substantiell gleiche Ware teils als Markenware, teils auf ande-
5. Garantenstellung aus Übernahme einer Schutzfunktion
ren Vertriebswegen als Nicht-Markenware verkaufen, leuchtet eine unterschied-
210 Tatsächlich läßt sich die Garantenstellung des Produzenten am besten als Über- liche Behandlung nicht ein. Der höhere Preis der Markenware signalisiert nicht
nahme einer Schutzfunktion deuten. Der Erwerber hat in der modernen Waren- größeren Schutz vor Gefahren, sondern teils bessere Qualität und teils auch nur
gesellschaft i. d. R. keine Möglichkeit, die gesundheitliche Unbedenklichkeit und den höheren Wert, den bestimmt Marken als Statussymbol haben. Auch wäre es
sonstige Unschädlichkeit gekaufter Waren zu überprüfen. Deshalb muß er sich bedenklich, wenn Hersteller durch den Verzicht auf Markenproduktion sich ihrer
notgedrungen darauf verlassen, daß der Produzent nicht nur alle Sicherheitsstan- Schutzverpflichtung entziehen könnten.
dards einhält, sondern ihn auch über nachträglich bekannt gewordene Risiken
Das Abstellen auf die Übernahme einer Schutzfunktion erklärt auch zwanglos 214
informiert. Daß dies eine soziale Realität ist, zeigen auch die zivilrechtlichen Pro-
(anders als der Ingerenzansatz, Rn. 200, 205), daß auch erst nach der Auslieferung
duktbeobachtungs- und Rückrufpfüchten, aus denen sich nicht unmittelbar eine
in den Betrieb eingetretene Personen in die Garantenstellung hineinwachsen kön-
Garantenstellung ableiten läßt, die aber doch Elemente der dem Produzenten zu- nen. Denn natürlich kann und muß eine Schutzfunktion „übernommen" werden,
zuschreibenden Schutzfunktion darstellen. weil sie allein an die augenblickliche Position im Betrieb und nicht am früheren
211 Auch der Umstand, daß der Produzent über nachträglich auftretende Mängel Verhalten anknüpft.
als erster umfassende Informationen erlangen, durch Rekonstruktion der Her-
Der Produzent erfüllt seine Schutzpflicht ggf. durch den Rückruf von Waren, 215
stellungsmethoden Fehlerquellen aufdecken und infolge seiner Einsicht in die
die noch bei Zwischenhändlern lagern. Denn die Gefahren werden am besten aus-
Vertriebswege die Ware am ehesten „anhalten" und Zugang zu gefährdeten Ab-
geschaltet, wenn die Ware aus dem Verkehr gezogen wird. Gegenüber dem End-
nehmern finden kann, spricht dafür, daß der Kunde sich seiner überlegenen Sach- abnehmer wird i. d. R. eine Warnung genügen, die durch alle Medien verbreitet
kenntnis anvertrauen und der Hersteller dementsprechend im Rahmen des Mög- werden kann.
lichen seinen Schutz übernehmen muß.
212 Der BGH argumentiert der Sache nach ebenfalls auf dieser Linie, wenn er sagt Ist die Ware von vornherein fahrlässig in Verkehr gebracht worden, kommt auch eine Garan- 216
tenstellung aus vorangegangenem Tun in Betracht. Das Nebeneinander zweier Garanten-
(aaO., 121): „Produzent und Vertriebsorganisation haben den umfassendsten Über- pflichten ist unproblematisch und auch sonst nicht selten (z. B. wenn ein Vater es versäumt; in
blick, da sich bei ihnen die Schadensmeldungen sammeln. Ein von ihnen aus- seinem Herrschaftsbereich liegende Gefahrenquellen zu überwachen und dadurch sein ]£ind
gehender Rückruf hat im Vergleich zum Eingreifen Dritter eine größere Wir- zu Schaden bringt). Doch erspart der Rückgriff auf die Schutzpflicht des Produzenten ggf. die
schwierige Prüfung der Frage, ob schon die Auslieferung pflichtwidrig war.
kungschance schon deshalb, weil Händler und Verbraucher bei ihnen am ehesten
diejenige Sachkenntnis voraussetzen dürfen, die erforderlich ist, um die Fehlerhaf-
tigkeit des Produkts zu beurteilen, das Ausmaß der drohenden Gefahr abzuschät-
zen und die richtige Auswahl der zu ihrer Beseitigung notwendigen Maßnahmen 350 Schünemann, BGH-FG, 2000, Bd. IV, 640; im Ansatz schon 1995, 70 f. In früheren Veröf-
zu treffen. Auch darin unterscheidet sich die Stellung des verantwortlichen Pro- fentlichungen hatte Schünemann eine Garantenstellung des Produzenten abgelehnt.
Mi Schünemann, BGH-FG, 2000, Bd. IV, 641.
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783
§32 I 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - B. Die Entsprechungsklausel I § 32

6. Die innerbetriebliche Zuständigkeit für Rückruf und Warnung ist damit jedoch noch nichts über die Fälle gesagt, in denen sich der Tatbestand
nicht darauf beschränkt, das bloße Herbeiführen eines Erfolges unter Strafe zu
217 Hier gelten die Grundsätze, die schon für die allgemeine Geschäftsherrenhaf-
stellen, sondern näher beschreibt, auf welche Weise dieser Erfolg herbeigeführt
tung skizziert worden sind (oben Rn. 142). Der BGH hat sie in der Lederspray-Ent-
werden muß. So etwa, wenn beim Betrug der Vermögensschaden durch Täu-
scheidung noch einmal präzise zusammengefaßt (aaO., 123f.): „Zwar knüpft die
schung' herbeigeführt werden muß ... Wir brauchen also für Fälle dieser Art als
Pflichtenstellung des Geschäftsführers im allgemeinen an den von ihm betreuten
zweiten einschränkenden Gesichtspunkt den der Gleichwertigkeit der Unterlas-
Geschäfts- und Verantwortungsbereich an ... Doch greift der Grundsatz der Gene- sungshandlung mit dem positiven Begehen auch in bezug auf die im Tatbestand
ralverantwortung und Allzuständigkeit ein, wo - wie etwa in Krisen- und Aus- vorausgesetzten besonderen Handlungsmodalitäten."353
nahmesituationen - aus besonderem Anlaß das Unternehmen als Ganzes betroffen
Gallas war darüber hinaus der Meinung, dem Richter solle auch bei reinen Er- 220
ist; dann ist die Geschäftsführung insgesamt zum Handeln berufen ... So verhält es
folgsdelikten die Möglichkeit gegeben werden, doch noch sagen zu können, „daß
sich gerade auch bei einer Häufung von Verbraucherbeschwerden über Schadens-
in dem konkreten Fall das Verhalten der Tatbegehung durch ein Tun nicht gleich-
fälle durch Benutzung eines vom Unternehmen massenweise hergestellten und
steht".354 Daraus ergab sich dann ein Gesetzesvorschlag,355 der außer dem rechtli-
vertriebenen Serienprodukts, wenn zu entscheiden ist, welche Maßnahmen zu
chen Einstehenmüssen zusätzlich verlangte, daß das Verhalten des Unterlassenden
ergreifen sind und ob insbesondere ein Vertriebsstopp, eine Warn- oder Rückruf-
„auch unter Berücksichtigung der besonderen Tatumstände und der gesetzlichen
aktion stattfinden muß..."
Handlungsmerkmale der Begehung durch ein Tun tatbestandsmäßig gleichsteht".
Das Bundesjustizministerium nahm diesen Vorschlag im E1959II auf und ersetzte 221
im wesentlichen nur die Worte „tatbestandsmäßig gleichsteht" durch „gleichwertig
B. Die Entsprechungsklausel
ist".356 Die Entwürfe 1960 und 1962 faßten die Worte „unter Berücksichtigung der
besonderen Tatumstände und der gesetzlichen Handlungsmerkmale" in die verein-
I. Zur gesetzgeberischen Entwicklung
fachende Wendung „den Umständen nach" zusammen. 357 In der Begründung des
218 Nach § 13 I StGB setzt die Strafbarkeit wegen eines begehungsgleichen Unter- E 1962358 wird darauf verwiesen, daß der Richter nach der Feststellung des Ein-
lassens außer dem Einstehenmüssen weiterhin voraus, daß „das Unterlassen der stehenmüssens noch eine „Gesamtbewertung" anzustellen habe: „Setzt der Tat-
Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht". Die Be- bestand besondere unrechtsbeeinflussende Handlungsmerkmale voraus, die durch
deutung dieser „Entsprechungsklausel" ist umstritten und wenig geklärt. Sie wirft eine Unterlassungstat nicht sichtbar werden können, so kann dies durch die grö-
schon bei unbefangener Lektüre des Gesetzestextes erhebliche Verständnisproble- ßere Pflichtenbindung des Garanten oder auch sonst durch andere Umstände auf-
me auf. Denn wenn jemand für den Nichteintritt des Erfolges rechtlich einzu- gewogen werden, die den Grad des Unrechts erhöhen." Außerdem soll die Ent-
stehen hat, das gesetzlich außerdem geforderte Entsprechungsverhältnis aber ver- sprechungsklausel dazu führen, „daß die Fälle, die die Rspr. bisher unter dem
neint wird, hat der Unterlassende strafrechtlich für den Nichteintritt des Erfolges Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit des Einschreitens entschuldigt hat, bereits den
bzw. den schon eingetretenen Erfolg wegen fehlender Gleichstellung gerade nicht tatbestandsmäßigen Erfordernissen des strafbaren Unterlassens nicht mehr gerecht
einzustehen. Es ist schwierig, eine solche Gesetzesfassung widerspruchsfrei zu werden". Es sind also recht heterogene Gesichtspunkte, die hier ohne nähere Kon-
deuten. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte mag immerhin erklären, was kretisierung mit der Entsprechungsklausel in Verbindung gebracht werden.
dem Gesetzgeber vorgeschwebt hat. Schließlich hat der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform im Jahre 1968 den 222
219 Noch der E 1959352 hatte keine Entsprechungsklausel, sondern wollte das Un- § 13 I in die Form gebracht, die in den neuen Allgemeinen Teil übergegangen ist.
terlassen der Begehungstat gleichstellen, wenn der Unterlassende „kraft Gesetzes Auch die Worte „den Umständen nach", die ihrerseits schon eine Vereinfachung der
verpflichtet ist, den Erfolg zu verhindern und den Umständen nach dafür einzu- von Gallas hervorgehobenen „besonderen Tatumstände" und „Handlungsmodali-
treten hat, daß der Erfolg nicht eintreten werde" (§ 14 II). Die heutige Entspre- täten" waren, wurden jetzt gestrichen. Ferner wurde das Erfordernis der Gleich-
chungsklausel geht — zunächst noch in Form einer Gleichstehens- oder Gleich- wertigkeit durch die heutige Entsprechungsklausel ersetzt. Der Grund lag darin,
wertigkeitsklausel — auf Gallas zurück, der anläßlich der zweiten Lesung des Ent- 353
Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. XII, 1959,
wurfs in der 116. Sitzung der Großen Strafrechtskommission vom 10. März 1959 79.
M" Niederschriften, Bd. XII, 1959, 82.
dargelegt hatte, daß das Erfordernis der Garantenpflichtverletzung die Nicht- 3
55 Bei Nitze, 1989,190.
abwendung des Erfolges lediglich mit einer aktiven Verursachung gleichstelle. „Es «6 Bei Nitze, 1989,190.
3
352
57 Nitze, 1989,191.
3
Eine Zusammenstellung der Entwürfe seit 1959 findet sich bei Nitze, 1989,190 ff. 58 BT-Drucks. IV, 650,125 ff.
784
785
§ 32 II 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung - B. Die Entsprechungsklausel III § 32
daß die inzwischen eingeführte, im E 1962 noch nicht enthaltene Strafmilde- Ich hatte sie schon früh vertreten 368 und so formuliert, „daß zwar die fehlende
rungsmöglichkeit „in einem auffallenden Gegensatz zum Erfordernis der Gleich- Verursachung des Erfolges369 beim Unterlassenden durch die Pflicht zu seiner Ab-
wertigkeit der Unterlassungstat" gestanden hätte. 359 Das „Entsprechen" der heuti- wendung ersetzt werden kann, daß aber die Unrechtsqualität spezifischer Hand-
gen Gesetzesfassung soll also nicht ausschließen, daß das aus dem Begehenstatbe- lungsmodalitäten beim bloßen Nichtstun keine Entsprechung findet". Bei den rei-
stand zu bestrafende Unterlassen weniger strafwürdig ist als das „entsprechende" nen Erfolgsdelikten (Totschlag, einfache Körperverletzung, Sachbeschädigung)
aktive Tun. entspricht danach die Nichtabwendung durch eine Garanten stets der Begehung
durch aktives Handeln, so daß die Entsprechungsklausel insoweit keine selbständi-
ge Bedeutung hat. Anderes gilt nach dieser Lehre bei „verhaltensgebundenen" De-
II. Der gegenwärtige Meinungsstand likten, die über die Erfolgsverursachung hinaus bestimmte Handlungsmodalitäten
223 Die Entsprechungsklausel hat bisher nur geringe praktische Bedeutung erlangt. (wie das „Täuschen" beim Betrug oder „Gewalt" und „Drohung" bei der Nöti-
gung) verlangen.370 Hier sollen die Garantenstellungen nicht allein über die
Es findet sich, soweit ersichtlich, nur eine BGH-Entscheidung, die ausdrücklich
Gleichstellung entscheiden. Vielmehr soll es immer noch eine in den Besonderen
auf die Entsprechungsklausel Bezug nimmt. 360 Außerdem hat das OLG Karls-
Teil gehörende Frage der Auslegung des jeweiligen Tatbestandes sein, ob ein Un-
ruhe 361 im Anschluß an die Begründung des E 1962 (Rn. 221) eine von ihm an-
terlassen einer aktiven Betrugs- oder Nötigungshandlung usw. entspricht.
genommene Unzumutbarkeit einmal als einen Fall mangelnder Entsprechung
gedeutet. 362 Die zahlreichen übrigen Urteile, die sich mit der Unzumutbarkeit Vereinzelt wird auch der weitere, der Gesamtbetrachtungslehre nahestehende 226
beschäftigen,363 behandeln diese als selbständiges Kriterium. Gedanke von Gallas (oben Rn. 220) aufgegriffen,371 wonach auch bei den Erfolgs-
224 In der Literatur hat die in der Gesetzbegründung angeregte „Gesamtbetrach- delikten der Richter die Gleichstellung des garantenpflichtwidrigen Unterlassens
tung" (Rn. 221) kaum Anklang gefunden. 364 Das leuchtet ein. Denn die unter mit dem Begehen immer noch soll verneinen können („Theorie der Doppelfunk-
Gleichstellungsgesichtspunkten sorgfältig ausgeformten Garantenstellungen wer- tion der Entsprechungsklausel"372).
den entwertet, und jegliche Rechtssicherheit wird aufgelöst, wenn hernach in
allen Fällen noch eine weitere Entsprechensprüfung durchgeführt wird, für die III. Keine Gesamtbewertung, keine Doppelfunktion der
jeder konkrete Maßstab fehlt (näher Rn. 227 ff). So wird denn auch teils die Ent- Entsprechungsklausel
sprechungsklausel als gänzlich funktionslos abgelehnt.365 Eine ähnliche Auffas-
sung vertritt Seelmann366, der die Entsprechungsklausel „als Aufforderung zu einer Generell abzulehnen ist zunächst die Auffassung, die bei allen Tatbeständen 227
besonders eingehenden Prüfung der Strafwürdigkeit des Verhaltens" interpretiert. nach Bejahung einer Garantenstellung immer noch prüfen will, ob nicht das
Denn eine solche Prüfung müßte auch ohne Entsprechungsklausel bei Bestim- Unterlassen wegen fehlender Entsprechung straflos ist. Auf die entscheidenden
mung der Garantenstellungen vorgenommen werden. Gründe für diese Ablehnung, nämlich das Fehlen jedes von den Garantenstellun-
225 Herrschend367 ist heute die Lehre von der „Modalitätenäquivalenz", die auf gen unabhängigen Entsprechungsmaßstabes und die dadurch entstehende Rechts-
die Ausführungen von Gallas über die besondere Bedeutung der „Handlungsmo- unsicherheit, wurde schon hingewiesen (Rn. 224).373 Die in der Begründung des
dalitäten" für die Gleichstellung von Unterlassen und Tun (Rn. 219) zurückgreift. E 1962 angeführten Gesichtspunkte der „Unzumutbarkeit" und der „größere
359
Pflichtenbindung" (Rn. 221) helfen nicht weiter. Denn die Unzumutbarkeit ist
Vgl. dazu näher schon § 31, Rn. 236f..
3*0 BGH NJW 1995, 3194 (näher dazu unten Rn. 246 ff.) ein Problem der Schuld (ausführlich §31, Rn. 211 ff.) und hat mit der tatbestand-
3« OLG Karlsruhe MDR 1975, 771. lichen Entsprechungsklausel nichts zu tun. Auch von der Starke der Pflichtenbin-
3« Näher oben § 31, Rn. 215, 220 und unten Rn. 227. dung - die, wenn überhaupt, bei allen Unterlassungen eine Rolle spielen müßte
3« Näher oben § 31, Rn. 211 ff.
364
Nachweise über die „in dieser R i c h t u n g " argumentierenden Autoren beiJescheck/Weigend,
AT 5 , § 5 9 V, F n . 7 5 (Jescheck/Weigend lehnen eine Gesamtbetrachtung w e g e n „Gefährdung der 368 Roxi«, J u S 1973,199.
369
Rechtssicherheit" ab); Nitze, 1989, 29ff. G e m e i n t ist die Begehungskausalität.
365 370
So von Nitze in der einzigen dem Thema gewidmeten Monographie; vgl. ferner die Herzberg, 1972, 60-106 will bei verhaltensgebundenen Delikten die Garantenstellungen
von Nitze, 1989, 44, aufgeführten Autoren. überhaupt keine Rolle spielen lassen, hat damit aber keinen Beifall gefunden (zur Kritik SK7-
366 NK-Seelmann, §13, Rn.70. Rudolphi, § 13, Rn. 18). Zur eigenen Meinung Rn. 230 ff.
367 B G H S t 28, 300, 307; Freund, AT, § 6 , R n . 8 ; Gropp, KT2, § 1 1 , R n . 79 ff.; Jakobs, A T 2 , 37i Androulakis, 1963, 219 ff; Henkel, MSchrKrim 1961, 178 f.; Kahlo, 1990, 322; Arthur Kauf-
29/7, 78 ff; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 59 V;Joecks3, § 13, R n . 45 f.; Kindhäuser, AT 2 , 242 f.; Köhler, mann/Hassemer, JuS 1964,153; VJK-Nowakowski, § 2, Rn. 13; Fallin, ZStW 84 (1972), 200; Öster-
AT, 2 3 0 ; Krey, AT/2, R n . 3 7 4 ; Kühl, AT 3 , § 1 8 , R n . l 2 2 f f ; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 46/55 f.; reich. OGHJB1.1972, 276.
372
Roxin, JuS 1973, 199; Rudolphi, 1966, 63f.; Schünemann, 1971, 371 ff.; Stratenwerth, AT 4 , § 1 3 , Formulierung von Nitze, 1989, 33.
R n . 62; Tröndle/Fischer50, § 13, R n . 17; Welp, 1968,18 ff. 373
Ähnlich die Kritik beiJescheck/Weigend, AT 5 , § 59 V; Sch/Sch/Stree26, § 13, R n . 4 .

786 787
§ 32 III 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
§ 32. Die Gleichstellung - B. Die Entsprechungsklausel IV § 32
- , kann die Gleichstellung nicht abhängig gemacht werden. Ob die Mutter oder
eine Babysitterin das Kleinkind durch pflichtwidriges Unterlassen zu Tode IV. Keine Notwendigkeit der Entsprechungsklausel zur Herstellung
bringt, 374 kann für die Unterlassungsstrafbarkeit keinen Unterschied machen. allgemeiner Modalitätenäquivalenz
Wollte man die Babysitterin unter Zuerkennung einer weniger engen Pflichten-
bindung für straflos halten, müßte man ihr schon die Garantenstellung abspre- Aber auch eine auf zusätzliche Handlungsmodalitäten des^Begehungsdelikts be- 230
chen (was falsch wäre, vgl. Rn. 53 ff.). Denn es hat keinen Sinn, eine Garantenstel- schränkte Entsprechungsklausel kann die Möglichkeit genereller Einschränkung
lung anzunehmen, wenn die Nichterfüllung der Erfolgsabwendungspflicht von der Unterlassungsstrafbarkeit nicht begründen. Man nehme den Tatbestand des
vornherein nicht zu einer Gleichstellung mit dem Begehungsdelikt führen kann. Betruges, bei dem von Gallas (Rn. 219) bis zur heutigen Literatur immer wieder
Auch lassen sich, wenn man eine erfolgsabwendungspflichtige Schutzfunktion auf die Handlungsmodalität des „Täuschens" hingewiesen wird, die in der Erfolgs-
bejaht, sinnvollerweise überhaupt keine größeren oder geringeren Pflichtenbin- abwendungspflicht keine Entsprechung habe, so daß auf Grund einer besonderen
dungen unterscheiden. Klausel geprüft werden müsse, ob das Unterlassen die Qualität einer Täuschung
habe! In Wirklichkeit ist die Täuschung aber nur die vorsätzliche Verursachung
228 Einer „Gesamtbewertung" oder einer stets anzustellenden zweiten Gleichstel-
einer irrtumsbedingten Selbstschädigung, und es ist nicht einzusehen, warum
lungsprüfung (erst unter dem Gesichtspunkt des Einstehenmüssens, dann unter
diese aktive Verursachung nicht wie bei anderen Delikten durch die garanten-
dem des Entsprechens) ist aber auch aus Gründen der wissenschaftlichen und
pflichtwidrige Nichtabwendung des Erfolges (der hier in einer irrtumsbedingten
legislatorischen Entwicklung die Plausibilität mehr und mehr abhanden gekom-
Selbstschädigung besteht) sollte ersetzt werden können. Es liegt also keine struk-
men. Die Auffassung, daß das Einstehenmüssen noch nicht notwendig zur Gleich-
turelle Besonderheit vor, die es rechtfertigen könnte, den Betrug anders als sonsti-
stellung des Unterlassens mit dem Begehen führe, hatte eine gewisse Berechtigung
ge Erfolgsdelikte zu behandeln.
bei einer Herleitung der Garantenstellung aus Gesetz, Vertrag und vorangegange-
nem Tun, wie sie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten noch üblich war. Denn es Freilich ist die bloße Nichtverhinderung eines Vermögensschadens noch kein 231
kann eine (zivil- oder öffentlich-rechtliche) Verpflichtung aus Gesetz oder Vertrag Betrug. Aber das gilt für dessen aktive Herbeiführung ebenso. Die Garantenpflicht
oder eine kausale Vorhandlung gegeben sein, ohne daß das sich darauf beziehende muß sich selbstverständlich auf die Verhinderung deliktstypischer Erfolge (hier
Unterlassen zu einer Gleichstellung mit dem Begehen führen müßte (vgl. Rn. 4, also auf die Verhinderung einer irrtumsbedingten Selbstschädigung) richten. Ist
5, 10 ff.) Unter dieser Voraussetzung könnte es einen Sinn haben, die Gleichstel- dies aber - was verhältnismäßig selten vorkommt - der Fall, so ist nicht einzu-
lungskriterien, die zu Gesetz, Vertrag und Kausalität hinzukommen müssen, in sehen, warum sie nicht wie sonstige Nichtabwendungen zur Gleichstellung mit
einer Entsprechungsklausel zusammenzufassen. In einer Zeit jedoch, in der die begehungskausalem Verhalten ausreichen sollte.
formelle Rechtspflichttheorie allgemein aufgegeben worden ist (Rn. 10 ff.) und Einer besonderen Entsprechungsprüfung bedürfte es beim Betrug allenfalls 232
die Schutz- und Überwachungsgarantien von vornherein nach den für die Gleich- dann, wenn die allgemeinen Garantenstellungen bei diesem Tatbestand nicht pas-
stellung maßgebenden Gesichtspunkten bestimmt werden (Rn. 17 ff.), bleibt im sen würden. (Dann läge es freilich näher, hier allein auf die Entsprechungsklausel
Regelfall nichts mehr übrig, was unter dem Gesichtspunkt einer Entsprechungs- abzustellen.375) Aber so ist es nicht. Denn es muß bei § 263 entweder eine spezielle
klausel geprüft werden könnte. Pflicht zum Schutz vor irrtumsbedingten Täuschungen des Partners bestehen, wie
229 Auch die legislatorische Entwicklung hat einer „Doppelprüfung" weiteren Bo- sie sich aus besonderen Vertrauensverhältnissen ergeben kann, wenn der Irrtum
den entzogen. Ein Grund nämlich, der dafür sprach, auch beim Bestehen einer die Sphäre des Unterlassenden (dessen Vermögensverfall, den Wegfall von An-
spruchsvoraussetzungen u. ä.) betrifft. Oder es besteht eine Pflicht zur Beseitigung
Garantenstellung nicht notwendig eine Gleichstellung mit dem Begehen vorzu-
von Gefahren, die man für das Vermögen des Partners durch zurechenbares Vor-
nehmen, lag in der vielfach beim Unterlassen ceteris paribus doch geringeren
verhalten geschaffen hat, wie es etwa der Fall ist, wenn jemand aus Versehen bei
Strafwürdigkeit (§31, Rn. 236 ff.). In diesem Punkt aber schafft die heutige, bei
einer Zahlung einen Fünfziger als Fünfhunderter präsentiert hat und, obwohl er
den Diskussionen der Großen Strafrechtskommission und im E 1962 noch nicht
den Irrtum erkannt hat, das weit überhöhte Wechselgeld wortlos einsteckt. ,
vorgesehene Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 II eine Lösung, die die Mög-
lichkeit des Ausweichens in eine zur Straflosigkeit führende Entsprechungsklausel In den Fällen, in denen von der h. M. und der Rspr. ein Betrug durch Unterlas- 233
überflüssig macht. sen mit Recht abgelehnt wird - z. B. wenn ein Bankkassierer auf Grund eigenen
Verschuldens zuviel Geld ausgezahlt hat, das der dies erkennende Kunde schwei-
gend entgegennimmt, oder wenn für eine Ware versehentlich ein zu niedriger
Kaufpreis berechnet wird - , beruht das nicht auf einer fehlenden Entsprechung,
374
NK-Seelmann, § 13, Rn.69 in Auseinandersetzung mit Arzt, JA 1980, 555, 716 f. 375
Vgl. Fn. 370 zu dem entsprechenden Vorschlag von Herzberg.
788
789
§ 32 IV 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat § 32. Die Gleichstellung — B. Die Entsprechungsklausel V § 32
sondern allein darauf, daß den Kunden nicht die Pflicht trifft, das Vermögen sei- des Gerätes und unerkennbare Drittstörungen sind ihm dagegen nicht zuzurech-
ner Partner gegen Schädigungen zu schützen, die in deren eigener Sphäre und nen, d. h. sie fallen nicht in seine Verantwortungssphäre und erzeugen keine Ga-
durch ihr eigenes Verschulden entstanden sind, und daß der Kunde auch keine in- rantenstellung. Eine solche garantenpflichtbezogene Begründung ist jedenfalls
adäquate Gefahr für das Vermögen des Geschädigten geschaffen hat. Natürlich sehr viel rationaler als ein davon gelöstes vages Urteil über Entsprechung oder
kann der Betrug durch Unterlassen hier nicht im Detail behandelt werden. Doch Nichtentsprechung.
mögen die Andeutungen des Textes zeigen, daß es weder unterlassungsstrukturelle In anderen Fällen wiederum, in denen die Entsprechungsklausel eine Gleich- 237
noch garantenspezifische Gründe gibt, die einen Rückgriff auf die Entsprechungs- Stellung soll begründen können, 377 liegt in Wahrheit ein Begehungsdelikt vor.
klausel erforderlich machen könnten. Die demonstrative Verweigerung eines Handschlags bei einer öffentlichen Be-
234 Um nur noch den Fall der Nötigung zu nennen: Die „Handlungsmodalitäten" grüßungszeremonie wird man als Beleidigung ansehen müssen. Es ist dies aber
der „Gewalt" oder der „Drohung mit einem empfindlichen Übel" bezeichnen den nicht eine Beleidigung durch Unterlassen, bei der zur Garantenstellung - woraus
Deliktstyp der Nötigung; ohne sie liegt eine Nötigung und ein tatbestandsmäßi- sollte diese auch abgeleitet werden? — ein Entsprechungsverhältnis hinzukommt,
ger Erfolg überhaupt nicht vor. Hat jemand den Schutz eines anderen gegen An- sondern die Verweigerung hat den Ausdruckswert einer aktiven Kundgabe von
griffe (und damit auch gegen Nötigungen) übernommen, ist er also ohne weiteres Mißachtung 378 - sie ist ein Begehungsdelikt.
wegen Unterlassen strafbar, wenn er eine Nötigung geschehen läßt, die durch sein Allerdings gibt es Tatbestände, die durch Unterlassen nicht erfüllt werden kön- 238
Eingreifen verhindert worden wäre. Wenn ein Lehrer, dem der Schutz einer Schü- nen (näher §31, Rn. 140 ff). Zum Beispiel ist die unterlassene Verhinderung eines
lerin anvertraut ist, nicht dagegen einschreitet, daß diese von Mitschülern sexuell Diebstahls durch einen mit der Bewachung des gestohlenen Gegenstandes be-
genötigt wird, macht er sich nach § 177 StGB durch Unterlassen strafbar. Einer auftragten Menschen wegen fehlender Zueignungsabsicht kein Diebstahl durch
weitergehenden Entsprechung der Nichtverhinderung des Geschehens mit seiner Unterlassen. Entsprechendes gilt etwa wegen der Eigenhändigkeit des Delikts bei
aktiven Herbeiführung bedarf es nicht. der unterlassenen Verhinderung eines Inzests durch einen Garanten (wenn der
235 In Fällen, die in der Literatur für die Entsprechungsklausel in Anspruch genom- Vater gegen inzestuöse Beziehungen seiner minderjährigen Kinder nicht ein-
men werden, 376 ist durchweg schon das Bestehen einer Garantenstellung zu ver- schreitet). In solchen Fällen kann also trotz Garantenstellung durch Unterlassen
neinen. Ein gutes Beispiel liefert BGHSt 28, 300. Hier ging es um einen Sach- der täterschaftlichen Tatbestandsverwirklichung nicht entsprechen. Aber die Folge
verhalt, bei dem ein Lastwagenfahrer die fehlerhaften Aufzeichnungen seines ist nicht Straflosigkeit wegen mangelnder Entsprechung, sondern eine Strafbarkeit
Fahrtenschreibers, für die er nicht verantwortlich war, zur Vortäuschung einer wegen Beihilfe durch Unterlassen (§31, Rn. 140 ff.). Ist ein Tatbestand dagegen
niedrigeren Geschwindigkeit ausnutzte. Der BGH lehnte eine Strafbarkeit aus durch Unterlassen erfüllbar, bedarf es bei Verletzung der Erfolgsabwendungs-
§ 268 III (störende Einwirkung auf einen technischen Aufzeichnungsvorgang pflicht keiner weiteren Entsprechung.
durch Unterlassen) ab. Das Unterlassen der „Entstörung" eines Fahrtenschreibers
könne zwar der aktiven Störung gleichgestellt werden, wenn der Fahrer pflicht-
widrig die Manipulation von seiten eines anderen nicht verhindere oder eine von V. Die Beschränkung der Entsprechungsklausel auf begehungstäter-
ihm selbst versehentlich verursachte Störung nicht beseitige (aaO., 307). Anders bezogene Qualifikationsmerkmale
sei es aber bei einem „Eigendefekt" und bei einer vom Fahrer nicht als solche er-
Für die Entsprechungsklausel bleibt danach nur der Fall übrig, daß Qualifika- 239
kannten Drittstörung. Hier könne das Unterlassen der Entstörung „der störenden
tionsmerkmale allein das Handeln des Begehungstäters kennzeichnen, ohne die
Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang nicht in dem Sinne gleichgestellt
Bewertung des Unterlassungsverhaltens zu beeinflussen. Wenn ein Garant es z. B.
werden, wie es nach § 13 Abs. 1 StGB erforderlich" sei (aaO., 302). Ob überhaupt
unterläßt, die heimtückische Tötung (§211) einer seinem Schutz unterstehenden
eine Garantenstellung bestand, läßt der BGH offen (aaO., 308), bezieht sich aber Person zu verwirklichen, muß er für deren Tod einstehen. Das ergibt zunächst ei-
auch nicht ausdrücklich auf die Entsprechungsklausel. nen Totschlag durch Unterlassen. Liegt aber auch ein Mord durch Unterlassen vor?
236 Wenn man der Entscheidung im Ergebnis folgt, beruht die Straflosigkeit des Das wird man verneinen müssen. Denn die „Ausnutzung der Arg- und Wehrlosig-
Fahrers aber auf dem Fehlen einer Garantenstellung. Denn die ratio des Beschlus- keit", deren sich der Begehungstäter bedient hat, wirkt sich nicht auf den Erfolg
ses ist offenbar die, daß der Fahrer für den Fahrtenschreiber insoweit verantwort- aus und hat im Verhalten des Unterlassenden keine Entsprechung. Wenn dagegen
lich ist (d. h. eine Schutzfunktion inne hat), als er von ihm verursachte Störungen der Garant eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln (§ 211), die durch sein
beseitigen und erkennbaren Drittstörungen entgegentreten muß. Eigendefekte
377
5 7
Vgl. m.w.N. Nitze, 1989,178. I
"6 Etwa beiftscheck/Weigend, AT , § 59 V; SK -Rudolphi, § 13, Rn. 18. 378
Vgl. schon § 31, Rn. 73 ff. zur Abgrenzung bei zweideutigen Verhaltensformen. 1
790
§ 32. Die Gleichstellung - B. Die Entsprechungsklausel V § 32
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
wenn er dem eigenen Kinde droht, ist unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten
Einschreiten verhindert werden könnte, tatenlos geschehen läßt, ist er wegen nicht plausibel zu machen.
Mordes durch Unterlassen strafbar. Denn die größere Gefährlichkeit der Tötung Die Entsprechungsklausel kann bei Qualifikationsmerkmalen aber auch dort 243
steigert auch Unrecht und Schuld des Unterlassens.
eine Rolle spielen, wo kein Begehungstäter zwischen Unterlassen und Erfolg
240 Den entscheidenden Punkt hat schon längst vor Einfuhrung der Entspre-
steht. Dies zeigt BGHSt 7, 287. In diesem Fall hatte der Angeklagte fahrlässig
chungsklausel Armin Kaufmann erfaßt:379 „Wenn beim Begehungsdelikt die Quali-
einen Menschen überfahren und anschließend, um seine Täterschaft nicht aufzu-
fizierung anknüpft an die erhöhte verbrecherische Intensität, die in der Ausgestal-
decken, Unfallflucht begangen. Hier bestand eine Garantenstellung aus Ingerenz
tung des Angriffs zutage tritt, ohne jedoch auch den Erfolg zu erschweren, immer
(Rn. 143 ff.), so daß der Angeklagte unter der Voraussetzung seines Vorsatzes und
dann ist eine Übertragung dieser Qualifikation auf das entsprechende Unterlas-
sungsdelikt nicht möglich." In diesen Fällen lost sich auch das Rätsel auf (Rn. 218), einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit jedenfalls wegen Totschlags durch Unterlas-
wieso man für einen Erfolg strafrechtlich einstehen muß und mangels Ent- sen zu bestrafen war, wenn der Überfahrene an den Folgen des Unfalls starb. Aber
sprechung dann doch nicht bestraft wird: Der Unterlassende muß für die Ver- kann man dem Angeklagten auch vorwerfen, daß er „zur Verdeckung einer Straf-
wirklichung des Grundtatbestandes strafrechtlich einstehen, kann aber, weil das tat" untätig geblieben ist und einen Mord durch Unterlassen begangen hat?
Unterlassen der Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes nicht entspricht, Der BGH hat das abgelehnt. Sein entscheidendes Argument liegt darin, daß nur 244
aus diesem nicht bestraft werden. das „Verdecken", nicht aber das „Nichtaufdecken" ein Fall des Mordes sei. Zum Ver-
241 Um das Dargelegte noch einmal an der gefährlichen Körperverletzung zu decken gehöre „ein Zudecken der Tat, also ein Unkenntlichmachen von Tatspuren
exemplifizieren: Wenn ein Begehungstäter einen anderen „mittels einer das Leben oder ein Unschädlichmachen von Menschen ..., die zur Aufdeckung beitragen
gefährdenden Behandlung" (§ 224 I Nr. 5) schwer verletzt, ist der Garant, der dies könnten. Wer die Pflicht zur Abwendung des tödlichen Erfolges seiner eigene
nicht verhindert, ebenfalls aus dem Qualifikationstatbestand zu bestrafen. Denn Straftat nur deshalb verabsäumt, um seine Täterschaft nicht selbst aufzudecken,
die den Erfolg erschwerende Lebensgefährdung beruht auch auf seiner pflicht- will somit die Tat nicht verdecken, sondern bloß dem Geschehen seinen Lauf las-
widrigen Untätigkeit. Erfolgt die Körperverletzung dagegen durch einen „hinter- sen." Diese Differenzierung zwischen „Verdecken" und „Nichtaufdecken" ent-
listigen Überfall" (§ 224 I Nr. 3), so entspricht das Garantenunterlassen zwar der spricht der Unterscheidung zwischen Begehen und Unterlassen.381 Der BGH
aktiven Verwirklichung des einfachen Körperverletzungstatbestandes (§ 223), lehnt also im Hinblick auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht eine Gleich-
nicht aber der Qualifikation. Denn die strafverschärfende Ausgestaltung des An- stellung des Unterlassens mit dem Begehen ab und begründet das damit, daß das
griffs ist erfolgsneutral (Geringfügigkeit oder Schwere der Verletzung sind davon „Unterlassen, Hilfe zu leisten und damit sich selbst der Strafverfolgung zu über-
unabhängig) und hat keine Entsprechung im Unterlassungsverhalten, das auf die antworten ... nicht den Unrechtsgehalt der besonderen Verwerflichkeit erreiche,
Nichtabwendung des Erfolges beschränkt bleibt. der den Begehungsformen des Mordes insgesamt eigen ist" (aaO., 291).
242 In der Literatur 380 wird, soweit Qualifikationsmerkmale überhaupt in den An- Dabei ist die Wortlautargumentation des BGH (die sprachliche Differenzierung 245
wendungsbereich der Entsprechungsklausel einbezogen werden, teilweise noch zwischen Verdecken und Nichtaufdecken) als solche nicht überzeugend, weil das
zwischen Überwachungs- und Beschützergaranten unterschieden. Der Über- Unterlassen immer als „Nichtabwendung" vom „Herbeiführen" der Begehungstat
wachungsgarant soll danach auch für den nur gesteigerten Handlungsunwert des
unterschieden werden kann, ohne daß dies die Gleichstellung hindern würde.
von ihm zu Überwachenden einstehen, während beim Beschützergaranten solche
Doch bestand bei Erlaß des Urteils (1955!) noch keine gesetzliche Regelung der
Qualifikationen dem Unterlassenden nicht zugerechnet werden sollen. Wenn also
unechten Unterlassungsdelikte, auf die der BGH sich hätte berufen können. Heute
der Vater gegen einen hinterlistigen Überfall auf seinen Sohn nicht einschreitet, ist
kann die Entscheidung zwanglos damit begründet werden, daß die Unfallflucht
er nur nach § 223 strafbar. Verhindert er dagegen einen von seinem Sohn ausge-
des Angeklagten zwar ein Einstehenmüssen für den Tod des Unfallopfers begrün-
henden hinterlistigen Überfall auf einen Dritten nicht, soll sein Unterlassen nach
§ 224 I Nr. 3 strafbar sein. Doch gehört das zu den überzogenen Folgerungen, die det, dem Merkmal der Verdeckungsabsicht und damit dem Tatbestand des Mordes
auch sonst aus der Differenzierung von Schutz- und Überwachungsgaranten ge- aber nicht „entspricht".
zogen werden (vgl. § 31, Rn. 158 ff.). Denn letztlich geht es in beiden Fällen dar- Schließlich kann die Entsprechungsklausel auch für erfolgsqualifizierte Delikte 246
um, daß der Unterlassende Schaden von einem durch eine Körperverletzung fruchtbar gemacht werden, wie BGH NJW 1995, 3194 zeigt. 382 In diesem Fall
bedrohten Menschen abwenden muß. Warum die Nichtabwendung eines Körper-
schadens härter geahndet werden soll, wenn dieser einem unbekannten Dritten als 38i So zutreffend Armin Kaufmann, 1959, 290, sowie 1988, 290. Im Ergebnis ebenso Joecks ,
§ 13, Rn. 46.
382 Vg], d aZ u den instruktiven Aufsatz von Ingelßnger, GA 1997, 573, der auch die gesamte
Literatur zu diesem Urteil nachweist (auf deren Wiedergabe im vorliegenden Zusammenhang
™ Armin Kaufmann, 1959, 289, sowie 1988, 289. verzichtet werden muß).
380 Sch/Sch/Stree26, § 13, Rn.4; Gropp, KT2, § 11, Rn.81.
793
792
§ 32 V 10. Abschnitt - Die Unterlassungstat
hatte der Lebensgefährte der Angeklagten deren Kind durch Mißhandlungen so
schwer verletzt, daß es an den Folgen seiner Tat starb. Die Angeklagte hatte es un-
terlassen, für ärztliche Hilfe zu sorgen, durch die der Tod des Kindes noch hätte
abgewendet werden können. Sie war wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen 11. Abschnitt
(§ 222) verurteilt worden, und der BGH hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, Konkurrenzen
ob nicht vielleicht eine erheblich schwerer zu bestrafende Körperverletzung mit
Todesfolge durch Unterlassen (§ 227) anzunehmen war.
§ 33. Konkurrenzen
247 Konstruktiv wäre dies möglich gewesen, weil die Angeklagte durch pflichtwid-
riges Unterlassen der Schmerzlinderung, die eine ärztliche Hilfe bewirkt hätte,
auch eine vorsätzliche Körperverletzung durch Unterlassen begangen und dieses Literatur: Köhler, Die Grenzlinien zwischen Idealkonkurrenz und Gesetzeskonkurrenz:
Eine strafrechtliche Untersuchung, 1900; Höpfner, Einheit und Mehrheit der Verbrechen. Band
Versäumnis eine unterlassungskausale Todesherbeiführung zur Folge hatte. Der 1,1901; Coenders, Über die Idealkonkurrenz usw., 1921; Honig, Studien zur juristischen und na-
BGH hat es jedoch abgelehnt, die Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todes- türlichen Handlungseinheit, 1925; Hirschberg, Zur Lehre von der Gesetzeskonkurrenz, ZStW 53
folge zur Verantwortung zu ziehen. Er hat das damit begründet, daß ein Unter- (1934), 34; Kohlrausch, Der Sammelbegriff der Sammelstraftat, ZAkDR 1938, 473; Preiser, Die
Aufspaltung der Sammelstraftat, insbesondere der fortgesetzten Handlung, ZStW 58 (1939),
lassen der Schmerzlinderung typischerweise nicht zum Tode führe, so daß es an 743; Härtung, Tateinheit und künstliche Verbrechenseinheiten in der neueren Rechtsprechung
einem tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhang zwischen der vorsätz- des RG, SJZ 1950, 326; Gallas, Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund, Mezger-FS,
lichen Körperverletzung durch die Angeklagte und dem Tod des Kindes fehle. Das 1954, 311; Jescheck, Die Konkurrenz, ZStW 67 (1955), 529; Hellmer, Das Zusammentreffen von
natürlicher Handlungs- und rechtlicher Tateinheit bei Verletzung höchstpersönlicher Interes-
ist insofern problematisch, als die unterlassene Herbeiholung eines Arztes die sen, GA 1956, 65; Klug, Zum Begriff der Gesetzeskonkurrenz, ZStW 68 (1956), 399; Dreher,
Gefahr eines tödlichen Ausgangs aufrechterhielt, die sich auch verwirklicht hat. Doppelverwertung von Strafbemessungsumständen, JZ 1957, 155; Baumann, Straflose Nachtat
und Gesetzeskonkurrenz, MDR 1959,10; Preiser, Einheitsstrafe für eine Mehrheit gleichartiger
Gleichwohl ist das Urteil richtig, weil das Unterlassen der Beseitigung einer ohne Handlungen. Einzelstrafen für verschiedenartige Handlungen einer Mehrheit, ZStW 71
eigene Mitwirkung entstandenen Todesgefahr deren aktiver Herbeiführung in (1959), 341; Hruschka, Diebstahl oder Betrug im Selbstbedienungsladen, NJW 1960, 1189;
ihrem Unwertgehalt nicht gleichgestellt werden kann und - wie der BGH richtig Geerds, Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht, 1961; Maurach, Die Problematik der Ver-
brechensverabredung (§ 49 a II StGB), JZ 1961,137; Sacksofsky, Die Problematik der doppelten
sieht — ihr nicht „entspricht". Gesamtstrafe, NJW 1963, 894; R. Schmitt, Die Konkurrenz im geltenden und künftigen Straf-
248 Wir haben hier den wohl einzigen Fall vor uns, in dem der BGH sich ausdrück- recht, ZStW 75 (1963), 43; Bender, Doppelte Gesamtstrafe oder „Einheits"-Gesamtstrafe, NJW
lich auf die Entsprechungsklausel bezieht. Eine Körperverletzung mit Todesfolge 1964, 807; Kohlmann, Schließt die Verjährung der Vortat auch die Bestrafung wegen der Nach-
tat aus?, JZ 1964, 492; Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, 1964; Warda, Grundfragen
durch Unterlassen, heißt es im Urteil, komme „nur in Betracht, wenn erst durch der strafrechtlichen Konkurrenzlehre, JuS 1964, 81; Bruns, Zum Verbot der Doppelverwertung
das Unterbleiben der gebotene Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird. Nur von Tatbestandsmerkmalen oder strafrahmenbildenden Umständen (Strafbemessungsgrün-
dann entspricht das Unterlassen der Verwirklichung der Körperverletzung durch den), H. Mayer-FS, 1965, 353; Krauß, Zum Begriff der straflosen Nachtat, GA 1965,173; Oske,
Das Konkurrenzverhältnis der Dauerdelikte zu den übrigen Straftaten, MDR 1965, 532; Miehe,
positives Tun" (§ 13 Halbs. 2 StGB). Zutreffend ist das auch deshalb, weil sonst Das Verhältnis des Fälschens zum Gebrauchmachen im Tatbestand der Urkundenfälschung,
jeder Beschützergarant, der durch unterlassene oder verzögerte Herbeirufung GA 1967, 270; Wähle, Die sogenannte „Handlungseinheit durch Klammerwirkung", GA 1968,
97; Baumgarten, Die Idealkonkurrenz, Frank-FG, Bd. II, 1969; Cramer, Das Strafensystem des
eines Arztes den Tod seines Schützlings fahrlässig abzuwenden versäumt, auch StGB (Die Bildung der Gesamtstrafe), JurA 1970, 205; Maiwald, Der Zueignungsbegriff im Sy-
ohne Vorhandensein eines Begehungstäters auf Grund vorsätzlich unterlassener stem der Eigentumsdelikte, 1970; Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes,
Schmerzlinderung nach § 227 bestraft werden müßte. Das ginge viel zu weit, weil 1970; Bruns, Ungeklärte materiell-rechtliche Fragen des Contergan-Prozesses, Heinitz-FS,
1972, 317; Struensee, Die Konkurrenz bei Unterlassungsdelikten, 1971; Blei, Die natürliche
er die meisten Fälle fahrlässigen Unterlassens in ein Delikt der Schwerstkriminali- Handlungseinheit, JA 1973, 95; Bruns, Strafzumessungsrecht, 1974; Jescheck, Wesen und rechtli-
tät verwandeln würde. che Bedeutung der Beendigung der Straftat, Welzel-FS, 1974, 683; Wolter, Verurteilung aus nicht
249 Die Entscheidung stimmt auch mit den hier entwickelten Grundsätzen für den tatbestandsmäßiger Nachtat?, GA 1974, 161; Hartmann, Die Entbehrlichkeit des fortgesetzten
Delikts, 1977; Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JB1.1978, 393; Kühl, Das leidige
Anwendungsbereich der Entsprechungsklausel überein. Denn § 227 ist ein quali- Thema der Konkurrenzen, JA 1978, 475; Maiwald, Die Feststellung tatmehrheitlicher Delikts-
fizierter Fall der fahrlässigen Tötung, und der qualifizierende Umstand, die vor- begehung, NJW 1978, 300; Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei
sätzliche Herbeiführung tödlicher Verletzungen, konnte der Angeklagten nicht der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979; Fleischer, Verhältnis
von Dauerdelikt und Einzelstraftaten, NJW 1979,1337; Grünwald, Der Verbrauch der Strafklage
zugerechnet werden. Ihr war unter dem Gesichtspunkt der Tötung nur vorzuwer- bei Verurteilungen nach den §§ 129,129 a StGB, Bockelmann-FS, 1979, 737; Haberstumpf, Kon-
fen, den Tod nicht abgewendet zu haben. kurrenzprobleme bei der Anwendung der Paragraphen 129 und 129 a StGB, NJW 1979, 977;
Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen. Logische Studien zum Verhältnis von Tatbe-
stand und Handlung, 1979; Roxin, Die Strafbarkeit von Vorstufen der Beteiligung (§ 30 StGB),
JA 1979, 169;tögler,Funktionen und Grenzen der Gesetzeseinheit, Bockelmann-FS, 1979, 715;
Werte, Die Beteiligung an kriminellen Vereinigungen und das Problem der Klammerwirkung,

794
795
§ 33 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen I § 33

JR 1979, 93; Schroeder, Behandlung der natürlichen Handlungseinheit in strafrechtlichen I. Einfuhrung 1


Übungsarbeiten, Jura 1980, 240; Gössel, Buchbesprechung. Ingeborg Puppe, Idealkonkurrenz
und Einzelverbrechen, GA 1981, 134; Werk, Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat
und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung, 1981; Geppert, Repetitorium Strafrecht. Grund- Die Lehre von den Konkurrenzen behandelt den Fall, daß mehrere Gesetzesver- 1
züge der Konkurrenzlehre (§§52 bis 55 StGB), Jura 1982, 358 (Teil 1); 418 (Teil 2); Puppe, letzungen desselben Täters in einem Verfahren zur Aburteiltang stehen, „konkur-
Funktion und Konstitution der ungleichartigen Idealkonkurrenz, GA 1982, 143; Bruch, Vor- rieren" (wörtlich: zusammenlaufen). Der deutsche Gesetzgeber unterwirft diese
sätzliche Brandstiftungen, 1983; Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, 1983; Seier,
Die Gesetzeseinheit und ihre Rechtsfolgen, Jura 1983, 225; Kindhäuser, Normverstoß und na- Fälle unterschiedlichen Rechtsfolgen, j e nachdem, ob die mehreren Gesetzesver-
türliche Handlungseinheit BGH, NJW 1984, 1568, JuS 1985, 100; Tenckhqff, Die Unterschla- letzungen auf einer Handlung oder auf mehreren Handlungen beruhen.
gung (§ 246 StGB), JuS 1984, 775; Krauth, Zum Umfang der Rechtskraftwirkung bei Verurtei- Im ersten Fall spricht man von Idealkonkurrenz (Tateinheit); er ist in § 52 g e - 2
lungen von Mitgliedern krimineller und terroristischer Vereinigungen, Kleinknecht-FS 1985,
215; Lippold, Die Konkurrenz bei Dauerdelikten als Prüfstein der Lehre von den Konkurren- regelt. Idealkonkurrenz liegt vor (§ 521), w e n n dieselbe Handlung entweder m e h -
zen. Ein Beitrag zum Problem des Normenkonfliktes, 1985; Seelmann, Grundfälle zu den Ei- rere verschiedene Strafgesetze verletzt (ungleichartige Idealkonkurrenz), oder
gentumsdelikten, JuS 1985, 699; Warda, Funktion und Grenzen der natürlichen Handlungsein-
wenn sie dasselbe Strafgesetz mehrmals verletzt (gleichartige Idealkonkurrenz).
heit, Oehler-FS, 1985, 241; Otto, Examinatorium. Rücktritt und tätige Reue (Rücktritt nach
§ 310) bei der Brandstiftung, Jura 1986, 52; Wolter, Natürliche Handlungseinheit, normative Eine ungleichartige Idealkonkurrenz ist gegeben, w e n n eine einzige Handlung
Sinneinheit und Gesamtgeschehen, StV 1986, 315; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, (z. B. ein Steinwurf durch eine Fensterscheibe) verschiedene Tatbestände (hier:
1987; Backes/Ransiek, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, JuS 1989, 624; Geppert, Die rest-
lichen Brandstiftungsdelikte (§§307 bis 310 a StGB), Jura 1989, 473; Jähnke, Grenzen des Fort- Sachbeschädigung, § 303, und gefährliche Körperverletzung, § 224) verwirklicht.
setzungszusammenhangs, GA 1989, 376; Seier, Die Handlungseinheit von Dauerdelikten im Ein Beispiel gleichartiger Idealkonkurrenz liefert der Fall, daß ein Schuß zwei
Straßenverkehr, NZV 1990,129; Abels, Die „Klarstellungsfunktion" der Idealkonkurrenz, 1991; Menschen verletzt. Hier wird derselbe Tatbestand (§ 224) zweimal erfüllt.
Puppe, Die neue Rechtsprechung zu den Fahrlässigkeitsdelikten - Teil 3, JZ 1991, 609; Fischer,
Entwicklungslinien der fortgesetzten Handlung, NStZ 1992, 415; Bohnert, Warum Gesamtstra- Realkonkurrenz (Tatmehrheit) liegt vor, w e n n verschiedene Handlungen 3
fenbildung?, ZStW 105 (1993), 846; Bringewat, Die Bildung der Gesamtvermögensstrafe - ein mehrere Strafgesetze verletzen. Das können verschiedene Strafgesetze sein (z. B.
kriminalpolitisches Kuckucksei, NStZ 1993, 316; Cording, Der Strafklageverbrauch bei Dauer- der Täter begeht erst einen Diebstahl und dann durch eine weitere Handlung ei-
und Organisationsdelikten, 1993; Mitsch, Konkurrenzen im Strafrecht, JuS 1993, 385; Schmid-
häuser, Über die strafrechtliche Konkurrenzlehre, GA-FS, 1993,191; Aden, Ständige Rechtspre- nen Betrug). Es kann aber auch derselbe Tatbestand sein (z. B. der Täter ermordet
chung und Gewohnheitsrecht, JZ 1994,1109; Arzt, Die fortgesetzte Handlung geht - die Pro- nacheinander zwei Menschen). Die Folgen der Realkonkurrenz sind in § § 5 3 , 54
bleme bleiben, JZ 1994, 1000; Dannecker, Die Rechtsprechungsänderung zur fortgesetzten geregelt.
Handlung und ihre Konsequenzen für Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, WiB 1994, 669; Erb,
Die Reichweite des Strafklageverbrauches bei Dauerdelikten und bei fortgesetzten Taten, GA Die gesetzessprachlichen Begriffe „Tateinheit" und „Tatmehrheit" erklären sich 4
1994, 265; Hamm, Das Ende der fortgesetzten Handlung, NJW 1994,1636; Mitsch, Die Vermö- daraus, daß im ersten Fall die verschiedenen Gesetzesverletzungen durch eine Tat,
gensstrafe, JA 1994, 425; Otto, Mitbestrafte Nachtat, straflose Nachtat und nicht strafbares Ver-
halten, Jura 1994, 276; Zschockelt, Die praktische Handhabung nach dem Beschluß des Großen im zweiten durch eine Mehrheit von Taten hervorgebracht werden. Die in der
Senats für Strafsachen zur fortgesetzten Handlung, NStZ 1994, 361; Altenhain, Die Verwirkli- Fachsprache geläufigeren Ausdrücke „Idealkonkurrenz" und „Realkonkurrenz"
chung mehrerer Tatbestandsalternativen. Einzelverbrechen oder Idealkonkurrenz?, ZStW 107 beruhen auf dem Gedanken, daß nur bei der Realkonkurrenz tatsächlich (= real)
(1995), 382; Bittmann/Dreier, Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität nach dem Ende der fort-
gesetzten Handlung, NStZ 1995,105; Geisler, Der Beschluß des Großen Strafsenats zum Fort- mehrere Taten vorliegen, während die Mehrheit von Gesetzesverstößen bei der
setzungszusammenhang, Jura 1995, 74; Sowada, Probleme der natürlichen Handlungseinheit, Idealkonkurrenz nur ideeller Art ist, d. h. auf einer Mehrheit erfüllter Tatbestände
Jura 1995, 245; Zschockelt, Bemerkungen zu Bittmann/Dreier, NStZ 1995, 109; Geppert, Zur beruht, während realiter nur eine Handlung begangen worden ist.
straf- und strafverfahrensrechtlichen Bewältigung von Serienstraftaten nach Wegfall der
Rechtsfigur der „fortgesetzten Handlung", NStZ 1996, 59 (1. Teil); 118 (2. Teil); Gribbohm, Auf Die praktische Bedeutung der Differenzierung zwischen Ideal- und Realkon- 5
der Suche nach dem richtigen Recht, Odersky-FS, 1996, 387; Schlüchter/Duttge, Spionage zu- kurrenz besteht in den unterschiedlichen Rechtsfolgen. Bei der Idealkonkurrenz
gunsten des Rechtsvorgängerstaates als Herausforderung für die Strafrechtsdogmatik, NStZ k o m m t der Strafrahmen des Gesetzes zur Anwendung, „das die schwerste Strafe
1996, 457; Wollweber, Fortgesetzte Probleme der fortgesetzten Handlung, NJW 1996, 2632;
Zschockelt, Auswirkung der Entscheidung des Großen Senats zum Fortsetzungszusammenhang androht" (§ 52 II 1). Im Ausgangsbeispiel der ungleichartigen Idealkonkurrenz ist
auf die tatrichterliche Rechtsprechung, StraFo 1996, 131; Zieschang, Tendenzen in der Recht- das der Strafrahmen des § 224, der sehr viel strenger ist als der des § 303. Bei einer
sprechung seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zur fortgesetzten Hand-
lung, GA 1997, 457; Zschockelt, Die Auswirkungen der Entscheidung des Großen Senats für gleichartigen Idealkonkurrenz steht natürlich nur der eine Strafrahmen der mehr-
Strafsachen zum Fortsetzungszusammenhang, JA 1997, 411; Klumpe, Probleme der Serienstraf- fach verletzten Vorschrift zur Verfügung. Bei der Realkonkurrenz wird dagegen
tat, Diss. Bochum, 1998; Martin, Tateinheit zwischen Prozeßbetrug und Anstiftung zur fal- für jede der Taten eine Einzelstrafe festgesetzt. Anschließend wird aus den Einzel-
schen uneidlichen Aussage, JuS 1998, 761; Momsen, Die konkurrenzrechtliche „Tat" bei sukzessi-
ver Tatausführung unter Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter, NJW 1999, 982; Kudlich, strafen eine „Gesamtstrafe" gebildet (§ 53 I), die i. d. R . in einer „Erhöhung der
Rechtsprechung Strafrecht - Brandstiftung und Betrug, JA 2000, 361.
1
Einführende Darstellungen für Studenten: Warda, JuS 1964, 81; Geppert, Jura 1982, 358,
418; Mitsch, JuS 1993, 385. Umfassende Monographie: Geerds, 1961 (dazu die Rezensionsab-
handlung von Schmitt, ZStW 75 (1963), 43.

