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Strafrechtliche Abhandlungen

Neue Folge · Band 172

Sonderwissen und Sonderfähigkeiten


in der Lehre vom Straftatbestand

Von

Mariana Sacher

asdfghjk
Duncker & Humblot · Berlin
MARIANA SACHER

Sonderwissen und Sonderfähigkeiten


in der Lehre vom Straftatbestand
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge
Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†)
em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder


ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 172
Sonderwissen und Sonderfähigkeiten
in der Lehre vom Straftatbestand

Von

Mariana Sacher

asdfghjk
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von
Professor Dr. Dr. h.c. Bernd Schünemann, München

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München


hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in


der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

D 19

Alle Rechte vorbehalten


# 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin
Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin
Printed in Germany
ISSN 0720-7271
ISBN 3-428-11782-4
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier
entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2004 von der Juristischen
Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation ange-
nommen.
Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Bernd Schünemann möchte ich von Herzen für
seine intensive und stetige wissenschaftliche Förderung am Institut danken. Er
gab mir wertvolle Anregungen, verschaffte mir Gewißheit und bleibt schlicht
Vorbild für mich.
Mein Dank gilt ferner Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Klaus Volk für die zügige
Erstellung des ermutigenden Zweitgutachtens sowie Herrn Professor Dr. Dr. h.c.
Friedrich-Christian Schroeder für die freundliche Aufnahme der Untersuchung
in diese Schriftenreihe.
Die Gelegenheit zum wissenschaftlichen Diskurs am Institut war eine mich
stützende Bereicherung. Hier ist allen voran Herr Professor Dr. Roland Hefen-
dehl zu nennen. Er war mir ein treuer Ratgeber in allen Fragen seit Beginn
meiner Tätigkeit am Institut. Die Gespräche mit Herrn Professor Dr. Lothar
Philipps und Herrn wiss. Assistent Peter Kasiske gaben mir konstruktive Anre-
gungen und Hilfestellungen. Frau Professorin Dr. Tatjana Hörnle und Herr Pro-
fessor Dr. Gunnar Duttge waren ebenfalls stets diskussionsbereit. Beim Entste-
hen der Arbeit begleiteten mich auch Herr Professor Dr. Dr. Marcelo A. Sanci-
netti und Frau Professorin Dr. Teresa Rodríguez Montañés. Ganz besonders
möchte ich der Sekretärin des Instituts, Frau Ingrid Hillebrand, danken: Sie
kümmerte sich stets um mich.
Mein Mann Dr. Stephan Beukelmann stand mir liebend zur Seite und beglei-
tete verständnisvoll diese Arbeit. Unsere Tochter Katharina setzte mir nicht nur
keine Grenzen, sondern inspirierte mich. Ihnen, meinen Geschwistern und El-
tern ist diese Dissertation gewidmet.

München, im Juni 2005 Mariana Sacher


Inhaltsverzeichnis
Einleitung und Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
§ 1 Entstehung der Frage nach den Sonderkenntnissen und Sonderfähig-
keiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
B. Adäquanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
C. Vom Schwerpunkt Vorsatzdelikt zur Entwicklung der objektiven Grund-
lagen des Fahrlässigkeitsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
§ 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens beim Vorsatz-
und beim Fahrlässigkeitsdelikt durch den Finalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
A. Hervorhebung des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
B. Untergrenzen strafbaren Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
C. Sonderwissen beim Finalismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
D. Strenge Unterscheidung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten
bereits auf der Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
E. Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
F. Die drei Untergrenzen strafbaren Verhaltens beim Finalismus: Zusam-
menfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
G. Kohärenz der Systematik: Ein Vorteil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
§ 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens beim Vorsatzde-
likt mit der Normativierung der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
A. Erforderlichkeit weiterer Untergrenzen strafbaren Verhaltens – Relevanz
beim Thema der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . 71
B. Schaffung von Handlungsfreiräumen bei der objektiven Zurechnung . . . . 72
C. Übertragung der Zurechnungskriterien der Fahrlässigkeits- auf die Vor-
satzdelikte und Gleichstellung beider Unrechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
II. Einige Erwägungen im Schrifttum zugunsten einer Gleichstellung . . 78
III. Kriminalpolitisch orientierte Bestimmung des erlaubten Risikos . . . 81
IV. Bestimmung des erlaubten Risikos durch eine Interessenabwägung
zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . 87
1. Das Kriterium der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
2. Gleichstellung der Struktur des tatbestandsmäßigen Verhaltens
beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
a) Übertragung der Fahrlässigkeitsstruktur auf das Vorsatzde-
likt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
b) Die Rolle der Kenntnisse und Absichten bei der Erlaubtheit
bzw. Unerlaubtheit der Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
10 Inhaltsverzeichnis

aa) Vorsatzdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
(1) Standardwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
(2) Sonderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
(3) Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
bb) Fahrlässigkeitsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3. Zwischenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
V. Die Handlungsfreiräume im Rahmen einer gesellschaftsfunktiona-
len Sicht des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
2. Für das Sonderwissen relevante Konsequenzen einer systembe-
zogenen Strafrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
a) Rollen und Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
bb) Rollentheorie und Sonderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
cc) Rollentheorie vs. Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
dd) Rollentheorie und tatsächliche Gesellschaftsstruktur . . . 105
b) Eine „objektive“ und „subjektive“ Seite der Straftat? . . . . . . 108
aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
bb) Die „objektive Seite“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
cc) Keine „subjektive Seite“, sondern „personale“ Zurech-
nung (i. S. von Maske oder Rolle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
c) Zurechnung gleich für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte . . 114
d) Bestimmung des erlaubten Risikos aufgrund „historischer
Legitimation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
D. Kritik aus dem Spätfinalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
I. Das Subjektive als Beurteilungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
II. Mangel des Spätfinalismus an rechtlichen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . 118
III. Differenzierung des objektiven Tatbestandes der Vorsatz- und Fahr-
lässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
E. Generalisierung beim Vorsatzdelikt und Individualisierung beim Fahrläs-
sigkeitsdelikt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
F. Differenzierung der Zurechnungskriterien für Vorsatz- und Fahrlässig-
keitsdelikte in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
I. Die zwei (gegensätzlichen) Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
II. Untergrenzen strafbaren Verhaltens höher beim Fahrlässigkeits- als
beim Vorsatzdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
III. Untergrenzen strafbaren Verhaltens niedriger beim Fahrlässigkeits-
als beim Vorsatzdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
G. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
§ 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
A. Strafrecht und Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
B. Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz 143
C. Die Interessenabwägung gegenüber der Figur des einsichtigen Menschen 153
Inhaltsverzeichnis 11

§ 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155


A. Ratio der Vorsatzstrafe, Schwererbewertung des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . 155
I. Relevanz einer Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
II. Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
III. Steuerung der Sozialschädlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
B. Interessenabwägung auch für die Zurechnung beim Vorsatzdelikt? Unter-
schiedliche Zurechnungskriterien für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte 162
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
I. Im objektiven Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
II. Im subjektiven Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
1. Bewertung der Vorsatztheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
2. Vorsatz als Sicherung der Tatherrschaft oder als rechtsgüter-
feindliche Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
a) Voraussetzungen des Vorsatzbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
aa) Bezug auf die Ratio der Vorsatzstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . 177
bb) Die reale psychische Beziehung zur Tat als Gegenstand
der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
cc) Rechtliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
(1) Wissensseite des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
(a) Sicheres Wissen, Tatherrschaft . . . . . . . . . . . . . . 179
(b) Kenntnis nur der Möglichkeit der Tatbestands-
verwirklichung und ihre Spezifizierung durch
die Wollensseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
(2) Wollensseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
b) Objektivität und Subjektivität der Vorsatzkomponenten . . . . 185
§ 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
A. Bisheriger Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
B. Die Debatte über das Sonderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
I. Belastende Wirkung des Sonderwissens nach der h. M. für Vorsatz-
wie für Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
1. Allgemeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
2. Spezielle Ansichten innerhalb der h. M.: Das rein objektive, all-
gemeine Gefahrurteil nach Frisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
3. Erwägungen zur h. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
a) Zwischenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
b) Die aus der h. M. entstandene Kategorie des Sonderwissens
– Nebenfragen zur Unrechtsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
II. Die Gegenansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
1. Gegen eine stets belastende Wirkung des Sonderwissens (Ja-
kobs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
2. Annahme einer belastenden Wirkung des Sonderwissens, aber
nicht als „Zusatzelement“ des objektiven Tatbestandes . . . . . . . . 196
a) Gegen eine ex ante-Beurteilung (Burkhardt, Roth) . . . . . . . . . 196
12 Inhaltsverzeichnis

aa) Ex post-Perspektive im objektiven Tatbestand . . . . . . . . . 196


bb) Außerachtlassung der inneren Sorgfalt im subjektiven
Tatbestand – Berücksichtigung der Tätervorstellungen . . 198
cc) Kritik der ex post-Risikobeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
b) Gegen die Objektivität des Beurteilungsgegenstands; für
eine Täterperspektive als Wissensbasis – Zugleich Debatte
mit der h. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
aa) Annahme der Täterperspektive aus sachlogischen Grün-
den (Spätfinalismus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
bb) Debatte mit der herrschenden Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
cc) Annahme der Täterperspektive aus normativen Grün-
den . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
(1) Täterperspektive aus generalpräventiven Gründen
(Schünemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
(2) Täterperspektive aufgrund der Interessen der
Normbildung und Norminternalisierung (Burk-
hardt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
(3) Täterperspektive als Ausgangssituation der Verhal-
tensregel (Puppe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
(4) Täterperspektive aufgrund der Bestimmungsfunk-
tion der Normen (Zielinski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
dd) Zwischenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
c) Gegen die Allgemeinheit der Fahrlässigkeitsnormen (indi-
vidualisierende Fahrlässigkeitslehre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
bb) Einzelne Argumente der individualisierenden Lehre und
Einwände der h. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
(1) Argument der Motivierungsfunktion der Verhaltens-
norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
(2) Argument des Unterschiedes vom „instrumentel-
len“ und „sittlichen“ Können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
(3) Argument der Analogie zu den Unterlassungsdelik-
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
(4) Argument des von der h. M. bereits angenommenen
individuellen Maßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
cc) Allgemeine Einwände gegen die individualisierende
Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
(1) Nichteinhaltung der Trennung von Unrecht und
Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
(2) Generalisierung aufgrund der Generalprävention
und des Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
(3) Rückkehr zu einem objektiven Maßstab durch den
Rückgriff auf die Übernahmefahrlässigkeit und das
erlaubte Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Inhaltsverzeichnis 13

(4) Kollision mit dem Maßregelrecht, Regeln der Not-


wehr und Vollrauschtatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
dd) Neue Tendenzen der individualisierenden Lehre . . . . . . . 237
d) Objektivierung der Fahrlässigkeit bis in die Schuld? . . . . . . . 240
e) Fazit: Rechtlich bedingte Berücksichtigung des individuel-
len Wissens und Könnens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
C. Sonderwissen als Zeichen der Ungleichheit beider Deliktsformen . . . . . . . 243
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz . . . . . . . . . . . . . . 244
I. Tatherrschaft kraft sicheren Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
II. Schaffung einer Gefahr mit unsicherem Wissen, aber mit einer
rechtsgüterfeindlichen Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
III. Sorgfaltswidrigkeit bzw. Schaffung einer unerlaubten Gefahr . . . . . . 247
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
2. Schaffung einer Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
a) Bewußte Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
b) Unbewußte Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
aa) Erforderliche Sorgfalt und Kenntnisverschaffungs-
pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
bb) Unergiebigkeit der Tätervorstellungen als Beurteilungs-
basis bei Verletzung der Kenntnisverschaffungspflich-
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
cc) Berücksichtigung der Tätervorstellungen . . . . . . . . . . . . . 255
dd) Rechtliche Relevanz unbewußter Fahrlässigkeit . . . . . . . 256
3. Unerlaubtheit der geschaffenen Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
E. Ergebnis: Relevanz des Sonderwissens beim Vorsatz- und Fahrlässig-
keitsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
I. Vorsatzdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
II. Fahrlässigkeitsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
F. Die sekundäre Frage der Unrechtssystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
G. Einsatz von Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
I. Die Debatte über die Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
1. Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
2. Für eine entlastende Wirkung des fehlenden Einsatzes von Son-
derfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
3. Für eine belastende Wirkung der Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . . 267
4. Differenzierende Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
a) Differenzierung nach der Konkretheit des Verletzungsrisi-
kos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
b) Differenzierung nach Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
c) Differenzierung nach dem Bewußtsein oder Unbewußtsein
des Nichteinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
d) Differenzierung nach gesellschaftlich in Kauf genommenen
Risiken bzw. nach Kreierung neuer Sorgfaltsmaßstäbe durch
Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
14 Inhaltsverzeichnis

II. Entstehung von Sorgfaltsregeln für die Allgemeinheit aus den Son-
derfähigkeiten des einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
III. Sonderfähigkeiten des einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
§ 7 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
A. Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
B. Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
I. Sonderwissen als materielles, nicht nur systematisches Problem . . . 277
II. Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
III. Besonderheiten beim Vorsatzdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
IV. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz . . . . . . . . . 280
1. Einstellung gegenüber der Rechtsgutsverletzung beim dolus
eventualis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
2. Sorgfaltswidrigkeit bei der Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
V. Relevanz des Sonderwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
VI. Die sekundäre Frage der Unrechtssystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
VII. Ablehnung anderer Zurechnungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
VIII. Sonderfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
Einleitung und Problemdarstellung
Die Problematik der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten des Täters über
Umstände des objektiven Straftatbestandes bzw. zur Erfolgsvermeidung wurde
vor allem ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bezüglich der Fahrlässig-
keitsdelikte in der deutschen Literatur ausführlich debattiert und erörtert. Aller-
dings waren diese Begriffe und das Problem selbst bereits mit der Entstehung
des Adäquanzprinzips als objektives Kriterium strafbaren Verhaltens im 19.
Jahrhundert bekannt. Damals hatte man nämlich auf die allgemeine Lebenser-
fahrung vom Standpunkt eines einsichtigen Menschen zurückgegriffen, um die
strafrechtliche Relevanz der Kausalfaktoren zu beurteilen. Die objektive Maß-
figur war mit etwaigen Sonderkenntnissen des Täters zu ergänzen, so daß die
rein subjektiven Merkmale neben dem objektiven Maßstab der für maßgebend
erklärten Modellperson bzw. die allgemeinen Erfahrungsregeln in die objektive
Adäquanzformel eingefügt wurden. Die Sonderkenntnisse und Sonderfähigkei-
ten bekamen aber erst später eine besondere Relevanz für die Verbrechenslehre,
und zwar mit der Annahme der h. M. eines generell-objektiven Sorgfaltsmaß-
stabs für die Fahrlässigkeitsdelikte, der prinzipiell für alle Normadressaten glei-
chermaßen anzuwenden sein soll.1 Spezielle Sorgfaltsregeln für Subjekte, die
entweder besondere Kenntnisse über die Tatumstände oder eine größere Befähi-
gung zur Vermeidung des Erfolges haben, mußten danach allmählich die Aus-

1 Vgl. u. a. Bockelmann/Volk, Strafrecht AT, § 20 B I 2 und 3; Burgstaller, Das

Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 32 ff., 56; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforder-


liche Sorgfalt, S. 193 ff., 125 ff. (für das Privatrecht); Donatsch, Sorgfaltsbemessung
und Erfolg beim Fahrlässigkeitsdelikt, S. 59; Engisch, Untersuchungen, S. 283 ff.,
334 ff.; Haft, Strafrecht AT, S. 166 f.; Herzberg, z. B. in: Die Verantwortung für Ar-
beitsschutz, S. 166 ff.; ders., GA 2001, 569 und passim; Hirsch, ZStW 94 (1982),
266 ff.; LK-ders., vor § 32, Rdn. 32; ders., Festschrift für Lampe, S. 525; Jescheck/
Weigend, Lehrbuch, § 54 I 3 und 4, § 55 I, § 57 II; Kaminski, Der objektive Maßstab,
S. 102 ff., 129 ff., 148; Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 51; ders., Festschrift für Wel-
zel, S. 408; Köhler, Strafrecht AT, S. 183 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 17, Rdn. 14 ff.,
22 ff.; Kuhlen, Fragen, S. 85 f., 101 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 15, Rdn. 36, 38; Ro-
xin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 50 ff. (nach „unten“ generalisieren, nach „oben“ indi-
vidualisieren; genau das tut auch die h. M.); Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lie-
ben, StGB, § 15, Rdn. 118 f., 121, 180 f.; Schünemann, JA 1975, 435 ff., 512 ff.,
575 ff.; ders., Festschrift für Schaffstein, S. 163 ff. (anders aber in GA 1999, Über die
objektive Zurechnung, 217, Fn. 42); Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 130 ff., 175;
ders., Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 17 ff., 24 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht
AT, Rdn. 658, 664, 667 ff., 692. In Spanien z. B. Mir Puig, Función de la pena, Barce-
lona, S. 78; ders., Derecho Penal, PG, Barcelona, § 11, Rdn. 35, ferner Rdn. 40 ff.,
48; Cerezo Mir, Curso de Derecho penal español, PG II, Madrid, S. 160 ff.
16 Einleitung und Problemdarstellung

nahme bilden. Die Fahrlässigkeit wird nämlich seitdem von der heute überwie-
genden Ansicht als das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
definiert,2 und die „objektive Sorgfaltspflichtverletzung“ gilt mit unterschiedli-
chen Nuancen, sei es neben der Erkennbarkeit der Gefahr oder/und des erlaub-
ten Risikos,3 als Kriterium zur inhaltlichen Ausfüllung des Fahrlässigkeitsbe-
griffs. Die herkömmliche Fahrlässigkeitslehre hat sich also für den generellen
Sorgfaltsmaßstab entschieden, wobei die Komponenten der Fahrlässigkeit frei-
lich verschieden gewichtet und unterschiedlich zueinander in Beziehung gestellt
werden. Ferner gilt die Bezugsperson des einsichtigen,4 vernünftigen,5 ordent-
lichen, besonnenen und gewissenhaften6 oder durchschnittlichen7 Angehörigen
des jeweiligen Verkehrskreises in der konkreten Lage und der sozialen Rolle
des Betreffenden8 nach der herrschenden Lehre und Rechtsprechung als Orien-
tierung für die Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit. Danach würden den Fahr-
lässigkeitstatbestand alle diejenigen und nur diejenigen Normadressaten erfül-
len, die gegen diese generellen Sorgfaltsanforderungen verstoßen.

2 Aus § 276 I 2 BGB vom Strafrecht übernommen, vgl. nur Jescheck/Weigend,

Lehrbuch, § 55 I 1; Kühl, Strafrecht AT, § 17, Rdn. 5 f.


3 Vgl. z. B. Kühl, Strafrecht AT, § 17, Rdn. 19, 25; Schönke/Schröder/Cramer/

Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 125, 127, 144 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch,
§ 54 I 4, § 56 III. Für Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 10 ff., ferner Wolter, GA
1977, 267; Jakobs, Strafrecht AT, 9/7; Yamanaka, ZStW 102 (1990), 944, genügt die
objektive Zurechnung. Einige Autoren verlangen wiederum anstatt der objektiven
Sorgfaltspflichtverletzung nur die Erkennbarkeit: Schroeder, JZ 1989, 776 ff.; LK-
ders., § 16, Rdn. 125 ff., 157 ff.; Wolter, GA 1977, 267 f.; Maurach/Zipf, Strafrecht
AT II, § 43, Rdn. 19; Schmidhäuser, Festschrift für Schaffstein, S. 131 ff.; Jakobs, Stu-
dien, S. 59 ff., 64 ff., 83 ff.; ders., Strafrecht AT, 9/2, 6 ff.; MünchKommStGB/
Duttge, § 15, Rdn. 106 ff.; Weigend, Festschrift für Gössel, S. 134. Allerdings ist der
Erfolgseintritt auch beim erlaubten Risiko meistens vorauszusehen, deshalb greifen ei-
nige Vertreter des Kriteriums der Erkennbarkeit der Gefahr ausdrücklich auf die Figur
des erlaubten Risikos (bzw. Duttge auf ein Veranlassungsmoment, a. a. O., Rdn. 112,
120 ff.; ders., Fahrlässigkeitsdelikte, S. 356 f.; Weigend, a. a. O., S. 135 f., auf einen
situativen, erkennbaren Anlaß, in Anschluß an Duttge) zurück, weil das Kriterium zur
Haftungsbegründung und -begrenzung nicht ausreicht. Kritisch z. B. Schünemann, GA
1985, 359; Burkhardt, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 122 ff.; und hier infra,
§ 6 D III 1; als unzureichendes, aber notwendiges Basiskriterium der Fahrlässigkeit:
MünchKommStGB/Duttge, § 15, Rdn. 108 f. Vgl. die Darstellung bei Kaminski, Der
objektive Maßstab, S. 20 ff. und die weiteren Nachweise bei Kühl, Strafrecht AT,
§ 17, Rdn. 14 ff.
4 Jescheck/Weigend, § 54 I 3.
5 Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 247 ff.
6 RGZ 126, 329, 331; BGHSt 7, 307, 309 f.; 16, 145, 161; 20, 315, 321; BGH

NStZ 91, 30.


7 BGH LM in NJW 1976, 1504.
8 Vgl. z. B. Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 54 I 3. Vgl. ferner die Präzisierungen

von Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 51; Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Straf-
recht, S. 57; Herzberg, Die Verantwortung für Arbeitsschutz, S. 167: „Eine Hausfrau,
die bei einer geheimgehaltenen Geburt Entbindungshilfe leistet, hat »Hebammen-«
und nicht nur »Hausfrauensorgfalt« zu leisten.“
Einleitung und Problemdarstellung 17

Allerdings würde die Annahme eines generell-objektiven Sorgfaltsmaßstabs


nach der herkömmlichen Auffassung die Differenzierung bei ihrer Anwendung
in den unterschiedlichen Verkehrskreisen nicht verhindern. Damit würde man
nicht an Generalität und Objektivität verlieren. So wird eine Anpassung des
Sorgfaltsmaßstabes für nahezu alle Berufsgruppen vorgenommen, z. B. Arzt,
Chefarzt, Fernlastfahrer,9 „gewöhnlicher Kraftfahrer“, Rennfahrer, Kleinkauf-
mann und Vorstandsdirektor einer AG.10 Bei den sich dadurch ergebenden
strengeren Sorgfaltspflichten handelt es sich dann nicht um individuelle Pflich-
ten, sondern um standardisierte Sorgfaltsregeln, die auf alle Angehörigen des
entsprechenden Verkehrskreises anwendbar wären. Die Maßfigur des einsichti-
gen Menschen würde also damit eine Ausdifferenzierung nach Bereichen
gemäß der Kompliziertheit der gesellschaftlichen Aufteilung der Aktivitäten er-
fahren.
Das Abstellen auf den Maßstab eines einsichtigen Menschen ist allerdings
nicht unumstritten. Diese Figur wird als ominös11 bezeichnet und wegen der
Schwierigkeiten bei der Abgrenzung in Verkehrskreisen12 und der Unbestimmt-
heit der aus einer solchen Figur entstehenden Sorgfaltsregeln kritisiert.13 Die
Möglichkeit der Annahme eines wirklichkeitsbezogeneren Kriteriums, wie die
Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtgüterschutz, wird in
§ 4 C behandelt.
Die Fahrlässigkeit ist somit für die h. M. im Tatbestandsbereich allein nach
einem generellen Maßstab, prinzipiell ohne Berücksichtigung der individuellen
Fähigkeiten und Kenntnisse des Täters zur Normbefolgung zu bestimmen. Bei
diesem allgemeinen Prinzip geht man also von einem Normalfall aus, bei dem
die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Täters dem Maßstab der soge-
nannten „differenzierten Maßfigur“14 entsprechen. Im konkreten Fall können
aber die Fähigkeiten oder Kenntnisse, den tatbestandlichen Erfolg zu vermei-
den, geringer oder größer sein, als es die generellen Anforderungen bestimmen.
Bei einem größeren Leistungsvermögen stehen wir vor der Frage nach den Son-
derkenntnissen und Sonderfähigkeiten. Die unterdurchschnittlichen Fähigkeiten
stellen aber auch ein Problem für den generellen Sorgfaltsmaßstab dar. Als Bei-
spiel für geringere Fähigkeiten als die differenzierte Maßfigur dient der Fall des
Chirurgen oder des Autofahrers, die aufgrund fehlender geistiger bzw. körper-

9 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 17, Rdn. 26; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 54 I 3,

Fn. 15 m. w. N.
10 Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 57; Roxin, Strafrecht AT I,

§ 24, Rdn. 56; vgl. weitere Beispiele bei Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben,


StGB, § 15, Rdn. 135, 206 ff.; LK-Schroeder, § 16, Rdn. 195 ff.
11 Schünemann, JA 1975, 516, 575.
12 SK-Samson, Anh. zu § 16, Rdn. 13.
13 Schünemann, JA 1975, 575, vgl. auch gegen die Ansicht Samsons S. 515 f.
14 Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 54 ff.
18 Einleitung und Problemdarstellung

licher Kräfte, z. B. durch Alter, Krankheit oder Sehschwäche, oder fehlender


Kenntnisse und Erfahrungen – die sie nicht bei der Übernahme der Tätigkeit
erkennen konnten – nicht mehr fähig sind, den Regeln der ärztlichen Kunst
oder den Verkehrsregeln nachzukommen.15 Nach der h. M. richten sich die
Sorgfaltsnormen auch an diesen Adressaten mit unterdurchschnittlichen Fähig-
keiten, so daß diese danach ebenfalls tatbestandsmäßig handeln. Das individu-
elle Unvermögen des Täters, die Sorgfaltsanforderungen zu befolgen, wäre da-
mit eine Frage der Schuld. Dies bedeutet eine zweistufige Vorgehensweise: Im
objektiven Tatbestand wird die objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objekti-
ver Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung nach der differenzierten Maß-
figur und bei der Schuld die individuelle Sorgfaltspflichtverletzung oder die in-
dividuelle Vorhersehbarkeit nach der Intelligenz und Bildung des Täters, seiner
Geschicklichkeit und Befähigung, seiner Lebenserfahrung und sozialen Stellung
geprüft.16 Entspricht also die vom Täter vorgenommene Handlung nicht den
Sorgfaltsanforderungen, die ex ante an einen einsichtigen Menschen zu stellen
sind, handelt er sorgfaltswidrig und damit tatbestandsmäßig. Konnte er aber auf-
grund seiner Unterbefähigung nicht sorgfältig handeln bzw. war für ihn der Er-
folg nicht voraussehbar, handelt er schuldlos, da er von der generellen Appell-
wirkung der Norm nicht erreicht werden konnte. War es wiederum für den Tä-
ter möglich, seine geringere Fähigkeit (oder fehlende Kenntnisse!) zur
Übernahme der Tätigkeit, z. B. eine chirurgische Operation oder eine Autofahrt,
zu erkennen17 und handelte er trotzdem, ist die Übernahme sorgfaltswidrig ge-
wesen und daher tatbestandsmäßig (Übernahmefahrlässigkeit).18
Neben der Unterbefähigung stellt sich bei einem generalisierenden Fahrläs-
sigkeitsbegriff das Problem des Sonderwissens und der Sonderfähigkeiten. Die
herrschende Lehre prüft in den Fällen, in denen der Täter über spezielle Kennt-
nisse oder Fähigkeiten bezüglich der Tatumstände verfügt, ob eine Ausnahme
von den entsprechenden allgemeinen Sorgfaltsregeln in Betracht kommt. Frag-
lich ist also, ob eine Sorgfaltspflichtverletzung trotz Einhaltung der generellen

15 Vgl. z. B. Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 46; Kühl, Strafrecht AT, § 17, Rdn.

90 f.; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 196/197.


16 Vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 54 I 3; Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn.

47 m. w. N.
17 Das Schrifttum fordert die Erkennbarkeit der Unfähigkeit, um die Schuld zu be-

jahen, während die Rechtsprechung dies nicht ausdrücklich verlangt, vgl. Jescheck/
Weigend, Lehrbuch, § 57 II 3 m. w. N.
18 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 34, 36, 47; Jescheck/Weigend, Lehr-

buch, § 55 I 3 a, § 57 II 3; Kühl, Strafrecht AT, § 17, Rdn. 35, 91; Schönke/Schröder/


Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 136, 196–198 m. w. N.; vgl. ferner die
Ausführungen von Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 186 ff. Zur sog.
individualisierenden Fahrlässigkeitslehre, die auch bei Erkennbarkeit der Unfähigkeit
auf die Figur der Übernahmefahrlässigkeit zurückgreift vgl. Stratenwerth, Strafrecht
AT I, § 15, Rdn. 22 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 9/14; Freund, Strafrecht AT, § 5, Rdn.
40 und infra, § 6 B II 2 c) cc) (1) und (3) (a).
Einleitung und Problemdarstellung 19

Sorgfaltsregeln ausnahmsweise anzunehmen wäre. Folgende Beispiele erläutern


das Problem bei Sonderkenntnissen: Gibt z. B. der Lehrer dem Schüler eine
Ohrfeige, verursacht diese Verhaltensweise normalerweise nicht den Tod, des-
halb würde man beim Todeseintritt eine fahrlässige Tötung seitens des Lehrers
verneinen. Weiß aber der Lehrer, daß der Schüler ein Bluter ist, könnte die
Sorgfaltswidrigkeit eines solchen Verhaltens bejaht werden.19 Die gleiche Frage
stellt sich beim Kraftfahrer, der ausnahmsweise um die den anderen Verkehrs-
teilnehmern nicht erkennbare Gefährlichkeit einer Kreuzung weiß und trotzdem
in die Kreuzung ohne die erforderliche Geschwindigkeitsverringerung ein-
fährt.20 Ferner braucht ein Kraftfahrer im Regelfall nicht damit zu rechnen, daß
Schulkinder auf die Straße treten. Weiß er aber, daß sie dies aus einem Gebäude
zu einer bestimmten Zeit machen werden, würde er sorgfaltswidrig handeln,
wenn er die Geschwindigkeit nicht verringert und nicht bremsbereit ist.21
Die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen bzw. die Durchschnittsmaßstäbe
können nicht nur bei Sonderwissen, sondern auch bei Sonderfähigkeiten des
Täters in Frage gestellt werden. Besitzt der Täter größere Fähigkeiten als die
differenzierte Maßfigur, ist es nämlich fraglich, ob er sie einsetzen müßte. Als
Beispiel dient der Fall des Spitzenchirurgen, der eine bessere Operationstechnik
beherrscht und von seinen Fähigkeiten zur Vermeidung des Todes seines Patien-
ten Gebrauch machen könnte.22 Fraglich ist, ob er sorgfaltswidrig handelt, wenn
er nur die Fähigkeiten eines Normalchirurgen einsetzt. Als zweite Fallkonstella-
tion wird in der Regel der Rallyefahrer- bzw. Berufsrennfahrerfall genannt,23
der durch Einsatz seiner überdurchschnittlichen Fahrkünste einen Straßenver-
kehrsunfall vermeiden könnte, und trotzdem die speziellen Ausweichmanöver,
die er beherrscht, nicht unternimmt. Beide Beispiele werden von der herrschen-
den Meinung meistens gleich behandelt und zwar wird die Sorgfaltswidrigkeit
verneint, so daß der fehlende Einsatz von Sonderfähigkeiten den Handelnden
nicht belasten.24 Demgegenüber werden von der Gegenmeinung Differenzierun-

19 BGHSt 14, 52, 54.


20 OLG Braunschweig VRS 13, 286; vgl. bereits Kammerhofer, ZfRV 1961, 149,
Fn. 25.
21 Beispiel von Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 55 I 2 b; ähnliches Beispiel bei

Oehler, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 245; vgl. ferner Burgstaller, Das Fahrlässig-
keitsdelikt im Strafrecht, S. 65 f.
22 Vgl. z. B. Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 14; Lesch, Der Verbrechens-

begriff, S. 253 (beide aus der Sicht der sogenannten individualisierenden Fahrlässig-
keitslehre); Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 66; Schünemann, JA
1975, 513; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 138;
Hirsch, ZStW 94 (1982), 275.
23 Vgl. z. B. Geilen, Strafrecht AT, S. 219; SK-Samson, Anh. zu § 16, Rdn. 11.
24 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 135; ders., Das Neue Bild des Strafrechtssy-

stems, S. 31; Bockelmann/Volk, Strafrecht AT, § 20 B I 4 b dd; Burgstaller, Das Fahr-


lässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 66 f.; Triffterer, Festschrift für Bockelmann, S. 211;
Hirsch, ZStW 94 (1982), 275; Herzberg, Die Verantwortung für Arbeitsschutz, S. 168,
20 Einleitung und Problemdarstellung

gen vorgenommen, so daß den Sonderfähigkeiten eine belastende Wirkung für


den Handelnden unter speziellen Umständen zugeschrieben wird oder von eini-
gen Autoren sogar stets als belastend angesehen werden.25 Dazu käme aber
auch eine später näher zu behandelnde Differenzierungsmöglichkeit in Betracht,
nämlich danach, ob der Täter im Rahmen einer erhöhten Verantwortlichkeit für
das Risiko handelt oder ob er sich in seiner Freizeit befindet und deshalb u. U.
nicht die Pflicht hat, all sein Konzentrationsvermögen und die gespannteste
Aufmerksamkeit einzusetzen.
Unabhängig von solchen Differenzierungen stellt sich bei den erwähnten
Fallkonstellationen die Frage, ob die allgemeinen Sorgfaltsanforderungen über-
haupt anwendbar sind oder ob für sie speziellere, strengere Sorgfaltspflichten
entsprechend der speziellen Täterkenntnisse bzw. -fähigkeiten gelten. Die Aus-
arbeitung dieses Problems ist einer der Gegenstände dieser Untersuchung, und
wird vor allem in § 6 behandelt.
Eine im Vordringen befindliche Ansicht (die sogenannte Theorie von der in-
dividuellen Sorgfaltswidrigkeit)26 berücksichtigt das individuelle Leistungsver-

170 (= es wäre dem Täter nicht nachzuweisen); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 54 I


3; Haft, Strafrecht AT, S. 167; Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 87; LK-Schroeder,
§ 16, Rdn. 147 f.; siehe weitere ältere Nachweise in Schönke/Schröder/Cramer/Stern-
berg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 141, der allerdings für eine belastende Wirkung der
Sonderfähigkeiten ist.
25 Differenzierend aus der Perspektive der individualisierenden Fahrlässigkeitslehre

vgl. Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 300 f.; ders., Strafrecht AT I, § 15, Rdn.
13 ff.; Jakobs, Teheran-Beiheft zur ZStW 86 (1974), 20 f., Fn. 45; ders., Gedächtnis-
schrift für Armin Kaufmann, S. 283 ff.; ders., Strafrecht AT, 9/11, 13; 7/50; 15/12;
ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 96 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 10, Rdn.
14 ff.; Samson, Strafrecht I, S. 252; SK-ders., Anh. zu § 16, Rdn. 15; Zaffaroni/Ala-
gia/Slokar, Derecho Penal, PG, Buenos Aires, S. 531 f., u. a. Mit Annahme eines gene-
ralisierenden Sorgfaltsmaßstabes, auch differenzierend, Schünemann, Festschrift für
Schaffstein, S. 166 f.; ders., JA 1975, 514 f. (mit den neueren Präsizierungen seines
Ansatzes in GA 1999, 217, Fn. 42, nachdem die – objektive – Abgrenzung der verbo-
tenen von der erlaubten Risikosetzung für die Verhaltensnorm im ersten Schritt ex
ante aus der Täterperspektive zu erfolgen habe); Mir Puig, Función de la pena, Barce-
lona, S. 78 f.; ders., Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 267; ders., Derecho
Penal, PG, Barcelona, § 11, Rdn. 40 ff., 47; Cerezo Mir, Curso de Derecho penal
español, PG II, Madrid, S. 162 f. (als Unterlassungsdelikt). Auch aus der Perspektive
eines generalisierenden Sorgfaltsmaßstabes, aber für eine stetige belastende Wirkung
der mangelnden Anwendung von Sonderfähigkeiten vgl. Blei, Strafrecht I AT, S. 301;
Haft, Strafrecht AT, S. 167; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 128
(für das Privatrecht); Herzberg, Jura 1984, 410; Krey, Strafrecht AT 2, § 51, Rdn. 538
(Sonderfähigkeiten seien im Rahmen des Zumutbaren einzusetzen); Kuhlen, Fragen,
S. 85 f.; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 141; Roxin,
Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 54 f.; ferner Wieseler, Sorgfaltspflichtmaßstab, S. 125 ff.,
163 f., allerdings mit einigen Vorbehalte gegenüber der generalisierten (und auch der
individualisierenden) Fahrlässigkeitslehre. Zu diesem Thema vgl. näher infra, § 6 G I 3.
26 Vertreter dieser Theorie sind Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 285 ff.;

ders., Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 11–15; Jakobs, Studien, S. 41 ff., 48 ff., insbes.
64 ff.; ders., Teheran-Beiheft zur ZStW 86 (1974), 20 f., Fn. 45; ders., Strafrecht AT,
Einleitung und Problemdarstellung 21

mögen des Täters, den unerwünschten Erfolg zu vermeiden, bereits im Tatbe-


standsbereich. Damit wird im Ergebnis die Tatbestandsmäßigkeit des Fahrlässig-
keitsdelikts nur bei solchen Normadressaten bejaht, die genügend Kenntnisse
und Fähigkeiten haben, um die Sorgfaltspflicht unter den konkreten Umständen
zu erfüllen und den tatbestandlichen Erfolg zu vermeiden. Der Unterbefähigte
würde nach dieser Auffassung nicht fahrlässig handeln, solange er bei Über-
nahme der Tätigkeit sein niedrigeres Leistungsvermögen nicht erkennen konnte.
Andererseits wird mehr Leistung von denen verlangt, die größere Fähigkeiten
oder spezielle Kenntnisse über die Tatumstände erweisen, so daß sie bei Nicht-
einsatz von Fähigkeiten oder Wissen sorgfaltswidrig handeln könnten, während
im gleichen Fall bei einem normal befähigten Menschen solche Sorgfaltspflich-
ten nicht statuiert würden.
Da das Problem der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten nur bei der An-
nahme eines generellen Sorgfaltsmaßstabs auftaucht, ist die Entscheidung für
die herrschende Ansicht oder für die individualisierende Lehre für die hier be-
handelte Thematik maßgeblich und vorgreiflich. Ohne noch zum Begründungs-
und Kritikrahmen zu kommen, sondern nur zur Verdeutlichung der Debatte, ist
darauf hinzuweisen, daß die Unterschiede zwischen beiden Ansichten vor allem
darin liegen, an wen sich die Sorgfaltsregeln und damit die Norm des Fahrläs-
sigkeitsdelikts wenden. Während der Adressatenkreis nach der individualisieren-
den Lehre auf die zur Normbefolgung Befähigten reduziert ist, so daß sich die
Sorgfaltsnormen damit nicht an den Rest der Subjekte richten würden, sieht die
generalisierende Lehre die Sorgfaltspflichten als an alle Menschen gerichtet und
prüft die individuelle Fähigkeit zur Vermeidung des tatbestandlichen Erfolges
erst im Schuldbereich. Damit würden sich die allgemeinen Sorgfaltsnormen an
jedermann richten; jedoch würden die Unterbefähigten ohne Schuld handeln.
Bei überdurchschnittlichen Leistungsmöglichkeiten werden nach dieser Lehre
im Tatbestandsbereich wiederum Ausnahmen von generellen Sorgfaltsregeln ge-

9/6 ff.; SK-Samson, Anh. zu § 16, Rdn. 13 ff.; Otto, JuS 1974, 707 f.; ders., Grund-
kurs Strafrecht, § 10, Rdn. 13 ff.; ders., Gedächtnisschrift für Schlüchter, S. 89 f.; Ca-
staldo, Objektive Zurechnung und Maßstab der Sorgfaltswidrigkeit, S. 65 ff.; ders.,
GA 1993, 495 ff.; Gössel, Festschrift für Bruns, S. 49 ff.; ders., Festschrift für Bengl,
S. 35 ff.; Kindhäuser, ZStW 96 (1984), 19; ders., GA 1994, 212 f.; Renzikowski, Re-
striktiver Täterbegriff, S. 241 ff.; Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 194;
Gropp, Strafrecht AT, § 12, Rdn. 82 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen,
S. 56 ff.; ders., Strafrecht AT, § 5, Rdn. 22 ff., 29; Kremer-Bax, Das personale Ver-
haltensunrecht bei der Fahrlässigkeit, S. 59 ff., 65 ff., 100 ff.; Lesch, Der Verbre-
chensbegriff, S. 251 ff.; Mitsch, JuS 2001, 108; Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 353,
490 f., 493; MünchKommStGB/ders., § 15, Rdn. 94 ff., 99; Weigend, Festschrift für
Gössel, S. 134 f., 138 f.; zur Rechtsprechung vgl. BayObLG NJW 1998, 3580 f.;
BGH NStZ 2001, 478. In der spanischen Literatur: Zugaldía Espinar, ADPCP 1984,
Madrid, S. 328 ff.; E. Bacigalupo, Principios, PG, Madrid, S. 240 ff.; Silva Sánchez,
El delito de omisión, Barcelona, S. 215; Robles Planas, La participación en el delito,
Madrid, S. 209; Feijóo Sánchez, Resultado lesivo e imprudencia, Granada, S. 255,
u. a.
22 Einleitung und Problemdarstellung

macht. In den praktischen Ergebnissen für die konkreten Fallkonstellationen


sind beide Lehren gleichwohl nicht so weit auseinander: Die h. M. verwendet
einen generellen Maßstab, der aber durch die Bildung spezieller Verkehrskreise
relativiert wird, obwohl es sich immer noch um Standardregeln handelt.27 Zu-
gleich machen die meisten Autoren eine Ausnahme bei Sonderwissen28 und
einige bei Sonderfähigkeiten.29 Andererseits verwendet die individualisierende
Lehre einen individuellen Maßstab, setzt aber gelegentlich objektive Maßstäbe
wie das erlaubte Risiko bei Sonderwissen und Sonderfähigkeiten30 und macht
eine Ausnahme bei Unterbefähigung durch die Figur der Übernahmefahrlässig-
keit.31 Neuere Tendenzen behaupten, es handele sich hier nicht um eine Genera-
lisierung des Maßstabes (und damit um keine Ausnahme), sondern gerade um
eine Individualisierung, „indem danach gefragt wird, ob von dem Betreffenden
nach seinen individuellen Verhältnissen von Rechts wegen zu erwarten war, daß
er das spätere Geschehen vermeidet“.32
Im Ergebnis besteht aber Einigkeit darüber, daß sich unterdurchschnittliche
befähigte Subjekte bei der Fahrlässigkeit, sei es wegen Tatbestandslosigkeit oder
Schuldunfähigkeit, nicht strafbar machen.33 Bezüglich der Individualisierung
„nach oben“ sind dagegen auch die praktischen Ergebnisse unterschiedlich; das
wird gesondert in § 6 behandelt.
Die Debatte besteht über den Umfang des Sorgfaltsmaßstabes, allerdings nur
bezüglich des Subjekts als Normadressat, d. h. dessen Generalisierung oder Indi-
vidualisierung. Es müssen aber weitere Elemente bei der Untersuchung des ma-
teriellen Umfangs des Sorgfaltsmaßstabs bzw. der Sorgfaltswidrigkeit berück-
sichtigt werden. Bei der Bestimmung der sorgfaltswidrigen Handlung kommt es
nicht nur darauf an, an welche Individuen sich die Sorgfaltsnormen richten bzw.
ob es unterschiedliche Sorgfaltsnormen für unterschiedliche Subjekte oder ob es
einen generellen Maßstab geben sollte. Der Umfang der Sorgfaltsnormen bedarf
daneben einer weiteren Präzisierung bezüglich seiner unteren Grenzen und den
erforderlichen Handlungsspielräumen. Sorgfaltswidrig kann nämlich nicht jedes
Verhalten sein, das die – objektiv erkennbare – Gefahr in sich birgt, ein Rechts-
gut zu verletzen. Ein gewisses Maß an Gefährdung muß bei der heutigen, zu-
nehmenden Technisierung in fast allen Bereichen des sozialen Lebens und über-
haupt bei jedem menschlichen Handeln im gesellschaftlichen Kontakt toleriert

27 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 49, 56.


28 Vgl. infra, § 6, Fn. 12 (auch teilweise für das Vorsatzdelikt).
29 Vgl. Nachweise supra, Fn. 25.
30 Vgl. z. B. Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 296, Fn. 41; ders., Strafrecht

AT I, § 15, Rdn. 13, 20; Jakobs, Teheran-Beiheft zur ZStW 86 (1974), 12 ff.; ders.,
Strafrecht AT, 9/7 und Fn. 10; SK-Samson, Anh. zu § 16, Rdn. 14, 16 ff.
31 Vgl. dazu infra, § 6 B II 2 c) cc) (3) (a).
32 Freund, Strafrecht AT, § 5, Rdn. 40.
33 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 49.
Einleitung und Problemdarstellung 23

werden. Ein allgemeines Verbot aller erkennbaren und vermeidbaren Risiko-


schaffungen für Rechtsgüter würde die Handlungsfreiheit inadäquat beschrän-
ken. Deshalb ist eine Interessenabwägung zwischen der Handlungsfreiheit und
den Bedürfnissen des Rechtsgüterschutzes erforderlich. Bei dieser Abwägung
wird die Schaffung einiger sogar sehr hohen Risiken erlaubt, ansonsten wäre
die Ausführung mancher in unserer Gesellschaft als nützlich und unabdingbar
anerkannten Aktivitäten nicht möglich. Es handelt sich dabei nicht um Grund-
satzprinzipien einer jeden Gesellschaft, da die Bedürfnisse, sozialen Werte und
Toleranzschwellen von Risiken von Zeit zu Zeit sehr unterschiedlich sein kön-
nen. So existiert z. B. heute ein Grundkonsens bezüglich der Nützlichkeit des
Straßenverkehrs, der Industrie, der Baubetriebe, bestimmter gefährlicher Berufs-
arten, bestimmter Aktivitäten im privaten Haushalt, oder einfach eine positive
Haltung bezüglich einiger gefährlicher Sportarten. Die generelle Erlaubnis gilt
allerdings nur unter Einhaltung der entsprechenden Sorgfaltsregeln, die für die
Einschränkung des Risikos auf ein noch erträgliches Maß sorgen.
Es besteht Einigkeit darüber, daß beim erlaubten Risiko (oder „Sozialadä-
quanz“) kein Unrecht der Fahrlässigkeitsdelikte vorliegt;34 umstritten ist aber,
wie diese Rechtsfigur in die Systematik eingeordnet werden sollte. Ferner sind
einige Autoren der Ansicht, daß die objektive Sorgfaltswidrigkeit neben dem
Institut des erlaubten Risikos keine eigenständige Bedeutung habe.35 Nach einer
anderen Auffassung wäre die Erkennbarkeit der Gefahr das Hauptelement der
Fahrlässigkeitsdelikte.36 Die entsprechende Debatte bedarf einer Erörterung,
falls die Bestimmung der Komponenten der Fahrlässigkeit einen Baustein für
die Präzisierung der Maßstäbe bei den Fahrlässigkeitsdelikten und die folgerich-
tige Untersuchung der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten ergibt.
Im bezeichneten Rahmen sind die Fragen der Sonderkenntnisse und Sonder-
fähigkeiten des Täters zunächst beim Fahrlässigkeitsdelikt zu behandeln. Wenn
man der h. M. folgt, wird man von einem generellen Sorgfaltsmaßstab ausgehen
müssen. Bei Sondereigenschaften des Täters wird ggf. gesondert für den kon-
kreten Fall eine Modifizierung der Untergrenze des strafbaren Verhaltens vorge-
nommen. Das für die Allgemeinheit als sorgfaltsgemäß zu beurteilende Verhal-
ten wird für diesen konkreten Normadressaten sorgfaltswidrig. Daß die Unter-
grenzen strafbaren Verhaltens bzw. objektiver Sorgfaltsmaßstäbe im System der
h. M. bei Sondereigenschaften des Täters unterschritten werden könnten, wird
für die Fahrlässigkeitsdelikte anerkannt. Als nächste Stufe der Debatte kommt

34 Vgl. z. B. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 127,

144 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 20 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 17,
Rdn. 25; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 56 III.
35 Jakobs, Teheran-Beiheft zur ZStW 86 (1974), 20 f., Fn. 45; ders., Strafrecht AT,

9/8 ff., insbes. 9/13.


36 Vgl. supra, Fn. 3.
24 Einleitung und Problemdarstellung

in Frage, ob diese Kategorien die gleiche Rolle auch beim Vorsatzdelikt spielen.
Wird das Vorsatzdelikt gerade durch das Wissen und Wollen der Tatbestands-
verwirklichung gekennzeichnet, und geht es dabei darum, das Verhalten so indi-
viduell wie möglich zu beurteilen, welche Bedeutung kann dann der Umstand
haben, daß der Täter über die Tatumstände im konkreten Fall mehr als die All-
gemeinheit weiß oder wissen kann?
Heutzutage ist diese Frage nicht leicht zu beantworten, da die Lehre von der
objektiven Zurechnung und bereits ältere Kriterien wie die Figur des erlaubten
Risikos, die Lehre der Sozialadäquanz und die Adäquanztheorie auch beim Vor-
satzdelikt untere haftungsbegrenzende objektive Kriterien etablieren, unter de-
nen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht in Betracht kommt. Fraglich
ist, ob dies ebenso gilt, wenn der Täter spezielle Kenntnisse über die Tat-
umstände hat und/oder sich den tatbestandlichen Erfolg gewünscht hatte. Die
Figur des erlaubten Risikos galt ursprünglich nur für die Fahrlässigkeitsdelikte
bzw. sie wurde nur für diese Art von Delikten entwickelt. Daß die Schaffung
einiger maßvoller Risiken durch unvorsätzliches Verhalten erlaubt sein sollte,
war schon damals eindeutig: Das Verbot aller denkbaren Risikoschaffungen
würde das gesamte Sozialleben verhindern, da sonst z. B. Industrie, Straßenver-
kehr und die Ausübung bestimmter gefährlicher Sportarten nicht möglich wä-
ren. Von einem etwaig erlaubten Risiko war dagegen bei vorhandenem Verwirk-
lichungswillen (= Vorsatz) nicht die Rede: Was konnte daran erlaubt sein, wenn
der Täter wußte und wollte, daß er ein Rechtsgut durch seine Handlung verlet-
zen würde? Die Problematik der Sonderkenntnisse beim Vorsatzdelikt ist des-
halb erst durch die Übertragung der Untergrenzen strafbaren Verhaltens von
Fahrlässigkeits- zum Vorsatzdelikt entstanden: Der Täter kann im Rahmen des
erlaubten Risikos handeln, besitzt aber Sonderkenntnisse über risikoerhöhende
Tatumstände und nutzt dieses Wissen für die Verletzung des Rechtsgutsobjekts:
Dann stellt sich die Frage, ob sein Verhalten tatbestandsmäßig ist.
Vor allem die Lehre von der objektiven Zurechnung hat das Thema des er-
laubten Risikos durch das Erfordernis der Schaffung einer unerlaubten Gefahr
auch beim Vorsatzdelikt entwickelt. Als Beispiel sei der Fall genannt, in dem
der Neffe den Erbonkel zu einer Flugreise überredet in der Hoffnung, das Flug-
zeug möge abstürzen. Damit man eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung
des Erbonkels ausschließen kann, könnte man den bekannten Fall so abwan-
deln, daß der Neffe den Erbonkel zu der Flugzeugreise nötigt.37 Vollzieht sich
auf diese Weise tatsächlich der Tod des Erbonkels, ohne daß der Neffe über
gefahrerhöhende Umstände weiß, handelt es sich bei der Flugreise um ein er-

37 Vgl. dazu Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 43; Schünemann, Chengchi Law

Review 50 (1994), 294; ders., GA 1999, 220. Otto, Festschrift für Maurach, S. 99 f.,
entscheidet sich für die Straflosigkeit im berühmten Gewitterfall nicht aufgrund des
fehlenden Risikos, sondern wegen der „freien Entscheidung“ des Opfers, „die offen-
sichtliche Gefahr auf sich zu nehmen“.
Einleitung und Problemdarstellung 25

laubtes Risiko, weshalb das Verhalten des Neffen nicht strafbar ist. Statistisch
gesehen ist es zwar nicht gänzlich unwahrscheinlich, daß ein solcher Unfall ge-
schieht; wegen der Nützlichkeit des Flugverkehrs wird aber dieses Risiko ak-
zeptiert, und sogar die Nötigung eines anderen, diese Gefahr einzugehen, ist
deshalb beim Todeserfolg nicht als Totschlag strafbar.
Mit der Frage, ob die Figur des erlaubten Risikos beim Vorsatzdelikt eine
Rolle spielen kann, scheint man sich in jüngster Zeit besonders zu beschäftigen.
Der allgemeine Grundsatz der Lehre von der objektiven Zurechnung bleibt aber
unverändert: Der Schutz von Rechtsgütern kann sich nach dieser Auffassung
nicht auf alle Handlungsspielräume erstrecken, in denen ein riskantes Verhalten
ausgeübt wird, und ihre Kriterien gelten gleichermaßen für Fahrlässigkeits- wie
für Vorsatzdelikte.38 Eine solche pauschale Gleichstellung der Zurechnungskri-
terien bedarf allerdings einer genaueren Überprüfung. Fraglich ist, ob eine In-
teressenabwägung zwischen Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit auch auf
Vorsatzdelikte anwendbar ist und ob die Zusatzkategorie „Sonderkenntnis“ beim
Vorsatzdelikt nicht ein Zeichen dafür ist, daß der Täterwille die Beurteilung bei
der Interessenabwägung bzw. den Zurechnungskriterien beeinflussen kann.
Diese Frage bildet den Ausgangspunkt der Untersuchung in § 5 B.39 Ob über-
haupt eine solche Kosten-Nutzen-Saldierung und damit eine Risikoerlaubnis bei
vorsätzlichem Handeln bzw. bei vorhandenem Verwirklichungswillen sinnvoll
ist, zeigt sich am besten durch eine Gegenüberstellung von Vorsatz- und Fahr-
lässigkeitskonstellationen. Es handelt sich dabei um eine Art von Fällen, bei
denen das Risiko bezüglich fahrlässiger Verletzungen erlaubt ist. Fraglich wird
dann, ob das gleiche Risiko bei vorhandenem Täterwissen (oder sogar vorhan-
dener Verletzungsabsicht) genauso erlaubt ist oder ob ein Vorsatztäter sich über-
haupt nicht auf Handlungsfreiräume im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Abwä-
gung, z. B. wegen sozialnützlicher oder einfach sozialakzeptierter Aktivitäten,
berufen kann. So nötigt beispielsweise jemand einen anderen mit einer Waffe,
einen hohen Berg mitzubesteigen, um eine Wette zu gewinnen. Er weiß dabei
nicht, daß das Opfer an starker Höhenangst leidet, und fragt auch nicht danach.
Das Opfer spürt auf dem Berg Schwindelgefühle, rutscht an einer leichten
Stelle und stürzt ab, obwohl der Aufstieg für jeden normalen Menschen ohne
besondere sportliche Fähigkeiten leicht zu schaffen gewesen wäre. Der Täter ist
dann einer Nötigung schuldig, aber nicht einer fahrlässigen Tötung, da das
Bergwandern eine sozial erlaubte Sportaktivität ist. Die vorsätzliche Variante
des Falles ist wie folgt zu konstruieren: Der Täter weiß nun von der Höhen-
angst des Opfers und nötigt es, den Berg zu besteigen, damit es abrutscht und
stirbt. Hier benutzt der Täter das vorhandene (Klein-)risiko, das eine Bergwan-
derung mit einer Person mit Höhenangst in sich birgt, um einen Totschlag zu

38 Vgl. infra, § 3 C.
39 Zu dieser Fragestellung und Beispiele des Schrifttums vgl. ferner infra, § 3 F II.
26 Einleitung und Problemdarstellung

begehen. Fraglich bleibt also, ob er beim gleichen geschaffenen Maß des Risi-
kos nun wegen vorsätzlicher Tötung zu bestrafen wäre.
Nach den Grundsätzen der modernen Strafrechtsdogmatik würde es sich hier
um einen Fall handeln, bei dem man mit den Begriffen „Sonderkenntnis des
Täters“ und „erlaubtes Risiko“ konfrontiert wird, da der Täter über spezielle
Kenntnisse bzgl. des Risikos verfügte und eine prinzipiell erlaubte Aktivität wie
eine Bergwanderung benutzte, ohne dabei gegen Bergsteigerregeln verstoßen zu
haben. Es stellt sich also die Frage, ob die Zurechnungskriterien für das Vor-
satzdelikt andere als für das entsprechende Fahrlässigkeitsdelikt sind.
Nicht nur die Schaffung von Risiken, die aufgrund ihres Nutzens oder ihrer
sozialen Akzeptanz erlaubt werden, wird unterhalb der Grenze strafbaren Ver-
haltens eingeordnet. Die Fälle von abenteuerlichen Kausalverläufen, bei denen
die Chancen einer Rechtsgutsverletzung sehr niedrig sind, und ferner die Fälle,
bei denen die Figuren der Selbstgefährdung, Vertrauensprinzip, Risikoverringe-
rung, Folgeschäden und Spätschäden eine Rolle spielen, sind weitere Beispiele
vom Ausschluß des Unrechtsgehalts wegen fehlender strafrechtlicher Rele-
vanz.40 Es geht um Verhaltensweisen, die nach dem Gesetzeswortlaut tatbe-
standsmäßig sein könnten, aufgrund von Interessenabwägungen aber aus dem
Tatbestandsbereich ausgeschlossen werden; das Problem wird also im objekti-
ven Tatbestand behandelt. Die Lehre von der objektiven Zurechnung beschäftigt
sich mit der Setzung objektiver Untergrenzen strafbaren Verhaltens, d. h. mit der
Schaffung von Handlungsspielräumen. Handelte aber der Täter mit speziellen
Kenntnissen über Risikofaktoren, gelten die objektiven Untergrenzen strafbaren
Verhaltens nach der h. M. prinzipiell nicht mehr.41 Die Sonderkenntnisse werden
als Zusatzelemente im objektiven Tatbestand eingefügt, die Handlung ist damit
objektiv verboten, und der Täter ist dann wegen der Verwirklichung eines vor-
sätzlichen Delikts strafbar. Man spricht also im Allgemeinen über Sonderkennt-
nisse, wenn es um ein Verhalten geht, das prinzipiell aufgrund von objektiven
bzw. normativen Zurechnungskriterien erlaubt wäre, der Täter aber besondere
Tatumstände kennt, die das Verhalten in ein unerlaubtes umwandeln können.
Obwohl es grundsätzlich um das Täterwissen geht, bezieht man sich dabei nicht
auf den Terminus „Vorsatz“, sondern man differenziert dieses Phänomen durch
den Terminus „Sonderwissen“ oder „Sonderkenntnis“ als Komponenten der ob-
jektiven Zurechnung.
Eine Sondermeinung bildet die von Jakobs, der die Tatbestandsmäßigkeit
der Handlung auch bei vorhandenem Tätersonderwissen über erhöhte Risiko-
faktoren unter bestimmten Umständen ausschließen möchte. Besitze der Täter
die speziellen Kenntnisse aus einer anderen Rolle als derjenigen, die für die

40 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 39 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 7/

35 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, passim.


41 Vgl. dazu infra, § 6 B I.
Einleitung und Problemdarstellung 27

entsprechende Aktivität erforderlich sei, müsse er dieses Wissen nicht ein-


setzen.42
Unabhängig von dieser Art von Fällen und zurück zur von der h. M. vorge-
nommenen Eingliederung der Sonderkenntnisse im objektiven Tatbestand ent-
steht die Notwendigkeit einer Untersuchung systematischer Probleme des Zu-
satzelements „Sonderwissen“. Trotzdem ist dies nur eine sekundäre Frage, das
Wesentliche dabei ist die materielle Frage, ob das erlaubte Risiko und allge-
mein die Kriterien der objektiven Zurechnung auch für das Vorsatzdelikt an-
wendbar sind, und wenn ja, ob ihre Anwendung gleichermaßen wie bei den
Fahrlässigkeitsdelikten erfolgen soll.
Schließlich ist diese Arbeit auf das Thema der Sonderkenntnisse und Sonder-
fähigkeiten des Täters in den Fällen von Tatherrschaft begrenzt. Die mit Son-
derkenntnissen betätigte Teilnahme an einer Straftat schließt das derzeit viel be-
handelte Problem der Beihilfe durch neutrale Handlungen43 ein, die keine Akut-
heit oder Nähe zur Tatsituation aufweisen, die eine Tatherrschaft begründen
könnte. Deren vielfältige und spezielle Probleme werden in dieser Arbeit nicht
behandelt.

42 Vgl. infra, § 3 C V 2 a).


43 Vgl. dazu u. a. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 ff., 20 ff.; ders., Strafrecht AT, 24/
13 ff.; ders., GA 1996, 253 ff.; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 54 ff.;
Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 295 ff.; ders., Festschrift für Lüderssen,
S. 539 ff.; Meyer-Arndt, wistra 1989, 281 ff.; Roxin, Festschrift für Tröndle, S. 177 ff.;
LK-ders., § 27, Rdn. 17 ff.; ders., Strafrecht AT II, § 26, Rdn. 218 ff.; Hefendehl,
Jura 1992, 376 f.; Hassemer, wistra 1995, 81; Niedermair, ZStW 107 (1995), 507 ff.;
Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten als Problem mittelbarer Erfolgsverursachung;
Schild Trappe, Harmlose Gehilfenschaft?; Wohlleben, Beihilfe durch äußerlich neutrale
Handlungen; Rogat, Die Zurechnung bei der Beihilfe; Tag, JR 1997, 49 ff.; Ransiek,
wistra 1997, 41 ff.; Otto, Festschrift für Lenckner, S. 193 ff.; ders., JZ 2001, 436 ff.;
Puppe, Jura 1998, 27; NK-dies., vor § 13, Rdn. 155; Weigend, Festschrift für Nishi-
hara, S. 197 ff.; Lüderssen, Festschrift für Grünwald, S. 329 ff., Schünemann, GA
1999, 224 f.; Amelung, Festschrift für Grünwald, S. 9 ff.; Beckemper, Jura 2001,
163 ff.; Lesch, JA 2001, 986 ff.; Ambos, JA 2000, 721 ff.; ders., Völkerstrafrecht,
S. 631 ff.; Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Ver-
halten. In Spanien z. B.: López Peregrín, La complicidad en el delito, Valencia,
S. 253 ff.; Feijóo Sánchez, Límites a la participación criminal, Granada, passim;
Blanco Cordero, Límites a la participación delictiva, Granada, passim; Rueda Martín,
Revista Penal, Nr. 9, 2002, S. 122 ff.; Landa Gorostiza, La complicidad delictiva en la
actividad laboral “cotidiana”, Granada, passim; Robles Planas, La participación en el
delito, Madrid, S. 24 ff. und passim.
§ 1 Entstehung der Frage nach den Sonderkenntnissen
und Sonderfähigkeiten

A. Überblick

Die Gedankengänge in der Entwicklung der strafrechtlichen Dogmatik bezüg-


lich der Bestimmung strafbaren Verhaltens bzw. des für das Strafrecht tolerier-
ten oder unerträglichen Risikomaßstabs und der Abgrenzung zwischen relevan-
tem und nicht relevantem Risiko führten unvermeidbarerweise zu der Frage
nach den Maßstäben für die Bestimmung dieses Risikos. Neben einem Krite-
rium, das die Untersuchungen wegen seiner Allgemeinheit erleichterte und das
darin bestand, das Risiko vom Standpunkt eines durchschnittlichen, besonnenen
und einsichtigen Menschen zu bestimmen, tauchten in einigen Fallkonstellatio-
nen die Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten des Täters auf. Diese Frage
wurde zunächst einmal im Bereich der Adäquanztheorie mit der Formulierung
des Adäquanzprinzips behandelt, das beide Maßstäbe – den objektiven in der
Form eines objektiven Beobachters und den subjektiven in der Form des Son-
derwissens des Täters – einschloß. Das Problem der Sonderkenntnisse und Son-
derfähigkeiten ergab sich aber immer dann, wenn objektive Kriterien bzw.
Durchschnittsmaßstäbe für die Bestimmung des verbotenen Verhaltens gesetzt
wurden, sei es bei der Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit, sei es bei der Fest-
setzung ihrer Kehrseite: das erlaubte Risiko bzw. die Sozialadäquanz.
Dies führte zur Infragestellung bezüglich einer möglichen Systemwidrigkeit
bei der Berücksichtigung subjektiver Elemente in der objektiven Beurteilungs-
basis und letztlich zur Bezeichnung dieser Problematik als „die Verwirrung zwi-
schen dem Subjektiven und dem Objektiven“1. Die in der dogmenhistorischen
Entwicklung der Verbrechenslehre sogenannten Sonderkenntnisse und Sonderfä-
higkeiten des Täters wurden nämlich kontinuierlich als Zusatzelemente behan-
delt; sie tauchten bei verschiedenen dogmatischen Themen auf, ohne daß ihre
Bedeutung und ein Konzept für die vorsätzlichen und fahrlässigen Delikte ent-
wickelt wurde. Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten des Täters werden
heute als Besonderheiten, als Sondermerkmale im Deliktsaufbau dargestellt. Be-
sitzt der Täter ein Sonderwissen, über das die Allgemeinheit nicht verfügt, wird
dieser Umstand als ein fremdes Element in die Verbrechenslehre eingesetzt. Die

1 So die Überschrift des in Taipei publizierten Sammelbandes, vgl. Chengchi Law

Review 50 (1994).
B. Adäquanztheorie 29

Lehre von der objektiven Zurechnung hat die Zurechnung eines Erfolges in den
Mittelpunkt des Tatbestands gesetzt, grundsätzlich ohne das Subjektive einzu-
schließen. Dennoch hat man dieses „Fremdmerkmal“ in das objektive Zurech-
nungssystem eingebaut. Im Bereich der fahrlässigen Delikte sieht die h. M. wie-
derum einerseits einen rein objektiven Tatbestand, bestehend aus der Sorgfalts-
pflichtverletzung, und andererseits eine rein subjektive Schuld, bei der die
subjektive Voraussehbarkeit des Erfolges untersucht wird. Allerdings haben die
„Sondermerkmale“ in dieser Struktur wieder keinen Platz gefunden und wurden
teilweise als Notlösung in den objektiven Tatbestand bei der Sorgfaltspflichtver-
letzung eingeführt. Nach einer Mindermeinung wäre die Sorgfaltspflichtverlet-
zung und damit das Unrecht der Fahrlässigkeitsdelikte individuell zu gestalten,
so daß die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Täters ohnehin zum
Unrecht gehören würden.2 Vor diesem Hintergrund liegen eher als Unklarheiten
in der Systematik des Verbrechensaufbaus grundlegende Schwierigkeiten bei der
Bestimmung des Unrechts der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten vor.

B. Adäquanztheorie

Die Sonderkenntnisse haben im Rahmen der Entwicklung der Vorsatz- und


Fahrlässigkeitsdelikte ihre eigene Entstehungsgeschichte. Die ersten Bezugnah-
men fanden während des Positivismus mit der Entwicklung der Adäquanztheo-
rie statt. Man suchte ein haftungsbegrenzendes Prinzip für die Äquivalenztheo-
rie unabhängig von der Begrenzung durch Vorsatz und Fahrlässigkeit, vor allem
für die damalige Gestaltung der erfolgsqualifizierten Delikte,3 für die das heu-
tige Mindesterfordernis einer fahrlässigen Handlung im Gesetz nicht vorgesehen
war.4 Man strebte nicht nur nach einer Eingrenzung der strafrechtlichen Verant-
wortlichkeit, sondern auch allgemein danach, völlig unwahrscheinliche Kausal-
verläufe auszuscheiden.5
Die Entstehung der Adäquanztheorie bildet eine historische Darstellung beim
Thema der Sonderkenntnisse, da eine Polarisierung zwischen einem objektiven
Maßstab des verbotenen Verhaltens und speziellen Kenntnissen des Täters be-
reits damals in Frage kam. Diese Frage besteht bis heute fort, deshalb ist eine
kurze Darstellung der Entwicklung der Adäquanztheorie mit ihrem zweigespal-
tenen Risikomaßstab vorzunehmen.6

2 Siehe Nachweise supra, Einleitung, Fn. 26 und näher darüber infra, § 6 B II 2 c).
3 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 34; Jakobs, Strafrecht AT, 7/30.
4 Erst ab dem Jahr 1953 ist das eine Voraussetzung, vgl. § 56 StGB a. F. und § 18

StGB n. F.
5 Z. B. kommt das verletzte Opfer im Krankenhaus bei einem Brand um; der Neffe

schickt seinen Erbonkel auf eine Seereise und dabei ertrinkt er: Fall von Honig, Fest-
gabe für Frank, Bd. 1, S. 176 f., 186.
30 § 1 Entstehung der Frage nach den Sonderkenntnissen

Die Adäquanzlehre besteht grundsätzlich in der Erforschung der Umstände,


die beachtet werden müssen, wenn man die Adäquanz oder Inadäquanz einer
Handlung für die Verursachung eines Erfolges beurteilt. Sie wurde von dem
Physiologen v. Kries7 begründet und entwickelte sich bis zu ihrer heutigen Ge-
stalt unter der Formel von Traeger.8
Die These v. Kries bestand darin, daß die für die strafrechtliche Subsumption
in Betracht zu ziehenden Umstände nur solche wären, die für den Täter bekannt
oder zumindest erkennbar waren. Dabei setzte er voraus, daß für einen fiktiven
Menschen als Besitzer von vollständigen ontologischen (der Taten) und nomolo-
gischen (über die Gesetze in Beziehung mit einer Tat) Kenntnissen nur der Kau-
salzusammenhang der Notwendigkeit oder Unmöglichkeit vorliegen könne. Die
bloße Möglichkeit, daß ein Geschehen stattfände, würde für diesen fiktiven
Menschen nicht existieren. Trotzdem besäßen die Menschen diese Eigenschaf-
ten in der Wirklichkeit nicht, sondern sie könnten wegen ihrer begrenzten Wis-
sensfähigkeiten nur einen Teil der Umstände der Außenwelt wahrnehmen. Den
Menschen sei es nur möglich, eine lückenhafte subjektive Prognose zu stellen.
Diese Prognose sei das Gefahrurteil.9
Deshalb sei die Gefahr nicht etwas vorhandenes, sondern nur ein subjektives
Urteil, das sich aus dem Informationsmangel des Menschen ergäbe. Und auf der
anderen Seite gäbe es keine möglichen, sondern nur notwendige Zusammen-
hänge in der Außenwelt. Da v. Kries von einer „objektiven“ Auffassung der
Welt ausging, waren die Kenntnisse der Menschen „subjektiv“. Aus diesem
Grund wurde seine Theorie „subjektiv“ genannt.
Zugleich behauptete v. Kries, daß man auch ein objektives Möglichkeitsurteil
abgeben könne, daß das allgemeine Erfahrungswissen einschließe. Ein verur-
sachter Erfolg wäre also einem rechtswidrigen Verhalten zuzurechnen, wenn er
in einem solchen generellen Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Verhalten
stehen würde, daß es, gemäß den allgemeinen Verhältnissen der menschlichen

6 Vgl. ferner die ausführliche Darstellung bei Gimbernat Ordeig, Delitos cualifica-

dos por el resultado y causalidad, Madrid, S. 19 ff.


7 v. Kries, VJSch. f. wiss. Phil. 12 (1888), 179 ff.; ders., Über die Begriffe der

Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit und ihre Bedeutung im Strafrecht, ZStW 9


(1889), 528 ff. Es ist aber umstritten, wer als erstes das Adäquanzprinzip formulierte.
v. Bar, Die Lehre vom Causalzusammenhänge, S. 5 ff. deutete das Adäquanzprinzip
an; eine Anerkennung als Theorie hat es aber erst erfahren durch die Weiterentwick-
lung dieser Idee durch den Physiologen v. Kries, vgl. dazu Frisch, Tatbestandsmäßiges
Verhalten, S. 16, Fn. 39. Für eine Begründung der Lehre durch v. Bar: v. Kries selbst,
VJSchr. f. wiss. Phil. 12 (1888), 239 f.; Mezger, Strafrecht, S. 118; Lorenz, Der Maß-
stab des einsichtigen Menschen, S. 11; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 82, Fn.
55. Die neuesten Ansichten ordnen die Adäquanztheorie v. Kries zu, vgl. u. a. Je-
scheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 III 2; Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 34.
8 Traeger, Kausalbegriff, S. 118 ff.
9 v. Kries, VJSchr. f. wiss. Phil. 12 (1888), 180 ff.; ders., Die Prinzipien der Wahr-

scheinlichkeitszurechnung, S. 260; ders., ZStW 9 (1889), 529.


B. Adäquanztheorie 31

Gesellschaft, generell geeignet wäre, derartige Verletzungen herbeizuführen. Der


verletzende Erfolg wäre also demjenigen zuzurechnen, der ihn durch ein rechts-
widriges (schuldhaftes) Verhalten adäquat verursacht hätte. Ansonsten würde es
sich um eine nicht adäquate oder zufällige Verursachung handeln.10 Die wegen
ihrer Ausgangspunkte genannte „subjektive“ Theorie gewährte damit auch einen
objektiven Maßstab. Seit dieser Unterscheidung zwischen der Außenwelt und
den Kenntnissen des Täters gewann die subjektive Theorie weitere Anhänger.11
Die von v. Kries vertretene Auffassung wurde später mit der Begründung kri-
tisiert, daß sie die Begriffe Adäquanz und subjektive Vorhersehbarkeit und da-
bei auch das Herbeiführen und die Schuld bei den Fahrlässigkeitsdelikten ver-
menge. Die Einwände bestanden darin, daß eine unabhängig von der mensch-
lichen Betrachtung und nur von den Kausalgesetzen beherrschte „objektive
Welt“ nicht existiere. So behauptete man, daß die objektive Welt eigentlich sub-
jektiv sei: Der Mensch nehme die Außenwelt wahr, indem er ihre Merkmale mit
bestimmten Begriffe belege. Alle Sachen und Verhältnisse der Außenwelt wür-
den nicht an sich allein, sondern als von den Menschen geschaffene Situationen
existieren.12
Andere Anhänger der Adäquanzlehre vermieden es, eine Antwort auf die
Frage der Urteilsbasis zu geben, oder die Vorschläge waren wenig systema-
tisch.13 Für ein rein objektives Kriterium war Thon:14 Das Urteil des Richters
als Mitglied der Gesellschaft müsse entscheiden, ob eine Gefahr bestanden
habe. Dieses objektive ex ante-Kriterium wurde nur teilweise von Hartmann15
übernommen, ohne zu großer Bedeutung zu kommen.
Die von Rümelin entwickelte Auffassung war im Gegensatz zur These von v.
Kries eine objektive ex post-Betrachtung. Sie bestand darin, daß man dem Mög-
lichkeitsurteil alle zum Zeitpunkt der Handlung vorhandenen Bedingungen und
auch diejenigen, mit deren Auftreten gemäß der Erfahrung zu rechnen war, zu-
grunde legen müßte.16 Trotzdem führte diese Formel zu unzugänglichen Ergeb-
nissen, wie beispielsweise der folgende von ihm angeführte Fall zeigte: „A“
verursacht fahrlässig ein Unglück, bei dem „B“ verletzt wird. Deshalb begibt
sich „B“ an einen Ort, an dem eine Bombe explodiert, deren Existenz für den
fahrlässigen Täter „A“ unbekannt war. Da die Bombe bereits im Zeitpunkt der

10 v. Kries, ZStW 9 (1889), 532 f.


11 Z. B. Hertz, Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts, Bd. I,
S. 73 ff.; v. Buri, Beiträge zur Theorie des Strafrechts, S. 368 ff.
12 Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 39; Demuth, Gefahrbegriff, S. 67.
13 Vgl. die Darstellung von Gimbernat Ordeig, Delitos cualificados por el resultado

y causalidad, Madrid, mit Nachweisen darüber auf S. 28, Fn. 46 bis 48.
14 Thon, Blätter für Rechtspflege in Thü. und Anhalt 42 (1895), S. 37.
15 Hartmann, Das Kausalproblem im Strafrecht, S. 101, 111.
16 Rümelin, Der Zufall im Recht, S. 11 ff., 24, 47.
32 § 1 Entstehung der Frage nach den Sonderkenntnissen

Ausführung der fahrlässigen Handlung installiert war, müßte man diese Bedin-
gung einbeziehen, und die Handlung wäre dann adäquat, um den Erfolg herbei-
zuführen. Wäre die Bombe aber erst nach der Tat gelegt worden, wäre eine
Adäquanz zu verneinen.17
Die subjektiven und objektiven Auffassungen, die bis dahin vorhanden waren,
wurden nicht positiv aufgenommen. Man glaubte, daß es nötig war, eine Formel
zu finden, die die bedenklichen Punkte der anderen beseitigen könnte. Dies war
das von Traeger18 1904 ausgearbeitete Projekt: Er schloß in das Möglichkeits-
urteil alle Umstände ein, die von einem einsichtigen Betrachter erkannt und im
Zeitpunkt der Handlung erkennbar würden, und diejenigen, die dem Täter er-
kennbar waren und ihm – entweder zufälligerweise oder wegen seiner besonde-
ren Kenntnisse – bekannt waren. Dies war die endgültige Formulierung der
Adäquanzlehre.
Diese Idee hatte bereits v. Hippel geäußert: Der Begriff der Gefahr (d. h. der
Wahrscheinlichkeit eines Unerwünschten) würde dabei keinen „objektiven Zu-
stand der Unsicherheit“, sondern ein subjektives Urteil bezeichnen, welches
sich einerseits auf unsere Erfahrung, anderseits auf unsere menschliche Unwis-
senheit gründen würde. Für dieses Urteil würden auch die besondere Kennt-
nisse, welche der Handelnde zur Zeit der Tat besaß, von entscheidender Bedeu-
tung sein.19
Auch v. Bar hatte dieses Kriterium außerhalb des juristischen Bereiches an-
geführt: Kenne der Täter besondere Voraussetzungen seiner Handlung, die auf
den ersten Blick nicht wahrnehmbar seien, handle es sich hier nicht um eine
Unregelmäßigkeit des Täters, sondern derjenigen, die sich nicht an seine Stelle
versetzen könnten. Dann seien dem Täter die von ihm bekannten besonderen
Umstände zurechenbar.20
Das Adäquanzprinzip wurde im Laufe der Zeit weiterentwickelt und wird
heute meistens im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung verwen-
det.21 Bei der Beurteilung des Risikos bezieht man sich auf eine sogenannte
objektiv-nachträgliche Prognose.22 Sie wird als nachträglich bezeichnet, da sie
angeblich aus der Beurteilung des Richters im Prozeß entstehen würde. Aller-
dings kommt es nicht auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe an, sondern es muß sich
hauptsächlich um ein abstraktes Urteil handeln, das von einem ideellen Subjekt

17 Rümelin, AcP 90 (1900), 299. Kritisch Radbruch, Die Lehre von der adaquäten

Verursachung, S. 366 ff.; Traeger, Kausalbegriff, S. 144.


18 Traeger, Kausalbegriff, a. a. O.
19 v. Hippel, ZStW 17 (1897), 436.
20 v. Bar, Die Lehre vom Causalzusammenhänge, S. 21.
21 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 37.
22 Diese Bezeichnung wird als unrichtig geklärt von Jakobs, Strafrecht AT, 7/32

und Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 35 u. a.


B. Adäquanztheorie 33

getroffen wird. Die Objektivität bezieht sich wiederum darauf, daß der Richter
sich in die Lage eines objektiven Beobachters versetzen müßte, der sein Urteil
ex ante abgeben und über die Kenntnisse eines einsichtigen Menschen des be-
treffenden Verkehrskreises und zusätzlich über das spezielle Sonderwissen des
Täters verfügen würde. Dabei werden nur solche Umstände bei der Bestim-
mung des tatbestandsmäßigen Verhaltens zu berücksichtigen sein, die bei der
Tatbegehung bekannt oder erkennbar gewesen wären.23 Letztendlich ist aber die
Prognose nicht rein objektiv, da sie doch das Sonderwissen des Täters ein-
schließt.
Die Problematik der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten des Täters er-
schien zunächst also bei der Adäquanztheorie und der Formulierung des Wahr-
scheinlichkeitsurteils bezüglich einer Ursache und eines Erfolges. Sie stellt sich
in der Verbrechenslehre allerdings jedesmal dann, wenn man objektive Unter-
grenzen strafbaren Verhaltens setzt. Beim Adäquanzurteil handelt es sich um
eine objektive Untergrenze, bei der alle unwahrscheinlichen, entfernten Kausal-
verläufe von der strafrechtlichen Relevanz ausgeschlossen werden. Das ist für
die Entstehung der Problematik der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten
selbst von Bedeutung, heute wird aber das Adäquanzurteil als unzureichend an-
gesehen, um die strafrechtliche Relevanz eines Verhaltens zu bestimmen. Näm-
lich kann man mit Hilfe des Adäquanzprinzips nur im empirischen Sinne erfah-
ren, ob ein Verhalten eine adäquate („riskante“) Bedingung für eine Rechtsguts-
verletzung schafft, oder ob ein bestimmter Erfolg die adäquate Konsequenz
eines bestimmten Verhaltens ist, d. h. objektiv vorhersehbar war. Damit werden
absolut unwahrscheinliche Kausalverläufe von der Tatbestandsmäßigkeit ausge-
schlossen. Es bleibt aber noch eine uferlose Zahl von Verhaltensweisen, die
trotz ihres „Riskantseins“ und „Kausalseins“ aus kriminalpolitischen Gründen
tatbestandsirrelevant sein sollten. Daß der rechtsgutsverletzende Erfolg nicht un-
wahrscheinlich war, impliziert nicht immer die Tatbestandsmäßigkeit des verur-
sachenden Verhaltens. Die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens kann nämlich
aus anderen Gründen auszuschließen sein, sei es durch das erlaubte Risiko bzw.
Sozialadäquanz, sei es durch das Mitverschulden des Opfers, die Verringerung
der Gefahr oder durch den Schutzzweck der Norm, um einige Kriterien der ob-
jektiven Zurechnung zu nennen, die wiederum eine Interessenabwägung norma-
tiver Art zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz erfordern. Daß
Verkehrsunfälle auch bei rechtmäßigem Autofahren nicht unwahrscheinlich
sind, ist eindeutig. Trotzdem handelt es sich beim rechtmäßigen Autofahren um
ein erlaubtes Risiko, und deshalb ist die Tatbestandsmäßigkeit eines solchen
Verhaltens trotz des Wahrscheinlichkeitsurteils ausgeschlossen. Würde man je-
des Verhalten verbieten, bei dem eine Rechtsgutsverletzung nicht auszuschlie-

23 Vgl. nur Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 III 2; Roxin, Strafrecht AT I, § 11,

Rdn. 35. Jakobs, Strafrecht AT, 7/32 äußert Einwände gegen die Adäquanzformel,
weil man mit ihr die objektive und subjektive Seite vermischen würde.
34 § 1 Entstehung der Frage nach den Sonderkenntnissen

ßen ist, wäre die Handlungsfreiheit sehr eingeschränkt. Und es bleiben vielfäl-
tige Erfolgsverursachungen, die wegen ihrer Voraussehbarkeit durch einen
„adäquaten“ Kausalzusamenhang verursacht werden, die aber dem Verursacher
nicht als „sein Werk“ oder als „Verwirklichung der von ihm geschaffenen Ge-
fahr“ zugerechnet werden können, wie im bekannten Krankenwagenfall, bei
dem das Opfer geschlagen wird, aber nicht aufgrund der vom Täter geschaffe-
nen Gefahr stirbt, sondern wegen eines Verkehrsunfalls während des Transports
zum Krankenhaus. Ein solches Geschehen kann man eigentlich von der allge-
meinen Lebenserfahrung nicht ausschließen. Deshalb kann die Tatbestandsmä-
ßigkeit eines solchen Verhaltens nicht aufgrund der objektiven Unvorhersehbar-
keit oder Inädaquanz ausgeschlossen sein. Es gibt also normative Gründe, die
für die strafrechtliche Irrelevanz einiger nicht-risikofreier Verhaltensweisen
sprechen. Es gibt sogar Verhaltensweisen, deren Geeignetheit für die Verursa-
chung eines konkreten Erfolges zwar weit entfernt ist, und trotzdem die Zurech-
nung zu bejahen sein könnte. Wirft beispielsweise jemand einen anderen von
einer Bergspitze hinunter, und wird der Tod nicht durch das Herunterfallen, son-
dern durch den Zusammenprall mit einem plötzlich auftauchenden Hubschrau-
ber verursacht, war dies außerhalb jeder Lebenserfahrung und könnte es trotz-
dem zurechenbar sein. Allerdings könnte man hier natürlich erwidern, daß die
objektive Zurechnung nur zu rechtfertigen wäre, wenn der konkrete Kausalver-
lauf überhaupt wahrscheinlich war.24 Im Ergebnis leidet die Adäquanztheorie
überhaupt daran, daß die wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen auf
einer statistischen und deshalb empirischen bzw. rein deskriptiven Grundlage
beruhen. Das Datum des Wahrscheinlichkeitsgrades ist für das Strafrecht eine
notwendige Angabe, sie ist aber für die normative Beurteilung bezüglich der
strafrechtlichen Relevanz eines Verhaltens nicht ausreichend.25 Es müssen also
weitere Kriterien für die Bestimmung bzw. Abgrenzung des strafbaren Verhal-
tens in der dogmengeschichtliche Entwicklung der Vorsatz- und Fahrlässigkeits-
delikte untersucht werden.

C. Vom Schwerpunkt Vorsatzdelikt zur Entwicklung der


objektiven Grundlagen des Fahrlässigkeitsdelikts

Die Frage nach den Sonderkenntnissen und Sonderfähigkeiten des Täters


tauchte nicht nur beim Adäquanzprinzip als Abgrenzungskriterum der uferlosen
Kausalität auf, sondern auch bei jeder Festsetzung objektiver Untergrenzen

24 Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 III 2.


25 Vgl. Schünemann, GA 1985, 359 f.; ders., GA 1999, 213 ff.; Wolter, GA 1977,
261 ff.; Rudolphi, JuS 1969, 551 f.; SK-ders., vor § 1, Rdn. 55; Roxin, Strafrecht AT
I, § 11, Rdn. 37; Jakobs, Strafrecht AT, 7/34 f., ders., Studien, S. 92 f., der das Ad-
äquanzprinzip als nicht notwendig, sondern neben der Figur des erlaubten Risikos als
überflüssig betrachtet, vgl. AT 7/33 f.
C. Vom Schwerpunkt Vorsatzdelikt zur Entwicklung objektiver Grundlagen 35

strafbaren Verhaltens, wie die Sorgfaltswidrigkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt


oder die Sozialadäquanz bzw. das erlaubte Risiko bzw. die Kriterien der objek-
tiven Zurechnung beim Vorsatzdelikt. Der Finalismus setzte objektive Unter-
grenzen der Tatbestandsmäßigkeit in der Hauptsache beim Fahrlässigkeitsdelikt,
während die Abgrenzung der strafrechtlichen Relevanz beim Vorsatzdelikt prin-
zipiell mit der Verneinung des Vorsatzes vorgenommen wurde.26 Daher waren
beide Deliktsarten bei dieser Konzeption grundsätzlich unterschiedlich. Die
neueren Ansichten tendieren zur Gleichstellung beider Deliktsarten durch die
Setzung gleicher Untergrenzen strafbaren Verhaltens beim Vorsatz- und Fahrläs-
sigkeitsdelikt. Deshalb wird diese Frage anhand eines Überblicks über die
dogmengeschichtliche Entwicklung der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte im
folgenden erörtert. Dabei kann man keine allgemeingültige Definition für die
Verwendung der Termini „objektiv“ und „subjektiv“ liefern, da sie mit unter-
schiedlichen Bedeutungen verwendet wurden, was am besten durch die dogmen-
geschichtliche Darstellung nachvollzogen werden kann.
Es ist interessant und fast paradox, daß die ursprünglich für die Fahrlässig-
keitsdelikte entwickelte Lehre von der objektiven Zurechnung auf der Grund-
lage der Zurechnungslehre Hegels beruht. Es steht nämlich gerade in Frage, ob
Hegel seinen für das Strafrecht relevanten Handlungsbegriff überhaupt auch auf
die Fahrlässigkeitsdelikte angewendet hatte.
So folgt eine Meinung der Ansicht von Larenz.27 Danach regle § 116 der
Grundlinien Hegels28 nicht die Fahrlässigkeit, sondern die zivilrechtliche Ge-
fährdungshaftung, so daß die Lehre Hegels nur auf die Vorsatzdelikte anwend-
bar wäre. Nach einer anderen Meinung beschäftigte sich Hegel mit den Fahrlässig-
keitsdelikten.29 So beruft sich Lesch30 auf das von einigen damaligen Autoren
vertretene Verständnis der „Unachtsamkeit“ oder des „Versehens“ als Unterlas-
sung. Daraus leitet er ab, daß Hegel die Fahrlässigkeit in § 116 seiner Grundli-
nien nicht als Handlung, sondern als Unterlassung und damit als Produkt nor-
mativer Betrachtung erfaßte. Dazu würde sich Hegel auf eine „Aufmerksam-

26 Auch wenn man berücksichtigen muß, daß die Figur der Sozialadäquanz im Fina-

lismus auch bei den Vorsatzdelikten eine Untergrenze markiert. Für eine Darstellung
und Kritik an den neueren Positionen, die allerdings aus einigen wenigen Bemerkun-
gen Welzels eine eigene normative Säule seines Systems entwickeln wollen, vgl. infra,
§ 2 B und C.
27 Vgl. Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurech-

nung, S. 55 f.; v. Bubnoff, Die Entwicklung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes,


S. 45 mit Fn. 38; Schild, ZfPhF 35 (1981), 465; Jakobs, Strafrecht AT, 6/3, s. w. N. in
Lesch, Der Verbrechensbegriff, S. 132, Fn. 418.
28 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts.
29 Köhler, Die bewußte Fahrlässigkeit, S. 200 f., 202 ff.; Vehling, Die Abgrenzung

von Vorbereitung und Versuch, S. 23 ff., 27 ff.; Lesch, Der Verbrechensbegriff,


S. 132 ff.
30 Siehe Fn. 29.
36 § 1 Entstehung der Frage nach den Sonderkenntnissen

keitspflicht“ stützen, was bei einer zivilrechtlichen Gefährdungshaftung ohne


Berücksichtigung des Verschuldens nicht vorliegt. Aus dieser Debatte ergibt
sich allerdings grundsätzlich, daß die Figur der Unaufmerksamkeit bei Hegel
jedenfalls kaum behandelt wurde, während sich seine ganze Handlungslehre auf
die Vorsätzlichkeit konzentrierte, d. h. daß das Vorsatzdelikt auf jeden Fall im
Vordergrund seines Gedankenaufbaus war.
Der Einfluß der deutschen idealistischen Philosophie brach erst einige Jahr-
zehnte nach dem Tode von Hegel zusammen. Es folgte die Zurückdrängung der
primär auf den Geist gerichteten Philosophie, d. h. die Verdrängung alles gei-
stig-ideellen Denkens zugunsten der gegenständlichen Welt. Damit wurde der
Einfluß, den das idealistische Denken auf alle Zweige der Wissenschaft ausge-
übt hatte, allmählich aufgelöst. Inzwischen wurde die deutsche naturwissen-
schaftliche Philosophie vom Rationalismus und Empirismus beeinflußt. Diese
Konzeptionen flossen in einer neuen Auffassung zusammen, dem Positivismus,
für den die Welt dem Gesetz der Naturordnung, d. h. alle Erscheinungen unter
einer Gesetzmäßigkeit, unterlägen. Der Einfluß der Naturwissenschaften auf das
Strafrecht wirkte sich vor allem dadurch aus, daß man die Außenweltfaktoren in
den Vordergrund stellte, nachdem man von ihnen alle anhaftenden subjektiven
Elemente entfernt hatte.
Im Bereich des Strafrechts wirkte sich diese Strömung durch den Kausalis-
mus aus. Die kausale Handlungslehre ordnete die Fahrlässigkeit neben dem
Vorsatz in den Schuldbereich ein. Für sie war der strafrechtliche Tatbestand nur
mit der Verursachung einer Rechtsgutsverletzung erfüllt; der Vorsatz und die
Fahrlässigkeit (d. h. der Mangel an Sorgfalt), wurden lediglich als ein Unterfall
der Schuld gesehen.31 Die strafrechtliche Relevanz vorsätzlichen Handels war
damals wie beim Finalismus durch die Verneinung des Vorsatzes im Schuldbe-
reich abgegrenzt.32
Bezüglich des Fahrlässigkeitsdelikts wurde damals bereits sowohl ein objekti-
ver als auch ein subjektiver Aspekt der Sorgfaltswidrigkeit erkannt, d. h. einer-

31 v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1. Aufl., S. 105 f.; Beling, Die

Lehre vom Verbrechen, S. 45 ff., 178 ff. Für die vorherige Entwicklung siehe Je-
scheck/Weigend, Lehrbuch, § 29 II 1; § 54 I 1 und die erste Monographie über die
Fahrlässigkeit: Exner, Das Wesen der Fahrlässigkeit, S. 12 ff.; über die Fahrlässigkeit
als ein Element der Schuld: Vorwort, S. 212. Für Exner war die Vermeidung des
rechtswidrigen Erfolges mit Rücksicht auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters
(unter Bedachtnahme auf die Umstände des Falles) ein Element der Schuld. Tue aber
der Täter, was der Verkehr erfordert, obwohl er erkenne, daß seine Handlung mit ge-
wissen Gefahren verknüpft sei, werde die Frage der Schuld überhaupt nicht aktuell.
„Es handelt sich um das Problem der Rechtswidrigkeit, mit dem der Schuld in diesem
Punkte untrennbar verknüpft“ (Das Wesen der Fahrlässigkeit, S. 193). Exner setzte so-
mit eine objektive untere Grenze bei der Fahrlässigkeit begründet auf den sozialen
Zweck der Handlung (a. a. O., S. 193 ff.).
32 Vgl. dazu z. B. Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des modernen

Strafrechtssystems, S. 21 f.
C. Vom Schwerpunkt Vorsatzdelikt zur Entwicklung objektiver Grundlagen 37

seits die Außerachtlassung der gebotenen und erforderlichen Sorgfalt und ande-
rerseits die Vorhersehbarkeit des eingetretenen Erfolges für den Handelnden.
Beide Elemente waren aber nach damaliger Auffassung in der Schuld zu be-
trachten, ohne daß ihre systematische Stellung beim Verbrechensaufbau disku-
tiert wurde.33 Nach dieser Lehre war der Fall, in dem jemand sorgfaltsgerecht
handelt und ein Rechtsgut verletzt, von dem, in dem der Täter grob die Sorg-
faltspflicht verletzt, im Unrechtsbereich nicht zu unterscheiden. Beide Täter hät-
ten eine rechtswidrige Handlung begangen; der erste wäre aber entschuldigt.
Diese Struktur der Fahrlässigkeitsdelikte änderte sich mit den Ausführungen
von Engisch in seiner Monographie von 1930.34 Er beschäftigte sich mit der
von der damaligen Literatur vorgenommenen Differenzierung zwischen einer
äußeren und einer inneren Sorgfalt.35 Bezüglich der inneren Sorgfalt war ein
psychologischer Sorgfaltsbegriff entwickelt worden, bei dem unter „Aufmerk-
samkeit“ unterschiedliche Konzepte zu verstehen waren, u. a. das Anstrengen
der Sinne, um zu den richtigen Wahrnehmungen zu gelangen, den Verlauf zu
berechnen, den Erfolg (oder die Verwirklichung des Tatbestandes) vorauszu-
sehen, aber auch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens zu erkennen.36 Für die
Behandlung der äußeren Sorgfalt verwies Engisch auf die bereits damals von
v. Hippel und Frank entworfene Hypothese, daß ein Täter auch bei gespanntester
Aufmerksamkeit unvorsichtig und deshalb fahrlässig handeln könne. Als Bei-
spiel dafür diente der Fall des Schützen auf der Jagd, der die größte Aufmerk-
samkeit aufwendete, um mit dem Wild nicht zugleich den Nachbarn zu treffen.
Er hätte den Schuß unterlassen müssen, aber unaufmerksam sei er nicht gewe-
sen. Ein weiteres Beispiel war der Fall eines chirurgisch nicht genügend ausge-
bildeten Arztes, der eine schwere Operation übernahm und dabei mit größter
Mühe arbeitete. Seine Fahrlässigkeit bestünde in der Vornahme dieser gefähr-
lichen Handlung, die er nicht vollziehen dürfte. Er hätte ohne Vorsicht, d. h.
ohne Anpassung an die Gefährlichkeit der Situation gehandelt.37 Engisch über-
nahm diese Beispiele und entwickelte damit die Idee der objektiven Sorgfalt.
Der Schütze und der Arzt hätten nicht ungenügend auf Gefahrenquellen geach-
tet, sondern sie hätten (womöglich trotz klarer Erkenntnis der Gefahr) etwas
getan, „was sie nicht tun sollten, nämlich eine gefährliche Handlung vorgenom-
men“38. Als eigene Beispiele fügte er hinzu: „Der Zeuge kann angestrengt

33 Vgl. v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 3. Aufl., S. 174 f.; 21.–22.

Aufl., S. 176 f.; 26. Aufl., S. 232, 272 ff., insbes. 273, Num. II. Beling bezog sich erst
später auf die persönliche Fähigkeiten des Täters bei der Fahrlässigkeit, vgl. dazu
Grundzüge des Strafrechts, S. 52.
34 Engisch, Untersuchungen.
35 A. a. O., S. 269 f.
36 A. a. O., S. 271 ff.
37 Beispiele von v. Hippel und Frank, vgl. Engisch, Untersuchungen, S. 273 f.
38 A. a. O., S. 274.
38 § 1 Entstehung der Frage nach den Sonderkenntnissen

nachdenken und sehr bedächtig sein und doch dadurch, daß er sich verspricht,
eine falsche Aussage zustande bringen, ein Arzt kann mit größter psychischer
Anspannung operieren und doch einen Kunstfehler begehen“39. „Damit wird . . .
die Sorgfalt aus der Psyche in das äußere Verhalten verlegt. Das Verhalten des
Täters war nicht sorgfältig, weil es rein äußerlich nicht zur Vermeidung der Tat-
bestandsverwirklichung führte“40.
Engisch entnahm aus der Literatur und Rechtsprechung charakteristische
Handlungen, die als Außerachtlassung der äußeren Sorgfalt erschienen, wie das
zu schnelle Fahren, nicht rechtzeitiges Halten, ein Kind von drei Jahren allein
zu Hause lassen, Schußwaffen geladen in andere Hände gelangen zu lassen,
usw.41 Durch diesen Gedanken erkannte er zwischen dem Kausalzusammenhang
und der Schuld (Erkennbarkeit) ein drittes Moment: „die Außerachtlassung der
äußeren Sorgfalt“42. Dieses Element wurde von Engisch in den Tatbestand ein-
geordnet.43 Der Maßstab für die Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt wäre
objektiv zu gestalten. Es käme also nicht auf das an, „was dem Täter als erfor-
derliche Sorgfalt erscheint, nicht auf die subjektive Sorgfalt, sondern auf das,
was erforderliche Sorgfalt ist, auf die objektive Sorgfalt“44.
Ferner reichte die individuelle Erkennbarkeit der Gefahr nach Engisch nicht
aus, um die Fahrlässigkeit zu bejahen. Vielmehr müßte es an äußerer Sorgfalt
fehlen. So wäre es kein unvorsichtiges Verhalten der Mutter, wenn sie dem auf
die Straße gelaufenen Kind hinterhereilen würde, anstatt es zurückzurufen, da
sie von ihrem Haus aus nicht erkennen konnte, ob ein Auto kam oder nicht. Sie
fürchte, daß das Kind in ein gerade daherkommendes Auto hineinlaufen würde,
wenn sie es anrufen würde. Bis die Mutter hinunterkam, war aber das Kind
überfahren. Allerdings konnte ein Nachbarn aus seinem Fenster erkennen, daß
das Kind gerettet worden wäre, wenn es die Mutter Sekunden früher zurückge-
rufen hätte, da gerade in diesem Zeitpunkt noch kein Auto kam. In diesem Bei-
spiel fehlte es nach Engisch nicht an der Erkennbarkeit der Gefahr, sondern am
unvorsichtigen Verhalten. „Jeder Einsichtige hätte vom Standpunkt der Mutter
aus genau so gehandelt“45.
Obwohl der Begriff der „äußeren Sorgfalt“ von Engisch nicht genau dem
heutigen Begriff der Sorgfaltspflichtverletzung entspricht, sind seine Ausführun-
gen ein großer Beitrag für die Fahrlässigkeitslehre mit dem Aufbau des Fahrläs-
sigkeitstatbestandes.

39 A. a. O., S. 279.
40 A. a. O., S. 274.
41 A. a. O., S. 275.
42 A. a. O., S. 277 ff.; 326 ff.
43 A. a. O., S. 326 ff.; insbes. 344 ff.
44 A. a. O., S. 282.
45 A. a. O., S. 277 f.
§ 2 Unterschiedliche Bestimmung des
strafbaren Verhaltens beim Vorsatz- und beim
Fahrlässigkeitsdelikt durch den Finalismus

A. Hervorhebung des Vorsatzes

Durch den Finalismus wurde die Idee, alles Objektive im Unrecht zu regeln,
und die Frage der Adäquanzmaßstäbe einschließlich des Begriffes „Sonder-
kenntnis“ wieder in den Hintergrund gedrängt. Als der Vorsatz plötzlich als das
entscheidende Unrechtsmoment erschien, wurde die objektive Abgrenzung und
damit die Frage oder zumindest die Möglichkeit, die Frage zu stellen, was man
wissen muß und was man nicht zu wissen braucht, zunächst als zweitrangiger
Gesprächsstoff verdrängt. Der Vorsatz wurde als etwas Natürliches, Ontologi-
sches gesehen, und er definierte sich als der finale Verwirklichungswille. Wo-
rauf der Täter diesen Willen und die Kenntnisse bezog, wurde nun im Grunde
genommen (vorerst) gleichgültig. Er gestaltete die Wirklichkeit aufgrund seiner
Kenntnisse und für diese Gestaltung der Wirklichkeit war er strafrechtlich ver-
antwortlich. Deshalb war ein Begriff wie „Sonderkenntnis“ kein bewußter Ge-
genstand der Überlegungen von Welzel, der eine solche Frage grundsätzlich
nicht zu problematisieren bezweckte, sondern gegebenenfalls im Vorsatz selbst
inbegriffen hatte. Sein Konzept bezog sich in seinem ganzen Umfang auf den
finalen Handlungsbegriff mit Konzequenzen für den gesamten Allgemeinen Teil
des Strafrechts. Hauptsächlich führte dies zu einer differenzierten Gestaltung
des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrechts, was für die heutige Frage der Sonder-
kenntnisse auch eine große Relevanz erlangte.
Wenn man aber den Finalismus näher betrachtet, war doch die Kategorie der
Sonderkenntnisse ohne diese Bezeichnung, aber mit dem gleichen Kernpunkt,
dort nicht unproblematisch. Die Finallehre bezog objektive Kriterien wie die
Sozialadäquanz oder selbst das Adäquanzprinzip in ihren Verbrechensbegriff
ein, die trotz ihrer minimalen Rolle – neben der dem finalen Handlungsbegriff
gegebenen Bedeutung – eine gewisse Spannung zwischen objektiven Untergren-
zen und dem auf dem Täterwillen basierten Handlungsbegriff verursachten. Da
ein Teil des Begriffs „Sonderkenntnisse“ letztendlich aus Systemspannungen
zwischen objektiven und subjektiven Kategorien herrührt, die sich sozusagen
überlappen, ist es unentbehrlich, das finalistische System von seinen Wurzeln
im Gegensatz zu älteren Systemen, über seine Grundsätze hinaus bis zur nähe-
ren Betrachtung des Inhalts der heute sogenannten Sonderkenntnisse bei Welzel
40 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

und nicht zuletzt seine Differenzierung des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrechts


zu untersuchen. Sogar die Tatsache, daß er von der Finalität als für das Recht
verbindliche sachlogische Struktur ausging, spielt eine große Rolle im Bereich
der Sonderkenntnisse, nämlich in ihren zwei Gestaltungen: Einerseits, daß
grundsätzlich kein weiterer Bezug auf „spezielle“ Kenntnisse bei vorhandener
Täterfinalität erforderlich war – trotzdem ist doch eine gewisse „Systemspan-
nung“ bei Welzel zu sehen, wie die späteren Ausführungen zeigen werden –.
Andererseits, daß die strafrechtliche Relevanz keine Ausnahme erfahren konnte,
soweit der Täter „final“ handelte bzw. die Tatbestandsmerkmale kannte.
Betrachtet man die Grundlage der Handlungslehre Welzels näher, findet man
ihre Wurzeln zum einen in der Lehre Pufendorfs und Hegels mit der Hervor-
hebung des Willens als das Wesenselement des Handlungsbegriffs. In der Zeit
Pufendorfs hat man unter Handlung nicht „alle Folgen verstanden, die ein
Mensch verursachte“1, wie die Kausallehre meinte, sondern dem Menschen
konnten danach nur diejenigen Folgen als „Willenswerk“ „zugerechnet“ werden,
welche von seinem Willen abhingen oder von ihm beherrscht waren.
„Zurechnen“ bedeutete nach Pufendorf, die Wirkung einer freiwilligen Hand-
lung als zum Handelnden gehörend zu erkennen.2 Während die physische Natur
eine kausale Determination haben würde, würde die geistige Welt in der Bezie-
hung zwischen Gesetz und Freiheit bestehen. Das Gesetz gäbe Richtlinien; die
Vernunft würde diese erkennen, der Wille wäre aber in seiner Entscheidung
frei.3
Welzel wollte die Handlung wie in den beschriebenen früheren Epochen als
eine Einheit sehen, und sein Vorwurf an v. Liszts und Belings Kausallehre be-
stand gerade darin, diese Einheit zerbrochen zu haben.4 Der klassische Hand-
lungsbegriff stand sowohl in der Kritik des Neoklassizismus wie auch der Lehre
des Finalismus. Während das neoklassische System die Kausallehre wegen ihrer
Wertfreiheit kritisiert hatte, griff sie Welzel aus einer anderen Richtung an: der
Objektivität der Handlung, d. h., daß die Handlung von den Kausalisten als ein
rein äußeres Geschehen begriffen wurde. Er sah die Notwendigkeit, einen neuen
– finalen – Handlungsbegriff aufzubauen und ihn zum Rückgrat der Unrechts-
lehre zu machen.

1 Vgl. Welzel, JuS 1966, 422.


2 Vgl. Pufendorf, De jure naturae et gentium libri octo, lib. I, Kap. 5, § 1, 2, 3.
3 Vgl. Pufendorf, Elementorum jurisprudentiae universalis libri duo, Ausgabe Ox-

ford, 1931, S. 265–273. Vgl. auch Hardwig, Die Zurechnung, S. 39.


4 Wie Schroeder, Die Entwicklung der Gliederung der Straftat in Deutschland, 24

Hokkaigakuen Law Journal (1988), 188 f., zutreffend feststellt, ging Welzel (JuS 1966,
422) von der falschen Tatsache aus, daß v. Ihering das objektive Unrecht entdeckt
hatte und der Kausalismus diese objektive Stufe in den Aufbau des strafrechtlichen
Systems übernahm. Eigentlich habe sich die objektive Rechtswidrigkeit als eigenes
Gliederungsmerkmal bereits seit Feuerbach entwickelt.
A. Hervorhebung des Vorsatzes 41

Zum anderen wurde Welzel von der Denkpsychologie5 beeinflußt, weshalb er


sich auch gegen die vom Neukantianismus beeinflußte neoklassische Verbre-
chenslehre wandte. Im Gegensatz zu den Neukantianern begriff Welzel die
Wirklichkeit nicht als ein Produkt der Erkenntnis, d. h. als ein Chaos, das erst
durch die Begriffe geordnet werden sollte,6 sondern als etwas Ontisches, Vorge-
gebenes, Unabhängiges von der Erkenntnis, die man von ihr haben kann.7 Die
Erkenntniskategorien waren für ihn auch Seinskategorien, d. h. „daß sie nicht
bloß gnoseologische, sondern (primär) ontologische Kategorien“8 waren.
Diese philosophische Grundlage war für Welzel der Ausgangspunkt, um das
Recht von den von ihm ausgesuchten ontologischen Gegebenheiten so abhängig
zu machen, daß nach seiner Auffassung die sachlogischen Strukturen dem Ge-
setzgeber und der Wissenschaft vorgegeben und diese nach seiner Ansicht an
diese Strukturen gebunden wären.9 Welzel betrachtete den Allgemeinen Teil des
Strafrechts als ein Rechtsgebiet, das in besonders hohem Maße von sachlogi-
schen Strukturen durchsetzt wäre. So wäre der Gesetzgeber zum Beispiel daran
gebunden, was den sachlichen Gehalt der Schuld ausmacht.10 Tatbestände stell-
ten in diesem Konzept nur eine „Widerspiegelung“ des vorgegebenen ontologi-
schen Materials dar,11 d. h. eine sprachliche und begriffliche Beschreibung des-
sen. In diesem philosophischen Rahmen suchte er eine Kategorie für die Ver-
brechenslehre, die als ontologische Grundlage dienen sollte. Als entsprechendes
wesentliches ontologisches Regelungssubstrat des Rechts diente also die „final
gesteuerte Handlung“12 im Gegensatz zum positivistischen Handlungsbegriff,

5 Wie Welzel es selber erkannt hat, in: Das neue Bild des Strafrechtssystems, S. IX;

ders., Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, S. 30;


ders., JuS 1966, 423; vgl. auch Tjong, ARSP 54 (1968), 415 ff.
6 Vgl. infra, Fn. 58.
7 Vgl. Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, S. 48, 55, 74; ders.,

ZStW 51 (1931), 705.


8 Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, S. X.
9 Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Abhandlungen, S. 283 ff.; ders.,

Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, S. 8 f., 24;


ders., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 244; ders., Aktuelle Strafrechtspro-
bleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, S. 4. Für die Kritik siehe vor allem
Roxin, ZStW 74 (1962), 515 ff.
10 Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Abhandlungen, S. 283 ff.
11 Welzel, Das Neue Bild des Strafrechtssystems, S. X; ders., Über Wertungen im

Strafrecht, in: Abhandlungen, S. 27.


12 Welzel, ZStW 51 (1931), 709 ff., 718; ders., Naturalismus und Wertphilosophie

im Strafrecht, S. 78 ff., 82; ders., ZStW 58 (1939), 502 ff.; ders., Um die finale Hand-
lungslehre, S. 7 ff.; ders., Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Hand-
lungslehre, S. 4; ders., Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Abhandlungen,
S. 283 ff.; ders., Das Neue Bild des Strafrechtssystems, S. 1; ders., Vom Bleibenden
und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, S. 9, 30; ders., JuS 1966, 423;
ders., Das Deutsche Strafrecht, S. 33 ff.; ders., Naturrecht und materiale Gerechtig-
keit, S. 244.
42 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

der diese als „ein von einer Muskelinnervation ausgelöstes blind-mechanisches


Geschehen“ definierte.13 So wurde „die Fähigkeit zu finalgesteuerten Handlun-
gen“ als „ein Charakteristikum des Menschen“ betrachtet.14 Die Begründung
der Auswahl dieses Wirklichkeitsabschnittes als die strafrechtlich relevante
sachlogische Struktur wurde von Welzel in Verbindung mit der strafrechtlichen
Funktion des Rechtsgüterschutzes gegeben. Das Strafrecht könnte nicht jede Be-
einträchtigung von Rechtsgütern verbieten, wie z. B. bloße Verursachungen oder
die bloße Zugehörigkeit des Schadensfalles zum rechtlichen Machtkreis einer
Person. Deshalb würde sich das Strafrecht von vornherein auf die menschliche
Zwecktätigkeit beschränken, d. h. Verursachungen kämen nur dann in Betracht,
wenn sie zwecktätig vermeidbar waren.15
Die wichtigsten Folgerungen der Berücksichtigung des ontologischen Hand-
lungsbegriffs als Grundstruktur des Strafrechts sind bekannt:16 1. die Begrün-
dung des subjektiven Tatbestandes mit der Hervorhebung des Vorsatzes und
seine Bedeutung für die Lösung mehrerer Kausalprobleme, und 2. die scharfe
Unterscheidung der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte bereits auf der Tatbe-
standsebene.
Im finalistischen System konnte der Tatbestand sich nicht nur auf die Be-
schreibung eines äußeren kausalen Geschehens beschränken, sondern er mußte
die Finalität der Handlung umfassen. Welzels Kritik an der klassischen als auch
neoklassischen Lehre knüpfte grundsätzlich daran an, daß man alles in „Äuße-
res“ und „Inneres“ getrennt hatte. Im Konzept von Welzel war der Wille nun
aber nicht bloß ein „passives ,Spiegelbild‘ des äußeren Geschehens in der Seele
des Täters“, sondern „umgekehrt der aktiv-gestaltende Faktor des äußeren Ge-
schehens durch das ,Innere‘ des Täters“17. Die Handlung war für ihn also nicht
eine blind-kausale Verursachung durch einen beliebigen Willensimpuls, sondern
gestaltet durch einen bestimmt gearteten zweckhaften Willensakt in ihrem ob-
jektiven Ablauf sinnvoll. Das äußere Geschehen war der Ausdruck jenes Wil-
lensaktes. Die Betrachtung der Handlung „zunächst einmal“ als einen blinden
Kausalprozeß und erst die anschließende (in der Schuld) Hinzufügung des
Handlungswillen würde daher eine unrichtige Zweispaltung der Handlung dar-
stellen.18 Zur Rechtswidrigkeit würde nicht nur das äußere Geschehen, sondern

13 Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, S. 66; ähnlich auch in:

Strafrecht und Philosophie, in: Abhandlungen, S. 4.


14 Welzel, Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft,

S. 8.
15 Welzel, ZStW 58 (1939), 516; ders., Das Deutsche Strafrecht, S. 2 f.; ders., Das

Neue Bild des Strafrechtssystems, S. 4 f.


16 Vgl. Darstellung von Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des

modernen Strafrechtssystems, S. 35.


17 Welzel, JuS 1966, 422.
18 Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, S. XI.
B. Untergrenzen strafbaren Verhaltens 43

auch der innere Wille gehören.19 So wurde der subjektive Tatbestand mit der
Finalität als Vorsatz neben dem objektiven Tatbestand begründet.
Da der Vorsatz nichts anderes als die Finalität war, die die zweckgerichteten
menschlichen Handlungen auswies, war er selbst das Kriterium für die Abgren-
zung der Kausalität. Diese Kategorie war bei Welzel strafrechtlich nur relevant,
wenn sie vom menschlichen Willen final gesteuert war. Die Kombination Fina-
lität – Steuerung der Kausalität wurde von ihm auch ontologisch begründet:
Aufgrund des menschlichen Kausalwissens seien die Handlungsfolgen in be-
stimmtem Umfang vorhersehbar und eine menschliche Steuerung der Tätigkei-
ten auf ein Ziel hin gerichtet und die konsequente Überdeterminierung der Kau-
salverläufe möglich. Dagegen sei das reine Kausalgeschehen nicht vom Ziel her
gesteuert, sondern hänge es vom Zufall ab. Nach dem bekannten Satz von Wel-
zel wäre die Finalität „sehend“, dagegen die Kausalität „blind“.20
Als Beispiel für die Abgrenzung der Kausalität durch den Vorsatz21 wird von
der Literatur der bekannte und immer wieder erwähnte Gewitterfall aufgeführt,
in dem jemand einen anderen bei einem aufkommenden Gewitter mit der Hoff-
nung in den Wald schickt, der andere werde durch einen Blitz erschlagen. Träte
der gewünschte Erfolg ein, taucht die Frage auf, warum die Strafbarkeit schei-
tert. Für die finale Handlungslehre war dies ein Problem des Vorsatzes, da hier
der Auffordernde nur einen „Wunsch“ hatte und keinen Tötungswillen.22 Diese
Art von Abgrenzung der Kausalität, beschrieben anhand des Gewitterfalles, war
gerade einer der Kritikpunkte, die die späteren Tendenzen erhoben haben.

B. Untergrenzen strafbaren Verhaltens

Trotz der Abgrenzung der Kausalität durch den Vorsatz griff Welzel auf ob-
jektive Kriterien zurück, wie die Sozialadäquanz als untere Grenze der Tatbe-
standsmäßigkeit oder die Adäquanztheorie im Rahmen der Kausallehren. Die
Welzelsche Behandlung der Sozialadäquanz ist ein Thema, das die Literatur im-
mer wieder beschäftigt hat, und besonders heute hat es eine intensivere Ausein-
andersetzung ausgelöst. Um ein von Welzel angewendetes weiteres objektives

19 Welzel, JuS 1966, 422.


20 Vgl. Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, S. 1 ff.; ders., Das Deutsche
Strafrecht, S. 33. Die bekannte Formulierung hat er von Nicolai Hartmann übernom-
men, vgl. Welzel, JuS 1966, 423.
21 Schünemann, JA 1975, 580, unterscheidet zwischen der Abgrenzung bei endloser

zeitlicher Dimension (wenn z. B. eine Schlacht im Teutoburger Walde für eine heutige
Beleidigung kausal war) und der Abgrenzung bei abenteuerlichen Kausalverläufe (Fall
des Taschendiebes, parallel zum Gewitterfall).
22 Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 66. Der Fall wurde seit der zweiten Hälfte des

19. Jahrhunderts häufig in der Literatur diskutiert. Vgl. auch darüber infra, Fn. 34.
44 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

Kriterium, nämlich die Adäquanztheorie, hat sich das Schrifttum demgegenüber


kaum gekümmert.
Sozialadäquat sind nach Welzel „alle Betätigungen, die sich innerhalb des
Rahmens der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnungen des Gemein-
schaftslebens bewegen“23, so daß sie auch keine strafrechtlich relevanten Hand-
lungen darstellen, wenn infolge dessen eine Rechtsgutsverletzung eintritt. Der
Gedanke bezieht sich auf das soziale Leben, das ohne bestimmte Beeinträchti-
gungen, Gefährdungen und Verletzungen von Rechtsgütern kaum denkbar wäre.24
Die Beispiele haben sich im Laufe der Jahre bei Welzel geändert. Sie betrafen
sowohl „Vorsatzdelikte“ wie auch „Fahrlässigkeitsdelikte“, d. h. Handlungen, die
ein Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsdelikt begründen würden, wenn nicht wegen
ihrer Sozialadäquanz eine Strafbarkeit ausscheiden würde: Die Freiheitsbe-
schränkungen der Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn sie nur an
den vorgesehenen Stationen halten;25 die Beeinträchtigung des körperlichen
Wohlbefindens bei jeder anstrengenderen Arbeit,26 die Einsatz körperlicher
Kräfte verlangt; die Drohungen mit „verkehrsmäßigen“ Übeln;27 das Pflanzen
einer Tollkirsche im Wald, damit ein Mensch daran einmal sterben möge;28 un-
erhebliche Körperverletzungen oder Freiheitsbeschränkungen; die Hingabe eines
geringfügigen Neujahrgeschenks an einem Beamten;29 das Ausschenken alkoho-
lischer Getränke.30 Sogar die Strafbarkeit des Neffen, der den Erbonkel zu einer
Eisenbahnfahrt in der Absicht überredet, daß dieser bei einem Eisenbahn-
unglück stirbt, und dies tatsächlich geschieht, würde nach Welzel wegen Sozial-
adäquanz ausscheiden, weil das Beispiel „weder mit der Kausalität noch mit
dem Vorsatz etwas zu tun“ hätte, „sondern mit der sozialen Bedeutung der
Handlung, die wir als soziale Adäquanz bezeichnet haben“31. Dazu wird die

23 Welzel, Der Allgemeine Teil des deutschen Strafrechts in seinen Grundzügen, 1.

Aufl., S. 33; im gleichen Sinne in: Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 55 f.; ZStW
58 (1939), 517. Man bezeichnet Welzel als Begründer dieser Theorie (so z. B. Hirsch,
ZStW 74 [1962], 78; Roxin, Festschrift für Klug, Bd. II, S. 304, Fn. 11; Klug, Fest-
schrift für Eb. Schmidt, S. 254 ff.); allerdings gab es „Vorläufer“ der Welzelschen
Lehre in Schrifttum (insbes. v. Bar) und in der Rechtspr., vgl. Schaffstein, ZStW 72
(1960), 369 ff.
24 Welzel, ZStW 58 (1939), 515.
25 Welzel, ZStW 58 (1939), 515, Fn. 35.
26 Welzel, ZStW 58 (1939), 515, dazu gehört auch der Fall der Frau, die sich ihres

Ehemannes dadurch entledigt, daß sie ihn überredet, gefährliche Arbeiten in einem
Steinbruch zu übernehmen, vgl. Das Deutsche Strafrecht in seinen Grundzügen, 1.
Aufl., S. 36.
27 Welzel, ZStW 58 (1939), 515.
28 A. a. O., ZStW 58 (1939), 517, Fn. 37.
29 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 56.
30 A. a. O., S. 57.
31 Welzel, ZStW 58 (1939), 517, 558; ders., Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl.,

S. 56; vgl. auch ders., El Nuevo Sistema del Derecho Penal, Barcelona, S. 54 (spani-
B. Untergrenzen strafbaren Verhaltens 45

Ansicht, die den Fall durch die Verneinung des Vorsatzes löste, 1940 fol-
gendermaßen kritisiert: „Viel behandeltes Beispiel, ohne daß der entscheidende
Gesichtspunkt der völligen Tatbestandslosigkeit der Handlung wegen ihrer so-
zialen Adäquanz erkannt wurde. So will z. B. Frank § 59 II 2 nur den Vorsatz
verneinen!“32. Diese Meinung behielt Welzel einschließlich der 11. Auflage sei-
nes Lehrbuches bei,33 obwohl er in dieser Auflage den Gewitterfall durch die
Verneinung des Vorsatzes löste, was bei der ähnlichen Struktur von beiden Fäl-
len einen Widerspruch darstellt.34
Wenn man die Auseinandersetzung in der Literatur bezüglich der Nützlich-
keit35 und der systematischen Stellung des Sozialadäquanzprinzips außer acht
läßt, bleibt noch die Debatte hinsichtlich der Bedeutung der Sozialadäquanz in
den Werken Welzels, was hier eine Bedeutung für das Verständnis seines Sy-
stems, vor allem bezüglich der Rolle des Objektiven und Subjektiven in seiner
Lehre hat. Einerseits wird von der „traditionellen“ Sichtweise vertreten, daß
Welzel die Sozialadäquanz nur noch als allgemeines Auslegungsprinzip36 und

sche Version des „Das Neue Bild des Strafrechtssystems“, 4. Aufl., mit einigen Ergän-
zungen wie diese über die Sozialadäquanz, die sich in der deutschen Version nicht
befinden). Vgl. zur Einschränkung der Sozialadäquanz sowohl für Vorsatz- als auch
für Fahrlässigkeitsdelikte in dieser Frühphase des Finalismus auch die Ausführungen
von Schünemann, GA 1999, 211.
32 Welzel, Der Allgemeine Teil des deutschen Strafrechts in seinen Grundzügen, 1.