797
796
§33 I 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen II § 33

verwirkten höchsten Strafe" besteht (§ 54 I 2). Der Täter kommt also bei der Ideal- außerordentliche Schwierigkeiten bereitet und daß ihre praktische Bedeutung ge-
konkurrenz besser davon, weil die schwerste Strafdrohung alle anderen absorbiert ring ist, weil die Gerichte dazu neigen, die Höhe der Strafe nach einer Gesamt-
(Absorptionsprinzip), während bei der Realkonkurrenz die verwirkte schwerste würdigung zuzumessen, für die der Strafrahmen beider Konkurrenzformen
Strafe durchweg verschärft wird (Asperationsprinzip von lat. asperare, verschär- i. d. R. einer ausreichenden Spielraum läßt. Auch kann man, bezweifeln, ob ideell
fen). Die teilweise komplizierten Einzelheiten der Rechtsfolgenregelung werden und real konkurrierende Gesetzesverletzungen durchweg einen so signifikanten
unten näher behandelt (Rn. 109 ff., 122ff). Bewertungsunterschied rechtfertigen, wie ihn das Gesetz vorsieht. Warum soll es
6 Der Gesetzgeber erörtert die Konkurrenzen unter dem Titel „Strafbemessung - um nur auf das Ausgangsbeispiel des Steinwurfs (Rn. 2) zurückzukommen -
bei mehreren Gesetzesverletzungen". Es handelt sich also um eine Frage der für das zu verhängende Strafmaß so wichtig sein, ob der Täter erst eine Fenster-
Bestimmung des Strafmaßes, so daß man die Meinung vertreten kann, die Kon- scheibe einschlägt und dann durch eine neue Handlung einen Menschen verletzt,
kurrenzen gehörten in das Strafzumessungsrecht2 und nicht in die allgemeinen oder ob die Sachbeschädigung und die Verletzung durch ein und dieselbe Hand-
Lehren der Strafrechtsdogmatik. Doch haben die Konkurrenzen auch enge Be- lung bewirkt werden?
ziehungen zur allgemeinen Verbrechenslehre. So liegt die zentrale Aufgabe der Der Gesetzgeber hat sich mit dem Problem auseinandergesetzt und für die Bei- 9
Konkurrenzlehre darin zu bestimmen, was eine Handlung ist und was mehrere behaltung des Differenzierungsprinzips vor allem drei Gründe angeführt.7 Erstens
Handlungen sind. Auch ist die Verwirklichung mehrerer Tatbestände eine „be- werde bei der Realkonkurrenz die richterliche Strafzumessung an Sorgfalt und
sondere Erscheinungsform der Deliktsbegehung" eine Art Gegenstück zu den Genauigkeit einbüßen, wenn keine Einzelstrafen mehr festgesetzt würden. Zwei-
§§25 ff. Während die Teilnahmelehre den Fall behandelt, daß mehrere Personen tens müsse der Angeklagte für seine Verteidigung im Rechtsmittelverfahren das
einen Tatbestand verwirklichen, beschäftigt sich die Konkurrenzlehre mit der um- Gewicht der Einzeltat kennen können. Und drittens offenbarten mehrere straf-
gekehrten Konstellation, daß eine Person mehrere Tatbestände erfüllt. Schließlich bare Handlungen i. d. R. eine größere verbrecherische Intensität als eine einzige
geht der BGH 3 davon aus, daß die Handlungseinheit i. S. d. Konkurrenzlehre auch Tat, die mehrere Gesetze verletzt. Sehr überzeugend ist das nicht, weil die Einzel-
für die Einheit der „Tat" in der Rücktrittslehre (vgl. §30, Rn. 139 ff.) maßgebend strafen, wenn sie ohnehin in einer Gesamtstrafe aufgehen, von vornherein nicht
sei: „... Tat im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB, auf die sich der Rücktritt erstreckt, ist mit besonderer Sorgfalt festgesetzt zu werden brauchen und weil ein für die Ein-
die für die Beurteilung der Konkurrenzen maßgebliche Tat im materiellrecht- heitsstrafe vorzusehendes Asperationsprinzip (vgl. Rn. 7) einer nicht generell (vgl.
lichen Sinne." Alle diese Themen betreffen genuin strafrechtsdogmatische Pro- Rn. 8), aber doch bisweilen größeren Strafwürdigkeit real konkurrierenden Han-
bleme, und dieser Umstand rechtfertigt es, die Konkurrenzen, die „eine Nahtstelle delns durchaus Rechnung zu tragen erlaubt. Aber natürlich ist die Entscheidung
zwischen der Lehre von der Straftat und der Lehre von den Unrechtsfolgen" bil- des Gesetzgebers zu respektieren und sollte auch nicht durch die in Rspr. und Li-
den, 4 im Zusammenhang der allgemeinen Verbrechenslehre zu behandeln, wie teratur hier und da anzutreffende Tendenz unterlaufen werden, die Idealkonkur-
dies in allen Lehrdarstellungen üblich ist. renz auf Kosten der Realkonkurrenz auszudehnen (vgl. Rn. 54).
7 Kriminalpolitisch ist die unterschiedliche Behandlung von Ideal- und Real-
konkurrenz umstritten. Das im geltenden Recht aufrechterhaltene „Differenzie- II. Handlungseinheit und Handlungsmehrheit
rungsprinzip" ist heute meist zugunsten des „Einheitsstrafenprinzips" aufgegeben
worden. 5 Das Einheitsstrafenprinzip gilt in Österreich (§28 I StGB), in der 1. Begriff und Erscheinungsformen der Handlungseinheit
Schweiz (Art. 68 StGB) und im deutschen Jugendstrafrecht (§ 3111JGG). Auch die Demnach liegt das wichtigste Problem der Konkurrenzlehre darin zu bestim- 10
Reformentwürfe der Weimarer Zeit und der AE von 1966 haben sich zum Einheits- men, wann eine Handlung vorliegt und wann mehrere gegeben sind. Wie dies im
strafenprinzip bekannt. Meist geschieht dies in der Form, daß die für die schwerste einzelnen zu geschehen hat, ist bis heute nicht befriedigend geklärt. Einigkeit be-
Gesetzesverletzung verhängte Strafe bis zur Hälfte überschritten werden kann. steht jedoch darüber, daß der Handlungsbegriff der Konkurrenzlehre weder mit
8 Für den Übergang zum Einheitsstrafenprinzip spricht, daß die Abgrenzung von dem Handlungsbegriff des Verbrechenssystems (der Tat als einer tatbestandsmäßi-
Handlungseinheit und Handlungsmehrheit, von Ideal- und Realkonkurrenz 6 gen, rechtswidrigen, schuldhaften Handlung) 8 noch mit dem strafprozeßrecht-
lichen Begriff der „Tat"(§ 264 StPO) 9 identisch ist.
2 Vgl. Roxin, AT l3, § 1, Rn. 10.
3 Exemplarisch m.w.N. BGHSt 41, 369.
4
Wessels/Beulke, AT31, Rn. 751 (die Wendung wird von zahlreichen Autoren angeführt); 7
Warda, JuS 1964, 81: „eigentümliche Doppelstellung". Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650,190.
8
5
Zur Geschichte und Rechtsvergleichung Geerds, 1961, 5-145. Dazu Roxin, AT l3, § 8, Rn. 1 ff.
9
6
Zum Unterschied von Handlungseinheit und Idealkonkurrenz vgl. Rn. 13. Dazu Roxin, StrafverfahrensR25, § 20, Rn. 5.

798 799
§33 II 11. Abschnitt - Konkurrenzen
§ 33. Konkurrenzen n § 33
11 Der Handlungsbegriff des Straftatsystems wird allgemein deshalb als für die akte wegen ihrer Ähnlichkeit und zeitlich-räumlichen Nähe auf Grund einer von
Konkurrenzlehre ungeeignet angesehen, weil er nur die Mindestanforderungen an der Rspr. sog. natürlichen Betrachtungsweise zu einer Handlungseinheit zusam-
ein strafbares Verhalten, das allen strafbaren Handlungen Gemeinsame, festlegt. 10 mengefaßt werden. Wenn z. B. ein Dieb am selben O r t verschiedene Gegenstände
Das ist keine falsche Aussage, aber die Ungeeignetheit des straftatsystematischen an sich rafft, wird dies trotz mehrerer Handlungsakte doch>nur als ein Diebstahl
Handlungsbegriffes für die Konkurrenzlehre läßt sich präziser erfassen, wenn man betrachtet.
erkennt, daß der systematische Handlungsbegriff vortatbestandlicher Natur ist Freilich m u ß man sich darüber klar sein, daß die Entgegensetzung von natür- 16
(also tatbestandsmäßige und auch nicht tatbestandsmäßige Verhaltensweisen u m - licher" und „tatbestandlicher" Betrachtungsweise nicht den Kern der Sache trifft,
faßt), während der Handlungsbegriff der Konkurrenzlehre nur tatbestandsmäßiges weil es letztlich immer nur u m die Frage geht, ob eine einheitliche Tatbestands-
Verhalten beschreibt und u.U. zahlreiche straftatsystematische Handlungen in sich handlung vorliegt. 11 „Maßgebend . . . kann nur der Sinn der jeweils verletzten Tat-
schließen kann (vgl. R n . 19 ff, 29 ff.) bestände sein." 12 Der Begriff der natürlichen Handlungseinheit wird hier vor
12 Der strafprozeßrechtliche Begriff der „Tat" andererseits umfaßt nach st. Rspr. allem beibehalten, weil er in der Rspr. fest eingebürgert ist und es nicht auf die
den gesamten durch die Anklage unterbreiteten geschichtlichen Vorgang, soweit Bezeichnung, sondern auf die hinreichend genaue Bestimmung des Bezeichneten
er nach der Lebensauffassung eine Einheit bildet. Eine solche „Tat" kann aus m e h - ankommt.
reren real konkurrierenden „Handlungen" i. S. d. Konkurrenzlehre bestehen (vgl.
R n . 119). 2. D i e H a n d l u n g i m natürlichen Sinne
13 Die Klärung des Begriffes der „Handlungseinheit" wird durch terminologische
Die H a n d l u n g im natürlichen Sinne ist eine strafrechtlich relevante Persönlich- 17
Probleme und weitere Differenzierungen zusätzlich erschwert. Zunächst darf man
keitsäußerung, 1 3 die bei Begehungsdelikten in einem positiven Energieeinsatz,
die Handlungseinheit (d. h. das Vorliegen ein und derselben Handlung) nicht
d. h. meist in einer vom Willen des Handelnden getragenen Körperbewegung, in
m i t der „Tateinheit" (§ 52) verwechseln. Jede Tateinheit setzt zwar eine Handlungs-
Erscheinung tritt: z. B. ein Steinwurf ( R n . 2), ein tödlicher Schuß ( R n . 15) usw.
einheit (d. h. die Verwirklichung des Erfolges durch eine Handlung) voraus. Aber zu
Meist wird allein dieser Prototyp der Handlung im natürlichen Sinne ins Auge
der Handlungseinheit müssen mehrere (ungleichartige oder gleichartige) Geset-
gefaßt, so w e n n BGHSt 1, 21 darauf abstellt, „ob im natürlichen Sinne eine H a n d -
zesverletzungen hinzukommen, damit eine Tateinheit entsteht. Die H a n d l u n g s -
lung, nämlich eine Willensbetätigung, vorliegt" Eine H a n d l u n g im natürlichen
einheit wird deshalb hier (II., R n . 10 ff.) zunächst nur insoweit erörtert, als dabei
Sinne ist aber auch eine Persönlichkeitsäußerung, die sich in reiner Passivität, also
von mehreren Gesetzesverletzungen abgesehen werden kann. Die Probleme der
im Nichteinsatz von Energie, erschöpft, soweit dies den Voraussetzungen tatbe-
Handlungsidentität, die sich nur bei mehreren Gesetzesverletzungen stellen, wer-
standsmäßigen Unterlassens entspricht. 14
den im Zusammenhang mit der Idealkonkurrenz behandelt (III., Rn.70ff.).
Über die Handlung im natürlichen Sinne entscheidet i m m e r nur der Einzelakt, 18
14 Eine weitere Komplizierung tritt dadurch ein, daß es verschiedene Erscheinungs-
nicht die Gleichzeitigkeit. Wenn jemand mit der rechten und der linken Hand
formen der Handlungseinheit gibt, deren Bezeichnung und Abgrenzung im einzel-
zugleich auf denselben oder auch verschiedene Menschen schießt oder mehrere
nen umstritten ist. A m geläufigsten ist eine Dreiteilung, die auch hier verwendet
Sachen w e g n i m m t , liegen also zwei Handlungen im natürlichen Sinne vor. Eine
werden soll. Danach kann man zwischen der Handlung im natürlichen Sinne (unten
andere Frage ist es, ob ihre Zusammenfassung zu einer natürlichen H a n d l u n g s -
2., R n . 17f.), der tatbestandlichen Handlungseinheit (unten 3., R n . 19ff.) und der
einheit möglich ist (dazu näher R n . 38 ff, 50 f.).
natürlichen Handlungseinheit (unten 4., R n . 29 ff.) unterscheiden.
15 Der erste Fall liegt vor, wenn ein einzelner Willensakt die Tatbestandsverwirk-
3. D i e tatbestandliche Handlungseinheit
lichung herbeiführt: z. B. wird durch das Abdrücken des Revolvers, eine H a n d -
lung im natürlichen Sinne, ein Mensch getötet. Eine tatbestandliche H a n d l u n g s - Eine tatbestandliche Handlungseinheit, die man auch rechtliche oder norma- 19
einheit ist demgegenüber anzunehmen, w e n n mehrere Handlungen im natür- tive Handlungseinheit nennt und die in der Rspr. 1 5 bisweilen als „tatbestandli-
lichen Sinne durch den Tatbestand zu einer „rechtlichen" Handlung verklammert che Bewertungseinheit" bezeichnet wird, ist dann gegeben, wenn das tatbe-
werden. So sind Gewalt und Wegnahme zwei Handlungen im natürlichen Sinne,
begründen aber doch nur eine Raubhandlung nach § 249. Der dritte und schwie- Daher wird der Begriff der natürlichen Handlungseinheit in der Literatur oft sehr kri-
titsch beurteilt und teils ganz abgelehnt, teils unterschiedlich gehandhabt; vgl. dazu Rn 29
rigste Fall ist der der natürlichen Handlungseinheit, bei der verschiedene Einzel- mit Fn. 25-27.
•2 Jescheck/Weigend, AT5, § 66 I 3; LK10-Vogler, vor § 52, Rn 14
« Vgl. Roxin, AT l3, § 8.
io Vgl. etwa Jescheck/Weigend, AT5, § 66 I 2; LKw-Vogler, vor §52, Rn.7; Sch/Sch/Stree26, 14
Dazu oben § 31, Rn. 174 ff.
vor§§52ff.,Rn.lO. 's BGHSt 30, 31; 40,165.
800
801
§ 33 II 11. Abschnitt - Konkurrenzen
§ 33. Konkurrenzen II § 33
standsmäßige Verhalten entweder schon begrifflich oder doch faktisch oder t y p i -
Dagegen soll nach einigen Entscheidungen des B G H 1 8 ein Verkehrsunfall stets 24
scherweise mehrere Einzelhandlungen voraussetzt. die Einheit der Fahrt unterbrechen, so daß selbst dann zwei Trunkenheitsfahrten
Der erste Fall liegt vor bei mehraktigen Delikten, bei Dauerdelikten und bei vorliegen, w e n n der Täter ohne anzuhalten weiterfährt. Dies wird damit begrün-
Verhaltensformen, die mehrere und meist zahlreiche Einzelakte erfordern: Der det, daß der Täter auf Grund des Unfalls „sowohl im äußeren Geschehen wie auch
schon erwähnte R a u b (Rn. 15) setzt begrifflich mindestens zwei Handlungen im in seiner geistig-seelischen Verfassung vor eine neue Lage gestellt" sei. 19 Das ver-
natürlichen Sinne (Gewalt oder D r o h u n g und Wegnahme) voraus, ist aber recht- dient aber keinen Beifall. 20 D e n n wenn der Täter, der es eilig hat, den Unfall nur
lich gesehen eine einzige Raubhandlung, so daß ein Konkurrenzproblem von als zusätzliches Motiv zur raschen Weiterfahrt betrachtet, ändert das nichts an der
vornherein nicht entsteht. Entsprechendes gilt für die Vergewaltigung, die als tat- Einheit der Trunkenheitsfahrt. Anders ist es bei wertender Betrachtung n u r dann,
bestandliche Handlung die Verhaltensweisen des § 177 I mit den sexuellen Prakti- w e n n der Täter die Fahrt zunächst abbricht, beim Herannahen der Polizei auf
ken des § 177 II zusammenfaßt, für § 306 b II Nr. 3, w e n n der Täter erst den Brand Grund eines neuen Entschlusses dann aber doch wegfährt oder w e n n er nach dem
legt und hernach das Löschen verhindert oder erschwert usw. Unfall in eine von seinem ursprünglichen Ziel entfernte R i c h t u n g flieht. N u r in
Eine tatbestandliche Handlungseinheit wird von Rspr. und h. M. 1 6 auch dann einem solchen Fall kann man von einer zweiten und anderen Trunkenheitsfahrt
angenommen, wenn ein zweiter Akt, der nach der Tatbestandsfassung nur b e - sprechen. 21
absichtigt sein m u ß , tatsächlich vollzogen wird. Wegnahme und Zueignung bei Einen dritten Fall, in dem mehrfache Einzelakte durch die vom Gesetzgeber ver- 25
§ 242 sind also nur eine Diebstahlshandlung; wer mit der von i h m gefälschten wendeten Begriffe zur tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefaßt wer-
Urkunde im Rechtsverkehr täuscht, hat nur eine Urkundenfälschung (§ 267) b e - den, bilden Delikte, die ein länger dauerndes Verhalten beschreiben. So setzt die
gangen; wer erst Geld fälscht und es dann in Verkehr bringt, wird nur wegen einer tatbestandsbegründende Rädelsführerschaft (§§ 84, 129 IV) die verschiedenen
Geldfälschung bestraft (§ 146 I Nr. 1) usw. Das ist deswegen berechtigt, weil die Einzelhandlungen voraus, die eine solche Stellung begründen. Eine nachrichten-
Absichtsmerkmale nur eine Vorverlegung der formellen Vollendung des Delikts dienstliche Tätigkeit (§§ 98, 99), das Unterhalten von friedensgefährdenden B e -
bezwecken, ihre Realisierung aber materiell zur Deliktsverwirklichung hinzu- ziehungen (§ 100), die Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen
gehört. Vereinigung (§§129, 129 a), die gröbliche Verletzung der Fürsorge- oder Erzie-
Eine Handlung sind m i t begrifflicher Notwendigkeit bei Dauerdelikten die hungspflicht (§ 171), die Förderung der Prostitution (§ 180 a) oder die Zuhälterei
Handlungen, die den rechtswidrigen Zustand begründen und diejenigen, die (§ 181 a) bestehen aus einem ganzen Komplex verhaltenstypischer Tätigkeiten, die
ihn aufrechterhalten. Wer in eine fremde W o h n u n g unbefugt eindringt, bricht i m m e r nur eine Handlung i. S. d. jeweiligen Tatbestandes bilden.
durch sein bloßes Vorhandensein den Hausfrieden immer von neuem und begeht Eine zweite Gruppe tatbestandlicher Handlungseinheit bilden die Sachver- 26
doch nur eine tatbestandliche Handlung (§ 123). Entsprechendes gilt für die Auf- halte, bei denen die Verwirklichung des Tatbestandes zwar auch durch einen
rechterhaltung einer Freiheitsberaubung (§ 239) durch Tun oder pflichtwidriges Einzelakt m ö g l i c h ist, i m konkreten Fall dazu aber faktisch mehrere Hand-
Unterlassen, für die Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170), für Trunkenheits- lungen benötigt werden. Wenn ein Mord erst durch zehn Messerstiche vollendet
fahrten (§ 316), das Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 211 Nr. 1 StVG) usw. werden kann, bilden alle diese Messerstiche eine einzige Handlung i. S. d. §211.
Die tatbestandliche Handlungseinheit wird auch durch kurzfristige Unterbre- „Eine einzige Handlung ist immer die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des
chungen nicht zerstört. Es liegt also nur ein Hausfriedensbruch vor, wenn der gesetzlichen Tatbestandes". 22 Auch die verschiedenen Einzelakte, die in ihrer G e -
Eindringling kurzfristig aus dem Haus heraustritt, u m einen Komplizen heranzu- samtheit einen Schwangerschaftsabbruch herbeiführen, sind nur eine Abtrei-
winken; nicht etwa beginnt beim Wiederbetreten des Hauses ein zweiter Haus- bungshandlung i. S. d. § 218. Ebenso sind die eventuell zahlreichen Vorspiegelun-
friedensbruch. Ebenso ändert es nichts am Vorliegen einer einzigen Trunkenheits- gen, durch die der Irrtum des Betrogenen bewirkt wird, nur Bestandteile einer
fahrt, w e n n der Fahrer kurzfristig aussteigt, u m zu tanken, in einer Wirtschaft ein einheitlichen Täuschungshandlung i. S. d. §263. Die verschiedenen Aufforde-
Glas Bier zu trinken, 1 7 einen Fahrgast zusteigen zu lassen oder die Auflösung eines rungsakte, durch die der Anstifter den potentiellen Täter schließlich zu seinem Ta't-
Staus abzuwarten. entschluß bestimmt, ergeben nur eine Anstiftung.

's BGHSt 20,194,196; 26, 28 (beide zu § 242); 34,108f.; 35, 21, 27 (beide zu § 146); BGH
JR 1988, 453 m. Anm. Jakobs (zu § 146); BGH MDR (H) 1982, 102; BGH JZ 1991, 612 m. 18
Vgl. zu der etwas uneinheitlichen Judikatur die Nachweise bei Sch/Sch/Stree26, vor
Bespr. Puppe; BGH NStZ 1997, 80f. (alle zu § 146); BGHR StGB, § 146 Abs. 1, Konkurrenzen, §§52ff.,Rn.85.
Nr. 4; BayObLG NJW 1983, 406 (zu § 242); Jescheck/Weigend, AT^ §66 I 3; Mitsch, JuS 1993, » BGH VRS 13 (1957), 122; BGHSt 21, 203; 23,144.
389; LK1 -Rissing-van-Saan, vor §52, Rn. 21; SK6-Samson/Günther, vor §52, Rn.46; Sch/Sch/ 20 So auch Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 85.
Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 14; Stratenwerth, AT4, § 17, Rn. 3; LKw-Vogler, vor § 52, Rn. 16.
2i Vgl. zu den einschlägigen Problemen auch Wähle, GA 1968, 97; Seier, NZV 1990,129.
" BayObLG NJW 1960, 879; OLG Stuttgart NJW 1964,1913. 22 Jescheck/Weigend, AT5, § 66 III, 1, ebenso LKm-Vogler, vor § 52, Rn. 15.
802
803
§33 II 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen II § 33

27 Drittens schließlich wird man zur tatbestandlichen Handlungseinheit auch ( R n . 32 ff.) und sukzessiven ( R n . 42 ff.) Tatbestandsverwirklichung durchweg an-
noch die Fälle zählen müssen, bei denen zwar schon ein Einzelakt für die Tatbe- erkennen 2 6 und sie lediglich der tatbestandlichen Handlungseinheit zuordnen
standserfüllung ausreicht, typischerweise und nach der sprachlichen Fassung oder gleichstellen, lohnt es sich nicht, diesen terminologischen Differenzen im
des Gesetzes dafür aber mehrere Handlungen nötig sind. Ein gutes Beispiel da- einzelnen nachzugehen. 2 7 D e n n die Rechtsfolgen aller Erscheinungsformen der
Handlungseinheit sind dieselben. A m zweckmäßigsten ist es, mit dem Begriff der
für ist das „Handeltreiben mit Betäubungsmitteln" (§ 29 I Nr. 1 BtMG). Der B G H
natürlichen Handlungseinheit solche Fälle zu erfassen, bei denen die H a n d l u n g s -
sagt, 2 3 unter diesen Begriff falle „jede eigennützige, auf Güterumsatz gerichtete
einheit sich noch nicht aus dem Wortlaut des Tatbestandes, sondern aus einer
Tätigkeit, wobei Erwerb, Einfuhr u n d Veräußerung . . . rechtlich unselbständige
zusammenfassenden Bewertung von Einzelakten ergibt. Freilich ist auch eine in
Teilakte des Handeltreibens sind . . . Dieser Auffassung entspricht es, eine einheitli-
diesem Sinne verstandene natürliche Handlungseinheit im weiteren Sinne eine
che Tat immer dort anzunehmen, w o ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand
tatbestandliche Handlungseinheit, weil es immer darum geht, ob die verschiede-
der strafrechtlichen Bewertung ist. Die innerhalb dieses Bezugrahmens aufeinan-
nen Einzelakte sich als eine Tatbestandshandlung darstellen.
derfolgenden Teilakte - wie Erwerb, Einfuhr, Veräußerung - sind nicht etwa
mehrfache Verwirklichungen desselben Tatbestandes, deren Verhältnis zueinander Der B G H hat im Anschluß an das R G 2 8 die natürliche Handlungseinheit so 30
erst noch bestimmt werden müßte; vielmehr werden sie schon vom gesetzlichen definiert: 2 9 „Eine natürliche Handlungseinheit ist gegeben, w e n n der Handelnde
Tatbestand selbst in dem pauschalierenden, verschiedene Tätigkeiten zusammen- den auf die Erzielung eines Erfolges in der Außenwelt gerichteten, einheitlichen
fassenden Begriff des Handeltreibens zu einer Bewertungseinheit verbunden." Willen durch eine Mehrheit gleichgearteter Akte betätigt und diese einzelnen B e -
tätigungsakte auf Grund ihres räumlichen und zeitlichen Zusammenhanges o b -
28 Beim Tatbestand der Geldfälschung (§ 146) genügt es zwar, daß der Täter sich
jektiv erkennbar derart zusammengehören, daß sie nach der Auffassung des Lebens
einen einzigen falschen Geldschein verschafft oder ihn in Verkehr bringt. Aber
eine Handlung bilden." Das letzte Kriterium wird auch so formuliert, daß sich das
typischerweise werden es doch mehrere oder sogar zahlreiche Geldscheine sein,
Tätigwerden „auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun
die der Täter nachmacht, sich verschafft oder in Verkehr bringt, wobei dann das
bei natürlicher Betrachtungsweise erkennbar macht" (BGHSt 4, 220).
Gesamtverhalten als eine einzige Tatbestandshandlung i. S. d. § 146 gewertet wird.
Indem das Gesetz das Tatobjekt nicht als „Geldschein" oder „Geldstück", sondern Es sind danach vier Kriterien, die bei der natürlichen Handlungseinheit zu- 31
als „Geld" bezeichnet, wird dies auch im Wortlaut zum Ausdruck gebracht. Ent- s a m m e n k o m m e n müssen: ein einheitlicher Wille (1); eine Mehrheit gleichgear-
sprechendes gilt für die „sexuellen Handlungen" der §§ 174ff. Zwar genügt auch teter Handlungsakte (2); ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang
der Einzelakte (3) und ihre auch objektiv und für einen Dritten erkennbare
hier schon ein Einzelakt zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes, aber der vom
Zusammengehörigkeit (4). O b wirklich alle diese vier Merkmale in jedem Ein-
Gesetz verwendete Plural („Handlungen") zeigt doch, daß alle Einzelakte eines
zelfall vorliegen müssen, ist auch in der Rspr. umstritten (vgl. näher R n . 35, 43,
raumzeitlich einheitlichen Mißbrauchsgeschehens als eine einheitliche Tatbe-
44, 47 f.). Können sie bejaht werden, ist jedenfalls mit Sicherheit eine natürliche
standserfüllung gewertet werden.
Handlungseinheit anzunehmen. Danach ergeben sich als die beiden anzuerken-
nenden Fallgruppen der natürlichen Handlungseinheit die iterative und die suk-
4. D i e natürliche Handlungseinheit 2 4
zessive Tatbestandsverwirklichung. 3 0
29 O b die Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit überhaupt anzuerkennen
sei, ist umstritten. In der Literatur wird ihre Berechtigung und Notwendigkeit a) D i e iterative Tatbestandsverwirklichung
teilweise abgelehnt. 2 5 Da jedoch auch die Gegner der natürlichen Handlungsein- Eine iterative Tatbestandsverwirklichung liegt vor, w e n n jemand durch eine 32
heit die hier für sie in Anspruch genommenen Erscheinungsformen der iterativen Mehrzahl von Einzelakten in ähnlicher Weise und in rascher Aufeinanderfolge
immer denselben Tatbestand erfüllt. Die sprichwörtliche „Tracht Prügel" die der
23
BGHSt 30, 31 mit Nachweisen aus der vorhergehenden Judikatur. Ausfuhrlich dazu
LKn-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 28-30. Zum strukturell ähnlichen Begriff des Waffenhan- 2« Blei, AT18, §93 I 4; Gropp, AT2, §14, Rn.32, 44f.; Jakobs, AT2, 32/10, 16{{.; Joecks3, vor
§ 52, Rn. 10ff.; SK6-Samson/Günther, vor § 52, Rn. 22, 28ff., 39; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52fF.,
dels daselbst Rn. 31.
2 Rn. 17f.; Stratenwerth, AT4, § 17, Rn.7f.; Werle, 1981,105ff.
* Grundlegende Monographie: Maiwald, 1964. Eine sehr gute jüngere Darstellung gibt 27
Eine ausführliche Verteidigung der natürlichen Handlungseinheit liefert Warda, Oehler-
Warda, Oehler-FS, 1985, 241.
FS, 1985, 257 ff., der aber wohl ihre Selbständigkeit im Verhältnis zur tatbestandlichen Hand-
25 Blei, JA 1973, 95, 98f.; ders., AT18, § 93 I 4; Freund, AT, § 11, Rn. 4, 8; Geerds, 1961, 244ff.;
lungseinheit überschätzt.
Gropp, AT2, §14, Rn.32, 44t.; Jakobs, AT2, 32/35, 37; Kindhäuser, JuS 1985, 105; Klumpe, 1998, 28 Vor allem RGSt 44, 223 (226/27); 58,113 (116).
144; Kühl, AT3, §21, Rn.lOff. (v.a. 17); Maurach/Gössel, AT/27, 54/32f.; Puppe, 1979, 255ff.;
29 BGHSt 10, 230 (231); vorher schon BGH GA 1970, 84; BGHSt 4, 219, 220.
dies., GA 1982,163f.; SK6-Samson/Günther, vor § 52, Rn. 22ff., 28ff., 33; R. Schmitt, ZStW 75 30
Ausführlich und mit vielen Hinweisen aus der älteren Literatur und Rspr. Maiwald,
(1963), 58; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 22ff.; Stratenwerth, AT4, § 17, Rn.9ff.; Werk, 1981, 1964, 70ff., 85 ff.
97ff., 104; Wessels/Beulke, AT31, Rn.765; Wolter, StV 1986, 320.
804 805
§ 33 II 11. Abschnitt - Konkurrenzen
§ 33. Konkurrenzen II § 33
Täter dem Opfer verabreicht, besteht aus so vielen Einzelakten, wie der Täter
eine solche Möglichkeit, wenn es sich nicht um höchstpersönliche Rechtsgüter
Schläge ausgeteilt hat. Er wird aber, wenn er dem Opfer zwanzig Schläge versetzt handelt,, also vor allem bei Eigentums- und Vermögensdelikten. Wenn der Täter
hat, nicht wegen zwanzigfacher, sondern nur wegen einer Körperverletzung be- bei einer Flughafenkontrolle die auf dem Laufband herumliegenden Geldbörsen
straft. Es ist leicht zu sehen, daß alle vier genannten Kriterien in einem Fall dieser verschiedener Passagiere mit blitzschnellen Griffen an sich ^bringt, so ist die ge-
Art erfüllt sind. Insbesondere zeigt die redensartliche Zusammenfassung, mit der samte Beute Gegenstand eines Diebstahls. Die Identität eines Diebstahls hängt
von einer „Tracht Prügel" gesprochen wird, daß auch ein objektiver Drittbeurteiler also, wenn die übrigen Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit erfüllt
ein solches Geschehen als Einheit interpretiert. sind, nicht davon ab, wem die gestohlenen Gegenstände gehören. Der Dieb selbst
33 Die innere Rechtfertigung für die Annahme einer natürlichen Handlungsein- wird dies oft nicht wissen, und es ist ihm auch gleichgültig.
heit ergibt sich daraus, daß solche Sachverhalte den Fällen tatbestandlicher Hand-
Dies ist auch der Standpunkt des BGH. Er hat eine natürliche Handlungseinheit 37
lungseinheit, bei denen mehrere Einzelakte schon vom Gesetzeswortlaut erfaßt
in einem Fall angenommen, 34 in dem die Angeklagten „in derselben Nacht, an
werden - Handeltreiben, Geldfälschen, sexuelle Handlungen vornehmen, vgl. demselben Ort und auf dieselbe Weise die Personenkraftwagen von drei verschie-
Rn. 27 f. - in allen relevanten Belangen gleichstehen. Hier wie dort handelt es denen Eigentümern" gleichzeitig oder sofort hintereinander aufgebrochen hatten.
sich um die Intensivierung ein und derselben Gesetzesverletzung, die eine quanti- Es heißt hier ausdrücklich: „Der Annahme einer natürlichen Handlungseinheit
tative Steigerung von Unrecht und Schuld mit sich bringt, aber keine verschiede- steht nicht entgegen, daß sich die Angriffe gegen verschiedene Personen richte-
nen rechtlichen Bewertungseinheiten begründet. ten." In entsprechender Weise kann eine natürliche Handlungseinheit vorliegen,
34 Solche iterativen Begehungsweisen lassen sich bei vielen Tatbeständen denken. wenn der Täter unmittelbar nacheinander drei Leute in derselben Situation durch
Die aus einer Vielzahl von einzelnen Injurien bestehende „Schimpfkanonade" ist denselben Trick betrügt (etwa durch unberechtigtes Kassieren einer Eintrittsge-
doch nur eine Beleidigung (§ 185), die Demolierung eines Gegenstandes durch bühr), wenn er aus Vandalismus die in seiner Reichweite stehenden Gegenstände
verschiedene Schläge nur eine Sachbeschädigung und die Wegnahme mehrerer verschiedener Personen zertrümmert usw.
Sachen des Eigentümers (Rn. 15) nur ein Diebstahl.31 Dagegen sind nacheinander
Wenn es sich um höchstpersönliche Rechtsgüter handelt, wird dagegen die 38
erfolgende Untreuehandlungen (§ 266) eines Unternehmers gegenüber verschie-
Möglichkeit einer natürlichen Handlungseinheit bei Verletzung verschiedener
denen „Anlegern" selbständige Handlungen (BGH wistra 1992,148).
Rechtsgutsträger teils bejaht35, teils verneint 36 . Hier geht es um Fälle wie die, daß
35 Zweifelhaft ist, ob wirklich ein einheitlicher (d. h. während der ganzen Tat fort-
jemand im Rahmen derselben Situation unmittelbar nacheinander in ganz ähnli-
dauernder) Wille vorliegen muß, um eine natürliche Handlungseinheit zu be-
cher Weise verschiedene Personen beleidigt, mißhandelt oder sexuell nötigt, daß
gründen. Gewiß ändern kurze Pausen — etwa ein Verschnaufen des Prüglers —
er mehrere ihn verfolgende Polizisten in kurzer Aufeinanderfolge erschießt usw.
nichts an der Handlungseinheit, weil der Verletzungswille fortdauert. Wie ist es
Hier wird man richtigerweise eine natürliche Handlungseinheit verneinen müs-
aber in dem von Binding32 gebildeten Fall, daß „der Urheber einer Mißhandlung
sen. Den entscheidenden Gesichtspunkt hat im Anschluß an Gallas37 vor allem
diese als abgeschlossen ansieht, sich nun von dem Mißhandelten wegwendet,
Maiwald38 herausgearbeitet: „Es ist zwar die Beeinträchtigung etwa von Ver-
gleich darauf die seinerzeit von diesem erlittene Beschimpfung noch einmal
mögenswerten oder von Eigentum eine steigerungsfähige Größe, höchstpersön-
durchempfindet und nun noch ein paar Jagdhiebe zugibt?" Hier kann man von ei-
liche Rechtsgüter dagegen bilden absolute Einheiten, die einer quantenmäßigen
nem einheitlichen Willen nicht sprechen, doch ist es angemessen, mit Maiwald33
Berechnung nicht zugänglich sind. Für die rechtlich ebenso wie für die sittliche
eine „durch die Situation hervorgerufene einheitliche Motivationslage" genü-
Bewertung ist die Vernichtung zweier Leben oder die Verletzung der Ehre zweier
gen zu lassen. Denn zwar müssen die Einzelakte, um als Bestandteile einer Bewer-
tungseinheit zu erscheinen, in einem psychischen Zusammenhang stehen. Dieser 3" BGH NStZ 1996,493 (494).
Zusammenhang kann aber auch bei mehreren Entschlüssen durch die Gleichheit 35 R G S t 27, 19; B G H S t 1, 20, 22; Blei, AT 18 , § 9 3 II 3; Bockelmann/Volk, AT 4 , § 36 4 II l a ;
5
von Situation, Anlaß und Ziel hergestellt werden. Ein einheitlicher Wille ist also Geerds, 1961, 289f.; Helmer, GA 1956, 68ff.; Jescheck/Weigend, AT , § 6 6 III1; Otto, AT , § 2 3 II
zwar für die psychische Komponente der natürlichen Handlungseinheit die Regel, 2 b aa; LKU-Rissing-van
50
Saan, vor §105 2 , R n . 14; SK 6 -Samson/Günther, v o r § 5 2 , R n . 3 5 , 38;
Tröndle/Fischer , vor § 52, R n . 2 c; LK -Vogler, vor § 52, R n . 32f.
aber nicht unerläßlich. 36 Baumann/Mitsch, AT 10 , § 3 6 III 2; Gropp, AT 2 , §14, R n . 4 4 f . ; Haft, AT 8 , 284; Härtung,
36 Umstritten ist auch, ob eine natürliche Handlungseinheit möglich ist, wenn SJZ 1949, 64, 66; Kühl, AT 3 , § 2 1 , R n . 1 9 ; Lackner/Kühl24, vor § 52, R n . 7 (im Regelfall); Mai-
wald, 1964, 81 f.; den., N J W 1978, 301;26dm., J R 1985, 513f.; Mitsch, JuS 1993, 388; SK 6 -Samsonf
verschiedene Rechtsgutsträger beeinträchtigt werden. Allgemein anerkannt ist Günther, vor § 52, R n . 29; Sch/Sch/Stree , vor § § 52ff„ R n . 24ff.; Schmidhäuser, LB AT ,18/12; 2

den., StuB AT 2 ,14/11; Warda, JuS 1964, 84; den., Oehler-FS, 1985, 241, 247; Wolter, StV 1986, 315,
3i BGHSt 10, 230; BGH NStZ 1996,493. 321.
32
Binding, H a n d b u c h StrafR, 544. 37 Gallas, M e z g e r - F S , 1954, 327.
33 Maiwald, 1964, 76. 38 Maiwald, 1964, 81.
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11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen II § 33
§33 II
Personen nicht einfach die verstärkte Verletzung des Rechtsguts Leben oder Ehre. auch kein einleuchtendes Differenzierungsprinzip mehr erkennen läßt. Es ist plau-
Daher kann auch für die Bestrafung die Verletzung mehrerer höchstpersönlicher sibel anzunehmen, daß die Erschießung z. B. von vier Menschen durch vier
Schüsse vier verschiedene Handlungen voraussetzt. Daß diese selbst bei konti-
Rechtsgüter keine Handlungseinheit bilden."
nuierlicher Aufeinanderfolge vom BGH geteilte Ansicht dann nicht mehr gelten
39 Die Rspr. schwankt, indem sie zwar grds. eine natürliche Handlungseinheit
soll, wenn die aggressiven Akte sich besonders rasch aneinanderschließen, leuchtet
auch bei der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter mehrerer Personen zu-
nicht ein. Denn es ist nicht möglich, auf diese Weise vier Tötungen in eine einzige
läßt, deren Voraussetzungen aber einengt und dadurch der hier vertretenen Auf-
qualitativ gesteigerte Tötung umzuwandeln.
fassung näherkommt. Höchstpersönliche Rechtsgüter sollen „einen additiven Be-
trachtungsweise" nur in Ausnahmefällen zugänglich sein,39 wenn ein besonders b) Die sukzessive Tatbestandsverwirklichung
enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht. Das ist vor allem bei Eine sukzessive Tatbestandsverwirklichung liegt vor, wenn der Täter über ver- 42
körperlichen Angriffen mit Schußwaffen und Messern bejaht worden: beim schiedene Etappen zum Erfolge durchdringt. Wird das Versuchsstadium plan-
mehrfachen Abdrücken eines Schnellfeuergewehrs (BGH GA 1966, 208/209), bei mäßig und ohne Unterbrechung durchlaufen — der Täter zieht den Revolver, legt
Schüssen auf eine Menschenmenge (BGH NJW 1985,1565)40, bei rasch aufeinan- an und schießt —, so wird man von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spre-
derfolgenden Messerstichen gegen zwei Gegner (BGH StV 1990, 544), bei Schüs- chen müssen, denn der Versuch ist nur ein „Ausschnitt aus dem Komplex der
sen auf vier Polizisten zur Vermeidung einer Festnahme (BGHSt 37, 289). Tatbestandsverwirklichung"44, gehört also zu deren Mindestvoraussetzungen. Oft
40 Andererseits wird bei etwas größerer Distanz der Einzelakte eine natürliche vollziehen sich Versuch und Vollendung sogar uno actu — etwa bei einem verlet-
Handlungseinheit abgelehnt. In BGHSt 2, 24641 hatten die Angeklagten nachein- zenden Schlag — und bilden dann nur eine Handlung im natürlichen Sinne.
ander alle vier Bewohner eines Hauses töten wollen und ihnen mit Mordvorsatz Dem stehen andere Fälle gegenüber, in denen der Täter sein Ziel nur über ver- 43
schwere Verletzungen zugefügt. Hier meint der BGH (aaO., 247): „Mehrere schiedene, zeitlich getrennte Einzelakte erreicht. Er sägt z. B. zum Zwecke der
Handlungen ..., deren jede sich gegen eine Person allein richtet, können weder Gefangenenbefreiung (§ 120) sechs Gitterstäbe nacheinander durch; oder er kann
durch ihre Aufeinanderfolge noch durch einen einheitlichen Tatplan und Vorsatz den Tresor, nachdem er in drei aufeinanderfolgenden Nächten daran gearbeitet
zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammengefaßt und damit zu einer Tat hat, in der vierten endlich „knacken". Oder er geht nach dem Versagen des ersten
im Rechtssinne werden. Trotz des Aneinanderreihens und des gleichen Vorsatzes Tötungsmittels (Schlag mit der Flasche auf den Kopf) zu einem anderen Tötungs-
bleiben sie selbständig." In BGH NStZ 1984, 311 hatte der Angeklagte einen Vater mittel (Erwürgen) über (BGHSt 10,129).
und seine Tochter durch verschiedene wechselweise auf sie abgegebene Schüsse ge- Rspr. und h.L. 45 nehmen auch hier eine natürliche Handlungseinheit an und 44
tötet. Auch hier entschied der BGH: „Mehrere Willensbetätigungen, die jeweils gehen dabei prinzipiell von denselben Voraussetzungen aus, die auch für die Hand-
andere höchstpersönliche Rechtsgüter verletzen, können weder durch ihre Auf- lungseinheit bei iterativer Tatbestandsverwirklichung (Rn. 32 ff.) gelten. Aller-
einanderfolge noch durch einen einheitlichen Tatplan ... zu einer natürlichen dings bedürfen diese Kriterien einer der unterschiedlichen Sachverhaltsstruktur
Handlungseinheit und damit zu einer Tat im Rechtssinne werden." In derselben entsprechenden Modifizierung. So braucht die zeitliche Aufeinanderfolge nicht so
Weise judiziert BGHSt 16, 397: „Wer unter den Voraussetzungen des § 211 StGB eng zu sein wie bei der iterativen Tatbestandsverwirklichung, wie das Tresor-
drei Menschen nacheinander angreift, um sie zu töten, begeht drei selbständige knackerbeispiel (Rn.42) zeigt: Die Unveränderlichkeit des quantitativ nicht stei-
Mordversuche. Daß sein vorheriges Auflauern alle Opfer zugleich gefährdete, ist gerbaren Erfolges läßt eine gewisse zeitliche Streckung der Einzelakte wenigstens
in solchen Fällen nicht geeignet, die Annahme gleichartiger Tateinheit zu begrün- dann zu, wenn dies einer vom Standpunkt des Täters aus sinnvollen Vorgehens-
den." Auch im Fall des sog. Autobahnschützen42 (der Täter hatte die Landesregie- weise entspricht (so auch BGH StV 1987, 389).
rung von Schleswig-Holstein durch die Beschießung von Autos erpressen wollen) Ferner kann die Gleichartigkeit der Ausführungshandlung, wie BGHSt 10, 129 45
hat der BGH eine Handlungseinheit abgelehnt.43 (Rn. 42) zeigt, nur im Sinne einer gleichartigen Ausrichtung auf das Ziel hin ver-
41 Die aus der Rspr. angeführten Beispiele zeigen jedoch, daß sich eine Trennung, standen werden, sich aber nicht auf das Tatmittel erstrecken müssen. Im berühm-
wie sie der BGH vornehmen will, praktisch nicht ohne Willkür durchführen und ten Fall Dagobert (BGHSt 41, 368: Kaufhauserpressung durch Sprengstoffexplo-

3" BGH StV 1994, 537, 538; ebenso LK11 -Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 14. 44
Maiwald, 1964, 86.
4
° M. abl. Anm. Maiwald, JR 1985, 513. 45
BGHSt 4, 219; BGH NJW 1990, 2896f.; BGHR vor §1, natürliche Handlungseinheit,
* Dazu Roxin, HRR AT, Fall 98,152, 214 f. Entschluß, einheitlicher, Nr.l; Baumann/Mitsch, AT10, §36 III 2; Lackner/Kühl24, vor §52,
« BGH NJW 1998, 619; dazu Momsen, NJW 1999,982. Rn.6; Maiwald, 1964, 70ff., 85ff.; LKn-Rissing-van Saan, vor §52, Rn.ll; Sowada, Jura 1995,
« Auf derselben Linie auch BGH MDR (H) 1985, 880; BGH StV 1994, 537, 538; BGH 247f.; Warda, Oehler-FS, 1985, 242f.
NStZ 1996,129; BGH NJW 1998, 619 f.; BGH NStZ-RR 1998, 233; BGH NJW 1999,1413.
809
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§33 II 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen n § 33
sionen) sagt der B G H denn auch (aaO., 369): „Eine Tat im Rechtssinne liegt vor, durch. Der B G H n i m m t eine natürliche Handlungseinheit an und erklärt, „die
w e n n die der Tatbestandsvollendung dienenden Teilakte einen einheitlichen ununterbrochene Fortdauer des verbrecherischen Entschlusses" sei „nicht unerläß-
Lebensvorgang bilden, wobei der Wechsel des Angriffsmittels nicht von entschei- lich". Statt dessen stellt er darauf ab, „wie sich die verschiedenen Betätigungen
dender Bedeutung ist." einem dritten Beobachter darbieten". Das ist im Ergebnis richtig, aber in der B e -
46 Dabei ist auch die Einschränkung von BGHSt 10,129 ( R n . 42): „Der zweite Tat- g r ü n d u n g problematisch. D e n n es bleibt erklärungsbedürftig, w a r u m ein „dritter
abschnitt ist jedoch dann als selbständige Handlung zu werten, w e n n es dem Täter Beobachter", der das zwischenzeitliche Erlöschen des Handlungswillens bei den
ursprünglich auf die Verwendung nur eines Mittels ankam", inzwischen längst auf- Tätern bemerkt hat, dennoch eine einheitliche Handlung annehmen soll. Der ent-
gegeben. Die Frage spielt eine wichtige Rolle auch in der Lehre vom Rücktritt scheidende Gesichtspunkt liegt in der Identität der Situation und der Motivations-
beim Versuch, weil die Annahme einer Handlungseinheit der bisher verwirklich- lage, durch die der sonst erforderliche einheitliche Wille ersetzt werden kann
ten Ansätze einen Rücktritt von allen schon vorliegenden Einzelakten zuläßt. Auf ( R n . 35).
die ausführliche Behandlung der Probleme im R a h m e n der Versuchslehre sei hier Einen ähnlich strukturierten Fall hat B G H N S t Z 1990, 490 in derselben Weise 49
verwiesen (oben § 3 0 , R n . 139 ff). An dieser Stelle genüge ein den Z u s a m m e n - entschieden. Der Täter hatte sein Opfer umbringen wollen, es nach der Zufügung
hang besonders deutlich hervorhebendes Zitat aus der Entscheidung im Erpres- schwerer Verletzungen für tot gehalten und war weggegangen. Als er nach einiger
sungsfall Dagobert (aaO., 369): „Die tatbestandliche Einheit . . . endet dort, w o Zeit erfuhr, daß das Opfer noch lebte, kehrte er zurück und vollendete sein Werk.
der Täter nach den Regeln über den Rücktritt nicht mehr strafbefreiend zurück- Der B G H n i m m t mit Recht einen vollendeten M o r d an und stellt dafür auf die
treten kann, d. h. entweder bei der vollständigen Zielerreichung oder beim fehl- „unveränderte Situation - die Tat war noch nicht entdeckt worden —" und den
geschlagenen Versuch." „gleichartigen Handlungswillen" ab. Das dürfte dem hier verwendeten Kriterium
47 Kürzere Unterbrechungen stellen auch bei der sukzessiven Tatbestandsverwirk- der situativen und motivationalen Einheit des Geschehens in etwa entsprechen.
lichung die natürliche Handlungseinheit nicht in Frage, w e n n die Einheit des Auch der zeitliche Zwischenraum von mehr als 30 M i n u t e n hat den B G H nicht an
Lebensvorganges gewahrt bleibt. In der Entscheidung B G H N S t Z 1993, 234 hatte der A n n a h m e natürlicher Handlungseinheit gehindert. Dagegen hat der B G H
ein Täter, u m eine Zeugin zu beseitigen, zweimal auf diese eingestochen, beim (StV 1986, 293) eine natürliche Handlungseinheit in einem Fall abgelehnt, in dem
überraschenden Auftauchen eines Passanten jedoch zunächst diesen niedergesto- der Täter dem Opfer nach einem ersten Tötungsversuch zunächst geholfen, es nach
chen und anschließend seinen Mordversuch gegenüber der Zeugin fortgesetzt. erneuten Beleidigungen dann aber doch getötet hatte. Das verdient Beifall, weil
Mit Recht wurde auf Grund natürlicher Handlungseinheit nur ein Mordversuch zwischen den beiden Teilakten eine neue Motivation durch ein neues Ereignis erst
gegenüber der Zeugin angenommen, in den der Mordversuch am Passanten rich- wieder aufgebaut werden mußte.
tigerweise nicht einbezogen wurde. Bei einem Zwischenraum von mehreren
Monaten zwischen zwei Teilakten wurde dagegen eine Handlungseinheit abge- c) Handlungseinheit bei Verwirklichung verschiedenartiger Tatbestände?
lehnt (BGH N S t Z 1995, 46 f.).46 Ebenso wurde ein einheitlicher Erpressungs- Die Rspr. geht noch weiter, indem sie eine natürliche Handlungseinheit auch 50
versuch in einem Falle verneint, in dem die Täter die Drohungen, mit denen sie dann für möglich hält, w e n n verschiedenartige Tatbestände verwirklicht werden,
Geld erlangen wollten, zwar häufiger wiederholten, die einzelnen Betätigungen sofern diese zeitlich und räumlich ganz nahe beieinanderliegen und von einem
aber jeweils u m Tage auseinanderlagen und auch die ins Auge gefaßten Ü b e r g a b e - einheitlichen Willen umfaßt werden. Wenn jemand ein Auto stiehlt und die Kfz-
orte wechselten. N u m m e r zum Zwecke gefahrlosen Verkaufs gleich anschließend „umfrisiert", sol-
48 Wie bei der iterativen ( R n . 32 ff.) tritt auch bei der sukzessiven Tatbestandsver- len Diebstahl und Urkundenfälschung (§§ 242, 267) eine natürliche H a n d l u n g s -
wirklichung das Problem auf, ob eine Handlungseinheit selbst dann noch ange- einheit bilden und somit in Idealkonkurrenz stehen (BGH M D R (H) 1981, 452).
n o m m e n werden kann, wenn die Durchführung nicht nur unterbrochen, s o n - Dasselbe soll gelten, wenn der Täter in dem Hause, in dem er gestohlen hat, einen
dern der Tatbegehungswille zwischenzeitlich sogar aufgegeben wird. BGHSt Brand legt, der u.a. auch dazu dienen soll, die Spuren des Diebstahls zu ver-
4, 219 47 hat einen solchen Fall entschieden. Der Angeklagte und sein Begleiter w a - wischen (BGH N S t Z 1997, 276). Auch zwischen Diebstahl und anschließendem
ren dabei, eine Verkaufsbude aufzubrechen, als sich ein Streifenwagen der Polizei Vortäuschen einer Straftat (§ 145 d) soll eine natürliche Handlungseinheit b e -
näherte. Sie gaben daraufhin ihren Tatentschluß auf. Als der Streifenwagen jedoch stehen, wenn mit dem Delikt nach § 145 d eine Verdeckung des Diebstahls b e -
vorbeifuhr, ohne sie bemerkt zu haben, führten die beiden die Tat doch noch absichtigt war. 4 8

46
Weitere Beispiele aus der unveröffentlichten BGH-Rspr. bei LK -Rissing-van Saan, vor 48
BGHR StGB vor § 1, natürl. Handlungseinheit, Entschluß, einheitlicher, Nr. 8. Weitere
§52, Rn.ll. Nachweise aus der unveröffentlichten BGH-Rspr. bei LK -Rissing-van Saan, vor § 52,
47
Dazu Roxin, H R R AT, Fall 97,151, 214. Rn. 15.
810
811
§ 33 II 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen II § 33

51 Den Hauptanwendungsbereich dieser „verschiedenartigen Handlungseinheit" den Kopf traktiert und das Opfer durch einen der Schläge ein Auge verliert, liegt
bilden in der Rspr. die sog. Polizeifluchtfälle. Wenn jemand nach Begehung ei- eine Tat nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 vor. Es ist immer die schwerste Tatbestandsvariante
ner Straftat auf der Flucht vor der Polizei verschiedene Delikte begeht (z. B. U n - für die rechtliche Beurteilung ausschlaggebend. Wenn der Täter zunächst eine einfa-
fallflucht, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung, gefährli- che Erpressung (§ 253) versucht und dann durch D r o h u n g mit gegenwärtiger G e -
che Körperverletzung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr), sollen alle fahr für Leib oder Leben zu einer räuberischen Erpressung (§ 255) übergeht, ist er,
diese Delikte durch die sie tragende Zielsetzung, sich dem Zugriff der Polizei zu wenn er nun Erfolg hat, wegen einer vollendeten Tat nach § 255 zu bestrafen. 52
entziehen, zu einer Einheit zusammengeschlossen werden. So heißt es in BGHSt Dagegen wird man die Möglichkeit einer Handlungseinheit bei der Verwirk- 54
22, 67 (76), der Angeklagte habe „sämtliche . . . Handlungen im Verlaufe eines ein- lichung verschiedener Deliktstypen von vornherein und grundsätzlich ablehnen
zigen ununterbrochenen Fluchtwegs begangen. Sein gesamtes Verhalten war von müssen. 5 3 Gegen sie sprechen mindestens fünf triftige G r ü n d e : Erstens schafft sie,
einem einheitlichen Handlungswillen getragen; er war von dem Gedanken b e - wie schon die widersprechenden Urteile zeigen, eine große Rechtsunsicherheit
herrscht, seinen Verfolgern unerkannt zu entkommen . . . Angesichts dieser beson- und verfehlt, indem sie dem Richter bei der Zusammenfassung verschiedenartiger
deren Sachlage liegt hinsichtlich aller während der Flucht begangenen Straftaten Tatbestandsverwirklichungen zu einer Handlungseinheit einen ermessensartigen
ein in sich geschlossenes, zusammengehöriges Verhalten, eine natürliche H a n d - Spielraum gewährt, die vom Gesetzgeber erstrebte „Sorgfalt und Genauigkeit" bei
lungseinheit vor." 49 Auch auf den Fall der Flucht vor einer Privatperson hat der der Feststellung mehrerer tatbestandserfüllender Einzelakte. 5 4 Warda55 meint mit
B G H diese Grundsätze angewandt (BGH N J W 1989, 2550). Recht, es werde durch eine „Loslösung von den in den gesetzlichen Tatbeständen
52 Andererseits lassen manche Urteile aber auch eine deutliche Skepsis gegen- zum Ausdruck k o m m e n d e n rechtlichen Bewertungseinheiten der Weg geöffnet
über einer solchen „verschiedenartigen Handlungseinheit" erkennen. In einem zu einer amorphen, uferlosen natürlichen Handlungseinheit gewissermaßen quer
Fall, in dem der Täter sich von vornherein v o r g e n o m m e n hatte, während einer durch das ganze Strafgesetzbuch".
Fahrt mehrere Verkehrsunfälle herbeizuführen, w u r d e eine Handlungseinheit Zweitens wird das Differenzierungsprinzip, für das sich der Gesetzgeber ent- 55
verneint (BGH N J W 1995,1767). Teilweise ist eine Gleichartigkeit der Einzelakte schieden hat (vgl. R n . 7-9), im R a h m e n übergreifender Zielsetzungen bei nahe
verlangt worden (BGH V R S 36 (1969), 154, 355 f.). Bisweilen schiebt der B G H aneinandergerückter Einzelakten praktisch durch das Einheitsstrafenprinzip er-
- was zur Vergrößerung der Rechtsunsicherheit beiträgt - die Entscheidung setzt, so daß real konkurrierende Delikte der Idealkonkurrenz zugeschlagen wer-
auch auf den Tatrichter ab (BGH N S t Z - R R 1998, 69): „Hier w u r d e aus einem den. Auch das ist durch die Intentionen des Gesetzgebers nicht gedeckt.
separaten, gesondert verschlossenen Teil eines Gebäudes gestohlen, die Beute Drittens kann nicht ein das Gesamtgeschehen umfassender Wille, sondern nur 56
außerhalb verstaut und sodann das Gebäude erneut betreten, w o dann nicht in ein und dieselbe Handlung die Verwirklichung unterschiedlicher Tatbestände zu
dem separierten R a u m , sondern an anderer Stelle Feuer gelegt wurde. Die B e - einer Handlungseinheit verbinden. Daran aber fehlt es, wenn die Ausführungs-
wertung, daß dieses Geschehen sich nicht als natürliche Handlungseinheit dar- akte verschiedenartiger Tatbestandsverwirklichungen nicht einmal partiell zusam-
stelle, ist unter diesen Umständen vertretbar . . . Sie ist — unbeschadet der Frage, mentreffen.
ob auch eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre — daher vom Rev.Ger. Viertens und vor allem aber zerstört die A n n a h m e einer natürlichen H a n d - 57
hinzunehmen." Zwischen einer zu Betrugszwecken v o r g e n o m m e n e n Brandstif- lungseinheit bei der Verwirklichung verschiedenartiger Tatbestände durch m e h -
tung und dem späteren Betrugsversuch wurde trotz der einheitlichen Zielset- rere Einzelakte das gesetzliche Fundament, auf dem die natürliche H a n d l u n g s -
zung Tatmehrheit a n g e n o m m e n (BGH N J W 2000, 226 f.). 50 einheit bei der iterativen und der sukzessiven Tatbestandsverwirklichung ruht: daß
53 Richtigerweise wird man eine natürliche Handlungseinheit zwischen ver- nämlich die Einzelakte bei sinnvoller Auslegung i m m e r nur eine Tatbestands-
schiedenen Tatbeständen nur anerkennen können, soweit die Einzelhandlungen
demselben Deliktstypus unterfallen, also im Verhältnis von Grundtatbestand, 52 Die Beispiele bei Warda, Oehler-FS, 1985, 246.
53
Qualifikation oder Privilegierung zueinander stehen. 51 D e n n in diesem R a h m e n Auch in der Literatur wird die zu weite Ausdehnung der natürlichen Handlungseinheit
durch die Rspr. durchweg kritisiert und abgelehnt: Blei, JA 1973, 95f.; Bruns, Heinitz-FS, 1972,
geht es immer noch u m die Quantifizierung (d. h. die Steigerung oder Verminde- 319; Freund, AT, §11, Rn.4, 8; Gropp, AT , §14, Rn.44f.; Jescheck/Weigend, AT5, §66 III 3;
rung) desselben Unrechts. Wenn also der Täter das Opfer mit Faustschlägen gegen Kindhäuser, JuS 1985, 100f.; Kühl, JA 1978, 478; Lackner/Kühl24, vor §52, Rn.6, 8; Maiwald,
1964, lOlff.; ders., NJW 1978, 300ff., 302f.; Maurach/Gössel, AT/27, 54/32ff., 38ff.; SK6-5am-
son/Günther, §52, Rn.28ff., 33; Sch/Sch/Stree26, vor §§52ff., Rn.22ff.; Schroeder, Jura 1980,
« Unter Hinweis auf BGH VRS 28 (1965), 359, 361. Ferner BGH VRS 57 (1979), 277; 240f.; Stratenwerth, AT4, §17, Rn.9ff.; LK10-Vogler, vor §52, Rn. 12; Warda, Oehler-FS, 1985,
248ff.; Werk, 1981, 97ff., 108; Wessels/Beulke, AT31, §Rn.764ff; Wolter, StV 1986, 319f.; krit.
BGH MDR (H) 1979, 987; BGH, bei Hürzthal, DRiZ 1979, 149; 1980, 143 f.; BGH VRS 66 zuchjoecks , vor § 52, Rn. 7 ff.
(1984), 20. 54
Vgl. die Begründung des E 1962,190 sowie oben Rn. 9.
so Dazu Kudlich, JA 2000, 361; Martin, JuS 2000, 503 f. ss Warda, Oehler-FS, 1985, 252.
5i Näher dazu Warda, Oehler-FS, 1985, 245 ff.
813
812
§ 33 II 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen II § 33
Verwirklichung ergeben und daß die natürliche Handlungseinheit demzufolge nur nacheinander auf verschiedene Personen schießt, bleiben dies doch zwei H a n d -
eine tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinne darstellt. Mit Recht sagt lungen, die auch bei „natürlicher" Betrachtung nicht als eine Tötungshandlung er-
Maiwald56: „Eine solche Erweiterung des Gedankens der Handlungseinheit be- scheinen.
deutet . . . ein Loslösen von den rechtlichen Bewertungseinheiten, wie sie die Tat-
bestände darstellen", und Rissig-van Saan bezeichnet diese Konstruktion als „sy- 5. Handlungseinheit und Handlungsmehrheit b e i m Unterlassen 6 4
stemfremd und dogmatisch widersprüchlich".
Bei Unterlassungsdelikten tritt das Problem auf, daß es keine Einzelakte gibt, 61
58 Fünftens liegt ein weiterer Widerspruch, auf den besonders Warda57 hingewiesen
an die eine Handlungseinheit anknüpfen könnte. Daß jemand verschiedenen
hat, darin, daß die Konstruktion der natürlichen Handlungseinheit, die bei der
Handlungsgeboten zuwider untätig bleibt, begründet deshalb noch keine Unter-
iterativen und sukzessiven Tatbestandsverwirklichung gerade der Vermeidung ei-
lassungseinheit. Die Rspr. stellt beim Hauptfall der unechten Unterlassungen dar-
ner A n n a h m e mehrerer Gesetzesverletzungen dient, hier eine sonst nicht b e g r ü n d -
auf ab, ob verschiedene Erfolgsabwendungspflichten nur durch eine Handlung
bare Idealkonkurrenz gerade erst schafft, also die genau entgegengesetzte Tendenz
hätten erfüllt werden können (dann Handlungseinheit) oder durch mehrere
verfolgt. Auch in dieser Hinsicht ergibt sich also eine „Zerstörung der Einheitlich-
(dann Handlungsmehrheit). D e m folgt die h. M . 6 5 Wenn ein Schrankenwärter es
keit des Instituts", die dessen ursprüngliche Funktionsbestimmung vereitelt. 5 8
unterläßt, beim Herannahen eines Zuges die Schranken zu schließen, so daß m e h -
59 Nach alledem sollte die Konstruktion einer natürlichen Handlungseinheit rere Personen auf den Gleisen getötet werden, liegt also nur eine Handlung (in
bei der Verwirklichung unterschiedlicher Deliktstypen gänzlich aufgegeben Form der Unterlassung) vor. 6 6 D e n n nur durch eine Handlung (das Schließen der
werden. Im Gegensatz dazu will eine neuere M e i n u n g in der Literatur 5 9 eine na- Schranke) hätten alle Erfolge abgewendet werden können. Unterläßt es dagegen
türliche Handlungseinheit auch bei der Verwirklichung verschiedenartiger Tatbe- ein Vater bei einem Brand des Hauses, seine beiden Kinder zu retten, 6 7 so ist eine
stände und bei der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter mehrerer Personen Mehrheit von Unterlassungen anzunehmen, w e n n die R e t t u n g zwei aufeinander-
zulassen, w e n n diese nur zeitlich und räumlich ganz nahe beieinanderliegen. „Die folgende Handlungen erfordert hätte. Ebenso liegt eine Mehrheit von Unterlas-
natürliche Handlungseinheit umfaßt mehrere Betätigungsakte, die infolge ihres sungen vor, wenn jemand Steuerhinterziehungen dadurch begeht, daß er weder
zeitlich-situativ- voluntativen Zusammenhangs so eng verbunden sind, daß eine eine E i n k o m m e n s - noch eine Umsatzsteuererklärung abgibt. 6 8 D e n n die Abgabe
Bestrafung nach Realkonkurrenzregeln als sachlich nicht gerechtfertigte U n - der Erklärungen hätte mehrere Handlungen erfordert.
gleichbehandlung in Relation zur natürlichen H a n d l u n g erschiene." 60 Es wird also
Im Falle einer Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170) hat BGHSt 18, 376 6 9 ent- 62
nicht, wie hier befürwortet, die natürliche Handlungseinheit als eine erweiterte
schieden (Leitsatz): „Wer sich seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber
Form der tatbestandlichen Handlungseinheit verstanden. Vielmehr wird auf die
mehreren nicht zusammenlebenden unehelichen Kindern dadurch entzieht, daß
„Nähe u n d Ähnlichkeit zur natürlichen Handlung" abgestellt. „Die natürliche
er die für die gleiche Zeit geschuldeten Unterhaltsrenten an die gesetzlichen Ver-
Handlungseinheit soll die natürliche Handlung ergänzen." 61
treter der Kinder nicht entrichtet, begeht mehrere selbständige Handlungen." Das
60 Diese Lehre vermeidet zwar die Unbestimmtheit u n d „nicht nachvollziehbar ist eindeutig, weil drei verschiedene Überweisungen erforderlich gewesen wären.
schwankende Gewichtung der maßgeblichen Kriterien" durch die Rspr. 6 2 und Wie aber, w e n n das Geld für alle drei Kinder an eine einzige Person zu überweisen
lehnt z.B. auch in den „Polizeifluchtfällen" (Rn.51) eine Handlungseinheit ab, gewesen wäre, so daß die Ausfüllung eines Überweisungsträgers genügt hätte? Die
weil die Einheit des Ortes und ein einheitlicher Willensentschluß fehlen. 63 Sie ist Formulierungen des B G H erwecken den Anschein, als sollte in einem solchen Fall
gleichwohl nicht akzeptabel, weil sie zahlreiche Fälle der Realkonkurrenz ent- (also etwa bei zusammenlebenden Kindern mit nur einem gesetzlichen Vertreter)
gegen den gesetzgeberischen Intentionen der Idealkonkurrenz zuschlägt und weil eine Handlungseinheit angenommen werden. 7 0 D e m wäre aber nicht zuzustim-
die Ähnlichkeit mit der „natürlichen Handlung" auf die sie sich beruft, in Wahr- men. D e n n wenn z. B. jedes der Kinder auch nur ein eigenes Konto hat, wären
heit nicht besteht. Selbst w e n n jemand gleichzeitig mit beiden H ä n d e n oder kurz
64
56
Monographie: Struensee, 1971. i
Maiwald, 1964,102. 65 BGHSt 18, 376, 379; BayObLG NJW 1960, 1730; Jakobs, AT2, 32/30f.; Jescheck/Weigend,
57 Warda, Oehler-FS, 1985, 248 ff. AT°, §66 IV 2; Maiwald, 1964, 107; Maurach/Gössel, AT/2 , 54/42; Wessels/Beulke, AT31,
7

58 Warda, Oehler-FS, 1985, 249, 251. Rn. 762.


59
Puppe, 1979, 265 ff., 285 ff.; dies., JR 1985, 245 ff.; SK6Samson/Günther, vor §52, 66
Beispiel bei LKn-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn.60.
Rn.35ff. « Vgl. den Fall BGH MDR (D) 1971, 361 und dazu Struensee, 1971, 48ff., 56.
60
SK6 -Samson/Günther, vor § 52, Rn. 35. Hier auch das folgende Zitat. «* BGH JR 1985, 244 m. Anm. Puppe.
61
SK6'Samson/'Günther, vor § 52, Rn. 34. 69
Vgl. dazu Roxin, H R R AT, Fall 99,153, 215. Die Entscheidung schließt sich an die RG-
62
SK6 Samson/'Günther, vor § 52, Rn. 33. Rspr. (RGSt 76,140,143) an.
63
SK6'Samson/'Günther, vor § 52, Rn. 39. 70
So verstehen auch SK6'Samson/'Günther, vor § 52, Rn. 40, den BGH.
814 815
§ 33 II 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33
schon wieder drei Überweisungen nötig gewesen. U n d selbst w e n n sich die Z a h -
lung für alle drei Kinder durch eine Überweisung hätte bewirken lassen, bleibt es 6. D i e Handlungseinheit bei fahrlässigen Delikten
doch dabei, daß der Vater nur für ein Kind oder für zwei Kinder seiner Unter- Auch bei fahrlässigen Delikten müssen die Grundsätze der Handlungseinheit 67
haltspflicht hätte nachkommen können, so daß die Unterlassungen also „trennbar" modifiziert werden, weil ein einheitlicher Wille oder auch nur dieselbe Motiva-
sind und deshalb als mehrere anerkannt werden sollten. tionslage nicht auf eine bestimmte Deliktsbegehung bezogen werden können.
63 Eine Unterlassungseinheit sollte also nur dann bejaht werden, wenn die ver- Grundsätzlich ist danach zu unterscheiden, ob ein Erfolg eingetreten ist oder ob
schiedenen Erfolgsabwendungspflichten überhaupt nur durch eine Handlung hät- deren mehrere vorliegen. Ist nur ein Erfolg gegeben, so liegt i m m e r eine
ten abgewendet werden können, wie im Schrankenwärterbeispiel ( R n . 61). Ent- Handlungseinheit vor, auch wenn er auf mehreren Sorgfaltsverstößen beruht
sprechendes gilt i. d. R . für den unterlassenen R ü c k r u f einer gesundheitsgefähr- und diese sich auf einen längeren Zeitraum erstrecken. 76
lichen Ware im R a h m e n der strafrechtlichen Produktverantwortung (BGHSt 37, Sind mehrere Erfolge eingetreten, so k o m m t es darauf an, ob diese auf einer 68
134). D e n n meist kann ein Produkt nur in allen seinen Exemplaren zurückgerufen Sorgfaltswidrigkeit oder auf mehreren beruhen. Mehrere Sorgfaltswidrigkeiten
werden. liegen vor, wenn zwischen den einzelnen Verstößen die Möglichkeit einer R ü c k -
64 Den genau entgegengesetzten Standpunkt vertreten auch bei der Unterlassungs- kehr zu sorgfaltsgemäßem Verhalten bestand. Wenn z. B. jemand durch andauernd
einheit wieder Samson/'Günther71 und Puppe72: „Eine natürliche Unterlassungsein- zu schnelles Fahren nacheinander verschiedene Unfälle verursacht, stehen die bei
heit liegt . . . vor, w e n n der Täter mehrere Pflichten nicht erfüllt, die er zeitgleich jedem Unfall verwirklichten Tatbestände zu denen der anderen Unfälle im Ver-
oder nahezu zeitgleich hätte erfüllen müssen." Aber das führt zu wenig überzeu- hältnis der Tatmehrheit. 7 7 D e n n der Fahrer hätte nach j e d e m Unfall sein Tempo
genden Zufallsergebnissen. Wären z. B. drei verschiedene Unterhaltszahlungen am mäßigen und dadurch weitere Unfälle vermeiden können. Wenn ein Fahrer da-
selben Tage fällig, müßte Unterlassungseinheit a n g e n o m m e n werden. Bei einer gegen infolge mangelnder Aufmerksamkeit die Herrschaft über seinen Wagen ver-
Fälligkeit an verschiedenen Tagen aber läge eine Unterlassungsmehrheit vor, weil liert und dieser daraufhin mehrere Passanten überfährt, ohne daß der Fahrer z w i -
dann die Pflichten nicht mehr „nahezu zeitgleich" hätten erfüllt werden müssen. schenzeitlich die Gewalt über das Fahrzeug hätte wiedererlangen können, liegt
65 Bei echten Unterlassungsdelikten sind sinngemäß dieselben Regeln w i e bei eine Handlungseinheit vor. 78
unechten anzuwenden. 7 3 Unterläßt also jemand eine Hilfe (§ 323 c), die er ver- Bei fahrlässigen Tätigkeitsdelikten ist in derselben Weise zu verfahren. Wenn 69
schiedenen Personen nacheinander hätte leisten müssen, so liegen mehrere Unter- also jemand mehrfach nacheinander fahrlässig gegen Preisvorschriften verstößt, ist
lassungen vor. Hätten dagegen alle Gefährdeten nur durch eine Handlung gerettet eine Mehrheit von Handlungen anzunehmen, weil der Händler sein Verhalten
werden können (z. B. die Bewohner eines Hauses durch das Löschen des Brandes), nach jedem Verstoß bei hinreichender Sorgfalt noch hätte korrigieren können
so ist eine Unterlassungseinheit zu bejahen. Einen klassischen Fall der Unter- (RGSt 53, 226, 227). 79
lassungsmehrheit liefert RGSt 76, 144: Der Angeklagte hatte „mehreren, auf ver-
schiedenen Rechtsvorschriften beruhenden, nach ihrem Zweck ganz verschie-
III. D i e Tateinheit (Idealkonkurrenz)
denen Geboten zuwidergehandelt, die auch verschiedenen Behörden gegenüber
zu erfüllen waren und zu ihrer Erfüllung verschiedener Betätigungen bedurft 1. D i e Grundstruktur der Idealkonkurrenz
hätten".
Die Idealkonkurrenz tritt nach § 52 , wie schon erläutert ( R n . 2), in den For- 70
66 Maiwald 7 4 bestreitet bei echten Unterlassungsdelikten die Möglichkeit einer men der ungleichartigen und der gleichartigen Tateinheit auf. Die Rspr. und die
Unterlassungseinheit, weil es bei ihnen u m Handlungspflichten ohne Erfolgszu- absolut h. L. verstehen das so, daß eine Handlung i m dargelegten Sinne (Rn. 10 ff.)
rechnung gehe. Aber das leuchtet nicht ein. 75 D e n n erstens m u ß die N o t w e n d i g - verschiedene Tatbestandsverwirklichungen zur Folge gehabt haben muß. Im
keit verschiedener Handlungen genügen, und zweitens können durchaus verschie- einfachsten Fall sind die Ausführungshandlungen in vollem Umfange identisch;
dene positive Erfolge (etwa die Hilfe für mehrere Menschen) durch Unterlassen so liegt es in dem schon verwendeten Beispiel des Steinwurfs ( R n . 2), der sowohl
ein und derselben Handlung unterbleiben. eine Sachbeschädigung als auch eine Körperverletzung zur Folge hat. Es genügt
71 SK6 -Samson/Günther, vor § 52, Rn. 40 (hier auch das Zitat). 76 B G H V R S 9 (1955), 3 5 0 , 3 5 3 ; Jescheck/Weigend, A T 5 , § 6 6 I V 1; Maiwald, 1964, 111; L K n -
72 Puppe, 1979, 282ff., dies., JR 1985, 247. Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 62.
7
3 So auch die h.M. RGSt 76, 140, 144; OLG Hamm NJW 1973, 1851, 1854; Bringewat, 77 RGSt 16, 290; BayObLG VRS 35 (1968), 421; OLG Hamm VRS 52 (1977), 131 f.; Bockel-
1987, Rn.61f.; Geerds, 1961, 262f.; Höpfner, 1901, 164ff.-Jescheck/Weigend, AT5, §66 IV 2; Seh/ mann/Volk, AT4, §34 II ld; Höpfner, 1901, 250; LK10-Jähnke, §222, Rn. 24; Jescheck/Weigend,
Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 28; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 762. AT3, § 66 IV 1; Maiwald, 1964,111; Sch/Sch/Eser26, § 222, Rn. 6.
7+ Maiwald, 1964, WS f. 78 Vgl. BayObLG NJW 1984, 68.
75
Überzeugend dagegen Struensee, 1971, 54 ff. 79 Ebensojescheck/Weigend, AT5, § 66 IV 1; LKn-Rissing-uan Saan, vor § 52, Rn. 62.
816 817
§33 III 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33

aber auch, daß die Ausfuhrungshandlungen der verschiedenen Tatbestandsver- zung, R a u b , Totschlag und Mord sind nach dieser Lehre unrechtsverwandt, weil
wirklichungen sich nur überschneiden (näher R n . 81 ff.): Wird ein Betrug (§263) in allen diesen Tatbeständen die Gewalt gegen eine Person eine Rolle spielt. 86
dadurch begangen, daß der Täter mit Hilfe einer von ihm gefälschten U r k u n d e Ebenso sollen Körperverletzung und Freiheitsberaubung unrechtsverwandt sein,
(§267) täuscht, so treffen Betrug und Urkundenfälschung nur in dem einen weil die schwere Gesundheitsbeschädigung ein qualifizierter Fall der Freiheitsbe-
Handlungsakt zusammen, der beim Betrug das Tatbestandsmerkmal des Täu- raubung ist (§ 239 III Nr. 2). „Denn hat das Gesetz einen Spezialfall eines Tatbe-
schens und bei der Urkundenfälschung das des Gebrauchmachens erfüllt. Alle an- standes ausdrücklich zum Unrechtserhöhungsgrund für einen anderen erklärt, so
deren Tatbestandsmerkmale werden nicht u n o actu erfüllt. Trotzdem liegt Ideal- m u ß der Unrechtszusammenhang auch für den allgemeinen Fall bestehen." Auch
konkurrenz vor. der Diebstahl wird als mit Betrug und Erpressung unrechtsverwandt angesehen,
71 Ein alter Streit dreht sich u m die Frage, ob in den Fällen der Idealkonkurrenz weil es sich in allen drei Fällen u m Vermögensdelikte handelt. 8 7
trotz der verschiedenen Gesetzesverletzungen eine Straftat vorliegt (Einheitstheo- In allen diesen Fällen ist also Idealkonkurrenz auch dann anzunehmen, wenn 73
rie 8 0 ) oder ob deren mehrere anzunehmen sind (Mehrheitstheorie 8 1 ). Der Streit ist die Ausführungshandlungen sich nicht überschneiden, w e n n also der Eingesperrte
ohne praktische Bedeutung und daher unergiebig. Seine Entscheidung hängt durch eine selbständige Handlung auch noch verprügelt oder der Betrogene
letztlich davon ab, ob man unter „Straftat" die „Handlung" des § 52 I mit allen zusätzlich bestohlen wird. Andererseits liegt trotz Identität der Ausführungshand-
ihren Folgen (dann eine Straftat) oder die verschiedenen Tatbestandsverwirk- lung Realkonkurrenz vor, wenn die verwirklichten Tatbestände nichts miteinan-
lichungen (dann mehrere Straftaten) versteht. Beide Sichtweisen sind möglich, der zu tun haben. In dem mehrfach erwähnten Fall, daß ein Steinwurf eine Fen-
aber einseitig. Daher wird man richtigerweise sagen müssen, daß eine „auf H a n d - sterscheibe zertrümmert und einen Menschen verletzt ( R n . 2, 70), m u ß Puppe also
lungseinheit aufbauende Bewertungsmehrheit" 8 2 vorliegt. 8 3 Realkonkurrenz annehmen, weil Sachbeschädigung und Körperverletzung nichts
72 Eine völlig neuartige Konzeption hat demgegenüber Puppe84 entwickelt. Für miteinander zu tun haben. 8 8 „Wenn ein Autofahrer unbefugt mit einem fremden
sie bildet nicht die Identität oder Teilidentität der Ausführungshandlung, sondern Wagen und ohne Führerschein Rauschgift über die Grenze bringt, so ist die Tat-
die „Unrechtsverwandtschaft" verwirklichter Tatbestände das Kriterium der sache, daß es sich u m ein und dasselbe Autofahren handelt, kein Grund, die G e -
Idealkonkurrenz. Im schon genannten Beispiel der betrügerischen Täuschung brauchsanmaßung, das Fahren ohne Führerschein und das Rauschgiftdelikt zu
durch Gebrauch einer unechten U r k u n d e ( R n . 70) n i m m t auch Puppe Idealkon- einer Einheit zusammenzufassen." 89
kurrenz an. Dies geschieht aber nicht, weil die Vorspiegelung nach § 263 und das Die Lehre Puppes hat den großen Vorzug, daß sie der Unterscheidung von Ideal- 74
Gebrauchmachen nach § 267 durch dieselbe Handlung erfolgen, sondern weil das und Realkonkurrenz, deren Notwendigkeit nach der herrschenden Auffassung
Merkmal der „Täuschung" in beiden Tatbeständen vorkommt. Sie sind dadurch im recht zweifelhaft ist (vgl. R n . 7-9), eine im Ansatz plausible normative Grundlage
Unrecht verwandt und charakterisieren sich wechselseitig, so daß eine einmalige gibt. D e n n wegen der Unrechtsverwandtschaft der verschiedenen Tatbestände a b -
Bestrafung aus dem die schwerste Strafe androhenden Tatbestand zur Sanktionie- sorbiert der schwerste alle anderen; die Auswertung von Einzelstrafen wäre eine
rung ausreicht. „Es ist also plausibel, die betrügerische Täuschung dadurch als in Doppelverwertung ähnlicher Unrechtselemente, die im Strafzumessungsrecht u n -
ihrem Unrechtsgehalt näher bestimmt und qualifiziert anzusehen, daß sie gerade zulässig ist.
durch eine falsche Urkunde erfolgte, und umgekehrt den Gebrauch der Falschur- Gleichwohl hat Puppes Konzeption keine Anhänger gefunden, 9 0 und man wird 75
kunde dadurch, daß er einer Selbstschädigung des Getäuschten diente. D e m ent- sie in der Tat nach geltendem Recht ablehnen müssen. Sie ist zunächst mit dem
spricht die Strafzumessungsregel des § 52 genau." 85 Auch Nötigung, Körperverlet- Wortlaut des Gesetzes kaum zu vereinbaren. D e n n § 52 I spricht bei der ungleich-
artigen Idealkonkurrenz von der Verletzung mehrerer Strafgesetze, ohne auf deren
so Baumann/Mitsch, AT9, §41 I 2 a; Baumgarten, Frank-FG, Bd. II, 1969, 189; Blei, AT18, §92 Unrechtsverwandtschaft abzuheben. Bei der gleichartigen Idealkonkurrenz paßt
II; Höpfner, Bd. I, 1901, 101 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 67 I 2 (undeutlich); Köhler, AT, 685f.;
Maurach/Gössel, AT/27, 54/24; LKw-Vogler, vor § 52, Rn.4.
8i Binding, Handbuch StrafR, 569ff.; Coenders, 1921, 12f.; Frank, StGB18, 1931/1936, §73, 86
Hier und im folgenden Beispiel Puppe, GA 1982,154. '
Anm. 1; Honig, 1925, 3, Fn. 7; Jakobs, AT2, 32/15; Joecks3, § 52, Rn. 1 (undeutlich); H. Mayer, LB 87
Puppe, GA 1982,154 f.
AT, 412; Schmidhäuser, LB AT2, 18/38; ders., GA-FS, 1993, 198ff.; Tröndle/Fischer50, vor §52, 88
Vgl. Puppe selbst, GA 1982,159, für den ähnlichen Fall, daß der „Totschläger auch vorsätz-
Rn.4. lich die Kleidung seines Opfers durchlöchert".
82 89
LK '-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 6. Puppe, GA 1982,159.
83
Im wesentlichen ebenso Abels, 1991, 11 f.; Geerds, 1961, 324ff; v. Hippel, StrafR II, «0 Ablehnend Abels, 1991, 12ff.; Altenhain, ZStW 107 (1995), 398ff; Gössel, GA 1981, 134,
504ff;Jescheck, ZStW 67 (1955), 533;Jescheck/Weigend, AT5, § 67 I 2, bei und in Fn. 7; LKn-Rw- 136;Jakobs, AT2, 31/16, Fn. 18; Jescheck/Weigend, AT5, §66, Fn. 5; Lippold, 1985, 19ff; Maurach/
sing-van Saan, vor §§ 52ff., Rn. 6; Sch/Sch/Stree , § 52, Rn. 3. Gössel, AT/27, 54/25; Montenbruck, 1983, 146f.; SK6-Samson/Günther, vor §52, Rn.l9f; LK11-
84
Puppe, 1979,125ff; dies., 1982,143; dies., NK, § 52, Rn. 45ff. Rissing-van Saan, vor §§52ff, Rn.8; §52, Rn.9; Stratenwerth, AT4, §18, Rn.34; Werle, 1981,
85
Puppe, GA1982,152. 128ff., 135,139. Krit. auch Seier,Jura 1983, 227ff, 231.
818 819
§ 33 III 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33

das Kriterium erst recht nicht: 9 1 Bei mehrfacher Verletzung desselben Strafgesetzes
2. D i e volle Identität der Ausfuhrungshandlung
ist das Unrecht nicht ähnlich, sondern identisch.
76 Auch ergibt sich aus der historischen Entwicklung der Unterscheidung und aus Der einfachste Fall ist der, daß die Ausführungshandlung aller verwirklichten 80
der Entstehungsgeschichte, daß der Gesetzgeber i m m e r nur die Identität der Aus- Tatbestände in vollem Umfang identisch ist. Wenn jemand einen Vollstreckungs-
führungshandlung und nie die Unrechtsverwandtschaft der verwirklichten Tat- beamten niederschlägt, während dieser gerade eine rechtmäßige Diensthandlung
bestände vor Augen gehabt hat. Das m u ß auch auf eine teleologische Deutung vornimmt, so verwirklicht der Schlag u n o actu die Tatbestände des Widerstandes
durchschlagen, da diese nicht die eigenen kriminalpolitischen Vorstellungen der (§ 113) und der Körperverletzung (§223); sie stehen also in Idealkonkurrenz. Ent-
Zielsetzung des Gesetzgebers überordnen darf. Dieser ging davon aus, daß ver- sprechendes gilt, wenn ein und derselbe Schuß eine Tötung (§ 212), eine Körper-
schiedene, zeitlich auseinanderfallende kriminelle Handlungen eine größere k r i - verletzung (§ 223) und eine Sachbeschädigung (§ 303) hervorruft. Zwar besteht
minelle Energie offenbarten als Einzelakte ( R n . 9 ) und daß dieser Umstand die hier ein Unterschied im Verhältnis zum Beispiel des niedergeschlagenen Polizei-
exakte Festsetzung von Einzelstrafen und eine erhöhte Gesamtstrafe erfordere. beamten. D e n n bei diesem liegt nur ein Erfolg (der Niederschlag) vor, während
Man kann daran zwar Kritik üben, darf sich aber nicht darüber hinwegsetzen. hier verschiedene Erfolge bei verschiedenen Objekten eintreten. An der gänz-
lichen Identität der Tathandlung ändert dies jedoch nichts. Auch bei reinen Tätig-
77 Schließlich ergibt sich ein wesentlicher Einwand gegen Puppes Lehre auch dar-
keitsdelikten, bei denen ein von der Handlung abtrennbarer Erfolg fehlt, ist Ideal-
aus, daß sie selbst mit der Unrechtsverwandtschaft nicht auskommt, sondern als
konkurrenz ohne weiteres möglich, z. B. w e n n ein Meineid (§ 154) sich zugleich
weitere Voraussetzung der Idealkonkurrenz einen einheitlichen Geschehensvor-
als Verleumdung (§ 187) darstellt. 94
gang fordern muß. D e n n natürlich kann auch sie keine Idealkonkurrenz anneh-
men, w e n n der Täter heute einen Diebstahl und morgen einen Betrug begeht. Einen besonders häufigen Fall der Verwirklichung mehrerer Erfolge bei k o m - 81
Deshalb führt sie als „vereinfachendes Ersatzkriterium der Unrechtseinheit" 9 2 die plett identischer Ausführungshandlung liefert die gleichartige Idealkonkurrenz
„Gleichzeitigkeit" der Tatbestandsverwirklichung ein. 9 3 „Gleichzeitig ins Werk g e - ( R n . 2): Ein Schuß verletzt oder eine Beschimpfung beleidigt mehrere Menschen.
setzte Tatbestandsverwirklichungen haben in aller Regel auch inhaltlich etwas O b eine gleichartige Idealkonkurrenz auch bei der Verletzung von Vermögens-
miteinander zu tun", seien also unrechtsverwandt. Damit k o m m t sie aber, wie sie rechten möglich ist, ist strittig. 95 Meist wird hier schon eine natürliche H a n d -
auch selbst betont, meist zu denselben Ergebnissen wie die auf die Identität oder lungseinheit vorliegen (vgl. R n . 36 f.), z. B. wenn durch eine Täuschung in engem
Teilidentität des Ausführungsaktes abstellende h . L . - nur daß der erforderliche zeitlichen Zusammenhang verschiedene Personen betrogen werden. Sind deren
und ausreichende zeitliche Zusammenhang weniger exakt bestimmbar ist. Voraussetzungen freilich nicht gegeben, weil etwa die Schädigungserfolge weit
auseinanderliegen, k o m m t auch eine ungleichartige Idealkonkurrenz in Betracht.
78 Auch der Begriff der Unrechtsverwandtschaft läßt viele Fragen offen, weil die
„Verwandtschaft" von der Abstraktionshöhe des gewählten Merkmals abhängt, das
sie begründen soll. U n d warum soll das Täuschungsmerkmal eine Unrechtsver- 3. D i e teilweise Identität der Ausfuhrungshandlungen
wandtschaft der § § 2 6 3 , 267 begründen, da doch die geschützten Rechtsgüter Es genügt aber nach der Rspr. und absolut h. M . auch eine Teilidentität der Aus- 82
durchaus verschieden sind? Wie steht es dann mit den §§ 145 d und 164, die auch führungshandlungen, wie dies zuerst in der klassisch gewordenen „Formel" von
eine Täuschung voraussetzen? Warum sollen Körperverletzung und Freiheits- RGSt 32, 137 (139) 96 ausgesprochen worden ist. Danach ist für die A n n a h m e von
beraubung unrechtsverwandt sein, nur weil das erste Delikt zum zweiten qualifi- Idealkonkurrenz erforderlich, „daß die Willensbetätigungsakte, durch welche der
zierend hinzutreten kann? Der Begriff bringt viele weitere Unklarheiten zu denen Tatbestand der verschiedenen strafbaren Handlungen hergestellt wird, w e n n nicht
der geforderten zeitlichen Dimension hinzu, so daß der gegen Puppes Lehre allge- vollständig, so doch zu einem Teil dergestalt zusammenfallen, daß mindestens ein
mein erhobene Vorwurf zu großer Rechtsunsicherheit als berechtigt erscheint. Teil der einheitlichen Handlung zur Herstellung des Tatbestandes beider Delikte
79 So m u ß es also bei der überlieferten Auffassung von der mindestens teilweisen mitwirkt". Wenn also der Räuber sein Opfer niederschlägt und ihm anschließend
Identität der Ausführungsakte bleiben. Puppes anregende Ideen zeigen jedoch die sein Geld w e g n i m m t , stehen §§ 223, 224 und 249 in Idealkonkurrenz, obwohl sie
Notwendigkeit, die gesamte Konkurrenzlehre unter kriminalpolitischen und nur im Merkmal der Gewaltanwendung übereinstimmen (vgl. BGHSt 39,100).
strafzumessungsrechtlichen Gesichtspunkten neu zu durchdenken.
94
Beispiel beiJescheck/Weigend, AT5, § 67 II1.
» Daftirjescheck/Weigend, AT5, §67 II1; dagegen Sch/Sch/Stree26, §52, Rn. 29; LKw-Vogler,
91 § 52, Rn. 35.
Näher Werk, 1980,128 ff.
92 NK-Puppe, § 52, Rn. 52. % Dann auch: RGSt 52, 299, 300; 54, 288; 56, 58; 66, 359, 362; später BGHSt 7, 149, 151;
93
Zur Gleichzeitigkeit oder annähernden Gleichzeitigkeit als Merkmal der Handlungsein- 14, 104, 109; 18, 29, 34; 27, 66, 67; 33, 163, 165. Ferner die zusätzlich im Text angeführten Ent-
heit vgl. schon oben Rn. 59. scheidungen.

820 821
§ 33 III 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33

83 Die zahllosen Möglichkeiten der Idealkonkurrenz zwischen verschiedenen Tat- Der B G H begründet das damit, daß die Falschaussage des Zeugen auch dem
beständen können nur im R a h m e n des Besonderen Teils behandelt werden, so Prozeßbetrüger (also der Partei) zuzurechnen sei. Die Falschaussage sei „auch eine
daß es hier bei einigen Beispielen sein Bewenden haben muß. Wer eine fremde Tatausführungshandlung des Prozeßbetrügers . . . Die Falschaussage ist das Mittel,
Sache, die er im Gewahrsam (z. B. entliehen) hat, einem Dritten als vermeintlich mit dem der Täter den Prozeßbetrug begeht." Aber die Mittel-Zweck-Beziehung
eigene verkauft und übergibt, begeht eine Unterschlagung (§ 246) gegenüber dem stellt keine Ausführungsidentität her, und die Anstiftungshandlung des Prozeß-
Eigentümer und nach der Rspr. (BGHSt 15, 83) i. d. R . auch einen Betrug (§ 263) betrügers ist gerade nicht die Falschaussage selbst, sondern ein davon zeitlich g e -
gegenüber dem gutgläubigen Erwerber. Beide Delikte stehen in Idealkonkurrenz, trennter Handlungsakt. 9 8
obwohl ihre Ausführungshandlungen nur im Augenblick des Verkaufsangebots Zu weit geht die Rspr. auch, wenn sie Idealkonkurrenz zwischen einem Unter- 88
zusammentreffen. D e n n darin manifestiert sich der Zueignungswille, mit dessen lassungs- und einem Begehungsdelikt für möglich hält. So soll z. B. das Davon-
Verlautbarung die Unterschlagung abgeschlossen ist. In demselben Akt liegt aber fahren dessen, der schuldhaft einen Unfall verursacht hat, bei entsprechendem
auch die Täuschung, die den Betrug einleitet. Vorsatz eine versuchte Tötung durch Unterlassen ( § § 2 2 , 13, 212) in Idealkonkur-
84 Wenn jemand sich während einer fortdauernden N ö t i g u n g nachträglich zur renz mit Unfallflucht (§ 142) darstellen. Ebenso soll zwischen unterlassener Hilfe-
Wegnahme von Sachen des Genötigten entschließt (vgl. B G H N S t Z 1982, 380), leistung (§ 323 c) und § 142 Idealkonkurrenz bestehen. Richtigerweise ist Real-
stehen N ö t i g u n g (§ 240) und R a u b (§ 249) in Idealkonkurrenz, obwohl beide D e - konkurrenz anzunehmen, weil zwar Begehen u n d Unterlassen gleichzeitig erfol-
likte nur im Schlußabschnitt zusammentreffen. Eine Falschaussage (§ 153), falsche gen, das Unterlassen aber kein Teilakt der Begehungshandlung ist. 99
Verdächtigung (§ 164) oder Verleumdung (§ 187) können mit einem Prozeßbetrug Andererseits wird von Rspr. 1 0 0 und h. M. 1 0 1 eine beträchtliche Ausdehnung der 89
(§ 263) idealiter konkurrieren, auch w e n n die Tatbestandshandlungen sich nur in Idealkonkurrenz mit Recht dadurch erreicht, daß das Stadium zwischen formel-
einer einzigen, den Betrug einleitenden Äußerung überschneiden. Wer seine ler Vollendung und materieller Beendigung eines Delikts 1 0 2 der Ausfuhrungs-
Schwester vergewaltigt, verwirklicht §§ 173 II, 2; 177 II Nr. 1 in Idealkonkurrenz, handlung hinzugeschlagen wird, so daß Handlungsüberschneidungen mit
obwohl sich die Ausführungshandlungen nur beim Beischlafsvollzug überlagern. nunmehr erfolgenden weiteren Delikten Idealkonkurrenz begründen. Wenn
85 Dagegen können, wie grds. auch der B G H meint, 9 7 „ein einheitliches Motiv, sich der Dieb z u m Abtransport der Beute durch N ö t i g u n g eines fremden Autos
eine Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen, die Verfolgung eines Endzwecks, bemächtigt, stehen also Diebstahl (§ 242) und N ö t i g u n g (§ 240) in Idealkonkur-
eine Mittel-Zweck-Verknüpfung oder eine Grund-Folge-Beziehung eine Tat- renz, obwohl die Nötigung erst begonnen wurde, als der Diebstahl schon vollen-
einheit n i c h t . . . begründen . . . Die Kommentatoren stimmen dem zu." Wenn also det war (BGH StV 1983, 413). In der Sache ist das berechtigt, weil die Beutesiche-
jemand, u m sich für eine erlittene Kränkung zu rächen, mehrere Delikte begeht, rung materiell noch zum Diebstahl dazugehört und die Konstruktion der formel-
wenn er mit beiden Fäusten zuschlagend zur selben Zeit zwei Personen verletzt len Vollendung nur einer Vorverlegung der uneingeschränkten Strafbarkeit bedeu-
(§ 223) oder mit der einen Hand schießt (§ 212), während er mit der anderen eine tet. Wenn die Flucht mit der Beute noch einen gegenwärtigen Angriff i. S. d. § 32
Geisel als Schutzschild vor sich hält (§ 239), w e n n er zur Freipressung von G e - darstellt, m u ß die dabei begangene N ö t i g u n g auch als mit der Ausführung des
fangenen mehrere Straftaten verübt, zum Zwecke eines Totschlages (§ 212) einen Diebstahls zusammentreffend angesehen werden. 1 0 3
Revolver stiehlt (§ 242) oder jemanden tötet, u m ihn als Zeugen einer voran- N u r beispielshalber seien noch einige Fälle angeführt. Wenn die fliehenden 90
gegangenen Straftat zu beseitigen (§ 211), so stehen die jeweiligen Straftaten trotz Räuber sich ihre Beute durch eine Geiselnahme sichern wollen, stehen § § 2 5 0 ,
ihrer zeitlichen und intentionalen Beziehung in Realkonkurrenz.
's Zur Kritik vgl. auch Martin, JuS 1998, 761; Momsen, NStZ 1999, 306.
86 Die gelegentlichen Versuche der Rspr., auf verschiedenartigen Ausführungs- w Ebenso Jescheck/Weigend, AT5, §67 III 4; Lackner/Kühl24, §52, Rn.7; Maiwald, 1964,
handlungen beruhende Delikte bei besonders enger zeitlicher, räumlicher und sub- 107 ff.; Struensee, 1971, 46 ff. Auch BGHSt 6, 229, 230 hatte noch (im Anschluß an RGSt 68,
jektiver Verbindung zu einer natürlichen Handlungseinheit zusammenzufassen 315, 317) ausgesprochen, daß „eine echte Unterlassungstat mit einer gleichzeitig verwirklichten
Begehungstat nicht in Tateinheit stehen" könne.
(näher R n . 50 ff), sind abzulehnen, weil sie die Unterscheidung von Ideal- und wo BGHSt 26, 24 (27f.); BGH NJW 1992, 2103; BGH JZ 1952, 89; BGH GA 1955, 245,
Realkonkurrenz, wie sie der Gesetzgeber n u n einmal vorgesehen hat, verwischen. 246; 1969, 347; BGH StV 1983, 413; 1984, 374; BGH NStZ 1993, 77; 1995, 588; BGHR, § 52 I,
Handlung, dieselbe, Nrn. 5, 13, 21; § 113, Konkurrenzen, Nr. 2; BGH MDR (H) 1988, 453;
87 Mit dem Grundsatz, daß die Idealkonkurrenz mindestens eine Teilidentität der
BayObLG NJW 1983, 406.
Ausführungshandlungen erfordert, steht auch B G H S t 43, 317 nicht im Einklang. ioi SK6-Samson/Günther, § 52, Rn. 12; Sch/Sch/Stree26, § 52, Rn. 11; Stratenwerth, AT4, § 18,
Danach soll die Anstiftung eines Zeugen zur Falschaussage (§ 153) mit dem durch Rn. 31; Struensee, 1971, 24f.; LKi0-Vogler, § 52, Rn. 23; Warda, JuS 1964, 87
die Falschaussage begangenen Prozeßbetrug (§ 263) in Idealkonkurrenz stehen. i°2 Die Differenzierung ist vor allem bei Eigentumsdelikten wichtig und spielt eine Rolle
z. B. für die Gegenwärtigkeit des Angriffs bei der Notwehr (Roxin, AT l3, § 15, Rn. 28) und
bei der Abgrenzung von Beihilfe und Begünstigung (oben §26, Rn. 226ff., 228 ff.)
97 BGH NStZ 1998, 300 (301) unter Hinweis auf BGH wistra 1985,19. 103 Zum Teil abw. und differenzierend Bitzilekis, ZStW 99 (1987), 725ff.;Jakobs, AT2, 33/7.

822 823
§ 33 III 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33

239 a in Idealkonkurrenz (BGHSt 26, 24, 28). Fährt ein Dieb mit der Beute in b e -
4. Das Zusammentreffen von Zustands- und Dauerdelikten 1 0 6
trunkenem Zustand davon, konkurrieren §§ 242 und 316 idealiter (BayObLG
N J W 1983, 406). Auch Schüsse, die ein fliehender Räuber auf seine Verfolger a b - Rspr. 1 0 7 und h. M . 1 0 8 nehmen auch hier Idealkonkurrenz nur bei einer Teiliden- 93
gibt, ergeben eine Idealkonkurrenz der §§ 249ff., 211 (BGH N J W 1992, 210'3f.). tität der Ausfiihrungshandlungen an und lassen deren bloße Gleichzeitigkeit nicht
91 Auf derselben Linie liegt es, wenn Rspr. und h. L. 104 Handlungen, die der Ver- genügen. So hat BGHSt 18, 32 f. unter zusammenfassender Darstellung der R G -
wirklichung einer i m Tatbestand geforderten Absicht dienen, als mit d e m A b - Rspr. betont, daß eine Vergewaltigung (heute: §177 II Nr. 1), die während eines
sichtsdelikt in Idealkonkurrenz stehend angesehen werden. Wenn also der Täter Hausfriedensbruches (§ 123) begangen wird, zu diesem im Verhältnis der Tatmehr-
eines erpresserischen Menschenraubes (§239a) nach d e m Gelingen der Entfüh- heit steht. Nach der grundlegenden Entscheidung RGSt 32,137,140 sei „Tateinheit
rung die Erpressung vornimmt, stehen § § 2 3 9 a und 255 in Idealkonkurrenz. nicht schon gegeben, wenn ein Verhalten mehrere Strafgesetze z u gleicher Zeit
N i m m t man zwischen der vorsätzlichen Verwirklichung des objektiven Tatbestan- verletze, vielmehr sei erforderlich, daß diejenige Handlung, die einen strafbaren
des (hier: der Entführung) und der späteren Absichtsrealisierung (hier: der Er- Tatbestand (ganz oder teilweise) verwirkliche, zugleich, d. h. wenigstens in einzel-
pressung) eine tatbestandliche Handlungseinheit an (oben R n . 21), so versteht sich nen . . . Willensbetätigungen, einen anderen Tatbestand ganz oder zum Teil erfülle.
das von selbst. Es ergibt sich aber auch daraus, daß der erpresserische Menschen- Daran fehle es regelmäßig im Verhältnis des § 123 StGB zu § 177 StGB. Weder das
raub materiell erst mit der Erpressung beendet wird. Eindringen noch das Verweilen verwirkliche auch nur den geringsten Teil des Tatbe-
standes des Sittlichkeitsverbrechens. Es hat daher ausgesprochen, daß Tateinheit
92 Demgegenüber begründet eine Überschneidung i m Versuchsstadium nach
auch dann nicht anzunehmen sei, wenn das Eindringen oder Verweilen im Sinne des
der Rspr. noch keine Idealkonkurrenz. Wenn also ein Täter drei Opfer (seine
§ 123 StGB zum Zwecke der Verübung eines Sittlichkeitsverbrechens geschehe."
Frau und zwei Kinder) nacheinander zu ermorden versucht, so stehen diese drei
Mordversuche auch dann in Realkonkurrenz, w e n n sie in einem früheren Sta- D e m allen ist zuzustimmen. D e n n w e n n die Gleichzeitigkeit bei Zustands- 94
dium (beim Auflauern) in einem Handlungsakt zusammentrafen (BGHSt 16, delikten keine Idealkonkurrenz begründet ( R n . 18, 38ff., 59f.) darf dies bei B e -
397 f.) Der B G H sagt (aaO., 398): „Wäre der Angeklagte in diesem Zeitpunkt (d. h. teiligung eines Dauerdeliktes erst recht nicht geschehen. Da viele Dauerdelikte
beim Auflauern) gestellt und an weiterem Tun gehindert worden, so hätte sich die (Trunkenheitsfahrten, Fahren ohne Führerschein, Freiheitsberaubung usw.) sich
Annahme dreier Mordversuche in gleichartiger Tateinheit . . . nicht umgehen las- über größere Zeiträume hinziehen können, würde es zu einer völligen Ausufe-
sen." Ein späteres zeitliches Auseinandertreten der drei Mordversuche mache diese rung der Idealkonkurrenz führen, wenn alle unterdessen begangenen anderen
jedoch selbständig. D e m ist zuzustimmen. 1 0 5 D e n n das Zusammentreffen von Delikte mit ihnen in Tateinheit stünden. N i m m t man bei Rechtskraft eines U r -
Handlungen in einem vor der Ausführung liegenden Stadium begründet noch teils einen Strafklageverbrauch hinsichtlich aller idealiter konkurrierenden an-
kein Zusammentreffen der Ausführungshandlungen. Wäre die Tötung der drei deren Straftaten an, 109 würde die A n n a h m e von Idealkonkurrenz bei Freispruch
Opfer gelungen, hätte die Einheit des Mordversuchs in einem frühen Stadium oder Verurteilung wegen eines Dauerdelikts hinsichtlich nicht berücksichtigter
nicht die Kraft gehabt, die völlig selbständigen Ausführungshandlungen zur Tat- „gleichzeitiger" anderer Tatbestandsverwirklichungen auch praktisch schwer er-
einheit zu verbinden. „Der Gefährdungsgesichtspunkt verliert insoweit mit R ü c k - trägliche Konsequenzen haben.
sicht auf den Verletzungstatbestand seine Bedeutung" ( a a O , 398). D a n n aber kann Richtig ist es auch, -wenn die Rspr. entgegen der von einem Teil der Litera- 95
es nicht anders sein, wenn die drei ursprünglich im Auflauern gebündelten „Versu- tur 110 vertretenen Meinung eine Mittel-Zweck-Beziehung, d. h. den Fall, daß
che später nur einzeln" und nacheinander weitergeführt werden. Gegen die A n -
106
nahme von Idealkonkurrenz spricht auch der kriminalpolitische Gesichtspunkt, Monographie: Lippold, 1985. Zum Strafklageverbrauch bei Dauerdelikten Erb, GA 1994,
265.
daß eine solche Lösung Täter unverdient besserstellen würde, „die, anstatt gleich •°7 RGSt 32,137,140; 54, 288, 289; 66,117,119; BGHSt 18, 29, 32ff.; 27, 66, 67 (zur Parallel-
loszuschlagen, ihren Opfern zuvor noch hinterlistig auflauern" (aaO., 398). frage bei Ordnungswidrigkeiten); 29,184,186; 31, 29, 30; BGH GA 1967, 21; BGH NStZ 1995,
300; BGH VRS 30 (1966), 185 f.; BGH LM § 177, Nr. 8; BayOblG GA 1975, 54; OLG Koblenz
VRS 56 (1979), 38 ff.; OLG Köln NJW 1982, 296.
lot BGHSt 26, 24, 27 f.; BGH JZ 1952, 89; BGH GA 1955, 245; 1969, 347; BGH NStZ 1984, i°8 Baumann/Mitsch, AT9, § 41II lc; Freund, AT, § 11, Rn. 53 f.; Geppert,J\m 1982, 370; Gropp,
409; 1986, 314; 1993, 77; BGH StV 1996, 432 f.; BGH MDR (H) 1992, 632; BGHR StGB, § 52 I, AT2, § 14, Rn. 42; Jescheck/'Weigend, AT5, § 67 III 2; Köhler, AT, 688f.; Kühl, AT3, § 21, Rn. 34b;
Handlung, dieselbe, Nrn. 5,13, 21; § 113, Konkurrenzen, Nr. 1; Geerds, 1961, 279; Jescheck, Wel- Lackner/'Kühl2*, §52, Rn.7; Lippold, 1985, 29 ff.; Maurach/Gössel, AT/27, 55/72 f.; Oske, MDR
zel-FS, 1974, 698; Jescheck/Weigend, AT5, §67 II 2; LK11-Rissing-van Saan, §52, Rn.20; Sch/Sch/ 1965, 534; Schmidhäuser LB AT2, 18/43; Seh/Seh/Stree26, vor §§52ff., Rn.88ff.; Stratenwerth,
Stree26, §52, Rn.llf.; Tröndle/Fischer50, vor §52, Rn.3; Warda, JuS 1964, 87; Welzel, StrafR11 AT4, §18, Rn.32; Tröndle/Fischer50, vor §52, Rn. 35; LKm-Vogler, vor §52, Rn. 25; Welzel,
231 f. StrafR11, 232;Wessels/Beulke, AT31, Rn.779.
W5 Ebenso Baumann/Mitsch, AT10, §36 IV la; Kühl, AT3, §21, Rn.42; Miehe, GA 1967, 10« Vgl. dazu Roxin, StrafverfahrensR25, § 20, Rn. 8-10 sowie unten Rn. 112.
278; Seh/Seh/Stree26, § 52, Rn. 10; Tröndle/Fischer50, vor § 52, Rn. 3. Ablehnend dagegen SK 6 - n° Gropp, AT2, §14, Rn.41 (undeutlich); Jakobs, AT2, 33/10; Kühl, AT3, §21, Rn. 35; Seh/
Samson/Günther, § 52, Rn. 12; Stratenwerth, AT4, § 18, Rn. 29, 31; Struensee, 1971, 25. Sch/Stree2*, vor §§ 52ff., Rn.91; Welzel, StrafR11, 232.