Aufl., S. 33. Auch im gleichen Werk werden überraschenderweise „alle kriegsadäqua-


ten Handlungen (kriegsmäßige Tötungen, Verletzungen, Zerstörungen usw.)“ als sozial-
adäquate Handlungen angesehen, vgl. S. 34.
33 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 56.
34 Dogmenhistorisch betrachtet wäre die Behauptung, daß Welzel den Gewitterfall

in 1939 anders als in 1969 löste, im Detail nicht ganz richtig. Cancio Meliá, GA
1995, 179 ff., sieht hier aufgrund der Ähnlichkeit des Gewitterfalls mit dem verwand-
ten Eisenbahnfall eine Veränderung der Meinung Welzels, allerdings hatten die zwei
unterschiedlichen Fälle im Verlauf der Jahre jeweils die gleiche Lösung. Der Gewitter-
fall wurde immer durch die Verneinung des Vorsatzes gelöst (vgl. Welzel, Das Deut-
sche Strafrecht, ab der 7. Aufl., S. 61, bis zur 11. Aufl., S. 66), während der in der
Struktur gleiche Fall der Eisenbahnfahrt immer durch die Bejahung der Sozialadä-
quanz in einer dazu widersprüchlichen Weise gelöst wurde. Der Gewitterfall wurde
neben dem Krankenhausbrand-Fall als eine Art von Fällen behandelt, bei denen der
Erfolg außerhalb der Einwirkungsmöglichkeit des Täters läge. Während der Vorsatz
beim Gewitterfall verneint wurde, verwies Welzel bei dem Krankenhausbrand-Fall auf
Punkt 3 d, S. 73, wo er dann wiederum den Todeserfolg durch den Krankenhausbrand
als nicht zweckhaft vom Täter der Körperverletzung gesteuert beurteilte und hinzu-
fügte, daß der Kausalverlauf nur in seinen allgemeinen Zügen gesteuert werden könnte.
35 Vgl. für die Kritik statt aller Schünemann, GA 1985, 346.
36 Hirsch, ZStW 74 (1962), 133 f.; Roxin, ZStW 74 (1962), 515 ff., 539; ders.,

Festschrift für Klug, S. 306; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 25 IV 2, Fn. 31; Zielins-


ki, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 72, 124, Fn. 152. Auch ausdrücklich in Welzel,
Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 58; als „Auslegungsprinzip innerhalb des Tatbe-
standes“: ders., Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswissen-
schaft, S. 11, Fn. 21 mit dem Hinweis, daß die Auslegung des Inhalts und Umfangs
der Tatbestände keine spezifische Aufgabe der finalen Handlungslehre sei; als die
46 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

Hilfsmittel zur Haftungseinschränkung37 betrachtet hat. Ob der „Auslegungsge-


sichtspunkt“ als Hilfsmittel für die Einschränkung der Tatbestände oder erst als
Rechtfertigungsgrund dienen sollte, hing von den verschiedenen Phasen Welzels
ab, der seine Meinung über die systematische Stellung der Sozialadäquanz im
Laufe der Jahre änderte.38
Andererseits verbreitet sich neuerdings eine dogmenhistorische Hypothese
zum Aufsatz von Welzel „Studien zum System des Strafrechts“39 aus dem Jahre
1939, die das „Normative“ in seiner ersten Phase der Systembildung sucht,
nämlich durch die Betrachtung der Sozialadäquanz als Vorläuferin der Normati-
vierung des objektiven Tatbestandes. Nach dieser Sichtweise erkannte erstmals
Welzel im ursprünglichen Konzept zwei Bausteine des Handlungsbegriffs: die
finale Seite und die soziale Adäquanz als die gesellschaftliche Seite, und stellte
die soziale Adäquanz in eine absolut gleichberechtigte Rolle neben die Finalität.
Erst die spätere Entwicklung des Finalismus wäre nach dieser Ansicht auf einen
rein ontologischen Handlungsbegriff gegründet.
Die ersten Andeutungen in diese Richtung kamen zunächst einmal von Jakobs,
der die Welzelschen Untersuchungen zur Sozialadäquanz als Vorarbeiten für die
heutige objektive Zurechnung betrachtete, wobei Welzel nach seiner Ansicht die
soziale Adäquanz in die Handlungslehre hätte integrieren sollen,40 damit man nur
sozialinadäquate und nicht alle Finalakte als „Handlung“ betrachten könnte.41

„Folie zu den strafrechtlichen Tatbeständen“ in: Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl.,
S. 57; ders., El Nuevo Sistema del Derecho Penal (vgl. supra, Fn. 31), Barcelona,
S. 55 f.
37 Roxin, Festschrift für Klug, S. 311.
38 Zum Tatbestand gehörend zunächst einmal in: ZStW 58 (1939), 514 ff., 529;

Der Allgemeine Teil des Deutschen Strafrechts in seinen Grundzügen, 1. Aufl.,


S. 33 ff.; Das Neue Bild des Strafrechtssystems, 1. Aufl., S. 24 f.; zuletzt in: Das
Deutsche Strafrecht in seinen Grundzügen, 2. Aufl., S. 36 f. In der 2. Aufl. von Das
Neue Bild des Strafrechtssystems, S. 19 f., änderte er seine Meinung in dem Sinne,
daß die Sozialadäquanz zur Rechtswidrigkeit gehören sollte, vgl. auch: Das Deutsche
Strafrecht, 4. Aufl., S. 62, zuletzt in der 8. Aufl, S. 76; Das Neue Bild des Straf-
rechtssystems, 4. Aufl., S. 25 f. Später plazierte er die Sozialadäquanz wieder im Tat-
bestandsbereich, vgl. Vom Bleibenden und vom Vergänglichen in der Strafrechtswis-
senschaft, S. 11, Fn. 21; El Nuevo Sistema del Derecho Penal (vgl. supra, Fn. 31),
Barcelona, S. 53 ff., insbes. 56; Das Deutsche Strafrecht, 9. Aufl., S. 50 ff. Für einen
ausführlicheren Überblick über die verschiedenen Phasen vgl. Schaffstein, ZStW 72
(1960), 371 f.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 79 f.; Klug, Festschrift für Eb. Schmidt,
S. 254 f.
39 Zitiert hier nach der Fassung in ZStW 58 (1939), 491 ff., auch veröffentlicht in:

Welzel, Abhandlungen, S. 120 ff.


40 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 29 f.
41 Weil Jakobs von einem ganz anderen Handlungsbegriff als Welzel ausgeht, der

nur strafrechtlich relevante Handlungen (einer „Person“) umfaßt, vgl. a. a. O., S. 36, 45
und passim, auch infra, § 3 C V 1 a) und § 3 C V 2 b) bb).
B. Untergrenzen strafbaren Verhaltens 47

Die Idee, daß die Lehre Welzels auf zwei großen Stützpfeilern beruht, näm-
lich der Intentionalität und den sozialen Beziehungen i. S. der Sozialadäquanz,
wurde ferner von Reyes Alvarado entwickelt. Er sieht bei den Welzelschen Be-
trachtungen der sozialen Beziehungen einen Faktor, der „von der im wesent-
lichen naturalistischen Ebene abhebt und statt dessen die Beziehungen des
Menschen in der Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt“. Laut Reyes Alvarado
wurde diese soziale Komponente auf der Seite gelassen, um Platz für die Inten-
tionalität als Grundelement des Systems zu schaffen, sei es für die Finalisten
selbst wie für ihre Kritiker, die ihre Einwände eher nur gegen das erste Postu-
lat, nämlich die finale Handlungslehre, richteten.42
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage der Normativierung des
objektiven Tatbestandes in der Frühphase von Welzel findet man bei Cancio
Meliá.43 Er untersucht, worauf sich der ursprüngliche Gedanke der Sozialadä-
quanz bezogen hat, ob auf die „Lebenswirklichkeit“, wobei es sich dann um ein
ontologisches Element handeln würde, oder auf den „normativ-gesellschaftli-
chen Tatbestandsinhalt“, was eine Annäherung an die Grundsätze unserer heuti-
gen Lehre der objektiven Zurechnung zeigen würde. Bei der ersten Möglichkeit
würde ein naturalistisches Konzept vorliegen, das nur für die Berücksichtigung
der Lebenswirklichkeit bei der Ermittlung des Gesetzeswillens helfen würde.44
Diese Möglichkeit zeigt übrigens Parallelen mit dem traditionellen Gedanken,
wonach die Welzelsche Sozialadäquanz nur als „allgemeines Auslegungsprin-
zip“ nützen würde. Cancio Meliá verwendet weitere Formulierungen zur Erläu-
terung des ontologischen Begriffes „Lebenswirklichkeit“, nämlich die faktische
Akzeptanz bestimmter Verhaltensweisen, die konkreten gesellschaftlichen Wer-
tungen eines Verhaltens,45 die gesellschaftliche Wirklichkeit als Substrat straf-
rechtlicher Tatbestände (soziale „Normalität“)46 oder die empirischen Wertvor-
stellungen einer Gesellschaft.47 Einige von Welzel verwendete Begriffe könnten
das empirisch-faktische Verständnis der wirklichen Tragweite der Sozialad-
äquanz nach der Ansicht von Cancio Meliá unterstützen, so die Bezugnahme auf
die »sozialethische Ordnung«, »Normalität« oder die soziale Adäquanz als im-
manentes Prinzip der Rechtsbildung.48 Er findet aber einige Stellen bei Welzel,
die den Nachweis liefern würden, daß er sich nicht auf die gesellschaftliche
Wirklichkeit, sondern auf die gesellschaftliche Sinnhaftigkeit als kommunika-
tiven Vorgang (bei Welzel: »soziale Bedeutung«) als das von strafrechtlichen

42Reyes Alvarado, ZStW 105 (1993), 114 f.


43Cancio Meliá, GA 1995, 179 ff. (früher in spanischer Sprache in: ADPCP 1993,
Madrid, S. 697 ff.).
44 A. a. O., 184.
45 A. a. O., 183.
46 A. a. O., 184.
47 A. a. O., 184 f.
48 A. a. O., 184 mit den entsprechenden Nachweisen von Welzel.
48 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

Normen bezeichnete Geschehen bezogen hätte. Hauptsächlich handelt es sich


um die Fußnote 38 des Werkes von Welzel „Studien“49. Bei dieser Abwägung
der verschiedenen Ausdrucksweisen kommt er zu dem Ergebnis, daß Welzel mit
der Sozialadäquanz den normativ-gesellschaftlichen Tatbestandsinhalt gemeint
und dadurch letztendlich die Normativierung des objektiven Tatbestandes vor-
weggenommen hatte.50
Diese Ansicht wird neuerdings in der Lehre weiterverbreitet, so daß Roxin
die Lehre von der Sozialadäquanz nun als einen Vorläufer der Lehre von der
objektiven Zurechnung,51 Schünemann als eine Kategorie mit der gleichen
Funktion wie heute die Lehre von der objektiven Zurechnung betrachtet, die
unrichtigerweise für das Vorsatzdelikt nicht anders als für das Fahrlässigkeitsde-
likt gelten soll,52 Sancinetti die Welzelsche Lehre von der Sozialadäquanz mit
Elementen der heutigen objektiven Zurechnung versieht,53 Paredes Castañón
zwar den Ursprung der Lehre von der objektiven Zurechnung in der Lehre der
Sozialadäquanz erkennt, aber das heutige erlaubte Risiko nicht mit der damali-
gen Sozialadäquanz identifizieren möchte,54 und Rueda die Sozialadäquanz im
System von Welzel als Abgrenzung der Tatbestandsmäßigkeit ansieht.55
Es ist allerdings schwer zu begreifen, daß Welzel einen „zweiten Stützpfeiler“
seines Handlungsbegriffes vor allem in einer Fußnote begründen wollte. Ande-
rerseits scheint der Inhalt der Fußnote 38 seiner „Studien“56 ziemlich eindeutig
zu sein, und zwar wird die Sozialadäquanz dort von Welzel sozusagen in eine
Metaebene gestellt: Die Begriffe »Verkehrsmäßigkeit« und »im Verkehr
erforderliche Sorgfalt« würden normalerweise primär als »faktische Durschnitts-
begriffe« beurteilt. „In ihr kommt zwar die funktionale Seite der sozialen
Adäquanz klar zum Ausdruck“, nämlich daß „die Rechtsgüter in einem gegen-
seitigen Austausch von Wirkung und Gegenwirkung (d. h. »im Verkehr«) mit-
einander stehen, d. h. in lebendiger Funktion sind, in der sich allein ihr Dasein
als soziale Lebensgüter erfüllt“. „Aber die soziale Adäquanz ist mehr, sie ist
nicht nur ein funktionaler, sondern auch ein werthafter Ordnungsbegriff: die
Formen, die das funktionale, soziale Leben beherrschen, sind nicht lediglich
faktische Übungen, sondern geschichtliche Ordnungen, die sich aus- und fortbil-

49 Vgl. Nachweis supra, Fn. 39.


50 Cancio Meliá, GA 1995, 185 und passim.
51 Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rdn. 38 mit Fn. 77.
52 Schünemann, GA 1999, 211.
53 Sancinetti, Subjetivismo e imputación objetiva en Derecho penal, Buenos Aires,

S. 94 f.; ders., in: Cancio Meliá/Ferrante/Sancinetti (Hrsg.), Estudios sobre la teoría


de la imputación objetiva, Buenos Aires, S. 48.
54 Paredes Castañón, El riesgo permitido en Derecho Penal, Madrid, S. 84, Fn.

157.
55 Rueda Martín, Imputación objetiva, Barcelona, S. 232 ff.
56 Vgl. Nachweis supra, Fn. 39.
B. Untergrenzen strafbaren Verhaltens 49

den in dem Bedingungszusammenhang zwischen dem sachlichen Lebensbestand


(z. B. der technischen Entwicklung) und den Werthaltungen, mit denen die Ge-
meinschaft wertend und ordnend auf den jeweiligen Daseinsbestand antwortet.
Nur unter Hinzunahme dieser normativ-werthaften Seite (als das sozial »Ange-
messene«) ist die soziale Adäquanz ein immanentes Prinzip der Rechtsbildung,
und zwar nicht nur da, wo das Recht ausdrücklich auf sie verweist . . . sondern
auch für die gesamte Tatbestandsbildung. Hier bringt sie zum Bewußtsein, daß
das gesetzlich normierte Recht stets in eine geschichtlich schon gestaltete Welt
eintritt, deren Ordnungen es befestigt oder (in geschichtlich bewußter Tat) än-
dert und weiterführt, die es aber niemals voll erschöpfen kann, und daß es sich
daher stets entweder unmittelbar auf sie beziehen muß (wie z. B. durch den Be-
griff der Verkehrsmäßigkeit) oder daß seine Begriffe wenigstens mittelbar ihren
Bedeutungsgehalt aus der Beziehung auf sie miterhalten . . .“57. Die Formulie-
rungen von Welzel »normativ-werthaft« und »das sozial Angemessene« schei-
nen wohl einen Bezug zur Normativierung des objektiven Tatbestandes zu ha-
ben. Fraglich wäre, wie „normativ“ diese Metaebene in den Gedanken von Wel-
zel war, und ob sie doch noch in einer Zwischenebene im Rahmen des
Ontologischen geblieben ist. Wenn man den Welzelschen Gegensatz zu Posi-
tivismus und zur Kausallehre und vor allem zum Neukantianismus und zur
teleologischen Begriffsbildung58 betrachtet, erkennt man zwei Interessen oder

57 Welzel, ZStW 58 (1939), 517, Fn. 38.


58 Der Neukantianismus begann in den sechzigen Jahren des 19. Jahrhunderts in
Deutschland als Renaissance der idealistischen Philosophie, die die Rückkehr zum
kantischen Denken bedeutete. Die für das Strafrecht relevanten Schritte dieser neuen
Tendenz wurden von der südwestdeutschen Schule unternommen, die sich mit der
Wertphilosophie befaßte. Als Begründer dieser Schule erscheinen Windelband und
Rickert. Die teleologische Begriffsbildung hat wiederum ihre Wurzeln in der Auffas-
sung Rickerts und Lasks, vgl. dazu die Darstellung von Schünemann, in: Schünemann
(Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 24 ff. Der Unterschied zum
Positivismus bestand darin, daß der Neukantianismus die Realität nicht als etwas Ob-
jektives, sondern als ein Produkt theoretischer Formung verstand. Die reale, objektive
Welt war für den Neukantianismus ein „Chaos“, d. h. sie hatte nicht die Ordnung und
„Vernunft“ als etwas Gegebenes, sondern diese wurde von außen, von einem Subjekt
eingeführt. Sobald das Subjekt Formen und Werte auf die objektive Welt aufsetzte,
„tötete“ es diese reale Welt. Der Unterschied zwischen dem Neukantianismus und
Kant zeigte sich wiederum bei der Frage, wie diese objektive Welt durch die Vernunft
aufgebaut wurde. Nach Kant wurde die objektive Wirklichkeit nach solchen allgemei-
nen Gesetzen aufgebaut, die aus dem reinen Verstand und nicht aus der realen Welt
stammen. Nach dem Neukantianismus wurde die objektive Welt dagegen nach solchen
allgemeinen Gesetzen konstituiert, die sich nicht aus der Vernunft, sondern aus den
realen Gegebenheiten ergeben. So würde beispielsweise die objektive Welt nach den
allgemeinen Kausalgesetzen der Naturwissenschaft aufgebaut. Jene allgemeinen Kausal-
gesetze ergäben sich aus der Umformung jeder individuellen, einmaligen und unwie-
derholbaren Kausalität der objektiven Welt. Die objektive Wirklichkeit wurde damit in
die naturwissenschaftliche Begriffswelt umgeformt. Die Begriffe der Wissenschaft wa-
ren dann für den Neukantianismus „Umformungen“ der objektiven Welt. Der Neukan-
tianismus beeinflußte vor allem die Geisteswissenschaften, namentlich die Geschichts-,
Ökonomie- und Rechtswissenschaft. Sein wertphilosophisches Konzept übte im Be-
50 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

Schwerpunkte bei Welzel in der Abwägung zwischen Sein und Wert als Gegen-
stand des Rechtes: (1) Einerseits sollte die physikalische Wirklichkeit für das
Recht als verbindlich angesehen werden, aber nicht das ganze Sein wie beim
Positivismus, sondern der Lebens- und Tätigkeitsraum in der Gemeinschaft als
Gegenstand der Wertung angenommen werden; (2) andererseits sollte diese
Wirklichkeit gleichzeitig von rechtlichen Begriffen nicht abgedeckt werden, wie
es im neukantianischen System geschah. Beim ersten Schwerpunkt wollte sich
Welzel vom damaligen Positivismus etwa dadurch entfernen, daß das ganze
Sein nicht für das Recht in Betracht kommen solle, sondern „nur derjenige
Wirklichkeitsausschnitt, der durch das praktische Dasein und Wirken des Men-
schen bestimmt wird, d. h. der menschliche Lebens- und Tätigkeitsraum in der
Gemeinschaft. Dieser erschöpft sich nicht in physikalischen, biologischen, phy-
siologischen, assoziations-psychologischen Fakten – zu ihm gehört vielmehr in
erster Linie das ganze höhere geistige Leben mit seinen konkreten Wertbezie-
hungen – . . .“59. Der zweite Schwerpunkt richtete sich gegen den Neukantianis-
mus und dessen Sichtweise der Realität als ein Chaos von Tatsachen, die eine
Formung bedürfen, und das Verständnis des Rechts und des strafrechtlichen Tat-
bestands als ein Produkt methodologischer Begriffsbildungen.60 Danach wurden
nämlich die empirischen Tatsachen durch die Gesetze, die richterliche Ausle-
gung und die Aufgabe der Literatur umgeformt, indem sie mit Strafrechtswer-
ten verbunden wurden, und deshalb waren sie nicht etwas Tatsächliches (Natür-
liches), sondern nach den Worten vom Neukantianer Wolf, etwas wesensmäßig
Rechtliches (Normatives).61 An dem Konzept von Wolf kritisierte Welzel, daß
„das rechtliche Geschehen in eine ,untatsächliche‘ begriffliche Bedeutungswelt
abgedrängt wird, die jene bedeutungsfremde empirische Wirklichkeit wertbe-
grifflich ergänzt“62. Dieser Schwerpunkt ist eigentlich bekannt aus der Fixie-
rung von Welzel in den ontologischen Strukturen, „konkreten Lebenstatbestän-
den“ und die ihnen „immanenten Wertbeziehungen“ gegenüber „abstrakten“,
„allgemeinen Wertbegriffen“, auf die sich die gesetzlichen Tatbestandsmerk-
male beziehen.63 Die „natürlichen“ Fakten wären für die „kulturelle“ Rechts-
sphäre nicht irrelevant, nur weil sie angeblich nicht in die Rechtssphäre hinein-

reich des Strafrechts, vor allem in der Tatbestandslehre, einen enormen Einfluß aus.
Da der Tatbestand und der Handlungsbegriff gerade auf einer Wirklichkeitsbasis beru-
hen, wird im Strafrecht genauso wie im allgemein-philosophischen Bereich die Frage
gestellt, ob nur die „physikalische“ Wirklichkeit in ihrer Sinnfremdheit der Gegen-
stand der Untersuchung sein sollte.
59 Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, S. 74.
60 Z. B. bei Mezger, Festschrift für Traeger, S. 187 ff., insbes. S. 224 f.; Grünhut,

Begriffsbildung und Rechtsanwendung im Strafrecht, S. 15; Wolf, Strafrechtliche


Schuldlehre, S. 85 ff.
61 Wolf, Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit, S. 51.
62 Sogar mit Übernahme des ganzen Satzes von Wolf, vgl. Welzel, Naturalismus und

Wertphilosophie im Strafrecht, S. 69 f.
63 Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, S. 73.
B. Untergrenzen strafbaren Verhaltens 51

reichten. „Vielmehr können der Mensch und der ihn umgebende Lebensraum
mit ihrem ganzen natürlichen und geistigen Sein, soweit es für die Lebensbezie-
hungen in der Gemeinschaft bedeutungsvoll ist, für das Recht in Betracht kom-
men“64. Für Welzel waren somit die Begriffe des Gesetzes, des Richters und
des Wissenschaftlers keine methodologischen Umformungen eines amorphen
Materials, sondern Deskriptionen eines gestalteten ontischen Seins. Allerdings
war die vorjuristische Handlung keine chaotische Summe von Willensakten und
kausalen Erfolgen, die erst durch das Recht zu einer sinnvollen Einheit umge-
formt werden. Die Teilakte bekämen einen Sinn und eine Einheit nicht erst
durch das Gesetz, sondern das Gesetz würde nur diejenige Akteinheiten aus-
wählen, die für das Gemeinschaftsleben besonders schädlich und darum straf-
würdig erscheinen.65
Diese Gedanken begleiteten eigentlich alle späteren Werke Welzels, aber ge-
rade die geschilderte Art von Abwägung zwischen Sein und Wert als Gegen-
stand der rechtlichen Betrachtung stellte er bereits vier Jahre vor seinem Werk
„Studien“ dar, und in diesem Rahmen wäre sein Konzept von der Sozialad-
äquanz zu interpretieren, nämlich aus dem Gegensatz zum Positivismus einer-
seits und zum Neukantianismus andererseits. Die Sozialadäquanz wurde von
ihm ersichtlich in eine höhere Ebene als das einfache Sein gestellt, aber nur in
der Zwischenstufe des „gesellschaftlichen“ Seins bzw. des „menschlichen Le-
bens- und Tätigkeitsraums in der Gemeinschaft“. Darin kann man alles erfas-
sen, was die Gesellschaft tatsächlich als adäquat beurteilt, bzw. eine Sammlung
aller sozialen Regeln einer bestimmten Gesellschaft als ontologische Grundlage
für das Recht. Man könnte die Interpretation der Fußnote 38 folgendermaßen
skizzieren: Die Begriffe »Verkehrsmäßigkeit« und »im Verkehr erforderliche
Sorgfalt« wären nicht als statische Seinskategorien, sondern in einer lebendigen
Funktion zu begreifen: Ein Austausch von Wirkung und Gegenwirkung auf die
Lebensgüter wäre im Verkehr ständig erforderlich, so daß einige Verhaltenswei-
sen bei einem solchen Austausch in der funktionalen Welt notwendig sozialad-
äquat sein sollten. »Funktionale« Welt wäre hier als faktischer Begriff zu inter-
pretieren, der sich nur auf die lebendige Funktion der Lebensgüter bezieht, auf
die man ständig einwirken muß. Dies wäre die erste Metaebene der Sozialad-
äquanz: Güter in einem ständigen Austausch zu betrachten und in diesem Rah-
men die faktische Adäquanz bestimmter Verhaltensweisen festzulegen. Die
zweite Metaebene wird erreicht, wenn man das Sozialadäquate nicht nur als
eine faktische Übung bei der Einwirkung auf die Lebensgüter betrachtet, son-
dern als die sozialen Regeln, die in einer geschichtlichen Welt, d. h. in einer
konkreten Gemeinschaft herrschen. Wenn Welzel sich hier auf die „normativ-
werthafte Seite“ und das „sozial Angemessene“ bezieht, könnte er auf die sozia-

64 A. a. O., S. 74.
65 A. a. O., S. 74, insbes. Fn. 54.
52 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

len Regeln einer bestimmten Gesellschaft anspielen, wie z. B. in öffentlichen


Verkehrsmitteln; bezüglich anstrengenderer Arbeit; die Drohungen mit „ver-
kehrsmäßigen“ Übeln; das Anpflanzen bestimmter Sorten; geringfügige Ge-
schenke an einen Beamten tätigen; das Ausschenken alkoholischer Getränke.
Dies wird durch die Aussage von Welzel in der hier behandelten Fußnote ver-
stärkt, daß „das gesetzlich normierte Recht stets in eine geschichtlich schon ge-
staltete Welt eintritt, deren Ordnungen es befestigt oder (in geschichtlich be-
wußter Tat) ändert und weiterführt . . .“. Die Sozialadäquanz bleibt also nach
diesem Verständnis in einer Metaebene des Seins und nicht der begrifflichen
Sphäre, da sie nicht von einer Metaebene außerhalb des Wirklichen ausgeht.
Die Welzelschen ontologischen Strukturen dürfen also nicht sozusagen physi-
kalisch mißverstanden werden. Sie bestehen in der sinnhaften sozialen Welt,
weshalb gewissermaßen nicht das strafrechtliche System normativiert wird, son-
dern die von Welzel erfaßte Wirklichkeit bereits eine normative Vorstrukturie-
rung aufweist. Nun könnte man zwar sagen, es sei doch gleichgültig, auf wel-
cher Ebene die Normativierung vorgenommen würde, aber das dürfte doch ei-
nen Unterschied ausmachen: Die Sozialadäquanz ist dem Recht vorgegeben,
während die normativen Entscheidungen etwa im Rahmen der objektiven Zu-
rechnung vom Gesetzgeber anhand weiterer Prinzipien und/oder hilfsweise von
Rechtsprechung und Wissenschaft zu treffen sind.
Darüber hinaus ist der Bezug auf die Gesellschaft von Welzel in seiner Straf-
rechtslehre mit dem Bezug auf die Gesellschaft von der Strafrechtslehre Jakobs
überhaupt nicht vergleichbar: Während der Gesellschaftsbegriff von Jakobs ab-
solut normativ ist (zumindest im Prinzip66), bezog sich Welzel bloß auf die fak-
tische Gesellschaft und waren seine Ausführungen im Werk „Studien“ mit de-
nen einer Systemtheorie überhaupt nicht vergleichbar.67

C. Sonderwissen beim Finalismus?

Bezüglich des hier behandelten Themas der Sonderkenntnisse ist aber die So-
zialadäquanz bei der ersten Phase68 Welzels insofern von Interesse, als daß sie
(sei es als gesellschaftliche Metaebene für die Auslegung der Norm, wie es hier
vertreten wird, oder ggf. nach der Ansicht von Cancio als normativer Stütz-
punkt für die Ausscheidung normirrelevanter Verhaltensweisen) eine objektive
Untergrenze möglichen tatbestandsmäßigen Verhaltens darstellt. Sobald solche
Untergrenzen in der Normengeschichte auftauchen, ergibt sich das Problem, ob

66 Vgl. einige Bedenken infra, § 3 C V 1 e).


67 Vgl. zur Strafrechtslehre Jakobs infra, § 3 C V.
68 Aber auch bei der späteren Phase, siehe sein Lehrbuch, 11. Aufl., S. 55 ff. über

die Sozialadäquanz.
C. Sonderwissen beim Finalismus? 53

diese Untergrenze auch bei Vorsatzdelikten anzuwenden ist, und ob sie auch bei
Tätersonderkenntnissen zum Tragen kommt. Wenn man diese Frage neben dem
Schwerpunkt der Finalität bei Welzel betrachtet, kommt man zum Knotenpunkt
bei seiner Gestaltung der Sozialadäquanz: Hatte die Täterfinalität bzw. etwaige
spezielle Täterkenntnis irgendeine Relevanz für die Bejahung oder Verneinung
der Sozialadäquanz einer Handlung? So wäre die Lehre Welzels monistisch in
dem Sinne gewesen, daß die Sozialadäquanz gegenüber der Finalität keine selb-
ständige Bewertung erfahren hätte, sondern daß es primär die Finalität gewesen
wäre, deren Sozialschädlichkeit geprüft würde und für deren Prüfung dann die
Sozialadäquanz einen ersten Filter abgegeben hätte. Oder war doch das ur-
sprüngliche System Welzels dualistisch in der Hinsicht, daß die Sozialadäquanz
als Untergrenze des strafrechtlich relevanten Handelns völlig unabhängig von
der Frage der Täterfinalität fungierte, d. h. eine Untergrenze, durch die alles Ge-
schehen ausgefiltert wird, das von vornherein keine Sozialschädlichkeit reprä-
sentiert? Zunächst einmal wären alle Verhaltensweisen eliminiert, die sozialad-
äquat sind, und überhaupt erst dann würde die Prüfung der Finalität beginnen.
So deutlich wie die heutigen Forschungen im Bereich der objektiven Zurech-
nung das Problem beschreiben, hatte sich allerdings Welzel die Frage damals
nicht gestellt. Er hatte sich vor allem darauf konzentriert, den mechanischen
kausalen Handlungsbegriff zu überwinden und die von ihm bekämpfte teleologi-
sche Begriffsbildung unbedingt zu vermeiden. Seine oben genannten Beispiele
von Sozialadäquanz betrafen in seinem Werk „Studien“ auch „final“ gerichtete
und nicht nur fahrlässige Handlungen (die Freiheitsbeschränkungen der Fahr-
gäste im öffentlichen Verkehrsmittel; die anstrengenderen Arbeiten; das Pflan-
zen einer Tollkirsche; die unerheblichen Körperverletzungen, Freiheitsbeschrän-
kungen oder Drohungen; die geringfügigen Geschenke an einen Beamten; das
Ausschenken alkoholischer Getränke; die Überredung zu einer Eisenbahnfahrt),
so daß man die Sozialadäquanz hier als Untergrenze des strafrechtlichen Ver-
haltens verstehen könnte.69 Ausdrückliche Erklärungen von Welzel über die
Funktion der Sozialadäquanz als Untergrenze findet man nur im Abschnitt über
die Fahrlässigkeitsdelikte.70 Dort wird die Sozialadäquanz als die „unterste(n)
Grenze, jenseits derer überhaupt erst das Gebiet möglicher Rechtswidrigkeit be-
ginnt“71, „die unterste Grenze möglichen tatbestandsmäßigen rechtswidrigen
Verhaltens“ bzw. „die erste Einschränkung im Unrechtstatbestand der Verursa-
chungsdelikte“ bezeichnet, „sodaß auch für sie niemals die bloße kausale
Rechtsgutsverletzung bereits das tatbestandliche Unrecht darstellt, sondern frü-
hestens ein Verhalten, das die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
vernachlässigt“72. Ob diese Bezeichnung „untere Grenze“ auch bedingungslos

69 Cancio Meliá, GA 1995, 187.


70 Welzel, ZStW 58 (1939), 553 ff.
71 A. a. O., 557.
54 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

für die Vorsatzdelikte gedacht wurde, oder ob sich Welzel hier nur auf die Fahr-
lässigkeitsdelikte beziehen wollte, ergibt sich daraus nicht; allerdings könnte
man diese Aussagen mit den zahlreichen „finalen“ Beispielen von der Sozial-
adäquanz verbinden, so daß die Sozialadäquanz doch den ersten Filter bilden
könnte. Hinzu kommt die ausdrückliche Aussage Welzels, daß sozialadäquate
Handlungen auch „nicht tatbestandsmäßig im Sinne der vorsätzlichen Delikte
[sind], wenn der Handelnde mit diesem möglichen Erfolge gerechnet hat“73.
Allerdings stellt sich dabei die Frage, ob die Untergrenze der Sozialadäquanz
für die Vorsatz- wie die Fahrlässigkeitsdelikte auf der gleichen Ebene angelegt
wurde. Im Ergebnis wäre das ursprüngliche Konzept von Welzel nach dieser
Interpretation dualistisch in dem Sinne, daß die Sozialadäquanz eine absolut
gleichberechtigte Rolle neben der Finalität gespielt hätte, und keine Abhängig-
keit der Sozialadäquanz von den Tätervorstellungen gegeben wäre.
Zweifel an dieser möglichen These entstehen durch zwei Beispiele von Wel-
zel aus seiner ersten Phase. Der Zugriff auf das objektive Kriterium der Sozial-
adäquanz brachte ihn nämlich ohne Umweg auf das Thema der Sonderkennt-
nisse. Obwohl die Bezeichnung „Sonderkenntnisse“ mit diesem Umfang nicht
von ihm verwendet wurde, behandelte er doch letztendlich das Problem, das
diese Kategorie mit sich bringt. Erstens, im Fall des lungenkranken Mädchens,
kam er im Ergebnis zu dem Problem der Sonderkenntnis, als er in seinem Werk
„Studien“ die Sozialinadäquanz des Beischlafs mit ihr bejahte, solange der Tä-
ter über die Krankheit wußte, und ihren Tod durch die Schwängerung be-
zweckte.74 Ab der 9. Auflage seines Lehrbuchs und in der letzten, spanischen
Fassung von „Das Neue Bild“ bejahte er dagegen die Sozialadäquanz trotz der
speziellen Täterfinalität.75 Zweitens wurde die Variante des Eisenbahnfalles in
der 9. Auflage des Lehrbuches und in der letzten, spanischen Fassung von „Das
Neue Bild“ eingefügt, nämlich das Ausnutzen eines geplanten Eisenbahnatten-
tats, wenn der Neffe davon zufällig erfahren hatte.76 Hier verneinte Welzel die
Sozialadäquanz und ging von der Beteiligung des Neffen als Nebentäter aus.77

72 A. a. O., 559.
73 A. a. O., 558.
74 A. a. O., 519 f., insbes. Fn. 41. Graf zu Dohna stellte die ganze Lehre der Sozial-

adäquanz aufgrund dieses Falles in Frage, da man daran sehen würde, „wie wenig mit
dieser Vorstellung gewonnen wird“, vgl. seine Rezension des Lehrbuches von Welzel
in ZStW 60 (1941), 293.
75 Welzel, El Nuevo Sistema del Derecho Penal, Barcelona, S. 54 (dieser Abschnitt

wurde nur für die spanische Übersetzung geschrieben, vgl. supra, Fn. 31); ders., Das
Deutsche Strafrecht, 9. Aufl., S. 50; 11. Aufl., S. 56. Dabei handelte es sich nicht
mehr um die ersten Werke von Welzel, sondern aus dem Jahr 1964.
76 Welzel, El Nuevo Sistema del Derecho Penal, Barcelona, S. 54 (dieser Abschnitt

wurde nur für die spanische Übersetzung geschrieben, vgl. supra, Fn. 31); ders., Das
Deutsche Strafrecht, 9. Aufl., S. 50; 11. Aufl., S. 56.
77 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, ab der 10. Aufl., S. 107; 11. Aufl., S. 111.
C. Sonderwissen beim Finalismus? 55

Wie man anhand der Beispiele erkennen kann, waren einige „spezielle“
Kenntnisse in der Welzelschen „objektiven“ Kategorie der Sozialadäquanz sehr
problematisch. Welzel bildete Fallvarianten und entschied sich für die Strafbar-
keit aufgrund des vorhandenen Vorsatzes, mit der Ausnahme der Schwängerung
des lungenkranken Mädchens, die in einer späteren Phase als sozialadäquat trotz
des vorhandenen Vorsatzes behandelt wurde.
Gerade der Welzelsche Fall des lungenkranken Mädchens in der ursprüng-
lichen Fassung, in der der Vorsatz bejaht und die Sozialadäquanz verneint wird,
wird von Cancio Meliá vorgetragen und analysiert. Dennoch sieht er bei der
ursprünglichen Ansicht von Welzel die Sozialadäquanz als Untergrenze und
keine Identifizierung von Sozialadäquanz und Finalität, d. h. daß die Sozialad-
äquanz nicht psychisch vermittelt oder ersetzt wird,78 wobei Cancio die Unter-
grenze als normativ bezeichnet. Unabhängig von diesem Fall scheint die Inter-
pretation der Lehre Welzels von Reyes Alvarado dualistisch zu sein, wenn er
sich auf die zwei Stützpfeiler bezieht, und die von Jakobs rein monistisch zu
sein, wenn er kritisch ausführt, daß Welzel individualpsychisches Faktum und
sozialen Sinn in eins setzte79 und die Sozialadäquanz zum Handlungsbegriff als
ergänzende Haftungsbegründung hinzufügte.80 Demgegenüber loben die Anhän-
ger der personalen Unrechtslehre81 die Abhängigkeit der Welzelschen Sozial-
adäquanz von den Tätervorstellungen, so daß sie auch eine monistische These
vertreten.
Wenn man die ursprüngliche Lösung für den Fall des lungenkranken Mäd-
chens aber nicht isoliert, sondern im Kontext der weiteren Ausführungen von
Welzel an der gleichen Stelle untersucht, kommt sein Ziel zum Ausdruck, so-
zialadäquate Verhaltensweise wie Beischlafen bzw. Schwängern nicht mehr als
sozialadäquat anzusehen, wenn besondere Umstände gegeben sind, der Täter sie
kennt und speziell für die Rechtsgutsobjektsverletzung ausnutzt. Seine Darstel-
lungen richten sich vor allem auf die besondere Finalität des Verhaltens im Ge-
gensatz zum reinen äußeren Geschehen, das vielleicht als adäquat angesehen
werden könnte. Welzel griff hier auf eine Beschreibung der zu untersuchenden
Tathandlung nach den Tätervorstellungen zurück und betrachtete die Sozialad-
äquanz des Beischlafs oder Schwängerns nicht mehr „objektiv“, wie er es bei der
geringwertigen Schenkung an einen Beamten und allen restlichen Beispielen
von Sozialadäquanz machte. Bei dieser Interpretation könnte man bei Welzel
ein quasi-monistisches Konzept erblicken, in dem die Sozialadäquanz in man-
chen speziellen Fällen von den Tätervorstellungen abhing, und käme zugleich
überraschenderweise zu einer Annäherung an Kategoriefelder, die wir heute

78 Cancio Meliá, GA 1995, 186 ff.


79 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 36.
80 A. a. O., S. 29 f.
81 So Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 71, 124, Fn. 152.
56 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

teilweise unter der Bezeichnung „Sonderkenntnisse“ eingliedern würden. Es


scheint so zu sein, als ob Welzel die Sozialadäquanz als objektive Kategorie,
als Untergrenze sogar für die Vorsatzdelikte aufbauen wollte und trotzdem
schon damals auf das Problem der Sonderkenntnisse stieß. Dies wird deutlich,
wenn man den gesamten Kontext des Falles des lungenkranken Mädchens liest:
„Der Unterschied zwischen dem »Töten« des § 211 und dem »Todverursachen«
des § 222 liegt nicht in der Typizität, sondern in der finalen Tatherrschaft, de-
ren Bedeutung in der Teilnahmelehre klar hervortreten wird . . . Wollte man eine
besondere Typizität verlangen, so würde man gerade den raffiniertesten Verbre-
cher, der seine Tat unter dem Anschein harmlosen, scheinbar sozial-adäquaten
Handelns verbirgt, straflos ausgehen lassen müssen. So sehe ich nicht ein, wes-
halb man in den Beispielen Meyers nicht denjenigen als Mörder bestrafen
wollte, der ein lungenkrankes Mädchen, dem eine Schwangerschaft den Tod
bringen muß, mit dieser Absicht schwängert. Daß trotzdem die Finalität im Be-
griff des „Tötens“ nicht nur einen strukturellen, sondern auch einen umfangmä-
ßigen Unterschied gegenüber den kausalen Tatbeständen (»Todverursachung«)
einschließt, werden wir bei den Teilnahmeverhältnissen sehen“82. Welzel bringt
sogar ganz deutlich zum Ausdruck, daß es beim Fall des lungenkranken Mäd-
chens um eine Überschreitung der objektiven Untergrenze (erlaubtes Risiko)
geht: „Beim bewußten Überschreiten des erlaubten Risikos sehe ich wieder
nicht ein, weshalb nicht wegen vorsätzlichen Unrechts bestraft werden sollte,
wenn Vorsatz wirklich vorlag. Fälle dieser Art können in der Wirklichkeit nur
Taten raffiniertester Verbrecher sein, die unter dem Deckmantel scheinbar so-
zial adäquater Tätigkeit ihr Verbrechen verüben“83.
Bei der Gesamtbetrachtung dieser Ausführungen von Welzel erscheint es
deutlich, daß die Sozialadäquanz für ihn nur eine Durchschnittsregel war, die
nicht zum Tragen kam, wenn besondere Umstände vorlagen und der Täter sie
kannte, d. h. die speziellen Kenntnisse über die Krankheit des Mädchens wan-
delten die Handlung in eine „sozialinadäquate“ um. Der soziale Sinn der Hand-
lung war also ohne die Berücksichtigung des Willensinhaltes des Täters nicht zu
begreifen.
Soweit zu den Zielen von Welzel durch die Bildung eines solchen Falles.
Seine Ausführungen können aber nicht dadurch „korrigiert“ werden, daß man
für die (heutige) richtige Lösung plädiert und diese Welzel als eigene zurech-
net. Die Diskussion über die richtige Lösung sollte unabhängig von der Inter-
pretation der Ausführungen von Welzel erfolgen; die Strafbarkeit würde heute
nämlich wegen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des lungenkranken
Mädchens ausscheiden oder ggf. durch eine mittelbare Täterschaft kraft tatbe-
standslosen Werkzeugs begründet. Damals waren solche Lösungen aber kaum

82 Welzel, ZStW 58 (1939), 519 f.


83 A. a. O., 520, Fn. 41, 1. Absatz.
C. Sonderwissen beim Finalismus? 57

denkbar, und abgesehen davon interessiert hier für die Frage der Sonderkennt-
nisse, daß es gar nicht erforderlich gewesen wäre, sich auf den Täterwillen
beim Fall des lungenkranken Mädchens zu beziehen, da die Handlung „eine
lungenkranke Frau zu schwängern“ sozialinadäquat im „objektiven Bereich“ ge-
wesen wäre. Der Beischlaf mit bzw. das Schwängern einer nicht lungenkranken
Person wäre im Regelfall sozialadäquat, und das gleiche Verhalten bezüglich
einer lungenkranken Frau wäre sozialinadäquat. Wäre nach den Umständen des
Falles überall bekannt, daß sie lungenkrank ist, könnte man diesen Umstand als
dem objektiven Tatbestand gehörend und die Handlung wohl unbestritten als
sozialinadäquat ansehen. Allerdings könnte man die Lösung von Welzel für die-
sen Fall so verstehen, daß es eben gerade nicht sozialadäquat ist, lungenkranke
Frauen zu schwängern, und deshalb hätte er für die Bestrafung des Täters plä-
diert. Trotzdem stimmt diese Lösung nicht mit den expliziten Ausführungen von
Welzel überein, der gerade in diesem Fall die Bedeutung von Tätervorstellungen
bei der Bestimmung der Sozialadäquanz besonders zum Ausdruck bringen
wollte.
Das gleiche geschieht mit der Sozialinadäquanz der Überredung zu einer Ei-
senbahnreise, wenn man von einem geplanten Eisenbahnattentat zufällig erfah-
ren hatte. Hier ist die Handlung „zu einer Fahrt mit einer Eisenbahn überreden,
die überfallen wird“, genauso sozialinadäquat wie der ungeschützte Geschlechts-
verkehr mit einer lungenkranken Frau. Beide Verhaltensweisen werden nur mit
weiteren Umständen ergänzt, die durch den Vorsatz erfaßt werden. Sie sind aber
Varianten des „Grundfalles“, und als solche bilden sie eine ganz neue Fallkon-
stellation. Der Grundfall besteht dagegen darin, mit einer „nicht lungenkranken
Frau ungeschützten Geschlechtsverkehr zu haben“ und „zu einer normalen Ei-
senbahnreise zu überreden“. Grundfall und Variante unterscheiden sich also in
der objektiven wie in der subjektiven Beschreibung der Tat: Im Grundfall ist die
Handlung sozialadäquat, und bei der Variante handelt es sich um einen echten
Fall von Sonderkenntnissen, deshalb ist die Handlung sozialinadäquat.
Ferner sind die Fälle von wissentlichen geringfügigen Schenkungen an einen
Beamten und weitere „finale“ Fallgestaltungen keine Beispiele von Sonderwis-
sen oder speziellen Absichten des Täters. Hier war die Sozialadäquanz also als
Untergrenze zu bejahen. Die Tätervorstellungen wichen nicht vom Wissen der
Allgemeinheit in solchen Fällen ab, und der Täter hatte auch keine besonderen
Absichten, deshalb tauchte das Problem der Unterschreitung von Untergrenzen
nicht auf. Die Sozialadäquanz war für Welzel also die Untergrenze, mit einigen
Ausnahmen wie die zwei ausgesuchten (oben erwähnten) Fälle, bei denen der
Täter über spezielle Kenntnisse oder Absichten verfügte und sie für die Tat-
handlung verwendete.
Diese Setzung von Untergrenzen strafrechtlicher Relevanz und die Bildung
von Ausnahmen bei vorhandenen Sonderkenntnissen des Täters über die Schäd-
58 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

lichkeit des eigenen Verhaltens war allerdings nicht weit entfernt von der Vor-
gehensweise der heutigen herrschenden Meinung bei der Behandlung dieser
Problematik. Diese verändert aber die Untergrenzen nur bei Sonderkenntnissen,
nicht aber bei Schädigungsabsichten des Täters im Rahmen einer üblicherweise
„sozialadäquaten“ Handlung. Demgegenüber bezog sich Welzel oft, auch in sei-
ner ursprünglichen Phase, auf die besonderen Absichten des Täters zur Begrün-
dung der strafrechtlichen Relevanz. Diese Erwägungen führen dazu, das System
von Welzel von Anfang an als monistisch anzusehen, d. h., der subjektive
Aspekt des Vorsatzdelikts bekommt die Hauptrolle bei der Bestimmung der
strafrechtlichen Relevanz.
Das Welzelsche System könnte also als monistisch bezeichnet werden; auf
jeden Fall ist es sehr problematisch, wie überall, wo Sonderkenntnisse auftauch-
ten. Dieses Problem wiederholte sich immer wieder in der dogmenhistorischen
Entwicklung der Verbrechenslehre, sobald man eine „objektive“, ggf. „norma-
tive“ Untergrenze für die Zurechnung setzen wollte: Irgendwann wußte der Tä-
ter ein bißchen mehr als die Allgemeinheit oder nutzte ein erlaubtes Risiko aus,
um es gegen ein bestimmtes Rechtsgutsobjekt zu richten.
Es ist allerdings erstaunlich, wie trotz ihrer äußerst knappen Darstellung die
Welzelsche Lehre eine Anwendung objektiver Kriterien für die Abgrenzung des
Tatbestandsbereichs umfaßt. Zwar wird nicht nur eine Untergrenze durch die
Sozialadäquanz gesucht, sondern die Kausalität selbst wird durch ein weiteres
objektives Kriterium abgegrenzt: Die Adäquanztheorie, deren Bezeichnung ähn-
lich ist, aber deren Inhalt sich im Wesentlichen von der Sozialadäquanz unter-
scheidet. Die Adäquanztheorie fragt nicht, ob das Verhalten an sich sozialad-
äquat ist, sondern ob der in Gang gesetzte Kausalverlauf adäquat für die Her-
beiführung des konkreten Erfolges ist. Es wird hier wie bei jeder objektiven
Untergrenze wieder um die Frage der Sonderkenntnisse gehen (auch in der ge-
schichtlichen Entwicklung des Adäquanzprinzips84). Welzel erstreckte die An-
wendung der Adäquanztheorie in seinem Lehrbuch von den Fahrlässigkeits- auf
die Vorsatzdelikte, um wesentliche von unwesentlichen Kausalabweichungen zu
unterscheiden: „Der Begriff der objektiven Voraussehbarkeit ist auch für die
vorsätzlichen Tatbestände von Bedeutung. Da niemand einen Handlungsablauf
bis in die letzten Konkretionen, sondern stets nur in den allgemeinen Zügen
voraussehen und vorherbestimmen kann, sind Abweichungen des wirklichen
Kausalverlaufs vom gewollten insoweit unwesentlich, als sie im Rahmen des
objektiv Voraussehbaren (also Adäquaten) bleiben“85. So hatte Welzel das Ad-
äquanzprinzip auf das angewendet, was wir heute in der Terminologie der Lehre
von der objektiven Zurechnung unter dem Begriff „Verwirklichung der Gefahr“
kennen. Ob die Handlung „adäquat“ für einen Erfolg im Sinne der Vorausseh-

84 Vgl. supra, § 1 B.
85 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 46 f.
C. Sonderwissen beim Finalismus? 59

barkeit des Erfolges ist, d. h. die heutige Kategorie der „Schaffung einer uner-
laubten Gefahr“, hatte Welzel damals noch nicht behandelt. So wäre der Kausal-
verlauf adäquat, wenn das von der Brücke geworfene Opfer nicht erst durch Er-
trinken, sondern schon durch das Aufprallen auf den Brückenpfeiler sterben
würde, oder wenn die Beilhiebe nicht tödlich waren, aber der Tod durch Infek-
tion infolge des Bielhiebes einträte, wobei dieser Fall anders zu beurteilen wäre,
wenn die Infektion auf unsachgemäße Behandlung im Krankenhaus zurückzu-
führen wäre. Sogar für die aberratio ictus bejahte Welzel die Adäquanz der
Kausalität für das tatsächlich getroffene Objekt, wenn die „Möglichkeit des ab-
weichenden Geschehensverlaufs im Rahmen der adäquaten Kausalität“ lag.86
Daß eine solche Lösung der aberratio ictus mit seinem allgemeinen Konzept
der Steuerung der Kausalität durch den Vorsatz nicht leicht zu vereinbaren war,
hat er an der gleichen Stelle angedeutet: „. . . mit nicht unbedenklicher, die Ab-
weichung des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten vernachlässigender
Begründung“87. In den Fällen, in denen der Erfolg bereits bei der Versuchs-
handlung eintritt, wäre die Abweichung nach Welzel ferner unbeachtlich, wenn
sie im Rahmen der adäquaten Kausalität liegen würde. Zur Erläuterung bietete
er folgende zwei Beispiele von Abweichung im Rahmen der täglichen Erfah-
rung: 1. Bereits beim Hochreißen der Waffe zum Anschlag löst sich der Schuß
und tötet das Opfer; 2. das Opfer stirbt bereits an den Schlägen, mit denen der
Täter es nur betäuben wollte, um es dann töten zu können.88
Interessant ist die Welzelsche Lösung des Krankenhausfalles, in dem der Tä-
ter mit Tötungsvorsatz auf jemanden schießt und ihn nur verwundet; dieser
stirbt aber infolge eines Brandes im Krankenhaus, wo er sich aufgrund der Ver-
letzung befand. Welzel bezog sich hier gleichwohl auf den fehlenden Vorsatz
wie auch auf die fehlende Adäquanz des Kausalverlaufs: „Der Erfolg hängt
zwar mit der Tötungshandlung des A ursächlich zusammen, ist aber in seiner
konkreten Herbeiführung nicht zweckhaft von A gesetzt . . . Allerdings ist eine
bis ins einzelne gehende Lenkung des Kausalverlaufs für den Menschen nie
möglich. Der Mensch kann den Kausalverlauf nur in seinen allgemeinen Zügen
steuern. Bedeutsam ist hierfür das Adäquanzurteil. Diejenige Abweichung des
Kausalverlaufs, die noch im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung, also der
adäquaten Verursachung, liegt, ist unwesentlich“89.
Während Welzel beim Vorliegen von Sonderkenntnissen im Rahmen eines
sozialadäquaten Verhaltens auf die Untergrenze verzichtet hatte (d. h. das Ver-
halten war nicht mehr als sozialadäquat zu beurteilen, vgl. die obigen Ausfüh-
rungen), war die Untergrenze des Adäquanzprinzips beim Vorsatzdelikt unbe-

86 Welzel, a. a. O., S. 73.


87 Welzel, a. a. O., S. 73.
88 Welzel, a. a. O., S. 74.
89 Welzel, a. a. O., S. 73.
60 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

rührt, d. h. er bezog sich hier überhaupt nicht auf die Frage der Sonderkennt-
nisse. Bei seinen Ausführungen über das Adäquanzprinzip (im Vorsatzbereich)
ging es gerade darum, daß der Täter den genauen Kausalverlauf nicht in allen
seinen Einzelheiten voraussehen konnte, d. h. es handelte sich gerade um einen
Mangel im Willensbereich, der durch einen objektiven Maßstab zu beseitigen
wäre. Bei Sonderkenntnissen bezüglich der Einzelheiten des Kausalverlaufs
hätte Welzel wahrscheinlich den Vorsatz bejaht, ohne daß die objektive Inad-
äquanz eines solchen Verhaltens ein Hindernis für die Strafbarkeit darstellen
könnte oder ferner, daß weitere objektive Kriterien den vorhandenen Vorsatz
auszuschließen vermögen. Dazu verwendete er das Adäquanzprinzip beim Vor-
satzdelikt nur bei der Frage nach dem Kausalverlauf (d. h. die heute von der
Lehre der objektiven Zurechnung sogenannte „Verwirklichung der Gefahr“),
aber nicht bei der Frage, ob eine (vorsätzliche) Handlung überhaupt adäquat
wäre, den Erfolg herbeizuführen bzw. den Tatbestand zu verwirklichen (d. h.
die heute sogenannte „Schaffung einer unerlaubten Gefahr“). Zur Erweiterung
der Anwendung des Adäquanzprinzips im Vorsatzbereich auf die heutige Kate-
gorie der objektiven Zurechnung „Schaffung einer unerlaubten Gefahr“ siehe
supra, § 1 B und infra, § 3 A bis C.

D. Strenge Unterscheidung
zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten
bereits auf der Tatbestandsebene

Der Finalismus nahm bereits auf der Tatbestandsebene eine strikte Differen-
zierung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten vor, d. h. beide waren im
objektiven Tatbestand zu unterscheiden: Diese Unterscheidung des Vorsatz- vom
Fahrlässigkeitsunrecht basierte aber grundsätzlich auf der finalen Handlungs-
lehre, d. h. auf dem Verständnis der Handlung als sachlogische Struktur, die
vom Strafrecht als verbindlich übernommen werden müßte:90 „Ist . . . Gegen-
stand des Strafrechts die Handlung als soziales Phänomen, so ist klar, daß der
Unterschied zwischen der Handlung als Sinnausdruck und »Handlung« als bloß
vermeidbare Verursachung auch rechtlich von größter Bedeutung ist, daß er es
verbietet, die finale Handlung und die vermeidbare Verursachung in ihrer objek-
tiven Struktur irgendwie gleichzustellen. Eine Verquickung der finalen Grund-
struktur mit der fahrlässigen Verursachung (Handlung im weiteren Sinne) –
auch nur im sog. »objektiven« Tatbestand – mußte darum zu grundsätzlichen
Fehlkonstruktionen führen, weil sie die maßgebliche Eigenart der finalen (vor-
sätzlichen) Handlung als eines realen Sinnausdrucks zwecktätigen Willens zu-
gunsten reiner Verursachungsverhältnisse vernichtet hat. Der primäre Ausgangs-

90 Unter den ersten Kritikern siehe Roxin, ZStW 74 (1962), 515 ff.
D. Strenge Unterscheidung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten 61

punkt strafrechtlicher Dogmatik ist die finale (vorsätzliche) Handlung“91. Auf


die Feststellung, daß die „finale“ Handlung als ontologische Struktur nicht ver-
bindlich für den Verbrechensbegriff sein konnte, und daß sie auch nicht alle
möglichen vorwerfbaren Verhaltensmodalitäten – gerade die Fahrlässigkeit als
vermeidbare Handlung – ausschöpfte, wird gleich eingegangen.
Zur finalistischen Differenzierung zwischen dem Unrecht des Vorsatz- und
Fahrlässigkeitsdelikts muß man etwas näher ausführen: Der Vorsatz war bei
vorhandenem Verwirklichungswillen grundsätzlich zu bejahen, und dabei spiel-
ten jegliche objektive Untergrenzen des verbotenen Verhaltens und die Suche
nach Handlungsfreiheitssphären kaum eine Rolle im Vergleich zum Fahrlässig-
keitsdelikt, wo die Bestimmung des im Verkehr sorgfaltswidrigen Verhaltens an-
gesichts des fehlenden Wissens und Wollens der Rechtsgutsobjektsverletzung
viel abhängiger von objektiven Kriterien sein mag. So waren schon damals z. B.
der Vertrauensgrundsatz, die Kunstregeln, die Sozialadäquanz und vor allem das
erlaubte Risiko für die Inhaltsbestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorg-
falt der Fahrlässigkeitsdelikte erforderlich. Die Handlung mußte auch eine
(objektive!) Gefahr für Rechtsgüter nach einem ex ante-Adäquanzurteil eines
einsichtigen Menschen sein, um überhaupt sorgfaltswidrig zu sein. Dagegen war
diese ex ante-objektive Gefahr bei den Vorsatzdelikten nicht erforderlich. So
vertrat Welzel die subjektive Versuchstheorie und nahm deshalb die Vornahme
einer Handlung, die der Handelnde für eine taugliche Ausführungshandlung ei-
nes Verbrechens hält, als einen Versuch an, d. h. die Gefährlichkeit wurde nicht
objektiv, sondern nach der Vorstellung des Täters bei den Vorsatzdelikten beur-
teilt.92 Dies, obwohl er an einer anderen Stelle folgendes anführte: „Vorsatz ist
Verwirklichungswille, und zwar nicht nur i. S. des auf die Verwirklichung abzie-
lenden Willens, sondern auch i. S. des der Verwirklichung mächtigen Willens.
Der ohnmächtige Wille ist kein strafrechtlich relevanter Vorsatz. Welcher Wille
aber der Tatverwirklichung mächtig ist, ergibt sich nicht aus seinem Inhalt, son-
dern aus der von ihm beherrschten wirklichen Tat“93.

91 Welzel, ZStW 58 (1939), 503. Auch ausdrücklich auf S. 498 f.: „Wie nun, wenn
dieses dogmatische Bemühen [des Kausalismus] gerade falsch war? Wenn vorsätzli-
ches und fahrlässiges Handeln sich bereits im »objektiven« Tatbestand unterschei-
den?“; und S. 501: „Jene dem Naturalismus entgegenkommende dogmatische Tendenz,
eine für Vorsatz und Fahrlässigkeit gleichartige (und darum rein kausale) objektive
Tatbestandsgrundlage herzustellen, hat sich aus dogmatischen Gründen mehrfach als
verfehlt erwiesen! Die finale Besonderheit des objektiven Tatbestands vorsätzlicher
Verbrechen (gegenüber den Verursachungstatbeständen der fahrlässigen Delikte) hat
sich auf die Dauer nicht unterdrücken lassen!“. Die Unterscheidung zwischen Vorsatz-
und Fahrlässigkeitsdelikten auf der Ebene des objektiven Tatbestandes wird auch in
seinem Lehrbuch dargelegt: Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 129 ff.
92 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 192 f.
93 A. a. O., S. 187.
62 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

E. Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts


Für die Finallehre war die Frage nach der Fahrlässigkeit ein Knotenpunkt, der
nicht einfach mit ihrem für die Vorsatzdelikte entwickelten finalen Handlungs-
begriff zu vereinbaren war. Welzel hat deshalb seine Meinung über die Dogma-
tik der Fahrlässigkeitsdelikte mehrfach geändert. Man kann die Entwicklung
seiner Auffassung in drei Phasen einteilen:
Der Finalismus hat am Anfang versucht, den von ihm für die vorsätzlichen
Delikte entwickelten Handlungsbegriff auch auf die fahrlässigen Delikte zu er-
strecken, d. h. für den Handlungsbegriff war nicht nur die aktuelle Finalität (die
wirkliche Zwecktätigkeit), sondern auch die potentielle Finalität (die zwecktä-
tige Vermeidbarkeit) von Bedeutung.94 Die von der Kausallehre erkannten Ele-
mente der Schuld, bzw. die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt und
die Vorhersehbarkeit des Erfolges wurden von der Finallehre anfangs als Be-
standteil des Unrechts betrachtet, aber nicht ganz unabhängig von der Schuld.95
Die für den Handlungsbegriff der fahrlässigen Delikte relevante finale Bezie-
hung war nicht eine wirkliche, sondern eine mögliche Beziehung, d. h. es kam
auf die Möglichkeit (die aktuelle, konkrete Fähigkeit) des Täters an, den Erfolg
vorauszusehen und zu vermeiden.96 Diese konkrete Möglichkeit war für Welzel
bei der bewußten Fahrlässigkeit sehr leicht zu begründen, da man hier von einer
wirklich vorhandenen Voraussicht des Erfolgs ausgeht, die dem Täter die aktu-
elle Möglichkeit geben würde, den Erfolg zweckbewußt zu vermeiden. Aller-
dings stellte die unbewußte Fahrlässigkeit ein schwieriges Problem in diesem
Konzept dar, weil hier die finale Voraussicht des Erfolges einfach nicht vorhan-
den ist. Um dieses Dilemma zu lösen, griff Welzel auf einen früheren Moment
zurück: Der Täter hatte den Erfolg bei der unbewußten Fahrlässigkeit ja tatsäch-
lich nicht vorausgesehen, handelte aber trotzdem auch final, wenn er die Mög-
lichkeit hatte, den Erfolg im entscheidenden Augenblick vorauszusehen und ihn
daher final zu vermeiden.97 Während sowohl der Schuldfähige wie auch der
Schuldunfähige mit aktueller Finalität handeln könnte (und deshalb war die ak-
tuelle Finalität von der Schuld zu unterscheiden), könnte nur der Schuldfähige
mit potentieller Finalität (d. h. die Möglichkeit, den Erfolg vorauszusehen und
ihn zu vermeiden) handeln, weil der Mangel finaler Voraussicht im entscheiden-

94 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 558 ff.; ders., Der Allgemeine Teil des deutschen

Strafrechts in seinen Grundzügen, 1. Aufl., S. 80 ff.; ders., Um die finale Handlungs-


lehre, S. 17 ff., 22; ders., ZStW 60 (1941), 468 ff. Der Begriff „potentielle Finalität“
erscheint in diesen vier Fundstellen nicht, sondern erst ab der 9. Aufl. seines Lehrbu-
ches, wo er die Unrichtigkeit seiner früheren Meinung begründet, vgl. 9. Aufl., S. 116;
11. Aufl., S. 129.
95 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 558 f.; ders., Der Allgemeine Teil des deutschen

Strafrechts in seinen Grundzügen, 1. Aufl., S. 80 f.


96 Vgl. Welzel, ZStW 58 (1939), 559.
97 A. a. O., 560.
E. Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts 63

den Augenblick auf eine „unrichtige Werteinstellung“ des Täters zurückgeführt


werden würde und dabei Voraussetzung wäre, „daß diese unrichtigen Wertein-
stellungen für den Täter sinnhaft vermeidbar waren“98. Welzel berücksichtigte
aber diese Frage unter dem Gesichtspunkt des Schuldgehalts der Fahrlässigkeit,
d. h. daß nur der schuldfähige Täter die Erfolgsverursachung bei der unbewuß-
ten Fahrlässigkeit vermeiden könnte. Der Geisteskranke könnte auch solche un-
richtigen Werteinstellungen haben, aber bei ihm wären sie unvermeidbar.99 Da-
her mußte Welzel für die unbewußte Fahrlässigkeit die Folge annehmen, daß die
konkrete Möglichkeit der (finalen) Voraussicht und damit mittelbar auch die
Möglichkeit zweckbewußten Verhaltens von der Schuldfähigkeit des Täters ab-
hängig wäre.100 Von der Schuldfähigkeit wäre also die Vermeidbarkeit selbst
abhängig, da eine „wirkliche Vermeidbarkeit“ nicht als „wirkliches Handlungs-
moment“, d. h. als Unrechtselement in Betracht kommen könnte.101 Unrecht und
Schuld wären für die unbewußte Fahrlässigkeit untrennbar, für sie gäbe es kein
schuldloses Unrecht. Die Rechtsgutsverletzung allein könnte im finalistischen
System das Unrecht natürlich nicht begründen, sie müßte sich unbedingt an
eine Willenshandlung des Täters anschließen. Nach Welzel war die Rechtsguts-
verletzung bei der unbewußten Fahrlässigkeit eben nur ein „unselbständiges
Teilmoment innerhalb eines umfassenderen Unrechtstatbestandes, für den die
bestimmte Art der Herbeiführung“102 (hier also das Schuldmoment des Mangels
finaler Voraussicht trotz Möglichkeit) konstitutiv wäre.
Bei der bewußten Fahrlässigkeit wäre dagegen die aktuelle Vermeidbarkeit
das wirkliche Handlungsmoment, das den strafrechtlichen Unrechtstatbestand
voll konstituieren würde, deshalb wäre prinzipiell das Unrecht getrennt von der
Schuld zu betrachten. Trotzdem war für Welzel diese scharfe Trennung nicht
immer leicht durchzuführen, wenn die bewußte Fahrlässigkeit an der – fließen-
den – Grenze zur unbewußten Fahrlässigkeit lag. Der Täter würde nämlich bei
der bewußten Fahrlässigkeit den Erfolg „final vorausehen“, aber in den über-
wiegenden Fällen zugleich die Größe der Gefahr nicht erkennen. Deshalb
würde die bewußte Fahrlässigkeit nach Welzel ein Stück fahrlässiger Unkennt-
nis (unbewußter Fahrlässigkeit) enthalten, so daß das Unrecht hier auch von der
Schuld abhängig wäre.103 Welzel sah aber zunächst noch „keinerlei Bedürfnis,
für die Fahrlässigkeitsdelikte einen von der Schuld unabhängigen Unrechtstatbe-

98 Welzel, ZStW 58 (1939), 561. In ZStW 60 (1941), 469, 473 f. begründete er ge-

nauso wie die Willenstheorie die Strafbarkeit unbewußter Fahrlässigkeit in der fehlen-
den Willenskonzentration bei gegenwärtiger Ausführung von Aufgaben und in der
fehlenden Konzentration bei der Übernahme künftig bedeutsam werdender Aufgaben.
99 Welzel, ZStW 58 (1939), 561.
100 A. a. O., 562.
101 A. a. O., 565.
102 A. a. O., 562.
103 A. a. O., 562 f.
64 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

stand herauszustellen“, vor allem weil die Teilnahmelehre hier ausscheiden


würde.104
Ein Jahr später, also 1940, betrachtete Welzel das Unrecht der Fahrlässigkeit
bzw. die Verletzung der objektiven Sorgfalt als abhängig von der Schuld, ohne
Differenzierungen für die bewußte oder unbewußte Fahrlässigkeit vorzunehmen.
Nun war der individualisierende Maßstab der Sorgfaltswidrigkeit auf beide Ar-
ten der Fahrlässigkeit anwendbar. Der Täter müßte nach seinen persönlichen
Fähigkeiten und Verhältnissen im Stande gewesen sein, den Erfolg zu vermei-
den. „Der Maßstab der Fahrlässigkeit“ war „also ein subjektiver oder besser: ein
subjektsbezogener. Dieser Täter hätte den Erfolg vermeiden können und sol-
len“105. Sorgfalt würde „sinnvolle Einsicht in die Handlungspflichten und die
Fähigkeit, sich nach ihnen zu richten . . . d. h. also Schuld“ voraussetzen.106 Dies
wäre durch persönliche Momente wie Schwerhörigkeit, Kurzsichtigkeit, Bestür-
zung und dergleichen, oder sogar durch die Unzumutbarkeit eines anderen Ver-
haltens nach den konkreten Umständen, auszuschließen. Die Figur der Übernah-
mefahrlässigkeit, d. h. die Begründung der Fahrlässigkeit in der bloßen Über-
nahme der Tätigkeit, wenn der Täter zur Ausführung der Tätigkeit nicht die
persönlichen Fähigkeiten besitzt, wurde bereits in dieser Phase von Welzel im
Anschluß an die damalige Rechtsprechung angenommen.107 Hier rückte Welzel
von seiner Theorie der individuellen Sorgfaltsmaßstäbe ab und entschied sich
für einen objektiven Sorgfaltsmaß bei diesen Konstellationen.
In der 4. Auflage seines Lehrbuches ging Welzel wiederum bei der Verlet-
zung der objektiv gebotenen Sorgfalt ausdrücklich nicht von einem Schuld-,
sondern von einem Unrechtsproblem aus; trotzdem waren die Ausführungen
nun noch ambivalent und gerade deshalb für die Debatte interessant, da Welzel
sich nur an dieser Stelle (in den nächsten Auflagen wurden diese konkreten
Ausführungen eliminiert) mit zwei grundsätzlichen Probleme der Fahrlässigkeit
ausführlich auseinandersetzte: Einerseits die Berücksichtigung der konkreten Si-
tuation des Täters, und andererseits die Berücksichtigung seiner Fähigkeiten bei
der Bestimmung der Sorgfaltspflichtverletzung: „Das Merkmal der objektiven
Sorgfalt stellt an den Einsatz der dem Täter zur Verfügung stehenden Hand-
lungsmittel in der konkreten Situation bestimmte Anforderungen, kann aber
nichts an der konkreten Situation selbst, noch an den dem Täter zu Gebote ste-
henden Handlungsmitteln ändern. Daher werden weder die konkrete Lage noch
die Handlungsmittel des Täters, zu denen auch seine Fertigkeiten gehören, einer
,objektiven‘ Betrachtung unterzogen. Wenn man vielfach das objektive Sorg-

104 A. a. O., 563.


105 Welzel, Der Allgemeine Teil des deutschen Strafrechts in seinen Grundzügen,
1. Aufl., S. 81 f.
106 A. a. O., S. 80.
107 A. a. O., S. 82.
E. Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts 65

faltsmaß ,ohne Rücksicht auf die Person des Täters‘ bestimmt, so darf das nicht
bedeuten, daß an Stelle des Täters mit seinen individuellen Fähigkeiten, Sinnes-
organen u. dgl. ein ,Durchschnittsmensch‘ mit ,durchschnittlichen‘ Fertigkeiten
gesetzt wird . . . Die objektive Sorgfalt verlangt lediglich ein bestimmtes Maß
an finaler Leistung auf der Grundlage der gegebenen realen Bedingungen; gene-
ralisiert werden nicht die realen Handlungsbedingungen (Situation, Handlungs-
mittel, Fertigkeiten, Sinnesschärfe), sondern die auf Grund dieser realen Bedin-
gungen erwartete einsichtige und besonnene finale Leistung“108.
An dieser Stelle wird deutlich, daß Welzel die Fähigkeiten des Täters noch
im Unrechtsbereich prüfen wollte. Trotzdem betonte er anschließend nochmals,
wie er es im ganzen Abschnitt angedeutet hatte, die Trennung zwischen Un-
recht und Schuld: „Erst bei der Schuldfrage ist zu prüfen, ob der Täter das von
der Rechtsordnung erwartete objektive Sorgfaltsmaß auch persönlich erkennen
und innehalten konnte“109. Als Prüfungsschema wurde vorgeschlagen, erst die
objektive Vorhersehbarkeit nach dem Maßstab des objektiven Beobachters, und
danach die individuelle Vermeidbarkeit zu untersuchen, also ob der Täter die
Rechtsgutsverletzung mit seinen Handlungsmitteln und Fertigkeiten vermeiden
könnte. Bei der Schuld wäre die subjektive Voraussehbarkeit des Erfolges zu
untersuchen.110
Danach änderte Welzel seine Ansicht nun deutlich im Sinne der bereits da-
mals herrschenden Meinung:111 Das Unrecht der Fahrlässigkeit würde nämlich
nicht durch die Finalität gekennzeichnet bzw. das Sorgfaltsmaß wäre nun nicht
mehr individuell, sondern objektiv zu gestalten. Damit schaffte er einen großen
Sprung bei den Vorsatzdelikten, die bei der späteren und grundlegenden Phase
von Welzel nur aus dem Verwirklichungswillen zu der gesetzlich verbotenen
Handlung ohne grundsätzliche Grenzen bestanden. Er griff bei den Fahrlässig-
keitsdelikten auf den von ihm zuvor kritisierten Begriff der „im Verkehr erfor-
derlichen Sorgfalt“ zurück und kennzeichnete ihn als einen objektiven und nor-
mativen Begriff. Die Verletzung der objektiven Sorgfalt gehörte also zum Un-
recht dieser Deliktsart.112 Für die Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt kam
es nicht darauf an, welche Sorgfalt der Täter aufgebracht hat oder aufbringen

108 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 4. Aufl., S. 97; ders., Das Neue Bild des Straf-

rechtssystems, 1. Aufl., S. 23; 2. Aufl., S. 27.


109 Wie supra, Fn. 108.
110 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 4. Aufl., S. 417 f.; auch in der 5. Aufl.,

S. 440 ff. und teilweise in der 6. Aufl., S. 461 f., erscheint dieses Prüfungsschema.
111 U. a. Engisch, Untersuchungen, S. 276 ff.; 326 ff.; 344 ff.
112 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, sogar auch in der 4. Aufl., S. 96 ff.; 5. Aufl.,

S. 104 ff.; 6. Aufl., S. 112 ff.; 7. Aufl., S. 114 ff.; 8. Aufl., S. 114 ff.; 9. Aufl.,
S. 116 ff.; 10. Aufl., S. 126 ff.; 11. Aufl., S. 129 ff., insbes. 134 ff.; vgl. auch ders.,
Das Neue Bild des Strafrechtssystems, sogar auch in den ersten Aufl.: 2. Aufl., S. 25;
3. Aufl., S. 33 f.; 4. Aufl., S. 32 ff.; ders., Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 14 ff.;
ders., Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, S. 6 f.
66 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

konnte, sondern das Verhalten eines einsichtigen und besonnenen Menschen in


der Lage des Täters war maßgeblich.113 Damit mußte die wirkliche Handlung
des Täters verglichen werden.114 Es kam bei der Fahrlässigkeit nicht auf das
Ziel des Täters an, sondern auf die „Art und Weise der Steuerung und Lenkung
der Handlung“115. Die Spaltung des Handlungsbegriffes in „aktuelle“ und
„potentielle“ Finalität wurde dadurch endgültig verlassen und das Unrecht der
Fahrlässigkeitsdelikte war nicht mehr von der Schuld abhängig, d. h. Welzel
wollte nun die Trennung zwischen Unrecht und Schuld auch bei den Fahrlässig-
keitsdelikten vornehmen. Allerdings beinhaltete die Tatbestandsmäßigkeit der
Fahrlässigkeitsdelikte bis zur 6. Auflage seines Lehrbuches die bloße Verursa-
chung einer Rechtsgutsverletzung. Erst zur Rechtswidrigkeit gehörte nun die
Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt. Bei der Schuld mußte die Frage
erörtert werden, ob dem Täter die Verletzung der objektiven Sorgfalt vorgewor-
fen werden könnte.116 Danach plazierte er die Sorgfaltspflichtverletzung endgül-
tig in der Tatbestandsmäßigkeit.117
Der Inhalt der objektiven Sorgfalt wurde nach den von ihm sogenannten
„intellektuellen“ und „normativen“ Gesichtspunkten bestimmt: (1) Einerseits die
objektive Voraussehbarkeit als „intellektuelles“ Kriterium, wonach als sorgfalts-
widrig alle Handlungen bezeichnet wurden, die nach einem einsichtigen, objek-
tiven Urteil vorauszusehen waren.118 Für die Bestimmung der Voraussehbarkeit
griff Welzel wiederum auf das Adäquanzprinzip zurück, d. h. voraussehbar wa-
ren nur die adäquaten Kausalverläufe. Das objektive Möglichkeitsurteil müßte
sich auf die drei folgenden Maßstäbe gründen lassen: Erstens das allgemeine
Erfahrungswissen über die Kausalverläufe (bezeichnet als „nomologische Ur-
teilsbasis“); zweitens die zur Zeit der Begehung vorhandenen Realfaktoren, die
einem einsichtigen Menschen erkennbar waren, und drittens zusätzlich diejeni-
gen, die dem Täter selbst bekannt waren (bezeichnet als „ontologische Urteils-
basis“).119 Damit tauchte auch bei Welzel das Problem der Sonderkenntnisse
auf, das er nämlich erst ab der 9. Auflage seines Lehrbuches bei der Anwen-
dung des Adäquanzprinzips auf die Fahrlässigkeitsdelikte erkannte: „Zu beach-
ten ist, daß bei dem einsichtigen Urteil der objektiven Voraussehbarkeit – wie
beim Adäquanzurteil überhaupt – auch das Sonderwissen des Täters zu berück-
sichtigen ist!“120. Dazu bestimmte Welzel das Moment des Gefahrurteils beim
Adäquanzprinzip: „das Gefahrurteil ist stets ein ex ante-Urteil, das von den zu

113 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 132.


114 A. a. O., S. 134.
115 A. a. O., S. 131.
116 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 4. Aufl., S. 95 f.; 5. Aufl., S. 103 ff.; 6. Aufl.,

S. 111 ff.
117 Ab der 7. Aufl. seines Lehrbuchs, S. 113 ff.
118 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 46, 132, 136, 175.
119 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 46.
E. Bestimmung des Fahrlässigkeitsunrechts 67

einem bestimmten Zeitpunkt nicht erkennbaren Realfaktoren absieht. Wenn ex


post alle Bedingungen überschaubar geworden sind, war die Verletzung entwe-
der sicher oder ausgeschlossen“121. (2) Andererseits beinhaltete die objektive
Sorgfalt weitere, von Welzel sogenannte „normative“ Gesichtspunkte, nämlich
die – bereits oben behandelte – Sozialadäquanz,122 den Vertrauensgrundsatz
und die Kunstregeln.123
Trotz der Begründung des Fahrlässigkeitsunrechts auf dem objektiven Merk-
mal der Sorgfaltspflichtverletzung griff Welzel in der ersten Zeit noch auf ein
weiteres objektives Abgrenzungskriterium zurück: Er behielt noch bis zur 8.
Auflage seines Lehrbuches die objektive Figur der Übernahmefahrlässigkeit bei
der Übernahme oder Weiterführung einer Tätigkeit, der der Täter nach objekti-
vem Urteil nicht gewachsen ist. Hier nahm er auch einen objektiven Maßstab
an.124 Als Beispiel der Figur der Übernahmefahrlässigkeit brachte Welzel nun
den Fall eines Landarztes, der mit einem Instrumentarium arbeitet, dessen Ver-
wendung in einer Klinik ein schwerer Kunstfehler wäre. Nach Welzel wäre die
Handlung des Landarztes nur bei einem Notfall als sorgfaltsgerecht zu beurtei-
len. Im Grunde behandelte Welzel einen Rechtfertigungsgrund, d. h. den Not-
stand, bei der Prüfung der Sorgfaltswidrigkeit, wenn man berücksichtigt, daß
diese im Rechtswidrigkeitsbereich vorgenommen wurde. Aufgrund dieses Not-
standes wäre die Handlung des Landarztes nicht sorgfaltswidrig. Läge solch ein
Notstand nicht vor, d. h. wäre der Transport in die nächste Klinik noch möglich,
hätte der Landarzt eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen (jedoch könnte
dann seine Schuld ausgeschlossen sein). Der Landarzt hätte (bei keinem gege-
benen Notfall) die Operation daher überhaupt nicht vornehmen dürfen. Eben-
falls dürfte sich auch ein des Fahrens Unkundiger, Schwerhöriger oder Kurz-
sichtiger nicht ans Steuer setzen.125 Ab der 9. Auflage spricht Welzel das
Thema der Übernahmefahrlässigkeit nicht mehr an.

120 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 9. Aufl., S. 118; 10. Aufl., S. 127; 11. Aufl.,

S. 132.
121 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 137.
122 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 4. Aufl., S. 98 f. und in den folgenden Aufla-

gen, z. B. 7., S. 114 ff.; ders., Das Neue Bild des Strafrechtssystems, 1. Aufl., S. 24;
2. Aufl., S. 28 f.; 3. Aufl., S. 33 f.; 4. Aufl., S. 33 f.; genauso wie in seiner früheren
Phase in ZStW 58 (1939), 557 ff.; ders., Der Allgemeine Teil des deutschen Straf-
rechts in seinen Grundzügen, S. 81.
123 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 132 ff.
124 Vgl. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 4. Aufl., S. 99 f.; 5. Aufl., S. 108; 6.

Aufl., S. 115 f.; 7. Aufl., S. 116 f.; 8. Aufl., S. 116 f.; ders., Das Neue Bild des Straf-
rechtssystems, 1. Aufl., S. 25 f.; 2. Aufl., S. 29 f.; 3. Aufl., S. 34; 4. Aufl., S. 34 f.
In den ersten Auflagen bezog sich Welzel auf eine Pflicht zur Unterlassung der un-
sachgemäßen Handlung und auf die Prüfung erst bei der Schuld, ob dem individuellen
Täter die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorzuwerfen war oder
nicht (Das Deutsche Strafrecht, 5. Aufl., S. 105; 6. Aufl., S. 114; ders., Das Neue
Bild des Strafrechtssystems, 1. Aufl., S. 20, 26; 2. Aufl., S. 25, 30; 3. Aufl., S. 32,
35).
68 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

Was blieb bei Welzel bei den Fahrlässigkeitsdelikten in der Schuld? Die indi-
viduelle Fahrlässigkeit, d. h. die Frage, „ob der individuelle Täter diese Voraus-
sicht [der Kausalverläufe und des Erfolges] haben und damit den Erfolg vermei-
den konnte“126.

F. Die drei Untergrenzen strafbaren Verhaltens


beim Finalismus: Zusammenfassung

Die finale Handlungslehre hatte also die uferlose Weite der Tatbestände straf-
rechtlicher Erfolgsdelikte grundsätzlich durch drei Wege abzugrenzen versucht,
wie es oben dargestellt wurde. Einerseits gab es sowohl in der ersten als auch in
der späteren Welzelschen Phase127 die bereits oben behandelte Sozialadäquanz:
a) Entweder für Verhaltensweisen wie z. B. die Hingabe eines geringfügigen
Neujahrgeschenks an einen Beamten, wo die Kenntnisse und Absichten des Tä-
ters mit den sozialadäquaten Handlungen übereinstimmten und deshalb ihre So-
zialadäquanz nicht durch besondere subjektive Elemente beeinträchtigt wurde.
b) Oder für Verhaltensweisen, wie beispielsweise die Schwängerung des lungen-
kranken Mädchens oder die Überredung zu einer Eisenbahnfahrt, die
sozialadäquat für das Vorsatzdelikt waren, solange der Täter diese „sozialad-
äquate“ Handlung nicht aufgrund von Sonderkenntnissen oder besonderen Ab-
sichten für die Rechtsgutsverletzung ausnutzte.
Andererseits wurden die – objektiv ex ante – unvorhersehbaren Kausalver-
läufe von der Tatbestandsmäßigkeit eliminiert, indem man ihre Ädaquanz für
die Verursachung des unerwünschten Erfolges verneint hat. Welzel hat damit
das Adäquanzprinzip nicht für die Ermittlung, ob bei einer bestimmten Verhal-
tensweise mit einer Rechtsgutsobjektsverletzung objektiv zu rechnen wäre (die
heutige Kategorie der Lehre von der objektiven Zurechnung „Schaffung einer
unerlaubten Gefahr“) benutzt. Eher hat er das Adäquanzprinzip für die Beant-
wortung der Frage verwendet, ob die konkret eingetretene Rechtsgutsobjekts-
verletzung bei einer bestimmten, schon riskanten Verhaltensweise objektiv vor-
hersehbar wäre (die heute sogenannte Kategorie der „Verwirklichung der Ge-
fahr“).
Das Adäquanzprinzip wurde wiederum von einigen Vertretern der Lehre der
objektiven Zurechnung nicht nur für die Kategorie der „Verwirklichung der Ge-
fahr“, sondern auch für die „Schaffung einer unerlaubten Gefahr“ übernommen

125 Vgl. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 4. Aufl., S. 99 f.; 5. Aufl., S. 108; 6.

Aufl., S. 115 f. (ab der 7. Aufl. wurde der Fall nicht mehr angesprochen); ders., Das
Neue Bild des Strafrechtssystems, 1. Aufl., S. 25 f.; 2. Aufl., S. 29 f.; 3. Aufl., S. 34 f.
126 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 46, vor allem aber über die Vor-

werfbarkeit bei den Fahrlässigkeitsdelikte auf S. 175 f.


127 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 55 ff.
G. Kohärenz der Systematik: Ein Vorteil? 69

und weiterentwickelt,128 so daß nun damit alle Verhaltensweisen, die objektiv ex


ante keine Gefahr für ein Rechtsgut schaffen (d. h. bei Unvorhersehbarkeit des
Erfolges), vom Tatbestandsbereich ausscheiden.
Wie es bereits oben in § 1 B dargestellt wurde, ist das Ädaquanzprinzip eine
notwendige Abgrenzung des Tatbestandsumfangs, insoweit man dadurch un-
wahrscheinliche Kausalverläufe von der Tatbestandsmäßigkeit ausschließt. Es
basiert aber nur auf einem deskriptiven Wahrscheinlichkeitsurteil bzw. beschäf-
tigt sich nur mit der Frage der Gefährlichkeit eines Verhaltens nach der Lebens-
erfahrung und ist deshalb unzureichend für die Ermittlung, welche der Gefähr-
dungen rechtlich relevant oder rechtlich erlaubt sind.
Prinzipiell setzte Welzel jedoch den Schwerpunkt des Vorsatzdelikts – auf
jeden Fall in seiner späteren und grundlegenden Phase – auf den finalen Ver-
wirklichungswillen. Im objektiven Tatbestand des Vorsatzdelikts war nur die
bloße Kausalität bzw. die Adäquanz neben den typischen objektiven Tatbe-
standsmerkmalen zu prüfen. Auf der anderen Seite war der objektive Tatbestand
der Fahrlässigkeitsdelikte mit den Elementen der objektiven und allgemeinen
Sorgfaltswidrigkeit und dem spezifischen Zusammenhang zwischen dem sorg-
faltswidrigen Verhalten und dem Erfolgseintritt129 damals ein haftungsbegren-
zender Komplex, der für das Vorsatzdelikt nicht verwendet wurde.
Da sich der Finalismus prinzipiell nicht mit einer Theorie der Eingrenzung
der vorsätzlichen Straftatbestände durch Handlungsfreiheitssphären in seiner
Hauptphase beschäftigte, wurde praktisch jedes Verhalten, das vom Wortlaut
eines Straftatbestandes erfaßt wurde, objektiv als ein Unwert angesehen. Die
Grenzen wurden in der Regel im subjektiven Tatbestand durch die Figur der
finalen Handlung und die konsequente Verneinung des Vorsatzes gesetzt, und
dadurch wollte man die Probleme lösen, die die viel zu weit gefaßte Äqui-
valenztheorie und die unzulängliche Adäquanztheorie bereiteten. Wußte bzw.
wollte der Täter die Tatbestandsmerkmale nicht, handelte es sich um ein straf-
rechtlich nicht relevantes Verhalten. Sonderwissen hatten in diesem Konzept
keinen Platz, da alles Subjektive durch den Vorsatz erfaßt wurde.

G. Kohärenz der Systematik: Ein Vorteil?

Die Probleme, die heute die Kategorie der „Sonderkenntnisse“ aufwirft, wa-
ren beim Finalismus sozusagen in einer Lethargie, verdeckt unter dem Mantel
der „Täterfinalität“ als Gegenstand der Betrachtung. Diese Kohärenz der Sy-
stematik kann aber hier nicht als Vorteil angesehen werden. Ein Rechtssystem,

128 Vgl. ferner supra, § 1 B.


129 Zum Aufbau der Fahrlässigkeit bei Welzel supra, § 2 E. Siehe ferner Nachweise
des damaligen Schrifttums bei Roxin, ZStW 74 (1962), 411 ff., 419 ff.
70 § 2 Unterschiedliche Bestimmung des strafbaren Verhaltens

das von der sachlogischen Struktur der Handlung ausging, um dadurch den
Norminhalt zu bestimmen, war zum Scheitern verurteilt, wie bereits von den
Kritikern nachgewiesen wurde.130 Hinzu kam, daß einige „problematische“ For-
men des Verhaltens im Konzept der finalen Handlung nicht berücksichtigt wur-
den. Der finalistische Zweckgedanke signalisierte nämlich mehr als Kenntnis,
viel mehr als „Kenntnis schaffen müssen“ und überhaupt viel mehr als vermeid-
bare Verhaltensweisen, die keine Finalität im Sinne von „Handeln mit einem
Zweck“ aufweisen. Der Eventualvorsatz und die Fahrlässigkeit waren damit mit
dem Begriff der Finalität kaum zu begründen.131 Das Prinzip der Finalität ist
nämlich in den Fällen bedingten Vorsatzes nicht anwendbar, da dabei das Han-
deln des Täters nicht auf die Herbeiführung bestimmter Folgen abzielt. Bei der
bewußten Fahrlässigkeit ist ggf. eine Kenntnis der Tatumstände vorhanden, aber
der Zweck der Handlung tritt in den Hintergrund, weil der Täter gerade die
Erfolgsverursachung nicht bezweckt.
Der Finalismus ging also von der finalen Struktur der Handlung als sachlogi-
sche Kategorie aus, so daß alle Zwecksetzungen prinzipiell fähig waren, rele-
vant für das Recht zu sein. Um die umfangreichen finalen Handlungen von der
rechtlichen Betrachtung auszuschließen, mußte der Finalismus im Ergebnis zu
einem Zirkelschluß kommen: Aus den zahlreichen Elementen der Wirklichkeit
wurden nur die tatbestandsrelevanten Umstände ausgesucht, um sie wiederum
als Elemente des Seins zu bezeichnen.
Wie die Reihenfolge der Erwägungen bei der Rechtsfindung (und sogar
Rechtsanwendung) zu gestalten ist, bleibt nur ein methodisches Problem.
Hauptsächlich bedarf die Gestaltung normativer Kategorien eigenständiger
rechtlicher Überlegungen und Wertungen nach wiederum normativen Zweckset-
zungen, was allerdings die wirklichen Lebensverhältnisse nicht unberücksichtigt
lassen bzw. diesen entgegengesetzt werden kann.

130 Zuerst Roxin in seiner „Kritik der finalen Handlungslehre“, ZStW 74 (1962),

515 ff. und heute die h. M. Beispielsweise bezeichnet Schünemann, Chengchi Law Re-
view 50 (1994), 283, als „naturalistischen Fehlschluß“ die finalistische Ableitung des
Sollens vom Sein, betrachtet aber richtigerweise die ontologischen Strukturen als un-
verzichtbaren Gegenstand der rechtlichen Bewertung. Allerdings geht die Tendenz im
Schrifttum immer mehr dahin, das Recht von den empirischen Gegebenheiten unab-
hängig zu machen, siehe vor allem das gesamte Werk von Jakobs, aber auch die Auf-
fassungen zahlreicher weiterer Autoren mit jeweils unterschiedlichen Nuancen.
131 Vgl. zu dieser Kritik: Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des

modernen Strafrechtssystems, S. 39 f., ferner S. 24 f. des Vorworts zur spanischen


Fassung (El sistema moderno del Derecho penal: Cuestiones fundamentales, Madrid);
Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 168; Jakobs, Handlungsbegriff, S. 24;
Roxin, ZStW 74 (1962), 515 ff., 522.
§ 3 Rückkehr von Problemen
bezüglich des Sonderwissens beim Vorsatzdelikt
mit der Normativierung der Verbrechenslehre

A. Erforderlichkeit weiterer Untergrenzen


strafbaren Verhaltens – Relevanz beim Thema
der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten

Eine Theorie der Bestimmung des strafrechtlich relevanten Verhaltens und


der Schaffung von Handlungsfreiheitssphären aus einer normativen Sicht wurde
erforderlich. Die Frage, nach welchen kriminalpolitischen, logischen, teleologi-
schen, sozialpolitischen oder historischen Erwägungen es sich entscheidet, ob
sich ein Verhalten unter der Grenze strafbarer Relevanz befindet, kann nicht nur
anhand der subjektiven Einstellung des Täters, d. h. durch die tatsächlichen
Kenntnisse des Täters über die Tatumstände und seinen Willen, entschieden
werden. Gegebenenfalls kann dieses subjektive Moment erst durch eine norma-
tive Bewertung Relevanz erfahren.
Die Kategorie der Sonderkenntnisse hat eine Bedeutung bei der Setzung von
Handlungsfreiheitssphären, wodurch die Straftatbestände in ihrem Anwendungs-
bereich begrenzt werden. Dabei wird ein Verhalten mit Allgemeingültigkeit
strafrechtlich toleriert, der Täter setzt aber seine Sonderkenntnisse gegen das
Rechtsgutsobjekt ein, was die strafrechtliche Bewertung seines Verhaltens än-
dern könnte. Angesichts der Notwendigkeit, rechtsfreie Räume zu schaffen, in
denen das Strafrecht keine Eingriffsmöglichkeiten hat, und angesichts dessen,
daß sich dadurch das Problem der Sonderkenntnisse und Sonderfähigkeiten dar-
stellt, ist allerdings vonnöten, auf diese Freiheitsräume Bezug zu nehmen und
anschließend in Frage zu stellen, ob sie gleich bezüglich der Vorsatz- und Fahr-
lässigkeitsdelikte sind oder ob die Tatsache, daß die strafrechtliche Bewertung
eines Verhaltens bei Sonderwissen bzw. Sonderfähigkeiten eine Veränderung er-
fährt, nicht ein Zeichen dafür wäre, daß diese Freiheitsräume unterschiedlich für
die Vorsatz- und für die Fahrlässigkeitsdelikten wären. Dabei geht es darum, ob
die Tatsache, daß es überhaupt um ein absichtliches Verhalten oder ein Verhal-
ten mit Sonderwissen geht, die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens im
Vergleich zum entsprechenden fahrlässigen Verhalten modifizieren könnte.
72 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

B. Schaffung von Handlungsfreiräumen


bei der objektiven Zurechnung
Die Strafrechtsdogmatik der letzten drei Jahrzente beschäftigte sich intensiv
mit haftungsbegrenzenden Aspekten des objektiven Tatbestandes und entwik-
kelte eine allgemeine Zurechnungslehre, die gleich für die fahrlässigen wie für
die vorsätzlichen Erfolgsdelikte gelten sollte. Die erste systematische Ausarbei-
tung der heutigen Lehre von der objektiven Zurechnung kam von Roxin in den
70er Jahren auf der Grundlage der Zurechnungslehren von Honig und Larenz.1
Die Lehre von der objektiven Zurechnung beschäftigt sich mit der Einschrän-
kung des objektiven Tatbestandes und mit der normativen Zurechnung von Ver-
letzungserfolgen. Schöpfer und Anhänger der Lehre unterscheiden sich heute
allerdings nicht nur bezüglich der Typisierungen und Lösungen für die unter-
schiedlichen Konstellationen, sondern vor allem hinsichtlich der Begründung
der Tatbestandsirrelevanz bestimmter Verhaltensweisen. Die einzelnen Kriterien
können trotzdem in zwei große Kategorien eingeteilt werden:2 Durch das Erfor-
dernis der Schaffung einer unerlaubten Gefahr wird der objektive Tatbestand
eingeschränkt und durch das Erfordernis der Verwirklichung der Gefahr im Er-
folg werden alle Kausalverläufe vom Tatbestand ausgeschlossen, die nicht als
„Werk“ des Täters anzusehen sind.
Interessant für die Frage der Sonderkenntnisse ist die erste Kategorie
„Schaffung einer unerlaubten Gefahr“, da dabei die Untergrenzen strafbaren
Verhaltens gesucht und festgelegt werden. Es geht um die Schaffung von Hand-
lungsfreiräumen, bezüglich derer das Strafrecht keine angemessene Methode der
Sozialkontrolle darstellen kann. Für die Einschränkung des objektiven Tatbe-
standes wird auf Rechtsfiguren wie das erlaubte Risiko, ganz entfernte Verursa-
chungen (oder die heute sog. abenteuerlichen Kausalverläufe), das Vertrauens-
prinzip, die Verringerung der Gefahr, die Selbstgefährdung des Opfers, die Fol-
geschäden und die Spätfolgen zurückgegriffen. Davon waren einige bereits von
der früheren Lehre behandelt worden. Die unter diesen Grenzen befindlichen
Verhaltensweisen haben keine strafrechtliche Relevanz. Gilt das aber auch,
wenn der Täter spezielle Kenntnisse über z. B. bestimmte Risikofaktoren für die

1 Vgl. Roxin, Festschrift für Honig, S. 133 ff.; ders., Festschrift für Gallas,

S. 241 ff.
2 Vgl. Nachweise in Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 IV, Fn. 39; Schönke/Schrö-

der/Lenckner, StGB, vor §§ 13 ff., Rdn. 92. Die Kategorie der Schaffung einer uner-
laubten Gefahr wird von Frisch außerhalb der Lehre von der objektiven Zurechnung
als Lehre des tatbestandsmäßigen Verhaltens behandelt, vgl. ders., Tatbestandsmäßiges
Verhalten, S. 9 ff., 31 ff., 56 ff., 67, 428 f., 526 et passim; bereits im Ansatz in: ders.,
Vorsatz und Risiko, S. 504 f.; ders., Festschrift für Roxin, S. 231 ff. Zust. Eser/Burk-
hardt, Strafrecht I, Nr. 4 A 61; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 9 f., 22 f.;
ders., Strafrecht AT, § 2, Rdn. 72 ff. Kritisch Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 46;
Schünemann, GA 1999, 216, 218.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 73

Verletzung eines geschützten Rechtsgutes besitzt? Dies sind die Berührungs-


punkte der Frage der Sonderkenntnisse und des Prinzips der Schaffung einer
unerlaubten Gefahr, die eine nähere Erörterung erfordern.

C. Übertragung der Zurechnungskriterien der


Fahrlässigkeits- auf die Vorsatzdelikte und
Gleichstellung beider Unrechtsformen

I. Überblick

Bezüglich der Fahrlässigkeitsdelikte ist das verbotene Verhalten ohne das Ele-
ment der Sorgfaltswidrigkeit bzw. der Gefahrschaffung für ein Rechtsgutsobjekt
kaum definierbar, da das Element der Unachtsamkeit in unserem täglichen Le-
ben auftaucht, ohne daß alle diese Arten von Verhalten strafrechtlich relevant
werden. Zwar müssen die Mindestanforderungen der strafrechtlich relevanten
Gefahrschaffung erreicht werden. Ob eine Gefahr für ein Rechtsgut geschaffen
ist, wird nach objektiven Maßstäben ex ante beurteilt. Damit hat man die ersten
Ausfilterungen aus dem Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts. Die objektive
Voraussehbarkeit des Erfolges ist aber noch unzureichend, um das verbotene
Verhalten zu konturieren. In jedem Lebensvorgang gibt es riskante Verhaltens-
weisen, die allerdings unter bestimmten Umständen toleriert werden und sogar
bei Verletzung eines Guts strafrechtlich irrelevant werden, wie es bereits oben
ausgeführt wurde: Es handelt sich um die Gewährung von Handlungsfreiräume,
die im Interesse der Handlungsfreiheit von der strafrechtlichen Relevanz aus-
scheiden.
Die Lehre von der objektiven Zurechnung als Gewährung strafrechtlicher
Handlungsfreiräume findet ihren Ursprung in der Struktur der Fahrlässigkeitsde-
likte.3 Was das vorsätzliche Verhalten betrifft, war früher das absichtliche Han-
deln das Musterbeispiel und damit im Vordergrund der Untersuchungen. Weil
der mit Absicht handelnde Täter ein erhebliches und unzweifelhaft unerlaubtes
Risiko für das Rechtsgutsobjekt in der Regel schafft,4 d. h. seine Verletzung
durch die Schaffung ubiquitärer, normaler Lebensrisiken bei ihm kaum in Frage
kommt, stellte man sich nicht die Frage nach einer objektiven Untergrenze vor-

3 So bereits Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 258; Struensee, Libro-

Homenaje a Baigún, Buenos Aires, S. 254 f.; Küpper, Grenzen der normativierenden
Strafrechtsdogmatik, S. 91; Martínez Escamilla, La imputación objetiva del resultado,
Madrid, S. 84, 91; Suárez González/Cancio Meliá, Estudio preliminar, in: Jakobs, La
imputación objetiva, Madrid, S. 62; Jakobs, Objektive Zurechnung, in: Jakobs, Estu-
dios de Derecho penal, Madrid, S. 210; Puppe, Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 1; vgl.
ferner Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 31 f.
4 Vgl. Puppe, Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 1.
74 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

sätzlichen Handelns. Die Tatbestandseinschränkungen erfolgten also in Zeiten


des Finalismus beim Fahrlässigkeitsdelikt im objektiven Tatbestand und beim
Vorsatzdelikt im subjektiven Tatbestand. Die Lehre von der objektiven Zurech-
nung beschäftigte sich dann mit einigen Beispielsfällen wie dem Gewitterfall,5
bei denen der Finalismus die Strafbarkeit des Veranlassers zum Spaziergang im
Gewitter durch die Verneinung des Tötungsvorsatzes bzw. die Bejahung nur ei-
nes „Wünschens“ ausschloß. Demgegenüber erfolgte bei ihr der Ausschluß der
Strafbarkeit durch die Verneinung der Schaffung einer unerlaubten Gefahr im
objektiven Tatbestand. Die objektiven Zurechnungskategorien wurden dann wei-
terentwickelt und vom Fahrlässigkeitsdelikt in das Vorsatzdelikt übertragen, so
daß die Beispielsfälle, in denen die Strafbarkeit wegen des Scheiterns der ob-
jektiven Zurechnung bezüglich eines Vorsatzdelikts ausgeschlossen wird, zah-
lenmäßig stark zunahmen. Nun sind die objektiven Tatbestände beider Delikts-
arten parallel aufgebaut, ohne daß die grundsätzlichen Unterschiede bezüglich
der Zurechnungskriterien hervorgehoben wurden. Die Gleichstellung für die
Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikten geht so weit, daß die objektive Zurechnung
bzw. die „objektiven Untergrenzen strafbaren Verhaltens“ nun vom Fahrlässig-
keitsdelikt in das Kapitel über das Vorsatzdelikt in den Lehrbücher transponiert
und dort ausführlich behandelt wird. Demgegenüber wird beim Fahrlässigkeits-
delikt meistens zu den grundsätzlich beim Vorsatzdelikt behandelten Problemen
der Zurechnung lediglich ein Verweis angebracht.6 Für die Vorsatzdelikte be-
deutet dies konkret, daß „objektive“ Untergrenzen gesetzt werden, unter denen
die Handlung trotz Verwirklichungswillen nicht rechtlich relevant ist.
Eine Gleichstellung des objektiven Tatbestandes der Fahrlässigkeits- und
Vorsatzdelikte wird also heute von der überwiegenden Ansicht vertreten, zumin-
dest spricht man über die Anwendung der Kriterien der Lehre von der objekti-
ven Zurechnung und des erlaubten Risikos bzw. Sozialadäquanz für beide De-
liktsarten. Die Übertragung der Kriterien vom Fahrlässigkeits- zum Vorsatzde-
likt wird in der Regel vor allem angesprochen, wenn es sich um normale
Lebensrisiken wie im geschilderten Gewitter- oder Flugzeugfall,7 sozialadäqua-
te Verhaltensweisen, „erlaubtes Risiko“ oder um eigenverantwortliche Selbstge-
fährdungen des Verletzten handelt. Die Tatbestandsmäßigkeit wird dabei wegen
fehlender objektiver Zurechnung und nicht wie früher durch die Verneinung des
Vorsatzes ausgeschlossen.8

5 Vgl. supra, § 2 A.
6 Vgl. z. B. Roxin, Strafrecht AT I, Verweise in § 11, Rdn. 44; § 24, Rdn. 5 f., 10;
Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 IV für die Lehre von der objektiven Zurechnung
beim Vorsatzdelikt, Verweis in § 55 II 2 b über das Fahrlässigkeitsdelikt.
7 Vgl. supra, Einleitung und § 2 A.
8 Vgl. die Darstellung der Einzelmeinungen zur Gleichstellung der Zurechnungskri-

terien infra, II bis V. Insbesondere zur Einschränkung des Tatbestandes im objektiven


Tatbestand und nicht durch die Verneinung des Vorsatzes, vgl. z. B. Roxin, Festschrift
für Honig, S. 136 f.; ders., Festschrift für Klug, S. 310 f.; ders., Gedächtnisschrift für
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 75

Allerdings hat die objektive Zurechnung für einen Teil der Meinungen nicht
das gleiche Gewicht bezüglich der Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikte, und teil-
weise wird die Lehre von der objektiven Zurechnung abgelehnt. Beispielsweise
sieht eine Ansicht diese Thematik als ein Problem des Ausschlusses der Täter-
schaft9 oder der Tatherrschaft bzw. Steuerbarkeit, Beherrschbarkeit des Gesche-
hens10 und die personale Unrechtslehre behandelt es als ein Problem der „Aus-
legung der Norm“11. Ein anderer Teil des Schrifttums sieht das erlaubte Risiko
grundsätzlich auf die Fahrlässigkeitsdelikte anwendbar, so daß die Zurechnungs-
kriterien nicht immer bzw. nicht gleich bei den Vorsatzdelikten gelten würden.
Damit werden die Untergrenzen des erlaubten Risikos niedriger beim Fahrläs-
sigkeits- als beim Vorsatzdelikt gesetzt.12 Umgekehrt setzt eine andere Ansicht
die Untergrenzen des erlaubten Risikos niedriger beim Vorsatz- als beim Fahr-
lässigkeitsdelikt.13 Ferner wird es von vielen in Frage gestellt, ob das Zurech-
nungsurteil überhaupt objektiv ist, nachdem man die Sonderkenntnisse im ob-
jektiven Tatbestand berücksichtigt.14
Darüber hinaus wird in der Debatte die Frage gestellt, ob das für Vorsatz-
und Fahrlässigkeitsdelikte identische Erfordernis der Schaffung und Verwirkli-
chung einer unerlaubten Gefahr ein Stufenverhältnis zwischen beiden Delikts-
formen impliziere, so daß man bei Nichterweislichkeit des Vorsatzes einen
Fahrlässigkeitsvorwurf wegen der mißbilligten Gefahrschaffung begründen
könnte. Ein Teil der Lehre bejaht diese Frage bzw. geht davon aus, daß Vorsatz
und Fahrlässigkeit kein „entweder/oder“ sind, sondern in einem Plus-Minus
Verhältnis stehen: In jeder Vorsatztat sei eine Fahrlässigkeitstat mitenthalten.15

Armin Kaufmann, S. 240 f.; ders., Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 39 ff.; Otto, Festschrift
für Maurach, S. 99 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 13 f., 141 f., 211; ders., Tatbe-
standsmäßiges Verhalten, S. 15; Wolter, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des mo-
dernen Strafrechtssystems, S. 121; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 IV; Schönke/
Schröder/Lenckner, StGB, vor §§ 13 ff., Rdn. 93; SK-Rudolphi, vor § 1, Rdn. 62;
Herzberg, Festschrift für Stree/Wessels, S. 203 ff., 215 f.; Schünemann, GA 1999,
220; Lackner/Kühl, StGB, vor § 13, Rdn. 14, unter vielen anderen.
9 Exner, Festschrift für Frank, Bd. I, S. 590; Hirsch, ZStW 74 (1962), 98, 100 f.;

Rehberg, Zur Lehre vom «Erlaubten Risiko», S. 93 ff.; siehe weitere Nachweise bei
Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 210.
10 Otto, Festschrift für Maurach, S. 92 ff.; ders., Jura 1992, 97; ders., Festschrift für

Spendel, S. 277 ff.; ders., Festschrift für E. A. Wolff, S. 404 f., 407; Ebert/Kühl, Jura
1979, 569; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, S. 91 ff.;
Tröndle/Fischer, StGB, vor § 13, Rdn. 17a; Wolter, in: Gimbernat/Schünemann/Wolter
(Hrsg.), Internationale Dogmatik, S. 8; krit. dazu Herzberg, Festschrift für Stree/Wes-
sels, S. 215 f.; Kratzsch, Festschrift für Oehler, S. 66; NK-Puppe, vor § 13, Rdn. 233;
Roxin, Festschrift für Tröndle, S. 181 f.; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, vor
§§ 13 ff., Rdn. 92.
11 Vgl. infra, § 3 D.
12 Vgl. die Nachweise infra, § 3 F II.
13 Vgl. die Nachweise infra, § 3 F III.
14 Vgl. infra, § 6 B II 2 b) und c).
76 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Man könne z. B. keinen Totschlag begehen, ohne dabei die im Verkehr erforder-
liche Sorgfalt außer acht zu lassen. Umgekehrt könne kein Beispiel derart gebil-
det werden, daß jemand eindeutig nicht fahrlässig handele und dabei dennoch
ein Vorsatzdelikt begehe. Beispielsweise gefährde ein Boxer das Leben des an-
deren im Rahmen des erlaubten Risikos. Komme es nun unglücklicherweise
trotzdem zur tödlichen Verletzung, dann liege bei mangelnder Sorgfaltspflicht-
verletzung nicht etwa – wegen der bösen Absicht – ein Totschlag vor, sondern
es entfalle schon der objektive Tatbestand.16
Heute wird von der h. M. ein solches begriffslogisches Stufenverhältnis zwi-
schen beiden Deliktsformen abgelehnt: In jeder Vorsatztat stecke nicht begriffs-
notwendig eine fahrlässige Handlung. Werde der Vorsatz durch die Anwendung
des in dubio pro reo-Grundsatzes ausgeschlossen, sei Fahrlässigkeit also nicht
zwangsläufig zu bejahen. Vielmehr müsse bei unklarer Beweislage eine zusätz-
liche Feststellung der Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt als eigen-
ständiger Vorwurf17 gegenüber dem Täter erfolgen. Damit sei das Stufenverhält-
nis normativ und der Vorsatz wird nicht als ein plus gegenüber der Fahrlässig-
keit, sondern als ein aliud, als etwas anderes als die Fahrlässigkeit, betrachtet.18
Dabei wird allerdings seitens der h. M. kaum die Frage angesprochen,19 wie
das Aliud-Verhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit und die folgerichtige
getrennte Feststellung der Tatbestandserfordernisse mit der von ihr vertretenen
Gleichstellung des objektiven Tatbestandes des Vorsatz- und Fahrlässigkeits-
delikts zu vereinbaren ist, nachdem eine Art Sorgfaltswidrigkeit beim Vorsatz-

15 Vgl. Herzberg, JuS 1986, 249 ff.; ders., JR 1986, 7 ff.; ders., JZ 1987, 536 ff.;

ders., JuS 1996, 379 ff.; ders., Festgabe BGH, Bd. IV, S. 58 ff.; ders., GA 2001,
270 f.; ders., NStZ 2004, 595 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht AT, Studienbuch, 7/122;
Hruschka, Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, S. 188 f.; Jakobs, Strafrecht
AT, 9/4; NK-Puppe, § 15, Rdn. 6 („Vorsatz als Spezialfall der Fahrlässigkeit“), vor
§ 13, Rdn. 143, § 52, Rdn. 9; dies., Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 4; NK-Frister, nach
§ 2, Rdn. 50 ff.; Seebaß, Jahrbuch für Recht und Ethik 2 (1994), 392; Freund, Straf-
recht AT, § 7, Rdn. 39; MünchKommStGB/ders., vor § 13, Rdn. 270, 273; Münch-
KommStGB/Hardtung, § 222, Rdn. 1 f., u. a.
16 Herzberg, JR 1986, 7; ders., JuS 1986, 260, Fn. 48; ders., Festgabe BGH, Bd. IV,

S. 60; ders., GA 2001, 570; ders., NStZ 2004, 598.


17 Vgl. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 3; Münch-

KommStGB/Duttge, § 15, Rdn. 102.


18 Vgl. nur Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 73; Maurach/Zipf, Strafrecht AT II,

§ 42 II, Rdn. 35; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 54 I 2; Wolter, Alternative und ein-


deutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, S. 215 ff.;
MünchKommStGB/Duttge, § 15, Rdn. 101 ff.; Schönke/Schröder/Eser, StGB, § 1,
Rdn. 91; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 3 f. m. w. N.;
ferner Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 40, Fn. 155; BGHSt 4, 340, 341; 32,
48, 57.
19 Vgl. z. B. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 4: „. . .

kann ungeachtet der in der unerlaubten Risikoschaffung (sowie ggf. den Elementen
objektiver Zurechnung des Erfolges) liegenden (rechtstheoretischen) Gemeinsamkeit
beider Deliktsformen ein Stufenverhältnis nur wertend ermittelt werden . . .“.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 77

delikt gefordert wird und die Unerlaubtheit der Gefahrschaffung gleichermaßen


für beide Deliktsformen gelten soll. Untersucht man die Begründungen für das
Verständnis der Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten als aliud bzw. selbständige Er-
scheinungen näher, wird ersichtlich, daß sie sich grundsätzlich auf Unterschiede
bei der subjektiven Seite des Tatbestandes stützen, also beide objektiven Tatbe-
stände hiernach gleich sind: Vorsatz und Fahrlässigkeit schlössen einander be-
grifflich aus, weil ein absichtliches Verhalten oder ein Sich-Abfinden mit der
Tatbestandsverwirklichung anders als ein Vertrauen auf das Ausbleiben des Er-
folges sei. Ferner erweise eine Vorsatztat ein größeres Maß an Unrecht und
Schuld als eine fahrlässige Handlung.20 Die soziale Mißbilligung eines Verhal-
tens nehme mit dem Maß der inneren Beteiligung an der Erfolgsherbeiführung
zu. Diese innere Beteiligung sei bei vorsätzlichem größer als bei fahrlässigem
Verhalten.21 Darüber hinaus wird für die Begründung des Aliud-Verhältnisses
der herabgesetzte Strafrahmen der Fahrlässigkeitsdelikte und die rechtsfeindli-
che Einstellung des Vorsatztäters in Form einer bewußten Entscheidung für die
mögliche Rechtsgutsverletzung als Grund für die Schwererbewertung der Vor-
satztat angeführt.22
Aus den Ausführungen der h. M. über die Selbständigkeit oder das aliud-Ver-
hältnis zwischen einer Vorsatz- und einer Fahrlässigkeitstat ergibt sich nicht mit
aller Deutlichkeit, wie dies mit der gleichen Bestimmung des unerlaubten Ver-
haltens beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt zu vereinbaren ist: Verwahrt
jemand Gift in einer Bierflasche im Kühlschrank in der Hoffnung, daß ein Fa-
milienangehöriger davon trinkt und dadurch stirbt, wäre nach der h. M. eine un-
erlaubte Gefahr geschaffen bzw. eine Sorgfaltswidrigkeit sowohl bezüglich des
Vorsatz- als auch des Fahrlässigkeitsdelikts gegeben, weil diese Auffassung
keine Differenzierungen im objektiven Tatbestand vornimmt. Könnte der Vor-
satz bzw. Tötungswille im Prozeß nicht nachgewiesen werden, würde die h. M.
nochmals getrennt die Sorgfaltswidrigkeit bezüglich des Fahrlässigkeitsdelikts
prüfen, weil die Fahrlässigkeitstat eine „selbständige Erscheinung“ mit einem
„eigenständigen Vorwurf“ sei?
Setzt man die Untergrenzen strafbaren Verhaltens wie die herrschende Zu-
rechnungslehre für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte auf dem gleichen Niveau
an, scheint die Idee eines Plus-Minus-Verhältnisses gegenüber einem Aliud-Ver-
hältnis zumindest konsequenter:23 Sollte die Unerlaubtheit der Gefahrschaffung

20 Roxin, Strafrecht AT, § 24, Rdn. 72; Maurach/Zipf, Strafrecht AT II, § 42 II,

Rdn. 35; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 4; Jescheck/


Weigend, Lehrbuch, § 54 I 2.
21 Roxin, Strafrecht AT, § 24, Rdn. 73.
22 Vgl. MünchKommStGB/Duttge, § 15, Rdn. 32, 101.
23 Herzberg, GA 2001, S. 570, sieht bei der Ansicht der h. L. die Inkonsequenz,

daß sie in der Sache für ein Plus-Minus Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit
stehe.
78 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

für beide Deliktsformen gleich gelten und kann der Vorsatz nicht bewiesen
werden, müßte zwangsläufig die Fahrlässigkeitshaftung bejaht werden. Das ist
der entgegengesetzte Vorschlag der anfangs geschilderten Ansicht, die auch von
einer Gleichstellung der Untergrenzen für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte
ausgeht. Die Hervorhebung der logischen Konsequenz des letztgenannten Ansat-
zes bezüglich eines Plus-Minus-Verhältnisses spricht aber noch nicht zugunsten
einer Annahme der Gleichstellung der Zurechnungsvoraussetzungen bei Vor-
satz- und Fahrlässigkeitsdelikt. Diese Frage bedarf noch einer näheren Erörte-
rung.
In dieser Vielfalt von unterschiedlichen Konzepten und Bezeichnungen stel-
len sich zwei grundsätzliche Fragen, die miteinander verbunden werden: Wie
die einzelnen Autoren die Untergrenzen des Strafrechts begründen, und ob sie
dabei zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten differenzieren. Bei der Un-
tersuchung dieser Problematik sind zunächst einzelne Erwägungen des Schrift-
tums zugunsten einer Gleichstellung der Zurechnungskriterien beim Vorsatz-
und Fahrlässigkeitsdelikt zu erörtern. Danach werden die Hauptströmungen der
strafrechtlichen Zurechnungstheorie, die mit unterschiedlichen Begründungen
eine Gleichstellung der Zurechnungskriterien beim Vorsatz- und Fahrlässigkeits-
delikt voraussetzen, sodann die Einwände des Spätfinalismus gegen eine solche
Gleichstellung und schließlich die Begründungen einzelner Autoren für die An-
nahme einer Ungleichstellung der Zurechnungskriterien untersucht.