824 825
§ 33 III 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33

das Dauerdelikt die Voraussetzungen für die Begehung eines Zustandsdelikts mit einem Auto begangen wird, das der Täter ohne Fahrerlaubnis fährt (§21
schafft, nicht für eine Idealkonkurrenz ausreichen läßt. 111 Wird ein Hausfrie- StVG). Realkonkurrenz liegt dagegen z. B. vor, w e n n jemand in fahruntüchtigem
densbruch (§ 123) zum Zwecke eines Raubes (§249) begangen oder führt jemand Zustand Auto fährt (§ 316) und dabei auch noch unerlaubt eine Schußwaffe führt
unerlaubt Schußwaffen bei sich (§ 53 I Nr. 3 a lit. b WaffG), u m damit einen Mord (§ 53 I Nr. 3 a lit. b WaffG); denn hier besteht bei völliger Selbständigkeit der Aus-
(§ 211) zu verüben, so stehen die jeweiligen Delikte also in Realkonkurrenz. D e n n führungshandlungen nur eine Gleichzeitigkeit verschiedener Tatbestandsverwirk-
auch in dieser Hinsicht fehlt es an der Überschneidung der Ausführungsakte. lichungen (BGH V R S 49 (1975), 177 f.). Allerdings zeigt die Rspr., die hier nur
96 Dagegen liegt nach allgemeiner Ansicht Idealkonkurrenz dann vor, wenn ein exemplarisch vorgestellt werden kann, im einzelnen manche Schwankung und
Zustandsdelikt der Aufrechterhaltung des durch das Dauerdelikt geschaffenen Unsicherheit. 114
rechtswidrigen Zustandes dient: Z.B. schlägt der Hausfriedensbrecher den H a u s - Sehr strittig ist, ob bei Organisationsdelikten Tateinheit oder Tatmehrheit b e - 100
herrn nieder, als dieser ihn hinauswerfen will. D e n n in einem solchen Falle ist die steht, wenn ein Mitglied der kriminellen Organisation i m Zusammenhang mit
Körperverletzung Bestandteil der weiteren Verwirklichung des Hausfriedens- seiner Mitgliedschaft andere Delikte begeht, indem er z. B. für eine Terrororga-
bruchs, so daß hier die geforderte Überschneidung der Ausführungsakte ange- nisation Morde ausführt oder Sparkassenüberfälle verübt. Nach einer verbreiteten
n o m m e n werden kann. Entsprechendes gilt, w e n n gegen jemanden Gewalt ange- Meinung 1 1 5 ist Realkonkurrenz anzunehmen, weil die strafbare Mitgliedschaft in
wendet wird, u m ihn an der Befreiung eines Eingesperrten zu hindern (Körper- einer Organisation nicht die Begehung von Straftaten im Dienste der Organisa-
verletzung, § 223, in Idealkonkurrenz mit Freiheitsberaubung, § 239), oder wenn tion umfasse. Beifall verdient jedoch die von BGHSt 29, 288, 290 f. etablierte G e -
jemand bei einer Fahrzeugkontrolle einen gefälschten Führerschein (§ 267 StGB) genauffassung 116 , die eine Idealkonkurrenz bejaht. D e n n nach dem Wortlaut der
vorzeigt, u m weiter ohne Führerschein fahren zu können (§ 21 StVG). 112 §§129, 129 a ist u.a. strafbar, wer sich an einer kriminellen oder terroristischen
97 Idealkonkurrenz liegt auch vor, wenn ein Dauerdelikt Bestandteil der Aus- Vereinigung „als Mitglied beteiligt", und diese Beteiligung manifestiert sich g e -
führungshandlung eines Zustandsdelikts ist, wie dies beim Fahren ohne Führer- rade auch in der deliktischen Tätigkeit für die Organisation. O b diese Idealkon-
schein (§ 21 StVG) häufig der Fall ist. Das unbefugte Autofahren wird z. B. zu Se- kurrenz bei einer Verurteilung wegen der Mitgliedschaft zu einem Strafklage-
xualdelikten und Raubtaten während der Fahrt ausgenutzt (BGH N S t Z 1984,135) verbrauch hinsichtlich der für die Organisation begangenen Straftaten führt, ist
oder der Abtransport der Beute mit dem Auto dient der Erlangung eigenen G e - eine - zu verneinende - prozessuale Frage, die unabhängig vom materiell-recht-
wahrsams und ist somit gleichzeitig eine Ausführungshandlung des Diebstahls lichen Konkurrenzproblem zu lösen ist117 (vgl. noch R n . 118 f.).
(BGH N J W 1981, 997). Idealkonkurrenz hat der B G H auch in einem Fall bejaht,
in dem der Täter eine Freiheitsberaubung (§ 239) zu Sexualdelikten (§§ 177, 178) 5. D i e K l a m m e r w i r k u n g der dritten Straftat
ausgenutzt hatte (BGH N S t Z 1999, 83), weil schon die Ausnutzung der Freiheits-
Die schon auf das R G (RGSt 44, 223, 228) zurückgehende Rspr. 1 1 8 und die 101
beraubung eine Gewaltanwendung sei.
h. M. 1 1 9 bejahen eine Idealkonkurrenz auch dann, wenn zwei zeitlich und
98 Freilich ist die Grenze zwischen bloßer Gleichzeitigkeit und Teilidentität nicht räumlich getrennte, also als solche realiter konkurrierende Handlungen je für
immer leicht zu ziehen. So wird z. B. Realkonkurrenz anzunehmen sein, wenn die sich mit einer dritten, annähernd gleich schweren Straftat in Idealkonkurrenz
Beifahrerin während einer Trunkenheitsfahrt (§ 316) sexuell genötigt wird (§ 177
I).Wenn aber die Umstände der Autofahrt dabei als Nötigungsmittel dienen, wird IM Näher LKn-Rissing-van Saan, § 52, Rn. 24.
man Idealkonkurrenz bejahen müssen. »5 OLG Karlsruhe NJW 1977, 2222 m. zust. Anm. Meyer, J R 1978, 35; Herdegen, MDR
1980, 438, 439; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 91; Tröndle/'Fischer50, § 129, Rn. 23; LKw-Vog-
99 Auch mehrere Dauerdelikte können in Idealkonkurrenz stehen, wenn ihre ler, vor § 52, Rn. 23.
Ausfuhrungshandlungen ganz oder teilweise identisch sind: z. B. wenn jemand »6 BGHSt 19, 114, 122f.; BGH NJW 1975, 985, 986; BGH MDR 1980, 684, 685; LK n -v.
ohne Führerschein in betrunkenem Zustand Auto fährt (§§316 StGB, 21 StVG) 113 Bubnoff, § 129, Rn. 87; Cording, 1993, 69ff., 109ff; Fleischer, NJW 1979,1339; Grünwald, Bockel-
mann-FS, 1979, 737ff; Haberstumpf, MDR 1979, 977ff, 980; Uckner/Kühl2*, §129, Rn.13
oder w e n n eine Entführung (§§ 239 a, b) oder sonstige Freiheitsberaubung (§ 239) (krit.); Krauth, Kleinknecht-FS, 1985, 224f.; SK6-Rudolphi, § 129, Rn. 30; Werle, JR 1979, 93ff.
(aber krit.).
111
Ebenso Baumann/Mitsch, AT9, §41 II lc; Geppert, Jura 1982, 370; Jescheck/Weigend, AT5, »7 Näher dazu Roxi«, StrafverfahrensR25, § 20, Rn. 9.
§67 III 2; Kühl, AT3, §21, Rn.34b; Lackner/Kühf4, §52, Rn.7; Lippold, 1985, 29ff.; Maurach/ "8 RGSt 56, 329; 60, 241; 68, 216; BGHSt 3, 165; 6, 92, 97; 23, 141, 149; 31, 29, 31; BGH
Gössel, AT/27, 55/72f.; Oske, MDR 1965, 534; Schmidhäuser, LB ATf, 18/43; Sch/Sch/Stree26, vor NJW 1952, 795 f.; 1998, 619, 620; BGH MDR (D) 1973, 556 m. Anm. Schönborn, NJW 1974,
§§ 52ff., Rn. 88ff.; Stratenwerth, AT4, § 18, Rn. 32; Tröndle/Fischer50, vor § 52, Rn. 35; LK 1 0 -%- 734; BGH wistra 1997, 61, 62; BGHR StGB, § 52 I, Klammerwirkung, Nr. 4.
ler, vor § 52, Rn. 25; Welzel, StrafR11, 232; Wessels/Beulke, AT31, Rn.779. iw Geerds, 1961, 280f.; Geppert, Jura 1982, 370f.; Jescheck/Weigend, AT5, §67 II 3; Joecks3,
»2 Abw. insoweit BGH VRS 30 (1986), 185; OLG Köln VRS 61 (1981), 349. Wie hier aber §52, Rn. 4; Lackner/Kühl24, §52, Rn.5 (krit.); Maurach/Gössel, AT/27, 55/74ff; Sch/Sch/Stree26,
Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn.91 a. § 52, Rn. 14ff.;Tröndle/Fischer50, vor § 52, Rn. 5ff; LKio-Vogler, § 52, Rn. 27ff; einschränkend
»3 BayObLG GA1975, 54. Welzel, StrafR11, 232; Wessels/Beulke, AT31, Rn.780.
826 827
§ 33 III 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33
stehen. Wenn also ein Räuber das Opfer niederschlägt und bei der Wegnahme Auch kann die unerlaubte Titelführung (§ 132 a) nicht mehrere unter Verwen- 104
dessen Schiebladen aufbricht, sind die Körperverletzung (§ 223) und die Sachbe- düng des Titels begangene Betrugshandlungen (§ 263) zur Tateinheit zusammen-
schädigung (§ 303) an sich selbständige Handlungen, deren Ausführungsakte sich fügen (RG H R R 1935, Nr. 535). Das Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) kann
nirgends überschneiden. Da sie aber beide mit dem R a u b (§ 249) idealiter k o n k u r - nicht mehrere durch Wegfahren mit den Autos begangene Kraftfahrzeugdiebstähle
rieren, stehen alle drei Delikte infolge der dadurch gegebenen Verklammerung in (§ 242) zur Tateinheit verbinden (BGHSt 18, 69). Die Zuhälterei (§ 181 a) kann
Idealkonkurrenz. nicht Delikte wie schweren Menschenhandel (§ 181), sexuelle N ö t i g u n g (§ 177 I)
102 Es gibt zahlreiche solcher Fälle. W e n n A den B durch Anfahren mit dem Auto und Vergewaltigung (§ 177 II) verklammern (BGHSt 39, 390, 391 f.).121
fahrlässig verletzt und anschließend Unfallflucht begeht, stehen § 229 und § 142 in Bei dem praktisch wichtigen Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr (§ 316) 105
Realkonkurrenz. Treten beide Delikte aber mit d e m unbefugten Gebrauch eines scheitert die Klammerwirkung nach der Rspr. in den meisten Fällen nicht nur an der
Kraftfahrzeuges in Idealkonkurrenz, verbindet § 248 b alle drei Delikte zur Tat- Mindergewichtigkeit der Tat, sondern auch daran, daß ein Verkehrsunfall die tat-
einheit. Wenn jemand im Zuge einer geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99) bestandliche Einheit der Trunkenheitsfahrt zertrennen soll (vgl. R n . 24). Ähnlich
erst einen Diebstahl (§ 242) und dann eine verbotene Abhöraktion (§ 201) vor- versucht die neuere Rspr., die Klammerwirkung des unerlaubten Waffenbesitzes
n i m m t , stehen auf Grund der Verklammerung durch § 99 alle drei Delikte in einzuschränken. Nach B G H N S t Z - R R 1999, 9 „erfährt das Dauerdelikt des u n -
Idealkonkurrenz. Eine Vergewaltigung (§ 177 II Nr. 1) und eine einige Zeit später erlaubten Waffenbesitzes (Ausüben der tatsächlichen Gewalt/Führen) materiell-
erfolgende vorsätzliche Tötung (§ 212) werden zur Tateinheit verbunden, wenn rechtlich eine Zäsur, wenn der Waffenbesitzer später einen neuen Entschluß zur B e -
beide Delikte mit einer Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 IV) idealiter gehung eines Verbrechens mit dieser Waffe faßt. Das Dauerdelikt vor und nach der
konkurrieren (BGHSt 28, 20). Ein versuchter Diebstahl mit Waffen (§ 244 I Nr. 1) Tat ist jeweils selbständig zu beurteilen. Das Verbrechen selbst steht in Tateinheit mit
und eine ausschließlich mit der Waffe begangene N ö t i g u n g (§ 240) treten in Ideal- dem Dauerdelikt des Vergehens nach demWaffenG." Wenn sich dieseTendenz durch-
konkurrenz, wenn sie beide mit dem unerlaubten Führen einer Schußwaffe (§ 53 I setzt, wäre ein Teil der im Text angeführten älteren Entscheidungen, die eine Klam-
Nr. 3 a lit.b WaffG) in Tateinheit stehen (BGH N S t Z 1989, 20). Wie die in dieser merwirkung auf das WaffG stützten, obsolet; so wendet sich B G H N S t Z - R R 1999,
R n . oben angeführten Beispiele zeigen, sind es vornehmlich Dauerdelikte, die 9 ausdrücklich gegen die in der folgenden R n . angeführte Entscheidung desselben
sich für eine Verklammerung eignen. Es m u ß aber nicht so sein, wie unser Aus- Senats in BGHSt 31, 29, soweit diese das Waffendelikt als Klammer anerkennt.
gangsbeispiel eines verklammernden zweiaktigen Deliktes ( R n . 101: Raub) lehrt.
Andererseits neigt die neuere Rspr. aber auch wieder zu einer Ausdehnung der 106
103 D i e Rspr. läßt eine Klammerwirkung aber nur z u , wenn das verklammern- Klammerwirkung. So läßt BGHSt 31, 29 eine Verbindung zweier selbständiger
de Delikt nicht wesentlich weniger schwer ist als die verklammerten. So hatten Handlungen durch ein drittes Delikt auch dann schon zu, w e n n eine der verklam-
in BGHSt 2, 246 1 2 0 zwei Räuber nacheinander vier Mordversuche an ihnen ent- merten Straftaten schwerer wiegt als die verklammernde (gegen B G H S t 3, 165).
gegentretenden Hausbewohnern begangen. O b w o h l die vier Mordversuche j e - Das Vergehen der unerlaubten Ausübung der Gewalt über eine Schußwaffe (§ 52 a
weils mit demselben R a u b in Idealkonkurrenz standen, n i m m t der B G H (im A n - I WaffG) kann danach den unerlaubten Waffenerwerb (§ 53 WaffG) und einen mit
schluß schon an BGHSt 1, 67) vier in Tatmehrheit stehende Mordversuche (anstelle der Waffe begangenen Totschlag (§ 212) zur Tateinheit verbinden, obwohl nur die
einer gleichartigen Idealkonkurrenz) an, weil das minder schwere Delikt des Raubes Gewaltausübung den Erwerb der Schußwaffe an Schwere leicht übertrifft, dem
nicht die schweren Mordtaten zur Tateinheit verbinden könne. Der Grund für diese Totschlag aber an deliktischem Gewicht weit nachsteht. In einem derartigen Fall
Einschränkung der Klammerwirkung (man spricht hier von Entklammerung) liegt werde „die schwerere Gesetzesverletzung den minderen Straftaten nicht u n t e r g e -
darin, daß es sinnwidrig wäre, einen Täter mehrerer realkonkurrierender Delikte nur ordnet' . . . Eine dahingehende Bewertung ist nur dann gerechtfertigt, w e n n die
noch wegen Idealkonkurrenz und daher nur deshalb milder zu bestrafen, weil noch am Anfang und Ende der ,Zwischenstraftat' liegenden Delikte beide schwerer
ein weiteres minder schweres Delikt hinzukommt. Der B G H drückt das so aus ( a a O , wiegen als diese." Aus demselben Grunde soll auch das Führen einer Schußwaffe
248): „Hat der Täter ein schwereres Strafgesetz mehrmals verletzt und demgemäß (§ 53 I Nr. 3 a lit. b WaffG) Totschlag (§ 212) und N ö t i g u n g (§ 240) zur Idealkon-
mehrere Strafen verdient, aus denen . . . eine Gesamtstrafe zu bilden ist, so kann es kurrenz verklammern können (BGH StV 1983,148). O b w o h l die B e g r ü n d u n g der
seine Schuld nicht mindern, daß er tateinheitlich auch noch gegen ein minder Rspr. mehr eine aus dem Wunsch nach vereinfachter Gesetzesanwendung gebore-
schweres Strafgesetz verstoßen hat. Dieses kann die schweren Gesetzesverletzungen ne Behauptung ist, stimmt die h. L. ihr zu. 1 2 2
. . . daher nicht zu einer einheitlichen Tat zusammenfassen, so daß sie nur noch u n -
selbständige Teile einer minder schweren Straftat wären." '2i M. Anm. Geerds, JR 1995, 71.
122 Gropp, AT, § 14, Rn.43 (krit. aber jetzt AT2, § 14, Rn.43) Köhler, AT, 688 f.; Kühl, AT3,
§ 21, Rn. 35; Lackner/Kühl24, § 52, Rn. 5; Sch/Sch/Stree26, § 52, Rn. 18; Tröndle/Fischer50, vor
120 Dazu Roxin, H R R AT, Fall 98,152 f. u. 214 f. § 52, Rn. 5 c (undeutlich); Wessels/Beulke, AT31, Rn. 780.
828 829
§33 III 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen III § 33

107 Die Schwere der Delikte, von der die Verklammerungsmöglichkeit abhängt, ist
6. D i e rechtliche Behandlung der Idealkonkurrenz
i . d . R . an der Deliktskategorie und am Strafrahmen zu messen: Ein Verbrechen
wiegt schwerer als ein Vergehen, ein Tatbestand, der zehn oder fünfzehn Jahre Frei- O b w o h l das Gesetz darüber schweigt, besteht Einigkeit darüber, daß der 109
heitsstrafe androht, kennzeichnet eine gewichtigere Straftat als ein anderer, bei Schuldspruch, also der Tenor des Urteils, sämtliche verletzten Strafgesetze anfüh-
dem das Höchstmaß der Freiheitsstrafe fünf Jahre ist. Die Rspr. hat aber auch i n - ren muß. M a n spricht hier von der „Klarstellungsfunktion" der Idealkonkur-
soweit die Verklammerung erleichtert, als sie in zunehmendem Maße auf eine renz. Bei der gleichartigen Idealkonkurrenz geschieht dies, indem die Zahl der
„konkrete" Betrachtungsweise abstellt. So heißt es in BGHSt 33, 4 (Leits.): „Ein Gesetzesverletzungen genannt wird, z.B.: „Der A wird wegen Körperverletzung
Vergehen ist nicht schon deshalb ungeeignet, zwei Verbrechen zur Tateinheit zu in fünf Fällen zu . . . verurteilt." Bei der ungleichartigen Idealkonkurrenz werden
verbinden, weil diese nach der abstrakten generalisierenden Betrachtungsweise die verschiedenen erfüllten Tatbestände einzeln genannt: „Der A wird wegen
schwerer wiegen als jenes." Daher kann das Vergehen des § 29 III B t M G (Handel- Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu . . .
treiben mit Betäubungsmitteln in einem besonders schweren Fall) zwei Verbre- verurteilt." Dabei sind, soweit vorhanden, zur Bezeichnung der Delikte die gesetz-
chen nach § 30 I Nr. 4, II B t M G (Einfuhr von Betäubungsmitteln in einem m i n - lichen Überschriften der Straftatbestände zu verwenden (§ 260 IV 2 StPO). Die
der schweren Fall) zur Idealkonkurrenz verklammern, weil in concreto das Verge- übertretenen Paragraphen und Gesetze werden erst nach der Urteilsformel ange-
hen härter bestraft werden kann als die Verbrechen. Nach B G H N S t Z 1989, 20 führt (§ 260 V 1 StPO).
verbindet das strafbare Führen einer Waffe (§ 53 I Nr. 3 a lit. b WaffG) Diebstahl Anders als bei der Realkonkurrenz wird nur eine Strafe festgesetzt. Bei der 110
(§ 242) und N ö t i g u n g (§ 240) „unter Berücksichtigung der konkreten Gewich- gleichartigen Idealkonkurrenz ist der Strafrahmen des mehrfach erfüllten Tatbe-
tung der Taten" zur Idealkonkurrenz; freilich wäre hier der Rekurs auf die k o n - standes maßgebend. Im Beispiel der durch eine Handlung begangenen fünffachen
krete Gewichtung nicht nötig gewesen, weil die Strafrahmen sich auch in abstrac- Körperverletzung ( R n . 104) ist die Strafe also dem § 223 zu entnehmen (Freiheits-
to nicht wesentlich unterscheiden. 1 2 3 strafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Unter dem Gesichtspunkt des Straf-
rahmens macht es also keinen Unterschied, ob jemand durch eine Handlung nur
108 Insgesamt ist die Rspr. zur K l a m m e r w i r k u n g ähnlich unsicher wie die Beja-
einen oder fünf Menschen verletzt.
h u n g einer natürlichen Handlungseinheit bei höchstpersönlichen Rechtsgütern
verschiedener Rechtsgutsträger ( R n . 38 ff.) und bei der Verwirklichung verschie- Allerdings kann es innerhalb des Strafrahmens strafschärfend gewertet werden, 111
denartiger Tatbestände ( R n . 50 ff). Sie findet denn auch in der Literatur zuneh- daß ein Gesetz mehrfach in derselben Weise 127 oder durch Verwirklichung m e h -
mende Kritik. 1 2 4 Teils werden modifizierende Lösungen entwickelt. 1 2 5 Doch ist rerer Tatbestandsvarianten 128 verletzt worden ist. Das ergibt sich aus § 46 II, w o -
die Konstruktion schon im Ansatz problematisch und würde besser aufgegeben nach „die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat" straf-
werden. D e n n die Bedenken, die gegen die K l a m m e r w i r k u n g einer minder zumessungsrelevant sind. Außerdem kann die mehrfache Verletzung desselben
schweren Straftat auch von der Rspr. anerkannt werden ( R n . 103, 104), gelten in Tatbestandes zur A n n a h m e eines besonders schweren Falles führen, z. B. nach
abgeschwächter Form ganz allgemein. Es ist nicht recht einzusehen, w a r u m das §212 II bei der Tötung mehrerer Personen, oder nach § 2 6 6 II, w e n n durch eine
Hinzutreten einer weiteren Straftat die Strafschärfung der Realkonkurrenz aus- Untreuehandlung das Vermögen verschiedener Personen geschädigt worden
schalten soll. 126 „Daß die Privilegierung der Idealkonkurrenz nicht eingreifen soll, ist. 129
w e n n zwei Vergewaltigungen nur durch eine einfache Freiheitsberaubung verbun- Einen Zwang zur Strafschärfung oder zur A n n a h m e eines besonders schweren 112
den werden . . . , die Privilegierung dagegen erfolgen soll, w e n n die Verbindung Falles beim Vorliegen von Idealkonkurrenz erkennt die Rspr. jedoch nicht an.
durch eine Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 III) hergestellt wird, kann Zwar darf der Tatrichter die Strafe höher bemessen, aber „eine entsprechende Ver-
nicht überzeugen." pflichtung sieht das Gesetz nicht vor . . . Zwar hat der Tatrichter im Falle von Tat-
einheit den erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt in Betracht zu ziehen; er ist
aber nicht gehindert, unter Beachtung der in § 46 StGB niedergelegten G r u n d -
sätze die gesetzliche Mindeststrafe zu verhängen." 130
•23 Auch BGH NStZ 1993,133 (134) beruft sich auf die Angebrachtheit „konkreter Gewich- Schwieriger ist die Straffestsetzung bei der häufigeren ungleichartigen Ideal- 113
tung der Verstöße". konkurrenz, weil hier der Strafrahmen erst aus den Strafdrohungen der verschie-
12" Gropp, KT2, §14, Rn. 43; Jakobs, AT2, 33/12; NK-Puppe, §52, Rn.63f.; SK6-Samson/
Günther, § 52, Rn. 19; Schmidhäuser, LB AT2,18/41; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 48; Stratenwerth,
AT4, § 18, Rn. 33f.; LKw-Vogler, § 52, Rn. 29; Wähle, GA 1968,107ff.; Werk, 1981, 48ff. '27 BGH MDR (H) 1992,932.
125 Etwa beiJakobs, KT2, 33/11 ff.; NK-Puppe, § 52, Rn. 65ff.; Struensee, 1971, 26ff. Eine Aus- 128 BGH MDR (D) 1971, 363; BGH NJW1994, 2034.
einandersetzung damit und weitere Nachweise liefert LKn-Rissing-van Saan, § 52, Rn. 33. 129 Aus der Rspr. BGH StV 1981, 545; BGH NJW 1982, 2265.
126 So auch SK6-Samson/Günther, § 52, Rn. 19. Hier auch das folgende Zitat. «0 BGH GA 1987, 28 (29).

830 831
§ 33 III 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen IV § 33

denen verletzten Gesetze zusammenkombiniert werden muß (Kombinations- Gesetzesverletzung verjährt oder amnestiert, ist das betreffende Delikt bei Bestim-
prinzip). Ausgangspunkt ist das Absorptionsprinzip, wonach das Gesetz mit der mung der Strafdrohung nicht mehr heranzuziehen.
schwersten Strafdrohung die Strafdrohungen der übrigen Gesetze verdrängt (ab- Einen Teilfreispruch gibt es bei idealiter konkurrierenden Tatbeständen nicht, 117
sorbiert). Dieser Grundsatz ist in § 52 II 1 niedergelegt. Er wird aber im Sinne weil auch bei Verletzung mehrerer Gesetze immer nur über eine einzige Handlung
einer „begrenzten Absorption"131 durch § 52 II 2 durchbrochen, indem die aus geurteilt wird (vgl. § 52 I). Ist der Täter also z. B. wegen Betrug (§ 263) in Tatein-
der Strafdrohung des schwersten Delikts entnommene Strafe nicht milder sein heit mit Urkundenfälschung (§ 267) angeklagt und läßt sich der Fälschungstat-
darf, „als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen". Die sog. Sperrwirkung bestand nicht nachweisen, so erfolgt eine Verurteilung nur aus § 263, und § 267
milderer Gesetze beruht auf dem zutreffenden Gedanken, daß die Mindeststrafe bleibt im Tenor unerwähnt.
eines verletzten Gesetzes nicht deswegen unterschritten werden darf, weil der Tä- Idealkonkurrierende Delikte bilden grds. auch eine einzige Tat im prozeßrecht- 118
ter noch ein anderes, „nach obenhin" strengeres Gesetz verletzt hat, das eine solche liehen Sinne, so daß ein rechtskräftiges Urteil die Strafklage hinsichtlich aller in
Mindeststrafe nicht kennt. Das Absorptionsprinzip wird außerdem ergänzt durch Tateinheit stehenden Tatbestände verbraucht (ne bis in idem, Art. 103 III GG).134
§ 52 IV, wonach neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren auf Doch gilt dies nach der neueren Rspr. nicht ausnahmslos (BGHSt 43, 255). Insbe-
Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen i. S. d. § 11 I Nr. 8 erkannt werden sondere hindert die rechtskräftige Verurteilung wegen eines Organisationsdelikts
muß oder kann, wenn eines der anwendbaren sie vorschreibt oder zuläßt. Schließ- (§§ 129,129 a) nicht die spätere Ahndung von Taten, die im Dienste der Organisa-
lich kann unter den Voraussetzungen des § 41 (Bereicherung des Täters oder deren tion begangen worden sind (BGHSt 29, 288 f.; vgl. schon Rn. 100).
Versuch) Geldstrafe neben Freiheitsstrafe gesondert verhängt werden (§ 52 III: Ku-
mulationsprinzip).
IV. Die Tatmehrheit (Realkonkurrenz)
114 Für die Feststellung der Höchst- und Mindeststrafdrohungen gilt nicht die für
die Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen maßgebende abstrakte Betrach- l.Was ist Realkonkurrenz?
tungsweise (§ 12 III),132 sondern der im konkreten Fall angewendete, ggf. vom Realkonkurrenz liegt vor, wenn eine Mehrheit von Straftaten in demselben 119
Normalstrafrahmen abweichende Strafrahmen für besonders schwere, minder Verfahren abgeurteilt wird (§ 53 I) oder einer nachträglichen Gesamtstrafenbil-
schwere oder sonst andersartige Fälle. Steht z. B. ein Parteiverrat „im Einverständ- dung (§§ 55 StGB, 460 StPO) unterliegt. Da der Begriff der Tateinheit (§ 52 I)
nis mit der Gegenpartei" (§356 II) in Idealkonkurrenz mit einem besonders schon im einzelnen erläutert worden ist (oben III, Rn.70ff), interpretiert sich der
schweren Fall von Untreue (§ 266 II),133 so droht § 266 II die schwerste Strafe an Begriff der Tatmehrheit von selbst: Alle einer selbständigen Verurteilung unter-
(10 Jahre), während § 356 II die höchste Mindeststrafe vorsieht (ein Jahr). Also liegenden Handlungen, die nicht in Idealkonkurrenz stehen und einer Gesamt-
muß der Strafrahmen sich zwischen einem Jahr und zehn Jahren Freiheitsstrafe be- strafenbildung zugänglich sind, stehen in Realkonkurrenz. Die Abgrenzung von
wegen. Wenn ein Verbrechen und ein Vergehen idealiter konkurrieren, kann auf Handlungseinheit und Handlungsmehrheit (oben Rn. 10 ff.) klärt also schon, was
Grund der konkreten Betrachtungsweise im Einzelfall der Vergehenstatbestand es bedeutet, mehrere Straftaten begangen zu haben.
die schwerere Strafdrohung enthalten, so daß dann die Strafe aus ihm zu entneh- Es gibt - entsprechend der Unterscheidung bei der Idealkonkurrenz, Rn. 2 - 120
men ist. Wenn z. B. ein besonders schwerer Fall des Betruges (§263 III; Vergehen) eine ungleichartige und eine gleichartige Realkonkurrenz. Ungleichartige
mit einem minder schweren Fall des Meineides (§ 154 II; Verbrechen) zusammen- Realkonkurrenz liegt vor, wenn jemand durch mehrere Handlungen verschiedene
trifft, ist die Strafe aus § 263 III zu entnehmen (hier werden maximal zehn Jahre Straftaten begeht (etwa heute einen Diebstahl und morgen einen Betrug), gleich-
angedroht im Verhältnis zu fünf Jahren in § 154 II). artige, wenn jemand durch mehrere Handlungen denselben Tatbestand mehrmals
115 Für die Strafzumessung gilt das schon bei der gleichartigen Idealkonkurrenz erfüllt (indem er z. B. nacheinander gegenüber verschiedenen Personen Körper-
Gesagte (Rn. 107): Die Verletzung mehrerer Tatbestände kann strafschärfend ins verletzungen begeht).
Gewicht fallen. Während die Konkurrenzen schon als solche an der Grenze von Strafrechts-- 121
116 Tatbestände, die wegen Fehlens einer Prozeßvoraussetzung keiner Bestrafung dogmatik und Strafzumessung liegen (Rn.6), kommt bei der Realkonkurrenz
mehr unterliegen, sind auch bei der Strafrahmenfestsetzung nicht mehr zu be- noch ein verfahrensrechtliches Element hinzu, weil diese Konkurrenzform grund-
rücksichtigen. Ist also ein erforderlicher Strafantrag nicht gestellt oder eine sätzlich die Aburteilung der mehreren Taten in demselben Verfahren voraussetzt
(§ 53 I). Es wird allerdings durch die Möglichkeit nachträglicher Gesamtstrafen-
«1 LKn-Rissing-van Saan,3§ 52, Rn. 40. bildung (§§ 55 StGB, 460 StPO) wesentlich relativiert.
«233 Näher dazu Roxin, AT l , § 9.
1 Beispiel von Jescheck/Weigend, AT5, §67 IV 2, wo allerdings bei §266 noch von einer
Mindeststrafe von einem Jahr ausgegangen wird. 13t Näher Roxin, StrafverfahrensR25, § 20, Rn. 9.

832 833
§33 IV 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen IV § 33

Gesamtstrafe gebildet werden. 1 3 5 Die einzige Ausnahme liefert § 32 J G G : Wenn


2. Nach welchen Prinzipien wird die Strafe bei der Realkonkurrenz gebildet? mehrere Straftaten gleichzeitig abgeurteilt werden, auf die teils Jugend-, teils all-
a) Asperations- und Kumulationsprinzip gemeines Strafrecht anzuwenden wäre und wenn das Schwergewicht bei den nach
122 Während die rechtliche Behandlung der Realkonkurrenz Gegenstand des hier Erwachsenenstrafrecht abzuurteilenden Taten liegt, wird „einheitlich das allge-
zunächst zu erörternden § 53 ist, wird die Art u n d Weise der Gesamtstrafenbil- meine Strafrecht" angewendet, das denn auch eine Gesamtstrafe zuläßt. 1 3 6
dung, sofern § 53 eine solche vorschreibt oder zuläßt, in §§ 54, 55 geregelt. c) Mehrere Geldstrafen
123 Grundsätzlich gilt für die Realkonkurrenz das Asperationsprinzip (von lat.
Auch bei der Verhängung mehrerer Geldstrafen sieht das Gesetz in § 531 eine 128
asperare, schärfen), d. h. es wird für jede selbständige Tat eine Einzelstrafe fest-
obligatorische Gesamtstrafenbildung vor. Bis zum 1. StrRG hatten Geldstrafen dem
gesetzt. Aus diesen Einzelstrafen wird dann durch Verschärfung der schwersten Kumulationsprinzip unterstanden. Doch hatte schon der E 1962 auch bei ihnen den
eine Gesamtstrafe gebildet (§§ 53 I, II 1; 54). Das Konkurrenzmodell ist das Ku- Übergang zur Gesamtstrafenbildung befürwortet, und der Reformgesetzgeber ist dem
mulationsprinzip (von lat. cumulare = häufen), bei dem die Einzelstrafen neben- gefolgt. Die Begründung dafür ist überzeugend. 137 Während die Geldstrafe „nämlich
einandergestellt bzw. zusammengerechnet werden. Das geltende Recht kennt nur zunächst nur die Befriedigung mehr oder weniger nebensächlicher Bedürfnisse
noch die „gesonderte Verhängung" (also das Nebeneinander) verschiedener Stra- verhindert, k o m m t sie mit ihrem Anwachsen immer näher an das Existenzmini-
fen, Nebenfolgen, Maßnahmen und sonstiger Sanktionen. Eine solche Kumula- m u m heran und wird deshalb progressiv fühlbarer". Eine Kumulation w ü r d e daher
tion ist in den Fällen des § 53 II 2 fakultativ, in denen des § 53 III, IV obligatorisch dem Schuldprinzip widersprechen.
vorgesehen. Sie findet sich außerdem beim Zusammentreffen von Strafen nach
Da es keine Strafvorschriften gibt, die ausschließlich Geldstrafe androhen, kann 129
dem StGB mit Sanktionen nach d e m W S t G , d e m J G G und dem OWiG. es zu mehreren Geldstrafenverurteilungen nur k o m m e n , w e n n entweder die Geld-
strafe neben der Freiheitsstrafe angedroht wird (wie z.B. in § § 2 4 2 , 263 StGB)
b) Mehrere Freiheitsentziehungen
und das Gericht jeweils eine Geldstrafe verhängt oder w e n n die Geldstrafe nach
124 Bei mehreren nach allgemeinem Strafrecht verhängten Freiheitsstrafen ist eine
§ 47 zur Vermeidung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe dient. O b die Geldstrafe in
Gesamtstrafenbildung gemäß § 53 I zwingend vorgeschrieben. Sie erfolgt n o r m a -
der einen oder der anderen Weise zustande k o m m t , ist einerlei. Wenn zwei Geld-
lerweise (§ 54 I 2) nach dem Asperationsprinzip, während bei einer Verurteilung
strafen nach § 47 StGB verhängt worden sind, kann daraus auch dann keine G e -
zu lebenslanger Freiheitsstrafe auch beim Hinzutreten weiterer zeitiger oder
samtfreiheitsstrafe gebildet werden, w e n n die Gesamtgeldstrafe die Sechsmonats-
lebenslänglicher Freiheitsstrafen i m m e r nur auf die Gesamtstrafe „lebenslänglich"
grenze des § 47 überschreitet (BGH NJW1995,178). D e n n sonst würde der Zweck
erkannt wird (§ 54 11; bis 1986 wurde in solchen Fällen kumuliert).
der Freiheitsstrafenvermeidung vereitelt.
125 Grundsätzlich gilt das Prinzip der Gesamtstrafenbildung auch für den Strafar-
Wenn in einem Strafverfahren neben einer Straftat gleichzeitig eine O r d n u n g s - 130
rest, der nach § 9 II1 W S t G „in Freiheitsentziehung" besteht. Eine Gesamtstrafe ist
Widrigkeit abgeurteilt wird (§§42, 45, 83 OWiG), kann daraus keine Gesamtstrafe
sowohl dann zu bilden, wenn mehrere auf Strafarrest lautende Einzelstrafen ver-
gebildet werden, weil der v o m Gesetzgeber intendierte Wesensunterschied zwi-
hängt worden sind, als auch dann, wenn Freiheitsstrafe und Strafarrest zusam-
schen beiden Sanktionen - mögen sie auch gleichermaßen eine Geldzahlung for-
mentreffen (§ 13 II 1 WStG). In diesem letzten Fall ist die Freiheitsstrafe als die
dern - dies verbietet (OLG Köln N J W 1979, 379). Vielmehr sind dann Geldstrafe
schwerere Strafe zu verschärfen. Auch sonst ist, w e n n sich eine Gesamtstrafe von
und Geldbuße kumulativ zu verhängen. Dagegen läßt sich einwenden, daß auf
mehr als sechs Monaten ergibt, „statt auf Strafarrest auf Freiheitsstrafe" zu erken-
diese Weise der Verurteilte mit unverhältnismäßig hohen Geldzahlungen belastet
nen (§ 13 11 WStG); denn das Höchstmaß des Strafarrestes ist sechs Monate (§ 9 I
werden kann, so daß die Situation eintritt, der durch die Einfuhrung der Gesamt-
WStG).
geldstrafe gerade abgeholfen werden sollte. 138 Andererseits spricht gegen eine G e -
126 Das Gesetz läßt aber auch eine gesonderte Verhängung von Freiheitsstrafe und
samtgeldstrafe in solchen Fällen nicht nur die unerwünschte Vermengung von
Strafarrest zu, wenn eine Gesamtstrafe zur Bewährung auszusetzen wäre, „die Strafe und Ordnungswidrigkeit, sondern auch der Umstand, daß das O W i G nur
Wahrung der Disziplin" aber „die Vollstreckung des Strafarrestes gebietet" (§§ 13 II die Kumulation kennt (§ 20 OWiG).
2; 14 a WStG). Da der Täter auf diese Weise den „Rabatt" der Gesamtstrafenbildung
verliert, sind die Einzelstrafen „so zu kürzen, daß ihre S u m m e die Dauer der sonst
zu bildenden Gesamtstrafe nicht überschreitet" (§ 13 II 3 WStG).
»5 BGHSt 10,100; 14, 287; 36, 270.
127 Bei Verurteilungen nach dem J G G k o m m t eine Gesamtstrafenbildung nicht in «6 BGHSt 12,129,134; für § 105 II JGG: BGHSt 37, 34, 39; 40,1, 2.
137
Frage, weil hier das Prinzip der Einheitsstrafe gilt (§ 31 JGG). Auch wenn ein Täter BT-Drucks. IV/650,193.
138
sowohl zu Freiheits- wie zu Jugendstrafe verurteilt wird, kann daraus grds. keine Vgl. Cramer, JurA 1970, 205; Sch/Sch/Stree26, § 53, Rn. 16.

834 835
§33 IV 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen IV § 33

d) Freiheits- und Geldstrafe bei verschiedenen Taten Geldstrafe verdienen würden. Liegt andererseits das Schwergewicht bei den Geld-
131 Wenn eine Freiheits- mit einer Geldstrafe zusammentrifft, so wird nach § 53 II strafen, ist auf Freiheits- und Geldstrafe gesondert zu erkennen. Auch spezifisch
1 ebenfalls eine Gesamtstrafe gebildet, wobei gemäß § 54 III ein Tagessatz einem spezialpräventive Überlegungen können bald in diese, bald in jene R i c h t u n g wei-
Tag Freiheitsstrafe entspricht. Jedoch kann das Gericht auch kumulieren; d.h. sen. So kann zur Ermöglichung wirksamer Resozialisierungsmaßnahmen eine
Geldstrafe neben Freiheitsstrafe verhängen. Dabei ist umstritten, o b i m Regelfall Verlängerung der Freiheitsstrafe u n d damit eine Gesamtstrafe wünschenswert
eine Gesamtstrafe zu bilden oder Freiheits- und Geldstrafe gesondert festzu- sein. Es kann aber auch genau umgekehrt liegen: Wenn die Gesamtstrafe wegen
stellen sind oder ob überhaupt kein Regel-Ausnahme-Verhältnis anzunehmen der Dauer des Freiheitsentzuges schwere beamtenrechtliche Nachteile für den Ver-
ist, sondern die Entscheidung nur i m Wege einer Einzelfallabwägung getrof- urteilten mit sich bringt 1 4 3 oder eine Strafaussetzung zur Bewährung verhin-
fen werden kann. dert, 1 4 4 ist sie spezialpräventiv kontraindiziert, und eine gesonderte Verhängung
132 Die Rspr. 1 3 9 und ein Teil der Literatur 140 gehen davon aus, daß i. d. R . eine von Geld- und Freiheitsstrafe ist geboten. Trifft Freiheitsstrafe mit einer nach § 47
Gesamtstrafe zu bilden und eine Kumulation von Freiheits- und Geldstrafe die verhängten Geldstrafe zusammen, spricht der Zweck des § 47 meist für eine g e -
Ausnahme sei. Dafür läßt sich geltend machen, daß der Gesetzeswortlaut für den sonderte Verhängung der Geldstrafe.
Vorrang der Gesamtstrafe spricht (§ 53 II1), von der das Gesetz auch sonst i. d. R . Die Rspr. k o m m t trotz des von ihr grds. angenommenen Vorranges der G e - 136
ausgeht. samtstrafe der hier vertretenen Auffassung insofern entgegen, als sie dem Tatrich-
133 Die Gegenmeinung, 1 4 1 die im Regelfall für eine gesonderte Verhängung von ter für die Verhängung der Gesamtstrafe eine besondere und natürlich an den
Freiheits- und Geldstrafe eintritt, kann darauf hinweisen, daß die Gesamtstrafe, Grundsätzen der Strafzumessungslehre zu orientierende B e g r ü n d u n g abverlangt,
die in den Fällen des § 53 I den Täter im Verhältnis zu einer gedachten Kumulation wenn die Gesamtstrafe im konkreten Fall für den Täter besondere Nachteile mit
begünstigt, beim Zusammentreffen von Geld- und Freiheitsstrafe zu seiner B e - sich bringt. 1 4 5 Das ist keineswegs immer der Fall. D e n n zwar ist die Freiheitsstrafe
nachteiligung führt. D e n n die Geldstrafe verwandelt sich in eine schwerere Frei- als solche schwerer als die Geldstrafe. Aber w e n n bei der Gesamtstrafenbildung
heitsstrafe. Außerdem widerspricht der Vorrang der Gesamtfreiheitsstrafe dem in nur eine geringe Schärfung vorgenommen wird, kann der Wegfall einer größeren
§ 47 ausgesprochenen Grundsatz, daß mindestens im Bereich der kleinen K r i m i - Geldstrafe vom Täter auch als Erleichterung empfunden werden.
nalität die Geldstrafe vorzuziehen ist.
e) Freiheits- u n d Geldstrafe bei derselben Tat
134 Die beste Lösung ist aber die, keiner der beiden Möglichkeiten von vornher-
Nach § 41 kann für ein und dieselbe Tat Freiheits- und Geldstrafe verhängt wer- 137
ein den Vorrang zuzuweisen, sondern nach den allgemeinen Regeln der Straf-
den, wenn der Täter „sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht" hat.
zumessung zu entscheiden, ob eine verschärfte Freiheitsstrafe oder eine Ku-
In einem solchen Fall ergibt die Verweisung von § 53 IV auf § 52 III, daß das G e -
mulation angemessen ist. 142 D e n n der Gesetzgeber öffnet dem Richter beide
richt Geldstrafe „neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen kann". Daß es in einem
Wege, und da das Kumulationsermessen an keine einschränkenden Voraussetzun-
solchen Fall keine Gesamtstrafe bilden darf, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Es
gen gebunden ist, sollte im R a h m e n des Schuldangemessenen die jeweils präven-
wird aber schon durch den Wortlaut des Gesetzes nahegelegt, weil der in Bezug
tiv indizierte Strafe verhängt werden. § 47 ergibt kein überzeugendes Argument
genommene § 52 III, der die Idealkonkurrenz betrifft, eine Gesamtstrafe natürlich
für den grundsätzlichen Vorrang gesonderter Geldstrafenverhängung. Denn der
nicht kennt. Aber auch der Zweck des § 41 gebietet ein Nebeneinander von Frei-
Wortlaut des § 53 liefert dafür keine Anhaltspunkte. U n d die Vermeidung kurzfri-
heits- und Geldstrafe. Denn da die Geldstrafe dem Täter die erlangte oder erstrebte
stiger Freiheitsstrafen, u m die es in § 47 geht, betrifft nur einen Teil der Fälle, bei
Bereicherung entziehen soll, darf sie nicht in der Freiheitsstrafe aufgehen. 146
dem dieser Gesichtspunkt auch im R a h m e n der Strafzumessung berücksichtigt
werden kann (vgl. R n . 135). Werden für mehrere Taten mehrere Geldstrafen nach § 41 verhängt, ist insoweit 138
eine Gesamtgeldstrafe auszusprechen, wie man sowohl aus § 53 I wie aus § 53 II 2
135 So kann die Vielzahl von Straftaten eine Gesamtfreiheitsstrafe indizieren, auch
entnehmen kann. Dasselbe gilt, wenn Geldstrafen nach § 41 mit selbständig ver-
wenn einzelne der in sie eingehenden Delikte bei isolierter Betrachtung nur eine
hängten Geldstrafen zusammentreffen (vorausgesetzt, daß diese nicht in einer G e -
i» BGH MDR (D) 1973,17; BGH GA 1987, 80; 1989,132,133; BGHJR 1989, 425 f. m. zust. samtfreiheitsstrafe aufgegangen sind).
Anm. Bringewat; BGH wistra 1994, 61; BayObLG MDR 1982, 770; OLG Koblenz GA 1978,188
(zweifelnd).
'« NK-Frister, § 53, Rn. 24; Tröndle/Fischer50, § 53, Rn. 6. i« BGH wistra 1986, 256f.; BGH NJW 1989, 2900.
"' Sch/Sch/Stree26, § 53, Rn. 18-20; SK6-Samson/Günther, § 53, Rn. 14. M4 BGH MDR (H) 1985, 793; BGH StV 1986, 58; 1992, 225; BGH NJW 1990, 2897.
•« Bringewat, 1987, Rn.llöf.; Jescheck/Weigend, AT5, §68 II 2; Lackner/Kühl24, §53, Rn.4; i« Vgl. die Belege in Fn. 145 und 146.
SK6-Samson/Günther, §53, Rn.Bff., 14; Tröndle/Fischer , §53, Rn.6; wohl auchJoecks3, §54, Ms Bringewat, 1987, Rn. 125 und 128 a. E.; Jescheck/Weigend, AT5, § 68 II 2; LKn-Rissing-van
Rn.2. Saan, § 53, Rn. 18; Sch/Sch/Stree26, § 53, Rn. 22.

836 837
§33 IV 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen IV § 33
148
f) Freiheitsstrafe und Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen diejenige die schwerste, für die die meisten Tagessätze verhängt worden sind. Es
139 Auch diese anderweitigen Sanktionen treten ggf. neben die Gesamtfreiheits- ist also nicht unbedingt der zu zahlende Betrag maßgebend. Lauten die Einzel-
strafe, wie sich aus der Verweisung von § 53 IV auf § 52 IV 2 ergibt. Die Maßregel strafen teils auf Freiheits-, teils auf Geldstrafe, so ist immer die Freiheitsstrafe die
usw. muß neben die verwirkte Einzelstrafe treten; es genügt also nicht, wenn erst schwerste. Das gilt auch dann, wenn sie niedriger ist als die>Zahl der im Rahmen
die Gesamtstrafe ihre Voraussetzungen erfüllt. Kommt eine der genannten Folgen einer Geldstrafe verhängten Tagessätze.149
(z. B. ein Fahrverbot nach § 44) bei mehreren Einzelstrafen (im Beispiel: wegen c) Die Verschärfung nach dem Asperationsprinzip
verschiedener Verkehrsdelikte) in Betracht, so ist, wenn es sich um dieselbe
Im letzten Schritt der Gesamtstrafenbildung wird die Einsatzstrafe nach dem 143
Rechtsfolge handelt, diese nur einmal zu verhängen. Dabei kann die Dauer höher
Asperationsprinzip erhöht, soweit sie nicht schon - wie bei der lebenslangen Frei-
bemessen werden, als es bei einer einzelnen Nebenstrafe der Fall wäre; aber die
heitsstrafe (§ 54 I 1) oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren - die
gesetzliche Höchstgrenze (in § 44: drei Monate) muß eingehalten werden. Wenn
absolute Obergrenze erreicht. Dabei wird ein neuer Strafrahmen gebildet, dessen
für die einzelnen Taten verschiedene Nebenstrafen, Nebenfolgen oder Maßregeln
untere Grenze in einer Anhebung der Einsatzstrafe besteht und dessen obere Gren-
angedroht sind, müssen sie ggf. nebeneinander verhängt werden.
ze „die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen" darf (§ 54 I 2; II1). Es ist also ein
falscher Weg der Strafmaßgewinnung, erst die Einzelstrafen zusammenzurechnen
3. Die Bildung der Gesamtstrafe und dann einen Abzug vorzunehmen oder gar zunächst eine Gesamtstrafe zu be-
Sie ist in § 54 im einzelnen geregelt und entwickelt sich in drei Schritten. stimmen und nachträglich die dazu passenden Einzelstrafen auszuwerfen.150
a) Die Auswerfung der Einzelstrafen Die Erhöhung der Einsatzstrafe muß, wenn es sich um eine Freiheitsstrafe han- 144
delt, mindestens der kleinsten in § 39 angegebenen Einheit entsprechen. Das ist
140 Es ist zunächst für jede realkonkurrierende Einzeltat eine selbständige Strafe
bei Freiheitsstrafen unter einem Jahr eine Woche, bei Freiheitsstrafen ab einem Jahr
festzusetzen. Dabei ist die Strafzumessung grds. so vorzunehmen, wie wenn die
ein Monat. Beträgt also die höchste Einzelfreiheitsstrafe, die der Täter verwirkt
Tat allein zur Aburteilung stünde. Denn die Gesamtwürdigung aller Straftaten er-
hat, neun Monate, so liegt die untere Grenze der Gesamtstrafe bei neun Monaten
folgt erst bei Festsetzung der Gesamtstrafe (§ 54 I 3). Allerdings gilt das nach der
und einer Woche. Beläuft sich die Einsatzstrafe auf zwei Jahre, so beginnt der
Rspr. nicht ganz ohne Einschränkungen, weil es auch für die Strafzumessung bei
Strafrahmen bei zwei Jahren und einem Monat. Bei der Geldstrafe ist die kleinste
der Einzeltat u.U. relevant sein kann, daß sie im Kontext anderer Delikte began-
Einheit ein Tagessatz (§ 40); um diesen muß also die Einheitsstrafe mindestens
gen worden ist. Insbesondere bei Beurteilung der Frage, ob nach § 47 ausnahms-
verschärft werden.
weise eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt werden muß, läßt die
Rspr. die Berücksichtigung der Mehrzahl begangener Taten zu.147 Das ist auch Treffen Einzelfreiheitsstrafe(n) und Einzelgeldstrafe(n) zusammen, so ist bei 145
richtig. Denn wenn nur einzelne Geldstrafen verhängt würden, könnte die bei einer Gesamtstrafenbildung die Geldstrafe in Freiheitsstrafe umzurechnen, wobei
einer Gesamtbeurteilung aller Taten erforderliche Freiheitsstrafe sonst nicht mehr „ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe" entspricht (§ 54 III). Hat also z. B. der
zustande kommen. Täter eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und außerdem eine Geldstrafe von 90
Tagessätzen verwirkt, so ergibt sich eine Mindestgesamtstrafe von sechs Monaten
141 Die Einzelstrafen haben im Verhältnis zur Gesamtstrafe eine gewisse selbständi-
und einer Woche Freiheitsstrafe.
ge Bedeutung, weil die neben der Freiheitsstrafe nach § 53 III, IV zu verhängenden
Nach oben hin wird die Gesamtstrafe in doppelter Weise begrenzt: Sie darf 146
Sanktionen an sie anknüpfen (Rn. 137-139). Auch können Einzelstrafen bestehen-
erstens die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen (§ 54 II1: konkrete oder rela-
bleiben, wenn die Gesamtstrafe oder andere Einzelstrafen wegfallen. Es ist daher
tive Obergrenze); und sie darf zweitens bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre
nötig, in den Urteilsgründen (nicht im Tenor!) jede Einzelstrafe mit den für sie
und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen (§ 54 II 2:
maßgebenden Zumessungsfaktoren aufzuführen.
abstrakte Obergrenze). Bei lebenslanger Freiheitsstrafe entfällt die Asperation
b) Die Ermittlung der Einsatzstrafe (§ 54 11), so daß dann also die Einsatzstrafe mit der Gesamtstrafe identisch ist. '
142 In einem zweiten Arbeitsgang ist die verwirkte schwerste Einzelstrafe (die sog. Die konkrete Obergrenze ergibt sich aus einer Addition und einer anschließen- 147
Einsatzstrafe) zu ermitteln. Dies geschieht grds. in derselben Weise wie bei der den Subtraktion. Zunächst werden die Einzelstrafen zusammengezählt. Das ist
Idealkonkurrenz (Rn. 110 ff.). Bei mehreren Freiheitsstrafen ist diejenige, die den beim Zusammentreffen von Freiheitsstrafe und Strafarrest ohne weiteres (BGHSt
längsten Freiheitsentzug ausspricht, die schwerste. Bei mehreren Geldstrafen ist
"8 BGH NJW 1986,1117.
w BGHSt 24, 268, 271; BGH MDR (D) 1970, 196. Ebenso in der Lit. Bringewat, 1987, i« BGHSt 37,106,133; Sch/Sch/Stree26, § 54, Rn. 5; Tröndle/Fischer50, § 54, Rn. 5.
Rn. 154f.; Jescheck/Weigend, AT5, § 68 III la. 'S" LKU-Rissing-van Saan, § 54, Rn. 5.
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§ 33 IV 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen IV § 33

12, 244) und bei Freiheits- und Geldstrafe durch U m r e c h n u n g der letztgenannten Neben die Gesamtwürdigung der Taten tritt diejenige der Persönlichkeit des 151
nach dem Maßstab des § 54 III möglich. Die sich aus der Addition ergebende Täters. Dabei ist „neben seiner Strafempfänglichkeit vor allem seine größere oder
S u m m e der Einzelstrafen m u ß dann u m mindestens eine Einheit reduziert wer- geringere Schuld im Hinblick auf das Gesamtgeschehen" in R e c h n u n g zu ziehen.
den, also u m eine Woche oder einen Monat bei Freiheitsstrafen und u m einen Auch ist es wichtig, „ob die mehreren Straftaten einem kriminellen H a n g bzw. bei
Tagessatz bei Geldstrafen. Hat also z. B. ein Täter zwei Freiheitsstrafen von einem Fahrlässigkeitstaten einer allgemeinen gleichgültigen Einstellung entspringen
Jahr und zwei Jahren verwirkt, so reicht der Strafrahmen für die Gesamtstrafe von oder ob es sich u m Gelegenheitsdelikte ohne innere Verbindung handelt".
einem Jahr und einem Monat bis zu zwei Jahren u n d elf Monaten. Trotz dieser verhältnismäßig konkreten Hinweise sind zwei Grundprobleme 152
148 Abweichungen von diesem Berechnungsmodus können sich nur dann ergeben, noch nicht ausreichend geklärt. Strittig ist zunächst, ob Strafzumessungsgründe,
wenn die aus § 39 zu entnehmende Mindesterhöhungszeit schon für sich die S u m - die schon bei der Einzelstrafe berücksichtigt worden sind, auch bei der G e -
me der Einzelstrafen erreicht und damit § 54 I I 1 widerspricht. Hat der Täter z. B. samtstrafenzumessung noch eine Rolle spielen können. Dagegen wird das im
eine Einzelstrafe von einem Jahr u n d eine andere v o n einem Monat Einzelstrafe Bereich der Strafzumessung sonst geltende „Verbot der Doppelverwertung" ins
erhalten, so würde sich nach § 39 eine Mindeststrafe von einem Jahr und einem Feld geführt. 1 5 4 Demgegenüber gehen die Rspr. und ein Teil der Literatur 155 da-
Monat errechnen. Das verstößt aber gegen die in § 54 II 1 festgelegte konkrete von aus, daß eine völlige Trennung der für die Einzel- und für die Gesamtstrafe
Obergrenze, wonach die Gesamtstrafe unter der S u m m e der Einzelstrafen bleiben maßgeblichen Gesichtspunkte nicht durchführbar sei. „Umstände wie die persön-
m u ß : Hier wird deshalb von Rspr. 1 5 1 und h. L. 152 eine Mindesterhöhung von ei- lichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters, sein Vorleben und seine aus der
ner Woche angenommen, so daß die Gesamtstrafe dann ein Jahr und eine Woche, Tat sprechende Gesinnung, die schon . . . bei der Feststellung der Einzelstrafen zu
ein Jahr und zwei Wochen oder ein Jahr und drei Wochen betragen kann. beachten sind, haben auch bei der Bildung der Gesamtstrafe wesentliche Bedeu-
149 Die zweite Obergrenze bildet das abstrakte Höchstmaß, wie es in § 54 II 2 fest- tung. Sie können einmal isoliert für die Einzeltat, zum anderen in ihrer Auswir-
gelegt ist (vgl. R n . 146). Hat der Täter z. B. Freiheitsstrafen verwirkt, die zusam- kung auf die Gesamtheit der Taten .zusammenfassend' berücksichtigt werden."
men 25 Jahre ergeben, beträgt die Obergrenze der Gesamtstrafe nicht entspre- Dieser letzte Standpunkt verdient Beifall. D e n n z. B. ist die Feststellung jeweils 153
chend dem konkreten Höchstmaß 24 Jahre und elf Monate, sondern nur fünfzehn einzelner Sorgfaltswidrigkeiten etwas anderes als die aus ihrer Summierung sich
Jahre. Entsprechendes gilt für die Geldstrafe. ergebende Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber fremden Rechts-
150 Innerhalb des so gebildeten Strafrahmens bedarf die konkrete Festsetzung gütern. Die Gesamtwürdigung greift zwar ggf. auf dieselben Tatsachen zurück,
der Gesamtstrafe eines selbständigen Strafzumessungsaktes, bei d e m „die Per- wie sie bei der Zumessung der Strafe für die Einzeltat verwertet worden sind, aber
son des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt" sie beurteilt sie unter einem anderen Aspekt. Eine solche „mehrfache, aber ver-
werden (§54 I 3). Es genügt also nicht, die Einzelstrafen zu begründen und dann schiedenartige Bewertung derselben (doppelfunktionellen) Strafzumessungstat-
hinsichtlich der Gesamtstrafe im Urteil lediglich festzustellen: „Die zu bildende Ge- sachen" 156 m u ß als zulässig angesehen werden.
samtstrafe erschien in Höhe von fünf Jahren angemessen." 153 Vielmehr ist eine zusätz- Unklar ist auch, ob Serienstraftaten bei der Gesamtstrafenbildung straf- 154
liche besondere Begründung nötig, die auf der gesetzgeberischen Vorstellung b e - schärfend 157 oder strafmildernd 158 ins Gewicht fallen. Richtigerweise sollten
ruht, „daß die einzelnen Taten Ausfluß einer einheitlichen Täterpersönlichkeit sind diese Fälle differenzierend beurteilt werden. Wenn verschiedene Diebstähle sich
und deshalb nicht als bloße Summe, sondern als ein Inbegriff beurteilt werden nur als sukzessive Verwirklichung eines einheitlichen Gesamtvorsatzes darstellen,
müssen". Es soll eine „Gesamtschau aller Taten" v o r g e n o m m e n werden. „Hierbei
sind namentlich das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander, insbesondere
ist Jescheck/Weigend, AT5, §68 III lc. Ebenso Dreher, JZ 1957, 157; Jakobs, AT2, 33/18; Seh/
ihr Zusammenhang, ihre größere oder geringere Selbständigkeit, ferner die H ä u - Sch/Stree26, § 54, Rn. 15; Tröndle/Fischer50, § 54, Rn. 10; grundsätzlich auch SK6-Samson/Gün-
figkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechts- ther, §54, Rn.9.
güter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden iss BGHSt 8, 205, 210; 24, 268, 270 f. m. zust. Anm. Jagusch, NJW 1972, 454; OLG Hamm
NJW 1977, 2087, 2088; OLG Köln NJW 1953, 275, 276; OLG Saarbrücken NJW 1975, 1040,
Sachverhaltes zu berücksichtigen." 1041; Bringewat, 1987, Rn. 184; Bruns, H. Mayer-FS, 1965, 374f.; Geerds, 1961, 376, Fn. 765; Lack-
ner/Kühl, § 54, Rn. 6; LKU-Rissing-van Saan, § 54, Rn. 12.
iss Vgl. dazu bes. Bringewat, 1987, Rn. 184.
i5i BGHSt 16,167; 41, 374, 376; BGH NStZ 1996,187. 157 BGHSt 24, 268, 270; 36, 320ff.; BGH NStZ 1992, 389; 1996, 187, 188; BGHR StGB,
»2 Bringewat, 1987, Rn. 167; NK-Frister, § 54, Rn. 18; SK7-Horn, § 39, Rn. 3; Uckner/Kühl24, vor § 1, fortgesetzte Handlung, Auswirkungen, nachteilige, Nrn. 6 und 7; Bender, NJW 1964,
§54, Rn.4; SK6-Samson/Günther, §54, Rn.5; Sch/Sch/Stree26, §39, Rn.4; Tröndle/Fischer50, 807f.; Bohnert, ZStW 105 (1993), 850; Jescheck/Weigend, AT5, §68 III lc; LKn-Rissing-van Saan,
§39, Rn.6. vor § 54, Rn. 14.
153 Beispiel aus BGHSt 24, 269. Auch alle folgenden Zitate stammen aus BGHSt 24, 269/ iss BGH StV 1994, 424, 425; 1997, 76; BGH NJW 1995, 2234; BGHR StGB, §54 Abs.l,
270. Bemessung, Nrn. 2 und 4; Arzt, JZ 1994,1001; Geisler, Jura 1995, 82.
840 841
§33 IV 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen IV § 33

bei der früher eine fortgesetzte Handlung a n g e n o m m e n wurde (vgl. unten Delikt abgeurteilt werden u n d hätte somit bei der früheren Verurteilung in die
R n . 248 ff), oder w e n n mehrere ähnliche Taten darauf zurückzuführen sind, daß Gesamtstrafe einbezogen werden können. Zu weit geht es dagegen, w e n n Frister164
der Täter derselben Versuchung erlegen ist, kann die formaliter mehrfache Bege- sogar schon einen vor der früheren Verurteilung liegenden strafbaren Versuch in
hung milder beurteilt werden. Sie kann aber auch, wie bei ständig wiederholten, die nachträgliche Gesamtstrafenbildung einbeziehen will. D e n n w e n n zur Zeit der
auf i m m e r neuen Entschlüssen beruhenden Raubüberfällen, eine besondere k r i - früheren Verurteilung n u r ein Versuch vorlag u n d ungewiß war, ob er zur Voll-
minelle Energie verraten u n d dadurch strafschärfend wirken. endung führen werde, konnte die Tat noch nicht abschließend beurteilt u n d somit
155 Im übrigen stellt die Rspr. an die B e g r ü n d u n g des Strafmaßes u m so höhere bei der früheren Verurteilung auch noch nicht einbezogen werden ( B G H N S t Z
Anforderungen, j e mehr sich dieses der unteren oder oberen Grenze des Straf- 1994, 482 f.).
maßes nähert. 1 5 9 Wenn also die Gesamtstrafe trotz vieler Einzeltaten nur wenig Nicht unstrittig ist auch die Frage, wie verfahren werden soll, w e n n die v o m 160
über der Einsatzstrafe liegt, m u ß das genauso einläßlich begründet werden, wie zweiten Richter abzuurteilenden Taten teils vor, teils nach d e m Ersturteil began-
w e n n die Gesamtstrafe sich der Kumulation nähert. gen worden sind. Rspr. 1 6 5 u n d h . M . 1 6 6 nehmen an, daß auch in einem solchen
Fall nur die vor der früheren Verurteilung liegenden Delikte in die Gesamtstrafen-
4. D i e nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe bildung einbezogen werden können. Für die späteren Taten m u ß dann eine zweite,
selbständige Einzel- oder Gesamtstrafe gebildet werden.
156 Die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe soll ein Versäumnis der Strafjustiz
ausgleichen, indem sie Taten in die Gesamtstrafe einbezieht, die schon im früheren Die Gegenmeinung will auch später begangene Taten in die Gesamtstrafe ein- 161
Urteil hätten berücksichtigt werden müssen, w e n n sie damals bekannt gewesen beziehen 1 6 7 mit der Begründung, die Zäsur durch die Vorverurteilung wider-
wären. Der Verurteilte soll also vor Strafnachteilen geschützt werden, die i h m aus spreche d e m der Gesamtstrafenbildung zugrunde liegenden Gedanken, daß im
zwei selbständigen Verurteilungen erwachsen würden. Das Gesetz knüpft die R a h m e n des Möglichen alle Taten des zu Verurteilenden durch eine einzige
Gesamtstrafe abgegolten werden sollen. Eine Mittelmeinung vertritt Streel6S, der
nachträgliche Gesamtstrafenbildung an drei Voraussetzungen: Erstens m u ß die
die Zäsurwirkung des früheren Urteils dann nicht gelten lassen will, „wenn die
später abzuurteilende Tat vor der früheren Verurteilung begangen worden sein (a).
frühere Verurteilung nach der Art der abgeurteilten Tat nicht geeignet sein konnte,
Zweitens darf die früher verhängte Strafe noch nicht „vollstreckt, verjährt oder
im Hinblick auf die spätere Tat einen warnenden Appell auf den Täter auszuüben".
erlassen" sein (b). U n d drittens m u ß das frühere Urteil rechtskräftig sein (c).
Ihm zufolge kann, „wenn der Täter mehrere Raubüberfälle oder Meineide b e -
a) D i e B e g e h u n g vor der früheren Verurteilung gangen hat, die Einbeziehung der hierfür verhängten Einzelstrafen in eine G e -
157 Eine Tat ist vor der früheren Verurteilung begangen, w e n n ihr Zeitpunkt vor der samtstrafe nach § 53 nicht dadurch gehindert sein, daß der Täter in der Zeit z w i -
letzten tatrichterlichen Entscheidung zur Schuld- und Straffrage liegt. 1 6 0 Beim schen den Verbrechen wegen fahrlässiger Körperverletzung . . . verurteilt worden
Strafbefehl k o m m t es auf den Zeitpunkt des Erlasses an (BGHSt 33, 320). D e n n ist. Andernfalls könnte allein deswegen die Höchstgrenze des § 54 II unbeachtlich
bis zur letzten Sachentscheidung hätte noch eine Gesamtstrafe gebildet werden bleiben."
können. 1 6 1 Die abweichenden Ansichten haben kriminalpolitisches Gewicht, aber sie ent- 162
158 Über die Frage, unter welchen Voraussetzungen die „andere Straftat vor der frühe- sprechen nicht dem geltenden Recht. D e n n der Wortlaut des § 55 verlangt eindeu-
ren Verurteilung begangen" ist, entscheidet nach h. M . deren materielle Beendi- tig, daß die einzubeziehende Tat vor der früheren Verurteilung begangen worden
gung. 1 6 2 Es m u ß danach also z. B. bei tatbestandlichen oder natürlichen Handlungs- ist. U n d auch der Zweck des Gesetzes deckt die Einbeziehung von Nachtaten
einheiten oder einer Dauerstraftat der letzte Handlungsakt abgeschlossen sein. nicht. D e n n der Täter soll nur so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn bei
159 Die Gegenmeinung 1 6 3 stellt auf die formelle Vollendung ab. Sie hat die besseren der ersten Verurteilung alle bis dahin begangenen Taten durch eine Gesamtstrafe
Gründe für sich. D e n n schon die formell vollendete Tat kann als vollendetes abgegolten worden wären.

™ BGHSt 5, 57ff.; 8, 205, 210; 24, 268, 271; BGH J R 1954,147; BGH StV 1994,424,425. 164 NK-Frufer, §55, Rn.9.
165
«o BGHSt 2, 230 ff.; 4, 366; 15, 66, 69; 17,173,175; BGHR StGB, § 55 Abs. 1 S. 2, Zäsurwir- RGSt 4, 53ff.; BGHSt 9, 370, 383; 32, 190, 193f.; BGH GA 1955, 244f.; 1956, 50f.;
kung, Nr. 1. 1963, 374f.; BGH MDR (H) 1979, 987; BGH StV 1981, 620f.; BayObLGSt 1955, 123f.;
161
Zur Frage, welche Entscheidungen im einzelnen als Sachentscheidungen gelten können, BayObLG NJW 1971,1193f.; OLG Celle GA 1957, 56f.; OLG Hamm MDR 1976,162f.; OLG
vgl. mit zahlreichen Einzelnachweisen LK -Rissing-van Saan, § 55, Rn. 5-7. Zweibrücken NJW 1973, 2116.
"» RGSt 59, 168; BGH MDR (H) 1988, 101; BGH NJW 1991, 2847; BGH wistra 1996, i " Bender, NJW 1964, 807f.; NK-Frister, §55, Rn. 16, 15; Jescheck/Weigend, AT5, §68 III 2;
144, 145; BGH, bei Detter, NStZ 1989, 470; OLG Hamm NJW 1954, 324; 1957, 1937; Lackner/ Uckner/Kühl24, § 55, Rn. 7.
Kühl24, § 55, Rn. 4; Sch/Sch/Stree26, § 55, Rn. 12; Tröndle/Fischer50, § 55, Rn. 7. 167
Sacksqfsky, NJW 1963, 894f.; SK6-Samson/Günther, § 53, Rn. 9.
168
»« Bringewat, 1987, Rn. 213/214; SK6-Samson/Günther, § 55 Rn. 6; NK-Frister, § 55, Rn. 8. Sch/Sch/Stree26, § 55, Rn. 16.

842 843
§33 IV 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen IV § 33

b) D i e frühere Strafe darf n o c h nicht erledigt sein neue Gesamtstrafe einbezogen (BGHSt 12, 99). Das Gericht des zweiten Urteils ist
163 Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung k o m m t ferner nur in Betracht, w e n n an die Feststellungen und Strafzumessungserwägungen hinsichtlich der Einzel-
die frühere Strafe noch nicht „vollstreckt, verjährt oder erlassen ist" (§ 55 11). Dies strafen an das Ersturteil gebunden, bei der zusammenfassenden Würdigung und
hat seine Ursache darin, daß sie in den genannten Fällen der „Erledigung" nicht der auf ihrer Basis zu bildenden Gesamtstrafe dagegen fr&. Zu den Schwierig-
mehr in eine neue Gesamtstrafe einbezogen werden kann. Eine Vollstreckung liegt keiten, die bei der Bildung einer Gesamtgeldstrafe auftreten können, w e n n die
vor, w e n n eine Freiheitsstrafe verbüßt, eine Geldstrafe bezahlt oder die ggf. an ihre Tagessätze im ersten und zweiten Urteil wegen zwischenzeitlicher Veränderung
Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt ist. Eine Vollstreckungsverjährung tritt der wirtschaftlichen Verhältnisse unterschiedlich hoch sind, vgl. B G H S t 27, 359;
nach Maßgabe der §§ 79 ff. ein. Ein Erlaß k o m m t in Form der Amnestie, der B e - 28, 360. 171
gnadigung und vor allem nach erfolgreich bestandener Bewährungszeit (§§ 56 g Nach § 55 II sind Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen, auf die in der
I; 57 III1; 57 a III 2) in Betracht. früheren Entscheidung erkannt war, „aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch
164 Wenn die frühere Strafe schon vollstreckt ist, scheidet also eine nachträgliche die neue Entscheidung gegenstandslos werden". Gegenstandslos wird eine frühere
Gesamtstrafenbildung aus. Das ist für den Täter eine Härte, weil er zweimal b e - Maßnahme oder Nebenfolge dann, w e n n sie durch die im neuen Urteil aus-
straft wird und dadurch die Milderung verliert, die das Asperationsprinzip mit gesprochenen Maßnahmen usw. überflüssig geworden ist. Spricht z. B. das neue
Urteil eine Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69) aus, wird ein im früheren Urteil
sich bringt. Die Rspr. gewährt i h m deshalb bei der Strafzumessung einen H ä r t e -
verhängtes Fahrverbot (§44) gegenstandslos. Die im neuen Urteil angeordnete
ausgleich, der diesen Nachteil kompensieren soll. 169 Die Lehre stimmt dem mit
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63) erübrigt die frühere
Recht zu. 170 Bei einem Erlaß der früheren Strafe - u n d dasselbe m u ß bei einer
Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64). Der bei der
Vollstreckungsverjährung gelten - k o m m t dagegen ein Härteausgleich nicht in
nachträglichen Gesamtstrafe zwingend eintretende Verlust der Amtsfähigkeit nach
Betracht (BGH N S t Z 1983, 261). D e n n wenn die frühere Strafe erlassen ist, steht
§ 45 I macht die früher nach § 45 II ausgesprochene Aberkennung hinfällig.
der Täter besser da, als wenn sie in eine neue Gesamtstrafe einbezogen worden
wäre. e) D i e nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch Beschluß nach
§ 460 StPO
c) Das frühere Urteil m u ß rechtskräftig sein
Ist die nachträgliche Gesamtstrafenbildung versäumt worden, weil der spätere
165 Dieses dritte Erfordernis erklärt sich daraus, daß es nicht sinnvoll ist, „in eine
Richter das frühere Urteil nicht gekannt hat, so kann diese bei Rechtskraft sämt-
Gesamtstrafe Einzelstrafen einzubeziehen, deren Bestand nicht gesichert ist"
licher Urteile i m Beschlußwege nachgeholt werden (§ 460 StPO). Diese Bestim-
(BGHSt 23,100). Spätestens bei der Entscheidung über die Gesamtstrafe im späte-
m u n g kann auch angewendet werden, w e n n im Zweiturteil eine Gesamtstrafen-
ren Verfahren m u ß also die Rechtskraft des früheren Urteils eingetreten sein. Eine
bildung wegen fehlender Rechtskraft des Ersturteils nicht möglich war (vgl.
im früheren Urteil ausgesprochene Entscheidung über die Strafaussetzung zur B e - R n . 165 und BGHSt 20, 292, 294) oder weil beim Zweiturteil die Vorstrafakten
währung m u ß andererseits nicht unbedingt schon rechtskräftig sein, weil über die nicht rechtzeitig zu erlangen waren (BGHSt 12, 1, 10) oder weil bei seinem Erlaß
Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 58 II im neuen Urteil ohnehin neu ent- wegen eines aussichtsreichen Wiedereinsetzungsantrages gegen die Versäumung
schieden werden m u ß (BGH N J W 1956,1567 f.). der Rechtsmittelfrist im Hinblick auf das Ersturteil von einer nachträglichen G e -
samtstrafenbildung abgesehen werden durfte (BGHSt 23, 98).
d) D i e Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe
Zuständig für den Beschluß ist nach § 4 6 2 a III StPO das Gericht des ersten
166 Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung vollzieht sich prinzipiell nach der all-
Rechtszuges, das die schwerste u n d bei gleichschweren die höchste Einzelstrafe
gemeinen Vorschrift des § 54. Es werden also zunächst die Einzelstrafen ermittelt,
verhängt hat. 172 Weitere Einzelfragen der Zuständigkeit regelt § 4 6 2 a III 2 - 4
aus denen dann nach den schon dargelegten Regeln die Gesamtstrafe gebildet
StPO.
wird. War schon die frühere Strafe eine Gesamtstrafe, so wird diese aufgelöst. Die
alten Einzelstrafen bestehen fort und werden mit den hinzukommenden in eine

«» BGHSt 2, 230, 233; 31, 102 m. Antn. Laos, NStZ 1983, 260; BGHSt 33, 131; 367, 369;
BGH NStZ 1990, 436; BGHR StGB, § 55 Abs. 1 S. 1, Härteausgleich, Nr. 1; BayObLG NJW
1993, 2127. Über die dabei zu beachtenden Einzelheiten näher LK -Rissing-van Saan, § 55, 171
Rn. 23, 30 ff. 24 6
Ausführliche Darstellung des Streitstandes und der Einzelheiten bei LKn-Rissing-van
™ Bringewat, 1987, Rn.251; NK-Frister, § 55, Rn.33ff.; Lackner/Kühl , §55, Rn.3; SK - Saan, §55,Rn.35ff.
172
2 50
Samson/Günther, § 55, Rn. 10; Sch/Sch/Stree * § 55, Rn. 28; Tröndle/Fischer , § 55, Rn. 17, 21 f. BGHSt 11, 293; BGH NJW 1976,1512; BGH MDR1986,69.

844 845
§33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33

Der Ausdruck „Gesetzeskonkurrenz" ist eingebürgert und wird, wie gezeigt, auch 173
V. D i e Gesetzeskonkurrenz (Gesetzeseinheit)
in den Gesetzesmaterialien verwendet. Er ist freilich unglücklich gewählt. Denn er-
1. Was ist Gesetzeskonkurrenz? stens kann von einer echten „Konkurrenz" verschiedener Gesetze kaum die Rede
sein, weil der Verurteilung nur ein Gesetzesverstoß zugrunde gelegt wird. Und
170 Von Gesetzeskonkurrenz spricht m a n , wenn zwar formal mehrere Tatbe-
zweitens konkurrieren auch und gerade bei der Ideal- und Realkonkurrenz mehrere
stände verwirklicht sind, aber schon durch die Bestrafung aus einem dieser
Gesetzesverstöße, so daß der Begriff der Gesetzeskonkurrenz kein spezifisches U n -
Tatbestände der Unrechts- und Schuldgehalt des Geschehens vollständig abge-
terscheidungskriterium bezeichnet. Der B G H spricht deshalb lieber von „Gesetzes-
golten wird. Wenn z. B. jemand einen R a u b (§ 249) begeht, erfüllt er notwendig
einheit" (BGHSt 11,17; 25, 373), was dem Sachverhalt insofern eher gerecht wird, als
auch die Tatbestände des Diebstahls (§ 242) und der N ö t i g u n g (§ 240); denn deren
nur ein Gesetzesverstoß im Schuldspruch auftaucht. Andere reden - ebenfalls tref-
begriffliche Merkmale sind im Tatbestand des Raubes enthalten. Der Täter wird in
fender - von „unechter Konkurrenz" 1 7 4 oder „Scheinkonkurrenz". 175 Immerhin ist
einem solchen Falle aber nur aus § 249 bestraft, weil der Unwertgehalt des D i e b -
der Terminus „Gesetzeskonkurrenz" insofern nicht völlig verfehlt, als der ver-
stahls u n d der N ö t i g u n g im Tatbestand des Raubes schon berücksichtigt ist. Die
drängte Tatbestand zwar nicht im Schuldspruch, aber in anderen Hinsichten von
verdrängten Tatbestände treten dann - anders als bei der Idealkonkurrenz - im
Bedeutung bleibt und selbständige Rechtsfolgen auslösen kann (näher dazu
Schuldspruch überhaupt nicht mehr in Erscheinung. Der Täter wird nur wegen
R n . 227 ff.). Angesichts dessen und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es
Raubes (§ 249) bestraft, und die §§ 242, 240 bleiben unerwähnt.
sich u m eine nur terminologische, letztlich zweitrangige Frage handelt, sollte man
171 Die Gesetzeskonkurrenz ist im StGB nur in Einzelfällen durch sog. Subsidiari-
alle genannten Bezeichnungen gelten lassen und als gleichwertig behandeln.
tätsklauseln (vgl. näher R n . 192ff.) geregelt. So heißt es z.B. in § 2 6 5 a : „Wer die
Eine begrifflich scharfe Abgrenzung der Gesetzeskonkurrenz von der Ideal- 174
Leistung eines Automaten . . . in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu ent-
und der Realkonkurrenz ist bisher nicht gelungen. Nach der Rspr. liegt sie vor,
richten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft,
„wenn mehrere Strafgesetze denselben Tatbestand aufstellen und sich nur dadurch
wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist." Die
unterscheiden, daß das eine Gesetz ein Begriffsmerkmal oder mehrere in engerer
Vorschrift des § 265 a k o m m t danach praktisch nur bei Leistungsautomaten (etwa
Begrenzung oder besonderer Gestaltung enthält; die eine Straftat m u ß eine, wenn
Telefon- oder Wiegeautomaten) zur Anwendung. D e n n bei Warenautomaten
nicht notwendige, so doch regelmäßige Erscheinungsform der anderen sein"
(z. B. einem Zigaretten- oder Getränkeautomaten) wird die unbefugte Verschaf-
(BGHSt 11,17 unter Hinweis auf RGSt 60,122). Oder es wird daraufhingewiesen,
fung der Ware, wie sie beim Einwurf falscher Geldstücke erfolgt, als Diebstahl b e -
daß „in einem solchen Fall (seil, der Gesetzeskonkurrenz) der Unrechtsgehalt der
urteilt. D a § 242 die schwerere Strafe (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) androht,
Handlung durch einen der mehreren Tatbestände erschöpfend erfaßt wird"
wird der Täter in einem solchen Fall nach der in § 265 a ausdrücklich getroffenen
(BGHSt 25, 373). Das ist in der Sache zutreffend, läßt aber offen, w a n n im einzel-
Regelung nur wegen Diebstahls bestraft. Der Tatbestand der Leistungserschlei-
nen Tatbestände einander so ähnlich sind, daß mit der Bestrafung aus d e m speziel-
chung wird im Urteilsspruch nicht berücksichtigt.
leren Delikt der Unrechtsgehalt des Gesamtgeschehens abgegolten wird. Das m u ß
172 Abgesehen von den Subsidiaritätsklauseln hat der Gesetzgeber „angesichts der
durch Auslegung der im individuellen Fall verwirklichten Tatbestände ermittelt
Vielgestaltigkeit der Verhältnisse . . . bewußt darauf verzichtet, für die Behandlung
und kann hier nur exemplarisch vorgeführt werden.
der Gesetzeskonkurrenz bestimmte Richtlinien zu geben".173 D e m wird man zu-
Die h. M . unterscheidet drei verschiedene Formen der Gesetzeskonkurrenz: 175
stimmen müssen. D e n n einerseits läßt sich nicht in abstracto festlegen, unter
Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion 1 7 6 . Die Differenz zwischen diesen
welchen Voraussetzungen der Unrechtsgehalt einer Tatbestandsverwirklichung in
drei Ausprägungen läßt sich grosso m o d o so kennzeichnen: Bei der Spezialität ist
demjenigen einer anderen Übertretung der Strafgesetze schon enthalten ist: Dies
setzt eine Interpretation der in Beziehung zu setzenden Tatbestände voraus, die nur 174
Jescheck/Weigend, AT5, §69 I 1. Ebenso Freund, AT, §11, Rn.2, 17; Gropp, AT2, §14,
im Besonderen Teil zu leisten ist. U n d andererseits bedarf es einer gesetzlichen Rn.6; Köhler, AT, 691; Maurach/Gössel, AT/27, 55/6; SK6-Samson/Günther, vor § 52, Rn. 14; Seh)
Regelung auch nicht, w e n n eine Auslegung mehrerer Tatbestände ergibt, daß der Sch/Stree26, vor §§ 52, Rn. 102; Stratenwerth, AT4, § 18, Rn. 2.
"5 Burgstaller, JB1. 1978, 393; ähnlich Hirschberg, ZStW 53 (1934), 50: „Scheinbare Konkur-
Unwertgehalt des einen im konkreten Fall in dem des anderen schon enthalten ist. renz".
D e n n es läßt sich schon aus allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen ableiten, ™ Baumann/Mitsch, AT10, §36 II; Blei, AT18, §96 II; Bockelmann/Volk, AT4, §36 II; Burgstal-
daß jemand nicht wegen desselben Vorwurfs mehrfach zur Verantwortung g e - ler, ]B\. 1978, 395; Gropp, AT2, § 14, Rn. 6; Jescheck/Weigend, AT5, §69 II; Köhler, AT, 691; Kühl,
AT , §21, Rn.52ff.; Lackner/Kühl24, vor §52, Rn.25ff.; Preisendanz20, vor §52, Vorbem. III;
zogen werden darf. SK -Samson/Günther, vor §52, Rn.82ff.; Schmidhäuser, LB AT2, 18/24ff.; Tröndle/Fischer50 vor
§52, Rn.l8ff.; LKw-Vogler, vor §52, Rn. 105; Welzel, StrafR11, 234ff.; Wessels/Beulke, AT31,
Rn.788ff.; abw. Joecks , vor §52, Rn.l7ff. (dieser sieht in mitbestrafter Vor- und Nachtat
'73 Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/650,191. eigenständige Kategorien).

846 847
§33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33
181
der verdrängte Tatbestand begrifflich i m verdrängenden enthalten, wie es z. B. im dieser Auffassung entfallen auch deren Konsequenzen. Andererseits erkennt auchjafeofo nur
die Spezialität als Form der Gesetzeskonkurrenz an, versteht darunter aber, indem er verschie-
Verhältnis der § § 242, 240 zu § 249 der Fall ist (vgl. R n . 170). Bei der Subsidiarität
dene Formen der Spezialität unterscheidet, auch die Subsidiarität und die Konsumtion im her-
fungiert ein Tatbestand als Auffangstatbestand für den Fall, daß das Verhalten des kömmlichen Sinne. In der Sache ergibt sich daraus keine Abweichung.
Täters nicht schon durch einen Tatbestand mit schwererer Strafdrohung erfaßt ist;
ein Beispiel dafür ist der schon erwähnte Automatenmißbrauch (§265a) im Ver- a) Qualifizierte und privilegierte Tatbestände
hältnis zum Diebstahl (§ 242, vgl. R n . 171). Von Konsumtion spricht man schließ- Den Hauptfall der Spezialität stellen die qualifizierten u n d privilegierten Tat- 180
lich, w e n n der verdrängte Tatbestand zwar nicht begriffsnotwendig, aber doch bestände dar. 182 Die § § 2 4 4 , 244 a schließen also § 2 4 2 ebenso aus wie § 224 den
typischerweise mit dem schwereren Delikt einhergeht, wie es etwa beim H a u s - § 223 oder § 227 den § 222. § 239 b ist lex specialis i m Verhältnis zu § 239. Die
friedensbruch (§ 123) im Verhältnis zum Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 I Verbrechenstatbestände der § § 2 9 a , 30, 30 a B t M G sind Spezialregelungen i m
Nr. 3) der Fall ist. Verhältnis zum Grundtatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäu-
176 O b die Erscheinungsformen der Gesetzeskonkurrenz durch die Begriffe der bungsmitteln (§ 29 I Nr. 1 BtMG), ebenso wie § 370 A O (Steuerhinterziehung)
Spezialität, der Subsidiarität u n d der Konsumtion richtig gekennzeichnet sind eine abschließende Sonderreglung i m Verhältnis zum Betrug (§263) darstellt
oder ob man sie in knapperer oder erweiterter Art aufgliedern soll, ist ebenso u m - (BGHSt 36, 100). Nach h. M . ist auch § 211 ein qualifizierter Fall des § 212, w ä h -
stritten wie ihre Abgrenzung gegeneinander. Darauf wird bei näherer Behandlung rend die Rspr. hier bisher zwei voneinander unabhängige selbständige Tatbestände
der hier mit der h . M . zugrunde gelegten Dreiteilung noch zurückzukommen angenommen hat (BGHSt 1, 368; 22, 375, 377; 24, 106), sich seit BGHSt 36, 231
sein. Eine sehr detaillierte Behandlung verdienen diese Einteilungs- und A b - aber der Auffassung annähert, daß der Mord als lex specialis gegenüber dem Tot-
schichtungsprobleme aber nicht. D e n n da alle Erscheinungsformen der Gesetzes- schlag anzusehen ist: „So wie die vollständigen Tatbestände von § 2 4 2 StGB u n d
konkurrenz gleich zu behandeln sind, haben abweichende begriffliche Distinktio- § 240 StGB in § 249 StGB enthalten sind, so ist der Unrechtsgehalt des § 212 StGB
nen keine praktischen Auswirkungen. in § 211 StGB enthalten ..." (aaO., 235). Ein privilegierender Tatbestand ist etwa
§216 im Verhältnis zu §§211, 212 oder die Tatbestandsvariante des Widerstand-
2. Spezialität leistens in § 113 I im Verhältnis zur N ö t i g u n g (§ 240). Natürlich sind dies alles n u r
Beispiele aus einer unerschöpflichen Kasuistik, die in den Besonderen Teil gehört
177 Spezialität wird im Anschluß an eine Definition von Honig111 allgemein 178 als
und hier nicht im einzelnen entfaltet werden kann. 1 8 3
vorliegend angesehen, wenn eine Strafvorschrift alle Merkmale einer anderen
Probleme können bei A n w e n d u n g der Spezialitätsregel entstehen, w e n n nicht 181
aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, daß sie mindestens
nur der verdrängende, sondern auch der verdrängte Tatbestand neben dem identi-
noch ein weiteres spezielleres Merkmal enthält. Beispielsweise enthält der D i e b -
schen Tatbestandskern zusätzliche konkretisierende Merkmale enthält. Verdrängt
stahl mit Waffen (§ 244 I Nr. 1) alle Merkmale des einfachen Diebstahls (§ 242)
z. B. § 244 in Form des Waffen- oder Bandendiebstahls als lex specialis nicht n u r
und zusätzlich noch das spezielle Merkmal des Beisichführens einer Waffe oder ei-
§ 242, sondern auch § 243, obwohl diese Bestimmung Erschwerungen enthält, die
nes sonstigen dort genannten Werkzeugs oder Mittels. § 244 I Nr. 1 verdrängt da-
vom Wortlaut des § 244 nicht erfaßt sind? Die Rspr. bejaht dies. 184 M a n kann sich
her § 242 und ist das einzige anzuwendende Gesetz.
dafür auf den Umstand berufen, daß die Konkretisierungen des § 243 keine Tat-
178 Unter d e m Gesichtspunkt logischer Begrifflichkeit handelt es sich bei der Spe-
bestandsmerkmale, sondern nur Strafzumessungsindizien sind. D e n entscheiden-
zialität u m einen Fall der „Subordination" 1 7 9 des allgemeinen Gesetzes gegenüber
den Grund m u ß man aber darin sehen, daß angesichts der nochmals verschärften
dem spezielleren Gesetz: „lex specialis derogat legi generali" (das spezielle Gesetz
Strafdrohung des § 244 auch der erhöhte Unrechtsgehalt des § 243 durch die B e -
geht dem allgemeinen vor). Die Spezialität ist die einfachste u n d anwendungs-
strafung nach § 244 schon mit abgegolten wird.
sicherste Erscheinungsform der Gesetzeskonkurrenz.
Ebenso wird man für sexuelle Handlungen an oder vor Kindern unter 14 Jahren 182
179 Puppe sieht die Spezialität im geschilderten Sinne als einzige Form der Gesetzeskonkurrenz
an. 18 " Das beruht auf ihrer Grundkonzeption, wonach die Fälle der „Unrechtsverwandtschaft" § 176 I als lex specialis gegenüber § 182 I, II ansehen müssen, obwohl § 182 Tat-
grds. der Idealkonkurrenz zuzuschlagen sind (dazu näher oben Rn. 72-79). Mit der Ablehnung bestandsmerkmale (Ausnutzung einer Zwangslage, fehlende Fähigkeit des Opfers
zur sexuellen Selbstbestimmung, Zahlung eines Entgelts) enthält, die in § 176 I
177 Honig, 1925,113.
'78 Vgl. Blei, AT18, § 96 II 1; Freund, AT, § 11, Rn. 21; Geerds, 1961, 193; Gropp, AT2, § 14, 181
Rn. 6, \2;Jescheck/Weißend, AT5, § 69 II1; Köhler, AT, 691; Kühl, AT3, § 21, Rn. 52; Maurach/Gös- Jakobs, AT2, 31/11-13,16-18.
582
sel, AT/2 ,55/29; SK-Samson/Günther, vor § 52, Rn.82; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 49; Seh/ Roxin, AT l3, § 10, Rn. 131 f.
Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 110; Stratenwerth, AT4, § 18, Rn. 6; Warda, JuS 1964, 90. 183 Ziemlich umfassende Nachweise liefert LKn-Rissing-van Saan, vor §§ 52ff., Rn. 73-98.
179 Klug, ZStW 68 (1956), 405 f. 18" BGH NJW 1970, 1279; BGHSt 25, 18 (19); 33, 50 (53). Ebenso die h.M.; vgl. nur Seh/
«0 Puppe, 1979, 355 ff. Sch/Eser26, § 244, Rn. 35; Stratenwerth, AT4, § 18, Rn. 9.

848 849
§33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33
nicht erwähnt werden (ebenso BGHSt 42, 27; 51). Denn man wird davon ausgehen des versuchten qualifizierten Delikts bestraft würde, der vollendete einfache Tatbe-
können, daß das durch diese Merkmale umschriebene Unrecht bei Kindern unter stand im Schuldspruch aber nicht zum Ausdruck kommt" (aaO., 195).
14 Jahren auch ohne besondere Hervorhebung gegeben oder, wie im Falle der
Geldzahlung, doch wenigstens miterfaßt ist. Solche Beispiele zeigen, daß auch die b) Zusammengesetzte Tatbestände
Feststellung der Spezialität nicht immer eine rein logische Frage ist, sondern Der Hauptfall dieser Gruppe ist der schon wiederholt (Rn. 170,175) als Beispiel 186
nicht selten durch teleologische Überlegungen zum Unrechtsvolumen des ver- herangezogene Tatbestand des Raubes (§249), der sich aus Diebstahl (§242) und
drängenden Tatbestandes ergänzt werden muß. Nötigung (§ 240) zusammensetzt und als lex specialis beide Delikte verdrängt.
183 Dagegen liegt nach der h. M. 185 und überwiegend auch nach der Rspr. kein Fall Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Diebstahl um einen Fall des § 243 oder
der Spezialität vor, wenn der Versuch des qualifizierten Tatbestandes mit der voll- § 244 handelt, der in § 249 nicht begriffsnotwendig vorausgesetzt wird (BGHSt
endeten Verwirklichung des Grundtatbestandes zusammentrifft. Wenn der Täter in 20, 235).188 Der BGH geht also davon aus, daß § 249 lex specialis gegenüber sämt-
eine Wohnung einbricht, dort aber nichts wegnimmt (§§ 22, 244 I Nr. 3), statt lichen Formen des Diebstahls ist. Er beruft sich dabei vor allem auf § 252, aus dem
dessen jedoch bei derselben Gelegenheit aus anderen unverschlossenen Wohnräu- sich der Wille des Gesetzgebers entnehmen lasse, daß jeglicher Diebstahl neben
men Geld entwendet (§ 242), stehen der versuchte Wohnungseinbruchsdiebstahl dem Raub „keine selbständige Bedeutung mehr haben soll" (aaO., 238). Auch hier
und der vollendete einfache Diebstahl in Idealkonkurrenz (BGHSt 10, 230). Denn wird also die begriffliche Subordination im Kernbereich der Tatbestände durch ei-
wenn die Verurteilung nur aus einem der beiden Tatbestände erfolgen würde, blie- nen teleologisch fundierten Unrechtsvergleich ergänzt.
be entweder das erschwerte Versuchsunrecht oder das verwirklichte Vollendungs- Anders ist es aber wieder, wenn der Raub im Versuch steckenbleibt, während 187
unrecht unberücksichtigt. Ebenso steht der versuchte Diebstahl mit Waffen (§244 der Diebstahl zur Vollendung kommt. Hier nimmt BGHSt 21, 78 Idealkonkurrenz
I Nr. 1 lit. a) in Idealkonkurrenz mit vollendetem einfachen Diebstahl (§242), an: „Die Vollendung der Wegnahmehandlung stellt sich ... als ein Mehr gegen-
wenn ein Mittäter irrtümlich glaubt, der andere führe eine Waffe bei sich.186 über der nur versuchten Wegnahme beim Raubversuch dar und wird von diesem
184 Nicht Spezialität, sondern Idealkonkurrenz besteht auch dann, wenn eine Bei- - anders als von einem vollendeten Raub - nicht miterfaßt (aaO., 80).
hilfe oder Anstiftung zum Bandendiebstahl (§ 244 I Nr. 2) mit der Täterschaft in Ein anderes Beispiel bildet die sexuelle Nötigung, vor allem in Form der Ver- 188
einem besonders schweren Fall des Diebstahls (§ 243) zusammentrifft (BGHSt 25, gewaltigung (§177). Sie setzt sich aus Nötigung (§240) und Freiheitsberaubung
18; 33, 50). Denn nach Ansicht des BGH kommt der Täterschaft im Verhältnis zu (§ 239) zusammen, zu denen die sexuellen Handlungen qualifizierend hinzutre-
den verschiedenen Teilnahmeformen „bei der Bestimmung des Unrechtsgehalts ten. Sofern Nötigung und Freiheitsberaubung nur der Ermöglichung der sexuel-
eigene Bedeutung zu" (BGHSt 33, 54). len Handlungen dienen, erfolgt die Verurteilung allein aus § 177.
185 Idealkonkurrenz besteht auch im Verhältnis von versuchter schwerer Körperver- c) Delikte mit qualifizierenden Tätermerkmalen
letzung (§226 I Nr. 1) und vollendeter gefährlicher Körperverletzung (§224 I
Eine Sonderform der Spezialität bilden auch die qualifizierenden Tätermerk- 189
Nr. 2). In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall BGHSt 21,194 hatte der
male. So ist die Körperverletzung im Amt (§ 340) lex specialis gegenüber den
Angeklagte einen Schuß auf den Geschlechtsteil einer Frau abgegeben und dabei
Körperverletzungstatbeständen der §§223 ff. Liegen die Voraussetzungen der
bedingt vorsätzlich in Kauf genommen, daß sie die Fortpflanzungsfähigkeit verlie-
§§224-229 vor, wird nach §340 III der Strafrahmen diesen Vorschriften ange-
ren werde. Diese Wirkung trat freilich nicht ein. Mit Recht hat der BGH Idealkon-
paßt. Qualifizierende Tätermerkmale stellen außerdem die Fälle der Rädelsführer-
kurrenz zwischen der versuchten schweren und der vollendeten gefährlichen Kör- schaft (§§ 129 IV, 129 a II) dar.
perverletzung („mittels einer Waffe") angenommen. Denn zwar wird die vollendete
Tat nach § 226 als lex specialis gegenüber § 224 angesehen,187 wobei die Mittel des
3. Subsidiarität
§ 224 im Wege teleologischer Interpretation (vgl. Rn. 182) als durch § 226 erfaßt be-
urteilt werden. Für die bloß versuchte schwere Körperverletzung gilt das aber nicht, Subsidiarität liegt vor, wenn aus einem Tatbestand nur dann bestraft werden 190
weil „der Unrechtsgehalt der Tat nicht erschöpft wäre, wenn der Täter nur wegen soll, wenn nicht ein anderer, schwerere Strafe androhender Tatbestand eingreift.189

«8 Damit wird eine im Urteil referierte schwankende RG-Rspr. zu einer einheitlichen


»5 Kühl, AT3, § 21, Rn. 56; Lackner/'Kühl24, vor § 52, Rn. 28; Schröder, JR 1967,146,148; das., Losung gebracht.
JZ 1967, 368, 369f.; LKw-Vogler, vor § 52, Rn. 111. 189 Das ist von der Rspr. schon seit den Zeiten des RG und auch von der ganz h.M aner-
18
<s Abwandlung eines Beispiels bei Sch/Sch/Eser26, § 244, Rn. 35. kannt: RGSt 38, 383, 385; Baumann/Minth, AT10, §36 II 2; Blei, AT18, § 96 II 2- Freund AT
187 So schon das RG; dann BGH NJW 1967, 297, Nr. 5; BGHSt 21,195. Für Idealkonkurrenz § 11 Rn. 25; Gropp, AT , § 14, Rn. l&Jescheck/Weigend, AT5, § 69 II 2; Joecks3, vor § 52, Rn. 18;'
auch in diesem Fall aberJescheck/Weigend, AT5, § 69 II1, „weil sonst der besondere Unrechtsge- Lackner/Küh vor §52, Rn 26; Sch/Sch/Stree26, vor §§52f£, Rn. 105; Stratenwerth, AT4, § 18,
halt des zurücktretenden Gesetzes verloren ginge". Rn. 13; Trondle/FischerM, vor § 52, Rn. 19; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 790.
850
851
§33 V 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33
Der subsidiäre Tatbestand ist also ein Aushilfs- oder Auffangtatbestand, wie dies diesem Fall hatte der angeklagte „Skinhead" neben Landfriedensbruch (§ 125 I)
oben (Rn. 171) schon am Beispiel des § 265 a verdeutlicht worden ist. Lex primaria eine gefährliche Körperverletzung (heute § 224) begangen. Das LG hatte trotz der
derogat legi subsidiariae: Das vorrangige (primäre) Gesetz geht dem subsidiären Subsidiaritätsklausel des § 125 I wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatein-
Gesetz vor; das subsidiäre Gesetz tritt hinter dem vorrangigen Gesetz zurück. Un- heit mit Landfriedensbruch verurteilt, weil „das spezifische>Gepräge der Tat" (Ge-
ter logischen Gesichtspunkten stellt sich die Subsidiarität i. d. R. als Fall der Inter- fährdung der Allgemeinheit durch Gewalttätigkeiten und Bedrohungen) ein an-
ferenz (Überschneidung) dar.190 Zum Beispiel ist der Automatenmißbrauch deres sei als in § 224 (Individualdelikt). Der BGH trat dem unter Berufung auf
(§ 265 a) zu einem Teil der Fälle zugleich ein Diebstahl (beim Warenautomaten), zu Art. 103 II GG entgegen (aaO., 238 f.): „Der Richter ist an das Gesetz gebunden.
einem anderen Teil (beim Leistungsautomaten) aber nicht (vgl. Rn. 171). Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze der Auslegung
Man unterscheidet formelle (ausdrückliche) und materielle (sachgegebene) strafrechtlicher Bestimmungen zum Nachteil des Angeklagten ... Damit ist die
Subsidiarität, je nachdem, ob die Subsidiarität im Gesetz ausdrücklich angeordnet vom LG vorgenommene Auslegung der Subsidiaritätsklausel des § 125 ... unver-
ist oder aus dem Sachzusammenhang des Gesetzes durch Auslegung ermittelt wer- einbar." Die entgegenstehende ältere Rspr. wird ausdrücklich „für überholt" er-
den muß. Bei beiden Formen der Subsidiarität lassen sich noch weitere Differen- klärt.
zierungen vornehmen, die nachfolgend näher darzulegen sind. Auch in der Literatur sind die Meinungen geteilt. Die wohl überwiegende An- 194
sieht193 verlangt, daß das verdrängende Gesetz im wesentlichen dasselbe Rechtsgut
a) Formelle Subsidiarität
schützt. Aber auch die in BGHSt 43, 237 zum Ausdruck kommende Auffassung
Die Fälle der formellen Subsidiarität ordnen das Zurücktreten eine Tatbestandes wird in der Literatur vertreten.194 Andere Autoren geben Richtlinien an. So
allgemein (d. h. gegenüber sämtlichen Tatbeständen mit schwererer Strafdrohung) wollen Maurach/Gössel195 „im Zweifel" Idealkonkurrenz annehmen, während
oder speziell (d. h. gegenüber ausdrücklich genannten strengeren Einzelvorschrif- Sch/Sch/Stree196 genau umgekehrt „im Zweifel ... unbedingtes Zurücktreten" be-
ten) an. Einen Fall der ersten Art bildet der schon mehrfach erwähnte §265a fürworten.
(„wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist");
Die richtige Lösung wird zwischen den Extremen anzusiedeln sein. Wollte man 195
ein Beispiel der zweiten Art liefert der Tatbestand des Vortäuschens einer Straftat,
verlangen, daß eine Subsidiarität nur eintrete, wenn das verdrängende Gesetz das-
§ 145 d („wenn die Tat nicht in § 164, § 258 oder § 258 a mit Strafe bedroht ist").
selbe Rechtsgut schützt wie der subsidiäre Tatbestand, so würde die Allgemeinheit
Ein klares gesetzgeberisches Prinzip für die Wahl der einen oder der anderen
der Subsidiaritätsklausel bedeutungslos. Auch wird sich nicht immer ein Tatbe-
Methode ist nicht erkennbar. Denn einerseits werden auch die Fälle allgemeiner
stand mit härterer Strafdrohung finden lassen, der dasselbe Rechtsgut schützt, was
Subsidiarität einschränkend so ausgelegt, daß das verdrängende Gesetz eine ähn-
dann zu einem Leerlaufen der Subsidiaritätsklausel führen würde. Andererseits ist
liche Angriffsrichtung aufweisen muß (vgl. Rn. 193 ff.), und andererseits sind z. B.
es aber ebenso unangemessen, mit BGHSt 43, 237 eine Subsidiarität auch gegen-
in § 145 d andere Vorschriften als §§ 164, 258, 258 a als vorgehend kaum denkbar, über Gesetzen mit völlig anderer Schutzrichtung anzunehmen. Wenn z. B. ein
so daß man auch bei einer allgemein gefaßten Subsidiaritätsklausel zu demselben Landfriedensbruch (§ 125) mit der Beleidigung eines ausländischen Staatsober-
Ergebnis kommen müßte. hauptes verquickt ist (§ 103), würde eine Bestrafung allein aus § 103 das völlig an-
Fälle allgemeiner Subsidiarität finden sich etwa in §§ 107 b I, 109 e V, 109 f I ders geartete Unrecht des § 125 ungeahndet lassen.197 Das hat kriminalpolitisch
1, 125 I, 248 b I, 265 a I. Strittig ist, ob in einem solchen Falle alle Gesetze mit keinen Sinn; denn warum sollte eine Bestrafung wegen Landfriedensbruch nur
höherer Strafdrohung vorgehen oder ob das nur für solche Vorschriften gilt, deshalb unterbleiben, weil der Täter noch zusätzlich ein anderes schwereres Un-
die „Handlungen gleicher krimineller Angriffsrichtung"191 erfassen. Die enge- recht verwirklicht hat? Es widerspricht auch dem Grundgedanken jeglicher Ge-
re, subsidiaritätseinschränkende Auffassung wird zusammenfassend in BGHSt 6, setzeskonkurrenz, daß eine Bestrafung nur dann ausscheiden kann, wenn der
298 formuliert:192 „Die Fassung ,soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwe- Unrechtsgehalt einer Tatbestandsverwirklichung schon durch die Bestrafung aus
rere Strafe angedroht ist'... zwingt nicht stets zur Nichtanwendung der betreffen- dem schwereren Delikt abgegolten wird.
den Bestimmung beim Zusammentreffen mit einer härteren. Vielmehr ist jeweils
nach Zweck und Schutzbereich der Vorschriften zu prüfen, ob nicht nach dem er- »3 BGHSt 6, 297, 298; BGH GA 1974,149; Joecks3, vor §52, Rn.19; ULn-Rissing-van Saan,
kennbaren Willen des Gesetzes auch auf die nur hilfsweise geltende Bestimmung vor § 52, Rn. 100; SK -Samson/Günther, vor § 52, Rn. 92; LK10-Vogler, vor § 52 Rn 119
zurückzugreifen ist." Dem ist neuerdings BGHSt 43, 238 f. entgegengetreten. In '* Jescheck/Weigend, AT5, §69 8
II 2; Kühl, AT6
3
, §21, Rn.58; Lackner/Kühl24, vor §52
Rn. 26; Maurach/Schroeder, 7BT/2 , 60/39; Otto, AT , § 23 III 3
K« Maurach/Gössel, AT/2 , 55/16.
»o Näher Klug, ZStW 68 (1956), 406 f. ™ Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 106.
i9i Jescheck/Weigend, AT5, § 69 II 2. i'7 Das Beispiel stammt von Rudolphi, JZ 1998, 471 f. (Anm. zu BGHSt 43, 237), dem der
»2 Ebenso BGHSt 8,192f.; BGH GA1974,149. Text auch in der Argumentation weitgehend folgt.
852 853
§ 33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33
196 Man wird deshalb in den Fällen allgemeiner Subsidiarität verlangen müs- Angriffsarten im Verhältnis zu intensiveren Gefahrdungen oder Verletzungen
sen, daß das verdrängende härtere Gesetz wenigstens teilweise dasselbe desselben Rechtsgutes. Vielfach überschneiden sich beide Gesichtspunkte (vgl.
Rechtsgut schützt wie der subsidiäre Tatbestand und mit ihm typischerweise Rn. 207-210).
verknüpft ist. Das ist im Verhältnis des § 125 zu § 224 der Fall. Denn § 125 er- Beispiele der ersten Gruppe bilden zunächst tatbestandlich verselbständigte 200
wähnt „Gewalttätigkeiten", zu denen gerade auch gefährliche Körperverletzungen Vorbereitungshandlungen. So bestraft § 149 bestimmte Handlungen zur Vorberei-
nach § 224 gehören; auch ist es eine typische Auswirkung des Landfriedensbru- tung der Fälschung von Geld und Wertzeichen. Diese Vorschrift tritt hinter § 146
ches, daß es zu derartigen Verletzungen kommt. Hier kann also eine Subsidiarität zurück, wenn der Täter wegen der Geldfälschung selbst bestraft werden kann. Das
des § 125 angenommen werden, so daß dem BGH bei der Entscheidung des kon- Unrecht der Geldfälschung erfaßt auch das ihrer Vorbereitung, obwohl nicht jeder
kreten Falles beizutreten ist. Nur gilt dies nicht schlechthin, wie das Beispiel der Geldfälscher derartige Vorbereitungen selbst getroffen haben muß. Entsprechendes
Kombination des § 125 mit § 103 zeigt, wo nicht einmal teilweise dieselben gilt z. B. für § 310 (Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens)
Rechtsgüter geschützt werden und die Verwirklichung des härteren Tatbestandes im Verhältnis zu § 307 I (Herbeiführung einer Explosion durch Kernenergie), zu
auch nicht typischerweise mit dem anderen verbunden ist. §308 I (Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion) und auch zu §309 II (der
197 Eine Interpretation, die in diesem Fall die Subsidiarität ausschließt, verstößt Täter unternimmt es, eine unübersehbare Zahl von Menschen einer ionisierenden
durchaus nicht gegen den Gesetzeswortlaut. Denn man kann die Tat, von der in Strahlung auszusetzen). Subsidiär ist auch die Vorbereitung eines hochverräteri-
den allgemeinen Subsidiaritätsklauseln die Rede ist, ohne weiteres so verstehen, schen Unternehmens (§ 83) gegenüber dem Hochverrat selbst (§§ 81, 82).
daß damit ein Handlungsgeschehen gemeint ist, das „mehrere zumindest partiell Einen besonders charakteristischen Fall der Subsidiarität bilden die verschiede- 201
gegen die gleichen Rechtsgüter gerichtete Tatbestandsverwirklichungen um- nen Varianten des § 30 im Verhältnis zur versuchten oder zur vollendeten Tat. Wer
faßt".198 Wie der Begriff der „Tat" in anderen Vorschriften (etwa §264 StPO, §24 einen anderen zu einem Verbrechen anzustiften versucht, ist schon deswegen nach
StGB) zu verstehen ist, präjudiziert seine Auslegung im Konkurrenzbereich nicht. § 30 I selbständig strafbar. Die Strafbarkeit entfällt aber, sobald der Angestiftete
Denn jeder juristische Begriff ist im Kontext seines Regelungszusammenhanges bei Ausführung der Tat ins Versuchsstadium eintritt oder die Tat vollendet; denn
(hier also der Konkurrenzlehre) zu deuten und braucht auch bei gleichem Wort- der Unwertgehalt des Vorstadiums wird durch die Bestrafung wegen Anstiftung
laut nicht dieselbe Bedeutung zu haben wie in anderen Rechtsbereichen. zum versuchten bzw. vollendeten Delikt mit abgegolten. Entsprechendes gilt für
198 Fälle spezieller Subsidiarität enthalten §§ 95, 98 11, 99 I, 109 g II, 145 II, 145 d das Sich-Bereit-Erklären zu einem Verbrechen, die Annahme eines Erbietens dazu
1,183 a, 202 I, 265 I, 316 I. Hier tritt die bei der allgemeinen Kriminalität erörterte oder die Verabredung eines solchen nach § 30 II.
Frage nach der Reichweite der Subsidiarität nicht auf, weil die Vorschriften, hinter Idealkonkurrenz liegt aber vor, wenn die ausgeführte Tat weniger schwer ist als 202
denen der jeweilige Tatbestand zurücktritt, einzeln genannt werden. die vorbereitete. Wenn also z. B. ein schwerer Raub (§ 250) verabredet, dann aber
nur ein einfacher Raub (§ 249) ausgeführt wird, stehen §§ 250, 30 II; 249 in Tat-
b) Materielle Subsidiarität einheit. Die Einzelheiten der bei § 30 sich ergebenden Konkurrenzprobleme so-
199 Die Fälle der materiellen Subsidiarität, die man auch sachgegebene oder still- wie die Auseinandersetzung mit Rspr. und Literatur finden sich in diesem Buch
schweigende Subsidiarität nennt, sind im Gesetz nicht geregelt und müssen aus schon bei Darstellung des § 30 (oben § 28, Rn. 34-39, 63-65, 75, 81). Darauf sei
dem Grundgedanken der Gesetzeskonkurrenz erschlossen werden, wonach ein hier verwiesen.
strafrechtliches Unrecht keiner besonderen Bestrafung bedarf, wenn es schon Bisweilen werden der Subsidiarität auch Konstellationen zugeordnet, bei denen 203
durch eine anzuwendende andere Vorschrift vollständig oder in ausreichendem eine Ahndung des in geringerem Grade strafbaren Verhaltens schon aus anderen
Maße erfaßt wird. Unter dem Gesichtspunkt, daß das subsidiäre Delikt nur hilfs- Gründen entfällt. So wird z. B. oft der Versuch als gegenüber der vollendeten Tat
weise als Auffangtatbestand, beim NichtVorliegen des strengeren Tatbestandes subsidiär bezeichnet. 200 Doch liegt hier i. d. R. schon eine tatbestandliche oder gar
bestraft werden soll, ergeben sich zwei große Gruppen materieller Subsidiarität. natürliche Handlungseinheit vor (vgl. Rn. 42).201 Die Fälschung einer Urkunde,ist
Die erste Gruppe bilden verselbständigte Vorbereitungstaten und Durchgangs- gegenüber dem Gebrauchmachen von ihr nicht subsidiär, sondern es ist eine tat-
stufen für ein vollendetes Verletzungsdelikt,199 die zweite weniger intensive bestandliche Handlungseinheit i. S. d. § 267 anzunehmen (vgl. Rn. 21). Die uneid-
liche Falschaussage (§ 153) ist im Verhältnis zum Meineid (§ 154) nicht subsidiär,
W8 Rudolphi,JZ 1998,479. und § 154 ist auch nicht lex specialis zu § 153, sondern die beschworene Falsch-
199
Einige Autoren sprechen hier von strafloser oder mitbestrafter Vortat (Blei, AT 8, § 96
II 3 b; Maurach/Gössel, AT/27, 55/13; Schmidhäuser, LB AT2,18/31). Doch wird damit keine selb-
ständige Form der Gesetzeskonkurrenz, sondern allenfalls eine Fallgruppe der Subsidiarität 20° Vgl. nur etwzJescheck/Weigend, AT5, § 69 II 2; Lackner/Kühl2", vor § 52, Rn. 26.
bezeichnet. 2« Ebenso LK11 -Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 103; Stratenwerth, KT4, § 18, Rn. 15.