II. Einige Erwägungen im Schrifttum


zugunsten einer Gleichstellung

Ohne sich noch über die Kriterien der Lehre von der objektiven Zurechnung
zu äußern, bejaht Maiwald die Straflosigkeit auch des vorsätzlichen Handelns
im Rahmen des erlaubten Risikos, welcher Sachgrund auch immer zur Gefähr-
dungserlaubnis führe. Er bezieht sich allerdings auf Fälle, bei denen der Han-
delnde sorgfaltsgemäß handelt und nur hofft, daß der unerwünschte Erfolg ein-
tritt: a) Ein Bergwerksunternehmer benutzt den ordnungsgemäß arbeitenden Be-
trieb nur als „Deckmantel“ für sein Vorhaben, anderen Personen Schaden
zuzufügen; dabei beachtet er aber die Sorgfaltsmaßstäbe, etwa die Unfallverhü-
tungsvorschriften der Berufsgenossenschaften; b) der kunstgerecht operierende
Arzt hofft im Innersten, daß der von ihm gehaßte Patient durch die Operation
zu Tode kommen werde.24 Ungeachtet ihrer bösen Gedanken würden beide Tä-

24 Maiwald, Festschrift für Jescheck, S. 422 f.; bereits Schaffstein, ZStW 72 (1960),

vor allem in Fn. 11; vgl. ferner Maihofer, Festschrift für Rittler, S. 158, Fn. 50; dens.,
ZStW 70 (1958), S. 189; Nowakowski, JZ 1958, 390. Auch Rehberg, Zur Lehre vom
„Erlaubten Risiko“, S. 91, behandelt das Beispiel des Arztes, wobei er den Tötungs-
vorsatz verneint, da der Täter die Verletzung nicht gleichzeitig vermeiden und herbei-
führen wollen könne.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 79

ter durch die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen alles tun, um den Schaden
zu vermeiden.
Hierbei muß man aber bereits darauf hinweisen, daß die von Maiwald behan-
delten Fälle nur noch eine reduzierte Gruppe von den möglichen vorsätzlichen
Fallkonstellationen erfassen. Es bleibt bei seinen Ausführungen unbeantwortet,
wie solche Fälle zu behandeln wären, bei denen die vorgenommene Aktivität
keinen Nutzen bringt und für die der mögliche Verletzte kein Einverständnis
erteilt hat, beispielsweise wenn er zu einer (immerhin im Allgemeinen erlaub-
ten) Aktivität gezwungen wird, die ein erhöhtes Risiko mit sich bringt, wie
Bergsteigen oder in einem Raumschiff reisen. Dabei würde m. E. das fehlende
Einverständnis die wichtigste Rolle für das Verbotensein der Handlung spielen,
da man selbst bei nützlichen Aktivitäten, wie dem Arbeiten in einer Branche,
bei der man statistisch mit einigen Todesfällen rechnen muß, nicht mehr vom
„erlaubten Risiko“ sprechen kann, wenn der Arbeiter dazu gezwungen wäre.
Weitere Autoren behandeln auch die Frage des erlaubten Risikos beim Vor-
satzdelikt, bevor sie zu den Grundsätzen der Lehre von der objektiven Zurech-
nung Stellung nehmen. Allerdings ist die Behandlung der Frage bei den meisten
sehr knapp.25 Andere Autoren haben ihre Meinung im Sinne der Lehre von der
objektiven Zurechnung geändert. Bevor Stratenwerth nämlich die Ansätze der
Lehre von der objektiven Zurechnung neuerdings in der 4. Auflage seines Lehr-
buches grundsätzlich sogar bezüglich des Vorsatzdelikts angenommen hat,26
fragte er sich bereits in der 3. Auflage, ob die Grenzen des erlaubten Risikos
bei vorsätzlichem Verhalten anders, nämlich enger zu ziehen wären als bei fahr-
lässigem. Nach seiner Ansicht „dürfte es dafür keine zureichenden Gründe ge-
ben“27, so daß eine Gleichstellung des objektiven Tatbestandes der Vorsatz- und
Fahrlässigkeitsdelikte nunmehr sogar in seiner personalen Handlungslehre mög-
lich ist.
Eine deutliche Gleichstellung der Zurechnungskriterien für das Vorsatz- und
Fahrlässigkeitsdelikt wird hauptsächlich im Rahmen der Lehre von der objekti-
ven Zurechnung vorgenommen, wobei die Begründungen für die strafrechtliche
Zurechnung und für die Beschränkung der strafrechtlichen Haftung auf einer
ganz unterschiedlichen Gedankenbasis stehen, die zugleich die Problematik der
Gleichstellung umreißen und dadurch deren Behandlung beeinflussen. Losgelöst
von den Begründungen der Hauptströmungen der Zurechnungslehre sind ein-
zelne Erörterungen im Schrifttum über die Gleichstellung nachzulesen. So wird
z. B. die Idee, das typischerweise für das Fahrlässigkeitsdelikt erforderliche Ele-
ment der Sorgfaltswidrigkeit auch für das Vorsatzdelikt zu verlangen, immer
wieder im Schrifttum geäußert. Ein Teil der Autoren, die sich auf diese Unter-

25 So z. B. Preuß, Untersuchungen zum erlaubten Risiko, S. 211 ff.


26 Stratenwerth, Strafrecht AT I, 4. Aufl., § 8, Rdn. 28 ff.
27 Stratenwerth, Strafrecht AT I, 3. Aufl., § 9, Rdn. 346 f.
80 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

grenze beim Vorsatzdelikt beziehen, setzt sie jedoch noch „höher“ beim Vor-
satzdelikt, so daß sie qualifiziertere Gefahren für das Vorsatz- als für das Fahr-
lässigkeitsdelikt fordern und damit sozusagen einen größeren strafrechtlichen
Handlungsfreiraum beim Vorsatzdelikt lassen.28 Ansonsten stößt man bei den
Autoren, die die Sorgfaltswidrigkeit in gleichem Maß für das Vorsatz- wie für
das Fahrlässigkeitsdelikt verlangen, noch auf einige explizite Aussagen zu die-
sem Thema. So verlangt z. B. Krauß das „normative Element der Verletzung
einer im Verkehr erforderlichen Sorgfaltspflicht“ bei den Vorsatzdelikten. Nach
seiner Meinung wird der Verwirklichungswille strafrechtlich relevant nur dann,
wenn seine Betätigung sich zugleich als Verletzung eines objektiven Sorgfalts-
gebotes darstellt. Niemand könne wegen einer vorsätzlichen Tat bestraft wer-
den, der nicht auch ohne Vorsatz bei entsprechender Strafdrohung wegen fahr-
lässiger Begehung bestraft würde. Damit zeige sich deutlich, daß sich die
Erfolgstatbestände bei der Zurechnung des Erfolges im Prinzip nicht unterschie-
den.29 Genauso stellt sich nach Lenckner die Frage nach der unerlaubten Ge-
fahrschaffung oder Sorgfaltswidrigkeit nicht nur bei den Fahrlässigkeitsdelikten,
sondern auch in gleicher Weise für Vorsatztaten, „da auch für diese gilt, daß ein
nach objektiver Wertung unverbotenes Risiko diese Eigenschaft nicht deshalb
verliert, weil der Täter den Erfolg will“.30 Ferner kann nach Seebaß die Beson-
derheit des vorsätzlichen Handelns nicht darin liegen, daß die Folgen hier, an-
ders als beim fahrlässigen Handeln, absolut sicher seien. Beide Handlungstypen
würden vielmehr, wenn das erlaubte Risiko überschritten sei, die Kriterien der
„Fahrlässigkeit“ erfüllen. Diese stelle insofern keine gesonderte Spezies neben
dem Vorsatz dar, sondern ein Genus, das ihn als Sonderfall mitumfasse. Der
Vorsatz des professionellen Gunkillers, der seine Opfer mit einer Trefferwahr-
scheinlichkeit von 0.999 töte, unterscheide sich zwar in der Risikohöhe, nicht
aber in seiner Handlungsstruktur vom Leichtsinn des Autobahndränglers, dessen
Tötungsrisiko gegenüber sich selbst oder anderen vielleicht bei 0.001 liege.
Vorsätzliche und fahrlässige Handlungen haben nach Seebaß eine gemeinsame
Basis: „das Kontinuum von Wahrscheinlichkeiten, das durch normierte Risiko-
grenzen geteilt wird und alle Handlungen jenseits der Grenze als ,fahrlässige‘
ausweist“.31 Damit bekennt er sich neben der Gleichstellung der erforderlichen
Risikohöhe des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts zu einem Plus-Minus-Ver-
hältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Seebaß macht aber eine Ausnahme

28 Diese Ansicht setzt damit eine Ungleichstellung der Zurechnungskriterien voraus,

vgl. dazu infra, § 3 F III.


29 Krauß, ZStW 76 (1964), 47 f.
30 Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, vor §§ 13 ff., Rdn. 93, vgl. auch Rdn. 70 c.

Anders bezüglich Rechtfertigungsgründe, a. a. O., vor §§ 32 ff., Rdn. 107 b.


31 Seebaß, Jahrbuch für Recht und Ethik 2 (1994), 392 ff. Entgegen der Klassifizie-

rung von Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 217, zählt die Ansicht Seebaß nicht
zu denjenigen wie z. B. Puppe, die die Untergrenze beim Vorsatzdelikt niedriger als
beim Fahrlässigkeitsdelikt setzen, vgl. dazu infra, § 3 F III.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 81

von diesen Grundsätzen beim Boxer-Fall von Herzberg:32 Tötet der Boxer den
Gegner zwar mit sportlich korrekten Mitteln, aber böswillig, könne dieses Ri-
siko nicht toleriert werden.33 Nach Mitsch ist die Sorgfaltswidrigkeit ein unge-
schriebenes, aber jedem Tatbestand immanentes objektives Tatbestandsmerkmal,
und zwar auch der Vorsatzdelikte.34
Ansonsten bezieht sich das Schrifttum im Rahmen der Lehre von der objekti-
ven Zurechnung oder sogar der Adäquanztheorie beim Vorsatzdelikt meistens
nicht auf den Begriff der Sorgfaltswidrigkeit, sondern wendet allgemein die Zu-
rechnungskriterien auf diese Deliktsform an, auch wenn dies in der Regel aus-
drücklich nur bezüglich einiger Zurechnungskriterien geschieht. So rekurriert
z. B. Jescheck auf die Anwendung der Sozialadäquanz auf das Vorsatzdelikt,
„sofern der Täter die ihm obliegende Sorgfaltspflicht erfüllt hat“35, und auf die
Anwendung der Zurechnungskategorie des Fehlens einer rechtlich relevanten
Gefahr bzw. der normalen Lebensrisiken auch auf das Vorsatzdelikt.36
Aus der Sicht einer individualisierenden Fahrlässigkeitslehre wäre gerade eine
Gleichstellung der Zurechnungskriterien beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt
nicht auszuschließen. So ist z. B. für Otto die Pflicht beim Fahrlässigkeitsdelikt
situationsbezogen, denn was Menschen möglich sei und was nicht, welche Mög-
lichkeiten, der Pflicht zu genügen, überhaupt bestehen, könne nicht abstrakt,
sondern nur unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der konkreten Situation
festgestellt werden. Insofern seien die Voraussetzungen der Erfolgszurechnung
im Vorsatz- und im Fahrlässigkeitsbereich gleich. Damit ergebe sich, daß die
Rechtspflicht, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, dahin gehe, diesen Erfolg
im Rahmen des dem Täter Möglichen und des von der Rechtsgesellschaft Ver-
langten zu vermeiden.37

III. Kriminalpolitisch orientierte Bestimmung


des erlaubten Risikos

1. In der Zurechnungslehre Roxins wird der vom Wortlaut her uferlose Um-
fang der strafrechtlichen Tatbestände allgemein im objektiven Tatbestand, auch
der Vorsatzdelikte, unter Berücksichtigung von kriminalpolitischen Erwägungen
und strafrechtlichen Zwecksetzungen im Rahmen der von ihm begründeten
Lehre von der objektiven Zurechnung beschränkt.38 Eine gesonderte Lehre des

32 Vgl. supra, § 3 C I, bei Fn. 16.


33 Seebaß, a. a. O., 393 f., Fn. 37.
34 Siehe näheres in Mitsch, JuS 2001, 108 f. So auch NK-Frister, nach § 2, Rdn.

50 ff., unter vielen anderen.


35 Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 25 IV I, mit Beispielen.
36 A. a. O., § 28 IV.
37 Otto, Gedächtnisschrift für Schlüchter, S. 89 f.
82 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

tatbestandsmäßigen Verhaltens sieht Roxin als nicht erforderlich an, da es im-


mer um Zurechnung oder Nichtzurechnung des Erfolges gehe.39
Die Ausschlußgründe können in folgende Kategorien gegliedert werden: Ei-
nerseits sollen rein zufällige Erfolgsverursachungen keine Tatbestandsrelevanz
bei den Erfolgsdelikten haben, und zwar unabhängig von der Frage, ob der Tä-
ter diesen „zufälligen“ Erfolg wollte oder nicht, sondern schlechthin weil diese
Art von Erfolgsverursachungen im Rechtssinne irrelevant sei.40 Die Reichweite
des Tatbestandes erfasse nämlich nicht die Verhinderung solcher Art von Gefah-
ren und ihren Auswirkungen,41 „da die Herbeiführung eines sozial normalen
und generell ungefährlichen Verhaltens nicht verboten werden kann“42. Aus die-
sen Erwägungen wird z. B. die Tatbestandsmäßigkeit des Handeln des Neffen
im Gewitterfall43 wegen des abenteuerlichen Kausalverlaufs ausgeschlossen,
aber auch „jede andere Veranlassung zu normalen, rechtlich irrelevanten Le-
bensbetätigungen, wie dem Spazierengehen in der Großstadt, dem Treppenstei-
gen, Baden, Bergwandern usw.“. Für die Ermittlung, ob eine rechtlich relevante
Gefahr geschaffen ist, solle die objektiv-nachträgliche Prognose des Adäquanz-
prinzips gelten, d. h., es komme darauf an, ob ein einsichtiger Beobachter vor
der Tat (ex ante) das entsprechende Verhalten für riskant bzw. gefahrerhöhend
gehalten hätte, und dazu sollten die etwaigen Sonderkenntnisse des konkreten
Täters in Betracht gezogen werden.44 Roxin erfaßt in dieser Art von Untergren-
zen des strafbaren Verhaltens die fehlende Gefahrschaffung, aber auch die feh-
lende Gefahrerhöhung, die die Existenz einer Gefahr voraussetzt. Gleichzeitig
bezieht er sich dabei auf den Begriff des „Minimalrisikos“, d. h. unter dieser
Kategorie werden auch kleine Risiken erfaßt, deren Schaffung aus irgendeinem
Grund erlaubt ist. Damit ist die Abgrenzung zwischen dieser Kategorie des er-
laubten Risikos von den Fällen, bei denen überhaupt kein beachtliches Risiko
geschaffen wird, nicht scharf genug, was er ausdrücklich anerkennt.45 Aus den
zwei unterschiedlichen Kategorienbildungen ergibt sich nicht deutlich, ob z. B.
das Treppensteigen als „riskant für Leib oder Leben“ angenommen und trotz-
dem erlaubt wird oder ob es einfach gar keine Gefahr bedeutet, weil es ein

38 Vgl. Roxin, hauptsächlich in Festschrift für Honig, S. 133 ff.; ders., Strafrecht AT

I, § 7, Rdn. 24 ff.; § 11.


39 Deshalb lehnt er die Sonderkategorie des „tatbestandsmäßigen Verhaltens“ von

Frisch ab: „Dem Verursacher wird der Erfolg nicht zugerechnet, wenn er sich von
vornherein sachgemäß verhalten hat, und ebenso dann nicht, wenn der Kausalverlauf
besonders abenteuerlich war“, Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 46.
40 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 39 ff.; ders., Festschrift für Honig, S. 137.
41 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 43.
42 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 49.
43 Vgl. supra, § 2 A.
44 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 49 f.; ders., Gedächtnisschrift für Armin Kauf-

mann, S. 237 ff., 250; ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 232 f., 247.
45 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 61.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 83

„sozial normales Verhalten“ ist. Dies wäre für die Bestimmung des vorsätz-
lichen Verhaltens von Interesse, insofern in dieser Arbeit die Ansicht vertreten
wird, daß die Rechtsordnung die Schaffung einiger Risiken aufgrund einer Ab-
wägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtgüterschutz erlaubt, solange ein
Vermeidewille vorhanden ist, jedoch nicht, wenn anstatt dessen Vorsatz besteht.
Wird aber ein Verhalten von der Gesellschaft überhaupt als nicht riskant ange-
sehen, kann man bei vorhandener Verletzungsabsicht nicht plötzlich deklarieren,
daß die Handlung doch riskant sei.
Somit werden die Zurechnung und damit die „objektive“ Tatbestandsmäßig-
keit im System Roxins bei Schaffung eines Risikos, das aufgrund einer Global-
abwägung erlaubt ist, ausgeschlossen. So erlaube der Gesetzgeber z. B. den
Straßenverkehr, den gesamten öffentlichen Verkehr (auch Luft-, Schienen- und
Wasserverkehr), den Betrieb von Industriewerken, die Ausübung risikobehafte-
ter Sportarten (alles im Rahmen bestimmter Sorgfaltsregeln), ärztliche Heil-
behandlungen im Rahmen der lex artis u. ä., weil überwiegende Interessen des
Gemeinwohls das verlangten. Hier begründet Roxin nochmals den Tatbestands-
ausschluß mit kriminalpolitischen Gesichtspunkten. Diese Abwägung soll nach
seiner Meinung nicht nur für die Fahrlässigkeits-, sondern auch für die Vorsatz-
delikte gelten.46 Hier sollte man bereits darauf aufmerksam machen, daß Roxin
eine Gleichstellung der Zurechnungskriterien bei Vorsatz- und Fahrlässigkeits-
delikten vertritt, wobei er sich aber nicht auf die Extremfälle einer solchen An-
nahme bezieht, sondern auf Fälle, in denen eine solche Gleichstellung ohne De-
batte anzunehmen wäre. So werden von ihm als Beispiele für die Anwendung
der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Vorsatzdelikte die Veranlas-
sung zu einer Flugreise in der Hoffnung, daß der Reisende dabei verunglückt,
und das Überreden zur Beschäftigung mit gefahrenträchtigen Berufen oder
Sportarten angeführt. Das Fehlen des Vorsatzes beruhe dabei auf der Vernei-
nung des objektiven Tatbestandes.47 Ferner bestreitet Roxin, daß das Sonderwis-
sen bei der Bestimmung des strafrechtlich relevanten Verhaltens eine Rolle als
präjuristisches Datum spielen könne. Bei dessen Bestimmung würde es sich nur
um soziale Entscheidungen handeln, weshalb das subjektive Datum nicht aus-
schlaggebend sein könne, um z. B. einen Totschlag zu bejahen. Notwendig sei
dafür z. B. der Nachweis von Veränderungen bezüglich der Bestimmung des
Standards, die das Bedienen von Maschinen im Laufe der Zeit erfuhr. Was ge-
stern ein erlaubtes Risiko war, könne das heute nicht mehr sein. Letztendlich

46 Roxin, Festschrift für Honig, S. 137; ders., Gedächtnisschrift für Armin Kauf-

mann, S. 246 f.; ders., Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 60 ff., § 24, Fn. 92; ders., Cheng-
chi Law Review 50 (1994), 231 f.
47 So geschildert gehören aber diese zwei Beispiele eher zur Kategorie der eigen-

verantwortlichen Selbstgefährdung, genauso wie im Gewitterfall, wenn das Opfer das


Risiko bemerkt, vgl. dazu Roxin, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 238;
ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 220, 222, 231.
84 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

gehe es hier um eine gesellschaftspolitische Entscheidung; es gehe darum, dar-


über zu entscheiden, wieviel Freiheit wir dem Individuum gewähren möchten.48
Eine Ausnahme von der Gleichstellung macht Roxin beim Zurechnungskrite-
rium des Schutzbereichs der Norm, zumindest in einer älteren Abhandlung.49
Während die Zurechnung bei den von ihm behandelten zurechnungsausschlie-
ßenden Prinzipien (Risikoverringerung, Fehlen einer rechtlich relevanten Risiko-
schaffung und mangelnde Steigerung des erlaubten Risikos) zur Fahrlässigkeit
wie zum Vorsatz gleich wäre (so daß theoretisch auch ein etwa subjektiv auf
den Erfolg zielender Wille irrelevant wäre), kann das Zurechnungskriterium des
Schutzbereichs der Norm bei Vorsatz- und bei Fahrlässigkeitsdelikten nach der
Ansicht Roxins unterschiedlich bestimmt werden.50 Roxins Beispiele beziehen
sich auf die für dieses Zurechnungskriterium charakteristischen Konstellationen,
bei denen die Risikosetzung nirgends gestattet und trotzdem nicht zuzurechnen
wäre, weil der Gesetzgeber den Handelnden nicht für den Erfolg verantwortlich
machen will:51 Jemand tötet den einzigen Sohn eines alten und herzkranken
Menschen in der Absicht, daß der Vater beim Empfang der Todesnachricht
durch einen Herzinfarkt stirbt. Oder jemand bringt ein Kind in schwere Gefahr,
damit dessen Vater bei dem Versuch seiner Rettung umkomme. Im ersten Fall
würde es sich um einen Sekundärerfolg handeln, der voraussehbar wäre. Würde
es sich um ein fahrlässiges Verhalten handeln, wäre eine Bestrafung jedoch
nach der Auffassung Roxins kriminalpolitisch wenig sinnvoll, da der Schutz-
zweck der Norm auf die Verhinderung unmittelbar rechtsgüterverletzender Fol-
gen begrenzt und nicht auf die Vermeidung dadurch erst ausgelöster Zweitschä-
den ausgedehnt werden sollte. Im zweiten Fall handele es sich ebenfalls um
einen voraussehbaren Todeserfolg. Handele es sich wiederum um eine fahrläs-
sige Unfallverursachung, käme gleichwohl eine Bestrafung des Unfallverursa-
chers für Verletzungen der Retter nach Roxin nicht in Frage, da die Rettung
entweder durch Gesetz angeordnet werde oder der Retter eigenverantwortlich
handeln würde. Dagegen ließe sich die Annahme einer vorsätzlichen vollende-
ten Tötung beim absichtlichen Handeln in beiden Fällen nach der Ansicht Ro-
xins durchaus vertreten, weil die teleologischen Erwägungen, die den Gesetzge-
ber bei fahrlässigem Handeln zu einer Risikoabnahme bewegen können, bei ei-
ner Erfolgsbezweckung nicht vorlägen.52
Als eine weitere Art der Tatbestandseinschränkung behandelt Roxin die
Selbstgefährdungen des „Opfers“, wenn z. B. der Täter es zu einer Himalayabe-

48 Roxin, Schlußdebatte in einem Seminar an der Universität Pompeu Fabra, Barce-

lona, in: Roxin/Jakobs/Schünemann/Frisch/Köhler, Sobre el estado de la teoría del


delito, Madrid, S. 187.
49 Roxin, Festschrift für Honig, S. 133.
50 A. a. O., S. 144.
51 A. a. O., S. 141.
52 A. a. O., S. 144.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 85

steigung veranlaßt. Als Begründung für die Setzung dieser Untergrenze strafba-
ren Verhaltens führt er eine systematische Auslegung an: Da nach geltendem
Recht sogar die Veranlassung einer Selbsttötung straflos sei, müßte die Ver-
anlassung einer bloßen Selbstgefährdung erst recht straflos sein.53 Auf diese
Weise führt Roxin die Untergrenzen des Tatbestandsbereichs noch einmal auf
kriminalpolitische Erwägungen bzw. die Entscheidung des Gesetzgebers zurück.
Keine Untergrenze strafbaren Verhaltens würde nach Roxin die Kategorie der
hypothetischen Kausalverläufe bilden, d. h. die Fälle, in denen das tatbestand-
liche Schutzobjekt auch ohne den Angriff des Täters verloren wäre. Für die Be-
gründung der Tatbestandsmäßigkeit solcher Verhaltensweisen werden teleologi-
sche und kriminalpolitische Gedanken herangezogen: Die Rechtsordnung könne
ihre Verbote nicht deshalb zurücknehmen, weil das Schutzobjekt auf jeden Fall
verloren gewesen wäre.54 In die gleiche Richtung, vor allem aber unter Heran-
ziehung des Gesichtspunkts des Rechtsgüterschutzes, geht seine weitere Argu-
mentation, die zwei Ausnahmen von diesem Prinzip begründet. Eine Ausnahme
bilde die Modifizierung einer Naturkausalität ohne Verschlechterung der Opfer-
situation, weil dies für den Rechtsgüterschutz gleichgültig wäre.55 Eine weitere
Ausnahme bildeten die Fälle von Gefahrverringerung bzw. -ersetzung, bei denen
der Täter das Rechtsgutsobjekt verletzt, dabei jedoch die für das Opfer bereits
bestehende Gefahr verringert oder ersetzt. In allen diesen Fällen wäre der Ver-
letzungserfolg nach dem Adäquanzprinzip voraussehbar und sogar vom Täter
beabsichtigt. Für die Begründung der Setzung dieser Untergrenze strafbaren
Verhaltens bereits im Tatbestandsbereich (anstatt der früheren Lösung bei der
Rechtswidrigkeit) bezieht sich Roxin auf den Rechtsgüterschutz als Sinn und
Zweck des Strafrechts: Es wäre sinnwidrig, Handlungen zu verbieten, die den
Zustand des geschützten Rechtsgutes nicht verschlechtern, sondern verbessern.56
Diese zwei Ausnahmen als Untergrenze strafbaren Verhaltens stellen für un-
ser Thema der Gleichstellung von Zurechnungskriterien bei Vorsatz- und Fahr-
lässigkeitsdelikten kein Problem dar, da sie in der Regel gerade bei Vorsatzde-
likten Anwendung finden. Die erste Ausnahme kann sogar bei besonderen Ab-
sichten als Untergrenze verbleiben, und bei der zweiten Ausnahme handelt es
sich gerade um eine absichtliche Verringerung oder Ersetzung der Gefahr. Fer-
ner kann man sich dabei nur schwer Konstellationen vorstellen, in denen Son-
derkenntnisse auftauchen könnten. Die Erörterung dieser letzten Konstellationen
dient trotzdem der Abrundung der Problematik und gleichzeitig dazu, der Be-

53 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 43; ders., Chengchi Law Review 50 (1994),

221, 224.
54 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 52 ff.
55 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 55.
56 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 47 f.; ders., Festschrift für Honig, S. 136 ff.;

ders., Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 242 ff.; ders., Chengchi Law Review
50 (1994), 225, 248 f.
86 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

gründung von Roxin bei der Bestimmung der Tatbestandsreichweite folgen zu


können.
2. Eine Gleichstellung der Zurechnungskriterien bei Vorsatz- und Fahrlässig-
keitsdelikten aus einer kriminalpolitischen und teleologischen Perspektive findet
sich außer bei Roxin auch grundsätzlich bei Wolter. Er plädiert für die Beibe-
haltung des Elements der objektiven Vorhersehbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt
anstatt der individuellen Sorgfaltswidrigkeit, die die individualisierende Fahrläs-
sigkeitslehre für das Unrecht verlangt. Dabei fordert er ausdrücklich die Schaf-
fung einer rechtlich mißbilligten Gefahr gleichermaßen für beide Deliktsarten
bzw. die objektive Vorhersehbarkeit als für das Fahrlässigkeits- wie Vorsatz-
delikt gemeinsame objektive Unrechtsmindeststandardmerkmal, 57 und deshalb
spricht er von einer „objektivierten Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit“
und von dem regulativen Leitprinzip der „objektiven Finalität“58. Dies wird
zwar nicht anhand von Beispielen oder Detailkonstellationen erläutert. Diese
Gedanken begleiten aber sein ganzes Werk, lediglich an einer einzigen Stelle
zeigt er Bedenken bezüglich der Gleichstellung, als er die Kriterien für die Zu-
rechnungsgrenzen behandelt: „nach dem Wert des betroffenen Rechtsguts, dem
Umfang der drohenden Beeinträchtigung und dem Maß der Aufwendungen zur
Gefahrverringerung sowie der sozialen Erforderlichkeit bzw. Nützlichkeit der
Handlung . . . Es mag auch eine Rolle spielen, ob der Täter vorsätzlich oder
fahrlässig gehandelt hat“59. Dieser Erwägung schließt sich auch Rudolphi an,
obwohl auch er sonst grundsätzlich von einer Gleichstellung der Zurechnungs-
kriterien für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte ausgeht.60
Die Begründung Wolters für die Untergrenzen des Strafrechts basiert also
grundsätzlich auf kriminalpolitischen und teleologischen Erwägungen,61 wobei
eine richterliche Interessenabwägung bei der Durchführung der objektiv-nach-
träglichen Prognose von ihm in Betracht gezogen wird.62 Dadurch setzt er die
Unrechtsgrenze zwischen adäquater Verletzungsgefahr und allgemeinem Le-
bensrisiko fest.63
In der Strafrechtslehre Spaniens ist vor allem das grundlegende Konzept von
Paredes Castañón über eine kriminalpolitisch orientierte Gleichstellung des er-

57 Wolter, GA 1977, 257 ff., 266 ff.; ders., Objektive und personale Zurechnung,

S. 29 f., 33 f., 43, 154, 156, 195, 330 ff., 361; ders., in: Gimbernat/Schünemann/Wol-
ter (Hrsg.), Internationale Dogmatik, S. 13, 23.
58 Wolter, GA 1977, 272 ff.
59 Wolter, GA 1977, 262, 265, Fn. 72 b.
60 SK-Rudolphi, vor § 1, Rdn. 62, vgl. aber auch Rdn. 57.
61 Wolter, GA 1977, 263; ders., Objektive und personale Zurechnung, S. 17 ff., 31,

58.
62 Wolter, GA 1977, 264, 269, 272, Fn. 135, 274; ders., Objektive und personale

Zurechnung, S. 61.
63 Wolter, GA 1977, 272.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 87

laubten Risikos für das Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt zu nennen. Sein Kon-
zept führt mit aller Ausführlichkeit eine Ansicht aus, die immer wieder in der
neuen – vor allem deutschen – Literatur angedeutet wird. Er begründet die
Gleichstellung auf der Idee der Rechtsgüterschutzfunktion des Strafrechts: Weil
das Strafrecht zum Schutz der Rechtsgüter diene, könne die bloße Intentionalität
keine strafrechtliche Relevanz erlangen.64 Damit setzt er dem intentionalen Ver-
halten eine grundsätzliche Grenze. Dabei geht er von einer Interessenabwägung
zwischen Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit für die Bestimmung des er-
laubten Risikos des Fahrlässigkeits- und Vorsatzdelikt aus.65 Seinem Konzept
gegenüber sind die Erwägungen infra, § 5 B und C einzuwenden, bzw. sollte
beim Vorsatzdelikt kein Bezug auf die Idee der Handlungsfreiheit hergestellt
werden.

IV. Bestimmung des erlaubten Risikos


durch eine Interessenabwägung zwischen
Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz

1. Das Kriterium der Interessenabwägung

Für die Bestimmung des strafbaren Verhaltens wird neben weiteren Kriterien
oft eine Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz
vorgenommen und in der Regel gleichermaßen auf fahrlässige wie vorsätzliche
Verhaltensweisen adaptiert.66 Obwohl es mehrere Autoren sind, die die Erlaubt-
heit oder Mißbilligung von Gefahrschaffungen für Vorsatz- und Fahrlässigkeits-
delikte auf eine solche Interessenabwägung stützen, wird sich dieser Abschnitt
auf die Unrechtslehre von Frisch konzentrieren, weil sie die Interessenabwä-
gung als Grundkriterium der strafrechtsfreien Räume beider Deliktsformen dar-
stellt und sie dementsprechend ausführlich erörtert.

64 Paredes Castañón, El riesgo permitido en Derecho Penal, Madrid, S. 118 ff.,

354 ff. und passim.


65 A. a. O., S. 128 ff.
66 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 138 ff., 156 f.; ders., Tatbestandsmäßiges Verhal-

ten, S. 72 ff.; ders., in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 196; ders., Festschrift für
Roxin, S. 222 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 60; 24/37; Jakobs, Teheran-Bei-
heft zur ZStW 86 (1974), 14 ff.; ders., Strafrecht AT, 7/41 i. V. m. 6/51 ff., 59 ff. (aber
nicht als ausschließliches Kriterium, vgl. infra, V 2 d); Wolter, GA 1977, 264 f.; LK-
Schroeder, § 16, Rdn. 162; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52, 163, 165,
174, Fn. 56; ders., in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 48; ders., JuS 1997, 34; See-
baß, Jahrbuch für Recht und Ethik 2 (1994), 388 ff., 391; Robles Planas, La participa-
ción en el delito, Madrid, S. 195 ff. Für eine Abwägung der entgegengesetzten Inter-
essen bei der Bestimmung des sorgfaltswidrigen Verhaltens, aber nicht zur Bestim-
mung der vorsätzlichen Risikoschaffung (deshalb keine Gleichstellung der
Zurechnungskriterien) vgl. Schünemann, JA 1975, 511, 516, 575 ff.; ders., GA 1985,
359; ders., Chengchi Law Rewiew 50 (1994), 294; ders., GA 1999, 20 f.
88 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Ausgangspunkt der Gedanken von Frisch ist die Idee, daß Risikoschaffungen
bestimmter Höhe oder Risikoerhöhungen eines bestimmten Ausmaßes nicht au-
tomatisch normativ relevant seien.67 Die Erlaubtheit und Unerlaubtheit sowohl
fahrlässigen als auch vorsätzlichen Handelns sei nach einer Interessenabwägung
zwischen der Vornahme der gefährlichen Handlung und dem Unterbleiben der
Gefährdung zu bestimmen.68 Bezüglich des Kriteriums der Interessenabwägung
für die Setzung von Untergrenzen geht Frisch davon aus, daß bestimmte Risiko-
schaffungen im Blick auf die Notwendigkeit, Erwünschtheit, soziale Nützlich-
keit oder auch nur Normalität der diese Risiken auslösenden Handlungen tole-
riert würden. Als Beispiel dafür gälten Tätigkeiten eines Unternehmers, eines
Pilots, eines Impfarztes; die Veranlassung eines Dritten zum Betreten der ent-
sprechenden Bereiche, wie das Überreden zu einer Reise, das Schenken von
Flug- oder Schiffskarten; einige Rettungshandlungen wie bei ärztlichen Heil-
maßnahmen; die Initiierung oder Förderung fremder Selbsttötung oder Selbst-
verletzung u. a. Oft werde es hier ohnehin an einer ex ante konstatierbaren Risi-
koerhöhung fehlen.69

2. Gleichstellung der Struktur des tatbestandsmäßigen Verhaltens


beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt

a) Übertragung der Fahrlässigkeitsstruktur auf das Vorsatzdelikt

Frisch verlangt für das tatbestandsmäßige Verhalten der (vollendeten) vorsätz-


lichen Erfolgsdelikte ein objektives Element, nämlich wie beim Fahrlässigkeits-
delikt, daß dem Verhalten aus der Sicht ex ante eine mißbilligte Gefahrenschaf-
fung in Richtung auf das Rechtsgut innewohnt.70 Eine Gleichheit der Untergren-
zen beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt erkennt er ausdrücklich an: „So
haben wir uns für den Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte seit langem daran ge-
wöhnt, (im Rahmen der Frage nach der Sorgfaltswidrigkeit) zur Toleriertheit
oder Nichttoleriertheit von Risikoschaffungen Stellung zu nehmen – diese Er-
kenntnisse lassen sich weitgehend auch auf die Vorsatzdelikte übertragen . . .“71.
Nur die Bezeichnung „Schaffung einer mißbilligten Gefahr“ werde umgekehrt
aus dem Vorsatzdelikt auf das Fahrlässigkeitsunrecht anstelle der herkömmli-
chen Kategorie der Sorgfaltswidrigkeit übertragen.72 Bezüglich der Gleichstel-

67 Frisch, Vorsatz und Risiko, z. B. auf S. 156.


68 Frisch, vor allem in: Vorsatz und Risiko, S. 138 ff., insbes. S. 139, Fn. 69; 140,
Fn. 72; 156; ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 72 ff.; ders., Festschrift für Ro-
xin, S. 222 ff.
69 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 140, 143 ff.
70 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 40.
71 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 158.
72 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 f.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 89

lung führt er weiter an: „Es geht in den Vorsatzdelikten um die im Dienste des
Rechtsgüterschutzes stehende Reaktion auf solche Verhaltensweisen – das dort
vielfach herausgekehrte Moment des Sorgfaltsverstoßes sollte und kann über
diesen »Gefahrenkern« des verbotenen Verhaltens nicht hinwegtäuschen. Ent-
sprechend dieser Übereinstimmung im Grundkriterium des je vorausgesetzten
verbotenen Verhaltens besteht dann natürlich auch Übereinstimmung in der
Grundstruktur des objektiven Tatbestands überhaupt“.73 Das Risiko-Element sei
„im Verhaltensbereich ja kein Novum“, „bei den Fahrlässigkeitsdelikten ist es
der neueren Lehre längst zu einer vertrauten Einsicht geworden. Warum aber
sollte das »tatbestandsmäßige Verhalten« der Vorsatzdelikte insoweit anders aus-
sehen?“74. Trotzdem führt er an einer anderen Stelle an, daß dieses Prinzip es
nicht a priori ausschließe, die Schwellenwerte des erlaubten Risikos bei Vor-
satz- und Fahrlässigkeitsdelikte u. U. verschieden anzusetzen, diese Frage aber
im Rahmen der dortigen Ausführungen nicht weiter vertieft werden könne.75
Da sich Frisch beim Thema der Gleichstellung des objektiven Tatbestands
des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts speziell mit der für das Vorsatzdelikt
charakteristischen Subjektivität bzw. Täterwissen, Sonderwissen und Absichten,
aber auch mit dem Sonderwissen beim Fahrlässigkeitsdelikt beschäftigt und Un-
terscheidungen im objektiven Bereich macht, ist auch darauf im Einzelnen Be-
zug zu nehmen.

b) Die Rolle der Kenntnisse und Absichten bei der


Erlaubtheit bzw. Unerlaubtheit der Gefahr

aa) Vorsatzdelikt
(1) Standardwissen

Besitzt der Täter Standardwissen über die von ihm geschaffene Gefahr, die
toleriert wird, ändert dieses Wissen nach der Meinung von Frisch nichts an der
Erlaubtheit der Gefahr.76

(2) Sonderwissen

Bezüglich des Sonderwissens beim Vorsatzdelikt unterscheidet Frisch zwi-


schen dem Täter, der die relevante Gefahr in vorsatzbegründender Weise auf-

73 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 84.


74 A. a. O., S. 27.
75 A. a. O., S. 158, Fn. 148.
76 Frisch, Vorsatz und Risiko, u. a. S. 141; ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, u. a.

S. 28.
90 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

grund seines Sonderwissens erfaßt hat, und dem Täter, der die Gefahr trotz
Sonderwissens nicht erfaßt hat, wobei er sich mit dem Begriff des Sonderwis-
sens auf spezielles Erfahrungswissen und Urteilsvermögen bezieht. Nach seiner
Ansicht wäre es überflüssig, die Relevanz des Sonderwissens als Beurteilungs-
grundlage beim letztgenannten Täter zu ventilieren, während es wohl geradezu
trivial und selbstverständlich wäre, das Sonderwissen für die Beurteilung der
relevanten Riskantheit der Handlung des ersten Täters zugrunde zu legen, weil
hier der einer Relevanz des Sonderwissens etwa entgegenstehende Gesichts-
punkt der Überforderung des über Sonderwissen Verfügenden offensichtlich ent-
fallen würde.77 Habe also der Handelnde jenes Risiko erkannt, das nach dem
optimalen Maßstab, nicht aber nach dem Standard, begründbar sei, dürfe und
müsse der optimale Maßstab zugrunde gelegt werden, weil mit der aktuellen
Kenntnis alle Bedenken gegen eine Zugrundelegung des eine solche Kenntnis
ermöglichenden aussagekräftigeren Maßstabs entfallen würden.78
Die belastende Wirkung des Sonderwissens wird ferner von Frisch dadurch
begründet, daß man von einer Person regelmäßig erwarten dürfe, daß sie ihr
Sonderwissen bei der Verhaltenseinrichtung berücksichtige. Sonderwissen bela-
ste nach seiner Ansicht nicht, weil das Risiko dem Täter individuell erkennbar
sei – wie nach dem Ansatz Burkhardts79 –, sondern weil bei einem Sonderwis-
sen die Erwartung bestehen würde, daß man es einsetze. Das Sonderwissen
werde damit sowohl bei der Gefahrbeurteilung wie auch bei der Frage nach der
individuellen Erkennbarkeit berücksichtigt. Diese Doppelrelevanz wäre noch
deutlicher beim Vorsatzdelikt, bei dem das Sonderwissen regelmäßig die Einbe-
ziehung der entsprechenden Umstände in die Basis des Gefahrurteils rechtfer-
tige, solches Sonderwissen aber nicht den Tatvorsatz begründen müsse.80

(3) Absicht

Die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit einer Handlung werde wiederum unabhän-


gig von den Absichten des Täters bestimmt. Nach diesem Konzept kann die
bewußte Schaffung tolerierter Risiken kein Unrecht begründen, selbst wenn sie
von bösen Absichten begleitet wäre oder wenn es sich um eine bloße Betäti-
gung einer bestimmten Vorstellung handeln würde. Beim oft diskutierten Fall
der Veranlassung zu einer normalen Flugreise zwecks Tod des Reisenden sei
der Todeserfolg zwar voraussehbar.81 Genauso voraussehbar sei die Zahlungsun-
fähigkeit des Darlehensnehmers für den Bankvorstand beim Bewilligungsver-

77 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 134 f.; ferner ohne Differenzierung ders., in: Wol-

ter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 183 f.; ders., Festschrift für Roxin, S. 230 f.
78 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 138.
79 Vgl. infra, § 6 B II 2 a); § 6 B II 2 b) cc) (2).
80 Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 184, Fn. 134.
81 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 141.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 91

fahren oder der Tod des sich durch eine Injektion mit Drogen selbst Gefährden-
den für den, der die Spritze zur Verfügung stelle.82 Solche prinzipiell tolerierten
Betätigungen würden aber ihre Erlaubtheit nicht dadurch verlieren, daß der
Handelnde sich das (erlaubte) Risiko auch bewußt mache und/oder böse Hinter-
gedanken habe. Alles andere sei nach den Worten von Frisch „ein Abgleiten ins
Gesinnungsstrafrecht“ und eine Benachteiligung des bloß Skrupulösen. Denn
mißbilligt werden könnte hier angesichts der Erlaubtheit der Risikoschaffung ja
nichts weiter als das „Haben böser Gesinnungen“ oder das Wissen um das (er-
laubte) Risiko.83 Anders sei zu entscheiden, wenn das subjektive Moment eine
Erhöhung des (tolerierten) Risikos mit sich bringe.84 Mit dieser letzten Aussage
läßt allerdings Frisch nochmals offen, wie bereits auch supra, a) dargelegt,85
unter welchen Voraussetzungen das Subjektive die Schwellenwerte des erlaub-
ten Risikos verändern könnte.
Ferner gehören diese Probleme nach Frisch zur Stufe des fehlenden unerlaub-
ten Risikos bzw. des Fehlens eines verbotenen Verhaltens und nicht des Vorsat-
zes als Gegenüberstellung von Wünschen und Wollen.86

bb) Fahrlässigkeitsdelikt

Das Sonderwissen ist im Konzept von Frisch „in der Regel“ bedeutsam, d. h.
es werden Ausnahmen gebildet, nämlich beim Fahrlässigkeitsdelikt wirkt es
nicht ohne weiteres zu Lasten des Täters. Diese Differenzierung zwischen der
Wirkung des Sonderwissens beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt wird da-
durch begründet, daß es sich bei dessen Berücksichtigung um ein normatives
Problem handeln würde und es deshalb nicht auszuschließen wäre, daß gewis-
ses Sonderwissen nicht veranschlagt werden könne.87 Beim Fahrlässigkeitsde-
likt würde man nämlich nach Frisch zu weit gehen, wenn man das besondere
Erfahrungswissen und Urteilsvermögen des einzelnen stets berücksichtigen
würde, weil man immer zu persönlichen Höchstleistungen im Urteilsbereich
zwingen würde. Er schlägt dann vor, das Postulat der Mobilisierung zusätzli-
chen Wissens und zusätzlicher Beurteilungsfähigkeiten auf Fälle zu beschrän-
ken, in denen diese Mobilisierung den Täter nach der Art des Wissens nicht
wesentlich belastet (z. B. wenn vom Täter nur verlangt wird, seine besondere

82 Diese zwei letzten Beispiele werden von Frisch in: Tatbestandsmäßiges Verhal-

ten, S. 46, behandelt.


83 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 141; vgl. auch ders., Tatbestandsmäßiges Verhal-

ten, S. 122 f., ferner S. 28 f., 94 f.; ders., Festschrift für Roxin, S. 224.
84 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 141 mit Fn. 80.
85 Mit Verweis auf: Vorsatz und Risiko, S. 158, Fn. 148.
86 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 141 f.
87 Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 189, Fn. 145; vgl. auch ders., Vor-

satz und Risiko, S. 133 f.


92 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Ortskenntnis im Urteil mit zu berücksichtigen) oder in denen besondere Ge-


sichtspunkte eine solche Mobilisierung gleichwohl fordern (wie beim Vertrauen
des anderen auf solche Mobilisierung).88 Dabei bezieht sich Frisch nicht auf
Täterwissen über die Tatumstände, sondern auf Erfahrungswissen und Urteils-
vermögen.

3. Zwischenbewertung

Frisch modifiziert also die Untergrenze des erlaubten Risikos beim Vorsatz-
delikt durch das Standardwissen oder böse Absichten des Täters nicht. Aller-
dings wird die Untergrenze der strafrechtlichen Relevanz bei vorhandenem –
tatsächlichem – Sonderwissen verschoben. Was das Fahrlässigkeitsdelikt betrifft,
wird die Untergrenze nicht in allen Fällen durch das Täterwissen beeinflußt.
Damit differenziert er doch in den konkreten Folgen im objektiven Unrechtsbe-
reich beider Deliktsformen.
Allerdings gehören die von ihm gelieferten Beispiele zur Irrelevanz der Täter-
absichten bei der Entscheidung über die Tolerierbarkeit einer Gefahrschaffung
zu dem Bereich, in dem die objektiven Untergrenzen bzw. die Zurechnungskri-
terien zweifellos beim Vorsatzdelikt anwendbar wären und damit die subjektive
Seite die Erlaubtheit der Gefahrschaffung nicht beeinflussen könnten: Eine
Flug- oder Schiffreise sind ohne Ausnahmen zugelassene Tätigkeiten, bzw. un-
abhängig von den individuellen Zwecken und Motivationen, solange man die
internen Regeln der jeweiligen Aktivität einhält. Ferner bildet das Beispiel der
Übergabe einer Drogenspritze, solange das Opfer das Geschehen in der gesam-
ten Dimension überblickt, einen typischen Fall der Förderung einer Selbstverlet-
zung, bei der die Frage nach der Respektierung der Handlungsfreiheit des För-
dernden, die Spritze zur Verfügung zu stellen, keine Berücksichtigung zu finden
braucht: Die Übergabe der Spritze gehört nicht deshalb zum strafrechtsfreien
Raum, etwa weil die Freiheit der Bürger in diesem Bereich geschützt werden
sollte, sondern weil der Rechtsgutsträger über Selbstschutzmöglichkeiten ver-
fügt, so daß ein strafrechtlicher Rechtsgüterschutz als nicht unerläßlich er-
scheint.89 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bankvorstands kann dem-
gegenüber nicht ohne weiteres, bzw. ohne eine nähere Überprüfung der Art sei-
ner Kenntnisse über die Möglichkeit der Zahlungsunfähigkeit, ausgeschlossen
werden. Insgesamt fehlen dabei Beispiele, bei denen die Abwägung der Gü-
tererhaltungsinteressen gegenüber dem Interesse an der Handlungsfreiheit des
Normadressaten keine so deutlichen Ergebnisse liefert und deshalb das Pendel
bei vorhandener Verletzungsabsicht des Handelnden hin zum Rechtsgüterschutz
ausschlagen sollte.

88 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 133 f.


89 Vgl. zur diesem Gedanken der Viktimodogmatik infra, § 4, Fn. 44.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 93

V. Die Handlungsfreiräume im Rahmen einer


gesellschaftsfunktionalen Sicht des Strafrechts

1. Grundlagen

a) Die Lehre von der objektiven Zurechnung unter dem Aspekt der Schaf-
fung von Freiheitsräumen wird in der Strafrechtstheorie von Jakobs nicht an
kriminalpolitische Zwecke angeknüpft, sondern stellt auf die Luhmannsche Sy-
stemtheorie mit einer rein beschreibenden Aufgabe ab.90 Das Recht wird in die-
sem Kontext als „System“ und die Kriterien der objektiven Zurechnung als die
in einer pluralistischen Gesellschaft mit anonymen sozialen Kontakte notwen-
digen Freiräume betrachtet. Man erwarte nur die Einhaltung eines Standards,
so daß, wer den Standard einhalte, nicht zur Verantwortung gezogen werden
könne.
Für die Bestimmung der strafrechtlich nicht relevanten Freiheitsräume distan-
ziert sich Jakobs wiederum enorm von der Kausal- und Finallehre, da die physi-
kalische oder psychische Welt seiner Ansicht nach das System nicht konstituie-
ren. Aber er distanziert sich auch überhaupt von der heutigen herkömmlichen
Strafrechtslehre. In seiner Lehre geht es grundsätzlich um die soziale Welt oder
die Welt der Kommunikation. Die Bedeutung eines Verhaltens werde in einigen
Bereichen vom Recht bestimmt (so z. B. beim Straßenverkehr), und in anderen
von der sozialen Struktur selbst, so daß teilweise die Gesellschaft entscheide,
was ein bestimmtes Verhalten für das Strafrecht bedeute.91 Dabei werden Frei-
heitsräume anerkannt, die aus anonymen sozialen Kontakten entstehen. Da die
strafrechtlich relevante Handlung für Jakobs nicht aus einem physisch-psychi-
schen Geschehen, sondern aus dem Sinnausdruck besteht, daß die Norm nicht
gelte, sei das vorhandene, tatsächliche Wissen des Handelnden über die Tat
nicht immer von Relevanz, sondern erst dann, wenn das äußerliche und innerli-
che Geschehen einen kommunikativen Beitrag, einen Sinnausdruck darstelle.92
Da Jakobs eine weitere Untergrenze strafbaren Verhaltens beim Vorsatzdelikt
durch das Abstellen auf die vom Täter bei der Tat eingenommene soziale Rolle
setzt, sind seine Rollentheorie, aber auch die Grundlagen seiner Zurechnungs-
lehre und sogar des Strafrechts gesondert darzustellen.93

90 Kritisch gegenüber dem Luhmannschen Ausschluß jeglichen Zweckdenkens

Obermeier, Zweck – Funktion – System, S. 24 und passim.


91 Jakobs in der Diskussion auf einem Symposium in Barcelona in 1998, vgl. Ro-

xin/Jakobs/Schünemann/Frisch/Köhler, Sobre el estado de la teoría del delito, Madrid,


S. 183: „Wir müssen also fragen, was ein bestimmtes Verhalten bedeutet, und das ent-
scheidet die Gesellschaft ganz einfach“.
92 Vgl. die Nachweise bei der folgenden Darstellung.
93 Für eine ausführliche Darstellung und Kritik der von Jakobs angegebenen Funda-

mente des Strafrechts vgl. Sacher, ZStW 118 (2006).


94 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Es ist interessant nachzuvollziehen, wie sich die Systembegriffe etwa bei Ja-
kobs aufeinander beziehen. Die Funktion des Strafrechts sei die Bestätigung der
Identität der Gesellschaft und der Normen94, so daß man zu den Definitionen
von Norm und Gesellschaft geführt wird. Gesellschaft, und auch Person, wer-
den durch Norm definiert: Gesellschaft und Person gebe es, wenn zumindest
eine Norm gelte. Gesellschaft wird wiederum wie Norm definiert: Gesellschaft
und Norm wurzelten in einer gesellschaftlichen Verständigung.95 Damit bezie-
hen sich die Begriffe Norm, Person und Gesellschaft auf sich selbst und be-
schreiben nur den Zustand, daß es sie gibt. Gegen eine solche Beschreibung
spricht aber, daß im Bereich des Rechts eine rechtliche Relevanz zugesprochen
werden muß, d. h. es müssen Aussagen auf einer Metaebene der begrifflichen
Erfassung getroffen werden, die für diese Begründung relevant sind, was im
oben beschriebenen Gedankengang eigentlich fehlt.
Die Begriffe soziale Erwartung, Rolle und Zuständigkeit bieten auch keinen
Erkenntnisfortschritt. Die sozialen Erwartungen würden in den Normen kristalli-
sieren und würden wiederum in einer gesellschaftlichen Verständigung wurzeln.
Rolle und Zuständigkeit bedeuten nichts anderes, als daß man Normadressat
sei96 und daß die gesellschaftliche Verständigung eine Gesellschaft und Normen
feststellt, wo Aufgabenbereiche erkannt werden.
Ferner wird die Person durch ihr Verhältnis zu anderen Personen, also durch
ihre Rolle, bestimmt. Personen gebe es nur in einer Gesellschaft.97 Person wird
von Jakobs dadurch definiert, daß für sie die objektive Welt, also mindestens
eine Norm, gültig sei.98 Dadurch definiert Jakobs Person genauso wie Gesell-
schaft: daß zumindest eine Norm gelte. In seinem Bestreben, ein soziales Sy-
stem zu beschreiben, bringt Jakobs zum Ausdruck, daß die von der Gesellschaft

94 Jakobs, ZStW 107 (1995), 844 ff.; indirekt in: ders., ARSP-Beiheft 74, 57 ff.;

ders., in: Eser/Hassemer/Burkhardt (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft,


S. 49 f. In „Schuld und Prävention“, S. 3, ferner S. 31 ff., bezog er sich auf die Stabi-
lisierung einer bestimmten Rechtsordnung als Zweck des Strafrechts. Vgl. auch Straf-
recht AT, 2/2 ff., 2/22 Fn. 40, 2/25a. Diese Wandlung der Theorie von Jakobs in der
letzten Zeit führt wiederum zu einer Neudefinierung der von Schünemann im Jahr
1984 formulierten Einteilung der Schulen (vgl. die fundamentale Klassifizierung von
Schünemann, in: Schünemann [Hrsg.], Grundfragen des modernen Strafrechtssystems,
S. 45 ff.) dahingehend, daß Schünemann, Festschrift für Roxin, S. 14, nunmehr den
Normativismus nach den neuen Beiträgen von Jakobs in zwei große Gruppen unter-
teilt: Der zweckrationale Normativismus von Roxin und der empiriefreie Normativis-
mus von Jakobs.
95 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 30, 40, 63 ff.; ders., ZStW 107 (1995),

843, 847 f.; ders., ARSP-Beiheft 74, 57 ff.


96 So bereits Schünemann, Festschrift für Roxin, S. 18, der auch auf eine Identität

von Normgeltungsschaden und Normverletzung bei der Lehre von Jakobs aufmerksam
macht.
97 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 38; ders., ZStW 107 (1995), 859.
98 Jakobs, ZStW 107 (1995), 859.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 95

ausgeschlossenen Menschen nicht Personen seien, mithin Unpersonen genannt


würden. Ein Sklave sei als Eigentum eines Herrn Gegenstand eines Rechtsver-
hältnisses, aber nicht schon deshalb auch Person im Recht.99 Für die „Unper-
sonen“ solle nicht das allgemeine Strafrecht und Strafprozeßrecht gelten, son-
dern ein für den Beschuldigten sowohl im materiellen als auch im prozessualen
Sinn garantieloses sog. „Feindstrafrecht“.100
b) Im Zurechnungssystem von Jakobs sind also definitorisch zirkuläre Be-
grifflichkeiten, die auf sich selbst verweisen, zu verzeichnen,101 genauso wie
den Werken Luhmanns tautologische Elemente innewohnen.102 Ein zeit- und
raumloses, tautologisches Theoriengefüge mit Universalitätsanspruch mag ein
wissenschaftliches Paradigma sein, jedoch ist die Rechtswissenschaft ohne den
Bezug zur Wirklichkeit, zu externen Zwecken und ohne die Möglichkeit der
Bestätigung oder Falsifizierbarkeit ihrer Elemente durch empirische Untersu-
chungen kaum vorstellbar.103 Eine rein normative, selbstreferenzielle Begrün-

99 Jakobs, ZStW 107 (1995), 854 f., 867; ders., Norm, Person, Gesellschaft,

S. 35 ff.
100 Vgl. Jakobs, ZStW 97 (1985), 783 f.; ders., Strafrecht AT, 2/25c; ders., in:

Eser/Hassemer/Burkhardt (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft, S. 51 ff.;


ders., in: Hsu (Hrsg.), Foundations and Limits, Taipei, S. 41 ff. (zugleich HRRS 2004,
88 ff.; Jakobs/Cancio Meliá, Derecho penal del enemigo, Madrid, S. 21 ff.); vgl. auch
den besonderen Ansatz von Silva Sánchez, La expansión del Derecho penal, Madrid,
S. 163 ff. Zur Kritik vgl. Schulz, ZStW 112 (2000), 659 ff.; Eser, in: Eser/Hassemer/
Burkhardt (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft, S. 445; Schünemann, GA
2001, 210 ff.; Ambos, Völkerstrafrecht, S. 62 ff.; Muñoz Conde, Mezger y el Derecho
penal de su tiempo, Valencia, S. 117 ff.; Gracia Martín, Prolegómenos para la lucha
por la modernización, Valencia, S. 120 ff. (auch Schünemann im Vorwort, S. 16); Can-
cio Meliá, in: Jakobs/Cancio Meliá, Derecho penal del enemigo, Madrid, S. 87 ff.;
Demetrio Crespo, in: Revista de Derecho Penal y Criminología, Madrid, 2a época,
Nr. 14 (2004), S. 87 ff.; Pastor, El derecho penal del enemigo en el espejo del poder
punitivo internacional, in: Universidad Austral, Homenaje al Prof. Günther Jakobs,
Buenos Aires (im Druck); Aponte, Krieg und Feindstrafrecht; ders., Derecho penal de
enemigo vs. Derecho penal del ciudadano, Cuadernos de doctrina y jurisprudencia pe-
nal, Buenos Aires (im Druck), u. a. Vgl. ferner infra, d).
101 Vgl. vor allem die Werke Schünemanns als die umfassendste Kritik am Jakobs-

System, zuletzt in: Festschrift für Roxin, S. 13 ff.; ferner Puppe in der Diskussion zur
Strafrechtslehrertagung 1995 in Rostock, in: Zieschang, ZStW 107 (1995), 925. Zur
Tautologie im System von Jakobs und Luhmann näher Sacher, ZStW 118 (2006).
102 Wie Luhmann selbst erkennt, vgl. z. B. in: Luhmann/Schorr (Hrsg.), Zwischen

Intransparenz und Verstehen, S. 72. Über die Zirkularität des Gedankens vgl. auch
ders., etwa in: Das Recht der Gesellschaft, S. 50. In der Philosophie wird ein tautolo-
gisches Denken nicht immer als negativ angesehen (ungeachtet der enormen theoreti-
schen Unterschiede zwischen der Anwendung solcher Tautologien), wie z. B. Heideg-
ger mit seiner phänomenologischen Seins-Konzeption und mit dem Rückgriff auch auf
Differenzierungen, vgl. dazu Kwan, Die hermeneutische Phänomenologie und das tau-
tologische Denken Heideggers, S. 108, 103 ff.; Grotz, Vom Umgang mit Tautologien,
insbes. S. 85 ff. Kritisch gegenüber Luhmann, aber doch wie andere lobend bezüglich
seines tautologischen Denkens vgl. Obermeier, Zweck – Funktion – System, S. 5, 25.
96 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

dung des Strafrechts leidet an Defiziten empirischer Rückversicherung und ist


deshalb abzulehnen.
c) Ferner kann die soziologische (und damit externe) Erklärung des Rechts-
systems (d. i., daß die Normen und die Strafe zur Bestätigung der gesellschaft-
lichen Identität durch Erwartungssicherung dienen würden) nicht vom Rechts-
anwender bei der Rechtsanwendung zu eigen gemacht werden,104 wie es von
Luhmann selbst erkannt wird.105 Die rechtliche Begründung darf nicht in einer
soziologischen Perspektive wurzeln, sie muß von einem anderen Standpunkt aus
argumentieren, der die Teilnehmerperspektive berücksichtigt. Die externe Beob-
achtung vermittelt die Motive der Normanerkennung und Normbefolgung nicht,
vor allem nicht die Gründe der Legitimität des vom Rechtsteilnehmer akzeptier-
ten Rechtssystems. Man darf also systemintern, namentlich in der Rechtsdog-
matik, nicht tautologisch argumentieren.
d) Eine grundsätzliche Kritik106 am Strafrechtssystem von Jakobs, aber auch
allgemein an einer Systemtheorie, betrifft ihren Legitimitätsbegriff.107 Gerech-
tigkeitskriterien und Rechtfertigung der Systeme sind nämlich im Modell von

103 Vgl. dazu Schünemann, Festschrift für Roxin, S. 14 ff.; ders., Festschrift für Lü-

derssen, S. 330.
104 Siehe näher Sacher, ZStW 118 (2006). So auch gegen eine Systemtheorie: Stü-

binger, KJ 26 (1993), 42 f. Ferner über die externe und interne Perspektive des Rechts
vgl. Ost/van de Kerchove, Jalons pour une théorie critique du droit, Brüssel, S. 27 ff.
(30 f.), 75 ff. (78 f.), 251 ff.; Günther, Der Sinn für Angemessenheit, S. 328 f. (der
die interne Entscheidungen über Recht und Unrecht als eine Verschleierung – mit
„Placebo-Funktion“ – der extern beobachtbaren absoluten Kontingenz des Rechts-
systems bezeichnet); vgl. auch Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 496 ff.
105 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 526, ferner 275 mit Fn. 77, 344,

347 f., 368, 373; ders., Grundrechte als Institution, S. 209, vgl. auch S. 205, aber auch
die gesamten Ausführungen über das Verhältnis zwischen Soziologie und Grundrechts-
dogmatik, S. 201 ff.; ders., ZfRS 6 (1985), 4; ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 500
mit Fn. 5. So auch über die Systemtheorie m. w. N. Kleinknecht, Positivität des Rechts
bei Niklas Luhmann, Florenz, S. 130, 171, 254 f.
106 Vgl. unter vielen z. B. W. Lübbe, Legitimität kraft Legalität, S. 128 ff. Im Straf-

recht gegen den Legitimationsgedanke von Jakobs vgl. z. B. Stübinger, KJ 26 (1993),


43 ff.; Schünemann und Naucke in der Diskussion zur Strafrechtslehrertagung 1995 in
Rostock, in: Zieschang, ZStW 107 (1995), 926 f.; Roxin, SchwZStr 104 (1987),
366 f.; LK-Hirsch, vor § 32, Rdn. 182d mit Fn. 381. Vgl. ferner aus soziologischer
Sicht Smaus, ZfRS 6 (1985), 99.
107 Zu Luhmanns Legitimitätstheorie vgl. insbesondere ders., Legitimation durch

Verfahren; ders., Rechtssoziologie, S. 259 ff.; ders., in: Legitimation des modernen
Staates (= Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 15), S. 65 ff. Ferner
ders., Macht, S. 55 f., 68 f.; ders., in: Lautmann/Maihofer/Schelsky (Hrsg.), Die
Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft (= Jahrbuch für Rechtssoziologie
und Rechtstheorie, Bd. I), S. 176 ff.; ders., in: ders., Soziologische Aufklärung – Bd.
4: Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, S. 152 ff. In der neu-
eren, radikalen Version des strafrechtlichen Normativismus vgl. Jakobs, ZStW 107
(1995), 853 ff.; ferner über die Geltung der Normen vgl. ders., ARSP-Beiheft 74, 58;
über die Wirklichkeit der Normen vgl. ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 51 ff.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 97

Luhmann nur Möglichkeiten für das rechtliche und politische System und des-
halb kontingent.108
Allerdings ist eine Reduktion der wissenschaftlichen Bestrebungen auf eine
bloße Beschreibung des Vorfindlichen und des Menschen auf die Kategorie der
„Umwelt“ in einem Bereich wie dem Strafrecht, wo die härtesten staatlichen
Mitteln gegenüber dem Individuum in Einsatz gebracht werden, nicht hinzuneh-
men. Deshalb ist die extreme Verdinglichung der Systemtheorie mit dem bloßen
Verweis aller Wertungsfragen auf die Politikwissenschaft109 und die Begründung
eines nicht nur „empiriefreien“, sondern auch „wertfreien“ Strafrechts110 nicht
nachvollziehbar. Demgegenüber kann für die Legitimation der Strafrechtsan-
wendung auf externe Zwecke und auf die reale Beziehung des Handelnden zu
seiner sozialschädlichen Tat nicht verzichtet werden, so wie auch externe, reale
Elemente, namentlich eine Konsensgrundlage, überhaupt für die Legitimation
des positiven Rechts unentbehrlich sind.111
Die Zuspitzung der Anwendung des systemtheoretischen Gedankenguts auf
das Strafrecht und zugleich ein Musterbeispiel seiner Legitimationslosigkeit bil-
det die bereits oben erwähnte Differenzierung von Jakobs in ein Bürgerstraf-
recht und ein „Feindstrafrecht“.112 Dabei beschränkt sich Jakobs nicht nur auf
eine bloße Beschreibung, sondern er rechtfertigt sogar die Anwendung eines
speziellen Strafrechts auf bestimmte Individuen.113 Das Feindstrafrecht ist im
Ergebnis eine viel zu kurz greifende Vereinfachung bei der Suche nach einer
Lösung der modernen Probleme der Kriminalität und ein ausdrücklicher Ver-
zicht auf das durch enorme Bemühungen erreichte rechtsstaatliche Strafrecht,
auch wenn Jakobs meint, daß ansonsten das „allgemeine Strafrecht“ durch
„feindstrafrechtliche“ Regelungen infiltriert würde.114 Wenn man aber entgegen
der Meinung von Jakobs die Funktion des Strafrechts im Rechtsgüterschutz an-
siedelt, bedarf man keiner weiterer Maßnahmen außerhalb des Strafrechts zur
Prävention von Gefahren für Rechtsgüter, da die Strafrechtsnormen und die
Strafe selbst dieser Aufgabe dienen sollten.115 Ferner ist dem Ansatz von Ja-
kobs entgegenzuhalten, daß die Kategorie des „Feindes“ zirkulär definiert ist,

108 Vgl. beispielsweise Habermas, in: Habermas/Luhmann (Hrsg.), Theorie der Ge-

sellschaft oder Sozialtechnologie, S. 142 ff., 240 f. (kritisch demgegenüber); Krause,


Luhmann-Lexikon, S. 134, 160, 166, 230; Fuchs, Niklas Luhmann – beobachtet,
S. 115.
109 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 266; Jakobs, ZStW 107 (1995), 855.
110 Der Ausdruck „empiriefrei“ in Bezug auf die Theorie von Jakobs ist auf Schü-

nemann, Festschrift für Roxin, S. 13 f., und die Ergänzung „wertfrei“ auf Gracia Mar-
tín in seinem Beitrag im Donnerstags-Seminar an der Universität München im Jahr
2002, zurückzuführen.
111 Näher Sacher, ZStW 118 (2006).
112 Vgl. dazu supra, bei Fn. 100.
113 Jakobs, in: Hsu (Hrsg.), Foundations and Limits, Taipei, S. 53, 56 und 61.
114 Jakobs, in: Hsu (Hrsg.), Foundations and Limits, Taipei, S. 56 f.
98 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

und zwar als prinzipieller Gegner der etablierten Rechtsordnung,116 daß diese
Kategorie unbestimmt ist (Muß er gegen alle Einzelnormen der Rechtsordnung
sein? Um welche Rechtsordnung handelt es sich?) und daß sie gegen das Verbot
eines Sonderstrafrechts und gegen die Unschuldsvermutung verstößt, wenn man
bereits vor der Urteilsverkündung als „Feind“ behandelt wird.117
e) Darüber hinaus sollte der Einwand einer latenten Ontologie innerhalb der
Systemtheorie nicht unberücksichtigt bleiben. Einige Kritiker des systemtheore-
tischen Ansatzes sehen nämlich eine ontologische Grundlage bei ihm in der
Tatsache, daß die Existenz der Systeme einfach vorausgesetzt wird118 und diese
damit als ontologisch vorgegeben anzusehen wären,119 auch wenn die System-
theorie sie als Beobachtungsresultate behandeln möchte. Bei Jakobs ist die Be-
zugnahme auf allgemeine Systemkomponenten reduziert, so daß ein Element
wie das System an sich in seinem strafrechtlichen und rechtsphilosophischen
System nicht erwähnt wird. Trotzdem sind in seinem Strafrechtssystem einige
Voraussetzungen näher zu betrachten:120
Jakobs geht von einem Individuum aus, das nach einem Schema von Lust
und Unlust (und nicht von Sollen und Freiraum wie die Person) vorgehe und
dem die Sorge für den Bestand der Gruppe fehle. Man müsse mit Protest (auch
ein Luhmannscher Begriff121) gegen die Normgeltung rechnen, außer daß die

115 Zu dieser Kritik bezüglich der Kategorie des „Feindstrafrechts“ vgl. Schüne-

mann in seinem Koreferat; ferner allgemein gegen die Idee, daß die primäre Aufgabe
des Strafrechts in der Erhaltung der Normgeltung bestehe, ders., Festschrift für Roxin,
S. 13 ff.; ders., Festschrift für Lüderssen, S. 327 f.; Eser, in: Eser/Hassemer/Burkhardt
(Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft, S. 444, u. a.
116 Jakobs, in: Hsu (Hrsg.), Foundations and Limits, Taipei, S. 57, vgl. auch S. 52.

Zu der Zirkularität der Kategorie der „Unperson“ vgl. bereits Schünemann, GA 2001,
212.
117 Vgl. näher dazu Schünemann in seinem unveröffentlichten Koreferat zu Jakobs,

in: Hsu (Hrsg.), Foundations and Limits, Taipei, S. 41 ff.; ferner Sacher, ZStW 118
(2006).
118 Vgl. die oben erwähnte Luhmannschen Aussage: „Die folgenden Überlegungen

gehen davon aus, daß es Systeme gibt“, Soziale Systeme, S. 30.


119 Vgl. u. a. Srubar, in: Jamme/Pöggeler (Hrsg.), Phänomenologie im Widerstreit,

S. 319 ff.; Nassehi, Wie wirklich sind Systeme? Zum ontologischen und epistemologi-
schen Status von Luhmanns Theorie selbstreferentieller Systeme, in: Krawietz/Welker
(Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme: „Eine Ontologisierung des Systembe-
griffs liegt tatsächlich insofern vor, als Luhmann das Sein von etwas je als Operation
von real existierenden Systemen denkt und so an die klassischen Fragestellungen der
Ontologie/Metaphysik anschließt“ (S. 53); es sei zu bedenken, „daß offenbar ontolo-
giefreies Operieren gar nicht möglich ist, daß das Sein von etwas im autopoietischen
Operieren als Seinsmodus von selbstreferentiellen Systemen immer schon vorausge-
setzt ist“ (S. 67; vgl. auch die Antwort von Luhmann an Nassehi im gleichen Werk,
S. 381); Jahraus, in: Jahraus (Hrsg.), Niklas Luhmann, Aufsätze und Reden, S. 306.
Zur Erklärung der Rolle der Empirie in einem System aus einem systemtheoretischen
Standpunkt vgl. Teubner, in: Martinsen, Das Auge der Wissenschaft, S. 137 ff.
120 Dazu näher Sacher, ZStW 118 (2006).
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 99

Gruppe aus Engeln mit Gott bestünde.122 In dieser Begründung, warum die
Normen stabilisiert werden müssen, erscheint ein empirisches Element, das
auch ein strukturunabhängiger Bezugspunkt der Analyse sein kann, nämlich die
Tatsache, daß dem Menschen die Sorge für den Bestand der Gruppe tatsächlich
fehlt. Die Normen setzen also Normadressaten voraus, die von Natur aus be-
stimmte Eigenschaften besitzen: Es handelt sich nicht um „Engel“, sondern um
Menschen, die gegen die Normen rebellieren könnten.

2. Für das Sonderwissen relevante Konsequenzen


einer systembezogenen Strafrechtsdogmatik

a) Rollen und Erwartungen

aa) Allgemeines

Im Ausgangspunkt der Strafrechtslehre von Jakobs, namentlich die Funktion


des Strafrechts als Geltung des Norminhalts, also der Enttäuschungsfestigkeit
der wesentlich normativen Erwartungen mit der konsequenten Stabilisierung
von Verhaltenserwartungen im Sinne Luhmanns,123 wird die Erforderlichkeit ei-
ner Selektion dessen, was und von wem erwartet werden kann, zum Ausdruck
gebracht. Für diese Selektion wird die Theorie der Identifikation von Erwar-
tungszusammenhängen mit dem Gedanken der anonymen sozialen Kontakte von
Luhmann verwendet, die folgendermaßen zusammengefaßt werden kann: Würde
man Erwartungen an einzelne Individuen richten, d. h. sich bei der Identifika-
tion von Erwartungszusammenhängen auf das beziehen, was einem konkreten
Mensch als Erleben und Handeln zugerechnet werden könne, würden diese Er-
wartungen in der Regel enttäuscht, außer wenn man das konkrete Individuum
mit seinen Eigenschaften persönlich kennen würde, so daß man in diesem Fall
wissen würde, was man erwarten könne. Eine genaue Kenntnis der Individuali-
tät einer Person setze aber eine Geschichte gemeinsamer Interaktion, ein ge-
meinsames Leben voraus, in dessen Verlauf der andere sich selbst dargestellt
und man ihn kennengelernt hätte. Dieser Typus personaler Identifikation von
Erwartungszusammenhängen hätte nur für Intimgruppen Bedeutung. Allerdings
sei das Bewußtsein des anderen Menschen schwer zugänglich in einem hoch-
komplexen und kontingenten Weltentwurf.124 Die Verhaltenserwartungen müß-
ten deshalb standardisiert, „gegen ein gewisses Maß an Faktizität immuni-

121 Vgl. insbes. die Schriften Luhmanns in: Hellmann (Hrsg.), Protest – Systemtheo-

rie und soziale Bewegungen, 1996.


122 Jakobs, in: Witter (Hrsg.), Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht,

S. 277 f.; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 9 ff., 31, 39 und passim; ders., ARSP-
Beiheft 74, 60 ff.
123 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 80 ff.
100 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

siert“125 werden und daher nicht auf ein konkretes Individuum, sondern auf eine
bestimmte soziale Rolle bezogen sein.
In diesem Rahmen ist für eine Systemtheorie nicht die Rede von kognitiven
Erwartungen, sondern nun von normativen Verhaltenserwartungen. Bei Enttäu-
schung der kognitiven Erwartungen werde man daraus lernen und sie aufgeben.
Bei Enttäuschung normativer Erwartungen verändere sich nicht die Norm und
man werde sie nicht aufgeben. Normen seien demnach kontrafaktisch stabili-
sierte Verhaltenserwartungen: Ihre Geltung werde als unabhängig von der fak-
tischen Erfüllung oder Nichterfüllung der Norm erlebt und so auch institutiona-
lisiert.126
Die Erklärung von Luhmann, wie die Standardisierung stattfinden soll, kann
man zusammenfassend wie folgt formulieren: Verhaltenserwartungen werden
durch die Vermittlung einer gemeinsamen Welt, durch eine Abstraktionslei-
stung, festgehalten. Bereits für die Steuerung der Interaktionen des täglichen
Lebens sei relativ kontextfrei verständlicher Sinn erforderlich, der zunächst rela-
tiv konkret bleibe, d. h. er könne einen raschen Zugriff auf konkrete Wahrneh-
mungen ermöglichen. Die Abstraktionsleistung wird gesteigert und vom konkre-
ten Wer, Wie, Wann, Wo des aktuellen Erlebens mehr und mehr abgelöst wer-
den. Ergebnis der Selektion seien nicht die einzelnen Erwartungen, sondern nur
abstrakte Typen. Die normativen Verhaltenserwartungen würden als Normen
ausdifferenziert, die nicht „seien“, sondern nur „gälten“. Ein höherer Abstrak-
tionsgrad des Erwartungskontextes werde erreicht, wenn die Verhaltenserwar-
tungen auf soziale Rollen bezogen werden. Durch die Identifikation eines Er-
wartungszusammenhanges durch Rollen würden die individuell-persönlichen
Merkmale weggelassen. Erwarte man nur die Ausführung einer Rolle, werde
der Erwartungszusammenhang gegen persönliche Einzelheiten der Ausführung
indifferenter und zugleich würden Erwartungen von Person zu Person übertrag-
bar. Durch die Differenzierung in Rollen für die Identifikation von Erwartungs-
zusammenhängen würde also die Gesellschaft neuartige Chancen der Stabilisie-
rung des Erwartens gewinnen.127
Jakobs übernimmt diese Idee der anonymen sozialen Kontakte von Luhmann,
so daß damit auch die strafrechtlichen Verhaltenserwartungen durch eine Art
Abstraktionsfilter gehen müßten: Die Bedeutung eines Verhaltens werde objek-
tiv nach seiner Äußerung festgelegt, die im Kontext dessen interpretiert werden

124 Luhmann, etwa in: Rechtssoziologie, S. 80 ff.; ders., Gesellschaftsstruktur und

Semantik, Band 2, S. 254; ders., Soziale Systeme, S. 430 ff.


125 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 80.
126 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 ff.; ders., Soziale Systeme, S. 436 ff.; ders.,

Soziale Welt 20 (1969), S. 35; Jakobs, ARSP-Beiheft 74, 58 f. Kritisch darüber Ha-
bermas, Faktizität und Geltung, S. 70.
127 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 81 ff.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 101

müsse, was noch an Äußerungen vorliege. Das Raster, vor dem sich jedes Ver-
halten mit seiner Bedeutung verbindlich zeige, müsse an Standards, an Rollen,
an objektive Muster anknüpfen. Da die Erwartungen sich an Personen, also an
Rollenträger, in einer pluralistischen Gesellschaft richten würden, wäre die Min-
destvoraussetzung für eine Enttäuschung der Bruch einer Rolle, sei es einer be-
sonderen Rolle oder der allgemeinen Rolle des rechtstreuen Bürgers. Damit
würde der spezifisch strafrechtliche Witz an der objektiven Zurechnung einzig
in der Beschränkung der Aufgaben und der Haftung auf einen umrissenen Be-
reich bestehen. Zuständigkeit wäre in diesem Kontext also der zugeschriebene
Aufgabenbereich.128
Neben der rechtssoziologischen Begründung einer Systemtheorie gibt Jakobs
auf dem dogmatischen System basierende Gründe an für die Differenzierung in
Rollen, indem der Gedanke der Garantenstellung der Unterlassungsdelikte in die
Begehungsdelikte eingefügt wird: Das Täterwissen plus das Nicht-Retten könne
bei den Unterlassungsdelikten noch keine Strafbarkeit begründen; dementspre-
chend sei auch bei den Begehungsdelikten der Wissende ohne Garantenstellung
nicht dafür zuständig, sein Wissen zu gebrauchen.129
Schließlich ist den Behauptungen von Jakobs zu entnehmen, daß das Spe-
zielle an seinem Zurechnungssystem überhaupt die Frage des Sonderwissens
mit der Rollenbegrenzung ist. Die spezielle Folge seines ganzen systemtheoreti-
schen Konzepts ist also – neben den Besonderheiten seines äußerst normativen
Vorsatz- und Schuldbegriffs – der Ausschluß der strafrechtlichen Verantwort-
lichkeit aufgrund von Rollen auch bei vorhandenem Sonderwissen über die So-
zialschädlichkeit des Verhaltens.

bb) Rollentheorie und Sonderwissen

Aus der Idee der anonymen sozialen Kontakte wird von Jakobs in die Beur-
teilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eine Differenzierung nach Rollen
eingeführt, die eine haftungseinschränkende Wirkung auch bei vorhandenem
Sonderwissen haben soll. Danach sei vorhandenes zufälliges Täterwissen (Son-
derwissen) nicht immer ein Grund dafür, die Grenzen des erlaubten Risikos zu

128 Jakobs, ZStW 107 (1995), 859 ff.; ders., Das Schuldprinzip, S. 29; ders., ZStW

101 (1989), 518 f.; ders., Strafrecht AT, 1/8, 6/22; ders., Handlungsbegriff, S. 31 f.;
ders., ARSP-Beiheft 74, 66 f.; auch im gleiche Sinne: Vehling, Die Abgrenzung von
Vorbereitung und Versuch, S. 93 (mit Fn. 18), 97 ff.; Derksen, Handeln auf eigene Ge-
fahr, S. 179 f.; Reyes Alvarado, ZStW 105 (1993), 116 ff., 131; Wolff-Reske, Berufsbe-
dingtes Verhalten als Problem mittelbarer Erfolgsverursachung, S. 131 ff.; Otto,
Grundkurs Strafrecht, § 9, Rdn. 30 ff. (für das Unterlassungsdelikt); Sánchez-Vera,
Pflichtdelikt und Beteiligung, S. 56 ff., u. a.
129 Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 283 ff.; vgl. auch ders.,

Strafrecht AT, 7/56, 7/58.


102 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Lasten des Handelnden zu ändern. Daher wird von Jakobs die strafrechtliche
Verantwortlichkeit des Täters, der von der Tatbestandsverwirklichung weiß, da-
von abhängig gemacht, aus welchen Rollen der Täter seine Kenntnisse erworben
hat und in welcher Rolle er bei der zu beurteilenden Tat handelte. Während das
Sonderwissen jedenfalls beim Vorsatzdelikt für die völlig herrschende Ansicht
immer zu Lasten des Täters berücksichtigt werden muß, nimmt Jakobs sogar
hier eine Differenzierung vor: Wisse der Täter in einer Rolle etwas, was er in
der bei der Tat eingenommenen Rolle nicht wissen muß, sei er – jenseits von
§ 323c StGB – nicht verpflichtet, dieses Wissen zu gebrauchen. Im Fall des
Biologiestudenten, der aufgrund seiner im Studium erworbenen Kenntnisse eine
giftige Frucht zufällig in einem exotischen Salat erkennt und diesen als Aus-
hilfskellner trotzdem serviert, werde dieser nur wegen unterlassener Hilfelei-
stung (§ 323c StGB) verantwortlich gemacht werden können. Er dürfe nämlich,
was er in einer Rolle wisse, in einer anderen nicht wissen. Suche er dagegen
unter den Gästen sein Opfer aus, so werde sein Sonderwissen relevant, und
seine Handlung gehe infolge dessen über das erlaubte Risiko hinaus. Auch
wenn also der Täter aufgrund seiner Rolle nicht verpflichtet sei, seine Sonder-
kenntnisse einzusetzen, gehöre das Wissen dennoch dann zur Rolle, wenn er es
in Beziehung zum Opfer einsetze oder zu Lasten des Opfers ausnutze.130 So
werde der Täter also bei der strafrechtlichen Beurteilung seiner Pflichten zur
Vermeidung eines Risikos, das er nach seiner Vorstellung geschaffen hat, nicht
als ein Mensch im Sinne eines psycho-physischen Subjekts, sondern als ein
Rollenträger betrachtet.
Freilich weist Jakobs auch auf die Unsicherheiten hin, die bei der Anwen-
dung der Rollentheorie entstehen können. Als Beispiel dafür bietet er den Fall
des Autohalters, der von einem Kind, das einen unter sein Auto gerollten Ball
hervorhole, erfahre, daß die Bremsleitung lecken würde. Der Halter dürfe dann
mit dem Auto nicht fahren, auch wenn ein Fahren bei Nichtwissen innerhalb
des erlaubten Risikos gelegen hätte.131

cc) Rollentheorie vs. Rechtsgüterschutz

Jakobs kritisiert die herkömmliche Strafrechtsdogmatik deswegen, weil sie


auf die Mechanik des Rechtsgüterschutzes fixiert sei und dadurch die Ordnung
der sozialen Beziehungen verfehle. Er möchte für das Strafrecht Zuständigkei-

130 Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 286; ders., Strafrecht AT, 7/

49 f.; ders., Objektive Zurechnung, insbesondere im Bereich der strafrechtlichen Insti-


tute „erlaubtes Risiko“, „Regreßverbot“ und „Vertrauensgrundsatz“, in: Jakobs, Estu-
dios de Derecho penal, S. 209 ff., 211 (Beitrag nur auf Spanisch vorhanden); ders.,
Norm, Person, Gesellschaft, S. 97; vgl. auch Lesch, Der Verbrechensbegriff, S. 257 ff.;
Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, vor §§ 13 ff., Rdn. 93.
131 Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 272 f.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 103

ten und die folgerichtige Beschränkung der Organisationsreichweite berücksich-


tigen.132 Allerdings ist dagegen einzuwenden, daß die Idee des Rechtsgüter-
schutzes gerade im Falle einer Erfolgsbezweckung durch den Täter vorzüglich
anzuwenden ist. Die Einteilung in soziale Rollen betrifft die Sorgfaltsnorm bzw.
kann für andere Rechtsgebiete zur Anwendung kommen, aber nicht im Straf-
recht bei vorsätzlichem Handeln. Man kann nämlich davon nicht absehen, daß
der Täter die rechtsgutsverletzende Tat dadurch steuert, daß er die Sozialschäd-
lichkeit seiner Handlung kennt, auch wenn er für die Vermeidung der Tatbe-
standsverwirklichung nicht „zuständig“ sein sollte. Um das erlaubte Risiko bei
Fahrlässigkeitsdelikten zu bestimmen, ist der Fall des Biologiestudenten sehr
lehrreich: Für den Kellner besteht keine Sorgfaltspflicht, zu servierende Ge-
richte auf giftige Substanzen hin zu untersuchen. Weiß er aber, daß ein Gericht
eine tödliche Substanz enthält, und serviert er es trotzdem, begeht er ein Kapi-
taldelikt in mittelbarer Täterschaft kraft vorsatzlosen Werkzeugs, nämlich dem
ahnungslosen Gast als Opfer. Es ist also die finale Steuerung des Geschehens,
die von der Rollenerwartung völlig unabhängig ist und den Biologiestudenten
zum Herrn der Tat macht; dabei spielt auch die Schutzlosigkeit des Opfers eine
wichtige Rolle. Ein Ausschluß der Zurechnung bei der vorsätzlichen Vergiftung
eines arglosen Opfers wie im Beispiel des Biologiestudenten wäre also nicht
akzeptabel. Ferner wird die Unhaltbarkeit einer Differenzierung nach Rollen bei
der strafrechtlichen Zurechnung im Vorsatzdelikt mit der von Roxin gebildeten
Extremvariante133 des Falles von Jakobs (dem Kellner wird eine Torte mit einer
Bombe zum Servieren übergeben) unterstrichen, nämlich daß die Identität des
Gastes, der die Torte bekommt, unbestimmt bleibt, weil ansonsten auch Jakobs
die Strafbarkeit des Kellners bejahen würde.
Ein weiteres Beispiel von Jakobs zum Ausschluß der Zurechnung trotz Son-
derwissens bildet der Fall des Ingenieurs, der einen Gebrauchtwagen kaufen
möchte und bei der Probefahrt aufgrund seiner besonderen technischen Kennt-
nisse bemerkt, daß die Bremsen demnächst versagen werden. Nach Jakobs be-
geht er keine Tötung oder Sachbeschädigung, „wenn er das Auto dem Halter
ohne Bemerkung zurückgibt (Tun!) und der Halter wegen des Defekts verun-
glückt“, weil die Rolle eines Autofahrers eine andere sei als diejenige eines
potentiellen Kunden.134 Allerdings ist ein Rückgriff auf die Rollentheorie zum
Ausschluß der Strafbarkeit des Ingenieurs nicht erforderlich, weil es sich hier
entgegen der Meinung von Jakobs um ein Unterlassen und nicht um ein Tun
handelt – auch wenn diese Unterscheidung für Jakobs nicht relevant ist135 –, so
daß die Tatbestandsmäßigkeit wegen fehlender Garantenstellung des Ingenieurs

132 Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 285.


133 Diese Variante hat Roxin in der Debatte im Seminar der Universität Pompeu
Fabra, Barcelona, in seiner Erwiderung auf Jakobs gebildet.
134 Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 286; vgl. ferner ders., Straf-

recht AT, 7/50.


104 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

ausscheidet. Der Ingenieur leitet nicht mit Energieeinsatz ein, führt fort oder
verstärkt den rechtsgutsverletzenden Geschehensablauf. Selbst wenn man mit
der Rechtsprechung auf den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit abstellt, kommt
man hier zu dem Ergebnis, daß ein Unterlassen vorliegt.136 Denn vorwerfbar ist
nicht die Rückgabe des Fahrzeugs (das ist sogar die Pflicht des Probefahrers),
sondern die unterlassene Mitteilung. Ein möglicher rettender, erfolgsabwenden-
der Kausalverlauf entsteht in unserem Fall nur durch die Aktivierung der Er-
kenntnisse des Ingenieurs, der allerdings diesen erfolgsabwendenden Kausalver-
lauf nicht einleitet, weil er den Wagen ohne Bemerkungen zurückgibt. Die
Rückgabe des Wagens erlangt also bei der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
keine Relevanz. Ansonsten könnte sie eine Einordnung des Verhaltens des Inge-
nieurs in die von Roxin entwickelte Kategorie des „Unterlassens durch Tun“137
ermöglichen. Dabei wäre ein phänomenologisches Tun (hier die Rückgabe des
Wagens; es könnte sich auch um das Abstellen im Hof der Autofirma handeln)
nach Unterlassungsregeln zu behandeln, weil die Situation vergleichbar wäre
mit der, daß die Erkenntnis des Ingenieurs und die damit entstandene Möglich-
keit der Vermeidung der Rechtsgutsverletzung durch ein rettendes Verhalten
bzw. eine rettende Mitteilung über die Defekte in der Bremsleitung nicht exi-
stent gewesen wären. Letztendlich handelt es sich um eine Unterlassung, bei
der der Ingenieur wegen fehlender Garantenstellung für den Erfolg nicht straf-
rechtlich haften sollte.138 Anders wäre der Fall zu entscheiden, wenn der Ingeni-
eur den Wagen nach Erkennen des Defektes und vor dessen Rückgabe seinem
Onkel zwecks Tötung und anschließendem Erbfall zur Verfügung stellen würde.
Hier würde er einen neuen Kausalverlauf aktiv einleiten, so daß ein vorsätz-
liches Begehungsdelikt in Betracht käme.
Ferner ist eine Bejahung der Strafbarkeit nach § 323c StGB wegen unterlas-
sener Hilfeleistung bei Ausschluß der Strafbarkeit wegen Tötung oder Sach-
beschädigung kraft Rollentheorie durch Jakobs in seinem gedanklichen Ansatz
nicht nachzuvollziehen, sondern schlicht inkonsequent: Wenn die Strafbarkeit
bezüglich des im Vordergrund stehenden Tatbestands aus dem Grund ausge-
schlossen wird, daß dabei nicht ein Subjekt mit Fachwissen zur Erkennung von
Gefahren vorausgesetzt wird, sondern bloß eine Person in der ausgeübten Rolle,
sei es die eines Kellners bzw. die eines Autokäufers, müßte folgerichtig die
Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung wegen des Verhaltens in der

135 So z. B. in Jakobs, Die strafrechtliche Zurechnung von Tun und Unterlassen,

S. 36 ff.
136 Zur Debatte über die Abgrenzung von Begehung und Unterlassung vgl. z. B.

Roxin, Strafrecht AT II, § 31, Rdn. 69 ff.


137 Vgl. dazu Roxin, Festschrift für Engisch, S. 380 ff.; ders., Strafrecht AT II, § 31,

Rdn. 99 ff. mit der historischen Entwicklung und Verweis auf weitere Nachweise in
Fn. 137.
138 Anders im Rahmen des § 323c.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 105

Rolle eines „normalen“ Bürgers auch verneint werden. Da sich § 323c StGB
auch nicht an besondere, sondern an alle Bürger richtet, können Sonderkennt-
nisse für diesen Tatbestand keine strafrechtliche Relevanz erlangen. Hier muß
nach dem Ansatz von Jakobs ein Bürger gefordert werden, bei dem nur ein
Standardwissen vorausgesetzt werden sollte, so daß die Eigenschaft, unbekannte
giftige Früchte oder versteckte Defekte der Bremsleitung zu entdecken, nicht zu
seinen Lasten durch eine differenzierte Anwendung der Rollentheorie gewertet
werden könnte.

dd) Rollentheorie und tatsächliche Gesellschaftsstruktur

Ein weiterer Angriffspunkt gegen die Zurechnungslehre von Jakobs mit der
strengen Berücksichtigung der sozialen Rollen und vor allem gegen ihre „inter-
kulturellen Verbreitung“ betrifft den Standpunkt von Jakobs, daß der Inhalt des
Strafrechts bzw. der strafrechtlichen Normen nicht von einer wünschenswerten
Gesellschaft abhänge, sondern von derjenigen, die das Rechtssystem ausdiffe-
renziert habe. Damit müsse die konkrete gesellschaftliche Werterfahrung139 und
die Ordnung der sozialen Beziehungen berücksichtigt werden.140 Wenn man
aber mit einer solchen Aussage konsequent sein möchte und wenn man mit
Jakobs von einem soziologischen Ansatz als Grundlage des Strafrechts ausge-
hen würde, müßte man folgerichtig erkennen, daß nicht alle formulierten Zu-
rechnungsregeln ohne weiteres auf jede heutige Gesellschaft und jedes Straf-
rechtssystems angewendet werden können. Ein Bezug auf die konkreten, in der
Realität unterschiedlich gestalteten Gesellschaften impliziert allerdings bei Ja-
kobs keinen Bezug auf reale Gegebenheiten, da sein Gesellschaftsbegriff nor-
mativ ist bzw. kein Zeichen einer rechtlichen Berücksichtigung etwa einer
(vor)gegebenen Organisationsart der Gesellschaften hat, weil die Gesellschaft in
seinem Konzept durch die Normen definiert ist.141 Der Bezug auf konkrete ge-
sellschaftliche Gestaltungen, wie z. B. die moderne pluralistische Gesellschaft
mit der Anonymität der Kontakte und der starken Trennung in Zuständigkeiten,
muß deshalb wohl bloßes Beispiel in seinem rein abstrakten System und damit
als kontingent (= nicht notwendig und auch anders möglich), nicht aber als ein
empirisches Element mit Realitätsbezug in seiner Systemtheorie angesehen wer-
den.
Wenn nun aber von den Rechtssystemen die Organisationsart der Gesellschaft
berücksichtigt wird, so müssen doch die Unterschiede der verschiedenen Gesell-

139 Jakobs, Das Schuldprinzip, S. 29 f.; ders., ZStW 107 (1995), 846, 855; bezüg-

lich der Legitimation der Strafe: ders., Strafrecht AT, 1/21, 1/23.
140 Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 285.
141 Vgl. Jakobs, ZStW 107 (1995), 843; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 30,

40, 63 ff.; ders., ARSP-Beiheft 74, 60.


106 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

schaften bei der Bestimmung strafrechtlicher Relevanz in Betracht gezogen wer-


den. Die Beispiele, die Jakobs zur Erläuterung der Erwartungen kraft Rollen
mit strafrechtlicher Relevanz gibt, sind geradezu ein Kennzeichen der Funk-
tionsweise der deutschen Gesellschaft. Daß es Rollen und Aufgabenverteilung
in jeder Gesellschaft gibt, bleibt selbstverständlich unbestritten. Allerdings kön-
nen die Rollenverteilung und die Erwartungen unterschiedliche Formen in un-
terschiedlichen Gruppen annehmen. So ist beispielsweise die strikte Art von
Haftungsbegrenzung durch „Zuständigkeiten“ nicht ohne weiteres auf andere
Gesellschaften anwendbar. Angesichts der aktuellen Expansion des deutschen
Strafrechts in spanischsprachige Länder, in denen sich zahlreiche Anhänger des
strafrechtlichen Funktionalismus wiederfinden,142 und in asiatische Länder, in
denen das Interesse an einer solchen Lehre wächst, stellt dieser Umstand ein
Hindernis für den Export einer auf Zuständigkeiten basierenden Zurechnungs-
lehre in andere Rechtsordnungen dar. Bereits der Terminus „Zuständigkeit“ ist
in der Umgangsprache solcher Kulturen nicht üblich, sondern allenfalls in der
Amtssprache, so daß die Übersetzung der Rollentheorie in die Fremdsprache
geradezu eine künstliche Bezeichnungsart erfährt, die den Leser zur Idee der
Einführung einer neuen, interessanten Art von Gesellschaftsstruktur, aber nicht
zu einer auf seine Gesellschaft passenden Zurechnungslehre führen kann. Dage-
gen gehört der deutsche Satz „ich bin dafür nicht zuständig“ zur Umgangspra-
che und wird von Subjekten verwendet, auch wenn sie über zufälliges Wissen
über die fremde Rolle verfügen. Eine solche Aussage bezweckt hauptsächlich
den Ausschluß einer möglichen Haftung für eine fehlerhafte Ausübung der
fremden Rolle. Die sprachlichen Unterschiede sind zugleich ein Zeichen des
unterschiedlichen Umgangs der Subjekte innerhalb der Gesellschaften. So gibt
es in spanischsprachigen Ländern zwar grundsätzlich eine Einteilung in Aufga-
benbereiche, allerdings sind deren Grenzen nicht im Vordergrund des Bewußt-
seins der Subjekte, so daß sie in der Regel nur beim fehlenden Wissen über die
jeweilige Aufgabe auf einen Übergriff in die fremde Sphäre verzichten. Bei-

142 Für die spanischsprachigen Länder vgl. den Einfluß von Jakobs in den Werken

von z. B. Reyes Alvarado, Imputación objetiva, Santa Fe de Bogotá, mit einer Zusam-
menfassung in ZStW 105 (1993), 108 ff.; Cancio Meliá, im Ansatz in: Conducta de la
víctima, Barcelona, S. 216, 287 ff., 291 f., 369; ders., ZStW 111 (1999), 373, 377 ff.;
Silva Sánchez, La expansión del Derecho penal, Madrid, S. 163 ff.; E. Bacigalupo,
Principios, PG, Madrid, z. B. S. 247; S. Bacigalupo, in: Cuadernos de política crimi-
nal, Madrid, 1999, S. 11 ff., insbes. S. 31 ff., 34 ff. (auch wenn sie sich in einigen
Fragen von der Lehre Jakobs deutlich distanzieren, siehe z. B. die Einwände von Can-
cio Meliá gegen die Idee eines Feindstrafrechts in Jakobs/Cancio Meliá, Derecho
penal del enemigo, Madrid, S. 59 ff.). Vgl. sogar die Werke in deutscher Sprache
der spanischen Wissenschaftler Sánchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung, und
González-Rivero, Strafrechtliche Zurechnung bei Defektzuständen. Zur Feststellung,
daß die Theorie von Jakobs einen großen Einfluß in Lateinamerika hat, vgl. Ambos,
Völkerstrafrecht, S. 62 f.; Cancio Meliá, in: Jakobs/Cancio Meliá, a. a. O., S. 92. In
asiatischsprechenden Länder erregt diese Lehre immer mehr wissenschaftliches Inter-
esse.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 107

spielsweise beantwortet der Verkäufer Fragen einer anderen Verkaufsabteilung,


solange er nur etwas weiß. Oder: Ein alt gedienter „prosecretario“ übernimmt in
einem südamerikanischen Gericht alles, von den niederen Aufgaben wie dem
Stempeln von Unterlagen oder dem Verteilen der Post bis zu höheren Aufgaben
wie Urteile zu schreiben, obwohl er dadurch die Grenzen der ihm durch die
Rechtsordnung auferlegten Aufgabe der Kontrolle des internen Funktionieren
des Gerichtes enorm überschreitet. Ferner kennzeichnet sich die asiatische Ge-
sellschaft durch einen hierarchischen Organisationstypus, bei dem die Autorität
und Führung von großer Bedeutung sind, so daß die Subjekte eine niedrigere
Selbständigkeit in ihrem Tätigkeitsbereich erlangen und einer extrem getriebe-
nen Aufgabenteilung nicht unterliegen. Zugleich ist ein Übergriff in fremde
Aufgabenbereiche aufgrund einer fehlenden, strikten Festlegung der Gesell-
schaft auf Zuständigkeiten nicht ausgeschlossen. Ferner kennzeichnet sich die
Arbeitsorganisation in japanischen Betrieben durch systematischen Arbeits-
wechsel und Rotation von Arbeitsaufgaben auf allen Hierarchieebenen zugun-
sten einer höheren Einsatzbreite. Stark differenzierte Qualifikationsgruppen wie
z. B. Facharbeiter und Angelernte gibt es in den japanischen Unternehmen
nicht.143 Sogar ein Ausschluß der Verantwortlichkeit durch etwaige Rollenver-
teilung ist vor allem in der japanischen Arbeitswelt nicht denkbar: Würde der
Kellner die giftige Frucht dem Gast eines Restaurants in Japan servieren, müßte
er sich entschuldigen, sich sogar verbeugen und niederknien, auch wenn er von
dem Gift im Gericht keine Kenntnis hatte.
Hieran zeigt sich, daß es andere Gesellschaften bzw. zumindest einige Berei-
che dieser gibt, wo „jeden alles angeht“144. Man könnte dagegen erwidern, daß
das angegebene Beispiel von reiner Erfolgshaftung der japanischen Gesellschaft
kein erwünschtes Muster darstellt, mit dem der Gesetzgeber verbunden sein
sollte, oder daß der Gesetzgeber überhaupt nicht mit den Gepflogenheiten einer
Gesellschaft verbunden sein sollte. Diese Frage bezieht sich auf ein sehr weites
Feld, das das hiesige Thema überschreitet. Es wird hier nur insoweit erörtert, als
Jakobs seine Zurechnungstheorie bzw. Rollentheorie auf gesellschaftliche Struk-
turen begründet und dadurch die Abhängigkeit der Dogmatik von einer realen,
zeitlich und örtlich veränderbaren Grundlage unterstützt, die gegebenenfalls
eine Berücksichtigung der unterschiedlichen Basis bei ihrer Anwendung erfah-
ren sollte.

143 Vgl. Jürgens, in: Matthes (Hrsg.), Soziale Welt, Zwischen den Kulturen?, S. 309;

ferner Abe, in: Matthes, a. a. O., S. 242.


144 Entgegen dem Satz von Jakobs, ZStW 89 (1977), 30.
108 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

b) Eine „objektive“ und „subjektive“ Seite der Straftat?

aa) Allgemeines

Eine objektive und eine subjektive Seite des strafrechtlichen Unrechts, so wie
die herkömmliche Lehre differenziert, ist im System von Jakobs in dieser Ge-
stalt nicht zu finden. Das Objektive bezeichnet bei ihm nicht speziell die ex-
terne Handlung und den verursachten Erfolg wie bei der Kausal- und Final-
lehre, aber auch nicht wie bei moderneren Konstruktionen wie etwa dem
Zweckrationalismus, sondern die Tat als Sinnausdruck, als kommunikativer Bei-
trag im sozialen Kontext. Ferner wird anstatt der herkömmlichen subjektiven
Unrechtsseite die von ihm sogenannten Kategorie der personalen Zurechnung
konstituiert. Eine subjektive Zurechnung i. S. einer „individualisierenden“ Zu-
rechnung wird in seinem System abgelehnt.145
Beide Seiten des Verbrechens werden frei von jeglicher Ontologie konstitu-
iert, so wie auch Luhmann das Objektive und das Subjektive versteht: „Objektiv
ist das, was sich in der Kommunikation bewährt. Subjektiv ist das, was sich in
Bewußtseinsprozessen bewährt, die dann ihrerseits subjektiv das für objektiv
halten, was sich in der Kommunikation bewährt, während die Kommunikation
ihrerseits Nicht-Zustimmungsfähiges als subjektiv marginalisiert.“146 Aufgrund
der vielen Selbstreferenzen ist es schwer, die Bedeutung von Objektivität und
Subjektivität aus dieser Aussage zu entnehmen. Jakobs greift aber auch auf eine
Selbstkonstitution der objektiven und personalen Seite im strafrechtlichen Un-
recht zurück, was im folgenden zu verdeutlichen versucht wird.

bb) Die „objektive Seite“

Da Jakobs die Straftat als Sinnausdruck, als normwidersprechende Behaup-


tung, als kommunikativer Beitrag betrachtet, muß er auch bestimmen, wann
eine Person einen bestimmten Sinn ausdrückt. Dafür rückt er einerseits von der
Ansicht der Kausallehre und von ihrer Annahme ab, daß ein Verhalten die Be-
deutung einer Straftat haben soll, wenn das Verhalten für den Erfolg kausal
wird. Andererseits, obwohl der Finalismus eine weitere Kategorie, nämlich die
im Bewußtsein antizipierte Kausalität hinzufügte, sei diese Antizipation der
Kausalität lediglich ein psychisches, und nicht ein soziales Faktum.147 Nach Ja-
kobs behandelten die Kausal- und Finallehre nur den individual-anthropologi-
schen Teil des Problems, nicht aber den gesellschaftlichen.148 Die Bedeutung
eines Verhaltens würde von seiner Stellung im sozialen Kontext abhängen. Der

145 Jakobs, ARSP-Beiheft 74, 67.


146 Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, S. 19.
147 Jakobs, ARSP-Beiheft 74, 63 f.; ders., Handlungsbegriff, S. 12, 20 ff.
148 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 27, 29; ders., ARSP-Beiheft 74, 63 f.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 109

Handlungsbegriff solle also nicht vor der Gesellschaft gesucht werden, sondern
in der Gesellschaft.149
Sinnausdruck sei nur als kommunikativer Vorgang begreifbar: Es komme so-
wohl auf die Perspektive des Ausdrückenden, als auch diejenige des Empfän-
gers an, der nicht über das individuelle Deutungsschema des Ausdrückenden
verfüge, oder, wenn er darüber verfüge, sei dieses Schema jedenfalls nicht al-
lein schon maßgeblich, nur weil es sich um das individuelle Schema handeln
würde. Die subjektive Erfolgsvorstellung sei nur dann kommunikativ relevant,
wenn sie auf einem kommunikativ relevanten Deutungsschema beruhe. Werde
das Deutungsschema etwa von einem Kind konstruiert oder beruhe es auf über-
irdischen Kräften, sei es nicht kommunikativ relevant. Ferner sei ein Verhalten
wegen seiner Finalität, seines Kausalzusammenhanges zum Erfolg oder dessen
Voraussehbarkeit nicht unbedingt kommunikativ relevant. Das gesellschaftliche
Deutungsschema hebe bestimmte Zusammenhänge als maßgeblich heraus. Da-
mit Sinnausdruck einem bestimmten Verhalten zugeordnet werde, müsse es als
maßgebliche, nicht nur zufällige Bedingung für den Verlauf zum Erfolg verstan-
den werden. Der Erbauer einer viel befahrenen Straße sei beispielsweise auch
für die auf dieser Straße geschehenen tödlichen Unfälle ursächlich, allerdings
„töte“ er nicht, auch wenn er diese Unfälle beabsichtigt habe. Nach dem gesell-
schaftlichen Deutungsschema gelte die Auslösung einer solche Ursache als
nicht erfolgsrelevant. Dies sei von der subjektiven Seite ganz unabhängig.150
Diese Interpretation des Verhaltens im sozialen Kontekt heiße also „objektive
Zurechnung“. Durch die objektive Zurechnung würden die Erwartungen für die
unterschiedlichen Situationen stereotypisiert. Die Person werde also als Stereo-
typ, als Rollenträger, als rechtstreue Person eingesetzt, und die Erwartungen
richteten sich an Personen, also an Rollenträger.151 Die oben geschilderte Rol-
lentheorie und der Gedanke der anonymen sozialen Kontakte werden hier einge-
setzt.

cc) Keine „subjektive Seite“, sondern „personale“ Zurechnung


(i. S. von Maske oder Rolle)

Wie aus den vorangegangenen Ausführungen zu entnehmen ist, scheint die


Übertragung systemtheoretischer Überlegungen auf den Aufbau der „objekti-
ven“ Seite (= Sinn) des Verbrechens – auch wenn bestreitbar – unproblematisch
zu sein, weil hiernach die Handlung einer Person aus einer gesellschaftlichen
Sicht betrachtet wird, die ihre kommunikative Seite berücksichtigt. Nicht so
leicht geht es demgegenüber bei der Vereinbarung einer Systemtheorie mit den

149 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 12; vgl. auch ders., ARSP-Beiheft 74, 64.
150 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 27 ff.; vgl. auch ders., ARSP-Beiheft 74, 63 f.
151 Jakobs, ZStW 101 (1989), 518; ders., ZStW 107 (1995), 860 f.; ders., ARSP-

Beiheft 74, 65 ff.


110 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

konkreten strafrechtlichen Bedürfnissen, den Vorsatz des Täters bei der Tatbeur-
teilung zu berücksichtigen. Die traditionelle Strafrechtsdogmatik überprüft im
konkreten Fall das Vorhandensein einer tatsächlichen psychischen Beziehung
des Täters zu seiner Tat. Nach den heutigen Werteinstellungen ist ein Verzicht
auf die Berücksichtigung irgendeiner „personellen“ Einstellung des Täters zu
seiner Tat im Strafrecht nicht möglich, deshalb müßte eine Systemtheorie diese
Einstellung in das Programm des autopoietischen Systems „Strafrecht“ ein-
bauen. Allerdings kann sich ein rein normatives Programm einen etwaigen Be-
zug zur Natur nicht leisten: Das Subjekt ist aus der Perspektive einer System-
theorie eine Konstruktion, die in der Wirklichkeit kein Korrelat erfordert.152
Der Verzicht auf eine Subjektbezogenheit ist allerdings nicht nur in einem sol-
chen theoretischen Rahmen zu finden: Mehrere einflußreiche Strömungen der
deutsch-französischen Gegenwartsphilosophie üben nämlich ebenfalls eine Sub-
jekt-Kritik mit der postmodernen Metapher vom „Tod des Subjekts“153. Die
Individualität des Täters, d. h. seine individuellen Kenntnisse, müßten deshalb
auch im Bereich des Rechts auf der Seite gelassen werden. Wie und ob ein
subjektsbezogenes Element in die selbstreferenzielle Strafrechtsdogmatik einzu-
beziehen wäre, bedürfte einer weiteren Begründung.
Die erste Frage ist also, wie der Vorsatz nach Jakobs zu konstruieren ist. Es
entsteht aber eine zweite Frage, die sogar Vorrang hat: Wieso muß im System
von Jakobs überhaupt irgendein Bezug zum Vorsatz genommen werden, bzw.
warum reicht bei einer gesellschaftlichen Sicht des Strafrechts nicht ein objekti-
ver Sinnausdruck der Person für die Zurechnung aus?154 Geschichtlich betrach-
tet entsteht subjektive Zurechnung nach Jakobs aus der Entzauberung der Welt
seit der Epoche der Aufklärung.155 Nun geht es um die fundamentale Frage
nach der Subjektbezogenheit in der Spannung zwischen der Systemtheorie und
dem Teilsystem Strafrecht (das auf eine solche Bezogenheit, wie bereits er-

152 Kritisch Stübinger, KJ 26 (1993), 45.


153 Vgl. z. B. Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 412, 462, vgl. auch S. 14 f.,
367 ff., 379, 384, 404 ff., mit Verweis auf die Kritik von Nietzsche am Subjektivis-
mus. Vgl. ferner den Überblick von Frank, Was ist Neostrukturalismus?, über den
französischen Neostrukturalismus und die deutsche kritische Theorie des Subjekts. Be-
züglich der Verkündung von Luhmann des „Tod des Subjekts“ (etwa in: Preyer/Peter/
Ulfig [Hrsg.], Protosoziologie im Kontext, S. 297), und sogar von Habermas des
„Endes bzw. der Wende der Subjektphilosophie“ (Theorie des kommunikativen Han-
delns, Bd. 1, S. 532), vgl. Schmid, in: Merz-Benz/Wagner (Hrsg.), Die Logik der Sy-
steme – Zur Kritik der systemtheoretischen Soziologie Niklas Luhmanns, S. 127 ff.
Für den strafrechtlichen spanischsprachigen Raum vgl. S. Bacigalupo, in: Cuadernos
de política criminal, Madrid, 1999, S. 11 ff., insbes. S. 31, 35 f., die die Strafbarkeit
der juristischen Personen auf der Systemtheorie und auf ihren Verzicht auf das indivi-
duelle Subjekt begründet.
154 In diesem Kontext wird die Frage der Schuld auf der Seite gelassen, da sie nicht

Gegenstand der Untersuchung ist.