854 855
§33 V 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V §33
202
aussage ist eine tatbestandliche Handlungseinheit. In BGHSt 8, 311 wird zwar Für die abstrakte Gefährdung ist ihre Subsidiarität gegenüber der konkreten in 208
richtig erkannt, daß nur „wegen eines Verbrechens des Meineides" zu bestrafen ist. §316 sogar formell festgelegt: Die folgenlose Trunkenheit im Verkehr tritt hinter
Aber die Begründung: „§153 hat ... Hilfs-(subsidiären) Charakter gegenüber den konkreten Gefährdungen der §§ 315 a, c zurück. Hier ist die abstrakte Gefähr-
§ 154" ist mindestens mißverständlich. Immerhin ist zuzugeben, daß es sich bei dung sowohl ein Vorstadium der konkreten als auch eine weniger intensive Be-
allen in Rn. 203 geschilderten Fällen um die Straflosigkeit von Vorstadien handelt, drohung der zu schützenden Personen- und Sachwerte. Die Vorbereitung eines
die als subsidiär bezeichnet werden müßten, wenn nicht ohnehin nur eine Tat- Kreditbetruges (§ 265 b), ein Tatbestand, der nach der zutreffenden Rspr. das Ver-
bestandsverwirklichung vorläge. mögen des Kreditgebers (und nicht etwa die Kreditwirtschaft als solche) schützen
204 Als subsidiär wird von BGHSt 16, 123 auch die jeder Tötung - sei es auch nur soll, ist als abstraktes Gefährdungsdelikt subsidiär gegenüber dem Betrug und
für Bruchteile einer Sekunde - vorausgehende Körperverletzung beurteilt. Man dem Betrugsversuch (BGHSt 36, 130), also sowohl gegenüber der Verletzung als
sollte hier wohl eher von Spezialität sprechen, weil die Tötung mit begrifflicher auch gegenüber der tatbestandsnahen Gefährdung. Auch §265b verkörpert also
Notwendigkeit das Durchgangsstadium der Körperverletzung durchläuft. Doch sowohl ein Vorstadium wie eine weniger intensive Rechtsgutsbedrohung. Würde
ist die Zuordnung für das Ergebnis gleichgültig; auch nähert sich die Konstella- man dagegen, wie es dem Gesetzgeber vorgeschwebt hatte (vgl. BGHSt 36,130),
tion dadurch der Subsidiarität, daß die Körperverletzung sich als Vorstadium der als das geschützte Rechtsgut des § 265 b die Kreditwirtschaft als solche, also ein
Tötung darstellt. Allerdings ist bei der Vielgestaltigkeit der Tötungs- und Körper- Rechtsgut der Allgemeinheit, ansehen, müßte Idealkonkurrenz angenommen
verletzungsdelikte auch Idealkonkurrenz möglich, wenn der Unrechtsgehalt des werden, weil dieser Unrechtsgehalt durch § 263 nicht erfaßt wird. Ebenso ist das
Geschehens durch eine Bestrafung aus dem Tötungsdelikt nicht hinreichend erfaßt abstrakte Gefährdungsdelikt des §326 (unerlaubter Umgang mit gefährlichen
werden kann. Wann dies der Fall ist, ist ein Problem des Besonderen Teils und Abfällen) subsidiär gegenüber §324, wenn es zu einer nachhaltigen Gewässer-
kann hier nicht im einzelnen dargestellt werden. Doch sei wenigstens auf die zwei verunreinigung im Sinne dieser Vorschrift kommt (BGHSt 38, 325, 328 f.). Auch
wichtigsten Fallgestaltungen hingewiesen. konkrete Gefährdungsdelikte (wie § 306 f: Herbeiführen einer Brandgefahr) sind
205 Wenn ein versuchtes Tötungsdelikt mit einer vollendeten Körperverletzung zu- gegenüber den entsprechenden Verletzungsdelikten (wie §§306-306 d: Brand-
sammentrifft, besteht Tateinheit, wie BGHSt 44, 196 unter Aufgabe der älteren stiftung) subsidiär (BGHSt 39,128 f.).
Rspr. 203 entschieden hat. Das ist richtig, weil der Unrechtsgehalt einer vollende- Die Subsidiarität der abstrakten gegenüber der konkreten Gefährdung und bei- 209
ten, u.U. sehr schweren Körperverletzung durch die Bestrafung wegen eines der Gefährdungsarten gegenüber der Verletzung tritt aber nur dann ein, wenn auf
Tötungsversuches, der auch folgenlos bleiben kann, nicht zutreffend erfaßt wird. den verschiedenen Stufen deliktischer Bedrohung dasselbe Rechtsgut geschützt
Auch entspricht es der Rspr. zum Verhältnis von Versuch und vollendetem Grund- wird. Deshalb treten §§315b, c 205 und auch §316 206 hinter §§222, 229 (fahrläs-
delikt bei der Spezialität (Rn. 183,185,187). sige Tötung bzw. Körperverletzung) nicht zurück, sondern stehen mit ihnen in
206 Sodann ist das Verhältnis der vollendeten Tötung zu qualifizierten Formen der Idealkonkurrenz. Denn während die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte in-
Körperverletzung differenziert zu beurteilen. 204 Im Regelfall treten auch schwe- dividuelle Rechtsgüter schützen, dienen die vorgelagerten Tatbestände in erster
rere Formen der Körperverletzung (§ 224!) hinter einer vollendeten Tötung zu- Linie der Sicherheit des Verkehrs, also einem Rechtsgut der Allgemeinheit. Auch
rück, da die besondere Gefährlichkeit der Körperverletzung oder die dem Opfer die Beteiligung an einer Schlägerei (§231) steht mit §224 in Idealkonkurrenz,
zugefügten Schmerzen durch §§ 212, 211 (grausam!) aufgefangen werden. Anders weil der Tatbestand des Raufhandels „das Leben und die Gesundheit aller der
liegt es nur dann, wenn die Körperverletzung nicht bloßes Durchgangsstadium durch eine Schlägerei Gefährdeten schützt" (BGHSt 33,104).207
zur Tötung ist, sondern einen selbständigen Unwert darstellt. Das ist z. B. der Fall, Etwas anders liegt es bei der Rauschtat (§ 323 a), die nach h. M. ebenfalls ein 210
wenn der Täter das Opfer erst längere Zeit foltert, bevor er es umbringt, oder abstraktes Gefährdungsdelikt darstellt. Sie ist im Verhältnis zur vorsätzlichen actio
wenn das Opfer im Falle des § 226 erst nach langem Siechtum stirbt. libera in causa subsidiär (BGHSt 2,17), 208 weil die Strafbarkeit von der Begehung
207 Die beiden Leitgesichtspunkte der Subsidiarität (selbständig strafbare Vor- einer rechtswidrigen Tat und davon abhängig ist, daß der Täter „ihretwegen" nicht
stadien und weniger intensive Angriffsformen) sind nicht selten miteinander ver- bestraft werden kann. § 323 a dient also als Auffangtatbestand, wenn ein konkretes
quickt, wie schon das Verhältnis der Körperverletzung zur Tötung zeigt. Beson-
ders deutlich wird das Ineinanderfließen der Gesichtspunkte in der Beziehung der
205 So auch die h . M . : Geppert, J u r a 1982, 424; Lackner/Kühl24, §315c, R n . 3 5 ; LK10-Ruth,
abstrakten zur konkreten Gefährdung und der Gefährdung zur Verletzung. § 3 1 5 c , R n . 7 8 ; Seh/Seh/Cramer/Sternberg-Lieben26, § 3 1 5 c , R n . 5 5 ; Tröndle/Fischer50, § 315 b,
Rn.l0;§315c, Rn.23.
202 LKU-Rissing-van Saan, v o r § 52, R n . 85. 206 LKll-König, § 316, R n . 253; Lackner/Kühl24, § 316, R n . 7.
203 BGHSt 16,122; 21, 265; 22, 248. 207 H.M.; so auch BGH NStZ 1984, 329.
50
204 N ä h e r Sch/Sch/Eser , § 212, R n . 19, 20. 208 Zu den Einzelfragen der Konkurrenz vgl. Roxin, AT l3, § 20, Rn. 72, 73.
856
857
§ 33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33

Delikt wegen Schuldlosigkeit des Täters im Zeitpunkt seiner Begehung nicht be- eine Sachbeschädigung voraus. Aber normalerweise sind die §§ 123, 303 eben
straft werden kann. Ist dagegen eine Bestrafung mit Hilfe der Konstruktion der doch bei einem Einbruchsdiebstahl erfüllt; und deshalb kann man annehmen, daß
actio libera in causa möglich, bedarf es des § 323 a nicht. das in ihnen liegende Unrecht von § 244 I Nr. 3 erfaßt wird, so daß eine geson-
Subsidiarität liegt schließlich auch vor in Fällen, in denen eine unterschiedliche derte Bestrafung nach §§ 123, 303 unterbleiben kann: lex consumens derogat legi
Angriffsintensität nicht auf verschiedenen Stadien der Deliktsverwirklichung be- consumptae (das konsumierende, d. h. aufzehrende, Gesetz geht dem konsumier-
ruht. So ist die fahrlässige Tötung gegenüber den vorsätzlichen subsidiär: Wenn A ten vor).
den B im Straßenverkehr anfährt und B an den Verletzungen stirbt, weil A ihn Bei der mitbestraften Nachtat ist es so, daß die Nachtat die durch die Vortat er- 214
trotz Kenntnis von der Verletzung nicht ins Krankenhaus gebracht hatte, tritt die langte Position nur sichert oder auswertet und deswegen keiner selbständigen Be-
fahrlässige Tötung hinter der vorsätzlichen Tötung durch Unterlassen (Garanten- strafung bedarf. Wenn jemand z. B. ein Sparbuch stiehlt und anschließend davon
stellung kraft Ingerenz) zurück. 209 Wenn der Täter das Opfer durch das Zusam- Geld abhebt, ist der darin liegende Betrug (§ 263) im Verhältnis zum Diebstahl
menwirken zweier Schüsse ums Leben bringt, von denen einer eine vorsätzliche, (§ 242) straflose Nachtat; denn die Entziehung des in dem Sparbuch liegenden
der andere eine fahrlässige Tötung darstellt, „ist die fahrlässige Begehungsform Geldwertes wird schon durch die Bestrafung wegen des Diebstahls hinreichend
subsidiär" (BGHSt 39,199). geahndet.
Unterschiedlich intensive Angriffsarten stellen auch die drei Beteiligungs- Einige Autoren wollen die Konsumtion als eigenständige Form der Gesetzes- 215
formen dar, die in der Reihenfolge Täterschaft, Anstiftung, Beihilfe Rechtsguts- konkurrenz nicht anerkennen und schlagen sie teils der Subsidiarität, teils sogar
angriffe abgestufter Stärke bezeichnen.210 Wenn also jemand einen anderen zu einer erweiterten Form von Spezialität zu. 212 Diese Ablehnung beruht vor allem
einer Straftat anstiftet und ihm gleichzeitig Beihilfe leistet (etwa durch Zurverfü- darauf, daß unter logischen Gesichtspunkten für die Gesetzeskonkurrenz nur die
gungstellung eines Tatmittels), ist er nur wegen Anstiftung zu bestrafen; die Bei- Kategorien der Subordination (Rn. 178) und der Interferenz (Rn. 190) zur Ver-
hilfe ist subsidiär. Hat der Täter sich einen Mittäter angeworben, ist er nur wegen fügung stehen, so daß insoweit kein Raum für weitere Ausdifferenzierungen vor-
Täterschaft, nicht auch noch wegen Anstiftung strafbar. Voraussetzung ist natür- handen ist. Aber das Recht unterscheidet nicht nur nach logischen, sondern auch
lich immer, daß es sich um dieselbe Haupttat handelt. nach phänomenologischen Gesichtspunkten, und in dieser Hinsicht hat die Kon-
sumtion im Verhältnis zur Subsidiarität, der sie oft zugerechnet wird, doch eine
4. Konsumtion deutliche Eigenständigkeit. Denn es werden nicht Vorstufen derselben Rechts-
güterverletzung oder weniger intensive Formen des Angriffs darauf verdrängt,
Die Konsumtion wird von der h. M. als selbständige Art der Gesetzeskonkur-
sondern es wird bei der typischen Begleittat die Verletzung anderer Rechtsgüter
renz beurteilt.211 Sie tritt in den beiden Formen der typischen Begleittat und oder Tatobjekte konsumiert.213 So schützt z.B. der erwähnte §244 I Nr.3
der mitbestraften Nachtat auf. Typische Begleittaten sind z. B. beim Wohnungs- (Rn. 213) Eigentum und Gewahrsam, während § 123 ein ganz anderes Rechtsgut
einbruchsdiebstahl (§ 244 I Nr. 3) die mit ihm regelmäßig verbundenen Delikte (den Hausfrieden) und § 303 ein anderes Tatobjekt als die weggenommenen Sa-
des Hausfriedensbruchs (§ 123) und der Sachbeschädigung (§ 303). Beide Delikte chen betrifft. Bei der mitbestraften Nachtat treten andere Besonderheiten hinzu
sind zwar nicht begrifflich im Wohnungseinbruchsdiebstahl enthalten (dann läge (vgl. Rn. 219).
Spezialität vor); denn man kann ggf. auch ohne Verletzung des § 123 in die eigene
Wohnung einbrechen, und auch die Gewaltanwendung setzt nicht notwendig a) Die typische Begleittat 214
Fälle typischer und daher konsumierter Begleittaten sind häufig und können 216
209 A n d e r s - R e a l k o n k u r r e n z - B G H S t 7, 2 8 7 (288 f.); w i e hier aber Jescheck/Weigend,
hier nur beispielhaft angeführt werden. Was für § 244 I Nr. 3 im Verhältnis zu
AT 5 , § 69 II 2 a.
210 RGSt 56, 58, 59; 59, 26, 28; 62, 74, 75f.; BGHSt 4, 244, 247; 30, 28, 30; BGH NStZ §§ 123, 303 schon ausgeführt wurde (Rn. 213, 215), gilt auch für § 243 I Nr. 1 (son-
1994, 29, 30; BGHR AO, §370 Abs.l, Beihilfe, Nr. 2; Gropp, AT2, §14, Rn. 17; Jescheck/Wei- stige Einbruchsdiebstähle). Denn zwar sind die Beispiele für besonders schwere
gend, AT5, §69 II 2z;Joecks3, vor §52, Rn. 23; Lackner/KÜhr, vor §25, Rn.13; LKn-Raxin, Fälle in §243 nur Strafzumessungsregeln; diese sind aber „tatbestandsähnli'ch"
§27, Rn.67; SK6-Samson/Günther, vor §52, Rn.94; Seh/ Seh/Cramer/Heine26, vor §§25 ff.,
Rn. 49; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 107; Tröndle/Fischer50, vor § 25, Rn. 12. (BGHSt 33, 374) und unterliegen deshalb ebenfalls der Konsumtion. Die falsche
2" Baumann/Mitsch, AT10, § 36 II 3; Blei, AT18, § 96 II 3; Burgstaller, JB1. 1978, 459; Freund,
AT, §11, Rn.37; Geerds, 1961, 203ff., 222; Gropp, AT2, §14, Rn.6, 14f.; Hirschberg, ZStW 53 212 v. Hippel, Handbuch II, 526; Klug, ZStW 68 (1956), 414f.; Maurach/Gössel, AT/27, 55/51;
(1934), 42 ff; Jescheck/Weigend, AT5, §69 II 3; Köhler, 1900, 88 ff; Köhler, AT, 691; Kühl, AT3, Puppe, 1979, 322ff; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 54f.; Sch/Sch/Stree26, vor §§52ff, Rn.131.
§21, Rn.60ff; LK1{-Rissing-van Saan, vor §52, Rn.ll6ff; SK6-Samson/Günther, vor §52, 2» Vgl. LK11 -Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 117.
Rn.97ff; Schmidhäuser, LB AT2, 18/31; Stratenwerth, AT4, 18, Rn.lOff; Tröndle/Fischer50, vor 21" Speziell dazu: Geerds, 1961, 216ff; Gropp, AT2, §14, Rn.14; Hirschberg, ZStW 53 (1934),
§ 52, Rn. 20; LKw-Vogler, vor § 52, Rn. 131; Welzel, StrafR11, 235. Krit. zum Begriff der Kon- 43ff.; Jakobs, AT2, 31/30ff; Köhler, AT, 691; Stratenwerth, AT4, §18, Rn.llf.; LKw-Vogler, vor
sumtionjoeefes3, vor § 52, Rn. 24. § 52, Rn. 132; Welzel, StrafR11, 235.

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§33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V 8 33
Verdächtigung (§ 164) ist eine typische Begleittat bei der Verfolgung Unschuldiger kurrenz". Immerhin ist sie als typische „nachträgliche" Begleittat der vorher er-
(§ 344) und wird von dem Amtsdelikt konsumiert. Der räuberische Angriff auf örterten typischen „gleichzeitigen" Begleittat so verwandt, daß die Zusammen-
Kraftfahrer (§ 316 a) wird „in aller Regel" (BGHSt 25, 373) von einem versuchten fassung beider Fälle unter dem Begriff der Konsumtion als angemessen erscheint.
Raub (§ 249) oder einer versuchten räuberischen Erpressung begleitet sein und Dabei besteht das „Typische" der straflosen Nachtat nicht so sehr „darin, daß der
konsumiert daher diese Tatbestände. Ein vollendetes Delikt nach §§249, 255 liegt Täter in der Regel auch die Nachtat begehen muß, um sich die Vorteile aus der
dagegen bei dem räuberischen Angriff nach § 316 a noch nicht vor, so daß insoweit Haupttat zu erhalten"219. Denn das trifft nur für die verwertenden Nachtaten, wie
Idealkonkurrenz besteht (BGHSt 14, 391; 15, 323; 25, 373). das in Rn. 214 genannte Beispiel des Abhebens vom gestohlenen Sparbuch, zu.
Als Fall der Konsumtion wird allgemein215 auch die mit der Abtreibung Aber immerhin läßt sich sagen, daß die Sicherung oder Auswertung der durch die
(§ 218) verbundene Körperverletzung der Mutter beurteilt. Wenn der BGH frei- deliktische Vortat geschaffenen Position ein mit ihr typischerweise verbundener
lich sagt (BGHSt 10, 314), der durch die Abtreibung bewirkte frühzeitige Abgang und deshalb keiner eigenen Bestrafung bedürftiges Verhalten ist.
sei „ein krankhafter Vorgang, eine Gesundheitsbeschädigung. Ohne diese Gesund- Nach der schon auf das RG zurückgehenden Rspr. und der h. L. hat die straf- 220
heitsbeschädigung ist eine Abtötung der Leibesfrucht nicht denkbar", so deutet lose Nachtat drei Voraussetzungen:220 Erstens darf die Nachtat kein neues
dies eher auf ein begriffliches Unterordnungsverhältnis und somit auf Spezialität Rechtsgut verletzen, zweitens darf sie keinen neuen Schaden hervorrufen
hin. (Der BGH spricht nur von „Gesetzeseinheit", ohne sich näher zu äußern.) Al- (sondern allenfalls den alten vertiefen), und drittens muß der Geschädigte der-
lerdings ist die Verletzung des Körpers der Mutter eine Begleittat zu dem Delikt selbe sein. In unserem Ausgangsbeispiel (Rn. 214: betrügerisches Abheben des
der Abtreibung und in dieser Hinsicht der Konsumtion mindestens nahestehend. Geldes vom gestohlenen Sparbuch) sind diese Voraussetzungen erfüllt. Einer der
Das konsumierende Delikt braucht nicht notwendig das schwerere zu sein, wie häufigsten Fälle strafloser Nachtat ist auch der Sicherungsbetrug. Wenn der in Ver-
schon § 218 I (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) im Verhältnis zu § 223 (Freiheits- dacht geratene Dieb den Argwohn des Eigentümers durch falsche Angaben von
strafe bis zu fünf Jahren) zeigt, wenn man diesen Fall der Gesetzeskonkurrenz bei sich ablenkt, so liegt darin ein Betrug. Der Schaden des Eigentümers besteht in
der Konsumtion einordnet. Das beste Beispiel dafür ist § 248 b (unbefugter Ge- der Vertiefung des durch den Diebstahl erlittenen Eigentumsverlustes. Man kann
brauch eines Kraftfahrzeuges). Dieses Delikt ist typischerweise mit dem Diebstahl an dem Beispiel aber auch zeigen, daß das dritte von der h. L. genannte Erforder-
des Benzins verbunden, das sich im Tank des benutzten Autos befindet. §248b nis (die Identität des Geschädigten) bei der straflosen Nachtat zwar regelmäßig
konsumiert daher § 242, obwohl die letztgenannte Vorschrift die schärfere Straf- vorliegt, aber nicht deren notwendige Voraussetzung ist. Wenn z. B. der vom Dieb
drohung enthält. Andernfalls würde auch § 248 b wegen der darin enthaltenen all- getäuschte Eigentümer die Sache inzwischen durch Abtretung des Herausgabean-
gemeinen Subsidiaritätsklausel kaum je zur Anwendung kommen. spruchs (§ 931 BGB) an einen Dritten übereignet hat, kann das vernünftigerweise
b) Die straflose Nachtat an der Straflosigkeit des Sicherungsbetruges nichts ändern; 221 es kann nur auf die
Identität des Angriffsobjektes, nicht auf die des Rechtsgutsträgers ankommen.
Die straflose Nachtat, die oft auch mitbestrafte Nachtat genannt wird, wird
vielfach, wie hier, als Erscheinungsform der Konsumtion angesehen.216 Andere Ein Sicherungsbetrug und somit eine straflose Nachtat liegt auch vor, wenn der 221
ordnen sie der Subsidiarität zu217 oder beurteilen sie als vierte selbständige Form Dieb, der in einem Selbstbedienungsladen Gegenstände gestohlen hat, nachträg-
der Gesetzeskonkurrenz218. Wenn man aber das Charakteristische der Subsidiarität lich die Kassiererin (etwa durch Verdecken der gestohlenen Ware beim Durch-
in der Aushilfs- und Auffangfunktion des subsidiären Tatbestandes sieht, liegt es schreiten des Kassenbereichs) betrügt. Allerdings lehnt BGHSt 17, 209 in einem
bei der straflosen Nachtat, die eine strafbare Vortat gerade voraussetzt, ganz anders. derartigen Fall schon den Tatbestand des Betruges mit der Begründung ab, daß
Mit besseren Gründen läßt sich die mitbestrafte Nachtat als selbständige Erschei- §§ 242, 263 einander ausschlössen. Aber das ist unrichtig: Denn Diebstahl und
nungsform der Gesetzeskonkurrenz ansehen. Denn sie ist keine typische Begleit- Betrug können zwar nicht durch ein und dieselbe Handlung, wohl aber durch
zwei verschiedene Handlungen begangen werden.
tat, sondern als Nachtat eine selbständige Handlung, ein Fall „unechter Realkon-
Nicht um eine straflose Nachtat handelt es sich freilich in dem Fall, daß der 222
215
Vgl. nur et-wa.Jescheck/Weigend, AT5, § 69 II 3, wo schon im ersten Satz auf BGHSt 10, Dieb die gestohlene Ware an einen gutgläubigen Dritten weiterveräußert. Denn
312, 314 f. Bezug genommen wird; LK11-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 118.
™ Baumann/Mitsch, AT10, §36 II 3; Geerds, 1961, 205ff.; Gropp, KT2, §14, Rn. 14; Jescheck/
Weigend, AT5, §69 II 3 a; SK6-Samson/Günther, §52, Rn.97, 99ff.; LK10-Vogler, vor §52, 219 Jescheck/Weigend, AT5, § 69 II 3 a; ganz ähnlich Wessels/Beulke, AT31, Rn. 795.
Rn. 135,137. 220 RGSt 49, 16, 17 ff; 60, 371, 372f.; BGHSt 5, 295, 297; BGH GA 1955, 149, 151; 1957,
2" R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 55; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 113,119f.; Stratenwerth, 409, 410; 1961, 83; BGH NStZ 1987, 23; Baumann/Mitsch, AT10, § 36 II 3; Blei, AT18, § 96 II 3 c;
AT4, § 18, Rn. 18. Jescheck/Weigend, AT5, §69 II 3 a; Lackner/Kühl24, vor §52, Rn.32; SK6 -Samson/Günther, vor
218 Baumann, MDR 1959, 10; Uckner/Kühl24, vor § 52, Rn. 31 ff; Tröndle/Fischer50, vor § 52, § 52, Rn. 101; Stratenwerth, AT4, § 18, Rn. 18; Wessels/Beulke, AT31, Rn. 795.
Rn.44. 22i So richtig Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff, Rn. 114;Jakobs, AT2, 31/36.
860
861
§33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33
der darin gegenüber dem Erwerber liegende Betrug schädigt ein im Verhältnis 226
Demgegenüber nehmen ein anderer Teil der Lehre und vor allem die Rspr. seit
zum Eigentümer völlig anderes Rechtsgut (das Vermögen des Erwerbers). Hier den Zeiten des RG an, daß die Nachtat mangels Zueignung schon den Tatbestand
stehen also §§242, 263 in Realkonkurrenz. Realkonkurrenz ist auch anzuneh- der Unterschlagung nicht erfüllt, so daß eine Gesetzeskonkurrenz von vornherein
men, wenn jemand sich durch Betrug den Fremdbesitz an einer unter Eigentums- nicht in Betracht kommt. In einer Entscheidung des Großen Senats (BGHSt 14,
vorbehalt stehenden Sache erschleicht und diese später als vorgeblicher Eigen- 38, 45) wird das präzise zusammengefaßt. Danach setzt „die Unterschlagung
tümer einem Dritten veräußert (BGHSt 16, 280). Die in dem Verkauf liegende schon tatbestandlich voraus, daß sich der Täter die fremde Sache nicht bereits
Unterschlagung (§ 246) stellt gegenüber dem vorhergehenden Betrug einen neuen durch eine strafbare Handlung zugeeignet hat (Diebstahl, Raub, Erpressung, Be-
Schaden (nämlich die Zueignung einer fremden Sache) dar. Wird mit einer ge- sitzbetrug) ". Der einleuchtende Grundgedanke ist also, daß man sich eine Sache
stohlenen Urkunde ein Betrug begangen, der das Vermögen des Bestohlenen schä- nicht zweimal in strafbarer Weise zueignen kann. Die Frage, ob die Nachtat kon-
digt, so ist § 263 nicht straflose Nachtat, sondern steht mit § 242 in Realkonkur- sumiert wird oder tatbestandslos ist, ist auch nicht ganz ohne praktische Bedeu-
renz. 222 Denn durch die Vermögensschädigung wird ein neues und anderes tung. Denn vom ersten Standpunkt aus ist eine Mitwirkung bei der Sicherung
Rechtsgut verletzt. oder Verwertung eine Beihilfe zur Unterschlagung (§ 246), vom zweiten aus nur
223 Begeht jemand eine Steuerhinterziehung, indem er die rechtzeitige Umsatzsteu- eine Begünstigung (§ 257). Vom ersten Standpunkt aus kann der Täter nach Ver-
ervorausmeldung unterläßt, so ist die Abgabe einer späteren falschen Umsatz- jährung des Besitzverschaffungsdelikts ggf. noch wegen Unterschlagung bestraft
steuerjahreserklärung eine straflose Nachtat gegenüber dem vorhergehenden Un- werden, nach der zweiten Ansicht bleibt er wegen Straflosigkeit der Nachhand-
terlassen. „Es handelt sich um eine Nachtat, durch die die bereits erlangten Vor- lung in jedem Falle straflos.
teile der durch Unterlassen begangenen Tat gesichert werden sollten" (BGHSt 38, Eine straflose Nachtat ist auch dann möglich, wenn das Zweitdelikt schwerer ist 226
368; 39, 235). als die Vortat.227 Wenn der Täter einer Unterschlagung die unterschlagene Sache
224 Rspr. und h. M. 223 nehmen eine straflose Nachtat auch an, wenn jemand eine einem Hehler anbietet, ist die Anstiftung zur Hehlerei (§§26, 259) als reine Ver-
gestohlene oder unterschlagene Sache nachträglich beschädigt oder zerstört. Denn wertungshandlung straflose Nachtat gegenüber der Unterschlagung, obwohl die
die Sachbeschädigung manifestiere dieselbe Anmaßung eigentümerähnlicher Hehlerei mit schwererer Strafe bedroht ist. 228 In dem Fall, daß der Anstifter zur
Herrschaft wie das vorangegangene Eigentumsdelikt. Dem ist aber nicht zu fol- Vortat die Sache später vom Vortäter erwirbt, hat der Große Senat (BGHSt 7,134)
gen. 224 Denn die Zerstörung bzw. Beschädigung fremden Sacheigentums verletzt allerdings im Gegensatz zu vorhergehenden Entscheidungen des BGH, die die
das Eigentum in ganz anderer Weise als dessen Zueignung. Sie ruft dadurch einen Hehlerei als straflose Nachtat beurteilt hatten, Realkonkurrenz angenommen.
neuen und andersartigen Schaden hervor. Auch unter Strafwürdigkeitsgesichts- Diese Ungleichbehandlung läßt sich rechtfertigen, wenn man bedenkt, daß zwar
punkten ist die Bejahung einer straflosen Nachtat fehl am Platze. Denn der Eigen- die Veräußerung der Sache durch den Vortäter eine typische Verwertungshandlung
tümer einer gestohlenen oder unterschlagenen Sache hat immer noch die Chance, darstellt, nicht aber deren Erwerb durch den Anstifter.
sie unversehrt wiederzuerlangen. Diese wird durch eine Beschädigung oder Zer-
störung vernichtet. Es ist daher Realkonkurrenz anzunehmen. 5. Die rechtliche Behandlung der Gesetzeskonkurrenz
225 Sehr str. ist der überaus häufige Fall, daß jemand Gegenstände, die er durch ein
Wie schon dargelegt wurde (Rn. 170/171), erfolgt in allen Fällen der Gesetzes- 227
Eigentums- oder Vermögensdelikt (z. B. Betrug) in seinen Besitz gebracht hat,
konkurrenz die Bestrafung nur aus dem vorrangigen Delikt, so daß der verdrängte
nachträglich sichert oder verwertet (etwa durch Verbrauch oder Weiterveräuße-
Tatbestand im Urteilstenor nicht genannt wird. Gleichwohl ist der verdrängte Tat-
rung). Eine in der Literatur verbreitete Meinung sieht in einer solchen nach der bestand erfüllt - er ist also nicht etwa inexistent - , und das hat die Folge, daß das
Erlangung erfolgenden Herrschaftsausübung eine Unterschlagung (§246), die verdrängte Gesetz in vielfältiger Weise zur Sanktionierung beitragen kann, wenn
aber im Verhältnis zur deliktischen Vorhandlung nur eine straflose Nachtat sei. 225 das vorrangige Delikt entweder nicht bestraft werden kann oder keine ausrei-
chende Ahndung ermöglicht. Die Rspr. hat diese Linie schon seit den Zeiten des
222 RGSt 49,408; 64, 284.
223 RGSt 35, 64, 65; R G GA 1903, 121; B G H N J W 1955, 876; OLG Braunschweig N J W RGSt 49,16ff; 61, 37, 38; BGHSt 14, 38, 43 ff.; B G H R StGB, §263 Abs.l, Täuschungs-
1963,1936; Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., R n . 114. handlung, N r l ; Maiwald, 1970, 261 ff.; Otto, 1970, 106ff.; Stratenwerth, AT 4 , 618 R n 19-
224 Jakobs, A T 2 , 31/35;Jescheck, Z S t W 6 7 (1955), 535; lescheck/ Weigend, A T 5 , § 6 9 II 2 a; Krauß, Tröndle/Fischer50, § 246, R n . 19 f.
GA 1965,180; Sauer, AT 3 ; 242; zweifelnd Tröndle/Fische?0, vor § 52, R n . 44. 227 OLG Braunschweig N J W 1963, 1936; Jakobs, AT 2 , 31/37; Jescheck/Weigend, AT 5 § 6 9 II
225 Jescheck/Weigend, AT 5 , § 6 9 III 3 a; LKn-Ruß, §242, R n . 8 1 ; Sch/Sch/Stree26, vor 3a; Krauß, GA 1965, 179; Sch/Sch/Stree26, vor §§52ff., Rn.115. A.A. Maurach, TZ 1956, 257,
§§ 52ff., R n . 114; Seelmann, JuS 1985, 702f.; Tenckhoff, JuS 1984, 778f., 779; Wessels/Beulke, AT 31 , 258; Maurach/Gössel, AT/2 7 , 56/36.
Rn.795; unentschieden Sch/Sch/Eser26, § 246, R n . 3 3 . 228 Vgl. zur entsprechenden Konstellation bei der typischen Begleittat R n . 220.

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RG 2 2 9 verfolgt, so daß die Gesetzeskonkurrenz sich in den Rechtsfolgen der privilegiert. So ist z. B. § 113 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) ein ge-
Idealkonkurrenz immer mehr angenähert hat. In der Literatur wird in teilweise milderter Fall der Nötigung (§ 240), der auf die besondere psychische Situation
drastischer Formulierung gesagt, daß die Rspr. die Unterscheidung „nahezu bedeu- des Widerstandleistenden Rücksicht nimmt. § 113 ist also lex specialis zu § 240.
tungslos gemacht"230 und ihre Bedeutung „nahezu auf Null reduziert"231 habe.' Wenn es beim Versuch des Widerstandes bleibt, so ist dieser nach § 113 nicht straf-
228 In der Praxis hat das - unter Beiseitelassung einiger Ausnahmen, Modifikatio- bar. Dann darf aber auch nicht wegen der darin steckenden Nötigung (§§240 I,
nen und Streitpunkte, auf die noch einzugehen sein wird - folgende vier Konse- III) bestraft werden. Denn der Täter würde sonst „beim (straflosen) Versuch des
quenzen: speziellen Delikts schlechter gestellt als bei der Vollendung" (BGHSt 30, 236). Ein
a) Wenn das vorrangige Gesetz aus materiell-rechtlichen oder verfahrensrecht- Rückgriff auf § 240 würde die Privilegierung des § 113 unterlaufen.232
lichen Gründen, etwa wegen Rücktritt vom Versuch oder wegen fehlenden Straf- Eine weitere Ausnahme gilt beim freiwilligen Rücktritt vom Versuch für die 231
antrages, nicht bestraft werden kann, lebt das verdrängte Gesetz i. d. R. wieder auf selbständig strafbaren Vorstufen der Beteiligung. Wenn jemand einen schweren
und wird Gegenstand selbständiger Ahndung. Raub (§ 250) verabredet, ist schon diese Verabredung nach § 30 II strafbar. § 30 II
b) Das verdrängte Gesetz kann bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, tritt aber als subsidiär zurück, sobald der Täter ins Versuchsstadium eintritt (vgl.
soweit deren allgemeine Grundsätze (Verbot der Doppelverwertung!) nicht entge- Rn. 201). Tritt er nur von diesem Versuch freiwillig zurück, könnte nach allgemei-
genstehen. nen Regeln das verdrängte Gesetz wieder aufleben (Rn. 229), so daß dann eine
c) Die Mindeststrafe des verdrängten Gesetzes darf nicht unterschritten wer- Strafbarkeit nach §30 II übrigbliebe. Mit Recht wird dies aber von der Rspr.
den. (BGHSt 14, 378) und der heute einhelligen Meinung abgelehnt. Denn das Rück-
d) Der Umstand, daß der Täter aus dem verdrängten Gesetz nicht bestraft wird, trittsprivileg würde weitgehend zunichte gemacht, wenn der Zurücktretende
hindert ggf. die Bestrafung eines nur bei der Nachtat Mitwirkenden aus diesem zwar nicht wegen Versuchs, wohl aber wegen der den Versuch vorbereitenden Ver-
Delikt nicht. abredung bestraft würde. Außerdem folgt die völlige Straflosigkeit auch aus der
e) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen i. S. d. § 111 Nr. 8 können und Einsicht, daß die durch den freiwilligen Rücktritt ausgelöste Straflosigkeit alle
müssen ggf. dem verdrängten Gesetz entnommen werden. bisher zur Tatbestandsverwirklichung unternommenen Handlungen erfassen
Alle diese Einwirkungsmöglichkeiten des verdrängten Gesetzes sollen nach- muß. Wenn schon der Versuch straflos ist, muß die Vorbereitung es erst recht sein.
stehend etwas näher erläutert werden. Es liegt hier anders als bei den Normalfällen des qualifizierten Versuches, bei
denen ein anderer Tatbestand vollendet ist.
a) Das Wiederaufleben des verdrängten Gesetzes bei fehlender Bestrafungs-
Sehr umstritten ist aber die Frage, ob die Verabredung auch in dem Fall straflos 232
möglichkeit aus dem vorrangigen Tatbestand
ist, „daß eine verabredete Haupttat nicht in gleichwertiger, sondern in weniger
229 Tritt der Täter vom versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl (§§244 I Nr. 3, schwerer Erscheinungsform versucht wird, und daß die Täter von diesem Versuch
22) freiwillig zurück, nachdem er die fremde Wohnung schon aufgebrochen und freiwillig zurücktreten" (BGHSt 14, 380). Es wird z.B. ein Raub (§§249, 250)
betreten hat, so bleibt er nach §§ 123, 303 strafbar, obwohl er bei Vollendung des verabredet. Da das Opfer nicht angetroffen wird, versuchen die Täter, die Beute
Delikts aus diesen Vorschriften nicht hätte bestraft werden können. Tritt der Mör- durch Diebstahl an sich zu bringen, treten aber davon freiwillig zurück. Der BGH
der von seinem Versuch (§§211, 22) freiwillig zurück, nachdem er das Opfer hat es ausdrücklich offengelassen, ob in einem solchen Fall die Strafbarkeit nach
durch Messerstiche schon schwer verletzt hat, so bleibt er aus § 224 strafbar. Wer § 30 II bestehenbleibt. Dafür läßt sich geltend machen, daß bei Durchführung des
vom Versuch einer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1) freiwillig zurücktritt, kann Diebstahls die schwerer wiegende Verabredung zum Raub nicht als subsidiär zu-
trotzdem wegen vollendeter sexueller Nötigung strafbar bleiben (BGHSt 7, 300). rückgetreten wäre (vgl. Rn 205).233 Gleichwohl sprechen die besseren Gründe da-
Man spricht in diesen Fällen von einem qualifizierten Versuch. Daß beim straf- für, auch in einem solchen Fall den Rückgriff auf § 30 II abzulehnen. 234 Denn der
befreienden Rücktritt vom Versuch die bereits vollendeten Delikte strafbar blei-
ben, läßt sich schon dem Wortlaut des § 24 11 entnehmen, der nur die Strafbarkeit
wegen Versuchs und nicht die Strafbarkeit schlechthin ausschließt. 232 B G H S t 3 0 , 235, 236; Backes/Ransiek, J u S 1989, 629; S K 6 - H ö r n , § 1 1 3 , R n . 2 3 ; Sch/Sch/
230 Freilich gilt dies nicht ohne Ausnahme. Die Rspr. verbietet mit Recht den Stree26, § 113, Rn.68; AK-Zielinski, § 113, Rn.5, 46. A.A. OLG Hamm NStZ 1995, 547, 548;
LK'-u Bubnoff, § 113, Rn. 3, 65; Tröndle/Fischer50, § 113, Rn. 1, 31.
Rückgriff auf das verdrängte Gesetz, wenn das vorrangige Gesetz den Täter 233 Für ein Bestehenbleiben der Strafbarkeit nach § 30 II daher Maurach, JZ 1961, 146;
LK -Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 114; Vogler, Bockelmann-FS, 1979, 728 f.
229 RGSt 59, 321 (325); RGSt 73,148 (150). 234 Bottke, 1979, 560ff.; Jescheck/Weigend, A T 5 , § 6 5 I V 1 u n d § 6 9 I I I 1 ; Lackner/Kühl24, § 31,
n
230 LK -Rissing-van Saan, v o r § 52, R n . 70. R n 7; Roxin, J A 1979,175; ders., LK 1 1 , § 30, R n . 82; Schmidhäuser, S t u B AT 2 ,11/113; Sch/Sch/Cra-
231 Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 103. mer26, § 30, R n . 4 0 ; Tröndle/Fischer50, § 30, R n . 16.

864 865
§33 V 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33
Rücktritt vom leichteren Delikt bedeutet eine Aufgabe des gesamten Deliktsplans, diebstahls (§ 244 I Nr. 3) konsumiert worden wären. Stellen freilich die Eltern
der ohne das Grunddelikt keine rechtliche Bedeutung mehr hat. überhaupt keinen Strafantrag, bleibt der Sohn unbestraft. Es kann selbstverständ-
233 Nach ganz h.M. gilt das zu §30 Gesagte auch für das nach §306f selbständig lich nicht auf §§242 ff. zurückgegriffen werden, weil sonst die für den Familien-
strafbare Herbeiführen einer Brandgefahr im Verhältnis zum Rücktritt von der diebstahl geltende Privilegierung gegenstandslos würde (BGHSt 10, 403; 29, 56).
versuchten Brandstiftung (§§306, 22) und zu der tätigen Reue (§306e). 235 Das Manchmal kommt es für die Frage, ob aus dem allgemeinen Delikt bestraft 236
ist richtig: denn die Argumente, die bei § 30 dafür sprechen, daß der Rücktritt alle werden kann, wenn ein Verfahrenshindernis (hier: Amnestie) der Bestrafung aus
Entwicklungsstufen des Verletzungsdelikts ergreift (Rn. 231), gelten auch hier. dem spezielleren entgegensteht, auf den „konkreten Zweck" der Verfahrensrege-
Demgegenüber soll nach BGHSt 39, 128 236 und einer Mindermeinung in der lung an. Wird die Beamtennötigung straffrei gestellt (§ 114 a.E), kann immer noch
Literatur237 die Strafbarkeit gemäß § 306 f nach den allgemeinen Regeln des qua- wegen allgemeiner Nötigung bestraft werden, wenn der Gesetzgeber die Straf-
lifizierten Versuchs bestehenbleiben. Die Begründung, der Gesetzgeber habe mit losigkeit auf das spezielle Delikt beschränken wollte (BGHSt 24, 262).241
der Vorverlagerung der Strafbarkeit zum Ausdruck gebracht, daß er „bereits in der Einen besonderen Streitpunkt bildet die Frage, ob die straflose Nachtat wieder 237
Gefährdung ... unabhängig von einem Schaden ein eigenständiges Unrecht sieht", strafbar wird, wenn die Vortat aus prozessualen Gründen nicht geahndet werden
überzeugt nicht. Denn erstens könnte das bei § 30 auch geltend gemacht werden; kann. Die st. Rspr. bejaht das.242 So wird z. B. die Nachtat bestraft, wenn die Ver-
und zweitens wird mit der Vorverlagerung der Strafbarkeit zwar die Reichweite folgung der Vortat nach § 154 a StPO eingestellt worden ist (BGH GA 1971, 83 f.).
des Unrechts ausgedehnt, aber kein eigenständiges Unrecht geschaffen. Ebenso kann die Abgabe einer falschen Umsatzsteuererklärung, die an sich eine
234 Anders liegt es im Verhältnis der Geld- und Wertzeichenfälschung (§§ 146, straflose Nachtat gegenüber der früher unterlassenen Voranmeldung ist (Rn. 223),
148) zum Tatbestand des § 149. Denn der Rücktritt vom Fälschungsversuch besei- Gegenstand selbständiger Bestrafung sein, wenn die Vortat verjährt ist (BGHSt
tigt nicht die gesamte Gefahr, weil die nach § 149 geschaffene Fälschungsmöglich- 38, 368 f.).243 Der BGH stützt sich auf das einfache, aber schlagkräftige Argument,
keiten bestehenbleiben und schon für sich eine Strafbarkeit begründen. Obwohl daß die straflose Nachtat eine „mitbestrafte Nachtat" sei und folglich nur straflos
§ 149 gegenüber der vollendeten Tat nach §§ 146,148 subsidiär ist, bleibt daher bei bleiben kann, wenn die Vortat bestraft wird. „Der Unrechtsgehalt der (mitbestraf-
einem freiwilligen Rücktritt von den Fälschungsdelikten die Strafbarkeit nach ten) Nachtat wird durch die Bestrafung der in erster Linie strafwürdigen Haupttat
§ 149 bestehen.238 Ähnliches gilt für den Spezialtatbestand des § 264 (Sub- abgegolten. Kann eine Bestrafung der Haupttat nicht erfolgen, entfällt der Grund
ventionsbetrug) im Verhältnis zu § 263. Ist § 264 aus irgendwelchen Gründen für die Straflosigkeit der Nachtat, ohne daß es darauf ankommt, weshalb die
„nicht anwendbar, liegen jedoch die Voraussetzungen des versuchten oder voll- Haupttat straffrei bleibt." Dem folgt ein erheblicher Teil der Lehre.244
endeten Betruges vor, so lebt die Strafbarkeit nach § 263 StGB wieder auf. An- Dagegen verficht eine von namhaften Autoren vertretene Gegenmeinung, 245 238
dernfalls entstünde mit der Privilegierung von im Subventionsbereich tätigen Be- der sich auch das OLG Braunschweig246 angeschlossen hat, den Standpunkt, daß
trügern eine in der Sache nicht gerechtfertigte ... Strafbarkeitslücke" (BGHSt 44, die Nachtat selbst bei mangelnder Verfolgbarkeit der Vortat straflos bleiben müsse.
243).239 Zur Begründung wird im wesentlichen angeführt, daß Vor- und Nachtat eine
235 Dieselben Grundsätze gelten, wenn die Bestrafung des vorrangigen Deliktes an „Bewertungseinheit" bildeten, bei der die Vortat die „ausschließliche Bewertungs-
prozessualen Hindernissen scheitert. Wenn der Sohn bei seinen Eltern einbricht
(§247) und die Eltern nur nach §§123, 303 Strafantrag stellen, 240 so kann der 241
Einen vergleichbaren Fall einer Verfolgungsbeschränkung bei einer Auslieferung behan-
Sohn mangels eines Strafantrages nach § 247 zwar nicht wegen Diebstahls, wohl delt BGHSt 19,188.
aber nach §§ 123, 303 bestraft werden, die bei einer Ahndung wegen Einbruchs- 2« Vgl. außer den im Text genannten Entscheidungen BGHSt 14, 45; 39, 235; BGH NStZ
1994, 586; BGH NJW1968, 2115; BGH MDR (D) 1955, 269.
235 Arzt/Weber, B T L H 2, R n . 187; Bottke, 1979, 625; Bruch, 1983, 229 m i t Fn. 118; Geppert, 2« M. abl. Anm. Stree, JZ 1993, 476 f.; zust. Otto, Jura 1994, 276.
Jura 1989, 473, 481; Jescheck/Weigend, AT 5 , § 5 1 V I 2; Otto, Jura 1986, 52f., 53; SK6-Rudolphi, 2« BGH MDR (D) 1955, 269; BGH JZ 1968, 710; BGH GA 1971, 83 f.; BGH NStZ 1993,
§ 24, R n . 44; Seier, Jura 1983, 232f.; Sch/Sch/Eser26, § 24, R n . 110; Sch/Sch/Stree26, vor § § 52ff., 96f.; Dreher, MDR 1964, 168, 169; Geerds, 1961, 169, 229; Huschka, NJW 1960, 1189, 1190,.Fn.
R n . 139 a. E.; Vogler, B o c k e l m a n n - F S , 1979, 727f.; ders., LK 1 0 , § 24, R n . 198. 12; Kohlmann, JZ 1964, 492ff.; 494; Uckner/Kühl24, vor § 52, Rn. 32; Maurach, JZ 1956, 257,-258;
236 Ebenso OLG Celle NdsRpfl. 1952, 57; OLG Schleswig SchlHA 1955, 99; OLG Stuttgart NK-Puppe, vor §52, Rn.36f.; LKn-Rissing-van Saan, vor §52, Rn.135; Sauer, AT3, 242;
MDR1994,713f. Schmidhäuser, LB AT2, 18/33; Tröndle/Fische?0, vor § 52, Rn.44; Vogler, Bockelmann-FS, 1979,
237 Lackner/Kühf4, § 3 0 6 e , R n . l ; Seh/Seh /Heine26, § 3 0 6 e , R n . 16; Tröndle/Fischer50, § 3 0 6 e , 734f.; ders., LK10, vor § 52, Rn. 146; Welzel, StrafR11, 235; Wessels/Beulke, AT31, Rn.796; Wolter,
Rn. 8; LKn-Wolff, § 310, Rn. 1 mit Fn. 1; § 310 a, Rn. 7. GA 1974, 161 ff., 165; z. T derselben Ansicht Maurach/Gössel, KT/27, 56/44. Unentschieden
238 LK 10 -Herdegen, §149, R n . 7 ; Lackner/Kühl24, §149, R n . 7 ; Sch/Sch/Stree26, v o r §§52ff., Joecks3, vor § 52, Rn. 22.
R n . 139 a. E.; Sch/Sch/Stree/Sternberg-Lieben26, § 149, R n . 12; Tröndle/Fischer50, § 149, R n . 12; Vog- 2« Baumann/Mitsch, AT10, §36 II 3 (undeutlich); Blei, AT18, §96 II 3 c; Jescheck/Weigend,
ler, B o c k e l m a n n - F S , 1979, 728. AT5 §69 II 3 a; Krauß, GA 1965; 173, 178; SK6-Samson/Günther, vor §52, Rn.102; Sch/Sch/
239 Ausführlich dazu m . w . N . Seh/Seh/Lenckner/Perron26, § 264, R n . 87. Stree2S, vor §§ 52ff., Rn. 113ff.; 116.
240 Beispiel beiJescheck/Weigend, AT 5 , § 69 I I I 1 . 246 OLG Braunschweig NJW 1963,1936.