155 Jakobs, Das Schuldprinzip, S. 10 ff.; ders., ARSP-Beiheft 74, 67.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 111

wähnt, nicht verzichten kann). Beide Fragen, die die Zurechnungslehre von Ja-
kobs auf den Prüfstein stellen, werden nun parallel behandelt.
Den Ausführungen von Jakobs über die personale Zurechnung kann man ent-
nehmen, daß die Unkenntnis des Täters über die Tatumstände ihn in einigen
Konstellationen entlastet, so daß der Eindruck erweckt wird, daß Subjektbe-
zogenheit bei der personalen Zurechnung von Jakobs zum Ausdruck kommen
würde. Deshalb ist zunächst Bezug auf die Konstellationen zu nehmen, bei de-
nen die Unkenntnis nach Jakobs entlasten würde. Nach seiner Auffassung ent-
lastet Unkenntnis beim Irrtum, beispielsweise bei irrtümlich entstandenen Kal-
kulationsfehlern, verzeihlicher Verwirrung oder ähnlichem. Unkenntnis entlaste,
weil sie sich dem Grunde nach nicht spezifisch gegen fremde Güter richte (also
keinen Mangel an Normbefolgungsmotivation zeige), sondern vielmehr mit der
Gefahr einer Selbstverletzung als poena naturalis verbunden sei. Diese Art von
Unkenntnis impliziere noch eine Normbefolgungsbereitschaft. Sie sei keine Er-
klärung gegen die Norm selbst, sondern eine unrichtige Einschätzung deren
kognitiver Anwendungsbedingungen. Demgegenüber würde die Unkenntnis aus
Gleichgültigkeit gegenüber der Norm oder aus feindschaftlicher Einstellung den
Täter belasten, weil dies ein Zeichen seiner fehlenden Normbefolgungsbereit-
schaft sei. Dabei sei der Vorsatz zu bejahen, auch wenn der Täter keine tatsäch-
lichen Kenntnisse über die Tatsituation habe (= Figur der Tatsachenblindheit,
gerichtete Fahrlässigkeit).156 Wenn Jakobs einen Kenntnismangel überhaupt als
strafrechtlich relevant ansieht, berücksichtigt er also dabei nicht die Unkenntnis
als psychisches Faktum, sondern die Wertung dieses Faktums bzw. des Entste-
hungsgrundes der Unkenntnis.
In der personalen Zurechnung von Jakobs ist die Rede nur über kommunika-
tiv relevanten Sinn, d. h. nicht über einen subjektbezogenen Sinn, sondern über
den äußerlichen, gesellschaftlichen Sinn der Handlungen. Wissen oder Wissen-
Können werden aus dem einzelnen Bewußtsein gelöst und als Teil eines kom-
munikativen Vorgangs begriffen. So gehörten psychische Fakten zur Straftat nur
als äußere Träger des Sinnausdrucks einer Person. Relevant für das Strafrecht
sei nicht die wissentliche Schädigung eines anderen, sondern die Mißachtung
der Geltung der Norm, weil sie das den Personen Gemeinsame sei.157 Das
Strafrecht interessiere sich nur für den Output der Person; es berücksichtige
psychische Fakten nur selektiv und nicht in ihrem individuellen Zusammen-
hang.158 Unter diesen Prämissen wären also die Aussagen von Jakobs über die

156 Jakobs, Teheran-Beiheft zur ZStW 86 (1974), 8 f.; ders., ZStW 101 (1989),

529 ff.; ders., Strafrecht AT, 8/5a, ferner 8/21 ff.; ders., ZStW 107 (1995), 861 ff.
Dagegen Puppe, ZStW 103 (1991), 38; NK-dies., vor § 13, Rdn. 145; dies., Strafrecht
AT 1, § 16, Rdn. 44; Schünemann, Festschrift für Hirsch, S. 373; Köhler, Die be-
wußte Fahrlässigkeit, S. 369, Fn. 18. Vgl. ferner infra, § 3 E; § 5 A II 5; § 5 C II 1;
§ 6 D I.
157 Jakobs, ARSP-Beiheft 74, 68; ders., Handlungsbegriff, S. 39 f.
112 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

strafrechtliche Relevanz der Unkenntnis zu interpretieren: Bei einem Entste-


hungsgrund der Unkenntnis, der die Norm nicht mißachten würde, d. h. bei
bestehender Normbefolgungsbereitschaft, würde die Unkenntnis entlasten. So
würde der Kalkulationsfehler den kommunikativ relevanten Sinn äußern, daß
der Täter doch noch Normbefolgungsbereitschaft zeigen würde. Deshalb würde
eine solche Unkenntnis die personale Zurechnung ausschließen und damit ent-
lastend wirken.
Im Ergebnis wird bei der Frage nach der strafrechtlichen Bedeutung eines
Verhaltens also nur auf die gesellschaftliche Kommunikation abgestellt, so daß
es bei der Antwort auf die Frage, ob ein Verhalten objektiv zurechenbar ist, auf
den bestimmten kommunikativ relevanten Sinn des Verhaltens ankäme, und zu-
gleich die Antwort auf die Frage nach der personalen Zurechenbarkeit genauso
vom jeweiligen kommunikativ relevanten Sinn des Verhaltens abhängig wäre.
Wenn man die geschilderte Standardisierung der personalen Zurechnung an-
sieht, wird man sich allerdings fragen müssen, ob die personale Zurechnung im
System von Jakobs überhaupt noch eine selbständige Bedeutung neben der ob-
jektiven Zurechnung hat, bzw. welche Funktion die Kategorie der personalen
Zurechnung hat. Aus den in seinen neueren Werken gemachten Ausführungen
ergibt sich als Aufgabe personaler Zurechnung, die Verfehlung des Standards
festzustellen, Normbefolgungsbereitschaft zu identifizieren und zwischen dem
Vorsatz und der Fahrlässigkeit – mit wiederum einem völlig „objektiv/normati-
ven“ Gehalt159 – zu differenzieren. Es bleibt also von einer etwaigen Subjektbe-
zogenheit in den neueren Abhandlungen von Jakobs wenig übrig. Standardisiert
wird also der Wille zur Normbefolgung in der personalen Zurechnung, und Er-
wartungen in der objektiven Zurechnung.
Die in der objektiven Zurechnung zu berücksichtigenden Erwartungen sind
normativ, d. h. sie richten sich nicht auf das Verhalten eines Menschen, wie er
wirklich ist, sondern wie er sein soll, nämlich dominant zur Normbefolgung
motiviert, als Rollenträger, als perfekter Bürger. Wenn die perfekt gedachte
Normbefolgungsmotivation zu einer solchen Steuerung des real gegebenen psy-
chophysischen Apparats führe, daß das unerwünschte Verhalten nicht vollzogen
würde, dann sei dieses Verhalten vermeidbar. Im Bereich der subjektiven Zu-
rechnung käme in Frage, ob ein Defizit in der Normbefolgungsmotivation, sei
es wegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit, gegenüber dem Maßstab des guten Bür-
gers gegeben sei. Dabei handele es sich um das in die Wirklichkeit des Indivi-
duellen verlängerte objektive Defizit an Normbefolgungsmotivation. Vorsatz und
Fahrlässigkeit würden dieses Defizit indizieren.160

158 Jakobs, Strafrecht AT, 8/101 f.


159 Vgl. Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994), 265; ders., Festschrift für
Hirsch, S. 365 f., 373; vgl. auch supra, über die Figur der Tatsachenblindheit.
160 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 39.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 113

Die Tat als ausgedrückter Sinn, als Kundgabe des Handelnden, wie er sich
die Gestaltung der Welt denkt, wird also bei Jakobs nicht um ihrer selbst willen
dem Handelnden zugerechnet, sondern sie wird ihm zugerechnet, weil er die
Normgeltung nicht anerkenne.161 Dieses Nichtanerkennen der Normgeltung be-
dürfe als kommunikativer Vorgang immer einer Objektivierung der subjektiven
Nichtberücksichtigung. Die Körperbewegung bei der Straftat sei Objektivierung,
aber auch der äußere Deliktserfolg sei eine weitere Objektivierung, die quantita-
tiv die Körperbewegung steigere. Zugerechnet werde also das Nichtanerkennen
der Normgeltung durch den Sinnausdruck einer Person, wobei die Objektivie-
rung mehr oder weniger heftig, also quantitativ differenziert ausfallen möge.162
Damit sind die oben gestellten Fragen beantwortet: In der personalen Zurech-
nung ist keine Spur von Individualisierung ersichtlich; sie differenziert sich von
der objektiven Zurechnung dadurch, daß bei ihr der Wille zur Normbefolgung
standardisiert wird, während die Erwartungen bei der objektiven Zurechnung
standardisiert werden; und sie ist mit den Begriffen einer Systemtheorie absolut
vereinbar, da sie es erreicht, von der Individualität in ihren Begriff nichts zu
übernehmen.
In früheren Werken von Jakobs wurde noch ein Bezug zur Individualität her-
gestellt – auch wenn es selbstverständlich nie zu einem Bezug zur psychophysi-
schen Individualität als realer Gegebenheit kam. Jakobs hatte sich bemüht, eine
Erklärung für die Vereinbarkeit seiner Zurechnungslehre mit der Erforderlich-
keit einer subjektbezogenen Seite des Verbrechens zu geben. Diese Erforderlich-
keit ergäbe sich daraus, daß die Person im Strafrecht nicht nur in einer Rolle
betrachtet werde, sondern als Einheit. Während das Subjekt beim Zivilrecht im
Standard verschwinden könne, übergreife dagegen die strafrechtliche Zurech-
nung, die an den individuellen Fähigkeiten ausgerichtet werde, Rollen. Aus
dem Versagen in einer Rolle könnten (nicht zwingend) strafrechtliche Konse-
quenzen auch in jeder anderen Rolle der Person gezogen werden. „. . . denn das
Versagen beruht bei individueller Vorwerfbarkeit nicht nur auf den Identitäts-
merkmalen eines Rollenträgers, sondern betrifft auch den Teil des Subjekts, der
bei verschiedenen Rollen die Einheit des Trägers stiftet, also die rollenunabhän-
gigen Identitätsmerkmale des Subjekts.“163 Die Individualisierung hätte also bei
der Zurechnung die Aufgabe, Rollentrennung aufzuheben. Versage beispiels-
weise eine Person in ihrer Rolle als Chirurg, könne sie dann Zweifel an ihrer
Kompetenz in anderen Rollen nicht durch den Hinweis ausräumen, ihr Versa-
gen sei rollenspezifisch gewesen; denn es wäre ein Versagen desjenigen Teils
des Subjekts gewesen, das mehreren, wenn nicht allen Rollen gemeinsam sei.

161 A. a. O., S. 33 f.
162 A. a. O., S. 35.
163 Jakobs, in: Witter (Hrsg.), Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht,

S. 274; ders., Strafrecht AT, 6/24.


114 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Der Standard würde bei den Instituten der objektiven Zurechnung (garantenbe-
zogene Begehung, erlaubtes Risiko, Vertrauensgrundsatz) bleiben, dies aber ne-
ben, nicht statt der Individualisierung.164
Heutzutage, wie oben angeführt, findet man aber bei Jakobs die Begründung
über die Erforderlichkeit einer Individualisierung nicht mehr. Sein neuerer Vor-
satzbegriff wird deshalb als die „totale postmoderne Objektivierung“ bezeich-
net.165 Die Bewertung und Kritik der Vorsatzlehre von Jakobs werden in § 5 C
II 1 und § 6 D I ausgeführt, an diese Stelle wird darauf nur hingewiesen.

c) Zurechnung gleich für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte

Was die Gleichstellung der Zurechnungskriterien für beide Deliktsarten be-


trifft, ist Jakobs mit seinem bereits oben dargestellten Konzept des Objektiven
und Subjektiven konsequent und darauf ist im wesentlichen zu verweisen. Kon-
kret läßt er die Frage nach dem erlaubten Risiko nicht vom Vorliegen von Vor-
satz oder Fahrlässigkeit abhängig werden, „da ein erlaubtes Risiko nicht da-
durch verboten wird, daß der Täter sich die Erfolgschance . . . vergegenwärtigt,
und nicht dadurch unverboten, daß er nicht an sie denkt“. Er sieht eine Affinität
des erlaubten Risikos zur Fahrlässigkeit, leitet sie aber daraus ab, daß die Aus-
lösung der erlaubten Risiken kaum je mit dem Bewußtsein der Schadensfolge
erfolge.166 Ferner soll der Handlungsbegriff sowohl für die Fahrlässigkeits- als
auch für die Vorsatzdelikte gelten.167 Er sei Teil der objektiven Zurechnung,
weil Handlung nur das zurechenbare Bewirken sei.168 Die objektive Zurechnung
solle damit gleichermaßen für beide Deliktsformen gelten.

d) Bestimmung des erlaubten Risikos


aufgrund „historischer Legitimation“

Die Interessenabwägung wird u. a. von Jakobs169 als unzureichend für die


Bestimmung des erlaubten Risikos für alle Fallkonstellationen mit der Begrün-

164 Jakobs, in: Witter (Hrsg.), Der psychiatrische Sachverständige im Strafrecht,


S. 271 ff., 274; ders., ZStW 101 (1989), 518 f.; ders., Strafrecht AT, 6/24.
165 Schünemann, Festschrift für Hirsch, S. 365.
166 Jakobs, Strafrecht AT, 7/40; vgl. auch dens., Studien, S. 87 f. und dens., Fest-

schrift für Bruns, S. 31 ff.


167 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 30 ff., 44 und bereits in seinem Lehrbuch, 6/27.
168 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 29.
169 Jakobs, Strafrecht AT, 7/36; ders., La imputación objetiva en Derecho penal,

Madrid, S. 119 ff.; Kindhäuser, GA 1994, 218 (er sieht dort die Abwägung der entge-
gengesetzten Interessen beim erlaubten Risiko als „Gedankenspielereien“ und sieht die
Legitimation dieser Rechtsfigur aus der gesellschaftlichen Akzeptation); Schumann,
Strafrechtliches Handlungsunrecht, S. 10; Köhler, Strafrecht AT, S. 185 f.
C. Übertragung der Zurechnungskriterien 115

dung angesehen, daß die Risikohöhe nicht immer genau prognostiziert werden
könne. Deshalb läßt er neben dem erlaubten Risiko per Interessenabwägung ein
erlaubtes Risiko per „historische Legitimation“ treten. Danach sei das Risiko
nicht stets aufgrund einer rationalen Abwägung erlaubt oder nicht erlaubt, son-
dern es sei teils Akzeptation des Überkommenen.170
Man könnte in Frage stellen, ob diese historische Legitimation des erlaubten
Risikos im System von Jakobs nicht einen Bezug zu ontologischen Gegebenhei-
ten impliziert, indem man auf die tatsächliche Akzeptanz von Risiken seitens
der verschiedenen Gesellschaften zurückgreifen würde. Dagegen ließe sich sa-
gen: Weil es sich bei dem von Jakobs entwickelten Konzept der historischen
Legitimation von Risiken um eine gesellschaftliche Leistung mit einer ge-
schichtlichen Entwicklung handelt, könnte man einen Bezug zur „Natur“ (scil.
als Objekt der Ontologie) als ausgeschlossen ansehen – dies mit einigen allge-
meinen Vorbehalten bezüglich einer Empiriefreiheit der Systemtheorie in ihren
Ausgangspunkten und speziell bezüglich des Rückgriffs von Jakobs auf den
„kommunikativen Sinnausdruck“, der mal als eine rechtliche Bewertung, mal
als eine gesellschaftliche Tatsache begriffen wird –. Zugleich wäre der Bezug
auf akzeptierte und nicht akzeptierte Risiken in einer Gesellschaft eine bloße
Beschreibung des Ist-Zustands keiner konkreten Gesellschaft, sondern des ab-
strakten Gesellschaftsbegriffs im Sinne von gesellschaftlicher Verständigung
und Geltung von Normen und damit würde das Konzept in der System-Begriff-
lichkeit bleiben. Die Erlaubnis bzw. das Verbot einer Risikoschaffung würde
auch nicht konkrete Zwecke im Modell von Jakobs verfolgen, da die Normen
nicht die Stabilisierung der Gesellschaft als Zweck verfolgen, sondern sie die
Stabilisierung selbst darstellen würden.
Auf jeden Fall müßte richtigerweise die gesellschaftliche Akzeptanz be-
stimmter Risikoschaffungen für das Recht überhaupt als ein Aspekt der realen
Welt und nicht als ein abstraktes System-Element angesehen werden. Die einfa-
che Tatsache, daß ein Risiko gewohnheitsgemäß in der Gesellschaft akzeptiert
wird, kann nicht zugleich für den Gesetzgeber in dem Sinne verbindlich sein,
daß die Risikoschaffungen im strafrechtlichen Sinne erlaubt oder verboten wer-
den, weil dies in der Gesellschaft so verankert sei. Die gesellschaftliche Akzep-
tanz einiger Risiken ist wohl ein Argument von Gewicht für die gesetzgeberi-
schen Entscheidungen bzw. deren Interpretation, aber die Erlaubnis eines Risi-
kos wird letztendlich durch einen rationalen Abwägungsvorgang in und vom
Recht, nicht von der Gesellschaft durchgeführt. Wenn man wie in dieser Arbeit
im Einklang mit der h. M. die Funktion des Strafrechts im Rechtsgüterschutz
sieht,171 wird man die Untergrenzen strafbaren Verhaltens nach bestimmten ra-
tionalen Zwecken setzen. Anders formuliert: Daß eine Aktivitätsart trotz ihres

170 Jakobs, Strafrecht AT, 7/36 mit Fn. 63.


171 Vgl. infra, § 4 I.
116 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Risikopotentials nützlich sein kann und deshalb erlaubt wird, kann durchaus hi-
storische Gründe haben; aber die Abwägung, ob der Nutzen und die gesell-
schaftliche Verankerung der riskanten Handlung mehr Gewicht als der Schutz
der betroffenen Rechtsgüter erhalten soll, ist ein rationaler Vorgang, der erst bei
der Gesetzgebung und -interpretation vorzunehmen ist.
Ergebnis:
Insgesamt ist die Behandlung der Frage des Sonderwissens durch Jakobs ein
deutliches Zeichen der Entsubjektivierung der Strafrechtsdogmatik, der einseiti-
gen Betrachtung des Strafrechts aus einer bloßen soziologischen Perspektive
und des Legitimationsbedarfs eines selbstreferenziellen Prozesses, der die Be-
dürfnisse des Rechtsgüterschutzes bei vorhandenem Rechtsgutsverletzungswil-
len nicht in Betracht zieht und die strafrechtliche Haftung wegen der vom Han-
delnden ausgeübten sozialen Rolle ausschließt. Die von Jakobs bei der Frage
des Sonderwissens gezogenen Ergebnissen bilden geradezu die Zuspitzung sei-
nes systemtheoretischen Ansatzes, der aus den im gesamten Abschnitt angege-
benen Gründen für die Strafrechtsdogmatik ungeeignet und deshalb abzulehnen
ist.

D. Kritik aus dem Spätfinalismus

I. Das Subjektive als Beurteilungsgrundlage

Die Kritik an der Lehre von der objektiven Zurechnung nicht in ihrer vorste-
hend betrachteten, extrem normativistischen, sondern bereits in ihrer „gemä-
ßigten“ Form kommt vor allem aus der personalen Unrechtslehre, für deren An-
hänger die allgemeinen Merkmale aller Erfolgsdelikte für die Erfüllung des ob-
jektiven Tatbestandes sowohl des Vorsatz- als auch des Fahrlässigkeitsdelikts
ausreichen sollten, wie Handlung und Kausalität (zusätzlich natürlich auch die
weiteren Elemente des entsprechenden Tatbestandes). Der Haupteinwand des
hier sog. Spätfinalismus gegenüber der Lehre von der objektiven Zurechnung
besteht vor allem darin, daß die subjektive Unrechtsseite als Gegenstand des
Unwerturteils unentbehrlich sein müßte172 und deshalb bei der rechtlichen Be-
urteilung eines Geschehens bzw. bei der von der Lehre der objektiven Zurech-
nung verwendeten Kategorien der „Gefahrschaffung“ und der „rechtlichen Miß-
billigung“ nicht auf ihre äußere Erscheinung abgestellt werden sollte.173 Als
Nachweis dafür werden ganz entscheidend die Fälle angeführt, in denen sich

172 Vgl. Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 260; Hirsch, Festschrift für

Lenckner, S. 141; Struensee, GA 1987, 97 ff.; ders., JZ 1987, 53 ff.; ders., JZ 1987,
541 ff.; ders., ZStW 102 (1990), 27 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert,
S. 68 ff., 124 f., 127, 190 f. und passim.
173 So Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 260.
D. Kritik aus dem Spätfinalismus 117

ein in der Regel erlaubtes Risiko durch die Sonderkenntnisse des Täters in ein
unerlaubtes umwandle.174 Setze beispielsweise der Stiefvater den zwölfjährigen
Stiefsohn in einem Zug, gerade weil er wisse, daß der Stellwärter an der näch-
sten Station betrunken sei und deshalb der Zug verunglücken werde, könne hier
von allgemeinen Verkehrsrisiken oder einem erlaubten Risiko nicht die Rede
sein.175 Es sei nicht „Sonderwissen“ des Täters zusätzlich zu berücksichtigen,
sondern allein das Täterwissen als Risikosachverhalt zugrunde zu legen.176 Die
personale Handlungslehre geht davon aus, daß das Unwerturteil nur über den
Akt „mit und wegen seiner inhaltlich bestimmten Finalität“ fallen solle.177 Der
anläßlich des Einzelfalls erforderlichen Begriffsbildung seien nur Umstände zu
unterlegen, die dem Täter bewußt seien.178 So sind für die personale Unrechts-
lehre die Tätervorstellungen das Wertungssubstrat des Normwidrigkeitsurteils.
Damit erweise sich die Frage der Berücksichtigung von Sonderwissen des Tä-
ters als Scheinproblem. Da sein Handlungsprojekt zu beurteilen sei, komme es
überhaupt nur auf seine Vorstellung an.179 Dieser Ansatz stützt sich entweder
auf eine ontologische Begründung, nämlich die finale Struktur der Handlung,
oder auf die Bestimmungsfunktion der Verhaltensnormen.180
Die Schwerpunkte der personalen Handlungslehre und der Finalstruktur der
Handlung liegen allerdings nicht darin, Grenzen beim Unwerturteil zu setzen
und Freiheitssphären im strafrechtlichen Raum zu schaffen, sondern eher nur,
den Gegenstand des Unwerturteils zu bestimmen: „Die Finalstruktur der Hand-
lung und das Erfordernis des Handlungsunwerts können der Aufstellung von
Sorgfaltsnormen so wenig inhaltliche Grenzen setzen, wie das Vorsatzerforder-
nis den Gesetzgeber etwa daran hindern kann, weitere Tatbestände der Eigen-
tumsverletzung oder der Vermögensbeschädigung zu schaffen; sie liefern und
verändern keine Maßstäbe, sondern geben nur das zu normierende Material
vor“181. Der Schwerpunkt der Kritik an der Lehre von der objektiven Zurech-
nung wird also auf die Frage abgestellt, welches der Gegenstand der rechtlichen

174 Struensee, ZStW 102 (1990), 27; ders., GA 1987, 99 f.; ders., JZ 1987, 53,

59 ff.; ders., JZ 1987, 541 f.; ders., Libro-Homenaje a Baigún, Buenos Aires, S. 265;
Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 265 ff., 268 (vgl. auch die Auseinander-
setzung mit Roxin, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 237 ff.; und Jakobs, vor
allem in Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 275 ff.).
175 Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 266, 268; ähnliche Fälle befinden

sich zum Beispiel in: Struensee, JZ 1987, 61; ders., JZ 1987, 541 f.; ders., GA 1987,
99 f.; ders., Libro-Homenaje a Baigún, Buenos Aires, S. 265.
176 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 95.
177 Struensee, JZ 1987, 54; vgl. auch Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 106 f.;

Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 127.


178 Struensee, JZ 1987, 60 und passim.
179 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 92.
180 Das letzte wird von Zielinski vertreten, vgl. näheres infra, § 6 B II 2 b) cc) (4).
181 Struensee, JZ 1987, 61.
118 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Beurteilung sein soll. Daß die rechtliche Bewertung auf die äußeren Umstände
des Tatbestandes rekurriert, wird strikt abgelehnt.182 Das zu beurteilende Ge-
schehen sei nur die von der Täterpsyche geleitete Tat. Der Norminhalt bestehe
aus der Umschreibung der verbotenen oder gebotenen Handlungen nach ihrer
Finalität.

II. Mangel des Spätfinalismus an rechtlichen Kriterien

Das zweite Charakteristikum der personalen Unrechtslehre besteht also darin,


daß sie sich kaum mit der Ausarbeitung von Kriterien beschäftigt, die zur Aus-
legung der Norm, rechtlichen Begründung der tatbestandlichen Relevanz von
Verhaltensweisen und ggf. rechtlichen Anerkennung von Handlungsfreiheits-
sphären dienen sollten. Diese Strömung konzentriert sich eher nur auf die Be-
stimmung des Objekts der Bewertung und auf die Kritik an der von der Lehre
der objektiven Zurechnung vorgenommenen Auswahl von externen Tatumstän-
den als Gegenstand der rechtlichen Untersuchung.
Richtet sich allerdings die dogmatische Suche danach, „objektive“ Untergren-
zen strafbaren Verhaltens im Spätfinalismus zielgerichtet zu finden, so sind ei-
nige diesbezügliche Stellen zu finden. Immerhin wird teilweise die Notwendig-
keit der Schaffung des „Begriffs des Sachverhaltsunwerts“ bzw. der „Ausfor-
mung der Norm“ für ihre Anwendung auf den konkreten Fall,183 also der
„axiologischen Aufgabe der Tatbestandsbildung“184 erkannt. In vielen Fällen
würde es „schon von vornherein am Normverstoß“ fehlen.185 Damit wird teil-
weise anerkannt, daß der Tatbestand einer Auslegung und einer entsprechenden
rechtlichen Begründung oder Einschränkung der Relevanz bedarf, und zeigt
sich, daß ein Begriff der Objektivität im Sinne von Allgemeingültigkeit, d. h.
eine objektive Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens, nach dieser Ansicht
nicht prinzipiell geleugnet wird. Dafür wird fast als einziges Werkzeug die von
Welzel ausgearbeitete Figur der Sozialadäquanz verwendet.186 Armin Kaufmann
wollte die Einschränkung des strafrechtlich relevanten Verhaltens durch die
Auslegung von Tatbeständen im Besonderen Teil des Strafrechts vornehmen.
Nach seiner Ansicht wäre die Rechtsgutslehre unentbehrlich, vor allem um eine
„Typenkorrektur“ an einzelnen Tatbeständen vorzunehmen.187 Der Vorschlag
von Armin Kaufmann scheint an sich nicht falsch zu sein, allerdings wird eine
Gesamtbetrachtung ähnlich gelagerter Fälle bei der Detailanalyse von Einzeltat-

182 Siehe supra, bei Fn. 173.


183 Struensee, JZ 1987, 58.
184 Struensee, JZ 1987, 62.
185 Hirsch, Festschrift für Lenckner, S. 133.
186 So z. B. Struensee, GA 1987, 105; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert,

S. 72, 124 (Fn. 152), 157, 160 f. Die Nützlichkeit dieser Figur wird von Hirsch, ZStW
74 (1962), 78 ff. bestritten.
D. Kritik aus dem Spätfinalismus 119

beständen auf der Seite gelassen, und damit würde ein großes, notwendiges Ka-
pitel des Allgemeinen Teils leider verlorengehen. Einige weitere Kriterien findet
man neuerdings bei Hirsch, der die allgemeinen Grenzen des objektiven Tatbe-
stands beim Vorsatzdelikt aus dem Handlungsbegriff,188 aus den allgemeinen
Kriterien des Versuchsbeginns,189 aus der Beherrschung des Kausalgeschehens
und der ausreichenden gestaltenden Einwirkungsmöglichkeit auf den Erfolgsein-
tritt190 ableitet, weil es in einigen Konstellationen nicht befriedigen würde, „erst
den Vorsatz zu verneinen“, beispielsweise wenn jemand durch verkehrsgerech-
tes Autofahren einen tatbestandlichen Erfolg verwirklichen möchte und es tat-
sächlich zum Erfolgseintritt komme.191 Bei der Ausarbeitung dieser Kriterien
führt nun Hirsch aus, daß eine subjektive Eingrenzung des Tatbestandes nicht
genüge, sondern auch Restriktionen im Objektiven notwendig seien,192 weil es
bei der Setzung von Untergrenzen der Strafbarkeit eigentlich darum gehe, „die
Anwendung der präzisen Gesichtspunkte restriktiver Tatbestandsauslegung und
der profilierten dogmatischen Gesichtspunkte, etwa bei der Fahrlässigkeit des
Erfordernisses der objektiven Sorgfaltsverletzung“193.
Weniger kompromißbereit gibt sich Struensee: Er anerkennt die Kriterien der
Lehre von der objektiven Zurechnung, meint aber, daß diese Lehre sich in der
Sache mit dem subjektiven Tatbestand befaßt, weil sie den erforderlichen Inhalt
des aktuellen Täterbewußtseins festlegt. Die Allgemeingültigkeit des tatbestand-
lichen Verhaltens gelte, wie oben ausgeführt, auch für Begriffe, die Täterpsychi-
sches erfassen, d. h. für die Bewertung des Subjektiven. Dabei erfordere der
Inhalt des aktuellen Täterbewußtseins einen Mindestumfang der erfolgsverursa-
chenden Kausalfaktoren. Dieser Mindestumfang sei gesetzlich nicht vorgegeben,
nach der Formulierung von Struensee wird er „normativ“ ausgewählt. Die Krite-
rien der objektiven Zurechnung gälten als Abgrenzung des subjektiven Tatbe-
standes und würden nicht Tatbestandsmerkmale formulieren, sondern sie seien
„Tatbestandsermittlungsmerkmale“ 194.

187 Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 269 f. Vgl. die Einwände von Ja-

kobs an die Konzeption Armin Kaufmanns in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,
S. 273 ff.
188 Hirsch, Festschrift für Lenckner, S. 131 f., 137 f., 140 f.
189 A. a. O., S. 133 f., 141 f.
190 Hirsch, ZStW 74 (1962), 98, 133; LK-ders., vor § 32, Rdn. 32; ders., Festschrift

für Lenckner, S. 135 f.; ferner Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdog-
matik, S. 91 ff.
191 Hirsch, Festschrift für Lenckner, S. 136.
192 A. a. O., S. 141.
193 Hirsch, Festschrift Universität Köln, S. 421.
194 Struensee, GA 1987, 98, 105; ders., JZ 1987, 63, der sich hier allerdings auf das

Fahrlässigkeitsdelikt mit einem subjektiven Tatbestand bezieht. Struensee erkennt


durchaus Untergrenzen strafbaren Verhaltens; seine Beiträge gegen die Lehre von der
objektiven Zurechnung beziehen sich eher auf ihre Behandlung des Objektiven und
120 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Bei den Fahrlässigkeitsdelikten und der Bildung von Sorgfaltsnormen wird


ausdrücklich von der personalen Unrechtslehre die „objektive“ Untergrenze der
Sorgfaltswidrigkeit gezogen.195 Ferner haben für Hirsch etwaige Kriterien der
objektiven Zurechnung beim Fahrlässigkeitsdelikt eher keinen Raum, da die ob-
jektiven Untergrenzen bereits durch das Erfordernis einer objektiv als sorgfalts-
widrig zu bewertenden Handlung gegeben wären.196 Außerhalb dieser und den
oben genannten Formulierungen bei der objektiven Bestimmung strafbaren Ver-
haltens beschäftigt sich die personale Handlungslehre nicht weiter mit der Aus-
arbeitung von Kriterien für die erwähnte „Ausformung der Norm“ und ihrer
unterschiedlichen oder gleichen Anwendung auf Vorsatz- und Fahrlässigkeits-
delikte.

III. Differenzierung des objektiven Tatbestandes


der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte

Die Kriterien für die Bestimmung des strafbaren Verhaltens sind ferner nach
einem Teil der personalen Unrechtslehre anders für die Vorsatz- als für die
Fahrlässigkeitsdelikte.197 Es wird eine Übertragung objektiver Tatbestandsanfor-
derungen vom Fahrlässigkeits- zum Vorsatzdelikt abgelehnt. Dazu wendete sich
Armin Kaufmann gegen den „verführerischen Satz“ von Jakobs, daß „nicht je-
den alles angeht“198. Er meinte, daß im Bereich des Tötungsverbotes doch wohl
gälte: „Jeden vorsätzlich Tötenden geht sein Opfer etwas an“199.
Allerdings ist die Position von Struensee anders als diejenige vom Rest der
Anhänger einer personalen Unrechtslehre, die eine andere Struktur und Begrün-
dung für die Fahrlässigkeitsdelikte ausgebaut haben. Nach der Auffassung
Struensees haben die Fahrlässigkeitsdelikte auch einen subjektiven Tatbestand,
was dadurch nachgewiesen werde, daß die Sonderkenntnisse im Tatbestand mit-
berücksichtigt werden müssten.200 Sogar sei bei der unbewußten Fahrlässigkeit

Subjektiven im Tatbestand. „Tatbestandsermittlungsmerkmale“ ist im übrigen ein Be-


griff von Schöne, Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, S. 655.
195 Hirsch, Festschrift Universität Köln, S. 410 f.; ders., ZStW 94 (1982), 266 ff.;

Armin Kaufmann, Festschrift für Welzel, S. 406, 408 f.; AK-StGB-Zielinski, §§ 15,
16, Rdn. 99 ff.
196 Hirsch, Festschrift für Lenckner, S. 127, 136 f., 140; der gleiche Gedanke auch

in Ablehnung der Figur der Sozialadäquanz bereits in: ders., ZStW 74 (1962), 93 ff.,
133.
197 Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 265 ff.; auch Rueda Martín, Impu-

tación objetiva, Barcelona, S. 165 ff., 305 ff. und passim, obwohl sie auf einer finali-
stischen Basis die Lehre von der objektiven Zurechnung annimmt.
198 Jakobs, ZStW 89 (1977), 30.
199 Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 270.
200 Struensee, JZ 1987, 53 ff., 60; ders., JZ 1987, 541; vgl. auch Zielinski, infra,

gleich im Text, der allerdings das Gewicht auf eine normative Einschränkung setzt. Im
D. Kritik aus dem Spätfinalismus 121

bzw. Erkenntnisfahrlässigkeit eine Finalität auszumachen; dabei gehe es nämlich


nicht um einen Mangel an Aufmerksamkeit, Prüfung oder Untersuchung, son-
dern um das Handeln in einer für den Täter wie auch für den ex ante-Betrach-
ter in Bezug auf bestimmte Risikofaktoren offenen, ungewissen Situation.201
Bezugsgegenstand der Finalität sei ein Unwertsachverhalt, der im Vorfeld des
Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs liege (Risikosyndrom); ihn bei Erfolgs-
eintritt herauszuarbeiten (axiologische Aufgabe der Tatbestandsbildung), sei nur
bezüglich des subjektiven Tatbestandes (Sorgfaltswidrigkeit) erforderlich.202
Deshalb haben nach Struensee „Handlungsunwert und personales Unrecht . . .
die gleiche Struktur bei den Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten“203. Der objek-
tive Tatbestand der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte ist nach dieser Auffas-
sung gleich:204 Er bestehe aus der Handlung (Körperbewegung), die gesetzmä-
ßige Bedingung des tatbestandsmäßigen Erfolgs sein sollte.205 Die Einschrän-
kung der Tatbestandsmäßigkeit erfolge im subjektiven Tatbestand der Vorsatz-
und Fahrlässigkeitsdelikte.
Aus einer nicht rein ontologischen Perspektive206 wird von Zielinski auch die
subjektive Unrechtsseite bei der Fahrlässigkeit hervorgehoben und sie damit
dem Vorsatzdelikt gleichgestellt. Der Inhalt der fahrlässigen Handlung werde
allein durch die Tätervorstellungen bestimmt. Die bewußte Fahrlässigkeit wird
aus dieser Perspektive als vorsätzliches Gefährdungsdelikt und ihre Verbotsma-

spanischsprechenden Raum Sancinetti, Teoría del delito y disvalor de acción, Buenos


Aires, S. 273 ff.; ders., Sujektive Unrechtsbegründung und Rücktritt vom Versuch,
1995, § 18 II. Kritisch aus der Sicht der personalen Unrechtslehre Hirsch, Festschrift
für Lampe, S. 527. Außerhalb des Spätfinalismus vertreten auch einen subjektiven
Tatbestand der Fahrlässigkeitsdelikte Weidemann, GA 1984, 423; Köhler, Strafrecht
AT, S. 200 ff.; vgl. auch ders., Die bewußte Fahrlässigkeit, S. 334 ff. und eine Berück-
sichtigung der Tätervorstellungen vor allem Burkhardt, vgl. infra, § 6 B II 2 a); § 6 B
II 2 b) cc) (2).
201 Vgl. Struensee, JZ 1987, 53 ff., 62 und infra, § 6 D III 2 b) dd).
202 Struensee, JZ 1987, 62.
203 Struensee, Libro-Homenaje a Baigún, Buenos Aires, S. 272; auch bereits in JZ

1987, 62.
204 Dies nur als Konsequenz eines mit einer subjektiven Seite begriffenen Fahrläs-

sigkeitsdelikts; ansonsten kritisiert Struensee die von der Lehre von der objektiven Zu-
rechnung vorgenommene Übertragung von Zurechnungskriterien vom Fahrlässigkeits-
zum Vorsatzdelikt, vgl. Libro-Homenaje a Baigún, Buenos Aires, S. 255.
205 Struensee, GA 1987, 105; ders., JZ 1987, 542.
206 Vgl. näheres infra, § 6 B II 2 b) cc) (4). Mittlerweile wird von den weiteren

Vertretern der sogenanten personalen Unrechtslehre ausdrücklich angeführt, daß die


rechtlichen Folgen nicht auf der Basis ontologischer Strukturen zu ziehen sind, vgl.
z. B. Hirsch, Festschrift für Lenckner, S. 142, Fn. 66: „Im übrigen ist der Verf. keines-
wegs der Auffassung, aus ontischen Befunden ließen sich direkt juristische Ergebnisse
ableiten. Er hält es jedoch für notwendig, daß man sich für die Strukturen der Rege-
lungsgegenstände, hier die Gegenstände der Normen, interessiert, bevor man mit dem
Werten beginnt und daß man dann auch deutlich werden läßt, welcher Art die Wert-
maßstäbe sind, auf die man sich stützt.“
122 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

terie und Unrechtsgegenstand stets als eine finale Gefährdungshandlung, näm-


lich das bewußte Schaffen der Möglichkeit einer Rechtsgutsobjektsverletzung,
betrachtet.207 Die Normen der unbewußten Fahrlässigkeitsdelikte würden auch
finale Handlungen verbieten.208 Damit knüpfe die normative Bewertung sowohl
bei den Vorsatzdelikten, als auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten, an die Vorstel-
lung des Handelnden an.209 Die Ansicht von Zielinski unterscheidet sich damit
von der „objektiven Fahrlässigkeitslehre“ der h. M. dadurch, daß der Beurtei-
lungsgegenstand nicht eine von einem objektiven Beobachter wahrnehmbare Si-
tuation, sondern ausschließlich die Täterhandlung ist. Allerdings werde die
Frage, ob eine Handlung gefährlich und wie hoch die Schwelle des erlaubten
Risikos anzusetzen sei, normativ bzw. „objektiv“ entschieden.210
Obwohl eine Gleichstellung beider Unrechtsformen aus den vorangegangenen
Ausführungen zu entnehmen ist, weist die von Zielinski kreierte Struktur der
zwei Deliktsformen einen Unterschied auf: Beim Fahrlässigkeitsdelikt werden
eine ex ante, von einem mit dem Wissen und den Fähigkeiten des Täters verse-
henen objektiven Beobachter211 zu beurteilende objektive Sorgfaltspflichtverlet-
zung (bzw. objektive Voraussehbarkeit der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit
des Erfolgseintritts) im Unrecht gefordert und die subjektive Sorgfaltswidrigkeit
(bzw. Voraussicht der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts)
bei der Schuld eingeordnet, während die Gefährdungsfinalität (bzw. Voraussicht
der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts) das Unrecht der
Vorsatzdelikte begründen würde.212 Zielinski verneint aber dabei die Möglich-
keit, daß das Vorsatzunrecht damit mehr Verhaltensweisen als das Fahrlässig-
keitsunrecht erfaßt. Zwar handele ein skrupelhafter Täter, der die nicht auszu-
schließende Möglichkeit einer unbeabsichtigten Rechtsgutsobjektsverletzung in
Folge einer geplanten Handlung voraussehe, mit Gefährdungsfinalität und damit
pflichtwidrig; wogegen ein fahrlässiges Delikt nur dann vorläge, wenn diese
Handlung auch nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Möglichkeit
des Erfolgseintritts mit solcher Wahrscheinlichkeit erwarten lasse, daß das Ri-
siko nicht mehr sozialadäquat sei. Er sieht diesen Unterschied aber nur als
scheinbaren, weil er die Grenze der Sozialadäquanz bei Vorsatz- wie bei Fahr-
lässigkeitsdelikten gleich zieht.213 Das erlaubte Risiko sei ferner beim Fahrläs-

207 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 156 ff., insbes. 160, 162, 165 f.,
168.
208 A. a. O., S. 168 ff., 181, 191.
209 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 89 ff., 90, 92; ders., Handlungs- und Er-
folgsunwert, S. 160 ff., 191, 185 ff.
210 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 95.
211 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 185 ff., insbes. 187, 190.
212 Vgl. dazu die Übersicht in Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 157; vgl.

auch AK-StGB-ders., §§ 15, 16, Rdn. 99 ff.


213 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 160 f.
E. Generalisierung oder Individualisierung? 123

sigkeitsdelikt in einigen Fällen durch eine Interessenabwägung zwischen


Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit und in anderen durch die historische
Akzeptanz legitimiert.214

E. Generalisierung beim Vorsatzdelikt und


Individualisierung beim Fahrlässigkeitsdelikt?

Das vorsätzliche Handeln hat sich mit den neuen Tendenzen im Rahmen der
Lehre von der objektiven Zurechnung gewissermaßen standardisiert.215 Wer den
Standard einhalte, werde nicht zur Verantwortung gezogen,216 auch wenn er
konkret mehr als der „normale“ Mensch über das Risiko wisse oder, bei bloß
vorhandenem Standardwissen, riskante „sozialnützliche“ Handlungen absichtlich
vornehme, um eine Rechtsgutsverletzung konkret hervorzurufen. Breite Frei-
heitssphären und eine Kosten-Nutzen-Abwägung sollten auch bei absichtlichen
Handlungen oder Handlungen mit speziellen Kenntnissen über das Risiko ge-
währt werden. Ein Unrecht läge danach erst vor, wenn das Handlungssubjekt
die Grenzen der – nach dieser Ansicht gewährten – Handlungsfreiheit über-
schreitet.
Auf der anderen Seite plädieren einige Autoren, darunter Jakobs selbst,217 für
eine Individualisierung der Sorgfaltsmaßstäbe beim Fahrlässigkeitsdelikt. Es ent-
steht gleichzeitig so eine Generalisierung im Sinne der Standardisierung der
Verhaltensregeln für das Vorsatzdelikt und eine Individualisierung der Verhal-
tensregeln für das Fahrlässigkeitsdelikt. Das Verbrechensmodell würde damit
auf dem Kopf gestellt und erscheint geradezu paradox: „Generalisierte“ Regeln
für den, der mehr weiß und den Verletzungserfolg möchte? „Individualisierte“
Sorgfaltsregeln für jeden einzelnen Menschen? Im Bereich der Vorsatzdelikte
sollte dann ein einziger Verhaltenskatalog für alle Normadressaten existieren,
dessen Regeln nicht nach dem individuellen Potential für eine Rechtsgutsverlet-
zung gestellt würden, sondern nach abstrakten Verhaltensmustern, die die Indi-
vidualität der vorsätzlichen Risikoschaffung nicht berücksichtigen. Bei der Re-
gelung der Sorgfaltspflichten, die das Fahrlässigkeitsdelikt betreffen, sollte es
dagegen einen Verhaltenskatalog für jeden einzelnen Normadressaten geben, des-

214 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 100.


215 Das zeigt sich äußerst ausgeprägt bei Jakobs, der selbst bei vorhandenem Son-
derwissen über die Tatbestandsverwirklichung ein erlaubtes Risiko im Rahmen des
Standards ansieht, vgl. ferner supra, § 3 C V 2 a) mit Nachweisen.
216 So ausdrücklich Jakobs in der Diskussion auf einem Symposium in Barcelona in

1998, vgl. Roxin/Jakobs/Schünemann/Frisch/Köhler, Sobre el estado de la teoría del


delito, Madrid, S. 183.
217 Vgl. Nachweise supra, Einleitung, Fn. 26.
124 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

sen vorsichtiges oder unvorsichtiges Verhalten nach seinen individuellen Kennt-


nissen und Fähigkeiten beurteilt würde.
Damit wären der objektive Tatbestand und die Verhaltensnorm der Vorsatzde-
likte in ihrem Anwendungsbereich „genereller“ als die von Fahrlässigkeits-
delikten. Das verbotene Verhalten wäre also für das Vorsatzdelikt standardisiert
(wenn der Täter nicht „wußte“, wird es ihm aber als „gewußt“ zugerechnet – so
nach der neuesten Vorsatzkonzeption von Jakobs –: Wenn er mehr als andere
„wußte“, wird es ihm trotzdem nicht zugerechnet), während es beim Fahrlässig-
keitsdelikt von Fall zu Fall, von Täter zu Täter zu bestimmen wäre, obwohl
behauptet wird, daß man dabei den Standard (garantenbezogene Begehung, er-
laubtes Risiko, Vertrauensgrundsatz) nicht unberücksichtigt lasse218 und daß das
erlaubte Risiko bei der Fahrlässigkeit wie beim Vorsatz nach allgemeinen Re-
geln zu bestimmen sei.219 Bei der Fahrlässigkeit sei es Aufgabe des Täters, da-
für zu sorgen, daß er den Sorgfaltstandards nach individuell bestem Vermögen
genüge.220
Der Vorsatzbegriff ist also bei Jakobs inzwischen vollständig objektiviert.221
Danach wisse der Täter, weil er wissen müßte, unabhängig davon, ob das Wis-
sen als psychisches Geschehen wirklich stattgefunden habe. Den Extremfall bil-
det die sogenannte Figur der Tatsachenblindheit,222 bei der der Täter die Tatbe-
standsverwirklichung wegen Gleichgültigkeit nicht erkannt hat, trotzdem würde
er nach dieser Auffassung vorsätzlich handeln, weil er sie erkennen müßte. Als
Beispiel wird ein bekannter Rechtsprechungsfall223 gennant, bei dem der be-
trunkene Autofahrer auf einen die Straße sperrenden Polizist zufuhr. Dabei
dachte er aus Gleichgültigkeit nicht, daß der Polizist nicht rechtzeitig auf die
Seite springen und deshalb ums Leben kommen könnte. Nach § 16 I Satz 1
StGB (= Vorsatz setzt Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung voraus) wäre
hier der Vorsatz zu verneinen, da der Täter an die Tatbestandsverwirklichung
gar nicht gedacht hat. Nach Jakobs soll aber diese Lösung axiologisch unrichtig
sein. Der Vorsatz ist hier nach seiner Ansicht zu bejahen, weil die Kenntnis bei
erkennbar unrechtem Handeln aus Gründen fehle, die nach allgemeiner Sy-
stematik den Täter belasteten (Gleichgültigkeit).224
Auf der anderen Seite findet sich für die Fahrlässigkeitsdelikte der Extrem-
fall, bei dem der Täter im Vergleich zum generellen Maßstab unterbefähigt ist.

218 Jakobs, Strafrecht AT, 6/24.


219 Jakobs, Teheran-Beiheft zur ZStW 86 (1974), 20 f., Fn. 45.
220 Jakobs, ZStW 101 (1989), 528.
221 Siehe die Kritik darüber in Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994),

264 ff.; ders., Festschrift für Hirsch, S. 364 ff.


222 Vgl. § 3 C V 2 b) cc); § 5 A II 5; § 5 C II 1; § 6 D I. Jakobs nannte diese

Figur auch „gerichtete Fahrlässigkeit“ in ZStW 101 (1989), 529 ff.


223 BGH, NStZ 1983, 407.
224 Vgl. Nachweise, auch der Kritik, supra, Fn. 156.
E. Generalisierung oder Individualisierung? 125

Ein Beispiel dafür bildet der Fall eines Autofahrers, der aufgrund seines Alters
nicht fähig ist, das Auto sicher zu fahren, und der diesen Umstand bei der
Übernahme der Tätigkeit nicht erkennen konnte. Für die individualisierende
Lehre ist hier die Tatbestandsmäßigkeit zu verneinen. Der Täter würde von den
entsprechenden Sorgfaltsnormen für die Autofahrer gar nicht angesprochen.
Setzt man solche strengen generellen Standards beim Vorsatzdelikt und indi-
vidualisiert man die Sorgfaltsmaßstäbe daneben beim Fahrlässigkeitsdelikt,
kommt man paradoxerweise zu dem Ergebnis, daß einerseits die Verhaltens-
norm bezüglich der Tat des ersten Autofahrers (Fall der sog. Tatsachenblind-
heit) standardgemäß für diese Art von gleichgültigem Verhalten „nicht bewußt
töten“ lauten, und man damit den Vorsatz annehmen würde, obwohl das erfor-
derliche psychische Substrat gar nicht vorhanden ist. Andererseits würden sich
die Straßenverkehrsnormen im zweiten geschilderten Extremfall gar nicht an
den zweiten unfähigen Autofahrer richten, d. h. keine Sorgfaltsnorm wäre für
ihn anwendbar, da er in dieser individuellen Konstellation gar nicht sorgfältig
handeln könnte (was richtigerweise ein Problem der Schuld und nicht des Un-
rechts darstellen sollte).
Beim ersten Fall wird der gleichgültige Autofahrer sozusagen mit der Figur
eines „Normalbegabten“ konfrontiert, der in der gleichen Konstellation daran
gedacht hätte, daß der Polizist sich nicht rechtzeitig auf die Seite gerettet hätte.
Uninteressant bleibt es dabei, was er sich tatsächlich gedacht hat. Demgegen-
über wird das Verhalten des zweiten, unterbegabten Autofahrers mit keiner Fi-
gur eines „Normalbegabten“ konfrontiert. Sorgfaltsnormen wären damit nach
dieser Ansicht zu individualisieren.
Folgte man dieser Auffassung, müßte man letztendlich die bloße Erkennbar-
keit der Tatbestandsverwirklichung für die Bejahung des Vorsatzes in den Fäl-
len der Tatsachenblindheit, bei denen die Kenntnis der Tatbestandsverwirkli-
chung fehlt, als ausreichend ansehen, auch wenn Jakobs an anderer Stelle das
Gegenteil behauptet hat: „Vorsatz wie Fahrlässigkeit sind Formen der Vermeid-
barkeit; beide sind auch durch die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
bestimmt; beim Vorsatz ist die Erkennbarkeit zur Kenntnis entfaltet, bei der
Fahrlässigkeit nicht“225.
Wie aber dann die Zurechnungskriterien der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsde-
likte im rechten Verhältnis zueinander funktionieren sollten, wird nicht deutlich
beschrieben. Zunächst wäre es erforderlich, eine Untersuchung über die Gleich-
stellung bzw. Ungleichstellung des objektiven Tatbestandes der Vorsatz- und
Fahrlässigkeitsdelikte durchzuführen. Eine Paradoxie bedeutet aber erst dann
eine endgültige Widerlegung, wenn auch eine Verfehlung der maßgeblichen

225 Jakobs, Strafrecht AT, 9/4.


126 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

normativen Prinzipien nachgewiesen wird; dazu s. u. § 6 C und D; zu der Frage


nach der Generalisierung oder Individualisierung s. § 6 B II 2 e).

F. Differenzierung der Zurechnungskriterien


für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte in der Literatur

I. Die zwei (gegensätzlichen) Ansätze

Als zwei diametral gegenüberstehende Ansätze erweisen sich die zwei Strö-
mungen, die die Zurechnung beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt grundsätz-
lich unterschiedlich behandeln. Eine Meinung gewährt dem Fahrlässigkeitstäter,
die andere dem Vorsatztäter im Ergebnis einen größeren strafrechtsfreien Raum
bei vorhandener Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges. Trotz der ge-
radezu auffälligen Kriterienverschiedenheiten vermisst man eine ausführlichere
Debatte hierüber bzw. gar eine Systematisierung im Schrifttum. Damit zeigt
sich, daß die Zurechnungslehre nach wie vor im Fluß ist und eine Befassung
nicht nur, wie in der Regel, mit den Einzelheiten der Zurechnungskriterien, son-
dern vor allem mit einer übergreifenden Konzeption für Vorsatz- und Fahrläs-
sigkeitsdelikte erforderlich wird.

II. Untergrenzen strafbaren Verhaltens


höher beim Fahrlässigkeits- als beim Vorsatzdelikt

Unter dieser Kategorie werden hier die Meinungen erfaßt, die sich die
Grundsätze der Lehre von der objektiven Zurechnung zu eigen machen, aber
die Zurechnungskriterien beim Vorsatzdelikt, z. B. die Grenze des erlaubten Ri-
sikos, vom Wissen des Täters abhängig machen und dadurch zu Lasten des
Handelnden strengere Zurechnungsmaßstäbe für das Vorsatz- als für das Fahr-
lässigkeitsdelikt ansetzen. Auch wenn das geschaffene Risiko bezüglich eines
Fahrlässigkeitsdeliktes erlaubt sein sollte, kann es also aus bestimmten, rechtli-
chen Erwägungen bei vorhandenen, bestimmten subjektiven Momenten, die eine
Vorsatzbestrafung begründen, unerlaubt sein. Dabei werden von den Vertretern
dieser hier erstmals vorgenommen Kategorisierung unterschiedliche Einschrän-
kungen vorgenommen, und zwar 1. quantitativer Art, d. h. die Untergrenzen
strafbaren Verhaltens werden höher beim Fahrlässigkeits- als beim Vorsatzdelikt
gesetzt, oder 2. qualitativer Art, also entweder a) soll der für das Fahrlässig-
keitsdelikt entwickelte Gedanke der strafrechtsfreien Risikoschaffungen auf das
Vorsatzdelikt nicht übertragbar sein, oder b) werden die Einschränkungen im
objektiven Tatbestand des Vorsatzdelikts nur bei einigen Zurechnungskriterien
angewendet.
F. Differenzierung der Zurechnungskriterien für Vorsatz-/Fahrlässigkeitsdelikte 127

Die Rechtsprechung bejaht in einigen Fallkonstellationen die Strafbarkeit we-


gen eines Vorsatzdelikts, auch wenn die Sorgfaltswidrigkeit bezüglich eines
Fahrlässigkeitsdelikts deutlich zu verneinen wäre. So beurteilt sie in ständiger
Rechtsprechung als strafbare Vorsatzhandlung das Verhalten desjenigen Ver-
kehrsteilnehmers, der in wiederholter Weise bestimmte (verkehrsgerechte) Fahr-
manöver vornimmt, um die Fehler anderer Verkehrsteilnehmer und damit Un-
fälle zu provozieren und dadurch letztendlich Versicherungsleistungen in An-
spruch zu nehmen. „Wer ein bestimmtes – in der konkreten Verkehrssituation
an sich korrektes – Fahrmanöver (etwa ein Bremsen oder Beschleunigen des
Fahrzeugs oder ein Abbiegen) zu dem Zweck ausführt, die Unaufmerksamkeit
oder eine Fehleinschätzung eines anderen Verkehrsteilnehmers auszunutzen und
so einen Verkehrsunfall herbeizuführen, der die Möglichkeit einer vorteilhaften
Schadensregulierung eröffnet, setzt sein Fahrzeug verkehrsfeindlich und zweck-
widrig ein.“ Dabei setze der Täter „seine verwerfliche Gesinnung in ein unfall-
verursachendes Verhalten um“, so daß „es also nicht bei dem bösen Gedanken
geblieben ist“. „. . . Ein Verhalten, das allein die Schädigung eines anderen Ver-
kehrsteilnehmers bezweckt, verstößt stets (vgl. nur § 1 StVO) gegen die Stra-
ßenverkehrsordnung“.226
Im Schrifttum findet man eine ausführliche Darstellung dieses Ansatzes nur
bei wenigen Autoren, während der Rest der dafür gegebenen Begründungen so
knapp ist, daß dafür in der Regel nur eine kurze Bemerkung verwendet wird. So
hält z. B. Schroeder im Leipziger Kommentar eine unterschiedliche Erlaubnis
des Risikos unter dem Gesichtspunkt des unterschiedlichen Unwertgehalts von
Vorsatz und Fahrlässigkeit für vertretbar.227
Bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist bei Zipf, ohne
daß sich dieser zum Finalismus oder zur – damals gerade im Entstehen befind-
lichen – Lehre von der objektiven Zurechnung ausdrücklich bekannte, eine
durchaus präzise Differenzierung der Sozialadäquanz für Vorsatz- und Fahrläs-
sigkeitsdelikten zu finden. Er vertritt eine grundsätzliche Anwendung der So-
zialadäquanz auf Fahrlässigkeitsdelikte, weil die sozial anerkannten Verhaltens-
weisen auf der Überzeugung beruhen würden, mit ihrer Einhaltung am besten
Rechtsgutsverletzungen vorbeugen zu können. Beim Fahrlässigkeitsdelikt liege
es so, daß die Einhaltung des sozialadäquaten Risikos an sich immer darauf
abziele, die Rechtsgutsverletzung auszuschließen. Demgegenüber lehnt Zipf
prinzipiell eine Anwendung des Gedankens der Sozialadäquanz auf das Vorsatz-
delikt ab, weil der Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit überschritten sei,
wenn eine Rechtsgutsverletzung gewollt sei. Das bewußte Ausnutzen von an

226 Vgl. BGH StV 2000, 22, 23, kritisch Freund, JuS 2000, 754 ff. Zu zustimmen-

den Ausführungen von Kudlich siehe unten im Text. Vgl. ferner BGHSt 21, 301, 302;
23, 4, 7; 41, 231, 234; BGH NStZ 1992, 182 f.
227 LK-Schroeder, § 16, Rdn. 160.
128 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

sich sozialadäquatem Geschehen zu verbrecherischen Zwecken lasse also die


Strafhaftung unberührt. Zipf bietet dafür folgende Beispiele an: a) Den von
Welzel gebildeten Fall228 des Beischlafes mit einer lungenkranken Frau in der
Absicht, diese möge an der gesundheitlichen Belastung bei einer eintretenden
Schwangerschaft sterben. b) Ein Autofahrer könne sich nicht auf verkehrsrichti-
ges Verhalten zurückziehen, wenn er bewußt einen Unfall arrangiere, um da-
durch von der Versicherung des „schuldigen“ Unfallgegners die Versicherung-
summe kassieren zu können. c) Ebenso würde es sich bei einem Berufsboxer
verhalten, wenn er einen anderen im Kampf durch einen an sich regelgerechten
Schlag absichtlich töte. Eine Ausnahme würden nach Zipf einige Rechtsgutsver-
letzungen bilden, die trotz Täterkenntnis der Möglichkeit oder Gewißheit der
Tatbestandsverwirklichung sozialadäquat seien, wie beispielsweise die Verlet-
zung der persönlichen Handlungsfreiheit der Fahrgäste in öffentlichen Verkehrs-
mitteln, die ärztlichen Heileingriffe oder Sportverletzungen innerhalb der an-
erkannten Sportregeln. Ferner wäre die Tatbestandsmäßigkeit bei einer Veran-
lassung zu Flugreisen wegen fehlender Tatherrschaft und nicht (nur) wegen
Sozialadäquanz ausgeschlossen.229 Damit hat Zipf schon damals Bezug auf die
Idee der Berücksichtigung von Handlungsfreiheiten bei der Festlegung fahrlässi-
gen Verhaltens genommen und diese Maxime für das Vorsatzdelikt prinzipiell
als ausgeschlossen gesehen.
Eine neuere, nun im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung vor-
genommene Differenzierung der Zurechnungsvoraussetzungen beim Vorsatz-
und Fahrlässigkeitsdelikt nimmt Schünemann vor. Er unterscheidet zwischen
zwei Konstellationen, bei denen der Tatbestand des Vorsatzdelikts weiter als
derjenige des Fahrlässigkeitsdelikts reiche: Das absichtliche Handeln bei extrem
unwahrscheinlichem Kausalverlauf und das zufällige Sonderwissen des Täters.
Für die erste Konstellation wandelt er den Gewitterfall (weil er sonst einen Fall
von Selbstgefährdung bilden würde und der Tod des Onkels durch den Blitz
dem Neffen nicht zugerechnet werden könnte) in dem Sinne um, daß der Neffe
den Onkel auf der Bergskuppe fesselt, wo das Risiko, vom Blitz getroffen zu
werden, gegenüber sonstigen Orten (wenn auch nur geringfügig) erhöht ist. Hier
sei der Todeserfolg dem Neffen trotz der relativen Geringfügigkeit des erhöhten
Risikos bzw. der geringen Intensität seiner Geschehensbeherrschung zuzurech-
nen. Demgegenüber wird die entsprechende „fahrlässige“ Variante gebildet, in
der der Neffe seinen Onkel versehentlich in der Berghütte einsperre und sich
das nur äußerst geringfügig erhöhte Risiko des Blitzschlags verwirkliche, wo-
durch der Onkel sterbe. Da die Sorgfaltsregeln eine „merklich erhöhte Risiko-
stärke“ voraussetzen würden, hätte der Neffe nicht sorgfaltswidrig gehandelt.

228 Vgl. supra, § 2 C.


229 Zipf, ZStW 82 (1970), 633 f.; vgl. auch außerhalb der Grundsätzen der objekti-
ven Zurechnung die Meinung von Rehberg, Zur Lehre vom «Erlaubten Risiko»,
S. 73 ff., insbes. 85 f., 97 ff.
F. Differenzierung der Zurechnungskriterien für Vorsatz-/Fahrlässigkeitsdelikte 129

Die Auslösung äußerst geringfügiger Risiken werde im Interesse der allgemei-


nen Handlungsfreiheit nicht als sorgfaltswidrig qualifiziert. Handele der Täter
dagegen in Verletzungsabsicht, so könne er überhaupt kein berechtigtes Interesse
an seiner Handlungsweise geltend machen und hafte deshalb strenger.230 Ein
solches geringfügig erhöhtes Risiko bestehe auch in dem Fall, in dem der Täter
fahrlässig durch die Abgabe eines Schusses auf der Jagd aus einer zu großen
Entfernung jemanden töten würde. Bei fahrlässigem Handeln sei ein erlaubtes
Risiko zu bejahen, während bei der absichtlichen Abgabe des Schusses ein er-
laubtes Risiko nicht in Frage komme.231 Für die zweite Konstellation des zufäl-
ligen Sonderwissens des Täters bietet Schünemann den Fall einer Gastgeberin,
die zufällig weiß, daß einer ihrer Gäste eine Allergie gegen Seegurken hat, die
seinen Tod verursachen kann. Tötungsvorsatz sei hier zu bejahen, wenn sie ihm
Seegurken serviere. Dagegen sei sie nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar,
wenn sie über die Allergie nicht informiert gewesen wäre, da sie keine Erkundi-
gungspflicht in dieser Situation hätte. Mit dieser Konstellation möchte Schüne-
mann zeigen, daß in einer Situation, in der die objektiven Bedingungen noch
keine Sorgfaltswidrigkeit begründen, allein aufgrund des Täterwissens sogar der
Tatbestand eines Vorsatzdelikts erfüllt sein kann.232 Bei der Differenzierung des
Tatbestandes des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts werden von Schünemann
also qualitative Aspekte i. S. der Anwendung des Gedanken der allgemeinen
Handlungsfreiheit nur auf das Fahrlässigkeitsdelikt sowie quantitative Aspekte
i. S. der Voraussetzung einer unterschiedlichen strafrechtlich relevanten Risiko-
schwelle kombiniert.
Eine ähnliche Argumentation hinsichtlich einer Anwendung des Gedankens
der allgemeinen Handlungsfreiheit ausschließlich auf das Fahrlässigkeitsdelikt
bietet jüngst Kudlich: Während die Anforderungen an die aufzuwendende Sorg-
falt beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht überspannt werden sollten, um nicht jede
noch so kleine und alltägliche Unachtsamkeit unter Strafe zu stellen, erscheine
es nicht zwingend, ein entsprechendes Verhalten auch dann straflos zu lassen,
wenn es genau geplant sei. Dabei werde der Bürger nicht überfordert, wenn er
nur das unterlassen solle, dessen Gefährlichkeit er im konkreten Fall positiv
kenne.233 Ferner argumentiert Kudlich de lege lata: Nach § 16 I 2 StGB bleibt
die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung unberührt, was nach h. M. nicht
bedeute, daß der irrende Täter sich stets wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts
strafbar gemacht habe, sondern wobei vielmehr zu prüfen sei, ob der Irrtum bei

230 Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994), 294; vgl. den Fall auch in ders.,

GA 1999, 220.
231 Schünemann, GA 1999, 220 f.
232 Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994), 294 f. Vgl. ferner zum unter-

schiedlichen Unwertgefälle zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bereits ders., NStZ


1982, 63.
233 Kudlich, Anmerkung zu BGH StV 2000, 22 ff., 24.
130 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Erfüllung aller Sorgfaltspflichten vermeidbar gewesen wäre. Damit gehe das


Gesetz davon aus, daß der objektive Tatbestand des Vorsatzdeliktes, nicht dage-
gen der des Fahrlässigkeitsdelikts erfüllt sein könne.234
Kudlich bietet Beispiele für die Differenzierung der objektiven Elemente des
Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts. Für den Rechtsprechungsfall der Giftfalle
des Apothekers,235 in dem ein Apotheker vorsätzlich eine handelsübliche Stein-
gutflasche mit Gift füllte und in seinem Haus für die möglichen, einige Tage
zuvor bereits schon einmal eingedrungenen Einbrecher hinstellte, bildet er die
fahrlässige Variante, in dem die Giftflasche „ohne böse Gedanken“ im Haus
gelagert werde. Bei der fahrlässigen Variante bejaht er die Sorgfaltswidrigkeit
der Handlung des Apothekers, wenn die Ehefrau des Apothekers, Mitglieder
des Haushalts, ein Gast des Hauses oder sogar ein Handwerker, der sich mit
Enwilligung des Hausherren im Haus aufhalte, aus der Giftflasche trinken
würde. Demgegenüber sieht er keine Sorgfaltspflicht bei der Verwahrung von
giftigen Stoffen im Hause gegenüber einem Einbrecher, der sich rechtswidrig
Zutritt verschaffe und dort unbefugt aus der Flasche trinke.236 Um die Sorg-
faltspflichten nicht überzustrapazieren, könne eine Einschränkung des Schutzbe-
reichs dahingehend erfolgen, daß das Verbot der Gefahrschaffung einen Einbre-
cher nicht mehr erfasse. Beim Vorsatzdelikt dagegen gebe es kein Bedürfnis für
eine derartige Einschränkung des Schutzbereichs. „Es sind nämlich durchaus
Konstellationen vorstellbar, in denen die Annahme eines Vorsatzdeliktes noch
nicht im objektiven Tatbestand scheitert, obwohl bei der Fahrlässigkeitsprüfung
der Tatbestand zu verneinen ist.“237 Als weitere Beispiele nennt Kudlich den
Fall eines Autofahrers, der ein aus einer Lücke zwischen parkenden Wagen lau-
fendes Kind ohne oder mit Tötungsabsicht überfährt,238 und den bereits oben
geschilderten Fall des Verkehrsteilnehmers, der verkehrsgerecht fährt, dabei
aber wiederholt Unfälle absichtlich herbeiführt.239
Ohne sich auf die Anwendung des Gedankens der allgemeinen Handlungs-
freiheit ausschließlich auf das Fahrlässigkeitsdelikt und/oder auf quantitative
Differenzierungen der Höhe des erlaubten Risikos beim Vorsatz- und Fahrläs-
sigkeitsdelikt zu beziehen, vertreten einige Autoren eine strengere Zurechenbar-
keit beim Vorsatzdelikt mit weiteren Begründungen. So setzt z. B. Kindhäuser
den Schwerpunkt auf eine „Pflicht zur Vermeidung der Tatbestandsverwirkli-
chung“: Der Vorsatztäter könne sich beispielsweise im Gegensatz zum Fahrläs-

234 Kudlich, JuS 1998, 598.


235 BGH, NJW 1997, 3453.
236 Kudlich, JuS 1998, 596 ff.
237 A. a. O., 598 f.
238 A. a. O., 599.
239 BGH StV 2000, 22 mit Anmerkung Kudlich, 23 ff.; ders., Die Unterstützung

fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, S. 323 ff.


F. Differenzierung der Zurechnungskriterien für Vorsatz-/Fahrlässigkeitsdelikte 131

sigkeitstäter nicht auf die Einhaltung der Straßenverkehrsvorschriften bei der


Tötung berufen. Die Pflicht zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung
gehe vor das Recht zur Einhaltung einer bestimmten Geschwindigkeit.240 Fer-
ner behauptet Hassemer bezüglich des bankentypischen Verhaltens und der Bei-
hilfe zur Steuerhinterziehung, daß die Lehre vom erlaubten Risiko auf Vorsatz-
unrecht bestenfalls unter Pressionen paßt. Ihre Herkunft seien die modernen
Lebensrisiken mit deren bisweilen unabsehbaren Konsequenzen, nicht die pro-
fessionellen Bereiche, in denen mit System und Bedacht gehandelt werde. Ban-
ken verhielten sich beim Transfer von Geldern ins Ausland typischerweise nicht
riskant (auch wenn dieses Risiko strafrechtlich dann geduldet würde), sondern
geplant.241 Zusätzlich gründet Arzt die Unterscheidung zwischen der Zurech-
nung beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt vor allem auf die Idee, dass die
Individuen auch entfernteste Risiken (sogar den Blitzschlag) in unserer moder-
nen, risikoscheuen Gesellschaft fürchten, so daß zugerechnet werden müsse, so-
bald das Opfer sich um ein statistisch minimales Risiko kümmere und über das
sehr geringe Ausmaß der Selbstgefährdung bzw. des konsentierten Risikos vom
Täter getäuscht werde. Beispiel dafür wäre jemand, der nicht mit einer unzuver-
lässigen Fluggesellschaft fliegen möchte und ohne sein Wissen veranlaßt werde,
mit eben dieser Gesellschaft zu fliegen (und es zum Absturz komme). Oder
jemand, der bereit ist, das Risiko von Schneeregen auf der Autobahn einzuge-
hen, aber nicht das Risiko „Eisregen“, und nun vom Lebenspartner über die
Wettervorhersage (mit Todesabsicht) getäuscht werde. Oder die Arbeiterinnen
werden ohne ihr Wissen höheren, aber behördlich noch tolerierten Risiken aus-
gesetzt, als in die sie vertraglich eingewilligt haben. Arzt lehnt das Argument
ab, dem Täter fehle „Tatherrschaft“: Der Täter beherrsche hier die kleine
Chance. Ferner schichtet er die materielle von der beweisrechtlichen Frage ab,
daß die bei Ausnutzung sehr kleiner Chancen vorhandene böse Absicht dem
Täter kaum je nachweisbar sein dürfte. Schließlich unterscheidet er (entgegen
der h. M.) zwischen der Veranlassung einer Selbsttötung und der Veranlassung
einer Selbstgefährdung: Wer sich selbst töte, kenne das Resultat. Für den, der
sich in Gefahr begeben wolle, sei dagegen das Ausmaß dieser Gefahr immer
relativ, und zwar auch in Abwägung mit der Motivation. Die risikoscheue Ge-
sellschaft, in der wir lebten, könne kein böses Spiel des Täters mit seinem Op-
fer zulassen, auch kein „Experiment mit den Naturgewalten“.242 Schließlich ist
nach Jähnke der Gedanke des unerlaubten Risikos eigens für Fahrlässigkeitsta-
ten entwickelt worden und könne hier fruchtbar sein. Im Vorsatzbereich spiele
er allenfalls am Rande eine Rolle; daraus sei aber nicht herzuleiten, daß er dem
Vorsatzbereich insgesamt strukturell zugrunde liege.243

240 Kindhäuser, GA 1994, 217.


241 Hassemer, wistra 1995, 45 f.
242 Arzt, Gedächtnisschrift für Schlüchter, S. 166 ff.; vgl. ferner ders., Festschrift für

Baumann, 201 ff.


132 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Teilweise wird im Schrifttum nur darauf abgestellt, daß Einschränkungen im


objektiven Tatbestand des Vorsatzdelikts nur bezüglich einiger Zurechnungskri-
terien vorgenommen werden sollten oder daß einige Zurechnungskriterien eine
unterschiedliche Anwendung beim Vorsatz- als beim Fahrlässigkeitsdelikt fin-
den sollen. So erkennt z. B. Kühl eine praktische Bedeutung der Zurechnungs-
kriterien beim Vorsatzdelikt nur in den Bereichen arbeitsteiligen Zusammenwir-
kens (z. B. in Betrieben) und der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung an.
Demgegenüber hält er eine Beschränkung der objektiven Zurechnung beim
Fahrlässigkeitsdelikt für unerläßlich.244 Tiedemann betrachtet die Lehre von der
objektiven Zurechnung für vorsätzliche Begehungsdelikte im allgemeinen als
entbehrlich, da hier der Vorsatz meist ein hinreichendes Korrektiv gegen eine
zu weite Ausdehnung der Strafbarkeit bieten würde.245 Allerdings akzeptiert er
bei den Fällen der sog. „Beihilfe durch neutrale Handlungen“, wie bei einem
(an sich erlaubten) Waffenverkauf, nicht nur die Grundsätze der Lehre von der
objektiven Zurechnung (weil ein Ausschluß der Strafbarkeit durch die Vernei-
nung des Vorsatzes nicht richtig wäre), sondern er setzt die strafrechtlich rele-
vante Risikoschwelle für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt gleich hoch an: „Da
die täterschaftliche fahrlässige Tötung somit nicht als rechtswidrig zu bezeich-
nen wäre, kann das bloße Hinzutreten des (bedingten) Vorsatzes die Tötung
nicht rechtswidrig werden lassen! Diese Konkretisierung des sozial Adäquaten
durch die Sorgfaltswidrigkeit gilt daher auch für den Tatbestand des Vorsatzde-
liktes.“246
In der spanischsprachigen Strafrechtswissenschaft wird oft eine Differenzie-
rung bei der Zurechnung innerhalb des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts vor-
genommen. So ist z. B. nach Torío López der strafrechtliche Unwertgehalt der
vorsätzlichen bzw. absichtlichen Schaffung einer niedrigen Gefahr sehr hoch,
wenn beispielsweise der Täter angesichts des besonderen Verwundbarkeit des
Opfers dessen Tod, z. B. durch die Verursachung eines psychischen Schocks bei
einem Herzkranken, verfolgt. Demgegenüber könne die Gefährlichkeit einer
Handlung sehr hoch sein, aber bei fehlendem Vorsatz aus teleologischen Erwä-
gungen heraus strafrechtlich erlaubt sein.247 Für Luzón Peña zeigt sich ein hö-
herer Handlungsunwert, aber auch eine größere Gefährlichkeit und damit ein
höherer objektiver Handlungsunwert beim Vorsatzdelikt gegenüber dem Fahrläs-
sigkeitsdelikt.248 Martínez Escamilla hebt auch die größere objektive Gefähr-
lichkeit beim Vorsatzdelikt hervor.249 Ferner setzt Mir Puig den Schwerpunkt

243 Jähnke, Gedächtnisschrift für Schlüchter, S. 101.


244 Lackner/Kühl, StGB, vor § 13, Rdn. 14 a. E.; Kühl, Strafrecht AT, § 4, Rdn. 38.
245 Tiedemann, Die Anfängerübung im Strafrecht, 1. Teil, 3. Kap., III 2 a; 2. Teil, 1.

Kap., 5.
246 A. a. O., 2. Teil, 1. Kap., 5.
247 Torío López, ADPCP 1986, Madrid, S. 42.
248 Luzón Peña, Curso de Derecho Penal, PG I, Madrid, S. 390 f.
F. Differenzierung der Zurechnungskriterien für Vorsatz-/Fahrlässigkeitsdelikte 133

für die Differenzierung des objektiven Tatbestandes des Vorsatz- und Fahrlässig-
keitsdelikts auch auf den objektiven Gefährlichkeitsgrad (ex ante) der vorge-
nommenen Handlung: Eine auf eine Rechtsgutsverletzung gerichtete Handlung
würde ex ante eine höhere objektive Gefährlichkeit aufweisen als eine mit Ver-
meidbarkeitswillen vorgenommene Handlung.250 Das Kriterium der höheren
Gefährlichkeit der vorsätzlichen Gefahrschaffung muß aber bereits an ihrer em-
pirischen Grundlage scheitern, weil fahrlässige Gefahrschaffungen ein enormes
Risikopotential aufweisen können, wie die großen Risiken der modernen Indu-
striegesellschaft zeigen. Schließlich hat das Element der objektiven Sorgfalts-
pflichtverletzung bei Vorsatzdelikten nach Cerezo Mir und Rueda Martín kei-
nen Platz.251

III. Untergrenzen strafbaren Verhaltens


niedriger beim Fahrlässigkeits- als beim Vorsatzdelikt

Vor allem in Kombination mit der Idee, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit in
einem Plus-Minus Verhältnis252 zueinander stehen würden, entwickelte sich die
Ansicht, daß Vorsatz und Fahrlässigkeit auch im objektiven Tatbestand zu un-
terscheiden seien. Diese Ungleichstellung im objektiven Bereich findet aber in
einer genau umgekehrten Weise als die von den soeben ausgeführten Meinun-
gen vertretene Ungleichstellung statt: Während letztere253 dem Wissen bzw. der
Absicht die Eigenschaft zusprechen, ein bei entsprechend fahrlässiger Handlung
erlaubtes Risiko in ein unerlaubtes zu verwandeln, und damit den Bereich uner-
laubter Handlungen bei vorsätzlichem Handeln breiter fassen als denjenigen des
fahrlässigen Handelns, stellt die nunmehr zu behandelnde, vor allem von Herz-
berg und Puppe, aber auch von Hirsch und Sancinetti vertretene Ansicht, umge-
kehrt höhere Anforderungen für die Bejahung einer Vorsatzgefahr im Vergleich
zu einer Fahrlässigkeitsgefahr. Damit sieht sie den Bereich unerlaubter Hand-
lungen bei fahrlässigem Handeln breiter als denjenigen bei vorsätzlichem Han-
deln. In der Mitte dieser beiden Auffassungen, die die Untergrenzen strafbaren
Verhaltens für das Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt unterschiedlich ansetzen,
liegt jene – herrschende – Lehre, die solche Grenzen für beide Deliktsformen
gleich zieht und nur im subjektiven Tatbestand unterscheidet.254

249 Martínez Escamilla, La imputación objetiva del resultado, Madrid, S. 117.


250 Mir Puig, Función de la pena, Barcelona, S. 75 f.; ders., Festschrift für Je-
scheck, S. 346; ders., Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 258 f., 269 f.; ders.,
Derecho Penal, PG, Barcelona, § 6, Rdn. 56 f., § 10, Rdn. 53 ff.
251 Cerezo Mir, Curso de Derecho penal español, PG II, Madrid, S. 106; Rueda

Martín, Imputación objetiva, Barcelona, passim, insbes. S. 305 ff.


252 Vgl. darüber supra, § 3 C I.
253 Vgl. supra, § 3 F II.
254 Vgl. dazu supra, § 3 C, ausschließlich des besonderen Ansatzes von Jakobs.
134 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

Nach der in diesem Abschnitt behandelten Ansicht sind also die Anforderun-
gen an die Zurechnung des Erfolges beim Vorsatz höher als diejenigen an die
Zurechnung des Erfolges bei der Fahrlässigkeit. Sie geht teilweise zuerst wie
ein Teil der herrschenden Meinung davon aus, daß das Element der Sorgfalts-
widrigkeit auch zum Vorsatzdelikt gehört. Sie stellt dazu an die Vorsatzgefahr
höhere Ansprüche als an die Fahrlässigkeitsgefahr und verengt damit den Vor-
satzbegriff: Bei einer Vorsatztat müsse es sich im Vergleich zu einer Fahrlässig-
keitstat um eine qualifiziertere Gefahr handeln, ansonsten sei die Handlung
nicht tatbestandsmäßig.255 Realisiere sich nur eine „einfache Fahrlässigkeitsge-
fahr“, so könne der Erfolg dem Täter nur im Rahmen der Fahrlässigkeit, nicht
aber im Rahmen des Vorsatzes zugerechnet werden. Auch die Absicht der Er-
folgsherbeiführung könne beim Vorsatzdelikt die Schaffung einer spezifischen
Vorsatzgefahr nicht ersetzen.256 Als Beispiel diene der Fall eines HIV-Infizier-
ten, der einmalig ungeschützten, gewaltlosen Geschlechtsverkehr ausübe. Er
handele sorgfaltswidrig in Bezug auf das Leben seines Partners, aber angesichts
der Infektionswahrscheinlichkeit von unter 2 % handele er nicht vorsätzlich,
auch wenn er dadurch den Tod des Partners beabsichtige. Das gleiche gelte für
denjenigen, der mit Brandstiftungsabsicht eine angezündete Zigarette im Wald
wegwerfe.257
Diese Auffassung stützt sich teilweise in ihrer Begründung auf die Lehre
vom Versuch. So wird es für widersprüchlich gehalten, daß die herrschende
Lehre die Verbotsmaterie des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts inhaltlich als
identisch ansieht, obwohl sie in den Fällen, in denen die Verursachung des Er-
folges bereits durch eine Vorbereitungshandlung geschehe, nur Fahrlässigkeit,
nicht aber Vorsatz trotz Schaffung einer unerlaubten Gefahr annehme. Wenn
nicht jede bewußte Schaffung eines unerlaubten Risikos ein Versuch sein solle,
müsse der Vorsatz des Täters eine Gefahrvorstellung enthalten, die über die
Schaffung eines unerlaubten Risikos hinausgehe.258 Diese auf der Versuchslehre

255 Zuerst Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 51 f. mit Fn. 1;

ausgearbeitet von Herzberg, JuS 1986, 260 ff.; ders., NJW 1987, 1464; ders., JZ
1988, 573 ff., 635 ff., 639 ff.; ders., Festgabe BGH, Bd. IV, S. 68 ff.; ders., NStZ
2004, 595 ff.; mit einigen Differenzen Puppe, ZStW 103 (1991), 14 ff.; dies., Vorsatz
und Zurechnung, S. 36 ff.; NK-dies., § 15, Rdn. 85, 89 ff. (Rdn. 86: Herzberg setzt
„das Niveau der Vorsatzgefahr zu niedrig an“, vgl. auch dies., ZStW 103 [1991], 19;
dies., Vorsatz und Zurechnung, S. 42); dies., Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 1, 4, § 16,
Rdn. 4, 40 ff., 48; Sancinetti, Teoría del delito y disvalor de acción, Buenos Aires,
S. 199 ff.; ders., in: Teorías actuales en el Derecho penal, Buenos Aires, S. 193 ff.;
vgl. ferner auch Hirsch, Festschrift für Lampe, S. 518 ff., 524, 536; Renzikowski, Re-
striktiver Täterbegriff, S. 217 f.
256 Puppe, Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 36.
257 Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 45, dies., Strafrecht AT 1, § 16, Rdn. 41;

zur Strafbarkeit des Aids-Infizierten bei ungeschützem Geschlechtsverkehr vgl. ferner


die Ausführungen von Herzberg, NJW 1987, 1462, 1466; ders., JuS 1987, 783; ders.,
JZ 1989, 474 f.
F. Differenzierung der Zurechnungskriterien für Vorsatz-/Fahrlässigkeitsdelikte 135

basierende Argumentation liefert aber keinen Nachweis für die Erforderlichkeit


strengerer objektiver Anforderungen beim Vorsatzdelikt: Die Verneinung der
Vorsatzhaftung bei der Vorbereitungshandlung ist nämlich oft darauf zurückzu-
führen, daß der Vorsatz als subjektives Element dort noch nicht vorliegt, auch
wenn man mit der herrschenden Lehre und mit der hier behandelten Lehre ob-
jektiv eine Sorgfaltswidrigkeit annehmen würde und damit die objektiven Vor-
satzanforderungen als erfüllt ansehen könnte. Sollten aber Grenzfälle denkbar
sein, bei denen die Verletzung einer Sorgfaltspflicht und damit die fahrlässige
Haftung besteht, die vorsätzliche Herbeiführung aber noch in einem zu frühen
Stadium zu sein scheint,259 ist das doch noch kein Nachweis dafür, daß das
Vorsatzdelikt das Element der Sorgfaltswidrigkeit voraussetzen sollte, bzw. daß
es in einem Plus-Minus-Verhältnis zur Fahrlässigkeit steht, oder daß eine et-
waige Gewährung von „Handlungsfreiheiten“ für den wissentlich bzw. absicht-
lich handelnden Täter in Betracht käme.
Nicht nur eine zeitliche Entfernung des absichtlichen Verhaltens wird für die
Verneinung des Versuchs und damit der Vorsatzstrafbarkeit angeführt. Die auf
der Versuchslehre basierende Argumentation stützt sich allgemein darauf, daß
das unmittelbare Ansetzen bei einer überhaupt zu entfernten Gefahrschaffung
fehlt, während die Fahrlässigkeitshaftung bestehen bleiben würde. So ist nach
Herzberg z. B. die Annahme eines Mordversuchs abwegig, wenn jemand auf
steilem Gebirgspfad einen faustgroßen Stein zum Abrollen bringen würde und
sich bei dieser alltäglichen Spielerei ungewöhnlicherweise wünschen würde,
daß irgendwo unten jemand tödlich am Kopf getroffen werde. Zur Bejahung
einer Versuchshandlung fehle es an dem Erfordernis der „Unmittelbarkeit“
i. S. von § 22 StGB. Demgegenüber schaffe der Täter sehr wohl eine Gefahr,
die außerhalb des erlaubten Risikos liege und darum ggf. für die Fahrlässig-
keitshaftung genüge.260
Paradoxerweise werden die Schwerpunkte der Ungleichstellung der Zurech-
nungskriterien für das Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt bei den in den Punkten
II und III dargestellten Auffassungen unterschiedlich gesetzt. Deshalb kann man
die Argumentationen schwer miteinander vergleichen. Die in Punkt III kriti-
sierte Ansicht konzentriert sich auf Fälle, bei denen die Sorgfaltswidrigkeit be-
reits besteht und nun die Frage nach der Vorsatzstrafbarkeit gestellt wird. Dem-

258 So Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 37 f., 41; dies., Strafrecht AT 1, § 16,

Rdn. 1 ff. (mit dem Beispiel, daß jemand eine vergiftete Weinflasche im Keller depo-
niert, um ihn seiner Frau anzubieten; die Frau aber von sich aus zu dieser Weinflasche
greife und an dem Gift sterbe), 47. Das gleiche gelte für die wesentlichen Irrtümer im
Kausalverlauf, vgl. dazu Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 41; dies., Strafrecht AT
1, § 16, Rdn. 2 f., 47.
259 Allerdings werden die Argumente zur Begründung des Versuchsbeginns bei der

mittelbaren Täterschaft eine Anwendung oft bei dieser Problematik finden. Noch wei-
ter zeitlich entfernt ist der Architektenfall von Hirsch, Festschrift für Lampe, S. 518 f.
260 Herzberg, NStZ 2004, 597 f. Vgl. ferner ders., JA 1981, 371.
136 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

gegenüber konzentriert sich die in Punkt II ausgeführte – und letztendlich auch


in dieser Arbeit über das Sonderwissen vertretene – Auffassung auf Konstella-
tionen, bei denen das Fahrlässigkeitsdelikt aus Kosten-Nutzen-Erwägungen bei
sozialnützlichen oder einfach sozialakzeptierten Aktivitäten heraus zu vernei-
nen, während das entsprechende Vorsatzdelikt zu bejahen ist. Aus dieser letz-
teren Perspektive werden manchmal breitere strafrechtsfreie Räume beim Fahr-
lässigkeits- als beim Vorsatzdelikt gewährt, weil beim Fahrlässigkeitsdelikt das
Erlaubnis sogar hoher Risiken aufgrund einer Interessenabwägung zwischen
Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit erfolgen kann. Demgegenüber kommt
eine etwaige Gewährung von „Handlungsfreiheiten“ bei Wissensherrschaft oder
einfach für den absichtlich handelnden Täter richtigerweise nicht in Betracht, so
daß die Schaffung niedriger Risiken mit Wissensherrschaft bzw. mit dem
Hauptziel, das Rechtsgut zu verletzen, keinen strafrechtsfreien Raum verdienen
sollte. Damit wären bestimmte Risikoschaffungen bei einigen nützlichen oder
sozialakzeptierten Aktivitäten erlaubt (mit der Inkaufnahme von Rechtsgutsver-
letzungen), aber nur solange der Handelnde eine konkrete Rechtsgutsverletzung
nicht als sicher erkennt oder als Hauptziel beabsichtigt, so daß eine größere
Begrenzung der Fahrlässigkeitshaftung gegenüber der Vorsatzhaftung zur Ge-
währung von Handlungsfreiräumen als berechtigt erscheint.261 So kann das
Interesse des HIV-Infizierten an seiner Handlungsfreiheit, ungeschützten Ge-
schlechtsverkehr auszuüben, bei einer Wissensherrschaft gegenüber dem Partner
(der nur über das statistische Risiko in abstrakto informiert ist) nach einer
(straf-)rechtlichen Wertung nicht respektiert werden. Genausowenig verdient das
Wegwerfen angezündeter Zigaretten im Wald mit Brandstiftungsabsicht, oder
sogar die Abgabe eines Schusses aus einer sehr großen Entfernung mit Tötungs-
absicht eine Berücksichtigung der Freiheitssphären aus strafrechtlichen Sicht.
Das gleiche sollte für den später näher zu schildernden Liftfall262 oder den be-
reits oben beschriebenen Fall von Herzberg des Steinewerfens auf dem Gebirgs-
pfad gelten. Die Risikoschaffung, auch wenn äußerst niedrig, ist gegeben, und
es ist kein Grund ersichtlich, warum gerade diese rechtsgutsgefährdende Hand-
lung vorgenommen werden sollte. Sie ist nach dem allgemeinen Schädigungs-
verbot (neminem laede) zu vermeiden. Liegt also Wissensherrschaft oder eine
starke rechtsgüterfeindliche Einstellung bei der Schaffung solcher ubiquitären
Risiken vor, die sogar durch die Beharrlichkeit des Täters, den Verletzungser-
folg herbeizuführen, gekennzeichnet sein kann, ist das entsprechende vollendete
bzw. versuchte Delikt nach dem hiesigen Konzept zu bejahen.
Anders ist die strafrechtliche Relevanz zu beurteilen, wenn es sich um äuß-
erst niedrige Risikoschaffungen handelt und die vorgenommene Handlung zu
denjenigen gehört, die verwaltungsrechtlich zugelassen sind, ihr Erlaubnis nicht

261 Vgl. näher infra, § 5 B.


262 Vgl. infra, § 5 B.
G. Fazit 137

etwa von einer Entscheidung zur Selbstgefährdung abhängt und der Verletzte
über das statistische Risiko in abstrakto informiert ist, wie z. B. das bloße Ein-
geschaltetlassen eines technisch einwandfreien Fernsehers, sowie anderen Bei-
spielen, die beim Thema der Untergrenzen vorsätzlichen Verhaltens gegeben
werden.263 Ferner sind Rechtsgutsverletzungswünsche durch die Ausübung eini-
ger hochstandardisierter Aktivitäten (auch mit Kenntnissen des Verletzten über
das statistische Risiko in abstrakto), wie z. B. im Bereich des Bauens oder des
Straßenverkehrs bloße begleitende Hoffnungen des Handelnden, solange die Ak-
tivität nicht ausschließlich zur Rechtsgutsverletzung vorgenommen wird, was
selten in der Praxis vorkommen wird.264 Diese Ausnahmen reichen allerdings
nicht aus, um an das Element der Sorgfaltswidrigkeit als Voraussetzung des
Vorsatzdelikts bzw. an ein Plus-Minus-Verhältnis zu denken. Natürlich erreicht
man bei diesen Differenzierungen die Schmerzgrenze. Aber eine allgemeine
Heranziehung eines Standards, sei es für Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsdelikte,
oder sogar nur zu Gunsten des Vorsatztäters und zu Lasten des Fahrlässigkeits-
täters, ist viel zu undifferenziert. Dabei berücksichtigt man nicht genügend die
Gründe der schwereren Vorsatzbestrafung und die kriminalpolitischen Gründe
der Gewährung von Handlungsfreiheitssphären bei der Schaffung von Risiken
für Rechtsgüter.

G. Fazit

Für die Beantwortung der hier behandelten Frage, ob der objektive Tatbe-
stand des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts eine strukturelle Gleichheit i. S. des
Risikograds bzw. der Risikoart aufweisen sollte, oder ob der objektive Tatbe-
stand des Vorsatzdelikts die Schaffung einer höheren oder niedrigeren Intensität
des Risikos bzw. eine schwerere oder leichtere Risikoart als diejenige des Fahr-
lässigkeitsdelikts umfassen sollte, kann eine Berücksichtigung erstens der Ratio
der verhängten Vorsatzstrafe und zweitens einer Differenzierung bei der Gewäh-
rung strafrechtlicher Handlungsfreiräume nicht außer Betracht gelassen werden.
Erstens sind die zweck- und wertrationalen Gründe der erhöhten Vorsatzbestra-
fung eine unverzichtbare Richtlinie für die nähere Bestimmung der Vorsatzvor-
aussetzungen im Vergleich zu den Fahrlässigkeitsvoraussetzungen. Zweitens ist
die Gewährung strafrechtsfreier Räume auch unter Wertungsaspekten zu be-
trachten, so daß die Idee der strafrechtlich nichtrelevanten Bereiche einer diffe-
renzierten Untersuchung bezüglich der Struktur des vorsätzlichen und des fahr-
lässigen Handelns bedarf.
Bevor eine endgültige Antwort auf die Frage nach der Gleichstellung oder
Differenzierung der Zurechnungskriterien beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsde-

263 Vgl. dazu infra, § 5 C I.


264 Vgl. infra, § 5 C I.
138 § 3 Rückkehr von Problemen bezüglich des Sonderwissens

likt gegeben werden kann, sind also zunächst drei Themen zu erörtern, die in
methodologischer Hinsicht eine zentrale Rolle bei unserer Hauptfrage spielen:
1. die Gründe für die Schwererbewertung der Vorsatz- bezüglich der Fahrlässig-
keitstat; 2. die strafrechtlichen Handlungsfreiräume i. V. m. der Funktion des
Strafrechts (hier als Rechtsgüterschutz verstanden); und 3. die Arten der straf-
rechtlich erforderlichen Handlungsfreiräume. Diese Themen sind Untersu-
chungsgegenstand der nächsten §§ 4 und 5 A. Eine Erörterung der für die bis-
her behandelte Frage nach der Gleichstellung der Zurechnungskriterien darge-
stellten Positionen des Schrifttums erfolgt dann in § 5 B.
Eine nähere Untersuchung der Ansicht des Spätfinalismus, vor allem bezüg-
lich der von ihm vertretenen Relevanz der Tätervorstellungen als Beurteilungs-
gegenstand und eines subjektiven Tatbestandes des Fahrlässigkeitsdelikts erfolgt
noch beim Thema des Sonderwissens [§ 6 B II 2 b) aa) und dd) (4) und (5)] als
Prototyp der Tätervorstellungen. Um welche Vorgegebenheiten und rechtlichen
Strukturen es bei den Unrechtsvoraussetzungen der Vorsatz- und Fahrlässig-
keitsdelikte geht, wird noch in § 6 D mit Berücksichtigung sowohl der realen
(objektiven und subjektiven) als auch der rechtlichen Aspekte erörtert werden.
§ 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

A. Strafrecht und Rechtsgüterschutz

Als Handlungsunwert genügt nicht das psychische Substrat der Handlung,


ihre subjektive Seite. Dies bildet eine unverzichtbare Komponente, muß aber
neben der äußeren Bedeutung des Verhaltens mit ihrer sozialen Tragweite näher
betrachtet werden. Daß die fehlende Motivierung des Normadressates sich auf
eine objektive Umschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens beziehen muß,
wird heute nicht bestritten, wobei die Bestimmung des tatbestandsmäßigen Ver-
haltens unterschiedliche Formen und Begriffe aufweist.1
Bei der Bestimmung des Handlungsunwerts und überhaupt des materiellen
Verbrechensbegriffs bzw. der inhaltlichen Qualität strafbaren Handelns2 wird
also der Umstand in Betracht gezogen, daß die Aufgabe des Strafrechts der
Rechtsgüterschutz ist,3 d. h. die Sicherung bestimmter elementarer Güter vor be-
stimmten Angriffen bzw. die Bekämpfung sozialschädlichen Verhaltens. Da-
durch erhält das Strafrecht seine Legitimation. Diese Aufgabe des Rechtsgüter-
schutzes wird durch den Erlass von Verhaltensnormen (Verbots- und Gebotsnor-
men) erfüllt, die wiederum von den Normadressaten eingehalten werden sollen.
Die Geltungskraft der Verhaltensnormen wird durch die Sanktionsnormen
gewährleistet. Hinter dem Gedanken des Normgehorsams und des Angriffs auf
die Normgeltung steht also im Strafrecht primär die Funktion des Rechtsgüter-
schutzes.
Die Bestimmung des materiellen Verbrechensbegriffs durch den Bezug auf
die Rechtsgüterschutzfunktion des Strafrechts und überhaupt der Rechtsgutsge-

1 Die Vertreter einer personalen Unrechtslehre würden sich eher auf die „Auslegung
der strafrechtlichen Norm“ beziehen (vgl. supra, § 3 D), während die Anhänger der
Lehre von der objektiven Zurechnung sich mehr oder weniger um den Aufbau des
Elements „Schaffung einer unerlaubten Gefahr“ kümmern.
2 Vgl. dazu z. B. Roxin, Strafrecht AT 1, § 2, Rdn. 1.
3 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 3, Rdn. 10 ff.; Otto, Grundkurs Straf-

recht, § 1, Rdn. 22 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 2, Rdn. 1; SK-Rudolphi, vor § 1,


Rdn. 1 ff.; Schünemann, z. B. in Festschrift für Roxin, S. 13 ff.; ders., in: Hefendehl/
von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 133 ff.; Gracia Martín, Prole-
gómenos para la lucha por la modernización, Valencia, S. 129 ff.; Eser, in: Eser/Has-
semer/Burkhardt (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft, S. 444; NK-Hassemer,
vor § 1, Rdn. 243 ff. m. w. N.; a. A. siehe die Nachweise bei Roxin, Strafrecht AT I,
§ 2, Rdn. 42 ff.
140 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

danke ist urspünglich auf die Idee des Gesellschaftsvertrages zurückzuführen.


Danach würden sich die Menschen durch einen Vertrag zusammenschließen
und den Staat zur Sicherung der menschlichen Freiheiten errichten. Zwar liefert
die Idee des Gesellschaftsvertrages und der Gründung des Staates durch Vertrag
allein keine schlüssige Antwort auf die Fragen nach dem materiellen Verbre-
chensbegriff, weil ein solcher Vertrag unterschiedliche Inhalte haben kann. Die
Grundvoraussetzung aber, daß ein gesellschaftlicher Konsens über die staatliche
Sicherung einiger Rechte und Freiheiten der Individuen vorliegt, liefert eine
Grundlage für die Idee der Aufgabe des Strafrechts des subsidiären Rechtsgü-
terschutzes und einen Ausgangspunkt für die Bestimmung, welche Rechtsgüter
strafrechtlich geschützt werden müßten, wenn die Gesellschaft hypothetisch ei-
nen solchen Vertrag schließen würde.4
Die Antwort auf die uns hier beschäftigende Frage der Bestimmung des straf-
baren Verhaltens kann sich also nicht tautologisch auf die bloße Verhaltensnorm-
übertretung beziehen,5 sondern bedarf einer näheren Konturierung der „exter-
nen“ Zwecke des Strafrechts und damit des Elements des Rechtgüterschutzes
als Grundlage der Verhaltensnormen.
Der Rechtsgüterschutz hat nicht das Charakteristikum der Absolutheit, straf-
rechtliche Relevanz haben nicht alle Angriffe auf ein geschützes Rechtguts-
objekt. Schutz kann nämlich auch durch das Zivilrecht oder Öffentliche Recht
gewährt werden. Wird ein Verhalten bei einer kausalen Beeinträchtigung des
geschützten Rechtsgutsobjekts vom Wortlaut des strafrechtlichen Tatbestandes
erfaßt, kann ferner die strafrechtliche Relevanz eines bestimmten Verhaltens
nicht aufgrund schlichter Subsumption bejaht werden. Die Subsidiarität des
Strafrechts ist wegen seiner besonders einschneidenden Rechtsfolgen weitge-
hend anerkannt, so daß es nur als ultima ratio eingesetzt werden kann.6 Sogar
die Anwendung des Strafrechts z. B. bei der Herbeiführung einer nur gering-
fügigen Rechtsgutsverletzung wäre unverhältnismäßig. Außerdem wird ein
Bereich der Handlungsfreiheit durch das Grundgesetz (Art. 2 I) garantiert; der
Schutz von Rechtsgütern ist also nicht absolut.
Zur Konkretisierung des ultima-ratio-Prinzips bezieht sich ein Teil der Recht-
sprechung und des Schrifttums auf eine Überprüfung der Strafwürdigkeit und
Strafbedürftigkeit von Rechtsgutsobjektsbeeinträchtigungen im konkreten Fall.7

4 Vgl. näher dazu bei Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die

Rechtsgutstheorie, S. 141; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 9 ff., 17, 103 m. w. N.;


Gracia Martín, Prolegómenos para la lucha por la modernización, Valencia, S. 191
mit Fn. 370.
5 Vgl. z. B. Jakobs, Strafrecht AT, 2/5; ders., in: Eser/Hassemer/Burkhardt (Hrsg.),

Die deutsche Strafrechtswissenschaft, S, 49.


6 BVerfGE 39, 1, 47; 57, 250, 270; 73, 206, 253; 88, 203, 258; Baumann/Weber/

Mitsch, Strafrecht AT, § 3, Rdn. 19; ders., Strafrecht AT I, § 2, Rdn. 1 ff.; Jescheck/
Weigend, Lehrbuch, § 1 I 2, § 26 I 2.
A. Strafrecht und Rechtsgüterschutz 141

So gilt z. B. eine Rechtsgutsobjektsbeeinträchtigung als strafwürdig, wenn sie


die Grenzen der Unerheblichkeit überschritten habe. Dafür sei der Wert des ge-
schützten Rechtsguts und die Gefährlichkeit des Angriffs von Bedeutung.8 Es
wird dabei untersucht, wie intensiv, massiv oder handgreiflich der Schaden für
das Rechtsgut war.9 Dadurch, daß die erwähnten Variablen einen Einfluß auf die
Strafwürdigkeit eines Verhaltens haben, entstehen allerdings unterschiedliche
Bewertungen der Strafwürdigkeit in den verschiedenen Rechtsordungen und
Epochen.10 Die Strafbedürftigkeit wird teilweise mit der Geeignetheit, Erforder-
lichkeit und Verhältnismäßigkeit des Einsatzes des Strafrechts in Verbindung
gesetzt.11 Über die Tragweite, materielle Bedeutung, Funktion, systematische
Stellung und das Verhältnis beider Begriffe zueinander besteht aber keine Einig-
keit.12 Zugleich stellen einige Autoren in Frage, ob man sie als selbständige
Kategorien neben Unrecht und Schuld überhaupt konstruieren sollte.13 Ferner
wird angeführt, daß die Bewertung dieser Kategorien nach einer Abwägung
zwischen dem Gewicht der Tat und dem Eingriff in die Rechte des Täters durch
die Freiheits- oder Geldstrafe erfolgt.14
Die Kategorien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit beziehen sich also
auf die Grenzen zwischen dem strafrechtlichen Rechtsgüterschutz als staatliche
Aufgabe und den strafrechtsfreien Räumen, was letzendlich auf das Subsidiari-
tätsprinzip bzw. den Grundsatz des Strafrechts als ultima ratio der Rechtsord-
nung zurückgreift. Als Kriterien für die nähere Bestimmung strafbaren Verhal-
tens und für die Frage, ob diese Untergrenzen gleich oder unterschiedlich für

7 Vgl. die Darstellung und Nachweise bei Günther, JuS 1978, 11 ff.; ders., Straf-

rechtswidrigkeit und Strafrechtsausschluß, S. 192 ff., 236 ff.; Volk, ZStW 97 (1985),
872 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, § 1, Rdn. 48 ff.; Luzón Peña, in: Schünemann/Fi-
gueiredo Dias (Hrsg.), Coimbra-Symposium S. 97 ff.
8 Vgl. Otto, Grundkurs Strafrecht, § 1, Rdn. 49. Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 7 I

1 fügt auch die Verwerflichkeit der Tätergesinnung als Variable hinzu.


9 Müller-Emmert, GA 1976, 301.
10 Kritisch gegenüber der Strafwürdigkeit als Kriterium und Grenze für die Straf-

barkeit: Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, insb. S. 132 ff.; Appel, Verfassung und
Strafe, S. 395 ff.; ferner vgl. die allgemeine Kritik von Volk, ZStW 97 (1985), insbes.
899 ff.
11 Vgl. Schünemann, SchwZStr 97 (1978), 147 ff.; ders., Festschrift für Bockel-

mann, S. 129 ff. (mit Berücksichtigung der Strafbedürftigkeit bei der Tatbestandsaus-
legung, vgl. S. 131); ders., Festschrift für Faller, S. 358.
12 Vgl. z. B. Luzón Peña, in: Schünemann/Figueiredo Dias (Hrsg.), Coimbra-Sym-

posium S. 97 ff.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 400 f.; Roxin, Strafrecht AT I,
§ 23, Rdn. 34 ff.; vgl. auch den umfassenden Überblick von Volk, ZStW 97 (1985),
872 ff.
13 Vgl. vor allem Volk, ZStW 97 (1985), 876 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner,

StGB, vor § 13 ff., Rdn. 13 f.; Roxin, Strafrecht AT, § 23, Rdn. 34 ff. und seine Be-
urteilung der Ergebnisse des Coimbra-Symposiums von 1991, § 23, Rdn. 40; Jakobs,
Strafrecht AT, 10/2 ff., 10/15 ff., 10/18 ff.
14 Appel, Verfassung und Strafe, S. 395; Müller-Emmert, GA 1976, 301; SK-Rudol-

phi, vor § 1, Rdn. 15; Kühl, Festschrift für Spendel, S. 75 f.


142 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

Vorsatz- und für Fahrlässigkeitsdelikte zu ziehen sind, besitzen diese Kategorien


allerdings einen zu großen Bedeutungshof und Abstraktionsgrad15 neben den
bereits angesprochenen Unstimmigkeiten bezüglich ihres Inhalts. Zu ihrer Kon-
kretisierung würde eine Auflistung der selbständigen Strafbarkeitsvoraussetzun-
gen16 wesentlich mehr beitragen. Bei einer wie hier vertretenen Konzeption des
Zwecks und Aufgabe des Strafrechts als ultima ratio zum Schutz von Rechtsgü-
tern wären folgende Strafbarkeitsvoraussetzungen in Betracht zu ziehen: Schutz-
würdiges Rechtsgut, gravierende Rechtsgüterverletzung, individuelle Vermeid-
barkeit (= Schuld), ultima ratio, d. h. Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhält-
nismäßigkeit des Strafrechtseinsatzes. Ein Straftatbestand muß danach geeignet
sein, ein Rechtsgut zu schützen. Die Strafdrohung ist erforderlich, wenn es im
konkreten Fall keine anderen verfügbaren wirksamen, milderen Mittel zum
wirksamen Rechtsgüterschutz gibt, wie z. B. das bürgerliche oder das öffent-
liche Recht (Geldbuße, Schadensersatz, Auflagen, Vorteilsentzug, etc.). Ferner
darf ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel für den Rechtsgüterschutz
nicht eingesetzt werden, wenn das Interesse an der Freiheitssphäre des Betroffe-
nen bzw. deren Beeinträchtigung den angestrebten Schutz des Rechtsgutes deut-
lich überwiegt, d. h. der Einsatz des Strafrechts unverhältnismäßig ist.17 Dabei
geht es um die Untersuchung der Proportionalität zwischen dem angestrebten
Zweck des Straftatbestandes und der Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des
Betroffenen. Immerhin weisen die angeführten Prinzipien auf die Existenz eines
strafrechtsfreien Verhaltensraums hin, deren Grenzen zum strafrechtlich relevan-
ten Verhalten nicht zu einer vierten Deliktskategorie, sondern zum Bereich der
Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld gehören, weil bei diesen
drei Kategorien von den strafrechtlichen Zwecksetzungen und Wertungen – aus
einer zweckrationalen Perspektive gesehen – nicht abstrahiert werden sollte.18
Es wird auch bestritten, ob der Rechtsgutsbegriff neben den genannten ver-
fassungsrechtlichen Prinzipien noch eine selbständige Funktion haben sollte,19
und umgekehrt, ob das Grundgesetz der einzige Legitimationspunkt für die Be-
stimmung des strafbaren Verhaltens sein soll. Ein Verzicht auf den Rechtsguts-
gedanken zugunsten einer bloßen verfassungsrechtlichen Begrenzung der staat-
lichen Strafgesetzgebung läßt aber dem strafrechtlichen Gesetzgeber einen zu
breiten Spielraum, weil sich aus der Verfassung selbst, wenn man sie nicht auf

15 Vgl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 6.


16 Vgl. dazu Schünemann, Festschrift für Bockelmann, S. 129; ders., Festschrift für
Faller, S. 358.
17 Vgl. näher dazu z. B. SK-Rudolphi, vor § 1, Rdn. 13 ff.; Hefendehl, Kollektive

Rechtsgüter, S. 95 ff. m. w. N., auch der Rechtsprechung und Erläuterung der Differen-
zen bei der Einschätzung diesen Kriterien.
18 Auch in diesem Sinne z. B. Volk, ZStW 97 (1985), 876 ff.; Roxin, Strafrecht AT

I, § 23, Rdn. 35 ff., 39.


19 So Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 146 ff.; Appel,

Verfassung und Strafe, S. 381 ff., 390.


B. Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz 143

der historischen Basis der Rechtsgütertheorie interpretiert, kaum Einschränkun-


gen zur Schaffung von Straftatbeständen ergeben.20 Gerade weil es beim Straf-
recht um den intensivsten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die Hand-
lungsfreiheit des Einzelnen geht, bildet z. B. die teilweise zur Begründung
herangezogene Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers21 einen zu wenig
abgegrenzten Entscheidungsrahmen. Statt dessen sollte an der Rechtsgutsbasis –
mit einer verfassungsrechtlichen Verankerung – festgehalten werden, weil sie
der gesetzgeberischen Willkür präzisere Grenzen setzt, der Gesetzesinterpreta-
tion dient und nicht zuletzt als Bezugspunkt der Geeignetheit und Erforderlich-
keit des strafrechtlichen Schutzes fungiert.

B. Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit


und Rechtsgüterschutz

Fast jeder Lebensvorgang bringt eine Gefährdung von Gütern mit sich. Die
Möglichkeiten, Schäden durch unsere täglichen Handlungen an Rechtgutsobjek-
ten zu verursachen oder sie zumindest in eine konkrete Gefahr zu bringen, sind
nicht aufzählbar, d. h. das Feld der Vorhersehbarkeit bzw. Erkennbarkeit von Ri-
siken und Schäden ist unerschöpflich. Man denke nur daran, daß die im eigenen
Haushalt befindlichen Elektrogeräte aufgrund eines Kurzschlusses einen Woh-
nungsbrand verursachen können, oder daß man zur Haustür hinausgeht und just
den Nachbarn umrennt, der gerade um die Ecke biegt. Gleiches gilt aus der
Sicht des Opfers von Risiken und Schäden, das nämlich nach dem Öffnen der
Haustür die verschmutze Luft des Straßenverkehrs einatmet, wegen einer Bau-
stelle einen unerwünschen Umweg machen muß, in eine Trambahn einsteigt
und erst bei geschlossenen Türen bemerkt, daß sie nicht die richige ist, jetzt
aber nicht mehr aussteigen kann und damit seiner persönlichen Freiheit „be-
raubt“ wird. Die Gefahr also, daß wir rechtlich geschützte Güter beeinträchti-
gen oder selber Opfer solcher Beeinträchtigungen sind, ist im täglichen Leben
nicht unerheblich, und dies nicht nur bei den typischen Tätigkeiten einer Indu-
striegesellschaft, sondern, wie man an den oben ausgeführten Beispielen merkt,
überhaupt im üblichen sozialen Kontakt. Da die Aufgabe des Strafrechts der
Rechtsgüterschutz ist, könnte man den Schluß ziehen, diejenigen Handlungen
um der Sicherheit und Erhaltung der Rechtsgüter willen dann prinzipiell zu ver-
bieten, wenn eine Beeinträchtigung vorauszusehen ist.

20 Zur Kritik vgl. z. B. Schünemann, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die

Rechtsgutstheorie, S. 142 ff., 146 f.; ders., in: Schünemann (Hrsg.), Strafrechtssystem
und Betrug, S. 53 ff., 56; ders., Festschrift für Roxin, S. 26 ff., 29; Hefendehl, Kollek-
tive Rechtsgüter, S. 44 f., 92 ff.
21 Vgl. z. B. Lagodny, a. a. O., S. 164 ff. und die Kritik dazu von Hefendehl, a. a. O.,

S. 93.
144 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

Das Vorliegen einer Gefahr für ein Gut kann allerdings das verfassungsrecht-
lich verbürgte Recht der Handlungsfreiheit nicht ohne weiteres einschränken.
Das Recht kann nicht jede Verhaltensweise verbieten, die eine Beeinträchtigung
von Rechtsgutsobjekten mit sich bringen kann. Dies würde eine Lahmlegung
des sozialen Lebens bedeuten. Sogar impliziert die Überschreitung der eigenen
Freiheitssphäre nicht unbedingt strafrechtliche Relevanz. Vielmehr bedarf die
Einschränkung in jedem Fall der Legitimation, d. h. sie muß geeignet, erforder-
lich, angemessen und verhältnismäßig in Bezug auf den Güterschutz sein. Der
Einsatz des Strafrechts zur Durchsetzung der Handlungsbeschränkung muß also
auch begründbar sein.22
Als sich Kant auf den Freiheitsbegriff und seine Einschränkung durch das
Recht bezog, forderte er ein Hindernis der Freiheit anderer für die Bejahung
des Unrechts und für die entsprechende Freiheitseinschränkung des Subjekts.
Der freie Gebrauch der Willkür dieses Subjekts dürfte dabei nicht mit der Frei-
heit von jedermann bestehen können. „Das Recht ist also der Inbegriff der Be-
dingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach
einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“23.
Der Freiheitsbegriff im rechtlichen Sinne bedarf heute aber einer näheren Kon-
turierung, mehrere Bedingungen müssen dabei in Betracht gezogen werden. In
der Kompliziertheit unserer Gesellschaft spielen mehrere Interessensarten bei
der Entscheidung mit, ob die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zu
vereinbaren ist.
Die Untersuchungen des Schrifttums haben sich vielmehr um die Vorherseh-
barkeit und Erkennbarkeit von Gefahren beschäftigt, d. h. mit dem Begriff der
„gefährlichen Handlung“ (in der Terminologie der Lehre von der objektiven
Zurechnung „Schaffung einer Gefahr“), als mit der Legitimation der Handlungs-
beschränkung und der Abgrenzung zu den Handlungsfreiheitssphären (in der
Terminologie der Lehre von der objektiven Zurechnung: Begriff der „unerlaub-
ten Gefahr“). Während das Feststellen der Voraussehbarkeit der Gefahr eher
eine quantitative Entscheidung ist, erfordert die Untersuchung strafrechtlicher
Relevanz der geschaffenen Gefahr eine qualitative Erörterung: Es geht dabei
um eine Interessenabwägung zwischen dem Rechtsgüterschutz und der Hand-
lungsfreiheit. Die Bestimmung strafbaren Verhaltens erfolgt bei Fahrlässigkeits-
delikten durch Abwägung der kollidierenden Interessen der Gütererhaltung und
der Möglichkeit, die in Betracht kommende Handlung vorzunehmen.

22 Vgl. supra, A, aber auch hier insbesondere Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten,

S. 70; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafrechtsausschluß, S. 179 ff.; Kratzsch, Ver-


haltenssteuerung, S. 95 f.; Schünemann, Festschrift für Faller, S. 366; Bloy, Beteili-
gungsform, S. 30 ff., 35 ff.
23 Kant, Die Metaphysik der Sitten, in: Akademie Textausgabe VI, S. 230, Rdn. 25.
B. Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz 145

Es besteht derzeit ein Konsens über die Nützlichkeit, Erwünschtheit oder


Notwendigkeit bestimmter Aktivitäten des täglichen Lebens und des üblichen
sozialen Kontakts wie Skifahren, Treppensteigen, Bergwandern usw. Die Hand-
lungsfreiheit steht hier ohne Zweifel im Vordergrund. Der Kernpunkt, an dem
Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz kollidieren, liegt eher im modernen
technisierten und industrialisierten Sozialleben, bei dem teilweise neue Risiko-
arten geschafft werden, die in früheren Zeiten undenkbar waren, wie die Risi-
ken, die aus dem Straßenverkehr, Industrie oder Bau entstehen, um einige da-
von zu nennen. Beispielsweise gibt es jeweils konkrete Unfallstatistiken im
Bausektor, für den Betrieb eines Hafens oder für den Straßenverkehr. Natürlich
würde man viele Unfälle dadurch vermeiden, daß man eine Höchstgeschwindig-
keit von 80 km/h für Autobahnen und 30 km/h in der Stadt festlegen würde,
andere Interessen der Bevölkerung werden aber bei der Bestimmung der
Höchstgeschwindigkeit in Betracht gezogen und im Gesetzgebungsprozeß be-
rücksichtigt. Es wird von bestimmten Vorteilen profitiert und einige Schäden in
Kauf genommen. Die Legitimation einer solchen Vorgehensweise beruht wohl
nicht auf Grundsatzprinzipien, sondern auf einer vorläufigen Akzeptanz und To-
lerierung von Risiken, die von Zeit zu Zeit gemäß einigen Prioritäten eine Ver-
änderung erfährt. Das menschliche Verhalten in der heutigen Gesellschaft kann
allerdings nicht pauschal als riskanter im Vergleich zu früheren Zeiten bewertet
werden, eher kann die Rede von einer Änderung der Risikoarten und insgesamt
damit des Risikopotentials sein, aber auch das Sicherheitsbedürfnis der Men-
schen hat zugenommen. Man beugt nämlich wiederum nun einigen früher auch
durch menschliches Verhalten geschaffenen Risiken dank neu entwickelter Si-
cherheitsvorkehrungen vor, wie beispielsweise neue Unfallverhütungsvorschrif-
ten am Bau, Brandschutzregeln, allgemeine Verkehrssicherungspflichten, die
z. B. aus dem Eigentum eines Grundstücks resultieren, Regeln der Schiffahrts-
kunde, Üblichkeit und Handhabung von Waffen und gefährlichen Werkzeugen,
aber vor allem der allgemeine Umgang mit dem Leib und Leben des anderen,
über den man hier die These aufstellen könnte, daß er heute üblicherweise im
Sozialleben in einer vorsichtigeren Weise als in früheren Jahrhunderten statt-
fände. Man muß dabei berücksichtigen, daß sich die Lebenserwartung des Men-
schen in den vergangenen 200 Jahren nahezu verdoppelt hat.24 Sogar waren
einige Komplikationen eines Heileingriffes früher nicht vorhersehbar und wür-
den daher der heutigen Kategorie der nicht-strafrechtlichen Relevanz unterfal-
len. Der Schutz von Gütern hat schlechterdings einen höheren Rang in unserer
heutigen Gesellschaft erlangt, es werden wiederum einige Kompromisse zugun-
sten bestimmter, als vorteilhaft angesehener Aktivitäten gemacht. Dabei muß
man berücksichtigen, daß der heutige Gefahrenapparat von einem solchen
Potential und einer solchen Irreversibilität und Unüberschaubarkeit ist, daß ein

24 Vgl. H. Lübbe, in: Zwischen Fortschrittsoptimismus und Risikoscheu, TA-Daten-

bank-Nachrichten, Nr. 3/4, S. 120 ff.


146 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

kleines Versehen eines einzelnen einen enormen Schaden anrichten kann.25


Darin liegt der Grund der intensiven Beschäftigung mit dem gefährlichen Ver-
halten und dem erlaubten Risiko seit der Erfindung der Dampfmaschine und
des Verbrennungsmotors. Dazu sind die neuartigen Risiken anders als die inzwi-
schen „traditionellen“ Risiken der primären Industriegesellschaft.26 Kernkraft-
werke, petrochemische Anlagen, Bergwerke, chemische Fabriken, Schiffs- und
Luftverkehr, Staudämme, Genforschung und Raumfahrt sind Beispiele der heu-
tigen riskanten Großtechnologie.27 Die Fahrlässigkeitslehre hat sich wegen der
neuen Risikoarten in diesem Jahrhundert weiterentwickelt, und so übernahm sie
im Bereich des Strafrechts quasi die Hauptrolle bei den Untersuchungen, die
sich näher mit der Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens beschäftig-
ten. Die Entwicklung von Sicherheitsvorkehrungen und Verkehrsregeln ist also
weit fortgeschritten; von den Gründen für die Legitimation der für die Gesell-
schaft als nützlich angenommenen Zweckerreichung im Verhältnis zu Nebenfol-
gen sind aber diese Entwicklungen weit entfernt. Die Erlaubtheit einer Aktivität
erfolgt nach unterschiedlichen Interessenspannungen, die schwerlich systemati-
schen Prämissen oder einer geregelten Verteilung der Entscheidungsverantwor-
tungen folgen. Es geht dabei um die Einigung zum gemeinsamen Vorteil, eine
präzise Lehre für die Bewertung der kollidieren Interessen ist derzeit nicht in
Sicht. Die Eingrenzung und Zurechenbarkeit der Risiken, die die industrielle
Moderne erzeugt, ist geradezu undurchsichtig. Wissenschaftliche Sachverstän-
dige untersuchen die Grenze von Sicherheit und Gefahr, die Wissenschaft hat
aber nicht das letzte Wort über die Interessenabwägung, sondern die Gesetzge-
bung, die Gerichte und letztendlich ein Konsens in der Bevölkerung. Neben der
Tatsache, daß viele von der Nützlichkeit bestimmter Aktivitäten profitieren,
muß allerdings in Rechnung gestellt werden, daß einige die Folgen der Erlaubt-
heit der Risiken tragen müssen, unter denen sich vor allem die zukünftigen Ge-
nerationen,28 aber auch zahlreiche Regionen29 befinden, die bei der Entschei-
dung über die Interessenabwägung nicht anwesend sind.
Die Meinungen über die Risiken und ihre Erlaubtheit in unserer heutigen Ge-
sellschaft sind im nichtjuristischen Bereich höchst unterschiedlich.30 Beck ver-
wendet den Begriff der Risikogesellschaft in kritischer Perspektive.31 Damit
bezieht er sich auf eine Gesellschaft, die sich mit neuen, größeren als in der
traditionellen Industriegesellschaft oder mit bekannten Gefahren mit neuem

25 Vgl. Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 301 ff.


26 Vgl. Beck, Gegengifte, S. 120.
27 Diese Risiken werden von Perrow, Normale Katastrophen, S. 15 f. in die Kate-

gorie der Hochrisiko-Systeme eingeordnet.


28 Vgl. Schünemann, Festschrift für Triffterer, S. 440 f., 453.
29 Vgl. Beck, Risikogesellschaft, S. 7 f.
30 Vgl. dazu die Darstellung von Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 50 ff.
31 Beck, Risikogesellschaft, passim; ders., Gegengifte, S. 109 und passim.
B. Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz 147

Katastrophenpotential konfrontieren muß und ein Selbstzerstörungspotential er-


reicht hat.32 Demgegenüber verwenden die Risikoforscher diesen Begriff über-
haupt nicht, da sie das Risiko als ein erwünschtes Element unseres Lebens und
Motor des Fortschritts von jeder Zeit betrachten33 und eine mathematische For-
mel für die Berechnung des Risikos einer bestimmten Aktivität entwickeln. Bei
der Formel werden die Gewichtigkeit eines möglicherweise eintretenden Scha-
dens und die Wahrscheinlichkeit dieses Schadenseintritts in Betracht gezogen,
d. h. „Risiko = Schaden  Wahrscheinlichkeit seines Eintritts“.34 Da sie sich um
eine genaue Berechnung der Risiken bemühen, lehnen die Risikoforscher die
Reaktionen der Gesellschaft auf unterschiedliche Risikoquellen ab, da sie sie
für irrational halten, wie z. B. die umstrittene Kernenergie neben einer anstands-
losen Akzeptierung des Straßenverkehrs35 oder das Rauchen von Zigaretten,
was quantitativ ein höheres Risiko als der Straßenverkehr bzw. die Infizierung
mit HIV darstellt.
Der Einstellung der Risikoforscher aus Naturwissenschaft und Technik muß
man entgegenhalten, daß der bloße Umgang mit Statistiken und Formeln der
Nachbarwissenschaften, die nur das Schadensausmaß und die Eintrittswahr-
scheinlichkeit dieses Schadens abwägen, für die rechtliche Beurteilung der
strafrechtlichen Relevanz von Gefahrschaffungen nicht ausreicht. Einerseits ist
die Messbarkeit der objektiven Höhe von Risiken bei neuen Technologien
meist nicht möglich. Andererseits bedarf diese Materie eher rechtlicher und po-
litischer Wertentscheidungen, bei der nicht nur Risikobemessungen berücksich-
tigt, sondern die Vertretbarkeit der unterschiedlichen Interessen abgewogen wer-
den. Deshalb liegen die Grenzen der Technik grundsätzlich beim Recht, und
dabei dient der wissenschaftlich übergreifende Diskurs als Hilfsmittel. Zwar ist
die Zunahme neuer Risiken mit einem neuen Katastrophenpotential und die Er-
forderlichkeit einer Beschäftigung der Rechtspolitik mit dieser neuen Wirklich-
keit unbestritten. Allerdings bestehen Abstufungen gegenüber der pessimisti-
schen Einstellung Becks bezüglich einer unvermeidbar bedrohlichen und selbst-
zerstörenden Risikogesellschaft. Vorzuziehen wäre eine – im Rahmen des
Möglichen – Beherrschung des Umgangs mit Risiken36 durch eine differen-
zierte rechtliche Abwägung der gegenseitigen Interessen vor allem in einem Ge-
setzgebungsverfahren, das den Dialog mit den Risikobetroffenen im Entschei-

32 Beck, Risikogesellschaft, S. 13, 28 f.; ders., Gegengifte, S. 109, 120. Auch kri-

tisch bezüglich der neuen Gefahren Perrow, Normale Katastrophen, S. 100 ff., 355 ff.,
395 ff.
33 Vgl. Heilmann/Urquhart, Keine Angst vor der Angst – Risiko; weitere Nach-

weise in Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 49, Fn. 4 und 5.


34 Vgl. z. B. Peters, in: Krüger/Ruß-Mohl (Hrsg.), Risikokommunikation, S. 34;

Evers/Nowotny, Über den Umgang mit Unsicherheit, S. 201.


35 Peters, a. a. O., S. 11 ff.
36 Evers/Nowotny, Über den Umgang mit Unsicherheit, passim.
148 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

dungsprozeß ermöglicht. Bei der heutigen Umwandlung der Risikoformen und


trotz der Geschwindigkeit des Wandels sollte man nicht in Panik geraten und
damit die Prinzipien des Strafrechts auf dem Kopf stellen, wie Beck durch die
Figur der „symbolischen Entgiftung“37 schlechterdings den Verzicht auf die
Kausalität, das individualistische Schuldprinzip und Beweislastregeln bei der
von ihm geschilderten Notlage der selbstgefährdeten Gesellschaft vorschlägt.38
Es ist einleuchtend, daß die gegenwärtigen Regeln der individuellen Verant-
wortlichkeit die komplizierten Abläufe z. B. in einem Großunternehmen nicht
erfassen können.39 Doch wäre eine radikale Abschaffung der drei genannten
Kategorien nur eine voreilige Lösung durch die Vernichtung der bis jetzt er-
reichten rechtlichen Prinzipien. Man würde damit eine „materielle Entgiftung“
der Gesellschaft von ihren aktuellen materiellen Risiken erfolgreich erreichen,
allerdings auf Kosten einer „symbolischen Vergiftung“ des Rechtssystems.
Die strafrechtlich relevante Interessenabwägung erfordert die Heranziehung
unterschiedlicher Kriterien.40 Dabei handelt es sich um eine Kostenfrage. Es
wird nämlich die Abwägung von Aufwand und Kosten vorgenommen, um
Rechtsgutsverletzungen zu verhindern. Die soziale Nützlichkeit, Erwünschtheit
oder Notwendigkeit der entsprechenden Handlungen, die Risiken auslösen, bil-
det das Hauptkriterium für das Erlaubnis des Risikos, d. h. die Bevorzugung der
Handlungsfreiheit gegenüber dem Rechtsgüterschutz. Dabei werden hauptsäch-
lich die Kosten der Nichtvornahme der Handlung in Betracht gezogen. Die Ge-
sellschaft möchte auf einige Aktivitäten nicht verzichten, die sie als positiv be-
urteilt, deshalb nimmt sie einige (sogar sehr große) Gefahren in Kauf. Handelt
es sich um das Schießen mit einer Waffe auf eine beliebige Person, kommen
natürlich keine Kosten für den Verzicht auf diese Handlung in Frage, deshalb
schlägt das Pendel eindeutig bei der Abwägung zugunsten des Interesses der
Gütererhaltung aus, da hier überhaupt nicht von Handlungs- und Entfaltungs-
freiheiten die Rede sein kann. Geht es dagegen um eine anerkannte sozialnütz-
liche, aber riskante Aktivität wie das Autofahren, den Industrie- oder Hafen-
betrieb oder sogar die ärztlichen Heilbehandlungen im Rahmen der lex artis,
wären die Kosten eines absoluten Verzichts angesichts der Werte und Vorge-
hensweise unserer heutigen Gesellschaft zu hoch, so daß die entsprechende Ak-
tivität unter Einhaltung speziell erlassener Sorgfaltsregeln zugelassen wird. Der
Nutzen des Autofahrens durch die Bewegungs- und Transportmöglichkeiten für
die Allgemeinheit wird also als viel höher als dessen Kosten (die eigentlich
einen höheren Rang in der Rechtsgüterliste haben!) eingestuft. Das Prinzip der

37 Beck, Gegengifte, S. 220.


38 Beck, Risikogesellschaft, S. 15 f.
39 Vgl. dazu z. B. Schünemann, in: Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg.),

Umweltschutz und technische Sicherheit im Unternehmen, S. 139 ff.


40 Siehe dazu auch die Typisierungen von Schünemann JA 1975, 576; auch aber

sehr knapp: LK-Schroeder, § 16, Rdn. 162; Wolter, GA 1977, 262.


B. Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz 149

Interessenabwägung ist aber viel zu allgemein und bedarf einiger Präzisierun-


gen, die wiederum eine unterschiedliche Gestaltung von Fall zu Fall erlangen
und dazu sich miteinander kombinieren, so daß man aus der Kombination wie-
derum zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt.
Als erste Präzisierung kommt der Wert des bedrohten Rechtsgutes bzw. die
Art und das Ausmaß der Gefahrenfolgen. Handelt es sich um Leib oder Leben
einer Person, interessieren prinzipiell weniger die hohen Kosten des Verzichts
auf die Handlung oder die Tatsache, daß das Risiko minimal ist, als wenn es
etwa um die persönliche Freiheit, die Ehre oder das Eigentum geht. Sind die
Kosten des Verzichts auf die Handlung sehr hoch bzw. handelt es sich um eine
sehr nützliche und notwendige Aktivität, dann tritt das Recht auf die persönli-
che Freiheit zurück (natürlich wäre es nicht möglich, etwa einen anderen dazu
zu nötigen, sich als Testperson für hochbedeutende wissenschaftliche Experi-
mente zur Verfügung zu stellen; über die Gefahren gesellschaftlicher Entschei-
dungen in dieser Hinsicht siehe die Ausführungen supra). Eine Ausnahme zu
der oben genannten Maxime bildet der Straßenverkehr, da ein hohes Restrisiko
für Leib oder Leben trotz Sicherheitsvorkehrungen noch vorhanden ist. Die
Nützlichkeit und Notwendigkeit der Aktivität für die Allgemeinheit wird hier in
den Vordergrund gerückt.
Die Größe der Gefahr ist natürlich ein Faktor, der bei der Interessenabwä-
gung berücksichtigt werden sollte. Bei hoher Rechtsgutsverletzungsgefahr treten
in der Regel die Bedürfnisse der Handlungsfreiheit zurück und bei minimalen
Chancen einer Rechtsgutsverletzung kann sich der Zweck des Rechtsgüterschut-
zes nicht ohne weiteres vorneanstellen, z. B. bei den oben genannten Aktivitäten
des täglichen Lebens wie Skifahren, Treppensteigen, Bergwandern usw. Es han-
delt sich dabei allerdings nur um ein Leitprinzip, das viele Ausnahmen erfährt,
da es letztendlich nicht nur um geringe oder große Wahrscheinlichkeiten der
Rechtsgutsgefährdung geht. Die Abwägung kann bei der Kompliziertheit unse-
rer Gesellschaftsregeln nicht nur unter quantitativen Gesichtpunkten erfolgen.
Auch bei extremer Geringfügigkeit der Erfolgschancen werden einige Verhal-
tensweise als unerträglich angesehen, wie die Aids-Fälle nachweisen, zumindest
in denen der Infizierende vorsätzlich handelt, während der Partner nur über das
statistische Risiko in abstrakto, aber nicht über die konkrete Infektion bei sei-
nem Partner informiert ist. In solcher Art von Fällen würde der Infizierende
mittelbarer Täter kraft Wissensherrschaft sein, da man beim freiwilligen Sexual-
verkehr nicht von einer alleinigen Handlungsherrschaft ausgehen kann.41 Die
Ansteckungsgefahr von HIV ist also sehr niedrig, trotzdem handelt es sich in
solchen Fällen um ein unerlaubtes Risiko, wenn der HIV-Infizierte ungeschützt

41 Vgl. Schünemann, in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von

AIDS, S. 476 ff.; ders., in: Busch/Heckmann/Marks (Hrsg.), HIV/AIDS und Straffäl-
ligkeit, S. 111 f.
150 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

Geschlechtsverkehr mit einem anderen hat, ohne diesen vorher über das Risiko
aufzuklären. Es handelt sich hier um Leib oder Leben bzw. Gesundheit des an-
deren,42 die auch vor dieser Art minimaler Risiken strafrechtlich geschützt wer-
den.
Die Formel der Naturwissenschaftler, bei der das Risiko nach der Größe des
Schadens und der Wahrscheinlichkeit seines Eintritts kalkuliert wird, sollte so
interpretiert werden, daß ein (für die Rechtswissenschaft unerlaubtes) „Risiko“
auch bei extrem minimalen Wahrscheinlichkeiten des Schadenseintritts ange-
nommen wird, wenn der u. U. eintretende Schaden enorm sein sollte. Vor allem
bei Umweltschäden oder überhaupt bei massiven lebensbedrohenden Schäden
wie z. B. bei einem Reaktorunglück kommt vor allem in Frage, ob eine An-
nahme einer – sei es auch minimalen – Selbstzerstörungsmöglichkeit zu recht-
fertigen ist.
Der soziale Nutzen muß abstrakt bzw. kollektiv bestimmt werden, und da-
durch erlangt er Allgemeingültigkeit. Wäre die Handlung nur im konkreten Fall
bzw. individuell vom Nutzen, würde es sich um die typische Abwägung des
rechtfertigenden Notstands handeln.43 Demgegenüber handelt es sich beim tat-
bestandsausschließenden erlaubten Risiko um eine Interessenabwägung, die das
konkrete Individuum auf der Seite läßt. Die Abwägung wird hier nicht vom
Richter über die jeweiligen Situation, sondern im voraus vom Gesetzgeber ge-
macht.
Ferner bilden die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers und der Grad der
Freiwilligkeit des eingegangenen Risikos noch einen Grund dafür, solche nütz-
liche Aktivitäten zuzulassen und bei Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen in
den strafrechtsfreien Raum zu stellen. Beispiele dafür sind Autofahren oder
Rauchen, Treiben gefährlicher Sportarten oder bestimmte Beschäftigungen in
der Industrie oder am Bau, die die Gesundheit der Arbeiter beeinträchtigen.44

42 Ob der Tatbestand des Totschlages oder der Körperverletzung in Betracht

kommt, kann hier dahingestellt bleiben. Zur Diskussion vgl. nur Schönke/Schröder/
Eser, StGB, § 223, Rdn. 7 m. w. N.
43 Für diese Differenzierung und einen Ausschluß solcher Fällen aus dem Bereich

des erlaubten Risikos der objektiven Zurechnung: Jakobs, Strafrecht AT, 7/41 f.; ders.,
La imputación objetiva en Derecho penal, Madrid, S. 123 f.; Frisch, Tatbestandsmäßi-
ges Verhalten, S. 75 ff.; ders., Vorsatz und Risiko, S. 158; Roxin, Strafrecht AT I,
§ 11, Rdn. 60; vgl. auch Rudolphi, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 81 ff.
44 Zum Gedanken der Viktimodogmatik im Rahmen einer allgemeinen kriminal-

politischen Abwägung vgl. zunächst Schünemann in der Gießener Strafrechtslehrerta-


gung 1977, ZStW 90 (1978), 54 ff. und Amelung, GA 1977, 6 ff. Ferner Schünemann,
Festschrift für Bockelmann, S. 130 f.; ders., in: Schneider (Hrsg.), Das Verbrechensop-
fer in der Strafrechtspflege, S. 407 ff.; ders., Festschrift für Faller, S. 361 ff.; ders.,
NStZ 1986, 193 ff., 439 ff.; LK-ders., vor § 201, Rdn. 7; § 201, Rdn. 13, 24; § 202,
Rdn. 2, 13; § 202a, Rdn. 14 f.; § 203, Rdn. 16 f.; ders., in: Schünemann (Hrsg.),
Strafrechtssystem und Betrug, S. 61 ff.; s. w. N. in Roxin, Strafrecht AT 1, § 14, Rdn.
15 ff.
B. Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz 151

Die Tatsache, daß der Täter das Risiko selbst eingeht, kann ein Kriterium für
die Abgrenzung zwischen strafrechtlich relevanter Handlung und strafrechts-
freiem Raum oder nur eine Hilfe bei der Abgrenzung zwischen dolus eventualis
und bewußter Fahrlässigkeit sein. Im Straßenverkehr geht normalerweise der Tä-
ter eine Verletzungsgefahr selbst ein, so daß nur Fahrlässigkeit bei einer
unerlaubten Verhaltensweise zu bejahen wäre (außer, daß er etwa mit einem
Panzer auf der Straße fährt oder daß die tatsächlichen Verhältnisse ihn in eine
vorteilhaftere Position stellen, z. B. wenn der Täter mit einem großen LKW und
das Opfer mit einem kleinen Motorrad fährt).
Die Risikogewöhnung der Gesellschaft bezüglich bestimmter Handlungen
und die Entstehung neuer Risiken, die Unbekanntheit des Risikos oder die ge-
sellschaftliche Wahrnehmung bereits vorhandener oder neuer Risiken sind wei-
tere Aspekte, die bei der Interessenabwägung in die Waagschale fallen sollen.
Die Risikowahrnehmung der Gesellschaft folgt keinen mathematischen Regeln,
da die Medien und das soziale Sicherheitsempfinden nach den verschiedenen
Lagen und Lebensstandards unterschiedlichen Kriterien folgen. Eine reine quan-
titative Beurteilung wäre wohl nicht ausreichend, um alle Aspekte bei der recht-
lichen Werteinschätzung zu berücksichtigen. Das ist einer von mehreren Grün-
den, warum der Straßen-, Flug-, Bahn-, Schiffsverkehr oder der Verkauf von
Tabak erlaubt ist, während die Schaffung einer Aids-Ansteckungsgefahr im
Rahmen der oben geschilderten Konstellationen strafrechtlich relevant sein
sollte.45 Es sind in der heutigen modernen Lebensweise weitere Risiken vorhan-
den, die noch eine Ungewißheit bezüglich ihrer Schädlichkeit erweisen, wie
z. B. die Produktionsart bestimmter Lebensmittel, der Verzehr von Rindfleisch
im europäischen Raum, die Benutzung einiger medizinischer Früherkennungs-
methoden wie die Computertomographie oder die derzeit massive Benutzung
von Mobiltelefonen oder Mikrowellen. Die Ungewißheit des Risikos ist in sol-
chen Fällen mit dem Kriterium der Freiwilligkeit der Eingehung des Risikos zu
kombinieren. Beispielsweise entscheidet der Benutzer des Mobiltelefons freiwil-
lig, sich der Strahlung auszusetzen; demgegenüber kommt aber eine Exposition
von Nichtfreiwilligen bei der Errichtung von Basisstationen in Frage, allerdings
mit einer wesentlich niedrigeren Intensität als bei den Mobiltelefonbenutzern.
Langfristige Studien zur chronischen Exposition im Niedrigdosisbereich liegen
derzeit nicht vor,46 damit bleibt das Einordnen der Basisstationen im Rahmen
des erlaubten Risikos. Was den Bereich der Gentechnik bei Nahrungsmitteln
betrifft, ist er im europäischen Mark derzeit weniger offensiv als in den USA,
wo gentechnisch behandelte Pflanzen angebaut werden.47 Für die Eingehung

45 Vgl supra, bei Fn. 41 und 42.


46 Z. B. Slesin, Louis, in: Oberfeld (Hrsg.), Internationale Konferenz – Situierung
von Mobilfunksendern, S. 179.
47 Zu Thomas, in: Zwischen Fortschrittsoptimismus und Risikoscheu, TA-Daten-

bank-Nachrichten, Nr. 3/4, S. 120 ff.


152 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

dieses Risikos wird angeführt, daß es außerhalb der Wohlstandsgesellschaften


viele Regionen gebe, in denen die Gentechnik bei den Nahrungsmitteln das
Überleben vieler sicherstellen könne.48 Bei dieser Problematik bezieht man sich
auf eine spezielle Art von Abwägung, und zwar nun zwischen den Begriffen
„Fortschrittsoptimismus“ und „Risikoscheu“, was darauf hinweist, daß eine
Vielfalt von Aspekten bei der strafrechtlichen Interessenabwägung berücksich-
tigt werden müssen.
So ist beispielsweise das Servieren von Lebensmitteln erlaubt, solange man
die Sorgfaltsanforderungen eingehalten hat. Wie streng aber die Sorgfaltsregeln
sein müssen, hängt eher davon ab, um welche Risiken es geht. Handelt es sich
um ein neues, unbekanntes Produkt, werden die Sicherheitsmaßstäbe höher ge-
stellt, vor allem weil die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers niedrig sind.
Handelt es sich dagegen um das Servieren eines aus bekannten Zutaten zusam-
mengesetzten Salats, sind keine festgelegten Regeln über das Reinigen der Zu-
taten vorhanden, eher weil das Verletzungsrisiko niedrig ist, die Selbstschutz-
möglichkeiten größer sind, und dazu ginge es ggf. nur um eine leichte Körper-
verletzung und nicht um das Rechtsgut Leben. Mehrere Kriterien können also
bei der Beurteilung der Interessenabwägung in Betracht kommen.
Nicht außer Betracht sollte das Kriterium der Herrschaft des Täters über das
Opfer bleiben. Beispielsweise ist diese Herrschaft bei den Aids-Fällen49 und bei
Verletzungen durch die Einnahme bestimmter Lebensmittel größer, und das
zählt bei der Entscheidung zugunsten des Rechtsgüterschutzes und der straf-
rechtlichen Relevanz der Handlung.
Der Zeitpunkt des Eintritts der Folgen ist ein weiterer Aspekt, der bei der
Kosten-Nutzen-Saldierung in Betracht kommen soll: Das Risiko wird nämlich
kleiner empfunden je später die Folgen eintreten sollten, wie beispielsweise bei
der Übertragung der Krankheit BSE auf den Menschen durch den Verzehr von
infiziertem Rindfleisch. Die Ungewißheit des Risikos spielt auch hier eine Rolle
bei seiner Unterschätzung.
Nicht zuletzt könnten weitere Faktoren bei der Entscheidung über die Interes-
senabwägung eine Rolle spielen, wie die Verfügbarkeit von Sicherheitsvorkeh-
rungen,50 der Grad der Beeinflußbarkeit und Kontrollierbarkeit der Gefahr oder
das Interesse des Täters an Handlungsfreiheiten bei bestimmten Fall-
konstellationen. Wie sich aus den unterschiedlichen, zu berücksichtigenden
Aspekten ergibt, ist die Interessenabwägung keine genaue Formel, bei der der
Richter eine Lösung für alle Lebensbereiche finden sollte.51 Es handelt sich wie

48 Thomas, a. a. O.
49 Schünemann, Festschrift für Hirsch, S. 374.
50 Schünemann JA 1975, 576.
51 Schünemann JA 1975, 575: „kein Zauberhut“.
C. Die Interessenabwägung gegenüber der Figur des einsichtigen Menschen 153

die Materie, die sie regelt, um einen flexiblen Ansatz, der auch an den Einzel-
fall und den dem Wandel der Zeit unterliegenden Wertungen anzupassen ist.

C. Die Interessenabwägung gegenüber der


Figur des einsichtigen Menschen
Für die Ermittlung der Relevanz der Gefahr wird von der h. L. bei den Vor-
satzdelikten52 genauso wie bei den Fahrlässigkeitsdelikten53 darauf abgestellt,
ob ein einsichtiger Beobachter vor der Tat (ex ante) das entsprechende Verhal-
ten für riskant bzw. gefahrerhöhend gehalten hätte. Dabei wäre der Beobachter
mit dem etwaigen Sonderwissen des konkreten Täters auszustatten. Wenn also
jemand einem anderen zu einer Flugzeugreise rät und dabei weiß, daß ein Atten-
tat auf das Flugzeug geplant ist, hätte er die Todesgefahr geschaffen und wäre
wegen Mordes oder Totschlags zu bestrafen, wenn der Reisende beim Attentat
umgebracht wird.54
Wie bereits geschildert, ist die Abwägung unterschiedlicher Interessen ein
flexibles und ein wirklichkeitbezogeneres Kriterium für die Setzung von Unter-
grenzen strafbaren Verhaltens. Demgegenüber werden bei der Anwendung der
Figur des einsichtigen Menschen keine Kriterien etabliert, die auf die Vielfalt
der realen Fallkonstellationen im Einzelnen anzuwenden wären. Es handelt sich
nur um eine ideale Maßfigur, deren Komponenten noch im Dunkeln bleiben
und die deshalb Willkür hervorrufen können.55 Die Interessenabwägung verliert
dagegen durch ihre einzelnen Anwendungskriterien nicht an Allgemeinheit,
diese passen sich an alle gleichstehenden Fällen an. Sie ist ferner ein vorrecht-
licher, empirischer Aspekt der Außenwelt, der vom Recht nicht unberücksichtigt
gelassen werden sollte. Das Kriterium der Interessenabwägung gilt allerdings
nur für die Bestimmung der Erlaubtheit oder Unerlaubtheit der Gefahr. Ob eine
Gefahr für ein Rechtsgut überhaupt vorliegt, ist eine weitere rechtliche Ent-
scheidung, die weitere Kriterien erfordern wird.56

52 Krey, Strafrecht AT 2, § 51, Rdn. 538; Maurach/Zipf, Strafrecht AT I, § 18, Rdn.

32 f. (zur Adäquanztheorie); Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 50; Welzel, Das Deut-
sche Strafrecht, S. 132.
53 Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 32.
54 Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 50.
55 Gegen die Figur des objektiven Beobachters vgl. allgemein die Ausführungen

der Vertreter der sog. individualisierenden Fahrlässigkeitslehre, z. B. Jakobs, Studien,


S. 85; ders., La imputación objetiva en Derecho penal, Madrid, S. 133; Duttge (infra,
§ 6 Fn. 219); ferner Schünemann, JA 1975, 575 ff.; Struensee, JZ 1987, 57; AK-
StGB-Zielinski, §§ 15, 16, 95, S. 509; Corcoy Bidasolo, El delito imprudente, Barce-
lona, S. 135 ff.; Gracia Martín, El “iter criminis”, Cuadernos de Derecho judicial,
Madrid, S. 279 f.; Paredes Castañón, El riesgo permitido en Derecho Penal, Madrid,
S. 331 ff.; Burkhardt, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 106 ff., 109.
56 Vgl. infra, § 6 D.
154 § 4 Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

Etwaige Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit einer solchen Interessenabwä-


gung mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot57 werden ferner da-
durch ausgeräumt, daß man diese allgemeine Richtlinie zur Auslegung der
Fahrlässigkeitsnorm mit einzelnen Anwendungskriterien konkretisiert, vgl. dazu
supra, § 4 B.
Der Finalismus hatte auch die Interessenabwägung zwar nicht unter dieser
Terminologie, aber hintergründig bei den Fahrlässigkeitsdelikten und sogar bei
der Sozialadäquanz als Kategorie des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts be-
nutzt.58 Da die Sozialadäquanz bei ihm eine Ausnahme in seinem monistischen
System war, bezog sich die Abwägung eher nur auf die Fahrlässigkeitsdelikte,
zumal Welzel auf ontologischen Unterschieden zwischen Vorsatz- und Fahrläs-
sigkeitsdelikten bestand: Sorgfaltsregeln galten nur im Bereich der Fahrlässig-
keitsdelikte, da beide Deliktsarten ontologisch anders zu betrachten waren. Für
die neueren Tendenzen in der Theorie der objektiven Zurechnung sind dagegen
die Vorsatzdelikte sozusagen eine Untergruppe der Fahrlässigkeitsdelikte: Sie
sind quasi das nachgeordnete Prinzip des systematisch vorgeordneten Prinzips
der Fahrlässigkeit. Die Kosten der Nichtvornahme bestimmter Vorsatzhandlun-
gen (d. h. der Nutzen der Handlung) werden genauso hoch wie bei den Fahrläs-
sigkeitsdelikten veranschlagt.

57 Ausführlich und kritisch zu diesem Problem Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte,

S. 144 f., 210 ff.


58 Vgl. die Problematik supra, § 2 B, § 2 E.
§ 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

A. Ratio der Vorsatzstrafe, Schwererbewertung


des Vorsatzes

I. Relevanz einer Begründung

Bei der Untersuchung des Problems, ob die Zurechnungskriterien gleich für


die Vorsatz- wie für die Fahrlässigkeitstaten funktionieren sollten, aber auch für
die Formulierung des Vorsatzbegriffs1 ist die Erörterung der Gründe für die
Schwererbewertung des Vorsatzes unentbehrlich. Der Gesetzgeber hat nämlich
für die Fahrlässigkeitsdelikte einen deutlich niedrigeren Strafrahmen vorgese-
hen. Dazu haben nicht alle Vorsatzdelikte eine entsprechende Fahrlässigkeits-
form, sondern die fahrlässige Tatbegehung ist nur strafbar, wenn dies im Gesetz
bestimmt ist (§ 15 StGB), d. h. es ist eine ausdrückliche Entscheidung des Ge-
setzgebers für eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit erforderlich.

II. Stand der Diskussion

1. Die aus der Sicht der finalen Handlungslehre angegebene Begründung für
die Schwererbewertung des Vorsatzes in der finalen Steuerung des Geschehens2
leidet an dem Mangel, der dem Finalismus überhaupt anhaftet, nämlich daß der
Vorsatzbegriff mit der ontischen Finalität identifiziert wird. Sowohl der Vorsatz-
begriff als auch der Grund der hervorgehobenen Vorsatzbestrafung werden da-
gegen in einem wertungsorientierten System bzw. in rechtlichen Kriterien ihre
Wurzeln finden müssen.
2. Eine andere Ansicht bietet demgegenüber die Begründung, daß der Vor-
satztäter sich für die Rechtsgutsverletzung entscheidet.3 Allerdings ist der Be-
griff der Entscheidung gegen das Rechtsgut in den realen Fällen vor allem des
dolus eventualis schwer konkretisierbar.

1 Vgl. infra, § 5 C II 2.
2 Vgl. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 33 ff., 37 f., 64 ff.; Armin Kaufmann,
Normentheorie, S. 69 f.; ders., ZStW 70 (1958), 64 ff. u. a.
3 Vgl. z. B. Roxin, JuS 1964, 58; Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 8, Rdn. 66; SK-

Rudolphi, § 16, Rdn. 39 m. w. N.


156 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

Ferner wird als Begründung angegeben, daß die Vermeidung nicht erkannter
Erfolge eine größere Leistung darstellt als die Unterlassung vorsätzlicher Hand-
lungen.4 Aus diesem Ansatz ist richtigerweise die Idee zu entnehmen, daß das
Täterwissen die Appellfunktion des Vorsatzes auslöst und eine höhere Verant-
wortlichkeit begründet.
3. Weiterhin betont Zielinski, daß die Fahrlässigkeitsdelikte keine ausformu-
lierten Straftatbestände enthalten, so daß er die Schuld beim Vorsatz- schwerer
als beim Fahrlässigkeitsdelikt ansieht, weil der Vorsatztäter die Normwidrigkeit
seines Handlungsprojekts infolge der Existenz einer dieses beschreibenden ge-
setzlichen Verhaltensnorm leichter erkennen könne.5
4. Frisch geht bei seiner ausführlicheren Behandlung der Ratio der Vorsatz-
strafe in den 80er Jahren einerseits von zweckrationalen und andererseits von
wertrationalen Gründen aus und kombiniert die Begründung aus mehreren Kri-
terien: die speziell vom Vorsatztäter ausgehende Gütergefährlichkeit wegen der
bewußten Entscheidung gegen das Rechtsgut (zweckrationaler Grund); und die
besonders gewichtige personale Fehlleistung, die im Vorhandensein einer erhöh-
ten Vermeidemacht durch die Kenntnis des Verhaltens in seinen tatbestandsrele-
vanten Dimensionen bestünde (wertrationaler Grund).6 Der zweckrationale
Aspekt werde von der Rechtsgüterschutzaufgabe des Strafrechts und vom
Zweck des staatlichen Strafens gekennzeichnet. Der Rechtsgüterschutz werde
durch die generalpräventive und spezialpräventive Wirkung der Strafe erreicht.
Diese Gründe des Strafeinsatzes würden auf den Vorsatztäter im besonderen
Maße zutreffen: Was den generalpräventiven Aspekt betrifft, erschüttere vor-
sätzliches Handeln die Rechtstreue und das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit
der Rechtsordnung eher und stärker als fahrlässiges. Ein Verzicht auf eine staat-
liche Reaktion komme deshalb hier mit Blick auf die angedeuteten Gefahren
offenbar weniger in Betracht. Bezüglich des spezialpräventiven Aspekts verkör-
pere der Vorsatztäter offenbar dasjenige Subjekt, das typischerweise eher in be-
sonderem Maße der Strafe bedürfe.7
Für den wertrationalen Grund nimmt Frisch Bezug nun nicht auf die Zwecke,
sondern auf die Legitimation staatlichen Strafeinsatzes und damit auf die Vor-
aussetzungen des Strafeinsatzes. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit des
Strafeinsatzes zum Rechtsgüterschutz i. S. der Generalprävention würde zu sei-
ner Legitimation nicht ausreichen, dazu müsse die Strafe das angemessene Mit-
tel sein. Dabei müsse ein spezifisch personaler Bezug des Täters („personale
Fehlleistung“) zu jener Tat gefordert werden, zu deren sozialpsychologischer
„Entschärfung“ (i. S. der bewirkten sozialpsychologischen Schäden für die

4 So SK-Samson, Anh zu § 16, Rdn. 36.


5 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 10, 13.
6 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 47–54, 96–114.
7 A. a. O., S. 49, 102.
A. Ratio der Vorsatzstrafe, Schwererbewertung des Vorsatzes 157

Rechtstreue und das Vertrauen) auf ihn Zugriff genommen werden solle. Diese
personale Fehlleistung gegenüber den Anforderungen des Rechts sei unverzicht-
bares Legitimationserfordernis auch der Bestrafung vorsätzlichen Handelns, und
sie müsse typischerweise größer sein als beim fahrlässigen Verhalten.8 Der
Grund der erhöhten Fehlleistung liege in der Nichtausnutzung einer Vermeide-
macht, die im Falle des Wissens gegenüber dem Fall des Nichtwissens typi-
scherweise erhöht sei. Wer um jene Dimension seines Verhaltens wisse, die den
Anlaß zum gesetzlichen Verbot gebe, könne die Tat mit Blick auf die Anforde-
rungen des Rechts eher vermeiden und damit dem Normbefehl leichter nach-
kommen als der, dem diese Kenntnis abgehe und der die relevante Gefährlich-
keit noch gar nicht erfaßt habe. Er verfüge bereits über Voraussetzungen der
Normbefolgung, die der andere sich noch schaffen müsse.9
Ferner geht Frisch der Frage nach, ob das Wissen über die Tatbestandsver-
wirklichung auch erhöhte Bedürfnisse für den Strafeinsatz weckt. Der Vorsatz-
täter zeige durch seine Tat, daß er den Konflikt der Interessen nach anderen
Maßstäben entscheide als die Rechtsordnung. Er handele, wo die Rechtsord-
nung zum Rechtsgüterschutz Abstandnahme von der Handlung fordere. Seine
Entscheidung zum Handeln sei in diesem Sinne eine Entscheidung gegen das
Rechtsgut. Die „Entscheidungsformel“ wird von Frisch präzisiert: Es gehe um
eine Entscheidung gegen die Verhaltensnormen.10
Wiederum signalisiere die Entscheidung nach abweichenden Prinzipien und
damit gegen das Rechtsgut eine typischerweise erhöhte Gütergefährlichkeit.
Von dem Täter sei nicht nur versehentlich falsches oder aus Leichtfertigkeit
falsches Handeln zu erwarten, er entscheide u. U. auch dort anders, wo er ei-
gentlich alles erfaßt habe, worauf es ankomme. Dabei bezieht sich Frisch nicht
nur auf das konkret gefährdete Rechtsgut, sondern auf einen allgemeinen Ge-
fährdungszustand aufgrund der eröffneten Möglichkeit der Ansteckung und Ver-
unsicherung. Nach seiner Auffassung sei die Erschütterung des Vertrauens in
die Geltung der Rechtsordnung und damit die Gefahr für deren Anerkennung
und Befolgung, also letztlich der Gefährdungszustand für die Rechtsgüter, alle-
mal größer, wenn sich die Tat nicht nur als Ausdruck eines Versehens, mangeln-
der Sorgfalt, Schlamperei usw., sondern als Ausdruck einer bewußten Entschei-
dung der Person entpuppe. Die Einsicht, daß unter uns jemand sei, der sich bei
seinen Entscheidungen an anderen Wertmaßstäbe halte, verunsichere und er-
schüttere besonders.11 Bei seinem Kriterium der erhöhten Gütergefährlichkeit
geht es also letztendlich um die Idee der Generalprävention.

8 A. a. O., S. 51 f., 103 f.


9 A. a. O., S. 97, 112.
10 A. a. O., S. 98 f., 111; vgl. ferner Freund, Strafrecht AT, § 7, Rdn. 38.
11 A. a. O., S. 99 f., 111 f.
158 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

Schließlich erweise sich die Entscheidung abweichend von den tatbestands-


relevanten Verhaltensnormen im Verhältnis zum Mißbrauch erhöhter Vermeide-
macht nach der Ansicht Frischs als vorzugswürdig, weil dieser letzte Aspekt
doch graduierbar sei und deshalb nur als Kriterium zu Korrekturen dienen
solle.12
Aus dem Konzept von Frisch ist richtigerweise die Idee der erhöhten Vermei-
demacht zu entnehmen, die einem wesentlichen empirischen Aspekt des Ge-
schehens aus einer wertungsorientierten Perspektive rechtliche Relevanz zu-
spricht. Demgegenüber sind der Schwerpunktsetzung auf die Gütergefährlich-
keit im Sinne der Verunsicherung der Rechtsordnung und der Idee einer
erhöhten Bestrafung zugunsten der Geltung der Rechtsordnung die bereits ge-
genüber der Lehre von Jakobs vorgebrachten Einwände entgegenzusetzen.13
5. Die von Jakobs angegebenen Gründe für die hervorgehobene Bestrafung
vorsätzlichen Handelns beruhen auf seiner Ansicht zur Funktion des Strafrechts
und können in drei Stichpunkte gefasst werden: Normwiderspruch, Akzeptabili-
tät der Tatfolgen und fehlendes Selbstschädigungsrisiko beim Vorsatztäter. Die
herausgehobene Vorsatzbestrafung würde sich dadurch erklären, daß der Vor-
satztäter der Verhaltensnorm widerspreche und damit normbefolgungsunwillig
sei, während der Fahrlässigkeitstäter die kognitiven Anwendungsbedingungen
der Norm unrichtig einschätze, aber noch Normbefolgungsbereitschaft zeige.
Der vorsätzliche Täter setze seine Behauptung darüber, wie die Welt richtig zu
gestalten wäre, gegen die Behauptung der Norm. Demgegenüber würde der Tä-
ter einer „ungerichteten“ Fahrlässigkeit der Norm nur mittelbar widersprechen.
Er würde sich nicht gegen die Norm selbst erklären, sondern nur gegen deren
kognitive Anwendungsbedingungen. Der Täter erkenne beispielsweise, daß er
fremde Integrität nicht verletzen solle; der Unfall geschehe dann aufgrund sei-
ner Unaufmerksamkeit.14
Bei dieser Differenzierung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsbestrafung
muß man allerdings berücksichtigen, daß Jakobs im Fahrlässigkeitsbegriff nur
die von ihm sogenannte ungerichtete Fahrlässigkeit einschließt. Dabei würde es
sich um eine allgemeine, in den Folgen diffuse, ungerichtete Unaufmerksamkeit
im Gegensatz zur von ihm sogenannten gerichteten Fahrlässigkeit handeln, bei
der die Unkenntnis des skrupellosen Täters auf einem spezifischen Desinteresse
an einer Kenntnisnahme, also auf Tatsachenblindheit, beruhen würde und es
deshalb um Vorsatz anstatt um Fahrlässigkeit gehen würde.15

12 A. a. O., S. 109 f.
13 Vgl. dazu supra, § 3 C V.
14 Jakobs, ZStW 101 (1989), 527 ff.
15 Über die Figur der Tatsachenblindheit siehe § 3 C V 2 b) cc); § 3 E; § 5 C II 1;

§ 6 D I m. w. N.
A. Ratio der Vorsatzstrafe, Schwererbewertung des Vorsatzes 159

Die Vorsatztheorie von Jakobs wird in der Regel unter die Vorstellungstheo-
rien eingegliedert,16 allerdings begründet er die Schwererbewertung der Vor-
satztat nicht nur durch das kognitive Element, wie er selbst erkennt,17 sondern
auch durch ein eher als Willenskomponente zu charakterisierendes Element der
„Akzeptabilität der Tatfolgen“. So würde der Fahrlässigkeitstäter anders als der
Vorsatztäter die Folgen seines unaufmerksamen Verhaltens nicht akzeptieren.
Dies würde sich darin zeigen, daß er mit seinem Verhalten das Risiko einer
poena naturalis tragen würde, d. h. auch selbst Geschädigter zu sein oder aber
ein anderer, dessen Schädigung er wie eine eigene Schädigung miterleiden
würde.18
Das Differenzierungskriterium der Akzeptabilität bzw. Nichtakzeptabilität der
Tatfolgen scheint mit Hilfe weiterer Kriterien überzeugend zu sein. Der Fahrläs-
sigkeitstäter lehnt die rechtsgutsverletzenden Folgen seines Verhaltens ab, wäh-
rend der Vorsatztäter ihre Verwirklichung annimmt, sonst würde er bei der vor-
handenen Folgenkenntnis gar nicht handeln. Ansonsten ist es nicht eindeutig,
wie die Wahrscheinlichkeitstheorie des Vorsatzes, die nur auf die Wissenskom-
ponente abstellt, auf diese Willenskomponente bei der Differenzierung der Be-
wertung der Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat zurückgreift.
Gegen das Kriterium des Normwiderspruchs seitens des Vorsatztäters ist da-
gegen anzuführen, daß es im Strafrecht um den realen Rechtsgüterschutz und
nicht primär um die Geltung der Verhaltensnorm geht.19 Deshalb kann die Ver-
neinung der Norm nicht der entscheidende Aspekt für die Schwererbewertung
der Vorsatztat sein. Zugleich manifestiert die Gleichgültigkeit des Täters keine
Behauptung gegen die Verhaltensnorm eines Vorsatzdelikts, vielmehr äußert
sich der Täter skrupellos bezüglich der Aneignung der erforderlichen Kennt-
nisse, um die Tatsituation besser einzuschätzen. So hätte sich der betrunkene
Autofahrer Gedanken über die Tatsituation im oben erwähnten Rechtspre-
chungsfall machen müssen, entweder um weitere Tatkenntnisse zu erlangen
oder die Konsequenzen seines Handelns besser einzuschätzen, nämlich daß der
Polizist nicht rechtzeitig auf die Seite springen und deshalb ums Leben kommen
könnte. Dies widerspricht eher der Norm eines Fahrlässigkeitsdelikts.

16 Vgl. infra, § 5 C II.


17 Jakobs selbst führt an, daß die Bedingungen des Erkenntnisakts nicht nur intel-
lektueller Art wären, vgl. Strafrecht AT, 8/22.
18 Jakobs, Strafrecht AT, 8/5; ders., in: Witter (Hrsg.), Der psychiatrische Sachver-

ständige im Strafrecht, S. 271 ff., 277 f.


19 Siehe supra, § 4 A.
160 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

III. Steuerung der Sozialschädlichkeit

Die hier vertretene Begründung für die hervorgehobene Vorsatzstrafe geht


von einer zweck- und wertorientierten Basis aus, die aber die tatsächliche Be-
ziehungsart des Handelnden zu seiner Tat als empirische Grundlage berücksich-
tigt:
Die Kenntnis der Sozialschädlichkeit bzw. der Fähigkeit zur Rechtsgutsob-
jektsverletzung durch eine Handung impliziert zwar deren tatsächliche Steue-
rung. Der Vorsatztäter weiß von der Sozialschädlichkeit seines Handelns, er löst
sie aus, und deshalb steuert er das ganze Geschehen. Die aktuelle Steuerung
führt dazu, daß der Vorsatztäter die Tatherrschaft20 besitzt und damit der primär
Verantwortliche für die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens ist. Die vom Ge-
setzgeber für relevant gesetzten Gesichtspunkte eines strafrechtlichen Tatbestan-
des müssen vom Vorsatztäter tatsächlich gekannt werden. Die Tatkenntnis er-
möglicht ihm, das Geschehen zu überblicken und steuern zu können.
Da die aktuelle Steuerungsfähigkeit sich aus der Kentnnis des Täters von der
Sozialschädlichkeit ergibt, muß der Vorsatz die Sozialschädlichkeit umfassen.
Dies war nach dem früher herrschenden Strafrechtssystem nicht begrifflich not-
wendig, als der Vorsatz nicht zum Unrecht gerechnet wurde. Die Sozialschäd-
lichkeit wurde später im Unrechtsbegriff erfaßt, und die Beziehung des Täters
zu seiner Tat wird nun in der Schuld behandelt. Heute ist der Vorsatz durch
seine Lozierung im Unrechtsbereich ein Teil der Sozialschädlichkeit, so daß es
darin nun zwei Komponenten gibt: die Sozialschädlichkeit des außenweltlichen
Geschehens und die Kenntnis des Täters von der Sozialschädlichkeit.
Kennt der Täter die Sozialschädlichkeit seines Handelns, kann er niemals die
Vermeidung, sondern nur die Herbeiführung der Rechtsgutsverletzung bezwek-
ken. Demgegenüber steuert der Täter die auf unaufmerksames Verhalten zurück-
zuführende Sozialschädlichkeit nicht. Auch wenn ihm die Möglichkeit der Tat-
bestandsverwirklichung bewußt ist, beherrscht er sie bei vorhandenem – berech-
tigten21 – Vermeidungswillen nicht. Deshalb hat das Element der Steuerung der
Sozialschädlichkeit bei der Fahrlässigkeit eine schwächere Form oder ist gar
nicht vorhanden.
Bei einem verdünnten Wissenselement besitzt ferner das Täterwissen noch
nicht die erforderliche Kraft, die eine Vorsatzbestrafung erfordert. Es käme
trotzdem Vorsatz- und nicht Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht, wenn der
Täter neben der Möglichkeitsvorstellung der Tatbestandsverwirklichung eine
besondere subjektive Einstellung bezüglich der Gefährlichkeit seiner Tat (bzw.

20 Über den Begriff der Tatherrschaft siehe infra, § 5 C II 2 a) cc) (1) (a), mit Ver-

weis auf Schünemann, vgl. infra, Fn. 79.


21 Vgl. zu dieser Voraussetzung infra, § 5 C II 2 a) cc) (2).
A. Ratio der Vorsatzstrafe, Schwererbewertung des Vorsatzes 161

bei Tätigkeitsdelikten bezüglich der Möglichkeit der Tatbestandverwirklichung)


hätte. Erreicht diese Einstellung aus der Perspektive des Rechtsgüterschutzes die
Grenzen des Unerträglichen, ist Vorsatzstrafbarkeit angezeigt. Zur Erörterung
der Kriterien, durch die man bestimmt, ob die Einstellung des Täters bezüglich
der Wirkung seiner Tat auf das Rechtsgut die Grenzen des für eine Fahrlässig-
keitsstrafbarkeit noch Erträglichen überschritten hat, wird auf das Thema des
Vorsatzbegriffs verwiesen.22
Damit kann die geschilderte rechtsgüterfeindliche Einstellung des Täters auch
dann einen Grund für die Schwererbewertung des Vorsatzes in solchen Konstel-
lationen bilden, bei denen eine Tatherrschaft durch sicheres Wissen nicht gesi-
chert ist, aber die Einstellung des Täters einen unerträglichen negativen Gehalt
gegenüber dem Rechtsgut verkörpert.
Das hier vertretene kombinierte Kriterium für die Schwererbewertung des
Vorsatzes geht also einerseits von einem bestimmten Vorsatzbegriff aus, und
zwar einem, der die empirische, psychologische Beziehung des Täters zu seiner
Tat prinzipiell berücksichtigt und diese rechtlich bewertet, und andererseits vom
Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts.23 Der Vorsatzbegriff und die Be-
gründung der Schwererbewertung des Vorsatzes sind dabei eng miteinander ver-
bunden. Der doppelte Bezug auf die erforderlichen Kenntnisse der Sozialschäd-
lichkeit des Verhaltens und auf die rechtsgüterfeindliche Tätereinstellung setzt
eine Verbrechenslehre voraus, die sich primär auf die Idee bzw. den Zweck des
Rechtsgüterschutzes bezieht. Nicht zutreffend ist es dagegen, die Grundlage des
Strafrechts primär auf die Geltung der Normen an sich zurückzuführen.
Darüber hinaus ergibt sich aus dieser zweck- und wertorientierten Begrün-
dung der Schwererbewertung des Vorsatzes, daß die Risikoanforderungen wie-
derum beim Unrecht des Vorsatz- und des Fahrlässigkeitsdelikts unterschiedlich
anzusetzen sind und daß damit die Untergrenzen der Strafbarkeit bzw. der Zu-
rechnungskriterien unterschiedlich zu ziehen sind.
Ferner sind damit solche Ansichten abzulehnen, die eine Steuerung des Ge-
schehens auch bei unbewußten Tatfolgen,24 bei Kenntnis nur der Möglichkeit
der Tatbestandsverwirklichung25 oder umgekehrt nur bei absichtlichem Han-
deln26 annehmen.
Gegen eine Begründung der Schwererbewertung des Vorsatzes mit der Idee
der Steuerung des Geschehens durch Wissen erwidert allerdings Frisch: 1. daß

22 Vgl. infra, § 5 C II.


23 Vgl. dazu die Ausführungen infra, § 5 C II und supra, § 4 A.
24 Siehe u. a. Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 6, Rdn. 7 f. m. w. N.
25 Vgl. z. B. Engisch, Festschrift für Kohlrausch, S. 155 ff.; Gallas, ZStW 67

(1955), 42; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 162 ff.


26 So z. B. Schmidhäuser, ZStW 66 (1954), 34 ff.
162 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

es dabei um ein ontologisch strukturiertes Element neben dem normativen Da-


tum des „tatbestandsrelevanten Risikos“ gehen würde, ähnlich wie bei der vom
Finalismus zu Unrecht bejahten Identität zwischen der Finalsteuerung und dem
Vorsatzbegriff; und 2., daß das tatbestandsrelevante Risiko durch Abwägung der
je kollidierenden Interessen unabhängig vom Wissensdatum festzulegen sei:
„Wäre das normrelevante Risiko entsprechend hoch angesetzt, bedeute dies,
daß Handlungen unterhalb dieser Risikomarke auch bei Wissen des Täters um
die entsprechenden (normativ nicht ausreichenden) Risiken nicht als gesteuerte
Herbeiführung der Folgen angesehen werden könnten; wären dagegen schon
Handlungen mit relativ geringfügigem Risiko verboten, so wäre der Bereich ge-
steuerter Erfolgsherbeiführungen entsprechend größer“27. Dabei geht Frisch
aber von der aus einer zweck- und wertorientierten Perspektive als unzutreffend
anzusehenden Prämisse aus, daß eine Interessenabwägung zwischen Rechtsgü-
terschutz und Handlungsfreiheit auch bei sicherem Wissen über die Tatbe-
standsverwirklichung durchzuführen sei und daß die effektiv bestehende tatsäch-
liche Steuerung des Geschehens dadurch „auszuschalten“ wäre. Damit würde
die Entscheidung über die Mißbilligung des Risikos unrichtigerweise auch bei
Bestehen sicheren Wissens und damit effektiver Tatherrschaft noch von einer
weiteren Interessenabwägung abhängig gemacht, die m. E. nur bei unsicherem
Wissen und deshalb „reduzierter Tatherrschaft“ sinnvoll ist. Der Einwand von
Frisch, daß das Steuerungsprinzip mit den normativen Vorgaben, der normati-
ven Vorstrukturierung des Vorsatzbegriffs unvereinbar wäre, trifft ferner für das
hier vertretene Konzept nicht zu: Die Steuerung des Geschehens im Sinne der
Tatherrschaft mit einem Ausschluß möglicher strafrechtsfreier Räume ist eine
auf zweck- und wertorientierten Aspekten fundierte Grundlage für den Vorsatz-
begriff. Diese Themen sind Gegenstand der folgenden Ausführungen.

B. Interessenabwägung auch für die Zurechnung


beim Vorsatzdelikt? Unterschiedliche Zurechnungskriterien
für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte

Die für die strafrechtliche Bewertung eines Verhaltens erforderliche Abwä-


gung der in Betracht kommenden Interessen muß für Vorsatzdelikte anders als
für Fahrlässigkeitsdelikte ausfallen. Führt der Täter die Handlung mit Wissens-
herrschaft oder mit dem Hauptziel aus, das Rechtsgut zu verletzen, ist es krimi-
nalpolitisch nicht sinnvoll, zusätzlich noch eine Abwägung zwischen dem Inter-
esse des Täters an der Freiheit, diese Handlung auszuüben, und dem Interesse
am Rechtsgüterschutz vorzunehmen. Anders als bei Verhaltensweisen mit Ver-
meidewillen verdient eine etwaige Kosten-Nutzen-Saldierung zur Abgrenzung

27 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 109.


B. Interessenabwägung auch für die Zurechnung beim Vorsatzdelikt? 163

von Freiheitssphären keine Berücksichtigung, wenn man in Betracht zieht, daß


das Interesse des Vorsatztäters an seiner Handlungsfreiheit nach einer (straf-)
rechtlichen Wertung nicht respektiert werden kann, weil die (von ihm erkannte,
ggf. beherrschte oder zumindest als einziges verfolgte) Beeinträchtigung von
Rechtsgütern nach dem allgemeinen Schädigungsverbot (neminem laede)28 zu
vermeiden ist.
Die zur Ableitung der Sorgfaltspflichten bei den Fahrlässigkeitsdelikten ange-
zeigte Respektierung von Handlungsfreiheiten des Handelnden kann also in An-
betracht der vom Vorsatztäter verfolgten Verletzungszwecke keine Anwendung
finden. Die Einräumung von breiten Handlungsfreiheitssphären bei bestehen-
dem Wissen über die Rechtsgutsverletzung wäre verfehlt, weil das Wissen von
der Sozialschädlichkeit der Handlung und ihrer Folgen eine gesteigerte Steue-
rung des Geschehens und damit die Unerlaubtheit des Verhaltens begründet.
Verfügt der Täter über Wissen (bzw. das sog. Sonderwissen) von der bevorste-
henden Rechtsgutsverletzung und besitzt er dadurch Tatherrschaft über das Op-
fer und das Geschehen (Wissensseite des Vorsatzes), oder hat er gegebenenfalls
eine rechtsgüterfeindliche Einstellung (Wollensseite des Vorsatzes),29 kann seine
auf eine Rechtsgutsverletzung gerichtete Handlung aus keinen normativen Er-
wägungen über Untergrenzen der erforderlichen Sorgfalt heraus als nicht-tatbe-
standsmäßig betrachtet werden. Natürlich muß das Mittel objektiv tauglich sein,
um das Rechtsgut zu verletzen, bzw. die Täterkenntnisse müssen so beschaffen
sein, daß sie ihm eine Beherrschung des Geschehens sichern können.30 In die-
sem – engeren – Sinn gibt es also auch beim Vorsatzdelikt eine Untergrenze des
strafbaren Verhaltens, die man vielleicht mit dem Ausdruck „Steuerbarkeit“ er-
fassen könnte.
Eine eigentliche Interessenabwägung ist dagegen nur bei solchen Handlungen
am Platze, die nicht eine vorsätzliche Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung,
sondern deren Vermeidung – „berechtigt“31 – verfolgen (fahrlässige Handlun-
gen). Deshalb hat das erlaubte Risiko bei Fahrlässigkeits- und bei Vorsatzdelik-
ten unterschiedliche Dimensionen: Das aus der Verwendung bestimmter Mittel
oder aus der Art der Handlung entstandene Risiko wird im Bereich sozialnütz-
licher bzw. sozialakzeptierter Handlungen ggf. erlaubt sein, solange die Hand-
lung nicht eine Rechtgutsverletzung bezweckt. Die Sorgfaltsnorm richtet sich
an eine Handlung, die nicht eine Rechtsgutsverletzung, sondern andere Ziele
verfolgt. Bei vorhandenem Vermeidewillen erstreckt sich also der strafrechtliche

28 Vgl. dazu Schiemann, JuS 1989, 345 ff.; W. Lübbe, ARSP-Beiheft 74 (2000),

73 ff.
29 Vgl. zum Vorsatzbegriff infra, § 5 C II.
30 Siehe dagegen die Beispiele infra, § 5 C I und die Erwägungen zum untaugli-

chen und abergläubischen Versuch infra, § 5 C I; § 6 B II 2 b) dd) (4); § 6 D II und


III.
31 Vgl. zu dieser Voraussetzung infra, § 5 C II 2 a) cc) (2).
164 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

Rechtsgüterschutz nicht auf jede Gefährdung. Die Risikoabwägung geht dabei


von einer Handlung aus, die einen Nutzen bringt oder aus unterschiedlichen
Gründen einfach sozialakzeptiert ist, und sie ist deshalb u. U. erlaubt. Dagegen
sind die Ziele des Vorsatztäters nicht solche, die bei der für die Erlaubnis der
Handlung vorgenommenen Interessenabwägung zugunsten der Handlungsfrei-
heit zu Buche schlagen können.
Ferner sieht der Gesetzgeber nur in Einzelfällen eine Strafbarkeit wegen fahr-
lässiger Tatbegehung vor, so daß strafrechtliche Sorgfaltspflichten nur in drin-
genden Fällen existieren. Beispielsweise ist die vorsätzliche Sachbeschädigung
strafbar, während es keine strafrechtlich relevanten Sorgfaltspflichten bezüglich
der Schädigung fremden Eigentums gibt. So ist die vorsätzliche Beschädigung
eines Außenspiegels eines geparkten Fahrzeugs unter Strafe gestellt. Dagegen
besteht keine strafrechtliche Sorgfaltspflicht eines Passanten bezüglich eines
Außenspiegels, so daß ein Fußgänger nicht strafrechtlich verantwortlich ge-
macht werden kann, wenn er zwischen zwei parallel geparkten Fahrzeugen
durchgeht und dabei unvorsichtigerweise einen Außenspiegel beschädigt.
Ist vom Gesetzgeber sowohl die Vorsatz- als auch die Fahrlässigkeitsform
eines Delikts unter Strafe gestellt, sind Differenzierungen bei der Beurteilung
der strafrechtlichen Relevanz der unterschiedlichen Begehungsweisen oft vorzu-
nehmen. Der in der Einleitung geschilderte Fall der Bergwanderung unter Dro-
hung bildet ein Beispiel der Erforderlichkeit unterschiedlicher Zurechnungskri-
terien für die Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte. Man kann auch an folgende
Fallkonstellationen denken: Einige Nachbarn beteiligen sich an einem Fußball-
spiel, wobei einer von ihnen weiß, daß ein Mitspieler Bluter ist. Er attackiert
ihn absichtlich körperlich, so daß er den Tod des Bluters verursacht. Das ent-
sprechende Fahrlässigkeitsdelikt wäre zu verneinen, da niemand sich darum zu
kümmern braucht, ob die Gegenspieler Bluter sind oder nicht. Könnte der
Nachbar aufgrund seiner Ausbildung bei entsprechender Prüfung erkennen, daß
der Mitspieler Bluter ist, würde er also nicht sorgfaltswidrig handeln, weil eine
solche Prüfungspflicht nicht besteht. Dazu könnte man an eine eigenverantwort-
liche Selbstgefährdung des Bluters denken. Dagegen wäre die vorgenannte
Handlung bei vorhandenem Wissen des Nachbarn als vorsätzliche Tötung zu
beurteilen, und dafür würde die Selbstgefährdung des Bluters oder die Sozial-
adäquanz von körperlichen Angriffen im Rahmen eines Fußballspieles kein
Hindernis darstellen: Wenn jemand weiß, daß ein anderer Bluter ist, darf er sol-
che gefährlichen Handlungen, die ohne dieses Wissen keine Sorgfaltswidrigkeit
begründen würden, nicht vornehmen.32

32 Ähnliches Beispiel von Schünemann in der Diskussion auf einem Symposium in

Barcelona in 1998, vgl. Roxin/Jakobs/Schünemann/Frisch/Köhler, Sobre el estado de


la teoría del delito, Madrid, S. 187. Demgegenüber bleibt für Jakobs selbst ein ab-
sichtlicher körperlicher Angriff auf einen Bluter in einem Rugbyspiel im Rahmen des
erlaubten Risikos, d. h. das Sonderwissen soll bei der strafrechtlichen Beurteilung
B. Interessenabwägung auch für die Zurechnung beim Vorsatzdelikt? 165

Ferner ist die für die Fahrlässigkeitsdelikte typische Kosten-Nutzen-Abwä-


gung nicht nur bei vorhandenem Sonderwissen mit einem direkt zur Tatbe-
standsverwirklichung führenden Verhalten wie in dem Bergwanderer- und Blu-
terfall, sondern auch bei Wissen des Täters um eine sehr entfernte Möglichkeit
der Tatbestandsverwirklichung, wenn er die Aktivität mit dem deutlichen Ziel
vornimmt, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen, nicht sachgemäß. Anders
als nach der Auffassung der überwiegenden Lehre, die die Grenzen des erlaub-
ten Risikos in diesen Fällen unabhängig von einer etwa vorhandenen Ver-
letzungsabsicht des Täters bestimmt, erscheint diese im Anschluß an die An-
sicht von Schünemann relevant.33 Als Beispiel eines solchen mit Verletzungs-
absicht vorgenommenen und deshalb strafrechtlich relevanten Verhaltens des
Täters können wir an alte Fahrstühle beispielsweise in einigen Altbauten in
Argentinien denken, bei denen ein Schild aufgehängt ist, das darauf hinweist,
daß der Eigentümer nicht verantwortlich für die Gefahren ist, die mit der Be-
nutzung des Liftes verbunden sind. Benutzt nun jemand den Lift freiwillig,
wäre sein Tod durch den Absturz des Liftes dem Eigentümer (bei Einhaltung
der üblichen Verkehrssicherungspflicht in bezug auf alte Lifte, die erfahrungs-
gemäß häufiger abstürzen, ohne daß das genau vorhersehbar ist) nicht zurechen-
bar. Fesselt aber der Eigentümer den unerwünschten, weil zahlungsunfähigen
Mieter eines Tages im Lift und läßt den Lift mehrmals hoch- und herunterfah-
ren in der Absicht, daß der Lift dabei abstürzt und den Tod des Mieters verur-
sacht, wäre ihm der eingetretene Tod des Mieters m. E. objektiv und subjektiv
zurechenbar. Ferner kann man an eine Fallkonstellation denken, bei der jemand
beim Golfspielen den Tod des Kontrahenten bezweckt, indem er von seinem
Golfball getroffen wird, wobei der Kontrahent an sich viel zu weit entfernt ist,
so daß es höchst unwahrscheinlich ist, ihn zu treffen. Allerdings erreicht der
Golfball den Kontrahenten dann doch und tötet ihn. Daß das Strafrecht dem
Handelnden hier die Möglichkeit gewähren soll, sei es auch minimale Risiko-
faktoren zu schaffen, um den Normadressaten in seiner „Handlungsfreiheit“
durch die Erfüllung der Rechtsgüterschutzfunktion nicht allzusehr einzuschrän-
ken, leuchtet nicht ein, so daß das absichtliche Handeln im Lift und auf dem
Golfplatz strafbar sein sollte. Dagegen würde ein entsprechend unvorsichtiges
Handeln in beiden Konstellationen keine Fahrlässigkeitshaftung begründen; sei
es, daß der Eigentümer den Mieter nach einem Scherz im Lift gefesselt vergißt,
so daß der Mieter von den Kindern des Mietshauses beim Spielen den ganzen
Abend über hoch- und heruntergefahren wird und sodann beim Absturz des Lif-

nicht berücksichtigt werden, vgl. in: Roxin/Jakobs/Schünemann/Frisch/Köhler, a. a. O.,


S. 188. Die herkömmliche Lehre von der objektiven Zurechnung erkennt aber eine
Veränderung der Maßstäbe des erlaubten Risikos bei Sonderkenntnissen an (freilich
nicht bei bloßen „bösen“ Absichten), vgl. infra, § 6 B I.
33 Vgl. ferner die Darstellung der h. Lehre supra, § 3 A bis C und die Ansicht von

Schünemann supra, § 3 F II mit Beispielen.


166 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

tes stirbt; sei es, daß der Golfball unter den gleichen Umständen wie im Grund-
fall, aber ohne weitere Gedanken, abgeschlagen wird und den Kontrahenten zu-
fällig trifft. Denn hier überwiegt bei einer Kosten-Nutzen-Abwägung das Inter-
esse an der Handlungsfreiheit.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die strafrechtlich relevanten Konstellatio-
nen des minimalen, aber beachtlichen Risikos, welches der Täter in Verlet-
zungsabsicht auslöst, von den Handlungen zu unterscheiden sind, die zwar auch
in Verletzungsabsicht vorgenommen werden, die aber aus bestimmten Gründen
die strafrechtlich relevante Risikoschwelle nicht überschreiten. D. h., ob wirklich
alle vom Täter vorgestellten Risiken, auch wenn diese nicht auszuschließen wä-
ren, ein Vorsatzdelikt begründen oder ob eine gewisse Annäherung an die
Grundsätze der h. Lehre in dem Sinne vorzunehmen ist, daß das vorsätzlich
strafbare Verhalten auch Untergrenzen hat, deren Konkretisierung im Folgenden
erfolgen wird.

C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts

I. Im objektiven Tatbestand

Bis jetzt wurden die Untergrenzen strafbaren Verhaltens beim Vorsatzdelikt


niedriger als beim Fahrlässigkeitsdelikt gezogen, d. h. es sind vorsätzliche Ver-
haltensweise strafbar, die in der fahrlässigen Tatbegehung keine Relevanz auf-
weisen, weil die Sorgfaltspflichten für den Normadressaten nicht so überdehnt
werden sollen, daß sie seine Handlungsfreiheit über die Maßen beeinträchtigen.
Es bleibt damit in diesem Konzept noch die Frage offen, ob das wissentlich-
willentliche Verhalten eine untere, objektive Grenze der strafrechtliche Rele-
vanz haben sollte bzw. ob die Untergrenze des Verhaltens im Rahmen der ob-
jektiven Zurechnung bzw. des erlaubten Risikos dann überhaupt noch bestimmt
werden muß.
1. Fraglich ist zunächst, ob alle Hoffnungen des Täters, mit dem von ihm
geschaffenen Risiko ein Rechtsgut zu verletzen, strafrechtlich relevant sind und
deshalb alle Absichten des Täters genauso wie im Lift- oder Golffall34 als straf-
bar zu beurteilen wären, oder aber ob man zwischen strafrechtlich relevanten
und nicht relevanten Verletzungsabsichten des Täters differenzieren muß, um
nicht ein reines Gesinnungsstrafrecht zu konstituieren.
Die überwiegende Ansicht bzw. die Lehre von der objektiven Zurechnung
braucht freilich eine Differenzierung bei absichtlichem Verhalten des Täters
nicht vorzunehmen, weil sie gleiche Zurechnungskriterien für Vorsatz- und
Fahrlässigkeitsdelikte verwendet und dadurch durchgängig für alle Deliktsfor-

34 Vgl. supra, § 5 B.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 167

men die gleiche Grenze zieht. Nach der hier vertretenen Konzeption geht es
dagegen um drei Grenzlinien, die gezogen werden müssen: Erstens geht es um
die Untergrenze fahrlässigen Verhaltens, für das die supra, § 4 B geschilderte
Abwägung der Interessen maßgeblich ist. Zweitens kommen Konstellationen in
Frage, bei denen der Täter mit – strafrechtlich relevantem – Sonderwissen
(Bergwander- oder Bluterfall) oder Verletzungsabsicht (Lift- oder Golffall) han-
delt und er sich deshalb nicht auf sein Interesse an der Handlungsfreiheit be-
rufen kann, während er bei einer fahrlässigen Begehungsform keine Sorgfalts-
pflichten haben würde. Und drittens muß eine Grenzlinie zwischen der ersten
und zweiten gezogen werden, falls festzustellen ist, daß nicht alle wissentlich-
willentlichen Verhaltensweisen die strafrechtliche Norm verletzen, sondern die
Setzung von Untergrenzen beim Vorsatzdelikt erforderlich ist.
In diesem Abschnitt geht es um die dritte Grenzlinie, die zunächst einmal
von der Strafbarkeit alle diejenigen Handlungen ausschließt, die lediglich auf
abergläubischen Gedanken beruhen. Die Ansicht des Täters kann nämlich das
Vorliegen eines rechtlich relevanten Risikos nicht begründen, so daß es bei
abergläubischen Versuchen überhaupt um erlaubte Handlungen geht. Für die
weitere Begründung eines solchen Ausschlusses der strafrechtlichen Relevanz
ist auf die Erwägungen supra, § 3 D hinzuweisen. Demgegenüber beruht der
untaugliche Versuch auf einer falschen Tätervorstellung über die Wirklichkeit
(oder über die Naturgesetze bei grob unverständigem Versuch). Bei zutreffender
Sachverhaltskenntnis würde die Handlung geeignet sein, die Tatbestandsele-
mente zu verwirklichen, was beim abergläubischen Versuch nicht der Fall ist.
Zugleich liegt die Betätigung einer rechtsgüterfeindlichen Tätereinstellung nur
beim untauglichen Versuch vor.35
Schwierig einzuordnen ist die Gruppe von Fallgestaltungen, bei denen der
Täter absichtlich handelt, und zugleich die Wahrscheinlichkeit des Erfolgsein-
tritts wie im Lift- und Golffall äußerst niedrig ist. Hier lassen sich zunächst
Fälle denken, in denen die Bejahung einer Strafbarkeit als geradezu unvernünf-
tig erscheint. So würde kein unerlaubtes Risiko schaffen, wer beispielsweise ei-
nen anderen im 50. Stock eines Wolkenkratzers eingesperrt läßt in der Hoff-
nung, daß das Gebäude zusammenstürzt. Gleiches gilt für den, der eine Gashei-
zung anläßt in der Hoffnung, daß sie defekt ist und die Hausbewohner an einer
Gasvergiftung sterben.36 Ebenfalls handelt auch nicht vorsätzlich, wer den Fern-
seher ständig angeschaltet läßt, damit irgendwann ein Kurzschluß und dadurch
ein Brand entsteht. Kennt der Täter nicht die Umstände, die den Verdacht eines
erhöhten Risikos in sich tragen, so schafft er kein rechtlich relevantes Risiko.

35 Zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen beiden Kategorien vgl. z. B. Kühl,

Strafrecht AT, § 15, Rdn. 86 ff., 94 m. w. N.


36 Beispiel von Sancinetti, Teoría del delito y disvalor de acción, Buenos Aires,

S. 200, der es allerdings zur Begründung einer höheren Einschränkung der Strafbar-
keit beim Vorsatz- als beim Fahrlässigkeitsdelikt anbietet.
168 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

Ebenso handelt nicht vorsätzlich, wer das Kind in der Mitte des Zimmers zum
Schlafen auf das Bett hinlegt, damit irgendwann die Schlafzimmerlampe auf es
hinunterfällt, wenn er keine weitere Maßnahme für die Schaffung einer konkre-
ten Gefahr ergriffen hat. Lockert er aber die Schrauben der Lampe ein wenig,
so handelt er vorsätzlich.
Die geschilderten Konstellationen haben etwas gemeinsam: Der Bau des
Wolkenkratzers, die Herstellung der Gasheizung, des Fernsehgeräts, die Befesti-
gung der Lampe bzw. die Statik der Decke sind verwaltungsrechtlich zugelas-
sen, sie unterliegen einer technischen Prüfung (u. U. sogar mit Erteilung eines
Prüfsiegels) und der Benutzer kennt den – bestmöglichen – Ausschluß von Risi-
ken durch die normgerechte Handhabung. Dagegen sind die Opfer im Lift- und
Golffall gegenüber anderen Risikoarten exponiert: Diese sind nur bei eigenver-
antwortlicher Selbstgefährdung des Betroffenen erlaubt, was sogar mit einem
Warnschild „auf eigene Gefahr“ im Lift signalisiert wird, und wer einen Golf-
spielplatz betritt, muß mit herumfliegenden Golfbällen rechnen, was eigentlich
vom Opfer des Eingriffs nicht akzeptiert worden wäre, wenn es über das ge-
zielte Verhalten seines Golfpartners Bescheid gewußt hätte. In der Gebrauchsan-
weisung eines Fernsehgerätes wird dagegen kein Hinweis auf eine maximale
Einschaltdauer gemacht, so daß bei einem neuen Fernseher durch das bloße
Einschalten kein rechtlich relevantes Todesrisiko geschaffen wird – also auch
nicht, wenn das Gerät vor einem gefesselten Opfer längere Zeit eingeschaltet
ist, ohne daß der Täter weitere Ziele als einen Kurzschluß und dadurch einen
Brand mit Todesfolge verfolgt. Ein Kurzschluß ist dabei erfahrungsgemäß nicht
völlig unwahrscheinlich, trotzdem handelt es sich um ein zugelassenes Objekt
mit einer regelkonformen Benutzung. Die Schwelle des erlaubten Risikos wäre
allerdings überschritten, wenn es sich um einen selbst gebastelten Fernseher
handeln würde, oder bei Hinzufügung eines zusätzlichen Risikofaktors.
Bei der Beurteilung der rechtlich relevanten Risikoschaffung spielt das Ele-
ment der Beharrlichkeit des Täters, den Verletzungserfolg herbeizuführen, eine
wichtige Rolle. Das kontinuerliche Hoch- und Runterfahrenlassen des unge-
schützten Opfers im Lift erhöht das Verletzungsrisiko gerade durch das Handeln
des Täters, weil durch jede (insbesondere kontinuierliche) Benutzung das Risiko
steigt. Die bloße Hoffnung des Täters wird auch zur strafrechtlich relevanten
Absicht, wenn er im obigen Beispiel den veralteten und bereits stark gebrauch-
ten Fernseher mehrere Monate lang 24 Stunden am Tag vor dem Opfer ein-
schaltet. Entsteht dadurch ein Brand, bei dem das Opfer zu Tode kommt, kann
man die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens nicht verleugnen.
Eine weitere Untergrenze strafbaren Verhaltens wäre beim Vorsatzdelikt in
den Fallkonstellationen zu sehen, in denen der Täter an einer nützlichen bzw.
standardisierten und bis ins Detail geregelten Aktivität wie z. B. dem Bauen oder
dem Straßenverkehr mit rechtsgutsverletzenden Wünschen, dennoch aber sorg-
faltsgemäß teilnimmt, wie z. B. derjenige, der durch die Stadt verkehrsgerecht
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 169

und sogar bremsbereit in der Hoffnung fährt, einen unvorsichtigen Fußgänger


plötzlich zu überfahren. Diese begleitenden schädlichen Hoffnungen müssen
kriminalpolitisch sinnvollerweise außerhalb der strafrechtlichen Relevanz blei-
ben. Anders ist die Untergrenze strafbaren Verhaltens zu setzen, wenn der Tä-
ter, wie sich in Rechtssprechungsfällen ergeben hat, absichtlich bestimmte
(verkehrsgerechte) Fahrmanöver vornimmt, um die Fehler anderer Verkehrsteil-
nehmer und damit Unfälle zu provozieren und dadurch letztendlich Versiche-
rungsleistungen in Anspruch zu nehmen.37
Man mag diesem Ansatz die Schwierigkeiten der Grenzziehung bei den un-
terschiedlichen Fallkonstellationen entgegensetzen. Diese Abgrenzungsschwie-
rigkeiten sind aber nur ein Zeichen dafür, daß eine detaillierte Differenzierung
im Rahmen der Zurechnungskriterien erforderlich ist, daß eine Gleichstellung
der Untergrenzen des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts nicht den richtigen
Weg aufzeigt, und daß die innere Tätereinstellung eine Relevanz bei der Ab-
grenzung zwischen erlaubtem und strafrechtlich relevantem Verhalten hat.
Neben der die oben geschilderten Beispiele betreffenden Rechtsfigur des er-
laubten Risikos sind u. U. und mit den angeführten Vorbehalten weitere Zurech-
nungskriterien auf die Vorsatzdelikte anwendbar, die eine Vorsatzhaftung aus-
schließen, wie die Risikoverringerung,38 weil hier die Handlung den Zustand
des geschützten Rechtsgutes nicht verschlechtert, sondern verbessert, und die
eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers,39 weil hier nicht etwa die
Handlungsfreiheit des Mitwirkenden, sondern das fehlende Bedürfnis an straf-
rechtlichem Rechtsgüterschutz angesichts der Selbstschutzmöglichkeiten des
Rechtsgutsträgers zu erwägen ist. Eine Übertragung der Zurechnungskriterien
der einverständlichen Fremdgefährdung40 und des Schutzzwecks der Norm41
aus den Fahrlässigkeits- in die Vorsatzdelikte ist dagegen prinzipiell abzulehnen
und sollte nur in seltenen Konstellationen geschehen.42 Dazu kommen die Fälle,
in denen ein Versuch zu bejahen, eine Verwirklichung der Gefahr dagegen zu

37 Vgl. Nachweise supra, § 3, Fn. 226.


38 Vgl. statt vieler Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 47 f.; Jescheck/Weigend, Lehr-
buch, § 28 IV 2.
39 Vgl. die Selbstgefährdungs-Leitentscheidung BGHSt 32, 262, die die Argumenta-

tion von Schünemann, NStZ 1982, 60 ff. übernommen hat. Vgl. ferner ein Beispiel in
Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 92, der den Fall BGHSt 24, 342 („Motorradwett-
fahrt“), der nur Fahrlässigkeit betrifft, in einen Vorsatzfall umwandelt.
40 Vgl. zu diesem Kriterium die Übersicht von Kühl, Strafrecht AT, § 4, Rdn.

86 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 105 ff., m. w. N. aus der Literatur und Recht-
sprechung. Roxin schlägt eine Übertragung dieses Zurechnungskriteriums aus den
Fahrlässigkeits- in die Vorsatzdelikte ausdrücklich vor, vgl. a. a. O., Rdn. 110.
41 Die vom Schrifttum angeführten Beispiele beziehen sich normalerweise nur auf

Fahrlässigkeitsdelikte: Radleuchtenfall RGSt 63, 392; Geschwindigkeitsfall (Beispiel


von Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 342 f.); Untersuchungsfall
BGHSt 21, 59. Bezüglich einer vorsätzlichen Variante müßte man die Erwägungen
von Roxin in Betracht ziehen, siehe supra, § 3 C III 2.
170 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

verneinen ist, beispielsweise wegen atypischen Kausalverlaufs,43 ungewöhnli-


chen Verhaltens des Verletzten nach der Tat44 oder eigenverantwortlichen Da-
zwischentretens eines Dritten.45 Allerdings betrifft der Aspekt der Verwirkli-
chung der Gefahr nicht das in dieser Arbeit zu behandelnde Problem der Unter-
grenzen strafrechtlicher Relevanz beim Vorsatzdelikt, deshalb bedarf er hier
keiner weiteren Erörterung.
Die vorstehende Darstellung betrifft die Sphäre des objektiven Tatbestandes,
insbesondere des erlaubten Risikos. Danach ist festzuhalten, daß einige Risiko-
schaffungen aus der strafrechtlichen Relevanz im Bereich der objektiven Zu-
rechnung herausgefiltert und als erlaubt gekennzeichnet werden. Nach der hier
vertretenen Auffassung werden allerdings im Bereich der Vorsatzdelikte weni-
ger Risikoschaffungen als erlaubt angesehen im Vergleich zu denjenigen, die
die überwiegende Ansicht vom Tatbestand des entsprechenden Fahrlässigkeits-
delikt ausschließt, weil der für die Fahrlässigkeitsdelikte anwendbare Gedanke
der Kostenabwägung für die Vorsatzdelikte nicht geeignet ist. Zur Bestimmung
der Strafbarkeit kann man deshalb nicht auf die Beeinträchtigung der Hand-
lungsfreiheit des Vorsatztäters abstellen, sondern muß man Täterwissen und
Täterwillen berücksichtigen. Der Rückgriff auf Begriffe wie Sonderkenntnisse
oder Sonderfähigkeiten im Sinne von Hindernissen, die gewöhnlich in der Zu-
rechnungssystematik auftauchen, ist hingegen nur eine Konsequenz aus der Zu-
rückdrängung des Subjektiven im Tatbestand, weil die „Sonderkenntnisse“ des
Täters nichts anderes als der Vorsatz selbst sein dürften. In der Vorsatzdogmatik
sind sie deshalb überflüssig.
2. Zweitens ist die „untere“ Vorsatzgrenze zur Abgrenzung von der bewußten
Fahrlässigkeit zu ziehen. Diese Grenze könnte sowohl auf einer objektiven Basis
oder unter Berücksichtigung der subjektiven Tätereinstellung gezogen werden.
Üblicherweise wird dieses Thema wegen der überwiegenden subjektiven
Aspekte dieser Grenzziehung im subjektiven Tatbestand behandelt.

42 So bezüglich der einverständlichen Fremdgefährdung in den AIDS-Fällen Schü-

nemann, JR 1989, 90; ders., in: Busch/Heckmann/Marks (Hrsg.), HIV/AIDS und


Straffälligkeit, S. 97 f., 110 f.; ders., in: Schünemann (Hrsg.), Strafrechtssystem und
Betrug, S. 73 ff.
43 Vgl. statt vieler Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 63 ff.
44 Vgl. ein Beispiel in Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 102 f., bzgl. der Fahrläs-

sigkeitskonstellation des BGH NStZ 94, 394 (Schießen mit Tötungsvorsatz, wenn nur
das Bein des Opfers getroffen wird, das wiederum keine Bluttransfusion will und des-
halb stirbt).
45 Vgl. statt vieler Kühl, Strafrecht AT, § 4, Rdn. 66 ff.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 171

II. Im subjektiven Tatbestand

1. Bewertung der Vorsatztheorien

Vorsatzdelikte haben also immerhin objektive Untergrenzen im objektiven


Tatbestand, die wiederum von den Untergrenzen des Vorsatzes selbst differen-
ziert werden müssen. Die Einschränkung des Tatbestandsumfangs durch die Zu-
rechnungskriterien im objektiven Tatbestand impliziert nämlich nicht, daß der
Vorsatzbegriff selbst keiner Einschränkung bedarf.
Bei der Bestimmung des Vorsatzbegriffs liegt das Hauptproblem in der Be-
handlung der Tätervorstellung bei einer bloßen Möglichkeit der Tatbestands-
verwirklichung im Hinblick auf die für den Eventualvorsatz charakteristische
Schwäche nicht nur des Wissens-, sondern auch des Willenselements. Der Vor-
satzbegriff würde so gut wie keine Einschränkungen erfahren, wenn man ihn
schon beim Erkennen einer geringen Möglichkeit der Tatbestandsverwirkli-
chung und etwa einem schwachen Rechtsgutsverletzungswillen bejahen würde.
Die sogenannten Willenstheorien versuchen deshalb, den Vorsatz durch das Er-
fordernis einer gewichtigen voluntativen Komponente einzuschränken. Kombi-
nationstheorien setzen das Gewicht abwechselnd auf eine von beiden Vorsatz-
komponenten. Die sogenannten Vorstellungstheorien möchten wiederum auf die
Willenskomponenten des Vorsatzes als Abgrenzungskriterium verzichten und
das kognitive Vorsatzelement als einzigen Bestandteil durch den Rückgriff auf
die Untergrenzen der Möglichkeit oder der Wahrscheinlichkeit oder mit Hilfe
weiterer, objektiver Kriterien einschränken, wie z. B. der Unerlaubtheit des Risi-
kos,46 der Unabgeschirmtheit der Gefahr,47 einer nach allgemeinen Maßstäben
tauglichen, geeigneten bzw. vernünftigen Methode oder Strategie zur Tatbe-
standsverwirklichung48 oder der bereits oben besprochenen normativen Figur
der Tatsachenblindheit.49 Da eine Theorie des Eventualvorsatzes und seiner Ab-
grenzung zur bewußten Fahrlässigkeit nicht Schwerpunkt dieser Untersuchung
ist, wird hier auf eine detaillierte Erörterung der inzwischen großen Vielzahl
einzelner Auffassungen mit ihren unterschiedlichen, oft sprachlich geprägten

46 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 26 ff., 101, 255 ff. 482 ff., 486 und passim;

ders., JuS 1990, 366; ders., Gedächtnisschrift für Meyer, S. 533 ff.; ders., NStZ 1991,
23 ff.
47 Vgl. Herzberg, JuS 1986, 260 ff.; ders., JuS 1987, 780 f.; ders., NJW 1987,

1464; ders., NJW 1987, 2283 ff.; ders., JZ 1988, Teil 1, 573 ff.; Teil 2, 638 ff.; ders.,
JZ 1989, 476.
48 Puppe, ZStW 103 (1991), 1 ff., 14 ff.; dies., Vorsatz und Zurechnung, 35 ff., ins-

bes. 39 f., 43; NK-dies., § 15, Rdn. 88 ff.; dies., Strafrecht AT 1, § 16, Rdn. 40 f.
49 Dazu vgl. § 3 C V 2 b) cc); § 3 E; § 5 A II 5; § 6 D I mit Nachweisen. Dieser

Vorsatzbegriff von Jakobs wurde von Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994),
265, als die „totale postmoderne Objektivierung“ bezeichnet, während die restlichen
objektiven Einschränkungen im Bereich der Vorstellungstheorien als eine „einge-
schränkte postmoderne Objektivierung“ eingestuft werden.
172 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

Nuancen verzichtet, die man allgemein in Vorstellungstheorien und Willens-


theorien mit ihren jeweiligen Untergliederungen, aber auch in die nicht unbe-
deutenden Kombinationstheorien differenzieren kann. Die grundsätzlichen Fra-
gestellungen rund um den Vorsatzbegriff beziehen sich darauf, (1) ob die Unter-
grenzen durch die Hilfe eines (nur subjektiven oder auch objektiv gestalteten)
voluntativen Elements neben dem kognitiven Vorsatzelement zu ziehen sind,
(2) wie ontologisch oder normativ die Untergrenzen zu ziehen sind und (3) wie
hoch die Anforderungen an das Wissen im Ergebnis gestellt werden, d. h. ob
das Erkennen der bloßen Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung für die
Vorsatzhaftung ausreicht oder ob erhöhte, etwa wahrscheinliche Gefahrschaffun-
gen erforderlich sind.
Angesichts der vielfältigen Fragestellungen und unterschiedlichen Lösungs-
vorschläge ist es also bei der vorliegenden Untersuchung sinnvoll, nicht einem
Detailanspruch gerecht zu werden, sondern die hier im Vordergrund stehende
Frage der Untergrenzen nicht aus dem Blick zu verlieren und deshalb den
Schwerpunkt auf die Bewertung allgemeiner, wesentlicher Argumente der tradi-
tionellen Abgrenzungstheorien zu setzen. Es ist nämlich beim Thema des Son-
derwissens und der damit verbundenen Untergrenzen strafbaren Verhaltens sinn-
voll, auf die Abgrenzung zwischen Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit unter
dem Aspekt der Untergrenze des Vorsatzbegriffs Bezug zu nehmen. Für einen
Überblick über die einzelnen Abgrenzungsansichten wird im übrigen auf die
Darstellung in Lehrbüchern und Kommentaren verwiesen.50
Eine Verabsolutierung des Wissenselementes als einziges Kriterium im Sinne
der Vorstellungstheorien ist zunächst abzulehnen. Im Einzelnen ist gegen der-
artige Konzepte folgendes einzuwenden: Erstens kann das bloße Erkennen der
konkreten Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung, wie die Möglichkeits-
theorie, zumindest in ihrer Grundauffassung,51 annehmen möchte, für die Vor-
satzbestrafung nicht ausreichen. Eine solche Kenntnis besteht schon bei objek-
tiv unerlaubten Risikoschaffungen im Straßenverkehr (beispielsweise beim be-
wußten Fahren über eine rote Ampel) oder z. B. beim bewußten Wegwerfen
einer glimmenden Zigarette im Wald – ohne spezielle Absichten gegenüber be-
stimmten Rechtsgütern –,52 die allerdings als solche nicht eine Vorsatz-, son-

50 Vgl. vor allem die Zusammenstellung von Theoriegruppen in Hillenkamp, 32

Probleme, Strafrecht AT, S. 1 ff.; ferner Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rdn. 21 ff.;
Kühl, Strafrecht AT, § 5, Rdn. 43 ff.
51 Vgl. Grünwald, Festschrift für Hellm. Mayer, S. 288; Ross, Über den Vorsatz,

S. 84 u. a. Neue Auffassungen der Möglichkeitstheorie versuchen, auf die Einwände


einzugehen, vgl. Schmidhäuser, Strafrecht AT, Studienbuch, 7/101; ders., JuS 1980,
244 f.; ders., Festschrift für Oehler, S. 135 ff.; ders., JuS 1987, 373 ff.; Joerden,
Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs, S. 150 ff. u. 167, die mit
unterschiedlichen Erwägungen auf eine konkrete Möglichkeit abstellen. Schröder,
Festschrift für Sauer, S. 231, verlangt wiederum eine wirkliche Vorstellung von der
Möglichkeit der Erfolgsverursachung.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 173

dern aus einer kriminalpolitischen Perspektive nur eine Fahrlässigkeitshaftung


begründen sollten. Wie oben dargelegt (§ 5 A), muß das Geschehen – kurz ge-
sagt – als vom Täter gesteuert angesehen werden können, damit die Ratio der
Vorsatzstrafe zutrifft. Die bloße Möglichkeitskenntnis reicht dafür nicht, denn
fast alle fahrlässigen Handlungen sind mit einer (aus der Regelverletzung fol-
genden) abstrakten Möglichkeitskenntnis verknüpft. Mit der Möglichkeitstheorie
wird der Vorsatz also zu weit in den Bereich der bewußten Fahrlässigkeit aus-
gedehnt. Daraus folgt die Notwendigkeit, neben dem Wissen um die Möglich-
keit der Tatbestandsverwirklichung ein zusätzliches Vorsatzerfordernis zu ver-
langen, das die innere Tätereinstellung gegenüber der möglichen Rechtsgutsver-
letzung berücksichtigt. Mit der Voraussetzung einer voluntativen Komponente
des Vorsatzes neben dem Wissenselement würden also die genannten Paradebei-
spiele problemlos zum Bereich der Fahrlässigkeitshaftung gehören, da der Auto-
fahrer bzw. der Raucher beim Überschreiten des erlaubten Risikos wohl regel-
mäßig die Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung erkennen können, allerdings
werden sie in der Regel ihre Verhaltensweisen nicht gegen die Rechtsgüter Le-
ben und körperliche Unversehrtheit anderer Menschen richten, sondern sie wer-
den meistens mit Vermeidewillen handeln, unter anderen Gründen auch deshalb,
weil sonst sogar ihr eigenes Leben und ihre körperliche Unversehrtheit betroffen
sein könnten.53 Natürlich gibt es z. B. im Straßenverkehr auch Ausnahmen, in
denen dabei aus einer rechtsgüterfeindlichen Einstellung gehandelt wird und
deshalb – solange das erlaubte Risiko im objektiven Tatbestand überschritten
wird – der Vorsatz zu bejahen wäre.54 Zwar kann die Aussage, daß Wissen
nicht immer eine Vorsatzstrafbarkeit begründet, im Rahmen dieser Arbeit über-
raschend wirken. Hier ist also der Ort um klarzustellen, daß das Wissen einer
entfernten Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung neben einem Vermeide-
willen nicht ausreicht, um eine Vorsatzstrafbarkeit zu bejahen. Wissen begrün-
det eine Vorsatzbestrafung vielmehr nur, wenn es von einem rechtgutsverletzen-
den oder zumindest -gleichgültigen Willen begleitet wird.
Umgekehrt würde die neuerdings häufiger vertretene Forderung einer Kennt-
nis von der Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung – so die Wahr-
scheinlichkeitstheorie –55 eine enorme Einengung des Vorsatzbereichs zur Folge
haben, weil danach Vorsatz nur dann zu bejahen wäre, wenn der Täter die

52 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rdn. 39; ders., JuS 1964, 60.
53 Vgl. z. B. Kühl, Strafrecht AT, § 5, Rdn. 87; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 29
III 3 c (Beispiel der Autobahn).
54 Im Gegensatz zur Figur der Tatsachenblindheit von Jakobs, der nur auf die

Gleichgültigkeit abstellt – vgl. § 3 C V 2 b) cc); § 3 E; § 5 A II 5; § 6 D I –, ohne


überhaupt ein tatsächliches Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung
zu verlangen, wird hier als Grundsatzerfordernis des Vorsatzes die psychische Bezie-
hung des Täters zu seiner Tat angesehen, die erst bei ihrer schwächsten Form, d. h.
beim Erkennen der bloßen Möglichkeit, zusätzlich etwa die Gleichgültigkeit gegen-
über der Rechtsgutsverletzung erfordert.
174 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

große Chance einer Tatbestandsverwirklichung erkennen würde. Dadurch wer-


den alle zielgerichteten Verhaltensweisen von der Vorsatzhaftung ausgeschlos-
sen, bei denen der Handelnde nicht über solide Kenntnisse bezüglich deren Eig-
nung zur Tatbestandsverwirklichung bzw. Kenntnis über die Wahrscheinlichkeit
der Tatbestandsverwirklichung verfügen würde. Das Erkennen einer bloßen
Möglichkeit eines Erfolgseintritts soll nach der Wahrscheinlichkeitstheorie als
Fahrlässigkeit beurteilt werden, auch wenn der Täter absichtlich die Rechtsguts-
verletzung verfolgt und sogar erreicht hat. Der Nachteil der Wahrscheinlich-
keitstheorie ist also die Ausdehnung der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit auf Kosten
einer kriminalpolitisch angebrachten Vorsatzhaftung.
Drittens ist den sogenannten Risikotheorien darin recht zu geben, daß die Ri-
sikohöhe nicht nach einem individuellen, sondern nach einem rechtlichen Urteil
zu bestimmen ist. Allerdings wird die den Vorsatz begründende Risikohöhe von
diesen Auffassungen wiederum sehr hoch gesetzt. Dies ist wohl darauf zurück-
zuführen, daß beim Vorsatzbegriff nur auf das kognitive Element abgestellt wird
und daß ansonsten auf weitere Abgrenzungskriterien in Bezug auf eine etwaige
voluntative Komponente verzichtet wird. Eine Herunterstufung des Risikoerfor-
dernisses ist hingegen möglich, wenn man eine solche voluntative Vorsatzkom-
ponente bzw. die subjektive Tätereinstellung hinsichtlich der durch seine Hand-
lung eröffneten Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung in Betracht zieht. Dann
können einige unerlaubte Handlungen, deren Gefährdungspotential für Rechtgü-
ter sehr niedrig ist, die aber mit einer unerträglichen Rechtsgüterfeindlichkeit
unternommen werden, eine Vorsatzhaftung begründen, wenn dies kriminalpoli-
tisch unter Berücksichtigung des Rechtsgüterschutzzwecks als sinnvoll er-
scheint. Damit wäre eine rechtliche, nicht vom individuellen Täter zu bestim-
mende Untergrenze der subjektiven Seite des Vorsatzdelikts zu ziehen.
Diese Kritik betrifft sowohl die mildere, „subjektive“ Version der sogenann-
ten Risikotheorien, die auf das Erkennen eines unerlaubten Risikos abstellt,56
als auch die „objektive“ Version, die auf objektive Kriterien abstellt (die uner-
laubte Gefahr solle unabgeschirmt sein57 bzw. es solle sich um eine typische,

55 Vgl. vor allem Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, § 21 IV 2; Tompert, Wahr-

scheinlichkeitsurteil und Handlungsunwert; Hellmuth Mayer, Strafrecht AT, S. 120 f.;


Kargl, Der strafrechtliche Vorsatz auf der Basis der kognitiven Handlungslehre,
S. 67 ff.; Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 632 ff., 651.
56 Hierunter werden die in der Begründung an sich unterschiedlichen Auffassungen

von Hillenkamp, 32 Probleme, Strafrecht AT, S. 3 f. gefaßt, vgl. Frisch, Vorsatz und
Risiko, S. 26 ff., 101, 255 ff., 482 ff., 486 und passim; ders., JuS 1990, 366; ders.,
Gedächtnisschrift für Meyer, S. 533 ff.; ders., NStZ 1991, 23 ff.; AK-StGB-Zielinski,
§§ 15, 16, Rdn. 18, 73 ff.; ders., Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 162 ff.; Bottke, in:
Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von AIDS, S. 194 ff.; ders., AIFO
1989, 471 f.; Freund, JR 1988, 117; ders., Strafrecht AT, § 7. Dazu gehört nicht der
Vorsatzbegriff von Philipps, vgl. ZStW 85 (1973), 38 und ders., Festschrift für Roxin,
S. 365 ff., der auch auf normative Kriterien abstellt, die voluntative Seite des Vorsat-
zes aber auf keinen Fall außer Betracht lassen will.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 175

an Hand der Figur eines vernünftigen Menschen zu beurteilenden Gefahr


handeln58).
Der Vorsatzbegriff von Jakobs59 wird teilweise den sogenannten Vorstel-
lungstheorien in der Form der Risikotheorie60 oder der Wahrscheinlichkeits-
theorie,61 aber auch in bestimmten Elementen der Ernstnahmetheorie als eine
Variante der Willenstheorien62 zugeordnet. Für Jakobs kommt es bei der Vor-
satzfrage darauf an, was der Täter von der Situation und vom Verlauf kennt
oder zu kennen glaubt, deshalb wird sein Vorsatzbegriff hauptsächlich wie be-
schrieben in die Vorstellungstheorien eingeordnet. Dabei gehe es um eine sol-
che Kenntnis, die der Täter aus gültiger Erfahrung und nicht spekulativ oder
aus vermeintlicher Überängstlichkeit aufweise. Ferner wird die Untergrenze der
Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung des Gewichts des betroffenen
Rechtsguts und der Dichte des Risikos gezogen. Beide Elemente seien wie-
derum rechtlich bzw. normativ und nicht nach der subjektiven Einschätzung des
Täters zu beurteilen.63
Allerdings ist diese (vermeintliche) Täterkenntnis über die Wahrscheinlichkeit
der Tatbestandsverwirklichung in der Vorsatzlehre von Jakobs letztendlich nicht
das maßgebliche Kriterium, um den Vorsatz zu bejahen oder verneinen. Er
nimmt nämlich Vorsatz ggf. auch dann an, wenn etwaige Tatkenntnisse beim
Täter fehlen.64 Die Bedingungen des Erkenntnisakts sind seiner Ansicht nach
nicht unbedingt intellektueller Art, sondern Vorsatz sei sogar beim Fehlen der
tatsächlichen Tatkenntnisse zu bejahen, wenn dieser Mangel zumindest auf eine
Gleichgültigkeit gegenüber der Norm zurückzuführen wäre (Figur der gerichte-
ten Fahrlässigkeit oder Tatsachenblindheit). Damit wird die endgültige Ent-
scheidung über die Vorsatzfrage bei Jakobs letztendlich normativ getroffen. Für
weitere Einzelheiten der subjektiven Seite seiner Zurechnungslehre, die nicht
auf die psychische Beziehung des Täters zu seiner Tat abstellt, und bezüglich
der von ihm entwickelten Figur der gerichteten Fahrlässigkeit oder Tatsachen-
blindheit, die den Vorsatz begründen soll, wird auf die obigen Darstellungen
verwiesen.65
Der Grundposition der Willenstheorien mit den Varianten der Billigungs- und
Gleichgültigkeitstheorie66 fehlt es an einer rechtlichen Beurteilung der straf-

57 Vgl. supra, Fn. 47.


58 Vgl. supra, Fn. 48.
59 Vgl. Strafrecht, Allg. Teil, 8/5 ff., 21 ff., 30 ff.
60 Vgl. Hillenkamp, 32 Probleme, Strafrecht AT, S. 3.
61 Vgl. Küpper, ZStW 100 (1988), 763; Schumann, JZ 1989, 431.
62 Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rdn. 56.
63 Jakobs, Strafrecht AT, 8/22 f., 30 f.
64 Jakobs, Strafrecht AT, 8/22.
65 Vgl. § 3 C V 2 b) cc); § 3 E; § 5 A II 5; ferner § 6 D I.
176 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

rechtlich relevanten Willenskomponente des Vorsatzes. Zwar ist eine tatsächli-


che, psychische Einstellung des Täters zu seiner Tat für den Vorsatz nach der
hier vertretenen Auffassung erforderlich, allerdings sind nicht alle, in der Wirk-
lichkeit bestehenden Einstellungen (bzw. Gefühle, Hoffnungen, etc.) des Han-
delnden rechtlich von Interesse, sondern richtigerweise nur solche (subjektiv-
realen) Tätereinstellungen, die im sozialen (objektiven) Rahmen als negativ für
den Rechtsgüterschutz angesehen werden. Gegenüber den oben genannten
Zweigen der Willenstheorien zeigt die Ernstnahmetheorie als Variante der Wil-
lenstheorien einen rechtlichen Bezug: Auf der Grundlage des Strafrechts als
Rechtsgüterschutz wird der Vorsatz als die Entscheidung des Täters für die
mögliche tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung betrachtet.67 Durch die Ernst-
nahme der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung würde der Täter eine
solche Entscheidung treffen. Allerdings kommt bei dieser Theorie die tatsächli-
che psychische Beziehung des Täters zu seiner Tat nicht zum Ausdruck: Bei
vergleichbarer Kenntnisbasis wird die Tätereinstellung in einigen Konstellatio-
nen als Ernstnahme der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung und in an-
deren als Vertrauen auf den guten Ausgang gekennzeichnet.68 Mit der Ernstnah-
metheorie wird ferner der Täter privilegiert, der die Gefahren aus Gleichgültig-
keit gar nicht ernst nimmt.69 Die Ernstnahmetheorie bedarf deshalb eines
näheren Bezugs zur beurteilenden psychischen Basis und zugleich weiterer
greifbarer Entscheidungskriterien, die die sprachliche Differenzierung des
„Ernstnehmens“ in rechtslogisch begründete Kategorien konkretisieren kann.

2. Vorsatz als Sicherung der Tatherrschaft oder


als rechtsgüterfeindliche Einstellung

a) Voraussetzungen des Vorsatzbegriffes

Der hier vertretene Vorsatzbegriff setzt drei Prämissen voraus: Einerseits wer-
den die Gründe der Schwererbewertung der Vorsatz- gegenüber der Fahrlässig-
keitstat in Betracht gezogen. Ferner wird der reale psychische Vorgang berück-
sichtigt, der Gegenstand der rechtlichen Bewertung ist. Zugleich bedarf die
Bestimmung, was Vorsatztat ist, einer rechtlichen Bewertung und damit der An-
gabe von Kriterien, die hierzu dienen. Diese Voraussetzungen werden im fol-
genden ausgeführt.

66 Vgl. dazu die Übersicht bei Hillenkamp, 32 Probleme, Strafrecht AT, S. 6 ff.
67 Vgl. u. a. Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rdn. 23, 30. Für weitere Nachweise, auch
bezüglich der Formeln des „Sich-Abfindens“ und „Hinnehmens“, vgl. Kühl, Strafrecht
AT, § 5, Rdn. 72 ff.
68 So bereits Schünemann, Festschrift für Hirsch, S. 367 f.; ders., Chengchi Law

Review 50 (1994), 267.


69 So auch Schünemann, JA 1975, 788.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 177

aa) Bezug auf die Ratio der Vorsatzstrafe

Zur Untersuchung des Vorsatzbegriffs und speziell der Untergrenzen des Vor-
satzes als Abgrenzung zur bewußten Fahrlässigkeit ist auf die Gründe der
Schwererbewertung des Vorsatzes gegenüber der leichteren Fahrlässigkeitsbe-
strafung zurückzugreifen. Wie supra, § 5 A III angeführt, sind die Gründe einer
schwereren Vorsatzbestrafung hauptsächlich das Wissen der Sozialschädlichkeit,
die die Tatherrschaft begründen, und bei einer bloßen Möglichkeitsvorstellung
eine besondere subjektive Einstellung des Täters bezüglich der Möglichkeit der
Tatbestandsverwirklichung, die für den Rechtsgüterschutz unerträglich ist.

bb) Die reale psychische Beziehung zur Tat


als Gegenstand der Bewertung

Fundamental beim Vorsatzbegriff und beim Sonderwissen ist die Frage, ob


und inwieweit es sich beim Vorsatz um einen deskriptiven Begriff handelt, der
die psychischen Strukturen miteinbezieht. Auf der philosophischen Ebene ist
das Privatsprachenargument Wittgensteins bzw. das Argument gegen eine pri-
vate Sprache in Betracht zu ziehen, weil seine konsequente Anwendung zu ei-
ner Bestimmung des Vorsatzes strikt durch objektive Situationen, durch eine
Zuschreibung psychologischer Zustände nach der sozialen Praxis führen müßte.
Aus dieser Perspektive käme eine rein naturalistische Erklärung des Bewußt-
seins nicht in Frage: Es könne nicht festgestellt werden, was ein Subjekt im
„Inneren“ meine. Keine Tatsache – nicht nur in der Psyche, sondern sogar im
äußeren Verhalten – könne in Bezug auf die bisherige Biographie eines Men-
schen bestätigen, was man mit dem eigenen Verhalten meinen wollte.70 Es gäbe
also auch keine objektive Tatsache, die zur Erklärung des Gemeinten dienen
könnte. Daß wir voneinander behaupten dürfen, z. B. mit dem Zeichen »+« die
Addition zu meinen, gehöre zu einem Sprachspiel, das sich nur aufgrund der
bloßen Tatsache unserer generellen Übereinstimmung in Gang halten würde.71
Die privaten Empfindungen könnten nicht Teil eines Sprachspiels sein, deshalb
sei ihre Bezeichnung bedeutungslos. Ob ein Schüler das Gefühl hat, zum ersten
Mal lesen zu können, sei weder eine notwendige, noch eine hinreichende Bedin-
gung für das Urteil des Lehrers, jetzt könne der Schüler lesen. Die privaten
Empfindungen und Erlebnisse des Lesers beim Lesen interessierten nicht für die
Frage, ob das Subjekt gelesen habe oder nicht.72 Genauso wäre es z. B. paradox,

70 Vgl. die Darstellung von Kripke, Wittgenstein über Regeln und Privatsprache,

S. 24, 33. Vgl. auch die Kritik an Wittgenstein, die Schünemann, Festschrift für Roxin,
S. 30, im Rahmen der Kritik an dem strafrechtlichen radikalen Normativismus übt,
indem er eine ontologische Basis in der Umgangsprache sieht.
71 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 240–242.
72 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, §§ 156 ff.; vgl. auch Kripke, a. a. O.,

S. 62 f.
178 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

einem Schauspieler die Rolle zuzuweisen, jemand unterdrücke vollständig seine


Gefühle. Nach der Konzeption Wittgensteins bedarf ein innerer Vorgang äußerer
Kriterien, die wiederum als fundamentale Prämisse seines Privatsprachen-
arguments gelten würden.73 Mit der Anwendung der Philosophie Wittgensteins
auf den Vorsatzbegriff würde man also seine vollständige Objektivierung errei-
chen. Allerdings geht es im Strafrecht um die tatsächliche Verhängung einer
Freiheitsstrafe an einem realen Menschen wegen einer tatsächlich ausgeführten
Tat. Deshalb kann von einer möglichst engen Annäherung an die realen Tat-
kenntnisse und die innere Einstellung des Täters, die diese Tat begleiten, nicht
abgesehen werden, auch wenn man die Schwierigkeiten der Feststellung realer
psychischer Vorgänge in der Kommunikation erkennt und durch eine Zuschrei-
bung nach der sozialen Praxis ersetzen möchte.
Im Strafrecht wird der Vorsatzbegriff teilweise radikal normativiert,74 teil-
weise wird der Vorsatz „zugeschrieben“75 oder sogar zu den Beweislastregeln
in Relation gesetzt.76 Gegen diese Tendenzen ist, wie oben angeführt, einzu-
wenden, daß die tatsächlichen Bewußtseinsvorgänge nicht unberücksichtigt ge-
lassen werden sollten, ansonsten würde die Rechtsordnung keinen ontologi-
schen Gegenstand bewerten, was der selbstverständlichen Methode der Rechts-
anwendung (Anwendung von Sollenssätzen auf Sachverhalte, sonst wäre das
Recht ein normativer Zirkel) widerspricht.77 Es ist deshalb im Ausgangspunkt
zutreffend, wenn der Vorsatzbegriff nach den älteren Auffassungen einen de-
skriptiven Gehalt besitzt. So handelt es sich z. B. bei einigen Willenstheorien
und bei den den Eventualvorsatz betreffenden Kategorien des Fürmöglichhal-
tens und sogar bei einigen nicht normativen Varianten des Fürwahrscheinlich-
haltens78 um eine Deskription. Hier finden die psychischen Strukturen Berück-

73 Wittgenstein, Philosophie der Psychologie, § 580; vgl. auch Kripke, a. a. O.,

S. 124.
74 So z. B. bei Jakobs, vgl. supra § 3 C V 2 b) cc), § 3 E, § 5 C II 1.
75 Vgl. Kindhäuser, ZStW 96 (1984), 5 ff., 21 ff.; Hruschka, Festschrift für Klein-

knecht, 191 ff., 201 f.; ders., Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, S. 425 f.;
Prittwitz, JA 1988, 497 ff.; vgl. ferner Volk, Festgabe BGH, Bd. IV, S. 749 f.
76 Vgl. Volk, Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 611 ff.; ders., Festgabe BGH, Bd.

IV, S. 739 ff., 744 ff.; ferner ders., GA 1973, 161 ff.; ders., Festschrift für Bockel-
mann, S. 75 ff.; Hassemer, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 304 ff.; Ragués
i Vallès, El dolo y su prueba en el proceso penal, Barcelona, S. 18 und passim.
77 Zur Kritik an der Objektivierung des Vorsatzbegriffs siehe Schünemann, Fest-

schrift für Hirsch, S. 363 ff., 376, der auch auf das Problem des Mitbewußtseins auf-
merksam macht, vgl. a. a. O., S. 366 m. w. N. U. a. fordern auch ausdrücklich eine Mög-
lichkeitsvorstellung als Mindestvoraussetzung des Eventualvorsatzes Samson, Straf-
recht I, S. 50 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 5, Rdn. 52 f.
78 Vgl. die von den in supra, Fn. 55 genannten Autoren dargestellte Form der Wahr-

scheinlichkeitstheorie, nicht aber die von den in supra, Fn. 56 genannten Autoren ver-
tretene normative Gestaltung der Kategorie der Wahrscheinlichkeit, die hier unter
„Risikotheorien“ eingegliedert wird.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 179

sichtigung. Allerdings sind gegen die dabei getroffene Auswahl des psychischen
Substrats die bereits oben erhobenen Einwände anzubringen.

cc) Rechtliche Kriterien

(1) Wissensseite des Vorsatzes

(a) Sicheres Wissen, Tatherrschaft

Vorsätzlich ist ein Verhalten nicht schon wegen des „factum brutum“, weil es
mit tatsächlichem Wissen über die Tatumstände begangen wurde, sondern weil
dieses Wissen die Tatherrschaft begründet, die das Vorsatzdelikt erfordert. Hier
ist man also an einem Vorsatzbegriff orientiert, der bestimmte Täterkenntnisse
voraussetzt, die diesem eine Tatbeherrschung sichern. Dabei geht es um die
Kenntnisse über die potentielle Sozialschädlichkeit bzw. über die Fähigkeit zur
Rechtsgutsobjektsverletzung eines Verhaltens, wodurch der Täter die Herrschaft
über das Geschehen besitzt, solange er keinen – berechtigten – Vermeidewillen
hat. Der Vorsatz muß also die Sozialschädlichkeit umfassen, vgl. dazu die Aus-
führungen supra, § 5 A III.
Der hier vorgenommene Bezug auf den Begriff der Tatherrschaft deutet auf
eine tatsächliche Tatherrschaft im empirischen Sinne: Tatherrschaft ist eine ge-
steigerte Steuerungsfähigkeit des Geschehens. Der Täter beherrscht das Gesche-
hen, wenn die Vermeidung der Rechtsgutsverletzung in seinen Händen liegt.
Beim Vorsatz geht es um den Mißbrauch dieser Vermeidemacht.79 Obwohl es
bei der Tatherrschaft um eine sachlogische Struktur geht, ist die Auswahl dieser
Gegebenheit für die tatbestandliche Relevanz eine rechtliche Wertung. Daß Tä-
terkenntnisse über die Sozialschädlichkeit des eigenen Verhaltens eine Tatherr-
schaft begründen und beim Vorsatzbegriff von Gewicht sind, ist auf die Rechts-
gründe für die Schwererbewertung des Vorsatzes und auf die Rechtsgüterschutz-
funktion des Strafrechts zurückzuführen.
Liegt sicheres Wissen vor, so besitzt der Täter die absolute Kontrolle, und es
ist folglich nicht erforderlich, zusätzlich die Frage nach der Willenskomponente
zu stellen. Eine solche Ergänzung des Vorsatzbegriffs wird erst bei einer schwä-
cheren Wissenskomponente erforderlich, was Gegenstand der Untersuchung im
nächsten Abschnitt sein wird.

79 Vgl. zu diesem Herrschaftsbegriff Schünemann, Grund und Grenzen der unech-

ten Unterlassungsdelikte, S. 229 ff., 281 ff.; für die Sonderdelikte ders., Unterneh-
menskriminalität und Strafrecht, S. 84 ff.; ders., GA 1985, 375 ff.; ders., GA 1986,
331–336; LK-ders., § 14, Rdn. 17 m. w. N.; ders., Chengchi Law Review 50 (1994),
260, 269; ders., Festschrift für Hirsch, S. 371.
180 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

(b) Kenntnis nur der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung


und ihre Spezifizierung durch die Wollensseite

Die Kenntnis nur der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung sichert zwar


noch keine Tatherrschaft, sie verdient aber trotzdem Berücksichtigung aus der
Perspektive der Vorsatzhaftung. Eine solche Kenntnis begründet deshalb eine
Vorsatzstrafbarkeit, weil Wissen ein Machtfaktor ist, der eine wesentliche recht-
liche Relevanz zur Bejahung einer Vorsatzstrafbarkeit besitzt. Allerdings kann
dieses Erkennen nur eine Fahrlässigkeitshaftung begründen, wenn das Verhalten
mit Vermeidewillen durchgeführt wird, der gewissermaßen die Möglichkeits-
kenntnis kompensiert. Deshalb ist für die Bejahung einer Vorsatzstrafbarkeit
beim Erkennen der bloßen Möglichkeit der Tatbestandserfüllung zusätzlich zu
fordern, daß der Täter eine rechtsgüterfeindliche oder zumindest -gleichgültige
Einstellung zeigt. Beim Fehlen des sicheren Wissens ist also ein Verhalten vor-
sätzlich, wenn die innere Einstellung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung
eine dem Vorsatzdelikt typische Haltung gegenüber der Rechtsgutsverletzung
kennzeichnet. Dabei überwiegt dann also die „Wollensseite“ des Unrechts.
Der Gedanke, bei ausreichendem Gewicht von einer der beiden Vorsatzkom-
ponenten, sei es der kognitiven oder der voluntativen Komponente, den Vorsatz
zu bejahen, auch wenn die andere Komponente nur eine schwache Ausprägung
aufweist, findet sich der Sache nach schon immer. Es ist in den komplexen,
typologischen Vorsatzbegriff, der von Schünemann vertreten wird,80 auf den Be-
griff gebracht worden und wird in dieser Arbeit mit dem Vorbehalt vertreten,
daß die Frage nach dem voluntativen Element bei vorhandenem sicheren Wis-
sen gar nicht gestellt wird. Die durch die voluntative Komponente vorzuneh-
mende Vorsatzeinschränkung ist nämlich bei sicherem Wissen über die Taug-
lichkeit der unternommenen Handlung zur Rechtsgutsverletzung, das eine völ-
lige Steuerung der Sozialschädlichkeit impliziert, nicht erforderlich. Ansonsten
ist Gegenstand der folgenden Erwägungen die Frage, wie die Gewichtung der
beiden Vorsatzkomponenten im einzelnen vorzunehmen ist.

80 Vgl. Schünemann, Festschrift für Hirsch, S. 370 ff.; ders., Chengchi Law Review

50 (1994), 266 ff. Zur Präzisierung des vor allem von Arthur Kaufmann (in: Analogie
und Natur der Sache) ausgearbeiteten Konzepts der Typusbegriffe, nun mit einer Be-
rücksichtigung der unterschiedlichen Ausprägungen der Merkmale vgl. Puppe, Ge-
dächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 25 ff., speziell über den dolus eventualis:
S. 31; Kuhlen, in: Generalisierung und Individualisierung im Rechtsdenken, ARSP-
Beiheft 45 (1992), 119 ff.; Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 410 ff., 423 ff., 429 ff.,
495; MünchKommStGB/ders., § 15, Rdn. 126 ff.; ders., in: Byrd/Hruschka/Joerden
(Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), S. 103 ff.; Warda, Festschrift für
Hirsch, S. 412 f.; ferner auch Schünemann, Festschrift für Arthur Kaufmann, S. 305 ff.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 181

(2) Wollensseite

Die Frage, welche Einstellung der Täter bei Begehung der Tat hat, bedarf
also einer Berücksichtigung beim Vorsatz, wenn kein sicheres Wissen über die
(mögliche) Tatbestandsverwirklichung besteht. Allerdings ist nicht jede Willens-
betätigung im Sinne einiger Ansätze der Willenstheorien rechtlich relevant, son-
dern nur diejenigen, die durch objektive Kriterien als solches bestimmt werden.
Die in der realen Welt existierende psychische Beziehung des Täters zu seiner
Tat ist als solche also nicht gleich als Vorsatz zu beurteilen, sondern sie gilt nur
als Gegenstand der rechtlichen Beurteilung und dabei als Indiz des Vorhanden-
seins einer aus rechtlicher Sicht negativen Einstellung gegenüber dem Rechts-
gut.81 Für die Bestimmung der für den Vorsatz rechtlich relevanten Tätereinstel-
lung (Wollensseite) sind eine subjektive und eine objektive Seite zu berücksich-
tigen:82 Ob der Täter seine Handlung gegen das Rechtsgut richtet bzw. ohne
Vermeidewillen handelt (objektive Seite der Tätereinstellung), wird seiner emo-
tionalen Einstellung zur Tat und ihren Folgen entnommen (subjektive Seite der
Tätereinstellung).
Es muß die subjektive Seite der Tätereinstellung bestimmt werden, d. h. die
Frage, um welche psychischen Strukturen es sich bei der Schaffung der Mög-
lichkeit der Tatbestandsverwirklichung handelt. Die psychischen Phänomene der
Billigung, Gleichgültigkeit, Unerwünschheit oder Ablehnung bezüglich der Tat-
bestandsverwirklichung beschreiben für sich allein nicht den vollständigen psy-
chischen Vorgang, der bei der Schaffung der Möglichkeit der Tatbestandsver-
wirklichung in der Regel wirklich abläuft:83 Ist ein Subjekt an der Vornahme
einer Handlung interessiert, die die Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung er-
öffnet, kann seine Einstellung zu dieser Möglichkeit unterschiedliche Ausfor-
mungen aufweisen. Ist die Rechtsgutsverletzung unerwünscht, aber das Interesse
an der Vornahme der Handlung übermächtig, kann ein Verdrängungsprozeß
beim Handelnden einsetzen, aufgrund dessen von ihm die Sozialschädlichkeit
seines Verhaltens als doch nicht so immanent bewertet wird. Dieser Verdrän-
gungsprozeß entspricht im Prinzip etwa der Formulierung der Rechtsprechung
und einem Teil der Willenstheorien des Vertrauens auf das Ausbleiben des Er-
folges – allerdings ist eine sachliche Beschreibung des Ablaufs dieses Prozesses
einer Vorsatzbestimmung auf rein sprachlichem Wege vorzuziehen.84 Ist demge-
genüber dem Handelnden die Rechtsgutsverletzung gleichgültig, wird es in der

81 Als „Indiz“ bezeichnet auch von Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 333 ff., 475,

489 f.; Schroth, NStZ 1990, 324; Kühl, Strafrecht AT, § 5, Rdn. 55.
82 Vgl. die Differenzierungen in zwei Seiten bereits bei Schünemann, Festschrift für

Hirsch, S. 372; ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 270.