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§ 33 V 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen V § 33

grundlage für das Gesamtgeschehen" bilde. 247 „Denn nicht die eine Strafe ver- Tatbestände des Diebstahls (§ 242) und der Nötigung (§ 240) erfüllt hat. Denn de-
drängt die andere, sondern der Eingriff in die fremde Rechtssphäre ist ausschließ- ren Merkmale sind auch Voraussetzungen des § 249 und dürfen dem Täter nicht
liche Bewertungsgrundlage und schließt die selbständige strafrechtliche Beurtei- zweimal zur Last gelegt werden.
lung der Sicherung und Verwertung der durch die Vortat erlangten Vorteile Anders ist es, wenn keine Doppelverwertung vorliegt. So wird § 226 (schwere 241
Körperverletzung) als lex specialis zu §224 (gefährliche Körperverletzung) be-
aus."248
urteilt (Rn. 185), obwohl die besonderen Merkmale des § 224 (Waffenbenutzung,
239 Doch ist der Rspr. und der dieser folgenden Literaturmeinung zuzustimmen.
hinterlistiger Überfall usw.) in § 226 nicht enthalten sind. Sie können daher bei
Denn die These von der „Bewertungseinheit" und der Vortat als „ausschließlicher
der Strafbemessung nach § 226 täterbelastend ins Gewicht fallen. Denn zwar um-
Bewertungsgrundlage" setzt voraus, was erst bewiesen werden müßte und letztlich
nicht einleuchtend ist. Denn wenn z. B. auf die schon als Steuerhinterziehung faßt der Unrechtsgehalt des § 226 auch diese gravierenden Verletzungsmethoden;
strafbare unterlassene Umsatzsteuervorausmeldung die spätere und nicht verjährte aber gerade deshalb müssen sie als Strafzumessungsfaktoren innerhalb des durch
Abgabe einer falschen Umsatzsteuererklärung folgt (Rn. 237), so manifestiert sich § 226 zur Verfügung gestellten Strafrahmens verwertet werden. Entsprechendes
in der Nachtat eine erhebliche und selbständige kriminelle Energie. Wird die gilt etwa für das Verhältnis des Raubes (§249) zu §§243, 244. Der Raub ist lex
Vortat bestraft, so wäre die Bestrafung der Nachtat eine unzulässige Doppelbe- specialis auch gegenüber diesen erschwerten Formen des Diebstahls (Rn. 186),
strafung, weil es um die Hinterziehung desselben Steuerbetrages geht. Kann die aber dessen Erschwerungen können die wegen Raubes zu verhängende Strafe ver-
Vortat aber wegen Verjährung nicht mehr bestraft werden, so ist nicht einzusehen, schärfen, soweit sie nicht ohnehin schon Qualifikationen nach § 250 bilden. Auch
warum das nicht verjährte, dem Unrechtsgehalt der Vortat mindestens gleich- kann strafschärfend berücksichtigt werden, daß der Täter einer Vergewaltigung
gewichtige Nachtatverhalten ebenfalls sollte straflos bleiben müssen. Entsprechen- (§ 177 II), die ein erschwerter Fall der sexuellen Nötigung (§ 177 I) ist, im Zu-
des gilt auch für andere Fälle, wie z. B. mit beträchtlichem Aufwand inszenierte sammenhang mit der Vergewaltigung noch sexuelle Nötigungen anderer Art be-
Betrügereien, die einen voraufgegangenen Diebstahl verschleiern und sichern sol- gangen hat (BGHSt 33,147).
len. 249 Wo es lediglich um eine zweimalige Zueignung geht, wie bei der nachträg- Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das ausgeschlossene Delikt bei der 242
lichen „Unterschlagung" einer zuvor schon durch ein anderes Eigentums- oder Strafzumessung zu Lasten des Täters berücksichtigt werden darf, soweit des-
Vermögensdelikt zugeeigneten Sache, steht schon die Tatbestandslosigkeit der sen strafschärfende Umstände nicht schon zum Tatbestand des vorrangigen
Nachtat ihrer Bestrafung bei einer Unverfolgbarkeit der Vortat im Wege (vgl. Delikts gehören. 253
Rn. 225 sowie BGHSt 14,46). c) Die Berücksichtigung der Mindeststrafe des verdrängten Gesetzes
b) Die Berücksichtigung der straflosen Nachtat bei der Strafzumessung Der heute bei der Idealkonkurrenz gesetzlich festgelegte Grundsatz, daß die 243
240 Die Rspr. schon des RG 2 5 0 und auch die des BGH 251 haben es stets zugelassen, Mindeststrafe eines absorbierten Gesetzes nicht unterschritten werden darf (§ 52 II
die straflose Nachtat bei der Strafzumessung zu verwerten. Dabei wird meist nur 2), ist vom BGH von vornherein auf die Gesetzeskonkurrenz übertragen wor-
in einer sehr pauschalen Formulierung betont, daß es gestattet sei, „die Verletzung den: 254 „Derselbe Grundsatz muß auch in dem Falle gelten, wenn ein Täter meh-
eines wegen Gesetzeseinheit nicht zur Anwendung kommenden Gesetzes bei der rere Gesetze verletzt hat, von denen ein Teil nur um deswillen nicht anwendbar
Strafzumessung erschwerend zu berücksichtigen" (BGHSt 1,155). Das stößt in die- ist, weil ein anderes die besondere Norm enthält und aus diesem Grunde die allei-
ser Allgemeinheit auf berechtigte Bedenken, 252 weil einer Strafschärfung unter nige Anwendung beansprucht" (BGHSt 1, 156). Bei einer versuchten Vergewalti-
Berufung auf das ausgeschlossene Delikt in vielen Fällen § 46 III entgegensteht, gung (§§ 177 II, 22: Mindeststrafe nach § 49 I Nr. 3 sechs Monate), die lex specialis
wonach „Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, ... im Verhältnis zur vollendeten sexuellen Nötigung (§ 177 I) ist, darf also deren
nicht berücksichtigt werden" dürfen. Zum Beispiel darf die wegen eines Raubes Mindeststrafe (ein Jahr) nicht unterschritten werden (vgl. BGHSt 1, 152 ff). Wenn
(§ 249) verhängte Strafe nicht deswegen erhöht werden, weil der Täter auch die man die Fremdabtreibung (§ 218 I) als im Verhältnis zu der damit verbundenen
Körperverletzung der Mutter vorrangig ansieht (vgl. Rn. 217) und den Ausschluß
2 der Körperverletzung auch auf die schwere Körperverletzung (§226: Verlust der
« Jescheck/Weigend, AT5, § 69 II 3 a.
2"8 Sch/Sch/Stree26, vor §§ 52ff., Rn. 116. Fortpflanzungsfähigkeit) erstreckt, wie BGHSt 10, 312 es tut, darf die nach § 218
2*> Vgl. LKn-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 136.
250 RGSt 26, 312, 313f.; 59,147,148; 62, 61, 62; 63,423,424. 253
Das entspricht der heute überwiegenden Meinung: Bruns, 1974, 465 ff; Freund, AT,
25i BGHSt 1, 152, 155; 6, 27; 19, 189; 33, 142, 147; BGHR StGB, § 46 Abs. 2, Tatumstände,
§11, Rn.48; Jakobs, AT2, 31/38ff; Jescheck/Weigend, AT5, §69 III 3; Sch/Sch/Stree26, vor
Nr. 7; § 30, Konkurrenzen, Nrn. 2 und 3; BtMG, § 29, Strafzumessung, Nr. 3. §§52 ff., Rn. 141; Warda, JuS 1964, 92.
252 Gegen eine Berücksichtigung des ausscheidenden Tatbestandes deshalb Geerds, 1961, 254 BGHSt 1,156; 7, 312; 10, 315; 15, 346; 19,189; 20, 238.
231 f.; Maurach/Gössel, KT/27, 55/25; Seier, Jura 1983, 234ff.
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verhängte Strafe jedenfalls nicht unter der höheren Mindeststrafe des §226 liegen verübt, wird der gleichzeitig verwirklichte Hausfriedensbruch (§ 123) konsumiert
(BGHSt 10, 315). Das gilt nach BGHSt 15, 345 auch für eine Abtreibung mit To- (Rn. 213). Wenn der Täter aber demjenigen, der ihm beim Einsteigen die Leiter
desfolge: Der Täter wird nur wegen Abtreibung bestraft, aber die Mindeststrafe hält, vorgeschwindelt hat, er wolle nur seine minderjährige Freundin gegen den
des § 227 (im Regelfall drei Jahre) darf nicht unterschritten werden. Willen ihrer Eltern auf ihrem Zimmer besuchen, so ist dieser allein wegen Bei-
244 Natürlich läuft dies auf die Rechtswirkungen der Idealkonkurrenz hinaus, und hilfe zu § 123 zu bestrafen. Ebenso ist es etwa für den Ladendieb eine straflose
man kann die Meinung vertreten, daß es sachgerechter wäre, mindestens bei Nachtat, wenn er die Kassiererin beim Durchschreiten des Kassenbereiches zur
schweren Folgen einer Abtreibung von vornherein Idealkonkurrenz anzunehmen, Sicherung der Diebesbeute betrügt (Rn. 221). Wenn jedoch sein Freund, der an
weil die Tat nach § 218 zwar typischerweise eine einfache Körperverletzung, nicht dem Diebstahl nicht beteiligt war, an der späteren Täuschung der Kassiererin in
aber die genannten schweren Folgen mit sich bringe. Wenn man aber Gesetzes- Kenntnis des vorher Geschehenen maßgeblich mitwirkt, kann er sehr wohl als
konkurrenz annimmt, ist die Rspr. sachgerecht.255 Denn es ist nicht einzusehen, Täter eines Betruges bestraft werden.
warum ein Täter, der ein schwereres Delikt verwirklicht hat, nur deswegen milder
e) Das verdrängte Gesetz kann Nebenstrafen, Nebenfolgen und
bestraft werden soll, weil er auch noch einen vorrangigen weniger schweren Tat-
Maßnahmen (§111 Nr. 8) auslösen
bestand verwirklicht hat. Eine Ausnahme kann, wie beim Wiederaufleben ver-
drängter Gesetze (vgl. Rn. 230), nur dann anerkannt werden, wenn das vorrangi- „Auch bei Gesetzeskonkurrenz bleiben die Vorschriften des verdrängten Ge- 247
ge Gesetz den Täter privilegieren soll. 256 setzes über ... Nebenstrafen, wie auch über Sicherungsmaßnahmen, neben dem
245 Eine Bindung an das Höchstmaß eines verdrängten Gesetzes gibt es dem- Gesetz, aus dem bestraft wird, anwendbar" (BGHSt 8, 52). Das ergibt sich aus
gegenüber nicht (BGHSt 30,166).257 Wenn also jemand „in gerechtem Zorn und demselben Grunde, aus dem die Mindeststrafe eines verdrängten Gesetzes nicht
im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit" einen Totschlagsversuch begeht, unterschritten werden darf (BGHSt 7, 312): „Es darf dem Täter nicht zum Vorteil
so ist bei der Verurteilung aus §213 eine doppelte Strafminderung (nach §§21, 23 gereichen, daß er durch seine Tat nicht nur ein Strafgesetz, sondern mehrere Straf-
II) nicht deshalb unzulässig, weil der Täter durch sein Verhalten auch den nach der vorschriften verletzt hat."260
damaligen Rspr. verdrängten Tatbestand des § 224 verwirklicht hat, der eine weit
höhere Strafe zuläßt. Dieser Umstand legitimiert nicht eine Überschreitung des VI. Die aufgegebene Konstruktion der fortgesetzten Handlung
nach § 213 ermittelten Strafrahmens. „Gegen eine strenge Bindung spricht auch,
daß der Tatrichter eine Höchststrafe anders als eine gesetzliche Mindeststrafe un- 1. Zur Behandlung der fortgesetzten Tat in der früheren Rechtsprechung
terschreiten darf" (BGHSt 30,168). Nach dem heutigen § 224 kann in einem min- und Literatur
derschweren Fall bis zu drei Monaten heruntergegangen werden. Die Auffassung Die fortgesetzte Handlung war eine von der Rspr. schon im 19. Jahrhundert 248
des BGH überzeugt. 258 Nachdem freilich die Rspr. in einem Fall wie dem ge- außerhalb des Gesetzes entwickelte Konstruktion, die es gestattete, mehrere selb-
schilderten zur Annahme von Idealkonkurrenz übergegangen ist (Rn. 205), stellt ständige, über die tatbestandliche und natürliche Handlungseinheit (Rn.l9ff.,
sich das Problem anders. Doch ändert das nichts an der Richtigkeit dessen, was 29 ff.) hinausgehende Deliktsverwirklichungen zu einer „rechtlichen Handlungs-
unter der Prämisse des Vorliegens von Gesetzeskonkurrenz gesagt worden ist. einheit" und damit zu einer einzigen Tatbestandsverwirklichung zusammenzu-
d) Die Möglichkeit einer strafbaren Mitwirkung an dem verdrängten fassen. Hatte z. B. der Täter ein Kind fortgesetzt (also z. B. monatelang an ver-
Gesetz schiedenen Tagen) sexuell mißbraucht, so wurden alle diese Taten zu einer einzi-
gen Bestrafung nach § 176 zusammengefaßt. Hatte jemand hundertmal kleinere
246 Es ist in der Rspr. 259 und auch sonst allgemein anerkannt, daß eine im Wege der
Geldbeträge unterschlagen (§246), so wurde er deswegen doch nur einer fort-
Gesetzeskonkurrenz ausgeschlossene Vorschrift bei anderen Personen, die am ver-
gesetzten Unterschlagung für schuldig gesprochen.
drängenden Delikt nicht beteiligt sind, eine Strafbarkeit als Täter oder Teilnehmer
Im einzelnen wurde die Annahme einer fortgesetzten Handlung in Rspr. und 249
nach sich ziehen kann. Wenn jemand z.B. einen Einsteigediebstahl (§244 I Nr. 3)
Lehre überwiegend von folgenden fünf Voraussetzungen abhängig gemacht: 261
255 So auch die h.M.: Lackner/Kühl24, vor §52; Rn. 29; Sch/Sch/Stree26, vor §§52ff., a) Es mußte derselbe Tatbestand oder wenigstens Grundtatbestand verwirk- 250
Rn. 141; Tröndle/Fischer50, vor § 52, Rn. 23; Warda, JuS 1964, 92. licht worden sein. Zwischen einfachem und qualifiziertem Diebstahl, zwischen
256 Warda, J u S 1964, 92.
257 M. zust. Anm. Bruns, JR 1982,166. 2M Ebenso auch BGHSt 19,189.
258 A . A . freilich/afeofo, AT 2 , 31/39. 26i Ein Einzelnachweis der älteren Rspr. und des früheren Diskussionsstandes erübrigt sich
259 BGHSt 40, 374, 377; BGH MDR (D) 1968, 551; BGH MDR (D) 1976, 14; BGH nach Aufgabe der fortgesetzten Handlung. Nähere Nachweise geben heute noch Jescheck/Wei-
MDR (H) 1980, 272; BGH NJW1994, 2703, 2707. gend, AT5, § 66 V 3, 4.
870 871
§33 VII 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen VII §33

einfacher und gefährlicher Körperverletzung war also Fortsetzungszusammen- a) Zunächst spricht gegen sie, daß ihr jede gesetzliche Grundlage fehlt. „Die
hang möglich, nicht aber zwischen Diebstahl und Betrug. in vielen älteren deutschen Strafgesetzbüchern enthaltenen Bestimmungen über
251 b) Die Begehungsweise mußte gleichartig oder doch mindestens ähnlich die fortgesetzte Handlung haben keine Aufnahme in das Reichsstrafgesetzbuch
sein. Bei den Sachverhalten unserer Ausgangsbeispiele (Rn. 248) wird die Bege- von 1871 gefunden" (BGHSt 40,145), und auch der Reformgesetzgeber hat auf ihre
hungsweise i. d. R. mehr oder weniger gleichartig sein, so daß ein Fortsetzungszu- Regelung verzichtet. Anders als bei der ebenfalls nicht geregelten Gesetzeskonkur-
sammenhang ohne weiteres möglich war. Er war aber ausgeschlossen, wenn der renz, deren Grundsätze sich durch eine Auslegung der verwirklichten Tatbestände
Täter erst eine Zechprellerei und anschließend im Rahmen seiner unternehmeri- gewinnen lassen (vgl. Rn. 172), werden bei der Annahme einer fortgesetzten
schen Tätigkeit einen Millionenbetrug beging. Handlung real konkurrierende Tatbestände behandelt, wie wenn sie in Idealkon-
252 c) Die Einzeltaten mußten in einem zeitlichen und räumlichen Zusammen- kurrenz stünden. Das war mit dem Gesetz schwerlich in Einklang zu bringen.
hang stehen, sich also aneinanderschließen. Wenn jemand seine Frau während b) Das führte dann auch zu ungerechten Privilegierungen von Tätern einer 257
zehnjähriger Ehe in verschiedenen Jahren insgesamt dreimal verprügelte, schloß fortgesetzten Handlung. Wer mehrere realkonkurrierende Delikte begeht, muß
schon die zeitliche Distanz der Einzelakte die Annahme einer fortgesetzten Kör- mit einer u. U. erheblichen, bis nahe an die Kumulation heranreichenden Erhö-
perverletzung aus. Anders war es, wenn die Gewalt an drei aufeinanderfolgenden hung der verwirkten höchsten Strafe rechnen (§ 54 I, II). Wer dagegen 20 oder
Tagen angewendet wurde. Und anders wurde auch verfahren, wenn die Taten über selbst 200 Taten in Fortsetzungszusammenhang beging, konnte immer nur nach
lange Zeit, aber regelmäßig erfolgten. dem für die betreffende Einzeltat vorgesehenen Strafrahmen bestraft werden. War
253 d) Bei höchstpersönlichen Rechtsgütern wurde weiter verlangt, daß sich die dieser durch die schon begangenen Delikte ausgeschöpft, konnten die späteren
Einzeltaten gegen denselben Rechtsgutsträger richteten. Wenn jemand ver- Einzelakte keine strafrechtlichen Folgen mehr haben.
schiedene Personen nacheinander tötete, vergewaltigte oder verletzte, war also ein c) Zu einer sinnwidrigen Privilegierung des Täters führte die fortgesetzte 258
Fortsetzungszusammenhang nicht möglich. Handlung auch bei der Sicherungsverwahrung. Diese setzt nach § 66 II drei
254 Es war ein Gesamtvorsatz erforderlich, d.h. die verschiedenen Einzelakte vorsätzliche Straftaten voraus, durch die der Täter „jeweils Freiheitsstrafe von min-
mußten wenigstens in ihren wesentlichen Grundzügen vom Täter vorher geplant destens einem Jahr verwirkt hat". Die Vorschrift „ist daher im Falle einer als eine
worden sein. Allerdings konnte nach der späteren Rspr. des BGH 262 der Gesamt- einzige fortgesetzte Straftat gewerteten Tatserie zum Vorteil des Täters nicht an-
vorsatz noch bis zum Schluß auf weitere Einzelakte erstreckt werden. Die Tendenz wendbar ..., obwohl der die Gefährlichkeit begründende Hang zu Straftaten ge-
zur Ausdehnung der fortgesetzten Handlung ist dadurch sehr gefördert worden. rade in einer sich über eine längere Zeit hinziehenden Kette gleichartiger Tatwie-
Die Literatur wollte sich sogar zum Teil mit einem bloßen Fortsetzungsvorsatz, derholungen hervortreten kann" (BGHSt 40,151).
also der Vorstellung des Täters, bei passender Gelegenheit so weiterzumachen, be- d) Ungerechtfertigte Vorteile brachte die fortgesetzte Tat dem Täter auch 259
gnügen. Eine fahrlässige fortgesetzte Handlung wurde dagegen nicht anerkannt. wegen ihrer Rechtskraftwirkung (vgl. auch BGHSt 40,149 f.). War der Täter z. B.
255 Die Konstruktion der fortgesetzten Handlung war in Teilen der Literatur und wegen fortgesetzten Betruges in drei Einzelfällen zu einer verhältnismäßig gerin-
(wegen ihrer uneinheitlichen Handhabung) auch in der Rspr. zunehmender Kritik gen Strafe rechtskräftig verurteilt worden, so konnte er nicht mehr belangt wer-
ausgesetzt. Sie hat den Großen Senat für Strafsachen nach dem Vorbild des schweize- den, wenn nachträglich entdeckt wurde, daß noch dreihundert weitere Betrüge-
rischen Bundesgerichts263 in einem aufsehenerregenden Beschluß vom 3. Mai 1994 reien in den Fortsetzungszusammenhang fielen. Denn es handelte sich dabei um
(BGHSt 40,138-168) veranlaßt, diese Rechtsfigur weitgehend aufzugeben. Einzelakte im Rahmen derselben Tat, und „niemand darf wegen derselben Tat ...
mehrmals bestraft werden" (Art. 103 III GG).
2. Die Kritik an der fortgesetzten Handlung e) Die fortgesetzte Handlung begünstigte aber nicht nur den Täter in unan- 260
256 Die gegen die Institution der fortgesetzten Handlung erhobenen Bedenken 264 , gemessener Weise, sie benachteiligte ihn auch mit rechtsstaatlich bedenklichen
Wirkungen. Denn von den Instanzgerichten wurde die Konstruktion vor al}em
die schließlich zur Abkehr von ihr geführt haben, betreffen vor allem sechs
zur Arbeitsvereinfachung benutzt. Obwohl an sich jeder Einzelakt festgestellt und
Punkte: 265
nachgewiesen werden mußte, führte der Umstand, daß die zahlreichen Deliktsver-
262 BGHSt 19, 325; 21, 322; 23, 35; 30, 209; 33, 5. wirklichungen in einer Gesamttat „aufgingen" und keine Einzelstrafe für sie fest-
2« Die Entscheidungen aus den Jahren 1990 und 1991 sind abgedruckt in NStZ 1993, 331 f. gesetzt werden mußte, zu einer oft nur oberflächlichen Prüfung. „Der .großzügi-
264
Die literarischen Kritiker der früheren Rspr. werden zum guten Teil in BGHSt 40,146 ge' Gebrauch der fortgesetzten Handlung hat auch nicht selten zu pauschalen
angeführt. Ferner: Fischer, NStZ 1992, 415ff.; Hartmann, 1977; Jähnke, GA 1989, 376ff.; Preiser,
ZStW71 (1959), 383 f. Feststellungen' verleitet, die eine revisionsgerichtliche Prüfung von Tatbestands-
265 verwirklichung und Schuldumfang verhindert, zu erheblicher Einschränkung der
In BGHSt 40,145 ff. werden noch weitere Gründe genannt.
872 873
§ 33 VII 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen VII § 33
Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten gefuhrt und die Besorgnis geweckt rungspflicht, 2 7 2 Bestechung und Bestechlichkeit 2 7 3 sowie zahlreiche Nebengeset-
haben, daß sich der Richter von einer in ihren Grenzen unklaren Gesamtvorstel- ze. 2 7 4 Zusammenfassend kann man wohl sagen, daß die fortgesetzte Handlung
lung, nicht aber von der Überzeugung der Tatbestandserfüllung in jedem Einzel- trotz der vorsichtigeren Formulierungen des Großen Senats von der Praxis gänzlich
fall hatte bestimmen lassen" (BGHSt 40,147). aufgegeben worden ist. Das kann auch nicht wundern. D e n n die vom Großen Senat
261 f) Gravierende Nachteile erwuchsen d e m Beschuldigten auch aus den Fol- vorgenommene Beschränkung etwaiger Ausnahmen auf „tatbestandsbezogene
gen der fortgesetzten Handlung für die Verjährung. D e n n da die Verjährung Gründe", auf ein „Messen am Straftatbestand", zeigt, daß i h m in Wahrheit die tatbe-
erst mit dem letzten Teilakt der Tat anfangt und nach jeder Unterbrechung von standliche Handlungseinheit vorgeschwebt hat, die eine gegenüber der fort-
neuem beginnt (§ 78 c III), konnten auch lange (oft mehr als zehn Jahre) zurücklie- gesetzten Handlung selbständige und anerkannte Rechtsfigur ist. 2 7 5 Die Annahme
gende Taten nicht verjähren, wenn sie in einen Fortsetzungszusammenhang fielen. des Großen Senats, die von ihm für möglich gehaltenen Restfälle eines Fortset-
Dies führte dazu, „daß i m Bereich langdauernder Tatserien die gesetzlichen R e g e - zungszusammenhanges lägen „jenseits des Bereichs natürlicher Handlungseinheit
lungen über Verjährungsfristen faktisch außer Kraft gesetzt" worden waren und tatbestandlicher Bewertungseinheit", ist irrig.
(BGHSt 40,153). Man kann also davon ausgehen, daß es eine fortgesetzte Handlung i m 264
ursprünglichen Sinne nicht mehr gibt. 2 7 6 Freilich finden sich in veränderter
3. D i e Situation nach der Entscheidung des Großen Senats rechtlicher Einkleidung manche Annäherungen an die alte Rspr. So n i m m t
262 Der Große Senat hat die fortgesetzte Handlung nicht schlechthin, sondern BGHSt 41, 113 bei einer Mutter, die ihre dreijährige Tochter sieben Monate lang
zunächst nur fiir die i h m zur Entscheidung unterbreiteten Tatbestände der „mit zunehmender Heftigkeit und Häufigkeit, zuletzt täglich, durch Schläge und
§ § 173, 174, 176, 263 (jeweils a.F.) verworfen (BGHSt 40, 165). Gleiches liege für Tritte" mißhandelt hatte, nur eine Tat nach § 2 2 3 b a.F. (heute: § 2 2 5 I) in der Va-
die - ebenfalls nach a.F. zitierten - „§§ 174 a, 174 b, 177, 178, 179 StGB nahe" riante des Quälens an. „Quälen" werde „typischerweise durch Vornahme mehrerer
(BGHSt 40, 166). „Eine darüber hinausgehende allgemeine Aussage im Sinne Handlungen verwirklicht" (aaO., 115). Deshalb bedürfe es für die Zusammenfas-
sung einer Vielzahl von Einzelakten zu einer Tat keines Rückgriffs auf die Rechts-
grundsätzlicher Verwerfung der fortgesetzten H a n d l u n g für alle Deliktsbereiche"
figur der fortgesetzten Handlung. Ein solcher liegt de facto aber doch vor. 2 7 7
sei „an H a n d der Vorlegungsfälle nicht veranlaßt" (BGHSt 40, 165). Der Senat
D e n n zwar setzt ein Quälen mehrere Einzelakte voraus. Diese müssen aber „bei ei-
wolle „nicht abschließend . . . entscheiden", ob es Tatbestände geben, „welche die
ner Gelegenheit" stattfinden. 2 7 8 Sonst kann weder von einer natürlichen noch von
rechtliche Zusammenfassung mehrerer schon für sich tatbestandsmäßiger H a n d -
einer tatbestandlichen Handlungseinheit 2 7 9 die Rede sein. Es liegt dann ein
lungen als fortgesetzte Tat jenseits des Bereichs natürlicher Handlungseinheit und
wiederholtes Quälen vor, das bei Aufgabe der fortgesetzten H a n d l u n g nach den
tatbestandlicher B e w e r t u n g s e i n h e i t . . . geboten erscheinen lassen, u m das verwirk-
Regeln der Realkonkurrenz zu behandeln ist. 2 8 0
lichte Unrecht und die Schuld insgesamt sachgerecht, d. h. am Sinn des Tatbestands
ausgerichtet, zu erfassen." Jedenfalls könne ein Fortsetzungszusammenhang „aus Reminiszenzen an die fortgesetzte Handlung wecken auch Entscheidun- 265
tatbestandsbezogenen Gründen sachgerechter W ü r d i g u n g des Gesamtunwerts . . . gen, die zahlreiche Einzelakte zu einer „Bewertungseinheit" zusammenfas-
nur eine seltene Ausnahme sein" (BGHSt 40, 164 f.). Im Leitsatz des Beschlusses sen. So werden beispielsweise i m Betäubungsmittelrecht alle Einzelhandlungen
heißt es bündig, die Annahme von Fortsetzungszusammenhang setze voraus, „daß im R a h m e n eines Güterumsatzes als ein Handelstreiben i. S. d. § 29 I Nr. 1 B t M G
dies, was am Straftatbestand zu messen ist, zur sachgerechten Erfassung des ver- beurteilt (vgl. oben R n . 27). Entsprechend verfährt die Rspr. im Bereich des Waf-
wirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich ist" (BGHSt 40,138). 272 BGH NStZ 1995, 347.
27i
263 Seither hat der B G H jedoch in keinem einzigen Fall mehr das Vorliegen von BGHSt 41, 302: Bestechung nach §334; zur Bestechlichkeit (unveröff. Urteil) vgl
11
Fortsetzungszusammenhang bejaht. Vielmehr ist für zahlreiche Tatbestände ent- LK -Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 49.
274 Nachweise bei LK 1 1 -Rissing-van Saan, vor § 52, R n . 49.
schieden worden, daß bei ihnen kein Fortsetzungszusammenhang möglich sei: für 275 Geisler, J u r a 1995, 80; Geppert, N S t Z 1996, 59; LK11[-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 49,
weitere Sexualdelikte, 2 6 6 für die Körperverletzung, 2 6 7 den Diebstahl, 2 6 8 räube- 276 Geppert, N S t Z 1996, 59; LK 11 -Rissing-van Saan, v o r § 5 2 , R n . 4 9 ; Zschockelt (Mitglied
rische Erpressung, 2 6 9 Untreue, 2 7 0 Urkundenfälschung, 2 7 1 Verletzung der Buchfüh- des Großen Senats) erklärt die fortgesetzte Handlung für „fast ganz abgeschafft" (NStZ 1994,
361).
277 A b l e h n u n g des Urteils daher auch bei Hirsch, N S t Z 1996, 37; LK 1 1 -Rissing-van Saan,
266 BGH NStZ 1995, 200, 245. vor § 52, R n . 49, Fn. 192; Wolfslast/Schmeissner, J R 1996, 338 f.; Zieschang G A 1997 4 6 0 f.
267 BGH NJW1995, 3133; vgl. auch BGHSt 41,113 (dazu Rn. 266). 278 Zieschang, Gh. 1997, 461.
268 Unveröffentlicht; Nachweise bei Zieschang, GA 1997, 459, Fn. 12. 279 Demgegenüber will Geppert hier eine „rechtliche Bewertungseinheit" annehmen (NStZ
269 Unveröffentlicht; Nachweise bei LKn-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 49. 1996, Fn. 25).
270 BGH StV 1995, 298. 280 D a g e g e n sehen Wolfslast/Schmeissner, J R 1996, 339, hier einen „Restanwendungsbereich
271 BayObLG wistra 1996, 236 f. der fortgesetzten Handlung". Auch in BGHSt 40,164 f. wird diese Möglichkeit angedeutet.
874 875
§ 33 VII 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen VII § 33

fenhandels. 2 8 1 Auch beim Tatbestand der mangelhaften Buchführung (§283 I messungsrelevant. Das widerspricht nicht nur dem Sinn der Verjährung: daß die
Nr. 5) faßt der B G H 2 8 2 zahlreiche Einzelakte zu einem Gesetzesverstoß zusam- verjährte Tat nicht mehr geahndet werden soll. Es begegnet auch insofern rechts-
men: „Die im Tatzeitraum (Ende 1988 bis März 1990) festgestellten Einzelmängel staatlichen Bedenken, als bei lange zurückliegenden Taten, die nicht zu einer Ver-
der Buchführung bilden . . . eine Bewertungseinheit u n d sind deshalb als einheit- urteilung gefuhrt haben, hinreichend genaue Tatsachenfeststellungen kaum noch
liche Tat anzusehen, ohne daß es eines Rückgriffs auf die vom Großen Senat für zu treffen sind. Die Rspr. sollte daher von der Berücksichtigung verjährter Taten
Strafsachen . . . aufgegebene Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung bedarf." bei der Strafzumessung ganz absehen. 2 8 7 Eine auch durch die Aufgabe des Fort-
266 Die genannten Beispiele gestatten aber nicht die Folgerung, daß die Rspr. setzungszusammenhanges nicht zu behebende Einschränkung der Verjährung
durch extensive Bejahungen natürlicher oder tatbestandlicher Handlungseinheit bringt bei Sexualstraftaten allerdings § 7 8 b I Nr. 1: „Die Verjährung ruht . . . bis
bzw. Bewertungseinheit die früheren Fälle fortgesetzter Handlung weiterhin als zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Opfers bei Straftaten nach den
eine Tat behandele. Vielmehr wird - von Ausnahmen und Teilbereichen wie den §§ 176 bis 179."
genannten abgesehen - durchweg n u n m e h r Realkonkurrenz angenommen, ohne Den Schwierigkeiten, die sich der genauen Ermittlung u.U. zahlreicher Einzel- 269
daß dies der Praxis unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet hätte. 2 8 3 Die weite- taten bei serienmäßig begangenen Delikten entgegenstellen, versucht die Praxis
re Entwicklung wird vermutlich zu einer behutsamen Ausdehnung der natür- durch Vereinfachungen zu begegnen. Nicht eindeutig feststellbare Einzelakte wer-
lichen und tatbestandlichen Handlungseinheit führen, eine Zusammenfassung den nach dem Grundsatz in dubio pro reo ausgeschieden. 2 8 8 Bei unwesentlichen
von jahrelang sich hinziehenden Vorgängen zu einer Tat, wie dies mit Hilfe der Nebenstraftaten kann eine Einstellung nach § 154 StPO erfolgen. Läßt sich - z. B.
fortgesetzten Handlung geschehen ist, aber nicht mehr zulassen. bei einer Untreue (§ 266) - nur der Gesamtschaden ermitteln, ohne daß über die
267 Im Bereich der Strafzumessung sind die Folgen der Entscheidung BGHSt 40, Zahl der Einzelakte Feststellungen getroffen werden können, „so ist zugunsten des
138 nicht revolutionär. Schon der Große Senat (aaO., 162) hat daraufhingewiesen, Angeklagten anzunehmen, daß er diesen durch eine H a n d l u n g veruntreut hat" 289 .
daß der Übergang zur Realkonkurrenz „nicht zur E r h ö h u n g des allgemeinen Daß auch deren genauer Zeitpunkt nicht festgestellt werden kann, ist unschädlich.
Strafenniveaus... zu führen brauche". So geht die Rspr. denn auch davon aus, daß Stehen zwar verschiedene Einzeltaten fest, läßt sich aber nicht genau ermitteln,
bei gleichartigen Taten die Erhöhung der Einsatzstrafe nur gering sein soll, wenn welcher Teil der Gesamtschadensmenge den jeweiligen Einzelhandlungen zuzu-
die Einzeltaten nicht zu weit auseinanderliegen und in einem situativen Zusam- ordnen ist, so kann dies im Wege der Schätzung geschehen. 2 9 0 „Jede andere B e -
menhang stehen. 2 8 4 Es wird dann also die Strafe nicht höher ausfallen als bei der trachtung, die von einer eingeengten, jeden Einzelfall isoliert beurteilenden Sicht-
früheren Annahme eines Fortsetzungszusammenhanges. Bei jahrelang sich w i e - weise ausgeht, würde bei fehlenden Belegen zum Ausschluß, in vielen anderen
derholenden Deliktsbegehungen - vor allem im Wirtschaftsstrafrecht - wird frei- Fällen zur Erschwerung der Bestrafung bei zweifellos strafbarem Gesamtverhalten
lich bei Annahme vielfacher Realkonkurrenz eine höhere Strafe herauskommen, führen. Solches ist von der Rspr. bislang im Bereich von Verurteilungen wegen
als dies unter der Prämisse einer einzigen Tatbegehung der Fall war. 2 8 5 Aber das ist fortgesetzter Handlungen unproblematisch vermieden worden. Der Verzicht auf
auch angemessen und beseitigt eine Ungerechtigkeit, die mit Recht als Einwand dieses Rechtsinstitut kann nicht zu Strafbarkeitslücken führen, die der Gerechtig-
gegen die fortgesetzte Handlung angesehen wurde (vgl. R n . 156). keit widerstreiten würde."
268 In der Frage der Verjährung hat die Rspr. die Vorteile, die die Aufgabe der Fort- So praktikabel das Schätzungsverfahren sein mag: Es hat in der Literatur scharfe 270
setzungstat mit sich bringt - daß nämlich die normalen Verjährungsfristen für Kritik gefunden. 2 9 1 Tatsächlich ist diese Praxis nur aus der früheren Handhabung
lange zurückliegende Taten wieder in Kraft gesetzt werden, vgl. R n . 261 - , zum der fortgesetzten Handlung zu erklären u n d steht im Widerspruch zu der bei real
Teil dadurch aufgehoben, daß sie es gestattet, verjährte Taten strafschärfend zu ver- konkurrierenden Delikten gebotenen genauen Feststellung jeder Einzeltat.
werten. 2 8 6 D e n n dadurch werden die verjährten Taten doch noch wieder strafzu- Auf die prozessualen Probleme, die sich für Anklage und Eröffnungsbeschluß 271
aus der Vielzahl der Delikte bei Serienstraftaten ergeben, kann in diesem Buch, das
28i Vgl. LK11-Rissing-van Saan, vor § 52, Rn. 31. dem materiellen Recht gewidmet ist, nicht im einzelnen eingegangen werden.,Es
282 BGH NStZ 1995, 347.
283 Eine Anleitung zur „praktischen Handhabung" der neuen Rechtslage gibt Zschockelt, 287 Auch Meyer-Goßner, ZStW 110 (1998), 395 hält es „entgegen der Ansicht anderer Bundes-
NStZ 1994, 361. Zum Umgang der Praxis mit der durch BGHSt 40, 138 geschaffenen Situa- richter für bedenklich, wenn verjährte Taten bei der Strafzumessung berücksichtigt werden".
tion vgl. auch Geppert, NStZ 1996, 61. 288 BGHSt 40, 377; BGH NJW 1995, 2934.
284 BGH NJW 1995, 2234; BGH NStZ 1995, 77; BGH StV 1997, 76; BGH MDR 1995, 289 BGH NStZ 1994, 586. Zu den dabei auftretenden Problemen vgl. Bittmann/Dreier, NStZ
879, 880. 1995,107, und Zschockelt, NStZ 1995,109.
285 Vgl. dazu auch Geppert, N S t Z 1996,118.
2W BGHSt 40, 377 (hier auch das folgende Zitat).
29i Bohnert, NStZ 1995, 460; Geppert, NStZ 1996, 63 u. 118; Sch/Sch/Stree26, vor §§52ff.,
286 BGHSt 41, 305 (309); BGH N J W 1994, 2966 (2967); B G H N S t Z 1995, 439; B G H R
Rn. 31 a.E.; Zieschang, GA 1997, 465.
StGB, § 46 Abs. 2, Vorleben, Nrn. 11,19, 20.
876 877
§ 33 VII 11. Abschnitt — Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen VII § 33
sei nur gesagt, daß der BGH es bei einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegen Kin-
VII. Kollektivdelikte und Massenverbrechen
der für ausreichend hält, wenn das Tatopfer, die Grundzüge der Art und Weise der
Tatbegehung, ein bestimmter Tatzeitraum und die Höchstzahl der vorgeworfenen Zwei weitere, schon seit längerer Zeit aufgegebene Bemühungen, umfangreiche 274
Straftaten mitgeteilt werden. 292 Auch dies wird in der Literatur 293 als eine „mit Handlungskomplexe zu einer Deliktsverwirklichung im materiell-rechtlichen
der Selbständigkeit der einzelnen Taten nicht zu vereinbarende Vorgehensweise" Sinne zusammenzufassen, werden durch die Begriffe des Kollektivdelikts (der
getadelt. Sammelstraftat) und des Massenverbrechens bezeichnet.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Jahrhundertentscheidung"294
des Großen Senats, die zur Aufgabe der fortgesetzten Handlung geführt hat, 1. Das Kollektivdelikt (Sammelverbrechen)
von der Praxis angenommen worden ist. 295 Sie hat die aus der Umstellung auf
Als Kollektivdelikt bezeichnet man gewerbs-, gewohnheits- und geschäfts- 275
die neue Situation sich ergebenden Probleme im wesentlich bewältigt, dabei aller-
mäßig begangene Straftaten. Gewerbsmäßig handelt, wer sich aus wiederholter
dings der früheren Rspr. zur fortgesetzten Tat manche - und manchmal zu weit-
Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen will. 301 Beispiele
gehende - Zugeständnisse gemacht. Die weitere Entwicklung, die vielfach noch
sind § 180 a I (gewerbsmäßige Förderung der Prostitution), § 243 I Nr. 3 (gewerbs-
im Fluß ist, bleibt abzuwarten. Angesichts der gravierenden Rechtsunsicherheit mäßiger Diebstahl), § 260 I Nr. 1 (gewerbsmäßige Hehlerei). Gewohnheitsmäßig
und der zahlreichen Ungereimtheiten, die die frühere Rspr. mit sich brachte begeht eine Tat, wer das betreffende Delikt aus einem durch wiederholte Bege-
(Rn. 256 ff.) verdient die Entscheidung des Großen Senats grundsätzlich Beifall. hung erworbenen Hang verübt. 302 Gewohnheitsmäßige Delikte sind etwa § 284II
Auch in der Literatur ist die Aufgabe der fortgesetzten Handlung vielfach be- (gewohnheitsmäßige Veranstaltung von Glücksspielen) oder § 292 II Nr. 1 (ge-
grüßt, 296 nicht selten aber auch abgelehnt oder mindestens sehr kritisch beurteilt wohnheitsmäßige Jagdwilderei). Geschäftsmäßigkeit setzt voraus, daß der Täter
worden. 297 Nicht wenige Autoren hätten einer Einschränkung der überlieferten die Tat durch wiederholte Begehung zu einem Teil seiner wirtschaftlichen oder be-
fortgesetzten Handlung den Vorzug gegeben, andere wollen noch heute - an die ruflichen Beschäftigung machen will. 303 Einen solchen Fall enthält Art. 1 § 8 I
nicht gänzliche Verwerfung der fortgesetzten Tat durch BGHSt 40, 138 anknüp- Nr. 1 i.V.m. Art. 1 § 1 I des Rechtsberatungsgesetzes (geschäftsmäßige Besorgung
fend - für bestimmte Konstellationen an der fortgesetzten Tat festhalten oder sie von Rechtsangelegenheiten).
durch ähnliche Konstruktionen ersetzen.298 So wollen Schlüchter/Duttge299 mit der
Die Kollektivdelikte waren von der Rspr. des RG zunächst auch bei vielfacher 276
Rechtsfigur einer von ihnen sog. fortgesetzten Handlungseinheit arbeiten, wo
Begehung nur als jeweils eine Straftat behandelt worden. 304 Wer also hundertmal
sich die Voraussetzungen der früheren fortgesetzten Handlung mit einem engen
gewerbsmäßig hehlte, wurde doch nur wegen einer gewerbsmäßigen Hehlerei be-
zeitlichen und räumlichen Zusammenhang verbinden. Geppert300 will die Fälle
straft. Doch hat schon der Große Senat für Strafsachen beim Reichsgericht in
„zeitlich gestreckter Vorsatztaten", also die Verwirklichung eines Gesamtplans „auf RGSt 72,164 die Sammelstraftat - zunächst nur für den heute nicht mehr existie-
Raten" (der Täter stiehlt, unterschlägt oder veruntreut nacheinander und nach renden Tatbestand der gewerbsmäßigen Abtreibung - aufgespalten. Danach ist
vorgefaßtem Gesamtplan mehrmals kleinere Mengen, die er sich auch durch eine also jede einzelne gewerbsmäßige Abtreibung eine selbständige Tat und ihre häu-
Handlung hätte beschaffen können), durch erweiternde Anwendung der natür- fige Begehung ist nach den Regeln der Realkonkurrenz zu behandeln. Die fol-
lichen Handlungseinheit lösen. Die Praxis hat solche Ansätze noch nicht auf- gende RG-Rspr. 305 hat das für andere Kollektivdelikte übernommen, der BGH ist
genommen. dem gefolgt,306 und auch die heute einhellige Lehre 307 geht von der Aufspaltung
292
Nachweise bei Roxin, Strafverfahrens!*.23, § 38, Rn. 17, Fn. 2. der Sammelstraftat aus.
293
Zieschang, GA 1997, 466.
2<
* Hamm, NJW 1994,1636. 30)
2
« Meyer-Goßner, ZStW 110 (1998), 395 bewertet die Abschaffung der fortgesetzten Hand- RGSt 66, 21; BGHSt 1, 383; BGH GA 1955, 212.
3 2
lung „aus der Perspektive des Revisionsrichters als vollen Erfolg". ° BGHSt 15, 377; BayObLG MDR1962, 325.
296 303
Dannecker, WiB 1994, 669ff.; 699; Freund, AT, § 11, Rn.31ff.; Geisler, Jura 1995, 74ff.; RGSt 72, 315; BayObLG NStZ 1981, 29; OLG Hamm NStZ 1998, 92.
30
Geppert, NStZ 1996, 57; 118; Gropp, AT2, § 14, Rn.46ff; Hamm, NJW 1994,1636; Köhler, AT, " RGSt 61,147.
305
689f.; NK-Puppe, §52, Rn. 21-28; LK11-Rissing-van Saan, vor §52, Rn.42ff; SK6-Samson/ RGSt 72, 257; 72, 285; 72, 313; 72, 397; 72,401; 73, 216.
3
Günther, vor §52, Rn. 55-77; Wollweber, NJW 1996, 2632; Zschockelt, NStZ 1994, 361ff; ders., °6 BGHSt 1, 41, 42f.; 26, 284ff; BGH NJW 1953, 955; BGHR StGB, vor § 1, fortgesetzte
StraFo 1996,131 ff; den., JA 1997, 411 ff. Handlung, Gesamtvorsatz, Nr. 60 (S. 7f.).
3 7
297
Aden, JZ 1994,1109; Arzt, JZ 1994,1000ff; Gribbohm, Odersky-FS, 1996, 387ff;Joecks3, ° Blei, AT18, §93 II; Geerds, 1961, 270; Härtung, SJZ 1950, 332f.; Kohlrausch, ZAkDR
vor § 52, Rn. 15; Tröndle/Fischer50, vor § 52, Rn. 25ff; Zieschang, GA 1997,457ff, 461ff 1938, 473 ff.; Kohlrausch/Lange, StGB43, Vorb. II B 3 a vor § 73; Lackner/Kühl24, vor § 52, Rn. 20;
29
8 Vgl. schon Rn. 264 f. Maurach/Gössel, AT/27, 56/45 ff; Preiser, ZStW 58 (1939), 743; NK-Puppe, §52, Rn.29; SK6-
299
Schlüchter/Duttge, NStZ 1996, 466. Samson/Günther, vor § 52, Rn. 78; Schmidhäuser, LB AT2,18/21; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 62;
300
Geppert, NStZ 1996, 60. Sch/Sch/Stree26, vor §§52ff, Rn. 93ff, 100; Stratenwerth, AT4, § 17, Rn.15.

878 879
§ 33 VII 11. Abschnitt - Konkurrenzen § 33. Konkurrenzen VII § 33
277 Für die Selbständigkeit des Kollektivdelikts sprechen drei durchschlagende Schuldspruch und Strafe nur auf bestimmte Tatsachen stützen darf, von deren
Gründe, die schon in RGSt 72,164 geltend gemacht werden und die auch zur weit wirklichem Geschehen er eine an die volle Gewißheit grenzende eigene Überzeu-
späteren Aufgabe der fortgesetzten Handlung wesentlich beigetragen haben (vgl. gung gewonnen haben muß."
Rn.256ff). Das trifft ins Schwarze und muß für die Anstaltstötungen ebenso gelten wie für 282
278 Erstens war es ungerecht, daß der gewerbsmäßige Täter, auch wenn er das De- andere Massenverbrechen. Dasselbe gilt auch gegenüber gelegentlichen Versuchen
likt noch so häufig begangen hatte, nur wegen einer Tat (in den Grenzen des für der Rspr., Massenverbrechen (z. B. Erschießungen durch Einsatzkommandos oder
diese vorgesehenen Strafrahmens) bestraft werden konnte, während ein nicht Massenmorde in Vernichtungslagern der NS-Zeit) als „natürliche Handlungsein-
gewerbsmäßig handelnder Täter bei mehrfacher Begehung die für die Realkon- heit" zu bewerten. 312 Denn deren Voraussetzungen werden bei einer Anwendung
kurrenz vorgesehene Strafschärfung hinnehmen mußte. auf Fälle dieser Art weit überdehnt (vgl. Rn. 29 ff.); auch sollte eine natürliche
279 Zweitens ergaben sich höchst unerwünschte Wirkungen bei der Rechtskraft. Handlungseinheit schon wegen der Höchstpersönlichkeit der in Rede stehenden
Diese erfaßte nicht nur die vom Gericht erkannten, sondern auch die ihm unbe- Rechtsgüter nicht in Betracht gezogen werden (Rn. 38 ff). Dagegen bestehen
kannt gebliebenen, möglicherweise weitaus häufigeren Handlungen im Rahmen keine Bedenken dagegen, die Zahl der Opfer durch Mindestzahlen festzulegen.
des Kollektivdelikts. Wenn alle, auch die unerkannten, Handlungen als eine ge- Doch sind die auf diese Weise bestimmten Delikte nach den Regeln der Realkon-
werbs-, gewohnheits- oder geschäftsmäßige Tat gelten, steht einer Verfolgung und kurrenz zu behandeln.
Verurteilung nachträglich entdeckter Einzelhandlungen der Grundsatz ne bis in
idem (Art. 103 III GG) entgegen.
280 Drittens wären die Folgen der Annahme nur einer Tat für die Sicherungs-
312 BGH JZ1967, 643; BGH NJW 1969, 2056; BGH NStZ 1984, 229.
verwahrung (§ 66 II) 308 äußerst bedenklich. Denn § 66 II setzt dafür neben der
Gefährlichkeit für die Allgemeinheit drei vorsätzliche Straftaten voraus, woran es
fehlt, wenn man Dutzende von gewerbs-, gewohnheits- oder geschäftsmäßig be-
gangenen Delikten nur als eine Tat ansieht. Die besondere Gefährlichkeit, die häu-
fig gerade den habituellen Vielfachtäter von Kollektivdelikten auszeichnet, verhin-
dert dann die Maßregel, die speziell für solche Delinquenten geschaffen ist.