83 Vgl. die zutreffende common-sense-Kritik von Schünemann, Festschrift für

Hirsch, S. 367; ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 266 f.; ders., JA 1975, 788 f.;
ders., GA 1985, 362 f.
182 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

Regel keine solche psychische Notwendigkeit für einen Verdrängungsprozeß ge-


ben (so entspräche dies dem „Ernstnehmen des Erfolges“ zur Bejahung des
Vorsatzes). Wie die erste Konstellation mit dem angenommenen Verdrängungs-
prozeß rechtlich zu beurteilen ist, ist nicht unumstritten. Ein Teil des Schrift-
tums lehnt eine Vorsatzhaftung immer ab, wenn der Täter das Risiko der Tat-
bestandsverwirklichung psychisch verdränge,85 während andere Autoren u. U.
Vorsatz annehmen.86 Ob die Verdrängungsbereitschaft des Handelnden die Vor-
satzstrafbarkeit immer ausschließen soll, ist die als nächstes zu behandelnde
Frage nach der rechtlichen Bewertung des bis jetzt geschilderten Verdrängungs-
prozesses, der wiederum als real-psychischer Gegenstand der rechtlichen Be-
wertung dient.
Die Frage, ob die subjektive Einstellung eine solche ist, die eine Vorsatzstraf-
barkeit begründet, ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen, d. h. die Täterein-
stellung bezüglich der möglichen Rechtsgutsverletzung markiert die subjektive
Seite, nämlich die Einstellung selbst (zur Verdrängung der Möglichkeit der Tat-
bestandsverwirklichung), zu der als objektive Seite die Beurteilung dieser Ein-
stellung hinzukommt, die in der Bewertung besteht, ob die Einzelheiten der Tat-
handlungsmaxime allgemein für derartige Situationen und damit objektiv als
Ausdruck von Gleichgültigkeit gegenüber dem Rechtsgut oder überhaupt als
rechtsgüterfeindlich zu bezeichnen sind.
Zur Antwort auf die Frage nach der rechtlichen Bewertung einer etwaigen
Verdrängungsbereitschaft des Handelnden ist eine Differenzierung erforderlich:
Entsteht sie aus bloß individuellen Impulsen des Täters, obwohl die Situation
nach allgemeiner Bewertung für das Rechtsgut unerträglich gefährlich ist, so
erscheint es kriminalpolitisch sinnvoll zu sein, eine solche Einstellung gegen-
über einer möglichen Rechtsgutsverletzung negativ zu bewerten. Würde es sich
beim Hauptziel des Subjekts dagegen um eine Tätigkeit handeln, bei der die
Gesellschaft allgemein zur Verdrängung neigt, weil z. B. der Teilnehmer selbst

84 Schünemann, JA 1975, 789; ders., Festschrift für Hirsch, S. 368 und passim be-

zeichnet das Vorgehen der herrschenden Meinung als ein bloßes „Jonglieren mit philo-
logischen Varianten“.
85 Vgl. Stratenwerth, ZStW 71 (1959), 56; Roxin, JuS 1964, 60 f.; ders., Strafrecht

AT 1, § 12, Rdn. 21 ff., insbes. 31; Wolter, Alternative und eindeutige Verurteilung auf
mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht, S. 178 f.; Grünwald, Festschrift für
H. Mayer, S. 288; Schroth, JuS 1992, 7; Lackner/Kühl, StGB, § 15, Rdn. 24.
86 Gegen ein ungerechtfertigtes Honorieren der stärksten psychologische Verdrän-

gungskraft vgl. LK-Schroeder, § 16, Rdn. 89; zu einer Betrachtung der Verdrängungs-
bereitschaft unter Rechtsgüterschutzaspekten vgl. Schünemann, JA 1975, 788; ders.,
JR 1989, 93; zu einer Unterscheidung zwischen Täter, die sich in einem allgemein
akzeptierten Rollenbild befinden, und „ohnehin kriminell tätigen Täter“, vgl. Haft,
ZStW 88 (1976), 382 f., 389, 391. Aus der Perspektive der – modernen – Vorstel-
lungstheorien vgl. z. B. Herzberg, JuS 1986, 252; ders., Festgabe BGH, Bd. IV, S. 81;
Puppe, ZStW 103 (1991), 11 ff.; NK-dies., § 15, Rdn. 56, 78; dies., Strafrecht AT 1,
§ 15, Rdn. 9.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 183

das Risiko eingeht wie beim Straßenverkehr, ist der Bedrohungseffekt einer sol-
chen Verdrängungsbereitschaft bei der Schaffung einer unerlaubten Gefahr sehr
niedrig, und deshalb erreicht er das Maß der für den Vorsatz erforderlichen
rechtsgüterfeindlichen Einstellung nicht. Fährt z. B. jemand über eine rote Am-
pel bei einer ex ante nicht vorhersehbaren Gefahr, weil der Wille, schneller
zum Ziel zu kommen, überwiegt, und begnügt er sich dabei mit der Erklärung,
daß nichts geschehen werde, schafft er einerseits ein unerlaubtes Risiko, ande-
rerseits erreicht seine Verdrängungsbereitschaft auch angesichts des Eingehens
des Risiko nicht den Bedrohungsgrad für das Rechtsgut, der der Ratio der er-
höhten Vorsatzsbestrafung entspricht. Demgegenüber wirkt eine Verdrängungs-
bereitschaft des Täters, die auf rein individuelle und deshalb unberechtigte Im-
pulse und nicht auf eine in der Gesellschaft verankerte Risikobereitschaft zu-
rückzuführen ist, sehr bedrohlich für die Rechtsgüter, selbst bei sehr niedrigen
Risikoschaffungen, wie z. B. bei der Gefahr der Ansteckung mit HIV. Man
könnte aber bei den Aids-Fällen an die Möglichkeit denken, daß der Täter die
Rechtsgutsverletzung aus dem Grund verdrängt, weil der Sexualpartner sowieso
über ein allgemeines Verletzungsrisiko bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr
informiert ist. Eine solche Erklärung der Verdrängungsbereitschaft hat einen
niedrigeren Bedrohungseffekt als diejenige, die aus rein individuellen Impulsen
entsteht.
Ob die Verdrängungsbereitschaft des Handelnden berechtigt ist mit der Folge
eines bloßen Fahrlässigkeitsdelikts, weil sie als Leichtsinn erscheint, der für ein
Vorsatzdelikt nicht genügt, hängt vor allem von der Art der vorgenommenen
Tätigkeit ab, die das Endziel des Täters bildet, von der Erlaubtheit oder Uner-
laubtheit der Tätigkeit (die Handlung des Täters im Rahmen dieser Tätigkeit
wird u. U. als solche unerlaubt sein, wie beispielsweise das Fahren über eine
rote Ampel), vom Grad der Tatherrschaft über das Opfer, d. h., ob dieses um
das Risiko weiß, und von der Bereitschaft des Täters, das von ihm geschaffene
Risiko selbst einzugehen.87 Geht der Handelnde das Risiko selbst ein, wie es
beim Straßenverkehr üblich ist, wird die Verdrängungsbereitschaft in der Regel
keine rechtsgüterfeindliche Einstellung manifestieren und damit nur eine Fahr-
lässigkeitshaftung begründen. Darüber hinaus sind weitere objektive Kriterien in
Betracht zu ziehen, die wiederum einer Anpassung an die Situationselemente
von Fall zu Fall bedürfen. Beispielsweise ist die Tatsache, daß der Mensch oft
zur Verdrängung der Möglichkeit eines Todeseintritts (d. i. die sogenannte
„Hemmschwelle“ vor dem Tötungsvorsatz88) bei einer selbst geschaffenen Ge-
fahr neigt, nicht als solche bestimmend für die rechtliche Bewertung. Vielmehr
müßte diese Verdrängungsbereitschaft aus der Perspektive des Rechtsgüterschut-

87 Diese objektiven Kriterien wurden bereits von Schünemann, Festschrift für

Hirsch, S. 374; ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 272 f., 292 f., entwickelt.
88 Vgl. BGHSt. 15, 117.
184 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

zes beurteilt werden: Angesichts des hochrangigen Rechtsgutes erweist eine


Einstellung des Handelnden, die das Todesrisiko verleugnet, eine die Vorsatz-
haftung begründende unerträgliche Rechtsgüterfeindlichkeit,89 wenn sie nicht
wiederum in eine „kollektive Verdrängung“ eingebettet ist.
Nach diesen Erwägungen ist es angebracht, auf die sogenannte Vermeidungs-
theorie90 Bezug zu nehmen, die oben bei der Bewertung der Willenstheorien
unter Verweis auf die Erörterung an dieser Stelle noch nicht behandelt wurde.
In dieser Arbeit wurde in unterschiedlichen Abschnitten auf die rechtlichen Fol-
gen der Begehung einer Tat mit Vermeidewillen aufmerksam gemacht: Es
kommt Fahrlässigkeit und nicht Vorsatz in Betracht, und eine Interessenabwä-
gung zwischen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz findet dann ggf. im
objektiven Tatbestand statt. Die Vermeidungstheorie stellt aber nicht nur auf
den Vermeidungswillen ab, sondern auch auf den ernsten91 Einsatz von Gegen-
faktoren (solange dies in der Situation möglich ist92). Sie liefert damit einen
Ansatz, der einerseits den Täterwillen als empirische Seite der begangenen
Straftat berücksichtigt, andererseits bleibt dieser Wille aber nicht nur einer blo-
ßen Einstellung des Täters ohne objektive Grenzen verhaftet (wie es bei einigen
Ansätzen der Willenstheorien der Fall ist), sondern er findet sein Korrelat in
einer äußerlichen Manifestation durch den Einsatz von Gegenfaktoren, soweit
dies möglich ist. Neben den hier als positiv beurteilten Voraussetzungen der
Vermeidungstheorie müssen allerdings die vorgebrachten Einwände berücksich-
tigt werden: Auch wenn der Täter Gegenfaktoren zur Vermeidung der Tatbe-
standsverwirklichung einsetzt, wäre Vorsatz und nicht Fahrlässigkeit bei einem
hohen Restrisiko anzunehmen, wenn er dieses Risiko kennt und also akzep-
tiert.93 Der Täterwille (bzw. Vermeidewille) weist rechtlich keine Relevanz
mehr auf bei vorhandenem „sicheren Wissen“ bzw. bei Wissen um die erhöhten
Chancen der Tatbestandsverwirklichung, d. h. er findet bei der strafrechtlichen
Beurteilung keine Berücksichtigung. Ein solches Wissen sichert die Tatherr-

89 Vgl. dazu Schünemann, JR 1989, 93.


90 So die Bezeichnung von Hillenkamp, a. a. O., S. 7. Ursprünglich vertreten von
Armin Kaufmann, ZStW 70 (1958), 64 ff.; später von Schünemann, JA 1975, 790;
ders., in: Schünemann/Pfeiffer (Hrsg.), Die Rechtsprobleme von AIDS, S. 488 ff. (nun
vertritt er einen typologischen Vorsatzbegriff, vgl. Nachweise supra, Fn. 80); Behrendt,
Festschrift für v. Simson, S. 23 ff.; ders., JuS 1989, 950; Hillenkamp, Gedächtnis-
schrift für Armin Kaufmann, S. 351 f.; Schlehofer, NJW 1989, 2020; Schroth, NStZ
1990, 325 f.; ders., JuS 1992, 8; ders., Vorsatz als Aneignung der unrechtskonstituier-
enden Merkmale, S. 115 ff., 120 f.
91 So nach Behrendt, Festschrift für v. Simson, S. 26; ders., JuS 1989, 950; Schroth,

NStZ 1990, 326.


92 Vgl. Hillenkamp, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 368.
93 So die h. M., vgl. z. B. Hillenkamp, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,

S. 364; Roxin, Strafrecht AT I, § 12, Rdn. 48; Lackner/Kühl, StGB, § 15, Rdn. 24;
ders., Strafrecht AT, 3. Aufl., § 5, Rdn. 81. Vgl. ferner die Zusammenfassung der Kri-
tik in Hillenkamp, 32 Probleme, Strafrecht AT, S. 9.
C. Untergrenzen des Vorsatzdelikts 185

schaft und begründet bereits für sich allein den Vorsatz, auch wenn der Täter
mit Vermeidewillen handelt oder Vermeidefaktoren einsetzt. Dieser Standpunkt
impliziert auf keinen Fall eine normative Zuschreibung der Willenskomponen-
ten, sondern er berücksichtigt den Grad der realen Steuerungsfähigkeit des Tä-
ters über das Geschehen und läßt die Wissenskomponente – ohne eine etwaige
Ergänzung durch die Willenskomponente – in den Vordergrund treten, sobald
die Tatherrschaft absolut gesichert ist. Die Willenskomponente hat eher eine
Funktion, wenn der Täter nur von der Möglichkeit der Tatbestandsverwirkli-
chung Kenntnis hat. In diesem Fall ist Vorsatz nur bei vorhandenem Verlet-
zungswillen anzunehmen.
Der Vermeidewille bzw. der Einsatz von Gegenfaktoren ist allerdings ein wei-
terer Aspekt, der zur Bestimmung der zur Vorsatzhaftung relevanten Einstellung
des Täters dient. Diese Auffassung entspricht auch dem oben beschriebenen
Verdrängungsprozeß: „Schlichten“ Vermeidewillen zu haben, obwohl man um
die erhöhte Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung
weiß, bedeutet eine nicht akzeptable Verdrängung der Verletzungsfähigkeit eige-
ner Handlungen, was einen hohen Bedrohungseffekt für das Rechtsgut impli-
ziert und deshalb die höhere Vorsatzstrafe verdient. In diesem Sinne ist den
Vorstellungstheorien darin recht zu geben, daß das (erhöhte) Wissen einen Wil-
len zur Tatbestandsverwirklichung impliziert.94
De lege ferenda scheint es angebracht, im Allgemeinen Teil eine gestufte
Differenzierung bezüglich der Strafrahmen zwischen den unterschiedlichen Vor-
satz- und Fahrlässigkeitsformen vorzunehmen.95 Auf einer Stufe zwischen der
Vorsatz- und der Fahrlässigkeitsstrafandrohung würde dann das Verhalten des-
jenigen anzusiedeln sein, der eine bloß individuelle, rechtsgüterfeindliche Ver-
drängungsbereitschaft und dabei tatsächliche Kenntnis von der Möglichkeit der
Tatbestandsverwirklichung besitzt.

b) Objektivität und Subjektivität der Vorsatzkomponenten

Als Ergebnis ist festzuhalten, daß das Wissenselement des Vorsatzes psychi-
sche Strukturen in Bezug nimmt, die entscheidend für die Bejahung der Tat-
herrschaft sind. Aus der Vielfalt der in der Psyche des Täters existierenden Ele-
mente bezüglich seiner Tat sind also solche rechtlich relevant, die eine Tatherr-
schaft begründen können. Die Tatherrschaft selbst ist etwas Empirisches; die
Auswahl dieses Kriteriums zur Bestimmung der strafrechtlichen Relevanz ist
eine Frage der rechtlichen Bewertung. Das Willenselement des Vorsatzes hat

94 Vgl. z. B. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 262 ff.; Freund, Strafrecht AT, § 7, Rdn.
55 f.
95 Vgl. bereits Weigend, ZStW 93 (1981), 657 ff.; Schünemann, GA 1985, 363 f.;

ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 269 f.; ders., Festschrift für Hirsch, S. 371 f.
186 § 5 Folgerungen für das Vorsatzdelikt

wiederum sowohl eine subjektive Seite, nämlich die psychologische Motivation


des Täters, als auch eine objektive Seite, nämlich die rechtsgüterfeindliche Tä-
tereinstellung. Damit erhält der Vorsatzbegriff einerseits eine rein subjektive
Seite: die Tatherrschaft im empirischen Sinne, und eine subjektive/objektive
Seite: die genannte subjektive Einstellung des Täters zur als möglicherweise
eintretend vorausgesehenen Tatbestandsverwirklichung.96
Damit ist (1) die Argumentation der Wahrscheinlichkeitstheorie nur für die
Fälle von sicherem Wissen anzunehmen, (2) die Möglichkeitstheorie durch die
Voraussetzung einer Willenskomponente einzuschränken, (3) die Untergrenzen
der Vorsatzhaftung bei Risikotheorien niedriger zu ziehen und wiederum mit
einer Willenskomponente zu ergänzen, und (4) einige Ansätze der Willenstheo-
rie mit solchen objektiven Kriterien auszufüllen, die den empirischen Bewußt-
seinsvorgang als Gegenstand der rechtlichen Betrachtung annehmen. Diese
Skizzierung ist ein Zeichen für die Erforderlichkeit, den Vorsatzbegriff durch
eine Kombinationstheorie wie hier vertreten zu definieren.

96 Ähnlich, aber nicht identisch Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994),

268 ff.; ders., Festschrift für Hirsch, S. 370 ff., der sich eher auf eine rechtsgüterfeind-
liche Gesinnung bezieht.
§ 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

A. Bisheriger Gang der Untersuchung

In § 3 wurde die grundsätzliche Frage nach der Gleichstellung der Zurech-


nungskriterien bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten behandelt. Dabei ging
es um die Frage, ob die Untergrenzen strafbaren Verhaltens für beide Delikts-
formen gleich zu ziehen wären. Als Ergebnis wurde in § 5 B festgehalten, daß
eine Handlungsfreiheit beim Vorsatzdelikt nicht wie beim Fahrlässigkeitsdelikt
gewährt werden kann. Die Untergrenzen des Vorsatzdelikts sind u. U. niedriger
als die des Fahrlässigkeitsdelikts zu setzen.
Was den subjektiven Tatbestand anbelangt, wurde ein Vorsatzbegriff entwik-
kelt, nach dem (1) das (reale) sichere Wissen ausnahmslos Tatherrschaft und
damit Vorsatz begründet und (2) das absichtliche Verhalten bei unsicherem Wis-
sen nur eine Vorsatzstrafbarkeit bei vorhandener rechtsgüterfeindlicher oder zu-
mindest gleichgültiger Einstellung gegenüber dem Rechtsgut begründen könnte.
Ein tatsächliches Wissen um die Wirkung der eigenen Handlung bzw. um die
Rechtsgutsverletzung begründet Tatherrschaft, die Voraussetzung der Vorsatz-
strafbarkeit ist. Bei vorhandenem Tatwissen kann aber auch eine Fahrlässig-
keitsbestrafung in Betracht kommen (in der Form der sog. bewußten Fahrlässig-
keit), sofern der Täter dabei mit – berechtigtem1 – Vermeidewillen handelt. In-
sofern Wissen ein Machtfaktor ist, begründet es Tatherrschaft, allerdings ist die
Steuerungskapazität bei Fahrlässigkeitsdelikten reduziert, sei es wegen fehlen-
dem Wissen, sei es wegen einem – berechtigten – Vermeidewillen, so daß eine
Tatherrschaft bei den Fahrlässigkeitsdelikten im Gegensatz zu den Vorsatzdelik-
ten (vgl. § 25 StGB) nicht Voraussetzung ist.2
Damit ist bereits die Grundlage geschaffen, die direkt zur Untersuchung des
Problems des Sonderwissens führt und die Erforderlichkeit einer unterschied-
lichen Behandlung dieses Themas bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten auf-
zeigt, weil die Zurechnungskriterien als Untergrenzen strafbaren Verhaltens
ebenfalls unterschiedlich zu bestimmen sind. In den obigen Ausführungen
wurde die Frage nach den Untergrenzen strafbaren Verhaltens und nach dem
Vorsatz, vor allem bei sicherem Wissen, erörtert. Obwohl diese Themen die

1 Vgl. dazu supra, § 5 C II 2 a) cc) (2).


2 Vgl. dazu Schünemann, Festschrift für Hirsch, S. 371; ders., Chengchi Law Re-
view 50 (1994), 269.
188 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Antwort auf das Problem des Sonderwissens bereits in sich enthalten, erscheint
nunmehr eine Gesamtbetrachtung nicht nur mit Darlegung der eigenen Auffas-
sung, sondern auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Meinungen zu
dem punktuellen Thema des Sonderwissens angezeigt. Es handelt sich dabei
letztendlich abermals um die Auffassungen der Lehre von der objektiven Zu-
rechnung mit ihren unterschiedlichen Varianten, des Spätfinalismus und der in-
dividualisierenden Fahrlässigkeitslehre, nun aber nur bezüglich des Themas des
Sonderwissens, das ein selbständiges und äußerst weites Feld bildet. Und ob-
wohl die Debatte über die Einführung des Sonderwissens in die objektive Zu-
rechnung teilweise auf einen Streit über Systemfragen hinausläuft, wird hier das
Problem des Sonderwissens als eine materielle, grundsätzliche Frage des Un-
rechtsinhalts angesehen, weshalb die Diskussionspunkte, die sich auf das Syste-
matische beschränken, nur als zweitrangig behandelt werden.
Selbständig daneben steht die Frage der Berücksichtigung etwaigen Sonder-
könnens beim Fahrlässigkeitsdelikt, die nicht unumstritten ist und teilweise dif-
ferenzierend beantwortet wird. Sie ist infra, § 6 G, noch gesondert zu erörtern.

B. Die Debatte über das Sonderwissen

I. Belastende Wirkung des Sonderwissens nach der h. M.


für Vorsatz- wie für Fahrlässigkeitsdelikte

1. Allgemeinheiten

Das Verständnis des Sonderwissens als ein Zusatzelement des Tatbestandes


ist bei den Fahrlässigkeitsdelikten besonders ausgeprägt. Im Grunde hat das
Problem, wie bereits oben dargestellt, seinen Ursprung in der Dogmatik der
fahrlässigen Delikte und wurde auf die vorsätzlichen Delikte dadurch übertra-
gen, daß die zuerst ausschließlich für die Fahrlässigkeitsdelikte entwickelte
Lehre von der objektiven Zurechnung auch bei den Vorsatzdelikten als Zentral-
punkt des objektiven Tatbestands etabliert wurde. Heutzutage überwiegen die
Bemühungen der Strafrechtswissenschaft zur Weiterentwicklung eines Verständ-
nisses der vorsätzlichen und fahrlässigen Delikte, nach dem beide Formen des
Verbrechens im objektiven Tatbestand als gleichartig dargestellt werden.3 Letzt-
endlich soll ein umfangreicher objektiver Tatbestand für beide Verbrechensfor-
men konstruiert werden.
Wie bereits in der Einleitung dargestellt, hat die prinzipielle Objektivität des
Fahrlässigkeitsunrechts ihren Ursprung in der Herausarbeitung der objektiven
und generellen Kategorie der Sorgfaltswidrigkeit. Diese wurde zunächst von

3 Exemplarisch Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 60, vgl. ferner hier supra, § 3 C.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 189

Engisch4 und später von Welzel5 aus dem Schuldbereich in den Tatbestand ver-
setzt, und diese Einordnung wird bis heute von der herrschenden Lehre und
Rechtsprechung beibehalten. Ob ein Verhalten eine Gefahr geschaffen hat und
ob diese Gefahr mißbilligt war bzw. das Maß der im konkreten Fall aufzuwen-
denden Sorgfalt wird nach dem Maßstab eines gedachten objektiven Beurteilers
des Verkehrskreises des Täters ex ante bestimmt, zu dem auch etwaiges Sonder-
wissen des Täters zählt.6 Wiederum wird die subjektive Voraussehbarkeit des
Erfolges im Schuldbereich neben den sonstigen Merkmalen (Schuldfähigkeit,
potentielles Unrechtsbewußtsein, Unzumutbarkeit) geprüft.
Gemäß dieser deutlichen Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld, die
in der ursprünglichen Auffassung Welzels noch nicht vorhanden war,7 ist der
Aufbau der Fahrlässigkeitsdelikte bis Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhun-
derts unbestritten geblieben.8 Dann entwickelte sich eine individualisierende
Strömung, die vom traditionellen, heute noch herrschenden generalisierenden
Maßstab für die Bestimmung der Sorgfaltswidrigkeit abweicht. Da diese Auffas-
sung die Sorgfaltsanforderungen individualisiert, braucht sie etwaige Sonder-
kenntnisse des Täters nicht als Zusatzelement des Tatbestandes einzubeziehen,
sondern sie werden einfach innerhalb des individualisierten Beurteilungsmaßsta-
bes mitberücksichtigt.9
Inzwischen wird der Begriff der Sorgfaltswidrigkeit der herrschenden Mei-
nung im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung präzisiert, ergänzt
und zugleich näher begrenzt, so daß er von der dogmatischen Kategorie der
Schaffung einer unerlaubten Gefahr quasi überwunden oder „überdeckt“ wird.10
Die durch die Lehre von der objektiven Zurechnung geschaffenen strafrechtli-
chen Handlungsfreiräume werden dagegen bei vorhandenem Sonderwissen des
Täters wieder abgeschafft. Sonderwissen schließt nämlich nach der herrschen-
den Lehre entlastende Zurechnungskriterien wie das erlaubte Risiko sowohl
beim Vorsatz- als auch beim Fahrlässigkeitsdelikt aus, d. h. Sonderwissen wirkt

4 Vgl. die Ausführungen und die Nachweise supra, § 1 C.


5 Vgl. supra, § 2 E.
6 Siehe zum objektiven Maßstab die in supra, Einleitung, Fn. 1, genannten Autoren,

insbesondere die Nachweise zur Lehre und Rechtsprechung bei Jescheck/Weigend,


Lehrbuch, § 54 A 3, Fn. 8. Zur Einbeziehung des Sonderwissens siehe infra, § 6,
Fn. 12.
7 Vgl. die Ausführungen supra, § 2 E.
8 Mit Ausnahme der Monographie von Krauß, Die Zurechnung des Erfolges im Un-

rechtstatbestand, S. 133 ff.; ders., ZStW 76 (1964), 19 ff., 57 f., 65 ff.


9 Vgl. näheres infra, § 6 B II 2 c).
10 Vgl. z. B. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 504, Fn. 10; ders., Tatbestandsmäßiges

Verhalten, S. 33 f.; Kuhlen, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Recht und Moral,


S. 347 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 11, Rdn. 42, 49; ders., Chengchi Law Review 50
(1994), 229 f.; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, vor § 13 ff., Rdn. 93; Puppe, Straf-
recht AT 1, § 15, Rdn. 4.
190 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

sich ausnahmslos unter der Maxime „Wissen verpflichtet“11 zu Lasten des Tä-
ters aus.12 Damit Sonderwissen bei der objektiven Zurechnung überhaupt be-
lastend wirken kann, wird die zur Bestimmung der Vorhersehbarkeit des Erfol-
ges und der Sorgfaltsanforderungen verwendete Figur des ex ante-Beobachters
(Modellfigur des gewissenhaften und einsichtigen Menschen aus dem jeweili-
gen Verkehrskreis) zusätzlich mit den Kenntnissen des Täters gefüttert. Die Zu-
rechnungskriterien werden nach der h. L. beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt
also immer gleichgestellt, gleichgültig ob der Täter zusätzlich über Sonderwis-
sen verfügt oder nicht. Sonderwissen belastet also nach einhelliger Meinung bei
beiden Deliktsformen auch bei einem Tätigwerden im Rahmen des sonst erlaub-
ten Risikos.
Aus systematischer Perspektive ergeben sich bei der Berücksichtigung des
Sonderwissens im objektiven Tatbestand einige Besonderheiten. Während die
h. L. in der Regel das Subjektive beim subjektiven Tatbestand des Vorsatzde-

11 Diese Ausdrucksweise findet man bezüglich der Fahrlässigkeit bei Graßberger,

ZfRV 1964, 25 f. (bezüglich der Fahrlässigkeit); vgl. ferner Burgstaller, Das Fahrläs-
sigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 66 f.
12 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 22, Rdn. 46 (Fahrlässigkeit); Bindokat,

JuS 1985, S. 34; Bockelmann/Volk, Strafrecht AT, § 13 A V 4 c und d (Vorsatz), § 20


B I 4 b dd (Fahrlässigkeit); Brehm, Gefährdungsdelikt, S. 128; Burgstaller, Das Fahr-
lässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 65; Donatsch, Sorgfaltsbemessung und Erfolg beim
Fahrlässigkeitsdelikt, S. 235 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 133 ff., 138 (auf
S. 133 f. differenzierend); ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 71, Fn. 6; ders., in:
Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 184, Fn. 134, differenzierend in: S. 189, Fn. 145;
ders., Festschrift für Roxin, S. 230; Haft, Strafrecht AT, S. 167 (Fahrlässigkeit); Herz-
berg, Die Verantwortung für Arbeitsschutz, S. 170 (Fahrlässigkeit); ders., Jura 1984,
S. 406; ders., JZ 1987, S. 537; Hirsch, ZStW 94 (1982), 274; ders., Festschrift für
Lampe, S. 528 (Fahrlässigkeit); Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 III 2 (Vorsatz) und
§ 55 I 2 b (Fahrlässigkeit); Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 87; Köhler, Strafrecht
AT, S. 184; Krey, Strafrecht AT 2, § 51, Rdn. 538 (ausdrücklich nur für das Fahrlässig-
keitsdelikt); Kühl, Strafrecht AT, § 17, Rdn. 31 ff.; Martínez Escamilla, La imputación
objetiva del resultado, Madrid, S. 81 ff.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT I, § 18, Rdn. 33
(zur Adäquanztheorie); Mir Puig, Función de la pena, Barcelona, S. 78 ff.; ders., Ge-
dächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 266 f.; ders., Derecho Penal, PG, Barcelona,
§ 10, Rdn. 43, 45 und 52, auch § 6, Rdn. 54, § 11, Rdn. 35 (diese nur für Fahrlässig-
keit); NK-Puppe, vor § 13, Rdn. 145; Roxin, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,
S. 250; ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 232 ff., 247; ders., Strafrecht AT I,
§ 11, Rdn. 35, 50 (Vorsatz) und § 24, Rdn. 69 (Fahrlässigkeit); Schönke/Schröder/
Lenckner, StGB, vor §§ 13 ff., Rdn. 93 (Vorsatz und Fahrlässigkeit) (der allerdings
Ausnahmen nach der Rollentheorie von Jakobs annimmt, a. a. O.); Schönke/Schröder/
Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 139 (Fahrlässigkeit); Schünemann, Fest-
schrift für Schaffstein, S. 166; ders., GA 1999, 216 f.; Stratenwerth, Strafrecht AT I,
§ 8, Rdn. 22 (Vorsatz), § 15, Rdn. 14 für (Fahrlässigkeit); Welzel, Das Deutsche Straf-
recht, S. 132; Tiedemann, Die Anfängerübung im Strafrecht, 1. Teil, 3. Kap., III 2 c,
2. Teil, 5. Kap., I (Fahrlässigkeit); Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rdn. 170 (Vorsatz),
670 (Fahrlässigkeit); Wieseler, Sorgfaltspflichtmaßstab, S. 118 f. (ausdrücklich nur für
das Fahrlässigkeitsdelikt); Wolter, GA 1977, S. 269. Für Spanien vgl. z. B. Cerezo Mir,
Curso de Derecho penal español, PG II, Madrid, S. 62 f. (Vorsatz), 162 (Fahrlässig-
keit).
B. Die Debatte über das Sonderwissen 191

likts und bei der Schuld des Fahrlässigkeitsdelikts prüft, verortet sie die Prüfung
der Sonderkenntnisse, wenn diese vorhanden sind, im objektiven Tatbestand des
Vorsatzdelikts oder im Unrecht des Fahrlässigkeitsdelikts.
Im Gegensatz zu der belastenden Wirkung des Sonderwissens beurteilt die
h. L. eine absichtliche, auf einen Verletzungserfolg gerichtete Handlung des Tä-
ters, solange sie im Rahmen des erlaubten Risikos begangen wird, als eine Be-
tätigung im strafrechtlich freien Raum und damit als nicht strafbar. Im End-
effekt haben damit die Ausführungen der h. L. über das Institut des erlaubten
Risikos beim Vorsatzdelikt überhaupt nur Relevanz bei solchen absichtlichen
Konstellationen.13 Demgegenüber ist nach der h. L. bei vorhandenem Sonder-
wissen keine Rede vom erlaubten Risiko, weil hiernach das Sonderwissen das
Risiko sowieso in ein unerlaubtes verwandeln würde.

2. Spezielle Ansichten innerhalb der h. M.:


Das rein objektive, allgemeine Gefahrurteil nach Frisch

Während die h. M. die Sonderkenntnisse des Täters beim Aufbau der objekti-
ven Zurechnungslehre in den objektiven Tatbestand einführt und zugleich diesen
Vorgang erkennt und rechtfertigt, lehnt es Frisch ab, daß subjektive Elemente
überhaupt in die „Urteilsbasis“ einbezogen werden, auch wenn er von einem
ähnlichen Zurechnungsrahmen ausgeht. Bereits oben14 wurde die Meinung von
Frisch bezüglich der materiellen Frage der belastenden Wirkung des Sonderwis-
sens im Rahmen seiner für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte gleichlaufenden
Zurechnungslehre dargestellt. Nun wird hier seine Argumentation gegen den
vom Spätfinalismus erhobenen Einwand der Systemwidrigkeit15 erörtert. Nach
Frisch wird nicht das Wissen des Täters bzw. sein Sonderwissen in die Urteils-
basis einbezogen, sondern „vielmehr ein unbestreitbares Stück Wirklichkeit au-
ßerhalb der Psyche des Täters – nämlich der in der Wirklichkeit vorhandene
Gegenstand seines Wissens oder die in der Wirklichkeit vorhandenen Um-
stände, die er hätte wissen können usw.“16. Die Urteilsbasis bestünde nach sei-
ner Ansicht nur aus „objektiven“ Elementen. Nur bestimmte objektive Um-
stände würden in Betracht kommen, nämlich solche, die vom Täter gewußt wur-
den oder für ihn erfahrbar waren. Das Täterwissen sei nur ein Kriterium für die
Auswahl des für die Urteilsbasis relevanten Ausschnitts der Wirklichkeit.17

13 Vgl. zu eigener Ansicht darüber supra, § 5 B und § 5 C II 2 a) cc) (1) (b) und

(2); infra, § 6 D II.


14 Vgl supra, § 3 C IV.
15 Vgl. dazu infra, § 6 B II 2 b) aa).
16 Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 183. Bereits gegen die Idee, daß

man durch die Berücksichtigung des Sonderwissens auf das Subjektive zugreift, ders.,
Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 42, Fn. 158. Vgl. auch Robles Planas, La participa-
ción en el delito, Madrid, S. 206 f.
192 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Zur weiteren Erklärung des Vorgriffs auf das Subjektive beim objektiven Ge-
fahrurteil geht Frisch nach folgender Vorgehensweise bei der Fallprüfung vor:
a) Objektives Gefahrurteil:
aa) Nach einem optimalen Wissen ex ante
Nach der richterlichen Prüfung der Kausalität werde erkennbar, infolge welcher Be-
dingungen der Erfolg eingetreten sei. Entsprechend dem Norminhalt werde dann ge-
fragt, ob das durch diese Bedingungen begründete Risiko nach dem optimalen Wis-
sen ex ante erkennbar gewesen und ob die entsprechende Risikoschaffung aus einer
Interessenabwägung heraus zu mißbilligen wäre. Wäre das geschaffene Risiko für
niemanden erkennbar gewesen bzw. nicht zu mißbilligen, wäre der Fall auf der rein
objektiven Ebene zu erledigen.18
bb) Nach einem objektiven Standardwissen (oder Durchschnittswissen)
Daß das Risiko nach dem optimalen Wissen erkennbar und mißbilligt sei, würde
nicht unbedingt bedeuten, daß auch das vom Täter geschaffene Risiko mißbilligt
wäre. Täterkenntnisse bzw. -unkenntnisse und Kenntnisverschaffungspflichten müß-
ten ebenfalls berücksichtigt werden. Maßgebend für den Unrechtsbegriff wäre dann
ein objektives Standardwissen (oder Durchschnittswissen).19
cc) Berücksichtigung des Sonderwissens
Solle das darüber hinausgehende Sonderwissen aus materiellen Gründen bedeutsam
sein, so wäre dem durch die Einstellung auch der entsprechenden Umstände Rech-
nung zu tragen.20
Die Frage nach der Subjektivität des Täters für das Gefahrurteil (bzw. die Frage
nach dem hypotetischen Einsatz entsprechender Tatumstände in das Gefahrurteil)
käme nach Frisch im Ergebnis bei einer Risikomißbilligung nach dem optimalen ex
ante-Urteil trotz Risikoerlaubtheit nach dem standardisierten ex ante-Urteil, und
wenn es dazu denkbar erschiene, daß der Täter Sonderwissen bezüglich des insoweit
entscheidenden Umstands hatte.21
b) Berücksichtigung der Subjektivität
Sei die Risikoschaffung nach dem angegebenen Verfahren rechtlich mißbilligt,
stünde nach Frisch nun erst die Frage nach der Subjektivität des Täters: Das Be-
stehen von Sonderwissen oder subjektiver Erkennbarkeit bei vorhandener Kenntnis-
verschaffungspflicht.22
Mit seiner Vorgehensweise für die Fallprüfung möchte Frisch den Vorgriff
auf das Subjektive im Gefahrurteil erklären und damit den gegenüber der h. M.

17 Frisch, a. a. O.; ders., Festschrift für Roxin, S. 230. Diese spezielle Erklärung der

Berücksichtigung subjektiver Elemente im objektiven Gefahrurteil war in ders., Tat-


bestandsmäßiges Verhalten, S. 41, Fn. 158, noch nicht vorhanden.
18 Frisch, a. a. O., S. 189; ders., Vorsatz und Risiko, S. 134 ff.
19 Frisch, a. a. O., S. 189.
20 Frisch, a. a. O., S. 189; vgl. auch ders., Festschrift für Roxin, S. 230.
21 A. a. O., S. 190.
22 A. a. O., S. 190.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 193

gemachten Vorwurf der unklaren, verwirrenden Vermengung von Objektivem


und Subjektivem entkräften.

3. Erwägungen zur h. M.

a) Zwischenbewertung

Bezüglich der Objektivität des Gefahrurteils liefern die Ausführungen von


Frisch zur Selektionsmethode der zu berücksichtigenden Tatumstände weitere
detaillierte Überlegungen zur gesamten Unrechtsproblematik. Ob sie auch auf
die Vorsatzdelikte anwendbar sind, bedarf einer näheren Erörterung, die geson-
dert erfolgen wird. Was die Einzelheiten der Fallprüfungsmethode von Frisch
betrifft, bieten seine Überlegungen zum optimalen Wissen des Beurteilers eine
neue Perspektive; seine Einbeziehung in die Gefahrbeurteilung wäre allerdings
in den normalen Fällen (d. h. ohne Sonderwissen) – vor allem wenn man dies
aus der Sicht der Verhaltensnormen betrachtet – nicht adäquat,23 und könnte
deshalb für den Rechtsanwender bei der Lösung konkreter Fälle verwirrend wir-
ken. Im Ergebnis sind zwischen seinem Konzept und der h. M. keine wesent-
lichen Unterschiede auszumachen: Ob man zuerst einen Standardmaßstab an-
nimmt und dazu das Sonderwissen berücksichtigt, wie es die h. M. vorschlägt,
oder ob man zuerst das optimale Wissen in Betracht zieht, wie es Frisch vor-
zieht, ist für die konkreten Falllösungen letztendlich irrelevant, weil beide Mei-
nungen im Endeffekt wieder übereinstimmen, auch wenn Frisch für den Vorgriff
auf das Subjektive weitere Begründungen anbietet. Viel wichtiger als eine Be-
gründung für die Individualisierung „nach oben“, sei es durch die Addition des
Sonderwissens im objektiven Gefahrurteil oder durch die Annahme des optima-
len Wissens als Ausgangspunkt des Gefahrurteils, ist beim Fahrlässigkeitsdelikt
eine Begründung für die Individualisierung oder Generalisierung „nach unten“,
die bei Frisch, der sich zu der individualisierenden Fahrlässigkeitslehre be-
kennt,24 vordergründig nicht zu finden ist. Es handelt sich dabei um die Fälle,
bei denen der Täter eine Unfähigkeit bei der von ihm vorgenommenen riskanten
Aktivität aufweist, wie z. B. mangelnde Reaktionsschnelligkeit beim Autofahren
aufgrund hohen Alters, die ihm selbst nicht bewußt ist, so daß man ihm einen
Vorwurf wegen Übernahmefahrlässigkeit nicht machen kann. In dieser Konstel-
lation liegt im Endeffekt der Unterschied zwischen Generalisierung oder Indivi-
dualisierung nun nicht mehr nur in der Systematik, sondern in den praktischen
Folgen.
Neben der Frage nach der Generalisierung oder Individualisierung der Sorg-
faltsnormen „nach unten“ tauchen aber beim Thema des Wissens und der Fä-

23 Wie dies Frisch selbst erkennt, vgl. a. a. O., S. 189.


24 In: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 194.
194 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

higkeiten des Täters weitere Sachfragen auf wie die Frage des Verhältnisses
zwischen der Subjektivität des Täters und dem erlaubten Risiko. Für welche
Fallprüfungsmethode man sich entscheidet, sollte hinter der Sachfrage nach der
Unrechtsauffassung für die jeweilige Deliktsform zurückstehen. Im folgenden
Abschnitt werden dementsprechend die Fragen bezüglich der Unrechtsstruktur
näher dargestellt, die vor allem aus dem komplexen objektiven/subjektiven
Konzept der h. M. mit dem Sonderwissen als Zusatzkategorie entstehen.

b) Die aus der h. M. entstandene Kategorie des Sonderwissens –


Nebenfragen zur Unrechtsstruktur

Die These der h. M. bezüglich der Behandlung von Objektivem und Subjek-
tivem beim Unrecht ist also dahingehend zusammenzufassen, daß sie (1) von
einem objektiven ex ante-Gefahrurteil für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte
mit Berücksichtigung der psychischen Beziehung des Täters zu seiner Tat
„nach oben“ (Sonderwissen), (2) von einer folgerichtig belastenden Wirkung
des Sonderwissens und (3) von allgemeinen und nicht von individuellen Sorg-
faltsmaßstäben für die Fahrlässigkeitsdelikte ausgeht. Eine zusätzliche Berück-
sichtigung subjektiver Elemente im objektiven Gefahrurteil kommt also erst in
Frage, wenn man wie die h. M. von objektiven und generellen Verhaltensanfor-
derungen ausgeht. Bei ihrem Konzept sind also drei Grundsätze hervorzuheben:
Objektivität eines ex ante-Gefahrurteils, belastende Wirkung des Sonderwissens
und Allgemeinheit der Verhaltensnormen.
Aus dem Konzept der h. M. ergeben sich also diese drei soeben beschriebe-
nen Nebenthemen, die das Problem des Sonderwissens umrahmen, und die in
dieser Arbeit terminologisch folgendermaßen festgemacht werden: (1) Die Ob-
jektivität und der ex ante-Standpunkt der Urteilsbasis und die Rolle der Täter-
vorstellungen; (2) die belastende Wirkung des Sonderwissens; (3) die Allge-
meinheit oder Individualisierung der Sorgfaltsnormen beim Fahrlässigkeitsde-
likt. Zu den ersten zwei großen Komplexen kommt die Grundsatzfrage hinzu,
ob Differenzierungen beim Unrecht des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikts vor-
zunehmen sind, d. h. (1) wie objektive und subjektive Elemente bei der Mißbilli-
gung des vorsätzlichen bzw. fahrlässigen Verhaltens mitwirken, und (2) ob Son-
derwissen genauso bei Vorsatz- wie bei Fahrlässigkeitsdelikten belastet bzw.
entlastet. In diesem Netz von Fragen findet sich also das Thema des Sonderwis-
sens im aktuellen Diskussionsstand wieder.
Das Thema des Objektiven und Subjektiven im Unrechtsbegriff weist also
eine Vielfalt von Aspekten auf, wie bereits die Kompliziertheit des Gefahr-
urteils der h. M. zeigt. Aus diesem Grund ergeben sich Gegenansichten in unter-
schiedliche Richtungen, die (1) basierend auf den sozialen Rollen eine stetig
belastende Wirkung des Sonderwissens bestreiten oder (2) bei Annahme einer
B. Die Debatte über das Sonderwissen 195

belastenden Wirkung den Begriff von Sonderwissen als Zusatzelement des ob-
jektiven Tatbestandes nicht anerkennen, weil sie wiederum:
a) die Ausgangssituation nach dem Täterwissen beschreiben und damit die Objek-
tivität des Beurteilungsgegenstandes bestreiten (Einwand des Spätfinalismus und
weiterer, auf rechtliche Kriterien abstellende Ansichten);
b) oder die Sorgfaltsnormen individualisieren, wie die individualisierende Lehre.
Für diese im folgenden näher darzustellenden Gegenansichten taucht die
Frage des Sonderwissens jeweils beim Vorsatz- oder ggf. beim Fahrlässigkeits-
delikt gar nicht in der Verbrechenslehre auf, weil bereits der objektive Beurtei-
lungsgegenstand bestritten wird. Die so klassifizierten Gegenmeinungen sind im
folgenden in kurzer Form darzustellen.

II. Die Gegenansichten

1. Gegen eine stets belastende Wirkung des Sonderwissens (Jakobs)

Was die materielle Frage der belastenden Wirkung des Sonderwissens be-
trifft, ist die auf systemtheoretischen Ansätzen fundierte Lehre von Jakobs mit
ihren Anhängern zu nennen, die eine Berücksichtigung des Sonderwissens zu
Lasten des Handelnden in allen Fallkonstellationen ablehnt. Die objektive Zu-
rechnung und damit die strafrechtliche Relevanz wird auch bei vorhandenem
Sonderwissen nach dieser Ansicht ausgeschlossen. Die Darstellung dieses An-
satzes und die Argumente gegen eine Entlastung des Täters mit Sonderwissen
aufgrund der Rollentheorie sind bereits oben dargelegt worden, so daß in die-
sem Punkt darauf verwiesen werden kann.25
Eine Besonderheit ergibt sich beim Sonderwissen im Bereich der Fahrlässig-
keitsdelikte. Während die individualisierende Fahrlässigkeitslehre, zu der auch
Jakobs gehört, die Figur des Sonderwissens nicht benötigt, weil sie den Sorg-
faltsmaßstab nicht generell, sondern individuell betrachtet,26 objektiviert Jakobs
wiederum den individuellen Maßstab bei vorhandenem Sonderwissen des Tä-
ters, d. h. er macht die Strafbarkeit des Täters mit speziellem Wissen von seiner
Rolle abhängig. Damit individualisiert Jakobs einerseits den Beurteilungsmaß-
stab des Fahrlässigkeitsdelikts, aber das zu beurteilende Verhalten wird von ihm
bei vorhandenem Sonderwissen nach den vom Handelnden ausgeübten Rollen

25 Vgl. dazu supra, § 3 C V 2 a), aber auch den gesamten Abschnitt über die Theo-

rie von Jakobs, vgl. § 3 C V. Eine stetig belastende Wirkung des Sonderwissens wird
auch von Robles Planas (La participación en el delito, Madrid, S. 210 ff.) verneint,
allerdings aus einer normativistischen Perspektive, die nicht auf die Rollentheorie zu-
rückgreift. Vgl. auch Silva Sánchez, Medicinas alternativas e imprudencia médica,
Barcelona, S. 18.
26 Vgl. näheres infra, § 6 B II 2 c).
196 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

beurteilt und damit wieder objektiviert. Das zeigt, daß es sich um ein parado-
xes, in sich widersprüchliches Konzept handelt.

2. Annahme einer belastenden Wirkung des Sonderwissens,


aber nicht als „Zusatzelement“ des objektiven Tatbestandes

a) Gegen eine ex ante-Beurteilung (Burkhardt, Roth)

aa) Ex post-Perspektive im objektiven Tatbestand

Burkhardt macht auf die terminologische und inhaltliche Verwirrung zwi-


schen dem Subjektiven und dem Objektiven bei der ex ante-Beurteilung der
herrschenden Meinung aufmerksam.27 Er argumentiert damit sowohl gegen die
Lehre von der objektiven Sorgfaltswidrigkeit mit ihrer ex ante-Perspektive eines
einsichtigen Menschen, als auch gegen das Kriterium der Erkennbarkeit der Ge-
fahr.28 Burkhardt nimmt einen ganz neuen Standpunkt ein, um sowohl das Vor-
liegen einer Gefahr als auch die Mißbilligung dieser Gefahr im objektiven Tat-
bestand zu beurteilen, nämlich eine ex post-Perspektive. Im objektiven Tatbe-
stand müßte also gefragt werden, ob die Handlung bei Heranziehung alles ex
post verfügbaren Wissens riskant war und ob sie als „tatbestandsmäßig-mißbil-
ligt“ (unerlaubt, verboten, sorgfaltswidrig) einzustufen wäre.29 Letzteres wäre
eine normative Frage und wäre vor allem durch eine Abwägung zwischen der
Handlungsfreiheit und der Gütererhaltungs- und Sicherheitsinteressen zu beant-
worten.30
Mit der Beurteilung des Risikos nach einer ex post-Perspektive möchte Burk-
hardt den Aspekt einer zukunftsorientierten Normbildung und Norminternalisie-
rung einbeziehen. Es wäre bei der rechtlichen Beurteilung seiner Ansicht nach
entscheidend, ob Verhaltensweisen der fraglichen Art nach allem, was man jetzt
(ex post) weiß, (auch) in Zukunft als unerlaubt riskante Verhaltensweisen einzu-
ordnen wären.31 Das Verbot solle ex post geeignet sein, Rechtsgutsverletzungen
zu verhindern.32
Nach Burkhardt ist also die mißbilligte Gefahrschaffung zunächst im Rahmen
des objektiven Tatbestandes aus der ex post-Perspektive zu beurteilen. Dabei
möchte er im Anschluß an Frisch und Roxin zwischen dem Element der Ge-
fahrschaffung und deren Bewertung (d. h. daß diese Gefahrschaffung auch zu

27 Burkhardt, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 99 f., 105 f. und passim.


28 A. a. O., S. 105 f., 108 ff., 117 oben, 119, 132 unten, 133 f. und passim.
29 A. a. O., vgl. vor allem S. 117, 133.
30 A. a. O., S. 117 m. w. N.
31 A. a. O., S. 108 f., Fn. 47.
32 A. a. O., S. 111.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 197

mißbilligen wäre) strikt unterscheiden.33 Diese Trennung im Konzept von Burk-


hardt wird unten näher erörtert und kritisiert, weil das Element der Gefahrschaf-
fung alleine und in Verbindung mit einer ex post-Perspektive keine nützliche
Information zur strafrechtlichen Relevanz bzw. zur Sorgfaltswidrigkeit liefern
kann.
Eine ex post-Beurteilung der Gefahrschaffung und Gefahrverwirklichung
wird auch von Roth, auf den sich Burkhardt zur Stützung seiner Ergebnisse be-
ruft,34 bei der Beurteilung von Eingriffen in Abwehrrechte bzw. Grundrechte im
Rahmen des öffentlichen Rechts vorgeschlagen.35 Allerdings können die Be-
gründungen von Roth für die Annahme einer ex post-Perspektive nicht in das
Strafrecht transportiert werden. Einerseits stehen im Strafrecht hinter der Ent-
scheidung für einen Beurteilungsmaßstab bei der Zurechnung andere Gründe
und Prinzipien als im öffentlichen Recht, weshalb eine Übertragung nicht ohne
weiteres stattfinden kann. Das strafrechtliche Schuldprinzip, d. h. der Grundsatz,
daß die Tat dem individuellen Täter vorwerfbar sein muß, ist bei Grundrechts-
gutsbeeinträchtigungen nicht anwendbar, so daß die generalpräventiven Aspekte
der individuellen Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit der Gefahrschaffung, die
dem Schuldprinzip zu entnehmen sind und die eine ex ante-Perspektive (bzw.
objektive Erkennbarkeit) bei der Beurteilung der Gefahrschaffung in sich ber-
gen, im öffentlichen Recht nicht zu berücksichtigen sind. Die Position des
Grundrechtsverpflichteten ist anders als die des Angeklagten im Strafprozeß,36
weil Faktoren wie Vorhersehbarkeit, Erkennbarkeit (aber sogar auch Finalität)
für den abwehrrechtlichen Rechtfertigungszwang beim ersteren unerheblich sind
und es auf ein Verschulden des Trägers öffentlicher Gewalt nicht ankommt.37
Andererseits, auch wenn Roth die ex post-Perspektive sowohl auf die Gefahr-
schaffung wie auch auf die Gefahrrealisierung anwendet und ausdrücklich keine
Unterscheidung bei der Beurteilungsperspektiven beider Zurechnungselemente
vornehmen möchte,38 bezieht sich seine Begründung für die Annahme dieses
Beurteilungsmoments vor allem auf Kategorien, die unter den Begriff der Ge-
fahrrealisierung und nicht den der Gefahrschaffung fallen, wie seinen näheren
Ausführungen entnommen werden kann: Eine nach der ex ante-Perspektive zu
bejahende Zurechnung könne ex post zu verneinen sein, wie im Strafrecht bei
fehlender Vollendung eines Deliktes und bestehendem Versuch. Damit seien
spätere (bzw. ex post erlangte) Erkenntnisse nicht immer für den Täter nachtei-

33 A. a. O., S. 112.
34 Burkhardt, a. a. O., S. 133, Fn. 154.
35 Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 135 ff., 145 ff.
36 Diese Differenz wird sogar von Roth ausdrücklich erwähnt, vgl. a. a. O., S. 147,

auch wenn er auf S. 140 vorschlägt, die subjektive ex ante-Kenntnis bzw. Erkennbar-
keit im subjektiven Straftatbestand zu behandeln.
37 Vgl. z. B. Roth, a. a. O., S. 199 f.
38 Roth, a. a. O., S. 137 ff., insbes. S. 138.
198 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

lig, sondern auch vorteilhaft.39 Nur mit diesem Bezug auf die Gefahrverwirkli-
chung ist die Begründung für die Annahme einer ex post-Perspektive auch beim
Zurechnungselement der Gefahrschaffung aber noch nicht gegeben, weil die
Gefahrverwirklichung zweifellos auch im Strafrecht auf eine ex post-Beurtei-
lung angewiesen ist.

bb) Außerachtlassung der inneren Sorgfalt im subjektiven Tatbestand –


Berücksichtigung der Tätervorstellungen

Neben dem objektiven Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts erkennt Burk-


hardt einen subjektiven Tatbestand, bei dem es darum gehe, ob die Fehlein-
schätzung des Täters auf einem Mangel an gebotener Sorgfalt beruhe. Damit
gehöre die „Fahrlässigkeit“ zum subjektiven Tatbestand, und die Sorgfaltswid-
rigkeit wäre durch einen Vergleich zwischen den Vorstellungen des Täters mit
der Wirklichkeit (bzw. mit einem ex post verfügbaren Höchstwissen) und nicht
mit der Figur des einsichtigen Menschen zu bestimmen. Damit ist Burkhardt
nicht nur gegen eine ex ante-Beurteilung, sondern auch gegen die Objektivität
des Beurteilungsgegenstandes, was infra, b) noch behandelt und worauf deshalb
für Einzelheiten verwiesen wird.

cc) Kritik der ex post-Risikobeurteilung

(1) Die Ausführungen von Burkhardt liefern wertvolle Gedanken bezüglich


der rechtlichen Relevanz etwaiger Kenntnisse des Täters über die Tatumstände
bei der Fahrlässigkeitshaftung. Allerdings konzentriert sich sein Beitrag haupt-
sächlich auf die systematischen Probleme der Fahrlässigkeit. Auf der Suche
nach einer Lösung begründet er einen objektiven Tatbestand mit einer ex post-
Betrachtung des Geschehens, was erhebliche inhaltliche Probleme bei der Be-
stimmung des rechtlich mißbilligten Verhaltens bereitet [vgl. unter (2)]. Es ist
ferner fraglich, ob die Festlegung eines solchen ex post-Maßstabs neben der Be-
rücksichtigung der vom Täter vorgestellten Tatumstände für die Mißbilligung
einer Gefahrschaffung einen Sinn unter dem Blickwinkel des Rechtsgüterschut-
zes durch rechtlichen Normen hat. Nicht zuletzt wären weitere Erklärungen für
die Anwendung seiner These auf die unbewußte Fahrlässigkeit mit Kenntnisver-
schaffungspflichten und ggf. auf eine Figur wie die Übernahmefahrlässigkeit
notwendig [vgl. unter (5)].
(2) Auf die Frage, ob sich die ex post-Beurteilung auf die ex post-Feststel-
lung der Gefahr oder auf eine (ex ante)-Beurteilung der Tat nach den nachträg-
lich bekannt gewordenen Umstände bezieht, geht Burkhardt nicht näher ein.40

39 Roth, a. a. O., S. 147.


B. Die Debatte über das Sonderwissen 199

Dies macht Schwierigkeiten bei der Anwendung der von ihm vorgeschlagenen
ex post-Perspektive auf konkrete Beispiele. Ferner würde nach Burkhardt neben
der Gefahrschaffung auch die Gefahrverwirklichung im tatbestandsmäßigen Er-
folg zum objektiven Tatbestand bei Erfolgsdelikten gehören.41 Die Behandlung
dieser zwei Elemente aus einer ex post-Perspektive könnte wiederum bei der
Fallanwendung weitere Schwierigkeiten verursachen.
(3) Was das erste Element der Gefahrschaffung anbelangt, hilft die ex post-
Perspektive nicht weiter zur Erforschung der Sorgfaltswidrigkeit eines Verhal-
tens, d. h. das aus einer ex post-Perspektive zu betrachtende Element der
Gefahrschaffung getrennt von seiner Mißbilligung kann keine nützliche Infor-
mation zur strafrechtlichen Relevanz liefern. Die Unterschiede des Ansatzes
Burkhardts zur herrschenden Zurechnungslehre liegen darin, daß sich die letzt-
genannte42 auf die getrennte Prüfung der Risikoschaffung oder Voraussehbarkeit
der Gefahr bei den Fahrlässigkeitsdelikten aus einer ex ante Perspektive bezieht,
was bereits etwas die Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens antizipiert. Die Prüfung
der Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens wird nach der herrschenden Zurech-
nungslehre dadurch ergänzt, daß man die Mißbilligung bzw. Erlaubtheit der ge-
schaffenen Gefahr zusätzlich untersucht, d. h. ob die Gefahr nicht aus irgend-
einem Grund erlaubt ist. Damit sind beide Prüfungen, die der Gefahrschaffung
und der Unerlaubtheit der Gefahr, normative Angelegenheiten, sei es, daß man
dafür die Figur des einsichtigen Menschen mit einer ex ante-Perspektive ver-
wendet oder daß man auf eine Interessenabwägung zurückgreift. Aus dieser
zweistufigen Analyse ergibt sich die Antwort auf die Frage nach der Sorgfalts-
widrigkeit eines Verhaltens. Auch wenn man mit diesem Verfahren nicht einver-
standen ist, ist die Nützlichkeit der geprüften Elemente zur Erforschung der
Sorgfaltswidrigkeit eines Verhaltens nicht zu bestreiten. Demgegenüber ist die
von Burkhardt vorgeschlagene ex post-Perspektive für die Beurteilung des Ele-
ments der Schaffung einer Gefahr ungeeignet, um die Sorgfaltswidrigkeit eines
Verhaltens zu erforschen. Betrachtet man die Gefahrschaffung ex post (sei es
nach dem Erfolgseintritt oder ex ante mit Berücksichtigung der nachträglich be-
kannt gewordenen Umstände), wird wohl immer eine Gefahrschaffung zu beja-
hen sein. Es sind nämlich kaum Fälle vorstellbar, die vor Gericht wegen eines
Fahrlässigkeitsvorwurfs kommen, bei denen kein menschliches Verhalten über-
haupt eine Gefahr geschaffen hätte.43 Burkhardt müßte bei einer Fallprüfung
zum Ergebnis kommen, daß z. B. die Produktion eines aus einer ex ante-Per-

40 Auch bereits Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 173 f.


41 A. a. O., S. 133, Fn. 154.
42 Vgl. z. B. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 132, Fn. 49; ders., Tatbestandsmäßiges

Verhalten, S. 104; Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 11.


43 Die beweisrechtliche Frage, ob der Angeklagte derjenige war, der die Gefahr ge-

schaffen hat, interessiert, trotz ihrer großen strafprozessualen Bedeutung, in dieser


dogmatischen Frage nicht.
200 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

spektive nicht schädlichen Ernährungsprodukts ex post eine Gefahr geschaffen


hat, wie bei jedem Verhalten, das nach einem Verletzungserfolg wegen eines
Fahrlässigkeitsvorwurfs vor Gericht zur Verhandlung kommt. Dieses Beispiel
zeigt, daß die Frage nach der Schaffung einer Gefahr bei den Fahrlässigkeits-
delikten überflüssig ist, um die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz zu be-
antworten, solange sie aus einer ex post-Perspektive untersucht wird.
Anders verhält es sich mit der Frage, ob sich die geschaffene Gefahr in dem
eingetretenen Erfolg verwirklicht hat. Das ist aus der ex post-Perspektive keine
selbstverständliche dogmatische Angelegenheit, sondern sie muß zusätzlich ge-
prüft werden, weil sich eine geschaffene Gefahr nicht immer in einem Verlet-
zungserfolg realisiert, wie die üblichen Beispiele zeigen: Verletzt jemand einen
anderen fahrlässig und stirbt dieser durch einen Brand beim Krankenhausaufent-
halt, ist die Verwirklichung der Gefahr zu verneinen. Diese Beurteilung erfolgt
normativ mit Recht aus einer ex post Perspektive.
(4) Würde man das Element der ex post Gefahrschaffung im Konzept von
Burkhardt nicht getrennt, sondern eng in Verbindung mit dem (zweiten) Ele-
ment der Unerlaubtheit bzw. Mißbilligung einer Gefahr und als dessen Grund-
lage überprüfen, hätte die ex post-betrachtete Gefahrschaffung zumindest die
Funktion, eine ex post-Perspektive für die rechtliche Beurteilung der Mißbilli-
gung kraft Interessenabwägung festzulegen. Ob diese Perspektive überhaupt et-
was zur Bestimmung der rechtlichen Mißbilligung eines Verhaltens beiträgt, ist
im folgenden zu untersuchen.
Als Begründung für die Erforderlichkeit einer ex post-Perspektive führt Burk-
hardt an, daß das Verbot ex post geeignet sein sollte, Rechtsgutsverletzungen zu
verhindern. Es erschiene seiner Ansicht nach wenig sinnvoll, ein Verhalten als
„objektiv verboten“ zu bezeichnen, wenn das Verbot zwar ex ante, nicht aber
ex post geeignet sei, Rechtsgutsverletzungen zu verhindern. Es wäre ihm zu-
folge eher zu erwägen, ob es zweckmäßig sei, ein Verhalten als „objektiv er-
laubt“ anzusehen, wenn ein Verbot dieses Verhaltens zwar ex post, nicht aber
ex ante geeignet sei, zum Güterschutz beizutragen.44
Um die vorgeschlagene ex post-Perspektive zu bewerten, wäre es also von
Interesse, Beispiele zu untersuchen, bei denen die Interessenabwägung zwischen
Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz, betrachtet aus einer ex post-Perspek-
tive, andere Ergebnisse als aus der ex ante-Perspektive liefert. Ein Beispiel ei-
ner ex ante erlaubten, aber aus einer ex post-Perspektive unerlaubten Gefahr-
schaffung, könnte der Fall eines Autofahrers A bilden, der auf der Autobahn
mit 200 km/h fährt. Bezüglich des Rechtsgüterschutzes wäre es zwar vorausseh-
bar, daß ein Fahrzeug auf der linken Fahrbahn mit einem Defekt plötzlich ste-
hen bleibt und dadurch letztendlich auch die rechte Spur blockiert wäre, so daß

44 A. a. O., S. 111.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 201

A einen Zusammenstoß bei dichtem Verkehr auf der rechten Spur nicht vermei-
den könnte. Ein solches Geschehen steht zwar nicht außerhalb aller Lebens-
erfahrung. Aus einer ex ante-Betrachtung würde aber eine rechtlich relevante
Gefahrschaffung des A abzulehnen sein, weil das Interesse an der Handlungs-
freiheit, auf deutschen Autobahnen grundsätzlich ohne Tempolimit zu fahren,
überwiegt. Erfolgt die Interessenabwägung ex post, d. h. mit Berücksichtigung
der wirklichen Umständen (oder ggf. ex ante mit Berücksichtigung der nach-
träglich bekannt gewordenen Umstände), wird sich wahrscheinlich die Waag-
schale zugunsten des Schutzes von Leib und Leben der Teilnehmer am Auto-
bahnverkehr neigen gegenüber der Handlungsfreiheit des rechtmäßig fahrenden
A, so daß die Gefahrschaffung ex post unerlaubt wäre. Eine endgültige Ent-
scheidung ist allerdings für die hier verfolgten Zwecke nicht erforderlich, da
man mit folgender Hypothese genauso arbeiten kann: Nehmen wir für diese
Überlegungen an, daß die Gefahrschaffung des ex ante rechtmäßig fahrenden
Autofahrers aus einer ex post-Perspektive als unerlaubt angesehen werden
würde, dann würde dieses Ergebnis noch nichts über die eigentliche Mißbilli-
gung des Verhaltens des A selbst besagen, was eigentlich der Gegenstand der
Überlegungen sein sollte. Zwar untersucht Burkhardt die Sorgfaltswidrigkeit ja
noch später im subjektiven Tatbestand, die Untersuchungen im objektiven Tat-
bestand ergeben aber bis dahin keinen nützlichen Beitrag für die Erforschung
der rechtlichen Relevanz eines Verhaltens.
Burkhardt möchte mit der ex post-Perspektive wegen des Ökonomieprinzips
verhindern, daß man eine für ihn unnützliche ex ante-Untersuchung durchführt
oder eine aufwendige und schwierige Erforschung der Täterperspektive durch-
zieht, wenn die Gefahrschaffung aus einer ex post-Beurteilung sowieso erlaubt
wäre,45 wie wenn der Fahrer B durch rechtmäßiges Autofahren einen Unfall
verursachen würde. Das Sparsamkeitsprinzip, das durch die Untersuchungsme-
thode von Burkhardt favorisiert wird, dürfte zwar bei der prozessualen Frage
der Reihenfolge der Beweisführung eine Hilfe für den Rechtsanwender anbie-
ten. Die Methode kann aber für die dogmatischen Falllösungen verwirrend wir-
ken und bei einer falschen Anwendung zu einer Rückkehr zur naturalistischen
Erfolgshaftung führen.
Die Annahme einer ex post-Perspektive aufgrund des Sparsamkeitsprinzips
würde ferner nur gelten können, solange der Ausschluß der Gefahrschaffung
aus einer ex post-Perspektive dafür ausreichen würde, um von einer Erlaubtheit
der geschaffenen Gefahr sprechen zu können. Bei der Überprüfung der Methode
von Burkhardt müßte also in Frage gestellt werden, ob die Prüfung der Interes-
senabwägung aus einer ex post-Perspektive imstande wäre, die Tatbestandsmä-
ßigkeit des Verhaltens auszuschließen, ohne daß weitere Analysen erforderlich
wären. In diesem Punkt ist das System von Burkhardt nicht zu beanstanden.

45 A. a. O., S. 109 ff., 116 f.


202 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Die ex post-Betrachtung scheint nämlich ohne Überprüfung weiterer Elemente


wie Tätervorstellungen ausreichend zu sein, um über die Erlaubtheit eines Risi-
kos im objektiven Tatbestand zu entscheiden. Etwaiges Sonderwissen des Täters
würde die Perspektive im objektiven Tatbestand nicht verändern, weil die ex
post-Perspektive sowieso die realen Tatumständen bzw. die nachträglich bekannt
gewordenen Umstände einschließen würde, die der Täter gesondert kennen
würde. Ist beispielsweise eine Straßenkreuzung besonders gefährlich, müßte
dies bei der ex post-Mißbilligung der Risikoschaffung eines Autofahrers, der
sogar Vorfahrt hätte, berücksichtigt werden. Das Sonderwissen des Autofahrers
um die besondere Gefährlichkeit der Straßenkreuzung46 würde im System von
Burkhardt erst im subjektiven Tatbestand eine Rolle spielen.
Allerdings ist beim Straßenkreuzungsfall auch zu sehen, daß die Entschei-
dung, ob eine Gefahrschaffung mit Abwägung der gegenseitigen Interessen aus
einer ex post-Perspektive vorliegt, eine schwierige Angelegenheit ist, zumal
Burkhardt keine Beispiele anbietet, die eine Anwendung der ex post-Perspek-
tive plausibel machen könnten. Ob der Schutz möglicher Opfer bei einer sehr
gefährlichen Straßenkreuzung oder die Handlungsfreiheit des Fahrers mit Vor-
fahrt ex post überwiegt, dürfte für den Rechtsanwender keine leichte Entschei-
dung sein. Eine ex ante-Betrachtung würde die Frage nach der Interessenabwä-
gung wesentlich erleichtern. Darüber hinaus ist die Anwendung einer ex post-
Perspektive auf die Zurechnungskategorie der Mißbilligung der Gefahr nicht so
leicht von ihrer Anwendung auf die Verwirklichung der Gefahr zu differenzie-
ren. Diese Punkte der Methode von Burkhardt bedürften also von ihm einer
näheren Erörterung und Präzisierung.
(5) Darüber hinaus ist fraglich, ob das Fahrlässigkeitssystem von Burkhardt
mit der Funktion der Verhaltensnormen zu vereinbaren ist.47 Die Verhaltensnor-
men können sich nämlich nur auf Tatsachen des Geschehens beziehen, die der
Handelnde bzw. Normadressat tatsächlich kannte oder bei Kenntnisverschaf-
fungspflicht gekannt haben müßte. Diese Tatsachen können nur aus einer ex
ante-Betrachtung des Geschehens festgelegt werden. Eine ex post-Perspektive
berücksichtigt demgegenüber die nachträglich bekannten Tatumstände aus einer
rein naturalistischen Perspektive. Dabei wird nicht unterschieden zwischen sol-
chen Kenntnissen über die Tatumstände, die der Handelnde zusätzlich erlangen
müßte, und solchen Kenntnissen, die er rechtlich gesehen nicht unbedingt besit-
zen müßte. Die strafrechtliche Relevanz von Kenntnisverschaffungspflichten bei
der Fahrlässigkeitshaftung und der unbewußten Fahrlässigkeit wird zwar von
Burkhardt ausdrücklich anerkannt.48 Trotzdem bleibt in seinem Konzept unklar,

46 Vgl. OLG Braunschweig VRS 13, 286.


47 Auch kritisch in diesem Punkt Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat,
S. 175 f., der nicht auf das Problem der Kenntnisverschaffungspflichten, sondern all-
gemein auf eine ex ante-Betrachtung auf die Perspektive der Verhaltensnorm abstellt.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 203

wie und an welcher systematischen Stelle sie berücksichtigt werden sollten. Auf
jeden Fall ist die ex post-Perspektive diesbezüglich zu wenig differenzierend:
Dabei werden die Verhaltensweisen nicht selektiert, die eine Relevanz aus dem
Blickwinkel der Verhaltensnorm, also ex ante, haben. Ein Rechtsgüterschutz
durch Verhaltensnormen kann eben nur dadurch erfolgen, daß man Gefahrschaf-
fungen verbietet, die rechtlich ex ante als unerträglich erscheinen.
Ferner legt sich Burkhardt in dem Punkt nicht fest, ob individuelle oder ge-
nerelle Sorgfaltsmaßstäbe anzunehmen wären. Damit bleibt auch die Frage of-
fen, wie die Figur der Übernahmefahrlässigkeit bei individueller Unfähigkeit
bei Annahme genereller Sorgfaltsregeln in seinem System funktionieren sollte.
Von dem gesamten Ansatz von Burkhardt bleiben damit nur diejenigen Erwä-
gungen übrig, die eine strafrechtliche Relevanz gewisser Vorstellungen des Tä-
ters über die Tatumstände beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht verleugnen. Dieser
Aspekt wird in der hiesigen Arbeit noch erörtert.49 Demgegenüber ist eine ex
post-Betrachtung beim Fahrlässigkeitsdelikt nur relevant, solange sie zur Über-
prüfung des Zurechnungselements der Verwirklichung der Gefahr verwendet
wird. Eine ex ante Beurteilung der Gefahrschaffung ist aus den vorstehend an-
gegebenen Gründen vorzuziehen.

b) Gegen die Objektivität des Beurteilungsgegenstands;


für eine Täterperspektive als Wissensbasis –
Zugleich Debatte mit der h. M.

Der in der objektiven Zurechnung verwendete objektive Maßstab wird also


durch das von der h. Lehre berücksichtigte Sonderwissen im objektiven Tatbe-
stand vom Subjektiven beeinflußt. Hierin wird von Kritikern der Lehre von der
objektiven Zurechnung,50 vor allem aus dem Spätfinalismus,51 teilweise eine
Systemwidrigkeit gesehen. Diesbezüglich sind die Meinungen innerhalb der
Lehre von der objektiven Zurechnung unterschiedlich: (1) Einige sehen dabei
auch eine Systemwidrigkeit,52 (2) andere erwähnen die Frage nach einer etwai-
gen Systemwidrigkeit nicht,53 (3) wieder andere argumentieren gegen die Ein-

48 A. a. O., S. 122.
49 Vgl. dazu infra, § 6 B II 2 b) und D III 2.
50 Vgl. die Ausführungen über Burkhardt supra, § 6 B II 2 a).
51 Vgl. Nachweise supra, § 3 D.
52 Vgl. Wolter, GA 1977, 269, Fn. 116; Brehm, Gefährdungsdelikt, S. 128.
53 Vgl. u. a. Bockelmann/Volk, Strafrecht AT, § 13 A V 4 c und d, § 20 B I 4 b dd;

Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 66; Herzberg, JZ 1987, S. 537;


Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 28 III 2 (Vorsatz), § 55 I 2 b (Fahrlässigkeit); Kamin-
ski, Der objektive Maßstab, S. 87; Maurach/Zipf, Strafrecht AT I, § 18, Rdn. 33; NK-
Puppe, vor § 13, Rdn. 145; Roxin, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 250;
ders., Chengchi Law Review 50 (1994), 232 ff., 247; ders., Strafrecht AT I, § 11,
204 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

wände durch sachbezogene Argumente.54 Einige weitere Autoren kritisieren


nicht eine etwaige Systemwidrigkeit, sondern überhaupt die Objektivität der zu
beurteilenden Tatsituation durch die Verwendung der Figur des einsichtigen
Menschen. Wie vom Spätfinalismus, wird von ihnen die Täterperspektive als
Ausgangssituation verwendet, allerdings mit Begründungen, die auf einer nor-
mativen Grundlage beruhen.55

aa) Annahme der Täterperspektive aus sachlogischen Gründen


(Spätfinalismus)

In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde die Frage nach der Be-
rücksichtigung subjektiver Merkmale im objektiven Tatbestand in einer Debatte
zwischen Vertretern des Spätfinalismus und der Lehre von der objektiven Zu-
rechnung erörtert. Die erste Stellungnahme der personalen Unrechtslehre gegen
die Lehre von der objektiven Zurechnung erfolgte erst nach längerer Zeit im
Jahre 1985 von Armin Kaufmann. In seiner grundlegenden Kritik an der Lehre
von der objektiven Zurechnung machte er darauf aufmerksam, daß ihr Rückgriff
auf subjektive Elemente ein Indiz ihrer Unrichtigkeit darstellen würde: „Es
zeigt sich also, daß bei allen Merkmalen, die aus der Formel der imputatio
obiectiva zu entwickeln sind, offensichtlich das Wissen des Täters als Beurtei-
lungsgrundlage unentbehrlich ist: so schon für die ,Gefahrschaffung‘ und erst
recht für die ,rechtliche Mißbilligung‘, die sonst noch mehr als ohnehin in der
Luft hinge“56. Es könne ein und dieselbe Handlung mehrere „Gefahren“ für
mehrere gleichermaßen tatbestandsmäßige Erfolge schaffen, und erst der Vor-
satz würde nach seiner Ansicht die Auswahl treffen.57 Weil man immer auf das
Wissen des Täters für die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit angewiesen sei,
habe der Vorsatz eine Entscheidungsrolle.58 Derselbe Einwand gegen die Ein-
führung des Sonderwissens in die objektive Zurechnung wurde anschließend
noch von Struensee ausführlicher entwickelt, der zudem die Einführung des
Sonderwissens in den objektiven Tatbestand seitens der Lehre von der objek-
tiven Zurechnung als ein Zeichen der Erforderlichkeit eines subjektiven Tat-
bestandes des Fahrlässigkeitsdeliktes ansah.59 Denn ob die Tatsachen, die der

Rdn. 35, 50, § 24, Rdn. 69; Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 166; ders.,
GA 1999, 216; Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 8, Rdn. 22 (Vorsatz), § 15, Rdn. 14
(Fahrlässigkeit); Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 132; Wessels/Beulke, Strafrecht
AT, Rdn. 170 (Vorsatz), 670 (Fahrlässigkeit); Wieseler, Sorgfaltspflichtmaßstab,
S. 118 f.
54 Vgl. die Nachweise im nachfolgenden Text bb).
55 Vgl. infra, cc).
56 Armin Kaufmann, Festschrift für Jescheck, S. 260.
57 A. a. O., S. 266.
58 A. a. O., S. 261 ff., 265.
59 Vgl. Nachweise supra, § 3 D.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 205

„objektive Beobachter“ erkenne, durch die sonderbewußten ergänzt oder ob die


täterbewußten um die objektiv erkennbaren Umstände aufgestockt werden wür-
den, bleibe sich gleich, weil die zu beurteilende Risikolage niemals hinter dem
Kenntnisumfang des Handelnden zurückbleibe.60 Da die Grundsätze des Finalis-
mus und Spätfinalismus bereits oben bei der Frage nach den Untergrenzen
strafbaren Verhaltens, nach der Gleichstellung des objektiven Tatbestandes des
Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte und zur Kritik an der Lehre von der objekti-
ven Zurechnung dargestellt worden sind, ist an dieser Stelle für die Einzelheiten
darauf zu verweisen.

bb) Debatte mit der herrschenden Lehre

Aus der Sicht der Lehre von der objektiven Zurechnung räumte Roxin ein,
daß diese „die Erfüllung des objektiven Tatbestandes zwar nicht notwendig,
aber doch möglicherweise und in der Praxis recht häufig auch von subjektiven,
innerpsychischen Faktoren abhängig“ mache. „Der objektive Tatbestand heißt
nicht deswegen objektiv, weil die Zurechnung zu ihm auf ausschließlich objekti-
ven Fakten basiert, sondern deshalb, weil das Zurechnungsergebnis, die Feststel-
lung einer Tötung, Verletzung, Beschädigung usw. etwas Objektives und von der
vorsätzlichen Tötung, Verletzung, Beschädigung usw. zu unterscheiden ist“61.
Roxin verleugnet nicht, daß auch finale Elemente bei der Begründung fahrlässi-
gen Unrechts eine Rolle spielen könnten und sich mit der Lehre von der objek-
tiven Zurechnung verknüpfen lassen würden.62 Schließlich muß man seine An-
sicht über die Unrechtssystematik insgesamt im Rahmen seiner Konzeption ei-
nes wertungsorientierten Systems und einer teleologisch-kriminalpolitischen
Verbrechenslehre betrachten. Hiernach wäre eine rein klassifikatorische Sy-
stematik als zweitrangig gegenüber der nach Wertungsaspekten systematisieren-
den Konzeption anzusehen. So gälten beispielsweise die Betrachtung des Un-
rechts unter dem Gesichtspunkt der Sozialschädlichkeit und die Schuld unter
dem Aspekt strafzweckorientierter Verantwortlichkeit als leitende Hinsichten,
als Wertmaßstäbe und nicht als bloß systematische Kategorien bzw. Teile eines
festgelegten Systems. Von Bedeutung wäre also die kriminalpolitische Aufgabe
des in Frage kommenden Instituts und nicht bloß ihre systematische Stellung.63
Weitere Autoren erklären die Einbeziehung subjektiver Elemente in die ob-
jektive Zurechnung auch mit Sachgründen. So schließt sich Wolter der Auffas-

60 Struensee, JZ 1987, 59.


61 Roxin, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 250; später ders., Chengchi
Law Review 50 (1994), 233.
62 Roxin, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 251.
63 Roxin, Strafrecht AT I, § 7, Rdn. 51 ff., 80 ff., 82 f.; auch bereits in ders., Ge-

dächtnisschrift für Radbruch, S. 260 ff.; ders., Festschrift für Honig, S. 146 ff.; aus-
führlicher in: ders., Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 15 ff., 42 f.
206 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

sung von Roxin an und führt dazu aus: „Im übrigen macht das Sonderwissen
oder die ,Sondererkennbarkeit‘ von Risikofaktoren oder Erfolgsgefahren die ob-
jektive nicht zu einer subjektiven Zurechnung. Vielmehr formen solche Bewußt-
seinsinhalte die Grenzen der objektiven Zurechnung um. Sie betreffen die ob-
jektive Spannbreite der unerlaubten Risikoschaffung. Vielfach machen sie aus
einem sozialadäquaten Verhalten eine rechtlich unerlaubte Gefahrschaffung.“64
Ferner geht es nach Mir Puig beim objektiven Tatbestand um die Wertung eines
einsichtigen Menschen. Dabei wären alle Kenntnisse zu berücksichtigen, die ein
solch einsichtiger Mensch ex ante gehabt hätte, der das gleiche Geschehen wie
der Täter erlebt hätte.65 Köhler greift zur Begründung auf die Maxime „no-
blesse oblige“ zurück; Sonderwissen repräsentiere erweitertes Allgemeinwissen,
so daß es durch sich selbst den Sorgfaltsmaßstab verschärfe.66 Nach Cancio
Meliá ist die Wertung im objektiven Tatbestand, in den ein subjektives Datum
wie die Kenntnis einer bestimmten Tatsache eingeführt wird, anders als die
Wertung, die im subjektiven Tatbestand erfolgt.67 Zur Ansicht von Frisch vgl.
die Ausführungen supra, § 6 B I 2.

cc) Annahme der Täterperspektive aus normativen Gründen

Es beziehen sich nicht alle Ansichten auf beide Deliktsformen (fahrlässig und
vorsätzlich), sondern einige nur auf die Fahrlässigkeitsform:

(1) Täterperspektive aus generalpräventiven Gründen (Schünemann)

Nach Schünemann dient die Täterperspektive als Wissensbasis aus general-


präventiven Gründen bei der Konstruktion bzw. Formulierung der Verhaltens-
norm: „Die Verhaltensnorm, deren Verletzung das tatbestandsmäßige Verhalten
ausmacht, sollte ex ante formuliert werden und die Situation sowie die Kennt-
nisse des Täters (seine »Perspektive« einschließlich erkannter Wissenslücken)
zum Ausgangspunkt nehmen. Denn sie soll ja nicht irgendeinen hypothetischen
Fall regeln, sondern das Verhalten des individuellen Täters in einer ganz kon-
kreten historischen Situation. Weil kein Mensch von etwas anderem als von sei-
nem eigenen Wissen und seinen eigenen Erkenntniskräften Gebrauch machen
kann, wäre es generalpräventiv sinnlos, die Verhaltensnorm ab ovo von der Wis-
sensbasis irgendeines gedachten optimalen Beobachters aus zu konstruieren.

64 Wolter, in: Gimbernat/Schünemann/Wolter (Hrsg.), Internationale Dogmatik,

S. 23.
65 Mir Puig, Derecho Penal, PG, Barcelona, § 10, Rdn. 43, 45 und 52, auch § 6,

Rdn. 54, § 11, Rdn. 35; vgl. auch ders., Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,
S. 266 f.
66 Köhler, Strafrecht AT, S. 184.
67 Cancio Meliá, Conducta de la víctima, Barcelona, S. 82.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 207

Darauf kommt es vielmehr erst bei der weiteren Frage an, welche zusätzlichen
Kenntnisse der Täter sich bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte ver-
schaffen müssen. Infolgedessen bereitet es nicht die geringsten Schwierigkeiten,
das sog. Sonderwissen des Täters (etwa über die Blutereigenschaft eines Gegen-
spielers beim Rugby-Spiel) bei der Formulierung der Verhaltensnorm zu berück-
sichtigen.“68 Die objektive Abgrenzung der verbotenen von der erlaubten Risi-
kosetzung für die Verhaltensnorm hätte nach seiner Ansicht im ersten Schritt ex
ante aus der Täterperspektive zu erfolgen. An diesen subjektiven Ausgangs-
punkt würden allerdings die objektiven Anforderungen der Rechtsordnung in
Gestalt der erforderlichen Sorgfalt oder – als ihre Kehrseite – des erlaubten Ri-
sikos herangetragen.69 An diesem Punkt macht Schünemann eine Differenzie-
rung bezüglich des Unrechts der Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte, die bereits
supra, § 3 F II erörtert wurde.
Wäre die Perspektive des Täters unvollständig, würde ihn dies auch belasten
können: Hier würde Schünemann im zweiten Schritt auf die Figur der Übernah-
mefahrlässigkeit zurückgreifen, um individuelle Wissensdefizite als sorgfalts-
widrig beurteilen zu können.70

(2) Täterperspektive aufgrund der Interessen der Normbildung


und Norminternalisierung (Burkhardt)

Neben einer Prüfung des objektiven Tatbestandes des Fahrlässigkeitsdelikts


aus einer ex post-Perspektive bildet Burkhardt einen subjektiven Tatbestand,
der die Täterperspektive berücksichtigt. Der subjektive Tatbestand würde aus
der „Außerachtlassung der inneren Sorgfalt“ und dem erlaubten Risiko be-
stehen. Handele der Täter sorgfaltsgemäß oder im Rahmen des erlaubten Risi-
kos, würde der subjektive, aber nicht der objektive Tatbestand entfallen. Die
Grenze zwischen dem erlaubten Risiko und der Außerachtlassung der inneren
Sorgfalt werde normativ, d. h. „objektiv“ entschieden.71 Die normative Bewer-
tung im subjektiven Tatbestand werde wiederum an die dem Täter bekannten
Umstände anknüpfen, d. h. es sei der allein dem Täter bekannte Realitätsaus-
schnitt maßgeblich.72 Ob eine Fehleinschätzung vorliegt, sei im Wege des Ver-
gleichs der Vorstellungen des Täters mit der Wirklichkeit (bzw. mit einem ex
post verfügbaren Höchstwissen) zu bestimmen, nicht etwa im Wege des Ver-
gleichs der Vorstellungen des Täters mit der Lageeinschätzung durch die Figur
des einsichtigen Menschen.73 Damit sei den Interessen der Normbildung und

68 Schünemann, GA 1999, 216 f.


69 A. a. O., S. 217.
70 A. a. O., S. 217, Fn. 42.
71 A. a. O., S. 116, 120 f.
72 A. a. O., S. 116, 119, 120 f., 129, 133 f.
208 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Norminternalisierung Rechnung getragen: Es gehe darum, was man relativ zu


einem bestimmten Wissen straflos, d. h. ohne fahrlässig zu handeln, tun dürfe.74
Was die systematische Einordnung im Fahrlässigkeitsdelikt anbelangt, kann
nach Burkhardt weder die „Fahrlässigkeit“ (d. h. in seiner Terminologie die in-
nere Sorgfalt) noch der Vorsatz in den objektiven Tatbestand eingeordnet wer-
den.75 Er lehnt auch die Behandlung der „Fahrlässigkeit“ als Schuldproblem ab,
weil der Vorsatz auch nicht zur Schuld gehöre und weil das erlaubte Risiko den
Fahrlässigkeitsbegriff begrenzen würde.76 Nach Burkhardt gehört die „Fahrläs-
sigkeit“ zum subjektiven Tatbestand. Er läßt dabei offen, ob die Sorgfaltsmaß-
stäbe nach individuellen oder allgemeinen Regeln zu bestimmen sind, d. h. er
trifft keine Entscheidung bezüglich der Debatte zwischen der individualisieren-
den und der herrschenden Fahrlässigkeitslehre, nämlich ob die individuellen
Fähigkeiten des Täters, die Sorgfaltsmaßstäbe einzuhalten, eine Frage des Un-
rechts oder der Schuld sind.77

(3) Täterperspektive als Ausgangssituation


der Verhaltensregel (Puppe)

Nach Puppe gilt als Metaregel für die Bestimmung der Sorgfaltspflichten (die
sie als Voraussetzung sowohl der Fahrlässigkeits- als auch der Vorsatzdelikte
ansieht78) das Verhalten eines besonnenen und gewissenhaften Angehöriger des
betreffenden Verkehrskreises in der Situation des Täters. Zu dieser Situation
würde all das gehören, was der Täter wisse, weil jede normative Bestimmung
von Verhaltensregeln von irgendwelchen vorgegebenen Tatsachen ausgehen
müsse.79 Jede Sorgfaltspflicht gehe von einem Wissen des Täters um die Situa-
tion aus (sogar bei der unbewußten Fahrlässigkeit), das ihn verpflichte, die ge-
schaffene Gefahr zu erkennen.80 Damit bestimmt Puppe die Ausgangssituation
nach den vom Täter erkannten Tatsachen und spricht sich zugleich ausdrücklich
gegen eine normative Bestimmung der Einzeltatsachen der Ausgangssituation
aus,81 indem man nur diejenigen berücksichtigen würde, die der Täter nach der
von ihm in dieser Situation eingenommenen sozialen Rolle hätte wissen sollen,
wie dies Jakobs propagiert.

73 A. a. O., S. 116.
74 A. a. O., S. 121.
75 A. a. O., S. 120, 130.
76 A. a. O., S. 130.
77 A. a. O., S. 131 oben.
78 NK-Puppe, vor § 13, Rdn. 143; dies., Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 4, vgl. näher

supra, § 3 F III.
79 A. a. O., vor § 13, Rdn. 145.
80 A. a. O., § 15, Rdn. 13.
81 A. a. O., vor § 13, Rdn. 145; vgl. auch dies., ZStW 103 (1991), 38.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 209

(4) Täterperspektive aufgrund der Bestimmungsfunktion


der Normen (Zielinski)

Obwohl Zielinski zum sogenannten Spätfinalismus oder personalen Unrechts-


lehre gehört, beruhen seine Unrechtsbegründungen nicht auf einer etwaigen on-
tologischen Struktur der Handlung,82 sondern auf der Bestimmungsfunktion der
Verhaltensnormen und der Strafrechtsordnung:83 Damit die Norm menschliches
Verhalten bestimmen könne, müsse sie Handlungen zum Gegenstand haben,
weil sich der Mensch anders als handelnd nicht gezielt verhalten könne.84 Habe
das Strafrecht den Zweck, Rechtsgutsobjektsverletzungen durch menschliches
Handeln zu verhindern, dann komme als Anlaß für eine Reaktion nicht bereits
eine Rechtsgutsobjektsverletzung als solche in Betracht, sondern erst wenn sie
insofern auf einer Handlung beruhe, die einer Norm zuwiderliefe. Unrecht
könne daher nur eine auf eine Rechtsgutsobjektsverletzung abzielende (finale)
Handlung sein.85 Da also die Norm nur auf das Werturteil über den finalen Akt
als solchen bezogen werden könne, weil sie nur finale Handlungen als solche zu
verbieten in der Lage sei, komme als maßgebliche Beurteilungsbasis nur die
vom Täter vorgestellte Situation in Betracht, von der aus die Sozialadäquanz
der zu prognostizierenden Gefährlichkeit festzustellen sei. Die Norm könne also
nur Finalität verbieten; allein das Verbot der vom Täter erkannten Gefährdung
erscheine im Interesse eines effektiven Rechtsgutsschutzes sinnvoll.86
Gegen die Grundlagen seines Lehrers Welzel wendet Zielinski ausdrücklich
ein, daß es einen natürlichen, ontologischen, vorrechtlichen Handlungsbegriff
nicht gebe; der strafrechtliche Handlungsbegriff sei nach spezifisch strafrecht-
lichen System- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu bilden. Es gebe zwar
einen ontologischen Begriff der Handlung, dieser sei aber nicht erkennbar oder
aber jedenfalls nicht identisch mit dem finalen Handlungsbegriff, bzw. sei die
Anknüpfung des Unrechtsbegriffs an diesen ontologischen Handlungsbegriff
nicht zwingend.87 Lege das Gesetz aber seinem Unrechtsbegriff Finalität erst
einmal zugrunde, dann sei diese Struktur jedem Unrecht wesentlich. Ein Punkt,
unter dem das Recht Folgen an eine Handlung knüpfe, sei z. B. die Schuld.88
Auf dieser Basis erlangen die Tätervorstellungen nach Zielinski eine hohe
Relevanz als Gegenstand der Beurteilung. Alle dem Täter bekannten Risikofak-

82 Vgl. AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 93, 95, 99 ff.; ders., Handlungs- und

Erfolgsunwert, S. 79 ff., 126 f., 151, Fn. 13 f.


83 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 121 ff.
84 A. a. O., S. 121 f.
85 A. a. O., S. 127.
86 A. a. O., S. 162.
87 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 79 ff.; AK-StGB-ders., §§ 15, 16,

Rdn. 8.
88 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 82 f.
210 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

toren würden in die Gefährlichkeitsprognose eingehen; alle dem Täter unbe-


kannten Tatumstände würden unberücksichtigt bleiben.89 Der für die Gefährlich-
keitsprognose maßgebliche Risikosachverhalt sei allein derjenige Realitätsaus-
schnitt, auf den sich die Handlung beziehe, d. h. diejenigen Umstände, die der
Täter kenne. Der Inhalt einer Handlung werde also ausschließlich von der Vor-
stellung des Handelnden bestimmt, deshalb knüpfe die normative Bewertung bei
den Fahrlässigkeitsdelikten ebenso wie bei den Vorsatzdelikten an die Tätervor-
stellung an.90
Weitere Einzelheiten der Lehre von Zielinski, vor allem bezüglich der
Gleichstellung des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrechts, wurden bereits oben,
§ 3 D, behandelt, hierauf ist an dieser Stelle zu verweisen.

dd) Zwischenbewertung

(1) Nach dem hier vertretenen Konzept handelt es sich beim Problem des
Sonderwissens nicht primär um ein Systemwidrigkeitsproblem, bzw. um einen
Verstoß gegen die strikte Trennung zwischen dem objektiven und subjektiven
Tatbestand, wie die Kritik vom Spätfinalismus und von Burkhardt an der Lehre
von der objektiven Zurechnung teilweise betont,91 sondern um die materielle
Frage nach den zu berücksichtigenden Aspekten der Straftat für die Bestim-
mung des strafbaren Verhaltens. Insbesondere geht es um die Grundfrage,
warum das Sonderwissen den Täter belasten bzw. entlasten sollte, und letztend-
lich um das Thema, welche Rolle das Wissensphänomen (in seinen unterschied-
lichen Erscheinungsformen) für das (Straf-)Recht spielt. Dabei ist zwischen den
Elementen des Sachverhaltes und den Normanforderungen zu differenzieren.
(2) Hierbei müßte die Festlegung der Ausgangssituation oder des zu überprü-
fenden Sachverhalts aus der Täterperspektive geschehen und die allgemeine
Wissensbasis und Wissenskräfte des Täters müßten berücksichtigt werden,
wenn man die generalpräventiven Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Norm-
bildung einhalten möchte und solange der Besitz einer solchen Wissensbasis
selbst nicht vorwerfbar ist bzw. solange die Verschaffung weiterer Situations-
kenntnisse von der Verhaltensnorm nicht erwartet wird. Ohne diese Anknüpfung
an das reale Täterwissen als Ausgangspunkt würde die Festlegung der zu be-
wertenden Tatsituation (Sachverhalt) und der Erkenntniskräfte des Täters auf
diejenige Situation, die ein einsichtiger Mensch wahrgenommen hätte, und auf
diejenige Erkenntniskapazität, die er besitzen würde, auf einen Zirkelschluß hin-
auslaufen, weil das Fahrlässigkeitsurteil auf einen selbst normativ bestimmten

89 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 92 ff.


90 AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 90; vgl. auch ders., Handlungs- und Erfolgs-
unwert, S. 160 ff.
91 So bereits NK-Puppe, vor § 13, Rdn. 145.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 211

Gegenstand bezogen würde. Statt dessen kann die „Maßfigur“ erst zur Bestim-
mung der rechtlichen Relevanz eines vorhandenen oder fehlenden Täterwissens
verwendet werden, was der normalen Methode der Rechtsanwendung, d. h. der
Anwendung der Norm auf einen realen Sachverhalt, entsprechen würde.92
Daß das Wissenselement im konkreten Fall tatsächlich vorliegt, reicht ande-
rerseits für sich allein für die Begründung der rechtlichen Relevanz nicht aus.
Es sind vielmehr die unterschiedlichen Aspekte der Normzwecke (und letztend-
lich der Strafrechtszwecke) auf das Wissen des Täters zu beziehen, sei es die
Funktion des Rechtsgüterschützes, das ultima-ratio-Prinzip mit der Gewährung
von strafrechtsfreien Handlungssphären oder die generalpräventive Aufgabe der
Strafrechtsnormen. Welche Relevanz die unterschiedlichen Erscheinungsformen
des Wissens in diesen normativen Perspektiven aufweisen und welche davon
den Toleranzgrad für den Rechtsgüterschutz unter Berücksichtigung der oben
genannten leitenden Aspekte übersteigen, bedarf noch der Überprüfung. Die
Berücksichtigung der Strafrechtszwecke für die internen Entscheidungen des
Rechts ist dabei notabene kein Zeichen von Willkür, sondern die Anwendung
der Grundsätze eines Rechtsstaates auf das Strafrecht an Hand der kriminalpoli-
tische Wertungen, was im modernen Strafrecht wünschenswert ist.93
(3) Ferner könnte man der Kombination von sachlogischen und normativen
Begründungen für die Annahme der Täterperspektive als Ausgangspunkt entge-
genhalten, daß letztendlich auch die meisten Ansichten, die eine normative Per-
spektive einnehmen, von einer empirischen, subjekbezogenen Ausgangssituation
ähnlich dem Spätfinalismus ausgehen, genauso wie der Spätfinalismus eine
rechtliche Beurteilung der empirischen, subjektiven Ausgangssituation als sol-
che nicht bestreitet. Insofern liegen tatsächlich die Ansätze des „gemäßigten
Normativismus“ à la Puppe und des Spätfinalismus sehr nahe beieinander. Die
Unterschiede liegen zunächst in den Begründungsnuancen, indem man die
Schwerpunkte auf die ontische Finalität als unverzichtbares Kennzeichen des
Verhaltens oder auf rechtliche, teleologische Begründungen legt. Vorzuziehen
ist die Grundlage beider Auffassungen, nämlich daß man im Recht von realen
(also nicht normativ „konstruierten“) subjektiven und objektiven Tatsachen aus-
gehen muß. Die Zuerkennung von Relevanz dieser Tatsachen wird aber im
Rechtsbereich nach den wertenden Zwecksetzungen erfolgen müssen, so daß
die Kenntnis des Täters bezüglich einer aus seinem Handeln entstehenden Ge-
fahrensituation bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht immer eine strafrechtliche Rele-

92 Vgl. dazu näher infra, § 6 D III 3.


93 In diesem Punkt werden die allgemeinen Prinzipien der zweckorientierten Straf-
rechtslehre von Roxin, vgl. Nachweise supra, bei § 6 B II 2 b) bb), und die Erwägun-
gen über die generalpräventive Wirkung der Normen von Schünemann, vgl. supra, § 6
B II 2 b) cc) (1) bei ihrer konkreten Anwendung auf die Frage der Berücksichtigung
der Täterperspektive in Betracht gezogen.
212 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

vanz haben muß, und deshalb liegt der Unterschied zwischen dem normativen
und dem finalistischen Ansatz auch in der Lösung der praktischen Fällen.
(4) So braucht die Kenntnis des Täters von einer aus seinem Handeln entste-
henden Gefahrensituation nicht immer eine strafrechtliche Relevanz im Sinne
der bewußten Fahrlässigkeit zu haben. Der Idee einer schlichten Ableitbarkeit
der Rechtswidrigkeit aus der gesonderten Kategorie des subjektiven Tatbestan-
des des Fahrlässigkeitsdelikts ist entgegenzuhalten, daß die psychische Bezie-
hung des Handelnden zur Tat nicht ohne weiteres als strafbegründender oder
strafausschließender Faktor dienen kann. Das Verhalten könnte nämlich trotz
Kenntnis der Tatumstände bzw. der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung
aus kriminalpolitischen Gründen, z. B. wegen der nur entfernten Steuerungs-
möglichkeit des Handelnden bezüglich der Rechtsgutsverletzung, strafrechtlich
irrelevant sein. Dieses Thema könnte zwar vom Spätfinalismus unter der Ru-
brik der Auslegung der Norm bzw. des erlaubten Risikos behandelt werden, je-
doch scheint es dem Spätfinalismus an einer intensiveren Beschäftigung mit der
rechtlichen Unrechtsbegründung bzw. dessen Ausschluß zu fehlen. Die auf on-
tologischer Basis (der Finalstruktur der Handlung) fundierte Unrechtsbegrün-
dung bzw. -ausschluß reicht für die Strafbarkeit oder den Ausschluß der Straf-
barkeit nicht aus. Daß das Bestehen einer psychischen Beziehung des Handeln-
den zu seiner Tat eine rechtliche Relevanz für das Unrecht haben könnte, müßte
also noch mit normativen Kriterien begründet werden, vor allem für die Beant-
wortung der Frage, wie man bei tatsächlich bestehendem Wissen über die Mög-
lichkeit der Tatbestandsverwirklichung den bedingten Vorsatz von der bewußten
Fahrlässigkeit unterscheiden sollte.
Was die unbewußte Fahrlässigkeit betrifft, müßte eine Fahrlässigkeitshaftung
auch und gerade deshalb zu begründen sein, weil dem Handelnden die notwendi-
gen Kenntnisse bzw. Erkenntnisse fehlen. Fraglich bleibt, wie es in einem sol-
chen Fall bei bestehender Kenntnisverschaffungspflicht ist, und dabei haben die
bestehenden bzw. fehlenden Tätervorstellungen prinzipiell keinen entscheiden-
den Platz;94 sie sind nur der Ausgangspunkt der hinzukommenden Bewertung.
Im Ergebnis ist die vom Spätfinalismus vertretene prinzipielle Ablehnung der
normativen Zurechnungskriterien, die Behandlung gewisser Tatbestandsfragen
als Vorsatzprobleme und die Identifizierung des Vorsatzbegriffs mit der onti-
schen Finalität nicht zu akzeptieren, weil die ontischen Strukturen nicht ver-
bindlich für das Recht sind und die Beantwortung der Tatbestandsfragen der
Heranziehung rechtlicher Gesichtspunkte bedarf. Dazu treffen auch hier die su-

94 Vgl. infra, § 6 D III. Vgl. ferner die kritischen Meinungen gegenüber einem sub-

jektiven Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, vor allem Herzberg, JZ 1987, 536 ff.;
Jakobs, Strafrecht AT, 9/10, Fn. 18; Roxin, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,
S. 249 ff.; ders., Strafrecht AT I, § 8, Rdn. 23; § 24, Rdn. 66 ff., 68; Frisch, Tatbe-
standsmäßiges Verhalten, S. 34, Fn. 140; gegen die Meinung von Struensee ferner
Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 131 ff.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 213

pra, § 2 G ausgeführten Argumente gegen den Finalismus von Welzel zu, wes-
halb darauf verwiesen wird.
(5) Eine Berücksichtigung der Tätervorstellungen und Tätereigenschaften als
Beurteilungsgrundlage wäre schließlich mit den später durchzuführenden Präzi-
sierungen prinzipiell zu akzeptieren, solange nur die zu beurteilenden Tatum-
stände und Tätereigenschaften, aber nicht die strafrechtliche Relevanz des ge-
schaffenen Risikos von der Ansicht des Täters abhängig gemacht würde. Im
Ergebnis kann man diesen Vorschlag in einer ersten, noch zu analysierenden
Prämisse ausdrücken, nämlich daß die strafrechtlich zu beurteilenden Umstände
zumindest beim Vorsatzdelikt und bei der klar bewußten Fahrlässigkeit solche
seien, die der Täter sich real vorstellte. Denkt jemand, daß er Gift in das Glas
Wasser eines anderen schüttet, obwohl er eigentlich Salz einstreut, kommt die
vorgestellte Abgabe von Gift für die strafrechtliche Beurteilung in Betracht,
wenn das Handeln von der Rechtsordnung als riskant für das Rechtsgut Leben
beurteilt wird. Die Ansicht des Täters sollte aber nicht bestimmen, ob eine sol-
che Handlung die Norm verletzt, da dies eine Aufgabe der Rechtsordnung ist.
In diesem Punkt gehen diejenigen Vertreter der personalen Unrechtslehre zu
weit, die die strafrechtliche Relevanz des abergläubischen Versuchs95 mit der
Konsequenz bejahen, daß die Tätervorstellungen nicht nur als Objekt der recht-
lichen Bewertung, sondern auch als Maßstab für die Beurteilung, ob das Risiko
rechtlich relevant sein sollte oder nicht, dienen würden. Mit einer solchen Auf-
fassung wird das Vorliegen eines rechtlich relevanten Risikos unzutreffend nach
der Ansicht des Täters bestimmt. Bildet sich der Täter ein, daß er Salz in das
Glas Wasser streut – was kein Risiko einer Rechtgutsverletzung darstellt – und
glaubt er daran, daß das Salz aus magischen Gründen den Tod desjenigen ver-
ursachen würde, der das Salzwasser trinkt, handelt es sich um eine Tat, die kein
Risiko verursacht; das Risiko wird nur vom Täter angenommen, und die Tat ist
deshalb nicht strafbar.96

95 Armin Kaufmann, Festschrift für Welzel, S. 403; Zielinski, Handlungs- und Er-

folgsunwert, S. 134 mit Fn. 14, S. 161 mit Fn. 33, der allerdings beim abergläubi-
schen Versuch keine Strafbedürftigkeit annimmt, vgl. die zitierte Fn. 14. Dagegen
stempelt Struensee, ZStW 102 (1990), 30 ff., 36 ff., aus der Sicht der personalen Un-
rechtslehre nicht nur den abergläubischen, sondern auch den von ihm sogenannten
„nomologisch untauglichen Versuch“ als „Wahnkausalität“ ab, weil der Täter dabei
seine Erfolgserwartung auf Kausalregeln gründe, die nur in seiner Einbildung exi-
stieren würden. Kritisch bezüglich der Strafbarkeit des abergläubischen Versuchs die
h. M., vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 50 I 6; Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin
Kaufmann, S. 277 ff.; ders., Strafrecht AT, 25/22; Schönke/Schröder/Eser, StGB, § 23,
Rdn. 13a m. w. N.
96 Zur Begründung der Straflosigkeit des abergläubischen Versuchs wird von der

h. M. auf die Eindruckstheorie als Strafgrund des Versuches zurückgegriffen, vgl.


Schönke/Schröder/Eser, StGB, § 22, Rdn. 65, Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 50 I 6
und Überblick in Kühl, Strafrecht AT, § 15, Rdn. 93 i. V. m. Rdn. 40 ff. m. w. N. Es
wird gegen diese Theorie der Verstoß gegen den nullum-crimen-Satz eingewendet
214 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

c) Gegen die Allgemeinheit der Fahrlässigkeitsnormen


(individualisierende Fahrlässigkeitslehre)

aa) Grundsätze

Die sogenannte individualisierende Fahrlässigkeitslehre stellt sich gegen den


objektiven Beurteilungsmaßstab der herrschenden Meinung und individualisiert
die Sorgfaltsmaßstäbe. Entscheidend dabei sei, „was der individuelle Täter mit
seinem unter Umständen beschränkten Erfahrungshorizont, Vorwissen und Intel-
ligenzgrad (oder auch mit seinen altersbedingt oder krankhaft eingeschränkten
sensorischen Fähigkeiten) voraussehen kann“97. Mit dieser Individualisierung
werden die Sonderkenntnisse zu Lasten des Täters unmittelbar mitberücksich-
tigt. So brauchen die Anhänger dieser Lehre auf etwaiges Sonderwissen keinen
Bezug zu nehmen, da die speziellen Täterkenntnisse bei den individuellen Sorg-
faltsregeln eingeschlossen werden. Damit unterscheiden sich die h. M. und die
individualisierende Lehre bei der materiellen Folge nicht, daß etwaige Sonder-
kenntnisse überhaupt zu Lasten des Täters wirken würden. Dadurch, daß die
überwiegende Ansicht eine Ausnahme in ihrem objektiven Sorgfaltsmaßstab bei
vorhandenem Sonderwissen macht, individualisiert sie letztendlich auch den Be-
urteilungsmaßstab für diesen speziellen Fall. Die Unterschiede zu der individua-
lisierenden Lehre zeigen sich vor allem darin, daß die Rechtswidrigkeit der
Handlung bei Unfähigkeit des Täters nach der h. M. nicht ausgeschlossen wird.
Ferner differenzieren einige Autoren bei Sonderkönnen (siehe dazu infra, § 6
G), so daß sich die Theorie des generalisierenden Sorgfaltsmaßstabes auch da-
durch von den Ergebnissen der individualisierenden Lehre unterscheidet.
Neuerdings ist eine stark individualisierende Tendenz in der Fahrlässigkeits-
lehre zu verzeichnen,98 so daß ihre Bezeichnung als Mindermeinung nur noch
aus älteren Zeiten zu stammen scheint. Es zeigt sich in der Lehre eine Suche
nach Kriterien zur näheren Bestimmung des Fahrlässigkeitsbegriffs und Konkre-
tisierung der Verhaltensnorm. Dafür werden die Vermeidemöglichkeiten des
konkret Handelnden berücksichtigt. Die jahrzehntelang zwischen der h. M. und
der individualisierenden Lehre debattierte Frage, ob Fahrlässigkeit mit Sorg-
faltswidrigkeit gleichgesetzt werden kann, ist nun an die zweite Stelle gerückt
und läßt Platz für die Suche nach Kriterien, die die Unbestimmtheit des Fahr-

(vgl. Kühl, a. a. O., § 15, Rdn. 41), weil sie nur auf kriminalpolitischen Grundsätzen
beruhe und keine Anknüpfung des Versuchs an die Tatbestandsverwirklichung leiste
(so auch Jakobs, Strafrecht AT, 25/20). Ein solcher Verstoß dürfte bei der Begründung
der Strafbarkeit des Versuches, d. h. zu Lasten des Täters, aber nicht wie hier bei der
Begründung der Straflosigkeit des abergläubischen Versuchs berechtigt sein (i. E. auch
Kühl, a. a. O., § 15, Rdn. 93).
97 Weigend, Festschrift für Gössel, S. 139.
98 Vgl. z. B. die Zunahme von Anhängern der sog. individualisierenden Lehre in der

letzten Zeit, siehe die letztgenannten Autoren von supra, Einleitung, Fn. 26.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 215

lässigkeitsbegriffs lösen könnten. Zunächst einmal ist die einerseits von Ja-
kobs99 und andererseits von Stratenwerth100 entwickelte individualisierende
Lehre zu betrachten, die die Beurteilung des fahrlässigen Verhaltens auf der ur-
sprünglichen Ansicht Welzels aufbaut.101 Diese Lehre bekam inzwischen meh-
rere weitere Anhänger.102
Hiernach ist die Sorgfaltspflicht individuell zu bewerten, d. h. ein allgemeiner
Sorgfaltsmaßstab wie der eines einsichtigen Menschen sollte für die Beschrei-
bung des tatbestandmäßigen Verhaltens nicht verwendet werden. Das fahrlässige
Verhalten sollte vielmehr in Bezug auf die individuellen Fähigkeiten und Kennt-
nisse des Täters, d. h. nach seinen Handlungsmöglichkeiten, bestimmt werden.
Deshalb wird nach dieser Ansicht die individuelle Voraussehbarkeit des Erfol-
ges nicht mehr im Schuldbereich, sondern systematisch bereits im Tatbestand
eingeordnet. Nach den Worten von Stratenwerth gehört zur Tatbestandsmäßig-
keit der Fahrlässigkeitsdelikte „die Verletzung einer (auch) nach den individuel-
len Fähigkeiten des Täters zu bemessenden Sorgfaltspflicht“103. Das im Einzel-
fall gebotene Verhalten würde sich danach nicht nur nach der jeweiligen Situa-
tion, sondern auch nach den individuellen Fähigkeiten des Täters richten.104 Der
Sorgfaltspflichtige müsse auch erkennen können, welches (unerlaubte) Risiko
gegeben ist und auf welcher Weise es sich mit seiner Handlung verbindet.105
Dazu betont Jakobs, daß die objektive Voraussehbarkeit keine Funktion hat,
„die nicht schon das erlaubte Risiko erfüllen würde“106. Nur konkrete Subjekte
könnten Erfolge vermeiden und nur gegen konkrete Subjekte würden Sanktio-
nen verhängt. Als Leitbildverhalten sei das richtige Verhalten ebenso ungeeignet
wie der reale Kausalverlauf.107
Die herrschende Meinung individualisiert die Sorgfaltsmaßstäbe im Ergebnis
nur „nach oben“, d. h. bei vorhandenem höheren Wissensstand (und ggf. Fähig-
keiten) des Täters. So läßt sie den generellen Maßstab bei vorhandenem Sonder-
wissen des Täters auf der Seite und berücksichtigt dieses Wissen im Tatbe-

99 Vgl. Jakobs, Studien, S. 41 ff., 48 ff., insbes. 64 ff.; ders., Teheran-Beiheft zur

ZStW 86 (1974), 20 f., Fn. 45; ders., Strafrecht AT, 9/6 ff.
100 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 11–15; ders., Festschrift für Je-

scheck, S. 285 ff.


101 Vgl. supra, § 2 E.
102 Vgl. supra, § 1, Fn. 26.
103 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 15. In der dritten Auflage (Rdn. 1099)

wurde der Ausschluß genereller Sorgfaltsnormen betont. Dort hieß es: „die Verletzung
nicht einer generellen, sondern der dem individuellen Täter obliegenden Sorgfalts-
pflicht“.
104 Stratenwerth, Strafrecht AT I, 3. Aufl., Rdn. 1103; ähnlich in der 4. Aufl., § 15,

Rdn. 18.
105 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 30.
106 Jakobs, Strafrecht AT, 9/13.
107 Jakobs, Studien, S. 53.
216 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

standsbereich. Dagegen individualisiert die individualisierende Lehre sowohl


„nach oben“ als auch „nach unten“, d. h. bei niedrigerem Wissensstand bzw.
Fähigkeiten des Täters. Sie sieht also z. B. bei einem Sklerotiker, der aufgrund
seiner Reaktionsschwäche einen Autounfall verursacht, keine Verletzung der
Sorgfaltspflicht, weil der Unfall für ihn unvermeidbar war. Ebenso dürfe der er-
fahrene Autofahrer mit sehr hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn fahren,
während der Anfänger langsamer fahren, mehr Abstand halten und früher brem-
sen müsse, d. h. er müsse unter Berücksichtigung der Grenzen seines Könnens
fahren.108 Die allgemeinen Sorgfaltsregeln sollten danach nur die Grenze des
erlaubten Risikos bestimmen; über diese Grenze hinaus werde individuell ent-
schieden, welches Verhalten unerlaubt sei.109 Falls ein Autofahrer wissen
würde, daß Kinder oft an einem bestimmten Ort auf die Straße laufen, könne er
sich nicht darauf berufen, daß diese Gefahr für die Allgemeinheit der Autofah-
rer nicht erkennbar sei.110
Der Unterschied zwischen der individualisierenden Lehre und solchen An-
sichten, die die Täterperspektive als Ausgangssituation für die Anwendung der
Verhaltensnorm annehmen [vgl. supra, § 6 B II 2 b)], liegt darin, daß die letzten
von den Kenntnissen des Handelnden über die Tatsituation ausgehen, die Allge-
meinheit der Sorgfaltsnormen aber nicht bestreiten, d. h. die Individualisierung
findet nicht vorrangig bezüglich der Person des Täters statt. Dagegen richten
sich die Sorgfaltsnormen nach der individualisierenden Lehre an jeden einzel-
nen Bürger je nach seinen Eigenschaften und Fähigkeiten.

bb) Einzelne Argumente der individualisierenden Lehre


und Einwände der h. M.

(1) Argument der Motivierungsfunktion der Verhaltensnorm

Jakobs bezieht sich auf das für ihn für die Fahrlässigkeitsdelikte notwendige
Erfordernis der Erkennbarkeit des Erfolgseintritts, damit die jeweilige Folge
vermeidbar wäre. Dieses Erfordernis solle aus der Perspektive der Rechtsunter-
worfenen bestimmt werden, „also danach, was der Rechtsunterworfene mit dem
Motiv zur Erfolgsvermeidung zum Zweck der Erfolgsvermeidung erkannt
hätte“111. Sei die Erkennbarkeit des Erfolges beim Täter nicht vorhanden, ent-
falle deshalb nicht die Schuld, sondern bereits die Verhaltensnorm.112 Bei Ja-
kobs beruhen die Gedanken einer individualisierenden Sorgfaltspflicht auf einer

108 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 13, 19.