2. Das Massendelikt
281 Die Rspr. der frühen Nachkriegszeit hat teilweise versucht, in der Nazizeit in
unübersehbarer Vielzahl vorgekommene Delikte, wie die Anstaltstötungen von
Geisteskranken, zu einem sog. Massenverbrechen zusammenzufassen und in sol-
chen Fällen nur wegen eines Tötungsdeliktes verurteilt. 309 Der BGH 310 hat offen-
gelassen, ob eine solche Konstruktion „aus der unfaßbar großen Zahl und der fast
völligen Gleichförmigkeit der auf einem Gesamtplan beruhenden Einzelhandlun-
gen hergeleitet" werden konnte, hat aber jedenfalls die Ausdehnung dieser Rechts-
figur auf andere Konstellationen (im konkreten Fall: Mißhandlungen in einem
Konzentrationslager) von vornherein energisch widersprochen:311 „Der Begriff ei-
ner so weit gefaßten Handlungseinheit birgt die Gefahr in sich, daß der Richter
sich bei der Würdigung des Umfangs der Schuld oder der Schwere der Tat von
dem sicheren Boden der festen richterlichen Überzeugung entfernt und von einer
in ihren Grenzen unklaren Gesamtvorstellung beeinflussen läßt, während er

308
Damals war noch der heute nicht mehr existierende §20a (gefährlicher Gewohnheits-
verbrecher) heranzuziehen.
309 O G H S t 1, 243; 2,134, 316.
3w B G H S t 1, 219 (222).
3» Bald darauf auch in B G H N J W 1951, 666; 1953,112.
880 881
Sachverzeichnis
Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, die mageren auf deren Randziffern.

abergläubischer Versuch 29 8, 371 ff. - Auflauern des Opfers 29 155 ff.


aberratio ictus - Aufsuchen des Tatorts/Opfers 29 145 ff.
- Anstiftung 26 116 ff. - Bayerwaldbärwurz-Fall 29 213ff, 225
- Mittäterschaft 25 195 - Begleiter-Fall 29 164
- mittelbare Täterschaft 25 169 ff. - bei Mittäterschaft 29 295 ff.
Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme s. auch unter Mittäterschaft
- eigenhändige Delikte 25 288 ff. - bei mittelbarer Täterschaft 29 226 ff.
- formal-objektive Theorie 25 29 s. auch unter mittelbarer Täterschaft
- Ganzheitstheorie 25 34 - bei untauglichem Versuch der Mittäter-
- Herrschaftsdelikte 25 38 ff. schaft 29 308 ff.
- nach heutiger Rspr. 25 22 ff. - bei Unterlassungsdelikten 29 266 ff.
- normative Kombinationstheorie 25 22 ff. s. auch unter Unterlassungsdelikte
- Pflichtdelikte 25 267 ff. - formal-objektive Theorie 29 104 ff.
- subjektive Teilnahmetheorie 25 17 ff. - Formel der Rspr. 29 126
- Dolustheorie 25 18 - Franksche Formel 29 122,135
- in der Rspr. des BGH 25 22 ff. - Ganzheitstheorie 29 180 f.
- in der Rspr. des RG 25 18 ff, 39 - Gefährdungsgedanke 29 123ff., 129
- Interessentheorie 25 19 - Jetzt geht es los" 29 126ff., 130ff.
- Mittäterschaft 25 218 - Klingel-Fälle 29 127,137,140,151,154,
- Tatherrschaftslehre 25 17, 27 ff. 156 f.
- Unterlassungsdelikte 31124 ff. - Mißbrauchsfälle 29 166 ff.
- Entsprechungsklausel 31 166 ff. - Pfeffertüten-Fall 29 155
- Pflichtdeliktstheorie31140ff. - Probier-Fälle29 160f.
- subjektive Teilnahmetheorie 31134 ff. - Qualifikation u. Regelbeispiele 29 170 ff.
- Tatherrschaftslehre 31133 - Radrüttel-Fall 29 161
- Theorie der Einheitsbeihilfe 31151 ff. - Schalterhallen-Fall 29 146f., 191
- Wittig-Fall 31130 - Schutzminderungs-Fälle 29 162 ff.
Abgrenzung unbeendeter u. beendeter - Sprengfallen-Entscheidung 29 223 ff.
Versuch 30 163 ff. - Tankstellen-Fall 29 127,137,151
- „Ich lebe noch"-Fall 30 154,163 - Teilaktstheorie 29 126,136ff., 139ff.
Abgrenzung unbeendeter u. fehlge- - Teilverwirklichungsregel 29 HOff, 170
schlagener Versuch 30 175 ff. - typische Vorbereitungshandlungen 29
- Benzinguß-Fall 30 181 173 ff.
- Eifersuchts-Fall 30 182, 210 - unmittelbares Ansetzen 29 2, 97 ff.
- Einzelaktstheorie 30 178f., 202ff. - Zwischenaktstheorie 29 126,136ff, 139ff.
- Einzelaktstheorie, modifizierte 30 179 absichtslos doloses Werkzeug
- Flachmann-Fall 30 175 ff, 202 s. mittelbare Täterschaft
- Gesamtbetrachtungslehre 30 180 ff. Absichtsmerkmale '
- Gesamtbetrachtungslehre, modifizierte 30 - Anstiftung
187 ff. näher s. dort
- Rücktrittshorizont 30 181 Absorptionsprinzip
- Schläfenschuß-Fall 30 190f., 212, 225 s. Idealkonkurrenz, Rechtsfolge
- Tatplantheorie 30 177, 201 Abstiftung
Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch 29 s. Anstiftung
97 ff. abstraktes Gefahrdungsdelikt
- Annäherungsfälle 29 145 ff. - Anstiftung
- Ansatzformel 29 2,125 näher s. dort

883
Sachverzeichnis Sachverzeichnis
- Beihilfe - der Haupttat 26 133 ff. - zur Verbrechensverabredung 28 66 - Alltagshandlungen 26 218 ff.
näher s. dort - der Person des Angestifteten 26 148 - zur versuchten Anstiftung 28 32 - Rechtsprechung 26 247 ff.
- Versuch - Sparkassenraub 26 85,134 ff. Anzeigepflicht Angehöriger 31 214 - Vertrauensgrundsatz 26 241 ff.
näher s. dort - Doppelvorsatz 26 28,132 s. auch Unzumutbarkeit - Begriff 26 183
actio libera in causa - Vollendungswille 26 132,150 ff. Arbeitgeber - Bestärkung desTatentschlusses 26 199,
- Konkurrenzen - agent provocateur - Garantenstellung 203 ff.
näher s. dort näher s. dort näher s. dort - Dauerdelikte 26 264
- Rücktritt vom Versuch Anstiftung Arbeitsteilung - durch Unterlassen 31 124 ff.
näher s. dort - aberratio ictus 26 116 ff. s. Mittäterschaft - Edelstein-Fall 26 275 ff.
agent provocateur 26 8, 21, 28f., 151 ff, - Absichtsmerkmale 26 161 ff. Arzt - erfolgsqualifiziertes Delikt 26 284
270f.; 28 16, 50; 29 80 - Abstiftung 26 69 - Garantenstellung - Exzeß des Täters 26 283
s. auch Anstiftung - abstrakte Gefährdungsdelikte 26 157 näher s. dort - Förderungsformel der Rspr. 26 186 ff.
Akzessorietät - agent provocateur 26 8, 21, 28f., 151 ff, Asperationsprinzip 33 5,123,143 ff. - Gehilfenvorsatz 26 267 ff.
- der Teilnahme 26 2 f. ,12 f. 271; 28 16, 50; 29 80 s. auch Realkonkurrenz - Bestimmtheit 26 272 ff.
- limitierte 26 4f, 32ff.; 27 5 - BegriffderTat26 60, 90 ff. Aufgeben (i.S.d. § 24 11 StGB) 30 152ff. - Doppelvorsatz 26 270
- Lockerung der 27 1 ff. - bei erfolgsqualifizierten Delikten 26 167 s. auch Rücktritt vom unbeendeten Ver- - Hilfeleisten - Begriff 26 183
Allgemeindelikte - Beihilfe zur 26 178 such - Intensivierungsprinzip 26 217
- Täterschaft - Bestimmen 26 58, 65 ff. Auflauerungsfalle - Kausalität 26 184ff, 215
näher s. dort - Kausalität 26 65 s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - als Gefährdungsdelikt 26 191 ff.
Alltagshandlungen - durch Unterlassen 26 86 f. Aufstiftung - als Solidarisierung 26 194 ff.
s. Beihilfe - error in persona des Angestifteten 26 s. Übersteigerung unter Anstiftung - Förderungsformel der Rspr. 26 186 ff.
alternativer Tatentschluß 116 ff. Aussagedelikte - psychische Beihilfe 26 197 ff.
s. Versuch - Exzeß - als höchstpersönliche Pflichtdelikte 25 - Konkurrenzen 26 285 f.
Amtsdelikte 25 285; 27 35, 55, 64 - unvorsätzlicher Exzeß des Täters 26 303 ff. - nachVollendungderTat26 257ff.
- unechte, strafschärfende Unrechtsmerk- 116 ff. außertatbestandliche Zielerreichung 30 - neutrale Handlungen
male 27 56, 74 - vorsätzlicher Exzeß des Täters 26 57 s. Alltagshandlungen
Amtsträger 109 ff. s. auch Rücktritt vom Versuch - physische 26 197
- Garantenstellung - in mittelbarer Täterschaft 26 175 autonome Motive - psychische 26 197 ff.
näher s. dort - Kettenanstiftung 26 176f.; 28 31 f., 66, 78 s. Freiwilligkeit - Bestärkung des Tatentschlusses 26
Amtsträgereigenschaft - versuchte - 28 31 Autonomieprinzip 25 174 ff. 199 ff.
- besonderes persönliches Merkmal - Zwischenanstifter 26 176 f. s. auch mittelbare Täterschaft - technische Rathilfe 26 198
näher s. dort - Konkurrenzen 26 172,179 ff. - vorgeleistete Strafvereitelung 26 201
- Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 - mittäterschaftliche - 26 173 f. Babysitter - Risikoerhöhungsprinzip 26 210 ff.
StGB - omnimodo facturus 26 58, 65; 28 9, 66, - Garantenstellung - Schmierestehen 26 214, 217
näher s. dort 79, 83f., 87, 96,103,109 näher s. dort - Sonderformen 26 284
analytisches Trennungsprinzip 26 103 - Qualifikation 26 102 ff. Badewannen-Fall 25 39 - Staschynskij-Fall 25 40, 42
s. auch Anstiftung - Sonderformen 26 62,167 ff. Bandenchef25 210 - Strafmilderung 26 287 f.
Anfang der Ausführung - Strafe 26 63,179 ff. Bayerwaldbärwurz-Fall - Subsidiarität gegenüber Anstiftung 26
s. Versuch - Subsidiarität gegenüber Täterschaft 26 s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch 180
Angehöriger 180 Beauftragte - sukzessive 26 257 ff.
- Anzeigepflicht s. Unzumutbarkeit - Übersteigerung 26 102 ff. s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 - Übernahmeprinzip 26 217
- Garantenstellung - analytisches Trennungsprinzip 26 103 StGB - versuchte - 25 3; 26 2; 28 36, 67
näher s. dort - synthetische Konzeption 26 104 bedingter Tatentschluß - Vorbereitungsstadium 26 256
animus auctoris 25 17 - Umstiftung 26 60, 91 ff; 28 21 s. Versuch - Vorsatz
animus socii 25 17 - versuchte - 28 21 beendeter Versuch s. Gehilfenvorsatz
Annäherungsfalle - Unternehmensdelikte 26 158 ff. s. Versuch - Zeitpunkt 26 255 ff.
s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - versuchte Beendigung der Tat 25 220 ff; 26 156 ff, - zum Meineid durch Unterlassen 32
Annahme einer Anstiftung s. zur versuchten Anstiftung 257 ff. 177 ff.
s. Versuch der Beteiligung - Vollendungswille 26 151 ff. Begegnungsdelikte 26 42 - Ehebrecher-Fall 32 177 ff.
Annahme einer Aufforderung - Vorbereitungsdelikte 26 158 f. s. auch notwendige Teilnahme - zur Anstiftung 26 178
s. Versuch der Beteiligung - Vorsatz Begleiter-Fall - zur Verbrechensverabredung 28 67
Annahme eines Erbietens s. Anstiftervorsatz s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - zur versuchten Anstiftung 28 33 ff.
s. Versuch der Beteiligung - zu eigenhändigen Delikten 26 168 Begleittat - zur versuchten Beihilfe 28 36
Ansatzformel - zu Pflichtdelikten 26 168 - typische-33 216 ff. Bemühen (i.S.d. § 24 I 2 StGB) 30 267ff.
s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - zu Unterlassungsdelikten 26 170 f. Beihilfe Benzinguß-Fall
Anstiftervorsatz 26 130 ff. - zum Versuch - abstraktes Gefährdungsdelikt 26 191 ff. s. Abgrenzung unbeendeter u. fehlge-
- Bestimmtheit 26 133 ff. - zur Beihilfe 26 178 - agent provocateur 26 270 f. schlagener Versuch

884 885
Sachverzeichnis Sachverzeichnis
Bereiterklären Dolustheorie Einzelakts theorie Fahrlässigkeitsdelikte
s. Versuch der Beteiligung s. Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme s. Abgrenzung unbeendeter u. fehlge- s. Konkurrenzen
Bereitschaftsarzt Doppelselbstmord schlagener Versuch faktische Betrachtungsweise
s. Garantenstellung s. Selbstmord Einzellösung s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14
Beschützergarant Doppelvorsatz - Mittäterschaft u. Versuch StGB
s. Garantenstellung - Anstiftervorsatz näher s. dort faktische Vertretungsverhältnisse
besonderes persönliches Merkmal näher s. dort - mittelbare Täterschaft u. Versuch s. Organ- u. Vertrethaftung gem. § 14
- Abgrenzung zu den tatbezogenen 27 - Beihilfe näher s. dort StGB
28 ff. näher s. dort Eltern fehlgeschlagener Versuch
- Amtsträgereigenschaft 27 23, 33, 35 f. Duchesne-Paragraph 28 75 - Garantenstellung 32 33 ff. s. Rücktritt vom Versuch
- Begriff 27 23 ff. s. auch Versuch der Beteiligung s. auch dort Flachmann-Fall
- Einheitslösung 27 41 ff. Entscheidungsherrschaft s. Abgrenzung unbeendeter u. fehlge-
- Garantenpflicht 27 68 echtes Unterlassungsdelikt s. Mittäterschaft schlagener Versuch
- Mordmerkmale 27 28, 30, 75 f. s. Unterlassungsdelikt, echtes Entsprechungsklausel 32 218 ff. Förderungsformel
- strafbegründend-27 64 ff. Edelstein-Fall 26 275 ff. - Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme 31 s. Beihilfe
- strafmodifizierend - 27 74 ff. s. auch Beihilfe 166 ff. formal-objektive Theorie
- strafmodifizierend, straferhöhend — 27 Ehebrecher-Fall 32 177 ff. s. auch dort s. Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme;
74 f. s. auch Beihilfe zum Meineid durch Un- - Erfolgsdelikte 32 225 f. s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch
- strafmodifizierend, strafmildernd - 27 77 terlassen - Modalitätenäquivalenz 32 225, 230 ff. formelle Rechtspflichttheorie
- und §30 StGB 28 25 ff. Ehegatten Erfolgsabwendungspflicht s. Garantenstellung
- versuchte Anstiftung 28 25 ff. - Garantenstellung s. Garantenpflicht fortgesetzte Handlung 33 248 ff.
Bestimmen näher s. dort Erfolgsdelikte Fortsetzungsvorsatz 33 254
s. Anstiftung Eifersuchts-Fall 30 182, 210 - Entsprechungsklausel s. auch fortgesetzte Handlung
Bestleistungstheorie s. auch Abgrenzung unbeendeter u. fehl- näher s. dort Fortsetzungszusammenhang
s. unter Rücktritt vom beendeten Ver- geschlagener Versuch erfolgsqualifizierter Versuch 29318, 322 ff. s. fortgesetzte Handlung
such eigenhändige Delikte 25 15, 288 ff. erfolgsqualifiziertes Delikt Franksche Formel 29 122,135; 30 79, 431 f.
Beteiligung - Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme - Anstiftung 26 167 s. auch Abgrenzung Vorbereitung u. Ver-
- Formen 25 1 näher s. dort - Beihilfe 26 284 such
- Versuch der - - Anstiftung - Mittäterschaft 25 197 Freiwilligkeit 30 354 ff.
näher s. dort näher s. dort - Versuch 29 318 ff. s. auch Rücktritt vom Versuch
Betrieb - höchstpersönliche Pflichtdelikte 25 303 ff. - Versuch, Rücktritt 30 285 ff. - autonome Motive 30 433 f.
s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 - Körperbewegungstheorie 25 291 ff. Erlaubnistatbestandsirrtum - Fallgruppen Unfreiwilligkeit 30 393 ff.
StGB - täterstrafrechtliche Delikte 25 301 f. - mittelbare Täterschaft - Franksche Formel 30 79, 431 f.
Betriebsleiter - verhaltensgebundene Delikte s. Irrtumsherrschaft - heteronome Motive 30 433 f.
s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 näher s. dort Erna-Fall 30 360 - Lehre von der Verbrechervernunft 30
StGB - Wortlauttheorie 25 289 f. s. auch Freiwilligkeit 383 ff.
Bezugskarten-Fall eigenhändige Tötung error in objecto vel persona - normative Theorie 30 355 ff., 379ff.
s. Wahndelikt - als Beihilfe 25 39 f. - Anstiftung 26 116 ff. - psychologische Theorie 30 355 ff, 365 ff.
Bratpfannen-Fall 25 265 eigenverantwortliche Selbstgefahrdung - Mittäterschaft 25 195 - Vergewaltigungs-Fälle 30 360f., 376ff.
s. Selbstgefährdung - mittelbare Täterschaft 25 171 Fungibilität
Chanceneröffnungstheorie Eindruckstheorie Extraneus - Begriff 25 271 s. mittelbare Täterschaft
s. unter Rücktritt vom beendeten Ver- s. Versuch Exzeß funktionelle Tatherrschaft
such Einheitslösung - Anstiftung s. Tatherrschaft
- besonderes persönliches Merkmal näher s. dort Funktionenlehre 32 6, 22 f., 32, 87
Dagobert-Fall 33 45 f. näher s. dort - Beihilfe s. auch Garantenstellung
Dauerdelikte Einheitsstrafenprinzip 33 7ff., 127 näher s. dort
- Beihilfe 26 264 Einheitstäter - Mittäterschaft Ganzheitstheorie
- Konkurrenzen 33 22, 93ff., 101 ff. - Begriff 25 2 ff. näher s. dort s. Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme
- Klammerwirkung 33 101 ff. Einheitstheorie - mittelbare Täterschaft s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch
- Zusammentreffen mit Zuständsdelik- - Idealkonkurrenz 33 71 näher s. dort Garantenpflicht
ten 33 93 ff. - Rücktritt vom unechten Unterlassungs- - versuchte Anstiftung - besonderes persönliches Merkmal 27 68
Denkzettel-Fall 30 53 delikt 30 138 ff. näher s. dort - gesamttatbewertendes Merkmal 31191
s. auch Rücktritt vom Versuch Einsatzstrafe 33 142 f. - Irrtum über - 29 387, 403, 408; 31 190ff.,
dienstlicher Befehl s. auch Gesamtstrafenbildung fahrlässige Mittäterschaft 209 f.
s. mittelbare Täterschaft Einwirkungstheorie s. Mittäterschaft - Amtsträger 32 77 ff.
Differenzierungsprinzip 33 7 ff. - mittelbare Täterschaft u. Versuch fahrlässiges Unterlassen 31196 ff. - bei der Strafverfolgung 32 80 ff.
s. auch Konkurrenzen näher s. dort s. auch Unterlassungsdelikt, unechtes - Arbeitgeber 32 133 ff.

886 887
Sachverzeichnis Sachverzeichnis
- Arzt 32 70 ff. Gefährlichkeitstheorie Herrschaftsdelikte - über die Garantenstellung 31 190 ff.
- Babysitter 32 53, 66 ff., 227 s. Versuch - Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme Irrtumsherrschaft 25 46, 61 ff.
- Begriff 31183; 321 Gehilfe näher s. dort - entschuldigender Notstand 25 91 ff.
- Bereitschaftsarzt 32 73 ff. s. Beihilfe - Abgrenzung von den eigenhändigen De- - Irrtum über Voraussetzungen des ent-
- Beschützergarant 31158ff.; 32 6, 33ff. Gesamtbetrachtungslehre likten 25 15 schuldigenden Notstandes 25 91 ff.
- dogmatische Entwicklung 32 3 ff. s. Abgrenzung unbeendeter u. fehlge- - Abgrenzung von den Pflichtdelikten 25 14 - Katzenkönig-Fall 25 41, 76 ff.
- formelle Rechtspflichttheorie 32 4, schlagener Versuch - Begriff 25 13, 38 ff. - rechtmäßig handelndes Werkzeug 25 68 f.
10 ff. Gesamtlösung heteronome Motive - Selbstschädigung aufgrund Täuschung 25
- Funktionenlehre 32 6, 22 f., 32, 87 s. unter Mittäterschaft u. Versuch s. Freiwilligkeit 70 ff.
- durchVertrag32 13, 53 Gesamtstrafe 33 5,122 ff. Hilfeleisten - Sirius-Fall 25 70
- Ehegatten 32 45 ff. - Freiheits- u. Geldstrafe bei derselben Tat s. Beihilfe - Struktur 25 62
- enge Lebensgemeinschaft 32 54 ff. 33 137 f. Hintermann - Verbotsirrtum 25 61, 76 ff
- freiwillige Übernahme einer Schutzfunk- - Freiheits- u. Geldstrafe bei verschiedenen - Begriff 25 45 - volldeliktisches Handeln des Irrenden
tion 32 53 ff. Taten 33 131 ff höchstpersönliche Pflichtdelikte 25 - Motivirrtum 25 94
- Gastwirt - mehrere Freiheitsentziehungen 33 303 ff. - Täuschung über Identität des Opfers
s. Ingerenz 124 ff. - Aussagedelikte 25 303 ff. 25 102 ff.
- Gefahrengemeinschaft 32 4,15, 54 - mehrere Geldstrafen 33 128 ff. höchstpersönliche Rechtsgüter - Täuschung über Qualifikationsvoraus-
- Herrschaft über gefährliche Sachen 32 Gesamtstrafenbildung 33 140 ff. - Konkurrenzen 33 38 ff. setzungen 25 99 ff.
108 ff. - Einsatzstrafe 33 142 f. Hoferben-Fall 26 117 ff. - Täuschung über Unrechtshöhe 25 96 ff.
- Wohnung als Gefahrenquelle 32 115 ff. - nachträgliche 33 156 ff. - vorsatzlos handelndes Werkzeug 25 61,
- Ingerenz 32 3,107,143 ff. Gesamtvorsatz 33 254 „Ich lebe noch"-Fall 63 ff.
- bei Selbstgefährdungen 32 175 ff. s. auch fortgesetzte Handlung s. Abgrenzung unbeendeter u. beendeter - Ausnutzen eines Tatbestandsirrtums
- Einschränkungen 32 155 ff. Gesetzeseinheit synonym Gesetzeskonkur- Versuch 25 64
- Gastwirt 32 173 f. renz Idealkonkurrenz - Erlaubnistatbestandsirrtum 25 67
- nach Notstand 32 186 ff. Gesetzeskonkurrenz - Begriff 33 2, 70ff, 183ff., 202, 205f. - Hervorrufen eines Tatbestandsirrtums
- nach Notwehr 32 181 ff. s. Konkurrenzen - Einheitstheorie 33 71 25 63
- nach Wegfall der Rechtfertigungsvor- gesetzlicher Vertreter - gleichartige - 33 2 iterative Tatbestandsverwirklichung 33
aussetzungen 32 189 s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 - Klammerwirkung 33 101 ff. 32 ff.
- Produkthaftung 32 195 ff. StGB - Klarstellungsfunktion 33 109 s. auch natürliche Handlungseinheit
- Zechkumpanen-Fall 32 181 Gestaltungsherrschaft - Mehrheitstheorie 33 71
- Irrtum 31 190 ff. s. Mittäterschaft - Rechtsfolge 33 109 ff. Jetzt geht es los"
- Kinder 31161, 222ff.; 32 5ff., 17, 33ff, Giftfallen-Entscheidung - Absorptionsprinzip 33 113 s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch
42ff, 85,122f., 126ff. s. Bayerwaldbärwurz-Fall - Kombinationsprinzip 33 113 Jugendliche
- Obhutspflichten 32 6, 33 ff. Gleichwertigkeit von Unterlassen u. Ibn - Kumulationsprinzip 33 113 - Garantenstellung 31161, 222 ff; 32 33 ff,
- Organe 32 77 ff. s. Entsprechungsklausel - Teilidentität der Ausführungshandlungen 85,127 ff.
- Polizei gegenüber Bürger 32 85 ff. goldene Brücke 33 82 ff - mittelbare Täterschaft
- Schuldunfähige 31161; 32 85,127 ff. - Lehre von der - 30 14 ff. - ungleichartige - 33 2 näher s. dort
- Schutzpflichten 32 33 ff. s. auch Rücktritt vom Versuch - Zustandsdelikt, Zusammentreffen mit - Selbstmord
- Sicherungspflichten 32 107 ff. Gremienentscheidungen 25 241; 31172 Dauerdelikt 33 93 ff. näher s. dort
- Überordnungsverhältnisse 32 133 ff. grober Unverstand Ingerenz - Selbstschädigung
- Überwachungsgarant 31158 ff; 32 6,107 ff. s. untauglicher Versuch s. Garantenstellung näher s. dort
- Umweltschutzbehörden 32 99 ff. Innentendenz juristische Person
- Unverheirateter 32 51 f. Handlung - überschießende 29 76 s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14
- Verantwortung für rechtswidriges Verhal- - Begriff 31 5 Intensivierungsprinzip StGB
ten Dritter 32 125 ff. Handlungsdelikte s. Beihilfe
- Verkehrssicherungspflichten 32 108 ff. - Begriff 25 267 Interessentheorie Kassenraub-Fall
- Verwandte 32 33 ff. Handlungseinheit s. Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme s. Rücktritt vom Versuch
- Wohnungsinhaber 32 115 ff. s. Konkurrenzen Intraneus Katzenkönig-Fall 25 41, 76 ff.
- Zechkumpanen 32 60 Handlungsfähigkeit 31 8 ff. - Begriff 25 271 Kausalität
Gastwirt Handlungsherrschaft irrealer Versuch - Anstiftung
- Garantenstellung - Begriff 25 28, 38 ff, 120,188 s. Versuch, abergläubischer näher s. dort
näher s. dort Handlungsmehrheit 33 8,10 ff. Irrtum - Beihilfe
Gebotsirrtum - beim Unterlassen 33 61 ff. - bei Selbstschädigung 25 70 ff. näher s. dort
s.Verbotsirrtum bei Unterlassungsdelikten - Unterhalts-Fall 33 62 - Mittäterschaft 25 195 - Unterlassen
Gefahrengemeinschaft Handlungsmöglichkeit 3115 - mittelbare Täterschaft 25 158 ff. näher s. dort
- Garantenstellung Heroinspritzen-Fälle 25 75, 98,148; 32 - über die Garantenpflicht 29 387, 403, Kettenanstiftung
näher s. dort 175 408; 31190 ff, 209 f. s. Anstiftung

888 889
Sachverzeichnis Sachverzeichnis
Kinder - gleichzeitige u. wiederholte Zueignung - Gestaltungsherrschaft 25 208f., 249ff, - organisatorische Machtapparate 25 46,
- Garantenstellung 33 225 274, 287 105 ff.
näher s. dort - Sicherungsbetrug 33 220 ff. - Irrtum 25 195 - Sirius-Fall
- mittelbare Täterschaft - Voraussetzungen 33 220 - Schmierestehen 25 212, 261 s. Irrtumsherrschaft
näher s. dort - typische Begleittat 33 216 ff. - subjektive Teilnahmetheorie 25 218 - Täter hinter dem Täter 25 61, 94 ff, 110 ff.
- Selbstmord Konvergenzdelikte 26 41 - sukzessive - 25 219 ff. - unvermeidbarer Verbotsirrtum 25 78
näher s. dort s. auch notwendige Teilnahme - Tatbeitrag im Ausführungsstadium 25 - vermeidbarer Verbotsirrtum 25 79 ff.
- Selbstschädigung Körperbewegungstheorie 198ff, 211 ff. - Versuch 29 226 ff.
näher s. dort s. eigenhändige Delikte - Erheblichkeit 25 211 ff. - Einwirkungstheorie 29 229, 257
- sexueller Mißbrauch u. Versuch 29 166 ff. Kumulationsprinzip 33 113,123 - teilweise - 25 235 f. - Einzellösung 29 229, 257
Klammerwirkung 33 101 ff. s. auch Idealkonkurrenz und Realkonkur- - untauglicherVersuch29 308ff. - Gesamtlösung 29 228, 247 ff.
Klingel-Fälle renz - Münzhändler-Fall 29 310 ff. - Salzsäure-Fall 29 241 ff.
s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch Kuppelei-Fälle Unterlassen 31 211 ff, 216, - Scheintäter-Fall 29 308 f. - Vergleichsverwalter-Fall 29 240, 263
Kollegialentscheidungen 218 - Verfolger-Fall 25 195, 201 f.; 29 316 - volldeliktisch handelnder Täter
- Unterlassungskausalität 31 65 ff. - vermeintliche - 29 310 s. Irrtumsherrschaft
Kollektivdelikt 33 274 ff. Lederspray-Entscheidung 25 241; 3147, - Versuch 29 295 ff. - vorgetäuschter Doppelselbstmord 25 71
Kombinationsprinzip 172; 32 11,196 ff. - Einzellösung 29 297 f. - vorsatzlos handelndes Werkzeug
s. Idealkonkurrenz, Rechtsfolge Lilo-Fall30 376ff. - Gesamtlösung 29 295 f. s. Irrtumsherrschaft
Konkurrenzen 33 1 ff. s. auch Freiwilligkeit - Vorbereitungsstadium 25 201 ff. - Werkzeug
- actio libera in causa 33 210 limitierte Akzessorietät mittäterschaftliche Teilnahme 25 238 - absichtslos doloses - 25 153 ff.
- Anstiftung 26 172,179 ff. s. Akzessorietät - qualifikationsloses doloses Werkzeug 25 - Begriff 25 28,188
- bei gleichzeitigen Unterlassungen 33 Lockspitzel 275 ff. - qualifikationsloses doloses — 25 275 ff.
61 ff. s. agent provocateur mittelbare Täterschaft 25 11, 45 ff. - rechtmäßig handelndes - 25 59, 68 f.
- Beihilfe 26 285 f. - aberratio ictus 25 169 ff. - volldeliktisch handelndes - 25 94 ff.
s. auch dort Massendelikt 33 281 f. - Anstiftung in - 26 175 - vorsatzloses - 25 63 ff.
- Dauerdelikte 33 22, 93 ff, 101 ff. Mauerschützen - Autonomieprinzip 25 174 ff. - Willensherrschaft 25 45 ff.
- Differenzierungsprinzip 33 7 ff. s. mittelbare Täterschaft - Badewannen-Fall 25 39 - kraft Irrtums
- Einheitsstrafenprinzip 33 7 ff, 127 Mehrheitstheorie - durch Unterlassen 31175 s. Irrtumsherrschaft
- Gesetzeskonkurrenz 33 170 ff. - Idealkonkurrenz 33 71 - eigenhändige Delikte 25 288 - kraft Nötigung
- Begriff 33 170 Meineid - entschuldigender Notstand s. Nötigungsherrschaft
- Konsumtion - Beihilfe durch Unterlassen 32 177 ff. s. Irrtumsherrschaft - kraft organisatorischer Machtapparate
näher s. dort Militärischer Befehl - error in objecto vel persona 25 171 25 46,105 ff.
- Rechtsfolge 33 170f., 227ff. s. mittelbare Täterschaft - Exzeß25 168ff. - Schuldunfähige 25 139 ff.
- Spezialität Mißbrauchsfalle - Hintermann - Begriff 25 45 - vermindert Schuldfähige 25 149 ff.
näher s. dort s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - Irrtumsfälle 25 158 ff. Modalitätenäquivalenz
- Subsidiarität mitbestrafte Vor- u. Nachtat - Irrtumsherrschaft 25 46, 61 ff. s. Entsprechungsklausel
näher s. dort s. Konsumtion s. auch dort Mordmerkmale
- Handlungseinheit Mittäterschaft - Jugendliche 25 139 ff. - besonderes persönliches Merkmal
- Begriff3310ff - aberratio ictus 25 195 - Katzenkönig-Fall näher s. dort
- Fahrlässigkeitsdelikte 33 67 ff. - abweichende Konzeptionen 25 243 ff. s. Irrtumsherrschaft Motivirrtum
- Handlung im natürlichen Sinne 33 17 f. - additive-25 229 f. - Kinder 25 139 ff. s. auch Irrtumsherrschaft
- natürliche - - alternative - 25 231 ff. - Nötigungsherrschaft 25 46 ff. - Veranlassung eines Selbstmordes 25 71 ff.
näher s. dort - Anwesenheit am Tatort 25 200 - dienstlicher Befehl 25 60 Münzhändler-Fall 29 310
- rechtliche-33 248 ff. - Arbeitsteilung 25 28,188 f. - militärischer Befehl 25 60
- tatbestandliche - 33 19 ff. - Ausführungsstadium 25 198ff, 253 - rechtmäßig handelndes Werkzeug 25 59 Nachtat
- Unfallflucht-Fälle 33 24, 51 ff., 105 - Bandenchef 25 210 - Verantwortungsprinzip 25 48 - mitbestrafte 33 213 ff, 219 ff.
- Unterhalts-Fall 33 62 - Begriff 25 11,188 f. - Organisationsherrschaft 25 105 ff, 210 nachträgliche Gesamtstrafenbildung 33
- Unterlassungsdelikte 33 61 ff. - besondere Tätermerkmale 25 234 - Fungibilität des Ausfuhrenden 25 107 156 ff.
- verschiedenartige - 33 50 ff. - durch Unterlassen 31 171 ff. - Mauerschützen 25 110,115,119 Nationaler Verteidigungsrat-Fall 25
- Handlungsmehrheit 33 10 ff. - eigenhändige Delikte 25 288 - Nationaler Verteidigungsrat-Fall 25 110f, 133
- Idealkonkurrenz - Entscheidungsherrschaft 25 208f., 249 110 ff, 133 natürliche Handlungseinheit 33 29 ff.
näher s. dort - erfolgsqualifizierte Delikte 25 197 - NS-Verbrechen 25 106,115,119 - Begriff 33 30
- Realkonkurrenz - error in objecto vel persona 25 195 - rechtsgelöste Apparate 25 129 ff. - einheitlicher Wille 33 31, 35
näher s. dort - Exzeß25 194f. - Schreibtischtäter 25 107,122,126 f. - iterative Tatbestandsverwirklichung 33
Konsumtion - fahrlässige-25 239 ff. - Sterbehilfe-Entscheidung 25 131 32 ff.
- Begriff 33 175, 213 ff. - gemeinsamer Tatplan 25 189 ff. - Verbrecherbanden 25 129 - Polizeiflucht-Fälle 33 51 f.
- straflose Nachtat 33 219 ff. - erfolgsqualifiziertes Delikt 25 197 - wirtschaftliche Unternehmen 25 129 ff. - Privilegierung 33 53

890 891
Sachverzeichnis Sachverzeichnis
- Qualifikation 33 53 Opferschutzgedanke Polizeiflucht-Fälle 33 51 ff. Rücktritt vom erfolgsqualifizierten D e -
- sukzessive Tatbestandsverwirklichung 33 s. Rücktritt vom Versuch s. auch natürliche Handlungseinheit likt 30 285 ff.
42 ff. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 Privilegierung Rücktritt vom unbeendeten Versuch 30
- Dagobert-Fall 33 45 f. StGB 27 84 ff. s. natürliche Handlungseinheit 152 ff.
- Verkaufsbuden-Fall 30 352; 33 48 - Amtsträgereigenschaft 27 101,135 s. Spezialität - Aufgeben 30 152 ff.
- verschiedenartige Handlungseinheit 33 - Beauftragte 27 94f., 110,126 ff. Probier-Fälle - endgültig-30 158 ff.
50 ff. - Betrieb-Begriff27 127 s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch Rücktritt vom untauglichen Versuch 30
- Polizeiflucht-Fälle 33 51 f. - Betriebsleiter - Begriff 27 129 Produkthaftung 32 195 ff. 265 ff.
- Voraussetzungen 33 31 - faktische Betrachtungsweise 27 90, 93 s. auch Garantenstellung - Bemühen 30 267 ff.
Nebentäterschaft 25 265 f. - faktische Vertretungsverhältnisse psychische Beihilfe - Ernstlichkeit des - 30 275 ff.
neutrale Handlungen 27139 s. Beihilfe Rücktritt vom Versuch
s. Alltagshandlungen - gesetzlicher Vertreter - Begriff 27 121 psychologische Theorie - actio libera in causa 30 444
nomologischer Irrtum - juristische Person 27 115 s. Freiwilligkeit - außertatbestandliche Zielerreichung
- Begriff 29 365 - Organ 30 57
normative Kombinationstheorie - Begriff 27 116 Qualifikation - bei mehreren Tatbeteiligten 30 301 ff.
s. Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme - vertretungsberechtigt 27 116 - Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - Denkzettel-Fall 30 53
normative Theorie - Personengesellschaften näher s. dort - erfolgsqualifiziertes Delikt 30 285 ff.
s. Freiwilligkeit - Begriff 27 117 - natürliche Handlungseinheit - fehlgeschlagener Versuch
Nötigung - vertretungsberechtigte Gesellschafter näher s. dort - Abgrenzung zum unbeendeten Versuch
- zur Selbstschädigung 29 54 ff. 27 117 ff. - Rücktritt vom Versuch 30 175 ff.
Nötigungsherrschaft - Pflichtenübernahme 27 98 ff. näher s. dort - Abgrenzung zum untauglichen Versuch
s. mittelbare Täterschaft - ratio legis 27 84ff, 96 - Spezialität 30 82
Notstand, entschuldigender - Teilleiter 27 130 näher s. dort - Begriff 30 36, 77
- mittelbare Täterschaft 25 47 ff., 91 ff., 179 ff. - Vertreter (i.S.d. § 14 I StGB) 27 115 ff. - Übersteigerung - Eifersuchts-Fall 30 182, 210
- Unterlassungsdelikte 31 207 ff, 219 Organisationsherrschaft s. Anstiftung - Kassenraub-Fall 30 101 ff., 403
Notstand, rechtfertigender s. mittelbare Täterschaft qualifikationsloses Werkzeug - rechtliche Unmöglichkeit der Tatvoll-
- agent provocateur 26 153 f. organisatorische Machtapparate s. mittelbare Täterschaft endung 30 89 ff.
- Ingerenz 32 186 ff. s. mittelbare Täterschaft - Sinnlosigkeit möglicher Tatvollendung
- Unterlassungsdelikte 31 204 ff. Rabenmutter-Fall 30 137 ff. 30 94 ff, 403
Notwehr Personengesellschaften Radrüttel-Fall - tatsächliche Unmöglichkeit der Tatvoll-
- Ingerenz 32 181 ff. s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch endung 30 85 ff.
- mittelbare Täterschaft 25 59, 69 StGB Randfigur - Franksche Formel 30 79, 431 f.
- Unterlassungsdelikte 31 203, 207 Pfeffertüten-Fall s. Teilnehmer s. auch Freiwilligkeit
- Wahndelikt 29 382 s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch Realkonkurrenz - Freiwilligkeit
Notwehrexzeß Pflichtdelikte - Asperationsprinzip 33 5,123,143 ff. näher s. dort
s. Unterlassungsdelikte 31 207 - Anstiftung - Begriff 33 3 - Grundgedanke 30 1 ff.
notwendige Teilnahme 26 41 ff. näher s. dort - Einsatzstrafe 33 142 f. - mißlungener Rücktritt 30 113 ff.
- Begegnungsdelikte 26 42 - Begriff 25 14, 267 ff. - Gesamtstrafe - unechtes Unterlassungsdelikt 30 136 ff.
- Beteiligung 26 56 - Extraneus 25 271 näher s. dort - nach außertatbestandlicher Zielerreichung
- Konvergenzdelikte 26 41 - höchstpersönliche - 25 303 ff. - gleichartige - 33 120 s. unter Rücktritt, zielerreichender Ver-
NS-Gewaltverbrechen 25 40,105ff., 115, - Intraneus 25 271 - Kumulation von Freiheits- u. Geldstrafe such
119; 33 281 f. - Unterlassungsdelikte als - 31140 33 131 ff. - nichtkausaler 30 265 ff.
nulluni crimen sine lege Pflichtdeliktstheorie 31140 ff. - Kumulationsprinzip 33 123 s. auch untauglicher Versuch, Rücktritt
- unechtes Unterlassungsdelikt s. auch Abgrenzung Täterschaft u. Teil- - ungleichartige - 33 120 - Qualifikation 30 295 ff.
näher s. dort nahme Rechtspflichttheorie 32 4,10 ff. - Ratio des Rücktrittprivilegs
- Wahndelikt Pflichtenkollision Regelbeispiele - Lehre von der goldenen Brücke 30
näher s. dort - rechtfertigende 31 204 s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch 14 ff.
s. auch Unterlassungsdelikt, unechtes Risikoerhöhung - modifizierte Strafzwecktheorie 30 1
Obhutspflichten Pflichtenübern ahnte s. Beihilfe - Opferschutzgedanke 30 16, 70, 72f.,
s. Garantenstellung s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14 Risikoerhöhungstheorie 3146 ff. 167,188, 235, 207, 216, 235
objektive Versuchstheorien StGB s. auch unechtes Unterlassungsdelikt - Schulderfüllungstheorie 30 25 ff.
s. Versuch physische Beihilfe Rose-Rosahl-Fall 25 66; 29 241 - Strafzwecktheorie 30 4 ff, 381
omissio libera in causa 31103 ff. s. Beihilfe Rücktritt vom beendeten Versuch - Verdienstlichkeitstheorie 30 22 ff.
omnimodo facturus Planherrschaft 26 95f., 99 - Verhinderung der Vollendung 30 211 ff. - Rücktrittshorizont 30 150,181
s. Anstiftung Polizei - Bestleistungstheorie 30 229 ff., 237ff. - Korrektur 30 155,163
ontologischer Irrtum - Garantenstellung - Chanceneröffnungstheorie 30 221 ff., - systematische Einordnung 30 29 ff.
- Begriff 29 365 näher s. dort 233 ff. - Teilrücktritt 30 295 ff.

892 893
Sachverzeichnis Sachverzeichnis
- Unterlassungsdelikt 30 136 ff. - Vorspiegeln einer unheilbaren Krankheit synthetische Konzeption 26 104 Tätigkeitsdelikte 25 291 ff.
- zielerreichender Versuch 30 35, 47 ff. 25 72 s. auch Anstiftung Tatmehrheit
Rücktrittshorizont Selbstschädigung - Begriff 33 3,119 ff.
s. Rücktritt vom Versuch - Bestimmung zur, durch Täuschung 25 Tankstellen-Fall s. auch Realkonkurrenz
70 ff. s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch Tatmittler >
Salzsäure-Fall 25 66, 97; 29 241 ff. - Kinder u. Jugendliche 25 144 ff. Tat - Begriff 25 45
Sammelbegriffe - Nötigung zur - 25 54 ff. - i.S.d. Rücktritts 30 421 ff. Tatplan
s. Wahndelikt - Schuldunfähige 25 144 ff. - i.S.d. StPO 33 12 - gemeinsamer — 25 189 ff.
Sammelverbrechen - Sirius-Fall 25 70 tatbestandliche Handlungseinheit s. auch Mittäterschaft
s. Kollektivdelikt - Täterschaft durch Unterlassen 31 213, 218; s. Konkurrenzen Tatplan theorie
Schalterhallen-Fall 32 47 f. Tatbestandsirrtum s. Abgrenzung unbeendeter u. fehlge-
s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - vermindert Schuldfähige 25 152 - mittelbare Täterschaft schlagener Versuch
Scheinbeteiligung 28 47 ff. Selbsttötung s. Irrtumsherrschaft Teilaktstheorie
Schläfenschuß -Fall s. Selbstmord - umgekehrter - s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch
s. Abgrenzung unbeendeter u. fehlge- Sich-Bereit-Erklären s. untauglicher Versuch Teilleiter
schlagener Versuch s. Versuch der Beteiligung - unechtes Unterlassungsdelikt s. Organ- u. Vertreterhaftung gem. § 14
Schlüsselfigur Sich-Erbieten näher s. dort StGB
s. Tatherrschaft s. Versuch der Beteiligung - Verbrechensverabredung Teilnahme
Schmierestehen Sicherungsbetrug näher s. dort - Akzessorietät
- Beihilfe s. Konsumtion Tateinheit - Begriff 33 2, 70 näher s. dort
näher s. dort Sicherungspflichten s. auch Idealkonkurrenz - limitierte —
- Mittäterschaft s. Garantenstellung Tatentschluß näher s. dort
näher s. dort Sirius-Fall 25 70 s. Versuch - Begriff 261
Schreibtischtäter 25 107,122,126 f. Solidarisierungsprinzip Täter - erfolgsqualifiziertes Delikt 26 167, 284
Schulderfüllungstheorie 30 25 ff. s. unter Teilnahme - Zentralgestalt 25 10 ff. - Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat 26
s. auch Rücktritt vom Versuch Sonderdelikte 25 4, 279 Täter hinter dem Täter 25 61, 94ff., 110ff. 6f., 35 ff.
Schuldfähigkeit, verminderte Spezialität s. auch mittelbare Täterschaft - mittäterschaftliche - 25 238
s. mittelbare Täterschaft 25 149 ff. - Begriff 33 177 ff. Täterbegriff - notwendige
Schuldmerkmale - bei qualifizierten u. privilegierten Tatbe- - Einheitstäterlehre 25 2 ff. näher s. dort
- strafbegründende — 27 7 ständen 33 180 ff. - extensiver - 25 4 - Strafgrund 26 11 ff.
- strafmodifizierende - 27 7 - bei zusammengesetzten Delikten 33186 ff. - restriktiver - 25 5 - akzessorischer Rechtsgrundangriff
Schuldteilnahmetheorie Sprengfallen-Entscheidung Tätermerkmale 26 11
s. unter Teilnahme s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - als Voraussetzung der Mittäterschaft 25 234 - Schuldteilnahmetheorie 26 16 ff.
S chuldunfähigkeit Staschynskij-Fall 25 40, 42 Täterschaft - Solidarisierungsprinzip 26 22 ff.
s. mittelbare Täterschaft 25 139 ff. Sterbehilfe-Entscheidung 25 131; 31115 - Allgemeindelikte 25 13, 27 ff. - Verursachungstheorie 26 12 ff.
Schutzminderungs-Fälle Strafmilderung - Formen 25 11 - versuchte —
s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch - Beihilfe 26 287 f. täterstrafrechtliche Delikte 25 301 ff. s. versuchte Teilnahme
Schutzpflichten - Unterlassungsdelikt 31 236 ff. Täterwille 25 17 Teilnehmer
s. Garantenstellung - Versuch 29 14 Tatgeneigtheit - Randfigur 25 10
Selbstgefahrdung - Versuch der Beteiligung 28 6 s. Versuch Teilnehmerwille 25 17
- eigenverantwortlich 25 54 ff, 75, 98, Strafzwecktheorie 30 4 ff., 381 Tatherrschaft 25 17ff, 27 ff. Teilrücktritt
144 ff; 32 48,175 ff. s. auch Rücktritt vom Versuch - Begriff 25 17, 27 s. Rücktritt vom Versuch
- Abgrenzung zur mittelbaren Täter- subjektive Teilnahmetheorie - funktionelle - 25 28,188 Teilverwirklichungsregel
schaft 25 144 ff. s. Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme - Handlungsherrschaft 25 28, 38 ff. s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch
- Heroinspritzen-Fälle subjektive Versuchstheorie - negative - 25 252 ff.
näher s. dort s. Versuch - positive - 2 5 252 ff. Übern ahmeprinzip
Selbstmord Subsidiarität - Schlüsselfigur 25 27 s. Beihilfe
- Abgrenzung Beihilfe u. mittelbare Tö- - Begriff 33 175,190 ff. - soziale — 25 276 überschießende Innentendenz /
tungstäterschaft 25 54ff., 70ff. - formelle-33 191 ff. - Willensherrschaft 25 28, 45 ff. s. Innentendenz
- durch Täuschung bewirkter - 25 70 ff. - materielle-33 191,199 ff. - Zentralgestalt 25 27 Übersteigerung
- Hervorrufung eines Motivirrtums 25 71 ff. sukzessive Beihilfe Tatherrschaftslehre s. Anstiftung
- Kinder u. Jugendliche 25 144 ff. s. Beihilfe - Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme Überwachungsgarant
- Schuldunfähige 25 144 ff. sukzessive Mittäterschaft näher s. dort s. Garantenstellung
- unterlassene Selbstmordhinderung 31 127, s. Mittäterschaft - dogmatische Einordnung 25 29 ff. umgekehrter Tatbestandsirrtum
129; 32 72 sukzessive Tatbestandsverwirklichung 33 - Entstehung 25 17, 29 ff. s. untauglicher Versuch
- vermindert Schuldfähige 25 152 42 ff. Tatherrschaftswille umgekehrter Verbotsirrtum
- vorgetäuschter Doppelselbstmord 25 71 s. auch natürliche Handlungseinheit - in der Rspr. des BGH 25 22 ff. s. Wahndelikt

894 895
Sachverzeichnis Sachverzeichnis
Umstiftung - aktiver Energieeinsatz 3177 f. - untauglicher Versuch 29 376 f. Verdienstlichkeitstheorie 30 22 ff.
s. Anstiftung - Schwerpunktformel 31 76, 79 ff. - Verbotsirrtum 29 403; 31190ff, 209f. s. auch Rücktritt vom Versuch
Umweltschutzbehörden - Unterlassung durch Tun 31 99 ff. - Versuch Vereinigungstheorie
- Garantenstellung - Ziegenhaarfall 31 74, 85 f. - Theorie der unmittelbaren Gefährdung s. Versuch
näher s. dort - Abgrenzung Täterschaft u. Teilnahme 29 286 f. Verfolger-Fall >
unbedingter Tatentschluß näher s. dort - Theorie des erstmöglichen Eingriffs s. Mittäterschaft
s. Versuch - Abgrenzung vom echten - 3116 ff. 29 280 ff. Vergewaltigungs -Fälle
unbeendeter Versuch - Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch 29 - Theorie des letztmöglichen Eingriffs s. Freiwilligkeit
s. Versuch 266ff., 271 ff. 29 284 f. Vergleichsverwalter-Fall
Unfallfluchtfälle - als Pflichtdelikt 31 140 Unternehmensdelikte s. mittelbare Täterschaft
s. Konkurrenzen - Anstiftung - Anstiftung 26 158 ff. verhaltensgebundene Delikte 25 297 ff.
Unglücksgemeinschaft 32 63 näher s. dort - Versuch 29 339 ff. - Entsprechungsklausel 32 225
unmittelbare Täterschaft - Begriff 25 11 - Beihilfe zum Meineid 32 177 ff. Untreue nach § 266 StGB durch Unterlas- Verhinderung der Vollendung
unmittelbares Ansetzen 29 2, 97 ff. - Fahrlässigkeit 31196 ff. sen 32 36, 76 ff. - i.S.d. §24 I I StGB 30 211 ff.
s. auch Abgrenzung Vorbereitung u. Ver- - Garantenstellung Unzumutbarkeit s. auch Rücktritt vom beendeten Versuch
such näher s. dort - Anzeigepflicht Angehöriger 31 214, 216, - eigenhändige - 30 243 ff.
untauglicher Versuch 29 6, 346 ff. - Handlungseinheit u. Handlungsmehrheit 218, 222 ff. - fremdhändige - 30 246 ff.
- Abgrenzung zum fehlgeschlagenen Ver- 33 61 ff. - systematische Einordnung 31 229 ff. Verkaufsbuden-Fall 30 352; 33 48
such 30 82 - Handlungsfähigkeit 31 8 ff. - Unterlassungsdelikte 31 211 ff. s. auch natürliche Handlungseinheit
- Abgrenzung zum Wahndelikt 29 378 ff. - Irrtum über Garantenpflicht 29 387, 403, Verkehrssicherungspflichten 32 108 ff.
- als umgekehrter Tatbestandsirrtum 29 408; 31190ff, 209f. Verabredung von Verbrechen 28 43 ff. s. auch Garantenstellung
401 - Irrtum über Garantenstellung 31190 ff. s. auch Verbrechensverabredung Versuch
- am untauglichen Objekt 29 347 - Kausalität 31 37 ff. Verantwortungsprinzip 25 48ff, 140 - abergläubischer - 29 8, 371 ff.
- bei der Mittäterschaft 29 308 ff. - bei Kollegialentscheidungen 31 65 ff. - in Nötigungsfällen 25 48 ff. - Abgrenzung unbeendeter u. beendeter
- des untauglichen Subjektes 29 350 ff. - mit an Sicherheit grenzender Wahr- Verbotsirrtum Versuch
- Erscheinungsformen 29 347 ff. scheinlichkeit 31 46 ff. - Abgrenzung mittelbare Täterschaft u. An- näher s. dort
- grober Unverstand 29 363 ff. - Risikoerhöhungstheorie 31 46 ff. stiftung 25 76 ff. - Abgrenzung zur Vorbereitung
- Begriff 29 364 - Unterlassen durch Tun - Garantenpflicht s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch
- mit untauglichen Mitteln 29 348 näher s. dort näher s. dort - abstraktes Gefährdungsdelikt 29 54
- mit untauglichen Mitteln am untaugli- - Mittäterschaft 31171 ff. - Irrtumsherrschaft 25 76 ff. - Anfang der Ausführung 29 97
chen Objekt 29 349 - mittelbare Täterschaft 31175 - Katzenkönig-Fall 25 41, 76 ff. - aus grobem Unverstand 29 363 ff.
- Rücktritt 30 265 ff. - Notstand - umgekehrter — - beendeter —
- Unterlassungsdelikt 29 376 f. - entschuldigender - 31 207 ff, 219 s. Wahndelikt - Abgrenzung zum unbeendeten Versuch
- Versuch beim unechten - 29 266 ff. - rechtfertigender - 31 204 ff. - Unterlassungsdelikte 29 403; 31 190 ff, 30 163 ff.
Unterhalts-Fall - Notwehr 31 203, 207 209 f. - Begriff 29 98,192
s. Konkurrenzen - Notwehrexzeß 31 207 Verbrechensverabredung - Rücktritt 30 1,211 ff.
Unterlassen durch Tun 31 99 ff. - nullum crimen sine lege 31 31 ff. - alternative - 28 59 s. auch dort
s. auch Unterlassungsdelikt, unechtes - objektiver Tatbestand 31176 ff. - Begriff 28 43 - Begriff 29 1
- Abbruch medizinischer Behandlung 31 - omissio libera in causa - besondere persönliche Merkmale 28 - erfolgsqualifiziertes Delikt 29 318 ff.
115 ff. s. Unterlassen durch Tun 62 ff. - fehlgeschlagener
- Abbruch rettender Kausalverläufe 31 - Rechtswidrigkeit 31 201 ff. - Konkretisierungserfordernis 28 56 ff. s. Rücktritt vom Versuch
108 ff. - Pflichtenkollision 31 204 - Konkurrenzen 28 69 ff. - irrealer —
- omissio libera in causa 31103 ff. - Rücktritt 30 136 ff. - Rücktritt 28 101 ff. s. Versuch, abergläubischer
- Sterbehilfe-Entscheidung 31115 - Rabenmutter-Fall 30 137 ff. - Scheinbeteiligung 28 47 ff. - Mittäterschaft
unterlassene Selbstmordhinderung 31 - Schuld 31 207 ff. - Strafgrund 28 43 ff. näher s. dort
130 - Unzumutbarkeit 31 211 ff. - Tatbestandsirrtum 28 54 - mittelbare Täterschaft
Unterlassungsdelikt s. auch dort - Teilnahme 28 66 f. näher s. dort
- echtes - - Verbotsirrtum - Anstiftung 28 66 - qualifizierter-33 229 ff. i
- Begriff 3116 näher s. dort - Beihilfe 28 67 - Rücktritt
- Handlungseinheit u. Handlungsmehr- - Strafmilderung 31 236 ff. - untaugliche Verabredung näher s. dort
heit 33 61 ff. - im Besonderen Teil 31 248 ff. - Versuch 28 68 - Strafgrund 29 9 ff.
- Versuch 29 292 ff. - Strafzumessung 31 244 ff. - Vorstufe der Mittäterschaft 28 60 f. - Eindruckstheorie 29 46 ff.
- unechtes - - subjektiver Tatbestand 31184 ff. - Willensmängel 28 52 ff. - Gefährlichkeitstheorie 29 27 f.
- Abbruch rettender Kausalverläufe - sonstige subjektive Merkmale 31194 f. Verbrechervernunft - objektive Versuchstheorien 29 25 f.
s. -Unterlassen durch Tun - Vorsatz 31184 ff. - Lehre von der - 30 383 ff. - subjektive Versuchstheorie 29 32 ff.
- Abgrenzung Begehung u. Unterlassen 31 - Tatbestandsirrtum 31190 ff. s. auch Freiwilligkeit - Vereinigungstheorie 29 10 ff.
69 ff. - Tatherrschaft 31127 ff. verdeckte Ermittler 26 154ff, 157 - Strafmilderung 29 14

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Sachverzeichnis Sachverzeichnis
- subjektiver Tatbestand - Ernstlichkeit 28 15 ff. Wahndelikt Zechkumpanen
s. Versuch, Tatentschluß - Exzeß28 21 - Abgrenzung zum untauglichen Versuch s. unter Garantenstellung
- Tatentschluß 29 4, 59 ff. - Fallgruppen 28 9 29 378 ff. Zechkumpanen-Fall
- Abgrenzung zur Tatgeneigtheit 29 82 f. - Irrtum 28 24 - Abgrenzung zum untauglichen Versuch, s. Ingerenz unter Garantenstellung
- alternativer - 29 72 ff. - Kettenanstiftung 28 31 Bezugskarten-Fall 29 383 Zentralgestalt 25 10 ff.
- auf bewußt unsicherer Tatsachengrund- - Konkurrenzen 28 37 ff. - als umgekehrter Verbotsirrtum 29 401 Ziegenhaar-Fall 31 74, 85 f.
lage 29 82, 84 - omnimodo facturus 28 9, 96 - Begriff 29 378 zielerreichender Versuch
- bedingter - 29 81 - Rücktritt 28 90 ff. - Fallgruppen 29 380 ff. s. Rücktritt vom Versuch
- mit Rücktrittsvorbehalt 29 82, 85 - Umstiftung 28 21 - nullum crimen sine lege 29 378 zusammengesetzte Delikte
- unbedingter - 29 81 - und §28 StGB - Sammelbegriffe 29 409 ff. - Spezialität
- unbeendeter - - untauglicher Versuch 28 22 f. - Vorfeldirrtümer 29 394 ff, 409 ff. näher s. dort
- Abgrenzung zum beendeten - 30 versuchte Erfolgsqualifizierung 29 Werkzeug Zustandsdelikt
163 ff. 318 ff. s. mittelbare Täterschaft - Konkurrenzen 33 93 ff.
- Abgrenzung zum fehlgeschlagenen Vertrauensgrundsatz Willensherrschaft Zwischenaktstheorie
Versuch 30 175 ff. - Beihilfe s. mittelbare Täterschaft s. Abgrenzung Vorbereitung und Ver-
- Begriff 30 1,154,163 näher s. dort Wittig-Fall 31130; 32 72 such
- Rücktritt 30 152 ff. - Garantenstellung aus Ingerenz 32 161 ff. Wohnung als Gefahrenquelle Zwischenanstifter
s. auch dort Vertrauensleute 26 154ff., 157 s. unter Garantenstellung, Herrschaft s. Kettenanstiftung
- unmittelbares Ansetzen 29 2, 97 ff. Vertreterhaftung 27 84 ff. über gefährliche Sachen
s. auch Abgrenzung Vorbereitung u. Ver- Verursachungstheorie Wortlauttheorie
such s. unter Teilnahme s. eigenhändige Delikte
- untauglicher - Verwandte
näher s. dort - Garantenstellung
- Unternehmensdelikte 29 339 ff. näher s. dort
- Vorbereitungshandlungen 29 339 ff. Vollendung der Tat 25 220 ff.; 26 156ff,
- Vorbereitungsstadium 257 ff.
s. Abgrenzung Vorbereitung u. Versuch Vollendungswille
- Vorsatz 29 61 ff. s. Anstiftervorsatz
Versuch der Beteiligung 28 lff. vorangegangenes Ihn
- Annahme eines Erbietens 28 82 ff. s. Ingerenz
- omnimodo facturus 28 83f., 87 Vorbereitung
- Rücktritt 28 88ff., 106ff. s. Abgrenzung zum Versuch
- freiwilliges u. ernsthaftes Bemühen 28 Vorbereitungsdelikte
107 ff. - Anstiftung 26 158 f.
- Freiwilligkeit 28 88; 30 354 ff. - Versuch 29 339 ff.
- Sich-Bereit-Erklären 28 74 ff. Vorbereitungsstadium
- Annahme einer Aufforderung 28 74, s. auch Abgrenzung Vorbereitung und
76 f. Versuch
- Begriff 28 74 - Beihilfe 26 256
- Duchesne-Paragraph 28 75 s. auch dort
- omnimodo facturus 28 79 - Mittäterschaft 25 201 ff.
- Rücktritt 28 98 ff. s. auch dort
- Sich-Erbieten28 74,78ff. Vorfeldirrtümer
- Strafgrund 28 5, 8 s. Wahndelikt
- Strafmilderung 28 6 Vorsatz
- Verabredung - Anstiftervorsatz
s. Verbrechensverabredung näher s. dort
- versuchte Anstiftung - Gehilfenvorsatz
näher s. dort s. Beihilfe
versuchte Anstiftung 28 9 ff. - Unterlassungsdelikte
- Abgrenzung zur versuchten mittelbaren näher s. dort
Täterschaft 28 19 - Versuch
- agent provocateur 28 16 näher s. dort
- Anstiftung zur - 28 32 Vorstufen der Beteiligung
- Beihilfe 28 33 ff. s. Versuch der Beteiligung
- besonderes persönliches Merkmal 28 25 ff. Vorverhalten, pflichtwidriges
- Bestimmtheit des Anstiftervorsatzes 28 20 s. Ingerenz

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