109 Stratenwerth, a. a. O., § 15, Rdn. 13.
110 Stratenwerth, a. a. O., § 15, Rdn. 18.
111 Jakobs, Studien, S. 69; im gleichen Sinne ders., Strafrecht AT, 9/2.
112 Jakobs, Studien, S. 69.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 217

von ihm entwickelten besonderen Unrechtsbegründung, die sowohl für die fahr-
lässige als auch für die vorsätzlichen Delikte gelten soll. Es ist deshalb erforder-
lich, zunächst einmal die Ausgangspunkte seiner individualisierenden Lehre zu
erörtern, deren ausführlichere Darstellung sich in seinem Werk „Studien zum
fahrlässigen Erfolgsdelikt“ von 1972 findet und die sich deshalb in einigen
Punkten noch im Rahmen des früheren Stadiums seiner Strafrechtslehre bewegt.
Aus der Kombination der Kategorien Motivation und Vermeidbarkeit begrün-
det Jakobs den Inhalt der Norm sowohl der fahrlässigen als auch der vorsätzli-
chen Delikte. Die Grundlage seiner These besteht darin, daß Zweck des Straf-
rechts die Vermeidung bestimmter Erfolge sei. Dieser Zweck werde durch die
Beeinflussung der Motivation des einzelnen erreicht.113 Die Normen seien auf
Vermeidung bestimmter Folgen gerichtet.114 Entscheide sich der Täter nicht für
die Erfolgsvermeidung oder fehle bei ihm die intellektuelle Fähigkeit zur Er-
folgsvoraussicht oder die physische Fähigkeit zur Erfolgsabwendung, bleibe die
Macht der Motivation aus.115 Die Bestimmungsfunktion der Norm spielt für
Jakobs also eine wichtige Rolle.116
Es müssen nach ihm Sätze für das System ausgewählt werden, die auf die
Motivation wirken, d. h. die für den Zweck der Erfolgsvermeidung tauglich sein
können.117 Jakobs versucht nun zu ermitteln, welcher Inhalt der Norm zur Er-
folgsvermeidung tauglich wäre.118 Es gibt Folgen, die vom fahrlässigen Täter
nicht erkannt werden, die aber von ihm erkannt werden sollten. Um diese Fall-
konstellationen in seinem Konzept zu erfassen, möchte Jakobs nicht etwa auf
das Subjektive in der Fahrlässigkeit oder auf Begriffe wie Wille oder Vorstel-
lung zurückgreifen.119 Weder das Wissen noch das Wissen und Wollen einer
Folge würden seiner Meinung nach die psychischen Vorgänge abbilden, die bei
der auf Vermeidung der Folgen zielenden Norm sowohl der fahrlässigen als
auch der vorsätzlichen Delikte vorausgesetzt werden. Vielmehr sei die zum
Zweck der Erfolgsvermeidung taugliche psychische Disposition das dominante
Motiv zur Vermeidung der Folgen, d. h. ein dominanter Antrieb des Täters, der
auf die Vermeidung der Folgen ziele.120
Bei einer solchen Beschreibung des Inhalts der Norm der fahrlässigen und
vorsätzlichen Delikte steht Jakobs aber vor dem Problem, daß das Vermeiden
von Folgen die (Er-)Kenntnis der Folgen voraussetzt. Denn die Erkennbarkeit

113 Jakobs, Studien, S. 1, 28, 47; vgl. auch ders., Strafrecht AT, 9/1 ff.
114 Jakobs, Studien, S. 47.
115 A. a. O., S. 2.
116 Jakobs, Studien, S. 7 f.; ders., Festschrift für Welzel, S. 309.
117 Jakobs, Studien, S. 3, 28.
118 A. a. O., S. 28.
119 A. a. O., Jakobs, Studien, S. 41.
120 Jakobs, Studien, S. 34, 46; im gleichen Sinne ders., Strafrecht AT, 9/2.
218 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

sei der erforderliche Antrieb, um die Kenntnis über die (noch) nicht erkannten,
aber möglichen Folgen zu erlangen.121 Eine fahrlässige Handlung sei aber wie-
derum nicht Unrecht, weil die Tatbestandsverwirklichung erkennbar wäre, son-
dern weil eine erkennbare Tatbestandsverwirklichung vermeidbar sei. Es gäbe
ansonsten keine Pflicht, sich Kenntnis zu verschaffen.122 Fehle beim Täter das
Wissen, d. h. erkenne er nicht die Verhaltensfolgen, müsse er jedoch aufgrund
dieses beschriebenen – im folgenden näher zu behandelnden – „Vermeide-
mechanismus“ verantwortlich gemacht werden.123
Für Jakobs ist das Kennzeichnen der Vermeidbarkeit, „daß der Erfolg bei do-
minanter Motivation, ihn zu vermeiden, nicht eingetreten wäre“124. Beim Zu-
sammenhang zwischen Motivation und Erfolg ist die Vermeidbarkeit im System
von Jakobs von großer Bedeutung. Er unterscheidet zwischen dem Vermeidba-
ren, bei dem eine rechtmäßige Motivation zur Erfolgsvermeidung geeignet sei,
und dem Unvermeidbaren, bei dem sogar eine rechtmäßige Motivation den Er-
folg nicht vermeiden könne.125 Mit anderen Worten: bei fehlender Vermeidbar-
keit des Erfolges hat das betreffende Verhalten für Jakobs keine strafrechtliche
Relevanz, gleichgültig, ob der Täter sich rechtmäßig motiviert hat oder nicht.
Zugleich spielt im System von Jakobs die individuelle Erkennbarkeit oder
Unerkennbarkeit des Erfolges bei der Bestimmung des Vermeidbaren und Un-
vermeidbaren eine wichtige Rolle. Seien die Verhaltensfolgen vom Subjekt er-
kannt und vermieden oder dem Subjekt überhaupt nicht erkennbar und deshalb
unvermeidbar, so liege eine rechtmäßige Motivation zur Erfolgsvermeidung
vor.126 Das Motiv des Täters zur Erfolgsvermeidung bestehe nicht im konkreten
Erfolg, der vom Täter nicht vorausgesehen wurde, sondern in der Vermeidung
von Folgen einer bestimmten Art, „ohne daß deren konkretes Bedingtsein durch
das Verhalten damit schon für das Subjekt feststünde“127. Die Bestimmung der
Folgen sollte dabei zweckmäßigerweise (aber nicht notwendig) nach von ihm
nicht näher beschriebenen Gattungen vorgenommen werden. Aus der Verarbei-
tung des rechtlichen Verhaltensmusters im Subjekt könne man den Schluß auf
das konkrete Verhalten herleiten. Allerdings können die Verarbeitungsmethoden
(Nachdenken, Ablenkungen meiden, Ergebnisse prüfen) rechtlich fixiert sein.
Die Ergebnisse der Verarbeitung seien aber Leistung des Subjekts. Es müsse
nun nur die konkrete Folge unter die Gattung, d. h. unter die Folgen einer be-
stimmten Art, subsumieren.128

121 Jakobs, Studien, S. 43, 45.


122 Jakobs, Strafrecht AT, 9/2.
123 Jakobs, Studien, S. 46.
124 A. a. O., S. 39.
125 A. a. O., S. 28.
126 A. a. O., S. 43 f.
127 A. a. O., S. 42 f.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 219

Erkenne aber der Täter eine Folge seines Verhaltens nicht, könne man nicht
lediglich die Nichtwahrnehmung der Folge konstatieren und keine weiteren
Schlüsse aus dem Vermeidemotiv ziehen. Das Vermeidemotiv erstrecke sich
nicht nur auf die vom Täter erkannten Folgen, sondern auch auf alle erkennba-
ren Folgen einer bestimmten Art. Nach Jakobs ist Voraussetzung der Vermeid-
barkeit, daß die Folgen dem Subjekt erkennbar waren. Die nicht erkennbaren
Folgen sind dagegen nicht Inhalt des Vermeidemotivs. „Das Vermeidemotiv
setzt keine Folgenkenntnis voraus, sondern ist selbst der Antrieb, Folgenkennt-
nis als psychische Voraussetzung der Folgenvermeidung zu erlangen.“129 Sei der
gegebene Kenntnisstand des Täters nicht geprüft und deshalb zufällig, müsse
dieser Antrieb angewendet werden. Inhalt des Vermeidemotivs wären solche
nicht erkannten Verhaltensfolgen, „die unter der Hypothese eines dominanten
Vermeidemotivs, unter der allein auch vorausgesehene Folgen ausbleiben, ver-
mieden würden.“130
Das Vermeidemotiv lenke, „soweit Fahrlässigkeit in Frage kommt, die An-
triebe in ein Stadium der Prüfung ihrer möglichen Folgen oder, soweit die An-
triebe diesen Aufwand subjektiv nicht wert sind, neutralisiert Antriebe mit un-
bekannten Folgen . . .“. Das Vermeidemotiv „führt, soweit fahrlässige Unterlas-
sung in Frage kommt, zum Willen, tatbestandsmäßige Situationen zu erkennen
oder auf Wege zu deren Beseitigung zu achten und sich ergebende Rettungs-
handlungen zu vollziehen“. Es komme für die Vermeidbarkeit nicht in Frage,
ob das Subjekt die konkrete Möglichkeit hatte, das entsprechende Vermeidemo-
tiv zu entwickeln. „Es geht nicht darum, was ein Subjekt tatsächlich oder wahr-
scheinlich will, sondern welche Alternativen seines Wollens überhaupt Alterna-
tiven seines Verhaltens und deren Folgen bieten“. Jakobs unterscheidet damit
zwischen der Ermittlung der Macht des Subjekts und der Bewertung des Ge-
brauchs dieser Macht.131
Auf der Basis des im Vermeidungsmotiv bestehenden Inhaltes der Norm be-
gründet Jakobs seine Verbrechenslehre und entwickelt im folgenden eine indivi-
dualisierende Betrachtung bei der Bestimmung des Sorgfaltspflichtmaßstabes.
Dabei erlangt nur die innere Sorgfalt Relevanz, während die äußere Sorgfalt als
Leitbildverhalten ausgeschlossen wird.132
Für den Ausschluß der äußeren Sorgfalt aus dem normativen Bereich geht
Jakobs davon aus, daß Erfolge nur von konkreten Subjekten vermieden werden
können. Die Figur der abstrakten vernünftigen Person sei wegen des Umfangs,
den kein konkretes Subjekt ausmessen kann, als Leitbildverhalten so ungeeignet

128 A. a. O., S. 43.


129 A. a. O., S. 43.
130 A. a. O., S. 45.
131 A. a. O., S. 45.
132 A. a. O., S. 64 ff.
220 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

wie der reale Kausalverlauf.133 Diese Richtlinie der objektiven Vermeidbarkeit


könne vom Täter nur erfaßt werden, wenn er sich dem Niveau der Gruppe an-
passen könne. In diesem Fall seien objektive und subjektive Zurechnung also
gleich. Die Richtlinie der objektiven Vermeidbarkeit könne aber von einem
Unterbegabten oder einem Subjekt mit fehlenden Kenntnissen auf speziellen
Gebieten nicht erfaßt werden.134 „Wer selbst erkennt, bedarf keines Maßstabes;
wer nicht erkennen kann, mag den Maßstab erkennen, zur Erfolgskenntnis ver-
hilft ihm das jedoch nicht in jedem Fall“135. Mit dem objektiven Maßstab ver-
lange man vom Täter, wenn er sich rechtstreu betätigen wolle, daß er sich fragt,
„ob die aus seiner Betätigung möglicherweise resultierenden Verletzungen allge-
mein vermeidbar sind.“136
Der objektive Sorgfaltsmaßstab kann nach Jakobs nur „eine Hilfeleistung zur
Erkenntnis der Erfolgschance“ sein, welche „aufklärt und bildet, nicht aber vor-
schreibt, normiert“137. Die objektiven Sorgfaltsregeln werden von Jakobs als
„Erfahrungssätze oder bewährte Verhaltensregeln“ betrachtet, nicht aber als ein
Teil der Norm.138 Die Anwendung eines allgemeinen Leitbildes würde dazu
führen, daß „jedermann in jeder Lage über alle möglichen Rechtsgutsverletzun-
gen urteilen müßte, um sicher zu sein, der Norm zu genügen.“139
Ebenso wie beim objektiven Sorgfaltsmaßstab schließt Jakobs auch die Funk-
tionen einer objektiven Adäquanz bei der Norm aus den gleichen Gründen aus:
„Ein allgemeines Erfahrungswissen in die Norm aufzunehmen ist nutzlos, wenn
nur Subjekte, die lediglich über ihre eigenen, je individuellen Erfahrungen ver-
fügen, der Norm genügen sollen.“140
Nachdem Jakobs die äußere Sorgfalt als Verhaltensmaßstab ausgeschlossen
hat, bestimmt er den Umfang des für ihn richtigen Sorgfaltsmaßstabes: die in-
nere Sorgfalt. Der Kern der Sorgfalt liege also im dominanten Motiv zur Ver-
meidung des Erfolges.141 Es bestehe nur eine Pflicht zur Erfolgsvermeidung.
Nur dieses Motiv könne sinnvoll vorgeschrieben werden, nur in der Einhaltung
dieser Vorschrift liege Sorgfalt.142 An diesem Motiv zeige sich die Macht des
Subjekts, bestimmte Erfolge zu vermeiden. Das Vermeidemotiv sei objektiv nur
im Sinne, daß es normativ verlangt werde. Da individuelle Vermeidbarkeit In-

133 A. a. O., S. 53.


134 A. a. O., S. 54.
135 A. a. O., S. 67.
136 A. a. O., S. 54.
137 A. a. O., S. 67.
138 A. a. O., S. 67; weiteres über den objektiven Sorgfaltsmaßstab: S. 68.
139 A. a. O., S. 83.
140 A. a. O., S. 89.
141 A. a. O., S. 64.
142 A. a. O., S. 68.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 221

halt der Verhaltensnorm sei, werde die Norm dadurch konkretisiert, daß der
individuelle Täter bestimmte Erfolge vermeiden solle, die er vermeiden könne.
Die Pflicht zur Vermeidung werde durch das Erkennen-Können des Täters kon-
stituiert.143
Zur Begründung der Zuordnung der individuellen Vermeidbarkeit und Er-
kennbarkeit des Erfolges zur Verhaltensnorm und nicht zum Schuldbereich
greift Jakobs nicht wie Stratenwerth auf eine Differenzierung zwischen instru-
mentellem und sittlichem Können [siehe infra, (2)] zurück, sondern er macht
auf die zur Verhaltensnorm gehörende Erkennbarkeit aufmerksam, die sich
nicht auf etwas Normatives, die Pflicht, sondern auf den Erfolgseintritt bezie-
hen sollte.144 Die Erkennbarkeit betreffe „die Steuerung und nicht das Verhält-
nis zum Recht“.145 „Der Norminhalt kann dann (im Rahmen der Schuld) wie-
derum als Norminhalt erkannt werden, soweit der Täter sein vorrechtliches Kön-
nen als rechtlich beansprucht erkennen kann“. Es gehe beim Können nicht nur
um die Motivationsfähigkeit, sondern auch um die anderen Momente, die bei
gegebener Motivation das resultierende Verhalten (mit-)bedingen würden.146
Damit reduziert er zunächst einmal die Sorgfalt auf das Motiv zur Erfolgsver-
meidung und individualisiert die Vermeidbarkeit auf das dem konkreten Täter
mit dem Motiv zur Erfolgsvermeidung Steuerbare.147 Obwohl Jakobs von der
traditionellen Trennung zwischen Unrecht und Schuld ausgeht,148 ist für ihn das
Recht nur in solchen Bereichen wirksam, wo der Intellekt des ihm Unterworfe-
nen hinreicht. „Ob das Recht sogleich je nach Vermögen fordert oder das Über-
maß des Leistungsvermögens eines einsichtigen Menschen verschämt bei der
Schuld korrigiert, zählt für die Vermeidung der unerwünschten Erfolge gleich
viel.“149
Bei der Begründung eines rein individuellen Sorgfaltsmaßstabes steht Jakobs
vor einer schwierigen Frage: Wird die Sorgfalt nach den „Schlüssen jedes
Dummkopfes“ bestimmt? Jakobs weicht diesem Problem aus, indem er meint,
daß man den Rechtsunterworfenen über die Gefahren bestimmter Verhaltens-
weisen aus kriminalpolitischen Gründen aufklären sollte.150
Im Rahmen der individualisierenden Lehre argumentiert auch Castaldo mit
der Motivierungsfunktion der Verhaltensnorm. Nach seiner Ansicht soll sich die
Erforderlichkeit des individualisierten Sorgfaltsmaßstabes auch aus der Motiva-

143 A. a. O., S. 64 f.
144 A. a. O., S. 65.
145 A. a. O., S. 67.
146 A. a. O., S. 65.
147 Jakobs, Studien, S. 83; ders., Strafrecht AT, 9/12.
148 Z. B. in Studien, S. 12.
149 A. a. O., S. 68.
150 A. a. O., S. 68.
222 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

tionsfunktion der Normen ergeben. Die Normen können von den Rechtsadressa-
ten nicht mehr verlangen, als was in seinen Möglichkeiten steht. Wenn man den
gleichen Maßstab für jeden Menschen eines abstrakten Verkehrskreises setze,
berücksichtige man damit nicht, daß die Norm ihre Funktion vor unterdurch-
schnittlichen Tätern verliere, da man von diesen verlange, was nicht in ihren
Möglichkeiten stehe.151
Gegen den Ansatz von Jakobs argumentiert Schünemann, daß die individuelle
Vermeidbarkeit kraft des unser Strafrecht beherrschenden Schuldprinzips, das
ein Anders-Handeln-Können erfordert, unabdingbare Voraussetzung der Sankti-
onsnorm sei und sie deshalb nicht ohne weiteres in die Verhaltensnorm vorgela-
gert werden sollte.152 Bevor man aber diesen gewichtigen, allgemeinen Einwand
gegen die individualisierende Lehre, also die fehlende Trennung zwischen Un-
recht und Schuld eingeht [siehe infra, cc) (1)], ist besonders die von Jakobs
angesprochene fehlende Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung beim Un-
terbefähigten als Grund für den Ausschluß der Tatbestandsmäßigkeit zu untersu-
chen. Es ist nämlich fraglich, ob die Erkennbarkeit in allen Fallkonstellationen
des Unterbefähigten fehlt. Was erkennbar für den Normadressaten der Sorgfalts-
normen ist, sollte von der Rechtsordnung festgelegt werden, d. h. er hat bei der
Vornahme bestimmter Aktivitäten die Pflicht, bestimme Dinge zu erkennen und
zu vermeiden, ansonsten darf er die Aktivität gar nicht erst beginnen. Jeder-
mann kann auf die Vornahme bestimmter, für Dritte riskante Aktivitäten, wie
z. B. Autofahren, einige Sportarten, das Handeln mit Waffen und sogar den ärzt-
lichen Beruf verzichten. Wird eine solche Aktivität übernommen, ist höchste
Sorgfalt Pflicht: Alterungsprozesse, Sehschwächen usw. müssen zunächst ausge-
schlossen sein, weil sie keinen Grund darstellen, um die Rechtswidrigkeit der
Handlung auszuschließen, auch wenn sie für einen Schuldvorwurf unzureichend
wären. Hier geht es also um die rechtliche Bestimmung der Sorgfaltspflichten
nach einer Interessenabwägung zwischen dem Rechtsgüterschutz und den zu
gewährenden Handlungsfreiheiten. Der Begriff der Erkennbarkeit im Bereich
der Fahrlässigkeit sollte nur innerhalb dieses rechtlichen Rahmens angewendet
werden.

(2) Argument des Unterschiedes vom „instrumentellen“


und „sittlichen“ Können

Zugunsten der individualisierten Sorgfaltsmaßstäbe wird von Stratenwerth


zwischen dem „instrumentellen“ und dem „sittlichen“ Können differenziert,
d. h. zwischen den Fähigkeiten, die über das Unrecht entscheiden, und den Fä-
higkeiten, auf die es erst bei der Schuld ankommen solle. Die ersten Fähigkei-

151 Castaldo, Objektive Zurechnung und Maßstab der Sorgfaltswidrigkeit, S. 78.


152 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 162.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 223

ten bildeten das „instrumentelle“ Können, um das unerlaubte Risiko, das der
Täter schafft, auszuschließen, d. h. dieses Risiko zu erkennen und zu beherr-
schen. Die zweiten Fähigkeiten sollten darin bestehen, die „sittliche“ Anstren-
gung bringen, d. h. entsprechend verantwortlich und gewissenhaft handeln zu
können. Dies sei bei den Fahrlässigkeitsdelikten die Sorgfaltskenntnis. Straten-
werth bringt als Beispiel für beide Arten von Fähigkeiten den Alkoholkonsum.
Der Alkohol beeinträchtige einerseits die Fahrtüchtigkeit im Sinne von „instru-
mentellen“ Fähigkeiten: das Fahrzeug zu beherrschen, Gefahren rechtzeitig zu
erkennen oder angemessen zu reagieren. Dies gehöre zum Bereich des Un-
rechts. Andererseits könne der Alkohol die Fähigkeit des Täters beeinträchtigen,
das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, d. h. sich
gemäß dem rechtlich Gesollten zu verhalten.153 Ferner meint Stratenwerth, daß
die h. M. die „subjektiven“ Anforderungen der Sorgfaltspflichtverletzung in die
Schuld einstellt, obwohl „sie nicht unmittelbar die Freiheit betreffen, sich zum
rechtlich Gesollten zu bestimmen.“ Die individuelle Handlungsmöglichkeit solle
deshalb wie sonst bereits im Tatbestandsbereich geprüft werden.154
Den Differenzierungen von Stratenwerth nach dem „instrumentellen“ und
dem „sittlichen“ Können wurde von Schünemann entgegengehalten, daß kein
„qualitativer Unterschied zwischen der Unfähigkeit, den allgemeinen rechtli-
chen Anforderungen nachzukommen, und der Unfähigkeit, eine gefährliche Si-
tuation den Rechtsanforderungen entsprechend zu meistern“, ersichtlich sei.155
Abgesehen davon, daß die hier angesprochene, mangelnde individuelle Befähi-
gung für die vorgenommene Aktivität oft letztendlich die Unrechtseinsicht des
Handelnden verhindern wird, müßte im Einzelfall überprüft werden, ob die Er-
kennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung tatsächlich immer fehlt, wie es be-
reits oben bei der Kritik an der Argumentation von Jakobs ausgeführt wurde.

(3) Argument der Analogie zu den Unterlassungsdelikten

Beim Unrecht des Unterlassungsdeliktes werden die Rettungsfähigkeiten, bei-


spielsweise für einen Arzt oder einen Bademeister, im konkreten Fall miteinbe-
zogen und sind begriffliche Voraussetzungen der Unterlassung. Beim Unrecht
des (fahrlässigen) Begehungsdeliktes kommt es für die herrschende Lehre des
generalisierenden Sorgfaltmaßstabes dagegen für die Tatbestandserfüllung nicht
darauf an, ob der Täter die Fähigkeit hatte, die Handlung „überhaupt“ vorzu-
nehmen (z. B. ärztliche Hilfe zu leisten), da der Täter ja „gehandelt“ hat.

153 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 286 ff.; kritisch Schünemann, Fest-

schrift für Schaffstein, S. 164.


154 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 44.
155 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 164.
224 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Dagegen soll nach der individualisierenden Fahrlässigkeitslehre für die fahr-


lässigen Begehungsdelikte dasselbe gelten, was bei den Unterlassungsdelikten
gefordert wird: die Fähigkeit des Täters, sich in der rechtlich gebotenen Weise
zu verhalten. Das Gebot soll in beiden Fällen dahin gehen, das Mögliche zu
tun.156 Es sei nämlich nicht für jedermann im Bereich der Begehungsdelikte
möglich, die verbotene Handlung zu unterlassen, genauso wie es nicht für jeder-
mann möglich sei, die gebotene Handlung bezüglich der Unterlassungsdelikte
auszuführen. Verbiete die Norm eine bestimmte Handlung, könne der Täter nur
das Motiv haben, die Handlung zu unterlassen, wenn er seine Handlung als
diese bestimmte Handlung erkennen könne. Nicht jeder Schuldfähige könne
„sorgfaltslose Handlungen unterlassen, sondern nur derjenige, der die Sorgfalts-
losigkeit seines Tuns individuell erkennen kann.“ Berücksichtige man die Er-
kennbarkeit des Erfolgseintritts im Rahmen der Verhaltensnorm der Begehungs-
delikte nicht, werde es sich, anstatt um Verletzungsdelikte, um Ungehorsams-
delikte handeln. „Wer sich mit dem Motiv zur Erfolgsvermeidung nicht zur
Erfolgsvermeidung motivieren kann, kann kein Verletzungsdelikt übertreten, da
dieses mehr als ein Motiv zur Erfolgsvermeidung nicht bezwecken kann, ohne
nutzlos zu werden.“157
Das Erfordernis der Fähigkeit zur Unterlassung der Handlung bei den fahrläs-
sigen Begehungsdelikten wird von der generalisierenden Lehre zutreffend abge-
lehnt.158 Man kann nämlich die Unterlassungsfähigkeit beim Unrecht der fahr-
lässigen Begehungsdelikte nicht in gleicher Weise wie die Handlungsfähigkeit
beim Unrecht der Unterlassungsdelikte fordern. Bei fahrlässigen Begehungsde-
likten ist die Unterlassung der sorgfaltswidrigen Handlung jedermann rein fak-
tisch möglich.159 Konnte der Täter einen durch sein Handeln verursachten
rechtsgutsverletzenden Erfolg z. B. aufgrund seiner Blindheit nicht voraussehen,
d. h. der Erfolg war ihm individuell nicht erkennbar, war es ihm doch rein fak-
tisch möglich, die sorgfaltswidrige Handlung zu unterlassen. Seine Unfähigkeit
zur Voraussicht des Erfolges und zum Erkennen der Sorgfaltswidrigkeit seiner
Handlung gehört als Nicht-anders-handeln-können erst in den Schuldbereich.
Demgegenüber spielt die im Tatbestand erforderliche Handlungsfähigkeit bei
Unterlassungsdelikten eine andere Rolle: Wer nicht schwimmen kann und kei-
nen Rettungsring zur Verfügung hat, kann das im Meer zu ertrinken drohende
Kind rein faktisch gar nicht retten. Es ist unterschiedlich zu beurteilen, ob man
jemanden nicht retten kann, weil man die Fähigkeiten dafür nicht hat, oder ob
man aufgrund der Unfähigkeit, die Schädlichkeit des eigenen (aktiven) Han-

156 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 13; ders., Festschrift für Jescheck,

S. 290.
157 Jakobs, Studien, S. 65 f.
158 So z. B. ausdrücklich Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 163; ders., JA

1975, 514; Hirsch, ZStW 94 (1982), 269.


159 Vgl. Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 47; Schünemann, a. a. O.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 225

delns zu erkennen, einen Schaden hervorruft. Das erste Verhalten ist rechtmä-
ßig, weil etwas anderes gar nicht verlangt werden kann; die Rechtswidrigkeit
des zweiten Verhaltens kann man dagegen jedenfalls nicht mit dieser Begrün-
dung verneinen, so daß das Argument aus dem Vergleich mit dem Unterlas-
sungsdelikt nicht schlüssig ist.

(4) Argument des von der h. M. bereits angenommenen


individuellen Maßstabes

Die von der überwiegenden Ansicht vorgenommene Differenzierung der


Sorgfaltspflichten nach Berufszweigen, Lebenskreisen und konkreten Situatio-
nen, nicht aber nach der Person des Verpflichteten, wird von der individualisie-
renden Lehre auch als halbherzig und inkonsequent kritisiert. Letztere differen-
ziert die Sorgfaltsmaßstäbe nach den Fähigkeiten der einzelnen Personen, sei es,
daß sie unterbefähigt oder besonders begabt sind, d. h. die Individualisierung
findet in gleicher Weise „nach unten“ wie „nach oben“, ferner nach dem Wis-
sen wie nach den Fähigkeiten statt. Die Kritik besteht deshalb darin, daß letzt-
lich die Kenntnisse des Täters im Bereich der Fahrlässigkeit von der h. M. doch
individualisiert würden, weil sie sich als „Sonderwissen“ im Adäquanzurteil
fänden und damit sie in der Tatbestandsmäßigkeit untergebracht seien, während
dies nicht ohne weiteres für die Fähigkeiten gelte.160 Aber das trifft nur z. T. zu:
Daß eine Individualisierung der Sorgfaltsmaßstäbe auch seitens der h. M. impli-
ziert werde, trifft zu, solange sie „nach oben“ und deshalb zu Lasten des Täters
getätigt wird, d. h. wenn der Täter mehr als die Allgemeinheit über die Tatum-
stände weiß.161 Eine entlastende Individualisierung „nach unten“ findet dadurch
aber nicht statt: Der Unterbegabte handelt bei Verletzung des objektiven Sorg-
faltsmaßstabes rechtswidrig. Was die Sonderfähigkeiten betrifft, werden diese
von der h. M. unterschiedlich behandelt; dazu wird im einzelnen auf infra G
verwiesen.

cc) Allgemeine Einwände gegen die individualisierende Lehre

In der oben angeführten Darstellung der Argumente der individualisierenden


Fahrlässigkeitslehre wurde die Kritik der h. M. an den einzelnen Argumenten
angeführt. Ansonsten gibt es allgemeine Einwände gegen die Lehre, die im fol-
genden gesondert behandelt werden.

160 Vgl. u. a. Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 12, 14; Kremer-Bax, Das

personale Verhaltensunrecht bei der Fahrlässigkeit, S. 104, 110 ff.


161 Darin sieht Schünemann keine Privilegierung des Hochqualifizierten, vgl. Fest-

schrift für Schaffstein, S. 165 f.


226 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

(1) Nichteinhaltung der Trennung von


Unrecht und Schuld

Es wird der individualisierenden Lehre die Nichteinhaltung der Trennung von


Unrecht und Schuld als intrasystematischer Mangel vorgeworfen,162 weil ihre
Vertreter an sich an dieser Trennung im Unterschied zur ursprünglichen Fahr-
lässigkeitsstruktur von Welzel theoretisch festhalten möchten. Der Kritikpunkt
besteht darin, daß die individualisierende Lehre als Inhalt der Norm auch deren
Befolgbarkeit erkennt.163 Damit greife sie gleichsam auf Grundsätze der Impe-
rativentheorie, deren Unrichtigkeit schon seit längerer Zeit bereits nachgewiesen
sei.164
Das Problem besteht darin, daß die individualisierende Lehre die fahrlässige
Tat eines Zurechnungsunfähigen (z. B. ein altersbedingt geisteskranker Arzt oder
Autofahrer) für nicht rechtswidrig erklärt,165 während die generalisierende
Lehre eine solche Tat als rechtswidrig ansieht und lediglich die strafrechtliche
Verantwortlichkeit wegen Schuldunfähigkeit ausschließt.166 Dieser Unterschied
der beiden Lehren liegt aber nur vor, solange die Unfähigkeit (bzw. die fehlen-
den Kenntnisse) für die entsprechende Aktivität dem Handelnden aufgrund der
Unfähigkeit nicht erkennbar war. Konnte er das erkennen, wird die Tat nach
beiden Lehren wegen Übernahmefahrlässigkeit als rechtswidrig beurteilt.167
Gegen den Einwand der mangelnden Trennung zwischen Unrecht und Schuld
erwidert Stratenwerth, daß die Rechtswidrigkeit der Handlung eines Unterbefä-
higten nicht zu verneinen sei; nur der Handlungsunwert werde verneint wie bei
der fahrlässigen Sachbeschädigung, die keinen Straftatbestand erfülle, jedoch
rechtswidrig sei.168 Ferner argumentiert Weigend, daß nicht alles „Subjektive“

162 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 160, 163, 168, dabei hält er auch die

von der individualisierenden Lehre vorgenommene Einordnung der Unzumutbarkeit


und des Verbotsirrtums im Schuldbereich für widersprüchlich, siehe S. 164. Vgl. auch
ders., JA 1975, 513; Hirsch, ZStW 94 (1982), 269 f., 276; Roxin, Strafrecht AT I,
§ 24, Rdn. 51; Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 80 ff.
163 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 161.
164 Kritisch gegenüber der Imperativentheorie grundsätzlich Nagler, Festschrift für

Binding, Bd. II, S. 295, 311 ff., 318 ff. 335 ff.; Armin Kaufmann, Normentheorie,
S. 123 ff. Kritisch gegenüber der individualisierenden Lehre wegen einer Rückkehr
zur Imperativentheorie vgl. Schünemann, JA 1975, 513, 516; in diesem Sinne auch
ders., Festschrift für Schaffstein, S. 163 ff.; ferner Hirsch, ZStW 94 (1982), 269 f.;
Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 53.
165 Vgl. z. B. Jakobs, Studien, S. 66 f.; ders., Strafrecht AT, 9/6 ff.; Stratenwerth,

Festschrift für Jescheck, S. 293 f.; ders., Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 12 f.


166 Vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 54 I 3; Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn.

47 m. w. N.
167 Für die individualisierende Lehre vgl. Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn.

22 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 9/14; Freund, Strafrecht AT, § 5, Rdn. 40. Für die – zu-
mindest „nach unten“ – sog. „generalisierende Lehre“ vgl. die Nachweise supra, Ein-
leitung, Fn. 18.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 227

ausschließlich zur Schuld gehöre, wie beim Vorsatzdelikt nachgewiesen


werde.169
Um in dieser Debatte über die Trennung zwischen Unrecht und Schuld Stel-
lung beziehen zu können, ist zunächst die Präzisierung des eigentlich umstritte-
nen Problemfeldes erforderlich. Beide Lehren stimmen nämlich in den Ergeb-
nissen in mehreren Punkten überein, und zwar „nach unten“ in den Fällen, in
denen die Unfähigkeit oder fehlenden Kenntnissen dem Handelnden erkennbar
waren, weil beide Lehren auf die Figur der Übernahmefahrlässigkeit zurückgrei-
fen,170 und „nach oben“ bei der Individualisierung bei Sonderwissen des Täters.
Bezüglich der Sonderfähigkeiten ergeben sich Differenzen, die nicht unbedingt
etwas mit der grundsätzlichen Debatte zwischen beiden Lehren zu tun haben.171
Umstritten sind demgegenüber solche Fälle, in denen a) der Handelnde un-
fähig ist oder nicht über genügend Kenntnisse verfügt, um eine an sich gefähr-
liche Aktivität vorzunehmen, b) diese Unfähigkeit oder der Mangel an Kennt-
nissen für ihn unerkennbar ist und c) er diese Aktivität trotzdem vornimmt.
Fraglich ist also, ob dann das Unrecht oder erst die Schuld entfällt bzw. ob die
strafrechtlichen Verhaltensnormen diese Aktivität dem Unfähigen auch verbie-
ten, sei es z. B. Auto zu fahren oder einen ärztlichen Eingriff in einem krank-
haften (für ihn nicht erkennbaren) Zustand vorzunehmen.
Auch wenn man heutzutage nicht so sehr wie früher an der Idee der Genera-
lisierung der strafrechtlich relevanten Sorgfaltsnormen festhält172 und die Erfor-
derlichkeit einer gewissen Individualisierung erkennen muß,173 weil die indivi-
duellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Handelnden eine Relevanz für die
rechtliche Beurteilung sowohl bei der Wahrnehmung der Tatsituation als auch
bei der Vornahme der entsprechenden Aktivität haben können, sollte das Fehlen
von Täterkenntnissen und -fähigkeiten von der strafrechtlichen Fahrlässigkeits-
norm nicht ausgenommen werden. Das würde nämlich auf eine besondere Er-
laubnis bzw. die Nichtgeltung der strafrechtlich relevanten Sorgfaltsnormen für
den Unterbefähigten hinauslaufen, die es zur gerechten Abgrenzung der jeweili-
gen Freiheitssphären durch die Rechtsnorm mit Rücksicht auf die Rechtsstel-
lung des Rechtsgutsträgers nicht geben darf, auch wenn der Täter weder die
Norm noch die Tatsituation oder die Aktivität selbst verinnerlichen kann. Für
eine Individualisierung „nach unten“ besteht kein rechtlicher Bedarf, weil der

168 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 293 f.


169 Weigend, Festschrift für Gössel, S. 142.
170 Mit einigen Differenzen, z. B. bei der Lehre von Jakobs, vgl. dazu infra, bei der

Behandlung des nächsten Einwands.


171 Vgl. zur Debatte infra, § 6 G I.
172 Siehe beispielsweise die Meinungsänderung bei Schünemann, GA 1999, 217,

Fn. 42.
173 Vgl. näheres infra, § 6 D III.
228 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Unfähige ja entschuldigt wird, während auf der Ebene der Abgrenzung der Frei-
heitssphären die Mindestanforderungen der Sorgfaltsmaßstäbe für den Rechtsgü-
terschutz ohne die Ausnahme der Unfähigkeit eingehalten werden müssen. Da-
gegen ist oft eine Individualisierung der Sorgfaltsmaßstäbe „nach oben“ recht-
lich erforderlich, vor allem wenn das Interesse am Rechtsgüterschutz in der
Abwägung mit dem Interesse an der Handlungsfreiheit, die hier auch durch ge-
nerelle Sorgfaltsregeln gewährt wird, überwiegen sollte. Ob der Handelnde sorg-
fältiger agieren kann,174 als das von der generellen Sorgfaltsregel gefordert
wird, kann freilich auch einmal zu seiner Handlungsfreiheit gehören, die dann
einen strafrechtsfreien Raum bilden würde.
Eine Individualisierung „nach unten“ erscheint also im Rahmen einer Interes-
senabwägung zwischen Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit nicht erforder-
lich und damit nicht überzeugend, weil das Interesse an strafrechtsfreien Räu-
men gegenüber dem Schutz von Rechtsgütern hier nicht überwiegt. Die generel-
len Sorgfaltsanforderungen sollten also auch für den Unterbefähigten gelten. Es
sollte „nach unten“ generalisiert175 und dadurch die Trennung zwischen Unrecht
und Schuld aufrechterhalten werden.

(2) Generalisierung aufgrund der Generalprävention


und des Gleichheitssatzes

Die Kritiker der individualisierenden Lehre beharren auf dem Prinzip der All-
gemeinheit und generalpräventiven Wirkung der strafrechlichen Normen. Deren
Formulierung müßte generell sein, und sie müßten den gleichen Verbotsbereich
für alle Rechtsunterworfenen festlegen. Damit würden die Normen eine allge-
meine Anerkennung erfahren.176 Mit der individualisierenden Fahrlässigkeits-
norm verliere man die Motivations- und Präventionskraft. Es werde nur auf die
ganz konkrete Situation abgestellt, und damit erfolge die Beurteilung ex post.
Ferner gebe eine solche Norm dem Adressaten keine Richtlinie an die Hand,
sondern sie Verweise ihn schlicht auf die Resultate der eigenen Verstandes-
kräfte.177 Da die entsprechende individualisierende Fahrlässigkeitsnorm lauten
solle: „Tue das Dir zur Erfolgsvermeidung mögliche“, seien Handlungsricht-
linien für den Täter nicht vorhanden. Begebe sich der Täter in eine riskante

174 Vgl. dazu Schünemann, JA 1975, 514; ders., Festschrift für Schaffstein, S. 166;

ders., GA 1999, 216 f.; in Anschluß an Schünemann vgl. Hirsch, ZStW 94 (1982),
273, ferner die näheren Ausführungen infra, § 6 B II 2 e).
175 Vgl. zur Methodik nach „unten“ zu generalisieren, nach „oben“ zu individuali-

sieren Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 46 ff., 50.


176 Vgl. Schünemann, JA 1975, 514; ders., Festschrift für Schaffstein, S. 163; Wol-

ter, GA 1977, 265; Hirsch, ZStW 94 (1982), 270 f.; LK-Schroeder, § 16, Rdn. 146;
Kaminski, Der objektive Maßstab, S. 98 ff.
177 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 165. Schünemann verweist hier – ob-

wohl in einem anderen Zusammenhang – auf Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 47.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 229

Situation, die er irrtümlich steuern zu können glaube, könne die Norm ihn über-
haupt nicht zur Unterlassung der Handlung motivieren.178

Das Verständnis von Jakobs, daß die „äußere Sorgfalt“ eine Konsequenz der
„inneren Sorgfalt“ sei, führt nach Meinung von Schünemann ferner nur dazu,
daß der Normverstoß nicht in dem deskriptiv faßbaren äußeren Verhalten, son-
dern in der „ungenügenden Anspannung der Verstandeskräfte“ besteht. Zudem
sei die Motivation auf Nachdenken gerichtet und nicht auf ein bestimmtes
außenweltgerichtetes Verhalten, und die Verhaltensnorm werde in eine „Besin-
nungsnorm“ verwandelt.179

Stratenwerth hat auf diesen Einwand erwidert, daß die gebotene Sorgfalt bei
ein und demselben äußeren Verhalten – je nach dem, wer sich so verhält – für
die nicht näher reglementierten Verhaltensweisen, die das Leben eines anderen
unter bestimmten Umständen gefährden können (wie zum Beispiel Skifahren),
unterschiedlich zu beurteilen sei. Bei den Tätigkeiten, die genauer reglementiert
sind, gebe es zwar bestimmte allgemeine Vorschriften, wie beispielsweise eine
Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr. Auch in einem sol-
chen Fall dürfe aber der Fahrzeugführer „nur so schnell fahren, daß er sein
Fahrzeug ständig beherrscht“ (§ 3 Abs. 1 StVO). Er habe „seine Geschwindig-
keit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie
seinen persönlichen Fähigkeiten (!) und den Eigenschaften von Fahrzeug und
Ladung anzupassen“. Könne er sein Fahrzeug nicht sicher führen, so dürfe er es
überhaupt nicht benutzen (§ 315 c StGB).180 Weigend schließt sich dieser Ar-
gumentation an. Für ihn wäre das Strafrecht mit der Aufgabe, die für jeden
Lebensbereich geltenden Verhaltensnormen im Detail festzulegen, bei weitem
überfordert.181

In der Anerkennung allgemeiner Vorschriften seitens der individualisierenden


Lehre und zugleich in der Anerkennung einer Individualisierung „nach oben“
durch die Berücksichtigung des Sonderwissens seitens der generalisierenden
Lehre zeigt sich, daß beide Lehren in den praktischen Folgen bezüglich des
„normal“ oder „besonders Befähigten“, d. h. „nach oben“, gar nicht so weit von-
einander entfernt sind. Beide erkennen die allgemeine Untergrenze des erlaub-
ten Risikos an, auch wenn der Handelnde zu einem vorsichtigeren Verhalten
fähig wäre, und beide erkennen eine Individualisierung der Sorgfaltsanforderun-
gen bei Sonderwissen des Handelnden an. Bezüglich der Sonderfähigkeiten sind
die Meinungen innerhalb der generalisierenden Lehre selbst uneinheitlich,182 so
daß hier die Annäherung beider Lehren nicht für alle Autoren gilt.

178 A. a. O.
179 A. a. O.
180 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 294 f.
181 Weigend, Festschrift für Gössel, S. 141 f.
230 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

(3) Rückkehr zu einem objektiven Maßstab durch den


Rückgriff auf die Übernahmefahrlässigkeit
und das erlaubte Risiko

(a) Wie schon oben ausgeführt wurde, verneint die individualisierende Lehre
die Tatbestandsmäßigkeit einer Handlung, wenn es an der individuellen Voraus-
sehbarkeit des Erfolges fehlt. Hieraus ergibt sich das Problem, daß die Tatbe-
standsmäßigkeit der Handlung bei Unfähigkeit des Täters zur Voraussicht der
Gefahr immer zu verneinen wäre. Beispielsweise würde der Autofahrer mit ver-
mindertem Reaktionsvermögen nicht tatbestandsmäßig handeln, wenn er auf-
grund seiner Unfähigkeit nicht rechtzeitig vor einer Gefahr anhalten könnte und
deshalb ein Rechtsgutsobjekt verletzen würde. Damit solche Handlungen auch
als tatbestandsmäßig beurteilt werden können, greift die individualisierende
Lehre zur Lösung dieses Problems wie die h. M.183 auf die Figur der Übernah-
mefahrlässigkeit zurück, solange die Unfähigkeit für den Handelnden selbst er-
kennbar gewesen ist. So wird dem Autofahrer die Übernahme der Tätigkeit
„Autofahren“ im gegebenen Beispiel vorgeworfen.184 Diese Lösung wird damit
begründet, daß das Interesse der Rechtsordnung nicht in der Befolgung auch
solcher Verhaltensnormen bestehe, die den Einzelnen überfordern, sondern
darin, ihm die Vornahme der entsprechenden Tätigkeit in einem solchen Fall
überhaupt zu verbieten.185
Dieser Rückgriff der individualisierenden Lehre auf die Figur der Übernah-
mefahrlässigkeit, um die Verantwortlichkeit in bestimmten Fallkonstellationen
zu begründen, wird aber mit Recht kritisiert, weil dies eine Rückkehr zur objek-
tiven Sorgfaltspflichtverletzung darstellt186 und außerdem eine Systemwidrigkeit
hervorruft, da die Verursachung einer nach der individualisierenden Lehre
rechtmäßigen Handlung selbst rechtmäßig sein müßte.187 Man kann nicht die
Fähigkeit auf die eigene Unfähigkeit des Täters gründen, d. h. der Gegenstand
des Vorwurfs kann nicht die Erkenntnis des Täters sein, daß er später unfähig
für die Voraussicht des Erfolges sein würde.188

182 Vgl. dazu infra, § 6 G I.


183 Vgl. Nachweise supra, Einleitung, Fn. 18.
184 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 19, 22; ders., Festschrift für Jescheck,

S. 295; Freund, Strafrecht AT, § 5, Rdn. 39 ff. Nach Jakobs, Strafrecht AT, 9/14,
besteht die Übernahmefahrlässigkeit nur, wenn der Täter zum früheren Zeitpunkt
schon Garant für die Qualität seines späteren Verhaltens wäre, vgl. die nächsten Aus-
führungen.
185 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 296.
186 So z. B. Armin Kaufmann, Festschrift für Welzel, S. 406; Schünemann, Fest-

schrift für Schaffstein, S. 167; Wolter, GA 1977, S. 266; LK-Schroeder, § 16, Rdn.
146.
187 Vgl. Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 167.
188 Vgl. Armin Kaufmann, Festschrift für Welzel, S. 405 f.; dieselbe Meinung ver-

tritt Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 167.


B. Die Debatte über das Sonderwissen 231

Jakobs verwendet auch die Figur der Übernahmefahrlässigkeit, äußert aber


diesbezüglich einige Bedenken bei fehlenden – aber zu erwerben möglichen –
Fähigkeiten bzw. Kenntnissen des Täters, wenn er zum früheren Zeitpunkt keine
Pflicht zur Vermeidung hatte. In seinem früheren Werk über die Fahrlässigkeit
von 1972189 hat Jakobs als Beispiel angeführt, daß jemand aufgrund der fehlen-
den fachlichen Fähigkeiten des Arztes gestorben ist. Während Jakobs die straf-
rechtliche Verantwortlichkeit des Arztes ggf. durch die Figur der Übernahme-
fahrlässigkeit (Übernahme z. B. der dem Arzt nicht geläufigen Operation) heute
in seinem Lehrbuch vertritt,190 sah er früher im Handeln des Arztes keinen
Normverstoß: Im Zeitpunkt der Verpflichtung bestünde keine Vermeidbarkeit
und im Zeitpunkt des Medizinstudiums, in dem sich der Arzt die erforderlichen
Fähigkeiten hätte aneignen können, habe noch keine Pflicht zur Vermeidung
bestanden. Obwohl Jakobs heute nicht mehr auf den Zeitpunkt des Medizinstu-
diums, sondern auf den der Übernahme z. B. der Operation abstellt, sind seine
früheren Gedanken für die Debatte noch von Interesse: Damals vertrat er schon
die These, daß die Normen der Fahrlässigkeitsdelikte keine Pflicht zum Erwerb
bestimmter Fähigkeiten (heute bezieht er sich auf etwaige Kenntnisverschaf-
fungspflichten) begründeten, und wendete diese auf den Fall des Arztes an:
Man könne eine Pflicht des Medizinstudenten zum Lernen nicht aus dem Ver-
bot der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) ableiten.191 Die Erkennbarkeit und
somit die Übernahmefahrlässigkeit wird nach Jakobs nie auf den früher mögli-
chen Erwerb von Fähigkeiten (im gegebenen Beispiel während des Medizinstu-
diums) gegründet. Die Norm könnte zum Erwerb der Fähigkeiten nicht ver-
pflichten; das Bestehen von Fähigkeiten wäre vielmehr Voraussetzung der Ver-
meidung; „besteht jedoch im Zeitpunkt, in dem der Täter sich die Fähigkeiten
aneignen kann, keine Pflicht zur Vermeidung, im Zeitpunkt der Verpflichtung
hingegen keine Vermeidbarkeit, so kann die Norm ihren Zweck, Regel zur Ver-
meidung bestimmter Erfolge zu sein, nicht mehr erfüllen: Wenn sie befolgt wer-
den könnte, trifft sie nicht, wenn sie aber trifft, kann sie nicht mehr befolgt
werden.“192
Die sich für Jakobs stellende Frage nach der strafrechtlichen Verantwortung
des Täters, der einerseits im Zeitpunkt des möglichen Erwerbs der Fähigkeiten
nicht verpflichtet wäre, während andererseits im Zeitpunkt der Verpflichtung
keine Vermeidbarkeit bestünde, wurde in seinem früheren Werk durch die
„Ausschaltung“ der Verhaltensnorm mit der Begründung gelöst, daß die Norm
in dieser Art von Fällen ihren Zweck nicht mehr erfüllen könne.193 Die Lösung

189 Jakobs, Studien, S. 151 f.


190 Jakobs, Strafrecht AT, 9/14.
191 Jakobs, Studien, S. 151, siehe auch S. 83 ff.
192 A. a. O., S. 151.
193 A. a. O., S. 151.
232 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

von Jakobs bestand also früher darin, daß solche Handlungen ohne weitere
Gründe bestraft werden sollten. Er entschied sich für die Sanktionsbedürftigkeit
solcher Täter, da sich für ihn die Sanktionsnorm nicht auf eine Pflichtverletzung
zu stützen brauchte, d. h. es wäre keine Normwidrigkeit notwendig, um eine
strafrechtliche Sanktion zu verhängen.194 Hiergegen traf aber die Kritik von
Schünemann zu, daß Jakobs mit der Begründung der Übernahmefahrlässigkeit
in eine Bestrafung ohne Normverstoß geriet. Dies würde gegen den nullum-cri-
men- und den Schuldgrundsatz verstoßen.195
Die Fälle, in denen keine Pflicht zu Vermeidung im Zeitpunkt der Über-
nahme der Handlung besteht, müßten also konsequenterweise straffrei sein, und
das ist auch die heutige Lösung von Jakobs. Als Beispiel führt er nun den Fall
eines Zeugen eines schweren Unfalls an: Dieser habe keine Pflicht, sich um
eine Fixierung des Erlebten zu bemühen, um später eine falsche Aussage zu
vermeiden. Der Rückgriff auf die Figur der Übernahmefahrlässigkeit ist also im
heutigen System von Jakobs nur möglich, wenn der Täter zum früheren Zeit-
punkt nicht nur fähig sei, die Konzequenzen seines kommenden Tuns zu über-
blicken, sondern auch verpflichtet und damit Garant sei, für deren Ausbleiben
zu sorgen.196 Ansonsten wendet Jakobs seine früheren Gedanken über den Er-
werb von Fähigkeiten auf die Kenntnisverschaffungspflichten an: Es gäbe keine
Pflicht, sich Kenntnis zu verschaffen, sondern nur eine Pflicht, erkennbar tatbe-
standsmäßige Handlungen im Fall ihrer Rechtswidrigkeit zu vermeiden.197
Neben den eher seltenen Fällen, bei denen der Täter bezüglich eines weit ent-
fernten, rechtlich irrelevanten Ereignisses noch keine Pflicht zur Vermeidung
hat, bleiben die typischen Fälle, bei denen das Subjekt eine Pflicht hat, sich zu
vergewissern, daß es die vorzunehmende Handlung beherrschen kann. Sobald
das Subjekt beispielsweise erkannt hat, daß das von ihm verwendete Material
ein Skalpell ist und daß das vor ihm liegende Objekt eine Person ist, müßte
parallel zum Handlungsentschluß die Pflicht entstehen, mit diesem Objekt sorg-
fältig umzugehen. Diese Pflicht übersetzt sich in der konkreten Situation eines
medizinischen Laien als „Nicht operieren!“, bei einem für diese bestimmte me-
dizinische Operation unkundigen Arzt dahingehend, daß er ggf. nur eine ent-
sprechende Diagnose stellen darf, wohingegen der für diese bestimmte Opera-
tion ausgebildete Arzt bei der Operation nach den Regeln der ärztlichen Kunst
handeln muß. Die Fähigkeit, eine medizinische Operation durchzuführen, be-
steht nur bei entsprechend qualifizierten Ärzten, deshalb müssen die restlichen
Subjekte diese Handlung überhaupt unterlassen. Ein Rückgriff auf die Figur der
Übernahmefahrlässigkeit scheint in solchen Fällen nicht erforderlich zu sein, da

194 A. a. O., S. 152.


195 Vgl. Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 167 f.
196 Jakobs, Strafrecht AT, 9/14.
197 Jakobs, Strafrecht AT, 9/2.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 233

sich die Sorgfaltspflicht in den meisten Fällen auf einen rechtlich relevanten
Moment beziehen kann.
Bei der Übernahmefahrlässigkeit im Bereich von Automatismen, d. h. auto-
matischen Reaktionen des Subjektes, die sich als nicht gesteuertes, unbewußtes,
aber trotzdem eingeübtes oder instinkthaftes Verhalten aufweisen, gründet Ja-
kobs die strafrechtliche Verantwortlichkeit des durch Automatismen handelnden
Täters auf die Vermeidbarkeit dieser Art von Situationen; deshalb sei Übernah-
mefahrlässigkeit oder Vorsatz anzunehmen.198 Der Täter solle „Handlungsent-
schlüsse, die nach seiner Erkenntnis verletzende Folge haben (können), nicht
erst fassen.“199
(b) Andererseits wird von der individualisierenden Lehre bejaht, daß die
Grenze des erlaubten Risikos generell bestimmt werden kann. Fahrlässig sei die
Handlung, wenn der Täter ein Risiko vorausgesehen habe, das außerhalb des
erlaubten Risikos liege.200 In diesem Punkt wird ebenfalls von den Kritikern
der individualisierenden Lehre der Einwand erhoben, daß man dadurch auch
auf objektive Maßstäbe zurückgreife und sich darin eine „weitgehende Des-
avouierung der subjektiven Fahrlässigkeitsbestimmung“ zeige.201
Auf diesen Einwand hat Stratenwerth erwidert, daß die individualisierende
Auffassung nie geleugnet habe, daß individuelle Fähigkeiten auf objektive An-
forderungen bezogen werden müssen.202 Jakobs meint, daß das Objektive beim
Vorsatz wie bei der Fahrlässigkeit Bezugspunkt des Subjektiven sei, „ohne daß
dadurch jedoch die Beziehung objektiv würde; der subjektive Tatbestand ist
nicht objektiv, weil er sich auf den objektiven Tatbestand zu beziehen hat“.203
Aber das überzeugt nicht, denn objektive Sorgfaltswidrigkeit und erlaubtes Ri-
siko sind zwar Seiten derselben Medaille.
Bei der von der individualisierenden Lehre vorgenommenen Annahme des er-
laubten Risikos und der Übernahmefahrlässigkeit zeigt sich also erneut, daß
letztlich doch auch nach ihren Grundsätzen objektive Maßstäbe den Stützpunkt
des Verhaltens bilden und deshalb den Rahmen für die Verhaltensnormen ab-
geben.

198 Jakobs, Studien, S. 77; ders., Strafrecht AT, 6/39. In einer atypischen Situation
wie z. B. Glatteis bei Autofahren muß nach Jakobs der Automatismus ausgeschaltet
werden; daher handele es sich nicht mehr um Übernahmefahrlässigkeit bei Automatis-
mus, sondern um eine gesteuerte Handlung, vgl. dazu Studien, S. 77; Strafrecht AT, 6/
38.
199 Jakobs, Studien, S. 78.
200 Vgl. Nachweise supra, Einleitung, Fn. 30.
201 Schünemann, JA 1975, 514; vgl. auch Wolter, GA 1977, S. 257 ff., 265 f.;

Hirsch, ZStW 94 (1982), 273, 275 f.; AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 99; ferner
Burkhardt, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 122.
202 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 296, Fn. 41.
203 Jakobs, Strafrecht AT, 9/7, Fn. 10.
234 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

(4) Kollision mit dem Maßregelrecht, Regeln der


Notwehr und Vollrauschtatbestand

(a) Maßregeln der Besserung und Sicherung wie z. B. ein Berufsverbot kön-
nen nur getroffen werden, wenn der Täter eine rechtswidrige Tat begangen hat
und er verurteilt wurde oder nur deshalb nicht verurteilt wurde, weil er mög-
licherweise oder sicher schuldunfähig war (§ 70 StGB, weitere Maßregeln in
§§ 61 ff. StGB). Folgt man den Grundsätzen der individualisierenden Lehre,
gäbe es Schwierigkeiten bei der Verhängung von Maßregeln für ein für die
jeweilige Tätigkeit unfähiges Subjekt (trotz der Bezeichnung von Weigend als
„technische Fragen“ von „geringer Relevanz“204), wie z. B. einen altersbedingt
berufsunfähigen Arzt, da die individuelle Unfähigkeit des Täters nach dieser
Lehre bereits den Tatbestand ausschließen soll. Damit hätte der Täter bei vor-
handener Unfähigkeit keine rechtswidrige Tat begangen und er wäre auch nicht
erst für schuldunfähig zu erklären, was Voraussetzung für die Anordnung der
Maßregel ist. Dadurch zeigt sich im Anschluß an Schünemann, daß die indivi-
dualisierende Lehre mit dem im StGB enthaltenen Maßregelrecht nicht zu ver-
einbaren ist.205
Die individuelle Gestaltung der Sorgfaltswidrigkeit kommt auch mit dem Er-
fordernis des rechtswidrigen Angriffs in § 32 StGB in Begründungsschwierig-
keiten.206 Die Rechtswidrigkeit des fahrlässigen Angriffs müßte nämlich nach
der individualisierenden Auffassung konsequenterweise auch nach den indivi-
duellen Fähigkeiten des Angreifers betrachtet werden. Dies würde aber zu dem
unzutreffenden Ergebnis führen, daß man z. B. gegen den unfähigen Autofahrer
keine Notwehr ausüben dürfte.
Zur Lösung des Problems, daß die Verhängung von Maßregeln an individuell
unfähigen Tätern eine rechtswidrige Tat voraussetzt, oder daß man bei einer
Notwehrhandlung auch von einem rechtswidrigen Angriff ausgehen muß, ver-
wendet die individualisierende Lehre einen anderen Rechtswidrigkeitsbegriff für
die Notwehr und teilweise auch für die Maßregeln.207 So ist nach Jakobs der
Begriff der „Rechtswidrigkeit“ im Maßregelrecht aus dem Regelungszweck die-
ses Bereichs herzuleiten, „wobei sich Objektivierungen für Fahrlässigkeit wie
Vorsatz ergeben mögen.“208 Das ergibt aber eine überflüssige Verdoppelung des

204 Weigend, Festschrift für Gössel, S. 142.


205 Vgl. Schünemann, JA 1975, 515; ders., Festschrift für Schaffstein, S. 169; ferner
Wolter, GA 1977, 265 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch, § 54 I 3; Hirsch, ZStW 94
(1982), 272; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 142.
206 Kritisch Schünemann, JA 1975, 515; ders., Festschrift für Schaffstein, S. 169;

Hirsch, ZStW 94 (1982), 259 f., 271 m. w. N.


207 Jakobs, Studien, S. 16 f.; ders., Strafrecht AT, 9/10.
208 Jakobs, Strafrecht AT, 9/10.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 235

Rechtswidrigkeitsbegriffs,209 die mit dem gesetzlich einheitlichen Begriff der


rechtswidrigen Tat des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht vereinbar ist.
(b) Stratenwerth greift für die Maßregeln nicht auf einen anderen (objektiven)
Rechtswidrigkeitsbegriff zurück. Er nimmt vielmehr zur Verteidigung seines in-
dividualisierenden Ansatzes eine Differenzierung der möglichen Unfähigkeiten
vor: Einerseits die (echte) Schuldunfähigkeit und andererseits ein Mangel an
instrumentellem Können, der den Unrechtsauschluß begründen soll und die
Verhängung einer Maßregel bei Unerkennbarkeit der Unfähigkeit nicht rechtfer-
tigen würde. Eine Maßregel sei nur bei vorhandener Schuldunfähigkeit des fahr-
lässig Handelnden (oder ggf. bei individueller Erkennbarkeit der Unfähigkeit)
zu verhängen. Ein Mangel an instrumentellen Fähigkeiten müsse auch keines-
wegs in jedem Falle mit Schuldunfähigkeit einhergehen: Es gebe viele alte
Leute, die nicht mehr Auto fahren können, aber doch nicht etwa schuldunfähig
seien. Sei ein Chirurg nicht mehr fähig, kunstgerecht zu operieren, und führe er
deshalb den Tod eines Patienten herbei, könne ihm die Berufsausübung nur ver-
boten werden, wenn er a) seine Unfähigkeit schuldhaft nicht erkannt habe oder
b) schuldunfähig gewesen sei. Ein Mangel an ärztlichem Können allein genüge
in keinem Falle.210 Stratenwerth meint, daß nach der Auffassung der generali-
sierenden Lehre auch derjenige einer Maßregel unterworfen werden könne, der
nach seinen persönlichen Fähigkeiten gar nicht in der Lage war, die objektive
Sorgfaltspflicht zu erfüllen, oder daß man einen Sklerotiker im Falle seiner Be-
rauschung für einen Unfall haftbar machen würde, den er in nüchternem Zu-
stand nicht hätte vermeiden können.211
Nach der Meinung Stratenwerths gibt es eine einzige Maßregel, bei der die
individualisierende Auffassung zu einem anderen Ergebnis als die generalisie-
rende kommen könnte. Das sei der Verfall (§ 73 StGB), der nur bei einer
rechtswidrigen Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Ziff. 5 StGB (tatbestandsmäßige
Tat) angeordnet werden kann. Bestünden individuelle Unfähigkeiten des Täters,
das von ihm geschaffene Risiko zu erkennen (wie beispielsweise die, daß ein
von ihm in Verkehr gebrachter Stoff gesundheitsschädlich ist), begründe seine
Handlung nach der individualisierenden Lehre keine Rechtswidrigkeit, weshalb
man auch keinen Verfall anordnen könne. Dies wäre nach der Ansicht von Stra-
tenwerth aber auch in der Sache die richtige Lösung.212
Die gleiche Problematik wie bei den Maßregeln taucht auch beim Tatbestand
des Vollrausches (§ 323a StGB) auf, der verlangt, daß der Täter eine rechtswid-
rige Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Ziff. 5 StGB (tatbestandsmäßige Tat) began-
gen hat, aber möglicherweise oder sicher rauschbedingt schuldunfähig war.

209 So bereits Schünemann, JA 1975, 515.


210 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 298.
211 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 46.
212 A. a. O., S. 298 f.
236 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Stratenwerth unterscheidet hier ebenso wie bei den Maßregeln zwischen einem
rauschbedingten Ausschluß des instrumentellen Könnens („Handlungskompe-
tenz“; beispielsweise, wenn der Täter infolge des Rausches nicht in der Lage
war, die von ihm geschaffene Gefahr zu erkennen oder zu beherrschen) und
einer rauschbedingten Schuldunfähigkeit. Nur im Fall einer rauschbedingten
Schuldunfähigkeit solle der Tatbestand des Vollrausches in Frage kommen. Der
Fall des rauschbedingten Ausschlusses des instrumentellen Könnens solle dage-
gen wie der rauschbedingte Ausschluß des Vorsatzes (rauschbedingter Irrtum)
behandelt werden.213
Der Ansatz von Stratenwerth widerspricht jedoch der Idee der Maßregelver-
hängung,214 weil er sich zu sehr der Idee der Strafverhängung (jedoch mit viel
mehr Voraussetzungen) anpaßt. Könnten Maßregeln bei „bloßem“ „Mangel an
instrumentellem Können“ nicht verhängt werden, wie Stratenwerth bei seiner
Differenzierung zwischen dieser Kategorie und der „eigentlichen“ Kategorie der
Schuldunfähigkeit vorschlägt, könnte die Vornahme riskanter Aktivitäten durch
Unfähige, für die ihre Unfähigkeit unerkennbar ist und die auch nicht i. S. von
Stratenwerth schuldunfähig wären, gar nicht verhindert bzw. diese nicht resozia-
lisiert oder geheilt werden. Das beträfe das Verhalten z. B. von altersbedingt
nicht mehr fähigen Ärzten oder Autofahrern, die ihre Unfähigkeit nicht erken-
nen können und zugleich i. S. von Stratenwerth nicht schuldunfähig wären. Die
Verhängung einer Maßregel ist aber gerade in solchen Fällen kriminalpolitisch
erforderlich, weil solche Taten sich ansonsten künftig kaum verhindern lassen:
Die handelnden Personen können in der Regel nicht mehr kuriert oder durch
Ausbildung für die Vermeidung künftiger Fehler geschult werden. Deshalb
sollte man dem Arzt ein Berufsverbot auferlegen und dem Autofahrer die Fahr-
erlaubnis entziehen, was mit dem Verhältnismäßigkeitprinzip durchaus vereinbar
ist.
(c) Im Ergebnis ähnlich, in der Begründung jedoch anders ist die Lösung von
Samson für die Maßregeln und die „Notwehrprobe“: Er stellt bei der Frage, ob
Maßregeln bei individueller Unfähigkeit anzuordnen wären und ob fahrlässiges
Verhalten bei individueller Unfähigkeit einen rechtswidrigen Angriff i. S. von
§ 32 StGB darstellt, nicht auf den Handlungsunwert des Fahrlässigkeitsdelikts,
sondern auf die Bedürfnisse des Maßregelrechts bzw. auf den Zweck der Not-
wehrregelung und die durch die Tat indizierte Gefährlichkeit des Täters ab. Ei-
nen Verzicht auf die Rechtswidrigkeit des Aktes als Voraussetzung der Maßre-
gel nimmt er allerdings nicht an.215 Ein solcher Verzicht auf die Voraussetzung
der Begehung einer rechtswidrigen, nicht schuldhaften Tat wird ebenso wie die

213 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 299; ebenso Jakobs, Studien, S. 69,

Fn. 99; ders., Strafrecht AT, 9/10.


214 Vgl. z. B. Roxin, Strafrecht AT I, § 3, Rdn. 56 ff.
215 SK-Samson, Anh. zu § 16, Rdn. 14.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 237

Anordnung einer Maßregel nur aufgrund der Gefährlichkeit des Aktes m. E. zu


Recht von Schünemann mit der Begründung abgelehnt, daß man ansonsten in
eine Auflösung unseres Strafrechts in Richtung auf ein polizeiliches Maßnah-
menrecht geraten würde.216
(d) Schließlich eweist sich auch die von Weigend angebotene zivilrechtliche
Lösung als kriminalpolitisch unbefriedigend. Hiernach sollen nur die Interessen
des Verletzten berücksichtigt werden, indem ihm zivilrechtliche Schadensersatz-
ansprüche zugebilligt werden, während strafrechtliches Unrecht in den hier kri-
tischen Fällen nach der ebenfalls individualisierenden Auffassung von Weigend
verneint wird.217
(e) Zu guter Letzt läßt sich im Anschluß an die Kritik des individualisieren-
den Rechtswidrigkeitsbegriffs wegen seiner Schwächen im Bereich der Notwehr,
des Maßregelrechts und des Vollrauschtatbestandes feststellen, daß die indivi-
dualisierende Lehre durch ihre Differenzierung des Rechtswidrigkeitsbegriffes
gegen den Grundsatz der Begriffsökonomie verstößt und Interpretationsschwie-
rigkeiten im Bereich des positiven Rechts verursacht.218 Sie ist auch de lege
ferenda nicht akzeptabel, weil die Rechtswidrigkeit neben der Schuld einen
Kernbegriff der Verbrechenslehre bildet, an den sich Rechtsinstitute wie etwa
das Maßregel- und Notwehrrecht und der Vollrauschtatbestand anpassen müssen
und nicht umgekehrt.

dd) Neue Tendenzen der individualisierenden Lehre

Die Verwendung einer „Maßfigur“ oder einer Güter- und Interessenabwägung


zur Kennzeichnung strafbarer Fahrlässigkeit wird neuerdings auch von Duttge
kritisiert,219 der ein neues Fahrlässigkeitskonzept im Rahmen einer individuali-
sierenden Betrachtung entwickelt hat.220 Ebenso, wie es keinen abstrakten Vor-
satz, sondern nur den eines bestimmten Täters in einer konkreten Situation
gebe, ist nach seiner Ansicht auch mit der Fahrlässigkeit stets eine konkrete
Fahrlässigkeit gemeint.221 „Konkrete Sondernormen“, wie z. B. die Regeln der
ärztlichen Kunst oder die Regelungen der Straßenverkehrsordnung, der Landes-
bauordnung, des Betriebs eines öffentlichen Verkehrsmittels, des Waffenge-
brauchs bei der Bundeswehr usw., die diejenigen Verhaltensweisen kennzeich-

216 Schünemann, JA 1975, 515; im Anschluß hieran Hirsch, ZStW 94 (1982), 272.
217 Weigend, Festschrift für Gössel, S. 143.
218 Schünemann, JA 1975, 515; kritisch auch LK-Schroeder, § 16, Rdn. 148;

Hirsch, ZStW 94 (1982), 271.


219 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 60 ff., 75 ff., 88 ff., 99 f., 127 ff., 353, 490 f.,

493 und passim; MünchKommStGB/ders., § 15, Rdn. 96 ff., 104, 118 f.


220 Kritisch Herzberg, GA 2001, 568 ff.; ausführliche Replik von Duttge, GA 2003,

451 ff.
221 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 353 f. und passim.
238 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

nen, die regelmäßig besondere Gefahren mit sich bringen, seien allgemeine
Vorgaben, notwendig auf den Regelfall hin ausgerichtet und daher nicht in der
Lage, den für die Entscheidung eines konkreten Problemfalles wirklich relevan-
ten Maßstab zu verkörpern. Sie stünden also unter dem „Vorbehalt des Regel-
falls“ und bedürften daher letztlich einer „selbständigen Prüfung und Feststel-
lung“ der Fahrlässigkeit.222
Die Fahrlässigkeit liege also nicht im „Überschreiten des erlaubten Risikos“,
sondern in dessen individueller Erkennbarkeit.223 Fahrlässigkeitsspezifisch sei
also nicht die vorhandene oder fehlende „rechtliche Missbilligung“ des Verhal-
tens als solches, – nach einem täter- und situationsfremden „objektiven“ Maß-
stab bestimmt, bei dem die Besonderheiten des Einzelfalls gerade unberücksich-
tigt blieben –, sondern allein die Beziehung zu einem situativ und personal kon-
kretisierten Tatsubjekt. Denn ein solch „objektiver“ Maßstab sei niemals in der
Lage, die konkrete Vermeidbarkeit in die Bewertung einzubeziehen.224
Die Erkennbarkeit der Tatbestandsverwirklichung sei ein notwendiger Be-
standteil der Pflichtwidrigkeit, reiche aber als einzelnes fahrlässigkeitsspezifi-
sches Kriterium nicht aus. Hinzukommen muß nach Duttge ein rechtliches Mo-
ment, weil der Erkennbarkeit (bzw. ein Voraussehen-Können) die „normative
Begrenzung“ fehle, und zwar ein sowohl täter- als auch situationsspezifisches
Voraussehen-Müssen.225 Aus einer normativen Betrachtung heraus, die aller-
dings die Lebensverhältnisse nicht außer Acht läßt,226 wird der fahrlässigkeits-
spezifische Handlungsunwert durch ein „Veranlassungsmoment“ gekennzeich-
net. Kern des fahrlässigkeitsspezifischen Handlungunwertes sei also nicht, über-
haupt eine gefährliche Verhaltensweise unternommen zu haben. Gegenstand
dieses Vorwurfs sei es vielmehr, „trotz triftigen Anlasses (in den äußeren Gege-
benheiten oder aufgrund eigenen Wissens) zum Überdenken des eigenen Tuns“
nicht oder nicht rechtzeitig von dem weiteren Verlauf in Richtung einer Rechts-
gutsbeeinträchtigung Abstand genommen zu haben.227 Dies setze voraus, daß in
jener Situation „besondere Umstände“ vorgelegen haben, die dem Täter die
akute Gefahr hätten nahelegen und ihn zu einer Reaktion hätten auffordern
müssen.228 Solche „augenfälligen“ und „greifbaren“ Warnsignale würden sich
weder allein (objektiv) in den äußeren und damit sichtbaren Gegebenheiten

222 A. a. O., S. 273 ff., 334 ff., 343 f., 347, 353 f., 493.
223 MünchKommStGB/Duttge, § 15, Rdn. 106.
224 MünchKommStGB/Duttge, § 15, Rdn. 104 ff.
225 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 279 ff., 311, 356, 372; MünchKommStGB/ders.,

§ 15, Rdn. 108 f.


226 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 371 f.
227 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 78, 89, 101 f., 282 ff., 312, 356 f., 380 ff. und

passim; MünchKommStGB/ders., § 15, Rdn. 121; in Anschluß an Duttge: Weigend,


Festschrift für Gössel, S. 135 f: „situativer“, „erkennbarer Anlaß“.
228 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 356 mit Verweisen in Fn. 622.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 239

oder (subjektiv) im konkreten Wissen der jeweiligen Person wiederfinden las-


sen.229 Es handele sich dabei um ein Kriterium, das in den richterlichen Ent-
scheidungen zur Fahrlässigkeit als Argument zur Bestimmung der Fahrlässigkeit
angewendet wird.230
Zur Präzisierung des „Veranlassungsmoments“ greift Duttge auf psychologi-
sche Kategorien zurück und damit auf Kriterien, die den Grad der Wahrnehm-
barkeit berücksichtigen. Entscheidend sei dabei das Vermögen der betreffenden
Person zur Wahrnehmung von Gefahren: Die Aufmerksamkeit des Subjekts
werde vor allem durch „Signalfaktoren“ geweckt; erst das Wahrnehmen einer
Veränderung in der Umwelt würde in der Regel Informationen bieten, die zu
einer Reaktion Anlaß geben könnten. Darin liege der objektive Tatsachenkern,
der bei seiner Nichtbeachtung das Werturteil „Fahrlässigkeit“ rechtfertigen
könne. Zur Bestimmung der in Betracht kommenden Warnhinweise bezieht sich
Duttge auf kognitionspsychologische Erkenntnisse.231
Ferner konzipiert Duttge die Fahrlässigkeit als typologischen Begriff: Dabei
wird in Betracht gezogen, welche in der jeweiligen Situation feststellbaren Ge-
fahrenindikatoren, wie z. B. der Grad der Anschaulichkeit der Gefahr, ein etwai-
ger Dekodierungsbedarf oder die Vorwarnzeit nach Erkennen des Gefahrensig-
nals, höherwertig und damit bei der Frage nach der Fahrlässigkeit gegenüber
den restlichen, weniger ausgeprägten Gefahrenindikatoren ggf. als maßgeblich
zu bewerten seien.232 Allerdings ist der Idee eines typologischen Fahrlässig-
keitsbegriffs entgegenzuhalten, daß eine solche Überprüfung der Gewichtung
von Merkmalen beim Fahrlässigkeitsbegriff nicht erforderlich ist, weil ein
Merkmal den Fahrlässigkeitsvorwurf begründen kann oder nicht, ohne daß
auf bestimmte andere Merkmale im Fahrlässigkeitsbegriff abgestellt werden
müßte.233 Das bedeutet aber nicht, daß eine nähere Untersuchung der Gefahren-
indikatoren, oder der anderen für die Gefahr bedeutenden Faktoren, für eine
Interessenabwägung zwischen Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit – die
Duttge prinzipiell für unbestimmt hält234 und hier in § 4 vorgenommen wurde –
nicht von Nutzen für die Fahrlässigkeitslehre wäre. Jedoch wird man auch bei

229 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 356.


230 Vgl. die ausführliche Auswertung der Rechtsprechung von Duttge, a. a. O.,
S. 279 ff., 317 ff., 331 ff. Seiner Untersuchungsmethode ist entgegenzuhalten, daß die
Darstellung des jeweiligen Sachverhaltes gegenüber dem Urteilstenor und den Urteils-
gründen für eine nähere Bestimmung der Fahrlässigkeit dienlicher gewesen wäre.
231 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 358, 389 ff., 409 ff.; MünchKommStGB/ders.,

§ 15, Rdn. 122 ff.


232 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 410 ff., 423 ff., 429 ff., 495; MünchKomm-

StGB/ders., § 15, Rdn. 126 ff.; ders., in: Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für
Recht und Ethik 11 (2003), S. 109 ff.
233 Anders beim Vorsatzbegriff, bei dem die Merkmale „Wissen“ und „Wollen“ eine

entscheidende Rolle spielen.


234 Duttge, Fahrlässigkeitsdelikte, S. 127 ff., 430.
240 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Duttges Herleitung letztlich wieder zu einer für Situationen der betreffenden Art
generalisierbaren Sorgfaltsnorm kommen.

d) Objektivierung der Fahrlässigkeit bis in die Schuld?

Die Rechtsprechung – sowie die herrschende Lehre – gehen prinzipiell von


einem subjektiven Maßstab bei der Kategorie der Schuld der Fahrlässigkeitsde-
likte aus, d. h. sie überprüfen im Einzelfall, ob der Handelnde nach seinen per-
sönlichen Fähigkeiten in der Lage war, die Sorgfaltsanforderungen zu erfüllen.
Die Judikatur wertet es aber in der Praxis des Verkehrsstrafrechts oft als Beweis-
anzeichen für die Voraussehbarkeit des Erfolges und damit der Schuld, daß der
Beschuldigte gegen eine Verkehrsvorschrift verstoßen hat, die gerade der Ver-
meidung der konkret eingetretenen Rechtsgutsverletzung dient. So soll die Ver-
letzung der Sorgfaltsregel eine Vermutung für die Voraussehbarkeit des Erfolgs-
eintritts begründen.235 Hinter diesem Gedankengang bei der Beweiswürdigung
steht ein Rückgriff auf einen Erfahrungssatz, nämlich auf die Erkenntnis, daß
ein Vorkommnis immer wieder gleich abläuft. Um welchen Erfahrungssatz es
bei dem Schluß auf die Vorhersehbarkeit geht, ergibt sich aus den Formulierun-
gen der Rechtsprechung nicht, vielleicht weil es selbstverständlich erscheint:
Jeder, der die Existenz einer Sorgfaltsregel und ihren Schutzzweck kennt,
müßte voraussehen, daß der unerwünschte Erfolg bei Verletzung der Regel ein-
treten könnte.236
Materiellrechtlich relevant und zugleich abzulehnen wäre diese Vorgehens-
weise der Gerichte zur Schuldfeststellung (und die entsprechenden Meinungen
im Schrifttum237) insoweit, als sie sich als Ausdruck eines objektiven Schuldbe-
griffes im materiellen Sinne erweisen würde, weil sie den objektiven Verstoß
gegen die Sorgfaltsregel zur Bejahung der Schuld im Ergebnis als ausreichend
ansähe. Denn es wäre nicht hinzunehmen, wenn man einen absoluten Verzicht
auf die Feststellung der Voraussehbarkeit und damit der Schuld vertreten
würde: Auch unter Berücksichtigung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse
dürfte man nicht unbeachtet lassen, daß das Bestehen subjektsbezogener
Gründe für einen Ausschluß der Voraussehbarkeit in Betracht kommt, auch
wenn der Handelnde Verkehrsregeln missachtet hatte. Diese Gründe können
z. B. in plötzlich auftretenden körperlichen Mängeln, Verstandesfehlern, Alters-
abbau238 oder geringer Übung bestehen. Ein Schuldvorwurf kann zwar ggf.
durch die Figur der Übenahmefahrlässigkeit (oder einfach durch das Abstellen

235 Vgl. Nachweise bei Volk, GA 1973, 167 f.; Schönke/Schröder/Cramer/Stern-

berg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 183.


236 So Volk, GA 1973, 169.
237 Vgl. die Nachweise z. B. bei Volk, GA 1973, 169.
238 So z. B. ein Teil der Auflistung in Jescheck/Weigend, § 57 II 2.
B. Die Debatte über das Sonderwissen 241

auf ein anderes Fahrlässigkeitsmoment) erhoben und damit wiederum die Vor-
aussehbarkeit bejaht werden, wenn der Handelnde in der Lage gewesen wäre,
den entsprechenden Mangel zu erkennen. War aber diese Erkenntnis für ihn
nicht möglich, ist die Voraussehbarkeit und der Schuldvorwurf nicht zu begrün-
den. Zwar wird es sich um Ausnahmesituationen und nicht um den Regelfall
handeln; materiellrechtlich ist trotzdem auf das Element der subjektbezogenen
Voraussehbarkeit nicht zu verzichten, auch wenn man im Normalfall im Prozeß
auf Erfahrungssätze zur Feststellung der Voraussehbarkeit zurückgreift – also
nicht aus dem Vorschriftenverstoß allein auf einen Schuldvorwurf schließt, son-
dern nur aus strafprozessualen Gründen auf eine weitere Aufklärung des Sach-
verhaltes verzichtet, wenn hinreichende Indizien vorliegen, daß die Gefahr bzw.
Verletzung dem Handelnden tatsächlich voraussehbar war.

e) Fazit: Rechtlich bedingte Berücksichtigung


des individuellen Wissens und Könnens

Die vorstehend im einzelnen dargestellte, neuerdings starke Tendenz zur Indi-


vidualisierung der Sorgfaltsregeln, ensteht vor allem aus dem Bedürfnis nach
einer näheren Bestimmung des Fahrlässigkeitsbegriffs. Die Unbestimmtheit liegt
aber in der Sache selbst und wird auch bei einem Bezug zu individuellen Täter-
eigenschaften bestehen bleiben. Die individualisierte Sorgfaltsregel dürfte näm-
lich einer kybernetischen Einziehungskraft unterliegen: Aus unterschiedlichen
Eigenschaften des Täters entstünden nach dem Ansatz der individualisierenden
Lehre unterschiedliche Sorgfaltspflichten. Nach den unterschiedlichen Erkennt-
nis- und Handlungskräften, aber auch anpassend an Situationsänderungen, die
der Handelnde wiederum nach seinen Erkenntnisfähigkeiten wahrnehmen müßte,
müßte er sein Verhalten ausrichten, damit der unerwünschte Erfolg vermieden
wird. Die Sorgfaltsregeln würden damit den höchsten Grad der Individualisie-
rung bezüglich des konkret Handelnden und bezüglich der vom Handelnden zu
erkennenden Tatumstände erreichen. Sofern es eine Sorgfaltsregel für jeden
Handelnden in jeder einzelnen Situation gäbe, wäre die Sorgfaltsregel teilweise
sehr bestimmt, allerdings wäre sie für den konkreten Handelnden gesondert
zu formulieren und damit würde ein unvermeidbarer Rest von Unbestimmtheit
immer bestehen bleiben.
Diesem Dilemma scheint man im Bereich der Fahrlässigkeit nur schwer ent-
gehen zu können. Festzulegen wäre bei einer Entscheidung über individuali-
sierte oder generalisierte Sorgfaltsregeln, daß die individuellen Eigenschaften
des Handelnden nicht per se, bzw. weil sie empirisch gegeben sind, vom Recht
unbedingt berücksichtigt werden müssen bzw. nicht die Rechtmäßigkeit oder
Rechtswidrigkeit des Verhaltens bestimmen. Wenn man wie hier von einer Kon-
kretisierung des Fahrlässigkeitsbegriffs durch eine Interessenabwägung zwi-
schen Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz ausgeht, ist die Berücksichti-
242 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

gung der individuellen Tätereigenschaften bei der Beurteilung seines Verhaltens


davon abhängig, ob ihm die Handlungsfreiheit zum Nichteinsatz z. B. seiner
speziellen Eigenschaften in einem bestimmten Handlungsbereich rechtlich ge-
währt wird (beispielsweise weil der Nutzen dieser Freiheit dort höher als der
Rechtsgüterschutz bewertet wird), oder ob die generelle Erlaubnis einer Aktivi-
tät bei vorhandenen Erkenntniskräften eines schädlichen Erfolges entfällt. In
riskanten, aber streng geregelten Aktivitäten, bei denen bestimmte Risiko-
schwellen z. B. aufgrund ihres Nutzens, ihrer Sozialakzeptanz oder der Selbstge-
fährdung der möglichen Verletzten erlaubt werden, wie beispielweise im Be-
reich des Straßenverkehrs, der ärztlichen Behandlungen, bestimmter Sportarten
usw., wird natürlich mehr als ein Handelnder die Eigenschaft besitzen, sich
noch vorsichtiger zu verhalten,239 sei es durch eine nach den konkreten Umstän-
den nicht erforderliche Geschwindigkeitsverringerung des Fahrzeugs unterhalb
die Geschwindigkeitsbegrenzung oder durch eine noch stringentere Des-
infizierung medizinischer Instrumente als vorgeschrieben, oder durch einen
sanfteren Umgang mit den Mitspielern beim Rugby, als das Reglement es an
sich vorschreibt. Trotzdem gelten hier die „generalisierten“, nicht etwa „indivi-
dualisierten“ Sorgfaltsnormen. Daneben ist die Generalisierung „nach unten“
gerade in solch streng geregelten Bereichen erforderlich, weil sich der Han-
delnde nicht auf fehlende Eigenschaften für sein unvorsichtiges Verhalten be-
rufen kann, so daß man mit oder ohne Hilfe der Figur der Übernahmefahrläs-
sigkeit auf jeden Fall zum Normverstoß und zur Rechtswidrigkeit i. S. eines
fahrlässigen Verhaltens kommen sollte.
Auf der anderen Seite wäre es in einigen Fallkonstellationen sachwidrig,
wenn die Tätereigenschaften bzw. die Täterwahrnehmung der Tatumstände bei
der Frage nach der Fahrlässigkeitshaftung nicht berücksichtigt würden. Die Re-
levanz einiger Fähigkeiten oder Kenntnisse des Täters, sei es allgemein über die
vorzunehmenden Tätigkeit oder speziell über die Tatsituation, wird erst infra,
D, E, F erörtert, so daß hier darauf verwiesen wird.
Ferner wird man erwidern können, daß die individualisierende Lehre der
uferlosen Weite des menschlichen Könnens und damit der Aufstellung äußerst
hoher Sorgfaltsanforderungen durch den Rückgriff auf die Figur des erlaubten
Risikos genauso eine Grenze setzt. Sie geht aber von der Idee aus, daß die
Sorgfaltspflichten individuell ausgestaltet sind, ohne die Differenzen zwischen
rechtlich relevanten und nicht relevanten individuellen Tätereigenschaften ab
ovo hervorzuheben. Dagegen liegt das Bedürfnis im modernen technisierten
und industrialisierten Sozialleben in der Setzung von unteren, standardisiert er-
laubten Risikoschwellen bei den riskanten, aber nützlichen Aktivitäten, auch
wenn das Fachwissen und -können sich wiederum immer mehr spezialisiert.

239 So Schünemann, JA 1975, 514; ders., Festschrift für Schaffstein, S. 166; ders.,

GA 1999, 216 f.; in Anschluß an Schünemann vgl. Hirsch, ZStW 94 (1982), 273.
C. Sonderwissen als Zeichen der Ungleichheit beider Deliktsformen 243

Daher ist eine Unbestimmtheit beim Fahrlässigkeitsbegriff und wiederum eine


komplizierte Kombination zwischen Individualisierung und Generalisierung un-
vermeidbar: Als Gegenstand der Bewertung sollte das Verhalten mit den indivi-
duellen Eigenschaften des Handelnden zur Erfolgsvermeidung dienen; bei der
rechtlichen Bewertung des Verhaltens werden dann aber etwaige rechtliche In-
teressen an der Gewährung von strafrechtsfreien Räumen bzw. Handlungsfrei-
heiten trotz individuellen Vermeidenkönnens ggf. berücksichtigt. Die subjektive
Wahrnehmung der Tatsachen durch den Handelnden sollte wiederum prinzipiell
als Bewertungsgegenstand genommen werden.240 Bei der rechtlichen Bewertung
wird dann wiederum in Betracht gezogen, ob weitere Kenntnisverschaffungs-
pflichten bezüglich der Einzelheiten der Tatsituation bestünden. Damit sind die
Sorgfaltsanforderungen nicht nach der Individualität des Handelnden, sondern
nach rechtlichen Kriterien mit Berücksichtigung einer Vielfalt von Aspekten
ausgestaltet, was im Ergebnis von einer individualisierenden Lehre auch nicht
bestritten, aber durch die Individualisierung als angeblich zentrales Kriterium
verschleiert wird. Die Akzentsetzung sollte schließlich nicht in einer Diskre-
panz zwischen Generalisierung oder Individualisierung von Sorgfaltsnormen lie-
gen, sondern in der Unterscheidung zwischen den Einzelheiten des zu bewerten-
den Sachverhalts und der (Straf-)Rechtsnorm.

C. Sonderwissen als Zeichen der Ungleichheit


beider Deliktsformen

Das oben Dargestellte ist der Stand der Dinge im Rahmen der Frage nach
dem Sonderwissen bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten. Darüber hinaus –
auch wenn die h. L. zu dem Ergebnis kommt, daß Sonderwissen genauso bei
Fahrlässigkeits- wie bei Vorsatzdelikten zu Lasten des Täters wirkt – werden im
Vorsatz- und Fahrlässigkeitsbereich nicht gleichartige Fallkonstellationen zur
Überprüfung dieser Feststellung gegenübergestellt. Ein solcher Vergleich wäre
aber erforderlich, nicht nur um die unterschiedlichen Zurechnungskriterien bei
beiden Deliktsformen festzulegen, sondern auch um überhaupt zu demonstrie-
ren, daß das Sonderwissen bzw. die Sondererkennbarkeit nicht immer zu Lasten
des Handelnden i. S. eines Fahrlässigkeitsdelikts wirken soll, wie dies durch den
oben geschilderten Bluterfall mit fehlender Prüfungspflicht gezeigt wird. Die
h. L. würde die Prüfungspflicht in diesem Fall mit Sicherheit ebenfalls vernei-
nen, so daß sie ausdrücklich anerkennen müßte, daß Sonderwissen bzw. Sonder-
erkennbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt im Unterschied zum Vorsatztäter nicht
immer zu Lasten des Handelnden verwertet werden kann.241

240 Vgl. auch die Ausführungen infra, § 6 D III.


241 Vgl. dazu ferner infra, § 6 E.
244 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Zugleich vermißt man bei der h. L. eine Überprüfung der von ihr gesetzten
Untergrenzen strafbaren Verhaltens und Zurechnungsmaximen angesichts der
Tatsache, daß sie eine Niedrigerstufung der Untergrenzen bei vorhandenem Son-
derwissen annimmt und damit die objektiven Untergrenzen des verbotenen Ver-
haltens von subjektiven Gegebenheiten abhängig macht. Dabei handelt es sich
nicht primär um eine systematische Frage, sondern um die materielle, funda-
mentale Frage nach der Festlegung der Kriterien für die Bestimmung des straf-
baren Verhaltens. Es geht also nicht nur um eine Einführung subjektiver Ele-
mente in den objektiven Bereich der objektiven Zurechnung, sondern das si-
chere Wissen des Täters um die Sozialschädlichkeit eigenen Handelns
impliziert die erforderliche Tatherrschaft, die die Unerlaubtheit des Verhaltens
überhaupt begründet.242
Ob die gesamte Problematik des Sonderwissens ein Zeichen für die Erforder-
lichkeit einer unterschiedlichen Behandlung der strafrechtlichen (objektiven)
Untergrenzen beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt sein könnte, wird aber in
der dogmatischen Debatte in der Regel nicht thematisiert. Wie bereits oben er-
wähnt, konzentriert sich die Diskussion über das Sonderwissen beim Vorsatzde-
likt, abgesehen von der Auseinandersetzung mit der Ansicht von Jakobs, haupt-
sächlich auf die mögliche Systemwidrigkeit einer solchen Einführung subjekti-
ver Elemente in den objektiven Tatbestand bzw. in die objektive Zurechnung.

D. Kategorien zur Begründung der


strafrechtlichen Relevanz

Wahrscheinlich ist die sogenannte „Verwirrung zwischen dem Objektiven und


dem Subjektiven“, die dem Schrifttum Sorgen bereitet, darauf zurückzuführen,
daß man an den Kategorien des objektiven und subjektiven Tatbestandes und
den individuellen oder generellen Verhaltensnormen als einzige und strikt von-
einander getrennte Aspekte festhält, ohne ein übergreifendes Zurechnungskon-
zept zu entwickeln, das die rechtliche Erforderlichkeit bzw. Geeignetheit der
Berücksichtigung objektiver und subjektiver Elemente bei der Prüfung der Tat-
bestandsmäßigkeit eines Verhaltens begründet oder gar näher festlegt, welche
objektiven und subjektiven Elemente konkret relevant werden bzw. was man
dabei als objektiv und subjektiv bezeichnet.243 Der materielle Grund für die Tat-
bestandsmäßigkeit eines Verhaltens kann nicht zirkulär in der Erfüllung des ob-

242 Vgl. dazu supra, § 6 D I.


243 Über die vielfältige Verwendung der Termini objektiv und subjektiv im Straf-
recht vgl. vor allem Schild, Festschrift für Verdross, S. 215 ff.; Struensee, JZ 1987, 53;
ders., GA 1987, 98; Lampe, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 196 f.; Mir
Puig, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 255; Burkhardt, in: Wolter/Freund
(Hrsg.), Straftat, S. 99 ff.; ferner Jakobs, Strafrecht AT, 7/1 ff., 7/29.
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 245

jektiven und subjektiven Tatbestandes gefunden werden, sondern in weiteren,


aus den Grundprinzipien des Strafrechts abgeleiteten Kategorien, die zusammen
mit einer psychischen Beziehung des Handelnden zu seiner Tat und einer Betä-
tigung in der Außenwelt die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens näher be-
gründen. Hier geht es also um die in Betracht zu ziehenden Deliktselemente,
die eine das Unrecht begründende Funktion haben. Demgegenüber ging es in
den Ausführungen supra, § 4, über Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreien
Raum um die Berücksichtigung von strafrechtsfreien Räumen, d. h. um die Kri-
terien, die vor allem beim Fahrlässigkeitsdelikt eine Entlastungsfunktion erfül-
len. Allerdings geht es bei beiden Themenkomplexen letztendlich um die
Grenze zwischen Entlastung und Belastung, so daß hier nur eine Zusammen-
fassung mit Ergänzung des bereits oben Behandelten erfolgen soll.
Daß objektive oder subjektive Elemente für die tatbestandliche Zurechnung
rechtlich relevant sein können, bedarf also einer weiteren Begründung, die nach
dem hier vertretenen Konzept auf der strafrechtlichen Funktion des Rechtsgüter-
schutzes, unter Umständen auch unter Einbeziehung der strafrechtlichen Hand-
lungsfreiräume, auf den Bedürfnissen der Generalprävention und insgesamt auf
den Zwecken des Strafrechts beruht und eine Konkretisierung in den folgenden
rechtlichen Kategorien findet:

I. Tatherrschaft kraft sicheren Wissens

Die Tatherrschaft des Handelnden kraft sicheren Wissens244 um die Sozial-


schädlichkeit des eigenen Verhaltens bzw. um die Erfüllung der Tatbestands-
merkmale impliziert die Schaffung einer Gefahr für das Rechtsgut und begrün-
det auch die Unerlaubtheit der geschaffenen Gefahr sowie damit die strafrecht-
liche Relevanz im Sinne eines Vorsatzdelikts. Damit ergibt sich die rechtliche
Mißbilligung einer Gefahrschaffung nicht nur aus der Berücksichtigung objekti-
ver, sondern auch subjektiver Aspekte: Die Tatherrschaft ist eine empirische
Gegebenheit, die aber vor allem dadurch, daß sie auf dem Täterwissen um die
Sozialschädlichkeit seines Verhaltens und seiner Vermeidemacht beruht, für den
Rechtsgüterschutz unerträglich und deshalb strafrechtlich relevant wird. Dabei
sind keine Kompromisse zugunsten der Handlungsfreiheit zu machen: Entla-
stende Zurechnungskriterien können hier schwer einen Platz finden. Dabei geht
es nicht darum, den subjektiven Tatbestand gegenüber dem objektiven Tatbe-
stand in den Vordergrund zu stellen, sondern darum, die Elemente festzulegen,
die eine rechtliche Relevanz unter dem Blickwinkel des Rechtsgüterschutzes
(mit Berücksichtigung tolerabler Handlungsfreiheiten) aufweisen.

244 Vgl. näher über die Tatherrschaft kraft Wissens mit Nachweisen supra, § 5 C II

2 a) cc) (1) (a).


246 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Jakobs schließt dagegen die Strafbarkeit wegen eines Vorsatzdelikts schon bei
zufälligem Wissen aus, wenn es nicht zur Täterrolle gehört,245 und schreibt Tat-
herrschaft nur zu, wenn man das Wissen benutzt, das man sich beschaffen
sollte. Seine Lehre ist also so zu verstehen, daß eine Tatherrschaft nur zuzu-
rechnen ist, wenn sie vom Täter erstellt wurde und auf die er aus diesem Grund
zugreifen kann, d. h. wenn der Täter sich die Tatherrschaft erworben hat. Gegen
den Jakobsschen Ausschluß der Verantwortlichkeit bei vorhandenem (Son-
der)Wissen aufgrund von Rollen ist einzuwenden, daß das bereits vorhandene
Täterwissen, sei es absichtlich oder zufällig erworben, eine effektive Tatherr-
schaft begründet, von der nicht durch Zurechnungskriterien abstrahiert werden
kann. Wiederum ist gegen die auch von Jakobs begründete belastende Wirkung
der Gleichgültigkeit bei fehlendem Wissen der Sozialschädlichkeit (Figur der
Tatsachenblindheit oder gerichteten Fahrlässigkeit) vorzubringen, daß eine für
den Vorsatz unabdingbare Tatherrschaft mindestens das reale Wissen über die
Möglichkeit der Sozialschädlichkeit bzw. der Rechtsgutsverletzung voraussetzen
muß, weshalb die Rechtsfeindlichkeit für die Bejahung einer Vorsatztat nicht
ausreicht.246 Damit ist die Entlastung durch die Rollentheorie im Bereich der
objektiven Zurechnung und die Belastung durch die Zuschreibung der Tatsa-
chenblindheit beim Vorsatz im Bereich der personalen Zurechnung abzulehnen.
Eine solche Zurechnungstheorie berücksichtigt nämlich bei den gezogenen Kon-
sequenzen nicht, ob der Täter das Geschehen tatsächlich beherrscht, was eigent-
lich bei der Vorsatzstrafbarkeit unabdingbar ist. Zuständig sein und sich gegen
die strafrechtliche Norm entscheiden bzw. nicht normbefolgungsbereit sein,
reicht für die Begründung einer Vorsatzstrafbarkeit allein nicht aus.

II. Schaffung einer Gefahr mit unsicherem Wissen,


aber mit einer rechtsgüterfeindlichen Einstellung

Wird die Gefahr ohne sicheres Wissen, sondern nur mit Wissen um die Mög-
lichkeit der Tatbestandsverwirklichung geschaffen, ist das gesamte Geschehen
nicht in einem erhöhten Maße gesteuert. Diese schwache Herrschaft über das
Geschehen reicht nicht aus, um die Unerlaubtheit des geschaffenen Risikos und
damit die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens alleine zu begründen. Strafrecht-
lich relevant im Sinne einer Vorsatzhaftung wird erst ein solches Verhalten,
wenn der Handelnde dazu eine rechtsgüterfeindliche Einstellung oder zumin-
dest eine gleichgültige Einstellung gegenüber dem Rechtsgut aufweist, sei es,
daß er die Tatbestandsverwirklichung beabsichtigt, daß sie ihm gleichgültig ist
oder daß er etwa ihre Möglichkeit aus rein individuellen Gründen verdrängt,

245 Vgl. dazu supra, § 3 C V 2 a).


246 So auch Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994), 271; ders., Festschrift
für Hirsch, S. 373; vgl. auch § 3 C V 2 b) cc); § 3 E; § 5 A II 5; § 5 C II 1.
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 247

d. h. eine Verdrängungsbereitschaft zeigt, die unter Rechtsgüterschutzaspekten


sehr bedrohlich ist:247 Ob die reale innere Einstellung des Täters (sei es Ab-
sicht, Gleichgültigkeit, Verdrängungsbereitschaft oder weitere psychische Phä-
nomene) gegenüber der Verletzungsmöglichkeit des geschützten Guts durch sein
Verhalten eine solche ist, die strafrechtlich relevant ist, wird also unter der Per-
spektive des Rechtsgüterschutzes beurteilt. Die Untergrenze strafbaren Verhal-
tens wird damit nicht bloß durch das reale Phänomen der inneren Einstellung
gezogen, d. h. der Beurteilungsmaßstab ist nicht rein ontologisch, sondern nor-
mativ, aber mit Berücksichtigung der inneren Tätereinstellung als ontologischer
Bewertungsgegenstand. Zugleich wird nach dem hier vertretenen Konzept die
Schaffung niedrigerer Risiken im Gegensatz zur h. M. als unerlaubt angesehen.
Ferner konzentriert sich die Beurteilung nicht nur auf die subjektive Seite des
Geschehens: Die objektive Zurechnungskategorie der Schaffung einer Gefahr
bleibt in diesem Konzept unverändert; die hiesigen Ausführungen beziehen sich
vielmehr auf die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit der Gefahr, d. h. auf die Frage,
ob die Einstellung des Täters gegenüber dem Rechtsgut die Unerlaubtheit der
Gefahrschaffung begründen kann (bzw. mit der Ausdrucksweise der Lehre von
der objektiven Zurechnung: ob die Tätereinstellung das herkömmliche Maß des
erlaubten Risikos „verändern“ kann).
Gefahren, die auf abergläubischen Gedanken des Täters beruhen, müssen von
der strafrechtlichen Relevanz richtigerweise ausgeschlossen sein.248 Hingegen
ist die (absichtliche) Schaffung sei es auch sehr geringer Risiken nach der hie-
sigen Auffassung als strafrechtlich relevant zu sehen, während die Lehre von
der objektiven Zurechnung sie etwa durch die Figur des erlaubten Risikos und
im Ergebnis durch eine Interessenabwägung zwischen Rechtsgüterschutz und
Handlungsfreiheit aus der Tatbestandsmäßigkeit ausschließt.

III. Sorgfaltswidrigkeit bzw. Schaffung einer


unerlaubten Gefahr

1. Allgemeines

Kennt der Handelnde die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung durch


sein Verhalten, handelt er aber mit Vermeidungswillen (= sog. bewußte Fahrläs-
sigkeit) bzw. bewertet er die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens als doch
nicht so real und bezieht sich seine Verdrängungsbereitschaft dabei auf sozial-
übliche und deshalb berechtigte Impulse, ist eine Vorsatzstrafbarkeit auszu-

247 Näher über die Vorsatzhaftung bei Wissen von der Möglichkeit der Tatbestands-

verwirklichung vgl. supra, § 5 C II 2 a) cc) (1) (b) und (2).


248 Vgl. ferner supra, § 5 C I; § 6 B II 2 b) dd) (5).
248 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

schließen. Fraglich ist, welche Aspekte das Unrecht der bewußten Fahrlässigkeit
begründen.
Eine Fahrlässigkeitshaftung kann nicht allein auf das Wissenselement zurück-
geführt werden, weil diese Schwäche beim Wissenselement ohne eine rechts-
güterfeindliche Einstellung für sich allein nicht ausreicht, um die Unerlaubtheit
des Risikos bzw. strafrechtliche Relevanz zu begründen. Es besteht bei der
Fahrlässigkeitshaftung keine gesteigerte Steuerungsfähigkeit des Geschehens
bzw. gesicherte Tatherrschaft kraft Wissens. Es kann allerdings sein, daß der
Täter konkret eine Tatherrschaft über den unaufmerksamen Umgang mit dem
Rechtsgutsobjekt besitzt, z. B. wenn er bewußt über eine rote Ampel (bei nicht
übermäßigem Verkehr) fährt und dabei die tatsächlichen Bedingungen völlig
unter seiner Kontrolle hat, die eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen
Sorgfalt unter einer rechtlichen Bewertung begründen: Nur er setzt die gefähr-
lichen Bedingungen in Gang und gegenüber weiter denkbaren Fahrlässigkeits-
konstellationen wie die der unbewußten Fahrlässigkeit besitzt der Autofahrer
sicheres Wissen um die Gefahrschaffung. Das ist aber noch keine Tatherrschaft
über die Bedingungen, die zur Tatbestandsverwirklichung bzw. zum Erfolgsein-
tritt direkt führen: Der Handelnde beherrscht bei der bewußten Fahrlässigkeit
mit seinem begrenzten Wissen nur die Möglichkeit, daß der Erfolg eintritt, und
dagegen setzt er Gegenfaktoren oder zumindest seinen Willen zur Erfolgsver-
meidung. Bei Vorliegen von (1.) unsicherem Wissen über die Tatbestandsver-
wirklichung und (2.) einem – berechtigten – Vermeidewillen ergibt sich also die
Unerlaubtheit der geschaffenen Gefahr und damit die rechtliche Relevanz nicht
aus einer gesteigerten Steuerungsfähigkeit des Geschehens bzw. gesicherten
Tatherrschaft kraft Wissens oder rechtsgüterfeindlicher Einstellung.
Darüber hinaus bleibt der Bereich der unbewußten Fahrlässigkeit übrig, von
deren Behandlung in dieser Arbeit über Bewußtseinsvorgänge auf den ersten
Blick abgesehen werden könnte, weil diese Fahrlässigkeitsform in der Regel ge-
rade durch das Fehlen kognitiver Aspekte gekennzeichnet wird. Dennoch ist
eine Erörterung der unbewußten Fahrlässigkeit durchaus auch hier von Inter-
esse: Erstens sollte untersucht werden, ob das Bewußstsein des Handelnden da-
bei in allen Fallkonstellationen absolut ausgeschaltet ist. Zweitens kennzeichnet
sich die These dieser Arbeit vor allem dadurch, daß die strafrechtlichen
Aspekte, die eine Belastungsfunktion haben, auf etwaige Bewußtseinsphäno-
mene zurückgeführt werden. Die unbewußte Fahrlässigkeit würde dann den
Prüfstein solcher Erwägungen bzw. die Ausnahme bilden. Drittens braucht das
Vorliegen von Sonderwissen bei unbewußter Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen
zu sein. Es wäre auch möglich, daß der Täter sein Sonderwissen beim unbewußt
unsorgfältigen Handeln nicht anwendet, auch wenn er dazu verpflichtet war.
Grund der strafrechtlichen Relevanz bei der bewußten und unbewußten Fahr-
lässigkeit ist also nicht eine erhöhte Steuerung des Geschehens kraft Wissens,
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 249

sondern ein sorgfaltswidriges Verhalten, oder präziser: die Schaffung einer un-
erlaubten Gefahr für ein Rechtsgut.249 Die bloße Erkennbarkeit der Gefahr
reicht wiederum nicht allein zur Bestimmung der Fahrlässigkeit aus, weil bei
ihr die normativen Untergrenzen fehlen.250 Verlangt man neben der Erkennbar-
keit der Gefahr ein unerlaubtes Risiko, sind die Unterschiede zur Lehre von der
Sorgfaltswidrigkeit rein terminologischer Natur:251 Die Erkennbarkeit birgt das
Problem der Maßstäbe für den Gefahrbegriff, was hier sogleich unter der Kate-
gorie der Schaffung einer Gefahr behandelt wird (2). Das erlaubte Risiko wird
wiederum unter der Kategorie der Unerlaubtheit der Gefahr erörtert (3).
Wenn also nunmehr auf die zwei belastenden Elemente der Kategorie der
Schaffung einer unerlaubten Gefahr näher eingegangen wird, nämlich die Ge-
fahrschaffung selbst und die Unerlaubtheit der Gefahr, so müssen diese zwei
Elemente richtigerweise auseinandergehalten werden – beispielsweise werden
Gefahren für Rechtsgüter durch das Autofahren geschaffen; diese Gefahrschaf-
fungen sind aber erlaubt –, und es dürfen deshalb auch nicht beide Elemente
etwa unter dem Maßstab des einsichtigen Menschen als eine Einheit untersucht
werden. Allerdings ist eine exakte Differenzierung nicht in allen Fallkonstella-
tionen möglich: Ob der Tatbestand des Totschlags bei einer Nötigung zum
Treppensteigen mit Todesfolge aufgrund fehlender Gefahrschaffung oder auf-
grund der Erlaubtheit einer solchen Gefahrschaffung auszuschließen ist, ist
schwer festzulegen. Angesichts solcher Schwierigkeiten könnte man die Gefahr-
schaffung und die Erlaubtheit bzw. Mißbilligung der Gefahr unter der umfassen-
deren Kategorie der Sorgfaltswidrigkeit behandeln. Damit würde man aber so-
wohl normative als auch oft rein empirische, z. B. subjektive Aspekte der Straf-
tat, gleichzeitig behandeln, was zur üblichen Verwirrung der Elemente beitragen
würde.
Die Festlegung, aus welcher Perspektive und unter welchen Maßstäben ent-
schieden werden muß, wann eine Gefahr überhaupt geschaffen worden ist, aber
auch die Frage, ob die Gefahrschaffung rechtlich mißbilligt ist, kann man ge-
trost als äußerst schwierige Probleme der Strafrechtsdogmatik bezeichnen. Hier
geht es um das supra, § 6 B I 3 b aa) als die Objektivität oder Subjektivität des
Gefahrurteils gekennzeichnete Problem. Im Schrifttum konzentriert sich die De-
batte über das Gefahrurteil auf die Auswahl der Tatumstände, die für das Ge-
fahrurteil relevant sein sollten. Dabei geht es darum, welche Tatumstände im
Gefahrurteil berücksichtigt werden müssen, bevor man über die Sorgfaltswidrig-
keit des Verhaltens eine Aussage treffen kann. Zur Auswahl der zu berücksich-
tigenden Tatumstände für die Frage nach der Gefahrschaffung werden im Prin-
zip drei Möglichkeiten in der Diskussion in Betracht gezogen: (1) Eine Betrach-

249 Vgl. näher dazu § 6 B I.


250 Vgl. ferner supra, Einleitung, Fn. 3.
251 So ähnlich bereits Burkhardt, a. a. O., S. 122 f.
250 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

tung der Gefahrschaffung ex post, sei es nach dem Erfolgseintritt, sei es ex ante
mit Berücksichtigung der nachträglich bekannt gewordenen Umstände,252 sei es
aus der Perspektive einer allwissenden Person oder auf Basis des optimalen
Wissens eines Beurteilers. (2) Die zweite Möglichkeit besteht in der Berück-
sichtigung des Tatwissens eines einsichtigen, objektiven Beurteilers ex ante.253
(3) Die dritte Möglichkeit geht ferner nur vom Täterwissen über die Tatum-
stände aus.254
Was die rechtliche Erlaubtheit oder Mißbilligung der Gefahr betrifft, sind zu-
sätzlich folgende Varianten in Betracht zu ziehen: (1) Man könnte wie Jakobs
rein normativ einige dem Täter bekannte Tatumstände vom Gefahrurteil aus-
schließen, weil es nicht zu seiner sozialen Rolle gehören würde, sie zu kennen,
und damit bei der Frage nach der Mißbilligung der Gefahr nur diejenige Tatum-
ständen berücksichtigen, die er hätte wissen sollen.255 (2) Man könnte entgegen
der Ansicht von Jakobs alle vom Täter gekannten Tatumstände, die auf die
Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung verweisen, für die Frage nach der
Mißbilligung der Gefahr in Betracht ziehen. (3) Man könnte, wie in der vorlie-
genden Arbeit, das Wissen um bestimmte Tatumstände, die auf die Möglichkeit
der Tatbestandsverwirklichung hinweisen, bei entfernter Steuerungsfähigkeit des
fahrlässig Handelnden aus kriminalpolitischen Gründen als strafrechtlich irrele-
vant beurteilen.
Die Frage nach der unerlaubten Risikoschaffung und den Beurteilungsper-
spektiven wird in der Regel vom Schrifttum auch bei den Vorsatzdelikten ge-
stellt. Nach der hier vertretenen Auffassung werden aber etwaige Perspektiven
und Maßstäbe für die Gefahrbeurteilung beim Vorsatzdelikt gar nicht in Be-
tracht gezogen: Bei sicherem Wissen über die Tatbestandsverwirklichung (sog.
dolus directus) wird das Vorliegen der Gefahr und die Unerlaubtheit der ge-
schaffenen Gefahr mit der Tatherrschaft (kraft Wissens) begründet. Beim Wis-
sen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung (sog. bedingter Vorsatz)
wird wiederum eine Gefahrschaffung erfordert, und die Unerlaubtheit der ge-
schaffenen Gefahr wird durch die rechtsgüterfeindliche oder zumindest gleich-
gültige Einstellung begründet.
Demgegenüber tauchen beim Fahrlässigkeitsdelikt unvermeidbar die Fragen
nach der Perspektive und den Maßstäben für die Gefahrbeurteilung auf, die nun
im folgenden Abschnitt mit der Differenzierung zwischen Gefahrschaffung und
rechtlicher Mißbilligung der Gefahrschaffung näher erörtert werden.

252 So die Interpretation von Frisch, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 173, über

die von Burkhardt im gleichen Sammelband vertretene ex post Perspektive.


253 Vgl. supra, Einleitung, Fn. 1.
254 Vgl. supra, § 6 B II 2 b).
255 So wie Jakobs, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 283 ff.; ders., Strafrecht

AT, 7/50.
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 251

2. Schaffung einer Gefahr

Nachdem die Unergiebigkeit einer ex post-Perspektive supra, § 6 B II 2 a)


thematisiert wurde, bleiben die Perspektive objektiv ex ante oder die Tätervor-
stellungen als Basis für die Bestimmung übrig, ob eine Gefahr geschaffen wor-
den ist. Um die bei dieser Frage problematischen Konstellationen herauszufil-
tern, ist es von Nutzen, zunächst zwischen zwei möglichen Fallgestaltungen zu
unterscheiden: In den Fällen, bei denen die Frage nach der Fahrlässigkeitshaf-
tung gestellt wird, wird der Handelnde entweder (1) die wirklichen Tatumstände
und die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung richtig erkannt haben (z. B.
daß er die Geschwindigkeitsbegrenzung überschreitet und damit jemanden ver-
letzen könnte), aber sie verdrängt haben, oder (2) er wird einige Tatumstände
oder die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung ignoriert, nicht daran ge-
dacht bzw. sich nicht ausreichend darüber informiert haben, wie es der Fall bei
der unbewußten Fahrlässigkeit ist.
Die geläufige Klassifikation in bewußte (luxuria) und unbewußte (negligen-
tia) Fahrlässigkeit256 ist m. E. insofern zu erweitern, als daß nicht nur die Er-
kenntnis oder Nichtkenntnis der Tatbestandsverwirklichung (z. B. daß man
durch Fahren entgegen der Einbahnstraße jemanden verletzen könnte), sondern
auch die Kenntnis von einzelnen Tatumständen (z. B. daß man Auto fährt; daß
es um eine Einbahnstraße geht) in Betracht gezogen wird. Eine solche differen-
zierte Analyse ermöglicht eine nähere Überprüfung der Kenntnisbasis des Han-
delnden und die Bestimmung, welche weiteren Kenntnisse zur Einhaltung der
Sorgfaltsanforderungen, vor allem in komplizierten Handlungsabläufen wie z. B.
im Wirtschaftsunternehmen, erwartet werden. Es können nämlich u. U. aufgrund
bestehender Tatkenntnisse vom Handelnden weitere Kenntnisse über die Tatum-
stände oder Erkenntnisse von Gefahren erwartet werden (d. h., daß er aufgrund
seines Basiswissens über die Situation Schlüsse bezüglich möglicher Konse-
quenzen zieht), so daß eine solche Unterscheidung die Fallprüfung erleichtern
kann, auch wenn es letztendlich um die umffassende Frage nach dem sorgfalts-
widrigen Verhalten geht.

a) Bewußte Fahrlässigkeit

Bei den ersten Fallkonstellationen wird eine Gefahrschaffung in der Regel


unproblematisch zu bejahen oder zu verneinen sein, weil die vom Täter vorge-
stellten Tatumstände und erkannten Möglichkeiten der Tatbestandsverwirkli-
chung mit dem Wissen übereinstimmen werden, deren Schaffung bei der ent-
sprechenden vorgenommenen Tätigkeit erwartet wird. Die strafrechtliche Rele-

256 Vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht AT II, § 43, Rdn. 119. Mit einer Funktion nur für

die Strafzumessung, vgl. Otto, Grundkurs Strafrecht, § 10, Rdn. 6 f.; Roxin, Strafrecht
AT I, § 24, Rdn. 59 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rdn. 661.
252 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

vanz beruht hier also nicht auf fehlender Tatkenntnis bzw. Erkenntnis von Ge-
fahren, sondern auf einer für die Rechtsgüter bedrohlichen Verdrängungsbereit-
schaft bezüglich der Realisierung der erkannten Gefahr. Der Handelnde muß
sich nicht weitere Tatkenntnisse verschaffen. Nach dem Maßstab der h. M.
könnte man bezüglich dieser Fallkonstellation sagen, daß die vom Täter vorge-
stellten Tatumstände und erkannten Möglichkeiten der Tatbestandsverwirkli-
chung mit dem übereinstimmen, was ein einsichtiger Beurteiler ex ante erkannt
hätte. Hier wird die Frage nach den Beurteilungsmaßstäben für das Vorliegen
einer Gefahrschaffung keine wichtige Rolle spielen. Bis hierher wäre die Beur-
teilung, ob eine Gefahr vorliegt, dogmatisch betrachtet nicht so problematisch.
Hauptsächlich müßte man abergläubische Gedanken des Täters darüber, daß
sein Verhalten gefährlich oder ungefährlich sei, vom Gefahrurteil ausschließen.
Im einzelnen wird für die Feststellung, ob diese Gefahrschaffung erlaubt oder
mißbilligt ist, auf eine Interessenabwägung zwischen Handlungsfreiheit und
Rechtsgüterschutz (bzw. nach der h. M. auf die Figur des einsichtigen Men-
schen) zurückgegriffen, was infra 3, behandelt wird. Dabei können Schwierig-
keiten bei der Auswahl der Kenntnisbasis für die Entscheidung über die Er-
laubtheit oder Mißbilligung einer Gefahr auftreten, wenn man wie hier die Mei-
nung vertritt, daß nicht alle Täterkenntnisse bei Fahrlässigkeitsdelikten stets
eine strafrechtliche Relevanz haben.

b) Unbewußte Fahrlässigkeit

Bei der zweiten Fallkonstellation, bei denen der Handelnde die Tatumstände
oder die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung gar nicht oder falsch er-
kannt hat, tauchen die wirklichen Komplikationen des Gefahrurteils auf, und es
stellt sich die Frage, welche Wissensbasis angenommen werden sollte. Bei der
unbewußten Fahrlässigkeit besteht in der Regel kein tatsächliches oder kein aus-
reichendes Tatwissen des Handelnden. Daß der Handelnde sich die Tatbestands-
erfüllung überhaupt nicht vorstellt, kann auf unterschiedlichen Gründen beru-
hen: etwas vergessen, nicht an etwas gedacht haben, nur Mitbewußtsein, Rand-
wissen bzw. keine ausreichende Kenntnisse über die Situation oder über den
Umgang mit dem Rechtsgutsobjekt u. a. besitzen. Es kann sich auch um ein
nicht aktualisiertes Sonderwissen handeln, wenn z. B. der Arzt aufgrund eines
ganz speziellen Fortbildungskurses Kenntnisse erwirbt, die er aber im konkreten
Fall nicht aktualisiert.257
In all diesen Fällen geht es im Normalfall um ein „Wissen-Können“, was die
Steuerungskapazität über das Geschehen enorm reduziert, so daß eine rechtliche
Relevanz aufgrund von Tatherrschaft gar nicht in Frage kommen kann. Es wer-

257 So das Verständnis von Schroeder über das Sonderwissen, und zwar bei Fahrläs-

sigkeitsdelikten als nicht aktualisiertes Wissen, vgl. LK-Schroeder, § 16, Rdn. 148.
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 253

den also kaum tatsächliche Bewußtseinsvorgänge rechtlich zu bewerten sein,


weil sie in einer schwächeren Form auftauchen oder einfach nicht vorhanden
sind. Dabei muß man berücksichtigen, daß das Bewußtseinsphänomen des Wis-
sens unter einer psychologischen Perspektive so viele Varianten aufweist,258
daß eine Entscheidung über das Vorhandensein oder das Fehlen des Wissens
schwer zu treffen ist. Auf jeden Fall ist die Manifestation dieses Phänomens
richtigerweise aus einer rechtlichen Perspektive zu beurteilen bzw. unter Be-
rücksichtigung folgender rechtlich relevanten Aspekte:

aa) Erforderliche Sorgfalt und Kenntnisverschaffungspflichten

Auf die Struktur der unbewußten Fahrlässigkeit mit fehlendem Wissen (oder
unzureichender Aufmerksamkeit) des Handelnden um die Tatumstände bzw. um
die vorgenommene Aktivität und damit um die Möglichkeit der Tatbestandsver-
wirklichung könnte der für einige spezielle Fahrlässigkeitskonstellationen ausge-
arbeitete Gedanke der Erkundigungspflichten anwendbar sein. Zwar wird die er-
forderliche Sorgfalt in einigen Fällen in der Erfüllung von Vorbereitungs- und
Informationspflichten vor Ausführung der gefährlichen Handlung gesehen.259
Dabei geht es um eine vorbereitende Aufgabe vor der Vornahme der jeweiligen
Tätigkeit. Allerdings sollte bei der Ausführung dieser Gedanken berücksichtigt
werden, daß die erforderliche Sorgfalt auch darin bestehen kann, nicht nur eine
Vorinformation über die vorzunehmende Aufgabe, sondern überhaupt grundsätz-
liche Kenntnisse über die Situation selbst zum Zeitpunkt der Tat zu erlangen.
So hat der Arzt nicht nur die Erkundigungspflicht, die Krankengeschichte zu
erheben,260 sondern überhaupt die Pflicht, sich Kenntnisse über die aktuelle Si-
tuation des Patienten zu verschaffen und etwa das ärztliche Material und die
Heilmittel bei der Behandlung richtig anzuwenden. Bei der unbewußten Fahr-
lässigkeit wird es in der Regel darum gehen, daß der Handelnde sich nicht aus-
reichende Kenntnisse über die Tatsituation verschafft hat oder daß er nicht ge-
nügend aufmerksam gegenüber bestimmten Tatreizen war. Dabei könnte man
allgemein von Kenntnisverschaffungspflichten261 (bzw. Aufmerksamkeitspflich-
ten) sprechen.

258 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 133, Fn. 54.


259 Vgl. Puppe, ZStW 103 (1991), 11; dies., Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 39; Je-
scheck/Weigend, Lehrbuch, § 55 I 3 c m. w. N. Engisch sprach schon von der „Er-
kenntnisverschaffungspflicht“, vgl. Festschrift DJT, Bd. 1, S. 430; ders., Untersuchun-
gen, S. 309 ff.; ferner Binding, Normen, Bd. IV, S. 501 ff.
260 Vgl. BGHSt 21, 59.
261 Die Kenntnisverschaffungspflicht wird als Fahrlässigkeitskriterium angesehen,

vgl. Burkhardt, a. a. O., S. 122, oder als Zurechnungskriterium, vgl. Kindhäuser, in:
Byrd/Hruschka/Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik 2 (1994), S. 344 f.
254 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Die Sorgfaltswidrigkeit bei Schaffung einer Gefahr für ein Rechtsgut kann
folglich nicht in einer falschen Einschätzung der – erkannten – Möglichkeit der
Tatbestandsverwirklichung wie bei der bewußten Fahrlässigkeit, sondern in
einer Verletzung von Kenntnisverschaffungspflichten (bzw. Aufmerksamkeits-
pflichten) liegen, wenn der Handelnde die Möglichkeit der Tatbestandsverwirk-
lichung gar nicht erkannt hat und eine solche Pflicht im konkreten Fall besteht.
Beispielsweise können folgende Fragen über die Täterkenntnisse gestellt wer-
den: ob sich der Täter noch Wissen für die konkrete Tat und Tatsituation zusätz-
lich beschaffen mußte, ob er noch sein grundsätzliches Wissen und sein Wissen
über die Tatsituation verbessern mußte, ob er sein bereits vorhandenes techni-
sches Wissen in der Situation anwenden mußte oder ob er das bereits vorhan-
dene Wissen über die Tatumstände auf der Seite lassen und die rechtsguts-
verletzende Handlung vornehmen durfte.

bb) Unergiebigkeit der Tätervorstellungen als Beurteilungsbasis


bei Verletzung der Kenntnisverschaffungspflichten

Eine Beurteilung der Gefahrschaffung kann deshalb alleine auf der Basis der
vorhandenen Tätervorstellungen über die Situation und über die Gefahr bei die-
ser Art von Fallkonstellationen nicht vorgenommen werden, weil sie der von der
Verhaltensnorm erwarteten Kenntnisverschaffung nicht entsprechen. Die Gefahr-
schaffung und die Mißbilligung der Gefahr liegen gerade im fehlenden oder
falschen Tatwissen. Darin besteht das Hauptproblem der Beurteilungsmaßstäbe
bei der Fahrlässigkeit (und nicht nur bei vorhandenem Sonderwissen): Die aus
der Sicht des Täters wahrgenommenen Tatumstände würden sich als unschäd-
lich für das Rechtsgut erweisen, und deshalb sind die Sorgfaltsnormen nicht auf
diesen, aus der Sicht des Täters angenommenen Sachverhalt anzuwenden, weil
man andernfalls immer zum unpassenden Ergebnis kommen würde, daß das
Verhalten sorgfaltsgemäß wäre. Die Sorgfaltswidrigkeit besteht in solchen Fäl-
len also in der Verletzung von Kenntnisverschaffungspflichten. Würde man bei-
spielsweise die Tätervorstellungen über die Situation als Beurteilungsgrundlage
annehmen, wenn beispielsweise ein Arzt aufgrund einer unzureichenden Unter-
suchung des Patienten trotz dessen Beschwerden nicht bemerkt, daß dieser an
einer Blinddarmentzündung leidet, müßte man sein Verhalten als sorgfaltsge-
mäß beurteilen, da der Patient nach seiner Vorstellung an keiner akuten Krank-
heit litt. Tätervorstellungen können hier also nicht ohne weiteres als „Beurtei-
lungsbasis“ verwendet werden.
Die Schwierigkeiten bei der Auswahl der Perspektive für die Gefahrbeurtei-
lung bei der Fahrlässigkeit ergeben sich also insbesondere, wenn die – vorhan-
denen – Tätervorstellungen über die Tatsituation anders als die ex ante erkenn-
baren Tatumstände sind, sei es weil dem Täter Tatwissen fehlt oder – auch –
weil er über Sonderwissen verfügt.
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 255

cc) Berücksichtigung der Tätervorstellungen

Auf der anderen Seite wäre es auch nicht angebracht, von den Tätervorstel-
lungen völlig abzusehen und sie vollständig durch die Kenntniserwartungen zu
ersetzen. Die Kenntnisverschaffungspflichten setzen schon eine gewisse Kennt-
nisbasis voraus. Die Verhaltensnormen gelten für irgendeinen schon vorhande-
nen Sachverhalt,262 und die Tatsachen dieses Sachverhaltes sind auch psychi-
scher Natur, d. h. eine reine normative Bestimmung des zu beurteilenden Sach-
verhaltes würde in einem Zirkelschluß enden.263 So müssen die vom Täter mehr
oder weniger zufällig vorgestellten Tatumstände richtigerweise als Beurteilungs-
gegenstand mit in Betracht gezogen werden, sowohl wenn sie eine aktuelle
bzw. akute Appellfunktion erfüllen (z. B. das verwendete Fahrzeug wurde seit
sehr langer Zeit nicht benutzt bzw. nicht kontrolliert; oder in dem soeben ge-
schilderten Arztfall die Kenntnis der Aussage des Patienten, daß er Beschwer-
den hat), aber auch ganz grundsätzlich, wenn diese Tatumstände weit entfernt
von einer Erkenntnis der relevanten konkreten Gefahrfaktoren liegen (z. B. daß
man sich überhaupt im Straßenverkehr oder bei den Haushaltsaufgaben befin-
det, oder daß sich das Kind im Haus und damit unter der eigenen Aufsicht
befindet). Der Täter muß nämlich nach den ihm bekannten Umständen zum
sorgfältigen Umgang mit dem Rechtsgutsobjekt verpflichtet werden.264 Fallkon-
stellationen, bei denen der Handelnde die grundsätzliche Tatsituation falsch
einschätzt und sich daher die erforderlichen weiteren Kenntnisse nicht ver-
schafft, müßten allerdings fast konstruiert werden, da sie in der Realität kaum
auftauchen. Fährt jemand auf einer normalen Straße und glaubt dabei aufgrund
eines Scherzes eines Anderen irrtümlich, daß er auf einer Formel 1-Rennstrecke
ist, und überfährt er sodann unbewußt eine rote Ampel, handelt er nicht sorg-
faltswidrig, wenn die Straße so inszeniert wurde, daß er keinen weiteren Anlaß
zum Zweifeln an den vorgestellten Tatsachen haben mußte. Hier besteht keine
Pflicht in Verbindung mit den vorhandenen Tatkenntnissen des Handelnden, die
rote Ampel zu erkennen.
Bei der unbewußten Fahrlässigkeit ergibt sich also zusätzlich das Problem,
daß dem Handelnden die relevanten Tatkenntnisse fehlen, aber auch nicht alle:
Oft verfügt er über eine unrichtige Wissensgrundlage, deren Vorhandensein so-
gar „berechtigt“ sein kann, wie der geschilderte Fall der Formel 1-Rennstrecke

262 Ausdrücklich NK-Puppe, vor § 13, Rdn. 145: „Von irgendwelchen vorgegebenen

Tatsachen muß jede normative Bestimmung von Verhaltensregeln ausgehen“, ferner


über die Berücksichtigung der Tätervorstellungen bei der unbewußten Fahrlässigkeit
vgl. dies., § 15, Rdn. 13.
263 So auch Schünemann, Festschrift für Roxin, S. 20; Burkhardt, a. a. O., S. 118 f.,

129 und passim; ähnlich Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 26, Fn. 59; NK-dies., vor
§ 13, Rdn. 145; dies., Strafrecht AT 1, § 15, Rdn. 39.
264 Vgl. Burkhardt, a. a. O., S. 119 f., ähnlich bezüglich der unbewußten Fahrlässig-

keit NK-Puppe, § 15, Rdn. 13.


256 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

zeigt. Oft ist ferner nicht nur die „Wissensgrundlage“ über die Tatsituation, son-
dern auch das (unrichtige) Wissen über die Tateinzelheiten „berechtigt“, d. h.
der Handelnde irrt über die Tatumstände, es besteht aber für ihn keine Kennt-
nisverschaffungspflicht zum Erwerb des richtigen Tatwissens. Versteht beispiels-
weise eine Krankenschwester eine ärztliche Anordnung falsch265 und gibt es
keine Anhaltspunkte dafür, an dem Verstandenen zu zweifeln, besteht für sie
keine Pflicht, sich über die Richtigkeit der Anordnung zu vergewissern. Ihr un-
richtiges Wissen über die Tatsituation ist deshalb berechtigt. Dies muß bei der
strafrechtlichen Beurteilung miteinbezogen werden und zum Ausschluß des Tat-
bestandselements der Schaffung einer Gefahr und damit insgesamt der Sorg-
faltswidrigkeit führen.
Ansonsten sollte im Regelfall das Prinzip gelten, daß nicht solche Tatum-
stände für die Beurteilung in Betracht gezogen werden, die der Täter bei der
Tat kannte, sondern solche, deren Kenntnis von der Verhaltensnorm erwartet
wird (dies wäre im Konzept der h. M.: die ex ante für einen objektiven Beob-
achter in der Rolle des Täters ersichtlichen Tatumstände), z. B. bestimmte Ein-
zelheiten einer Verkehrssituation, die der Fahrzeugführer nicht bemerkte; oder
die Herzkrankheit eines Patienten, worüber sich der behandelnde Arzt nicht er-
kundigte, obwohl er ein Medikament verschrieb, das für diesen Patient schäd-
lich wirkte. Es fehlt hier nämlich beim Handelnden an ausreichenden Kenntnis-
sen über die Tatumstände, und dies wird ihm gerade vorgeworfen. Das Wissen
kann also eine Rolle bei der Fahrlässigkeit spielen: (1) als Grundlage und zur
Begründung von Kenntnisverschaffungspflichten, da sie nicht ohne weiteres ent-
stehen; (2) mit einer entlastenden Funktion, falls dieses Wissen berechtigt ist;
(3) mit einer belastenden Wirkung bei bestehendem Sonderwissen, falls dessen
Einsatz erwartet wird (zu diesem Punkt vgl. infra, E).
Es kann nun eingewendet werden, daß die Frage, ob das Tatwissen „berech-
tigt“ ist, bereits eine rechtliche Beurteilung bzw. eine Entscheidung über die
Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens erfordert. Das ist auch richtig: Im Fahrlässig-
keitstatbestand geht es letztendlich um die Sorgfaltswidrigkeit, und dabei wer-
den sowohl objektive als auch subjektive Elemente in Betracht gezogen. Hier
wird eben nur die Relevanz beider Aspekte anhand unterschiedlicher Fallkon-
stellationen aufgezeigt.

dd) Rechtliche Relevanz unbewußter Fahrlässigkeit

Das Vorliegen irgendeines Bewußtseinsvorgangs könnte also als Hintergrund-


erfordernis sogar bei der unbewußten Fahrlässigkeit erforderlich sein. Rechtliche
Relevanz bekommen aber solche Verhaltensweisen nicht bloß aufgrund der – mi-
nimalen – psychischen Beziehung des Handelnden zu seiner Tat an sich, son-

265 Vgl. den Fall BGHSt 3, 92, 96.


D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 257

dern aufgrund des Tätigwerdens (oder Untätigwerdens bei Unterlassen) mit Ver-
letzung der Sorgfaltspflicht beim Umgang mit Rechtsgutsobjekten, sei es durch
Vergessen, Nicht-daran-Denken oder weil der Täter sich nicht das erforderliche
Wissen über die Tatsituation oder über die geschaffene Gefahr bei Ausführung
der Tätigkeit oder in einem früheren Zeitpunkt verschafft oder angewendet hat.
Dies gilt, solange eine Kenntnisverschaffungs-, Kenntnisanwendungs- oder Auf-
merksamkeitspflicht im konkreten Fall für den Handelnden besteht. Hier bezieht
sich also die strafrechtliche Relevanz grundsätzlich nicht auf empirische Gege-
benheiten wie etwa eine vorhandene Tatherrschaft, sondern auf die Verletzung
der Sorgfaltsnormen.
Während die strafrechtliche Haftung wegen Vorsatz oder bewußter Fahrläs-
sigkeit auf einem realen Bewußtseinsphänomen beruht, fundiert die unbewußte
Fahrlässigkeit ihre strafrechtliche Relevanz also grundsätzlich auf der Verlet-
zung einer Pflicht, bei der vom Täter ein „Daran-Denken“ bzw. ein Aktivieren
seines Bewußtseins und seiner Aufmerksamkeit bzw. ein „Wissen-müssen“ bei
bestimmtem Tätigwerden (oder Untätigwerden) verlangt wird. Beim Vorsatz
oder bewußter Fahrlässigkeit ist die Vorstellung der möglichen Tatbestandsver-
wirklichung vorhanden, und dies begründet immer eine größere Tatherrschaft,
als wenn die Tatbestandserfüllung im Bewußtsein gar nicht aktualisiert ist.
Selbst wenn Leib oder Leben eines anderen etwa vom „Nicht-Vergessen“ sei-
tens des Täters abhängt, erreicht die Beziehung des Täters zu seiner Tat und
damit die konkrete Steuerung des Geschehens bis zum Ziel hier den niedrigsten
Grad, so daß dies einen schwächeren Vorwurf begründet, was in der Strafzu-
messung zu berücksichtigen ist.266 Damit sind die Auffassungen abzulehnen,
die davon ausgehen, daß die Unaufmerksamkeit bei der unbewußten Fahrlässig-
keit schwerer als die bewußte Fahrlässigkeit wiege oder sein könnte267 oder daß
sie genauso schwer wäre.268
Ferner bedeutet die Tatsache, daß die dem Täter bekannten Tatumstände Be-
urteilungsgegenstände sind, nicht, daß die Beurteilung selbst nicht objektiv bzw.
„rechtlich“ erfolgen kann.269 Die Begründung der strafrechtlichen Relevanz un-
bewußter Fahrlässigkeit ist nämlich vorwiegend rechtlicher Natur. Dabei wer-

266 Roxin sieht die bewußte Fahrlässigkeit aus anderen Gründen strafwürdiger an als

die unbewußte, so daß sich der Unterschied seiner Meinung nach bei der Strafzumes-
sung auswirken sollte, vgl. Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 61. Für einen Überblick zur
Debatte über den Unwertgehalt der unbewußten Fahrlässigkeit vgl. auch a. a. O., Rdn.
59 ff.
267 So die h. M., vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht AT II, § 43, Rdn. 121; Stratenwerth,

Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 31; NK-Puppe, § 15, Rdn. 13; LK-Schroeder, § 16, Rdn.
121 m. w. N.
268 Vgl. Karlsruhe VRS 35, 365; Tenckhoff, ZStW 88 (1976), 904; Jakobs, Straf-

recht AT, 9/3.


269 So unter anderem Burkhardt, a. a. O., Fn. 88 und passim; NK-Puppe, vor § 13,

Rdn. 144 f.; Kuhlen, Fragen, S. 101 ff.; AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 90, 95.
258 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

den aber Aspekte des Rechtsgüterschutzes einbezogen: Es geht um die Verlet-


zung von Sorgfaltsnormen, die zum Rechtsgüterschutz dienen, und nicht etwa
um die Verletzung der gesamten Rechtsordnung,270 was eine extreme Normati-
vierung der strafrechtlichen Kategorien bedeuten würde.
Die Beurteilung erfolgt aus der Sicht der Verhaltensnorm und in diesem
Sinne ist sie objektiv. Es wird dabei gefragt, (1) ob der Handelnde aufgrund
seiner Wissensbasis sorgfaltsgemäß handelte bzw. ob er sich weitere Kenntnisse
verschaffen mußte (2) ob sein bestehendes Wissen (bzw. Sonderwissen) um die
Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung überhaupt strafrechtlich relevant und
ihm zu Last zu legen ist, ferner: (3) ob seine Vorstellung über die Möglichkeit
der Tatbestandsverwirklichung nicht auf eine übervorsichtige und damit nicht
strafrechtlich relevante Einstellung zurückzuführen ist; (4) ob seine Vorstellung
über die Möglichkeit oder über das Entfallen der Tatbestandsverwirklichung
nicht auf abergläubischen Gedanken beruht. Das Wissen und das Verhalten sind
dabei der Gegenstand der Bewertung; die Bewertung ist aber objektiv vorzuneh-
men.
Damit entfernt sich die hier vertretene Ansicht von den Auffassungen, die die
Relevanz des Täterwissens bei der Fahrlässigkeit ablehnen, aber auch von der
Fahrlässigkeitsstruktur Struensees mit der Akzentsetzung nur auf die Kenntnisse
bzw. Finalität oder finale Herbeiführung eines Risikosyndroms. Einerseits ist
eine Relevanz der Täterkenntnisse bei der Fahrlässigkeit unvermeidbar anzuer-
kennen, und dazu hat der Ansatz Struensees wertvolle Gedanken beigetragen.
Andererseits sollte diese Relevanz unter Zweck- und Wertungsgesichtspunkten
gesehen werden. Die Idee von Struensee, den Schwerpunkt des Verantwortungs-
bereichs in der Finalität bzw. sogar bei der unbewußten Fahrlässigkeit im (fina-
len) Handeln in einer offenen, ungewissen Situation zu setzen,271 ist nach der
hier angegebenen Begründung für die Fahrlässigkeitshaftung abzulehnen.
Was die übervorsichtige Tätereinstellung bezüglich der Gefahr anbelangt [su-
pra, (3)], dürfen die persönlichen Wertungen des Täters für diese konkrete
Frage nach dem Vorliegen einer Gefahr keine Rolle spielen, weil dies nur eine
rechtliche Beurteilung sein sollte. Ist beispielsweise der Handelnde übervorsich-
tig bzw. stellt er sich Kausalvorgänge bei seinem Tätigwerden vor, die unreali-
stisch erscheinen und unter Rechtsgüterschutzaspekten keine Bedeutung haben,
ist das Vorliegen einer Gefahr im rechtlichen Sinne richtigerweise zu vernei-
nen.272

270 So auch bezüglich der unbewußten Fahrlässigkeit NK-Puppe, § 15, Rdn. 13.
271 Vgl. Struensee, JZ 1987, 62 und supra, § 3 D III.
272 Zum tatbestandslosen Verhalten des übervorsichtigten Handelnden im Rahmen

der bewußten Fahrlässigkeit vgl. z. B. Roxin, Strafrecht AT I, § 24, Rdn. 63; vgl. fer-
ner die Begründungen von Duttge in MünchKommStGB, § 15, Rdn. 120 bei Fn. 578
m. w. N.
D. Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz 259

Teilweise wird behauptet, daß es keine Pflicht gebe, sich Kenntnis zu ver-
schaffen, sondern nur die Pflicht, die Rechtsgutsverletzung zu vermeiden.273
Dagegen ist einzuwenden, daß es sich nicht um eine selbständige Pflicht han-
delt, die für sich allein eine strafrechtliche Relevanz begründen könnte.274 Es
geht um eine von mehreren denkbaren (Sorgfalts-)Pflichten, die es beim Um-
gang mit strafrechtlich geschützten Rechtsgutsobjekten gibt, um deren Verlet-
zung zu vermeiden.275 Durch die Beschreibung der konkreten Sorgfaltspflichten
wird bestimmt, was der Handelnde konkret machen bzw. unterlassen müßte, um
den Erfolg zu vermeiden. Wurde beispielsweise eine Tätigkeit bereits übernom-
men, entstehen Sorgfaltspflichten, u. a. betreffend den Erwerb bestimmter Tatsa-
chenkenntnisse während ihrer Durchführung. So muß der Arzt die entsprechen-
den Informationen über den Zustand des Patienten für eine richtige Diagnose
einholen oder der Autofahrer, sobald er am Straßenverkehr teilnimmt, seine
Aufmerksamkeit zum Erwerb aller relevanten „Informationen“ (sei es Verkehr-
signale, Reaktionen weiterer Teilnehmer, aber auch des Wagenzustandes usw.)
anspannen.
Fehlen dem Handelnden die Fähigkeiten zur Vermeidung im Zeitpunkt der
Verpflichtung, ist die Sorgfaltspflichtverletzung in einem früheren Moment zu
suchen, ohne daß die Übernahme der Tätigkeit etwas anderes als eine Beschrei-
bung der Sorgfaltspflichtverletzung selbst sein müßte. Zu diesem Problem vgl.
supra, § 6 B II 2 c) cc) (3) (a).

3. Unerlaubtheit der geschaffenen Gefahr

Wann die Gefahr unerlaubt ist, hängt beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht vom
individuellen Kriterium der Tatherrschaft ab wie das der Fall bei sicherem Wis-
sen über die Tatbestandsverwirklichung ist, sondern von dem auf alle Norm-
adressaten generell anwendbaren Kriterium der Sorgfaltswidrigkeit, das Rechts-
normen, Regeln der Kunst und den Vertrauensgrundsatz einschließt, und letzt-
endlich von einer generell vorzunehmenden Abwägung, die die Bedürfnisse des
staatlichen Rechtsgüterschutzes, aber auch die Handlungsfreiheit der Bürger in
Betracht zieht. Zwar ist nicht jede Schaffung einer Gefahr mit Vermeidewillen
strafrechtlich relevant. Das Strafrecht muß nämlich Handlungsfreiräume dort

273 Vgl. Jakobs, Studien, S. 83 ff., 151; ders., Strafrecht AT, 9/2, 14; ferner Münz-

berg, Verhalten und Erfolg, S. 244; AK-StGB-Zielinski, §§ 15, 16, Rdn. 88; Struensee,
JZ 1987, 62, Fn. 101; Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte,
S. 11 f., 144 ff.; ders., Festschrift für Eberhard Schmidt, S. 329 f.; Horn, Verbotsirr-
tum und Vorwerfbarkeit, S. 61 ff.; Schöne, Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann,
S. 652 f.
274 So auch Burkhardt, a. a. O., S. 122 m. w. N.
275 Im Ergebnis doch auch Jakobs, Strafrecht AT, 9/2 bei Fn. 3: „. . . letzteres [die

Vermeidung] mag der Täter über eine Kenntnisverschaffung leisten . . .“.


260 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

gewähren, wo die Subjekte zwar Gefahren schaffen, aber (1) Verletzungen von
Güter vermeiden wollen und die Vorstellung der Gefahr bzw. der Möglichkeit
der Rechtsgutsverletzung verdrängen, (2) diese Verdrängung im konkreten Fall
nicht unberechtigt bzw. nicht äußerst bedrohlich ist und (3) das Interesse an der
Handlungsfreiheit aus unterschiedlichen (bereits oben in § 2 über Rechtsgüter-
schutz und strafrechtsfreien Raum behandelten) Gründen überwiegt. Eine Inter-
essenabwägung zwischen Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit sowie ferner
entlastende Zurechnungskriterien sind also Kernpunkte der Erlaubtheit und Un-
erlaubtheit des Risikos beim Fahrlässigkeitsdelikt.276 Erst bei der Frage nach
der Fahrlässigkeitshaftung ist also in der Regel die Interessenabwägung vorzu-
nehmen und sind die Kriterien der objektiven Zurechnung ohne Einschränkun-
gen anzuwenden, die zugleich weitere tatbestandsbegründende oder -ausschlie-
ßende Kategorien bilden. Gegebenenfalls hätte der Vergleich des in Betracht
kommenden Verhaltens mit der Figur des einsichtigen Menschen erst bei dieser
Stufe Relevanz.
Bei der Beurteilung der Unerlaubtheit der Gefahrschaffung muß man wie-
derum berücksichtigen, daß man beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht ohne weiteres
von den vom Handelnden vorgestellten Tatumständen ausgehen kann, weil die
Sorgfaltswidrigkeit auch darin bestehen kann, (1) daß der Handelnde, wie be-
reits bei der Gefahrschaffung ausgeführt, etwas nicht wußte, was er nach den
Sorgfaltsregeln bzw. Kenntnisverschaffungspflichten hätte wissen müssen; (2)
daß der Handelnde etwas über die Tatumstände wußte, die zur Rechtsgutsverlet-
zung geführt haben, allerdings die Handlungsfreiheit bei der Interessenabwä-
gung überwiegt, was bei der Fahrlässigkeitsfrage bei bestehendem Wissen der
Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung möglich ist. Damit wäre das Verhalten
strafrechtlich nicht relevant. Entlastende Zurechnungskriterien können beim
Fahrlässigkeitsdelikt anwendbar sein und ein Täterwissen umwandeln in ein
rechtlich irrelevantes. Das Wissen gewährt nämlich bei der Fahrlässigkeit in der
Regel keine Steuerungsfähigkeit, so daß ein Wissen über die Tatsituation unter
Umständen aus der Zurechnung ausgegrenzt werden kann. So müßte im Aus-
gangsbeispiel der Fußballspieler nicht besonders auf den anderen Fußballspieler
aufpassen, auch wenn er speziell über dessen Bluterkrankheit Bescheid weiß,
weil der Bluter sich selbst eigenverantwortlich in die Gefahr begibt (ein entspre-
chendes vorsätzliches Verhalten müßte man dagegen als strafrechtlich relevant
ansehen).

276 Dazu vgl. die Ausführungen supra, § 4 und § 5 B.


E. Ergebnis: Relevanz 261

E. Ergebnis: Relevanz des Sonderwissens


beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt
I. Vorsatzdelikt

Nimmt man die oben genannten Kategorien zur Begründung der Tatbestands-
mäßigkeit an, sind der objektive und der subjektive Tatbestand nur Bestandteile
umfangreicherer, die Tatbestandsmäßigkeit insgesamt begründender Aspekte.
Selbstverständlich ist die Prüfung des objektiven und subjektiven Tatbestandes
bei der Fallbearbeitung eine unersetzbare Hilfe. Allerdings wird sich dabei im
System der h. M. immer die Frage stellen, warum der Vorsatz bzw. das Sonder-
wissen eine Rolle beim objektiven Tatbestand spielt, oder warum gewisse sub-
jektive Elemente beim Fahrlässigkeitsdelikt relevant werden, und dafür müssen
weitere (bereits dargestellte) tatbestandsbegründende Kategorien die richtige
Antwort im Hintergrund liefern.
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß das Sonderwissen beim Vorsatzdelikt in der
Regel wie die Konstellation der Schaffung einer Gefahr für ein Rechtsgut mit
sicherem Wissen zu behandeln ist, also eine Tatherrschaft kraft Wissens zu be-
jahen ist, und die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens mit Sonderwissen des
Handelnden damit begründet wird. Spezielle theoretische Überlegungen über
die systematische Stellung der rechtlich relevanten subjektiven und objektiven
Elemente sind in diesem Konzept unangebracht, weil das Konzept eine rechtli-
che (und deshalb „objektive“) Gesamtbetrachtung sowohl subjektiver als auch
objektiver realer Gegebenheiten des Geschehens voraussetzt.
Es können sich auch Fallkonstellationen ergeben, bei denen der Handelnde
über Sonderwissen verfügt, dieses Wissen sich aber nur auf die Möglichkeit der
Tatbestandsverwirklichung bezieht. In diesem Fall ist eine rechtsgüterfeindliche
oder zumindest gleichgültige Einstellung des Täters zu fordern. Diese Art von
Fällen wäre dann wie der entsprechende Vorsatzfall zu behandeln; eine straf-
rechtliche Relevanz liegt also genauso vor.

II. Fahrlässigkeitsdelikt

Bei der sog. bewußten, aber auch bei der unbewußten Fahrlässigkeit kann
ebenfalls die Rede von Sonderwissen bzw. von subjektiver Sondererkennbarkeit
für den Handelnden sein. Die Begründung der strafrechtlichen Relevanz von
Fahrlässigkeitskonstellationen mit Sonderwissen bzw. Sondererkennbarkeit für
den Täter bedarf im Vergleich zum Vorsatzdelikt einer gesonderten Erörterung,
vor allem angesichts der unterschiedlichen Fallmöglichkeiten, bei denen dieses
Element auftauchen kann. Eine Tatherrschaft ist bei Vorliegen eines berechtig-
ten Vermeidewillens selbst bei vorhandenem Sonderwissen bzw. Sondererkenn-
262 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

barkeit in der Regel nicht anzunehmen, weil dieser bei dieser Art von (fahrläs-
sigen) Konstellationen nicht die Sicherheit der Tatbestandsverwirklichung lie-
fert, sondern ggf. nur (1) die Kenntnis über eine erhöhte Gefahr für das Rechts-
gut oder (2) die Möglichkeit, die Gefahr bei entsprechender Prüfung der Tat-
umstände, für die der Handelnde besonders befähigt ist, zu erkennen. Aus
Sonderwissen entstehen also nicht immer Sorgfaltspflichten, die eine Fahrlässig-
keitshaftung begründen können, sondern es müssen folgende Differenzierungen
vorgenommen werden: Bei der ersten Konstellation wird dann oft eine Fahrläs-
sigkeitshaftung anzunehmen sein, außer wenn das Interesse an der Handlungs-
freiheit aus irgendeinem Grund überwiegt; bei der zweiten müßte danach diffe-
renziert werden, ob für den Handelnden im konkreten Fall eine Kenntnisver-
schaffungs- oder Kenntnisanwendungspflicht besteht. Zur Erläuterung der zwei
Erscheinungsformen des Sonderwissens bzw. Sondererkennbarkeit beim Fahrläs-
sigkeitsdelikt und zur Begründung der strafrechtlichen Relevanz bzw. Nichtrele-
vanz des entsprechenden Verhaltens dienen die folgenden Beispiele:
(1) Das Sonderwissen des Autofahrers, der von der Gefährlichkeit einer Kreuzung
weiß, und trotzdem in die Kreuzung ohne die erforderliche Geschwindigkeitsverrin-
gerung einfährt,277 liefert nicht die Sicherheit über die Tatbestandsverwirklichung
(dann würde es sich sogar um ein Vorsatzdelikt handeln), sondern nur die Kenntnis
über die erhöhte Gefahr bei der Straßenkreuzung. Eine Unerlaubtheit der geschaffe-
nen Gefahr kann nicht alleine auf eine Tatherrschaft kraft Wissens begründet werden.
Der Autofahrer verdrängt hier die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung, und
seine Verdrängungsbereitschaft ist nicht als äußerst bedrohlich zu bewerten, weil es
sich beim Autofahren um eine an sich erlaubte Tätigkeit handelt und er überdies
selbst sein Leben exponiert. Damit handelt er mit einem „berechtigten“ Vermeide-
willen trotz Wissens um die erhöhte Gefahr. Zugleich besitzt er keine ausreichende
Tatherrschaft, die für sich allein die Unerlaubtheit der geschaffenen Gefahr begrün-
den könnte: Sein Sonderwissen bezieht sich nicht auf die Tatbestandsverwirklichung
selbst. Eine strafrechtliche Relevanz kommt hier also nicht in der Vorsatzform, son-
dern nur aufgrund der Schaffung einer unerlaubten Gefahr für ein Rechtsgut und
der sorgfaltswidrigen Tatbestandsverwirklichung in Frage. Zur Frage nach der Per-
spektive und dem Maßstab für die Gefahrbeurteilung ist auf infra, F über die Un-
rechtssystematik zu verweisen.
(2) Die Ausführungen über den vorstehenden Fall sind allerdings nicht anwendbar
auf den Fall des Fußballspielers, der aufgrund seiner Ausbildung bei entsprechender
Prüfung erkennen könnte, daß der Mitspieler Bluter ist. Der Täter besitzt hier auch
Sonderwissen. Dieses Wissen ist aber nicht aktualisiert wie beim Straßenkreuzungs-
fall, sondern der Fußballspieler hat hier seine Sondererkennbarkeit trotz Möglichkeit
nicht eingesetzt. Es besteht für ihn keine Kenntnisanwendungspflicht, und deshalb
ist sein Verhalten nicht strafrechtlich relevant.
Das Sonderwissen muß also auch bei Fahrlässigkeitsdelikten zu Lasten des
Täters gehen, wenn das Wissen über risikosteigernde Faktoren so aktualisiert

277 OLG Braunschweig VRS 13, 286.


E. Ergebnis: Relevanz 263

ist, daß eine Sorgfaltspflicht zur Vermeidung rechtsgutsverletzender Folgen ent-


steht. Beim Autofahrer, der weiß, daß Kinder jeden Tag zu einer bestimmten
Zeit aus einem Haus herausströmen, stellt sich nicht die Frage, ob er überhaupt
eine Prüfungspflicht hat, weil er bereits über ein Wissen über die Möglichkeit
der Tatbestandsverwirklichung verfügt. Natürlich muß es sich um einen Fall
handeln, bei dem die Handlungsfreiheit nicht den Schutz von Rechtsgütern
überwiegt.
Aus Sonderwissen entstehen allerdings nicht immer Sorgfaltspflichten, die
eine Fahrlässigkeitshaftung begründen können: Besitzt der Handelnde kein tat-
sächliches Wissen über risikosteigernde Faktoren, sondern könnte er dieses
Wissen nur – aufgrund des Sonderwissens – erwerben, besteht für ihn nicht
immer die Pflicht, sich dieses Wissen zu verschaffen. Wie bereits oben erläu-
tert, ist der Fußballspieler zur Prüfung der Blutereigenschaft des Mitspielers
nicht verpflichtet. Genauso sind ein Gastgeber oder ein Restaurantführer nicht
verpflichtet, sich über die körperlichen Beschwerden ihrer Gäste beim Verzehr
bestimmter Lebensmittel zu erkundigen, auch wenn sie dazu aufgrund speziel-
ler Kenntnisse in der Lage gewesen wären.
Ein spezielles Verständnis des Sonderwissens, und zwar nur auf die Kategorie
des nicht aktualisierten Sonderwissens beschränkt, wird übrigens von Schroeder
vertreten.278 Er spricht über Sonderwissen nur bei solchen Fahrlässigkeitskon-
stellationen, in denen die Sonderkenntnisse des Täters nicht aktualisiert sind
und den Täter nicht belasten sollten, weil ansonsten freiwillige Vorkehrungen
zur Erfolgsverhütung in bedenklicher Weise gelähmt wären. So würde z. B. der
freiwillige Besuch von Fortbildungskursen mit der Inpflichtnahme des erworbe-
nen Wissens bestraft. Seien die Sonderkenntnisse aktualisiert, handele es sich
um einen Vorsatzfall. Diese Ansicht wird hier unter dem Vorbehalt angenom-
men, daß es auch einen Fall von aktualisiertem Sonderwissen beim Fahrlässig-
keitsdelikt geben kann, wie der oben geschilderte Fall der (aktuellen) Kenntnis
über die erhöhte Gefahr bei einer bestimmten Straßenkreuzung zeigt. Bei diesen
Konstellationen wird das Sonderwissen meistens eine belastende Wirkung ha-
ben.
Handelt es sich also nicht um ein tatsächliches, sondern um ein „Könnte-
Wissen“ (Wissen-Können) im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte, sind Differen-
zierungen bei der Entscheidung über die strafrechtliche Relevanz vorzunehmen.
Dies zeigt die schwächere Wirkungskraft des Sonderwissens bzw. der Sonder-
erkennbarkeit beim Fahrlässigkeits- gegenüber dem Vorsatzdelikt, bei dem das
Wissen an sich ein Machtfaktor ist und immer die Tatherrschaft begründet. Fer-
ner ist auf die Ausführungen supra, § 5 C II 2 a) cc) (1) (a) über die Tatherr-

278 LK-Schroeder, § 16, Rdn. 148. Die Idee, daß die Berücksichtigung des Sonder-

wissens dessen Erwerb geradezu behindern würde, wurde von Schroeder bereits in
LK, 9. Aufl., § 59, Rdn. 166, dargelegt.
264 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

schaft bei sicherem Wissen mit Erwägungen auch über das Fahrlässigkeitsdelikt
und supra, § 6 D über die Kategorien zur Begründung der strafrechtlichen Rele-
vanz zu verweisen.

F. Die sekundäre Frage der Unrechtssystematik

Diese Erwägungen betreffen die materiellen Aspekte der strafrechtlichen Re-


levanz wissentlichen und unsorgfältigen Verhaltens; die Systematik sollte sich
konsequenterweise auf dieser Basis ergeben. Aus der materiellen Sicht zeigt
sich die Kompliziertheit der Begründung der strafrechtlichen Relevanz vor al-
lem bei der unbewußten Fahrlässigkeit. Für vorsätzliches und bewußt fahrlässi-
ges Verhalten könnte man nach dem hiesigen Konzept die Tätervorstellungen
ohne weiteres als den (wiederum objektiv) zu bewertenden Sachverhalt anneh-
men. Die Struktur der unbewußten Fahrlässigkeit mit den Kenntnisverschaf-
fungspflichten zeigt aber, daß die Gefahrbeurteilung die Berücksichtigung einer
Vielfalt von weiteren Aspekten erfordert.
Das Problem der Beurteilungsbasis bei der unbewußten Fahrlässigkeit liegt
vor allem darin, daß es zu berücksichtigendes Täterwissen gibt, wie z. B. (1)
solches, das zu weiterer Kenntnisverschaffung über die Situation und die Ge-
fahr verpflichtet, und (2) solches, das über dem normalen Maß liegt (Sonder-
wissen) und die Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens begründen könnte, aber dies
nicht unbedingt muß. Beide Arten von Täterwissen können nicht ohne Überprü-
fung der rechtlichen Erwartungen bei der strafrechtlichen Beurteilung zu Lasten
des Täters berücksichtigt werden, weil sie an sich alleine keine strafrechtliche
Relevanz haben können. Man wird von einer Interaktion zwischen Sachverhalt
und Rechtsnorm ausgehen müssen, die eine gegenseitige Anpassung erfordert.
Der Sachverhalt – mit äußerlichen und psychischen Aspekte – subsumiert sich
unter die Norm; diese muß aber nach den ganz speziellen Einzelheiten des
Sachverhaltes „gebildet“ werden. Damit verzichtet man nicht auf das Prinzip
der Allgemeinheit der Verhaltensnormen: Diese werden nicht für einzelne Norm-
adressaten nach ihren Eigenschaften und Fähigkeiten individualisiert, sondern
sie finden für alle Normadressaten gleiche Anwendung, solange es um gleiche
Sachverhalte (mit Berücksichtigung ihrer psychischen Aspekte) geht. Bei glei-
chem Tatwissen gilt also die gleiche Verhaltensnorm, unabhängig von den indi-
viduellen Fähigkeiten des Handelnden, den Normanforderungen nachzukom-
men.
Geht man wie in dieser Arbeit bei Fahrlässigkeitsdelikten einerseits von der
Allgemeinheit der Sorgfaltsnormen,279 andererseits von einer Objektivität des
Urteils über einen Sachverhalt und von einem zu bewertenden Sachverhalt aus,

279 Vgl. infra, § 6 B II 2 e).


F. Die sekundäre Frage der Unrechtssystematik 265

der sowohl äußere, als auch psychische Momente aufweist,280 ist es von Bedeu-
tung, daß der Rechtsanwender seinen Blick vom Sachverhalt (mit objektiven
und subjektiven realen Gegebenheiten) zur Verhaltensnorm (und umgekehrt)
„hin- und herwandern“ läßt, wie es die allgemeine Maxime der Rechtsanwen-
dung gebietet.281 Er wird sich dabei fragen müssen, ob das vorhandene Tatwis-
sen des Handelnden ihn zur Verschaffung weiterer Kenntnisse verpflichtet. Für
den Rechtsgüterschutz sind in der Regel bestimmte Standards bezüglich der
Kenntnisverschaffung und des Umgangs mit den Gütern vorausgesetzt, so daß
der Blick des Rechtsanwenders zwischen diesem Standard und den beim Han-
delnden bestehenden Tatkenntnissen schweifen muß, um festzustellen, ob die
Verschaffung weiterer Kenntnisse oder überhaupt ein sorgfältigerer Umgang mit
dem Gut von der Sorgfaltsnorm verlangt wird. Ferner wird sich der Rechts-
anwender mit der Frage beschäftigen müssen, ob ein etwaiges Wissen (bzw.
Sonderwissen) um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung beim Fahrläs-
sigkeitsdelikt seine Belastungsfunktion durch die Anwendung entlastender Zu-
rechnungskriterien (wie beispielsweise das erlaubte Risiko, Vertrauensprinzip,
Selbstgefährdung) verliert.
Vorhandenes Täterwissen (Sachverhalt) und rechtliche Erwartungen (Verhal-
tensnorm) sind also in eine interaktive Relation zu setzen, und dies wird allge-
mein für die Systematik der Vorsatz- und der Fahrlässigkeitsdelikte gelten müs-
sen. Bei der rechtlichen Beurteilung einer Tat sind nur solche Umstände heraus-
zufiltern, die eine rechtliche Relevanz haben, und das Wissen des Handelnden
ist eine Tatsache, die genauso wie die äußeren Tatsachen miteinzubeziehen ist.
Ob man bei der Fallprüfung mit dem Täterwissen oder mit den rechtlichen Er-
wartungen anfängt, ist dann eine Frage der Rechtsanwendung auf den konkreten
Fall und sollte nicht in den Vordergrund der Debatte über die Unrechtsstruktur
gerückt werden.
Im Rahmen der Interaktion zwischen Verhaltensnorm und Sachverhalt wäre
die herkömmliche Einteilung in den objektiven und den subjektiven Tatbestand
bei den Vorsatzdelikten und die einseitige Konzentration auf den objektiven
Tatbestand bei den Fahrlässigkeitsdelikten an sich eine große Hilfe beim Sub-
sumtionsprozeß. Allerdings zeigen diese systematischen Strukturen eine Unvoll-
ständigkeit gegenüber den materiellen Problemen, die bei bestimmten Fallkon-
stellationen auftauchen können, wie etwa bei der unbewußten Fahrlässigkeit
und bei vorhandenem Sonderwissen. Deshalb ist eine Gesamtbehandlung der
materiellen Unrechtsfragen in diesen Fällen gegenüber der Anwendung strikter
systematischer Gliederungen vorzuziehen.

280 Vgl. näheres supra, § 6 D.


281 Vgl. auch Frisch, a. a. O., S. 191 m. w. N.; vgl. allgemein auch Roxin, Gedächt-
nisschrift für Radbruch, S. 265, über die Entfaltung der normativen Maßstäbe am
Rechtsstoff, der nicht im Sinne einer wertfreien Faktizität, sondern als eine von Sinn-
bezügen durchformte Gegebenheit zu verstehen sei.
266 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

G. Einsatz von Sonderfähigkeiten


I. Die Debatte über die Sonderfähigkeiten

1. Problemdarstellung

Nicht nur die Tatherrschaft kraft Wissens über die Tatbestandsverwirklichung


kann die Gewährung üblicher strafrechtsfreier Handlungsräume beeinflussen.
Bestimmte Fähigkeiten können auch eine Tatherrschaft begründen und damit
die Tatbestandserfüllung bewirken. Es handelt sich dabei um die in der Debatte
über die Sorgfaltsmaßstäbe erörterte Frage nach der Berücksichtigung von Son-
derfähigkeiten bei der Bestimmung sorgfaltswidrigen Verhaltens. Ob diese indi-
viduellen Eigenschaften die allgemeinen Untergrenzen strafbaren Verhaltens im
konkreten Fall modifizieren können und wie die Diskussion darüber verläuft, ist
Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.

2. Für eine entlastende Wirkung des fehlenden Einsatzes


von Sonderfähigkeiten

Die h. M. berücksichtigt das Sonderwissen des Täters für die strafrechtliche


Relevanz eines Verhaltens, während die Sonderfähigkeiten für diese Auffassung
nicht in Betracht kommen, d. h. der Täter muß seine überdurchschnittliche Fä-
higkeiten nicht einsetzen, sondern braucht sich danach nur wie der Durchschnitt
zu verhalten.282 So muß beispielsweise der Chirurg, der eine schwierige Opera-
tion so durchführt, wie es dem Standard eines gewissenhaften und einsichtigen
Chirurgen entspricht, seine etwa überragenden persönlichen Fähigkeiten dabei
nicht ausschöpfen.283 Fahrlässigkeit wäre hier nach dieser Betrachtungsweise
aus verschiedenen Gründen zu verneinen:
a) Der Einsatz überdurchnittlicher Fähigkeiten sei wünschenswert und förde-
rungswürdig, aber er gehöre in den Bereich der Moral und könne nicht mit den
Mitteln des Strafrechts erzwungen werden.
b) Man wende mit dem gewissenhaften und einsichtigen Chirurgen bereits
eine Maßfigur mit einem sehr hohen Standard an, stelle also nicht nur auf ei-
nen gewissenhaften und einsichtigen (Allgemein-)Arzt ab. „Noch mehr verlan-
gen, hieße das zuträgliche Maß überspannen.“
c) Die Schwierigkeit des Beweises überdurchschnittlicher Fähigkeiten.284

282 Vgl. supra, Einleitung, Fn. 24.


283 Vgl. Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 66.
284 Vgl. Burgstaller, a. a. O., S. 66.
G. Einsatz von Sonderfähigkeiten 267

3. Für eine belastende Wirkung der Sonderfähigkeiten

Einige Autoren berücksichtigen aus der Sicht einer generalisierten Fahrlässig-


keitslehre sowohl das Sonderwissen als auch die Sonderfähigkeiten zu Lasten
des Täters bei der strafrechtlichen Beurteilung des Verhaltens. Als Hauptargu-
mente werden angeführt, a) daß man nicht denjenigen privilegieren sollte, der
aufgrund überdurchschnittlicher Fähigkeiten auch überdurchschnittliche Pflich-
ten zu tragen habe; b) daß von ihm nur erwartet werde, das zu tun, was er
könne;285 c) daß für Sonderfähigkeiten nichts anderes als für Sonderwissen gel-
ten sollte, und d) daß die Sonderfähigkeiten bei Begehungsdelikten genauso wie
z. B. bei einer Rettung seitens eines hervorragenden Schwimmers einzusetzen
seien.286 „Jede andere Auffassung würde ohne Not die Opferung eines Men-
schenlebens gestatten; das wäre mit den Grundlagen unserer Rechtsordnung un-
vereinbar.“287

4. Differenzierende Auffassungen

a) Differenzierung nach der Konkretheit des Verletzungsrisikos

Aus der Sicht der individualisierende Fahrlässigkeitslehre wird teilweise eine


konkrete Gefahr des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolges für die straf-
rechtliche Relevanz des mangelnden Einsatzes spezieller Fähigkeiten verlangt.
Dabei entbinde die Reglementierung einer Tätigkeit den Sorgfaltspflichtigen
nicht davon, daß er „alle seine Fähigkeiten zur Vermeidung eines solchen Erfol-
ges“ einsetze. Deshalb seien die Argumente abzulehnen, die auf die Bedürfnisse
der Standardisierung eingehen.288 So solle der erfahrene Rallyefahrer, der auch
ein schleuderndes Fahrzeug beherrschen kann, bei einem unerwartet auftauchen-
den Fußgänger ein ausweichendes Manöver vornehmen, selbst auf die Gefahr
hin, ins Schleudern zu geraten. Dabei könne er sich nicht darauf berufen, daß
ein Durchschnittsfahrer dieses komplizierte Manöver nicht unternehmen
könnte.289
Ebenfalls könne der Arzt, der als zufälliger Zeuge eines Verkehrsunfalles ei-
nen Verletzten unsachgemäß lagert und dadurch seinen Tod herbeiführt, nicht
geltend machen, daß ein Laie die gleiche Rettungshandlung unternommen

285 Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 140 f.


286 Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, a. a. O.; Roxin, Strafrecht AT I,
§ 24, Rdn. 54 f.
287 Roxin, a. a. O.; vgl. ferner zu einer belastenden Wirkung der Sonderfähigkeiten

die Nachweise supra, Einleitung, Fn. 25.


288 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 301; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 130,

Fn. 44.
289 Stratenwerth, a. a. O.
268 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

hätte.290 Aus den gleichen Gründen dürfe der hervorragende Schwimmer bei
Rettung einer Frau nicht nur durchschnittliche Schwimmkünste aufbieten. Des-
gleichen solle der besonders befähigte Chirurg bei einer riskanten Operation
nicht nur diejenigen Techniken anzuwenden verpflichtet sein, die den Mindest-
standard für jeden bilden.291 So wäre es „unerträglich, wenn man demjenigen,
der aus Gleichgültigkeit gegenüber fremden Rechtsgütern, gemessen an seinen
Fähigkeiten, unsorgfältig handelt, die Begrenzung zugute halten würde, der sol-
che Fähigkeiten bei anderen, aber eben nicht bei ihm, normalerweise unterlie-
gen.“292
Diese Auffassung kommt mit der individualisierenden Lehre in den drei fol-
genden Fällen zur gleichen Lösung wie die generalisierende Lehre: Bei normal
befähigten Autofahrern werden Höchstleistungen in der Regel nicht verlangt.
Dies werde auch nicht von dem besonders Befähigten gefordert, „der das ver-
bleibende Risiko mit geringerer Anstrengung zu meistern vermag.“ Dagegen
werde von dem Anfänger in bestimmten Situationen verlangt, daß er „all seine
Kräfte“ zusammennimmt, obwohl es nur um die üblichen Schwierigkeiten
gehe.293
Diese Ansicht kann man wie folgt zusammenfassen: Generelle Sorgfaltsan-
forderungen könne es nur bei standardisierten Tätigkeiten geben. Gehe es aber
um die Abwendung konkreter Gefahren oder überhaupt um nicht standardisier-
tes Verhalten, könnten immer nur die individuellen Fähigkeiten maßgebend
sein.294

b) Differenzierung nach Zuständigkeiten

In der funktionalen Lehre von Jakobs ist die Frage nach der Berücksichti-
gung der Sonderfähigkeiten eine Frage der Zuständigkeit des Täters für den
schadensträchtigen Umstand. Beispielsweise müsse ein Forscher seine Sonder-
fähigkeiten für die Risiken im Rahmen seiner Tätigkeit einsetzen, während ein
Student des Bauwesens nicht dazu verpflichtet sei, wenn er in den Semester-
ferien als Handlanger auf einer Baustelle arbeite. Falls der Student vorsätzlich
in Kenntnis des Risikos gehandelt hat, könne er wiederum nur wegen unterlas-
sener Hilfeleistung (§ 323c StGB) verantwortlich gemacht werden.295 Deshalb
ist für Jakobs die Frage nach der Berücksichtigung der Sonderfähigkeiten ein

290 Stratenwerth, a. a. O.
291 Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 15, Rdn. 14.
292 Stratenwerth, Festschrift für Jescheck, S. 301.
293 Stratenwerth, a. a. O., S. 300.
294 Stratenwerth, a. a. O., S. 301 f.
295 Jakobs, Strafrecht AT, 9/11, 7/50; ders., Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,

S. 271 ff., 273; 283 f.


G. Einsatz von Sonderfähigkeiten 269

normatives Problem, genauer: ein Problem des erlaubten Risikos.296 Während


der objektive Maßstab des Fahrlässigkeitsdelikts für die generalisierende Lehre
in der „objektiven Voraussehbarkeit“ besteht, wird er für Jakobs durch das „er-
laubte Risiko“ gebildet.297
Auf dieser Basis begründet Jakobs die Regeln zum Einsatz von Sonderfähig-
keiten auf der Grundlage einer Rollenbegrenzung, die auch Ausnahmen kennt.
Wegen Organisationszuständigkeit bei Begehungsdelikten müsse der Täter seine
Sonderfähigkeiten nicht einsetzen, soweit der Täter gegenüber dem Opfer kein
Sonderrisiko beansprucht.298 Im Bereich der Unterlassungsdelikte solle nicht
verlangt werden, daß der Täter seine Sonderfähigkeiten einsetzt. Besondere
Fälle bilden:
(1) Die Personen, die nur auf einen Standard verpflichtet sind, müßten ein
außerordentlich verfügbares Rettungspotential nur im Rahmen des rechtfertigen-
den Notstandes (§ 34 StGB), nicht aber der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c
StGB) einsetzen (z. B. Privatfahrzeuge durch den Helfer bei einer organisierten
Unfallhilfe).299
(2) Bei den Garantenstellungen kraft Organisationszuständigkeit hafte der Ga-
rant auf Rücknahme des Risikos. „Sein Maß an Einsatz kann an sich notfalls
bis zur Aufopferung gehen, und Sonderfähigkeiten sind voll zu aktivieren.“300
Ein fehlender Einsatz von Sonderfähigkeiten könne bei ihm aber in bestimmten
Fällen gerechtfertigt sein.301 Sei der Täter Garant für die Beherrschung eines
Sonderrisikos oder aus institutionellen Gründen, wäre die Rolle des Täters zu
erweitern: Er müsse alles tun, was erforderlich sei, um den Schaden zu vermei-
den. Um ein Sonderrisiko handele es sich in den Fällen, in denen das „Opfer
berechtigt wäre, die Schadensabwendung, würde sie nicht vom Täter besorgt,
nach den Regeln der Notwehr oder des defensiven Notstands auf dessen Kosten
vorzunehmen.“302

c) Differenzierung nach dem Bewußtsein oder


Unbewußtsein des Nichteinsatzes

Mir Puig differenziert danach, ob der Nichteinsatz von Sonderfähigkeiten be-


wußt oder unbewußt stattfindet. Nur im ersten Fall handele man sorgfaltswidrig,

296 Jakobs, Strafrecht AT, 9/11.


297 A. a. O., 9/13.
298 Jakobs, Strafrecht AT, 7/50; ders., Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,

S. 283 ff., 286; vgl. ferner ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 96 ff.
299 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 29/14.
300 A. a. O., 15/12.
301 Näher a. a. O., 15/12.
302 Jakobs, Strafrecht AT, 7/49 f.; ders., Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann,

286 f.
270 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

weil der Täter seine Sonderfähigkeiten einsetzen könnte, aber dies nicht wolle.
Demgegenüber handele nicht sorgfaltswidrig der Täter, der in der Regel Sonder-
fähigkeiten besitze, im konkreten Moment es aber unabsichtlich nicht schaffe,
sie einzusetzen.303

d) Differenzierung nach gesellschaftlich in Kauf genommenen Risiken


bzw. nach Kreierung neuer Sorgfaltsmaßstäbe durch Sonderfähigkeiten

Prinzipiell geht Schünemann von der Idee der Sorgfaltsmaßstäbe für die All-
gemeinheit aus: Zwar dürften die meisten Menschen in der Lage sein, mehr als
die verkehrserforderliche Sorgfalt aufzuwenden; die Rechtsordnung fordere aber
keine äußerste, sondern nur die unter besonnenen Menschen erforderliche Sorg-
falt als Ergebnis einer Interessenabwägung, wonach gewisse maßvolle Risiken
im Interesse der Zivilisation und des „Fortschritts“ in Kauf genommen werden.
Eine Ausnahme würden die Sonderfähigkeiten bilden, die eine technische „In-
novation“ zur Folge hätten.304 Schünemann differenziert also bei der Berück-
sichtigung der Sonderbegabung zwischen zwei verschiedenen Fallkonstellatio-
nen:
(1) Sonderfähigkeiten, die keinen neuen Sorgfaltsmaßstab kreieren, weshalb
ihre Nicht-Einsetzung noch im Bereich des sozialverträglichen Risikos bleibt:
Nutzt das besonders fähige Subjekt seine Sonderbegabung bei einem von der
Gesellschaft in Kauf genommenen Risiko nicht aus, akzeptiert Schünemann die-
ses Verhalten als sorgfältig. Als Beispiel für ein von der Gesellschaft in Kauf
genommenes Risiko bietet er eine fiktive richterliche Konkretisierung des
Rechtsfahrgebots in einem Höchstabstand von 50 cm vom rechten Straßenrand
an: Halte der besonders fähige Fahrer einen Abstand von 50 cm und nicht von
für ihn auch möglichen 30 cm ein, handele er dennoch sorgfältig.305
(2) Sonderfähigkeiten, die einen neuen Sorgfaltsmaßstab kreieren
Anhand des Beispiels eines Chirurgen mit Sonderbegabung zeigt Schüne-
mann, wie die Entwicklung einer neuen Technik oder Methode in einem Fach-
bereich wie dem der Medizin eine Änderung der objektiven Sorgfaltsregeln her-
vorbringen könnte, an denen sich alle in diesem Bereich Tätigen anpassen
müssten. Würden die Ärzte die neu entwickelte Methode nicht beherrschen, wä-
ren sie aufgrund der fehlenden individuellen Vermeidbarkeit bei der Ausführung
der Handlung entschuldigt. Jedoch seien sie wegen der Übernahme der Tätig-
keit verantwortlich, außer wenn Rechtfertigungsgründe wie Notstand oder Ein-
willigung greifen.306

303 Mir Puig, Derecho Penal, PG, Barcelona, § 11, Rdn. 42 bis 47.
304 Schünemann, JA 1975, 514 f.
305 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 166.
G. Einsatz von Sonderfähigkeiten 271

Daß der Täter das Risiko in beiden Konstellationen, also im Fall des Auto-
fahrers und des Chirurgen, zu verringern vermag, wird von Schünemann bejaht.
Die von ihm vorgenommene Differenzierung beruht vielmehr auf kriminalpoliti-
schen Gründen: Es würde ansonsten keine allgemeine Straßenverkehrsordnung
existieren, sondern eine unübersehbare Vielzahl individueller Verkehrsregeln,
und dies würde den Vertrauensgrundsatz stark beeinträchtigen und zudem große
Schwierigkeiten beim forensischen Nachweis der Sonderfähigkeiten liefern.
Deshalb würden keine neuen Sorgfaltsregeln bei Sonderfähigkeiten im Straßen-
verkehr entstehen.307

II. Entstehung von Sorgfaltsregeln für die Allgemeinheit


aus den Sonderfähigkeiten des einzelnen

Die Sonderfähigkeiten sind oft eine Konsequenz der ständigen wissenschaft-


lichen, technischen bzw. spezialisierten Entwicklung unserer Gesellschaft. Die
heutigen Techniken und Methoden zeigen eine Perfektionierung im Vergleich zu
früheren Zeiten, und sie werden sich gewiß auch künftig weiterentwickeln. Die
bereits gesetzten Sorgfaltsmaßstäbe können also durch die Durchsetzung besse-
rer Erkenntnisse im Umgang mit Gütern eine Veränderung erfahren.308 Aller-
dings ist der entscheidende Aspekt für die Bestimmung der Sorgfaltsmaßstäbe
die interessenbedingte Abwägung bezüglich der Untergrenzen des nicht tolera-
blen Risikos.
Verlagert sich die Gewichtung bei der Interessenabwägung zu einem strenge-
ren Sorgfaltsmaßstab bezüglich des überdurchschnittlich Begabten hin, gehen
also die strengeren Anforderungen zu seinen Lasten. Fraglich ist, unter welchen
Gesichtspunkten seine bessere Technik (oder sogar ein allgemeines Wissen,
nicht über die Tatumstände, sondern über neue Techniken an sich) als Maßstab
bei der Bestimmung der Sorgfaltspflicht für die Allgemeinheit maßgeblich wird.
Beim Straßenverkehr ist der Katalog der Sorgfaltsregeln in einer überschau-
baren Weise vom Gesetzgeber formuliert, und er gilt prinzipiell für die Allge-
meinheit der Fahrzeugführer. Besitzen einige, z. B. Rallye- oder Formel 1-Fah-
rer, Sonderfähigkeiten zur Vermeidung unerwünschter Straßenverkehrsunfälle,
ist es erstens fraglich, ob sie im konkreten Fall ihre Sonderfähigkeiten einsetzen

306 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 166 f.; ders., JA 1975, 515.
307 Schünemann, Festschrift für Schaffstein, S. 166 f.; ders., JA 1975, 514 f. Kri-
tisch Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 15, Rdn. 140.
308 In diesem Abschnitt wird nur auf durch die Entwicklung perfektionierbare Tech-

niken und Methoden Bezug genommen und nicht auf außerordentliche Fälle von Son-
derbegabung, die nur bei einem bestimmten Subjekt gegeben sein kann. Beispiel dafür
wäre ein Fall eines Sportlers, der einen Rekord in einer Olympiade erreicht. Mit solch
außerordentlichen Fällen von Sonderbegabung kann man zweifellos keine Änderung
irgendeines Sorgfaltsmaßstabes für die Allgemeinheit begründen.
272 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

müssen (zum Problem siehe infra, III), und zweitens, ob die Sonderbegabung
neue Sorgfaltsanforderungen für die Allgemeinheit schafft. Die zweite Frage ist
richtigerweise zu verneinen, da die Übertragung einer Sonderbegabung auf den
Rest der Verkehrsteilnehmer, vor allem auf solche, die den Führerschein bereits
erworben haben, unrealistisch wäre.
Dagegen entfalten sich die Sorgfaltsmaßstäbe im medizinischen Bereich auf
eine ganz andere Weise. Der Regelkatalog ist nicht so konkret umrissen wie der
des Straßenverkehrs, und neue Entwicklungen ändern in der Regel die alten
Methoden. Was von Ärzte erwartet werden kann, ist allerdings einerseits davon
abhängig, mit welcher Schwierigkeit die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse
an andere Ärzte weitergegeben werden können. Es geht also darum, wie die
Regeln der Anerkennung der jeweiligen Sorgfaltsmaßstäbe ausgestaltet sind,
was für jedes Fach oder Kunst in jedem Land anders sein kann. Diese wären
Regeln, nach denen eine Sorgfaltsanforderung anerkannt wird oder eine neue
die alte ersetzt. Ein wesentlicher Maßstab für die Bestimmung solcher Regeln
bildet die wissenschaftliche Methode. Andererseits wird die Bestimmung der
Sorgfaltsmaßstäbe vom Standardisierungsgrad des entsprechenden Bereiches be-
einflußt. Die Standardisierung tritt nun deutlicher im Straßenverkehr zu Tage als
im Bereich der Medizin. Zugleich sind die heutigen Standards im Bereich der
Medizin gewiß bestimmter als in früheren Zeiten oder in anderen Gesellschaf-
ten, in denen die Übertragung der Regeln der Medizin schwieriger war oder ist.
Ein Verlust der heute erreichten Standardisierung kann allerdings nicht ausge-
schlossen werden, z. B. wenn die Spezialisierung fast einen rein individuumsbe-
zogenen Grad erreichen sollte oder wenn neue, z. B. im Rahmen des Universi-
tätsstudiums gesetzte Standards eine äußerst schnelle Entwicklung durchmachen
sollten und eine Verfolgung der neuen Regeln nicht praktikabel und damit nicht
zumutbar wäre.

III. Sonderfähigkeiten des einzelnen

Es geht nun um die Sorgfaltsanforderungen für den einzelnen überdurch-


schnittlich Begabten. Natürlich wird der Nachweis etwaigen Sonderkönnens in
vielen Fällen nicht zu liefern sein.309 Dadurch kann die Frage nach der bela-
stenden oder entlastenden Wirkung von Sonderfähigkeiten in der Praxis selten
vorkommen. Trotzdem ist nicht auszuschließen, daß ein vom Handelnden regel-
mäßiger oder gar zufälliger früherer Einsatz eines Sonderkönnens in bestimmten
Konstellationen zu seinen Lasten nachzuweisen ist, wie z. B. eine von einem

309 Vgl. zur Problematik des Nachweises persönlichen Erkenntnis- und Urteilsver-

mögens des Täters supra, § 6 B II 2 d) und vor allem Volk, GA 1973, 167 ff.; Jakobs,
Teheran-Beiheft zur ZStW 86 (1974), 22 f.; Herzberg, Die Verantwortung für Arbeits-
schutz, S. 170; Neumann, Zurechnung und „Vorverschulden“, S. 194 f.
G. Einsatz von Sonderfähigkeiten 273

Arzt regelmäßig verwendete Operationsmethode, die im erforderlichen Fall


nicht eingesetzt wird. Dabei wird der frühere Einsatz spezieller Fähigkeiten
nicht unbedingt die aktuelle Möglichkeit der Vermeidung nachweisen können.
Zeigt z. B. der Autofahrer Fahrkünste in einem Fernsehprogramm kurz vor dem
von ihm verursachten Straßenverkehrsunfall, deren Einsatz den Verkehrsunfall
vermieden hätte, kann ihm im konkreten Fall die fehlende Reaktion schwer
zum Vorwurf gemacht werden, weil Sonderkönnen im Straßenverkehr eng mit
dem situativen Reaktionsvermögen verbunden ist. Im Rahmen dieser Erwägun-
gen bleibt also ein Restbereich möglicher nachweisbarer Fälle übrig, so daß die
strafprozessualen Bedenken nicht die Behandlung der materiellen Frage beiseite
schieben dürfen.
Was also die materielle Frage betrifft, dienen die Bereiche Straßenverkehr
und Medizin wiederum dazu, eine Differenzierung auch hier vorzunehmen.
Kann der Autofahrer im oben geschilderten Fall den Abstand von 30 cm zum
Bordstein dauernd einhalten, gelten für ihn trotzdem keine gesonderten Sorg-
faltsregeln, da der Straßenverkehr sein hohes Risikopotential gerade durch die
Einheitlichkeit der für die Verkehrsteilnehmer aufgestellten Regelungen und das
Funktionieren des Vertrauensprinzips reduzieren kann. Das ist nicht der Fall im
Bereich der Medizin, in dem das Verletzungsrisiko gewiß durch ein besseres
Können der Ärzte reduziert wird und unterschiedliche Sorgfaltsanforderungen
für verschiedene Ärzte nicht gegen die Art der Tätigkeit ausgespielt werden
können.
Bei den Sonderfähigkeiten im Straßenverkehr sind allerdings einige Differen-
zierungen vorzunehmen. Dient die Sonderbegabung dazu, Risiken in einigen
Situationen zu erkennen, und ist das Verletzungsrisiko dadurch (oder auch zu-
fällig) bereits erkannt, kann das Subjekt zum Einsatz etwaiger Sonderfähigkei-
ten verpflichtet werden, die zur Vermeidung des Verletzungserfolges dienen, so-
lange deren Einsatz zumutbar ist. Bei bestehendem, durch Sonderfähigkeiten
oder zufällig erlangtem Wissen über eine erhöhte Gefahr sind also Vermei-
dungskräfte einzusetzen, und dies funktioniert genauso wie bei vorhandenem
sogenannten Sonderwissen, siehe dazu supra, § 6 E. Hat man die Fähigkeit, zu-
fällige Entdeckungen zu machen, kann man nicht behaupten, daß dies ein nor-
maler Mensch nicht entdeckt hätte. Deshalb kann der Kunstfahrer zur Einhal-
tung des Abstandes von 30 cm zum Bordstein verpflichtet werden, wenn eine
konkrete Verletzungsgefahr vorliegt und er dies erkannt hat. Dieses Wissen und
zusätzlich die Sonderfähigkeit begründet eine Tatherrschaft, die für den Rechts-
güterschutz strafrechtlich relevant wird. Der in der Interessenabwägung berück-
sichtigte Nutzen des Straßenverkehrs und das Erlaubtsein dieser an sich sehr
riskanten Aktivität bei Einhaltung der allgemeinen Sorgfaltsanforderungen setzt
voraus, daß der Verkehrsteilnehmer nicht wissend um die Sozialschädlichkeit
seines Verhaltens handelt und den Schaden trotz Können nicht vermeidet.
Nimmt er am riskanten, aber erlaubten Straßenverkehr teil, muß er alle seine
274 § 6 Sonderwissen und Sonderfähigkeiten des Täters

Vermeidungskräfte bei einer konkreten Gefahr einsetzen, genauso wie derjenige,


der mit Waffen hantiert.
Dabei stellt aber die Zumutbarkeit des Einsatzes von Vermeidungskräfte eine
Grenze dar: Ist beispielsweise der Formel 1-Fahrer im Urlaub und weisen die
Straßenbedingungen auf keine Sondergefahr hin, ist eine schnelle und außeror-
dentliche Anspannung seiner überdurchschnittlichen Konzentrationskräfte nicht
ohne weiteres zuzumuten, sei es um eine Gefahr zu erkennen oder diese zu ver-
meiden. In einer solchen Lage darf er sich gleichsam zurücklehnen und mit der
Aufmerksamkeit eines Durchschnittsbürger handeln, außer die Situation erfor-
dert eine (spezielle) automatisierte Reaktion, die er ohne weiteres einsetzen
kann, um einen Unfall zu vermeiden. Handelt es sich demgegenüber in einem
auf dem anderen Extrem beruhenden Fall um eine Konstellation, bei der der
Fahrer eine erhöhte Gefährdung für Rechtsgüter aufgrund seiner Sonderbega-
bung schafft, z. B. probiert er die Höchstgeschwindigkeit eines Fahrzeugs auf
einer Autobahn aus, sind aufgrund der Tatherrschaft all seine Sonderfähigkeiten
einzusetzen, sowohl um Risiken zu erkennen, als auch bei ihrem Vorliegen ent-
sprechend zu handeln. Ferner wären Sonderfähigkeiten auch in einigen Fällen
einzusetzen, ohne daß man die Gefahr aufgrund der Sonderbegabung wie im
letzten Fall des Autofahrers selbst erhöht hat: Beispielsweise muß der 100 m-
Läufer seine Sonderbegabung zur Rettung einsetzen, wenn z. B. ein Kind in ei-
nem etwas entfernten See zu ertrinken droht.
In den gegensätzlichen Fällen des urlaubsentspannten Rennfahrers und der
Autobahn existieren sozusagen unterschiedliche „Alarmstufen“, welche wie-
derum verschiedene Grade von Aufmerksamkeit fordern. Dabei ist zu berück-
sichtigen, ob die Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit aufgrund des positiven
Wissens um Gefahrindikatoren bereits hergestellt wurde. Dies gilt auch für die
Sorgfaltsregeln allgemein, ohne daß die Sonderfähigkeiten eine Rolle spielen:
Geht das Kindermädchen mit dem Kind auf einem Platz spazieren, gilt eine
niedrige Alarmstufe, solange keine gefahrerhöhenden Umstände zu erkennen
sind. Geht sie aber mit dem Kind am Ufer einer Flusses, muß sie dichter beim
Kind bleiben oder es an der Hand halten.
Aufgrund des Umstandes, daß die Fallkonstellationen bei Sonderfähigkeiten
unterschiedliche „Alarmstufen“ aufweisen und deshalb eine unterschiedliche
Anspannung der Konzentrationskräfte erfordern, sind feste Regeln in diesem
Bereich kaum zu formulieren. Deutlich wird die prinzipielle Allgemeinheit und
Konstanz der Straßenverkehrsnormen gegenüber den durch neue Entdeckungen
bedingten Veränderungen und der Fähigkeiten einzelner Fachleute in wissen-
schaftlichen Bereichen wie dem der Medizin. Die Allgemeinheit der Straßen-
verkehrsregeln wird wiederum durch die Erkennung einer konkreten Gefahr
durchbrochen (so bestimmt das auch die StVO, vgl. § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2, § 3
Abs. 1); dabei müssen aber Sonderfähigkeiten nicht immer eingesetzt werden,
G. Einsatz von Sonderfähigkeiten 275

sondern es sind wie auch im Bereich der Medizin mehrere Faktoren zu berück-
sichtigen. Diese Faktoren greifen wie in der Kybernetik ineinander: Die er-
kannte Gefahr wirkt auf das Verhalten; der Handelnde muß sich auf die Ver-
meidung des unerwünschten Erfolges mit einer negativen Rückmeldung einstel-
len. Die Parallele zur Kybernetik wurde bereits bei den Untersuchungen über
allgemeines fahrlässiges Verhalten gezogen: Die Straßenbedingungen ver-
schlechtern sich, der Fahrer wird unsicher und fährt dann langsamer und vor-
sichtiger; wenn sich die Verkehrssituation wieder verbessert, fährt er wieder
schneller. Die Verhaltensnorm besteht hier also nicht aus einfachen Verboten
oder Geboten, sondern es ergibt sich ein Kreisprozeß.
§ 7 Resumée

A. Problemdarstellung

Sonderwissen und Sonderfähigkeiten eines Straftäters tauchen als Zusatz-


elemente im Unrechtsbereich vor allem mit der Annahme der h. M. eines ge-
nerell-objektiven Sorgfaltsmaßstabs für die Fahrlässigkeitsdelikte auf, der prin-
zipiell für alle Normadressaten gleichermaßen anzuwenden sein soll. Eine
Definition dieser beiden Kategorien ist nur möglich, wenn man generelle
Maßstäbe bei der Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens setzt, so
daß sich dann das Sonderwissen als erhöhte Informationsbasis und die Son-
derfähigkeiten als besondere Begabungen erweisen. Die Fahrlässigkeit ist für
die h. M. im Tatbestandsbereich allein nach einem generellen Maßstab, prinzi-
piell ohne Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse des
Täters zur Normbefolgung, zu bestimmen. Die h. M. prüft in den Fällen, in
denen der Täter über spezielle Kenntnisse oder Fähigkeiten bezüglich der Tat-
umstände verfügt, ob eine Ausnahme von den entsprechenden allgemeinen
Sorgfaltsregeln in Betracht kommt. Fraglich ist dann, ob eine Sorgfaltspflicht-
verletzung bei bestehendem Sonderwissen oder Sonderfähigkeiten trotz Einhal-
tung der generellen Sorgfaltsregeln ausnahmsweise anzunehmen ist (vgl. Ein-
leitung).
Inzwischen wird der Begriff der Sorgfaltswidrigkeit der h. M. im Rahmen der
Lehre von der objektiven Zurechnung präzisiert, ergänzt und zugleich näher be-
grenzt, so daß er von der dogmatischen Kategorie der Schaffung einer unerlaub-
ten Gefahr quasi überwunden oder „überdeckt“ wird.
Durch die Übertragung der Untergrenzen strafbaren Verhaltens bzw. der Zu-
rechnungskriterien vom Fahrlässigkeits- zum Vorsatzdelikt ist nun die Problema-
tik der Sonderkenntnisse auch beim Vorsatzdelikt entstanden. Nach den Grund-
sätzen der Lehre von der objektiven Zurechnung kann sich der Schutz von
Rechtsgütern nicht auf alle Handlungsspielräume erstrecken, in denen ein ris-
kantes Verhalten ausgeübt wird, und ihre Kriterien gelten gleichermaßen für
Fahrlässigkeits- wie für Vorsatzdelikte. Durch die Setzung gleicher Untergren-
zen strafbaren Verhaltens beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt werden beide
Deliktsarten gleichgestellt, dies sogar mit einer undifferenzierten belastenden
Wirkung des Sonderwissens (vgl. Einleitung; § 3 C I; § 6 B I 1; zur Darstel-
lung und Kritik der Gleichstellung der Zurechnungskriterien beim Vorsatz- und
Fahrlässigkeitsdelikt vgl. § 3).
B. Zusammenfassende Thesen 277

Eine Inbezugnahme von Sonderkenntnissen als Zusatzelement im Tatbestand


war demgegenüber zu Zeiten des Finalismus als h. M. nicht notwendig, weil er
objektive Untergrenzen der Tatbestandsmäßigkeit in der Hauptsache beim Fahr-
lässigkeitsdelikt setzte, während die Abgrenzung der strafrechtlichen Relevanz
beim Vorsatzdelikt prinzipiell mit der Verneinung des Vorsatzes vorgenommen
wurde (§ 2). Daher waren beide Deliktsarten nach der Finallehre grundsätzlich
unterschiedlich – auch wenn eine Meinung eine normative Säule in einer Früh-
phase von Welzel hervorheben möchte, was hier allerdings bestritten wird (§ 2
B und C).
Die Wirkung des Sonderwissens ist nach der verbreiteten Auffassung, die nur
punktuelle Ausnahmen kennt, bei Vorsatz- wie bei Fahrlässigkeitsdelikten für
den Täter gleichermaßen belastend. Die Zurechnungskriterien werden nach der
h. L. beim Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt also immer gleichgestellt, und dies
gilt auch für den Fall, daß der Täter über Sonderwissen verfügt. Sonderwissen
belastet also nach einhelliger Meinung bei beiden Deliktsformen bei einem Tä-
tigwerden im Rahmen des sonst erlaubten Risikos (§ 6 B I 1, vgl. zum Mei-
nungsstand auch § 6 B). Im Gegensatz zu der belastenden Wirkung des Sonder-
wissens beurteilt aber die h. L. eine absichtliche, auf einen Verletzungserfolg
gerichtete Handlung des Täters, solange sie im Rahmen des erlaubten Risikos
begangen wird, als eine Betätigung im strafrechtlich freien Raum und damit als
nicht strafbar. Im Endeffekt haben damit die Ausführungen der h. L. über das
Institut des erlaubten Risikos beim Vorsatzdelikt überhaupt nur Relevanz bei
solchen absichtlichen Konstellationen. Demgegenüber ist nach der h. L. bei vor-
handenem Sonderwissen keine Rede vom erlaubten Risiko, weil hiernach das
Sonderwissen das Risiko sowieso in ein unerlaubtes verwandeln soll (§ 6 B I 1).
Gegenüber dem Sonderwissen kommt nach der h. M. den Sonderfähigkeiten
keine belastende Funktion zu. Dabei haben aber die Gegenmeinungen, die also
den Sonderfähigkeiten eine belastende Wirkung für den Handelnden zuschrei-
ben oder einige Differenzierungen vornehmen, ein starkes Gewicht (Einleitung;
§ 6 G).

B. Zusammenfassende Thesen
I. Sonderwissen als materielles, nicht nur
systematisches Problem

Wenn man eine Niedrigerstufung der Untergrenzen verbotenen Verhaltens bei


vorhandenem Sonderwissen annimmt und damit die objektiven Untergrenzen
von subjektiven Gegebenheiten abhängig macht, handelt es sich nicht primär
um eine systematische Frage, sondern um die materielle, fundamentale Frage
nach der Festlegung der Kriterien für die Bestimmung des strafbaren Verhaltens
(§ 6 C).
278 § 7 Resumée

Wahrscheinlich ist die sogenannte „Verwirrung zwischen dem Objektiven und


dem Subjektiven“, die dem Schrifttum vor allem aufgrund der Einführung des
Sonderwissens in den objektiven Tatbestand Sorgen bereitet, darauf zurückzu-
führen, daß man an den Kategorien des objektiven und subjektiven Tatbestandes
und den individuellen oder generellen Verhaltensnormen als einzige und strikt
voneinander getrennte Aspekte festhält, ohne ein übergreifendes Zurechnungs-
konzept zu entwickeln, das die rechtliche Erforderlichkeit bzw. Geeignetheit der
Berücksichtigung objektiver und subjektiver Elemente bei der Prüfung der Tat-
bestandsmäßigkeit eines Verhaltens begründet oder gar näher festlegt, welche
objektiven und subjektiven Elemente konkret relevant werden bzw. was man da-
bei als objektiv und subjektiv bezeichnet. Der materielle Grund für die Tatbe-
standsmäßigkeit eines Verhaltens kann nicht zirkulär in der Erfüllung des objek-
tiven und subjektiven Tatbestandes gefunden werden, sondern in weiteren, aus
den Grundprinzipien des Strafrechts abgeleiteten Kategorien, die zusammen mit
einer psychischen Beziehung des Handelnden zu seiner Tat und einer Betäti-
gung in der Außenwelt die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens näher begrün-
den (§ 6 D).
Für die Zubilligung von Relevanz des Täterwissens im Strafrecht ist nach
dem hiesigen Konzept ein Komplex von strafrechtsspezifischen, teleologischen
und wertorientierten Aspekten heranzuziehen. Entgegen den Grundsätzen des
Finalismus und des hier sogenannten Spätfinalismus liefert das bloße Bestehen
von Wissen über die Rechtsgutsverletzung als solches keine Grundlage zur An-
nahme strafrechtlicher Relevanz, auch wenn dieses tatsächliche Bestehen eine
unabdingbare Voraussetzung dafür bilden sollte.

II. Rechtsgüterschutz und strafrechtsfreier Raum

Der Rahmen zur Ermittlung der Relevanz des Täterwissens muß richtiger-
weise von der Idee des Rechtsgüterschutzes als Aufgabe des Strafrechts, des
ultima-ratio-Prinzips und der generalpräventiven Wirkung der Strafrechtsnor-
men gesteckt werden (§ 4 A). Das Interesse am Schutz von Rechtsgütern kann
durch das Strafrecht nicht ohne Einschränkungen gewahrt werden, d. h. es be-
stehen strafrechtsfreie Räume, deren Bestimmung eine schwierige Aufgabe je-
der Zurechnungslehre darstellt. Für die Festlegung des strafrechtlich relevanten
Verhaltens kommt man also ohne eine allgemeingültige, nicht nur auf den kon-
kreten Fall anwendbare Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse am
Rechtsgüterschutz und dem Interesse an der Gewährung von Handlungsfreiheit
nicht aus. Dabei spielen eine wichtige Rolle die Aspekte der sozialen Nützlich-
keit, Erwünschtheit oder Notwendigkeit des in Frage kommenden Verhaltens,
d. h. hauptsächlich der Kosten dessen Nichtvornahme. Zu deren Konkretisierung
dienen weitere Kriterien, wie der Wert des bedrohten Rechtsgutes, die Größe
der Gefahr, die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers bzw. der Grad der Frei-
B. Zusammenfassende Thesen 279

willigkeit des eingegangenen Risikos, die Tatsache, daß der Täter das Risiko
selbst eingeht, die Risikogewöhnung der Gesellschaft bezüglich bestimmter
Handlungen, die Unbekanntheit des Risikos, die gesellschaftliche Wahrnehmung
bereits vorhandener oder neuer Risiken, die Herrschaft des Täters über das Op-
fer, der Zeitpunkt des Eintritts der Folgen, die Verfügbarkeit von Sicherheitsvor-
kehrungen, der Grad der Beeinflußbarkeit und Kontrollierbarkeit der Gefahr, das
Interesse des Täters an Handlungsfreiheiten bei bestimmten Fallkonstellationen,
usw. Das Bedürfnis nach Handlungsfreiheit kann also nicht nur aus quantitati-
ven, sondern auch aus qualitativen Gesichtspunkten zurücktreten, weil eine rein
quantitative Beurteilung nicht alle Aspekte bei der rechtlichen Werteinschätzung
berücksichtigen kann (§ 4 B). Damit zeigt sich die Interessenabwägung als ein
flexibles und wirklichkeitsbezogenes Kriterium für die Setzung von Untergren-
zen strafbaren Verhaltens. Demgegenüber werden bei der Anwendung der Figur
des einsichtigen Menschen keine Kriterien etabliert, die auf die Vielfalt der
realen Fallkonstellationen im Einzelnen anzuwenden wären. Es handelt sich nur
um eine ideale Maßfigur, deren Komponenten im Dunkeln bleiben und die des-
halb Willkür hervorrufen können (§ 4 C).

III. Besonderheiten beim Vorsatzdelikt

Bei einem vorsätzlichen Verhalten kann allerdings keine Rede von Hand-
lungs- und Entfaltungsfreiheiten der Bürger sein und damit findet eine solche
Kosten-Nutzen-Saldierung zur Abgrenzung von Freiheitssphären beim Vorsatz-
delikt anders als bei Verhaltensweisen mit Vermeidewillen keinen Platz (§ 5 B).
Folglich wird hier die verbreitete Auffassung (§ 3 C) abgelehnt, nach der die
Zurechnungskriterien für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte stets gleichlaufen.
Es leuchtet nämlich eine Gewährung von strafrechtsfreien Handlungssphären
bei der wissentlichen bzw. absichtlichen Schaffung von Risikofaktoren nicht
ein. Dabei überwiegt die Rechtsgüterschutzfunktion des Strafrechts das Inter-
esse der Bürger an Handlungsfreiheiten. Das Interesse des Vorsatztäters an sei-
ner Handlungsfreiheit kann nach einer (straf-)rechtlichen Wertung nicht respek-
tiert werden, weil die (von ihm erkannte, ggf. beherrschte oder zumindest als
einziges verfolgte) Beeinträchtigung von Rechtsgütern nach dem allgemeinen
Schädigungsverbot (neminem laede) zu vermeiden ist (§ 5 B). Dabei müßte al-
lerdings zwischen strafrechtlich relevanten und nicht relevanten Verletzungsab-
sichten des Täters differenziert werden, um nicht ein reines Gesinnungsstraf-
recht zu konstituieren – hier wird aber nicht auf die Idee der Gewährung von
Handlungsfreiheiten zurückgegriffen (§ 5 C I).

Der mit sicherem Wissen handelnde Täter kennt die Sozialschädlichkeit des
eigenen Verhaltens und damit besitzt er Tatherrschaft über das Opfer und das
Geschehen bzw. steuert das Geschehen. Diese gegenüber Fahrlässigkeitstätern
280 § 7 Resumée

gesteigerte Steuerung des Geschehens und der Sozialschädlichkeit begründet die


Unerlaubtheit des Verhaltens. Dieser Vorsatzbegriff berücksichtigt die empiri-
sche, psychologische Beziehung des Täters zu seiner Tat und bewertet sie recht-
lich anhand der Idee des Rechtsgüterschutzes als Aufgabe des Strafrechts. Die
Tatherrschaft selbst ist etwas Empirisches; die Auswahl dieses Kriteriums zur
Bestimmung der strafrechtlichen Relevanz ist eine Frage der rechtlichen Bewer-
tung. Die Steuerung des Geschehens im Sinne der Tatherrschaft mit einem Aus-
schluß möglicher strafrechtsfreier Räume bildet also eine auf zweck- und wert-
orientierten Aspekten fundierte Grundlage für den Vorsatzbegriff [§ 5 A III; § 5
C II 2 a) cc) (1) (a); § 6 D I].
Dieser Standpunkt impliziert auf keinen Fall eine normative Zuschreibung der
Willenskomponenten, sondern er berücksichtigt den Grad der realen Steue-
rungsfähigkeit des Täters über das Geschehen und läßt die Wissenskomponente
in den Vordergrund treten, sobald die Tatherrschaft absolut gesichert ist [§ 5 C
II 2 a) cc) (2)]. Damit ist in Konsequenz die Entlastung durch die Rollentheorie
im Bereich der objektiven Zurechnung und die Belastung durch die Zuschrei-
bung der „Tatsachenblindheit“ beim Vorsatz im Bereich der personalen Zurech-
nung, so wie sie von Jakobs vertreten wird, abzulehnen. Gegen einen Ausschluß
der Verantwortlichkeit bei vorhandenem (Sonder)Wissen aufgrund von Rollen
ist zunächst einzuwenden,1 daß das bereits vorhandene Täterwissen, sei es ab-
sichtlich oder zufällig erworben, eine effektive Tatherrschaft begründet, von der
nicht durch Zurechnungskriterien abstrahiert werden kann. Gegen eine bela-
stende Wirkung der Gleichgültigkeit bei fehlendem Wissen der Sozialschädlich-
keit (Figur der „Tatsachenblindheit“ oder „gerichteten Fahrlässigkeit“) ist wie-
derum vorzubringen, daß eine für den Vorsatz unabdingbare Tatherrschaft min-
destens das reale Wissen über die Möglichkeit der Sozialschädlichkeit bzw. der
Rechtsgutsverletzung voraussetzen muß, weshalb die Rechtsfeindlichkeit für die
Bejahung einer Vorsatztat nicht ausreicht [§ 6 D I, ferner § 3 C V 2 a) cc); § 3
E; § 5 A II 5; § 5 C II 1].

IV. Kategorien zur Begründung der


strafrechtlichen Relevanz

Andererseits geht es bei diesem Ansatz auch nicht darum, den subjektiven
Tatbestand gegenüber dem objektiven Tatbestand in den Vordergrund zu stellen,
sondern darum, die Elemente festzulegen, die eine rechtliche Relevanz unter
dem Blickwinkel des Rechtsgüterschutzes (mit Berücksichtigung tolerabler
Handlungsfreiheiten) aufweisen. Damit ergibt sich die rechtliche Mißbilligung
einer Gefahrschaffung nicht nur aus der Berücksichtigung objektiver, sondern

1 Im übrigen siehe die Zusammenfassung der Kritik an Jakobs infra, VII, sowie

Sacher, ZStW 118 (2006).


B. Zusammenfassende Thesen 281

auch subjektiver Aspekte. Daß objektive oder subjektive Elemente für die tatbe-
standliche Zurechnung rechtlich relevant sein können, beruht auf der strafrecht-
lichen Funktion des Rechtsgüterschutzes, unter Umständen auch unter Einbezie-
hung der strafrechtlichen Handlungsfreiräume, auf den Bedürfnissen der Gene-
ralprävention und insgesamt auf den Zwecken des Strafrechts und findet eine
Konkretisierung in rechtlichen Kategorien wie die oben genannte Tatherrschaft
kraft sicheren Wissens, aber auch folgenden (§ 6 D): a) eine rechtsgüterfeindli-
che oder zumindest gleichgültige Einstellung gegenüber der Rechtsgutsverlet-
zung bei Fehlen sicheren Wissens (der sog. dolus eventualis) oder b) die Sorg-
faltswidrigkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten mit Berücksichtigung von Handlungs-
freiräumen aufgrund einer Kosten-Nutzen-Rechnung bei der Beurteilung von
Risikoschaffungen.

1. Einstellung gegenüber der Rechtsgutsverletzung


beim dolus eventualis

Neben dem sicheren Wissen begründet nur die Kenntnis der Möglichkeit der
Tatbestandsverwirklichung zwar noch keine Tatherrschaft, verdient aber Berück-
sichtigung aus der Perspektive der Vorsatzhaftung, weil Wissen ein Machtfaktor
ist, der eine wesentliche Relevanz zur Bejahung einer Vorsatzstrafbarkeit besitzt.
Dieses Erkennen kann allerdings bei vorhandenem – berechtigtem (vgl. sogleich
supra) – Vermeidewillen nur Fahrlässigkeit begründen, weil die Möglichkeits-
kenntnis dadurch gewissermaßen kompensiert wird. Deshalb ist für die Bejahung
einer Vorsatzstrafbarkeit beim Erkennen der bloßen Möglichkeit der Tatbe-
standserfüllung zusätzlich eine rechtsgüterfeindliche oder zumindest -gleich-
gültige Einstellung gegenüber der Rechtsgutsverletzung zu fordern. Beim Feh-
len des sicheren Wissens ist also ein Verhalten vorsätzlich, wenn die innere Ein-
stellung des Täters zur Tatbestandsverwirklichung eine dem Vorsatzdelikt
typische Haltung gegenüber der Rechtsgutsverletzung kennzeichnet. Die innere
Einstellung gegenüber der Rechtsgutsverletzung (d. i. das Subjektive bei der
Wollensseite) ist allerdings als solche nicht gleich als Vorsatz zu beurteilen
bzw. nicht jede Willensbetätigung ist im Sinne einiger Ansätze der Willenstheo-
rien rechtlich relevant. Sie gilt nur als Gegenstand der rechtlichen Beurteilung
und dabei als Indiz des Vorhandenseins einer aus rechtlicher Sicht negativen
Einstellung gegenüber dem Rechtsgut (d. i. das Objektive bei der Wollensseite)
[§ 5 A III; § 5 C II 2 a) cc) (1) (b); § 6 D II].
Problematisch ist, wenn die innere Einstellung in einem Verdrängungsprozeß
besteht, in dem der Handelnde die Sozialschädlichkeit des eigenen Verhaltens
als doch nicht so immanent bewertet. Dabei wäre die Rechtsgutsverletzung für
den Täter unerwünscht, aber sein Interesse an der Vornahme der Handlung
übermächtig. Zu dieser subjektiven Seite bzw. dieser Tätereinstellung bezüglich
der möglichen Rechtsgutsverletzung kommt als objektive Seite die Beurteilung
282 § 7 Resumée

dieser Einstellung bzw. dieses Verdrängungsprozesses als Vorsatz oder Fahrläs-


sigkeit. Zur Bewertung ist vor allem in Betracht zu ziehen, daß eine Verdrän-
gungsbereitschaft des Täters, die auf eine in der Gesellschaft verankerten Risi-
kobereitschaft zurückzuführen ist, weniger bedrohlich für das Rechtsgut ist als
ein Verdrängungsprozeß, der auf rein individuellen Impulsen (auch wenn die
Situation nach allgemeiner Bewertung für das Rechtsgut unerträglich gefährlich
ist) beruht. Ob die Verdrängungsbereitschaft berechtigt ist und damit nur ein
Fahrlässigkeitsdelikt begründet, hängt vor allem von der Art der vorgenomme-
nen Tätigkeit ab, die das Endziel des Täters bildet, von der Erlaubtheit oder
Unerlaubtheit der Tätigkeit, vom Grad der Tatherrschaft über das Opfer, d. h.,
ob dieses um das Risiko weiß, und von der Bereitschaft des Täters, das von ihm
geschaffene Risiko selbst einzugehen. Eine nicht akzeptable Verdrängung der
Verletzungsfähigkeit eigener Handlungen impliziert einen hohen Bedrohungsef-
fekt für das Rechtsgut und verdient deshalb die höhere Vorsatzstrafe [§ 5 C II 2
a) cc) (2); § 6 D II].

2. Sorgfaltswidrigkeit bei der Fahrlässigkeit

Wann die Gefahr unerlaubt ist, hängt beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht vom
individuellen Kriterium der Tatherrschaft bzw. von einer erhöhten Steuerung
des Geschehens kraft Wissens ab, wie das der Fall bei sicherem Wissen über
die Tatbestandsverwirklichung ist, sondern von dem auf alle Normadressaten
generell anwendbaren Kriterium der Sorgfaltswidrigkeit, das Rechtsnormen, Re-
geln der Kunst und den Vertrauensgrundsatz einschließt, und letztendlich von
einer generell vorzunehmenden Abwägung, die die Bedürfnisse des staatlichen
Rechtsgüterschutzes, aber auch die Handlungsfreiheit der Bürger in Betracht
zieht. Bei der Beurteilung der Unerlaubtheit der Gefahrschaffung muß man be-
rücksichtigen, daß man beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht ohne weiteres von den
vom Handelnden vorgestellten Tatumständen ausgehen kann, weil die Sorgfalts-
widrigkeit auch darin bestehen kann, (1) daß der Handelnde etwas nicht wußte,
was er nach den Sorgfaltsregeln bzw. Kenntnisverschaffungspflichten hätte wis-
sen müssen [auch wenn die Kenntnisverschaffungspflichten eine gewisse Kennt-
nisbasis voraussetzen; speziell zur Relevanz der „berechtigten“ oder „unbe-
rechtigten“ unrichtigen Wissensgrundlage des Täters bei der sog. unbewußten
Fahrlässigkeit vgl. § 6 D III 2 b), insbes. cc)]; oder (2) daß der Handelnde et-
was über die Tatumstände wußte, die zur Rechtsgutsverletzung geführt haben,
allerdings die Handlungsfreiheit bei der Interessenabwägung überwiegt, was bei
der Fahrlässigkeitsfrage bei bestehendem Wissen der Möglichkeit der Rechts-
gutsverletzung möglich ist. Damit wäre das Verhalten strafrechtlich nicht rele-
vant. Entlastende Zurechnungskriterien können beim Fahrlässigkeitsdelikt also
anwendbar sein und ein Täterwissen umwandeln in ein rechtlich irrelevantes.
Das Wissen gewährt nämlich bei der Fahrlässigkeit in der Regel keine Steue-
B. Zusammenfassende Thesen 283

rungsfähigkeit, so daß ein Wissen über die Tatsituation unter Umständen aus
der Zurechnung ausgegrenzt werden kann (§ 6 D III, insbes. 1 und 3).
Nimmt man die oben genannten Kategorien zur Begründung der Tatbestands-
mäßigkeit an, sind der objektive und der subjektive Tatbestand nur Bestandteile
umfangreicherer, die Tatbestandsmäßigkeit insgesamt begründender Aspekte.
Selbstverständlich ist die Prüfung des objektiven und subjektiven Tatbestandes
bei der Fallbearbeitung eine unersetzbare Hilfe. Allerdings wird sich dabei im
System der h. M. immer die Frage stellen, warum der Vorsatz bzw. das Sonder-
wissen eine Rolle beim objektiven Tatbestand spielt, oder warum gewisse sub-
jektive Elemente beim Fahrlässigkeitsdelikt relevant werden, und dafür müssen
weitere tatbestandsbegründende Kategorien wie die vorstehend dargestellten die
richtige Antwort im Hintergrund liefern (§ 6 E I).

V. Relevanz des Sonderwissens

Damit ist bereits die Grundlage geschaffen, die direkt zur Untersuchung des
Problems des Sonderwissens führt. Die in den ersten Teilen der Arbeit ausge-
führten Themen der Untergrenzen strafbaren Verhaltens und des Vorsatzes – vor
allem bei sicherem Wissen – enthalten bereits in sich die Antwort auf das Pro-
blem des Sonderwissens. Dabei zeigt sich die Erforderlichkeit einer unterschied-
lichen Behandlung dieses Themas bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten, weil
die Zurechnungskriterien als Untergrenzen strafbaren Verhaltens nach der hier
vertretenen Auffassung ebenfalls unterschiedlich zu bestimmen sind.
Das Sonderwissen beim Vorsatzdelikt ist nämlich in der Regel wie die Kon-
stellation der Schaffung einer Gefahr für ein Rechtsgut mit sicherem Wissen zu
behandeln, also eine Tatherrschaft kraft Wissens zu bejahen, und damit wird die
strafrechtliche Relevanz des Verhaltens mit Sonderwissen des Handelnden be-
gründet. Spezielle theoretische Überlegungen über die systematische Stellung
der rechtlich relevanten subjektiven und objektiven Elemente sind in diesem
Konzept unangebracht, weil das Konzept eine rechtliche (und deshalb „objek-
tive“) Gesamtbetrachtung sowohl subjektiver als auch objektiver realer Gege-
benheiten des Geschehens voraussetzt.
Es können sich auch Fallkonstellationen ergeben, bei denen der Handelnde
über Sonderwissen verfügt, dieses Wissen sich aber nur auf die Möglichkeit der
Tatbestandsverwirklichung bezieht. In diesem Fall ist eine rechtsgüterfeindliche
oder zumindest gleichgültige Einstellung des Täters zu fordern. Diese Art von
Fällen wäre dann wie der entsprechende Vorsatzfall zu behandeln; eine straf-
rechtliche Relevanz liegt also genauso vor (§ 6 E I).
Demgegenüber ist eine Tatherrschaft bei Vorliegen eines berechtigten Vermei-
dewillens selbst bei vorhandenem Sonderwissen bzw. Sondererkennbarkeit in der
284 § 7 Resumée

Regel nicht anzunehmen, weil dieser bei dieser Art von (fahrlässigen) Konstella-
tionen nicht die Sicherheit der Tatbestandsverwirklichung liefert, sondern ggf.
nur (1) die Kenntnis über eine erhöhte Gefahr für das Rechtsgut, oder (2) die
Möglichkeit, die Gefahr bei entsprechender Prüfung der Tatumstände, für die der
Handelnde besonders befähigt ist, zu erkennen. Aus Sonderwissen entstehen also
nicht immer Sorgfaltspflichten, die eine Fahrlässigkeitshaftung begründen kön-
nen, sondern es müssen folgende Differenzierungen vorgenommen werden: Bei
der ersten Konstellation wird dann oft eine Fahrlässigkeitshaftung anzunehmen
sein, außer wenn das Interesse an der Handlungsfreiheit aus irgendeinem Grund
überwiegt. Das Sonderwissen muß zu Lasten des Täters gehen, wenn das Wissen
über risikosteigernde Faktoren so aktualisiert ist, daß eine Sorgfaltspflicht zur
Vermeidung rechtsgutsverletzender Folgen entsteht bzw. der Schutz von Rechts-
gütern die Handlungsfreiheit überwiegt. Bei der zweiten Konstellation müßte da-
nach differenziert werden, ob für den Handelnden im konkreten Fall eine Kennt-
nisverschaffungs- oder Kenntnisanwendungspflicht besteht: Besitzt der Han-
delnde kein tatsächliches Wissen über risikosteigernde Faktoren, sondern könnte
er dieses Wissen nur – aufgrund des Sonderwissens – erwerben, besteht für ihn
nicht immer die Pflicht, sich dieses Wissen zu verschaffen. So ist beispielsweise
ein Fußballspieler mit medizinischen Kenntnissen zur Prüfung der Blutereigen-
schaft eines Mitspielers nicht verpflichtet. Genauso sind ein Gastgeber oder ein
Restaurantführer nicht verpflichtet, sich über die körperlichen Beschwerden ihrer
Gäste beim Verzehr bestimmter Lebensmittel zu erkundigen, auch wenn sie dazu
aufgrund spezieller Kenntnisse in der Lage gewesen wären. Handelt es sich also
nicht um ein tatsächliches, sondern um ein „Könnte-Wissen“ (Wissen-Können)
im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte, sind Differenzierungen bei der Entschei-
dung über die strafrechtliche Relevanz vorzunehmen. Dies zeigt die schwächere
Wirkungskraft des Sonderwissens bzw. der Sondererkennbarkeit beim Fahrlässig-
keits- gegenüber dem Vorsatzdelikt, bei dem das Wissen an sich ein Machtfaktor
ist und immer die Tatherrschaft begründet (§ 6 E II).

VI. Die sekundäre Frage der Unrechtssystematik

Diese Erwägungen betreffen die materiellen Aspekte der strafrechtlichen Re-


levanz wissentlichen und unsorgfältigen Verhaltens; die Systematik sollte sich
konsequenterweise auf dieser Basis ergeben. Aus der materiellen Sicht zeigt
sich die Kompliziertheit der Begründung der strafrechtlichen Relevanz vor al-
lem bei der unbewußten Fahrlässigkeit. Für vorsätzliches und bewußt fahrlässi-
ges Verhalten könnte man nach dem hiesigen Konzept die Tätervorstellungen
ohne weiteres als den (wiederum objektiv) zu bewertenden Sachverhalt anneh-
men.2 Die Struktur der unbewußten Fahrlässigkeit mit den Kenntnisverschaf-
fungspflichten zeigt aber, daß die Gefahrbeurteilung die Berücksichtigung einer
Vielfalt von weiteren Aspekten erfordert.
B. Zusammenfassende Thesen 285

Geht man wie in dieser Arbeit bei Fahrlässigkeitsdelikten einerseits von der
Allgemeinheit der Sorgfaltsnormen, andererseits von einer Objektivität des Ur-
teils über einen Sachverhalt und von einem zu bewertenden Sachverhalt aus,
der sowohl äußere, als auch psychische Momente aufweist, ist es von Bedeu-
tung, daß der Rechtsanwender seinen Blick vom Sachverhalt (mit objektiven
und subjektiven realen Gegebenheiten) zur Verhaltensnorm (und umgekehrt)
„hin- und herwandern“ läßt, wie es die allgemeine Maxime der Rechtsanwen-
dung gebietet. Er wird sich dabei fragen müssen, ob das vorhandene Tatwissen
des Handelnden ihn zur Verschaffung weiterer Kenntnisse verpflichtet. Für den
Rechtsgüterschutz sind in der Regel bestimmte Standards bezüglich der Kennt-
nisverschaffung und des Umgangs mit den Gütern vorausgesetzt, so daß der
Blick des Rechtsanwenders zwischen diesem Standard und den beim Handeln-
den bestehenden Tatkenntnissen schweifen muß, um festzustellen, ob die Ver-
schaffung weiterer Kenntnisse oder überhaupt ein sorgfältigerer Umgang mit
dem Gut von der Sorgfaltsnorm verlangt wird. Ferner wird sich der Rechts-
anwender mit der Frage beschäftigen müssen, ob ein etwaiges Wissen (bzw.
Sonderwissen) um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung beim Fahrläs-
sigkeitsdelikt seine Belastungsfunktion durch die Anwendung entlastender Zu-
rechnungskriterien (wie beispielsweise das erlaubte Risiko, Vertrauensprinzip,
Selbstgefährdung) verliert.
Vorhandenes Täterwissen (Sachverhalt) und rechtliche Erwartungen (Verhal-
tensnorm) sind also in eine interaktive Relation zu setzen, und dies wird allge-
mein für die Systematik der Vorsatz- und der Fahrlässigkeitsdelikte gelten müs-
sen. Bei der rechtlichen Beurteilung einer Tat sind nur solche Umstände heraus-
zufiltern, die eine rechtliche Relevanz haben, und das Wissen des Handelnden
ist eine Tatsache, die genauso wie die äußeren Tatsachen miteinzubeziehen ist.
Im Rahmen der Interaktion zwischen Verhaltensnorm und Sachverhalt wäre
die herkömmliche Einteilung in den objektiven und den subjektiven Tatbestand
bei den Vorsatzdelikten und die einseitige Konzentration auf den objektiven

2 Die Festlegung der Ausgangssituation oder des zu überprüfenden Sachverhalts

müßte also aus der Täterperspektive geschehen und die allgemeine Wissensbasis und
Wissenskräfte des Täters müßten berücksichtigt werden, wenn man die generalpräven-
tiven Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Normbildung einhalten möchte und solange
der Besitz einer solchen Wissensbasis selbst nicht vorwerfbar ist bzw. solange die Ver-
schaffung weiterer Situationskenntnisse von der Verhaltensnorm nicht erwartet wird.
Ohne diese Anknüpfung an das reale Täterwissen als Ausgangspunkt würde die Fest-
legung der zu bewertenden Tatsituation (Sachverhalt) und der Erkenntniskräfte des Tä-
ters auf diejenige Situation, die ein einsichtiger Mensch wahrgenommen hätte, und auf
diejenige Erkenntniskapazität, die er besitzen würde, auf einen Zirkelschluß hinauslau-
fen, weil das Fahrlässigkeitsurteil auf einen selbst normativ bestimmten Gegenstand
bezogen würde. Statt dessen kann die „Maßfigur“ erst zur Bestimmung der rechtli-
chen Relevanz eines vorhandenen oder fehlenden Täterwissens verwendet werden, was
der normalen Methode der Rechtsanwendung, d. h. der Anwendung der Norm auf ei-
nen realen Sachverhalt, entsprechen würde.
286 § 7 Resumée

Tatbestand bei den Fahrlässigkeitsdelikten an sich eine große Hilfe beim Sub-
sumtionsprozeß. Allerdings zeigen diese systematischen Strukturen eine Unvoll-
ständigkeit gegenüber den materiellen Problemen, die bei bestimmten Fallkon-
stellationen auftauchen können, wie etwa bei der unbewußten Fahrlässigkeit
und bei vorhandenem Sonderwissen. Deshalb ist eine Gesamtbehandlung der
materiellen Unrechtsfragen in diesen Fällen gegenüber der Anwendung strikter
systematischer Gliederungen vorzuziehen (§ 6 F).

VII. Ablehnung anderer Zurechnungskonzepte

Mit dem hier vertretenen Zurechnungskonzept entfernt man sich grundsätz-


lich von der von der h. M. vorgenommenen Übertragung der Fahrlässigkeits-
struktur auf das Vorsatzdelikt und der Gleichstellung der Zurechnungskriterien
für beide Deliktsformen (Darstellung des Meinungsstands in § 3 C) mit einer
im Ergebnis nicht differenzierenden belastenden Berücksichtigung des Sonder-
wissens (§ 6 B I 1) und einer Außerachtlassung der Täterabsicht bei der Be-
stimmung des erlaubten Risikos bzw. des strafbaren Verhaltens [demgegenüber
§ 5 B; § 5 C II 2 a) cc) (1) (b) und (2); § 6 D II].
Die Meinung von Jakobs bildet einen inhaltlich separaten Abschnitt (§ 3 C V)
in dieser Gleichstellung, weil er sich durch seine radikale Normativierung der
Unrechtsstrukturen nicht die gleichen subjektiven und objektiven Unrechtskom-
ponenten wie die der h. L. zunutze machen kann: In seiner sogenannten perso-
nalen Zurechnung ist keine Spur von Individualisierung; sie unterscheidet sich
von der objektiven Zurechnung darin, daß bei ihr der Wille zur Normbefolgung
standardisiert wird, während bei der objektiven Zurechnung die Erwartungen
standardisiert werden [§ 3 C V 2 b)]. Als Folge stellt sich aber das gleiche
Ergebnis wie bei der h. M. ein: Die Zurechnungsstrukturen lassen sich damit
nicht vom Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit abhängig machen und wer-
den für beide Deliktsformen gleichgestellt [§ 3 C V 2 c)] (auch wenn Jakobs
die Verhaltensnormen beim Vorsatzdelikt generalisiert und sie beim Fahrlässig-
keitsdelikt in einer widersprüchlichen Weise individualisiert, vgl. die Kritik in
§ 3 E). Ein Unterschied zu den Ergebnissen der h. M. zeigt sich erst bei der
Frage der Sonderkenntnisse: Aus der Idee der anonymen sozialen Kontakte
wird von Jakobs in die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eine
Differenzierung nach Rollen eingeführt, die eine haftungseinschränkende Wir-
kung auch bei vorhandenem Sonderwissen haben soll. Im Hintergrund der Rol-
lentheorie steht eine Anwendung der Grundsätze der Systemtheorie auf das
Strafrecht und damit seine Charakterisierung durch Selbstreferenzen, Tautolo-
gie, Entsubjektivierung und Kontingenz. Eine unmittelbare, praktische Anwen-
dung der Systemtheorie als soziologische Perspektive auf die internen Entschei-
dungen der Rechtsdogmatik läßt sich aber nicht ohne weiteres verwirklichen
B. Zusammenfassende Thesen 287

(§ 3 C V 1): Erstens ist die Rechtswissenschaft ohne den Bezug zur Wirklich-
keit, zu externen Zwecken und ohne die Möglichkeit der Bestätigung oder
Falsifizierbarkeit ihrer Elemente durch empirische Untersuchungen kaum vor-
stellbar. Zweitens kann die soziologische (und damit externe) Erklärung des
Rechtssystems (d. i., daß die Normen und die Strafe zur Bestätigung der gesell-
schaftlichen Identität durch Erwartungssicherung dienen würden) nicht vom
Rechtsanwender bei der Rechtsanwendung zu eigen gemacht werden, wie es
von Luhmann selbst erkannt wird. Die rechtliche Begründung darf nicht in ei-
ner soziologischen Perspektive wurzeln, sie muß von einem anderen Standpunkt
aus argumentieren, der die Teilnehmerperspektive berücksichtigt. Die externe
Beobachtung vermittelt die Motive der Normanerkennung und Normbefolgung
nicht, vor allem nicht die Gründe der Legitimität des vom Rechtsteilnehmer
akzeptierten Rechtssystems. Drittens ist die Nicht-Festlegung auf Legitimations-
gründe bzw. die Reduktion der wissenschaftlichen Bestrebungen auf eine bloße
(„empiriefreie“ und „wertfreie“) Beschreibung des Vorfindlichen in einem Be-
reich wie dem Strafrecht, wo die härtesten staatlichen Mitteln gegenüber dem
Individuum in Einsatz gebracht werden, nicht hinzunehmen. Die Zuspitzung der
Anwendung der Rollentheorie auf das Strafrecht und zugleich ein Musterbei-
spiel eines legitimationslosen Strafrechts bildet die nicht mal im Ansatz akzep-
table Kategorie von Jakobs eines garantielosen „Feindstrafrechts“. Viertens
bleibt es fraglich, ob das System eine reine Abstraktheit und Unabhängigkeit
von einer empirischen Grundlage aufweist oder aber ein Bezug zur wirklichen
Welt irgendwo in der Definitionskette der Systemelemente ersichtlich ist. Fünf-
tens scheinen nicht alle im System von Jakobs formulierten Zurechnungsregeln,
die von einer modernen pluralistischen Gesellschaft mit Anonymität der Kon-
takte und einer starken Trennung in Zuständigkeiten ausgehen, ohne weiteres
auf jede heutige Gesellschaft und jedes Strafrechtssystems anwendbar zu sein
[§ 3 C V 2 a) dd)]. Sechstens sind die von Jakobs bei der Frage des Sonderwis-
sens gezogenen Ergebnisse geradezu die Pointierung seines systemtheoretischen
Ansatzes, die die Unhaltbarkeit einer Differenzierung nach Rollen bei der straf-
rechtlichen Zurechnung im Vorsatzdelikt demonstriert: Im Fall des Biologiestu-
denten besteht richtigerweise für den Kellner keine Sorgfaltspflicht, zu servie-
rende Gerichte auf giftige Substanzen hin zu untersuchen. Weiß er aber, daß ein
Gericht eine tödliche Substanz enthält, und serviert er es trotzdem, begeht er
ein Kapitaldelikt in mittelbarer Täterschaft kraft vorsatzlosen Werkzeugs, näm-
lich dem ahnungslosen Gast als Opfer. Es ist also die finale Steuerung des Ge-
schehens, die von der Rollenerwartung völlig unabhängig ist und den Biologie-
studenten zum Herrn der Tat macht; dabei spielt auch die Schutzlosigkeit des
Opfers eine wichtige Rolle. Im auch bekannten Fall des Ingenieurs (Bemerken
eines Bremsdefektes bei einer Probefahrt) ist ein Rückgriff auf die Rollentheo-
rie zum Ausschluß der Strafbarkeit des Ingenieurs nicht erforderlich, weil es
sich hier entgegen der Meinung von Jakobs um ein Unterlassen und nicht um
288 § 7 Resumée

ein Tun handelt, so daß die Tatbestandsmäßigkeit wegen fehlender Garantenstel-


lung des Ingenieurs ausscheidet [§ 3 C V 2 a) cc)].
Andererseits steht das hier vertretene Konzept diametral zu der Ansicht, die
zwar auch von einer Ungleichstellung der Untergrenzen strafbaren Verhaltens
bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten ausgeht, aber umgekehrt höhere Anfor-
derungen für die Bejahung einer Vorsatzgefahr im Vergleich zu einer Fahr-
lässigkeitsgefahr aufgrund der Idee eines Plus-Minus-Verhältnisses aufstellt und
damit dem Vorsatztäter einen größeren strafrechtsfreien Raum gewährt (§ 3
F III).
Die in dieser Arbeit vertretene Ansicht, die subjektiven Gegebenheiten eine
Relevanz für die Bestimmung der Untergrenzen strafbaren Verhaltens zumißt,
ist aber auch nicht dem Finalismus oder dem hier sogenannten Spätfinalismus
zuzuordnen [§ 2; § 3 D; § 6 B II 2 b) aa)]. Zwar wird hier der Schwerpunkt
auf das Wissenselement gesetzt, aber auch darauf, daß sich die unterschiedli-
chen Aspekte der Normzwecke (und letztendlich der Strafrechtszwecke) auf das
Wissen des Täters beziehen, sei es die Funktion des Rechtsgüterschützes, das
ultima-ratio-Prinzip mit der Gewährung von strafrechtsfreien Handlungssphären
oder die generalpräventive Aufgabe der Strafrechtsnormen [§ 6 B II 2 b) dd)
(2)]. Bei den in § 6 D entwickelten unrechtsbegründenden Kategorien handelt
es sich um zweck- und wertorientierte Vorgaben, die das Wissensphänomen nur
als empirische Grundlage in Betracht ziehen. So braucht die Kenntnis des Tä-
ters von einer aus seinem Handeln entstehenden Gefahrensituation nicht immer
eine strafrechtliche Relevanz im Sinne der bewußten Fahrlässigkeit zu haben.
Der Idee einer schlichten Ableitbarkeit der Rechtswidrigkeit aus der gesonder-
ten Kategorie des subjektiven Tatbestandes des Fahrlässigkeitsdelikts ist entge-
genzuhalten, daß die psychische Beziehung des Handelnden zur Tat nicht ohne
weiteres als strafbegründender oder strafausschließender Faktor dienen kann.
Das Verhalten könnte nämlich trotz Kenntnis der Tatumstände bzw. der Mög-
lichkeit der Tatbestandsverwirklichung aus kriminalpolitischen Gründen, z. B.
wegen der nur entfernten Steuerungsmöglichkeit des Handelnden bezüglich der
Rechtsgutsverletzung, strafrechtlich irrelevant sein. Dieses Thema könnte zwar
vom Spätfinalismus unter der Rubrik der Auslegung der Norm bzw. des erlaub-
ten Risikos behandelt werden, jedoch scheint es dem Spätfinalismus an einer
intensiveren Beschäftigung mit der rechtlichen Unrechtsbegründung bzw. dessen
Ausschluß zu fehlen [§ 6 B II 2 b) dd) (4)].
Die hiesige Auffassung geht auch nicht von der Idee individualisierender
Sorgfaltsnormen bei den Fahrlässigkeitsdelikten aus, so daß sie sich damit auch
von der individualisierenden Fahrlässigkeitslehre entfernt. Die Sorgfaltsanforde-
rungen sind nicht nach der Individualität des Handelnden, sondern nach recht-
lichen Kriterien mit Berücksichtigung einer Vielfalt von Aspekten ausgestaltet,
was im Ergebnis von der individualisierenden Lehre auch nicht bestritten, aber
B. Zusammenfassende Thesen 289

durch die Individualisierung als angeblich zentrales Kriterium verschleiert wird.


Letztendlich sollte die Akzentsetzung nicht in einer Diskrepanz zwischen Gene-
ralisierung oder Individualisierung von Sorgfaltsnormen liegen, sondern in der
Unterscheidung zwischen den Einzelheiten des zu bewertenden Sachverhalts
und der (Straf-)Rechtsnorm [§ 6 B II 2 c) und e)]. Ferner ist das im anderen
Extrem situierte Konzept der Objektivierung der Fahrlässigkeit bis in die
Schuld nicht hinzunehmen: Materiellrechtlich ist auf das Element der subjektbe-
zogenen Voraussehbarkeit nicht zu verzichten, auch wenn man im Normalfall
im Prozeß auf Erfahrungssätze zur Feststellung der Voraussehbarkeit zurück-
greift [§ 6 B II 2 d)].
Die hier vertretene Unrechtskonzeption für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsde-
likte führt schließlich auch zur Ablehnung einer ex post-Perspektive sowohl für
die Frage a) nach dem Vorliegen einer Gefahr als auch b) nach der Mißbilli-
gung dieser Gefahr: zu a) Daß eine Gefahr für das Rechtsgut ex post vorliegt,
wird oft bei den vor Gericht verhandelten Fällen vorkommen und diese Infor-
mation trägt nichts weiter zur Erforschung der Sorgfaltswidrigkeit eines Verhal-
tens bei; zu b) die ex post-Beurteilung der Mißbilligung der Gefahr, d. h., ob
das Verbot ex post geeignet ist, zum Rechtsgüterschutz beizutragen, besagt auch
noch nichts über die rechtliche Relevanz des Verhaltens [§ 6 B II 2 a)].

VIII. Sonderfähigkeiten

Nicht nur die Tatherrschaft kraft Wissens über die Tatbestandsverwirklichung


kann die Gewährung üblicher strafrechtsfreier Handlungsräume beeinflussen.
Bestimmte Fähigkeiten können auch eine Tatherrschaft begründen und damit
die Tatbestandserfüllung bewirken. Zur Beantwortung der Frage, ob der Ein-
zelne im konkreten Fall seine Sonderfähigkeiten einsetzen muß, sind mehrere
Aspekte heranzuziehen: Natürlich wird der Nachweis etwaigen Sonderkönnens
in vielen Fällen nicht zu liefern sein. Trotzdem bleibt ein Restbereich möglicher
nachweisbarer Fälle übrig, so daß die strafprozessualen Bedenken nicht die Be-
handlung der materiellen Frage beiseite schieben dürfen. Dient die Sonderbega-
bung dazu, Risiken in einigen Situationen zu erkennen, und ist das Verletzungs-
risiko dadurch (oder auch zufällig) bereits erkannt, kann das Subjekt zum Ein-
satz etwaiger Sonderfähigkeiten verpflichtet werden, die zur Vermeidung des
Verletzungserfolges dienen, solange deren Einsatz zumutbar ist (zu weiteren
Einzelheiten dieses Kriteriums vgl. § 6 G III). Ob eine Sonderbegabung des
einzelnen neue Sorgfaltsanforderungen für die Allgemeinheit schaffen kann, ist
vornehmlich eine Frage der Anerkennungsprozedur der jeweiligen Sorgfalts-
maßstäbe, die je nach Fachgebiet und dessen tatsächlichem Schwierigkeitsgrad
divergieren (§ 6 G II).
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